KR; EN BR" a € *; ee Sn ZW > ® arg ne 2 msn vun an ara pres na rm N aan an Sn TE EEE rn Ent TE re gpeiar naher nahe gen Tange tünt BE BEE EN TEE TEE NE VER ee at Sr TEL mern nr f 8 ne N = ) : Ä 4 arena ann Renate nr ETF N SE ner Dt TREU nam N Annan Pins ni aan weten Wear geemane Lesern 7 and ent n Geligheze fr any ent. mg tnnatatarn nt ame Naeh rna ann namen x I 2 “+ u. ; a ; di a3 Br P r MARINE BIOLOGICAL LABORATORY, Received Accession No. Given by Place, *,*No book or pamphlet is to be removed from the Lab- oratory without the permission of the Trustees. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Professor der Botanik Professor der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Vierzehnter Band. 1894. Mit 8 Abbildungen. Leipzig. Yertfae von Eduard,.Bes.o,l.d. (Arthur Georgi.) 1894. 28 SS Od b. Hof- und Univ. -Buchdruckerei von Fr. Junge (Junge & Sohn) in Erlangen, Inhaltsübersicht des vierzehnten Bandes. Seite Weismann, Die Allmacht der Naturzüchtung . 14 Potonie, Pseudo -Viviparie an Juncus bufonius L. e 11 Emery, Ueber Entstehung des Soziallebens bei Hymenopteren . 20 Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien . . . 2 2 2.2.2.3, 38 Fr BHO Zur Biologie des Planktons . 33 Emery, Die Entstehung und Ausbildung Be Arbenenstanden bei den Ameisen a 93 Wasmann, Zur Mernholegie, aka and Pathologie ee“ Naane i 59 Roth, Klinische Terminologie B 7.164 Ziegler, Die Urgeschichte der Bee vom Blandpunkte er Enbwiee lungslehre - 2 65 Reh, Zur Frage nach der Yersshhne SrWorhanen isenschäften : 0 Ritzema Bos, Untersuchungen über die Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft . . . . . eier 75 Blochmann, Kleinere Mitteilungen über Biotokeen ; 82 Blochmann, Maßangaben in Lehrbüchern Cal RT EN E 91 Bethe, Ueber die Erhaltung des Gleichgewichts . . . .... . 95, 963 v. Lendenfeld, Die systematische Stellung von Placospongia . 145 Werner, Zoologische Miszellen . . . 3 le dl 10, 168, 201 Stieda, Berichte über die russische aka nee 1888— 1889, herausgegeben von G. Koschewnikow. 119 Zacharias, Ueber die Verteilung der Blauktonceganismen nnerhaib eines DOES Arasihle 122 Keller, Fortschritte a dem Gebiete der Fflansenphs Biologie an eikyat 129, 177, 241, 273, 305 Braem, Ueber die Knospung bei mehrschichtigen Tieren, insbesondere bei Hydroiden . . . . sek 140 Schaudinn, Die Bortpfanzung der heraminiforen nnd eine neue a: Ber Kernvermehrung 161 Hansemann, Studien über die Spezifizität, den Aames and die Anaplasie der Zellen, mit besonderer Berücksichtigung der Geschwülste 169 Blochmann, Ueber die Kernteilung bei Euglena . 194 Blochmann, Zur Kenntnis von Dimorpha mutans 197 Nehring, Beannben von Cavia aperea und Cavia oa 2% Keller, Alphonse de Candolle VI Inhaltsübersicht. Seite Zacharias, Ueber Periodizität und Vermehrung der Planktonwesen . . 226 Merkelu.Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte 240 Spencer, Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“ (Nachschrift) 230, 259 Erneld, Die bibliographische Reforma. Er ne a Be 7 Imhof, Fauna hochgelegener Seen . .. 287 Imhof, Ueber das Vorkommen von Fischen in den Alpensben der Schweiz 294 Zacharias, Aus der biolog. Süßwasserstation am Gullsee in Minnesota 299 Pictet, De l’emploi methodique des basses temp6ratures en biologie . . 300 Neunzehnte Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund- heitspflege zu Magdeburg. 2.0. 2 wu er 2 Festschrift für August-Weismann. .. NER 314 Chittenden, Neuere physiologisch - chemische Uciersuehingen Eher die Zeller zer. RA E78 Keller, Pädasosisch- neyahameinisähe Sndien @. Mitteilung) ER 328 Schinz, Böhm und Fairmaire, Ueber das Pfeilgift von Kaliyari- San 337 Braem, Ueber den Einfluss des Druckes auf die Zellteilung und über die Bedeutung dieses Einflusses für die normale Eifurchung . . . . 340 Eismond, Zur Ontogenie des Amphioxus lanceolatus . . 2. . 353 Wagner, Einige Betrachtungen über die Bildung der Keimblätter, @er Dotterzellen und der Embryonalhüllen bei Arthropoden . . . . . 361 Nagel, Beobachtungen über den Lichtsinn augenloser Muscheln . . . 385 Lauterborn, Ueber die Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene 390 Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane 399, 434, 593, 647 Auerbach, Ueber merkwürdige Vorgänge am Sperma von Dytiscus marginais . . . 408 Hürthle, Beiträge zur Kenntaik Dr Sckrofionknossungene in He Schild- drüse; Derselbe, Ueber den Sekretionsvorgang in der Schilddrüse 411 v.lLendenfeld, Haacke’s Gemmarienlehre 1. mas 2 U Gautier, Die Ernährung der Zelle . . ..» . . 417 Korotneff, Zur Entwicklung des Mitteldarms bei den Kosirosodend . 433 Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. Grundzüge der allgemeinen Ana- tomie und Physiologie... 7. 4.09 2 N mal ana, a NEE AA Programm für das Werk: „Das Tierreich“. Eine Zusammenstellung und Kennzeichnung:der rezenten, Tierformen „.. %. „u... ı. ı. u une. Em ARA Drei Preisaufgaben des Deutschen Fischerei- Vereins . . . . 2 2..2...446 66. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Wien 1894 . . 448 vom Rath, Ueber die Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren . . 449 Plateau, Einige Fälle falscher Mimikıy . . . SIE TER ATA Müller, Die Begründung einer Wissenschaft der Hatisbtenlertingen auf anatomisch-physiologischer Grundlage . . . 473 Bergh, Vorlesungen über die Zelle und die ihfwelen Ginehe no bier sehen Körpers. yon ae Dr HEN Ta ERENATE Hodgkins-Preise . . aa ot Er AO Kochs, Gibt es ein Zeilleben) ohne: Mil organ WER AS v. Erlanger, Bemerkungen zur Embryologie der en I. “223491 Imhof, Die Rotatorien der großen Seen in Michigan, Nord- Amerika ._ 494 Inhaltsübersicht. V Seite Luciani, De l’influence qu’ exercent les mutilations c&r&belleuses sur Vexeitabilit& de l’&corce cer&brale et sur les röflexes spinaux . . .„ 49% Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre . . . .. . 497 Haacke, Die Vererbung erworbener Eigenschaften . . . . . .. 513, 529 Nagel, Ergebnisse vergleichend-physiologischer und anatomischer Unter- suchungen über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe 543 Gottlieb, Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie den Pankreas- sekretion. . - . 556 Zacharias, Die biolozische io erkladion. den Universität von n Iilinois 559 Bauer, Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schale in den Vogeleiern . . AST FE PR) Reibisch, Hrechuinke der Plankton. enedition Brass 561 v. Erlanger, Zur Morphologie und Embryologie eines edigranen (Ma- crobiotus Macrony&) . . 582 Haacke, Die asmesgasehichtliohe Nerschtebnns der änkensenhältnikee von Arm und Bein beim Menschen . . . ee ee EHE Häcker, Eine neue Schrift zur Be Buneltehre ar 0 en 98 Zacharias, Biologische Untersuchungen in no enkelten Sean 3.4605 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege in Magdeburg . . . 607 Woltf, Bemerkungen zum Darwinismus mit einem experimentellen Bei- trag zur Physiologie der Entwicklung . . . ee ee Przesmycki, Ueber die Zellkörnchen bei den en seh 620 Haacke, Die Formenphilosophie von Hans Driesch und das een des Organismus . . . Sen a 20.:1626,.666,40697. Zacharias, Ueber die wechselide Quantität des Planktons im großen Plöner See . . . 651 Herbst, Ueber die Bedeutung der FE oiyeiologie für Me Kae Auf fassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese 657, 689, 727, 753, 800 Lang, Zur Frage der Knospung der Hydroiden . . 2 2 2.2.2.2... 68 Seelmann, Beschleunigte Färbung der Blutkörperchen . . . 4687. Walther, Bionomie des Meeres. Beobachtungen über die marinen TieDene: bezirke und Existenzbedingungen . . . ae ter 1a OD Beneke, Sammlung mikroskopischer Pı er ; u 1 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vo hunescheosie ee Voigt, Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien . . 745, 771 Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine Vergangen- heit! .. nl» 751 Klebs, Ueber ii Verhältnis ae männlinhen Dana aklchen Geschlechie inzder Natur °./. . 752 v. Lendenfeld, Einige neuere a oiken über die Norm bei sonen und esmadıen SR N UN Nusbaum, Einige Bemerkungen uber die "Extremitäitenanlagen Dei on ne odensiabsvonen NR: Se 5 ee te) Mayer, Kleinere Schriften und Briefe, "Nebst een: aus seinem Leben . . » ee: |, Bowditch, Are ante ntogranlıd Er Bi neene u . 783 : Ewald, The influence of light on the gas exchange in animal Kae . 784 Gley, Brown-Seöquard . .. .- it: Nagel, Ein Beitrag zur Kenntnis Be einnes senlier "Tiere =. Sul IV Inhaltsübersicht. Seite Exner, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Er- scheinungen . . . Merle) Strasburger, Ueber heriedische Reduktion der Chronesömenzähld im Entwicklungsgang der Organismen . . Mr WEITERS Schimkewitsch, Ueber die exkretorische Thätigkeit a Mitteldarmes der Würmer. . . RREIR Korotneff, Embryonale Entwioklune der 'Salpa dehnerablön nr ERBE Loeb, On some facts and principles of physiological Morphology . . . 846 Marshall, Neueröffnetes, wundersames Arzenei-Kästlein, darin allerlei gründliche Nachrichten, wie es unsere Voreltern mit den Heilkräften der Tiere gehalten haben, zu finden sind. . . : .. 848 Bateson, Materials for the study of variation treated with Ei re- gard to discontinuity in the origin of species. . » 2 2 2 2.2...866 Noll, Eine neue Eigenschaft des Wurzelsystems . . 2 2 2.2.2.2.876 Noll, Morphologischer Aufbau der Abietineen-Zapfen . . .» 2 .2.2..878 Berichtigungen. Im Inhaltsverzeichnis der Nr. 18 und 19 lies: Vorgängen statt: Vorzügen. S. 659 Zeile 9 von unten lies: @l. gracillima »„ graeillina. IRUGHDNE „BRUT oben „ gewöhnlichem „ gewöhnlichen. „. 6617 1,2.2u SS mten *, ultraviolette „ ultroviolette. B003 5 8, m „oben n ausgesprochene en „2. n. Geotropismus, gative Geotaxis DuNGBEr „1524. ‚(oben „ der neg. Geotaxis „ des n. Geotr. „ 664 „ 4 .„ oben schiebe hinter „geringeren“ „Druckes“ ein. n„n 66 „ 1 „ oben lies: abnorme statt: aborme .n0bbIn,0 80 1. woben,, © = anfraciuosum 6T- „ _E. attractuosum. innert, „666.5 +19", .voben „ Nisita „ Nisida. ie „10 , wenn Plumularia echinu- ,„ Plumularia echimu- lata lata. 2 ZA HuT Seoben „ geotaktischen » geotropischen. nv lAA 28 »„. oben „ Sp. undula „ nudula. „. SORERr Miunten?7 30 Driesch » Drieseh. Diologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 1. Januar 1894, Nr. 1% Inhalt: Weismann, Die Allmacht der Naturzüchtung. — Potonie, Pseudo-Viviparie an Juncus bufonius L. — Emery, Ueber Entstehung des Soziallebens bei Hymenopteren. — Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer von August Weismann. Jena, G. Fischer, 1893. Die vorstehend genannte, soeben erschienene Publikation Weis- mann’s ist, wie schon der Titelzusatz besagt, eine Antwort auf Aus- führungen H. Spencer’s!). Es wäre wohl nicht am Platze, in dieser Zeitschrift auf eine wissenschaftliche Kontroverse in einseitiger Weise einzugehen, wenn nicht in dem Gewande der vorliegenden „Erwiderung“ eine allgemein interessierende Erörterung über die Bedeutung der natür- liehen Zuchtwahl Raum gefunden hätte. Es kam Weismann darauf an, bei dieser Gelegenheit einmal ausführlich zu erläutern, „dass das Prinzip der Selektion sich über den Wert einer bloßen Hypothese er- heben und als thatsächlich wirkend nachweisen lässt“. Eine Darlegung der bezüglichen Auffassung Weismann’s dürfte in doppelter Hinsicht nicht unerwünscht sein. Einmal bietet sie eine Ergänzung zu der in dieser Zeitschrift bereits referierten Vererbungslehre desselben Autors, wobei der Umstand ins Gewicht fällt, dass über die Tragweite der Naturzüchtung als form- bildenden Faktors in der heutigen Entwicklungslehre selbst bei Den- jenigen noch Bedenken bestehen, welche die Vorstellung, „dass wirk- lich die Variationen durch den Kampf ums Dasein in bestimmter Weise gerichtet würden und so das Zweckmäßige hervorbrächten*“, wenn auch nur als „eine schöne und bestriekende Hypothese“ gelten lassen möchten. 1) Vergl. The contemporary Review, February and March and May 1895, London. (Biol. Centralblatt, 1893, Nr. 22—24. Der Schluss wird demmächst folgen Die Red.) EV. | B) Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. Zweitens betrifft aber der Angelpunkt der Spencer-Weismann’- schen Kontroverse die Frage, ob im individuellen Leben erworbene Bigenschaften vererbt werden oder nieht. Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass diese Frage, welche bekanntlich Spencer im Anschlusse an Darwin im positiven, Weismann dagegen im negativen Sinne entscheidet, für das richtige Verständnis der Formenbildung in der Organismenwelt von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Diese Erwägungen dürften den im folgenden gebotenen kurzen Bericht über Weismann’s jüngste Arbeit genügend rechtfertigen. — Den Ausgangspunkt für die Ausführungen Weismann’s bildet naturgemäß der Gedankengang des Speneer’schen Artikels. Vergegenwärtigen wir uns denselben in Kürze: Der englische Philosoph bestreitet die Richtigkeit der Aufstellung Weismann’s, dass im individuellen Leben erworbene Abänderungen nicht erblich übertragen werden. Veranlassung dazu bietet ihm der theoretische Gesichtspunkt, dass zur Erklärung der als „Koadaption“ bezeich- neten korrelativen Abänderung verschiedener, aber zu einer physio- logischen Gesamtleistung verbundener Teile der Annahme der Vererb- barkeit erworbener Eigenschaften nicht entbehrt werden könne, denn sonst müsste notwendigerweise jede Art von Abänderung, sofern sie vererbt und dadurch zu emer dauernden wird, durch die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl hervorgebracht worden sein. Wollte man aber diese letztere Annahme machen, dann wäre es eine unvermeid- liche Konsequenz derselben, dass auch die thatsächlich vorliegenden korrelativen Abänderungen, welche die Variation eines Teiles be- gleiten, spontane Veränderungen darstellen, deren Hervorbildung durch natürliche Selektion bewirkt sein müsste. Es wäre also unerlässlich, dass die Abänderung eines Teiles die gleichgeriehtete Variation der korrelativen Teile im Gefolge habe; demnach müsste beispielsweise „die Vergrößerung des Geweihes beim Hirsch immer schon von selbst mit einer Verdickung der Schädelwand, einer Verstärkung des Nacken- bandes und der Hals- und Rückenmuskeln“ einhergehen. Dem stände aber die Thatsache schroff gegenüber, „dass kooperierende Teile ganz verschieden, ja entgegengesetzt variiert haben“, wie das z. B. ein Vergleich des vorderen und hinteren Extremitätenpaares der Kängurus lehrt. Die zu einer einheitlichen physiologischen Leistung kombinierten Teile müssen also — meint Spencer — unabhängig von eimander variieren; dann wäre aber im Sinne der Weismann’schen Auffassung die dureh Nichts gerechtfertigte Annahme nicht zu umgehen, dass „alle die zusammenwirkenden Teile zu gleicher Zeit der Natur- züchtung die geeigneten Variationen darbieten“, da andernfalls die Abänderung bloß des einen Teiles nutzlos wäre. So bliebe also nur der eine Weg der Erklärung, dass die Abänderung eines Teiles einen entsprechenden Betrag von gleichzeitigen und gleichsinnigen Modi- Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 3 fikationen in den korrelativen Teilen mit sich bringe, welehe nur durch die Annahme einer Vererbung funktioneller Abänderungen, also er- worbener Eigenschaften zu ermöglichen sei. Soweit Spencer. Weismann gibt zu, „dass der Einwurf Spencer’s ein bestechen- der ist“, meint aber, dass derselbe zwar eine „leichtere“ Erklärung der bezüglichen Erscheinungen darstellt, aber deshalb noch nicht die „richtige“ zu sein braucht. Um der Argumentierung Spencer’s entscheidend zu begegnen, hält Weismann mit Recht den Nachweis für geboten, „dass Ab- änderungen eines Körperteiles von kompliziertem Bau, dessen Leistungen mit vielen anderen Teilen zusammenhängen, vor sich gegangen sind, ohne dass Vererbung erworbener Abänderungen dabei im Spiel ge- wesen sein kann“. Es gibt nun in den sog. Neutra der gesellig in Staatsverbänden lebenden Insekten, in erster Linie der Ameisen Tierformen, „welche sich nicht fortpflanzen, sondern immer wieder von neuem von Eltern hervorgebracht werden, die ihnen nicht gleichen, und diese Tiere, die also nichts vererben können, haben sich trotzdem im Laufe der Erdgeschichte verändert, haben überflüssige Teile ein- gebüßt, andere vergrößert und umgestaltet, und diese Umgestaltungen sind zuweilen sehr bedeutende und verlangen die Veränderung vieler Teile des Körpers, weil viele Teile sich nach ihnen richten, mit ihnen in Harmonie stehen müssen“. Wie verhält es sich also mit diesen verkümmerten Weibehen oder Arbeiterinnen der Ameisen hinsichtlich ihrer phyletischen Hervorbildung ? Dass die Ameisen-Neutra thatsächlich rudimentäre Weibehen dar- stellen und von ursprünglich fruchtbaren abstammen, wird kein Kun- diger ernstlich in Zweifel ziehen. In ihrer Organisation zeigen sie aber von ihren Eltern, sowohl mütterlicherseits wie väterlicherseits mannigfaltige und bedeutsame Verschiedenheiten, die als regressive und als progressive Umbildungen unterschieden werden können. In die Kategorie der ersteren gehört vor Allem der Geschlechts- apparat. Das receptaculum seminis ist vollkommen verloren gegangen, der Eierstock bei den verschiedenen Arten in verschiedenem Grade bis zu vollständigem Schwunde zurückgebildet. Ferner sind die Augen hier anzuziehen. In der Form von Ocellen sind sie oft ganz in Fortfall gekommen, als Facettenaugen aber sind sie durch die germgere Zahl der sie zusammensetzenden Facetten gegen- über denselben Gebilden bei den typischen Männchen und Weibchen der gleichen Art unterschieden. Auch die Flügel der Arbeiterinnen sind vollständig rudimentär geworden. Dies gilt vom fertigen Insekt; gerade hier zeigt aber die Ontogenie, „dass die Stammformen schon Flügel besaßen, denn Dewitz hat die Imaginalscheiben der Flügel in der Larve nachgewiesen; die- 1* 4 Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. selben entwickeln sich aber in der Puppe nicht mehr weiter“. Mit dem Verlust des Flugorgans steht weiterhin die Rückbildung des Trägers desselben in Zusammenhang. Meso- und Metathorax stellen regres- sive Bildungen vor, mit welchen auch eine entsprechende Verkümmerung der Flugmuskulatur des Thorax verbunden ist. Endlich sind alle mit der Fortpflanzung verknüpften Instinkte bei den Arbeiterinnen - Ameisen mehr oder weniger voll- ständig unterdrückt worden. Diese regressiven Thatsachen erklärt Weismann bekanntlich durch Panmixie, „denn wo keine Nachkommen sind, da kann auch die Wirkung des Nichtgebrauchs nicht auf sie übertragen werden“. Dazu kommt noch, dass Organe wie die Flügel der Insekten Bildungen sind, „deren Vollkommenheit durchaus nicht von ihrem Gebrauch ab- hängt; sie sind fertig, ehe sie gebraucht werden, und nützen sich durch den Gebrauch höchstens ab, anstatt dadurch stärker zu werden“. Die Verminderung der Facetten in den Augen der Arbeiterinnen bietet aber auch einen interessanten Beleg dafür, „dass Verkümmerung eines Organs nicht auf Vererbung funktioneller Atrophie beruht, dass es vielmehr verkümmern kann, auch wenn es fortfährt, zu funktionieren“. Die Lebensweise der Ameisen-Neutra setzt die Augen derselben so gut wie die der Weibchen der Einwirkung des Liehtes aus, wenn auch bei den letzteren noch der Hochzeitsflug hin- zukommt. Die Sehorgane der Arbeiterinnen werden also heute gerade so wie früher, wo ihre Träger noch als fruchtbare Weibchen funk- tionierten, von den Liehtstrahlen getroffen. Ihre Rückbildung kann demnach nicht in mangelhafter funktioneller Uebung begründet sein, „sondern sie verkümmern, weil und soweit sie überflüssig sind zur vollkommenen Ausführung der Lebensaufgaben einer Arbeiterin“. Zu den progressiven Umbildungen, welche sich im Laufe der phyletischen Entwicklung am Organismus der Ameisen-Neutra voll- zogen haben, ist in erster Linie die außerordentliche Ausbildung, welche das Gehirn dieser Tierformen erfahren hat, zu rechnen. Sie hängt naturgemäß zusammen „mit der erößeren Intelligenz und den vielseitigeren Instinkten der Arbeiterinnen, deren Funktionen bekannt- lich sehr mannigfacher Art sind, und zum Teil derartige, wie sie erst durch die Staatenbildung und die Existenz von Arbeitern möglich ge- worden sind“. Aber bei manchen Arten der Gattung Atta gibt es zweierlei Formen von Arbeiterinnen, von welchen man die zur Verteidigung der Kolonie bestimmten „Soldaten“ genannt hat. Diese sind ausgezeichnet dureh die mächtige Ausbildung der Kiefer, mit weleher eine ent: sprechende Verstärkung der die Kiefer bewegenden Muskeln einher- geht, Besonderheiten, welche notwendig eine Vergrößerung des ganzen Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 5 Kopfes bedingten. In diesen Verhältnissen liegt ein Paralellfall zu dem von Spencer angezogenen und oben erwähnten Beispiel von der Entwicklung eines kräftigeren Geweihes beim Hirsch vor, d. h. wir haben es mit emer Hervorbildung zu thun, bei deren Entstehung „viele Teile gleichzeitig und in Harmonie mit einander verändert worden sein müssen“. Solehe Erwerbungen können nun niemals durch Ver- erbung funktioneller Abänderungen gewonnen worden sein, „da die Arbeiterinnen sich nicht oder doch nur ganz ausnahms- weise fortpflanzen“. Es bleibt daher nur die Möglichkeit, dass sie „dureh Selektion der Ameiseneltern“ gezüchtet wurden in der Weise, „dass immer diejenigen Eltern am meisten Aussicht auf Erhal- tung ihrer Kolonie hatten, welche die besten Arbeiterinnen hervor- brachten“. Diese Erklärung ist die einzig zulässige „Darauf aber grade, dass keine andere Erklärung denkbar ist, beruht überhaupt die Notwendigkeit für uns, das Prinzip der Naturzüchtung anzunehmen. Sie allein vermag die Zweck- mäßigkeiten der Organismen zu erklären, ohne ein zweckthätiges Prinzip zu Hilfe zu nehmen“. Spencer gegenüber hebt Weismann hervor, dass man „von der leichten oder schwereren Vorstellbarkeit eines Vorgangs“ nicht auf dessen Wirklichkeit ohne Weiteres schließen dürfe. „Ich muss sagen — äußert Weismann —, dass mir grade inbezug auf die Berechtigung, den Vorgang der Naturzüchtung in einem bestimmten Falle anzunehmen, wenig darauf anzukommen scheint, ob wir ihn uns leichter oder schwerer, oder selbst sehr schwer nur vorzustellen vermögen, und zwar deshalb, weil ich nicht glaube, dass wir in irgend einem Falle überhaupt im Stande sind, uns die morpho- logische Umwandlung dabei wirklich und im Einzelnen vorzustellen“. Diese Schwierigkeit besteht also ganz allgemein, in einem Falle vielleicht in einem erhöhteren Maße als in einem anderen, denn es fehlen uns die empirischen Grundlagen, um den „Selektionswert“ (Romanes) irgend einer Abänderung beurteilen zu können; „wir können nur im Allgemeinen mit Darwin sagen, dass Selektion durch Häufung „kleinster Variationen“ arbeitet, und daraus schließen, dass diese „kleinsten Variationen“ Selektionswert besitzen müssen“ Fragen wir uns z. B., ob „eine Raubfliegenvariation mit einer Facette mehr an den Netzaugen, als die übrigen Artgenossen, daraus einen so großen Vorteil zieht, dass sie mehr Nachkommen hinterlassen wird, als ihre anderen Artgenossen? Oder müssten es zwei Facetten mehr sein, oder würde der Selektionswert erst bei einer Differenz von zehn Facetten erreicht? Wer kann behaupten, dass er darüber etwas sagen könnte? Und dennoch haben wir keine 6 Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. andere Erklärung für die auffallende genaue Anpassung der Netz- augen bei allen Insekten an ihre Lebensbedingungen, als Naturzüch- tung“. Es ist „die Macht der Logik“, die uns zwingt, in Naturzüchtung „das Erklärungsprinzip der Umwandlungen“ zu erkennen, „weil uns alle anderen scheinbaren Erklärungsprinzipien im Stich lassen, und weil es nicht denkbar ist, dass es noch ein anderes Prinzip geben könne, welches die Zweckmäßigkeit der Organismen erklärt, ohne ein zwecekthätiges Prinzip zu Hilfe zu nehmen“. Natur- züchtung ist „die einzig denkbare natürliche Erklärung der Organismen“ imSinne von,„Anpassungenan dieBedingungen“. Kehren wir nun zu den Ameisen zurück. „Wenn sich die Augen der Arbeiterinnen bei vielen Ameisen zurückbilden, obgleich diese Tiere sich nieht fortpflanzen, und obgleich ihre Augen kaum weniger vom Licht getroffen werden, als diejenigen der Geschleehtstiere, von welchen sie erzeugt werden, so kann das ganz unmöglich auf der Ver- erbung von Nichtgebrauch beruhen. Und wenn harmonische Umge- staltung des Kopfes mit allen seinen und des Thorax zusammen- wirkenden Teilen bei den sterilen Arbeiterinnen gewisser Ameisen-Arten eingetreten ist, so muss dies geschehen sein ohne jede Mitwirkung einer hypothetischen Vererbung funktioneller Abänderung“. Da die Thatsachen unanfechtbar sind, muss auch die an dieselben geknüpfte Schlussfolge zutreffen. Eine kurze Darlegung mag dies vollends klar machen. Man könnte sich nämlich auf den Umstand berufen, dass ja die Unfruchtbarkeit der Ameisen-Neutra keine absolute ist und dem- nach die Möglichkeit, dass die Charaktere derselben durch Ver- erbung übertragen werden, nicht ausgeschlossen sei. Dieser Einwand ist in keiner Weise stichhaltig, denn die nur gelegentliche und daher exzeptionelle Fortpflanzung von Arbeiterinnen, bei welcher aus den parthenogenetisch sieh entwickelnden Eiern immer bloß Männchen ent- stehen, würde doch niemals die allgemeine Verbreitung der Arbei- terinnen-Charaktere in der ganzen Kolonie zu erklären vermögen, „weil die wenigen Männchen, welche von Arbeiterinnen abstammen, einer viel größeren Zahl von Männchen gegenüberständen, welche von Königinnen stammen“. Endgiltig entscheidend ist aber die Thatsache, dass bei emer Ameise, der Solenopsis fugax die regressive Entwicklung des Eierstocks „bis zum Verschwinden sämtlicher Eiröhren, also bis zu vollkommener Unfruchtbarkeit“ geführt hat, so dass also in diesem Falle die Hervorbringung von Ameisen-Männchen, welche die Arbeiterinneneigenschaften erblich weitergeben könnten, vollkom- men unmöglich geworden ist. Uebrigens ist nach der übereinstimmenden Ansicht der kenntnis- reichsten Formikologen wie z. B. Forel’s gerade die Eigentümlich- Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. m keit der Unfruchtbarkeit das Charakteristische der Arbeiterinnen. Der genannte Forscher erblickt deshalb auch in der Entstehung der Un- fruchtbarkeit „das zeitlich Primäre“ m der phyletischen Hervorbildung dieser Ameisen-Formen, so dass die etwaige Annahme, „dass die Arbeiterinnen im Laufe der Phylogenese ihre Fruchtbarkeit erst ganz zuletzt eingebüßt hätten, nachdem sie bereits ihre übrigen Umwand- lungen eingegangen hatten“, vorerst einer Begründung völlig entbehrt. Wer aber trotzdem in dem Erwerb der Unfruchtbarkeit nicht den Anfang sondern den Schlusspunkt des Umbildungsprozesses, welchem die Arbeiterinnen im Gange ihrer phylogenetischen Entwicklung unter- worfen wurden, sehen will, der gerät schließlich vor die unlösbare Frage: „wie ist die Unfruchtbarkeit selbst als erbliche Binriehtung entstanden?“ Indess bieten die Ameisen-Neutra noch einen weiteren Beweis dafür, dass ihre Umbildung „unabhängig von direkter Vererbung“ sich vollzogen haben muss. Der Instinkt nämlich, weleher die Ameisen zur Haltung sog. Sklaven veranlasste, hat „an den Herren“ eine Reihe von Abänderungen bewirkt, welche allein die Naturzüchtung zu erklären vermag, „da der Trieb, Sklaven zu halten, erst entstanden sein kann, als bereits Arbeiter vorhanden waren“. Die Sklaverei ist keine weitverbreitete Einriehtung unter den staatenbildenden Ameisen; den meisten Arten fehlt sie sogar. Sie findet sich aber bei Formica sanguinea und Polyergus rufescens. Bei der ersteren Species tritt sie fakultativ auf, d. h., in den Kolonien dieser Tiere werden bald Sklaven angetroffen, bald fehlen sie, bei Polyergus rufescens sind sie aber eine dauernde Eigentümlichkeit der betreffenden Stöcke. Beide Arten bieten uns demnach zwei Etappen in der Entwieklung des Triebes zur Sklavenhaltung dar. „Zwischen diesen beiden Stadien nun muss der Ursprung der Veränderungen liegen, welche bei Polyergus durch das Sklavenhalten entstanden sind“. Die Umbildungen betreffen zunächst „die Umwandlung der Kiefer aus Arbeitswerkzeugen in tötliche Waffen und geschickte Transportwerkzeuge“. Diese Abänderungen erweisen sich ins- gesamt als ungemein zweckmäßige Anpassungs-Einriehtungen zum selbst gewaltsamen Puppenraub und können niemals durch Vererbung funktioneller Modifikationen entstanden sein. Hier handelt es sich in der That um „positive Selektion“. Doch die morphologische Um- gestaltung des Kieferapparates ist nur die eine Seite des zur dauernden Einrichtung der Sklaverei führenden Entwicklungsprozesses. Hand in Hand damit geht „die Verkümmerung der gewöhnlichen Instinkte“ der Arbeiterinnen wie der „Sorge für die Brut, den Nestbau, die Nah- rungsvorräte und die höchst ungewöhnliche und höchst lehr- reiche Verkümmerung des Triebes der Nahrungssuche“, an deren Stelle ein mächtiger Kampf- und Raubtrieb, der persönliche fe) Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. Mut zur Ausbildung gekommen sind. Für die Entstehung der neuen Instinkte muss natürlicherweise dieselbe Erklärung wie für die morpho- logische Umwandlung, positive Naturzüchtung, herangezogen werden und Geltung haben, dagegen ist die weitgehende Rückbildung der ursprüngliehen Triebe nur durch „negative Selektion“ oder Panmixie zu verstehen. Das Gesagte genügt, um das Ergebnis der an den Ameisen- Neutra angestellten Untersuchungen in die folgenden Sätze zusammen- zufassen: 1) Die harmonische Abänderung (Koadaption Spencer’s) kann nieht durch Vererbung funktioneller Modifikationen erzielt worden sein. 2) Die koadaptiven Veränderungen können durch Naturzüchtung bewirkt worden sein. 3) Da aber die Thatsachen der Anpassung sich überhaupt nur entweder durch Vererbung erworbener Eigenschaften oder durch natürliche Zuchtwahl verstehen lassen, so ist die Er- klärung der korrelativen Modifikationen durch Naturzüchtung „die einzig mögliche Erklärung“. 4) Durch den Nachweis, dass die Vererbung funktioneller Ab- änderungen zur Erklärung der Charaktere der Arbeiterinnen mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist demnach „zum mindesten für diesen Fall die Wirklichkeit der Naturzüchtung erwiesen*“- Wenn nun „in diesem einen bestimmten aber sehr vielseitigen Falle der Kampf ums Dasein so wirkt, wie Naturzüchtung annimmt, d. h. so wie der wählende Züchter bei der künstlichen Züchtung, dann müssen auch die kleinen Variationen, welche wir überall und bei allen Körperteilen vorfinden, Selektions- wert besitzen können, und wenn sie diesen besitzen in diesem Falle, so liegt kein Grund vor, dass sie ihn in unzähligen anderen analogen Fällen nicht auch besitzen sollten — mit anderen Worten: „Naturzüchtung bewirkt alle Art-Anpassungen“. In solehem Zusammenhange verlieren „die allgemeinen Einwürfe, welche sich auf unsere Unfähigkeit stützen, den Selektionswert im einzelnen Fall zu erweisen“, die bisher ihnen zuerkannte Bedeutung. So gelanst Weismann zu der fundamentalen These, dass die natürliche Zuehtwahl nieht bloß einer oder der haupt- sächliehste sondern der einzige formbildende und damit Arten schaffende Faktor in der organischen Natur ist, zu der Vorstellung von der „Allmaeht der Naturzüchtung“. Die hypothetische Annahme der Vererbung funktioneller Ab- änderungen aber, also den Kernpunkt der Kontroverse mit Spencer, welche zu den im Vorstehenden skizzierten interessanten Ausführungen Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 9) unseres Autors den Anlass bot, hält derselbe nunmehr „für definitiv widerlegt“, und darin wird dem freiburger Zoologen jeder Unbefangene beipflichten. Wenn auch die Darlegungen Weismann’s über die Theorie der natürlichen Zuchtwahl und über die Hypothese der Vererbung erworbener Eigenschaften — welche ja unmittelbar mit jener zusammenhängt und daher auch mit dieser gemeinsam erörtert werden musste — gewiss die bedeutungsvollsten seiner hier besprochenen Schrift sind, so gruppieren sich doch um diese im Anschluss an die Einwürfe Spencer’s u. a.) eine Reihe weiterer wertvoller Erörterungen, deren Kenntnisnahme aber dem Studium des klar und ansprechend geschriebenen Originals vorbehalten bleiben muss. Nur auf zwei Punkte möchte Ref., da sie von allgemeinerer Tragweite sind, an dieser Stelle noch in Kürze ein- sehen; sie betreffen die von Weismann aufgestellte Lehre von der Panmixie und die sog. Telegonie. Hinsichtlich der ersteren hatte Spencer die Behauptung auf- gestellt, dass sie das allmähliche Schwinden überflüssig gewordener und deshalb der Naturzüchtung nicht mehr unterliegender Charaktere nicht zu erklären vermag, da sie nur eine „Selektion des minder Schädlichen“ darstelle. Auch in diesem Falle benutzte Weismann den äußeren Anlass, um sich über diesen Gegenstand ausführlicher zu verbreiten. Er definiert sein Prinzip der Panmixie „als das Herabsinken eines überflüssigen Organs von der Höhe seiner Ausbildung dureh den Nichtunter- gang derjenigen Individuen, welche es in weniger voll- kommener Ausführung besitzen“. Nach der Auffassung unseres Autors „wird jedes Organ nur durch unausgesetzte Selektion auf der Höhe seiner Ausbildung gehalten und sinkt unaufhaltsam, wenn auch überaus langsam von dieser Höhe herab, sobald es keinen Wert mehr für die Erhaltung der Art besitzt“. Dass Panmixie nun — und zwar ohne Mithilfe sonstiger Agentien — im Stande ist, die fortschreitende Degeneration überflüssiger Charaktere verständlich zu machen, erläutert Weismann an dem Beispiel der „Verkümmerung des Triebes zur Nahrungssuche bei der kriegerischen Amazonen-Ameise Polyergus rufes- cens“. Versuche, welche von alten und neuen Formikologen angestellt wurden, führten zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass „einge- sperrte Tiere verhungern, wenn sie keinen ihrer Sklaven bei sich haben, der sie füttert; sie erkennen den Honigtropfen nicht als etwas, was ihren Hunger stillen könnte und wenn Wasmann?) ihnen die 1) So die von Emery und Wilckens (vergl. diese Zeitschrift, XIII. Bd., S. 397 u. 420). 2) Vergl. E. Wasmann, Die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der Ameisen, Münster i. W., 1891 — ein durchaus empfehlenswertes Buch 10 Weismann, Allmacht der Naturzüchtung Kiefer in eine tote Puppe hineinsteckte, so fingen sie nicht an zu fressen, leckten höchstens versuchsweise daran und entfernten sich dann wieder. Sobald man ihnen aber einen Sklaven, also eine Arbei- terin z. B. von Formica fusca beigibt, so kommen sie zu dieser und betteln sie um Nahrung an, und die Sklavin läuft zum Honigtropfen, füllt ihren Kopf mit Honig und füttert dann die Herrin“. Demnach verhalten sich die Neutra von Polyergus rufescens so, dass der Trieb, Nahrung aufzunehmen, „nieht durch den Gesichtseindruck der Nah- rung selbst, sondern durch den der Sklavin ausgelöst“ wird. Diese Eigentümlichkeit erklärt Panmixie völlig ausreichend in folgender Weise: „Da keine Amazone Not litt bei der steten Anwesenheit füt- ternder Sklavinnen, so konnte die Vollkommenheit des Instinktes der Nahrungssuche nieht mehr dabei mit entscheiden, wer überleben und wer untergehen sollte; Individuen mit schlechter entwickeltem Nahrungs- suchttrieb waren ceteris paribus ebenso gut als andere, und Kolonien mit solchen blieben deshalb ebensowohl erhalten als andere. So musste langsam dieser Trieb von seiner ursprünglichen Vollkommen- heit einbüßen und ist nach gewiss ungeheuer langen Generationsfolgen schließlich ganz geschwunden“. Uebrigens lässt sich das Prinzip der Panmixie auch durch theore- tische Ueberlegungen feststellen. Sobald man sich nämlich klar ge- macht hat, dass die Zweckmäßigkeit eines Charakters „stets durch Selektion bewirkt worden ist“, so „wuss sie auch durch Selektion er- halten werden, und zwar vermöge des einen Hauptfaktors der Selek- tion: der Variation“. Daraus folgt aber mit Notwendigkeit, dass, wenn die Selektion aus irgend eimem Grunde ihren züchtenden und erhal- tenden Einfluss auf einen bestimmten Charakter verliert, dieser letztere „von der vorher erreichten Organisationshöhe* nach und nach herab- sinken muss. 3ezüglich der Telegonie oder Fernzeugung hat Ref. nur Wenig vorzubringen. Mit diesen Namen hatte Weismann schon in seinem großen Werke!) eine Anzahl „Fälle“ zusammengefasst, „in welchen das Kind nicht dem Vater, sondern eimem früheren Gatten seiner Mutter gleichen soll“. Hatte unser Autor schon an dem angegebenen Orte eine durchaus angemessene Kritik dieser angeblichen Thatsachen geliefert, so nötigten doch die Ausführungen Spencer’s, für welehen die bislang als „Superfötation“ oder „Infektion des Keimes“ bezeichnete Telegonie eine ausgemachte Sache und infolge dessen ein Beweis für die „trans- mission of acquired characters“ darstellt, noch einmal diesem Gegen- stande nahezutreten. Abgesehen von den ja gewiss nicht entscheiden- den negativen Versuchsergebnissen an Hunden, welche „auch nicht 1) Vergl. A. Weismann, Das Keimplasma, Jena, G. Fischer, 1892, S. 504 u. fg. Potonie, Pseudo-Viviparie an Juncus bufonius L. 11 eine Thatsache“ für die Realität der Fernzeugung zu Tage gefördert haben, beruft sich Weismann mit Recht auf „die kompetentesten Beurteiler, die wissenschaftlich gebildeten unter den Tierzüchtern“, auf Settegast, Kühn und Nathusius, welche „trotz sehr ausge- dehnter Erfahrung in Züchtung und Kreuzung niemals Erscheinungen der Telegonie beobachtet haben und dieselbe deshalb entschieden be- zweifeln“. Bei solcher Sachlage ist die Ansicht Weismann’s sicher- lieh zutreffend, „dassnach denin der Wissenschaft geltenden Prinzipien erst die Bestätigung der Sage durch die metho- dische Untersuchung, in diesem Falle durch das Experi- ment im Stande sein würde, die Telegonie zum Rang einer Thatsache zu erheben“. Dieser Skeptizismus ist um so berech- tigter, als hinsichtlich ihrer thatsächlichen Existenz so zweifelhafte Erscheinungen wie diejenigen der Telegonie als Beweise für die Hypo- these der Vererbung erworbener Eigenschaften fruktifiziert werden. Diejenigen freilich, welche diese Hypothese als eine in den Thatsachen des Naturgeschehens nicht begründete ansehen und deshalb endgiltig aufgegeben haben, werden in dem Versuche, das erlöschende Lebens- licht der Vererbung funktioneller Abänderungen durch die Telegonie wieder zu entfachen, nur eine erwünschte Bestätigung der eigenen Auffassung erblieken dürfen. F. v. Wagner (Straßburg i. E.). Pseudo -Viviparie an Juncus bufonius L. Von Dr. H. Potonie, Dozenten der Pflanzen - Paläontologie an der kgl. Bergakademie zu Berlin. (Vortrag, gehalten iin „Botanischen Verein der Provinz Brandenburg“ in Berlin am 10. November 1893 ) Seit Jahren, solange die Rubrik besteht, besorge ich in der von Herrn Dr. H. J. Boettger redigierten „Pharmazeutischen Zeitung“ (Berlin) die „Pflanzenbestimmungen“. Unter den in diesem Jahre zur Bestimmung eingelaufenen Pflanzen-Sendungen erhielt ich im April aus Ratzeburg Keimpflanzen einer monokotyledonen Pflanze, von denen in Figur 1 eine in schwacher Vergrößerung zur Darstellung gekommen ist. Die charakteristischen Keimpflanzen sind die von Juncus bufo- niusL., jener gemeinsten bei uns einheimischen Simse, die aber schon zu mehrfachen Irrtümern Veranlassung gegeben haben. Der horizon- tale Strich in Figur 1 markiert die Bodenoberfläche, unter demselben sehen wir die Wurzel, als Fortsetzung derselben nach oben ein Stengel- förmiges Organ, welches an seinem Gipfel eine Frucht oder Blüten- knospe zu tragen scheint; das Stengel-förmige Organ ist mit einem kleinen, linienförmigen Laubblatt besetzt. Das „Stengel-förmige Organ“ ist das Keimblatt (der Cotyledo), die „Frucht oder Blütenknospe“ die an der Spitze des Keimblattes längere Zeit und von diesem senkrecht emporgetragene gelbliche Samenschale. 42 Potonie, Pseudo - Viviparie an Juncus bufonius L. Die anderen Juncaceen keimen zwar ebenso, aber der Cotyledo pflegt doch nieht in gleich auffallender Weise senkrecht in die Luft zu gehen und so lange die Samenschale zu tragen wie gerade Juncus bufonius. Bei diesem eigentümlichen Benehmen der Pflanze, die als Keimling ihre Organe in Stellungen bringt, wie sie sonst Organe ganz anderer Natur einzunehmen pflegen, ist es wohl begreiflich, dass frühere und oberflächliche Untersuchungen zu Irrtümern Veranlassung gegeben haben, die darin bestanden, dass die Keimlinge für Isoötes oder für die Urueifere Subilaria aguatica oder gar für Pilze gehalten worden sind }). N 7. 5 ] FERNE ES ) | | 5, WI AN ) Ar WE v N f Ber N / | 2. ve \ \y Juncus bufonius L. — 1. Keimpflanze, 2. Stück aus dem Blütenstande der bei uns gewöhnlichen Form. 3. Wie 2. aber mit pseudo -viviparen, zum Teil mit kleistogamen Blüten besetzten Sprossen. 4. Wie 2. aber mit pseudo- viviparen Sprossen (92. v.) nach Bewurzelung (ww) derselben. 5. Schema zur Er- läuterung des Entstehungsortes der pseudo-viviparen Sprosse, «© y Spross mit endständiger Blüte y, d Deckblatt des Tochtersprosses z, am Grunde desselben in der Achsel des ersten Vorblattes der pseudo-vivipare Spross p. v. mit einer kleistogamen Blüte. — 1. schwach vergrößert; 2., 3., 4. in natürlicher Größe. Mr Verel. P. Ascherson, Flora der Prov. Brandenburg I (Berlin 1864) S. 735 und Fr. Buchenau, Monographia Juncacearum (Engler’s botanische Jahrbücher, Bd. XII, Leipzig 1890) S. 40. Potoni6, Pseudo - Viviparie an Juncus bufonius L. 15 Eine nähere Untersuchung des Schlammes, in welchem sich die Keimlinge befanden, bestätigte schnell, dass es sich um Juneus-Keim- linge handelte, da ein Teil derselben mit ihren Wurzeln in den Kapseln zur Keimung gelangt waren, wie das auch von Fr. Buchenau!) an Juncus bufonius L. beschrieben worden ist. Dass auch meine Keimlinge zu dieser Art gehörten, ergab sich also auch aus dem be- schriebenen eigentümlichen Verhalten derselben als Keimling. Trotz- dem habe ich, um die Zusammengehörigkeit der Keimlinge mit Juncus bufonius selbst konstatieren zu können, die noch ungekeimten Samen, die sich unter den Keimlingen und auch noch in den zum Teil schon stark zerfallenen Kapseln befanden, ausgesäet. Die Samen keimten gut und entwickelten blühende und reife Samen erzeugende Pflanzen von Juncus bufonius. Sobald der Topf, in dem die Aussaat gemacht worden war, in voller Blüte stand, nahm ich ihn von dem nach Sü- den, also der vollen Sonne ausgesetzten Fensterbrett, auf welchem derselbe seit der Aussaat gestanden hatte, hinweg und stellte ihn auf einen Tisch 1 m von einem ebenfalls nach Süden gerichteten Fenster, wo er nunmehr verblieb. Während jedoch das erste Fenster gar- dinenlos gewesen war, wurde die Beleuchtung an dem zweiten Fenster durch eine Tüll-Gardine gedämpft, sodass die Pflanzen hier in jedem Falle bedeutend geringere Beleuchtung genossen als zuvor. Zunächst streuten die Pllanzen hier ihre Samen reichlich aus und verblieben, wie erwartet, ungefähr in dem Stadium, in welehem sie sich befunden hatten, als der Standortswechsel vorgenommen worden war. Juncus bufonius ist ja eine einjährige Pflanze und pflegt bei uns nach Entleerung der Samen abzusterben. Meine Pflanzen, die sorgsam gepflegt, d.h. nass gehalten wurden, wuchsen jedoch in unerwarteter Weise weiter. Während nämlich das Endstadium der blühenden Stengel, wie gesagt, wenigstens bei uns, mit der Fruchtreife erreicht zu sein pflegt und dieselben dann schwach oder nieht verzweigte einfache Sympodien darstellen, deren Blätter in der Blütenregion, Figur 2, hochblattförmig sind, traten zwischen den blüten und den Sprossen, welche die Fortsetzung des Blütenstandes nach oben bilden, mit Laubblättern besetzte neue Sprosse hervor, die zunächst ganz den Eindruck echt-viviparer Sprosse machten (Fig. 3). Eine Untersuchung ergab jedoch das m der schematischen Figur 5 zur Anschauung gebrachte Verhalten. Der Spross x y trägt in dem Winkel des Hochblattes d einen Spross 2, der das Sympodium nach oben fortsetzt, sodass also d das Deckblatt von 2 ist. Der Spross z erzeugt in der Achsel des tiefsten diesen Spross bekleidenden Hochblattes, dem ersten Vorblatt v des 1) Kleinere Beiträge zur Naturgeschichte der Juncaceen. VII. Ueber die Erscheinung der Viviparie bei den Juncaceen, $. 388 (Separat- Abdruck aus Abh. d. naturw. Vereines zu Bremen II). 14 Potonie, Pseudo - Viviparıe an Juncus bufonius L. Sprosses 2, einen Laubspross p. »., der einfach bleiben oder sich auch verzweigen kann und der in den untersuchten Paar Fällen (mir stand leider nur ein kleiner Blumentopf mit Pflanzen zur Verfügung, und ich musste daher mit dem Material sparsam umgehen) verkümmerte oder besser gesagt schlecht entwiekelte oder kleistogame, dann mur mit 3 Staubblättern versehene Blüten trug. Diese Laubsprosse sehen äußerlich betrachtet in der That ganz aus wie vivipare; ihnen ent- sprechende sind es wohl meist, welche auch sonst den Blütenstand zur Verzweigung bringen, aber das Ungewöhnliche liegt im unserem Falle darin, dass hier fast überall das schon Frucht tragende Sym- podium eine sehr spät auftretende Verzweigung erlitten hat und zwar durch Bildung von Laubsprossen, die nur, wenigstens zunächst nur, verkümmerte und kleistogame Blüten tragen, während an nor- malen Exemplaren wie gesagt 1) die Verzweigung in der Blütenregion keineswegs so häufig eintritt, ja dieselbe sogar oft fast unverzweigt ist, 2) diese Zweige nur Hochblätter zu tragen pflegen und endlich 5) kleistogame Blüten unter gewöhnlichen Umständen bei uns weit untergeordneter auftreten. „Nur zweimal — sagt Bucehenau!) — habe ich bei meinen zahlreichen Untersuchungen wirkliche Laubsprosse mit noch unbe- grenztem Wachstum im Blütenstande von Juneus bufonius gefunden. Ich glaube aber nicht, dass sie durch Umbildung von Blüten, sondern dass sie durch abnorme Sprossen aus der Achsel eines Grundblattes entstanden waren; in beiden Fällen war ihre Einfügung nieht mehr mit voller Sicherheit zu ermitteln.“ Dem Autor dürfte in diesen bei- den Fällen dieselbe Erscheinung vorgelegen haben, wie sie an meiner Kultur aufgetreten ist. Das ist alles, was ich in der Litteratur über die geschilderte bemerkenswerte Sprossbildung von J. bufonius. finde. An meinen kultivierten Exemplaren ist also zu konstatieren, dass dieselben, sobald die Beleuchtungs-Verhältnisse geändert worden waren, Neigung zur Ausbildung vegetativer Organe zeigten durch Entwickelung der neuen, vornehmlieh mit Laubblättern besetzten Sprosse in der blütenregion. Diese Thatsache stimmt trefflich mit der Erfahrung überein, dass die Blütenbildung unter Einfluss intensiverer Beleuchtung (und Trockenheit, die aber in unserem Falle, da die Kultur gleich- mäßig nass gehalten worden ist, nicht in Frage kommt) gefördert wird ?), umgekehrt, dass, wie z. B. Alexander Braun bemerkt ?), „im Blütenstand bei sehr verschiedenen Pflanzen Laubsprossbildung r 1) Viviparie bei den Juncaceen |. ce. S. 395. 2) Vergl. M. Möbius, „Welche Umstände befördern und welehe hemmen das Blühen der Pflanzen“ (Sonderabdruck aus dem Biolog. Centralbl., Bd. XII, Nr. 20—22, Leipzig, 1. u. 15. November 1892). 3) Ueber Polyembryonie und Keimung von (aelebogyne (Abh. der kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1859, Berlin 1860, S. 180). Potonie, Pseudo - Viviparie an Juneus bufonius L. 45 zu finden ist, veranlasst durch feuchte Witterung“, oder dass „durch Herabsetzung der Beleuchtung auf ein gewisses Maß unter die nor- male die eine große Seite der Lebensthätigkeit, die geschlechtliche, gehemmt, dafür aber das vegetative Leben gesteigert“ wird, wie neuer- dings Herrmann Vöchting!) auf Grund einer Untersuchung an Mimulus Tilingi bemerkt. „Was besonders wichtig ist und so auf- fallend nur bei dieser Art beobachtet wurde — fährt Vöchting fort —, es wird in der Blütenregion selbst die Bildung der vegetativen Triebe hervorgerufen. Die letzteren treten hier also an die Stelle der Blüten.“ Auch das direkte Zurückgehen der Blütenbildung als Einfluss verminderter Belichtung zunächst durch Entwickelung weniger großer, dann kleistogamer und verkümmerter Blüten ist bekannt und z. B. von Vöchting (1. e.) und anderen z. B. auch von Prof. K. Schumann, wie er in der Diskussion, die sich an memen Vortrag anschloss, be- merkte, exakt beobachtet worden. Die Thatsache des Auftretens neuer Laubblätter unter dem Einfluss verminderter Belichtung steht in klarstem Zusammenhang mit der unter diesen Umständen herabgedrückten Assimilations - Thätigkeit der genannten Organe; denn wenn eine Pflanze bei starker Belichtung mit einer bestimmten Anzahl Laubblätter zur genügenden Lebenserhaltung auskommt, wird sie bei dauernd verminderter Belichtung nur dann den Assimilations- Prozess auf der vorigen Höhe zu erhalten im Stande sein, wenn zu den bereits vorhandenen neue Laubblätter hinzutreten. In naher Verwandtschaft mit dem Neu- Auftreten von Laubsprossen bei verminderter Belichtung stehen, meint Vöchting?), die bekannten Fälle, in denen wie bei Allium-, Poa-Arten u. s. w. im Bereich der Blütenstände vegetative Knospen hervorgebracht werden, die abfallen und neue Pflanzen erzeugen, und zwar an Stelle der Blüten, so dass diese Knospen demnach physiologisch die Samen vertreten. A. v. Kerner nennt?) von solehen Fällen der Stellvertretung der Blüten resp. Samen durch Ableger: die Knöteriche Polygonum bulbi- ferum und viviparum, die Steinbreche Saxifraga cernua, nivalis und stellaris, die Simsen Juneus alpinus und supinus, sowie die Gräser Aira alpina, Festuca alpina und rupicaprina, Poa alpina und cenisia, die alle im Hochgebirge und noch mehr im arktischen Florengebiete unter ungünstigeren äußeren Verhältnissen oft genug Ableger an Stelle der Blüten besitzen. An den genannten Juncus-Arten und Gräsern, die uns hier am meisten interessieren müssen, kommen statt der Blüten kurze Sprosse zum Vorscheine, welche sich von den Verzweigungen 1) Ueber En Einfluss des Lichtes auf die Gestaltung und Anlage der Blüten (Pringsheim’s Jahrbücher f. wiss. Botanik, Bd. XXV, Heft 2, Berlin 1893, Separat- Abdruck 8. 46). Zeil SL147; 3) Pflanzenleben II. Leipzig und Wien, 1891, S. 449. 16 Potonie, Pseudo - Viviparie an Juncus bufonius L. der Blütenstände ablösen. Die Botaniker nennen Pflanzen, welehe in der Blütenregion solche Ableger bilden, „lebendig gebärende“ (plantae „Viviparae“). Diese Erscheinung hat natürlich mit dem „Auswachsen“ etwa von Getreide, bei welchem die Samen infolge übermäßiger Nässe schon auf der Mutterpflanze zur Keimung gelangen können, wie ich das auch für Jımeus bufonius Eingangs angegeben habe, nichts zu thun, während sie mit der bei Tieren vorkommenden Knospung, die meist zur Viviparie führt, wohl zu vergleichen ist. Wie aus den von Kerner zitierten Fällen ohne Weiteres ersicht- lieh ist, tritt bei den meisten derselben Viviparie (im botanischen Sinne) als Folge ungünstiger äußerer Verhältnisse auf, welche die Blütenbildung namentlich dann für die Pflanze wenig vorteilhaft er- scheinen lassen, wenn eine Samenreife wegen der der Pflanze nur kurz bemessenen, ein Wachstum gestatienden Frist von 2—4 Monaten nicht gesichert ist. Hier ebensowohl wie bei Arten des gemäßigten Klimas, wie z. B. bei unserer einheimischen Poa bulbosa L., an der fast stets echte Viviparie, also Bildung von selbstständig entwicklungs- fähigen Laubsprossen an Stelle von Blüten eintritt, trotzdem die kli- matischen Verhältnisse die Blütenbildung in keiner Weise illusorisch machen, kann die verminderte Helligkeit die direkte Ursache der Viviparie nieht sein, wie schon ohne weiteres daraus hervorgeht, dass solche Arten unter sonst gleichen Bedingungen auch bei intensiver 3eleuchtung Viviparie zeigen können! „Bis zu besserer Kenntnis der Ursachen dieser Erscheinung — meint Vöchting‘) — ist vielleicht die Vorstellung erlaubt, dass die Vorfahren der fraglichen Pflanzen einst lange Zeit einer ihnen meht völlig genügenden Beleuchtung aus- gesetzt gewesen seien und darunter die uns beschäftigenden Eigen- schaften angenommen und erblich so weit gefestigt haben, dass diese auch dann nicht schwanden, als die äußeren Bedingungen wieder nor- males Wachsen und Blühen gestatteten.“ 3ei Juncus bufonius muss aber der direkte Lichteinfluss (vermin- derte Beleuchtung) für die Bildung von Laubsprossen den Ausschlag gegeben haben. Es würde sich die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Ansicht durch größere Wiederholung von Kulturversuchen‘, zu deren Anstellung ich hoffentlieh im Sommer 1594 Zeit finde, ermitteln lassen, indem aber gleichzeitig Aussaaten, auch nach erfolgter Samen- reife, der früheren, intensiveren Belichtung ausgesetzt bleiben müssten. Während in der freien Natur Juncus bufonius während und nach der Ausstreuung der Samen bei uns zu Grunde gehen, wächst (lebt) die Pflanze, wenn sie im Zimmer am Leben erhalten wird, wie wir ge- sehen haben, weiter. Bei ins in Nord-Deutschland stehen die Blüten in den Blütenständen allermeist einzeln, in Süd-Europa hingegen, wo die Pflanze wegen der günstigeren klimatischen Verhältnisse länger Rare. a Potonie, Pseudo -Viviparie an Juneus bufonius L. 17 leben kann als bei uns, kommt aber von Juncus bufonius eine von manchen Autoren als „Varietät“, von frühern und andern sogar als „Species“ angesehene Form häufig vor (Juneus mutabilis Savı (1798), J. hybridus Brotero (1504), J. insulanus Viviani (1524), J. faseci- culatus Bertoloni (1839), J. bufonius var. compactus Celakövsky (1869) u. s. w., welchen letzteren Namen ich hier anwenden werde zur bequemen Bezeichnung der Form, erstens, weil Celakövsky dieselbe nicht spezifisch von J. bufonius getrennt hat, und zweitens, weil andererseits die Formen der italienischen Autoren mehr oder minder zu dem weiter unten als J. bufonivs var. Jascieulatus D. J. Koch bezeichneten Stadium hinneigen oder. zusammenfallen), bei welcher die Blüten in 2—3- (auch wohl 4-) blütigen Köpfchen zusammenstehen. Sollten — frage ich — die hinzutretenden Blüten dem den viviparen ähnlichen (also pseudo-viviparen) Sprossen der von mir kultivierten Exemplare entsprechen, derart, dass in Südeuropa, wo die Pflanze länger bei gleichbleibender Belichtung leben kann, und unter günstigen Bedingungen gelegentlich auch bei uns eben in der Nähe der ersten Blüten neue entstehen, an Stelle welcher bei verminderter Beleuchtung also pseudo - vivipare Sprosse in die Erscheinung treten würden? Wenn dieser Gedankengang richtig ist, so müsste man erwarten, dass unter Verhältnissen, wie sie bei uns in Deutschland hier und da als Aus- nahme vorkommen, die denjenigen gleichen, welchen meine Kultur nach der Samenreife ausgesetzt wurde, also dass ein warmer, be- wölkter und demnach verhältnismäßig lichtschwacher Spätherbst auch in der freien Natur unser pseudo- vivipares Stadium veranlassen müsste. In der That ist so etwas in der freien Natur beobachtet, wie aus der obigen Buchenau’schen Bemerkung hervorgeht. Ferner wird z. B. in der „Flora von Koblenz“ von Math. Joh. Löhr (Köln 1835) von Juneus bufonius eine Form „ß viviparus“ angegeben mit der Diagnose: „Blütehen in blätterige Knospen ausgewachsen“, wo es sich aber, vielleicht wenn die Diagnose zuverlässig jst, um eme andere Erschei- nung handelt, die ich zwar nicht selbst kenne, aber von dem schon genannten Juncaceen-Monographen Fr. Buchenau!) mit den Worten „flores excrescentes („vivipari*) im hac specie non raro obvii* be- schrieben wird. Später, namentlich wenn die Blüten, die dann zum Teil auch offene, chasmogame, zu sein scheinen, und die Kapseln der pseudo- viviparen Sprosse besser hervortreten, merkt man sofort den wahren Sachverhalt, dann sind dieselben Exemplare wieder zu einer neuen „Varietät“ geworden, oder sie nähert sich doch sehr einer solchen, nämlich der von D. J. Koch in seiner „Synopsis der deutschen und schweizer Flora (1. Aufl. Frankfurt a. M. 15358 S. 731) angegebenen 1) Monog. June. 1. e. S. 177. XIV. 2 18 Potonie, Pseudo - Viviparie an Juncus bufonius 1. „Var. 8 faseiculatus“, in deren Diagnose er angibt: „Blüten zu 2 oder 3, büschelig“, eine Form, die Koch „auf der Rheinfläche zwischen Mainz und Worms“ gefunden hat. Nach alledem ist es wohl berechtigt bis zur Anstellung weiterer Versuche anzunehmen: 1) dass die bei uns typische Form von Juncus bufonius mit ein- zelnen, dem sympodialen Blütenstand dieht ansitzenden Blüten nur das Vorstadium der folgenden „Varietäten“ ist, dass die Pflanze in diesem Stadium gewöhnlich bei uns und zwar gezwungen durch die klimatischen Verhältnisse zu Grunde geht, während 2) wenn zwar in einem Spätherbst die Wärme noch genügt, um die Pflanze am Leben zu erhalten, aber die Belichtung schwächer wird, pseudo-vivipare Sprosse in die Erscheinung treten, die 3) bei längerer Dauer wärmerer resp. heller Witterung ihre Blüten zur" &ußeren' Erscheinung und ur Fruchtreite bringen (var. fascieulatus D. J. Koch); 4) unter von vorm herein günstigsten Belichtungsverhältnissen endlich treten in der Nähe der ersten Blüten neue auf, sodass Blüten- Köpfchen entstehen (var. compactus Celakövsky). Es würden danach die genannten 4 Formen resp. Stadien des Juncus bufonius, die selbstverständlich je nach den Witterungsver- hältnissen zwischen sich alle erdenklichen Uebergänge zeigen müssen, von Norden nach Süden vorschreitend in der erwähnten Reihenfolge im Großen und Ganzen auftreten müssen, entsprechend den kli- matischen und Witterungsverhältnissen, die ja meiner vorläufigen Auf- fassung nach diese Formen bedingen. Ich habe, um die Probe zu machen, die mir zur Verfügung stehende Litteratur daraufbin dureh- gesehen und in der That volle Bestätigung gefunden. In Norddeutschland ist — wie schon angedeutet — die unter 1 aufgeführte Form die gewöhnliche, die Form mit pseudo -viviparen Sprossen und die „Var.“ fascienlatus Koch sind zuerst in Mitteldeutsch- land gefunden worden und endlich die Form 4 compactus ist in Süd- europa häufig. Auf Salzwiesen kommt freilich auch in Norddeutschland eine Varietät von J. bufonius vor, die wie die Form compaetus Blüten- köpfehen besitzt. Die Perigonblätter sind aber im Verhältnis zur Kapsel nicht so lang als bei der typischen Form von J. bufonius, so dass die in Rede stehende Salzpflanze, Juncus ranarius Perrier et Songeon (1850), von manchen Autoren als besondere, dem J. bu- Fonius nächstverwandte Art angegeben worden ist, aber es ist nur der Standort, welcher die Formverschiedenheit bedingt. J. ranarius ist im Durchsehnitt niedriger als der typische J. bufonius \), sodass 4) Ascherson |]. c. 8. 735 u. 736 gibt die Höhe von J. bufonius zu 4’-1' an, diejenigen von J. ranarius, den er damals noch spezifisch trennte, zu 1° 9". Potoni6, Pseudo -Viviparie an Juncus bufonius L. 19 die Pflanze früher zur Blütenbildung schreiten kann, wodurch sieh in diesem Falle die Annäherung an die südeuropäische Form von J. bu- Fonius erklären lässt, falls sich nicht zeigen sollte, dass der Salzgehalt des Bodens auf die Pflanze Blüten bildend wirkt. Wir dürfen die Juncus bufonius- Exemplare meiner Kultur in- sofern vivipar in dem oben definierten Sinne nennen, als die in der Blütenregion entstehenden belaubten Sprosse in der That, wenn man sie von den Mutterstöcken löst und eimpllanzt, Wurzeln bilden und wachsen: ich habe jetzt in meinen Kulturen einige junge aus solchen Sprossen erzogene Pflanzen, von denen ich in Figur 4 zwei noch durch die Blütenstandsaxe der Mutterpflanze zusammenhängende zur Dar- stellung bringe. Die pseudo-viviparen Juneus bufonius-Stöcke stellen somit eine Verbindung her zwischen den aufrechten und den nieder- liegenden und aus oberirdischen Stengeln wurzelnden Juncus- Arten sowie zu den echt-viviparen Arten. — Die in Figur 4 in 4 abge- bildeten aus pseudo-viviparen Sprossen hervorgegangenen Pflanzen wurden am 25. Oktober eingepflanzt und schon am 10. November der Kultur wieder entnommen: das strotzende Aussehen der Pflänzchen und die kräftige Wurzelbildung zeigten zur Genüge, dass sie sich wohl gefühlt haben. Wir können nach dem Gesagten von der Blütenbildung bis zur echten Viviparie 4 Fälle unterscheiden: 1) Normale Blütenbildung. 2) Entwieklung von Laubblattsprossen an Stelle von Blüten in der Blütenregion, die sich wie die Laubsprosse in der Laubblattregion verhalten. (Mimulus Tilingi). 3) Auftreten von mit Laubblättern besetzten bewurzelungs-, also selbständig lebensfähigen Sprossen in der Blütenregion neben den Blüten. (Pseudo-Viviparie: Juncus bufonius). 4) Entwicklung von abfallenden und selbständig lebens- und entwieklungsfähigen Laubsprossen, Knospen oder Bulbillen m der Blütenregion an Stelle von Blüten. (Ecehte Viviparie: (z. B. bei Poa bulbosa |vivipara|, Allium vineale (compactum]| u. s. w.) Die kosmopolitische Verbreitung des Juncus bufonius erklärt sich nach alledem gewiss zum guten Teil aus der proteus-artigen, direkten Anpassungs-Fähigkeit der Pflanze an die äußeren Verhältnisse. In einem Klima wie dem unsrigen mit kalten, das äußere Pflanzenleben unterbrechenden Wintern sterben die Pflanzen nach der Samenreife ab; unter günstigeren Verhältnissen, die sie am Leben erhalten, erzeugt sie neue Blüten, neue Samen, die sofort keimfähig sind, resp. pseudo- vivipare Sprosse, wenn die Beleuchtungsverhältnisse Blütenbildung nicht oder nur untergeordneter gestatten, und die Pflanze Gefahr läuft, wegen ungenügender Belichtung im ihrer Assimilations- Thätigkeit lebensgefährdend herabgedrückt zu werden. ‚Jenachdem sich nach der )% 20 Potonie, Pseudo - Viviparie an Juneus bufonius L. Erzeugung pseudo-viviparer Sprosse nunmehr die äußeren Verhältnisse gestalten, kann die Pflanze durch Bewurzelung der pseudo - viviparen Sprosse sofort neue Stöcke erzeugen, oder die in Rede stehenden Sprosse entwickeln, wie meine Kultur zeigt, wieder Blüten. Findet Bewurzelung der pseudo-viviparen Sprosse statt, so tritt zunächst ein zweekentsprechendes weiteres Wachstum der vegetativen Organe ein, auch dann, wenn die Belichtung intensiv genug ist, um unter anderen Ver- hältnissen chasmogame Blüten zur Entwicklung zu fördern; bleibt die Bewurzelung aus, weil die Sprosse etwa keinen entsprechenden, vor allem keinen genügend nassen Boden finden, so kommen bei derselben Belichtung Blüten und Kapseln hervor, die Samen ausstreuen. Man muss eben stets festhalten, dass für das Leben der Pflanze nicht allein die Blütenbildung in Betracht kommt: liegen Umstände vor, welche andere Funktionen z. B. Assimilation wichtiger erscheinen lassen, so tritt Blütenbildung trotz günstigster Beleuchtung zurück wie an den erst kürzlich bewurzelten Sprossen. Aus demselben Gesichtspunkt erklärt sich auch mit Leichtigkeit die Thatsache, dass nach P. Ascher- son’s Beobachtung!) die erste Blüte eines Juncus bufonius-Stockes stets eine solche untergeordneten Ranges (kleistogam) ist, und andere Thatsachen, die im ersten Augenblick ebenfalls dem zu widersprechen scheinen, was ich über die Einflüsse der äußeren Verhältnisse gesagt habe, sind ebenso verständlich und erschüttern das Gesagte nicht. Man muss stets berücksichtigen, dass Belichtung, Wärme, Vorhan- densein oder Fehlen genügenden Nährmateriales (namentlich Feuchtig- keit) die Gestaltungsverhältnisse der Pflanze nicht allein bedingen: es kommen im Wesentlichen noch Momente hinzu, die in der Pflanze selbst liegen. Einmal wird dieses, ein andermal das andere Moment den Ausschlag geben, je nachdem es für die Pflanze nützlich ist. Es dürfte kaum eine Pflanzenart geben, die sich besser in die jeweiligen Verhältnisse lebenserhaltend zu fügen wüsste, als Juneus bufonius. Dass sich auch in der freien Natur — wenn auch wegen des eintretenden Winters wohl kaum oder nur ausnahmsweise bei uns — die pseudo-viviparen Sprosse bei gegebenen Bedingungen bewurzeln, daran ist nicht zu zweifeln; denn die Stengel der Pflanzen werden im Alter und im unserem Falle wohl auch durch das Gewicht der pseudo- viviparen Sprosse niedergelegt, sodass für eine Bewurzelung derselben die allergünstigsten Umstände da sind. Bei uns werden die gelegent- lich im Freien aus pseudo - viviparen Sprossen hervorgegangenen Pflanzen bald wegen des eintretenden Winters zu Grunde gehen, aber es ist nieht einzusehen, warum das auch unter günstigeren Klimaten, wo das äußere Pflanzenleben das ganze Jahr hindurch währt, geschehen sollte. In einem Klima mit genügender Temperatur zu allen Jahres- 1) Ueber die Bestäubung bei Juncus bufonius L. (Botanische Zeitung, 29. Jahrg., Leipzig 1871, Spalte 551). Emery, Entstehung des Soziallebens bei Hymenopteren. Al zeiten muss demnach Juneus bufonius sich in einem fort regenerieren: sei es in dieser oder jener Weise, die Pflanze versteht es unter allen Umständen sich m höchstem Maße erhaltungsgemäß zu benehmen. Ueber Entstehung des Soziallebens bei Hymenopteren. C. Verhoeff, Biologische Aphorismen über einige Hymenopteren, Dipteren und Coleopteren in: Verhandl. Naturh. Ver. f. Rheinl. u. Westf., Jahr- gang 48, Bonn 1891. Derselbe, Beiträge zur Biologie der Hymenopteren in: Zoolog. Jahr- bücher, Abt. f. Systematik etec., 6. Bd,, Jena 1892. In den angeführten Schriften veröffentlicht Herr Verhoeff nebst imancherlei neuen Beobachtungen allgemeine Betrachtungen über die biologische Entwieklung der Aculeaten und besonders der gesellig lebenden Formen derselben. — Es ist em wesentliches Verdienst des Verfassers, dass er zur Gewinnung von phylogenetischen Resultaten nicht die Morphologie allein, sondern dabei auch die heutzutage noch zu sehr vernachlässigte biologische Forschungsmethode benutzt. Um die Entstehung des Gesellschaftslebens der Hymenopteren zu begreifen ist es nötig, dass wir von bestimmten Thatsachen ausgehen; dabei müssen die drei Abteilungen der geselliglebenden Hautflügler getrennt behandelt werden, wie sie auch unabhängig von einander ent- standen sind. Ueber den Ursprung der Ameisengesellschaften, wie über die Phylo- genie der Formiciden überhaupt, wissen wir heute noch nichts be- stimmtes, was wohl zum Teil seinen Grund darin hat, dass die primi- tivsten unter den Ameisen, die Poneriden, in Europa sehr kärglich vertreten und in den Tropenländern kaum biologisch untersucht wur- den. — Die Bienen stehen durch die primitivsten Gruppen derselben (Colletiden und Speeodiden) zu noch nicht genauer bestimmten Formen der Grabwespen in Beziehung. — Die Wespen lässt Verhoeff durch die Eumeniden von primitiven Formen der Trypoxyloniden entstammen. Dieses in Bezug auf Morphologie. Um die Entstehung der biologischen Verhältnisse auf die Spur zu kommen, müssen wir zunächst die ver- schiedenen Bauarten der Aculeaten besprechen. Die ersten Aculeaten legten woh! keine Bauten an, sondern sie klebten ihr Ei an die erjagte Beute, dort, wo sie sich fand. Dieses thun noch jetzt einige Pompiliden, wie z. B. Pompilus coccineus, sowie nach den Beobachtungen Fabre’s P. apicalis und Calieurgus annulatus, welehe sämtlich die Wohnung der von ihnen erbeuteten Spinnen als Wiege für ihre Nachkommenschaft benutzen und sieh damit begnügen den Eingang derselben mittels einiger loser Steinchen zu schließen. Aehnlieh verhalten sich die ebenfalls von Fabre trefflich geschilderten Scolia-Arten, welche inSüdeuropa die Larven verschiedener Lamellicornier ern 2» Emery, Entstehung des Soziallebens bei Hymenopteren. in ihren unterirdischen Gängen aufsuchen. Merkwürdigerweise schemt Verhoeff die schönen Arbeiten des französischen Forschers nicht gekannt zu haben; und doch hat niemand den Schatz unserer Kennt- nisse in der Biologie der Hymenopteren so bedeuteud vermehrt wie er!). Einen Schritt weiter sind jene Hymenopteren gekommen, welche einzellige Bauten fertigen und dieselbe entweder erst dann anlegen, wenn sie ihre Beute gefangen haben, oder, was einen weiteren Fort- schritt bezeichnet, zuerst !hre Höhle graben und dann zur Verprovian- tierung derselben auf Jagd ausgehen. Aus solehen einfachen Bauten schreiten wir zu komplizierteren, wo eim einziger Hohlgang in eine Reihe von Zellen geteilt (Linienbauten), oder zu einem verzweigten System mit endständigen Zellen (Zweigbauten) ausgebildet wird. — Eine andere Reihe führt zu Freibauten, welche im einfachsten Fall einzellig, aber auch durch Häufung mehrerer an einander die Bildung zusammengesetzter Freibauten einleiten. Die Familie der Pompiliden, welche wir aus morphologischen Gründen als eine der primitivsten Aculeaten-Gruppen betrachten dürfen, bietet uns, neben den oben er- wähnten Arten die keinen Bau anlegen, solche die einzellige Höhlen graben (Pompilus octopunetatus nach Fabre) und andere, die ebenfalls einzellige Freibauten konstruieren (Agenia carbonaria nach Verhoeff). Durch einen glücklichen Fund ist es Verhoeff gelungen über die primitivsten Zustände der Koloniebildung bei den Bienen etwas Licht zu werfen. Damit das gesellige Leben aus dem Einzelleben der Bienen entstehen konnte, war es nötig, dass bei Formen, welche jährlich mehr als eine Generation durchmachen, der Mutter Gelegenheit gegeben würde, mit ihren Kindern in Berührung zu kommen, und mit ihnen gemeinschaftlich das Brutgeschäft fortzusetzen. Wie dieses stattfindeu konnte, lehrt die vergleichende Untersuchung der Nester verschiedener Halietus-Arten. Das Nest von H. quadristrigatus ist in dieser Beziehung das interessanteste und bildet den Typus der von V. als „Gewölbe- bauten“ bezeichneten Wohnungen. Es wird von dieser Biene eine weite Höhle gegraben, in welcher die Brutzellen, aufeinander gehäuft, frei liegen; das Gewölbe der Höhle bildet derart einen gemeinsamen Vorraum, in welchem die ausschlüpfenden Bienen zusammentreffen. Da das Brutgeschäft lange dauert, so sind die ersten Larven bereits vollkommen entwiekelt, während die Mutter mit der Versorgung ihrer letzten Bier noch beschäftigt ist. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass manchmal die ersten Tiere der zweiten Generation noch vor dem Tode der Mutter ausschlüpfen. Würde dieses zur Regel und würden I) Eine Uebersetzung von Henri Fabre’s „Souvenirs entomologiques“ würde dem deutschen Publikum einen wirklichen Dienst leisten. Die drei Bändchen würden, sowohl wegen ihres an Originalbeobachtungen reichen Inhalts als wegen ihrer leichten, anregenden Form, unter den Freunden der Natur Liebhaber finden. w Emery, Entstehung des Soziallebens bei Hymenopteren. 33 die Töchter in demselben Wohnraum, wo sie geboren sind, anfangen, ihre Zellen anzulegen, so hätten wir einen Zustand vor uns, welcher mit der Gesellschaft der Hummeln viel Aehnlichkeit bieten würde. — Eine ähnliche Form des Nestes ist zur Entwicklung des Soziallebens bei unterirdisch bauenden Insekten notwendig; bei jeder anderen be- kannten Form des Baues, in den verschiedenartigen Linien- und Zweig- bauten, gibt es keinen Raum, wo Mutter und Kinder mit einander in Berührung kommen können; es fehlt damit eine wesentliche Bedingung des geselligen Lebens. — Halictus quadristrigatus steht, wie V. richtig bemerkt „faktisch an der Schwelle der Kolonisation“. Die Bauart dieser Imme kann aber aus den primitiveren Zweigbauten anderer Halietus-Arten abgeleitet werden. Bei A. muculatus sind die einzelnen Zellen noch von einander getrennt; dagegen sind sie bei H. sexcinetus bereits dicht zusammengehäuft. Das Nest dieser Art unter- scheidet sich von dem des H. guadristrigatus hauptsächlich durch das Fehlen des Gewölbes: durch die Bildung des letzteren ist der wichtige Schritt gethan, welcher die Entstehung eines Soziallebens möglich macht. Die Gesellschaft der Wespen lässt Verhoeff von solitären Formen mit gehäuften Freibauten abstammen: der gemeinsame Wohnraum wird hier durch die freie Oberfläche des Nestes geboten. Bei den Eumeniden wird das Ei stets vor der Beschaffung der Nahrung gelegt, gerade wie in den Wabenzellen der Vespiden. Aber die geselligen Wespen geben der jungen Brut keinen vollständigen Nahrungsvorrat mit und verschließen die Zelle nicht, sondern die Zelle bleibt offen und die Larve wird alltäglich gefüttert. Ebenso sollten die solitären Ahnen der Vespiden gethan haben: dadurch wurde ein Verkehr zwischen Mutter und Larve eingeleitet und, bei längerer Dauer des Brutgeschäftes an derselben Stelle, im Verkehr zwischen der noch lebenden Mutter mit ihren eben verwandelten Töchtern. — Vergebens sucht Verhoeff nach Beispielen von Grabwespen, welche ihre bereits ausgeschlüpften Larven täglich mit frischem Futter versehen, indem er zeigt, dass Mellinus arvensis, von welchem solches behauptet wurde es nicht thut. Nun hat aber auch hier der unermüdliche Fabre diese Lebensweise für die von ihm beobachteten Bembex nachgewiesen. Merkwürdig genug ist, dass sowohl die sozialen Bienen im Wachs als die sozialen Wespen in Holzkarton Materialien zu ihren Bauten benutzen, welche von keiner solitären Form gebraucht werden. Dieser Umstand beweist zur Genüge, dass uns keine wirklichen Vorstadien ihrer Lebensweise bekannt sind, wenn auch solche gegenwärtig fak- tisch vorkommen sollten, sondern nur Zustände, welche jenen Vorstadien ähnlich sind und die wir zum Verständnis der biologischen Phylogenese der Insektengesellschaften benutzen dürfen. G, Emery (Bologna), Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. [0 > Pädagogisch-psychometrische Studien. 1. Vorläufige Mitteilung. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. Die nachfolgenden Untersuchungen verdanken ihre Entstehung der Lektüre von Mosso’s anregendem Buche „Die Ermüdung“'). In demselben wird ein „Arbeitsmesser“, Mosso’sErgograph, beschrieben, weleher gestattet mit bedeutender Genauigkeit die Arbeit einer be- stimmten Muskelgruppe und die Schwankungen zu messen, welche durch die Ermüdung während der Arbeit dieser Muskeln hervorgebracht werden können. — Die Ermüdung ist zweifellos das Resultat eines chemischen Vor- ganges. Es ist hier nieht der Ort über die gegenwärtig waltenden Vorstellungen der Physiologen, die sich übrigens ja noch kemeswegs . alle deeken, sich zu verbreiten. Darauf aber mag hingewiesen werden, dass die Ermüdung die Zusammensetzung des Blutes beeinflusst, dass sie also hervorgerufen durch die Thätigkeit bestimmter Organe nicht bloß an diesen sich geltend macht, vielmehr allgemeiner Natur ist. Nach dieser Vorstellung müsste also z. B. eine Ermüdung durch psychische Thätigkeit durch die Bestimmung der Ermüdungskurve von Muskeln konstatiert werden können. Sollte aber die Ermüdung zugleich auch lokalisiert sein, d.h. zwar den Allgemeinzustand dadurch beeinflussen, dass die Ermüdungsstoffe die chemische Zusammensetzung des Blutes ändern, jedoch das Organ, durch dessen Thätigkeit sie entstanden, in höherem Maße modifizieren als andere, so würde die ergographische Bestimmung der Ermüdung durch psychische Thätigkeit doch brauchbare kesultate liefern. Denn durch die Bethätigung des Gehirns muss die Stärke und Zahl der Impulse, welche Muskelkontraktionen auslösen, beeinflusst werden. A priori dürfen wir annehmen, dass ein ermüdetes Gehirn weniger starke und wohl auch weniger zahlreiche Kontraktionen bis zur Er- schöpfung der Thätigkeit einer Muskelgruppe auslöst als das nicht ermüdete. — Sollte es nicht möglich sem die geistige Bethätigung der Schüler durch den Unterricht mittels dieser ergographischen Methode zu be- stimmen? Sollte es nicht möglich werden ein objektives Maß für die Ermüdung durch die Schulthätigkeit zu gewinnen, ja vielleicht auf experimentellem Wege zu bestimmen, in welcher Gruppierung die ver- schiedenen Disziplinen die geringste Ermüdung verursachen ? Diese Fragen drängten sich mir bei der Lektüre von Mosso's Buch unwillkürlich auf und es schien mir ihre experimentelle Prüfung 1) Die Ermüdung. Von A. Mosso, Professor der Physiologie an der Universität Turin. Deutsch im Verlage von $. Hirzel. Leipzig 1892. Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien. 25 ) 805 auch für den Fall von Interesse zu sein, als sie zu einem negativen Ergebnisse führen sollte. Bei meinen Untersuchungen bediente ich mich des von Mosso er- fundenen Ergographen. Bezüglich der Beschreibung des Apparates verweise ich auf S. 87—00 des zitierten Werkes. Herr Mosso brachte an demselben eine mir sehr zweckdienliche kleine Veränderung an, indem der Läufer des Schreibapparates einen Stift über einen zwischen den beiden Messingsäulchen sich hinbewegenden Papierstreifen hin- gleiten lässt. Die Höhe der gezeichneten Linie wird das Maß der Stärke einer Zusammenziehung der Beuger des Mittelfingers. Ich beschränke mich in dieser ersten vorläufigen Mitteilung der Ergebnisse vieler Versuche auf die Wiedergabe des Einflusses geistiger Arbeit auf den Verlauf der Ermüdungskurve ein und desselben Schülers. Derselbe ist em recht gut beanlagter nicht sehr kräftiger Jüngling von 14 Jahren. In einer I. Versuchsreihe bestand die geistige Thätigkeit in den psychischen Prozessen, welche sich beim möglichst schnellen Lesen deutscher Wörter in Antiqua gedruckt abspielen. Analysieren wir diese Vorgänge, dann können wir sie in 5 Phasen gliedern. Der von den Buchstabenbildern ausgeübte Reiz wird vom Sinnesorgan zum Gehirn geleitet. Hier gelangen sie zum Bewusstsein, „sie treten, um mit Wundt zu reden, in das Blickfeld des Bewusstsems“. Dieser Per- zeption folgt die Apperzeption, d. h. dem Bewusstwerden des heizes folgt die Erfassung dureh die Aufmerksamkeit, der Reiz tritt in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit“. Die 4. Phase ist der Willensimpuls, die Auslösung der Bewegung der Muskeln der Sprachorgane, die 5. die Leitung der motorischen Erregung zu diesen Muskeln. Da aufeinander folgende Wörter gelesen werden, schließt sich natürlich nieht immer Phase 1 des folgenden Vorganges an Phase 5 des vorangehenden an, sondern die Phasen werden zum Teil sich decken. Die Dauer für den Vorgang des Lesens eines Wortes oder einer Silbe wird daher im nachfolgenden kleiner sein, als wenn das Erkennen und Aussprechen eines einzelnen Wortes mit Hilfe des Kymographen und Chronoskops bestimmt würde. Die Methode hat aber, wie schon Cattel in einer Untersuehung „Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen etc.“ mit Recht bemerkt, den Vorteil, dass die „gemes- senen Vorgänge sich denen des wirklichen Lebens“ nähern, ich kann sagen, Bethätigungen durch das Schulleben gleichen. Mir bietet sie den Vorteil, dass ich bei verschiedenen Versuchsobjekten Sinnesorgan, zentripetale und zentrifugale Nerven, Nervenzellen und gewisse Muskeln in gleichem Maße bethätigen kann. Diese Folge psychischer Vorgänge stellen mir gleichsam das Gewicht vor, mit welchem ieh zu jeder Zeit die gleiche Belastung zu erzielen vermag, ein Umstand der natürlich für meine Versuchszwecke, Bestimmung der Beziehung geistiger Thätig- keit zur Ermüdung, sehr wichtig ist. 26 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. Versuche vom 9. Februar 1895. Beginn 8 Uhr. Die Schnur des Gewichtes des Ergographen ist am 2. Gliede des Mittelfingers der rechten Hand befestigt und dieser hebt, indem er sich beugt, 2 Kilogramm. Nach dem Takte eines Metronoms, das alle Sekunden schlägt, zieht E. J. die Beugemuskeln des Mittelfingers zu- sammen. Nach 63 Kontraktionen sind die Muskeln so ermüdet, dass sie nieht mehr die Kraft besitzen, das Gewicht zu heben. Die 63 Maß- striche haben zusammen eine Höhe von 488,35 mm. Die Flexoren des Zeigefingers waren also zum Beginne unserer Versuche befähigt bis zu ihrer Erschöpfung eine Arbeit von 0,9776 Kgmetern zu leisten (vergl. Fig. 1). Kies lr Ülmumnannnn Es wurden nun in S rasch aufemander folgenden Serien zusammen 1586 Wörter (Abschnitte aus Oechsli’s Lehrbuch für den Geschichts- unterricht) gelesen. Die nachfolgende Tabelle gibt für jede Serie die durehsehnittliche Zeit an, die für die Erkennung und Benennung eines Wortes, bezw. einer Silbe, nötig war. ; So Zee EEE EVER Zeit in SmEn pro Wort 0,355 0,339 0,338 90, 394 0,3680, 379 0 3270, 310 Zeit in Sekunden pro Silbe 0, 186. 0,1970, 1820, 198,0,185) 0, 194 0,162/0,168 Die Dauer, welche im Mittel für die Erkennung und Benennung eines Wortes nötig war, betrug also 0,3515 Sekunden, für die Silbe 0,184 Sek.; die Maximaldauer war für das Wort 0,304 Sek., für die Silbe 0,198 Sek.; die Minimaldauer 0,319 Sek. bezw. 0,162. Di Weelallaneı kann nicht als Wirkung der Ermüdung be- zeichnet werden, denn sie tritt nicht am Ende der Versuchsreihe son- dern in-der Mitte auf. Eine Ermüdung, die sich in einer Verlang- samung der psychischen Vorgänge verraten würde, ist während dieser 5 sich folgenden Versuchsreihen nicht wahrzunehmen; wir sehen ja vielmehr, dass die Minimaldauer der Vorgänge mit den beiden letzten Serien zusammenfällt. Nach dieser Leseprobe wird 8.5 die Ermüdungskurve in gleicher Weise wie früher bestimmt. Es ergibt sich folgendes Resultat (vergl. Fig, 2), Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. N 22 Die Maßstriehe der Kontraktionen sind bedeutend vermehrt. Ihre Zahl beträgt 82. Sie sind aber auch, die letzten 10 etwa ausgenommen, länger als die resp. Maßstriehe der I. Ermüdungskurve. Sie repräsen- Fig. 2. ILINNLLLUFTITEIN tieren zusammen eine Länge von 0,7455 Metern. Die Beuger des rechten Zeigefingers leisten also nunmehr bis zur Erschöpfung eine Arbeit von 1,491 Kilogrammmetern. Nach kurzer Pause beginnt eine neue Leseprobe. Es werden in 3 Serien 1257 Wörter gelesen. SE le see I II | III Zeit in Sekunden pro Wort . . 0,322 0,551 0,343 Zeit in Sekunden pro Silbe . . 0,184 0,181 0,184 Erkennung und Benennung erfordern also im Mittel pro Wort die DE to) 1 Zeit von 0,338 Sek., pro Silbe 0,185 Sek. Auch jetzt ist also von einer Verlangsamung der psychischen Vorgänge nichts zu bemerken. 8.5° erfolgt die 3. ergographische Messung (vergl. Fig. = Fig. 3. ll Die Zahl der Maßstriche ist gegenüber der vorigen Messung kaum verändert (S1 gegenüber 82). Die Gesamtlänge hat dagegen wieder zugenommen. Sie beträgt jetzt 951,6 mm. Vor allem sind die ersten 10 Kontraktionen erheblich größer als früher. Die Arbeit, welche die Beuger des Mittelfingers nun bis zu ihrer Erschöpfung leisteten, betrug 1,8632 Kgmeter. Sie ist also gegenüber der zu Anfang des Ver- suches geleisteten fast verdoppelt. Eine Eigentümlichkeit des Verlaufes der Ermüdungskurve tritt an dieser 3, Ermüdungszeiehnung auffälliger als an den beiden frühern 1} 38 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. hervor. Die Kurve hat das Bild einer geneigten Wellenlinie. Sie fällt nieht gleichförmig ab. Haben die Maßsstriche eine gewisse Längen- verringerung erfahren, dann erfolgt oft eine relativ beträchtliche Längen- zunahme. Zehnmal zeigt sich an unserer Kurve ein ausgesprochener, auf den ersten Blick auffälliger Wellenberg. Dieser im Momente über- raschende Kurvenverlauf spiegelt uns in schöner Weise den Gang der im Gehirn sich abspielenden Willensakte wieder. Das Versuchsobjekt, dessen Ermüdungszeichnung aufgeschrieben wird, hat das Gefühl der allmählichen Abnahme der Maßstriche. Ist dieses Gefühl stärker ge- worden, dann wird zur Auslösung der Kontraktionen eine größere Energie aufgewendet, der Willensimpuls wird stärker, als wie er bisher war. Die Ermüdung führt aber schnell wieder zur Längenverringerung der Maßstriche, bis eime erneute Vermehrung des Energieaufwandes wieder stärkere Kontraktionen auslöst, die Maßstriche länger werden lässt. Dieses Spiel wiederholt sich, bis schließlich der Grad der Er- müdung ein derartiger geworden ist, dass die Auslösung einer Kon- traktion nicht mehr möglich ist. Nach kurzer Pause wurden 425 Wörter und 150 ein- und zwei- stellige Zahlen gelesen. Aus Gründen, die später dargethan werden, will ich die Zeitmaße für die Zahlen hier nieht berücksichtigen. Für die Wörter waren pro Wort durchschnittlich 0,354 Sek., pro Silbe 0,183 Sek. nötig. Da die Silbenzeit das bessere Maß als die Wortzeit sein dürfte, ergibt sich aus dem voranstehenden, dass die bisherige geistige Be- thätigung mit den kleinen eingeschobenen Pausen noch nicht zu einer Verzögerung des Erkennens und Wiedergebens der Wortbilder führte. 95 Uhr erfolgt wieder eine ergographische Messung (vergl. Fig. 4). ») Fig. 4. Die Zahl der Kontraktionen, die ausgelöst werden, ist eine noch größere, als in den vorangehenden Aufzeichnungen der Ermüdungskurve. Die Willensimpulse aber sind schwächer geworden. Sie vermögen nicht mehr so starke Bewegungen auszulösen, wie in den beiden vorange- gangenen Fällen. Die Gesamtlänge der Maßstriche beträgt nur noch 0,6495 Meter, die geleistete Arbeit somit 1.299 Kilogrammmeter. Es folgt nun eine fast °/,stündige Pause, welche E. J. spazierend zubringt. 10.'° Uhr wird wieder die Ermüdungszeichnung aufgeschrieben. Es ergibt sich das höchst überraschende Resultat, dass trotz des Aus- Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien. 229) ruhens die Zahl der Kontraktionen erheblich vermindert ist, nämlich auf 68 sank und vor allem, dass sie viel weniger kräftig geworden sind. Ihre Gesamthöhe beträgt nur 408,6 mm. Die bis zur Erschöpfung geleistete Arbeit ist also 0,517 Kgmeter; sie ist kleiner als vor 2!/, Stun- den, zu Beginn der Versuche (vergl. Fig. EFT Fig. 5. III lt Die vorangehenden ergographischen Messungen zeigen uns, dass die geistige Arbeit zunächst die Leistungsfähigkeit vermehrt. Die Arbeit wirkt erregend. Sie steigert die Leistungsfähigkeit bis fast auf das Doppelte der ursprünglichen. Dieser Moment war in unserer Ver- suchsreihe nach 50 Minuten geistiger Arbeit (die Pausen, die durch die Untersuchungsmethode Bednt waren, sind en Die un- mittelbare geistige Bethätigung betrug nur !/, der angegebenen Zeit) erreicht. Dann sinkt die Leistungsfähigkeit und zwar verrät sich der Zustand der Ermüdung d. h. eine Leistungsfähigkeit, die geringer ist als die ursprüngliche, sogar sehr deutlich nach mehr als 1stündiger Pause. Die Ermüdung erscheint also hier als lange andauernde Nach- wirkung der vorangegangenen Erregung. Eine II. Versuehsreihe schließt sich unmittelbar an diese erste an. Ich beschränke mich auf die tabellarische Wiedergabe ihrer Resultate, da die Ausführung der vorangegangenen völlig entspricht. Serie | Zahl gen ge- | Zahl der ge- Zeit pro Wort Zeit pro Silbe lesenenWörter | lesenen Silben | in Sekunden in Sekunden j in 2.100 216 | .0,408 |. 0,188 II | 211 422 | 0,346 | 0,175 III | 210 405 | 0,542 0,178 | 109 205 0,363 0,194 N: | 206 396 0,358 \ ....0,186 Yı 218 397 0,327 0,179 vl | 209 415 0,382 | 0,194 NA | 101 203 | 0,3 2 | 0,170 1364 | 2055 0,358 1170183 10.°° Uhr ergographische Messung. Zahl der Kontraktionen 94. Gesamtlänge der Maßstriche 0,9285 Meter. Die Arbeit, welche die 3 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Flexoren bis zu ihrer Erschöpfung leisteten, betrug also 1,857 Kgmeter (vergl. Fig. 6). Fig. 6. | ll INN Es folgt nach einer Pause von einigen Minuten eine neue Lese- probe: 150 Zahlen mit 330 Silben; pro Zahl 0,457 Sekunden pro Silbe 0,208 a 399 Wörter mit 802 Silben; pro Wort 0,349 . pro Silbe 0,173 n 10.°° Uhr ergographische Messung (vergl. Fig. 7). Zahl der Kon- traktionen 79. Gesamtlänge der Maßstriche 0,5451 Meter. Die Arbeit, welche die Beuger bis zu ihrer Erschöpfung leisteten, betrug also 1,6962 Kgmeter. 17 Fig. lie Nach kurzer Pause neue Leseprobe. es | Zahl der ge- | Zahl der ge- | Zeit pro Wort | Zeit pro Silbe Some ‚ lesenen Wörter lesenen ‚Silben in Don in Sekunden Di: |. As a on Il | 407 | S00 | 0,316 1780:169 u ie 707798 | - 0,309 0,167 127 2382 770,326 0,171 11. Uhr ergographische Messung. Zahl der Kontraktionen 60. Gesamtlänge der Maßstriche 0,432 Meter. Die Arbeit, welche die Beuger des Mittelfingers bis zur Erschöpfung ausführten, war 0,864 Kgmeter (vergl. Fig. 8). Pause bis 12. Uhr, dann ergographische Messung (vergl. Fig. 9). Zahl der Kontraktionen 50. Gesamtlänge der Maßstriche 0,4149 Meter. Die Arbeit, welche die Flexoren bis zur Erschöpfuug leisteten, war 0,5298 Kameter. Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. al Es zeigt also diese Versuchsreihe im Prinzip den analogen Verlauf wie die vorige. Die Arbeit erhöht die Leistungsfähigkeit. Das Maximum dieser ist aber schneller erreicht, mit andern Worten es erzielt in dieser Versuchsreihe, der nur eine kürzere Ruhe des Gehimms voranging, eine viel kleinere Hirnthätigkeit den Zustand der Erregung. >ie ist zeitlich bestimmt nur halb so groß wie im vorigen Falle. Die gleiche Arbeits- Fig. 8. dauer, welche in der Versuchsreihe von S—10.'5 Uhr zum Maximum der Leistungsfähigkeit führte, lässt nunmehr erheblich kleinere Werie ent- stehen. Denn der Arbeitsleistung von 1,6962 Kgmeter korrespondiert eine Hirnbethätigung von nur ?/, jener frühern, zum Maximum führen- den, und der Arbeit von 0,864 Kgmeter, die also nicht einmal die halbe Leistungsfähigkeit jenes ersten Maximums darstellt, entspricht eine Bethätigung des Gehirns, die nicht !/, größer ist, als jene frühere. Fig. 9. Diese Resultate sind wohl nur so zu deuten, dass das Gehirn trotz der mehr als Istündigen Pause noch nicht vollständig ausgeruht hatte, als es zu neuer Bethätigung herangezogen wurde. Kann nun auch dessen Leistungsfähigkeit so groß sein, wie die des ausgeruhten Gehirns, so ist sie nieht so anhaltend. Schneller tritt der Zustand verminderter Leistungsfähigkeit ein. So nahe es läge hieran Betrachtungen über die vierstündig auf- einander folgende Schulbethätigung oft recht jugendlicher Schüler an- zuknüpfen, ich will mich doch vor der Hand jeglicher Reflexionen ent- halten, da ja das von uns konstatierte Verhalten von individueller Natur sein könnte. Auch in dieser 2. Versuchsreihe reichte eine fast 3|,stündige Pause nicht hin um die Leistungsfähigkeit vom Morgen (vergl. Fig. 1) wieder herzustellen. Eine 3. Versuchsreihe begann am gleichen Tag um 3.2° Uhr. Die Ermüdungszeichnung, die E. J. aufschrieb, ist eme etwas kräftige Kopie der Fig. 1. Die Zahl der Maßstriche ist etwas vergrößert, ein Teil der Kontraktionen, namentlich die 15 ersten, etwas kräftiger, so 32 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. er dass die Gesamtlänge der Maßstriche größer wird als bei der 1. ergo- graphischen Messung, nämlich 0,5233 Meter. Die Arbeit, die die Kon- traktoren bis zu ihrer Erschöpfung leisten, ist demnach etwas größer, nämlich 1,0466 Kgmeter. Nicht nur der langen Ruhe, deren E. J. gepflogen, dürfte das zu- zuschreiben sein, sondern auch dem Mittagessen, das er um 12!/, Uhr zu sich nahm. Die geistige Bethätigung besteht wieder im Erkennen und Aus- sprechen von zu Sätzen vereinten Wörtern. Nachfolgend gebe ich die tabellarische Zusammenstellung der bezw. Resultate. | Zahl der ge- | Zahl der ge- | Zeit pro Wort | Zeit pro Silbe j | lesenenWörter | lesenen Silben | in Sekunden in Sekunden I | 107 199 0,305 0,164 Ip 40 2290 | 493 0,303 0,157 10 aa Er 5 | 485 0,316 0,153 EV | 105 | 200 ( 0,295 6,155 V | 218 | 419 | ne | 0,147 VI 211 419 „07 | 0,155 A) 215 395 > 0,166 NEIN) 105 | 204 0831 ea! 1396 2704 | 0,305 90T N T m T— Summe Durchschnitt In mehrfacher Beziehung sind diese Zahlen von Interesse. Die Zeit, die durchschnittlich zum Lesen eines Wortes wie einer Silbe nötig war, ist erheblich kleiner als in den bisherigen Versuchen. Es deuten dieselben also zweifellos an, dass die am Vormittag bethätigten Organe ihre volle Leistungsfähigkeit wieder erlangten. Die kürzere Zeit, die zum Lesen nötig war, hat vielleicht ihre Ursache teils m der vermehr- ten Uebung im Sehnelllesen, teils in der gesteigerten Aufmerksamkeit, (durch welche die Apperzeptionszeit verkürzt wurde. (Schluss folgt.) Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leip:ig, Salomonstr. 29, zu richten. Verlag von Eduard Bigofal Rum En in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruekerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xX1iV. Band. 15. Januar 1894. Nr. 2, Inhalt: Franee, Zur Biologie des Planktons. — Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien (Schluss). — Emery, Die Entstehung und Ausbildung des Arbeiter- standes bei den Ameisen. — Wasmann, Zur Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne. — Roth, Klinische Terminologie. Zur Biologie des Planktons. Vorläufige Mitteilung. Von R. H. France. Im Verlaufe des Jahres 1893 begann ich im Auftrage der zur naturhistorischen Erforschung des Balaton (= Platten) -sees gebil- deten Kommission der ung. geograph. Gesellschaft, systematische biologische Planktonbeobachtungen, welche — soweit dies bisher mög- lieh — zu einem gewissen Abschluss gelangten; der Zweck folgender Zeilen ist nun, kurz über die hauptsächlichsten Ergebnisse dieser fort- gesetzten Studien zu berichten, während ich mir die Detailangaben für die demnächst erscheinende Monographie der niederen Tierwelt des Balatonsees vorbehalte. Es sei hier kurz bezüglich der Sammelmethode erwähnt, dass ich teils Handnetze, teils Kieler Plankton- und Tiefenschleppnetze ver- wendete, welch letztere, in jeder beliebigen Tiefe verschließbar, be- sonders zur Erforschung der Lebensverhältnisse der in den tieferen Wasserregionen und am Grunde lebenden Mikrofauna benützt wurden. Der Balatonsee — bekanntlich der größte See Mitteleuropas — hat ein Areal von ca. 731 km,, jedoch nur geringe Tiefe, welche :a. 11 m nicht übersteigt. Die Ufer dieser 76 km langen und stellenweise bis 7'/, km breiten kolossalen Wasserfläche sind sehr verschiedenartig; neben steinigen, felsigen Ufern ziehen sich langgestreckte Sanddünen, an manchen Stellen dagegen geht das mit Rohr bedeckte Ufer direkt in große, manchmal stundenweit ausgebreitete urwüchsige Rohrsümpfe über. bei so variablen Existenzbedingungen kann es auch selbstverständlich XIV. > 34 France, Biologie des Planktons. an einer mannigfaltigen "Tierwelt nicht fehlen; doch kommt dieses vorzugsweise nur an den Ufern zur Ausbildung, während die Zusam- mensetzung des Planktons nicht besonders mannigfach ist. Die haupt- sächliehsten Vertreter der Entomostraken sind die Gattungen Cy- clops, Canthocamptus, Diaptomus, Daphnia, Sida, Da, hnella, Alona, Pleuroxus, Leptodora etc., der Rotatorien: KEuchlanis, Salpina, Anurea, Polyarthra, Asplanchna, Notholca, Pompholyx, Erethmia, Mastigocerca ete., der Protozoen: Ceratium, Tintinnopsis. Von pflanzlichen Organismen seien erwähnt das von Juli ab massenhaft vorkommende Olathrocystis aeruginosa, ferner Pediastrum, Dietyosphaerium, Fragilaria, Melosira, Nitzschia, Pleurosigma etc. t). Dies ist im großen Ganzen die Tier- und Pflanzenwelt, welche freischwebend die inneren Wasserschichten bewohnt, jedoch bezüglich ihrer einzelnen Formen keine gleiche Verteilung zeigt, wie Hensen in seinem bekannten Planktonwerke annimmt; im Gegenteile finden sich neben ganz organismenarmen Wasserschichten wieder solche, welche von einem Gewimmel der verschiedensten Planktonwesen be- lebt sind. Auch die einzelnen Formen sind ziemlich verschiedenartig verteilt; ich konnte ganze Ceratium-, Bosmina, Daphnia-, Diap- tomus- ete. Distrikte unterscheiden, welche fast ausschließlich von den betreffenden Entomostraken und Protozoen belebt waren. Jedenfalls ergaben mir Hunderte von zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten angestellte Beobachtungen mit totaler Gewissheit eine höchst ungleiche Verteilung des Planktons; demzufolge muss ich die Hensen’sche Planktonzählmethode, welche gerade auf einer (angenommen) gleichen Verteilung des Limnoplanktons beruht, als auf falscher Basis stehend entschieden für zwecklos, ja zu unriehtigen Ergebnissen führend be- trachten und dies ist zugleich der Hauptgrund, weshalb ich diese Zählmethode nicht angewendet habe. sezüglich der Verbreitung möchte ich noch erwähnen, dass ich im vollsten Umfange jene von Zacharias — in dem I. Jahresberichte über die so erfolgreiche Forschungsthätigkeit an der Plöner Süß- wasser- Station —, erwähnte Thatsache, dass die limnetische Tierwelt gegen die Ufer zu nieht abnimmt, bestätigen konnte; um zur Bekräf- tigung dieses nur ein Beispiel anzuführen, fand ich am 4. August des Jahres 1893 in unmittelbarster Nähe des Ufers, kaum 1 Meter vom Strande bei Tihany eine zahlreiche Gesellschaft von Daphnia Kahl- bergiensis, Diaptomus gracilis, Leptodora hyalina, Anurea aculeata, Ceratium hirundinella, Euchlanis dilatata, Raphidiophrys pallida, Pe- diastrum pertusum ete., also lauter rein pelagische Formen. I) Es sei erlaubt an dieser Stelle einige Daten über das pelagische Vor- kommen einiger sonst littoraler oder gar Pfützenbewohner einzuschalten. So fand ich z.B. am 16. Juli v. J. Kuglena acus limnetisch, ebenso Dactylosphaerium radiosum und einige andere sonst littorale Infusorien. France, Biologie des Planktons. 3) Auf diese und andere später näher zu erörternde Gründe gestützt möchte ich den bisherigen strengen Unterschied zwischen der Littoral- und der Wasserspiegelfauna ganz aufgeben, wenigstens was das Limno- plankton betrifft. Ferner ist schon seit längerer Zeit die Thatsache bekannt, dass viele der Planktonorganismen von Zeit zu Zeit tiefere resp. super- fieiale Wasserschichten aufsuchen; doch sind systematische Beobach- tungen über die Periodizität und die äußeren Bedingungen dieser Mi- grationen fast kaum oder doch nur als gelegentliche Wahrnehmungen in sehr geringem Maße bekannt. Was nun meine diesbezüglichen Un- tersuchungen betrifft, so kann ich mich in diesem vorläufigen Berichte natürlich nicht in die Details der einzelnen Beobachtungen näher ein- lassen, sondern nur die wichtigsten allgemeinen Resultate derselben mitteilen. Und zwar ergaben zahlreiche, in fast allen Stunden des Tages und der Nacht angestellte Beobachtungen folgende Thatsachen: Mit geringen Ausnahmen befinden sieh die Plankton- wesen des Nachts an der Oberfläche des Wassers; mit dem Fortschreiten der Dämmerung ziehen sie sich in innere, tiefere Re- gionen zurück. Dies dauert bis in die ersten Nachmittagsstunden; um diese Zeit kommen sie in immer höhere Wasserschichten, um kurz nach Sonnenuntergang wieder plötzlich an der Oberfläche zu er- scheinen, wo sie die Nacht über verbleiben, bis sich mit dem Beginn der Morgenröte der soeben geschilderte Cyklus wiederholt. Dieses Schema stimmt jedoch nur bei gewissen meteorologischen Verhältnissen, so bei Windstille, glattem Wasser, finsterer Nacht resp. tagsüber Sonnenschein; abweichend jedoch ist das Verhalten des Planktons bei ungünstigem, regnerischem Wetter, bei Sturmwind, bei Mondenschein etc. Ich werde in Nachstehendem nur die Folgesätze der Beobach- tungen mitteilen, mir die Belege für den Deötailbericht vorbehaltend. 1) Tagsüber hält sich der größte Teil der Planktonwesen bei Windstille, klarem Himmel und Sonnenschein in tieferen Wasserregionen auf. Und zwar suchen sie Vormittags immer tiefere Wasserschichten, bis sie in den Mittagsstunden die Grundregion erreicht haben; Nach- mittags ziehen sie aufwärts gegen die Oberfläche zu. 2) Auch bei schwachem Winde und mäßigem Wellenschlage gilt das von ad 1) Gesagte; jedoch kommen die Wanderungen in nicht so prägnanter Weise zum Ausdrucke. 3) Bei andauerndem Regen und mäßigem Wellenschlage sind die Planktonwesen vom Grunde bis zur Tiefe im Verhältnisse der letzteren stufenweise verteilt, sodass sich nahe am Grunde der weitaus größte Teil derselben befindet. 36 Franee, Biologie des Planktons. 4) Bei heftigem langandauerndem Winde, sowie bei Sturm ist keine in deutlich vortretender Weise bemerkbare aktive Verteilung wahrnehmbar; jedoch scheinen die meisten Planktonorganismen sich doch am Grunde zu finden. 5) Bei heftigem Sturmwinde und Regen findet eine ziemlich gleiche Verteilung, wie ad 4) angeführt, statt. 6) Nachtsüber hält sich der größte Teil des Planktons bei Neu- mond, Windstille und ruhigem Wasser an dem Spiegel des Sees auf. 7) Unter denselben physikalischen Verhältnissen, jedoch bei Mon- denschein (Vollmond) befindet sich zwar noch immer ein großer Teil der Planktonwesen (hauptsächlich Cladoceren) an der Oberfläche; ein anderer Teil zieht sich jedoch in tiefere Wasserschichten zurück. 8) Bei Wind und bewegtem Wasser wandert der überwiegende Teil des Planktons auch bei Nacht in tiefere Wasserschichten. 9) Bei starkem Sturmwinde findet auch bei Nacht eine gleiche Verteilung des Limnoplanktons statt, wie unter ähnlichen Wetterum- ständen bei Tage; dasselbe gilt auch für Regen. 10) Bei bewölktem Himmel, ohne Sonnenschein finden sich tags- über in den superficiellen Wasserschichten nur wenige Plankton- wesen, deren Zahl gegen die Tiefe zu immer mehr zunimmt. 11) Unterhalb der Eisdecke finden sich dieselben Verhältnisse, wie bei freiem Wasser; besonders viel Plankton sammelt sich an der Wasseroberfläche von Eislöchern. Dies ist in kurzen Zügen, gleichsam nur skizziert das Verhalten des Planktons gegen Witterungseinflüsse. Doch nicht alle Plankton- wesen zeigen ein diesbezüglich gleiches Verhalten, manche Arten blei- ben bei diesen aktiven Migrationen zurück, andere wieder eilen vor. Es ist augenfällig, dass die mit besseren Schwimmwerkzeugen aus- gerüsteten Arten rascher verschiedene Wasserschichten aufsuchen können, als die unbeholfeneren schlechten Schwimmer. So fand ich denn die Planktonentomostraken nicht nur in horizontaler, sondern zuweilen auch in vertikaler Richtung in deutliche Schichten geglie- dert; Abends traten zuerst die gut schwimmenden Cladoceren an die Oberfläche, während die Copepoden erst nachträglich, beiläufig in einer Stunde folgten, wie denn auch die Cladoceren mit Sonnenaufgang die ersten waren, welche die Oberfläche verließen und tiefere Wasser- schichten aufsuchten. Bezüglich des Verhaltens der einzelnen Arten kann ich mich an dieser Stelle nicht näher einlassen, möchte jedoch als Beispiel gerne einige interessantere Daten hervorheben bezüglich der Tiefenbewohnerin Leptodora hyalina. Diese schöne Cladocere hält sich bekanntliehermaßen angeblich nur in den tieferen Wasserregionen auf und kommt nach den bis- herigen Angaben nur des Nachts an die Oberfläche, wie ich dies France, Biologie des Planktons. 31 übrigens für weitaus die überwiegende Zahl der Fälle bestätigen kann. Um so überraschender war mir daher der Umstand, dass die ange- zogene Art mehreremals bei sonnenhellem, ruhigem Wetter Vormittags in nur 0,10 m Tiefe, in den ersten Nachmittagsstunden jedoch unter den gleichen physikalischen Umständen ganz an der Oberfläche ge- funden wurde. Leptodora ist übrigens diejenige Art, welche am frühesten an der Oberfläche erscheint, jedoch auch zuerst wieder tie- fere Wasserschichten — schon um 2 Uhr Nachts wurde sie in den Fängen selten aufsucht. Die Ursache dieser täglichen Wanderungen zu ergründen ist eine überaus schwierige Aufgabe, deren Lösung sich — da, wie wir zum Teile schon sahen, die verschiedensten Einflüsse sich geltend machen —, zu einem verwickelten Probleme gestaltet. Dass wir in dieser Er- schemung aktive Bewegungen zu suchen haben, ist sicher; dies erhellt schon aus dem Umstande, dass die Planktonalgen — wie Pediastrum, Dietyosphaerium ete. — zu jeder Zeit gleichmäßig an der Oberfläche schwimmen; es ist demnach ausgeschlossen, dass nur vertikale Was- serströmungen diese eigentümlichen Wanderungen verursachen. Ohne mich im eine ausführliche Erörterung der angeregten Frage an dieser Stelle näher einzulassen, glaube ich behaupten zu können, dass die tägliche Wanderung sowohl von der Licht- resp. Wärme- stimmung der betreffenden Arten, als auch von mechanischen Ein- flüssen herzuleiten sein dürfte. Zur Bekräftigung meiner Ansicht, dass die Planktonorganismen mit Vorliebe kühlere Wasserregionen auf suchen, kann angeführt werden, dass diese täglichen Migrationen im Winter und Vorfrühlinge nicht so präeise stattfinden wie im Sommer, so dass ich z. B. am 26. März 1595 um 1!/,9 Uhr Morgens an der Oberfläche des 5° C. grädigen Wassers erfolgreich Plankton fischte. Es erübrigt noch jener hochinteressanten Erscheinung zu ge- denken, welche nach Haeckel’s Vorgang mit dem Namen „Zoo- corrente* oder „Tierschwarm“ bezeichnet wird, da ich derlei Schwärme im Laufe des Sommers im Balaton beobachten konnte. Diese Bildungen sind jedoch dort relativ selten; ich konnte trotz vieler nach der Auffindung des ersten daran verwendeter Mühe die- selben nur einigemal beobachten. Die Schwärme bestehen meist aus Entomostraken (Diaptomus, Daphnia Kahlbergiensis, Bosmina ete.), doch traf ich auch solche, welche fast ausschließlich aus Protozoen und zwar Üeratien bestanden. Die Zoocorrenten zogen meist nahe der littoralen Region und besaßen zuweilen eine Länge von 200—150 m, jedoch sehr variable Breite. In einem Falle erfüllten Entomostraken und Rotatorien den Was- serspiegel so massenhaft, dass der betreffende Distrikt schon von weitem erkennbar war. ale, Keller, Pädagogisch - psyehometrische Studien. Erwähnen will ich noch, dass ich diese Sechwärme immer nur an der Oberfläche des Wassers, höchstens bis ca. 1 Meter Tiefe antraf. Dies sind in knappen Zügen die wichtigsten Ergebnisse meiner bisherigen biologischen Beobachtungen; sie beziehen sich freilich haupt- sächlich nur auf die täglichen Schenkungen des Planktons; zur Er- forschung der monatlichen oder in noch größeren Zeiträumen statt- findenden Oseillationen reicht die kurze Zeit eines Jahres nicht aus. Erst aus den Ergebnissen zahlreicher Jahre können in dieser Hinsicht wohlbegründete, richtige Schlussfolgerungen gezogen werden; es kann dies nicht die Aufgabe eines einzelnen Forschers sein, sondern gehört in das Programın der sieh immer mehr entwickelnden biologischen Sülwasserstationen. Budapest, den 20. September 1893. Pädagogisch-psychometrische Studien. 1. Vorläufige Mitteilung. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. (Schluss. h Die Ermüdungszeichnung, die E. J. 5. Uhr schrieb, bestätigt die Beobachtungen vom Vormittag. Die Zahl der Kontraktionen ist zwar unerheblich vermehrt; sie stieg auf 70. Dagegen ist etwa die 1. Hälfte der Zusammenziehungen kräftiger als an der Ermüdungszeichnung von 32° Uhr. Die Gesamtlänge der Maßstriche beträgt 0,815 Meter, die Di zur Erschöpfung der Beuger des rechten Mittelfmgers geleistete Arbeit betrug also, da die Belastung wieder 2Kg war, 1,65 Kgmeter. Wieder schließt sich nachfolgende Leseprobe an. Zahl der ge- Zahl der ge- | Zeit pro Wort Zeit pro Silbe Serie a lesenenWörter | lesenen Silben in Salsımlen in Su 1 IN jhlkzeg RE ne: z | | | Il 415 175 | 0,299 | 0,160 II | 420 795 | 0,283 | 0,149 1266 |... 2837 17 0,983 ne Summe Mittel Dieser Arbeitsleistung folgte eine weitere erhebliche Steigeruug der Maßstriche der Ermüdungszeichnung. E. J. vermochte 127! Kon- traktionen, von denen die ersten sehr bedeutende waren, auszuführen. Die Gesamtlänge derselben betrug 1,079 Meter; die geleistete Arbeit also 2,156 Kgmeter. So deutet die Ermüdungszeichnung auf einen Zustand starker Erregung. War doch wieder die Leistungsfähigkeit nahezu verdoppelt, gegenüber der Leistung von 3.20 Uhr. Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. 39 Nach den frühern Erfahrungen war also anzunehmen, dass damit (die Kurve der Leistungsfähigkeit ihren Höhepunkt erreicht habe, dass nun die Abspannung, die geistige Ermüdung folgen werde. Es scheint das, wie nachfolgende Tabelle zeigt, schon die vermehrte Zeit zum Lesen der Silbe, 0,165 Sek., anzudeuten, wenn anderseits auch gesagt werden kann, dass in frühern Serien dieser 5. Versuchsreihe diese Zahl auch schon überschritten wurde. Unzweideutig aber ergibt sich diese Abnahme aus der Ermüdungs- zeichnung von 4° Uhr. Die Zahl der Kontraktionen ist nicht einmal halb so groß wie an der vorigen Zeichnung. Die Gesamtlänge der Maßstriche ist ebenfalls nur noch eirca die Hälfte der vorigen, näm- lieh 0,5044 Meter und die geleistete Arbeit demnach 1,088 Kgmeter. Nach ?/ stündiger Ruhe war die Leistungsfähigkeit wieder bedeutend gestiegen. Durch 75 Kontraktionen wurde eine Arbeit von 1,7314 Kgmeter geleistet. Die Gesamtlänge der Maßstriche betrug 0,8657 Meter. Es mag überraschen, dass die Nachwirkung der Ermüdung nicht eine ausgesprochene war, dass die Erholung emen günstigern Zustand herstellte, als er nach der mittäglichen Ruhe bestand. Es ist das wohl darauf zurückzuführen, dass die Versuchsperson die Zeit des Ausruhens zum Abendessen (Kaffee, Milch, Brod) benutzte. SchonM osso weist darauf hin, dass kurze Zeit nach dem Essen die Werte der Maßstriche steigen. In dem gegebenen Falle lassen sieh also die Versuchsergebnisse etwa in folgender Weise zusammenfassen. Die zur Anwendung ge- brachte geistige Thätigkeit wirkt zunächst anregend. Sie vermehrt die Willensimpulse und erhöht ihre Stärke im allgemeinen etwa bis zur Verdoppelung der Leistungsfähigkeit, die nach nächtlicher Ruhe zu konstatieren ist. Wird alsdann die geistige Arbeit weiter fortgeführt, dann folgt ihr eine Schwächung der Impulse, es nähert sich mehr und mehr der Zustand der Abspannung. Während der Ruhe, die zeitlich der Arbeit nieht nur gleichkommt, sondern erheblich größer sein kann, wirkt die Abspannung nach und kann ihr Minimum nach einer längern Pause erreichen. Die Wirkung geistiger Arbeit, die ein nicht völlig ausgeruhtes Gehirn auszuführen hat, die sich also — auch nach längerer Pause — an eine vorangegangene (gleichartige) Bethätigung anschließt, kann zunächst durch die folgende Zusammenstellung illustriert werden. Wir bezeiehnen die Arbeitsleistung nach der nächtlichen Ruhe mit 100 (Fig. 1). Dann ergeben die suecessiven ergographischen Mes- sungen folgende Resultate. 1. Versuchsreihe. 2, Versuehsreihe., 100 s3 152 SB; ; 189 in \ eZeitider Arbeit -—_ 30 * Zeit der Arbeit 190 6) 5 Ye) [9 74) far: >» 33 nach der Pause s5 nach der Pause. 40 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. Diese Zusammenstellung zeigt uns, dass zwar die Arbeit den gleichen arbeitsfördernden Zustand der Erregung bewirkt, dass dem- selben aber sehr schnell der Zustand starker Abspannung folgt. Wie- der wirkt sie während längerer Zeit nach, mit andern Worten auch eine längere Pause vermag den normalen Zustand nicht herzustellen. Erst die mehrstündige Ruhe über den Mittag bringt wieder den ursprüng- lichen Zustand hervor. Man wird nun diesen Schlussfolgerungen gegenüber den Einwand erheben, dass sie vielleicht auf zufällige Veränderungen der Ermüdungs- kurve fußen, dass zwischen der geistigen Arbeit, die geleistet wurde und diesen Veränderungen kein kausaler Zusammenhang bestehe, dass vielleicht ohne diese geistige Bethätigung sich analoge Schwankungen ergeben hätten. Ohne weiteres gebe ich zu, dass diese psychophysiologische Methode leicht zu übereilten Schlüssen führen könnte. Für den kausalen Zusammenhang zwischen der geistigen Arbeit und dem Kurvenverlauf spricht aber doch wohl dessen Gleichartigkeit in den 3 aufeinander folgenden Versuchsreihen. Ich habe aber auch, um über diese Grundbedingung meiner Erörterungen keine Zweifel walten zu lassen, wiederholt ähnliche Versuch mit analogem Erfolge angestellt. Der Kürze wegen beschränke ich mich auf tab. Zusammenstellungen und Angaben über die am Ergographen aufgezeichneten Arbeitsmengen. Versuche vom 11. Februar 1893. Erste ergographische Messung 8.!° Uhr. Die Beuger des Mittel- fingers der rechten Hand meiner Versuchsperson E. J., die ein langer, guter, ununterbrochener Schlaf gestärkt hatte, vermochten bis zu ihrer Erschöpfung 83 Kontraktionen auszuführen. Die Maßstriche hatten eine Gesamtlänge von 0,7197 Meter. Es wurden mit jeder Kontraktion 2 Kg gehoben, also betrug die geleistete Arbeit 1,4294 Kgmeter. Die nun folgende geistige Bethätigung ergibt sich aus der nach- folgenden tabellarischen Zusammenstellung. | Zahl der ge- | Zahl der ge- | Zeit pro Wort Zeit pro Silbe Sr ‚ lesenenWörter | lesenen Silben | in Sekunden in Sekunden I 107. 17 20 area oz I 218 | 419 0,340 ei IH 207 | 401 14.0.3522 0,168 IV | 104 199 0,317 0,166 V | 212 415 0,340 0,174 VI | 216 407 0,522... 20,Lal var, | 215 ER Al | .0,382 ı 0,178 | 113 204 03T 0 1392 | 2652 > 0328 10173 N TT— m Summe Mittel Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 41 Nachdem in dieser Weise während 7! thätigung stattgefunden hatte, zeichnung auf. Die Zahl der Zusammenziehungen ist auf 62 gesunken. samtlänge der Maßstriche aber ist um 20°/, vergrößert. 0,8603 Meter; die geleistete Arbeit also 1,7206 Kgmeter. Nach einer kleinen Pause beginnt das Schnelllesen von neuem und dasselbe ergibt folgendes Resultat. /; Minuten eine geistige Be- zeichnete E. J. um 8.?° eine Ermüdungs- Die Ge- Sie beträgt Serie | Zahl der ge- Zahl der ge- | Zeit pro Wort | Zeit pro Silbe i | nee: lesenen Silben | in ann in asmder I | 498 784 ‚319 0,174 II | 422 158 N 39 0,156 III 420 196 0,519 0,168 1270 2792338 0,324 0,176 Summe Mittel Die unmittelbare geistige Bethätigung betrug in dieser Versuchs- serie 7 Minuten. Ergographische Messung 8. Uhr. Gesamtlänge der Malstriche 1,1284 Meter; also die Arbeit Zahl der Zusammenziehungen 89. 2,2568 Kgmeter. Es folgt eine Arbeitsleistung von 8 Minuten bestehend im Lesen von folgenden Zahlen (Serie I) und Wörtern. Zahl den | | | derie ge- Zahl der ge- | Zeit pro Wort Zeit pro Silbe lesenenWörter | lesenen Silben in Sekunden in Sekunden I | 150 272 0,459 0,253 II | 420 772 0,329 0,179 II | 417 782 0,332 0,177 IV | 450 784 0,510 OA 1267 2338 ( 9,3 24 0,176 u N T———— Summe exkl. I. Mittel exkl. I. Ergographische Messung 9 Uhr. Zahl der Kontraktionen 67; Ge- samtlänge 621,8 mm; Arbeit 1,2436 Kgmeter. Pause von 5, Stunden, hernach ergographische Messung. Zahl der Kontraktionen 54; Gesamtlänge der Maßstriche 0,3944 Meter, Arbeit 0,7888 Kgmeter. Es folgt eme Bethätigung von 14!/, Minuten. | Zahl SE Zahl der ge- der ge- | Zeit pro Wort | Zeit pro Silbe | lesenenWörter | lesenen Silben | in sekunden BR in Sekanden | ne TaLTTLeS WAT 22 ER Her SU Urt, I I|.1...1233 l . 2369 EEE ine II | 819 | 1580 | 0,358 0,184 II | 405 | 759 | 0,342 0,182 2457 Inow, 477 0,346 0,181 u —— a u— Summe Mittel nn nn l Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. Ergographische Messung 10° Uhr. Zahl der Kontraktionen 50; Länge der Maßstriche 0,6376 Meter; Arbeit 1,2752 Kgmeter. Nach 10 Minuten Pause folgt eine neue unmittelbare Bestätigung von fast 15 Minuten mit folgendem Ergebnis. 2501 Wörter mit 4786 Silben werden nach einander ohne Unter- bruch gelesen, Zeit pro Wort 0,356 Sek.; pro Silbe 0,1806. Ergographische Messung 11 Uhr. Zahl der Kontraktionen 45; Gesamtlänge 592,5 mm; Arbeit 0,785 Kgmeter. Eine Stunde Pause; dann eine neue Messung. Zahl der Zusammen- ziehungen 32; Gesamtlänge der Maßstriche 191,9 mm; Arbeit 0,3838 Kameter. Bezeichnen wir in der frühern Weise die Arbeitsleistung nach der nächtlichen Ruhe mit 100; dann ergeben die successiven ergographischen Messungen dieser 2 Versuchsreihen folgende Resultate: 1. Versuchsreihe. 2. Versucehsreihe. 100 55 | nn | Zeit der Arbeit - | Zeit der Arbeit S7 55 nach der Ruhe Du nach der Ruhe. Diese beiden Versuchsreihen stimmen dem Wesen nach völlig mit den frühern überein. Der Beginn der geistigen Bethätigung führt auch hier zunächst zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit; hat diese ein gewisses Maximum erreicht, dann fällt sie wieder. Fällt sie stark, so (lass während der Arbeit der Zustand der Ermüdung eimtritt, d. h. eine Leistungsfähigkeit, die geringer als die anfängliche ist, dann macht sich eine starke Nachwirkung geltend. Während «der Zeit der Ruhe, die nahezu doppelt so groß ist, als die Zeit der unmittelbaren geistigen Bethätigung, vermag die Versuchsperson nicht nur nicht auszuruhen, sondern ist in solch ermüdetem Zustande, dass die Leistungsfähigkeit auf die Hälfte gesunken ist. In der sich unmittelbar anreihenden neuen Versuchsreihe wiederholt sich das betonte Prinzip: Steigen und Fallen der Leistungsfähigkeit während der Arbeit, starke Nachwirkung während der Ruhe. Neben diesem allgemeinen mit früher gewonnenen Ergebnissen sich deckenden Resultate geht ein spezielleres, das gerade für unsere Ver- suchsziele besonders lehrreiech ist. Während in den frühern Versuchsreihen stets nur 1200— 1400 Wörter in 5—8 Serien gelesen wurden, die geistige Bethätigung also eben so oft, wenn auch nur kurz. unterbrochen wurde, während also die un- mittelbare Bethätigung nur U, —2"/, Minuten dauerte, kam in der zweiten der heutigen Versuchsreihe diese Unterbreehung auf fast 15 Minuten unmittelbarer Bethätigung nur 3 Mal vor, das eine Mal nach fast Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien. 4) 7 Minuten, das zweite Mal nach fast 5 Minuten, «das dritte Mal nach nicht ganz 2!/, Minuten. In der folgenden Reihe wurden 2500 Wörter ohne Unterbrechung gelesen. Die unmittelbare zusammenhängende Be- thätigung ist also in dieser Versuchsreihe eine intensivere, also eime belastendere als früher, ein Umstand, dem es vielleicht zuzuschreiben ist, dass die zum Lesen des Wortes nötige Zeit um 7—9°/, verlängert ist gegenüber der vorangehenden Versuchsreihe. Dass die Belastung zweifellos eine stärkere war, zeigt das Ergebnis der Kraftzeichnungen Nur die Annahme stärkerer Belastung macht es verständlich, dass em örmüdungszustand eintreten konnte, der die Leistungsfähigkeit fast auf Y, der ursprünglichen herabsetzte. Es scheinen also selbst kürzere Momente der Ruhe einen höchst wohlthätigen Einfluss auf das arbeitende Gehirn auszuüben, in ähnlicher Weise etwa, wie die Unterbrechung (des Sehens in die Nähe durch wenige Momente des Einstellens der Augen auf den Fernepunkt die Leistungsfähigkeit des Auges zu er- höhen vermag. Mit anderen Worten: die kontinuierliche, wenn auch nur relativ kurz dauernde Arbeit des Gehirns führt den Zustand starker Ermüdung viel schneller herbei als die gleiche Arbeit von gleicher Dauer, die aber durch kurze Momente der Ruhe unterbrochen wird. Versuche vom 26. August 1893. Die hesultate ergographischer Messung während zweier Versuche am 26. August will ich tabellarisch zusammenstellen. Die geistige Bethätigung entsprach jener während der beiden ersten Versuche vom 9%. Februar 1893. Mit jeder Kontraktion wurde 1 Kg gehoben. | (Gesamtlänge | Zahl der ae Zeit | der Maßstriche En ze Zusammen- in Metern 100 nr | ziehung oder Arbeit , en nF Kemetern TATEN ER 1 82 1,0452 100 ) 735 7C 3492 2 RE ü (0 Di 129 » Zeit der Arbeit 750 7o 0,8675 83 \ 83 61 0,6615 63 15 77 0,7965 76 nach der Ruhe (138 7° 0,7090 68 = En ER 2 ) Zeit der Arbei Yps 56 0,4980 48 ) Bei 11 [by |" 0,6718 64 nach der Ruhe. Im 2. dieser beiden Versuche führt also die geistige Arbeit aus- nahmsweise nicht zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit. Es hängt dlas vielleicht damit zusammen, dass der Zustand der Ermüdung im Ver- 44 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. suche, der unmittelbar voranging, sehr schnell und entschieden eintrat, die geistige Arbeit also vom Organ verlangt wurde, als es bereits während längerer Zeit (ca. 2 Stunden) ermüdet war. Der Gang der Ermüdungskurve lässt sich graphiseh aus den 3 im Voranstehenden beschriebenen Doppelversuchen in folgender Weise darstellen (vergl. Fig. 10). VII [IL g3 70... Bor] m: Müutb h) No oe sw ese Asa 130 Sehe ieh in der Gleichartigkeit des Verlaufes der Ermüdungs- kurven während der Arbeit den positiven Beweis für den Kausal- zusammenhang zwischen Arbeit und Kurvenverlauf, so lässt sich die außerordentliche Ungleiehmäßigkeit ihres Verlaufes bei mangelnder oder nieht kontrollierter Bethätigung wohl als negativer Beweis ansprechen. In gleichen Zeitabschnitten, in denen während der bisherigen Versuche die ergographischen Messungen aufeinander folgten, führte ich dieselben 5 Mal aus, ohne dass ich meine Versuchsperson irgendwie — weder geistig noch körperlich — bethätigt hätte. Sie gab sich völliger Ruhe hin, soweit davon bei einem jungen aufgeweckten Menschen, den man nicht durch Anästhetika dem Einflusse der Außenwelt entzieht, gesprochen werden kann. In keinem der 5 Fälle stimmte der Kurvenverlauf auch nur dem Prinzipe nach einmal mit einem andern überein. Einmal be- obachten wir ein Fallen, Steigen, Fallen; ein 2. Mal Steigen, Steigen, Steigen; ein 3. Mal Fallen, Steigen, Steigen; ein 4. Mal Fallen, Fallen; ein 5. Mal Fallen, Fallen, Steigen. Konstruiere ich aus den Ergebnissen von 4 Versuchen, von denen je zwei mit Unterbruch von einer Stunde unmittelbar aufeinander folgten, den Kurvenverlauf in ähnlicher Weise, wie ich den Kurven- verlauf der Ermüdungskurve für die Arbeit graphisch zur Darstellung brachte, dann ergibt sich folgendes Bild. (Die punktierte Linie deutet den Verlauf der Ermüdungskurve während der Arbeit an.) |Vergl. Fig. 11]. Versuche vom 17. Aug. und 12. September 1893. Die Versuchsreihen, in denen meine Versuchsperson lateinische Sätze zu lesen hatte, — E. J. hat seinen Lateinunterricht zu Ostern { ’ 1892 begonnen — sollten darüber Aufklärung geben, ob es auf ergo- graphischem Wege möglich ist, nieht bloß quantitative Unterschiede der Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. 45 Belastung durch eine bestimmte geistige Arbeit, sondern auch qualitative zu kontrollieren. Der psychische Vorgang, der sich abspielte, war wohl seinem Wesen nach der gleiche, wie wenn deutsche Sätze gelesen wurden: Erkennen und Wiedergeben von Wörtern. Da Wörter einer fremden Sprache an diesen Versuchen vom 17. August und 12. September ge- lesen wurden, deren erste Elemente nur dem Schüler vertraut sind, ist zweifellos der psychische Vorgang qualitativ vom frühern etwas verschieden. Denn wir beobachten ja selbstverständlich, dass wenn auch die zu den rasch sieh folgenden psychischen Akten gebotene Gesamtzeit — ca. 20 m — hier die gleiche war, wie früher, die Vor- gänge in geringerer Zahl sich abspielen als früher, mit andern Worten: Die Zeit zum Erkennen und Wiedergeben eines Wortes bezw. einer Silbe ist jetzt eine längere denn früher. Fig. 11. 0 Lo so go 110 140 160 80 240 Aus den oben angegebenen Tabellen berechnen wir die Zeit, die für Erkennen und Wiedergeben eines deutschen Wortes bei schnellen, zusammenhängenden Lesen nötig ist, zu 0,323 Sekunden, für die Silbe 0,172 Sekunden. Für ein lateinisches Wort war durchschnitt- lich eine Zeit von 0,507 Sekunden, für eine Silbe 0,224 Sekunden nötig. Der gleiche psychische Vorgang erscheint also für das Wort um 54°/,, für die Silbe um 30%, verzögert. Diese zeitliche Differenz dürfte wesentlich 2 Umständen zuzuschreiben sein. Wenn wir im ganzen psychischen Vorgange des Lesens nur 3 Phasen unterscheiden, indem wir 1 u. 2 und 4u.5 der Wundt’schen Analyse je als einen einzigen Vorgang in dem Sinne auffassen, dass die Phase 2 das Ende der Phase 1, die Phase 4 der Beginn der Phase 5 ist, dann dürfen wir wohl sagen: Die zeitlichen Differenzen haben ihre Ursache nicht in den Differenzen dieser beiden Phasen gegenüber den gleichen Phasen beim Lesen deutscher Wörter. Der Unterschied wird vor allem auf die ungleiche Dauer der Apperzeption zurückzuführen sein, da natur- gemäß die zeitliehe Dauer der Apperzeption um so mehr verlängert sein wird, je unbekannter, fremder das zu apperzipierende ist. So sehen wir, dass auch das lateinische Wort erheblich schneller, als das obige Mittel es angibt, erfasst und gesprochen wird, wenn es dem Schüler besonders bekannt ist. Lassen wir Sätze lesen, die der Schüler früher schon gelesen hat, dann sinkt die Dauer für das 46 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Lesen des Wortes fast genau auf das aus den beiden oben ange- sebenen Werten für das Lesen des deutschen und lateinischen Wortes Mittel, nämlich auf 0,454 Sek: pro Wort und 0,193 Sek. pro Silbe. Ander- seits steigt durch das Lesen von Wörtern in einem ihm fremden Lese- stück die Lesezeit erheblich, nämlich pro Wort auf 0,561 Sek.: pro Silbe auf 0,254 Sek. Die größere Zeit, die die Apperzeption beansprucht, ruft auch indirekt einer Verlängerung des psychischen Vorganges. Wir haben früher gesagt, dass die Zeit, die wir für Erkennen und Wiedergeben eines Wortes bezw. einer Silbe bestimmten, kleiner sei als die Zeit, in der für ein Einzelwort oder eine Einzelsilbe die fünf, bezw. 3 psychi- schen Phasen sich abspielen würden. Denn beim Lesen aneinander- sereihter zu Sätzen vereinter Wörter decken sich ungleiche Phasen rasch aufeinander folgender psychischer Vorgänge. Wir machen also in gleicher Weise einen Fehler, wie wenn wir eine Strecke in der Weise messen würden, dass wir den Anfang unserer Maßeinheit vor das Ende der vorangegangenen setzten. Beim Lesen lateinischer Wörter, die zu Sätzen vereint sind, wird dieses Deeken sich folgender Phasen weniger eintreten. Die Aufmerk- samkeit, die sich den fremden Wörtern zuwendet, ist in höherem Maße an das Einzelwort gebunden, als wenn es sich um Wortbilder handelt, (die dem Schüler völlig vertraut sind. Ich versuchte in eimer kürzlichen Versuchsreihe näherungsweise diesen mutmaßlichen Deckungswert der psychischen Vorgänge zu be- stimmen. Infolge vermehrter Uebung des Schülers war das Mittel für das Lesen des lateinischen Wortes auf 0,469 Sekunden gesunken. Zwischen dem Lesen des Abschnittes von vorn nach hinten und von hinten nach vorn ergibt sich eime nicht unbedeutende Zeitdifferenz. 3eim Vorwärtslesen kam auf das Wort eine Zeit von 0,425 Sek., beim kückwärtslesen dagegen 0,512 Sek. Diese Verzögerung von 20%, ist wohl ausschließlich darauf zurückzuführen, dass beim Rück wärtslesen die Wörter mehr als Einzelwörter gelesen werden als beim Vorwärts- lesen. Die 20%, stellen also — ich will nicht sagen den vollen aber doch wohl näherungsweise den ganzen Deckungswert der sich folgen- den psychischen Prozesse dar. Wenn also unser Schüler die lateinischen Wörter in emem ihm fremden Lesestück liest, dann werden wir 20°, der Lesezeit für ein Wort auf die stärkere Gliederung der sich folgen- den psychischen Prozesse, ich möchte sagen auf die Isolierung der Wörter durch die auf das Einzelwort gerichtete Aufinerksamkeit zurück- führen müssen. Der Ueberschuss über das Mittel der Lesezeit für ein deutsches Wort ist alsdann als Verlängerung der Apperzeptionszeit aufzufassen. Das Mittel 0,561 Sek., das wir oben als Lesezeit für das dem Schüler in ungewohnter Verbindung erscheinende oder fremde Wort Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 47 angaben, wird also zu 0,447, wenn wir die Möglichkeit der teilweisen Dedkene der beim Lesen rasch sich folgenden psychischen Vorgänge annehmen und es würde somit die Verzögerung von 30%, gegenüber dem Lesen des deutschen Wortes die verlängerte Apperzeptionsdauer (0,119 Sek.) sein. PN Die ergographischen Messungen lassen nun nach den mir vorliegen- den Versuchsergebnissen zu schließen, einen Einbliek in diese quali- tative Verschiedenheit der psychischen Vorgänge der frühern und der jetzigen Versuchsreihen gewinnen (vergl. Fig. 12). Fie. 12. 148 nn BT Si) Ei | | Ba | 4 1 Ru R | RE | N ver Lett op 230 a OERT RS kl 165” 190 [E25 Die N Kurve ist die Ermüdungskurve beim Lesen latei- nischer, die punktierte die Ermüdungskurve beim Lesen deutscher Wörter. Wohl ist der Typus des Verlaufes der Ermüdungskurve im allge- ineinen der der früher gezeichneten Ermüdungskurve. Wir sehen (lass auch hier die Thätigkeit vor der Pause einer stärkern, nach der Pause einer geringern Vermehrung der Arbeitsleistung ruft. Die Dif- ferenz des Kurvenverlaufes, also das, was ich geneigt bin als Aus- druck der qualitativen Verschiedenheit beider Serien psychischer Vor- gänge aufzufassen, besteht darin, dass die Kurve rasch auf geringerer Höhe bleibt, d.h. also die längere Dauer der 3. Phase der psychischen Vorgänge, der Apperzeption, wird von einer stärkeren Ermüdungbegleitet. Auch in diesen Versuchen vermag eine einstündige Pause den Zustand der ursprünglichen Leistungsfähigkeit nicht wieder herzustellen. In zwei spätern Versuchsreihen lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf ein ganz anderes Gebiet der Schulthätigkeit, auf das Singen. Der seelische Vorgang, der sich während des Singens eines Liedes ab- spielt, besteht wieder wie in den frühern Versuchen aus einer schnell sich folgenden Wiederholung analoger psychischer Vorgänge. Jeder einzelne von diesen ist aber offenbar komplizierterer Art als das Er- kennen und Wiedergeben eines Wortes, als das Lesen eines Wortes. Denn er besteht einmal in diesem Vorgang, mit dem «das Lesen eines musikalischen Schriftzeichens, einer Note verknüpft ist. Während zu- dem in den frühern Versuchen das schnelle Lesen ein Nachdenken über das Gelesene ausschloss, konnte dieses beim Singen des Liedes zum hechte kommen. 48 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. Es ließ sich daher erwarten, dass das Singen von Liedern, also das Lesen von Sätzen in bestimmtem Rythmus und in bestimmter Ton- lage eine ungleich stärkere Belastung sein würde als das bisherige Lesen. — Die beiden sich aneinander anreihenden Versuche stimmen zwar in dem Verlaufe der Ermüdungskurve nicht genau mit einander überein. Während der ersten Versuchsreihe führt die Thätigkeit unmittelbar in den Zustand der Ermüdung über, d. h. alle spätern ergographischen Messungen ergeben eine suceessive Abnahme der Leistungsfähigkeit gegenüber der ursprünglichen, im der zweiten trat während der sehr verminderten Leistungsfähigkeit einmal em Zustand der Erregung ein. Darin aber decken sich beide Versuchsreihen in überraschendster Weise, dass eine starke Verminderung der Leistungsfähigkeit die Thätigkeit des Singens begleitet; eine so bedeutende Verminderung, dass nach längerer Zeit fast ein Zustand der Erschöpfung eintritt. Versuche vom 28. August 1393. Morgens um 7 Uhr zeichnete E. J. seine Ermüdungskurve In früher angegebener Weise wird durch die Zusammenziehung der Beuger des Mittelfingers 1 Kg gehoben. In jeder Sekunde erfolgt nach dem Glockenschlag des Metronoms eine Zusammenziehung. Die Zahl der Kontraktion, die die Flexoren des Mittelfingers bis zu ihrer Erschöpfung auszuführen vermögen, beträgt 62, die Gesamtlänge der Maßstriche 0,8216 mm. Es ist also die geleistete Arbeit 0,5216 Kgmeter. E. J. singt nun während 20 m folgende Lieder: „Das Wandern“ von Schubert. — „Der Postillon“ von Lindblad. — „Morgenwan- derung“ von Klauer. — (Nr. 11, 18 und 147 in Weber, Gesang- buch für Sekundarschulen. ) 73° erfolgt eine ergographische Messung. Die Leistungsfähigkeit ist um 23°, gesunken. Die Zahl der Zusammenziehung ist zwar etwas vermehrt (76); dennoch ist die Gesamtlänge der Maßstriche auf 634,5 mm gesunken. Wieder singt E. J.; 7.3 Uhr zeichnet er die 3. Ermüdungskurve. Die beistuneslalieissit ie erheblich vermindert, gegenüber der vorigen um 39°/,, gegenüber der ursprünglichen um 53%,. Die Zahl der Zu- Bora eisen beträgt noch 565, die Gesamtlänge der Maßstriche 0,3564 m, also die geleistete uhste 0,5564 Kgmeter. Die 4. ergographische Messung ergibt eine Verminderung der Arbeitsleistung von 59|,. Nach 1'/,stündiger Pause wird von E. J. die Ermüdungskurve wieder gezeichnet. Die Leistungsfähigkeit hat wieder zugenommen. Die Kontraktionen sind kräftiger, wenn auch nicht zahlreicher, so dass die Gesamtlänge der Maßstriche 0,4461 m beträgt, die geleistete Arbeit Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 40) also 0,4461 Kgmeter. So ist also die Leistungsfähigkeit noch um 509, geringer als zu Anfang der Versuche. In analoger Weise wie in der beschriebenen Versuchsreihe singt E. J. während je 15—20 m. Die ergographischen Messungen ergeben folgende Resultate. Ergographische Messung 9.° Uhr. Zahl der Zusammenziehungen 59, Gesamtlänge der Maßstriche 0,4927 m, Arbeit 0,4927 Kgmeter. Ver- ininderung gegenüber der ursprünglichen Leistungsfähigkeit 40°|,. Ergographische Messung 10 Uhr. Zahl der Kontraktionen 61, Gesamtlänge der Maßstriche 646,5 mm, geleistete Arbeit 0,6465 Kgm., Verminderung der ursprünglichen Leistungsfähigkeit 21%,. Damit hat der Verlauf der Ermüdungskurve das Erregungsmaximum erreicht, dem nun eine starke Verminderung der Leistungsfähigkeit folgt. Ergographische Messung 10. Uhr. Zahl der Zusammenziehungen 57, Gesamtlänge der Maßstriche 0,251 m, Arbeit 0,251 Keameter, Vermin- derung der ursprünglichen Leistungsfähigkeit 60°/,. Nach einer Pause von 52 Minuten zeichnet E. J. eine neue Er- müdungskurve. Das Resultat ist außerordentlich überraschend; denn die lange Pause bringt keine Erholung, sondern sie zeigt in frappieren- der Weise die Nachwirkung der Ermüdung. Zahl der Kontraktionen 36, Gesamtlänge der Maßstriche 0,1239 m, Arbeit 0,1239 Kgmeter, Ver- minderung der ursprünglichen Leistungsfähigkeit S5%,. 5 Stunden später (1'/, Stunden nach dem Mittagessen) ist die völlige Erholung zu konstatieren. Die ergographische Messung ergibt gegenüber der ursprünglichen Leistungsfähigkeit eine Zunahme von 24 Prozent. Der Verlauf der Ermüdungskurve hat also während des Singens folgendes Aussehen (vergl. Fig. 13). Fig. 13. 0 30 48 04 WO 150 180 175 242 420 Versuche vom 16. August und 7. September 1893. In pädagogischen Kreisen wird die Stellung, welche dem Turn - unterrichte im Lektionsplane zukommen soll, oft diskutiert. Man bringt dabei das Turmen als Bethätigung des „Körpers“ in einen Gegensatz zu den übrigen Schulfächern, der Bethätigung „des Geistes“. Aus dem Voranstehendeu ersehen wir, dass die Ermüdung, welche eine XIV. 4 30 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Folge der Hirnthätigkeit ist, ihren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Muskeln hat, so dass wir jene geradezu durch die Leistungsfähig- keit der Muskeln bestimmen. Da also die Ermüdung nicht eine lokali- sierte Erscheinung ist, je beschränkt auf das in Anspruch genommene Organ, so darf man auch nicht die Turnstunde kurzhin als die Er- holungsstunde nach „geistiger Arbeit“ bezeichnen. Es wird vielmehr Sache des Experimentes sem zu bestimmen, ob überhaupt einmal das Turnen eine vorangegangene Ermüdung durch Gehirnthätigkeit zu paralysieren vermag, ob also für den dureh „geistige Arbeit“ ermüdeten Schüler diese „körperliche Arbeit“ eine Spezialform des Ausruhens bedeutet. So lag es für mich nahe, an meiner Versuchsperson auch den Einfluss des Turnens auf die Ermüdung ergographisch zu bestimmen. Die turnerische Bethätigung, die je während 20 m anhielt aller- dings von kleinen Pausen behufs Erläuterung einer Uebung gelegent- lieh unterbrochen — bestand in Bewegungen des Rumpfes und der untern Gliedmaßen. Eine besondere Bestätigung der obern Gliedmaßen (wie z.B. Armstoßen ete.) fand nicht statt. Wenn wir auch zweifellos annehmen müssen, dass die Ermüdung die Beschaffenheit des Blutes ändert, und dass sie eben aus diesem Grunde zu einer Allgemein- erscheinung wird, so ist es vielleicht nieht absolute ausgeschlossen, (lass sie in untergeordnetem Grade auch eine lokalisierte Erscheinung sein kann. Dadurch, dass ich die besondere Bethätigung der obern Gliedmaßen ausschloss, wollte ich dem Emwand begegnen, als sei (lie Arbeitsleistuug der Beuger des Zeigefingers eben durch die Thätigkeit der obern Gliedmaßen und nieht dureh die Thätigkeit der iibrigen Organe beeinflusst. So wurden Kniewippen, Kniebeuge, Gehen an Ort, Spreizen, Rumpfbeuge in mannigfaltiger Weise mit einander kombiniert. Der Gang der Ermüdungskurve während zweier Versuchsreihen kommt in folgenden Zahlen, welche die Arbeitsleistung bei jeder ergo- graphischen Messung — die erste — 100 gesetzt — bedeuten, zum Ausdruck. I. Versuchszeihe, Il. Versuchsreihe, 16. August 1893. 7. September 1893. 100 100 105 ie 32 R Während der Arbeit ä 5.) 32 58 64 Pause von 1 Stunde. Ss0 61 Während der Arbeit S0 54 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. 51 An den 2. Teil der ersten Versuchsreihe schloss sich nun un- inittelbar die „geistige Arbeit“ bestehend in schnellem Lesen deutscher Wörter an. Die erste Serie dieser geistigen Bestätieung ergibt folgendes Resultat. ul 2 ER ABERE ET EERN] SERÄNG BEE ER NE ePFEE Be REEL ERRIRRERS BERNIE BER 13722 772 N ER SEE Safe Zahl der ge- Zahl der ge- Zeit pro Wort Zeit pro Silbe |Nesenen Wörter lesenen Silben in Sekunden in Sekunden 1 | 108 206 0,352 0,184 I 230 395 0,343 0,202 Ill 216 402 0,361 0,194 IV 105 209 0,419 0,211 NE 216 428 0,386 0,192 NY 204 al 0,377 0,196 VII 205 414 0,413 0,204 vi 102 194 0,372 0,195 1356 2639 378 0,197 Summe — Mittel Die Zeitwerte pro Wort und pro Silbe sind um 15°, bezw. 14°), größer als die früher bestimmten Mittelwerte für das Lesen eines deutschen Wortes. In keiner der 8 Serien wird dieser Mittelwert — 0,328 für das Wort und 0,177 für die Silbe erreicht. Doch auch im Vergleich zu den Zeiten, in denen die gleichen Wörter in emem frühern Versuche gelesen wurden, zeigt sich heute eine Verzögerung um 8°, bezw. um 7°]/,. Diese Verzögerung gegenüber frühern Beobachtungen ist zweifellos auf die durch das vorangegangene Turnen erzielte Ermüdung zurück- zuführen. Die Ermüdungskurve, welche E. J. am Ende seiner turnerischen Uebungen zeichnete, gestaltet sich in folgender Weise: Bis zur Leistungs- unfähigkeit der Flexoren des Mittelfingers' können 55 Kontraktionen ausgelöst werden. Die Maßstriche haben eine Gesamtlänge von 301,61mm Mit jeder Kontraktion wurde 1 Kilo gehoben; die geleistete Arbeit ist demnach 0,3016 Kgmeter. Das Lesen erhöht nun, wie wir das von früher als typisch kennen lernten, die Leistungsfähigkeit, indem es einen Zustand der Erregung herbeiführt. Die Zahl der Zusammen- ziehungen erscheint um ein geringes vermehrt. Die Arbeit ist auf 0,3973 Kgmeter gestiegen. Ich lasse in 3 Serien 1257 Wörter mit 2327 Silben lesen. Die Zeit, welche pro Wort nötig ist, beträgt 0,572 Sek., pro Silbe 0,200 Sek. Auch in dieser Serie ist die zum Lesen nötige Zeit, wie nach dem Vorangehenden übrigens nicht anders zu erwarten war, verlängert 4# 52 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. De und zwar im Vergleich zum Mittel um 13°, für das Wort, um 16%, für die Silbe. Auch im Vergleich zur Zeit, die in früherem Versuche für die gleichen Wörter nötig war, zeigt sich eine Verlängerung um 109 bezw .91],- Die Ermüdungskurve, welche E. J. hernach zeichnete, deutet noch den Zustand der Erregung an. Die geleistete Arbeit ist wieder um ein geringes vermehrt. Die 3. Seriengruppe, welche nun zum Lesen kommt, hat folgende Ergebnisse: | Zahl der ge- | Zahl der ge- Zeit pro Wort Zeit pro Silbe Serie De lesenen Wörter | lesenen Silben in Sekunden in Sekunden l | act 638 0,405 0,198 1 | 319 608 0,392 0,206 ne |. AM 798 0,401 0,214 IV | 310 616 0,400 0,201 en 1364 3655 0400 | 0,204 u — u Summe Mittel Wieder zeigt sich also die Verlangsamung des psychischen Vor- gangs und zwar dem Mittel gegenüber um 22°, für das Wort und 15°, für die Silbe oder im Vergleich zum Mittel, das wir früher für (die gleichen Wörter bestimmten um 12°/,, bezw. um 10°,. Die Kurve, die nun gezeichnet wird, zeigt, dass die Abspan- nung eingetreten ist. Die Leistungsfähigkeit ist auf 0,3219 Kgmeter gesunken. Während der nachfolgenden emstündigen Pause zeigt sich eine sehr bedeutende Nachwirkung der vorangegangenen Thätigkeit. Nach Ablauf dieser Stunde ist die Leistungsfähigkeit auf 0,2508 Kgmeter ge- sunken und es bedarf einer weitern Stunde völliger Ruhe um den Zustand der Leistungsfähigkeit zu erzielen, der vor den Turnübungen nachgewiesen wurde. In welch bedeutendem Maße m unserem Falle die „geistige Arbeit“ durch die vorangegangene „körperliche“ beeinträchtigt wurde, zeigt die nachfolgende graphische Darstellung (vergl. Fig. 14). Fig. 14. HR 145 lös 1850 230 2190. IN wor u fon. Emery, Entstehung und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen. 5 Die punktierte Kurve bezeichnet den Verlauf der Ermüdungskurve beim Lesen nach vorangegangenem Lesen deutscher Wörter, die aus- gezogene nach vorausgegangenem Turnen. Lig. 15. E: g /6 HT 12 2 Jg 4 Uhr ar. Ich füge zum Schlusse dieser ersten vorläufigen Mitteilung meiner pädagogisch-psychometrischen Studien eime Kurve an, die ich aus den stündlichen ergographischen Messungen während 4 Schultagen berech- nete. Der Leser wird selbst gewisse Analogien zwischen dem Verlaufe früher gezeichneter Ermüdungskurven während geistiger Arbeit und dem Verlaufe der Ermüdungskurve während der Schulthätigkeit (vergl. Fig. 15) herausfinden. In einer spätern Mitteilung wird sich Gelegen- heit bieten eingehender auf diese Ergebnisse meiner ergographischen Untersuchungen einzutreten. Die Entstehuug und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen. Von Prof. C. Emery in Bologna. In einer kürzlich erschienenen Sehrift!) beschäftigt sich Weis- mann viel mit einem Gegenstand, welcher mich als Spezialkenner der Ameisen-Morphologie in besonderer Weise imteressiert. Die Ent- wicklung der mannichfachen Formen der sterilen Arbeiter geselliger Insekten war eben, was mich sofort beim Lesen der ersten Schriften Weismann’s über Vererbungsfragen, auf seine Seite im Streit gegen (den Lamarckismus führte. Die Wichtigkeit des Gegenstandes wird eine etwas ausführliche Behandlung desselben rechtfertigen: ich will hier versuchen, soweit wie möglich zu ermitteln, worauf der Prozess der Arbeiterbildung, sowohl ontogenetisch wie phylogenetisch beruht. Durch vielfach bestätigte Beobachtungen wissen wir, dass alle weiblichen, d. h. befruchteten Bier der Bienenkönigin denselben morpho- logischen Wert haben, nämlich, dass jedes derselben die Fähigkeit besitzt sich zu einer Arbeiterin oder zu einer Königin zu entwickeln. Der Gang der Entwicklung hängt von den Verhältnissen ab, welchen I) Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer, Jena 189. 54 Emery, Entstehung und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen. die Larve unterworfen wird: von Wohnraum und Nahrung. Vor Kurzem hat Grassi für die Termiten ähnliche Verhältnisse klargelegt, und zwar ist es ihm gelungen zu beweisen, dass es die Termiten in ihrer Macht haben, die Zahlenverhältnisse der Arbeiter und Soldaten zu regulieren und letztere je nach Bedürfnis zu züchten, ebenso wie sie die Geschleehtsreife anderer Individuen durch eme entsprechende Nahrung zur Erzeugung von Ersatzgeschleehtstieren beschleunigen können. Es liegt also nahe zu vermuten, dass die Arbeiter aller sesellig lebender Insekten auf ähnliche Weise aus Keimen, welche im Stande wären normale Geschlechtstiere hervorzubringen gezüchtet werden. Der Weibehendimorphismus der Bienen ist also vom Di- oder Poly- morphismus der Weibehen gewisser Schmetterlinge grundverschieden. Ist dieser im Keim bestimmt, also blastogen, so muss jener als erworbener, d. h. als somatogener betrachtet werden. Bei den Termiten betrifft em ähnlicher Nahrungs-Polymorphismus beide Geschlechter, indem bekanntlich sowohl Männchen als Weibehen zu Arbeitern und zu Soldaten gezüchtet werden können. Bei den Ameisen erreicht der Nahrungspolymorphismus der Weibchen einen hohen Grad bei solehen Arten, welche kleine und große Arbeiter, resp. Arbeiter und Soldaten haben und bei solehen, welche zwar nur eine Sorte von Arbeitern haben, die aber von den manchmal tausendfach größeren Weibehen sehr verschieden aussieht. Der Polymorphismus der Ameisen bietet mit dem der Termiten nicht zu verkennende Achnlichkeiten, welche mehrfach auf Konvergenz beruhen. Alles ist aber dabei nicht auf Anpassung zu beziehen, son- dern es dürfte Manches seinen Grund in allgemeinen Wachstumsgesetzen des Insektenorganismus haben. — Bei den meisten Poneriden unter den Ameisen sind die Arbeitermnen von den Weibchen nur wenig ver- schieden; nun habe ich von mehreren Arten (Odontomachus haematodes und chelifer, Pachycondyla villosa) Exemplare beschrieben, welche als Uebergangsformen zwischen Arbeiterinnen und Weibchen betrachtet wer- den missen, was besonders an der Ausbildung des Hinterleibes zu er- kennen war; der Thorax war wie sonst bei Arbeiterinnen gebildet, der Kopf aber bedeutend kleimer und besonders schmaler als der einer normalen Arbeiterin derselben Species. Aehnliches habe ich auch an flügellosen Weibcehenformen anderer Ameisen bemerkt. Gleicherweise ist der Kopf der normalen «eflügelten Weibchen solcher Ameisen, welche zweierlei Arbeiterinnen haben, fast immer minder entwickelt als der der großen Arbeiterinnen (Camponotus, Pheidologeton, Pheidole ete.); nur selten (einige Colobopsis und Oryptocerus) komnit der Kopf der Weibehen dem der größten Arbeiterinnen in Maß und Gestalt gleieh. — Hiemit verbinde ich die von Grassi festgestellte Thatsache, dass die sich zu Arbeitern und Soldaten differenzierenden Termiten-Larven vor Emery, Entstehung und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen. 55 Allem an der Größe ihres Kopfes erkennbar sind, welche bedeutender ist als die der Köpfe indifferent gebliebener oder sich zu Geschlechts- tieren entwickelnder Individuen. — Es schemt also der Verkümmerungs- prozess der Geschlechtsdrüsenanlagen in gewisser Beziehung zur stär- keren Ausbildung des Kopfes zu stehen. Ob dieses Wachstumsgesetz eine erst bei Ameisen und Termiten phyletisch entstandene Eigenschaft ist oder auf allgemeineren Bildungsgesetzen des Insektenleibes beruht, mag bis auf weiteres unentschieden bleiben. Es ist aber interessant, dass sich diese Eigenschaft bereits bei den Poneriden geltend macht, d. h. in jener Gruppe, die wir aus morphologischen Gründen einiger- maßen als den Stamm der Ameisen betrachten dürfen und trotzdem in dieser Gruppe ein auffallender Polymorphisinus des Arbeiterstandes nicht, oder nur bei vereinzelten Gattungen auftritt (mir ist nur der Fall von Procerat/ium bekannt). Der Arbeiterpolymorphismus kommt dagegen in allen anderen Gruppen in vielen Gattungen vor: so bei den meisten Doryliden!) und Camponotiden, bei vielen Myrmieiden und unter den Dolichoderiden bei Azteca. Der Polymorphismus der Arbeiter ist unter den Ameisen gewiss polyphyletisch entstanden, und dieses scheint wohl darauf zu deuten, dass ihm ein allgemeineres Gesetz der Körperentwicklung zu grunde liegt. Wo große und kleine Arbeiterinnen vorkommen, sind zweifelsohne die ersteren als primitiv anzusehen oder als solche die sich vom primi- tiven Zustand am wenigsten entfernt_ haben. Die kleinen sind dureh sekundäre Verkümmerung der großen entstanden. Hauptgrund zu dieser Annahme ist, dass die großen Arbeiterinnen oder Soldaten den Weibchen ähnlieher sind als die kleinen und sich in dieser Beziehung ungefähr so verhalten wie die Weibehen ähnlichen Arbeiterinnen der Poneriden und vieler Myrmieiden. Denn ist die Arbeiterbildung phyletisch als eine von fruchtbaren Weibchen ausgehende Differenzierung zu betrachten, so müssen die den Weibehen unähnlichsten Formen als die jüngeren gelten. Demnach lassen sich die verschiedenen Verhältnisse der Ameisen- Arbeiterinnen folgenderweise einteilen: I. Ameisen mit nur großen Arbeiterinnen: primitiver Zustand (fast alle Poneriden, viele Myrmieiden, manche Dolichoderiden und Cam- ponotiden). II. Ameisen ınit großen und kleinen Arbeiterinnen (Di- resp. Poly- morphismus des Arbeiterstandes) und zwar: a. gehen die extremen Formen dureh Zwischenstufen in einander über (viele Myrmiciden, die meisten Uamponotiden, Aztec« unter den Dolichoderiden); I) Ob die Doryliden, wie Forel annimmt, von Poneriden abstammen, und welche Beziehungen zwischen diesen zwei Gruppen bestehen, behalte ich mir vor an anderem Ort zu diskutieren. 56 Emery, Entstehung und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen b. bilden die großen und klemen Arbeiterinnen getrennte Kasten ohne Uebergänge: Soldaten und Arbeiter (Pheidole, Acantho- myrmex, einige Camponotus, darunter die meisten Arten der Untergattung Colobopsis). III. Ameisen mit nur klemen Arbeiterinnen, welche von den Weib- chen sehr verschieden sind. Werden abgeleitet von dimorphen Arten, in Folge von Schwund der großen Arbeiterinnen. Hierher gehören nur wenige Gattungen wie Solenopsis, Carebara und wohl auch Monomorium. Bei manchen Arten sind Spuren eines Dimorphismus erkennbar, welcher bei gewissen Arten, wie S. geminata, 8. nigella, M. destructor und einer neuen Art, die ich M. dispar nenne, stärker ausgeprägt ist, und an den sehr auffallenden Dimorphismus der mit Solenopsis nahe ver- wandten Gattungen Pheidologeton und Adromyrma erinnert. IV. Ameisen ınit einer einzigen Sorte von Arbeiterinnen, welche viel kleiner sind als die Weibehen, aber nicht aus dimorphen Formen entsprungen sind, sondern in Folge von Volumszunahme der Weib- chen relativ kleiner geworden, obschon sie den großen Arbeiterinnen anderer Arten gleichwertig sind. Manchmal sind die Arbeiterinnen in ihrer Größe ungleich, also in geringem Grad dimorph. -— Dieser Zu- stand ist in verschiedenen Gattungen polyphyletisch entstanden und besteht oft nicht bei allen Arten |Iridomyrmex, Dorymyrmex, viele Lasius, die meisten Urematogaster!)|. Die klein gebliebenen Männchen weisen auf die bei emigen Arten bestehende primitive Kleinheit der Weibehen. Bei Liometopum, welches wohl auch hierher gehört, sind die Männchen ziemlich groß; ebenso bei Tetramorium caespitum, welehe letztere Art einer Gattung angehört, wo die meisten Weibehen nur wenig srößer sind als die betreffenden Arbeiterinnen. Kine an diese Formenreihe sich anknüpfende Gruppe dürften die Doryliden bilden, bei welchen (nach Dorylus zu urteilen) riesig große, flügellose, aber von den Arbeiterinnen sehr verschieden gebaute Weib- chen existieren, dabei eigentümliche kolossale Männehen und oft auf- fallender Polymorphisinus der Arbeiterinnen. Die ganze Lebensgeschichte sowie die Phylogenie dieser Tiere sind aber noch zu sehr in dunkel gehüllt um hier behandelt zu werden. Auch von anderen Ameisen, die keine geflügelten Weibchen haben, sehe ieh hier ganz ab. V. Sehwund des Arbeiterstandes, in Folge von Parasitismus (voll- zogen bei Anergates und wohl auch bei Epoecus, angebahnt bei Stron- gylognathus). Bei Tomognathus scheint es keine normale Weibehen zu geben, sondern nur parthenogenetische Arbeiterartige. 1) Es hat zwar Andre eme dimorphe Art von Crematogaster beschrieben und bei vielen Arten unterliegt die Größe der Arbeiterinnen erheblichen Schwankungen. Trotzdem scheint mir eine Ableitung dieser Gattung von einer dimorphen Urform nieht wahrscheinlich. Emery, Entstehung und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen. 57 Stellen wir uns die Phylogenie des Arbeiterstandes der Ameisen in der Form, wie sie soeben skizziert wurde, vor, so bleibt noch zu er- mitteln, auf welchem Wege, dureh welchen intimen Mechanismus diese Entwicklung stattfand. Leider wissen wir über den Ursprung der Ameisen gar nichts; wir wissen nicht, aus welcher Art des Einzellebens das Gesellschaftsleben dieser Insekten sich entwickelte. Wir müssen also von einem Zustand ausgehen, wo die Gesellschaft bereits organıi- siert und ein wenig zahlreicher Arbeiterstand neben der fruchtbaren Mutter thätig war, d. h. von einer einfachen Gesellschaft, wie wir sie bei vielen Poneriden und Myrmieciden finden. Eine solche Gesellschaft besitzt bereits die Kunst sterile Weibchen zu züchten, was kaum anders geschehen dürfte als durch den Einfluss einer besonderen Nahrung; ist dem wirklich so, dann beruht die Arbeiterbildung auf einer be- sonderen heaktionsfähigkeit des Keimplasmas, welches auf die Ein- führung oder auf den Mangel gewisser Nährstoffe durch raschere Aus- bildung gewisser Körperteile und Zurückbleiben anderer in ihrer Entwieklung antwortet. Arbeiternahrung muss die Kiefer- und Gehirn- entwieklung gegen die der Flügel und der Geschlechtsorgane bevor- zugen, Königinennahrung umgekehrt. Dabei bestehen wohl auch quantitative Unterschiede (und diese sind wohl die älteren), in Folge deren die Arbeiterinnen kleiner bleiben als die Weibchen. Aus diesem Zustand lässt sich der Polymorphismus der Arbeiterinnen, wie er z. B. bei Pheidologeton und bei vielen Camponotus vorkommt dadurch ableiten, dass in Folge von Ausbildung des Instinktes der Arbeiterzüchtung, oder der Reaktionsfähigkeit des Keimplasmas, oder beider zugleich, die Form-Unterschiede zwischen fruchtbaren und sterilen Weibehen und die Großköpfigkeit der letzteren bedeutend zu- nahmen. Dieser stand in Verbindung mit besonderen Lebensgewohn- heiten, welche große Kraft der Mandibeln verlangten, wie Bohren in Holz, Nagen an harten Samen u. dergl. Aber zugleich mit dieser Spezialisierung der Großköpfer entstand das Bedürfnis minder differen- zierte, wenn auch minder starke Bürger zu erzeugen, und diese wurden sehr wahrscheimlich einfach in Folge von Sparsamkeit in der Nahrung, also durch Hunger klein gehalten. Ihre Entstehung und Differenzierung von den großen beruhte wiederum auf einer besonderen Eigenschaft des Keimplasmas, nämlich darauf, dass die mangelhaft ernährten Larven nicht verhungerten, sondern klein blieben und sich klein verpuppten, wobei nicht alle Organe durch den Nahrungsmangel gleich beeinflusst wurden. In der kleinen Formengruppe des Aphaenogaster ( Messor) barbarus1.., welche in Nord-Afrika in zahllosen Varietäten vorkommt, können wir diesen Entwicklungsgang in vielen Stufen verfolgen. Nach Forel’s schönen Beobachtungen sind bei der Subspeecies striaticeps die stärksten Großköpfer kleiner, die kleinsten Arbeiterinnen nieht so klein wie bei 58 Emery, Entstehung und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen > den anderen Formen der Art wie z. B. aegyptiacus; noch bedeu- tender ist der Unterschied bei barbarus i. sp. Bei einer verwandten Art, Messor arenarius F. erreicht der Polymorphismus einen Grad, wie er nur noeh vom ostindischen Pheidologeton diversus Jerd. übertroffen wird. — Reaktionsfähiekeit des Keimplasmas auf Art und Menge der Nahrung, resp. Vervollkommnung des Instinktes der Arbeiterzüchtung erweisen sieh in der eleichzeitigen Ausbildung der Großköpfer und Verkleinerung der Zwergexemplare. Die primitivste Form, M. striati- ceps, welehe sich an nicht dimorphe Aphenogaster-Arten anschließt, ist gegenwärtig selten, und wohl im Absterben begriffen. Aus dem Polymorphismus jener Ameisen, welche zwischen größten und kleinsten Arbeiterinnen eine kontinuierliche Formenreihe darbieten, lässt sich der Dimorphismus der Arten mit getrennten Kasten leicht ableiten. Neben solchen Gattungen wie Pheidole, wo alle Arten zwei scharf zu unterscheidende Sorten von Arbeiterinnen besitzen, kann man in anderen Gattungen, wie z. B. Camponotus (einschließlich des Sub- senus Colobopsis), die einzelnen Stufen des Trennungsvorganges ver- folgen. Es gibt Camponotus-Arten mit nur einer Arbeiterinnenform; die meisten Arten haben große und kleme Formen und dazwischen zahl- reiche Mittelformen; bei anderen sind wiederum die Mittelformen selten und emige, wie Colobopsis truncata haben nur die zwei extremen Formen behalten; sie erziehen keine Mittelformen mehr. Das Ausbleiben der Großköpfer in Folge von Veränderung der l,ebensweise lässt sich leicht verstehen: so z. B. bei den unterirdisch lebenden und karnivoren Solenopsis-Arten. — Ebenso die Vergrößerung des Leibesumfanges der Weibehen, welche eine Steigerung ihrer Frucht- barkeit als Folge mit sieh brachte und dadurch der Vermehrung der Arbeiter und der Macht der Gesamtkolonie vorteilhaft war. Die Theorie, welche ieh in hypothetischer Form durehzuführen versucht habe, ist also auf der Annahme begründet, dass die Arbeiter- bildung auf einer instinktiven Kunst der Arbeiterzüchtung beruht, dass (lie Entstehung des Arbeiterstandes mehr von der verschiedenen Qualität der Nahrung, die Differenzierung mehrerer Sorten von Arbeitern mehr von der Quantität derselben abhängt; dadurch wird ja nicht ausge- schlossen, dass auch in diesem letzteren Prozess qualitative Unter- schiede im Spiel seien; es ist dieses sogar wahrscheinlieh, wenigstens in einzelnen Fällen, wie bei dem von mir beschriebenen Melissotarsus Beccarii, welcher zwei gleichgroße aber mit verschieden geformtem Kopf versehene Arbeitersorten darbietet. Die Eigenschaften, durch welche sich die Arbeiter von den entsprechenden Gesehleehtstieren unterscheiden, sind also nieht angeboren oder blastogen, sondern er- worben, d. h. somatogen. Sie werden auch nicht als solche ver- erbt, sondern in Form einer dem Keimplasma zukommenden Eigenschaft Wasmann, Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne. 99 je naeh den Lebensverhältnissen während der Ontogenese verschiedene Entwieklungsbahnen einzuschlagen. Eime derartige Eigenschaft des Keimes können wir mit der erbliehen Anlage zu gewissen Krankheiten vergleichen, welche nur unter gewissen Bedingungen sich entwickeln, z. B. der erblichen Myopie. Das Auge ist beim erblichen Myopen zur Kurzsichtigkeit blastogen disponiert, wird aber erst dann kurzsichtig, wenn der Akkomodationsapparat durch anhaltende Arbeit übermäßig angestrengt wird. Die Myopie entsteht wie die Eigenschaften derAmeisenarbeiterinnen somatogen aufeinerblastogenen Anlage. Durch diese Annahme scheint mir das Problem der Arbeiterbildung verständlicher und seiner Lösung einen Schritt näher gebracht zu sein. Die Eigenschaften der Hymenopteren-Arbeiterinnen sind in jedem weiblichen Ei angelegt; die der Termiten-Arbeiter in jedem Ei beiderlei Geschlechtes, sie können aber erst in Folge besonderer Lebensverhält- nisse zur Entfaltung kommen: Bei der Phylogenese der eimzelnen Ameisenarten wurden nicht die Eigenschaften der Arbeiterinnen vererbt, sondern die allen befruchteten Eiern zukommende Fähigkeit, zu einer oder mehreren Sorten von Arbeitern gezüchtet zu werden. Es wurde auch der besondere Instinkt der Arbeiterzüchtung vererbt, welchen auch die fruchtbaren Weibchen als Begründerinnen neuer Gesellschaften besitzen müssen !). Sehr wahrscheinlich sind nicht nur die Eigenschaften der Arbeiter geselliger Insekten, sondern auch manche Merkmale anderer Tiere echte erworbene, d. h. somatogene und beruhen dann auf Einwirkung verschiedener äußerer Verhältnisse auf das sich entwiekelnde Individuum, oder auf der Funktion der verschiedenen Organe. Solche somatogene Eigenschaften werden dann scheinbar vererbt, weil ihre im Keim ent- haltenen Anlagen sieh unter denselben Verhältnissen im identischer Form und gleichem Maß entwickeln müssen. Zur Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne. Belträge zur Kenntnis der Morphologie, Biologie und Patho- logie der Nonne (Psilura monacha L.) und Versuchsergebnisse über den Gebrauchswert einiger Mittel zur Vertilgung der Raupe. Von Fritz A. Wachtl und Karl Kornauth. Mit 3 Tafeln in Photogravure und 8 Xylographien ım Text. Wien,&W. Frick, 1893. [Mitteilungen aus dem forstlichen Versuchswesen Oesterreichs, herausgegeben von der k. k. forstlichen Versuchsanstalt in Mariabrunn, Heft XV1.] Der morphologische Teil der Untersuchungen von Wacht! und Kornauth enthält namentlich eine eingehende Beschreibung der l) In einigen hochdifferenzierten Gesellschaften haben die fruchtbaren Weibchen diesen Instinkt verloren; so z. B bei Apis und wahrscheinlich auch bei manchen Ameisen. Die Weibchen sind dann nicht mehr fähig, einen nenen Staat zu gründen, sondern dieses geschieht durch Koloniebildung oder Aus- schwärmen 50 Wasmann, Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne, bisher wenig beachteten Warzen und Triehombildungen der Nonnen- raupe, mit einer sorgfältig ausgearbeiteten tabellarischen Uebersicht über die Verteilung der Warzen am Körper der Nonnenraupe und emer schematischen Darstellung der Warzenreihen am Körper der Raupe nach der ersten sowie nach allen folgenden Häutungen. Die neuge- borene Raupe (Spiegelraupe) besitzt nur tuberkelförmige, chitinöse Warzen, nach der ersten Häutung treten neben diesen auch noch zapfenförmige, fleischige Warzen von gelbroter oder roter Färbung auf. Die tuberkelförmigen Warzen bilden sechs Längsreihen, die „primären Warzenreihen“, von denen zwei dorsal, die übrigen lateral stehen. Die Triehombildungen der primären Warzenreihen sind teils kurze, steife, abstehende Borsten, teils abstehende Haare von ungleicher Länge. Erstere sind, ziemlich dieht gruppiert, nur auf den Warzen der beiden dorsalen Längsreihen und der beiden inneren lateralen Längsreihen vorhanden, während letztere auf den Warzen der beiden äußeren Lateralreihen stehen. Auf den beiden inneren Lateralreihen sowie auf der den Hinterrand der Afterklappe emsäumenden Querreihe von Warzen befinden sich außerdem noch, zwischen den Borsten ein- gestreut, ungewöhnlich lange fadenförmige Haare. Von besonderem Interesse ist der Bau der Borsten bei der Spiegel- raupe. Dieselben sind dreigliedrig, imdem zwischen eimen kürzeren Basalteil und einen längeren Spitzenteil em kugelförmiges Glied sich einschiebt, das von einer äußerst zarten, dünnwandigen, farblosen Membran gebildet wird. Es hat dieses kugelförmige Glied einen nahezu dreimal größeren Durchmesser als die begrenzenden Schaftstücke und ist mit Luft gefüllt; diesen Luftball nennen die Verf. Aörophor und die mit «demselben versehenen Borsten a@rostatische Borsten. Solehe aörostatische Borsten treten ausschließlich nur bei der neu- geborenen Raupe auf; denn schon während der ersten Häutung findet eme Umbildung derselben in gewöhnliche Borsten statt, denen der Aörophor fehlt. Von der ersten Häutung an trägt die Raupe nur noch Borsten der letzteren Art. Unter den verwandten haarigen Raupen, die stellenweise häufig in Gesellschaft der Nonnenraupe aufzutreten pflegen, besitzen nur die Spiegelraupen des Schwammspinners ähnliche aörostatische Borsten. Die biologische Bedeutung der aörostatischen Borsten ist nach den Verfassern ohne Zweifel darin zu suchen, dass sie gleichsam als aßöronautischer Apparat funktionieren, und infolge dessen das Ver- wehen der jungen Räupchen auf größere Entfernungen erleichtern. Außer dem morphologischen Bau der genannten Borsten spricht für deren a@ronantische Bedeutung auch besonders der Umstand, dass gerade die jungen Raupen der Nonne und des Sehwainmspinners es sind, die oft von ihren Fraßorten auf unglaublich große Entfernungen verweht werden, während dies bei anderen bekannten Raupen nicht oder nur Wasmann, Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne. 1 ausnahmsweise beobachtet wurde. Die Nützlichkeit dieses passiven Flugapparates für die Erweiterung des Fraßgebietes m Raupenjahren und dadurch für die Erhaltung und Vermehrung der Art ist selbst- verständlich. Aus dem biologischen Teile der Arbeit von Wachtl undKornauth müssen hier noch emige Versuche über die Ursachen des Melanis- mus der Nonne angeführt werden. Bekanntlich kommen bei diesem Schmetterling häufig Exemplare mit partiellem, manchmal auch solche mit totalem Melanismus vor, bei denen nicht bloß die weiße Grund- färbung der Flügel durch die schwarze Fleckenzeiehnung ganz ver- drängt, sondern auch die rote Farbe des Hinterleibes durch Schwarz ersetzt wird (var. oremita ©.) Von 183 Nonnenraupen, die anfänglich mit Kopfsalat, dann mit Fiehtennadeln aufgefüttert, und während ihres ganzen Raupen- und Puppenstadiums einer Temperatur von —— 16 bis + 20° R ausgesetzt und während dieser Zeit aueh vollständig trocken gehalten worden waren, entwickelten sich 95 Stück oder 54 Prozent zu Mela- nisinen, und von diesen waren wiederum 48 Prozent totale Melanismen (var. eremita). Andere Zuchten, bei denen auf Temperatur und Trocken- heit kein Gewicht gelegt und sowohl Raupen als Puppen entsprechend feucht gehalten, einer niedrigen Temperatur und größeren Temperatur- schwankungen ausgesetzt waren, lieferten hauptsächlich Schmetterlinge von der gewöhnlichen Form (monacha 1..), unter denen sich entweder &ar keine Melanismen oder doch nur einzelne Exemplare derselben fanden. Das Ergebnis dieser Versuche stimmt somit überein mit den Resultaten, zu denen schon früher Weismann und Dorfmeister bezüglich des Einflusses der Temperatur auf die Erzeugung von Schmetter- lingsvarietäten gekommen waren. Der bei der Nonne ebenfalls beobachtete Melanismus der Raupe hat dagegen keinen Einfluss auf den Melanismus des Schmetterlings, wie Waehtl schon früher nachgewiesen hatte!) und durch emen neuen Versuch bestätigte. Mehrere ausschließlich mit Kopfsalat gefütterte Raupen wuchsen ungewöhnlich rasch heran und zeigten durchweg eine grünlichweiße, auffallend helle Färbung. Der einzige Schmetterling, der zur Ent- wieklung gelangte, war ein Männehen der Varietät eremita. Früher!) hatte Wachtl umgekehrt aus schwarzgefärbten kaupen lediglich Schmetterlinge von der gewöhnlichen hellen Form (monacha 1.) ge- zogen. Ebensowenig wie bei der Färbung der Raupe lies sich bei der Art und Qualität der den Nonnenraupen gegebenen Nahrung ein ursäch- licher Einfluss auf den Melanismus des Schmetterlings erkennen. 1) Fr. A. Wachtl, Die Nonne. Naturgeschichte u. forstliches Verhalten des Insektes, Vorbeugungs- und Vertilgungsmittel. Im Anuftrage des k. k Ackerbauministeriums verfasst, 2. Aufl.. Wien 1892, 8. 4. 62 Wasmann, Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne. Die Pathologie der Nonne umfasst den größten Teil der Arbeit von Waehtl und Kornauth. Wir können hier nur einen kurzen Auszug geben aus denjenigen Versuchen, die auf Mikroorganismen als Erreeer der „Wipfelkrankheit“ der Nonnenraupe sich beziehen. 3ezüglich der Einzelheiten müssen wir auf das Original verweisen. Bekanntlich hatte Hofmann einen von ihm „Baecillus B* benannten Spaltpilz für den Erreger der Wipfelkrankheit erklärt, v. Tubeuf ein init jenem sehr ähnliches, vielleicht identisches „Baeterium monachae“. Hofmann hatte dureh Stiehinfektion mit Bacillus B an gesunden Raupen stets eine wirksame Ansteckung erzielt, während die Verfüt- terungsversuche v. Tubeuf’s mit Bacterium monachae ohne entschei- denden Erfolg blieben. In Mariabrunn und später in Pirmitz wurden nun von den Verfassern wiederholte sorgfältige Versuche angestellt mit Stichmfektion und Verfütterung der beiden genannten Bakterien. Aber von allen nach beiden Methoden behandelten Raupen er- krankte keine einzige. Die Verf. haben ferner eime große Anzahl wipfelkranker Raupen aus verschiedenen Gegenden untersucht; allein nur bei den von Augs- burg zugesandten Raupen ließen sich die beiden genannten Bakterien nachweisen, bei allen übrigen nicht. Die wipfelkranken Raupen wurden mittels Kapillarröhrehen angebohrt und das Blut bakteriologisch unter- sucht; ebenso wurde der ausgespuckte Vorderdarmsaft auf Bakterien geprüft: es fanden sich dabei alle möglichen Bakterien- formen, nur nicht die zwei gesuchten. „In Anbetracht des Umstandes, dass weder in unsern, noch in den Raupen, welche die Herren DDr. Scheuerlen und Tangl unter- suchten, diese Bakterien enthalten waren, was umsomehr ins Gewicht fällt, als ja namentlich Bacillus B in den kranken und toten haupen in wahren Reinkulturen vorkommen soll, will es uns viel wahrschein- licher erscheinen, dass Bacillus B und Bacterium monachae stand- örtliche Bakterien sind, welche aber mit der Krankheit nur in losem /usammenhange stehen mögen oder mit derselben überhaupt nichts zu thun haben“. „Auf jeden Fall hat sich bei unseren Versuchen erwiesen, wie übrigens auch Dr. v. Tubeuf gefunden hat, dass eine Infektion gesunder Nonnenraupen mit den Bakterienkulturen ganz aussichtslos ist“ (8. 22). Die angeblichen glänzenden Resultate, welche Forstmeister Schmidt in Ratiborhammer mittels Stichinfektion, wozu er den ausfließenden braunen Saft sterbender Wipfelraupen verwendete, erzielt hat, erklären sich nach den Verfassern einfach daraus, dass die Wipfelkrankheit in jenem Gebiete so stark hauste, dass die Raupen auch ohne jene künst- liche Infektion ebenso schnell umgekommen wären. Sollen doch Raupen, welche nur in die Nähe der (in Glasröhrehen mit Wattepfropf ver- Wasmann, Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne. 63 schlossenen!) Bakterienkulturen gebracht wurden, schon wipfelkrank geworden sein!! Ueberdies erscheint es noch fraglich, ob die wipfelkranken Raupen in jenem Revier mit dem Bacillus B behaftet waren; denn die Be- schreibung der von Schmidt angewandten heinkulturen stimmt mit den Erscheinungen bei Bacillus B durehaus nicht überein (8. 24). Als Hauptmoment zur positiven Erklärung der Wipfelkrank- heit (S. 26—32) geben Wachtl und Kornauth das Auftreten eigentümlich geformter polyedrischer Körncehen in den Geweben der noch bakterienfreien Raupe an. Zuerst scheinen diese Körnehen im Fettkörper aufzutreten, den sie bald vollständig erfüllen. Später erscheinen sie vereinzelt im Blut, und zwar in den Blutkörper- chen, dieselben schließlich ebenfalls völlig ausfüllend. Nach dem Bersten des Blutkörperchens treten die Körnchen aus und schwimmen nun frei in der Blutflüssigkeit umher. Zugleich findet man sie in nahezu allen anderen Organen, namentlich im Mastdarm-Plattenepithel. Diese Körn- chen sind auch Tubeuf aufgefallen. Während dieser sie jedoch ihrer Hauptmasse nach als Fett erklärte, bestehen sie nach den Verfassern hauptsächlich aus einem Eiweißskörper (vielleicht Nuklein), der aller- «dings 36 Prozent Fett enthält. Aehnliche Gebilde sind übrigens auch bei Menschen und höheren Tieren bei gewissen pathologischen Zu- ständen, z. B. im Verlaufe von schweren Infektionskrankheiten be- obachtet worden und führen dort den Namen „Körnchen der trüben Schwellung“, welche nach Virchow der Vorläufer der fettigen De- generation Ist. „In dem Vorhandensein der polyedrischen Körnchen ist somit ein Mittel geboten, schon dann das Auftreten der Wipfelkrankheit vorhersagen zu können, wenn sonst Boch lanze keinesÄnzeichen dafür Ispreeben” .(S. 31. Bei den von den Verfassern in Mähren und Böhmen angestellten Versuchen ergab sich nämlich, dass diejenigen Raupen, welche in ihrem Blute jene polyedrischen Körnehen zeigten, sonst aber noch ganz frisch und gesund schienen, guten Appetit hatten und hellgrün spuckten, nach acht Tagen sämtlich an der Wipfelkrankheit eingegangen waren, während von den wegen Mangels jener Körnchen als gesund bezeich- neten Versuchsraupen unterdessen keine einzige erkrankt war. Dieses Kriterium soll in diesem Jahre nochmals durch neue Versuche auf seine Allgemeinheit geprüft worden. Es bezeichnet jedenfalls einen schätzenswerten Fortschritt, wenngleich die Ursachen, die dem Auf- treten jener Körnehen zu Grunde liegen, noch verborgen sind. Da die sogenannte Schlaffsucht (Flacherie) der Seidenraupe ein von jener Wipfelkrankheit verschiedener Prozess zu sein scheint, an dem die Bakterien einen größeren aktiven Anteil haben, und ebenso auch zwischen der sogenannten Gelbsucht der Seidenraupen und der v4 toth, Terminologie. Wipfelkrankheit der Nonnenraupe bemerkenswerte Unterschiede sich zeigen, schlagen die Verf. vor, diese drei Namen nieht unterschiedslos zu gebrauchen, sondern für die charakteristische Krankheit der Nonnen- aupe den alten Ratzeburg’schen Namen „wipfeln“ und „Wipfelkrank- heit“ beizubehalten. Die mit Schimmelpilzen ( Botrrytis tenella Delae. und bassiana Bals.) vorgenommenen Versuche zur Hervorrufung von Mykosen bei der Nonnen- raupe schienen noch weniger Aussicht auf Erfolg zu bieten als die In- fektion mit Bakterien (8. 32). Unten den chemischen Präparaten zur Vertilgung der Nonnenraupe hat sieh bisher das Antinonnin (Ortho-Dinitro- Kresol- Kalium) als das beste erwiesen. Die Erfolge der Versuche von Harz und Miller werden auch durch die Versuche der Verf. bestätigt. Für die Raupen erweist sich die Bespritzung mit Antinonnin-Lösung tötlich, während die Pflanzen keinen wesentlichen Schaden leiden. Dasselbe Mittel dürfte auch zur Vertilgung anderer schädlicher Garteninsekten, Schnecken u. s. w. zu empfehlen sein. „Wenn es sich jedoch um den Schutz und die Er- haltung ausgedehnter Holzbestände handelt, wie im Walde, wird — ganz abgesehen vom Kostenpunkte — dieses sowie alle ähnlichen Mittel, deren Applizierung kolossale Wassermassen und große Spritzen voraus- setzen, praktisch kaum durehführbar sein“ (8. 35). Exaeten (Holland). E. Wasmann N. ). Klinische Terminologie. Von weil. Dr. Otto Roth. Vierte vermehrte und verbesserte Auflage. Gr. 8. XXX u. 522 Stn. Leipzig. Eduard Besold (Arthur Georgi). Diese neue Auflage ist von den Herren Kessler in Stuttgart und t. Stintzing in Jena bearbeitet. Vorausgeschiekt ist außerdem eine sprach- liche Einführung von Dr. H. Zimmerer, Gymmnasiallehrer in München. Die einzelnen, in der jetzigen klinischen Terminologie gebräuchlichen Ausdrücke sind alphabetisch geordnet und jedem eine kurze Angabe der Etymologie und eine knappe Begriffserklärung beigefügt, welche sich bei einzelnen wichtigeren Stichwörtern zu einer kurzen Auseinandersetzung über das Wesentliche unsrer heutigen Kenntnis des betreffenden Gegenstands erweitert. Da bei dem Zu- sammenhang der Wissenschaften untereinander ein solches Nachschlagebuch häufig gerade dem Nichtmediziner sehr erwünscht sein dürfte, so halten wir eine kurze Anzeige desselben an dieser Stelle nieht für überflüssig. Dem Nicht- fachmann muss vor allem daran liegen, dass die Auskunft, welche er sucht, eine zuverlässige ist. Und davon kann er bei dem vorliegenden Buch überzeugt sein, PR. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruekerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Belepreı: in Erlangen. 24 Nummern von je 24 Bogen bilden einen ‚ Band. Preis des Bandes 2 0 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 1. Februar 1894. Nr. 3, Inhalt: Ziegler, Die Urgeschichte der Familie vom Standpunkte der "Entwieklungs- lehre. — Reh, Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. — Ritzema Bos, Untersuchungen über die Folgen der Zucht in engster Bluts- verwandtschaft. — Bloehmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. — Bloch- mann, er in Lehrbüchern. — Bethe, Ueber die Erhaltung des Gleichgewichts. — Lendenfeld, Die systematische Stellung von Placo- spongia. — wer Zoologische Miszellen. — Stieda, Berichte über die russische zoologische Litteratur der Jahre 1888 — 1889, herausgegeben von G. Koschewnikow. — Zacharias, Ueber die Verteilung der Plankton- organismen innerhalb eines Sees. Die Urgeschichte der Familie vom Standpunkte der Ent- wicklungslehre. Heinrich Ernst Ziegler, Die Naturwissenschaft und die sozialdemokra- tische Theorie ete. Stuttgart, F. Enke, 1894. Die vorstehend bezeichnete, soeben erschienene Arbeit des Frei- burger Zoologen verdient in dieser Zeitschrift eine kurze Besprechung. Wendet sich dieselbe auch der Natur ihres Gegenstandes nach an weite Kreise und ist dementsprechend die Darstellung allgemein - ver- ständlich gehalten, so liegen in diesem Werke doch wissenschaftliche Untersuchungen vor, welche das Interesse des Biologen in hohem Maße beanspruchen dürfen. Es ist zwar meist eine undankbare Aufgabe, ein Grenzgebiet zwischen zwei Disziplinen zu behandeln, da eine derartige Arbeit von beiden Seiten 'mit Misstrauen aufgenommen zu werden pflegt. Solche Studien sind nun aber für die Wissenschaft schon deshalb unentbehr- lich, weil die geistige Einheit der letzteren nicht verloren gehen darf. m vorliegende Buch Ziegler’s betrifft ein Grenzgebiet, welches in die Biologie, die Be und Urgeschichte, die Nationaler nee und Geschichte eingreift und dessen Bearbeitung sich allmählich zu einer besonderen Disziplin, der Soziologie, entwickelt, deren Probleme nur durch entsprechende Berücksichtigung der genannten Wissenszweige befriedigend gelöst werden können. XIV. 5 b6 Ziegler, Urgeschichte der Familie. Es ist hier nicht der Ort, über das Verhältnis der Naturwissen- schaft und der sozialdemokratischen Lehre zu berichten. An dieser Stelle handelt es sich nur darum, auf die wissenschaftlichen Ausfüh- rungen des Verfassers hinzuweisen, insofern dieselben nach Durch- führung und Gruppierung neu sind. Was Ziegler im Vorwort aus- spricht, bedeutet nieht zu viel: sein Buch bietet in. der That die „Grundzüge einer naturwissenschaftlichen Soziologie“ dar. Aus dem reichen Inhalte der in Rede stehenden Arbeit soll hier nur ein Abschnitt herausgegriffen werden, die interessanten Erörte- rungen Ziegler’s über die Urgeschichte der Familie. Die scharfe, aber durchaus sachgemäße Kritik unseres Autors richtet sich in der Hauptsache gegen die von L. H. Morgan!) auf- gestellte sog. Promiskuitätstheorie, der zu Folge den Urzustand des Menschengeschlechts „ein durch keinerlei Familienordnung seregelter Verkehr der Geschlechter“ charakterisiert haben soll, und die auf dieser Grundlage konstruierte angebliche Entwick- lungsfolge der Blutverwandtschaftsfamilie, der Gruppenehe, der auf das Mutterrecht sich stützenden Gentilverfassung u. 8. w., bis wir zu den Zuständen der patriarchalischen Familienordnung gelangen. Es ist klar, dass, da die ursprünglichen Verhältnisse des Menschen- seschlechts nicht unmittelbar beobachtet sondern nur erschlossen wer- den können, Alles auf den Ausgangspunkt der Entwick- lungsreihe ankommt. Mit Recht bemerkt Ziegler: „Für den Naturforscher, welcher auf dem Standpunkt der Descendenztheorie steht, ist die Wahl dieses Ausgangspunktes nicht ganz willkürlich; es ist für ihn von vornherein wahrscheinlich, dass bei den Menschen die Verhältnisse des Familienlebens und überhaupt des geselligen Zu- sammenlebens ursprünglich ähnliche waren wie man sie bei den nächst- verwandten Tieren beobachtet“. In diesem Sinne hat schon Darwin ausgesprochen, „dass die von den Autoren vermutete allgemeine Ver- mischung der Geschlechter im Naturzustande äußerst unwahrscheinlich ist“. Die sorgfältige Beobachtung und Vergleichung der Lebensgewohn- heiten der jetzt lebenden Quadrumanen führten Darwin vielmehr zu dem Schlusse, „dass der Mensch ursprünglich in kleinen Gesellschaften lebte, jeder Mann mit einer Frau, oder, wenn er die Macht hatte, mit mehreren, welche er eifersüchtig gegen alle anderen Männer vertei- digte; oder es mag sein, dass er kein geselliges Wesen war und mit mehreren Frauen für sich allein lebte, wie man es beim Gorilla be- obachtet hat“. Ziegler hat nun zunächst Dasjenige, was wir zur Zeit über das Familienleben der Anthropoiden (Gorilla, Schimpanse, Orang-Utan und Gibbon): wissen, gesammelt und in einem besonderen I) L.H.Morgan, Ancient Society, London 1877, Deutsch von Eichhoff und Kautsky unter dem Titel: Die Urgesellschaft, Stuttgart 1891. Ziegler, Urgeschichte der Familie. 67 Zusatz übersichtlich zusammengestellt. Daraus geht unzweideutig hervor, dass die Art des Zusammenlebens dieser in morpho- logischer wie physiologischer Hinsicht dem Menschen am allernächsten stehenden Tiere durchweg anf einem mono- gamen Familienverbande beruht. Ferner macht Ziegler auf die psychologische Seite der Frage aufmerksam, indem er sich auf die alltägliche Erfahrung beruft, welche lehrt, „dass, abgesehen vom Hunger, die Liebe der Gatten zu einander, die Eifersucht bei beiden Geschlechtern und die Liebe der Eltern zu ihren Kindern die mächtigsten Triebe des Menschen sind und bei normalen Individuen mit überwältigender Kraft auftreten, so dass man an ihrer instinktiven Natur nieht zweifeln kann; wer diege psychologische Thatsache er- kannt hat, der wird niemals glauben wollen, dass im ganzen Menschen- geschlecht ursprünglich ein Zustand geherrscht habe, welcher diesen mächtigsten Trieben direkt zuwiderläuft“. Demnach muss der Zoo- loge es für durchaus wahrseheinlieh halten, dass schon in den Urzeiten des Menschengesehlechts ein Zusammen- leben in monogamer Familie bestand. Dieses Urteil des Zoo- logen findet erwünsehte Bestätigung von Seiten der neueren Ethno- graphen wie insbesondere Westermarek’s, deren Untersuchungen gleichfalls zur Ablehnung der Promiskuitätshypothese geführt haben. Do ergibt sich, dass das Fundament, auf welches Morgan seine Entwieklungsgeschichte der Familie gegründet hat, strenger Kritik nicht Stand hält. Wenn aber der Ausgangspunkt der Morgan ’schen Entwick- lungsreihe „falsch gewählt“ war, dürfen wir von vornherein annehmen, dass auch diese selbst unhaltbar ist. Und das trifft in der That zu. So erweist sich zunächst die Entwicklungsstufe der „Blutsver- wandtschaftsfamilie“, auf welcher im Gegensatz zu dem ver- ıneintlichen Urzustand „die eine Generation vom Geschlechtsverkehr mit der anderen ausgeschlossen“ sein soll, lediglich als ein Phantasiegebilde. Die Etappe der sog. Gruppenehe oder „Punaluafamilie“ sollte dadurch charakterisiert sein, dass bei ihr „die Brüder oder die Vettern verschiedenen Grades die gemeinsamen Männer ihrer gemein - samen Frauen waren, die aber nicht ihre Schwestern sein durften“. Erst auf dieser Stufe des Familienverbandes wäre also die Inzucht (oder der Incest) beseitigt worden. Dieser Lehre gegenüber bemerkt Ziegler treffend, dass es für den Biologen höchst unglaubwürdig sein muss, „dass der Incest erst auf der dritten Stufe der Kultur- entwicklung der Menschheit verschwunden sei; es ist vielmehr anzu- nehmen, dass er von Anfang an entweder gänzlich vermieden wurde oder doch eine Ausnahme bildete. Da, so viel wir wissen, bei den Tieren unter natürlichen Verhältnissen der Incest kein regelmäßiges oder häufiges Vorkommen ist, warum sollte er es beim Menschen- geschlecht gewesen sein?“ Im Tier- und Pflanzenreiche finden wir 15) D% 65 Ziegler, Urgeschichte der Familie. gerade die verschiedenartigsten Einrichtungen ausgebildet, um Inzucht, ja selbst die Befruchtung ferner verwandter Individuen hintanzuhalten ; die Annahme, dass in den ältesten Formen des Zusammenlebens der Menschen der Incest geherrscht habe, ist daher ganz unbegründet. Auch Westermarck gelangte vor Kurzem auf Grund umfassender Studien!) auf ethnographischem Gebiete zu dem Satze: „Der Abscheu vor dem Incest ist ein nahezu allgemeiner Charakterzug der Mensch- heit; die Fälle, welche das vollkommene Fehlen dieses Gefühles anzu- deuten scheinen, sind so außerordentlich selten, dass sie nur als anormale Ausnahmen von der allgemeinen Regel anzusehen sind“. Was nun die „Gruppenehe“ selbst betrifft, so wurde sie von Morgan „auf Grund der malaiischen Nomenklatur der Verwandt- schaftsgrade aufgestellt“. Ziegler betont mit Recht, dass es ein unwissenschaftliches, weil kritikloses Verfahren sei, „aus der Verwandt- schaftsbezeiehnung auf die thatsächliche physische Ver- wandtschaft zu schließen“. Von verschiedenen Seiten ist denn auch übereinstimmend festgestellt worden, dass die auf Hawaii üblichen Bezeichnungen mit wirklicher Blutsverwandtschaft Nichts zu thun haben; es handelt sich dabei lediglich um „Beziehungen des Alters, des Ge- schlechts und der äußeren, zwischen dem Angeredeten und dem An- redenden herrschenden gesellschaftlichen Stellung“. Die behauptete Existenz der Punaluafamilie erweist sich demnach ebenso als ein Produkt unkritischer Phantasie wie die Blutsverwandt- schaftsfamilie. Auf der folgenden Stufe, der auf das sog. Mutterrecht sich stützenden Gentilverfassung liegen bereits Verhältnisse vor, wie sie heute bei einzelnen Völkern noch thatsächlich vorkommen. Die Lehre vom Mutterrecht, ursprünglich von J. J. Bachofen begründet und dann von Morgan weiter ausgeführt, besagt, „dass die Verwandt- schaft durch die Mutter für wichtiger gilt, als die Verwandtschaft durch den Vater, und dass also die Kinder nach der Familie der Mutter benannt werden und die Vererbung des Vermögens, besonders des Grundbesitzes, ausschließlich der weiblichen Linie folgt; die Kinder gehören der Gens oder dem Clan der Mutter zu“. An dieses Mutter- recht werden nun recht weittragende Hypothesen geknüpft: die Promis- kuität soll dadurch als ursprünglicher Zustand nachgewiesen werden und ferner soll das Mutterrecht die Wurzel des herrschenden Vater- rechts vorstellen. Es würde viel zu weit führen, den kritischen Dar- legungen Ziegler’s über diese Fragen folgen zu wollen; Ref. muss sich auf die Angabe der Resultate der Ziegler’schen Kritik be- schränken. In ersterer Beziehung ergibt dieselbe, „dass das Mutter- recht keineswegs die Promiskuität voraussetzt, sondern sich sehr wohl 1) E. Westermarck, The history of human marriage, London 1891, Deutsch von Katscher und Grazer, Jena 189. Ziegler, Urgeschichte der Familie. 69 auf Grund eines monogamen oder polygamen Sexualverhältnisses er- klären lässt“. Was aber die angebliche Hervorbildung des geltenden Vaterrechts aus dem Mutterrecht betrifft, so wird der Biologe von vorn- herein „viel eher das Vaterrecht direkt aus den ursprünglichen Ver- hältnissen ableiten, als die Meinung derjenigen teilen, welche dasselbe aus dem Mutterrechte hervorgehen lassen“. In der That lassen sich die für jene Auffassung beigebrachten Argumente bei kritischer Be- urteilung nicht aufrecht erhalten und es zeigt sich deutlich, auf wie schwache Füße jene Lehre gestellt wurde. „Der Naturforscher, welcher das Vaterrecht direkt aus den primitiven Verhältnissen ableiten kann, wird demnach die genannte Lehre unbedenklich verwerfen. Somit fällt für ihn Alles in Nichts zusammen, was Morgan, Engels und Bebel von dem Uebergang des Mutterrechts in das Vaterrecht und den mit demselben verknüpften Konsequenzen!) erzählt haben“. Mit wenigen Worten sei noch der sog. „Paarungsfamilie* ge- dacht, eine Ausbildungsstufe, welehe Morgan zwischen die Gentil- verfassung und die Herrschaft des Vaterrechts einfügt. Sie stellt einen Zustand dar, „der noch nicht die Einehe war, aber sich ihr näherte“, im Grunde eine leicht auflösbare Einzelehe. Diese Vorstellung, nach welcher das Menschengeschlecht erst nach einer langwierigen Entwicklungsfolge zur Paarungsfamilie ge- langt sein soll, hat nun mit naturwissenschaftlicher Denkweise auch nicht das Geringste gemein; „man findet ja eine dauernde Paarung bei den höheren Tieren so vielfach vor und besteht die Paarungs- familie gerade bei denjenigen Tieren, welche dem Menschen am nächsten verwandt sind“. Auch hier gibt Ziegler — wieder in Form eines eigenen Zusatzes — einen leicht zu übersehenden Ueberblick über das einschlägige zoologische Material. Die wertvollen Darlegungen unseres Autors gipfeln in der Aufstellung dreier Ausbildungsstufen, welche hinsichtlich der „zwischen den beiden zur ge- sehleehtlichen Fortpflanzung zusammentreffenden Indi- viduen“ bestehenden Beziehungen unterschieden werden können. Die unterste Stufe der geschlechtlichen Fortpflanzung ist dadurch bestimmt, dass weder eine Begattung noch eine Paarung statt- findet. Die Spermazellen werden ins Wasser entleert und suchen zum Zwecke der Befruchtung durch aktive Wanderung die ebenfalls ins Wasser abgesetzten Eier auf. Diese einfachste Art sexueller Propa- sation tritt vornehmlich bei niederen Tieren wie den Spongien, Cni- dariern, Eehinodermen u. a. m. auf. Die zweite Stufe repräsentiert nach Ziegler die „Begattungspaarung“, bei welcher „zwei In- dividuen zum Zweck der Zeugung sieh zusammenfinden und alsbald 4) So wird behauptet, „dass die Geltung des Mutterrechts den Kommunis- mus bedeutete und das Aufkommen des Vaterrechts zur Entstehung und Herr- schaft des Privateigentums führte“. 70 Ziegler, Urgeschiehte der Familie. nachher sich wieder trennen“. Bei dieser Art geschlechtlieher Fort- pflanzung gibt es nicht selten „schon ein Liebesspiel, also ein auf In- stinkten beruhendes Werben und Fliehen, oder ein Umschmeicheln, welches der Begattung vorhergeht“. Nach derselben obliegt nur das eine Geschlecht, in der Regel das Weibchen, seltener wie beim Stich- ling (Gastrosteus aculeatus L.) und der Geburtshelferkröte (Alytes ob- stetricans Wagl.) das Männchen dem Schutze und der Aufzucht der Brut. Die Begattungspaarung findet sich bei vielen Würmern, den Arthropoden, den meisten Mollusken und unter den Wirbeltieren bei den Fischen, Amphibien und Reptilien, erweist sich also sehr weit verbreitet. Als die höchste Stufe der geschlechtlichen Vermehrungsweisen stellt sich die auf dauernder Paarung beruhende Fortpflanzung, welche auch durch die Beteiligung beider Geschlechter an der Brut- pflege charakterisiert erscheint, dar. Sie ist für die Vögel und Säuger typisch. Durchaus nicht immer ist die dauernde Paarung in der gleichen Weise ausgebildet, überall aber „ist ein psychisches Ver- hältnis zwischen den gepaarten Individuen vorhanden; sie erkennen sich, beweisen Anhänglichkeit und unterlasssen jegliche Feindseligkeit gegen einander; vor Allem unterstützen sie sich bei den Aufgaben der Brutpflege (beim Nestbau oder beim Brutgeschäft oder bei der Ernährung der Jungen und der Abwehr der Feinde)“. Dieses psychische Verhalten der gepaarten Tiere scheidet scharf die dauernde Paarung von der vorher besprochenen Begattungspaarung. Denn bei der letzteren handelt es sich im Wesentlichen bloß „um einen durch einen bestimmten Sinnenreiz ausgelösten Begattungstrieb, der mit dem Ablauf der Begattung sein Ende findet“. Jener psychische Charakter bedingt aber auch die Hervorbildung höherer instinktiver Triebe, vor Allem der Liebe in der zweifachen Form der Gatten- und Kindes- liebe und der Eifersucht. Das Sexualverhältnis, mit welchem Ausdruck Ziegler die zwischen den Individuen bestehenden Geschlechtsbeziehungen kurz be- zeichnet, kann natürlich ein monogames oder polygames sein. Gerade bei den höchstentwickelten Formen aber, den menschenähnlichen Affen, herrscht, wie schon hervorgehoben wurde, Monogamie. Demnach wird „auch für den Menschen ein dauerndes monogames Sexualverhältnis das Ursprüngliche und Naturgemäße“ darstellen. — Fassen wir das Gesagte zusammen, so erhalten wir das wichtige Sehlussergebnis, dass die von Morgan aufgestellten Theorien über den Urzustand und die Entwicklungsgeschichte der Familie im Lichte der modernen Entwieklungslehre sich ausnahmslos als unhaltbare, der Einsicht des Biologen zuwiderlaufende Konstruktionen herausstellen; an ihre Stelle haben Vorstellungen zu treten, welehe von zwei verschiedenen und von Reli, Vererbung erworbener Eigenschaften. 11 einander unabhängigen Seiten her, der zoologischen und ethnographi- schen, zusammenstimmende und deshalb in erhöhtem Maße bedeutungs- volle Beglaubigung finden. Das Mitgeteilte wird genügen, um zu erkennen, dass es sich in der Ziegler’schen Arbeit um interessante und für den Biologen wert- volle Darlegungen handelt. Sie bieten einen ersten und gelun- genen Versuch, Fragen der Soziologie vom Standpunkte der zoologi- schen Forschung näherzutreten und legen dadurch die Bedeutung klar, welche den Ergebnissen der letzteren für die Lösung soziologischer Probleme zukommt. F. v. Wagner (Straßburg i. E.). Zur Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. Von Dr. L. Reh in Hamburg. Nach wie vor tobt der Kampf um die Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften. Auf der einen Seite Häckel mit seinen Anhängern, die in diesem Prinzipe in erster Linie das ausgestaltende Moment in der Fortentwicklung der Organismen finden, auf der andern Seite Weismann und seine Schule, die diese Vererbung hartnäckig leugnen. So heftig, mit allen Waffen des Geistes und der Wissen- schaft, der Streit geführt wird, so nutzlos und überflüssig scheint er ınir zu sein. Suchen wir doch nicht immer zu trennen, nicht immer das Unterscheidende zweier Theorien hervorzuheben, sondern bemühen wir uns das Gemeinsame, Verbindende auszufinden, womöglieh beide zu einer zu vereinen! Gerade in diesem Falle scheint mir dies so einfach zu sein, dass ich mich wundere, wie dieser Streit überhaupt entstehen konnte. Und nur diese Ueberzeugung und die, dass in der Erregung des Kampfes gerade die einfachsten Dinge am leichtesten übersehen werden, ermutigen mich zu dem Wagnisse, in den Streit zweier solcher Koryphäen einzugreifen. Zum Voraus will ich bemerken, dass mir die Verschiedenheit beider Ansichten überhaupt nicht zu bestehen scheint. Wie ich die Schriften Darwins immer verstanden habe, umfasst dessen wunder- bare Lehre schon beide. Dass jede zu einer speziellen, der andern gegenübertretenden Theorie zu werden vermochte, hat meiner Ansicht nach seinen Grund nur in der bei beiden Parteien einseitigen Hervor- hebung eines besondern Unterprinzipes des Darwinismus. Betrachten wir, um was es sich handelt. Häckel behauptet: Erworbene Eigenschaften vererben sich, Weismann: Nicht erwor- bene, sondern nur angeborene, im Keimplasma gegebene, also ge- wissermaßen prädestinierte Eigenschaften vererben sich. Häckel stützt sich vor Allem auf die Vererbung besonders hervorstechender, in gewissen Individuen scheinbar plötzlich auftretender geistiger oder 2 Reh, Vererbung erworbener Eigenschaften. körperlicher Eigenheiten, z. B. also auf die Familien von Künstlern, Gelehrten, Haar-Menschen u. s. w. Weismann dagegen beruft sich hauptsächlich auf die Experimente, die von verschiedenen Seiten zur Lösung dieser Frage angestellt wurden, wie das Abhauen von Schwän- zen bei Ratten und Hunden u. s. w. Bekanntlich wurden solehe Ver- stiimmelungen so gut wie nie vererbt. Hier ist der wunde Punkt. So verschieden vielleicht auf den ersten Blick beide Ansichten zu sein scheinen, so unendlich einfach ist die Lösung, so einfach, dass es mir völlig unbegreiflieh ist, wie da überhaupt eine Streitfrage entstehen konnte. Es ist dies ein pracht- volles Beispiel dafür, wie gerade die einfachste Logik selbst die geist- reichsten Männer in der Erbitterung des Kampfes oft im Stiche lassen kann. Um was dreht sich denn eigentlich die Frage? Doch um die Vererbung „erworbener Eigenschaften“! So einfach dieser letztere Begriff zu sein scheint, so sehr ist er, speziell von der Weismann’schen Schule, missverstanden worden. Was ist denn eine erworbene Eigen- schaft? Wenn wir heute einer Ratte den Schwanz abschlagen, einem Menschen das Bein amputieren, einem Affen das Gehirn herausnehmen, ist denn dann die Schwanzlosigkeit eine „erworbene Eigenschaft“ der Ratte, die Einbeinigkeit eine des Menschen, die Gehimlosigkeit eine des Affen?! Stellt man so direkt diese Frage, so wird jedes Kind darüber lachen! Und doch haben die größten Experimentatoren und Physiologen hiermit gearbeitet und, indem sie die Frage bejahten, die Vererbung „erworbener Eigenschaften“ geleugnet! Wenn wir uns mit dieser Frage beschäftigen wollen, müssen wir uns doch erst über die Begriffe klar werden. Eine „Eigenschaft“ ist doch jedenfalls eine Bildung, die einem Or- ganismus „eigen“ ist, d. h. in seinem Baue begründet ist. Und „er- worben“ nennt man doch eine Eigenschaft erst dann, wenn sie im Laufe des individuellen Lebens sich heranbildet, so dass sie früher oder später in Erscheinung tritt. Und hierzu muss sie doch immer in der Anlage, oder, landläufig ausgedrückt, muss die Anlage dazu vorhanden sein. Die Sache ist so selbstverständlich, dass, wenn wir beim Menschen von „erworbenen“ Kenntnissen, Fähigkeiten u. s. w. reden, ‚Jedermann von vorn herein annimmt, die Anlage dazu muss, wenn auch in noch so geringem Grade, vorhanden gewesen sein. Und genau so ist es in der Tierwelt. Es wird wohl Niemand erwarten, dass ein Löwe plötzlich ein Geweih bekommt, oder ein Pferd einen Elephantenrüssel oder ein Maulwurf ein Paar Vogelflügel! Und doch wäre das nicht so unlogisch, als wenn eine Ratte, der man den Schwanz abgehauen, plötzlich schwanzlose Junge zur Welt bringen sollte u. s. w.! Selbst wenn man solche Verstümmelungen einige Ge- nerationen hindurch vornimmt, beweist man nichts. Einmal arbeitet flie Natur nicht mit Verstümmelungen, sondern nur mit herediven wos Reh, Vererbung erworbener Eigenschaften. ( Charakteren, wie sie Häckel nennt, und mit Anpassungen; und dann benutzt sie zu ihren Umformungen nicht 10, 20 oder 30 Generationen, sondern Tausende und, wenn sie will, Millionen. — Ein Gutes haben jene Experimente aber doch gehabt. Sie haben nämlich die Nichtig- keit aller jener Theorien, die dem individuellen Aufbau des Organismus bei der Zusammensetzung des Keimplasma eine allzugroße Rolle bei- maßen, bewiesen. Nun zur Sache selbst. Wie haben wir uns also die Vererbung erworbener Eigenschaften zu denken? Ich glaube sehr einfach! Sämmtliche Junge eines Elternpaars sind individuell verschieden, und zwar nach allen möglichen Richtungen. Diese angeborenen Bigen- schaften leiten ihren Ursprung gewiss aus dem Aufbaue der elterlichen Organismen her. Vor allen Dingen mögen hier die feineren Verhältnisse bei der Befruchtung und später bei der Lagerung und Ernährung im Uterus ausschlaggebend sein. Genaueres hierüber wissen wir nicht. Jene individuellen Eigenschaften der Embryonen sind dreierlei. Ein- mal solche, die den Tieren später schaden. Ihrer sind gewiss wenige. Dann solche, die indifferent sind. Ihrer sind, wenn über- haupt vorhanden, noch weniger. Die endlich, die den Individuen jetzt und später von Nutzen sind, überwiegen gewaltig. Aber sie sind in verschiedenster Ausbildung vorhanden, hier nach der Seite, dort nach jener und bei anderen nach noch anderen Richtungen. Also quali- tativ sind sie verschieden. Aber natürlich auch quantitativ, hier kaum bemerkbar, dort stärker, bei weiteren besonders hervorragen(. Selbstverständlich sind diese Unterschiede so gering beim Neuge- borenen, dass ein ungeübtes Auge sie völlig und selbst das geschärfte Auge des Züchters sie großen Teiles übersieht. Diejenigen Jungen, die in irgend einer Richtung besonders günstig ausgestattet sind, sind natürlich allen ihren Geschwistern im Kampfe ums Dasein überlegen. Aber noch mehr! Mit dieser angeborenen Eigenschaft habe sie einerseits die Anlage, diese weiter ausbilden zu können, also die Anlage zu ihr, wie man gewöhnlich sagt, anderer- seits aber auch den instinktiven Trieb, diese Anlage ausgiebig zu be- nutzen, geerbt. Sie fangen damit in den ersten Stadien ihres Em- bryonallebens an; wenn sie in den aktiven Kampf ums Dasein ein- treten, fahren sie mit verstärkter Kraft fort. Gemäß dem Gesetze der funktionellen Anpassung erhalten jene Organe eine größere Blutmenge, also Ernährung; die Nerventhätigkeit wird durch die fortgesetzte Uebung ständig erleichtert u. s. w. Kurzum, die in der Anlage vor- handenen, beim Neugeborenen kaum bemerkbaren potentiellen An- passungen, werden beim Erwachsenen so deutlich und auffallend, dass man sie eben „erworbene Eigenschaften“ nennt. Hiermit kommt der glückliche Besitzer dieser Eigenschaften, der ja seinen Geschwistern und der Mehrzahl seiner Vettern im Kampfe ums Dasein schon sehr TA Reh. Vererbung erworbener Eigenschaften. bemerkbar überlegen ist, besser zur Fortpflanzung, und wird seine aus „ererbten Anlagen“ hervorgegangenen „erworbenen Eigenschaften“ in höherem Grade einer größeren Anzahl von Jungen vererben. Und dies geht so weiter, bis nach einer gewissen Anzahl von Generationen die „Vererbung erworbener Eigenschaften“ eine Thatsache ist. Wie verhält es sich nun mit jenen sonderbaren Erscheinungen, die uns in den Familien der Haar-Menschen u. s. w. entgegentreten ? Können wir da von Vererbung erworbener Eigenschaften reden? Wohl nicht!; eher dagegen von Vererbung angeborener, im Keime enthal- tener Eigenschaften, wenn auch nicht gerade im Sinne Weismanns. Wir haben es hier unzweifelhaft mit Fällen von Atavismus zu thun. Fehlt uns auch jegliche Erklärung, denn keine der vielen Vererbungs- Theorien, mit Ausnahme vielleicht derjenigen von Haacke!), genügt auch nur irgendwie, so ist die Thatsache des Atavismus doch nicht zu leugnen. Und ebenso plötzlich, wie diese Missbildungen auftreten, ebenso plötzlich verschwinden sie wieder. Also können wir von Ver- erbung eigentlich kaum reden. Anders verhält es sich mit der Vererbung von Krankheiten. »>ie schemen und sind auch das treifendste Beispiel von Vererbung er- worbener Eigenschaften, wenn auch nieht in dem Sinne, in dem man diesen Begriff gewöhnlich auffasst. Für sie scheint meine oben aus- einandergesetzte Ansicht kaum zu passen. Und dennoch glaube ich es. Sie sind eben keme „neu“ erworbenen Eigenschaften, sondern trotz alledem nur ausgebildete. Schwindsucht, Syphilis und wie jene schreck- lichen Heimsuchungen der Menschheit alle heißen, sind eben Eigen- schaften des Menschen, d. h. sie sind latente, dem menschliehen Or- ganismus innewohnende, „eigne“ Krankheits- Anlagen, die eben gottlob nur so schwach sind, dass sie von anderen Eigenschaften, speziell der Widerstandsfähigkeit der menschlichen Materie gegen jene Gifte für gewöhnlich im Zaume gehalten werden. Treten dann einmal beson- ders ungünstige Umstände ein, so bilden sie sich nicht neu, sondern nur ihre Anlage bildet sich aus. Es sind also gewissermaßen negative Anpassungen. — Wäre nur die von Weismann so sehr betonte Prädisposition oder Anlage das wirkende Moment, so müssten sich eine Masse Eigen- schaften entwickeln, die den betreffenden Tieren völlig ohne Nutzen wären, wir hätten also eine Welt voll Monstrositäten. Wäre umge- kehrt nur die von Häckel hervorgehobene Vererbung von „Anpas- sungen“ Ausschlag gebend, so wäre dieser ja keine Grenze gesetzt und von Systematik könnte keine Rede sein. Aber eben diese Grenzen, die in der systematischen Stellung der Tiere gegeben sind, umschließen die hierdurch erlaubten 'Anpassungs-Richtungen. Gerade die syste- matische Stellung bedingt die Variations- und Anpassungs - Möglichkeit. 4) Siehe dessen „Schöpfung der Tierwelt“ u. s. w. Ritzema Bos, Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft. 75 Und was bedeutet dies anders als: die generellen Eigenschaften oder Ver- erbungen, eben die „im Keime enthaltenen Anlagen“?! Es ist nun allerdings möglich, dass sich auf Grund dieser Anlagen Eigenschaften entwickeln, die das Maß der Anpassung zu überschreiten scheinen, ja sogar direkt schädlich wirken. So kann man ruhig annehmen, dass jene riesigen Urwelt-Tiere gerade durch ihre ungeheure Größe dem Untergange verfallen, ebenso wie die jetzt lebenden ihm geweiht sind. Dieses Uebermaß von Größe können wir wohl kaum als Anpassung betrachten, sondern müssen eine besondere Bean- lagung annehmen, die diese Tiere so sehr das Mittelmaß überschreiten ließ, bezw. lässt. — Vielleicht müssen wir hierher auch den auf Kosten des übrigen Körpers so ungeheuer wirkenden Ausbildungstrieb des menschlichen Gehirnes rechnen. Nicht hierher zählen möchte ich dagegen jene mannigfachen Ge- bilde, für die wir keine Erklärung finden, trotzdem sie uns so oft auf- stoßen. Ich meine die so verschiedenartigen Formen der Geweihe, die bunten Farben vieler Konchylien unter einem oft einfach grauen Ueberzuge, die so herrlich schön und kunstvoll gebauten Stacheln der Seeigel u. s. w. Wenn wir diese Erscheinungen auch nieht verstehen und uns kein Grund für sie einleuchtet, so ist ein soleher doch wohl vorhanden. Ich möchte sie doch Anpassungen, wenn auch nur in- direkter Art, nennen. — Fassen wir zum Schlusse noch einmal kurz zusammen: Nicht um Vererbung „operativer Verstümmelungen“, sondern um die „erworbener Eigenschaften“ handelt es sich. Diese ist unzweifelhaft vorhanden. Aber sie setzt eine bestimmte, der betreffenden Form innewohnende und dureh die syste- matische Stellung gegebene Anlage voraus. Auf diese hingewiesen zuhaben ist das große Verdienst Weismann’s. „Was die sogenannte „somatogene*“ Anpassung betrifft, also die in höherem Lebens-Alter, so ist auch sie keine völlige Neuerwerbung, sondern nur eine Ausbildung latenter Eigenschaften, latent nicht im Sinne Weismann’s als angeboren, sondern in rein physikalisch-che- mischen, wie etwa das Wasser die latente Eigenschaft hat, bei 100° © zu verdampfen. Die Vererbung ist demnach selbstverständlich“. Untersuchungen über die Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft, von Dr. Ritzema Bos. Zwar wird durch die Erfahrung, namentlich der Viehzüchter, be- wiesen, dass die Zucht in engster Blutsverwandtschaft nieht während vieler Generationen dauernd betrieben werden kann, ohne dass sie „zur Einseitigkeit in der Befähigung, zum Auftreten von Fehlern und Ge- 6 Ritzema Bos, Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft. brechen, resp. zu deren Steigerung“ führt, „eventuell in weiterer Folge eine mit Schwächung der Konstitution einherschreitende Verbildung und eine von Unfruchtbarkeit begleitete Degeneration bei den Zucht- stämmen“ nach sieh zieht“!); aber man streitet noch immer über die Frage, ob denn eigentlich die Zucht in engster Blutsverwandtschaft ua talis die Unfruchtbarkeit, die Schwächung der Konstitution, das Geborenwerden von Missbildungen u. s. w. veranlasse, oder ob diese Symptome die Folgen seien der Anhäufung resp. Steigerung etwa .in der Familie vorhandener Fehler. Mitte Oktober 1886 wurde mir eine Mutterratte (Mus decumanus) mit 12 Jungen geschenkt. Die Mutterratte war ein zahmes Albino- weibehen; sie war von einem wilden Männchen von gewöhnlicher Farbe befruchtet worden; von den jungen Ratten waren 5 Stück Albino’s; 4 Stück waren an der Rückenseite, auf Hals und Brust von gewöhn- licher Rattenfarbe, während die anderen Teile weiß waren; drei Stück waren ganz von gewöhnlicher Rattenfarbe, bloß die Füße waren ganz weiß behaart und die Schwanzspitze war weiß, während von (diesen drei Exemplaren eins eine weiße Längslinie am Bauche hatte. Der Vater dieser Familie war gleich nach der Paarung verschwunden, und ward nicht mehr gesehen. Von den obenerwähnten 12 Geschwistern wurden 7 von mir zum /weck der Zucht behalten. Ich bekam wenige Wochen später ein mit den 7 Geschwisterratten nieht verwandtes Albino-Männchen, welches aber schon nach zwei Paarungen starb. Später wurde fremdes Blut niemals wieder eingeführt, so dass immer Paarung in Verwandtschaft stattfand, und als ich die Zucht während 6 Jahren, also durch etwa 30 Generationen hindureh, fortgesetzt hatte, musste natürlich jede Paarung eine solche in sehr enger Blutsverwandtschaft sein; ieh brachte aber absiehtlieh sehr oft Eltern mit ihren Kindern, sowie Geschwister mit einander zur Paarung. Das Zuchtmaterial, mit dem ich meine Versuche über Verwandt- sehaftszucht anstellte, war dasselbe, mit dem ich meine Beobachtungen über Vererbung von Traumatismen machte, über welehe von mir im elften Bande des „Biologischen Centralblattes“, referiert wurde ?). Die Hauptergebnisse meiner Versuche über Zucht in Blutsverwandt- schaft wurden von mir mitgeteilt m der Versammlung des IV. Kon- sresses niederländischer Naturforscher und Aerzte“, welcher am 7. und 8. April 1893 in Groningen tagte. Ein kurzes Resume dieser Mitteilung sei mir hier zu geben erlaubt?). 157,6: Leisewitz, „Lehr- und Handbuch der allgemeinen landwirtschaft- lichen Tierzucht“. S. 239. 2) „Biologisches Centralblatt“, Bd. XI (1891), S. 734: „Zur Frage der Ver- erbung von Traumatismen“. 3) Vergl. Handelingen van het vierde Nederlandsch Natuur- en Geneeskundig congres, gehowden te Groningen“, 1893, S. 196 u. 8. w. Ritzema Bos, Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft. 77 Zunächst will ich hervorheben, dass die mittlere Anzahl der Jungen eines jeden Wurfes während der ersten drei Jahre nicht, im vierten Jahre etwas, dann im fünften Jahre plötzlich schnell abnahm. In den Jahren 1857, 1888, 1889, 1590, 1891, 1592 betrug die Zahl der Jungen eines jeden Wurfes im Durchschnitt resp. Pr r "m ze Eur 31/; Stück. Während also die durchschnittliche Anzahl der Jungen eines jeden Wurfes während der ersten 20 Generationen (in den ersten vier Jahren) nicht erheblich verminderte, war solches m starkem Maße in den folgenden 10 Generationen (in den weiteren zwei Jahren) der Fall. Würfe von 10 bis 12 Jungen waren in den ersten Versuchsjahren keine Seltenheit, in den letzten Jahren kamen sie gar nieht mehr vor. Auch vermehrte sich die Anzahl der Paarungen, welche keine Be- fruchtung mit sich brachten, in den ersten Jahren wenig, in den letzten Jahren sehr stark. In den Jahren 1887, 1888, 1889, 1890, 1891, 1892 blieben resp. 0, 2,63, 5.55; 11,39; 50, 41,13 °/, der Paarungen ohne Resultat. Namentlich starben in den letzten Jahren weit mehr Junge im frühesten Alter als in den ersten Jahren. Von den Rattenkindern starben im Alter von höchstens vier Wochen in den Jahren 1887, 1888, 1889, 1890, 1891, 1892 3,9, 4,4, 5,0, 8,7, 36,4 45,50]. In obiger Zusammenstellung sind nicht bloß die an Krankheiten, Schwäche u. s. w. gestorbenen jungen Ratten aufgezählt, sondern auch diejenigen, welche infolge der zu geringen Milchsekretion seitens der Mutter starben, und diejenigen, welche im frühesten Alter von der Mutter aufgefressen wurden. Auffallend ist namentlich in 1891 die plötzliche und starke Vermehrung der unfruchtbaren Paarungen sowie der Anzahl der in erster Jugend sterbenden Jungen. Diese Vermehrung zeigte sich nach- dem erst während etwa 20 Generationen die Verwandtschaftszucht mit nicht sehr ungünstigem Erfolge stattgefunden hatte. — Obgleich bei lange fortgesetzter Paarung in Blutsverwandtschaft das Fortpflanzungsvermögen meiner Ratten im Allgemeinen stark abnahm, so war es doch noch nicht gleiehgiltig, ob ich die strengste Incestzucht anwandte oder für die Paarung Tiere aussuchte, welche einander möglichst wenig verwandt waren. Bemerkenswert ist namentlich das Resultat, dass die Paarung zwischen Geschwistern viel schlechtere Erfolge lieferte als die Paarung zwischen Mutter und Sohn, resp. Vater und Tochter. In den letzten drei Jahren war die Paarung 18 Ritzema Bos, Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft. fruchtbar, | rn | fruchtbar, ‚ährend |, anrenC | während N bloß ein Teil _“. | alle Jungen er Junsen | später alle | unfruchtbar: ee am Bi Jungen ieben: | lichen starben: zwischen Geschwistern | 228 | ) 31,8 136,4 „ Eltern a. Kindern 64,3 0 14,35. 21,49%], Mal. Für die Paarung zwischen Geschwistern nahm ich gewöhnlich Kinder desselben Wurfes; in den wenigen Fällen, wo ich Geschwister verschiedener Würfe mit einander paaren ließ, zeigte sich keine be- deutend größere Unfruchtbarkeit und keine bedeutend größere Sterb- lichkeit unter den Ratten als in den Fällen, wo ich nieht absichtlich in engster Verwandtschaft züchtete. Ich muss hierbei jedoch bemerken, dass auch im letzterwähnten Falle, die Verwandtschaft zwischen den mit einander paarenden Individuen keine andere als eine sehr enge sein konnte. Geschwister, die unter sich nieht fruchtbar waren, ergaben sich gewöhnlich auch bei Paarung mit einem andern Individuum aus meiner Rattenheerde als unfruchtbar: es kam aber auch in einzelnen Fällen das Gegenteil vor. Vorläufig will ieh bloß die oben angegebenen Resultate erwähnen. Ich bin noch mit andern Zuchtversuchen beschäftigt, kann aber aus denselben noch keine Schlussfolgerungen ziehen. Allein aus den oben erwähnten Versuchen, die während sechs Jahren an mehreren tausen- den Ratten angestellt wurden, lässt sich jedenfalls schließen, dass wiederholte Zucht in enger Blutsverwandtschaft die Fortpflanzung ver- mindert 1) dadurch, dass die Zahl der unfruchtbaren Paarungen zu- nimmt; 2) dadurch, dass die durchschnittliche Anzahl der Jungen jedes Wurfes abnimmt; 3) dadurch, dass das Vermögen der Jungen, am Leben zu bleiben, sowohl wie das Vermögen der Mütter, dieselben groß zu ziehen, abnimmt. Auch werden die Ratten durch fortgesetzte Blutsverwandtschafts- zucht in ihrer Fortpflanzung mehr von äußeren Bedingungen abhängig. In den Wintern 1887/88, 1888/89, 1889/90 wurden auch im November, Dezember, Januar und Februar Junge geboren; im Winter 1890/91 bloß noch einige im November und im Februar, keine im Dezember und Januar; in den Wintermonaten 1892/93 kamen gar keine Geburten mehr vor. ; In den letzten zwei Jahren wurde die Fortpflanzung der Ratten eine so geringe und die Sterblichkeit unter den Jungen eine so große, Ritzema Bos, Folgen der Zucht in engster Blutverwandtschaft. 9 dass ich schon im März dieses Jahres in der Versammlung nieder- ländischer Naturforscher und Aerzte mich mitzuteilen veranlasst sah, dass vielleicht bald die Versuche eingestellt werden müssen, weil keine Versuchstiere mehr vorhanden. Ich kann jetzt, nachdem ich die Ver- suche noch während dreiviertel Jahren fortgesetzt habe, hinzufügen, dass zwar noch nicht „la bataille est finie faute de eombattants“, dass ich aber von allen meinen Ratten im ganzen Jahre 1893 bloß vier wenig zahlreiche Würfe bekommen habe, und dass von den Jungen mehr als die Hälfte gestorben sind, so dass ich im letzten Jahre weit mehr erwachsene Ratten verloren als junge bekommen habe. — Uebrigens kann ich nieht sagen, dass in den sieben Jahren, welche über sich meine Züchtungsversuche erstrecken, die von mir in Blutsver- wandtschaft gezogenen Ratten in Körperlänge und Gewicht sehr viel ver- ıninderten. Sowohl in 1886 als noch in 1891 erreichten die erwach- senen Männchen ein Maximumgewicht von 300 Gramm; im Jahre 1895 hatte ich noch wenige Exemplare, die ein Gewicht von 275 Gramm erreichten; allein die meisten erwachsenen Männchen sind noch nicht 240) Gramm schwer. Von Krankheiten, welche Crampe!) bei seinen in enger Ver- wandtschaft fortgepflanzten Ratten in so großer Anzahl und in so starkem Grade auftreten sah, bemerkte ich wenig. Bloß einmal kam mir ein Exemplar mit abnormal entwickelten Schneidezähnen (sogen. „Elephantenzähnen“) vor; bloß dreimal wurde eine meiner Ratten von „grauem Star“ heimgesucht. Am häufigsten kam, namentlich in den letzten Jahren, eine Krankheit vor, wobei die Bewegungen der Ratte abnormal wurden, schließlich der Hinterteil des Körpers erlahmte und das Tier nach starker Abmagerung starb; bis jetzt wurde im ganzen ungefähr 12 Mal eine meiner Ratten von dieser Krankheit heimgesucht: und diese Anzahl darf wohl eine sehr geringe heißen in Hinsicht auf die Tausende von mir gezüchteter Ratten. — Eine Konjunktivaent- zündung, von welcher fast ausschließlich die Albinos heimgesucht wurden, die auch auf den Menschen überging, und die es mir mit gutem Erfolg zu bekämpfen gelang, kann als kontagiöse Krank- heit — nicht als eine Folge der Verwandtschaftszucht angesehen werden. Meine Resultate stimmen in mancher Hinsicht mit den von Crampe erhaltenen überein, sie sind aber jedenfalls in Hinsicht auf das Auf- treten von Krankheiten und Missbildungen sowie auf die Körpergröße der Ratten günstiger als die seinigen. Crampe beobachtete, nachdem er eine Zeit lang in engster Blutsverwandtschaft gezüchtet hatte, bei seinen Ratten zahlreiche Krankheitsfälle und sonstige Abnormitäten: Zahnmissbildungen, grauer Star, Gebärmutter- und Eierstocksentzün- dungen, Unvermögen zu Gebären und zu Säugen u. $. w. traten sehr 4) Vergl. dessen Mitteilungen in „landwirtschaftliche Jahrbücher“, 1883, Seite 421. So Ritzema Bos, Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft. oft auf. Es scheint mir, dass die Ursache dieser Krankheitsfälle und Abnormitäten nicht der Verwandtschaftszucht qua talis zugeschrieben werden müssen, sondern der Thatsache, dass Crampe mit kranken, schwachen Ratten seine Züchtungsversuche anfing. Nennt er doch selbst sein Zuchtmaterial „hinfällig und leistungsunfähig, schwer belastet mit erblichen Leiden“. Die Ratten aber, welche die Ahnen meiner Versuchs- tiere wurden, waren ganz gesund. Allein auch Crampe gelang es, ungeachtet der Verwandtschaftszucht und der Kränklichkeit seines Zuchtmaterials, kräftige, fortpflanzungsfähige Tiere zu bekommen, aber nur bei ausgezeichneter Nahrung und Pflege: „denn die Ansprüche der Individuen an ihre äußeren Lebensbedingungen wachsen, je länger von der Zucht in Verwandtschaft Gebrauch gemacht wird. Die Zucht fällt der Verkümmerung und Auflösung anheim, wenn diese Ansprüche unbefriedigt blieben“. — Ich pflegte natürlich meine Ratten gut wäh- rend der sieben Versuchsjahre, brauchte sie aber im letzten Jahre nicht besser zu verpflegen und zu ernähren als im ersten Jahre, um gesunde Tiere zu haben. Bloß blieben die Urenkel der 20. bis 30. Generation etwas kleiner als die Stammeltern der früheren Generationen. Andere nachteilige Erfolge außer Verminderung der Fruchtbarkeit sowie eine etwas geringere Körpergröße, konnte ich nicht konstatieren; vielleicht werden sich diese erst zeigen, nachdem ich meine Blutsverwandtschafts- zucht noch weiter fortgesetzt habe. Ich muss aber bemerken, dass ich diese Zucht, und zwar in sehr vielen Fällen als reinste Incestzucht (Paarung zwischen Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern), fort- setzte, bis bei den meisten Stämmen das Fortpflanzungsvermögen gänz- lich erschöpft, bei wenigen Stämmen nur noch schwach vorhanden warjs— ohne dass mehr Krankheiten in erheblicher Anzahl auftraten, noch Missbildungen oder sonstige Abnormitäten sich zeigten. Ich stelle also fest: dass durch Crampe’s Versuche nicht be- wiesen ist, dass die Verwandtschaftszucht resp. die Incestzucht per se Ursache der Entstehung von Missbildungen, Abnormitäten und Krank- heiten sei; hingegen darf nach meinen Versuchen als wahrschemlich gelten, dass sie diese Folgen nicht selbst verursacht, sondern die- selben auftreten lassen kann bloß dadurch, dass sie die ungünstigen Eigenschaften der Stammeltern in starkem Grade in den folgenden Generationen akkumuliert. Solches war zweifelsohne bei den Züch- tungsversuchen Crampe’s der Fall; sein Zuchtmaterial war ja „mit erblichen Leiden“ belastet. Es wird öfter behauptet, die Viehzucht liefere viele Beweise nicht bloß für die Verminderung der Fruchtbarkeit sondern auch für das Entstehen von Missgeburten infolge der fortgesetzten Verwandtschafts- zucht. Namentlich bei Yorkshireschweinen, die sich in enger Verwandt- schaft fortpflanzen, kommen dergleichen Missgeburten, namentlich Hydro- cephalen, sehr oft vor. Es muss aber betont werden, dass der Körperbau Ritzema Bos. Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft. 81 der meisten unserer Haustiere, gerade deshalb, weil sie für bestimmte /wecke gezüchtet werden, vom normalen Körperbau in starkem Grade abweicht. Yorkshireschweine, Merinoschafe, Holländische Milchkühe, New-Durhamrinder u. s. w. bilden ja, vom zoologisehen Standpunkte aus gesehen, gleichsam pathologische Rassen der Tierart, zu welcher sie zählen. Und es versteht sich, dass dergleichen abnormale, d. h. pathologische Tiere ihre, in physiologischer Hinsicht, schleehten Eigenschaften auf ihre Nachkommen übertragen, ja dass sogar diese schlechten Eigenschaften im Laufe der Generationen dermaßen sich akkumulieren, dass sie dem Fortbestehen der Rasse eine Schranke setzen. Mit dieser Anschauung stimmt die Thatsache überein, dass gerade diejenigen Haustierrassen, welche am meisten vom normalen Körperbaue abweichen, «die größte Neigung haben, nieht bloß unfrucht- bar zu werden, sondern auch Monstrositäten, schwächliche und krän- kelnde Produkte zu gebären. Die Schafe und namentlich die Schweine scheinen im allgemeinen der Wirkung der Incestzucht in dieser Rich- tung am schlimmsten ausgesetzt; während man bei Rindern und Pferden wohl Absehwächung des Fortpflanzungsvermögens, selten aber das Auftreten von Krankheiten und Missbildungen der fortgesetzten Inzucht zuschreibt. Das Shorthornrind, das Leicesterschaf, das englische Voll- blutpferd sind Beispiele von ausgezeichneten Viehrassen, welche der Incestzueht oder wenigstens der engen Verwandtschaftszucht ihre Ent- stehung verdanken. Dass aber bei Haustieren die Abnahme der Frucht- barkeit resp. die vollständige Unfruchtbarkeit infolge der fortgesetzten Verwandtschaftszucht das Aussterben einer Rasse verursachen kann, hat das im vorigen Jahrhundert von Bakewell gezüchtete Dishley- rind bewiesen, welches durch Inzucht entstanden war, dureh fortge- setzte Inzucht wieder verschwand. Auch das Leicesterschaf, welches durch strenge Inzucht als eine neue Rasse gezüchtet wurde, konnte bloß dadurch erhalten bleiben, dass man eine Zeit lang diese Zucht- inethode einstellte und neues Blut eimführte. Aus meinen Züchtungsversuchen sowie aus den von den Vieh- züehtern gemachten Erfahrungen ziehe ich den Schluss: 1) die fortgesetzte Zucht im engster Verwandtschaft vermindert das Fortpflanzungsvermögen, kann sogar schließlich vollkom- mene Unfruchtbarkeit verursachen ; 2) sie scheint auch nach vielen Generationen eine Abnahme der Körpergröße zu veranlassen; 3) esist möglich, aber keineswegs bewiesen, dass die fortgesetzte Zucht in engster Verwandtschaft als solche eine größere Prä- disposition für Krankheiten und das Entstehen von Miss- bildungen verursacht. XIV. 6 89 3loehmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. Kleine Mitteilungen über Protozoen. Von F. Blochmann. Was ich im Nachstehenden mitteilen will, sind gelegentlich ge- machte Beobachtungen, das mag auch den aphoristischen Charakter entschuldigen. Eimiges scheint mir ein allgemeineres Interesses zu haben, und da ich voraussichtlich in der nächsten Zeit doch nieht dazu kommen werde, eine oder die andere Frage genauer zu behandeln, so lege ich die kesultate unvollständig, wie sie sind, vor. 1. Pelomyzxa. Pelomyxen, die Riesen unter den khizopoden des Sülßwassers ge- hören hier in Rostock zu den häufigeren Vorkommnissen, sodass sie reeelmäßig in den Kursen untersucht werden. Als wir Anfangs dieses Semesters bei einer solchen Gelegenheit Pelomyxen in großer Zahl auf dem Laboratorium hatten, konservierte ich solche in verschiedener Weise und fand dabei, dass die Tiere auf der Oberfläche zerstreut stehende wimperähnliche, protoplasmatische Fädchen von ziemlicher Länge tragen. Ich sah diese zuerst an mit Osmiumgemischen kon- servierten Tieren. Bei solchen sind sie überhaupt am leichtesten wahr- zunehmen. Sie erhalten sich aber auch in Sublimat ete. Die Fädchen sind ungefähr 1015 « lang, recht fem und bis zum Ende etwa gleich dick. Ich dachte natürlich im ersten Augenblick an anhängende Bak- terien, gab diese Ansicht jedoch bald auf. Die Fädchen sind viel länger als die gewöhnlichen, im Wasser vorkommenden Bakterien und viel feiner als dieselben, dabei viel weniger lichtbrechend, so dass sie im konservierten Zustande ganz den Eindruck von Wimpern machen. Ich suchte ihrer nun an dem lebenden Tiere ebenfalls ansichtig zu werden, was leicht gelang. Dabei musste ich mich bald überzeugen, dass die- Fädehen keine Wimperbewegung zeigen. Ich sah sie zwar, wenn die Thiere unter dem Deckglas lebhaft krochen, sich etwas schlängeln, konnte aber nieht den Eindruck der Eigenbewegung er- halten. Um in dieser Beziehung noch sicherer zu gehen, brachte ich in das Wasser, in welchem ich die Pelomyxen beobachtete, etwas an- geriebenes Karmin. Dabei sah ich zunächst die sehr eigentümliche, von Bütschli!) schon beobachtete Erschemung, dass, wenn eme Pe- lomyxa in lebhaftem Vorwärtsfließen begriffen ist, im Wasser an der Oberfläche des Tieres ein nach vorne gerichteter, ziemlich intensiver Strom fließt, der also dem Mittelstrome des Plasmas gleichlaufend, dem Randstrome aber entgegenlaufend ist. - Als ich nun auf die Börst- 1) Bütschli O., Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma, 1892, S. 219. Bloehmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. S3 chen achtete, erstaunte ich sehr, dass ich dieselben auf der Oberfläche der Pelomyxa genau in demselben Tempo wie die Karminkörnchen in dem Außenstrome — wie ieh den Strom in dem umgebenden Wasser nennen will —- also unter Umständen ziemlich schnell nach vorne wandern sah. Es lässt sieh leicht konstatieren, dass Mittelstrom des Plasmas, die Börstehen und der Außenstrom annähernd dieselbe Ge- schwindigkeit haben. Fig. 1. Fig. 1. a= Umriss einer im leb- haften Vorwärtskriechen begrif- fenen Pelomyxa. Die Pfeile be- deuten: Die mittleren den Mittel- strom, die vorderen gekrümmten den Randstrom, die äußeren den dem Mittelstrome des Plasmas gleichgerichten, in dem umgeben- den Wasser fließenden Außen- strom; b = Optischer Schnitt des Randes mit einem Börstchen; N = Kern; G = von Stäbchen umhüllter Glanzkörper. IMINy Wird der Mittelstrom schwächer, oder hört er auf zu fließen, so be- merkt man dasselbe an den Börstehen und an dem Außenstrom. Außenstrom und Bewegung der Börstehen sieht man auch an den Stellen noch sehr deutlich, wo der Randstrom des Plasmas sehon voll- ständig zur Ruhe gekommen ist. Ich habe wiederholt folgenden Ver- such gemacht: Ich beobachtete den Außenstrom und die Bewegung der Börstehen an einer Stelle, wo das Randplasma vollständig in Ruhe war, verschob dann das Präparat soweit, dass der Mittelstrom sichtbar war, und fand dann diesen ausnahmslos dem Außenstrome gleichfllie- ßend und gleichschnell. Zum Ueberflusse kontrolierte ich diese Be- wegungen alle noch mit Hilfe des Mikrometers. Die Börstehen sind nun einer sehr feinen hyalinen Hautschicht eingepflanzt. Manchmal bei guten optischen Schnitten glaubte ich mich zu überzeugen, dass diese die Börstchen tragende Schicht doppelt konturiert ist und dass «die Basis des Börstehens sie in der ganzen Dicke durchsetzt. Dabei sind aber die Schwierigkeiten nicht außer Acht zu lassen, die bei der Betrachtung von optischen Durchschnitten des gewölbten Randes so dicker Plasmakörper, wie die Pelomyxen sind, durch die schwer zu kontrolierenden Brechungsverhältnisse ent- stehen. Dagegen überzeugt man sich ganz sicher, dass da, wo die Börstehen aus der Außenschieht hervorgehen, bei richtiger Einstellung ? G* S4 Blochmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. stets ein glänzender Punkt erscheint, wie man ihn ja leicht an den Cilienursprüngen der Infusorien sieht. Besonders schön tritt dies hervor, wenn ein solches Börstehen über die obere oder untere Fläche eines aus ganz hyalinem Plasma bestehenden, breiten Pseudopodiums hinläuft. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich nun mit voller Sicherheit, dass an der Oberfläche der strömenden Pelomyxa eine sehr dünne Plasmaschicht in demselben Sinne strömt wie der Mittelstrom und durch ihre Bewegung einen gleichgerichteten Strom in dem umgebenden Wasser verursacht. Bütsehli (l. e. S. 219) hat aus der Anwesenheit des Außenstroms geschlossen, dass ein solcher, diesem gleichgerichteter Strom in der oberflächlichen Plasmaschicht vorhanden sein müsse. Die direkte Beobachtung bestätigte diesen Schluss. Man wird wohl ohne weiteres annehmen dürfen, dass dieselben Strömungserschemungen auch bei anderen Amöben vorhanden sind. Man kann bei diesen wohl noch den Außenstrom beobachten, aber nicht wie bei Pelomyxa direkte Beweise für die gleichnamige Be- wegung einer sehr dünnen Schicht des Plasmas selbst erbringen. Ich habe zum Vergleich noch eine vielkernige Amöbe, wohl A. secunda Grub. daraufhin beobachtet und hier auch durch Karminzusatz zum Wasser einen recht kräftigen Außenstrom nachweisen können. Bei Pelomyxa ist es wegen der der Außenschicht eimgepflanzten Börstchen möglich, direkt zu beobachten, dass diese im gleichen Sinne strömt wie das umgebende Wasser. Solche Strömungen in feinsten Lamellen werden sich, wenn man mit geeigneten Methoden darnach sucht, noch in verschiedenen Fällen nachweisen lassen. Ich glaube, dass man sehr auf sie wird achten müssen bei eimer Erklärung der verschiedenen Plasmabewegungen. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass eine bei Rhizopoden und Heliozoen allgemein verbreitete Erscheinung, die auch sonst noch vor- kommt, nämlich die Körncehenströmung in den Pseudopodien sich viel- leicht ebenfalls «durch solehe Strömungen feinster Lamellen wird er- klären lassen. Man würde so wieder zu der älteren Auffassung dieser Erschei- nung zurückkehren. Bütschli ist dagegen neuerdings der Ansicht, dass die Körnchen Eigenbewegung haben in der Weise, wie auf Wasser schwimmende Campherstückchen. Um eine. begründete eigene Ansicht in dieser Frage aussprechen zu können, fehlt mir die Anschauung. Ich habe nur selten Gelegen- heit gehabt die Körnehenströmung zu beobachten. Soweit ich die Sache übersehen kann, scheint mir nur ein Punkt der von mir ange- nommenen Erklärung Schwierigkeiten zu machen, nämlich dass em Körnehen von emem anderen überholt werden kann. Es mag genügen auf diese Dinge hingewiesen zu haben. Blochmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. Sr An den Pelomyxen, die in den auf meinem Arbeitstisch stehenden Gläsern ziemlich zahlreich waren, machte ich noch folgende Beobachtung. Wie bekannt halten sich die Tiere ganz im Sehlamme. Ich war daher überrascht, eines Morgens an den Wänden jedes Glases etwa 60-80 oder mehr Pelomyxen kriechen zu sehen. Als ich des Nachmittags wieder kam, waren sie fast alle wieder in den Schlamm gekrochen. Dieser Wandertrieb hielt über S Tage an. Ueber Nacht krochen die Tiere in die Höhe, bei Tage wieder zurück. Ich stellte dabei fest, dass eine Pelomyxa im 24 Stunden bis zu 20 em, vielleicht sogar noch etwas mehr zurücklegt — eine ganz anständige Leistung für einen Rhizo- poden !). Es schien mir aus diesen Wanderungen zunächst sich zu ergeben, dass die Pelomyxen das Licht fliehen. Ich wurde darin noch durch folgende Beobachtung bestärkt. Nachdem die Gläser schon ziemlich lange gestanden hatten, und die Pelomyxen noch ihre regelmäßigen Spaziergänge machten, brachte ich, um die weiter und weiter schrei- tende Verderbnis des W assers aufzuhalten, im jedes Glas eine Anzahl Zweige von Elodea, auf welche die Tiere auch zahlreich hinaufkrochen. Die Gläser standen zum Teil an einem Südfenster. Nachdem einige Tage sehr trübes Wetter geherrscht hatte, brach eines Morgens, während ich gerade die Gläser kontrollierte, die Sonne durch. Ieh konnte dabei Engelmann’s (I. e.) Beobachtungen über die Licht- empfindlichkeit von Pelomyxa sehr schön bestätigen. Nach wenigen Minuten hatten sich alle vom Licht getroffenen Tiere zusammenge- kugelt, hatten von der Unterlage losgelassen und sanken langsam in den Schlamm. Die Klodea gedeiht in den Gläsern recht gut und das hesultat ist, dass die Pelomyxen aueh des Nachts über im Schlamme bleiben. Ich glaube den uldenten Vorgang folgendermaßen erklären zu können. Nachdem die Gläser mit dem frisch von dem natürlichen Fundorte geholten Schlamme eine Zeit lang gestanden hatten, begann die Fäulnis in dem Schlamme eine intensivere zu werden. Der da- durch entstehende Sauerstoffmangel trieb im der Nacht die Pelomyxen der Oberfläche zu, das Tageslicht war ihnen offenbar noch unange- nehmer als der geringe Sauerstoffmangel und scheuchte sie wieder die Tiefe. Die abwechselnde Wirkung beider Faktoren veranlasste die regelmäßigen Wanderungen, die unterblieben, als durch das Ein- nen von Elodea der Sauerstoffmangel gehoben wurde. I) Engelmann, Pflüger’s Archiv, XIX, 1879, S. 4 gibt an, dass er Pelomyxa in der Minute !/,—!/, mm zurücklegen sah; das würde eine wesent- lieh höhere Gesamtleistung für 24 Stunden ergeben. Auf längere Zeit wird jedoch nach meinen Beobachtungen eine solehe große Geschwindigkeit nicht beibehalten. Sb Blochmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. Schließlich möchte ieh noch Einiges über die Arten der Pelomyxen bemerken. Als solche werden bis jetzt betrachtet abgesehen von der neuerdings von Bourne aus Ostindien beschriebenen P. viridis, die bei uns noch nicht beobachtet ist — Pelomyxa palustris Greeff und P. villosa Leidy. Die letztere ist sehr leicht zu erkennen an dem Mangel der Glanzkörper und an den großen und eigentümlich eebauten Kernen. Außer dieser P. villosa, die ich an den hiesigen Fundorten etwas weniger häufig beobachtete, finde ich aber neben- einander ganz konstant zwei Formen, die sich leicht unterscheiden lassen. Die erste ist ausgezeichnet durch große sofort auffallende Glanzkörper nnd ihr grau und ziemlich undurehsichtig erscheinendes Plasma. Dieses Aussehen des Plasmas wird bedingt durch Vakuolen von sehr wechselnder Größe, wobei kleinere überwiegen, und dann besonders durch kleine Körnchen, die in Unmasse in das Plasma ein- gelagert sind. Die zweite ist durehsiehtiger, weil die erwähnten Körnchen fast ganz fehlen. Ihr Plasma hat im durchfallenden Lieht einen Stich ins selbliche. Die Vakuolen sind größer und unter einander gleichmäßiger. Die Glanzkörper sind meist nur bei sorgfältiger Untersuchung zu finden. Sie sind verhältnismäßig sehr klein und stets von einem diehten Mantel von bakterienähnliehen Stäbchen umlagert (Fig. 1. d). So er- scheinen die Glanzkörper bei nieht sehr vorsichtiger Untersuchung einfach als Häufehen der Stäbehen. Auf Schnitten tritt das eigent- liche Verhalten sehr schön hervor. Bei der ersten Form sind Stäbehen auch vorhanden, ich sah sie aber nie einen Mantel um die großen Glanzkörper bilden, obwohl ich Dutzende der Tiere gesehen habe. Ab und zu traf ich jedoch Tiere, die sich durch den gelblichen Ton und die Durchsichtigkeit ihres Plasmas ebenso durch die Art der Vakuolisierung deutlich als zu der zweiten Form gehörig erwiesen, die aber ziemlich große und leicht auffallende Glanzkörper hatten. Diese waren aber stets von den Stäbehen umlagert. Auch im Bau der Kerne bestehen Unterschiede. Die der ersten Form sind größer mit recht feinen der Membran anliegenden Nucleolis, die der zweiten etwas kleiner mit weniger zahlreichen und größeren Nucleolis. Dass diese Unterschiede in den Kernen ganz konstant sind, möchte ich ohne genaue (darauf gerichtete Untersuchungen nicht behaupten. Die beiden Formen sind aber auch ohne das leicht auseinander zu halten. Für den Fall, dass weitere Beobachtungen die Konstanz der hier geschilderten Unterschiede bestätigen, würde ich vorschlagen, die erste Form Pelomyxa palustris zu nennen, die zweite Form dürfte dann wohl passender Weise P. Greeffi genannt werden. Sollte sich durch eimgehendere Untersuchungen herausstellen, dass die beiden Formen durch deutliche Zwischenformen verbunden Blochmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. S1 sind, also eine Art vorstellen, so würde sich die von mir unterschie- (dene zweite Form immer noch als sehr gute Varietät unter dem an- geführten Namen halten lassen. Bemerken will ich noch, dass die oben geschilderten Börstehen bei beiden Formen vorkommen, Pelo- myxa villosa konnte ich bis jetzt noch nicht daraufhin untersuchen. An denselben Fundorten, von wo die Pelomyxen herstammten, habe ich auch die Mehrzahl der von Gruber!) beschriebenen vielkernigen Amöben beobachtet. Auch Leidy’s Dinamöba mirabilis kam nicht selten vor. Leidy macht keine Angaben über die Kerne. Ich habe regelmäßig 2 große bläschenförmige Kerne mit ansehnlichem mehrere Vakuolen enthaltenden Nucleolus gefunden. Recht häufig war im diesen Gewässern auch die schöne Amöba proteus. Ich sah wiederholt wie diese Tiere 5-10 oder mehr Exem- plare von Oyelidium glaucoma Ehrbg. gefressen hatten. Ich konnte bald feststellen wie die Amöben dieser flinken Tiere in so großer Zahl habhaft werden. Sie liegen in etwa scheibenförmiger Gestalt fast un- beweglich da und haben nur kurze ungefähr kegelförmige, oder auch nach dem Ende zu etwas verbreiterte Pseudopodien entwickelt. Nun haben die Cyelidien eine auffallende Vorliebe dafür, zwischen die Pseudopodien hineinzukriechen und hier eine Zeit lang ruhig liegen zu bleiben. Diese Zeit reicht oft für die Amöbe gerade aus die Falle zuzumachen, indem zwei benachbarte Pseudopodien mit ihren Enden und gleichzeitig der Länge nach zusammenfließen. Dann ist das Cy- ehdium in einem Hohlraum eingeschlossen, dessen Boden vom Objekt- träger, dessen Wände und Decke aber von dem Protoplasma gebildet werden. Meist schießt es anfangs in seinem Kerker wild herum, um aber bald zu erlahmen, wenn es nach und nach ganz von dem Plasma umschlossen wird. Ich sah so öfter, wie ein Exemplar von A. proteus in etwa 10—15 Minuten 3—5 Cyelidien einfng. Auch Diatomaceen wurden auf diese Weise erbeutet. 2. Die Kernteilung bei Polytoma wuvella. An den Präparaten, die ich früher von Teilungszuständen von Oxyrrhis marina anfertigte, schien es mir, als ob eine mitotische Teilung des Kernes stattfinde. Ich gab auch eime Abbildung dessen, was ich an den Präparaten zu sehen glaubte ?). Außerdem ist mir, was das Vorkommen von Karyokinese bei Flagellaten anlangt, nur noch die Notiz Bütschli’s (Protozoa S. 745) bekannt, dass er bei Englena riridis eine Kernspindel beobachtet habe. Wenn ich mich recht er- innere, habe ich das betreffende Präparat selbst gesehen. Ferner hat I) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. XLI. 2) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd.XL, Taf. IL, Fig. 18, 19. tete) Blochmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. Fisch (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLII) bei Codosiga offenbar eine karyokinetische Teilung gesehen und abgebildet. Im vorigen Sommer machte einer meiner Schüler, Herr Dr. Wolfgramm, der sich im Kurse mit Protozoen beschäftigte, eine Anzahl Präparate von Poly- toma wwvella, die sich in einer Heuinfusion in Menge entwickelt hatte. An diesen Präparaten, die mit Sublimat fixiert und mit Alaunkarmin gefärbt sind, also nicht zum Studium von Kernteilungen angefertigt wurden, zeigte sich sehr klar, dass die Kernteilung eine typische Karyokinese ist. Die beistehenden Figuren zeigen dies ohne weitere Erklärung. Genaueres lässt sich an den in nicht geeigneter Weise behandelten Präparaten doch nicht feststellen. Bemerken will ich, dass die Spindel sich oft von dem umgebenden feinkörnigen Plasma sehr scharf, wie durch einen hellen Zwischenraum getrennt abhebt. Wahrscheinlich bleibt auch hier wie bei den Kernen von Euglypha, Fig. 2. Fig. 2. Polytoma uvella. a —= ein gewöhnliches Exemplar; db = der Kern ist nach vorne und etwas zur Seite gerückt, in einem Hofe von feinkörnigem Plasma und hat sich zur Spindel umgewandelt; ce = weiteres Teilungsstadiun ; d = beginnende Einschnürung des Plasmas; e = die Teilungsebene hat sich so verschoben, dass sie senkrecht zur Längsaxe steht; f = ein Teilspröss- ling erster Generation, in dem der Kern wieder in Teilung begriffen ist; y = die 4 Sprösslinge zweiter Generation in der Mutterhülle. Actinosphaerium, der Opalinen und den Mikronuclei der übrigen In- fusorien die Kernmembran während der ganzen Teilung erhalten. Ferner scheint mir noch der Erwähnung wert, was übrigens auch aus den Figuren ohne weiteres ersichtlich ist, dass das feinkörnige, von Stärke freie Plasma stets da in größerer Menge sich ansammelt, wo die trennende Furche beginnt, so dass der Prozess eine gewisse Aehnlichkeit mit der inaequaten Furchung eines Bies erhält. Neuerdings habe ich ebenso sicher die Karyokinese bei Monas vivi- para Ehrbg. beobachtet. Man darf aus den bis jetzt vorliegenden, allerdings noch spär- liehen Beobachtungen meiner Ansicht nach doch den Schluss ziehen, (dass karyokinetische Teilung der regelmäßige Prozess der Kernver- mehrung hei den Flagellaten ist, Blochmann, Kleine Mitteilungen über Protozoen. N) 3. Entleert die kontraktile Vakuole ihre Flüssigkeit nach außen? In der neueren Zeit sind wieder Stimmen laut geworden, dass die Flüssigkeit der kontraktilen Vakuolen nicht nach außen entleert werde. Greeff und Penard haben wieder behauptet, dass bei der Kontraktion eine Verteilung der Flüssigkeit in das umgebende Plasma stattfinde. Dem gegenüber hat schon Bütschli!) hervorgehoben, dass er sich neuerdings bei Amöba proteus wieder davon überzeugt habe, dass wirklich eine Entleerung nach außen stattfindet. Ich kann seine Be- schreibung für dasselbe Tier vollständig bestätigen und noch einige weitere Beobachtungen, die eine solche Entleerung über jeden Zweifel sicher stellen, anfügen. Ganz regelmäßig sieht man bei der Diastole, dass die Vakuole über die Körperoberfläche etwas vorragt und dass die Plasmaschieht, die sie nach außen umgibt, sehr dünn ist. Beim Eintreten der Systole stürzt das Plasma gewissermaßen in die Va- kuole herein, die Flüssigkeit nach außen drängend. Stets sieht man den letzten Rest der Vakuole dieht an der Oberfläche verschwinden. Es muss also notwendig eine Eröffnung und Entleerung der Vakuole nach außen stattfinden. Ich habe eine Beobachtung gemacht, die dies direkt beweist. An einem Tier, das schon längere Zeit unter dem Deckglase lag, jedoch ohne von denselben gedrückt zu werden, dehnte sieh die Vakuole allmählich auf einen sehr bedeutenden Umfang aus. Bei der ziemlich heftigen Systole trat im Augenbliek des Verschwin- dens der Vakuole eim kleiner Plasmastrom mit Exkretkörnchen ete. an derselben Stelle aus. Gewiss ist das ein pathologisches Verhalten. Es beweist aber immerhin, dass bei der Entleerung der Vakuole eine Durchbreehung der Hautschicht stattfindet. Die Amöbe ging übrigens keineswegs zu Grunde, sondern lebte, nachdem das Deckglas entfernt war, noch lange Zeit; ich beobachtete noch etwa ungefähr 5—6 nor- male Entleerungen, ehe ich das Tier aus den Augen lie. Beobachtungen über denselben Punkt stellte ich auch bei einem Infusorium an, das einige Tage lang in den die Pelomyxen enthalten- den Gläsern nicht gerade selten war. Es ist dies ein bis jetzt memes Wissens noch nicht beschriebenes, heterotriches Infusionstier, das sieh enge an Caenomorpha anschließt. Die allgemeine Gestalt ist wie bei Caenomorpha, ohne Schwanzstachel. Adorale Zone kurz aus 7 Mem- branellen. Der Membranellenzone parallel laufend eine ebenso kurze Zone von Wimpern. Auf der äußeren Seite des Glockenrandes eine doppelte keihe von langen Cilien. Die bei Oaenomorpha nach dem Vorderende zu ziehende muldenartige Einsenkung mit der Doppelzone von langen Cilien fehlt. Dagegen finden sich auf der ganzen Körper- oberfläche zerstreut stehend, soviel ich sehen konnte, in Reihen an- 1) Untersuchungen über mikrosk. Schäume ete. SIE Blochmann. Kleine Mitteilungen über Protozoen. geordnet, lange Cilien. Das Hinterende überragend beobachtete ich öfter 4 lange Borsten. Kontraktile Vakuole dem Hinterende genähert. Im vorderen Teil 2 Kerne. Mikronueleus bis jetzt noch nicht beob- achtet. Nahrung fein bis reeht ansehnlich. Größe etwa wie Caeno- morpha. Konjugation öfter gesehen. Die Tiere liegen gleichgerichtet neben einander. Genaueres nicht ermittelt. Die Tiere schwimmen rotierend und sehr viel langsamer als Caenomorpha. Fig. 3. a db c d D-- N ge ezelVe © ©; &; & -- cv \J IY-cv Scv e FE I er ae lig. 5. Das Hinterende von (aenomorpha Henviei Bildung und Entleerung der kontraktilen Vakuole und Ausstoßung der Exkremente zeigend. cv — Kontraktile Vakuole; N = Nahrungsballen. Ich halte das Fehlen des Schwanzstachels und die immerhin stark abweichende Bewimperung für genügend, um eine generische Trennung von Caenomorpha vorzunehmen und schlage den Gattungs- namen Caenomorphina vor. Die Art würde ich ©. Henriei ‘) nennen. Die Abbildungen Fig. 53 a— y stellen eine aufeinanderfolgende keihe von Zuständen der kontraktilen Vakuole eines durch das Deck- &las eben festgehaltenen Tieres dar. Zunächst sieht man am Hinter- ende ganz konstant eine kleine triehterförmige Einsenkung. Die kon- traktile Vakuole wurde in dem speziellen Falle durch den großen Nahrungsballen, eine violettgefärbte Zoogloea, am regelmäßigen An- wachsen gehindert und nahm infolge davon die in 5 dargestellte un- regelmäßige Form an. Kurz vor der Systole rundet sich die Vakuole mit einem plötzlichen Ruck unter Verdrängung der Nahrungsvakuole zur Kugel ab (ce), wobei die sie umgebende Protoplasmaschicht sehr I) Zu Ehren des Direktors der hiesigen landwirtschaftlichen Versuchs- anstalt, Herrn Prof. Heinrich, der mir liebenswürdiger Weise unbeschränkte Jagdfreiheit in den Tümpeln seines Gartens gewährt hat. Blochmann, Maßangaben in Lehrbüchern. 4 scharf hervortritt und auch eme radiäre Strahlung zu bemerken ist. Die Systole erfolgt ziemlich langsam und man sieht dabei in voller Klarheit (d), wie die Vakuole ihren Inhalt durch die am Hinterende gelegene trichterförmige Einsenkung entleert. Es findet, wie in der Abbildung dargestellt, eine beträchtliche Erweiterung des Ausführ- ganges Statt. Bei emem anderen Exemplar, das längere Zeit durch das Deck- slas gedrückt war, hatte die Vakuole eine ganz excessive Größe erreicht. Die Systole verlief sehr langsam und es trat eine sehr weite Eröffnung des ausführenden Ganges ein (g). Die in der Abbildung (dargestellte, ansehnliche triehterförmige Einsenkung am Hinterende — der Rest der kontraktilen Vakuole — verschwand allmählich und nach Zusatz von etwas frischem Wasser beobachtete ich noch mehrere normale Entleerungen. Der pathologische, lähmungsartige Zustand war also wieder ganz verschwunden. Ich habe diese Beobachtungen öfter wiederholt. Die Entleerung nach außen ist hier so klar und sicher zu beobachten, dass jeder Zweifel schwinden muss. Was mir weiter an dem zuerst besprochenen Exemplare auftiel, war folgendes. Die große Zoogloea-Masse wurde nach außen entleert. Dieser Vorgang ist in Fig. 3 e und f dargestellt. Man erkennt leicht aus dem Vergleich mit den anderen Figuren, dass es ganz den An- schein hat, als ob die Einsenkung am Hinterende des Tieres gleieh- zeitig als After und als Ausführgang für die kontraktile Vakuole dienen würde. Genauere Feststellungen konnte ich leider aus Mangel an Material nicht machen, so wiehtig dies wäre. Denn in den meisten Fällen, wo von früheren Beobachtern ein Zusammenfallen von After und Ausführgang der kontraktilen Vakuole behauptet wurde, hat sieh gezeigt, dass es sich nur um em nahes Zusammenliegen zweier ge- trennter Oeffnungen handelt. Ein Fall wie der besprochene, wo am Hinterende ganz deutlich nur eine Einsenkung zu beobachten ist und diese sich zur Entleerung der Faeces und der kontraktilen Vakuole erweitert, scheint mir doch sehr dafür zu sprechen, dass in diesem ‘alle derselbe Kanal als After und als Ausführgang der kontraktilen Vakuole dient. Rostoek, den 19. Dezember 1593. Malsangaben in Lehrbüchern. Von F. Blochmann. Es sind mehr als zwei Dezennien verflossen, seit bei uns das metrische Maßsvstem eingeführt wurde. Man kann wohl sagen, dass dasselbe allmählich dem Volke in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wir trmken unser Bier nach Litern, aus den Kochbüchern sind all- mählich auch die Lothe und Quentehen verschwunden. In den Schulen wird glücklicherweise nur das Metersystem gelehrt. 92 Blochmann, Maßangaben in Lehrbüchern. Unter solehen Umständen kann man sich nicht genug wundern, dass stets noch eine ganze Anzahl von naturwissenschaftlichen Schrift- stellern sich nicht entschließen kann, in ihren Büchern die Maßangaben einheitlich nach dem Metersystem zu gestalten. Das Resultat davon ist, was die Maßangaben betrifft, eine recht unangenehme Zwei- öfter noch Vielseitigkeit ihrer Bücher. Vor 30 Jahren, als unsere Schuljugend noch mit einem halben Dutzend Maß- und Gewichtssysteme geplagt wurde, hätte man darin vielleicht einen gewissen Vorteil sehen können, insofern als der Stu- dent, der ein solches Buch benutzte, durch Vergleichen und Umreehnen der differenten Angaben desselben, sem auf der Schule erworbenes Wissen befestigt hätte. Für unsere heutigen Studenten passt das nicht mehr; sie hören vielleicht gelegentlich einmal, dass ihre Großmutter von einem Wispel Erbsen spricht, oder sie lesen bei der Anzeige einer Weinauktion von einem Oxhoft und verbinden damit den Begriff einer kleinen Unendlichkeit. Viel mehr wissen die Studenten nicht mehr von anderen Maßen und es ist gut so. Darum sollte heutzutage kein Schriftsteller, am wenigsten der, welcher in erster Linie für das heranwachsende Geschlecht schreibt, so ohne weiteres voraussetzen, dass seine Leser mit einer ganzen Reihe älterer und neuerer Maßsysteme bekannt sind. Die Leute haben wirk- lich besseres zu thun. Dass die Maßangaben sogar in den neuesten Büchern vielfach um ein Vierteljahrhundert zurück sind, oder was noch gewöhnlicher der Fall ist, in bunter Mischung altes und neues, fremdes und heinisches vereinigen, lässt sich nur unter Annahme eines gewissen Beharrungs- verinögens verstehen. Scherz beiseite! Wenn jemand eine Materie für einen größeren Kreis übersichtlich darstellt, so muss man von ihm verlangen, dass er auch in solchen -— mancher wird vielleicht sagen, nebensächlichen — Dingen, wie Maßangaben, eine gewisse Konsequenz zeigt und diese Angaben dem Leser nieht gerade so vorsetzt, wie er sie aus den Originalabhandlungen in seine Exzerpte eingetragen hat. Wenn die Zahlenangaben nicht ein ganz überflüssiger Ballast sein sollen, so muss System in denselben herrschen. Es dürfen nicht auf derselben Seite Angaben im englischen Fuß, französischen Fuß und Metern nebeneinander vorkommen. Die Größenangaben von Tieren z. B. sollen doch in dem Leser eine gewisse Vorstellung erwecken. Wie soll dies nun ausfallen, wenn jemand z. B. liest ein Tier ist 60 Fuß lang, dabei aber nie gesehen hat, wie lang überhaupt ein Fuß ist. Falls er sich überhaupt, was sehr fraglich ist, dazu entschließen sollte, eine solche Angabe umzureehnen, weiß er in den meisten Fällen nicht, was für en Fuß gemeint ist. Um das gesagte zu illustrieren und die ganze Komik dieses Ver- Blochmann, Maßangaben in Lehrbüchern. 93 fahrens zu zeigen, will ich nur wenige Stellen aus bekannten Lehr- büchern anführen, die ich mir gelegentlich angemerkt habe. Es soll damit aber den Autoren der betr. Bücher durchaus kein spezieller Vorwurf gemacht werden. Es giebt sicher noch recht zahlreiche andere Bücher, an denen dasselbe auszusetzen ist. Ich habe sie nicht gelesen, oder, wenn es der Fall ist, habe ich mir nichts notiert. Ebenso sind die anzuführenden Stellen nicht die einzigen in den betr. Werken; sie ließen sich leicht um Dutzende vermehren. In dem Lehrbuche der Zoologie von k. Hertwig 8. 500 werden die Squalidae nach Fuß gemessen, die Rajidae nach Metern. Die Walfische imponieren offenbar mehr bei emer Länge von 50 bis 70 Fuß, dagegen erreicht der Stoßzahn von Monodon die Länge von mehreren Metern. Auf S. 237 lesen wir, dass der geschlechtsreife Bandwurm „die außerordentliche Länge von vielen Fuß oder «ar Metern erreichen kann“. Auf S. 267 wird mitgeteilt, dass die tropischen Regenwürmer mehrere Fuß, Megascelides 2 Meter lang wird. In dem Lehrbuche der Zoologie von Claus ist es etwa ebenso; die Bothriocephaliden werden nach Fuß gemessen, die Taenien nach Metern u. dergl. mehr; ieh verziehte auf spezielle Beispiele. kühmenswerte Beispiele für Konsequenz in den Maßangaben sind die Lehrbücher von Ludwig, Boas und von Kennel. Schlimmer wird die Sache aus leicht verständlichen Gründen in den Lehrbüchern der Paläontologie und Geologie. Schlagen wir z. B. das Lehrbuch der Paläontologie von Stein- mann und Döderlein auf, so werden auf S. 634 die Schildkröten in Metern gemessen, auf S. 643 die Ichthyosauridae in Fuß. Auf S. 651 lesen wir: Pteranodon Marsh mit Arten von 1—65 Meter Spannweite. Pt. longiceps Marsh und Pf. ingens Marsh (22 Fuß Spannweite). S. 660 lehrt uns, dass bei der Gattung Megalosaurus 2 Zoll lange Zähne vorhanden sind. Der nahverwandte Allosaurus zieht es vor sich in Metern zu präsentieren. S. 665. Triceratops horridas .... Schädel wenigstens 2 Meter lang... Tr. flabellatus . . Schädel 6 Fuß lang etc. Das Lehrbuch der geologischen Formationskunde von Kayser liefert auch eine hübsche Serie von Beispielen. S. 115 erfahren wir, dass der Millstone grit mehrere 1000 Fulb mächtig wird, über ihm liegen die stellenweise bis 10 000 Fuß mäch- tigen Coal-Measures, in denen die Gesamtmächtigkeit der abbauwürdigen Kohle 25 Meter beträgt und in denen viele Flötze bis 2 Meter, andere bis 7 Meter mächtig werden. 04 Blochmann, Maßangaben in Lehrbüchern. S. 121 lesen wir: „Beide Stufen zusammen werden bis gegen 20000 Fuß mächtig und schließen etwa 3!/, Hundert Flötze mit einer Gesamtmächtigkeit von 140 Meter Steinkohle ein“. Die Mächtigkeit der Schiehten in den Formationen ist merkwürdiger- weise fast stets m Fuß angegeben; den Lias aber messen wir in Metern, um in der Kreide wieder zum Fuß zurückzukehren. Dass die Schichten des Pariser Beckens in Metern gemessen werden, ist selbtverständlich; weniger selbstverständlieh ist dies für (das Londoner Becken. Dagegen ist ganz evident, dass sich die Laramie- schiehten in Nord- Amerika nur bei einer Mächtigkeit von 4000 Fuß richtig repräsentieren. Nicht weniger in dieser Beziehung liefert ein für das große gebildete Publikum geschriebenes Buch von Koken, Die Vorwelt und ihre Ent- wieklungsgeschichte. Von den zahlreichen Beispielen die es dafür, wie man es nicht machen soll, bietet, mögen hier nur wenige ange- führt werden. S. 53 lesen wir: „Man bedenke dabei, dass in Basel stündlich 112 Millionen Kubik fuß, in der Seine bei Paris 14 Millionen Kubik fuß, im Ganges bei Sieligully 1500 Millionen Kubikfuß (engl.) abfließen“. |In dubio also in einem Satze drei Maßeinheiten! „Die Elbe entzieht ihrem 550 Quadratmeilen umfassenden Quell- &ebiet in Böhmen bei einer 6000 Millionen ebm (!) betragenden Wasser- masse jährlich 482 Millionen kgr an gelösten Stoffen, wozu 4953], Millionen kgr Suspendiertes kommen“. „Ein anderes wichtiges Beispiel liefern die von Presterich über (las Themsewasser angestellten Untersuchungen. . . ... Eine Durech- schnittsbereehnung ergibt, dass an Kingston täglich 1250 Millionen Gallons Wasser vorbeifließen, eine Wassermasse, der 1502 Tons (a 2400 Pfund) gelöste Substanz entsprechen, demnach im Jahre 548250 Tons oder 658 Millionen ker.“ Ich kann gelinde Zweifel nicht unterdrücken, ob jeder gebildete Leser wissen wird, wie viel ein Gallon ist. S. 395 finden wir im Text, dass Brontosaurus 60-70 Fuls lang ist, die Figurenerklärung belehrt uns, dass er 20 Meter erreicht. Auf der folgenden Seite tritt uns der 115 Fuß lange Atlantosaurus mit Oberschenkeln von 2 Meter Größe entgegen. Auf 5. 434 messen wir Gesamtlänge und Länge der Zähne bei Squaliden nach Fnß, die Wirbel derselben aber nach Centimetern. Auf S. 181 finden wir eine Tabelle über die Kohlenproduktion der Erde: England 1888 . . . ....169935219 Tonnen (engl.) Vereinigte Staaten . . . . 126819406 5 Deutschland und Luxemburg 81868 811 „ao s(@metrisch) ete. Weiter lesen wir: „In den veremigten Staaten stieg die Produk- Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 35 tion von 1887 auf 1888 um 15022480 short tons; dabei sind die Anforderungen so gewaltig, dass Steinkohle noch immer mehr im- portiert als exportiert wird (1085647 long tons Import“ ete. Ob wohl jeder Leser sich in diesem Tonnensystem zurechtfindet ? Man vergleiche die Parallelrechnungen auf S. 195 die eine von Shaler in Fuß und Zoll, die andere von Ochsenins in Festmetern und Centimetern. Es wirkt ordentlich wohlthuend, wenn man in anderen Büchern, die die gleiche oder ähnliche Materien behandeln, sieht, wie Mab- angaben behandelt sein sollen. Musterhaft in dieser Beziehung sind besonders Uredner’s Geo- logie, dann Zittel’s Paläontologie, Neumayr’s Erdgeschichte, wenn anch die beiden letztgenannten nicht ganz frei von den gerügten Mängeln sind. Ich glaube, es war einmal notwendig, auf diese Dinge hinzuweisen. Es wird durch einen solehen Hinweis auch sicher anders werden. Was würde man z. B. zu einem Lehrbuch der Physiologie sagen, in welchem sich solche Verhältnisse nachweisen ließen? Man würde es sofort als unbrauchbar bei Seite legen. Der Leser hat das Recht zu verlangen, dass em Buch auch in dieser Beziehung durchgearbeitet ist, und dass er nicht zu den Angaben seines Lehrbuches beständig eine Tabelle zur Umrechnung von Maßen nötig hat, die ihn vielfach noch wegen ungenauer Angabe nicht einmal zum Ziele führen wird. Der Autor weiß, woher die Zahlenangaben stammen; er hat sie zu prüfen und gleichmäßig zu redigieren. hostock, Januar 1594. Ueber die Erhaltung des Gleichgewichts. Von Albrecht Bethe in München. Die Tiere müssen zur zweckmäßigen Fortbewegung eine bestimmte, wohl aber mit Willen veränderliche Lage zur Erdoberfläche einnehmen. Zur Erreichung dieser Lage dient in weitester Verbreitung von niedrigen Tieren bis zu den höchsten das Tastgefühl in Verbindung mit dem Muskelgefühl. Es ist aber klar, dass das Tastgefühl nur dann von Bedeutung für die Orientierung des Tieres sein kann, wenn der Körper einerseits sich in Luft oder Wasser bewegt, andrerseits mit der Erde oder andern festen Gegenständen (Wasseroberfläche bei Hydrometra) in Berührung ist. Bei den Tieren aber, welche (immer oder zeitweise) schwimmen oder fliegen, kann bei en Sr das Tastgefühl nieht zur Orientierung dienen, weil in Luft und Wasser der Druck von allen Seiten gleich oder wenigstens annähernd gleich ist. Es ist nun durch die vielen in der zweiten Hälfte unseres Jahr- hunderts gemachten Versuche an den halbzirkelförmigen Kanälen der 6 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. Wirbeltiere und den Otolithenapparaten der Wirbeltiere und vieler wirbellosen Tiere zur größten Wahrscheinlichkeit geworden, dass diese Apparate spezifische Gleichgewichtsorgane sind. Ausführliche Litteratur- angaben der diesbezüglichen Arbeiten finden sieh bei Matte |Doktor- Dissertation, Ein Beitrag zur Funktion der Bogengänge des Labyrints. Halle 1892] und bei Ewald, |Physiologische Untersuchungen über das Endorgan des Nervus octavus. Wiesbaden 1892%)]. Es gibt nun aber unter den wirbellosen Tieren eine große Anzahl, bei denen derartige Apparate nicht bekannt sind und auch schwerlich gefunden werden dürften. Unter diesen Tieren sind nun aber eine Menge vortrefflicher Flieger resp. Schwimmer, so besonders unter den Insekten und. Crustaceen. Wie erhalten nun diese Tiere das Gleichgewicht? So fragt sich auch Delage?) am Schlusse seiner Arbeit über die Ötoeyste der Mollusken und Urustaceen: Si les otoeystes sont n&ces- saires aux Mollusques et aux Crustaces superieurs pour assurer la regularit@ de leur locomotion, comment les autres invertebres prives d’otoeystes peuvent ils s’en passer ? L’objeetion est serieuse et le devient plus encore si on l’applique a des etres doues, comme les inseetes, d’une tres grande vivacite d’allures. Delage glaubt nun, dass bei diesen Tieren vor allem das Gesicht bei der Orientierung im Raum in Betracht kommt. „Il est done tout naturel d’admettre que chez les msectes les oto- eystes absents sont entierement remplaces par la vue*“. Das Gesicht hat nun wohl auch wirklich Einfluss bei der Erhal- tung des Gleichgewichts (Tabetiker), aber es kann unmöglich allein zur Orientierung dienen. Es ist bekannt, dass Fledermäuse geblendet mit derselben Sicherheit fliegen wie sonst, und blinde Höhlentiere und Tief- seebewohner mit vollkoimmener Sicherheit Gleichgewicht halten. Schlieb- lich habe ich mich selber an Astacus fluviatilis, Narcoris cymicoides, Corixa carinata (Wasserwanzen), Acilius sulcatus, Ilybius uliginosus (Wasserkäfer), Aeschna juncea, Agrion elegans(Libellen), Pieris brassicae und einer Phryganiden-Art, deren Augen ich mit einem undurchsich- tigen Brei aus Vogelleim und Puderkohle überstrichen hatte, überzeugt, (lass sie ebensogut beim Schwimmen resp. Fliegen Gleiehgewicht halten wie sonst. Ich habe die Außerfunktionssetzung der Augen mittels eines absolut lichtdichten Lackes der Blendung durch Ausschneiden der Augen, wie sie Delage bei Polybius, Mysis, Carcinus, Palaemon u. s. w. an- wandte, vorgezogen, weil dabei keine Gefahr vorliegt, das Gehirn zu 1) Ich werde am Ende dieses Aufsatzes anf die Funktion der Ötolithen- apparate zurückkommen. 2) Delage, Sur une founction nouvelle des otocystes comme organes «W’orientation locomotriee. Archives de Zoologie experimentale et generale Serie Il, Bd. V, 1887. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 7 verletzen. Astacus läuft ebenso gut wie sonst, nur stößt er leicht mit dem Kopf an die Wände des Aquariums, was michi zu verwundern ist. Auf den Rücken gelegt vermag er sich in ganz normaler Weise sowohl mit Hilfe der Beine als auch durch Schwanzschläge umzudrehen. — Wasserkäfer und Wasserwanzen verhielten sich «leichfalls ganz nor- mal. — Die Libellen, Pieris und Phryganiden flogen in vollkommener Gleichgewichtslage. Aeschna juncea und Pieris brassicae machten zuerst während des Aufsteigens horizontale Kreisbewegungen, welche aber bald unterlassen wurden. Alle diese Insekten stiegen sehr hoch in die Luft, was man sonst selten sieht. Pieris ließ sich hin und wieder ein paar Meter fallen in der Absicht, die Erde zu erreichen, stieg aber immer wieder in die Höhe. Sie weiß augenscheinlich nicht, dass sie sich so weit von der Erde entfernt hat. Wenn die Tiere sie h schließ- lich zur Erde herabließen, konnte man schen, dass sie ganz geblendet waren. Während die Insekten nämlich sonst kurz vor dem Erdboden noch einige Flügelschläge machen, um möglichst sanft herabzukommen, trafen sie jetzt ganz hart auf dem Boden auf. Wir müssen uns also bei otocystenlosen Schwimmern und Fliegern nach einer andern Art der Orientierung umsehen. Die einfachste Orientierung in Luft und Wasser wäre die, welche durch die Verschiedenheit im spezifischen Gewicht zwischen Tier und Luft respektive Wasser gegeben ist. Durch diese Verschiedenheit hat das Tier zwei Richtungen fest, die nach oben und unten, und es könnte nun durch geeignete Bewegungen den Körper in eine bestimmte Lage z. B. die horizontale brngen. Der Beweis hierfür wäre sehr leicht zu erbringen. Es müssten sich nämlich alle auf dem Bauch schwimmen- den Tiere, welche schwerer -sind als Wasser, in eine Flüssigkeit ge- bracht, welche spezifisch schwerer ist als sie selbst, durch geeignete Bewegungen im die Rückenlage bringen, weil durch die Veränderung der Flüssigkeit für sie unten zu oben und oben zu unten geworden sein müsste. Bei Tieren von geringerem spezifischen Gewicht als Wasser müsste man zur Erreichung desselben Effekts eine Flüssigkeit anwenden, welche spezifisch noch leichter ist als die Tiere selbst. Ich bemerke hier, dass, soweit meine Beobachtungen reichen, alfe wirbellosen Schwimmer, welche Luft zum Atmen gebrauchen d. h. ihre Luft von der Oberfläche des Wassers holen, spezifisch leichter sind als Wasser mit Ausnahme der Larve von Onulex pipiens, was wohl auf eine spezielle Anpassung zurückzuführen ist. (Die Pupa libera von Culex pipiens ist leichter als Wasser.) Dieses spezifische Verhältnis ist für die Luft atmenden Tiere von großer Wichtigkeit, denn wenn sie einmal durch Verbrauch des Sauerstoffs die Besinnung verlieren, so kommen sie von selbst an die Oberfläche und zwar zuerst mit dem Teil des Körpers, welcher die Luft aufnimmt (Wasserkäfer, Wasser- wanzen, Argyroneta u. 8. W.). XIV. fi us Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. Die meisten von mir untersuchten wirbellosen Tiere, welche nicht Luft atmen und keine Otolithen haben, schwimmen nun zwar in der That umgekehrt als sonst, wenn sie in Flüssigkeiten gebracht werden, welche spezifisch schwerer sind als sie selbst. Diese Lage wird aber nicht durch Bewegungen erreicht, sondern ganz mechanisch, ohne Dazuthun des Tieres eingenommen. Dreht man nämlich den Versuchs- zylinder um, so dreht sich auch das Tier um ohne eine Bewegung zu machen, oder wenn es Bewegungen macht, so sind sie nicht geeignet die Umdrehung hervorzurufen. Es folgt daraus, dass das umgekehrte Schwimmen in spezifisch schwereren Flüssigkeiten nicht auf der postu- lierten Ursache beruht. Ich benutzte als Untersuchungsflüssigkeiten verschieden starke Lösungen von Chlornatrium oder von unterschwefligsaurem Natron. Tiere, welche in solchen Lösungen umgekehrt schwimmen sind z. B. Ephemeridenlaren, Asseln, Gamarus, die meisten Copepoden und Daph- niden. Ebenso wie von diesen Tieren die umgekehrte Lage in Salz- lösungen mechanisch erhalten wird, wird von ihnen auch die normale Lage im Wasser mechanisch erhalten. Die wirbellosen Tiere, welche Luft atmen, verhalten sich im spezifisch leichteren resp. spezifisch schwereren Flüssigkeiten nicht umgekehrt; aber auch bei ihnen ebenso wie bei den fliegenden Insekten (wenigstens soweit meine Versuche reichen) wird die Gleichgewichtslage mechanisch erhalten ohne Dazu- thun der Tiere. (Die beweisenden Versuche folgen weiter unten.) Diese mechanische Erhaltung des Gleichgewichts beruht auf ver- schiedenen Ursachen. Bei luftatmenden Schwimmern wird sie durch die Gegenwart zweier Elemente von sehr verschiedenem spezifischen Gewieht erreicht. Bei den fliegenden Insekten beruht die mechanische Erhaltung des Gleichgewichts teilweise auch auf der Gegenwart zweier Elemente von verschiedenem spezifischen Gewicht, andernteils aber auf der Gestalt. Bei allen übrigen untersuchten Schwimmern mit wenigen Ausnahmen ist der ganze Körper von ziemlich einheitlichen spez. Gewicht und hier beruht die mechanische Erhaltung des Gleich- gewichts allein auf der Gestalt des Körpers, oder anders gesagt, auf der Verteilung der Massen. Um dies letztere zu verstehen, ist es nötig, emige physikalische Fragen kurz zu erörtern. Lässt man einen Körper im luftleeren Raum fallen, so wirkt auf ihn nur eine Kraft ein; das ist die Anziehungs- kraft der Erde, welehe im Schwerpunkt des Körpers angreift. Der Sehwerpunkt sucht der anziehenden Kraft mögliehst nahe zu kommen, und der Körper dreht sich um eine durch den Mittelpunkt gehende Axe, bis der Schwerpunkt die tiefste Lage einnimmt. Diese feste Gleiehgewichtslage wird beibehalten, so lange der Körper nicht am freien Fall verhindert wird. Beim freien Fall im Luft oder Wasser oder überhaupt Widerstand Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 99 leistenden Medien wirkt außer der Anziehungskraft der Erde auch noch der Widerstand des Mediums, das heißt eine der Fallrichtung entgegenwirkende Kraft ein. (Es handelt sieh vorläufig nur um Körper von einheitlichem spez. Gewicht.) Die Anziehungskraft der Erde greift immer in demselben Punkte an: dagegen kann der Angriffspunkt «des Widerstandes sehr ver- schieden sein je nachdem, welche Seite oder welche Seiten des Körpers dem Widerstande ausgesetzt sind. Der Körper wird sieh jetzt einer- seits beim Fall so zu lagern suchen, dass der Schwerpunkt die tiefst- mögliche Lage einnimmt, andrerseits so, dass der Widerstand ein möglichst geringer ist. Er wird so länge hin und her schwanken bis die Resultante der Widerstände durch den Schwerpunkt geht und dann in dieser Lage weiter fallen. Den größten Widerstand werden konkave Flächen bieten, weil hier das Ablaufen der Teilchen des Widerstand leistenden Mediums am schwersten ist. Weniger groß wird aus demselben Grunde der Widerstand bei horizontalen und am geringsten bei konvexen und schrägen Flächen sein. /wei Fälle können eintreten beim freien Fall: 1) Es können die Schwerkraft und der Widerstand den Körper in gleichem Sinne richten. 2) Sie können ihn in verschiedenem Sinne richten. Im gleichen Sinne wirken Schwerkraft und Widerstand z. B. bei einem Kreisbogen, einer halben Zylinderfläche, einer halben Hohlkugel (besonders bei verdiektem Pol), bei einer Kugel, an der eime Fahne befestigt ist u. 8. w. Wenn man letzteren Körper mit der Schneide der Fahne zuerst fallen lässt, so geht die Widerstandsresultante durch den Sehwer- punkt. Er befindet sich aber nur im labilen Gleichgewicht, und der geringste Anstoß genügt, um ihn umzustürzen und in das stabile Gleichgewicht zu bringen, welche Lage er bis zu Ende beibehält. Körper, bei denen Schwerkraft und Widerstand entgegengesetzt wirken, sind z. B. Kegel. Der Schwerpunkt liegt 3 Mal so weit von der Spitze entfernt wie von der Basis. Trotzdem, fällt der Kegel mit der Spitze zuerst, weil der Wiederstand, den der schräg gerichtete Kegelmantel erfährt, bedeutend geringer ist, als der Widerstand der Basis. — Ein Körper nimmt beim Fallen um so schneller die konstante Gleichgewichtslage ein, je geringer der Unterschied im spez. Gewicht zwischen dem Körper und dem Widerstand leistenden Medium ist. Bringt man einen Körper von gleichmäßigem spez. Gewicht, der schwerer ist als Wasser, in eine Flüssigkeit die spez. schwerer ist als er selber, so wird er in der umgekehrten Lage nach oben getrieben, als er im Wasser nach unten sank. Die schwerere Flüssigkeit wirkt ebenso, als ob über der Flüssigkeit eine anziehende Kraft wäre, und die Widerstände sind genau derselben Art wie im Wasser. 100 Bethe, Erhaltnng des Gleichgewichts. Ganz anders verhält sich ein Körper, der aus zwei spezifisch sehr verschiedenen Substanzen besteht und in dem diese Substanzen nicht konzentrisch angeordnet sind. Bringt man einen solchen Körper in eine Flüssigkeit, welche spezifisch schwerer ist als er selber, s6 wird der Körper in derselben Lage emporgetrieben, im der er im eimem leichteren Medium zu Boden fiel, nämlich so, dass die spez. schwerere Substanz die tiefere Lage einnimmt. Es können hierbei 2 Fälle eimtreten: Einmal kann die schwerere Komponente schwerer sein als die Flüssigkeit. In diesem Fall hat die leichtere Substanz Auftrieb, während die schwerere Abtrieb hat. Im andern Fall können beide Komponenten leichter sem als die an- gewandte Flüssigkeit, und auch jetzt wird die oben angegebene Lage eingenommen, weil die leichtere Substanz den größeren Auftrieb hat. Wenn ein Körper in einer Flüssigkeit in derselben Lage nach unten sinkt, in der er in einer spez. schwereren nach oben getrieben wird, so darf man mit Sicherheit daraus folgern, dass zwei in ihm enthaltene Substanzen von sehr verschiedenem spez. Gewicht diese Lage bedingen. Auf Grund dieser Thatsachen, glaube ich berechtigt zu sein, die mechanische Erhaltung des Gleichgewichts bei Asseln, Ephemeriden- Larven u. s. w. auf die Gestalt dieser Tiere zurückführen zu dürfen, bei der andern Gruppe auf die Gegenwart zweier Substanzen von sehr verschiedenem spez. Gewieht. Wenn es gelingt, lebende Schwimmer dureh Luftberaubung oder durch Emsetzen in spez. schwerere Flüssig- keiten zum umgekehrten Schwimmen zu veranlassen, wenn sie im dieser Lage gut schwimmen und man den Eindruck hat, dass sie wirklich unten für oben und oben für unten halten, dann ist es klar, dass sie wirklich nur dureh die mechanische Erhaltung des Gleiehgewiehts orientiert werden. Ich gebe hier im Folgenden meine dahin zielenden Versuche nebst denjenigen, welche ich gemacht habe, um an den ver- schiedenen Tieren die mechanische Erhaltung des Gleiehgewiehts zu demonstrieren. Dass wirklich die selbstthätige Erhaltung des Gleichgewichts für Schwimmer und Flieger sehr brauchbar ist, wird niemand leugnen. Die Tiere sind durch einseitige Bewegungen im Stande, die Lage zu ändern, kommen aber immer wieder in die Gleiehgewichtslage zurück und wissen durch ihr Muskelgefühl ganz genau, in welchem Winkel sie sieh bei schiefer Lage zur normalen befinden. Versuche. Nr I. Luftatmende Tiere. Wasserkäfer. Mein Versuchsmaterial bestand aus: 1) 2) zwe Hydroporus-Arten. 3) Ilibius subaeneus. 4) Hyphydrus ovatus (Jerru- gineus). 5) Ilibius uliginosns. 6) Haliplus flavicollis. 7) Acilius sulcatus. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 101 Alle diese Wasserkäfer nehmen in der Ruhelage eme etwas von der Horizontalen abweichende Bauchlage ein. Das Hinterteil als der Teil, welcher die Luft aufnimmt, isf schräg nach oben gerichtet. Die Tiere sind spezifisch leichter als Wasser. Setzt man einen Wasser- käfer in einen Zylinder mit Wasser, verschließt denselben oben und dreht ihn verschiedentlich um, so nimmt das Tier von selber, ohne sein Zuthun wieder die normale Lage em. Das Tier überlässt sich vollkommen dieser passiven Orientierung. 'Tötet man einen Wasser- käfer mit Chloroform oder duren schnelles Erwärmen auf 60° und wiederholt den Versuch im Zylinder mit der Leiche, so zeigt sich wie am lebenden Tier, dass immer wieder von selbst die Gleichgewichts- lage eingenommen wird. In 60—70proz. Alkohol sinkt der Körper in derselben Lage, im der er im Wasser nach oben steigt. Aus dem gleichen Verhalten in spez. leichterer und spez. schwererer Flüssigkeit folgt, dass die Lage durch die Gegenwart zweier Elemente von ver- schiedenem spez. Gewicht bedingt ist. Das eine Element ist die Körper- substanz, das andere die im Tier enthaltene und vorzugsweise am Rücken unter den Flügeldeeken verteilte Luft. Tötet man einen Wasserkäfer in Alkohol, so wird die Luft ab- sorbiert, der Körper wird schwerer als Wasser und sinkt nicht mehr in der Bauchlage sondern in der hückenlage zu Boden, so oft man auch den Zylinder umdreht. Dies beruht etwa nicht darauf, dass die kückenseite des Tieres an sich ein höheres spez. Gewicht hat als die Bauchseite und die Beine, sondern nur auf der Massenverteilung. Wären es spez. Gewichtsverhältnisse, so würde der Leichnam in spez. schwererem Salzwasser auch die Rückenlage einnehmen. Dies ist aber nicht der Fall; es wird vielmehr die Bauchlage eingenommen. Wir sehen also, dass nur die Verteilung der Luft die Ursache der Bauchlage ist. Dasselbe geht aus folgendem Versuch hervor: Bringt man einen Wasserkäfer z. B. Yibius subaeneus in einen klemen Zylinder, der bis zum Rande mit Wasser gefüllt ist nnd drückt stark auf die Oberfläche (des Wassers mittels des Handballens oder mittels einer Gummiblase, wie sie bei den kartesischen Teufelchen angewandt wird, so nimmt der Käfer nieht mehr die schräge sondern die horizontale Gleich- gewichtslage em, weil die Luft im Tier komprimiert und von der Atemöflnung aus, durch die Wasser einströmt, dem Kopf zuge- trieben wird. Drückt man noch stärker, so wird die Luft noch mehr nach dem Kopf zugedrängt und noch stärker komprimiert; die Folge davon ist, dass der Kopf eine höhere Lage einnimmt als das Hinterteil, dass das spez. Gewicht vergrößert wird und das Tier zu Boden sinkt. Dabei ist das Tier doch noch über seine Lage orientiert, (denn bald strebt es nach oben um frische Luft zu schöpfen. Alle diese Resultate werden bestätigt durch Versuche mit Wachs- 102 3ethe, Erhaltung des Gleichgewichts. modellen. Ich nahm als Vorbild für dieselben einen Zib/us (uliginosus). Da Wachs leichter ist als Wasser, wandte ich als spez. leichteres Medium bei den Versuchen 70proz. Alkohol an, als spez. schwereres Wasser. Der Körper an und für sich (ohne Beine) gleicht am ersten einem in der Längsaxe halbierten Ei. Der Schwerpunkt eines solchen Körpers liegt ungefähr auf der Mitte der Höhe also etwas weiter nach dem breiten Ende hin. Wenn dieser Körper nur durch die Schwerkraft gerichtet würde, so würde er entweder mit der flachen oder der ge- wölbten Seite dem Erdboden zustreben. Der Widerstand dagegen sucht den Körper so zu drehen, dass die gewölbte Fläche der an- ziehenden Kraft zugewandt ist. Diese Lage ist eine sehr wenig stabile, sie wird aber stabil durch die am Käfer vorhandenen Beine. Diese bewirken nicht nur eine relative Verlagerung des Schwerpunktes mehr dem Rücken zu (d. h. wenn man jetzt den Körper mit den Beinen betrachtet, so liegt der Schwerpunkt sehr viel näher dem Rücken als der äußeren Begrenzungslinie der Beine), sondern bieten auch dem Widerstand neue Angriffspunkte, um den Körper zu richten. Die Beine wirken etwa wie die Fahne an dem oben erwähnten Körper (siehe 5. 99). Es sinkt also das Wachsmodell eines Käfers ebenso wie die der Luft beraubte Leiche in stabiler Rückenlage in 70 proz. Alkohol zu Boden und steigt dem entsprechend in der Bauchlage in spezifisch schwererem Wasser nach oben. Ahmt man in Wachs die spez. Verhältnisse des normalen Käfers nach, indem man am Rücken des Modells eme mit Luft gefüllte Röhre ausarbeitet, so zeigt das Modell dasselbe Verhalten wie das lebende Tier. Es steigt in Wasser m der Bauchlage nach oben und sinkt in derselben Lage in Alkohol zu Boden. (Die eingebrachte Luftmasse muss ziemlich bedeutend sein, weil beim Smken in Alkohol der Wider- stand umdrehend zu wirken sucht.) Man kann auch am Wachsmodell die Kompressionsversuche nachahmen. Bei Hibius (subaeneus u. uliginosus) gelingt es, durch ganz kurzes Eintauchen in starkem Alkohol die Luft zu rauben. Bei den übrigen ist längeres Eintauchen nötig, so dass die Tiere nach dieser Operation halb besinnungslos sind. Bringt man diese der luftberaubten aber leben- den Tiere in den Versuchszylinder, so sinken sie in der Rückenlage zu Boden. Diese Lage ist nicht so fest fixiert, wie die normale Bauch- lage; daher schwankt das Tier bei Schwimmbewegungen auch leicht hin und her und ich glaube, dass sich aus diesem Grunde die Tiere einer anormalen Lage bewusst sind. Trotzdem scheint es mir, als wenn sie wirklich unten für oben hielten. So konnte ich z. B. wieder- holt beobachten, dass die Versuchstiere beim Sehütteln des Zylinders oder bei Berührung mit einem Stab in der Rückenlage nach oben schwimmen, so wie sie sonst nach dem Grunde zu flüchten. Danach Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 105 lassen sie sich wieder zu Boden fallen, wie sie sich sonst nach der Wasseroberfläche hin treiben lassen, oder unterstützen auch den Ab- trieb dureh Schwimmbewegungen, um schneller hin zu gelangen. Wenn sie unten anstoßen, so verhalten sie sich ganz wie normale Tiere, denen man eime Glasscheibe auf die Wasseroberfläche gelegt hat. Sie stoßen gegen die Wand, schwimmen wieder nach oben (in der kücken- lage), lassen sich wieder fallen und stoßen nun wiederholt gegen die untere Wand, als wenn sie sich gewaltsam den Weg zur Luft, die sie dort vermuten, bahnen wollten. Bringt man einen der luftberaubten Käfer in Salzwasser von entsprechend schwererem spez. Gewicht, so wird er mechanisch in der normalen Lage erhalten und benimmt sich ebenso wie früher, wo er durch seimen Luftgehalt in der Bauchlage erhalten wurde. Er streckt das Hinterteil aus dem Wasser heraus, um Luft zu schöpfen, was ihm allerdings nicht möglich ist, weil die Tracheen mit Flüssigkeit erfüllt sind, und flüchtet sich beim Berühren in die Tiefe. Erwähnen ınuss ich, dass einmal ein der Luft beraubter Ilibius vorübergehend in der Bauchlage schwamm. Dass diese Versuche keine vollgültigen Beweise dafür sind, dass die mechanische Erhaltung die einzige Orientierung der Käfer ist, dessen bin ich mir vollkommen bewusst. Es wäre sehr gut möglich, dass die Tiere sich ihrer Rückenlage bewusst sind und es nur nicht verstehen, sieh umzudrehen. Und man könnte das Flüchten in der falschen Richtung so deuten, dass beim Berühren des Tieres ganz be- stimmte instinktive Bewegungen ausgelöst werden, welche den Körper bei der umgekehrten Lage in der falschen Richtung fortbewegen müssen, und ebenso könnte man es erklären, dass das Tier nach unten hin zu gelangen sucht. Ich halte die Richtigkeit dieser Auslegung nicht für wahrscheinlich. Die später folgenden Versuche an Ephemeriden- Larven, welche Tiere auch im gewöhnlichen Leben im Stande sind dureh Schwerpunktsverlagerung sowohl in der Rückenlage als auch in der Bauchlage zu schwimmen, beweisen wenigstens für diese Tiere init Sicherheit, dass sie kein Bewusstsein ihrer falschen Lage haben. Wasserwanzen. Versuchsmaterial. I. Bauchschwimmer: 1) Narcoris cymicoides. 2) Corixa carinata. 5) Ranatra linearis. 4) Nepa einerca. 11. hückenschwimmer: 5) Notonecta glauca. 6) Ploa minutissima. Diese 6 Wanzenspecies sind leichter als Wasser und nehmen immer ganz mechanisch die ihnen eigentümliche Gleichgewichtslage ein, so oft man auch den Versuchszylinder, indem sie sich befinden, umdreht. Abgetötete Tiere (durch Chloroform oder Wärme) nehmen dieselbe Lage im Wasser ein wie lebendige. |Notoneeta darf nicht durch Wärme ge- tötet werden.| Bringt man sie in 60 proz. Alkohol, so behalten sie, ob- wohl das Medium spez. leichter ist, beim Untersinken die normale Lage bei, so lange nicht die Luft absorbiert ist, was bei emigen sehr schnell 104 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. geschieht. Es ist also das Gleichgewicht dureh die Verschiedenheit der spez. Gewichte von Luft und Körpersubstanz garantiert. BRanatra und Nepa sind ganz miserable Schwimmer. ich habe sie deshalb nicht weiter untersucht. Bei Notonecta und Ploa ist die Luft vorzugsweise auf der Bauch- seite verteilt. Raubt man ihnen die Luft, so dass sie schwerer sind als Wasser, so wird beim Untersinken wie vorher die normale kRücken- lage eingenommen, weil der Schwerpunkt auch jetzt noch im Körper nahe dem Rücken liegt. In spez. schwererem Salzwasser nehmen die der Luft beraubten Tiere die Bauchlage ein. Bei den beiden Bauchschwimmern Narcoris und Corixza sind die Verhältnisse ebenso wie bei Wasserkäfern. Der Luft beraubt sinken sie in Wasser in der Rückenlage zu Boden und werden in Salzwasser in Bauchlage emporgehoben. Der Versuch lebende Tiere durch Luftberaubung zum umgekehrten Schwimmen zu bringen gelingt bei Narcoris sehr leicht. Corixa wird leicht dureh die Luftberaubung besinnungslos und es gelang mir von S Tieren nur an 2 mit Glück die Operation zu vollziehen. Beide Tiere verhalten sich der Luft beraubt gleich. Besonders bei Narcoris hatte ich bei oft wiederholten Versuchen immer den Eindruck, dass das Tier unten für oben hält. Ich habe den Versuch an diesem Tier verschie- denen Leuten vorgeführt, welche denselben Eindruck gewannen. Das Tier schwimmt ins Wasser gebracht in der Rückenlage nach unten, um die Luft dort zu erreichen. Unten angekommen thut es sein Be- gehren nach Luft durch fortwährendes -Gegenstoßen gegen die Wand kund. Dasselbe beobachtet man am normalen Tier, wenn man das Gefäß bedeckt. Rührt man das Tier an, so flieht es in der hücken- lage nach oben, weil es dort den Grund vermutet. Notonecta und Ploa sind ebenfalls ganz leicht der Luft zu berauben. Sie schwimmen dann ganz wie sonst, nur dass sie eben schwerer sind als Wasser und Schwimmbewegungen machen müssen, um die Wasser- oberfläche zu erreichen. Es wird ihnen das sehr schwer; aber bei nicht zu hohem Wasserstand gelingt es ihnen doch mit einiger Mühe. Setzt man die der Luft beraubten Tiere m Salzwasser, so nehmen sie mechanisch, wie schon oben gesagt, die Bauchlage ein. Sie selber aber glauben noch wie vordem schwerer als das umgebende Medium zu sein und in normaler Weise auf dem Rücken zn schwimmen, in Folge dessen streben sie nach unten um zur Luft zu gelangen. Dies Verhalten tritt stets mit großer Deutlichkeit und Regelmäßigkeit ein. Gegen die Beweiskraft dieser Versuche an Wanzen könnte man (dasselbe einwenden, wie bei Wasserkäfern. Larve und Pupa libera von Culex. Die Larve ist spezifisch schwerer als Wasser; an der Oberfläche hält sie sieh dureh Adhäsion Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 105 fest. Bei Gefahr lässt sie sieh sinken oder führt auch in die Tiefe führende Schläge aus. Die Puppe ist leichter als Wasser. Bei Gefahr taucht sie mittels Schwanzschlägen unter. Beide Entwicklungsstadien verdanken ihre Lage der Gegenwart von Luft im Körper. Die Pupa libera sinkt in 70proz. Alkohol m der normalen Lage zu Boden. Ebenso wird die Larve in der normalen Lage in Salzwasser emporgzehoben. Die meiste und für die Lage ausschlaggebende Luft ist in den Stigmen enthalten, von denen die Larve eins am Hinterteil, die Pupa libera 2 an der Rückseite des Kopfes hat. Schneidet man der Larve das Stigma ab, so fällt das Tier um. Dagegen wird die Bauchlage des Körpers beibehalten, wenn man der Larve den Kopf abschneidet. Schneidet man der Pupa libera ein Stigma ab, so sinkt sie in schiefer Lage zu Boden. Schneidet man beide ab, so fällt das Tier um. Den Schwanz der Pupa libera kann man abschneiden, ohne dass dadurch die Gleichgewichtslage geändert wird. Argyroneta aquatica. Sie schwimmt auf dem Rücken und diese Lage ist sowohl durch den Gehalt an Luft, als auch durch die Gestalt bedingt. Der Luft beraubt sinkt das Tier m der Rückenlage zu Boden und wird in Salzwasser m der Bauchlage nach oben ge- trieben. Das normale Tier lässt sich leicht durch Kompression des Wassers im Zylinder zum Sinken bringen. II. Nicht Luft atmende Schwimmer und solche, welche sie direkt aus dem Wasser nehmen. Alle schwerer als Wasser. Hydrachna sanguinea. In spezifisch schwererer Salzlösung schwimmt sie ebenso wie in spez. leichterem Wasser auf dem Baueh. beim Umdrehen des Gefäßes wird mechanisch immer wieder dieselbe Lage eingenommen. Die Lage im Wasser ist nieht sehr stabil. Schon eine geringe Verlagerung des Schwerpunktes etwas nach dem Rücken hin, bewirkt, dass das Tier umkippt. Eine solche Verlagerung tritt ein, wenn man das Tier unvorsichtig abtötet. Es streckt nämlich gern beim Sterben die Beine nach unten, wodureh natürlich der Schwer- punkt relativ nach dem Rücken hin verrückt wird. Durch ganz kurzes Eintauchen in Alkohol gelingt es, das Tier in der natürlichen Haltung zu töten. Es sinkt dann in derselben Lage in Wasser zu Boden, in der es in Salzwasser nach oben steigt. Aus diesem Verhalten geht hervor, dass im Tier zwei Substanzen von verschiedenem Gewicht vorhanden sind. Es sind dies ebenso wie bei den direkt Iuftatmenden Tieren Luft und Körpersubstanz. Lässt man nämlich das Tier längere Zeit m Alkohol, so wird die Luft absorbiert, und jetzt smkt es in der Rückenlage zu Boden und steigt in der Bauchlage in Salzwasser empor, 106 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts, Argnlus foliaceus. Die horizontale Bauchlage ist gut fixiert. Sie wird beim Umdrehen des Gefäßes immer wieder von selbst ein- genommen. Trotzdem ich keinen Versuch mit Argulus in spez. schwererer Flüssigkeit gemacht habe, bin ich doch geneigt anzunehmen, dass die Gleichgewichtslage durch eine Verschiedenheit im spez. Gewicht be- dingt ist, weil die Bauchlage des Tieres durch seine Gestalt nicht erklärt ist. Cyelopiden. Alle mir bekannten Arten schwimmen auf dem Rücken. Diese Gleichgewichtslage wird garantiert dureh die Gestalt des Tieres. Der Schwerpunkt liegt beinahe in der Mitte des Körpers etwas mehr dem Kopfe zu (also bedeutend weiter von der Begrenzungs- linie der Beine entfernt als vom Rücken). Infolge dessen liegt der ‚Kopf in der Ruhelage auch etwas tiefer. Der Widerstand wirkt in (demselben Sinne wie die Schwerkraft. In spez. schwereres Salzwasser gebracht, sterben die Tiere schnell. Lebendig und tot nehmen sie in demselben die Bauchlage ein, woraus hervorgeht, dass nur die Gestalt und nicht ein Unterschied im spez. Gewicht die Lage bedingt. Daphniden. DieDaphniden sind keine sehr eleganten Schwimmer. Sie bewegen sich langsam und sechwankend vorwärts ohne feste Rich- tung und ohne sichere Erhaltung des Gleichgewichts. Der Grund für diese Unsicherheit der Lage ist in der Gedrungenheit des Körpers zu suchen. Der Lage des Schwerpunkts nach müssten die Tiere in der Rückenlage schwimmen. Tote Daphniden nehmen beim Sinken im Wasser auch immer diese Lage an. Ebenso die lebenden Tiere, wenn sie sieh sinken lassen. In spez. schwererem Salzwasser wird immer die Bauchlage eingenommen. Von den lebenden Daphniden schwimmen diejenigen, welche mit einem Haftorgan am Rücken versehen sind, immer in der Rückenlage, während die, welche kein Haftorgan haben, häufig diese Lage verlassen, indem sie sich um eine die beiden Schalen- pole verbindende Axe drehen. In Salzwasser sterben die meisten Daphniden schnell, in einem Zeitraum von 3—15 Minuten; diese Zeit genügt aber um zu konstatieren, dass sie umgekehrt schwimmen wie in gewöhnlichem Wasser. Branchipus. Das Tier schwimmt in der hegel auf dem Rücken. Hin und wieder sieht man das Tier im Wasser einen Purzel- baum schlagen; es kehrt aber gleich darauf wieder in die Gleieh- sewichtslage auf dem Rücken zurück. Beim Purzelbaum krümmt sich (das Tier etwas stärker und führt sehr schnelle und starke Bewegungen init den Beinen aus, woraus, wie man sich leicht vorstellen kann, eine Kreisbewegung um eine zur Krümmungsebene des Tieres senkrechte Axe resultiert. So oft man einen Zylinder, in dem sieh ein lebender oder abgetöteter Branchipus betindet, umdreht, immer wird mechanisch die Gleichgewiehtslage auf dem Rücken eingenommen. Der Körper Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 107 an sich ohne Beine würde schon die hückenlage einnehmen. Der Sehwerpunkt liegt innerhalb der Krümmung aber näher der Mitte des Bogens als der Verbindungslinie von Kopf und Schwanz. Der Wider- stand bei einem so gekrümmten Körper wirkt im selben Sinne richtend, wie die Schwerkraft. Nehmen wir woch die Beine hinzu, so wird da- durch die Wirkung beider Kräfte wesentlich verstärkt. Man kann sich also nieht wundern, wenn die Gleichgewichtslage von Branchipus sehr fest fixiert ist. Asseln (J/dotea) uud Ephemeridenlarven verhalten sich ganz gleich. Die Tiere nehmen im Leben zwei verschiedene Gleichgewichts- lagen ein. Die gewöhnliche Lage beim Schwimmen und Fallen ist die Bauchlage. Häufig aber sieht man sie auch auf dem Rücken schwimmen und sich zu Boden sinken lassen. Ich bemerkte zuerst bei Asseln später auch bei Ephemeridenlaren, dass sie bei den beiden Gleichgewichts- lagen zwei verschiedene Haltungen des Körpers einnehmen. Wenn sie in der Bauchlage schwimmen, so ist der Körper stark dorsal nach innen gekrümmt, wenn man so sagen darf, sie schwimmen mit hohlem Kreuz. Wenn sie dagegen auf dem Rücken schwimmen, so hat der Körper eine grade Haltung oder auch — wenigstens bei Asseln — eine gebeugte Haltung (krummer Buckel). Die Haltung ist nicht die Folge der Baueh- oder kückenlage sondern die Ursache derselben. Es wird einfach der Schwerpunkt verlegt und dadurch die Lage geändert. Ist der Körper ausgestreckt, so muss er in spezifisch leiehterem Wasser — vorausgesetzt, dass das spez. Gewicht annähernd gleich- mäßig ist —, die horizontale Rückenlage einnehmen, weil der Körper inbezug auf die Beine die größere Masse bildet, der Schwerpunkt also im Körper liegt (Fig. 1). Der Widerstand wirkt im gleichem Sinne wie die Schwerkraft. Wird jetzt der Rücken genügend hohl gemacht, so rückt der Schwerpunkt nach unten (Fig. 2), und das Tier dreht sich um, weil der Schwerpunkt in der Bauchlage (Fig. 3) der anziehenden Kraft näher ist. In dieser Haltung wird der Widerstand auf die Lage fast gar nieht riehtend emwirken. Die Flüssigkeitsteilchen können zwar nicht gut zwischen den Beinen abfließen, aber dieser Widerstand wird fast ganz dadurch aufgehoben, dass die Konkavität nach unten ge- 108 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. richtet einen ebenso großen vielleicht noch größeren Widerstand leisten würde. Ahmt man die beiden Haltungen der Assel m Wachs nach, so findet man, dass die beiden Modelle thatsächlich in der postulierten Gleichgewichtslage in 7Oproz. Alkohol zu Boden sinken. Dem ent- sprechend wird natürlich das Modell für die Rückenlage in spezifisch schwererem Wasser die Bauchlage einnehmen und das für die Bauch- lage die Rückenlage. Giebt man abgetöteten Asseln oder Ephemeriden- Larven die be- schriebenen Stellungen, so zeigen sie sowohl in spez. leichteren wie in spez. schwereren Flüssigkeiten das gleiche Verhalten wie die Wachs- modelle. Das spez. Gewicht ist also thatsächlich einheitlich. Ich brachte auch lebende Ephemeriden-Larven im Lösungen von Chlormmatrium und unterschwefligsaurem Natron. Besonders letzteres wird gut vertragen. Nach 10 Minuten langem Aufenthalt zeigen die Tiere noch gar keine krankhaften Symptome. Leider wurde es versäumt ent- sprechende Versuche an Schwimmasseln zu machen. Die Ephemeriden- Larven nehmen im Salzwasser meist die Stellung für die Bauchlage ein, so dass sie also in dem spez. schwereren Medium in der Rücken- lage schwimmen. Sie tummeln sich munter im Gefäß umher, lassen sich hin und wieder auf eme übergedeckte Glasscheibe fallen und kriechen auf derselben herum, wie sonst auf dem Boden des Gefäßes. Bald schwimmen sie wieder in der Bauchlagenstellung nach unten, nehmen auch mal die Rückenlagenstellung ein und lassen sich in der kückenlage (vom Tier aus gerechnet, von uns aus gerechnet in der Bauchlage) nach oben treiben, kurz sie benehmen sich ganz wie im Wasser, nur dass die Begriffe von unten und oben umgekehrt sind, Hätte das Tier noch ein vom äußern Medium unabhängiges nur von (der Anziehungskraft der Erde beeimflusstes Orientierungsorgan, so stände nichts dem im Wege, dass das Tier auch im spez. schwereren Medium (die Bauchlage beim Schwimmen eimnähme und den Boden nach unten hin suchte, weil es eben im Stande ist willkürlich über Bauch- oder hückenlage zu entscheiden. Gamarus pulex. Dieses Tier bewegt sich im Wasser gleich ge- schiekt in 3 verschiedenen Lagen, auf dem Bauch auf dem Rücken und auf der Seite. Dass bei diesen Lagen verschiedene Stellungen (des Körpers eingenommen werden, habe ich wohl bemerkt, konnte sie aber bei der Schnelligkeit der Bewegung und bei dem häufigen Wechsel zwischen den 3 Lagen nieht genau präzisieren. Versuche, die Lagen zu photographieren, blieben bei dem Mangel an Hilfsmitteln erfolglos. Es gelang mir am toten Tier zwei Stellungen des Körpers herauszu- finden, im denen beim Untersinken in Wasser die hückenlage resp. Seitenlage eingenommen wird (dem entsprechend nahm der Körper m (diesen Stellungen in spez, schwereren Medien die umgekehrte Lage Betne, Erhaltung des Gleichgewichts. 109 ein, woraus die spezifische Gleiehmäßigkeit des Materials hervorgeht); aber für die Bauchlage konnte ich keine — wenigstens keine natür- liehe — Stellung finden. Auch dahinzielende Versuche an Wachs- modellen blieben bisher ohne Erfolg. Es wäre möglieh, dass die Bauchlage gar keine stabile sondern eine labile ist. Dafür spricht, dass das lebende Tier, welches in Bauchlage schwimmt, beim Um- drehen des Gefäßes keine Gegendrehung macht, sondern mit umge- dreht wird und nun m der Rückenlage weiter schwimmt. Inwieweit dabei aber die Stellung des Körpers geändert wird, konnte ich nicht beobachten. Jedenfalls ist die Stellung des Körpers bei der normalen jauch- und hückenlage nicht die gleiche. Bei der Bauchlage ist der Körper nicht so stark gekrümmt wie bei der Rückenlage und die 3 hinteren Torakalbeinpaare sind stärker nach oben gestreckt. Bei der Seitenlage wird eine mittlere Krümmung inne gehalten und die Beine werden wie bei der Bauchlage weit nach oben gestreckt. Zwei Wachsmodelle, von denen man dem einen die bei der Bauchlage be- obachtete Stellung gegeben hat, dem andern die der Seitenlage, nehmen beide im Wasser wie im Alkohol die Seitenlage ein. Man kann sich leicht vorstellen, dass dies durch die nach hinten gestreckten Beine bewirkt wird. Die für die Rückenlage beobachtete Stellung hat auch beim Wachsmodell die Rückenlage zur Folge. Von einer mechanischen Erhaltung des Gleichgewichts kann ich der Zeit also nur bei der hücken- und bei der Seitenlage sprechen. Vielleicht werden später wiederholte Photographieversuche auch über die Bauchlage Aufschluss geben. Versuche an lebenden Tieren in spez. schwereren Medien erklären nichts. Die Tiere krümmen sich stark zusammen, um die Kiemen zu schützen und werden infolge dessen in der Bauchlage (welche in Wasser der Rückenlage entsprechen würde) emporgehoben. Fliegende Insekten. Die Zahl meiner Versuche ist gegenüber den Hunderten von Ver- suchen, die ich an Schwimmern angestellt habe, so gering, dass ich von ihnen noch durchaus nicht allgemeine Schlüsse auf alle Insekten ziehen will. Außerdem bietet sich der Untersuchung außerordentlich große Schwierigkeiten. So lassen sich z. B. Umkehrversuche am leben- den Tier gar nicht anstellen. Außerdem steht abgesehen von der Luft kein Medium zu gebote, das spez. leiehter ist als die im all- gemeinen sehr viel Luft enthaltenden Insekten. Der Hauptgrund für die geringe Anzahl von Versuchen liegt aber darin, dass die warmen Herbsttage im verflossenen Jahre sehr selten und infolge dessen auch wenig fliegende Insekten zu haben waren. Ich untersuchte Pieris brassicae, 3 Libellen-Arten (Aeschna juncea, Diplax scotica, Agrion elegans), 4 Dipteren-Arten, 3 Hummeln (Bombus 110 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. terrestris, muscorum und /apidarius), Locusta viridis, Geotropes, 2 Staphi- liden und Cassida. Ich verfuhr in der Weise, dass ich die Tiere, nachdem sie vor sichtig mit Chloroform betäubt oder getötet waren, mit verschiedenen Flügelstellungen, die ihnen natürlich sind, in großen weiten Zylindern oder frei im Raum fallen ließ. In welcher Lage ich die Tiere auch fallen ließ, immer nahmen sie während des Niederfallens die Bauch- lage ein, welche bis zum Boden beibehalten wurde. Dass hierbei die Gestalt der Tiere von großem Einfluss ist, zeigt ein Blick auf das Verhältnis zwischen Flügel und Körper. Dass aber auch bei den meisten untersuchten Tieren das Verhältnis von Luft und Körpersubstanz einen Einfluss auf die Erhaltung der Bauchlage hat, zeigt der Umstand, dass sie mit Ausnahme weniger in derselben Lage in spez. schwererem Wasser nach oben getrieben wurden, in der sie in Luft zu Boden fielen. Den Japanern muss diese physikalische Er- haltung des Gleichgewichts bei Schmetterlingen längst bekannt ge- wesen sein. Dies kommt in den Schmetterlingen aus Papier zum Ausdruck, welche die Japaner mittels Fächerschlägen in vollkommen natürlicher Lage umherschwirren zu lassen verstehen. Aus dem allen geht hervor, dass die mechanische Erhaltung des Gleichgewichts eine große Rolle im Tierreich spielt, wenn sie vielleicht auch nieht bei allen untersuchten Tieren die einzige Art der Orien- tierung ist. Tiere mit Otolithen - Apparaten. Was nun die Tiere mit Otolithenapparaten oder mit Otolithen- apparaten und Canales semieirculares anbetrifft, so schließe ich mich auf Grund der Litteratur und eigener Versuche der Ansicht derer an, welche diese Apparate als Gleichgewichtsorgane deuten. Ich will nicht die Versuche weitläufig beschreiben, sondern nur einige mir interessant erscheinende Punkte hervorheben. Alle mit solehen Apparaten versehenen Tiere haben natürlich ebenso wie die bis jetzt durchgenommenen eine ganz bestimmte Gleich- gewichtslage, welche durch die Gestalt oder durch ein spez. Ver- hältnis bedingt ist (natürlich nur beim freien Fall oder Schweben). Setzt man einen chloroformierten Frosch in Wasser, so nimmt die Schnauze als der die Luft aufnehmende Teil die höchste Lage ein und ragt aus dem Wasser empor. Der übrige Teil des Körpers nimmt unter dem Wasser eine von der horizontalen etwa um 70° abweichende Gleichgewiehtslage auf dem Bauch ein. Bringt man das Tier in irgend einer Lage unter Wasser, immer steigt es wieder in der eben beschriebenen Lage empor. Diese Lage nimmt der lebende Frosch nur bei ganz ruhiger Lage im Wasser ein. So wie er schwimmt, nimmt er eine horizontale Lage ein. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. be Von Fischen ist es zur genüge bekannt, dass die meisten Arten, wenn sie nicht balanciren, also wenn sie tot, ehloroformiert oder der Flossen beraubt sind, die horizontale hückenlage einnehmen. Sie er- halten sich also im normalen Zustand durch Balaneieren im labilen Gleichgewicht. Ebenso erhält sich Mys’s im normalen Zustand im labilen Gleich- eewicht. Die abgetötete Mysis sinkt m der Rückenlage zu Boden und wird im spez. schwererem Medium in der Bauchlage emporgehoben, was die Gleichmäßigkeit des spez. Gewichts des Tieres beweist. Labyrintlose Frösche!) und Fische?) nnd otocystenlose Mysis?) schwimmen nun (abgerechnet die Schwankungen und Drehungen, welche 1) Labyrintexstirpationen an Fröschen sind hauptsächlich von Schrader, 3reuer und Ewald gemacht (Schrader, Pflüger’s Arch., 41, 8.75; Breuer, Pflüger’s Arch., 48, 8.195; Ewald, Physiologische Untersuchungen über das Endorgan des Nervus VIII. Wiesbaden 1392). Wenn Breuer (8. 237 n. 258) schreibt, dass beiderseits operierte Tiere auf dem Rücken schwimmen, wenn man sie in der Rückenlage aufs Wasser legte, und auf dem Bauch, wenn man sie in dieser Lage ins Wasser bringt, so muss ich dem nach meinen Beobach- tungen widersprechen. Auch Ewald sagt nichts der Art. Legt man den operierten Frosch auf dem Rücken ins Wasser, so bleibt er in dieser Lage liegen, wenn er sich nicht bewegt, weil er sich im labilen Gleichgewicht befindet; sowie er aber Schwimmbewegungen macht, so dreht er sich mechanisch (gleich oder nach einigen Stößen) zur Bauchlage um. (Uebrigens werden nach Ewald und nach meinen Beobachtungen die Beine unregelmäßig ausgestoßen, während Breuer gleichzeitiges Anstoßen angibt.) Breuer hat ferner beobachtet, dass ins Wasser gesetzte, operierte Frösche sich nach einiger Zeit zu Boden sinken ließen und hier häufig auf dem Rücken liegen geblieben sind. Ich habe den Vorgang nie beobachtet, möchte aber glauben, dass es sich dabei um sehr ermüdete Tiere gehandelt hat. Thatsache ist es (Ewald und eigne Beobachtungen), dass muntre Tiere, welche man auf den Rücken gelegt hat, sich immer umdrehen allerdings mit großer An- strengung. Es ist auch gar kein andres Resultat zu erwarten, da ihnen ja die Orientation durch das Tastgefühl nicht fehlt. Macht man den Versuch mehr- mals hintereinander mit demselben Tier, so bleibt es schließlich auf dem Rücken liegen, aber nicht, weil es nicht wüsste, wo unten und oben ist, sondern vor Erschöpfung. 2) Von Labyrintoperationen an Fischen sind nur solche am Haifisch publi- ziert und zwar von Steiner, Loeb und Sewall (Steiner, Sitzungsberichte der Berliner Akademie, 20. Mai 1886; Loeb, Pflüger Archiv, 49, S. 175 und Bd. 50, S. 66; Sewall, Journal of physiol., Bd. 4, p. 339). Die meisten ihrer Operationen sind nur einseitig ausgeführt. Bei doppel- seitiger Labyrintexstirpation finden sie Drehungen um die Längsaxe und Purzel- bäume. Eine bestimmte Ruhelage beschreiben sie nicht. An Knochenfischen sind, so weit mir bekannt ist, keine Versuche gemacht. — Bei Perca fluviatilis ist es bei einiger Uebung nicht schwer das ganze Labyrint zu exstirpieren. Bei Esox, den ich ebenfalls untersuchte, bieten sich etwas mehr Schwierig- keiten. Jedoch ist hier die Operation einzelner Kanäle besonders des hinteren sehr leieht ausführbar. Von den Autoren werden für den Haifisch Gleich- 112 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. sich direkt nach der Operation zeigen) in der Lage, welche ihnen durch ihr spez. Verhältnis respektive ihre Gestalt gegeben ist. Nur gewichtsstörungen beim Ausschneiden einzelner Kanäle fast ganz geleugnet. Bei Perca sah ich deutliche Gleichgewichtsstörungen eintreten. Ich muss aber von der genaueren Beschreibung der Versuche noch vorläufig abstehen, weil ihre Anzahl noch zu gering ist. Bei beiderseitiger Exstirpation des ganzen Labyrints traten die von den Autoren beschriebenen Drehungen um die Longitudinalaxe und auch Purzel- bäume ein. Aber schon wenige Stunden nach der Operation schwammen die Tiere fast immer in reiner Rückenlage und nur hin und wieder besonders bei schnellen durch mechanische Reize hervorgerufenen Bewegungen wurden die Drehungen um die Axe wieder aufgenommen. Ließen sich die Tiere zu Boden nieder, so drehten sie sich auf die Bauchseite, was nur beweist, dass das (sehirn oder wenigstens das Zentralorgan des Gleichgewichtssinnes unverletzt war. Auch bei verletztem Mittelhirn wird beim Schwimmen vorzugsweise die Rickenlage eingenommen; aber wenn sich solche Tiere auf den Boden nieder- lassen, so bleiben sie auf dem Rücken oder auf der Seite liegen und drehen sich nicht um. 3) Ueber die Funktion der Otolithenapparate bei wirbellosen Tieren sind außer der Arbeit Delages, welche die Cephalopoden und Arthropoden be- handelt, nur noch zwei Arbeiten von Engelmann und Verworn vorhanden (Engelmann, Ueber die Funktion der Otolithen, Zool. Anz., 1887; Verworn, Gleiehgewicht und Otolithenorgan, Pftlüger’s Arch., 50, S. 423). Beide Gelehrte haben Ctenophoren zu ihren Versuchen benutzt. Besonders die Versuche von Verworn haben bei ihrer großen Zahl und Exaktheit sehr viel Interesse. Er experimentierte hauptsächlich mit Hucharis multicornis und Perca ovata und hatte besonders bei letzterer sehr gute Resultate. Dieses Tier vermag in größeren Zeiträumen sein spez. Gewicht zu ver- ändern, so dass es einmal schwerer, ein anderes Mal leichter als Seewasser ist. Wodurch dies geschieht sagt er nicht. Vielleicht ist es auf dieselbe Weise zu erklären, auf die er selbst neuerdings das Fallen und Steigen der nadio- larien erklärt hat, nämlich dadurch, dass intracellulär reines Wasser d. h. See- wasser minus Chlornatrium aufgenommen wird. In beiden Fällen konnte er ein bestimmtes spez. Verhältnis am Tier nachweisen. Reizte er ein spezifisch leichteres und ein spez. schwereres Tier, so dass sie die Ruderplättchen ein- zogen, dann nahm in beiden Fällen der Körper ınechanisch aber sehr langsam eine solche Gleichgewichtslage ein, dass der Sinnespol nach unten gerichtet war; es geht daraus hervor, dass der Sinnespol (vielleicht durch den Otolithen) schwerer ist als die übrige Körpersubstanz. Dieselbe Lage nimmt das Tier beim Schwimmen ein, wenn es spez. leichter ist als das umgebende Medium. Drehte er ein in dieser Lage schwimmendes Tier um, so drehte es sich in die alte Lage zurück aber nicht dadurch, dass es sich der mechanischen Umdreh- ung überließ, sondern durch einseitige (resp. doppelseitig entgegengesetzte) Bewegung der Ruderplättchen. Wenn das Tier jedoch schwerer ist als das Meerwasser, so schwimmt es nicht in dieser Lage, sondern umgekehrt mit dem Sinnespol nach oben, welche Lage, als labile Gleichgewichtslage, nur durch Balancieren mit den Ruderplättchen erreicht wird. Nachdem er diese T'hatsachen festgestellt hatte, setzte er bei einigen Tieren den Otolithenapparat außer Funktion, indem er bei Kucharis den Oto- x Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 113 wenn die Tiere in der ihnen durch ihr spez. Verhältnis gegebenen Gleichgewichtslage nach der Operation schwimmen, ist erwiesen, dass wirklich die Otolithenapparate ein Gleichgewiehtsorgan sind. Es hat nach meiner Meinung nur ganz bedingte Beweiskraft, wenn Delage von der operierten Mysis sagt: „Mais m@me apres que la plaie s’est cicatrisee, que les animaux se sont remis a manger et ont repris toutes les apparances d’une sante parfaite, la natation correcte et normale reste impossible“. Uebrigens beschreibt er gar nicht, wie die Tiere eigentlich nach dem Verheilen der Wunde geschwommen sind. Er sagt nur, dass sie sich nach der Operation (er hat ihnen die Augen und die otocystentragenden Schwanzanhänge abgeschnitten) um ihre longitudinale Axe drehten u. s. w. Nach Delage hat das Zerstören der Otocysten allein ohne Abschneiden der Augen gar keinen Erfolg. Ich muss dem durchaus widersprechen. Bei zwei Exemplaren von Mys’s schnitt ich die Sechwanzanhänge bis zu den Otoeysten ab. Sie schwammen nach der Operation voll- kommen normal; der einzige Unterschied war der, dass sie sich beim Herannahen eines Gegenstandes nicht wie sonst durch Schwanzschläge, sondern nur durch Rudern mit den Beinen flüchteten. Denselben Tieren schnitt ich nach 3 Stunden auch noch die Otocysten ab. Drei andern schnitt ich ebenfalls die ganzen Schwanzanhänge ab. 2 Exem- plaren zerstörte ich die Otoeysten mit Nadelstichen (auch diese machten keinen Gebrauch mehr vom Schwanz), 3 Tieren schnitt ich nur die innern die Otoeysten enthaltenden Schwanzanhänge ab, 2 Exemplaren zerdrückte ich die Otocyste mit der Pinzette. Alle diese 12 Exemplare verhielten sieh nach der Operation gleich. (Soweit sie noch einen Schwanz hatten, machten sie doch keinen Gebrauch davon). Gleich nach der Operation drehten sich die Tiere einige Minuten lang um die Longitudinaxe und ließen sieh dann zu Boden fallen. Bald darauf erhoben sie sich wieder und schwammen nun zuerst unsicher aber bald lithen mittels einer Pipette heraussog, bei Beroe den Sinneskörper mit einem glühenden Draht zerstörte, wobei, wie ich glaube annehmen zu dürfen, der Otolith im Tier blieb. Bei beiden Tieren waren die Bewegungen nach der Operation unkoordiniert. Sie schwammen regellos im Wasser umher und nur bei Beroe wurde hin und wieder vorübergeheud die Gleichgewichtslage einge- nommen, welche durch das spez. Verhältnis bedingt ist. Ich möchte daraus, dass dies bei Eucharis nicht eintrat, schließen, dass es der Otolith ist, welcher das spez. Verhältnis ausmacht. Verworn nimmt infolge dieser Versuche an, dass thatsächlich der Otolithenapparat die Gleichgewichtslage beim normalen Tier bedingt. Beweisend scheinen mir die Versuche dafür allerdings nicht zu sein, weil die Koordination der Bewegung aufgehoben ist. Trotzdem bezweifle ich nicht, dass auch bei den Ctenophoren der Otolithenapparat wirklich dem Zweck der Gleichgewichtserhaltung dient und ich bin sicher, dass die Beroe ovata in der ihr dureh das spez. Verhältnis gegebenen Lage schwimmen würde, wenn es gelänge den Apparat außer Funktion zu setzen ohne die Koordination der Bewegungen zu stören. XIV. S 114 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts, immer sicherer werdend in der Rückenlage umher. Sowie sie sich aber auf dem Boden niederlassen, tritt das beim Schwimmen unthätige Tastgefühl in sein Recht, sie drehen sich um und kriechen in der Bauchlage umher. (Es wäre interessant zu wissen wie Mysis schwimmt, wenn sie eben gehäutet hat, wobei nach Hensen der Otolith mit ab- geworfen wird.) Mysis kann nach Exstirpation der Otocysten zwar noch hören, aber nur unvollkommen. Wenigstens ist sie auf Geräusche hin bedeutend weniger reflexerregbar wie sonst. Die Beobachtung Hensen’s, dass Mysis für tiefe Töne mehr empfänglich ist als für hohe kann ich bestätigen. Ich konnte bei ruhigem, klaren Wetter große Massen von Mysis von der kleinen Lan- dungsbrücke in Klampenborg bei Koppenhagen aus beobachten. Setzte ich mit einer Stange das Wasser in gelinde Bewegung so reagierten die Tiere gar nieht. Schlug ich aber mit einem Hammer gelinde an einem Brückenpfeiler, welcher einen tiefen Ton von sich gab, so wechselten die Tiere mit einem heftigen Schwanzschlag den Platz. Beim Anschlagen einer dünnen ins Wasser gestellten Latte von hohem Ton reagierten die Tiere wenig oder gar nicht. (Uebrigens sah ich auch Asseln beim Anschlagen der Pfähle sich flüchten. ) Auch Astacus fuwviatilis ist nach dem Zerstören der Otocysten lange nicht mehr so empfindlich gegen Geräusche wie sonst. Die Gleichgewichtsstörungen bei ihm sind nicht groß aber doch wohl be- merkbar. Der Gang ist etwas schwankend; die Tiere fallen häufiger um als normale und, was das größte Symptom ist, sie vermögen es nicht sich durch Schwanzschläge umzudrehen, was sonst bei den Krebsen sehr häufig ist. Auch mit Hilfe der Beine gelingt es ihnen nur sehr schlecht sich umzudrehen, wenn sie auf dem Rücken liegen. Für die doppelte Funktion der Otocyste (Hören und Gleichgewiehts- organ) spricht, dass festsitzende oder sich langsam bewegende Tiere (viele Molusken) ausgebildete Otocysten haben. Es spricht auch dafür, dass Carcinus Maenas, der bei seinem überaus stabilen Gleichgewicht eines Gleichgewichtsapparats nieht be- (darf, zwar eine große mit sehr vielen und feinen Haaren ausgestattete Otocyste hat, dass in dieser Otocyste aber der Otolith fehlt, der erst im Stande ist das Organ zum Gleichgewichtsorgan zu machen. (Delage scheint das Fehlen des Otolithen bei Careinus, welches Hensen be- sonders erwähnt, nicht bekannt gewesen zu sein. Sonst würde er wohl nicht versucht haben, das Tier durch Exstirpation der Antennulae aus seinem ruhigen Gleichgewicht zu bringen.) Die Zo&a von Careinus dagegen, welche eines Gleichgewiehtsorganes bedarf, hat eine wohl mit Otolithen ausgestattete Otocyste. Ich wüsste nicht wie man dies anders als im angegebenen Sinne deuten könnte. Danach möchte ich von den beiden von Verworn vorgeschlagenen Bezeichnungen „Statolith“ und „Statoeyste“ nur den ersteren empfehlen, weil mir die Hörfunktion des Organs ziemlich sicher erscheint. v. Lendenfeld, Systematische Stellung von Phacospongia. 145 Die systematische Stellung von Placospongia. Von R. v. Lendenfeld. Sollas (Challenger - Tetraetinellida p. 271) hat für dieses, durch den Besitz von sterrastrosen Mikroseleren und ausschließlich monaxonen Megascleren charakterisierte Genus Placospongia die Familie Placospon- gidae errichtet, und diese mit den Geodiden zu dem Demus Sterrastrosa vereint den Tetraetinelliden einverleibt» Gegen diese von andren Autoren gebilligte Anschauung hat sich Keller-(Zeitsehr. f. wiss. Zool., Bd. LII, S. 298) ausgesprochen und der Placospongia einen Platz in der Ord- nung Monactinellida, in der Nähe der Spirastrelliden angewiesen. Der Grund, warum Sollas die Plaecospongien, trotz des Fehlens tetraxoner Nadeln, zu den Tetractinellida stellte, war der, dass Placo- spongia ebensolche Serraster besitzt wie die Geodiden und dass außer bei den Geodiden und bei Placospongia nirgends solche Nadeln vor- kommen. Darum musste Placospongia in der Nähe der Geodiden unter- gebracht werden und, da diese Tetractinellida sind, musste auch Placo- spongia eine Tetractinellide sein. Ich habe nun eine neue Art des Genus Placospongia in der Adria gefunden und Gelegenheit gehabt ihre Sterraster mit jenen der Geodiden zu vergleichen. Dabei hat sich nun herausgestellt, dass ein wesent- licher Unterschied zwischen den, äußerlich, bei schwacher Vergrößerung betrachtet, recht ähnlichen Sterrastern von Placospongia und den Geo- diden besteht. Wie in meiner (im Druck befindliehen) monographischen Darstellung der adriatischen Tetractinelliden des näheren ausgeführt ist, zeigen die Sterraster der Geodiden einen sehr deutlich strahligen Bau und es lässt sich unschwer erkennen, dass sie aus radialen mit den Seitenflächen einander anliegenden Pyramiden bestehen, deren Spitzen an der Oberfläche eines kleinen, lappigen „Kerns“ liegen und deren Basen die Sterrasteroberfläche bilden. Diese Pyramidenbasen ragen beträchtlich über die Kieselkittsubstanz, welche die Pyramiden verbindet, hervor und die Ränder der Pyramidenbasenflächen sind stark gezähnt. An diese schief nach außen abstehende Zähnchen sind dann jene feinsten Fäserchen des Rindengewebes geheftet, welche die be- nachbarten Sterraster mit einander verbinden. Nur an einer Stelle ist die Sterrasteroberfläche glatt: hier ist dieselbe auch grubenförmig eingesenkt: das ist der bei den Sterrastern der Geodiden nie fehlende „Nabel“. Die Sterraster meiner neuen Placospongia nun — ich nenne sie P. graeffei — sind gebogen, diek, wurstförmig und haben einen „Nabel“ wie jene der Geodiden. Bei genauer Betrachtuug mit starken Systemen erkennt man, dass die Oberfläche dieser Plucospongia -Sterraster mit stumpfen, und kurzen, radial abstehenden Stacheln bedeckt ist, deren Basen durch ein Netzwerk vorragender Leisten verbunden werden; dass sie sich also in Bezug auf das Oberflächenrelief ganz wesentlich 116 Werner, Zoologisehe Miszellen. von den Geodiden -Sterrastern unterscheiden. Ferner sucht man im Inneren des Placospongia-Sterrasters vergebens nach einer strahligen Struktur der Kieselsubstanz, diese erscheint vielmehr völlig homogen und strukturlos. Statt des „Kerns“ der Geodia-Sterraster sieht man zuweilen eine Andeutung eines Axenfadens in der Mitte der Nadel, weicher den Axenfäden andrer langgestreckter Nadeln völlig homolog zu sein scheint. Noch auffallender als die Unterschiede zwischen den ausgebildeten Sterrastern von Placospongia und Geodidia, ist der Unterschied in der Entwicklung der beiden: die G@eodia-Sterraster gehen aus kleinen Stech- apfel-förmigen Kugeln mit sehr zahlreichen, ungemein feinen, streng konzentrischen und unter einander gleich großen Strahlen hervor; wäh- rend die Jugendstadien der Placospongia-Sterraster gekrümmte, dornige Stäbe sind. Demnach wäre der Geodia-Sterraster als eine polyaxone, der Placospongia-Sterraster aber als eine monaxone Nadel aufzufassen. Es besteht somit ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Sterrastern von Geodia und Placospongia und es scheint mir unzweifel- haft, dass die oben angeführten Unterschiede zwischen beiden der Ausdruck einer verschiedenen phylogenetischen Bildungsweise sei. Ihre oberflächliche Aehnlichkeit ist nichts andres als das Resultat einer, in solehem Falle ja hinreichend wahrscheimlichen, konvergenten Züchtung. Ist dem aber so, dann dürfen wir nicht auf Grund des Vorhanden- seins der Sterraster allein — wie dies Sollas gethan hat — Placo- spongia in die Nähe der Geodidae und zu den Tetractinellida stellen, sondern müssen uns der Anschauung Keller’s anschließen und Placo- spongia der Ordnung Monactinellida einverleiben. Sie wird dann wohl auch, wie Keller vorschlägt, am besten in der Nähe der Spirastrel- idae unterzubringen sein. Czernowitz, 29. Dezember 1893. Zoologische Miszellen. Von Dr. F. Werner in Wien. (Fortsetzung von Bd. XIII S. 83.) VII. Die relative Darmlänge bei insekten- und pflanzenfressenden Orthopteren, Es ist bekannt, dass von unseren Heuschrecken eine große Anzahl von Arten entweder ausschließlich oder doch zum größeren Teil sich von anderen Insekten nähren, also Raubtiere sind, die im Allgemeinen so- gar wieder vorzugsweise andere Heuschrecken fressen. Man kann wohl sagen, dass der größte Teil aller unserer mittel- und südeuropäischen Loeustiden von Insekten lebt und nur bei einigen Arten, wie Troglo- philus und Phaneroptera konnte ich keine Sicherheit darüber gewinnen, ob sie nicht doch Pflanzenfresser sind; wahrscheinlich ist dies bei ersterer Art wirklich der Fall und obgleich das Schelmenloch nächst Vöslau, wo ich die Höhlenheuschrecke beobachtete, absolut allen Werner, Zoologische Miszellen. ae Pflanzenwuchses bar zu sein scheint, so dürfte die Nahrung des Tieres doeh, wie aus dem Darminhalte hervorgeht aus Moosen und Algen bestehen, welche auf den feuchten Steine am Eingange der Höhle stellenweise einen kaum merklichen, grünen Anflug bilden. Phaneropter«a ist aber wohl ein kaubtier. Ich habe mir nun in diesem Jahre die Aufgabe gestellt, zu unter- suchen, ob auch bei den Orthopteren die Pflanzenfresser, also die Acridier und Gryllodeen einen merklich längeren Darm besitzen, als die Fleischfresser (Locustiden und Mantiden). Ein im Frühling und Sommer zusammengebrachtes, sowohl der Arten- als Individuenzahl nach ziemlich reichliches Material setzte mich in den Stand, in diesem Herbst das vergleichende Studium der Darmlänge vorzunehmen. Als Maß für die Vergleichung nahm ich in allen Fällen die Länge des Tieres vom Kopf bis zum Ende des letzten Hinterleibsringes an und habe alle Verhältniszahlen darauf reduziert. Das Resultat war ein gänzlich unerwartetes. Gerade die pflanzen- fressenden Acridier haben einen kurzen Darm der nur in wenigen Fällen die Länge des Tieres selber überragt, indem er eine kleine S-förmige Biegung vor dem Kektalteile macht, während die Locustiden teilweise einen sehr langen und meist schneckenförmigen gerollten Darm besitzen, namentlich Barbitistes und Phaneroptera. Bis zur Einmündung der Blindschläuche in den Darm, deren An- zahl bei Locustiden zwei, bei Acridiern vier beträgt, sind die Verhält- nisse bei allen Orthopteren sehr ähnlich; Pharynx, Speiseröhre (sehr kurz und eng), Kropf (überall stark entwickelt) und Kaumagen (häufig fehlend) zeigen nicht wesentliche Verschiedenheiten. Der eigentliche Darm jedoch zeigt ganz merkliche Verschiedenheiten nicht bloß in seiner Länge, sondern auch im Fehlen oder Vorhandensein von Er- weiterungen, die dem Kropf der Speiseröhre gleichen und als Chylus- Magen anzusehen sind; auf dieses Stück folgt dann häufig eine Art Einschnürung, welche Stelle die Einmündung der zahlreichen Mal- pighi’schen Gefäße kennzeichnet und darauf der undifferenzierte Dünn- darm, dessen Ende zu emer Art hectum erweitert sein kann. In diesen Dingen stimmen sämtliche untersuchte Arten so ziemlich überein. Dagegen überrascht uns der Umstand, dass, ganz im Gegen- satze zu der Angabe in Lang’s „Lehrbuch der vergleichenden Ana- tomie“ (Jena, 1880), II. Abt., S. 474, der Darm der Acridier von der Einmündung der Blindschläuche an entweder ganz gerade gestreckt ver- läuft, wie ich bei Schistocerca, Psophus und je einer algerischen Oedipoda- und Pamphagus-Art gefunden habe, oder mit einer mehr oder weniger (deutlichen S-förmigen Biegung, wie dies bei Eremobia, Pezotettix, Steteo- phyma, Acridium aegyptium, Oedipoda coerulescens u. a. der Fall ist. Als Verhältnis der Länge des Tieres zu der des Darmkanals fand ich meistens die Zahlen 1:1, ferner 10:11, 9:10, 7:6, 6:5, 5:4, letz- teres wieder bei einer algerischen Pamphagus - Art. — 118 Werner, Zoologische Miszellen. Obwohl nun auch unter den Locustiden manche Arten einen relativ kurzen Darm haben, so ist der Dünndarm bei ihnen dennoch immer nicht nur stets merklich gewunden, sondern weist auch in den meisten Fällen eine schneckenförmige Aufrollung auf, die bei Barbitistes serri- cauda und bei Phaneroptera am auffallendsten entwickelt ist; bei ersterer Art beträgt aber auch das Verhältnis der Körperlänge zur Darmlänge 5: 11, bei letzterer 7:11; Ephippigera (5:9), Thamnotrizon einereus und apterus (3:4), Locusta und Decticus mit den verhältnis- mäßig kürzesten Darm unter den von mir untersuchten Loeustiden schließen sich hier an. Mit den Locustiden stimmen noch Gryllodeen!) und Blattiden überein; bei denen das besprochene Verhältnis ungefähr 1:2 beträgt und der Darm ganz auffallend gerollt ist; Mantis dagegen besitzt zwar einen sehr hochdifferenzierten, mit zahlreichen Divertikeln aus- gestatteten, Kau- und Chylusmagen besitzenden aber durchaus nicht sehr langen Darm; diese Form, bei der es allbekannt ist, dass sie räuberisch lebt, würde am ehesten von allen untersuchten Orthop- teren dem normalen Verhältnissen entsprechen; ihr schließen sich noch zwei Locustiden (Dectieus und Locusta) an, die gleichfalls sichere Raubtiere sind und einen relativ kurzen Dar besitzen; aber weiter- hin ist die Sache gänzlich unklar: Gryllus ist Pflanzenfresser und be- sitzt einen langen Darm; aber auch die Acridier sind Pflanzenfresser und haben teilweise den kürzesten Darm, der überhaupt möglich ist, und anderseits ist der Darm mancher sicherer Locustiden - Raubtiere (Ephippigera, Barbitistes) wieder sehr lang. Man würde die Länge des Darmes bei diesen Locustiden wohl so erklären können, dass man annimmt, die Gewöhnung an animalische Nahrung sei bei ihnen erst Jüngeren Datums. Wie kommt es aber dann, dass die Acridier und zwar durchgehends, einen kurzen, geraden oder wenig gekrümmten Darm besitzen, die doch so ausnahmslos Pflanzenfresser sind, dass wir annehmen können, dass die ganze Gruppe seit ihrer Abspaltung von Pflanzen gelebt habe? Meiner Ansicht nach hängt die Länge und die dieselbe verursachende kollung des Dünndarms mit der Nahrung überhaupt nicht zusammen, sondern wird bei den Orthopteren in ähnlicher Weise von der Körper- form bestimmt, wie wir es z. B. auch bei Reptilien und Amphibien sehen. Lange, schlanke Tiere haben einen wenig gewundenen Darnr (Sehlangen,, Blindschleiche ete.), kurze, gedrungene einen stark ge- R) 1) Von diesen besitzt Gryllotalpa einen äußerst differenzierten Darmkanal: auf einen langen engen Oesophagus, an dessen zweite Hälfte ein umfangreicher dem Saugmagen der Lepidopteren entsprechenden Anhang sich ansetzt, folgt ein Kaumagen, an dessen Hinterende sich zwei große Divertikel inserieren, darauf wieder eine erweiterte Stelle, hierauf ein kurzer Dünndarm, dann ein längeres, stark erweitertes Stück (Chylusmagen) und schließlich wieder ein Dünndarm, der in ein Rectum endigt und so wie dieses eine Zumzliee> gefelderte äußere Oberfläche besitzt. Stieda, Berichte über die russische zoologische Litteratur. 119 wundenen, daher auch relativ längeren Darm. Nun sehen wir aber auch wirklich, dass die Locustiden und gerade die mit dem längsten Darm versehenen Formen eine kurze gedrungene Körpergestalt haben, dass auch Gryliodeen und Blattiden im Körperbau mit ihnen überein- stimmen, und dass endiich Mantis (andere Mantiden habe ich nicht untersuchen können) und die Acridier, welche einen wenig oder gar nicht gsewundenen Darm besitzen auch em mehr oder weniger langgestrecktes Abdomen besitzen !). Man ist wohl berechtigt, anzunehmen, dass der Darın in seiner morphologischen Ausbildung durch die äußere Form des Körpers beeinflusst werde und nicht umgekehrt; ebensowenig wie wir die gestreckte Gestalt der Mantiden aus der gestreckten Form des Darmkanals erklären?), da wir ja zwar begreifen, dass in einem langen schmalen Körper eine Zusammenballung von Eingeweiden an einer Stelle den Körper wenigstens an dieser Stelle wieder erweitern würde und dadurch die Bedeutung dieser Körpergestalt für die Fort- bewegung wieder paralysieren würde, nicht aber, dass etwa der doch stets weiche und einer Zusammenschiebung oder Rollung eher fähige Darm den durch das (Haut-) Skelett ete. starr gemachten Körper ge- streckt habe. Ebenso können wir uns zwar vorstellen, dass ein kurzer sedrungener Rumpf, der für die Sprung-Bewegung eine wichtige Vor- bedingung ist (man denke an Frösche, Cieadinen, Flöhe, Haltica-Arten und Verwandte), wenn er die für die Verdauung nötige Darmlänge enthalten soll, diese in zusammengeknäueltem oder -gerölltem Zustand einschließt, nieht aber, dass der Darmkanal den Körper gleichsam zu- sammenzieht, der ja in allen Fällen etwas Starres, Festes ist und auch sein muss, um äußeren Einflüssen Widerstand leisten zu können. (Schluss folgt.) Berichte über die russische zoologische Litteratur der Jahre 1885—18839, herausgegeben von G. Koschewnikow. I. Lieferung: Wirbeltiere. Moskau 1893. Es ist der Zweck dieser Zeilen, die Leser «dieser Zeitschrift mit einem Werke bekannt zu machen, das besondere Aufmerksamkeit ver- 1) Am besten ersieht man dies aus der Vergleichung der Bauchganglien- kette. Bei den Acridiern, besonders Schistocera und Pamphagus sind die Ab- dominalganglien weit von einander entfernt (am längsten sind die Kommissuren zwischen dem 3. Brust- und 1. Abdominalganglion, am kürzesten die zwischen den beiden letzten Abdominalganglien) bei Locustiden (namentlich Zphippigera und Barbitistes) sind sie sehr genähert. Zwischen beiden steht Deetieus. Auch sind die Abdominalganglien der Acridier mehr langgestreckt, kaum breiter als die beiden Kommissuren zusammen, so dass die Bauchganglienkette fast wie ein Band erscheint, bei den Locustiden sind sie rund und merklich breiter als die Kommissuren. Die Entfernung zwischen den einzelnen Abdominalganglien beträgt bei Pamphagus 2—8, bei Barbitistes 1!/,—3 Mal den Durchmesser eines (sanglions. 2) Die männliche Mantis, deren Hinterleib noch bedeutend schmäler ist, als der des Weibchens, besitzt fast einen ganz geraden Darm. 120 Stieda, Berichte über die russische zoologische Litteratur. dient. Herr G. Koschewnikow, Assistent am zoologischen Institut der Universität zu Moskau und Sekretär der zool. Abteilung der Moskauer Gesellschaft für Naturkunde, hat es unternommen, Berichte über die zoologische Litteratur Russlands herauszugeben. Es ist be- kannt, dass in Russland viel auf dem Gebiet der Naturwissenschaft, insbesondere auf dem Gebiet der Zoologie und verwandter Wissens- zweige, gearbeitet wird. Aber ebenso bekannt ist es auch, dass die Beschaffung der bezüglichen Litteratur und infolge dessen die Benutzung derselben für westeuropäische Gelehrte — auch wenn wir von der Sprache vollkommen absehen — mit den allergrößten Sehwierig- keiten verbunden ist. Die betreffende Litteratur ist in Gesellschafts- und Gelegenheits- Schriften, in Zeitungen und in Reisewerken nieder- gelegt, die selten oder gar nicht ihren Weg nach Westen finden. Wir begegnen nur sehr selten deutschen oder französischen Berichten über russisehe Litteratur. Es ist daher das Werk des Herrn Koschewnikow als ein sehr verdienstvolles Unternehmen zu be- zeichnen. Der Herr Verfasser hat damit nicht nur seinen eigenen russischen Landsleuten, sondern auch den Russisch verstehenden Ge- lehrten des Westens einen großen Dienst geleistet. Der Herr Ver- fasser meint aber auch, dass die nicht Russisch lesenden Gelehrten des Westens einen Nutzen aus seiner Arbeit ziehen werden, indem es ihnen gewiss leicht möglich sein wird, sich einzelne Stücke seiner Berichte übersetzen zu lassen. Machen wir uns nun mit dem Inhalt der Berichte etwas bekannt. Der Verfasser bringt in dieser ersten Lieferung Berichte über einen Teil der zoologischen Litteratur, nämlich über die Wirbeltiere, und zwar nur über die Systematik, Geographische Verbreitung und Lebensweise. — Der Bericht ist so geordnet, dass zuerst die Säuge- tiere, dann die Vögel, Amphibien und zuletzt die Fische behandelt werden. In jeder Klasse werden dann nach emander die bezüglichen Abhandlungen über Systematik und geographische Verbreitung, dann über einzelne Arten, über Lebensweise u. s. w. auszüglich wieder- gegeben. Der Herausgeber hat nicht allein gearbeitet, sondern sich der Mithilfe einiger anderer Gelehrten (M. A. Koschewnikowa, E. J. Kusnezowa und D. M. Rossinskij) zu erfreuen gehabt. Bei eingehendem Studium lässt sich erkennen, dass die Verfasser keine Mühe und Arbeit gescheut haben, um aus Fachjournalen, wie aus Tagesblättern, Zeitungen, Journalen, Gesellschaftsschriften, solehe Abhandlungen hervorzuführen, die auf Zoologie Beziehung haben. Leider ist weder die Zahl der durehsuchten Drucksachen noch die Zahl der auszüglich mitgeteilten Abhandlungen angegeben. Dem Werke ist ein sehr ausführliches Sach- und Autorenregister — nach dem russischen Alphabet geordnet — (S. 450—529) beige- fügt, Es sind hier die Eigennamen der Autoren, die geographischen Stieda, Berichte über die russische zoologische Litteratur. 121 Namen und die Tiernamen in russischer Sprache, außerdem aber noch die Tiernamen in lateinischer Sprache angeführt; die dabei stehen- den Zahlen weisen auf die betreftende Seite. | Für jeden der russischen Sprache kundigen Gelehrten ist das Sach- und Namens-Register gewiss ausreichend, — für andere aber keines- wegs. Wie soll jemand, der nicht Russisch versteht, die Abhand- lung eines russischen Autors herausfinden? Wie soll er aus den russischen Titeln erkennen, ob der Inhalt einer Abhandlung für ihn Interesse bietet oder nicht? Um diesen Zweck zu erfüllen und um die verdienstliche Arbeit des Herrn Verfassers auch den westeuropäischen nicht Russisch ver- stehenden Gelehrten nutzbar zu machen, schlagen wir folgendes vor: Die einzelnen, auszüglich mitgeteilten Abhandlungen sind zu nummerieren. Dem russischen Titel jeder Abhandlung ist eine deutsche oder französische Uebersetzung (am besten eine Ueber- setzung in beiden Sprachen) beizufügen. In dem Titel sind die Stich- worte (die Namen der Autoren und der Tiere) gesperrt zu drucken. — Außer einem Sach- und Namens- Register in russischer Sprache ist ein getrenntes Sach- und Autoren- Register in deutscher (resp. französischer) Sprache, mit Einschluss der lateinischen Species-Namen zu liefern. Die dabei stehenden Zahlen sollen sowohl die betreffende Seite, wie auch insbesondere die Nummer (der be- treffenden Abhandlung bezeichnen. Der Herr Verfasser stellt weitere Beriehte in Aussicht. Zunächst soll über die anatomischen Arbeiten berichtet werden. — Wenn der Herr Verfasser unsere Ratschläge zu befolgen im Stande ist, so werden auch die westeuropäischen Gelehrten seine Berichte benutzen können. Ein Blick auf das Sachregister (oder auf das Autoren-hegister ) wird dann einen jeden, der den Bericht in die Hände nimmt, leicht erkennen lassen, ob er über ein ihn imteressierendes Objekt etwas findet, ob ein bestimmter Autor, dessen Arbeiten bemerkenswert sind, bezügliche Beiträge geliefert hat. Findet sich eine Abhandlung über einen bestimmten Gegenstand, über eine bestimmte Frage, so wird es keine große Schwierigkeit haben, sich die betreffenden Auszüge über- setzen zu lassen. — Indem wir dem Herausgeber Zeit und Muße zur Fortsetzung seiner Arbeit wünschen, sprechen wir die Hoffnung aus, dass er die hier an- gedeuteten Verbesserungen seinen Berichten zu geben im Stande sein werde. Auf eine Wiedergabe des Inhalts der Berichte müssen wir selbst- verständlich hier verzichten. L. Stieda (Königsberg i. Pr.). 122 Zacharias, Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Seen. ES Ueber die Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Sees'). Von Dr. Otto Zacharias in Plön. Die Geistesthätigkeit des Naturforschers wird fortwährend und unwill- kürlich von theoretischen Erwägungen beeinflusst. Das empirisch gewonnene Thatsachen-Material will verknüpft sein. Man sucht sich eine Vorstellung über den inneren Zusammenhang der beobachteten Erscheinungen zu bilden und prüft die Richtigkeit einer sich darbieterden Hypothese durch deren Anwen- dung auf weitere Beobachtungsergebnisse, zu denen man gelangt ist. Wenn man wahrnimmt, dass das feine Netz an jeder beliebigen Stelle eines großen Seebeckens ansehnliche Mengen jener winzigen Organismen auf- fischt, mit denen wir uns in den vorstehenden Kapiteln beschäftigt haben, so erweckt dies ganz wnwillkürlich die Idee von einer gleichförmigen Verbreitung jener Wesen durch die gesamte Wassermasse. Wir sagen uns, dass diese lim- netische Tier- und Pflanzenbevölkerung das volle Jahr hindurch „ein Spielball von Wind und Wellen“ ist, dass sie an der Oberfläche des aufgeregten See- spiegels beständig hin- und hergetrieben wird, und dass auf diese Weise all- gemach eine so gleichmäßige Mischung und Verteilung der Arten und Individuen zu Stande kommen muss, wie sie aus Stichproben, die wir zu verschiedenen Zeiten oder an ganz verschiedenen Stellen aus demselben See entnommen haben, hervorzugehen scheint. Nichts ist plausibler als diese Annahme einer gleichmäßigen Verteilung, zumal wenn es sich lediglich um die beschränk- teren Dimensionen eines Binnensees handelt. Im ersten Jahre des Betriebes der Plöner Station bin ich von derselben gleichfalls vollständig beherrscht gewesen und nur ganz vorübergehend sind mir Zweifel an jener bestriekenden Gleichmäßigkeitstheorie aufgestiegen. Gegenwärtig aber bin ich in der Lage, thatsächliche Befunde dafür anzuführen, dass die Gleichmäßigkeit nur cum grano salis zu verstehen ist, und dass sie sich viel mehr auf die zu einer ge- wissen Zeit im Plankton vorhandenen Species erstreckt, als auf die Individuen- zahlen, welche in den verschiedenen Regionen eines Sees große Verschieden- heiten aufweisen können. Nahezu 1 Kilometer südlich von der Biologischen Station liegt die etwas langgestreckte Insel Alesborg. Zwischen derselben und dem gegenüber- liegenden nördlichen Ufer sind bisher die gewöhnlichen (täglichen) Plankton- fänge gemacht worden. Auch Dr. C. Apstein (Kiel) hat vorwiegend nur in dieser nördlichen Region des Sees gefischt, zumal sich hier eine Stelle von 44 m Tiefe vorfindet, welche zur Ausführung von vertikalen Fängen gut ge- eignet ist. Nun entdeckte ich aber gelegentlich, dass die Verteilung des Plankton diesseits und jenseits der genannten Insel eine sehr verschiedene sein kann, obgleich die Tiefenverhältnisse hüben und drüben nicht erheblich differieren. Besonders interessant in dieser Beziehung sind die Ergebnisse vom ver- flossenen Oktober. Oberflächen- sowohl wie Tiefenfänge ergaben am 2. Oktober diesseits von Alesborg in allen Präparaten eine riesige Menge von Mallo- monas, var, producta, viele Ceratien, Kruster (Uyclops, Eurytemora, Bosmina) und Rädertiere (Polyarthra, Anuraea cochlearis, Conochilus, Asplanchna). Hinter der Insel aber lieferten die in der nämlichen Weise ausgeführten 1) Aus dem soeben erschienenen Il. Jahresbericht der Biol. Station zu Plön (Verlag von R. Friedländer & Sohn in Berlin) vom Herrn Verf. mit- zeteilt. Vergl. auch den Artikel des Herın Dr. R. H. France in Budapest. Biol. Centralbl., Bd. XIV, Nr. 2. Die Redaktion. 2 Zacharias, Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Sees. 125 Fänge nur vereinzelte Exemplare von Mallomonas, dagegen weit mehr Geratien und Kruster, sowie große Mengen von Asplanchna helvetica. Die übrigen Rädertiere erwiesen sich als etwa gleich oft in beiden Seeteilen vor- kommend. Am folgenden Tage (3. Oktober) verhielt sich die Sache genau ebenso; nur wurden jenseits der Insel auch mehrere Exemplare von Mastigo- cerca capucina und Bipalpus vesiculosus erbeutet, die in den diesseitigen Fängen nicht enthalten waren. Am 5. Oktober war es ziemlich windig; aber die Ver- teilungsverhältnisse zeigten keine erhebliche Aenderung. Zwei Tage später (7. Oktober) waren die Mallomonaden auch jenseits der Insel etwas zahlreicher; besonders auffällig an Zahl erschienen aber die Kruster (Zurytemora, Diaptomus, Bosminen). Cerätien hingegen wurden gar nicht beobachtet. Vor der Insel zeigten die Mallomonaden am nämlichen Tage eine erstaun- liche Dichtigkeit des Vorkommens. Dazwischen fanden sich Ceratien, aber nicht zahlreich. Nur die Krebse waren häufig, aber nicht so massenhaft als hinter der Insel. Außerdem führe ich noch den merkwürdigen Fall vom 20. September an, wo ich weder in den Horizontal- noch in den Vertikalfängen Exemplare von Mallomonas antraf, obgleich dieselben Tags vorher (19.) in größter Menge zu finden waren und sogleich auch wieder am folgenden Tage (21.). Ueberhaupt erstreckte sich die massenhafte Anwesenheit von Mallomonas im großen Plöner See über einen Zeitraum von 70 Tagen. Eine noch größere Ungleichförmigkeit in der Verteilung als Mallomonas und die anderen genannten Tierformen zeigte die limnetische Alge Glovotrichia echinulata. Wenn dieselbe auch, wie sich leicht feststellen ließ, durch den ganzen See in unzähligen Kolonien verbreitet war und überall an der Ober- fläche Hlottierend gefunden werden konnte, so musste man trotz alledem ihre Verbreitung als eine sehr ungleichmäßige bezeichnen, da sie sich an manchen Stellen in Gestait von ziemlich breiten und sehr ausgedehnten (10—12 m langen) Streifen angeordnet hatte, innerhalb deren sie eine weit größere Dichtigkeit des Vorkommens besaß, als an anderen Punkten der Wasseroberfläche. Von einer der Gleichförmigkeitstheorie entsprechenden Verteilung konnte also auch in diesem Falle nicht die Rede sein. Aehnliche Beobachtungen habe ich im Sommer 1892 bei Uladrocystis aeruginosa (einer anderen planktonischen Alge) gemacht, die damals während mehrerer Wochen massenhaft im großen Plöner See auftrat. Solche Beobachtungen verbieten es uns, von einer gleichmäßigen Vertei- lung des Plankton in dem Sinne zu sprechen, als ob die Vertreter der einzelnen Species, welche zu einer bestimmten Jahreszeit die limnetische Flora und Fauna zusammensetzen, unter jedem Quadratmeter Oberfläche (bei gleicher Höhe der Wassersäule) in annähernd derselben Anzahl vorfindlich seien. Meine Erfahrungen zeigen mindestens, dass es starke Ausnahmen von der theoretisch supponierten Regelmäßigkeit gibt, welche nicht ignoriert werden dürfen. Ein- zelne Ausnahmen sind auch bereits von den Anhängern der Hensen’schen Zählmethode gelten gelassen worden (vergl. Apstein, Quantitative Plankton- studien im Süßwasser, 1892). Indessen soll dadurch die Anwendung jener Methode keine Beeinträchtigung erfahren. Dem gegenüber möchte ich aber doch geltend machen, dass zu Beginn des Monats Oktober ein Fang mit dem Vertikalnetz diesseits der Insel Alesborg bei derselben Wassertiefe ein ganz anderes Zählresultat ergeben haben würde, als jenseits derselben, insofern er weit mehr Exemplare von Mallomonas und Ceratium, dagegen weniger von Asplanchna und Diaptomus hätte ergeben müssen, als eine hinter dem kleinen 124 Zacharias, Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Sees. Eilande gemachte Stichprobe. Hätte man nun, ohne durch eine genaue Vor- untersuchung orientiert zu sein, den Fang mit dem Hensen’schen Netz nur vor der Insel Alesborg gemacht und hinterdrein auf Gewissenhafteste unter dem Mikroskop durchgezählt, so würde man offenbar dahin gekommen sein, dem großen Plöner See viel mehr Mallomonaden und Ceratien, dagegen aber weit weniger Exemplare von Asplanehna und Diaptomus ins Zählprotokoll zu schreiben, als er wirklich zu jener Jahreszeit besaß. Vor solehen Irrtümern schützt die Methode nicht, sondern es muss, um sie nur überhaupt richtig an- wenden zu können. schon eine anderweitige Exploration des Sees voraufgehen, welche Auskunft über die zu der betreffenden Jahreszeit möglicher Weise be- stehenden Zusammenschaarungen von Organismen gibt, die man gegen- wärtig gern vollständig in Abrede stellen und für nicht inbetracht kommende Ausnahmen erklären möchte. Indessen soll nach den Versicherungen der Schüler Hensen’s ein Irrtum durch einen Vergleich der Stichproben unter sich vollkommen ausgeschlossen werden, insofern etwaige Ungleichmäßigkeiten in der Verteilung auf diese Art sehr bald dentlich zu Tage treten müssten. So argumentiert man wenigstens, um die Exaktheit der Methode von vornherein gegen etwaige Anfechtungen zu decken. Aber was wollen denn Stichproben, welche mit einem Netzchen von 100 gem Oeffnung gemacht werden, einem Seespiegel gegenüber besagen, welcher — wie der des hiesigen Wasserbeekens — über 30 Quadratkilometer Vläche besitzt? Wie leicht ist es da wohl möglich, dass der quantitativ fischende Zoolog (der nur aller 2—3 Wochen den See besucht und meistenteils an den nämlichen Stellen seine Vertikalfänge macht) — wie leicht ist es da möglich, sage ich, dass er niemals von einer Zusammenschaarung Kenntnis erhält, weil eine solche an den betreffenden Stellen überhaupt nicht stattfindet, oder weil sie zufällig in der Zwischenzeit stattgefunden hat, wo keine Fänge gemacht wurden Bei einer solchen Sachlage. kann einen auch die exakteste Untersuchungsmethode vor folgenschweren Irftümern nicht bewahren. Wenn Vertikalfänge etwas zur sicheren Ermittelung der Verteilung des Plankton beitragen sollen, so müssen dieselben gleichzeitig in viel größerer Anzahl und an viel zahlreicheren Punkten im Bezirke eines großen Sees aus- geführt werden, als dies bisher geschehen ist. Für die Fläche des großen Plöner Sees würden wohl 30 gleichzeitige Fänge kaum hinreichen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, denn bei dieser Anzahl käme doch nur eine einzige Stichprobe auf den Quadratkilometer. Auch müssten die Er- mittelungen nicht aller 2—-3 Wochen, sondern innerhalb ebenso vieler Tage wiederholt werden, um auf Grund der so erlangten quantitativen Befunde etwas Positives über die Verteilung der limnetischen Organismenwelt aussagen zu können. So lange eine derartige umfassende Durchforschung größerer Seen nicht stattgefunden hat und so lange der theoretisch bloß vorausgesetzten Gleichmäßigkeit Thatsachen gegenüberstehen, wie die oben gemeldeten, so lange ist Niemand befugt, zu behaupten: das Plankton sei wesentlich gleich- förmig durch das Wasser verbreitet. Mindestens reicht die bis jetzt zur An- wendung gelangte Methodik nicht aus, eine solche Behauptung zu begründen. Ob es sich freilich so verhält, wie Imhof (vergl. Die Zusammensetzung der pelagischen Fauna. Biol. Centralbl., Bd.XII, 1892) dies neuerdings ausgesprochen hat, bedarf auch noch näherer Bestätigung Der genannte Autor sagt nämlich: „Das Factum, dass viele Protozoen in kaum zählbaren Schaaren das pelagische Gebiet der Seen bevölkern, ist noch dahin zu ergänzen: dass die Färbung des Wassers durch die Anwesenheit unzähliger Individuen, welche dichte Zacharias, Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Sees. 125 Schwärme bilden, sehr oft bedingt wird. Die Arten, die in dieser Hinsicht besonders hervortreten, sind namentlich: unter den Heliozoen Acanthocystis viridis, die Dinobryoniden, die Geratien und einige der übrigen Dinoflagellaten“. Bevor ich auf die Frage der „Schwärme“ zu sprechen komme, teile ich eine Thatsache mit, welche ich im August des vorigen Jahres (1892) be- obachtet habe. Das Datum habe ich mir nicht notiert. Ich sah damals die Präparate einiger Vertikalfänge durch und fand in manchen derselben 2—3 Exemplare von Eurytemora lacustris, in andern jedoch keinen einzigen Vertreter dieser leicht kenntlichen Copepoden-Species. Hiernach hätte der auf quantitative Ergebnisse ausgehende Planktolog zweifellos zu der Ansicht kommen müssen, dass Kurytemora zu jener Zeit des August- monats nicht besonders häufige im See sein könne. Er würde „unter dem Quadratmeter Oberfläche“ sicher auch mit Hilfe des Zählmikroskops keinen größeren Bestand an diesen Krustern zu entdecken vermocht haben, als durch den bloßen Ueberbliek einiger Dutzend frischer Präparate. Nun verglich ich hiermit den fast gleichzeitig in der nämlichen Region gemachten Horizontal- fang. Die nach derselben Methode hergestellten Uebersichtspräparate ergaben sofort eine sehr große Anzahl von Eurytemora, so dass der Kontrast frappant war. Jedes Präparat enthielt etwa 6—8 Exemplare von diesem Copepoden. Hieraus kann ohne /Weiteres auf eine stärkere Ansammlung der Kurytemora in den oberflächlichen Wasserschichten geschlossen werden; außerdem pflegen aber diese relativ großen, rasch schwimmenden Kruster ansehnliche Strecken im ruhigen Wasser zurückzulegen, so dass die Entfernung, in der die einzelnen Individuen räumlich bei einander zu finden sind, eine größere sein muss, als bei solchen Organismen, die keiner aktiven Bewegung fähig sind und die auch schon infolge ihrer natürlichen Massenhaftigkeit dichter zusammengedrängt auftreten Von letzteren wird natürlich das Vertikalnetz (mit 100 qem Oeff- nung) unverhältnismäßig mehr fangen müssen, 1) weil diese Organismen nicht zu fliehen vermögen '!), und 2) weil hier der Fall niemals vorkommen kann, dass das Netz (wie bei den in größeren Abständen von einander schwimmenden Eurytemoren) mehr zwischen ihnen hindurchgeht, als dass sie davon in ent- sprechender Anzahl erbeutet werden. Hierzu kommt noch die hauptsächlich horizontale Richtung, in der sich die nahe an der Oberfläche aufhaltenden (aktiven) Schwimmer fortzubewegen trachten. Ein Fang, der in dieser Rich- 4) V. Hensen sagt an einer Stelle seiner Streitschrift „Die Plankton- Expedition und Häckel’s Darwinismus“ (8.29) wörtlich: „Alle solche Formen, die vor dem Netze fliehen und denen es also glücken wird, dem Fange mehr oder weniger zu entgehen, können auf meine Weise nicht der Untersuchung ihrer Frequenz unterworfen werden“. In dieser Lage befindet sich nun aber der Süßwasserplanktolog auch den größeren Spaltfußkrebsen gegenüber, ohne dass bis jetzt Jemand eine Kritik an den quantitativen Angaben geübt hat, welche inbetreff verschiedener Binnenseen (namentlich von C. Apstein) ge- macht worden sind. Das Fliehen der Copepoden ist ein Faktor, der ganz be- sonders bei der Anwendung kleiner Netze inbetracht gezogen werden muss. Trotzdem darf man aber diese Krebse nicht vom Limnoplankton ausschließen, weil sie einen vorwiegenden Bestandteil desselben ausmachen. Auf der anderen Seite gehören sie aber sicher zu denjenigen Formen, die „dem Fange mehr oder weniger entgehen“, besonders wenn die Netzöffnung bloß etwa 100 Quadrat- centimeter beträgt. Dass übrigens auch mit solchen Netzehen noch ziemlich viel Copepoden erbeutet werden können, leugne ich keineswegs. Ich stelle nur in Abrede, dass das Fangergebnis in diesen Fällen einen exakten Rück- schluss auf die wirkliche (!) Anzahl der Individuen gestattet, die sich jeweilen in der durchfischten Wassersäule befunden haben. Nur hiergegen wende ich mich, d. h. lediglich gegen die vermeintliche „Exaktheit“ der Methode. 120; Zacharias, Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Sees. tung ausgeführt wird, muss darum ein zutreffenderes Bild von der vorhandenen Individuenzahl geben, als der vertikale, der jene Schwimmrichtung im rechten Winkel durchschneidet. Denn natürlich werden die Schwimmer bei Annäherung des Netzes nach allen Riehtungen hin weggedrängt, ausgenommen nach der, von welcher das Netz kommt, Auch dieser Umstand muss dazu beitragen, dass Tiere, welche überhaupt nicht allzu massenhaft im Plarkton vorkommen, in unverhältnismäßig kleinerer Anzahl durch Vertikalfänge als durch horizontale er- beutet werden, was selbstredend der Exaktheit der Methode vielen Abbruch thut. Im Hinblick auf die qualitative Erforschung eines Sees kann ich daher der Vertikalfischerei nur in Verbindung mit der horizontalen Wert bei- inessen, weil nur durch diese kombinierte Fangweise Alles bekannt werden kann, was in einem See an pflanzlichen und animalischen Plankton- organismen vorhanden ist. Dass dichtere Ansammlungen von Vertretern einzelner Species thatsäch- lieh stattfinden, habe ich durch meine Oktoberbeobachtungen außer jeden Zweifel gestellt. Die Zusammenscharung zeigte sich hier im vollen Bereiche eines Quadratkilometers; erst darüber hinaus änderten sich die Verhältnisse. Freilich sind auch in diesem Falle die einzelnen Mallomonaden in beträcht- lichen Abständen von einander zu denken, der mehrere tausend Mal ihre Körperlänge übertrifft, aber trotzdem waren sie diesseits Alesborg damals näher beisammen und folglich in demselben Wasserquantum zahlreicher an- wesend, als jenseits dieser Insel. Es lässt sich darüber streiten, ob man eine derartige Verdichtung der Individuen einen „Schwarm“ nennen darf und ob Imhof diese Bezeichnung auf ähnliche Zusammenrottungen, wie ich sie kürz- lich beobachtet habe, in der oben zitierten Abhandlung bezogen wissen will. Auf das Wort kommt schließlich wenig an, wenn nur festgehalten wird, dass damit ein Faktum hervorgehoben werden soll, welches mit der Theorie von der gleichmäßigen Verteilung des Plankton nicht harmoniert. Und daran ist es mir gelegen, die zeit- und stellenweise vorhandene Ungleichheit in der numerischen Verbreitung der limnetischen Organismen festzustellen. Trotzalledem ist nicht in Abrede zu stellen, dass es keine andere Methode als die der Hensen’schen Vertikalfänge gibt, welche eine quantitative Be- stimmung der in einer gegebenen Wassersäule enthaltenen Organismen in ab- soluten Zahlen gestattet. Denn trotz der oben dargelegten Mangelhaftigkeit der vertikalen Netzzüge, vermögen diese doch ganz allein das Material für die Auswertung bestimmter Wassermengen (hinsichtlich ihres Plankton- gehalts) zu liefern. Deshalb ist meine Kritik nicht so zu verstehen, als ob ich diese Methode überhaupt befehdete oder ihr die wissenschaftliche Bedeu- tung abspräche. So etwas liegt mir sehr ferne. Aber wogegen ich mich mit aller Entschiedenheit wenden muss, ist die allmählich immer mehr hervor- tretende Ansicht, dass man ausschließlich nur mit Hilfe des Vertikalnetzes und des Zählmikroskops alle Rätsel der Hydrobiologie lösen könne. Hiermit verfällt man in dieselbe Einseitigkeit, wie seinerzeit gewisse Statistiker, die mit ihren Zahlentabellen jedes Problem des menschlichen Daseins ergründen zu können meinten, worüber wir allerdings nun glücklich wieder hinaus sind. Dr, Franz Schütt, ein entschiedener Verfechter der Hensen’schen Prinzipien, hat folgenden Ausspruch gethan !), der von den Planktologen seiner Richtung mehr als bisher beherzigt werden sollte. Er sagt: „Durch Auswertung des Vertikalfanges kann man Auskunft erhalten über Qualität und Massen- verhältnisse dessen, was an der betreffenden Stelle im Meere vorhanden war, 1) F. Schütt, Analytische Plauktonstudien, 1892, 8. 12. Zacharias, Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Sees. 197 soweit es mit Hilfe der Methodik zu fangen ist“ Ich habe die letzten Worte gesperrt drucken lassen, weil sie wichtig sind und zeigen, dass Schütt sich der Grenzen, welche jener Methode gezogen sind, bewusst bleibt. Was nicht mit Hilfe von sporadischen Vertikalfängen zu erkunden ist (und hierzu gehören, wie ich gezeigt habe, auch die Verbreitungsverhältnisse ge- wisser Planktonspecies) kann nach Hensen’s Methode vorderhand nicht fest- gestellt werden. Nicht einmal für einen großen Landsee (geschweige denn für den ganzen Ozean!) scheint die Methode bei ihrer gegenwärtigen Handhabung schon das zu leisten, was man prinzipiell von ihr verlangen könnte, nämlich den sieheren Nachweis der gleichförmigen Planktonverteilung. Die Zähl- Methode in ihrer Anwendung auf das Meer einer Kritik zu unterwerfen, über- lasse ich denen, welche eigene Erfahrungen in der marinen Biologie besitzen !). Inbezug auf die Verhältnisse aber, die in Binnenseen herrschend sind, gestatte ich mir auszusprechen, dass hier die Vertikalfischerei nur dann einigermaßen sichere Resultate verspricht, wenn sie mit größeren Netzen (als bisher) be- trieben und vor Allem gleichzeitig in den verschiedensten Regionen des Sees ausgeübt wird. Eben weil wir zur Zeit noch nicht genau wissen, ob eine solche durchgängige Gleichheit in der Verteilung wie sie in der 'Theorie an- genommen wird — in unseren großen Landseen die Regel ist: eben darum müssen die Stichproben, um entscheidende Ergebnisse herbei zu führen, viel dichter (und natürlich auch möglichst zur nämlichen Zeit) gemacht werden. Dies ist aber bis jetzt noch in keinem größeren Wasserbecken geschehen, weil es — wie jeder sieht — nicht bloß umständlich und zeitraubend ist, sondern auch die vereinten Kräfte einer größeren Anzahl von Forschern benötigt. So lange daher die Hensen’sche Methode noch nicht in der angedeuteten Weise (und zwar mindestens ein volles Jahr hindurch) auf einen großen Binnensee angewandt worden ist: so lange bleibt die Frage darnach, ob sich im Plankton nur ausnahmsweise dichtere Anhäufungen („Schwärme“*) bilden und durch- gängige Gleichförmigkeit in der Verteilung die Regel ist, offen. Ich bin durch die Erfahrungen, welche ich oben mitgeteilt habe, sehr skeptisch geworden. Denn damals handelte es sich um eine ganz notorische und leicht zu konsta- tierende Ansammlung mehrerer Species, welche viele Wochen lang andauerte, so dass dadurch — falls zu dieser Zeit Jemand quantitativ vor der Insel Alesborg gefischt hätte — der Rückschluss aus den hier gemachten Fängen für die übrigen Teile des großen Plöner Sees gar keine Giltigkeit gehabt hätte. Und wer kann sagen, wie viele Male derartige Anhäufungen (bei Anwendung der Hensen’schen Methode) schon ahnungslos durchtischt worden sind, und wie oft das was sie an Material ergaben, zu Berechnungen weitgehendster Art benutzt worden sein mag? Die Forderung, dass bei zweifelhafter Gleichmäßig- keit der Planktonverteilung die Stichproben in nicht allzugroßer Entfernung von einander genommen werden sollen, wird von Schütt wiederholt gestellt und betont. Aber was heisst hier „nahe“ und was „ferne“? Hätte man zu Beginn des Oktober in dem Seeteile vor Alesborg (ohne die Grenzen der großen Zusammenscharung zu kennen) zwei Stichproben in 150—200 Meter Entfernung von einander gemacht, so würde das Zählresultat jedenfalls nahezu gleich ge- wesen sein, weil der Schwarm sich fast über einen Quadratkilometer Fläche erstreckte. Hätte man aber die eine Probe in 800-900 Meter Entfernung westlich von der andern geschöpft, so würde der Unterschied in der Verteilung zu jener Zeit alsbald deutlich zu Tage getreten sein. Hieraus ergibt sich die sehr zu beherzigende Lehre, dass Stichproben auch zu nahe bei ein- 1) Vergl. E. Häckel, Plankton - Studien. 1890. 198 Zacharias, Verteilung der Planktonorganismen innerhalb eines Sees. ander gemacht werden können, um beweiskräftig in der Frage nach der Verteilung zu sein. Derartige Momente nun, welche bei Ausführung der Vertikalfänge stets beachtet sein wollen, sind für die Binnenseen noch gar nicht berücksichtigt worden. Erst dureh die hiesige Biologische Station und die dadurch ermög- liehte tägliche Kontrolle der zunächst liegenden Seeteile werden solche Un- gleichmäßigkeiten in der Verteilung gelegentlich bekannt und können dann nach ihrem spezifischen Charakter, ihrer Ausdehnung und ihrer Zeitdauer ge- nauer studiert werden. Durch Exkursionen, welche im Turnus von höchstens 2—3 Wochen behufs Vornahme von quantitativen Forschungen unternommen werden, können schwerlich Verteilungs- Anomalien zur Feststellung gelangen. Darum ist auch in den Abhandlungen von ©. Apstein so gut wie niemals davon die Rede, und wenn dieser Autor sich ja einmal mit den „Schwärmen“ beschäftigen muss (vergl. Biolog. Centralbl., Bd. XIL, S. 492), so erklärt er sie als „auf Täuschung beruhend“ oder für Ansammlungen, „welche die Anwendung der Hensen’schen Methode durchaus nicht beeinträchtigen“. Indessen gibt Apstein auf Grund seiner Zählungen von Diaptomus selbst zu, dass derselbe eine „größere Abweichung“ in der Gleichmäßigkeit des Vorkommens zeige und sich in kleineren Ansammlungen zu halten scheine. Als plausibeln Grund dafür nennt er die geschlechtliche Fortpflanzung. Gleichzeitig setzt er aber wörtlich hinzu: „Dann ist es nur wunderbar, dass Ü'yelops sich nicht auch zu- sammenschart, da für ihn die gleichen Verhältnisse maßgebend sind“. Aller- dings ist dies wunderbar, und für die Mallomonaden, die sich überhaupt nieht geschlechtlich fortpflanzen, ist es noch viel wunderbarer, dass sie ge- legentlich Schwärme bilden. Aber müssen wir denn für jede Thatsache, welche wir feststellen, nun gleich auch die richtige Erklärung finden? Genügt es nicht einstweilen, dass wir unsere Pflicht erfüllen, indem wir gewissenhaft beobachten ? Ich habe hiermit keime erschöpfende Kritik an der Behauptung üben wollen, dass das A und O der Hydrobiologie in der Anwendung der Zähl- methode gelegen sei. Nur auf einige Mängel in der gegenwärtigen Praxis dieser Methode und auf die mehrfach zu Tage getretene Ueberschätzung der- selben habe ich hinzuweisen mir erlaubt. Dass man auch ohne Zählmikroskop und ohne quantitative Auswertung der Fänge (im Sinne Hensen’s) doch auch mancherlei Neues und Wichtiges entdecken kann, hoffe ich mehrfach gezeigt zu haben. Ich betreibe im Verein mit meinen Mitarbeitern in der hiesigen Forschungsstation vorwiegend qualitative Planktonstudien, welche ebenso berechtigt und für den Fortsehritt unserer Wissenschaft notwendig sind, als die quantitativen. Hat doch Dr. F. Schütt, der den letzteren mit großer Entschiedenheit das Wort redet, auch die ersteren warm verteidigt, indem er darüber sagt: „Wir verdanken diesen qualitativen Studien reiche und wichtige Kenntnisse über den Bau und die Entwicklungsgeschichte der Planktonorga- nlsmen“'). Nach diesem Zugeständnisse können also beide Richtungen der Forschung in Eintracht neben einander bestehen, ohne sich zu befehden, voraus- gesetzt, dass der wissenschaftliche Gesichtspunkt bei Ausübung der Kritik von beiden Seiten respektiert wird. Bei mir ist der aufriehtige Wunsch vorhanden, nach diesem Grundsatze zu verfahren und ich hoffe zuversichtlich, dass auch Andere die Interessen der Wissenschaft höher stellen werden, als ihre persön- lichen Sympathien und Antipathien. 4) Analytische Planktonstudien, 1892, S. 15. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kel. bayer. Hof und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der DImst in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 ) Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 15. Februar 1894. T. * In halt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie., —_ Braem, Ueber die Knospung bei mehrschichtigen Tieren, insbesondere bei Hydroiden. — Schaudinn, Die Fortpflanzung der Feraminifeken und eine neue Art der Kernvermehrung. — Werner, Zoologische Miszellen (Fortsetzung). — Hansemann, Studien über die Spezifizität, den Altruismus und die Anaplasie der Zellen, mit besonderer Berücksichtigung der Geschwülste, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. Dem nachfolgenden Referate, welches gegenüber den frühern da- durch etwas erweitert ist, dass auch die Pflanzenbiologie größere Berücksichtigung fand, liegen folgende Publikationen zu Grunde. I. Bau und Leben der Zelle. E. Crato, Morphologische und mikrochemische Untersuchungen über die Physoden. Botanische Zeitung, 51. Jahrgang, 1893, S. 157—195. G. von Nägeli, Ueber oligodynamische Erscheinungen in lebenden Zellen n: Neue Denkschrift der allgemeinen schweiz. Gesellschaft für die gesamten Naturwissenschaften, Bd. XXXIII, 1893, S. 1—51. P. Sonntag, Die Beziehungen zwischen Verholzung, Festigkeit urd Elastizität vegetabilischer Zellwände. Landwirtschaftl. Jahrbücher, Ss. 839—869, 1892. 1) E. Crato’s morphologische und mikrochemische Unter- suchungen über die Physoden sind ein neuer Beitrag zu der umfangreichen in ihren Ergebnissen nieht selten noch divergierenden Litteratur über den Bau der Zelle. Unter Physoden versteht Crato „bläschenartige Gebilde, welche sich in den Lamellen (bezw. Fäden) des Plasmagerüstes der Zelle befinden: und dadurch die äußerst zart- wandigen Lamellen lokal mehr oder weniger auftreiben“. Von den übrigen Zellbestandteilen unterscheiden sie sich durch stärkeres Licht- breehungsvermögen, ferner durch ein eigenes Bewegungsvermögen, das XIV. J € 130 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. ihnen gestattet sich imnerhalb der Plasmalamellen zu verschieben. Ihr Inhalt, ein flüssiges Substanzgemenge, kann amöboide Formverände- rungen ausführen. Diese kleinen, beweglichen Zellenorgane sind am deutlichsten bei den braunen Algen zu erkennen. In großer Zahl liegen sie um den Kern. „Bei stattfindenden Zellteilungen in dem parenchymatischen Gewebe von Fucus sind die meisten Physoden und Chromatophoren zunächst dieht um den Zellkern gelagert und nach Teilung derselben bekommt jeder der beiden neuen Zellkerne seinen Anteil an Physoden und Chromatophoren mit, worauf dann diese beiden traubenförmigen, im Lamellensystem hängenden Klumpen (d. h. Zellkern mit den dicht um ihn gelagerten Physoden und Chromatophoren) in die beiden Pole, der inzwischen verlängerten Zelle wandern. Hierauf wird die Zelle durch einen Teil der Plasmalamellen, indem sich dieselben in eine Ebene ordnen, in 2 Zellen geteilt. Innerhalb dieser zarten Plasma- wand findet dann die Absonderung der Zellmembran statt“. In jeder Zelle finden wir also von Anfang an eine Anzahl Phy- soden. Bezüglich ihrer Größe sind nicht unerhebliche Unterschiede, in- dem ihr Durchmesser !/; « bis 6 « betragen kann. In den langgestreckten Zellen der braunen Algen, die als Hyphen- zellen bezeichnet werden, zeigen die Physoden lebhaftere Bewegungen. Gleich als ob kleine amöbenartige Wesen umherkriechen würden, dureh- wandern sie das Lamellensystem des Plasmagerüstes um von Zeit zu Zeit den Kern aufzusuchen. Des Verf. Vorstellungen von der physiologischen Bedeutung der Physoden hängt aufs innigste mit seinen Anschauungen vom Aufbau der Zelle zusammen. Es liegt ihr ein zartes Lamellensystem zu Grunde. Seine schaumförmige Anordnung führt zur Bildung von Kammern, die bei verschiedenen Pflanzenarten von sehr ungleicher Weite sind. Die „edleren Organe“ des Elementar-Organismus, wie Zellkern, Chro- matophoren und Physoden sind den Lamellen eingelagert. Der Inhalt der Kammern, die sog. Kammerflüssigkeit, besteht aus einer klaren, wässerigen Flüssigkeit. Sie umfasst den Zellsaft und das sog. Enchy- Jema. „Während die Flüssigkeit der einzelnen Kammern, besonders bei ruhendem Lamellensysteme, immer von denselben ‘Lamellen be- grenzt bleibt und nie mit anderen Lamellen derselben Zelle in Be- rührung kommt, sind die Physoden die Organe, welche, in allen Lamellen umhergleitend, auf die denkbar günstigste Weise den che- mischen Austausch und den Transport wichtiger Baustoffe übernehmen. Von ganz hervorragendem Interesse erscheint mir dabei der Umstand, dass in den Physoden ..... immer die am leichtesten oxydierbaren Stoffe der Zelle enthalten sind“. Von diesem ernährungsphysiologischen Standpunkte aus sind auch die periodischen Wanderungen vom Kern zur Peripherie der Zelle und wieder zum Kern zurück verständlich. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 131 Die Beobachtungen an Zellen des Vegetationspunktes von Fucus zeigen, dass zwischen der Entwicklung des Lamellensystemes und Physodeninhaltes eine bestimmte Wechselbeziehung besteht. „So waren in den Zellen mit noch wenig Plasmalamellen eine große Zahl von Physoden enthalten, während in den Zellen mit dem diehten, sehon fiorillär aussehenden Lamellensysteme sich ganz erheblich weniger und zugleich kleinere Physoden befanden“. Ganz analoge Verhältnisse sind bei der Anlage der Oogonien zu beobachten. Sie geht mit einem sehr starken Verbrauch von Physodeninhalt Hand in Hand. Während des Wachstums der Oogonien findet dann wieder eine reichliche Ver- mehrung der Chromatophoren nnd Physoden statt. „Die lebhafte Teilung der Chromatophoren, welche dabei oft nur um die eine Hälfte des Zellkerns gruppiert sind, geht der Physodenvermehrung etwas voraus. Jedoch sind schon, bevor sich der Kern zu teilen beginnt, eine beträchtliche Anzahl jetzt lebhaft hin- und hergleitender Physoden wieder vorhanden, so dass nach der Teilung des Oogoniums jedes junge Ei einen beträchtlichen Teil des Fhysodeninhaltes (plastischen Baustoff) mitbekommt“. Diese Erscheinungen sind nicht auf Fucus allein beschränkt. Auch andere Fucoiden wie z.B. Chaetopteris, Sphacelaria-Arten u. 8. f. zeigen ein ähnliches Verhalten. Wo das lebhafteste Wachstum stattfindet, sind die lebhaftesten Bewegungen der Physoden zu beobachten. „Bei der Zellkernteilung wandern die Physoden fast sämtlich ..... in unmittel- bare Nähe des Zellkernes. Wenn dann nach erfolgter Kernteilung die Mutterzelle zunächst durch eine Plasmalamelle in 2 Hälften geteilt ist, so wandert ein Teil der Physoden nach der erwähnten Lamelle und führt anscheinend die zur Zellwandbildung nötigen Stoffe hin“. Die Physoden wies Verf. auch bei andern Algen (Diatomeen, Cyanophyceen ete.) nach. Sie fehlen auch den Phanerogamen nicht, wo sie nach Crato „den bei weitem größten Teil der bisher als Mikrosomen bezeichneten Gebilde ausmachen“. Im 2. Teile seiner zitierten Abhandlung wendet sich Crato der Untersuchung der chemischen Natur der in den Physoden der braunen Algen enthaltenen Stoffmengen zu. Es liegt nicht in der Aufgabe dieser Referate auf die sehr einlässlichen mikrochemischen Reaktionen einzutreten, die Verf. zur Erschließung der chemischen Natur des Physodeninhaltes ausführte. Ein erstes Ergebnis besteht darin, dass der Inhalt der Physoden verschiedener Arten wohl aus ähnlichen, nicht aber aus absolut iden- tischen Stoffen besteht. Die Reaktionen weisen darauf hin, dass der Inhalt der Physoden aus phenolartigen Körpern gebildet wird. Vor allem wurde stets Phloro- gluein aufgefunden. Weder die Physoden, noch die Lamellen, in welche sie eingebettet sind, zeigen die gewöhnlichen Eiweißreaktionen. - g* 132 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 2) Lösliche Stoffe üben auf die Zelle stets, sei es in geringer, sei es in größerer Konzentration einen schädigenden Einfluss, der schließlich tötlich wirkt, aus. Diese durch chemisch-giftige Einwirkung erfolgte Abtötung ist eine dem natürlichen Absterben der Zelle völlig parallele Erscheinung. Es besteht nun aber auch die Möglichkeit eine Abtötung der Zellen dadurch hervorzurufen, dass diese der Einwirkung ininimster Mengen gewisser Substanzen ausgesetzt sind. Diese Art des Tötens unterscheidet sich von der chemisch-giftigen nicht etwa da- durch, dass sie deren Aktion in sehr verlangsamtem Tempo wieder- holte. Sie kann vielmehr, wie wir später sehen werden, sehr rasch, schon nach wenigen Minuten, den Tod der Zelle bewirken. Die Ver- änderungen aber, die sie in der sterbenden Zelle hervorruft, sind durchaus anderer Art als jene, die die natürlich sterbende Zelle zeigt, oder die sich infolge chemisch-giftiger Einwirkung vollziehen. Diese besondere Wirkungsweise minimer Stoffmengen gewisser löslicher Körper, bezeichnet Nägeli als oligodynamische Erscheinungen. Für Kulturen von Spirogyren war reines Wasser und zwar sowohl destilliertes als auch Brunnenwasser unter gewissen Bedingungen todbringend, während sog. unreines Wasser, wie Fluss-, See- und Sumpfwasser, diese Wirkung nie hatte. Ich will in erster Linie kurz angeben, welche Veränderungen das natürliche Absterben in diesen Algenfäden hervorbringt. Die Spirogyren sind grüne Fadenalgen, die durch Querwände ab- geteilte Hohlzylinder sind. In jedem dieser Fächer befinden sich ein oder mehrere gleichlaufende grüne Spiralstreifen. Der feste plasma- tische Inhalt der etwa 0,1—0,6 mm langen Zellen besteht aus dem der Zellwand anliegenden sehr dünnen farblosen Plasmaschlauch, aus den der Zylinderfläche des Plasmaschlauches anliegenden rinnenförmigen srünen Spiralbändern, deren konvexe Seite nach innen gekehrt ist. So steht das grüne Band je nur mit den Zackenspitzen seiner gezackten känder mit dem Plasmaschlauch in unmittelbarer Berührung. Diesen beiden wandständigen Plasmasystemen steht, durch einen großen Ab- stand getrennt, ein zentrales gegenüber, der Zellkern mit dem an- liegenden Plasma. Von den Kanten jenes gehen mehr oder minder zahlreiche nach außen bisweilen sich verzweigende mit dem Rücken der stärkeführenden Spiralbänder vereinigte Plasmafäden ab. Winzige Plasmakörnchen, die an den verschiedenen Plasmateilen haften, gleiten nach verschiedener Richtung hin fort. So entsteht das Bild von Strömehen. Den Raum zwischen dem zentralen und den peripheren Plasmasystemen, sowie die Rinne der grünen Spiralbänder füllt die Zellflüssigkeit an. Das natürliche Absterben, welches äußere schädliche Ein- flüsse bewirken können, führt zu folgenden Veränderungen in den Keller, For tschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 195 Spirogyrenzellen. Die Spiralbänder bleiben zwar mit dem Plasma- schlauche in Verbindung, verändern aber ihre Gestalt. Indem die Zacken der Ränder sich verlieren, das Band schmal wird und seine Rinne verliert, dabei einen rundlichen oder ovalen Querschnitt an- nimmt, wird es einem Strange ähnlieh. Das vom Kern abgehende Plasmafadennetz verliert sich, der Kern rückt an die Wandung und rundet sich ab. Die strömenden Bewegungen hören auf. Der Plasma- schlauch zieht sich etwas von der Wandung ab. In einer Versuchsreihe werden nun gesunde Spirogyrenfäden in Wasser mit !ıoooo Quecksilberchlorid versetzt. Die giftige Wirkung des Salzes bewirkte den Tod. Die Veränderungen der Fäden waren im wesentlichen die gleichen, wie wenn sie auf natürlichem Wege ab- sterben. Wird die Verdünnung der Sublimatlösung eine geringere, dann beginnen die Absterbeveränderungen in anderer Art vor sich zu gehen. Ist der Gehalt an Quecksilberehlorid nur noch !/poouco, dann sind die chemisch-giftigen Wirkungen nicht mehr vorhanden, es zeigen sich nun die oligodynamischen. Der Effekt ist der gleiche, sie führen den Tod herbei. Der Verlauf der Veränderungen aber ist konstant vom oben geschilderten, dem natürlichen Absterben, das im Wesen auch das Bild der chemisch-giftigen Wirkung ist, verschieden. Die Spiralbänder trennen sich ohne zunächst ihre Gestalt zu ändern, vom Plasmaschlauch, treten ins Innere der Zellhöhlung zurück, anfänglich durch zarte Plasmafäden, die von den Zacken ihrer Ränder abgehen mit dem Plasmaschlauch verbun- den. Später zerreißen die Fäden, die Zacken verlieren sich. Schließ- lich ballen sich die Spiralbänder in einen soliden Klumpen zusammen, welcher den abgerundeten Kern umschließt. Wenn sich die Spiral- bänder bereits vom Plasmaschlauch abgelöst haben, ist an diesem noch nichts abnormes zu bemessen. Erst später zieht er sich von der Zellhaut zurück, wie auch der Stillstand der Strömehen nicht schon beim Beginne der oligodynamischen Veränderungen zu beobachten ist. Nägeli versuchte nun die Grenze der Verdünnung festzustellen. 0 weit aber auch die Verdünnung ging, die oligodynamischen Erschei- nungen blieben die gleichen. „In der septillionfachen Verdünnung, die in 1 Liter Wasser bloß noch den trillionsten Teil eines Moleküls HgCl, enthielt, starben die Zellen mit denselben Inhaltsveränderungen und in der gleichen Zeit wie in der trillionfachen Verdünnung, bei welcher auf 1 Liter mehr als eine Million Moleküle traf“. Dass von so minimen Mengen Quecksilberchlorid der physiologische Eifekt nieht herrühren konnte, lag auf der Hand; es musste also die Ursache der oligodynamischen Erscheinungen im Wasser oder im Glase gesucht werden. Während in den bisherigen Kontrolversuchen mit renem Wasser stets viele Algen verwendet wurden, zeigte sich nun, nachdem auf 10 ccm Wasser nur wenige Spirogyra-Fäden kamen, dass diese im destillierten Wasser fast immer in 154 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. kurzer Zeit, zuweilen in weniger als 4 Minuten, starben. Brunnen- wasser verhielt sich häufig wie destilliertes Wasser. Woher stammt nun diese verderbliche Wirkung des „reinen“ Wassers? Chemische Ursachen schienen nicht in Frage zu kommen. Kohlensäure, Ammoniak und Ozon können nicht die Ursache der oligo- dynamischen Eigenschaften des destillierten Wassers sein, da diese Gase in Sumpf- und Flusswasser in viel beträchtlicheren Mengen vor- handen sind ohne diesem oligodynamische Eigenschaften zu verleihen. Nägeli prüfte ferner das Verhalten der salpetrigen Säure. Während die Lösung mit !/ıooooo HNO, noch chemisch-giftige Wirkung besaß, brachte eine Lösung von !/,oooooo HNO, bloß oligodynamische Erscheinungen hervor, die aber stärker waren als diejenigen, welche das bloße Wasser der Kontrolgläser erzeugte. Mit Hilfe des Griess’- schen Reagens konnte konstatiert werden, dass in den meisten Fällen HNO, nicht in nachweisbaren Mengen vorhanden war, trotzdem das Wasser deutliche oligodynamische Eigenschaften besaß und dass, wo es an der rötlichen Färbung des Wassers auf Zusatz des Reagens er- kannt wurde, der Gehalt nicht über !/,oooo0000° HNO, ging. Das Verhalten fester Körper war ein sehr ungleichartiges. „Einer- seits wurde die oligodynamische Wirkung in destilliertem Wasser ver- mehrt oder in neutralem (nieht-oligodynamischem) Wasser hervorge- rufen durch Körper, von denen man annehmen dürfte, dass sie nicht oder nur in minimalen Mengen löslich seien. Anderseits wurde die oligodynamische Wirkung durch ganz unlösliche Körper und ferner durch micellarlösliche (kolloide) Substanzen, die für sich selbst wir- kungslos waren, geschwächt oder gänzlich aufgehoben. Ferner blieben in Gläsern, welche einige Zeit gefüllt mit oligodynamisch wirksamem Wasser gestanden hatten, sehr deutliche und merkwürdig lokalisierte Nachwirkungen zurück“. Bringt man z. B. in ein Glas Wasser zu einer geringen Menge von Spirogyren einige gut gereinigte Kupfermünzen, dann sterben die dem Kupfer nächstliegenden Fäden zuerst ab, bis schließlich auch die am weitesten entfernten Fäden von der tötlichen Wirkung betroffen werden. Schwefel, Kohlenstoff, Stärkmehl, Seide ete. heben die dem Wasser durch Metalle erteilten oligodynamischen Eigenschaften wieder auf. Die gleiche Wirkung haben die Algenzellen selbst. Gleiches Wasser wurde in verschiedene Gläser gebracht, in diese eine ver- schiedene Zahl von Spirogyrenfäden. Je weniger Fäden in einem Glase waren, um so schneller machten sich die oligodynamischen Wir- kungen geltend. In den Gefäßen mit vielen Fäden vegetierten die- selben unversehrt fort. Dureh Kupfermünzen wurde aber auch den Glasgefäßen oligodynamische Eigenschaften verliehen, selbst wenn es nach dem Gebrauche gut mit neutralem Wasser ausgewaschen wurde. Die Nachwirkung war, wie der Versuch zeigte am stärksten an jenen Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 155 Stellen, mit denen das Kupferstück in Berührung war. Kann also eine gelöste Verbindung die Ursache dieser oligodynamischen Wirkungen sein? Diese Frage glaubte Nägeli verneinen zu sollen. „Wie sollten, so frägt er, die minimalen Mengen, welche die fast unlöslichen Metalle an das Wasser abzugeben vermochten, so rasche und tötliche Ver- heerungen an lebenden Zellen anrichten? Wie sollte ferner eine Lösung durch unlösliche Körper, welche man in dieselben legt, unwirksam werden? Wie sollte endlich ein löslicher Stoff an der glatten Fläche des Glases eine Nachwirkung derart hinterlassen, dass nach wieder- holtem Ausspülen das Glas nach wochenlang neutralem Wasser tod- bringende Eigenschaften mitzuteilen vermag?“ Die Prüfung auf „imponderable“ Ursachen, wie lemperatur, Licht und Elektrizität ergab nur negative Resultate. Musste also nicht „ein neues Agens oder eine besondere Wirkungsart der gewöhnlichen Agentien“ vorliegen ? Nachdem Nägeli nach langer Unterbrechung seine Versuche wieder aufgenommen hatte, bewies er in erster Linie durch neue Ex- perimente, dass unlösliche Körper, auch Metalle wie reines Gold und Platin, dem Wasser keine oligodynamischen Eigen- schaften erteilen. Ferner entdeckte er, dass die mit verdünnter Salz- oder Salpetersäure ausgewaschenen Gefäße von der Nachwirkung befreit wurden. „Diese Wirkung der Säure machte es wahrscheinlich, dass dieselben einen im Wasser schwerlöslichen Stoff von der Wandung der Gefäße entfernten und ferner lag die Vermutung nahe, dieser Stofl möchte ein Metall, namentlich Kupfer, sein“. Ziemlich neutrales Wasser wurde mit Kupfermünzen — 12 Liter Wasser mit 12 Zweipfennigstücken — oligodynamisch gemacht. Kupfer konnte nach der in der analytischen Chemie gebräuchlichen Weise durch Ammoniak nachgewiesen werden. Wurde nun eine 1 prozentige CuSO,-Lösung mit Ammoniak übersättigt und der blauen Lösung so viel Wasser zugesetzt bis sie den gleichen Farbenton zeigte, wie die vorige Lösung, dann konnte bestimmt werden, dass 1 eem der Lösung 0,00013 g Cu enthielt. So komnte Nägeli feststellen, dass das Wasser, welches er gewöhnlich zu seinen oligodynamischen Versuchen ver- wertete auf 1000 Millionen Teile Wasser 1 Teil Kupfer enthielt. Sprechen also diese Versuche zweifellos dafür, dass die oligo- dynamischen Eigenschaften des Wassers auf Stoffe zurückzuführen sind, die in denselben gelöst sind, so zeigt sich doch gegenüber einer Salz- oder Zuckerlösung ein fundamentaler Unterschied. Diese verlieren ihre Eigenschaften dadureh nieht, dass man einen unlöslichen Körper in sie legt. Ebenso erteilen sie den Wandungen des Gefäßes ihre Eigenschaften nicht, wie die Kupferlösung. Die Ursache dieser Ver- schiedenheit sieht Nägeli in der Schwerlöslichkeit der Metalle. „Kommt ein Stück Kupfer in reines Wasser, welches etwas Sauerstofl 436 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. und etwas Kohlensäure enthält, dann trennen sich langsam, aber stetig Kupferteilchen los, welche sich im Wasser verteilen und von denen ab und zu einzelne an die Wandung des Gefäßes anstoßen und daran hängen bleiben. So muss nach Maßgabe, als die Lösung kon- zentrierter wird, auch die Zahl der an der Wandung haftenden unlös- lichen Kupferteilchen zunehmen. Wenn der Sättigungsgrad erreicht ist, so kann eine Zeit lang noch ein Lösungsprozess an dem Kupfer- stück fortdauern, indem aus der Lösung mehr Teilchen an die Gefäß- wandung sich anlegen, als von derselben in die Flüssigkeit zurück- kehren. Zuletzt stellt sich ein Gleichgewichtszustand in der Weise ein, dass der Kupferüberzug der Wandung ebenso viele Moleküle aus der gesättigten Lösung empfängt, als er an dieselbe abgibt“. „Nimmt man das Kupferstück heraus, bevor die Sättigung erfolgte, so dauert die Veränderung der Lösung noch so lange an, bis ein Gleichgewichtszustand in der Weise eingetreten ist, dass ebenso viel Kupferteilchen aus der Lösung an die Glaswandung, als von dieser in jene zurückgehen“. „Gießt man eine solche Kupferlösung dann in ein anderes reines Glasgefäß, so nimmt dort die Konzentration so lange ab, bis zwischen der Lösung und dem sich bildenden Kupferbeleg ein neues Gleich- gewicht hergestellt ist. Gibt man aber reines Wasser in ein mit einem Kupferbeleg versehenes Glas, so gehen von diesem so lange Kupfer- teilchen in das Wasser, bis das der Kupfermenge entsprechende Ver- hältnis zwischen Lösung und Niederschlag erreicht ist“. Diese Vorstellungen lassen uns die neutralisierende Wirkung un- löslicher Körper verstehen. Sie wirken gleichsam als Vergrößerung der Kupferteile aufnehmenden Wandflächen. Wenn nun auch durch das Anziehen von Kupfer aus der Lösung an die Oberfläche des unlös- lichen Körpers das kupferhaltige und deshalb oligodynamische Wasser nicht kupferfrei wird, so kann doch so viel Kupfer aus der Lösung entzogen werden, dass der übrig bleibende Teil das Zellenleben nieht mehr zu beeinträchtigen vermag. Wenn zahlreiche Algenfäden in dem oligodynamischen Wasser sind, dann muss natürlich die Wirkung viel schwächer sein, als wenn es nur wenige Fäden enthält. Das Kupfer wird sich zunächst an die den Faden umgebende Scheide anschlagen. Erst später dringt es in das Innere hinein und ruft hier die oligodynamischen Erschei- nungen hervor. Je mehr Kupfer aber an die Scheiden sich anschlagen kann, um so weniger dringt in das Innere ein. Die Lösung wird mit andern Worten so kupferarm werden, dass sie das Zellenleben nicht mehr schädigt. Warum ist nun Wasser verschiedener Herkunft bald durch oligo- dynamische Eigenschaften ausgezeichnet, bald ohne solehe? Wenn wir beobachten, dass Wasser aus Quellen, Flüssen, Sümpfen, Torf- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 137 mooren, Seen ohne oligodynamische Eigenschaften ist, dann wird dies darauf beruhen, dass sich die schwerlöslichen, oligodynamisch - wirk- samen Stoffe, die es einmal enthalten mochte, auf unlösliche Körper niedergeschlagen haben. Brunnenwasser, das aus Bleiröhren und Messinghähnen ausströmt, wird dann oligodynamisch wirken, wenn es längere Zeit mit dem Metalle in Berührung war, wenn es also längere Zeit in der Leitung stand. Ebenso wird nur das destillierte Wasser, das aus einem metallenen Destiltationsapparate stammt, oligodynamisch sein. In Glas destilliertes Wasser ist neutral. Wir haben oben gezeigt, dass die oligodynamische Reaktion in einer speziellen Empfindsamkeit des grünen Plasmas besteht. Die Spiralbänder, die aus diesem Plasma bestehen, führen besondere Lagen- veränderungen aus, erfahren Formveränderungen, während das übrige Plasma noch unberührt erscheint. Denn der Plasmaschlauch, die Plasmaströmehen und das in der Zeliflüssigkeit gelöste Plasma lassen beim Beginne der oligodynamischen Erscheinungen keine Veränderungen wahrnehmen. Die oligodynamische Reaktion wird von verschiedenen Momenten beeinflusst. Nicht nur, dass verschiedene Arten einen sehr ungleichen Grad der Empfindlichkeit besitzen, auch die gleiche Art zeigt je nach ihrem Vegetationszustande eine ungleiche Empfindlichkeit. Abends, d. h. dann, wenn in den Zellen reichliche Mengen von Assimilationsprodukten sich finden, ist die Empfindlichkeit gerimger als Morgens, wenn dieselben in geringen Mengen vorhanden sind. Kurz- gliedrige Fäden sind widerstandsfähiger als langgliedrige. Temperatur- erhöhung vermehrt die Empfindlichkeit. Vor allem hat natürlich auch der Grad der Konzentration der einwirkenden Flüssigkeit einen be- deutenden Einfluss. Konzentriertere Lösungen wirken chemisch - giftig (1 Teil Kupferehlorid im 1000—10000 Teilen H,0; 1 Teil KNO, in 100 Teilen H,O), in verdünnterem Zustande dagegen oligodynamisch (Kupfer z. B. von 1 Teil Salz in 1 Million Wasser; KNO, 1 Teil in 1000 Teilen H,O). Werden nun die Maximalkonzentrationen oligo- dynamischer Wirkung verdünnt, dann langt man früher oder später bei einem Punkte an, wo die charakteristische Lostrennung der Spiral- bänder vom Plasmaschlauch nicht mehr eintritt. Man beobachtet als- dann mehr oder weniger starke Ausscheidungen unlöslichen Plasmas aus der Zellflüssigkeit, d. h. eine Veränderung, „die bei der natürlichen Erkrankung, bei der schwächsten Schädigung durch Wärme (31°—53°) oder durch Elektrizität beobachtet wird“. Ist das die schwächste oligodynamische Reaktion oder ist die Folge natürlicher Erkrankung? Der natürliche Tod wird wohl vorab durch geringe Mengen von Auswurfs- und Fäulnisstoffen verursacht. Wir dürfeu daher vermuten, „dass auch andere schädliche Verbindungen in entsprechenden geringen 1538 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie uud -biologie. Mengen das Gleiche bewirken und wir können kaum daran zweifeln, wenn, wie dies wirklich der Fall ist, die USE UUEeN im Zellinhalte die ärnlichen sind“. So gibt es also Stoffe, welche in größeren Mengen chemisch- giftiges, in geringern oligodynamisches, in noch geringern natürliches Absterben bewirken. Trotzdem kann die oligodynamische Reaktion nicht als geschwächte cehemisch-giftige oder verstärkte Wirkung des natürlichen Absterbens bezeichnet werden. Dagegen sprechen die früher erwähnten Veränderungen in den Zellen während des Absterbens, die wohl für den natürlichen Tod und den durch chemisch - giftige Ein- wirkungen verursachten gleich sind, dagegen spricht ferner auch die Thatsache, dass nicht alle Stoffe, wenn ihre Lösungen stetig mehr verdünnt werden, oligodynamische Erscheinungen hervorrufen (z. B. salpetrigsaures Ammoniak). Warum nun können größte und geringste Lösungskonzentration in ihrer Reaktion übereinstimmen, die größte und die mittleren dagegen ein so differentes Verhalten zeigen? „Das merkwürdige Verhalten der Spirogyrenzellen in den drei Verdünnungsstufen erklärt sich dadurch, dass die konzentriertere Lösung ihre chemisch -giftige Wirkung sehr rasch vollzieht und dass daher für die oligodynamische keine Zeit übrig bleibt. Bei schwächerer Konzentration aber geht die chemisch- giftige Erkrankung so langsam vor sich, dass die oligodynamische Veränderung mehr oder weniger vollständig sich abspielen kann. In der allergeringsten Verdünnung vermag die oligodynamische Einwirkung keine sichtbaren Erscheinungen mehr hervorzurufen, während die chemisch -giftige den natürlichen Tod herbeiführt*. — 3) Die Beziehungen zwischen Verholzung, Festigkeit und Elastizität vegetabilischer Zellwände auf experimentellem Wege festzustellen ist das Ziel einer Untersuchung von Sonntag. Bei den bisherigen Angaben war ein Moment, der Wassergehalt, nicht berücksichtigt nalen. Nun wird aber die Querschnittsgröße sehr erheblich, wie nachfolgende Tabelle zeigt, durch den Wasser- sehalt beeinflusst. | | Luft | | °|,- Zu- Kr | °,-Ab- en Imbibier- nahme des krustiert. nahme des | ne ter Quer- |lufttrock. | Substanz | imbibier- INSehantrt schnitt | Quer- | (Ver- | ten Quer- a) | schnittes | holzung) | schnittes Linum usitatissimum(Bst.) 128 199 55,50 1293 Cannabis sativa (Bast.) 1445 2215 53,3 12,00) 25,05), 184, 1 Phormium tenax (Bast.) 509 685 34,6 „ — 2m Abies pectinata (Tracheid.) | 1350 1550 14,8 „, 14202 72.1429 Agave americana (Bast.) 347 373 Tsyanc 46,22, 6,9% (’ocos nueifera (Bast.) 244 246,9 1,025 12DS, A 1,01 „ Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 139 Diese Zusammenstellung zeigt aber auch, dass die durch die Durehtränkung verursachte Querschnittsvergrößerung in ganz bestimmter Beziehung zur Verholzung steht. Mit ihrer Zunahme geht die Abnahme der Querschnittsvergrößerung Hand in Hand. So war es also in der That angezeigt um vergleichbare Resultate zu erzielen, auf einen an- näherungsweise gleichen Wassergehalt das zu untersuchende Material zurückzuführen. Sonntag prüfte zunächst die Beziehung zwischen der Zug- festigkeit und der Verholzung. Aus der nachfolgenden tabel- larischen Zusammenstellung ist das Ergebnis zu entnehmen. Wir sehen, dass die aus nicht oder wenig verholzten Zellen bestehenden Gewebe eine viel größere Zugfestigkeit besitzen als jene mit starker Verholzung. i Festig- Ver- Wasser- Dikotyledonen | keit holzung | gehalt Apoeynum: siburicum. N NN, 116,25 gSgadn HEBa nn IDinu mEUSttaLUSStTN UT 110,4 14,295 Hr WON ODTSES 0, 91,3 15.098, des Boehmeria tenacissima » ne , TO OO 800» Sesbania aculeata IE EHEHL MIR 44,5 DEAN, = Corchorus .'.. . ee ee I PERL A RE 37,9 39,00:% Or dar Quercus sessiliflora BA EN 39,5 Dal — Gymnospermen I ya sc. Frühjahrstracheiden . . 19,6 1 oc Pinus silvesiris | Herbsttracheiden . . . 45,6 141,99 2e| Eh Monokotyledonen IUmsastettiles 2u.u5 > sich se Jansbr gg Hufike 67,1 29,234 31110285 Hausa, Daradisinca, rn. sure 0.000 Mes age 46,9 34,42,» ‚|, IEBOTIRURTREENEN. NEN MEERE TE een Agavelamerzeanaund aut. Sram. 3921 46,220, 1108/9105 Carludovica palmata nt a EHE | ee WBEOSSRUCITENON ae te |. 128, EA an 10,1, Caryota urens . . . | h E 92,9 DIOR ZA, Ganz analoge Beenden bestelle zur Elastizität und Dehnbar- keit, insofern als jene um so größer ist, je geringer die Verholzung, wogegen diese mit der Verholzung wächst. Elastizi- | Größte Ver- 52 | Bast von täts- | Dehnbar- hole modulus | ‚keit ii JOMZUNE Apocynum sibiricum - > 2 2 2 2000. | 11590 [ 10,03 RE: 9,89 Linum usitatissimum - . - - 2... ..°. | 10787 | 10,23 | 14,29 Wannabzsssatwwar ee Rare 7205 310,7, 15.05 Boehmersa tenaeissima, mn. ne 65) 11,852 16527 Musa tertlis =. 2 Ask. 1.0 aedn 2 1106880" I.) Yaplaa 2920:R) Ehormaunv tengchen Juhu kelense der ia | 3493 . 7 13,64 +1 150,7 Agane amemcandskın eedaune tee werte 1430,64 30:00 | 46,22 HERE RE a RT ER 377 | 160,00 | 58,22 U OTHER SEILER SERER || SSR ES] 464 216,00 ° 159,01 (Fortsetzung folgt.) 140 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. Ueber die Knospung bei mehrschichtigen Tieren, insbesondere bei Hydroiden. Von Dr. F. Braem in Breslau. Am 15. Juli 1892 beschenkte Herr Albert Lang aus Karlsruhe die Wissenschaft mit einer Arbeit!), in welcher er das Verständnis der tierischen Knospenbildung auf eine neue Basis zu stellen suchte. Man hatte bis dahin geglaubt, dass die Knospung der Metazoen auf dem Zusammenwirken verschiedener Keimblätter beruhe und dass min- destens zwei derselben für die Entstehung des neuen Individuums vorausgesetzt werden müssten. Zahlreiche, wie man meinte, sorgfältige Untersuchungen hatten diese Ansicht befestigt, und auch von Seiten der Theorie war kein Einwurf dagegen erhoben worden. Jetzt hatte Herr Albert Lang, scheinbar mit leichter Mühe, die Unzulänglich- keit jener Untersuchungen und die Haltlosigkeit jener Ansicht nach- zuweisen vermocht; vorerst freilich nur für die vielgeduldige Aydra und einige ihrer nächsten Verwandten. Bei diesen Formen, speziell bei Hydra, Eudendrium und Plumu- /aria, sollen nach Lang die Knospen nicht von beiden Blättern des Polypenkörpers gebildet werden, sondern lediglich von dem Ekto- derm, welches durch eine Art von multipolarer Gastrulation ein neues Knospenentoderm schafft und somit allein die Anlage der Tochtertiere begründet. Ich gestehe, dass ich der Arbeit Lang’s nicht gleich, da ich sie kennen lernte, die ihr gebührende Bedeutung beigelegt habe. Sie schien mir etwas geringfügig im Vergleich zu dem, was Andere über denselben Gegenstand berichtet hatten. Nachdem man aber den „schönen Beobachtungen“ des genannten Autors besonderen Beifall gezollt?) und sie zum Ausgangspunkt einer Reform unserer ganzen bisherigen Theorie der Knospenbildung gemacht hatte ?), schien es mir nötig, mich dureh eigene Untersuchung von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Ich habe, wie Lang, die Knospen an Sehnitten studiert und zwar bei folgenden Hydroiden: Hydra fusca in einer großen und einer kleineren Spielart, Aydra viridis, Eudendrium racemosum, Plumularia echinulata, Sertularella polyzonias. Wie Lang habe ich Hydra vor- zugsweise durch Uebergießen mit heißer Sublimatlösung getötet, wäh- rend die übrigen Formen, die ich in Villafranea sammelte, mit kaltem Sublimat fixiert worden waren. 1) Ueber die Knospung bei Hydra und einigen Hydropolypen. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Pd. 54 (1892), S. 365—385 u. I Taf. 2) Franz v. Wagner, Einige Bemerkungen über das Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. Biolog. Centralbl., 1893, S. 289. 3) A. Weismann, Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 189. 8. 204 ff. Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. 141 In der Schilderung meiner Befunde kann ich mich kurz fassen. Unter allen Knospen, die ich geschnitten habe, und bei besonderer Berücksichtigung derjenigen Stadien, auf welchen die Neubildung des Entoderms angeblich erfolgen soll, fand ich nichts, was die Behaup- tung Lang’s hätte rechtfertigen können. Nirgends ein Verschwimmen des einen Keimblattes m das andere; nirgends eine Abspaltung von Zellen des Ektoderms behufs Bildung des Entoderms der Knospe; nirgends ein allmähliches Verdrängen und Zurückschieben des alten Entoderms des Polypen durch das neue, der Knospe angehörige Ento- dermgewebe; nicht einmal Andeutungen dieser Verhältnisse. Stets, auch bei den jüngsten Knospen, war die Grenze zwischen Ekto- und Entoderm scharf und klar zu erkennen, niemals ist ihre Existenz mir auch nur fraglich geworden. Ich stehe demnach nicht an, die Resultate Lang’s für unrichtig, die daraus gezogenen Folgerungen für gänzlich hinfällig zu erklären. Das ist freilich ein sehr negatives Ergebnis. Obwohl negativ nur insofern, als es den Behauptungen Lang’s sich entgegenstellt. Denn was die älteren Beobachter bei Hydroiden ermittelt haben und was mit den sonstigen Befunden über die Knospung aufs Beste überein- stimmt, das wird durch meine abermalige Untersuchung vollauf be- stätigt. Immerhin steht hier Behauptung gegen Behauptung. Herr Lang will die Abspaltung des Knospenentoderms vom Ektoderm des Mutter- tieres gesehen haben. Prüfen wir daher, was er gesehen hat, und ob seine Angaben wirklich als vollgiltiger Beweis für seine Behaup- tungen dienen können. In der Einleitung zu seiner Arbeit teilt Herr Lang mit, dass „von den vielen marinen Hydromedusen, die er untersuchte, haupt- sächlich Eudendrium racemosum, E. ramosum und Plumularia echinulata befriedigende Resultate ergeben haben“. Unter vielen untersuchten Formen waren es also nur 2 Gattungen und 3 Arten, welche seine Ansicht zu stützen vermochten. Das ist, sollte man denken, etwas wenig. Die vielen anderen Formen, die keine „befriedigenden Resultate“ ergaben, haben doch auch, so zu sagen, ihre Daseins- berechtigung. Auch sie wollen gehört sein. Wenn sie die beiden Blätter des Cölenteratenkörpers in deutlicher Trennung zeigten, wenn sie kein Uebergreifen des einen ins andere erkennen ließen, so war das doch immerhin auch für die Frage, welche Lang zu behandeln hatte, von Wichtigkeit. Es hätte ihn zweifelhaft machen können, ob das, was jener kleine Bruchteil der untersuchten Species zu lehren schien, am Ende nicht Täuschung sei. Lang berührt dieses Problem nicht. Für mich aber ist das Geständnis von Wert, dass er nur in verhältnismäßig wenigen Fällen seine vorgefasste Meinung bestätigt fand. 149 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. er Allerdings erwähnt Lang, dass diese Fälle „hauptsächlich“ zum Ziele geführt hätten. Aber mir scheint dieses „hauptsächlich“ nicht eben schwer zu wiegen. Ich möchte glauben, dass es lediglich eine euphemistische Umschreibung des etwas dürren, aber um so klareren „allein“ oder „ausschließlich“ sei. Denn so sehr wird Lang doch nicht seine Autorität überschätzt haben, dass er uns einen Teil seines Beweismaterials vorenthielt, wenn dasselbe wirklich als solehes angesehen werden konnte. Oder meinte er, dass ein Dutzend höchst fragwürdiger Figuren schon hinreichend sei, um eine alte, bisher all- seitig bestätigte Anschauung zu entwurzeln ? Also wir werden zu der Annahme berechtigt sem, dass Lang außer bei Hydra nur bei Eudendrium und Plumularia „befriedigende Resultate“ erhielt. Es berührt seltsam, den Autor, der doch vor Allem die Aufgabe hat, sein Objekt sprechen zu lassen, schon auf der ersten Seite ein bestimmtes Resultat als das allem befriedigende bezeichnen zu hören. Man muss daher wissen, dass Herr Lang nicht unbefangen an seine Untersuchung herantrat. Vielmehr war ihm von seinem Lehrer Weis- mann die Weisung gegeben worden, dass sich „das Knospungs- Idioplasma wahrscheinlich nur in gewissen Zellen des Ektoderms finden werde“, und er hatte die Aufgabe erhalten, „die Knospenbildung der Hydroiden mittels der Schnittmethode auf diesen Punkt hin zu untersuchen und festzustellen, woher das Zellmaterial des Entoderms der Knospen stammt“ (Lang a. a. O. S. 365). Lang schildert zunächst die Knospenbildung bei Kudendrium. Von den sechs beigegebenen Figuren (1—6) lassen nur zwei, nämlich Fig. 2 und 5, etwas, das als Einwanderung von Ektodermzellen in das Entoderm gedeutet werden könnte, erkennen. Nur hier ist die Grenze zwischen den beiden Keimblättern an der Stelle, wo die Knospe sich anlegt, nicht klar wiedergegeben. Die anderen Figuren haben nur einen untergeordneten Wert. In Fig. 1 hat die Einwanderung an- geblich noch nicht begonnen. Das Ektoderm ist im Bereich der Knospe verdiekt und zeigt Spuren lebhafter Wucherung. Das Entoderm ragt „wirr und regellos in das Cönosarkrohr hinein“, inmitten des Knospungs- areals bedeckt es nicht einmal die Stützlamelle. Lang scheint diesem Umstande einige Bedeutung beizumessen. Ich halte die Wirrnis des Entoderms für eine durch die Konservierung hervorgerufene Erscheinung und entnehme dem Schnitt nur dies, dass von einer Einwanderung von Ektodermzellen in das Entoderm hier nicht die Rede ist. Ebensowenig ist in Fig. 3, 4 und 6 die Einwanderung zu erkennen. Nur in Fig. 3 (links) ist ein Kern gerade auf die Stützlamelle gefallen, leider an einer Stelle, wo- an Knospenbildung auch nieht von ferne zu denken ist. Alle drei Bilder geben der Auffassung, dass an der Knospenbildung beide Blätter in gleicher Weise beteiligt sind, freies Spiel. Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. 143 Anders dagegen Fig.2 und 5. In Fig. 2 ist die Grenze zwischen Ektoderm und Entoderm der Knospe nur schüchtern, teilweise garnicht markiert worden. Fragen wir den Text (S. 368), so erfahren wir, „dass die Stützlamelle je nach der Einstellung des Tubus bald voll- ständig, bald unterbrochen erscheint“. Wenn nun in einem Sehnitt, der doch in diesem Fall hoffentlich nieht von bedeutender Dicke ge- wesen ist, eine Lamelle, die hier naturgemäß in der Auflösung be- griffen sein muss, bei gewisser Einstellung vollständig erscheint, so will es, glaube ich, nicht viel sagen, wenn bei anderer Einstellung diese Lamelle zum Teil undeutlich wird. Eine kleine Unebenheit des Schnittes, eine leichte Verschiebung der Zellen kann solch eine Wirkung bedingen. Wichtig ist nur, dass Lang trotz seiner Zeichnung die Lamelle vollständig gesehen hat und dass er ein Uebergreifen von Ektodermzellen in das Gebiet des Entoderms nicht beobachtet hat. Er sagt freilich: „wir sehen, dass jene jungen Ektodermzellen, die durch starke Wucherung die Ektodermverdiekung hervorriefen, teil- weise durch die Stützlamelle hindurchgedrungen sind und auf der Entodermseite derselben liegen“. Wörtlich übersetzt heißt das: wir sehen, dass eine Schicht kleiner, plasmareicherer Zellen, ähnlich den indifterenten Ektodermzellen, unterhalb des älteren Entoderms sich ge- bildet hat und der Stützlamelle, dem Ektoderm gegenüber, anliegt. Dass diese Zellen vom Ektoderm her durch die Stützlamelle hindurchgedrungen sind, das sehen wir nicht. Gerade der Ueber- gang, das Hindurehdringen selbst ist es, was Lang uns zeigen soll. Das fait accompli beweist uns hier garnichts. Wo stammen nun aber die Zellen der Entodermseite her? Aus dem Entoderm selbst, so möchte man glauben. Wie das Ektoderm durch Zellteilung Material für die Neubildung geliefert hat, so auch das Entoderm. Wie jenes in Folge dessen verdiekt erscheint, so auch dieses. Was steht dieser Annahme im Wege? Lang verweist uns auf seine Fig. 1, wo die Entodermzellen „wirr und regellos“ bei ein- ander liegen und im Bereich der Knospe im Entoderm eine Lücke ist. Wegen dieser Lücke in Fig. 1 sollen wir uns dazu verstehen, die Entodermverdickung in Fig.2 auf Rechnung des Ektoderms zu setzen. Aber jene Lücke, jenes ganze regellose Durcheinander ist ein Kunst- produkt, es existiert in Wirklichkeit garnicht. Und selbst wenn dem nicht so wäre, so würde der Vergleich nichts gelten. Denn das Stadium der Fig. 1 ist offenbar älter als das der Fig. 2. In Fig. 1 ist die Cutiecula vor der Knospe schon vollständig aufgelöst, m Fig. 2 noch nicht. Dort tritt die Knospe frei nach außen hervor, hier weilt sie noch im Innern des Cönosarks. Dann sollen „die kleinen Kerne |der Zellgruppe des Entoderms]| deutlich auf ihre ektodermale Herkunft hinweisen“ (S. 370). Als ob nur das Ektoderm durch rege Teilung Zellen mit kleinerem Kern zu 144 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. produzieren vermöchte! Der Unterschied in der Größe der Kerne ist ein minimaler. Aber es ist richtig, dass die embryonalen, eimstweilen funktionslosen Zellen, die behufs Knospenbildung zu beiden Seiten der Stützlamelle sieh anhäufen, etwas kleinkerniger sind als die peripheren Zellen des Ektoderms und die verdauenden Zellen des Entoderms. Nichts natürlicher, als dass im einer arbeitenden Zelle, die den Höhepunkt ihrer Kraftentfaltung erreicht hat, die einzelnen Elemente, vor Allem der Kern, größer erscheinen, als in einer anderen, die erst allmählich ihrer Bestimmung entgegenreift. Und wenn durch Wucherung des älteren Ektodermgewebes Zellen mit kleinerem Kern entstehen konnten, wie Lang selber annimmt, warum nicht ebenso gut durch Teilung des Entoderms? Es ist ja doch erst zu beweisen, dass das „Knospungs-Idioplasma“ nur im Ektoderm enthalten ist. Endlieh lässt uns dann noch Fig. 5 einen direkten Uebergang von Ekto- und Entoderm möglich erscheinen. Aber diese Figur gibt einen „seitlichen Längsschnitt“ wieder, der durch den Rand der Knospe hindurchgeht. Die Stützlamelle ist schräg getroffen, sie wird halb von der Fläche gesehen. Selbstverständlich, dass sich die Zellen da über einander lagern, dass sie sich gegenseitig verdeeken und dass die Grenze der beiden Blätter nicht scharf hervortreten kann. Maß- gebend ist allein der Medianschnitt, und dieser, in Fig. 6 dargestellt, lässt nichts an Klarheit zu wünschen übrig. „Solche Stadien“, meint Lang S.370, „haben wohl zu der Annahme geführt, dass die Knospung der Hydropolypen auf der Ausstülpung beider Schichten der Leibes- wand beruhe, hervorgebracht durch gleichmäßige Hand in Hand gehende Zellwucherung des Ekto- und Entoderms“. Ja, und vorläufig wenigstens sind gegen diese Annahme keine ernsthaften Gründe geltend gemacht worden! Auf die Knospung von Plumularia beziehen sich die Fig. 7—9. Der Unbefangene entdeckt darin nichts als eine etwas skizzenhafte Darstellung allbekannter Verhältnisse. Lassen wir uns von Lang eines Besseren belehren. Es verweist uns zunächst auf Fig. 3: Längsschnitt durch eine Stammspitze, an der seitlich eine Knospe zu treiben beginnt (etwa im Stadium 4% unserer Textfigur 1). „Wir sehen, dass das Ektoderm sowohl der ersteren |der Stammspitze]| als auch der Knospenanlage mehrschichtig ist“. Die Stützlamelle ist dünn. „Das Entoderm bildet eine einfache, selten doppelte Schicht locker neben einander gereihter, parenchymartiger Zellen“. Ergo „das Knospenentoderm wird hier, wie bei der Knospung von Eudendrium, von Zellen des verdickten Ektoderms gebildet“. Wo in aller Welt ist hier eine Beobachtung, die einen solchen Schluss rechtfertigen könnte! Das Ektoderm ist verdiekt, ich gebe es zu. Nichts kann natürlicher sein, denn eben an dieser Stelle findet Braem, Knospung bei mehrsehichtigen Tieren. 445 das lebhafteste Wachstum, der Ausbau der Kolonie statt. Hier liegt das Teilungsgewebe, das Urmeristem des Stockes '). — Die Stützlamelle Fig. 1. Oberer Teil eines Wedels von Plumularia echinulata, Vergr.20. 5 die fortwachsende Stammspitze, unterhalb deren die Seitenäste A abwechselnd nach rechts und nach links hervorkommen Das jüngste Aestchen 4% steht noch im Knospenstadium. Jedes Aestchen erzeugt zunächst an seinem freien Ende das Polypenköpfchen oder den Hydranthen P in Gestalt einer keulen- förmigen Verdiekung (s. P! am Aste 4%). Unterhalb der Verdickung erscheint in Form einer Knospe (a am Aste A!) die weiterwachsende Astspitze, die nun wieder zunächst den Polypenstiel (a am Aste 4A?), dann das Polypenköpfchen (P? am Aste A) liefert, an welchem abermals die Astspitze in Knospenform (a am Aste A*) hervortritt. So entstehen an jedem Aste die Polypen P, P!, P?2 u. s. w. in successiver Folge. Sowohl der Stamm als auch die Aeste sind gegliedert. An den Aesten wechselt je ein polypenloses mit einem polypen- tragenden Gliede ab. An den letzteren befindet sich vor und hinter dem Polypenköpfchen je ein Nematophor n. Außerdem steht ein solcher an jedem Stammgliede oberhalb der Basis des Astes. ist da, obwohl sehr dünn. Ja, sehr dick kann sie nicht sein, denn wir haben es hier mit einem in steter Veränderung begriffenen, sich immer erneuernden Vegetationscentrum zu thun. — Das Entoderm ist groß- zellig, zum Teil mehrschichtig, viel dieker als m den unterhalb der Stammspitze gelegenen Teilen. Auch diese Gewebsschieht befindet 1) Dass die Zellen wirklich in drei und vier Schichten übereinander liegen, wie Lang sie zeichnet, muss ich bezweifeln. Ich finde in meinen Präparaten nur eine Reihe sehr hoher Cylinderzellen, die hie nnd da durch interstitielle Zellen zweischichtig geworden ist. Ich vermute, dass der Schnitt kein rechter Medianschnitt ist, sondern dass er die Zellen in schräger Richtung getroffen hat. XIV. 10 146 Braem, Knospung 'bei mehrschichtigen Tieren. sich also in einem Zustand der Wucherung. Denn die großblasigen Zellen sind doch deshalb nicht hohl, wie Lang zu glauben scheint. Sie sind von Nährstoffen erfüllt, die sie den tiefer liegenden Zellen, zuletzt auch dem Ektoderm, zuleiten. Sie ernähren die junge Knospe, die wachsende Stammspitze. Was hat alles dies mit der Einwanderung von Ektodermzellen zu schaffen ? Herr Lang behauptet die Einwanderung zwar, aber er zeigt sie uns nicht. Nur in der Tafelerklärung sind zwei Ektodermzellen der Fig. 8 als „einwandernde“ bezeichnet. Herr Lang muss in besonders vertraulichen Beziehungen zu seinem Objekte gestanden haben, wenn er den Zellen sogar die Absicht, ins Entoderm zu gelangen, ansehen konnte. Denn sie thun es noch nicht, sie wollen es höchstens. Und die eine will es zudem an unrechter Stelle. Sie liegt genau in dem einspringenden Winkel zwischen Stammscheitel und Knospe (Textfigur 1 bei x), an der einzigen Stelle, wo weder an Knospung noch Scheitel- wachstum zu denken ist. Ich müsste mich wiederholen, wenn ich in gleicher Weise auch den in Fig. 7 abgebildeten Querschnitt besprechen wollte. Einige Ektodermkerne sind bis hart an die Stützlamelle herangezeichnet, so dass sie dieselbe fast zu durchbrechen scheinen. Aber derartige kleine Ungenauigkeiten konnten bei der schwachen Vergrößerung, welche Lang benutzte (240 x ), wohl mit unterlaufen. In Wirklichkeit lagen die Kerne ohne Zweifel ganz ehrlich im Ektoderm. Ich will darüber mit Lang nicht rechten. Dann aber kommt etwas Neues, Text S. 373. Nämlich nicht nur im Bereich der Knospe, sondern im ganzen Umfange des Schnittes ist „das Ektoderm verdickt, das Entoderm großzellig, .... . die Stütz- lamelle ...... sehr dünn, einige Kerne von Ektodermzellen liegen hart ihr. Aehnliche Bilder“, heißt es dann, „haben mich bewogen anzu- nehmen, dass auch hier an der Stammspitze eine solche Neubildung des Entoderms aus dem verdickten rege wuchernden Ektoderm statt- findet“. Dies ist in der That von besonderem Interesse. Nicht genug, dass für die Bildung der seitlichen Knospen eine Gastrulation gefordert wird, auch für das bloße Wachstum des Stammes ist sie notwendig. Nicht genug, dass der Stamm selbst, zur Zeit, wo er am kriechenden Stolo als Knospe hervorkam, vermöge einer Gastrulation entstanden ist, auch seine fernere Entwicklung, abgesehen von der Knospenbildung, soll nur durch eme stetig fortgesetzte Delamination der ektodermalen Scheitelzellen behufs Bildung neuer Entodermzellen möglich werden. Ja, hat denn nach Lang das Entoderm überhaupt noch die Fähigkeit, am Wachstum des Stockes sich zu beteiligen? Besteht an den Vege- tationspunkten der Kolonie noch ein Unterschied zwischen beiden Blättern? Man sollte erwarten, nein. Warum aber zeigt uns denn Lang nicht das Uebergreifen des emen Blattes ins andere? Warum Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. 147 ist in keiner seiner Figuren der Uebergang zweifellos zu erkennen? Warum fehlt er in sämtlichen von mir selbst angefertigten Sehnitten dureh die Spitze des Stammes sowohl als der Seitenzweige? Lang gibt uns keine Erklärung, — vielleicht gelingt es dem Leser, sie zu finden. Unterhalb des Polypenköpfehens „wird in der Mitte des Stieles das Nematophor angelegt. Zuerst ist es als kegelförmige Verdiekung des Ektoderms an der Stelle sichtbar, während das Entoderm darunter sich teilnahmslos verhält und die Stützlamelle geradlinig darunter ver- läuft. Ich glaube auf Grund dieser Beobachtung |!!] annehmen zu dürfen, dass der aus wenigen Zellen bestehende Entodermfortsatz, der in dem ausgebildeten Nematophor nachzuweisen ist, nicht durch spätere Ausstülpung des Entoderms in die kompakte Ektodermverdiekung ent- standen ist, sondern analog der Entodermbildung in der Knospe durch Differenzierung aus Ektodermzellen unter Neubildung der Stützlamelle*“. Man wolle beachten, auf Grund welcher Beobachtungen Lang zu seinen Annahmen zu kommen pflegt. Weil das, wie er selbst zugibt, nur aus wenigen Zellen bestehende Entoderm des Nematophors nieht von vornherein durch eine auffällige Verdiekung des inneren Blattes vorbereitet wird, muss dieses innere Blatt unfähig sein, jene 3 oder 4 Zellen aus sich selbst zu bestreiten, muss eine Delamination ganz eigentümlicher Art eben hier stattfinden. Zum Trost versichert uns Lang trotz dieser Beobachtung, dass er „zu einem absolut sicheren vesultat bei der Untersuchung der Knospung der Nematophoren nicht gekommen“ sei. Fig. 9 ist ein Schnitt durch eine Gonangienknospe. Die Gewebe sind stark geschrumpft. Von Einwanderung keine Spur. Dafür sorgt folgende Argumentation für das nötige Verständnis (S. 375): „Wären die erwähnten Zellen |des inneren Knospenblattes], die ich mir aus dem Ektoderm der Knospe herstammend denke, wuchernde Entoderm- zellen, so müsste man ihnen überdies einen so energischen Drang zu- muten, in die Knospe zu gelangen, dass sie von außen her sich durch die Hodenanlage gedrängt hätten, die vorher hier direkt der Stütz- lamelle auflag“. So? Woher weiß es denn Lang, dass jene Zellen sich erst durch die Hodenanlage hindurchdrängen mussten und dass diese letztere ehedem direkt an die Stützlamelle gegrenzt hat? Hat er es gesehen? Doch wohl nicht. Und ich denke mir, dass der Drang der Zellen, in die Knospe zu gelangen, noch sehr viel energischer hätte sein müssen, wenn sie vom Ektoderm her, die Stützlamelle durch- brechend, in die Hodenanlage sich eingezwängt haben sollten. Aber lassen wir den Zellen immerhin ihren Drang. Ich konstatiere, dass Lang uns in keinem einzigen Falle den Durchbruch der Zellen hat demonstrieren können. Er sprieht nur von Zellen, die entweder schon eingewandert sind, oder von solehen, „die anscheinend im Be- sriffe sind, ihrem Beispiel zu folgen“. Ich glaube, der „energische 10” 148 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. Drang“, gewisse Zellen in die Knospe gelangen zu lassen, ist auf seiner Seite. Zuletzt folgt die Knospung von Hydra, illustriert durch 4 wirk- liche und 4 imaginäre Schnitte, Fig. 10—13 und Fig. 14 a—d. Die letzteren, als bloße Schemen, lasse ich unbeachtet. Fig. 10, das früheste Stadium, zeigt beide Blätter in scharfer Trennung. Nichts Auffälliges an dem ganzen Bilde. Aber das Ekto- derm hat sich an der Stelle, wo die Knospe entsteht, verdickt, was für das Entoderm angeblich noch nicht zutrifft. Dieser Umstand ge- reicht Lang zn wiederholter Verwunderung. Nun, die Beobachtung selbst mag riehtig sem. Wäre es dann so unerklärlich, wenn das- jenige Blatt, welches bei der durch die Knospenbildung bedingten Ausstülpung peripher zu liegen kommt, welches demnach in erster Linie das Material für die Oberflächenvergrößerung zu liefern hat, mit der Materialsammlung, d. h. mit der Zellwucherung, etwas früher be- begänne? Das wäre doch ganz verständlich, daraus könnte doch Niemand folgern, dass lediglich aus dem Ektoderm die gesamte Knospe hervorgehe. Ich selbst übrigens habe diese zeitliche Differenz in der Anteil- nahme der beiden Blätter nieht konstatieren können. Ich finde, dass schon auf den frühesten Stadien der Knospenbildung das Entoderm ganz ebenso Spuren einer lebhafteren Thätigkeit zeigt, wie das Ekto- derm. Seine Zellen sind im Bereich der Knospenanlage größer, diehter gedrängt und besser genährt als außerhalb desselben. Die Entoderm- schicht ist in Folge dessen hier mächtiger als an den gegenüberliegen- den Punkten des Querschnittes. Bei der grünen Aydra ist im den entodermalen Knospenzellen die stärkere Anhäufung der Chlorophyll- körner sehr merklich (s. Textfigur 2). Fig. 2. Querschnitt durch die Knospungszone einer lang ausgestreckten Hydra viridis (Breslau; X,1893), Verg. 190. Die Knospe (bei X) war an dem in mäßiger Kontraktion befindlichen lebenden Tiere eben als leichte Hervorwölbung sichtbar. Ee Ekto- derm, von dem Entoderm En überall durch die von Muskelfasern begleitete Stützlamelle geschieden. z embryonale resp. „Sekret“-Zellen des Entoderms. Die übrigen Entodermzellen sind vorzugsweise im Bereich der Knospe von Chlorophylikörnern erfüllt. Nachdem nun die Knospe in Form jener Verdiekung des Ekto- derms zu Tage getreten ist, beobachtet Lang „eine merkwürdige Ver- änderung der Stützlamelle“. Dieselbe ist nämlich „nicht mehr als scharf konturierte Lamelle sichtbar, sondern scheint völlig aufgelöst zu sein“. In der That, ein merkwürdigesEreignis! Als ob es nicht vielmehr selbst- Braem, Knospung bei mehrschiechtigen Tieren, 149 o verständlich wäre, dass eine resistente Membran an derjenigen Stelle, wo tiefgreifende Formveränderungen im Organismus notwendig werden, der Auflösung anheimfällt. Aber für Lang ist dieser Vorgang des- halb so merkwürdig, weil er ihm die Brücke baut, auf der nun die Ektodermzellen eine nach der anderen in das Entoderm hinübergeführt werden können. Mit der Auflösung der Membran ist die Scheidewand gefallen, welche den Drang des Ektoderms, sich mit dem Entoderm zu vermischen, bisher gehemmt hatte. Jetzt ist der Weg frei und die legitimen Entodermzellen werden „durch die eindringenden Zellen des interstitiellen Gewebes allmählich gegen die Magenhöhle vorgedrängt. Letztere werden in der Folge zu dem Entoderm der Knospe*“. Als Belegstück dafür dient Fig. 11, eine junge Knospe im Quer- schnitt. Bei der Betrachtung fällt es sofort auf, dass im unteren Teil der Figur, welcher der linken Seite der Knospe entspricht, die beiden Keimblätter sich sehr deutlich von einander abheben, während in dem oberen Teil, der die andere Knospenhälfte wiedergibt, kaum eine solehe Grenze zu konstatieren ist. Schon diese Asymmetrie ist so sonderbar, dass sie gerechte Zweifel an der Korrektheit der Zeiehnung wachruft. Aber auch ohne dies müsste ich die Zuverlässigkeit der Figur in Ab- rede stellen, da ich trotz der Auflösung der Stützmembran in keinem Falle irgend welehe Unbestimmtheit in der gegenseitigen Begrenzung der beiden Blätter gefunden habe. Stets, in den jüngsten wie in den ältesten Knospen, sah ich das Ektoderm scharf und klar von dem entodermalen Blatte geschieden, niemals habe ich ein Uebergreifen der Zellen des einen in das Gebiet des anderen wahr- genommen. Ich behaupte daher, dass Lang entweder sein Original ungenau wiedergegeben hat, oder dass dieses letztere selbst durch unangemessene Behandlung entstellt war. Uebrigens schemt es Lang wohl gefühlt zu haben, wie wenig überzeugend trotz alledem seine Zeichnung geblieben ist. Er sucht deshalb nach weiteren Gründen, welche die Herkunft des Knospen- entoderms von dem Ektoderm des Polypen erhärten sollen. Da spielt denn zunächst „der Umstand, dass im Entoderm bis zu diesem Stadium der Knospung in keinem Falle Zellteilungen beobachtet wurden“, eine große Rolle. Aber dieser Mangel wird nicht sowohl dem Entoderm als vielmehr dem Beobachter zur Last gelegt werden müssen. Ich kann versichern, dass auf jedem Stadium der Knospung Teilungsfiguren im Entoderm auftreten und dass sie hier verhältnismäßig nicht seltener sind als im Ektoderm. An und für sich mag die Zahl der Kinesen im Entoderm freilich etwas geringer sein. Aber auch die Zahl der Zellen ist kleiner, weil die einzelne Entodermzelle einen viel größeren Raum einnimmt als die Zelle des Ektoderms. Im Allgemeinen kann ich mich hier auf das Zeugnis Pfitzner’s berufen, der die Kern- teilung der grünen Hydra zum Gegenstande eines besonderen Studiums 150 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. gemacht hat. „Die beigegebenen Abbildungen“, sagt er!), „sind meistens dem Ektoderm entnommen, nicht als ob ich hier die meisten Teilungsfiguren gefunden hätte, sondern weil sie hier am deutlichsten waren; bei den Entodermzellen wird die Beobachtung häufig sehr er- schwert durch die im Zellleib befindlichen Einlagerungen“. Dies letz- tere ist vielleicht auch der Grund, warum Lang im Entoderm keine Zellvermehrung hat konstatieren können. „Dann aber“, fährt Lang fort, „sind diese jungen resp. indif- ferenten Ektodermzellen Ji. e. Entodermzellen| durch Größe und Bau so von den übrigen Ektodermelementen und von den Entodermzellen so verschieden, dass eine Verwechslung absolut ausgeschlossen ist“. Nun, zugegeben, eine Verwechslung dieser Zellen sei ausgeschlossen, so wäre doch deshalb noch nicht die Abstammung ausgeschlossen. Lang selbst nimmt doch wohl an, dass die indifferenten Ektoderm- zellen gleichen Ursprungs sind wie die übrigen Ektodermelemente. Weshalb sollten dann nicht auch die jugendlichen Entodermzellen gewisse Unterschiede von den älteren erkennen lassen? Aber bezüg- lich der Kerne zweifle ich sehr, dass dergleichen Unterschiede existieren. Nach Lang sollen die Entodermzellen der Knospe kleinere Kerne be- sitzen, das Chromatin soll in ihnen gleichmäßig verteilt, das Kern- körperchen nicht gut sichtbar sein. Von einer Verschiedenheit in der Struktur des ruhenden Kerns — dieser bildet doch wohl den Maßstab, obgleich der Hinweis auf das schwer sichtbare Kernkörperchen mich bedenklich macht — finde ich garnichts. Die Kerne der embryonalen Entodermzellen sind durchschnittlich em wenig kleiner als die der verdauenden Zellen, aber durchaus nicht so sehr, dass jede „Ver- wechslung“ ausgeschlossen wäre. Ich glaube, dass sich die Differenz aus der verschiedenen Funktion der Zellen erklärt. Auch die inter- stitiellen Kerne des Ektoderms sind ja kleiner als die der peripheren Zellschieht des nämlichen Blattes. Dass „zipfelförmige, bald spitze, bald abgerundete Ausläufer“ der jungen Entodermzellen darauf hinweisen, „dass sie sich in einer Art amöboider Bewegung befanden“, vermute ich auch. Dass aber die Zellen vermöge dieser amöboiden Bewegung aus dem Ektoderm in das Entoderm eingewandert sind, halte ich nicht für notwendig. Dass ein Teil der in Fig. 11 gezeichneten Entodermzellen „abge- stoßen“ wird, ist eine ganz willkürliche Annahme. Auch die ent- sprechende Partie in Fig. 12 wird nicht abgestoßen, sondern gehört zu einer jener Entodermfalten, die in unserer Textfigur 5 sichtbar sind und deren senkrecht in die Schnittfläche hineinragende Scheitel von ihrer Basis leicht abgetrennt werden können. 1) Beiträge zur Lehre vom Bau des Zellkerns und seinen Teilungserschei- nungen von Wilh. Pfitzner. Arch. f. mikr. Anat., Bd.22 (1883), S. 618. Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. 151 Fig. 13, die letzte, die für die Einwanderung ins Feld geführt wird, ist belanglos, da laut Erklärung die Knospe unterhalb der Spitze getroffen wurde, die Blätter also schräg durchschnitten sind!). Es sei mir gestattet, hier einige weitere Bemerkungen über die Knospung bei Aydra anzuschließen. Fraglich kann nur das Eine sein, wo die neu sich bildenden Ento- dermzellen der jungen Knospen herstammen. Zunächst kommt in Betracht, dass das Entoderm ebenso wenig wie das Ektoderm der embryonalen Zellen entbehrt, nur dass dieselben hier seltener sind als im Ektoderm. Dergleichen Zellen sind schon von K. ©. Schneider?) beobachtet und als indifferente Zellen beschrieben worden. „Sie besitzen ungefähr die gleiche Form, wie die entsprechenden Elemente des Ektoderms, sind auch durchaus nicht größer als diese. Ihr Kern misst 0,009 —0,01 mm, der Nucleolus 2—3 u*. Schneider konstatierte die Umbildung dieser Zellen in die sogenannten „Sekretzellen“, während er den Uebergang in „Nährzellen“, die andere Art der Zellen des Entoderms, nicht feststellen konnte. In der That beobachtet man auf Schnitten alle Zwischenstufen zwischen den embryonalen Zellen und den Sekretzellen, die sich durch Plasma- Fig. 3. Teil eines oberhalb der Knospenregion geführten Querschnittes durch Hydra fusca, kleine Form (Breslau; VIII, 1891), Vergr. 330. z embryonale resp. „Sckret“-Zellen im Entoderm. In den übrigen Entodermzellen sieht mau die dnrch Karmin stark gefärbten Dotterballen. 1) Dass da, wo es sich um die Wahrnehmung der Grenzen zweier neben einander liegender Schichten handelt, Schrägschnitte nicht maßgebend sein können, ist schon oben (8. 105) betont worden. Aus demselben Grunde kann ich die Behauptung von W. B. Hardy (On some Points in the Histologie and Development of Myriothela phrygia. Quart. Journ. mier. sc., V. 32 (1891), p. 505 ff.), dass bei Myriothela die Knospen und insbesondere der Gonophor aus einem Blastem hervorgehen, welches durch Verschmelzung des ekto- und entodermalen Blattes des Muttertieres gebildet wird, nicht für bewiesen halten. Denn die Figur, welche uns die Verschmelzung darthun soll, Taf. XXXVI Fig. 10, ist nach einem Schrägschnitt entworfen, kann also keine deutliche Schichtung erkennen lassen. Da im übrigen Hardy sein Knospungsblastem aus beiden Blättern des Cölenteratenkörpers herleitet, so kann von einer Bestätigung der Befunde Lang’s nicht die Rede sein. 2) Histologie von Hydra fusca. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 35 (1890), S. 359. Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. reichtum und stärkere Färbbarkeit vor den übrigen Konstituenten des Entoderms auszeichnen. In Fig. 2 des Textes sind zwei derselben, in Fig. 3 mehrere sichtbar. Indessen glaube ich kaum, dass zwischen Nähr- und Sekretzellen eine scharfe Grenze zu ziehen ist. Ich vermute, dass die Sekretzellen selbst nur Vorstufen der Nährzellen sind, dass sie gewissermaßen Reservenährzellen repräsentieren, die im Bedarfsfalle zu wirklichen Nährzellen sich umbilden können. Wie dem nun auch sein mag, so ist doch jedenfalls so viel sicher, dass in den embryonalen Zellen des Entoderms ein Material vorliegt, von welchem Neubildungen dieses Blattes ausgehen können. Ich rechne dahin vor Allem das Entodermgewebe der Knospen. Die Ableitung desselben aus den embryonalen Zellen erscheint um so natürlicher, als auch die letzteren zu den subepithelialen Zellen gehören. Wir treffen sie in der Tiefe des drüsigen Epithels, in unmittelbarer Nähe der Stütz- lamelle. Hier begegnet uns auch zuerst das neugebildete Entoderm der jungen Knospe, das sich als einfache Schicht kleiner, plasma- reicher und, wie es scheint, membranloser Zellen unterhalb des funk- tionierenden Entoderms neben der Stützmembran anlegt (s. Textfigur 4, bei Kt). Es kann uns von Wert sein, dass die Existenz embryonaler Zellen im Entoderm von einem Forscher nachgewiesen wurde, dem die Berücksiehtigung der Knospungsverhältnisse fern lag und der ledig- lich histologische Zwecke im Auge hatte. Fig. 4. Querschnitt durch die Knospungszone von Hydra fusca, kleine Form (Breslau; VII, 1891), Vergr. 330. K Ur- sprungsstelle einer kurz vor der Loslösung stehenden Toch- terknospe. K! Anlage einer äußerlich noch nicht sichtbaren zweiten Tochterknospe. Beide Blätter sind hier durch die Stützlamelle und die an der Außenseite derselben befind- lichen Längsmuskelfasern ge- schieden. Teilungsfiguren im Ekto- und Entoderm. In der Tiefe des letzteren, der Stütz- membran anliegend, hat sich eine Reihe von embryonalen Zellen gesammelt, welche das =EEO N ; < ae RS Entoderın der Knospe bilden. KONNEN K BR, N MOSVAW YEHLÄON LAN ÄS . 58 . gs De Ye \ > Die dunkeln Körper in den SU DNA = & RR = älteren Entodermzellen sind Dotterballen, Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. 153 Zweifelhaft bleibt immerhin, ob die embryonalen Zellen die ein- zigen Konstituenten des inneren Blattes sind, welehe Neubildungen hervorzurufen vermögen; ob die Ausgaben der Knospung (wie bei den phylaktolämen Bryozoen) allein aus dem Fonds embryonalen Zell- materiales bestritten werden, welcher in dem gegenwärtigen Organismus keine unmittelbare Verwendung gefunden, sich nicht an der Lebens- arbeit desselben beteiligt hatte. Durch direkte Beobachtung dürfte das schwer zu entscheiden sein; wenn man aber die kolossale Leistungs- fähigkeit einer Aydra sowohl im Punkte der Regeneration als der Knospung in Betracht zieht, so wird man es kaum für wahrscheinlich halten. Und da in der That selbst die am weitesten differenzierten Entodermelemente, die Nährzellen, sieh nachweislich durch Teilung fortpflanzen, so möchte ich glauben, dass die auf diese Weise fort- während neu entstehenden Zellen die Fähigkeit haben, sich in embryo- nale Zellen zurückzuverwandeln, und dass sie von dieser Fähig- keit in allen den Fällen Gebrauch machen, wo der Polyp die Maximal- grenze seines individuellen Wachstums erreicht hat und dem hinzu- kommenden Material keine Unterkunft mehr zu bieten vermag. Die Teilungsprodukte der funktionierenden Entodermzellen würden alsdann gerade so zur Vermehrung der embryonalen Zellen des Entoderms bei- tragen, wie es die peripheren (Deck-) Zellen des Ektoderms gegenüber dem interstitiellen Gewebe thun. Fig.5. Medianer Längschnitt durch eine Knospe von ya fusca, große Form (Breslau; VIII, 1891), Vergr. 86, Detail nach stärkerer Vergrößerung gezeichnet. F Fußende der Mutterpolypen. o Stelle der künftigen Mündung des Tochterpolypen. t Region der Tentakeln. Die dunkeln Punkte im Entoderm sind Dotterkörner. — IT HF Braem, Knospung bei mehrschiehtigen Tieren. Jene Kuppe von embryonalen Entodermzellen, welehe im jüngsten Stadium der Knospe der Stützlamelle unmittelbar anliegt, ist auch auf späteren Stadien noch deutlich nachweisbar. Am längsten erhält sie sich im Bereich. der Tentakelzone (Fig. 5, £) und da, wo die Mund- öffnung durchbrieht (Fig. 5, 0). Außerdem aber gehen unzweifelhaft auch die funktionierenden Entodermzellen des Mutterpolypen, welche an der Ursprungsstelle der Knospe gelegen waren, in die letztere über. Sie sind von vornherein durch größeren Dotterreichtum vor den übrigen Entodermzellen ausgezeichnet und lassen diese Eigenschaft auch noch bei weit entwickelten Knospen (Fig. 5), ja bei solchen erkennen, die unmittelbar vor der Loslösung stehen. Sie enthalten das Nährmaterial, welches dem jungen Polypen bis zu seiner vollen Entfaltung die Mittel der Existenz bietet. Bei Hydra viridis treten an Stelle der Dotterballen die grünen Zellen. Auch hier ist schon bei jungen Knospen unterhalb des älteren Ektodermgewebes eine Schicht von Kernen bemerkbar, welche inmitten einer kaum in einzelne Zellterritorien gegliederten Plasmazone der Stützmembran anliegen. Ich würde die Arbeit von Albert Lang keiner ausführlichen Widerlegung für wert gehalten, die übereinstimmenden Angaben zu- verlässiger Beobachter nieht durch nochmalige Untersuchung erhärtet haben, wenn nicht Weismann jene Arbeit vor Kurzem einer ganz neuen Theorie der tierischen Knospung zu Grunde gelegt hätte. Thatsächlieh ist ja auch Weismann der geistige Urheber der Arbeit Lang’s, für welche dieser nur das gefügige Werkzeug war. In dem Vorwort zu der genannten Schrift, sowie in seinem zusammen- fassenden Buch über das Keimplasma, bekennt Weismann!), ihm sei „die Vermutung, dass es so sein müsse“, dass nämlich die Knospe der Hydroiden lediglich vom Ektoderm gebildet werde, „durch rein theo- retische Erwägungen erst gekommen“. Wenn nun Weismann hinzu- fügt, dass Untersuchungen, welche Herr Albert Lang auf dem Frei- burger Zoologischen Institut auf seine (Weismann’s) Bitte ausführte, ergeben haben, „dass es sich wirklich so verhält“, so wird man ge- neigt sein, hier einen eireulus vitiosus besonderer Art zu konstatieren, in dem die Untersuchungen, auf welche Weismann seine Theorie stützt, auf Grund der durch eben diese Theorie bedingten „Vermutung, dass es so sein müsse“, und zwar von der Hand eines Schülers aus- geführt wurden. Die Gründe, warum „es so sein müsse“, formuliert Weismann in folgender Weise. „Es schien mir schwer vorstellbar, wieso nun doch die Knospung so fest und gesetzmäßig an ganz bestimmten Stellen des Polypen und Polypenstockes erfolgen könne, wie es doch that- 1) Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. S. 206. Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. 155 sächlich in so vielen Fällen geschieht. Die Annahme, dass alle Zellen des Ektoderms und Entoderms mit dem erforderlichen Neben-Idioplasma in gleicher Weise ausgerüstet seien, war durch die eben erwähnte Gesetzmäßigkeit der Knospung ausgeschlossen. So kam ich auf den Gedanken, es möchte wohl das ‚Knospungs-Keimplasma‘ nicht auf beide Keimblätter verteilt, sondern in einem allein enthalten sein, und da wir wissen, dass bei den Hydroiden die Bildung der Keimzellen stets von Ektodermzellen ausgeht, so durfte erwartet werden, dass auch das Knospungs- Idioplasma in Zellen des Ektoderms enthalten sein werde“ (Keimplasma 8. 206). Weismann zieht also aus der Thatsache, dass die Knospung nur in bestimmten Regionen des Körpers von Statten geht, den Schluss, dass nicht alle Zellen des Ektoderms und Entoderms mit dem erforder- liehen Knospungs-Keimplasma versehen seien. Schon dieser Schluss ist ein sehr gewagter. Schneidet man eine knospende Hydra derart quer durch, dass die Knospungszone nur in dem einen Teilstück er- halten bleibt, in dem anderen aber nicht, so müsste nach Weismann dieses letztere unfähig sein, sich weiterhin im Wege der Knospen- bildung zu vermehren. Gleichwohl unterliegt die Thatsache keinem Zweifel, dass dieses Stück sich zu einem vollständigen Polypen ergänzt und alsdann ebenso gut wie das andere Knospen treibt. Es ist also evident, dass das „Knospungs-Keimplasma“ nicht nur auf die Knospungszone allein beschränkt sein kann. Wir werden vielmehr zu der Annahme berechtigt sein, dass die Knospung sich lediglich aus Zweekmäßigkeits ehe in einer bestimmten Körperzone lokalisiert hat, indem hier vermutlich einerseits die Zellen die günstigsten Existenzbedingungen im Haushalte des Individuums fanden, ein Substanzverlust also am leichtesten ver- schmerzt werden konnte, und indem andrerseits an dieser Stelle das Muttertier durch die anhaftenden Tochter- und Enkeltiere am einzu belästigt wurde. Denn es ist klar, dass ein festsitzendes Tier, dem am eigenen Leibe fresslustige Konkurrenten erwachsen, in seinem Nahrungserwerb dadurch erheblich geschädigt wird, um so mehr, je näher die Tochtertiere die Region seiner Mundöffnung berühren. Und es ist ferner klar, dass die Tochtertiere sich nicht so kräftig ent- wickeln könnten, wenn sie an einem Orte entständen, wo das stärkere Muttertier ihnen den größten Teil der zufließenden Nahrung vorwegnähme. Uebrigens aber gibt es Hydren, bei denen die Knospen über die ganze Oberfläche des Leibes zerstreut sitzen, wo also von einer be- stimmt umschriebenen Knospungszone nicht die Rede ist. Ein solches Individuum hat Trembley in seiner Geschiehte der Polypen auf Taf. VIII Fig. 8 abgebildet). 1) Es ist dies jener merkwürdige Fall, wo 19 Tochter- und Enkeltiere an einem einzigen Mutterpolypen festsitzen. Die Korrektheit der Zeichnung ist 156 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. Geben wir indessen zu, dass Weismann mit seiner Annahme Recht hätte, — was könnte uns dann zu der Folgerung nötigen, es möchte „das Knospungs-Keimplasma nicht auf beide Keimblätter ver- teilt,‘ sondern in einem allein enthalten sein“? Welcher Grund liegt zu solch einer Behauptung vor? Die Schwierigkeit, zu erklären, warum nur an einer bestimmten Stelle des Polypen die neuen Knospen ge- bildet werden, bleibt doch dieselbe. Ja sie wird insofern vergrößert, als die Lokalisation des Knospungs-Keimplasmas nunmehr eine noch bestimmtere geworden ist, und man nicht allem die Frage zu beant- worten hat, warum die Knospen vorzugsweise in einer bestimmten Region der gesamten Leibeswand ihre Entstehung nehmen, sondern auch die, warum innerhalb dieser Region nur gewisse Zellen des einen Keimblattes mit der Aufgabe, Knospen zu bilden, betraut sind. Welches ist denn nun aber das eine Keimblatt, welches ausschließ- lieh als Träger der Knospungstendenz gelten soll? Auch das hat Weismann schon a priori entschieden. „Da wir wissen, dass bei den Hydroiden die Bildung der Keimzellen stets von Ektodermzellen ausgeht, so durfte erwartet werden, dass auch das Knospungs-Idio- plasma in Zellen des Ektoderms enthalten sein werde“. Wenn dergleichen Gründe stiehhaltig sind, so ist wohl die nächst- liegende Folgerung die, dass wir überall, wo eine Knospung stattfindet, dasjenige Blatt, von dem die Bildung der Keimzellen ausgeht, auch für die Knospenbildung, und zwar ausschließlich, in Anspruch zu nehmen haben. Es wäre demnach bei den Bryozoen das Mesoderm der alleinige Knospenbildner, bei den Tunicaten der gleichfalls meso- dermale Genitalstrang. Wenigstens sehe ich keinen Grund, weshalb diese Tiergruppen eine Ausnahme machen sollten, wenn „rein theo- retische Erwägungen“ genügten, um hinsichtlich der Hydroiden die Ueberzeugung zu wecken, „dass es so sein müsse“. Zunächst aber scheint mir die Behauptung nieht zuzutreffen, dass die ektodermale Natur der Geschlechtsprodukte der Hydroiden er- wiesen sei. Wenn das für einige Hydroiden geschehen ist, ist es doch lange noch nieht bei allen der Fall. Bei einer ganzen heihe von Formen hat bisher lediglieh em entodermaler Ursprung der Keim- zellen konstatiert werden können, alles andere ist Hypothese. Selbst um so weniger zweifelhaft, als Trembley das lebende Original selbst ge- züchtet und über seine Entstehung Buch geführt hat. Reichliche Nahrung und der Umstand, dass der Mutterpolyp von der Oberfläche des Wassers frei herab- hing, begünstigten die Entwicklung der Kolonie (Trembley, Leidener Ausg. S. 176 fl., Göze’sche Uebers. 8. 236). Auch erwähnt Trembley ausdrück- lich, dass die Knospen richt an einen einzigen bestimmten Ort gebunden seien, sondern im ganzen vorderen Körperabschnitt, d. h. auch oberhalb der eigent- lichen Knospungszone, hervorwachsen könnten (Leidener Ausg. 8. 164 ff., Göze S. 220). Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. 45 da, wo man sich um die ektodermale Herkunft der Keimzellen beson- ders bemüht hat, ist es nicht immer gelungen, sie zu beweisen; eine Notiz, wie diejenige Ischikawas „über die Abstammung der männ- lichen Geschlechtszellen bei Kudendrium racemosum“!) kann nicht wohl als Beweis gelten. Sogar bei Aydra sind Zweifel nieht ausge- schlossen. Die letzten eingehenden Untersuehungen, welche der Ent- wicklungsgeschichte dieser Gattung’gegolten haben, rühren von August Brauer her. Brauer erörtert ausführlich die Frage nach der Her- kunft des interstitiellen Gewebes, zu welchem, wie allgemein anerkannt wird, auch die Geschlechtsprodukte gehören. Aus der Art aber, wie Brauer sich über diesen Punkt aussprieht?), fühlt man deutlich die Ungewissheit heraus, die bei ihm über den Ursprung des Zwischen- gewebes herrscht. Brauer gibt schließlich zu, dass das Zwischen- gewebe auch vom Entoderm abstammen könne und dass es als eine Art Mesoderm aufzufassen sei. Mir selbst ist freilich die ektodermale Natur des interstitiellen Gewebes nicht zweifelhaft. Mag auch in der frühesten Zeit der Ent- wicklung das Verhältnis nicht völlig klar sein, so sind doch später die Zellen der Zwischenschicht überall so scharf von dem inneren Blatte getrennt, mit dem äußeren dagegen so innig verbunden, dass ich sie nur für Bestandteile dieses letzteren halten kann. Ich glaube, dass die interstitiellen Zellen während des ganzen Lebens der Hydra aus oberflächlichen Ektodermzellen entstehen können und nur der Lage nach von diesen verschieden sind. Da nun aus ihnen die Geschlechts- produkte hervorgehen, so habe ich nichts dagegen, wenn man dieselben gleichfalls dem Ektoderm zuzählt. Ja, ich will die Wahrschemlichkeit zugeben, dass auch für alle übrigen Hydroiden ursprünglich ein ähn- liches Verhältnis bestanden hat: Für die Knospung folgt daraus garnichts. Auch Weismann ist nicht immer der Meinung gewesen, dass das „Knospungs-Idioplasma“ allem in den interstitiellen Zellen ent- halten sein könne. Am 11. Oktober 1890 unterzeichnete Weismann einen gegen Nussbaum gerichteten Aufsatz über Ischikawa’s Umkehrungs- Versuche an Hydra®?). Nussbaum hatte behauptet, dass abgeschnit- tene Tentakelstücke von Hydra deshalb zur Regeneration nicht ge- eignet seien, weil ihnen ein wichtiges Arbeitsmaterial, die intersti- tiellen Zellen, fehlte. Dagegen wendet sich Weismann. In dem genannten Aufsatz heißt es auf 8. 637: „Inzwischen hat freilich Isehikawa durch seine Versuche nachgewiesen, dass von einem auf- geschnittenen Polypen, dessen Entodermzellen durch Essigsäuredämpfe 1) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 45 (1887), 5. 669— 671. 2) Zeitschr f. wiss. Zool., Bd. 52 (1891), S. 196 ff. 3) Bemerkungen zuIschikawa’s Umkehrungs-Versuchen an Hydra. Von August Weismann. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 36 (1890), 8. 627 ff. 158 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. getötet, dessen Ektoderm- samt imtermediären Zellen aber lebendig geblieben waren, eine Regeneration nicht mehr ausgehen kann. Damit ist also bewiesen, dass das Vorhandensein von Entodermzellen zur Wiederherstellung des Ganzen unentbehrlich ist, dass die intermediären Zellen zur Umwandlung in Entodermzellen nicht eingerichtet sind. A priori hätte das Niemand wissen können“. Am 11. Oktober 1890 war das also bewiesen. Es war erstens bewiesen, dass Entodermzellen zur Wiederherstellung des Ganzen unentbehrlich sind, und es war zweitens bewiesen, dass die intermediären Zellen zur Umwandlung in Entoderm- zellen nicht geeignet sind. Am 12. November 1891 (Vorwort zu Lang) ist das Nämliche nicht allein nicht mehr bewiesen, sondern es zählt auch nicht einmal unter den zu berücksichtigenden Befunden. Da ist es a priori gewiss, dass die Entodermzellen des Polypen das Entoderm der Knospe nicht bilden können; die Entodermzellen sind entbehrlich ge- worden. Da sind eben jene intermediären Zellen, wegen deren Ueberschätzung Nussbaum ein Jahr zuvor angegriffen ward, nicht nur zur Umwandlung in Entodermzellen vollkommen geeignet, sondern sie sind, sie ganz allein, zur Wiederherstellung des Ganzen notwendig! Was 1590 Ischikawa in Freiburg bewiesen hatte, das hat 1891 ein anderer Schüler von Weismann bis auf den letzten Rest aus- gelöscht. — Dass die Bestätigung, welche die so schnell wechselnden An- sichten Weismann’s durch die Arbeit von Albert Lang erfahren haben, illusorisch ist, habe ich oben gezeigt. Jetzt noch einige Worte über die neuen Gesichtspunkte, die Weis- mann für die Knospung des Cölenteraten als maßgebend hinstellt. Bisher war man der Ansicht, dass die Knospung sich dadurch prinzipiell von der geschlechtlichen Fortpflanzung durch Eier unter- scheide, dass die Vertreter mehrerer Keimblätter, zum wenigsten zweier, durch ihr Zusammenwirken die Anlage des neuen Indivi- duums begründeten. Dies war für die Tunicaten, die Bryozoen, die Würmer und, wie man glauben durfte, auch für die verschiedenen Gruppen der Cölenteraten sicher gestellt. Nun soll für die letzteren, insbesondere für die Hydroiden, nur ein Keimblatt, das Ektoderm, die Knospungspotenzen enthalten. Wie unpraktisch verfährt da die Natur! An einer Stelle, wo beide primärer Keimblätter zu ihrer Verfügung sind, vermeidet sie es gleichsam geflissentlich, das eine derselben zu benutzen, und nur das andere stellt sie in ihre Dienste. So muss nun nicht nur das Ektoderm ein neues Entoderm bilden, sondern das neugebildete Entoderm muss auch das alte, noch vollkommen funktionsfähige Entoderm verdrängen, Braem, Knospung bei mehrschiehtigen Tieren. 459 um an seiner Stelle zunächst ganz dasselbe zu leisten wie dieses, d.h. in den Verband der resorbierenden Fläche zu treten. Warum die alten Entodermzellen ihres Amtes entsetzt werden, dafür kann nur der eine Grund existieren, dass sie, wie Weismann annimmt, zur Beteiligung an der Knospenbildung nicht fähig sind. Weshalb aber nicht, wenn doch die Ektodermzellen dazu fähig sind, das möchte schwer zu er- klären sein. Lassen wir es immerhin gelten, dass die Natur auf so seltsamen Umwegen zu ihrem Ziele gelangt. Nehmen wir an, das Ektoderm liefert die neue Knospe. Welcher Teil des Ektoderms ist aber dazu im Stande? Eine einzigeZelle, nach Weismann. „Jede Knospung“, heißt es a. a. ©. S. 208, „wird ursprünglich nur von einer Zelle aus- gehen, wenn sich dies auch bisher nicht direkt nachweisen ließ, und bei der ersten oder doch bei den ersten Teilungen der die Knospung hervorrufenden Zelle wird sich die Determinanten-Gruppe des Ekto- derms von der des Entoderms trennen, und die Träger der letzteren werden durch die sich auflösende Stützlamelle in das alte Entoderm einwandern. Das Weitere ergibt sich dann von selbst“. Was sich von selbst ergibt, das ist nun, wie ich meine, nichts anderes, als dass diese ganze sogenannte Knospung eine besondere Art von parthenogenetischer Ei-Entwicklung ist. Denn wenn eine Zelle alle Keimblätter und ein vollständiges Individuum zu bilden im Stande ist, dann entspricht diese Zelle allen Anforderungen, die wir billigerweise an ein Ei stellen dürfen. Sie hat mit den partheno- genetisch sich entwickelnden Eiern das gemein, dass sie keiner Be- fruchtung bedarf, und sie hat nur das Besondere, dass sie einer solchen wahrscheinlich überhaupt nicht fähig ist. Also endlich die vielberufene „DSpore*! In diesem Punkte scheint übrigens Lang seine „Aufgabe“ nicht ganz richtig erfasst zu haben. „Wir sahen“, heißt es auf S. 381 der bewussten Arbeit, „dass die Ektodermverdiekung, das erste Stadium der Knospung, nicht von einer Ektodermzelle ausgeht, sondern dureh gleichzeitige Teilung vieler Ektodermzellen zu Stande kommt“. Weiter unten spricht er von einer „multipolaren Emwanderung von Ektoderm- zellen“. Die Spore harrt also einstweilen noch ihres Entdeckers, wenn- gleich sie theoretisch bereits gefunden ist. Ja, schon vor langer Zeit! Denn die Gedanken Weismann’s sind nicht etwa neu, so geistreich sie sein mögen. Sie sind nur bisher nicht immer so siegesgewiss einhergeschritten. Zehn Jahre vor Weismann schrieb W. Marshall in seiner „Polypenlogik“ ') wie folgt: „Diese Knospen |der Hydra| entstehen an derselben Stelle, wo später die Eierkapseln entstehen, und unter- scheiden sich in ihrer Anlage in nichts |??] von den Sexualorganen. 1) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 37 (1882), S. 695. 160 Braem, Knospung bei mehrschichtigen Tieren. Sollte es nach alledem zu viel gethan sein, wenn wir in den Aydra- Knospen die Homologa der Geschlechtsorgane und zunächst der weib- lichen der Hydren und damit der Medusen anderer Hydroidpolypen erblicken wollen? Ich glaube kaum“. Und hundert und einige Jahre vor Marshall meinte Ch. Bonnet in seiner Contemplation de la nature!), dass die Aydra-Knospen ursprünglich wohl Ei-artige Körper seien, die sich im Muttertier selbst zu einem neuen Polypen entwickelten. „Dans leur premier &tat, ce sont peut-etre aussi des corps oviformes; ils se montrent ensuite sous la forme d’un petit bouton, qui grossit et S’allonge par degres, et ce bouton est lui-m&me un vrai polype“. Ganz ähnliche Gedanken kann man bei Trembley, Sehäffer und Rösel finden. Es scheint also, dass dieselben schon an der Wiege unseres heutigen Knospungsbegriffes gestanden haben. Es muss wohl Gründe gegeben haben, warum die ersten, von solchen Ideen be- herrschten Beobachter diesen Ideen entsagten und eine andere Zeug- ungsform, als Ausnahme von der Regel, anerkannten. Aber noch im Jahre 1820 bezeichnete Schweigger, in seiner Naturgesch. der skelettlosen ungegliederten Tiere S. 321, die Ansicht, dass die Hydra-Knospen als besondere Individuen aus den in der Sub- stanz der Mutter versteckten Eiern hervorgingen, als die gewöhnliche. Er fand sich bewogen, dieselbe auf S. 343 auch mit Beziehung auf die Korallenstöcke zu erörtern. Man kann demnach nieht behaupten, dass der Standpunkt Bonnet’s, auf den sich Schweigger aus- drücklich beruft, allzu rasch und kritiklos verlassen worden sei. Bonnet, dessen philosophische Spekulation fast schrankenlos sich ergehen konnte, der noch nicht durch das reiche Thatsachenmaterial mikroskopischer Detailforschung gehemmt war, glaubte gleiehwohl der Natur ein „Vielleicht“ schuldig zu sen. Weismann, bei seiner Wieder- erweckung der alten Idee, bedarf dieses „vielleicht“ nieht mehr. Er weiß a priori, „dass es so sein muss“. Bleibt zu erwarten, dass man demnächst die Entdeckung macht, die als Knospung gedeutete Art der ungeschlechtlichen Fortpflanzung im Tierreich sei eigentlich garnichts anderes als eine verkappte Form von Parthenogenesis, eine solche nämlich, bei der das befruchtungs- unfähige Ei sich schon im Mutterleibe entwickelt und entweder zeit- lebens mit demselben verbunden bleibt oder nach Abschluss der Ent- wicklung sieh von ihm trennt, um dann eine selbständige Existenz zu führen. Für die Cölenteraten wenigstens ist Aussicht vorhanden, dass diese Erwartung in Bälde erfüllt wird. „Was zunächst die übrigen Cölen- teraten betrifft“, sagt Weismann a. a. O. S. 209, „so sind die Unter- SE ed., Yverdon 1768, t. L, p. 379. Vgl. auch Bonnet, la palingenesie philosophique, Geneve 1769, t. I, p. 102 ff. Schaudinn, Neue Art der Kernvermehrung bei Foraminiferen. 161 suchungen erst noch zu machen, welche nachweisen sollen, ob bei den Korallenpolypen, den höheren Medusen und in Rippen- quallen der ara ebenfalls nur scheinbar von beiden Leibesschichten des Tieres ausgeht, in Wirklichkeit aber doch auch nur von einer. Da man an se Möglichkeit bisher nicht dachte Is. Trembley, Bonnet|, so könnten auch hier Zellenwanderungen übersehen worden sein“. Ein Knospungsprozess, der bei den Rippenquallen beobachtet wäre, ist mir freilich bisher nicht bekannt geworden. Wenn aber mann vermutet, „dass es so sein müsse“, so wird er vorhanden sein, und ohne Zweifel wird die Knospung auch hier von dem Ekto- derm, und zwar von einer Zelle desselben, ihren Ausgang nehmen. November 1893. Die Fortpflanzung der Foraminiferen und eine neue Art der Kernvermehrung. Vorläufige Mitteilung. Von Fritz Schaudinn. Aus dem zoologischen Institut zu Berlin. Unsere Kenntnisse über die Fortpflanzung der Foraminiferen sind bekanntlieh nicht sehr vollständig, es dürften daher einige Mitteilungen über diese Frage erwünscht sein. Seit 1!/, Jahren mit dem Studium lebender Foraminiferen beschäftigt, habe ich Gelegenheit gehabt, die Fortpflanzung bei einer größeren Anzahl von Formen zu beobachten und will ich ganz kurz einige Beispiele anführen, um mein allgemeines Resultat zu rechtfertigen. — I. Caleituba polymorpha Roboz. Bei dieser festsitzenden, kalkschaligen, niedrig organisierten Milio- lide teilt sich der vielkernige Weichkörper innerhalb der Schale zwei oder mehr (bis 10) Teile, die ein- bis vielkernig (60 und mehr Kerne) sein können. Diese Teilstücke wandern als nackte Plasmodien unter lebhafter Pseudopodienbildung aus der Schale heraus und setzen sich an geeigneter, d. h. nahrungsreicher Stelle fest. Dann beginnt die Abscheidung der Schale und das für Caleituba charakteristische Wachstum. Vor der Schalenbildung kann das Plasmodium sich auch noch ein- oder mehrere Male teilen, oder selbst längere Zeit (über !/, Jahr) als selbständiger, amöbenähnlicher Organismus leben. II. Miliolina seminulum L. Der gesamte vielkernige Weichkörper fließt unter reicher Pseudo- podienentwicklung durch die Schalenmündung heraus und lagert sich vor derselben in Gestalt eines unregelmäßigen Klumpens;: dieser teilt sich dann in zahlreiche (20—50) Teilstücke von verschiedener Größe, XIV. 1 162 Schaudinn, Neue Art der Kernvermehrung bei Foraminiferen. welche Kugelgestalt annehmen, Schale absondern und in der für Mi- liolina charakterischen Weise weiterwachsen. Emzelne dieser Teil- stücke wandern aber noch längere Zeit nackt umher und können sich noch mehrmals teilen; die Embryonen waren bei dieser Form meistens einkernig, doch habe ieh auch mehrere Kerne (2—5) beobachtet. Il. Ammodiscus gordialis Pu. J. Diese Form, welche ihre Schale aus Fremdkörpern (Sand) auf- baut, nimmt vor der Fortpflanzung Fremdkörper, besonders Kiesel- stückchen und Diatomeenschalen in das Plasma auf. Dann zerfällt der ganze Weichkörper innerhalb der Schale in zahlreiche (50—80) kuglige Teile, die je einen, seltener 2 oder mehr Kerne enthalten. Schon innerhalb der Mutterschale sondern die kugligen Embryonen ein chitinöses Schalenhäutchen ab, auf welchem die von der Mutter aufgespeicherten Fremdkörper haften bleiben. In diesem Zustand oder nachdem noch eine halbe Windung hinzugebaut wurde, verlassen sämt- liche Embryonen das Gehäuse der Mutter durch die sehr weite Mün- dung desselben. IV. Discorbina globularis d’Orbigeny. Hier erfolgt die Fortpflanzung ähnlich wie bei Ammodiscus dureh Zerfall des Plasmas innerhalb der Kammern in kuglige Embryonen, die innerhalb der Mutterschale Kalkschale absondern und ein-, zwei- oder dreikammrig die Schale der Mutter aufbrechen und heraus- kriechen. Die Embryonen sind meist einkernig, doch auch 2—4kernige wurden gefunden. In dieser Weise erfolgte die Fortpflanzung bei Discorb'na in den weitaus meisten beobachteten Fällen (43 mal); nur mal, bei sehr dickschaligen Individuen, floss das Plasma wie bei M;- liolina durch die Schalenmündung heraus und teilte sich erst außer- halb. Die Größe und Zahl der Embryonen war die gleiche wie bei der endogenen Entstehung derselben. In ähnlicher Weise wie bei Discorbina globularis erfolgt die Aus- bildung der Embryonen innerhalb der Schale und das Herauskriechen durch Aufbrechen der letzteren bei Discorbina orbicularis Terquem, Planorbulina mediterranensis U Orbigny, Truncatulina lobatula W al- ker und Jakob und Peneroplis pertusus Forscal. V. Polystomella crispa L. Während diese Form gewöhnlich nur einen oder wenige Kerne besitzt, wird sie vor der Fortpflanzung vielkernig; das Plasma fließt in der gleichen Weise wie bei Miliolina seminulum heraus und teilt sich in zahlreiche (über SO) Embryonen, die mit Schale versehen werden und nach allen Seiten auseinanderkriechen. — Ebenso verhält sich Patellina corrugata Williamson. Schaudinn, Neue Art der Kernvermehrung bei Foraminiferen 163 Diese wenigen Beispiele, welche aber Vertreter verchiedener Fora- miniferengruppen betreffen, genügen, wie ich glaube, um folgendes all- gemeines Resultat zu rechtfertigen: Die Fortpflanzung der Foraminiferen erfolgt durch Teilung desWeichkörpersin bei den einzelnen Individuen verschieden zahlreiche Teilstücke, welche Sehale abson- dern und in der für die betreffende Species charakteristi- schen Weise weiter wachsen. Es sind hierbei folgende Modifikationen zu beobachten: I. Die Teilung des Weichkörpers, die Formgestaltung der Teilstücke und die Absonderung der Schale vollzieht sich innerhalb der Mutterschale. Die Embryonen ver- lassen die letztere durch die Mündung (Ammodiseus), oder, wenn die Mündung zueng ist, durch Aufbrechen der Schale (Discorbina). II. Die Teilung des Weichkörpers erfolgt innerhalb der Schale, die Formgestaltung und Schalenabsonderung der Teilstücke aber außerhalb, d.h. nachdem die letzteren als nackte Plasmodien die Mutterschale verlassen haben (Caleituba). III. Die Teilung, Formgestaltung der Teilstücke und Schalenbildung erfolgen außerhalb der Mutterschale, d.h. nachdem der Weichkörper der Mutter als zusammen- hängende Masse die Schale verlassen hat (Miliolina). — Das Muttertier wird vor der Fortpflanzung stets viel- kernig; die jungen Tiere (Teilstücke) sind zwar in den meisten Fällen einkernig, aber bisweilen auch mit weni- sen (2-3) und selbst vielen Kernen versehen. — Auf die speziellen Kernverhältnisse kann ich hier nicht näher eingehen; ich will nur ganz kurz die Art der Kernvermehrung schil- dern, welche bei dieser Protozoengruppe allgemein verbreitet zu sein scheint, aber meines Wissens bisher noch nicht bekannt geworden ist. Zweiteilung des Kerns oder auch nur eine Andeutung davon habe ich trotz genauen Suchens niemals gefunden. Vielmehr zerfällt bei allen untersuchten Formen der Kern, nachdem er eine Reihe von Veränderungen durchgemacht hat, in: zahl- reiche Tochterkerne. — Die den Zerfall vorbereitenden Strukturveränderungen will ich in Kürze an den Kernen von Caleituba polymorpha Koboz erläutern und gleichzeitig erwähnen, dass alle bisher von mir untersuchten Fora- miniferenkerne einen m den Hauptzügen ähnlichen Entwicklungsgang durehmachen. — Die durch Zerfall eines größeren Kerns entstandenen kleinen Tochterkerne sind homogen, kompakt und membranlos. Das Chromatin erfüllt und verdeckt die achromatische Substanz so vollständig, dass Rs; 164 Schaudinn, Neue Art der Kernvermehrung bei Foraminiferen. eine Struktur an diesen Kernen nicht wahrzunehmen ist (Fig. 1). Im einfachsten Falle sind es zähflüssige, mit Kernfärbemitteln sich intensiv und gleichmäßig färbende Kugeln. Doch zeigen dieselben meist schon frühe eine große Gestaltsveränderlichkeit; von der Oberfläche erheben sich häufig spitze Fortsätze, die mit tiefen Einbuchtungen abwechseln. In jeder dieser Buchten liegt eine sie genau ausfüllende Vakuole des umgebenden wabigen Plasmas, oder besser ein Flüssigkeitströpfehen (Fig. 2). Diese anfangs dem Kern nur dicht angelagerten Flüssig- Acht aufeinander folgende Kern- stadien von (aleituba polymorpha Roboz (schematisch). keitströpfehen sinken allmählich tiefer in die Kernsubstanz hinein oder werden von ihr umflossen und auf diese Weise in das Kerninnere ver- lagert. Wenn eine größere Anzahl solcher Tropfen sieh im Kern be- findet, so rundet er sich ab (Fig. 3) und es beginnt die Abscheidung einer Membran. Die aus dem umgebenden Plasma in Tropfenform aufgenommene Flüssigkeit verteilt sich zunächst gleichmäßig in der Kernsubstanz und führt eine Auflockerung des Chromatins herbei, es erscheint infolgedessen die den Kern erfüllende Masse gekörnt und im Ganzen weniger intensiv gefärbt als vorher. Dann sammelt sich aber die Flüssigkeit, die wir von nun ab Kernsaft nennen können, in Form kleiner Tröpfehen in gleichmäßiger Verteilung im Kern an und va- kuolisiert denselben. Die Substanzmassen, welche die Tröpfehen trennen, bestehen aus achromatischer Substanz, die dicht mit Chro- matinkörnchen erfüllt ist. Als Ausdruck dieses vakuolären Baues er- scheint auf optischen Durehschnitten derartiger Kerne ein Netzwerk, dessen aus achromatischer Substanz bestehende Fäden mit Chromatin- brocken besetzt sind (Fig. 4). Die oberflächlichen, der Membran an- gelagerten Flüssigkeitströpfehen sind regelmäßig radiär angeordnet, weshalb auf optischen Durehsehnitten an der Peripherie eine radiäre Streifung oder das Bild eines Alveolarsaums erscheint (Fig. 4). Das auf diesem Stadium noch feinkörnige und gleichmäßig im achroma- tischen Gerüst verteilte Chromatin wird nun allmählich an einer Stelle des Kerninnern, meist im Zentrum lokalisiert, d. h. dichter zusammen- gelagert. Es entstehen größere Brocken von unregelmäßiger Gestalt, welche das vakuoläre Gerüstwerk im zentralen Teil undeutlich machen. Um so deutlicher tritt aber die periphere Alveolarschicht hervor, weil sämtliches Chromatin aus ihr entfernt und nach dem Zentrum zu- sammengezogen wird (Fig. 5). Die Zusammenziehung des Chromatins Schaudinn, Neue Art der Kernvermehrung bei Foraminiferen. 165 schreitet so lange fort, bis im Zentrum schließlich ein solider, struk- turloser, scheinbar nur aus Chromatin bestehender Klumpen liegt (Fig. 6). Die Alveolarschicht hat bei diesem Vorgang eine Umwandlung er- litten, es sind nämlich an die Stelle der mit Flüssigkeit gefüllten Waben Fäden getreten (Fig. 6). Die Entstehung dieser achromatischen Fäden erkläre ich mir fol- gendermaßen: Bei der Zusammenziehung des zentralen Wabenwerks werden die peripheren, an die Membran befestigten Waben in die Länge gezogen, während gleichzeitig der im centralen Teil enthaltene Kernsaft in sie hineingepresst wird; die aus achromatischer Substanz bestehenden Wabenwände werden bei der Verlängerung der Waben verdünnt und schließlich so durchbrochen, dass von den gesamten Scheidewänden nur immer ein Pfeiler in der Mitte zwischen je drei aneinanderstoßenden Wabenräumen übrig bleibt. Ob diese Annahme nun richtig ist oder nicht, soviel steht fest, dass das radiäre Fadenwerk dieses Stadiums (Fig. 6) aus der Alveo- larschicht des vorigen (Fig. IV, V) entsteht. Wir haben also ein Kernstadium erreicht, das im Innern einen soliden Kernsubstanz- klumpen (Chromatin und Achromatin) enthält, von welchem radiär nach allen Richtungen achromatische Fäden abgehen, die an der Membran inserieren (Fig. 6). — Nun beginnt die gleichmäßige Zerteilung des zentralen Klumpens: kleine Brocken lösen sich von ihm los und begeben sich auf der Bahn der achromatischen Fäden an die Membran, wo sie an den Faden- anheftungsstellen zu kugligen Klumpen verschmelzen (Fig. 7). Auf diese Weise wird die ganze centrale Substanzmasse in zahlreiche, peripher gelegene Teilstücke zerlegt. Das Endresultat dieses Vor- sangs ist ein bläschenförmiger Kern, in welchem eime große Anzahl kompakter, kugliger Körper, von starker Färbbarkeit, in gleichmäßiger Verteilung die Innenfläche der Kernmembran bedeckt, während der übrige Inhalt nur aus Kernsaft besteht (Fig. S). Durch Auflösung der Membran treten diese Kugeln frei in das umgebende Plasma und stellen die Kerne dar, von welchen wir bei unserer Betrachtung aus- gegangen sind. Das Wesentliche an dem geschilderten Entwicklungsgang ist, dass homogene, membranlose Kerne durch Aufnahme von Flüssigkeit bläschenförmig werden und dass dann in diesen bläschenförmigen Kernen mit Hilfe eines achro- matischen Fadenapparates eine gleichmäßige Zerteilung der Kernsubstanz (Chromatin und Achromatin) in zahl- reiche Teilstücke erfolgt, die durch Auflösung der Kern- membran frei in das Plasma treten und nun selbständige Kerne darstellen. Dies gilt allgemein für alle von mir unter- suchten Formen, während sich im Einzelnen mannigfaltige kleine Ver- schiedenheiten finden, 166 Werner, Zoologische Miszellen. Auf die bisherigen Forschungen über die Fortpflanzungs- und Kernverhältnisse der Foraminiferen hier näher einzugehen, würde zu weit führen, ich will nur kurz erwähnen, dass die meisten der ge- schilderten Kermstadien schon von R. Hertwig, F. E. Schulze, Bütschli, Gruber und andern Forschern bei Foraminiferen beob- achtet und beschrieben sind, nur gelang es bisher nicht, einen Zu- sammenhang der verschiedenen Kernstrukturen aufzufinden. Ja sogar im Zerfall befindliche Kerne sind von Hofer!) beobachtet worden und zwar bei Polystomella, doch scheint diese Angabe bisher der Beachtung entgangen zu sein. Hofer sagt l. e. S. 149: „Die Kerne zeigen meistens die Bläschenstruktur, bei einigen Individuen (von Po- Zystomella) war aber ein Teil der Kerne in eine Unmenge kleiner scharf umgrenzter Körner zerfallen.“ Die Mutmassung dieses Autors, dass derartige Polystomellen sich im Stadium der beginnenden Fortpflanzung befanden, hat sich nach meinen Beobachtungen vollkommen bestätigt. — Alles Nähere über die hier nur kurz angedeuteten Fortpflanzungs- und Kernverhältnisse der Foraminiferen, sowie ein Vergleich der Kern- vermehrung bei diesen Protozoen mit den bekannten Kernvermehrungs- arten wird in einer genauen und zusammenfassenden Darstellung des Lebens und der Organisation der von mir beobachteten Foraminiferen mitgeteilt werden. — Berlin, den 10. Januar 1594. Zoologische Miszellen. Von Dr. F. Werner in Wien. (Fortsetzung. ) VIII. Noch etwas über konvergente Anpassung. Ich habe in Bd. XIII Nr. 15/16 u. 17/18 eine größere Anzahl von Fällen mitgeteilt, in welchen konvergente Anpassung zu konstatieren ist; ich will nun hier einige nachtragen, die mir noch beachtenswert erschienen sind. So ist hier in dieser Beziehung auch die Schleuderzunge der Froschlurche, des Spelerpes fuscus und der Chamaeleonten zu erwähnen; die Chamaeleontenzunge ist sowohl, was die Stelle ihrer Befestigung, als den Mechanismus ihrer Ausstreckung anbelangt, von der der schwanz- losen Batrachier, durch letzteren allein von der des Spelerpes ver- schieden, aber übereinstimmend in der Eigenschaft, blitzschnell hervor- geschleudert zu werden um an ihrer klebrigen Endpartie Insekten be- festigen zu können. Diese Eigenschaft ist ein Korrelat zu der langsamen Fortbewegung des betreffenden Tieres selbst; die Chamaeleonten so- wohl als gewisse Froschlurche und der Spelerpes sind höchst langsame 1) B. Hofer, „Der Einfluss des Kerns auf das Protoplasma“. Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaften, Bd. 24, 1890, 8. 149. Werner, Zoologische Miszellen. 167 Tiere; diejenigen Froschlurchen, die ihre Beute im Sprunge erhaschen wie Hyla, Bombinator, Rana esculenta, also lebhaftere Arten, strecken‘ die Zunge entweder gar nicht oder nur wenig vor!); dagegen wird man bei Arten, welche ruhig sitzend oder langsam gehend oder endlich in kurzen Sätzen springend ihre Beute erwerben, eine ganz außerordent- liche Beweglichkeit, Extensionsfähigkeit und Treffsicherheit der Zunge bemerken, also bei Bufoniden und bei den Landfröschen (Rana tem- poraria und Verwandte) die ihre Zunge, während sie selbst sich beim Anblick ihrer Beute gänzlich ruhig verhalten und — wie ein Vorsteh- hund — förmlich versteinert dasitzend und die Augen fest auf das Opfer gerichtet, weit und nach allen Richtungen vorschnellen können, während der Körper selbst nur eine ganz geringe Vorwärtsbewegung macht. Auch die Wurmzunge der Ameisenbären entspricht in ihrer Vor- schnellbarkeit und Klebrigkeit noch dem Begriff einer Schleuderzunge. Eine nicht ganz. klare Frage ist die Folgende: Sind die Schlangen, die ihre Beute durch Umschlingen töten, die Nachkommen einer einzigen „Sehlinger“-Gruppe oder ist diese Form der Tötung in mehreren Grup- pen selbständig entstanden? Ich habe mich nach längeren Beobach- tungen dafür entscheiden können, dass dieser Fall nicht m den Bereich der Konvergenz gehört und dass alle Schlangen, sofern es nicht ent- weder degenerierte oder giftige Arten sind also beides jüngere und abgeleitete Formen — ursprünglich „Schlinger“ sind, wie noch heutzutage, meines Wissens ausnahmslos, alle Arten der ältesten Schlangenfamilie, der Boiden. Sogar Schlangen, die niemals mehr ihre Beute erwürgen, wie die fisch- und batrachierfressenden Tropi- donotus-Arten, machen häufig noch ganz dieselbe Bewegung, wenn gleich dieselbe absolut keine Bedeutung für die Tötung des Tieres sind. Kleinere Tiere werden von den meisten lebend verschlungen, srößere aber von Coluber, Zamenis, Rhinechis, Coronella, Tarbophis ete. erwürgt. Dass übrigens die Tötung durch Umschlingung eine charakteristische Eigenschaft der Schlangen ist, will ich hier noch erwähnen; die mit Extremitäten versehenen Eidechsen sind vorwiegend kurze gedrungene Formen und die langgestreckten, kurzbeinigen oder fußlosen, degenerier- ten Formen zeigen denselben oder einen noch höheren Grad von Steit- heit und Unfähigkeit zu der Thätigkeit des Umschlingens, als die ent- sprechenden degenerierten Schlangen und sind wie diese keine Wirbel- tierfresser, sondern leben von Insekten, Myriapoden und Würmern, während die Nahrung der höheren Schlangen Wirbeltiere bilden, und zwar vorwiegend solche der drei obersten Klassen. Eine ähnliche Frage, die vielleicht etwas komisch klingen mag, ist folgende: Ist die bei allen vierfüßigen Wirbeltieren mit Ausnahme c 1) wenn sie auch hinten gänzlich frei ist. 168 Werner, Zoologische Miszellen des Menschen, der Affen und Robben verbreitete Gewohnheit, sieh mit einem der beiden Hinterbeine zu kratzen, wo auch immer die Juckende Stelle sein mag, eine Erscheinung konvergenter Anpassung oder ein gemeinsames Erbstück von den ersten vierbeinigen Wirbeltier- Ahnen? Auch in diesem Falle bin ich für die letztere Ansicht, da schon das ausnahmslose Vorkommen dieses Kratz-Modus bei allen Batrachiern, Eidechsen, Krokodilen, ja sogar versuchsweise — gleich- sam als Erinnerung an die ehemalige Gepflogenheit — noch bei Schild- kröten, ferner bei Vögeln!) und Säugetieren dafür sprieht; ebenso allgemein wie das Kratzen mit den Hinterpfoten, ist auch das Putzen und Reinigen des Gesichtes mit den Vorderpfoten — hier gibt es viel- leicht sogar gar keine Ausnahme. Die relativ größere Länge der Hinterextremität selbst, sowie ihrer Zehen — im Vergleich zur vor- deren, machen erstere ebenso geeignet zum Kratzen, als die letzteren durch den Bau des Ellenbogen- und Schultergelenks und des Sehulter- gürtels dazu ungeeignet erscheinen; durch die Beweglichkeit der Wirbel- säule lässt sich immer ein Bogen herstellen, der im äußersten Falle von der ganzen Kopfrumpfpartie gebildet wird und zu dem das kratzende Hinterbein die Sehne bildet. Nach dieser Abschweifung will ich wieder auf das Gebiet zweifel- loser Konvergenzfälle zurückkehren und nachträglich noch erwähnen, dass Dornschwänze (s. Bd. XIII S. 575) nicht nur bei Agamiden und Iguaniden, sondern in ganz gleicher Ausbildung auch bei Seincoiden (Egernia stokesii) und Zonuriden vorkommen und außer der Iguaniden- gattung Chamaeleopsis auch noch die Baumagame Lyriocephalus noch einen ganz Chamaeleon-artigen Kopf besitzt. — Eine erwähnenswerte Konvergenzerscheinung ist auch die Ver- wachsung der Zehen zu zweit oder zu dritt, bei Chamaeleonten, Papa- geien, und bei der afrikanischen Batrachiergattung Chiromantis, also bei kletternden Baumtieren, die langen Beine verschiedener Laufvögel (Gypogeranus, Strauße, Kraniche, Trappen ete.) und schnellaufende Säugetiere |Giraffen, Cerviden, Antilopen, Camiden, Cynailurus ete.?)], der Rüssel der Spitzmäuse, Maulwürfe, Elephanten, Tapire, See-Ele- phanten und Weichschildkröten (Trionychiden) und die langen Rhom- boidschuppen mancher Baumschlangen (Dendrophis, Dendraspis). 1) Die allerdings mehr mit dem Schnabel kratzen. 2) Langbeinigkeit ist übrigens keine notwendige Vorbedingung für schnellen Lauf: Mäuse, Spitzmäuse, viele Eidechsen und manche Urodelen (Chioglossa) sind trotz relativ kurzer Extremitäten ausgezeichnete Läufer; kleine in Erd- löchern lebende Schnellläufer unter den Säugern sind niemals langbeinig; unter den Eidechsen gibt es zwar ziemlich langbeinige, Erdlöcher bewohnende Schnell- läufer, bei diesen bewegen sich aber die Extremitäten in einer fast horizon- talen, bei den Säugern in einer vertikalen Ebene; nur die langsamen Chamae- leonten haben vertikal bewegliche Extremitäten, Hansemann, Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. 169 Von den wirbellosen Tieren wären als die merkwürdigsten Kon- vergenzerscheinungen die zweiklappige Schale der Ostracoden, Brachio- poden und Lamellibranchiaten, die Schneckenhäuser, welche Würmer (Spirorbis) und Insektenlarven (Psyche- und Phryganiden) anfertigen, die sehr an die der Cölenteratenpolypen erinnernden Tentakelkränze der Bryozoen, die Räderorgane von Infusorien und Rotatorien, die Nesselkapseln der Aeolidier (Gastropoden) und Cölenteraten (letzteres ein besonders merkwürdiger Fall!) zu erwähnen. Natürlich wird jeder Zoolog wissen, dass hier nur die auffallendsten und so zu sagen am meisten in die Augen fallenden Vorkommen dieser Art angeführt wur- den; jeder Spezialist wird sich die Reihe durch Fälle aus seinem eigenen Gebiete ergänzen können, da ja namentlich rein anatomische Konvergenz-Anpassungen nicht erwähnt wurden, Entomologen werden in Rüsseln und Legestacheln, in der Fühlerform (kamm-, fächer-, keulen- förmige Fühler) im Fehlen der Flügel im weiblichen Geschlecht ( Hetero- gamia, Blatta, Lampyris, Mutilla, Orgyiaete.) im Trichterbau der Larven (Myrme coleon und eine Dipterenlarve) in den schon erwähnten Hörner- bildungen (wobei ich noch Hoplocephala und Anthracias von den Tenebrio- niden, ferner Hybalus ete. als Besitzer von Supraorbitalhörnern erwähnen will) u. s. w. zahlreiche Konvergenzfälle beobachten können. Freilich hat diese Erscheinung für uns Descendenz-Zoologen das Betrübende an sich, dass wir sehen, in wie vielen Fällen die Natur oft ganz über- 'aschend Aehnliches hervorbringt, ohne dass wir für diese Aehnlichkeit die Verwandtschaft gleichsam als Erklärung des „Warum“ vorschützen können; und der Umstand, dass es der Verwandtschaft zweifellos nieht immer bedarf, um Gleichartiges hervorzubringen, lehrt uns große Vor- sicht in der Klassifizierung und Einreihung mancher Tiere, von denen wir nicht mehr kennen als das Aeußere eines oder weniger Exemplare. (Schluss folgt.) Dr. David Hansemann, Studien über die Spezifizität, den Altruismus und die Anaplasie der Zellen, mit besonderer Berücksichtigung der Geschwülste. Mit 13 Tafeln und 2 Figuren im Text (96 Seiten). Berlin 1893. Verlag von Aug. Hirschwald. T2Spezuenziubät. Flemming, H. F. Müller und andere Autoren, sowie auch der Verf. selbst, haben schon früher darauf hingewiesen, dass verschiedene Zellenarten gewisse Unterschiede in den Formen der Mitosen besitzen. Verfasser hat daher die Frage über die Spezifizität der verschiedenen Zellformen auf Grund sehr eingehender und sorgfältiger Untersuchungen über deren Karyomitose einer erneuten Prüfung unterworfen, ausgehend von der Thatsache, dass die Zellen gerade während des Teilungs- 170 Hansemann, Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. prozesses die individuellen Eigenschaften ablegen und mehr die Eigen- schaften der Art zur Geltung kommen lassen. Aus diesen vergleichenden Studien zahlreicher Mitosen aus allen möglichen Geweben und unter den verschiedensten Verhältnissen ging nun hervor, dass sich thatsächlich „typische Unterschiede finden, die bei den einzelnen Geweben, soweit die betreffenden Teile überhaupt deutlich sichtbar sind, mit großer Regelmäßigkeit wiederkehren, d. h. bei den einzelnen Gewebsarten finden sich individuelle Unterschiede der Karyokinese, die es bei genügender Uebung gestatten, die einzelnen Gewebsarten an der Form ihrer Mitose zu unterscheiden“. Speziell die Mitosen einzelner Zellarten, wie z. B. der Gefäß- epithelien, der Epidermiszellen und der Lymphoeyten weisen nach dem Verf. solehe Unterschiede auf, dass man fast auf den ersten Blick sie unterscheiden kann; bei anderen, namentlich einander entwicklungs- geschichtlich nahe stehenden Geweben, wie z. B. Epidermis, Talg- follikeln und Haarbalgdrüsen sollen allerdings die Unterschiede der Mitosen erst nach längerer Uebung zu erkennen sein. Auch betont Verf. ausdrücklich, dass man nicht immer an jeder beliebigen Mitose die Erkennung des Artcharakters erwarten dürfe, sondern dass diese Unterschiede erst durch die Betrachtung einer größeren Anzahl von Mitosen zur Geltung kämen. Verf. schildert nun in einzelnen Abschnitten die bei den verschie- denen Erschemungen der Kernteilung an den verschiedenen Zellen- arten wahrnehmbaren Unterschiede und zwar werden die Größe der Teilungsfiguren, das Verhalten der achromatischen Figuren und der Chromosomen, der Teilungsraum, die Zellteilung, Dauer und Verlauf der Inkubationszeit, sowie die Lage der Mitosen in ausführlicher Weise besprochen. Das Resultat dieser vergleichenden Untersuchungen lautet nun nach dem Verf. dahin, dass sich in dem Gesamtbilde der Erschei- nungen der Karyomitose nirgends, auch nicht in Mischgeweben, Ueber- gänge von einem Zelltypus zum andern vorfinden, wenn man auch solche Uebergänge an den ruhenden Zellen häufig angenommen und nirgends den Uebergangsbildern so freien Spielraum gelassen hatte, als gerade in Mischgeweben. Allein die Uebergangsbilder der ruhenden Zellen, „die dureh äußerliche lokale Verhältnisse, durch momentane Veränderungen der Ernährung, durch Reize irgend wel- cher Art beeinflusst sein können, haben nach den Be- funden der Spezifizität der Mitose nichts Beweisendes mehr und dürfen für den Vorgang einer echten Metaplasie nicht herangezogen werden“. Hansemann bekennt sich daher zu dem Ausspruche Bard’s: omnis cellula e cellula ejusdem generis, indem er das Vor- Hansemann, Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. Wal kommen jeder wirklichen Metaplasie bestreitet und nur eine sogenannte histologische Akkomodation der Zellen zugibt. Den Schluss des Kapitels bilden theoretische Betrachtungen über das Zustandekommen der Spezifizität der Zellen. Verf. führt hier eine Fülle von entwicklungsgeschichtlichen Thatsachen an, welche auf eine successiv fortschreitende Differenzierung der Zellen während der embryo- nalen Entwicklung mit zwingender Notwendigkeit hinweisen. Nament- lich hebt Verf. die Bedeutung der inäqualen Teilung in dieser Richtung hervor: „auf jede inäquale Teilung folgt eine Reihe von äqualen Tei- lungen, die den Zweck haben, die durch den ersteren Vorgang ge- schaffene Zellgruppe zu vergrößern. Dadurch lassen sich in der Ent- wicklung eines Organes, oder einer Gruppe gleichwertiger Zellen ge- wisse Abschnitte konstatieren, die Verf. (Virchow Archiv, Bd. 119, S. 315) mit dem Namen der Generationsstadien belegt hat. Genera- tionsstadien sind also in dem Stammbaum einer Zellhaut immer diejenigen Stellen, wo inäquale Teilungen statt- finden, die zu einer neuen Zellgruppe, zur Bildung eines neuen Organes führen“. Hinsichtlich des Zustandekommens der Differenzierung der Zellen schließt sich Verf. der Auffassung an, dass von vornherein eine quali- tative Verteilung der Idioplasmen auf die Zellen stattfindet, so dass eine immer weiter gehende Zerlegung der Anlagen des Eies vor sich geht und nur die Generationszellen den gesamten Anlagekomplex wie- der erlangen. Jedoch sollen nach Hansemann auch im den soma- tischen Zellen neben den Hauptplasmen noch Neben- plasmen zurückbleiben und die Spezifizität der Zelle soll auf einer durch qualitativ ungleiche Teilung entstandenen Ueberzahl der Hauptplasmen beruhen. Verf. setzt sich hie- durch in Gegensatz zu Bard und Hertwig, von welchen ersterer annimmt, dass überhaupt nur die zur Charakterisierung der Zellen notwendigen Plasmen in die Zellen gelangen, während Hertwig die Ansicht vertritt, dass in den Zellen stets alle Plasmaarten zunächst gleichmäßig vorhanden sind, dann aber nur einige aktiv werden. II. Altruismus. Hansemann stellt sich die Entwicklung der Spezifizität der Zellen folgendermaßen vor: „Die Eizelle enthält alle Plasmaarten des späteren Körpers und zwar in solcher Gleichmäßigkeit, dass keine derselben irgendwie überwiegt und dass sich alle untereinander das Gleichgewicht halten. Man kann das durch das einfache Schema aus- drücken — el lo | ll [ss wenmewargeinmal annehmen, dass nur 3Plasmaarten vorhanden wären, oder 61% + 6b + 6e, wobei a, b und e die Plasmaarten bedeuten. Die Eizelle ist dann die am wenigsten differenzierte Zelle, die allein im Stande ist, alle für sie notwendigen Funktionen auszuführen. Bei der ersten inäqualen 12 Hansemann, Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. Teilung, oder dem ersten Generationsstadium, teilt sich diese Zelle etwa so, dass 2 junge Zellen von der Zusammensetzung (4a + 3b + 3c) und (22 + 3b + e) entstehen, oder wenn diese Zellen ausgewachsen sind, so stellen sie sich als (Sa + 6b + 6e) und (4a + 6b + 6e) dar. Ihre Summe ist dann gleich 2 Eizellen. Die Idioplasmen sind aber so verteilt, dass in der einen Zelle die a-Plasmen, in der auderen die (b 4 ec) Plasmen überwiegen. Um also wieder die Summe der Funktionen herzustellen gehören die beiden Zellen zusammen, die erste Zelle allein würde eimen Ausfall der (b + ec) Plasmen, die zweite einen solchen der a-Plasmen zeigen, wenn sie allein für sich existieren sollte“. Auf diese Weise kann man sich eine successive fortschreitende Differenzierung der Zellen durch wiederholte ähnliche qnalitativ un- gleiche Teilungen vorstellen. Dadurch ergeben sich aber gewisse Beziehungen zwischen den Zellen, die auf einen engen Zusammenhang derselben schließen lassen. Diesen Zusammenhang bezeichnet H. als Altruismus, während die durch qualitativ ungleiche Teilung aus einer Zelle hervorgegangenen Schwesterzellen von ihm als Antagonisten aufgefasst werden. Weiterhin werden die Vorzüge dieser Theorie, insbesondere gegen- über den Hypothesen Hertwig’s und Bard’s näher begründet, indem bei ihrer Annahme viele Erschemungen, wie z. B. die weitgehenden tegenerationen bei Pflanzen und niederen Tieren sich zwangslos er- klären lassen. Je weniger Generationsstadien seit dem Ei verstrichen sind, um so leichter findet Regeneration statt, indem die in der Zelle enthaltenen Nebenplasmen dann um so leichter wieder zur Geltung kommen können; denn Nebenplasmen treten nach der Theorie des Verf. im Allgemeinen um so leichter wieder in Aktion, je weniger Generationsstadien seit dem Ei verstrichen sind. Aus diesem Grunde ist auch das Ei befähigt, alle Gewebe aus sich hervorgehen zu lassen, indem bei allen Tieren vom Ei bis zur Anlage der Geschlechtszellen die geringste Zahl von Generationsstadien durchlaufen wird. Besonders aber findet der von H. als Altruismus bezeichnete Zustand der Gewebszellen durch seine Theorie eine befriedigende Erklärung. Nimmt man bei fortschreitender Differenzierung der Zellen ein immer stär- keres Ueberwiegen einzelner Plasmaarten an, „so muss die Zellthätig- keit zunehmend einseitiger werden und es sind immer um so zahl- reichere Antagonisten notwendig, um den hest der Funktionen zu ver- richten. Dadurch wird aber jede Zellart von ihren Antagonisten, und diese letzteren von jeder einzelnen Zellart abhängig in ihrer Existenz“. Freilich ist dieser Altruismus bei der Differenzieruug des Embryo noch wenig studiert; doch sind in der Pathologie seit Langem eine Reihe von Thatsachen bekannt, welche sich nur durch das Bestehen eines solchen erklären lassen. Besonders auffällige Beispiele sind die Beziehungen von Erkrankungen, bezw. Ausfall der Schilddrüse zum Myxoedem, zur Idiotie und zur Cachexia strumipriva; ferner die Be- Hansemann, Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. 1713 ziehungen der Nebennieren-Erkrankungen zum Morbus Addisoni, be- sonders aber die konstante Atrophie der Nebennieren bei Anencephalie. Auch das Eintreten des Todes nach Ausfall der Funktion lebens- wichtiger Organe, wie der Leber und der Nieren ist nach dem Verf. durch den Altruismus der Zellen zu erklären; es handelt sich hiebei eben stets um den Verlust einer Zellenart des Organismus, welcher von den Antagonisten nicht vertragen wird, da sie nicht im Stande sind, die für den Organismus wichtigen positiven und negativen Funk- tionen der untergegangenen Zellen zu übernehmen. Endlich verweist Verf. auf die bei Exstirpation oder bei mangelhafter Entwicklung der Geschlechtsdrüsen eintretenden Veränderungen hin und sucht auch den physiologischen Tod durch den Verlust der Keimzellen zu erklären, indem zwischen diesen und den somatischen Zellen ebenfalls ein inniger Altruismus bestehe. III. Anaplasie. Obwohl H. der Ansicht ist, dass die erblichen Eigenschaften nicht ausschließlich in der chromatischen Substanz gelegen seien und dass durch die Zahl der Chromosomen nicht allem der Artcharakter einer Zelle bestimmt werde, so ist doch auch er der Meinung, dass den Chromosomen eine sehr wiehtige Rolle bei der Vererbung zufalle und dass deren Zahl daher auch nicht beliebig vermehrt oder vermindert werden könne, ohne dass damit die Art der Zelle verändert werde. Während nun unter normalen Verhältnissen eine Vermehrung der Chromosomen nur bei der Befruchtung eintritt, ist eine solehe unter pathologischen Verhältnissen keine seltene Erschemung und Hertwig hat auf experimentellem Wege gezeigt, dass in der That durch gewisse Gifte bei in Teilung begriffenen Zellen die Teilung unterdrückt werden kann, worauf dann eine Vermehrung der Chromosomen mit multi- polarer Teilung zu folgen pflegt. Unter pathologischen Verhältnissen kann aber auch eine bipolare Teilung in.2 hyperchromatische Tochter- zellen oder eine Versprengung der Chromosomen mit Untergang der Zelle erfolgen. Die hyperchromatischen Zellen, d. h. solehe mit ver- mehrter Chromosomenzahl haben also vorzugsweise 2 Schieksale: ent- weder wird die Chromosomenzahl durch pluripolare Teilung auf ihren ursprünglichen Stand zurückgebracht, oder die Zelle geht zu Grunde; ausnahmsweise können auch hyperchromatische Tochterzellen entstehen. Von weit größerer Bedeutung ist nach H. eme Verminderung der Chromosomenzahl. Er verweist hiebei auf die sogenannte Reduk- tionsteilung, welche bei der Reifung des Eies und des Spermas eine hervorragende Rolle spielt, indem bei diesem Teilungsmodus aus ein- fachen somatischen Zellen solche mit selbständiger Entwicklungsfähigkeit hervorgehen, also eine Aenderung des Artcharakters der Zellen eintritt. Wenn nun auch unter pathologischen Verhältnissen eine Reduk- tionsteilung wie bei den Geschlechtszellen unbekannt ist, so findet man 174 Hansemann, Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. doch, und zwar in bösartigen Geschwülsten, häufig eine Verminderung der Chromosomenzahl. Es folgt nun eine ausführliche Erörterung des Begriffes Epithel und Epithelzelle. Verf. kommt hier zu dem Schlusse, dass sich dieser Begriff überhaupt nicht definieren lasse, indem man die Charaktere der Gruppe der sogenannten epithelialen Gewebe weder morphologisch einheitlich fassen, noch entwicklungsgeschichtlich scharf abgrenzen könne. Verfasser will unter Epithel „lediglich die Hohlräume oder Oberflächen bedeckenden kontinuierlichen Zellschiehten“ verstehen „deren einzelne Zellen zylinderförmig, kubisch, flimmernd oder sonstwie sind, aber keinen im übrigen gemeinsamen Charakter besitzen; diese Zellen „hören auf, Epithelien zu sein, wenn sie in eine andere Situa- tion geraten, wenn sie, z. B. beim Medullarkrebs dichte, die Gewebs- spalten ausfüllende Zellhaufen bilden, oder wie beim Skirehus einzeln oder zu langen Reihen angeordnet von derbem Bindegewebe allseitig eingeschlossen sind“). Als Karzinom aber bezeichnet H. solche Geschwülste, deren Parenchymzellen keine Interzellularsubstanz bilden und dadureh mit dem Stroma nicht in organische Verbindung treten, während er unter Sarkom solche Gesehwülste versteht, deren Parenchym- zellen eine Interzellularsubstanz bilden nnd dadurch mit dem Stroma in direkte Kontinuität treten. Dem ist noch in beiden Fällen der Charakter der Bösartigkeit hinzuzufügen. Nur auf diese Weise er- scheint es dem Verf. möglich aus dem Chaos der Adenokarzinome, Karzinome, Medullarkarzinome und Sarkome u. s. w. herauszukommen. Weiterhin erläutert der Verf. an der Hand von Beispielen die auch vom Referenten ausführlich geschilderte Beobachtung, dass Kar- zinome in ihrer Struktur dem Muttergewebe sehr nahe stehen, oder verschieden stark von ihm abweichen können, und dass der stärkste Grad der Abweichung entweder sogleich primär entwickelt sein, oder erst allmählich im den Metastasen erreicht werden kann. Entsprechend diesem Verhalten des gesamten Geschwulsteharakters konnte der Verf. auch wesentliche Veränderungen an den krebsig entarteten Zellen selbst nachweisen, welche auf eine Aenderung, bezw. auf einen Verlust ihrer ursprünglichen physiologischen Funktion hindeuten, eine 'That- sache, welche vom Referenten als erste Erscheinung der krebsigen Entartung in allen Fällen von Karzinom des Magens und des Darms ebenfalls beobachtet worden ist. H. geht nun zu der Fähigkeit der Geschwülste, Metastasen zu bilden über, welche beweist, dass die Abhängigkeit der Ge- schwulstzellen von ihrer spezifischen Umgebung, der Altruismus, geringer geworden ist, als man es sonst bei 1) Dieser Auffassung des Begriffes Epithel vermag sich der Referent nicht anzuschließen; wenn man einen Begriff nicht definieren kann, so ist das noch lange kein Grund dafür, ihn fallen lassen zu müssen. Hansemann, Spezifizität, Altıuismus und Anaplasie der Zellen. 175 irgend einer Zellart höherer Tiere findet. Solche mit ge- ringerem Altruismus und größerer Selbständigkeit begabte Zellen müssen notwendig weniger differenziert sein, als die Körperzelle aus der sie hervorgingen; es hat demnach eine Entdifferenzierung der Zellen stattgefunden. Diesen Vorgang der Entdifferenzierung, auf welehen der Referent für das Zylinderepithelkarzinom, sowie für die einfache atypische Drüsen- wucherung ebenfalls hingewiesen hat, bezeichnet H. als Anaplasie. Weiterhin betont Verf. den Unterschied zwischen embryonalen, Jugendlichen und anaplastischen Zellen. „Embryonale Zellen sind Zellen des Embryo, also Zellen die noch nicht ausditferenziert sind, oder wenigstens nicht zu sein brauchen. Jugendliche Zellen sind Zellen, die gerade von einer Teilung herrühren. Anaplastische Zellen endlich sind solche, die an Differenzierung verloren haben, die also schon einmal höher differenziert waren. Die Anaplasie steht also in einem Gegensatz zum Embryonalen, indem das letztere da anfängt, wo das erstere aufhört, nämlich beim Ei. Es gibt also sowohl jugendliche embryonale, als jugendliche anaplastische, als auch jugendliche aus- differenzierte Zellen. Es ist ferner durchaus nicht gesagt, dass die Anaplasie notwendig denselben Weg zurückgehen müsse, den die Ent- wicklung, die Prosoplasie genommen hat. Eine anaplastische Zelle könnte zwar gelegentlich mit einer embryonalen Zelle auf irgend einem Entwieklungszustand übereinstimmen, es wäre das aber immer als ein besonderer Zufall zu betrachten“. 3etrachtet man diesen Vorgang der Anaplasie im Lichte der Plasmentheorie, so muss man annehmen, dass bei der Anaplasie Plasmen wieder zur Geltung kommen, welche bis dahin als Neben- plasmen in den Hintergrund getreten waren. Ist diese Annahme richtig, so musste man erwarten, dass bei der Bedeutung, welche den Chromo- somen im Allgemeinen bei der Vererbung zukommt, sich bei der Mitose der bösartigen Geschwülste wahrnehmbare Abweichungen von der- jenigen ihres Muttergewebes auffinden lassen. Thatsächlich findet man nun nach dem Verf. „überall im Stroma einen entsprechenden Verlauf der Mitosen, wie im Stroma des Muttergewebes, im Parenchym dagegen eine um 80 größere Veränderung derMitosen gegen die imParenchym des Muttergewebes, je stärker die Gesamtabweichung ent- wickelt ist“. Es besteht demnach ein inniger Zusammenhang zwischen dem Grad der Abweichung des betreffenden Karzinoms von dem Bau des Mutterorganes und der Form der Mitosen. Da nun der Verf. solche prin- zipiellen Abweichungen bei der Regeneration, Hyperplasie und Entzün- dung, also Prozessen, bei denen der Typus des Gewebes nicht verändert wird, vermisste, so schließt er daraus, dass die veränderte Form derMitosen dieUrsache der Veränderung des Gewebes ist. 1765 Hansemann, Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. Für das Zustandekommen dieser Entdifferenzierung oder Anaplasie der Zellen im Karzinom hält Verf. die hyperchromatischen Formen und die Mehrteilungen für nebensächlich. Um so größeres Gewicht legt er dagegen auf die asymmetrische Kernteilung. Denn wenn auch Zellen verschiedener Art entstehen können, ohne dass Unter- schiede in der chromatischen Substanz an den Tochterkernen bemerk- bar sind, und man daraus auch schließen müsse, dass die erblichen Eigenschaften nieht ausschließlich an das Chromatin gebunden sind, so müsse man anderseits annehmen, dass, wenn die chromatische Sub- stanz in 2 ungleiche Teile geteilt wird und dieser asymmetrischen Kernteilung eine asymmetrische Zellteilung folgt, Zellen von verschie- denen biologischen Eigenschaften entstehen. Es lasse sich nur darüber streiten, ob solche Zellen pathologisch sind und untergehen, oder ob sie die Mutterzellen eines neuen Gewebes werden können. Der Verf. neigt der letzteren Auffassung zu. Thatsächlich beobachtet man ja im Karzinomen und Sarkomen 2 Vorgänge, welche zur Verminderung der Chromosomenzahl führen, nämlich die asymmetrische Teilung und den Untergang von Chromo- somen; außerdem findet man Zellen mit verminderten Chromosomen. Verf. selbst sagt: „Diese 3 Formen: die asymmetrische Mitose, die hypochromatische Zelle und die Zelle mit atrophischen versprengten Chromosomen sind die thatsächlichen Befunde m Karzinomen und vielen Sarkomen. Alles weitere ist eine Hypothese, die mir brauchbar er- schien, um die Entstehung neuer Zellarten, die mir ebenfalls festzu- stehen scheint, zu erklären. Ich stellte mir vor, dass sowohl durch die asymmetrische Zellteilung, als durch die Atrophie einzelner Chromo- somen einzelne Teile der Zellen verloren gehen. Ebenso wie das einzelne Chromosom, ist der kleinere Zellteil dem Untergang geweiht, worin ich dadurch bestärkt wurde, dass ich Zellen mit sehr spärlichen zuweilen in Auflösung begriffenen Ohromosomen fand. War nun dieser verloren gegangene Teil gerade derjenige, der eine bestimmte Eigen- schaft in der Zelle zum Uebergewicht brachte, so musste eine weniger differenzierte Zelle entstehen oder dasjenige, was ich Anaplasie ge- nannt habe“. Zum Schluss betont der Verf. ausdrücklich, dass die von ihm auf- gestellte Hypothese keineswegs ein Versuch sei, die Aetiologie der Geschwülste zu erklären. Thatsächlich bleibt diese Frage durch die Untersuchungen des Verf. gänzlich unberührt, da er ja die zur Anaplasie führenden Ur- sachen gar nicht in den Kreis seiner Betrachtungen zieht. Dem sehr interessanten Werke ist eine Anzahl ausgezeichneter photographischer Tafeln beigegeben. Hauser (Erlangen). Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 1. März 1894. Nr. 5. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie (Fortsetzung). — Blochmann, Ueber die Kernteilung bei Euglena. — Bloch- mann, Zur Kenntnis von Dimorpha mutans Grub. — Hensen, Berichtigung zu Band XIV Nr. 2. — Werner, Zoologische Miszellen (Schluss). — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Fortsetzung..) II. Aussenleistungen durch Wachstum. v. Pfeffer, Druck- und Arbeitsleistung durch wachsende Pflanzen. Ab- handlungen der math.-physik. Klasse der kgl. sächsischen Gesell- schaft der Wissenschaften, XX.Bd., S. 235—474, 1893. 4) Wachstum und Bewegung der Pflanze erfordern eine bestimmte Kraftäußerung zur Ueberwindung teils innerer, teils äußerer Wider- stände. Jedermann weiss, dass diese Außenleistung unter Umständen ganz erhebliche Werte annehmen kann. Wurzeln z. B. treiben Steine auseinander, wachsende Stämme heben das bedeutende Gewicht mächtig entfalteter Kronen. So offenkundig derartige Leistungen sind, so spär- lieh sind messende Versuche. Es ist also gewiss ein verdienstliches Unternehmen und für den Autor zugleich ein dankbares Arbeitsfeld „aufzuklären, wie und wodurch die Pflanze eine je nach den gebotenen Verhältnissen größere oder geringere Energie gegen Widerstände auf- zuwenden, also in zweckentsprechender Weise regulatorisch zu arbeiten vermag. Solche Fähigkeit und Thätigkeit sind aber der Ausfluss von Funktionen der lebensthätigen Pflanze. Demgemäß führt die kausale Aufhellung der Außenleistung direkt in das Innengetriebe der Pflanze, deren Reaktions- und Arbeitsvermögen es ja zu verdanken ist, dass, XIV. 12 178 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. je nach Umständen, ein größerer oder kleinerer Teil der ihr zur Ver- fügung stehenden Energie- und Betriebsmittel für Außenleistungen nutzbar gemacht wird“. In diesen Worten dürfte das Ziel angedeutet sein, das Pfeffer bei seinen Untersuchungen über Druck- und Arbeitsleistung durch wachsende Pflanzen verfolgt. Die Objekte, die er in den Bereich seiner Untersuchungen zog, sind Wurzeln, Keimstengel, Algen und die Knoten im Halme der Gräser. Zur Gewinnung einer festen Widerlage bediente sich Pfeffer des Eingipsens. Soll die Lebensthätigkeit der grünen eingegipsten Pflanze z. B. einer Alge unterhalten werden, dann wird die Gipslage so dünn gehalten, dass die grünen Fäden durch die Platte hindurch scheinen. Meist wurde nur ein Teil der Pflanze in den Gipsverband gebracht, während der übrige Teil sich normal im Wasser befand. Gipszylinder mit eingeschlossenen Wurzeln wurden in feuchte Säge- spähne oder in feuchte Erde gebracht. Die freien Teile entwickeln sich dabei ganz gut, zumal wenn für mäßige Transspirationsthätigkeit gesorgt wird. Der Gipsverband ist natürlich nicht immer die gleich starke Widerlage. Mit viel Wasser angerührt bleibt der Gipsguss so weich, dass sich wachsende Wurzeln in ihn einzubohren vermögen, der härtere Gips aber macht jedes Vordringen unmöglich, voraus- gesetzt dass die Hülle nicht gesprengt wird. Soll der Guß eine unver- rückbare Widerlage sein, so muss der Verband durch hinreichende Dicke gegen eine Sprengung gesichert werden. Noch stärkere Wider- lagen sind durch Mengen von Gips und Portlandeement zu gewinnen. Von einer Beschreibung der zur Anwendung gekommenen Ap- parate sehe ich hier ab. Es genügt die Bemerkung, dass der Druck durch ein Federdynamometer bestimmt wurde. Die Konstruktion der zur Anwendung gekommenen Apparate, der Druckfeder zur Bestimmung des Längs- oder Spitzendruckes, der Schraubenklemme und des Zangen- apparates zur Messung des Radial- oder Querdruckes, schränkt die Fehlerquellen auf ein Minimum ein. Pfeffer wandte sich in erster Linie der Untersuchung der Druck- leistungen der Wurzeln zu. Eine freie Wurzelspitze übt im Erd- reich unter Umständen nur einen geringen Druck aus. Nicht nach Entwicklung ihrer höchsten Leistungsfähigkeit tendirt sie, wenn schon bei geringerem Drucke ein in den Weg sich stellendes Hindernis be- seitigt oder durchbrochen wird. Vermöge ihrer Biegsamkeit biegt sie und weicht sie aus, sobald sich auch nur ein mäßiger Druck ihr ent- gegenstellt. Ließ Pfeffer an seiner Druckfeder das auf 6 mm Länge freie Wur- zelende wirken, dann wurde in einem Versuche nach einigen Stunden ein Druckmaximum von 13,5 gr erreicht. Dann begann die Umbiegung, das Ausweichen der Wurzelspitze und nun ging der Druck, den die Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 179 wachsende Wurzelspitze ausübte, mehr und mehr zurück. Die nach- folgenden Zusammenstellungen geben die Resultate zweier einschlä- giger Versuche wieder. A. 13. Oktober 1892. B. 14. Oktober 1892. Zeit Druck Zeit Druck 1 Uhr — Minuten Abends 0 Gramm 8 Uhr 15 Minuten Morgens 0,8 8 en 5 ; 0,7 = 528 n ” PR 3 ” Er „ ” 4,5 ” 6) rn 55 ” ” 4,5 n Di 2 30 n ” 8,2 ” 9 „ 25 ” ” „o ” 4 LT PISE ” ” 11,2 ” 9 „ 9D B) ” 10,5 ” 1 SORNE a aa ats NL AIR A es 9 ” Er ” ” 6 ” 14 rn Eu 7° n ” 7,5 n 6 5 E n 3 10.,..— e Abends 4,50% Be) NIT ” ” 2,2 ” 3 Ehe ” n 1,5 n 8 UML Frl ” ” 1,5 ” Durch das Eingipsen aber wurde eine soleh vollständige Wider- lage gewonnen, dass weder ein Ausweichen, noch ein Herausschieben der gegen die Feder drückenden wachsenden Wurzel möglich war. So bestimmen also diese Versuche die maximale mechanische Leistung, welche von ihr ausgeübt werden kann. Wir stellen im Nachfolgenden einige Versuchsergebnisse zusammen, die sich auf den Längsdruck beziehen. I Wirksame Zone | Ver- Druck Druck RN > | \ Nr. | suchs- en Durch- Fläche | a pro in Atmo- | dauer er Spitze Messer 1 qmm sphären l ei | Faba vulgaris. 1 | 70 Stund. 6,2 mm 2,1 mm | 3,4qmm | 575g | 288g | 704 2 ae EN BO ee a er: 2a | WR TORE BRRC® F 7 RERDRBERBEN. Vi. 00 ET SA BER STR DR RR NN ga lan, 158 , MUS 6ARe 260,6 „| 100,2, | 9,7 Da | „Ava, 2 » 131» |2780,.|.8%7, | 8,49 Bag 5 1,2 3 226,0 „010200. „ 19,36 Zea mais 8 109,2, 12 a ee ae 5a ron 28,0, 1 12,39 Vicia sativa. al 4 „ 224 72 100,010 50 60,51, | 13 13,33 1141494) , 2,2 5 DS 4 0, 42,6, 85,3, 8,26 Aesculus Hippocastanum. 2 RZ 382 Er, 104 96 Die Druckzunahme ist während der Versuchsdauer keine gleich- artige. Zunächst ist sie sehr bedeutend. Sehr schnell aber wird sie kleiner, bis sie schließlich kaum mehr eine Zunahme zeigt. 12° 180 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. So war z. B. der Gang der Druckzunahme während der 70 Stun- den des ersten oben verzeichneten Versuches folgender: Zeit Dinck Druckzunahme pro 1 Stunde 26. Dez. 1892. 10%/, Uhr Morgens. Beginn des Versuches se An N „ Abends 40 „ ar: 69,3 , ee 6 n 5 101,3. 5, 8 n „ 132. = Zr 443, 10 5 B 10. — — — 140, 27. Dez. 1892. 7 » Morgens ee 12 n n U. — — — 27, 7 „ Abends 247 2 — —- — 095, 28. Dez. 1892. 8 „ Morgens 233. - —- — 060, 29. Dez. 1892. 8 a „ a ee en In dem Versuch Sa und 11 war folgender Gang zu beobachten: Zea Mais. Vicia sativa. \ ..., Druckzunahme . _ Druckzunahme Zeit Druck pro 1 Stunde = Pruek pro 1 Stunde 11./1.93. 10 Mo. 18./1. 93. 10Mo. 10Ab. 120 g ! 10Ab. 294g 42.1.9328 M02.120% 4,4 8 1921 17932.8 Mo 2948 6,4 8 7Ab.133,3 „) 20.1. 93. 8Mo. 35,3 „ 1331.93. 8M0.146,7 ..._ — 103, 21.1.93. 8Mo. 42,6 „ — 06, 44.11.93. 8M0. 157,3 „1.—4:0,97 „ 22.11.93. SMosn44;,1,, —”7 70.42, 15./1. 93. 8Mo. 160 a, So viel in Bezug auf den von den Wurzeln ausgeübten Längs- druck. Die Resultate des Querdruckes waren folgende: | Wirksame Zone ! Ver- ü Vesamt..| Bruck Druck Nr. | suchs- ee Länge Median- Das pro in Atmo- | dauer undLage | schnitt 1 qmm sphären I 1 I IL er ! - —— rer -y Faba vulgaris. 13 1167 Stund.leingegipst| O—8 mm | 29 qmm 1838| 6318 6,11 14511120. , 5 0-=3,9%, 11057 500 „ 47,6 „ 4,61 45701168 5; 5 0=-d1 99:67, 63,1,, 6,11 16 |14 5 5 062, 5112327, 542.0°,.1 1 44.4, 4,50 170 11642205 n 119,1 %1.19,9° 15 897,3. 2106,87 5,9 20’1210./0027, frei Far, 939,2,910223 2,16 Zea Mais. 21 1118 „. jeingegipst| 0—11,2,„ 11,0 „ | 749,3 „| 681, 6,59 Die volle Energie der aktiven Zellen wird dann nicht gemessen werden, wenn ein Teil derselben durch negativ gespannte Gewebe- massen aequilibrirt wird. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 181 Vergleiehen wir den Längs- mit dem Querdruck bei der gleichen Pflanze z. B. Versuch 5 mit Versuch 14, oder Versuch 8a mit 21, dann fällt sofort der nicht unbedeutende Unterschied in den Druck- größen auf. Im ersteren Falle steht dem Längsdruck von 8,49 Atmo- sphären nach 120 Stunden ein Querdruck von nur 4,61 Atmosphären gegen- über. Pfeffer will es trotz dieser erheblichen Differenzen unentschieden lassen, ob die Intensität des Querdruckes überhaupt geringer ist als jene des Längsdruckes. Denn es ist, wie nachfolgende Zusammen- stellung des Verlaufes von Versuch 14 und 21 lehrt, das Anschwellen des Querdruckes verhältnismäßig langsamer als das des Längsdrucker. Vicia faba. Zea Mais. c Druckzunahme h „1, Druckzunahme wu Druck pro 1 Stunde Zeit Drück pro 1 Stunde 12./XI.92. 8Mo. 21./I. 93. 10Mo. 9Ab. 339 g 9 Ab 604,6 13./X1.92. 8Mo. 341 „ 8,04 g 22./1.93. 8Mo. 604,6 „ 10,14 g 14./!X1.92. 8Mo. 386 „ ( 23.11.93. 8Mo. 604,6 „ Druck durch Anschrau- 24.11.93. 8Mo. 708,9 „ 1.39 ben gesteigert auf 25./1.93. 8Mo. 742,2 „ > 14.872.922 9M0. 1458), — ANA, , 26./1.93. 8Mo. 7493, — 03 „ 15./X1.92 8Mo. 483 „ 05 16./XI.92. 8Mo. 495 „k NR 17.|X1.92. 8Mo. 50, — 0,02 „ Dass bei solchen Druckwirkungen selbst harte Gipsverbände ge- sprengt werden können, hat wohl kaum etwas Auffallendes. So be- richtet Pfeffer, „dass z. B. ein Gipszylinder nach 14 Tagen gesprengt wurde, als in dessen Mitte sich die 40 mm lange Keimwurzel von Vieia faba befand, deren Medianschnitt 90 qmm betrug. Denn bei einer Intensität von 60 gr pro 1 qmm kam schon ein Gesamtdruck von 5,4 kg zuwege, der nach dem Gesagten aber wahrscheinlich all- mählich erheblich, ja vielleicht bis auf das Doppelte gesteigert wurde. In diesem Versuche handelte es sich schon um recht harten Gips, denn ein weicher Gipsguss wird unter den besagten Verhältnissen in den ersten Tagen gesprengt. Uebrigens ist zu beachten, dass in dem Gipsverband bald Nebenwurzeln erscheinen, deren gegen die Gips- wand wirkende Spitze in dem Gesamtdruck mit ins Gewicht fällt.“ In selbstregulatorischer Weise vermögen also wachsende Pflanzen bald ein größeres bald ein geringeres Maß mechanischer Energie zur Wirkung zu bringen. War nun auch hier gleich wie in so vielen an- dern Lebensvorgängen nicht eine lückenlose Einsicht in die ganze Kette von Vorgängen zu gewinnen, welche sich vom Anstoß bis zur mechanischen Ausführung abspielen, so konnten doch die nächsten, unmittelbar zur mechanischen Ausführung der Reaktion führenden Mittel aufgedeckt werden. Zwei Momente kommen in Frage, der Turgor, welcher aktiv thätig ist und die Entspannung der Haut, welche dazu dient, die osmotische Energie, den Turgor, gegen eine äußere 182 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Widerlage zu lenken. „Zu soleher Druckentwicklung gegen einen gebotenen Widerstand bedarf es keiner Erhöhung der Turgorkraft und thatsächlich tritt eine solche bei gewissen Pflanzen nicht ein.“ So tritt z. B. die Druckwirkung der Keimwurzel von Zea Mais ohne eine Turgorschwellung "ein. In anderen Pflanzen dagegen setzt sich die Reaktion gegen eine Widerlage aus Hautentspannung und Turgor- steigerung zusammen. Wird damit die potentielle Fähigkeit für Druck- leistung natürlich erhöht, so muss deshalb doch nicht die in einer andern Pflanze normal vorhandene osmotische Energie übertroffen sein und schon deshalb leuchtet ein, dass die relativ höchste Außenleistung nicht notwendig an eine Turgorsteigerung geknüpft ist.“ Wenn wir also die Turgorschwellung nicht als eine unumgäng- liche Bedingung der Druckwirkung erkennen, so muss anderseits die Entspannung der Haut, welche durch bleibende Verlängerung d.h. also durch das Flächenwachstum der Zellwand erzielt wird, als notwen- dige Bedingung konstatiert werden. Die Turgorhöhe wurde nach der eben merklich werdenden plas- molytischen Abhebung beurteilt. „Längere Längsschnitte aus der Wurzel wurden mit der Salpeterlösung injiziert und nach 20-30 Mi- nuten wurde dann untersucht, bis zu welcher Entfernung von der Wurzelspitze in einer größeren Zahl von Zellen Plasmolyse bemerkbar war.“ Als Maß dienten Lösungen von Kalisalpeter, die nur 0,5 Vo- lumprozente verschieden waren. Vieia faba wurde von Pfeffer in Bezug auf die Turgorverhält- nisse vor und nach dem Eingipsen untersucht. Die Differenzen sind aus nachfolgender tabellarischer Zusammenstellung ersichtlich: a be- deutet die Mittelwerte aus je 6 Wurzeln, die unter normalen Ver- hältnissen wuchsen, a’ die Mittelwerte aus 6 Wurzeln, welche 24—72 Stunden lang eingegipst waren. Entfernung von der äußersten Salpeterwerte in Volumenprozenten, welche Wurzelspitze in mm die plasmolytische Abhebung bewirkten a a’ 22. mm uni „em SEAT Bil2 an), 2. 3;,t, a, N ERDE ur RT Weder na dene reed; da ee I rar 18 unarwe Meilen ei AD ee Bere Keen ee ee 16 a Par ae Bar a and 19 sc rate Dale Erlen RR N, 20. 22 MON BR. Cie > I: snate aOnAN - hafrkade Trzssuh I ne EN ri Se Maos het me Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 185 Entfernung von der äußersten Salpeterwerte in Volumenprozenten, welche Wurzelspitze in mm die plasmolytische Abhebung bewirkten a a’ 10 mm 301, 4% gr, 206; 4,25 „ Shrts, Zuless; 45 „ Ten 2,75, 4,75, ER 2,85, 4,95 „ Hin; 3,15, Dal, Ah, 3,55 „ Hi RN BE Er 2 ING SE „Aus der Reihe a ist sofort zu ersehen, dass im normalen Wur- zeln der Turgor nach Vollendung des Längenwachstums sich konstant auf 2,5%, erhält, dann aber vom Beginn der Längsstreekung, also etwa 10 mm von der Spitze ab, langsam, späterhin schneller steigt und 2—3 mm von der Spitze 4°/,, den Maximalwert, erreicht. Nach vollendeter Turgorschwellung ist dieser Maximalwert etwas über 5%, gestiegen und der Turgor behält diesen Wert bis etwa 6 mm von der Spitze, dann fällt er allmählich und erreicht ungefähr 20 mm von der Wurzelspitze den Normalturgor ausgewachsener Teile.“ Die wesentliche Differenz zwischen den normal gewachsenen und den eingegipsten Wurzeln besteht also darin, dass bei den letzteren der Normalturgor von der Wurzelspitze hinweg verrückt ist. Eine weitere beachtenswerte Differenz besteht darin, dass die Turgor- schwellung auch Wurzelstrecken ergreift, deren Längenwachstum zur Zeit des Eingipses vollendet war. Die größte Turgordifferenz ist etwa 7 mm von der Spitze entfernt, d. h. etwa an der Stelle, welche zur Zeit des Einbettens in der stärksten Längenstreekung sich befand. Wir haben oben schon erwähnt, dass die Reaktion der Keimwurzel von Zea mais von keiner Turgorschwellung begleitet ist. Dafür ist der Turgurwert auch ohne die Schwellung ungefähr jenem der Turgor- schwellung bei Vicia faba gleich. Eine andere Differenz der Turgor- verhältnisse von Zea mais gegenüber Vicia faba besteht darin, dass verschiedenen Gewebepartien ungleieher Turgor zukommt. Die in der Tabelle für V. faba angegebenen Turgormaße beziehen sich auf das mittlere Rindenparenehym. In der nachfolgenden Zusammenstellung bedeuten die Zahlen unter a die Maße des Turgors des mittleren Rindenparenchyms, jene unter a‘ die bezüglichen Werte für das Mark. Entfernung von der äußersten Salpeterwerte in Volumenprozenten, welche Wurzelspitze in mm die plasmolytische Abhebung bewirkten a a’ man ln en) Er ach eanel Ve et. (12.0: Golem 184 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysivlogie und -biologie. Entfernung von der äußersten Salpeterwerte in Volumenprozenten, welche Wurzelspitze in mm die plasmolytische Abhebung bewirkten a a’ 19. Emm. Se ee N ale 1A |..% ee. 2 22:0 a ala: 13.0 a. «Ds ee a ll ee, oh ee eo en 5 ED. re a DEN Dim 20 ER ER OFT Er N, 5 2.0.8 DR, { 2er 3,8 By, 3.08;; . 4 ul; B. Kstyrlilsh yegacuneh ES aa ta TR A Arsch. ah aneudloDier San. Baur, uldyakiiee aa 0 Dar Den var anal ee 1:03. 1serfanch ah maralles >o kommt also dem Mark ein höherer Turgor zu als der Rinde. Außer Mais ergaben alle untersuchten Wurzeln eine Turgor- schwellung. Doch scheint jene für Faba von keiner der geprüften Wurzeln übertroffen, von den meisten aber nicht erreicht zu werden. „Annähernd gleiche Höhe mag diese Turgorschwellung bei Lupinus albus, vielleicht auch bei Vici/a sativa erreichen. Dagegen dürfte der maximale Steigerungswert für Helianthus annuus, Polygonum fagopyrum, Brassica Napus, Sinapis alba, Ricinus communis geringer ausfallen und möglicherweise übersteigt die Zunahme in der Wurzel der letzt- genannten Pflanzen nicht wesentlich 0,5°/, Salpeter“. Die Entwicklung des höchsten Außendruckes hat die gänzliche Entspannung der Haut zur Voraussetzung, weil jener je um den Wert vermindert sein wird, den die Hautspannung beansprucht. Diese Entspannung der Zellhaut ließ sich nun in der That bei eingegipsten Wurzeln konstatieren. Gipst man eine Wurzel so in eine Gipsplatte ein, dass eine Längskante derselben hervorsieht und lässt nach Erstarren des Gipsgußes eine ca. 6proz. Salpeterlösung auf sie einwirken, so tritt in Folge der Aufhebung der Turgordehnung eine elastische Verkürzung längs des wachsenden Spitzenteiles ein. Ver- weilt aber die Wurzel in einem ringsschließenden Gipsverband während 2—3 Tagen, entwickelt also inzwischen einen allseitigen, hohen Druck gegen die Widerlage, dann wird nunmehr auch durch vollkommene Plasmolyse keine Verkürzung erzielt. Die Zellwände waren also ent- spannt. In der Natur hat die wachsende Wurzel nicht nur gegen unnach- giebige Widerlagen einzuwirken. Viel häufiger wird sich ihr ein Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 185 wechselnder Widerstand entgegenstellen. Mit dem Vordringen der wachsenden Wurzel ist eine bald größere, bald geringere Arbeits- leistung verbunden. Wie sich unter solchen Verhältnissen die Waclıs- tumsthätigkeit gestaltet, ist eine weitere Frage, die Pfeffer empirisch zu ermitteln sucht. „Ein Fortschieben der Widerlage wird natürlich erst möglich, nachdem die Wurzelenergie den Gegendruck erreicht resp. überschritten hat. Von nun ab hat die fortwachsende Wurzel, neben dem auf das Wachstum zu verwendenden Aufwand, auch die durch Wegstrecke und Last bemessene Arbeit zu leisten“. Um diese bestimmen zu können, wurden Wurzeln in ein meist 20 mm tiefes Loch eines Tonwürfels ein- gesenkt, durch Anpressen und Befestigen der Cotyledonen so fixiert, dass ein Herausschieben der Wurzel nicht eintrat. Gleiehtief wurden gleichartige Wurzeln in einen flüssigen Tonbrei eingesenkt. Mit Eisen- stäbehen wurde der Widerstand bestimmt, den die Tonwürfel dem Eindringen entgegensetzten. Derselbe betrug in den einen Versuchen 100—115 g, in anderen 120—140 g, in der weichen Tonmasse dagegen nur 1 g oder selbst weniger. In analoger Weise wurden Versuche mit einer 0,6 prozentigen eben noch des Gelatine und einer 13proz. Gelatine ausgeführt. Es mögen nun zunächst einige tabellarische Zusammenglellungen von Ver- suchsergebnissen folgen. Vieia faba. Versuch 23. Versuch 24. Bänge, bei et nach 23 St. Länge bei Zuwachs nach 48 St. in Beginn |weichem Ton hartem Ton if Beginn ‚weichem Ton| hartem Ton 26 u. 2>mm 16,5 mm 12 mm 30 u. 31 mm 40 mm 30 mm AU 2 TIER: 115, DOLUS SE 382, 2ER" Bl able 211%, 11, 48 u. 50 „ Sr 2) SIOUuss32 E28 Ir des 60 u. 59 „ ud 23 SORUESAHE, 1499, 11,52, AU Ale, 1a 2, AsmumAbar, IS 12,5, 117,0 mm 87,0 mm 149,5 mm 102 ieh: en harter Ton Mittel für 1 Wurzel in 23 Stunden . - : . . . .| 16,7 g 12,4 8 % | x in 24 5 .| Idee 12:9, Von 1 Wurzel in 24 Stunden Aa) Aa Ka | waderstand, = 1 rund 100.2) 2 wen ar SATA 5 1290 „ Temp. 17,8—18,4 Sn 107452 Mittel für 1 Wurzel in 48 Stunden Rus Fair ei Be 29,8, 8 < a i in 24 Stunden... 2.» IKShl 12,70, Arbeit 1 Wurzel in 24 St. (Tonwiderst. = 1 u. 120 * 18,7, 1524 „ Temp. 17,8—19° C 12.8159 186 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Zea mais (Versuch 27). ' Zuwachs in 24 Stunden in Länge ber Beginn Ih weichem Ton | hartem Ton 31 und 33 mm ı 225 ’mm 2° 16mm 36 en | 20. nen sölitgT7i | abi 180, 42 tu u40ih, Bhıyz Te r® | 84 „ 64 „ Mittel für 1 Wurzel in 24 Stunden . . . u. fie Alien lo Arbeit 1 Wurzel in 24 St. (Tonwiderst. 1 u. w g) 21 Gramm. 1120 Gramm Temp. 19,4° — 20,6° C 1.7533 Aus diesen Zusmmenstellungen ergibt sich, dass sowohl die Wurzel von Viecia faba als auch von Zea mais durch den Widerstand, der der wachsenden Wurzel in der harten Tonmasse entgegensteht, in ihrem Zuwachs eine Verzögerung erfährt. Die Differenz ist allerdings nicht so groß, wie es den Anschein hat. „Es ist nämlich zu bedenken, dass die Verlängerung so lange gänzlich stille steht, bis die Wurzel eine dem Widerstand gleiche Energie nach außen entwickelt hat. Erst dann beginnt das Fortschieben der Last und das Längenwachstum, das nun mit annähernd gleicher Schnelligkeit fortgesetzt wird. Für den Zuwachs ist also nicht die ganze, sondern die um die Hemmungs- phase verkürzte Versuchszeit in Rechnung zu ziehen“. Diese Hem- mungsphase, während welcher für Vicia faba eine Turgorsehwellung und zugleich teilweise Hautentspannung sich vollzog, dauert ca. 4 bis 5 Stunden. So würde also z. B. im Versuch 23 der Zuwachs von 12,9 mm auf 20 Stunden zu beziehen sein, somit der Zuwachs für 24 Stunden 15,5 mm betragen. In Gelatine ergaben sich folgende Zuwachsverhältnisse für Vicia Faba. Zuwachs nach 24 Stunden Länge bei Beginn | in 0,6%, | in 13°], | Gelatine | Gelatine 28 und 26 mn | 10220 mm 18.5 mm Inne Bar lie le Se Isa a Gun AI [NR TTEREERE FREE 23 76,5 n | 72 „ Mittel für {1 Wurzel in 24 Stunden ; AR bee 18 Arbeit 1 Wurzel in 24 St (Gelatinewiderst. 1 u.25 g) | 191 Gran 450 Gramm Temp. 18,10 — 19,2° C 23,0 | || | Die konsistente Gelatine bot dem Vordringen einen Widerstand von 25 &. Derselbe dürfte eine Verzögerung der vollen Wachstums- schnelligkeit von 1—2 St. bewirkt haben. Unter dieser Annahme be- steht eine Differenz im Zuwachs in weicher und konsistenter Gelatine Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 187 nieht mehr. Wir dürfen also annehmen, „dass die Wachstumsschnellig- keit in der Wurzel von Faba (bei Anrechnung des Latenzstadiums) durch einen konstanten Widerstand von 25 g nieht oder kaum, durch einen Widerstand von 100—120 & zwar merklich, jedoch in einem geringen Grade verlangsamt wird und dass sich in letztgenannter Hinsicht die Wurzel von Mais ähnlich verhält. Mit höherem Wider- stand wird voraussichtlich, sowie für die Druckentwicklung, auch für die Wachstumsschnelligkeit eine Beschleunigung der Abnahme ein- treten“. So wächst also die Außenarbeit nur bis zu einer gewissen Grenze proportional dem Widerstand. Aus den oben angegebenen Versuchsresultaten geht aber schlagend hervor, in welch hohem Maße die Außenarbeit mit dem Widerstande wächst, wie sie z. B. in einem Falle 81 Mal größer ist, als da, wo der Widerstand sehr minim ist. „Die Pflanze vermag also die Arbeitsthätigkeit zu steigern, denn eine solche Steigerung ist notwendig, um neben der fortdauernden Wachstumsarbeit einen entgegentretenden Widerstand vor sich her zu schieben. Dem Wesen der Sache nach verhält es sich wie mit einem Menschen, welcher außer dem zur eigenen Fortbewegung stets not- wendigen Energieaufwand seine Arbeitsleistung entsprechend steigern muss, um nach dem Aufladen einer Last auf derselben Wegstrecke in derselben Zeit auf eine Anhöhe zu gelangen. Ebenso wie die Pflanze hat aber auch der Mensch und jede Maschine nur eine endliche Leistungsfähigkeit und bei genügender Last (Widerstand) wird eine Fortbewegung ganz unmöglich. Bei etwas geringerem Widerstande aber muss der Gang verlangsamt, d. h. die für eine Wegstrecke nötige Zeit verlängert werden, um mit der zur Verfügung stehenden Energie vorwärts kommen zu können, und in diesem Sinne ist auch die Ab- nahme der Wachstumsschnelligkeit der Pflanze bei Zunahme des Wider- standes zu betrachten. Und wie der Mensch ökonomischer Weise den bequemsten Weg einschlägt, so kommt es auch in der Pflanze nur dann zu hoher und höchster Außenleistung, wenn ein Umgehen der Hindernisse durch die Zwangslage unmöglich gemacht ist“. Eine selbstregulatorische Thätigkeit besteht also auch für die Pflanze. Die Widerstände sind die sie auslösenden Reize. Diesen Reaktionsprozess in allen seinen Phasen und Beziehungen zu erleuchten ist zwar ein Ziel physiologischer Forschung, zur Zeit aber sind nur die zur unmittelbaren Ausführung benutzten Faktoren zu präzisieren. „In diesen, dem Flächenwachstum der Haut und der Turgorspannung, begegnen wir den auch im Wachstum dienstbaren Mitteln, die hier zu dem besagten Reaktionszwecke nutzbar gemacht werden“. Wie also der Mensch für die erhöhte Arbeitsleistung nur die üblichen Energie- quellen nutzbar macht, so auch die Pflanze. Natürlich wird ein höherer Gesamtaufwand von Energie gefordert werden, wenn zu dem fort- 188 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. dauernden Wachstum noch Außenarbeit hinzukommt. Wahrscheinlich wird mit dem energischeren Energieumsatz in Folge erhöhter mecha nischer Inanspruchnahme in der Pflanze eine Vermehrung der Atmungs- thätigkeit Hand in Hand gehen. „Nimmt der Turgor in der Reaktion gegen die Widerlage zu, so ist damit eine gesteigerte Produktionsthätigkeit osmotisch wirkender Substanz direkt gekennzeichnet. Denn eine entsprechende Mehrpro- duktion ist notwendig, um bei gleichem Zuwachs den auf höheres Niveau gehobenen Turgor konstant zu halten“. Auf die Beziehung des Flächenwachstums der Zellhaut, welches zu einer Entspannung führt und dadureh indirekt an der Außenarbeit bethätigt ist, werden wir später eintreten. Verfolgt man die durch den als Reiz wirkenden Widerstand aus- gelöste Thätigkeit immer weiter zurück, so werden wir schließlich auf chemische Umsetzungen geführt. — Die Einbettung im 13proz. Gelatine, wobei nur die äußerste Wurzel- spitze freigelassen wurde, lehrten eine eigentümliche korrelative Ver- schiebung der Wachstumsthätigkeit kennen. In der Erde wachsende Wurzeln von Vieia faba haben in einer 2—4mm von der Spitze entfernten Zone die größte Zuwachsschnellig- keit. Experimentell lässt sich dieses natürliche Verhalten in folgender Weise erzielen. Eine 40 mm lange Keimwurzel wird in die schon er- starrte Gelatine so eingestoßen, dass sich 34 mm in ihr befinden. Durch Markierung verschiedener Zonen lässt sich folgender Zuwachs der einzelnen Zonen nach 24 Stunden konstatieren: Lage der Zone | Zuwachs in 24 Stunden 0—1,46 mm 0,59 mm 1,46—5,16 „ 13,297, 5,16—9,42 „ 2.08... 9,42—13,42 „ 0,26. Von dem genannten Zuwachs von 10,52 mm, der nach 24 Stunden zu konstatieren war, fällt also nur der kleinste Teil, nur etwa '/,, auf Zuwachs des Spitzenteiles, weitaus der größte Teil dagegen auf jene Zone, die auch unter natürlichen Verhältnissen den größten Zuwachs erfährt. Ganz anders, wenn die Wurzelspitze frei ist. Wir stellen im nach- folgenden den Versuch 31 zusammen. Von der 37 mm langen Keim- wurzel befinden sich 30 mm in Gelatine. (Siehe nächste Seite.) Aus (dieser Zusammenstellung erkennen wir, dass die Wurzelspitze, ddie I. Zone, in 24 Stunden: einen Zuwachs von 16,52 mm erfuhr. Die Zunahme der Zone II—V betrug aber während der Versuchszeit 0,51 mm. Die Zone schnellsten Zuwachses ist also gegen die äußerste Spitze Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 189 der Wurzel verschoben. „Wir begegnen also hier einer ausgezeichneten korrelativen Wachstumsverschiebung, durch welche erreicht wird, dass | - SE Fermen Sue SB Seel I: das Lage der Zone SB8= = SS IS = ee = SE | En] | | | ! . a | Beeren > | anele | 0m mm |mm mm mm mm| mm jmm mm|mm| mm mm Re 0—0,58 mm | 0,58 |0,5810,580,63 1,431: 17,1 117,9 IT 0,58—1,21 „ | 0, 63 ‚0,63 0,67 0,71 0,71 % 67/0, 67 ö, 67 ö, 67. 0,67 10,67 III Her | 3.96 13,96 4,09/4,10 3,96 3.913, 8713,87|3,78 3,87 13,87 IV 9,17—9,76 5 46 14,684,9 4,9 '4,955,045.0415,0415,04 5,17 15,17 V 9,76—14,62 „ 4,85 14,81 14,85.4,85 4,81/4.85/4,85]4,35|4,85| 4,85 [4,85 der Gesamtzuwachs nur mäßig verringert wird, wenn auch der Zu- wachs in der normalwachstumsthätigsten Boston mechanisch vollkom- men gehemmt wird. Denn nun erfährt der sonst sehr langsam sich verlängernde äußerste Spitzenteil eine solehe Beschleunigung, dass er den ausfallenden Zuwachs beinahe kompensiert“. Der vorderste Spitzenteil der Wurzel, das Urmeristem, vermag schon diese kompensierende Wachstumsthätigkeit zu entfalten. Denn als in einem Versuche (32) die I. Zone nur 0,46 mm lang war, d.h. etwa der Wurzelhaube gleichkam, betrug der Zuwachs in 24 Stunden doch 15,3 mm, der Zuwachs der übrigen Teile (0,45—12,69 mm) aber nur 0,54 mm. Hört die Zwangslage auf, dann rückt die Zone lebhafter Streckung rasch von dem Scheitel weg. Die biologische Zweckmäßigkeit dieses beschleunigten Wachstums der Wurzelspitze ist einleuchtend. Denn wenn z. B. eine Wurzel in einem engen Steinloch festgehalten wird, so wird sie durch beschleu- nigtes Spitzenwachstum in ähnlicher Weise ins Freie gelangen wie eine Wurzel, die bis auf den äußersten Spitzenteil in Gips fixiert ist. In einem weiteren Abschnitte seiner Untersuchungsreihen sucht Pfeffer die Wachstumsthätigkeit einer Wurzel zu bestimmen, die eingegipst war. „Zunächst verlängert sich die Wurzel nach dem Be- freien aus dem Gipsverbande so lange, bis die Hautspannung der Turgorkraft äquivalent ist. Darauf wird das zwangsweise unterbrochne Wachstum wieder aufgenommen und somit die wichtige Thatsache festgestellt, dass die Gewebe der Wurzelspitze in wachstums- und bildungsfähigem Zustande verharrten“. Es erstreckt sich allerdings diese Wachstumsfähigkeit auf eine kürzere Strecke als unter normalen Verhältnissen. „Letztere ergaben für Vie/a faba für die wachstums- fähige Zone eine Länge von 10—13 mm, während diese Zone nach 2—-3tägigem Eingipsen auf 5—6 mm, nach 25 Tagen auf 3 mm zurück- gegangen war. Analog war nach 2—3tägigem Eingipsen die Zuwachs- zone annähernd auf die halbe normale Länge reduziert bei den Keim- wurzelun von Mais (normale Länge 6—7 mm), Pisum sativum (normal 190 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 7—9 mm) und Vicia sativa (normal 7—8 mm)“. Die Ursache dieser Verkürzung ist darin zu sehen, dass die Ausbildung von Dauergewebe gegen die Spitze zu allerdings je nur bis zu einer bestimmten Grenze fortschreitet. War eine Wurzel längere Zeit eingegipst, dann ist der Gesamt- zuwachs anfänglich kleiner als später. Ich füge hier die Ergebnisse des Versuches 34 an. Vorübergehend eingegipste Wurzeln. Nach 48stündigen Eingipsen. Zuwachs in den Zuwachs in den Zuwachs in den Zuwachs in den ersten 24 St. folgenden 24 St. ersten 24 St. folgenden 24 St. 26 mm 26 mm 10 mm 19 mm 27,514 24,5, allınıy 2RHAT 2Alcy 20455 14 „ 26H, Als Am 8. 5 2341 21T, Ze 13,0% 20 Mittelfür1 Wurzel Mittelfür1 Wurzel Mittelfüri Wurzel Mittel füri Wurzel 23,9 mn 22,3 mm | 11,2 mm 23,2 mm Es mag hier der Ort sein einige Bemerkungen über anderweitige Einflüsse des Reizes der Widerlage zu besprechen. Bereits ist der Ausbildung von Dauergewebe, das gegen die Wurzelspitze vorrückt, gedacht worden. Es mag noch bemerkt werden, dass dabei Zellen ohne Verlängerung in den Dauerzustand übergehen, welche ohne diese mechanische Hemmung auf die doppelte Länge herangewachsen wären. Wie die Ausbildung des Dauergewebes so rückt auch die Bildung der Nebenwurzeln der Spitze näher. Unter den normalen Wachstums- verhältnissen in der Erde entstehen die ersten Nebenwurzeln in einem Abstande von 50—70 mm, während an eingegipsten Wurzeln von Vieia faba der Abstand schließlich nur 4 mm beträgt, Ganz analog ver- hielten sich die übrigen Versuchspflanzen. Auch von anatomischen Veränderungen wird das Eingipsen der Keimwurzeln begleitet, wenn dieses von hinlänglicher Dauer ist. In Keimwurzeln von Vicia faba waren nach 15—27tägigen Eingipsen ausgebildete Tüpfel- und Spiralgefäße nur 1,1 mm von dem Scheitel- punkt des Wurzelkörpers entfernt. In normalen Wurzeln dagegen er- reichen diese Gefäße erst 25—35 mm von der Spitze entfernt eine gleiche Ausbildung. „Nach dem Aufenthalt im Gipsverband bietet also ein Querschnitt einige Millimeter hinter der Wurzelspitze im wesentlichen den Bau, welcher in normalen Wurzeln erst 30—50 mm weiter rückwärts er- reicht wird und diese Aehnlichkeit erstreckt sich auch darauf, dass in beiden Schnitten gleichartige Elementarorgane dieselbe Ausbildung der Zellwand besitzen. Zur Erreichung dieses Zieles genügt die acropetale Verschiebung der Gewebedifferenzierung und auf auffällige anderweitige Effekte durch die mechanische Hemmung ist im diesem Falle inbezug Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 191 auf die Ausbildung der Zellwände nicht zu schließen. Diese Erfahrung darf jedoch nicht verallgemeinert werden, da es sehr wohl möglich ist, dass andere Objekte ein abweichendes Resultat ergeben. Denn so gut wie ein gesteigerter Zug eine Verdiekung gewisser Elemente zu veranlassen vermag, ist es auch möglich, dass die nachlassende Gewebe- spannung oder der gesteigerte Druck die Veranlassung für Ausbildung diinnerer oder diekerer Wände werden“. Die Versuche mit Keimstengeln ergaben analoge Resultate, wie sie im Voranstehenden für die Keimwurzeln geschildert wurden. Ueber die Druckverhältnisse, wie sie durch eingegipste Stengel geschaffen werden, geben folgende Tabellen Auskunft. Längsdruck von Keimstengeln. e | Wirksame Zone | | i | Ner; ls Entfor: kGesamt., ‚Dzuck | Druck Nr suchs- nung von Durch- | Fläche | druck pro in Atmo- dauer Spitze messer ' 1 qumm | sphären | ee | "aba vulgaris. 35 167 Stund.| 9 mm 5 mm [19,6 qumm| 1190 g | 60,78 | 5,88 Helianthus annuus. 36 1,92 Stund.| 3 mm 72,6 mm 5,2 qumm| "400 8 | 76,9°8,#] 7,45 Querdruck des Keimstengels. Wirksame Zone | N Versuchs- | | Median. | Fesamt- | = | AR Nr. 3 2 ; daneı | Lage schnitt druck | 4 | an _ Faba vulgaris. 142 Stunden | 5,5—13 mm | 37,5 qumm | 2154 g | 57,58 | 5,56 wo I Die Turgorverhältnisse der im Gipsverband befindlichen Keim- stengel sind jenen der Wurzel ähnlich. Es kommt eine ansehnliche Turgorschwellung zu Stande; ebenso ist sie bei Phuseolus multiflorus vorhanden, während sie bei Helianthus annuus kaum nachweisbar ist. In nachfolgender Zusammenstellung beziehen sich die eingeklammerten Zahlen auf die während 2—4 Tagen eingegipsten Pflanzen. Keimstengel von Vicia faba: 0,5 mm von der Spitze 5°, (Salpeter- lösung zur Plasmolyse mittlerer Zellen des Rindenparenchyms) [5,5%]; 20 mm 4°, [5,5%]; 40 mm 3°, [4%]; 70 mm 2,5%, [2,5]. Keimstengel von Phaseolus multiflorus: 1—2 mm vom Scheitel- punkt 4°], [4,5%]; 30 mm 3°, [3,5%]; 60 mm 2,5%, [2,5]. Bezüglich der Entspannung der Zellhaut gilt für den Stengel wieder im allgemeinen das früher gesagte, indem „analog wie bei den Wurzeln, bei Aufenthalt in Gips die Zellwände fortfahren zu wachsen“. Die anderweitigen Veränderungen, welche sich an eingegipsten Stengeln vollziehen, sind ebenfalls jenen der eingegipsten Wurzeln 199 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. ähnlich. So wird z. B. die wachstumsfähige Zone verkürzt, die Gefäß- bündel rücken, wenn auch weniger ausgesprochen als an den Wurzeln gegen den Vegetationspunkt vor. Ich übergehe die Versuche mit Algen und wende mich den Ver- suchen die Pfeffer mit Grasknoten ausführte zu. Ist ein Pflanzenorgan bestrebt sich zu krümmen, stößt aber dabei auf einen Widerstand, dann wird die geleistete mechanische Außen- leistung in jenen Fällen bedeutend werden, in denen ein Ausbiegen nicht möglich ist. Die Stengel, die biegungsfester sind als die Wurzeln, werden also bei geotropischen Krümmungen durch besondere Arbeits- leistungen ausgezeichnet sein. Die Knoten der Grashalme erwiesen sich nun als besonders günstige Objekte zur Bestimmung der geotropischen Außenleistung. Die geo- tropische Autwärtskrümmung des Halmes wird nur in den Knoten allein ausgeführt. „Diese bewahren, nachdem sie in normaler Vertikal- stellung ausgewachsen sind, die Fähigkeit, durch den geotropischen teiz das zur Krümmung führende Wachsen aufzunehmen, eine Fähig- keit, die erst im höheren Alter erlischt und die auch nur eine begrenzte Verlängerung, also nicht eine öftere Wiederholung der geotropischen Krümmung gestattet“. Nur der Blattknoten, d. h. der der Blattscheide angehörende Teil des Knotens ist geotropisch thätig, während der um- schlossene Stengelteil rein passiv ist und deshalb im Alter der ange- strebten Krümmung unter Umständen einen sehr bedeutenden Wider- stand entgegenstellt. In folgenden Tabellen stellen wir die Ergebnisse zweier Versuche (38 und 42) zusammen. Im ersten Falle, Triticum spelta, war der Knoten 4mm lang. In der Mitte hatte er einen Durchmesser von 4,2 mm. Der Querschnitt im Blattteil des Knotens betrug 11,5 qumm. Es wurde ein Enddruck von 71,6 g bestimmt, der an einem Hebelarm von 435 mm wirkt. Die für ein qumm entwickelte Energie beträgt 141,7 g = 13,7 Atm. Dritek Druckzunahme Zeit pro 1 Stunde 13. Juli 1892 3 Uhr Abends A D) n 19,5 gı JAuze » 6 „ Morgens 40,7 „I 1,93 8 TO 0 n 56,0 u; 0,63 » 16. „ » 6 ” „ 63,6 „NM 0,32 „ 4%. n n 6 » = 69,7 en ) 0,25 ” FR 5 70,5 | 0,03 „ 19. , Se : 71,2 \ 0,03 „ DON, 6 hun, # 71,6,| 0902, Für Zea mais wurde mittels des Hebeldynamotmeters eine Energie von 67,8 pro 1 qumm — 6,6 Atm. bestimmt. Folgendes war der Gang des Druckes: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 195 Druckzunahme Druck < Zeit pro 1 Stunde 25. Juli 1892 3 Uhr Abends 20 „» 6°, "Morgens 180 g \ 3 8 Mann CE Ole, " 296 » y Fr 58 B) Dos: tler n 339% A P ” he Be PA n 02 \ 0,83 „ der Druckintensität Der geringere Wert, welcher hier gefunden wird, ist vielleicht nicht der Ausdruck geringerer Kraftleistung, da bei der Rechnung der ganze Querschnitt zu Grunde gelegt wurde. Bezüglich der Turgorverhältnisse stellte Pfeffer fest, dass eine Entspannung der Zellwände eintritt, welche unter Umständen (Hordeum voulgare) von einer Turgorschwellung begleitet sein kann. Die Turgorverteilung ist unter normalen Verhältnissen im Knoten eine sehr ungleiche. So ist der plasmolytische Grenzwert des Außen- parenchyms (z. B. bei Hordeum) in der Knotenscheide 5-9, jener des interfaseieularen Parenchyms 8—-12°%, Kalisalpeter. Auch ohne Turgorsteigerung ist derselbe also so hoch, „dass in jedem Falle eine höhere osmotische Energie zur Verfügung steht als in den Wurzeln“. Das Verständnis der Uebertragung der Turgorenergie gegen die Widerlage, wodurch die Außenleistung erreicht wird, macht eine kurze Besprechung der anatomischen Verhältnisse notwendig. „Der allein aktive Blattteil des Knotens wird von ringförmig angeordneten Leit- bündeln durehzogen, welche durch das umgebende dünnwandige Parenehym in Zugspannung versetzt sind. Beim Isolieren verlängert sich dieses positiv-gespannte Parenehym um 30 -40%,, während das Leitbündel sich um weniger als 1, ... verkürzt“. Ihrer Hauptmasse nach bestehen die Gefäßbündel aus diekwandigen Collenchymsträngen, die also als feste Pfeiler die dem Blattknoten sich anschließenden Gewebemassen verbinden. Unter normalen Verhältnissen ist in dem parenchymatischen Grundgewebe des Blattknotens die Zellwand völlig entspannt. Die so freigewordene Energie wird dureh die negative Spannung des Collenchymstranges im Gleichgewicht gehalten. „Diese ganze Energie wird nun, indem das Gefäßbündel wächst — das Collenehym aber ist ein wachstumsfähiges Festigungsgewebe — allımäh- lich ihrem vollem Betrage nach gegen eine unverrückbare Widerlage gelenkt, gegen welche dann ferner auch noch das Collenchym aktiv pressend wirkt“, „Die frühere Gewebespannung im Knoten ist nunmehr gänzlich verschwunden, kehrt aber bei Wegnahme der Widerlage sofort wieder, indem das hoch elastische Gefäßbündel bei minimaler Verlängerung die angestrebte Ausdehnung des positiv-gespannten Parenehyms unmög- lich macht. Dieses wirkt also gegen die Gefäßbündel in einem ana- logen mechanischen Sinne, wie eine wachsende Wurzel, die den um- XIV. 13 4 Blochmann, Kernteilung bei Euglena. hüllenden Kautschuckschlauch durch die volle nach außen gewandte Turgorenergie in Zugspannung versetzt, während zugleich durch den Gegendruck des negativ-gespannten Schlauches das fernere Wachstum unmöglich gemacht wird“. (Fortsetzung folgt.) Ueber die Kernteilung bei Euglena. Von F. Blochmann. Wie ich in Nr. 3 dieser Zeitschrift mitteilte, hatte ich schon vor längerer Zeit Karyokinese bei Polytoma wvella und Monas viviparu beobachtet. Ich veranlasste daraufhin einen meiner Schüler, Herrn Keuten, die Kernteilung bei den Flagellaten etwas eingehender zu untersuchen. Als erstes Material wurde die leicht zu beschaffende Englena viridis verwandt, welche in einem Tümpel mit Trachelo- monas volvocina und einigen anderen Euglenen besonders velata deses und spirogyra, die aber gegen die zuerst genannten Formen an Zahl zurücktraten, in großer Menge vorkam. Unsere Untersuchungen waren gleich von Erfolg gekrönt. Herr Keuten wird in Kurzem eine aus- führliche Darstellung der Kernteilung bei Euglena geben. Ich teile das Wesentliche hier mit, weil ich aus einer Notiz von OÖ. Zacha- rias!) ersche, dass auch von andrer Seite auf diesem Gebiet gear- beitet wird. 4. ER o% Z N um, 2). «il iin Hm N} nl Ener re Etwas schematische Darstellung der Kernteilung von Kuglena unter Zugrunde- legung von Schnitten durch E. velata. Fig.1. Kern im Ruhezustand; Fig. 2—8 eine Reihe von aufeinanderfolgenden Teilungszuständen; Fig. 9 abnormer Kern. Das Ergebnis unserer Untersuchungen entsprach meinen Erwar- tungen. Die Teilung des Kernes bei Kuglena und Trachelomonas ver- läuft unter den Erscheinungen der Mitose. Dabei kommen aber doch Besonderheiten vor, die das größte Interesse beanspruchen. 1) Forschungsberichte der biol. Station Plön. Blochmann, Kernteilnng bei Huglena. 195 Der Kern der von uns untersuchten Euglenen und von Trachelo- monas zeigt im huhezustande das schon öfter geschilderte in Fig. 1 dargestellte Verhalten. Er enthält einen ansehnlichen centralen Kör- per, den sogenannten Nucleolus, der aber, wie die Darstellung des Teilungsvorganges beweist, hier wohl als etwas anderes zu be- trachten ist, als die Nucleolen in anderen Fällen. Dieser Nueleolus wird umgeben von einem ziemlich dieken Mantel von ehromatischer Substanz, die aus kleinen, stäbehenförmigen, intensiv sich färbenden Körperchen besteht. Ob diese durch Linienfäden verbunden sind, lässt sich am normalen Kern nicht so ohne weiteres entscheiden, wird aber höchst wahrscheinlich durch gewisse abnorme Umbildungen des Kerns, die unten noch erwähnt werden sollen, und durch die Analogie mit anderen ähnlichen Verhältnissen. Umschlossen wird das Ganze von einer sehr zarten, schwer nachweisbaren Membran, welche bei der Teilung leichter sich erkennen lässt. Den Anfang der Teilung beobachteten wir m unseren Kultur- gefäßen gegen Abend. Die Kerne werden größer, was hauptsäch- lich durch Umbildung der Chromatinmasse bedingt wird. Die vorher kurzen Stäbchen haben sich in etwas längere und gekrümmte Fädchen umgewandelt, die weiter auseinander gerückt sind. Vielfach bemerkt man in diesem Stadium schon eine beginnende Streckung des Nucleolus. Schließlich wächst derselbe zu einem an beiden Enden etwas ver- diekten Stäbchen aus (Fig. 2). In einem folgenden (Fig. 3) bildet der Kern ein Rotationsellipsoid, dessen kurze Axe von dem Nucleolus- stäbchen gebildet wird. Dann gruppieren sich die Chromosomen zu der Aequatorialplatte (Fig. 4). Diese zerfällt dann unter weiterer Verlängerung des aus dem Nucleolus hervorgegangenen Stäbehens in die zwei Tochterplatten (Fig. 5). Das Verhalten der chromatischen Elemente konnte bis jetzt noch nicht vollständig ermittelt werden, weshalb ich ein genaueres Eingehen auf diese Verhältnisse unterlasse. Wahrscheinlich findet eine Längsspaltung der Chromosomen statt. Indem die Tochterplatten noch weiter auseinanderrücken, nimmt der ganze Kern eine hantel- förmige Gestalt an (Fig. 6). Dabei wird das Nucleolusstäbehen in der Mitte sehr verdünnt. Auf diesem Stadium kann man sich über- zeugen, dass die Kernmembran erhalten bleibt, in ähnlicher Weise, wie es seinerzeit von Schewiackoff für Kuglypha alveolata schilderte. Schließlich wird der Kern in der Mitte durchgesechnürt und aus den beiden Hälften gehen die Kerne der beiden Tochterindividuen hervor, wobei jede Hälfte des ursprünglichen Nucleolus zu dem Nu- cleolus eines neuen Kernes wird (Fig. 7. 3). Es ist bis jetzt nicht gelungen Spindelfasern zur Ansicht zu bringen, so dass man vorderhand annehmen muss, dass dieselben fehlen und durch den stabförmigen Nucleolus ersetzt werden. Wie l3= 196 Blochmann, Kernteilung bei Euglena. schon durch frühere Untersuchungen bekannt ist, färbt sich der Nucleolus recht intensiv, mit Carminlösungen sogar intensiver, als die chromatische Substanz. Bei Hämatoxylinfärbung lässt sich jedoch leicht erkennen, dass er einen anderen Ton annimmt, als die chro- inatischen Elemente. An Chromosmiumessigsäurematerial ist die Färb- barkeit des Nucleolus sehr herabgesetzt oder ganz verschwunden. Er erscheint dann in den Spindeln als blasses Stäbehen. Bei Doppel- färbung durch Orange G-Hämatoxylin wird der Nucleolus intensiv orangegelb gefärbt, während die chromatische Substanz durch das Hämatoxylin sich schön blau färbt. Solche Präparate sind sehr in- struktiv und äußerst elegant. Wie die vorstehende kurze Darstellung der Kernteilung von Kug- lena (genau dasselbe gilt für Trachelomonas) zeigt, handelt es sich dabei sicher um eine Mitose, aber doch immerhin um einen bis jetzt fast vollständig isoliert dastehenden Fall von Mitose. Das einzige, was sich damit meines Wissens einigermaßen vergleichen lässt, sind die vor kurzem mitgeteilten Beobachtungen von Lauterborn!) über die Kernteilung bei Diatomaceen. Was Lauterborn mit Hermann „Centralspindel“ nennt, hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem aus dem sog. Nucleolus der Euglenen hervorgehenden Axenstäbchen der Spindel. Allerdings entsteht die „Centralspindel“ bei den Diatoma- ceen außerhalb des Kernes und tritt erst nachträglich in nähere Be- ziehung zu den chromatischen Eleinenten. Ferner konnte ich an dem Axenstäbchen der Euglenen keine Längsstreifung erkennen. Uentrosomen und Polstrahlung wurde bis jetzt bei den Euglenen vergeblich gesucht. Allerdings sind sie dazu auch wegen der Chro- matophoren und des Paramylums wenig geeignete Objekte. Ich will (dabei noch erwähnen, dass es sehr leicht gelingt in den Euglenen Körperchen nachzuweisen, die ich anfangs, als ich sie im nicht im der Teilung begriffenen Individuen auffand, für Centrosomen zu halten geneigt war. Diese Körperchen lassen sich in verschiedener Weise darstellen. Am leichtesten gelingt es, wenn man Euglenen mit Flem- iming’scher oder Hermann’scher Lösung fixiert, nach kurzer Ein- wirkung und ebenfalls kurzem Auswaschen in Wasser direkt in ver- (ünntes Pikrokarmin überführt, dieses einige Stunden einwirken lässt und dann in Balsam einschließt. Es leidet bei dieser Behandlung allerdings die Struktur des Kernes etwas, die Färbung wird aber sehr intensiv. Das Plasma bleibt ganz oder fast ganz farblos und die Chromatophoren entfärben sich durch die Alkoholwirkung vollständig. Untersucht man solche Präparate mit Oelimmersion und herausge- zogner Blende, so findet man in jedem Exemplar fast stets ein ein- ziges kugelförmiges intensiv rot gefärbtes Körperchen von winziger 4, Lauterborn R., Ueber Bau und Kernteilung der Diatomeen. Verh, d. naturh. med. Ver. Heidelberg, N. F., V, 8. 1-26. Blochmann, Kenntnis von Dimorpha mutans. 197 Größe, das oft dem Kern dieht anliegt, aber manchmal auch weit von demselben sich findet. Oefter fand ich zwei solche Gebilde, in einem Fall auch drei. Wie gesagt glaubte ich darin die Gentrosomen gefunden zu haben. Die Prüfung von Teilungszuständen auf diesen Punkt lässt mir diese Deutung aber sehr zweifelhaft erscheinen. Ich fand nämlieh oft neben wohl ausgebildeten Spindeln das Körperchen unverändert und ungeteilt, in anderen Fällen konnte ich es gerade be: Kernspindeln enthaltenden Individuen nicht nachweisen. Im voll- ständig geteilten Individuen konnte ich wieder fast steis m jedem Sprössling das Körperchen auffinden. Es mag genügen, auf diese vorderhand noch nicht zu deutenden Befunde hingewiesen zu haben. Ebenso kurz möchte ich noch eine andere Erscheinung erwähnen, die wir öfter an den Kernen der Euglenen besonders m älteren Kul- turen beobachteten. Man findet darin nieht selten Individuen, bei denen der Kern ein ganz abnormes Aussehen hat (Fig. 9). Derselbe ist viel größer als normal. An Stelle der gewöhnlichen Struktur ent- hält er ein grobmaschiges Netzwerk, das sich wenig intensiv färbt, der Nueleolus ist zum Teil deutlich erhalten und liegt der Kernmembran an, zum Teil ist er auch verschwunden. Wir haben eine ganz all- mähliche Reihe von Uebergängen beobachtet, «die aus dem normalen Kern schließlich den geschilderten abnormen machen. Davon haben wir uns auf das bestimmteste überzeugt, dass dieser Umbildungs- prozess mit der Teilung nichts zu thun hat. Voraussichtlich wird es sich dabei um einen Degenerationsvorgang handeln. Da nach meiner früheren Mitteilung für Po/ytoma uvella und Monas vivipara dureh die vorliegende für eine Reihe von Euglenoidinen, durch Fisch für Codosiga, durch Zacharias für Ceratium, durch Ischikawa für Noetiluea Vermehrung der Kerne durch Mitose nachgewiesen ist, so wird dieser Teilungsvorgang wohl als der bei Mastigophoren allge- mem vorkommende gelten dürfen, wenn auch, wie gerade die Kug- lenen zeigen, da und dort interessante Abweichungen von dem ge- wöhnlichen Schema sich finden mögen. khostock, den 3. Februar 1594. Zur Kenntnis von Dimorpha mutans Grub. Von F. Blochmann. In Wasser aus einer kleinen Pfütze, in welchem verschiedene Euglenen in Menge vorkommen, traf ich die merkwürdige Dimorpha mutans, deren Entdeckung wir Gruber verdanken. Ich benützte diese Gelegenheit, um das seltene Tier durch eigene Anschauung genauer kennen zu lernen, und fand dabei manches, was Gruber entgangen war und was die vollständige Mischung von Heliozoen- und Flagellaten- charakteren, der Dimorpha ihren Namen verdankt, noch deutlicher erkennen lässt. 198 Blochmann, Kenntnis von Dimorpha mutans. Ich kann Gruber’s Beobachtungen in vielen Punkten vollständig bestätigen. Größe, allgemeine Gestaltung des Tieres, den leichten Uebergang desselben aus Flagellaten- im Heliozoenzustand und umge- kehrt, das Erhaltenbleiben der Geißeln im Heliozoenzustande, die Nahrungsaufnahme fand ich ebenso wie Gruber. Dagegen haben die mir vorliegenden Tiere in beiden Zuständen stets mehrere (6— 10) oberflächlich gelagerte, kleine kontraktile Vakuolen. In den Pseudo- podien beobachtete ich deutliche, wenn auch ziemlich langsame Strö- mung der Körnchen. Von besonderem Interesse war mir aber das Vorhandensem von Axenfäden. Allerdings lassen sich diese in den Pseudopodien selbst, wegen der allzugroßen Feinheit derselben nieht mit Sicherheit erkennen, dagegen treten sie deutlich in der peripheren, von größeren Körnchen fast stets freien Plasmazone des Körpers hervor. Am lebenden Objekt sieht man, an der Geißelbasis gelegen, einen hellen, von Körnchen freien Fleck (Fig. 1), welchen auch Gruber bemerkte. In diesem treten die Axenfäden wieder aufs deutlichste hervor. Sie streben alle nach einem zentralen Punkte zusammen. Von besonderem Interesse ist, dass auch die Ursprünge der beiden Geißeln bis zu diesem Punkte zu verfolgen sind. Genau dasselbe lässt sich auch an dem lebenden Schwärmzustande mit eingezogenen Pseudopodien erkennen (Fig. 2). Auch hier sieht man dem Vorderende des Körpers genähert den hellen Fleck, in dessen Zentrum sich Geißelbasen und Axenfäden vereinigen. Dimorpha mutans Grub. Fig.1. Heliozoenzustand nach dem Leben; Fig. 2. Flagellatenzustand ebenso; Fig. 3. Im Heliozoenzustand fixiert und gefärbt. n = Kem; cv —= kontraktile Vakuole; sp —= durch die Präparation aufge- tretener Spaltraum zwischen Kern und Plasma; N = Nahrungskörper. Genaueren Aufschluss gaben mit Pikrinessigsäure fixierte und ge- färbte Präparate. (Fig. 3.) Sie zeigen, dass in dem hellen Fleck der Kern liegt. Derselbe hat schüsselförmige Gestalt und kehrt die Aushöhlung nach dem Vorderende. In dieser Aushöhlung sieht man deutlich ein kleines Körperchen liegen, welches wohl dem Zentralkorn Blochmann, Kenntnis von Dimorpha mutans. 199 der Heliozoen entsprechen dürfte. Vom diesem Körperchen entspringen die Geißeln. Merkwürdig ist, dass die Substanz des Kernes deutlich radiär strahlig ist. Die Strahlen konvergieren nach dem Zentralkorn und scheinen nach außen zu in die Axenfäden überzugehen. Aller- dings möchte ich dabei nicht annehmen, dass ein Axenfaden etwa wie ein Stab den Kern durchbohrt, um zum Zentralkorn zu gelangeu, sondern glaube, dass unbeschadet der scharfen Sonderung des Kernes vom Plasma, in beiden ähnliche Differenzierungen vorhanden sind. Man sieht häufig an fixierten Tieren, dass das Plasma durch einen deut- lichen Spalt von dem Kern getrennt ist (Fig. 5). Ich hätte gerne diese merkwürdigen Verhältnisse eingehender studiert. Meinen Untersuchungen wurde jedoch, wie seinerzeit denen Gruber’s ein plötzliches Ende dadurch bereitet, dass Dimorpha in den Gefäßen, worin sie, als ich sie zum ersten Male bemerkte, gar nicht selten vorkam, in 4 Tagen spurlos verschwunden war und sich auch aus dem freien nicht mehr beschaffen ließ. Aus den mitgeteilten Beobachtungen an Dimorpha ergeben sich einige Resultate von allgemeinerer Bedeutung. Zunächst zeigen sie in Uebereinstimmung mit den Angaben von Klebs für verschiedene Flagellaten und denen von Frenzel für gewisse Rhizomastiginen, dass die Geißeln nieht ausschließlich der äußersten Plasmaschieht angehören, sondern dass ihr Ursprung tiefer liegt. Weiter lässt sieh die 'That- sache, dass die Axenfäden der Geißeln und diejenigen der Pseudopodien von demselben Zentralkorn entspringen, als wesentliche Stütze für die, besonders von Bütschli betonten, engen Beziehungen, die zwischen Geißeln und Pseudopodien bestehen, anführen. Ferner ist von Interesse, dass die zentralen Teile der Axenfäden auch dann bestehen bleiben, wenn die Pseudopodien vollständig eingezogen sind. Durch den Nachweis der von einem Zentralkorn ausstrahlenden Axenfäden der Pseudopodien sind die Beziehungen von Dimorpha zu den typischen Heliozoen noch engere geworden, ohne dass darum die Verbindung mit den Flagellaten gelockert würde. Sie bleibt auf jeden Fall das, als was ihr Entdecker sie schon hingestellt hat, ein sehr wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Abteilungen: Heliozoa und Flagellata. Schließlich möchte ich noch einiges über die Begrenzung der Gat- tung Dimorpha sagen. Klebs hat neuerdings vorgeschlagen, provi- sorisch alle mit zwei Geißeln versehenen Rhizomastigina zu der Gattung Dimorpha zu rechnen. Dies führt jedoch insoferne zu Unzu- träglichkeiten als die Gattung von Gruber auf die Art Dimorpha mutans gegründet wurde. Das Charakteristische an Dimorpha mutans ist nieht der Besitz von zwei Geißeln, sondern die ausgesprochene Heliozoenähnlichkeit, die sich in der im ruhenden Zustande annähernd kugelförmigen Gestalt des Körpers, in dem strahlenförmigen Bau der 200 bloehmann, Kenntnis von Dimorpha mutans. Axenfäden führenden Pseudopodien und in der Anordnung derselben ausspricht. Solche Formen werden sich jedenfalls in größerer Zahl noch auffinden lassen. Ich habe selbst im Sommer 1885 in dem Bassin des Schwetzinger Schlossgartens, in welehem ich den Haematococeus bütschlii entdeckte, eine andere ähnliche Form beobachtet, aber leider nur einige flüchtige Skizzen angefertigt. Sie unterschied sich von D. mutans durch den Besitz von 4 Geißeln und dadurch, dass sie stets nit vollständig ausgestreckten Pseudopodien langsam rotierend umher- schwamm. Die von Klebs neu beschriebenen Arten unterscheiden sich von Dimorpha leicht dureh die Gestaltung der Pseudopodien, die so gebaut sind, wie bei den Rhizopoden, und durch die Anordnung der beiden Geißeln, von denen die eine als Schleppgeißel funktioniert. Klebs nimmt dies zwar auch für D. mutans an. Gruber sagt aber nur, dass die eine Geißel gelegentlich nachgeschleppt wird. Ich habe dies nie gesehen. Stets waren beide Geißeln bei der Bewegung nach vorn gerichtet. Ich schlage für die von Klebs beschriebenen Arten den Namen Dimastigamöba vor. Die D. radiata Klebs nähert sich durch die Ge- staltung der Pseudopodien (Körnchenströmung?) und die Art der Nah- rungsaufnahms der Dimorpha mutans. Aber nach den Abbildungen sind die Pseudopodien nicht scharf vom Körper abgesetzt und ganz deutlich werden die Unterschiede bei Betrachtung des Flagellatenzustandes. Auch damit bin ich nieht einverstanden, dass Frenzel die Rhizo- mastigina von den Flagellaten trennt. Bei Formen wie Ciliophrys, wo die Geißel bei der Entwicklung der Pseudopodien ganz. eingezogen wird, kann man über die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Abteilung verschiedener Ansicht sein. Wenn aber die Geißeln einen typischen, bleibenden Bestandteil der Organisation ausmachen, wie bei den Rhizomastigina, ist es nach meiner Meinung das emzig richtige solche Formen zu den Flagellaten zu stellen, unbeschadet natürlich der engen Beziehungen die diese Wesen zu den Heliozoen und Rhizo- poden aufweisen. Pseudopodienbildung kommt gelegentlich auch bei typischen Flagel- laten vor. Ich habe mit Dimorpha zusammen zahlreiche Exemplare von Monas vivipara beobachtet und konnte bei dieser Art, die gewiss Niemand von den Flagellaten trennen wird, nicht nur die Bildung von zipfelförmigen Pseudopodien, wie sie z. B. Stein darstellt beobachten, sondern sah öfter ein oder zwei ansehnliehe, zwei bis drei Mal ver- zweigte Pseudopodien am Hinterende auftreten. tostock, 28. Januar 1894. Hensen, Berichtigung. — Werner, Zoologische Miszellen. 201 Berichtigung zu Bd. XIV Nr. 2. In einer Mitteilung „Zur Biologie des Planktons“ von France werden von mir Dinge ausgesagt, die ich zu meinem Bedauern nicht gelten lassen darf. S. 34 heißt es über die Tier- und Pflanzenwelt des Plattensees, dass sie „bezüglich ihrer einzelnen Formen keine gleiche Verteilung zeigt, wieHensen in seinem bekannten Planktonwerk annimmt, ferner, „demzufolge muss ich die Hensen’sche Planktonzählmethode, welche grade auf einer (angenommenen) gleichen Verteilung des Limno- planktons beruht“ u. s. w. Hiergegen ist zu sagen: 1) Was mit „bekanntem Planktonwerk“ gemeint sein soll, weiß ich nicht, ich rate den Seeforschern ab, nach solchem Werk zu suchen. 2) Ich habe überhaupt nie eine Untersuchung über Seenplankton angestellt: dass meine Methode auf Annahmen über Limnoplankton beruhe, ist daher nicht glaublich! 3) Dagegen war ich der Meinung, dass Landseen meistens zu klein und flach seien, um hier auf eine genügende Gleichmäßigkeit der Verteilung des Planktons rechnen zu können. 4) Diese Ansicht hat ein junger Zoologe mir als irrig erwiesen. Er hat durch mehrjährige, energische und unvergleichlich fleißige Untersuchungen einer Reihe sehr verschiedener holsteinischer Seen festgestellt, dass dort eine sehr gleichmäßige Verbreitung des Planktons kegel sei. Dass quantitative Fragen nur durch Messungen entschieden werden können, ist selbstverständlich; nicht dass auch er dies eingesehen hat, wohl aber, dass er solche Untersuchungen durch- geführt hat, ist sein großes Verdienst. Ich nenne hier den schon genügend bekannten Namen meines Jungen Freundes nicht, weil ich es Herrn Franee überlassen will, das nachzuholen, und sein für den Kundigen sehr auffälliges Versehen zu entschuldigen. Erst seit März 1892, also in neuester Zeit be- einnt die Serie der bezüglichen Untersuchungen, sie sind sämtlich seiner Zeit dem Vorstand der biologischen Station des Plattensees übersandt worden. Hensen. Zoologische Miszellen. Von Dr. F. Werner in Wien. (Schluss. ) IX. Bemerkungen über die Schildkrötenzeichnung. Wenn man die Zeichnung der Schildkröten einer ähnlichen ver- gleichenden Untersuchung unterwirft, wie ich dies bereits bei den Säugetieren, den Squamaten unter den Reptilien, den Batrachiern und den Selachiern von den Fischen gethan habe, so findet man viele Eigentümlichkeiten wieder, die uns schon von früheren Betrachtungen her bekannt sind; und namentlich eine ganz merkwürdige Analogie 202 Werner, Zoologische Miszellen. in der Aufeinanderfolge des Auftretens gewisser Zeichnungen und in der zunehmenden Komplikation der Zeichnung von den ursprünglicheren zu den höher entwickelten Formen. — Bei den Schildkröten entsprechen die Trionychiden!) ungefähr den Geckoniden und Agamiden von den Reptilien und den Selachiern von den Fischen?). Wir finden im Allgemeinen hell oder dunkel ge- fleckte Formen (man vergleiche die Rajiden unter den Selachiern, deren scheibenförmiger Körper ganz dem Rückenpanzer der Trionychiden entspricht und die auch im der weiteren Entwicklung der Zeiehnung eine ganz merkwürdige Aehnlichkeit mit diesen erkennen lassen, wie wir gleich weiter sehen werden. — Wir haben also als erste Stadien der Zeichnung ungefähr dieselben wie ich sie von den Rajiden auf Tafel X meiner „Untersuehungen über die Zeichnung der Wirbeltiere* (Zoolog. Jahrbücher, Bd. VI) abge- bildet habe (Fig. 11, 6, 5). Diese Fleckenzeichnung finden wir bis zu den höchsten Formen hinauf verbreitet, sowohl auf dem Kopfe und den weichen Teilen als auf dem Panzer — häufiger allerdings fast schon die helle auf dunklem Grunde, welche auch beiden Schildkröten wie wir bei Emys orbieularis und Cistudo carolina sehen können, aus der dunkel gefleckten hervorgegangen ist. Eine weitere Ausbildung der Flecken (dunkle Ränder, also bei den Rochen- Abbildungen der Fig. 4 entsprechend), sehen wir bei Trionyx ferox und spinifer. Aus diesen Flecken leitet sich die hochdifferenzierte Ocellenzeichnung der drei Trionyx-Arten T. hurum, formosus und leithi ab, der sich aller- dings von den Rochenzeiehnungen, nichts mehr vergleichen lässt, die aber dennoch mit der von Torpedo narce und Raja binocularis eine nieht unbedeutende Aehnlichkeit besitzt. Dabei ist wieder die Erschei- nung zu bemerken, dass mit der zunehmenden Differenzierung und Ausbildung der Flecken ihre Zahl sich verringert und mehr weniger konstant wird; so ist die Anzahl der Ocellen bei Raja mire- letus und binoeularis (Fig. 1 u. 2) zwei, bei Torpedo narce (Fig. 12) fünf, bei den erwähnten drei Trionyz-Arten aber vier (seltener sechs). Dabei bleiben rund um die Ocellen noch ganz undifferente primitive Flecken übrig, ähnlich wie wir dies bei Raja asterias (Fig. 9) sehen. Eine Postokularzeiehnung finden wir unter den Trionychiden bei Trionyx gangeticus und sinensis, ferner bei der Chelydide Platemys Hilairi; ein Interokularband ist selten, scheint nach der Beschreibung Boulengers (Rept. Batr. Brit. India p. 37) bei Hardella thurgi vorzukommen und ist hie und da durch eine Fleckenreihe oder dergleichen angedeutet, ohne dass man diese Zeichnung als homolog 4) Während die Clemmys-Arten den Lacertiden oder Varaniden entsprechen. 2) Erwähnen will ich woch, dass von Reptilien außer den erwähnten Geckoniden (vergl. Bd. XIII 8.575) auch noch die Seincoiden-Gattung Ristella retractile Krallen hat, und dass das Gebiss von Sphenodon eher dem eines Nagers, als dem eines Raubtieres ähnelt, wie dies bei den Agamen der Fall ist. Werner, Zoologische Miszellen. 205 ansprechen darf; so finden wir eine Interokularzeiehnung bei Trionyx hurum, bei Chrysemys pieta u.a. Die komplizierteren Kopfzeichnungen, welche sich namentlich bei Clemmys-Arten und zwar schon bei der europäischen C!. caspia, leprosa und bei der chinesischen Cl. reveesit vorfinden, leiten sich von der von Trionyx gangeticus ab und sind in vielen Fällen noch unschwer darauf zurückzuführen. Nur die nord- amerikanischen Arten aus den Gruppen Pseudemys, Graptemys, Chrysemys, Trachemys u. s. w. entfalten ein so kompliziertes System von meist longi- tudinalen und parallelen, zahlreichen Linien, dass deren Homologisierung zu den schwierigsten Untersuchungen auf diesem Gebiete gehört und ohne Abbildungen nicht wohl verständlich gemacht werden kann. Sieht man von diesen Formen ab, so gestalten sich die Verhältnisse der Zeichnung des Schildkrötenkopfes im Allgemeinen ziemlich einfach. Eine große Zahl von Schildkröten besitzt noch die ursprüngliche ge- fleckte Zeichnung des Kopfes (und meist auch Halses); und zwar hell- gefleckt bei Emys orbieularis, Ciemmys guttata, Nicoria trijuga (var. thermalis), Cistudo carolina, Damonia hamiltoni, Trionyx cartilagineus, Subplanus, Emyda granosa; dunkel gefleckt oder mit dendritischen dunklen Zeichnungen: Emys orbicularis, Sternothaerus derbyanus, adon- soni, Malacoclemmys terrapen, Cistudo carolina, Cinosternum eruentatum, integrum, mezxicanum, leucostomum, Elseya latisternum, Trionyx sinensis, Chelydra serpeutina. Eine andere Gruppe besitzt hingegen einen dreieckigen oder vorn abge- rundeten dunklen Scheitelflecken, wie wir ihn von den Schlangen | Python molurus, Ascistrodon rhodostoma, Vipera nasicornis, Boodon niger ete.*)| kennen. Unter dem Seitenrande dieses dreieckigen Fleckens befindet sich dann regelmäßig ein heller Streifen, der also von der Schnauzenspitze auf der Schnauzenkante und über das Auge hinzieht und über die Schläfe zum Halse verläuft. Unter diesem sehen wir dann wieder einen dunklen Streifen, der dem Prä- und Postokularstreifen entspricht. So finden wir die Zeichnung bei Trinox ferox und spinifer; eine weitere Dif- ferenzierung erfährt die Sache dadurch, dass eine zweite helle Linie parallel der oberen, von der Schnauzenspitze zur Schläfe verlaufenden auftritt, die von der medianen Einkerbung des Oberschnabels unter dem Auge und unter der Tympanalregion verläuft; eine dritte helle Linie parallel und zwischen den vorigen, aber nur postokular ist nicht selten. — Diese Zeichnung finden wir bei Cyelemys amboinensis, Bellia crassicollis, Olemmys ocellata, Clemmys macropus, Cinosternum pennsyl- vanicum, Chelydra serpentina, Morenia petersii, Nicoria tricarinata ete. Diese zwei Formen der Kopfzeichnung lassen sich nun sehr leicht ineinander überführen, und zwar lässt sich schon an unserer gemeinen Emys orbieularis der Uebergang von der gefleckten in die gestreifte Form beobachten. Vorher will ich aber noch auf einige Flecken hin- 1) Siehe Werner, Unters. Zeichnung der Schlangen, Wien 1893, S. 19. 304 Werner, Zoologische Miszellen, weisen, die am Schildkrötenkopfe sehr häufig zu bemerken sind und dureh ihre konstante Lage und Größe auffallen. Es sind diese hellen Flecken aus der ursprünglichen Fleckenzeichnung hervorgegangen, ob durch Verschmelzung kleinerer oder dureh selbständige Vergrößerung, ist mir einstweilen noch nicht klar. Sie finden sich teilweise auch noch bei Schildkröten mit im Vebrigen ganz gestreiften Köpfen und fallen dann durch Größe und lebhafte Färbung auf (bei Uhrysemys pieta). Es sind im Wesentlichen drei Paare; ein postokularer runder Fleck, ein kleineres Paar zwischen den Postokularen, ein tympanales oder parietales Paar; das postokulare ist oft zu einem Streifen ver- längert (bei Chelymys Macquaria, Vietoriae, Emydura Krefftii, Geo- emyda spinosa, Emyda granosa, Nicoria trijuga), sonst aber ist mir der Flecken noch aufgefallen bei Olemmys caspia, leprosa, guttata, Ohrysemys picta und verwandten Arten und Gattungen, bei Damonia, Nicoria trijuga var. thermalis u. a.; das zweite Fleckenpaar bei Da- monia, Chemmys guttata, Emyda granosa, Kachuga intermedia; das dritte bei Olemmys picta ete., Emyda granosa, Bellia crassicollis, aber auch schon bei Emys orbieularis kann man sie bisweilen schon sehen. Wir kehren nun wieder zur Besprechung des Uebergangs zwischen der gefleckten und der längsgestreiften Form der Schildkrötenzeich- nung über und zwar sehen wir, wie gesagt, schon bei Emys orbicularis häufig viele der gelben Flecken, die beim ersten Anblick ganz un- regelmäßig verteilt scheinen, in Reihen angeordnet, die genau den vorhin besprochenen Längslinien entsprechen. Ja, wir sehen sogar auf der horizontalen Kopfoberfläche die Flecken auf eine Weise ge- reiht, die uns ganz unverständlich wäre, wenn wir nicht das Urbild (dieser Kopfzeichnung bei Trionye gangetieus kennen gelernt haben würden. Diese Zeichnung besteht aus zwei oder drei Winkeln, deren Schenkel parallel sind und nach hinten divergieren; eine Medianlinie halbiert alle drei Winkel. Zwei dieser Winkel finden wir mit gelben Punkten angedeutet bei Emys, ebenso die Medianlinie; und ebenso finden wir diese Zeichnung bei Olemmys caspia, wo allerdings die Flecken schon zu mehr weniger langen Streifen verschmolzen sind. Auf die Verbindung aller dieser erwähnten Zeichnungen ist auch der srundtypus der Kopfzeichnung der nordamerikanischen Clemmys-Arten zurückzuführen. Die hinzutretende Komplikation, die enorme Ver- mehrung der Parallellinien ist dadurch entstanden, dass die einzelnen ursprünglichen Linien bei zunehmender Breite dunkle oder helle hän- der bekommen, diese sich wieder verbreitern und selbst wieder gerän- dert werden; bei jedem neuen Auftreten dunkler Ränder verdoppelt sich natürlich die Anzahl der Streifen; es ist durch das verschiedene Alter der Streifen aber auch ihre mehr weniger verschiedene Breite und Färbung erklärlich. Weitere Mitteilungen über die Kopfzeichnung, besonders die der Werner, Zoologische Miszellen. 205 Olemmys-Arten behalte ich mir für später vor, da ausführlichere Er- örterungen ohne Zuhilfenahme genauer Abbildungen schwer verständ- lich sind. Ich hoffe in dem einstweilen die Grundzüge der Schild- kröten-Kopfzeichnung genügend klargelegt zu haben. Auch die Zeichnung des Halses ist ursprünglich eine gefleckte und noch sehr häufig in dieser Form zu sehen (Trionyx subplanus, cartilagineus, Emys orbiceularis, Nicoria trijuga, Damonia Hamiltoni, Oleminys gultata u. a.); aber schon bei den Trionychiden (Emyda villata und Chitra indica) geht die Fleckenzeichnung in eine längs- gestreifte über, auch bei jungen Chelys fimbriata sehen wir Längs- streifung des Halses, desgleichen bei Kachuga tectum, Cyclemys dhor, Bellia crassicollis und vielen C/emmys-Arten, bei denen die Hals- zeichnung relativ ebenfalls wieder komplizierter ist als bei anderen Schildkröten und aus einfachen oder gegabelten, hellen und dunkel geränderten Längslinien besteht (schon bei den Europäern). Die Extremitäten und der Schwanz stimmen in den meisten Fällen mit dem Halse in der Zeichnung überein, ebenso häufig sind sie ganz einfarbig. Hier will ich gleich bemerken, dass sekundäre Einfarbig- keit im Alter bei Schildkröten gerade nicht sehr häufig zu sein scheint, wenngleich die Tendenz dazu unstreitig allenthalben vorhan- den ist; von den europäischen Arten wird uur Clemmys leprosa im Alter so ziemlich einfarbig, aber nur anscheinend; denn bei genauerer Betrachtung sieht man auch bei sehr alten Stücken noch die Zeich- nung des Halses, der Marginalplatten u. dergl. — Wir hätten nun bloß mehr den Panzer zu besprechen und zwar den Rückenpanzer; der ventrale ist wie überhaupt die Ventralseite der bisher untersuchten Wirbeltiere auch bei den Schildkröten wenig geeignet zu vergleichenden Studien, die Zeichnung beschränkt sich meist auf große, dunkle, unregelmäßige Flecken, die mehr weniger zusammenhängend sind und oft nur den hand freilassen. Desto mehr ist vom hückenpanzer (Carapax) zu sagen. Bei den Trionychiden ist es im Grunde selbstverständlich, dass der ungeteilte Lederpanzer für die Zeichnung als einheitliches Ganzes gilt und diese daher unregelmäßig bezw. unsymmetrisch angeordnet oder aber, wie die großen Ozellen, zentriert ist. Aber auch bei den Schildkröten, deren Panzer aus symmetrischen Platten besteht, ist eine unregelmäßige Verteilung der Zeichnung, unabhängig von der symmetrischen Anordnung der Platten nicht allzu selten; aber häufiger ist doch der Fall, dass jede derselben ihre eigene, mehr weniger un- abhängige Zeichnung besitzt. Der erste Fall ist dureh Eimys orbieu- laris und Cistudo carolina repräsentiert; bei Olemmys caspia bedeckt ein ganz unregelmäßiges, zusammenhängendes Netzwerk heller, dunkel geränderter Linien die Oberfläche und erst bei nordamerikanischen Olemmys- und Chrysemys-Arten ist eine mehr symmetrische Anordnung 206 Nehring, Kreuzungen von Cavia aperea und Cavia cobaya. und größere Unabhängigkeit der Zeichnung der einzelnen Platten be- merkbar; dieselbe ist mehr oder weniger ocellenartig, aus zahlreichen konzentrischen Linien bestehend. Die eigentliche charakteristische Zeichnung der höheren Schild- kröten ist die radiäre; indem vom Zentrum oder von einer Ecke jeder Platte Punkt- oder Strichelreichen, Linien oder breitere Streifen aus- strahlen. Eime solche Art ist schon unsere Emys europaea, bei der wir alle Uebergänge zwischen der punktierten und der radiärstreifigen Zeichnung der Platten des Rückenpanzers beobachten können; das- selbe ist bei Cistudo carolina der Fall, weiters finden wir diese Zeichnung bei Sternothaerus, Pyxis, Cinyxis, Eiseya, Hydraspis, Chelone in verschiedener Deutlichkeit; am schönsten aber bei den Testudo- Arten, die: wir bisher gar nicht besprochen haben, da sie weder eine Zeichnung des Kopfes oder der Extremitäten und des Schwanzes besitzen, noch Zeichnungen des Panzers außer den- jenigen, die jetzt erwähnt werden sollen (nur 7. pardalis mit un- deutlich radiär (dunkel) geflecktem Panzer macht eine Ausnahme). Testudo-Arten mit radiärstrahligem Rückenpanzer sind: T. elegans, platynota, oculifera, geometrica, radiata, trimeni, fiski (Proc. Zool. Soc. London 1886); bei ihnen sind die Schilder schwarz, die Strahlen gelb. — Eine andere Zeichnung der Testudo-Arten besteht darin, dass die einzelnen Schilder schwarz gerändert sind (wenigstens teilweise), oder einen schwarzen Mittelflecken tragen, oder beides: Testudo graeca, ibera, (Chersine) angulata, (Homopus) areolata, Horsfieldi; bei T. mar- ginata und tabulota ist von der gelben Grundfarbe nur mehr im Zentrum jedes Schildes ein großer Flecken geblieben, bei T. nigrita und miero- phyes (den Nigrinos unter den Testudo-Arten) aber ist die gelbe Färbung gänzlich geschwunden. Diese Arten sind also sekundär einfarbig dureh Verdrängung der ursprünglichen gelben Färbung durch die schwarze Radiärzeichnung; dagegen ist wieder bei 7. calcarata, ferner bei T. (Homopus) femoralis (Proc. Zool. Soc. London 1888, Tafel XIV) die Zeiehnung total zurückgebildet und der Panzer einfarbig gelbbraun oder gelbgrün. — Eine Kombination der radiärstreifigen Form mit der geränderten findet sich bei T. radiata, Spuren der ersteren findet man übrigens bet allen Testudo- Arten. Zu erwähnen wäre noch, dass die nicht eben seltenen Längskiele, die auf dem Rückenpanzer auftreten, häufig hell gefärbt sind; so bei Sphargis (Dermatochelys) coriacea, bei Nicoria trijuga u. a.; bei Chry- semys picta dagegen wieder die Suturen der Schilder des Rückenpanzers. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Gesellschaft näturforschender Freunde zu Berlin vom 19. Dezember 1893. Herr Nehring sprach „über Kreuzungen von (avia aperea und Cavia cobaya“. Nehring, Kreuzungen von Cavia aperea und Cavia cobaya. 207 Nachdem ich vor etwa fünf Jahren über die Herkunft des Haus-Meer- schweinchens ((avia cobaya) einen Vortrag in dieser Gesellschaft gehalten habe !), erlaube ich mir heute, einige kurze Mitteilungen über Kreuzungen von Cavia aperca und Cavia cobaya vorzutragen. Genaueres über dieselben habe ich in einer Abhandlung berichtet, welche demnächst im „Zoologischen Garten“ erscheinen wird; die Hauptresultate der betr. Versuche sind von mir bereits in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift“, herausgeg. von H. Potoni6, 1893, 8. 473, angegeben worden ?). Dass ich über die betreffenden Kreuzungen überhaupt berichten kann, verdanke ich der besonderen Freundlichkeit unseres Mitgliedes des Herrn Dr. Heck, Direktors des hiesigen zoologischen Gartens. Herr Dr. Heck hat in Folge einer Anregung von mir sich bemüht, einige lebende Exemplare der Cavia aperea zu bekommen, und es gelang ihm schließlich im Anfang des Jahres 1891, durch die Güte einiger deutscher Landsleute, welche zu Rosario und S. Nicolas in Argentinien wohnen, ein Pärchen und ein vereinzeltes Männ- chen der genannten Art zu erhalten. Das Pärchen wurde zunächst zur Rein- zucht, demnächst zur Kreuzung mit Cavia cobaya verwendet der vereinzelte Bock mir zu Kreuzungsversuchen überlassen. Die erzielten Resultate stehen in einem starken Widersprnche mit den Beobachtungen, welche Rengger in seinem bekannten Werke über die Säugetiere von Paraguay hinsichtlich der genaunten Cavia- Arten veröffentlicht hat?), und welche seitdem in zahlreichen zoologischen Werken als allgemein giltige Thatsachen hingestellt worden sind +). Ich fasse die Hauptresultate der von Heck und mir ausgeführten Züch- tungsversuche °) in folgende Sätze zusammen: 1. Cavia aperea pflanzt sich in Reinzucht nicht nur einmal im Jahre fort, wie Rengger behauptet, sondern mindestens 2—3 Mal. Die Zahl der Jungen eines Wurfes beträgt zwar gewöhnlich nur zwei, doch kommen auch Würfe von 3 Jungen nicht sehr selten vor. (Uebrigens gilt dieses auch für die frei lebenden Individuen in Brasilien Vergl. Aug. von Pelzeln, Brasil. Säugetiere nach Natterer, zool.-bot. Ges. in Wien, 1883, S. 79.) 2. Im Allgemeinen bleibt die gleichmäßige, feinmelierte Färbung auch bei den in Gefangenschaft gezüchteten Nachkommen der C aperea bestehen; denn- noch kam schon bei einem der ersteren Würfe der in Reinzucht gezüchteten Apereas ein Junges zur Welt, das einen weißen, länglichen Fleck am Rumpfe aufzuweisen hatte. (Leider ist dasselbe gestorben, ehe es zur Zucht verwendet werden konnte.) Es ist hiermit also die Möglichkeit einer Farben-Abände- rung in Form von Flecken bei C. aperea nachgewiesen. 3. Die Kreuzung von (©. aperea mit ©. cobaya kann ohne Schwierigkeit ausgeführt werden, sowohl zwischen C. aperea g' und C. cobaya 2, als auch 1) Sitzungsbericht vom 15. Januar 1889, S. 1—4 nebst 4 Abbildungen. Vergl. auch „Zoolog. Garten“, 1891, 8. 65—77. 2) Abgedruckt auch in der Revue des sciences naturelles appliqudes, Paris 1893, p. 523. 3) J. R. Rengger, Naturgeschichte der Säugetiere von Paraguay, Basel 1830, 8. 276 ft. 4) Siehe z. B. Giebel, Die Säugetiere, Leipzig 1859, S.460; Blasius, Säugetiere Deutschlands, S. 430; Brehm’s illustr. Tierleben, 2. Ausg., Bd. II, S. 424 ff. “ 5) Diese Versuche wurden teils im hiesigen zoolog. Garten, teils in dem kleinen Versuchsstalle des mir unterstellten zool. Instituts der kgl. landwirt- schaftlichen Hochschule ausgeführt. 208 Nehring, Kreuzungen von Cavia aperea und Cavia cobaya. zwischen Ü. cobaya g' und C.aperea @. Natürlich ist das Geschlecht der Versuchstiere mit voller Exaktheit zunächst festzustellen, damit man nicht etwa dZ mit g' zusammensperrt. Die Zahl der bisher seit 1892 erzielten Bastard Würfe ist eine sehr bedeutende. Hieraus ergibt sich die Unrichtigkeit der oft wiederholten Behauptung, dass Ü. aperea sich nicht mit ©. cobaya paare. 4. Die Bastarde sind fruchtbar, sowohl bei sog. Anpaarung, d. h. Vermischung mit einer der Stammarten, als auch bei Paarung unter einander. Letzteres Resultat erscheint besonders interessant; dasselbe ist bis jetzt schon durch sechs Würfe sicher gestellt‘). Die Zahl der durch Anpaarung erzielten Würfe ist noch viel größer. Die Trächtigkeit der Bastarde dauert, wie bei Ü. cobaya, durchschnittlich 65 Tage. 5. Die Haarfarbe der wilden Art wird mit auffallender Zähigkeit vererbt. Unter den zahlreichen halbblütigen Bastarden befinden sich bisher nur zwei Exemplare, welche ein wenig von Fleckenbildung (analog der bei U cobaya) zeigen; alle anderen sind wildfarbig, d. h. aperea-farbig. Dasselbe ist von den Doppelbastarden (d. h. den’ Produkten der Paarung von Bastarden unter einander) zu sagen; dieselben sind bisher durchweg aperea- farbig. 6. Auch in der Schädelform, namentlich in der Form der Nasenbeine, macht sich das Apereablut bei den Bastarden in hervorragender Weise geltend. is sind allerdings bisher nur einige wenige Exemplare in dieser Hinsicht exakt untersucht worden, da die übrigen noch leben. 7. Trotz der aus obigen Angaben ersichtlichen, nahen Verwandtschaft von (, aperea und (. cobaya darf erstere nicht als wilde Stammart der letz- teren angesehen werden; vielmehr ist aus historischen Gründen, welche ich im „Zoologischen Garten“, 1891, S. 75 ff. angeführt habe, das wilde peru- anische Meerschweinchen (Cawa Cutleri King resp. Tschaudi) als Stammart des Haus-Meerschwe'nchens anzusehen. Man könnte aber die Frage aufwerfen, ob Cavia Cutleri überhaupt von Ü. aperea spezifisch verschieden sei; viel- leicht genügt es, die erstere als eine westliche Lokalform (geographische Rasse) der C. aperea aufzufassen. Jedenfalls stehen ©. Cutleri und C. aperea sich sehr nahe, sowohl physiologisch als auch morphologisch. 8 Die Fleckenbildung, welche wir an dem Haarkleide des Haus- Meer- schweinchens gewöhnlich beobachten, ist erst durch Domestikation entstanden; eine geringe Beimischung vom Blute der wilden Ü. aperea genügt, um die gleichmäßige Haarfarbe der Stammform des Haus-Meerschweinchens wieder zur Entwicklung zu bringen. Auch diejenigen Bastarde, welche 3/, Blut von €. cobaya in sich haben, sind meistens aperea-farbig; einige von ihnen zeigen einen deutlichen Melanismus, indem sie einfarbig glänzend schwarz erscheinen. Ganz analoge Erscheinungen inbezug auf Abänderung der Haarfarbe kommen bei Lepus euniculus dom. vor, sowohl hinsichtlich der Fleckenbildung, als auch hinsichtlich des Melanismus, sowie des leichten Rückschlages auf die Haarfarbe der wilden Stammart. 1) Anfangs schien es mir, als ob die Fortpflanzungsfähigkeit der Bastarde unter einander eine verminderte wäre. (Siehe Naturwiss. Wochenschrift, a.a. 0.) Doch hat sich dieses in letzten Wochen als unrichtig oder nicht allgemein giltig herausgestellt. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 2» Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 15. März 1894. Nr. 6. Inhalt: Keller, Alphonse de Candolle. — Zacharias, Ueber Periodizität und Ver- mehrung der Planktonwesen. — Spencer, Die Unzulänglichkeit der „natür- lichen Zuchtwahl“ (Nachschrift). — Merkel u. Bonnet, Ergebnisse der Ana- tomie und Entwicklungsgeschichte. I. Band. — Berichtigungen. Alphonse de Candolle. 1806 —1893. Ein Lebensbild von Dr. Robert Keller in Winterthur. Ein überaus arbeitsreiches Leben, ein Leben so reich an Erfolg als an Jahren fand seinen Abschluss mit dem am 4. April 1893 erfolgten Hinschiede des Nestors der botanischen Wissenschaften Alphons de Candolle’s. Ehrten doch eine litterarische Laufbahn von fast 70 Jah- ren!) an die hundert wissenschaftlichen Institute und Vereine Europas, Amerikas und Asiens dadurch, dass sie Alphonse de Candolle bald zum auswärtigen, bald zum korrespondierenden, bald zum Ehren- mitgliede ernannten. Kann es natürlich nicht unsere Absicht sein in den nachfolgenden Blättern eine erschöpfende Biographie des Mannes zu schreiben, der in gleicher Weise ein Ruhm seines Vaterlandes wie seiner Wissenschaft war, so will es uns doch als eine Pflicht erscheinen, dass auch an diesem Orte des Mannes gedacht werde, der, wenn schon in erster Linie ein Repräsentant der botanischen Systematik, durch seine grund- legenden mannigfaltigen Arbeiten über Pflanzengeographie, durch seine originellen Studien über die Selektion des Menschen ete. einen ganz hervorragenden Anteil am Ausbau der biologischen Wissenschaften nahm. Alphonse de Candolle wurde am 27. Okt. 1806 in Paris als Sohn des Genfers Pyramus de Candolle geboren. Seine erste Ine4} A, de Candolle’s älteste Publikation. Note sur l’Agaricus tubae- formis de Schaeffer (Annales des Se. nat., serie I, vol.1) stammt aus dem Jahre 1824. XIV. 14 210 Alphonse de Candolle. Jugend verbrachte Alphonse hauptsächlich in Montpellier, wo sein Vater seit dem Jahre 1807 eine Professur bekleidete. Sieben Jahre später, nachdem die kleine von dem nimmersatten Frankreich annek- tierte aber nicht assimilierte Republik wieder selbständig geworden war, wurde seinem Vater der Lehrstuhl der Botanik an der Genfer Akademie übertragen. Der junge de Candolle oblag an der Aka- demie zunächst dem Studium der Rechte und beschloss dasselbe damit, ass er sich auf Grund einer Dissertation „Sur le droit de gräce“, die in juristischen Kreisen sehr gerühmt wurde, das Doktorat erwarb. Durch sein Studium der Rechtswissenschaften machte er sich auch mit dem Wesen der Statistik sehr innig vertraut, die er nachmals mit vieler Vorliebe, aber auch mit großem Erfolge auf das Gebiet der Natur- wissenschaften übertrug. Neben seinen juristischen trieb er mit Eifer philosophische und naturwissenschaftliche Studien. Nachdem er sich mit dem Abschluss der erstern die Basis geschaffen hatte, die ihn über alle Wechselfälle des Geschickes, das ja gerade in dem bewegten Anfang unseres Jahrhunderts viele begüterte Familien rasch ökono- mischem Ruine entgegenführte, hinweghelfen sollte, wandte er sich mit der ganzen Kraft eines energischen, schaffensfreudigen, hervorragend angelegten und gut situierten Jungen Mannes der Botanik zu. Im Jahre 1831 wurde er als Honorarprofessor der Genfer Akademie seinem Vater als hilfreiche Hand an die Seite gegeben. Ein Jahr darauf verheiratete er sich und 3 Jahre später, 1835, wurde er der Nachfolger seines Vaters, der sich gerne beruflicher Pflichten entledigen wollte, um namentlich ein von ihm begonnenes, auf breiter Basis an- gelegtes, bedeutungsvolles, wissenschaftliches Unternehmen, den Pro- dromus systematis naturalis regni vegetabilis, energischer fördern zu können. Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1841 war de Candolle ein großes Ziel seines Lebens klar vorgezeichnet, nämlich das große Werk seines Vaters fortzuführen und zu vollenden. Zahlreiche Mono- graphien, die A. de Candolle in den Jahren 1830—1849 und nach längerer Unterbrechung wieder in den Jahren 1864, 1869 und 1873 veröffentlichte, legen Zeugnis von der treffliehen Durchführung des Vermächtnisses seines Vaters ab. In der äußern Stellung de Candolle’s vollzog sich im Jahr 1850 eine bedeutsame Veränderung. Die 2. Hälfte der 40iger Jahre brachte der Schweiz, nachdem der Sonderbund niedergeworfen war, die poli- tische Wiedergeburt, die allerdings hier so wenig wie anderwärts ohne Wehen und Nachwehen verlief. Die Genfer Aristokratie, das „alte Genf“, seit dem Jahre 1814 durch ihre Ueberlegenheit an Bildung und Einsicht, durch die ungebundene, soziale Stellung begüterter und selbst reicher Familien an der Spitze der Staates stehend, hatte durch die ängstliche Haltung in eidgenössischen Angelegenheiten der Bürger Alphonse de Öandolle. A Vertrauen verloren. Eine kleine Revolution, ein „Putsch“ wie der technische Ausdruck der Schweizer lautet, brachte im Oktober 1846 neue Männer an das Staatsruder, die bald selbst der Unduldsamkeit üppige Früchte reiften, die sie vor kurzem dem alten Regimente zum Vorwurf gemacht hatten. Im Jahre 1850, nachdem ein Jahr zuvor de Candolle als Präsident des Genfer Kunstvereins einen Strauß mit der Regierung auszufechten gehabt hatte, trat er von seiner Professur und der Direktion des botanischen Gartens zurück, ein Opfer nicht des Radikalismus, sondern menschlicher Schwäche der herrschenden Partei, die den unbequemen politischen Gegner kalt stellen wollte und darüber den Mann der Wissenschaft vergaß. de Candolle’s ökonomische Stellung war jedoch eine durchaus unabhängige. Für die Wissenschaft, der er seine volle Arbeitskraft nunmehr widmen konnte, war die veränderte Situation, so schmerzlich sie persönlich sein mochte, kein Schaden. Ein Decennium später hat sich de Candolle noch einmal auf politischem Gebiete bethätigt, um dann vom Jahre 1866 an definitiv auf die öffentliche politische Thätig- keit zu verzichten. Ein langer sonniger Lebensabend, dem geistige Frische und körperliches Wohlbefinden das beste des menschlichen Lebens, die Arbeitsfreudigkeit, bis zur letzten Stunde erhielt, war dem Manne beschieden, mit dessen hohem wissenschaftlichem Werte der rein menschliche in voller Harmonie stand. Er, der mit Ehren Ueberhäufte, bewahrte sich jene Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit, die selbst dem angehenden Jünger der botanischen Wissenschaft den Verkehr mit dem alten Herrn leicht machte, jeder Zeit bereit die reichen Schätze seiner Sammlungen zum Gemeingut redlicher Arbeit werden zu lassen. Schon seine erste monographische Arbeit, in der er die Campanulaceen behandelte, verrät nicht nur die Neigung zur Pflanzengeographie, son- dern auch sein Geschick. In der That entwickelte er denn auch auf diesem Gebiete seine ganze Originalität. Kleinere Abhandlungen pflanzen- geographischen Inhaltes bildeten die Vorläufer seines Hauptwerkes: „Geographie botanique raisonnee ou exposition des faits prineipaux et des lois concernant la distribution g6&ogra- phique des plantes de l’epoque actuelle*. Nicht sein Hauptwerk allein ist es, ein Hauptwerk der modernen Botanik darf es genannt werden, das auch der Glanz späterer Schöpf- ung nicht verdunkeln wird, eine Fundgrube botanischen Wissens, die einen Reichtum von Thatsachen aufgehäuft enthält, der jenem in Darwin’s „Entstehung der Arten“ ähnlich uns höchste Bewunderung für die gewissenhafte Arbeit gepaart mit rastloser Ausdauer abzwingt. Die imponierende Wirkung dieser Wissensfülle wird aber dadurch ge- steigert, dass ein sicheres und zugleich vorsichtiges Urteil den Wert ihrer einzelnen Bestandteile abwägt und prüft, dass eine wohl durch- dachte klare Anordnung des umfangreichen, vielgliederigen und weit- 14 * 319 Alphonse de Candolle, schichtigen Stoffes uns in geradezu klassischer Einfachheit entgegen- tritt. de Candolle weist in diesem Werke der Pflanzengeographie die Aufgabe zu, zu zeigen, „was sich in der gegenwärtigen Verteilung der Gewächse durch die gegenwärtigen klimatischen Bedingungen erklären lässt und was von frühern Bedingungen abhängig ist“. Sie ist also gleich der Paläontologie, gleich der Geologie berufen an der Auf- klärung eines der größten Probleme der Naturwissenschaften, ja der Wissenschaft überhaupt, nämlich des Problems der Entwicklung der lebenden Welt, thätigen Anteil zu nehmen. Kann es sich auch im nachfolgenden nicht darum handeln, ein Resume der 2 inhaltsreichen Bände zu geben, so können wir uns doch nicht versagen, wenigstens auf einige Momente einzutreten, die uns zeigen, wie de Candolle das selbstgesteckte Ziel zu erreichen suchte. Boussingault war der erste, welcher die Methode der Wärme- summen in die botanische Wissenschaft einführte. Durch sie wollte er bestimmen, welehe Wärmesumme zur Entwieklung einer Pflanze nötig ist, welche Gebiete also vermöge ihrer thermischen Bedingungen das Gedeihen einer Pflanze gestatten. Er bestimmte die Wärmesumme durch Addition der thermischen Tagesmittel vom Tage des Beginns der Vegetationserscheinungen bis zu ihrem Ende. de Candolle zeigte in einer Reihe von Abhandlungen und namentlich auch im ersten Teil seiner Pflanzengeographie, dass die Methode der Wärmesummen für die Begründung der. geographischen Verbreitung einer Art ein sehr wesentliches Moment werden kann. Ihre Anwendung lehrte ihn jedoch bald, dass die Bildung derselben so einfach nicht ist, wieBoussingault annahm, dass ferner der thermische Einfluss, so wichtig er für die Ver- breitung einer Art auch ist, durch andere äußere Bedingungen, wie Beleuchtung und Feuchtigkeit, mannigfache Modifikationen erfahren kann. Theoretisch lässt sich gegen Boussingault’s Berechnungsweise einwenden, dass sie mit gewissen physiologischen Thatsachen nicht im Einklang steht, indem sie Wärmemittel mitzählt, die für das Leben der Pflanze ebenso bedeutungslos sind, wie die mittleren Tagestempera- turen des Winters. Die mittlere Wärmeintensität, welche gewissermaßen als auslösender Faktor der Lebensthätigkeiten der Pflanze dient, sie aus ihrem Winterschlafe erweckt, ist für verschiedene Pflanzen eine sehr ungleiche. Nicht die kleinste Erhebung über die Temperatur 0° ist die Minimaltemperatur, bei welcher sich allgemein die Lebens- erscheinungen der Pflanzen zu äußern beginnen. Das Wärmeminimun liegt meist höher und ist vor allem für verschiedene Pflanzen sehr ungleich. Der Verlauf nördlicher Grenzlinien einer Art ist volle Bestätigung dieser theoretischen Erwägungen. Mit jener Sorgfalt, die wir an allen Alphonse de Candolle. 213 statistischen Zusammenstellungen de Candolle’s beobachten, mit der die Klarheit des Urteils bei der Interpretation des statistischen Materials verbunden ist, werden für eine Reihe von Arten die Beziehungen der nördlichen Grenzlinie zum Verlauf der Parallelkreise und Isothermen geprüft und vor allem auch ihre gegenseitigen Beziehungen verglichen. Es ergibt sich daraus, um an 2 bestimmte Beispiele die allgemeinen Betrachtungen anzuknüpfen, dass Alyssum calycinum 5° westlich von Paris in Großbritannien etwa beim 57° nördlicher Breite seine Nord- grenze erreicht. Auf dem europäischen Festlande, etwa 7° östlich von Paris, liegt die Polargrenze bei 54°, 25° östlich wieder bei 56°, kreuzt dann etwas südlich von Kasan wieder den 55. Breitegrad um sich gegen den Ural zu etwa zum 53.° zu neigen. Der westliche Punkt seiner nörd- lichen Verbreitungslinie entspricht etwa der Jahresisotherme 10°, der östliche Punkt der Isotherme 5°, jener der Isotherme des Juli von 15°, dieser der Juli-Isotherme von fast 20°. Viel überraschender noch ge- staltet sich das Verhältnis, wenn die nördliche Grenzlinie von Radiola linoides bestimmt wird. Zugleich zeigt sich dabei auf’s schlagendste, dass die nördlichen Verbreitungslinien zweier Arten nichts weniger als parallel sind, und dass noch andere als thermische Verhältnisse den Verlauf der nördlichen Grenzlinie bestimmen. Der nördlichste Standort der Art fällt in Irland fast genau auf den 55. Breitegrad, und den 10.° westl. Länge (von Paris). Bei 5° westl. Länge erreicht die Nordgrenze fast den 60. Breitegrad, bei 5° östl. Länge etwa den 62!/,.° nördl. Br., bei 15° östl. Länge etwa den 59.°, bei 25° östl. Länge etwa den 55°. Die östlichste Verbreitung liegt bei ca. 28%. Da kreuzt die nördliche Verbreitungslinie den 50.°. Im Westen beginnt die Nordgrenze bei der Jahresisotherme von ea. 10°, der Juli-Isotherme von 15°, erhebt sieh dann in ihrem östlichen Verlaufe zur Isotherme von ca. 5° (Juli- Isotherme von 12°) und fällt zur Isotherme von 8° (Juli- Isotherme von 22°) ab. In diesem Verlaufe besitzt die Art bis fast zum 25.° östl. Länge zum Teil eine viel nördlichere Verbreitung als Alyssum calycinum, von 25° östl. Länge an geht dieses, zum Teil erheblich nördlicher, als jenes. Mit dem Verlaufe, den man etwa aus Boussingault’s Lehre der Wärmesummen erschließen möchte, stimmt allerdings der wirkliche Verlauf der nördlichen Grenzlinien absolut nicht überein. Eine ein- fache Beziehung zwischen den Tagesmitteln und der nördlichen Ver- breitung besteht nicht. de Candolle’s Verdienst ist es, die Fehlerquellen der Bous- singault’schen Methode klargelegt zu haben und damit der Methode der Wärmesummen jene Gestalt und jene innere Begründung gegeben zu haben, die sie nieht nur zu einem brauchbaren, sondern zu einem wertvollen Hilfsmittel für pflanzengeographische Untersuehungen macht. Die Bestimmung der Wärmesumme basierte de Candolle auf die 714 Alphonse de Candolle. Bestimmung des Minimums, bei welchem für die betreffende Art die Lebenserscheinungen beginnen. Aus der geographischen Verbreitung von Allysum calycinum er- schließt de Candolle, dass der Beginn der Vegetation dieser Art ein Tagesmittel von mindestens 6° zur Voraussetzung hat. Bildet man von diesem Minimum an rechnend die Wärmesumme, die die Vollendung der Lebenserscheinungen — die Fruchtreife — der Art gestattet, dann findet man ca. 2450°. Für Radiola linoides wird ebenfalls ca. 6° als das Vegetationsminimum bestimmt und von ihm aus die Wärmesumme 2200°. Diese wird nun aber nicht überall erreicht, wo die Art sich findet. Sie sinkt in dem nördlichsten Verbreitungsgebiete fast um 300°. Die Erklärung für diese scheinbare Anomalie findet de Candolle in den besondern Beleuchtungsverhältnissen. Das Korrektiv der kleinern Wärmesumme bildet die längere Tagesdauer, also die längere Wirkung der chemischen Strahlen. Diese kann selbst ein Aequivalent von 600° werden. — Aequwilegia vulgaris: Wärmesumme in Corsica von 5° aus- gehend 2560°, Drontheim 1960°. — Eine andere Anomalie in dem Verlauf der nördlichen Verbreitungslinie wird gerade bei Radiola äußerst augenfällig. Die Wärmesumme von 2200° gestattete der Art in dem östlichen Verbreitungsgebiete einen nördlicheren Verlauf der Grenz- linie, als wie er in Wirklichkeit beobachtet wird. Diese südliche Ver- schiebung ist wohl in den Niederschlagsverhältnissen begründet. So kommt de Candolle auf Grund des sorgfältigsten Studiums der geographischen Verbreitung einiger Arten und der klimatischen Verhältnisse — Wärme, Licht (Tageslänge) und Feuchtigkeit — der Fundorte dazu dem Boussingault’schen Gesetze der Wärmesummen folgende Formulierung zu geben, die dasselbe mit den Beobachtungen in Einklang bringt. „Gibt es in einer Gegend eine kalte und trockene Jahreszeit oder auch eine Periode zu großer Feuchtigkeit kombiniert mit einer zu kalten oder zu trockenen Epoche, dann muss man, um die Grenzen einjähriger Pflanzen zu bestimmen, die Temperatursumme zwischen den schädlichen Perioden berücksichtigen und für jede Art die Summe in der Weise bilden, dass man von einer ganz bestimmten minimalen Temperatur und einem bestimmten Feuchtigkeitsgrad aus- geht, die für jede Art je besondere sind“. Für ausdauernde Arten und Holzgewächse treten verschiedene modifizierende Umstände, wie z. B. die Winterkälte, hinzu, welehe den Verlauf der nördlichen Grenzlinie beeinflussen. Immerhin muss auch für sie die Wärmesumme in der oben angedeuteten Weise gebildet werden. So können also zwei Arten näherungsweise für ihren Lebenszyklus derselben Wärmesummen bedürfen und doch Arten durchaus verschie- dener nördlicher Verbreitung sein, weil bei der einen Art die Lebens- thätigkeit von einem viel geringern Wärmeminimum ausgelöst wird Alphonse de Candolle 215 als bei einer andern. Ganz frappant sind in dieser Beziehung die Verhältnisse zwischen Chamaerops humilis und Fagus silvatica. Aus der geographischen Verbreitung der erstern bestimmt de Candolle die ihr nötige Wärmesumme zu 2700° vom Minimum von 19° ange- rechnet, für letztere Art beträgt die Wärmesumme 2500°, aber von 5° angerechnet. So ist die weite Differenz der nördlichsten Verbreitungs- punkte, Monaco auf der einen, Bergen auf der andern Seite, nicht das Resultat eines sehr ungleichen Gesamtwärmebedürfnisses — denn dieses ist Ja thatsächlich bei beiden Arten nicht sehr verschieden —, sondern darin begründet, dass die Minimaltemperaturen, welche bei der einen und andern Art die Pflanze aus dem kuhezustand zur Lebensthätig- keit anregen, sehr ungleich sind. Unter den Problemen, die sich gleichsam als die Lieblingsstudien manifestierten, nimmt die Frage nach dem Ursprung der Kulturpflanzen eine der hervorragendsten Stellungen ein. An ihrer Lösung arbeitend, fand de Candolle, wie bei wenigen andern, Gelegenheit in jener Arbeitsweise sich zu bethätigen, die so sehr seine Stärke bildete, näm- lich mit rastlosem Eifer und Fleiß ein immenses Material zu häufen und zu sichten, eine Fülle, die über die Arbeitsleistung eines einzelnen fast hinauszugehen scheint. Die Wege zur Heimat der Kulturpflanzen lassen sich nieht aus- schließlich durch die Auskunft, die die Botanik zu geben vermag, finden und auf weitere Strecken verfolgen. Nicht selten ermöglicht diese kaum mehr als eine allgemeine Orientierung, während der Geschichte und namentlich auch der Linguistik die Rolle der besondern Pfadfinder zufällt. In einer Abhandlung aus dem Jahre 1836 findet sich der Beginn dieser Forschungsrichtung. Einige andere einschlägige Arbeiten stam- men aus den Jahren 1852 u. 1853. In der Pflanzengeographie widmet de Gandolle dieser Frage bereits ein umfangreiches Kapitel, in welchem die Grundzüge jenes berühmt gewordenen Werkes: „Origine des plantes cultivees“ niedergelegt sind, das im Jahre 1883 erscheinend in rascher Folge in italienischer, englischer und deutscher Ausgabe erschien, dessen französische Ausgabe innerhalb weniger Monate eine zweite, im Jahre 1886 eine 5. Auflage erlebte. Die Kenntnis des Ursprungs der Kulturpflanzen verdanken wir thatsächlich fast ausschließlich de Candolle’s Forschung. Zu Anfang unseres Jahrhunderts war die Heimat der meisten Kulturpflanzen — de Candolle führt deren 247 Arten an — noch völlig unbekannt. Ja, man schien zu glauben, dass es überhaupt ein Ding der Unmög- lichkeit sein würde, je die Heimat von Pflanzen zu entdecken, die oft schon im grauen Altertum der Mensch hegte und pflegte. >o nennt kein geringerer als A. von Humboldt in einem Essay über Pflanzen- geographie aus dem Jahre 1807 den Ursprung der Kulturpflanzen „ein 216 Alphonse des Candolle. undurehdringliches Geheimnis“. Heute ist das ursprüngliche Vaterland der meisten Arten dank dem emsigen Sammelfleiß, dank dem scharfen Urteil de Candolle’s bekannt. Wir wissen, dass von 199 Arten die alte Welt, von 45 Amerika die Heimat ist; von 3 Arten kann der Ursprung nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Auffällig ist, in welch ungleichem Maße die einzelnen Florengebiete als Heimat von Kultur- pflanzen erscheinen. In dem weiten Gebiete der Union sind nur 2 Arten, Helianthus tuberosus und Cucurbita Pepv heimisch. Von Neuholland und Neuseeland haben wir ebenfalls nur 2 Arten, Kucalyptus globosus und Tetragonia, ein Gemüse von geringem Nährwert, das als Ersatz des Spinates dient. Die Kultur der Kulturpflanzen ist zum Teil außerordentlich alt. Für 44 Species wies de Candolle nach, dass sie seit mehr denn 4000, zum Teil seit eirca 6000 Jahren kultiviert werden, Pflanzen, deren Wurzeln, Stengel, Blätter oder Früchte oder Samen dem Menschen als Nahrung dienten und dienen, oder Arten, die er des Wohlgeschmacks der Frückte wegen pflegte, oder die er als Farb- und Textilpflanzen baute. Diese ältesten Kulturpflanzen sind zumeist ein- und zweijährige Arten. Fast lässt sich sagen, dass dieser Kategorie ältester Kulturpflanzen alle wertvollen Arten zuzuzählen sind. Wenigstens lässt sich von all den jüngern, die seit weniger als 2000 Jahren kultiviert werden, keine einzige Art etwa dem Mais, Reis, den Getreidearten, der Kartoffel ete. an die Seite stellen. Doch nicht nur die Heimat der Kulturpflanzen hat de Candolle erschlossen. Wenn auch nicht von allen, so ist doch von den meisten derselben auch der spontane Zustand, die wilde Stammform der Kultur- pflanze bekannt, nämlich von 193 Arten. 27 Species sind zweifelhaft, d. h. wahrscheinlich nur subspontan, 27 wurden nicht in wildem Zu- stande gefunden. Wird vielleicht ein Teil dieser auch noch entdeckt werden, so ist von einem andern Teil der spontane Zustand zweifellos erloschen. Auffällig erscheint vor allem die große Zahl (81°/,) der sehr alten Kulturpflanzen, die in wildem Zustande getroffen wurden. „Ich glaubte a priori, schreibt de Candolle, dass eine viel größere Zahl von seit 4000 Jahren kultivierten Arten von ihrem wilden Zustande in solchem Grade abgewichen sein würden, dass man sie nicht mehr unter den spontanen Pflanzen wieder erkennen könnte. Es scheint aber im Gegen- teil, dass die ältern Kulturformen sich gewöhnlich neben jenen er- hielten, welche die Landwirte von Jahrhundert zu Jahrhundert neu erhielten und vermehrten. Man kann hierfür zwei Gründe angeben. 1) Die Periode von 4000 Jahren ist im Vergleich zur Dauer der meisten Species der Phanerogamen kurz. 2) Die kultivierten Arten erhielten beständig von außerhalb der Kulturen her Zufluss durch Samen, welche Alphonse de Candolle. 217 der Mensch, die Vögel und verschiedene natürliche Agentien aussäeten und verschleppten. Diese so entstandenen Ansiedelungen mischen oft die Stöcke, die aus wilden Pflanzen hervorgingen mit jenen, die aus kultivierten Exemplaren entstammten, um so mehr als sie sich gegen- seitig befruchteten, weil sie die gleiche Art sind. Dies zeigt sich gegenwärtig deutlich an jenen Kulturpflanzen der alten Welt, die in Amerika in Gärten gezogen werden und die später zu Gartenflücht- lingen werden, die sich in Masse im Felde oder in Wäldern ansiedeln, wie z. B. die Artischoke in Buenos- Ayres oder die Orangenbäume in verschiedenen amerikanischen Distrikten. Die Kultur dehnt die Wohn- gebiete aus. Sie ersetzt den Ausfall, den die natürliche Reproduktion der Arten haben kann“. Wenn nun anderseits beobachtet wird, dass einige der Kultur- pflanzen als spontane Arten ausgestorben sind, — verschiedene der häu- figsten Kulturpflanzen, wie Triticum vulgare, Zea mais, Ervum Lens ete. gehören hierher, — der Langlebigkeit der einen die relativ kurze Dauer der andern also gegenübersteht, so ist das vielleicht darin begründet, dass ihre Samen ihres Stärkegehaltes wegen von Vögeln, Nagern und verschiedenen Insekten gesucht werden. Sie sind durch die Samen- hülle nicht so geschützt, dass sie ohne Schaden den Verdauungsapparat zu passieren vermöchten. Sie sind damit jenen gegenüber im Nachteil, welche, ohne ihre Keimfähigkeit einzubüßen, den Verdauungsapparat eines Tieres durchlaufen können. „Man kann allgemein sagen, dass die Arten mit mehligen Samen, die nicht durch eine harte Hülle geschützt sind, selten werden und die Tendenz haben als spontane Arten zu erlöschen, während die Bevölkerung der Arten mit Nüssen oder mit kleinen harten Samen, die von Fleisch umgeben sind, die Neigung haben zu wachsen und zu dauern“. — Der Titel der Pflanzengeographie de Candolle’s deutet bereits an, dass seiner Auffassung nach wohl eine gewisse Summe pflanzen- geographischer Erscheinungen aus den gegenwärtigen, klimatischen und geographischen Verhältnissen resultiert, dass aber ein anderer Teil derselben und nieht der kleinere aus den Bedingungen der Gegen- wart nicht zu erklären ist. So beobachten wir, dass gewisse Arten in einem bestimmten Gebiete vorkommen, einem andern dagegen fehlen, wo die gegenwärtigen Bedingungen, wie z. B. die Adventivflora verschiedener Gebiete uns lehrt, ihnen zu leben gestatteten. Es mag an das kanadische Erigeron, an die Stenactis annua, an Solidago sero- tina, verschiedene Asterarten, an Oenothera biennis erinnert werden, die alle heute in vielen Ländern Europas oft an zahlreichen Stand- orten und zumeist in großer Individuenzahl so gut gedeihen, wie in ihrer amerikanischen Heimat. Umgekehrt sind europäische Arten, de Candolle erwähnt z. B. Linaria vulgaris, Echium vulgare, Plantago major ete., zu guten amerikanischen Bürgern geworden. Diese naturali- 218 Alphonse de Candolle. sierten Arten lehren also, dass es nicht klimatische Verhältnisse der Gegenwart sind, welche sie als endemische Bestandteile der Flora des einen oder andern Gebietes ausschließen. Zweifellos hatten in einzelnen Fällen die gegenwärtige Trennung der Kontinente, wie das Fehlen von Transportmitteln, die die Verbrei- tung der Samen über weite Gebiete gestatteten, oft die Ausdehnung eines Verbreitungsgebietes gehemmt. Ebenso aber muss das ursprüng- liche oder wenigstens ältere Vorkommen einer Art eine die jetzige Verbreitung bestimmende Bedingung sein, eine Bedingung, die durchaus unabhängig von der Gegenwart ist. So räumt also de Candolle den geologischen Faktoren eine sehr große Bedeutung für das Ver- ständnis der gegenwärtigen Verteilung der Pflanzenwelt ein, indem er zuerst mit aller Klarheit darauf hinweist, dass die einzige erkennbare Ursache des Fehlens einer Art in einem Gebiete oft die ist, dass sie in einer frühern geologischen Epoche sich dort nicht fand. Noch andere Momente weisen auf die Wirkung außerhalb der gegenwärtigen Verhältnisse liegender Bedingungen hin. So beobachten wir das Vorkommen großfrüchtiger Arten, deren Samen also nicht leicht vertragen werden können, in Gebieten, die heute von einander oft räumlich weit durch Sehranken — Meere, hohe Gebirgszüge — getrennt sind, die für die Wanderung der betreffenden Arten unüber- windliche Hemmnisse sind. Eine Reihe von Arten, für welche eine Verbreitung durch Meeresströmungen ausgeschlossen ist, findet sieh z. B. auf den Inseln des Mittelländischen Meeres oder auf einzelnen derselben und dem Festlande. „Also müssen in frühern Epochen ver- schiedene Kommunikationsmittel vorhanden gewesen sein, die heute fehlen, oder aber die frühere oder ursprüngliche Verteilung der Arten bestimmt dieses Vorkommen“. Auf die Wirkung früherer Bedingungen weist ferner der Umstand hin, dass gewisse Gebiete, welche heute das Meer trennt, eine größere Zahl gemeinsamer Arten aufweist, als man nach der Entfernung und nach der Natur der beiden Klimate erwarten würde, wie z. B. Spanien und gewisse Thäler des Kaukasus oder Persiens, Indien und die Inseln des östlichen Afrikas, während anderseits wieder zu beobachten ist, dass Gebiete, deren Entfernung und klimatische Verhältnisse große Ana- logien vermuten ließen, mehr durch ihre Differenzen auffallen, wie z. B. Neuseeland und Neuholland. Die Verbreitung einzelner Ordnungen lässt sich wieder nicht unter Zuhilfenahme der gegenwärtigen Lebensbedingungen der Pflanzen ver- stehen. Gewisse Ordnungen einfacherer Gestaltung, wie z. B. Gräser, Cyperaceen u. s. f., haben, trotzdem ihre Samen nicht mit den bessern Verbreitungsmitteln ausgerüstet sind, eine ungleich größere Verbreitung, als andere höher gestaltete Ordnungen, wie z. B. die Kompositen, die doch zum großen Teil viel bessere Verbreitungsmittel besitzen. Alphonse de Gandolle. 219 So kommt de Candolle zu der Erkenntnis, dass das Alter der lebenden Arten ein ungleiches sein müsse. „Vielleicht, sagt er, folgten sie zeitlich aufeinander, sei es, dass sie von alten Arten der aufeinanderfolgenden geologischen Perioden abstammen, sei es, dass sie suecessive durch eine übernatürliche Ur- sache geschaffen wurden, sei es endlich, dass die einen zu bestimmten Zeiten geschaffen wurden, während die andern auf natürlichem Wege entstanden“. Einer Charakteristik der wissenschaftlichen Bedeutung und des wissenschaftlichen Standpunktes von Alphonse de Oandolle darf eine Skizzierung seiner Vorstellungen über die natürliche Entstehung der Arten nicht fehlen. Wir dürfen freilich nieht vergessen, dass wir damit eine Periode seiner Arbeit schildern, die als vordarwinische bezeichnet werden muss. Erst 4 Jahre, nachdem er seine Ansichten über den Ursprung der Arten entwickelt hatte, erschien Darwin’s epochemachendes Werk „Die Entstehung der Arten“. Die Art definiert de Candolle als „des colleetions d’individus qui se ressemblent assez pour: 1) avoir en commun des caracteres nombreux et importants qui se continuent pendant plusieurs genera- tions, sous l’empire de eirconstances variees; 2) s’ils ont des fleurs, se feconder avec faecilit& les uns les autres et donner des graines presque toujours fertiles; 3) se comporter a l’egard de la temperature et des autres agents exterieurs d’une maniere semblable ou presque semblable; 4) en un mot, se ressembler comme les plantes analogues de strueture, que nous savons positivement &tre sorties d’une souche commune, depuis un nombre considerable de generations“. Im Gegensatz zur Cuvier’schen Schule betont de Candolle die große Veränderlichkeit der Arten, „car ce sont tous les organes et toutes les proprietes physiologiques d’une espece qui sont suscep- tibles de devier“. Die sich vollziehenden Veränderungen gruppiert de Candolle in 4 Variabilitätsstufen. Am gleichen Individuum können je nach den physikalischen Bedingungen eines Jahres mehr oder weniger bedeutende Abweichungen von der Gestalt eines frühern Jahres entstehen, Variationen der Blattgröße, der Blütenzahl, auch der Blütenfarbe, der Behaarung. Die- selben Abweichungen sind zu gleicher Zeit, d. h. im gleichen Vege- tationsjahr, an verschiedenen Individuen der gleichen Art zu beobachten. Die Verschiedenheit der äußern Ursachen, wie der Feuchtigkeit, der Wärme, der Bodenbeschaffenheit ete. in Verbindung mit innern bedingt das Vorhandensein dieser Variationen. Die 2. Stufe der Abände- rungen sieht de Candolle in der Bildung der Monstrositäten. Mehr oder weniger bedeutende Abweichungen von der normalen Ge- stalt, die zur Bildung ganz exzeptioneller Formen führen, zeigen die I Alphonse de Candolle. monströsen Pflanzen entweder gleich den Variationen nur vorübergehend d. h. während eines Vegetationsjahres, oder es wiederholen sich die Bildungsabweichungen an demselben Individuum während mehrerer aufeinanderfolgender Jahre. Varietäten, die 3. Abänderungsstufe, sind Formen oder physiologische Verbindungen, welche durch vegeta- tive Vermehrung erhalten bleiben, aber sich fast immer bei der Ver- mehrung durch Samen verlieren, während die 4. Stufe, die Rasse, besondere Zustände der Art darstellt, die sich fast stets von Generation zu Generation erhalten, sowohl bei vegetativer Vermehrung als bei der Fortpflanzung durch Samen. Mit der Variabilität der Art verbindet de Candolle die Ver- erbung. „Alle Modifikationen der Individuen können erblich werden. Deshalb können Variationen, Monstrositäten und Varietäten in den Zustand der Rasse übergehen. Ja, sie haben alle eine gewisse Ten- denz, es zu werden. Aber sie begegnen in der Natur einer Menge von Hindernissen, die die Entstehung der Rasse unabhängig vom Menschen zu etwas seltenem machen ..... Wenn schließlich eine Variation, eine Monstrosität oder eine Varietät durch innere oder äußere Umstände, die verändernd wirken, entstanden ist, dann fehlt diesen Modifikationen der Art die Zeit, die sie zu einer erblichen Form werden ließe“. So bezeichnet denn de Candolle als Bedingungen für die natür- liche Entstehung der Rasse: 1) eine Organisation, welche der Ver- mehrung durch Samen nicht schadet, 2) die Isolierung von allen anders gestalteten Formen der gleichen Art, deren Pollen influieren könnte, 3) die Dauer der Bedingungen, welche eine besondere Form werden ließen, 4) einen langen Zeitabschnitt, welcher dem Gesetze des Atavis- mus gestattet dahin zu kommen, die Rasse zu befestigen während es ursprünglich ihre Zerstörung bewirkt“. Der Geschicklichkeit der Gärtners gelingt es wohl, diese Beding- ungen wenigstens zum Teil so zu kombinieren, dass aus den flexibleren kultivierten Arten Kulturrassen entstehen. Das Prinzip der künstlichen Auslese, welche Punkt 2) zur Voraussetzung hat, wird damit berührt. In der Natur aber wird die Entstehung erblicher Modifikationen wildwachsender Pflanzenarten ein äußerst seltener Vorgang sein, weil das Zusammentreffen der oben genannten Bedingungen der Rassen- bildung wohl nur sehr selten beobachtet werden wird, und nicht des- halb, weil keine neuen Formen entstünden, sondern, weil deren Fixierung und Vermehrung sehr schwierig ist. Wenn also de Candolle auf der einen Seite die Möglichkeit der Entstehung neuer erblicher Formen als Abkömmlingen von gegen- wärtig lebenden Arten zugibt, so konstatiert er doch anderseits die seringe Wahrscheinliehkeit ihrer Entstehung ohne Mithilfe des Menschen. Alphonse de Candolle. 994, Nun gibt es aber thatsächlich, wie kein Botaniker bezweifelt, auch unter den wildwachsenden Arten wohl ausgeprägte Rassen, die viele Naturforscher geneigt sind als Arten aufzufassen. Für sie ist eine natürliche Entstehung anzunehmen. Für diese „Theorie einer Sub- division der Arten in Rassen, die jetzt für Arten genommeu werden“ sprechen nicht nur geologische Thatsachen, sie steht auch mit der Bildungsweise der Rassen im Einklang, für sie sprechen auch die Zweifel, welche unter den Naturforschern bezüglich der Umgrenzung zahlreicher Arten bestehen, wie auch die Definition des Artbegriffes. Es müssen also, wenn man die Rassenbildung als einen gegenwärtig sich abspielenden Vorgang zwar für möglich, aber für sehr wenig wahr- scheinlich hält, zugleich aber das Vorhandensein von Rassen zuge- steht, denen selbst der Wert von Arten zugesprochen wird, während der der Gegenwart vorangegangenen geologischen Epochen Momente die Rassenbildung begünstigt haben, auf die man gegenwärtig nicht abstellen kann. Zur erblichen Befestigung der stets entstehenden Abänderung der Arten bedarf es vor allem langer Zeiträume. Diese kann man nun natürlich annehmen, sobald man die Rassen als Produkte früherer Zeiten auffasst. Denn die meisten der jetzt lebenden Arten sind älter als der Mensch. Während so langer Zeiträume konnte auch die „hart- näckigste“, stabile Art Variationen oder Monstrositäten erzeugen, die in den Zustand der Rassen übergingen. Die langen Zeiträume, innerhalb welcher sich die geologischen Erscheinungen abspielten, schufen aber auch die zweite Bedingung, welche die Rassenbildung begünstigt, die Isolierung. Denn Teile von Kontinenten konnten zu Inseln werden, ganze Kontinente zu Archipeln. Zugleich war die Möglichkeit der Bildung einer andern Art der Iso- lierung vorhanden, die darin bestand, dass extreme Varietäten ent- stehen konnten, indem die intermediären verschwanden, ein Umstand, auf welchen die Bildung jener hassen zurückzuführen ist, welche man für Arten hält. de Candolle lässt aber diese Wirkungen sofort wieder nur in beschränktem Sinne zu. Die Kulturrassen, sagt er, entfernen sich nie so weit von der ursprünglichen Art, dass man sie für neue Gat- tungen nehmen würde, also kann man auch nicht annehmen, dass die natürliche Rassenbildung neue Gattungen schuf. „Die Sub- division der Arten kann nur nahestehende, sehr nahestehende Arten erzeugen, und es blieb eine unendliche Zahl distinkter, ursprünglicher Typen, die man nicht auf diese Ursache zurückführen kann“. Auch darin sieht de Candolle ein Zeugnis der beschränkten Wirkung, dass sich „die große Mehrzahl analoger Arten heute genähert und bisweilen gehäuft im gleichen Lande findet“. Die meisten Arten sind deshalb als das Produkt eines übernatürlichen Schöpfungsaktes aufzufassen. 299 Alphonse de Candolle. Dies der de Candolle der vordarwinischen Zeit. Die rückhalts- lose Anerkennung der Möglichkeit der natürlichen Entstehung der Arten wird mit einer weitgehenden Beschränkung ihrer Verwirklichung ver- bunden. Diese ist nicht eine Forderung logischer Konsequenz; aber wir können sie begreifen. Denn einerseits werden die Vorstellungen über die Länge geologischer Zeiträume noch zu ängstlich an die historischen Zeiten angeknüpft, anderseits sah eben de Candolle die die Ent- stehung von Abänderungen verwischenden Momente in bedeutendem Uebergewicht gegenüber den sie erhaltenden. Welch bedeutender Unter- schied zwischen de Candolle’s sehr „langen Zeiträumen“ und unserer heutigen Vorstellung von diesem Begriffe war, ersehen wir am besten aus folgender zeitlicher Umschreibung des Begriffes. „Un temps tres long“ umfasst nach ihm „plusieurs sieeles anterieurs A l’epoque actuelle ou plusieurs milliers d’annees“ d. h. er dehnt sie so aus, dass unsere Epoche, das Alluvium, eben um ein kleines Stück der un- inittelbar vorangehenden, des Diluviums, verlängert erscheint. Hätte de Candolle gewagt jene Dekaden von Jahrtausenden vorauszusetzen, innerhalb welcher wir heute selbst relativ kurze geologische Abschnitte sich abspielen lassen, so würde ihn seine Vorstellung, dass Variationen zu Rassen, Rassen zu Arten werden, wohl auch zu jenem weitern Sehritte geführt haben, der in konsequenter Verfolgung der Vorstellung auch die Gattungen hätte werden lassen. Der Widerspruch mit den Beobachtungen über die Veränderlichkeit der Kulturpflanzen ist ja aus doppeltem Grunde nur ein scheinbarer. Wenn dureh die Kultur eine bestimmte Bildungsabweichung zu bestimmter Höhe gebracht wurde, damit das Ziel erreicht ist, das der Züchter sich steckte, dann wird eine Steigerung über das erstreckte Maß hinaus geradezu vermieden werden, weil sie den Intentionen des Züchters zuwider wäre. Ander- seits ist die zielbewusste Züchtung einer Kulturform auf einen geo- logisch gedacht so außerordentlich kurzen Zeitraum beschränkt, dass die Steigerung der Bildungsabweichung bis zum Grade einer neuen Gattung im allgemeinen allerdings nicht sehr wahrschemlich ist. Dazu kommt endlich, dass die Wirkung der historischen Ueberlieferung der Kon- stanz der Art zumeist noch mächtig genug ist, um den Züchter zögern zu lassen, da, wo ihm der genetische Zusammenhang einer Serie von Formen bekannt ist, die Entstehung einer Gattung selbst dann zuzu- gestehen, wenn die Differenzen zwischen den Endgliedern der Reihe ebenso bedeutend wären, wie sie zwischen vielen Gattungen wild- wachsender Pflanzen sind. Gleich einer befreienden That wirkte Darwin’s „Entstehung der Arten“, und es zeugt gewiss nicht nur. für den objektiven Sinn de Candolle’s, sondern auch für seinen weiten Blick, dass er in den vordersten Reihen seiner frühesten Anhänger zu finden ist. Im Jahre 1862 veröffentlichte er eine Etude sur l’espece a l’ocea- Alphonse de Candolle. 223 sion d’une revision de la famille des Cupuliferes, in welcher er durch- aus auf dem Boden der modernen Entwicklungstheorie steht. Von neuem betont er hier, wie nielıt die Entstehung der Formen die Schwierig- keit der Evolutionstheorie war. „Mais il faudrait prouver que les formes nouvelles, plus ou moins aberrantes, qui naissent frequemment, se pro- pagent et se conservent de temps en temps, de maniere A constituer, au milieu des anciennes formes, de nouvelles formes hereditaires per- manentes“. Rückhaltslos anerkennt er, dass Darwin’s Selektions- theorie diese Schwierigkeit hebt. „M. Darwin, schreibt er in der zitierten Abhandlung, a done mis le doigt sur le point essentiel de la question, en cherchant une cause par laquelle des variations d’une generation a V’autre se fixeraient necessairement an lieu de disparaitre..* Eine Hauptstütze der Selektionstheorie sieht de Candolle vor allem in dem Vorhandensein rudimentärer Organe, die durch keine andere Theorie erklärt werden. So fasst er sein Urteil über die Darwin’sche Theorie in folgenden Satz zusammen: „La theorie d’une succession des formes par deviations de formes anterieures est "hypothese la plus naturelle, expliquant le ıieux les faits connus de paleontologie, de geographie botanique ou zoologique, de structure anatomique et de classification, mais elle manque de preuves direetes — jene paläontologischen Entwicklungs- serien der Tertiärablagerungen des Felsengebirges waren damals noch nicht bekannt — et si elle est vraie, elle ne peut avoir agi que tres- lentement, A ce point que ses effets seraient visibles seulement apres des laps de temps beaucoup plus longs que notre epoque historique“. Diese wissenschaftliche Stellung de Candolle’s verdient um so größere Anerkennung, als die Naturforscher Frankreichs, des Landes, in dem die Wiege eines Lamarck stand, der Entwicklungstheorie gegenüber eine sehr reservierte, zuwartende, zum großen Teil selbst feindliche Haltung einnahmen. 11 Jahre später widmete de Candolle einen größern Abschnitt seines Werkes Histoire des sciences et des savants depuis deux siecles, suivie d’autres etudes sur des sujets scientifiques, en partieulier sur la selection dans l’espece humaine, auf dessen interessanten Inhalt wir nun zu sprechen kommen, einer ein- lässlicehen Darstellung der Entwicklungstheorie Darwin’s, um ihr die wissenschaftliche Welt französischer Zunge zu gewinnen. Die Bedeutung dieses eigenartigen Werkes könnte nicht besser in’s Licht gestellt werden als durch folgende Worte, die Darwin an de Candolle schrieb. „Ich habe mit dem Lesen ihres neuen Buches zeitiger angefangen, als ich beabsichtigt hatte, und als ich einmal an- gefangen hatte, konnte ich nieht aufhören. ..... Ich habe kaum jemals irgend etwas originelleres und interessanteres gelesen als ihre Behand- lung. der Ursachen, welche die Entwicklung wissenschaftlicher Männer veranlassen. Das war mir vollständig neu und äußerst merkwürdie“. 394 Alphonse de Candolle. Es kann sich für uns nicht um eine Analyse dieses umfangreichen Werkes handeln, das an dieser Stelle hauptsächlich nur zur Illustration der Arbeits- und Denkesweise de Candolle’s dienen soll. Dieses Ziel aber dürfte hinlänglich erreicht werden, wenn wir die Vorstellungen de Candolle’s über die Vererbung der Eigenschaften des Menschen darlegen. Mit großem Erfolge kommt in diesen Studien wieder die Statistik zur Verwertung. de Candolle stellt von einer Anzahl von Personen, die er genau kennt, deren Eltern und zum Teil Großeltern gut bekannt sind, in 4 Kategorien geordnet die physischen und psychischen Charaktere zu- sammen. Die erste Kategorie umfasst die äußern Erscheinungsformen, gleichsam das Signalement der betreffenden Personen, welche sich über Kopfgröße, Statur, Farbe der Haare, der Augen u. s. f. ausspricht. Innere Charaktere, als da sind Kurz- und Weitsichtigkeit, Tempera- ment, Neigung zu Krankheiten bilden die 2. Kategorie. Die 3. Kategorie begreift die instinktiven Anlagen in sich, die Neigungen, wie Neigung zur Arbeit oder Bequemlichkeit, Willensstärke ete., die Gefühle wie Pfliehtgefühl, Freigebigkeit oder Geiz, Bescheidenheit, Einfachheit ete. Die 4. Kategorie bilden die intellektuellen Fähigkeiten, wie Gedächtnis- kraft, Einbildungskraft, Urteilskraft u. s. f. Er gelangt dabei zu folgenden Resultaten. Zahl der beobachteten Individuen 31. kei Gemeinsam mit | | Bei beid = || | 2 ei beiden SFR Yıheiden dem Vater | der Mutter Dumme der ' Eltern feh- | 2 3 ; ‚gemeinsamen | aechasr = ic = | Eltern allein allen | Charaktere has : MN |N5 | a en VE Le | aAloH 7 Aentı dl aP Ta RS [ | | | 1 SE Ir. 1280| „48.1, 17, | 152 46 86 30 | 266 93 21 | 2 120 |295 82 | 20 1375 | 915 Iıs5| 7a| 38 | 9.1 38.| 27 | 14 176 |.00 | Total Itos2| 325 | 32 386 ı 37 5 | |9s6 | ıı | Männliche Individuen 18. tes, 20 a7 a ee I #9 [gan gg 3 Mir erging oh IR Trail 269) aaa |r Ast! | Tabs sea ae ul IV |227| 51|0|87 | 5 |im| © 10 | 8 Total | 655 | 222 34 | 229 35 | 454 | 23,5 605. | gas 50 en Weibliche Individuen 13. I I 1191 20 16 57 49 26 22 | 103 872 916 13 9 | 120 80 1°21,5°) 09 42 320721721,9 211970288 | 21 en — —_ Ha nn y oO [ y I wo | | 1 | 9 8165| 22 | 9 | as | ar )e5 | 8 | 455 HE. | 4411.52] .8%.| 49.1 88.1.2721. 19..|428.1.98..|..48.|..9 Iy .\..68, 28,820 30 | 20... 3.1.13 | SR ET ER IE Portal 3771* 1031 37 15 TI NEST Es ist nicht ohne Interesse eine Vorstellung, die gegenwärtig wohl allgemein verbreitet sein dürfte und tief wurzelt, in dieser Weise durch Zahlen beleuchtet zu sehen. Alphonse de Candolle. 225 Mit diesen Ergebnissen, die uns die Vererbung intellektueller Eigen- schaften (Kategorie IV) erkennen lassen, steht die Vererbung bei den Männern der Wissenschaft in Widerspruch, sofern man wenigstens ihre Wirkung darin erwartet, dass sie dem Deszendenten die Fertigkeiten und spezifischen Fähigkeiten für einen bestimmten Wissenszweig über- trage. Um objektiv den Einfluss der Vererbung feststellen zu können, verfolgt de Candolle zwei Methoden. Die eine besteht darin, Grup- pen von bekannten Männern der Wissenschaft zu betrachten, die andere darin, die hervorragenden distinktiven Charaktere einiger Gelehrter zu prüfen und ihrem Ursprunge nachzugehn. Die erste Methode führte de Candolle zu der Erkenntnis, dass die Vererbung nur einen verhältnismäßig geringen Einfluss auf die besondere wissenschaftliche Bedeutung des Deszendenten eines wissen- schaftlich hochstehenden Vaters hatte, dass vielmehr die Einflüsse der Erziehung und des Beispiels hauptsächlich den Deszendenten auch wissenschaftlich bedeutend werden ließen. Für die mathematische Wissen- schaft glaubt er eine Ausnahme machen zu müssen. Der Einfluss der Vererbung besteht hauptsächlich in der Uebertragung der in den Wissen- schaften nützlichen Empfindungen und Fähigkeiten und viel weniger in einer Vererbung höherer Geschicklichkeiten für die oder jene Wissen- schaft. Die zweite Methode, die psychische Analyse einzelner Gelehrter ergab im Prinzip das gleiche Resultat. Die Vererbung gibt den Männern der Wissenschaft nicht spezielle und außerordentliche Fähigkeiten, son- dern eine gewisse Summe moralischer und intellektueller Eigenschaften, die je nach den Umständen und dem Willen jedes Individuums zum Studium der Wissenschaften wie anderer ernster Dinge befähigen. Dem Lebensbild des großen Gelehrten würde ein wichtiges Moment fehlen, wenn der bedeutende Einfluss de Candolle’s auf dem Gebiete der Nomenklaturfrage nicht erwähnt würde. Eine Reihe seiner Schriften sind dieser Frage gewidmet, und seinem Einfluss ist eine gewisse Regel- ung der Namengebung durch den internationalen botanischen Kongress, der im Jahre 1867 in Paris tagte, zu verdanken. Wenn in den voranstehenden Seiten all die großen Eigenschaften de Candolle’s, in ihrer Mehrheit die Repetition der Ergebnisse der psychischen Analyse jener 4 großen Naturforscher, an denen er die Wirkung der Vererbung einlässlich studierte, mehr nur angedeutet als detailliert ausgeführt wurden, so zeigt doch schon die Skizze die ganze Größe des Mannes, dessen Name in der Nachwelt fortleben wird, so lange der menschliche Geist die Erkenntnis der Natur zu mehren bemüht ist. XIV. 15 996 Zacharias, Periodizität und Vermehrung der Planktonwesen. Ueber Periodizität und Vermehrung der Planktonwesen. Von Dr. Otto Zacharias (Plön). In der kürzlich erschienenen Festschrift für August Weis- mann!) hat Apstein (Kiel) die Planktonproduktion verschiedener holsteinischer Seen besprochen, wozu ich im Nachstehenden einige Bemerkungen rein sachlicher Natur machen möchte. Gleiehzeitig werde ich auch die Mitteilungen jenes Aufsatzes nach verschiedenen Riehtungen hin ergänzen. Namentlich soll dies in Betreff des Gr. Plöner Sees geschehen, dessen Plankton in der hiesigen Station ein volles Jahr lang 1892/93) kontinuirlich von mir beobachtet worden ist. Dadureh bin ich in den Stand gesetzt, mehrere Lücken auszu- füllen, die sich in den Apstein’schen Angaben vorfinden. Letztere gründen sich, wie der Autor berichtet, auf die Ergebnisse von 17 Ex- kursionen, welche sich auf den Zeitraum vom Mai (8.) 1892 bis Juli (2.) 1893 verteilen. Apstein’s Arbeit wurde am 10. Oktober 1893 im Manuskript abgeschlossen. Meine eigenen Periodizitätstabellen für den Gr. Plöner See sind am 25. Oktober 1893 fertiggestellt und im Laufe des Januar 1894 publiziert worden ?). Es liegen somit zwei völlig von einander unabhängige Reihen von Aufzeichnungen bezüglich desselben Wasser- beekens vor, die eben darum einen sehr objektiven Ueberbliek er- möglichen. Leider bricht Apstein’s Tabelle zu Beginn des Juli- monats ab, sodass ein vollständiger Vergleieh nicht durchzuführen ist; immerhin aber zeigen die beiderseitigen Angaben für die Zeit vom November 1892 bis Juli 1893 — wo dieselben einander parallel gehen — einen solehen Grad von Uebereinstimmung, dass die that- sächlich vorhanden gewesenen Periodizitätsverhältnisse dadurch an- nähernd richtig zur Feststellung kommen dürften. Ein besonderes Interesse bieten diejenigen Fälle bei der Ver- gleichung dar, wo Apstein das Vorkommen einer Species registriert hat, während ieh dieselbe zur nämlichen Jahreszeit in den von mir durehmusterten Fängen nicht zu Gesicht bekam. Es liegt offenbar am nächsten, die Erklärung hierfür in der jeweiligen geringen Individuen- zahl der fraglichen Speeies zu suchen, und dies trifft hinsichtlich der bekannten planktonischen Dinoflagellaten- Art Ceratium hirundinella schr genau zu. Ich sah das erste Exemplar dieser auffälligen Peri- dineen-Gattung erst am 20. März 1893. Apstein hingegen konsta- tierte „vereinzelte“ Ceratien schon im Januar. Einige Wochen später begegneten ihm sogar bereits Teilungsstadien neben Cysten. Nun ergibt aber ein Blick auf das von Apstein mitgeteilte Zählprotokoll 4) Berichte der Naturf. Gesellsch. zu Freiburg i. Br., 1894, 8. Bd., 8. 70—78. 2) Vergl. Forschungsberichte aus der Biolog. Station zu Plön, II. Teil, 1894. Mit 2 Tafeln. R. Friedländer & Sohn, Berlin. Zacharias, Periodizität und Vermehrung der Planktonwesen. 297 vom 5. Februar 1893, dass diese Dinoflagellaten sehr spärlich in dem damals gemachten Fange vertreten sind, und daraus erklärt es sich hinlänglich, dass bei solcher Sachlage das Nichtauffischen einiger Ceratien beinahe ebenso wahrschemlich ist, als der umgekehrte Fall ihrer Erbeutung, welchen Apstein zu verzeichnen in der Lage war. Auf dieselbe Weise wird das Fehlen von Codonella lacustris (für November 1892 und Februar 1893) in meiner Tabelle begreiflich), denn zu den angegebenen Zeiten war jene Tintinnenspecies (laut Ap- stein’s Zählungen) ebenfalls wenig zahlreich. Dagegen scheint es schwer erklärlich, wie ich im Juni 1893 (wo die zehnfach größere Anzahl derselben Infusorien von Apstein in einem damals gemachten Fange festgestellt wurde) diese leicht erkennbaren Mitglieder der lim- netischen Tiergesellschaft hätte übersehen können — wenn sie über- haupt in meinem Untersuchungsmaterial vorhanden gewesen wäre. Ich vermute deshalb, dass Codonella sich gelegentlich ebenso wie ver- schiedene andere Planktonwesen zu dichteren Schaaren vereinigt, was hier vielleicht mit dem Bedürfnisse der Konjugation zusammenhängen mag. Dann würde es sich aber auch erklären, dass zwei gleich auf- merksame Beobachter völlig verschiedene Chancen haben können, das nämliche Objekt in der benötigten Anzahl zu erbeuten. Ja, es würde unter solehen Umständen auch der oben erwähnte Fall zu verstehen sein, dass ein vollständiger Fehlfang hinsichtlich einzelner Arten vorkommen kann. Wäre dies nicht in den natürlichen Verteilungsverhältnissen des Plankton selbst begründet, wie ich anderwärts gezeigt habe!), so würde es mehr als unbegreiflich sein, dass ich die auffallend schöne Aecinete Staurophrya elegans Zach. in den Februarfängen des vorigen Jahres gänzlich übersehen haben sollte, zumal da Apstein ein Maximum bezüglich derselben für die eben genannten Monate re- gistriert. Eine solche Verschiedenheit in den Beobachtungsresultaten kann nieht auf bloßem Zufall beruhen, sondern sie muss eine objek- tive Ursache haben, wenn sie verständlich werden soll. In dieser Voraussetzung werden wir noch mehr bestärkt, wenn sich ergibt, dass bald der eine, bald der andere von uns zwei Beobachtern derjenige ist, der eine zur Zeit häufig vorhandene Species nicht registriert hat. So hat z. B. Apstein Codonella lacustris für den Juli (1893) nieht verzeichnet, wogegen ich diese Tintinne jenen ganzen Monat hindurch beobachtete. Desgleichen konstatierte ich (vgl. meine Tabellen) Dinobryon sertularia (divergens) für die beiden letzten De- kaden des März, ohne dass Apstein zur nämlichen Zeit in der Lage war, die nämliche Wahrnehmung zu machen. Nicht minder fischte ich Staurophrya elegans ziemlich häufig gegen Ende März (1895), 1) Vergl. Biolog. Centralblatt, 1894, XIV, Nr. 3, 8. 122 ff. 15 * 228 Zacharias, Periodizität und Vermehrung der Planktonwesen. welches Vorkommen der Kieler Beobachter seinerseits nicht meldet. Das limnetische Rädertier Conochilus volvox sah ich in meinen Prä- paraten vom November (1892), sowie in denen vom Januar, Februar und März (1893) zahlreich. Apstein hingegen scheint es in dieser Zeit nicht angetroffen zu haben. Ebenso muss es sich (seiner Tabelle nach) mit Anuraea longispina verhalten haben. Ja sogar die wegen ihrer Größe schwer zu übersehende Leptodora hyalina, die Königin der planktonischen Crusterwelt, welche ich in der ersten Julihälfte (1893) immer zahlreich vorgefunden habe, ist in dem Apstein’schen Fange vom 2. Juli (1893) nicht vertreten gewesen. Ich halte, wie schon bemerkt, diese Summe von Fehlfängen auf meiner sowohl wie auf Apstein’s Seite für zu groß, um sie als das Ergebnis einer bloß zufälligen Konstellation der faunistischen Ver- hältnisse betrachten zu können, die zu den betreffenden Zeitpunkten im Plöner See herrschend waren. Lässt man den Zufall eine so weit- gehende Rolle spielen, so erscheint es konsequent, auch die zahl- reichen, frappanten Uebereinstimmungen, welche zwischen meinen und Apstein’s Tabellen stattfinden, auf dessen Conto zu setzen — womit aber freilich jede Möglichkeit zur Durchführung von vergleichen- den Untersuchungen auf dem Gebiete der Planktologie abgeschnitten wäre. Ich komme nach Erwägung der Ergebnisse, welche in den vor- liegenden Tabellen verzeichnet sind, zu der Ansicht, dass wir ange- sichts derselben die Zufälligkeit, wie sie oben charakterisiert wurde, nur in einem sehr beschränkten Maße gelten lassen können. Soviel ich sehe, lassen sich vielmehr folgende Thesen auf Grund des Gefun- denen und nicht Gefundenen aufstellen: 1) Was in einem See zu einer bestimmten Zeit an Gattungen und Arten reichlich vorhanden ist, ergibt sich aus den übereinstim- menden positiven Angaben der Listen verschiedener Beobachter. 2) Was in einem See nur spärlich oder überhaupt nicht mehr vor- kommt, gelangt in den übereinstimmenden negativen Befunden zum Ausdruck. Diese Schlussfolgerung hat namentlich dann besondere Kraft, wenn die negativen Ergebnisse beider Listen einander wochen- und monatelang entsprechen. 3) Wenn die eine Liste zur nämlichen Zeit einen positiven Befund eingetragen zeigt, welcher auf der andern vollständig fehlt, so spricht das zu Gunsten einer ungleichförmigen Verteilung des Plankton im Wasser, zumal wenn dem negativen Befunde der einen Liste ein maximaler (oder wenigstens zahlreicher) auf der anderen gegenübersteht. Apstein’s Liste für 1892—93 geht leider nur vom November bis Juli mit der meinigen parallel. Außerdem fehlen darin die Monate Dezember und Mai, sodass nur die Fänge von 7 aufeinanderfolgenden Zacharias, Periodizität und Vermehrung der Planktonwesen. 999 Monaten zum Vergleich vorliegen. Immerhin ist dies aber viel besser als nichts, weil überhaupt niemals vorher dergleichen kontinuierliche Untersuchungen an einem und demselben Wasserbecken vorgenommen worden sind. Die Gegenüberstellung von meinen und Apstein’s Er- gebnissen ermöglicht zum ersten Male einen Einblick in die Periodizi- tätsverhältnisse einer Anzahl von planktonischen Organismen tierischer und pflanzlicher Natur, und darum nehme ich keinen Anstand, die Behauptung auszusprechen, dass diese Listen in Verbindung mit einander als sehr wichtige und grundlegende Dokumente für eine ganze Reihe von biologischen Fragen, welche das Plankton betreffen, betrachtet werden müssen. Bezüglich der von mir zusammengestellten Tabellen bemerke ich, dass dieselben insofern eine besonders klare Einsicht in den wechseln- den Bestand der verschiedenen Species gestatten, als ich jeden ein- zelnen Monat in 3 Dekaden geteilt und für jeden dieser zehntägigen Zeiträume die beobachtete Häufigkeit oder Seltenheit einer Art, sowie deren zeitweiliges Verschwinden registriert habe. Die Dekaden-Ein- teilung halte ich bei allen derartigen Tabellen für absolut notwendig, weil die fortgesetzte Beobachtung der limnetischen Organismen lehrt, dass oft schon 8—10 Tage hinreichend sind, eine zahlreich vorkömm- liche Species stark zu vermindern, oder eine nicht sehr häufig auf- tretende bis zur Maximalentfaltung ihrer Anzahl zu steigern. Hierfür bieten meine Aufzeichnungen, welche sich auf 55 Formen erstrecken, vielfache Belege. Die Schnelligkeit der Vermehrung ist bei manchen Planktonwesen wahrhaft staunenswert und vollzieht sich noch weit innerhalb der Grenzen einer Dekade. Namentlich lässt sich das bei Diatomeen beobachten. Ich konstatierte am 23. Mai 1893 nur einige wenige Exemplare von Synedra tenuissima in den Fängen, sah aber von da an diese Species binnen 4 Tagen in einer solchen Progression zu- nehmen, dass sie am 28. Mai zu den häufigsten Erscheinungen in meinen Präparaten gehörte. Deshalb betonte ich schon oben, dass die Einteilung der Monatskolumnen in Dekaden durch die thatsächlich vorhandene riesige Vermehrungsfähigkeit mancher Planktonformen bei Herstellung von Tabellen angezeigt erscheint. Aus diesem Grunde dürfte mein Vorschlag wohl auch überall da Berücksichtigung finden, wo es sich um die Darstellung kontinuirlicher Beobachtungsresultate in Tabellenform handelt. — Was schließlich noch die von Apstein befürwortete Einteilung der holsteinischen Seen in Chroococeaceen- und Dinobryon- seen anlangt, so lässt sich dieselbe schwerlich am Großen Plöner See rechtfertigen. Apstein zählt letzteren zu denjenigen, welche vorwiegend eine reiche Dinodryon-Fülle entwickeln, während die andern durch eine besonders üppige Vegetation von Clathrocystis 330 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. aeruginosa ausgezeichnet sind. Indessen ist in der zweiten Hälfte des Mai (und ebenfalls im August) das Plankton des Gr. Plöner Sees nicht minder überreich an den rotierenden Flagellatenkolonien von Uro- glena volvox, und etwas später pflegen die Strahlenkugeln der lim- netischen Alge Gloiotrichia echinulata in solchen Mengen aufzutreten, dass sie die Hauptmasse aller Fänge bilden. Demnach könnte man den Gr. Plöner See mit demselben Rechte einen Uroglena-See, resp. einen Nostocaceen-See nennen, je nach dem Zeitpunkte, welchen wir für die Klassifikation wählen. Ein derartiger Schematismus erscheint mir nicht hinlänglich begründet. Ein Planktolog, der am 17. Juli 1892 den Kellersee (zwischen Plön und Eutin) abgefischt hätte, würde fast ausschließlich Asterionella gracillima in Gestalt großer Mengen eines gelben Schleimes ins Netz bekommen haben. Wäre diese Erscheinung alljährlich um dieselbe Zeit wiederkehrend, so würde man jenen See als den Typus eines Diatomeensees hinstellen können und dergleichen mehr. Indessen soll das nur eine ganz gelegentliche Bemerkung sein, die ich unterdrückt haben würde, wenn jenes Prinzip der Seenein- teilung durch den Litteraturbericht des „Zool. Anzeigers“ (vergl. Nr. 439 desselben) nicht schon zu allgemeinerer Kenntnis gebracht worden wäre. Biolog. Station zu Plön, 12. Februar 1894. Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl‘“, Von Herbert Spencer. Nachschrift!). Außer den kürzlich von mir besprochenen spezielleren Theorien des Herrn Prof. Weismann, deren weitgehende Aufnahme von Seiten der biologischen Welt mich höchlichst überrascht, gibt es auch ge- wisse, allgemeiner gehaltene Theorien — Fundamentaltheorien — von ihm, deren Annahme mich noch mehr in Erstaunen setzt. Von den beiden, auf denen der breite Unterbau seiner Spekulationen beruht, betrifft die erste den Unterschied zwischen den reproduktiven Elemen- ten eines jeden Organismus und den nichtreproduktiven Elementen. Er sagt: Aber gehen wir weiter! — Da die vielzelligen Tiere und Pflanzen aus den einzelligen hervorgegangen sein müssen, so fragt es sich nun, wie denn diesen die Anlage zu ewiger Dauer abhanden gekommen ist? Dies hängt nun wohl mit der Arbeitsteilung zusammen, die zwischen den Zellen der vielzelligen Organismen eintrat und dieselben von Stufe zu Stufe zu immer komplizierterer Gestaltung hinleitete. 1) Diese „Nachschrift“* konnte wegen Raummangel nicht mehr in den vorigen Band aufgenommen werden. Sie folgt hier mit einigen Abänderungen und Zusätzen des Herrn Verfassers. Speneer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 95 rt Mögen auch vielleicht die ersten vielzelligen Organismen Klümpchen gleichartiger Zellen gewesen sein, so muss sich doch bald eine Ungleichartig- keit unter ihnen ausgebildet haben. Schon allein durch ihre Lage werden einige Zellen geeigneter gewesen sein, die Ernährung der Kolonie zu besorgen, andere die Fortpflanzung zu übernehmen. Hier haben wir also das große Prinzip der Arbeitsteilung, welche das Prinzip jeder Organisation ist, zum ersten Mal illustriert durch die Teilung zwischen den reproduktiven und den nichtreproduktiven oder somatischen Zellen — den Zellen, welche für die Fortdauer der Spe- cies bestimmt sind und den Zellen, welche das Leben des Individuums unterhalten. Die Annahme dieser frühen Trennung der reproduktiven von den somatischen Zellen wird dadurch begründet, dass diese erste Arbeitsteilung diejenige ist, welche zwischen den Elementen stattfindet, die einerseits zur Fortdauer der Speeies, anderseits fürs Einzelleben bestimmt sind. Wir wollen dieser Behauptung gegenüber die That- sachen ins Auge fassen. Als Milne-Edwards zuerst den Ausdruck „physiologische Arbeits- teilung“ gebrauchte, war es sichtlich die Analogie zwischen der sozialen Arbeitsteilung, wie sie die Nationalökonomen beschreiben, und der Arbeits- teilung in einem Organismus, die ihn dazu veranlasste. Jedermann ist vertraut mit der ersteren, wie sie auf den frühen Stufen der Gesell- schaft vorkommt, als die Männer Krieger waren, während der Ackerbau und die schwere Arbeit von Sklaven und Frauen ausgeführt wurde; und wie sie sich in späteren Stadien darstellt, wo nicht nur Ackerbau und Handarbeit von verschiedenen Klassen betrieben werden, sondern der Ackerbau wiederum von Grundbesitzern, Pächtern nnd Arbeitern betrieben wird, während die Handarbeit in ihren zahlreichen Arten die Thätigkeit von Kapitalisten, Aufsehern, Arbeitern ete. erfordert, und die große Funktion der Verteilung durch den Engros- und Detail- handel in den verschiedenen Waaren vor sich geht. Inzwischen haben die Biologen, durch Milne-Edwards’ Bezeichnung verführt, geglaubt eine gleiche Anordnung in einem lebenden Wesen zu erkennen; die- selbe zeigt sich erstens in den äußeren Teilen, die der allgemeinen Thätigkeit der Nahrungsaufnahme und der Verteidigung gewidmet sind, während die innern Teile der Nutzbarmachung der Nahrung und ihrer eigenen Erhaltung und der der äußern Teile gewidmet sind; und zwei- tens zeigt sie sich in der Teilung dieser großen Funktionen in die- jenigen der verschiedenen Glieder und Sinnesorgane einerseits und anderseits in die der Atmungs-, Verdauungs-, Zirkulations-, Absonde- rungsorgane und anderer. Aber fragen wir nun, was der Grundzug dieser Arbeitsteilung ist. In beiden Fällen ist es ein „Austausch von Dienstleistungen“ — eine Einrichtung welche darin besteht, dass jeder Teil sich einer bestimmten Thätigkeit widmet, die allen andern Vorteil bringt und alle andern, verbunden und getrennt, ihre speziellen Thätig- 232 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. keiten ausüben, die wieder dem einzelnen Vorteil bringen. Anders ausgedrückt ist es ein System gegenseitiger Abhängigkeit; A hängt für sein Wohlbefinden von B, C und D ab; B von A, C und D; und so alle andern: alle sind abhängig von Jedem und Jeder von Allen. Nun wollen wir diese richtige Vorstellung der Arbeitsteilung auf das anwenden, was Prof. Weismann Arbeitsteilung nennt. Wo ist der „Austausch von Dienstleistungen“ zwischen somatischen und reproduktiven Zellen? Es gibt keinen. Die somatischen Zellen leisten den reproduktiven Zellen große Dienste, indem sie ihnen Material zum Wachstum und zur Vermehrung liefern; aber die reproduktiven Zellen leisten den somatischen nicht die geringsten Dienste. Wenn wir nach der gegenseitigen Abhängigkeit suchen, suchen wir um- sonst. Wir finden vollständige Abhängigkeit von der einen Seite und keine von der andern. Zwischen den Teilen, die dem individuellen Leben gewidmet sind, und dem Teil, der der Fortdauer der Species gewidmet ist, ist keine Spur von Arbeitsteilung. Das Individuum arbeitet für die Species; aber die Species arbeitet nicht fürs Individuum. Weder in dem Stadium, wenn die Species durch Reproduktionszellen dargestellt ist, noch wenn sie durch Eier, noch wenn sie im Stadium von Jungen dargestellt wird, immer thut der Elter Alles für die Species und die Species nichts für den Elter. Der hauptsächliche Teil der Vorstellung ging verloren; da ist kein Geben und Nehmen, kein Aus- tausch, keine Gegenseitigkeit. Aber nehmen wir an, wir gingen über diese trügerische Erklärung hinweg und gestehen wir Prof. Weismann seine grundlegende Vor- aussetzung und seine grundlegenden Folgerungen zu. Nehmen wir an, dass, weil die ursprüngliche Arbeitsteilung diejenige zwischen soma- tischen und reproduktiven Zellen ist, diese zwei Gruppen die ersten sind, die differenziert werden. Nachdem wir diese Schlussfolgerung für erwiesen angenommen haben, wollen wir sie mit den Thatsachen vergleichen. Da die behauptete ursprüngliche Arbeitsteilung universell ist, so müsste auch die behauptete ursprüngliche Differenzierung uni- versell sein. Sehen wir, ob sich dies so verhält. Schon an der oben von mir zitierten Stelle wird ein Riss in der Lehre zugegeben: es wird darin gesagt, dass „diese Differenzierung anfänglich nieht eine voll- kommene war und in der That es anch jetzt nicht immer ist“. Und dann finden wir an einer andern Stelle, dass der Riss zu einer Kluft geworden ist. Von den reproduktiven Zellen heißt es: „bei den Wirbel- tieren geschieht diese Abspaltung erst, nachdem der Embryo in seiner ganzen Form bereits angelegt ist“. Das will sagen, dass in diesem großen und wichtigsten Teil des Tierreichs das aus den Folgerungen hervorgegangene Universalgesetz nicht stichhält. Noch viel mehr wird zugestanden. Weiter unten, auf der folgenden Seite, lesen wir: „Es wäre deshalb ganz wohl denkbar, dass die Keimzellen sich noch viel Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*“. 233 später erst von den Körperzellen trennten als in den eben angedeuteten Beispielen, und ich glaube in der That Fälle zu kennen, in denen diese Trennung nicht nur bis nach der völligen Ausbildung des dem Keim entstammenden Tieres verschoben ist, sondern sogar noch einige Generationen weiter bis in die Knospensprösslinge jenes ersten Indi- viduums“. Also ist auch in andern großen Abteilungen des Tierreichs das Gesetz durehbrochen; so unter den Cölenteraten bei den Hydrozoen, unter den Mollusken bei den Aseidien und unter den Anneloiden bei den Trematoden. Selbst im gewöhnlichen Leben erwartet man von Demjenigen, dessen Voraussetzung durch die Beobachtung widerlegt wird, dass er bedenklich wird, obgleich es leider häufig nicht geschieht. Aber in der wissenschaftlichen Welt wird Jedermann, der seine Hypothese im Widerspruch mit einer großen Reihe von Beweisstücken findet, von nun an dieselbe preisgeben. Das thut Prof. Weismann nicht. Wenn er auch nicht mit dem spekulierenden Franzosen sagt „tant pis pour les faits“, so sagt er in Wirklichkeit etwas Aehnliches: „Tragen Sie Ihre Hypothese vor; vergleichen Sie sie mit den Thatsachen; und wenn die Thatsachen nicht mit ihr übereinstimmen, dann nehmen Sie wahrschemliche Uebereinstimmung an, wo Sie keine wirkliche sehen“. Denn auf die Art macht er es. Nachdem er das oben Angeführte eingeräumt hat inbezug auf die Vertebraten, folgen gewisse Sätze, die ich in Petitschrift anführe: Da nun — wie ihre Entwicklung beweist — ein tiefer Gegensatz besteht zwischen der Substanz oder dem Plasma der unsterblichen Keimzellen und der vergänglichen Körperzellen, so werden wir diese Thatsachen nicht anders aus- legen können, als dahin, dass in der Keimzelle beiderlei Plasma-Arten potentia enthalten sind, die sich nun nach dem Eintritt der embryonalen Entwicklung früher oder später in Form gesonderter Zellen von einander trennen. Und etwas weiter unten begegnen wir folgenden Zeilen: Es wäre deshalb ganz wohl denkbar, dass die Keimzellen sich noch viel später erst von den Körperzellen trennten, als in den eben angedeuteten Bei- spielen. Das will sagen, dass es „ganz begreiflich ist“, dass, nachdem geschlechtslose Cercarien Generationen hindurch sich durch innere Knospung vermehrt haben, die „zwei Arten von Substanz“ ungeachtet unzähliger Zellteilungen ihre respektiven Eigenschaften bewahrt haben und sich schließlich in der Weise trennen, dass sie reproduktive Zellen erzeugen. Hier nimmt Prof. Weismann nicht, wie in einem früheren Fall, an, dass „es leicht sei sich vorzustellen“, sondern er nimmt etwas an, was sehr schwer ist sich vorzustellen; und er glaubt augenschein- lich, dass ein wissenschaftlicher Schluss mit Sicherheit darauf ge- gründet werden könne. 934 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*®. Aber zu welchem Zweck verlangt man von uns, eine willkürliche „Voraussetzung“ zu machen, etwas Sonderbares, weil es „ganz begreif- lich ist“, für wahr zu halten und unsere Einbildungskraft anzustrengen, ohne die leichteste Stütze von Beweis? Einfach um Prof. Weis- mann’s Hypothese zu retten — sie gegen eine große Menge entgegen- gesetzter Thatsachen in Schutz zu nehmen. Wenn wir es als wahr erkannt haben, dass das, was er als ursprüngliche Arbeitsteilung an- sieht, überhaupt keine Arbeitsteilung ist — wenn wir sehen, dass die Schlussfolgerung, die er inbezug auf die von ihm vorausgesetzte ur- sprüngliche Differenzierung der reproduktiven und der somatischen Zellen macht, ohne Berechtigung ist; so haben wir keine Ursache, Unbehagen darüber zu empfinden, dass sein deduktiver Schluss induktiv widerlegt wird. Wir sind nicht traurig darüber, dass durch ganze große Gruppen von Organismen sich keine solehe Antithese findet, wie sie seine Theorie erfordert. Und wir haben nicht nötig, unsern Ge- danken Gewalt anzuthun, um den Widerspruch wegzudisputieren. In Verbindung mit der Behauptung, dass die ursprüngliche Arbeits- teilung zwischen den somatischen und den reproduktiven Zellen statt- findet, und in Verbindung mit der Folgerung, dass die ursprüngliche Differenzierung zwischen diesen stattfindet, steht eine andere Folgerung. Es wird behauptet, dass ein fundamentaler Unterschied in der Natur dieser beiden Klassen von Zellen bestehe. Sie werden als sterbliche und unsterbliehe bezeichnet, in dem Sinn, dass diejenigen der einen Klasse in ihrer Vermehrungsfähigkeit begrenzt sind, währeud diejenigen der andern Klasse unbegrenzt sind. Und es wird behauptet, dass dies von der ihnen innewohnenden Ungleichheit der Natur komme. Bevor wir die Richtigkeit dieser Behauptung untersuchen, möchte ich erst eine vorausgehende Behauptung von Prof. Weismann be- sprechen. Inbezug auf die Hypothese, dass der Tod „von Ursachen abhänge, die in der Natur des Lebens selbst“ liegen, sagt er: Ich glaube nun allerdings nicht an die Richtigkeit dieser Vorstellung; ich halte den Tod in letzter Instanz für eine Anpassungserscheinung. Ich glaube nicht, dass das Leben deshalb auf ein bestimmtes Maß der Dauer ge- setzt ist, weil es seiner Natur nach nicht unbegrenzt sein könnte, sondern weil eine unbegrenzte Dauer des Individuums ein ganz unzweckmäßiger Luxus wäre. Dieser letzte Satz hat einen teleologischen Klang, der aus dem Munde eines Theologen’ begreiflich wäre, aber bei einem Mann der Wissenschaft sonderbar erscheint. Doch indem ich voraussetze, dass es nicht so gemeint war, muss ich bemerken, dass Prof. Weismann ein universelles Gesetz der Entwicklung — und nicht allein der orga- nischen, sondern auch der unorganischen und überorganischen — über- sehen hat, das die Notwendigkeit des Todes in sich schließt. Die Veränderungen eines jeden Aggregats, gleichgiltig welcher Art, endigen unausbleiblich in einem Gleichgewichtszustand. Sonnen und Planeten Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 2335 sterben so gut wie Organismen. Der Vorgang der Integration, welcher der Grundzug jeder Entwicklung ist, hält so lange an, bis ein Zustand eingetreten ist, der alle ferneren Veränderungen ausschließt, seien es molare oder molekulare, ein Gleichgewichtszustand zwischen den Kräf- ten des Aggregats und den ihm entgegengesetzten Kräften!). Insoweit also als Prof. Weismann’s Schlussfolgerungen die Notwendigkeit des Todes voraussetzen, können sie nicht aufrecht erhalten werden. Aber jetzt lassen Sie uns den obenbeschriebenen Gegensatz zwischen den unsterblichen Protozoen und den sterblichen Metazoen betrachten. Ein Hauptteil der Theorie ist, dass die Protozoen unbegrenzt fortfahren können sich zu teilen und wieder zu teilen, so lange als die geeigneten äußern Bedingungen anhalten. Aber wo ist der Beweis hierfür? Selbst nach Prof. Weismann’s eigener Einräumung gibt es keinen Beweis. Weismann sagt: Zu der Vorstellung von der „Verjüngung“ könnte ich mich nur dann ent- schließen, wenn nachgewiesen würde, dass in der That eine Vermehrung durch Teilung — nicht etwa bloß unter bestimmten Bedingungen — ins Unbegrenzte fortgehen könne. Das kann aber nicht nachgewiesen werden, ebensowenig als das Gegenteil. Soweit also ist der Boden des Thatsächlichen auf beiden Seiten gleich unsicher. Aber dies ist eine Einräumung, die, wie es scheint, ganz unbe- achtet bleibt, wenn der Gegensatz zwischen den unsterblichen Protozoen und den sterblichen Metazoen vorgebracht wird. Gemäß Prof. Weis- mann’s Methode würde man „sich leicht vorstellen können“, dass gelegentliche Konjugation in allen Fällen nötig ist; und diese leicht denkbare Folgerung kann dazu benutzt werden, seine eigene einzu- schränken. In der That, wenn man bedenkt, wie häufig Konjugation beobachtet wurde, so muss es schwer sein sich vorzustellen, dass sie in irgeud einem Falle entbehrt werden könne. Abgesehen von irgend welchen Vorstellungen aber, haben wir hier das Geständnis, dass die Unsterbliehkeit der Protozoen nicht bewiesen ist; dass die Behauptung keine andere Basis hat, als dass es nicht gelungen ist das Aufhören der Teilung zu beobachten; und dass also ein Glied der obenerwähnten Antithese keine Thatsache ist, sondern nur eine Annahme. Und wie steht es nun um das andere Glied der Antithese — die behauptete den somatischen Zellen innewohnende Sterblichkeit? Dieses werden wir, glaube ich, nicht haltbarer finden als das andere. Der Schein der Wahrheit, der ihm anhaftet, verschwindet, wenn wir statt der großen Anzahl bekannter Fälle, wie sie die Tiere darstellen, ge- wisse weniger bekannte und unbekannte Fälle betrachten. Aus diesen ersehen wir, dass das gewöhnliche Aufhören der Vermehrung bei den somatischen Zellen nicht aus einer innern, sondern von äußern Ursachen herrührt. Lassen Sie uns aber zunächst Prof. Weismann’s eigene Angaben betrachten: 1) Siehe First Principles, part. II, chap. XXII. „Equilibration“. 236 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Ich habe versucht, den Tod auf eine beschränkte Vermehrungsfähigkeit der somatischen Zellen zurückzuführen und davon gesprochen, dass dieseibe auf eine bestimmte Anzahl von Generationen normiert zu denken sei für jedes Organ und für jedes Gewebe des Körpers. Nur eine Konsequenz aber von dieser Anschauung ist es, wenn man auch das Ende der in den Geweben residierenden Fortpflanzungstendenzen wesent- lich auf innere Gründe bezieht, wenn man in dem normalen Tod des Organismus das von vornherein normierte, weil anererbte Ende des Zellteilungsprozesses sieht, dessen Anfang die Furchung gewesen ist. Obwohl nun in den vorstehenden Auszügen Erwähnung geschieht von „innern Ursachen“, die den Grad der reproduktiven Thätigkeit der Gewebszellen bestimmen, und obwohl auf S. 28 die „Ursachen des Verlustes“ der Fähigkeit unbegrenzter Zellproduktion außerhalb des Organismus gesucht werden müssen, das will sagen in den „äußern Lebensbedingungen“, so bleibt doch die Lehre bestehen, dass die soma- tischen Zellen durch ihre Beschaffenheit nicht geeignet sind für fort- gesetzte Zellvermehrung. Den Propagationszellen konnte die Fähigkeit unbegrenzter Vermehrung nicht verloren gehen, andernfalls würde ein Erlöschen der betreffenden Art eingetreten sein; dass sie aber den somatischen Zellen mehr und mehr ent- zogen wurde, dass sie schließlich auf eine bestimmte, wenn auch sehr große Zahl von Zellengenerationen beschränkt wurde. Die Untersuchung wird bald genügende Gründe dafür enthüllen, warum diese innewohnende Einschränkung geleugnet werden muss. Wir wollen die verschiedenen Ursachen betrachten, welche die Ver- mehrung der Zellen beeinflussen und gewöhnlich dieselbe zum Still- stand bringen, wenn ein gewisser Punkt erreicht ist. Da ist zunächst ein gewisser Betrag an Lebenskapital vom Elter überkommen, teils in Form einer mehr oder weniger entwickelten Struktur und teils in Form von vermachter Nahrung. Wo dieses Lebenskapital klein ist und das junge Geschöpf sogleich darauf angewiesen ist, die physiologische Thätigkeit für sich auszuüben, und Kraft aufwenden muss, um nicht allein Material für den täglichen Gebrauch, sondern auch für das Wachstum zu beschaffen, da ist die Zellvermehrung, die zur Erreichung einer bedeutenden Größe nötig wäre, sehr beschränkt. Es ist klar, dass der junge Elephant, der mit starkem und gutorgani- siertem Körper sein Leben beginnt und „gratis“ mit Milch versehen wird, in den frühen Stadien seines Wachstums seine physiologische Thätigkeit auf eigene Rechnung in großem Maßstab beginnen kann; und durch seine großen Unternehmungen vermag sein Körper seinen sich vermehrenden somatischen Zellen Nahrung zuzuführen, bis sie zu einem mächtigen Zellaggregat angewachsnn sind, — einem Aggregat, das eine junge Maus unmöglich erreichen kann, da sie ihre physio- logische Thätigkeit in bescheidenem Umfang beginnen muss. Dann kommt die Beschaffenheit der Nahrung inbezug auf ihre Verdaulich- Speneer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuehtwahl“. 237 keit und Nahrhaftigkeit inbetracht. Einmal muss, was das Geschöpf zu sich nimmt, stark zermalmt werden und, wenn es genügend zu- bereitet ist, enthält es wenig brauchbare Masse im Vergleich zu dem, was bei Seite geworfen werden musste; während das andere Mal die ergriffene Beute fast ganz reine Nahrung ist und nur wenig Zerreibung erfordert. Daher in einigen Fällen ein unprofitables Geschäft und in andern Fällen ein profitables, das je nachdem kleine oder große Be- träge an die sich vermehrenden somatischen Zellen abgibt. Ferner muss der Grad der Entwicklung der Eingeweide inbetracht gezogen werden, der, wenn niedrig, nur eine grobe Nahrung langsam in Umlauf setzt, der aber, wenn hoch, durch seine guten Anlagen für Lösung, Reinigung, Absorbierung und Zirkulation dazu dient, den sich vermeh- renden somatischen Zellen ein kräftiges und reines Blut zuzuführen. Dann kommen wir zu einem besonders wichtigen Faktor, zu den Kosten bei der Erlangung der Nahrung. Hier wird große Energie für die Ortsveränderung erfordert und dort wenig — hier große Kraftauf- wendung für kleine Nahrungsportionen und dort geringe Kraftauf- wendung für große Portionen: die sich wiederum in physiologischer Armut oder in physiologischem Reichtum äußern. Dann kommt außer dem Aufwand von Nerven- und Muskelthätigkeit für die Nahrung auch der Auf- wand für die Unterhaltung der Körperwärme inbetracht. So viel Wärme setzt so viel verbrauchte Nahrung voraus; der Verlust durch Strahlung oder Leitung, der unaufhörlich ersetzt werden muss, ändert sich je nach den Umständen — nach dem Klima, dem Medium (ob Luft oder Wasser), der Bedeckung, der Körpergröße (kleine Tiere kühlen relativ schneller ab als große); und im Verhältnis zu den Kosten der Wärmeerhaltung steht der Abzug von den Zuschüssen zur Zellbildung. Endlich haben wir drei besonders wichtige zusammenwirkende Faktoren oder vielmehr Gesetze, deren Wirkungen je nach der Größe des Tiers verschieden sind. Das erste dieser Gesetze ist folgendes: Die Veränderungen der Körpermasse sind proportional dem Kubus der Veränderungen der Dimensionen (vorausgesetzt, dass die Proportionen unverändert bleiben); die Veränderungen der resorbierenden Oberfläche hingegen sind nur dem Quadrat proportional. Daraus folgt, dass, unter gleichen Beding- ungen, Größenzunahme eine verhältnismäßige Minderung der Ernährung mit sich führt und dadurch der Zellvermehrung größere Hindernisse in den Weg stellt!). Der zweite Faktor ist eine fernere Folge dieser Gesetze — nämlich: während das Körpergewicht in der dritten Potenz der Dimensionen wächst, nimmt der Querschnitt der Muskeln und Knochen nur im quadratischen Verhältnis zu; woraus eine Verminderung der Widerstandskraft und eine relative Schwäche der Struktur folgt. Dies wird bestätigt durch die Fähigkeit eines kleinen Tieres vielmal höher zu springen, als es lang ist, während ein großes Tier wie der 1) Principles of Biology $ 46 (Nr. 8, April 1863). 235 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Elephant gar nicht springen kann: seine Knochen und Muskeln haben nicht die Kraft, die erforderlich wäre seinen Körper im die Luft zu heben. Welche vermehrten Kosten entstehen, um das Körpergebäude zusammen zu halten, können wir nieht sagen; aber dass Kosten vorhan- den sind, welche die nutzbaren Materialien für das Wachstum verringern, ist keine Frage. Und endlich drittens: Die Verteilung der Nahrung durch den Körper erfordert größeren Aufwand an Kraft. Je größer der Körper ist, desto mehr Kraft ist nötig, um das Blut in die peri- pherischen Teile zu treiben, was seinerseits wieder einen Abzug von den zur Erzeugung von Zellen verwendbaren Stoffen veranlasst. Hier haben wir also neun Faktoren, von denen einige noch Unter- abteilungen einschließen, die zusammenwirken, um die Zellvermehrung zu unterstützen oder zurückzuhalten. Sie kommen in unendlich ver- schiedenen Verhältnissen und Kombimationen vor, so dass jede Art sich mehr oder weniger von jeder andern inbezug auf ihre Wirkungen unterscheidet. Aber bei allen ist die Zusammenwirkung von der Art, dass sie am Ende die Vermehrung der Zellen, welche das Wachstnm verursacht, hemmt, dann fortfährt eine langsame Abnahme in der Zellvermehrung zu erzeugen in Verbindung mit einer Abnahme der vitalen Thätigkeit und zuletzt die Zellvermehrung zum Stillstand bringt. Ein anerkanntes Vernunftgesetz, das Gesetz der Sparsamkeit, untersagt es, mehr Ursachen für die Erklärung einer Erseheinung an- zunehmen, als nötig sind; und da bei allen obenerwähnten Aggregaten die genannten Ursachen unvermeidlich einen Stillstand der Zellver- mehrung herbeiführen, so ist es nicht gestattet, diesen Stillstand irgend einer den Zellen innewohnenden Eigenschaft zuzuschreiben. Die Unzu- länglichkeit der andern Ursachen müsste erst bewiesen werden, ehe man eine innere Eigenschaft annehmen dürfte. Diese Schlussfolgerung scheint vollkommen gerechtfertigt, wenn wir solehe Tierarten betrachten, welche ein Leben führen, das der Zellvermehruug keinen solchen ausgesprochenen Zwang auferlegt. Sehen wir uns zuerst ein Beispiel an, bis zu welchem Grad (einerlei ob repro- duktive oder somatische Zellen) die Zellvermehrung gehen kann, wenn die Umstände die Ernährung erleichtern und die Ausgabe auf ein Minimum beschränken. Obwohl es noch früh in der Jahreszeit ist (März), haben mir die Warmhäuser von Kew eine genügende Anzahl von Blattläusen geliefert, um zu zeigen, dass zwölf von ihnen ein Grain wiegen — es würde eine höhere Zahl sein, wenn sie ausgewachsen wären. Indem er Prof. Owen zitiert, der nach den Tougard’schen Berechnungen annimmt, dass „ein einziges Ei von Aphis ohne Befruch- tung eine Quintillion Aphiden erzeugen kann, sagt Prof. Huxley: „leh will annehmen, eine Aphis wiege Yon Grain, was gewiss viel zu niedrig angenommen ist. Eine Quintillion Aphiden würden nach dieser Schätzung eine Quatrillion Grain wiegen. Ein recht starker Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 339 Mann ist es schon, der zwei Millionen Grain wiegt; also würde die zehnte Generation allein, wenn alle ihre Glieder die Gefahren über- leben, denen sie ausgesetzt sind, mehr Masse enthalten als 500,000,000 starke Männer — um wenig zu sagen, mehr als die ganze Bevölkerung von China“). Hätte Prof. Huxley das wirkliche Gewicht, ein Zwölftel Grain, angenommen, so würde eine Quintillion Blattläuse unzweifelhaft mehr wiegen als die ganze menschliche Bevölkerung des Erdballs: nach meiner eigenen Berechnung kämen fünf Billionen Tonnen heraus! Selbstverständlich zitiere ich dies nicht als Beweis, wie weit die Ver- mehrung von somatischen Zellen, die von einem einzigen Ei abstammen, gehen könne, weil eingewandt werden kann, und zwar mit Recht, dass jede der geschleehtslosen lebendig geborenen Blattläuse durch Spal- tung einer Zelle, die von der ursprünglichen reproduktiven Zelle ab- stammte, erzeugt wurde. Ich führe es nur an, um zu zeigen, dass, wenn die Zellprodukte eines befruchteten Eies sich unaufhörlieh teilen und wieder teilen in kleine Gruppen, die sich über eine unbegrenzte nährende Fläche verbreiten, so dass sie ohne Kosten Materialien für ihr Wachstum erlangen können und nichts Merkliches für Fortbewegung oder Temperaturerhaltung ausgehen, die Zellproduktion ohne Grenzen vor sich gehen könne. Denn es wurde nachgewiesen, dass die agamische Vermehrung der Blattläuse vier Jahre lang vor sich gehen kann; aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie endlos sein, wenn Temperatur und Nahrungszufuhr ohne Unterbrechung dieselben blieben. Aber nun wollen wir zu analogen Beispielen übergehen, die nicht einem Einwand wie dem eben angeführten begegnen. Wir finden sie bei den verschie- denen Arten von Parasiten, von denen wir die Trematoden wählen wollen, die in Fischen und Mollusken leben. Von einem derselben lesen wir: Gyrodactylus vermehrt sich ungeschlechtlich durch die Ent- wicklung eines jungen Trematoden im Körper als eine Art innerer Knospung. Eine zweite Generation erscheint innerhalb der ersten und selbst eine dritte innerhalb der zweiten, ehe der junge Gyrodactylus geboren wird*?). Und die Zeichnungen von Steenstrup in seinem „Generationswechsel“ zeigen uns unter den Geschöpfen dieser Gruppe ein geschlechtsloses Individuum, dessen ganze Innenseite in kleinere geschlechtslose Individuen verwandelt war, die verschieden, vor oder nach ihrer Entstehung, ähnlichen Umwandlungen unterworfen sind — eine Vermehruug somatischer Zellen ohne jegliches Zeichen von repro- duktiven Zellen. Unter welchen Umständen vollziehen sich diese ver- 1) The Transactions of the Linnaean Society of London, Vol. XXII, p. 215. Die Schätzung von Reaumur, die Kirby und Spence zitieren, ist noch höher: „in fünf Generationen kann eine Blattlaus der Erzeuger von 5,904,900,000 Nachkommen sein; und man nimmt an, dass in einem Jahr 20 Generationen erzeugt werden können.“ (Introduction to Entomology, Vol. I, p. 175). 2) A Manual of the Anatomy of Invertebrated Animals by H.Huxley p. 206. 940 Merkel u. Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, schiedenen Arten agamischer Vermehrung unter den Parasiten? ie kommen vor, wo keine Art von Ausgabe für Ortsveränderung oder Temperaturerhaltung erfordert wird und der Körper auf allen Seiten von Nahrung umgeben ist. Andere Beispiele liefern uns diejenigen Gruppen, bei welchen die Nahrung zwar nicht reichlich vorhanden ist, die Kosten für den Lebensunterhalt dennoch kaum merklich sind. Unter den Cölenteraten sind es die Hydroidpolypen, die einfachen und zusammengesetzten, und unter den Mollusken haben wir verschiedene Typen Aseidien, feste und bewegliche Botryllidien und Salpen. (Schluss folgt.) Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Unter Mitwirkung von K. Bardeleben (Jena); D. Barfurth (Dorpat); G. Born (Breslau); Th. Boveri (München); J. Disse (Göttingen); C. Eberth (Halle a.$.); W. Flemming (Kiel); A. Froriep (Tübingen); C. Golgi (Pavia); F. Hermann (Erlangen); F. Hochstetter (Wien); C. v. Kupffer (München); W. Roux (Innsbruck); J. Rückert (München); Ph. Stöhr (Zürich); H Strahl (Marburg); H. Strasser (Bern). Heraus- gegeben von Fr. Merkel in Göttingen und R. Bonnet in Gießen. 1892. Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden. I. Band: 1891. Gr. 8. XVII u. 778 Stn. Preis 25 Mark. Abweichend von den üblichen Jahresberichten haben wir es hier mit einem eigenartigen Unternehmen zu thun, für welches alle, die sich für Biologie interessieren, den Herausgebern und Mitarbeitern zu großem Dank verpflichtet sind. In übersichtlicher Weise und mit Kritik, welche von berufenster Seite ausgeübt, daher doppelt wertvoll ist, werden die Ergebnisse der Forschung zusammenhängend dargestellt. Auf anatomischem und entwicklungsgeschicht- lichem Gebiet sind jetzt so viele emsige Forscher in eifriger Thätigkeit, dass es kaum dem Fachmann, geschweige denn den Vertretern verwandter Gebiete möglich ist, alles zu verfolgen. So eignet sich gerade dieser Wissenszweig vortrefflich für den neuen Versuch der Bearbeitung, welcher hier vorliegt. Aber ich zweifle nicht, dass die Uebertragung auf andre Gebiete ebenso dankbar aufgenommen werden würde, und möchte insbesondre für das nächst- liegende, die Physiologie, den Wunsch einer baldigen Nachfolge aussprechen. Ich halte es für überflüssig, auf eine Besprechung des Werkes im Einzelnen einzugehen. Die Namen der Herren Mitarbeiter sprechen genugsam für ihre Befähigung zur Ausführung des von ihnen Angestrebten. Die Ausstattung ist gleichfalls vortrefflich, so dass wir das Werk geradezu als eine Zierde unsrer Litteratur bezeichnen können. J. R. Berichtigungen. In der Abhandlung von Herrn Braem „Ueber die Knospung bei mehr- schiehtigen Tieren“ sind folgende Druckfehler zu berichtigen: S. 146 Zeile 16 v. u. lies „an ihr“. S. 149 letzte Zeile lies „der grauen Hydra“. S. 151 Anm.1 Z.3 lies „(S. 144)*. S. 154 Abs.2 2.3 lies „Entodermgewebes*“. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches ÜOentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 1. April 1894. Na Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie (Fortsetzung). — Spencer, Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zucht- wahl“ (Schluss). — Field, Die bibliographische Reform, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Fortsetzung.) III. Physiologie der Ernährung. B. Frank, Assimilation des freien Stiekstoffes durch die Pflanzenwelt. Botanische Zeitung, 51. Jahrg., S. 139—156. A. Petermann, Contributions & la question de l’azote; troisicme note. Bulletins de l’Academie royale de Belgique, t. XXV, p. 267—276, 1893. A. Petermann et Graftian, Recherches sur la composition de l’atmo- sphere, sec. part. Extrait du tome XLIX des M&moires couronnes et autres M&moires publies par ’Academie royale de Belgique, 1893. K. Goebel, Insektivoren in „Pflanzenbiologische Schilderungen“, 2. Teil, S. 53—214, 1891—93. W. Pfeffer, Ueber die Ursachen der Entleerung der Reservestoffe aus Samen. Berichte der math.-physik. Klasse der kgl. sächs. Gesell- schaft der Wissenschaften, S. 421—428, 1893. Noll, Ueber den Einfluss der Phosphaternährung auf das Wachstum und die Organbildung. Naturwissenschaftl. Wochenschr., Bd. VIII, 1893. 5)SeitBoussingault durch eine berühmt gewordene Untersuchungs- reihe nachgewiesen zu haben schien, dass die Pflanzen nicht die Fähig- keit besitzen, elementaren Stickstoff zu assimilieren, hat sich diese Vorstellung mit außerordentlicher Hartnäckigkeit selbst über eine Zeit hinaus erhalten, in welcher auf experimentellem Wege das Gegenteil dargethan war. Frank trat vor allem mit Entschiedenheit für die Ansicht ein, „dass durch lebende, auf dem Erdboden wachsende Pflanzen eine Bindung von freiem Stickstoff der Luft vermittelt wird“. Wenn XIV. 16 942 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. schon Frank zuerst an Lupinus luteus und Lepidium sativum diese Stickstoffassimilation nachwies, so besteht doch zur Zeit vielfach die deinung, dass das Vermögen, freien Stickstoff zu binden, nur den Leeuminosen zukomme. Hellriegel hat diese prinzipielle Scheidung in einer wichtigen Lebensfunktion zwischen Leguminosen und Nicht- legumınosen in aller Entschiedenheit betont. Denn nach ihm kommt den Legaminosen nur durch das Mittel des Pilzes, welcher die Wurzel- knöllchen dieser Pflanzen bewohnt, die Fähigkeit zu, freien Stickstoft zu binden. Wo also einer Pflanze der Symbiosepilz fehlt, da kann folgerichtig auch nicht von einer Assimilation des Stickstoffs der atmo- sphärischen Luft gesprochen werden. Dieser Ansicht tritt Frank in einer neuen Untersuchung über die Assimilation des freien Stickstoffes durch die Pflanzen- welt mit aller Entschiedenheit entgegen. Er fußt dabei auf folgenden Beobachtungen: 1. Nicht nur in Symbiose mit dem Knöllchenpilze assimilieren die Leguminosen freien Stickstoff. In einem durch Erhitzen auf 100° sterilisierten Boden entwickeln sich die Knöllchenpilze nicht. Unter Anwendung aller Vorsichtsmaßregeln ergaben die Kulturen von Legu- minosen in sterilisiertem Boden folgende Resultate. RN Stickstoff des Boden Stickstoff in Prozenten der der vor der |nach dem Aussaat, Ernte | Aussaat | Versuch Kultur Bodenart Fr l Phaseolus vulgaris . . | Sandboden | 0,0668 8 | 0,1175 g | 0,0096 g | 0,0221 8 " a . . ‚Humusboden! 0,0668 „ | 1.0016 „! 0,0519 „! 0,1818 „ Lupinus luteus . . .| Sandboden | 0,0420 „| 0,1140 „| 0,0096 „| 0,0180 „ A“ B . . . ‚Humusboden | 0,0364 „| 0,3475 „ | 0,1076 „ | 0,0982 „ Pisum sativum . . . |Humusboden | 0,0282 „| 0,3705 „| 0,1076 „| 0,1316 „ Robinia Pseudacacia . | Sandboden | 0,0024 „ | 0,0538 „ — _ Trotzdem also in diesen Versuchen die Leguminosen nicht in Ver- bindung mit dem Rhizobium lebten, trotzdem ihnen kein anderer Stick- stoff zur Verfügung stand als die geringe Menge, die die Analyse im jeweiligen Boden nachwies und der atmosphärische Stickstoff, findet in den 4 Repräsentanten der Leguminosen, welche je in 4 Exemplaren kultiviert wurden, eine ganz entschiedene Anreicherung an Stickstoff statt. Die Stickstoffmenge der ganzen Aussaat betrug 0,2426 g, der Ernte 2,0048 g, jene des Bodens im Mittel vor dem Versuch 0,0773 °%],, nach dem Versuche 0,0863°%,. Da der Boden seine ursprüngliche Stickstoffmenge nicht verloren, vielmehr um eine geringe Menge be- reichert hat, rührt die bedeutende Vermehrung des Stickstoffes, welche die Ernte zeigt, von der Assimilation des freien atmosphärischen Stick- stoffes her. Es ist also dessen Assimilation nicht an die Gegenwart des Rhizobiums gebunden. „Die Wirkung des Symbiosepilzes auf die 243 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Leguminose ist nur die eines Reizes, durch welchen die Ernährungs- und Assimilationsthätigkeiten der Pflanze überhaupt und damit auch die auf die Erwerbung des freien Stickstoffes gerichtete gekräftigt werden“. 2. Das Rhizobium der Leguminosen kann auch abgetrennt von der Nährpflanze kultiviert werden. Sofern ihm eine organische Stick- stoffverbindung geboten wird, gedeiht es sehr gut; nur unbedeu- tend vermehrt es sich, wenn ihm nur freier Stickstoff zur Verfügung steht. — Die von den Wurzelknöllchen gebundene Stickstoffmenge ist aber viel zu gering, als dass sie dasjenige Stickstoffquantum zu liefern vermöchten, welches die reife Leguminose, auch auf stickstofffreiem Boden, zuletzt in ihren Samen und in den übrigen Teilen ihres Körpers gewonnen hat. Es geht dies aus nachfolgender Zusammenstellung hervor. Stickstoff in 5 Pflanzen von Lupinus luteus (in Grammen) kultiviert in stiekstoffarmem, nicht mit Stickstoff gedüngtem Sandboden: Von den See Knöllchen | Wurzel- ESEL befreite knöllchen | ; Wurzeln rer 23. Juli (die Pflanzen blühen) 0,1104 0,1472 0,6338 15. Sept. (Früchte noch nicht reif) 0,1526 0,1919 5,9071 23. Oktober (Früchte völlig reif) 0,1493 0,0530 4,1318 3. Auch Nichtleguminosen vermögen freien Stickstoff zu assi- milieren, und zwar sowohl Kryptogamen als Phanerogamen. Ich gebe im Nachfolgenden die Zusammenstellung der Versuchs- ergebnisse an Phanerogamen wieder. Stickstoff Stickstoffgehalt des in der Bodens in Prozenten Aussaat | Trute | Yorsıch | Versuch en Lehmboden 0,0142 & | 0,487 8 | 0,118 | 0,131 nn Sandboden 0,0070 „| 0,0816, | 0,0096 | 0,0178 le e gwensis Sandboden 0,0123 „ | 0,1106 „| 0,0096 | D0101 a Lehmboden 0,0083 „ | 0,377 „| 0,118 0,1% here Humusboden : .| 0,0012 „ | 0,4421, | 0,1862 | 0,1912 u 26 stickstoff. Sand | 0,0012, | 0,0083, — m Solanum tuberosum sickstoftf. Sand| 0,022 „| 02186» | — 4 Ze atanetder Sandboden 0,0201 „ | 0,1688 „ , 0,0096 | 0,0106 16* 344 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Die Gesamtstickstoffmenge der Aussaat betrug also 0,0813 g. Ihr steht die Menge von 1,3890 8 in der Ernte gegenüber. Dass dieser sehr bedeutende Ueberschuss nicht der gebundene Stickstoff des Bodens sein kann, sondern aus der Aufnahme freien Stickstoffes der Luft herrührt, ergibt ein Blick in die Zahlen der beiden letzten Reihen. Der mittlere Prozentgehalt betrug vor dem Versuch 0,0752, nach dem Versuch 0,0809. Die Versuche fanden im Freien statt. Eine Zufuhr von gebun- denem Stickstoff durch Regen war aber ausgeschlossen, da sie unter einem Regendache ausgeführt wurden. Zudem hätten die Spuren von Stickstoff nicht eine so starke Anreicherung an Stickstoff herbeiführen können. Um jedem Einwand in dieser wichtigen Frage der Assimi- lation des freien Stickstoffes begegnen zu können, führte Frank auch Kulturen in einem abgesperrten Luftraume aus, durch den eine reine mit Schwefelsäure gewaschene Luft ging, der etwas Kohlensäure bei- gemengt war. Frank beschreibt Versuche mit Sinapis alba in folgen- der Weise. „Der Versuch wurde in Gang gesetzt, sofort, nachdem in das Vegetationsgefäß mit Humusboden 3 Senfkörner eingesäet worden waren, was am 16. April 1892 geschah. Der beständige luftdichte Schluss des Apparates konnte bei jedesmaligem Durchsaugen des Luft- stromes mittelst der Wasserstrahlpumpe konstatiert werden. Bis zum 22. Juni waren die 3 Pflanzen unter den Glocken sehr stark ent- wickelt, je 69, 49 und 41 em hoch mit vielen normal großen Blättern. Trotzdem, dass die Pflanzen in dieser Weise rüstig fortgewachsen waren bis zum Erscheinen der Blütenknospen, womit ja hier das Höhen- wachstum überhaupt beendigt ist, so brachten sie doch die Blüten nicht zur Entfaltung; es blieben vielmehr die Blütenknospen sämtlich abnorm klein und in diesem Zustand unveränderlich, so dass also die abgeschlossene Luft in diesem Falle eine ganz bestimmte Erkrankung, die Hemmung des Blütenwachstums bedingt. Die Erntemenge der 3 Senfpflanzen betrug 1,86 g Trockensubstanz mit 0,0507 g Stickstoff, während die 3 ausgesäeten Samen nur 0,0009 g Stickstoff mitgebracht hatten. Der Stickstoffgehalt des Versuchsbodens wurde gefunden an- fangs 0,162°/,, nach dem Versuche in dem Vegetationsgefäß 0,215, und in dem übrigens gleich behandelten vegetationslosen Kontrolgefäß 0,195°/,. Der Versuch beweist also ganz bestimmt einen Stickstoff- gewinn aus freiem Stickstoff durch die Thätigkeit der Senfpflanze schon unter diesen für letztere ungünstigen, die Samenbildung ganz vereitelnden Umständen“. 4. Schließlich wendet sich Frank der Frage zu: „Inwieweit wird gebundener Stickstoff (Nitrat), wenn die Pflanzen damit gedüngt wer- den, von diesen wirklich zur Ernährung verwendet?“ Gewöhnlich wird ohne weiteres angenommen, dass wenn man Pflanzen durch er- höhte Nitratzufuhr zu schrittweise steigernder Produktion stickstoff- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 945 haltiger Pflanzensubstanz bringen kann, dieses Mehr des Erntestick- stoffes aus dem Nitratdünger stamme. Diese Schlussfolgerung vergisst darauf abzustellen, was etwa sonst das Schicksal des Nitrates im Boden sein könnte. Dass aber das Schwinden des Nitrates in einer Kultur nicht notwendig bedingt wird durch die Aufnahme in die Kulturpflanze, beweist Frank durch folgenden Versuch. „... . Jedes Gefäß erhielt 0,06 &g Ca (NO,), = 0,010 &g N. Als die eingesäeten Senfpflanzen zur Reife gekommen waren (nach 78 Tagen) fand sich in dem Boden keine Spur von Nitrat mehr vor, aber auch in dem nichtbesäeten Kontrolgefäß war jetzt das Nitrat bis auf die letzte Spur verschwunden. Je eine Senfpflanze aber hatte die 0,0003 g Stickstoff des gesäeten Samens auf 0,009 & Ernte- stickstoff vermehrt“. Es erfährt also das dem Boden als Dünger zugeführte Nitrat eine Zersetzung, die um so vollständiger ist, je längere Zeit dasselbe den zersetzenden Einflüssen ausgesetzt ist. So können also Pflanzen, die sich sehr langsam entwickeln, von dem Stickstoff des Nitrates unter Umständen sehr wenig aufnehmen. Es ist also ein fehlerhafter Schluss, dass der gewonnene Pflanzen- stickstoff bei den Nichtleguminosen ganz aus dem Stickstoff des Bodens, aus dem als Dünger gegebenen Nitrat herstamme. Wie ist es nun aber zu erklären, dass man bei steigender Nitratdüngung, wenigstens bei verschiedenem Nichtleguminosen, steigende Stickstoffernten erzielt? „In der Jugend ist schon wegen der Kleinheit der Pflanze ihre Fähig- keit, freien Stickstoff zu assimilieren, sehr unbedeutend; die rascher wirkenden Nitrate sind für ihre erste Entwicklung unentbehrlich; je mehr also die aufwachsende Pflanze durch dieselben gekräftigt wird, wozu schon kleine Mengen Nitrat hinreichend sind, desto energischer assimiliert sie auch freien Stickstoff, und ein desto größerer Teil ihres Erntestickstoffes stammt aus dem letztern. Bei einer Nichtleguminose bleibt, wenn der gebundene Stickstoff ganz fehlt, die Entwicklung sehr kümmerlich und die Erwerbung freien Stickstoff ziemlich unbedeutend. Die Leguminosen haben vor den anderen Pflanzen das voraus, dass sie den gebundenen Stickstoff auch schon bei ihrer ersten Entwicklung entbehren können; sie verdanken dies zum einen Teil ihrem relativ großen stickstoffreichen Samen, zum wesentlichen Teile aber der ihnen eigentimlichen Symbiose mit den Knöllchenpilzen, durch welche die Assimilationsthätigkeiten der Pflanze, insbesondere die für den freien Stickstoff, in einem hohen Grade angeregt werden“. — 6) Der Frage der Assimilation von freiem Stickstoff gelten auch ver- schiedene Untersuchungen, welche Petermann an der agronomischen Station in Gembloux anstellte.e Frank nimmt auf eine Untersuchung dieses Physiologen aus dem Jahre 1892 mit folgenden Worten Bezug: „Einen eklatanten Erfolg dagegen erhielt Petermann bei Versuchen 246 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. mit sechszeiliger Gerste. An freier Luft in Vegetationsgefäßen ange- stellte Versuche, bei denen ein natürlicher Boden mit den natürlichen Mikroorganismen und mit einer mineralischen Düngung verwendet wurde, ergaben durch die Vegetation der Gerste unter Einrechnung des Stickstoffes der Aussaat, des Wassers zum Begießen und unter Vergleichung des Stickstoffgehaltes des Bodens vor und nach dem Versuche einen Gewinn von 0,3516 g N. Petermann hat auch Ver- suche in großen Glashäusern angestellt, die möglichst luftdicht ge- schlossen waren, und durch welche ein vorher in Schwefelsäure ge- waschener Luftstrom geleitet wurde; hier glückte es ihm, die Gerste gut zur Entwicklung zu bringen, und diese Versuche ergaben, wenn ungewaschene Luft verwendet wurde, 3,6174 g und in gewaschener Luft 3,3711 g Stiekstoffgewinn; bei gelber Lupine waren die ent- sprechenden Zahlen 8,6815 g und 9,7841 g...“ Da bei diesen Ver- suchen der Boden nicht mikrobenfrei war, stellte Petermann die Forderung, dass die Versuche zunächst wieder in sterilisiertem Boden aufgenommen wurden, bevor man sie dahin deute, dass den höhern Pflanzen die Eigenschaft zukomme, freien Stickstoff zu assimilieren. In der zitierten Abhandlung werden die Ergebnisse dieser neuen Versuche mitgeteilt. In einem natürlichen Boden, dessen Oberfläche gleich wie die Wände der Versuchsgefäße mit niedern Pflanzen (Algen) bedeckt war, konnte eine Stickstoffzunahme nachgewiesen werden, trotzdem derselbe mit einer Luft in Berührung war, die von den Stickstoff- verbindungen befreit wurde. Dem Stickstoffgehalt von 0,0255 g zu Anfang des Versuches stand ein Stickstoffgehalt von 0,0294 zu Ende des Versuchs gegenüber. In einem Boden, der sterilisiert wurde und blieb, zeigte sich unter analogen Verhältnissen eine geringe Abnahme des ursprünglichen Stick- stoffgehaltes. In einem sterilisierten Boden, der bis zum Schluss des Versuchs sterilisiert blieb, kultivierte Petermann Gerste. Die Kulturen kamen mit Luft in Kontakt, welcher die Stickstoffverbindungen entzogen waren. Zu Anfang des Versuches betrug der Stickstoffgehalt des Bodens 0,0511 g, am Schluss 0,492. Der Stickstoffgehalt der Aussaat war 0,0573 g, jener der Ernte 0,0575 g. Aus diesen Versuchen lassen sich also folgende Schlüsse ziehen, die uns, zusammengehalten mit den oben entwickelten Anschauungen von Frank, zeigen, dass die Frage der Assimilation des freien Stick- stoffes durch die Pflanzen wohl noch nicht endgiltig gelöst ist. Die Atmosphäre spielt im Leben der Pflanze nicht nur durch die Stickstoff- verbindungen, die sie enthält, eine wichtige Rolle, sondern auch durch ihren elementaren Stickstoff. Dieser wird jedoch weder vom nackten Boden noch auch von den höhern Pflanzen fixiert, vielmehr tritt derselbe in Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 247 den Lebenszyklus der Pflanzen durch Vermittlung der den Boden be- wohnenden Mikroorganismen ein. Die Vegetationen von Kryptogamen, die sich spontan auf jedem feuchten Boden entwickeln, sowie die mikrobische Thätigkeit, welche sich in der Knötchenbildung vieler Pflanzen äußert, sind die Ursachen hiervon. Den höher organisierten Pflanzen fehlt die Thätigkeit, freien Stickstoff zu assimilieren. Im Anschlusse hieran mögen einige Versuche, die Petermann gemeinschaftlich mit Graftian anstellte, und welche die Bestimmung des Gehaltes an Stickstoffverbindungen in den Niederschlägen zum Gegenstande haben, kurze Erwähnung finden. Das in Gembloux ge- sammelte Wasser der Niederschläge enthält im Durchschnitt pro Liter 1,49 Milligramm gebundenen Stickstoff. Durch die Niederschläge wird also jährlich einem Hektar eine Menge von 10,31 Kilo gebundenen Stickstoffs zugeführt. Davon befinden sich 76°/, in Form von Ammoniak, der Rest in Salpeter- und salpetriger Säure. Der Gehalt ist ein sehr wechselnder. Im Juni und Juli ist er am kleinsten, steigt dann lang- sam bis zum Februar. Es ist dies dadurch zu erklären, dass die langsamen Niederschläge (Nebel) oder die Niederschläge, welche gleich dem Schnee der Luft eine große Oberfläche bieten, mehr von den in der Luft enthaltenen Stickstoffverbindungen aufzunehmen vermögen, als der schnellfallende Regen. — 7) SeitDarwin’s Untersuchungen über die insektenfressenden Pflanzen erschienen sind, erfreut sich kaum ein anderes Gebiet der Pflanzen- biologie gleicher Aufmerksamkeit gerade in den Kreisen der Nicht- botaniker. Schon aus diesem äußern Grunde dürfte es gerechtfertigt sein, in unserem Referate die einlässlichen Darstellungen Goebel’s über die Insektivoren zu skizzieren und das um so mehr, da sie nicht nur in ihrem morphologischen, sondern auch im physiologischen Teil manches Neue bringen. Die Blätter der Insektivoren, welche uns in den mannigfaltigsten Ge- staltungsverhältnissen entgegentreten, sind mit Fangausrüstungen ver- sehen, die trotz ihrer vielerlei Gestalten auf drei Prinzipien zurückzuführen sind. Die einen der Einrichtungen dienen zum Anlocken, die andern zum Festhalten, die dritten zum Töten und Verdauen der Tierchen, die im Leben der Insektivoren eine wichtige, wenn schon passive Rolle spielen. Dem Wesen nach sind die Lockmittel die gleichen, mit denen die Blüten den Insektenbesuch sich zu sichern suchen, Farbe, Geruch und Lockspeisen. Die Sarracenien, eine amerikanische Familie, die in acht Arten der Gattung Sarracenia an sumpfigen offenen Standorten mit reicher Bodenfeuchtigkeit und starker Besonnung im östlichen Amerika, in einer Gattung (Darlingtonia) in den Bergen Kaliforniens, in einem Genus (Haliamphora) im Roraimagebirge heimisch ist, steht in der Farbenpracht ihres Fangapparates, wie in der Nektarproduktion zahl- 948 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie nnd -biologie. reichen farbenschönen, honigreichen Blüten keineswegs nach. Ihre sämtlichen Blätter sind Schlauchblätter, denen bei den verschiedenen Arten sehr ungleiche Dimensionen zukommen. Den bis 1 m langen Schlauehblättern der kalifornischen Darlingtonia stehen die nur etwa 10 em langen Schläuche der Sarracenia psittaenia gegenüber. Fast stets sind die Schläuche lebhaft gefärbt, bald in ihrer ganzen Aus- dehnung wie S. purpurea, bald wenigstens nahe der Eingangsöffnung intensiv. „S. rubra z. B. ist ausgezeichnet durch ein rotes Adernetz, das an der bezeichneten Stelle am stärksten hervortritt, zudem spielt die Eingangsöffnung in eigentümlich seidenartigem Glanze, welcher durch die Haarbekleidung verursacht ist. S. flava besitzt besonders in ihrem obern Teil gelb gefärbte, mit rotem Adernetz versehene Schläuche, und auch bei S. psittaenia ist der Helm bei wohl ent- wiekelten Exemplaren intensiv purpurgefärbt. Bei $. Drummondi finden sich zwischen dem roten Adernetz des obern Schlauchteiles weiße Stellen, in denen wie bei den weißen Flecken panachierter Blätter keine Chlorophyllibildung stattgefunden hat“. Besonders schön sind die Färbungen an den Schläuchen der S. variolaris und Darlingtonia. Dort ist auf der Unterseite des helmförmigen Deckels ein rotes Ader- netz, die hintere Schlauchwand trägt weiße, zum Teil rot umsäumte Flecken, Fensterchen, die besonders beim durchfallenden Lichte scharf hervortreten. So borgt sich das Blatt derBlumen Farbenpracht, um ihnen gleich die Aufmerksamkeit der Insekten zu erregen. Dazu kommt noch die Aus- scheidung eines süßen Saftes. Gleich der Färbung ist die Nektar- ausscheidung in der Nähe der Schlauchmündung die stärkste. „Be- obachtet man z. B. ein Schlauchblatt von $. flava, so sieht man an der Innenfläche des aufgerichteten, an seiner schmalen Seite nach außen gekrümmten Deckels eine Menge dieker, süß schmeckender Tropfen. Genauere Beobachtung ergibt, dass die Nektarausscheidung vom Deckel aus sich auch ein Stück weit in das Schlauchinnere fortsetzt und kleinere Nektartropfen auch am Rande des Deckels und längs der Kante des auf der Schlauchinnenseite befindlichen Flügels sich befinden, und auch auf der äußern Schlauchfläche scheinen kleine Tröpfehen ausgeschieden zu werden. Jedenfalls aber führt ein mit Honig be- setzter Pfad von dem untern Ende des Schlauches zu seinem Eingang, und ist die Nektarausscheidung am stärksten an der hintern Seite des Eingangs“. Bei andern Arten ist oft der Schlauchrand „wie mit Syrup beschmiert“. \ Sehr anschaulich schilderte schon vor 8 Decennien Macbride diese „Fliegenfallen“, die an leicht zugänglicher Stelle ihren Honig- seim darbieten, um die Naschenden ins Verderben zu locken. Er sagt: „Bringt man im Mai, Juni oder Juli, den Monaten, in welchen die Blätter dieser Pflanzen ihre eigenartige Funktion in der größten Vol- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzeuphysiologie und -biologie, 249 lendung verrichten, einige derselben in das Haus und gibt ihnen auf- rechte Stellung, so bemerkt man bald, dass sie Fliegen anlocken. Diese Insekten nähern sich direkt den Schlauchmündungen und scheinen, über den Rand derselben gebeugt, eifrig etwas von der Innenfläche aufzusaugen. In dieser Stellung verweilen sie, schließlich aber schein- bar verlockt durch den angenehmen Geschmack, betreten sie das Innere des Schlauches. Die Fliege, die so ihren Platz verändert hat, verliert den festen Halt, sie wankt einige Sekunden, gleitet aus und fällt auf den Grund des Schlauches, wo sie entweder ertrinkt oder vergeblich gegen die Haarspitzen emporzuklettern versucht. ..... In einem fliegenreichen Hause geht dieser Fang so rasch, dass der Schlauch in wenigen Stunden voll ist und es wird notwendig, Wasser hinzu- fügen, da die von Natur vorhandene Menge unzureichend ist, die ge- fangenen Insekten zu ertränken. .... Das Anlockungsmittel für die Fliegen ist offenbar eine süße, klebrige, honigähnliche Substanz, welche von der Innenfläche des Schlauches abgesondert oder ausgeschwitzt wird“. Ganz ähnlich verhalten sich auch andere Schlauchblattpflanzen wie die Nepenthes-Arten. Lebhafte Färbung macht diese Kannen oft schon von weitem sichtbar. Die purpurrote Färbung scheint vorzu- herrschen. Aus Borneo aber ist eine hochstämmige Art „mit weißen Schläuchen von zierlicher Wasserkannenform, durchsichtig wie Eier- schalen-Porzellan, und sehr hübsch scharlachrot gefleckt* bekannt geworden. Eine eigentümliche Farbenschönheit zeigen die Kannen jener Arten, wo, wie bei Nepenthes albo-marginata, „der glänzend braune Randkragen von einem breiten, weißen samtartigen Rand um- grenzt ist“. Auch hier ladet den flüchtigen Besucher eine gedeckte Tafel zum Verweilen ein. Kuchenförmige Zellkörper, die auf der Unterseite des Deckels liegen, sondern eine süßschmeckende Substanz ab. Die Wiederholung der Lockmittel der Blumen führte auch zur Verwendung von Düften. Drosophyllum lusitanicum, eine Pflanze der iberischen Halbinsel, welche in Gemeinschaft mit Lavendel, Cistus- rosen ete. die Vegetation trockener steiniger Hügel oder des Dünen- sandes bildet, besitzt lange lineale, reichlich mit Stieldrüsen besetzte Blätter. Ihnen ist ein honigartiger Geruch eigen, welcher wohl neben den scheinbaren Nektartropfen der Drüsen beim Anlocken der Fliegen von besonderer Wichtigkeit ist. In den Fangeinrichtungen kommen drei Formen zum Ausdruck. Die eben beschriebenen Blätter des Drosophyllum sind Leimstangen, die, wie nachfolgende Zusammenstellung zeigt, von trefflicher Wirkung sind. An einer kleinen, ein Jahr alten Pflanze beobachtete Goebel folgendes, 250 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenghysiologie und -biologie. 104Fliegen 1. Blatt (noch unentfaltet) 1 Bremse 10. Blatt (noch nicht ganz entfaltet) — ke; ann — —0— —förloven Alm N Re 3.0, (Spitze verletze)y "23 ©. 12. „ (an der Spitze tot) 11 „ 4. „ (alt abgestorben) BrIDS 18. RN 14 „» Beh, se en eh 1.20 ---- —- 1 ee ehe, 2 a N ee 7. „ (alt, teilweise abge- AB. na SEN. ea ar Sder storben) — 1.97, N. 207 Amer 8. oo - - 17 „ 1... — = —- '— 222, Ye a en BEIDEN, 19. „ — - — — In WA „ Zu3inn Als Leimstangen für die Fliegen sollen auch die Bauern um Oporto die Pflanzen büschelweise in den Wohnungen aufhängen. Bei den übrigen Droseraceen sind es Klebfäden, die als Fangorgane dienen, da die bald ovalen, bald kreisrunden Spreiten die den kleberigen Saft abscheidenden Drüsen tragen. Der Tod erfolgt wahrscheinlich durch Ersticken, indem die Oeffnungen der Tracheen durch den Saft ver- klebt werden. Bei Dionaea sind die Blätter Klappenfallen. Insekten, welche teils zufällig, teils angelockt durch die lebhafte Färbung der Oberseite auf das Blatt sich begeben, müssen notwendig bei ihren Bewegungen an eine der sechs Borsten der Blattspreite anstoßen. Dadurch lösen sie eine Reizbewegung aus, durch welche die beiden Blatthälften zu- sammenklappen. Bei den Sarracenien stellen die Blätter, wie früher schon gezeigt wurde, Schlauchklappen dar. Die Tiere, welche durch sie gefangen werden, ertrinken wohl in jenen Fällen, in denen der Schlauch erheb- liehere Mengen von Wasser ausscheidet. Man beobachtet z. B. bei Ne- penthes im Innern der Kannen zwei Zonen, die Gleitzone und die Drüsen- zone. Jene hat einen weißlichen, von einem Wachsüberzug herrühren- den Schimmer, die Drüsenzone ist durch die als dunklere Punkte her- vortretenden Drüsen charakterisiert. Die Menge dieser Drüsen ist eine sehr bedeutende. Die Größe derselben nimmt gewöhnlich von oben nach unten zu. Mit den Digestionsdrüsen des Sonnentaus haben sie gewisse Aehnlichkeit und zweifelsohne sind sie es, die die Flüssigkeit ausscheiden, welche in den Nepenthes-Bechern abgesondert wird. Da die Becher stets eine gewisse Flüssigkeitsmenge enthalten, so muss ein Insekt, das, von den honigabsondernden Drüsen auf die glatte Gleitfläche vor- rückend, ausglitscht, in der Tiefe der Schläuche ertrinken. Die Ab- sonderungsflüssigkeit ist von schleimiger Beschaffenheit, und es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die chemische Beschaffenheit der Schlauchflüssigkeit den Tod beschleunigen kann. So schreibt Goebel: „ieh brachte zwei lebende Stubenfliegen in Wasser, zwei andere in je Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 251 einen Nepenthes-Schlauch. Nach weniger als einer halben Stunde waren die in den Schläuchen befindlichen scheinbar vollständig tot; sie lagen regungslos in der Flüssigkeit, während die ins Wasser ge- worfenen noch nach 1!/, Stunden unter lebhaften Bewegungen auf der Oberfläche schwammen“. Infolge der schleimigen Beschaffenheit der Flüssigkeit werden die von Wasser schwer benetzbaren Flügel am Körper ankleben, und die Fliege wird dann untersinken. In andern Fällen, wie z. B. bei den Sarracenien, die wenig Flüssigkeit absondern, werden die in die Kannen gefallenen Tierchen verhungern. Die wichtigste Frage, die sich uns nun aufdrängt, ist die: Was wird aus den Tieren? Sind diese Pflanzen insektivor? Verdauen sie gleich einem tierischen Organismus? oder nehmen sie nur Zersetzungs- produkte durch Diffusion auf, wie viele andere Pflanzen, so namentlich Epiphyten, mit Hilfe ihrer Blätter mineralische Stoffe aufnehmen. Nach Goebel lassen sich bezüglich der Art der Verdauung die Insektivoren in zwei Gruppen bringen, in „solche, bei denen eine echte, durch ausgeschiedene peptonisierende Fermente bewirkte Verdauung stattfindet und solche, bei denen das nicht der Fall ist, sondern nur eine Aufnahme der Zersetzungsprodukte seitens der Pflanze eintritt, wobei aber... wenigstens bei einer Form die merkwürdige That- sache hervorzuheben ist, dass fäulnishemmende Stoffe ausgeschieden werden“. Die Funktionen der Sarracenia-Kannen wurden nicht immer in dem Sinne gedeutet, der ihnen heute zugeschrieben wird. Man sah in den Schläuchen Wassersammler. Das Wasser der Schläuche sollte „zum Unterhalt und zur Erquiekung der Pflanze“ dienen, gewiss eine eigentümliehe Vorstellung, wenn man bedenkt, dass Sarracenia eine Sumpfpflanze ist. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, nahm Linne an, dass der Sarracenia Wasserbedürfnis eben noch größer sei, als das der Sumpfpflanzen, dass sie „eine auf das Land geratene Wasserpflanze sei, welche mit ihren Blättern gewissermaßen noch im Wasser, das sie selbst sammelte, lebte“. Die Schlauchblätter vermögen in der That erhebliche Mengen von Wasser aufzunehmen. „Schläuche von Sarracenia illustrata wurden teils mit Wasser, teils mit Lösungen ete. bis 10 e unter der Oeffnung gefüllt, diese mit einem Kork verschlossen und über denselben leicht- flüssiges Paraffin gegossen, so dass kein Wasser verdunsten konnte. Die Niveauhöhe wurde durch außen angeklebte Papierstreifen be- zeichnet. Nach 48 Stunden waren folgende Mengen resorbiert: a. Hatte erhalten 20 cem einer O,lproz. Ameisensäurelösung mit etwas gequollenem Fibrin; resorbiert waren 6,8 cem, die übriggebliebene Lösung reagierte noch sauer, das Fibrin erschien ganz unangegriffen, b. Hatte 10 cem Wasser erhalten. Resorbiert waren 2,0 cem. 252 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. ec. 10 cem sehr verdünnten Fleischsaft, mit kohlensaurem Natrium genau neutralisiert; resorbiert waren 2,5 cm. Der Fleischsaft war voll von Bakterien, trübe und von alkalischer Reaktion“. Analog waren die Versuchsergebnisse bei andern Sarracenia-Arten. Stets konnte die Aufnahme von Wasser konstatiert werden, stets konnte auch gezeigt werden, dass Fleischstücke nicht angegriffen wurden, wohl aber, dass, wenn fäulnisfähige Stoffe in die Kanne gebracht wurden, schon nach 3 Tagen deutliche Fäulnis eintrat. Sarracenia vermag also weder ein eiweißlösendes Enzym auszu- scheiden, noch einen fäulnishemmenden Stoff. Mit der Flüssigkeit, welche die Innenwand der Schläuche aufnimmt, werden natürlich auch Stoffe des zersetzten tierischen Körpers aufgenommen werden. Goebel hält dafür, dass dies wahrscheinlich Ammoniak sein dürfte. Wie im Bau seiner Blätter, so schließt sich inbezug auf ihre Leistungen Cephalotus, eine westaustralische Pflanze aus der Familie der Saxifrageen, an Sarracenia an. „Obwohl hier eine ziemlich starke Sekretion von Flüssigkeit stattfindet, konnte eine verdauende Wirkung derselben doch in keinem Falle konstatiert werden; Fleischstückchen und Fibrinflocken zerfielen nicht rascher in den Kannen, als außerhalb derselben“. Dagegen war die fäulnishemmende Wirkung des Sekretes sehr ausgesprochen. In Kannen, die mit 0,5proz. sterilisierter Pepton- lösung gefüllt wurden, war nach 2 Tagen ein fauliger Geruch nieht wahrzunehmen. Viele Bakterien und kleine Infusorien bevölkerten den Kanneninhalt. Die Kulturversuche zeigten, dass, wenn schon keine Fäulnis eintrat, Fäulnisbakterien zugegen waren. Der von den Kannen ausgesshiedene fäulnishemmende Stoff, dessen Natur nicht näher be- kannt ist, muss also entweder die Entwicklung der Fäulnisbakterien hemmen oder ihren Stoffwechsel so beeinflussen, dass andere als die gewöhnlichen Fäulnisprodukte entstehen. Von der Peptonlösung wurde während des Versuchs etwa die Hälfte resorbiert. Von einer Verdauung kann aber nicht gesprochen werden. Beruht doch der Zerfall der gefangenen Insekten auf der Thätigkeit von Mikroorganismen. Zweifelhaft ist die Stellung der Utricularia. Die Fangapparate der Utrieularien sind Blasen. Man glaubte früher in ihnen den Mechanismus sehen zu müssen, welcher bedingt, dass während einer bestimmten Vegetationsperiode die Pflanze schwimmt, während sie zu anderer Zeit untergetaucht ist. So schrieb z.B. De Candolle: „Ihre Wurzeln oder vielmehr ihre untergetauchten Blätter sind außerordent- lich verzweigt und mit einer Menge kleiner abgerundeter Schläuche versehen, welche eine Art beweglichen Deckels haben. In der Jugend der Pflanze sind diese Schäuche voll Schleim, der schwerer als das Wasser ist, und die Pflanze wird durch diesen Ballast auf dem Grunde festgehalten. Wenn die Blütezeit naht, scheidet die Wurzel Luft aus, Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 253 welche in die Schläuche eindringt und den Schleim verdrängt, wobei sich der Deckel hebt. Mit einer Menge von Luftblasen versehen, steigt die Pflanze dann langsam empor und schwimmt an der Oberfläche. Die Blüten erheben sich frei in die Luft; ist die Blütezeit vorüber, so beginnt die Wurzel wieder Schleim auszuscheiden, dieser verdrängt die Luft in den Schläuchen, die Pflanze wird wieder schwerer und ver- sinkt auf den Grund des Wassers, wo sie dann ihre Samen an der- selben Stelle reift, an der sie später ausgesäet werden“. Gegen diese biologische Bedeutung der Utricularia-Blasen sprechen eine Reihe von Beobachtungen. Schwimmende Wasserpflanzen besitzen in ihrem Ge- webe große luftführende Zwischenzellräume. Diese sind es, welche auch das Schwimmen der Utricularia ermöglichen. Denn die schwim- mende Pflanze sinkt auch dann nicht, wenn ihre Blasen mit Wasser gefüllt sind oder wenn sie alle abgeschnitten werden. Der fernere Umstand, dass auch Land-Utrieularien die Blasen nicht fehlen, weist darauf hin, dass man ihre biologische Bedeutung in anderer Richtung zu suchen hat. Im Gegensatz zu andern als Fangapparat dienlichen Schlauch- blättern bewirkten jene Blasen der Utrieularien eine durch eine Klappe verschlossene Eingangsöffnung. Dieselbe gestattet wohl den Eintritt in den Blasenraum, nicht aber ein Entweichen nach außen, „da ihr freies Ende auf einem hufeisenförmigen Rahmen als Widerlager ruht“. Auf dem Deckel und dem Widerlager sind zahlreiche schleimabsondernde Haare, deren Sekret kleine Wassertierchen anzieht. Lange Fortsätze am Blaseneingang, die man bei verschiedenen Utrieularia-Arten findet, sind zur Abwehr größerer Tiere dienlich. „Für kleinere aber werden sie, namentlich, wenn sie mit schleimabsondernden Drüsen besetzt sind, zugleich als Leitwege zum Blaseneingang dienen“. Kleine Tierchen, welche gegen die Klappe drücken, werden gefangen. „Eine Reizbar- keit der Klappe ist dabei nicht im Spiele, wie man nach Analogie mit Dionaea und nach dem raschen Verschwinden der Tiere vielleicht annehmen könnte. Vielmehr handelt es sich nur darum, dass die Klappe elastisch eingebogen wird, wodurch eine Oeffnung entsteht, in der das Tier verschwindet, worauf die Klappe dann sofort sich wieder so biegt, dass der Eingang verschlossen ist“. Im Innern sterben die Tiere bald; vielleicht dass sie durch den Schleim, der auch im Innern zur Absonderung gelangt, ersticken. Anderseits wird dieser Schleim auch Spaltpilzen als Nährboden dienen, welche alsdann den Zerfall der Tierleichen bedingen. Ein Enzym war nie nachweisbar. Darüber aber besteht kein Zweifel, dass eine Aufnahme zersetzter Körper- substanz durch die Blasen stattfindet. Ihre Innenseite besitzt in großer Zahl meist vierarmige Haare, die in gefütterten Blasen ein anderes Aussehen haben, als in ungefütterten. „Während nämlich in ungefüt- terten Blasen die Haare nur einen dünnen durchsichtigen Plasmakörper besitzen, führen die Haare gefütterter Blasen einen auffallend ver- 954 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. schiedenen Inhalt, ..... stark lichtbrechende, teils kugelige, teils mehr unregelmäßig gestaltete Massen“. Die chemischen Reaktionen zeigen, dass diese Inhaltsstoffe Fett sind, welches aus dem tierischen Körper aufgenommen wurde. Nicht dass ein direkter Durchtritt stattfände. Denn die im Innern dieser Absorptionshaare liegenden Fetttropfen sind stets ungefärbt, wäh’end aus den Tierleichen rötlich gefärbte Oel- tröpfehen austreten“. „Am nächsten liegen dürfte die Annahme, dass das in dem ‘tierischen Fett enthaltene Leeithin, welches im Wasser quellbar und sogar etwas löslich ist, die Membranen durchdringt und vom Protoplasma zum Aufbau von Fett verwendet wird“. Fütterungs- versuche sprechen in hohem Maße für diese Auffassung. Goebel führte drei einschlägige Versuche aus. In einem ersten Falle wurden die Blasen ungefütterter Pflanzen mit entfettetem Blut- fibrin gefüttert, in einem zweiten mit Leeithin, in einem dritten mit einer Pasta von Olivenöl und Stärkemehl. „Nach 4 Tagen fanden sich in den Haaren von 1 keine Tropfen, zahlreiche dagegen bei den mit Lecithen gefütterten, keine oder doch nur zweifelhafte Spuren bei drei. Das Leeithin kann also offenbar die Membranen durchdringen und im Innern der Zellen zur Fettbildung verwendet werden. ... Dass außerdem noch andere Stoffe, z. B. Ammoniak, aufgenommen werden, ist sehr wahrscheinlich. Jedenfalls aber stellt die Fettbildung gefütterter Blasen ein wichtiges und ungemein charakteristisches Merkmal dar.“ Unsere einheimischen Utriceularia, U. intermedia und U. vulgaris, zeigen in gewissem Sinne eine Anpassung an die Lebensgewohnheiten verschiedener Tiere. In den Blasen der erstern beobachtet man nur Ostracoden (Cypris), in jenen der Ü. vulgaris nur Copepoden. Die Winterknospen von U. intermedia bilden sehr frühzeitig Ausläufer, welche in den Schlamm eindringen und Blasen an ziemlich weit ver- kümmerten Blättern entwickeln. Diese im Detritus des Wassergrundes verborgenen Ausläufer fischen nun die im Schlamme lebenden Tiere; die Cypris aber bevölkert als schlechte Schwimmerin den Schlamm und ist daher das vorwiegende Opfer des Tierfanges der U. inter- media. U. vulgaris wächst frei flutend. Die guten Schwimmer der Crustaceen, das sind eben Copepoden, werden also von ihr gefangen werden. Die übrigen Insektivoren verdauen durch Enzyme. Werden die Blätter der Pinguieula z. B. durch kleine Fibrin- flocken gereizt, so findet eine lebhafte Absonderung schleimiger sauer reagierender Flüssigkeitströpfehen statt. Die Enzymabsonderung jedoch vollzieht sich nur sehr langsam und nur in geringen Mengen. Zugleich aber erfolgt die Ausscheidung eines fäulniswidrigen Stoffes. Goebel hält dafür, dass, wenn von Verdauung durch Bakterien bei Pingweula gesprochen werde, dies auf unpassende Versuchsmethoden zurückzu- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 255 führen sei. Werden große Eiweißwürfel auf die Blätter aufgelegt, so können diese natürlich bei der relativ geringen Menge sich abschei- denden Enzyms nicht gelöst werden. Es werden sich also auf dem Uebersehuss Bakterien ansiedeln. Ueber die Verdauung durch die Nepenthes-Schläuche gehen die Ansichten ebenfalls auseinander. Es wird gewöhnlich angegeben, „dass die Verdauung auf Wirkung von Mikroorganismen beruhe und eine Fäulnis sei.“ Goebel zeigt, dass diese Auffassung auf Beob- achtungen an geschwächten Pflanzen beruht, während kräftige, also normale Pflanzen, wie aus nachfolgender Darstellung hervorgeht, ein anderes Verhalten zeigen. „Es wurde eine kräftige Pflanze von Nepenthes paradisiaca im Laboratorium in einem heizbaren Glaskasten bei 20—25° in mit Was- serdampf gesättigtem Raume kultiviert. Sie besaß drei Kannen, die älteste, offenbar nicht mehr lebenskräftige, zeigte bereits eine bräun- liche Farbe; die geringe in ihr vorhandene Flüssigkeit reagierte neu- tral; eine hineingeratene Wespe starb bald und nach drei Tagen ergab sich alkalische Reaktion. Bakterien und Infusorier waren zahl- reich vorhanden. Die 2. Kanne dagegen besaß ein sauer reagierendes Sekret, in dem sich eine kleine Fliege befand; das Sekret löste Fibrin in einer Stunde, nach drei Stunden war kein gelöstes Eiweiß vor- handen, sondern nur noch Pepton nachweisbar. Eine weiterhin ein- gegebene Fibrinflocke wurde nach Zusatz von 0,2prozentiger Salzsäure in 40 Minuten bei 16—18° gelöst. Eine Impfung aus dieser Lösung in Nährgelatine ergab keine Bakterien. „Die jüngste Kanne war noch geschlossen. Eine Impfung aus ihr in Nährgelatine ergab keine Pilzvegetation. Das Sekret betrug 4,6 eem, war schleimig und reagierte neutral; nach Zusatz von 1%, Ameisensäure wurde eine gequollene Fibrinfloeke in 12 Stunden voll- ständig verdaut. Eine Impfung in Nährgelatine ergab selbst nach 8 Tagen in zwei Proben keine Bakterientwieklung“. Thatsächlich beobachtet man, dass sich in normalen Kannen, in die ein Insekt fällt, sehr bald Ameisensäure ausscheidet. Auch bei Drosophyllum ist eine echte Verdauung nachweisbar. Ihr Drüsensekret enthält Ameisensäure. „Dieselbe schließt die Bak- terienverdauung aus. Es wurden sowohl vom frischen Sekret, als von durch Verdauung halb verflüssigten Fleischstückehen Impfungen auf Nährgelatine gemacht; nach 14 Tagen war bei den letzteren keine Spur von Bakterienentwicklung eingetreten, bei den ersteren blieb sie von 3 Proben in zweien aus, in einer dritten war nach 6 Tagen eine einzige Kolonie vorhanden.“ Die Bedeutung der Ameisensäure ist darin zu suchen, dass sie als Antiseptieum wirkt, dass sie ferner eine Lockerung des Fibrins und ein Herausdiffundieren von Stoffen be- 256 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. dingt, welche als Reiz auf die Digestionsdrüsen einwirken und sie zu reichlicher Enzymabscheidung veranlassen. Bei Dionaea beobachtet man, dass das Schließen der beiden Blatt- hälften durch einen Stoßreiz, wie auch durch einen chemischen Reiz erfolgt. Wird ein Insekt gefangen, dann machen sich beide Reize geltend; die Folge ist, dass die zusammengeklappten Spreitenteile lange, oft wochenlang, geschlossen bleiben. Verursachte der Stoßreiz durch einen unorganischen Körper das Schließen, dann ist dasselbe, da nun der chemische Reiz fehlt, stets nur von kurzer Dauer. Die Absonderung des verdauenden Sekretes ist oft eine so reich- liche, dass das Sekret in Tropfen herausfließt. Auch hier bedingt Ameisensäure die saure Reaktion der abgesonderten Flüssigkeit. Ist das Blatt normal, dann findet auch hier ein Fäulnisprozess nicht statt. „Fleischstücke, die über den Rand des gefütterten Blattes heraus- ragten, gingen in Fäulnis über, nicht aber der im Blatt eingeschlos- sene Teil; ja in Fäulnis übergehendes Fleisch verlor, in ein Dionaea- Blatt gebracht, sogar den Fäulnisgeruch, was die antiseptische Eigen- schaft des von den Digestionsdrüsen abgesonderten Sekretes deutlich genug erweist.“ Die Insektivoren haben also die Fähigkeit, sich wichtige Baustoffe aus dem tierischen Körper anzueignen, sei es dass sie bestimmte Zer- setzungsprodukte oder Fett oder Eiweißkörper aufnehmen. Wenn schon nun für keine einzige derselben die Aufnahme tierischer Nahrung unentbehrlich ist, so gewährt ihnen dieselbe doch gewisse Vorteile. Die gefütterten Pflanzen sind kräftiger, produzieren reichere Früchte und reichlichere Samen. Dass die ungefütterte Pflanze im Hungerzustand sich befindet, scheint eine Beobachtung von Büsgen zu zeigen. An ungefütterten Utricularia-Pflanzen entstanden schon Mitte August Winterknospen. Nun hat Göbel an solchen Wasserpflanzen, die charakteristische Win- terknospen bilden, gezeigt, dass man dieselben auch im Hochsommer oder Frühling zur Bildung der Winterknospen zwingen kann, wenn man sie hungern lässt. Die frühzeitige Winterknospenbildung unge- fütterter Utricularia-Pflanzen scheint somit den Hungerzustand der betreffenden Pflanzen anzudeuten. Für Drosera- Arten lehren übrigens vergleichende Kulturversuche, dass die Insektennahrung keinen völligen Ersatz für die mangelnde Nitrataufnahme durch die Wurzeln ist. — 8) Für die Entleerung gespeicherter Stoffe ist der Konsum oder die Fortführung der diosmierenden Produkte eine Bedingung. Beim Keimungsprozess der Samen ist das gleiche Prinzip ausgesprochen, gleichviel ob die Reservestoffe in den Cotyledonen aufgespeichert sind oder im Endosperm. Hansteen hat unter Pfeffer’s Anleitung ex- perimentell dargethan, dass die Wechselbeziehung, welche zwischen Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pllanzenphysiologie und -biologie. 257 der Entleerung des Endosperms und der Fortentwicklung der Keim- pflanze besteht, nicht, wie man oft annimmt, auf der Abscheidung von Enzymen durch den Embryo beruht, sondern durch die dauernde Ab- fuhr des Zuckers, der aus der Stärke gebildet wird, bedingt ist. Endosperm von Zea mais wird isoliert. Es wird demselben Gips derart angegossen, dass die erstarrte Masse an Stelle des Schildchens, durch welches unter normalen Verhältnissen die Keimpflanze aus dem Endosperm die Reservestoffe aufnimmt, diesem anliegt. Das Gips- säulchen, gewissermaßen die künstliche Keimpflanze, wurde in dampfge- sättigtem, gleichsam sterilisiertem Raume ins Wasser gestellt. „In den Versuchen mit viel Wasser schritt die Lösung der Stärke, von dem Gipsschildehen beginnend, in normaler Weise fort. Schon nach 10 bis 13 Tagen hatten die dem Schildehen näheren Zelllagen die gesamte, die fernsten Zelllagen des Endosperms aber den größten Teil der Stärke verloren und die noch vorhandenen Körner waren in üblicher Weise angefressen. Inzwischen war der Zucker durch die Gipssäule in das Wasser gelangt und bei der großen Menge dieses dauernd abgeleitet worden.“ Tauchte das Gipssäulchen nur in wenig Wasser, dann kam es zu keiner Entleerung. Nur in den dem Gips- schildehen nächstliegenden Zellen waren einzelne der Stärkekörner etwas ausgefressen. „Da alle übrigen Versuchsbedingungen dieselben waren, so geht aus diesen Erfahrungen mit aller Evidenz hervor, dass mit der Ansammlung einer gewissen Zuckermenge in dem Wasser der fernere Umsatz von Stärke in Glukose gehemmt wird.“ Irgend einer besonderen Einwirkung von Seiten des Keimlings bedarf es also, da das isolirte Endosperm zu solcher aktiven und regulatorischen Thä- tigkeit befähigt ist, nicht, um dessen Entleerung zu bewirken. Der Stoffverbrauch der wachsenden Pflanze sorgt für die Wegfuhr der zu- geführten Glukose, deren Ansammlung die Entleerung hindern würde. Dennoch kommt dem Embryo thatsächlich die Fähigkeit zur Diastaseabscheidung zu. Verf. machte mit viel Stärke und wenig Gips gleichsam ein künstliches Endosperm, welches er nach Abtrennen des natürlichen mit dem Schildehen des Embryo verband. Vom Schildehen aus schritt nun die Corrosion der Stärkekörner sehr ener- gisch weiter, „und die Keimpflanze gewinnt jetzt durch ihre sekre- torische Thätigkeit die m dem toten Endospermersatz gebildete Glu- kose“. Tritt dieses künstliche Endosperm auch mit viel Wasser in Berührung, dann erfolgt doch keine Veränderung der Stärke. „Frag- lich bleibt nur, ob diese Diastaseausscheidung auch bei normaler Ent- wicklung der Keimpflanzen mitwirkt, oder ob — was sehr möglich ist — ein solches Verhältnis vorliegt, dass der Mangel des Stärke- umsatzes, rsp. das Fehlen des Zuckerzuflusses von dem Endosperm- ersatz den Reizanstoß abgibt, welcher die Ausscheidung von Diastase veranlasst.“ XIV. 1er " 958 Keller, Fortschritte auf dom Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Die Annahme Haberlandt’s, dass im Endosperm die Kleber- schicht das Diastase absondernde Gewebe sei, wird durch das Ex- periment nicht bestätigt. Wurde jene Schichte abgelöst, so erfolgte durch das dem Endospermrest aufgesetzte Gipssäulchen die Entleerung der Stärke gerade so schnell wie in den frühern Versuchen, wenn dasselbe nur in eine hinlänglich große Wassermenge eintauchte. „Da gar nichts auf eine Arbeitsteilung in diesen inneren, sämtlich Stärke führenden Endospermzellen hindeutet, so ist wohl kein Zweifel, dass jede einzelne dieser lebenden Zellen die Fähigkeit besitzt, die Stärke in Glukose zu verwandeln und diese Verwandlung in der besagten regulatorischen Weise durchzuführen.“ Es wurde gesagt, dass unter normalen Verhältnissen die Ent- leerung des Endosperms an den Zuckerkonsum, d. i. an das Wachsen des Embryos geknüpft sei. Wurde dieser eingegipst, Wurzel, Stengel und Blätter also mechanisch am Fortwachsen gehemmt, dann konnte in der That die Stärkauflösung auf ein sehr geringes Maß reduziert werden. Als Ursache der Regulation dieser Stoffwanderung vom Endo- sperm zum Keimling ergibt sich also, „dass die Ansammlung des einen Reaktionsproduktes bis zu einem gewissen Grenzwert die wei- tere Produktion dieses Stoffes und damit die Fortführung der Um- setzung hemmt.“ — 9) Ueber den Einfluss der Phosphor-Ernährung berichtet Dr. Noll im Bonner Gartenbau- Verein. Will man über die Bedeutung eines mineralischen Nährstoffes sich Aufklärung verschaffen, dann müssen Pflanzen in vergleichenden Kul- turen groß gezogen werden. Genau gleichen Bedingungen sind die Versuchspflanzen auszusetzen, mit dem Unterschiede jedoch, dass der mineralische Stoff, über dessen Bedeutung man Aufschluss erlangen will, dem einen Teil derselben nicht geboten wird. Noll hat durch sehr sorgfältig geleitete Versuche namentlich an Tradescantia Selloi gezeigt, dass der Phosphor für das Gedeihen der Pflanzen von größter Bedeutung ist, nicht etwa bloß für die Samenbildung, sondern auch für die Entwicklung der vegetativen Teile. Aus 2 Millimeter langen Blattknoten wächst die Versuchspflanze unter günstigen Bedingungen zu kräftigen Pflanzen heran. Anfänglich ist in der Entwicklung der phosphorhaltigen und phosphorfreien Vege- tation kein Unterschied zu bemerken. Man muss wohl annehmen, dass die vegetativen Gebilde, welche zur Vermehrung der Tradescantia benutzt wurden, in sich eine kleine Phosphatmenge aufgespeichert enthielten, dass also die Differenz der Entwieklung erst von dem Mo- mente an sich geltend machen konnte, wo dieser Phosphorvorrat nahezu oder völlig verbraucht war. Von dem Momente, wo sich nun bei den Kulturen die Folgen des Phosphormangels geltend machen Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“, 35 (de konnten, zeigten sich augenfälligste Unterschiede. „Während sich die Phosphatpflanzen ungemein rasch und kräftig entwickeln, ein Blatt nach dem andern neu entfalten und aus allen Blattachseln neue Sei- tentriebe hervorsprießen lassen, die ihrerseits weitere Verzweigungen bilden, bleiben die Pflänzchen ohne Phosphat nun auf einmal in der Entwicklung völlig stehen. Zu der Zeit, wo aus den millimetergroßen Seitenknöspehen der Tradescantia bei Phosphatnahrung mächtige Pflan- zen herangewachsen sind, mit Hunderten von Blättern und Dutzenden von Seitenzweigen, sind aus den gleichen Knospen, denen alle sonsti- gen Nährstoffe in reichstem Maße zu Gebote standen, denen nur das Phosphat fehlte, kümmerliche Pflänzchen, sämtlich mit 5—6 kleinen Blättehen, entstanden.“ Diese Zwergpflänzchen gehen zwar nicht zu Grunde, aber in monatelanger Kultur entwickeln sie sich nicht weiter. Die einzige äußere Veränderung, die sich konstatieren lässt, besteht darin, dass die Blättchen dick, jenen der Fettpflanzen ähnlich werden. Dass dieser Stillstand in der Entwieklung wirklich auf den mangelnden Phosphor zurückzuführen ist, zeigte Noll dadurch, dass er diese kümmerlichen Pflänzchen durch Zusatz von etwas phosphor- saurem Kalk in üppig vegetierende Kulturen verwandelte. „Wie mit einem Zauberschlag kommt dann neues Leben in den Kümmerling; schon nach wenigen Tagen zeigen sich neue Blättchen an dem Gipfel und aus jeder Blattachsel schieben sich die zarten Spitzchen neuer Seitentriebe hervor, die sich alle kräftig entfalten.“ (Fortsetzung folgt.) Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Von Herbert Spencer. (Schluss. ) Aber nun wollen wir von diesen niedrigen Tieren, bei welchen geschlechtslose Reproduktion und fortgesetzte Vermehrung der soma- tischen Zellen gewöhnlich ist und unter welchen es eine Klasse gibt, die „Zoophyten“ genannt werden, weil ihre Lebensweise diejenige der Pflanzen nachahmt, zu den Pflanzen selbst übergehen. Bei diesen findet keine Ausgabe für Kraftleistung statt und keine, um die Tem- peratur auf gleicher Höhe zu halten; die Nahrung wird zum Teil vom Erdboden geliefert, und der Rest rührt von einem Medium her, das überall die äußere Oberfläche umgibt: die Nutzbarmachung des in ihr enthaltenen Stoffes findet gratis durch die Sonnenstrahlen statt. Wie zu erwarten war, zeigt sich hier, dass Agamogenese stattfinden kann ohne Ende. Zahlreiche Pflanzen und Bäume werden in unbeschränkter Ausdehnung durch Setzlinge und Augen vermehrt; wir haben ver- schiedene Pflanzen, die auf keine andere Weise vermehrt werden können. Die bekanntesten sind die gefüllten Rosen unserer Gärten: diese tragen keinen Samen und werden dennoch überall durch Pfropf- I 260 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl®. reiser und Augen verbreitet. Die Warmhäuser liefern viele solcher Beispiele, wie ich von einer Autorität ersten Ranges erfahren habe. Von dem „ganzen Heer der tropischen Orchideen, zum Beispiel, wird nicht der hundertste Teil durch Samen vermehrt, und einige von ihnen werden seit einem Jahrhundert kultiviert“. Dann haben wir den Acorus calamus, „von dem man schwerlich weiß, ob er irgendwo Samen trägt, obwohl er überall in der nördlichen gemäßigten Zone gefunden wird“. Und dann haben wir den berühmten und entscheidenden Fall von Elodea Canadensis (alias Anacharis), die, man weiß nicht wie (ver- mutlich durch Bauholz), eingeführt und zuerst 1847 an verschiedenen Orten beobachtet wurde und jetzt, nachdem sie sich seitdem über fast ganz England verbreitet hat, alle Teiche, Kanäle und kleinen langsam fließenden Flüsse heimsucht. Die Pflanze ist zweihäusig, und nur die weibliche findet sich bei uns. Es ist also keine Frage, dass diese un- geheure Nachkommenschaft des ersten eingewanderten Setzlings oder abgerissenen Stücks, die so groß ist, dass, wenn Alles vereinigt würde, es genug wäre, um viele Quadratmeilen zu bedecken, vollständig aus somatischen Zellen besteht. Daraus folgt, dass, soweit wir urteilen können, diese somatischen Zellen in dem Sinn, wie Prof. Weismann es meint, unsterblich sind; und der Beweis, dass sie es sind, ist un- ermesslich größer als der Beweis, der ihn zur Behauptung der Unsterb- lichkeit der durch Spaltung sich vermehrenden Protozoen führt. Und diese unendliche Vermehrung somatischer Zellen hat sich unter den Augen zahlreicher Beobachter seit vierzig Jahren vollzogen. Gibt es einen Beobachter, der seit vierzig Jahren aufpasst, ob die durch Spaltung stattfindende Vermehrung der Protozoen kein Ende hat? Wo ist der Beobachter, der es für ein Jahr, einen Monat oder eine Woche gethan hat? Inbezug auf Elodea erfahre ich, dass im Jahr 1879, dreißig Jahre nachdem sie eine Plage geworden war, eine einzelne männliche Pflanze auf einem Teich bei Edinburg gefunden wurde; aber nach einer „er- schöpfenden Umfrage über die Pflanze, die Dr. Grönland von Kopen- hagen gemacht hat, konnte er keine Spur eines männlichen Exemplars in Europa außer dem in Schottland gefundenen entdecken“. In den Gewässern, aus denen die Elodea verschwunden ist, scheint dies in Folge des Auftretens einer Alge geschehen zu sein, die das Wasser getrübt und dadurch ungünstig für erstere gemacht hat. Das heißt also, dass die abnehmende Vermehrung somatischer Zellen in manchen Fällen nieht einer Erschöpfung zuzuschreiben ist, sondern durch das Entstehen feindlicher Elemente oder ungünstiger Bedingungen verursacht wird, wie es gewöhnlich bei eingeführten Pflanzen und Tierarten der Fall ist, die im Anfang sich ungeheuer vermehren und dann, ohne ihre reproduktive Kraft einzubüßen, anfangen abzunehmen unter den sich ausbildenden feindlichen Einflüssen. Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*“. 2361 Selbst wenn Prof. Weismann’s Theorie durch diesen Beweis nicht abgethan wäre, würde sie durch eine kritische Untersuchung seines eigenen Beweises mit seinen eigenen Belegen beseitigt werden können. Es ist klar, dass, wenn wir relative Sterblichkeit messen wollen, wir gleiche Bedingungen annehmen und gleiches Maß gebrauchen müssen. Thun wir das mit irgend einem dazu geeigneten Tier — sagen wir dem Menschen als dem der Beobachtung zugängliehsten! Die Sterblichkeit der somatischen Zellen, aus denen die Masse des menschlichen Körpers besteht, ist nach Prof. Weismann durch die Abnahme und den schließlichen Stillstand der Zellvermehrung in den verschiedenen Organen erwiesen. Nehmen wir an, wir machten diese Probe an allen Organen, nicht nur an solchen, wo sich fortwährend Galle bereitende Zellen, Epithelzellen u. s. w. entwickeln, sondern auch an denen, in welchen die reproduktiven Zellen entstehen. Was finden wir? Dass die Vermehrung der letzteren viel früher ihr Ende erreicht als die Vermehrung der ersteren. Bei einer gesunden Frau fahren die Zellen, die die verschiedenen lebenden Gewebe des Körpers bilden, noch viele Jahre fort zu wachsen und sich zu vermehren, nachdem die Keimzellen aufgehört haben zu leben. Mit gleichem Maß gemessen zeigt sich also, dass die Zellen der letzteren Klasse sterblicher sind als die der ersteren. Aber Prof. Weismann wendet verschiedenes Maß für die beiden Klassen an. Gehen wir über die Ungerechtigkeit dieses Verfahrens hinweg und nehmen wir seine andere Art Messung an und sehen wir, was daraus folgt! Nach seiner Erklärung wird bei den Protozoen der Tod ausgeschlossen durch die ihnen zugeschriebene Fähigkeit, sich zu teilen und wieder zu teilen ohne Aufhören. Fort- gesetzte Spaltung ohne Ende ist die Definition der Unsterblichkeit, von der er spricht. Wenden Sie diese Vorstellung auf die reproduktiven Zellen der Metazoen an! Dass eine ungeheure Mehrheit unter ihnen sich nicht endlos vermehrt, haben wir schon gesehen: mit seltenen Ausnahmen sterben sie und verschwinden ohne Ergebnis, oder sie hören mit der Vermehrung auf, während der Körper im Ganzen noch lebt. Aber wie verhält es sich mit den besonderen Ausnahmen, die als die thatsächlichen Werkzeuge zur Erhaltung der Species allein von Prof. Weismann in Betracht gezogen werden? Setzen diese ihre dureh Spaltung erfolgende Vermehrung ohne Ende fort? Keineswegs. Der Zustand, in welchem allein sie eine geeignete Existenzform behalten, ist derjenige, wo aus zweien eins wird statt aus einem zwei. Ein Glied aus Serie A und ein Glied aus Serie B verbinden sich und ver- lieren auf diese Weise ihre Individualität.-*Nun ist es klar, dass, wenn die Unsterblichkeit einer Klasse dadurch bewiesen wird, dass ihre Glieder sich teilen und immer wieder teilen in unausgesetzter Folge, dann das Gegenteil von Unsterblichkeit bewiesen wird, wenn statt Teilung Verbindung stattfindet, Jede dieser zwei Klassen kommt zu [0] 62 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*. einem Ende, und eine neue Reihe entsteht, die mehr oder weniger von beiden abweicht. So kann die Behauptung, dass die reproduktiven Zellen unsterblich sind, nur verfochten werden, wenn man den Begriff der Unsterblichkeit im gewöhnlich angenommenen Sinne aufgibt. Aber selbst abgesehen von diesen letzten Ausstellungen, können wir die Behauptung von dem den beiden Zellklassen imnewohnenden Unterschied widerlegen. Bei den Tieren wird die Vermehrung der somatischen Zellen durch verschiedene ungünstige Bedingungen zum Stillstand gebracht; aber bei mehreren Pflanzen, bei denen diese un- günstigen Verhältnisse wegfallen, geht die Vermehrung unbegrenzt vor sich. Man kann in der That sagen, dass der behauptete Unter- schied umgekehrt werden kann, insofern als die durch Spaltung ent- standene Vermehrung der reproduktiven Zellen notwendig von Zeit zu Zeit durch Vermischung unterbrochen wird, während die der so- matischen Zellen hundert Jahre lang ohne Unterbrechung andauern kann. In der Abhandlung, die diesem Proseriptum vorausging, wurden Schlussfolgerungen gemacht aus dem dort berichteten merkwürdigen Fall vom Pferd und dem Quagga und einem analogen Fall, der bei Schweinen beobachtet wurde. Diese Folgerungen sind inzwischen be- stätigt worden. Ich bin einem ausgezeichneten Korrespondenten zu großem Dank verpflichtet, der meine Aufmerksamkeit auf beglaubigte Thatsachen gelenkt hat, die über die Nachkommen von Weißen und Negern in den Vereinigten Staaten berichtet werden. Indem er sich auf einen Bericht, der ihm mehrere Jahre zuvor gemacht worden war, bezieht, sagt er: „Es ging darauf hinaus, dass die Kinder weißer Frauen von weißen Vätern mehrere Male Spuren von Negerblut zeigten, wenn die Frau früher ein Kind von einem Neger gehabt hatte.“ Zu der Zeit, als ich diesen Bericht erhielt, besuchte mich ein Amerikaner, und darüber befragt, antwortete er, dass in den Vereinigten Staaten diese Meinung allgemein anerkannt werde. Um jedoch nicht nach Hörensagen zu urteilen, schrieb ich sogleich nach Amerika, Umfrage zu halten. Prof. Cope in Philadelphia hat sich an Freunde im Süden gewendet, aber hat mir bisher keine Resultate gesandt. Prof. Marsh, der ausgezeichnete Paläontologe aus Yale, New Haven, der auch Be- weise sammelt, sendet mir einen vorläufigen Bericht, in welchem er sagt: „Ich selbst kenne keinen solchen Fall, aber ich habe viele Aus- sagen gehört, die mir ihre Existenz wahrscheinlich machen. Ein Bei- spiel in Connecticut wurde mir von einem Bekannten so zuverlässig beteuert, dass ich allen Grund habe, es für authentisch zu halten.“ Dass Fälle dieser Art nicht häufig im Norden gesehen werden, besonders heutigen Tags, ist natürlich zu erwarten. Das erste der obenerwähnten Beispiele bezieht sich auf Vorgänge, die im Süden während der Sklavenzeit beobachtet wurden; und selbst damals waren Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 363 die bezüglichen Bedingungen natürlicherweise sehr selten. Dr. W. J. Youmans in New-York hat in meinem Interesse mehrere Medizin- professoren befragt, die, obgleich sie nicht selbst solche Beispiele ge- sehen haben, sagen, dass das behauptete oben beschriebene Resultat „allgemein als eine Thatsache anerkannt wird“. Aber er sendet mir etwas, das nach meiner Meinung als ein autoritatives Zeugnis gelten kann. Es ist ein Zitat aus dem klassischen Werk von Prof. Austin Flint, das hier folgt: „Eine eigentümliche und, wie es scheint, unerklärliche Thatsache ist es, dass frühere Schwangerschaften einen Einfluss auf die Nach- kommenschaft haben. Das ist den Tierzüchtern wohlbekannt. Wenn Vollblutstuten oder Hündinnen einmal mit Männchen von weniger reinem Blut belegt worden waren, so werden bei späteren Befruch- tungen die Jungen geneigt sein die Art des ersten Männchens anzu- nehmen, selbst wenn sie von Männchen mit unzweifelhaftem Stamm- baum erzeugt wurden. Wie man diesen Einfluss der ersten Empfängnis erklären kann, ist unmöglich zu sagen, aber die Thatsache ist unbe- stritten. Der gleiche Einfluss ist beim Menschen beobachtet worden. Eine Frau kann vom zweiten Mann Kinder haben, die dem ersten ähnlich sind, und diese Beobachtung ist besonders in Bezug auf Haar und Augen gemacht worden. Eine weiße Frau, die zuerst Kinder von einem Neger hat, kann später Kinder von einem weißen Vater gebären und doch werden diese Kinder unfragliche Eigentümlichkeiten der Negerrasse an sich tragen !).“ Dr. Youmans besuchte Prof. Flint, der ihm erzählte, dass er „den Gegenstand näher untersucht habe, als er sein größeres Werk schrieb (das obige Zitat ist aus einem Auszug), und er fügte hinzu, dass er nie gehört habe, dass der Bericht in Frage gestellt sei“. Einige Tage, ehe ich diesen Brief mit dem Angeführten erhielt, hatte mich die Erinnerung an eine Bemerkung, die ich mehrere Jahre zuvor in Bezug auf Hunde gehört hatte, dazu veranlasst, Nachfrage zu halten, ob sie einen analogen Beweis lieferten. Es fiel mir ein, dass ein Freund, Mr. Fookes in Fairfild, Pewsey, Wiltshire, welcher häufig Schiedsrichter auf landwirtschaftlichen Ausstellungen ist, mir vielleicht Auskunft erteilen könnte. Eine Anfrage bei ihm brachte mir verschiedene bestätigende Berichte. Von Jernand, „der lange Jahre Hundezucht getrieben hatte“, erfuhr er, dass — „es eine wohlbekannte und anerkannte Thatsache sei, dass, wenn eine Hündin zweimal geworfen hat von zwei verschiedenen Männchen, die Merkmale des ersten Vaters mit Sicherheit bei allen folgenden Jungen zum Vorschein kommen werden, mag auch der spätere ein Hund reinster Rasse sein.“ 1) A Text book of Human Physiology. By Austin Flint MD., LL. D, Fourth edition. New-York, D. Appleton & Co., 1888, p. 797. 964 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Nach diesem Zeugnis fährt Mr. Fookes fort selbstgekannte Bei- spiele anzuführen. „Ein Freund von mir hier in der Nähe hatte eine sehr wertvolle Dachshündin, die unglücklicherweise einen Wurf von einem verlau- fenen Schäferhund hatte. Im folgenden Jahre schickte sie ihr Eigen- tümer auf Besuch zu einem rasseechten Dachshund, aber die gewor- fenen Jungen hatten gerade so viel vom ersten Vater wie vom zweiten, und im folgenden Jahre, als er sie mit einem andern Dachshunde zu- sammengebracht hatte, zeigte sich das gleiche Resultat. Ein anderer Fall: — Einer meiner Freunde in Devizes hatte einen Wurf junger Hunde, ohne Zuthun, von einer echten Wachtelhündin mit einem Vor- stehhund, und nachher hatte sie nie wieder reine Wachtelhunde, gleichgiltig welcher Art der Vater war.“ Diese weiteren Belege, denen Mr. Fookes später noch andere hinzugefügt hat, machen die Hauptschlussfolgerung unbestreitbar. Aus weit voneinander liegenden Orten kommend, von Leuten, die keine Theorie zu verteidigen haben und die zum Teil selbst von der uner- warteten Erscheinung überrascht sind, muss die Uebereinstimmung jeden Zweifel beseitigen. Bei viererlei Säugetieren, die sehr ver- schieden untereinander sind, — Mensch, Pferd, Hund und Schwein — haben wir diese scheinbar anormale Art der Vererbung, die unter gleichen Bedingungen zur Erscheinung kommt. Wir müssen es als erwiesene Thatsache ansehen, dass während der Schwangerschaft vom Vater herrührende Züge der Leibesbeschaffenheit Wirkungen auf die Konstitution der Mutter ausüben, und dass diese überkommenen Züge durch sie auf die nachfolgende Nachkoinmenschaft übertragen werden. Wir haben also hier eime absolute Widerlegung der Prof. Weis- mann’schen Lehre, dass die reproduktiven Zellen unabhängig und unbeeinflusst von den somatischen Zellen seien, und hiermit ver- schwindet vollständig das von ihm behauptete Hindernis für die Ver- erbung erworbener Eigenschaften. Ungeachtet der Erfahrungen, die mir die Nutzlosigkeit von Kon- troversen zur Feststellung der Wahrheit beweisen, bin ich doch ver- sucht, den Gegnern ausführlicher zu antworten. Aber selbst wenn ich genügenden Raum hierzu hätte, wäre ich doch durch den Mangel an Zeit und Gesundheit gezwungen, mich kurz zu fassen. Ich muss mich begnügen einige Punkte hervorzuheben, die mich sehr nahe angehen. Herr Wallace sagt, indem er sich auf mein Argument imbetreff des Unterscheidungsvermögens des Tastsinns bezieht, dass ich „ein glänzendes Beispiel dafür sei, wie man das Unwichtige an Stelle des Wichtigen setzen könne und Schlüsse ziehe aus einer ein- zelnen und vollkommen ungenügenden Betrachtung der Erscheinungen, Denn dieses „Unterscheidungsvermögen des Tastsinns“, das allein von Herrn Spencer in Betracht gezogen wird, bildet den wenigst wichtigen Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 265 und vermutlich nur beiläufigen Teil des großen Lebensphänomens der Hautempfindlichkeit, die zugleich Wache und Schutz für den Orga- nismus gegen drohende äußere Gefahren ist“ (Fortnightly Review, April 1893, p. 497). Hier nimmt Herr Wallace als selbstverständlich an, dass das Unterscheidungsvermögen des Tastsinns der natürlichen Zuchtwahl zu verdanken ist, und er nimmt ferner an, dass dies von mir zugegeben werde. Er setzt voraus, dass es nur die ungleiche Verteilung der Hautempfindlichkeit sei, die ich als nicht durch die natürliche Zucht- wahl entstanden bestreite. Aber ich bestreite, dass sowohl die all- gemeine Empfindlichkeit als die spezielle durch natürliche Zuchtwahl entstanden sei; und ich habe vor Jahren meinen ersten Zweifel ge- rechtfertigt, wie ich kürzlich den zweiten gerechtfertigt habe. In den „Faetors of Organie Evolution“ p. 66—70 habe ich verschiedene Gründe dafür angegeben, um zu beweisen, dass die Entwicklung des Nerven- systems nicht durch das Ueberleben des Geeignetsten vor sich ge- gangen ist, sondern dass sie den direkten Wirkungen des Verkehrs der Oberfläche mit der Umgebung zuzuschreiben ist, und dass nur auf diese Weise die merkwürdige Thatsache erklärt werden kann, dass die Nervencentren ursprünglich außen gelegen waren und mit der Entwicklung sich nach innen gewandt haben. Diese Folgerungen habe ich in dem von Herrn Wallace besprochenen Aufsatz dureh den Beweis gestützt, den blinde Knaben und geübte Setzer liefern; eine Bestätigung dafür, dass vermehrte Nervenentwicklung von der Peripherie ihren Ausgang nimmt. Herrn Wallace’s Ansicht, dass die Hautempfindlichkeit durch natürliche Zuchtwahl entstanden sei, wird nicht durch eine einzige Thatsache gestützt. Er nimmt an, dass sie so entstanden sein müsse, weil sie überaus wichtig für die Selbst- erhaltung gewesen sei. Meine Ansicht, dass sie direkt aus dem Ver- kehr mit der Umgebung hervorgegangen sei, wird dureh Thatsachen unterstützt, und ich habe Beweise gebracht, dass die angeführte Ur- sache noch wirksam ist. Kann man von mir verlangen, dass ich meine eigene begründete Ansicht aufgebe und die nicht begründete Ansicht des Herrn Wallace annehme? Ich glaube nicht. Professor Lankester schreibt n Nature vom 3. Febr. 1503, indem er sich auf meine Schlussfolgerung betreffs der blinden Höhlen- tiere bezieht: „Herr Spencer zeigt, dass die Ersparnis von wägbarem Stoff durch Unterdrückung eines Auges nur sehr gering ist; aber er über- sieht die Thatsache, dass möglicher oder selbst wahrscheinlicher Weise die Ersparnis für den Organismus durch die Reduktion eines Auges auf ein rudimentäres Stadium nieht nach der Masse allein zu messen ist, sondern auch nach der Nichtabgabe besonderer Materialien und besonderer Thätigkeiten, die in Betracht kommen, wenn es sich um 266 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*“. Erzeugung eines so besondern und ausgearbeiteten Organs handelt, wie es das Vertebratenauge ist.“ Es scheint mir, als ob hier eine Vermutung an Stelle einer Thatsache treten solle. Mit demselben Recht könnte ich sagen, dass möglicher oder selbst wahrscheinlicher Weise das Vertebratenauge in physiologischer Beziehung billig sei: da nämlich sein optischer Teil, der fast seine ganze Masse ausmacht, aus untergeordnetem Ge- webe besteht. Es sprieht in der That viel dafür, es für physiologisch billig zu halten. Wenn man bedenkt, wie enorm groß relativ die Augen eines eben aus dem Ei geschlüpften Fisches sind — Augen, an denen Kopf und Körper nur als Anhang erscheinen, und wenn man sich vorstellt, dass jedes Ei das Material für solch ein Paar Augen enthält, dann sieht man ein, dass das Augenmaterial einen sehr be- trächtlichen Teil des Fischrogens ausmachen muss, und dass, da der weibliche Fisch jedes Jahr diese Quantität liefert, es nieht kostspielig sein kann. Mein Argument gegen Weismann wird durch diese Thatsachen eher unterstützt als entkräftet. Prof. Lankester lenkt meine Aufmerksamkeit auf seine Hypo- these, die in der Eneyelopaedia Brittanica veröffentlicht ist und sich auf die Entstehung blinder Höhlentiere bezieht. Er meint, sie sei „vollkommen erklärt dureh natürliche Zuchtwahl, die auf ange- borene zufällige Variationen einwirke. Viele Tiere kommen auf diese Art mit verdrehten oder defekten Augen zur Welt, deren Eltern nicht genötigt waren, ihre Augen besondern Bedingungen anzupassen. Nehmen wir an, eine Anzahl irgend einer Species von Gliedertieren oder Fischen würde in eine Höhle geschwemmt oder. von einer geringeren zu einer größeren Tiefe im Meer gezogen, so würden diejenigen Tiere mit guten Augen dem Liehtschein folgen und sich möglicherweise nach außen oder in geringere Tiefen retten, während die mit mangelhaften Augen zurückblieben und am dunkeln Ort sich vermehrten. So würde eine natürliehe Zuchtwahl in aufeinanderfolgenden Generationen bewirkt werden.“ Zunächst nehme ich Anstand an dem Ausdruck „viele Tiere“. Unter den abnormen Verhältnissen der Zähmung mögen mangelhafte Augen nicht sehr selten sein; aber ihr Vorkommen unter natürlichen Bedingungen ist meines Erachtens äußerst selten. Zugegeben jedoch, dass in einem Schwarm junger Fische einige mit wirklich defekten Augen wären. Was wird geschehen? Sehen können ist für den jungen Fisch von größter Wichtigkeit, sowohl in Bezug auf seine Nahrung als auch, um seinen Feinden aus dem Weg zu gehen. Dies kann man aus der obenerwähnten enormen Entwicklung der Augen entnehmen. Bedenkt man, dass von der ungeheuern Menge ausgebrüteter junger Fische mit vollkommen guten Augen nicht einer von hundert zur Reife gelangt, wie viel Aussicht leben zu bleiben würden diejenigen mit Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 267 schlechten Augen haben? Unzweifelhaft würden sie verhungern oder von andern verspeist werden. Daraus folgt, dass die Aussichten, dass ein reifer oder teilweise reifer halbblinder Fisch oder vielmehr zwei, Männchen und Weibchen, in eine Höhle geschwemmt und zurückge- lassen würden, eine äußerst geringe ist. Noch viel geringer müssen die Aussichten in Bezug auf den Bachkrebs sein. Da diese unter Steinen und in Spalten Schutz suchen und in Höhlen, die sie sich an den Dämmen machen, und da sie sich mit ihren Scheeren an Kraut oder Stengeln anklammern können, so scheint es kaum möglich, dass irgend welche durch die Flut in eine Höhle geschwemmt werden können. Wie groß ist da die Wahrscheinlichkeit, dass zwei nahezu blinde unter ihnen seien und dass sie auf diese Art fortgetrieben würden! Und nach dieser ersten großen Unwahrscheinlichkeit zeigt sich eine zweite, die man fast eine Unmöglichkeit nennen kann. Wie könnten Geschöpfe, die einem so gewaltsamen Wechsel ihres Aufenthalts unterworfen sind, weiter leben? Unzweifelhaft würde der Tod schnell eintreten unter so vollkommen andern Verhältnissen und Lebensbedingungen. Die Existenz dieser blinden Höhlentiere kann man nur so erklären, dass man annimmt, dass ihre frühen Vorfahren angefangen hatten Streifzüge in die Höhle zu machen und dass sie, da dieselben von Vorteil für sie waren, dieselben ausdehnten von einer Generation zur andern, immer tiefer eindrangen und allmählich sich den Verhältnissen anpassten. Diese Ansicht finde ich durch Herrn A. S. Packart bestätigt so- wohl in seiner sorgfältigen Monographie über die „Höhlenfauna von Nord- amerika ete.“ als auch in seinem im „American Naturalist“ Sept. 1888 veröffentlichten Aufsatz; denn da erwähnt er „Abarten von Pseudo- tremia cavernarum und Momocerus plumbeus, die er am Eingang von Höhlen bei teilweisem Tageslicht gefunden habe“. Die von Herrn Packart zusammengetragenen Thatsachen liefern eine viel vollstäi- digere Antwort auf Herrn Lankester’s Ansichten, als die oben an- gegebenen, wie z. B. die „Blindheit der Neorama oder der Waldratte aus der Mammuthhöhle“. Es scheint, dass es da auch „Höhlenkäfer mit oder ohne rudimentäre Augen“ gibt und „augenlose Spinnen“ und Tausendfüße. Und da gibt es Insekten, wie einige Species von Anoph- thalmus und Adelops, an „deren Larven keine Spur von Augen und optischen Nerven noch lobi optiei“ zu finden sind. Diese Beispiele können nicht dadurch erklärt werden, dass man sie als eine Folge eines Wassersturzes betrachtet, der die frühen Vorfahren dahin ge- bracht hat, die dann ihren Weg nicht herausfanden; ebensowenig kann man andere dadurch erklären, dass man einen Luftstrom an- nimmt, der etwas derartiges verursacht habe. Die erste Differenz zwischen Dr. Romanes und mir betrifft die Interpretation von „Panmixie“. Schon in einem vorhergehenden Ab- 368 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. schnitt habe ich diese Frage ausführlich behandelt, indem ich zu beweisen suchte, dass, wenn sie selbst anders aufgefasst würde, als ich sie erkläre, dennoch keine solchen Wirkungen entstehen könnten, als ihr zugeschrieben werden. Hier will ich nur noch hinzufügen, dass man klarere Vorstellungen von diesen Dingen bekäme, wenn man die betreffenden physiologischen Vorgänge mehr in den Vorder- grund brächte, statt mit abstrakten Vorstellungen zu theoretisieren. Außer der Entstehung von Veränderungen in der Größe der Teile durch die Auswahl zufällig entstandener Variationen kann ich nur noch eine andere Ursache für die Entstehung derselben erkennen — die Konkurrenz der Teile um die Nahrung. Dieselbe hat die Wir- kung, dass thätige Teile gut versorgt werden und wachsen, während unthätige Teile schlecht versorgt werden und schwinden !). Diese Konkurrenz ist die Ursache von der „Oekonomie des Wachs- tums“, dies ist die Ursache für die Abnahme durch Nichtgebrauch, und dies ist die einzig denkbare Ursache für jene Abnahme, von welcher Dr. Romanes bestreitet, dass sie dem Aufhören der Auswahl folge. Und nun möchte ich noch, ehe ich diesen Gegenstand verlasse, die sonderbare Behauptung erwähnen, die von denen verteidigt wird, die das Schwinden der Organe durch Nicehtgebrauch leugnen. Ihre Behauptung geht darauf hinaus, dass hundert Generationen hindurch ein Organ sein Leben lang teilweise des Bluts beraubt werden könne und dennoch in der hundertsten Generation in der gleichen Größe wie in der ersten erzeugt werde. Es ist noch eine andere Stelle in Dr. Romanes’ Kritik, die den Widerspruch herausfordert, diejenige, die den Einfluss eines früheren Erzeugers betrifft. Er bringt vor, was, wie er glaubt, Weismann als Erwiederung auf mein Argument sagen werde. „Zunächst wird er die Thatsache in Frage stellen.“ Nun ich denke, nach den mehr- fachen oben angeführten Beweisen wird er dies kaum thun, es müsste denn sein, dass er mit der Geneigtheit, Schlüsse zu ziehen aus Dingen, „die man sich leicht vorstellen könne“, die Abneigung verbände, Be- weise anzunehmen, die schwer zu bezweifeln sind. Zweitens legt er ihm die Antwort unter, „das Keimplasma des ersten Erzeugers habe sich in irgend einer Weise zum Teil mit demjenigen des unreifen Eies vermischt“, und Dr. Romanes fährt fort zu schildern, wie viele Mil- lionen von Spermatozoen und „Tausende von Millionen der in ihnen enthaltenen Iden“ in der Umgebung der Ovarien sein mögen, welchen diese sekundären Wirkungen zuzuschreiben wären. Aber einerseits erklärt er nieht, warum in solchen Fällen jedes folgende Ei nieht von den anwesenden Spermazellen oder dem in ihnen enthaltenen Keim- plasma befruchtet werde, so dass jede folgende Befruchtung überflüssig 4) Siehe „Social Organism* in Westminster Review, Jan. 1860; auch „Prineiples of Sociology“ $ 247, Spencer, Unzulängliehkeit der „natürlichen Zuchtwahl‘®. 269 würde; andererseits erklärt er nicht, warum, wenn dies nicht zutrifft, die Kraft des zurückbleibenden Keimplasmas nichtsdestoweniger so weit reicht, um nicht bloß den nächsten Sprößling, sondern die ganze folgende Nachkommenschaft zu beeinflussen. Die Unmöglichkeit dieser beiden Folgerungen würde, wie ich meine, die ganze Voraussetzung abthun, selbst wenn wir nicht täglich zahlreiche Beweise dafür hätten, dass die Oberfläche eines Säugetiereies nicht mit Sperma beladen ist. Die dritte Antwort, welche Dr. Romanes gibt, ist die Unbegreiflich- keit des Vorgangs, durch welchen das Keimplasına eines früheren Gatten die Konstitution des Weibehens und ihrer späteren Nachkom- menschaft beeinflusst. Dem gegenüber frage ich, warum er glaubt, dass Darwin’s Erklärung der Vererbung durch „Pangenese“ die einzige zulässige Erklärung wäre, die derjenigen von Weismann vorgehe, und warum er gerade mir diese Schwierigkeiten weitläufig auseinandersetzt, da er doch meine eigene Hypothese der physiolo- gischen Einheiten nicht kennt. Darwin’s Hypothese der Pangenesis besagt nicht nur, dass die Fortpflanzungszellen zahlreiche Sorten von Gemmulae enthalten, welche von verschiedenen Organen herstammen, sondern auch, dass die Zahlen dieser Gemmulae zu einander einiger- maßen in demselben Verhältnis stehen müssen wie die Organe, von denen sie stammen, in Bezug auf ihre Größenverhältnisse. Die An- nahme setzt viele verschiedene Arten voraus, deren Zahlen sehr viele verschiedene Verhältnisse haben. Ich fand die Schwierigkeit darin, dass für die Uebertragung des Einflusses eines frühern Männ- chens von dem wachsenden Fötus auf die Mutter nicht bloß die Ueber- tragung der verschiedenen Arten von Gemmulae, welche von ihm stammen, sondern auch die Unveränderlichkeit ihrer numerischen Ver- hältnisse vorausgesetzt werden müsste, und dass außerdem diese Gem- mulae, nachdem sie sich in dem mütterlichen Organismus verteilt haben, in ebendenselben Verhältnissen auf die nachher gebildeten Eier über- tragen werden müssten. Keine dieser Schwierigkeiten entsteht, wenn die Einheiten, welche erbliche Charaktereigenschaften übertragen, nur von einer Art sind. Warum glaubt er, dass ich meine eigene Hypo- these verlasse und die von Darwin annehme, wodurch ich mir doch Schwierigkeiten bereiten würde, welche meine eigene Hypothese ver- meidet ? Hier muss ich schließen. Ich wurde in der That veranlasst für kurze Zeit meine eigentliche Arbeit zu unterbrechen durch das Be- wusstsein der außerordentlichen Wichtigkeit der vorliegenden Frage. Wie ieh schon früher behauptet habe: die Frage, ob erworbene Cha- raktereigenschaften vererbt werden oder nicht, lässt eine vollkommen begründete Beantwortung zu, nicht nur in der Biologie und Psycho- logie, sondern auch für Erziehung, Ethik und Politik. IT0 Field, Die bibliographische Reform. Die bibliographische Reform. Von Dr. Herbert Haviland Field. Unter den vielen Fragen, welche in letzter Zeit die biologische Welt interessieren, ist wohl keine andere von so tiefgreifender Bedeu- tung für die Zukunft unserer Wissenschaft als diejenige der biblio- graphischen Reform. In der That wird das Bedürfnis nach einer besseren Organisation der Bibliographie bereits so allgemein empfunden, dass ich gar nicht darauf einzugehen brauche; ich werde mich darauf be- schränken, ein bestimmtes System kurz zu schildern, welches, wie mir scheint, die Litteratur weitaus zugänglicher machen würde. Dasselbe ist schon an andrer Stelle befürwortet worden und zählt bereits eine nicht unbeträchtliche Zahl von Anhängern fast aller Länder. Um das Ziel einer Reform womöglich zu erreichen, ist neuerdings in Russland ein Komite gewählt und in Frankreich die Wahl eines solchen vor- bereitet worden, die ihrerseits der event. Bildung einer entsprechend zusammengesetzten internationalen Kommission entgegensehen. Es wird ferner beabsichtigt, den Gegenstand im nächstjährigen Kongress zu Leiden zur Diskussion zu bringen. Durch ein Missverständnis sind bis jetzt in Amerika keine bestimmten derartigen Beschlüsse gefasst worden, obwohl die Bewegung eigentlich daselbst ihren Ursprung hatte. Die Reform, welche mich persönlich am meisten anspricht, besteht zunächst darin, dass man ein internationales Zentralbüreau errichtet, welches die nächsten Aufgaben der Litteraturverarbeitung besorgen würde. Dieses Zentralbüreau wäre in der Nähe der größeren zoolo- gischen Bibliotheken zu begründen (London, Neapel), so dass sämt- liche oder wenigstens die Mehrzahl der Publikationen den Bibliographen zugänglich sein würden. Allein es wäre zu hoffen, dass die Autoren vielfach Separatabdrücke ihrer Abhandlungen einsenden würden. Diese Sitte würde wenigstens viel verbreiteter als jetzt werden und die Arbeit der Bibliographen bedeutend erleichtern. Die erste Aufgabe des bibliographischen Büreaus würde darin bestehen, vollständige Listen von sämtlichen neuen Publikationen an- zulegen. Sobald eine solche Liste die Länge eines Druckbogens er- reicht hätte, würde sie in zwei verschiedenen Formen gedruckt werden. Die eine Form würde eine einfache Broschüre, etwa wie der biblio- graphische Teil des Zoologischen Anzeigers, darstellen. Für die andere Form würde man sich eines stärkeren Papiers bedienen und die Titel durch große Intervalle getrennt drucken lassen. Solche nur auf einer Seite bedruckten Blätter würde man dann den einzelnen Titeln ent- sprechend zu kleinen Zetteln aufschneiden, die zum Zwecke einer weiteren Verarbeitung der Litteratur Verwendung finden würden. Während der Herstellung genannter bibliographischer Listen würde es ferner Aufgabe der Bibliographen sein, die einzelnen Publikationen Field, Die bibliographische Reform. 31 57 rasch durchzumustern, um für jede Abhandlung die Gegenstände genau angeben zu können, welche in derselben behandelt werden. Diese Bestimmung würde nun einen doppelten Zweck erfüllen. Erstens ist sie eine nahezu unentbehrliche Vorarbeit für die Herstellung der von ver- schiedenen Spezialisten auszuarbeitenden Referate, und zwar könnte man jedesmal den betreffenden Referenten sofort einfach durch Zu- sendung der in sein Fach einschlagenden Titel benachrichtigen. Zweitens würde man die gedruckten Zettel nach und nach zu einem permanenten Zettelkatalog sammeln und klassifizieren. Da die Zettel gedruckt sind und folglich sich unbegrenzt vervielfältigen lassen, so könnte man ganz ähnliche Kataloge in anderen zoologischen Zentren begründen, wobei das Zentralbureau die Zettel nebst Inhalt und Anmerkungen liefern würde. In ganz analoger Weise könnte man nun ferner dem einzelnen Forscher Teile des Kataloges liefern oder aber spezielle Auskünfte geben, was uns endlich zu der wichtigsten Leistung des bibliographi- schen Büreaus führt. Sie besteht darin, dass das Büreau jeden Abonnenten sofort durch Zusendung des betreffenden Zettels jedesmal benachrichtigt, dass eine sein spezielles Gebiet behandelnde Arbeit veröffentlicht worden ist. Dies ist es gerade, was jeder Forscher gerne erfahren möchte, allein zugleich ist es eine Aufgabe, welche keine der jetzt erscheinenden biblio- graphischen Publikationen befriedigen kann. Betrachten wir einen speziellen Fall! Will zum Beispiel ein Be- obachter, welcher sich mit einer kleinen Gruppe, wie meinetwegen den Pyenogoniden beschäftigt, sicher sein, dass ihm keine für seine Studien wichtige Beobachtung entgeht, so genügt es offenbar nicht, wenn er auch jedes im Anzeiger für die Pyenogoniden angeführte Werk durchliest. Im Gegenteil, seine Bibliographie — und die ist es eben, welche die ihn thatsächlich angehenden Abhandlungen enthält — weist eine bunte Menge von Arbeiten auf — wie z. B.: Ueber die Mundteile der Arachniden; Studien über die Anatomie von Epeira ete. — die auf den ersten Blick überhaupt keine Beziehung zum Gegenstand seiner Untersuchungen zu haben scheinen. Um ein Beispiel aus meinen eigenen Erfahrungen anzuführen, werde ich eine, allerdings unvollkommene, Bibliographie der Frage nach der Entstehung des Wolff’schen Ganges folgen lassen, so wie sie sich vor den modernen Untersuchungen gestaltete: His, Die Häute und Höhlen des Körpers; His, Beobachtungen über den Bau des Säugetiereierstockes; His, Untersuchungen über die 1. Anlage des Wirbeltierleibes; His, Unsere Körperform; Dursy, Der Primitivstreif; Waldeyer, Eierstock und Ei; Hensen, Bemerkungen über die Lymphe; Hensen, Embryologische Mitteilungen; Hensen, Beobachtungen über die Befruchtung und Entwicklung des Meerschweinchens. 979 Field, Die bibliographische Reform. Eine vortreffliche Besprechung dieses Gegenstandes befindet sich endlich in Eisig, Monographie der Capitelliden. Kann es uns da Wunder nehmen, dass eine erschöpfende Kenntnis der Litteratur selbst eines sehr engen Gebietes eine große Seltenheit ist ? Nach der hier empfohlenen Organisation wird dies alles einfach dem Zentralbüreau überlassen. Ein sehr oberflächliches Durchblättern obiger Werke hätte in fast jedem Falle die Nebenbeobachtungen ans Lieht gebracht. Diese Arbeit würde zunächst im Interesse des Re ferierens selber erforderlich sein; allein das Ergebnis derselben könnte man durch das Zettelsystem unter den dafür sich interessierenden Zoologen mit relativer Leichtigkeit verbreiten. Derjenige, der sich mit dem Exkretionssystem der Wirbeltiere beschäftigte, würde einfach auf die betreffenden Zettel abonnieren. Was nun die Litteraturberichte resp. Referate betrifft, so werde ich mich sehr kurz fassen. Es ist nur zu bemerken, dass die Arbeit der Referenten durch die Thätigkeit des Zentralbüreaus nicht unwesentlich erleiehtert wird. Von verschiedenen Seiten ist es ferner betont worden, dass man bei einem derartigen internationalen Unternehmen viel eher im Stande wäre, die aktive Unterstützung der Autoren selber zu gewinnen. Es bleibt noch zu erwähnen, dass eine ganz analoge Einrichtung vor längerer Zeit getroffen worden ist und immer noch mit großem Er- folg funktioniert. Die „Mercantile Agency“ von Herrn Dunn in New- York stellt sich die geradezu kolossale Aufgabe, einen vollständigen analytischen Katalog von amerikanischen Geschäftsfirmen zu führen. Unter jedem Namen wird der finanzielle Status ete. der betreffenden Firma nebst einer Menge kleiner Bemerkungen eingetragen, welche zusammen ein möglichst treues Bild von der jeweiligen geschäftlichen Stellung derselben liefern. Wenn man bedenkt, dass der ganze Wert dieses Katalogs von der nüchternen Schätzung einer ganzen Reihe von oftmals geheimgehaltenen Geschäftsverhältnissen abhängt, so kann man einen Begriff von dem Umfange des Unternehmens gewinnen. Jedesmal, wenn ein Abonnent nähere Auskunft über eine gewisse Firma wünscht, richtet er an das „Mercantile Bureau“ eine schriftliche An- frage, worauf er umgehend eine detaillierte Antwort bekommt. Wer dieses Unternehmen kennt, der wird unser einfaches biblio- graphisches Bureau wenigstens nicht für gar zu phantastisch halten. Ich glaube vielmehr, dass dasselbe im Gegenteil wohl erreichbar ist. In jedem Falle, um mich der Worte eines hervorragenden Zoologen zu bedienen, ist irgend eine derartige Organisation eine Sache der ersten Wichtigkeit, nicht nur für die Zoologie, sondern für die Wissen- schaft überhaupt. Paris, Lab. de M. A. Milne- Ban au Museum, {R März 1894. nen von en Berold en dene in Ban — De m bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Rap in Erlangen. 24 "Nummern \ von ı je 24 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 15. April 1894. Nr. 8. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und bibkobie (Fortsetzung). — Imhof, Fauna hochgelegener Seen. — Imhof, Ueber das Vorkommen von Fischen in den Alpenseen der Schweiz. — Zacharias, Aus der biologischen Süßwasserstation am Gullsee in Minnesota. — Pietet, De V’emploi methodique des basses temperatures en biologie. — Neunzehnte Ver- sammlung des Deutschen Vereins für Öffentliche Gesundheitspflege zu Magde- burg. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Fortsetzung. IV. Reizbarkeit der Pflanzen. W. Pfeffer, Untersuchungen von Dr. Miyoshi betr. die chemotropischen Bewegungen von Pilzfäden. Berichte der math.-physik. Klasse der kgl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften, S. 1—6. J. Wiesner, Untersuchungen über den Einfluss der Lage auf die Gestalt der Pflanzenorgane. Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissen- schaften in Wien. Math.-naturw. Kl., Bd. CI, Abt.I, S. 657—705, 1892. Derselbe, Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem Gebiete. Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien. Math.-phys. Kl., Bd. CI, Abt. I, S. 291—350, 1893. H. Vöchting, Ueber den Einfluss des Lichtes auf die Gestaltung und Anlage der Blüten. Pringsheim’s Jahrbücher für wissenschaft- liche Botanik, Bd. XXV, S. 1—60, 1893. 11) Freibewegliche Organismen vermögen durch chemische Reize Richtungsbewegungen auszuführen. Dass diese Eigenschaft auch Pflanzen zukommt, denen die freie Ortsbewegung fehlt, zeigen Versuche von Dr. Miyoshi mit Mucor mucedo, Mucor stolonifer, Phycomyces nitens, Penieillium glaucum, Aspergillus niger, Saprolegnia feraz. Blätter, z. B. von Tradescantia, wurden mit der zu prüfenden Lösung injiziert und, nachdem sie gut abgespült waren, auf der Spalt- öffnungen führenden Oberhaut mit Pilzsporen besäet. Uebte die injizierte XIV. 18 374 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Flüssigkeit einen chemotropischen Reiz aus, dann drangen die sich entwiekelnden auf der Oberhaut fortkriechenden Pilzfäden in die Spalt- öffnungen ein, und zwar je in jene, in welchen und unter welchen die Reizstoffe in relativ höchster Konzentration geboten wurden. In andern Fällen erfolgte die Aussaat der Pilzsporen auf ein dünnes Collodium- häutehen, welches durch Nadelstiche mit feinen Löchern versehen war. Dasselbe wurde mit der einen Seite mit der zu prüfenden Flüssigkeit oder auch mit Gelatine, die diese Stoffe enthielt, in Berührung gebracht. Die Versuche ergaben, dass für die einzelne Art nicht ein einzelner Körper, sondern sehr verschiedene chemische Stoffe reizend wirken; dass ferner die verschiedenen Arten dem gleichen Stoff gegenüber gleich oder verschieden reagieren. Neutrale Salze der Phosphorsäure und des Amimoniums erwiesen sich als besonders gute Reizstoffe, während z.B. KNO,, NaNO,, Ca(NO;),, ferner KCl, NaCl, CaCl, keine Anlockung bewirkten, Stoffe, welche für Bakterien starke chemische Reize auslösen. Pepton, Asparagin und auch Traubenzucker vermögen ebenfalls chemisch zu reizen. Die hierzu nötige Stoffmenge ist natürlich nach der Natur des Stoffes und des Pilzes sehr verschieden. Während z. B. Mucor Traubenzucker gegenüber so empfindlich ist, dass eine deutliche Anlockung schon bei 0,01°/, zu beobachten ist, übt eine Q,1proz. Lösung des Körpers auf Saprolegnia einen kaum wahrnehmbaren Reiz aus. Erhöhung der Konzentration steigert die Reizwirkung. Lösungen von 2—-10°/, wirken auf Mucor am stärksten. Lässt man nun die Konzentrationen noch größer werden, dann werden die chemotropischen Bewegungen wieder schwächer. Eine 50proz. Traubenzuckerlösung wirkt nicht mehr oder abstoßend; der Chemotropismus wird negativ. Zurückstoßende Wir- kungen können auch solche Stoffe haben, durch welche eine merkliche Anziehung nicht zu erzielen war, so KNO,, NaCl, aber auch freie Säuren oder Laugen, Alkohol. Zur Ablenkung ist der Kontakt mit einer festen Unterlage nicht nötig. Auch dann tritt Chemotropismus ein, wenn zu den in homo- gener Gelatine eingebetteten Pilzfäden von einer Seite das Reizmittel durch Diffusion herantritt. Voraussichtlich spielen auch beim Eindringen parasitischer Pilze ins Innere lebender Organismen chemische Reize eine wichtige Rolle. „Die in Rücksicht auf diese interessante biologische Frage begonnenen Untersuchungen ergaben u. a., dass die Hyphen von Botrytis Bassiana und tenella, diesen Parasiten der Seidenraupe, resp. des Maikäfers, in ähnlicher Weise durch chemische Reize ablenkbar sind und dass sie ferner Cellulosehäute durchbohren, aber nur dann, wenn unterhalb derselben ein anlockendes chemisches Reizmittel befindlich ist“. — 12) Wie die Lage und Form pflanzlicher Organe mit der Richtung, welche dieselben an der Pflanze einnehmen, in ursächlichem Zusammen- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 275 hang steht, so sind jene auch ursächliche Momente für die Gestalt der Organe. Hat man jene ersteren Beziehungen, die zu orthotropen (Hauptstamm der Bäume) oder plagiotropen (Blätter) Organen führen, nach dem Vorgange von Sachs „Anisotropie“ genannt, so können wir die letztere Wechselbeziehung mit Wiesner als „Anisomorphie“ bezeichnen. Man versteht also unter letzterer „jene Grundeigen- tümliehkeit der lebenden Pflanzensubstanz, der zufolge die verschiedenen Organe der Pflanze, je nach ihrer Lage zum Horizonte oder zur Abstammungsaxe die Fähigkeit haben, verschiedene typische Formen anzunehmen“. Bei den Erscheinungsgebieten der Anisotropie und Anisomorphie liegen zwar die gleichen ursächlicehen Momente zu Grunde; die schließlichen Effekte derselben sind aber verschieden. Die Blätter einer grundständigen Blattrosette haben eine hemi- orthotrope Lage, d. h. eine auf der Blattfläche senkrechte, durch den Mittelnerv gehende Ebene steht auf dem Horizonte senkrecht. Anderseits besitzen sie eine symmetrische Gestalt. Zwischen beiden ist ein kausaler Zusammenhang anzunehmen, und zwar aus folgenden Gründen. „Alle im Sinne der Vertikalen thätigen Kräfte, in erster Linie die Schwerkraft, und alle in diesem Sinne wirksamen Einflüsse, wie Beleuehtung und Erwärmung, endlich alle in diesem Sinne thätigen physikalischen Vorgänge, wie Wärmeausstrahlung, Ver- dunstung, Benetzung mit Wasser durch atmosphärische Niederschläge, beeinflussen die beiden Hälften jedes Blattes in gleicher Weise, und es ist wohl von vornherein der Gedanke kaum abzuweisen, dass dieses gesamte, nicht nur in der Ontogenese, sondern auch in der Phylogenese erhalten bleibende Verhältnis zur Symmetrie des Blattes führen muss“. Das analoge Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lage und Gestalt kommt auch in anderen Fällen zum Ausdruck. Das Fiederblatt ist in der Regel hemiorthotrop. Sein Endblättehen ist symmetrisch. Sein End- blättehen muss aber bei hemiorthotropischer Lage des Blattes selbst hemiorthotrop liegen, während die Seitenblättehen klinotrop sind, d.h. die auf der Blattfläche senkrechte, durch den Mittelnerv gehende Ebene steht auf dem Horizonte schief. Die Seitenblättchen aber sind in der Regel durch asymmetrische Form ausgezeichnet. Es gibt aber auch ‚Fiederblätter (wie z. B. von Robinia), deren Blättchen — End- und Seitenblättehen — symmetrisch sind. Den Grund hiervon dürfte nach Wiesner der Umstand sein, „dass dieselben periodische Bewegungen durchmachen, in welchen sie lange Zeit in vertikal aufwärts gerich- teter Lage zubringen. In dieser Zeit kann aber eine Bevorzugung einer Blatthälfte nicht eintreten. Die ungleiche in der Zwischenzeit stattfindende Beeinflussung der Blatthälften ist wohl nur zu kurz, um eine nachweisliche Bevorzugung einer derselben zu ermöglichen“. Dass die hemiorthotrope Lage die symmetrische Gestalt nicht bloß erhält, 18 376 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pfianzenphysiologie und -biologie. sondern geradezu hervorruft ist, daraus zu schließen, dass das fertige Organ eine weitaus prägnanter erscheinende symmetrische Gestalt be- sitzt, als der Anlage zukam. Klinotropisch gelagerte Blätter sind gewöhnlich asymmetrisch, sog. „Schiefblätter“. Ein bekanntes Beispiel ist das Ulmenblatt. Der Spross, als Ganzes betrachtet, ist hemiorthotrop, die seitlichen Blätter klinotrop, insofern wenigstens der Spross nicht horizontal liegt. Das Endblatt aber, welches ähnlich dem Endblättchen eines gegliederten Blattes hemiorthotrope Lage hat, zeigt in verschiedener Weise die Tendenz zur symmetrischen Ausbildung, trotzdem es „entwicklungs- geschichtlich mit den seitlichen, asymmetrisch gewordenen Blättern übereinstimmt (indem bei früherem Abschluss des Sprosses jedes der Seitenblätter hätte zum Endblattides Sprosses werden können)“. Es ist also seine Gestalt zweifellos durch die Lage bestimmt. Für Fagus kann direkt nachgewiesen werden, dass das symmetrische Endblatt aus einer asymmetrischen Anlage unter dem Einfluss der hemi- orthotropen Lage hervorging. Geneigte Sprossaxen sind, wie durch viele Beobachtungen erwiesen ist, durch ungleiches Dickenwachstum ausgezeichnet. Die Förderung des Dickenwachstums ist nicht immer gleichseitig. Ist die Oberseite die stärker entwickelte, dann wird die Erscheinung als Epitrophie, im umgekehrten Falle dagegen als Hypotrophie bezeichnet. Ist nun auch die Beweisführung, dass ein wichtiger Faktor, der die Un- gleichheit des Dickenwachstums bedingt, die Lage ist, noch nicht durch- geführt, so scheinen mir doch eine Reihe von Erfahrungen der Mitteilung wert, da sie unsere bisherigen Vorstellungen teils korrigieren, teils präzisieren. Aus vielen Untersuchungen ergibt sich, dass die geneigten Stämme der Coniferen unter normalen Verhältnissen einen hypotrophen Holz- körper besitzen. Es scheint, dass zwischen dem ungleichen Dicken- wachstum geneigter Sprosse und der sog. Anisophyllie, der Ungleich- blätterigkeit in Folge der Lage, eine gewisse Korrelation besteht. An Laubhölzern mit schwacher oder mangelnder Anisophyllie beobachtete Wiesner, dass die geneigten Sprosse anfänglich isotroph sind; später werden sie epitroph, um schließlich oft sehr stark hypotroph zu werden. Sind sie durch Anisophyllie ausgezeichnet, dann sind sie anfänglich hypotroph, darauf epitroph und schließlich wieder hypotroph. Indem Wiesner selbst auf die Schwierigkeiten hinweist, die einer Erklärung dieser Beobachtungen sich entgegenstellen, betont er, „dass die un- mittelbar durch die Lage gegen den Horizont gegebenen Verhältnisse der ungleichen Wirkung der Schwerkraft, der Beleuchtung, der Feuch- tigkeit ete. die betreffenden Erscheinungen noch nicht vollständig zu erklären vermögen, sondern auch die Beziehungen des betreffenden Sprosses zu seiner Abstammungsaxe zu erwägen sind. Es geht dies Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 977 schon aus den bis jetzt angestellten Experimentaluntersuchungen her- vor, denen zufolge eine Umkehrung des Sprosses keine vollständige Umkehrung des einseitigen Diekenwachstums bewirkt. Beachtet man den Einsatz eines geneigten Sprosses in die Abstammungsaxe, so er- kennt man sofort, dass die Kontinuität der Rinde an der Außenseite, d. i. an der von dem Hauptstamm abgewendeten Seite des Seiten- sprosses (bei geneigten Sprossen ist dieselbe die Unterseite) keine Unterbrechung erfährt, während an der Innenseite des Seitensprosses die Rinde in der Richtung von oben nach unten abgebrochen erscheint. Dies muss bewirken, dass die plastischen Stoffe nicht in gleichem Maße der Ober- und Unterseite der Sprossaxe zugeführt werden“. Die Lage übt ferner einen bestimmten Einfluss auf die Förderung der Axillarmassen. Bald sind diese epitrophisch, bald hypotrophisch. Bezüglich der Entwieklung der Adventivknospen beobachtet man, dass sie an der Oberseite der Sprosse sich reichlicher entwickeln als an der Unterseite. Es ist diese Ungleichheit wieder als Wirkung der Lage zu bezeichnen. Als weitere Beispiele der Einwirkung der Lage auf die Gestaltung erwähnt Wiesner die Epi- und Hypotrophie sowie die Amphitrophie der Sprosse und endlich die Anisophyllie. Sie wird bedingt durch die Lage des Organes zum Horizonte. „Offenbar hat das Lieht einen großen Einfluss auf das Zustandekommen der Aniso- phyllie. Die obern Blätter sind anderen Beleuchtungsverhältnissen ausgesetzt als die untern. Zu den ungleichen Wirkungen des Lichtes gehört als eine der anschauliehsten das schwache Etiolement, welchem die Blattstiele der untern Blätter unterworfen sind, welches dahin führt, die Lamina der untern Blätter so weit vorzuschieben, bis sie nieht mehr im Schatten der oberen Blätter gelegen sind“. „Auch die atmosphärischen Niederschläge wirken in verschiedenem Maße auf die oberen und unteren Blätter ein. An einem und dem- selben Blattpaare eines geneigten Sprosses wird das Wasser, welches sich in Form von Regen und Thau angesammelt hat, von dem obern Blatte rascher ablaufen als von dem untern. Infolge dessen ist das untere Blatt längere Zeit befeuchtet als das obere, wodurch das Wachs- tum des letzteren eine Begünstigung erfahren wird“. Doch nieht von der Lage zum Horizonte allein ist die Anisophyllie abhängig. Auch der Mutterspross übt einen Einfluss auf die geneigten Seitensprosse aus. Wir beobachten, dass die vom Mutterspross abge- wandten Blätter größer sind als die gegenüberliegenden. Die Ursache hiervon ist wohl, wie Wiesner vermutet, darin zu suchen, dass die plastischen Stoffe nicht in gleichem Maße den beiden Teilen des Sprosses und damit den Blättern der beiden verschiedenen Lagen zugeführt werden. — 13) Photometrische Untersuchungen auf pflanzen- physiologischem Gebiete sind bislang nur in sehr beschränktem 978 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Umfange angestellt worden. Wenn man sich auch der Einsicht, dass unter den klimatischen Faktoren vielleicht keinem eine ähnliche Bedeutung für das Pflanzenleben zukomme, wie dem Lichte, kaum verschloss, so ver- folgte man die Beziehungen zwischen Lichtstärke und physiologischen Effekten doch nieht in der Weise, dass man zu einem objekten Maße der Lichtstärke zu kommen trachtete. Wiesner betritt somit mit seiner ersten photometrischen Unter- suchung „Orientierende Versuche über den Einfluss der sogenannten ehemischen Liehtintensität auf den Gestal- tungsprozess der Pflanzenorgane“ ein Gebiet, das zweifellos des Interessanten uns eine Fülle bieten wird. Der Gestaltungsprozess der Pflanze selbst wird im wesentlichen durch die starkbrechbaren Strahlen beherrscht, während die schwach- brechbaren die Umwandlung der organischen Stoffe in der Pflanze be- stimmen. Die starkbrechenden Strahlen aber sind diejenigen, die ge- wöhnlich als die chemischen bezeichnet werden. Nicht, dass sie allein spezifisch chemisch wirkten, aber es kommt ihnen doch diese Leistung in besonderem Maße zu. Eine treffliche Methode zur Messung der Intensität dieser chemi- schen Strahlen wurde von Bunsen-Roscoe angegeben, die nun auch Wiesner bei seinen Untersuchungen benutzt. Da sie auch bei Be- stimmungen des photochemischen Klimas sehr leicht angewandt werden kann, da ihr ferner voraussichtlich in der weitern Entwieklung der Pflanzenphysiologie eine größere Bedeutung zukommen wird, geben wir sie genauer an. Aus der Intensität der Färbung eines photographischen Papieres, das der Liehtwirkung ausgesetzt wird, und aus der Zeitdauer der Einwirkung wird auf die Intensität des Lichtes geschlossen. Das photographische Papier, das „Normalpapier“ (Rives 8 Kilo- papier) wird in einer 3proz. NaCl-Lösung während 5 Minuten unter- getaucht und darauf vertikal hängend getrocknet. Das lufttrockene Papier lässt man auf einer 12proz. Lösung von AgNO, durch 2 Minuten schwimmen und trocknet es im Dunkeln. Das Bunsen-Roscoe’sche Normalschwarz, mit welchem die Färbung des exponierten Normalpapieres verglichen werden muss, ist ein Gemenge von 1000 Gewichtsteilen chemisch-reinen ZnO mit 1 Teil bei Luftabschluss gegliühten, von einer Terpentimnölflamme gelieferten Ruß. Nach Bunsen und Roscoe entsprechen gleichen Färbungen der im Liehte sich färbenden Normalpapiere gleiche Produkte aus Licht- intensität und Zeit. Als Maßeinheit der chemischen Lichtintensität wird eine Schwärzung des Normalpapieres angenommen, welche mit der Normalschwärze übereinstimmt und im Zeitraum einer Sekunde hervorgerufen wird. Ueber die chemische Lichtintensität an verschiedenen Pflanzen- standorten wurden nun folgende vorläufige Ergebnisse gewonnen. „Am Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 279 30. März 1893 war im Wiener Augarten die chemische Intensität des gesamten Tageslichtes um 10 Uhr 45 Min. = 0,427. Am Südostrande eines dort befindlichen dichten, noch gänzlich unbelaubten, aus hoch- stämmigen Bäumen zusammengesetzten Rosskastanienbestandes herrschte aber im vollen Sonnenlichte gleichzeitig bloß eine Intensität = 0,299. Im Schatten eines Rosskastanienstammes betrug die Intensität nur 0,023“. Dass inmitten belaubter Holzgewächse die chemische Intensität besonders kleine Werte haben wird, liegt auf der Hand. Wiesner bestimmte z. B. im Schatten einer Fichte 1 m über dem Boden und 1 m von ihrer Peripherie entfernt eine chemische Intensität von nur 0,021, während dieselbe an der Sonne 0,666 betrug. Auch an andern wintergrünen Nadelbäumen war eine ähnliche Schwächung der stark- brechbaren Strahlen zu beobachten. „Dieser Umstand erklärt die Er- scheinung, dass die Blattknospen der wintergrünen Coniferen in der Peripherie des Baumes gelegen sein müssen, damit die Nadeln zur normalen Entwicklung gelangen können“. Ein ganz ähnliches Ver- halten zeigen auch wintergrüne Laubgewächse, wie z. B. Buxus. Im Innern desselben betrug die chemische Intensität des Lichtes nur 0,017 bei einer Intensität des gesamten Tageslichtes von 0,518. „Die sommer- grünen Holzgewächse befinden sich also dem Lichte gegenüber in ganz andern Verhältnissen, als die immergrünen, indem die Laubknospen in einer Zeit zur Entwicklung kommen, in welcher die Blätter des Vorjahres abgefallen sind, mithin die Laubknospen auch mitten in einer noch so reich entwickelten Krone zur Entfaltung gelangen können“. Immerhin zeigt sich auch hier das Bestreben, den Knospen eine bevor- zugte Lichtsteilung zugeben, da auch innerhalb des laublosen Geästes eine Schwächung des chemisch-wirksamen Lichtes stattfindet. Bedeu- tend ist sie in einem belaubten Bestand. So betrug die chemische Intensität in einem Rosskastanienbestand an der Sonne 0,066, im Schatten 0,012, während die Intensität des gesamien Tageslichtes = 0,555 war. Mit dem Wechsel des chemisch-wirksamen Lichtes, der durch den Wechsel der Belaubung der Holzgewächse bedingt wird, hängt die Art der krautigen und Strauchvegetation des Waldes und der Auen auf das Innigste zusammen. Dass den Buehen-, Eiehen- und Fichten- wäldern u. s. f. charakteristische Begleitpflanzen zukommen, ist ein be- kanntes Ergebnis der Studien über die Vegetationsformationen. Dieses wechselseitige Verhältnis zwischen Schirmbäumen und Begleitpflanzen wird zweifellos ganz wesentlich dureh die in den verschiedenen Wald- gattungen herrschenden chemischen Intensitäten bestimmt. Wir be- obachten im Frühling z. B. in Auen, dass der größte Teil des Unter- holzes schon reich beblättert ist, während die Bäume zumeist noch kahl sind. „Die liehtbedürftige Kraut- und Strauchvegetation des Waldes muss vor der Belaubung der Bäume zur Laubentwieklung ge- 380 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzen physiologie und -biologie langen, und nur solches Unterholz, bezw. solche Kräuter und Stauden, deren Laubentwieklung auch bei schwachem Lichte sich zu vollziehen vermag (z. B. Cornus sanguinea), können ihre Blattentfaltung verzögern und bis über die Zeit der Belaubung der Bäume hinausschieben“. So liegt in dem Einfluss der Intensität des chemisch wirksamen Lichtes auf die Blattentwicklung die Erklärung für die Erscheinung, dass der Laubwald eine reichere Flora krautiger und strauchiger Pflanzen birgt als der Nadelwald. Ueber den Einfluss der chemischen Lichtintensität auf Wachstum und Gestalt der Blätter und Stengel legt Wiesner folgende Versuchs- ergebnisse vor. Samen von Vicia sativa wurden in 5 Töpfe ausgesät. Der eine kam unter eine farblose Glasglocke. Die mittlere maximale chemische Intensität betrug 0,0156. Der andere Topf kam unter eine mit schwefel- saurem Kupferoxydammoniak gefüllte Senebier’sche Glocke. Die mittlere maximale chemische Liehtintensität betrug hier 0,0061. Der 3. Topf wurde unter einen undurchsichtigen Recipienten gebracht. Der Versuch führte zu folgenden Ergebnis: Maximal- Br a ne Mittel länge des en ee Tängeide; des Inter- gemein- reden Fieder Pas, z nodiums | schaftlichen Ray 5 z anzen | Bisttstieles blättchens | blättchens Hell . .| 141 mm | 23,5 mm 15 mm ll mm 3,8 mm Blawı)k naulldbh 40 086 Im, Op .cn 10.4, 8 un Dunkel .| 185 „ Slyans Tonga RR > „Mit steigender Intensität des chemischen Lichtes fällt also bei Vicia sativa — unter gleichen Verhältnissen der Temperatur und Luft- feuchtigkeit — das Wachstum der Stengel und steigt das Wachstum der Blätter“. In einer 2. Versuchsreihe wurde die Lichtstärke bestimmt, bei der unter natürlichen Verhältnissen das Wachstum des Würzelchens von Viscum album stattfindet. Mittlere Länge des Hypo- Mittel der täglichen AR: cotyls von den bereits maximalen chemischen Zahl GULRIEN im ersten Keimstadium Lichtintensitäten 7 befindlich gewesenen | Samen 0,142 429), 51 mm 0,024 Alter, Baal, 0,015 5 2,8 n 0,0013 10) „ 2 ” Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 281 Während also zum Hervorbrechen des Würzelchens eine mittlere tägliche chemische Lichtintensität erforderlich ist, die nieht unter 0,015 gelegen ist, entwickeln sich die schon ausgekeimten Samen bei viel geringern Lichtintensitäten weiter. Mit der Abnahme der chemischen Liehtintensität nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit des Hypoeotyls kontinuierlich ab. Mit Sempervivum tectorum ausgeführte Versuche ergaben, dass die chemische Lichtintensität von sehr wesentlichem Einfluss auf die Pflanzen- gestalt ist. Die Versuchspflanzen waren gleichalterig; sie wurden unter gleichen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen gehalten. | ; f Durch- Mittel der | schnittliche Mittlere Mittlere | Metal. Länge der Breite Länge | Farbe der Blätter: intensität: Stengel- | der Blätter | e glieder | 0,1201 0 mm | 30 mm 15 mm | tiefgrün 0,0415 1:83.45 210 13 ,„ | lebhaftgrün 0,0018 245 21 „ 9 „ | grünlich 0,0002 36, 169. 5,5 „ | blassgrünlich 0 IH 19%; | 45 „ | weiß „Aus diesen Versuchen geht hervor, dass der normale Habitus dieser auf sonnige Standorte angewiesenen Pflanze nicht erst im Finstern, sondern schon bei einer relativ hohen chemischen Lichtintensität ver- loren geht, wobei die Pflanze bereits den etiolierten Charakter sowohl in der Ausbildung von entwickelten Stengelgliedern, als in der Ver- kleinerung der Blätter zur Schau trägt“. Steigerung der chemischen Lichtintensität führt übrigens nur inner- halb gewisser Grenzen eine stärkere Entwicklung der Blätter nach sich. Pflanzen, welche während eines Monates einer mittleren täglichen Maximalintensität von 0,305 ausgesetzt waren, entwickelten Blätter, deren durchschnittliche maximale Länge 26 mm, deren maximale Breite 13,5 mm war. Die korrespondierenden Werte betrugen bei einer Pflanze, die nur der Intensität 0,152 ausgesetzt war, 31 mm und 15 mm. Auch die Blätter von Scolopendrium nehmen mit steigender Licht- intensität nur bis zu einer bestimmten Grenze zu, um von hier wieder abzunehmen. et elleie Länge | Länge Breite Lichtintensität des Blattstieles der Spreite der Spreite 0,247 5l mm 152 mm 20 mm 0,083 88. 223 „ 2D) „ 0,007 85 „ 122, 15 „ 0 20; 1 il, 282 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie uud -biologie. Eine Reihe von Versuchen führte Wiesner mit Kartoffelkeimen aus. Dieselben ergaben zunächst, dass die Steigerung der Lichtinten- sität hemmend auf das Längenwachstum des Stengels einwirkt und dass selbst eine chemische Liehtintensität von außerordentlicher Klein- heit (0,0008) noch hemmen kann. Die Versuche ergaben ferner einen bestimmten Einfluss der chemischen Lichtintensität auf die Adventiv- wurzelentwicklung, wie folgende Zahlen lehren: Zahl der Zahl der wurzel- l Mittel der täglichen | : : Prozentisches FE : | gebildeten | bildenden are Intensitätsmaxima | Internodien | Internodien Verhältnis er 19 140804106 WarSa 0,019 | 23 | 14 | 61 0,002 19 | 12 | 63 0 14 | 11 18 Mit der Abnahme der chemischen Lichtintensität nimmt die Ent- wieklung der Adventivwurzeln zu. Wie die Versuche mit den Kartoffeltrieben, so lehrten auch jene mit Phaseolus multiflorus, dass niedere Lichtintensitäten weit empfind- licher auf die Stengel als auf die Blätter einwirken. Die Lichtinten- sität 0,0009 bewirkte eine Hemmung im Längenwachstum der epikotylen Glieder von 20°/,; das Längenwachstum der Blattfläche wurde dagegen nur um 10°/, gesteigert. Bei den Versuchen mit dem Mais zeigte sich zunächst bezüglich des Stengels das bisherige Verhalten, Steigerung der chemischen Licht- intensität bewirkte eine Verzögerung des Längenwachstums. Das gleiche konnte aber auch für die Blätter, wie nachfolgende Zusammenstellungen zeigen, nachgewiesen werden. Das Scheidenblatt hatte im Durchschnitte folgende Längen er- reicht : 0,0712 Durchschnitt des täglichen Maximums 45 mm 0,0080 ” „ ” n 51 ] 0,0008 ” ” )] ” 56 r 0 s „ „ n 02, Unterstes Laubblatt: Durchschnitt des täglichen Länge der Länge Breite Maximums der Lichtintensität Scheide der Spreite 0,0712 70 mm 77 mm 13 mm 0,0080 SEE 8075 16, 0,0008 1010 82 „ sn 0 118% alla 130 Nächstfelgendes Laubblatt: 0,0712 87 mm 155 mm 14 mm 0,0080 gar, 2117 16:', 0,0008 Se 214 „ 19) > N) 13), 238 „ Ting Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 285 Eigentümlich ist das Verhalten der Keimlinge der Fiehte und Föhre, wie dasselbe aus folgender Zusammenstellung sich ergibt. Mittlere Durchschnittliche Durchschnittliche maximale Länge der Länge der Lichtinten- | Hypokotyle Kotyledonen | Hypokotyle Kotyledonen sitäten der Fichte der Föhre 0,1370 34 mm 16 mm | 40 mm 43 mm 0,0140 Ho 15. 56.1; 3Diriia 0,005 | 58 „ La eng - 28 „ ) 100%, ia. le 0, EIORE Die Keimstengel der Fichte und Föhre zeigen das gleiche Ver- halten, wie wir es bisher konstatieren konnten, die Steigerung der ehemisehen Liehtintensität wirkt auf das Längenwachstum hemmend. Die Kotyledonen dagegen verhalten sich verschieden. Bei der Fichte macht sich kaum ein Einfluss geltend. Ist die geringe Differenz eine Wirkung der ungleichen chemischen Lichtintensitäten, dann übt die Steigerung dieser auf das Längenwachstum der Fichtenkotyledonen einen verzögernden, auf die Föhrenkotyledonen einen beschleunigenden Einfluss aus. „Mit diesem auffällig verschiedenen Verhalten der Kotyledonen von Fichten- und Föhrenkeimlingen im Zusammenhange steht ihr verschie- denes heliotropisches Verhalten: die Kotyledonen der Fichte sind näm- lich sehr stark positiv heliotropisch, die der Föhre entweder neutral oder im starken Lichte schwach negativ heliotropisch. Den Schluss der Wiesner’schen Untersuchungen bilden photo- metrische Messungen behufs Ermittlung der unteren Grenze der helio- tropischen Empfindlichkeit von Pflanzenorganen. Sie zeigen, dass die Liehtempfindliehkeit der Pflanzen eine ganz außerordentlich große ist, indem bei sehr reaktionsfähigen Phanerogamen selbst Millionstel der Bunsen-Roscoe’schen Einheit der Lichtintensität noch wirksam sind. — 14) Gewisse Pflanzenarten, wie z. B. die Veilchen, haben die Fähig- keit zweierlei Blüten zu erzeugen, chasmogame oder offene und kleistogame oder geschlossene. Die ersteren sind die normalen Blüten der Pflanze, die letzteren unvollständig entwickelte, insofern als ihre Hüllteile im Vergleich zu den normalen Blüten eine sehr mangelhafte Ausbildung zeigen, geschlossen bleiben, trotzdem aber gute keimfähige Samen liefern. Die Selbstbestäubung vollzieht sich in diesen kleistogamen Blüten in der Weise, dass die Pollenkörner von den Antheren aus ihren Pollenschlauch entwickeln, der die Befruch- tung vollzieht. Schon Linn& stellte die Thatsache fest, dass spanische Pflanzen, die nach Upsala eingeführt wurden, wie z. B. Cistus guttatus und €. salicifolius, Salvia verbenacea ete. nicht mehr offene Blüten erzeugten 284 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. und gleichwohl reichliche Samen ansetzten. Er glaubte, dass ungenügende Temperaturen diese spontane Kleistogamie erzeugten und sah deshalb in ihr die Ursache jeder kleistogamen Entwicklung der Blüten. Dass diese Erklärung mindestens nicht für alle Fälle zutreffend sei, zeigte Mohl damit, dass er auf jene Fälle hinwies, in denen die Entwieklung kleistogamer Blüten nicht in die kühlere Jahreszeit, in den Frühling oder Herbst, fällt. Während z. B. eine Spiegelblume (Specularia per- JFoliata) die kronenblattlosen Blüten in der kühlern Hälfte des Sommers erzeugt, findet z. B. beim Veilchen der umgekehrte Vorgang statt. Die großen duftenden, die Insekten zum Besuch ladenden Blüten ent- stehen im Frühling, die geschlossenen unscheinbaren erscheinen im Sommer. Ohne sich über die Ursachen auszusprechen, hält doch auch Darwin dafür, dass äußere Ursachen die Vergrößerung und Verkleinerung, die Entwieklung chasmogamer und kleistogamer Blüten, einleiten, und dass der Vorgang durch natürliche Zuchtwahl so befestigt und gesteigert werde, bis schließlich vollkommen kleistogame Blüten, wie bei Viola, entstehen. H. Müller, dieser hervorragende Blütenbiolog, hält dafür, dass nur in gewissen Fällen die ungünstigen äußern Bedingungen — Wasser, Temperaturerniedrigung und andere — ein Verharren der Blüten im Knospenzustande bedingen. Den Weg, der allein zu einem sicheren Ziele führen kann, betrat H. Vöchting. Seine Untersuchungen über den Einfluss des Lichtes auf die Gestaltung und Anlage der Blüten haben in der That unsere Vorstellungen von den Ursachen der Kleistogamie aus dem Bereiche bloßer Mutmaßungen herausgerückt. Seinen Experimenten dienten teils Pflanzen mit zygomorphen Blüten wie Mimulus Tilingi Rgl., Linaria spuria Mill., L. Elatine Mill., Lamium amplexicaule, L. purpureum L., L. maculatum L., Ajuga rep- tans L., Lobelia Erinus L., Veronica Buxbaumii Ten., Viola odorata, Tropaeolum majus L., Impatiens parviflora D.e., Lopezia coronata Andr., teils Arten mit aktinomorphen Blüten wie Stellaria media Vill., Malva vulgaris Fr., Melandrium album Grke., Silene noctiflora L., Petunia vio- lacea Lindl. Es kann nicht in der Aufgabe unserer Berichterstattung liegen, alle diese Fälle einlässlich zu besprechen. Es sollen nur einzelne gleichsam als Paradigmen ausführlicher behandelt werden. Mimulus Tilingi Rgl. bespricht Verf. am einlässlichsten, da er gerade mit dieser Pflanze sehr lehrreiche Resultate erzielte. Die Blüte hat eine Ober- und Unterlippe. Diese besteht aus einem herzförmigen Mittellappen und zwei kleinern Seitenlappen. Die mittlere Länge der Blüte beträgt 27,3 mm, der mittlere Mediandurchmesser (Ende eines Zipfels der Oberlippe bis zum entsprechenden Zipfel der Unterlippe) Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 285 29,1 mm. Blütenstand je nach der Stärke der Pflanze einfach oder verzweigt; Zahl der Blüten 20—50. In einem Zimmer, das nur in den frühen Vormittagsstunden von der Sonne direkt beleuchtet war (bis spätestens 9 Uhr), wurden in Töpfen die Pflanzen in verschiedenen Abständen vom Fenster kultiviert. Vor dem Fenster entwickeln die Blütenstände normale Blüten; unmittelbar hinter dem Fenster treten an den länger beschatteten Exemplaren anfänglich kleinere Blüten (Längendurchmesser 23, Median- durchmesser 23,5), später wieder normale Blüten auf. In einer Ent- fernung von 40 cm entstehen vorwiegend stark verkleinerte Blüten. Wohl entwickelt sich auch an der 10. Blüte, der letzten, die entsteht, die Krone noch so weit, dass sie aus dem Kelche heraustritt, aber sie ist nicht nur klein, sondern auch etwas abnorm gestaltet. — Ich gehe über zu den Beobachtungen an Individuen, die 1,5 m vom Fenster ent- fernt kultiviert wurden. Die Krone der 13. verlässt den Kelch nicht mehr völlig. Die folgenden Knospen gehen alle frühzeitig zu Grunde. 3 m vom Fenster entfernt beobachtete man auch Blüten, die nur den Griffel aus dem Kelche hervortreten lassen, nicht aber die Krone. „Setzt man Individuen unserer Pflanze, nachdem die Blütenstände unter normalen Verhältnissen angelegt worden, Beleuchtungen von verschie- dener Intensität aus, so nimmt die Zahl der sich entfaltenden Blüten im allgemeinen proportional der Beleuchtung ab. Ebenso nimmt die Größe der Blüten ab, und zwar vermutlich in demselben Verhältnisse. Mit der Abnahme der Größe stellen sich Abnormitäten in der Gestal- tung ein“. Was nun die Formveränderung der Blüten unter dem Einfluss ver- schiedener Beleuchtung betrifft, so ergeben Messungen, dass in erster Linie die Verhältnisse zu Gunsten des Längendurchmessers verschoben werden, sobald die Blütengröße unter ein bestimmtes Maß sinkt. In zweiter Linie beobachtet man, dass das Verhältnis zwischen Ober- und Unterlippe sich ändert. Ist der Längendurchmesser auf etwa 10 mm gesunken, dann wird die Oberlippe relativ kleiner; sie schwindet all- mählich mehr und mehr, bis sie schließlich gar nicht mehr aus dem Kelche hervortritt, während alsdann die Unterlippe noch 6—8 mm lang ist. So zeigen also diese Versuche, wie die Blütenentwicklung in hohem Maße vom Lichte abhängig ist, wie mangelndes Licht normale Anlagen der Gestalt kleistogamer nähert. An Linaria spuria geht dieser Einfluss einen Schritt weiter. Sie ist eine jener Arten, welche offene und mehr oder minder kleistogame Blüten bildet. Diese „entstehen gewöhnlich an dünnen, oft fast faden- förmigen, mit kleinen Blättern besetzten Trieben, die aus den Achseln der basalen, dicht gestellten Laubblätter der Hauptaxe neben den ge- wöhnlichen Sprossen entspringen“- Ihr Wachstum ist abwärts gerichtet. 386 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Sie schmiegen sich dem Boden an oder dringen, wo er nicht hart ist, in ihn ein. Entwickeln sich die kleistogamen Blüten im Boden, dann sind sie oft bedeutend kleiner als die offenen. Die oberirdischen sind diesen gleich, oder aber sie sind gewöhnlich stärker entwickelt, gleichen den chasmogamen mit dem Unterschiede, dass sie geschlossen bleiben. „Der Schluss selbst wird dadurch hervorgebracht, dass sich die Unter- lippe nicht zurückschlägt, und dass die Oeffnung, die sie bei ihrer nun kahnförmigen Gestalt auf der Oberseite besitzt, von den Zipfeln der Oberlippe bedeckt wird. Der Verschluss kann dabei mehr oder minder vollkommen sein“. An dieser Pflanze führte die Kultur am mangelnden direkten Sonnenlichte zur Bildung verschiedener Stadien kleistogamer Blüten, beinahe geschlossener und völlig geschlossener, die anfänglich noch ziemlich groß, später erheblich kleiner waren. Beschränkte Beleuchtung erscheint also hier als Ursache der Bil- dung kleistogamer Blüten. In der Natur beobachtet man denn auch, dass die kleistogamen Blüten an dieser Pflanze dann auftreten, wenn die Tage erheblich kürzer werden, d. h. also wenn die Beleuchtung beschränkter wird. Bei Stellaria media „hat man es ganz in seiner Gewalt, sie durch den Grad der Beleuehtung entweder kleistogam oder chasmogam zu machen. Setzt man die Pflanzen dem Sonnenlicht oder auch nur dem hellen Tageslicht ohne direkt einfallende Sonnenstrahlen aus, so öffnen sich die Blüten, wobei Keleh und Krone kleine trichterförmige Gestalten bilden. Stellt man die Töpfe dagegen ins Zimmer, und zwar mindestens 1 m vom Fenster entfernt, so entwickeln sich die Blüten zwar regel- mäßig, bleiben aber geschlossen und bestäuben sieh selbst. Setzt man sie heller Beleuchtung aus, so öffnen sie sich nach kurzer Zeit“. Dass also die Intensität der Beleuchtung bei den Pflanzen einen wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der Blüten hat, ist außer allem Zweifel. Es denten die Versuche von Vöchting aber besonders auch mit aller Bestimmtheit darauf hin, dass die Beleuchtung bei der Entstehung kleistogamer Blüten eine wesentliche Rolle spielt. Mangelnde Liehtzufuhr verwandelt (unter Umständen) die normalen Blüten in kleisto- game, die von jenen nur dadurch verschieden sind, dass sie geschlossen bleiben und sich selbst bestäuben. Wir können in diesem Gestaltungs- einfluss den ersten Sehritt zur Bildung der echten Kleistogamie sehen, die dadurch ausgezeichnet ist, dass die Gestalt der kleistogamen Blüten von jener der chasmogamen entschieden nach Größe und Form ab- weicht. Einen mittlern Zustand repräsentiert Linaria spuriva. Im 2. Teile seiner zitierten Abhandlung teilt Vöchting die Be- obaehtungen mit, die er über den Einfluss der Herabsetzung oder gänz- lichen Unterdrückung der geschlechtlichen Thätigkeit der Pflanze auf deren vegetatives Leben bei seinen Untersuchungen machte. Imhof, Fauna hochgelegener Seen, 2837 Werden Mimulus-Pflanzen so weit vom Fenster aufgestellt, dass die sie treffende Liehtmenge zum Blühen nicht mehr hinreichend ist, dann entstehen statt der Blüten vegetative Sprosse. An ihren Scheiteln erzeugen sie Blütenstände, die gleich den primären keine Blüten zur Entwieklung bringen. Aus den Achseln der Brakteen entstehen dann wieder abwärts geneigte Sprosse. Während also die Herabsetzung der Beleuchtung hemmend auf das geschlechtliche Leben der Pflanzen wirkte, steigerte sie das vege- tative Leben. „Unsere Untersuchungen lehren uns ferner die nicht unwichtige Thatsache, dass die Axe des Blütenstandes, obwohl durch ihr ganzes Wachstum, durch die Form der Brakteen ausgezeichnet und unter normalen Verhältnissen bestimmt, nur der geschlechtlichen Vermehrung zu dienen, doch ein Organ darstellt, das zu diesem Zwecke nur erst teilweise spezifisch ausgebildet ist. Eine geringe Herabsetzung der Beleuchtung genügt, um zu veranlassen, neben den nicht zu vol- lendeter Entwicklung gelangenden Blüten vegetative Sprosse zu er- zeugen, eine der Teratologie angehörende Thatsache, deren Ursache hier nachgewiesen wurde“. Während in den bisher beschriebenen Versuchen den Pflanzen ge- stattet war, ihre Blütenstände zu bilden und die Blüten wenigstens als Anlagen hervorzubringen, kam es in einer andern Versuchsreihe zur völligen Unterdrückung der geschlechtlichen Funktionen. Das Mittel war Beschränkung des Lichtzutrittes während des ganzen Winters, Frühlings und Sommers. Die so entstehenden Pflanzen waren in allen ihren Sprossen sehr gedrungen. „Gegen Ende der Blütezeit (der nor- malen Pflanzen) erhielten die Pflanzen ihren Platz im Freien, wo sie der vollen Beleuchtung durch die Sonne ausgesetzt waren. Sie zeigten nunmehr keinerlei Neigung zum Blühen, sondern wuchsen ausschließ- lich vegetativ weiter, bildeten reichlich Seitensprosse, deren Scheitel im Herbst wie die Hauptaxen ... rosettenartige Bildungen erzeugten“. Während drei Jahren zeigte sich unter den oben angegebenen Be- dingungen die Unterdrückung der geschlechtlichen Thätigkeit. Die Pflanzen erhielten sich durch Laubsprossbildung. — (Schluss folgt.) Fauna hochgelegener Seen. Seen der Rocky-Mountains, Nord-Amerika. Von 8. A. Forbes. Referat von Dr. Othm. Em. Imhof. Eine äußerst wertvolle, zwar noch vorläufige, Publikation über die Evertebraten einer großen Zahl kleinerer und größerer, stehender 288 Imhof, Fauna hochgelegener Seen: und fließender Gewässer des Felsengebirges erschien im April des letzten Jahres im Bulletin der Fischerei der vereinigten Staaten Nord- Amerikas. Veranlasst durch die Ergebnisse der ichthyologischen Studien von D. S. Jordan und B. W. Evermann unternahm S. A. Forbes zwei Reisen in den Jahren 1890 und 1891 in den oberen Teil der Fluss- gebiete: Atlantische Seite Pacifische Seite Gardiner Snake Madison Flathead Yellowstone in den Territorien Wyoming, Montana und National-Park an der nörd- lichen Grenze der vereinigten Staaten. Der Zweck der Forschungen war in erster Linie praktischer Natur: die niedere Tierwelt besonders der fischlosen Gebirgsseen kennen zu lernen, um die Möglichkeit der Bevölkerung mit Fischen und mit was für Species zu eruiren. Die erste Reise, im Juli und August, machte Forbes in Beglei- tung von Linton vom Washington und Jefferson College von Pensylvania, dessen letzteren Spezialstudien die Parasiten der Fische beschlagen. Die Expedition führte Elwood Hofer. Ein Fuhrmann, 2 Packer und 1 Koch wurden mitgenommen. Die Ausrüstung bestand: in Last- und Reitpferden für 6 Personen, einem 4rudrigen tragbaren Segelschiff, 2 Dredgen mit Seilen, einem Satz tragbarer Siebe, einer Grundleine, einem 50 Ellen langen Grundnetz, einem Schlagnetz, einem gewöhnlichen Fischernetz, einem Baird’schen Sammelnetz, Oberflächen- netzen, Handnetzen, 2 Tiefseethermometer, einem Präparationsmi- kroskop, einem zusammengesetzten Mikroskop mit Hilfsapparaten, Flaschen, Gläsern und Alkohol zur Konservation der zarteren kleinen Tiere. Auf dieser ersten Reise wurden 387 Kollektionen aus 43 Lokali- täten der Flussgebiete: Gardiner, Madison und Yellowstone auf der Westseite des Felsengebirges und des Snake -Flusses am östlichen Ab- hang angelegt. Die zweite Reise im August und September 1891 führte Forbes in Begleitung seines Assistenten Brode speziell im Flussgebiet des Flathead auf der Ostseite des Felsengebirges aus. In 23 Lokalitäten wurden 73 Kollektionen gemacht. Das ganze Material der beiden Reisen besteht somit aus 460 Kol- lektionen aus 76 Lokalitäten. Der vorläufige Bericht umfasst 52 Seiten (S. 207—258) in gr. Okt. und 6 Tafeln. Imhof, Fauna hochgelegener Seen. 289 Ich referiere hier speziell über die Ergebnisse der Seeforschungen. Die untersuchten Seen sind: I. Flussgebiet des Snake (I). 1. Kleiner See auf dem Norris-Pass. 2. Shoshone - See. 3. Lewis -See, 4. Heart- See. II. Flussgebiet des Flathead (V). 1. Flathead - See. 2. Swan- See. III. Fiussgebiet des Yellowstone (IT). 1. Yellowstone - See. 2. Duck - See. 3. Woods-See. Flussgebiet des Gardiner (III). 1. Twin-Seen (2). 2. Swan - See. 3. Gardiner - See. Flussgebiet des Madison (IV). 1. Mary-See, 2. Grebe -See. Iv. Me: Zur leiehteren Gewinnung eines klaren Einblickes in die vor- läufigen Ergebnisse stelle ich die Fauna dieser 13 Seen in einer Ta- belle zusammen. | | | 58 Snake | Yellow- | Gardiner Madi-| Fla- ® stone | son ‚thead S Sim, | 2 | | a — 858 ak | le lea leelS|al2|E| = | i= Io: ®| 2a S#lsıeElR > 2518 1.212385 5808233888 STehHEmAET ass 'iö |oeloe oe o eo co oo oo» go} HE 2,900 HM ORRAARNAAARnNAANN EEDEIZ IE FIEIEIRIEI N II I | | Protozoa. Rhizopoda. || | Ina Ir 1. Difflugia globulosa n + | Echinopyxis | |+ | Ciliata. Stentor igneus fuliginosus Forbes + | Coelenterata. Porifera. | | | 2. Spongilla fragilis 7 ar | Sr joe 2 spec. FE NE etelete Sehe Cnidaria. 3. Hydra fusca m + +| 5 Vermes. Turbellaria. + | Nematodes. Anguillulidae. Sm r | Rotatoria. | | | | 4. Lacinularia socialis + | | | 5. Conochilus leptopus Forbes IR A | | I 6. Monostyla ovata Forbes (Quelle) Er | | | | —| | | | | Bemerkungen zur Tabelle: Die spationierten Speciesbezeichnungen sind von Forbes entdeckte neue Arten. + in 7 sind nicht in den Seen selbst — gefundene Arten, in der Tabelle enthalten, weil neue Species. XIV. 19 290 Imhof, Fauna hochgelegener Seen. 666 23 ee EEE EEREEEEEEEEEE EEE Yellow- |Gardiner Norris-Pass ro See Shoshone Kleiner See auf dem © See Lewis pr Snake | > See Heart stone nm | em — See Yellowstone > See Duck > See Woods —» Seen Twin 2 vo See Swan > See Gardiner — See Mary Madi- so n — wo See Grebe I See Flathead Fla- thead Annelides. 7. Stylaria lacustris Naidomorpha 8. Pristina lacustris 9. Nephelis obscura maculata 10, „ 4-striata 11. Aulastoma lacustris 12. Clepsine elegans 13. s; ornata " spec. Bryozoa Plumatella arethusa? Arthropoda. Ürustacea. Cladocera. 14. Daphnella brachyura 15. Sida erystallina 16. Holopedium gibberum 17. Daphnia pulex n 18. „ Schödleri 19: a D08 > 21. „» a2. 5 23. # angulifera Forbes arcuata Forbes elathrata Forbes thorata Forbes „* Spec. 24. Scapholeberis mucronata Macrothrix spec. nov. 25. Simocephalus vetulus Ceriodaphnia spec. 26. Bosmina longirostris ® spec. 27. Eurycercus lamellatus 38. Acroperus leucocephalus Alona 29. Chydorus sphaericus 30. Polyphemus pediculus 31. Leptodora hyalina Ostracoda. 32. Cypris barbata Forbes (Fluss) „1 spec. Candona spec. Copepoda. 33. Cyclops serrulatus 34. gyrinus 35. minnilus Forbes 36. 37. 38. serratus Forbes Thomasi Forbes spec. 5 spec. STIEG EIS pulex pulicaria Forbes dentifera Forbes (Teich) capilliferus Forbes - + H4+ ++ +++ + — E + + + ++ ++ ++ ++ ee ++ ++ — -r Imhof, Fauna hochgelegener Seen. 291 Kleiner See auf dem Madi- Fla- Snake Yellowstone , Gardiner an nen | | | wo See Grebe — See Flathead Norris-Pass w See Swan o See Duck 8% See Woods — See Twin »» See Gardiner ps 39. Diaptomus shoshone Forb.| 40. Lintoni Forbes 41. 2 piscinae Forb. 2 sicilis var. = spec. Epischura nevadensis co- lumbiae Forbes Amphipoda. 42. Allorchestes dentata 43. - inermis = spec. 44. Gammarus robustus 9 spec. Acarına Hydrachnidae Insecta. Thysanura. Poduridae Orthoptera Pseudoneuroptera Perla Ephemeridae Libellula Agrion Hemiptera Corisa Notonecta Hygrotrechus Diptera Chironomus Corethra Culex Tabanus Simulinus Coleoptera Hydrophilus Dytiscus Hydroporus Haliplus Hydaticus 45. Graphoderes fasciaticollis Mollusca. Lamellibranchiata Pisidium Sphaerium Gasteropoda Planorbis Physa Limnaea Amnicola +|o See Swan + co» See Lewis + | See Heart | (+) + ++ |> See Yellowstone EB ai Ber En — = — + _++|[v See Shoshone nn 4+ ++ 44H Sen + En + - ++ ++ + ++ ++ + Seh = — ++ + + E + - ++ 28 +44+ + ++ ++ 4 + + ieıe eh ana nalarn. + + ı tb En + ++ + Vertebrata. Fischlose Seen | + I+1+12Sp.|18p- dam E Zahl der Formen: | 15 Isolız] 17 | 39 jızl12]13/26j15| 9 |14| 29124 19 * 299 Imhof, Fauna hochgelegener Seen. Es enthält die Tabelle 45 Spezies und 4 Varietäten. Am reichsten sind die Crustaceen, und zwar die Cladoceren und Copepoden, vertreten, dieselben Gruppen, die auch in unsern euro- päischen Seen durch die größten Speeieszahlen hervortreten. Die Cladoceren sind durch 15 Genera mit 18 Spez. u. 1 Varietät repräsentirt N Copepoden N ” 3 Pr) R)] I ” ” 2 N N ” Ostracoden ” ” 2 ” ” 1 Pr] ” „ Malacostraken „ 2 ,„, Amphipoden mit 3 Species. Die Vermes zeigen 9 Genera mit 9 Species und 1 Varietät. Auf- fallend ist, dass von Rotatorien nur 3 Species beobachtet wurden, und zwar noch davon 2 neue Arten: Conochilus leptopus und Monostyla ovata, letztere aus einer Quelle am Ufer des Yellowstone-Sees. Ob die allgemein verbreiteten Genera Asplanchna, Synchaeta, Polyarthra, Triarthra und die Anuraeaden in diesen Seen ganz fehlen, oder ob dieselben gerade zur Zeit der Untersuchungen nicht vorhanden waren, muss noch dahingestellt bleiben. Erneute Forschungen in anderen Jahreszeiten dürften diese Frage vielleicht entscheiden. Von Interesse ist das gänzliche Fehlen von Mastigophoren (Dino- bryoniden) und Dinoflagellaten (@lenodinium, Peridinium und Cera- tium) im offenen Wasser der Seen, sowie auch die Abwesenheit von Heliozoen. Auf die Entomostraken zurückkommend, sind besonders die Co- pepoden-Ergebnisse hervorzuheben. Von den 9 beobachteten Species ist nur eine der europäischen Fauna angehörend. 4 Species des Genus Cyelops sind neue Arten, ebenso 3 Species und 1 Varietät Diaptomus und die Epischura -Varietät. Von den 18 Cladoceren treten uns 13 bekannte Formen entgegen, aber auch hier fand Forbes einige neue Species aus der Gattung Daphnia, 5 Species und 1 Varietät. Als sechste neue Art der Clado- ceren ist eine Macrothrix gemeldet. Ein hohes Interesse beansprucht das Vorkommen einer Reihe von Cladoceren in ansehnlich höher ge- legenen Seen als die Fundorte in unserer centraleuropäischen Alpen- kette. So die folgenden Arten: | 2276 | 2352 | 2358 | 2358 | 2500 | 2508,5 | Heart- Lewis- | Sho- |Yellow-|; Norris | Mary | see see | shone | stone Daphnella brachyura . . .| + | rt Holopedium gibberum . . . | i: T Daphnia Schödleri R 1 T Scapholeberis mucronata . | r T Simocephalus vetulus T ji Ceriodaphnia RE 7 1 Bosmina longirostris . . » T Bosmina spec... . . ... T Polyphemus pediculus . . . 7 ir Leptodora hyalina . . . . T Imhof, Fauna hochgelegener Seen. 295 Ganz besonders wichtig erscheinen diese Vorkommnisse von Daph- nella brachyura, Holopedium gibberum, Daphnia Schödleri und Lepto- dora hyalina. Die wesentlichsten Ergebnisse über die Tiefenverhältnisse und die Tiefsee-Fauna sind: Die größten Tiefen besitzen die Seen: Tiefe Länge Breite Yellowstone 94,4 Meter, 32 Kilom., 22,5 Kilom. Flathead 46,6 ,„ 40% 5 16—19 „ Heart 44 „ In 1,0945 Im Verhältnis zu ihrer Oberfläche, verglichen mit unseren größeren Schweizerseen, die zwar viel weniger hoch gelegen sind, müssen die 2 großen Seen als wenig tief bezeichnet werden. Die übrigen Seen haben Tiefen von 1—12 Meter. Die größten Tiefen, in denen die Anwesenheit einer Tiefen- Fauna entdeckt wurde: Yellowstonsee 56—60 Meter: Oligochaeten, Chironomus, Pisidium. 30,47 a Nematoiden, Cypris, Hydrachniden. Heartsee 14—36,5 „ Difflugia, Echinopyis, Chironomus. Flatheadsee 23—38 „ Anneliden, Plumatella, Cypris, Chiro- nomus, Pisidium. 38—46,6 „ gleiches Resultat. Aus der Zusammensetzung der littoralen und der grundbewohnen- den Fauna aus kleineren Tiefen sind besonders die Amphipoden: Gam- marus robustus, Allorchestes dentata und All. inermis bemerkenswert. Das Gesamtergebnis der referierten vorläufigen Publikation weist dahin, dass im großen Ganzen eine ähnliche Süßwasser-Fauna, lit- torale, pelagische und Tiefen-Fauna, diese nordamerikanischen Ge- birgsseen bewohnt, dass aber auch diesem Gebiete angehörende spe- zifische Formen, namentlich von Entomostraken und Amphipoden in ansehnlicher Zahl eigen sind. Die Gesamtbearbeitung der 387 Kollektionen wird ohne allen Zweifel viel Neues zur Kenntnis bringen und die Erforschung der Süß- wasser-Fauna besonders in ihrer vertikalen geographischen Ausbreitung in hohem Grade fördern. Der praktische Wert und Erfolg wird wohl ebenso zweifellos aus in dieser Weise errungener wissenschaftlicher Basis ersprießen! 994 Imhof, Vorkommen von Fischen in den Alpenseen der Schweiz. Ueber das Vorkommen von Fischen in den Alpenseen der Schweiz. Seen von 473—2460 Meter ü. M. Von Dr. Othmar Emil Imhof. Im Anschluss an die Notiz über die Verbreitung von Silurus glanis in den Seen der europäischen Alpenkette, gehe ich einen Schritt weiter und versuche eine möglichst vollständige Zusammenstellung der natür- lichen und künstlichen Verbreitung der Fische speziell in den höher gelegenen Alpenseen unserer Schweiz zu geben. Eine tabellarische Anordnung der bisher bekannten Vorkommnisse der Pisces in den kleineren Alpenseen dürfte einen Einblick in einen Teil der geographischen Verbreitung dieser Tierklasse gewähren, wo- durch vielleicht später, nach Vervollständigung und in’ Verbindung mit gleichen Nachforschungen in den anderen Partien der Alpenkette, sich Gesetze erschließen lassen, die die natürliche Verbreitung erklären können. Die erste Aufgabe besteht in der Sammlung der zuverlässigen Angaben über künstliche Bevölkerung der fischlosen Seen, und die zweite Aufgabe fordert ausgedehntere Kenntnisse über das natürliche Vorkommen von Fischen besonders in den sehr hoch gelegenen Seen. Ich kann mit der hier gegebenen Tabelle allerdings noch nicht Anspruch auf Vollständigkeit machen, namentlich die zuverlässigen An- gaben über künstliche Belebung der Alpen-Seen mit Fischen dürften noch lückenhaft sein, aber die vorliegende Zusammenstellung kann vielleicht doch ein brauchbarer Anfang sein. Die Tabelle enthält Angaben über das Vorkommen von 26 Species und 1 Varietät in 62 Alpenseen. Sie gibt Auskunft darüber, ob die Fische (nach der bisher erlangten Kenntnis der Litteratur) in die Seen durch Menschenhand eingesetzt (0), oder ob sie von Natur aus vorhanden sind (| ). Die Tabelle gibt folgendes Bild: Zahl der Species Zahl der Seen Zahl der Höchst-) Zahl Fame Ein- | Einh. | Nur | Nur SDeries Regionen | geleg. | der ar e- u.Ein- ein- |einge- See | Seen heimisch detat ges. | heim. 2 Baret I. Montan. | 1148 | 12 | 20u.4Var.,; 2 5 5 2 22 WENVar. H.Subalp. | 1621743 6 Deu 7 3 41 III. Alpin. | 209 | 35 7 DR 18 5 10 IV.Subniv. | 2460 | 12 3 1|ı — 10 2 4 Von den 26 Species und 1 Varietät kommen vor: In allen 4 Regionen: 2 Species. Salmo lacustris und Cottus gobio. Imhof, Vorkommen von Fischen in den Alpenseen der Schweiz. 295 In 3 Regionen: 4 Species. Coregonus albus (0), Salvelinus Ne- meyench (0); Tinca vulgaris (nur im Egerisee nicht eingesetzt); Phoxinus laevis (nur auf dem großen St. Bern- hard eingesetzt). In 2 Regionen: 5 Species. Esox lucius, Salmo fario, Scardinius erythrophthalmus, Lota vulgaris, Perca Sluviatilis. Nur in 1 Region: 15 Species und 1 Varietät. Nur wenige Species finden sich in mehreren Seen: Salnıo lacustris in 27 Seen, in 2importirt, Einheim. in 25 Seen Phoxinus laevis | N: 4 „AO Cottuc gobio „107 227, keine, hi al) ©, Esox lucius Ra RER 5 „ öl Perca fluviatilis ee Din 5 A „ds Scardiniuserythrophthalmus,„ 9 „29 „ i ee Lota vulgaris El ee # R er. Nemachilus barbatula miese eh keiner, R Are Alburnus lueidus a R ” Do Tinca vulgaris FE: SP re | a ee Salmo fario EN > n Salvelinus Nemayench a 5 2 le In den beiden höheren Regionen, über 1650 Meter leben noch 11 Species, von denen 4 nur importirt vorhanden sind, 7 von Natur da Vorkommen. Die einheimischen sind: Salmo lacustris in 19 Seen. Salmo fario = IeiSee: Salvelinus umbla ae Phoxinus laevis „ 7 Seen. Nemachilus barbatulus „ 4 „ Lota vulgaris PR ugre Cottus gobio un In der IV. Region über 2100 Meter kennen wir nur noch 4 Species, wovon eine, Tinca vulgaris, eingesetzt wurde. Die 3 einheimischen Arten sind: Salmo lacustris „ 8 Seen. Phoxinus lawis „2 „ Cottus gobio „ui See: Abgesehen von Salmo lacustris, welcher Fisch die größte Verbrei- tung in den Alpenseen aufweist, sind es wenige Schlamm- und Grund- bewohner, die drei Species: Phoxinus laevis, Nemachilus barbatulus, Cottus gobio, die die eigenartigen Lebensbedingungen in den hoch- 296 [0 L BEN er 329980 3urg Oo e orgob sn340) Ra sgoramf 09.494 N sıımbjna 0407 S sıupyb snanpS Sg Dingaqwq snpyppwan S s2030) SNUNXOYT S snypydaoa snyonbg = snasıona] snyonbg es snumdyg = -ydo.ıyah.ıa SnMUpıDag SNSSDAI SHYUNASNISTINAT snwpundıq snun.udg snpuany snuangy DUDıq STUDıgF sıpıgpıanyf snqADg sambjna wauiL ord.ıma snuntdh,) ysuahawayr snurpayng Drqun snunppaydog x o11mf ouyDg NET S1.18NID] OUDg snqD snuoßa.0) 1zunyag Smuoßa.o DıngıD snuoßa.«o) 2 8nIOn] wos na DıynB up 3/415[6|7|8|9 11011112|13]14115|16|17|18 sı.ımb .DDS oDg snumaayps ouypg| geH4irmannn-n aHno-Hn-|a | an |Ilmnma|lnun | | — =) —- oo je) — —— o En u u — en Te nn — © ee ——— — | | =) nn En VE EN FE en ie | = >} o SHOR OH —— u Metern ın Seen und ihre Höhenlage über Meer © © an S = © Br © © S SE, m oe > A058 Ha. AD BRe >] DON DO 93522 |D HS 0 585 205 ao goRga2 gmnD 592355850880 185) ou (de) Sm = nu 5558 = 85 ZOO SR SHH STREAM OSS vURÄ DD nAÄAHBNMNLOAAHnD> NNNELHNSOHOSSHSAw TRANSSoOSTLEöSTt—T HIST-TASOoco A — aan NNnHOIOTODT ON A-- "uIs4oMW COGF sIq uUOL3oy PuB4uom "I Imhof, Vorkommen von Fischen in den Alpenseen der Schweiz. nenn nanauad ala | mean | nn FREIEN = = o © o En o | -ura}oW 0C9F srq uoldoy ourdegqns "II \ Lae de Champex. Unterer Seewensee. Argnaulaz. Taraspersee. Oberblegisee. Fählensee. Spaneggsee. Vatzersee. Hinterburgsee. Arnensee, Davosersee. Säntisersee. 1507. Schwarzsee Klosters. 1210. 1301. 1410. 1426. 1455. 1458. 1465. 1457. 1524. 1546. 1561. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 13 11621. 10 41 412 297 Imhof, Vorkommen von Fischen in den Alpenseen der Schweiz. | [ortsjejsjriniala| s [v|ejrleirieieinee|e orrlelilronaiımı @ ır IV ielelnieir le r-2l2l-2-7 Ar 8 lel-Im=l=irl=|r le rI—-|T7 Culz=lG o o helles IMS | Do TER ııı - r|rı- r|1ı- rt |r|- Pill el | Ball al-ier | 1-1 | 0 'SanER 0 Een | Tl 12 | Da | Io = | | 1-7 717 —-|| | ıIIı - 12 une vol | El | | Tr 7 0 1 | %,:- l eo —| ı—-17T 0 any 0 Ir — TI ı— 0% | | 0 7 ı— 22 ı- | a A eh | Kun | | L|®E 1e40,L e|o5,) | yasımmoy F|7 || o 4290893u1e snyosuaas lo '09rel ST = pıeyuaag IS 189019) '9rF%| TI < ‘sung ep [oT 7682| OT Ben 'spAjespArın lo 'SLE2| 6 = "BJ38901/) O3BT 2082| 8 DS "9osuaänjds a810qO 0227 2 83 AHIamPF 0975| 9 = wog Ip OBWT "TER € Eye ‘ooueıg 0387 °0+:30| F Er: 'OION 038] 0860| € Be, 9osuaoandg A919JuN] "9617| % = "HOSBUIUIRIEK) "687T%| 7 "UOHFPILUII09 IS "7602| C% "»9so1puaanT] "800 77 vosdewqn 8208, 83 Ye emqy weIsumgeeM 080% 2% 8 Vostmueg "166 17 ® 'suoA ®p [ort "0967 06 \E "DOSTTUISLIERS 8867 67 =- "OUSepe/) OST "TCOT HF 5 ooswusondpeg "CI6T Zr = -01990]JARB) (OT "806 94 = osununted 9287 GI & Jorposmuie) "I28T FF I "UOSorT 98T 0287| E17 5 ‘sung (oT 0987. 57 = "9osuopssum "3C87| Tr 5 mopy 03eT 6687 OF = ‘zus ep (oT "2187 6 1 "99sspIs "9617| 8 = 99s19urfdrafIs "F6LL 2% EN vosıgydur) 86,7 9 3 "D9SIOZLIOW 48 "2921 6 | "y98I9I9) "ECLh F "OH8B80IY AEL0AO ’OFLT € “DOSBR0IY A19104uN) '00LT 6 | -BOULOARU) sap ORT 'C69T T 998 Imhof, Vorkommen von Fischen in den Alpenseen der Schweiz. gelegenen, meist wenig tiefen, während des größeren Teiles des Jahres, sogar manchmal während 11 Monaten mit Eis und Schnee bedeckten Seen aushalten. Die vorliegende Uebersicht enthält Seen von sehr verschiedener Natur, Gestalt, Tiefe, orographischer und geologischer Lage, Seen, die wohl sehr verschiedene Existenzbedingungen den sie bevölkernden Organismen darbieten. Die vergleichenden Studien hierüber sind aber noch in den ersten Anfängen, und hoffe ich selbst auch, in nicht zu ferner Zeit näher darauf eintreten zu können. Die Bevölkerung der Berg- und Alpenseen, auf natürlichen Wegen, erfolgte und kann fortwährend erfolgen namentlich in den wesent- lichsten Weisen: 1) Aus einem See können durch Vertiefung seines Ausflusses und Ablaufen des Wassers, durch Senkung des Spiegels, wenn der Grund des Sees durch schon vorhandene Erhebungen in mehrere sublacustre Becken geteilt ist, mehrere Seen entstehen. Die Fauna des alten Sees bleibt dann in mehrere kleinere Seen getrennt zurück. 2) Es können durch neue Rissbildungen in der Sohle der Thäler in ihrer Längsrichtung, auch quer oder schief zur Thaldirektion vor- handene Seen anders gestaltet werden und neue Seen entstehen. Die Fauna vorhandener Seen kann die umgestalteten oder in der Nähe neugebildeten Seen bevölkern. 3) Neue Seen können entstanden sein und noch entstehen durch Lostrennung eines Teiles von einem vorher vorhandenen See, z. B. durch Los- und Abbreehen von ganzen Schichtenlagen, wobei der eine Teil sieh hebt, oder der eine Teil in tiefere Lage sinkt, oder beide Dislokationen gleichzeitig sich vollziehen, wodurch die Bewohner in zwei oder mehrere neue Becken von verschiedener Höhenlage getrennt werden. 4) Höher gelegene Seen können durch Hinaufwandern aus tiefer- liegenden bevölkert werden; noch leichter tiefergelegene Seen aus höhersituirten durch Hinunterwandern neue Bewohner erhalten. 5) Tiefer- und höherliegende Seen können neue Bewohner aus künstlich bevölkerten Seen durch Aus- resp. Einwandern bekommen. 6) Passiver Transport durch die Luft, z. B. mit Schlammregen. 7) Passiver Transport durch aktiv wandernde Wasser-, Land- und Lufttiere. Diese Weise ist aber wohl für den Transport von Fischen oder deren Laich ziemlich unwahrschemlich oder jedenfalls höchst schwierig und selten, nur für parasitisch lebende Fische durch Wasser- tiere möglich. Zacharias, Süßwasserstation am Gullsee in Minnesota. 299 Aus der biologischen Süßwasser-Station am Gullsee in Minnesota. Mitgeteilt von Dr. Otto Zacharias (Plön). Die im Sommer 1893 eröffnete Forschungsstation am Gullsee hat jetzt ihr erstes Arbeitsjahr hinter sich, über dessen Ergebnisse im Nachstehenden kurz berichtet werden soll. Es geschieht dies nach einem Referat im Quarterly Bulletin der Universität Minneapolis, welches Herr Prof. H. F. Nachtrieb dem Plöner Schwesterinstitute einzusen- den die Güte hatte. Außer dem Genannten waren im verflossenen Sommer nur noch die Dr. Dr. S. Lee und W. Oestlund in der Station thätig. Man hatte zunächst davon abgesehen, Kollegen und Studenten zur Be- teiligung an den Arbeiten aufzufordern, weil es angezeigt erschien, sich erst einmal selbst gründlich über das in der Umgebung der An- stalt vorfindliche Material zu orientieren. Demgemäß wurden fleißig Exkursionen unternommen, welche sich nicht bloß auf die benach- barten Flüsse, Seen und Sümpfe, sondern auch auf die im Bereiche der Station liegenden Waldkomplexe und Felddistrikte erstreckten. Bei diesen Ausflügen widmete Dr. Oestlund der Insektenfauna spezielle Aufmerksamkeit. Dieselbe bot eine große Mannigfaltigkeit dar und konnte sehr reich genannt werden. Wanzen und Käfer waren jedoch nur in der gewöhnlich vorkömmlichen Artenzahl ver- treten. Im Gegensatz dazu erwiesen sich die Schmetterlinge als außerordentlich zahlreich. Interessant war die Entdeckung einer neuen Aphiden-Gattung, welche Licht auf die Klassifikation der ganzen Gruppe zu werfen geeignet ist. Dr. Lee beschäftigte sich vorwiegend mit den Wirbeltieren, haupt- sächlich mit den Amphibien und Reptilien. Dabei wurde eine Samm- lung wertvoller ee und histologischer Objekte angelegt. Laubfrösche gab es nahe bei der Station in erstaunlicher Menge. Amblystoma wurde in den verschiedensten Entwieklungsstadien ge- funden. Auch Diemycetilus kam mehrfach in der Umgebung der An- stalt vor. Von Reptilien war Eutainia besonders häufig vertreten. Ebenso Schildkröten, die gutes Material für embryologische Unter- suchungen lieferten. Von den interessanteren Fischen, welche ge- sammelt wurden, sind namentlich Welsarten hervorzuheben. Säuge- tiere und Vögel gelangten spärlicher zur Beobachtung; doch wurde auch davon eine kleine Sammlung erzielt. Prof. Nachtrieb machte seinerseits die Lebensgewohnheiten der Blutegel zum Gegenstande von eingehenden Untersuchungen. Nebenher sammelte er entwicklungsgeschichtliches und histologisches Material bezüglich dieser Würmergruppe. Der nahe bei der Station befindliche 300 Pietet, Anwendung niedriger Temperaturen, Whitmann-See (ein nur kleines Wasserbeceken) enthielt eine über- raschend große Anzahl von Blutegelarten, namentlich solche der Gat- tung ÜOlepsine. An Clepsine ornata wurde wiederholt die Ablage, resp. Anheftung der Spermatophoren beobachtet, wobei es sich zeigte, dass der Inhalt derselben binnen 15 Minuten auf den Körper!) des zu befruchtenden Tieres entleert zu werden pflegt. Mit nur zwei Ausnahmen waren die Sper- matophoren immer an der Rückenfläche der Egel (oder an dem band- artigen Körpersaume derselben) befestigt. Eine Vereinigung bezw. gegenseitige Berührung der Geschlechtsöffnungen wurde nicht be- obachtet. Der schon erwähnte Whitmann-See war in gleicher Weise reich an Bryozoen, Rotatorien und Turbellarien. Gegen Ende des Monats August (1893) verließen die drei genannten Herren die Station und kehrten nach Minneapolis zurück. Das Gut- achten derselben über den zoologischen Charakter der Umgebung des Gullsees lautet dahin: dass die dortige Gegend ein reiches Material für Sammlungen und Studien darbiete, obgleich man nicht sagen könne, dass sie sich darin vor andern Distrikten besonders auszeichne. Ja es gebe andere Lokalitäten im Staate Minnesota, die besser zu- gänglich und reicher an weniger kosmopolitischem Material seien, als der Gullseedistrikt. Indessen werde Jeder, so schließt der Bericht, hinsichtlich der Tiergruppen, von denen speziell die Rede gewesen sei, im Umkreise der Station immer hinreiehendes Material, um Stu- dien betreiben zu können, vorfinden. Im Anschluss an diese Mitteilung melde ich noch, dass nunmehr auch in Frankreich (Auvergne) eine Sißwasserstation in Thätigkeit getreten ist, deren Leitung Herr Dr. ©. Bryant in Clermont Ferrand übernommen hat. Derselbe stellte im verflossenen Sommer daselbst interessante Beobachtungen über Sigara minutissima an und unter- suchte die Art und Weise näher, wie dieses Wasserinsekt zirpende Töne hervorbringt. Raoul Pictet, De l’emploi methodique des basses tempera- tures en biologie. Archives des sciences physiques et naturelles, Genöve, T. 30, Nr. 10, Oct. 1893. Revue scientifique, T. 52, Nr. 19, Paris, Nov. 1893. Der durch seine Untersuchungen über niedere Temperaturen rühm- lichst bekannte Physiker legt in diesem Aufsatze die Rolle dar, die, 1) wobei dessen Einschnitte als aufnehmende und fortleitende Rinnen fungieren. 2. Pietet, Anwendung niedriger Temperaturen. 301 wie er glaubt, die von ihm geschaffenen Hilfsmittel und Methoden in der Biologie spielen werden. Er stellt im ersten Teil desselben ein sehr ausführliches und alle Zweige berücksichtigendes Arbeitsprogramm auf. Leider fehlt noch viel an der methodischen Durehführung des- selben. Die Beobachtungen, die Herr P. jetzt veröffentlicht, hat er in einem Zeitraum von mehr als 20 Jahren gemacht. Dennoch will er sie, um mit seinen Worten zu sprechen, nur als Probebohrungen betrachtet wissen, wie man sie vor Eröffnung eines neuen Bergwerks vornimmt, um sich über die Mächtigkeit der Gänge zu unterrichten und danach die Stollen vorzutreiben. Dabei ist Verf. aber doch schon zu vielen interessanten, teils bis- herigen Anschauungen widersprechenden, teils sie bestätigenden Er- gebnissen gelangt. Ich erwähne zuerst die Versuche an homoiothermen Tieren. Hierher sind auch die Beobachtungen über die Kältewirkung an ınenschlichen Gliedern zu rechnen, die Herr P. und seine Mitarbeiter teils freiwillig, teils unfreiwillig machten. Verf. beschreibt die Empfindungen, die er hatte, als er den nackten Arm bis 10 Min. lang in den auf — 105° abgekühlten Kältekasten steckte, natürlich ohne die Metallteile des- selben zu berühren. Dabei hatte er eine ganz eigenartige Empfindung in allen Geweben, anfangs nicht schmerzhaft, aber bis zum Schmerz sich steigernd. Für den Hauptsitz derselben glaubt er das Periost halten zu sollen. Dann schildert er die Erscheinungen bei unabsichtlichen „Kälteverbrennungen“ durch Metalle oder Flüssigkeiten, die kälter als — 80° waren, und die er ganz verschieden von denen bei gewöhnlichen Verbrennungen fand. Er unterscheidet zwei Grade solcher Kältewirkungen. Beim 1. Grad rötet sich die Haut zuerst und färbt sich am nächsten Tage violett. Noch mehrere Tage vergrößert sich der Fleck, gewöhnlich bis auf das Doppelte seiner anfänglichen Größe. Man hat in demselben und in seiner Umgebung die Empfindung eines sehr schmerzhaften Juckens. Erst nach 5—6 Wochen verschwinden solche Flecke. Beim 2. Grade wird die verbrannte Stelle nekrotisch und durch Eiterung entfernt. Nach den Angaben des Verf.s, der nicht sagt, wie diese Verletzungen behandelt werden, scheint sich nur sehr langsam eine Demarkationslinie zu bilden, und die Eiterung dauert monatelang. Bei den Versuchen über die Widerstandsfähigkeit der Warmblüter gegen Abkühlung wurden derartige Einwirkungen ausgeschlossen. Hunde oder Meerschweinchen wurden in sorgfältig gepolsterten Kältekasten, gewissermaßen in ein Bad von kalter trockener Luft gebracht, so dass sie nur durch Strahlung Wärme verloren. Es zeigte sich, dass sie Luft von — 100° bis — 130° ohne sofortigen Schaden atmen können. Folgender Versuch ist genauer beschrieben. 302 Pietet, Anwendung niedriger Temperaturen. Ein glatthaariger Hund von 8 Kilogramm Gewicht wird in den auf — 92° abgekühlten Kältekasten gebracht. In seine hintere rasierte Sehenkelbeuge ist ein Thermometer eingeführt und durch Festbinden des Beines am Rumpf fixiert. Gleich nach dem Einführen in den Kältekasten werden Atmung und Puls beschleunigt und in den ersten 13 Minuten immer rascher. Während dieser Zeit steigt das Thermometer in der Schenkelbeuge um !/, Grad. Der Hund wird unruhig. Nach 25 Minuten ist die Temperatur in der Schenkelbeuge wieder auf ihren Anfangswert gesunken; der Hund frisst gierig Brod, welches er vor dem Experiment gesättigt zurückgewiesen hatte. Die Respira- tion bleibt tief und beschleunigt. Nach 40 Minuten sind die Füße sehr kalt, die Temperatur der Schenkelbenge hält sich fast unverändert um 37°. 1 Stunde 10 Min. nach Beginn des Experimentes ist der Hund ruhig geworden, aber atmet tief und sucht zeitweise die Beine zu be- wegen. Der Puls ist noch mehr als vorher beschleunigt, deutlich an der Carotis fühlbar, die Extremitäten noch kälter. In der nächsten halben Stunde frisst der Hund etwa 100 g Brod. Sein Zustand ist kaum verändert. Die Temperatur der Schenkelbeuge sinkt nur um !/, Grad. Danach wird ganz plötzlich die Respiration schwächer, der Puls wird flüchtig, und die Temperatur sinkt jäh. Als dieselbe auf 22° ge- sunken ist, wird das bewusstlose Tier aus dem Kasten genommen; es gelingt nicht mehr, es wieder zu beleben. Die Pfoten sind schon ge- froren. In diesem und anderen Experimenten mit demselben Ergebnis zeigt sich deutlich die Macht der temperaturregulierenden Apparate der Warmblüter, die 1'/; Stunden lang einen mittelgroßen Hund unter so ungünstigen Verhältnissen seine Innentemperatur nahezu bewahren lassen, bis sie plötzlich erlahmen und damit der Tod eintritt. Der Verf. erscheint außerordentlich überrascht durch die anfängliche Stei- gerung der Temperatur in der Schenkelbeuge, was jedoch den nicht überraschen wird, der weiß, dass dieselbe Erscheinung, freilich in kleinerem Maßstab, in der menschlichen Achselhöhle im kühlen Bade beobachtet wird. Verf. glaubt hieraus, aus der Steigerung der Atem- und Pulsfrequenz und der Fresslust der Tiere auf eine Steigerung des Stoffwechsels schließen zu dürfen, eine Folgerung, deren Notwendig- keit im Anschluss an die erwähnte frühere Beobachtung schon mit triftigen Gründen bestritten wurde, da sieh die Erscheinung unge- zwungen auf Aenderungen in der Blutverteilung zurückführen lässt. Außerordentlich interessant sind folgende Beobachtungen an poi- kilothermen Wirbeltieren, die mit früheren in dieser Zeitschrift ver- Pietet, Anwendung niedriger Temperaturen. 303 öffentliehten Untersuchungen!) in kaum erklärlichem Widerspruch stehen. Verf. fand, dass Goldfische und Schleien, wenn er sie etwa 24 Stunden in Wasser von 0° gehalten und dann langsam bei — 8° bis — 15° hatte gefrieren lassen, so dass sie in einen kompakten Eis- block eingeschlossen waren und einzelne herausgebrochene Fische durch und durch gefroren und brüchig gefunden wurden, nach langsamem Auftauen wieder umherschwammen wie vorher. Erst nach einer Ab- kühlung unter — 20° werden diese Fische getötet. Frösche fand Verf., ebenfalls im Gegensatz zu den Versuchen und Beobachtungen von Kocehs, noch widerstandsfähiger. Sie vertragen Gefrieren und Ab- kühlen auf — 28°; bei Abkühlung auf — 30° und — 35° sei der größte Teil zu grunde gegangen. Eine Blindschleiche vertrug ebenfalls eine Abkühlung auf — 25°, aber nicht mehr eine zweite auf — 35°. Einzelne Gewebe dieser Tiere scheinen noch viel zäher zu sein. So fand der Verf., dass die Flimmerzellen des Frosehgaumens erst bei — 90° ihre Lebensfähigkeit einbüßten. Einmal nicht ganz so weit abgekühlt und wieder aufgetaut, begannen sie von neuem zu flimmern. Krebstiere und Weichtiere erscheinen noch widerstandsfähiger: drei Asseln überlebten Abkühlungen auf — 40° und — 50° und gingen das dritte Mal bei — 90° zu grunde. Drei Weinbergschnecken blieben mehrere Tage in einer Temperatur von — 110° bis — 120°: zwei, welche Sprünge in der Schlussplatte zeigten, blieben tot; die dritte, unversehrte, kam davon. Auch mit Eiern verschiedener Tiere experimentierte Verf. Vogel- eier blieben tot und entwicklungsunfähig bei einer Abkühlung auf — 2° und — 3°. Bei einer Abkühlung auf nur — 1° seien sie brutfähig ge- blieben; da Verf. nicht angibt, wie er sich von der Temperatur der Bier selbst überzeugte, und dieselben zur Temperaturmessung nicht verletzt zu haben scheint, so ist wohl der Zweifel gestattet, ob die- selben wirklich unter 0° abgekühlt gewesen seien. Froscheier über- lebten, im Verlauf mehrerer Stunden bis auf — 60° abgekühlt, und entwickelten sich zu Kaulgquappen. Bei rascherer Abkühlung gingen sie zu grunde. Ameisenpuppen, die ja eigentlich gar nicht in diese Reihe gehören, zeigten sich recht empfindlich, und zwar verschieden nach dem Ent- wicklungsstadium. Alle gingen zwischen — 0° und — 5° zu grunde, die am weitesten entwickelten auch sehon bei mehrstündiger Abküh- lung auf + 5°. Sehr widerstandsfähig sind dagegen Seidenspinnereier. Gleich nach der Ablage in die Kältekammer gebracht, können sie ohne Schaden 1) Kochs, Ueber die Ursachen der Schädigung der Fischbestände im strengen Winter. Biol. Centralbl., Bd. XI, S. 498 ff. 304 Neunzehnte Versammlung des Vereins für öffentl. Gesundheitspflege. auf — 40° abgekühlt und den ganzen Winter über bei niederen Tem- peraturen aufbewahrt werden. Damit wird nicht nur ihre Entwick- lung verzögert, bis im Frühjahr wieder Futter zur Aufzucht der Würmer vorhanden ist, sondern sie sollen dadurch auch immun werden gegen die gefährlichen infektiösen Krankheiten, die den anders gezüchteten Seidenwürmern drohen. Diese Beobachtungen sind auch schon prak- tisch in der Seidenzucht verwertet worden. Rädertiere und andere Infusorien untersuchte Verf. in dem unreinen Wasser, in dem sie sich gut entwickeln. Er ließ dasselbe gefrieren und konnte nach einer Abkühlung auf — 60° keine Abnahme derselben finden. Fast 24 Stunden lang auf — 80° bis — 90° abgekühlt, gingen sie zum größten Teil zu grunde: Nach einer Abkühlung auf — 150° bis — 160° fanden sich nur Leichen derselben. Anders wie alle angeführten Tiere verhalten sich trockene Dia- tomeen, Bakterienkulturen, Sporen und Samen höherer Pflanzen. Verf. setzte sie den niedrigsten erreichbaren Temperaturen aus, tauchte sie in flüssige atmosphärische Luft von beinahe — 200°, ohne dass ihre Lebens- und Keimfähigkeit gelitten hätte. Manche organische Substanzen dagegen, wie die Ptomaine und die wirksamen Prinzipien einiger Impfflüssigkeiten werden durch hohe Kältegrade zerstört. Verf., der es für bewiesen hält, dass es keimfreie Impfflüssigkeiten gebe, glaubt in diesem Verhalten zu niederen Tem- peraturen einen Entscheidungsgrund finden zu können, ob die Gift- wirkung eines Impfstoffs auf keinen oder auf solchen ptomainähnlichen Stoffen beruhe. W. Neunzehnte Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, die zu Magdeburg vom 19. bis 22. September 1894 stattfinden wird. Als Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht genommen: 1) Die Maj/sregeln zur Bekämpfung der Cholera; 2) Hygienische Beurteilung von Trink- und Nutzwasser; 3) Die Notwendigkeit extensiverer Bebauung und die recht- lichen und technischen Mittel zu ihrer Ausführung; 4) Beseitigung des Kehrichts und anderer städtischer Abfälle, besonders durch Verbrennung; 5) Abtritts- und Ausgufseinrichtungen in Wohnhäusern; 6) Zulässigkeit der Gasheizung in ge- sundheitlicher Beziehung. Einsendungne für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipiig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der IR in Bun 24 Nummern \ von ie ge Zi Bogen bilden einen "Band. Preis des Bandes EN) Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. zV. Band. 1. Mai 1894. Ri; 2. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie (Schluss). — Festschrift für August Weismann. — Chittenden, Neuere physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. — Keller, Pädagogisch- psychometrische Studien (2. Mitteilung). Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Schluss. V. Anpassungen an die Niederschläge. E. Stahl, Regenfall und Blattgestalt. Annales du Jardin botanique de Buitenzorg, Vol. XI, S. 98—182, 1893. 15) Neben der großen Gleichmäßigkeit der Wärme ist der große Wassergehalt der Luft ein besonders charakteristisches Merkmal des Tropenklimas. Es ist also zu erwarten, dass in der Pflanzenwelt An- passungen an diese äußere Lebensbedingung nachzuweisen sind, deren Erkenntnis vielleicht auch einigen Aufschluss über gewisse Bau- und Gestaltungsverhältnisse unserer heimischen Pflanzen giebt. Eine erste Anpassung ist, wie Stahl in seinen Untersuchungen über Regenfall und Blattgestalt zeigte, in der Blattgestalt zu sehen, in der Entwicklung einer oft langen, limeallanzettlichen, schwanz- förmigen Spitze, die dem Blatte namentlich in jenen Fällen ein eigen- tümliches Aussehen verleiht, wo eine rundliche ganzrandige Spreite plötzlich in sie verjüngt ist. Stahl nennt diesen Fortsatz der Spreite die Träufelspitze. Sie ist unter den tropischen Pflanzenfamilien ver- schiedenster systematischer Stellung, bei Farnen, Gymnospermen, Mono- cotylen und Dieotylen, sehr verbreitet. Die Träufelspitze ist aber auch XIV. 20 306 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. nieht an eine bestimmte Form oder Beschaffenheit der Spreite gebunden. Einfache und zusammengesetzte Blätter, solche mit behaarter und glatter Fläche, von lederartiger, krautiger oder fleischiger Beschaffen- heit zeigen sie. Die Träufelspitze ist bei manchen tropischen Pflanzen, die an sehr feuchten, schattigen Standorten wachsen, eine ziemlich breite, flache Rinne. „Bei allen Blättern mit breitrinnigem Träufel- apparat tropft selbst bei spärlichem Regen .das aufgefangene Wasser direkt von der Oberseite des Rinnenendes ab“. Von den flachen in ein sehr dünnes Ende auslaufenden Träufelspitzen, die häufiger als die vorige Form sind, rieselt das Wasser bei heftigem Regen als zusammen- hängender Faden herab. Eine nicht seltene Form der Träufelspitze, die auch bei vielen unserer heimischen Pflanzenarten, wie z. B. bei Acer platanoides, Sambucus nigra, Urtica droica, Cannabis sativa ete., sich findet, ist jene mit gekrümmtem Ende. In welch hohem Grade die Trockenlegung der Spreite durch die Träufelspitze, die das Abfallen der Wassertropfen erleichtert, gefördert wird, stellte Stahl experimentell an einer Acanthacee (Justieia picta) fest. „Die Blätter dieser Acanthacee enden in eine etwa zentimeter- lange oft säbelförmig gekrümmte Spitze, von welcher beim benetzten Blatte das Wasser in kleinen Tropfen abträufelt. Sechs möglichst gleich gestaltete Blätter dieser Pflanze wurden nebeneinander mittels Stecknadeln auf einem Brettchen befestigt, so dass die Spitzen über dasselbe hervorragten. Nachdem die Spreiten gleichmäßig mit Wasser bespritzt worden waren, wurde das Brettchen in einem Winkel von etwa 30° zum Horizont befestigt. Nach etwa 20 Minuten waren sämt- liche Spreiten entweder ganz entwässert oder es befand sich nur noch an der Spitze ein kleiner, bald verdunstender Tropfen. Sofort wurde der Versuch wiederholt, nachdem aber vorher an drei Blättern mit der Scheere die Spitze entfernt und durch ein abgerundetes Ende er- setzt worden war. Während die unversehrten Blätter nach kurzer Zeit nur noch an der verlängerten Spitze benetzt waren, hielt sich an den künstlich abgerundeten Spreitenenden ein großer Wassertropfen, von dem aus das Wasser sich den vertieften Nerven entlang kapillar weit hinaufzog. Erst nach etwa einer Stunde waren auch diese Blätter wasserfrei“. Aehnlich, zum Teil noch frappanter, waren die Versuchs- ergebnisse mit andern Pflanzen. Gleich benetzte Blätter von Coffea arabica waren durch die Träufelspitze nach einer viertel Stunde trocken gelegt, ohne dieselbe dauerte es bis zur Entwässerung zwei Stunden. Es vermag sich also an der fein ausgezogenen Spitze der Tropfen nicht so leicht zu halten, wie an der Spreite mit abgerundetem Ende. Je länger er ist, um so mehr rückt der hängende Tropfen von der Spreite weg, um so weniger also kann letztere von ihm aus durch kapillar aufsteigendes Wasser wieder befeuchtet werden. Die Bedeu- tung der säbelförmigen Krümmung ist darin zu suchen, dass von ihr, Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 307 wie Versuche mit Blättern von Boehmeria urticaefolia lehrten, in der gleichen Zeit dreimal so viel Tropfen abfielen, wie von der geraden Spitze. Die Tropfen waren aber kleiner. „Beschleunigt wird das Ueber- fließen bei den Säbelspitzen dadurch, dass der der Oberseite aufliegende Tropfen stark über den untern Rand der gekrümmten Spitze hinaus überhängt. Von der Unterseite fällt dann der hängende Tropfen leicht ab“. Blätter mit Träufelspitze sind, wie z.B. das Eintauchen ins Wasser lehrt, durch leichte Benetzbarkeit ausgezeichnet, eine Eigenschaft die allerdings ja den jungen Blättern einer Pflanzenart in geringerem Grade zukommt, als den ältern. Die Nerven sind in jenen Fällen, in denen sie etwas vertieft sind, die Bahnen, in welchen sich das Wasser je nach der Lage des Blattes entweder gegen dessen Basis oder gegen dessen Spitze bewegt. Nicht selten sind diese alsdann durch größere Benetzbarkeit von der übrigen Blattfläche verschieden. Analoge Verhältnisse sind auch bei einhei- mischen Pflanzen zu beobachten, in denen die Nervatur, nicht wie Lundström seiner Zeit annahm, der Wasseraufnahme, sondern der Trockenlegung dient. „Die Stengelinternodien von Veronica chamae- drys sind bekanntlich mit zwei herablaufenden, wasserhaltenden Haar- reihen versehen und der rinnenförmige Blattstiel trägt auf seiner Ober- seite ebenfalls randständige Haarreihen. Stellt man einen vorher durch Eintauchen in Wasser benetzten Spross dieser Pflanze aufreeht mit der Basis in ein mit Wasser gefülltes Glas, so sieht man die benetzten Blätter nach kurzer Frist von dem anhaftenden Wasser befreit. Selbst von dem etwas überhängenden Blattende tropft das Wasser meist nicht ab, sondern bewegt sich den eingesenkten Blattnerven und dem rinnen- förmigen, am Rande behaarten Blattstiele entlang den Haarreihen des Stengels zu, um längs derselben dem Boden zugeführt zu werden... . Entfernt man die Haarreihen vom Stengel, ..... so bleibt das Wasser auf den Blättern und Blattstielen in großen Tropfen stehen, während es an den entsprechenden Teilen der intakten Sprosse bald nur noch in dünner, rasch verdampfender Schicht vorhanden ist. Bei dieser Pflanze wirken die benetzbaren Haarstreifen wie Löschpapiersauger. Sie entziehen der Blattfläche das Wasser, welches einmal in die Streifen aufgenommen dem Zug der Schwere folgend nach unten rinnt“. Papillöse Ausbildung der Epidermiszellen der sogenannten Sammt- blätter dient ebenfalls einer raschen Trockenlegung der Blattoberseite. Der auffallende Wassertropfen wird durch sie vermöge ihrer großen Benetzbarkeit sofort in eine dünne rasch verdunstende Wasserschicht ausgebreitet. Der Ueberschuss träufelt durch die Blattspitze ab. So sind also gerade jene Tropenpflanzen, welche an den allerfeuchtesten und schattigsten Standorten gedeihen, durch die höchst entwickelten Ein- richtungen zur Trockenlegung der Spreite ausgezeichnet. 308 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie . Wenn die Bedeutung der Träufelspitze die im voranstehenden auseinandergesetzte ist, dann wird man erwarten dürfen, dass zwischen der Benetzbarkeit der Spreite und ihrer Entwicklung eine gewisse Korrelation besteht. Sie wird den Blättern fehlen, deren Oberfläche nicht benetzbar ist. In der That beobachten wir, um aus den zahl- reichen Beispielen, die Stahl erwähnt, nur eines auszulesen, dass in der Gattung Rhus die oberseits leicht benetzbaren Fiedern bei R. typhina, R. glabra, BR. toxicodendron in eine lange Träufelspitze auslaufen, während die rundlichen vorn stumpfen oder abgerundeten Blätter von R. cotinus schwer benetzbar sind. „Der Umstand, dass die Blätter, von deren Oberfläche das Wasser abrollt ohne sie zu benetzen, des Träufelapparates entbehren, ist ein neuer indirekter Beweis für die Bedeutung der Träufelspitze“. Welches ist nun die Bedeutung der Entwässerung der Blattfläche ? Der Nutzen der Wasserableitung kann in folgenden Momenten gesucht werden. Der erleichterte Abfall des Regenwassers entlastet das Blatt- werk. Durch die leichte Entwässerung wird die Reinigung der Blatt- oberfläche, wie schon Junger in einer Studie über die Pflanzen von Kamerun darthut, befördert. „Das Wasser spült die Blattoberfläche rein von kleinen Tieren und deren Exkrementen und ebenso von allen Moosen, Flechten, Algen nnd Pilzsporen, welche sich beim Vorhanden- sein der Absonderungsprodukte dieser Tiere anheften und keimen kön- nen“. Diese die Blätter überwuchernde Vegetation ist aber oft eine sehr üppige, so dass die Assimilations- und Transpirationsthätigkeit allerdings in schädigender Weise beeinträchtigt werden kann. Eine sichere Beziehung zwischen der Epiphyllenvegetation und der leichten Eintwässerung ist aber doch noch nicht gefunden, da natürlich nur umfangreichere Vergleichungen, welche auch die die Ansiedelung mehr oder weniger erleichternde Oberflächenbeschaffenheit und die die Vermehrung der Ansiedler begünstigende Lebensdauer der Blätter zu berücksichtigen haben, diese Frage wirklich zu entscheiden ver- mögen. Von Einfluss auf die Transpiration muss die Entwässerung werden. Die außerordentliche Feuchtigkeit der Luft ist zwar, wie die riesigen Dimensionen oft dünner Blätter beweisen, der Flächenentwicklung der Assimilationsorgane und damit der Assimilation sehr förderlich. Da- gegen sind „die Bedingungen für eine ergiebige Transpiration, welche eine hauptsächliche Bedingung der Aufnahme mineralischer Nährstoffe ist, wieder sehr ungünstig und man wird daher erwarten dürfen, nicht nur in der Größe und Dünnheit der Blätter, sondern auch in innern anatomischen Eigentümlichkeiten Einrichtungen zu finden, „durch welche die Transpiration gesteigert werden kann“. Die rasche Wasserableitung muss nun namentlich da, wo die Blätter dem direkten Sonnenlichte seltener ausgesetzt sind, für die wirksame Transpiration von größter Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 309 Bedeutung sein. Haftet das Wasser in großen Tropfen auf der Fläche, dann werden sie sich wenigstens da, wo das Blatt nicht der direkten Sonnenbestrahlung ausgesetzt ist, lange zu halten vermögen „und während ihres langsamen Verdampfens die Temperatur des Blattes herabsetzen und mithin die Wasserdampfabgabe durch die Spaltöffnungen wesentlich beeinträchtigen“. Kerner hat in seinem Pflanzenleben auf die Bedeutung der Ent- wässerung des Blattwerkes für die Berieselung der Wurzeln aufmerk- sam gemacht. Wenn diese für unsere einheimischen Pflanzen wesent- lich werden kann, so ist sie jedenfalls für die im feuchten tropischen Klima vegetierenden Pflanzen erst recht von Bedeutung. Die Träufelspitze ist, wie die Vergleichung verschiedener Special- floren Javas lehrt, ein eigentliches Wahrzeichen der hygrophilen Flora. „In dem lichten Gebüsch, auf dem fast 3000 m hohen Gipfel des Pangerango, fehlt es allerdings nicht an Sträuchern mit gut entwickelter Träufelspitze, doch sind dies meist Arten, die aus tiefern Lagen bis hierher emporgestiegen sind. Viele der charakteristischen Bewohner jener bedeutenden Bergeshöhen haben am Ende abgerundete oder gar ausgerandete Blätter. Lange Träufelspitzen sind selten auf diesen lufttrockenen Berggipfeln, deren Vegetation einen ausgesprochenen Xerophytenhabitus aufweist. Auch in den verschiedenen Formationen (des Meeresstrandes ist, was bei dein xerophyten Charakter jener Stand- orte leicht zu begreifen ist, die Zuspitzung der Blattspreiten zu einem Träufelapparate nur selten vorhanden. Ueberhaupt wird man finden, dass Blätter, die durch ihre übrige Organisation gegen starke Ver- dunstung geschützt sind, entweder keine oder doch nur kurze Träufel- apparate besitzen. Die langen Anhängsel, die unter günstigeren Vege- tationsverhältnissen gewöhnlich schon frühzeitig, lange vor dem Absterben des übrigen Blattes, zu vertrocknen beginnen, verbieten sich dort, wo die Blätter immer oder auch nur vorübergehend mit Wassernot zu kämpfen haben“. Schon im Vorangehenden wurde gelegentlich darauf hingewiesen, dass auch an unseren einheimischen Pflanzen die Träufelspitze zu be- obachten ist und zwar hauptsächlich an schattenreichen und feuchten Standorten. Interessant ist ein Vergleich im dieser Beziehung zwischen mitteleuropäischen Arten und vikariierenden der vereinigten Staaten. „Die Blätter des Carpinus carolinia sind länger zugespitzt als die von ©. betulus; die amerikanische Buche hat nicht nur stärker gesägte, sondern auch länger zugespitzte Blätter als ihre europäische Ver- wandte. Bei unserer europäischen Zitterpappel sind die Blätter am Ende stumpflich oder spitz, bei der vikariierenden nordamerikanischen Populus tremuloides sind sie dagegen mit kurz vorgezogener scharfer Spitze versehen. Viburnum americanum hat viel länger zugespitzte Blattlappen als unser ihm nächst verwandtes V. opulus“. Daraus muss >40 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. man also schließen, dass diese amerikanischen vikariierenden Arten unter anderen Feuchtigkeitsverhältnissen stehen als ihre europäischen Verwandten. Die klimatologischen Verhältnisse sind in der That in Nord-Amerika denen feuchttropischer Klimaten während des Sommers ähnlich. „Die hohe Sonnenwärme neben reichlichen Niederschlägen, die zumeist in Form von Gewittern fallen, und eine denselben ent- sprechende Luftfeuchtigkeit geben dem Klima im Osten der vereinigten Staaten im Sommer ein halbtropisches Gepräge“ (Hann). Kann man nun auch nicht aus dem Fehlen der wasserableitenden Spitze ohne weiteres auf ein trockenes Klima schließen, so weist doch das Vorkommen der Träufelspitze auf eine an Niederschlägen reiche Heimat der Pflanze hin. Damit erhält die Blattgestalt auch ein große Bedeutung als Wegleiterin bei der Beurteilung klimatologischer Ver- hältnisse früherer geologischer Perioden. „Einen sichern Rückschluss gestatten die ganzrandigen Blätter mit plötzlich verjüngter Spitze. Diese Folgerung von Blattgestalt auf Klima ist gewiss weit zuverlässiger als die auf die oft zweifelhafte Familienzugehörigkeit fossiler Pflanzen- reste gegründete, da hier immer der Einwand offen bleibt, dass Familien, die man jetzt nur aus den Tropen kennt, in frühern Erdperioden viel- leicht, wenigstens in manchen Vertretern, in ihren Ansprüchen auf Wärme und Feuchtigkeit sich anders verhalten haben können als in der Jetztzeit. In unserem Fall haben wir es mit einem Merkmal zu thun, welches Pflanzen aus den verschiedensten Verwandtschaftskreisen bis zu den uralten Farnen hinab zukommt und ein sehr verbreitetes An- passungsmerkmal darstellt, das gewiss auch schon in frühesten Land- floren zur Ausbildung gelangt sein wird, vorausgesetzt, dass die ent- „sprechenden klimatischen Verhältnisse geherrscht haben“. Da Stahl selbst diesen Gedanken nicht weiter verfolgt, wollen wir am Schlusse des Referates dieser Angelegenheit für einige vorweltlichen Floren- gebiete unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Eine andere Erscheinung, die wohl ebenfalls als eine Anpassung an die reichlichen und häufigen Niederschläge aufzufassen ist, erwähnt Stahl. „Während bei unseren einheimischen Bäumen und Sträuchern die aus der Knospenlage getretenen Blätter meist lange vor ihrer vollen Ausbildung die endgiltige, hauptsächlich vom Lichte abhängige Stellung einnehmen, tritt die definitive Lage der Blätter vieler Tropenpflanzen erst nach vollendetem oder doch beinahe vollendetem Wachstum der Spreite ein. Vorher hängt die letztere mit abwärts gerichteter Spitze schlaft von den Zweigen herab und manche Bäume und Sträucher erhalten da- durch zur Zeit der Blattentfaltung ein sehr eigentümliches Aussehen, welches nicht selten noch dadurch erhöht wird, dass die jungen Blätter eine vom Grün abweichende oft bunte Färbung besitzen“. Diese hän- gende Stellung können aber nicht nur die Blätter, sondern auch die Zweige bis zur völligen Entwicklung jener einnehmen. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 311 Solehe Hängeblätter finden sich bei Arten sehr verschiedener Familien, nicht nur bei solchen, die nur in den Tropen verbreitet sind, sondern auch bei tropischen Repräsentanten von Genera der gemäßigten Zone, wie z. B. bei Eichen- und Ahornarten. Hängeblätter und Hängezweige finden sich bei Holzgewächsen der gemäßigten Zone nur selten. Stahl macht auf Aesculus hippo- castanum aufmerksam, dessen Blattstiel bei der Entfaltung der Triebe sogleich annähernd die definitive Stellung emnimmt, während die zarten, leicht zerschlitzbaren Blättchen dies erst viel später thun. Die Hängelage hat wohl zunächst eine physiologische Bedeutung. Die hohe Wärme und die große Luftfeuchtigkeit des tropischen Klimas ermöglichen eine außerordentlich rasche Entfaltung der Zweige und Blätter. „Die Entfaltung wird am schnellsten vor sich gehen können, wenn an den wachsenden Teilen die Verdiekung der Zellwände, die Ausbildung besonderer mechanischer Elemente, welche hemmend auf das Wachstum wirken, vorderhand unterbleiben“. Aber die Beobach- tung, dass die Erscheinung des Hängens der Zweige und Blätter nur wenigen Gattungen zukommt, und dass auch die hängenden Blätter keineswegs allgemein verbreitet sind, lässt es zweifellos erscheinen, dass der Erscheinung auch eine biologische Bedeutung zukommt. Es ist kaum zu bezweifeln, dass man es hier mit einer Schutz- vorrichtung .der jugendlichen noch zarten Teile zu thun hat. Die Versuche ergeben, dass im Schutz, den die hängende Lage gegen direkte Insolation und damit auch gegen die transspirationssteigernde Wirkung der Sonnenstrahlen bietet, ihre Bedeutung nicht zu suchen ist. Durch ihre Lage sind aber die zarten Blätter in hohem Maße vor den mechanischen Schädigungen des fallenden Regens geschützt. „Bei der sroßen Mehrzahl der Tropenpflanzen fällt das Austreiben neuer Triebe in den Beginn der Regenzeit, welche in dieser Beziehung unserem Früh- ling entspricht. Fast täglich gehen dann Regengüsse nieder, von denen man trotz aller Beschreibung sich keine richtige Vorstellung zu bilden vermag, wenn man nicht selbst das Prasseln der schweren Regentropfen auf dem Laubdach der Tropenbäume gehört und die Verwüstung ge- sehen hat, welche die wolkenbruchartigen Niederschläge häufig hervor- rufen. Tausende von Blüten, altes und junges Laubwerk, ja ganze Aeste liegen nach starken Regengüssen auf den Boden umher. Es leuchtet ein, dass die jungen, in Entfaltung begriffenen Blätter der Bäume jener Regionen in weit stärkerem Maße gefährdet sind, als die unserer einheimischen Gewächse. Zerschlitzung und Zerreissung der jungen Spreiten und gar völlige Abtrennung unter der Wucht der auf- fallenden Tropfen wird das Loos der Blätter sein, die nicht von hin- reichend fester Beschaffenheit oder durch die Lage ihrer Spreite gegen den Regenfall geschützt sind. Es darf daher nieht Wunder nehmen, wenn zahlreiche Pflanzen aus verschiedenen Familien ihre jungen 3129 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Blätter durch Vertikalstellung schützen und man wird wohl nicht irre sehen, wenn man die Hängelage der jungen Blätter als eine Anpassung an die starken Regengüsse der Tropen betrachtet... .. So lange die Blätter noch zart sind, können sie bei ihrer Hängelage von den fast immer vertikal niedergehenden Regentropfen nur unter sehr spitzen Winkeln getroffen werden. Die Aufrichtung erfolgt erst dann, wenn das ausgewachsene, fester gewordene Blatt besser im Stande ist der Wucht des Regens zu trotzen“. Dauernde Hängeblätter findet man bei verschiedenen Arten, die durch gewaltige Entwicklung ihrer ungeteilten Spreiten ausgezeichnet sind. Für sie ist ja die Gefahr der Beschädigung durch den fallenden Regen ganz besonders groß. Nicht nur die Blattstellung, sondern auch die Blattgestalt steht zum Regenfall in ganz bestimmter Beziehung. .. „Zerteilung der Spreite in Lamellen, die unabhängig von einander sich biegen und wieder auf- richten können, ist für die horizontale Blattspreite ein sehr einfaches Mittel den vom Regenfall drohenden Gefahren zu begegnen. Der Regen- fall ist in seinem Einfluss auf die Blattgestalt, natürlich nicht ein direkt formbestimmender Faktor, vielmehr auf die Auslese der geeigneten Variation beschränkt. „Die sichtende Auslese hat nur diejenigen Formen bestehen lassen, die sich dem Regenfall in der einen und andern Weise angepasst haben“. Der gefahrbringenden Wucht des fallenden Regens kann das ein- fache Blatt entweder durch seine große Rlastizität gepaart mit Bieg- samkeit oder durch beträchtliche Derbheit begegnen. „Die l2derartige Beschaffenheit der Blätter fast sämtlicher großblätteriger Tropenbäume ist von diesem Gesichtspunkte aus — der andere nicht auszuschließen braucht — begreiflich“. Kann die Spreite durch den anprallenden Regen in einzelne Streifen geschlitzt werden, dann wird das Blatt auch durch den heftigsten Regenfall, durch stärksten Wind nur schwer ge- kniekt werden, da die beweglichen Blattstreifen dem Regen und Wind keine große Angriffsfläche mehr bieten. Diese Anpassung ist bei Musa- eeen, die die größten einfachen Blattspreiten besitzen, verwirklicht. Diese Zerschlitzbarkeit wird unter Umständen durch eine besondere Entwicklungsweise, wie Karsten für die südamerikanische Heliconia dasyantha zeigte, vorbereitet. „Die Zerreissung, die einer Seitenrippe entlang stattfindet, beginnt in der Mitte zwischen Rand- und Haupt- rippe des Blattes und zwar geht sie zunächst von der Unterseite der Lamina aus, deren Oberhaut stets dicht einem Nerven entlang ge- sprengt wird. Die im intakten Blatt vorhandenen Spannungen ver- danken ihre Entstehung dem frühzeitigen Absterben eines schmalen Randstreifens zur Zeit, wo die gesamte Mittelpartie der Blattspreite noch nicht völlig ausgewachsen ist. Die Spannungen verraten sich schon äußerlich durch mehr oder weniger auffallende Krümmungen Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 315 der Spreite uud sind so stark, dass schon der Anprall weniger großer Regentropfen genügt, um die Lamina zum Platzen in einzelne sich entweder gleich oder auch erst später vollständig von einander tren- nende Streifen zu bringen. Werden die Pflanzen durch ein Dach gegen den Tropfenfall geschützt, so bleiben die Spreiten der neuentfalteten Blätter ganz, auch wenn sie dem Einfluss des Windes ausgesetzt sind“. Da diese Streifen die Assimilation noch lange besorgen können, erweist sich also die Zerschlitzbarkeit als eine sehr gute Anpassung. Bei den Palmen kommt ein gleiches Verhältnis trotz der Größe ihrer Blätter nur selten vor. Gewöhnlich sind bei ihnen die der Anlage nach einfachen Spreiten schon beim Austritt aus der Knospenanlage zerschlitzt. „Was bei den Musaceen in roher, unvollkommener Weise gewissermaßen dem Zufall, d. h. den direkten Einflüssen von Regen und Wind überlassen ist, wird hier im normalen Entwieklungsgang des Blattes durch eigentümliche Wachstums- und Differenzierungsvorgänge hergestellt; die Teilungen der Spreite entstehen durch Auflösung und Zerreissung der an den Falten des jugendlichen Blattes liegenden Gewebepartien“. In der Anpassung an den Stoß starken Regenfalles kommt also das Prinzip der Materialersparnis zum Ausdruck. Denn wenn eine Spreite von gleicher Gesamtoberfläche und im übrigen gleicher Struktur vor dem Geknicktwerden ebenso geschützt sein soll, wie die gleich große zerschlitzte und deshalb leicht ausbiegende Spreite, dann muss sie ungleich stärker, also mit ungleich mehr Material gebaut sein. Eine Anpassung an den Regenfall liegt auch dann vor, wenn mit der Vereinfachung der Spreite eme Verlängerung verbunden ist, wie bei vielen tropischen Eichenarten. Denn durch die Verlängerung wird eine elastischere, dem Regen also leicht nachgiebige Lamelle erzeugt. Bei vielen unserer Kräuter beobachten wir, dass die Blätter in zweierlei Stellung oder in zweierlei Formen vorkommen. Im ersten Fall sind die grundständigen Blätter ausgebreitet, die stengelständigen dagegen mehr oder weniger aufrecht. Die dem Boden anliegenden Blätter sind natürlich der Gefahr der Kniekung oder Abtrennung viel weniger ausgesetzt als die stengelständigen; denn für jene dient der Boden als Widerlage. So erweist sich also die aufrechte Stellung als Schutz gegen Stoß durch fallenden Regen. Das gleiche gilt für die Entwicklung zweierlei Blattformen. Die stengelständigen Blätter haben die Teilung ihrer Spreite weiter entwickelt als die grundständigen, welche oftmals im Gegensatz zu jenen ungeteilt sind. 14 Festschrift für August Weismann, Festschrift für August Weismann. Berichte der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br., VIII. Bd. Zoo- logische Abhandlungen, August Weisman zu seinem sechzigsten Geburts- tage, 17. Januar 1894, gewidmet von C. Apstein, H. Blanc, ©. Bürger, F. Dahl, A. Fritze, A. Gruber, V. Häcker, H. Henking, C. Ischi- kawa, E. Korschelt, O. vom Rath, H.E. Ziegler und von der natur- forschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br. Mit 6 Tafeln und 14 Abbildungen im Text. Bei dem erhöhten Eifer, mit welehem in neuerer Zeit das Studium der Kernteilung von den verschiedensten Seiten gefördert wird, ist es einleuchtend, dass man auch den Vorgängen der Kernteilung bei den Protozoen ein besonderes Interesse zuwendet. Auch bei den Einzelligen scheint nach den neueren Untersuchungen die indirekte Kernteilung die Regel zu sein und das biologische Centralblatt hat selbst bereits eine Reihe von Originalartikeln gebracht, welche sich mit dieser Frage be- schäftigen. In seiner Untersuchung „über die Kernteilung bei Noctiluca miliaris“ weist Ischikawa eine typische Mitose mit deutlicher Längsspaltung der Chromosomen und das Vorhandensein von Archoplasma und Centrosomen nach. Für andere Flagellaten liegen entsprechende Untersuchungen von Fisch, Zacharias, Blochmann, Wolfgramm und Keuten vor (vergl. Biol. Centralbl., Bd. XIV, 1894, S. 87 und 194). Unter dem Titel „Amöbenstudien* veröffentlicht Gruber einige Beobachtungen an den Kernen sich teilender Amöben, welche ihm darauf hinzudeuten scheinen, dass die indirekte Kernteilung, welche für Euglypha und Arcella unter den beschalten Rhizopoden nachge- wiesen ist, auch in der Unterordnung der nackten Amoebaeformia vor- kommt. Der ruhende Kern der untersuchten Amöben stellt ein bläschen- förmiges Gebilde dar, welches im Inneren eine zentrale maulbeerförmige Chromatinkugel enthält. Diese Chromatinkugel erscheint in den beiden Toehterkernen in eine Anzahl schwach färbbarer Körnchen aufgelöst. ‚ruber schließt sieh der Ansicht Ziegler’s an (Biol. Centralbl., XI, 1891, 8. 372), dass die mitotische Kernteilung auch bei den Protozoen die ursprüngliche Form ist, und dass alle Kerne, welche zur weiteren Fortpflanzung bestimmt sind, sich auf indirektem Wege teilen, während diejenigen, welche dem früheren oder späteren Untergang geweiht sind, einer amitotischen Zerschnürung verfallen. Die vor kurzem (S. 161 dieses Jahrganges) veröffentlichte Mitteilung von Sehaudinn zeigt aber, dass bei den Foraminiferen im normalen Verlauf des Vermehrungs- prozesses eine gleichmäßige direkte Zerteilung der Kernsubstanz in zahl- reiche Teilstücke erfolgt, welche zu ebensovielen Tochterkernen werden. Wie bei den Protozoen sind auch bezüglich der Metazoen die An- sichten über die Bedeutung der Amitose bis jetzt noch nicht völlig zur Festschrift für August Weismann. 315 Klarheit gediehen, doch scheint es in der Mehrzahl der Fälle sicher nachgewiesen, dass hier die direkte Kernzerschnürung die Degeneration der Zelle einleitet oder dass wenigstens die auf solehe Weise entstan- denen Zellen sich nieht weiter vermehren. In Anbetracht des wich- tigen und bestimmenden Einflusses, welchen der Kern im Leben der Zelle ausübt, müssen wir Ziegler beipfliehten, wenn er in seinem Aufsatz „über das Verhalten der Kerne im Dotter der mero- blastischen Wirbeltiere“ darauf hinweist, dass auch die Degenera- tionsformen der Kerne einer eingehenden Betrachtung wert sind. „Wenn man bei den Kernen die Zeichen der Degeneration genau kennen würde, so wäre dies auch für die histologische Deutung der Zellen oft von sroßem Vorteil, da man dann aus dem Aussehen des Kerns auf seine biologischen Verhältnisse, eventuell auf den bevorstehenden Untergang der Zelle schließen könnte“. Von diesem Gesichtspunkte aus hat er die großen Kerne untersucht, welche im Dotter meroblastischer Wirbel- tiereier nach Ablauf der Furchung zurückbleiben. Diese von ihm als Meganuclei bezeichneten Kerne liefern durch direkte Zerschnürung Tochterkerne, aus welchen nach der Ansicht einzelner Autoren Blasto- dermzellen hervorgehen sollen, welche sich später durch indirekte Teilung weiter vermehren. Nach seinen jetzt hauptsächlich an Torpedo ocellata angestellten Untersuchungen tritt Ziegler dieser Meinung ent- schieden entgegen, seime frühere, aueh von Hennegny, Wilson, Mehnert und anderen geteilte Ansicht, dass vom Zeitpunkte des Beginnes der Gastrulation an diesen Kernen und den aus ihnen hervor- gegangenen Teilungsprodukten keinerlei morphologische Beteiligung am Aufbau des Embryos zukommt, von neuem bestätigend. Ebensowenig beteiligen sich dieselben an der Bildung von Blut- und von Wander- zellen, eine Ansicht, worin er jetzt noch besonders Hoffmann und J. Nusbaum zum Gegner hat. Die wirkliche Bedeutuug der in Rede stehenden Kerne beruht auf ihrer physiologischen Thätigkeit bei der Assimilation des Dottermateriales. Ueber ihren Ursprung müssen wei- tere Untersuchungen angestellt werden. Rückert (Anat. Anz., 1892) hat beobachtet, dass die in frühen Furchungsstadien gefundenen Mitosen der Dotterkerne nur halb so viel Chromosome zeigen wie die Mitosen der Blastomeren und daraus geschlossen, dass dieselben von einge- drungenen überzähligen Spermatosomen herrühren müssten, deren Kerne bekanntlich nur die halbe Chromosomenzahl enthalten. Dieser Beweis ist aber nach Ziegler deshalb nicht bindend, weil durch neuere Unter- suchungen dargethan ist, dass auch bei anderen Zellen derartige halb- zählige Mitosen vorkommen. Die Meganuclei könnten also dennoch wohl aus Kernen der Furchungszellen hervorgegangen sein oder sie stammten vielleicht auch von beiden her. Ueber Polyspermie hat Blane |„Etude sur la fecondation de l’oeuf de la Truite“] am Ei der Seeforelle, Trutta lacustris, Be- 316 Festschrift für August Weismann. obachtungen anzustellen Gelegenheit gehabt, welche weiteres Material zur späteren Lösung der Frage liefern, wenn sie dieselbe auch vorder- hand nieht zur Entscheidung bringen. Polyspermie tritt bei der Forelle nicht regelmäßig, aber doch ziemlich häufig ein und ist nach Blane nicht als pathologischer Zustand zu betrachten. Der normale Befruch- tungsvorgang wird durch die eingedrungenen überzähligen Samenkörper nicht gestört, nur der zuerst eingedrungene bildet sich zum männlichen Vorkern um, die anderen erzeugen als Nebenspermakerne eine Attrak- tionssphäre, gehen später aber höchst wahrscheinlich zu Grunde. Vom Befruchtungsvorgange ist es Blane gelungen, ohne Lücke alle wich- tigen Stadien zur Ansicht zu bekommen. Der Schwanz des Samen- körpers wird nicht abgeworfen, sondern dringt mit in das Ei ein, wie dies von Kupffer und Bennecke auch bei Petromyzon beobachtet worden ist. Die Attraktionssphäre des männlichen Vorkernes entsteht aus dem Kopf des Samenkörpers, diejenige des weiblichen Vorkernes aus dem Kern des Eies, nachdem dieser die beiden Richtungskörper gebildet hat. Die beiden Vorkerne erhalten allmählich das gleiche Aussehen und auch genau dieselbe Größe, so dass sie schließlich nicht inehr von einander zu unterscheiden sind. Sobald sie aneinandergerückt sind, verschmelzen zunächst die Attraktionssphären, welche hier eine homogene helle Masse darstellen und kein Centrosom im Inneren er- kennen lassen, dann erst die beiden Kerne. Eine besondere Art der Eibildung wurde von Korschelt |„über eine besondere Form der Eibildung und die Geschlecehts- verhältnisse von Ophryotrocha puerilis“| an einem kleinen, bis ) mm langen Anneliden des Mittelmeeres beobachtet. Am distalen Einde des Ovariums differenzieren sich die ursprünglich ganz gleich- artigen Geschlecehtszellen in zwei Formen: die einen bekommen sehr große und ehromatinreiche Kerne, welche eime unregelmäßige Gestalt annehmen und die Merkmale zeigen, die man sonst an den Kernen sezernierender Zellen wahrnimmt, die Kerne der anderen Zellen da- gegen bleiben kleiner und durchsichtig. Letztere Zellen erweisen sich als Eier, die ersteren als Nährzellen. Sie sind derartig verteilt, dass immer je eine Nährzelle neben einem Bi liegt. Indem sich beide inniger mit einander vereinigen, lösen sie sich gleichzeitig zusammen vom Eierstock ab, so dass die Zellenpaare dann frei in der Leibes- höhle flottieren. So lange sie noch am Eierstock hafteten, überwog das Wachstum der Nährzelle, später kehrt sich das Verhältnis um, indem die Eizelle sich auf Kosten der Nährzelle vergrößert, welche schließlich ganz verschwindet. „Dieser Fall von Nährzellenbildung erscheint deshalb besonders einfach und instruktiv, weil immer nur eine Zelle einem Ei mitgegeben wird und weil diese beiden miteinander vereinigten Zellen infolge ihres freien Flottierens völlig unabhängig von anderen Zellen sind. Die Vermutung liegt hier ebenso wie bei Festschrift für August Weismann. 317 den Nährzellen anderer Tiere nahe, dass es sich um abortive Eizellen handelt, welehe die Funktion von Nährzellen annehmen“. Die Männchen von Ophryotrocha puerilis wurden von den früheren Beobachtern über- sehen, Korschelt fand, dass sie beinahe ebenso häufig sind wie die Weibchen. Außerdem machte er die Entdeckung, dass bei dieser Art außer Männchen und ‚Weibchen auch noch Zwitter vorkommen. Diese zeigen ein vielfach wechselndes Verhalten. Häufig findet man Exem- plare, wo die männlichen und weiblichen Geschlechtsdrüsen völlig von einander getrennt sind, indem die vorderen Segmente nur Hoden, die hinteren nur Eierstöcke enthalten. In anderen Fällen findet man in der mittleren Körperregion Geschlechtsdrüsen, welche gleichzeitig Eier und Samenfäden entstehen lassen, also echte Zwitterdrüsen, während vom echte Hoden, hinten echte Eierstöcke in demselben Individuum vorhanden sind. Schließlich kann man auch bei vorwiegend weiblichen Tieren mitunter einzelne Eierstöcke beobachten, welche nebenbei Samen- fäden produzieren und umgekehrt bei vorwiegend männlichen Tieren Hoden, welche, auch in den vorderen Segmenten, an einzelnen Stellen Eier hervorbringen. Die keife der männlichen Geschleechtsprodukte pflegt derjenigen der weiblichen vorauszugehen, so dass in der Regel die Selbstbefruchtung ausgeschlossen ist. Bürger bringt als Beitrag „Studien zu einer Revision der Entwieklungsgeschiehte der Nemertinen“ Die Kopf- und Rumpfscheiben, aus welchen der Embryo im Pilidium zusammenwächst, bestehen in den frühesten Stadien aus zwei Zellschiehten, einem hohen äußeren Zylinderepithel, welches sich von dem eingestülpten Ektoderin des Pilidium herleitet, und einem dünnen inneren Plattenepithel, welches vom Mesoderm, d. h. von den Zellen der Gallerte gebildet wird. Das Zylinderepithel wird später mehrschichtig und lässt das Epithel der Nemertine, die Kutis, die äußere Längsmuskelschicht und das Nerven- system aus sich hervorgehen. Letzteres entsteht nieht aus den Kopf- scheiben allein, wie Salensky angibt, diese bringen vielmehr nur die dorsalen Ganglien hervor; die ventralen Ganglien dagegen und die Seitenstämme entstehen in den Rumpfscheiben. Die Bildung der Ring- und inneren Längsmuskelschicht konnte aus Mangel an Material beim Pilidium nicht untersucht werden. In der Desor’schen Larve nehmen sie ihren Ursprung aus dem Mesoderm, so dass der dreischichtige Haut- muskelschlauch der Schizonemertinen also doppelten Ursprunges ist. Die Anlage des Rüssels entsteht aus einer besonderen, vorn zwischen den Kopfscheiben liegenden Einstülpung der Larvenhaut, nicht aus den Kopfteilen selbst. Bezüglich der Nephridien wird die Angabe Hub- rechts bestätigt, dass dieselben als paarige Ausstülpungen vom ekto- dermalen Oesophagus aus gebildet werden. Dureh die interessanten Untersuchungen von Boas „über den ungleichen Entwicklungsgang der Salzwasser- und der 318 Festschrift für August Weismänn. Süßwasserform von Palaemonetes varians“ (Zool. Jahrbücher, IV, Abt. f. Systematik u. s. w., 1889, S. 795) haben wir erfahren, dass diese Garneele, welche im nördlichen Europa im Salz- und Brack- wasser, im südlichen Europa aber im süßen Wasser lebt, je nach ihrem Aufenthaltsort eme ganz verschiedene Entwicklung durchläuft, trotz- dem die ausgebildeten Tiere sich vollkommen gleichen. Während die Salzwasserform als Zoea das Ei verlässt und sich selbständig ernährt, schlüpft aus dem doppelt so großen, mit reichlichem Nahrungsdotter versehenen Ei der Süßwasserform die viel plumpere Larve in einem bereits weiter fortgeschrittenen Stadium aus und ernährt sich anfangs nicht selbständig, sondern zehrt von den im Körper aufgespeicherten Dottervorräten. Erstere tritt nach dreimaliger Häutung in ein deut- liches Mysis-Stadium, letztere erreicht schon nach einmaliger Häutung das entsprechende Stadium, welches aber kaum angedeutet ist, da hier am dritten und vierten Thoracalfuß der bei der Salzwasserform vor- handene äußere Ast fehlt. Hoffentlich werden diese Beobachtungen bald dazu anregen, durch systematisch durchgeführte Zuehtversuche festzustellen, ob es möglich ist, auch künstlich in unseren Aquarien durch allmähliche Aenderung des Salzgehaltes die Meeresform in die Siüßwasserform überzuführen und umgekehrt. Die Frage „inwieweit durch äußere Bedingungen die Phasen der Entwicklung verschoben und ihre einzelnen Bilder verändert werden können, ohne dass das Schlussglied der Entwieklungsreihe, die fertige Form, modifiziert wird“ hatte auch Häcker bei seiner Arbeit „über die Entwicklung der Wintereier der Daphniden“ im Auge, als er dieselbe bei Moina paradoxa und einigen anderen untersuchte, um den verschiedenen Ent- wicklungsgang festzustellen, welchen das Tier durchläuft, je nachdem es sich aus einem Winterei oder aus einem Sommerei entwickelt. Es stellte sich heraus, dass die ersten Einkerbungen an der Oberfläche des Embryo, welche die Gestaltbildung einleiten, im Winter- oder Dauerei relativ früher auftreten als im Sommerei, nämlich schon vor Ausbildung der Keimblätter, beim Sommerei dagegen erst nachdem sich das untere Blatt vom Ektoderm losgetrennt hat. Die Dotterkerne entstehen im Winterei schon in den letzten Furchungsstadien, im Sommerei dagegen erst nach Bildung des unteren Blattes. „Ueber Saison-Dimorphismus und -Polymorphismus bei japanischen Schmetterlingen“ hat Fritze in Japan Unter- suchungen und Zuchtversuche angestellt und dabei unter anderem die bemerkenswerte Beobachtung gemacht, dass Papilio machaon und Colias hyale, welche bei uns während des Jahres in zwei völlig gleich ge- färbten Generationen fliegen, dort mit der steigenden Jahrestemperatur an Größe zunehmen und ihre Farbe verändern. Polyommatus phlaeas hat in Lappland nur eine Generation, in Deutschland zwei gleich ge- färbte, in Südeuropa zwei verschieden gefärbte, in Japan drei ver- Festschrift für August Weismann. 319 schieden gefärbte Generationen, welche wie dies auch bei den beiden oben angeführten Tagfaltern der Fall ist, durch Uebergangsformen ver- bunden sind. „Ueber abnorme Zustände im Bienenstock“ berichtet vom Rath. In einem weisellosen Bienenstocke waren abnormer Weise von den Arbeitsbienen eine Anzahl Drohnen nach Art der Königinnen ge- füttert worden. Sie erreichten eine auffallende Größe und die mikro- skopische Untersuchung der Geschleehtsorgane ergab eine auffallende Hemmungsbildung derselben. Die Samenentwieklung war beträchtlich zurückgeblieben, von den Ausführungsgängen waren nur Spuren vor- handen, die Vesiculae seminales aber und der Kopulationsapparat fehlten gänzlich. Henking liefert „Beiträge zur Kenntnis von Hydrobia ulvae Penn. und deren Brutpflege*“. Weibchen, Männchen und Junge dieser prosobranchiaten Schnecke tragen zu gewisser Jahreszeit außen auf ihrer Schale kleine Eihäufehen, welche von einer aus Stein- chen zusammengesetzten Hülle überdeckt und geschützt sind. Die Ab- lage der Eier konnte allerdings nicht beobachtet werden, doch ist es außer Frage, dass dieselben der Hydrobia und keinem anderen Mollusk zugehören und dass sie von den trächtigen Weibchen auf den Schalen ihrer Artgenossen abgelegt werden. Ueber Planktonzählungen berichten Dahl „Die Copepoden- fauna des unteren Amazonas“ und Apstein „Vergleich der Planktonproduktion in verschiedenen holsteinischen Seen“. Erstere hat die auf der Planktonexpedition an der Mündung des Amazonenstromes gefischten Copepoden bearbeitet, von denen er eine größere Anzahl neuer Arten und die neue Gattung Weismanella beschreibt. Die nach dem Salzgehalt des Wassers in verschiedenen Schichten wechselnde Zusammensetzung der Fauna wird durch eine Zahlentabelle näher erläutert. Apstein führte die Untersuchung des Planktons der holsteinischen Seen, über welche er im XII. Bande des Biolog. Centralblattes berichtet hat, weiter und stellte fest, dass das Plankton benachbarter Seen sowohl hinsichtlich des in gleicher Wasser- menge vorhandenen Quantums als auch bezüglich der Anzahl der Tier- und Pflanzenarten, welche dasselbe zusammensetzen, oft sehr beträchtliche Unterschiede zeigt, selbst wenn die Seen nahe bei ein- ander liegen und sogar dureh einen Fluss verbunden sind. 320 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. Neuere physiologisch-chemische Untersuchungen über die Aelle,). Von R. H. Chittenden. Bevor ich die heutige Diskussion über das vorliegende Thema eröffne, möchte ich daran erinnern, dass die Chemie und die chemi- schen Prozesse in der Zelle von seiten der Biologen im Allgemeinen wenig Beachtung gefunden haben. Und das ist vielleicht auch natür- lich; denn viele Jahre hindurch bot der größeren Zahl der Forscher die morphologische Seite der Biologie ein weitaus interessanteres Arbeits- feld, und dazu kommt noch, dass die Schwierigkeiten nicht so groß waren, als die, welche die der Lösung harrenden chemischen und physiologischen Probleme bereiteten. Einfachheit in der Struktur, wie sie der einzelnen Zelle eines einzelligen Organismus eigen ist, bedeutet für den Physiologen eine erhöhte Kompliziertheit in den Funktionen. In einem entwickelteren Organismus mit seinen vielen Zellgruppen ist selbstverständlich die eine Gruppe durch eine bestimmte Art von Thätigkeit charakterisiert, während eine benachbarte Zellgruppe, die ein anderes Gewebe oder Organ bildet, in ihrer Funktion ganz anders geartet ist. Die eine Zell- gruppe ist nur für eine einzige Aufgabe bestimmt, eine andere existiert zu einem ganz anderen Zweck, oder mit anderen Worten: Differenzierung in der Struktur ist die Ursache oder die Begleiterscheinung von Dif- ferenzierung in der chemischen Zusammensetzung oder in der Funktion. Das erscheint uns nun freilich ganz einleuchtend und ganz natürlich, aber wie sollen wir uns alle die verschiedenen Funktionen erklären, die der einzellige Organismus besitzt, ohne dass wir auf die Idee kommen, dass möglicherweise eine chemische Differenzierung des Zell- protoplasmas innerhalb des Zellkörpers stattfindet? Verdauung, Assi- milation, Exkretion und Fortpflanzung sind Funktionen, die der einzel- lige wie, sein höherer Verwandter, der vielzellige Organismus in gleicher Weise besitzen. In dem letzteren unterscheiden wir verschiedene, für jede Phase und für jede Form der Thätigkeit besonders charak- terisierte Zellgruppen; denn eine jede Gruppe in einer Drüse oder einem Gewebe hat eine verschiedene chemische Struktur mit einer ihr durchaus eigentümlichen Art chemischer Thätigkeit und mit ihren ihr durchaus eigentümlichen Zerfallsprodukten. Im einzelligen Orga- uismus andrerseits ist eine Differenzierung der einzelnen Protoplasma- teilchen die einzige plausible Erklärung für die verschiedenen Funk- tionen der lebenden Zelle. 1) Vortrag zur Einleitung‘ in eine Diskussion über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnis von der Zelle, gehalten auf der Versammlung der „American Society of Naturalists* in New -Haven am 28. Dezember 1893; ab- gedruckt im American Natnralist, Bd. 38, S. 97—117. Chittenden, Physiologisch-ehemische Untersuehungen über die Zelle. 321 Wenn diese Annahme richtig ist, so können wir nicht länger die Zelle als die letzte Struktureinheit ansehen, wenigstens nicht vom chemischen Standpunkte aus. Man könnte vielmehr die Zelle als ein kompliziertes Molekül auffassen oder als eine Anzahl von Molekülen, bestehend aus vielen morphologischen Atomen oder besser Atomgruppen. So könnte man sich zum Beispiel das Cytoplasma als eine Menge oder eine Masse lebender Struktureinheiten denken, wie die Plasomen von Wiesner. Man nenne sie, wie man will — Plasomen, Idiosomen, Gemmulae, Plastidule, Idioblasten oder physiologische Einheiten —, diese Teilchen haben die Fähigkeit, sich zu teilen und auch zu wachsen und zu assimilieren. Ueberdies ist es möglich, dass diese Fähigkeit, zu wachsen und sich fortzupflanzen, wenigstens zum Teil unabhängig sein kann vom Zellkern und dem ihn aufbauenden Karyoplasma. Und ferner kann auch vielleicht der Kern als zusammengesetzt aus orga- nischen Individuen gedacht werden, die sich selbst teilen können, aus hypothetischen Teilchen, wie wir sie für Cytoplasma und Karyoplasma annehmen können, und die wir dann als die lebenden Atome des Moleküls, die letzten teilbaren lebenden Körperehen der Zelle ansehen. Seit vor fünfzig und mehr Jahren die Theorie von der Zelle, ihrer Struktur und Entwieklung von Schleiden und Schwann aufgestellt wurde, ist sie die Grundlage für fast alle Phasen biologischer Forschung gewesen, und obgleich unsere Kenntnis von der Zelle in jeder Bezieh- ung während der letzten Hälfte unseres Jahrhunderts namhafte Fort- schritte gemacht hat, so werden auch heute noch fast alle Probleme über das Leben vom Standpunkt der Zelltheorie aus betrachtet. Morpho- logische wie physiologische Thatsachen werden alle mehr oder weniger beurteilt nach ihren Beziehungen zur Zellstruktur und Zellfunktion. Daher schreibt Whitman!) mit Reeht: „Sämtliche biologischen Forsch- ungen hatten zum Objekt die Zelle; von oben bis unten ist sie auf einer jeden Stufe der Organisation durchmustert worden, man hat sie von außen und von innen untersucht, man hat auf ihr herumexperi- mentiert und sie in ihren mannigfachen Beziehungen stets nur als eine Einheit an Form und Funktion studiert“, und wenn ich mir nun den heutigen Stand der Frage ansehe, so scheint es mir, als ob viele Morphologen geneigt sind, doch gegen „die absolute Herrschaft der Zelle als Einheit der Organisation“ zu protestieren. Wir dürfen nicht die Existenz der einzelnen chemischen Verbindungen des Zellorganismus mit ihrer eigentümliehen Molekularstruktur, welche das Zellprotoplasma formieren, übersehen; denn das ganze Geheimnis der Organisation, Assimilation, des Wachstums, der Entwicklung u. s. w. beruht gerade auf diesen letzten Elementen der lebenden Materie. Sie sind vielleicht die wirklichen Repräsentanten der physiologischen Einheiten von 4) The inadequaey of the cell-theory of development. Journal of Morphology, Bd. 8, S. 639. XIV. 21 399 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. Herbert Spencer oder der Plasomen von Wiesner; sie können die eigentlichen Einheiten aller Formen der belebten Materie, die Träger der Vererbung und die wahren Bildner des Organismus, des einfachen wie des komplizierten, sein. Diese Protoplasmateilchen brauchen dabei in ihrer Thätigkeit oder in dem Einfluss, den sie aus- üben, nicht notwendig durch Zellmembranen oder andere Schranken eingeengt zu sein. Die Physiologen waren also, wie alle anderen Biologen, gewohnt, in der Zelle „die Einheit der vielfach variablen Formen des Organis- mus“ (Hammarsten) zu sehen, welche der Sitz der vielen verschie- denen chemischen Prozesse ist, die für die Gewebe und Organe des betreffenden Individuums charakteristisch sind. Die Zellen beherrschen natürlich durch ihre verschiedene Thätigkeit den Verlauf und die In- tensität der Stoffwechselprozesse im Organismus, aber alles das ist nur ein allgemeiner Ausdruck für die Idee, dass die chemischen Pro- zesse der höheren Organismen sich in den Zellgeweben des Körpers, und nicht in den sie umspülenden Flüssigkeiten, abspielen. Ich glaube, wir haben allen Grund, an die Existenz letzter Teilchen der belebten Materie, sowohl im Cytoplasma wie im Karyoplasma innerhalb der Zelle, zu glauben, welche die wahren Einheiten des Organismus sind. Sie sind vielleicht morphologisch nicht erkennbar, aber nichtsdesto- weniger existieren sie doch als individuelle Glieder in der Kette der Moleküle, aus denen nach unserer Ansicht das lebende Protoplasma zusammengesetzt ist. Ueber diesen Punkt hat sich Quincke!) kürz- lich mit den Worten geäußert: „Die Biologie muss, wohl oder übel, mit der Thatsache rechnen, dass die Entwicklung der Zelle und das Leben der organischen Natur abhängig ist von Massen und Lage- beziehungen, die mit dem Mikroskop allein nicht erkannt werden können“. Daher bietet die Chemie der Zelle ein interessantes, viel- versprechendes Arbeitsfeld, obgleich sie zum größten Teil hauptsäch- lich in der Absicht studiert worden ist, einen tieferen Einblick in die allgemeinen metabolischen Prozesse der höheren Organismen zu erhalten. Vom chemischen Standpunkt aus kann man die lebende tierische Zelle als eine Kombination verschiedener chemischer Substanzen an- sehen, die sich stets nur in einem labilen Gleichgewicht befindet, die unbeständig im höchsten Grade und in jedem Augenblick bereit ist, durch Oxydation oder Spaltung in Körper von geringerer Kompliziert- heit zu zerfallen, wobei jeder Schritt abwärts im Prozess der Auf- lösung die Ursache für das Freiwerden einer gewissen Menge von Energie ist. Solche explosions- oder auch stufenweise erfolgenden Zersetzungen finden fortwährend, solange das Leben dauert, statt, und chemische Umbildungen und chemische Zersetzungen sind daher der wesentliche Teil in der Lebensgeschichte der Zelle oder des Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. 393 Organismus, dessen integrierendes Glied sie ist. In ihnen sind viele von den Geheimnissen des Lebens verborgen, und einige der ver- wiekeltsten und zugleich wichtigsten Phasen physiologischer Phänomene sind eng verknüpft mit den erwähnten, mehr oder weniger dunklen chemischen Umwandlungen. Dieses fortwährende Freiwerden von Energie, das so charak- teristisch für die lebende tierische Zelle ist, und das auf dem unaus- gesetzten Zerfall der lebenden Substanz des Organismus beruht, hat die Forderung nach Nahrungsmaterial zur Folge, das die Stelle dessen, was von lebender Substanz durch Verfall zu Grunde gegangen ist, ersetzen soll; denn sonst erschlaffen die Lebensenergien, und die Körper- struktur schwindet dahin. Das Nahrungsmaterial nun, das nötig ist, um dieser Forderung gerecht zu werden, vermag, selbst wenn es leicht oxydierbar oder verbrennlich ist, nicht die Bedürfnisse des Organismus zu befriedigen, wenn es nicht zu wirklicher lebender Sub- stanz wird. Als tote träge Materie ist es einfach verbrennbar, es kann Energie frei machen, zum Beispiel Wärme, ganz wie andere Formen organischer Materie, aber seine Energie kann von dem lebenden tieri- schen Organismus nicht in der von ihm geforderten Art und Weise ausgenutzt werden. Es muss erst durch Verdauung oder sonst wie assimilierbar gemacht werden; wenn es alsdann den Zirkulationsstrom passiert hat, erreicht es schließlich die Zelle, unter deren Einfluss es eine abschließende Umwandlung erfährt, durch die es auf ein höheres Niveau erhoben wird. Was tot war, ist lebendig geworden, es ist eine chemische Umbildung vor sich gegangen, die Atome im Molekül haben eine neue Anordnung erlangt, und wir haben jetzt mit lebender Materie zu rechnen: eine Verwandlung, die durch die ana- bolische Fähigkeit der lebenden Zelle oder richtiger des Zellprotoplasmas ausgeführt worden ist. Anabolismus und Katabolismus, Aufbau und Zerstörung, spielen sich so fortwährend in der lebenden tierischen Zelle neben einander als notwendige Begleiterscheinungen des Lebens ab, aber die Prozesse sind nicht überall von gleicher Art. Sie sind qualitativ und quantitativ verschieden, besonders die katabolischen; denn diese letzteren zeigen einige Eigentümlichkeiten, die fast für jede individuelle Zellgruppe, wie sie in den einzelnen Organen oder Geweben vorkommen, charakteristisch sind. Jede individuelle Zelle, eine Komponente der vielen verschiedenen Gewebe des Organismus, kann man mit einem gut ausgestatteten chemischen Laboratorium vergleichen; die Art und die Menge der geleisteten Arbeit hängt zum Teil von den inneren Bigenschaften der Zelle, d. h. vom Zellprotoplasma, und zum Teil von der Natur der umgebenden Substanzen ab. Wenn sich diese Angaben auch hauptsächlich auf die tierische Zelle beziehen, so gelten sie doch auch ebenso für die pflanzliche Zelle; der einzige Unterschied beruht darauf, dass in der letzteren die synthetischen Prozesse vorherrschen, al % 394 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. da sie eine ganz auffallende Fähigkeit besitzt, komplizierte Stoffe auf- zubauen, wie zum Beispiel Stärke und Eiweiß, und zwar aus einfachem Nahrungsmaterial, das aus der Luft und dem Erdboden aufgenommen wird, während die tierische Zelle besonders durch ihre ausgedehnten katabolischen Prozesse ausgezeichnet ist. Während nun in den frühen Stadien des Wachstums und der Ent- wicklung alle tierischen Zellen eine merkwürdige Aehnlichkeit in ihrem Bau und ihrer Zusammensetzung haben können, so wird, sobald die Differenzierung der Form zugleich mit einer Differenzierung der Funktion sich bemerkbar zu machen beginnt, deutlich auch die che- mische Zusammensetzung allmählich verändert, bis schließlich jede Zellgruppe, wie sie für individuelle Organe oder Gewebe charakteristisch ist, eine ihr eigentümliche Zusammensetzung erlangt hat. Unverkennbar aber zeigen sich die auffallendsten Differenzen im Charakter der soge- nannten sekundären Bestandteile des Zellprotoplasmas, d.h. der Zerfalls- produkte der Zellthätigkeit, wie die verschiedenen Enzyme oder ihre Vorstufen, die Albuminoide, Pigmente, Fett, Glykogen u. s. w. es sind, und dazu kommen dann noch die Substanzen des toten Nahrungsmaterials für den Aufbau der Zelle. Aus dieser grundsätzlichen Verschiedenheit im Charakter der katabolischen Produkte der Zellthätigkeit können wir leicht auf entsprechende Differenzen im Charakter der primären Bestandteile des Zellprotoplasmas schließen, und diese würden dann wieder fundamentale Verschiedenheiten in der Natur der anabolischen Prozesse postulieren, durch welche das Zellprotoplasma aufgebaut wird. Aus dem, was bis jetzt angeführt ist, wird man ersehen haben, dass es nicht einfach ist, zwischen den primären Bestandteilen der Zelle und den sogenannten sekundären, d. h. solchen, die durch die katabolische Thätigkeit der primären Bestandteile entstehen, zu unter- scheiden. Weiter ist es außerordentlich schwierig, aus einem gegebenen Gewebe oder Organ die in ihrem Aufbau enthaltenen aktiven Zellen zu isolieren oder eine genügend große Anzahl einzelliger Organismen, die frei von Verunreinigungen oder Beimischungen sind, zu sammeln. Aber wenn wir das wirklich fertig gebracht haben und nun mit der Analyse der isolierten Zellen anfangen wollen, so stehen wir gleich vor den Schranken, die dieser Art von Arbeit gesetzt sind und die haupt- sächlich darin bestehen, dass jede gewöhnliche Methode der Trennung oder Analyse, selbst schon die einleitenden Prozesse, sofort die lebende Materie in tote umwandeln. Und da dies Spaltung oder sonstige Veı- änderungen von größerer oder geringerer Kompliziertheit zur Folge hat, so sind diejenigen Körper, die wir für Bestandteile des Zellproto- plasmas ansehen, vielleicht bloß Spaltungsprodukte oder Bruchstücke von den größeren und komplizierteren Molekülen, welche ihren Sitz in der belebten Materie haben. Von der mikroskopischen Untersuchung her wissen wir mit Be- Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. 325 stimmtheit, dass das Protoplasma durchaus keine homogene Masse ist, dass es vielmehr mit kleinen Körnchen beladen und von einem unregel- mäßigen Netzwerk durchsetzt ist. Diese verschiedenen Formen des differenzierten Protoplasmas sind, wie Sie wissen, verschieden benannt worden: Spongioplasma, Paraplasma, Hyaloplasma u. s. w., und wir sind veranlasst, auf ausgesprochene Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung aus der Art und Weise zu schließen, wie sich die verschiedenen Teile in der Zelle gegenüber den zahlreichen Farbstofien und Farblösungen, wie man sie in der histologischen Untersuchung ge- braucht, verhalten. Es kann gar kein Zweifel darüber herrschen, dass zum Beispiel die Verschiedenheit der Färbung von Zellkern und Cyto- plasma, die man durch Behandlung mit verschiedenen Farblösungen erhält, von der Verschiedenheit der chemischen Zusammensetzung ab- hängig ist. Ferner ist Ehrlich, wie Sie wohl wissen, im Stande gewesen, verschiedene Körnchenvarietäten, die er im Zellprotoplasma fand, nach ihrem Verhalten gegen neutrale, saure und alkalische Anilin- farben zu unterscheiden. So haben wir zum Beispiel im Centrosoma eine Anhäufung von differenziertem Cytoplasma, welches, wie Watase!) am Ei von Unio gezeigt hat, sehr deutlich hervortritt nach Behand- lung mit Säurefuchsin, während die Spindelfäden und die Protoplasma- strahlungen ganz ungefärbt bleiben, wodurch der Unterschied in der chemischen Zusammensetzung recht auffallend wird und wohl Beach- tung verdient. Dann gibt es weiter andere Körnchen, die im Cyto- plasma vieler Zellen häufig vorkommen, die sich mit Osmiumsäure schwarz färben und so wiederum andere chemische Zusammensetzung verraten. Aber unsere Kenntnis von der chemischen Natur des Proto- plasmas ist doch noch viel zu unvollkommen und unbedeutend, als dass wir nach unseren Beobachtungen mehr als ein paar ganz all- gemeine Folgerungen aus der Verwandtschaft des Protoplasmas zu verschiedenen Farbstoffen ziehen könnten. Ferner sind die Stoffe, aus denen der Kern besteht, wie Sie wissen, von verschiedenen Forschern, z. B. Flemming, in mehrere Abteilungen eingeteilt worden nach ihrem Verhalten gegen verschiedene Farbstoffe ; man unterscheidet die chromatische Substanz oder das Chromatin, das leicht mit Anilinfarben tingiert wird, und aus dem besonders das Netzwerk des Kerns besteht, und das Achromatin oder den Teil des Kerns, der sich nicht gut färbt; aus ihm besteht die Kerngrundsubstanz und die Kernmembran. Ich könnte noch unzählige Beispiele anführen, aber für unseren Zweck genügt das Gesagte vollauf, um die Existenz chemisch ver- schiedener Stoffe im Zelleytoplasma und -karyoplasma zu beweisen. Das ist freilich auch Alles; denn diese Beispiele lehren uns sehr wenig über die wahre Natur der Stoffe, welche die verschiedenen Reaktionen 4) Homology of the Centrosome. Journal of Morphology, Bd. 8, S. 433. 326 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. hervorrufen. Wir müssen erst mehr von der Chemie wissen, ehe wir überhaupt hoffen können, zu einem klareren Verständnis des wirklichen Aufbaues des Zellprotoplasmas zu gelangen. Indess solche Kenntnisse erwirbt man nicht bloß durch mikrschemische Untersuchungen. Die sind natürlich auch wichtig, aber hauptsächlich müssen wir uns auf die makroskopischen Methoden verlassen, um die erwünschte Kenntnis zu erlangen, und wenn wir dann genügende Erfahrungen über die chemische Natur der Substanzen, die sich im Protoplasma finden, ge- sammelt haben, dann können wir auch hoffen, mikrochemische Methoden zu finden, die geeignet sind, uns genauen Aufschluss über sie zu geben. Was wissen wir nun bis jetzt von den primären Bestandteilen des Zellprotoplasmas? Wenn wir uns die Resultate, zu denen man durch mühevolle zehnjährige Arbeit endlich gekommen ist, ansehen, so, glaube ich, sind wir zu der Behauptung berechtigt, dass die primären Bestand- teile des Cytoplasmas besonders eine bestimmte Gruppe von Proteinen oder Eiweißkörpern sind, bekannt unter dem Namen der Nukleoalbumine und charakterisiert durch ihren Gehalt an Phosphor. Diese machen den weitaus größten Teil der im Cytoplasma enthaltenen Substanzen aus. Nächst ihnen sind die wichtigsten die einfachen Proteine, die hauptsächlich zur Gruppe der Globuline gehören, einer Klasse von Eiweißkörpern, die unlöslich in Wasser, aber leicht löslich in 5—10 pro- zentiger Kochsalzlösung sind. Dann kommt Leecithin, ein komplizierter phosphorhaltiger Körper, der eine ähnliche Konstitution wie Fett hat und bei der Spaltung höhere Fettsäuren, Glyzerinphosphorsäure und Cholin liefert. Diese Verbindung ist sowohl in Wasser als auch in Kochsalzlösung unlöslich, aber leicht löslich in Aether und etwas in Alkohol. Eine andere Substanz, die fast regelmäßig im Cytoplasma zu finden ist, ist Cholesterin, ein fester, krystallisierender Alkohol, dessen Konstitution nicht sicher festgestellt ist, und der in Wasser und Kochsalzlösung unlöslich, in Alkohol und Aether leicht löslich ist. Den Rest der Cytoplasmabestandteile bilden anorganische Stoffe: Calcium, Magnesium, Kalium und Natrium, die, an Salz- und Phosphorsäure gebunden, in Form von Chloriden resp. Phosphaten sich vorfinden. Etwas fraglich ist es, ob diese zuletzt genannten Salze primäre Bestand- teile des Cytoplasma sind; Kalium wenigstens, das in außerordentlich großen Mengen in den tierischen Zellen vorkommt, scheint sicher ein echter primärer Bestandteil zu sein. Kaliumphosphat ist ganz beson- ders wichtig für das Leben und die Entwicklung der tierischen Zelle, und unzweifelhaft auch die Erdphosphate, obgleich wir kaum angeben können, wie sie im Cytoplasma existieren, wenn nicht in fester Ver- bindung mit den Proteinen oder Nukleoalbuminen der Zelle, zu denen sie bekanntlich eine starke Affinität haben. Ferner habe ich daran zu erinnern, dass die Asche aller Zellen eine gewisse Menge von Eisenoxyd aufweist. Dieses Eisen stammt aber nicht aus gewöhnlichen Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. 397 Eisensalzen im Protoplasma, sondern es scheint in einigen eigentüm- liehen organischen Verbindungen zu existieren, offenbar an Kohlenstoff gebunden. Es muss besonders hervorgehoben werden als Komponente in den sogenannten eisenhaltigen Nukleimen oder Nukleoalbuminen. So ist es denn klar, dass Eiweißstoffe in der einen oder der anderen Form, hauptsächlich als Nukleoalbumine, die große Masse des Cyto- plasmas ausmachen, und dass das typische Produkt der Synthese der lebenden Zelle zweifellos ein Molekül ist oder Moleküle sind, in denen Eiweißstoffe die Hauptrolle spielen. „Aber dass nun das Eiweiß- molekül allem der Träger des Lebens ist, und dass alle anderen Be- standteile des Protoplasmas bloß seine Trabanten sind, das können wir mit Sicherheit nicht behaupten“ (Kossel). Zwischen Cytoplasma und Karyoplasma existiert nur ein sehr kleiner konstanter Unterschied. Der einzige typische Bestandteil des Zellkerns ist nämlich das Nuklein oder sonst ein Körper aus dieser Gruppe. Ich muss hier hervorheben, dass Untersuchungen, wie sie bisher gemacht sind, ergeben haben, dass die primären Bestandteile der Zelle entweder hauptsächlich im Zellkern angehäuft sein können, oder dass sie gleichmäßig durch Cytoplasma und Karyoplasma verteilt sind, oder endlich dass sie im Kern fast ganz fehlen und sich nur im Cytoplasma finden!). Dieser letzte mögliche Fall gibt eine gute Erklärung für die wohlbekannte Thatsache, dass Zellen, die reich an Kernsubstanz sind und dem entsprechend nur wenig Cytoplasma enthalten, wie die Sperma- tozoen, außerordentlich arm an vielen der primären Bestandteile ge- wöhnlieher Zellen sind. Der einzige Körper, der für den Zellkern charakteristisch ist, ist das Nuklein. Cholesterin und Leeithin sind sicherlich etwas ganz Gewöhnliches im Cytoplasma und im Karyoplasma, da sie reichlich sowohl in kern- reichen Zellen als auch in Zellen, die nur wenig von Kernelementen enthalten, gefunden werden. Aber wir müssen doch wiederholen, dass die erste Stelle unter den sogenannten primären Bestandteilen den Proteinen in allen lebenden Zellen gebührt, denn es ist mehr als wahr- scheinlich, dass die im Zellprotoplasma enthaltenen Nukleine und Leei- thine erst durch Synthese aus gewissen Spaltungsprodukten der Proteine und Phosphate entstehen. Doch sei dem, wie ihm wolle, die Globuline, Nukleoalbumine und Nukleine sind, soweit unsere heutigen Kenntnisse reichen, die wichtigen Bestandteile des Zellprotoplasmas in allen tieri- schen und pflanzlichen Zellen. Von diesen drei Gruppen verdienen die Nukleine und die verwandten Nukleoalbumine noch eine besondere Besprechung. (Schluss folgt.) 1) Kossel, Verhandl. der physiol. Gesellschaft zu Berlin, Februar 1890, 328 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. Pädagogisch-psychometrische Studien. 2. Vorläufige Mitteilung. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. S. 30 meiner 1. vorläufigen Mitteilung findet sich eine Angabe betreffend die Zeit, die zum Lesen einer Zahl, bezw. einer Silbe des Zahlwortes, nötig ist. Es fällt auf, dass diese Werte nicht ganz unwesentlich von den entsprechenden Werten der Lesezeit von in einem Zusammenhang stehenden Wörtern abweichen. Damit war die Veranlassung geboten, diese Art psychischer Be- thätigung — Schnelllesen von Zahlenreihen — auf ihren Einfluss auf den Verlauf der Ermüdungskurve zu prüfen. Die nachfolgenden Mit- teilungen beziehen sich wieder auf Versuche, die mit E. J. ausgeführt wurden. Versuch vom 25. Mai 1893. Es wird zu Beginn des Versuches von E. J. in üblicher Weise (vergl. 1. vorläufige Mitteilung) die Ermüdungszeichnung aufgeschrieben. Die Zeichnung entspricht ungefähr Fig.2 S.27: Die Zahl der Zusammen- ziehungen der Beugemuskeln des Mittelfingers ist etwas geringer, die Maß- striche sind aber kräftiger, so dass sie eine Hubhöhe von 975,2 mm repräsentieren. Das Gewicht, das gehoben wurde, ist 1 kg, die ge- leistete Arbeit somit 0,9752 Kilogrammmeter. Die zu lesende Zahlenreihe umfasst 150 ein- uud zweistellige Zahlen. Die Silbensumme ihrer Benennungen ist 272. Diese Zahlenreihe wird 8mal gelesen. Dabei wird die Aufeinanderfolge der einzelnen Zahlen möglichst gewechselt, imdem die 10 Streifen, auf welchen die Zahlen stehen, in ihrer Reihenfolge verändert und die Zahlen des einzelnen Streifens bald von oben nach unten, bald in umgekehrter Richtung gelesen werden. Die nachfolgende Zusammenstellung gibt die durchsehnittliche, maximale und minimale Zeit in Sekunden an, die in dieser ersten Versuchsserie für die Erkennung einer Zahl und das Aussprechen ihrer Benennung, bezw. einer Silbe derselben nötig war. Zahl | Silbe Mittel aus 3 Versuchen 0,464 Sekunden | 0,256 Sekunden Maximum 0,496 x 0,273 n Minimum ı 0,437 e 0,241 = Am Schluss dieser Versuchsreihe, 20 m nach Beginn, wird von E. J. eine zweite Ermüdungszeiehnung aufgeschrieben. Sie zeigt die Arbeit von 0,9054 Kgmeter an. Die 2. Versuchsserie ergibt folgendes Resultat: Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 329 | Zahl | Silbe Mittel aus 8 Versuchen . . . | 0,482 Sekunden | 0,265 Sekunden Maximum ruht, 93 a a 0,520 “ | 0,287 5 Mina. = ie an 5,10,444 e ‚ 0,245 5 Die ergographische Bestimmung der Leistungsfähigkeit ergibt 0,9694 Kgmeter. Eine 3. Versuchsreihe schließt sich an. Sie hat folgende Ergeb- nisse: | Zahl | Silbe Mittel aus 8 Versuchen 0512 Sekunden | 0282 Sekunden Ara ee 20.60 = 0,309 5 Mlinaman se en ac 0A, 0250 5, Die Ermüdungszeichnung ergibt 53 Maßstriche, die eine Hubhöhe von 510,9 mm repräsentieren, d. i. eine Arbeit von 0,5109 Kgmeter. Das Ergebnis dieser 3 ersten Versuchsreihen weicht also in mehr- facher Beziehung von jenen ab, die beim Schnelllesen von in Zu- sammenhang stehenden Wörtern erzielt wurden. Die geistige Thätig- keit, so konnten wir die frühern Versuchsergebnisse interpretieren, erhöht zunächst die Leistungsfähigkeit. Sie führt anfänglich einen Erregungszustand herbei, dem bald der Zustand der Ermüdung folgt. Hier fällt die die Leistungsfähigkeit erhöhende nervöse Erregung nahezu weg. Sie ist vielleicht in jenem Punkte der Ermüdungskurve zu sehen, wo dieselbe, nachdem sie mit fallender Linie einsetzte, sich noch einmal wenig unter die ursprüngliche Höhe erhob. Die durch diese Bethätigung verursachte Ermüdung unterdrückt die fördernde Wirkung der Erregung. Damit scheint auch ein anderes Versuchsergebnis im Einklang zu stehen. Werden in mehreren aufeinander folgenden Versuchsreihen Wörter gelesen, so lässt sich im der Regel aus den Zeiten, die auf das einzelne Wort fallen, der eintretende Ermüdungszustand nicht er- kennen. Dem zeitlichen Verlauf solch einfacher psychischer Vorgänge steht zwar das Hemmnis der beginnenden Ermüdung entgegen, aber zugleich wirkt auf sie die sie fördernde Uebung. Dieses fördernde Moment ist nun sehr gewöhnlich auch dann mächtiger, wenn die Er- müdungskurve aus dem Erregungszustande in den Ermüdungszustand übergegangen ist. Die vorliegenden 3 Versuchsreihen zeigen bezüglich des zeitlichen Verlaufes des Schnelllesens einer Zahl sowohl im Mittel, als auch im Maximum, als auch im Minimum von einer Serie zur folgenden eine Verlängerung der Zeit. In der zweiten Reihe erscheint der Mittelwert des zeitlichen Verlaufes des einzelnen psychischen Vorganges um 4°/,, 330 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. in der dritten um 10,4°/, verzögert. In den Beziehungen der jeweiligen Maxima ist der retardierende Einfluss der Ermüdung noch entschie- dener da. In der 2. Versuchsreihe weist das Maximum eine Ver- zögerung von 5°/, gegenüber jenen der 1. Reihe auf, in der 3. Serie steigt sie auf 13°/, an. Nach einer einstündigen Pause schrieb E. J. wieder eine Ermü- dungszeichnung auf. Die 53 Maßstriche haben zusammen eine Länge von 721,53 mm. Die Arbeit beträgt demnach 0,7213 Kgmeter. Ist also zwar die Leistungsfähigkeit gegenüber der unmittelbar voran- gegangenen erhöht, so reichte doch auch hier eine einstündige Pause nicht hin, um die ursprüngliche oder näherungsweise die ursprüngliche Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Die nachfolgende Tabelle enthält die Versuchsergebnisse dreier folgender Serien. Die ergographische Messung wurde je am Schluss einer Serie ausgeführt. Versuchsseri ie | 4 | 5 | 6 Mittel dr Zeit pro Zahl [0,455 Sek. | 0,489 Sek. | 0,493 Sek. Maximum RN ART N Da Minimnm . . 0 er 110,2022.270,445025 Mittel der Zeit Arie Sekunde 71:0:201° 5, 2100209: 1027200, Maxımume. re a NER) 0208 210,290 „= 02H Minimum” UN 2780228, 11110,2492 0° 10523 Tuer, Ergograph. (Zahl der Kontraktionen 55 59 48 Messung !Arbeit 222022 ./0,7113 Kgm 0,4418 Kgm 0,4973 Kgm Die Vergleichung dieser Versuchsergebnisse mit jenen der 3 vor- angehenden Versuche zeigt nun den Einfluss des fördernden Elementes psychischer Thätigkeit der Uebung, in vielen ihrer Werte, wenn auch nur in mäßigem Grade. Die mittlere Zeit, die in den ersten 3 Serien zum Schnelllesen einer Zahl nötig war, betrug 0.486 Sekunden, jetzt 0,479 Sek. Innerhalb dieser 3 Serien kommt die verzögernde Wirkung der Ermüdung namentlich beim Fortschreiten von der 4. zur 5. Serie deutlich zum Ausdruck. Der Mittelwert der 5. Reihe weist eine Ver- zögerung von 7°/,, jener des Maximums von 10°/,, jener des Minimums von 9°/, auf. Der Mittelwert der 6. Reihe ist um 8°/, erhöht. In dieser Reihe scheint der fördernde Einfluss der Uebung den hemmen- den Einfluss der Ermüdung fast zu paralysieren. Hat nun einmal die Uebung einen gewissen Einfluss erreicht, dann kommt die Wirkung der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf des psychischen Vorgangs nicht mehr klar zum Ausdruck. Die Wirkung der Uebung zeigt sich aber, wie ich in einer spätern Mitteilung ein- Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 331 lässlicher auseinander setzen werde, nicht etwa nur während der un- mittelbar aufeinander folgenden Versuchsserien, sondern sie übt ihren Einfluss auch dann aus, wenn Versuchsserien zeitlich weit auseinander liegen. Setzt eine solche spätere Versuchsreihe zunächst auch mit größern Werten ein, so werden dieselben in den folgenden unmittelbar sich anschließenden Reihen in oft überraschender Weise gekürzt. Man kann sich einer physikalischen Vorstellung, die ich zunächst allerdings nur bildlich verstanden haben möchte, kaum verschließen. Um den Körper aus der Ruhelage in Bewegung zu bringen bedarf es einer größeren Kraft als um den bewegten Körper in Bewegung zu halten. In ähnlicher Weise sind die Widerstände, die sich den Auslösungen psychischer Vorgänge entgegenstellen, anfänglich größer als später. Kann sich die Wirkung einer frühern Uebung geltend machen, dann lässt sie den hemmenden Einfluss der Ermüdung nicht zur Wirkung kommen und die Vorgänge spielen sich um so schneller ab, bis schließ- lich die Anhäufung der Ermüdungsstoffe in höherem Maße hemmend wirkt als die Uebung fördernd. Als Beleg dieser Auseinandersetzungen führe ich die tabellarische Zusammenstellung der Versuche vom 31. August 1893 an. Arbeit vor dem Versuche 0,9273 Kgmeter I! Versuchsreihe | 1 | 2 B) Mittel der Zeit pro Zahl . . . 0,492 | 0,463 0,493 Maximum; 1.1 2. au eat 0,518 | 0535 0,928 Minimum.) eu 10 u, |) 0,458. | 170,493. 130461 Mittel der Zeit pro Silbe . . . 0,272 0,256 | 0,272 Maximum ea 02 025 0,291 Minimum ee a 0,252 0,224 0,254 N der Kontraktionen 70 Ta 0 Messung (Arbeit . . ... . . 1,2452 Kgm 0,7238 Kgm 0,5567 Kgm Arbeit nach einer einstündigen Pause 0'4854 Kgmeter Der Verlauf der Ermüdungskurve verlangt noch einige Bemerkungen. Während in den ersten Versuchsserien die Erregung nicht zur Steigerung der Leistungsfähigkeit über die ursprüngliche hinausführt, ist hier der Verlauf der Ermüdungskurve jenem ähnlich, den ieh in der 1. Mitteilung über den Einfluss des Schnelllesens auf den Verlauf der Ermüdungskurve angeben konnte. Eine weitere Analogie zu jenen frühern Angaben liegt in der starken Nachwirkung der Ermüdung. Ob dieses veränderte Verhalten ebenfalls als Ausfluss der Wirkung der Uebung zu gelten hat, lasse ich vorderhand dahingestellt. Es kann diese Frage wohl nur auf Grund umfangreicherer Versuche ent- schieden werden. — 392 Keller, Pädagogisch- psychometrische Studien. Versuche vom 21. Juni 1893. Der psychische Vorgang des Lesens eines Wortes oder einer Zahl besteht, wie ich schon in meiner 1. Mitteilung auseinandersetzte, aus verschiedenen Phasen. Der Perzeption folgt die Apperzeption. Diese führt zu jenen Willensimpulsen, die die Auslösung der Sprache und das Sprechen bewirken. Die nachfolgenden Untersuchungsreihen hatten den Zweck zu ermitteln, welcher Teil der Zeit des einzelnen psychischen Vorganges dem ersten Teil der Phasenreihe, Perzeption und Apper- zeption, und welcher dem zweiten Teil, der Auslösung der Sprache und dem Sprechen, zukommt. Ferner sollte geprüft werden, ob beide Teile des psychischen Vorganges durch die Uebung in gleichem Maße beeinflusst werden oder nicht. Ich ließ E. J. 20 Additionen ein- und zweistelliger Zahlen 2 Mal lesen, 1 Mal von oben nach unten, 1 Mal von unten nach oben. Dabei en 60 Zahlen, 20 Mal das Zeichen „+“ und 20 Mal das Zeichen „—“ je 2 Mal gelesen. Die Benennungen dieser Zahlen und Zeichen haben zusammen 123 Silben, die also auch 2 Mal ausge- sprochen wurden. Die nachfolgenden Tabellen geben die Resultate zweier Versuchs- reihen wieder. I. Versuchsreihe. Serien I a | H DI OWN VI | Mittel Zeit zum ST nigenLesn E r F ER ae | 60,4 ee 53 | 502 | 56,2 | 51,2 | 54,7 Zeit pro Addition. . . Ä I 1,32 | 14,26 | 1,405 | 1,28 | 1,368 Zeit proZahl (u. een) 0, Ei 5 0,265 | 0,251 | 0,281 | 0,256 | 0,273 Zeit pro Silbe . . . 0,245 , 102 23 0,215 | 0,204 \ 0228 | 0,209 | 0,222 IT: Versuchsr eihe. Zeit zum 2 maligen Lesen | ai | | | c a || 53,4 Sek.| 53,2 | 592 Er | 51 | 53 | 522 1 1,83 | 1,80: | 4,27 | 1,97 | 1,30 5 ndash | 2 10,267 „| 0,266 | 0,261 | 0,253 | 0,255 | 0,265 | 0,261 0,216 | 0,212 0,206 0,208 | 0,215 0,212 Zeit pro Addition | Zeit pro Zahl (u. en | Zeit pro Silbe . . I OO. | 0, | | Es wird nunmehr die Zeit bestimmt, welche zur Ausführung dieser einfachen Additionen nötig war, indem E. J. nur die Seite vor dem Gleicehheitszeichen ablesen konnte, die Summe aber zu bilden hatte. Die nachfolgenden zwei Tabellen geben die Resultate zweier Ver- suchsreihen wieder. III. Versuchsreihe. Zeit für 2 maliges eh 57,8 Sek.| 59,8 | 57,2 | 57,8 | 51,2 | 54 | 56,63 führen der 20 Addit. (| Zeit für Ausführung einer 1,445 „ 11,495 | 1,430 | 1,445 | 1,280 | 1,350 | 1,416 Addition | Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. 389 IV. Versuchsreihe. Serien MT TI TR Zeit für Qmaliges = | U 2 | 5, Ge ee führen! den2o Adaie u ne or | 504, DAB. BLM DS inmee Zeit für Ausführen Er 1,240 „ \ 1,465 | 1,260 | 1,370 | 1,285 | 1,305 | 1,322 Addition | | | | | | Die Differenz des zeitlichen Verlaufes der psychischen Vorgänge dieser zwei Versuchsreihen gegenüber dem zeitlichen Verlaufe jener der Reihe I u. II stellt die Zeit dar, welehe die Ausführung der Ad- dition erforderte, ist also die zeitliche Bestimmung der in die Phasen- reihe psychischer Aktionen eingeschalteten neuen Phase. Natürlich wird sie in Wirklichkeit von etwas längerer Dauer sein als wie die Zahlendifferenz angibt. Denn die Uebung wird die Phasen- reihe der 3. und 4. Versuchsreihe, die sich mit den Vorgängen der 1. und 2. Versuchsreihe decken, etwas kürzen. Die Differenz zwischen den Mitteln der Versuchsreihen 1 und 2 ist das Maß des Einflusses der Uebung. Sie verkürzte die Zeiten der 2. Versuchsreihe um 4,6°%,. Wir nehmen an, dass durch Uebung eine analoge Verkürzung des zeitlichen Verlaufes der psychischen Vor- sänge in der 3. und 4. Versuchsreihe statthatte gegenüber jenen der 1. und 2. Dem Mittel von 53,45 Sek. (aus Reihe 1 und 2) steht also das Mittel von 54,73 Sek. (aus Reihe 3 und 4) + 4,6°/, d. i. 2,517 Sek. gegenüber. Die Differenz 57,247 Sek. und 53,450 „ 3,798 Sek. ist also die Zeit, in der die in Versuchsreihe 3 und 4 neu hinzugekommene psychische Phase, die Ausführung der Addition, verlief. Die einmalige Operation be- anspruchte die Zeit von 0,095 Sek. Damit ist nun die Basis zur Bestimmung der Zeit gewonnen, welche zur Auslösung der Sprache und zum Sprechen nötig war. In den zwei folgenden Versuchsreihen werden von E. J. die zu addirenden Zahlen und die die Addition andeutenden Zeichen nicht gelesen, sondern nur die Resultate angegeben. Die Zeitdifferenz zwischen Versuchsreihen V u. VI einerseits und III u. IV anderseits gibt also die Zeit an, die zum Benennen der zu addierenden Zahlen und des „+“ und Gleichheitszeichens notwendig war. V, Versuchsreihe. Zeit zum Ausführen ne | | 41,4 | 44 Addition ohne Ausspre- chen der Summanden |} 45,8 | t 36,2 39,6 41,033 Sek. 334 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. VI. Versuchsreihe. Serien Kerr Dane Zeit zum Ausführen ne | Addition ohne Ausspre- R l | 37,4 | 33,2| 4 | 28 |296 [ars | 33,5 chen der Summanden | | Sek. | | Das Mittel aus diesen beiden Versuchsreihen ist 37,266 Sekunden. Voranschlagen wir auch hier den fördernden Einfluss der Uebung auf 4,6°/,, so kommen 1,712 Sek. hinzu. Diesen 38,978 Sek. steht das Mittel 54,73 aus Versuchsreihe 3 und 4 gegenüber. 54,730 Sek. 38,978 , 15,752 Sek. sind die Zeit, die zum Auslösen der Sprache und zum Sprechen von 80 Zahlen, 40 „—-“-Zeichen und „—“-Zeichen nötig war. Zum Auslösen der Sprache und zum Sprechen einer Silbe bedurfte es somit die Zeit von 0,0875 Sek. Zum Lesen einer Silbe war die Zeit von 0,217 Sek. (Mittel aus Versuchsreihe 1 u. 2) notwendig. Die Differenz 0,2170 Sek. 0,0875 „ 0,1295 Sek. ist somit die Zeit der Perzeption und Apper- zeption. Nach den früheren Erfahrungen beim Lesen der Zahlen mag es zweifelhaft sein, ob ein Zeitzuschlag zum Aufheben des Einflusses der Uebung in diesen Versuchsreihen 5 u. 6 noch angebracht ist. Berück- sichtigen wir diesen Zuschlag nicht, dann beträgt die Zeit zum Aus- lösen der Sprache und Sprechen der 180 Silben (Zahlen und Zeichen) 17,464 Sek., für die Silbe 0,097 Sek. Die Perzeptions- und Apper- zeptionszeit beträgt alsdann 0,1200 Sek. Um die Interpolation des Einflusses der Uebung überflüssig zu machen, wurden folgende weitere Versuchsserien im Anschluss an die besprochenen durchgeführt. Wie in den frühern Versuchsreihen je 2 Mal sechs gleichartige Versuche durchgeführt wurden, so kamen nun die sechs Versuche einer Serie so zur Ausführung, dass je 2 Mal die Additionsbeispiele gelesen, 2 Mal die Addition verbunden mit dem Lesen der Summanden ausgeführt wurde und 2 Mal die Ausfüh- rung der Addition ohne Lesen der Summanden erfolgte. Es sind nun die 3 psychischen Vorgänge in jeder der 7 Serien vorhanden, also so gruppiert, dass sie alle von dem Einfluss der Uebung gleichsinnig ge- troffen werden. Seine Berücksichtigung durch Interpolation der un- mittelbaren Versuchsergebnisse ist also nicht mehr nötig. Zusammenstellung der Zeiten in Sekunden, die je zum 2maligen schnellen Lesen der 20 Additionsbeispiele nötig waren. Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. 335 Versuchsreihe Zeit in Sek. Zeit in Sek. Mittel 7 49,2 52,6 50,9 8 49,2 48,6 48,9 9 47 46,4 46.7 10 44 50 47 3 48,2 52,2 50,2 12 47 53,2 44,2 13 4.2 47 44,6. Das Mittel aus diesen 7 Versuchsreihen beträgt also 48,214 Sek. Die zum Lesen eines Additionbeispieles nötige Zeit war also 1,205 Sek. oder für die Silbe 0,196 Sek. Gegenüber dem uns aus Versuchsreihe 1 u. 2 bekannten Mittel von 0,217 Sek. hat sich also eine nicht un- erhebliche Verkürzung der psychischen Vorgänge als Folge der Uebung ergeben. Sie beträgt 11°/,. — Zusammenstellung der Zeiten in Sekunden, die je zum Ausführen der Additionen notwendig waren, wenn die Summanden und Zeichen laut benannt wurden. Versuchsreihe Zeit in Sek. Zeit in Sek. Mittel 7 52,8 53 52,9 8 53,2 50,8 52 9 48,2 47,8 48 10 51,6 55 53,3 11 58,2 54,8 56,5 12 51,2 47,2 49,2 13 46 47,2 46,6. Das Mittel dieser 7 Serien beträgt 51,235 Sek. Die Differenz 51,235 Sek. 48,214 „ 3,021 Sek. ist die Zeit, in welcher die neue psychische Phase, die durch die Ausführung der Addition bedingte Denkoperation, sich 40 Mal vollzog. Ihre einmalige Ausführung bedarf einer Zeit von 0,0755 Sek. Zusammenstellung der Zeiten in Sekunden, die je zum Ausführen der Additionen notwendig waren, wenn die Summanden und Zeichen nicht gelesen wurden. Versuchsreihe Zeit in Sek. Zeit in Sek. Mittel 7 33,0 ...ı 35,6 34,6 6) 37,2 31 34,1 a 42,8 27,6 35,2 10 26,6 27,2 26,7 11 29 392 32,1 12 32,8 26,6 29,7 13 27,4 23,6 25,5. 336 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Das Mittel aus den 7 Versuchsreihen beträgt 31,129 Sek. Die Differenz 51,235 Sek. (Zeit für Addition, wenn Summanden ge- lesen werden). 31,129 „ (Zeit für Addition, wenn die Summanden nicht gelesen wurden). 20,106 Sek. ist die Zeit, die zum Auslösen der Sprache und zum Sprechen nötig war. Das Auslösen der Sprache und Sprechen einer Silbe vollzog sich also in einem Zeitraum von 0,1117 Sek. Nun war in diesen Versuchsserien die Zeit, die zum Schnelllesen einer Silbe nötig war, 0,196 Sek. Die Differenz 0,1960 Sek. OL 0,0843 Sek. ist also die Zeit, welche in dieser Versuchsreihe zur Perzeption und Apper- zeption einer Silbe nötig war. Oben haben wir angegeben, dass in diesen Versuchsserien (7—13) gegenüber den frühern in Folge der Uebung die Lesezeit um 11°, verkürzt ist. Unsere Versuche ergeben, dass der fördernde Einfluss der Uebung die beiden Phasengruppen — Perzeption und Apperzeption einerseits, Auslösen der Sprache und Sprechen anderseits — in un- gleichem Maße influiert. Die Uebung bewirkt eine bedeutende Verkürzung der ersten Phasen- gruppe, vor allem also wohl der Apperzeption. Beeinflusst nun diese veränderte psychische Bethätigung den Gang der Ermüdungskurve? Eine Durchsicht der Ermüdungszeiehnungen vo E. J. scheint in der That die Frage zu bejahen. ; Bezeichnen wir je die Leistungsfähigkeit zu Beginn eines Ver- suches mit 100, dann ergibt sich für die Additionsversuche a. 100 100 10 ' 100 69,5 69,5 og Mittel ug Für das Schnelllesen von Zahlen aber lauten die korrespondieren- den Werte. b. 100 100 ' 100 99,9 98,7 Mittel 05,8 und e. 100 100 100 167,6 sag, uch ang Gesamtmittel aus b u. e: 100 123,4. Das Zahlenlesen führt also, wie wir früher schon betonten, zu einem Erregungszustande, der allerdings geringer ist als beim Lesen von Wörtern. Im Mittel erhöht er die Leistungsfähigkeit etwas über die ursprüngliche. Bei den Additionsversuchen wird zu gleicher Zeit im Mittel die Leistungsfähigkeit etwa so stark vermindert, wie sie beim Lesen gehoben wird. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. jologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Namen: von je 2—4 Bogen bilden einen Bandl Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Post: instalten. XIV. "Band. 15. Mai 1894. Nr. 10. In ana Son "Böhm ı und et Ueber das Pfeilgift von Kader San. — Braem, Ueber den Einfluss des Druckes auf die Zellteilung und über die Bedeutung dieses Einflusses für die normale Eifurchung — Eismond, Zur Öntogenie des Amphioxus lanceolatus. — Wagner, Einige Betrachtungen über die Bildung der Keimblätter, der Dotterzellen und der Embryonalhüllen bei Arthropoden. — UChittenden, Neuere physiologisch-chemische Unter- suchungen über die Zelle (Schluss). Ueber das Pfeilgift der Kaliyari-San. Vorläufige Mitteilung. Von Prof. Hans Schinz (Zürich), mit Beiträgen von Prof. Böhm (Leipzig) und Fairmaire (Paris). Auf meiner mühsamen Rückreise vom Ngami-See nach Ost-Herero- land Mitte 1586 war ich infolge eigener schwerer Erkrankung und der Erschöpfung sowohl meiner Begleiter wie der Zugtiere gezwungen, einen längern Aufenthalt in der Kalayari unter den dortigen Busch- mannstäimmen zu nehmen, wodurch sich mir reichlich Gelegenheit bot, nicht nur Bekanntschaft mit deren Dialekten, sondern auch el ınit deren Sitten und Gebräuchen zu machen. Durch Vermittlung der sprachkundigen Söhne des Elephantenjägers Robertson, von denen der Aelteste mich dann nach der Walfischbay begleitet hat, war es mir auch gelungen, in den Besitz des von den Kalayari-San oder Kalayari Busehmännern allgemein gebrauchten Pfeilgiftes zu kommen, das mein ganz besonderes Interesse beanspruchte, da dasselbe der Larve eines Käfers entstammt. Leider fanden wir damals nur einige wenige Larven, die überdies noch unentwickelt waren und schließlich auf der Ueberfahrt nach Europa noch vollständig eintrockneten, so dass es nach meiner Heimkunft nieht mehr möglich war, weder das Tier zu bestimmen, noch das Gift auf seine Wirkung hin zu prüfen. Die Thatsache, dass die Busechmänner der Kalayari tierisches Gift zum Vergiften ihrer Schusswaffen verwenden, ist übrigens schon längst XIV. 22 338 Schinz, Böhm und Fairmaire, Pfeilgift der Kaliyari-San. bekannt. Erwähnt sie doch bereits Le Vaillant, der Südafrika in den Jahren 1783—1785 bereist hat, ferner der vortreffliche Livingstone (Missionary travels) und endlich Baines, der ein ganz vortreffliches Werk über das Gebiet, das wir heute als Deutsch - Südwestafrika be- zeichnen, geschrieben hat. Baines, der als ausgezeichneter Land- schaftsmaler auch ein sehr feiner Beobachter war, hat den Käfer genau beschrieben, scheint aber keine Exemplare nach Europa gebracht zu haben, mindestens sind solche niemals in den Besitz eines kundigen Spezialisten gekommen. Sparsamer sind die Berichte Livingstone’s über dieses Pfeilgift; immerhin sei hervorgehoben, dass er erwähnt, dass die Buschmänner den Käfer N’gwa nennen, was in der That seine Richtigkeit hat. Le Vaillant, der eine fast krankhafte Vorliebe für das Weibliche durch beide Bände seiner Reisebeschreibung hin- durch dokumentiert und der seiner Phantasie mitunter allzu freie Zügel lässt, gibt an, dass der Käfer auf Geraniaceen lebe, eine Angabe, die wohl niemals bestätigt werden dürfte, da Pelargonien, Monsonia- und Sarcocaulon-Arten, die allein inbetracht kommen dürften, im Gebiete der Kalayari-San überhaupt nicht vertreten sind. Die Wirtpflanze der phytophagen Larve gehört denn auch gar nicht in die Familie der Geraniaceen, sondern in die der Burseraceen und konnte an Hand meines Materials als Commiphora africana (Arn.) Engl. erkannt werden. Nicht nur haben mir die verschiedensten Buschmänner ausnahmlos diesen in Afrika weit verbreiteten Halbstrauch als die Wirtpflanze der Giftlarve bezeichnet, sondern ich habe die Larve auch nur in unmittelbarer Nähe dieses Busches gefunden. Soweit reichte die Kenntnis dieses Pfeilgiftes beim Abschlusse meines teisewerkes. Nun sind mir aber durch meimen Freund Dr. Fleck, der als Vertreter des verstorbenen rheinischen Großkaufmanns Lilien- thal eine Reihe von Jahren in Südwest-Afrika gewohnt hat, und dem ich außergewöhnlich reiche Pflanzensammlungen verdanke, erhebliche Quantitäten des rätselhaften Tieres zugekommen, so dass ich in der angenehmen Lage war, größere Proben Professor Böhm in Leipzig zwecks Untersuchung des Giftes zustellen zu können. Glücklicherweise hatten sich auf der Reise verschiedene der Puppen weiter entwickelt, wodurch die Möglichkeit geboten war, endlich auch über die systema- tische Stellung des Tieres ins Klare zu kommen. Das Material von Fleck stammt gleichfalls aus der Kalayari und ist von meinem Freunde auf dessen Rückreise vom Ngami-See gesammelt worden. In Verbindung mit Prof. Böhm bereite ich eine größere Arbeit über die Pfeilgifte und die Waffen im Allgemeimen der Eingeborenen Deutsch-Südwestafrikas vor, die namentlich auch die ethnographische Seite dieses interessanten Gegenstandes behandeln soll; an dieser Stelle wünschen wir indessen summarisch über den gegenwärtigen Stand der Untersuchung zu referieren. Schinz, Böhm und Fairmaire, Pfeilgift der Kaliyari -San. 339 Der bekannte Koleopterologe Fairmaire in Paris, der den Käfer von mir zur Bestimmung erhalten hat, nennt denselben Diamphidia locusta Fairmaire und sendet mir folgende Diagnose: D. locusta nov. spec. — Long. 8—10 mm Ovata, valde con- vexa, pallide lutoso-fulvescens, parum nitida, capite ma- ceulis tribus, prothorace maeculis quinque, scutello et elytris utrinque maculis duabus basalibus nigris, pedibus nigris, femoribus medio late fulvidis, antennis nigris, opaeis, articulis duobus primis plus minusve fulvescenti- bus, primo supra nitida. Metapleuris paullo nigricantibus. Capite punetulato, medio plagula minuta laevi, antennis sat validis, articulis maris apice modice angulatis, femi- nae simplieibus. Prothorace brevi, elytris paullo an- gustiore, antice valde angustato, sat dense punetulato. Seutello sat lato, .brevi, apice rotundato. Elytris sat dense punctulatis, absolatissime lineolatis. Subtus cum pedibus pubescens, g femoribus postieis magis inflatis, tarsis antieis articulo primo inflato, dilatato. Les taches de la base des elytres sont assez variables, ilne reste souvent que celles des &epaules. La coloration de cette espe&ce jointe a la conformation des antennes, la distingue facilement de ses cong&neres. — Prof. R. Böhm autorisiert mich zur Wiedergabe nachstähender, vorläufiger Mitteilungen. Die Larven enthalten ein Gift aus der Gruppe der Toxalbumine, welches bei Kaltblütern schwach und sehr langsam, bei Säugetieren aber sehr stark und je nach der Höhe der Giftgabe in kürzerer oder längerer Frist tötlich wirkt. Die nach subkutaner Einverleibung der wässerigen Lösung auf- tretenden Erscheinungen bestehen in Hämoglobinurie, Durchfällen und allgemeiner Paralyse. Post mortem findet man von der Injektionsstelle ausgehend die Haut und die angrenzenden Faseien in weiter Ausdeh- nung im Zustande hämorrhagischer Entzündung. Schwere Läsionen zeigen außerdem die Nieren, die Darmschleimhaut und, bei protrahier- terem Verlauf der Vergiftung, auch die Lungen, Pleura und Peritoneum. Die Wirksamkeit des Giftes wird durch Erhitzen der wässerigen Lösung desselben auf 80--100° © mit Sicherheit aufgehoben. Näheres über die Eigenschaften des Toxalbumins, den Verlauf der Vergiftung und die pathologischen Veränderungen der Organe wird in einer aus- führliehen Abhandlung mitgeteilt werden (Prof. Böhm). — 340 Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. Ueber den Einfluss des Druckes auf die Zellteilung und über die Bedeutung dieses Einflusses für die normale Eifurchung. Von Dr. F. Braem in Preslau. Eine bestimmte Beziehung der Zellteilung zu dem auf die Zelle wirkenden äußeren Druck wurde zuerst im Jahre 1584 von Pflüger!) nachgewiesen. Pflüger fand, dass Froscheier, welche zwischen zwei parallelen Glasplatten vorsichtig eingezwängt waren, sich senkrecht zur Ebene der Platten fürchten, nachdem sich die Längsaxe der Furchungsspindel dieser Ebene parallel gestellt hatte. Allerdings gilt das zunächst nur für die erste und zweite Furche, da die Sterblichkeit der gedrückten Eier und Mangel an Material der weiteren Ausdehnung der Versuche hinderlich waren. Mit dieser Einschränkung aber ergibt sich, „dass die Zellteilungen senkrecht oder nahezu senkrecht auf die Ebenen der Platten, die karyokinetische Streckung ihnen also parallel erfolgt“. Da die Kernspindel m einer den Platten parallelen Ebene offenbar den freiesten Spielraum findet, während ihrer Streekung in jeder anderen Richtung der Druck der Platten entgegensteht, so be- zeichnet Pflüger das erwähnte Verhalten als Wirkung „des Prinzips des kleinsten Widerstandes“. Ein Jahr später hat Roux?) über Versuche ähnlicher Art berichtet. Er hat, dureh Aufsaugen Eier von Rana in möglichst enge Röhren ge- bracht, so dass die Eier in der Richtung der Röhre zum Teil bis über das Doppelte des Querdurchmessers verlängert waren. Diese Eier teilten sich quer zur Röhre, so dass sie „ihrer kleinsten... .. .. Durch- schnittsfläche nach halbiert wurden“. Endlich hat neuerdings Driesch?) in der von Pflüger ange- gebenen Weise mit Eiern von Seeigeln, speziell von Kehinus micro- tuberculatus, experimentiert. Er presste dieselben zwischen zwei nahezu parallelen Glasplatten ein, so dass sie in der verschiedensten Weise, teils mehr, teils weniger flachgedrückt wurden. Er beobachtete ihr Verhalten unter Druck bis zum 16zelligen Stadium. Die Kernspindeln stellten sich sämtlich horizontal, die Furchen demgemäß vertikal. Drieseh erinnert dabei an den von OÖ. Hertwig*) ausgesprochenen Satz, dass die Spindeln sich „in der Richtung der größten Protoplasma- 4) Ueber die Einwirkung der Schwerkraft und anderer Bedingungen auf die Richtung der Zellteilung. Dritte Abhandlung Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd 34 (1884) S. 607 ff. 2) Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo. Breslauer ärztliche Zeitschrift, VII. Jahrg. (1885) S. 76. 3) Entwieklungsmechanische Studien. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 55 (1892) S. 17 £. 4) Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Teilung der Zellen? Jenaische Zeitschrift, Bd. 18 (1885) 8. 194. Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. 341 ansammlungen der Zelle“ einstellen. Daraus schließt er, „dass die Teilwand eine Fläche minimae areae“ sein müsse, und so sieht er ın seinen Befunden eine Bethätigung des von Berthold!) auf die pflanz- liche Zellenlehre angewandten „Prinzips der kleinsten Flächen“. — Die Uebereinstimmung dieser Thatsachen ist offenbar, und sie ist um so bedeutsamer, als sie für Eier von so verschiedener Art, wie die des Seeigels und des Frosches sind, Geltung hat. Es ist höchst wahr- scheinlich, dass wir in ihr den Ausdruck eines allgemeinen Gesetzes, wie es schon Pflüger vermutete, zu erkennen haben?). Fassen wir Alles zusammen, was wir den erwähnten Befunden über die Beziehungen von Druck und Zellteilung entnehmen können, so ergibt sich, dass die Furchungsspindel sich stets senkrecht zur Rich- tung des stärksten Druckes stellt; sofern also dieser von parallelen Flächen ausgeht, parallel den letzteren. Gleichzeitig folgt, dass die Längsaxe der Spindel die Richtung des schwächsten Druckes aufsucht, was besonders klar in jenen Fällen hervortritt, wo das durch eine köhre zylindrisch zusammengepresste Ei die Spindel in der Richtung der Röhrenaxe entwickelt. Wir finden demnach Pflüger’s „Prinzip des kleinsten Widerstandes“ bestätigt, für welches der oben angeführte Satz O. Hertwig’s nur ein anderer Ausdruck wäre, insofern nämlich die „Richtung der größten Protoplasmaansammlungen der Zelle“ natur- gemäß mit der Richtung des kleinsten Widerstandes zusammenfällt; wenn nicht immer, so doch in der Regel. In der Riehtung des kleinsten Widerstandes -— z. B. in der Längsaxe einer Röhre — steht dem sich teilenden Ei der freieste Raum zu Gebote. In dieser Riehtung können die neugebildeten Zellen auseinanderrücken, hier kann eine Ausdehnung, eine Entwicklung, am leichtesten vor sich gehen. Teleologisch gefasst, können wir demnach das Prinzip des kleinsten Widerstandes auch so ausdrücken: Die Spindel eines un- 1) 6. Berthold, Studien über Protoplasmamechanik, Leipzig 1886, Kap. VII, S. 219 £:. 2) Aus den Untersuchungen, die L. Auerbach im zweiten Hefte seiner Organologischen Studien (Breslau 1874) niedergelegt hat, geht hervor, dass er die Wirkung des Druckes zweier paralleler Glasplatten auf die Entwicklung des Eies von Ascaris nigrovenosa beobachtet hat. Da sich indessen hier keine näheren Angaben darüber finden, so richtete ich an Herrn Prof. Auerbach eine diesbezügliche Frage, die er dahin beantwortete, dass in den von ihm a. 0. Taf. IV abgebildeten und noch in einigen folgenden (d. h. mehr als 4zelligen) Stadien die Spindeln „immer und ausnahmslos“ den drückenden Platten parallel eingestellt gewesen seien. Es ist somit die Geltung der beim Frosch und beim Seeigel beobachteten Erscheinungen auch für die Eier der Ascariden nachgewiesen. Herr Prof. Auerbach hatte die Güte, mir die Ver- öffentlichung dieser Thatsache zu gestatten, obwohl er darüber selbst noch genauere Angaben zu machen gedenkt. 342 Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. 2 gleichem Druck unterliegenden Eies stellt sieh in derjenigen Richtung ein, in weleher der räumlichen Entfaltung der Zelle und ihrer Teil- produkte der freieste Spielraum geboten ist. Ich glaube, dass diese Fassung trotz oder vielmehr gerade wegen ihres teleologischen Gehaltes dem Wesen der Sache besser entspricht als die rein mechanische Deutung. Denn es scheint, dass nicht die Druckwirkung allein, sondern auch schon die Kontaktwirkung in Frage kommt. Hiefür spricht eine merkwürdige Beobachtung, welche Roux a. a. O. mitteilt. Einige der in die Glasröhre aufgenommenen Froscheier waren in der Weise deformiert, dass sie eine linsenförmige Abplattung in der Riehtung der Röhre zeigten. Ihr größter Durch- messer fiel also in den Querschnitt der Röhre. Von einem Druck der töhrenwände konnte unter solehen Umständen nicht die Rede sein, vielmehr war offenbar ein der Röhrenwand paralleler Druck wirksam gewesen. Gleichwohl furchten auch diese Eier sich größtenteils so, dass die Spindel der Röhre parallel, die Furche senkrecht zur Röhre stand. Die Spindel trat also in die Richtung der geringsten Plasma- ansammlung der Zelle, und das Ei wurde, entgegen dem „Prinzip der kleinsten Flächen“ gerade in seiner größten Durchsechnittsfläche halbiert. Thatsächlich ist dieser Fall nur so erklärbar, dass der Kon- takt mit der Röhrenwand vom Ei als Widerstand empfunden und wie ein stärkster Druck berücksichtigt wurde. Und in diesem Sinne ist allerdings das „Prinzip des kleinsten Widerstandes“ auch hier noch zutreffend, denn der einzige positive Widerstand, der für das linsen- förmig abgeplattete Ei existierte, war wirklich in der Wandung der Röhre gegeben, und wenn das Ei dieses Hemmnis vermied und sich senkreeht zur Röhre teilte, so wählte es nach dem „Prinzip des kleinsten Widerstandes“ diejenige Richtung zu seiner Entfaltung, die ihm von allen den weitesten Spielraum gestattete. In diesem zweckmäßigen Handeln der Zelle sprieht sich vielleicht ein Vermögen aus, das durch künftige Versuche als ein sehr allgemeines aufgedeckt werden wird; eine Art Tastsinn, durch den es der Zelle möglich wird, sich über ihre unmittelbare Umgebung zu orientieren und demgemäß einzurichten. Will man dafür ein Wort, so kann man von einem negativen Stereotropismus der Zelle reden!). Strenge genommen gehört das Verhalten der linsenförmigen Eier nicht zu unserem Thema, da hier von der Wirkung des Druckes und nieht von Kontaktreizen die Rede sein soll. Immerhin ist es für uns bedeutsam, weil Druckwirkungen stets mit Kontaktreizen verbunden sind; vor allem aber dadurch, dass es uns das Prinzip des kleinsten 1) „Positiv stereotropisch“ nennt Loeb in seinen Untersuchungen zur physiol. Morphologie der Tiere II, Würzburg 1892, S. 76, die Wurzeln von Antennularia, weil sie festen Körpern sich anzufügen streben. Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. 343 Widerstandes besser verstehen und in seiner Tragweite würdigen lehrt. Es zeigt, dass weder das Prinzip der kleinsten Flächen, noch der Satz von der größten Protoplasmaansammlung der Zelle unbedingte Geltung besitzen, dass vielmehr nur das Prinzip des kleinsten Widerstandes den Kernpunkt der Sache trifft. — Ich möchte nun, und das ist der eigentliche Zweck dieser Zeilen, darauf hinweisen, dass die experimentell konstatierte Wirkung des Druckes auf die Zellteilung geeignet erscheint, den Verlauf der normalen Furechung in wesentlichen Punkten zu erklären. Dass lokalisierte Druckkräfte unter allen Umständen auf die eim- zelne Furchungskugel einwirken, unterliegt keinem Zweifel. Einerseits drücken die Furchungskugeln auf einander, und anderseits drücken die Eihüllen, vor allem die Eimembran, auf die Furchungskugeln. Ich glaube, dass die wechselnde Stellung der Furchungs- ebenen, die Furchenfolge, durch diese Druckkräfte mit bedingt ist. Als erläuterndes Beispiel wähle ich die nahezu reguläre Furchung des Eies von Synapta digitata, wie sie von Selenka im zweiten Hefte seiner Studien über Entwicklungsgeschichte der Tiere (Wiesbaden 1883) beschrieben ist. Das Eehinodermen-Ei ist bekanntlich von kugelrunder Gestalt. Der Plasmakörper ist umgeben von einer Gallertschieht, welche ihrerseits durch die Membran des Eies begrenzt wird. Nach erfolgter Befruch- tung scheidet das Ei zudem einen Mantel hyalinen Plasmas aus, welcher sich unterhalb der Gallertschicht einschaltet. Dieser Plasmamantel wirkt nach Selenka (a. a. O. S. 39) als „elastische Hülle“, die den Formveränderungen des Eies während der Furchung „einen Wider- stand entgegensetzt“, und sogar zu Verschiebungen der Furchungskugeln Veranlassung geben kann. Auf diese Weise wird der Druck der übrigen Eihüllen, der Membran und der Gallertschicht, noch erhöht. Da je- doch die drei peripheren Schichten alle in gleichem Sinne wirken, so werde ich im Folgenden lediglich von dem Druck der Membran sprechen Bei einem runden Ei ist es klar, dass die Stellung der ersten Furehungsspindel unter normalen Verhältnissen nicht von äußeren Druckkräften abhängig sen kann, da der Druck der Membran auf alle Punkte der Kugeloberfläche gleichmäßig einwirkt, sieh also auf- hebt. Hier kann allein die Differenzierung des Plasmakörpers selbst in Betracht kommen. Sie besteht in der Hauptsache darin, dass von einem Ende des Eies zum anderen die passiven Nährsubstanzen, die ich schlechthin als Dotter bezeichnen will, allmählich zunehmen. Da- dureh entsteht ein Gegensatz zwischen einer dotterreiehen und einer dotterärmeren Hälfte des Eies. Die durch den Punkt der größten und den der geringsten Dotteranhäufung gelegte Gerade ist die Axe des Eies, und sie bezeichnet auf der Oberfläche der dotterarmen Hälfte den 344 Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. animalen oder Richtungskörperchen-Pol, auf der Oberfläche der dotter- reichen Hälfte den vegetativen Pol. So gering der Gegensatz zwischen den beiden Hälften des Eies gelegentlich sem mag, wird er doch sicher niemals völlig vermisst. Jedes Ei wird daher nur in einer Richtung, nämlich senkrecht zur Polaxe, der Aequatorialebene parallel, so geteilt werden können, dass vom Zentrum der Sehnittfläche nach jedem Punkte ihrer Peripherie hin ein gleiches Quantum von Dottersubstanz bestrichen wird. Da nun der Dotter, als passives Nährmaterial, der Aktion der Zelle einen erheblichen Widerstand entgegensetzt, einen Widerstand, weit größer als der, den die übrige plasmatische Substanz bereitet, so werden für den in Spindelform übergehenden Kern nur in äqua- torialer Riehtung die Widerstände des Plasmas gleich sein. Nur in äquatorialer Richtung wird sich die Spindel gleichmäßig nach beiden Seiten verlängern können. In jeder anderen Richtung würden die Widerstände verschieden sein, indem für die eine, dem vegetativen Pole zustrebende Spindelspitze die Konzentration des Dotters immer größer, für die andere Spitze dagegen immer geringer würde. Es würden also die beiden Hälften der Spindel sich ungleich entwickeln, und zwar um so mehr, je stärker die Längsaxe der Spindel gegen die Polaxe geneigt wäre, am meisten, wenn sie mit. dieser zusammenfiele. Es liegt demnach im Interesse einer möglichst äqualen Zellteilung, dass die Axe der Spindel sich horizontal stellt. Schon Pflüger hat das Moment der bipolaren Differenzierung des Eimhaltes zur Erklärung der horizontalen Lage der ersten Spindel herangezogen, ohne freilich dabei das Punctum saliens zu treffen. Er sagt nämlich mit Bezug auf das Ei des Frosches a. a. O. 8. 609: „Vor dem Beginn der ersten Furchung liegt der Kern in dem dünn- flüssigen Inhalt der oberen Calotte |[d. i. der animalen Hälfte] des Eies. Würde die karyokinetische Streekung die Richtung von oben nach unten einschlagen wollen, so müsste sie in den diekflüssigen steifen Satz |der vegetativen Eihälfte] eindringen, der ihr einen beträchtlichen Widerstand entgegensetzt. Dehnt sich der Kern aber in horizontaler Riehtung aus, so vollzieht sich die Bewegung nur in dem dünnflüssigeren Eiinhalte und in der Riehtung der größten Dimension der Calotte. Die karyokinetische Streekung wird mit einem Worte dem geringsten Widerstande begegnen, wenn sie horizontal gerichtet ist“. Pflüger glaubt also auch hier das Prinzip des kleinsten Widerstandes als letztes Motiv wirksam zu sehen. Das wäre jedoch nur dann zutreffend, wenn die animale und die vegetative Hälfte des Eies durch eine scharfe Grenze getrennt und in sich selbst gleichartig gemischt wären. Nur dann würde der auf der Trennungsfliche gelegene Kern bei horizon- taler Streekung ein Minimum an dotterreicher Substanz zu verdrängen haben. Thatsächlich findet aber zwischen der animalen und der vege- Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. 34, tativen Hälfte ein kontinuierlicher Uebergang statt, derart, dass der Dotter von einem Punkte der diehtesten Häufung in der Nähe des vegetativen Poles nach einem Punkte der geringsten Konzentration in der Nähe des animalen Poles allmählich ab-, in umgekehrter Richtung dagegen zunimmt. Streckt sich also der Kern unter Abweichung von der Horizontalebene in einer zur Axe des Eies schiefen Richtung, so wird allerdings für die dem vegetativen Pole zustrebende Spindelspitze der Widerstand sich vergrößern; ebenso sehr aber wird er sich für die andere Seite der Spindel verringern, da ja die Konzentration des Dotters gegen den animalen Pol hin fortwährend abnimmt: so dass der Gewinn auf der eimen Seite durch den Verlust auf der anderen aufgewogen wird, und folglich bei jeder Lage der Spindel die Summe der Widerstände sich gleich bleibt. Ist bei horizontaler Streck- ung der Widerstand auf beiden Seiten der Spindel — w, so ist er bei einer anderen Lage auf der vegetativen Seite = w + x, auf der animalen Seite = » — x. Die horizontale Streekung kann daher nicht in dem Prinzip des kleinsten Widerstandes begründet sein. Was die horizontale Streckung vor jeder anderen Richtung voraus hat, das ist die Gleichheit der Widerstände. Es ist das Prinzip des gleichen Widerstandes, wodurch die horizontale Lage der Spindel bedingt wird. Wir müssen annehmen, dass der Kern von vornherein. das Bestreben hat, sich gleichmäßig nach beiden Seiten hin auszu- dehnen und somit auf eine äquale Zellteilung hinzuwirken. Deshalb wählt er zunächst die horizontale Richtung, denn diese allein macht eine gleichmäßige Entwicklung der beiden Spindelhälften möglich. Die fertige Spindel wird sich alsdann dem Zellkörper gegenüber ähnlich verhalten wie etwa ein Stab, der in einer Flüssigkeit schwimmt, welche von oben nach unten an Zähigkeit allmählich zunimmt: der Stab wird nach Maßgabe seines spezifischen Gewichtes in einer bestimmten Höhe der Flüssigkeit horizontal schweben. Es liegt im Wesen der kinetischen Kernteilung, dass sie auf eine gleichmäßige Spindelbildung, eine gleichmäßige Verteilung der Kern- substanzen hinstrebt. Jede kinetische Kernteilung wird a priori dieser Tendenz zu folgen suchen. Aber sie wird ihr nur so weit nachgeben können, als keine anderen Einflüsse hindernd entgegentreten. Zu den letzteren gehören zunächst die ungleichen Widerstände des Zellplasmas; wir sahen, dass eben dadurch die Lage der ersten Spindel bedingt war. Ferner werden dahin die äußeren Druckkräfte zu rechnen sein. Schon bei der zweiten Furchung kommen dieselben in Frage. Das auf dem 2zelligen Stadium befindliche Ei von Synapta (Fig. 1) unterliegt in der dureh die Verbindungslinie der Kernmittel- punkte gegebenen Richtung einem stärksten Druck. In dieser Rich- tung ist die Membran (m) am meisten gedehnt, ihre Spannung am srößten. Hier wird jede Zelle einerseits durch die Membran, anderseits 346 Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. durch die Nachbarzelle eingeengt. In jeder anderen Riehtung ist der Druck geringer. Nach dem Prinzip des kleinsten Widerstandes müssen nunmehr die Spindeln sich senkrecht zur Axe des stärksten Druckes stellen, also senkrecht zur Axe Ah. Nach dem Prinzip des gleichen Widerstandes aber werden sie wiederum, wie bei der ersten Furche, die Aequatorialebene wählen, also die Polaxe AV kreuzen. Sie werden sich demnach in Fig. 1 senkrecht zur Fläche des Papieres strecken und dadurch beiden Prinzipien, dem des kleinsten und dem des gleichen Widerstandes, gerecht werden. In der That entspricht dies der Wirklichkeit. Die zweite Furche verläuft also in der durch die Axen Ah und AY bestimmten Ebene, in Fig. 1 fällt sie mit der Papierfläche zusammen. Sie ist eine Meridionalfurche, die auf der ersten Furche senkrecht steht. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 1. Ei von Synapta digitata im 2zelligen Stadium. Vergr. etwa 350. Kopie nach Selenka, Studien über Entwicklungsgeschichte der Tiere, Wies- baden 1883, Taf. IX, Fig. 66. A animaler, V vegetativer Pol des ungefurchten Eies; AV die Polaxe. Ah die längste horizontale Axe, in welcher die Aequa- torialebene senkrecht zur Polaxe verläuft. »n Eimembran. Fig. 2. Azelliges Stadium von Ophioglypha lacertosa, dem entsprechendes Sta- dium von Synapta, welches Selenka nur in der Polansicht abbildet, äußer- lich fast gleich. Vergr. etwa 400. Kopie nach Selenka a.a. O0. Taf. VII, Fig. 56. AV die Polaxe. p helles Protoplasma, vom Ei nach der Befruch- tung ausgeschieden. So resultiert das 4zellige Stadium mit vier unter sich gleichen Furchungskugeln (Fig. 2). Die Riehtung des stärksten Druckes ist durch die Aequatorialebene bestimmt, in welcher die Mittelpunkte aller vier Zellen liegen. In dieser Richtung wird jede Zelle von drei Seiten her eingeengt, einerseits durch die Membran, anderseits durch die zwei Nachbarzellen. Der Druck ist so stark, dass die Zellen in der Rich- tung des kleinsten Widerstandes, d. i. senkrecht zur Aequatorialebene, Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. ST der Polaxe parallel, bedeutend verlängert erscheinen. Nach dem Prinzip des kleinsten Widerstandes müssen die Spindeln nunmehr in dieser Richtung sich einstellen. Da dieselbe jedoch senkrecht zur Aequatorial- ebene verläuft, so ist klar, dass das Prinzip des gleichen Wider- standes dadurch verletzt würde. Welchem von beiden Prinzipien werden die Kerne nun folgen? Die Druckversuche mit den Eiern des Frosches und des Seeigels haben gelehrt, dass die Spindeln sich unter allen Umständen der drückenden Fläche parallel, d. h. m der Richtung des kleinsten Druckes einstellen. Wir dürfen daraus den Satz ableiten, dass in Fällen, wo das Prinzip des kleinsten und das des gleichen Widerstandes einander ausschließen, die karyokinetische Streckung dem ersteren folgt. Der Grund dieses Verhaltens ist offenbar der, dass die Zelle lieber im eine ungleiche Teilung willigt, als überhaupt auf die Teilung verzichtet. Denn ein zwischen zwei Glasplatten emgezwängtes Ei hat nur in der den Platten parallelen Richtung Raum zur Entfaltung. Nur hier können neue Teilprodukte Unterkunft finden, während senkrecht dazu der Raum vergeben ist. Der äußere Druck ist ein Hindernis ungleich sröberer Art, als es der Widerstand inmitten der Zelle ist. Nach dem Prinzip des kleinsten Widerstandes werden also im 4zelligen Stadium die Spindeln die Riehtung der Polaxe einschlagen, wie es thatsächlich der Fall ist. Dadurch wird aber die äquale Ent- wiek/ung der beiden Spindelhälften beeinträchtigt werden, indem für die eine Hälfte die Widerstände des Plasmas wachsen, für die andere dagegen geringer werden. Vielleicht ist hiemit ein Grund gegeben, dass die vier vegetativen Zellen des nun folgenden 8-Stadiums sich auch bezüglich der Kerne etwas anders verhalten als die vier animalen. Dass wirklich der äußere Druck als die Ursache für die senk- rechte Einstellung der Spindeln anzusehen ist, dafür sprieht die Be- obachtung von E. B. Wilson!), dass die Furchungskugeln des im 4-Stadium befindlichen Amphioxus- Eies, wenn sie aus dem Verbande der Nachbarzellen gelöst werden, sich sogleich wieder meridional zu teilen beginnen. Mit dem Wegfall des äußeren Druckes tritt das Prinzip des gleichen Widerstandes in sein Recht und die Spindeln stellen sich demgemäß horizontal. Auf dem Szelligen Stadium (Fig. 3) liegen die Mittelpunkte der Zellen ziemlich genau in den acht Ecken eines Würfels. Jede Zelle ist einerseits dem Druck der Membran, anderseits dem Druck von drei Nachbarzellen ausgesetzt, die in der Riehtung der drei im Zentrum der ersten Zelle zusammenstoßenden Würfelkanten auf die Zelle einwirken. Der Druck der Membran konzentriert sich im der tiehtung der Diagonale des Würfels und wirkt der aus den drei 1) On multiple and partial development in Amphioxus, Anat. Anzeiger, Bd. VII (1892), 8.732 E. 348 Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. anderen Druckkräften sich ergebenden Resultante entgegen. Nach dem Prinzip des kleinsten Widerstandes wird sich die Spindel daher in einer zur Würfeldiagonale senkrechten Ebene einstellen müssen. Nach dem Prinzip des gleichen Widerstandes aber wird sie imnerhalb dieser Ebene diejenige Richtung einschlagen, welche mit der Aequa- torialebene der Zelle zusammenfällt, wird also der dritten Furche parallel gehen. Jede der acht Zellen wird demnach durch eine Meri- dionalfurche in zwei gleiche Stücke zerlegt werden, und so resultiert das 16zellige Stadium, bestehend aus einem animalen und einem vegetativen Kranze von je acht Zellen (Fig. 4). Fig. 3. Szelliges Stadium von Synapta digitata. Vergr. etwa 350. Kopie nach Selenka.a.a.0. Taf. IX, Fig. 68, nur die Membran ist hier, wie in den folgenden Figuren, von mir hinzugefügt. AV die Polaxe. Fig. 4. 16zelliges Stadium von Synapta. Selenka, Fig. 69 Im 16zelligen Stadium ist offenbar in äquatorialer Richtung der Druck am stärksten. In dieser Richtung ist die Membran am meisten gespannt, senkrecht dazu, in der Richtung der Polaxe, nur wenig. Das Verhältnis ist ähnlich wie auf dem 4-Stadium: dort lagen vier Zellen im äquatorialen Querschnitt, hier deren acht; dort war die Polaxe durch den Durchmesser einer Furchungskugel bestimmt, hier ist sie durch den von zweien gegeben. Die räumlichen Proportionen sind demnach die gleichen. Da ihnen die Druckverhältnisse parallel gehen, so werden auch diese einander entsprechen. Der vorwiegend äquatoriale Druck wird auch im 16 zelligen Stadium gemäß dem Prinzip des kleinsten Widerstandes eine meridionale Richtung der Spindeln herbeiführen, gleichzeitig aber wird das Prinzip des gleichen Wider- standes dadureh verletzt werden. Die Furchen werden für alle Zellen äquatorial gerichtet sein und auf diese Weise wird das 32zellige Sta- dium zu stande kommen (Fig. 5). Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. 349 Je mehr sich die Zellen häufen, um so schwieriger wird es natür- lich, die Druckkräfte zu kontrollieren und ihre Beziehung zur Stellung der Spindeln nachzuweisen. Aber der regelmäßige Wechsel von meri- dional und äquatorial gerichteten Furchen, welcher wenigstens für die zwei den Aequator des Eies begrenzenden Zellenringe noch eine Zeit lang verfolgt werden kann, lässt der Vermutung Raum, dass auch ferner die Wirkung des Druckes von Einfluss bleibt. Denn jede meri- dionale Teilung der Zellen muss den äquatorialen Umfang der Blastula erweitern und den äquatorialen Druck demgemäß verstärken. Das Ueberwiegen des letzteren muss alsdann eine meridionale Stellung der Spindeln zur Folge haben, indem das Prinzip des gleichen Widerstandes zeitweilig zu Gunsten des Prinzipes des kleinsten Widerstandes sus- pendiert wird. Ist aber durch die dadurch bedingte äquatoriale Furchung die Spannung ausgeglichen, so wird das Prinzip des gleichen Wider- standes in sein altes Recht treten: die Spindeln werden sich äquatorial, die Furchen meridional stellen. Nach Ablauf dieser Furchung wird abermals ein Plus an äquatorialer Spannung bemerkbar werden, das Prinzip des kleinsten Widerstandes gewinnt die Oberhand und bedingt eine meridionale Stellung der Spindeln, eine äquatoriale Richtung der Furchen. — Ich bin weit entfernt von dem Glauben, dass hiemit etwa die Furehung an sich erklärt sei, oder dass alle Entwicklungsvorgänge von rein mechanischen Gesichtspunkten aus verständlich gemacht wer- den könnten. Die Thatsache, dass eine Entwicklung stattfindet, bleibt uns im Grunde ebenso rätselhaft wie die Thatsache, dass die Entwick- lung unter allen Umständen auf diesen bestimmten Organismus hinarbeitet. Früher oder später treten in jeder Entwicklung Form- veränderungen zu Tage, die den Stempel des Willkürlichen, gleichsam Beabsichtigten an sich tragen, und angesichts deren wir uns nur auf eine bestimmte Tendenz, eine spezifische Energie des Eies zu berufen vermögen. Manchmal machen sich solche Erscheinungen schon auf den ersten Furchungsstadien bemerkbar. Wenigstens habe ich mich vergebens bemüht, die Thatsache, dass bei den Eiern der Seeigel die vier animalen Zellen des 3-Stadiums äquatorial statt meridional ge- furcht werden (s. Selenka a. a. O. Fig. 5 u. 31), auf rein mecha- nische Ursachen zurückzuführen. Der Organismus braucht Mikromeren, deshalb will er sie bilden!). 1) Anmerkungsweise mag hier eines Falles gedacht werden, bei dem ich mich weder auf die Autonomie der Zelle, noch auf mechanische Einflüsse be- stimmt zu berufen wage. Die runden Eier der Anneliden werden von vorn- herein in zwei sehr ungleiche Zellen gespalten, in denen das Material für die vordere und hintere Körperhälfte gesondert vorliegt. Die Furche verläuft meridional, die zugehörige Spindel streckt sich daher, wie gewöhnlich, äquatorial. Da nun die Furchungskugeln trotzdem verschieden an Größe sind, so müssen ‘. 36 S oO Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. Aber damit ist keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, dass dennoch mechanische Einflüsse die Form der Entwieklung mit be- stimmen. Dass dies unter abnormen Verhältnissen der Fall sein kann, haben die früher erwähnten Druckversuche bewiesen. Unter ihnen sind die von Driesch insofern besonders bedeutsam, als der genannte Autor das Schicksal der Eier am weitesten verfolgt hat. Drieseh hat Seeigeleier, die in beliebiger Stellung zwischen zwei Glasplatten fest- gelegt worden waren, sich bis zum Stadium von 16 Zellen unter Druck furchen lassen. Alle Teilungsflächen waren senkrecht auf die drücken- den Platten gerichtet, die normale Form der Furchung war also total geändert. Sie war ferner, wegen der wechselnden Stellung der Eier, für jedes Ei in anderer Weise geändert. Aus den so deformierten Gebilden gingen aber gleiehwohlnormale Larven hervor, in niehts von den gewöhnlichen unterschieden. Dies zeigt auf das deutlichste, dass die äußere Form der Furchung bis auf einen gewissen Grad variabel ist, dass sie geändert werden kann, ohne dass gleich- zeitig auch das Resultat der Furchung ein anderes wird. Das Ziel bleibt dasselbe, aber der Wege dahin gibt es mehrere, ja innerhalb der gesteckten Grenzen unendlich viele). Wenn nun trotz dieser experimentell belegten Variabilität die Form der Furchung unter normalen Verhältnissen durchaus konstant er- scheint, so werden wir annehmen müssen, dass diese Konstanz nicht auf den Eigenschaften der belebten Materie selbst beruht, sondern dass sie in anderen Umständen ihren Grund hat. Es muss Ursachen geben, die es bedingt haben, dass die variable Entwicklungsform sich in konstante Bahnen gefügt hat. Ich glaube gezeigt zu haben, dass eimerseits in dem Druck der Membran auf die Furchungszellen, anderseits in dem Druck der wir annehmen, dass die Eier der Anneliden von Hause aus bilateral differenziert sind. Warum aber streckt sich alsdann die erste Spindel nicht in der Rich- tung des gleichen Widerstandes, da doch ein solcher auch in der Aequatorial- ebene zu finden ist? Warum trennt die Primärfurche das Material für den vorderen und hinteren Teil des Körpers statt für die linke und rechte Seite, wie es dem allgemeinen Verhalten und dem Prinzip des gleichen Widerstandes entsprechen würde? Hier auf eine dem Ei immanente Tendenz zurückzugreifen, scheint mir deshalb gewagt, weil nicht ersichtlich ist, warum gerade eine vordere und hintere statt einer rechten und linken Hälfte zuerst notwendig sein sollte. Eher möchte ich glauben, dass hier ein Missverhältnis zwischen dem Kern und demPlasmakörper der Zelle besteht, wodurch es dem Kern unmöglich gemacht ist, das Ei in eimer größten Teilungsebene zu halbieren, und wodurch er genötigt wird, eine Ebene minoris areae auf- zusuchen. 4) Driesch a.a. O0. S. 17 ff. Vergl. dazu Braem, Das Prinzip der organbildenden Keimbezirke und die entwicklungsmechanischen Studien von H. Driesch. Biol. Centralblatt, Bd. XIII (1893) S. 146 ff. Braem, Pinfluss des Druckes auf die Zellteilung. 551 Furchungszellen gegen einander, solche Ursachen zu finden sind. Der äußere Druck wirkt dem Prinzip des gleichen Widerstandes, nach dem sich die Zelle ursprünglich zu teilen strebt, entgegen. Aus dem Wider- streit beider Motive, aus dem abwechselnden Steigen und Fallen des äußeren Druckes, der den riehtenden Einfluss der ungleiehen Wider- stände des Zellplasmas auf die Stellung der Spindeln bald aufhebt, bald wieder hervortreten lässt, ergibt sich die für die reguläre Furchung charakterische Furehenfolge, ein Wechsel von äquatorialen und meri- dionalen Teilungen. — In noch einer anderen Hinsicht scheint mir die Wirkung des äußeren Druckes geeignet zu sein, um über eine Schwierigkeit im Verständnis der Entwieklungsvorgänge hinwegzuhelfen. Es ist nämlich keineswegs klar, wie bei regelmäßigem Wechsel von äquatorialen und meridionalen Furchen schließlich eine geschlossene Hohlkugel aus dem Ei hervor- gchen könne. In Fig. 4 und 5 sind die Furchungskugeln ‚in Form eines an beiden Polen offenen Zylinders angeordnet. Durch weitere äquatoriale und meridionale Teilungen kann dieser Zylinder ledig- lich größer, niemals aber zu einer geschlossenen Kugel werden. Schon Selenka (a. a. ©. 8. 32) hat diesen Umstand betont. Die Thatsache, dass die Furchungszellen sich dennoch allmählich zum Kugelmantel zusammenfügen, erklärt er dadurch, dass 1) „die den Polen genäherten Zellen etwas kleiner sind“, und dass sie 2) „unter wachsender Regellosigkeit der Anordnung“ aus der Kranzfornm heraus- treten und die Form der Calotte annehmen. Diesen Prozess sucht Selenka auf eine Verschiebung der Furchungszellen gegen einander zurückzuführen. Was nun das erste Moment betrifft, so ist der Unterschied in der Größe der Zellen, falls er wirklich an beiden Polen besteht, so gering, dass er auf keine Weise die Bildung der Kugel erklären kann. Was aber die Verschiebung der polaren Zellenkränze angeht, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass ein Prozess von so fundamentaler Be- deutung lediglich dem Zufall überlassen sein soll. Erstens ist für das Eingreifen eines solchen Zufalls keinerlei Garantie gegeben: man sieht nicht, weshalb die natürliche Ordnung der Zellen immer durch irgend ein Ungefähr gestört werden sollte. Zweitens würden, wenn die Verschiebung einträte, die an den Pol rückenden Zellen für ihre Auf- gabe durchaus nieht organisch prädestiniert sein: sie würden nur des- halb zu Polzellen werden, weil ihnen der Würfel dies Loos bestimmt hat. Dagegen bietet uns das Prinzip des kleinsten Widerstandes ein Mittel, um die „wachsende Regellosigkeit der Anordnung“ dieser Zellen begreiflich zu machen. Es liegt auf der Hand, dass für die polaren Zellen der Fig. 5 andere Druckverhältnisse gelten als für die äquatorialen. Der Unter- 359 Braem, Einfluss des Druckes auf die Zellteilung. schied erstreckt sieh sowohl auf die Zahl als auch auf die Intensität der Druckkräfte. Während die äquatorialen Zellen (Fig. 5, a a), außer von der Membran des Eies, von vier Nachbarzellen umschlossen sind, sind es die polaren nur von dreien, und zwar so, dass die eingeschlossene Zelle an einer Seite völlig frei bleibt. Nach dieser Seite hin, d. h. polwärts, richtet sich ohne Zweifel die Axe des kleinsten Widerstandes. Nach dieser Seite hin werden daher die Spindeln der polaren Zellen- kränze durch den Druck abgelenkt werden. Sofern eine meridionale Stellung der Spindel in Frage kommt, ist das unwesentlich, weil die Axe der Spindel dann ohnehin in die Richtung des kleinsten Wider- standes fällt. Sofern es sich aber um äquatoriale Stellungen (also meridionale Furchen) handelt, wird das Prinzip des kleinsten Wider- standes ein Hindernis bilden: die Spindeln werden aus der Aequatorial- ebene heraus den Polen zustreben. Fig. 5. Fig. 5. 32 zelliges Stadium von Sy- napta, in einer die gegenüberliegenden Zellen halbierenden Meridionalebene Aurchsehnitten. Vergr.etwa350. Kopie nach Selenka a.a.0. Taf. IX, Fig.73. AV die Polaxe. aa die beiden an. den Aequator grenzenden Zellenringe. Das wird um so mehr der Fall sein, als der äquatoriale Druck, den die Zellen durch ihre seitlichen Nachbarzellen erfahren, an den Polen viel größer ist als am Aequator, weil ja die polaren Kränze bei gleicher Zahl der Zellen viel enger gefügt sind. Die engere Fügung aber beruht auf dem Widerstand der Membran des Eies, die daher gleichfalls die polaren Zellen stärker beeinflussen wird als die äqua- torialen. Die Angriffspunkte der Membran und der seitlichen Nachbar- zellen bezeichnen demnach für die polaren Zellen eine Ebene des stärksten Druckes, die als solche auch dann noch bestehen wird, wenn in den äquatorialen Zellen der seitliche Druck nieht mehr die Herrschaft hat. Wenn also am Aequator nichts mehr der horizontalen Lage der Spindeln im Wege steht, wird an den Polen dennoch das Ueberwiegen des äquatorialen Druckes dieser Lage hinderlich sein: Eismönd, ÖOntogenie des Amphioxus lanceolatus. 353 die Spindeln werden sich senkrecht zur Ebene des stärksten Druckes, d. h. polwärts, zu stellen suchen. Beide Momente — der Mangel eines polaren Widerstandes und der stärkere äquatoriale Druck — wirken also in den Zellen der polaren Kränze gleichzeitig und in gleichem Sinne. Sie summieren einander und erschweren so zwiefach die äquatoriale Stellung der Spindeln in diesen Kränzen. Die äquatoriale Stellung wird daher immer nur an- näherungsweise stattfinden können, die Spindel wird nicht genau im den Aequator der Zelle fallen, sondern sie wird gegen den Pol hin ausweichen. In Folge dessen wird auch die meridionale Furche einen etwas schrägen Verlauf nehmen. Mit der Ablenkung der Spindeln von der äquatorialen Richtung in die Richtung des kleinsten Widerstandes, d. h. nach den Polen zu, sind aber die Bedingungen für ein Herausrücken der Teilprodukte aus dem Verbande des Zellenkranzes gegeben. Entsprechend der polaren Ablenkung der Spindeln werden die neugebildeten Zellen in die an den Polen bestehende Lücke, so weit es der Raum zulässt, hinein- geschoben, und auf diese Weise wird die Bildung einer rings geschlos- senen Blastula angebahnt. Damit ist die von Selenka beobachtete Verschiebung der polaren Zellenkränze auf eine rationale Basis ge- stellt. — So viel über diese Verhältnisse. Ich glaube im Vorstehenden den Nachweis geführt zu haben, dass der durch Experimente ermittelte Einfluss des äußeren Druckes auf die Richtung der Furchen auch in der normalen Entwicklung sich be- thätigt, und dass er in mehrfacher Hinsicht geeignet erscheint, die Form des Entwicklungsverlaufes verständlieh zu machen. Ich vermute, dass dies bald in umfassenderer Weise geschehen könnte, wenn die Embryologen künftig darauf ihr Augenmerk richten wollten. März 1894. Zur Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. Von Joseph Eismond. (Aus dem zootomischen Institut der Universität Warschau.) Gestützt auf genauere Studien über die Organogenie des Amphioxus, begann in neuester Zeit eine Anschauung sich Bahn zu brechen, dass dieser berühmte Organismus, in phylogenetischer Hinsicht betrachtet, wohl keine primär einfachste Wirbeltierform ist. Ein solcher Gedanke, der noch faktischer Beweise bedarf, steht durchaus in direktem Widerspruch mit der für gewöhnlich vertretenen Ansicht verschiedener Autoren, welche den Amphioxus dennoch für eine Urform erklären und seime Ontogenieverhältnisse, ohne darin sekun- däre Komplizierungen zu entziffern, als Grundschema bei Beurteilung XIV. 25 354 Eismond, Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. entwieklungsgeschichtlicher Daten der höheren Wirbeltiere ansehen. Es erwies sich wirklich auf dem Wege vergleichend entwieklungs- geschichtlicher Untersuchungen, dass einige für einzelne Wirbeltier- klassen geltende Ontogenieverhältnisse auf die des Amphioxus gewisser- maßen zurückzuführen sind; dabei erkannte man, dass ein solches Zurückführen um so leichter gelingt, je weiter man von den Amnioten zu den niederen Ichthyopsiden herabsteigt. Es muss jedoch hervor- gehoben werden, dass die, wie man sagt, einfacheren Verhältnisse des Amphioxus, worauf die komplizierteren der Fische, Amphi- bien u. s. w. öfters noch mit gewisser Vorsicht zurückgeführt werden können, vorzugsweise, wenn nieht ausschließlich, sieh nur auf die Keimblätterbildung und auf die Anlage der Chorda sowie des Zentxal- nervensystems beschränken. Dieses reicht aber, wie ich glaube, nicht aus, um die Ontogenieverhältnisse des Amphioxus für ganz primäre erklären zu können. Abgesehen von der Organogenie, deren Verhältnisse uns vor allem den vermeintlich primären Charakter des in Rede stehenden Tieres in Zweifel ziehen lassen, glaube ich einen Beweis noch dafür liefern zu können, dass seine früheren Entwicklungsstadien einen deutlichen Aus- druck sekundärer Komplizierungen zu offenbaren schemen. Diesbezüg- lich verdienen einige Vorgänge besonderes Interesse, deren Ablauf zeitlich mit der Keimblätterbildung zusammentrifft, in tektonischer Hinsicht aber zur Ausbildung der ersten Anlage des Zentralnerven- systems in gewisser Beziehung steht. Dank den wertvollen Arbeiten Kowalewski’s!) und Hatschek’s?) ist es bereits sicher erkannt worden, dass die Medullaranlage beim Amphioxus, bevor sie sich in die Furche und daraufhin ins Rohr um- bildet, epibolisch durch eine Art ektodermales Häutchen überwachsen wird. Dabei beginnt diese Ueberwachsung bereits zu der Zeit zu Tage zu treten, wo die Medullarplatte soeben als solche zu unterscheiden ist, und — was namentlich hier besonders interessant ist — geht in der Weise vor sich, dass das erwähnte Häutchen von der unteren Urmundlippe und gleichzeitig von den damit im kontinuierlichen Zu- sammenhange stehenden seitlichen Bezirken des Ektoderms des hin- teren Abschnittes des Embryokörpers fortwächst. Da dieses Häutchen immer mehr in seinem Wachstum von hinten und den Seiten her nach vorne zu an Ausdehnung zunimmt, so bildet es, bereits auf einem früheren Stadium begriffen, einen zusammenhängenden Ueberzug, welcher nicht nur den Urmund, sondern auch die Medullarplatte selber auf eine gewisse Strecke von außen her dachförmig bedeekt. Solehe Verhält- 1) A.Kowalewski, Weitere Studien über die Entwicklung des Amphioxus lanceolatus. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 15, 1877. 2) Hatschek, Studien über Entwicklung des Amphioxus. Wien 1881. Eismond, Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. 355 nisse sind auf untenstehendem Schema (Fig. 1) veranschaulieht, welches die Beziehung des besprochenen Häutehens zum Embryokörper auf dem Medianschnitt illustriert. Die in hede stehenden Verhält- Bigoi. nisse sind durch Kowalewski in folgender Weise erklärt worden: „Das hintere Ende der Rücken- furche umgibt die Einstülpungs- öffnung nach rückwärts, wobei deren hinterer Rand auch den hinteren Rand der kRücken- furehe bildet. Die jetzt beginnende Schließung der Rückenfurche geht hier, sowie bei den anderen Wirbel- tieren, von hinten aus, wobei die ganz hinteren Ränder, welche die Einstülpungsöffnung rückwärts begrenzten, sich aufheben, eine Art Dach über diese Oeffnung bilden und, immer mehr und mehr nach vorne wachsend und mit den seitlichen Rändern der Rückenfurche verschmelzend, den Rücken resp. das Nervenrohr zu bilden beginnen“ (l. e. 8.184). Die Ungenauigkeit dieser Darstellung Kowalewski’s besteht vor allem darin, dass, er zwar einmal in dem Fortwachsen des Häutchens, wodurch die Medullaranlage bedeckt wird, die Schließ- ung der Rückenfurche erblickt, aber dennoch weiter angibt, dass die letztere „obgleich von außen vollständig bedeekt, innen unter der Haut noch offen ist“... (l. ce. 8.184). Ferner irrte der genannte Forscher, indem er sich äußerte, dass die beginnende Schließung der Rückenfurche beim Amphioxus „sowie bei den an- deren Wirbeltieren“ von hinten ausgeht, d. h. dass sie vom Blasto- porus her in der Richtung nach vorne zu fortschreitet. Wir wissen indessen ganz sicher, dass dies gerade nicht der Fall ist, weil die Schließung der Nervenrinne bei allen Wirbeltieren an der Stelle be- ginnt, welche dem Mittelhirn entspricht, und von da nach hinten, wie auch nach vorne zu allmählich fortschreitet, was zur Folge hat, dass sich hinten (sowie auch vorne) stets eine Stelle lange Zeit er- halten bleibt, wo das Nervenrohr noch geöffnet ist. Geht also die Schließung der Medullarfurche beim Amphioxus in der Weise vor sich, wie dies Kowalewski geschildert hatte, so könnten die bei allen Wirbeltieren so gleichartigen Verhältnisse mit den gleich- namigen und zugleich „einfacheren“ des Amphioxus keineswegs in Uebereinstimmung gebracht werden. Das ist übrigens ganz be- sreiflich, da Erscheinungen, welche miteinander nichts zu thun haben, niemals miteinander zu harmonieren vermögen. Aus Angaben von Hatschek ist es gerade zu entnehmen, dass die besprochene Ueberwach- sung der Medullarplatte. — welche Erscheinung außer dem Amphioxus 9% 8 7 356 Eismond, Ontogenie des Amphioxus lanceolatus, bloß bei den Tunikaten zu erkennen ist, — mit der eigentlichen Dif- ferenzierung der Medullaranlage nicht verwechselt werden kann. Die diesbezüglichen Befunde Hatschek’s, obwohl er dieselben näher nicht erklärt und darin eine Beziehung zur Bildung des Zentralnervensystems erbliekt, lauten folgendermaßen: Die Ueberwachsung der Me- dullaranlage schreitet sehr rasch vorwärts, während unterhalb der Haut ein noch weit offenes Medullarrohr vorhanden ist, so dass die Höhlung zwischen der Me- dullarplatte undäußerer Haut wie eine flache Spalte aus- sieht... . Zusammenkrümmung der Medullarplatte ist mit einer Verschmälerung der letzteren verbunden, welche dadurch bedingt ist, dass die Zellen ihreForm verändern, indem sie zu hohen schmalen keilförmigen Zellen sich umgestalten. Dieser Prozess nimmt in der Region des ersten Ursegmentes seinen Anfang und schreitet nach hinten zu weiter fort. Wir sehen denselben in den Stadien diesesEntwieklungsabschnittes ungefähr ebensoweitnach hinten vorgesehritten, als die Ursegmentbildung. „Wir sehen, dass die Bildungsprozesse am Medullarrohre jetzt, dem metamerischen Typus entsprechend, von vorne, wo die älteren Ursegmente liegen, nach hinten zur Region der jüngeren fortschreiten, während die VUeberwachsung der Medullarplatte in umgekehrter Richtung erfolgte“ (l. e. 8. 44). Was soll demnach diese Ueberwachsung selbst bedeuten? Da die Umbildungen der Medullaranlage beim Amphioxus im wesentlichen auf demselben Wege, wie bei allen Wirbeltieren vor sich gehen, indem — wie dies ja aus den oben angeführten Angaben Hatschek’s er- sichtlich ist — die Zusammenkrümmung der Medullarplatte und deren erste Schließung ins Medullarrohr an der Stelle beginnt, welehe in topographischer Beziehung nicht in Blastoporusregion zu liegen kommt, sondern nach vorne, d. h. nach dem Kopfende gerückt ist, so sehen wir, dass die m Betracht kommende Ueberwachsung der Medullar- anlage mit Differenzierung der letzteren wohl nichts zu thun hat. Dabei drängt sich unwillkürlich eine Vermutung auf, dass der be- sprochene Vorgang, indem er mit der Schließung der Medullarfurche nicht zu verwechseln ist, hier etwas besonderes darbieten soll. Zu einem solchen Endschlusse führt uns sowohl die Kenntnis des allge- meinen Habitus des oben erwähnten Häutchens, als auch die Weise seiner Ausbildung selber. Wir haben namentlich eine Thatsache vor uns, dass 1) dieses Häutchen in der Weise einer sich epibolisch ausbrei- tenden Zelllage an Ausdehnung zunimmt und 2) dass die Ueberwachsung der Medullarplatte auf dem suceessiven Vorwachsen der unteren Ur- mundlippe sowie der damit in kontinuierlichem Zusammenhange stehen- Eismond, Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. 357 den nächsten Abschnitte des Ektoderms beruht, welche am hinteren Ende des Embryokörpers die sich auszuzeichnen beginnende Medullar- platte seitlich umgeben. Sind solche Verhältnisse primär, so wäre es sehr schwierig zu verstehen, warum noch nie eine geringste Spur einer ähnlichen Ueberwachsung des Urmundes und der Medullarplatte bei den übrigen Wirbeltieren gefunden wurde, bei denen, wenn man will, die Sache sogar einfacher zu sein scheint? Ich glaube, dass die Beantwortung dieser Frage unschwer zu liefern ist. Man braucht nur den Einstülpungsprozess selber beim Amphioxus näher zu verfolgen und noch die Erscheinungen, wodurch der gleichnamige Vorgang bei den übrigen Wirbeltieren begleitet wird, ins Auge zu fassen. Vorerst aber sei noch an Folgendes erinnert. Bei allen Wirbeltieren finden wir bekanntlich Eier, welche mit der Dottersubstanz in verschiedener Menge versehen sind. Bei den Teleostiern, Selaehiern, manchen Amphibien (und vorzugsweise bei Gymnophionen), Reptilien und Vögeln ist die Dottersubstanz reichlich, bei den übrigen Amphibien, den Oyelostomen, Ganoiden — mäßig, zuletzt aber bei den Säugetieren und Amphioxus in sehr geringer Menge aufgespeichert. Von dieser Menge des Dottermaterials abhängig, läuft die Furchung des Eies bei den einen Gruppen total (und noch mitunter äqual oder inäqual), bei den anderen aber partiell ab. Dabei ist es noch als sicher anerkannt worden, dass die holoblastischen Eier des Amphioxus, mit solehen der Säugetiere verglichen, obwohl analog, dennoch mit denselben nicht zu verwechseln sind. Gestützt auf vergleichende ent- wieklungsgeschichtliche Studien, lässt sich nieht in Zweifel ziehen, dass der gleiche Charakter der Eier, seien sie meroblastischen oder holoblastischen Typus, innerhalb einzelner Wirbeltierklassen verschiedene Bedeutung zeigt, indem er bei den einen für primär, bei den anderen dagegen für sekundär erklärt werden muss. Was aber speziell die Eier des Amphioxus anbetrifft, so nimmt man an, dass sie als solche innerhalb des Wirbeltiertypus ganz primären Charakter offenbaren, indem die analogen Eier der Säugetiere ihnen wohl als tertiär holoblastische gegenübergestellt werden können. Ferner ist es erkannt worden, dass der nach Ablauf der Furehung entstandene Keim, wenigstens aber bei allen Wirbeltieren, stets zwei verschiedene Abschnitte an sieh unter- scheiden lässt, von denen der eine als der formative, der zweite da- gegen als der vegetative zu bezeichnen ist. Man nimmt noch wahr, dass diese beiden Abschnitte, indem sie in der Regel keine scharfe Trennung gegeneinander zeigen, eine polare Differenzierung des Keimes selber hervorrufen, wobei der vegetative Abschnitt, von der Menge des Dottermaterials abhängig, verschiedene Volumverhältnisse zum forma- tiven aufweist. Demgemäß kommt die zwischen den beiden Abschnitten befindliche Grenzzone in den einen Fällen gegen den Aequator der Blastulakugel, in den anderen dagegen (wie dies an den meroblasti- 358 Eismond, Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. schen Kiern z. B. der Fall ist) mehr an ihrer polaren Kreislinie zu liegen, wobei in diesem letzteren Falle der formative Absehnitt in der Regel an dem entsprechenden Pole des Eies nur einen kleinen scheiben- förmigen Bezirk einnimmt. Im Keime des Amphioxus, der an dotter- reicheren Furehungsprodukten äußerst arm ist, finden wir Verhältnisse, wo nieht der formative, sondern der vegetative Abschnitt auf einen sehr kleinen Blastulabezirk beschränkt ist, welcher aus dotterreicheren Furehungsprodukten besteht und dabei keine schärfere Begrenzung segen die übrige Zellmasse besitzt. Wenn wir nun weitere Entwieklungsphasen, die zum zweiblätterigen Stadium führen, verfolgen wollen, so lässt sich überhaupt bei den Wirbel- tieren ein Vorgang von prinzipieller Bedeutung bemerken, welcher darauf beruht, dass der Blastulakeim, indem sein formativer Abschnitt das Bestreben zur Flächenausdehnung zu äußern beginnt, zugleich seine radiale Symmetrie einbüßt und bilateral wird. Dies erfolgt aber da- durch, dass an einem sehr kleinen Randbezirke des formativen Ab- schnittes, wo für gewöhnlich vorläufig eine lokale Verdiekung auftritt, die Einstülpung zu Stande kommt, während zu gleicher Zeit auf der ganzen Strecke der übrig gebliebenen Randzone die epibolische Um- wachsung des vegetativen Keimabschnittes abläuft. Man kann daher mit Recht an der gesamten Randzone zweierlei Dinge unterscheiden, von denen das eine als Einstülpungsrand, das zweite aber als Umwachsungsrand zu bezeichnen sind. Alsdann lässt sich bereits die Rückenseite sowie das vordere und hintere Ende des Embryos be- stimmen, welches Unterscheidungsmerkmal besonders leicht in den Fällen zu finden ist, wo der formative Abschnitt des Keimes die Form einer Scheibe besitzt. Da solche Verhältnisse, äußerst deutlich ausgeprägt, bei allen Anamnien auftreten und in einer nur kaum abweichenden Form auch bei den Amnioten zu erkennen sind, so drängt sich unwillkürliech die Frage auf, ob denn im der That der Einstülpungsprozess beim Amphioxus nach einem Typus erfolgen könnte, dass der Keim seine radiale Symmetrie gleichzeitig nicht einbüße? Die so aufgestellte Frage ist um so mehr hier berechtigt, als manche Forscher die Sache so vorstellen, als ob die Gastrulaform beim Amphioxus anfänglich, ihrem Plan nach, radiale Symmetrie aufweise und erst nachträglich dieselbe verliere. Wie verhält es sich also in dieser Hinsicht eigentlich mit dem Amphioxus? Auf den ersten Blick würde es erscheinen, dass hier von einem, schon gleichzeitig mit beginnender Einstülpung eintretenden Verwischen der radialen Symmetrie der Blastula, sowie von dem Umwachsungs- rande im Gegensatz zu dem Einstülpungsrande, keine Rede sein kann. Thatsächlich sehen wir indessen Verhältnisse, die mit denjenigen von Amphibien und Selachiern vergleichbar sind. Der Keim des Amphioxus Eismond Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. 35° wird gerade, wie dies Lwoff‘) neuerdings nachgewiesen hat, bereits bei beginnender Einstülpung bilateral- symmetrisch. Dies erfolgt aber dadurch, dass der Einstülpungsprozess, an welchem hier nur der forma- tive Keimabschnitt sich aktiv beteiligt, ebensogut wie bei Amphibien und Selachiern, nur auf eime gewisse Strecke der Randzone dieses Abschnittes sich beschränkt, — ein Umstand, wodurch der Keim durch- aus bilateral- symmetrisch werden muss, indem der Rand der bei be- ginnender Einstülpung auftretenden Duplikatur alsbald der dorsalen und zugleich hinteren Seite entspricht. Während nun diese „dorsale Einstülpung“ Lwoff’s weiter fortschreitet, womit zugleich der übrige ektodermliefernde Teil des Keimes sehr rasch an Flächen- vergrößerung zunimmt, wird die bereits an der Stelle der erwähnten „dorsalen Einstülpung“ aufgetretene Einkerbung immer mehr und mehr bedeutender; und dies hat zur Folge, dass der vegetative Bezirk des Keimes, wegen seiner winzigen Dimension, alsbald ins Innere desselben gerät und dann bekanntlich zum Aufbau des Entoderms aufgebraucht wird. Wenn wir aber von dem Stadium aus, wo der Keim bereits mützenförmige Gestalt angenommen hat, darauffolgende Vorgänge ver- folgen, so fällt uns sehr deutlich auf, was übrigens aus den Abbildungen Hatschek’s hervorgeht, dass am Rande des zu dieser Zeit verhältnis- mäßig weiten Urmundes nicht überall gleiche Verhältnisse zu erkennen sind. An dem einen Abschnitte desselben und zwar demjenigen, welcher später zur oberen Urmundlippe wird, indem daselbst unaufhörlich eine lebhafte Zellvermehrung sich abspielt, schreitet der Prozess fort, den wir schon oben als „dorsale Einstülpung“ bezeichnet haben, während an dem übrigen Rande das successive Vorwachsen des Ektoderms zu bemerken ist, wodurch der Embryokörper in die Länge an Ausdehnung zunimmt und gleichzeitig damit die Urmundöffnung immer mehr enger wird. Zu dieser Zeit aber gibt sich bereits die Rückenseite des Embryos sehr deutlich kund, wobei dennoch keine deutlicher ausgeprägte Me- dullarplatte erkennbar ist. Bevor die letztere vom übrigen Ektoderm sich abzusondern beginnt, bemerkt man unterdessen, wie am Urmund- rande (mit Ausnahme des hückenabschnittes desselben, welcher selbst zur Anlage der Medullarplatte gehört) das kontinuierlich und beständig wachsende Ektoderm endlich das bereits oben besprochene rätsel- hafte Häutehen erzeugt, welches nun, wie dies in Fig. 1 wiedergegeben ist, von hinten und den Seiten her nach vorne zu wachsend, anfangs den Urmund, dann aber auch die in Bildung begriffene Medullarplatte von außen her überwächst. Erwägt man nun die soeben angeführten Thatsachen, welche uns ja auf das verschiedene Verhalten der Teile der Randzone des forma- u 4) B. Lwoff, Ueber einige wichtige Punkte in der Entwicklung des Amphioxus. Biolog. Centralblatt, Bd. XI, Nr. 23 u. 24, 1892. 360 Eismond, Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. tiven Keimabschnittes auch beim Amphioxus hinweisen, wobei an dem einen Teil die sogenannte dorsale Einstülpung abläuft, während an der übrigen Zone die successive Ausbreitung des Ektoderms zu kon- statieren ist, so überzeugen wir uns ganz bestimmt, dass es hier eigent- lich sich um dieselben Verhältnisse handelt, welche wir an Keimen der übrigen Wirbeltiere sehen. Kurz gesagt, — der dorsale Einstülpungs- rand beim Amphioxus lässt sich überhaupt für das Homologon des gleichnamigen Dinges bei Selachiern und Amphibien halten, während die übrige fortwachsende Randzone des formativen Keimabschnitts dem Umwachsungsrande der Keime der Fische und Amphibien entsprechen soll, an welehem wir den epibolischen Prozess ablaufen sehen, indem das daraus resultierende Blastodermhäutehen sich auf der Oberfläche des vegetativen Keimabschnittes ausbreitet und dieselbe früher oder später bedeckt. Ich meine somit, dass die Ueberwachsung des Urmundes und der Medullarplatte beim Amphioxus der- sestalt erklärt werden muss, dass sie mit einer solehen Epibolie genetisch zu verbinden und wohl von derselben abzuleiten ist. Man stelle sich nur vor, dass das Amphio.xus -Ei unter etwaigen Umständen sekundär an Dottersubstanz arm geworden ist, d. h. im Sinne, dass die Eier bei den Vorfahren eine ansehnlichere Menge derselben, ungefähr nach Art der Cyelostomen, besaßen und ihre früheren Entwieklungsphasen in der Weise durchmachten, dass der formative Abschnitt des Keimes an gewisser Stelle seiner Rand- zone eingestülpt wurde, an der übrigen Strecke dagegen epibolisch fortwuchs, wie dies überhaupt so ausdrücklich bei den Anamnien zu erkennen ist. Wenn nun in der Phylogenie eine Reduktion der Dotter- substanz erfolgte, so dass nur eine sehr geringe Menge derselben er- halten blieb, wie eine analoge Erscheinung z. B. bei den Säugetieren sicher zu vermuten ist, so musste dadurch das Entwicklungsschema der Vorfahren dennoch keine Zerstörung an sich erleiden. Wir er- kennen es hier nur in einer veränderten Form, indem das oben be- sprochene ektodermale Häutchen der Amphioxus-Embryonen im wesent- lichen nichts anderes als der blastodermale Zuwachs des formativen Keimabschnittes ist, welcher sowohl der Ent- wieklungsperiode, als auch nach der Weise selber seiner Ausbildung, demjenigen der Fisch- und Amphibienkeime entspricht, nur mit dem Unterschiede, dass er beim Am- phioxus wegen des Mangels an dem sogenannten Dotter- ballast die Rückenseite des Embryos zu umwachsen ge- nötigt ist. Warschau, den 3. April 1894. Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. 361 Einige Betrachtungen über die Bildung der Keimblätter, der o oO ke) ) Dotterzellen und der Embryonalhüllen bei Arthropoden. Von Julius Wagner. (Aus dem zootomischen Laboratorium der kaiserl. Universität zu St. Petersburg.) Beobachtungen über die Entwicklung der Milben und Mysis haben mich zu einigen allgemeinen Betrachtungen über die ersten Entwick- lungsstadien der Arthropoden geführt; diese Betrachtungen will ich in dem vorliegenden Artikel mitteilen [15]. Die erste Frage, die meine Auf- merksamkeit auf sich zog, war die Frage über die Bedeutung der Entwicklungsweise der Keimblätter bei verschiedenen Arthropoden- gruppen und über die Bedeutung der Embryonalhüllen bei höheren Tracheaten für phylogenetische Betrachtungen, dann die Frage über die Bedeutung der Dotterzellen bei Arthropoden im Zusammenhange mit ihrem Vorkommen bei vielen Metazoen aus verschiedenen Tier- klassen. Gegenwärtig muss als sicher festgestellt angenommen werden, dass Unterschiede in der Furchungsart im hohen Grade auf Eigenschaften und relative Menge des Nahrungsdotters zurückgeführt werden können, und dass große Unterschiede bei einander nahe stehenden Formen beobachtet werden können. Schlussfolgerungen über die Verwandt- schaft der Formen können nicht auf dem Segmentationstypus gegründet werden. Andrerseits, die Eigenschaften und die Menge des Nahrungs- materials, die auf die Art der Segmentierung einwirken, bleiben nicht ohne Einfluss auf einige Stadien der weiteren Entwieklung und zuerst auf den Charakter des Prozesses der Bildung der Keimblätter. Gewiss, hängt der Charakter ihrer Bildung nicht ausschließlich von der be- zeichneten Ursache ab, ihre Bedeutung aber ist zweifellos und tritt, zum Beispiel bei Krebsen, mit ganz genügender Klarheit hervor, worauf Korschelt und Heider [10] aufmerksam gemacht haben. Deshalb scheint mir für die richtige Schätzung der Unterschiede in der Keim- blätterbildung sich klar zu machen nötig zu sein, erstens, in welcher kiehtung nämlich die Menge und die Qualität des Nahrungsmaterials den palingenetischen Prozess in diesem Falle stört, und zweitens, welcher Entwiecklungstypus für jede Arthropodengruppe für primär gehalten werden kann. Dabei muss bemerkt werden, dass die primäre Art der Entwicklung der Keimblätter nur zeigen kann, dass das Ei nach dem Mangel an Dotter oder nach seinen Eigenschaften an das Vorfahrenei erinnert. Es scheint mir nämlich möglich zu sein, dass auf denjenigen Stadien, wo die Embryonalentwieklung nur aus Dif- ferenzierung zweier oder dreier Hauptarten von Zellen (der primären Keimblätter) besteht, im Falle einer sekundären Veränderung der Eigen- schaften des Eies und einer sekundären Aehnlichkeit dieser Eigen- 362 Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. schaften mit denjenigen des Vorfahreneies, die Entwicklung in derselben kiehtung sich verändern muss. Was die Richtung des Einflusses des Dotters auf den Charakter der Keimblätterbildung betrifft, so erscheint dieser Einfluss ziemlich bestimmt bei den Orustaceen; infolge der Beobachtungen an denselben kann man annehmen, dass je größer die ganze Menge des Nahrungs- dotters ist, desto weniger die Invagination an der Keimblätterbil- dung teilnimmt, dass die Zellen des inneren Blattes vom Blasto- derm durch Immigration entstehen und endlich, dass, wenn auf den ersten Stadien kein morphologischer Unterschied zwischen den Ento- derm- und Mesodermzellen besteht, so sondern sich solche Zellen vom blastodern ab, in welchen Entoderm vom Mesoderm nieht unterschieden werden kann, d. h. Mesoentodermzellen. Sie können nur dann nicht von einander unterschieden werden, wenn das Differenzierungsgebiet der einen unmittelbar mit dem Differenzierungsgebiete der andern zu- sammenstößt. Jedenfalls kann die Art der Keimblätterbildung durch Migration bei Arthropoden im Allgemeinen und bei Crustaceen im besondern nicht für primär angenommen werden, so wie sie als solche überhaupt bei Metazoen nach den Ansichten Metschnikoff’s [12] gehalten werden kann. Bei den Anneliden-artigen Vorfahren der Arthropoden, deren Bier unzweifelhaft ziemlich arm an Dotter waren, hat sich sehon die Bil- dung der Keimblätter durch Invagination in der Reihe von Genera- tionen eingerichtet, wie es der Umstand zeigt, dass bei den einfachsten Formen von Anneliden und CUrustaceen die Invagination sich bis jetzt noch in sehr reimer Form erhalten hat. Außerdem war bei den Vorfahren der Arthropoden der Unterschied zwischen Entoderm und Mesodermzellen schon klar durch den Umstand ausgedrückt, dass als erste die Zellen des invaginierten Blastulateiles, die alle zusammen eine in den Rändern unmittelbar im das Ektoderm übergehende Schicht bildeten, erschienen, indem die zweiten, die entweder gleichzeitig oder sogleich nach der Invagination des Entoderms entstanden, unabhängig von ihrer ersten Erscheinung (d. h. entweder in Form von primären Mesenchymzellen oder Cölomsäcke), an bestimmter Stelle (resp. Stellen) des Blastoporusrandes erschienen und sich von Anfang an dadurch, dass sie aus der gemeinsamen Zellenschicht hervortreten, von Ento- derimzellen unterschieden. Wenn man z. B. sich vorstellt, dass die Invagination des Entodermblattes beim Flusskrebse nicht stattfindet, die Entodermzellen aber auf den ersten Stadien sich von den meso- dermalen nicht unterschieden hätten, so würde der Vorgang der Keim- blätterbildung, sozusagen, äußerlich sich wesentlich verändert haben: Die Entoderm- und Mesodermzellen hätten sich aus einer gemeinsamen meso-entodermalen Anhäufung, die durch Immigration der Zellen eines bestimmten Punktes der Eioberfläche entstanden war, entwickelt. Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. 369 Auf solche Weise kann nicht für Crustaceen die Bildung der Keim- blätter dureh Immigration aus dem Blastoderm der entodermalen und mesodermalen, noch weniger aber mesoentodermalen Zellen, für primär gehalten werden. Die Sache verhält sich anders bei den andern Arthropodenklassen. Was die höheren Tracheaten, nämlich Insekten, anbetrifft, so stellt die Entscheidung der Frage für sie ebenso keine Schwierigkeiten vor. Auf Grund der gegenwärtigen Ansichten über die Entstehung der Insekten von terrieolen Myriapoden -artigen Arthropoden kann man annehmen, dass bei ihren Vorfahren das junge Tier schon ziemlich entwickelt und nämlieh nicht weniger entwickelt als in der Gegenwart, das Ei verließ. Dies wird durch Vergleich der Larven der Insecta ametabola und Insecta metabola, von welchen die ersten (wenn man sie nur Larven nennen kann) auf den ersten Stadien eine höhere Organi- sationsstufe als die zweiten vorstellen, bewiesen. Da nun aber die Insekten mit vollkommener Verwandlung, sehr wahrscheinlich, als höchste Glieder der ganzen Gruppe erscheinen, so können wir die Sehlussfolgerung machen, dass, was für Ursachen dieser Erscheinung auch nieht wären, — die Insekten die Tendenz zu einer Vereinfachung des Larventypus (resp. zu einer Komplikation der Metamorphose) be- sitzen. Diese Tendenz zeigt sich, wie in der Richtung der Vereinfachung des Baues und der unvollständigen Entwieklung einiger Organe, die beim Imago entwickelt sind, so auch im Vorhandensein einiger Merk- male, die die Larven den Myriapoden-artigen Vorfahren der ganzen Gruppe ähnlich machen, obgleich diese Merkmale vielleicht nur wegen ihrer Einfachheit mit den Vorfahren gemeinsam sind (so z. B. Gleich- artigkeit der Segmentierung des Körpers und Nichtvorkommen der sichtbaren Einteilung in abdominale und thorakale Segmente, Verein- fachung des Typus der Brustfüße, Ersatz der zusammengesetzten Augen durch die einfachen, Verkleinerung der Zahl der Malpighi’schen Gefäße und, überhaupt, Vereinfachung in dem ganzen Darmkanal u.s. w.). Wenn die Anfangsphasen der Embryonalentwicklung der gegenwärtigen Insekten nicht ganz auf ebendieselbe Weise wie bei ihren Vorfahren vorgehen, so konnten sie sich jedenfalls nicht sehr verändert haben, die Inkubationsbedingungen blieben eben dieselben. Von diesem Ge- sichtspunkte aus ist die große Gleichartigkeit in den ersten Entwick- lungsphasen der Insekteneier |Segmentation, Bildung des Keimstreifens und der Embryonalhüllen!)| verständlich. Man kann deshalb annehmen, dass der primäre Typus der Anfangsphasen der Entwicklung der In- sekten dem Typus, welcher gegenwärtig beobachtet wird, ähnlich war: nach der centroleeithalen Furchung, an welcher der Dotter nicht teil- 1) Die Beobachtungen von Uljanin [14] über die Entwicklung der Poduren müssen, wie es Korschelt und Heider bemerken, von neuen Forschern be- stätigt werden. 304 Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. nahm, und nach der Bildung des Blastoderms dureh gleiehmäßiges Austreten der Furchungszellen auf die Oberfläche des Eies folgte eine rinnenartige schwach ausgedrückte Invagination eimes kleinen Teiles der oberflächlichen Zellen und Differenzierung in einem oder zwei Punkten der Umgebung des invaginierten Entoderms einer kleinen An- zahl der ersten Zellen des mittleren Blattes. Wir werden uns bei den Myriapoden, deren phylogenetische Einheit zweifelhaft ist und die jedenfalls wenig untersucht worden sind, nicht aufhalten und werden nun die Gruppe der Arachnoideen besprechen. Die Entscheidung der vorgelegten Frage stellt inbezug auf sie eine gewisse Schwierigkeit dar, da wir infolge verschiedener Ansichten über ihr Verhalten zu andern Arthropoden als Ausgangspunkt unserer Betrachtung eine bestimmte Meinung über ihre Entstehung von der einen oder andern Formen nicht annehmen können. Im Gegenteil: die Hypo- these von dem primären Typus der Blastodermbildung und der Dif- ferenzierung der Keimblätter muss in diesem Falle selbst zur Ent- scheidung der Frage von der näheren Verwandtschaft der Arachnoideen beitragen, d. h., anders gesagt, das, was bei der Betrachtung vorher- gehender Gruppen (Urustaceen und höherer Tracheaten) als Folge der angenommenen Ansicht angesehen werden konnte, muss jetzt unab- hängig von dieser oder jener Ansicht gefunden werden. Man kann glauben, dass Skorpionen als älteste Vertreter der Arachnoideen er- scheinen, aber die Thatsachen der Anfangsphasen ihrer Embryonal- entwicklung können infolge eines sekundären Inkubationscharakters nur eine negative Bedeutung haben. Ich meine, wir werden uns nicht irren, wenn wir deshalb annehmen, dass die partielle superfizielle dis- koidale Furchung, die Keimblätterbildung in Form der Differenzierung durch Immigration der Zellen der gemeinsamen mehrschiechtigen meso- entodermalen Anlage und die Bildung der Embryonalhüllen — den gemeinsamen Vorfahren der Arachnoideen nicht eigen waren. Eine am meisten primäre Entwieklungsart bei den Arachnoideen würde, sozusagen, die mittlere Art zwischen dem, was bei den Araneina, und dem, was bei den Acarina beobachtet wird, vorstellen: nach der totalen regelmäßigen Furehung und dem Blastulastadium differenzierten sich die Furchungszellen vom Nahrungsdotter, indem sie auf seiner Oberfläche das Blastoderm bildeten; die Entodermbildung geschah durch eine schwach ausgedrückte Invagination der in dieser Richtung differen- zierten Blastodermzellen; das Mesoderm entwickelte sich aus zwei Zellengruppen, die unterhalb des Blastoderms auf den Rändern des Blastoporus migrierten. Der letzte hatte im Gegensatz zur Primitiv- rinne der Insekten die runde Form. Auf solche Weise muss man, wenn meine Folgerungen über den primären Typus der ersten Entwicklungsstadien der drei genannten Arthropodengruppen richtig sind, annehmen, dass die Arachnoideen Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. 565 in dieser Hinsicht mehr an Crustaceen, als Insekten erinnern. Einen bedeutenden Unterschied der Arachnoideen von den letztgenannten bildet das scharf ausgedrückte Blastulastadium und die Form des Blastoporus. Die in die Länge ausgezogene Form des Blastoporus wurde von Myriapoden-artigen Vorfahren vererbt. Es ist zu bedauern, dass der Mangel an Beobachtungen über die Entwicklung der Myria- poden die Frage von der Anfangsart der Furchung und der Keim- blätterbildung in dieser Arthropodengruppe nieht entscheiden lässt. Wenn der Zweifel, welcher von Korschelt und Heider über die Beobachtungen vonZograff|18]| und Heathecote || ausgesprochen wurde, durch neue Forscher gerechtfertigt werden wird, so muss für Myriapoden als charakteristischer und in derselben Zeit primärer Typus der Segmentation und der Keimblätterbildung ebenderselbe Typus wie für Insekten, angenommen werden, nur mit dem Unterschiede, dass die Segmentation bei Myriapoden durch den Zerfall des Nahrungs- dotters in Pyramiden begleitet wurde, die Segmentationshöhle aber nicht ausgedrückt war. Auf ebendieselbe Weise musste die erste Ent- wicklung bei den gemeinsamen Vorfahren der Myriapoden vor sich gehen: die totale Eifurchung, das Blastulastadium mit schwach aus- sedrücktem oder ganz unentwickeltem Blastocöl, die rinnenartige In- vagination des Entoderms, das Verschließen des Blastoporus in seinem mittleren Teile. Der Unterschied von den Crustaceen besteht in der Form des Blastoporus und muss, scheint mir, auf die Form des Blasto- porus bei den Anneliden-artigen Vorfahren der Myriapoden zurück- geführt werden. Myriapoden und Insekten stammen von den Formen mit ausgezogenem Blastoporus, Crustaceen und Arachnoideen von Formen mit rundem. Durch die Entwicklung der Keimblätter unterscheiden sich die Milben in Einzelheiten von allen drei untersuchten Arachnoideenklassen (Skorpionen, Phalangiden und Araneinen); im Ganzen erinnert der Vorgang mehr an die Araneinen, unterscheidet sich aber dadurch, dass bei den Milben die gemeinsame meso-entodermale Anlage sich nicht bildet, oder, anders gesagt, die mesodermalen Elemente unterscheiden sich von den entodermalen schon bei ihrem ersten Auftreten — wie an Habitus, so auch in ihrer Lage. Auf Grund der oben angeführten Betrachtungen halte ich diesen letzten Typus als primär für die Arachnoideen, obgleich der Unter- schied zwischen den beiden, wie gezeigt war, keine große Bedeutung hat. Nach dem Verhältnis der Dotterzellen zu den Zellen des eigent- lichen Entoderms weichen die Milben, im Gegenteil, weiter, als die Araneinen, ab, wenn das nur richtig ist, dass in dem Dotter der Araneinen nach dem Austreten des Blastoderms keine Zellen, die in Dotterzellen sich verwandeln werden, bleiben, wie es aus den Be- obachtungen von Morin [13] und Kisehinonye [9] folgt. 366 Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthıopoden. Die Dotterzellen sind veränderte Entodermzellen; die Veränderung erfolgt durch die große Masse des Nahrungsmaterials. Für Beurteilung ihrer phylogenetischen Entwieklung ist es wichtig, die Frage von ihrem primären Vorkommen bei den Arachnoideen zu entscheiden. Was die Crustaceen anbetrifft, so kann man fast überzeugt darin sein, dass ihre Dotterzellen, als ein besonderer Typus der Vitellophagen innerhalb der Orustaceenklasse entstanden und den gemeinsamen Vor- fahren nicht eigen waren; dasselbe muss von Myriapoden und Insekten gesagt werden. Es fragt sich jetzt, ob die Dotterzellen der Arach- noideen ebenso eine selbständige Entstehung vorstellen? Dass ihre Dotterzellen einen gemeinsamen Ursprung mit den Dotterzellen anderer Tracheaten haben, ist sehr schwer anzunehmen, weil in diesem Falle die Verwandlung der Dotterzellen in das Epithel des Mitteldarmes, das bei Araneinen beschrieben worden ist!), sehr schwer zu erklären ist, da schon bei den Myriapoden-artigen Vorfahren, die reichlichen Dotter besaßen, eine so bedeutende physiologische und morphologische Differenzierung der Dotterzellen sich ausbilden müsste, dass der Ueber- gang in die noch wenig differenzierten echten Entodermzellen oder eine sekundäre Aneignung embryonaler Eigenschaften für sie schon unmöglieh waren. Ebenso ist bei der Annäherung der Arachnoideen an die Crustaceen die Entstehung ihrer Dotterzellen aus den Vitello- phagen der Krebse schwer zu erklären, da bei den Vorfahren der Arachnoideen alle Entodermzellen, welche sich zeitweise in den Dotter versenkten, nachher zum Epithelium des Mitteldarms wurden, wie es sich bis jetzt z. B. bei Theridion und Pholeus (Morin ]. e., vergl. die Entwicklung von Palaemon nach Bobretzky |1]). Folglieh musste auch im gegebenen Falle die primäre Differenzierung und weitere Ent- wieklung der Dotterzellen bei den Arachnoideen ganz selbständig vor sieh gehen. Bei der ferneren Entwicklung begann einerseits eine immer frühere Absonderung der Entodermzellen, welche im Stande waren den Dotter zu verzehren, anderseits bildeten sich allmählich spezifische Vitellophagen oder echte Dotterzellen, welche schon unfähig waren ein Mitteldarmepithelium zu bilden. Vielleicht stehen beide Erscheinungen nicht im kausalen Zusammenhange und die frühe Absonderung der dotterverschlingenden Entodermzellen ruft nicht ihre enge Speziali- sierung hervor, ebensowenig wie die Aussonderung von speziellen Vitellophagen nicht die Ursache ihres frühen Auftretens ist. 'Theore- tisch ist eine solche Abhängigkeit sehr wahrschemlich; es könnte scheinen, dass die Zellen, welehe sich so früh cönogenetisch absondern — vielleicht selbst vor der Keimblätterbildung, die sich absondern mit dem besonderen Zwecke der Absorbierung (Verdünnung?) des Dotters —, dass diese Zellen sich spezialisieren müssen und nieht mehr im Stande 1) Ich bin ganz mit Korschelt und Heider einverstanden, dass alle solche Fälle bei Insekten sehr zweifelhaft sind. Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. 367 sind sich in ein Mitteldarmepithel zu verwandeln. Einer solchen An- nahme aber widerspricht vorläufig die Entwicklungsgeschichte des Limulus (Kingsley |8]). Ein Beispiel einer weiter fortgeschrittenen Differenzierung der Dotterzellen der Arachnoideen bietet der Skorpion, bei welchem sich die Dotterzellen zwar nach der Keimblätterbildung (Mesoentoderm) ab- sondern (Kowalewski und Schulgin [11] S. 44), aber schon gar keinen Anteil an der Bildung des Embryos nehmen. Die Milben gchen noch einen Schritt weiter: die Vitellophagen differenzieren sich vor der Keimblätterbildung — unmittelbar aus dem Blastoderm. Den äußersten Typus bilden endlich die Phalangiden (Faussek |3]), bei welchen schon die Produkte der Segmentation des Eies direkt in ein Blastoderm und Dotterzellen zerfallen?). Dies scheint mir der Weg zu sein, auf welchem die Entwicklung der Dotierzellen bei den Arachnoideen, bei vollständig selbständiger Entstehung dieser Zellenart in der genannten Tierklasse, vor sich ging; es war ein anderer als bei den Krebsen (vergl. Korschelt und Hieider’l. ce. S. 344 1.). Wie ich schon erwähnte, haben die ersten Entwicklungsphasen des Skorpions, wie ich glaube, ihren anfänglichen Charakter ver- ändert. Als Zeiehen eines eönogenetischen Charakters muss man beim Skorpione die oberflächliche diskoidale Furchung, die allgemeine mesoentoderme Anlage, die Bildung von Embryonalhüllen und wahr- scheinlich eimige andere Eigentümlichkeiten ansehen. Die Bedeutung der zweiten Eigenheit wurde oben besprochen; was aber die Entstehung der diskoidalen Furchung betrifit, so bieten sich hier zwei Anschau- ungen: einerseits schiene es bequem die diskoidale Segmentation des Skorpions aus dem Typus der Segmentation von Limulus herzuleiten, allein mit einer solchen Anschauung ist der primäre Charakter der Segmentation bei den Araneinen nicht zu verbinden, so dass nur die zweite Ansieht übrig bleibt; wenn man, wie es oben geschah, für die Araneiden ungefähr den Typus der Segmentation als primär ansehen würde, welchen man bei den Araneinen beobachtet (Morin [13]) und welchen der allgemeine Stammvater aller Spinnentiere besaß, so muss man die selbständige Entstehung einer diskoidalen Segmentation beim Skorpion annehmen. Diese Ansicht wird dadurch bekräftigt, dass man schon unter den verschiedenen Araneinen die nötigen Uebergangs- stadien antrifft: nach den Beobachtungen desselben Autors — Morin — geschieht die Zusammenziehung der Blastodermzellen bei Pholcus in ver- 1) Obgleich Faussek die Frage über die Degeneration selbst eines Teiles der Dotterzellen nicht endgiltig löst, so scheint mir doch aus theoretischen Gründen eine solche Degeneration nicht nur unzweifelhaft, sondern überhaupt die Teilnahme der fragmentierten Vitellophagen von Phalangiden bei der Aus- bildung des Embryokörpers höchst unwahrscheinlich. 368 Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden, hältnismäßig geringem Maße, bei Theridion verliert em Teil der Ei- oberfläche ihre Zellendecke. Dieser Unterschied lässt sich nur dadurch erklären, dass bei Theridion die Zusammenziehung des Blastoderms in das Gebiet der Embryonalverdiekung früher vor sich geht, als seine Zellen Zeit hatten sich m genügender Zahl zu vermehren. So haben wir also bei Theridion das Bestreben zur Beschleunigung der Zusammen- ziehung der Zellen; ein solches Bestreben kann dazu führen, dass die Zusammenziehung der Zellen in eimen Punkt der Eioberfläche noch während des Austritis der Blastodermzellen vor sich geht, d. h. wir bekommen den Typus eines einseitigen Austritts der Segmentations- zellen — Limulus. Die oben angeführte Betrachtung basiert darauf, dass die primären Entwieklungsphasen der Araneinen einen ursprüng- lieheren Charakter tragen und dass wir gar keine Ursachen haben, die angeführten Entwicklungsstadien als eönogenetisch anzusehen; da ja die Abstammung der Araneiden von einem allgemeinen Stammvater allgemein anerkannt ist, so muss man zugestehen, dass auch der Skorpion einstens eine Segmentation nach dem Typus der Araneinen durchmachte. Was die Bildung von Embryonalhüllen beim Skorpione betrifft, so lenkt ihre Auffindung beim Skorpione, dem ältesten Kepräsen- tanten der Araneiden, auf den Gedanken der Annäherung der Arach- noiden an jene Arthropoden, welche gleichfalls diese Eigentümlich- keit aufweisen. Darum halte ich es nicht für unnütz, meiner Idee über die Bedeutung dieser Eigentümlichkeit Ausdruck zu geben. Die Embryonalhüllen waren dem allgemeinen Stammvater der Insekten unstreitig eigen, aber nicht dem der Arachnoideen. Dem Vorhanden- sein und den Eigentümliehkeiten der Embryonalhüllen kann ich un- möglich eine endgiltige Rolle in der Frage über die phylogenetischen Beziehungen größerer Arthropodengruppen einräumen, da ich die Mög- lichkeit einer selbständigen Entstehung derselben in den einzelnen Gruppen klar sehe. Unstreitig bilden die Embryonalhüllen der höheren Wirbeltiere und der Insekten analoge und nicht homologe Bildungen. Dasselbe, glaube ich, kann man auch von den Embryonalhüllen des Skorpions sagen. In meiner russischen Arbeit ([15] 5.43) hatte ich Gelegenheit meine Ansicht über ihre physiologische Bedeutung während der embryonalen Entwicklung auszusprechen; jetzt erlaube ich mir eine Erklärung ihrer selbständigen Entstehung bei verschiedenen Grup- pen der Metazoen vorzulegen, eine Erklärung, welche im engsten Zu- sammenhange mit der Ansicht über ihre phylogenetische Entwicklung steht. Wie schon erwähnt [15], zwingt die unproportionell große Masse von Nährmaterial bei verhältnismäßig geringem Bestandteile von plasti- schem Stoffe den Embryo in den ersten Entwicklungsstadien sich auf der Eioberfläche abzusondern, und deswegen entsteht eine morpho- logische Differenzierung der peripherischen Blemente in Deck- und Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. 36% Keimelemente. Die Differenzierung befestigt sich in der Reihe der Nach- kommen in solchem Maße, dass die Deekelemente spezifischen Charakter und Eigentümlichkeiten annehmen und ihre Bildung oder vielmehr die Absonderung von Keimelementen eönogenetisch in die ersten Phasen der ontogenetischen Entwicklung übertragen wird und noch vor der Bildung der Keimblätter vor sich geht. So differenziert sich das Blastoderm vor allem in zwei Arten von Zellen: in Deckzellen (Vitello- eyten) und Keimzellen (Embryocyten). Die letzten bilden einen kleinen Discus oder Streifen auf der Eioberfläche und geben allen drei Keimblättern den Anfang. Die ersten nehmen gar keinen Anteil an der Bildung des Embryos und werden bei endgiltiger Umwachsung des Dotters von den Körperwänder des Embryos mechanisch auf die Rückenseite gedrängt, wo sie wahrscheinlich einfach vernichtet werden und nicht in den Bestandteil der Rückenwand eintreten. So ging die Sache wahrscheinlich bei den Urformen der Insekten vor sich. Bei den Phalangiden und Spinnen ist auch heute noch die Absonderung der Deckelemente von den Keimelementen noch nicht so weit vorge- schritten, aber bei den letzten ist sie schon ziemlich deutlich ausge- prägt. Bei den Milben tritt sie noch klarer hervor, aber jedenfalls ist der Prozess der Umwachsung des Dotters durch Embryoeyten und die Schließung des Rückens des Embryos von mir noch nicht genügend untersucht worden, um endgiltig zu entscheiden, ob die Vitelloeyten bei den Milben irgend eine Rolle in der Bildung der Körperwände nehmen. Unstreitig sind alle übrigen Derivate des Ektoderms Deri- vate des Keimstreifens oder Discus. Da die Anhäufung von Nährmaterial bei verschiedenen Tiergruppen selbständig vor sich gehen kann und da der Prozess der Differenzierung der Vitelloeyten und Embryoeyten nach meiner Meinung eine Folge eines großen Vorrates an Nährmaterial ist, so kann eine solehe Differenzierung selbständig bei verschiedenen Gruppen auftreten. Mir scheint, dass die Bildung von Embryonalhüllen in gewissen Bedingungen eine notwendige Folge einer solchen genügend vorgeschrittenen Differenzierung des Blastoderms ist. Kennel hat ganz richtig, wie Will [17] bemerkt, auf die Not- wendigkeit hingewiesen, die Bildung von Embryonalhüllen durch Ein- stülpung des Keimstreifens als primären Typus aufzufassen, andrer- seits scheint mir aber die Theorie von Graber und Will [4, 17], welche auch von Korschelt und Heider für die Erklärung der Entstehung der Embryonalhüllen angenommen worden ist, ungenü- gend. Sie ist für die Insekten vollständig verwendbar, wo wir von den Myriopoden, als den Insekten nahe stehenden Formen ausgehen können, erklärt uns aber weder die Entstehung der Embryonalhüllen bei den höheren Wirbeltieren und beim Skorpione, noch analoge Fakta in der Ontogenie anderer Tiere. Wie bekannt, beobachten wir in der Entwicklungsgeschichte einiger Metazoa Erscheinungen, welche XIV. 24 370 Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. in gewisser Hinsicht an die Bildung von Embryonalhüllen erinnern; in manchen Fällen ist diese Aehnlichkeit so groß, dass schon öfters von verschiedenen Autoren auf dieselbe hingewiesen worden ist, allein eine allgemeine Erklärung für alle diese Erscheinungen existiert nicht [16]. Von dem Gedanken ausgehend, dass die Hauptursache der Entstehung ähnlicher Erscheinungen nur eine gleiche sein kann, müssen wir in einem speziellen Falle, wie demjenigen der Bildung von Embryonalhüllen bei den Insekten, vor allem mit dieser Ursache rechnen. Den Embryonalhüllen der Arthropoden und der höheren Wirbeltiere ähnliche Bildungen haben wir z. B. in der Entwicklung des Pilidium (und der Desor’schen Larve), des Pluteus der Spatan- giden, der Cestoden u. s. w. Ueberall finden wir dieselben Grund- striche: der Körper des künftigen Embryos entwickelt sich aus einer besonderen Verdiekung der Oberfläche der Larve, aus einer beson- deren imaginalen Platte, welche ins Innere der Larve invaginiert. Der Unterschied besteht darin, dass in einigen Fällen der ganze Körper des zukünftigen Tieres sich aus einer solchen imaginalen Platte bildet, in anderen nur das Ektoderm und seine Derivate; dieser Unterschied lässt sich darauf zurückführen, dass in den letzten Fällen die Ab- sonderung des inneren Blattes noch vor der Bildung der Imaginal- platte vor sich geht, in den übrigen nach der Bildung derselben. In allen Fällen aber bleibt die Grundursache der Bildung der Imaginal- platte ein und dieselbe: die Deckzellen des Larvenstadiums haben sich infolge dieser oder jener Bedingungen so spezialisiert, dass sie sich nieht in Zellen mit embryonalerem Charakter umbilden können, welche den Grund für dieses oder jenes Organ legen könnten. In jenen Fällen, in welchen die Imaginalplatten sich auf dem Körper der frei lebenden Larve bilden, konnte der Prozess in folgender Weise vor sich gehen: in der Zeit der Ausbildung sekundärer Eigentümlich- keiten der Larve veränderten sich natürlich vor allem die Eigen- schaften ihres Ektoderms oder genauer genommen ihres Mantels, da auf denselben hauptsächlich die äußeren Faktoren einwirkten, welche in einer Reihe von Nachkommen die sekundären Eigentümlichkeiten verursachten. Aber gleich wie sich allmählich die Eigenschaften der Zellendecke der Larven veränderten und spezialisierten, so ging auch die Absonderung solcher Zellen vor sich, deren Existenz die weitere Entwicklung der äußern Schicht und der Decke des erwachsenen Tieres möglich machen könnte. In den Fällen, in welchen in der Decke der Larve keine solche schwach differenzierte Zellen zurück- bleiben, deren Teilungsprodukte auf diese oder jene Weise einen Grund für die Bildung der Decke und einiger ektodermaler Organe des er- wachsenen Tieres legen könnten, wird die Larvendecke abgeworfen. In jenen Fällen aber, wo kein Hindernis der Ausscheidung solcher schwächer entwickelter Elemente vorliegt, bilden diese letzten eine Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. 371 Imaginalplatte. Und so ist die Bildung der Imaginalplatte eine cöno- genetische Erscheinung, hervorgerufen durch den sekundären spezi- fischen Charakter der Deckzellen auf der übrigen Oberfläche der Larve oder des Eies: darin besteht eben die Aehnlichkeit in der Bil- dung der Embryonalstreifen der Arthropoden und der Wirbeltiere und der Bildung der Imaginalplatten bei vielen anderen Metazoen. Da die Differenzierung der Deckelemente unter verschiedenen Einflüssen steht, so bemerkt man auch im speziellen Falle der Bildung der Ima- ginalplatten bei verschiedenen Tiergruppen einen ziemlich großen Un- terschied; dieses aber verhindert durchaus nieht für alle diese Er- scheinungen eine Ursache zu suchen. Eine andere Aehnlichkeit besteht darin, dass sowohl die Imaginalplatte (resp. die Embryonal- streifen) vieler Arthropoden und Wirbeltiere, als auch die Imaginal- platten vieler anderer Metazoa invaginieren. Die Invagination kann, wie es weiter unten gezeigt werden soll, gerade durch die starke Differenzierung verschiedener Zellen hervorgerufen werden. Ich bin mit Will und Korschelt und Heider einverstanden, dass bei den Arthropoden anfänglich eine Versenkung des Embryonalstreifes ohne Bildung von Hüllen vor sich ging, d. h. wenn auch eine Falte ent- stand, so verwuchs sie nicht über der Oberfläche des Embryonal- streifes; sondern der Charakter der Versenkung war nach meiner Ansicht ein anderer: das war keine Einbiegung des Keimstreifens auf die Bauchseite, aber gerade eine Einsenkung desselben, eine Einsen- kung, wie sie in reinerer Form in den Imaginalplatten einiger Meta- zoen beobachtet wird. In dieser Hinsicht ist es interessant auf zwei Modifikationen bei den Seeigeln hinzuweisen: in einem Falle wird die Einsenkung durch die Bildung von Embryonalhüllen abgeschlossen (Spatangidae), im anderen kommt es nicht so weit: über der ver- senkten Imaginalplatte bleibt eine Oeffnung, ein echtes Amnion bildet sich nicht. Dieser Fall hat nach meiner Meinung einen primäreren Charakter. Der Prozess der Faltenbildung ging, einmal begonnen, in derselben Richtung weiter und führte zur Bildung von Embryonal- hüllen, diese Erscheinung aber wurde in verschiedenen Gruppen des Tierreichs erblich konstant. Wenn es wahr ist, dass die Versenkung des Embryonalstreifes oder der Imaginalplatten, welches der erste Schritt der Bildung einer Falte ist, von der scharfen Differenzierung der Deckzellen in zwei Arten abhing, von welchen jedenfalls eine Art sich einerseits spezia- lisierte und nicht in eine andere übergehen konnte, wenn somit die Versenkung einer Zellenart die unumgängliche Folge einer solchen Differenzierung ist, so sind wir im Rechte dasselbe in allen ähnlichen Fällen zu erwarten. Diesen Gedanken kann man in folgender Weise formulieren: wenn in einer Zellenschicht, welche einen Epithelial- 24 * 372 Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. charakter trägt!), eine Differenzierung zweier Zellenarten vor sich geht, so müssen in der philogenetischen Entwicklung die einen Zellen invaginieren, einerlei — ob sie in eine Gruppe vereint oder einzeln zer- streut sind. Oder anders gesagt kann eine Epithelialschicht nicht aus zwei oder mehreren Zellenarten bestehen; wenn wir bei jetzt lebenden Tieren einen scheinbaren Widerspruch auffinden, so ist dies nur des- wegen der Fall, dass wir ein Anfangsstadium des Prozesses haben. Um den letzten Gedanken klarer wiederzugeben, verweise ich z. B. auf das Schicksal der epithelialen Muskelzellen der Hydroiden, welche im Ektoderm der Hydranten in einer Fläche mit allen anderen Arten von ektodermalen Epithelialzellen liegen. Eine solche Lage sollte, wie es scheint, dem oben angeführten Satze widersprechen; aber schon die Brüder Hertwig [6] wiesen darauf hin, wie man in einer Reihe von Hydromedusenformen eine allmähliche Umbildung der Epithelial- Muskelzellen in Subepithelialzellen verfolgen kann. Unstreitig waren die ektodermalen Epithelialmuskelzellen dem allgemeinen Stammvater der Cölenteraten eigen; erhalten haben sie sich nur bei den Hydroi- den, aber bei der weiteren phylogenetischen Entwicklung und bei den- selben Formen mussten sie unters Epithelium immigrieren, wie dieses schon bei der Tudularia und einigen anderen Hydranten geschah. Bevor wir unseren Satz näher betrachten, wollen wir auf der möglichen Ursache verweilen, welche die angeführten Störungen in der Zellenlage hervorruft. Man kann von dem Gedanken ausgehen, dass die gleichen Zellen eines einheitlichen Epithels als so zu sagen organisierte zusammengesetzte Moleküle erscheinen, welche sich in einer gewissen gleichen Wechselwirkung befinden. Wir wissen nicht, worin diese Wechselwirkung besteht, aber gerade durch dieselbe können wir einige Eigentümlichkeiten im Leben dieser Zellen erklären, welche die Eigenschaft des Epithels bestimmen. Wenn wir uns vor- stellen, dass einige Zellen infolge verschiedener Einflüsse ihren Charakter verändern, so muss die Wechselwirkung mit den umliegenden Zellen sich gleichfalls ändern; das Resultat einer solehen Veränderung ist, dass die Zelle, in andere Verhältnisse mit ihren Nachbaren gestellt, aufhört sich in einer Fläche mit den übrigen ihr ungleichen zu halten. Man kann annehmen, dass zwischen jeden zwei Zellen, welche in enge Berührung treten, dieselben Verhältnisse obwalten wie zwischen zwei benachbarten Teilchen eines physikalischen Körpers. Die Zellen eines einheitlichen Epithels können untereinander ungefähr in solchen Ver- hältnissen stehen wie die Teilchen in flüssigen oder halbflüssigen Häuten. Auf einen solchen Vergleich führt die scharfsinnige Unter- suchung von Dreyer [2]. Die veränderten Zellen erscheinen wie Fremdkörper in der Haut, welche aus einheitlichen Elementen gebildet 1) Im gegebenen Falle verstehe ich unter „Epithelium* nur eine aus einer Schichte bestehenden Zellenbildung. Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. 375 ist, und werden aus derselben hinausgestoßen. Die in einer Richtung fortgehende Differenzierung führt zuletzt dazu, dass eine Zellenart aus der allgemeinen Schichte scheidet. Von diesem Standpunkte aus kann man die so sehr verschiedenen Fälle von Migration der einzelnen Zellen und Invagination von Zellen- gruppen betrachten. Die einfachsten Beispiele bieten: die Entwicklung von Geschleehtsprodukten bei Vo/lvox, die Immigration von veränderten Zellen bei Protospongia. Ebenfalls haben wir diese Erscheinung bei der Betrachtung einer Reihe von phylogenetischen Stadien bei den Metazoen. Wie in den angeführten Beispielen, so auch in der phylo- genetischen Entwicklung bestehen immer zwei Stadien: das Stadium, in welehem irgend welche Elemente in dieser oder jener Schichte sich differenzierten, aber dieselbe noch nicht verlassen haben, und das Stadium, wo diese Elemente etwa eine subepitheliale Schiehte bilden. Wir haben ein ähnliches Beispiel in der Entwicklung des Muskelge- webes bei den Medusen gesehen; ein ähnliches Beispiel bietet die Entwieklung des Nervensystems, der einzelnen Sinnesorgane u. 8. w. Von diesem Standpunkte haben die Keimblätter der Metazoen gleich- falls in ihrer phylogenetischen Entwicklung das erste Stadium durch- gemacht; die Wände der primären Blastula bestanden nieht aus einer Zellenart, sondern aus zweien, aus den Zellen der beiden primären Blätter, welche durch ihre Eigenschaften untereinander verschieden waren; erst nach der Differenzierung folgte die Migration ins Innere der Blastula zur Bildung des Hypoblast. Wenn wir jetzt bei verschie- denen Metazoen eine Blastula und sogar Gastrula scheinbar aus ganz gleichen Zellen gebildet antreffen, so kann erstens der. Unterschied zwischen den Zellen in der Struktur des Plasmas bestehen und an- deren für uns unmerklichen Eigentümlichkeiten, zweitens — und haupt- sächlich — kann die sichtliche Zellendifferenzierung cönogenetisch in die spätesten Stadien der embryonalen Entwicklung versetzt werden. Auf eine solche Versetzung weist, wie es mir scheint, der Umstand hin, dass die Absonderung dieser oder jener Art von Zellenelementen in der embryonalen Entwicklung der heutigen Metazoen vor dem Be- ginne ihrer Funktion vor sich geht, eine Erscheinung von unstreitbar cönogenetischem Charakter. Also bestand der allgemeine Gang der phylogenetischen Ent- wicklung der Zellenelemente der Metazoen nach meiner Meimung in Folgendem: verschiedene Faktoren wirkten auf die Zellenschiehte und riefen in derselben eine Differenzierung hervor, diese Differenzierung störte die früheren Verhältnisse unter den Zellen, welche eine einheit- liche Zellenlage verursachte, die einheitliche Zellenlage wurde gestört, wobei in dem Falle, wenn sich einzelne zerstreute Zellen difleren- zierten und aus der allgemeinen Schiehte entfernten, eine solche Störung die Form einer Zellenimmigration annahm; wenn sich aber 374 Wagner, Keimblätter, Dotterzellen, Embryonalhüllen bei Arthropoden. die Differenzierung auf eine ganze Zellengruppe erstreckte, so hatte sie die Form einer Invagination. Auf diesem Wege ging die Ent- wicklung der Keimblätter, auf ihm die Bildung der Organe aus den- selben (z. B. der verschiedenen Drüsen vor sich). Ein prinzipieller Unterschied zwischen der phylogenetischen Entwicklung des Organs und der Embryonalblätter kann nicht existieren, da die Keimblätter nach dem gelungenen Vergleiche von Häckel zu gleicher Zeit die pri- mären Organe der Metazoen sind. In der funktionellen und morpho- logischen Differenzierung der Zellenelemente besteht nach meiner Meinung die Ursache des Internierens der Organe in einer Geschlechts- reihe. Durch diese Differenzierung glaube ich lässt sich nicht nur die Entstehung der Embryonalhüllen erklären, sondern überhaupt aller ähnlicher Bildungen (die invaginierenden Immaginalplatten bei allen Typen der Metazoen). Der Prozess der Versenkung des Embryonal- streifens führt zur Bildung von Embryonalhüllen; die Bildung von Em- bryonalhüllen andererseits wurde konstant als eine vorteilhafte Eigen- tümlichkeit in den ersten Phasen der embryonalen Entwicklung und veränderte nachher einigermaßen ihren Charakter: die Bildung von Hüllen durch Versenkung ging in eine Bildung von Hüllen durch Um- wachsung über. Was das Abwerfen der Embryonalhüllen betrifft, so kann es als eine Folge schnellen Wachstums des Embryonalstreifens angesehen werden, während die Zellen der Embryonalhüllen sich nieht, oder nur sehr unbedeutend vermehren. Dieses Wachstum ist durch die schnelle Aufnahme von Nährmaterial, durch die Embryo- eyten und ihre schnelle Vermehrung verursacht. Der primäre Typus der Abwerfung der Embryonalhüllen ist derjenige, bei welchem eine gleichzeitige Zerreißung des Amnions und der Serosa und ihre Zusammenziehung auf die Rückenseite des Embryos nach Maß der Umwachsung des Dotters durch den Embryo vor sich geht: so eing die Zusammenziehung vor sich, als die Falten der Embryonal- hüllen noch nieht über dem Embryonalstreifen verwuchsen, d. h. als noch keine vollständig ausgebildete Embryonalhüllen im eigentlichen Sinne des Wortes existierten (vergl. Korschelt und Heider |. e. S. 800-806). Die eitierten Schriften. [1] Bobretzky, N. Zur Embryologie der Arthropoden (Russisch). 3aı. Kiegek. Odım. Eer., T. II, 1873. [2] Dreyer, F. Ziele und Wege biologischer Forschung. Jena 1892. [3] Faussek, V. Studien zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Phalangiiden (Russisch). Tp. C.-IIerepd. Odin. Eert., T.XXII, Arbeiten aus dem zoot Labor. der k. Univ. zu St. Petersb., Nr. 3. [4] Graber, V. Die Insekten, II. Teil. München 1879. [5] Heathcote, F. G. The early development of Julus terrestris. Quart. Journ. of M. Se., Vol. XXVI, 1886. [6] Hertwig, O. und R. Der Organismus der Medusen. Jena 1878. [7] Kennel, J.v. Entwicklungsgeschichte von Peripatus Edwardsii Blanch. und Peripatus torquatus n. sp. Arbeiten aus dem zool.-zoot. Institut in Würzburg, Bd. VII—VII, 1885—1888. Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. 375 [8] Kingsley, J. S. The Embryology of Zimulus, Part II. Journal of Morphology, Vol. VIII, 1893. [9] Kisehinouye, K. On the development of Araneina. Journ. of the coll. of Sc. Imper. Univ. Japan, Vol. IV, 1, 1890. [10] Korschelt E. und Heider K. Lehrbuch der vergleichenden Entwick- lungsgeschichte der wirbellosen Tiere. Jena. 2. Heft, 1891. [11] Kowalewsky A. und Schulgin M. Zur Entwicklungsgeschichte des Skorpions (Androctonus ornatus). Biol. Centralbl., 6. Bd., 1886—87. [12] Metschnikoff, E. Embryologische Studien an Medusen. Wien 1886. [13] Morin, J. Studien über die Entwicklung der Spinnen (Russisch). 3arı. Hogopoce. Odın. Eer., T. XII, 1888. [14] Uljanin, W. Beobachtungen über die Entwicklung der Poduren (Rus- sisch. Ns3B. Nmmer. Odım. Jl. Ecer., T.XVI, 1875. [15] Wagner, J. Die Embryonalentwicklung von Ixodes calcaratus Bir. (Russisch). Arbeiten aus dem zootom. Laborat. der k. Univ. zu St. Petersburg, Nr. 5, 1894. [16] Wheller, W. M. A contribution to Insect Embryology. Journal of Morphology, Vol. VIII, 1, 1893. [17] Will, L. Entwicklungsgeschichte der viviparen Aphiden. Zool. Jahrb., Abt. für Anat. ete., III. Bd., 1889 [18] Zograff, N. Materialien zur Kenntnis der Embryonalentwicklung von Geophilus ferrugineus L. K. und @. protimus L. K. (Russisch). Ns3B. NmiseEr. Odım. Jl. Ect., T. XLII, 1883. Neuere physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. Von R. H. Chittenden. (Schluss.) Die ursprünglich als Nuklein bezeichnete Substanz, zuerst von Hoppe-Seyler und Miescher als hauptsächlichster Bestandteil des Kerns der Eiterkörperehen nachgewiesen, wurde von einer Reihe von Forschern aus verschiedenem kernreichen oder kernsubstanzreichen Ma- terial dargestellt. Miescher stellte es dar aus den Spermatozoen ver- schiedener Tiere, Geoghegan aus dem Gehirn, Hoppe-Seyler aus Hefezelleu, Plösz aus der Leber, und v. Jaksch aus dem menschlichen Gehirn. Aber die erhaltenen Produkte waren, trotz Uebereinstimmung in gewissen Punkten, doch einander in vielen Beziehungen unähnlieh. Alle ähnelten einander durch den auffallend hohen Gehalt an Phos- phor, aber die bei: der Analyse gefundenen Mengen von Phosphor schwankten zwischen 1,8 und 9,5°/,. Weiter unterschieden sich die verschiedenen Produkte durch den Grad der Löslichkeit in Alkalien, in welchen die einen sehr leicht, die andern nur schwer löslich waren. Diese markanten Unterschiede sah man natürlich als Beweis dafür an, dass das sogenannte Nuklein keine chemische Einheit sei, vielmehr eine nicht konstante Mischung von organischen Phosphorverbindungen und Proteinstoffen; aber jetzt wissen wir, dank den mühevollen Arbeiten von Kossel u. A., dass es eine Gruppe sehr nahe verwandten von Körpern, „Nukleine“, gibt, welche in der Natur überall verbreitet sind, wo immer Zellelemente sich finden; die den Hauptbestandteil des Zell- kerns ausmachen, aber auch in gewissen Substanzen, wie Milch und Eidotter, die jungen, sich entwickelnden Tieren als Nahrung dienen, 376 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. vorkommen. Die letztgenannte Körperklasse ist bekannter unter dem Namen der Nukleoalbumine, aus denen ein typisches Nuklein abgetrennt oder vielmehr dargestellt werden kann durch die eiweißverdauende Wirkung des Magensaftes!), der den Ueberschuss der Proteinsubstanz löst und das unverdauliche Nuklein übrig lässt. Die wesentlichen Punkte in der Unterscheidung zwischen den typischen Nukleinen wer- den deutlich durch das Studium ihrer Spaltungsprodukte. So gibt z. B. das Nuklein, das man im Karyoplasma der meisten Zellkerne findet, beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure als Spaltungspro- dukte Phosphorsäure, Xanthinkörper und Acidalbumin. Anderseits gibt das Nuklein, das im Lachssperma vorkommt, überhaupt keine Eiweiß- körper, sondern seine Spaltungsprodukte sind bloß Phosphorsäure und Hypoxanthin. Die dritte Gruppe von Nukleinen, die gewöhnlich als Nukleoalbumine bezeichnet werden, geben bei der Spaltung nur Phosphor- säure und Eiweißkörper; wenn Xanthinbasen vorkommen, so sind die Mengen doch zu klein, als dass eine genaue Untersuchung möglich wäre. Aus dem Nuklein der Hefezellen erhielt Liebermann durch Spaltung Metaphosphorsäure, und er war mit Pohl?) zusammen im Stande, eine Verbindung von Metaphosphorsäure mit Eieralbumin, auch mit Serumalbumin und mit Albumose herzustellen, die dem Nuklein in ihren Eigenschaften glich. Ferner ist es möglich, durch Variierung des Verhältnisses zwischen Säure und Albumin verschiedene Formen von Nuklein darzustellen, die verschieden viel Phosphor enthalten und verschieden löslich in Alkalien sind, ganz wie die natürlichen Nukleine, die man aus den Zellkernen darstellt. Dennoch ist es fraglich, ob diese synthetischen Produkte in jeder Beziehung den natürlichen Nu- kleinen gleichen, denn es ist wahrscheinlich, dass das Nukleinmolekül, das durch die Thätigkeit der lebenden Zelle entsteht, nach einem etwas anderen Bauplan hergestellt ist, wenigstens was die Anordnung der Atome anlangt. Altman?) hat zum Beispiel gezeigt, dass, wenn man auf Nuklein schwach spaltende Substanzen, also vielleicht ein Alkali bei gewöhnlicher Temperatur einwirken lässt, dasselbe in Albumin und eine eigentümliche, phosphorreiche Säure, die sogenannte Nukleinsäure, zerlegt wird. Ja, es ist sogar möglich, aus diesen zwei Komponenten von neuem Nuklein herzustellen, und der resultierende Körper zeigt alle Eigentümlichkeiten der ursprünglichen Substanz. Nukleine kann man daher, um Halliburton zu zitieren, als Verbindungen von Pro- teinen mit Nukleinsäure ansehen; die verschiedenen Glieder der Gruppe unterscheiden sich durch den verschiedenen Gehalt an Proteinstoffen und phosphorreicher Säure. So können wir uns eine Kette von Nu- 1) Vergl. Lilienfeld in: du Bois-Reymond’s Archiv für Physiologie, 1892, 8.129. 2) Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 43, S. 99. 3) du Bois-Reymond’s Archiv für Physiologie, 1889, S. 524. Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. 377 kleinen denken, deren eines Ende von Nukleinsäure selbst mit ihren 9—11proz. Phosphor gebildet wird, ohne dass ein Protein beigemischt ist; hierfür ist em Beispiel das aus den Köpfen der Spermatozoen her- gestellte Nuklein, das zweifellos aus den Kernen der zu Spermatozoen werdenden Zellen stammt. In der Mitte der Kette treffen wir Nukleine, die hauptsächlich aus Proteinen bestehen und verschieden viel Nuklein- säure enthalten. Schließlich am andern Ende finden wir Nukleine, die bloß aus Proteinen bestehen und höchstens 0,5—1,0proz. Phosphor enthalten; sie werden gewöhnlich Nukleoalbumine genannt. Nukleine sind unverdaulich in künstlichem Magensaft, während ein Nukleoalbumin, wie schon gesagt, wenigstens zum Teil verdaut wird; der aus Proteinsubstanz bestehende Teil wird in lösliche Produkte ver- wandelt, als unlöslicher Rest bleibt ein typisches Nuklein übrig, das durch schwache Alkalien gelöst werden kann. Wenn man sich diese allgemeinen Charaktere der Nukleine klar gemacht hat, dann werden einem viele von den mikrochemischen Beobachtungen, an die von ver- schiedenen Forschern in der Zellenlehre erinnert wird, verständlich. Als Illustration hierfür denken Sie an die Arbeit von Zacharias über die Pflanzenzelle!)! Wie Sie sich wohl erinnern, hat er eine ganze Reihe von Verdauungsexperimenten mit künstlichem Magensaft gemacht, und er konstatierte im Kern die Anwesenheit von zwei ver- schiedenen, in saurer Pepsinlösung unverdaulichen Substanzen, die sich von einander durch ihre Löslichkeit in Säuren und Alkalien unterschieden. Zacharias kam zu dem Resultat, dass der übrigbleibende Zellkern aus einer Grundsubstanz besteht, die zum großen Teil Nuklein enthält, während die Nukleoli von Albumin und Plastin gebildet werden. Wenn man das Albumin durch Verdauung aus dem Nukleus entfernt und das Nuklein in verdünntem Alkali löst, so bleibt ein Netzwerk von Plastin übrig. Weiter stellteZacharias fest, dass Plastin ein wesent- licher Bestandteil des ganzen protoplasmatischen Zellinhaltes, einschließ- lich des Kerns und des Chromatins, ist. Nun beachten Sie den Unter- schied zwischen Nuklein und Plastin, wie er von Zacharias definiert ist! Plastin löst sich zum Beispiel nicht in 10proz. Kochsalzlösung, quillt auch nicht einmal in ihr auf; daher ist es kein Globulin oder einfaches Protein; auch verschwindet es nicht bei Behandlung mit mäßig starker Salzsäure, wie Nuklein. Ferner ist Plastin viel schwerer in Alkalien löslich als Nuklein. Nun ist es aber Thatsache, dass beide Körper außerordentlich nahe verwandt sind; beide sind Nukleine mit demselbem allgemeinen Strukturtypus; sie unterscheiden sich nur im Gehalt an Nukleinsäure und Protein. Das Plastin der Histologen ist daher einfach eine Art Nuklein von weniger saurem Charakter, weil es verhältnismäßig weniger Nukleinsäure und mehr Protein enthält; 1) Botanische Zeitung, 45. Jahrg., S. 281 u. 329. 378 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. infolge dessen enthält es auch weniger Phosphor, und aus demselben Grunde ist es weniger leicht in Alkalien löslich. € Im Allgemeinen können wir sagen: Der sogenannte Kernsaft oder die Kerngrundsubstanz besteht eigentlich aus einem globulinartigen Körper, demselben, den man im Cytoplasma findet, und der durch Verdauung mit künstlichem Magensaft in lösliche Produkte, wie Pro- teosen und Peptone, übergeführt wird. Der übrige Kern besteht aber aus Substanz, die in Magensaft unlöslich ist. Alle die Körper, die diesen unverdaulichen Rest ausmachen, sind phosphorhaltig; sie sind Nukleine von verschiedener Zusammensetzung. So besteht z. B. das sogenannte Chromatinnetzwerk, das sich von allen anderen Bestand- teilen durch seine große Affinität zu verschiedenen Farben unterscheidet, aus sehr stark phosphorhaltigem Nuklein, nämlich einem Nuklein, das einen großen Gehalt an Nukleinsäure und einen entsprechend geringeren an Protein hat. Die Nukleoli anderseits, die eine weniger ausge- sprochene Affinität zu Farbstoffen haben als das Chromatin, sind haupt- sächlich sogenanntes Plastin, d. h. ein verhältnismäßig phosphorarmes und nicht leieht in Alkalien lösliches Nuklein. Mit anderen Worten — und das ist, denke ich, der Punkt, der mit besonderem Nachdruck zu betonen ist: der Kern aller Zellen setzt sich hauptsächlich aus Nukleinen zusammen, Verbindungen von Protein und Nukleinsäure, welche letztere reich an Phosphor ist; die einzelnen Teile des Kernes variieren etwas, je nach dem verschiedenen Charakter der Nukleine, der sich nach dem Verhältnis vom Protein zur Nukleinsäure richtet. Das heißt also: „Wie in allen metabolischen Prozessen fortwährende Schwankungen stattfinden, so wechseln auch in den Lebensvorgängen die Beziehungen zwischen den phosphorhaltigen Bestandteilen des Kerns; die einen Bestandteile werden neu gebildet, die anderen zerfallen in einfachere Produkte“!). Wir dürfen aber nicht vergessen, dass diese Körper vielleicht Fragmente eines noch komplizierteren Moleküls sind, das im lebenden Karyoplasma der Zellkerne enthalten ist. In jedem Fall muss der Charakter dieser Fragmente, wenn es welche sind, uns einigen Aufschluss geben über die Natur der ursprünglichen Moleküle, und ganz konsequent können wir auf Grund der obigen Feststellungen es als wahrscheinlich annehmen, dass es verschiedene, wenn auch nahe verwandte chemische Varietäten von Karyoplasma gibt, die den Zell- kernen der einzelnen Organe und Gewebe eigentümlich sind. Lilienfeld?) der im Allgemeinen den entwickelten Ansichten beistimmt, spricht sich sehr für die Wahrscheinlichkeit aus, dass in der Regel ein deutlicher Unterschied zwischen dem Kern und dem Zellkörper vorhanden sei. Der erstere bestehe in jeder Phase des 4) Halliburton. 2) Verhandl. der Berliner physiol. Gesellschaft, du Bois-Reymond’s Archiv für Physiologie, 1893, S. 391. Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. 379 Lebens hauptsächlich aus Nukleinsubstanzen, d. h. Nukleoproteinen, Nuklein und in extremen Fällen Nukleinsäure, während der Zellkörper hauptsächlich aus reinen Proteinen und Nukleoalbuminen mit einem geringen Gehalt an Phosphor zusammengesetzt sei. Aber wie die Be- ziehungen zwischen diesen einzelnen Körpern schwankende seien, so sei auch der Farbenton, den man durch verschiedene Tinktionsmittel er- halte, deutlich mehr oder weniger veränderlich; doch in der Regel können wir feststellen, dass die nukleinhaltigen Verbindungen des Kerns die größte Affinität zu basischen Färbmitteln hätten, während die Proteine des Zellkörpers natürlich die sauren festhalten. Ferner beschreibt Lilienfeld, der kürzlich die innere Struktur der Leukocyten gründlich studiert und dem charakteristischen Bestand- teil des Kerns den Namen „Nukleohiston“ gegeben hat, diesen Stoff als ein Nukleoprotein, das man, chemisch betrachtet, mit einem Salz vergleichen kann, in dem eine Proteinbase, Histon, und eine kompli- zierte Säure, Leukonuklein, enthalten ist, welches wiederum aus Nukleinsäure und Protein besteht. So finden wir auch in dieser letzten für uns in Betracht kommenden Arbeit, die zu prüfen ich Gelegenheit hatte, Resultate, welche unsere eben entwickelten allgemeinen Ideen unterstützen!). Endlich hat Lilienfeld bewiesen, dass es die Nuklein- säure des Kerns ist, die die angeführte Färbung, wie sie dieser Zell- teil bei Behandlung mit Anilinfarben annimmt, bedingt. Nachdem wir so die weite Verbreitung der Nukleine durch alle tierischen und pflanzlichen Zellen kennen gelernt haben, wollen wir den Charakter ihrer Zerfalls- oder Spaltungsprodukte etwas eingehen- der untersuchen, denn dadurch erhalten wir ein klareres Bild von ihrer allgemeinen Natur. Wie schon gesagt, geben die Nukleine, soweit sie bis jetzt bekannt sind, bei Behandlung mit verdünnten Mineralsäuren eine Reihe eigenartiger, krystallinischer stickstoffhaltiger Produkte, der sogenannten Xanthinbasen, als deren wahre Vorgänger Kossel die Nukleinsäuren kennen gelehrt hat. Daher hängt es von der Menge der in einem gegebenen Nuklein enthaltenen Nukleinsäure ab, wieviel von diesen Körpern, die, beiläufig gesagt, zur Harnsäuregruppe ge- hören, entsteht. Die weite Verbreitung derselben, besonders im tieri- schen Organismus, wo auch immer sich Zellthätigkeit bemerkbar macht, ihre nahen Beziehungen zur Harnsäure und ihr offenbarer Ursprung aus der Nukleinsäure der Zellnuklei sind Thatsachen von der höchsten physiologischen Bedeutung, sofern sie über die physiologische Funktion des Zellkerns Aufklärung zu bringen versprechen und zu gleicher Zeit auf einen genetischen Zusammenhang zwischen Nukleinbasen und Harn- säure deuten. Auf diesen Gedanken können wir uns jetzt aber nicht weiter einlassen, doch sind noch ein oder zwei Punkte zu erwähnen, die in Beziehung zu den Nukleinbasen stehen, und die wir unmöglich 1) Zeitschrift für physiol. Chemie, Bd. 8, 8. 473. 380 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelie. übergehen können. Es gibt vier Xanthinbasen, nämlich: Adenin, Guanin, Xanthin, Hypoxanthin, sämtlich gut untersuchte Körper von bekannter chemischer Konstitution. Unter ihnen steht das Adenin obenan. Es ist freilich der am spätesten entdeckte dieser Körper, aber seine charakteristische chemische Natur und Konstitution geben ihm einen besonderen Vorrang vor den anderen. Es ist nicht bloß ein Produkt der durch verdünnte Säuren bewirkten Spaltung von reinem Nuklein, sondern es ist weit verbreitet in der Natur, und seine Verbreitung in den Organen und Geweben von Tieren und Pflanzen entspricht seiner genetischen Verwandtschaft mit dem charakteristischen Bestandteil des Zellkerns. So hat es Kossel!) aus dem Pankreas und aus der Milz, auch aus Hefezellen und Theeblättern dargestellt, dagegen fand er es nicht im Muskelgewebe, das ja arm an Kernen ist. F. Kronecker?) fand es in der Milz, in Lymphdrüsen und in den Nieren vom Rind, während Stadthagen?) seine Anwesenheit in der Leber und im Urin eines an Leukämie Leidenden konstatierte, also bei einer Krankheit, bei welcher die Zahl der weißen Blutkörperchen enorm vermehrt ist. Doch ist nieht anzunehmen, dass das Adenin in solchen Fällen ganz frei vorkommt. Im Gegenteil, es existiert in pflanzlichen und tierischen Geweben wenigstens zum Teil in loser Verbindung mit Albumin und Phosphorsäure. Diese Verbindung wird leicht gelöst durch die Wirkung verdünnter Säuren, besonders bei 100° C., aber auch durch spontanen Zerfall nach dem Tode, d. h. also: Adenin ist ein integrierender Be- standteil der Nukleinsäure, die in allen Zellkernen vorkommt, und unter Umständen kann es aus dem komplizierten Molekül, dessen integrieren- der Bestandteil es ist, abgespalten werden. Das Adenin zeigt die Eigentümlichkeit, dass es keinen Sauerstoft enthält. Es ist nur aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff zusammen- gesetzt, und zwar in solchem Verhältnis, dass es als ein Polymeres der Blausäure, HCN, erscheint. Es zeigt in der That dieselbe prozentuale Zusammensetzung wie Blausäure, und seine leichte Umwandlung in Cyankalium beim Zusammenschmelzen mit Kaliumhydroxyd bei 200° C. beweisen die enge Verwandtschaft zwischen den beiden Körpern. Die Existenz von Cyanverbindungen im tierischen Organismus ist lange Zeit als theoretisch wahrscheinlich angenommen worden, die Auffindung des Adenins gibt dieser Hypothese eine feste Basis und deutet auf den Zellkern als den Sitz dieser Oyanverbindungen. Ferner ist Adenin nahe verwandt mit Hypoxanthin, einem uns geläufigeren Körper, mit dessen Ursprung wir uns noch zu befassen haben. Ja noch mehr, wir finden beim Studium der Verwandtschaften, dass überhaupt alle soge- nannten Nukleinbasen enge. Beziehungen zum Adenin haben, wie aus 2 Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 12, S. 241. 2) Virchow’s Archiv, Bd. 107, S. 207. 3) Virchow’s Archiv, Bd. 109, S. 390. Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. 381 den folgenden Formeln hervorgeht, welche die Analogien klar zur Anschauung bringen: Adenin C,H,N, NH Guanin C,H,N,O NH Hypoxanthin C,H,N, OÖ Xanthin C,H,N,O ©. Adenin wie Hypoxanthin enthalten eine eigentümliche chemische Gruppe, C,H,N,, die von Kossel und Thoiss'!) Adenyl genannt worden ist, und wir können daher Adenin als Adenylimid ansehen, während Hypo- xanthin entsprechend als Adenyloxyd bezeichnet werden könnte. Wie man auch bei der nahen Verwandtschaft der beiden Körper vermuten kann, lässt sich Adenin leicht in Hypoxanthin überführen; in ähnlicher Art und Weise kann man die hierhergehörige Base Guanin in Xanthin umwandeln. So fand zum Beispiel Schindler?) experimentell, dass Adenin, in Wasser gelöst und unter Ausschluss der Luft bei ungefähr 20°C. der Fäulnis ausgesetzt, mit der Zeit gänzlich verschwindet; an seiner Stelle erscheint zu gleicher Zeit eine große Menge Hypoxanthin und auch Spuren von Xanthin. Mit andern Worten: Sauerstofffreies Adenin wird durch diesen Prozess zur Verbindung mit Sauerstoff ge- bracht und geht dabei in den verwandten sauerstoffhaltigen Körper Hypoxanthin über unter Abgabe von Ammoniak. Guanin wird durch eine ähnliche Methode in Xanthin verwandelt. Die dabei entstehenden Reaktionen sind sehr einfach, wie folgende Gleichungen zeigen: Adenin Hypoxanthin Ammoniak CCHEN:O, E 7750° 72° GERN.O, +. NH, Guanin Xanthin Ammoniak. Wir haben also alle Ursache zu glauben, dass, da Hypoxanthin bei dem Zerfall von Nuklein entsteht, es die Zwischenstufe des Adenins passiert. Oder mit andern Worten: Adenin ist ein primäres Spaltungs- produkt des Nukleins oder besser der Nukleinsäure, während Hypo- xanthin ein sekundäres Produkt ist, das direkt aus dem Adenin hervor- geht. In ähnlicher Weise ist Guanin ein primäres Zerfallsprodukt von Nukleinsäure, und Xanthin ist in demselben Sinne ein sekundäres Produkt. Diese vier Basen sind ganz nahe verwandt und eng mit einander durch viele Beziehungen verknüpft, und alle sind in gleicher Weise Spaltungsprodukte des aus Zellkernen gewinnbaren Nukleins. Aber die primären Körper Adenin und Guanin sind offenbar für die in den Zellen vor sich gehenden Veränderungen viel empfänglicher als ihre Nachbarn Hypoxanthin und Xanthin. Doch sind alle vier des gänzlichen Zerfalls fähig unter Bildung verschiedener Zerfallsprodukte. In dieser Beziehung ist eine der instruktivsten Reihen von Verände- rungen die, welche das Adenin außerhalb des Körpers durchmacht, 1) Zeitschr. f, physiol. Chemie, Bd. 13, S. 396. 2) Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 13, S. 432. 389 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. wenn man es lange Zeit mit verdünnter Salzsäure erwärmt; es zerfällt dann ganz und gar in Ammoniak, Kohlensäure, Ameisensäure und Glykokoll oder Amidoessigsäure. Xanthin und Hypoxanthin geben bei gleicher Behandlung dieselben Körper: C;H;N,; +8sH,0=4NH,—+ CO, + 2H. COOH -+ CH,(NH,). COOH Adenin Ameisensäure Glykokoll C,H,N,O + 7H,0=3NH, + (CO, 2H. COOH + CH,(NH,). COOH Hypoxanthin C,H,N,0,+6H,0—3NH, -+2C0,-+ H. COOH + CH,(NH,). COOH Xanthin Ferner kann Adenin leicht völlig in Kohlensäure und Ammoniak zer- legt werden. Aber die wunderbarste Erscheinung an diesem Körper tritt, wie schon konstatiert, uns darin entgegen, dass es leicht in Cyankalium umgewandelt werden kann; dadurch verrät es die nahen Beziehungen, in denen es zur Cyangruppe steht. Beim Versuch, dem Adenin eine Funktion beizulegen, die der an- genommenen Funktion des Zellkerns entsprechen soll, müssen wir be- weisen, dass es, unter Bedingungen gebracht, wie sie im Körper be- stehen, leicht in neue Formen übergehen kann, die sehr reaktionsfähig sind. Wie das Experiment ergeben hat, existieren in jeder Zelle die Bedingungen für kräftige Reduktion. Die Reduktion gibt den Anstoß dazu, dass das sauerstofffreie Adenin in einen neuen Körper umge- wandelt wird, der eine außerordentliche Gier nach Sauerstoff hat, und der dann weiterhin durch Anlagerung von mehr Molekülen in einen der Azulminsäure ähnlichen, wenn nicht gar mit dieser identischen Körper übergeht. Wenn man zum Beispiel Adenin in verdünnter Salz- säure löst und mit Zink behandelt, so wird es leicht durch die redu- zierende Wirkung des naszierenden Wasserstoffis zerlegt und offenbar in Azulminsäure, C,H,N,O, ein Derivat des Dieyans, verwandelt. Wenn Dieyan | einfach in Wasser gelöst und der Luft längere Zeit aus- CN gesetzt wird, so nimmt die Lösung allmählich eine dunkle Färbung an, infolge einer Dissoziation, bei der zugleich mit einer gewissen Menge von Azulminsäure Ameisensäure, Blausäure, Ammoniumoxalat und Harnstoff entstehen; abermals Reaktionen, die für den eyan- artigen Charakter des Adeninmoleküls sprechen. Inanbetracht dieser Eigenschaften des Adenins kann man nicht daran zweifeln, dass die aus ihm entstehenden Körper mit starken Affinitäten wichtige Faktoren bei den physiologischen und chemischen Prozessen sein müssen, besonders bei solchen synthetischer Art, die in allen Zellgeweben vorkommen. In dieser Beziehung sei daran erinnert, dass Pflüger aus rein theoretischen Gründen der physiologischen Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle 5385 Rolle, welche die Cyangruppe für das Molekül des lebenden Eiweißes durch Polymerisation u. ä. spielt, große Wichtigkeit beimaß. Totes Albumin, wie wir es im Eierweiß, im Blutfibrin u. dergl. vor uns haben, ist ein verhältnismäßig beständiger Körper, der gegen neutralen Sauer- stoff indifferent ist, der nur wenig zu Veränderungen neigt und beim Zerfall Verbindungen gibt, die keineswegs mit den cyanartigen Körpern identisch sind, wie sie ein normaler Metabolismus von Proteinen!) liefert. Offenbar wird aber das tote Eiweiß der Nahrung während der Assimilation nach einem anderen Plan umgemodelt, die Atome werden neu angeordnet, und in dem nun lebenden Eiweißmolekül, wie im Zellprotoplasma, haben wir wohl eine enge Verbindung von Kohlen- stoff und Stickstoff nach Art der verhältnismäßig unbeständigen Cyan- gruppe anzunehmen. In dem toten Protoplasma anderseits ist der Stickstoff des Proteins direkt an Wasserstoff zur Bildung einer Amido- gruppe (NH,) gebunden, aber in den anabolischen Prozessen, wie sie in allen lebenden Zellen vorkommen, wird der Stickstoff von Wasser- stoff abgespalten und gezwungen, sich direkt mit Kohlenstoff zur un- beständigen Gruppe CN zu vereinen. So können als Zerfallsprodukte beim Proteinmetabolismus resultieren die uns bekannten, die Cyan- gruppe enthaltenden Verbindungen: Guanin, Harnsäure, Kreatin und der verwandte Harnstoff. Das sind Spaltungsprodukte aus dem leben- den Protoplasma, und mit der Entdeckung des Adenins und seiner nahen Verwandtschaft zu den typischen Xanthinbasen haben wir einen weiteren Beweis für die Existenz von eyanhaltigen Radikalen im Zell- protoplasma, besonders im Karyoplasma des Kerns. In allen diesen Xanthinkörpern finden wir eine eigentümliche Verbindung von Kohlen- stoff, Stickstoff und Wasserstoff, wie sie im toten Protein nicht vor- kommt. Die Struktur des Moleküls ist anders und bietet das Bild eines noch komplizierteren Moleküls, in dem die Atome ähnlich angeordnet sind. Wir müssen uns daran erinnern, dass stets bei jeder Zersetzung eines zellreichen Organs mit verdünnter Säure niemals Adenin, Guanin, Xanthin und Hypoxanthin allein entstehen. Man findet sie nicht isoliert, sondern in jedem Gewebe, das unter seinen ursprünglichen Bedingungen geblieben ist, kommen z. B. die beiden eigentlichen Xanthinbasen mit andern Atomgruppen vereint vor, besonders mit Phosphorsäure und Albumin, den Bestandteilen einer höheren Verbindung, des Nukleins. Aus dieser höhern Verbindung können die einzelnen Komponenten nicht durch einfache Lösungsmittel extrahiert oder nach anderen ähnlichen Isoliermethoden gewonnen werden, sondern es muss erst ein Anstoß erfolgen, durch den das komplizierte Molekül zertrümmert wird, und durch den die einzelnen Teile frei gemacht werden, zum Beispiel durch 4) Drechsel, Der Abbau der Eiweißstoffe. du Bois-Reymond’s Archiv, 1891, S. 248. 384 Chittenden, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die Zelle. die Wirkung einer verdünnten Mineralsäure. Anderseits finden wir in Geweben, die an Kernelementen arm sind, wie im Muskelgewebe, nur die Zerfallsprodukte des Nukleins; das chemische Band zwischen den einzelnen Komponenten ist zerrissen, und die Phosphorsäure ist nicht mehr in einer organischen Verbindung vorhanden, sondern als lösliches Alkaliphosphat. Ebenso sind Xanthin und Hypoxanthin frei und können allein schon mit Wasser extrahiert werden. Ferner ist möglicherweise die Umbildung von Adenin und Guanin in Hypoxanthin bezw. Xanthin unter Abspaltung der NH-Gruppe und Aufnahme von Sauerstoff ein Abbild von der Art und Weise, in der die Umwandlung der Amidogruppen im Albumin zum Harnstoff statt- findet; ein Prozess, der zweifellos in den Geweben und vielleicht in jedem Zellkern vor sich geht. Sicherlich können wir im Sinne der gegebenen Darstellung an- nehmen, dass der Zellkern auf irgend eine Weise in nahen Beziehungen zu den Prozessen steht, die die Bildung der organischen Materie ver- mitteln. Was für andere Funktionen er auch sonst noch besitzen mag, jedenfalls ist er vermöge der Eigenschaften, welche die ihn aufbauen- den Körper haben, befähigt, die metabolischen Prozesse, die in der Zelle vor sich gehen, zu überwachen und den Stoffwechsel zu modi- fizieren und zu regeln!). Und Sie wollen beachten, dass ich besonderes Gewicht auf die chemische Natur des Karyoplasmas lege; die charak- teristischen Eigenschaften des Plasmas hängen von seinem molekularen Bau ab. Nicht die bloße Thatsache, dass das Karyoplasma sozusagen in eine ganz bestimmte Struktur hineingezwängt worden ist, erklärt, dass es solche charakteristische Eigenschaften besitzt, sondern den lebenden Molekülen selbst kommen jene Eigenschaften zu. Die leben- den Moleküle sind etwas Anderes als die toten Moleküle, weil sie eine andere chemische Konstitution haben, weil die Atome anders an- geordnet sind. Ist dies Alles richtig, so können wir leicht einsehen, wie kernlose Zellen vielleicht bis zu einem gewissen Grade thätig zu sein vermögen, vorausgesetzt dass sie in ihrem Cytoplasma dieselben chemischen Gruppen enthalten. Aber ich habe meine Zeit bereits überschritten, und doch wäre noch Vieles zu sagen. Indessen das Gesagte wird Ihnen einigermaßen gezeigt.haben, dass hier in der Chemie der Zelle ein Arbeitsfeld liegt, das man auf die Dauer in der biologischen Forschung nicht unberück- sichtigt lassen darf. 4) Vergl. M. Verworn, Die physiologische Bedeutung des Zellkerns. Pflüger’s Archiv für Physiologie, Bd. 51, 8. 1. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes ET) Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 1. Juni 1894. Nr. 1. Inhalt: Nagel, Beobachtungen über den Lichtsinn augenloser Muscheln. — Lauter- born, Ueber die Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. Mit Be- schreibungen neuer Protozo@en. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (11. Stück). — Auerbach, Ueber merkwürdige Vorgänge am Sperma von Dytiscus marginalis. — Hürthle, Beiträge zur Kenntnis des Sekretionsvorganges in der Schilddrüse. — v. Lendenfeld, Haacke’s Gemmarienlehre. Beobachtungen über den Lichtsinn augenloser Muscheln. Von Wilibald A. Nagel, Dr. rer, nat. et med. in Tübingen. Die beiden neuesten Arbeiten, welche sich mit dem „Sehvermögen“ der Muscheln befassen, sind diejenigen von B. Rawitz!) und R. Du- bois?). Ohne früherer diesbezüglicher Arbeiten anderer Forscher Er- wähnung zu thun, berichtet Dubois sehr eingehend über die „vision dermatoptique“ der Bohrmuschel, Pholas dactylus. Rawitz hat histiologisch den Mantelrand zahlreicher Muscheln untersucht, und äußert sich dabei an verschiedenen Stellen kritisch über die von früheren Forschern bei vielen Arten beschriebenen „Augen“, sowie über die zum Zwecke des Nachweises vom Sehvermögen bei jenen Tieren angestellten Experimente, welche er selbst teilweise nachzu- machen versucht hat. Sein Resultat ist kurz dieses: Von Muscheln, welche keine morphologisch wohlcharakterisierten Augen besitzen, ist nur bei Pholas dactylus Lichtempfindlichkeit (aber keine Lichtempfin- dung und kein Gesichtssinn) nachgewiesen, bei Cardium edule bestehen 1) B. Rawitz, Der Mantelrand der Acephalen. Jena. G. Fischer. 1890. 3..Keil, 8.221 5. 2) R.Dubois, Anatomie et physiologie comparees de la Pholade dactyle, structure, loeomotion, taet, olfaction, gustation, vision dermatoptique, photo- genie, avec une theorie generale des sensations, Paris 1892 (enthält auch die Resultate aller früheren diesbezüglichen Mitteilungen Duboi’s). XIV. 25 386 Nagel, Lichtsinn augenloser Muscheln. histiologische Bauverhältnisse, welche eine Lichtempfindlichkeit dieser Art wahrscheinlich machen. Allen anderen augenlosen Muscheln fehlt Liehtempfindlichkeit; wirklich „sehen“ können nur die mit Augen ver- sehenen Muscheln (Peeten, Arca). Ich selbst habe im Frühjahre 1892 die (bisher nicht veröffentlichte) Beobachtung hoehgradiger Liehtempfindlichkeit bei der siphoniaten Muschel Psammobia vespertina gemacht und neuerdings die Versuche auf zahlreiche andere Muscheln und Tiere anderer Stämme ausgedehnt. Meine an Muscheln gewonnenen Resultate will ich hier in Kürze mit- teilen, mit der Absicht, umfassendere Untersuchungen später zu ver- öffentlichen. Auch die von Dubois und Rawitz geäußerten, vielfach sehr sonderbaren Anschauungen über die Lichtwahrnehmung augen- loser Tiere werde ich erst später ausführlich widerlegen. Hier nur die Bemerkung, dass es mir nieht zutreftend erscheint, wenn Dubois der Bohrmuschel die Fähigkeit zuschreibt, mit der Haut zu „sehen“, und andreıseits, dass es unbegründet ist, wenn Ra witz die Liehtempfind- lichkeit der anderen Muscheln (außer Pholas) leugnet. Die Licht- empfindlichkeit vieler augenloser Muscheln ist eine über- raschend hochgradige, und die bei verschiedenen Arten von Ryder!), Drost?), Sharp?), Patten*) gemachten Beobachtungen sind durchaus zutreffend. Die beiden letztgenannten Forscher knüpfen aber an ihre (übrigens vereinzelten und nicht systematisch durchge- führten) experimentellen Beobachtungen so seltsame und physiologisch unhaltbare Betrachtungen an, dass eine Revision der Frage, vollends jetzt, nachdem Rawitz die Richtigkeit jener Beobachtungen so ent- schieden bestritten hat, dringend nötig ist. Für die Klarheit der Begriffe war es nicht günstig, dass die Autoren vor Rawitz ohne weiteres sagten, eine Muschel könne „sehen“, wenn sie nachweisen konnten, dass das Tier auf Helligkeits- änderungen merkbar reagierte. Es ist das eine Verwechslung des wirklichen Gesiehtssinnes mit dem bloßen Lichtsinn, welcher ohne ersteren bestehen kann. Dubois hat außerdem, wie mir scheint, damit keinen glücklichen Griff gethan, dass er von den zweierlei Aeußerungen des Lichtsinnes fast ausschließlich die eine, die Reaktion auf Zunahme der Beleuehtungsintensität, untersuchte, die Reaktion auf Beschattung aber vernachlässigte. Gegen seine Versuche und Schlüsse konnte da- her der Einwand gemacht werden, die Reaktionen der Bohrmuschel, 4) J. A. Ryder, Primitive visual organs, Science, vol. 2, 1883. 2) K. Drost, Ueber das Nervensystem und die Sinnesepithelien der Herz- muschel (Cardium edule L.) ete. Morphol. Jahrb., Bd. XII. 3) B. Sharp, On the visual organs in Lamellibranchiata. Mitteil. zool. Station Neapel, 1884. 4) W. Patten, Eyes of Molluses and Arthropods. Mitteil. zool. Station Neapel, 1886. Nagel, Lichtsinn augenloser Muscheln. 387 wie ähnliche Reaktionen bei zahlreichen anderen Tieren (Regenwurm, Fliegenlarven), könnten entweder auf der Wirkung strahlender Wärme beruhen, oder sie könnten Schmerzäußerungen, also gewissermaßen pathologische Vorgänge, sein. Dies widerlegen meine Versuche. Ich betrachte als entscheidend für den Nachweis eines zweck- mäßigen, dem Tiere nützlichen, und von demselben auch wirklich ver- werteten reinen Lichtsinnes die Beobachtung, dass das Tier auf plötzliche Beschattung durch Bewegung reagiert. Ich nenne das Vermögen der Wahrnehmung von Hell und Dunkel den photo- skioptischen Sinn (oxı« Schatten) und spreche von photopti- schen und skioptischen Wahrnehmungen und ebensolchen Tieren (je nachdem ein Tier auf Belichtung oder auf Beschattung reagiert). Im Gegensatz dazu würden die ikonoptischen Tiere (eixwv Bild) solche sein, bei welchen zu den photoskioptischen Wahrnehmungen der einzelnen sensiblen Elemente die Perception eines durch einen licht- brechenden Apparat erzeugten Bildes hinzukommt. Die von Graber!) u. a. untersuchten „photodermatischen“ Reaktionen augenloser und geblendeter Tiere stellen einen weiteren Begriff dar, als die photoskioptischen Wahrnehmungen, sie schließen aber die letzteren ein: photodermatisch sind alle die Reak- tionen, welche durch Einwirkung des Lichtes auf Hautsinnesorgane entstehen ?); als Reaktion auf photoskioptische Wahrnehmungen möchte ich nur diejenigen unter dem Einfluss der Belichtung oder Beschattung sich abspielenden Sinnesäußerungen bezeichnen, welche dureh ihre Stärke, Konstanz und Zweckmäßigkeit zu erkennen geben, dass sie nicht auf einer zufälligen, sozusagen nebensächlichen, Lichtempfind- lichkeit der Hautsinnesorgane beruhen, sondern dass letztere die Organe eines zweckmäßigen, dem Tiere nützlichen und von demselben auch wirklich verwerteten Sinnes sind ?). 4) V. Graber, Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farben- sinnes der Tiere. Prag und Leipzig, bei Tempsky, 1884. 2) Auch die wärmenden und schmerzerzeugenden Wirkungen sind hier einbegriffen, und es wird kein Unterschied gemacht, ob die Wirkung eine momentane ist (wie bei jeder wirklichen Lichtempfindung), oder im Laufe von Minuten und noch längerer Zeit eintritt. 3) Meiner in verschiedenen Arbeiten ausgesprochenen Anschauung über die Art der Spezialisierung der Sinnesorgane niederer Tiere entspricht es, anzunehmen, dass der Lichtsinn an Hautsinnesorgane gebunden sein könne, welehe zugleich mechanische und chemische Reize normalerweise wahrnehmen können, welche also Wechselsinnesorgane des mechanischen, chemischen (vielleicht auch thermischen) und photoskioptischen Sinnes wären. Speziell auch bei den lichtempfindenden Teilen der Muscheln halte ich diese Vergesell- schaftung der Funktionen für wahrscheinlich. Man vergl. W. Nagel, Die niederen Sinne der Insekten, Tübingen 1892 und „Vergleichend - physiologische 25 * 388 Nagel, Lichtsinn augenloser Muscheln. Die empfindenden Teile der Muscheln sind in den meisten Fällen die Siphonen, zuweilen auch andere Teile des Mantelrandes, oder der Fuß. Manche der untersuchten Muscheln sind sowohl für plötzliche Be- lichtung, wie für Beschattung empfindlich (photoskioptisch), (und zwar kann dann auffallenderweise der Uebergang von einer Liehtintensität « zu einer größeren db ebensowohl wirksam sein, wie der Uebergang von b nach a), andere sind nur durch Beschattung erregbar (skioptisch, wohl nie rein ausgeprägt), wieder andere reagieren ganz vorzugsweise auf Helligkeitszunahme (photoptisch). Die bisher untersuchten Arten verhielten sich wie folgt: Ostrea edulis Cardium oblongum (und C. edule nach Drost) Venus gallina (Mactra stultorum). card tuberculatum fast rein skioptisch skioptisch Cardium aculeatum bis ‘ Venus verrucosa photoskioptisch JCytherea chione \Mactra stultorum. Pholas dactylus Lithodomus dactylus photoskioptisch, Syarıemnkeheon Tellina complanata. Ä Tellina nitida B ah a Solen siligqua (und 8. vagina nach Sharp) photoskioptisch jSolen ensis Tapes (Venus) decussata (fast rein photoptisch). Lima hians photoptisch Prammobi vespertina (sehr empfindlich) Capsa fragilis (sehr wenig empfindlich). Solecurtus strigillatus unempfindlich für Licht /Loripes lacteus wie für Schatten |Cardita sulcata (vielleicht nur deshalb, weil die Tiere ihre Schalen ganz wenig öffneten). Photoskioptisch sind auch die mit Augen versehenen Muscheln, Peecten und Arca. Ueber die Art der Reaktion auf Lieht und Schatten sei hier folgen- des angegeben. Die Reaktion auf Beschattung pflegt meist schneller einzutreten als die Lichtreaktion, sie besteht in einem plötzlichen und anatomische Untersuchungen über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe, mit einleitenden Betrachtungen aus der allgemeinen vergleichenden Sinnesphysiologie“. Bibliotheca zoologiea von Leuckart und Chun, Heft 18 (April 1894 im Druck). Nagel, Lichtsinn augenloser Muscheln. 389 Schließen und Zurückziehen der Siphonen, worauf zuweilen Flucht des ganzen Tieres folgt!). Die photoptischen Reaktionen haben eine beträcht- lich größere Latenzperiode und einen langsamen Verlauf (nur bei Psammobia gerade umgekehrt, die Lichtwirkung rasch und heftig, die Schattenwirkung meist fehlend und wenn vorhanden, ganz träge). Im übrigen zeigen die Bewegungen unter dem Einflusse von Licht und Schatten bei den einzelnen Arten beträchtliche Unterschiede, auf welche ich hier nicht näher eingehe. Auffallend ist die sehr rasche Gewöhnung besonders an die Be- schattung bei den schnellreagierenden Arten (Venus, Ostrea, Cardium, Tapes, nicht aber bei der trägen Pholas). Cardium z. B. reagiert an- fangs prompt, wenn ein kleines Wölkehen, über die Sonne ziehend, deren Lieht etwas abschwächt, oder wenn der Schatten eines !/, m entfernten, außerhalb des Aquariums vorbeibewegten Stockes oder Blei- stiftes die Siphonen streift. Der Versuch gelingt 2—3 Mal, wenn er in Zwischenräumen von einigen Minuten wiederholt wird, dann plötz- lieh bleibt jede Reaktion aus. Ebenso ist es bei stärkerer Beschattung durch Vorhalten eines Buches oder dergl.: auch hier 2—3 Mal starke Wirkung, dann beim vierten Versuch ein leichtes Zucken der Sipho- ränder, beim fünften keine Wirkung. Dann mag man verdunkeln, so stark man will, alles ohne Wirkung. Bei manchen Muscheln (Ostrea, Lithodomus) gelingt sogar der Versuch nur nach mehrstündiger Pause zum zweiten Male. Beschattet man Cardium oder Venus rasch hinter- einander mehrmals, so kann man sicher sein, dass diese Tiere, die sonst durch den leichtesten, für den Beobachter kaum sichtbaren Schatten zum jähen Schluss der Siphonen oder der Schalen veranlasst werden, jetzt absolut gleichgiltig gegen die dunkelste Beschattung sind. Diese Beobachtungen zeigen aufs klarste, dass die Gewöhnung an den Reiz nieht ein einfach physiologischer Ermüdungsvorgang, sondern ein psychischer Prozess ist, und dass sie die Annahme einer gewissen Urteilsfähigkeit bei jenen Tieren unabweisbar macht: Das Tier erkennt, dass die mehrmalige Beschattung nicht auf dem Nahen eines Feindes oder einer sonstigen Gefahr beruhte, vielmehr unschädlich verlief. Der Vorgang ist durchaus vergleichbar dem Erschreeken des höheren Tieres, wobei ebenfalls die Reaktion bei mehrmaliger Wieder- holung ausbleibt. An die Belichtung gewöhnen sich die Tiere langsamer, als an die Beschattung, besonders langsam die am deutlichsten photoptische Psam- mobia vespertina; hier werden die Reaktionen ganz allmählich schwächer. An diesem Tiere besonders machte ich noch folgende Beobachtungen (die aber auch für die anderen Muscheln gelten): Durchgang der Lieht- strahlen dnreh konzentrierte Alaunlösung schwächt ihre Wirkung auf die Muscheln nieht ab, Rubinglas hebt sie fast völlig auf; Lösungen 4) Die Auster schließt bei Beschattung plötzlich ihre Schalen. 390 Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. von Pikrinsäure und Kaliumbichromat schwächten die Liehtwirkung wenig, auch schwefelsaures Kupferoxydammoniak nur in starker Lösung deutlich. Verhältnismäßig stark abgeschwächt war die Reaktion, wenn die Tiere von Licht getroffen wurden, das Fluoresceinlösung passirt hatte. Zur Belichtung verwandte ich diffuses Tageslicht, wie es im Zimmer herrschte, Sonnenlicht nur ganz ausnahmsweise. Es genügen schon sehr geringe Aenderungen der Helligkeit, auch im Sinne der Zunahme derselben, um Reaktion (bei Psammobia) auszulösen. Bei den meisten Muscheln war die Empfindlichkeit für photo- skioptische Eindrücke gesteigert, wenn ich das Wasser etwas erwärmte (auf 20—22° C). Fernhalten aller Erschütterungen ist erste Bedingung für gutes Gelingen der Versuche. Zoologische Station Neapel. April 1894. Ueber die Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. Mit Beschreibungen neuer Protozoen. Von Robert Lauterborn. (Aus dem zool. Institut der Universität Heidelberg.) Um ein möglichst vollständiges Bild der Winterfauna unserer hei- mischen Gewässer zu gewinnen, unterzog ich im Laufe des verflossenen Winters einige Altwasser des Rheins sowie mehrere Teiche und Tümpel der Umgebung von Ludwigshafen a. Rh. einer eingehenden und regel- mäßigen Untersuchung. Als Resultat ergab sich überall das Vor- handensein einer an Arten und teilweise auch an Individuen sehr reichen Tierwelt, sowohl im Schlamme am Grunde der Gewässer als auch in den freien Wasserflächen unmittelbar unter der Eisdecke. Am Boden konzentriert sich das niedere Tierleben im Winter vorzugsweise auf die ausgedehnten Diatomeen-Rasen, welche sich in den Altwassern sowie an ruhigeren Stellen des freien Rheines gerade um diese Jahreszeit besonders üppig zu entwickeln pflegen. Bei der sehr beträchtlichen Anzahl der hier vorkommenden Arten muss ich von einer auch nur einigermaßen erschöpfenden Aufzählung an dieser Stelle Abstand nehmen; ich beschränke mich darauf einige jener Formen aufzuführen, welche als regelmäßige Begleiter der Diatomeen - Rasen für diese besonders charakteristisch sind. Es sind dies in erster Linie folgende: Rrhizopoda: Amoeba proteus aut. zu vielen tausenden, in den Kulturen die Oberfläche des Schlammes mit einem grauen Staube bedeckend; Gromia mutabilis Bail. sehr häufig. Heliozoa: Actino- sphaerium, Actinophrys sehr zahlreich. Flagellata: Euglena, Phacus, Trachelomonas, Eutreptia viridis Perty, Peranema trichophorum Ehrb., Urceolus Alenitzini Mereschk. häufig, Hymenomonas roseola Stein sehr häufig, Anisonema grande Ehrb. sehr häufig, Glenodinium aerugi- Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. 391 nosum Stein häufig, dann Chroomonas Nordstedtii Hansg. sehr häu- fig ete. Ciliata: Prorodon teres Ehrb., Prorodon faretus Clap. L. spee., Frontonia leucas Ehrb., Lionotus vermicularis Stokes sehr häufig im Rhein, Pleuronema COhrysalis Ehrb. ete. Rotatoria: Diaschiza semiaperta Gosse sehr häufig, Notholca hejtodon Perty, N. labis Gosse, N. striata Ehrb. sehr häufig, letztere drei Arten auch im freien Wasser. Crustacea: Macrothrix laticornis Jur., Iyoeryptus sordi- dus Lievin, Ilyoeryptus acutifrons Sars. Tardigrada: Macro- biotus macronyx Duj. sehr zahlreich mit Eiern. Unter den Mitgliedern der aus Protozoön, Rotatorien und einigen Crustaceen bestehenden „pelagischen“ oder „limnetischen“ Fauna traten einzelne Formen in ganz riesigen Massen auf und zwar gleich- zeitig an ganz verschiedenen Oertlichkeiten, die mehrere Kilometer auseinander liegen. Unter den Protozo@n zeichneten sich nach dieser Richtung hin Peridinium bipes Stein und besonders Synura wvella Ehrb. aus, letztere von Februar ab allenthalben in reich- lichster Cystenbildung'). Mit Einschluss dieser dominierenden Formen fanden sich von Ende November bis Februar noch folgende Arten im freien Wasser (Temp. + 2° C bis + 5° C) vor: Protozoa’?). Volvox minor Stein Einzeln; viel häufiger im Sommer. Eudorina elegans Ehrb. Nicht selten; von März ab zahlreicher. Synura wella Ehrb. Ueberaus häufig; besonders in den Teichen. Cysten von Februar ab. Mallomonas spec. In Altwassern und Teiehen nicht selten. Uroglena volvox Elhırb. Nicht selten. Dinobryon sertularia Ehrb. Häufie Dinobryon stipitatum Stein | 5: Peridinium tabulatum Ehrb. Nicht selten. Peridinium bipes Stein Sehr zahlreieh in Teichen und Lehm- gruben. Peridinium spec. Ziemlich häufig in Teichen. Gymnodinium tenuissimum n. sp.?) Nieht selten im freien Wasser eines Teiches bei Maudach, Dezember und Januar. 4) Bei der Cystenbildung scheidet jedes Individuum einer Kolonie inner- halb seiner Hülle eine kugelförmige, mit einer sehr kleinen rundlichen Oeffnung versehene Cystenmembran aus. Die Cystenhaut ist sehr stark verkieselt wie diejenige von Dinobryon und Mallomonas. 2) Mit der nachfolgenden Liste der auch im Winter ausdauernden Proto- zo&n und Rotatorien vervollständige ich die Angaben, welche ich über denselben Gegenstand in meiner früheren Arbeit: „Ueber Periodieität im Auftreten und in der Fortpflanzung einiger pelagischer Organismen des Rheins und seiner Altwasser“. (Verhandl. d. Naturhist. med. Vereins Heidelberg, N. F., V. Bd., (1893) 1. Heft) gemacht habe. 3) Die Beschreibung der neuen Arten folgt am Schlusse dieser Arbeit. 399 Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. Holophrya nigricans n. Sp. Nicht selten in Teichen bei Maudach und Ludwigshafen. Disematostoma Bütschlii n. g.n. sp. Wie vorige. Nassula ornata Ehrb. Didinium nasutum O. F. M. Didinium Balbianii Bütschli Lembadion bullinum Perty Codonella ceratera Leidy spee. Tintinnidium fluviatite Stein Condylostoma Vorticella Ehrb. Häufig in einem Teiche bei Maudach. Den ganzen Winter über recht häufig | in mehreren Teichen. Einzeln in Teichen. In Altwasser und Teichen ziemlich häufig. Ziemlich häufig in Altwassern, seltener in Teichen. In mehreren Teichen nicht selten. Bursaridium Schewiakowiin.g.n.sp. Einzeln in mehreren Teichen. Rotatoria. Asplanchna priodonta Gosse Sacculus viridis Gosse Synchaeta pectinata Ehrb. Synchaeta tremula Ehrb. Polyarthra platyptera Ehrb. Triarthra longiseta Ehrb. Triarthra breviseta Gosse Rhinops vitrea Hudson Notops hyptopus (Ehrb.) Hudsonella pygmaea (Calm.) Brachionus pala Ehrb. Brachionus angularis Gosse Anuraca cochlearis Gosse Anuraea aculeata Ehrb. Notholca heptodon Perty Notholca longispina Kell. Nicht selten, besonders in den Alt- wassern. Vereinzelt in mehreren Teichen. Nicht selten in Altwassern und Teichen. Mit voriger, noch häufiger. Häufig in Altwassern und Teichen. Wie vorige Art. In einem Teiche bei Maudach; von Ende Januar ab mit Dauereiern. Ziemlich häufig in einem Teiche bei Maudach; Dauereier von Fe- bruar ab. In einem Teiche bei Ludwigshafen nicht selten. Einzeln in Altwassern und Teichen; im Sommer viel häufiger. Sehr häufig in einem Teiche bei Maudach. In Altwassern und Teichen nicht selten. Sehr häufig in allen Gewässern. Wie vorige Art. Meist einzeln in Altwassern und Teichen. In den Altwassern nicht selten. Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. 393 Notholca striata!) (Ehrb.) Häufig in Altwassern und Teichen. Notholca acuminata!) (Ehrb.) Wie vorige. Notholca labis Gosse Nicht selten in Altwassern u. Teichen. Crustacea. bosmina?) cornuta Jur. Recht häufig in Altwassern u. Teichen. Cyclops?) sp. Days \ Sehr häufig, besonders in Altwassern. Wie sich aus vorstehender Zusammenstellung ergibt, ist die Art- und Individuenzahl der auch im Winter ausdauernden Protozo@n und Rotatorien eine sehr beträchtliche. Unter den Protozoön finden sich ‚mehrere, meist neue Formen, welche ich bis jetzt nur in der kälteren Jahreszeit angetroffen habe, doch ist es mir sehr wahrscheinlich, dass sich einige derselben auch noch in den wärmeren Monaten nachweisen lassen werden. Von den Rotatorien dagegen ist mir noch keine Art bekannt geworden, deren zeitliches Vorkommen ausschließlich auf den Winter beschränkt wäre, wenn sich auch nicht verkennen lässt, dass einzelne Speeies — so z. B. sämtliche Notholca- Arten — in der käl- teren Jahreszeit bei uns entschieden etwas häufiger sind als sonst. Alle oben aufgezählten Rädertiere finden sich mehr oder weniger häufig auch in der wärmeren Jahreszeit vor und qualifizieren sich dadurch als ausgesprochen eurytherme Tiere, die im Laufe eines Jahres Temperaturen von + 2° C (Dezember und Januar) bis + 27° C (im August im Altrhein bei Neuhofen) ausgesetzt sind und dabei sich zu allen Zeiten lebhaft vermehren — ein Umstand, der natürlich auch für eine ausgedehnte Verbreitung in horizontaler und vertikaler Richtung über weite Gebiete hin von einer nicht zu unterschätzenden Bedeu- tung ist. Daneben gibt es unter ihnen aber auch einige wirkliche „Sommerformen“, die mit der wärmeren Jahreszeit erscheinen und ver- schwinden; bei uns sind es besonders folgende: Floseularia mutabilis Bolt. Chromogaster testudo Lauterb. Mastigocerca setifera Lauterb. M. capueina Zach. et Wierz. Schizocerca diversicornis v. Dad. Gastroschiza flexilis Jägersk. Pedalion mirum Huds. Pompholyx sulcata Hudson. Es wäre gewiss nicht ohne Interesse, festzustellen, wie sich die ge- nannten Arten in andern Gegenden verhalten. Von Protozoön kenne ich in meinem Untersuchungsgebiete bis jetzt eigentlich nur eine 1) N. striata und N. acuminata sind durch zahlreiche Uebergänge mit einander verbunden; auch N. labis dürfte in diesen Formenkreis gehören. 2) Bosmina ist in unseren Altwassern keineswegs „acyklisch“, da ich dog und Dauereier während dreier Beobachtungsjahre regelmäßig im Mai und Juni, sowie ein zweites Mal im November in verschiedenen Ge- wässern fand! Näheres darüber später. 3) Die Arten sind noch nicht genauer bestimmt. 394 Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. typische limnetische „Sommerform“, und diese ist Ceratium hirundi- nella OÖ. F.M. — Zum Schlusse lasse ich in systematischer Reihenfolge die Beschrei- bungen der neuen Gattungen und Arten von Protozoen folgen, die ich bei Gelegenheit meiner faunistischen Studien im Winter 1893/94 auf- gefunden habe. Eine eingehende Schilderung der Nova sowie Ab- bildungen hoffe ich in Bälde an anderer Stelle geben zu können. Flagellata. Monadina. 1) Bicosoeca socialis nov. spec. Bildet freischwimmende, aus nicht sehr zahlreichen Individuen bestehende Kolonien. Einzeltiere von ungefähr ovaler Gestalt, mit einem etwa körperlangen „Stiele“ in zylindrischen, hinten bauchig er- weiterten, hyalinen und stiellosen Gehäusen befestigt; letztere an der Basis mit einander zusammenhängend. Das Vorderende mit einem un- deutlichen, kragenartig vorspringenden protoplasmatischen Saume, der an der einen Seite etwas höher ist als an der anderen. Im Inneren ein bläschenförmiger Nukleus mit Nukleolus; hinten eine kontraktile Vakuole. Der kontraktile „Stiel“ verläuft am Körper der Monade anscheinend in einer Art Rinne bis in die Nähe der Insertionsstelle der langen vorderen Geißel und immer auf derselben Seite wie diese; sein ganzes Verhalten spricht dafür, dass er nichts weiter ist als eine modifizierte zweite Geißel (etwa vergleichbar der sog. „Schleppgeißel“ verschiedener Heteromastigoden z. B. Anisonema!), welche auf dem Wege der Arbeitsteilung die Befestigung des Flagellatenkörpers übernommen hat). Länge der Einzeltiere . . . . . 0,010 mm, Durchmesser der Kolonie ungefähr 0,060 mm. Fundort: Ein Teich bei Maudach, nicht häufig im Dezember. Ich fand vorstehende Art bis jetzt nur freischwimmend. Die Möglichkeit, dass die gefundenen Kolonieen vielleicht nur losgelöste Trauben einer fest- sitzenden Form sind (wie Aehnliches bei Anthophysa öfters vorkommt), ist nicht vollständig auszuschließen, doch ist mir dies sehr unwahrscheinlich. Choanoflagellata. 2) Sphaeroeca?) Volvox nov. gen. NOV. Spec. Bildet freischwimmende, kugelförmige Kolonieen, deren ge- stielte Einzeltiere in beträchtlicher Zahl radial in eine Gallertkugel eingebettet sind. Körpergestalt rundlich -birnförmig, hinten zugespitzt. 1) Ganz ähnliche Verhältnisse dürften auch bei der gewöhnlichen Bico- soeca lacustris J. Cl. vorliegen. 2) Von opaioa Kugel, oix2ew ich bewohne. Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. 395 Stiele von etwa doppelter Länge des Körpers, im Zentrum nicht zu- sammenhängend. Kragen ziemlich hoch, vorn nur wenig erweitert; Geißel sehr lang, oft die fünffache Körperlänge erreichend. Nukleus bläschenförmig mit deutlichem Nukleolus; kontraktile Vakuole am Hinterende. Durchmesser der Kolonien 0,120—0,200 mm, Länge der Einzeltiere. . 0,008—0,012 mm (ohne Kragen). Fundort: Ein Teich bei Maudach, ziemlich häufig im Februar; meist auf der Oberfläche des Schlammes dahinrollend. Die Gattung Sphaeroeca unterscheidet sich von allen andern Choano- flagellaten dadurch, dass die Einzeltiere zu Gallertkugeln vereinigt sind, welche sich wie Uroglena volvox Ehrb. rotierend fortbewegen. Im Inneren der Kolonieen leben fast konstant einige runde grünliche Algen oder Chryso- monadinen. Isomastigoda. 3) Mesostigma!) viride nov. gen. nov. spec. Körper klein, bohnenförmig oder oval, abgeplattet, mit etwas konkaver Bauchseite; umgeben von einer sehr dünnen, zart gestreiften, am Rande punktiert erscheinenden Hülle. Chromatophor grün, bandförmig, sich längs des Körperrandes hinziehend, an dem Vorder- und Hinterende etwas verbreitert und hier je ein Amylonkorn umschließend. Zwei gleichlange Geißeln, die nicht am Vorderende, sondern auf der Ventralseite zwischen Vorderende und dem in der Mitte des Körpers gelegenen Stigma entspringen. Das letztere recht ansehnlich, von ziegelroter Farbe. Gewöhnlich zwei kontraktile Vakuolen, in der Nähe der Insertionsstelle der Geißeln. Nukleus bläschenförmig mit deutlichem Nukleolus, hinter dem Stigma gelegen. Länge 0,018 mm, Breite 0,014 mm, Stigma 0,003 mm lang. Fundort: Im diatomeenreichen Schlamme des Altrheins bei Rox- heim und Neuhofen in 5m Tiefe; auch unter Ulothrix-Rasen am Ufer, immer einzeln. Februar. Mesostigma ähnelt in Gestalt sowie durch das bandförmige, sich längs des Körperrandes hinziehende Chromatophor am meisten der Gattung Nephroselmis Stein, doch besitzt letztere zwei in der Einbuchtung des nierenförmigen Körpers entspringende Geißeln und ein olivenbraunes Chromatophor, wäh- rend bei Mesostigma die Geißeln zwischen Stigma und Vorderende entspringen und das Chromatophor eine rein grüne Färbung besitzt. Außerdem fehlt Nephroselmis die zarte Hülle sowie das große zentrale Stigma. Ueber die systematische Stellung der neuen Gattung bin ich noch nicht ganz ins Klare gekommen; die meisten Beziehungen scheint Mesostigma zu den Chlamydo- monadina zu haben. 1) Wegen des in der Mitte des Körpers gelegenen großen Stigmas. 396 Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. Dinoflagellata. 4) Gymnodinium tenuissimum nov. spec. Körper rundlich, scheibenförmig, da dorsoventral sehr stark abgeplattet, dazu noch im Durchschnitt wellenförmig ge- bogen. Querfurche in der Mitte des Körpers mit schwach rechts- schraubigem Verlaufe. Vordere Körperhälfte gleichmäßig abgerundet, hintere oft etwas unregelmäßig. Chromatophoren sehr zahlreich, gelb-bräunlich. Größe 0,066 mm lang, 0,060 mm breit. Fundort: Ein Teich bei Maudach, im freien Wasser während der kältesten Jahreszeit. Bei vorliegender Art erreicht die dorso-ventrale Abplattung des Körpers unter allen Süßwasser-Peridineen den höchsten Grad und dürfte darum die sehr auffallende Form durch die oben angegebenen Merkmale sich leicht wieder erkennen lassen. Ciliata. 5) Holophrya nigricans nov. spec. Körper ellipsoidisch oder fast kugelförmig, vorn etwas abgestutzt. Mund terminal, grubenförmig eingesenkt, erweiterungsfähig, mit ziemlich deutlich längsgestreiftem Schlund. Scheidung im Ektoplasma und Ento- plasma deutlich, Kortikalplasma mit zahlreichen Triehocysten. Makro- nukleus ellipsoidal, etwas eingebuchtet, mit anliegendem Mikronukleus. Kontraktile Vakuole am Hinterende. Farbe grau bis schwärzlich. Körperlänge 0,110—0,180 mm; Breite 0,100—0,150 mm. Fundort: In mehreren Teichen um Ludwigshafen, vom November bis in den März nicht selten; im freien Wasser. Die vorliegende Form bietet (ebenso wie die folgende) sehr interes- sante Verhältnisse bezüglich ihrer Körperstreifung und Cilien- anordnung dar. Die Körperstreifung ist regulär, d. h. die Cilien- reihen verlaufen in meridionaler Richtung von einem Pole zum andern. Zwischen diesen Cilienreihen verlaufen daneben noch sehr deutlich ausgeprägte Längslinien, welche bei hoher Einstellung hell, bei tieferer dunkel erscheinen; dieselben stehen unter einander durch kurze Quer- linien (mit gleichen optischen Eigenschaften) in Verbindung, und zwar so, dass zwischen je zwei in meridionaler Richtung aufeinanderfolgenden Cilien sich eine Querlinie erstreckt. Auf diese Weise kommt auf dem Ciliatenkörper ein ausgesprochenes gitterförmiges Oberflächenrelief zu stande, wobei jede einzelne Cilie inmitten eines kleinen allseitig begrenzten „Cilienfeldes“ entspringt. Aus der Untersuchung des opti- schen Durchschnittes am Rande geht weiterhin noch hervor, dass die Begrenzungslinien der Cilienfelder leistenartig vor- springen und somit jedes Cilienfeld die Gestalt eines flachen Käst- chens besitzt, auf dessen Boden sich in der Mitte die Cilie erhebt. Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. 397 Ein näheres Eingehen auf diese interessanten Verhältnisse ist ohne Beigabe von Abbildungen nicht gut möglich; ich verspare mir dies auf eine spätere Gelegenheit. Doch möchte ich nicht zu bemerken unterlassen, dass erneute Untersuchungen der Körperstreifung und Cilien- anordnung anderer Infusorien unter Anwendung guter Apochromate auch hier vielfach eine ähnliche Ausbildung des Oberflächenreliefs ergeben dürften. 6) Disematostoma‘) Bütschlii nov. gen. nov. spec. Gestalt des Körpers ungefähr birnförmig, hinten verschmälert und ab- gerundet. Mund groß, länglich oval, etwa ein Drittel der Körperlänge einnehmend, auf der Bauchseite in einiger Entfernung vom Vorderende gelagert. Am linken Mundrande eine ansehnliche zart quergestreifte undulierende Membran, am rechten Mundrande eine zweite kleinere. Schlund nur schwach entwickelt. Körperstreifung sehr eigentümlich, scharf ausgeprägt: Die Streifen der Ventralseite konvergieren gegen eine Linie, welche am vorderen Pole mit einer cilienbekleideten Ein- senkung beginnend sich gegen den Mund hinzieht, wobei die Streifen rechts vom Munde vorn sehr enge zusammenrücken und wellenförmig verlaufen, während diejenigen links vom Munde in breiteren Abständen gegen die erwähnte Linie stoßen. Auf der Dorsalseite konvergieren alle Streifen gegen eine Reihe hintereinander angeordneter, relativ großer polygonaler Felder, welche sich vom Hinterende des Körpers bis gegen die Mitte erstrecken. Die einzelnen Cilienfelder sehr deut- lich und genau wie bei Holophrya nigricans gebaut. Scheidung in Ekto- und Entoplasma ausgeprägt, Kortikalplasma stark entwickelt, mit sehr zahlreichen ansehnlichen Triehoceysten. Kern band- oder wurstförmig, meist in der vorderen Körperhälfte. Kontraktile Vakuole mit deutlichem Porus etwa in der Mitte des Körpers dorsal ausmündend. Unterhalb der ceilienbekleideten Einsenkung am vorderen Pole eine Ansammlung von Körnchen. Zuweilen mit Zoochlorellen. — Be- wegungen rasch. Länge 0,140—0,155 mm; Breite 0,080—0,090 mm; Kortikalplasma 0,014 mm dick; Triehoeysten 0,010 mm lang, ausgeschnellt bis zu 0,060 mm lang. Fundort: Mehrere Teiche bei Ludwigshafen, sowie bei Maudach im freien Wasser; den ganzen Winter über bis den März hinein nicht selten. Disematostoma ist im System in der Nähe der Gattungen Frontonia und Ophryoglena einzureihen, von welch’ beiden es sich besonders durch den Bau des Mundes sowie durch die sehr eigenartige Körperstreifung unterscheidet. Ich gestattete mir der in mehr als einer Beziehung interessanten neuen Form den Namen meines hochverehrten Lehrers beizulegen, als 1) Von öı- zwei, ojua Fahne, oröua Mund; wegen der zwei undulierenden Membranen an der Mundöffnung. 398 Lauterborn, Winterfauna einiger Gewässer der Oberrheinebene. Zeichen meiner Dankbarkeit für die reiche Belehrung und Anregung, die mir von ihm stets zu Teil geworden ist. — In Gesellschaft von Holophrya nigricans und Disematostoma Bütschlü kam während des Winters in mehreren Teiehen um Ludwigshafen noch eine dritte neue Ciliatenform aus der Familie Bursarina (Heterotricha) in wenigen Exemplaren zur Beobachtung. Leider war es mir nicht möglich alle Organisationsverhältnisse dieses überaus zarten Infusors klarzulegen, da bei seiner großen Neigung zum Zerfließen eine mikros- kopische Untersuchung mit den größten Schwierigkeiten verbunden war). Die folgenden Angaben sind daher nur als vorläufige zu be- trachten, doch dürften sie jedenfalls späteren Beobachtern ein sicheres Wiedererkennen ermöglichen. Ich nenne das Tier 7) Bursaridium Schewiakowii nov. gen. nov. spec. Der sehr hyaline Körper beutelförmig, vorn abgestutzt. Peristom- feld sehr ansehnlich, triehterförmig bis hinter dieKörper- mitte eingesenkt, im hinteren Abschnitte nach rechts ab- liegend. Ektoplasma sehr dick, stark radiär gestreift. Kern ellipsoidal, etwas eingebuchtet. Entoplasma war gewöhnlich er- füllt von groben Nahrungskörpern (hier meist Peridinium bipes Stein). Größe etwa 0,250 mm. Fundort: Im freien Wasser mehrerer Teiche bei Ludwigshafen und Maudach, vereinzelt im Winter. Die vorliegende neue Gattung dürfte etwa in der Mitte stehen zwischen der langbekannten Bursaria truncatella O. F. M. und dem neuerdings von W. Schewiakoff?) beschriebenen Thylakidium trun- catum Schew. aus Australien (Sidney). Von der ersteren unterscheidet sie sich hauptsächlich durch das rechtsgewundene Periostomfeld; von der letzteren, die ebenfalls ein rechtsgewundenes Periostomfeld besitzt, durch die viel beträchtlichere Größe desselben, sowie durch die mächtige Entwicklung des radiärgestreiften Ektoplasmas. Ich benenne die Art zu Ehren meines verehrten Freundes, des Herrn Privatdozenten Dr. W.Schewiakoff, dessen reiche Erfahrungen auf dem Gebiete der eiliaten Infusorien auch meinen Studien bei mehr als einer Gelegenheit zu Gute kamen. Ludwigshafen am Rhein, 29. April 1894. 4) Auch Fixieren in Osmiumsäure, Chrom-Osmium-Essigsäure, Sublimat ete., das bei den ebenfalls sehr zarten Disematostoma ausgezeichnete Resultate ergab, versagte hier. 2) W. Schewiakoff, Ueber die geographische Verbreitung der Süß- wasserprotozoen. Mit 4 colorierten Tafeln und einer Weltkarte. Memoires de !’Acad&mie Imperiale des Sciences de St. Petersbourg, VIIe Serie, Tome XLI, Nr. 8, 1893. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 399 Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Elftes Stück.) Wenn auch im großen und ganzen die Scapula von geringerer taxonomischer Bedeutung als das Coracoid ist, so kann sie doch trotz- dem mannigfach benutzt werden. Namentlich gibt das Acromion einen durchgreifenden Differentialcharakter zwischen den Carinaten und Ra- titen ab, außerdem ist die Configuration und Größe desselben zur Un- terscheidung der einzelnen Carinaten nicht ganz bedeutungslos. Auch die Dimensionen und verschiedenen Detailstrueturen der Scapula bil- den teilweise resp. für gewisse Familien taxonomisch verwertbare Merkmale. Größere Wichtigkeit ist der Ausbildung des hinteren Endes dieses Skelettstückes beigelegt worden, es hat sich aber herausgestellt, dass auch dieser Charakter höchstens zur Kennzeichnung von Sub- familien verwendbar ist. Wie die Scapula weist auch die Clavicula eine eigentümliche, aber nur mit Vorsicht zu gebrauchende Beschaffenheit auf; es scheint aber ein auf diesen Knochen gegründetes Differentialmoment zur Schei- dung der Carinaten und Ratiten nicht vorhanden zu sein. Jedoch ist zu beachten, dass die beiden Claviculae bei den bekannten Ratiten nie zu einer einheitlichen Furcula sich vereinigen, andererseits aber auch Carinaten in bedeutender Anzahl existieren, welche voneinander getrennte Claviculae besitzen oder denen dieselben ganz fehlen. Uebri- gens ist der Grad der Reduktion, welche die Furcula resp. Clavicula bei verschiedenen Carinaten erfährt, für die Systematik nicht ganz wertlos, weil gewisse Familien, wie die Cariamidae, Fulicariae, Co- lumbae, Psittaci, Striges, Alcedinidae ete., mehr als andere zur Rück- bildung dieses Skelettstückes neigen. Weitere taxonomische Merkmale bildet die Verbindung des dorsalen Endes dieses Knochens mit dem Coracoid und der Scapula und diejenigen des ventralen Endes mit dem Sternum. Die erstere (Verbindung mit Coracoid und Scapula) eignet sich z. B. sehr gut zur Abgrenzung vieler Familien voneinander. Auch nicht ganz gleichgiltig sind ferner die verschiedenen Dimensionen des in Rede stehenden Skelettstückes selbst; an erster Stelle ist die Dicke desselben, obgleich von der Größe und Flugfähigkeit des Vogels im hohen Grade abhängig, systematisch verwertbar. Dasselbe ist auch der Fall mit der Spannung, der frontalen und sagittalen Krüm- mung. Betreffs der speziellen Entfaltung der Furcula erweist sich vor allem die Configuration des vorderen dorsalen (Epicleidium) und des hinteren ventralen Endes (Hypocleidium) zur Charakterisierung ge- wisser Familien geeignet und wurde auch von W. K. Parker, Hux- ley, Gadow, Oustalet zu diesem Zwecke benutzt. Das Epiclei- 400 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. dium zeigt besonders bei Fregata, gewissen Anseres, den Meropidae, Upupidae, Bucerotidae, Alcedinidae, Colüidae, Pici ete. eine charak- teristische Entwicklung, durch welche sich die oben aufgezählten Familien einerseits von anderen ihnen benachbarten trennen, anderer- seits aber auch manche verwandtschaftliche Beziehungen untereinander erkennen lassen. Das Hypocleidium ist ebenfalls durch sehr stark ausgeprägte Eigentümlichkeiten gekennzeichnet, wodurch insbesondere die Tubinares, Pelargi und Aceipitres, die Herodii und gewisse Fuli- cariae, die Galli und Opisthocomi, die Passeres gut abgegrenzt werden. Auch die vordere Extremität bietet manches für die Systematik Ver- wertbare dar, insbesondere lassen sich ihre einzelnen Bestandteile gut dafür verwenden. Vor allem geben die gegenseitigen Größenverhält- nisse der 3 Abschnitte, des Oberarms, Vorderarms und der Hand, bei maßvoller Benutzung gute Anhaltspunkte. Diese 3 Teile weichen nämlich betreffs ihrer Lage bei den meisten Vögeln sehr voneinander ab, vielfach jedoch repräsentiert der Vorderarm das längste Glied; dies ist namentlich der Fall bei den größeren Laridae, einigen größeren Tubinares, Pelecanus, den Pelargo — Herodiü, Grus, Otis, den Acci- pitres, Striges ete., die Hand dagegen bildet das längste Glied bei Spheniscus, den meisten Alcidae, Limicolae, den kleineren Laridae, den meisten Tubinares, Anseres, Columbae, vielen Coccygomorphae. Der Oberarm endlich ist seiner Länge nach am besten entwickelt bei den Colymbidae, Podieipidae, Fulicariae und den meisten Galli. Aus diesen eben angeführten Thatsachen ergibt sich, dass beispielsweise bei den Laridae, Tubinares, Anseres, Passeres u. a. größere Verschie- denheiten bezüglich der einzelnen Abschnitte vorkommen. Dieses Missverhältnis zwischen den einzelnen Flügelteilen tritt bei einigen anderen Vögeln in noch viel ausgeprägterem Maße auf, so namentlich bei den Makrochires und Ratiten. Bei den ersteren übertrifft die Länge der Hand diejenige des Ober- und Vorderarms, bei den letzteren ist der Humerus ebenso lang oder noch länger als der Vorderarm und die Hand zusammen. Eine große Anzahl Autoren hat die Länge des ÖOberarms für die systematische Einteilung der Vögel benutzt; aus einer Tabelle (Tab. XXXVIL S. 814 und 75), welche F. seinem Werke beigegeben hat, ist aber zu ersehen, dass Messungen dieses Skelett- stückes bei manchen Abteilungen, wie z. B. bei den Impennes, Laridae, Galli, Psittacidae, Makrochires, Pici ete., wohl ziemlich eng geschlos- sene Zahlenreihen ergeben, bei anderen Gruppen aber sehr beträcht- liche Verschiedenheiten und sogar bedeutende individuelle Variierungen zum Vorschein kommen. Handelt es sich vollends darum, die Ver- wandtschaften verschiedener Familien untereinander zu bestimmen, so ist die Länge des Humerus noch weniger verwendbar. Andrerseits bietet aber seine allgemeine Gestalt, seine Pneumatieität und spezielle Konfiguration (Größe des Proc. lateralis, Gestalt und Neigung der Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 401 Crista lateralis, Entwicklung des Proc. medialis, Auftreten des Proe. supracondyloideus lateralis ete.) manches Verwertbare. Ein noch geringerer systematischer Wert als der Oberarmlänge ist der Länge des Vorderarms beizulegen, weil dieses Skelettstück eine sehr peripherische Lage einnimmt und infolgedessen äußeren Ein- wirkungen ganz besonders ausgesetzt ist. Auch das Größenverhältnis zwischen Radius und Ulna wechselt keineswegs selten, wobei die an und für sich kräftiger entwickelte Ulna als Folge der Anpassung an die geringere oder größere Entfaltung der Schwungfedern 2. O. meist innerhalb weiter Grenzen sich bewegende Schwankungen aufweist. Betreffs der Bedeutung der Hand für die Systematik kam F. im Laufe seiner Untersuchung zu der Ueberzeugung, dass sie sowohl als Ganzes, als auch in ihren einzelnen Teilen Charaktere zeigt, welche vielfach eine Unterscheidung verschiedener Familien ermöglichen; aber auch mehr oder weniger durch sekundäre von den Verwandtschaftsverhält- nissen unabhängigen Anpassungen beeinflusst werden. Größeren oder geringeren systematischen Wert haben ferner noch die verschiedenen Gelenkkonfigurationen an der vorderen Extremität und die mannig- fachen zu den Kapselbändern in Beziehung stehenden Sesamkörper (Humero-capsulare, Patella ulnaris, Epicarpum ete.). Allerdings will F. dabei weniger auf die gewebliche Ausbildung der einzelnen Körper (ob Bindegewebsverdiekung, Faserknorpel, Hyalinknorpel, Knochen) und mehr auf das Wie ihrer spezielleren Anordnung nach Lage und sonstigem Verhalten Gewicht gelegt wissen. Auch das Becken der Vögel ist von verschiedenen Anatomen ein- gehend berücksichtigt worden (so z.B. vonOwen, Eyton, A. Milne- Edwards, Selenka, Gegenbaur, Huxley etc.). Obwohl es dabei auch für taxonomische Zwecke verwertet wurde — Merrem ver- suchte dies zuerst speziell mit dem Oslium — so steht doch im ganzen die bisherige verwandtschaftliche Ausbeute auf Grund der Kenntnis dieses Skelettstückes derjenigen nach, welche aus Brustbein und Brust- gürtel gewonnen wurden. Jedoch ist F. der Ansicht, dass trotzdem der Wert dieses Knochens für die Systematik sich als ein sehr be- deutender erweisen wird, wie ja auch Gegenbaur’s und Mivart’s Darstellungen schon erkennen lassen. Betreffs des Oslii herrscht bekanntlich eine große Mannigfaltigkeit in seiner Ausdehnung und Verbindung mit der Wirbelsäule. Namentlich war es Gegenbaur, der durch seine Untersuchungen den verschiedenen Wert des prae- acetabularen und postacetabularen Abschnittes genau festgestellt und auf die sekundäre Bedeutung der höheren Entwicklung des ersteren und der größeren Ausdehnung des letzteren nach hinten hingewiesen. Archaeopteryx stellt durch sein mäßig verbreitertes Ileum in dieser Hinsicht die primitivste Stufe der Vögel dar, während die Ratiten, weil bei ihnen erhöhte Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des XIV. 26 402 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Beckens gestellt werden, eine höhere Stellung als die meisten Cari- naten einnehmen. Huxley gebührt das Verdienst, festgestellt zu haben, dass betreffs des in Rede stehenden Beckenteiles eine schwer wiegende Uebereinstimmung zwischen Dinosauriern und Vögeln existiert. Bei manchen Vögeln, wie z. B. bei Hesperornis, Spheniscus ete., scheint die vollkommene Anchylosierung des Ilii mit dem Saerum zu unter- bleiben, bei einer größeren Reihe vollzieht sich dieser Prozess erst ziemlich spät. Auch die Art und Weise, wie sich die dorsalen Ränder des rechten und linken praeacetabularen Tleum zu einander und zu dem Saerum verhalten (charakteristische Verteilung der Fovea, Suleus, Cavum, Canalis ileo-lumbalis) ist wahrscheinlich von einiger taxo- nomischer Bedeutung; minder brauchbar dagegen wird in dieser Hin- sicht das Verhalten des postacetabularen Abschnittes sein. Bei der Mehrzahl der Vögel verwächst bekanntlich das Os ischii hinten durch direkte Synostose resp. durch Verknöcherung der beide verbindenden Bandmasse mit dem postacetabularen Abschnitte des Ilium. Diese Verbindung ist jedoch eine ganz sekundäre, denn sie tritt erst m späteren Stadien der Ontogonie auf und fehlt noch den paläontolo- gischen Vögeln (Archaeopteryx, Ichthyornithes, Hesperornithes, der Mehrzahl der Ratiten und den Orypturidae. Rhea nimmt infolge der symphytischen, bei älteren Exemplaren sogar synostotischen Vereinigung der Ossa ischii beider Seiten eine besondere Stellung unter den be- kannten Vögeln ein und erinnert an die bei den Reptilien bestehende Symphysis ischiadica. Die ursprünglich distale Verbindung des Pubis und Ischium der Wirbeltiere ist bei den Vögeln (wie bei den meisten Sauropsiden) schon in sehr früher Zeit aufgegeben worden; bei allen bisher untersuchten Vogelembryonen lagen beide Skelettstücke unver- wachsen nebeneinander; so bleibt es bei der Mehrzahl der Vögel auch zeitlebens; bei mehreren legen sich die beiden Knochen in größerer oder geringerer Ausdehnung dieht aneinander, bei anderen wieder treten partielle Synostosierungen auf (die aber niemals so ausgeprägt sind, dass beide Knochen nicht mehr zu unterscheiden wären). Im allgemeinen scheint es, als ob die losere der Verbindungen den pa- läontologisch älteren und primitiveren, die festere den höher stehenden Formen zukomme. Es finden aber von dieser Regel je nach Alter ete. so zahlreiche Ausnahmen statt, dass dieses Verhalten zwischen Pubis und Ischium zu taxonomischen Schlüssen, welche auf die tiefere und höhere Stellung der betreffenden Gattung Bezug haben sollen, nicht verwendet werden kann. Eine besondere Bedeutung erlangt das Os pubis für die Beur- teilung der genealogischen Beziehungen der Vögel zu den Reptilien. Bahnbrechend in dieser Hinsicht wirkte zuerst Huxley durch seine darauf bezüglichen Untersuchungen, außerdem trugen auch Hulke, Marsh, Dollo, Baur, Johnson, Vetter viel zur Klärung dieser Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. AU Frage bei. Bekanntlich ist bei den Vögeln mit Ausnahme des Straußes das vollkommen entwickelte Pubis descendent bis longitudinal nach hinten gerichtet, während bei allen lebenden Reptilien es sich in as- cendenter oder ventraler Richtung nach unten erstreckt, wie dies auch bei den meisten fossilen Dinosauriern (mit Ausnahme der Stegosaurier und Ornithopoden) der Fall gewesen ist. Bei den beiden zuletzt ge- nannten Gruppen, den Stegosauriern und Ornithopoden, hat das Os pubis die gleiche Länge wie bei den Vögeln, sie stehen deswegen diesen näher als alle anderen Reptilien, und mit Recht hat Huxley und andere Forscher darin nicht zu unterschätzende verwandtschaft- liche Beziehungen zwischen Vögeln und diesen Dinosauriern erblickt. Auf der andern Seite muss aber auch berücksichtigt werden, dass diese Abteilungen der Sauropsiden das Gemeinsame eines für gewöhn- lich aufrechten und auf die hinteren Extremitäten beschränkten Ganges haben. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend und daneben auch noch andere Faktoren berücksichtigend, kommt F. zu der Ansicht, dass das gleiche Verhalten des Pubis bei den stegosauren und ornithopoden Dinosauriern und den Vögeln nicht ohne die Ausbildung der gleichen Funktionen zu denken ist, in der Uebereinstimmung des Pubis dieser Abteilungen sich Convergenz- Analogie und Homologie verbindet und die letztere für die Verwandtschaft beider nicht ohne jede Bedeu- tung ist. Eine allgemeinere systematische Verwendung als die vordere Ex- tremität hat die hintere gefunden, denn sie zeigt namentlich im distalen Bereiche in ihrem osteologischen Verhalten außerordentlich charak- teristische Züge, welche schon bei einer rein äußerlichen Betrachtung eine leichtere Abschätzung und Messung der einzelnen Abschnitte ge- statten als irgend eine andere Region des Knochensystems. Daher ist es auch erklärlich, dass die Systematik schon sehr früh ihre Auf- merksamkeit dieser Region zugewendet. Jedoch ist nicht unberück- siehtigt zu lassen, dass innerhalb eng geschlossener Gruppen mannig- fache Variierungen und Abweichungen sich geltend machen und aus diesem Grunde bei der Verwertung dieser Untersuchungsresultate mit nicht geringer Vorsicht vorgegangen werden muss. In erster Linie gilt diese Maßregel für die Lage der hinteren Extremität selbst, denn dieselbe zeigt einen ganz außerordentlichen diesbezüglichen Wechsel (als Beispiel dafür seien die Makrochires auf der einen und die Ra- titae, Phoenicojteridae, Cariamidae, Gypogeranidae ete. auf der an- deren Seite angeführt), auch innerhalb der Familien und Gattungen. Größerer systematischer Wert als der Lage der in Rede stehenden Extremität ist dem gegenseitigen Längenverhältnis der 4 einzelnen Absehnitte derselben, dem Oberschenkel, Unterschenkel, dem Lauf und den Zehen beizulegen, denn, wenn auch hier im einzelnen weitgehende Schwankungen keineswegs selten sind, so ist doch im allgemeimen die 26° 404 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Konstanz der gegenseitigen Verhältnisse eine große. Stets repräsen- tiert der Unterschenkel den längsten Abschnitt: bei den meisten Vö- geln ist er 1!/, bis 2mal so lang als der Oberschenkel, nur bei wenigen, bei einzelnen Falconidae, Cuculidae und Striges, übertrifft er denselben im geringen Maße (um !/;—!/,), bei mehreren Ratitae, Podiceps, Co- /ymbus, den Procellariinae, Pelargi, einigen Limicolae ete., ist er 2mal, bei Hesperornis, den Oceanitinae, Phoenicopterus ete., sogar 3mal länger als dieser. Seine Länge ist aber bei der Mehrzahl der Vögel auch bedeutender als die des Laufes (°/,—2mal so groß); nur wenig größer ist sie bei Struthio, Caswarius, Dromaeus, einzelnen Limicolae, 2—3 mal soviel beträgt sie bei einer größeren Anzahl, z. B. bei Archaeopteryz, Hesperornis, Aptery&, Dinornis, Ichthyornis, mehreren Impennes, einigen Aleidae und Anatinae, den meisten Psittaci, vielen Striges ete., endlich 3—4fach so lang ist er bei einigen Impennes, Fregata und einzelnen Psittaci. Der Oberschenkel zeigt zwar nur eine geringere Längenaus- dehnung (durch diese geringe Entwicklung stimmen die Vögel mit mehreren Dinosauriern, namentlich mit den Camptonotidae und mit Compsognathus überein), jedoch ergeben sich trotzdem bei Vergleichung seiner Länge mit der des Laufes ebenfalls sehr wechselnde Verhält- nisse. Bald ist das eine Skelettstück, bald das andere größer, bald sind beide nahezu gleich; selten aber beträgt die Länge des Ober- schenkels weniger als die Hälfte des Laufes (so beispielsweise bei Phoenicopterus und bei einigen Limicolae). Wie am Becken gibt es auch an der hinteren freien Extremität zahlreiche spezielle Berührungs- punkte zwischen den Vögeln und den Dinosauriern, und zwar nicht nur zwischen den ersteren und den Stegosauriern und Ornithopoden, sondern auch zwischen den Vögeln und den anderen Abteilungen der Dinosaurier. Am Oberschenkel ist es (außer der geringen Länge dieses Skeletteiles, auf welchen Umstand schon im vorhergehenden hinge- wiesen wurde) hauptsächlich die rechtwinklige Stellung des Caput und Collum zu der des Corpus, die Uebereinstimmung in der Aus- bildung der hinteren Crista des Condylus lateralis beider Abteilungen, die Pneumatieität u. a. m., welche Berührungspunkte zwischen Vögeln und Dinosauriern darbieten und als verwandtschaftliche Beziehungen mäßigen Grades zu betrachten sind. Betreffs des Unterschenkels war es bekanntlich Gegenbaur, welcher feststellte, dass sowohl dieses Skelettstück als auch der Fuß der Vögel im embryonalen Zustande noch reptilienartige Verhältnisse zeigt, dadurch zuerst auf die Ver- wandtschaft zwischen Dinosaurier und Vögel hinwies und die Wege angab, die andere Forscher behufs Klarlegung dieser Verhältnisse einzuschlagen haben. In der That hat auch namentlich Baur und Morte, den Vorschlag Gegenbaur’s befolgend, sehr bemerkens- werte Resultate für die Ontogenie und vergleichende Anatomie des Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 405 Unterschenkels und Tarsus der Vögel geliefert. Der erste Forscher studierte hauptsächlich sehr eingehend das Schlankerwerden der Un- terschenkelknochen während ihrer ontogenetischen Entfaltung und ver- glich damit die entsprechenden Bildungen der Dinosaurier im Laufe ihrer paläontologischen Entwicklung. Am Tibio-Tarsus ist es insbeson- dere die höchst mannigfaltig ausgebildeten Protuberantia, die proxi- malen Leisten, die Condylen des distalen Endes und die durch Ver- knöcherung des Lig. transversum entstandene Knochenbrücke über den Sehnen der Extensores ete., welche mit mehr oder weniger günstigem Erfolg systematische Verwertung gefunden haben. Die Bedeutung des Laufes (Tarsus-Metatarsus) für die Einteilung der Vögel schätzt Kessler, der neben Owen, Bianconi und Milne-Edwards über diesen Knochen sehr eingehende Untersuchungen angestellt hat, höher als diejenige aller übrigen Abteilungen der hinteren Extremität; na- mentlich sein ungemein charakteristisches Verhalten, die Dimensionen seines proximalen Endes, seiner Gelenkfortsätze für die Zehen, seiner Kanäle, Furchen, Leisten und Vorsprünge (vor allem des Hypotarsus (Huxley) scheinen ihm von ganz besonderer Wichtigkeit zu sein. Der Tarso -Metatarsus bildet in der Regel einen langen Knochen, dessen Länge die Breite um das 6—50fache übertrifft; bei einigen Arten ist jedoch dieses Missverhältnis minder groß, so ist er z. B. bei mehreren Psittaci und Striges, den Caprimulgidae nur 3—Dmal breiter als lang, bei Fregata, Nyctibius und den Impennes wird er sogar recht be- trächtlieh breit (nur 1'!/,—2 resp. 2?/;mal länger als breit). Mit der Verbreiterung geht vorzüglich bei den Impennes eine deutlichere Aus- prägung der Furchen und Löcher zwischen den 3 Metatarsalia Hand in Hand, in welchem Umstande jedoch F. im Gegensatz zu Owen, Gervais und Alix, Watson ete. hauptsächlich nur eine sekundäre Anpassung infolge veränderter Lebensweise erblickt. Schon seit lange ist auch das wechselnde Verhalten der Zehen für die Systematik viel- fach verwendet worden, ja einzelne Forscher erbliekten in demselben, allerdings nicht ganz mit Recht, wie sich herausgestellt hat, ein Hilfs- mittel ersten Ranges. Die Zahl der Zehen scheint bei normaler Aus- bildung stets 4 zu betragen; die erste derselben, mit dem beweglichen Metatarsus verbunden, ist die variabelste, denn sie fehlt einer großen Zahl der Vögel, z. B. Struthio, Rhea, den Casuaridae, Alcidae, Rissa, ‚Pelecanoides, Otitidae, vielen Limicolae ete., sie gibt auch, jenachdem sie besser entwickelt oder mehr oder weniger zurückgebildet und in verschiedener Höhe angeheftet ist, das Hauptdifferentialmerkmal für den Pes gressorius und Pes cursorius von Reichenow ab. Seltener als die erste ist die 2. (z. B. bei A/cyone) und 3. Zehe reduziert. Im allgemeinen ist betreffs dieser Verhältnisse F. der Ansicht, dass die Zahl der Zehen in den meisten Fällen wohl als gutes Gattungsmerk- mal dienen kann, aber als Familiencharakter in der Regel unbrauch- 406 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. bar ist. Aehnliches gilt auch für die Stellung der Zehen, dieselbe kann ebenfalls kein ausreichendes Charakteristicum zur Begründung größerer Abteilungen abgeben, ebenso ist die Länge der Zehen nur innerhalb enger Grenzen mit gutem Erfolge systematisch zu verwerten. Im gleichen Maße ist dies auch der Fall mit dem Längenverhältnis zwischen Mittelzehe und Lauf. Im Gegensatz dazu hat die Beschaf- fenheit der Zehen untereinander zur Abgrenzung verschiedener Gat- tungen und teilweise auch Familien sehr gute Dienste geleistet. Auch die Zahl und Größe der einzelnen Phalangen wurden vielfach für die Systematik verwendet, in der That zeigt auch die Länge und die Zu- oder Abnahme derselben bei vielen Gruppen ein charakteristisches Verhalten, das sehr oft mit den verwandtschaftlichen Beziehungen coineidiert, andererseits aber auch wieder nur durch sekundäre An- passungen zu stande gekommen ist. Als ein gutes, aber wiederum nur in geringem Umfange verwendbares Merkmal hat sich ferner auch der Wechsel in der Größe der Phalangen derselben Zehe erwiesen. Endlich ist auch die Patella genu (Patella tibialis, Rotula) am Sesam- beine des Kniegelenkes, mit dem der Insertionsteil des M. extensor cruris sich verbindet, in mancher Hinsicht von systematischem Wert. Obgleich die Muskeln aus verschiedenen Gründen bis jetzt nicht in der Weise untersucht worden sind wie andere Teile des Vogel- körpers, so ist die Zahl der myologischen Veröffentlichungen trotzdem keine geringe. Allerdings fand eine speziell systematische Verwen- dung myologischer Ergebnisse bis vor kurzem nur vereinzelt statt; wenn auch Nitzsch, Sundevall und Jäger dies schon in be- schränkter Ausdehnung thaten, so war Garrod der erste, welcher der Myologie als systematisches Merkmal einen bleibenden Platz in der Ornithologie erobert und sich dadurch unvergängliche Dienste erworben hat. Er wählte bei seinen Untersuchungen gewisse sich besonders dazu eignende Muskeln aus, dabei die hintere Extremität mehr als die vordere berücksichtigend, und untersuchte dieselben nach Möglichkeit durch alle Familien hindurch. Denselben Weg verfolgte auch Forbes, Haswell und Beddard. Andere Forscher hingegen, wie Alix, Gadow, Watson, Weldon, ließen allen Muskeln des Vogelkörpers oder denjenigen einer bestimmten Region eingehende Berücksichtigung zu teil werden, zogen aber nur ein beschränktes Material in den Kreis ihrer Untersuchungen. Diese letzte Methode hat auch F. bei seinen Studien befolgt, und auch nur auf diese Weise allein kommt man nach seiner An- sicht zu natürlichen Grundlagen und zu einer höheren und ruhigen Abschätzung der größeren oder geringeren Bedeutung dieses oder jenes Muskels. Auf jedem Fall aber kann nach F.s Meinung auch die um- sichtigste Methode nur dann zu richtigen taxonomischen Resultaten führen, wenn sie über ein sehr reiches und ausgedehntes Material verfügt. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel, 407 Im folgenden sollen nun die hier inbetracht kommenden speziellen Verhältnisse etwas näher beleuchtet werden. Die Muskeln des Stammes und des Visceralskelettes haben trotz mancher erfolgreichen Arbeit (von Alix, Gervais, Magnus, Gadow, Watson) noch keine aus- gedehnte systematische Verwendung gefunden. Einzelne wichtige Charaktere bietet (z. B. bei den Impennes, Ste- ganopodes, Anseres, Alcedinidae ete.) der M. biventer cervieis, (bei Steganopodes, Herodii) der M. spinatus, der M. longus coli, ferner (bei den Picidae, Nectariniinae und Musophaginae) die Zungenmuskeln, die Bauch- und Kiefermuskulatur und endlich auch zum Teil die Rumpf- muskulatur der schon näher bezeichneten Gegenden des Vogelkörpers dar, doch sind noch zahlreiche umfassende Untersuchungen anzustellen, ehe man für die Systematik einigermaßen brauchbare Ergebnisse er- halten wird. In relativ viel ausgedehnterem Maße haben Untersuchungen der Muskulatur der vorderen und vor allen Dingen der hinteren Extremität stattgefunden. Weil nun die Muskeln der vorderen Gliedmaßen im Vergleich zu denen der hinteren nur von wenigen Forschern (Nitzsch, Sundevall, Jäger, Garrod und Forbes, Medon etc.) näher studiert worden sind und diese Region überdies bei allen Vögeln im großen ganzen eine gleichförmigere Struktur aufweist als die sekun- dären Anpassungen unterworfene hintern, aus diesem Grunde zu er- warten war, dass die vordere Extremität auch konstantere, die Ver- wandtschaftbeziehungen der größeren Gruppen reiner (d. h. von sekun- dären Anpassungen weniger verfälscht) wiedergebende Merkmale auf- weisen würde und endlich, weil außerdem mehrfache Züge und Aberrationen der Schulter- und Brustmuskeln zur Haut und zu den Federfluren gerade diese Muskulatur in die nächsten Beziehungen zu denjenigen Organgebieten brachten, an welchem Nitzsch eine so hohe taxonomische Bedeutung nachgewiesen hat, — so schien F. eine ge- nauere Durcharbeitung der Myologie der vorderen Extremität mit Rück- sicht auf die Systematik sehr angezeigt zu sein. Die Ausführung des Planes bestätigte in ungeahntem Umfange F.s Erwartungen, denn er kam dadurch zu der Ueberzeugung, dass auf dem von ihm bearbeiteten Gebiete die Myologie zum Teil dasselbe, zum Teil sogar mehr leistet als die Osteologie und beide sich meist in wundervoller Weise ergänzen. Die Muskeln, die hauptsächlichsten Bildner der Skelettkonfiguration vom Brustbein, Brustgürtel und Flügel, geben uns erst das wahre Verständnis für die wechselnde Struktur derselben, außerdem bieten sie durchaus nicht selten innerhalb zusammengehöriger Gruppen infolge ihrer größeren Konstanz Erscheinungen dar, welche als Familienmerk- male ganz besonders geeignet sind. Weil aber jeder Muskel zahlreiche Charaktere nach Lage, Beziehung zu den Nachbargebilden, Ursprung und Insertion, Struktur, Faserrichtung, Verteilung der histologischen 408 Auerbach, Vorgänge am Sperma von Dytiscus marginalis. Elemente ete. aufweisen muss, so darf die myologische Systematik nicht einseitig zu Werke gehen, es kommt nicht auf das Quantum sondern auf das Quale des Muskels an. Aus diesem Grunde dürfte auch diejenige Untersuchungsmethode, welche lediglich auf die Existenz oder Nichtexistenz der Muskeln das Hauptgewicht legt, nicht auf der Höhe der Leistungsfähigkeit stehen. Selbstverständlich ist der syste- matische Wert der verschiedenen Muskeln nicht immer der gleiche; aber es steht unzweifelhaft fest, dass, wie schon erwähnt, der Musku- latur der Vögel ein sehr hoher systematischer Wert zuerkannt werden muss und sie den allerbesten sonst bekannten taxonomischen Merk- malen zum mindesten gleichsteht. Dr. F. Helm. (Fortsetzung folgt.) Leopold Auerbach, Ueber merkwürdige Vorgänge am Sperma von Dyltiscus marginalis. Sitzungsberichte der k. preuß. Akad. d. Wissensch. zu Berlin. — Sitzung der physik.-math. Klasse vom 23. März 1893, XVI. Im Verlaufe seiner Untersuchungen über das tinktorielle Verhalten der Samenarten verschiedener Tiere gegen die von ihm angewandten Doppelfärbungen!) stieß Verf. bei dem Sperma des bekannten Schwimm- käfers Dytiscus marginalis auf eine Anzahl eigentümlicher Thatsachen. Es waren dies eine Reihe von Vorgängen, welche sich an den Spermien anf ihrem Wege durch den sehr langen Samenschlauch abspielen. Die Spermien von Dytiscus marginalis entstehen aus Bildungszellen in wandständigen Samenfollikeln; sämtliche aus einem Follikel stam- menden Spermien treten zu einem Bündel zusammen. Diese Spermien- bündel zerfallen bald wieder vollständig zu Einzelspermien, welche aut das mannigfachste durch einander geraten und sich in vielfachen Ver- schlingungen zu einem Filze verwirren. In diesem Zustande treten sie in den Nebenhoden ein. Jedes dieser Einzelspermien besitzt einen langen, abgeplatteten Kopf, ungefähr von der Form einer spitzen Messerklinge. Er besteht aus einem kyanophilen Axenteile und einer diesen umhüllenden, anfangs relativ dieken, erythrophilen Substanzlage, die am hinteren Ende des Kopfes mit dem aus ähnlicher Substanz bestehenden Schwanze zu- sammenhängt. Im Querschnitt erscheint der Kopf keilföürmig. An seinen hinteren Rand, den Basalrand, schließt sich, bei Doppelfärbungen sehr deutlich abgegrenzt, der Schwanz. Derselbe ist über 800 « lang, während die Länge des Kopfes nur 12—13 « misst, und besteht aus 1) Siehe die Arbeiten des Verf. in den Sitzungsber. d. k. preuß, Akad d. Wissensch. zu Berlin, 1890 u. 1891, referiert in diesem Centralblatt, Bd. IX, Nr. 1 und Bd. XI, Nr. 23. Auerbach, Vorgänge am Sperma von Dytiscus marginalis. 409 einem kürzeren, vorderen Teil, der ein plattes Band darstellt, und einem etwa sieben Mal so langem hinteren, drehrunden Teil, in welchen der erstere ohne scharfe Grenze übergeht. Den vorderen, bandförmigen Teil bezeichnet Verf. als die „Schwanzwurzel“ und mit dem Kopf zu- sammen als „Vorderteil“ des Spermiums. — Das einzelne Spermium stellt also ein bilaterales Gebilde dar, jedoch ist es asymmetrisch ge- baut. Denn erstens ist die rechte Seite des messerklingenförmigen Kopfes ausgehöhlt, also quer konkav, die linke dagegen quer gewölbt, zweitens zeigt der Kopf eine Längskrümmung nach der einen von beiden Seiten und drittens erhebt sich hinten an der rechten, quer- konkaven Seite des Kopfes neben der Mittellinie eine Längsrippe, die in der Mitte des Kopfes spitz beginnt, nach der Basallinie hin breiter und höher wird und über diese nach hinten noch weiter hinauswächst. Sie liegt alsdann als ein freier, steifer, haarförmiger Fortsatz neben der rechten Seite der Schwanzwurzel und ist halb so lang, wie der Kopf. Ihre Spitze ist anfangs gegen den ventralen, scharfen Rand der Schwanzwurzel hakenförmig umgebogen und reicht mit ihrem Ende noch etwas über diesen hinaus. Dieses ganze Gebilde bezeichnet Verf. als „Anker“, seine am Kopfe angewachsene Hälfte als „Ankerwurzel“. In dieser bilateral-unsymmetrischen Form passieren die Spermien den ersten Abschnitt des Nebenhoden-Schlauches. In seiner mittleren Abteilung erscheint an den Spermien an der freien Spitze des Anker- hakens je ein Kügelchen von reichlich 1 « Durchmesser. Dasselbe besteht aus erythrophiler Substanz, so dass nach den Doppelfärbungen die blaue Spitze des Ankers in einer roten Kappe zu stecken scheint, und stammt nach der Ansicht des Verf. wahrscheinlich aus dem Proto- plasma des Kopfmassivs. Jetzt folgt eine Lücke in der Beobachtungsreihe des Verf. — In der dritten, innersten Abteilung des Nebenhodens erscheinen nun auf einmal merkwürdige, zweigeschwänzte Gebilde von enormer Beweg- lichkeit und eigentümlich komplizierten Eigenbewegungen. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich dieselben als durch Kopulation entstandene Doppelspermien. Das heißt: je zwei der vom Hoden hergewanderten Einzelspermien haben sich in ganz gesetzmäßiger Weise zu einem fest zusammenhängenden Paare aneinander gefügt. Die platten Köpfe der beiden Einzelspermien liegen immer mit ihren rechtsseitigen, den quer- konkaven Flächen aneinander; ihre Ränder sind also entgegengesetzt gerichtet. Jedoch decken sie sich nicht vollständig, sondern genau wie die schneidenden Teile einer geschlossenen Scheere so, dass jeder- seits am Rückenrande jedes Kopfes ein schmaler Streifen von der Form eines schmalen, spitzwinkligen Dreiecks durch den andern Kopf nicht gedeckt wird. Dieser Streifen ist an der Basis so breit, dass eben noch die Ankerwurzel frei bleibt. Der durch die rechtsseitige Querkonkavität der beiden Köpfe bedingte bikonvexe Zwischenraum 410 Auerbach, Vorgänge am Sperma von Dytiscus marginalis. ist mit erythrophiler Substanz ausgefüllt. Diese geringe Axendivergenz der Köpfe setzt sich jedoch nicht auf die Schwanzwurzeln fort. Die- selben ziehen vielmehr parallel neben einander hin und kommen nur in einem sehr schmalen, ventralen Streifen zur Deckung, der durch eine etwas dunklere Schattierung in der Mittellinie des Ganzen bemerk- bar wird und sich auf ungefähr die ersten zwei Drittel der Länge deri Schwanzwurzeln erstreckt. Die letzten Drittel erscheinen als zwei divergierende Schenkel, an welche sich jederseits der fadenförmige Teil des Schwanzes, als Schraubenspirale gewunden, anschließt. Die Enden des Ankers sind jetzt nicht mehr hakenförmig gekrümmt, son- dern pfriemenförmig in der Längsrichtung gestreckt, und von den ery- throphilen Ankerkugeln ist nichts mehr zu sehen. Diese, also ganz platte Gebilde darstellenden Doppelspermien liegen meistenteils zu festen runden Samenklümpchen zusammengebart, so dass die betreffende Strecke des Samenschlauches infolge der ungleichen Füllung rosenkranzförmig gestaltet erscheint. Die kugeligen Klümpchen zeigen unter dem Mikroskope die vielen hundert Doppelspermien, aus denen sie bestehen, in ganz bestimmter Weise angeordnet, indem die Hauptmasse der Kugel durch die dicht verfilzten Schwanzfäden ge- bildet wird, während an der Oberfläche sämtliche Vorderteile der Doppelspermien, wie die Stacheln eines zusammengerollten Igels, radial ins Freie ragen. Diese sonderbare Aggregationserscheinung besteht jedoch nicht lange; die Knäule lösen sich bald wieder auf. Ebenso ist auch die Konjugation der Spermien nur eine vorübergehende; denn in der letzten Strecke des Nebenhodenschlauches, sowie im Receptu- culum des Weibchens finden sich wieder nur Einzelspermien. Auf welche Weise die eben beschriebene Konjugation zweier Einzel- spermien zu stande kommt, hat Verf. nicht beobachtet; er vermutet nur, dass hierbei möglicherweise Pseudopodien eine Rolle spielen, welche vielleicht von jener Protoplasmaanhäufung an der Spitze des Anker- hakens ausgehen. — Hingegen macht Verf. genauere Angaben über die Vorgänge bei der Trennung der Konjugation, der sog. Dejugation der beiden Spermien. Dieselbe beginnt an den Schwanzwurzeln und schreitet von hinten bis an die Basis der Köpfe vor. Alsdann trennen sich die Köpfe, und zwar zunächst in ihrem mittleren Teile, so dass dazwischen ein bikonvexer Spalt entsteht und jeder einzelne Kopf eine leichte Längskrümmung erleidet. Dieselbe behält er auch noch bei, wenn sich schließlich auch die Vorder- und Hinterenden der Köpfe von einander gelöst haben. — Mit Ausnahme dieser leichten, rechts- honkaven Längskrümmung der Köpfe, sowie ferner der Graderstreckung der Ankerspitzen und des Verlustes der Ankerkugeln gehen also die Einzelspermien in genau demselben Zustande aus der Konjugation hervor, in welchem sie sich vor derselben befunden haben. — Was nun den Zweck dieser eigentümlichen Paarung anbelangt, so vermutet Hürthle, Ueber die Schilddrüse. 411 Verf., dass hierbei ein „Stoffaustausch“ stattfinde, d. h. „ein Ausgleich etwaiger Verschiedenheiten der Mischung und damit auch der vererb- lichen Qualitäten, als ein Mittel, die Variabilität einzuschränken und einen gewissen Grad der Konstanz der Art zu begünstigen“. Schon vor Auerbach wurde dieses interessante Auftreten von Doppelspermien bei Dytiscus marginalis von Ballowitz!), wie der- selbe ausdrücklich hervorhebt?), beobachtet und kurz erwähnt, jedoch nieht genauer beschrieben. Einen ähnlichen Vorgang beobachtete auch, worauf Auerbach noch nachträglich hinweist 3), Selenka beim Opossum®). H. Kionka (Breslau). K. Hürthle, Beiträge zur Kenntnis des Sekretionsvorganges in der Schilddrüse. (Aus dem physiol. Institut zu Breslau). — Pflüger’s Archiv, Bd. 56, Heft 1. Derselbe, Ueber den Sekretionsvorgang in der Schilddrüse. Nach einem in der mediz. Sektion der Schles. Gesellsch. f. vaterländ. Kultur am 16. Januar 1894 gehaltenen Vortrage. — Deutsche mediz, Wochenschrift, 1894, Nr. 12, S. 267. Bei seinen morphologischen Untersuchungen über den Bau der Schilddrüse gelangte Verf. im allgemeinen zu denselben Resultaten, welche schon die Untersuchungen von Biondi und Langendorff ergeben hatten. Jedoch konnte er dieselben in einigen Punkten ver- vollständigen, zum Teil auch korrigieren. — Nach diesen Untersuchungen stellt sich die Schilddrüse als eine „Drüse ohne Ausführungsgang“ dar, die mit dem Körper nur durch Blut- und Lymphgefäße und durch Nerven in Verbindung steht. Die Drüse besteht aus kleinen, allseitig abgeschlossenen Bläschen, den Follikeln, welche mit Epithelzellen aus- gekleidet sind und im Innern einen eigentümlichen, gallertigen Stoff enthalten, die sogenannte Kolloidsubstanz. Zwischen den Follikeln verbreiten sich in zahlreichen Verzweigungen die Nerven und Blut- gefäße und vor allem die Lymphbahnen, die überall mit den mit einer Endothelhaut ausgekleideten Spalträumen zwischen den einzelnen Fol- likeln in Verbindung stehen. Unter den Epithelzellen sind, wie schon Langendorff hervorhob, zwei Arten zu unterscheiden, Haupt- und Kolloidzellen. Die Letzteren zeigen in ihrem Innern eine mehr homo- gene Beschaffenheit und ihr Zellleib verhält sich den Farbstoffen gegen- 4) Anat. Anzeiger, 1886, Bd. I, S. 374. 2) Anat. Anzeiger, Bd. VIII, S. 505. 3) Ebenda S. 627. 4) Selenka, Entwicklungsgeschichte des Opossum. Wiesbaden 1887. 412 Hürthle, Ueber die Schilddrüse. über ebenso, wie die die Follikel ausfüllende Kolloidsubstanz. Dieselbe ist also als ein Sekretionsprodukt der Epithelzellen aufzufassen. Zwischen den Hauptzellen und den Kolloidzellen finden sich alle möglichen Ueber- gänge. Was den Sekretionsvorgang anbelangt, so unterscheidet Verf. zwei Arten desselben: 1) Sekretbildung des Follikelepithels mit Erhaltung der Zellen und 2) Sekretbildung durch Untergang von Zellen. An der ersten Form der Sekretion sind alle Arten Kolloidzellen beteiligt, zu denen Verf. auch die ganz niedrigen Epithelzellen mit Kolloidsekretion rechnet, welche nach Langendorff dem Prozesse der „Schmelzung“ angehören. — Bei dem Vorgange der Schmelzung des Epithels, der zweiten Form der Sekretbildung zeigen die Zellen ein ganz anderes Verhalten. Hier beginnen die Veränderungen nicht im Protoplasma, sondern im Kern. Derselbe wird unregelmäßig konturiert und nimmt sehr energisch Farbstoffe auf. Später beginnt auch der schollige Zer- fall des Protoplasma, das ebenfalls leichtere Färbbarkeit zeigt, und schließlich lösen sich die Zellen aus ihrem gegenseitigen Verbande und von der Follikelwand ab und schwimmen frei im Follikelinhalt herum. Hierbei treten wahrscheinlich, da die Kapillaren außen den Epithel- zellen unmittelbar aufliegen, häufig kleine Hämorrhagien auf; denn es finden sich in dem aus homogener Kolloidsubstanz bestehendem Follikel- inhalt außer den Trümmern der Epithelien öfters rote Blutkörperchen. Infolge des Schmelzungsvorganges reißen auch zuweilen die Follikel- wandungen ein, so dass alsdann mehrere Follikel unter einander und mit den Lymphspalten kommunizieren und die ehemalige Gewebs- anordnung verloren geht. — Um nun vielleicht eine Vorstellung über die natürlichen Reize der Drüse gewinnen zu können, versuchte Verf. diese Zellveränderungen experimentell zu erzeugen. Eine Reizung der die Drüse versorgenden Nerven blieb ohne Erfolg. Verf. suchte daher eine Reizquelle in einer bestimmten Zusammensetzung des Blutes. In dieser Vermutung bestätigt wurde er durch die Thatsache, dass es ihm gelang, Veränderungen in der Drüse, welche auf eine erhöhte Thätig- keit hinwiesen (stärkere Färbbarkeit der Kolloidsubstanz und der Epithelzellen, Auftreten zahlreicher Schmelzungsherde im Drüsengewebe und einzelner Kolloidtropfen in den Epithelzellen) dadurch hervorzu- rufen, dass er dem Versuchstiere fünf Sechstel des ganzen Drüsen- gewebes aseptisch entfernte und somit eine viel kleinere Drüsenmasse den im Blute vorhandenen Reizen, also in konzentrierterer Weise, aus- setzte. Aehnliche Erscheinungen einer erhöhten Drüsenthätigkeit er- hielt Verf. durch Unterbindung des Gallenganges. Es scheinen dem- nach bei der Gallenstauung Bestandteile ins Blut überzugehen, welche als Reiz auf die Drüse wirken. Eine künstliche Behinderung des Lymphabflusses blieb ohne Folgen. Aehnlich wie bei der Sekretbildung nimmt Verf. auch zwei Arten v. Lendenfeld, Haacke’s Gemmarienlehre 413 der Entleerung des Follikelinhaltes in die benachbarten Lymphspalten an, die man meist ebenfalls mit Kolloidsubstanz angefüllt sieht. Erstens findet ein Uebertritt des Follikelinhaltes in den angrenzenden Lymph- raum, wie schon Biondi angenommen hatte, durch Schwund der Fol- likelwandung statt; zweitens aber nimmt Verf. außer dieser Entleerung des Follikels durch Ruptur noch eine andere Form, die Entleerung durch Interzellularspalten, an. Es gelang ihm nämlich, durch An- wendung eines geringen, aber nicht gleichmäßig, sondern pulsatorisch wirkenden Druckes Injektionsmasse von den Lymphbahnen aus durch die Lymphspalten in die Follikel hineinzupressen und zwar mittels infolge des Druckes sichtbar werdender Spalten zwischen den einzelnen Epithelzellen. Diese Spalten erscheinen im ungefärbten Präparate bald als feine homogene Linien, bald’als dicke Stränge von der Farbe der Kolloidsubstanz und reichen von der Follikelhöhle bis zum angrenzen- den Lymphraum. Die Interzellularplatten sind jedoch keine dauernden Gebilde, sondern entstehen je nach Bedürfnis. Auf welehem Wege dann weiter die Kolloidsubstanz aus den Lymph- bahnen der Drüse in den Körper, bezw. in die Blutbahnen gelangt, was für Veränderungen sie auf diesem Wege erleidet, ob überhaupt Kolloidsubstanz in den Venen der Schilddrüse vorkommt, diese Fragen kann Verf. vorläufig nicht mit Sicherheit beantworten. In der ersten der beiden referierten Arbeiten fügt Verf. noch ein kurzes Kapitel über Entstehung und Wachstum der Drüsenfollikel an. Dieselben entstehen aus dem sogenannten interfollikulären Epithel, einem aus Epithelzellen zusammengesetzten Gewebe, welches in unregelmäßigen Nestern und Knötehen zwischen dem interfollikulären Bindegewebe ein- gesprengt liegt. In diesem Gewebe sieht man, namentlich bei jungen Tieren, häufig Veränderungen auftreten, die keinen Zweifel aufkommen lassen, dass man es hier mit der Entstehung neuer Follikel zu thun hat. Das weitere Wachstum findet in der Weise statt, dass sich proto- plasmareiche Zellen von außen her zwischen die Epithelzellen der Follikelwand einschieben. Mitosen sind in den Follikelzellen nur anßer- ordentlich selten zu finden. H. Kionka (Breslau). Haacke’s Gemmarienlehre. Neuerlich hat W. Haacke zwei zu einander gehörige und sich gegenseitig ergänzende Bücher über die Entstehung der Tierwelt ver- öffentlicht. Es sind das: „Die Schöpfung des Tierreichs“ (Bibliogra- phisches Institut, Leipzig 1893), und „Gestaltung und Vererbung“ (T. 0. Weigel’s Nachfolger, Leipzig 1893). Das erste von diesen (Die Schöpfung des Tierreichs) bringt eine große Anzahl von Thatsachen über die Gestalt, die Verbreitung, 414 v. Lendenfeld, Haacke’s Gemmarienlehre. die phylogenetische Entwicklung ete. der Tiere. Diese Thatsachen sind derart gruppiert, zum Theil scharf hervorgehoben, zum Teil ins Dunkel zurückgeschoben, dass sie auf den Leser den Eindruck machen, als ob sie in ihrer Gesamtheit nichts andres wären als ein Beweis für die Richtigkeit von Haacke’s Anschauungen über Umbil- dung und Vererbung. Das zweite Buch (Gestaltung und Vererbung) ist eine heftige Polemik gegen Weismann’s Anschauungen, welchen dann die neue, als einzig richtig bezeichnete Gemmarienlehre gegenübergestellt wird. Beide Bücher zusammen sind der Versuch einer sachlichen und kritischen Begründung der neuen Gemmarienlehre Haacke’s. Was ist nun diese Gemmarienlehre ? DasPlasma der Eizelle (und jeder andren Zelle) besteht aus kleinsten organisierten Teilen. Diese sind die Gemmarien. Jede Gemmarie ist aus Gemmen zusammengesetzt und die Gemmen ihrerseits bestehen aus Molekülen eiweißartiger Substanzen. Dagegen ließe sich ja nichts einwenden; aber Haacke geht weiter und schreibt den Gemmen eine ganz bestimmte Gestalt zu: sie sind gerade Prismen mit rhombischer Basis — das ist eine gänzlich unbegründete Behauptung, an deren Richtigkeit kein Mensch glauben wird. Nun sollen sich diese rhom- bisch -prismatischen Gemmen zu säulenförmigen Reihen vereinigen, entweder mit ihren Basal- oder Seitenflächen, und diese Säulen sollen sich dann wie die Säulen in einer Basaltmasse aneinanderlegen. Solche Säulenbündel sind die Gemmarien. Durch Aenderungen in der Anordnung der Gemmen innerhalb der Gemmarien wird die Gestalt der letzteren verändert und dies führt zur Aenderung der Gestalt des ganzen Tieres. Die Befruchtung soll, vorausgesetzt dass Vater und Mutter nicht allzu nahe mit einander verwandt waren, das „Gefüge der Gemmarien festigen“, was zur Folge hat, dass das aus dieser Befruchtung hervorgehende Individuum schädlichen äußeren Einflüssen einen kräftigeren Widerstand entgegen- zusetzen vermag. Diese „Gefügefestigung“ spielt die allergrößte Rolle in Haacke’s Theorie. Wie man sich dieselbe aber eigentlich vorstellen soll, ist mir nicht klar geworden. Die Ruinen älterer Theorien und das Weismann’sche Unkraut, welches daraus hervorspross, hat Haacke, wie er sagt, glücklich hinweggeräumt und errichtet nun auf dem Fundament der Gemma- rienlehre den stolzen Bau seiner Evolutionstheorie. Bei der Betrachtung derselben fallen zunächst zwei Dinge auf. Erstens weist Haacke dem Zellkern eine viel bescheidenere Stellung im Haushalt der Zelle an, als ihm bisher zugeschrieben wurde; und zweitens arbeitet Haacke durchweg mit der Vererbung individuell erworbener Eigenschaften. v. Lendenfeld, Haacke’s Gemmarienlehre. 415 Die ganze Gemmarientheorie bezieht sich aufs Plasma. Man möchte glauben, wenn man Haacke liest, der Kern wäre ein ganz unwesentliches, accessorisches Gebilde. Wie es scheint, hat Haacke gar nicht daran gedacht, dass vom Spermatozoon bei der Befruchtung bloß der Kern mit nur wenig oder gar keinem Plasma in die Eizelle eindringt. Die Beiseitesetzung der Wichtigkeit der Kernsubstanz- mischung für die Befruchtung ist auch etwas, worin gewiss Niemand Haacke zustimmen wird. Dem Leser wird es bald klar, dass nach Haacke diese Mischung nur deshalb keine Bedeutung hat, weil gerade Weismann es ist, der eine solche besonders betont. In Bezug auf die Vererbung erworbener Eigenschaften steht Haacke ganz auf dem Boden des alten Lamarck. Im Inhaltsver- zeichnis zur „Gestaltung und Vererbung“ heißt es auf S. 5: „Zusam- menfassung. Beweise für die Vererbung erworbener Eigenschaften ... 104.“ Schlägt man nun Seite 104 auf und liest das Kapitel bis zum Schluss (S. 111) durch, so wird man darin nicht nur gar keinen Be- weis irgend eines Falles einer vererbten erworbenen Eigenschaft fin- den, sondern auch vergebens nach dem Versuch eines solchen Be- weises suchen. Da heißt es (S. 107): „Diese Thatsachen sind so zahlrich wie der Sand am Meer“ und doch wird uns kein einziges solches Sandkorn beschrieben. Weiter (S. 109) lesen wir: „Diejenigen, „welche die Vererbung erworbener Eigenschaften leugnen, begehen, „indem sie die Natur den einseitigen Anschauungen, zu welchen sie „gelangt sind, entsprechend umwandeln, einen zwar verzeihlichen „Denkfehler, der aber dennoch nicht unenthüllt bleiben darf.“ Ich muss gestehen, dass mir der „Denkfehler“ wo anders zu liegen scheint. Jeder wird zugeben, dass die Vererbung erworbener Eigenschaften ja eine ganz schöne Sache wäre, wenn man sich nur vorstellen könnte, wie eine erworbene Eigenschaft auf die Keimzelle übertragen werden könnte. Für Haacke gibt es nichts Einfacheres. Auf S. 59 der „Sehöpfung des Tierreichs“ führt er aus, dass sich die Gemmarien aller Zellen des Körpers, also auch der Keimzellen, im Gleichgewicht befinden, und zwar so, dass alle Gemmarien einer Zelle nicht nur einander, sondern auch die Gemmarien benachbarter Zellen durch den Einfluss fernwirkender Molekularkräfte im Gleichgewicht erhalten. Nun ändert sich eine Zelle an der Peripherie des Körpers infolge eines äußeren Einflusses. Diese Aenderung ist eine Aenderung der An- ordnung der Gemmen innerhalb der Gemmarien. Sie stört das Gem- marien-Gleichgewicht und wie eine Welle überträgt sich diese Störung auf alle andren Zellen des Körpers, auch die Keimzellen: überall ähnliche Aenderungen in der Gemmenanordnung der Gemmarien ver- anlassend. Wäre das richtig, so müsste jede erworbene Eigenschaft ohne weiters unverändert und ungeschwächt vererbt werden. Nun sagt 416 v. Lendenfeld, Haacke’s Gemmarienlehre. aber Haacke (Gestalt und Vererbung S. 108, 109), dass die durch Vererbung erworbener Eigenschaften erzeugten Aenderungen der Tiere ungemein klein sind und erst durch Summierung von gleichartigen Aenderungen bei tausenden von Generationen ein merkliches Ergebnis erzielt würde. Das scheint mir ein Widerspruch zu sein. Wenn Haacke glaubt in diesen beiden Werken die Weis- mann’sche Theorie erschüttert oder seine eigene begründet zu haben, so muss ich dem entgegen versichern, dass ich durch Haacke’s Kritik der Weismann’schen Theorie erst recht von der Richtigkeit der Weismann’schen Lehre überzeugt worden bin. Was nun Haacke’s eigene neue Gemmarienlehre betrifft, so wird es nach dem Gesagten wohl genügen, es dem Leser zu überlassen, sich ein Urteil über dieselbe zu bilden. Einen ganz andren und viel besseren Eindruck als diese wenig glückliche Gemmarienlehre macht Haacke’s Bestreben, den Nachweis zu liefern, dass die Wiege der höheren Landtiere im Norden des Eura- sischen Kontinents gestanden habe. Seine Kritiken der älteren An- schauungen in Betreff Lemuriens und der Atlantis sind vortrefflich und überzeugend. Der Grund, warum gerade im Norden von Eurasien immer neue Landtiere sich bildeten, liegt nach Haacke in der Größe dieses Gebietes, durch welche die Bildung zahlreicher Rassen, die sich hernach gegenseitig verdrängten und neuerdings in Rassen zerfielen, sehr begünstigt wurde. Haacke leitet auch alle amerikanischen, afrikanischen und australischen Tiere von eurasischen ab. In der großen eurasischen Heimat verhinderte die Rassenzuchtwahl das „Ver- rennen“ irgend einer Tierform in eine allzu einseitige und daher schädliche Spezialdifferenzierung. Haben sich aber die eurasischen Tierarten einmal nach entlegenen Ländern, wie Südamerika oder Madagaskar verbreitet, so spezialisieren sie sich dort wegen mangeln- der Rassenzuchtwahl oft in derart einseitiger Weise — verrennen sich so sehr in eine bestimmte Entwicklungsrichtung — dass sie schließ- lich an eben dieser übermäßig weit geführten Spezialisierung zu Grunde gehen. R. v. Lendenfeld (Czernowitz). Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leinpiig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern ı von je 24 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle ‚Buchhandlungen und Postanstalten. KV. Band. 15. Juni 1894. Nr. 2. Inhalt: ANDRE Die Ernährung der Zelle. — Korotneff, Zur Entwicklung des Mittel- darms bei den Arthropoden. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (12. Stück). — Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. Grundzüge der allgemeinen Anatomie und Physiologie. — Programm für das Werk: „Das Tierreich“. Eine Zusammenstellung und Kennzeichnung der rezenten Tierformen. — Drei Preisaufgaben des Deutschen Fischerei-Vereins. — 66. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Wien 1894. Die Ernährung der Zelle‘). Von Armand Gautier. Der Mechanismus, durch welchen die Gewebe ernährt werden, wachsen und ihre spezifischen Produkte aufspeichern, besteht nicht in einer Art von Auswahl oder einer besonderen Anziehungskraft, welche eine jede Zelle auf die verschiedenen Stoffe ausübt, die ihr durch ein- ander gemischt in der Nährflüssigkeit, d. h. in dem Blutplasma gelöst, geboten werden. Wirft man drei Krystalle von Alaun, Kochsalz und Salpeter in ein und dieselbe Lösung, die zugleich mit diesen drei Salzen gesättigt ist, so wird jeder von ihnen das Material an sich ziehen, das zu seinem Wachstum beitragen kann: der Alaunkrystall wird das Kaliumaluminiumsulfat binden, ohne das Kochsalz oder den Salpeter zu ergreifen; das Kochsalz wird das Chlornatrium an sich ziehen; der Salpeter bindet den Salpeter, und keines der Salze wird von den zwei anderen etwas anziehen. Aber ganz anders als der Krystall, der dadurch, dass er prä- formierte Substanz auf seinen Flächen niederschlägt, wächst, ernährt sich der lebende Organismus; er formt die Nahrungsstoffe, die ihm durch die Cirkulation zugeführt werden, um, er assimiliert 1) Vortrag über biologische Chemie an der Pariser mediz. Fakultät (Revue scientif., 28. April 1894). XIV. 27 418 Gautier, Ernährung der Zelle. sie, wie wir mit einem Worte sagen können, zu seinem eignen, spezi- fischen Material. Dies Phänomen der Assimilation ist noch sehr wenig aufgeklärt. Wir sehen zwar, dass der tierische Organismus mit seiner pflanzlichen Nahrung die drei Hauptgruppen von Nahrungsstoffen, Eiweißstoffe, Fette und Kohlehydrate aufnimmt und dass man sie im Tiere wiederfindet; aber nichtsdestoweniger machen die drei verschiedenen Substanzen, bevor sie die definitive Form erlangen, die ihnen die lebende Substanz gibt, wichtige Umbildungen durch, so dass wir sicher nicht annehmen dürfen, dass sie einfach durch Intussusception an ihren Platz gelangt sind, durch eine Art Niederschlag, den jede Zelle und jedes Gewebe, je nach seiner Natur, aus dem Material hervorruft, das durch die Nahrungsaufnahme zugeführt und kaum durch die Verdau- ung verändert worden ist. Ossein, Chondrin, Myosin, Elastin, Vitellin, Casein, Hämoglobin und Serumalbumin selbst unterscheiden sich, ob- gleich die Zusammensetzung analog ist, doch deutlich von Albumin, Legumin und Glutein der Pflanzen. Jede Knochen-, Knorpel-, Muskel-, Bindegewebs- oder Nervenzelle ist ein kleines besonderes Laboratorium, ein wahrer Mikrokosmus, in dem verschiedene Produkte aus gleichem Material, der Nährsubstanz, dargestellt werden. Man weiß übrigens, dass das Glykogen und die Glykose sich bei reiner Eiweißernährung bilden können, dass die Proteinsubstanzen genügen, um Fette zu bereiten, dass ganz besondere Arten von Fetten sich bei jeder Tierart zeigen, ganz gleich, wie die ursprüngliche Nahrung beschaffen ist, und dass folglich wenigstens ein Teil der Kohlehydrate und Fette, bevor er sich in der tierischen Zelle ablagert, eine Reihe komplizierter Veränderungen durchgemacht haben muss. Wir wollen nun versuchen, etwas Klarheit in das wichtige Phä- nomen der Assimilation zu bringen und so gut als möglich, die verschiedenen Modifikationen verfolgen und analysieren, die die Protein- stoffe erleiden, wenn sie beim Eindringen in die Gewebe allmählich verdaut, dissoziiert und schließlich von einer jeden Zellart assimiliert werden. Dann wird auch die Genese der Fettkörper und Kohlehydrate, welche sich, wie noch ausgeführt werden soll, durch Zerfall aus Eiweiß- körpern bilden können, zugleich verständlich werden. Wenn ein Eiweißkörper pflanzlichen oder tierischen Ursprungs aufgenommen wird, so zerfällt er zunächst unter Aufnahme von Wasser durch die Einwirkung verdauender Fermente und macht eine Reihe von Spaltungen durch, die ihn in einfachere Moleküle, die Peptone, zerlegen; das sind Substanzen, die noch zur Familie der Eiweißkörper gehören, aber ein viel geringeres Molekulargewicht haben, als das der ursprünglichen Albumine. Der Entstehung von Peptonen geht im Magen die Bildung von Acidalbumin oder Syntonin voraus, dem ersten Produkt aus diesen einfachen Spaltungen. Während nun nach den Gautier, Ernährung der Zelle. 419 Versuchen von Diakonow und nach meinen eigenen das Eieralbumin zum Beispiel ein Molekulargewicht von ungefähr 6000 hat!), ist das Molekulargewicht des Syntonins nicht höher als 2950, also ungefähr um die Hälfte kleiner. Unter der Einwirkung der Magensäuren ist also das Eiweißmolekül zunächst erst in zwei Moleküle von einem halb so großen Gewicht zerlegt; dann wird das Syntonin seiner- seits weiter in Propeptone und Peptone umgebildet, die noch geringere Molekulargewichte haben. Der ursprüngliche Eiweißkörper vereinfacht sich also im Verlauf der Verdauung, durch eine Reihe von aufeinander folgenden hydrolytischen Spaltungen, ohne dass er jedoch seinen spezifischen Charakter als Proteinsubstanz einbüßt. Nach den Ver- suchen von Schützenberger nehmen 100 & trockenen Fibrins bei der Peptonisierung 4 & Wasser auf, was bei einem Molekulargewicht von 6000, wie wir es für das ursprüngliche Fibrin annehmen, der Auf- nahme von 12 bis 13 Molekülen Wasser entsprechen würde, d. h. einem sehr tief gehenden Zerfall des Fibrins, dessen Trümmer aber doch noch nach dieser Peptonisierung die Charaktere der Familie der Proteine bewahrt haben. Die Magen- und Darmpeptone, ebenso wie die zum Teil verseiften Fette und die Zucker von der Formel C,H,,0,, die aus der hydro- Iytischen Spaltung der Kohlehydrate und Saccharosen stammen, dringen in das Lymphgefäßnetz ein, das wieder von den Kapillaren der Mesen- terialvenen umgeben ist. In diesem Augenblick macht sich eine Art Auswahl aus den durch die Verdauung entstandenen Stoffen geltend. Die einen dringen in die Blutgefäße, die anderen, besonders die Fette und Zucker, bleiben in den Chylusgefäßen. Aber auf dem Durchgang durch die Lymphknoten des Mesenteriums haben die Eiweiß- und Fett- körper durchgreifende Veränderungen erfahren. Sie haben dort eine Menge von besonderen Zellen, die Lymphkörperchen, angetrofien, welche sich ihrer bemächtigen, sie so zu sagen verdauen, und welche auf Kosten der ursprünglichen Nährstoffe, wie auch deren Anfangszustand gewesen sein mag, neue Albumin- oder Fettstoffe absondern, die für jede Tierart konstant sind. Bei der Berührung mit ihnen sind die Peptone vollständig verschwunden und während ihres kurzen Durch- gangs in Serumalbumin umgewandelt; die besonderen vegetabilischen Fette sind, ganz unabhängig von der Art ihrer Fettsäuren, ganz oder fast ganz in Tristearin, Trimargarin, Triolein oder andere tierische Glyzeride umgewandelt. Diese Art zweiter Verdauung, aus der neue, für jede Species eigentümliche und im großen und ganzen von der Natur der Nahrungsmittel unabhängige Stoffe hervorgehen, ist nicht verständ- lich, wenn man nicht voraussetzt, dass die Leukoeyten im Innern der Mesenterialdrüsen die vom Darm gelieferten Substanzen absorbiert, 1) Siehe des Verfassers „Cours de Chimie“, Abschnitt III, S. 111. 420 Gautier, Ernährung der Zelle. dann assimiliert und umgebildet und schließlich die neuen Stoffe aus- geschieden haben, die aus der eigentümlichen Art ihrer Funktion resultieren. Einer der Beweise, dass die entstandenen Fette nicht mehr gleich den eingeführten sind, gründet sich nicht allein auf die Konstanz in der Zusammensetzung der neuen Fettkörper für jede Tier- spezies, auch wenn man die Fettkörper in der Nahrung variiert, son- dern auch darauf, dass man in den Chylusfetten verschiedene stick- stofthaltige Fette findet, wie Amidodistearin (C,H,(NH,)(C,,H,,0,),, welche klar beweisen, dass diese Fettkörper wenigstens zum Teil durch Dissimilation sehr komplizierter stickstoffhaltiger Stoffe ent- standen sind. Wenn die so entstandenen Stoffe in den Ductus thoracieus ge- kommen sind, gelangen sie ins Blut und mit diesem zu den verschie- denen Geweben, denen sie als Nahrung dienen. Wir werden darauf noch zurückkommen. Ein anderer Teil der aus der Verdauung hervorgegangenen Pro- dukte, der durchaus nicht unwichtig ist, gelangt in die Kapillaren der Mesenterialvenen und kommt durch die Pfortader zu den Leberzellen. Die ursprünglichen Albuminstoffe, die durch die Peptonisierung ge- spalten und alsdann durch die Lymphkörper verändert worden sind, sind als solche im Pfortaderblut nicht mehr zu finden. Selbst während der Verdauung sind die Peptone aus ihm verschwunden. An ihrer Stelle trifft man dafür einen giftigen Körper, besonders wenn sich das Tier von Fleisch genährt hat, das karbaminsaure Ammonium COS: eine Substanz, die durch Austritt von Wasser Harnstoff 4 CO(NB;), geben kann (Nencki, Paulow, Hahn). Die Albuminoide sind also unausgesetzt seit ihrem Austritt aus dem Verdauungstraktus weiter zerfallen; wenigstens ein Teil dieser Stoffe hat das Radikal CO—NH, abgegeben, das das karbaminsaure Ammonium bilden hilft. Diese Gruppe CO—NH, stammt aus dem Eiweißmolekül, das also erstens in karbaminsaures Ammonium zerfallen ist, und zwei- tens — was konsequenter Weise erfolgen musste — in einige kompli- zierte Amide (Glykoproteine, Tyroleuein ete.), die aus der starken hydrolytischen Spaltung der Eiweißstoffe, die ihr Harnstoffradikal ver- loren haben, stammen (Schützenberger). Man weiß, dass aus diesen Amiden wieder durch Zerfall die Leueine CnaH:n+ıNO, und die Leueine CnHen--ı NO, entstehen. Es ist nun experimentell festgestellt, dass, wenn man Tiere mit komplizierten Amiden, z. B. Leuein, Gly- kokoll, Asparagin und sogar mit Ammoniumsalzen von organischen Säuren, besonders mit Salzen der Milchsäurereihe, füttert, der Stick- stoff dieser Verbindungen zum größten Teil in Form von Harnstoff ausgeschieden wird. Die hydrolytischen Spaltungen, die die Proteine schon während der Darmverdauung und weiter in den Lymphknoten Gautier, Ernährung der Zelle. 491 und Gefäßen des Mesenteriums und Darms durchmachen müssen, führen also schon zu einem sehr weit vorgerückten Stadium in der Umwand- lung in Harnstoff. Aber, gleichgiltig ob die Proteinsubstanz, wenn sie zu den Leber- zellen gelangt, schon teilweise durch Hydrolyse in komplizierte Amide zerfallen ist, oder ob sie die Reihe der aufeinanderfolgenden modifi- zierenden Spaltungen noch nicht durchgemacht hat; jedenfalls verändert sie sich beim Durchgang durch die Leber ganz auffallend. Aus dem größeren Teil des Stickstoffs wird dort Harnstoff gebildet, aus dem andern Teil des Moleküls entsteht gleichzeitig Glykokoll, Taurin, Tyrosin, Glykogen und Cholesterin. Wir wollen gleich beweisen, dass diese vollständige Spaltung des ursprünglichen Eiweißes wirklich erfolgt. Was den Harnstoff anlangt, so haben Meissner schon um 1864 und später Gscheidlen konstatiert, dass die Leber, die Milz und die Niere viel mehr Harnstoff enthalten als die meisten anderen Organe: Muskeln, Lungen u. s. w., die nur wenig liefern. Cyon beobachtete, dass das Blut der Lebervenen viel reicher an Harnstoff ist als das von irgend einer andern Vene, und besonders als das der Pfortader. Zum Beispiel liefert ein Liter Pfortaderblut 0,9 & Harnstoff, ein Liter Lebervenenblut aber 1,4 g. Die Leber fabriziert also Harnstoff, die angestellten Experimente haben es endgiltig festgestellt. v. Schroeder spritzte durch die Gefäße von verschiedenen Organen, die er frisch dem lebenden Tier entnommen hat, Blut, in dem Ammoniumlaktat oder gar Ammoniumkarbonat gelöst war, und fand, dass die Salze im Leber- gewebe in Harnstoff umgewandelt werden, aber bloß im Lebergewebe. Schmiedeberg und Hallevorden, die mit den Ammoniumsalzen von organischen Säuren arbeiteten, und Nencki, Schultzen und Salkowski, die Glykokoll, Alanin, Leuein und andere stickstoffhaltige Verbindungen benutzten, haben bewiesen, dass, wenn man Tiere mit diesen Substanzen füttert, der Harnstoff, den sie ausscheiden, auffallend zunimmt, ohne dass dem entsprechend das Eiweiß von Geweben zer- stört wird; denn die Menge von Schwefel im Harn, die ein Maß für den Zerfall von Eiweiß ist, nimmt nicht zu. Also müssen sich die eingeführten Amide und Ammoniaksalze im Körper in Harnstoff ver- wandeln, und zwar geschieht das, wie wir gesehen haben, während der Verdauung und in der Leber. Ausgenommen ein Teil des Glykokolls, der in diesem Organ, wie wir noch sehen werden, zur Bildung von Gallensäure verwandt wird, verwandeln sich also diese Verbindungen in Harnstof. Und umgekehrt nimmt die Harnstoffausscheidung ab oder hört ganz auf, wenn die Leberfunktion gestört ist. Seit Frerichs weiß man, dass bei schweren Lebererkrankungen der Harnstoff im Urin beträchtlich schwindet, während man an seiner Stelle Leuein und andere stickstoffhaltige Körper auftreten sieht, die sonst im normalen 492 Gautier, Ernährung der Zelle. Zustand nie vorkommen. Bestätigende Beobachtungen über den Einfluss von Leberkrankheiten auf die Harnstoffsekretion sind von Brouardel gemacht worden und haben zu denselben Schlüssen geführt. Man kann heutzutage die harnstoffbildende Thätigkeit dieser Drüse nicht mehr in Zweifel ziehen. Was die Bildung von Glykogen anlangt, so sind die Beweise ebenso überzeugend. Seit Cl. Bernard weiß man, dass die Leber mit diesem Kohlehydrat auch dann beladen ist, wenn man Tiere lange bloß mit Fleisch ernährt. von Mehring und Naunyn haben dies bestätigt: das fettfreie Muskelfleisch und das Albumin von gekochten Eiern genügen, um die Glykogenbildung zu unterhalten. Ein weiterer Beweis für die Bildung des Glykogens in der Leber, selbst wenn sie vom lebenden Körper getrennt ist, ist von Seegen geliefert worden. Zwei frische, gleich schwere Stücke von derselben Leber eines Hundes wurden in zwei Reagensgläschen gethan, die mit Blut von dem Tier gefüllt waren. In das eine von ihnen gab er noch eine Lösung von Peptonen; dann brachte er die beiden Gefäße in ein Wasserbad von 35° und ließ Luft hindurchströmen. Nach Verlauf einiger Stunden bestimmte er die Zuckermenge in den beiden Leberstücken und fand, dass das Stück, welches in dem Blut ohne Pepton gelegen hatte, 2,560), Glykose enthielt, dasjenige, das sich im peptonisierten Blut befand, 3,54°/,. Zugleich stieg der Glykogengehalt in der peptoni- sierten Leber von 2,2°/, auf 2,8°/,. Im diesem Stück hat sich also sowohl Glykogen als auch Glykose gebildet. Lepine hat vor kurzem Seegens Beobachtungen bestätigt (C. Rendus, Heft 115, S. 304 u. Heft 116, S. 419). Vom Cholesterin weiß jeder, dass die Galle bei ihrem Einfluss in den Darm davon eine bestimmte Menge mit sich führt, nämlich 0,5 bis 2,5 pro Mille. Und andrerseits ist nach den Analysen von Dros- dorff das Lebervenenblut viel reicher an Cholesterin als das Blut der Pfortader und der Leberarterien. Er hat für 1000 & Blut gefunden: in den Lebervenen 3,52 g; in der Pfortader 1,50 g; im Arterienblut 1,60 g. Die Leber entsendet also mehr Cholesterin, als sie aufnimmt, und zwar beträchtlich mehr. Auch die Bildung von Glykokoll und Taurin in der Leber ist un- leugbar; die Gallensäuren beweisen es. Die Glykocholsäure entsteht unter Abspaltung von Wasser aus der Verbindung von Glykokoll C,H,NO, mit Cholalsäure C,,H, ‚05; in gleicher Weise bildet sich die Tauroeholsäure aus Taurin C,H,NSO, und Cholalsäure; deren Ent- stehung scheint an den Zerfall der Eiweißkörper in den Blutkörperchen und an Chlosterin geknüpft zu sein. Unter der Form der Taurochol- säure wird dann der aus diesem Zerfall resultierende Schwefel definitiv ausgeschieden. So liefert also in der Leber die Spaltung der Eiweißkörper Harn- Gautier, Ernährung der Zelle. 423 stoff, Glykogen, Cholesterin, Glykokoll und Taurin. Wir wollen nun darthun, dass weder freier Sauerstoff noch Sauerstoffin der Verbindung von Oxyhämoglobin irgend etwas mit diesen Umbildungen zu thunhat, die einfach auf hydrolytischen Prozessen beruhen. Wenn ich die Zwischenprodukte unberück- sichtigt lasse, so verdeutlicht, glaube ich, die folgende Gleichung diesen in der Leber erfolgenden Zerfall der Proteinsubstanz: C,H 15N,880,, + 20H,0 = 7 CON;H, + 5 C;H,,0; + CyH,O Albumin Wasser Harnstoff Glykogen Cholesterin + 3 C,H,NO, + GHLNSO, + 6H Glykokoll Taurin Wasserstoff Diese Gleichung erfordert verschiedene Erläuterungen, Folgerungen und Untersuchungen über ihren Wert. Erstens zeigt sie, dass der Harnstoff, der sich in der Leber bildet, aus der Hydrolyse der Eiweißkörper, nicht aus ihrer Oxydation resultiert. Sie drückt aus, dass der Sauerstoff nicht bloß bei dieser Bildung von Harnstoff nicht beteiligt ist, sondern dass dies Phänomen sogar unter Reduktion von statten geht und mit der Tendenz, Wasserstoff frei zu machen, wie es aus unserer Gleichung hervorgeht. In Wirklichkeit verbindet sich dieser Wasserstoff, ganz oder zum Teil, mit verschie- denen Zwischenprodukten aus dem Eiweißzerfall und bewirkt so, dass in den Leberzellen außerordentlish stark reduzierende Stoffe entstehen, deren Vorhandensein und deren Bedeutung wir nachher beweisen wollen. Unsere Gleichung lehrt ferner, dass sich aus 110 g trockenen Eiweißes (einer Menge, die bei einen normalen erwachsenen Menschen die tägliche Ration in der Nahrung sein soll) 28,5 g Harnstoff bilden sollten; aber wie wir sehen werden, zerfällt auch in der Milz, im Fettgewebe, im Gehirn u. s. w. ein Teil der Eiweißkörper unter Bil- dung von Harnstoff, und in diesen Fällen steigt nach einer der obigen analogen Gleiehung, die weiter unten mitgeteilt werden soll, die Harn- stoffmenge, die 110g Eiweiß entspricht, auf 33 g pro Tag. Das Mittel aus den beiden Zahlen, 30 g, entspricht der Wirklichkeit; wir scheiden normal in 24 Stunden 30 g Harnstoff aus. In der Leberzelle wird also das Eiweiß zerstört, es entsteht Harn- stoff, Glykogen, Cholesterin und die Gallensäuren, Derivate sehr ein- facher Amidoverbindungen (Glykokoll und Taurin); das haben wir bewiesen. Es bleibt uns noch zu beweisen, dass dies Phänomen nicht an eine Oxydation gebunden ist, dass das Lebergewebe reduzierend wirkt, und dass die Dissoziation des Eiweißmoleküls sich wie bei den Gärungen durch Bakterien, durch einfache hydrolytische Spaltung vollzieht. Bevor wir aber die Beweisführung antreten, muss ich bemerken, dass die Physiologie und die Thätigkeit der Leberzelle nur ein beson- derer Fall der Thätigkeit der meisten lebenden Zellen ist, nur ein 424 Gautier, Ernährung der Zelle. besonderer Fall, der infolge der Entdeckung der Glykogenproduktion zu weit abseits gestellt ist von dem gewöhnlichen Fall. In fast allen Zellen und Zellgeweben werden die Eiweißkörper so ziemlich auf dieselbe Weise zerstört. Ueberall erscheinen neben dem Harnstoff oder komplizierten analogen Stiekstoffverbindungen (harnsauren Salzen und Xanthin- oder Kreatinverbindungen) verschiedene Fett- oder Kohle- hydratverbindungen, die einander entsprechen und ersetzen. Wir konnten das Phänomen der Spaltung der Eiweißsubstanzen deswegen in den Leberzellen genauer analysieren, weil das homogene und relativ mäch- tige Lebergewebe sich dazu besonders eignet. Aber überall, wo in einer tierischen Zelle das Protoplasmaeiweiß zerfällt, finden wir ent- weder Harnstoff oder harnsaure Salze oder Stoffe der Kreatingruppe, die diese ersetzen, und neben ihnen bald Fett an Stelle des Glykogens, wie im Fettgewebe, bald beide Substanzen neben einander, wie in den Muskeln, bald Myelin, Cerebrin oder Cholesterin, wie im Nervengewebe, bald sogar stiekstoffhaltige Körper, wie Chondrin, Chitin, die scheinbar zu Fetten und Kohlehydraten keine Beziehungen haben, in Wirklich keit aber zwischen den Kohlehydraten und den eigentlichen Eiweiß- körpern stehen. Und diese verschiedenen Substanzen, die einander ersetzen und sich entsprechen, sind stets, wie in der Leber, unter Re- duktion entstanden. Wir werden zwar keine Gallensäuren weiter finden; denn sie sind ganz charakteristische Produkte der Leberzellen; aber dafür sehen wir an ihrer Stelle die Oxydationsprodukte des Schwefels (SO,H, und SO,H,), mit den Amidosäuren zu Basen oder Phenolen verbunden. Jede Zellart ernährt ihr Protoplasma und baut ihre besondern Proteinstoffe, auf Kosten derselben Albuminstoffe, die durch das Blut zugeführt werden, aus durch den Durchgang durch den Verdauungs- trakt erheblich vereinfachten Stoffen. Das Geheimnis, wie der synthe- tische Aufbau bei der Assimilation erfolgt, ist ebenso groß, wie das der besonderen Eigenschaft der Zelle. Im Muskel entsteht das Mus- kulin oder vielmehr das Myesinogen; im Knochen das Ossein; in der Bindegewebszelle die elastischen und Bindegewebsfasern; in den Drüsen- zellen die Pepsine, Diastasen, Toxine oder Gifte, die für jede Zelle besondere sind. Von diesen Produkteu verlässt ein Teil den Ort der Entstehung und übt wo anders seine Thätigkeit aus, der andere, wie die Muskelsubstanz, zerfällt am Orte durch die Arbeitsleistung des Gewebes zum Teil in einfachere stickstoffhaltige Körper (Kreatin, Hippur- und Inosinsäure, Leukomaine u. s. w.), zum Teil in stickstofffreie Pro- dukte (Milchsäure, Glykogen). Aber ob sich Harnstoff bildet oder nicht, ob er zum Teil oder ganz und gar durch verschiedene Amide oder Urate ersetzt wird, ob das Protoplasma bei diesen Umbildungen, die bei den verschiedenen Zellen verschieden sind, je nach der Ver- schiedenheit der Produkte, weniger nach dem Mechanismus der Ent- Gautier, Ernährung der Zelle. 495 stehung, freie Kohlensäure abgibt oder nicht, jedenfalls wirkt das Protoplasma der Zelle stets reduzierend. Wir wollen be- weisen, dass in dieser ersten Phase der Dissimilation der Zerfall des protoplasmatischen Eiweißmoleküls immer ohne jede Einwirkung von Sauerstoff erfolgt. Erst nach diesem ersten Stadium der Dissoziation der Eiweißbestandteile des Protoplasmas werden die Produkte der Zell- thätigkeit, die nun für die Verbrennung empfänglich sind, oxydiert durch Sauerstoff und durch einen Mechanismus, der ganz verschieden von dem ist, durch den der Harnstoff entstand und der Zucker und die Fette, d. h. durch einen der Oxydation gerade entgegengesetzten Vorgang. Man weiß schon seit langer Zeit, dass die Gewebe in besonderen Fällen starke reduzierende Wirkungen ausüben. Gibt man z. B. an Tiere Jodate oder Bromate, so werden die Salze reduziert und im Jodide und Bromide verwandelt, die man dann im Harn findet. Ebenso verbindet sich Indigosulfosäure beim Durchgang durch Gewebe mit zwei Atomen Wasserstoff und wird farblos, weil Indigweiß entstanden ist. Wenn man Bilirubin ins Blut injiziert oder im Darm absorbieren lässt, so beladet es sich mit Wasserstoff, nimmt Wasser auf und wird zu Urobilin: C3,H;N,0; +H0O+H= C3H,N;O; Bilirubin Urobilin. Diese und noch andere Beobachtungen beweisen, dass, obgleich beim Tier das Blut ein oxydierender Körper ist, doch wenigstens ein Teil der Zellen in unseren Geweben reduzierend wirken und wie Bak- terien funktionieren können. Für diese Behauptung, die neueren Datums ist, habe ich seit 1881 verschiedene Beweise geliefert. Besonders hob ich damals hervor, dass der Körper reduzierende Substanzen produziert, wie die Ptomaine, das Indigogen, die Extraktiv- und Farbstoffe des Harns, die sehr oxydabel sind. Dann hat Ehrlich 1890 gezeigt, dass das Protoplasma sehr vieler, wenn nicht aller Zellen diese reduzieren- den Fähigkeiten besitzt. Seine höchst ingeniöse Methode besteht darin, dass man beim lebenden Tier durch Injektionen in die Venen lösliche Natronsalze von Alizarinblau, Cörulein u. s. w. bringt; das sind stark färbende Stoffe, die sich dadurch auszeichnen, dass sie bei Auf- nahme von Wasserstoff, zu farblosen Körpern werden, die für jedes Gewebe durch das stärkere oder weniger starke oder durch das schnellere oder langsamere Verschwinden der blauen Farbe die Bestimmung ermöglichen, ob seine Reduktionsfähigkeit stark oder schwach ist. Nachdem solche Injektionen mit blauen Farbstoffen in Gefäße von Kaninchen oder Meerschweinchen gemacht worden sind, tötet man das Tier und untersucht sofort die Färbung der verschiedenen Organe. Man bekommt dann folgende Resultate: 426 Gautier, Ernährung der Zelle. Die weiße Substanz vom Gehirn und Rückenmark zeigt keine Bläuung. Sie muss daher Wasserstoff an das Cörulein abgegeben haben und wirkt also stark reduzierend. Die graue Substanz bleibt dagegen gefärbt; Die quergestreiften und glatten Muskelfasern sind leicht gebläut; Die Synovialmembranen bleiben gefärbt; Die Knorpel sind ungefärbt, also stark reduzierend; Die Knochen sind ungefärbt oder stellenweise blau; Das Blutserum, Lymphe uud Synovia sind blau; Die Epithelien und Schleimhäute sind schwach gefärbt; Drüsen, die während des Lebens Cörulein oder Indigo nicht redu- zieren, sind die Speicheldrüsen, das Pankreas, die Thymusdrüse, die Milchdrüsen, die Lymph- und Schleimdrüsen. Unter den Organen, welche eine sehr energische Reduktions- fähigkeit zeigen, muss man die Leber an erster Stelle nennen. Sie ist ganz und gar ungefärbt, ausgenommen auf den Durchschnitten der Gallengänge. Die Leberzellen bilden also, wie schon gesagt ist, ein reduzierendes Gewebe. Die Marksubstanz der Nieren bleibt stark blau gefärbt, die Rinden- substanz ist aber ganz farblos. Das Lungengewebe und die Pleura sind wie im normalen Zustand gerötet, also reduzieren auch sie. Folglich sind die weißen Partien im Gehirn, Rückenmark und Nerven, die Muskeln, Knorpel, die Leber, die Rindensubstanz der Niere, das Lungenparenehym u. s. w. während des Lebens durchaus redu- zierende Gewebe, obgleich sie fortwährend von sehr sauerstoffreichem Blut durchströmt werden. Nach dem Tode nimmt die Reduktionsfähigkeit der Gewebe sehr zu. Unter diesen Umständen kann ja nicht mehr der Sauerstoff aus dem Blute an die Reduktionsprodukte herankommen und sie verändern; aber das Zellprotoplasma fährt fort zu funktionieren, wie ich vor zwei Jahren zusammen mit Landi besonders fürs Muskelgewebe gezeigt habe. Bei Tieren, denen man Cörulein injiziert hat, werden das ganze Gehirn und die glatten und quergestreiften Muskeln nach dem Tode binnen 2 bis 15 Minuten vollständig entfärbt. Die Thränen-, Ohr- speichel- und Lymphdrüsen und das Herz werden in 15 bis 45 Minuten entfärbt. Dagegen werden das Pankreas und die Submaxillardrüsen nur sehr langsam oder überhaupt gar nicht entfärbt. Man kann die Experimente leicht im Probierglase wiederholen, wie ich es mit Leberpulpa und mit Muskeln gemacht habe. Wenn man verdünnte Lösungen von indigosulfosaurem Natrium, Kaliumbromat oder Kaliumjodat der Berührung mit Streifen von frischem Fleisch in einer Stickstoffatmosphäre aussetzt, so sieht man, wie der Indigo rapide sich in Indigweiss verwandelt, wie die Jodate und Bromate zu Jodiden Gautier, Ernährung der Zelle. 427 und Bromiden werden, wie mit einem Worte, das Muskelgewebe stark reduziert. Dieselben Erfolge kann man mit Bierhefe anstatt mit Muskelfleisch erhalten. Also reduzieren die meisten lebenden und funktionierenden Zellen der Gewebe, die protoplasmatischen Teilchen, in denen sich das Phä- nomen der Assimilation abspielt und in denen die Dissimilation der Albumine beginnt. Bokorny hat bewiesen, dass das reduzierende Prinzip dem Protoplasma anhaftet, dass es zu den Colloidstoffen gehört, also nicht diffusibel ist, dass es alkalisch reagiert und dass es seine Wirkung durch Erwärmung und durch Behandlung selbst mit ver- dünnten Säuren verliert. Und diese Albuminbestandteile können nicht nur nicht oxydiert werden im Protoplasma, vielmehr resultieren aus ihrem hydrolytischen Zerfall, wie in unserer obigen Gleichung deutlich ist, stark reduzierende Stoffe und freier Wasserstoff, Wasserstoft, den ich in meiner Arbeit über die Funktion des aus dem Körper gelösten Muskels nachgewiesen und den auch Grehant eben im normalen Blut gefunden hat, in das er zum Teil übergeht. Nur die Zerfallsprodukte des reduzierenden Protoplasmas, die Zucker, das Glykogen, Fette, Amidoverbindungen, verschiedene stickstoffhaltige Säuren , harnsaure Salze, die in dieser ersten, sozusagen ana&roben Phase sich bilden, oxydieren sich dann in einer zweiten Phase in der Peripherie der von Blut umflossenen Zelle, oder werden durch die Strö- mung fortgeschwemmt und dann direkt ausgeschieden. So findet sich definitiv die Beobachtung bestätigt, die ich schon vor zwölf Jahren machte, dass das ana@robe Leben, wie man es nur für die niederen Mikroorganismen annahm, auch der Modus der feinen und ursprünglichen Funktion der tierischen Zellen ist, wenigstens der Mehrzahl unter ihnen (S. Gaz. hebd., 1. Juli 1881, Fonetionnement anaörobie des tissus, Arch. de physiol., 5. Serie, t. IV, p. 1). Um die Richtigkeit dieser fundamentalen und ganz unerwarteten Wahr- heit festzustellen, stützte ich mich auf zwei Arten von Beweisen: erstens wies ich darauf hin, dass der tierische Organismus als Reduk- tionsprodukte außer den Ptomainen und Leukomainen, welche ich kurz vorher entdeckt hatte, dieselben Stoffe liefert, deren Bildung ich im Verlauf der Eiweißzerstörung durch anaerobe Bakterien beobachtet hatte. Zweitens bewies ich nach demselben Prinzip topischer Beobach- tung, dass die Sauerstoffmenge, die man in unseren sämtlichen Exkreten findet, um 19 Prozent, also um fast ein Fünftel, die dem Tier in der- selben Zeit durch die Atmungsluft gelieferte Sauerstoffmenge übersteigt. Daraus folgt, dass ungefähr ein Fünftel der tierischen Exkrete bloß dureh Fermentation entsteht und direkt seinen Sauerstoff der Nahrung und den Geweben entnimmt, ohne irgendwelchen aus der Luft zu be- ziehen. Das heißt: Die Dissimilation von einem Fünftel unserer Nah- rungsmittel und Gewebe erfolgt durch einen Prozess, bei dem kein 428 Gautier, Ernährung der Zelle. Luftzutritt statt hat, ganz ähnlich der Dissimilation durch das Butter- gärungsferment oder durch die Bierhefe oder durch Fäulnisbakterien. Dass die Produkte, die bei all diesen Vorgängen sich bilden, analog durch Dissoziation des Eiweißmoleküls ohne Sauerstoffeinwirkung ent- stehen, ist eine notwendige Konsequenz. Wenn sich also in der Leber aus Eiweißsubstanz Harnstoff, Gly- kogen, Cholesterin, Glykokoll, Taurin und Tyrosin bilden, so können diese nicht durch Oxydation entstanden sein, da wir eben gesehen haben, dass die Leberzellen stark reduzierende Organe sind. Das Auftreten von Glykokoll, Taurin, Tyrosin und selbst von Harnstoff, Stoffe, die auch im Probierglas unter Einwirkung von Wasser, das erwärmt wird oder dem man Säuren oder Alkalien zusetzt, auf Eiweiß- stoffe entstehen, beweist, dass die Moleküldissoziation eine Hydrolyse ist. Damit ist die Richtigkeit unserer oben ausgeführten, auf die Leber bezüglichen Gleichung erwiesen!). Aber bei diesem Zerfall des Proteinmoleküls ohne Luftzutritt funktioniert jede Zelle, was ihre Zwischenprodukte anlangt, in einer ihr eigentümlichen Art und Weise; darauf haben wir schon hingewiesen. In den Bindegewebszellen und in vielen anderen ist die Protoplasma- zerstörung begleitet vom Auftreten von Fetten. Manchmal, z. B. bei den weißen Blutkörpern und im Gehirn, bilden sich Leeithine, Cho- lesterin, Cerebrin anstatt der Fette. Im Muskel sind es die Fettkörper, das Glykogen und die Milchsäure, die man so leicht daraus gewinnt; in diesem Fall ist der Harnstoff ersetzt durch Amidoverbindungen, Kreatin, Leukomaine, harnsaure Salze u. s. w. Aber wenn wir ein paar allzu merkwürdige Derivate unberücksichtigt lassen, uns bloß erinnern, dass die Bildung von Tyrosin das erste Resultat der Albumin- hydrolyse ist, dass aus diesem später durch Oxydation Benzoesäure entsteht und Hippursäure, wenn wir weiter sehen, dass der meiste Stiekstoff in den Harnstoft übergeht, dass dabei zugleich Fette sich bilden und manchmal Glykogen, aus dem wieder Fettkörper werden können, und zwar, wie noch ersichtlich werden wird, ohne Zutritt von Sauerstoff, und wenn wir uns endlich ins Gedächtnis zurückrufen, dass das Zellprotoplasma stets reduziert und entweder freien oder nur schwach gebundenen Wasserstoff enthält, so gelangen wir zu folgender Gleichung, die ganz allgemein den Zerfall des Zelleiweißes im ersten Stadium der Dissimilation ausdrückt und in der alles sich aus einer Reihe hydrolytischer Spaltungen bildet. Die Gleichung lautet: 4 C.,H,12Ns502 + 58 H,O —= 4 0,H,,NO, + 34 CON;H, Albumin Wasser Tyrosin Harnstoff 223.0 200 AH _Oleostearomargarin Glykogen. 4) Während ich den Artikel schreibe, hat Ch. Richet Versuche beendet, die beweisen, dass die Leber, wenn sie aus dem Körper entfernt und sogleich mit Blut gewaschen und dann in Paraffin gebracht wird, fortfährt, Harnstoff zu bilden. Gautier, Ernährung der Zelle. 429 Aus dieser ersten Dissoziation der Eiweißsubstanz resultieren also zugleich Harnstoff (oder Verbindungen, die zur Kreatin-, Harnsäure- und Xanthinreihe gehören und die teilweise oder ganz einander er- setzen können), Zucker, Glykogen, Fettkörper (Leeithin, Cholesterin und Milchsäure können sie in verschiedenen Verhältnissen vertreten), Tyrosin, manchmal etwas Glykokoll oder Taurin (das letztere enthält zum Teil den aus dem Eiweiß stammenden Schwefel), endlich Koh- lensäure, die abhängig ist von der Menge der produzierten Fettkörper. In dieser ersten Phase, die sich ganz ohne Lufteinwirkung abspielt, bildet sich gleichzeitig eine geringe Menge von stark reduzierenden Stoffen und sogar von etwas freiem Wasserstoff. Von diesen Stoffen geht ein Teil, der Harnstoff, das Kreatin (das sich in Kreatinin verwandelt), einige Leukomaine u. s. w. in den Harn und werden direkt ausgeschieden. Ein zweiter Teil, das Glyko- koll und das Taurin, gelangen teilweise in die Galle in Form von gepaarten Säuren, Glykochol- und Taurocholsäure. Das Tyrosin findet man fast in sämtlichen Drüsen: Milz, Leber, Lungen u. s. w., aber es wird besonders in Benzoesäure umgewandelt, die sich mit Glyko- koll verbindet und so die Hippursäure bildet, von der die Nieren den Körper befreien. Die eigentlichen Amidosäuren, Glykokoll, Leuein u. 8s. w. und die Ammoniumsalze selber gehen über in Harnstoff, wie das direkte Experiment es festgestellt hat; ihr stickstoffhaltiges Ra- dikal vereinigt sich dann nämlich mit der Cyangruppe CONH, dem Ausgangsprodukt bei der Zerstörung der Eiweißmoleküle, deren we- sentlichen Bestandteil es ausmacht: er CH, NE -7 CoNH 7180 607 "Ce 20 Leuein —+ CON;H, Harnstoff. Das ist das Schicksal der in dieser ersten Dissoziationsphase gebildeten Stickstoffverbindungen, in der Phase, die sich ohne Luftzutritt abspielt und in der bloß die Eiweißsubstanzen im Protoplasma angegriffen werden. Wenn diese Substanzen und ihre Stickstoffderivate verschwunden sind, bleiben bloß noch stickstofffreie Körper übrig, Kohlehydrate und Fette oder analoge Verbindungen, die zur selben Zeit wie die eben genannten Stoffe entstehen oder direkt durch die Nahrung zugeführt und in den Geweben aufgespeichert wurden. Von diesen verschwinden zuerst die Kohlehydrate, das Glykogen, aus dem sich leicht hydro- Iytisch Zucker bildet, und die Glykose, die man in kleinen Mengen überall im Körper findet; ein Teil verwandelt sich nämlich in Fett, wieder ohne Mitwirkung des Sauerstoffs des Blutes, ein anderer wird oxydiert. Erst damit beginnt die zweite Phase der Dissimilation, die Phase der Oxydation, in der die Luft mitwirkt, und die die Be- 430 Gautier, Ernährung der Zelle. stimmung hat, dem Organismus Wärme zu liefern und ungefähr drei Viertel der gesamten dem Körper zu Gebote stehenden Energie her- vorzubringen. Die Glykose, die unausgesetzt durch die Verdauung und von der Leber dem Blute zugeführt wird, verschwindet dert langsam. Eine unbedeutende Menge wird in nicht bekannte Verbindungen übergeführt durch eine Art Gärung, die bei Erwärmung des Blutes auf 54° sistiert wird (Cl. Bernard). Ein Kilogramm den Gefäßen entnommenes Hundeblut verzehrt bei 38° ungefähr 4 Gramm Glykose in 24 Stunden (Lepine und Barral). Die Muskelkontraktion verursacht auch eine erhebliche Vermin- derung von der im zugeführten Blute enthaltenen Glykose, wie besonders die schönen Versuche von Chauveau gezeigt haben. Das Glykogen nimmt gleichzeitig im Muskel ab, der zwar in der Ruhe reduziert, aber im Zustand der Thätigkeit oxydiert. Man kann sich davon leicht überzeugen, wenn man durch einen Muskel eine gut gesäuberte Stahl- nadel sticht: solange der Muskel in Ruhe bleibt, behält die Nadel ihren metallischen Glanz; bringt man aber den Muskel zur Kontrak- tion, so bedeckt sich infolge der eintretenden Oxydation die Nadel mit Rost. Die aus dem Muskelblut verschwundene Glykose und Gly- kogen werden bei der Kontraktion in Kohlensäure, Wasser, Milchsäure und Fett verwandelt, und ihre latente potentielle Energie hat sich durch die Verbrennung der Kohlehydrate umgesetzt in bemerk- bar werdende kinetische, hat also direkt dem Tiere die Energie geliefert, die es zur Arbeit gebraucht und auch die Wärme, die es nötig hat. Wenn der Muskel in Ruhe ist, wird der größte Teil der Kohle- hydrate des Körpers, nämlich die, die die Nahrungsaufnahme zuführt und wohl auch die in der Leber sich bildende Glykose, vermittelst einer richtigen Gärung, die in bestimmten Zellen, besonders in den Bindegewebszellen sich vollzieht, in Fette verwandelt. Wenn man ein Individuum ausschließlich mit einer Nahrung versorgt, die sich aus Zucker und Stärke zusammensetzt, so wird es eine Stunde nach Auf- nahme derselben durch Lungen und Haut enorme Mengen von Koh- lensäure ausatmen, die von der Gärung des Zuckers herrührt, der sich in Fett umsetzt, und dabei nimmt die in derselben Zeit absorbierte Sauerstoffimenge nicht wesentlich zu. (Richet et Hanriot, C. R., t. CXIV, p. 371). Man weiß übrigens schon lange, dass die Fettbil- dung bei den Tieren durch reichliche Ernährung mit Kohlehydraten befördert wird. Die Versuche von Chaniewsky, Munk und vielen anderen über den Fettansatz bei Gänsen, Hunden und Schweinen haben übrigens gelehrt, dass 70 bis 80 Prozent des im Organismus entstehenden Fettes von der Spaltung der Nahrungskohlehydrate her- stammen. Diese rein fermentative Umwandlung von Zucker in Fett- Gautier, Ernährung der Zelle. 431 körper und Kohlensäure kann nach Richet und Hauriot durch folgende Gleichung ausgedrückt werden: ISCH 0, — C,H 0, FF 23:00, 260. Zucker Oleostearomargarin Das so gebildete Fett wird besonders im Pannieulus adiposus abgesetzt. Man hat auch beobachtet, dass es sich beim Zerfall von Proto- plasmaeiweiß bildet, das zugleich mit Harnstoff und den analogen stickstoffhaltigen Körpern bald Glykogen gibt, bald Fette und Kohlen- säure, öfter Kohlehydrate und Fette zugleich, und zwar im Verlauf der Dissimilationsphase ohne Mitwirkung von Sauerstoff. Aus diesen stufenweisen Umbildungen des Eiweißes resultieren daher, wenn man die stickstoffhaltigen Körper, die schon besprochen sind, unberück- sichtigt lässt, fast bloß Fettkörper. Das sind also die eigentlichen Reservestoffe für die Verbrennung. Diese Fette können von nun an nur noch eine Reihe von Oxydationen durchmachen. Doch noch bevor sie direkt verbrannt werden, scheinen sie unter Einwirkung besonderer Fermente verseift zu werden: dadurch entsteht Glyzerin, das selbst wieder oxydieren kann, und Fettsäuren. Aus diesen bilden sich in- folge der Alkalescenz des Blutes lösliche Natriumsalze (Stearate, Oleate u. 8. w.), die mit der Zeit vom Blutstrom fortgeschwemmt werden. Sie werden dann allmählich durch den freien oder an Hae- moglobin gebundenen Sauerstoff oxydiert und zerfallen zum Schluss, wie schon seit Woehler bekannt ist, in Wasser und Kohlensäure. Die Zwischenprodukte bei der Oxydation der Fettkörper sind noch nicht genau festgestellt. Man weiß nur, dass sich successive Bern- steinsäure, Mesoxalsäure, Oxalsäure, vielleicht auch Capron - und But- tersäure bilden. Diese Säure findet man wenigstens allgemein in den Geweben und Exkreten. So verschwinden schließlich in Form von verbrannten und un- brauchbaren Stoffen die Nahrungsbestandteile, Eiweiße wie Fette und Kohlehydrate. Wir haben sie beobachtet von ihrem Eintritt in den Magen ab bis zur Ausscheidung aus dem Körper durch Nieren, die Lungen und die Haut. Bloß die kompliziertesten von ihnen, die Ei- weißkörper scheinen assimiliert zu werden. Die andern werden ein- fach zu Reservestoffen. Also kommen wir zum Schluss: Die Dissimilation, die sich in der Zelle abspielt, ist die Folge ihrer Funktionsart. Sie spielt sich in zwei Phasen ab. In der ersten, der der hydrolytischen Spaltung, der Phase der Gährung ohne Luftzutritt, entsteht aus dem Proto- plasmaeiweiß Harnstoff oder analoge Verbindungen (harnsaure Salze, Kreatinkörper u. s. w.), und zugleich bilden sich dem entsprechend die Kohlehydrate und Fettkörper. In der zweiten Phase, der Phase der Oxydation, verschwinden ihrerseits die Zucker und Fette, (die 432 Gautier, Ernährung der Zelle. entweder aus der Dissimilation des Eiweißes resultieren oder aus der Nahrung stammen). Die Kohlehydrate werden teilweise verbrannt; der größere Teil wird aber, besonders wenn die Muskulatur in Ruhe ist, in Fette verwandelt, und zwar durch einen einfachen Gährungs- vorgang, bei dem eine große Menge Kohlensäure frei wird. Schließ- lich verschwinden auch die Fettkörper selbst infolge einer richtigen Verbrennung, einer langsamen, aber völligen Oxydation. Das einfache Phänomen der Oxydation, das offenbar in allen Ge- webszellen, wo Fette entstehen, dasselbe ist, hat keinen weiteren Effekt als den, dass es dem Körper die große Wärmemenge liefert, über die er verfügt. Das Verschwinden der an Kohlenstoff reichen Reduktionsprodukte, die aus der Dissociation des Eiweißes resultieren, macht die zweite Phase aus, die Oxydationsphase in der Dissimilation. Sie bringt dem Tier allein drei Viertel der Energie, über die es ver- fügt. Doch diese Oxydationsprozesse, die nur, so zu sagen, an der Peri- pherie der Zellen und mit Hilfe des unaufhörlich vom Blute herbei- geschafften Sauerstoffes vor sich gehen, vollziehen sich nicht direkt. Jaquet hat 1892 gezeigt, dass das Blut fast gar nicht die am aller- leichtesten oxydierbaren Stoffe oxydiert. Sie absorbieren dagegen sehr schnell Sauerstoff, wenn man dem Blut eine geringe Menge vom Gewebe oder von einem abgekühlten Extrakt bestimmter Organe (wie Lunge, Muskeln u. s. w.) zusetzt. Solche Extrakte enthalten ein richtiges Oxydationsferment, das in Wasser löslich und in Alkohol ausfällbar ist. Seine oxydationsanregenden Eigenschaften verliert es ganz, wenn man eine Lösung desselben auf 70 bis 80 Grad erwärmt. Bei den Tieren fällt uns besonders dies Oxydationsphänomen auf, durch das zum großen Teil die Wärme geliefert wird, und das ist der Grund, warum wir so lange die Funktionen der Gewebe, die ohne Luftzutritt ausgeübt werden, verkannt haben. Aber gerade diese Funktion des Zellprotoplasmas, die unbeeinflusst ist vom Zutritt von freiem Sauerstoff, bildet den für jede Zelle eigentümlichen Abschnitt ihres Lebens, durch den jedes Gewebe sich von anderen unterscheidet, in dem die besonderen Stoffe gebildet werden, die Fermente, die stick- stoffhaltigen Zwischenprodukte, die oft besonders starke Wirkungen hervorrufen können (Ptomaine, Leukomaine, Toxine), endlich die Re- servestoffe, die der Körper benutzt, wenn er sie nötig hat, um seinen Bedürfnissen der Reproduktion, der Wärmeproduktion oder der mecha- nischen Arbeit Genüge zu leisten. Korotneff, Entwieklung des Mitteldarmes bei den Arthropoden. 433 Zur Entwicklung des Mitteldarmes bei den Arthropoden. Von Prof. A. Korotneff in Kiew. Meine Präparate über die Entwicklung von @Gryllotalpa durch- musternd, nachdem die Untersuchungen von Karawaew!) über Pyrıho- coris und Heymons?) über Phyllodromia, Periplaneta und Gryllus mir bekannt geworden sind, habe ich gefunden, dass die Angaben dieser Forscher über die Entwicklung des Mitteldarmepithels sich bei Gryllotalpa vollständig bestätigen. In dieser Hinsicht ist also meine - frühere Beobachtung, dass jenes einen mesodermalen Ursprung besitzt, zu berichtigen. Die von mir gegebene Beschreibung lautet so?): „Wir „sehen den Mitteldarm als ein Konglomerat aus Dotterschollen bestehen, „zu dem einerseits ein langer Oesophagus und andrerseits ein ge- „bogener und kurzer Dünndarm führt. Am Mitteldarm ist noch eine „eigentümliche Bildung zu erwähnen. An seinem oberen Teile, dort „wo der Oesophagus einmündet, sind zwei aus Zellen zusammenge- „setzte blattförmige Bildungen, eine ventrale und eine dorsale, gewisser- „maßen, wie angeklebt“. Ich muss noch erwähnen, dass zwei ganz ähnliche, auch blattartige, oder wenn man will, schürzenähnliche, aus prismatischen Zellen gebildete Polster vom unten, von Proetodeum sich nach oben erheben und den Dotterschollen aufliegen. In dieser Weise ist die Mitteldarmmasse aus Dotterschollen gebildet, die von vier Zellpolstern, oder wie bei Pyrrhocoris von vier Strängen allmählich umwachsen werden. Letzterer Prozess vollzieht sich in der Art, dass die vier Polster zu gleicher Zeit gegeneinander (von oben nach unten) und lateral wachsen; über ihren Ursprung kann gar kein Zweifel existieren: die zwei oberen sind Auswüchse des Stomadeums und die zwei unteren des Proctodeums; damit ist gesagt, dass die Polster einen ektodermalen Ursprung besitzen. Bei der Gryllotalpa also ent- steht der ganze Darm nur aus Ektoderm. Im großen und ganzen also muss man zu dem Schlusse kommen, den Heymons folgendermassen ausdrückt: „Die den „Mitteldarm der Insekten bildende Schicht würde demnach als eine „Neubildung aufzufassen sein. Hierbei ergibt sich allerdings die un- „angenehme Konsequenz, dass die Insekten im erwachsenen Zustande „überhaupt kein Entoderm mehr besitzen“. Ich möchte daher nur sagen, dass dieser Schluss „unangenehm“ nur dann wäre, wenn er ganz einzeln stände und keine Beziehung zu den embryonalen 4) Karawaew, Zur embryonalen Entwicklung von Pyrrhocoris apterus Nachrichten der Naturforschergesellschaft in Kiew, Bd. XII, 1. Heft. 2) Heymons, Ueber die Bildung der Keimblätter bei den Insekten. Sitzungsberichte der k. preuß. Akademie zu Berlin, 1894, I. 3) Korotneff, Die Embryologie der Gryllotalpa. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. XLI, S. 593. XIV. 28 434 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Erscheinungen hätte, die bei den übrigen Arthropoden vorkommen. Bei den Crustaceen und Spinnen nämlich sehen wir das wahre Ento- derm eine bedeutende, plastische Rolle im Aufbau des Organismus spielen, aber anstatt den Mitteldarm zu bilden, dient es zur Formation der Leber. Diese Erscheinung steht in direktem Verhältnis zu der bedeutenden Entwicklung des Stoma- und Proctodeums, welche zu- sammentreffen und für sich selber den ganzen Darmtraktus bilden, welcher in dieser Weise auch eine rein ektodermatische Natur besitzt; das Entoderm wird damit nicht angeschlossen, wie bei den Insekten: es wird nur zur Seite geschoben und bildet die Leber, welche also als wahrer, eigentlicher Magen anzusehen ist. Im Gebiete der Embryologie kommt es oft vor, dass die Verschie- denheiten der existierenden Meinungen nicht aus der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen oder der Ungenauigkeit der Beobachtungen ent- springen, sondern dem verschiedenen Standpunkte des Autors ihren Ursprung verdanken. Ich will damit sagen, dass eine mesodermale Entstehung des Mitteldarms auch nicht als ausgeschlossen anzusehen ist. Als Beispiel kann uns die Entwicklung von Pyrrhocoris dienen. Die Entstehung der Zellen vom Ektoderm, welche, als Polster, den Mitteldarm ausbilden, geschieht bei Pyrrhocoris viel früher, als bei Gryllotalpa und zu gleicher Zeit mit der allgemeinen Entstehung des Mesoderms; in dieser Weise kann er also als vorderer Abschnitt des Mesoderms angesehen werden; mit ihm befindet er sich im Zusammen- hange und wird erst nach dem Entstehen des Stomadeums von ihm abgetrennt; da er sich dem Stomadeum bald anschmiegt, bildet er die erwähnten Polster aus. Damit ist also der Standpunkt, nach welchem der Mitteldarm seinen Ursprung dem Mesoderm verdankt, nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern ganz den Thatsachen entsprechend. Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Zwölftes Stück.) Ueber die systematische Verwertbarkeit der einzelnen Schulter- und Flugmuskeln sei — da früher schon davon ausführlich gesprochen wurde — nur folgendes erwähnt. Vortrefflich eignet sich für taxono- mische Folgerungen der Cueullaris (mit ©. dorso-cutaneus, propatagialis, metapatagialis und omo-cutaneus), denn seine Dicke, seine wechselnden Dimensionen und namentlich die Sonderung in einen Kopf- und Hals- teil geben mannigfache Direktiven. Ein gleiches gilt auch für den Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 435 zur Spinalflur in Beziehung tretenden Cucullaris dorso-cutaneus und den Cueullaris propatagialis. Die markanteste Ausbildung unter allen Muskeln der vorderen Extremität aber weist die Gruppe der propa- tagialen Muskeln (der Cueullaris, Peetoralis, Biceps, Deltoides propa- tagiales und endlich der Propatagialis longus und brevis) auf; aus diesem Grunde sind diese Muskeln auch von mehreren Autoren für systematische Zwecke verwendet worden. Der Pectoralis propatagialis, über welchen Nitzsch, Thuet, Perrin, Haswell ete. einige für die Klassifikation der Vögel allerdings belanglose Notizen veröffentlicht haben, erlangt durch sein Auftreten als einfacher, doppelter oder drei- facher Muskel, durch seine wechselnde Lage und sein verschiedenes histologisches Verhalten eine ziemlich hohe systematische Wichtigkeit. Der Biceps propatagialis ist durch die gründlichen Untersuchungen Garrods als ein sehr konstantes Klassifikationsmerkmal erkannt worden. Wenn auch dieser Forscher den Wert des Muskels für Ein- teilung der Vögel überschätzt hat, so erblickt doch auch F. in ihm ein vortreffliches und bei zahlreichen Gruppen auch konstantes Familien- merkmal, obgleich er andererseits auch wieder zur Abgrenzung der- artiger Abteilungen, wie z. B. der Tubinares, Steganopodes, Pelargi, Psophiidae und Cariamidae, Galli ete., als nicht geeignet sich erweist. Auch der Deltoides propatagialis, der merkwürdigerweise überhaupt noch gar nicht für systematische Zwecke benutzt worden ist, bietet nach seinem Ursprunge, seiner Länge, Breite und Dicke, und vor allen Dingen je nachdem er als einheitlicher, doppelter oder partiell ge- trennter Muskel auftritt, wichtige Direktiven dar, mit Hilfe welcher man namentlich innerhalb gewisser Familien (wie z.B. der Tubinares, Galli, Psittaci, Accipitres, Cuculidae, Piei, Passeres) manche Aufklärung über die tiefere oder höhere Stellung der verschiedenen Gattungen er- halten kann. Wenn auch schon Nitzsch und im gewissen Grade auch Heusinger und Lauth auf den systematischen Wert des Pro- patagialis brevis und longus (Tendo propatagialis) für manche Familien, besonders für die Herodii und Gypaötos, Upupidae, Picidae und Pas- seres, aufmerksam gemacht, so hat doch erst Garrod durch die Unter- suchung seiner Struktur bei den Anomalogonatae den hervorragenden taxonomischen Wert desselben bewiesen. Perkin, Reinhardt, Has- well, Beddard, Weldon und nicht zuletzt Forbes lieferten dann weitere darauf bezügliche wichtige Beiträge; auch F. konnte im großen ganzen durch seine umfassenden Untersuchungen nur Garrods Befunde bestätigen und erachtet deshalb die allgemeine Verwertbarkeit dieses Propatagialis als über jeden Zweifel dastehend. Sein einheitliches Verhalten oder seine graduellen Verschiedenheiten kennzeichnen einerseits gut die Alcidae, Laridae und Limicolae, die Steganopodes, Palamedeidae, Pelargo-Herodii, die Anseres, die verschiedenen Alecto- rides und Fulicariae, die Orypturi, Galli, Opisthocomus, die Pteroclidae ge 436 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. und Columbae, die Makrochires, Pici, Pseudoscines und Passeres, andrer- seits sind seine hochgradigen Variierungen von großer Bedeutung bei den Tubinares, Pelargo-Herodii und Aceipitres; selbst die den Syste- matikern so viel Schwierigkeiten verursachende Gruppe der Strigidae und Coccygomorphae lässt sich bei allerdings auch nur vorsichtiger Verwendung dieses Propatagialis in verständlicher Weise gliedern. Unter den metapatagialen Muskeln (Cueullaris, Serratus, Peetoralis (thoracieus und abdominalis) und Latissimus metapatagialis), welche im allgemeinen den propatagialen an taxonomischer Bedeutung nach- stehen, erlangt nur der Serratus und Latissimus metapatagialis größere Wichtigkeit, die andern kommen nur ganz vereinzelt vor und wechseln wahrscheinlich sogar individuell in ihrem Auftreten. Die Struktur, Größe und Faserrichtung des ersteren (Serrat. metapatag.), sowie seine Lage im Verhältnis zu den anderen Serrati bilden Charaktere, die sich hauptsächlich bei manchen Coccygomorphae gut systematisch ver- wenden lassen. Dieser Muskel fehlt allen Ratiten mit Ausnahme des Apteryx, dasselbe ist aber auch bei den Impennes, bei einzelnen Fuli- cariae und den meisten Makrochires und Atrichia der Fall, und zwar in Folge sekundärer Rückbildung. Dagegen ist seine Existenz bei Apteryc um so höher anzuschlagen, weil dadurch dieser Vogel mit den Carinaten Aehnlichkeiten zeigt. Auch der Latissimus metapatagialis, der ebenfalls gewissen Carinaten, zum Teil abermals infolge sekun- därer Rückbildung, zum Teil auch, weil er überhaupt bei ihnen noch nicht zur Ausbildung kam, fehlt, findet sich unter allen Ratiten nur bei Apteryx. Von den übrigen zur Haut und den Pterylen in Beziehung treten- den Muskeln (Cueullaris dorso-cutaneus und omo-cutaneus, Latissimus dorso-cutaneus und omo-cutaneus, Pectoralis abdominalis) kommen die omo-eutanen Muskeln (mit Ausnahme des Apteryx, der unter den be- kannten Ratiten sie allein besitzt) zu keiner bedeutungsvollen Entwick- lung. Anders ist es mit der dorso-cutanen Gruppe. Die Existenz oder Nichtexistenz des Latissimus dorso-cutaneus, seine Ursprungsver- hältnisse und Lagebeziehungen zur Beinmuskulatur sind insbesondere für die Abgrenzung der Alcidae, Laridae und Limicolae, der Galli und namentlich der Coceygomorphae, Makrochires, Pici, Pseudoscines und Passeres sehr ausschlaggebend. Auch der Pectoralis abdominalis be- sitzt eine ähnliche Bedeutung. Er ist zwar seit alters her bekannt und bei verschiedenen Vögeln auch näher beschrieben, aber im aus- gedehnten Maße systematisch noch nicht verwendet worden. Während er den jetzt lebenden Ratiten fehlt (nur bei Apteryx ist ein ihm ver- gleichbares Gebilde vorhanden), ist bei den Carinaten in der Ausbil- dung seiner vorderen und hinteren Partie, in dem gegenseitigen Ver- halten derselben in der Verteilung des Muskels- und Sehnengewebes, in dem Verhalten des proximalen Teiles bezüglich der Insertion ete. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 437 ein großer Wechsel zu konstatieren, welcher zur Charakterisierung verschiedener Familien wohl verwendbar ist. Die Mm. thoraciei superiores (Rhomboides superfieialis und profundus, Serratus superfieialis anterior und posterior und Serratus profundus) haben bisher bei den Ornitho- tomen nur geringes Interesse erweckt und sind systematisch noch gar nicht verwertet worden. Ihre taxonomische Wichtigkeit ist im ganzen aber auch geringer als die der vor ihnen besprochenen Muskeln. Eben- falls nur mäßiges systematisches Interesse beansprucht namentlich der Rhomboides superficialis. Höher steht aber in dieser Hinsicht der Rhomboides profundus: seine Breite, Ursprungsstelle, sowie die Lagen- beziehungen zum Rhomb. superfieialis geben recht gute systematische Merkmale ab. Von den beiden Serrati superficialis anterior und posterior dagegen weist nur der letztere einige für die Systematik taugliche Eigenschaften auf. Von größerem Interesse hingegen ist wieder der Serratus profundus der Ratiten. Casuarius und vor allem Struthio sind nämlich durch eine sehr reiche Differenzierung desselben ausgezeichnet und repräsentieren dadurch sehr primitive reptilienähnliche Verhält- nisse; bei Rhea und Apteryc aber ist das Verhalten des in Rede stehenden Muskels ein viel einfacheres und leitet er dadurch zu den Carinaten über, bei denen er im großen und ganzen bei ziemlich ein- förmiger Ausbildung vorkommt, aber trotzdem bei manchen Gruppen (wie beispielsweise bei den Pelargo-Herodii, den Fulicariae, Coceygo- morphae) mancherlei charakteristische Eigenschaften erkennen lässt. Der Sterno-coracoideus zeigt in der Regel eine sehr einfache Entfal- tung, infolgedessen er nur wenig für die Systematik benutzbar ist, jedoch aber auch bei manchen Gruppen eine recht charakteristische Beschaffenheit annimmt und dann recht gut, wie z. B. bei den Merso- phagidae, Coliidae, Makrochires ete., zur Feststellung dieser oder jener Verwandtschaft dienen kann. Auch seine Variierungen innerhalb mancher Familien (z. B. der Accipitres) gewähren in vielen Fällen Aufschluss über die Stellung der verschiedenen Glieder derselben, und endlich kann auch das gar nicht selten vorhandene Missverhältnis zwischen seiner Größe und der des Proc. sterno-coracoideus sterni zur Klar- legung früherer phylogenetischer Zustände benutzt werden. Auch die Untersuchung der Mm. brachiales inferiores (des Peetoralis thoracicus, Supracoracoideus, Coraco-brachialis anterior und posterior, Biceps brachii und Brachialis inferior) hat F. eine reiche Ausbeute geliefert. Einzelne dieser Muskeln sind überdies früher schon eingehend studiert und zur Klassifikation der Vögel verwertet worden. So machte Rolle- ston, Rüdinger und Selenka zuerst auf die Sonderung der Pec- toralis thoracieus in 2 Schichten bei gewissen Vögeln aufmerksam, während Garrod, Forbes, Weldon und Beddard auf diese Ver- hältnisse bei den Tubinares, Steganopodes, Pelargi und Herodii näher eingingen und systematisch verwerteten. Von schwerwiegender Bedeu- 438 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. tung ist aber in erster Linie das wechselnde und komplizierte Ver- halten des in Rede stehenden Muskels am Ursprunge, ferner seine Be- ziehungen zu den benachbarten Muskeln, die Größe seiner Teile u. a. m. Der Supracoracoideus, ebenfalls vereinzelt schon von verschiedenen Forschern studiert, aber eingehend taxonomisch noch nicht verwertet, stellt gleichfalls ein ungemein charakteristisches Gebilde dar und ge- währt durch Entwicklung seiner verschiedenen Ursprünge, das Ver- halten seiner Endsehne zur Kapsel, zu dem Lig. scapulo-humerale laterale und zu ihrer Insertionsstelle, durch seine Beziehungen zu den Nachbarn und durch seine Größe und Ausdehnung zahlreiche wichtige Anhaltepunkte. Der Coraco-brachialis anterior s. externus besitzt im allgemeinen nur geringen taxonomischen Wert, jedoch eignet er sich vortrefflich zur Aufklärung der Beziehungen der Ratiten unter ein- ander und der Urgeschichte der Vögel. Auch der systematische Wert des Coraco-brachialis posterior s. internus ist kein weitragender; nur manche Gruppen, wie die Paridae, Cariamidae, Opisthocomidae, Pici, Coliidae und Makrochires heben sich infolge der besonderen Weise seines Ursprungs und seines Verhaltens zu dem Sterno-coracoideus ziemlich scharf ab. Der Biceps brachii ist insbesondere von Nitzsch, Sundevall, Haswell und Forbes auf seinen systematischen Wert geprüft worden. Bei umfassender Berücksichtigung der wechselnden Ausbildung seines Ursprungs, des verschiedenen Verhaltens der Ur- sprungsfläche und der Endsehnen, der Sonderung des Muskelbauches und der Größe ergeben sich in der That auch sicher wichtige Charak- tere, die allerdings in vielen Fällen weniger zur Auseinanderhaltung als zur Verknüpfung der Familien brauchbar sind. Auch die Gruppe der Mm. brachiales superiores, Latissimus dorsi anterior und posterior, Deltoides major und minor, Scapulo-humeralis anterior und posterior, Subcoracoscapularis, Anconaeus scapularis coracoideus und humeralis weist eine Reihe Merkmale von großer systematischer Bedeutung auf. Latissimus dorsi anterior und posterior geben bei gehöriger Berück- sichtigung der Ursprungs- und Insertionsweise, der Beziehungen zu einander und zu den benachbarten Muskeln der verschiedenen Größe ete. eine Reihe wichtiger Charaktere; so zeichnet sich z. B. einerseits unter den Baumvögeln namentlich Todus, Upupa, Alcedo, ferner die Makro- chires, Pici, Pseudoscines und viele Passeres durch einen schmalen (oder ganz rudimentären) L. anterior aus, andrerseits fehlt der L. posterior Otis, Pterocles und mehreren Columbae, Indicator, den Picidae und ebenfalls vielen Passeres gänzlich. Unter allen oben namhaft ge- machten Mitgliedern dieser Gruppen beansprucht aber in erster Linie der Deltoides major die größte Beachtung, seine Beziehungen zu den Nachbarmuskeln, sein wechselnder Ursprung von der Scapula, Clavieula und Schulterkapsel, seine Insertion und der mannigfache Wechsel der Größe kommen dabei hauptsächlich in Betracht. Auch der Deltoides Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 439 minor bietet in seinem verschiedenartigen Ursprunge, in seiner wech- selnden Länge, in seinem Verhalten zum Supracoracoideus und Del- toides major und in seiner bei gewissen Gruppen stattfindenden Son- derung in eine Pars ventralis und Pars dorsalis manches brauchbare systematische Merkmal dar. Von den beiden Scapulo-humerales zeigt der Scap. humeralis posterior ein nur wenig charakteristisches Gepräge, der anterior hingegen, zu den vorwiegend retrograden Muskeln der Vögel gehörend, gewährt infolge der verschiedenartigsten Ausbildung wiederum ein gutes Differentialmoment. Wie der Deltoides major ge- hört auch der Subcoracoscapularis, welcher sehr versteckt liegt und aus diesem Grunde bisher sehr vernachlässigt worden ist, zu den in systematischer Hinsicht wichtigsten Schultermuskeln, namentlich bildet das wechselnde ‚Größenverhältnis der coracoidalen und scapularen Abteilung, die Entwicklung des Subscapularis externus, die Sonderung des Subcoracoideus, die mannigfachen Beziehungen der Ursprungs bedeutsame Momente, von denen das erstere das wichtigste zu sein scheint. Eine fast gleiche Würdigung beansprucht auch der Anconaeus mit seinen 3 Köpfen: A. scapularis, A. coracoideus und A. humeralis (zu denen bei den Impennes sich noch ein besonders ausgebildetes Caput celavieulare gesellt).. Bei dem ersten Kopfe ist hauptsächlich der nach Ausdehnung und histologischer Struktur ungemein wechselnde Ursprung, das Verhalten seiner verschiedenen Ankerungen und die Einlagerungen in seine Endsehne (Patella ulnaris) von Bedeutung, und werden dadurch insbesondere die /mpennes, Podicipidae, Anseres, Tubi- nares, Galli ete. gut charakterisiert, aber auch innerhalb anderer Ab- teilungen (z. B. bei den Steganopodes, Limicolae, Accipitres, Coceygo- morphae etc.) die gegenseitigen Verhältnisse klargelegt. Die taxono- mische Wichtigkeit des Anconaeus coracoideus — einer uralten, von den reptilienartigen Vorfahren der Vögel übernommenen Bildung — haben zumeist Garrod, Forbes schon in eingehender Weise hervor- gehoben. Die sehr wechselnde Konfiguration der Lig. sterno-scapulare internum, die Beziehungen der Sehne zu den benachbarten Mm. scapulo- humeralis posterior, coraco-brachialis posterior ete., die mannigfachen kückbildungszustände des Sehnenanfanges, die wechselnde Existenz des quergestreiften Muskelbauches gewähren zahlreiche systematische Direktiven und eignen sich, vorsichtig benutzt, recht wohl zur Be- urteilung der mehr oder weniger primitiven Stellung dieses oder jenes Vogels. Am Ancon. humeralis scheint F. die Entwicklung des Caput breve nicht von systematischer Wichtigkeit zu sein, wohl aber die sehr wechselnden Beziehungen des hinteren und medialen Kopfes zu ein- ander, die mannigfaltige Größe beider und endlich auch das spezielle Verhalten des medialen Kopfes. Die Verwendung der Muskeln an Vorderarn und Hand für systematische Zwecke hat bis jetzt wenig befriedigende Ergebnisse geliefert. Die Hauptursache dieser Erschei- 440 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. nung ist aber in dem Umstande zu suchen, dass diese Muskelgruppen bis heute nicht in eingehender und umfassender Weise untersucht worden sind. F. hat im Laufe seiner Studien an diesen Muskeln manches gut für seine Zwecke verwertbare Merkmal gefunden und ist der Ansicht, dass, falls andere Forscher sich damit weiter be- schäftigen, noch weit mehr zu erwarten ist. In erster Linie scheinen ihm die Mm. brachio-radiales volares, brachio- ulnaris volaris, brachio-ulnaris dorsalis, Flexor carpi ulnaris, Ulno- metacarpales dorsales, Flexor brevis digiti III, Extensor metacarpi radialis und E. pollieis long., die beiden Flexores digitorum longi, das Caput accessorium des Indikator und endlich die mannigfaltige An- ordnung der elastischen Züge und glatten Muskeln, die zu den Remiges in direktere Beziehung treten, recht brauchbare systematische Merkmale zu geben. Aus dem Umstande, dass schon seit alters die Fußbildung der Vögel für die Systematik derselben verwendet worden ist, erklärt sich auch hauptsächlich die gründliche Untersuchung und taxonomische Benützung der Muskulatur der hinteren Extremität. Meckel, Nitzsch und Sundevall verdanken wir diesbezügliche wertvolle Resultate, namentlich der letztere hob ganz besonders die systematische Bedeu- tung des Ambiens, Pyriformis, Semitendinosus und der Sehnen der langen Zehenbeuge hervor. Garrod (und mit ihm unter anderem Forbes, Weldon und Beddard) berücksichtigte in hervorragender Weise taxonomisch diese Gebilde, wendete seine Aufmerksamkeit auch noch einigen neuen Muskeln, dem Obturator externus, Tensor fasciae eruris, Biceps cruris und Semimembranosus, zu und gründete dann sein ornithologisches System hauptsächlich auf diese Muskeln. Sehr gründ- liche Untersuchungen der Muskulatur des Beines und Fußes verdanken wir Garrod, er berücksichtigte dabei nicht nur einen Teil der Eigen- schaften der einzelnen Muskeln, sondern gab eine gründliche Beschrei- bung aller, förderte dadurch die myologischen Kenntnisse der hinteren Extremität in ganz hervorragender Weise und zeigte gleichzeitig, dass eine reiche systematische Ausbeute zu erwarten ist, wenn die Unter- suchungen sich auf größere Tierreihen erstrecken. Das ornithologische System Garrods stützt sich in der Hauptsache auf den Ambiens |je nach der Existenz oder Nichtexistenz desselben stellt G. die beiden Unterklassen der Vögel: Homalogonatae und Anomalgonatae auf; je- doch ist dieser Einteilungsgrund, wie auch G. schon selbst eingesehen, kein durchgreifender, und der Muskel, der auch nach F.s Ansicht, bei maßvollen Ansprüchen zweifellos ein treffliches Merkmal abgiebt, kaum infolge sehr großer Variabilität innerhalb mancher Familien und selbst Gattungen und Arten nieht zur Trennung der Vögel in 2 Hauptabtei- lungen (Subklassen) benutzt werden], Pyriformis (Caud-ilio-femoralis Gadow) mit seinem Caput eaudale und ©. iliacum, den Semitendinosus Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 441 mit der Pars suralis und der P. femoralis (sie verwendet G. haupt- sächlich zur weiteren Einteilung der beiden Unterklassen in Ordnungen und Familien); auch die ovale oder dreieckige Gestalt der Ursprungs- fläche des Obturatur externus, sowie die Größe und Existenz des post- acetabularen Teiles des Tensor fasciae sind berücksichtigt worden. Der Verteilung des Ursprungs der gemeinsamen Muskelmasse der Zehenbeuger innen und außen von Condylus externus femoris wendete hauptsächlich Alex seine Aufmerksamkeit zu. Diejenigen Vögel, bei welchen der äußere Ursprung überwiegt (z. B. die Rapaces) nennt er Ektomyens, diejenigen aber, wo der innere Ursprung bedeutender wird (wie dies der Fall bei den meisten Grallatores und Natatores) bezeichnet er als Entomyens, denen endlich, bei welchen beide Ursprungsstellen in Bezug auf ihre Ausbildung ungefähr gleich gut entwickelt sind, legt er die Bezeichnung Homoeomyens bei. F. möchte jedoch dieser Klassifikation so lange keine tiefgreifende Bedeutung zuerteilt wissen, als nicht durch umfassende Untersuchungen der genealogische Wert dieser Verhältnisse klargelegt ist. Auch das gegenseitige Verhalten der tiefen plantaren Sehnen des Flexor hallueis longus und Fl. digi- torum, auf welche Sundevall zuerst aufmerksam machte, hat durch Garrod eine ausgedehnte Berücksichtigung gefunden. Da es sich in diesem Falle um ein Kennzeichen handelt, das zu der wechselnden Stellung der Zehen im innigsten Konnex steht, so hält auch F. seine Verwendung für die Systematik als eine glückliche. Trotz umfangreicher, zum Teil recht genauer anatomischer Unter- suchungen des Gehirns und Rückenmarks, ist doch eine Benutzung des Nervensystems für systematische Zwecke bis jetzt nur in ganz untergeordneter Weise möglich gewesen und wird es auch bleiben, weil rationelle, auf reiches Material basierende und mit speziellen taxonomischen Endzielen ausgeführte Arbeiten darüber bis heute fehlen und infolge der schwierigen Beschaffung gut erhaltener Untersuchungs- objekte auch noch lange nicht vorhanden sein werden. Weil das Ge- hirn als Gradmesser der Intelligenz von Bedeutung ist, so wird bei seiner Verwendung für systematische Zwecke auch darauf Rücksicht zu nehmen sein, d.h. die mit dem relativ größten Gehirn ausgestatteten Vögel müssten die Spitze des Systems einnehmen. Zahlreiche derartige Untersuchungen sind schon seit lange angestellt worden, namentlich hat sich Tiedemann, Leuret, Bumm und Serres damit eingehend beschäftigt, bis jetzt ergab sich aber im wesentlichen nur aus der- artigen Forschungen, dass eine hohe Stellung der Passeres und Picidae in einem darauf basierenden Systeme kaum zu bezweifeln, dass aber weitere diesbezügliche Untersuchungen noch durchaus erforderlich sind. Weil noch keine Arbeit über das peripherische Nervensystem existierte, welche F. für seine Zwecke gebrauchen konnte, sah er sich veranlasst, den Plexus brachialis bei einer großen Anzahl der Vögel Pa 4492 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. selbst eingehend zu studieren und die systematische Bedeutung des- selben zu prüfen. (Die Kenntnis des sympathischen Nervensystems und der Nebenniere scheint F. im taxonomischen Sinne noch so wenig ge- fördert zu sein, dass er dieselbe unberücksichtigt ließ). Das Ergebnis dieser Studien war im ganzen ein nur geringes; von einigem Wert für die Systematik haben sich nur ergeben die Verbindungen des N. supracoracoideus mit dem N. subcoracoscapularis (bei Bulabeornis, den Strigidae, Podargus, Eurystomus ete.) und mit dem N. sterno- coracoideus, der Durchtritt des N. radialis durch den M. deltoideus major (wodurch sich u. a. Chunga von den übrigen Alectorides, Opistho- comus von den echten Gallidae, die Columbidae von den Pterocles, die Capitonidae und khamphastidae von Indicator und den Picidae unter- scheiden); endlich beansprucht auch Berücksichtigung der Durchtritt des N. supracoracoideus durch den Brustgürtel und den M. subcora- coideus. Nur mit großer Vorsicht ist hingegen für systematische Zwecke zu benutzen das mehr offene oder geschlossene Verhalten des in Rede stehenden Plexus, das frühere oder spätere Abgehen der einzelnen Aeste, die Art dieser Abzweigung, die Ausbildung der R. communicans n. axillaris cum n. radialis ete. Von den Sinnesorganen kann, da bis jetzt darüber Untersuchungen nit Berücksichtigung der Systematik nur in unvollkommener Weise angestellt worden sind, höchstens das Gesichts-, Gehör- und Geruchs- Organ einigen taxonomischen Wert beanspruchen. Obwohl das Auge von zahlreichen Forschern studiert worden ist, so scheinen doch die bisherigen Befunde im großen und ganzen für eine breitere systema- tische Verwertung dieses Organs noch nicht auszureichen. Zwar ist seiner Lage und Größe eine gewisse systematische Bedeutung nicht abzusprechen; beide können jedoch keinen ausschlaggebenden Auf- schluss über verwandtschaftliche Beziehungen geben. Auch die Form des Bulbus, insbesondere die Größenverhältnisse der Axe, ferner die Wölbung und Größe der Cornea, die Gestalt und der Brechungsindex der Linse, der Corpus vitrium scheinen mehr nach der Lebensweise als nach der Verwandtschaft sich entwickelt zu haben. Deutlicher hin- gegen tritt die taxonomische Bedeutung des (auch bei einigen Reptilien in geringerer Ausbildung sich vorfindenden) Peeten hervor und zwar namentlich betreffs der Länge und Breite desselben (durch welche sich z.B. Anseres und Pelargi zusammenfinden), seiner Beziehungen zur Linsen- kapsel und der Zahl und Anordnung der (2—30) Fächerfalten (hin- sichtlich welcher sich große Differenzen zwischen Casuarius und Struthio, Colymbidae und Alcidae, Accipitres und Strigidae, dagegen mannigfache Uebereinstimmungen bei den Alcidae, Laridae und Limicolae, bei den Colymbidae, Podicipidae und Anseres ete. finden). Auch im Ge- biete der Chorioidea und des vorderen Uvealtractus zeigen sich mancherlei Verschiedenheiten, welehe aber erst einer gründlichen Be- Hertwig, Zelle und die Gewebe. 445 arbeitung bedürfen, ehe sie ausgedehntere systematische Verwertung erfahren können. Von der Muskulatur des Bulbus endlich dürften die den Vögeln und Reptilien gemeinsamen Mm. quadratus und pyramidalis, vorausgesetzt, dass sie noch genauer untersucht werden, einige syste- matische Direktiven darbieten. Dr. F. Helm. (Fortsetzung folgt.) Oscar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. Grundzüge der allgemeinen Anatomie und Physiologie. Jena. Gustav Fischer, Gr. 8. 168 Abbildungen. 296 Seiten. Verf. verfolgt die Absicht, die Lücke, die von den gebräuchlichen Lehrbüchern der Histologie sowohl wie der Physiologie gelassen wird, indem jene sich nur vom anatomischen Standpunkt aus mit den fertigeu Geweben beschäftigen, diese aber alle die nur mikroskopisch zu be- obachtenden Vorgänge recht kurz behandeln, auszufüllen, indem er alles anatomische, physiologische und entwicklungsgeschichtliche Wissen über die Elementarorganismen zusammenfasst. Dabei will er zugleich seine rühmlich bekannte Entwicklungsgeschichte ergänzen, indem er einerseits die Vorgänge bei der Befruchtung, als einer Erscheinung des Zelllebens und andrerseits die Histogenese näher beleuchtet, wäh- rend in jenem Lehrbuch nur die morphologische Seite der Entwick- lungsgeschichte zu ihrem Rechte kam. Von diesem Plan liegt aber erst die Hälfte ausgeführt vor, nämlich die Physiologie und Anatomie der Zelle, während der zweite Teil jetzt wohl schon in kurzer Zeit erwartet werden darf. Das Buch ist dadurch sehr anregend, dass der Verf. überall auf die letzten Probleme eingeht und, während er jedesmal seine eigene Anschauung begründet, auch die abweichenden ausführlich darlegt. Jedem der sich über eine Frage genauer orientieren will, werden die reichen Litteraturübersichten willkommen sein, die am Schlusse jedes der 9 Kapitel zusammengestellt sind. Das erste derselben ist einer geschichtlichen Einleitung über Zellen- und Protoplasmatheorie gewid- met, im zweiten sind alle chemisch-physikalischen und morphologischen Daten über die Zelle und die Zellteile zusammengestellt. Die drei nächsten behandeln Bewegungs- und Reizerscheinungen und Stoffwechsel der Zelle. In zwei reichen Kapiteln werden sodann Zellteilung und Befruchtung mit allen hierhergehörigen Vorgängen und Hypothesen dargestellt. Ein eigenes kleines Kapitel bespricht die Wechselwirkungen zwischen Kern und Protoplasma und endlich werden noch unter dem Titel „die Zelle als Anlage eines Organismus“ die Vererbungstheorien 444 Das Tierreich. erörtert. Alle Kapitel aber sind durch ihre Darstellung ebenso leicht verständlich für den Anfänger wie durch ihre Reichhaltigkeit an- regend. W. Programm für das Werk: „Das Tierreich“. Eine Zusammen- stellung und Kennzeichnung der rezenten Tierformen. Herausgegeben von der deutschen zoolog. Gesellschaft. Generalredakteur: Franz Eilhard Schulze. Verlag von Gustav Fischer in Jena. $ 1. Sämtliche lebenden und die in historischer Zeit ausgestorbenen Tier- formen, welche bisher erkennbar beschrieben sind, sollen, mit möglichst scharfer und kurzer Diagnose versehen, in systematischer Ordnung aufgeführt werden. Da das Werk nur den jetzigen Zustand unserer Kenntnisse darstellen soll, so sind darin keine Reformen durchzuführen oder neue Forschungsergebnisse mitzuteilen, welche zu ihrer Begründung ausführlicher Erläuterung bedürfen. $ 2. Die aufgestellten systematischen Gruppen sind genau und kurz zu charakterisieren, wobei besonderer Wert auf die Angabe der unterscheidenden Charaktere zu legen ist, welche daher überall in den Vordergrund gestellt und durch den Druck ausgezeichnet werden sollen. Doch können auch andere, besonders auffallende Charaktere (zweiter Ordnung) berücksichtigt werden, insofern sie für die Erkennung der betreffenden Formen wirklich wesentliche Dienste leisten. $ 3. Außer den Hauptformen sind auch die Larven, differente Formen und Generationen in möglichster Kürze und mit Verweisung auf die betreffende Litteratur zu berücksichtigen. $ 4. Von ungenügend beschriebenen, zweifelhaften Arten ist im allgemeinen nur der Name, die wichtigste Litteratur und das Vorkommen anzuführen. Nomina nuda, d.h. Namen, die von keiner Diagnose oder anderer ausreichender Kennzeichnung durch den Druck begleitet erscheinen, sind überhaupt nicht aufzuführen. Kurze Charakteristiken zweifelhafter Arten sind nur dann aus- nahmsweise (und in kleinerem Druck) zu geben, wenn der Bearbeiter die Ueber- zeugung hat, dass sie sich bei genauer Untersuchung als gute bewähren dürften. $ 5. Hinter jeder Art folgen deren Unterarten, Varietäten etc. mit An- gabe der Litteratur, Diagnose etc. wie bei der Art. $ 6. Unterarten und Varietäten sind mindestens durch Anführung des Namens und der betreffenden Litteraturstelle zu berücksichtigen. Beschreibungen derselben sind (in aller Kürze) nur dann hinzuzufügen, wenn ihr regelmäßiges Vorkommen hinreichend sicher und ihre Charakteristik eine genügend prä- eise ist. $ 7. Hinter jeder Diagnose höherer Gruppen (Gattungen bis Klassen) ist eine Uebersicht der nächst unteren Gruppen, womöglich in Schlüsselform, zu geben, wenn es deren mehr als eine gibt. $ 8. Die bei der Beschreibung der Arten und zur Charakteristik der höheren Gruppen verwandte Terminologie der Organe ist kurz zu er- klären, soweit es thunlich, durch möglichst einfache Abbildungen im Texte zu veranschaulichen. Ferner sind anzuführen: 4) die wichtigsten Synonyme; 2) die leitende Litteratur, mindestens die erste und beste Beschreibung; 3) die besten Abbildungen und 4) die geogra- phische Verbreitung. Das Tierreich. 445 8 9. Für die Behandlung der Artcharakteristik wird folgendes Schema empfohlen: I. giltiger Name nebst Autor; II. leitende Litteratur, einschließlich der Synonyme und der Angaben über Abbildungen; III. Beschreibung mit Angabe der Maße; IV. Unterschiede von g' und 2, verschiedene Generationen, Kenn- zeichen der Larven etc., insofern eine besondere Darstellung erforderlich und nicht schon in der Gruppencharakteristik gegeben ist; V. ausnahmsweise können auch biologische Verhältnisse, wie Gallen, Nester etc. berücksichtigt werden, sobald dieselben für die Charakteristik der Arten oder höheren Gruppen wesent- lich sind. 8 10. Falls sich brauchbare Bestimmungsschlüssel herstellen lassen, sind solche den einzelnen Abteilungen anzufügen. Wenn es sich als unmöglich er- weisen sollte, Bestimmungsschlüssel für den Gesamtumfang einer Gattung durch- zuführen, so sind solche immerhin für die Arten eines geographischen Bezirkes zulässig und wünschenswert. $ 11. Für die Benennung der Tierformen und der höheren systematischen Gruppen sollen die von der deutschen zoologischen Gesellschaft angenommenen und empfohlenen Regeln, für Farbenbezeichnungen Saccardo’s Chromotaxia 1891 und für Abkürzungen der Autornamen die Berliner Autorenliste maßgebend sein. $12. Alle Temperaturangaben sind nach der hundertteiligen Skala (Celsius), alle Maß- und Gewichtsangaben nach dem metrischen Systeme (Meter, Gramm) zu machen. 8 13. Die Bearbeitung soll in deutscher Sprache, nur ausnahmsweise n englischer, französischer oder lateinischer Sprache erfolgen, und es sind auch die Diagnosen nur in der von dem betreffenden Autor gewählten, nicht aber in der eventuell abweichenden Sprache der Originalbeschreibung zu geben. $ 14. Zu Anfang eines jeden, in sich abgeschlossenen Teiles ist ein systematisches, am Schlusse ein alphabetisches Register aller darin vorkom- menden systematischen Namen zu geben. $ 15. Das Werk soll in Großoktav, sog. Lexikonformat (wie Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreiches), auf holzfreiem, schreibfähigem Papiere, mit lateinischen Lettern, deutlich und gut lesbar, mit nicht zu schmalem Rande gedruckt werden. $ 16. Die deutsche zoologische Gesellschaft wählt einen Generalredakteur, welcher die Leitung und Kontrole des Werkes sowie die Verhandlungen mit dem Verleger übernimmt und in jeder Jahresversammlung Bericht über den Stand der Arbeiten erstattet. $ 17. Die Gesellschatt wählt ferner einen siebengliedrigen Ausschuss, dessen Entscheidung oder Rat der Generalredakteur in schwierigen oder zweifelhaften Fragen jederzeit einholen kann. Dieser Ausschuss sorgt auch für die Fort- führung der Geschäfte, falls der Generalredakteur vorübergehend oder dauernd daran verhindert ist. $ 18. Auf Vorschlag des Geueralredakteurs wählt der Ausschuss Redak- teure für die Hauptabteilungen des Tierreiches, welche die Verantwortung für die richtige und rechtzeitige Herstellung der Bearbeitungen aller einzelnen Gruppen ihrer Abteilung durch die Bearbeiter übernehmen, also eine stete Ueberwachung und Kontrole auszuführen und über sachliche Fragen einerseits mit dem Generalredakteure, andrerseits mit den einzelnen Bearbeitern zu ver- handeln haben, 446 Drei Preisaufgaben des deutschen Fischereivereins. $ 19. Der Generalredakteur bestellt nach Verständigung mit dem be- treffenden Abteilungsredakteure und dem Ausschusse die einzelnen Bearbeiter. $ 20. Die Zahl der Bearbeiter ist nicht beschränkt und nur durch sach- liche Gründe bedingt. Mit jedem einzelnen Bearbeiter ist ein Kontrakt durch den Generalredakteur abzuschließen, in welchem ein Termin für die Ablieferung des Manuskriptes festgesetzt und die Bestimmung enthalten sein muss, dass die Gesellschaft das Recht hat, die betreffende Bearbeitung einem andern Bearbeiter zuzuweisen, falls der zuerst engagierte sein Manuskript nicht recht- zeitig abliefert oder andere vereinbarte Bedingungen nicht erfüllt. Drei Preisaufgaben des Deutschen Fischerei- Vereins. Die steigende Verunreinigung der Wasserläufe durch menschliche und industrielle Auswurfstoffe erkeischt im Interesse der heimischen Fischerei dringend Abhiüfe. Der Beweis einer durch die Abwässer erfolgten Schädiyung bietet mancherlei Schwierigkeiten. Die chemische Aualyse vermag einen genügenden Nachweis der fischerei- schädlichen Bestandteile der Abwässer zwar zu liefern, doch sind namentlich die gasanalytischen Methoden nicht einfach und handlich genug, um rasch mit genügender Sicherheit die im Fischwasser gelösten Gase (00,.0.N.) deren rela- tives Verhältnis von den fäulnisfähigen Abwasserbestandteilen organischer Her- kunft sehr einschneidend beeinflusst wird, quantitativ zu bestimmen. Die Lebens- möglichkeit der Fische und ihrer Nährfauna hängt aber aufs innigste zusammen mit den im Wasser gelösten Sauerstoff- und Kohlensäuremengen. Ermittelungen über das absolute wie relative Sauerstofbedürfnis der Wasserfauna liegen nicht in genügender Zahl vor, ebensowenig ist die Frage, welche Mengen freier Kohlen- säure unsere Wassertiere dauernd zu ertragen vermögen, ausreichend studiert worden. Die chemische Bestimmung beider Gase in normalem wie verunreinigtem Fischwasser wurde bisher zur Ermittelung eines etwaigen Sauerstoffmangels, bezw. schädlichen Kohlensäureüberflusses nur in den seltensten Fällen ausge- führt; in erster Linie wohl wegen der Schwierigkeit und Umständlichkeit der verfügbaren Methoden. — An den Körpern der in Folge von Wasserverunreinigung zu Grunde ge- gangenen Fische lässt sich nur in verschwindend wenigen Fällen die Todes- ursache ermitteln. Die chemische Untersuchung des Wassers bleibt vielfach resultatlos, weil das Wasser, an dessen giftigen Bestandteilen die Fische sterben, sich sehr häufig der Probenahme zur Ermittelung seiner Bestandteile entzieht. Wenn „tote Fische“ die Thatsache eingetretener Vergiftung darthun, ist das giftige Wasser meist bereits kilometerweit abwärts gefluthet. Es bleibt zur Er- mittelung der Schuldfrage, bezw. zur Feststellung der Todesursache nur der Kadaver des Tieres zurück und daran lässt sich nach dem heutigen Stande unserer pathologisch-anatomischen Kenntnisse, sofern ein günstiger Zufall nicht Reste giftiger Metalle in den Kiemen oder etwa im Verdauungsapparat der Fische chemisch nachweisbar zurückhielt, Sicheres nicht erkennen. Zuckerfabriken, Stärkefabriken und ähnliche Betriebe senden Abwässer in die Wasserläufe, deren chemische Natur den Wasserpilzen — weifse Faden- algen — günstigste Ernährungsbedingungen bieten, wie das massenhafte Wachs- tum dieser niederen Pflanzen in derartig verunreinigten Gewässern beweist. Das Vorkommen dieser Pflanzen, unter denen Leptomitus lacteus eine besonders Drei Preisaufgaben des deutschen Fischereivereins. 44T hervorragende Stelle einnimmt, ist wohl aufzufassen als wirksam im Sinne einer Reinigung der betreffenden Abwässer unter Aufspeicherung der fäulnisfähigen Verunreinigung innerhalb ihrer Leiber. Die abgestorbenen Wasserpilze, welche unter gewissen Bedingungen sich aus den Flussbetten loslösen und mit dem Wasser in Gestalt von Flocken bis zur Ausdehnung grofser zusammengeballter Fladen stromabfluten, sind äu/serst leicht zersetzbar und in solchen Fällen vergiften die faulenden, sedimentierten oder schwimmenden Reste dieser Vege- tationen die Fischgewässer. Die Lebensbedingungen dieser Pflanzen sind nicht ausreichend erforscht; ihre Lebensfähigkeit und die ihr Absterben bedingenden Momente, wie nicht minder die Zersetzungsvorgänge der losgelösten abgestorbenen Pilzrasen erscheinen einer Bearbeitung dringend bedürftig im Interesse einer eventuellen Inanspruchnahme der guten Dienste, welche sie bei der Selbstreinigung der Schmutzwässer zu leisten vermögen unter Ausschaltung der Uebelstände, welche die Fäulnisvorgänge der toten Reste im Gefolge haben. — In Erwägung vorstehend geschilderter Umstände hat der deutsche Fischerei- Verein nach Anhörung seiner wissenschaftlichen Kommission und nach Zustim- mung seines Ausschusses die nachfolgenden drei Preisaufgaben gestellt und für deren Lösung die unten erwähnten Preise ausgesetzt. Gewünscht werden: J. Einfache, sichere und für alle Fälle anwendbare Methoden zur Bestimmung der Wassergase: Sauerstoff, Kohlensäure und Stickstoff oder wenigstens der beiden ersten. Es wäre besonders erstrebenswert, dass Apparat und Methode Anwendung und Ausführung auch aufserha!b eines chemischen Laboratoriums finden könnte, d. h. ohne die Hilfsmittel, welche der Chemiker in seinem Laboratorium zur Hand zu haben gewohnt ist. Einlieferungstag 1. Juni 1895. Preis 800 Mark. Preisrichter: Prof. Dr. M. Fleischer (Berlin) ; Prof. Dr. J. König (Münster i. Westf.) ; Prof. Dr. F. Tiemann (Berlin) ; Prof. Dr. ©. Weigelt (Berlin). Il. Untersuchungen über den pathologisch-anatomischen Nach- weis der Wirkung folgender in Abwässern vorkommender Stoffgruppen auf die Fische: 1) freier Säuren; 2) freier Basen, insbesondere Kalk, Ammoniak und Natron (auch die löslichen Karbonate von Kali und Natron wären zu berück- sichtigen) ; 3) der freien Bleichgase (Chlor und sehweflige Säure) ; 4) Ferner wird die Feststellung der pathologischen Merk- male bei dem Erstickungstode der Fische erbeten. Bearbeitungen von Teilfragen, selbst mit negativem Resultat, im Sinne der Preisfrage sind von der Preiserteilung nicht ausgeschlossen. — Als Versuchstiere werden zweckmäfsig Vertreter aus der Gruppe der Salmo- niden und CUypriniden empfohlen. Einlieferungstag 1. November 1896. Preis 1000 Mark. Preisrichter: Geh. Mediz.-Rat Prof. Dr.L. Hermann (Königsbergi. Pr.); Prof. Dr. H. Nitsche (Tharandt); Geh. Mediz.-Rat Prof. Dr. R. Virchow (Berlin) ; Prof. Dr. €. Weigelt (Berlin). 448 66. Versammlung deutscher Naturforforscher und Aerzte. lIl. Es sollen die Entwicklungsgeschichte und die Lebensbe- dingungen des Wasserpilzes Leptomitus lacteus — mit be- sonderer Berücksichtigung seines Auftretens und Wieder- verschwindens in verunreinigten Wässern — untersucht werden. Einlieferungstag 1. November 1895. Preis 600 Mark. Preisrichter: Dr. F. Hulwa (Breslau); Prof. Dr. O. Kirchner (Hohenheim) ; Prof. Dr. P. Magnus (Berlin); Prof. Dr. ©. Weigelt (Berlin). Die Arbeiten dürfen in deutscher, französischer oder englischer Sprache bagefasst sein. Die Manuskripte bleiben Eigentum der Einsender, doch behält sich der deutsche Fischereiverein das Recht des Abdruckes der preisgekrönten Arbeiten in seiner „Zeitschrift für Fischerei“ vor. Die Veröffentlichung der nicht preiswürdigen Manuskripte in derselben Zeitschrift steht dem deutschen Fischereiverein ebenfalls gegen das übliche Mitarbeiterhonorar von 50 Mark pro Bogen zu. Die preisgekrönten Autoren übernehmen die Pflicht, falls sie vor der Veröffentlichung eine nochmalige Ueberarbeitung unter Einfügung etwaiger neuer eigener Forschungen wünschen, diese revidierten Manuskripte innerhalb 3 Monaten nach der Rückgabe druckfertig wieder vorzulegen. Die deutlich geschriebenen Manuskripte sind mit einem Kennwort zu bezeichnen und in verschlossenen Briefumschlägen unter gleichen Kennwort mit dem Namen und Wohnort des Verfassers zu versehen. Andeutungen, welche die Person des Ein- senders erraten lassen, schliefsen von der Preisbewerbung aus, ebenso ein ver- spätetes Eintreffen der Bearbeitungen. Die Sendungen sind eingeschrieben zu richten an den Generalsekretär des deutschen Fischereivereins Prof. Dr. Weigelt Berlin S. W. Zimmerstrafse 90|91. Berlin, 20. April 1894. Der Präsident des deutschen Fischereivereins, Fürst Hatzfeldt-Trachenberg. 66. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Wien 1894. Mit der 66. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, welche Ende September 1894 in Wien stattfindet, wird eine Ausstellung von Gegenständen aus allen Gebieten der Naturwissenschaft und Medizin verbunden sein, zu deren Beschickung hiedurch eingeladen wird. Anmeldungen sind bis 20. Juni an das „Ausstellungscomite der Naturforscherversammlung (Wien, I. Universität)“ zu richten, von welchem die Anmeldungsscheine, Ausstellungs- bestimmungen und alle Auskünfte zu erhalten sind. Für das Ausstellungscomite: Dr. Maximilian Sternberg Hofrat Dr. Carl Brunner v. Wattenwyl Schriftführer. Obmann. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 34 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. SIIV. Band. 5. Juli 1894. N Nr. 1 Inhalt: vom Rath, Ueber die Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. — Plateau, Einige Fälle falscher Mimikry. — Müller, Die Begründung. einer Wissenschaft der Haustierleistungen auf anatomisch -physiologischer Grundlage. — Bergh, Vorlesungen über die Zelle und die einfachen Gewebe des tierischen Körpers. — Hodgkins - Preise. Ueber die Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. Von Dr. ©. vom Rath. Seitdem zuerst von Flemming |1] und Rabl |2], durch sorg- fältige Zählungen der Chromosomen bei Salamandra maculosa, der Nachweis geliefert wurde, dass bei allen Mitosen dieses Tieres die Tochterkerne stets wieder genau die Chromosomenzahl der Mutterkerne erhielten, und ferner von diesen Autoren in den meisten Geweben die gleiche Chromosomenzahl (24 Schleifen) gefunden wurde, haben andere Forscher bei einer ganzen Reihe von Vertebraten und Evertebraten gleichfalls eine Konstanz der Chromosomenzahl beobachten können. Gegenwärtig gilt es als feststehend, dass für jede Tier-Species eine bestimmte Chromosomenzahl typisch ist, und dass diese Zahl bei allen Individuen derselben Art in den Zellen aller Organe, mit Ausnahme der reifen Ei- und Samenzellen (bei welchen durch die beiden letzten Teilungen eine Reduktion der Chromosomenzahl auf die Hälfte herbei- geführt wird), mit Regelmäßigkeit gezählt werden kann. Es sind nun bekanntlich auch Abweichungen von dieser Regel beschrieben worden, indem bald geringere, bald erheblichere Sehwankungen der Chromo- somenzahl in verschiedenen Geweben desselben Tieres konstatiert wur- den. Im Folgenden will ich einige scheinbare Ausnahmefälle, die ich selbst beobachtet habe, kritisch besprechen. Schon Flemming [1] hatte betont, dass auch bei Salamandıa maculosa ein ganz durchgehendes d. h. für alle Zellarten giltiges Zahlengesetz nicht existiert, da-er beispielsweise bei den Spermatoceyten XIV. 29. 450 vom Rath, Konstanz der Öhromosömenzahl bei Tieren. nur 12 Schleifen an Stelle von 24 finden konnte. Ferner wies Flem- ming ]. c. darauf hin, dass nach den Angaben und Figuren anderer Forscher auf botanischem Gebiet, sowie nach denen Carnoy’s [3] über Arthropoden, es annehmbar scheine, dass bei den männlichen Keimzellen überhaupt Neigung zur Reduktion der Segmente herrscht. Da ich in einer Ende vorigen Jahres erschienenen Arbeit |4d] ein- gehend die Zahlenverhältnisse der Chromosomen und den Polymorphis- mus der Mitosen von Salamandra maculosa diskutiert habe, verweise ich auf diese Schrift und erinnere hier nur daran, dass ich die scheinbar reduzierte Schleifenzahl 12 bereits in einem wesentlich früheren Ent- wieklungsstadium der Sexualzellen, nämlich schon lange vor der ge- schlechtlichen Differenzierung, in den indifferenten Keimzellen, aufgefunden habe. Ich versuchte den Nachweis zu liefern, dass jede der 12 Schleifen in Wirklichkeit aus 2 verbundenen Schleifen bestehe und doppelwertig sei. Anstatt, dass sich nämlich im Knäuelstadium dieser Mitosen der chromatische Doppelfaden in 24 Segmente in der Querrichtung durchschnürt, wie bei den Somamitosen, zerlegt er sich hier in nur 12 Segmente. Auf das Vorkommen solcher „doppelwertiger Chromosomen“ und ihre Beziehung zur Bildung der Vierergruppen in der Spermatogenese und Ovogenese hatte ich bereits früher in verschiedenen Schriften aufmerk- sam gemacht |4b, 4]; nach mir hat dann auch V. Haecker!) |6e,6d] 1) Wie ich bereits in meiner Salamandra-Arbeit [4d] S. 123 anführte, hatte früher V.Haecker [6ec] alle Varianten der gewöhnlichen Mitose mit doppelwer- tigen Chromosomen als „heterotype Kernteilungen“ zusammengefasst, was aber nicht anging, da den meisten dieser Mitosen alles das fehlt, was für die heterotype Form besonders charakteristisch ist z. B. die typische Tonnenform der Spindel bei der Metakinese mit den knopfförmigen Anschwellungen etc.; ferner wäre dann auch die homöotype Variante des Salamanderhodens, die sich von der heterotypen Form doch in vielen wesentlichen Punkten unterscheidet, eine heterotype Mitose. In einer anderen Arbeit [6d] hat dann genannter Autor die Verallgemeinerung des Begriffes der heterotypen Kernteilung wieder fallen lassen und dafür die Bezeichnung „plurivalente Kernteilung* eingeführt. Ich habe diese Bezeichnung in meiner Salamanderarbeit [4d] S. 124 als nicht be- sonders glücklich erklärt und vermieden. Die Gründe, weshalb ich diese Be- zeichnung nicht adoptiert habe, will ich hier kurz angeben, weil ich mehrfach mündlich nach denselben befragt wurde. Bei all den in Rede stehenden Kern- teilungen mit doppelwertigen Chromosomen handelt es sich gar nicht um pluri- valente Kernteilungen sondern um Kernteilungen mit plurivalenten oder sich- tiger bivalenten Chromosomen und es scheint mir eine derartige Abkürzung ge- wagt, wenn durch dieselbe Missverständnisse entstehen können. Unter einer plurivalenten Kernteilung kann man sich aber leicht etwas ganz anderes vorstellen, beispielsweise eine .Kernteilung, bei welcher zwei oder mehrere Kerne einer Zelle gleichzeitig in Mitose treten, oder in einem Kern mehrere Spindeln auftreten, wie bei den pluripolaren Mitosen, ferner auch eine Kernteilung, bei welcher auf amitotischem Wege ein Mutterkern sich gleich- vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 451 derartige Vorkommnisse für Copepoden des süßen Wassers beschrieben. Ich zeigte, dass Mitosen mit doppelwertigen Chromosomen teils nach dem Schema der heterotypen, teils nach dem der homöotypen Mitose, oder nach einer anderen Variante der gewöhnlichen Kernteilung ver- laufen können: ich wies ferner darauf hin, dass Mitosen mit doppel- wertigen Chromosomen regelmäßig vor der Bildung der Vierergruppen sowohl in der Ovogenese wie in der Spermatogenese auftreten. Bei- läufig habe ich in derselben Arbeit |4d| eine Reihe anderer interessanter Beobachtungen über die Zahlenverhältnisse der Chromosomen von Sala- mandra maculosa bekannt gegeben. Bei Embryonen und Larven dieses Tieres hatte ich viefach bei Mitosen der Urniere mit absoluter Sicherheit nur 12 Schleifen (Aequator 24) gefunden, ebenso konnte ich vielfach nur 12 Schleifen bei Mitosen der Kerne des Dotters aus dem Bereiche des Mitteldarmes von jungen Larven zählen. Die in Rede stehenden Kernteilungsfiguren verrieten große Aehnliehkeit mit der homöotypen Form der Mitose, und es schien mir wahrscheinlich, dass die Schleifen als „doppelwertige* angesehen werden müssten. Ich er- wähnte ferner, dass ich im Blute der Embryonen und Larven nicht zeitig in mehrere ungleiche Tochterkerne durchschnürt, wie ich es für die Randzellen (Follikelzellen) des Astacus-Hodens [4e] und für polymorphe Kerne der Sexualzellen der Amphibien [4d] beschrieben habe. Wenn ich nun in meiner Salamanderarbeit [4d] mehrfach der Kürze halber an Stelle von Mitosen mit doppelwertigen Chromosomen den völlig indifferenten Aus- druck „halbzählige Mitosen“ verwendet habe, so sollte damit sicherlich nicht gesagt sein, dass auch alle halbzähligen Mitosen doppelwertige Chromosomen hätten. Bekanntlich gibt es genug Mitosen mit halber Chromosomenzahl bei denen aber die Chromosomen unzweifelhaft einwertige sind. Wenn sich bei- spielsweise überzählige ins Ei eingedrungene Spermatozoen noch weiter teilen, so haben dieselben in Folge der vorausgegangenen Reduktion nur die Hälfte einwertiger Chromosomen. Dasselbe gilt für weitere Teilungen des zweiten Richtungskörpers. Ich habe übrigens selbst in verschiedenen Schriften den Nachweis geliefert, dass bei der letzten Teilung in der Spermatogenese und Ovogenese [4b, e, d] nur die Hälfte der für die Species typischen Chromosomen- zahl einwertiger Teilungseinheiten zur Anschauung kommt. Der Ausdruck halbzählige Mitosen, den ich übrigens nur als einen vorläufigen ausgegeben habe, sollte absolut nicht die von Haecker vorgeschlagene Bezeichnung „plurivalente Kernteilung“ ersetzen, sondern ganz allgemein alle Mitosen mit halber Chromosomenzahl, gleichgiltig ob dieselben ein- oder zweiwertig sind, zusammenfassen. Ich erwähne dies hier nur deshalb, weil bei der Korrektur meiner Arbeit [4d] ein Fehler übersehen wurde, der dem Wortlaute allein nach zu einer falschen Deutung Anlass geben könnte. Auf S. 109 heißt es „Mitose mit doppelwertigen Schleifen (= halbzählige Mitose)“, das Gleichheits- zeichen in der Klammer muss unbedingt gestrichen werden, wie sich übrigens aus der gesamten Darstellung und zumal der Anmerkung derselben Seite von selbst ergibt. Ich bitte ferner auf Seite 106 Linie 15 derselben Schrift an Stelle von Samenzellen „Somazellen“ zu lesen. 292 459 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. selten Mitosen konstatieren konnte, bei welchen die Schleifenzahl ge- ringer war als 24, und in einigen Fällen 12 zu betragen schien. Nicht minder interessante Schwankungen der Chromosomenzahl als beim Salamander fand ich neuerdings in verschiedenen Geweben eines etwa 3 Wochen alten Hundes. Leider waren die Chromosomen so zahlreich und obendrein so winzig klein, dass ich weder bei Sexual- noch Somazellen eine genaue Zählung, sondern nur eine annähernde Schätzung vornehmen konnte. Relativ große Mitosen von Somazellen (Regenerationszellen) traf ich im Blasenepithel an und zwar in den tieferen Schichten, während die oberen Schichten vielfach Amitosen erkennen ließen. Bei den Spindeln dieser „Regenerationszellen“ waren die Chromosomen im Aequator in Form einer großen völlig ausgefüllten Scheibe aufgestellt und ihre Zahl betrug wesentlich mehr wie 32 und vielleicht 64. Große Abweichungen konstatierte ich dann in den Mi- tosen der Milz und des Knochenmarks desselben Individuums. Ich sah zunächst sowohl in Riesenzellen wie in kleineren Zellen häufig pluripolare Mitosen mit sehr verschiedener, nicht genau bestimm- barer Chromosomenzahl, ich sah ferner Mitosen, deren Chromo- somenzahl schätzungsweise teils wesentlich größer, teils wesent- lich geringer war als die typische Zahl. Ein besonderes Interesse beanspruchen aber kleine Zellen, die ich ihrem Gesamthabitus nach als Leukocyten auffassen muss, deren Mitosen bei Polansichten im Aequator nur S recht große kugelige oder kubische in Kranzform an- geordnete Chromosomen erkennen ließen. Auch in anderen Geweben, z. B. im Blasenepithel und in selteneren Fällen auch im Hoden kon- statierte ich solche charakteristische Mitosen mit gerimger Chromo- somenzahl, ein Befund, der meine Auffassung, dass es sich hier um Leukoeyten (Wanderzellen) handelt, wesentlich stützt. Die auffallende Größe und die germge Anzahl der Chromosomen dieser Mitosen deutet allein schon darauf hin, dass ein jedes derselben in Wirklichkeit ein Multiplum verschiedener gewöhnlicher Chromosomen repräsentiert; da nun aber die typische Zahl 32 wesentlich übersteigt und vielleicht 64 beträgt, so haben wir ein schönes Beispiel dafür, dass es außer zwei- und vierwertigen!) Uhromosomen auch noch vielwertige geben kann 1) Dass vier Chromosomen mit einander zu einem scheinbar einheitlichen Chromosom vereinigt sein können, habe ich bereits früher eingehend diskutiert [4b, ec, d]. Wenn z. B. vor den beiden letzten Teilungen in der Spermato- genese oder Ovogenese unmittelbar vor der Bildung der Vierergruppen Chroma- tinringe auftreten, wie ich es z. B. für die Spermatogenese von Gryllotalpa und Rana, ferner für die Ovogenese von Euchaeta Nr. 4c beschrieben habe, so besteht jeder Ring aus 4 verbundenen Chromosomen und aus jedem Ring differenzieren sich dann auch wieder vier Chromosomen heraus. Dass man Jeden derartigen Ring und ebenso die aus jeden Ring entstehende Vierer- gruppe nicht als ein einziges vierteiliges Chromosom auffassen darf, glaube ich in meiner letzten Schrift Nr. 4d genügend begründet zu haben. Ich habe vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 459 und dies obendrein bei Somazellen. Dass übrigens die typische Chromo- somenzahl dieses Hundes ein Vielfaches der Zahl S ist, scheint mir aus Analogiegründen sehr wahrschemlich zu sein. Ich will an anderem Orte noch näher auf die so sehr verschiedenen Mitosen der Gewebe des Hundes sowie auch auf die Amitosen unter Beifügungen von Abbildungen eingehen. Man wird sich die Entstehung von vielwertigen Chromosomen am besten in der Weise vorstellen, dass im Knäuel- stadium der längsgespaltene Chromatinfaden in wesentlich weniger Segmente in der Querrichtung zerlegt wird als bei den gewöhnlichen Mitosen der Somazellen. Für eime Annahme, dass die geringe Zahl der Chromosomen dureh einen Reduktionsvorgang oder Chromatin- atrophie hervorgerufen sein könnte, ist nach meinen Präparaten nicht der geringste Anhaltspunkt vorhanden. Auch bei Evertebraten konnte ich interessante Schwankungen der Chromosomenzahl beobachten und ich werde im Folgenden einige wich- tige Beispiele von Ascaris megalocephala und Artemia salina eingehend besprechen. Die Zahlenverhältnisse der Chromosomen von Ascaris megalocephala beanspruchen eine besondere Beachtung, da bei diesem Spulwurme des Pferdes die typische Zahl nach den übereinstimmenden Beobachtungen vorzüglicher Untersucher eine auffallend geringe ist, und ferner ganz erhebliche Verschiedenheiten in der Zahl, Größe und Gestalt dieser Chromosomen sowie in dem Verlaufe der Mitosen zur Anschauung kommen. Ich erinnere zunächst an die wichtige Beobachtung Bo- mich davon überzeugt, dass die Vierer jeder Gruppe in einzelnen Fällen nur durch Linin, in anderen aber durch Chromatin verbunden sein können, ich glaube aber nicht, dass dies in der Beurteilung derselben einen Unterschied macht, zumal ich im vorliegenden Aufsatze gezeigt habe, dass auch mehr wie vier Chromosomen miteinander so innig vereinigt sein können, dass sie schein- bar nur ein einheitliches ehromatisches Teilungselement darstellen. Wie früher halte ich auch jetzt die Auffassung der Autoren, welche die Entstehung der Vierergruppen durch eine zweimalige Längsspaltung behaupten, für unrichtig. Ich werde an anderem Orte zeigen, dass auch bei Ascaris megalocephala so- wohl in der Spermatogenese wie in der Ovogenese die Vierergruppen genau so entstehen, wie ich es zuerst für G@ryllotalpa und dann für Salamandra und viele andere Objekte beschrieben habe. Ich habe übrigens ganz ähnliche Bilder vor Augen gehabt, wie sie Brauer [10c] abgebildet hat, doch konnte ich mich in keinem Falle von einer doppelten Längsspaltung überzeugen, vielmehr ließen meine Präparate ebenso wie die in Rede stehenden Figuren Brauer’s und der anderen Autoren sehr wohl eine andere Deutung zu. Bei- läufig möchte ich hier noch erwähnen, dass die Entstehung der Vierergruppen und der Verlauf der Reduktionsteilungen in der Spermatogenese von- Triton palmatus genau so erfolgt, wie ich es für Salamandra mac. beschrieben habe. Dieser Befund muss jeden Zweifel an der Richtigkeit der Reihenfolge der von mir abgebildeten Entwicklungsphasen völlig ausschließen. Bilder wie Fig. 5—10 l. ec. habe ich bei Triton palmatus sehr häufig vor Augen gehabt. A454 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. veri’s [7], dass bei diesem Tiere zwei Varietäten vorkommen, von denen die eine 4 schleifenförmige Chromosomen (Typus Carnoy), die andere deren aber nur 2 (Typus van Beneden) besitzt. Die erste Varietät wird nach dem Vorgang O. Hertwig’s |S] meist als Ascaris megalocephala bivalens, die andere als univalens bezeichnet. Es treten nun keineswegs in allen Mitosen dieses Nematoden die Chromosomen in der typischen Schleifenform auf, vielmehr lösen sich in bestimmten, noch näher zu besprechenden Mitosen, die Schleifen in kleinere Unter- abteilungen, in Teilungseinheiten niederer Ordnung auf, so dass an Stelle jeder Schleife im Aequator eine bald größere, bald geringere Zahl von kugel- oder stäbehenförmigen Elementen zu erkennen ist. So fand Boveri [7b] in den Furchungszellen dieses Objektes eigen- tümliche Kerndifferenzierungen, welche er als Scheidung der Furchungs- zellen in somatische Zellen und Propagationszellen deutete. Diese Differenzierungen sollen im zweizelligen Stadium manchmal auch später beginnen, indem in der einen der beiden Zellen und zwar in der an Größe etwas zurückstehenden, bei der Varietät univalens, die Chromo- somen ganz den Charakter der zwei Chromosomen des sich teilenden Eies bewahren und sich in regulärer Weise in zwei Tochterelemente spalten, während in der anderen von jedem Chromosom die verdickten Enden und damit die Hauptmasse des gesamten Chromatins als dem Untergang bestimmt abgestoßen werden, und der übriggebliebene mitt- lere Teil des Bandes in eine große Anzahl winzig kleiner kurzer Stäbehen zerfällt. Nur diese Stäbchen erleiden nach Boveri eine quere Spaltung und ihre Hälften werden genau auf die beiden Tochter- zellen verteilt. Dieser Vorgang wiederhole sich bei den weiteren Tei- lungen der Blastomeren und zwar im Ganzen fünfmal. Von den Zellen mit Chromatinabstoßung und Zerfall der Schleifen in Stäbehen sollen dann die Somazellen abstammen, während von der Zelle mit ursprüng- lichem Kern und schleifenförmigen Chromosomen, welche nach der fünften Teilung übrig bleibt (Urgeschlechtszelle), die Sexualzellen ihren Ursprung nehmen. Ich werde weiter unten noch einmal auf diese Vorgänge zu- rückkommen und dieselben mit meinen abweichenden Befunden ver- gleichen. Im letzter Zeit hat dann von Wasielewski |9] Mitosen mit Zerfall der Schleifen in Teilungsemheiten niederer Ordnung in der Keimzone der Eiröhre von Ascaris megalocephala univalens beobachtet. Im Stadium der Aequatorialplatte mit völlig ausgebildeter Spindel konstatierte genannter Autor einen Zerfall der sonst schleifenförmigen Chromosomen in eime nicht genau zu bestimmende Zahl von 8—10 kubischen Elementen und sah ferner, dass sich an jedes Element eine Spindelfaser ansetzt. Von Wasielewski glaubt, dass durch diese Vorkommnisse der Unterschied zwischen Zahl und Größe der chro- matischen Elemente bei Ascaris megalocephala und anderen Nematoden vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 455 eine Erklärung fände. „Gleiehwertig würden den chromatischen Ele- menten, die z. B. bei Ascar’s /umbricoides auftreten, diese kubischen der Chromatinfäden bei Ascaris megalocephala sein. Für das Wesen der karyokinetischen Teilung ist es vollständig gleichgiltig, ob der Faden im Ganzen, oder die Fadensegmente geteilt werden“. Derselbe Autor konnte bei seinen Kernteilungsfiguren in der Keimzone der Ei- röhre, die von Boveri ]. e. für die Mitosen der Furchungszellen be- schriebenen Chromatinausscheidungen nicht auffinden und betont, dass seine Befunde die Auffassung Boveri’s nicht stützen könnten. Es hat dann vor kurzem Brauer |10c] beim Studium der Spermatogenese von Ascaris megal. einen Zerfall des Chromatinfadens in kubische Elemente, wie es v. Wasielewski für die Eiröhre beschrieben hat, in keinem einzigen Fall beobachten können. Ich bin auf Grund eigener Studien desselben Objektes in der Lage, wiehtige Aufschlüsse über die vorliegenden Fragen zu geben, leider habe ich aber, trotzdem ich ein recht reichliches Material zur Verfügung hatte, immer nur die Varietät bivalens beobachten können. Ich habe nun sowohl in der Ei- wie in der Hodenröhre (bei den Mitosen der Urei- und Ursamenzellen) den durch v. Wasielewski für die Keimzone der Eiröhre beschriebenen Teilungsmodus mit Zerfall der Schleifen in kubische Elemente recht häufig zur Anschauung bekommen, und dann auch dieselben Vorkomm- nisse bei ganz jungen Tieren in Mitosen der Sexualzellen vor der ge- schlechtlichen Differenzierung (indifferente Keimzellen) häufig feststellen können. Ferner sah ich, dass bei den Mitosen der Ureizellen, der Ursamenzellen und der indifferenten Keimzellen unmittelbar neben solchen Teilungsfiguren mit Auflösung der Schleifen in Teilungsemheiten niederer Ordnung hin und wieder auch gewöhnliche Mitosen mit schleifen- förmigen Chromosomen auftraten; ich sah ebenso interessante Ueber- gangsstadien, indem ich in völlig ausgebildeten Spindeln im Aequator zwar einen Zerfall jeder Schleife in Unterabteilungen feststellen konnte, mich aber davon überzeugte, dass diese Teilungseinheiten niederer Ordnung durch schwach färbbare Verbindungsbrücken mitemander in Verbindung standen. Wenn aber ein völliger Zerfall jeder Schleife in kubische Elemente stattgefunden hatte und sicherlich zwischen den ein- zelnen Chromatinstücken auch nicht die gerimgste Verbindung mehr be- stand, zählte ich bei Polansichten mit einer großen Regelmäßigkeit 12 rundliche oder kubische Chromosomen, an welche wie die Seitenansichten der Spindel sehr deutlich zeigten, jeweils eine Spindelfaser antrat. Im Aequator befanden sich nach der Längsspaltung 24 kugelige Chromo- somen. In einigen recht seltenen Fällen fand ich aber bei den Mitosen der Ursamenzellen mit Sicherheit nur S große kubische Chromosomen ; ich beobachtete ferner auch bei den Mitosen der Ureizellen, der Ur- samenzellen und der indifferenten Keimzellen solche Spindeln, bei welchen jede Schleife in eine wesentlich größere Zahl kleiner Stäbchen 456 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. zerfallen war als 12; diese letzteren Mitosen erinnerten mich lebhaft an die Abbildungen Boveri’s von den Furchungszellen, doch war von einer Chromatinabstoßung auf meinen Präparaten nichts zu sehen. Die Frage, ob man nun mit mehr Recht die Schleifen oder die Unterabtei- lungen der Schieifen als die wahren Teilungseinheiten zu zählen hat, kann ich einstweilen nicht definitiv entscheiden, da ich zu meinem größten Bedauern auch bei ganz jungen Exemplaren keine Mitosen ächter Somazellen finden konnte und nicht weiß, ob bei diesem die Chromosomen in Kugel- oder Stäbehenform oder als Schleifen vor- kommen. Einstweilen scheint es mir richtiger zu sein, die Schleifen als die typischen Teilungselemente zu zählen, da bei einem Zerfall jeder Schleife nieht immer die gleiche Zahl von Teilungseinheiten niederer Ordnung auftreten. Beiläufig möchte ich hier noch erwähnen, dass ich bei den Kernteilungen der indifferenten Keimzellen außer den eben geschilderten Mitosen mit scheinbar verschiedener Chromo- somenzahl gar nicht selten Bilder von Amitosen und Kerndegenerationen gesehen habe. Wenden wir uns jetzt zu einer Beschreibung der Teilungsvorgänge der ersten Furchungszelle desselben Tieres zu, so werden wir außer vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 457 interessanten Schwankungen der Chromosomenzahl auch noch eine große Mannigfaltigkeit der Teilungsvorgänge selbst kennen lernen. Auf Grund eigener Beobachtungen bin ich in der Lage einige auf- fallende Differenzen in den Angaben van Beneden’s [5] und Bo- veri’s [7] in befriedigender Weise erklären zu können. Während van Beneden bei der Teilung dieser ersten Furchungszelle bei dem sleichen Individuum außer gewöhnlichen Mitosen heterotype Varianten und Uebergangsformen neben einander gefunden hat, stellte Boveril. e. das Vorkommen von heterotyper Mitose entschieden in Abrede. Um diese interessante Streitfrage endgiltig zu entscheiden, muss ich etwas näher auf das Wesen der heterotypen Form der Mitose eingehen. Nachdem bekanntlich zuerst Flemming |la| auf das Vorkommen von heterotypen Mitosen im Hoden von Salamandra maculosa aufmerk- sam gemacht hatte, wurde ein heterotyper Teilungsmodus durch van Beneden |5] auch in der ersten Furchungszelle von Ascaris megalo- cephala beschrieben. Flemming |le] gab darauf in einer neuen Arbeit eine sorgfältige Beschreibung der verschiedenen Phasen der heterotypen Teilung beim Salamander und verglich diese Befunde mit den von van Beneden für Ascaris gemachten Angaben. Kurze Zeit später wurde dann durch van Beneden und Neyt |de] der Verlauf der heterotypen Teilung bei Ascaris noch einmal eingehend diskutiert). 4) van Beneden und A. Neyt haben sich über die heterotype Teilung in den Blastomeren von Ascaris megalocephala [5e], p. 249—253 wie folgt aus- gesprochen: „Dans les blastomeres de l’Ascaris, les anses jumelles ou secon- daires restent parfois unies entre elles & leurs extr&emites, alors quw'elles sont dejä notablement &cart6es V’une de l’autre dans la plus grande partie de leur longueur. Leur &cartement est alors maximum vers leur milieu et d&croit vers leurs extr&mites. Quand cette union terminale se maintient pendant longtemps, ensemble de la figure chromatique prend V’aspect d’un tonneau, earacteristique de la figure doliforme de Flemming. — Nous avons reconnu que, & tous les stades de la segmentation, il se pr&sente, chez l’Ascaris, des variations indi- viduelles d’un oeuf & V’autre, qui font qu’ & m&me stade de la segmentation, tantöt la mitose s’accomplit suivant le type ordinaire, tantöt suivant Ja forme heterotypique. Dans certains oeufs, la division longitudinale des anses se fait simultanement dans toute la longueur de ces &löments, et les £toiles secondaires r&esultant du dedoublement de l’&toile primaire, s’&cartent l’une de lautre tout d’une piece; c’est A peine si, au moment ou elles commencent ä s’cloigner une de l’autre, pour se rapprocher des pöles, et mäme au stade dyaster, les extr@mites des anses s’inclinent l&gerement vers l’&quateur: les etoiles secondaires siegent tout enticres dans deux plans parall&les entre eux et perpendiculaires & l’axe de la figure dicentrique. Dans d’autres oeufs l’union des anses secondaires, ä leurs extr&mites, se maintient encore dans le plan equatorial, alors que les convexites des anses se trouvent d&ja fort &cartces du plan &quatorial et fort rapproch6es des pöles. On rencontre alors de belles figures doliformes, comme celle que nous avons reprösentee, planche IV, figure 3. On trouve toutes les transitions possibles entre ces formes extr&mes. L’existence de ces formes de transition et le fait que l’on rencontre, A un m@me stade de 458 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. Flemming und die belgischen Forscher sind sich darüber einig, dass die in Rede stehenden Teilungen bei Salamandra und Ascaris, trotz einiger Abweichungen im Prinzip, die gleichen sind. Boveri will dem gegenüber sämtliche Mitosen der ersten Furchungszellen von Ascaris megalocephala als gewöhnliche Mitosen auffassen, indem er folgende Einwände macht: „Bei Ascaris meg. ist die Ringform der beiden Schwesterfäden passiv erzeugt durch den Zug der auseinanderweichen- den Spindelhälften, in den Spermatocyten von Salamandra ist die Er- reichung dieser Form ein selbständiger Akt der chromatischen Elemente, der sich vor der Ausbildung der Spindel vollzieht; dort ist die „Tonne“ ein Bewegungsstadium und darum in ihrer Form kontinuierlich wech- selnd, hier ein Ruhestadium, der Gleichgewichtszustand der Spindel, und darum unveränderlich; bei Ascaris meg. wird die Tonnenform durch das gemeinsame Auseinanderweichen aller Tochterelemente, den eigent- lichen Kernteilungsakt, erst hervorgerufen, in den Spermatocyten von Salamandra wird sie durch den Beginn dieses Prozesses beendigt. Die einander entsprechenden Stadien beider Teilungsformen sind also nicht diese sich äußerlich ähnlichen Zustände, sondern die Tonnenform der Salamandra-Spermatocyten entspricht der Aequatorialplatte des Asca- rideneies, Flemming’s Fig. 22 u. 23 (Tafel XXIV) meiner Fig. 4a, seine Fig. 24 meiner Fig. 44h, seine Fig. 26 ungefähr meiner Fig. 69a. Die Teilung des Ascarideneies fällt vollkommen unter das Schema der la segmentation, de grandes variations d’un oeuf Al’autre, en ce qui eoncerne la m6takinese, prouvent que ces variations n’ont qu’une importance tr&s secon- daire“. Es wird dann von den belgischen Autoren auf einige Verschieden- heiten bei den heterotypen Teilungen von Ascaris und von Salamandra hin- gewiesen. „Un fait que l’on constate constamment dans la forme heterotypique, chez !’ Ascaris, c’est que jamais les extremites incurvees des anses secondaires ne sont dirig6es direetement vers les pöles de la figure dicentrique, comme le represente Flemming dans la figure 4, planche XXXI de son dernier me&moire. Sans vouloir &mettre le moindre doute sur la r&alite, chez la Sala- mandre, de la disposition figure par Flemming, nous pouvons affirmer que gensralement, peut-&tre meme toujours, chez l’Ascaris, les parties des anses secondaires qui avoisinent le point de rebroussement des courbes se trouvent dans un seul et möme plan, perpendiculaire a l’axe de la figure, leurs extr&mites seules &tant obliquement dirigces vers le plan &quatorial. Cette disposition se maintient au stade dyaster, c’est A dire apr&s l’ecartement des anses jumelles du plan equatorial. Il en resulte que, dans la figure doliforme, une portion des anses secondaires r&pond aux fonds du tonneau, les meridiens etant con- stituös, non par les anses completes, comme dans la figure de Flemming, mais seulement par les portions terminales de ces &l&ments. Ceei revient ä dire que, ä la fin de la metakinese et, plus tard, au stade dyaster, chacune des branches de chaque anse secondaire deerit une ligne brisee. On peut se representer la figure r&elle en s’imaginant le trajet que suivraient des meridiens traces a la surface d’une sphere molle, apres quelle aurait &t& aplatie A ses deux pöles, de facon & former une sphere doublement tronquee ou un tonneau“. vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 459 „gewöhnlichen Mitose“, wo ja gleichfalls bei dem passiven Auseinander- weichen der Tochterelemente eine Tonnenfigur zustande kommt (Rabl, Fig. 18, Tafel IX, Flemming, Schema Fig. 3, Tafel XXVI)“. Wie ich im Folgenden näher begründen will, kann ieh diese Ein- wände Boveri’s nicht gelten lassen und ich muss im Wesentlichen van Beneden darin Recht geben, dass (wenigstens bei der Varietät bivalens) gewöhnliche Mitosen, heterotype Mitosen und scheinbare Ueber- sangsformen bei ein und demssibin Individuum nebeneinander vor- kommen können. Unter den von mir untersuchten Exemplaren zeigten im Stadium der ersten Furchungszelle ziemlich viele Individuen hetero- type Teilung und bei diesen Tieren folgten die meisten Eier diesem Teilungsmodus, doch traten auch gewöhnliche Mitosen in einigen sel- teneren Fällen neben den heterotypen auf. Ich habe Schnittserien, auf welehen auf demselben Schnitte zwischen Biern mit heterotyper Teilung auch vereinzelte gewöhnliche Mitosen mit absoluter Sicherheit zu erkennen sind. Die Eier anderer Individuen folgten im Stadium der ersten Furchungszelle größtenteils dem Schema der gewöhnlichen Mitose, doch zeigten in seltenen Fällen einige Eier auch die heterotype Form und ich sah bei solchen Tieren sehr häufig die nachher noch näher zu besprechenden Uebergangsformen. Bevor ich nun auf eine Beschreibung des heterotypen Teilungs- modus bei Ascaris eintrete, muss ich in kürze einige Bemerkungen über die heterotype Mitose des Salamanderhodens vorausschieken. Des besseren Verständnisses halber habe ich einige schematische Abbildungen Flemming’s (Fig. 1-6) und einige naturgetreue Abbildungen Bo- veri’s (Fig. De und van Beneden’s (Fig. 13—19) kopiert und Originalzeiehnungen (Fig. 7—12) nach eigenen Präparaten angefertigt; von letzteren ist die Fig. 8, die mit Benutzung einer halbschematischen Abbildung van Beneden’s entworfen wurde, etwas schematisiert. Die heterotype Mitose des Salamanderhodens Fig. 1—6 unter- scheidet sieh nach den Untersuchungen Flemming’s [le], die ich vollauf bestätigen und erweitern konnte [4d| von den gewöhnlichen Mi- tosen desselben Tieres in folgenden Punkten, die ich mit mehrfacher Benutzung der Flemming’schen Ausdrucksweise kurz anführen will: Es fehlen die fein- und enggewundenen Anfangsstadien der Knäuelform, wie sie bei Epithel- und Bindegewebszellen stets vorkommen; der Knäuel ist ein lockerer. Mit der ersten Spirembildung wird bereits die Längs- spaltung der Fäden deutlich und es erfolgt hier auch die völlige Längstrennung der Schwesternpaare, mit Ausnahme der freien Enden, die miteinander auf das innigste verbunden bleiben, oder aber, wenn sich dieselben wie es hin und wieder vorkommt getrennt haben, nach- her wieder verkleben. Es entstehen auf diese Weise völlig enossere Ringe. In den Abbildungen (Fig. 1—6) sind die Verklebungsstellen nach dem Vorgange Flemm ing’s mit einem Kreuz bezeichnet. Während 460 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. nun bei den gewöhnlichen Mitosen im Spirem der Doppelfaden durch Querteilungen in 24 Doppelfäden zerlegt wird, erfolgt bei der hetero- typen Mitose nur ein Zerfall in 12 Doppelfäden; es bleiben auf diese Weise stets zwei Segmente mit einander vereinigt, die bei der gewöhn- liehen Mitose von einander getrennt werden. Die Vereinigungsstellen sind in den Abbildungen mit einem Stern bezeichnet. Nach dem eben gesagten besteht jeder Ring nicht aus 2 Segmenten wie es äußerlich scheinen könnte, sondern aus 4 Segmenten oder 4 Chromosomen |4d]. Die Ringe werden nun allmählich so über die Spindel geschlungen, dass je ein Sekundärfaden auf eine Polseite gezogen wird, also die Mitte derselben zu der Stelle der polaren Umknickung wird, während die knopfförmig angeschwollenen Verklebungsstellen in den Aequator zu liegen kommen. Auf diese Weise kommt eine für die heterotype Mitose charakteristische Tonnenform!) der Spindelfigur zu Stande. Flemming betonte bereits, dass dieser Vorgang im Wesentlichen völlig dem Ver- lauf der gewöhnlichen Mitose entspricht, da auch bei dieser die ab- gespaltenen Fäden in der Art auf verschiedene Polseiten verlagert werden, dass später ihre Mitten den polaren Umkniekungen der Tochter- schleifen entsprechen und ihre Enden nach dem Aequator gerichtet sind; der Unterschied besteht abgesehen von den verschiedenen Zahlen- verhältnissen der Chromosomen darin, dass die Enden unverklebt bleiben und der Parallelismus der Schwesterfäden bis kurz vor ihrer end- giltigen Trennung gewahrt bleibt, während er bei der heterotypen Form schon früher verloren geht. Es erfolgt nun bei der Metakinese 4) Wenn Boveri auch von einer Tonnenform der Epidermiszellen von Salamandra maculosa spricht mit Hinweis auf eine Abbildung Rabl’s Nr. 2, Taf. IX, Fig. 18, so möchte ich hierzu bemerken, dass der Ausdruck „Tonnen- form* von Flemming für eine ganz bestimmte charakteristische Kernteilungs- figur der heterotypen Mitose eingeführt und allgemein acceptiert ist, und dass es zur Verhütung von Missverständnissen besser wäre, diese Bezeichnung bei Mitosen, die mit einer heterotypen Teilung nichts zu schaffen haben, bei denen aber eine äußere Aehnlichkeit der Spindelfigur mit einer Tonne existiert, völlig zu vermeiden. Bei den in Rede stehenden Epidermiszellen von Salamandra kann, wie es übrigens auch Boveri selbst annimmt, von einer heterotypen Teilung absolut nicht die Rede sein; die Schleifen sind in der typischen Zahl 24 (Aequator 48) vorhanden und eine Verklebung der freien Enden der Schwestern- paare findet überhaupt nicht statt. Ich möchte hier aber noch erwähnen, dass ich die Bezeichnung Tonnenform bei der heterotypen Mitose keineswegs als eine besonders glückliche ansprechen kann; die Aehnlichkeit der betreffenden Kernteilungsfigur mit einer Tonne beruht eigentlich nur auf dem Vorkommen von geschlossenen Ringen oder Reifen, die übrigens obendrein hier in der Längsrichtung der Tonne verlaufen. Es gibt thatsächlich bei gewöhnlichen Mitosen Spindeltiguren, die mit einer Tonne viel mehr äußere Aehnlichkeit haben als die betreffende Figur der heterotypen Mitose des Salamanders, ich erinnere beispielsweise an die an beiden Polen stark abgeflachte erste Rich- tungsspindel von Ascaris megalocephala, vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 461 dieser heterotypen Mitose ein Durchbruch der Ringe an den knopf- förmigen Anschwellungen im Aequator und es wird je ein halber Ring (— 2 Schleifen) nach jedem Pol angezogen. Eine Trennung der beiden Schleifen jedes Halbringes findet für gewöhnlich nicht statt, viel- - Fig. 7. Fig. 8. mehr bleiben auch im Dyaster die jeweils verbundenen 2 Schleifen auch weiterhin vereinigt; nur bei der letzten Teilung der Ursamen- zellen kommt es zu einem Durehbruch an diesen Umknickungsstellen, wie ich es |4d] eingehend beschrieben habe. Im Dyaster erfolgt dann noch in allen Fällen eine früher unverständliche sekundäre Längs- spaltung der Schleifen. Ich habe |4d|, nachzuweisen versucht, dass 462 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. diese Längsspaltung nieht als eine zweite Längsspaltung derselben Mitose, sondern als eine vorzeitige Längsspaltung der nächstfolgenden Kernteilung aufzufassen ist [44]. Die heterotype Mitose der ersten Furchungszelle von Ascaris megalo- cephala (Varietät bivalens) verläuft nun im Wesentliehen ebenso wie die eben geschilderte heterotype Mitose der Samenzellen des Salamanders. Der Einfachheit halber will ich nur die wichtigsten Punkte hervorheben und bitte ich zunächst die Figuren 1—6 einerseits mit 7— 12 andrer- seits zu vergleichen. Bei der heterotypen (Fig. 7—12) und ebenso bei der gewöhnlichen Mitose (Fig. 13 u. ff.) dieses Spulwurmes habe ich die Längsspaltung des Chromatinfadens, welche bei Salamandra in allen Mitosen schon im Spirem kenntlich ist, immer erst im Aequator der fertig ausgebil- Fig. 13. Fig. 14. deten Spindel mit Sicherheit beobachten können. Bei der gewöhnlichen Mitose sieht man nun im Aequator stets 4 Schleifen, nach der Längs- spaltung 8, bei der heterotypen Teilung aber nur 2 Schleifen, nach der Längsspaltung 4. Wie bei der heterotypen Mitose des Salamanders sind nun auch bei der von Ascaris die Schleifen doppelwertig, da der chromatische Faden nicht wie bei der gewöhnlichen Mitose in 4, son- dern im nur 2 Segmente zerlegt wird. Die Anordnung der Schleifen im Aequator der Spindel der gewöhnlichen und der heterotypen Mitose ist aber wie ein Blick auf die Abbildungen 7 und 14 zeigt eine wesentlich verschiedene. Bei der gewöhnlichen Mitose Fig. 13, 14, 15 liegen in der fertigen Spindel die vier (nach der Längsspaltung 5) vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 463 Schleifen Fig. 14 ihrer ganzen Länge nach im Aequator und die Schwesternpaare, die zuerst genau parallel übereinanderstanden, trennen sich dann vollständig und rücken den Polen zu (Fig. 15). Bei der fertigen Spindel der heterotypen Mitose Fig. 7 liegen aber die zwei (nach der Längsspaltung 4) Schleifen keineswegs im Aequator, viel- mehr ist jede Schleife und dem entsprechend auch ihre dureh die Längsspaltung entstandene Schwesterschleife in der Mitte eingeknickt und nur diese Kniekungsstellen befinden sich im Aequator, während der eine Schenkel (Doppelschenkel) nach diesem Pol, der andere nach jenem Pol schräg absteht (Fig. 7). Es bleiben nun wie beim Salamander auch bei der heterotypen Mitose von Ascaris beim Auseinanderrücken der jeweiligen Schwesternpaare der Schleifen die freien Enden mitein- ander auf das innigste verklebt, während die übrigen Teile der Sehleifen sich völlig von einander loslösen. Die Kniekungsstellen sind aber nichts anderes als die Verbindungspunkte von je zwei vereinigten pri- mären Schleifen und jeder der Schenkel entspricht einer primären Schleife. In meinen Abbildungen habe ich wie beim Salamander die Verbindungspunkte von je zwei primären Schleifen mit einem Stern, die Verklebungsstellen von zwei. Schwesterschleifen mit einem Kreuz bezeichnet (Fig. 7—10). Es erfolgt jetzt allmählich eine vollständige Drehung der ehromatischen Figur in der Weise, dass die Verklebungs- punkte in den Aequator, die Verbindungspunkte, die früher im Aequator lagen, in die Polgegend zu liegen kommen; es wird somit bei Ascaris genau dasselbe Resultat angestrebt wie beim Salamander, aber auf einem etwas verschiedenen Wege erreicht (vergl. die Emwände Boveri’s S. 455). Die schematisierte Fig. S zeigt deutlich, wie die Drehung zu Stande kommt; dabei bitte ich auf die Ansatzstellen der Spindelfasern zu achten. Es kommt schließlich zur Bildung einer typischen Tonnen- figur mit 2 Reifen und diese zeigen im Aequator die charakteristischen knopfförmigen Anschwellungen (Fig.9). Dass jeder der beiden Ringe aus 4 Schleifen besteht, ergibt sich aus dem eben gesagien von selbst. Die zuerst gedrungene Tonnenform (Fig. 9) wird beim weiteren Ver- laufe der Teilung mehr und mehr in die Länge gezogen (Fig. 10) und es kommt dann im Aequator zum Durchbruch (Fig. 11). Jeder Tochter- kern erhält auf diese Weise 2 Halbringe, die zusammen 4 Chromo- somen entsprechen (Fig. 12). Eine Durchtrennung an den mit einem Stern bezeichneten Verbindungsstellen von je zwei primären Schleifen erfolgt aber in keinem Fall, vielmehr bleiben die so verbundenen Schleifen auch weiterhin vereinigt. Ob nun im Dyaster (Fig. 12) wie beim Salamander noch eine sekundäre Längsspaltung der Schleifen stattfindet, habe ich auf meinen Präparaten niemals sehen können; wenn sie aber wirklich erfolgen sollte, wie es van Beneden |. ce. annimmt, so kommt es auf jeden Fall nachträglich zu einer Wieder- verschmelzung der Spalthälften, denn in den Prophasen der nächst- 464 vom Ratlı, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. folgenden Mitose sind immer nur 2 Schleifen (= 4 Chromosomen) sichtbar, die erst im Aequator der fertigen Spindel eine Längsspaltung mit Sicherheit erkennen lassen. Was nun die sog. Uebergangsformen angeht, von denen ich einige Kopien nach Boveri (Fig. 16 u. 17) und van Beneden (Fig. 18 u. 19) angefertigt habe, so sind alle diese Formen nur ver- kappte gewöhnliche Mitosen; es fehlt ihnen alles das, was für die heterotype Teilung charakteristisch ist, die Aehnlichkeit der Figuren ist nur eine rein äußere. Im Aequator der fertigen Spindel befinden sich bei diesen Uebergangsformen stets 4 Schleifen (nach der Längs- spaltung 8); bei dem Auseinanderrücken der Schwesterschleifen bleiben nun häufig die freien Schleifenenden jedes Schwesternpaares für bald kürzere bald längere Zeit einander ‚genähert, während die übrigen Teile der betreffenden Schleifen bogenförmig den Polen zustreben. Hält diese Annäherung der Schleifenenden besonders lange an, so können die 8 Schenkel der einen Polseite mit den 8 Schenkeln der anderen, 4 Ringe bilden, welche aber die charakteristischen knopf- förmigen Anschwellungen der Tonnenform der heterotypen Mitose ver- missen lassen. Man trifft übrigens häufig bei den Eiern desselben Indi- viduums die größten Mannigfaltigkeiten bei der Metakinese an, indem vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. Abd die definitive Trennung der Schwesterschleifen nieht nur bei den ver- schiedenen Eiern zu einer verschiedenen Zeit erfolgt; es können auch innerhalb desselben Eies die Schwesterschleifen eines Paares bereits vollkommen getrennt sein, während bei anderei Paaren der Zusammen- hang, befehungsweise die Annäherung, der Schleifenenden noch ge- wahrt ist; ja eskann vorkommen, dass bei ein und demselben Schleifen- paar 2 Schenkel noch dieht aneinander anliegen, während die beiden anderen sich bereits nach den beiden Polen zurückgezogen haben. Nach dem eben gesagten ist es jetzt leicht begreiflich, dass diese so- genannten Uebergangsformen häufig neben gewöhnlichen Mitosen in der ersten Furchungszelle vorkommen, da sie eben gar nichts anderes als modifizierte gewöhnliche Mitosen sind, während sie bei Individuen mit heterotyper Teilung, bei denen überhaupt nur in seltenen Fällen ge- wöhnliche Mitosen neben heterotypen zur Anschauung kommen, so gut wie gar nicht angetroffen werden. Aus der vorstehenden Schilderung haben wir ersehen, dass bei der heterotypen Teilung im Salamanderhoden und in der ersten Furch- ungszelle von Ascaris meg. bivalens im wesentlichen die gleichen Vor- gänge stattfinden und dass die Verschiedenheiten im Teilungsmodus, auf welche Boveri hingewiesen hat, so unwesentliche sind, dass wir die heterotype Teilung des Ascaris-Eies ebensogut eine ächte heterotype Teilung nennen müssen als die entsprechende Teilung des Salamander- hodens. Nach den Angaben Boveri’s und nach seinen Abbildungen zu urteilen, scheint mir die Annahme berechtigt, dass genannter Autor hauptsächlich oder gar ausschließlich Individuen, deren Eier dem Schema der gewöhnlichen Mitose folgten vor Augen gehabt hat. Beiläufig möchte ich noch bemerken, dass eine Verwechslung der Kermnteilungs- figuren der heterotypen Mitose der Varietät bivalens mit solchen ge- wöhnlicher Mitosen der Varietät univalens in manchen Phasen, wegen der scheinbar gleichen Chromosomenzahl sehr leicht stattfinden kann!). Es haben mir einige Bekannte Präparate, die der Varietät univalens angehören sollten, vorgelegt, die aber, wie ich bald feststellen konnte, heterotype Mitosen von bivalens zeigten. Leider habe ich von der Varietät univalens nieht ein einziges Präparat ansehen können, so dass 4) Ich möchte hier darauf hinweisen, dass man allein an der Chromosomen- zahl der Richtungskörper nicht immer sofort Eier der Varietäten bivalens und univalens unterscheiden kann, da man beispielsweise bei Totopräparaten der Eier von Ascaris meg. bivalens meist auf die Kante des ersten Richtungs- körpers sieht und dann dessen 4 Chromosomen nicht gleichzeitig erkennen kann, während die zwei Chromosomen des zweiten Richtungskörpers recht deutlich zur Anschauung kommen. Auf Schnittpräparaten dagegen sieht man häufig die vier Chromosome des ersten Richtungskörpers mit befriedigender Sicherheit. IV: 30 r 466 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. ich nicht angeben kann, ob bei dieser Varietät in der ersten Furchungs- zelle auch heterotype Mitose vorkommt. Der Umstand nun, dass bei den Eiern desselben Individuums im gleichen Entwicklungsstadium sowohl heterotype wie gewöhnliche Mitose nebeneinander auftritt, beweist allein schon zur Gemüge, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Mitosen nicht bestehen kann und macht es uns auch leichter verständlich, dass im Hoden von Salamandra die heterotype und homoeotype Mitose nebeneinander und nacheinander vorkommt. Welches aber die feinere physiologische Be- deutung der heterotypen, der homoeotypen oder sonstigen Variante der Mitose mit doppelwertigen Chromosomen sein mag, bleibt einst- weilen noch dunkel (vergl. 4d S. 122). Ueber die ferneren Furchungsstadien kann ich nur einige wenige aber immerhin beachtenswerte Angaben machen, da ich nur in relativ seltenen Fällen die späteren Furchungsstadien bei meinen, den frisch- geschlachteten Pferden entnommenen Exemplaren auffinden konnte. Bei mehreren Individuen, deren Eier in der ersten Furchungszelle heterotype Mitose zeigten, fand ich im zwei-, vier- und achtzelligen Stadium ausnahmslos heterotype Mitosen. Bei einigen anderen Indi- viduen, deren Eier dem Schema der gewöhnlichen Mitose folgten, habe ich im zwei-, vier- und achtzelligen Stadium nur gewöhnliche Teilungen gesehen, aber vergeblich nach den von Boveri |. c. beschriebenen bereits oben auf S. 455 erwähnten Kerndifferenzierungen mit Chromatin- abstoßungen gesucht. Bei einem Exemplar sah ich allerdings im zwei- und vierzelligen Stadium mit großer Deutlichkeit und auffallender kegelmäßigkeit neben den völlig ruhenden Kernen im Zellplasma große Chromatinbrocken liegen, die ihrer Größe und ihrem Gesamthabitus nach sehr gut abgestoßene Enden von Chromatinschleifen sein können ; diese Chromatinbrocken waren aber im Gegensatz zu den Befunden Boveri’s in allen Blastomeren zu erkennen. Wenn ich nun auch keinen Augenblick an der Richtigkeit der Beobachtungen Boveri’s zweifle, so möchte ich mich doch bis auf Weiteres den Deutungen dieses Forschers keineswegs anschließen. Soviel scheint mir nach meinen eigenen Präparaten sicher zu sein, dass die von genanntem Autor beschriebenen Kerndifferenzierungen der Furchungszellen keine allgemein giltige Regel bilden und der Verdacht, es könnten die Chromatinabstoßungen keine völlig normalen Vorkommnisse sein, ist keineswegs unbedingt zurückzuweisen. Abnorme Zustände sind übrigens in den Furchungszellen von Ascaris meg., wie es auch schon van Beneden |. ec. und Boveri |. c. angegeben haben, ziemlich häufig. Ich habe selbst Zellen mit 3 bis 7 und mehr an Größe sehr ver- schiedenen Kernen nicht selten vor Augen gehabt, ebenso zählte ich mehrfach in der ersten Furchungsspindel 6 Schleifen. Bei wei- teren Teilungen bleibt selbstverständlich diese abnorme Schleifenzahl vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 467 bestehen, da bei jeder Mitose die Tochterkerne die Chromosomenzahl des Mutierkerns erhalten; ob aber aus solchen Eiern ein normaler Embryo entsteht, ist fraglich. Die Zahl 5 kann entweder durch Eindringen eines zweiten Spermatozoons oder durch Unterbleiben der Ausstoßung des zweiten Richtungskörpers erfolgen. Polyspermie habe ich bei Ascaris meg. recht häufig beobachtet!). Zum Schluss will ich noch auf einige Schwankungen der Chromo- somenzahl bei Artemia hinweisen. In einer vor kurzem erschienenen Arbeit über die heifung des sich parthenogenetisch entwickelnden Eies von Artemia salina machte Brauer [10d] auf größere Differenzen aufmerksam, die in Bezug auf die Chromosomenzahl in gelegentlichen Angaben von Weismann und mir [11] und seinen Befunden bestehen. Da nun derselbe Autor bereits in einer früheren Mitteilung |10b] auf diese verschiedenen Angaben hingewiesen hatte, habe ich bereits in meiner Salamanderarbeit |4d] S. 136—138 eine Erklärung dieser scheinbar schwer zu vereinbarenden Befunde gegeben. Leider hat Brauer in seiner definitiven Arbeit |10d] meinen Erklärungsversuch nicht mehr 4) Beiläufig möchte ich hier noch einen nicht völlig aufgeklärten Befund Boveri’s besprechen. Dieser Autor fand häufig in Keimbläschen, welche bereits die beiden vierteiligen für die erste Richtungsspindel bestimmten Chromosomen (acht Chromosomen nach meiner Zählung) erkennen ließen, neben diesen noch zwei kleinere kugelige ganz ebenso intensiv färbbare Körperchen, welche später auf eine unbekannte Weise verschwinden. „Man könnte, sagt Boveri, diese beiden Gebilde als degenerierte Chromosomen ansehen und die Reduktion käme falls diese Deutung richtig wäre, dadurch zu Stande, dass die Hälfte der Chromosomen durch Atrophie zu Grunde geht“. Ich habe ebenfalls diese beiden Körperehen recht deutlich beobachten können und zweitle meinerseits keinen Augenblick daran, dass dieselben mit einer Chromatinatrophie und Re- duktion absolut nichts zu schaffen haben; ihrem Aussehen näch können die- selben am ersten als Nukleolen aufgefasst werden, die mehr und mehr ver- blassen und sich dann 'gänzlich der Beobachtung entziehen. Weniger Wahr- scheinlichkeit kann eine Annahme beanspruchen, dass es im Kern gelegene Centrosomen seien, die erst später aus dem Kern austreten und dann bei der Ausbildung der Spindel an die Pole rücken. Wenn allerdings Boveri ein Vorkommen von Centrosomen bei der ersten Richtungsspindel von Ascaris meg. überhaupt in Abrede stellt, so ist dies ein entschiedener Irrtum. Ich habe auf Präparaten, die mit Pikrinessigosmiumsäure [4a] konserviert und mit Hä- matoxylin gefärbt waren, die Centrosomen dieser Richtungsspindel in Ueberein- stimmung mit Nussbaum und Lebrun (Anat. Anzeiger, 1893) mit solcher Klarheit und Regelmäßigkeit gesehen, dass an ihrem Vorkommen gar kein Zweifel mehr sein kann. Nach mündlichen Mitteilungen hat dieselben in letzter Zeitauch V. Haecker konstatieren können. Sie sind in der Vierzahl vorhanden, zwei an jedem Pole. Weitere interessante Befunde bei Ascaris megalocephala, die sich auf die Entstehung der Vierergruppen vor den beiden letzten Teil lungen und auf die Reduktionsfrage beziehen, werde ich demnächst an anderem Orte publizieren. 30 * 468 vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. benutzen können. Ich muss mich hier darauf beschränken, auf meine diesbezüglichen letzten Angaben zu verweisen, und erinnere nur daran, dass ich unter den Richtungsspindeln von Artemia solehe beobachtet habe, bei denen die Chromosomen in großer Zahl in zwei parallelen völlig ausgefüllten Seheiben im Aequator übereinander aufgestellt waren, und andere Spindeln in geringerer Zahl, bei denen die weniger zahlreichen Chromosomen in Form von zwei parallelen Kränzen gruppiert waren. Die Annahme, dass sich die letzteren Spindelfiguren aus den ersteren durch Verschmelzen von jeweils mehreren Chromo- somen zu einem größeren entwickelt haben könnten, war eigentlich sehr naheliegend und nach den in diesem Aufsatz besprochenen Be- funden auch wohl berechtigt, natürlich unter der Voraussetzung, dass beide Spindeln völlig normale Bildungen seien, was ich bei den wenigen Präparaten, die mir zur Durchsicht übergeben waren (vergl. S.25 der Amphimixis) [11], nicht entscheiden konnte. Nach der neuerdings erschienenen eingehenden ArbeitBrauer’s|10d] muss ich dem früher |4d]| S. 136 u. ff. gesagten, noch hinzufügen, dass die in Rede stehenden Zahlendifferenzen der Chromosomen vielleicht auch in den wesentlich verschiedenen Lebensbedingungen unserer Unter- suchungsobjekte, oder auch in einer Verschiedenheit des Materials selbst ihren Grund haben mögen. Brauer hat seine Artemien in den Salinen von Capodistria gefangen und konserviert, während die Tiere unserer Präparate aus Eiern getrockneten Schlammes, der aus der Umgegend von Marseille stammte, in einem Süßwasseraquarium im Zoologischen Institute von Freiburg gezogen waren. Dass unter so verschiedenen Existenzbedingungen leicht die mannigfaltigsten Variationen, sogar in Bezug auf die Chromosomenzahl auftreten können, ist nach den Be- funden bei Ascaris meg. keineswegs unmöglich und wird durch imteres- sante Beobachtungen Brauer’s bei Artemia sogar bis zu einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit erhoben. Es fand nämlich genannter Autor im Uterus derselben Individuen Eier, bei denen die im Ei verbliebene Hälfte der ersten Richtungsspindel sich sofort zum Eikern umwandelt, neben Eiern, bei denen auch die zweite Teilung vollzogen, der zweite Riehtungskörper aber nicht ausgestoßen wurde. In dem einen Fall bestand die Furchungsspindel aus 84, in dem anderen Fall aus 168 Chromosomen. Auch bei den weiteren Furchungsstadien blieb die Zahlendifferenz erhalten. Brauer ist der Ansicht, dass ein jedes der 84 Chromosomen doppelt soviel Chromatin enthält als ein einzelnes der 168, es ist dies eine Auffassung, welche sich ganz gut mit meinen eigenen Befunden von doppelwertigen Chromosomen vereinbaren lässt. Ich darf ferner nicht unerwähnt lassen, dass mir bei einem Aufent- halte in Marseille von einem Anatomen die überraschende Mittei- lung gemacht wurde, dass unter den dort vorkommenden Artemien Exemplare gefunden wurden, die von der ächten Artemia salina nicht vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 469 unerhebliche Verschiedenheiten aufweisen und, wenn nicht als besondere Species, so doch als Varietät bezeichnet werden können. Da nun, wie ich bereits oben erwähnte, die Eier aus denen unsere Artemien sich entwickelten, aus der Umgegend von Marseille, aus den Salinen von la Valdue stammten, ist es auch möglich, dass Brauer und wir ein ganz verschiedenes Material untersucht haben. Welcher von den gegebenen Erklärungsversuchen der richtige ist, muss ferneren Beobach- tungen überlassen werden. Dass ich nun außer den Befunden bei Salamandra, Canis, Ascaris und Artemia noch eine ganze Reihe in gleicher Weise zu deutender eigener und fremder Beobachtungen hätte anführen können, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Auf Beispiele mit ganz geringfügigen Schwankungen der Chromo- somenzahl bin ich absichtlich nicht eingegangen, da es in den meisten Fällen, in welchen einige Chromosomen zuviel oder einige zuwenig zur Beobachtung kommen, recht schwer ist, den wahren Grund der Unregel- mäßigkeiten ausfindig zu machen. Es muss in solchen Fällen in erster Linie daran gedacht werden, dass bei der Konservierung leicht einige Chromosomen miteinander verbacken, andere beim Schneiden durch das Mikrotommesser herausgerissen werden können, während wieder andere in angeschnittenem Zustande zur Beobachtung kommen; es muss ferner daran erinnert werden, dass bei allen lebhaften Kernteilungen, so bei Regenerationen nach Verletzungen und ebenso bei den oft schnell aufeinanderfolgenden Kernteilungen der Sexualzellen pathologisch ver- änderte Mitosen mit abnormer Chromosomenzahl, ja asymmetrische Mitosen keineswegs besonders selten gefunden werden. Schwankungen der Chromosomenzahl bei Pflanzen habe ich nicht angeführt, da ich hierüber keine eigene Beobachtungen angestellt habe; nach den Angaben Strasburger’s [12] scheinen aber Unregelmäßig- keiten wenigstens bei den Somazellen recht häufig vorzukommen. Aus dem vorstehenden Aufsatze ergibt sich nun, dass keineswegs in allen Fällen die im Aequator einer völlig ausgebildeten und normalen Spindel befindlichen chromatischen Elemente die für die Speeies typische Chromosomenzahl zeigen, ohne aber hiermit gegen das Gesetz der Konstanz. der Chromosomenzahl zu verstoßen. Wir haben gesehen, dass es einerseits zwei-, vier- und vielwertige Chromosome gibt und dass andererseits ein Chromosom sich in Teilungseinheiten niederer Ordnung auflösen kann. Beim Bestimmen der für die Species typischen Chromosomenzahl wird man sich daher hüten müssen, allein bei Sexualzellen, Furchungszellen und Embryonalzellen, ja auch bei Blut- zellen und Leukocyten die Zahl zu eruieren, da bei den Mitosen dieser Zellen die Chromosomen vielfach in verkappter Gestalt auftreten. Am besten eignen sich hiefür die Mitosen der Epithel- und Endothelzellen. Zoologisches Institut der Universität Freiburg. Ende Mai 1894. 47V vom Rath, Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. [!] Flemming, [2] Rabl, [3] Carnoy, [4] vom Rath, [5lvanBeneden, [6] Haecker, [7) Boveri, Litteratur-Verzeichnis. a) Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebens- erscheinungen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XVI, XVII, XX (1878—1881). b) Zellsubstanz, Kern und Zellteilung, 1882. c) Neue Beiträge zur Kenntnis der Zelle. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 29, 1887. a) Ueber Zellteilung. Morph. Jahrb., 10. Bd., 1885. b) Ueber Zellteilung. Anat. Anzeiger, 1889. a) La vesicule germinative etc. chez l!’Ascaris megalocephala. La Cellule, T. II, fase. I, 1886. b) La segmentation chez les Nematodes. La Cellule, T. III, fasc. I, 1886. Ueber die Bedeutung der amitotischen Kernteilung im Hoden. Zool. Anzeiger, 1891. b) Ueber die Reduktion der chromatischen Elemente in der Samenbildung von Gryllotalpa. Berichte d. naturf. Ge- sellschaft Freiburg, Bd. VI, Heft 9, 1891. c) Zur Kenntnis der Spermatogenese von Gryllotalpa. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 40, 1892. d) Beiträge zur Kenntnis der Spermatogenese von Salamandra mac. lu.Il. Zeitschr. f wiss. Zool., LVII. Bd., Heft 1, 1893. a) Recherches sur la maturation de l’oeuf, la f&condation et la division cellulaire. Gand et Leipzig, 1883. n. = De b) Recherches sur la maturation de l’oeuf et la f&condation. Archives de Biologie, Tome IV, 1883. c) idem und Julin, La spermatogenese chez !’Ascaride megalocephale. Bull. Acad. roy. des Sciences ete., 1884. d) idem und Neyt, Nouvelles recherches sur la fecondation et la division cellulaire caryokinetique chez !’Ascaris de cheval. Le Moniteur Belge, 1887. idem und Neyt, Nouvelles recherches sur la fecondation et la division mitosique chez !’Ascaride megalocephale. Bulletin de l’Ac. royale Belgique, III. serie, t. XIV, 1887. Die Eibildung bei Cyelops und Canthocamptus. Zool. Jahrb., 5. Bd., 1892. b) Die Kernteilungsvorgänge bei der Mesoderm- und Ento- dermbildung von COyelops. Archiv f. mikr. Anatomie, 32. Bd., 1892. c) Die heterotypische Kernteilung im Zyklus der genera- tiven Zellen. Ber. Naturf. Gesellsch., Freiburg 1892. d) Das Keimbläschen ete. I. Archiv für mikr. Anatomie, 41. Bd., 1893. a) Zellstudien Heft I—Ili, Jena 1887—189%. b) Ueber die Entstehung des Gegensatzes zwischen den Geschlechtszellen und den somatischen Zellen bei Ascarıs megalocephala. Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol., München 1892. e —_ a — Plateau, Einige Fälle falscher Mimikry. 47 [3] Hertwig O0. Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 36, 1890. [9] von Wasielewski, Die Keimzone in den Genitalschläuchen von Ascaris megalocephala. Arch. f. mikr. Anat., 41. Bd., 1893. Ueber das Ei von Branchipus. Abh. d. Preuß. Akad. d. Wiss., Berlin 1892. Zur Kenntnis des parthenogenetisch sich entwickelnden Eies von Artemia salina. Zool. Anz., XVI, 1893. c) Zur Kenntnis der Spermatogenese von Ascaris megalo- cephala. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 42, 1893. d) Zur Kenntnis der Reifung des parthenogenetisch sich entwickelnden Eies von Artemia salina Archiv f. mikr. Anatomie, Band 43. [11] Weismann A., Amphimixis. Jena 1891. [10] Brauer, a SD b er [12] Strasburger, Ueber Kern- und Zellteilung im Pflanzenreiche, nebst einem Anhang über Befruchtung, Jena 1888, Einige Fälle falscher Mimikry. Nach F. Plateau in Gent. Während wir zahlreiche Arten von Tieren kennen, welche Aehn- lichkeit mit Gesteinen, Baumrinde, Stengeln, Blättern zeigen und da- durch sicherlich Schutz vor Verfolgungen erlangen, findet sich die eigentliche Mimikry seltener, d. h. die Erscheinung, dass ein Tier ein anderes in Gestalt und Farbe nachahmt und dadurch für die Bethä- tigung oder Verteidigung seines Lebens Vorteile gewinnt. Die Fälle, in denen man solche Mimikry vermutet, erheischen eine sorgfältige und umsichtige Prüfung; es genügt nicht, dass em Tier im großen und ganzen oder in gewissen hervorstehenden und kennzeich- nenden Zügen einem Tiere einer anderen Gruppe gleicht, es müssen auch noch andere Bedingungen erfüllt sein. Die beiden in Betracht kommenden Arten müssen dieselbe Gegend bewohnen und sich unter denselben Verhältnissen wiederfinden; sie müssen, wenn es sich z. B. um Insekten handelt, in derselben Jahreszeit auftreten; es muss end- lieh die nachgeahmte Art wirksame Verteidigungsmittel (Waffen, Gift, ekelhaften Geruch oder Geschmack) besitzen, welche der nachahmen- den Art fehlen. Ist nicht dies alles zutreffend, dann ist die Mimikry falsch; es handelt sich dann nur um eine zufällige Aehnlichkeit, die dadureh zu erklären ist, dass in der Natur die Kombinationen von Farben und Formen nicht in unbegrenzter Anzahl auftreten und sich daher unver- meidlich wiederholen müssen. Im nachstehenden folgen einige Fälle, die wahrscheinlich in diesem Sinne zu deuten sind. 472 Plateau, Einige Fälle falscher Mimikry. Carl. Bovallius hat im Jahre 1885 eine merkwürdige Gattung mariner Amphipoden aus der Familie der Hyperiden unter dem Namen Mimonectes beschrieben. Ihr auffälligstes Kennzeiehen besteht darin, dass der Kopf und ein großer Teil des Leibes zu einer Kugel oder einem kleinen Ball entwiekelt sind. Durch diese Gestaltung und durch ihre Durchsichtigkeit ähneln die Mimonekten auf den ersten Blick kleinen Medusen. Hat man es hier mit einem Fall wirklicher Mimikry zu thun? Kaum; denn die Nachahmung einer kleinen Meduse durch eine Crustacee kann letzterer wenig Vorteile bieten. Die gefräßigen Meertiere verschlingen was ihnen das Meer bietet, ohne dabei einen Unterschied zu Gunsten der Medusen oder anderer kleiner Tiere zu machen. Viele Spinnen ahmen Ameisen täuschend nach. Indessen bietet die Gattung Formicina lanestrina aus der Familie der Theridioniden, die in ganz Südfrankreich und in Italien durch die Art Formicina mutinensis vertreten ist, wahrscheinlich kein Beispiel wahrer Mimikry. Diese Spinnen kommen nicht in der Nähe von Ameisenhaufen vor, haben nieht die Gewohnheit, auf dem Erdboden zu laufen, und be- wohnen Orte, an denen sich Ameisen wenig oder gar nicht zeigen; sie finden sich auf feuchten Wiesen, wo sie an den Kräutern ein großes wasserrechtes Netz spinnen, an dessen Unterseite sie sich festhalten. Zwei europäische Nachtschmetterlinge, Dichonia aprilina L. und Moma Orion Esp., tragen beide auf ihren (in der Ruhe allein sicht- baren) Vorderflügeln in zartem Grün schwarze und weiße Flecke, so dass sie in erstaunlicher Weise für die Wahrnehmung verschwinden auf den Flechten, welche die Baumstämme bekleiden. Die Aehnlich- keit der beiden Arten ist so groß, dass man ihre besondere Kennzeichen in größter Nähe prüfen muss, um sie zu unterscheiden. Trotzdem handelt es sich hier, während die Schutzfärbung unzweifelhaft ist, um eine falsche Mimikry. Moma Orion lebt im Raupenzustande von Juli bis September, verbringt den Winter als Puppe und erscheint im Mai; Dichonia aprilina ist im Raupenzustande während des Mai und er- scheint im August oder September. In Argentinien gibt es einen Schmetterling aus der Gattung Phy- ciodes, dessen Flügel dieselbe Gestalt und Färbung wie bei unserer einheimischen Vanessa Levana L. haben, und den zudem .eme beinahe mit unserer Vanessa Prorsa identische Abart bietet. Würde man diese Insekten bei uns beobachten, so würde Niemand daran zweifeln, dass man es hier mit einem bemerkenswerten Fall von Mimikry zu thun hätte. Und doch ist die Mimikry falsch, da die Gattung Vanessa aus- schließlich der alten, die Gattung Phyciodes aber ausschließlich der neuen Welt angehört. | Nach E. von Martens (1891) hat die Expedition Stuhlmann aus Afrika einige vierzig Raupenpelze von einer Psychide mitgebracht, Müller, Begründung einer Wissenschaft der Haustierleistungen. 413 welche der europäischen Psyche Helix nahesteht und den Namen Cochlophora valvata trägt. Diese Raupenhäute ähneln dem Gehäuse einer Kommaschnecke (Valvata), messen 10—11 mm Höhe und 11—12 mm in Breite und zeigen drei oder vier, bald links bald rechts gewundene Umgänge. Bei unserer Psyche Helix, deren Raupenpelz kleine Erdsehnecken kopieren würde, könnte man von Mimikry reden; dieselbe ist aber un- zulässig bei der afrikanischen Cochlophora, deren Raupen auf dem Trockenen leben, während die übrigens wesentlich kleineren Valvaten im Wasser zu finden sind. Diese wenigen Beispiele mögen genügen um zu zeigen, mit welcher Vorsieht Fälle, in denen man Mimikry vermutet, zu deuten sind. Es ist darnach anzunehmen, dass, wenn vielleicht die bisher aufgeführten Fälle von Mimikry einer erneuten ernsten Prüfung unterworfen würden, manche von ihnen gestrichen werden müssten. Das wäre vielleicht zu bedauern, weil wir dann einige interessante Erscheinungen weniger hätten, die Wissenschaft aber würde an Genauigkeit gewinnen. Tiebe (Stettin). Die Begründung einer Wissenschaft der Haustierleistungen auf anatomisch-physiologischer Grundlage. Von Robert Müller in Brünn. Die Anfänge einer Wissenschaft der Haustierzüchtung sind in der epschemachenden Begründung der Entwieklungslehre durch Darwin zu suchen. Meistbeteiligt an ihrer Entstehung ist dessen bedeutsamstes Werk „Origin of species“. Denn in diesem Werke wird der durch eine reiche Fülle von Beispielen erhärtete Beweis erbracht, dass Formen und Leistungen der Tiere durch angemessene Wahlzucht abgeändert werden können. Und eben in einer sachgemäßen Ausführung der Wahlzucht liegt die Hauptaufgabe aller Tierzüchtung. Die Wahlzucht in der Landwirtschaft bezweckt die Steigerung der Haustierleistungen. Man kann sonach die Wissenschaft der Haustierzüchtung auch auf- fassen als die Wissenschaft der Haustierleistungen. Der Kern dieser vom Baume der Entwicklungslehre gepflückten Frucht ist aber noch nicht in voller Reinheit aus seiner Verhüllung durch mancherlei unklare Begriffe hervorgeholt. Daran trägt wohl einzig und allein die gegen- wärtig übliche Methode der tierzüchterischen Forschung schuld. Diese ist eine vorwiegend beschreibende, indem sie die Kenntnis von unseren Haustieren und ihren Leistungen zum größten Teile dadurch zu ver- 474 Müller, Begründung einer Wissenschaft der Haustierleistungen. mitteln sucht, dass sie die im züchterischen Betriebe zutage tretenden Erscheinungen sammelt und ordnet. Die Ursache dieser Erscheinungen wird alsdann vorwiegend auf spekulativem Wege zu ergründen gesucht. Und doch hat Darwin selbst uns den einzig richtigen und mög- lichen Weg gewiesen, tierzüchterischen Fragen nachzuspüren: den Weg des exakt-wissenschaftlichen Versuches, welcher dahin geht, nachzuweisen, dass durch eine bestimmte Ursache eine bestimmte Wirkung hervorgebracht wird. Der exakte Versuch ist aber in Hinblick auf die Züchtung von Haustieren bisher nur in beschränktem Maße zur Anwendung gelangt. Nur insoweit derselbe zur Ergründung der Ernährungsbedingungen dienen konnte, fand er eine ausgedehntere Anwendung, die zu sehr wichtigen Ergebnissen führte. Allein die Ernährung ist nur bis zu einer bestimmten Grenze, welehe durch die natürlichen Anlagen des Tieres gezogen ist, geeignet, dessen Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Die natürlichen An- lagen sind aber das Ergebnis der Vererbung und bilden sonach die Grundlage für die Leistungen der Haustiere. Denn nur innerhalb der durch die ererbten Anlagen der Haustiere gegebenen Grenzen ist die sog. Zucht auf Leistung möglich. Die natürlichen Anlagen der Haustiere im strengen Hinblick auf das wirtschaftliche Ziel zu entwickeln, macht die Kunst der Züchtung aus. Diese ruht sonach auf der Kenntnis der ursächlichen Beziehungen zwischen den ererbten Anlagen und den vom wirtschaftlichen Standpunkte anzustrebenden Leistungen der Haustiere. Die wirtschaftliche Verwendung eines Haus- tieres wird also bestimmt durch die ererbten Anlagen oder, nach den jüngsten Anschauungen über die Vererbung, durch die ererbten Formen. Dieser Zusammenhang von ererbten Anlagen bezw. Formen und zukünftiger Leistung erscheint heute nur sehr vereinzelt zum Gegenstande wissenschaftlicher Untersuchung erhoben. Und doch bildet die Ergründung dieses Zusammenhanges durch den wissenschaft- lichen Versuch die bedeutsamste Aufgabe der tierzüchteri- schen Forschung. Soll aber diese Aufgabe in angemessener Weise gelöst werden, dann muss mit der gegenwärtigen Methode in der Behandlung tierzüchterischer Fragen endgiltig gebrochen werden. Es muss an die Stelle der üblichen deskriptiv-spekulativen Methode die anatomisch-physiologische treten, welche letztere den Aufbau einer Wissenschaft der Haustierleistungen auf anatomisch-physiologischer Grundlage bezweckt. Die Tierzucht als landwirtschaftlicher Betriebszweig arbeitet auf Steigerung der Haustier- leistungen hin. Im gegenwärtigen Landwirtschaftsbetriebe sind drei Leistungen von besonderer Bedeutung: Die Milch-, Mast- und Arbeitsleistung. Müller, Begründung einer Wissenschaft der Haustierleistungen. 4D Unsere Haussäugetiere, welche diesen Leistungen dienen, sind entwicklungsgeschichtlich nahe miteinander verwandt. Insgesamt ge- hören sie zu den Huftieren. Aus der Ordnung der Einhufer besitzen wir als Haustier das Pferd, aus der Ordnung der Zweihufer das Rind, Schaf und dieZiege, aus der Ordnung der Vielhufer endlich das Schwein. Je weiter in die Vergangenheit zurück wir den Stamm- baum der Huftiere verfolgen, desto ähnlicher werden ihre organischen Formen, bis schließlich in dem Urhuftiere jedwede individuelle Ver- schiedenheit verschwunden ist. Die natürliche Züchtung mit ihren wechselnden Einwirkungen führte zur allmählichen Entwicklung unserer Haussäugetiere aus den urweltlichen Huftieren. Wie nun die natür- liche Züchtung eine weitgehende Abweichung der Tierformen bewerk- stelligte, so ist die künstliche Züchtung darauf bedacht, gewisser- maßen eine Annäherung jener Haustierformen, welche denselben Leistungen dienen, herbeizuführen. Und sie ist dazu berechtigt, weil die einzelnen Haustierarten entwicklungsgeschichtlich mit einander verwandt sind. Zur Milchleistung dienen uns das Rind, die Ziege und das Schaf, zur Mastleistung das Rind, das Schwein, das Schaf, zur Arbeit das Pferd und das Rind. Für jedes dieser Tiere pflegt man nun besondere Züchtungs- grundsätze aufzustellen, auch wenn ihre physiologischen Leistungen verschieden sind. Die gemeinsamen Züchtungsgrundsätze aber wur- den nicht auf die gemeinsame Leistung, sondern immer auf die Haustierart bezogen. Das ist so zu verstehen. Es ist ein Erfahrungs- satz, dass z. B. fortgesetzte Inzucht zur Verkümmerung führt. Diese Erfahrung hat man mit Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen ge- macht. Wir wissen auch, dass die nachteiligen Folgen fortgesetzter Inzucht bald früher, bald später auftreten, aber was wir nicht wissen, ist, ob z. B. Milchtiere empfindlicher gegen inzüchterische Paarung sind oder Masttiere, vorausgesetzt, dass beide gesund und ihrer Umgebung angepasst sind. Allgemein gesagt: Wir wissen nicht, ob die Züchtungsgesetze nicht eine Abänderung erfahren durch die Art der Leistung eines Haustieres. Dadurch nun, dass man sich gewöhnte, jedes einzelne Haustier als Gegenstand eines besonderen Züchtungsplanes anzusehen, verlor man die einheitliche Betrachtung der Haustierleistungen mehr und mehr aus den Augen. Die Folge war, dass man eine besondere Tierzuchtlehre aufbaute, die jedes Haustier als Züchtungsobjekt für sich auffasst. Diese Anschau- ung, welche heute sich festgesetzt hat, ist von dem Vorwurfe nicht frei zu sprechen, das wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiete der Züchtungslehre in die Irre geführt zu haben. Denn alle Züchtungs- fragen an jeder Haustierart für sieh studieren zu wollen, liegt nicht im Interesse der tierzüchterischen Fortsetzung. Für diese kommt einzig 476 Müller, Begründung einer Wissenschaft der Haustierleistungen, und allein die Züchtung in Bezug auf die wirtschaftliche Leistung des Haustieres in Frage. Dann ist aber auch zu bedenken, dass es gewiss erheblich einfacher ist, eine bestimmte Züchtungsfrage an Haus- tieren mit gleichartiger Leistung zu untersuchen. In dem erst- gedachten Falle hat man mit so großen Beobachtungssummen umzu- gehen, dass der Irrtum wahrscheinlicher ist als die Wahrheit, während im letzteren Falle eine einheitliche Basis für die Forsch- ungsarbeit gewonnen wird. Diese einheitliche Basis ist die Leistung, welche Riehtung und Ziel eines jeden züchterischen Ver- suches bilden soll. Es ist aber weiters auch begreiflich, dass die Ver- suche, welche inbezug auf die gleichartige Leistung verschiedener Haustierarten angestellt werden, ohne jenen übermäßigen Kostenauf- wand durehführbar sind, welcher bei unseren derzeitigen volkswirt- schaftlichen Verhältnissen der Errichtung von Versuchsstätten für die tierzüchterische Forschung im Wege steht, in denen die große Reihe der Züchtungsversuche mit jeder Haustierart und deren Rassen be- werkstelligt werden soll. Einen besonderen Wert beansprucht diese Art der Versuchsanstellung durch die leichtere Berücksiehtigung der Individualität der Tiere, indem meist nur solche Haustiere für den Versuch herangezogen werden dürften, welche einer bestimmten Leistung angepasst sind. Durch die Möglichkeit einer größeren Berücksichtigung der Indi- vidualität eines Tieres beim Versuche wird selbstverständlich auch die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Versuchsergebnisses wesentlich erhöht. Es fragt sich nun, ob die Heranzüchtung eines Haustieres für eine bestimmte Leistung geeignet erscheint, den Verlauf der Stoftwechsel- vorgänge derart abzuändern, dass das Leben des Haustieres je nach der Leistung, zu der es erzogen ist, bestimmten Gesetzen unterworfen wird. Die in dieser Richtung gewonnenen, allerdings nur spärlichen Forschungsergebnisse sprechen dafür. Nach diesen Ergebnissen können wir annehmen, dass jede Leistung, die Milchleistung ebenso wie die Mast- und Arbeitsleistung, den tierischen Organismus nach dem Ge- setze der Wechselwirkung in besonderer Weise umgestaltet, so dass wir berechtigt sind, besondere Haustiertypen aufzustellen, welche, wenn auch verschiedene Haustierarten darstellend, durch die Gleich- artigkeit ihrer Leistung zusammengehören. Alle Milchtiere, alle Masttiere und alle Arbeitstiere, gleichviel welcher Art, müssen not- wendig gleichen anatomisch-physiologischen Gesetzen folgen. Diese Gesetze zu erforschen und aufgrund derselben die Wissen- schaft der Haustierleistungen aufzubauen, halte ich für die bedeutsamste Aufgabe der wissenschaftlichen Tierzucht in der Zukunft. Die Lösung dieser Aufgabe, welche materielle Hindernisse nicht zu fürchten braucht, würde nicht allein die Grenzen Müller, Begründung einer Wissenschaft der Haustierleistungen. AT ’ 8 o© o ( der Tierzuchtlehre in kaum absehbarem Grade erweitern, sondern auch Ergebnisse von weittragender Bedeutung für die biologische Wissen- schaft überhaupt zutage fördern. Das gesamte Aufgabengebiet der Wissenschaft von den Haustier- leistungen zerfiele nach den vorstehenden Erörterungen in die Er- forschung der Züchtung von Milch-, Mast und Arbeitstieren. Alle diese Leistungen wären nach folgenden 2 Riehtungen hin zu unter- suchen: 1. Wären anatomische Grundlagen zu schaffen. Die Körper- form ist bedingt durch das Knochengerüst, welches teils den Körper- bedeekungen, den Häuten und Muskeln, zur Unterlage dient, teils in seinen Hohlräumen die Lebenswerkzeuge birgt. Dass die Ent- wicklung der Körperbedeckungen um so mehr Spielraum findet, je länger und breiter die Knochen sind, welchen sie aufliegen, ist bekannt. Ebenso klar sind die Beziehungen des Knochengerüstes zu der Entwicklung wichtiger innerer Organe wie der Lungen und des Fruchthalters bei weiblichen Tieren, indem diese beiden Organe um so mehr sich auszudehnen vermögen, je größer die knochenbegrenzten Hohlräume, Brustkorb und Becken, sind, welche sie ausfüllen. Daraus erhellt, wie wichtig das Knochengerüst für alle Leistungen unserer Haustiere ist. Denn jede Haustierleistung, möge sie durch was für ein Organ auch immer bedingt werden, steht durch das leistende Organ in irgend einer Beziehung zum Knochengerüste. Diese Be- ziehungen in ihrem ganzen Umfange wissenschaftlich festzustellen, um den Grad der Abhängigkeit einer Leistung von ihrer mecha- nischen Grundlage in Erfahrung zu bringen, wäre geeignet, die biologisch so wichtige Frage nach einer Mechanik der Tierformen einer befriedigenden Lösung entgegenzuführen. Die Mechanik der Tierformen bildete aber, einmal durch den wissenschaftlich - exakten Versuch klargelegt, einen bedeutsamen Fortschritt auf dem Gebiete der Tierzüchtung, indem sie ein sicherer Ausgangspunkt wäre für die Zucht nach Leistung. 2. Wären physiologische Grundlagen zu schaffen. Hiebei müsste von dem Satze ausgegangen werden, dass physiologisch gleich- gebaute Organe physiologisch gleiehwertig sind. Aus diesem Satze folgt aber, dass die Leistungen gleichartiger Organe nach denselben Gesetzen zustandekommen müssen und weiters, dass die Steigerung dieser Leistungen in derselben Richtung erfolgen müsse. Es muss also folgerichtig die Züchtung gleichartiger Leistungen nach gleichen oder doch wenigstens ähnlichen Grundsätzen erfolgen und der Versuch wird ergeben, welche Einflüsse mehr oder weniger in den Vordergrund treten. Diese Einflüsse können doppelter Art sein: natürliche und wirtschaftliche. Zu den natürlichen Einflüssen rechne ich das Klima und den Boden, zu den wirtschaftlichen 478 DBergh, Zelle und die einfachen Gewebe des tierischen Körpers. Wahl- und Aufzucht, Fütterung und Pflege. Diese Einflüsse in steter Hinsicht auf die anzustrebende Leistung zu untersuchen wird zu einer genaueren Kenntnis der physiologischen Vorgänge im Tierkörper führen, als dies bis jetzt der Fall ist. Gegenwärtig ist es üblich für jedes einzelne Haustier die Gesetze der Aufzucht, Fütterung und Pflege festzustellen, wobei man außer Acht ließ, dass es nicht so sehr gilt, das Haustier als solches zu züchten, sondern die Leistung, durch welche das Haustier dem Menschen nützlich und notwendig ist. Es ist aber gewiss von vornherein einleuchtend, dass Aufzucht, Fütterung und Pflege für jene Haustiere, welche gleichen Leistungen dienen, dieselben oder ähnliche sein müssen. Mit dieser Annahme fällt aber die sog. besondere Tierzuchtlehre in ihrer gegenwärtigen Gestalt, und an ihre Stelle tritt die Wissenschaft von den Haustierleistungen, auf anatomisch -physiologischer Grundlage ruhend. R. S. Bergh, Vorlesungen über die Zelle und die einfachen (rewebe des tierischen Körpers. Mit einem Anhang, technische Anleitung zu einfachen histologischen Unter- suchungen. Wiesbaden, Kreidels Verlag 1894. Gr. 8, 262 S., 138 Fig. Sehon der Titel dieses Werkes weist darauf hin, dass der Verf. ein ähnliches Ziel verfolgt wie O. Hertwig in seinem in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift angezeigten Buche: Die Zelle und die Ge- webe. Doch ist ersteres nicht nur vollständig unabhängig und un- beeinflusst von jenem entstanden — denn seine dänische Ausgabe erschien gleichzeitig mit jenem —, sondern auch nach einem anderen, beschränkteren Plane gearbeitet. Der Verf. verzichtet darauf, Physio- logie und Anatomie vereinigt zu geben, und berücksichtigt physiolo- gische Thatsachen nur soweit, als es immer in der Histologie üblich ‘war. Außerdem aber beschränkt er sich, wie es einer „Einleitung zu dem genaueren Studium der tierischen Histologie“ entspricht, auf eine klare Darstellung der festbegründeten Thatsachen und wahrschein- lichsten Hypothesen. Auch die Literaturangaben sind, einem Lehrbuch entsprechend, selten. Der erste Abschnitt „Von der Zelle“ ähnelt in der Einteilung und den Kapitelüberschriften außerordentlich dem besprochenen I. Bande von OÖ. Hertwig’s Buch: nur dass eben die physiologischen Kapitel fortgelassen, die Diskussion der hier so zahlreichen Hypothesen be- schränkt sind und so der reiche Stoff in 70 Seiten behandelt ist. Der Darstellung, in der auch die neuesten Beobachtungen berücksichtigt sind, liegen überall die Anschauungen Flemming’s zu Grunde. Bergh, Zelle und die einfachen Gewebe des tierischen Körpers. 479 Der zweite Teil „von den einfachen Geweben“ ist von größerem Umfang. Schon in der Einteilung zeigt sich hier ein bedeutender Un- terschied zwischen den Anschauungen des Verfs und Hertwig’s: letzterer kündigt an, dass er in dem (noch nicht erschienenen) zweiten Band seines Werkes eine Entwicklungsgeschichte der Gewebe geben wolle. Bergh legt seiner Darstellung die vergleichende Anatomie zu Grunde und sieht sich dadurch genötigt, die Hertwig’sche ent- wieklungsgeschichtliche Einteilung der Gewebe zu verwerfen, was er in dem Schlusskapitel begründet. Zwischen allen Gewebsarten, führt er aus, lassen sich Zwischenformen, die sowohl der einen wie der andern zugerechnet werden können, finden, wenn man alle Tierformen vergleicht. Alle diese Gewebsformen lassen sich vom Epithel her- leiten, denn die ersten Entwicklungsstufen, Blastula und Gastrula, bestehen nur aus typischen Epithelzellen. Deshalb vermag er nicht die sog. Endothelien vom Epithel oder gar Nerven- und Muskelge- webe nach dem hypothetischen, doppelten Ursprung aus verschiedenen Keimblättern jedes in zwei Abteilungen zu trennen. Nach der von ihm gewählten Einteilung zerfällt das Ganze in folgende Abschnitte: Epithelien, fächenhaft ausgebreitete Gewebe mit geringer Interzellularsubstanz; Muskel- und Nervengewebe, beide durch ihre Funktion ausgezeichnet, viertens Stütz- und Füllgewebe, charak- terisiert durch das Vorhandensein reichlicher Zwischensubstanz. Auch diese Vierteilung erkennt Verf. selbst als willkürlich, gewissermaßen als Notbehelf an, denn ihr liest kein einfaches Prinzip zu Grunde. 2. B. werden unter Nervengewebe auch sowohl Sinnesepithelien wie Neuroglia und Ependym, und zwar aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen, behandelt. Als ein großer Vorzug des Buches erscheint die vergleichend- histologische Betrachtungsweise; sie führt dazu, bei allen Gewebs- formen das zur Funktion Wesentliche hervorzuheben und so zur phy- siologischen Betrachtung der Gewebe hinzuleiten. Ein zweiter Vorzug ist, dass der Verf. zwar bloße Hypothesen darzustellen möglichst vermeidet, aber auch die neuesten Beobachtungen und auf sie ge- gründete Anchauungen würdigt. Besonders tritt dies in dem Kapitel über das Nervengewebe hervor, in welchem nieht nur die Forschungen von Golgi, Ramön y Cajal, His, Kölliker, van Gehuchten die Grundlage der Darstellung bilden, sondern auch schon die Ent- deckungen Lenhossek’s und Retzius’ über das Nervensystem des Regenwurms und über die Neuroglia dargestellt und durch Wieder- gabe ihrer Zeichnungen erläutert werden. Der Anhang zeichnet sich dadurch aus, dass er auf die Behand- lung und Untersuchung mancher sonst weniger beachteter Objekte hinweist. Im Ganzen aber scheint er zu allgemein gehalten und schließt zu schwierige Methoden ein, als dass er einem Anfänger von 480 Hodgkins - Preise. großem Nutzen sein könnte. Und gerade an solche wendet sich das Buch sonst mit seiner klaren Darstellung des Wesentlichen, einer Darstellung, der man nicht anmerkt, dass sie aus einer fremden Sprache ins Deutsche übertragen ist. Aber auch solchen wird das Buch sehr nützlich sein, die, nicht in der Lage selber die zahllosen neuen Arbeiten über tierische Histologie zu verfolgen, sich orientieren wollen über die neuen Anschauungen, welche in einigen Kapiteln sich von den vor nicht zu langer Zeit noch herrschenden sehr entfernt haben. W. Hodgkins- Preise. Der Termin für Einreichung von Schriften „über Wesen und Eigenschaften atmosphärischer Luft“, in Bewerbung um die von der Smithsonian Institution ausgesetzten Hodgkins Fund - Preise, ist in Anbetraeht des Umstandes, dass die Bekanntmachung dieser Preise vielen Persönlichkeiten, für deren Kenntnisnahme sie bestimmt war, nicht zu Händen gekommen ist, vom 1. Juli bis 31. Dez. 1894, verlängert worden. Zahlreiche Anfragen lassen es wünschenswert erscheinen, zu erwähnen, dass obwohl es vorzuziehen wäre, dass ein jeder Bewerber seinen Namen und Adresse seinem Manuskript beifüge, es doch gestattet ist, dieses in solcher Weise zu thun, dass Name und Adresse separat eingereicht, und durch ein entsprechendes Motto die Identität erkenntlich gemacht werde. Die eingelaufenen Manuskripte werden den betreffenden Bewerbern an die auf diese Weise bestimmte Adresse zurückgesandt,; das KEigentums-Recht der erfolgreichen Arbeiten jedoch verbleibt der Smithsonian Institution, welche denselben die ausgedehnteste Veröffentlichung zu geben bestrebt ist; in diesem Falle jedoch sind vom Autor keine Verlagsrecht- Privilegien zu erwarten. Bereits gedruckte Arbeiten sind von der Bewerbung um Preise ausgeschlossen, werden jedoch bei Zuerkennung der Medaille inbetracht gezogen. Diese Medaille kommt in der von den hauptsächlichsten Gesellschaften allgemein angenommenen Weise zur Verteilung, indem bei der Wahl nicht nur die Konkurrenz- Bewerber, sondern alle dem Preiskomite bekannten Forscher inbetracht gezogen werden. Weitere Auskunft betreffs der Hodgkins- Preise und der Smithsonian Insti- tution werden von dem Sekretär der Institution (S. P. Langley, Washington, D,. C.), sowie vom Agenten der Institution, Herin Dr. Felix Flügel, Nr. 1, Robert Schumann Strafse, Leipzig, erteilt. S. P. Langley, Sekretär. Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipzig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 15. Juli 1894. Nr. 14. Inhalt: Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen? — v. Erlanger, Be- merkungen zur Embryologie der Gasteropoden, II. — Imhof, Die Rotatorien der großen Seen in Michigan, Nord-Amerika. — Luciani, De linfluence qu’ exercent les mutilations cerebelleuses sur l’exeitabilit€E de l’Ecorce eerebrale et sur les retlexes spinaux. — Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarien- lehre. — Haacke, Die Vererbung erworbener Eigenschaften. Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen? Von Prof. Dr. W. Kochs. Seitdem durch Schwann und Schleiden dargethan wurde, dass alles Lebendige aus Zellen bestehe, und die einfachsten Lebewesen aus emer Zelle, welche mit allen Eigentümlichkeiten der lebendigen Substanz ausgestattet ist, gilt die Zelle mit ihren im Tier- und Pflanzen- reiche fast gleichen morphologischen Bestandteilen als Lebenseinheit. In den letzten Decennien ist durch Brefelt und Koch gezeigt worden, dass neben dieser aus Zellen bestehenden Welt und mit ihr innig ver- bunden, oft zum Nutzen, oft zum Schaden, eine Welt von Mikro- organismen existiert, die, wenigstens für unsere jetzigen Untersuchungs- methoden, morphologisch und physiologisch anders geartet ist als die Zellenstaaten der anderen Wesen des Tier- und Pflanzenreiches. Bei der Innigkeit der Beziehungen, welche zwischen beiden großen Klassen von Lebewesen besteht, (denken wir nur an die allgemein ver- breiteten Fäulnis- und Gärungsvorgänge), drängt sich die Frage auf, ob wohl die Zelle die Lebenseinheit ist? Ist das Protoplasma für sich allein durch die in ihm liegenden Kräfte lebensfähig, oder nur durch eine Art Symbiose mit Mikroorganismen? Finden sich etwa stets in seinem Inneren kleine Teilchen, welche zu seinem Leben erforderlich sind und die isoliert unter geeigneten Bedingungen sich weiter ent- wickeln und vermehren können, besonders aber nach dem Tode des Protoplasmas fäulniserregend beziehungsweise zerstörend im chemischen IV. al 482 Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? Sinne wirken? Wenn wir uns die vielfachen Leistungen des Inhaltes der einzelnen Zelle eines einzelligen Organismus vorstellen, bedeutet die Einfachheit der Struktur physiologisch eine größere Kompliziert- heit. Ohne weitgehende chemische Differenzierung im Protoplasma des einzelligen Wesens können wir Verdauung, Assimilation, Exkretion und Fortpflanzung uns nicht erklären. Bei den vielzelligen Organismen hat mit der morphologischen Differenzierung der einzelnen Zellgruppen eine Arbeitsteilung stattgefunden. Die charakteristischen Zellen der einzelnen Gewebe haben eine verschiedene chemische Struktnr, welche der speziellen Art chemischer Thätigkeit entspricht. Im einzelligen Organismus müssen im Protoplasma diese chemisch verschiedenen Teile nebeneinander vorhanden sein. In physiologisch - chemischer Hinsicht kann demnach die Zelle keine Struktureinheit darstellen. Herbert Spencer nimmt daher besondere physiologische Einheiten in den Zellen an, Wiesner bezeichnet dieselben als Plasomen. Der strikte Beweis, dass relativ einfache Zellen, wie die der Pflanzen, ganz allein aus anorganischen Substanzen den Pflanzenkörper dauernd aufbauen können, ist noch nicht erbracht. Im Gegenteil scheint aus manchen Beobachtungen hervorzugehen, dass gerade die Wurzel- zellen nicht ohne Beihilfe niederer Pilze und Bakterien ihre physio- logische Thätigkeit enthalten könnten. Demnach erscheint die Frage be- rechtigt, ob diePflanzenwelt auf die Welt der Mikroorganis- men direkt angewiesen ist, so dass sie ohne diese Wesen überhaupt nicht weiter gedeihen kann? Fest steht, dass ein Verschwinden der Pflanzenwelt unmittelbar von einem Verschwinden der Tierwelt und des Menschen müsste ge- folgt sein. Nur wenn die Chemie im Stande wäre, Eiweiß und Kohle- hydrat synthetisch darzustellen, könnte man ein Weiterleben der Tiere wenigstens theoretisch für möglich halten. Kohlensäure kann nur von ehlorophyllhaltigen Pflanzenteilen reduziert werden, chlorophyllhaltige Pflanzen allein können aus anorganischen Stoffen so hoch zusammen- gesetzte Körper bilden, dass der Tierkörper sich damit ernähren kann. Zahllose Mikroben können sich aber in anorganischen, sekochten Nährlösungen aus wenigen Keimen zum Teil sogar ohne Licht bei bestimmten Wärmegraden entwickeln und große Mengen organischer Eiweißkörper liefern. Uohn’sche Normalnährlösung für Bakterien besteht aus Wasser 1000 g, saures phösphorsaures Kali 5,0 g, schwefelsaure Magnesia 5,0 g, neu- trales weinsaures Ammoniak 10,0 g, Chlorkalium 0,5 g. Wenn man diese nicht durch Kochen sorgfältigst sterilisiert, verwandelt sich die- selbe bei mittlerer Temperatur in einen Bakterienbrei. Die Welt der Mikroorganismen kann sich sicher, sobald mal die Keime da sind, in anorganischen Substanzen entwickeln und dauernd für sich behelfen. Ueber 1 Jahr machte ich Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? 485 Od Versuche mit gekochter Cohn’scher Lösung, welche sich unter Watte- verschluss bakterienfrei erhielt, aber schon durch kurze Berührung mit der ungereinigten Luft infiziert wurde und dann große Mengen Bakterien lieferte. Im gekochtem Wasser züchtete ich mit diesen Bakterien zahlreiche Daphnien und Cypris, die ihrerseits Fischfutter waren. Auf diesem Wege kann Eiweiß ohne Pflanzen erzeugt werden. Um nun festzustellen, ob die Pflanzenzelle ohne Hilfe der Mikro- organismen gedeihen kann, habe ich mich bemüht zunächst durch Versuche für folgende Fragen eine sichere Antwort zu finden. 1) Gibt es überhaupt lebende Pflanzen oder Pflanzen- teile, welche in ihrem Innern keine Mikroorganis- men enthalten? i 2) Ist eine Sterilisierung der Oberfläche von Pflanzen- teilen speziellSamen möglich, ohne das Leben be- ziehungsweise die Keimkraft zu vernichten? 3) Wenn eine Pflanze in sterilen Gefäßen aus auf der Oberfläche sterilisierten Samen gezogen ist, kann dieselbe ohne Beteiligung von Mikroben normal bis zur Fruchtreife wachsen? 4) Wenn eine, ohne Mikroben aufgewachsene Pflanze abstirbt, was wird aus ihr ohne Zutritt von Mi- kroben? ad 1. Vorab möchte ich bemerken, dass die endgiltige Entschei- dung, ob irgendwo Mikroben oder deren Keime vorhanden sind, überaus schwierig ist, und die Fortschritte der Bakteriologie mahnen zu immer größerer Vorsicht. Das Aufsuchen der kleinen, vielleicht oft nur in geringer Zahl vorhandenen Mikroben, oder gar deren Sporen, mittels des Mikroskopes, kann höchstens dazu führen, dass man sagen kann, ich habe keine Mikroben gefunden. Aussäen des verdächtigen Materiales lege artis auf geeignete Nährböden und Kultivierung unter verschie- denen Bedingungen, um die Sporen zum Auskeimen oder einzelne In- dividuen zur Vermehrung zu bringen, beweist bei Gelingen, dass das Material infiziert war, im anderen Falle kann man höchstens sicher behaupten, dass nichts gewachsen ist. Damit ist aber nicht erwiesen, dass nieht ein Nährboden hätte bereitet werden können, auf welchem unter richtigen Bedingungen doch etwas gewachsen wäre. Nach unseren jetzigen Kenntnissen können die überall befindlichen Keime der Mikroben nur durch heftig wirkende chemische Agentien oder hohe Hitze sicher getötet werden. Eine Sterilisierung von leben- den Pflanzenteilen durch Abwaschen mit wirksamen antiseptischen Lösungen ist ebenso wie Anwendung genügender Hitze ausgeschlossen. Viele Pflanzensamen haben aber durchaus geschlossene, feste, schwer durehdringbare Hüllen. In der Hoffnung nun, dass das Innere solcher 3 ABA Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? Samen keine Mikroben oder deren Keime enthielte, habe ich versucht ihre Außenfläche durch chemische Mittel von anhaftenden Keimen zu befreien. Nach vielfachen Versuchen ist dieses gelungen und habe ich dann die sterilisierten Samen in ebenfalls keimfrei gemachten Ge- fäßen und Nährlösungen keimen und wachsen lassen. , Wattepfropfen.. Wattepfvopfen.gs » x S jeimgekäls. Gefäß‘ für die | % ‚Nähr-| nt Heımende Zosungz 2 I krbse m © zplährlosung === 19% 5 Vaähr- | —— IDO.C82 Lösung, (ad Große Glasperlen. N ZEE Gummischlauch. I S Mm. SIT Versuche die Oberfläche von Samen keimfrei zu machen. Die Samen der Kresse, des Sowmerrettigs, der Erbsen und verschiedener Bohnenarten können, wie ich mich durch zahlreiche Proben überzeugt habe, wenn sie lufttrocken sind, unbeschadet ihrer Keimfähigkeit und des späteren Wachstums 1 Minute in Sublimatlösung 1:1000 Wasser liegen. Zweifellos werden sich noch viele Samen mit gleicher oder noch größerer Widerstandsfähigkeit finden lassen. Für meine Zwecke genügten Versuche mit diesen wenigen Arten. Infolge der den Samenoberflächen anhaftenden Luft ist jedoch eine wirkliche Benetzung durch die Sublimatlösung in 1 Minute vielfach zweifelhaft. Ob in den oberflächlichen Schiehten der Samenhüllen befindliche Keime dureh die wässerige Sublimatlösung getötet werden, ist daher noch unsicherer. Die Versuche zeigten denn auch, dass bei so sterilisierten Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen? 485 Samen oft doch noch nach der Keimung in sterilen Gefäßen speziell aus der Samenschale nach deren Abstoßung, oft erst nach einigen Wochen, Schimmelpilze geradezu herauswuchsen. In der Folge stellte ich deshalb durch halbstündiges Kochen und Abkühlung desselben ohne Bewegung luftfreies destilliertes Wasser her, in welches die Samen 10 Minuten eingelegt wurden. Die anhaftende und in den oberfläch- lichen Schiehten befindliche Luft wird schnell von dem luftfreien Wasser absorbiert und die Samenoberfläche ist sicher ganz benetzt. Legt man nun so vorbereitete Samen in. wässerige Sublimatlösung 1:1000, so findet ausnahmslos Sterilisation der Schale statt. So behandelte Samen von Kresse, Bohnen, Erbsen, Sommerrettig gab ich dann unter Beobachtung aller Vorsiehtsmaßregeln gegen In- fektion in den nebenstehend abgebildeten, nach mehrfachen Abände- rungen für meine Zwecke geeigneten Keimapparat. Im Verlaufe eines Jahres wurden solche Keimapparate in 24 Exemplare hergestellt und zum Teil mehrfach benutzt. Nach einigen Vorversuchen ergab es sich als zweekmäßig in jeden Apparat nur ein Samenkorn hinein- zugeben und die Apparate so herzurichten, wie in der Zeichnung dar- gestellt ist. In einem von Rohrbeek in Berlin bezogenen neuesten Dampfsterilisationsapparat wurden die mit Wasser oder Nährlösung beschiekten Apparate zunächst mehrere Stunden strömendem Wasser- dampfe von 101° ausgesetzt. Um ganz sicher zu gehen wurde dieses Erhitzen mehrere Tage hintereinander bis zu 3 Stunden Dampfwirkung fortgesetzt. Nach der letzten Erhitzung wurden die Apparate noch 1—2 Tage aufbewahrt, um die Wattepfropfen austrocknen zu lassen. Nachdem dann, wie oben angegeben, die Samenkörner aufs sorg- fältigste sterilisiert waren, ließ ich unter vorsichtiger Lüftung des Wattepfropfens des Keimgefäßes das Samenkorn auf die Glasperlen fallen. Durch Befestigen des zweiten Gefäßes mit der Nährlösung in geeigneter Höhe wurde das Samenkorn durch reiehliche Flüssigkeit schnell zum Quellen und Keimen gebracht. Täglich wurde dann durch Heben und Senken ein, wenn auch mäßiger, so doch für die Ver- suchszwecke ausreichender Luftwechsel im Apparate erzielt. Für die Beantwortung der oben gestellten Frage 2, ob eine Sterili- sierung der Oberfläche eines Samenkornes möglich ist, ohne die Keim- fähigkeit zu vernichten, und ob das Innere der Pflanzensamen keim- frei ist, kann statt der Sachs’schen Nährlösung auch Wasser ge- nommen werden. Mit Sachs’scher!) Nährlösung werden die Pflänzchen kräftiger und so groß, dass sie den ganzen Apparat ausfüllen und schließlich den Wattepfropfen heben. 1) DieSachs’sche Nährlösung besteht aus: Wasser 1000 g, salpetersaures Kali 1,0 g, Chlomatrium 0,5 g, schwefelsaurer Kalk 0,5 g, schwefelsaure Mag- nesia 0,5 g, gewöhnlicher phosphorsaurer Kalk 0,5 8. Julius Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, Leipzig 1882, S. 342. 486 Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? Trotz aller Sorgfalt gelingt es nun nicht immer alle Keime so zu töten oder die Apparate so zu behüten, dass nach Monaten sich keinerlei Pilzbildung, besonders kein Schimmel zeigt. Unter 8 Versuchen, welche ich 16 Monate beobachtete, sind mir 5 so gelungen, dass nach 14 Mo- naten makroskopisch und mikroskopisch nichts von Mikroben oder Pilzen zu entdecken war. Die Pflänzchen 1) Sommerrettig, 2 Exemplare in einem Apparate, 2) 2 Erbsen, 3) 2 Bohnen je eine im einem Apparat waren normal entwickelt. Die Sommerrettigpflänzchen, nur in Wasser gezogen, starben nach 3 Monaten ab aus Nahrungsmangel. Die zarten Würzelchen sahen nach 16 Monaten im Wasser noeh ganz weiß und unverändert, wie lebendig aus. Das Chlorophyll der Blättchen ist allmählich gelb geworden, die zarten, langen Stengel sind im den oberen Partien etwas eingetrocknet. Die Erbsen und Bohnen, welche in Apparaten mit Sachs’scher Lösung waren, füllten üppig die ganzen Apparate aus, weshalb ich nach 3 Monaten die Sachs’sche Lösung unter allen Vorsichtsmaßregeln durch sterilisiertes Wasser ersetzte. Das Absterben erfolgte dann so, dass die untersten Blätter schrumpften und oben neue Triebe sich aus diesem Material bildeten. Schließlich hörte dieses auf und nun erhielten sich die Pflanzen, nur durch das Lieht gebleicht, in dem feuchten Raume äußerlich ganz unversehrt. In den nicht gelungenen Versuchen zeigte sich entweder Schimmel auf den Samenschalen oder die Nährlösung trübte sich durch Mikroben. Die Wurzeln wurden dann bald braun. Eigentliche Fäulnis ist nie ein- getreten, weil die dazu nötigen Bakterien nieht vorhanden waren, da- gegen zeigte sich häufig eine Vertorfung der Pflanzenteile. Einen Apparat mit Sommerrettigpflänzchen, welcher 14 Monate an- scheinend ganz mikrobenfrei geblieben war, übergab ich dem unter Leitung von Prof. Finkler stehenden hygienischen Institute, welcher die Güte hatte durch Herrn Dozent Dr. Krause den Inhalt des Ap- parates bakteriologisch untersuchen zu lassen. Keinerlei Mikroorganis- mus konnte aufgefunden werden. Dureh die gelungenen Versuche ist also festgestellt, dass 1) das Innere normaler Pflanzensamen keimfrei sein kann und wohl in der Regel ist; 2) mit geeigneten Vor- richtungen aus solchen Samen Pflanzen ohne Mitwirkung von Mikroorganismen gezogen werden können. Es wird allerdings nicht ganz leicht sein, sterile Keimapparate herzustellen, in denen Pflanzen bis zur Fruchtreife gezogen werden können. Es mag sein, dass dieses nicht für alle Pflanzen möglich ist, an der prin- zipiellen Möglichkeit für viele Arten, ohne Mikroorganismen zu ge- deihen, ist wohl nicht mehr zu zweifeln. Die Versuche ergaben ferner, dass eine ohne Mikroben gezogene Pflanze in feuchtem Zustande sehr dauerhaft ist. Fäulniskeime sind nicht vorhanden, die gewöhnlichen Zersetzungen toter, feuchter Pflanzen- ( Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? 487 teile können demnach nicht stattfinden, das Licht bleicht die Farbstoffe und in langer Zeit werden auch wohl noch näher zu erforschende chemische Umsetzungen in den Zellen stattfinden, bis ein Gleichgewichts- zustand erreicht ist. Merkwürdig ist die Art des Absterbens bei Nahrungsmangel. Die zuerst gebildeten Blätter wurden bis auf die härteren Teile resorbiert, und aus diesem Material bildeten sich langsam an der Spitze neue Triebe und Blätter, bis die Pflanze ganz zu wachsen aufhörte. Aus folgenden Versuchen und Beobachtungen geht hervor, dass auch normale Pflanzenteile zumeist im Inneren keimfrei sind. Bekannt ist, dass man manche Früchte z. B. Aepfel, wenn die Oberfläche unversehrt ist und keme Quetschung des Inneren statt- sefunden hat, sehr lange an geeignetem Orte aufbewahren kann. Sie trocknen etwas ein und im Inneren finden weitere Reifeerscheinungen statt, die an sich nichts mit zerstörender Zersetzung oder Fäulnis zu thuen haben. Folgender Versuch zeigt, dass die Früchte wohl sehr lange aufbewahrbar sind, wenn man die Verdunstung unmöglich macht. Von einem Pflaumenbaum nahm ich einen mit zahlreichen fast reifen aber noch nicht genießbaren blauen Pflaumen besetzten Zweig und schnitt, ohne die Früchte zu berühren, indem ich den Stiel mit einer Pinzette anfasste, mehrere ab, tauchte sie 1 Minute im Sublimatlösung 1:1000, wodurch die Oberfläche imfolge ihres Wachsüberzuges kaum benetzt wurde, jedenfalls aber die Schnittfläche des Stielchens sterili- siert wurde und brachte sie dann ohne Berührung mit der Hand schnell je eine unter eine mit Quecksilber gefüllte Glocke. Es gelang dieses leicht durch Niederdrücken der Frucht im Quecksilber mit einem sterilisierten kleinen Glastriehter und Aufsteigenlassen unter der mit Quecksilber gefüllten und in Quecksilber stehenden Glocke, die aus einem größeren Reagensglase bestand. Nach 3 Monaten erwiesen sich diese Pflaumen als fast unverändert, sie waren auch nicht reifer ge- worden. Bei der relativ hohen Temperatur im August, September und Oktober waren keinerlei zersetzende Mikroorganismen in diesen Früchten zur Entwicklung gekommen und es ist deshalb wohl als sicher anzu- nehmen, dass dieselben im Inneren gänzlich keimfrei gewesen sind. Für diePflanzenzelle dürfte demnach dieUnabhängig- keit von Mikroben erwiesen sein. Viel schwieriger ist die gleiche Frage für die tierische Zelle beziehungsweise den Tierkörper zu ent- scheiden. Ob das Innere des tierischen Körpers Mikrobenfrei, ob Tiere ohne Mikroben verdauen können, ist trotz zahl- reicher, diese Fragen behandelnden Arbeiten noch nicht ganz sicher entschieden. Obwohl die Untersuchungsmethoden zum Nachweise von Mikroorganismen bereits eine große Sicherheit verbürgen, ist die so 488 Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? wichtige Frage, ob Bakterien im Blute lebender Tiere oder des Menschen normaler Weise vorkommen, nicht sicher entschieden. Zahlreiche Forscher, welche sieh bisher mit dieser Frage be- schäftigt haben, sind zu entgegengesetzten Resultaten gelangt. Van der Brock (Annalen der Chemie und Pharmakol., 1860) gibt an, dass arterielles Blut, wenn der Luftzutritt absolut ausge- schlossen ist, bei 25° bis 30° sich unverändert erhielt. Pasteur (Compt. rend., Bd.56, S. 138) fand in frischem und ge- ronnenen Blut keine lebendigen züchtbaren Organismen. Burdon Sanderson (Thirteenth Report of the Med. off. of the Privy Conneil) kam zu gleichem Resultate. Hensen und Lüders (Arch. f. mikrosk. Anat., 1867, S. 317, 342) fanden, dass mit größter Sorgfalt aus dem Herzen entnommenes Blut bei 40° nach 3 Tagen voll von Bakterien war. Billroth (Untersuch. über die Vegetationsformen der cocobaet. septica, S. 60) sagt: Für mich sind die angeführten Versuche be- weisend, dass sich in den meisten Geweben des Körpers, vorwiegend wohl im Blute, entwicklungsfähige Bakterienkeime finden“. E. Tiegel (Arch. für pathol. Anat., Bd. 60, S. 453) hat ebenso wie Billroth die zu untersuchenden frisch ausgeschnittenen Organ- teile in Paraffin eingeschmolzen und stets Fäulnis eintreten sehen. Vielfache Wiederholungen dieser Versuche ergaben stets dasselbe Resultat. Billroth gibt später (Arch. f. klin. Chirurgie, Bd. 20, S. 342) an, dass aus der a. carotis vom Hunde mit allen Kautelen entnommenes Blut konstant in Fäulnis überging. Rosenberger (Centralbl., 1882, Nr. 4) fand nach Injektion ge- kochter septischer Substanz ins Blut lebender Tiere bald Bakterien in demselben. kossbach (Centralbl., 1382, Nr. 5) konnte durch mikroskopische Untersuchung im Blute gesunder Tiere keine Bakterien auffinden, so- bald er aber Papayotin ins Blut brachte, fanden sich bald zahlreiche lebendige bewegliche Bakterien. P. Zweifel (Zeitschrift f. physiol. Chemie, 1882, Bd. 6, S. 386) gibt an, dass unter Quecksilber aufgefangenes Blut, wenn es frisch und sauerstoffhaltig gewesen war, unzersetzt blieb, Blut hingegen, welchem der Sauerstoff entzogen war, faulte stets ohne Berührung mit der Luft, was Zweifel aus der Wirkung von Organismen erklärt, welche zwar im Blute immer vorhanden sind, aber durch den Sauer- stoff an der Fortpflanzung verhindert werden, hingegen sauerstofffreies Blut in „Drachengift“ verwandeln. Zahn (Archiv f. path. Anat., 1834) glaubt, weil es ihm gelang, frisch aus dem Körper entnommenes Blut lange Zeit aufzubewahren, dass vermehrungsfähige Organismen im Blute nicht vorhanden sind. Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? 489 Ob Bakterien im Blute lebender Tiere vorhanden sind, hat v. Fodor (Archiv f. Hygiene, Bd. 4, S. 129) durch besondere Versuche zu einer endgiltigen Lösung zu bringen gesucht. Zunächst stellte er fest, dass bei gesunden Kaninchen, wenn Blut während des Lebens unter hinreichenden Vorsichtsmaßregeln entnommen wird, in gut bereiteter und zum Züchten höchst geeigneter Pepton- gelatine bei 20° bis 37° züchtbare Bakterien nicht enthalten sind. Dann hat er verschiedene nicht pathogene Bakterienarten Bact. termo, Baeill. subtilis und Bac. megaterium lebenden Kaninchen in die Vena jugularis injiziert. Vor und in verschiedenen Zeiträumen nach der In- jektion wurden den Tieren Blutproben entnommen und auf ihren Bak- teriengehalt geprüft. Ein Teil der Tiere wurde normal gefüttert und gehalten, ein anderer hungern und frieren gelassen. Es ergab sich, dass bei gesunden Tieren sehr schnell selbst große Mengen Bakterien aus dem Blute verschwanden, während bei den kränkelnden Tieren dieses etwas länger dauerte. Sowie nun das Blut zweifellos befähigt ist große Massen nicht pathogener Bakterien zu vernichten, ist es oft auch im Stande mit schließlichem Erfolge pathogene Bakterien ganz zu vernichten. Be- wiesen wird dieses für das Verständnis der Heilung der Infektions- krankheiten wichtige Moment dadurch, dass minimale Mengen Impfstoff, welche aber den spezifischen Organismus enthalten, nicht infizieren und die typisene Erkrankung herbeiführen. Selbst Milzbrand ist beim Menschen heilbar durch die zerstörende Kraft des Blutes und der Körpersäfte. Wenn ein Mikroorganismus ım Blute eines Tieres oder des Menschen wächst und sich lebhaft vermehrt, ist er, beziehungsweise wird er pathogen, weil durch das massenhafte Auftreten, abgesehen von seinen Stoffwechselprodukten schwere Störungen im Organismus des infizierten Tieres entstehen müssen. Ferner liegt eine Arbeit von Trombetta vor (Centralbl. f. Bak- teriologie, Bd. IV, S. 664), wonach es eine Grenze gibt, unter welcher das Blut und die Organe ganz gesunder gewaltsam getöteter Tiere frei von Fäulnisbakterien bleiben. Für Mäuse wurde z. B. bei Zimmer- Temperatur bis zu 19 Std. Bakterienfreiheit des Blutes gefunden, im Eisschrank selbst noch nach 22 Std., während bei Bruttemperatur be- reits nach 5 St. die Infektion stattgefunden hatte. Stets findet die Infektion von den Eingeweiden aus statt. So weit sich bis jetzt die Resultate übersehen lassen, scheint fest- zustehen, dass es öfters gelingt, von lebenden oder auch eben ge- storbenen Tieren Blutproben zu entnehmen, welche nicht faulen. Es ist ja auch denkbar, dass bei der großen Zerstörungskraft, welche das Blut und die Gewebe lebender Tiere für Mikroorganismen besitzen, oft 490 Kochs, Gibt es ein Zellleben ohne Mikroorganismen ? ein Moment eintreten kann, wo die Säfte und Gewebe des Tieres mikrobenfrei sind. Dieses ist dann ein glücklicher Zufall. Ob tierische Gebilde dauernd keimfrei sein können, und speziell die Verdauung ohne Beihilfe von Mikroben ganz möglieh ist, lässt sich wohl nur in analoger Weise, wie ich es mit Pflanzensamen ausführte, mit geeigneten Tiereiern, die man nach Sterilisierung ihrer Oberfläche keimfrei zur Entwicklung bringt, feststellen. Die Schalen mancher Bier, z. B. der Ascaris megalocephala, der Daphnia-, Cyelops-, Cypris- Arten lassen sich ohne Beeimträchtigung der Entwicklungsfähigkeit mit starken Sublimatlösungen und absolutem Alkohol waschen. Nach M. Nussbaum entwickeln sich die Eier der Ascaris megalocephala in heagentien, die sonst alles Lebendige abtöten (M. Nussbaum, Sitzungs- beriehte der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. Ueber Lebenserschemungen bei Infusorien). Selbst völliges Eintrocknen hindert nieht die Ausbildung des Embryo. Crustaceeneier entwickeln sich im Magen von Polypen weiter, während die Muttertiere verdaut werden. Die Schale solcher Eier wird man daher jedenfalls keimfrei machen können. Der Versuch aus so sterilisierten Eiern in keimfreien Flüssigkeiten mit keimfreier Nahrung Tiere zu ziehen, welche aus sich nach dem Tode nicht faulen können, ist, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, immerhin möglich und mit Rücksicht auf die prinzipielle Frage hoffe ich auf sein schließliches Gelingen. Bei den Versuchen, Pflanzensamen mit wässerigen Sublimatlösungen zu sterilisieren, waren, wie oben erwähnt, so viele Misserfolge, dass ich in letzter Zeit infolge einer Angabe bei de Bary, wonach Kresse- samen 8 Tage in absolutem Alkohol verweilen können, ohne ihre Keim- fähigkeit einzubüßen, verschiedene Samen bis 4 Wochen in 9),5proz. Alkohol bei Stubentemperatur aufbewahrt habe. Nach den heutigen Ergebnissen der Bakteriologie sind durch 4 Wochen absoluten Alkohol sicher alle Mikroorganismen und deren Keime getötet. Völlig lufttrockene Samen von Erbsen, Sommerrettig und Kresse, welche mir von Prof. Körnicke in freundlichster Weise in zahlreichen Abarten zur Verfügung gestellt waren, ertrugen ohne Beeinträchtigurg der Keimfähigkeit in großer Zahl, Erbsen sämtlich, ein vierwöchentliches Verweilen in absolutem Alkohol. Neue Keim- versuche mit so behandelten Körnern gaben bedeutend bessere Resultate als die mit wässeriger Sublimatlösung behandelten. Durch absichtliches Verletzen der Samenhüllen stellte sich heraus, dass die Erhaltung der Keimfähigkeit des Samens im Alkohol auf dem nicht Eindringen beruht. Es ist wohl eine für die Sterilisierung mit antiseptischen Flüssigkeiten wichtige Thatsache, dass es vegetabilische Häute gibt, welche Alkohol geradezu nieht durchlassen. v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. 491 Zahlreiche Versuche, welche ich anstellte, um lebenden Tieren abgeschnittene Teile ohne Fäulnis zu erhalten, haben kein ganz sicheres Resultat ergeben. Tritonen schnitt ich mit sterilisierter Scheere lebend den Schwanz ab, nachdem derselbe !/, Minute in Sublimat 1: 2000 Wasser getaucht war. Solche Schwanzstücke habe ich in Paraffinum liquidum und unter Quecksilber aufbewahrt, aber stets erhebliche Zer- setzungen beobachtet. Zunächst dürfte deshalb die von v. Fodor’sche Ansicht, dass tierische Organismen gelegentlich ganz keimfrei sein können, zu Recht bestehen. Jedenfalls dürfte als bewiesen gelten, dass das Zell- leben ohne Mikroorganismen bestehen kann. In letzter Zeit ist auch von H. Moeller!) das biologische Ver- hältnis zwischen dem Knöllchenpilz der Leguminosen nicht als Sym- biose, sondern als Parasitismus aufgefasst worden. Während an den Wurzeln von Lupinus luteus die Knöllehen sich in den verschiedensten Bodenarten entwickeln, fehlen sie bei den in Torf- oder Heideerde ge- züchteten Pflanzen. Die Knöllehen entstehen durch Einwanderung von Bakterien aus dem Boden; in Torf- und Heideerde sind diese Bakterien nicht vorhanden. Die oben beschriebenen Versuche sind in dem von mir während 4 Semestern geleiteten tierphysiologischen Laboratorium der landwirt- schaftlichen Akademie in Poppelsdorf unter einigermaßen schwierigen Verhältnissen gemacht. Bis auf die Versuche mit sterilisierten Tier- eiern halte ich die Ergebnisse für feststehend, nur bedaure ich, dass es mir nieht möglich war, mangels der notwendigen Vorrichtungen, in großen sterilisierten Keimapparaten Pflanzen bis zur Fruchtreife ohne Mikroben zu entwickeln. Bemerkungen zur Embryologie der Gasteropoden, 11. Vorläufige Mitteilung von R. v. Erlanger, Privatdozent der Zoologie. (Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg.) Seit mehreren Jahren mit der Entwieklungsgeschichte und Anatomie der Mollusken beschäftigt, verfüge ich über eine Anzahl Beobachtungen, welche an Süßwasserpulmonaten und speziell an Planorbis und Lymnaeus angestellt wurden. Da ich nun augenblicklich mit Arbeiten auf einem ganz anderen Gebiet beschäftigt bin, will ich nur ein Organ, welches ich genauer bearbeitet habe, jetzt näher beschreiben, um später die anderen, welehe 1) H.Moeller, Bemerkungen zu Frank, Mitteilung über den Dimorphis- mus der Wurzelknöllchen der Erbse. Berichte der deutschen botan. Gesell- schaft, Bd. X, 1892, Heft5, 8. 242. 492 v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. mir wichtig, oder einer gründlieheren Untersuchung wert erscheinen, zu behandeln. | Die Urnieren der Süßwasserpulmonaten sind paarige larvale Ex- kretionsorgane, welche hier in höherem Maße als bei allen anderen Mollusken ausgebildet sind. Die Urniere bildet einen V-förmig ge- kniekten Kanal, welcher, wenn man den Embryo in seitlicher Lage betrachtet (Fig. 1) von vorn und vom Rücken nach hinten und ventral- wärts zieht. Die Urniere mündet durch eine ovale Oeffnung (aö), welche seitlich unweit des Afters liegt, nach außen, während das andere Ende, durch einen Wimpertrichter (ww) mit der Leibeshöhle in offener Verbindung steht. Fig. 2 gibt die Urniere (und zwar die rechte) in horizontaler An- sicht wieder. Schon Fol |2] hat beide Oeffnungen beschrieben aber nur die äußere richtig abgebildet, während Bütschli [1] nur die innere ver- mutete und Rabl |3] sowohl die äußere wie auch die innere voll- ständig entgingen. Die Urniere besteht nun nieht, wie Wolfsohn |4] meint, aus einer einzigen großen Zelle, sondern aus mehreren, wie habl ganz richtig angegeben hat. Zunächst fällt uns an der Knickungs- stelle eine große Zelle (rz) ins Auge, welche einen großen Kern, mit mächtigen sphärischen Nucleolus enthält und von Bütschli entdeckt wurde. Obgleich dieselbe sehr leicht zu sehen ist und vorzugsweise die Auffindungen des ganzen Organs ermöglicht, ist sie merkwürdigerweise einem so scharfsinnigen Beobachter wie Fol vollständig entgangen, während sie von den übrigen drei hier bereits angeführten Forschern gesehen und abgebildet wurde. Die Riesenzelle (rz), wie ich dieselbe der Deutlichkeit halber nennen will, springt buckelförmig von der ventralen Peripherie des Urnierenganges; welche hier zu einer Ampulle erweitert ist, in das Lumen herein und bezeichnet die Grenze zwischen dem zuführenden (29) und dem ausführenden (ag) Teil des Exkretionsorganes. Der Ausführgang (ag) zeigt einen deutlich zelligen Bau und ist bei Lymnaeus etwas kürzer als der zuführende (2g), welcher ebenfalls eine v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. 495 deutliche zellige Wandung besitzt. Da bei seitlicher Ansicht die Kerne des zuführenden Ganges, stets auf derselben Seite des Lumens gelegen sind, spricht dieser Umstand entschieden dafür, dass diese Zellen durch- bohrte sind. Wahrscheinlich gehen sie aus der Riesenzelle, welche nach Rabl die Anlage des ganzen Organs repräsentiert, durch Teilung hervor. Dieser Punkt bedarf jedoch einer erneuten Untersuchung !). Der Wimpertrichter (wt) wird von einer Endzelle gebildet (e2), welche einen größeren Kern zeigt als alle anderen Zellen der Urniere, mit Ausnahme der Riesenzelle. Sämtliche Urnierenzellen enthalten rundliche Exkretkörner, mit welchen Fol die Kerne verwechselt hat. Gehen wir nun genauer auf den Bau der Wimpertriehter (21) ein, so fällt zunächst auf, dass er zweierlei Gestalt zeigt, je nachdem wir auf die seitlich und nicht endständig (wie Fol angibt) gelegene Oeffnung von der Fläche (Fig. 2) blicken oder den Triehter im Profil betrachten (Fig. 1). Beobachten wir die Oeffnung von der Fläche (Fig. 2), so hat der Triehter eine löffelförmige Gestalt. Aus der ovalen Oefinung sehen wir eine fein längsgestreifte Membran herausragen, welche sich ganzen Verlauf des zuführenden Ganges, also bis zur Riesenzelle hin, in Gestalt einer wellenförmigen Linie verfolgen lässt. Aus der Be- schaffenheit der Membran und aus der Kontinuität der eben erwähnten Linie geht unzweideutig hervor, dass wir es hier mit einer undulieren- den Membran und nicht etwa mit Wimperhaaren oder Cilien (wie früher geglaubt wurde), zu thun haben. Dieser Punkt, die seitliche und nicht terminale Lage der inneren Oeffnung, und die Endzelle sind allen früheren Beobachtungen ent- gangen. Ich muss mich an dieser Stelle damit begnügen, kurz auf die Homologien im Bau der eben besprochenen Urnieren mit den Exkre- tionsorganen der Rädertiere hinzuweisen und „hofte bald auf diesen Punkt zurückkommen zu können. Besehen wir uns dagegen den Wimpertrichter von der Seite, so ist das blind geschlossene Ende schräg abgestutzt (Fig. 1) und bildet mit der, aus der Oeffnung herausragenden Membran ein Dreieck. Damit wäre das wichtigste über den Bau dieser interessanten Organe gesagt, und ich will nur noch zum Schluss erwähnen, dass die hier in Kürze mitgeteilten Resultate, sowohl durch Schnittserien, als auch durch Beobachtung ganzer lebender und abgetöteter junger Embryonen, sowie herauspräparierter Urnieren gewonnen wurden. 4) Ich A schon jetzt behaupten zu können, dass der Ausführgang bis zur Riesenzelle (exklusive) ektodermaler Natur ist und durch Ein- stülpung (etwa wie bei der-Bythynia) entsteht im Gegensatz zum zuführen- den mesodermalen Teil. 494 Imhof, Rotatorien der großen Seen in Michigan. Auf die Homologien der Urnieren der Weichtiere, mit den Exkre- tionsorganen anderer Tiere, soll erst in der ausführlichen Arbeit ein- gegangen werden, welcher ich photographische Abbildungen beizulegen beabsichtige. Heidelberg, 7. Juni 1894. Litteraturverzeichnis. [1] ©. Bütschli, Entwicklungsgeschichtliche Beiträge „über Paludina vivipara*. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. XXIX, 1877. [2] H. Fol, Developpement des Gasteropodes pulmones. Archives de Zoologie experimentales, 1879— 1880. [3] €. Rabl, Ueber die Entwicklung der Tellerschnecke. Morph. Jahrb., Bd. V, 1879. [4] W. Wolfsohn, Die embryonale Entwicklung von Lymnaeus stagnilis. Bulletins de ’Academie imp6riale des sciences de St Petersbourg, XX, 1880. 5] R.v. Erlanger, Zur Entwicklung von Paludina vivipara II. Vorläufige Mitteilung. Zool. Anzeiger, Nr. 370, 1891. [6] Derselbe, Bemerkungen zur Embryologie der Gasteropoden, I. Biol. Centralblatt, Bd. XII, Nr. 1, 15. Januar 1893. Die Rotatorien der großen Seen in Michigan, Nord-Amerika. Referat von Dr. phil. Othmar Emil Imhof. Jennings publizierte im Mai dieses Jahres im Bulletin der Fisch- kommission des Staates Michigan ein stattliches Verzeichnis der Rota- torien aus den Seen dieses Landes, als Ergebnis von Studien, ausgeführt für die Fischkommission während der zwei Sommer von 1892 u. 1893 in den Muskegon, Newaygo Oceana und Mecosta countries. Im See St. Claire fand er die große Zahl von 110 Species. Wohl aus keinem See sind bisher eine solche Anzahl von Rädertierchen be- kannt. Es zeigt dieses Resultat, wie sehr spezielle, lokale Erforschung kleinerer Tiergruppene reichen Erfolg der Kenntnis der Süßwasser- Fauna bringt. Im Ganzen enthält das Verzeichnis 122 Species mit 6 neuen Arten. Am reichsten vertreten sind die Familien der Notommatadae, 23 Species, der Cathypnadae durch 12 Species, der Philodinadae durch 11 Species und der Dinocharidae mit 10 Species. Von der Gesamtzahl wurden 49 Arten nur im St. Olairsee, 12 Species nur in Binnenseen nachgewiesen; sowohl im St. Clairsee als auch im anderen Seen 61 Arten. Pelagisch lebende Rotatorien führt der Autor 19 Speeies auf, von denen 12 in meiner: Zusammensetzung der pelagischen Fauna!) der europäischen Seen nicht enthalten sind. 4) Diese Zeitschrift Bd. XII, 1892, Nr. 6, 8. 176—177. Lueiani, Beziehungen zwischen Groß- und Kleinhirn. 495 Rhizota: 1. Floscularia pelagica Rhs.4.Synchaeta stylata Wrz. 2. Apsilus lentiformis Mtsch. 5. Gastropus Iynceus Ehr. 3.Conochilus unicornis khs. 6.Gastropus Hudsoni Imh. Ploima: 1. Asplanchna Herricki d.Grn. 7. Mastigocerca capueinaWrz. Zach. 2. Ascomorpha hyalina Kll. 8.Notops pygmaeus Clm. 3. Anapus ovalis Brg. 9. Notommata monopus Inn. Die 6 neuen Species sind: Ploima, Loricata: 1. Notops laurentinus Inn. 2. Notommata monopus Inn. 2. Notommata trumcata Inn. 4. Mastigocerca lata Inn. 5. Rattulus sulcatus Inn. 6. Salpina macrocerca Inn. Im Wesentlichen zeigt die Rotatorien-Fauna dieses Gebietes mit denjenigen der europäischen Seengebiete große Uebereinstimmung, weist aber auch ihr eigen angehörende Arten auf. L. Luciani, De linfluence qu exercent les mutilations cere- belleuses sur lexeitabilite de Tecorce eerebrale et sur les reflexes spinaux'). (Archives Italiennes de Biologie, t. XXI). Den im Biologischen Centralblatt (Bd. XIIL, 1893, S. 60) mit- geteilten Nachrichten über die von Herrn Prof. Luciani aus Rom begründete Lehre der Physiologie des Kleinhirns lassen wir noch einen kurzen Bericht über das, was vom Verfasser während des Inter- nationalen medizinischen Kongresses in Rom über dieselbe Frage vor- getragen wurde, folgen. Auf Grund einiger Versuche gelangte Herr Dr. Russel (British Medical Journal) zum Ergebnisse, dass der Entfernung eines Halbteils des Kleinhirns eine Verminderung der Reizbarkeit der entgegengesetzten Großhirnrinde und eine Erhöhung der Sehnen- und Periostreflexe des gleichseitigen Körperteils, besonders an den Unterextremitäten, folgen. Die erste dieser neuen Erscheinungen wurde von Russel erklärt als Folge des Ausfalls der unterstützenden Wirkung, welche jede Kleinhirnseite auf die entgegengesetzte Großhirnhemisphäre aus- üben sollte. Dieser Ansicht schließt sich Prof. Luciani an. Dagegen widerspricht er der Erklärung, welche Russel von der zweiten Erscheinung gibt, nach welcher eine Kontrolwirkung des Klein- hirns anf die reflektorischen Centra im Rückenmark nach der Exstir- pation ausfallen soll. 1) Communication faite au Congres International de M&deeine. Rome, Mars- Avril 1894. 496 Lueiani, Beziehungen zwischen Groß- und Kleinhirn. Die von Herrn Prof. Luciani festgestellten Thatsachen, dass nach Kleinhirnverletzungen keine deutliche Veränderung weder der allgemeinen noch der spezifischen Empfindlichkeit zu beobachten sei, wurden von Herrn Russel bestätigt. Diese Untersuchungen wurden von Prof. Lueciani wiederholt und deren Resultate mit den von Russel erhaltenen verglichen. Nach dem Verfasser tritt die Verminderung nicht an der ganzen entgegengesetzten Gehirnoberfläche, sondern nur an einigen Stellen derselben auf, und das stimmt mit seiner Lehre überein, nach welcher die Beziehungen zwischen Großhirn und Kleinhirn hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, gekreuzte sind. Es gibt also auch direkte Bahnen zwischen den gleichseitigen Großhirn- und Kleinhirnhälften. Ihre Bedeutung wird am besten dadurch bewiesen, dass die Reiz- barkeit der Großhirnoberflächen mehrere Monate nach Entfernung einer Kleinhirnhälfte nicht nur wiederkehrt, sondern sogar sehr vergrößert ist, und wahrscheinlich in gleichem Grade an beiden Seiten. Dies wird auch durch die Entfernung der Hirnrinde auf einer oder auf beiden Seiten nach Exstirpation einer Kleinhirnhälfte be- wiesen; im ersten Falle treten nur vergängliche Störungen, im zweiten ein dauernder Verlust der Steh- und Gehfähigkeit auf. Auch die Erhöhung der tiefen Reflexe der gleichen Körperseite wurde von Luciani beobachtet; aber diese Erscheinung verschwindet nach und nach, wahrscheinlich infolge der Kompensationswirkung, welche von den direkten Cerebro-Öerebellarbahnen abhängig ist. Eine solche Reflexerhöhung ist auch in den gewöhnlichen Paraplegien zu sehen und wurde von Strümpell erklärt als Folge nicht der ab- steigenden Entartung der Pyramidenbahnen, sondern des Fortfalls von gewissen hemmenden Reflexreizungen, welche wegen der apoplektischen Verletzung zu Stande kommt. Aber während diese Erscheinungen infolge der Gehirnapoplexie nicht verschwinden, geschieht das bei Tieren, deren eine Kleinhirn- hälfte herausgenommen wurde, infolge der obengenannten direkten Kompensationswirkung. Daraus folgt ein entschiedener Unterschied zwischen den Folgen der Großhirn- und der Kleinhirnverletzungen, indem die erste para- Iytisch oder paretisch, die zweiten asthenisch, atonisch und astatisch sind, leichter oder schwerer je nach der Verletzungs- wiechtigkeit. Diese strenge Nomenklatur hält der Verf. für nötig um Täusch- ungen zu vermeiden; in eine solehe ist nach seiner Meinung Herr Russel verfallen, indem er die von ihm beobachteten Erscheinungen Koordinationsstörungen nannte. Treves (Erlangen). Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 49% R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. Von Wilhelm Haacke. In Nr. 11 Bd. XIV dieser Zeitschrift (vom 1. Juni 1894) hat Herr R. v. Lendenfeld eine Kritik meiner Gemmarienlehre veröffent- lieht, die mich zu einigen notgedrungenen Berichtigungen veranlasst. 1) Ueber die in meinem Werke „Die Schöpfung der Tierwelt“ (Leipzig, 1893) enthaltenen Thatsachen sagt Herr v. Lendenfeld: „Diese Thatsachen sind derart gruppiert, zum Theil scharf hervor- gehoben, zum Teil ins Dunkel zurückgeschoben, dass sie auf den Leser den Eindruck machen, als ob sie in ihrer Gesamtheit nichts andres wären als ein Beweis für die Richtigkeit von Haacke’s Anschau- ungen über Umbildung und Vererbung“. Beweise für seine Behauptung beizubringen, hat Herr v. Lendenfeld unterlassen. Es sei mir daher gestattet, hier zu betonen, dass das Gegenteil von dem, was Herr v. Lendenfeld behauptet hat, der Wahrheit entspricht. Vor und während der Redaktion meines Manuskriptes bin ich mehr als einmal erstaunt darüber gewesen, mit welcher Leichtigkeit und in wie weiter Ausdehnung meine Theorie auch selchen Thatsachen der Zoologie ge- recht wird, zu deren Erklärung die Gemmarienlehre nicht ersonnen war. Ich habe deshalb geflissentlich, wo ich nur Gelegenheit dazu hatte, die Schwierigkeiten, die der von mir vertretenen Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften entgegenstehen, geschildert. Wenn in meinem Werke Thatsachen scharf hervorgehoben sind, so sind es grade die, die meiner Erklärungsweise Schwierigkeiten beıeiten: Auf Seite 93 heißt es am Schluss eines Erklärungsversuches der Ent- stehung von Gehörorganen: „Trotz allem Vorgebrachten sind wir aber weit entfernt davon, die Ursachen der Entwickelung von Hörwerk- zeugen ergründet zu haben, und müssen uns deshalb mit obigen Be- trachtungen bescheiden“. Auf derselben Seite steht ferner: „Fast noch schwerer als die Entstehung der Hörorgane ist die der Augen zu be- greifen“. Auf S. 119 findet sich der Satz: „Es ist schwer, sich die Entstehung der vollkommenen Flieger, wie es manche Vögel und Kerbtiere sind, durch den Gebrauch der Organe vorzustellen“, und der weitere: „Noch schwerer zu begreifen als die Entstehung selbstthätiger Flugorgane ist aber diejenige solcher Vorrichtungen zur Nutzbarmachung der Luft, bei welchen das Organ nicht in Thätigkeit tritt, sondern nur den Wind auf sich wirken lässt, oder auch nur durch die geringe Schwere der in ihm enthaltenen Luft zur Geltung kommt. Die Segel- einrichtung der Segelqualle, die mit Luft gefüllten, der Bewegung dienenden Blasen der Fische und Röhrenquallen, die hohlen und des- halb leiehteren Knochen der Vögel, alle diese Einrichtungen sind schwer zu verstehen und können möglicherweise nur durch das Ueberleben XIV. 32 498 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. des Bestgegliederten und des Bestgerüsteten im Verdrängungskampf der verschiedenen Rassen erklärt werden“. Auf Seite 122 habe ich nach v. Lendenfeld einen Leuchtkörper von Astronesthes niger und die schematische Darstellung seiner Wirkungsweise sehr genau abbilden lassen, und dazu habe ich auf S. 123 bemerkt: „Schwierig zu erklären sind die Leuchtorgane, die das Dunkel bei manchen Tieren hervor- gerufen hat. Dass viele Tiere an einzelnen Körperstellen oder mit dem ganzen Leibe leuchten, ist aus chemischen Vorgängen begreiflich; aber einige das Dunkel liebende Fische scheinen förmliche Laternen mit Linsen und Hohlspiegeln zu besitzen (s. Abbildung S. 122), und wie sich diese durch den Gebrauch gebildet haben können, ist nicht leicht zu verstehen“. Auf S. 135 heißt es: „— — solche schützende Aehnlichkeiten, wie es die Durchsichtigkeit der Glastiere und die doppelte oder dreifache Aehnlichkeit der Raupe des Buchenspinners sind, lassen sich nicht durch den Gebrauch der Organe erklären. In diesen Fällen müssen wir annehmen, dass es die Rassenzuchtwahl war, welche die schützende Aehnlichkeit allmählich vervollkommnete“. Auf S.331 liest man über die geflügelten Insekten, die ich zur Unter- klasse der Flügelkerfe vereinigt habe: „Die Entstehung der Tiere dieser Unterklasse, bei denen sich zum Fliegen taugliche Rückenglied- maßen entwickelt haben, ist schwer zu begreifen“. „— — es ist bis jetzt noch keine befriedigende Erklärung dafür gefunden worden“. „Wenn sich infolge irgend welcher Wachstumsverschiebungen, zu welchen Gefügezuchtwahl den Anlass gegeben haben mag, Körper- ausstülpungen gebildet hatten, so mochten diese bei den Männchen lebhafter bewegt werden als bei den Weibchen, sich dadurch ver- srößern und so endlich in den Dienst des Fliegens treten. Freilich können wir uns außerordentlich schwer vorstellen, wie solches ge- schehen konnte — —“*. Auf 8.401 steht: „Als das bezeichnendste Merkmal der Vögel betrachtet man das Federkleid, und dieses dürfte aus der Hautbeschuppung kriechtierartiger Vorfahren hervorgegangen sein; welche Vorgänge aber zur Umbildung der Schuppen zu Federn geführt haben, ist unbekannt. Man kann darüber nur Vermutungen aussprechen — —*. Durch diese und andere Stellen habe ich absichtlich die Schwierig- keiten, die meiner Auffassung der organischen Welt entgegenstehen, hervorgehoben, sie aus dem Dunkel herausgeholt. Wenn nun trotz alledem die in meinem Buche vorgebrachten Thatsachen für die Richtigkeit meiner Anschauungen über Umbildung und Vererbung sprechen, so ist das die Schuld der Thatsachen und nicht die meinige. Dass die Thatsachen der Biologie gegen Weismann und für mich sprechen, ist auch .die Ansicht anderer Forscher. So sagt Wilser im „Correspondenz-Blatt der Deutschen anthropologischen Ge- sellschaft“, Nr. 3, 1894, S. 19: „Für Männer die mit Erfahrungsthat- Haacke, R, v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 499 sachen zu rechnen gewöhnt sind, ist es hocherfreulich, dass nach der neuen, von Haacke aufgestellten Vererbungstheorie erworbene Eigen- schaften sich vererben, ‚nüssen‘“. Derselbe Forscher sagt nach einem Bericht, der mir über einen von ihm am 9. März 1894 in Karlsruhe gehaltenen Vortrag vorliegt (Badische Landeszeitung, 1894, Nr. 72) über meine Lehre: „Die Theorie hat sehr viel Ansprechendes und er- klärt gut alle Erscheinungen des Lebens“, und ferner: „Die Männer der praktischen Anwendung der Wissenschaft, Aerzte und Züchter, finden bei Haacke reiche Belehrung, Erklärung der Erfahrungsthat- sachen und wertvolle Winke, während ihnen Weismann nichts zu bieten vermochte. Die allerfeinsten Vorgänge bei der Vererbung, die sich unseren Sinnen entziehen, werden wohl immer ‚Theorie‘ bleiben müssen. Jedenfalls aber verdient eine solche Theorie den Vorzug, die uns das Verständnis der Natur erleichtert“. 2) Herr v. Lendenfeld sagt in seinem Artikel: „Dem Leser wird es bald klar, dass nach Haacke diese Mischung (nämlich die Mischung der Kernsubstanzen H.) nur deshalb keine Bedeutung hat, weil gerade Weismann es ist, der eine solche besonders betont“. Wenn ich sagen wollte, dass meine Vererbungstheorie nur des- halb Herrn v. Lendenfeld’s Widerspruch hervorgerufen hätte, weil Herr v. Lendenfeld sich schon vor Jahren in verschiedenen Publi- kationen stark zu Gunsten der Weismann’schen Ansicht über die Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung engagiert habe, so würde ich ebenso handeln wie Herr v. Lendenfeld es hier gethan hat. Ich verzichte darauf. Wenn ich der Mischung der Kernsubstanzen eine andere Bedeutung zuschreibe als Weismann, so hat dies lediglich seinen Grund darin, dass mir tausende von Thatsachen, die ich selbst durch jahrelange Züchtungsexperimente ans Licht gezogen habe, zur Begründung meiner Auffassung zur Verfügung stehen. Ich habe in meinem Werke „Gestaltung und Vererbung“ Weismann oft genug Recht gegeben, so de Vries gegenüber; wie also war es möglich, dass Herr v. Lendenfeld behaupten konnte, für mich hätte etwas deshalb keine Bedeutung, „weil gerade Weismann es ist, der eine solche besonders betont“ ? Durch das Obige habe ich mich gegen ein Verhalten der Kritik des Herrn v. Lendenfeld gewendet, von dem ich wohl zum mindesten sagen darf, dass es nicht den üblichen Anschauungen über die Pfliehten der wissenschaftlichen Kritik entspricht. Ich komme nun- mehr zu einigen Behauptungen Herrn v. Lendenfeld’s, denen zufolge ich gerade das Gegenteil von dem, was in meinem Buche „Gestaltung und Vererbung“ entwickelt ist, ausgesprochen haben soll. 3) Herr v. Lendenfeld sagt, dass ich auf dem Fundament der Gemmarienlehre den stolzen Bau meiner „Evolutionstheorie“ er- richtet hätte. Mit Staunen frage ich: Wie kommt Herr v. Lenden- 32* 500 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. feld zu dieser Behauptung? Mein ganzes Buch ist von A—Z der Bekämpfung der „Evolutionstheorie“ gewidmet; schon auf den ersten drei Zeilen des Vorworts habe ich auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Ich bin kein Evolutionist sondern ein so aus- gesprochener Epigenetiker, dass ich selbst die Vererbungstheorie von Oscar Hertwig, den Roux einen „reinen“ Epigenetiker nennt, als eine evolutionistische bezeichnet habe. Für die v. Lenden- feld’sche Behauptung, dass ich den Bau einer „Evolutionstheorie“ errichtet hätte, fehlt mir deshalb jegliche Erklärung, es sei denn, dass Herr v. Lendenfeld den Unterschied zwischen „Evolution“ und „Epi- genesis“, der in den letzten Jahren so vielfach diskutiert worden ist, nicht kennt. Aber das wäre eine Annahme, die ich unmöglich machen kann, denn ich muss doch voraussetzen, dass der Kritiker meiner Gemmarienlehre mein Werk „Gestaltung und Vererbung“, das der Auf- stellung dieser Lehre gewidmet ist, gelesen hat. Führt er es doch auch an! Wenn Herr v. Lendenfeld mein Buch aber gelesen hat, dann bleibt mir seine Behauptung, ich hätte eine „Evolutionstheorie“ aufgestellt, völlig unerklärlich. Ich habe deshalb den betreffenden Satz wiederholt gelesen; allein es steht wirklich auf Seite 414 des „Biolog. Centralblattes“ vom 1. Juni 1894: Haacke „errichtet nun auf dem Fundament der Gemmarienlehre den stolzen Bau seiner Evolutionstheorie!)“. Ich bitte Zeile 6 von unten zu vergleichen. 4) Mein Staunen wuchs, als ich zwei Zeilen später folgenden Passus las: „Erstens weist Haacke dem Zellkern eine viel beschei- denere Stellung im Haushalt!) der Zelle an, als ihm bisher zuge- schrieben wurde“. Wiederum zerbreche ich mir den Kopf vergeblich, wie diese Be- hauptung möglich war. In „Gestaltung und Vererbung“ habe ich grade der Stellung, die der Zellkern im Haushalte der Zelle ein- nimmt, eine viele größere Bedeutung zugeschrieben, als es die meisten Naturforscher heute thun. Auf S. 137 sage ich, es sei „sicher, dass dem Kern eine große Bedeutung als Organ des Stoffwechsels zu- kommt. Das ist durch viele Untersuchungen, in letzter Zeit nament- lich dureh die bedeutenden Arbeiten Verworn’s, unzweifelhaft dar- gethan“. Was ist nun aber der „Stoffwechsel“ der Zelle anders als der „Haushalt“ der Zelle? Wie kommt Herr v. Lendenfeld zu seiner Behauptung? Auf S. 138 von „Gestaltung und Vererbung“ heißt es: „Aber ebenso wichtig wie das Centrosoma für den morphologischen Aufbau des Körpers, ist der Kern für den chemischen“. „Der Kern ist mithin allerdings der Träger sehr wichtiger erblicher Eigen- schaften“. „Wenn man aber, wie es ja eigentlich geschehen muss, den Chemismus des Organismus als ebenso wichtig betrachtet, wie 1) Die Sperrung des Druckes ist von mir. H. Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 501 seine Gestaltungsvorgänge, obwohl diese allein bis jetzt Gegenstand der Vererbungstheorie gewesen sind, so gelangt man zu dem von Verworn aufgestellten Satz, dass dasjenige, was vererbt wird, der Stoffwechsel zwischen Kern und Plasma sei“. Auf die Eigenschaften des Zellkerns und die Wechselwirkung zwischen Zellkern und Zellleib habe ich in Anlehnung an Hatschek und Verworn eine Erklärung des Wesens der Assimilation begründet, und auf die Eigen- schaften des Zellkerns habe ich eine große Reihe von Eigentümlich- keiten, die ich bei meinen Züchtungsversuchen beobachtet habe, zurück- zuführen gesucht. Wie kommt nun Herr v. Lendenfeld dazu, den Satz niederzuschreiben: „Man möchte glauben, wenn man Haacke liest, der Kern wäre ein ganz unwesentliches, accessorisches Gebilde“ — eine Behauptung, die ganz und gar nicht den von mir vorgetragenen Anschauungen entspricht. „Wie es scheint“, sagt Herr v. Lenden- feld, „hat Haacke gar nicht daran gedacht, dass vom Spermatozoon bei der Befruchtung bloß der Kern mit nur wenig oder gar keinem Plasma in die Eizelle eindringt“. Daran habe ich allerdings nicht gedacht! Denn dass wenig oder gar nichts von dem, was ich Plasma nenne, bei der Befruchtung in die Eizelle eindringt, ist eine Thatsache, die ich erst durch Herrn v. Lendenfeld’s Kritik meiner Gemmarien- lehre erfahren habe. Wo ist diese Thatsache beschrieben? Ich habe bisher geglaubt, dass außer dem Kern auch das Centrosoma durch das Spermatozoon übertragen wird, und wer mein Werk über „Ge- staltung und Vererbung“ und meine „Schöpfung der Tierwelt“ ge- lesen hat, der weiß, dass ich grade das Centrosoma für dasjenige Gebilde in der Zelle halte, im welchem das Plasma am reinsten enthalten ist. Es soll mieh aber gewiss interessieren, zu erfahren, dass der Nachweis dafür, dass das Centrosoma des Spermatozoon nicht in die Eizelle eindringt, geführt worden ist. 5) Herr v. Lendenfeld sagt: „Die Beiseitesetzung der Wichtigkeit der Kernsubstanzmischung für die Befruchtung ist auch etwas, worin gewiss Niemand Haacke zustimmen wird“. Man vergleiche diese Behauptung mit S. 245 von „Gestaltung und Vererbung“! Es heißt dort: „Es ist also nicht die Inzucht an sich schädlich, sondern die Verbindung identischer Plasmen und Kernstoffe!), weil jede indi- viduelle Plasmen- und Kernstoffart!) etwas von der die beste Konstitution bedingenden Norm abweicht, weil diese Norm erst wieder durch Verbindung mit einer andern Plasmenart hergestellt wird. Da- durch zeigt sich klar, weshalb nicht Inzucht an und für sich, sondern erst fortgesetzte Inzucht schädlich wird. Wenn wir Generationen hindurch immer Geschwister mit einander paaren, so wird dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass wir identische Plasmen und Kernstoffe!) 1) Die hier gesperrten Worte sind im Original nicht gesperrt. H. 502 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. zusammenbringen eine immer größere. Die Folgen der Inzucht müssen deshalb von Generation zu Generation mehr hervortreten. Es zeigt sich also auch hier unsere Gemmarienlehre in Verbindung mit den von uns gewonnenen Züchtungsresultaten im schönsten Einklange mit dem, was die Tierzüchter schon längst festgestellt haben. Dagegen ist es aus der Weismann’schen Lehre durchaus nicht ersichtlich, weshalb Inzucht so schnell zur Degeneration führen muss; denn soviel ist doch wohl klar, dass die ursprüngliche Verbindung von zwei ver- schiedenen Plasmen und von zwei Kernstoffen!) bei fortgesetzter Inzucht viel leichter wieder dieselben individuellen Plasmen und Kern- stoffe!) in eine befruchtete Eizelle zusammenbringen muss, als es bei der Weismann’schen Annahme möglich sein kann“. Die hier zitierten Sätze sind dem Kapitel über „Mischung und Rückschlag“ entnommen. Ich habe in diesem Kapitel ausführlich die außerordent- lich hohe Bedeutung besprochen, die meiner Ansicht nach die Mischung verschiedener Plasmen und Kernstoffe hat. Diese muss, wie ich nachgewiesen habe, eine starke individuelle Variation verhindern, sie dient zur Befestigung der Konstitution und ist deshalb von einer kaum hoch genug anzuschlagenden Wichtigkeit. Wie kommt, frage ich aber- mals, Herr v. Lendenfeld zu seiner Behauptung, dass ich die Wich- tigkeit der Kernsubstanzmischung beiseite setze ? 6) Hatte ich schon mit wachsendem Erstaunen die Behauptung gelesen, dass ich „dem Zellkern eine viele bescheidenere Stellung im Haushalt der Zelle“ anwiese, „als ihm bisher zugeschrieben wurde“, so wuchs mein Erstaunen noch um ein Beträchtliches, als ich die eine Zeile weiter vorgebrachte Behauptung Herrn v. Lendenfeld’s las, dass ich „durchweg mit der Vererbung individuell?) erworbener Eigenschaften“ arbeitete. Ich habe mir große Mühe gegeben, in „Gestaltung und Vererbung“ die Anschauung, dass individuelle Eigenschaften vererbt werden, zu bekämpfen. Die individuellen Unterschiede spielen nach meiner Ansicht allerdings inbezug auf die Konstitutionsfestigkeit der Organis- men eine Rolle, aber darüber sage ich auf S. 126 ausdrücklich: „Da eine Tier- oder Pflanzenart ihr Plasmagefüge immer ins Gleichgewicht mit den Bedingungen, unter welchen sie lebt, setzen muss, so ist schon hierdurch eine große Uebereinstimmung der Individuen gegeben. Sie werden sich auf einem Gebiete, wo Kreuzung nach allen Seiten möglich ist, nur wenig von einander unterscheiden, denn wenn auch sehr viele verschiedene Gemmarien inbezug auf ihre Festigkeit gegen- über äußeren Einflüssen gleich gut beschaffen sind, so wird doch durch die Mischung der Individuen!) das Gefüge in seinem wesent- lichen Bau ausgeglichen!) werden“. Die individuellen Unterschiede 4) Die gesperrt gedruckten Worte sind im Original nicht gesperrt. H. 2) Der gesperrte Druck ist von mir. H. Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 503 haben demnach für mich nur insofern Bedeutung, als sie sich infolge der Befruchtung ausgleichen. Wie nun ist es möglich, dass Herr v. Lendenfeld von mir behaupten kann, ich arbeitete durchweg mit der Vererbung „individuell“ erworbener Eigenschaften? Nicht nur nicht „durchweg“ habe ich mit diesen gearbeitet, sondern auch nicht ein einziges Mal! 7) Inbezug auf meine Stellung zu der Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften hat Herr v. Lendenfeld folgenden Passus, den ich leider wörtlich anführen muss, niedergeschrieben: „Im Inhalts- verzeichnis zur ‚Gestaltung und Vererbung‘ heißt es auf Seite 5: ‚Zu- sammenfassung. Beweise für die Vererbung erworbener Eigenschaf- ten... 104. Schlägt man nun S. 104 auf und liest das Kapitel bis zum Schlusse (S. 111) durch, so wird man darin nicht nur gar keinen Beweis irgend eines Falles einer vererbten erworbenen Eigenschaft finden, sondern auch vergebens nach dem Versuch eines solchen Be- weises suchen. Da heißt es (5. 107): ‚Diese Thatsachen sind so zahl- rich wie der Sand am Meer‘ und doch wird uns kein einziges solches Sandkorn beschrieben. Weiter (S. 109) lesen wir: „Diejenigen, welche die Vererbung erworbener Eigenschaften leugnen, begehen, indem sie die Natur den einseitigen Anschauungen, zu welchen sie gelangt sind, entsprechend umwandeln, einen zwar verzeihlichen Denkfehler, der aber dennoch nicht unenthüllt bleiben darf‘. Ich muss gestehen, dass mir der ‚Denkfehler‘ wo anders zu liegen scheint“. Ich bitte diejenigen, die mein Werk „Gestaltung und Vererbung“ noch nicht gelesen haben, es aber kennen lernen möchten, nicht nach dem ihnen im obigen Passus durch Herrn v. Lendenfeld gegebenen Beispiel zu handeln. Ich für meine Person pflege Werke, die ich kennen zu lernen wünsche, und die ich, falls ich die darin enthal- tenen Anschauungen kritisieren will, genau kennen lernen muss, in der Weise zu lesen, dass ich das Buch von Anfang bis zu Ende durehstudiere. Ich stöbere nicht im Inhaltsverzeichnisse herum und schlage dann Kapitel auf, die mir gerade auffallen. Ich pflege auch in anderer Weise als Herr v. Lendenfeld zu zitieren. Durch die Eigentümlichkeiten des eben zitierten Passus bin ich genötigt, den- jenigen Teil meines Werkes, dem die in diesem Passus durch Herrn v. Lendenfeld zitierten Sätze entnommen sind, hier abdrucken zu lassen, damit diejenigen Leser, die nicht mein Werk, aber diese Ent- gegnung lesen und Herrn v. Lendenfeld’s Kritik gelesen haben, in einer solchen Weise über meine Stellung zur Frage nach der Ver- erbung erworbener Eigenschaften und die Beweise für eine solche Vererbung orientiert werden, wie ich es meiner thatsächliehen Stellung- nahme entsprechend erachte. „Wir haben“, heißt es auf 5.107, „also in bündiger Weise nachgewiesen, dass allein die Theorie der Epigenesis eine wissenschaftliche Erklärung der Gestaltung und Vererbung zu- 504 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. lässt. Sie hat aber die Vererbung erworbener Eigenschaften zur not- wendigen Voraussetzung; die unerlässliche Vorbedingung ihrer Herr- schaft besteht in der Anerkennung der Thatsachen, welche die Wissen- schaft in Bezug auf die Vererbung erworbener Eigenschaften beigebracht hat. Diese Thatsachen sind so zahlreich wie der Sand am Meer. Wo wir irgend ein kleines selbstthätiges Organ, ein Organ das durch seine aktiven Leistungen Bedeutung für den Organismus hat, antreffen, haben wir es mit einer Erwerbung zu thun, die durch Vererbung im Laufe der Generationen befestigt und durch fortgesetzten Gebrauch erhalten und vervollkommnet worden ist. Die Eigenschaften, die wir, wenn wir die Weismann’sche Begriffsbestimmung annehmen, nicht als er- worbene betrachten dürfen, sind, verglichen mit den erworbenen, außer- ordentlich gering an Anzahl, und die allergrößte Mehrzahl von ihnen bezieht sich nur auf Eigenschaften wie die Färbung und andere nicht direkt bedeutungsvolle Einrichtungen, die es ja überall auch in der anorganischen Natur gibt. Was den Organismus zum Organis- mus macht, ist der Besitz erworbener Eigenschaften. Derjenige ist also sicher im Irrtum, der da glaubt, dass man nach Beweisen für die Vererbung erworbener Eigenschaften suchen müsste. Wer nicht durch unzulängliche Vererbungstheorien an dem freien Ge- brauch seiner gesunden Sinnesorgane und seines korrekt arbeitenden Gehirns gehindert ist, der braucht nur irgend ein Tier oder eine Pflanze zu betrachten, um sich davon zu überzeugen, dass die Organismen der Hauptsache nach Eigenschaften besitzen, die ihre Vorfahren durch die Thätigkeit ihrer Organe erworben haben. Ich weiß aber wohl, dass manche Naturforscher fragen werden, wo der ‚experimentelle‘ Beweis für diese ‚Behauptung‘ sei. Meine Antwort ist die, dass die gesamte Organismenwelt das Ergebnis eines großartigen Vererbungsexperimentes ist, das die Natur angestellt hat. Von der Natur zu verlangen, dass sie ihre Züchtungsexperimente so ein- richte, dass sie ohne weiteres: von grübelnden Laboratoriumsgelehrten nachgemacht werden können, scheint mir über die Grenzen berechtigter Forderungen hinauszugehen“. Ich habe dann gezeigt, und des weiteren dargethan, dass nach der Theorie, die ich vertrete, die vererbten Folgen des Gebrauchs und Nichtsgebrauchs sich erst in langen Zeiträumen so häufen können, dass sie sichtbar werden, und ferner, welch unsichere Resultate Experimente über die Vererbung erworbener Eigenschaften liefern müssen, und fuhr auf S. 109 fort: „Mir ist der Gedanke, meine Züchtungsversuche mit Mäusen auch auf die Vererbung der Folgen von Verstümmelungen auszudehnen, gar nicht in den Sinn gekommen, ob- wohl solches leicht hätte geschehen können, da ich ohnehin die Mäuse halten musste. Meine Mäuse behielten ihre Schwänze, und trotzdem wurden merkwürdig viele geboren, die nur ?/, oder !/, der normalen Sehwanzlänge ihrer Eltern besaßen. Das zeigt, wie unsicher Züch- Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 505 tungsversuche über die Vererbung erworbener Eigenschaften sein müssen, wenn man sie nicht von der Natur selbst anstellen lässt, und wenn man der Natur nicht erlaubt, ihren eigenen Gesetzen zu folgen, sondern wenn man sie zwingen will, sich Vorschriften von den Präformisten machen zu lassen. Diejenigen, welche die Vererbung erworbener Eigen- schaften leugnen, begehen, indem sie die Natur den einseitigen Anschau- ungen, zu welchen sie gelangt sind, entspreehend umwandeln, einen zwar verzeihlichen Denkfehler, der aber dennoch nicht unenthüllt bleiben darf. Wenn man verlangt, dass die Wirkung des Gebrauchs und Nichtgebrauchs der Organe schon nach ein paar Generationen sichtbar werden sollen, so vergisst man, dass die Natur viele Jahrmillionen dazu gebraucht hat, um Unterschiede hervorzu- bringen, die unserem blöden Auge sichtbar sind“. Die Quintessenz meiner Ausführungen ist also die, dass demjenigen nicht geholfen werden kann, der seine Augen geflissentlich vor den Millionen und aber Millionen Thatsachen, die die sich selbst überlassene Natur uns bietet, verschließt, und deshalb die Thatsachen, zahlreich wie der Sand am Meer, übersieht, die die Vererbungsexperimente der sich selbst überlassenen Natur zum Beweise der Vererbung erworbener Eigenschaften beigebracht haben. Ein Urteil über die Art und Weise, wie Herr v. Lendenfeld meine Anschauungen in der verliegenden Frage dargestellt hat, überlasse ich gern dem Leser. Beiläufig darf ich hier wohl an die Leugner der Vererbung er- worbener Eigenschaften die Frage richten, ob jemals zu irgend einer Zeit irgend ein Mensch irgend einen Beweis für die Behauptung bei- gebracht hat, dass erworbene Eigenschaften sich nicht vererben können. Wenn jemand diese Frage beantworten kann, so möge er es im Interesse der Wissenschaft thun, damit endlich einmal der durch Weismann heraufbeschworene Streit erledigt wird. Ich glaube nicht, dass ein anderer Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften geliefert werden kann, als ein indirekter. Wenn man zeigen kann, dass die phylogenetische Entwicklung der Organismen nur auf Grund der An- nahme der Vererbung erworbener Eigenschaften verständlich ist, dann haben wir eben diese Annahme zu machen, und den Beweis, dass wir ohne die Vererbung erworbener Eigenschaften nicht auskommen können, falls wir nicht zur alten Einschachtelungstheorie zurückkehren wollen, habe ich in meinem Buche „Gestaltung und Vererbung“ erbracht. Wer dieses Buch freilich zu studieren sich nicht die Mühe nehmen will, der wird nicht in Erfahrung bringen, dass der indirekte und nach meiner Ansicht einzig mögliche Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften längst geführt ist. Uebrigens ist der Beweis, den Dar- win und seine Anhänger für die Richtigkeit der Darwin’schen Selek- tionstheorie beigebracht haben, auch nur ein indirekter. Es hat noch kein Mensch gezeigt, dass jemals ein einziges Individuum einer frei 506 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. lebenden Organismenart auf Grund geringfügiger individueller Eigen- schaften als Sieger aus dem Kampfe ums Dasein hervorgegangen wäre. Dagegen kann man leicht zeigen, dass zu Grunde gegangene Individuen, etwa Seeigel oder Medusen, die an den Strand geworfen sind, keine Eigenschaften haben, die sie von ihren überlebenden Art- genossen unterschieden, und auf die man hinweisen könnte um zu sagen: Wegen dieser Eigenschaft sind die betreffenden Individuen zu Grunde gegangen. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Wenn die Neudarwinisten unsere Beweise für die Vererbung erworbener Eigenschaften nicht anzuerkennen vermögen, so möchten wir sie ge- beten haben, nicht zu verlangen, dass wir ihre Beweise für die Richtig- keit der Darwin’schen Selektionstheorie anerkennen sollen. 8) Nachdem Herr v. Lendenfeld in jenem oben zitierten Passus nachgewiesen zu haben glaubt, dass nicht die Leugner der Vererbung erworbener Eigenschaften, sondern deren Verfechter, und unter diesen besonders ich, einen Denkfehler begangen haben, gibt er zu, „dass die Vererbung erworbener Eigenschaften ja eine ganz schöne Sache wäre, wenn man sich nur vorstellen könnte, wie eine erworbene Eigen- schaft auf die Keimzelle übertragen werden könnte“. Ich wundere mich umsomehr, dass Herr v. Lendenfeld sich das nicht vorstellen kann, als er eine zwar nicht ganz korrekte aber sonst recht gute Darstellung von meiner Erklärung der Uebertragung er- worbener Eigenschaften gibt. Er fährt nach dieser Darstellung meiner Theorie fort: „Wäre das richtig, so müsste jede erworbene Eigenschaft ohne weiters unverändert und ungeschwächt vererbt werden. Nun sagt aber Haacke (Gestalt und Vererbung S. 108, 109), dass die durch Vererbung erworbener Eigenschaften erzeugten Aenderungen der Tiere ungemein klein sind und erst durch Summierung von gleich- artigen Aenderungen bei tausenden von Generationen ein merkliches Ergebnis erzielt würde. Das scheint mir ein Widerspruch zu sein“. Herr v. Lendenfeld musste hier allerdings auf einen vermeint- lichen Widerspruch stoßen, denn er lässt mich ja „durchweg mit der Vererbung individuell!) erworbener Eigenschaften“ arbeiten. Ich arbeite aber nicht mit dergleichen Eigenschaften, sondern nur mit solchen, die von der Gesamtheit einer ganzen Organismenrassen- oder -artschaft gleichzeitig erworben werden. Diese müssen sich, wie sich mit zwingender Notwendigkeit aus der Gemmarienlehre ergiebt, ungeschwächter vererben als solche, die von sehr verschiedenen Individuen, wie wir sie gewöhnlich bei den Kulturorganismen und dem Menschen haben, erworben sind. Aber gänzlich ungeschwächt können sich neue Eigenschaften auch dann nicht vererben, wenn sie gleich- zeitig von den unter sich nahezu gleichen Individuen einer wildleben- 1) Von mir gesperrt. H. Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 507 den Organismenart erworben sind, weil auch diese niemals absolut gleich sind. Da nun durch die Befruchtung, wie ich gezeigt habe, eine Vermischung der individuellen Eigentümlichkeiten, also nach der Gemmarienlehre eine Verschiebung der gesamten Elemente des monotonen Keimplasmas erfolgen muss, die notwendigerweise auch diejenige Verschiebung, die am Plasma der Keimzellen durch Erwerbung einer neuen Eigenschaft zu Stande gekommen war, modifizieren muss, so können sich erworbene Eigenschaften nicht „ohne weiters un- verändert und ungeschwächt“ vererben. Das folgt mit absoluter Sicher- heit aus den Prämissen der Gemmarienlehre, von denen man jede einzelne berücksichtigen sollte, ehe man dem Wunsch folge gibt, ihrem Urheber etwas vorzuhalten, was ein Widerspruch zu sein „scheint“. 9) Es ist nicht zu leugnen, dass die Gemmarienlehre hohe An- forderungen an die stereometrische Phantasie, an das plastische Denken stellt. Aber manche der Vorstellungen, die sie in die Wissen- schaft einzuführen sucht, sind keineswegs schwer zu gewinnen. Nament- lieh diejenigen nicht, welche die Gefügefestigkeit, die Lockerung und die Festigung des Gefüges betreffen. Herr v. Lendenfeld sagt indessen von der Gefügefestigung: „Wie man sich dieselbe aber eigentlich vorstellen soll, ist mir nicht klar geworden“. Obgleich ich nicht glaube, dass sich unter denjenigen Lesern von „Gestaltung und Vererbung“, die das Buch gründlich und mit dem Willen studierten, die Gemmarienlehre zu verstehen, viele befinden werden, denen meine Vorstellungen über die Gefügefestigkeit nicht bald geläufig geworden sind, so will ich es mit Rücksicht auf einzelne Leser doch nicht unterlassen, meine Vorstellungen durch einige Ver- gleiche zu erläutern. Man denke sich erstens eine Pyramide, errichtet aus lauter gleichen Bausteinen bester Qualität, die sorgfältig aneinander gefügt und durch gleichdieke Schichten von gutbindendem Mörtel, der überall dieselbe Beschaffenheit zeigt, aneinander gekittet sind, und stelle im Geist neben diese Pyramide eine zweite, aus zwar einander gleichen aber aus minderwertigem Material verfertigten Bausteinen, die lotterig angeordnet und durch ungleich dieke Schichten von schlecht bindendem Mörtel, der im den einzelnen Regionen seine Qualitäten wechselt, getrennt sind, und man lege sich dann die Frage vor, welehe dieser beiden Pyra- miden ein festeres Gefüge hat. Hat man diese Frage beantwortet, so setze man an die Stelle der Pyramiden solehe Gemmarien, die ähnliehe Unterschiede zeigen wie die Pyramiden. Man denke sich zweitens einen Stab mit langelliptischem Quer- schnitt, also ein flaches Gebilde, dessen Querschnitt etwa die Form einer O0 haben mag, und einen zweiten, mit unsymmetrischem Quer- schnitt, etwa annähernd von der Form eines P, und man beantworte sich dann die Frage, welcher der beiden Stäbe leichter zu zerbrechen 508 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. ist. Dann setze man an die Stelle der Stäbe Gemmarien mit ent- sprechenden Querschnitten. Man nehme drittens ein Pack Spielkarten, werfe die einzelnen Kartenblätter ohne Sorgfalt über einander und verfahre mit einem zweiten Pack ebenso. Man blase dann mit einem Blasebalg auf jeden der beiden Haufen und gebe Acht auf die Wirkung des Blasens. Dann ergreife man mit jeder Hand ein Pack Karten, schiebe in jedem Pack die Karten so zurecht, dass sie einigermaßen aber nieht genau über einander liegen, und stoße nunmehr die Kartenpäcke abwechselnd mit den schmalen und mit den breiten Kanten auf einander, beobachte die Wirkung dieser Prozedur auf die Anordnung der Karten in jedem der beiden Päcke, lege dann, ohne die neue Anordnung der Karten zu stören, beide Päcke horizontal auf den Tisch und blase wieder auf jeden unter Beobachtung der hervorgebrachten Wirkung. Nunmehr be- antworte man sich die Frage: Ließen sich die Kartenblätter vor oder nach erfolgtem Aufeinanderstoßen der beiden Päcke leichter fortblasen? Hat man sich diese Frage beantwortet, so setze man im Geiste an die Stelle der beiden Kartenpäcke auf einander einwirkende Gemmarien mit gegen einander verschiebbaren Gemmen. — — Ich bin um so unfähiger, zu begreifen, dass Herr v. Lenden- feld sich die Gefügefestigung nicht vorstellen kann, als unabhängig von mir andere Forscher ebenfalls auf den Begriff der Gefügefestig- ung gekommen sind. So sagt z. B. H. Buchner in seiner vortreff- lichen Abhandlung „Ueber den Einfluss der Neutralsalze auf Serum- alexine, Enzyme, Toxalbumine, Blutkörperehen und Milzbrandsporen* (Archiv für Hygiene, Bd. XVII), es „würde der durch Anwesenheit von Salzen in der Lösung bedingte Austritt von Wasser aus dem Micellarkörper eine erhöhte Festigkeit des Gefüges und eine vermehrte Resistenz!) hervorrufen müssen“. Ich verdanke die Kenntnis der zitierten Stelle Herrn Professor Buchner, dem ich auch an dieser Stelle meinen Dank dafür ausspreche, selbst. Was Herrn Buchner zu seiner Mitteilung an mich veranlasst hat, ist wohl nicht schwer zu erraten: Offenbar die Aehnlichkeit der Anschauungen, zu welchen Buchner und ich unabhängig von einander gekommen sind. Ich benütze diese Gelegenheit, um auch den Nichtbakteriologen die Lektüre des Buchner’schen Aufsatzes dringend zu empfehlen. 10) Den Gemmen, aus welchen die Gemmarien zusammengesetzt sind, habe ich die Form einer geraden rhombischen Säule zugeschrieben. Herr v. Lendenfeld sagt darüber: „— das ist eine gänzlich unbe- gründete Behauptung, an deren Richtigkeit kein Mensch glauben wird“. Ich gestatte mir angesichts dieses Ausspruchs auf Seite 141 von „Gestaltung und Vererbung“ zu verweisen, wo folgender Passus zu 4) Die Sperrung des Druckes ist von mir. H. Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 509 finden ist: „Ich bin darauf verfallen, den Gemmen die Form einer geraden rhombischen Säule zu geben, weil diese mir am besten geeignet erscheint, die Grundformenverhältnisse der Organismen zu erklären. Gründe dafür, dass dies die wirkliche Form ist, habe ich mich sonst nicht aufzufinden bemüht, weil ich nicht hoffen konnte, dass sich aus mikroskopischen Befunden die Gestalt der Gemmen ab- leiten ließe. Ich ließ mich also von Zweckmäßigkeitsrücksichten leiten, als ich den Gemmen die Form einer geraden rhombischen Säule zu- schrieb“. Ich habe dann des weiteren versucht, durch die ziemlich konstanten Winkel der Pseudopodien von Gromia oviformis die Wahr- scheinlichkeit, dass die von mir angenommene Gemmenform auch die reale sei, nachzuweisen; dass indessen diese Form wirklich die reale ist, habe ich niemals behauptet, und keiner wird es freudiger be- grüßen als ich, wenn mir gezeigt wird, dass es andere Formen gibt, die die Thatsachen besser erklären, als die Form der rhombischen Säule. Was ich durch meine Gemmarienlehre begründen wollte, ist die Erkenntnis, dass wir Formen nur durch Formen erklären können, dass wir die komplizierten Formen des Organismus auf die einfachen aber nichtsdestoweniger festen Formen seiner Plasmaelemente zurück- führen müssen, und mit dem Bestreben, solches zu thun, stehe ich keineswegs allein. Nicht nur Nägeli hat die Notwendigkeit betont, dem Plasma einen festen Bau zuzuschreiben, sondern auch Weismann, zu dessen Schülern sich ja Herr v. Lendenfeld, wie es scheint, rechnet. Ebenso hat Oscar Hertwig eine gesetzmäßige Anordnung seiner Idioblasten im Keimplasma angenommen. Es ist ein Ding der absoluten Unmöglichkeit, geordnete Formenverhältnisse aus einem Chaos zu erklären. Während nun die übrigen Forscher den Plasmaelementen ver- schiedene Formen zuschreiben, habe ich den Versuch unternommen, denjenigen Elementen des Zellleibes, die ich allein zum eigentlichen Plasma oder Bildungsstoif rechne, eine und dieselbe Form zu geben, und zwar deshalb, weil ich diese Elemente als kleine Krystalle be- trachte, die nur aus einem einzigen chemischen Stoffe bestehen. Ich bin der Ansicht, dass es die Pflicht der Kritiker meines Buches ist, grade auf diesen Umstand nachdrücklichst hinzuweisen. Ich bin der erste, der wirklich den Versuch unternommen hat, die stereometrischen Formverhältnisse der Tiere zu erklären aus der Zusammensetzung des Plasmas aus lauter gleichen Bausteinen. Ich habe damit den aller- schwierigsten Teil der Morphologie in Angriff genommen, ein Gebiet, an das sich bisher noch niemand herangetraut hat, und meine Er- klärungsversuche stimmen nicht nur aufs beste mit den Thatsachen, sondern ergeben sich auch mit Notwendigkeit aus meinen Prämissen. Wer diese für falsch hält, der hat auch die Pflieht, seine Ansichten zu begründen, falls er sie öffentlich vortragen will. 510 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. Ich darf diese Gelegenheit wohl benützen, um auf Modelle hinzu- weisen, die ich zur Erläuterung meiner Erklärung der Grundformen- verhältnisse habe anfertigen lassen. Diese Modelle sind vom poly- technischen Arbeitsinstitut J. Schroeder, Aktien-Gesellschaft in Darm- stadt, nach vorheriger Bestellung zu beziehen. Sie können leider nicht so billig hergestellt werden, wie ich es wohl gewünscht hätte; aber wer meine Erklärung der stereometrischen Grundformen kriti- sieren will, wird sich kaum der Notwendigkeit entziehen können, sich die Modelle anzusehen. Sie erleichtern sehr wesentlich das Verständnis meiner Theorie, weil sie Dinge plastisch darstellen, die auf der Fläche schwer wiederzugeben sind. 11) „Einen ganz andren und viel besseren (!H.) Eindruck als diese wenig glückliche Gemmarienlehre macht“ nach Hermm v. Lenden- feld meine neue Tiergeographie. Allein deren Begründung ist so innig an meine Gemmarienlehre gebunden, dass sie mit dieser steht und fällt. Herrn v. Lendenfeld scheint dieser Umstand entgangen zu sein. 12) Herr v. Lendenfeld versichert, dass er durch meine „Kritik der Weismann’schen Theorie erst recht von der Richtig- keit der Weismann’schen Lehre überzeugt worden“ sei. Ich be- merke hierzu, dass ich nicht unter den Anhängern der Weismann’- schen Lehre Proselyten zu machen suche. Das wäre ein gänzlich aus- sichtsloses Unternehmen! Wer gesehen hat, wie überzeugungsvoll die An- hänger Weismann’s jede Schwenkung des Meisters mitmachen, und zwar auch dann, wenn diese Schwenkung von der Fortsetzung des eingeschlagenen Weges abführt, der hat keine Hoffnung mehr, Weis- mann’s Anhänger von den Bahnen abzulenken, welche die Persönlich- keit des berühmten Freiburger Zoologen einzuschlagen für richtig hält. Ich werbe meine Anhänger unter denjenigen, die nicht zur Gefolgschaft Weismann’s gehören, und dass ich unter diesen Freunde finden werde, davon haben mich die zahlreichen Zuschriften, die ich erhalten habe, überzeugt. Auf alle Fälle überlasse ich es gerne der Zeit, meine Theorie zur Anerkennung zu bringen. Neue Ideen brechen sich nicht so leicht Bahn, und es wäre ein thörichter Wahn, wenn man das Trägheitsmoment, das in den Köpfen der Gelehrten eine ebensogroße Rolle spielt, wie in den Systemen der Planeten, für ein wesenloses Ding halten wollte. Zumal meine Theorie darf sich nicht vermessen, die Anhänger Weismann’s beeinflussen zu wollen. Es gibt Leute, die so tief von der Richtigkeit der sich periodisch verjüngenden Weis- mann’schen Theorien durchdrungen sind, dass sie jede neue Theorie Weismann’s von vorherein für richtig halten und ihr sofort nach ihrer Publikation zujubeln, wobei sie gleichzeitig ebenso sorgfältig wie willig die durch die neue Theorie überflüssig gemachte nächstvorher- gehende verleugnen. Wie könnte ich wohl diese mit ihrem Urteil Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. 511 fertigen Anhänger Weismann’s durch meine Gemmarientheorie beein- flussen, da diese ein noch nicht abgeschlossenes Urteil zur Voraus- setzung hat. 13) Dureh Erfahrung gewitzigt, habe ich mieh dahin resigniert, dass man auf ungenügende Kritik in nicht seltenen Fällen zu reehnen hat. Eines aber, bilde ich mir ein, darf der Verfasser eines Werkes zum allermindesten von seinem Kritiker verlangen. Die betreffende Forderung ist eine so bescheidene und leicht erfüllbare, und ihre Er- füllung ist von einer so großen Wichtigkeit, dass einem Kritiker wirk- lich nieht zuviel zugemutet wird, dieser Forderung zu genügen. Ja, man kann beinahe sagen, es ist eine unerlässliche Pflicht, die dem Kritiker obliegt, die Pflicht nämlich, den Titel des kritisierten Werkes genau und korrekt anzugeben. Herr v. Lendenfeld hätte von meinem Werke „Gestaltung und Vererbung“ auch den Untertitel „Eine Entwiekelungsmechanik der Organismen“ angeben dürfen. Ich will ihm diese Unterlassung nicht allzu hoch anrechnen. Dagegen habe ich es zu rügen, dass er S. 416 Nr. 11 des laufenden Jahrgangs dieser Zeitschrift, auf der ersten Zeile das betreffende Werk „Gestalt und Vererbung“ nennt. Ich würde gern annehmen, dass hier ein Druckfehler vorliegt, wenn Herr v. Lendenfeld mein Werk „Die Sehöpfung der Tierwelt“ nicht ausschließlich, und zwar im ganzen dreimal, „Die Schöpfung des Tierreiechs“ genannt hätte. Infolge dessen müssen die Leser des Lendenfeld’schen Artikels, die das Werk nieht kennen, annehmen, dass ich es sei, der diesen Nonsens ersonnen habe. Auf dem Titelblatt meines Werkes steht aber „Die Sehöpfung der Tierwelt“. „Tierreich“ ist ein Gruppenbegriff der Systematik, die „Tierwelt“ dagegen ist die Gesamtheit aller Tiere, die gegenwärtig auf der Erde leben und früher auf ihr gelebt haben, und zwar in Abhängigkeit von der sie umgebenden Natur. „Tierreich“ und „Tierwelt“ sind zwei gänzlich verschiedene Begriffe. Ich will ja nun gern annehmen, dass Herr v. Lendenfeld die Wichtigkeit, dieser strengen Begriffsbestimmung nicht anerkennt. Das überhebt ihn aber kaum der Pflicht, die Titel der Werke, die er kritisiert, korrekt wiederzugeben. Zu seiner Entschuldigung will ich wegen unserer lang- jährigen persönlichen Freundschaft glauben, dass er die große Wich- tigkeit, die dem Titel eines Werkes zukommt, ebensowenig anerkennt, wie die Notwendigkeit der Auseinanderhaltung jener beiden Begriffe. Die Bereitwilligkeit, Herın v. Lendenfeld zu entschuldigen, gibt mir nun wohl die Berechtigung, ihm einen wohlgemeinten Rat zu erteilen, den Rat nämlich, den Titel des zu kritisierenden Werkes genau abzuschreiben, wenn er nächstens wieder einmal die Rolle des Kritikers übernimmt. Ich glaube umsomehr zu dieser freundschaftlichen Mahnung be- rechtigt zu sein, als ich schon früher einmal Veranlassung hatte, 512 Haacke, R. v. Lendenfeld’s Kritik der Gemmarienlehre. ein Referat des Herın v. Lendenfeld zu tadeln. In Bd. VII Nr. 12 dieser Zeitschrift musste ich Gelegenheit nehmen, Herrn v. Lenden- feld’s Besprechung meiner Arbeit über „Die Seyphomedusen des St. Vincent Golfes“ in nieht weniger als 8 Punkten zu berichtigen. 14) Nach allem vorhergehenden möchte ich denjenigen Lesern der v. Lendenfeld’schen Kritik, die auch den vorliegenden Artikel lesen, nicht den Ratschlag geben, der in dem folgenden Satz Herrn v. Lenden- feld’s enthalten ist: „Was nun Haacke’s eigene neue Gemmarien- lehre betrifft, so wird es nach dem Gesagten wohl genügen, es dem Leser zu überlassen, sich ein Urteil über dieselbe zu bilden“. Ich bin wirklich nicht im der Lage, es dem Leser überlassen zu können, sich nach dem von Herrn v. Lendenfeld Gesagten ein Urteil über meine Gemmarienlehre zu bilden. Ich muss vielmehr be- tonen, dass ein gerechtes Urteil über diese Lehre abhängig ist von einem gewissenhaften und vielleicht anstrengenden Studium von „Gestaltung und Vererbung“, einem Werke, das das Resultat viel- jähriger Bestrebungen, in die Geheimnisse der organischen Formen einzudringen, ist. Aus Herrn v. Lendenfeld’s Kritik hat der Leser nichts erfahren von der definitiven Widerlegung der Weismann’- schen Determinantenlehre und Amphimixistheorie, nichts von den vielen Stellen, wo ich Weismann in unwiederleglicher Weise Wider- sprüche nachgewiesen habe. Herr v. Lendenfeld hat ihm nichts über das gesagt, was ich unter Epimorphismus und Paramorphismus, unter Orthogenesis und Amphigenesis, unter Korrelation und Autonomie verstehe, nichts von meiner Unterscheidung verschiedener Vererbungs- träger, nichts über meine kritischen Erörterungen von der Bedeutung der Eigenschaften, von bedeutungsvollen und indifferenten Eigenschaften, direkt und indirekt benutzten Einrichtungen, erhaltungsmäßigen und nicht erhaltungsmäßigen Eigenschaften, nichts über die Arten der Auslese, über ökonomische Auslese und kückbildung, über Organauslese und Personenauslese, über konstitutionelle und dotationelle Auslese, Individual- und Rassenselektion, nichts über Mischung und Entmisch- ung, Separation und Kongregation, Amphimixis und Apomixis, nichts über meine Erklärung des Wesens der Assimilation, der Entstehung der Grundformen, der Organe, der Ausrüstung, des Epimorphismus, der geschlechtlichen und der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, der Regeneration, der vier Arten von Rückschlagserscheinungen, die ich unterschieden habe, nichts über das, was ich über Generationswechsel und Polymorphismus, über die Vererbung von Verstümmelungen, über die Erklärung der Xenien und der Telegonie, sowie über periodisch erworbene Eigenschaften gesagt habe. Vor allem hat er auch meine Vererbungsversuche, die m meinen Händen ein so gewaltiges Material von Thatsachen angehäuft haben, wie es noch niemals auf dem Wege systematischer Züchtungsversuche von einem Einzelnen zusammen- Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 513 gebracht worden ist, vollständig ignoriert. Durch die Ergebnisse dieser Versuche werden die Weismann’schen Theorien der Amphimixis und der Determinanten direkt und für immer widerlegt. Herr von Lendenfeld hat aber seinen Lesern nichts von alledem gesagt. Aus diesem Umstand leite ich die Berechtigung her, an den Schluss dieser notgedrungenen Entgegnung auf eineKritik, die ich bei aller persönlichen Freundschaft nicht als genügend bezeichnen kann, das folgende Wort des Altmeisters Goethe, das ich zufällig gestern, während ich mich mit Herrn von Lendenfeld zu beschäftigen hatte, auf der Rück- seite des für den 4. bezw. 5. Juni 1894 bestimmten Blattes meines Ab- reisskalenders fand, zu setzen: „Gegner glauben uns zu widerlegen, wenn sie ihre Meinung wiederholen und auf die unsrige nicht achten“. Auch ein zweites Wort desselben Altmeisters der Morphologie, das zufällig auf demselben Blatte stand, mag hier Platz finden: „Was man nieht bespricht, bedenkt man nicht recht“. Darmstadt, den 6. Juni 1394. Die Vererbung erworbener Eigenschaften. Von Wilhelm Haacke. Die große Wichtigkeit, die einer baldigen Anerkennung der Ver- erbung erworbener Eigenschaften zukommt, veranlasst mieh zu den nachfolgenden Ausführungen, die dazu bestimmt sind, den Sieg der- jenigen nach meiner Ansicht allein berechtigten Auffassung der orga- nischen Natur zu beschleunigen, die ohne die Anerkennung der Ver- erbung erworbener Eigenschaften nicht auskommen kann. Wer sich mit der „Frage“ nach der Vererbung erworbener Eigen- schaften beschäftigen will, hat sich zunächst darüber klar zu werden, ob die Keimesentwicklung eine epigenetische oder eine evolutionistische, auf Präformation beruhende ist. Nach der Weismann’schen Ver- erbungstheorie sind die Organe des späteren Körpers im Keime präformiert. Weismann nimmt an, dass für alle Organe besondere Bestimmungs- stücke oder Determinanten im Keime vorhanden sind. Diese sollen in Gebilden enthalten sein, die WeismannIde nennt, und die sich in größerer Anzahl in der Keimzelle befinden sollen. Jedes Id ist indessen nach Weismann befähigt, den ganzen späteren Organismus hervor- zubringen, und zwar dadurch, dass es sich im Verlaufe der keimes- geschichtlichen Entwieklung in die einzelnen Determinanten zerlegt. Hierdurch wird es selbstverständlich aufgebraucht, und da Weismann die Darwin’sche Annahme eines Keimchentransportes von den Körper- zellen nach den Keimzellen hin mit Recht verwirft, so muss er auf andere Weise dafür sorgen, dass in den Keimzellen Ide für die nächste XIV. 3 514 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. Generation enthalten sind. Er nimmt deshalb an, dass die Ide sich im Anfang der Keimesentwicklung in ihnen gleiche Tochteride teilen, und dass die einen Tochteride bei der Keimesentwicklung aufgebraucht werden, die anderen dagegen in die sich bildenden Keimzellen zu liegen kommen, wodurch diese befähigt werden, sich wieder zu aus- gebildeten Organismen zu entwickeln. Nun ist aber die Teilung der Ide in der Weise, dass aus einem Id zwei vollständige ide hervorgehen, bei den meisten Organismen unmöglich. Das Id ist ein Individuum. Wo sich sonst Individuen, etwa ein- zellige Tiere, oder auch tierische Personen, wie es oft vorkommt, durch Teilung fortpflanzen, ist dies nach Weismann nur deshalb möglich, weil in beiden Teilhälften der betreffenden Individuen Reserveide mit Reservedeterminanten liegen, die beide Teilstücke zu einem vollständigen Individuum ergänzen. So soll bei einer durch einen Querschnitt in zwei Stücke geschnittenen Hydra das hintere Stück vermöge der in ihm liegenden Reservedeterminanten ein Vorderende, und das vordere Stück, ebenfalls, weil es Reservedeterminanten be- sitzt, ein Hinterende regenerieren. Was ermöglicht aber den Iden, sich in dem Mutteride gleiche Tochteride zu teilen? In ihnen müssten doch auch Reserveide liegen, bereit, die beiden Teilstücke des Id, dass sich, sei es der Länge, sei es der Quere nach, geteilt hat, zu ganzen Iden zu vervollständigen. — Mit dieser Annahme käme die Weismann’sche Präformationslehre aber auf die alte Ein- schachtelungstheorie hinaus. Will sie das nicht, dann ist sie unmög- lich; denn es lässt sich auf keine erdenkliche Weise zeigen, dass ein kompliziert gebautesId, das sich geteilt hat, die Möglichkeit besitzt, sich wieder zu ergänzen. Das Id muss einen bestimmten architektonischen Bau haben, weil es den Formenverhältnissen des Körpers, der sich aus ihm entwickeln soll, entsprechen muss. Ein zweiseitig-symmetrischer Körper z.B. kann nur aus einem Id hervorgehen, an welchem ein Oben und Unten, ein Vorn und Hinten, ein Rechts und Links zu unterscheiden ist. Kein Id mit anderen Symmetrieverhältnissen ist fähig, einen zweiseitig- symmetrischen Körper hervorzubringen. Und dasselbe gilt von un- symmetrischen Körpern, wie wir sie beispielsweise bei Schnecken und Plattfischen finden. — Dass sich ein zweiseitig-symmetrisches oder ein unsymmetrisches Id, das sich in irgend einer durch seinen Körper gehenden Ebene geteilt hat, zu einem vollständigen Id ergänzen könnte, ohne dass in ihm selber wieder Reserveide liegen, ist, wenn man nicht seine Zuflucht zur Epigenesis nehmen will, ein Ding der absoluten Unmöglichkeit. Weismann ist dieser Umstand, der seine Präforma- tionstheorie vernichtet, nicht aufgestoßen. Ich fordere die An- Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 515 hänger Weismann’s hiermit ausdrücklich auf, mich zu widerlegen. Da man mir aber, sei es auch nur schweigend, zuge- stehen müssen wird, dass ich Recht habe, so wird damit die Unmög- lichkeit der Präformationstheorie endgiltig dargethan sein. Dann kann die Theorie der Vererbung nur eine epigenetische sein. Die Theorie der Epigenesis nimmt an, dass kein einziges Organ in der Keimzelle vorgebildet ist, sondern dass die Keimzelle aus einem gleichförmigen Stoffgemenge besteht. Wie verhält sieh nun diese An- nahme zu der Frage, wie die Organismen zu der einen Zweck vor- täuschenden Gliederung ihrer Körper gekommen sind’? Versuchen wir es einmal, uns die Entstehung der erhaltungsmäßigen Organisation mit Hilfe des Darwinismus und auf Grund einer epi- genetischen Keimesentwicklung zu erklären. Der Darwinismus nimmt an, dass die Organismen aus irgend einem Grunde variieren. Für eine epigenetische Vererbungstheorie kann das nur heißen, dass das Keimplasma durch diese oder jene Ursachen ver- ändert wird. Da nun aber nach der Epigenesislehre das Keimplasma durchweg denselben Charakter hat, da in ihm keine Organe vorge- bildet sind, so müssen sich sämtliche Organe des Körpers, der aus dem Keimplasma entsteht, verändern, sobald sich das Keimplasma ändert, denn alle hängen ja von dem Keimplasma ab. Dass nun alle Organe infolge von irgend welcher Veränderung des Keimplasma in günstiger Richtung variierten, wäre eine ebenso bodenlose Annahme wie die, dass sie sich alle in ungünstiger Richtung veränderten. Beide Annahmen sind ausgeschlossen. Man musste vielmehr annehmen, dass durch eine Veränderung des Keimplasma die einen Organe in günstiger, die anderen in ungünstiger Weise abgeändert werden. Nun aber nimmt der Darwinismus an, dass jedes Individuum einer Organismenart in anderer Weise variiert als die übrigen. Das eine wird nach dieser, das andere nach jener Richtung hin abändern. Bei dem einen werden diese, bei dem anderen jene Organe günstig, die übrigen Organe aber ungünstig beeinflusst werden. Nach Darwin’scher Annahme wählt ferner der Kampf ums Dasein diejenigen Individuen zur Nachzucht aus, die im höchsten Grade den Anforderungen entsprechen, die durch die jeweiligen Verhältnisse der Umgebung gestellt werden. Es wäre nun aber eine völlig willkürliche und durch Nichts zu rechtfertigende Annahme, dass der Kampf ums Dasein Individuen von genau derselben Beschaffenheit auswählte. Die meisten Organismenarten sind durch eine große Anzahl von Einrichtungen, die zur Erhaltung der Art nötig sind, gekennzeichnet. Wenn aber die Variation nur so beschaffen sein kann, dass die einen Organe in günstiger, die anderen in ungünstiger Richtung abändern, dann muss der Kampf ums Dasein so auswählen, 22% Je) 516 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. dass das eine Individuum vielleicht auf Grund seiner guten Augen zur Nachzucht bestimmt wird, das andere dagegen, weil es ein gutes Ge- hör besitzt, während bei dem Ersteren das Gehör, bei dem Letzteren das Gesicht minder gut entwickelt sein kann. Bei einem Individuum wird die Organgruppe a, bei einem Zweiten b, bei einem Dritten c, bei einem 4., 5., 6. werden die Organgruppen d bezw. e und f aus- schlaggebend im Kampfe ums Dasein sein. Nun ist es zwar wahr- scheinlich, dass mehrere Individuen, bei denen„die Gruppe a das Ueberleben ermöglicht, durch den Kampf ums Dasein zur Nachzucht ausgewählt werden; aber für Individuen mit den ausschlaggebenden Organgruppen b, e und d u. s. w. gilt dasselbe, und es ist durchaus unwahrscheinlich, dass diejenigen Individuen, bei denen die Gruppe a ausschlaggebend für das Ueberleben im Kampf ums Dasein ist, sich miteinander paarten. Das gleiche gilt für die Individuen mit der aus- schlaggebenden Gruppe b, ce, d u. 8. w.; höchst wahrscheinlich werden sich Individuen miteinander paaren, bei denen nicht eine und dieselbe Organgruppe den Sieg im Kampfe ums Dasein herbeigeführt hat. Es kann sehr leicht vorkommen, dass ein Individuum mit guten Augen aber minder gutem Gehör sich mit einem solchen mit gutem Gehör, aber minder guten Augen paart. Bei der Nachkommenschaft muss infolge dessen, wenigstens bei allen Organismen, die sich durch ge- schlechtliche Fortpflanzung vermehren, eine Nivellierung eintreten. Zu einer Züchtung der Organe durch die Darwin’sche Auslese im Kampfe ums Dasein kann es bei epigenetischer Keimesentwicklung überhaupt nicht kommen, wie ich in meinem Buche über „Gestaltung und Vererbung“ (Leipzig 1893) eingehend nachgewiesen habe. Der Epigenetiker ist gezwungen, den orthodoxen Darwinismus zu ver- werfen. Eine Auslese durch den Kampf ums Dasein nehme auch ich an; sie ist aber eine wesentlich andere, als diejenige Darwin’s. Eine epigenetische Vererbungstheorie und Darwin’s Selektions- theorie vertragen sich nicht miteinander. Alle diejenigen Anhänger der Epigenesislehre, die nicht mehr ge- willt sind, an den Darwinismus wie an ein Dogma zu glauben, werden mit der Zeit dahin kommen, mir Recht zu geben. Wenn aber der Darwinismus gefallen ist, dann bleibt nichts Anderes übrig, als eine Vererbung erworbener Eigenschaften anzunehmen, um durch sie die erhaltungsmäßige Organisation der Tiere und Pflanzen zu er- klären. Was versteht man nun unter erworbenen Eigenschaften ? Diese Frage hat mit aller wünschenswerten Schärfe Weismann, und Niemand besser als er, beantwortet. Weismann unterscheidet an jedem Individuum eimen Personalteil und einen Germinalteil. Den Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 517 Personalteil nennt er das Soma. „Erworbene Eigenschaften“ sind nach Weismann solche, die an dem Soma infolge von äußeren Einflüssen oder von Gebrauch und Nichtgebrauch neu hervorgebracht werden, also im Soma und nicht in den Keimzellen oder deren Vorläufern entstehen. Weismann nennt solche Eigenschaften somatogene. Blastogene nennt er dagegen die, welche im Germinalteile, im Keim- plasma der zukünftigen Generation entstehen, und nicht im Soma. Nur diese sollen sich nach Weismann vererben, nieht aber die soma- togenen. Es ist wohl nicht leicht möglich, dass Jemand präziser seiner Anschauung Ausdruck geben kann, als Weismann es in Bezug auf den Unterschied blastogener und somatogener Eigenschaften und die Vererbbarkeit beider gethan hat. Weismann leugnet die Vererbung somatogener Eigenschaften; andere Naturforscher können ohne die Annahme der Vererbung erworbener Eigenschaften nicht auskommen. Die Alternative ist also die: somatogene Eigenschaften vererben sich — somatogene Eigenschaften vererben sich nicht. Dass es sich bei der Diskussion über die Möglichkeit oder Unmög- lichkeit einer Vererbung somatogener Eigenschaften um einen müssigen Streit handle, ist eine zwar gelegentlich geäußerte, aber nicht zu be- gründende Behauptung, und speziell Weismann selbst hat sich das große Verdienst erworben, das Objekt des Streites scharf präzisiert zu haben. Der Streit über die Vererbung erworbener Eigenschaften betrifft die Frage, ob somatogene Eigenschaften sich vererben oder nieht. Auf diese Frage kann man nur mit Ja oder mit Nein ant- worten; ein Drittes gibt es nicht. Wenn wir uns mit dieser Frage beschäftigen wollen, müssen wir uns vor allem über die Begriffe klar sein. Weismann ist sich aber über den von ihm aufgestellten Be- griff der somatogenen Eigenschaften völlig klar, und etliche wenigstens seiner Gegner sind es, Dank der scharfen Begriffsbestimmung Weis- mann’s, auch. Was könnte man, wenn man Weismann’s Definition nieht gelten lassen will, etwa sonst noch unter erworbenen Eigenschaften ver- stehen ? Wenn ich einem schwarzen Pferd an einer bestimmten Stelle der- Brust solange das Haar auszupfe, bis anstatt schwarzen Haares an dieser Stelle weißes Haar wächst — eine Prozedur, die gelegentlich vorgenommen werden soll, um einen sogenannten „Stern“ zu erzeugen, dann ist dieser Stern, der an einer bestimmten Stelle entstandene weiße Fleck, eine erworbene Eigenschaft, obwohl der Fleck insofern im Bau des Pferdes begründet ist, als die Möglichkeit, dass an irgend einer Stelle des Pferdekörpers, oder, was dasselbe ist, an allen Stellen weiße Fieeke durch wiederholtes Ausreißen des Haares hervorgebracht werden können, von vornherein vorhanden war. Dass diese Flecke 518 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. an bestimmten Stellen entstehen, ist aber nicht in dem Bau des Pferdes begründet. Der Versuch, erworbene Eigenschaften im Bau des Plasmas begründet sein zu lassen, ist deshalb aussichtslos. Er- worbene Eigenschaften sind eben solche, die sich im Laufe des indi- viduellen Lebens nicht heranbilden, wenn nicht eine ganz be- stimmte Veranlassung, die dem Organismus bis dahin fremd war, da ist. Und wenn man sagen wollte, dass eine erworbene Eigenschaft in der Anlage vorhanden sein muss, so kann es sich dabei nicht um das handeln, was Weismann und seine Gegner unter einer er- worbenen Eigenschaft verstehen. Das ist nur eine solche, die an einer ganz bestimmten Körperstelle infolge einer ganz bestimmten Einwirkung, die auf die betreffende Körperstelle stattfindet, entsteht, und zwar nur deshalb entsteht, weil eben jene bestimmte Einwirkung auf diese bestimmte Körperstelle erfolgt, die aber nicht entsteht, wenn jene Einwirkung auf diese Körperstelle nicht stattfindet, also auch nicht im Keim angelegt gewesen sen kann. Ob eine bestimmte Ver- änderung, die an einer bestimmten Körperstelle infolge bestimmter Einflüsse bewirkt wird, sich in der Weise vererben kann, dass sie, ohne dass bei den Nachkommen jene Einwirkungen auf diese Körper- stelle von Neuem erfolgen, dennoch an derselben Stelle wieder er- scheint oder ob sie das nicht kann, um diese Frage dreht es sich bei dem Streit um die Vererbung erworbener Eigenschaften, der zwischen Weismann und seinen Gegnern geführt wird. Und diese Frage kann man nur mit Ja oder mit Nein beantworten. Nun könnte man allerdings sagen, auch bei erworbenen Eigen- schaften müsse die Möglichkeit, dass sie entstehen können, im Keim- plasma begründet sein. Das wäre aber eine arge Trivialität. Daran, dass die Möglichkeit der Erwerbung neuer Eigenschaften gegeben sein muss, wenn sich neu erworbene Eigenschaften vererben sollen, hat noch kein Mensch gezweifelt. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, will ich hier einmal darlegen, wie ich mir die Entstehung bestimmter Organe, etwa der Zitzen bei den Säugetieren, die bekanntlich bei den Monotremen noch nicht vorhanden sind, denke. Ich denke sie mir folgendermaßen: Die Vorfahren der heutigen Zitzentiere hatten noch keine Zitzen, son- dern ihre Milchdrüsen öffneten sich gleich denen der Monotremen auf einer siebförmig durchlöcherten Hautstelle. Diese Hautpartie zogen die Jungen dadurch, dass sie die Haut mit dem saugenden Munde fassten, allmählich zu einer Zitze aus, wie ja auch noch heute die Zitzen durch das Saugen und Melken vergrößert werden. An einer ganz bestimmten Hautstelle entstand also infolge einer ganz be- stimmten Einwirkung, nämlich des Saugens, eine warzenförmige Er- hebung der Haut, die nicht entstanden wäre, wenn an dieser Stelle nicht gesogen worden wäre, die also im Keime nicht angelegt war, Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 519 sondern erst erworben wurde, die allerdings erworben werden konnte, weil sie ja sonst nicht entstanden wäre, die aber nur deshalb er- worben wurde, weil eben an jener Stelle gesogen wurde. Diese neu erworbene Zitze bildete sich, nachdem das Säugen auf- gehört hatte, wieder zurück, verschwand aber nicht völlig, wurde nach späteren Geburten wieder herausgezogen, und hinterließ endlich eine niedrige, vielleicht kaum wahrnehmbare, aber immerhin vorhandene und bleibende Erhebung der betreffenden Hautstelle. Von dieser, wie gesagt, vielleicht kaum sichtbaren, aber trotzdem aktuell vorhandenen Hauterhebung nehme ich an, dass sie auf die Nachkommen vererbt wurde. Infolge dessen konnte bei diesen eine größere Zitze entstehen, die eine größere bleibende Hautwarze hinterließ. Wenn letztere wieder vererbt wurde, so wurde die Saug- warze durch fortgesetzten Gebrauch und die Vererbung seiner Folgen bis zu derjenigen erblichen Größe herangebildet, in welcher wir sie heute bei den verschiedenen Gruppen der Säugetiere finden. Und diese Größe ist eine recht beträchtliche, wie wir an denjenigen weib- liehen Säugetieren sehen, die noch niemals gesäugt haben. Nach der Ansicht derer, die weder ausgesprochene Darwinisten, noch entschiedene Lamarckianer sein wollen, und deshalb den Streit über die Vererbung erworbener Eigenschaften für müssig halten, müsste sich die Sache aber ganz anders gestalten: Die zitzenlosen Vorfahren der Zitzentiere variierten infolge von Einwirkungen, welche die Keime veränderten. Die einen erhielten dadurch potentielle Zitzen, die andern nicht. Dort, wo potentielle Zitzen vorhanden waren, wurden diese durch das Saugen herausgezogen, und die Jungen, die an diesen erst durch Saugen herangebildeten Zitzen sogen, überlebten, diejenigen aber, bei deren Müttern keine potentiellen Zitzen vorhanden waren, und die deshalb auch keine aktuelle Zitzen aus der Haut ihrer Mütter heraus- ziehen konnten, gingen zu Grunde. Den Müttern konnte es indessen völlig gleichgiltig sein, ob sie Zitzen hatten oder nicht, denn diese betreffen das Wohl der Jungen und nicht das der Mütter. Diejenigen Jungen nun, die von Müttern mit potentiellen Zitzen abstammten, erbten diese, die einen in höherem, die anderen in geringerem Male; bei einigen aber traten die Zitze infolge günstiger Keimesvariation in ver- stärktem Maße auf. Die Jungen der Letzteren hatten wieder die größten Aussichten im Kampfe ums Dasein und bestanden ihn, während die übrigen Individuen dieses nicht thaten. Auf diese Weise konnten allmählich immer stärkere potentielle Zitzen herangezüchtet werden. Aber diese konnten sich immer nur erst dann zu aktuellen Zitzen heranbilden, wenn die Jungen an den Stellen, wo die Zitzen zur Aus- bildung kommen konnten, auch wirklich sogen. Woher kommt es aber dann, dass die Zitzen schon da sind, lange bevor sie gebraucht werden? 520 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. Für solche halbe Gegner Weismann’s, die nur potentielle, keine aktuelle, Organe gezüchtet werden lassen, um auf diese Weise La- marckismus und Darwinismus zu verquicken, ist es unmöglich, diese Frage zu beantworten. Nach Weismann’s Anschauungen werden aber nicht bloß potentielle Zitzen, sondern wirkliche Zitzen gezüchtet, und die Entstehung der letzteren würde sich leicht begreifen lassen, falls der Darwinismus und Weismann’s Determinantenlehre das Richtige getroffen hätten. Entweder Darwinismus und Determinanten- lehre, oder Vererbung erworbener Eigenschaften. Damit der Streit um die letztere nicht versumpfe, ist es nötig, das Objekt des Streites immer wieder klar zu definieren; nur dann kann der Streit endlich einmal zum regelrechten Austrag gebracht werden. Eine Erledigung des Streites wird aber verzögert, wenn man, wie es leider mehrfach vor- gekommen ist, unter gänzlicher Verkennung des Streitobjektes zurecht- weisend in den Streit einzugreifen sucht. Durch meine obigen Ausführungen gebe ich indessen nicht zu, dass das Problem überhaupt ein noch zu lösendes sei. Ich selbst habe schon in meinem Werke über „Gestaltung und Vererbung“ ge- zeigt, dass erworbene Eigenschaften sich mit Notwendigkeit vererben müssen, und dieser Nachweis ist nicht einmal schwer zu führen. Dass Weismann und andere ihn nahezu für unmöglich halten, kommt daher, weil sie sich in eine präformistische Vererbungstheorie hinein- gelebt haben, und bei Weismann kommt dazu die viel zu weit gehende Unterscheidung des Personalteils von dem Germinalteil des Organismus. Ich habe oben diese Unterscheidung adoptiert, weil es galt, das Objekt des Streites zwischen Weismann und seinen Gegnern klar zu bezeichnen. Indessen ist eine so scharfe Trennung des Personal- teils und des Germinalteils, wie Weismann sie vornimmt, unmöglich. Diese Weismann’sche Trennung kommt darauf hinaus, dass der Germinalteil gewissermaßen in dem Personalteil schmarotzt, dass also beide ein voneinander ebenso unabhängiges Leben führen, wie es Parasit und Wirt thun. Eine solehe Unabhängigkeit des Germinalteils vom Personalteil besteht aber nicht. Wenn wir nun auch die Möglichkeit einer derartigen Trennung des Personalteils vom Germinalteil leugnen, so bleiben, wie ich bei- läufig bemerken will, meine obigen Ausführungen davon unberührt; denn wir können immer Keimzellen und solche Zellen, die noch soviel Keimplasma enthalten, dass sie neue Individuen hervorbringen können, den anderen Zellen des Körpers gegenüberstellen, die das nieht mehr vermögen. Die Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften ist dann die, ob Eigentümlichkeiten, die von diesen letzteren Zellen, nicht aber von den Keimplasma enthaltenden Zellen erworben sind, auf diese in der Weise übertragen werden können, dass eine Vererbung Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 521 erworbener Eigenschaften stattfinden muss, oder ob sie das nicht können. Wenn ich also die Möglichkeit einer Trennung des Personalteils vom Germinalteil leugne, so bleibt meine Polemik gegen unterrichtete Schlich- ter des Streites über die Vererbung erworbener Eigenschaften dadurch unangefochten. Dass eine Trennung zwischen Germinal- und Personalteil, wie sie Weismann annimmt, nicht möglich ist, lehrt eine kurze Ueberlegung. Der Körper eines jeden Organismus bildet ein Gleichgewichts- system; würde er das nicht thun, so würde er zerfallen; und die Keimzellen sind Glieder in diesem Gleichgewichtssystem. Gleich- gewichtssysteme können aber verändert werden, und solches ist bei dem Organismus nicht weniger leicht möglich, als bei anderen Gleich- gewichtssystemen, denn der Organismus ist nichts Starres, sondern etwas in sich Bewegliches, und er ist einem fortwährenden Wechsel unterworfen. Kein Teil eines Organismus kann sich verändern, ohne dass alle übrigen sich mitverändern. Man kann sogar so weit gehen, zu behaupten, dass die Störung des Gleichgewichts in einer einzigen Zelle eine Veränderung des Gleichgewichts in allen übrigen nach sich ziehen muss. Es kann unmöglich anders sein, da die Zellen alle direkt oder indirekt durch Brücken mit einander verbunden sind, ab- gesehen von solchen Zellen, die, wie die Leukoeyten, fortwährend im Körper umherwandern. Eine direkte oder indirekte Verbindung der nicht freibeweglichen Zellen im Körper leugnet heute Niemand mehr. Wenn nun irgend eine Zelle eine von Außen veranlasste innere Ver- änderung erfährt, so müssen die benachbarten Zellen mit denen diese Zelle durch Brücken verbunden ist, mit absoluter Notwendigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden. Dadurch muss sich aber die Störung des Gleichgewichts durch den ganzen Körper hindurch fortsetzen, und sei die Störung auch noch so klein. Ehe die Folgen einer solchen Störung sichtbar werden, muss die Störung allerdings beträchtliche Dimensionen annehmen. Dass aber in jedem einzelnen Falle eine Störung des ganzen Gleichgewichtssystems, das der Körper bildet, ein- treten muss, sobald eine einzige Zelle in ihrem Gleichgewicht gestört wird, kann der Naturforscher unmöglich leugnen. Da nun die Keimzellen mit den übrigen Zellen des Körpers innig verbunden sind und sehr häufig noch besondere Einrichtungen haben, die eine weit- gehende Beeinflussung der Keimzellen seitens der sie umgebenden übrigen Zellen ermöglichen, so muss sich jede Veränderung des Gleieh- gewichts in irgend einer anderen Zelle auch in den Keimzellen fühlbar machen. Und wenn das ursprüngliche und ererbte Gleichgewicht des Körpers dauernd geändert wird, so muss sich auch die Konstitution der Keimzellen dauernd ändern, und zwar mit absoluter Notwendig- keit. Es hieße aller Wissenschaft Hohn sprechen, wenn man dies leugnen wollte. Diejenigen Neuerwerbungen, die Weismann soma- 522 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. togene nennt, müssen sich also auch ohne Weiteres in den Keimzellen fühlbar machen, und umgekehrt müssten blastogene Erwerbungen so- fort das Soma in Mitleidenschaft ziehen, wenn es den von den Körper- zellen rings umschlossenen und mit ihnen in Verbindung stehenden Keimzellen überhaupt möglich wäre, auf eigene Hand Neuerwerbungen zu machen; das ist aber unmöglich. Diejenigen umgestaltenden Ein- flüsse, welche die noch in Verbindung mit dem Soma stehenden Keim- zellen treffen, können nur durch die Körperzellen zu den Keimzellen gelangen, sie können aber nicht durch die Körperzellen hindurch- kommen, ohne diese unberührt zu lassen. Es sind vielmehr Verände- rungen der Körperzellen, die den Veränderungen der Keimzellen vorauf- gehen müssen. Von der umgestaltenden Einwirkung der Umgebung können eben nur diejenigen Zellen zuerst betroffen werden, die un- mittelbar mit der Umgebung verkehren, alle übrigen Zellen werden mittelbar durch die Umgebung umgestaltet, und das gilt ganz beson- ders auch von den Keimzellen. Solange, wie die Keimzellen noch mit den umgebenden übrigen Zellen in Verbindung stehen, können die ersteren sich nicht unabhängig von den letzteren verändern. Alle Ver- änderungen, welche die Keimzellen während dieser Zeit treffen, müssen somatogene sein. Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften löst sich demgemäß in zwei Probleme auf; einmal in das Problem der Um- sestaltung des Körpers und sämtlicher in ihm enthaltener Zellen, die Keimzellen selbstverständlich mit eingeschlossen, infolge von Ein- flüssen der Umgebung oder veränderten Gebrauches der Organe, und zweitens in das Problem der Vererbung. Können wir eine Erklärung für die Umänderung des Gleichgewichts im Körper geben, so brauchen wir nur noch zu zeigen, auf welche Weise sich der entwickelte Orga- nismus aus dem Keimplasma zu bilden vermag, um das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften zu lösen. Denn wenn jede Ver- änderung des Gleichgewiehts sich auch auf die Keimzellen ausdehnt, wenn also dem Gleichgewicht irgend einer Zelle des Körpers ein ganz bestimmtes Gleichgewieht in jeder anderen Zelle des Körpers, natür- lich mit Einschluss der Keimzellen, entspricht, und wenn jede Ver- änderung des Gleiehgewichts in irgend einer Körperzelle das Gleich- gewicht in jeder anderen Zelle, immer wieder mit Einschluss der Keimzellen, verändern muss, so ist die Vererbung erworbener Eigen- schaften ja selbstverständlich. Nicht die Erklärung der Vererbung erworbener Eigenschaften ist es, die besondere Schwierigkeiten macht, sondern die Erklärung der Vererbung überhaupt, der Nach- weis, dass gewisse Zellen, die wir Keimzellen nennen, und deren plas- matische Gleichgewichtsverhältnisse im Gleichgewicht mit sämtlichen übrigen Zellen des Körpers, welchem sie angehören, stehen, befähigt x Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 523 sind, diesen bei weitem größeren Teil des Körpers wieder aus sich hervorgehen zu lassen. Was aber die erworbenen Eigenschaften anbelangt, so ist der Nachweis, dass sie sich gleich allen übrigen vererben müssen, so leicht zu führen, dass man nicht recht versteht, wie kenntnisreiche und tief- denkende Naturforscher gerade darin eine besondere Schwierigkeit erblicken können. „Für Denjenigen, der sich die Größe des Rätsels der angeblichen Uebertragung von Veränderungen des Personalteils auf den Germinal- teil vorgestellt hat“, sagt unser ausgezeichneter Wilhelm Roux, „ist die von Weismann sorgfältig begründete, und neben ihm auch von Owen, Bütscehli, Galton, M. Nussbaum, Jul. Sachs u. a. an- gebahnte Theorie von der Kontinuität des Keimplasma die Erlösung von einem auf unserem Erkenntnisvermögen lastenden Alp, die Befrei- ung von zwei der schwierigsten entwieklungsmechanischen Probleme, von Problemen, welche schwerer lösbar erscheinen, als das der Ent- wieklung des Zweckmäßigen ohne zwecekthätiges Wirken. Als nach Erkenntnis strebende Wesen werden wir dringend wünschen, dass sich dieses Fundament von der Theorie der Kontinuität des Keimplasma immer mehr bewahrheiten möge“. Ich muss gestehen, dass mir dieser Ausspruch des bahnbrechenden Begründers der Entwicklungsmeehanik um so weniger verständlich ist, als er gerade aus dem Munde von Wilhelm Roux kommt. Die einzige Möglichkeit, ein Verständnis für diesen Ausspruch Roux’s zu gewinnen, finde ich in seiner Hinneigung zum Präformismus. Wenn es Vererbung erworbener Eigenschaften gibt, „so müssten“, sagt Roux, „die vom Personalteil erworbenen Eigenschaften nicht bloß auf das Keimplasma übertragen, sondern zugleich auch aus dem entwickelten Zustande zurück in den unentwickelten, dem Keimplasma adäquaten Zustand verwandelt, also impliziert oder involviert werden“. Diese Schwierigkeit fällt aber für den Epigenetiker fort. Der Präformist oder Evolutionist, welcher annimmt, dass die im Keime angelegten Organe während der Ontogenese expliziert oder evolviert werden, muss allerdings auch annehmen, dass erworbene Eigenschaften in den Keim- zellen impliziert oder involviert werden müssen, und wie solches ge- schehen könnte, wäre freilich ein Rätsel, wie es größer wohl kaum gedacht werden könnte. Aber für den Epigenetiker handelt es sich nicht um Implikation und Explikation, um Involution und Evolution, sondern einfach um die Fragen: „Wie haben wir uns die Entstehung von dauernden Gleichgewichtsveränderungen des Körpers zu denken, und auf welche Weise bildet sieh der differenzierte Körper aus dem undifferenzierten Keimplasma“. Was die erstere Frage anlangt, so ist gerade Wilhelm Roux der Forscher, dem das seiner Größe nach kaum zu überschätzende 524 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. Verdienst gebührt, durch Aufstellung der Theorie der funktio- nellen Anpassung die Thore der Erkenntnis geöffnet zu haben. Ich will mich hier aber nicht bei der Erklärung der funktionellen Anpassung aufhalten, da ich es in erster Linie mit der Vererbung zu thun habe. Dass funktionelle Anpassung stattfindet, beweisen die Thatsachen; dass die dadurch bewirkten Gleichgewichtsveränderungen sich mit absoluter Notwendigkeit auch in den Keimzellen äußern müssen, ist gewiss. Somit bleibt nur noch zu erklären, auf welche Weise die Vererbung zu Stande kommt, auf welche Weise aus den- jenigen Gleichgewichtsverhältnissen, die bei der Loslösung der Keim- zelle aus ihrer Umgebung in der Keimzelle herrschen, die Thatsachen der Vererbung zu erklären sind. Das Problem besteht also in dem Nachweis, auf welche Weise es möglich ist, dass gewisse Zellen, die mit den übrigen Zellen des Körpers im Gleichgewicht stehen, befähigt sind, einen diesem Körper gleichen Körper aus sich hervorzubringen. So schwer lösbar, wie es Manchem erscheinen mag, ist auch dieses Problem nicht. Genau genommen kommt es auf die Frage hinaus, auf welche Weise Teilstücke des Körpers wieder zum Ganzen werden können. Das Problem der Vererbung ist also identisch mit dem Problem der Regeneration. Wir werden uns deshalb am leichtesten einem Verständnis der Vererbung nähern, wenn wir die verschiedenen Arten der Regeneration ins Auge fassen, zunächst die kleinerer Defekte, darauf die größerer verloren gegaängener Körperteile, weiterhin diejenigen Fälle von Re- generation, in welchen aus verhältnismäßig wenigen Zellen der ganze Organismus des betreffenden Tier- oder Pflanzenindividuums wieder hervorgeht, endlich die, wo der Körper von einer einzigen Zelle regeneriert wird. Diese aber sind kaum. zu trennen von denjenigen, wo es sich um die Entstehung des Organismus aus einer befruchteten oder unbefruchteten Eizelle handelt. Von den Fällen von Regeneration kleiner Defekte wollen wir zu- nächst einen hypothetischen ins Augen fassen. Es sei eine einzige Zelle im Körper eines Tieres zerstört. Vorausgesetzt, dass dieses Tier an der betreffenden Körperstelle überhaupt die Fähigkeit der Regene- ration besitzt, wird an den Platz der zerstörten Zelle eine andere treten. Dies könnte etwa dadurch geschehen, dass sich eine der be- nachbarten Zellen teilt, und dass von den beiden aus der Teilung dieser Mutterzelle hervorgehenden Zellen die eine den Platz der Mutter- zelle behält, die andere dagegen den der zerstörten Zelle einnimmt. Die Regeneration könnte aber auch auf die Weise erfolgen, dass die Lücke die durch die Zerstörung einer Zelle hervorgebracht worden ist, dadurch ausgefüllt wird, dass sich die benachbarten Zellen zur Schließung der Lücke zusammendrängen und so den Platz der zerstörten Zelle be- setzen. Dadurch müsste aber in der Nachbarschaft ein anderer Platz Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 525 frei werden; zum mindesten müsste das Gefüge des umgebenden Ge- webes derartig gelockert werden, dass nunmehr an irgend einer Stelle, wo die Widerstände der benachbarten Zellen besonders gering ge- worden sind, eine Zellteilung eintritt. Dadurch würde die ursprüng- liche Zahl der Zellen dieser Körperstelle wiederhergestellt werden, und es wäre so auch auf diese Weise die durch Zerstörung einer Zelle entstandene Lücke wieder ausgefüllt. Worum handelt es sich nun in diesem hypothetischen Fall? — Offenbar darum, dass ein Platz, der durch die Organisation des be- treffenden Tieres bedingt ist, frei wurde und wieder besetzt wurde, etwa in der Weise, wie ein Dachziegel, der durch einen auffallenden Stein zertrümmert worden ist, dadurch wieder ersetzt wird, dass man einen neuen Dachziegel an seine Stelle bringt. Es handelt sich also hierbeium dasBestehenbleiben der einmal gegebenen Organisation, des den betreffenden Organismus charakterisierenden Bauplans, und die Kontinuität der Organisation ist sowohl dann ge- währleistet, wenn eine Zelle dadurch, dass sich eine benachbarte Zelle teilt und den von der verloren gegangenen Zelle eingenommenen Platz durch eine ihrer Tochterzellen ausfüllt, ersetzt wird, als auch in denjenigen Fällen, wo eine Verschiebung der benachbarten Zellen zum Zweck der Ausfüllung des leer gewordenen Platzes nötig wird. Zwar mag in diesem letzteren Fall die Organisation nicht bis in alle Einzelheiten beibehalten werden; aber der Bauplan bleibt im großen und ganzen derselbe. Der Bauplan wird aber auch in denjenigen Fällen nicht geändert, wo es sich um die Regeneration größerer Defekte handelt, z. B. um die der Schwanzspitze einer Eidechse. Ist bei einer Eidechse der Schwanz verloren gegangen, so wächst an seiner Stelle ein neuer Schwanz heraus, und nimmt deshalb die Stelle des alten ein, weil ihm diese Stelle dureh die Organisation, durch den Bauplan des ganzen Tieres vorgeschrieben ist. Zwar wird bei den meisten Eidechsen die Organisation insofern etwas gestört, als ein neuer Schwanz gewöhnlich ‘in seiner Beschuppung mehr oder weniger von dem ursprünglichen Schwanz abweicht. Immerhin aber ist die Kontinuität der Organi- sation auch hier eine sehr weitgehende, weil eben der Bauplan des übrigen Körpers durch den Verlust des Schwanzes nieht wesentlich verändert wird. Die Regeneration wird also auch in diesem Fall da- durch ermöglicht, dass der Bauplan beibehalten, und dass die Lücke, die in dem Gebäude entstanden ist, wieder ausgefüllt wird. Will man die Vorgänge, die hierbei stattfinden, mit solehen an menschlichen Bau- werken vergleichen, so kann man etwa sagen, dass es sich bei der Regeneration eines Eidechsenschwanzes um einen Fall analog dem- jenigen handelt, wo etwa die Spitze eines Turmes abgebrochen ist. Will man den Turm nieht ganz und gar umbauen, so muss man sich 526 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. bis zu einem beträchtlichen Grade an den ursprünglichen Bauplan halten. Man würde, falls emer der beiden Türme des Kölner Domes etwa seine Spitze verlieren würde, die neue Spitze nieht wesentlich anders gestalten können als die des anderen Turmes; man würde an deren Stelle nicht etwa die Spitze der Cheops-Pyramide setzen können. Wenn man wollte, könnte man ja immerhin untergeordnete Modifika- tionen vornehmen; aber an der Bruchstelle müsste sich doch das Neue einigermaßen „organisch“ an das Alte anschließen, denn sonst würden die statischen Verhältnisse des Bauwerks beträchtlich gestört und ge- fährdet werden. An die Betrachtung von Fällen, zu denen die Regeneration eines Eidechsenschwanzes, eines Molchbeines und dergleichen mehr gehören würden, schließen wir die, wo eine Regeneration etwa des halben Körpers stattfindet, wie sie beispielsweise beim Regenwurm vorkommt. Schneidet man einen Regenwurm in zwei gleich große Stücke so er- hält dies vordere Stück eine neue Endhälfte und das hintere eine neue Vorderhälfte. Auch hierbei wird der Bauplan beibehalten. Der regenerierte Teil des Nervensystems ist eine Fortsetzung des vorhan- denen; der neue Abschnitt des Darmrohrs eine Verlängerung des alten; kurz, die wiedererzeugte Körperstrecke ist dadurch entstanden, dass die alte an einem Ende gewachsen ist, wobei die einzelnen Teile ihre relative Lage zu einander beibehielten, und das ist dasselbe, wie eine Beibehaltung des Bauplans. Wir können das, worum es sich hierbei handelt, etwa mit der Rekonstruktion des oberen Teiles eines Spitzbogengewölbes, das von vier Säulen getragen wird, vergleichen. Durch den Bauplan dieses Gewölbes, durch des letzteren Statik, wird die Rekonstruktion bis zu einem beträchtlichen Grade vorgeschrieben. Der neue Teil der Säulen muss sich innig an den übrig gebliebenen Teil anschließen, und der Schlussstein des ganzen Gewölbes wird ungefähr wieder dieselbe Lage einnehmen wie der des zerstörten Gewölbes. Ich habe diesen Vergleich hier herangezogen, weil es sich bei der Regeneration sowohl des vorderen, als auch des hinteren Endes eines Regenwurmes um etwas Aehnliches handelt. Wenn das Gewölbe nur soweit zerstört wurde, dass nicht bloß die unteren Teile der vier Säulen erhalten blieben, sondern dass nur der oberste Teil verloren ging, dass also ein beträchtlicher Teil der Spitzbögen übrig blieb, so kann die Rekonstruktion nur auf die Weise stattfinden, dass sie mit Notwendigkeit zu emem dem ursprünglichen sehr ähnlichen oberen Abschluss des Gewölbes führen muss. Ganz ebenso liegen auch die Dinge bei dem Regenwurm. Die Vorderspitze eines solchen Tieres bildet gewissermaßen das, :was bei dem Gewölbe der Schlussstein ist. Dasselbe lässt sich von dem Hinterende sagen. Wir können uns nun wohl vorstellen, dass die statischen Verhältnisse des Regenwurmkörpers Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 527 derartige sind, wie wir sie in den Spitzbogen eines Gewölbes vor uns haben. Auch beim Regenwurm findet eine Fortsetzung der erhalten gebliebenen Teile statt, und wenn diese in ähnlicher Weise angeordnet sind, wie die Spitzbögen, nämlich so, dass sie notwendigerweise an einer bestimmten Stelle gewissermaßen zusammenfließen und dadurch einen Abschluss erhalten, so muss, falls dieser Abschluss eines der beiden Körperenden ist, dieses Körperende notwendigerweise wieder er- zeugt werden. Dass aber die beiden Körperenden des Regenwurms thatsächlich einen statischen Abschluss des Regenwurmbaus bilden, ist nicht zu bezweifeln, denn der Regenwurm ist sogut wie jeder andere Organismus ein Gleichgewichtssystem, und dieses muss not- wendigerweise wieder hergestellt werden, wenn Teile von ihm ver- loren gegangen sind, ohne dass dadurch der Bauplan ins Wanken geriet. Durch Entfernung von Körperteilen bei Tieren wird eben eine Lücke hergestellt, die sich in ebenso notwendiger Weise wieder aus- füllen muss, wie etwa eine Lücke, die durch das Herausschöpfen eines Glases Wasser aus einem Eimer entstanden ist, wieder ausgefüllt wird. Aber die einzelnen Teile des Regenwurms sind bei weitem nicht so leicht gegeneinander verschiebbar, wie die Moleküle des Wassers. Sie behalten ihre Lage im großen und. ganzen bei, und deshalb kann die Regeneration nur eine derartige sein, dass an der Stelle des Defektes neues Baumaterial aus dem Körper herausgedrängt wird, um den Defekt zu schließen. Wir gehen jetzt von dem Regenwurm zu unserer durch ihre große Reproduktionsfähigkeit berühmten Aydra über. Auch bei der Hydra kann der vordere Teil des Körpers den hinteren, dieser den vorderen wieder erzeugen. Man kann aber auch aus dem schlauchförmigen Körper der Hydra einen kleinen Ring herausschneiden, um daraus wieder eine ganze Hydra entstehen zu sehen. An einen solchen Ring können wir ebenso wie an der ganzen Hydra ein Vorder- und ein Hinterende unterscheiden, und wenn beide sich auch nicht durch eine sichtbar zu machende Struktur unterscheiden, so wissen wir doch, dass das vordere Ende nur das Mundende, das hintere nur das Fußende der Hydra wieder erzeugen kann. Es wird also auch in diesem Falle der Bauplan beibehalten, und zwar sehen wir an der Hydra, dass es sich hier um eine Kontinuität der Polarität des Bau- plans handelt. Die Hydra hat einen Mundpol und einen Gegenmund- pol, und die einzelnen Zellen der Aydra sind diesen Verhältnissen ent- sprechend orientiert. Man kann, theoretisch wenigstens, an jeder Zelle einen Mundpol und einen Gegenmundpol unterscheiden und es ist nicht zu bezweifeln, dass die Polarität auch die innere Struktur der einzelnen Zellen beherrscht. Bekanntlich genügen bei der Hydra wenige Zellen, um den Körper zu rekonstruieren, und von diesen wenigen Zellen müssen wir annehmen, dass sie ihre ursprüngliche Polarität beibehalten, 528 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. kurz dass es sich auch hier um eine Kontinuität der Organisation oder des Bauplans handelt. Die Hydra leitet uns nun zu denjenigen Fällen über, wo eine Wiedererzeugung des ganzen Körpers aus einer einzigen Zelle statt- findet. Bekanntlich kommt solches an Begonienblättern vor. Hier sind einzelne Zellen befähigt, eine ganze Begonie zu erzeugen — jedenfalls nur deshalb, weil sie den ursprünglichen Bauplan fortsetzen. Von den mehr oder minder abnormen Fällen, in welehen wir von „Regeneration“ sprechen können, gehen wir nun über zu der nor- malen Wiedererzeugung des Organismus aus einer einzigen Zelle. Wir wollen zunächst das Wachstum der Cryptogamen ins Auge fassen, etwa das eines Laubmooses. Bekanntlich werden die einzelnen Teile eines Laubmooses dadurch erzeugt, dass sich von einer einzigen Zelle der Wachstumszone fortwährend andere Zellen abschnüren. Die betreffende Zelle wird die Scheitelzelle genannt, und von dieser Scheitel- zelle werden fortgesetzt neue Zellen abgespalten, und zwar in der Weise, wie es der Scheitelzelle durch ihre Organisation vorgeschrieben ist. Die Teilungsebenen entstehen an ganz bestimmten Stellen, und es ist nicht zu bezweifeln, dass diese Stellen in der Organisation der Seheitelzelle, d. h. in der Struktur ihres Plasmakörpers, begründet sind. Wollen wir auch diesen Vorgang mit menschlichen Bauten ver- gleichen, so könnten wir etwa sagen, dass sich diejenigen Umbaue mit ihnen parallelisieren lassen, wo an Stelle eines unteren Stockwerks ein anderes gesetzt wird. Zwar handelt es sich dabei um eine ab- sichtliche Veränderung des unteren Stockwerks; aber diese muss sich doch derartig organisch an den stehenbleibenden Teil des Hauses an- schließen, dass sie die Fortsetzung des letzteren nach unten bildet. Das Wachstum der Laubmoose lässt sich in manchen Fällen mit fort- währenden Einschiebungen neuer Stockwerke zwischen dem Dach, näm- lich der Scheitelzelle, und den übrigen Stockwerken vergleichen. Diese Letzteren, die älteren Zellen sterben bei manchen Laubmoosen fort- während ab, und die Scheitelzelle setzt das Wachstum kontinuierlich fort, sie behält also fortwährend ihre Organisation. Es ist ja immer eine und dieselbe Scheitelzelle, die sich unter Beibehaltung ihres Bauplans vergrößert und die neuen Zellen von sich abschnürt. (Schluss folgt.) Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, »physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipzig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 1. August 1894. Nr. 15. Inhalt: Haacke, Die Vererbung erworbener Eigenschaften (Schluss). — Nagel, Er- gebnisse vergleichend - physiologischer und anatomischer Untersuchungen über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. — Gottlieb, Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Pankreassekretion. — Zacharias, Die biologische Süßwasserstation der Universität von Illinois. — Bauer, Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Voeceleiern (Fortsetzune). > >» Die Vererbung erworbener Eigenschaften. Von Wilhelm Haacke. (Schluss. ei einigen Laubmoosen ist die Scheitelzelle des Stämmehens zwei- schneidig, und es gehen deshalb aus ihr zwei grade Reihen mitemander abwechselnder Abschnitte hervor. Bei Laubmoosen mit dreiseitig- pyramidaler Seheitelzelle werden drei Reihen von Segmenten gebildet. Aus jedem Segment geht ein Blatt hervor, und deshalb ist die Blatt- stellung durch die Lage der aufeinanderfolgenden Segmente gegeben. Auf diese Weise kommen entweder zwei grade Reihen miteinander abwechselnder Blätter, oder drei Reihen zu Stande, und je nachdem bei den Moosen mit drei Blätterreihen die Zellwände, die bei der Tei- lung der Scheitelzelle gebildet werden, gestellt sind, stehen die Blätter in graden Reihen oder bilden eine Blattspirale. Auf alle Fälle wird aber die Blattstellung durch die Organisation, durch den Bauplan der Scheitelzelle, bestimmt. In ähnlicher Weise wie die Scheitelzelle der Laubmoose und anderer Oryptogamen verhält sich aber auch die Scheitelregion derjenigen Pflanzen, die nicht mittels einer einzigen Scheitelzelle wachsen. Umstehende Abbildung 1 zeigt einen Längsschnitt durch die Scheitelregion der Keimwurzel der Sonnenblume ( Helianthus), und aus ihr ersieht man, dass die mit / bezeiehneten Urmutterzellen infolge ihrer Anordnung den verschiedenen Teilen der Wurzel ihren Platz anweisen. XIV. > v 530 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. Die Scheitelregionen der Pflanzen können sich nun teilen, wie es Figur 2 zeigt, welche die Dichotomie des Thallus von Dietyota dichotoma darstellt. Auf diese Weise können zahlreiche Scheitel- regionen entstehen; und bei manchen Laubmoosen, wo die unteren Teile des Stammes absterben, entstehen dadurch, dass die ursprüng- lichen Verzweigungsstellen absterben, getrennte Pflanzen. Kig.1. Fig. 1. Längsschnitt der Scheitelregion in der Keimwurzel von Helianthus annuus aus Sachs nach Reinke. — hh = die Wurzelhaube; bb = (dunkel gehalten) das Dermatogen; pp = das Plerom, dessen innere dunkele Schicht an Pericambium; zwischen z und 5b liegt das Periblem; «@ —= die Urmutter- zellen, Initialen, des Periblems und Pleroms. Fig. 2. Diehotomie des Thallus von Dictyota dichotoma aus Sachs nach Nägeli; Entwicklungsfolge nach der Reihe der Buchstaben A— E; die Buch- staben {—z bedeuten die Segmentier- ungen der Scheitelzelle vor ihrer Dicho- tomie; 2 ist die Teilungswand, durch welche die Dichotomie eingeleitet wird; 2, 3, 4, 5, 6 die Segmente der neuen Scheitelzellen. Mit einen sich verzweigenden Pflanzenkörper können wir nun aber auch den tierischen Körper vergleichen. Hier entsprechen diejenigen Zellen, die am längsten ihren embryonalen Charakter bewahren, den Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 531 Scheitelzellen der Cryptogamen und den Urmeristemzellen der Phanero- samen. Aus solchen indifterenten Zellen gehen sowohl bei den Pflanzen als auch bei den Tieren schließlich die eigentlichen Keimzellen hervor. Auch die Differenzierungsprozesse der tierischen Gewebe lassen sich mit denen der Pflanzen vergleichen. Die Urentodermzellen der- jenigen Tiere z. B., bei welchen die erste Furche des Eis eine Ento- dermzelle von einer Ektodermzelle trennt, können wir als Scheitel- zellen betrachten, die sich später teilen, so dass aus ihnen zahlreiche Scheitelzellen hervorgehen, die «durch fortgesetzte Teilung die Ge- webe des Körpers liefern. Der größte Teil der durch die Teilung der ursprünglichen Zelle entstehenden Zellen nimmt einen bestimmten Charakter an; indessen gilt das nicht von allen Zellen, und unter allen Umständen bewahren diejenigen Zellen, aus denen die Keimzellen hervorgehen, ihren eigentümlichen indifferenten Charakter und damit auch ihre ursprüngliche Organisation. Da nun die Keimzellen von einer Generation auf die andere übertragen werden, so kann man nicht bloß, wie Weismann es will, von einer Kontinuität des Keim- plasmas sprechen, sondern man darf von emer Kontinuität der indifferenten Zellen sprechen, und da diese gewissermaßen den Scheitelzellen der Cryptogamen entsprechen, von der Kontinuität einer bestimmten Organisation oder eines bestimmten Gleichgewichtssystems, das von Generation zu Generation über- tragen wird. Dadurch wird aber die Vererbung ohne weiteres begreif- lieh: Die Keimzelle behält diejenige Organisation bei, die sie zur Zeit ihrer Ablösung vom Körper besaß. Nun haben wir gesehen, dass der gesamte Körper mit Einschluss derjenigen Zellen, die sieh zu Keimzellen umbilden, ein Gleiehgewichts- system darstellt, das sich notwendiger Weise ändern muss, wenn irgend ein Teil infolge äußerer Eingriffe verändert wird. Solche Veränderungen bedeuten also eine Veränderung des gesamten Bauplans des betreffen- den Organismus, und da die Keimzellen und die übrigen indifferenten Zellen diesen Bauplan durch die Anordnung ihrer Plasmaelemente zum Ausdruck bringen, da gewissermaßen sämtliche Teile des Baus in ihnen zusammenlaufen, ähnlich wie die Bögen eines Gewölbes im Schlussstein zusammenlaufen, so muss eine Vererbung erworbener Eigen- schaften mit absoluter Notwendigkeit stattfinden. Dies wird ermög- licht einerseits durch die zeitliche Kontinuität der indifferenten Zellen, die wir mit einem gemeinsamen Namen als Abschlusszellen bezeichnen können, und zweitens durch die Kontinuität der Organisation durch den ganzen Körper hindurch, durch die Kontinuität zwischen Germinal- und Personalteil, zwischen Körperzellen und Schlusszellen. An dieser Stelle habe ich einem möglichen Einwande zu be- geenen, der auf Grund der vorhergehenden Erörterungen gegen mich erhoben werden könnte. Dieser Einwand, den ich mir selbst gemacht OA (9) 539 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. habe, ist der folgende: Wenn der Körper ein Gleichgewichtssystem darstellt, und zwar derart, dass wir von einer Kontinuität zwischen dem Personal- und dem Germinalteil sprechen können, dann ist die Frage berechtigt, ob nicht zu verschiedenen Zeiten der Ontogenesis der Germinalteil verschiedene Gleichgewichtszustände zeige, da das- selbe mit dem Personalteil der Fall sei. Der vielzellige Organismus besteht im Anfang seimer individuellen Entwicklung aus der Eizelle. Aus dieser entsteht bei den Darmtieren zunächst die Blastula und weiterhin die Gastrula, aus der sich auf längerem oder kürzerem Wege der definitive tierische Organismus hervorbildet. Der Organismus ist also auf verschiedenen Stadien seiner individuellen Entwicklung sehr verschieden ausgebildet. Er stellt verschiedene aufeimanderfol- gende und sich auseinander entwickelnde Gleichgewichtszustände dar, und wenn, was eine notwendige Konsequenz meiner obigen Auseinan- dersetzungen ist, in jedem einzelnen dieser Stadien der Germinalteil mit dem Personalteil im Gleichgewicht steht, dann fragt es sich, ob nieht die verschiedenen, aufeinanderfolgenden Gleichgewichtszustände der Abschlusszellen des Germinalteils ebenso verschieden unter- einander sind wie die verschiedenen ontogenetischen Gleichgewichts- zustände des ganzen Organismus. Wenn diese Frage bejaht werden müsste, dann wäre der Gleichgewichtszustand des Germinalteils, der dem definitiven Gleichgewichtszustand des ganzen Organismus ent- spricht, ein ganz anderer als der Gleichgewiehtszustand der Eizelle oder des Spermatozoon, und dann wäre die Vererbung nicht erklärt, dann könnten wir nicht von einer Kontinuität, nicht von einer direkten Uebertragung eines bestimmten und durch alle Stadien der ontogene- tischen Entwicklung hindurch sich gleichbleibenden Gleichgewichts- system sprechen. Unsere Frage ist aber nicht zu bejahen, was durch die nachfolgende Betrachtung klar werden wird. Gesetzt, es handle sich um folgenden Fall, der zwar hypothetisch ist, indessen nur insofern, als er die thatsächlichen Verhältnisse ledig- lich anschaulicher macht. Eine befruchtete Eizelle teilt sich in zwei Zellen, von denen die eine dem späteren Germinalteil, die andere dem späteren Personalteil entsprechen soll. Beide Zellen stehen miteinander im Gleichgewicht und sind auch, was ja natürlich nötig ist, durch Plasmabrücken miteinander verbunden. Die dem Germinalteil ent- sprechende Zelle soll nun ungeteilt bleiben; dagegen soll sich die, aus welcher der Personalteil hervorgeht, weiter teilen. An ihre Stelle treten zunächst zwei unter sich und mit der Germinalzelle im Gleich- gewicht stehenden Zellen. Nun entsteht die Frage, ob dadurch die Gleichgewichtsverhältnisse, also die Organisation der Germinalzelle geändert worden ist. Dies braucht durchaus nicht der Fall zu sein, denn die Einwirkung, die die Germinalzelle jetzt von den beiden Zellen des Personalteils erfährt, kann deshalb noch dieselbe sein wie Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 533 die, die sie vor dieser Einwirkung erfuhr, weil sich die Wirkungen der beiden Zellen des Personalteils teilweise gegenseitig aufheben. Dasselbe gilt natürlich von sämtlichen Zellen, die aus der ursprüng- lichen Zelle des Personalteils hervorgehen. Die ontogenetischen Um- gestaltungen des Organismus können sehr wohl immer derartig sein, dass sie sich gegenseitig so kompensieren, dass dadurch an den Gleich- sewichtsverhältnissen der Germinalzelle niehts geändert wird. Diese Ausführungen könnte man nun benützen wollen, um dadurch meine früheren Ausführungen zu widerlegen, um zu sagen, dass, wenn es für die Gleichgewichtsverhältnisse emer Keimzelle einerlei wäre, ob sie mit einer oder mit vielen Zellen oder auch mit gar keinen im Gleichgewicht stände, dass dann keine Vererbung erworbener Eigenschaften stattfinden könne. Allein dieser Einwurf ist hinfällig. Der sich entwickelnde Organismus ist em Roux’sches „Selbst- differenzierungssystem“, das solange ungestört bleibt, als die Einflüsse der Außenwelt dieselben bleiben. Aendern sich aber diese, so wird der Organismus in seinen Gleichgewichtsverhältnissen gestört, und zwar nicht bloß in einem einzigen seiner Organe, sondern gleichzeitig in allen. Es ist nun allerdings denkbar, dass sich neue ungewohnte äußere Einflüsse verschiedener Art, die verschiedene Körperteile treffen und dadurch umbilden, derart kompensieren, dass sich ihre Einwir- kungen auf die Keimzelle gegenseitig aufheben, aber es ist durchaus nicht wahrscheinlich, dass solches in der Regel, und selbst nicht ein- mal, dass es überhaupt geschieht. Wenn ein Körper sich in einer bestimmten Riehtung bewegt, so kann er nur dadurch zum Stillstand gebracht werden, dass eine Kraft ihm in derselben Richtung entgegen- wirkt, oder dass von verschiedenen Seiten mehrere Kräfte auf ihn einwirken, deren Resultierende dem sich in einer Richtung fortbewe- senden Körper in dieser selben Richtung entgegenwirkt. Dass nun gleichzeitig stattfindende Veränderungen,. die ein Organismus infolge äußerer Einflüsse an verschiedenen Stellen erleidet, derartige sein sollten, dass sie verschiedenen Kräften, deren Resultierende einem sich bewegenden Körper genau in seiner Bewegungsrichtung entgegen- wirkt, entsprächen, ist bei der großen Kompliziertheit der Organismen im allerhöchsten Grade unwahrscheinlich. Es muss also das gesamte Gleiehgewichtssystem eines Organismus geändert werden, wenn ein oder mehrere ihm bis dahin fremde Einflüsse der Außenwelt auf ihn einwirken. Wie muss nun der organische Bildungsstoff beschaffen sein, wenn Gleichgewichtsveränderungen in den Zellen vor sich gehen sollen, und wo hat dieses eigentliche formengebende Plasma seinen Sitz? Im Zellleibe, oder in dem vom Zellleibe umschlossenen Kerne der Zelle, der Keimzelle insbesondere ? 534 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. Suchen wir die letztere Frage zunächst zu beantworten, so ergibt sich als notwendige Konsequenz unserer bisherigen Ausführungen, dass der Zellleib unter allen Umständen an den Gleichgewichtsver- änderungen beteiligt sein, und dass deshalb hier auch jedenfalls ein Teil des Plasma seinen Sitz haben muss, denn falls eine Uebertragung von Gleichgewichtsveränderungen von Zelle zu Zelle stattfinden soll, so kann diese nur durch den Leib der Zelle hindurchgehen, um zum Kerne zu gelangen; der Zellleib wird also unter allen Umständen mit- betroffen. Ich bin zu der Anschauung gelangt, die ich vornehmlich auf Vererbungsexperimente gestützt und in meinem Werke „Gestaltung und Vererbung“ eingehend begründet habe, dass der Zellleib der Träger des gestaltgebenden Plasma, edesjenigen Stoffes, den ich Plasma schlechtweg nenne, der Kern dagegen Träger der chemischen Eigentümlichkeiten ist. Gewiss wird auch die chemische Zusammensetzung und die Gestalt des Zellkernes durch Vererbung erworbener Eigenschaften dauernd verändert. Man kann auch hier davon sprechen, dass sich Verän- derungen, die die chemischen Prozesse der an der Peripherie des Körpers liegenden Zellen betreffen, auch an den Keimzellen geltend machen müssen. Wenn der Chemismus einer Zelle geändert wird, und wenn die Zellen direkt oder indirekt miteinander verbunden sind, so kann der Chemismus der benachbarten Zelle nieht unverändert blei- ben, und deshalb muss durch den ganzen Körper hindurch eine Ver- änderung des Chemismus stattfinden, sobald die chemischen Prozesse in einer einzelnen Zellengruppe verändert werden. Von dergleichen Veränderungen wird auch selbstverständlich der Zellleib betroffen; aber diese chemischen Veränderungen des Zellleibes sind andere, als die, welche die Gestalt des Organismus modizieren. Dass diese in erster Linie den Zellleib treffen, ist zweifellos; denn wenn umfor- mende Faktoren auf den Körper einwirken, so treffen sie nicht zuerst den Zellkern, sondern den Zellleib. Es fragt sich nun, ob der Zell- kern auch von diesen Veränderungen betroffen wird. Meine Ansicht ist die, dass er es nicht wird; denn der Zellkern führt bis zu einem gewissen Grade em unabhängiges Leben. Seine Form kann für das Zustandekommen der Form des erwachsenen Organismus keine Bedeutung haben, weil der Kern tief im Innern des Zellleibes liegt, die Zellen aber mit ihren Leibern, nicht mit ihren Kernen aneinander stoßen. Es hängt also von der Form des Leibes der einzelnen Zellen, die den Körper aufbauen, ab, welche Form der letztere bekom- men soll. Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass es nur auf die äußere Form der Zellen ankomme, denn diese muss ja durch die innere Struktur der Zelle bedingt werden. Es könnte also doch der Kern an dem Aufbau der Struktur der Zelle seinen Anteil haben. — Das Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 535 hat er auch insofern, als durch seine chemische Beschaffenheit die Form der einzelnen Plasmaelemente beeinflusst werden muss, denn in der Zelle findet ein Stoffaustausch zwischen Kern und Zellleib statt, und das Plasma des letzteren kann nieht unberührt bleiben von der chemischen Zusammensetzung der im Zellkern enthaltenen Stoffe. Aber einen direkten Anteil an der Struktur der Zelle nimmt der Kern nicht. Was hat der Kern beispielsweise mit der Struktur der quergestreiften Muskelzelle zu thun? Er liegt der Muskelfaser ja nur äußerlich an! Außerdem zeigt aber die Beobachtung, dass der Kern nicht der mor- phogenetische Mittelpunkt der Zelle ist. Wir wissen vielmehr, dass dieser Mittelpunkt durch das Centrosoma oder Polkörperchen gebildet wird. Gegen dieses sind die Plasmastrahlungen in der Zelle zentriert, nicht aber gegen den Kern. Wenn man freilich, wie Oscar Hertwig es thut, das Centrosoma mit zu dem Kern rechnet, dann muss man sagen, dass dieser Teil des Kernes, nicht aber die Chro- mosomen oder Kernstäbe, es direkt mit der Struktur des Zellleibes zu thun haben. Wir können diese Auseinandersetzungen dahin zusammenfassen, dass der Zellleib mit seinem morphogenetischen Mittelpunkte, dem Centrosoma, die Gestalt der Zellen und damit die Gestalt des mehr- zelligen Organismus bedingt, dass die in den Chromosomen des Kernes enthaltenen Substanzen dagegen den Stoffwechsel der Zelle beherrschen. Die Zelle ist gewissermaßen eine Symbiose zweier Individualitäten, einerseits des Zellleibes mit seinem Mittelpunkte, dem Centrosoma, anderseits des Kernes mit seinen Chromosomen. Die chemischen Beziehungen zwischen diesen beiden Gebilden sind sehr innige, da- gegen sind die Strukturen des Zellleibes und des Zellkernes nur indirekt voneinander abhängig, während sich die Struktur des Zellleibes bis in das Centrosoma hinein fortsetzt. Nach meimer Anschauung wurzeln die Plasmastrahlen, die wir so oft im Leibe der Zelle sehen, im Centrosoma. Es ist die Form dieses Gebildes, . die in erster Linie die Vererbung der Gestalt, die Ver- erbung der Form des gesamten Organismus ermöglicht. Wir haben Zellen, die indifferentes Keimplasma enthalten, verglichen mit dem Schlussstein eines Gewölbes. Wir können, wenn wir uns auf eine einzelne Zelle beschränken, das Centrosoma mit eben diesem Schluss- steine vergleichen: Hier laufen die Bogen des Gewölbes zusammen, und diese Bogen sind in der Zelle die Plasmastrahlen, die nach be- stimmten stereometrischen Verhältnissen im Centrosoma um dessen Mittelpunkt herum angeordnet sind. Wird nun die Struktur der Zelle auch zerstört, wie es ja oft genug geschieht, so bleibt doch die Struktur des Centrosoma erhalten. Freilich dürfen wir die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass das Centrosoma sich schließlich als ein indifterentes Gebilde heraus- 536 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. stellt, und dass sich die Plasmaelemente vermöge ihrer Gestalt und anziehender und abstoßender Kräfte, mit denen wir sie ausstatten müssen, sich auch nach einer teilweisen Zerstörung der Zellstruktur wieder so anordnen müssen, wie es durch ihre Formen bedingt wird. Die Untersuchungen über die Rolle, die das Centrosoma spielt, sind ja noch längst nicht abgeschlossen. Wie dem Allen aber auch sei, es ist soviel sicher, dass die Uhromosomen des Kernes nicht Gestal- tungszentren der Zellen bilden. Wir sind nunmehr auf die Beantwortung der Frage nach den Formenverhältnissen der Elemente des Plasma vorbereitet. Zunächst haben wir daran zu erinnern, dass der Zellleib nicht aus einer einzigen chemischen Substanz besteht, sondern wahrschein- lich aus einer ganzen Reihe von solchen. Es fragt sich nun, haben alle diese Substanzen direkt etwas mit den Formenverhältnissen der Zelle zu thun. Diese Frage muss verneint werden; denn wie aus einem Gemisch verschiedener chemischer Substanzen bestimmte For- menverhältnisse resultieren können, lässt sich auf keine Weise be- greifen, wenn man nicht den Boden der Epigenesistheorie verlassen und auf den des Präformismus übergehen will. Wenn wir es mit Plasmaelementen zu thun hätten, die aus ver- schiedenen chemischen Substanzen bestehen, und die dann auch höchst wahrscheinlich eine verschiedene Form haben würden, so wüssten wir nicht, wie durch das Durcheinandermengen verschieden geformter Körper die Gestaltung des zusammengesetzten Organismus bewerk- stelligt werden sollte. Wenn wir Octaöder und Tetraöder, Würfel und Dodekaöder, rhombische Pyramiden und quadratische Säulen, khomboäder und sechsseitige Doppelpyramiden, sowie Formen, die dem monoklinen und solche, die dem triklinen Krystallsystem ent- sprechen, durcheinandermengen, oder wenn wir selbst versuchen, sie sorgfältig aneimanderzunassen, so gelangen wir nicht dazu, aus ihnen ein Gebilde mit regelmäßigen Formen zu gestalten. Es ist vielmehr die Annahme unerlässlich, dass die eigentlichen Bausteine des Körpers alle eine und dieselbe Form haben. Das hat z. B. Nägeli übersehen, als er seine Micelle der Form und der chemischen Be- schaffenheit nach verschieden sem ließ. Wenn wir aber gezwungen sind die von mir Gemmen genannten, über den Molekülen stehenden letzten Elemente des Plasmas alle mit einer und derselben Form aus- zustatten, so kommen wir nicht um die Annahme herum, dass sie alle auch aus emem und demselben chemischen Stoff bestehen, der eben ihre Form in derselben Weise bedingt, wie die Form eines Krystalles durch seine chemische Zusammensetzung bedingt wird. Der eigent- liche Bildungsstoff, derjenige Stoff, den allen man Plasma nennen sollte, kann nur aus einer einzigen chemischen Substanz bestehen, und Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 537 die Krystallform dieser Substanz ist die Form der Gemmen: die Gemmen sind kleine Krystalle aus Plasma. Somit wäre die Form des Organismus also doch auf die chemische Beschaffenheit seines Plasma zurückgeführt? — Keineswegs! Denn wie sollten alsdann die Anpassungen möglich sen? Mit der chemischen Konstitution des Plasmamoleküls können die Anpassungen der Organismenformen an die Außenwelt und der Organformen an einander unmöglich etwas zu thun haben. Wollten wir Dergleichen annehmen, so würden wir der krassesten Teleologie verfallen. Wir würden dann zu der Folgerung gezwungen sein, dass gewissermaßen dem Känguruh ein Känguruhmolekül, dem Wallfisch ein Wallfisch- molekül entspräche, und dass dadurch, dass sich ein Organ durch Niehtgebrauch zurückbilde, die Konstitution des Plasmamoleküls geän- dert würde. Eine direkte chemische Erklärung der Organismen- formen ist also unmöglieh. Die Formen der Tiere und Pflanzen sind nicht gleich denen der Krystalle direkt von der chemischen Zusammen- setzung abhängig, und die Form der Gemmen hat direkt nichts mit der Form des Organismus zu thun. Wir können sehr wohl annehmen, dass das Plasma in sämtlichen Organismen dieselbe chemische Be- schaffenheit und dieselbe Gemmen- oder Krystallform besitzt und dass die chemischen Differenzen zwischen den Organismen durch an- dere Stoffe bedingt werden. Wir sind zwar zu dieser Annahme nicht gezwungen; wir können auch eine Reihe verschiedener Plasmen un- terscheiden, aber keinesfalls brauchen sich zwei verschiedene Organis- menarten durch die chemische Beschaffenheit und die Gemmenform des Plasma zu unterscheiden. Darauf hat u. a. Pfeffer hinge- wiesen, als er sagte, wir dürften nicht vergessen, dass man aus dem- selben Messingstück sehr verschiedene Maschinenteile machen könne. Wir gelangen somit zu der Folgerung, dass die Gemmen zunächst Plasmagebilde höherer Ordnung, die Gemmarien, zusammensetzen, und dass die Form der Gemmarien deshalb bei den verschiedenen Organismenarten verschieden ist, weil die Gemmen sich innerhalb der Gemmarien gegeneinander verschieben können. Aus kleinen rhombisehen Säulen z. B. können wir uns eine gradezu unendliche Formenfülle aufbauen, und da wir die Gemmen so klein annehmen dürfen, dass ein Gemmarium aus vielen Millionen von Gemmen zu- sammengesetzt sein kann, ohne dass es deshalb schon siehtbar zu sein braucht, so haben wir keinen Mangel an verschiedenen Gemmarien- formen. Diese nun sind es, die die Form der Zelle bedingen und damit die des Organismus. Je nach den Symmetrieverhältnissen der einzelnen Gemmarienarten sind die Formen der Keimzelle und damit die der Organismen überhaupt von einander verschieden, wie ich m „Gestaltung und Vererbung“ in dem Kapitel über die Entstehung der Grundformen ausgeführt habe. Die Gemmarien treten zu Gemmarien- eyt 99 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. strahlen zusammen, deren Formen von der Form der Gemmarien ab- hängen müssen, und die Gemmarienstrahlen ordnen sich um den Mittelpunkt des Centrosoma oder — falls das Centrosoma ein indif- ferenter Körper ist — um diesen herum in bestimmter Weise, die durch ihre Form bedingt ist, an. Dadurch muss die Zelle selbst, die gewissermaßen ein Strahlensystem darstellt, eine bestimmte Form er- halten. Dass aus dieser Form der Keimzelle die des erwachsenen Organismus resultieren muss, habe ich in „Gestaltung und Vererbung“ gezeigt und durch Abbildungen erläutert. Ich habe auch Modelle konstruieren lassen, die diese Abhängigkeit unmittelbar vor Augen führen und werde demnächst wohl einmal Gelegenheit haben, Abbil- dungen von diesen Modellen zu veröffentlichen. Zwischen den Gemmarienstrahlen, die aus Plasma bestehen, liegen nun andere Substanzen, wahrschemlich in mehr oder weniger gleich- förmiger Mischung, die beim Stoffwechsel der Zelle eine Rolle spielen. Da das Plasma ein Produkt des Zusammenwirkens dieser Substanzen sein muss, so kann man diese durcheinandergemengten Stoffe auch als Plasmogengemenge bezeichnen. Dieses Plasmogengemenge hat aber direkt nichts mit dem Formenaufbau des Körpers zu thun. Dagegen treten die Plasmastrahlen an die Oberfläche der Zellen heran — die Plasmastrahlen benachbarter Zellen stoßen aneinander, und da die Plasmastrahlen aus Gemmarien zusammengesetzt sind, deren Gemmen gegeneinander verschoben werden können, so müssen durch äußere Einwirkungen hervorgebrachte Veränderungen der Zellen sich als Verschiebungen der Gemmen innerhalb der Gemmarien kenn- zeichnen. Wir nehmen ja an, dass die Anordnung der Plasmenstrahlen in der Zelle, und der Zellen im Körper von der Form der Gemmarien, und diese von der Anordnung der gegeneinander verschiebbaren Gemmen innerhalb der Gemmarien abhängt. Wird nun die Anordnung der Zelle durch äußere Eingriffe gestört, so muß notwendigerweise auch die Anordnung der Plasmastrahlen in ihr, die der Gemmarien in den Plasmastrahlen, aber auch die der Gemmen in den Gemmarien verändert werden, und diese Veränderungen müssen sich durch den ganzen Körper hindurch bis in die Keimzellen hinein fortsetzen, wo- durch die Anpassung erklärt ist. Anpassung ist eine Verschie- bung der Gemmen in sämtlichen Zellen des Körpers. Sind aber die Gemmen auch in den Gemmarien der Keimzellen gegen einander verschoben, und lösen sich die Keimzellen nunmehr aus ihrem Verbande mit den übrigen Zellen, und gelangen sie dazu, sich zu aus- gebildeten Organismen zu entwickeln, so übertragen sie die Anpas- sungen des elterlichen Körpers auf den der Nachkommen. Wir haben nunmehr noch die Frage zu erörtern, was aus unserer Gemmarienlehre über die Dauer der Zeit, in welcher eine Organis- — Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 539 menart in wahrnehmbarer Weise durch direkte Anpassung verändert werden kann, folgt. R. v. Lendenfeld meint in seiner in Nr. 14 dieses Jahrganges des „Biologischen Centralblattes“ von mir zurückgewiesenen Kritik der Gemmarienlehre, dass, wenn meine Erklärung der Vererbung er- worbener Eigenschaften richtig wäre, „jede erworbene Eigenschaft ohne weiters unverändert und ungeschwächt vererbt werden“ müsste. „Nun sagt aber Haacke (Gestalt und Vererbung S. 108, 109)*, fährt er fort, „dass die durch die Vererbung erworbener Eigenschaften er- zeugten Aenderungen der Tiere ungemein klein sind und erst durch Summierung von gleichartigen Aenderungen bei tausenden von Ge- nerationen ein merkliches Ergebnis erzielt würde. Das scheint mir ein Widerspruch zu sem.“ Herr v. Lendenfeld hat die Gemmarienlehre nicht genügend durchdacht, sonst würde er das nieht als emen Widerspruch gegen die Gemmarienlehre bezeichnet haben, was eine Konsequenz von ihr ist. Die Schlussfolgerung, dass jede erworbene Eigenschaft ohne wei- teres unverändert und ungesehwächt ererbt werden müsste, ist nur in dem Falle richtig, wo beide Eltern eines Kindes die betreffenden Eigen- schaften in gleichem Grade besitzen und sich auch sonst nicht von einander unterscheiden. Herr v. Lendenfeld schemt anzunehmen, dass Vererbungsexperimente, die man in Bezug auf die Vererbung erworbener Eigenschaften an Haustieren und Kulturpflanzen angestellt hat, nicht den Nachweis erbracht hätten, dass jede erworbene Eigen- schaft ohne weiteres unverändert und ungeschwächt vererbt werden muss. Allein an Organismen, die der Mensch unter seine Botmäßig- keit gebracht hat, und die dadurch viel plastischer geworden sind als wildlebende Tiere und Pflanzen, ist noch niemals ein solches Vererbungs- experiment angestellt worden, dessen Resultat einwandsfrei wäre. Man mache folgendes Experiment: Man nehme zwei Tiere oder zwei Pflanzen einer Kulturrasse, die äußerlich und bis in ihren feinsten Bau hinein identisch sind und sich ferner dadurch gleichen, dass sie eine und dieselbe neue Eigenschaft m identischem Grade aus- gebildet haben, paare diese beiden Individuen miteinander und ziehe ihre Jungen genau unter denselben Verhältnissen auf, unter denen die Eltern aufgewachsen sind und gelebt haben. Dann wird man finden, dass sich die neu erworbene Eigenschaft ohne weiteres unverändert und ungeschwächt vererbt. Dass dieses schwierige Experiment jemals ausgeführt werden könnte, dürfte fraglich sem. Nach meiner An- schauung kann eine ungeschwächte Vererbung erworbener Eigen- schaften nur dann zustandekommen, wenn sich die Individuen, die sich miteinander paaren, in allen Eigenschaften gleichen. Wenn es sich dagegen um zwei Individuen handelt, bei denen die Organe a, b, e, d und e ungleich ausgebildet sind, so dass das Organ a bei dem 540 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. Männchen anders beschaffen ist als das Organ a bei dem Weibchen u.s. w., so kann das Organ f nach der Gemmarienlehre bei den Jungen, die von diesem Paare erzeugt werden, nicht gleich dem Or- gan f der beiden Eltern sein, auch wenn f bei beiden Eltern durch Neuerwerbung einer Eigenschaft in annähernd gleichem Grade modi- fiziert worden ist. Dadurch dass Plasmen verschiedenen Gefüges aufemander einwirken, werden die Eigentümlichkeiten beider ver- mischt, wie die Thatsachen der Vererbung genugsam zeigen und wie es als notwendige Folge aus meiner Theorie der gegeneinander ver- schiebbaren Gemmen hervorgeht. Man muss sich aber in diese Theorie hineindenken. Diese Forderung kann ich Niemanden erlassen, der ein Urteil über die Gemmarienlehre abgeben will, so wenig angenehm es mir auch ist, dass zum Verständnis meiner Theorie plastisches Denken gefordert werden muss. Wer aber dieser Vorbedingsung zum Verständnis der Gemmarienlehre in dem notwendigen hohen Grade entspricht, der wird einsehen, dass die geschlechtliche Fortpflanzung nicht die Wirkung hat, individuelle Unterschiede zu kombinieren, sondern die, solehe Unterschiede zu verwischen. Da die Keimzellen nach meiner Annahme Gleichgewichtssysteme darstellen, und da sich kein Teil eines Gleichgewichtssystemes ändern kann, ohne dass sich alle übrigen mitändern, da also aus dem Aufeinanderemwirken zweier Gleichgewichtssysteme, die zu einem einzigen Gleichgewichts- system verschmelzen, ein völlig neues Gleichgewichtssystem hervor- gehen muss, in welchem jeder einzelne Teil verändert ist, so können Organe, die bei sonst ungleichen Eltern eine ähnliche Ausbildung, hervorgegangen aus direkter Anpassung, zeigen, sich unmöglich unverändert vererben. Das ist ein Schluss, der sich mit absoluter Notwendigkeit aus der Gemmarienlehre ergibt. Bei den Haustieren und Kulturpflanzen, an denen allein man die hier vorliegenden Fragen experimentell prüfen kann, hat es sich aber immer noch um die Paarung von Individuen gehandelt, bei denen nieht nur direkt er- worbene Anpassungen in qualitativ und quantitativ ungleichem Grade ausgebildet, sondern auch die ererbten Merkmale verschieden waren. Auch die Individuen wildlebender Organismenarten zeigen geringe Unterschiede von einander; deshalb kann die Vererbung erworbener Eigenschaften nur innerhalb sehr langer Zeiträume greifbare Resultate, Veränderungen, die, wie ich mich ausgedrückt habe, „unserm blöden Auge sichtbar sind“, erzielen. Historische Vorgänge wollen eben mit dem Auge des Geschichtsforschers angeschaut sein. Je geringer die individuellen Unterschiede bei einer Organismen- art sind, desto leichter werden sich die Angehörigen dieser Art durch Vererbung von neuen Eigenschaften, die von der ganzen Artschaft durch Anpassung an gleiche Existenzbedingungen direkt erworben sind, umbilden. Wären alle Individuen einer Art identisch, dann Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. 541 freilich müsste die Umbildung so schnell vorsichgehen, wie sich direkte Anpassungen bei der betreffenden Art ausbilden können. Aber die neuen Erwerbungen, die in jeder Generation zu den alten hinzu- kommen, sind bei freilebenden Organismen in der Regel unmessbare, Denn das Gefüge des Plasmas ist bei den meisten Arten wild leben- der Tiere und Pflanzen ein sehr stabiles und festes. Wo es sich aber um sehr labile Formenverhältnisse handelt, wie sie sich bei den Kul- turmenschen, bei den meisten Haustieren und Kulturrassen, bei Schwämmen und Foraminiferen finden, wo die geringfügigen Unter- schiede, die der äußere Lebenslauf der einzelnen Individuen vom Stadium der Urkeimzellen an aufweist, genügen, um beträchtliche Formenunterschiede hervorzubringen, da kann es nicht so leicht zu einer Vererbung erworbener Eigenschaften kommen, weil Vater und Mutter eines Individuums verschiedene Lebensschicksale erleiden, und das Kind andere als der Vater, andere als die Mutter erfährt. Alle diese Schlussfolgerungen ergeben sieh mit zwingender Not- c wendigkeit aus der Gemmarienlehre. Wo also ist der „Widerspruch“, der Herrn v. Lendenfeld in meiner Theorie enthalten zu sein „scheint“ ? In dem Vorwort von „Gestaltung und Vererbung“, das ich zu dem Zwecke, dass es gelesen werden möchte, geschrieben habe, steht der Satz: „Scheinbare Widersprüche und sich widerspreehende Einzel- heiten der Darstellung, die sich beseitigen lassen, aber von mir über- sehen sind, werden in meinem Buche nicht fehlen. Für sie bitte ich den Leser um Nachsicht.“ Zum Niederschreiben dieses Passus be- stimmte mich der Wursch, dass meme Leser, vor allem aber meine Kritiker, sich Mühe geben möchten, darüber ins Klare zu kommen, welche wirklichen und welche nur scheinbaren Widersprüche in meiner Theorie enthalten sind. Ich halte es nicht für überflüssig, diesen Wunsch hier noch einmal auszusprechen, und ich gestatte mir auch, hier einen einschlägigen Satz eimes andern Rezensenten anzu- führen. In der „Aerztlichen Rundschau“, III. Jahrgang, Nr. 47, heißt es auf Seite 742 in einer Besprechung von „Gestaltung und Vererbung“: „Jeder Leser wird reiche Anregung aus dem Buche schöpfen, voraus- gesetzt, dass er selbständig weiter zu denken versteht.“ Das ist eine Bedingung, die auch ich meinen Kritikern nicht erlassen kann. Um aber trotzdem meme obigen, die Geschwindigkeit der Um- bildung von Artschaften durch die Vererbung erworbener Eigenschaften betreffenden Ausführungen dem Verständnis möglichst nahe zu rücken, will ich sie durch einen Fall, der oft vorkommen muss, erläutern. 3ei uns Deutschen ist Myopie bekanntlich ein häufiges Uebel. Wir wollen annehmen, sie werde durch direkte Anpassung bei einem Manne und bei einem Weibe erworben und sei bei beiden zur Zeit der Pubertät vollkommen und zwar in annähernd gleichem Grade aus- 542 Haacke, Vererbung erworbener Eigenschaften. gebildet; wir wollen ferner annehmen, dass diese beiden Menschen später Kinder mit einander zeugen. Falls nun diese beiden Menschen, abgesehen von den primären und sekundären Geschlechtscharakteren, einander so ähnlich wären, wie es sogenannte identische Zwillinge in seltenen Fällen sind, so würde zu erwarten sein, dass ihre Nach- kommen die Kurzsichtigkeit bis zu einem gewissen Grade erben wür- den, aber eben nur bis zu einem gewissen Grade — denn geringe körperliche Unterschiede zwischen den Eltern werden immer be- stehen. Es dürften aber auch, falls die Kurzsichtigkeit bei den Kin- dern manifest werden soll, auf diese keine Einwirkungen stattfinden, die Weitsichtigkeit begünstigen. Der Myopie förderliche Beeinflussungen der Kinder könnten die ererbte Kurzsichtigkeit auch noch steigern, und falls diese Kinder als erwachsene mit anderen, ihnen fast absolut gleichenden, gleichfalls myopischen, Individuen Nachkommen einer dritten Generation erzeugten, bei denen wieder Gelegenheit zur weiteren Ausbildung der Kurzsichtigkeit gegeben wäre, falls der geschilderte Pro- zess immer unter denselben Bedingungen eine Reihe von Generationen hindureh fortgesetzt werden würde, so könnte endlich ein hochgradig myopisches Geschlecht auf dem Wege der Vererbung erworbener Eigenschaften zu Stande kommen. Aber die Bedingungen, unter denen solches geschehen könnte, sind noch in keinem einzigen Falle erfüllt worden und werden auch nie erfüllt werden. Es kommt häufig genug vor, dass beide Ehegatten kurzsichtig sind, selten, dass sie in gleichem Grade myopisch, nie, dass sie einander so ähnlich sind, wie es in vereinzelten Fällen bei „identischen Zwillingen“ statthat. Da nun die Unterschiede in den Eigenschaften erwachsener Individuen auf Unter- schiede in den Gleichgewichtsverhältnissen der aus monotomem Plasma bestehenden Keimzellen, aus denen sich die Individuen entwickeln, zurückzuführen sind, und da die Unterschiede in den plasmatischen Gleichgewichtsverhältnissen der Keimzellen einer Generation auf die Keimzellen der nächsten Generation übertragen werden, so gelangen in der zweiten Generation zwei verschiedene plasmatische Gleichge- wiechtssysteme zur Einwirkung auf einander; em neues Gleichgewichts- system entsteht, und dass dieses immer oder auch nur in der Mehr- zahl oder selbst der Hälfte der Fälle so beschaffen sein sollte, dass es wieder myopische Individuen bedingt, ist nach meiner Theorie mehr als fraglich. Denn es handelt sich in der Gemmarienlehre nicht um Keimzellen, in denen die späteren Organe des Körpers durch auto- nome, unabhängig von den übrigen variierende Determinanten oder Bestimmungsstücke vorgebildet sind, sondern um ein Keimplasma, das in allen seinen Regionen dieselbe Beschaffenheit zeigt, um einen monotonen Bildungsstoff, von welchem sämtliche Organe des Körpers abhängen. Wird dieses monotone Plasma dadurch, dass es die Einwirkungen eines andern ebenfalls monotonen Plasmas erfährt, 9 Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 545 verändert, so müssen alle Organe des Körpers, der sich aus dem veränderten Keimplasma entwickelt, anders beschaffen sein, als bei jedem der beiden Erzeuger dieses Keimplasınas. Damit ist Herrn von Lendenfeld’s Einwand beseitigt. Tech werde aber allen denen zu Dank verpflichtet sein, die Einwände, mit. denen ich nieht so leichtes Spiel haben werde wie mit diesem, gegen die Gemmarienlehre vorbringen werden; denn ich möchte meiner Theorie nur durch harten Kampf zum Siege verhelfen. Ergebnisse vergleichend-physiologischer und anatomischer Untersuchungen über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. Autoreferat!). Von Dr. rer. nat. et med. Wilibald A. Nagel, Assistent am physiologischen Institut in Tübingen. I. Definitionen, dem allgemeinen Teile der Abhandlung entnommen. 1) Unter Sinnesthätigkeit ganz im allgemeinen verstehe ich das rasche Eintreten erster, primitiver Veränderungen im psychischen Zustande eines Wesens (= Empfindung) unter dem Einflusse einer auf den Körper des Wesens einwirkenden Kraft. 2) Die Irritabilität (Reizbarkeit) besteht darin, dass gewisse auf ein Wesen einwirkende Kräfte (Reize) in demselben Vorgänge physiologischer Art auslösen können, ohne dass dabei die Integrität des Körpers oder auch nur eines Teiles desselben gestört würde, indem durch bestimmte weitere (physiologische) Vorgänge der frühere Zustand alsbald wieder hergestellt werden kann. Die Art des ausgelösten Vorganges (die heaktion) ist im erster Linie bestimmt durch die Eigenschaften, die Struktur und chemische Zusammensetzung des gereizten und reagierenden Wesens, bezw. des gereizten und reagierenden Körperteiles, in zweiter Linie durch die Art des Reizes. 1) Die diesem Autoreferate zu grunde liegende Originalarbeit (gekrönte Preisschrift) befindet sich gegenwärtig (Juni 1894) noch im Drucke. Sie er- scheint im Verlage von Erwin Naegele in Stuttgart als Heft 18 der Bibliotheca zoologica, herausgegeben von Leuckart und Chun unter dem Titel: Ver- gleichend- physiologische und anatomische Untersuchungen über den- Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe, mit einleitenden Betrachtungen aus der allgemeinen vergleichenden Sinnesphysiologie. Mit 117 teilweise farbigen Figuren auf 7 lithographischen Tafeln. 544 Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 3) Die Sensibilität (Sinnesempfindlichkeit) ist die Eigenschaft, Sinnesthätigkeit ausüben zu können. Im Gegensatz zur Irritabilität wird man von Sensibilität dann sprechen, wenn man annimmt, dass den durch den Reiz ausgelösten somatischen, physikalisch - chemischen Vorgängen psyehische Parallelvorgänge, wenn auch niederster Stufe, entsprechen. 4) Die in der menschlichen Physiologie sich wenigstens mit aus- reichender Schärfe von selbst ergebenden Abgrenzungen und Begriffe der Sinne verwischen sich bei niederen Tieren immer mehr. Es muss daher nach einem wissenschaftlich durchführbaren Prinzip zu ihrer Definition gesucht werden. Da sich die Empfindungsqualität der Sinnes- empfindungen fremder Wesen unserer Kenntnis entzieht, kann auf sie eine Definition der Sinne, analog derjenigen, welche in der mensch- lichen Physiologie üblich ist, sich nicht gründen. Was uns zum Zwecke vergleichend-physiologischer Untersuchung der Sinne einzig dazu dienen kann, die Sinne zu unterscheiden und zu charakterisieren, das ist, nach der oben aufgestellten Definition der Sinnesthätigkeit, weder die Ver- schiedenheit der den einzelnen Sinnesreizen entsprechenden Vorgänge im psychischen Zustande, noch die Verschiedenheit der Sinnesorgane, durch welche der Reiz perzipiert wird, sondern die qualitative Ver- schiedenheit der Kräfte, welche die Aenderung des Zustandes bedingten (Definition der Sinne nach der Reizform). 5) Demnach unterscheide ich bei Tieren (insbesondere bei den sog. niederen Tieren) die Sinne nach der Reizform als mechanischen, chemischen, thermischen und photoskioptischen (vergl. Biol. Centralblatt, Bd. XIV, Nr. 11) Sinn. Diese Sinne stelle ich als die Primitivsinne denjenigen anderen Sinnen (abgeleiteten Sinnen) gegenüber, deren Thätigkeit schon die Existenz gewisser weiterer psychischer Fähigkeiten (Lokalisationsvermögen, Urteilsver- mögen) notwendigerweise voraussetzt (Gesichtssinn, Tastsinn, Gleich- gewichtssinn ete.). Die Scheidung der Organe des mechanischen Sinnes in Tast-, Hör- und Gleichgewichtsorgane verwischt sich bei niederen Tieren (schon bei den Fischen) vielfach, bezüglich der Organe des chemischen Sinnes muss man schon bei manchen Landtieren, besonders aber bei den Wassertieren im Zweifel sein, ob sie sich in Geruchs- und Ge- schmacksorgane scheiden lassen, denn: 6) Es ist offenbar nicht zulässig, anzunehmen, dass die Wasser- tiere außer dem Geschmackssinne einen zweiten, in seinem inneren Wesen von jenem verschiedenen, chemischen Sinn, den Geruchssinn besitzen, solange nieht nachgewiesen ist, dass es eine Verbreitungsart der Riechstoffe im Wasser gibt, welche von derjenigen der Schmeck- stoffe verschieden ist. Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 545 Dieser Nachweis ist nicht geliefert, vielmehr sprechen alle Er- fahrungen und die Experimente dagegen. Bei den Landtieren ist es der Aggregatzustand der normalen Reizstoffie, welcher Geruch und Geschmack scheidet, indem man normalerweise nur flüchtige, gas- oder dampfförmige Stoffe riecht, nur flüssige oder verflüssigte feste Stoffe schmeckt. Beim Leben im Wasser fällt die Einwirkung gas- und dampfförmiger Stoffe weg, es ist daher auch kein Grund vorhanden, vom Geschmackssinne den Geruchssinn bei Wassertieren abzuspalten. An die Stelle von Riechorganen treten bei Wassertieren häufig außerhalb des Mundes gelegene Schmeckorgane. 7) Die Bedeutung des chemischen Sinnes wechselt bei Wasser- tieren ebensosehr wie bei Lufttieren, ist aber bei ersteren im allge- meinen geringer als bei letzteren. Namentlich tritt an Stelle des oft fein entwickelten Riechens auf große Entfernung nicht ein entsprechendes Schmecken in die Ferne. Dagegen übernimmt der Geschmackssinn bei den Wassertieren diejenige Funktion des Ge- ruchssinnes, welche ich als Riechtasten bezeichnet habe, d. h. das Beriechen in nächster Nähe: Die Schmeckorgane der Wassertiere wer- den nicht wie die der Lufttiere nur dann erregt, wenn sich Nahrung im Munde befindet, sondern unter Umständen schon vorher, so lange sich die Beute nahe dem Munde, aber noch außerhalb desselben be- findet. Dass das Schmecken in die Ferne nicht in der Weise möglich ist, wie das Riechen in die Ferne, rührt daher, dass die Wasserteilchen mit samt den in ihnen gelösten Stoffen sich viel schwerer und lang- samer bewegen als Gasteilchen, sich somit weniger weit und weniger rasch ausbreiten. Wassertiere, welche ihre Beute auf größere Entfernungen hin be- merken und verfolgen, thun dies daher stets mittels des Gesichtssinnes. 8) Die Organe, mittels deren die Sinnesreize wahrgenommen wer- den, sind nicht in allen Fällen „spezifische Sinnesorgane“. Als spezifische Sinnesorgane bezeichnet man solehe Apparate eines lebenden Wesens, wo mittels deren normalerweise von dem Wesen nur eine bestimmte Gattung derjenigen Reize wahrgenommen wird, welche für dasselbe überhaupt wahrnehmbar sind; oder mit anderen Worten: Apparate, welche nur einem der Sinne dienen, welche ein Wesen besitzt. Derjenige Reiz, welcher durch das Sinnesorgan normaler- weise perzipiert wird, heißt sein adäquater oder homologer Reiz. Andere (inadäquate oder heterologe) Reize werden durch ein bestimmtes spezi- fisches Sinnesorgan entweder gar nicht perzipiert, oder wenn sie eine Empfindung erzeugen, ist es diejenige, welche der adäquate Reiz er- zeugt haben würde. Der inadäquate Reiz wird also mittels des spezi- fischen Sinnesorganes nicht als das erkannt, was er ist, sondern falsch gedeutet. XIV. B) 546 Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. Als Wechselsinnesorgane bezeichne ich solche Apparate eines lebenden Wesens, mittels deren von dem Wesen ınehrere Gattungen von Reizen wahrgenommen werden können, oder mit anderen Worten: Apparate, die mehreren Sinnen gleichzeitig oder wechselsweise als Organ dienen können. Ein solches Sinnesorgan hat nicht eine, sondern mehrere adäquate Reizgattungen. Die Sinne, deren Organe in einem Wechsel- sinnesorgan veremigt sind, sind naturgemäß immer solche, deren Funk- tionsbedingungen ähnliche sind. Damit, dass ein Organ normalerweise mehrerlei Sinnesreize, z. B. chemischen und thermischen Reiz, zur Wahrnehmung bringen kann, soll nicht gesagt sein, dass immer jedem Sinnesreize auch eine gesonderte Empfindungsqualität entsprechen müsse: Dies wird nur bei relativ hochentwickelten Wechselsinnesorganen (In- sekten, Wirbeltiere) möglich sein; bei niederen Tieren wird häufig der Kreis der Empfindungen vereinfacht sein. Als Universalsinnesorgane bezeichne ich diejenigen Apparate eines lebenden Wesens, mittels deren von dem Wesen sämtliche Gat- tungen von Reizen wahrgenommen werden, welche für dasselbe über- haupt normalerweise wahrnehmbar sind, oder mit anderen Worten: Apparate, die sämtlichen Sinnen, welche ein Wesen besitzt, als Organ dienen. Es gibt Wesen, welche, mit nur einerlei Sinnesorganen aus- gestattet, gleichwohl verschiedene Sinne besitzen. Wenn auch eine gewisse Unterscheidungsfähigkeit für mehrere Reizarten zweifellos vor- handen ist, wird doch anzunehmen sein, dass die Zahl und Verschieden- heit der einzelnen Empfiudungsqualitäten bei den mit Universalsinnes- organ ausgestatteten Tieren weit geringer ist, als bei Vorhandensein spezifischer Sinnesorgane. Ein Universalsinnesorgan ist immer zugleich ein Wechselsinnesorgan, da es wechselsweise als Organ verschiedener Sinne funktionieren kann. Ein Universalsinnesorgan sehe ich in der reizaufnehmenden Oberfläche aller einzelligen Tiere, ferner im Ektoderm nervenloser Metazoen. Auch bei Tieren mit Nerven glaube ich es annehmen zu dürfen. Spezifische Sinnesorgane scheint es in allen Hauptstämmen der Metazoen zu geben, ebenso aber auch in allen Wechselsinnes- organe, wenn auch letztere hauptsächlich bei Wirbellosen vorkommen. 9) Eine Erscheinung, welche neben dem in jedem Augenblicke möglichen Funktionswechsel beim Individuum das System der Sinnes- organe niederer Tiere (besonders der Insekten) charakterisiert, ist der phylogenetische Funktionswechsel der Sinnesorgane. Die Hautsinnesorgane der Insekten z.B. sind sämtlich aus einem gemein- samen Grundtypus, dem Sinneshaare, hervorgegangen, und zwar durch verhältnismäßig geringfügige Modifikationen im Bau. Daher haben sie sich von ihrem Grundtypus noch lange nicht so weit entfernt, wie die Wirbeltiersinnesorgane von dem ursprünglichen „universalen Sinnes- organe der Haut“ (Häckel). Aus diesem Grunde ist es bei ihnen Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 547 weit leichter als bei jenen möglich, dass eine Form in die andere phylogenetiseh übergeht. Durch Vergleichung nahe verwandter Familien lassen sich oft Gruppen von Nervenendapparaten auffinden, welche einander bei den einzelnen Familien entschieden homolog sind, welche aber durch einen deutlichen Unterschied im Baue bekunden, dass die Funktion eine ungleiche ist. Ja selbst innerhalb einer Art, und selbst auf den symmetrisch gelegenen Punkten eines Tieres können sich (bei Insekten) Sinnesorgane von ungleichem Baue und sehr wahr- scheinlich auch ungleicher Funktion vertreten. Am häufigsten vertreten sich Riech- und Tastorgane, und Schmeck- und Tastorgane, doch dürften sich bei genauerer Nachforschung nament- lich auch zwischen den verschiedenen Teilfunktionen des mechanischen Sinnes (Gehör- und Tastfunktion ete.) Uebergänge und gegenseitige Vertretung finden lassen. Bei den Mollusken scheint phylogenetische Stellvertretung zwischen Seh- und Tastorganen vorzukommen. 10) Mit der eben erwähnten Fähigkeit des phylogenetischen Funk - tionswechsels hängt es zusammen, dass, wie bei niederen Tieren die Sinnesorgane sich noch nicht einer bestimmten Funktion ausschließlich angepasst haben, so auch die Sinnesnerven nieht konstante Funktion erlangt haben. Es gibt keinen bestimmten Geschmacks-, Geruchs- oder Gehörsnerv bei irgend einer Klasse der Wirbellosen, sondern dem Be- dürfnis der einzelnen Art entsprechend haben sich die indifferenten Wechselsinnesorgane der Haut an dieser oder jener Stelle in einer bestimmten zweekmäßigen Weise modifiziert, so dass nun eine bestimmte Funktion vorzugsweise oder ausschließlich durch sie ausgeübt wird. 11) Von denjenigen Sinnesorganen eines Tieres, welche man bei Reizversuchen als empfindlich für chemische Reize findet, sind nur diejenigen als wirkliche Geschmacks- oder Geruchsorgane zu bezeichnen, von denen es sich nachweisen oder wenigstens wahrscheinlich machen lässt, dass die Perzeption chemischer Reize ihr „Zweck“, ihre Aufgabe oder ihre natürliche Funktion ist, mit anderen Worten, dass der che- mische Reiz ihnen adäquat ist. II. Ergebnisse des speziellen Teiles. 12) Der Geruehssinn der Insekten zeigtin den einzelnen Familien sehr wechselnde Ausbildung, ist bald sehr fein entwickelt, bald sehr stumpf, fehlt aber (mit Ausnahme der echten Wasserinsekten) nie ganz. Er hat in den meisten Fällen seinen Sitz in den Fühlern, seltener in den Tastern, in letzterem Falle dann meistens zum Be- riechen aus nächster Nähe („Riechtasten“) dienend. Insekten, welche auf große Entfernung hin bestimmte Gerüche wahrzunehmen vermögen, thun dies stets mittels der Fühler. Riechvermögen der Fühler und der Taster kommt häufig neben einander vor. 35* 548 Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. Nie hat der Geruchssinn seinen Sitz an den Stigmen, im Munde oder am Kopfe selbst. 13) In den Riech- und Schmeck werkzeugen der Insekten lässt sich, in teleologischer Form ausgedrückt, folgendes Prinzip er- kennen: Das von einer zarten chitinoiden Hülle nach außen abge- schlossene Nervenendorgan soll dem umgebenden Aufenthaltsmedium (Luft bezw. Wasser) möglichst zugänglich dargeboten werden, dabei aber gegen Beschädigung durch gröbere mechanische Einflüsse ge- schützt sein. Dies wird erreicht, indem das meist kegel- oder zapfen- förmig gestaltete Haargebilde, welches die letzten Ausläufer des ner- vösen Endapparates enthält, entweder durch überragende starke Haare (Schutzborsten) oder durch Versenkung in eine Grube vor jeder Be- rührung mit festen Gegenständen geschützt ist. Besonders regelmäßig ist eine oder beide Arten des Schutzes bei den Riechorganen zu finden, bei den Schmeckorganen kommen Sehutzborsten nicht vor. Die Schutzborsten sind zuweilen zugleich Organe des mechanischen Sinnes. 14) Die Riech- und Schmeckorgane der Insekten sind weder morphologisch noch physiologisch scharf von einander geschieden. Es gibt Organe, welche wechselsweise bald zum Riechen, bald zum Schmeeken dienen. Im Baue zeigen Riech- und Schmeckwerkzeuge keine prinzipiellen Verschiedenheiten: beide sind modifizierte Haare (Kräpelin, Forel), deren Charakteristikum in der stark verdünnten Chitinwand und in der gegen grobe mechanische Einflüsse geschützten Lage besteht. Die Unterscheidung zwischen Riech- und Schmeckorganen ist (bei Insekten) oft nur durch die Lage im Körper möglich, indem Rieehorgane im allgemeinen nicht mit der Nahrung in Berührung ge- bracht zu werden pflegen, und andrerseits Organe, welche an den frei in die Luft ragenden Fühlern sitzen, keine Schmeckorgane sein können. Doch gibt es schwer zu beurteilende Ausnahmsfälle, wo Nervenendapparate als Wechselsinnesorgane des Geruches und des Geschmackes funktionieren. Im allgemeinen pflegt das eigentliche Haargebilde bei Ge- schmacksorganen eine kürzere, gedrungene Gestalt zu besitzen, als beim Riechorgane, auch der mechanischen Berührung nicht ganz entzogen zu sein. Dem entsprechend erreicht seine Chitinhülle häufig nicht diejenige Zartheit, wie bei den meisten Riech- organen, und der „Geschmackskegel“ pflegt aus seiner Grube ein wenig hervorzuragen. Sehr häufig beobachtet man, dass die Basis der Geschmackskegel von einer ringförmigen Zone gelben oder dunkelbraunen Chitins um- geben ist, welche sich gegen das meist glashelle Chitin der Umgebung scharf abhebt. Bei Riechorganen habe ich ähnliches nicht gesehen, Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 549 bei Tasthaaren nur, wenn sie in der Nachbarschaft einer Gruppe von Geschmackskegeln stehen, somit wahrscheinlich durch „phylogenetischen Funktionswechsel“ mit diesen zusammenhängen. 15) Die Angaben zahlreicher Autoren, bei den Riech- und Schmeekorganen der Arthropoden müsse die Chitinhülle stets durchbrochen sein, und das perzipierende Nerven- endorgan frei zu Tage liegen, ist nicht zutreffend. Diese Annahme beruht auf falschen physikalischen Voraussetzungen und un- richtig gedeuteten morphologischen Befunden. Ich finde (mit Forel) die Riech- und Schmeckorgane stets von einer chitinoiden Schicht nach außen begrenzt, welche kontinuierlich in die plasmatischen Teile übergeht. Die Schicht ist folglich keine ablösbare Membran und insofern haben jene Autoren Recht, welche das Vorhandensein einer Deekmembran leugnen; die zarte chitinoide Schicht ist aber auch stets eine direkte Fortsetzung des Chitins in der Umgebung der Sinneshaare, und sie verhält sich Reagentien gegenüber anders als das Protoplasma der Weichteile. 16) Ich kann (mit Wasmann) der Ansicht Plateau’s nicht zu- stimmen, nach welcher die Taster der kauenden Arthro- poden rudimentäre Organe und für die Tiere nutzlos sein sollen. Die Taster sind mächtige Organe, oft wichtiger als die Fühler. Dass viele Insekten ohne sie weiterleben können, ist kein Gegenbeweis. Aulser der zuweilen zweifellos vorhandenen mechanischen Bedeu- tung (zur Beihilfe bei der Nahrungsaufnahme) haben die Taster die Funktion von Organen des mechanischen, häufig auch des chemischen und thermischen Sinnes, sie (bezw. die auf ihnen befindlichen Nerven- endapparate) können mit anderen Worten Riech- oder Schmeckwerk- zeuge oder Wechselsinnesorgane des Riechens und Schmeckens sein. Wichtige Tastorgane sind sie fast stets. 17) Bei manchen Insekten ergibt das Experiment geringe Ge- ruchsschärfe, während nach der Lebensweise des Tieres die Existenz eines feinen Riechvermögens anzunehmen ist. Die Ursache ist häufig die, dass das Riechvermögen des ruhig sitzenden Tieres stumpfer ist, als dasjenige des laufenden oder fliegenden Insektes, welch letzteres experimenteller Prüfung immer weniger leicht zu unterziehen ist, als das ruhig sitzende Tier. Während des Fluges oder Laufes sind die Bedingungen für Kontakt der Rieehorgane mit der riechstoffhaltigen Luft günstiger, als in der huhe. Dies ist besonders bei solehen Insekten zu erwarten, deren Riechorgane in Gruben der (aktiv nieht oder nur wenig beweglichen) Fühler liegen. In der That haben gerade diejenigen Tiere, bei welchen dies zutrifft (Lepidopteren, Musciden), in auffallender Weise im Fliegen feineren Geruchssinn als im der Ruhe. Häufig haben diese Tiere da- 550 Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. neben in ausgeprägtem Maße das Vermögen des Riechtastens, welches mittels der Taster oder Rüssel erfolgt, und in der Ruhe ihnen wenigstens das Beriechen sehr naher Gegenstände gestattet. Andere Insekten vermögen durch aktive Bewegung ihrer Riech- organe (Fühler) die günstigen Bedingungen für das Riechen herzustellen, und hiermit die allen Insekten abgehende aktive Luftzufuhr zu den Riechorganen durch die Respirationsapparate zu ersetzen (Ichneumo- niden, Pompiliden, Lamellicornier ete.). 15) Bei Insekten (wie bei vielen anderen wirbellosen Tieren) kann man unterscheiden zwischen inneren und äußeren Schmeck- organen, von denen die ersteren innerhalb, die letzteren außerhalb der Mundhöhle liegen; doch sind nicht bei allen Familien beide Formen aufzufinden. Innere Geschmacksorgane finden sich besonders am Gaumen (= ventrale Fläche der Oberlippe), oft in großer Zahl, nächstdem an der Basis der Zunge oder Unterlippe. Aeußere Schmeckorgane kommen an fast allen Mundteilen vor (Maxillen, Taster, Unterlippe, Nebenzungen. Bei kauenden Insekten überwiegen die inneren, bei saugenden die äußeren Geschmacksorgane, bei leckenden finden sich meist beide gut entwickelt. Dies steht, wie ich glaube, im Zusammenhang damit, dass bei saugenden und leckenden Insekten die Nahrung schon in flüssigem, also schmeckbarem Zustande die Munäteile berührt, bei kauenden aber die Nahrung erst zerkleinert werden muss, und demnach erst im Munde zur Wirkung auf die Geschmacksorgane kommen kann. Erklärlicherweise stehen von den Wasserinsekten auch die kauen- den den übrigen leckenden und saugenden Insekten in diesem Punkte nahe, weil bei ihnen die äußeren Schmeckorgane den Dienst der fehlenden Riechorgane mit zu übernehmen haben. 19) Die Vergleichung der Hautsinnesorgane der Wasser- und derLuftinsekten ergibt folgendes: Die Hautsinnesorgane beider sind im allgemeinen nach dem gleichen Plane gebaut. Den Wasser- insekten fehlen aber alle Organe vom Baue typischer hiechorgane. Eine Ausnahme machen einige amphibische Insekten, welche Riech- organe an den Fühlern besitzen, die sie jedoch im Wasser nicht be- nützen (Hydrophilus). Die Hautsinnesorgane an Fühlern und Mundteilen der Wasser- insekten sind weniger den Organen an den Fühlern der Luftinsekten ähnlich, als den im Munde, an den Tastern und Kiefern der letzteren befindlichen Organ. Vor allem sind die bei Luftinsekten so zahl- reichen Fühlhaare bei Wasserinsekten weit seltener; an ihre Stelle treten kurze gedrungene Kegel oder Zapfen. Manchen Wasserinsekten eigentümlich sind die (nicht häufigen) platten, ruderförmigen, sowie ganz dünne und lange, fadenförmige Haarbildungen. Einzelne Organ- Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 551 formen kommen Wasser- wie Luftinsekten in gleicher Weise zu, so die in ihrer Funktion rätselhaften „Gruben ohne Kegel“, alle Geschmacks- organe und die eigentlichen Tastorgane der Tasterspitzen. 20) Zwischen den Hautsinnesorganen der Imago und der zugehörigen Larve lassen sich gewisse Unterschiede konstatieren, welche sich jedoch nur auf die Insekten mit vollkommener Verwandlung beziehen. Die Hautsinnesorgane der Larven sind weit spärlicher als die jenigen der Imagines. Sie sind im Gegensatze zu diesen an Fühlern und Tastern ganz überwiegend an deren Spitzen zu finden. Unterhalb der Fühler- und Tasterspitzen stehen entweder gar keine Sinnesorgane, oder spärliche Fühlhaare. Die Geruchsorgane der Larven haben in sehr vielen Fällen eine ganz charakteristische Gestaltung, durch welehe sie fast mit Sicher- heit als Larvensinnesorgane zu erkennen sind; dieselben lassen sich jedoch in Kürze und ohne Abbildungen nicht wohl beschreiben. 21) Vergleicht man die Hautsinnesorgane, speziell die Riechorgane verschieden großer Arten einer Insektenfamilie, so lässt sich häufig beobachten, dass mit der Größe des Tieres nicht entsprechend die Größe der einzelnen Nervenendorgane wechselt, sondern deren Zahl. Wenn z. B. eine große Schlupfwespe auf jedem Fühlergliede etwa 50 Porenplatten hat, besitzt eine 1Omal kleinere Art nicht etwa 50 Porenplatten, die 10mal kleiner sind, als die der großen Art, sondern etwa 5—8 Porenplatten, die wenig kleiner sind als jene. 22) Den von mir untersuchten Spinnen (Meta, Tegenaria, Epeira) scheint jegliches feinere Riechvermögen zu fehlen. Auch habe ich bei ihnen keine als Riechorgane zu deutenden Nervenendapparate gefunden. Die Geschmacksorgane und den Geschmackssinn habe ich nicht untersucht. Die Tausendfüsse besitzen Riechorgane an den Fühlern, welche denjenigen der Insekten ähnlich sind, mutmaßliche Geschmacksorgane an der Unterlippe und den Maxillen. 23) Bei den Crustaceen sind innere Geschmacksorgane nicht be- kannt und auch von mir vergeblich gesucht worden. Das Experiment macht jedoch die Annahme solcher wenigstens bei den Dekapoden notwendig. Der Geruchssinn fehlt den Wassererustaceen vollständig; auch die von mir untersuchten Landasseln zeigen keine Spur von Riechver- mögen. Auch tragen ihre Fühler und Taster keinerlei Organe, die als Riechwerkzeuge erscheinen könnten. 24) Die Leydig’schen blassen Kolben und Cylinder der Wasser- erustaceenfühler dürfen mit Bestimmtheit als Organe des chemi- schen Sinnes gelten, sind aber wahrscheinlich auch Wechselsinnes- 552 Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe, organe anderer Sinne. Sie sind bisher als Riechorgane bezeichnet worden, ich betrachte sie (mit Jourdan) als äußere Schmeckorgane. Sie sind bei pigmentlosen Dunkelformen weit stärker entwickelt, als bei den im hellen Lichte lebenden Arten; dem entsprechend sind die ersteren gegen chemische Reizung viel empfindlicher (Asellus cavaticus, Niphargus). Bei parasitisch lebenden Formen (Cymothoa) fehlen die blassen Kolben, ebenso allen auf dem Lande lebenden Amphipoden und Isopoden. 25) Es fehlt gänzlich an wissenschaftlich giltigen Beweisen für die Annahme, dass Krebse (und überhaupt irgendwelche echte Wasser- tiere) weithin zu riechen oder zu schmecken vermögen, dass sie den Köder, ihre Nahrung, oder das andere Geschlecht weithin wittern. Wie bei anderen Wassertieren ist bei Krebsen der chemische Sinn, und zwar in Form des Geschmackssinnes, nur auf verhältnis- mäßig kleine Entfernungen (einige Centimeter) hin wirksam. Vielleicht liegt die Bedeutung des chemischen Sinnes der Crusta- ceen besonders nach der sexuellen Seite hin. 26) Die Mollusken haben so wenig wie die Arthropoden und anderen Wirbellosen bestimmte konstante Riech- und Schmecknerven, sondern aus den indifferenten Hautsinnesorganen heraus können sich an verschiedenen geeigneten Stellen Riech- oder Schmeckorgane bilden, welche daneben meist als Wechselsinnesorgane auch noch im Dienste anderer Sinne (vielleicht sämtlicher 4 Primitivsinne) funktionieren können. Die chemischen Sinnesorgane der einen Molluskenart brauchen daher nicht Homologa derjenigen aller anderen Mollusken zu sein. 27) Dass die gesamte Haut derMollusken ein chemisches Sinnesorgan, bei Landmollusken ein Riechorgan, bei Wassermollusken ein Schmeckorgan sei, ist für die Mehrzahl aller Mollusken nicht zu- treffend. Vielmehr ist (in allen von mir untersuchten Fällen) die chemische Sinnesthätigkeit auf bestimmte Gegenden lokalisiert, welche aber in den wenigsten Fällen leicht abgrenzbare und morphologisch wohl charakterisierte Sinnesorgane darstellen dürften, sondern an welchen nur die allgemeinen Hautsinnesorgane gewisse, noch nicht im einzelnen anzugebende, Modifikationen erfahren, welche sie zur chemischen Sinnesthätigkeit geeignet machen. 28) Die Wasserschnecken haben keine Riechorgane; das sog. Lacaze-Duthiers’sche Organ an der Atemöffnung, sowie dessen Homologon bei Lamellibranchiaten, Heteropoden und anderen Mollusken (Spengel’sches Organ) hat mit dem Riechen, überhaupt mit dem chemischen Sinne, nichts zu thun. 29) In Beziehung auf die Empfindlichkeit der Haut besteht ein Unterschied zwischen den von mir untersuchten Süßwasser- und Meeresschneeken. Bei letzteren ist häufig die Empfindlichkeit Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 553 gegen leichteste chemische Reize in einem gewissen geringen Grade über die ganze Haut verbreitet; die eigentlichen chemischen Sinnes- organe heben sich dann nur durch gesteigerte Empfindlichkeit und namentlich eine raschere energische Art des Reagirens hervor. Süßwasserschnecken haben eine gegen die gleichen Reize viel unempfindlichere Haut, die chemische Reizbarkeit ist daher bei ihnen schärfer lokalisiert, als bei Meeresschnecken. Am empfind- lichsten sind fast stets die Fühler (wo vier vorhanden sind, beide Paare), die Umgebung des Mundes, die Mundlappen oder Lippen. Auch die Kiemen pflegen etwas gesteigerte Empfindlichkeit zu besitzen. Die Feinheit des chemischen Sinnes ist in manchen Fällen eine hochgradige. 30) Für die Riechorgane der Landschnecken halte ich beide Fühlerpaare, und zwar vorzugsweise deren Endanschwellungen. Ein deutliches Riechvermögen besitzt aber auch die Vorderfläche des Kopfes, besonders die Mnndgegend. Eben diese Stelle (mit Einschluss der Mundhöhle [Geschmackshöhle Simroth]) ist auch zugleich Sitz des Schmeckvermögens. 31) Von Heteropoden habe ich Carinaria mediterranea unter- sucht. Sie besitzt Schmeckvermögen im oder am Munde, dasselbe fehlt dagegen am übrigen Körper. Die als Geruchsorgan bezeichnete Wimpergrube kann ich wegen ihrer für ein solches höchst ungünstigen Lage und ihrer Unempfindlichkeit für chemische Reize nicht für ein Organ des chemischen Sinnes halten. 32) Von den Lamellibranchiaten zeigen die lebhaft sich bewe- genden Arten eine verbreitete und hochgradige Empfindlichkeit für die leichtesten chemischen Reize, sodass man von Schmeckvermögen der betreffenden Teile (Siphonen, Mantelrand, Fuß) sprechen könnte. Die Bedeutung dieses Schmeckvermögens ist unklar. Vielleicht ist die chemische Reizbarkeit eine unwesentliche Eigenschaft der betreffenden Teile, welche zugleich für mechanische und Lichtreize sehr empfind- lich sind. Eigentliche lokalisierte Schmeckorgane scheint es bei den meisten Muscheln nicht zu geben. Nur bei einzelnen Muscheln, deren Mantelrand und Sipho von derber Beschaffenheit ist, beschränkt sich die Empfindlichkeit vorzugsweise auf die äußeren Siphomündungen, vielleicht auf die hier befindlichen innervierten Papillen. 35) Bei einem Vertreter der Tunieaten, Ciona intestinalis, beob- achtete ich vollkommene Unempfindlichkeit gegen mäßig starke che- mische Reize sowohl an der ganzen Außenfläche, wie auch speziell an den Ein- und Ausfuhröffnungen des Verdauungs- und Atmungsappa- rates. Diesem Tiere und wahrscheinlich den meisten festsitzenden Aseidien fehlt somit der chemische Sinn gänzlich. 554 Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 34) Von Würmern habe ich verschiedene Anneliden eingehend untersucht. Die zu den Versuchen verwendeten Hirudineen zeigten sich an der ganzen Körperoberfläche für chemische Reize sehr em- pfindlieh, mit Steigerung der Sensibilität gegen den Kopf hin. Die ganze Haut reagiert auf leichte Reize, wie Chinin und Saceharin energisch und durch lokale Kontraktion der Ring- und Längsmuskeln. Eine Verwertung des Schmeckvermögens der Haut durch das Tier ist nicht bekannt. Der Regenwurm ist noch empfindlicher, und (wie auch aus dem Wasser genommene Hirudineen) auch durch Gerüche reizbar. Es findet eine bedeutende Steigerung der Empfindlichkeit am Vorder- wie am Hinterende statt. Die Art der Reaktion ist ähnlich derjenigen der Hirudineen (und vieler anderen Anneliden), d. h. sie ist zunächst eine lokale, welche aber von Allgemeinreaktion gefolgt sein kann. 35) Die ganze Haut des Regenwurms und der Egel ist auch für mechanische und thermische, die des Regenwurms auch für Lichtreiz empfindlich. Ich halte die Hautsinnesorgane dieser Würmer daher für Wechselsinnesorgane. 36) Die als Riechorgane gedeuteten Wimpergruben mancher Würmer scheinen dem chemischen Sinne nicht zu dienen. Nahrungs- suche mittels des chemischen Sinnes kommt bei Würmern kaum vor, dagegen ist manchen Arten eine Prüfung der Nahrung während der Aufnahme derselben möglich. 37) Von Eehinodermen habe ich Seesterne und Holothurien untersucht. Die letzteren fand ich gegen chemische Reize sehr un- empfindlich und bemerkte keinerlei Aeußerungen des Geschmackssinnes. Dagegen besitzen die Seesterne ein ausgeprägtes Schmeck- vermögen, welches in den Ambulacralfüßchen lokalisiert ist. Bei den untersuchten Arten waren die sog. Tastfüßchen empfind- licher als die Saugfüßchen, doch gaben auch letztere deutliche Zeichen von Schmeekvermögen. Die in ihnen sich findenden Nervenendappa- rate sind Wechselsinnesorgane des chemischen und mechanischen Sinnes. 38) Von Coelenteraten habe ich Vertreter der Actinien, Üteno- phoren und der craspedoten Medusen untersucht. Die Actinien besitzen einen feinen Geschmackssinn, der ihnen das Erkennen der Nahrung ermöglicht und sehr feine Unterscheidungen gestattet. Wechselsinnesorgane dieses und der anderen Primitivsinne sind die Tentakel; alle übrigen Teile der Haut, einschließlich der Umgebung des Mundes, entbehren bei den von mir untersuchten Arten durchaus des Schmeckvermögens und sind selbst für stärkere che- mische Reize unempfänglich. 39) Die RBippenqualle Beroö ovata besitzt ein gewisses, wenig entwickeltes Sehmeckvermögen in ihrer ganzen Haut, ein empfind- Nagel, Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe. 555 liches Schmeckorgan in dem Eimer’schen Sinnesorgan am Mundrande. Dieses, wie die ganze Haut, ist auch für mechanische und thermische Reize empfänglich. Die sogenannten „Geruchsplatten“ am aboralen Pole von Bero& haben mit dem chemischen Sinne nichts zu thun, weder mit dem Geruch noch mit dem Geschmack, sind dagegen für mechanischen Reiz äußerst empfindlich. 40) Von Medusen untersuchte ich nur die Geryonide Carmarina hastata näher, deren gesamte Haut, einschließlich der Subumbrella und des Magenstieles für Geschmacksreize gänzlich unempfindlich ist. Hochgradige chemische Reizbarkeit ist dagegen an den sechs langen Randfäden zu beobachten, welche unter dem Einflusse eines Geschmacks- reizes zuerst lokal sich kontrahieren, und dann eine Gesamtreaktion des Tieres auslösen. Für mechanische Reize ist außer den genannten Fäden die Subum- brella und der Magenstiel empfindlich, während an der Umbrella und dem Velum auch diese Reizart wirkungslos ist. 41) Fische und Wasseramphibien haben keinen Geruchssinn. Ueber die Funktion ihres ersten Hirnnerven und seines Endorganes ist nichts bekannt, wahrscheinlich dient er irgend einer unbekannten Teilfunktion des chemischen Sinnes. Wie bei den Krebsen fehlt auch bei den Fischen der wissenschaftlich giltige Nachweis dafür, dass sie Nahrung auf große Entfernung hin zu wittern vermögen. Durch- schneidung der beiden Nervi „olfactorii“ bei Teleostiern hindert die- selben nicht am Erkennen der Nahrung, macht überhaupt keine merk- baren Störungen. Bei der Nahrungsaufnahme lassen sich die Teleostier fast ausschließ- lich vom Gesichtssinne leiten. Der Geschmackssinn hat seinen Sitz hauptsächlich innerhalb des Mundes, und ist ziemlich gut entwickelt. Schmeekvermögen der Lippen und Bartfäden ist zweifelhaft. 42) Die Seitenorgane der Fische und Amphibien haben mit dem chemischen Sinne nichts zu thun. Die Haut der von mir untersuchten Süßwasserfische entbehrt jegliches Schmeekvermögens, ebenso die mancher Meerfische (Uranoscopus). Bei einigen Teleostiern aber (Lophius), und den Katzen- und Hundshaien ist die Haut für chemische Reize selbst‘ geringster Intensität (Vanillin, Chinin) hochgradig empfindlich, und zwar in ihrer ganzen Ausdehnung. Ein Wahrnehmen des Geschmackes der Nahrung durch die Haut ist jedoch nicht nachgewiesen. 43) Den Amphibien fehlt ein Schmeckvermögen der Haut nahezu vollständig. 556 Gottlieb, Physiologie und Pharmakologie der Pankreassekretion. R. Gottlieb, Beiträge zur Physiologie und Pharmakologie der Pankreassekretion. Aus dem pharmakologischen Institut zu Heidelberg. — Archiv f. experiment. Pathologie und Pharmakologie, Bd. 33, S. 261 fi Während von den früheren Autoren die Pankreassekretion meist an permanenten Fisteln studiert wurde, die an Hunden angelegt waren, und nur zum Studium an temporären Fisteln das Kaninchen benutzt wurde, wählte sich Verf. zu seinen Beobachtungen an permanenten Fisteln das Kaninchen. So gelang ihm nach vorgenommenen Bauch- schnitt eine sehr enge Kanüle in den Ausführungsgang der Drüse ein- zubinden und eine eventuell eintretende Stockung im Ausfluss, wie sie leieht durch Verlagerung der Kanüle und Abkniekung des Ganges be- wirkt werden kann, durch feste Fixierung der Kanüle und durch eine tiefe Narkotisierung des Tieres zu verhindern. Zur Narkose verwandte Verf. Urethan, seltener Chloralhydrat. Die Kanüle wurde durch einen kurzen Gummischlauch mit einem dünnen, mit einer Einteilung ver- sehenen Glasröhrehen verbunden und in diesem das allmähliche Vor- rücken des Sekretes beobachtet und somit die Ausflussgeschwindigkeit gemessen. Ein von der Nahrungsaufnahme abhängiges Schwanken in der Sekretion, wie es beim Hunde beobachtet wird, besteht beim Kaninchen nicht; hingegen steigt und sinkt die Ausflussgeschwindigkeit mit der Atmung infolge der durch das Herabsteigen des Zwerchfelles bewirkten Druckveränderungen in der Bauchhöhle. Doch wirken diese Schwan- kungen in der Sekretion nicht störend auf die Beobachtung, wenn man dieselbe auf etwas längere Zeit ausdehnt. Für das normale Tier ergab sich eine Sekretionsgeschwindigkeit von etwa 0,5—0,6 cem pro Stunde. Der Gehalt an festen Bestand- teilen im Sekret ist weit geringer, als beim Hunde; für die Trocken- substanz erhielt Verf. Werte zwischen 1,17—2,56°/,, aber ziemlich er- hebliche Unterschiede. Schon durch frühere Autoren, besonders durch Heidenhain!), war es bekannt, dass die Pankreassekretion von der Gefäßweite ab- hängig sei; bei Kontraktion der Gefäße wird die Sekretionsgeschwindig- keit vermindert, bei Abnahme des Gefäßtonus wieder vermehrt. — Verf. konnte nun diese Abhängigkeit durch pharmakologische Beein- flussung der Gefäßweite experimentell erreichen. Subkutane Injektion von 1 mg Stryehnin. nitrie. innerhalb 12 Minuten bewirkte bei einem Steigen des Blutdruckes von 96 auf 100 mm Quecksilber ein Absinken der Sekretionsgeschwindigkeit von 0,026 cem auf 0,004 eem pro 5 Mi- nuten. Wurde jedoch der-Krampf der Abdominalgefäße durch Chloral- 1) H ei denhain, Beiträge zur Kenntnis des Pankreas. Pflüger’s Archiv, Bd. X, 8. 610. Gottlieb, Physiologie und Pharmakologie der Pankreassekretion. 557 hydrat (2 g subkutan) gelöst, so stieg die Sekretion schnell bis auf 0,09 eem, während der Blutdruck bis auf 10 mm Quecksilber herab- sank, also unter den Absonderungsdruck des Pankreassekretes, der nach Heidenhain 16—17 mm Quecksilber beträgt. — iÜübenfalls als eine durch Krampf der Abdominalgefäße bedingte Erscheinung fasst es Verf. auf, wenn er, wie es Bernstein!) am Hunde nachgewiesen hatte, nachdem der Vagus durchschnitten, durch vorübergehende Reizung des zentralen Vagusstumpfes Sistierung der Sekretion bewirkte. Dass dem jedesmaligen Stillstand bald nach aufgehobener Reizung eine Be- schleunigung der Sekretion folgt, die häufig noch über den ursprüng- liehen Normalwert hinausgeht, erklärt Verf. aus der der plötzlichen Gefäßverengerung folgenden gesteigerten Dehnbarkeit der Gefäßwände. Von Drüsengiften untersuchte Verf. den Einfluss von Atropin, Pilo- karpin und Physostigmin auf die Pankreassekretion. Pilokarpin und Physostigmin, subkutan injiziert, bewirken beide eine geringe, kurz- dauernde und vorübergehende Steigerung der Sekretmenge, verbunden mit einer Zunahme des Trockengehaltes und der Gerinnbarkeit des Sekretes. Jedoch bleibt die Einwirkung des Pilokarpins auf die Pankreassekretion weit hinter der auf den Speichelfluss zurück. In Analogie mit dem Verhalten dieser Stoffe auf die Speichelsekretion wird man wohl auch bei dieser Wirkung auf die Bauchspeicheldrüse eine direkte Wirkung auf die Drüsenelemente selbst annehmen dürfen. — Atropin, subkutan oder intravenös appliziert, bleibt ohne Einfluss auf die Sekretion. Des Weiteren zog Verf. die Einwirkung reizender Substanzen, welche er dem Magen — bezw. Darminhalte zusetzte, auf die Pankreas- sekretion in den Kreis seiner Untersuchungen. Ein Tropfen Senföl in einer Emulsion von 20 ecem Wasser und etwas kohlensaurem Natron mittels Schlundsonde einem Kaninchen in den Magen gebracht, bewirkt nach 10—15 Minuten deutliche Zunahme der Sekretionsgeschwindigkeit bis zum Sechsfachen der normalen Größe. Ebenso wirkt die Injektion einer geringen Menge Senföl ('/; Tropfen auf 4 ecem Wasser mit 1 Tiopfen Na, CO,) in eine Duodenalschlinge. — Auch bei Anwendung anderer, lokal reizender Mittel auf die Darmschleimhaut erhält Verf. den gleichen Effekt. Wenige Kubikzentimeter einer verdünnten Säure oder Alkali in eine Duodenalsehlinge eingebracht wirkten in gleicher Weise sekretionsbefördernd wie das Senföl. Hingegen blieben Injek- tionen von Kochsalz und Glaubersalz, welche auch die Schleimhaut weit weniger reizen, ohne alle Wirkung. Das infolge der Reizung vermehrt ausgeschiedene Sekret war von normaler Beschaffenheit, nur bei kolossal gesteigerter Sekretion nimmt die Menge des Wassers gegen- 1) Bernstein, Zur Physiologie der Bauchspeichelabsonderung. Arbeiten aus der phys. Anstalt zu Leipzig, 1870. 558 Gottlieb, Physiologie und Pharmakologie der Pankreassekretion. über der der festen Substanzen etwas zu. Doch lässt sich dies wohl dadurch erklären, dass bei der Kleinheit der Drüse der Vorrat an Absonderungsmaterial bei starker Reizung bald erschöpft sein muss und dann die Neubildung desselben aus dem Protoplasma nicht gleichen Schritt halten kann mit der Steigerung des Wasserstromes. Indessen sinkt der Gehalt an Trockensubstanz auch bei stärkster Sekretion niemals unter die Norm. — Es kam nun dem Verf. darauf an, nach- zuweisen, von welchen Teilen des Darmkanales aus die reflektorische Wirkung der chemischen Reize besonders hervortritt. Man vermutete schon lange, dass sensible keize, wie sie z. B. die Magen- und Darm- contenta auf den Verdauungstraktus ausübten, reflektorisch auf die Bauchspeichelabsonderung wirkten. Auch die Abhängigkeit der letz- teren von der Nahrungsaufnahme, wie sie Bernstein und Heiden- hain beim Hunde konstatiert haben, spricht für einen derartigen Vor- gang. Verf. verhinderte daher durch eine nicht zu fest gelegte Ligatur den Uebertritt des Mageninhaltes in das Duodenum und brachte als- dann Senföl mittels Schlundsonde in den Magen. Bei diesem Versuche zeigte sich, dass auch die dreifache Menge einer reizenden Substanz nach ihrer Verteilung im Mageninhalte nur sehr geringe Zunahme der Sekretion bewirkte, während ein Tropfen derselben Substanz bei freiem Durchgange in das Duodenum sicher Sekretionssteigerung herbeiführte. Demnach scheint beim Kaninchen die Pankreassekretion von der Reiz- ung der der Drüse zunächst gelegenen Darmabschnitte, der Duodenal- schlingen, abzuhängen, während die Magenschleimhaut nur weit ge- ringere Bedeutung für diesen Vorgang hat. Ganz ähnliche Sekretionssteigerung bewirkte das Einbringen von Senfpulver und von Pfeffer in den Magen, bezw. das Duodenum. Es scheinen demnach die scharfen Gewürze auf diesem Wege durch die lokale Reizung der Magen- und Darmschleimhaut und reflektorische Erregung der Pankreassekretion ihren Einfluss auf den Verdauungs- vorgang auszuüben. Es ist dies um so interessanter, als bis vor kurzem gar keine Wirkung dieser Stoffe experimentell festgestellt war, welche ihre empirisch längst gefundenen verdauungsfördernden Eigenschaften hätten erklären können. — Daran anknüpfende Versuche mit Bitter- stoffen. — Verf. verwandte Extr. Quassiae spirit. (Merck). —, welche ja ebenfalls auf Appetit und Verdauung anregend wirken, ließen je- doch keine Beeinflussung der Pankreassekretion durch diese Stoffe erkennen. H. Kionka (Breslau). Zacharias, Süßwasserstation der Universität von Illinois. 559 Die biologische Süßwasserstation der Universität von Illinois. Mitteilung von Dr. Otto Zacharias (Plön). Wie sich die Leser des „Biol. Centralblattes“ erinnern werden, habe ich vor einiger Zeit (Bd. XIV, Nr. 3) über die Begründung einer lakustrischen Beobachtungsstation am Gullsee (Minnesota) berichtet, um damit zu konstatieren, dass das Interesse an der Erforschung der Flora und Fauna des Süßwassers auch drüben in Amerika rege ge- worden ist. Neuerdings macht uns nun ein Zirkular der Universität von Illinois mit der weiteren erfreulichen Thatsache bekannt, dass eine demselben Zwecke dienende Station vor Kurzem auch zu Havana (Illinois) ins Leben getreten ist. Dieselbe wurde auf Beschluss der Vertrauens- männer der Universität von Illinois errichtet und steht unter Leitung des bekannten Zoologen Prof. S. A. Forbes, der in dieser Thätigkeit von einem Assistenten (Mr. Frank Smith) unterstützt wird. Außer- dem gehören auch noch Frau Smith und Herr Adolf Hempel zu den Angestellten des neuen Instituts, denen ein erfahrener Fischer als Gehilfe zur Hand geht. Die Räumlichkeiten der Havana-Station sind mit einer Wasser- leitung und mit elektrischer Beleuchtung versehen. Die übrige Aus- rüstung besteht aus vorzüglichen Mikroskopen (first class mieroscopes), Mikrotomen und allen erforderlichen Reagentien, sowie aus einer kleinen Bibliothek. Im Ganzen sind 5 Arbeitsplätze vorhanden, die aber nach Bedürfnis vermehrt werden können. Behufs Ausführung größerer Exkursionen verfügt die Station über ein Kajüten- Boot, welches auf dem Quiver Lake — einer langge- streekten Bucht des Illinoisflusses — stets zur Benützung bereit liegt. Dieses Boot ist mit Dredschen, Oberflächennetzen und Apparaten zur Planktonfischerei ausgestattet. Auch sind in demselben einige Aquarien und eine Anzahl Zuchtbehälter für Wasserinsekten aufgestellt. Die Größe des Fahrzeuges ist so bemessen, dass 4 Personen darin sich wohnlich eimriehten können und auch Schlafgelegenheit haben. Eine gut eingerichtete Küche ist ebenfalls vorhanden. Die wissenschaftliche Arbeit in dieser Station soll sich auf eine Reihe von Jahren erstrecken und namentlich ist dieselbe mit dazu be- stimmt, die Wirkungen festzustellen, welche die riesigen Ueberschwem- mungen im Flussgebiete des Illinois und Mississippi, sowie das darauf folgende rasche Zurücktreten des Wassers auf die tierische und pflanz- liche Bewohnerschaft jener Gegend ausüben. Besonders aber sollen auch Beobachtungen gemacht werden über die Lebensgewohnheiten der dort vorkömmlichen Fische und deren natürliche Nahrungsobjekte. Ferner sind tägliche Temperaturmessungen und öftere Wasseranalysen in Aussicht genommen. 560 Bauer, Vogeleier. In der Havana - Station können fortgeschrittene Studenten der Zoologie auch selbständige Arbeiten ausführen, und es soll ihnen in dieser Hinsicht jede Erleichterung gewährt werden. Ebenso ist es Naturforschern von anderen Universitäten gestattet, nach Havana zu kommen und dort Studien zu betreiben. — Prof. S. A. Forbes legt Wert darauf zu betonen, dass die von ihm geleitete Süßwasserstation die erste in der ganzen Welt ist, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, die biologischen Verhältnisse eines großen Flusssystems zu untersuchen, worin ihm natürlich Niemand widersprechen wird, weil es wahr ist. Die Amerikaner nehmen , wie man sieht, die Erforschung der Süßwasserlebewelt mit großem Ernst und Eifer in Angriff, was für uns eine Mahnung dazu sein sollte, die in Deutschland bereits bestehenden (und hier zuerst errichteten) Süßwasser- Stationen den marinen Forschungsanstalten ebenbürtig zu erachten und sie mit den gleichen Mitteln zu unterstützen. Die Ergebnisse, welche eine fortgesetzte Beschäftigung mit der Fauna und Flora größerer Süßwasserbecken zu Tage fördert, sind bekanntlich schon jetzt der Art, dass sie jedes Vorurteil besiegen und den Inland-Stationen schon in allernächster Zeit zu ihrem Rechte verhelfen müssen. Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogeleiern. Von Dr. R. W. Bauer. (Fortsetzung; vergl. Bd. XIII S. 511.) Eier von Hirundo rustica 3 Stück im Nest, davon 2 Stück, a = 1,823 8, pr 1.918, Dotterkugel . . . -. m... 2.0 0838,8& Bl=W a8, Eiweiß (klebrig, Milchglasfarbe) . . a = 1,2655 g, f = 0,982 g,? Eischaale, x un „EN FEAT ZITTERN Erivon »Peraiz caanerean I MEN NR! 14,962 8, Dotter: ...... zu 3DKEE IT ARSEEDN 5,5062. 7%, Eiweiß! urtieik. ten MR NDLSIL TE, Schaalett uch. fix. Aythseeie 41,827,.2&5 Sperlingseier von Passer domesticus grau, braun gesprenkelt, wie Kibitzeihabitus, aus einem Staarkasten. ı 2 Ya eh, hr Bene ei ehe NARBE beide waren angebrütet, es konnte also das Verhältnis von Eiweiß : Dotter: Schaale nicht bestimmt werden, was jedoch an frischen Exemplaren nächstens geschehen soll. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 15. August 1894. Nr..16 Inhalt: Reibisch, Ergebnisse der Plankton-Expedition. — Bethe, Ueber die Erhal- tung des Gleichgewichts. — v. Erlanger, Zur Morphologie und Embryologie eines Tardigraden (Macrobiotus Macronyx). — Haacke, Die stammesgeschicht- liche Verschiebung der Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zu- gleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (13. Stück). — Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre,. — Zacharias, Biologische Untersuchungen in amerikanischen Seen. — Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Ergebnisse der Plankton- Expedition. Bd. IIK.c. Dr. Maass, Die eraspedoten Medusen. Die eraspedoten Medusen bilden einen wichtigen Bestandteil des Plankton und sind von der Expedition in großer Zahl erbeutet worden. Von den 46 sicheren Arten gehören 33 den Trachylinae (Hochsee- medusen mit direkter Entwicklung) und 13 den Leptolinae (Polypen- imedusen) an. Von Hydroidpolypen fanden sich 4 Species an den Sargassoblättern, während ein „polypenähnliches Tier“, auf Oseillarien- fäden festsitzend und in der Sargasso-See ziemlich regelmäßig verteilt, eine nähere Bestimmung betrefis seiner Zugehörigkeit nieht erlaubte. Auf den zoologischen Teil soll hier nicht näher eingegangen werden. Es sei nur erwähnt, dass im ganzen 14 neue Arten angeführt und auch die Beschreibungen der früher bekannten, wo es sich nötig machte, einer sorgfältigen Kritik unterworfen sind. Jugendstadien sind von mehreren Species in größerer Zahl erbeutet und haben Verfasser das Material zu einer entsprechenden Vertiefung der Systematik geliefert (z. B. bei den Aglauriden, wo sowohl die Zahl der Hörbläschen, wie die Form der Gonaden auf Altersunterschiede zurückgeführt wird). Aus dem faunistischen und statistischen Teil sei folgendes hervor- gehoben. Hensen hat selbst an seine Methode des quantitativen Fischens die Anforderung gestellt, dass streng genommen durch sie XIV. 36 562 Reibisch, Ergebnisse der Plankton - Expedition. „alles mit unseren Netzen Fangbare gefangen sein müsse, was bisher in den betreffenden Teilen des Ozeans an Plankton beobachtet worden ist“). Bei der ersten Gruppe der Hochseemedusen, den Trachomedusen, ist dies thatsächlich fast vollständig erreicht; nur die Petasiden fehlen gänzlich, obgleich ein paar Arten aus dem Atlantie beschrieben sind; von diesen ist aber z. B. Olindias „eine sehr große Form, bei der die Chance des Gefangenwerdens sehr gering sein muss“. Bei den Narco- medusen ist das Resultat kein so günstiges; es handelt sich hierbei aber gleichfalls vielfach um sehr große Formen, die auch im Mittel- meer, von wo bis jetzt die zusammenhängendsten Beobachtungen vor- liegen, nur sporadisch und an die Jahreszeit gebunden vorkommen. Jedenfalls ist jedoch mehr als die Hälfte der aus dem durchfahrenen Gebiete bekannten Formen erbeutet worden. Von den Leptolinen ist natürlich nur ein geringer Teil der aus dem atlantischen Ozean bekannten Species gefangen worden; als Ab- kömmlinge von festsitzenden Polypen gehören sie ja auch nieht zum eigentlichen Plankton. Was den Anteil der eraspedoten Medusen an dem Hoch- seeplankton betrifft, so ergibt sich, dass nur eine kleine Strecke vollständig frei von denselben war. Es reicht diese Strecke von der Südspitze Grönlands bis nahe an die Neufundlandbank. Sonst sind von allen Stationen, wo überhaupt mit dem Planktonnetz gefischt wurde, Medusen zu verzeichnen. Inbetreff der geographischen Verbreitung bestätigt sich die Erfahrung, dass durch Golf- und Floridastrom eine Grenze zwischen Süden und Norden gegeben ist, ja, es dürfte kaum eine zweite über beide Gebiete verbreitete Tiergruppe geben, auf die der Satz von Maass volle Giltigkeit hat: „Von einer wirklich durchgreifenden Scheidung kann nur zwischen dem nördlichen und südlicheu Gebiet die Rede sein, insofern als keine Craspedotenart, die sich nördlich vom Florida- und Golfstrom findet, südlich des- selben vorkommt und umgekehrt“. Den südlichen Teil trennt Verf. noch in 2 weniger scharf geschiedene Distrikte, die Sargasso-Dee und das Gebiet der 3 südlichen Strömungen. Als charakteristische Formen sind zu nennen: für den Norden Aglantha digitalis, für die Sargasso-See Aglaura hemistoma, Rhopalonema velatum, Liriope cerasi- formis, für die südlichen Strömungen Liriope minima, Marmanema velatoides und Aglaura nausicaa. Auf die Frage nach der Existenz von Tiefseemedusen gibt Verf. eine negative Antwort. Nur 5 Schließnetzzüge enthielten Craspe- doten, und zwar lauter Formen, die auch in Oberflächenfängen vor- kommen. Inbezug auf die von Haeckel in den „Tiefseemedusen der A) NV: H e nsen, Einige Ergebnisse der Expedition. Kapitel II der Reise- beschreibung. Bd. I A, 8. 19. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 563 Challenger-Reise* beschriebenen 9 Oraspedoten wird hervorgehoben, dass mehrere derselben auch an der Oberfläche gefangen worden sind. Aus einzelnen Stufenfängen geht immerhin hervor, dass manche Me- dusen in tieferen Schiehten gelegentlich häufiger sind, als in oberfläch- lichen (Aeginopsis, Aglaura), und dass aus bestimmten Gründen vertikale Wanderungen von mehreren hundert Meter stattfinden. Im Schlusskapitel kommt Verf. auf die Periodizität im Medusen- plankton zu sprechen. Bei Rhopalonema velatum scheint die Fort- pflanzung an eine bestimmte Zeit gebunden zu sein, da „auf der Hin- fahrt viele Larven, auf der Rückfahrt fast nur geschlechtsreife Exem- plare sich finden“. Bei anderen Species dagegen wurden gleichzeitig junge und alte Larven sowie geschlechtsreife Individuen erbeutet. J. Reibisch. Ueber die Erhaltung des Gleichgewichts !). Zweite Mitteilung. Von Albrecht Bethe in München. Seit Flourens?) im Jahre 1328 seime ersten Resultate bei Bogen- gangsoperationen an Tauben veröffentlicht hatte, sind solche Versuche bis in die neueste Zeit fast nur auf diese Tiere beschränkt geblieben. So brauchbar nun auch die Tauben zur Beurteilung der Funktion einzelner Labyrinthteile sind, so wenig sind sie zur Entscheidung der Frage geeignet, ob die Erhaltung des Körpergleiehgewichts?) wirklich mit diesem Organ in einer Beziehung steht. Nach den neuesten Versuchen, die von Ewald*) in überaus exakter Weise ausgeführt sind, möchte es sogar scheinen, als ob von einer gleichgewichtserhaltenden Funktion des Labyrinthes gar nicht die Rede sein könne. Er fand, dass Tauben, denen beide Labyrinthe vollkommen exstir- piert waren, sowohl mit Erhaltung des Gleiehgewichts gehen, als auch, ohne umzukippen, kleine Strecken dicht über dem Erdboden im Fluge zurücklegen und nur durch eine gewisse Schwäche der Muskulatur am besseren Fliegen verhindert werden. Dass die Tiere beim Gehen Gleichgewicht erhalten, ist nicht sonderbar, denn hierbei kann der Tastsinn der Füße ein fehlendes, statisches Organ m hohem Grade ersetzten. Dass die Tiere aber auch 1) Fortsetzung eines Aufsatzes in Band XIV S. 95 dieser Zeitschrift. 2) Flourens, Experiences sur les canaux semieirculaires de l’oreille. Mem. de l’Acad., T.IX, 1828. 3) Fr. koltz, Ueber die physiologische Bedeutung der Bogengänge des Öhrlabyrinths. Pflüger’s Archiv, 3, 8. 172. 4) Ewald R., Physiologische Untersuchungen über das Endorgan des Nervus octavus. Wiesbaden 1892. 30 564 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. beim Fliegen sich im Gleichgewicht befinden wird manchen Anhänger von der Lehre der gleichgewichtserhaltenden Funktion des Ohrlabyrinthes in Erstaunen gesetzt haben. Diese Erschemung ist nun aber gar nicht wunderbar; es wäre vielmehr unerklärlich, wenn die Taube bein Fliegen schwere Gleich- gewichtsstörungen zeigte, solange noch die Koordination der Flügel- bewegungen besteht. Bei allen Vögeln wird nämlich während des größten Teils des Flügelschlages das Gleichgewicht mechanisch er- halten d. h. durch die Lage des Schwerpunktes und die Art des Wider- standes, und zwar nicht nur in der Längsaxe sondern auch in der Queraxe. Die Zeit, in der ein Umkippen nach der Seite oder nach vorne möglich wäre, ist so kurz und die Kräfte, welche dies bewirken könnten, sind bei vollkommener Koordination der Bewegung so klein, dass schon längst wieder eine stabile Gleichgewichtslage eingetreten ist, ehe das Umkippen erfolgt, und durch diese verhältnismäßig lang andauernde stabile Lage, werden eventuell eingetretene, kleine Gleich- gewichtsstörungen sofort wieder ausgeglichen. Marey!) sagt über die mechanische Gleichgewichtserhaltung bei Vögeln: „LWattache des ailes se fait a la partie la plus haute du thorax, de sorte que, pendant le vol, le centre de gravite du corps se trouve le plus bas possible audessous du point d’appui que l’aile prend sur Pair. Si l’on observe, au moment de son essor, un Canard et surtout un Räle, on voit le eorps pendre comme un sac au-dessous des ailes qui le supportent“. Ich machte, um den Grad der mechanischen Gleichgewichtserhal- tung bei den verschiedenen Flügelstellungen zu prüfen, die Versuche in derselben Weise, wie ich sie in der ersten Mitteilung bei fliegen- den Insekten beschrieben habe. Ich ließ nämlich totehloroformierte Tauben in den ihnen natürlichen Flügel- und Körperstellungen, wie sie aus den Anschütz’schen und Marey’schen Momentaufnahme zu ersehen sind, fallen und beobachtete die Lage des Körpers in der Luft. Dabei wird ein Fehler unberücksichtigt gelassen, der aber mit in Rechnung gezogen, die Resultate nur in günstiger Weise beeinflussen würde. Es ist nämlich beim Herabdrücken der Flügel der Widerstand größer als beim Anfang des freien Falls, da ja doch das Tier dadurch gehoben wird; andrerseits ist beim Heraufziehen der Flügel der Wider- stand geringer, weil das Tier noch die Tendenz nach oben hat. Um die Flügel- und Körper-Stellung bei den Versuch zu fixieren, wurde die Taube mit folgendem Drathkorset umgeben: Hinter dem Ansatz der Beine wurde ein Drathring (mittelstarker geglühter Eisen- draht) um den Leib gelegt, ebenso hinter dem Ansatz der Flügel, welch letzterer auf der Bauchseite dieht vor dem Anfang des Sternums I) Marey E. J., Le vol des oiseaux. Paris, G. Masson, 1890. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 565 abschnitt. Diese beiden Ringe wurden am Bauch dureh zwei Längs- dräthe verbunden, welche das Rostrum sterni zwischen sich nahmen. Auf dem Rücken verband die beiden Ringe ein längerer Drath, welcher nach vorne hin über Hals und Kopf, nach hinten über den Schwanz lief. Um den Hals und Kopf waren Schlingen aus feinem Drath ge- Fig. 1. Anordnung der Fallversuche. legt, welehe mit dem starken Drath durch kleine Oesen beweglich verbunden waren, so dass Hals und Kopf jede Biegung desselben mitmachten. Der Schwanz konnte durch einen feinen Drath gespreitst werden. Die Flügelaxe war an der Kreuzung des Brustringes und der Rückenstange befestigt und mit den Gelenken des Fittichs und der äußeren Schwungfeder durch bewegliche Oesen verbunden. Die eine wurden dureh Dräthe, welche am hinteren Ring befestigt waren, in die richtige Lage gebracht. An einem Haken in der Decke eines hohen Zimmers wurde ein starker Gummifaden von 15 em Länge angebunden, mit dem ein 3 Meter langer seidener Faden verbunden war. Die an dem seidenen Faden befestigte Taube wurde an einem 566 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. / Sperrhaken an der Deeke des Zimmers entweder an der Bauch oder an der Rückenschiene aufgehängt. Den Faden, welcher den Sperr- haken auslöst, hält der im einiger Entfernung stehende Beobachter in der Hand (Fig. 1). Gibt man jetzt der Taube die in Fig. 2 am meisten rechts abge- bildete Stellung, bei der die Flügel die höchst mögliche Lage ein- nehmen, hängt sie an der Rückenschiene auf und löst den Sperrhaken durch einen Zug an der Schnur aus, so fällt das Tier mit vollkom- mener Gleichgewichtserhaltung zu Boden. Der Gummifaden schnellt sie noch einige Mal in die Höhe, wobei dieselbe Lage beibehalten wird. Hängt man jetzt das Tier an der Bauchschiene auf, so dreht es sich beim Fallen aus der hückenlage zur Bauchlage um und fällt in dieser weiter. Dasselbe Resultat erhält man bei allen Stellungen, welche zwischen dieser und der ebenfalls in Fig. 2 abgebildeten mittleren Stellung liegen, nur dass beim Fallen in der Rückenlage die Umdreh- ung desto länger dauert, je mehr sich die Flügelstellung letzterer nähert. Schaltet man nun zwischen die mittlere und tiefste Flügelhaltung noch 2 weitere Stellungen ein, so wird bei diesen beim Fallen in der Bauch- lage bis zum Boden hin vollkommenes Gleichgewicht bewahrt, beim Fallen in der Rückenlage aber eine Tendenz zur Umdrehung nicht mehr wahrgenommen. Bei der tiefsten Flügellage ist am Ende des Falls in der Bauchlage eine schwache Neigung zum Umkippen zu be- merken; diese ist aber so gering, dass sie bei der überaus kurzen Dauer, während der beim normalen Flügelschlag diese Stellung ein- genommen wird, gar nicht im Betracht kommen kann. Fig. 2. Fig. 2. Die beiden äußersten Flügelstellungen der Taube und eine Mittel- stellung nach Marey. Es liegt nun nach Preehtl!) der Schwerpunkt des Vogels so, „dass er durch den von dem Niederschlage des Flügels erzeugten Widerstand unterstützt wird, d. i. dass er in dem Scheitel der paraboli- schen Mittellinie des Widerstandes der Flügel liegt“... . „Der Schwer- 1) Prechtl Joh. Jo 8., Untersuchungen über den Flug der Vögel. Wien, Carl Gerold, 1846. S. 212. 3ethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 567 punkt liegt also um die halbe Breite des Flügels rückwärts von der Linie entfernt, welche die beiden Flügelgelenke verbindet“. Da nun die Schwerkraft nach unten, der Widerstand nach oben wirkt und der Widerstand beim Niederschlag der Flügel stärker ist als die Schwerkraft, so müssen die Tiere durch diese beiden Kräfte im Gleichgewicht erhalten, Schwankungen vermieden, und eventuell bei tiefster Flügelhaltung entstandene kleine Neigungen ausgeglichen werden. (Siehe Fig. 3. Die beiden aus Mareys oben erwähnten Werk entnommenen und vergrößerten Zeichnungen stellen eine See- möwe bei horizontaler Flügelstellung in vertikaler und horizontaler Projektion dar. Die beiden Pfeile deuten die Schwerkraft und den im Scheitelpunkt der parabolischen Widerstandslinie angreifenden Wider- stand an.) | Fig. 3. Seemöwe in hori- zontaler und vertikaler Pro- jektion nach Marey. SL Wir sehen also, dass eine Taube auch ohne Gleichgewichtsorgan mit einigem Geschick fliegen können muss, wenn nur die in der Jugend vor der Operation beim Fliegen erlernten Bewegungen noch in der richtigen Weise ausgeführt werden. Da nun aber die operierten Tauben 568 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. nur ganz kurze Strecken im Fluge zurücklegen, ist es garnicht zu beurteilen, wie weit die Gleichgewichtserhaltung dabei geht. Dies wäre vielleicht durch einen Versuch festzustellen, den Ewald augen- scheinlich nieht gemacht hat. Lässt man nämlich eine normale Taube aus einiger Höhe mit dem Rücken nach unten herabfallen, so dreht sie sich sehr schnell um und fliegt in der Bauchlage davon, ja sie thut dies sogar, wenn man den kücken etwas beschwert, so dass der Schwerpunkt wesentlich höher liegt als sonst. Dieser Versuch an der operierten Taube ausgeführt würde möglicherweise ein Licht darauf werfen, inwieweit die mechanische Erhaltung des Gleichgewichts im Stande ist, ein statisches Organ zu ersetzen. Am deutlichsten würde es sich aber bei der Taube zeigen, ob wir es im Labyrinth mit eimemn statischen Organ zu thun haben, wenn ein Tier operiert würde, welches das Fliegen noch nicht erlernt hat. Im sroßen und ganzen werden aber Vögel immer ein ungeeignetes Objekt zur Entscheidung dieser Frage sein; wir müssen uns daher nach Tieren umsehen, bei denen das Gleichgewicht nicht mechanisch erhalten wird, die sich also immer im labilen Gleichgewicht befinden. Dazu können von Wirbeltieren nur die Fische in Betracht kommen?). Es liegen nun allerdings eine Anzahl von Beobachtungen an operier- ten Fischen vor, aber von diesen verdient nur ein geringer Teil Be- achtung. Anna Tommaszewicz?) und Kiesselbach?) operierten mit negativem Erfolg an Knochenfischen. Uyon?*) exstirpierte Neunaugen die Labyrinthe und fand, dass doppelseitig operierte Tiere häufig auf dem Rücken schwimmen und Drehbewegungen machen. Es gelang mir aber nicht beim Flussneunauge (Petromyzon fluviatilis), wovon ich einige Exemplare in meiner pommerschen Heimat erhielt, die aber leider auf dem Transport starben, festzustellen, ob diese Tiere im labilen oder stabilen Gleichgewicht schwimmen. Die toten Exemplare sanken ebenso oft in der Bauchlage, wie in der Rückenlage zu Boden. Es scheinen mir daher die von Cyon gemachten Versuche wenig zur Ent- scheidung unserer Frage beizutragen, wenn er auch selber am Schluss der Arbeit sagt, dass sich aus seinen Versuchen die statische Funktion des sog. Gehörorgans ergebe. Er 1) Monoyer M., Recherches expörimentales sur l’&quilibre et la locoma- tion chez les poissons. Annales des sciences naturelles, Serie V, T. VI, Paris 1866. In dieser Schrift wird zum erstenmal experimentell bewiesen, dass die Fische im labilen Gleichgewicht schwimmen. 2) A. Tommaszewiez, Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinthes. Inaug.-Dissertation, Zürich 1877. 3) Kiesselbach, Zur Funktion der halbzirkelförmigen Kanäle. Archiv für Ohrenheilkunde, XVIII, 1882. 4) Cyon E., Gesammelte physiologische Arbeiten. Berlin. Aug. Hirsch- wald, 1888, 8. 338. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 569 Von Sewall!) und Steiner?) wurden Versuche an Haifischen gemacht. Beide und besonders der letztere leugnen irgendwelche Störungen nach Operation an den halbzirkelförmigen Kanälen. Da- gegen sahen sie Rollbewegungen nach Herausnahme der Otolithen, die aber als sekundäre Reizerscheinungen aufgefasst wurden. Es ist das Verdienst von Loeb?°) und Kreidl*) durch neue Ver- suche an Haifischen bedeutend positivere Resultate erzielt zu haben. Sie berichten übereinstimmend, dass Tiere, denen beiderseits die Oto- lithen oder ganzen Labyrinthe herausgenommen waren, in der Regel auf dem Rücken schwammen und am Boden sowohl auf dem Bauch als auch auf dem Rücken liegend beobachtet wurden. Die von Kreidl außerdem vorgenommenen Experimente an den Canales semicireulares allein zeigen allerdings, dass Steiner’s Resultate falsch sind, indem Kreidl starke Reaktionen nach Durehtrennung der Bogengänge beobach- tete, vermögen aber über deren Funktion nicht aufzuklären, weil sie mit der von Ewald mit Recht verurteilten einfachen Durchschneidungs- methode ausgeführt sind, bei der durch Ausfließen der Endolymphe immer eine weitgehende und unberechenbare Beeinflussung des ganzen Labyrinthes hervorgerufen wird. Außer diesen Arbeiten, durch welche die statische Funktion des Labyrinthes noch nicht als erwiesen angesehen werden kann, existiert soweit mir bekannt nur noch eine kurze Mitteilung von Ewald°), aus der aber nicht hervorgeht, an welchen Fischen er seine Versuche angestellt hat. Ich selber wählte zu meinen Untersuchungen Knochenfische, weil diese sich in einer sehr labilen Gleichgewichtslage beim Schwimmen befinden, für unsere Zwecke also überaus geeignet sind. Die Experimente wurden ausgeführt an dem Flussbarseh (Perca Sluviatilis), dem Rotauge (Scardinius erythrophthalmus) und dem Hecht (Esox lucius). Von diesem sind Perca und Scardinius nur zur Total- exstirpation der Labyrinthe geeignet, während beim Hecht die Opera- tion an einzelnen Kanälen recht gut gelingt. Der Grund dafür liegt darin, dass bei den beiden ersten Fischarten das Labyrinth fast frei im Schädelraum liegt, beim Hecht dagegen wenigstens die beiden senk- rechten Kanäle in weichen Knorpel eingebettet und so, ohne das übrige Labyrinth oder das Gehirn zu berühren, leicht zugänglich sind. 4) Sewall, Journal of Physiology, IV, 1883—84, S. 339. 2) Steiner Js., Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissensch., XXVIII, 1886, S. 498. 3) Loeb, Ueber Geotropismus bei Tieren. Pflüger’s Archiv, XLIX, Seite 175. 4) Kreidl, Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften, Band 101, Abteilung III, 1892. 5) Ewald, Bedeutung des Ohres für die normalen Muskelkontraktionen. Centralblatt für Physiologie, 1892. >70 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. Während der Operation wurde den Fischen mittels eines Schlauches ein Wasserstrom dureh Mund und Kiemen geleitet. Der zu operierende Fisch wurde in ein nasses Leinentuch gewickelt und, je nachdem er in seitlicher Lage oder Bauchlage operiert werden sollte, auf zwei verschiedenen Operationstischen gefesselt. Zur Operation in seitlicher Lage wurde ein Brett benutzt, das in den Konturen des Fisches mit einer Anzahl von Löchern versehen war. Durch diese Löcher war m Ziekzacklinie ein Bindfaden gezogen, so dass beim Anziehen der Enden der unter die Fadenösen geschobene Fisch gefesselt wurde. Zur Operation in der Bauchlage wurde ein Brett benutzt, auf dem von 2 Holzleisten (3—4 cm hoch) eine Rinne gebildet wurde. In diese Rinne wurde der umwickelte Fisch hineingesetzt und über ihm an den Leisten angebrachte Fäden zusammen gebunden. Man thut gut den Kopf noch durch Wattepfropfe, welche zwischen Maul und Leiste ge- stopft werden, an seitlichen Bewegungen zu hindern, welche wenn auch noch so klein, doch das Operationsresultat verderben können. — Die bei der Operation verwendeten Instrumente wurden eine halbe Stunde vorher in 2proz. Karbollösung gelegt; die Wunden wurden ver- näht und mit Karbolgelatine verschlossen. Totalexstirpation beider Labyrinthe. Perca fluviatilis. Hier wurde die Herausnahme des Labyrinthes (Otholitenapparat und Uanales semieireulares) auf zwei Arten vorgenommen, entweder von der Seite oder von oben. Zuletzt zog ich die letzte Methode vor, weil bei der anderen das Umdrehen des Tieres lästig ist. Fig. 4. Fig. 4. Kopf des Barsches (Sche- matisiert). ‘Das kleine mit feinen Schuppen besetzte viereckige Feld ist ganz heransgenommen, so dass man das Labyrinth zum Teil vor sich sieht. Die in der Tiefe punk- tierte Linie deutet die Grenze von Kleinhirn und Mittelhirn an. Die Operation von der Seite ist ziemlich leicht. Man trennt durch drei Messerschnitte das kleine viereckige, deutlich abgegrenzte Feld (Fig. 4), unter dem das Organ liegt, ab und klappt es nach unten. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. Dil Dann durchbohrt man am oberen Rand, wo keine Gefahr ist, edlere Teile zu verletzen, ein Loch durch den Knochen und kann nun mit einer starken Pinzette das freiliegende Knochenstück ausbrechen. Jetzt erblickt man die beiden vertikalen Kanäle, fasst sie mit der Pinzette, durchschneidet den Canalis posterior und zieht das Labyrinth vor- sichtig nach außen, bis der Statolith grade sichtbar wird. Darauf seht man mit einer starkgebogenen Scheere in die Oeffnung, durch- schneidet den Acusticus und zieht nun das Labyrinth ganz heraus, nachdem man vorher den Horizontalkanal durehnitten hat, welcher ebenso wie der Canalis posterior um eine Knochenspange geschlungen ist. Nur selten zerreisst es dabei. Darauf klappe ich den Hautlappen wieder nach oben, befestige ihn mit einer Nadel an dem Schuppen- besetzten oberen Rand und bestreiche die Wunde mit Karbolgelatine. Bei der Operation von oben schneide ich mit einem scharfen Messer von der Mitte der Augen anfangend bis zum Anfang der Schuppen das Schädeldach (Haut und Knochen zugleich) ab und klappe es nach hinten, wo es unter das Leinentuch geschoben wird. Das freiliegende Labyrinth wird mit der Pinzette gefasst, etwas nach oben gezogen und wie vorher der Acusticus und die beiden festliegenden Kanäle mit einer schwachgebogenen Scheere durchschnitten. Das Schädeldach wird wieder nach vorn geklappt und über ihm ein Faden, der beiderseits durch den oberen Augenhöhlenrand gezogen ist, zusammengebunden. Der Versuch Nadeln dureh die Wundränder zu ziehen missglückt immer wegen zu großer Dünne der Haut. Bei beiden Operationen fließt nicht ein Tropfen Blut. Die Gelatine stößt sich gewöhnlich in 2—3 Tagen ab, der Faden dagegen bleibt oft 10—14 Tage liegen. In dieser Weise operierte Tiere hielten sich verschieden lange. Doppelseitig operierte starben nach 5-—-11 Tagen meist an Entkräf- tung, denn die Barsche nehmen in der Gefangenschaft keine Nahrung, was aber nicht der einzige Grund ist, oder an Verpilzung, welche auch bei den günstigsten Wasserbedingungen nie ganz zu vermeiden ist. Nur auf einer Seite operierte Tiere lebten meist länger. Sie hielten sich 10—17 Tage, waren aber zuletzt immer außerordentlich abge- magert, besonders deswegen, weil sie schon bevor ich sie bekam, seit etwa S Tagen in der Gefangenschaft waren, also ebenso lange schon nichts mehr gefressen hatten. Während der Durchschneidung der Haut und des Knochens ver- hält sich das Tier ganz ruhig, aber im Augenblick, wo man das Labyrinth erfasst und nachher beim Durchschneiden des Aecustieus treten heftige Augenverdrehungen (Nystagmus) auf, und ein Zueken geht dureh die Muskulatur des ganzen Körpers. Dieses Zucken währt noch kurze Zeit nachher und kann dureh mechanische Reizung des Acustieus wieder hervorgerufen werden. 572 3ethe, Erhaltung des Gleichgewichts. Sowie der beiderseits operierte Fisch ins Wasser kommt, macht er einige unsichere Schwanzschläge und lässt sich zu Boden sinken, wo er kurze Zeit regungslos auf der Seite liegen bleibt. Nach einigen Minuten fängt er wieder an, sich zu bewegen, wirft sich von einer Seite auf die andere, steigt in die Höhe den Bauch nach oben ge- wendet und schwimmt schnell unter fortwährenden Longitudinaldreh- ungen durch das Bassn. Nach kurzer Zeit sinkt er wieder erschöpft zu Boden. Das wiederholt sich während der ersten Stunde nach der Operation mehreremal. Bald bemerkt man aber, dass das Tier am Boden nicht mehr auf der Seite sondern auf dem Bauch liegt und auch hin und wieder allerdings stark schwankend in der Bauchlage den Boden berührend dahin schwimmt. Sowie der Fisch aber die Be- rührung mit dem Boden verliert und im höhere Wasserschichten empor- steigt, nimmt er die Drehungen um die Longitudinalaxe wieder auf. Außer diesen Drehungen sah ich auch häufig während der ersten Stunden nach der Operation, dass das Tier auf der Seite schwimmend kleine vertikale Kreise beschrieb, bald links bald rechts herum. Am nächsten Tage sind Longitudinaldrehungen schon seltener ge- worden und werden es in den folgenden Tagen noch mehr, hören aber nie ganz auf. Das Tier liegt meist am Boden immer in Bauchlage und macht hier fast den Eindruck emes normalen Tieres. Dunkle Ecken und seitliche Stützpunkte sucht es gerne ‚auf, aber auch darin unterscheidet es sich nicht vom normalen Tier. Der einzige Unter- schied liegt in der Haltung der Flossen, welche etwas mehr adduziert werden wie sonst. Berührt man das Tier so schwimmt es davon mit dem Bauch den Boden berührend. Dabei schwankt es leicht hin und her und bewegt sich nicht mit derselben Kraft uud Akuratesse wie sonst. Es schwimmt wohl auch hin und wieder mit dem Vorderende vom Boden entfernt und nur mit dem Hinterende denselben berührend, begibt sich aber noch “weniger gern als das normale Tier in höhere Wasserschichten. Hebt man vorsichtig den Barsch in die Höhe und lässt ihn dann los, so fällt er um und schwimmt nun oft weite Strecken auf dem Rücken dahin. Reizt man ihn, indem man ihn einigemale anstößt, so treten mit Sicherheit Longitudinaldrehungen auf und zwar noch nach vielen Tagen mit solcher Heftigkeit, dass das Tier schließlich erschöpft zu Boden sinkt und auf der Seite liegen bleibt. Erst nach einigen Minuten nimmt es wieder die Bauchlage em. Von der Schwächung der Muskelkraft kann man sich leicht über- zeugen. Man wählt zwei gleichkräftige Tiere aus und operiert das eine. Wenn man nun nach einigen Tagen jedes Tier im Wasser in die Hand nimmt, so bemerkt man, dass das gesunde weit kräftigere Bewegungen macht, um zu entkommen, als das operierte. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 575 Diese Resultate stimmen mit den von Ewald an beiderseits ope- rierten Tauben gewonnenen in folgenden Punkten überein: Die labyrinthlosen Fische zeigen wie die labyrinthlosen Tauben große Muskelschwäche und unsichere, hastige Bewegungen. Bei beiden zeigt sich große Unlust zu Muskelbewegungen und nach Reizungen treten heftige Bewegungen auf, welche bis zur Erschlaffung führen. Ewald sagt auf Seite 4: „Es scheint bei ihnen (den labyrinth- losen Tieren) einer besonderen Anstrengung zu bedürfen, um die Muskulatur in Bewegung zu setzen, dann aber bleiben offenbar während der Muskelthätigkeit diejenigen Empfindungen aus, welehe das normale Tier veranlassen sich wieder ruhig zu verhalten“. Was nun die Longitudinaldrehungen anbetrifft, so bin ich geneigt sie für ein Bestreben zu halten, die Bauchlage wieder zu erlangen, denn ich glaube, dass die Tiere sich der anormalen Lage bewusst sind und dies Bewusstsein dureh Eindrücke der Augen und veränderte Druck- verhältnisse erhalten. Die Aenderungen der Druckverhältnisse treten an allen Stellen auf, wo Körper von verschiedenem spez. Gewicht vor- handen sind; das ist vor allem in der Leibeshöhle der Fall, wo die 3jlase beim normalen Schwimmen einen Druck auf die Wirbelsäule ausübt, während der Druck in unserm Fall auf die Bauchdecken wirkt. Stieht man die Blase an, so dass die Luft entweicht, dann wird das spezifische Verhältnis des Körpers zwar verändert, aber es ist doch immer noch die Rückenseite schwerer als die Bauchseite. Bestreicht man zugleich die Augen mit einer Mischung von Gelatine und Puder- kohle, so ist das Tier zuerst sehr ungeberdig, schwimmt aber, nachdem es sich beruhigt hat, in viel sicherer Rückenlage als vorher. Scardinius erythrophthalmus. 3ei diesem Tiere ist die Operation von der Seite nicht angebracht. Auch von oben her bieten sie wegen der Höhe des Kopfes viel mehr Schwierigkeiten als bei Perca. Das Tier wird in Bauchlage gefesselt, die weiche, dieke Haut von der Mitte der Augen bis zum Anfang der Schuppen mit einem Messerschnitt abgetrennt und zurückgeschlagen. Das darunterliegende knöcherne Schädeldach wird mit einer starken Pinzette ausgebrochen und ganz beseitigt. Dann schiebt man mit einem gebogenen Hornplättehen das Mittelhirn etwas zur Seite, geht längs des Hornplättehens mit einer gebogenen, kleinen Scheere in die Tiefe und durchschneidet den Acustieus. Im Augenblick der Durchschneidung treten, wie bei Perca, Verdrehungen des Auges und Zuckungen der Muskulatur auf. Von einer Herausnahme des Labyrinthes muss man wegen der ungünstigen Lage absehen. Nachdem auf beiden Seiten die Durehsehneidung vorgenommen ist, was bei einiger Uebung mit Sicherheit gelingt, klappt man den Hautlappen wieder nach vorne, Tl 574 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. näht ihn mit 4—5 Nadeln in der ursprünglichen Lage fest und ver- schließt die Wunde mit Karbolgelatine. Ehe ieh zur Beschreibung der auftretenden Erscheinungen über-_ gehe, muss ich bemerken, dass der tote oder ehloroformierte Scardinius nicht auf dem Rücken schwimmt, sondern auf der rechten Seite den hücken im Winkel von 25°— 30°, den Schwanz etwa um 15° abwärts geneigt. In den ersten Minuten nach der Operation verhält sich das Tier ganz ruhig. Es liegt regungslos auf der. rechten Seite am Boden. Dann steigt es in die Höhe und schwimmt nun auf der rechten Seite liegend in großen Kreisen den Bauch nach innen gekehrt im Bassin dicht an der Oberfläche umher. Dazwischen treten einige Longitudinal- drehungen auf, aber nie mehr als 2 hintereinander, was wohl mit der sroßen Höhe des Tieres in Zusammenhang steht. Gewöhnlich kommt er bei den Longitudinaldrehungen nur bis auf die linke Seite, von der aus er nach einiger Zeit in die Lage auf der rechten Seite zurück- kehrt. Hin und wieder geht er in die Tiefe und hält sich hier kurze Zeit in der Bauchlage auf, zeigt aber immer große Neigung, auf die rechte Seite zu sinken. Bald ist er wieder oben und schwimmt ruhelos auf der rechten Seite daher. Dabei kommt es häufig vor, dass er mit dem Kopf aus dem Wasser fährt eine Folge der geneigten Richtung der Längsaxe. In den nächsten Tagen — länger als 5 Tage hielten sich die doppelseitig operierten Tiere nieht — schwammen sie nieht mehr so dauernd, sondern lagen häufig lange Zeit auf der Oberfläche des Wassers oder am Boden. Es scheint ihnen schwer zu werden, längere Zeit am Boden zu verweilen und ich schiebe dies auf eine große Schwächung der die Blase kontrahierenden Muskulatur. Am Boden liegen sie meist auf dem Bauch und zwar so, dass sie sich an die seitliche Wand des Behälters anlehnen. Liegen sie frei am Boden, so sinken sie immer von Zeit zu Zeit auf die rechte Seite und haben Mühe, wieder aufzukommen. Das Anlehnen an die Gefäßwand beobachtet man auch, wenn sie an der Oberfläche liegen und man sieht oft, dass ein Tier in den oberen Wasserschichten an die Gefäßwand gelehnt in leidlicher Bauchlage dahinsehwimmt. Es versucht sogar von dieser Lage ausgehend auf dem Bauch durch das freie Wasser zu schwimmen, aber schon beim ersten Schwanzschlag sinkt das Tier auf die linke oder rechte Seite. Die Lage auf der linken Seite beim Schwimmen ist immer nur vorübergehend, längere Strecken werden stets auf der rechten Seite zurückgelegt. Was die Haltung der Flossen betrifft, so ist auch hier zu bemerken, dass sie im allgemeinen weniger gespreizt sind, als beim normalen Tier der Fall ist. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 575 Das Resultat der doppelseitigen Außerfunktionsetzung der Laby- rinthe bei zwei Knochenfischen zeigt also, dass die Tiere nicht nur desorientiert sind, sondern, dass sie auch vorzugsweise in der Lage schwimmen, welche ihnen durch die Massenverteilung im Körper zu- kommt. Zugleich zeigen die Versuche, dass bei der Berührung mit einem andern Medium (der Boden des Gefäßes) der Hautsinn den Tieren die Orientation wiedergibt und dass den Augen und den Druck- verhältnissen im Körper eine geringe orientierende Wirkung zukommt. Eine Beeinflussung der Muskulatur zeigt sich außer in der Schwächung des ganzen Körpers und der Blase, auch im der Kraftlosigkeit der Flossenabduktoren. Diese letzten Symptome treten aber bei einseitiger Operation mit größerer Klarheit hervor. Einseitige Labyrinthexstirpationen. Perca fluviatilis. Ich beschreibe nach dem Vorgang von Ewald die Symptome, wie sie bei rechtsseitiger Operation auftreten. Gleich nach der Operation ist das Tiere ganz munter. Es ist keine Spur von der Erschlaffung vorhanden, wie sie nach beiderseitiger Totalexstirpation auftritt. Das Tier sucht sogleich nach dem Einsetzen ins Wasser die dunkelste Ecke auf und liegt hier still in ganz normaler Weise schwach die Brustflossen bewegend. Der einzige Unterschied den man bemerkt ist eine schwache Neigung auf die operierte Seite. Bringt man das Tier in eine höhere Wasserschicht, so tritt diese Neigung etwas deut- licher hervor. Das Tier sucht aber gleich wieder wie ein gesundes den Boden und eine dunkle Ecke auf. Im Lauf der nächsten Tage (bis zum vierten Tag naeh der Operation) verstärkt sich die seitliche Lage beim Liegen am Boden, beim Schwimmen am Boden und beim Schwimmen im freien Wasser immer mehr. Zugleich treten zwei neue Symptome auf. Bringt man das Tier (rechts operiert) an die Ober- fläche und reizt es durch starke Berührung oder dadurch, dass man es auf den hücken legt, so macht es, mdem es zugleich in die Tiefe geht, Drehungen um die Longitudinalaxe und zwar von links über den kücken nach rechts (vom Tier aus gerechnet dreht es sich links herum) und zwar individuell schwankend führt es 2—5 Drehungen aus. Kommt das Tier am Boden an, so liegt es einige Minuten stärker rechts ge- neigt wie sonst und riehtet sich erst nach Verlauf dieser Zeit wieder zur gewöhnlichen Lage auf. Die zweite neu auftretende Erscheinung ist die anormale Haltung der gekreuzten (also linken) Extremitäten. Diese tritt besonders deut- lich an der Brustflosse auf, welehe nieht mehr wie beim normalen Tier 576 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. in ruhiger Lage abduziert, sondern adduziert gehalten wird. Dasselbe sah ich, wie schon erwähnt, auf beiden Seiten bei beiderseitiger Opera- tion. Nystagmus des rechten Auges fand ich nieht konstant. Eine erst nach dem 5. bis 6. Tage auftretende Erscheinung ist eine Ver- schiedenheit in der Atmung auf beiden Seiten. Es wird nämlich nach dieser Zeit zwar noch gleichzeitig auf beiden Seiten geatmet, aber der rechte Kiemendeckel hebt sich bei weitem nicht so stark wie der linke. Hand in Hand mit stärker werdender Neigung nach rechts geht eine Krümmung des ganzen Tieres nach rechts, so dass die linke Seite besonders in der Bauchregion konvex ist. Dadurch ist die Blase weiter nach links gedrängt, als es beim normalen Tieren der Fall ist, und es ist nicht zu verwundern, dass ein großer Teil der Neigung nach rechts auf dieser Verlagerung der Blase basiert. Sticht man nämlich die Blase an, was unter Wasser geschehen muss, so dass die Luft entweicht, dann finden wir beim ruhig daliegenden oder dahinschwimmenden Fisch nur noch eine ganz geringe Neigung nach rechts. Legt man das Tier jetzt auf die linke Seite, so bleibt es auch kurze Zeit links geneigt liegen, was früher nie der Fall war. Bei Reizung treten auch jetzt noch im hohen Wasser dieselben Longitudinaldrehungen auf; auch die Flossenhaltung ist noch wie vor- her, aber eine Erscheinung hat sich gemildert, wenn sie auch nicht ganz aufgehört hat. Es ist das die Atmungsanormalie. Die Milderung der Neigung nach rechts durch Anstechen der Blase, entspricht vollkommen dem von Ewald auf S. 183 seines Buches beschriebenen Versuch am rechtsoperierten Frosch. Hier sind beide Lungen durch die rechtsseitige Krümmung nach links getrieben und er sah die daraus beim Liegen im Wasser resultierende Neigung des. Körpers nach rechts, fast ganz nach Herausnahme der Lungen, schwinden. Auch in andern Punkten finde ich große Analogien zwischen Ewald’s Resultaten an einseitig operierten Tauben und Fröschen und meinen Ergebnissen bei einseitig operierten Fischen. Er fand eine 3eeinflussung der rechten Körpermuskulatur, welche sich beim Frosch in einer Krümmung der Wirbelsäule nach rechts, bei der Taube in einer Verdrehung des Kopfes nach rechts, bei meinen Fischen eben- falls in einer Krümmung des Körpers nach rechts kund thut. Er sah, dass eine einseitig operierte Taube an den Beinen aufgehängt, zwar mit beiden Flügeln schlug, aber trotzdem wegen der Schwäche der rechten Flügelmuskulatur sich nach rechts drehte; er beobachtete, dass der rechtseitig operierte Frosch im Wasser aufgehängt mit beiden Beinen Schwimmbewegungen machte und sich nach rechts drehte, Meine Fische drehten sich bei Reizung ebenfalls rechts herum, weil die Schläge der linken Flosse kräftiger waren als die der rechten. c Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 577 Schließlich tritt bei Perca, ebenso wie bei allen von Ewald unter- suchten Tieren eine anormale Haltung der gekreuzten Extremitäten auf, nur dass sie nieht wie beim Frosch u. s. w. abduziert gehalten werden — denn das ist für den Fisch die natürliche Extremitäten- haltung — sondern anormaler Weise adduziert. Es scheint also die Abduktion der gekreuzten Extremitäten nur bei den Tieren ein allgemeines Gesetz zu sein, bei denen vollkommene Homologie der Muskeln besteht. Die lelzte Uebereinstimmung zwischen der einseitig labyrinthlosen Taube und dem operierten Barsch beruht darin, dass bei beiden der größte Teil der Ausfallerscheinungen, denn es scheint mir unzweifel- haft, dass wir es hier mit solchen zu thun haben, erst nach einiger Zeit auftritt. Die von Ewald hierfür gegebene Erklärung, dass noch eine Zeitlang vom durchschnittenen Acustieus aus, ein Reiz ausgeübt wird, welcher das Auftreten der Erscheinungen verhindert scheint mir sehr glücklich zu sein. Scardinius erythrophthalmus. Y ) Die Ausfallerschemungen sind hier zum Teil viel weniger deutlich als bei Perca. Es ist augenschemlich ein Tier bei dem das Labyrinth der gekreuzten Seite im Stande ist, zum großen Teil das verloren- gegangene zu ersetzen. Einen analogen Fall fand Ewald in der Dohle. Aber noch etwas anderes ist bei diesem Tier auffallend, dass nämlich die Krümmung nach der Operation nicht auf der operierten, sondern auf der gekreuzten Seite ist und dass das Tier infolge dessen sich nicht auf die operierte sondern auf die gekreuzte Seite neigt. Gleich nach der Operation ist das Tier ganz kurze Zeit etwas matt, schwimmt aber schon nach wenigen Minuten wieder ganz munter umher. Dabei zeigt sich von Anfang an (beim rechts operierten Tier) eine schwache Neigung nach links etwa von 20°. Diese Neigung bleibt gleich sowohl beim Schwimmen am Boden wie im freien Wasser. Longitudinaldrehungen sah ich niemals. Im Laufe der nächsten Tage nimmt die Neigung auf die linke Seite mehr und mehr zu und erreicht am 3. bis 4. Tage ihren Höhe- punkt, wo man das Tier häufig um 45° und mehr geneigt sieht. Aber diese Erscheinung verringert sich bald wieder und am 8. bis 14. Tag (länger hielten sich die Tiere nicht) ist nur noch eine geringe Neigung von etwa 15° vorhanden. In den Tagen der größten Neigung ist das Tier stark nach links gekrümmt und macht auch beim Schwimmen auf dieser Seite bedeutend stärkere Schwanzschläge, so dass es sich meist in Kurven nach links bewegt. Die Anormalität in der Flossen- haltung tritt ebenso wie bei Perca erst nach etwa 2 Tagen auf. Die linken Flossen, und im Unterschied zu Perca«, besonders die Bauch- XIV. a1 578 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. flosse werden adduziert, während die rechten Flossen in normaler Weise gespreizt gehalten werden. Auch diese Erscheinung lässt nach einigen Tagen nach, bleibt aber doch bis zum Tode deutlich. Die Tiere sind vom 5. Tage an sehr munter und schwimmen mit Eleganz und Sicherheit. Man sollte eigentlich meinen, dass bei diesem Tier ein Unterschied in den Erscheinungen nach linker und nach rechter Operation wäre, weil der Körper ein asymmetrisches spezifisches Verhältnis hat. Davon ist aber keine Spur zu bemerken. Wie die Verschiedenheit in der Neigung zwischen Scardinius und Perca zu erklären ist, dass sich nämlich Perca der Analogie von der Taube und vom Frosch folgend auf die operierte, Scardinius aber auf die gekreuzte neigt, ist mir vollkommen unklar. Wir sehen aber wenigstens, dass auch bei diesem Tier deutliche Muskelschädigungen auftreten und ich zögere nicht, besonders in Hin- blick auf die momentanen Muskelzuckungen, welche bei der Dureh- schneidung des Aecustieus auftreten und wellenartig vom Rücken bis in dieSchwanzspitze verlaufen, mich der Ansicht Ew ald’s anzuschließen, dass ein Teil des Labyrinths im einer ganz nahen Beziehung zur Körper- muskulatur steht. Es bleibt nun nocn zu zeigen, dass die halbzirkelförmigen Kanäle des Fisches in ihrer Funktion genau denen der höheren Tiere, vor allem also denen des klassischen Objektes, der Taube entsprechen. Dazu schien mir, wie ich schon anfangs erwähnte, der Hecht das ge- eignete Tier zu sein. Noch ehe ich die Ewald’sche Arbeit gelesen und daraus ersehen hatte, dass die Durchschneidung der Bogengänge nach Art der früheren Autoren ein ungeeignetes Mittel sei, um über ihre Funktion ins klare zu kommen, durchschnitt ich bei Hechten den Canalis posterior, sah aber dabei fast dieselben Erscheinungen auftreten, wie ich sie nach Totalexstirpation des ganzen einen Labyrinths beobachtet hatte. Die Tiere legten sieh auf die operierte Seite und zogen die Extremitäten der gekreuzten Seite an. ER Fig. 5. Der -förmig gebogene Patindrath; derselbe mit umgebogenen Enden und der mit Papier umwickelte und durch den Drath eingeschnürte Kanal. Später versuchte ich 'es mit einer andern Methode. Da die Plom- bierung eines Kanals, wie sie Ewald an Tauben ausführte, beim Heeht nicht möglich ist, setzte ich die beiden Canales posteriores da- Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 579 durch außer Funktion, dass ich sie durch eine Ligatur zusammen- schnürte. Es wurde der knorpelige Kanal frei präpariert, aufgeschnitten und um den häutigen Kanal ein feiner Streifen Seidenpapier ge- schlungen. Ueber diesen Papierring, welcher eine Durchschnürung des Kanals verhüten sollte, schob ich einen U-förmig gebogenen Platin- drath (siehe Fig.5), bog die freien Enden über den Kanal und drückt nun mit einer Pinzette den Drath fest zusammen (Fig. 5). So gut diese Ligaturen nun auch auf beiden Seiten angebracht waren, eine deutliche Reaktion des Fisches war nieht zu bemerken. Mit ebensowenig Erfolg versuchte ich eine mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllte und mit einem langen sehr dünnen Gummi- schlauch versehene Glaskapillare in den Kanal einzubinden. Bei einem 60 em langen Hecht ist der Kanal noch viel zu dünn um einer feinen Kapillare den Eintritt zu gestatten. Eine vierte Methode wurde endlich mit Erfolg angewandt. Es war die des pneumatischen Hammers. Ich wandte ihn nicht in der von Ewald auf S. 259 beschriebenen Form an, sondern modifizierte ihn etwas. Fig. 6. Pneumatischer Hammer mit Quecksilberfaden und Schlauch. In eine Glaskapillare von einem Millimeter im äußern Durchmesser und etwas mehr als t/, Millimeter im Lichten wird eine feinere mit einem Knöpfehen versehene so hineingepasst, dass das Knöpfehen grade das Lumen ausfällt. Das andere Ende der inneren Kapillare trägt ebenfalls ein Knöpfehen, welches etwas größer als das Lumen der Röhre ist, so dass es nicht in dieselbe hineinrutschen kann. Die äußere Kapillare hat eine Länge von 2!/, em, die innere von 1'/, em. In die äußere Kapillare wird ein kleiner Quecksilberfaden gebracht, die Glasnadel (der Hammer) hineingesteckt und auf das freie Ende des Röhrchens ein feiner Schlauch von 1,5 Millimeter äußern Durch- messer gesetzt, der am andern Ende durch eine Ligatur fest zugebunden ist. Drückt man jetzt auf den Schlauch so wird der Hammer aus der Röhre herausgedrückt und beim Loslassen wieder in dieselbe hinein- gezogen. (Siehe die Anordnung des kleinen Apparats in Figur 6.) Die Anbringung des pneumatischen Hammers war folgende: Der knorpelige Kanal des hinteren Bogenganges wurde freipräpariert der Kanal an der höchsten Stelle auf einer Strecke von '/, em geöffnet, so dass hier der Bogengang nur in einer halbkreisförmigen Rinne lag. Dann wurde der pneumatische Hammer von hinten schräg gegen den Bogengang gesetzt, von unten her durch Wattepolster gestützt und mittels einer Anzahl von Fäden, welche durch den Kopfknorpel ge- 97% oA 580 Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. zogen wurden, in der richtigen Lage fixiert. Um das ganze wurde noch zum Schutz gegen das Wasser eine dünne Lage Watte gelegt und mit Gelatine verschlossen. Eine Abschnürung des Kanals nach vorne hin wurde nicht vorgenommen. Wenn jetzt auf den Schlauch gedrückt wurde, so schob der schräg nach vorne gerichtete Hammer die Endolymphe vor sich her, d. h. es entstand ein Strom im Bogen- gang von der Ampulle fort. War der im Wasser am Boden liegende Fisch, am rechten Canalis posterior mit dem Hammer versehen, so beugte er im Augenblick des Drückens den Kopf nach links und unten, das ist genau in der Rich- tung des rechten hinteren Bogenganges und zwar im Sinne der Strö- mung von der Ampulle fort. Zu gleicher Zeit trat Nystagmus des rechten Auges und Bewegung der rechten Brustflosse auf. Gleich nach der Erregung sank der Kopf wieder in die normale Lage zurück. Ließ ich jetzt den Schlauch frei, so dass der Hammer zurückgezogen, im Bogengang also ein Strom zur Ampulle hin erzeugt wurde, so fand außer Augen- und Flossenbewegung ein schwaches Heben des Kopfes im Sinne des Bogenganges statt. Dieses Ergebnis stimmt vollkommen mit dem von Ewald mit derselben Methode an Tauben gewonnenen überein. Er fand nämlich am Canalis posterior: Bei Strömung der Endolymphe vom Ampullen- ende fort starke Bewegung des Kopfes im Sinne des Kanals von der Ampulle fort, bei Strömung zum Ampullenende hin schwache Bewegung im Sinne des Kanals zur Ampulle hin. Wir sehen also aus diesem Versuch, dass wir es bei den halb- zirkelförmigen Kanälen der Fische funktionell genau mit demselben Organ zu thun haben wie bei den höhern Wirbeltieren und dass die negativen Resultate, welche hauptsächlich Steiner an Haifischen er- zielt hat, entweder auf mangelhafter Methode oder schlechter Beobach- tung beruhen müssen. Fassen wir diese Resultate an Fischen zusammen, so scheint daraus die statische Funktion des Labyrinthes, welche hauptsächlich in den Otolithenapparaten liegen mag, mit ziemlicher Sicherheit hervorzugehen, weil die doppelseitig operierten Tiere vorzugsweise in der Lage schwim- nen, welche ihnen durch ihr spezifisches Verhältnis zukommt. Andrer- seits bestätigt sie die von Ewald aufgestellte Theorie des Tonus- labyrinthes. Wenn man nun die Frage stellt, ob der junge Fisch die Erhal- tung des Gleichgewichts mittels des Labyrinthes erst lernt oder ob sie ihm angeboren ist, so kann ich sie in der Allgemeimheit noch nicht beantworten. Von eimigen jedoch möchte ich mit Bestimmtheit be- haupten, dass sie die Gleichgewichtserhaltung erst während des Lebens erlernen. Es schwimmt zwar jeder junge Fisch, wenn er das Ei ver- lässt, mit Erhaltung des Gleichgewichts auf dem Bauch, aber damit Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts. 5s1 ist durchaus nicht bewiesen, dass er in irgendwelcher Weise bei der Gleichgewichtserhaltung thätig ist. Es könnte ja sehr gut das Gleichgewicht in der Jugend mechanisch erhalten werden und der Schwerpunkt erst in späterer Zeit nach oben rücken. Dies ist nun in der That bei einigen Fischen der Fall und zwar sind das Tiere, welche mit wenig ausgebildetem Labyrinth aus dem Ei schlüpfen. Um diese Frage genauer zu untersuchen, mangelte es leider zur Zeit an lebendem Material. Mit Sicherheit kann ich es nur vom Hasel- fisch (Squalius leueiscus) und vom Zander (Lucioperca sandra) be- haupten. Wahrscheinlich ist es auch beim Hecht und vielleicht noch bei vielen andern Fischen ebenso. Diese mechanische Erhaltung des Gleichgewichts kommt auf folgende Weise zu Stande: Beim Haselfisch, beim Zander und auch beim Hecht bleibt die embryonale Kopfkrümmung noch lange Zeit nach dem Aus- schlüpfen aus dem Ei bestehen, während sich der übrige Körper sofort streckt. In dieser Krümmung liegt die sich entwickelnde Blase, so Fig. 7. Fig. 7. Junger Zander 14 Tage nach dem Ausschlüpfen. (Mit dem Prisma ge- zeichnet und verkleinert. Natürliche Länge 1 cm.) Die Linie geht durch die Mitte der Blase und zeigt, dass das größere Körpergewicht unter der Blase liegt. dass der größte Teil des Körpers gewissermaßen unter ihr aufgehängt ist. Dies Verhältnis ist leicht aus der Fig. 7 zu ersehen. Tötet man kleine Haselfische oder junge Zander vorsichtig durch Erwärmen oder mit Formaldehyd, so sieht man beim Drehen des Gefäßes, dass immer die Bauchlage beibehalten wird und zwar so, dass die Längsaxe der Blase mit der Wasseroberfläche parallel ist (siehe Fig. 7). Genau in derselben Lage schwimmt auch der lebende Fisch im Bassin um- her. Erst nach einigen Wochen gleicht sich die Krümmung aus und damit tritt das Tier allmählich m das Stadium des labilen Gleich- gewichts, denn jetzt ist es durch die vollkommene Ausbildung des Labyrinthes allen Anforderungen gewachsen. Man könnte nun aller- dings dagegen einwenden, dass die Krümmung und die damit ver- bundene hohe Lage der Blase gar nicht zu einem bestimmten Zweck da wäre, sondern nichts anders als eine zwecklos zurückgebliebene embryonale Krümmung sei. Ich meine aber, dass es für die zweck- mäßige Bewegung viel vorteilhafter ist, wenn das Tier grade ist und wir sehen auch, dass in der That bei den Salmoniden und wohl auch bei den Selachiern, die Kopfkrümmung gleich nach dem Ausschlüpfen 582 v. Erlanger, Morphologie und Embryologie eines Tardigraden. verschwindet; ob das damit zusammenhängt, dass bei diesen Tieren schon beim Verlassen des Eies das Labyrinth vollkommen ausgebildet ist, wage ich noch nicht zu entscheiden. Ich werde aber, so wie sich mir geeignetes Material darbietet, mich dieser Frage wieder zuwenden. Die hier beschriebenen Versuche wurden zum Teil in Stettin, zum Teil in der Fischzuchtanstalt des bayerischen Landesfischereivereins in Starnberg gemacht. Ich spreche an dieser Stelle dem Vorstand des Vereins Herın Schillinger meinen Dank dafür aus, dass er mir das Arbeiten in der Anstalt ermöglichte. Zur Morphologie und Embryologie eines Tardigraden. (Macrobiotus Macrony«.) Vorläufige Mitteilung 1. Von«R.iv. Brianser, Privatdozent der Zoologie. (Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg.) Vor mehr als vierzig Jahren erschien die erste und einzige Arbeit, welche die Embryologie der Tardigraden behandelt, daher ist es auch natürlich, dass unsere Kenntnisse über diesen Gegenstand, anbetracht ‚der damaligen unvollkommenen Methoden, sowie der Unwissenheit in Bezug auf die Keimblätter überhaupt und diejenigen der Wirbellosen insbesondere, höchst dürftige sind. Ja das Wenige, was Kauffman mitteilt, ist eher dazu geeignet falsche Vorstellungen zu erwecken. Mit Freuden ergriff ich daher die mir von meinem Freunde Herrn hob. Lauterborn gebotene Gelegenheit, das interessante Thema wieder zu bearbeiten. Dank Herrn Lauterborn steht mir ein äußerst reiches, vorzüg- lieh konserviertes Material zu gebote, von welchem ich bis jetzt noch nicht den fünften Teil verarbeitet habe. Die Furchung habe ich bis jetzt nicht erschöpfend behandeln können, wegen Mangel an lebendem Material, an welchem sich dieser Teil der Untersuchung viel leichter anstellen lässt. Ich will daher nur so viel erwähnen, dass die Furchung eine totale und nahezu äquale ist. Dieselbe führt schließlich zur Bildung einer länglich ovalen Blastula mit etwas exzentrisch, dem Hinterende genähert liegenden Furchungs- höhle, welche eine ziemlich ansehnliche Größe erreicht, indem der Durchmesser derselben etwa die Hälfte der Längsaxe einnimmt. Von der Blastula ab habe ich alle Stadien bis zum Ausschlüpfen wiederholt und eingehend studiert und will hier kurz das Wichtigste zusammenfassen. Zunächst geht aus der Blastula durch Einstülpung des vegetativen Pols eine Gastrula hervor, deren Ektoderm am Vorderende dicker als v. Erlanger, Morphologie und Embryologie eines Tardigraden. 585 am Hinterende ist. Die eingestülpten Zellen, aus welchen der Urdarm hervorgeht, sind etwas reichlicher als die Ektodermzellen mit Dotter versehen. Ueberhaupt sind die Eier, wie aus dem Furehungstypus hervorgeht dotterarm. Der Blastoporus ist sehr klein und verhältnis- mäßig kurz und stellt eine ovale Oeffnung vor. Der anfangs sphärische Urdarm streckt sich immer mehr und wächst nach dem späteren Kopf- ende aus. Der Blastonorus, welcher sich bald schließt, entsprieht der Durchbruchsstelle des bleibenden Afters. Bei der Invagination werden eimige Ektodermzellen mit in das Bereich des Urdarms eingezogen und daraus geht der recht kurze Enddarm hervor. Nun beginnt der Embryo, durch stärkeres Längenwachstum, sich in der Eihülle ventralwärts einzukrümmen und gleichzeitig sondert sich der Urdarm in zwei nahezu gleiche Abschnitte, wovon der vordere den ganzen Vorderdarm mit Ausnahme des Mundzapfens, der hintere den Mitteldarm oder Magen abgibt. Bald lässt der Embryo eine höchst deutliche Segmentierung in einen Kopf und vier Rumpfsegmente erkennen und gleichzeitig treten jederseits am Darın 4 Ausstülpungen oder 4 paarige Cölomsäcke auf. Zuerst erscheint das Cölompaar des hintersten Rumpfsegmentes, gleich darauf dasjenige des Kopfes, darauf die Cölomsäcke des ersten Rumpf- segmentes und gleich darauf successive diejenigen des 2. und 3. Rumpf- segmentes. Das Kopfeölom schnürt ventralwärts in paare Säcke ab, welche die Anlagen des 1. Beinpaares sind. Die Cölomsäcke des 2. und 4. Rumpfsegmentes liefern die Extremitäten der betreitenden Segmente, während aus den Cölomsäcken des 3. Rumpfsegmentes außer dem Ex tremitätenpaar noch die Geschlechtsorgane, d. h. Gonade und Anhangs- drüse sowie ein Paar Mitteldarmdrüsen hervorgehen. Zunächst bildet sich die Gonade als unpaare dorsale und mediane Ausstülpung des Mitteldarms, dann gleichzeitig als weitere Ausstülpungen des Mittel- darmes und 3. Rumpfsegment die unpaare Anhangsdrüse des Geschlechts- apparates, sowie die beiden Mitteldarmdrüsen, welche von Plate als Malpighi’sche Drüsen gedeutet wurden. Die entodermale Entstehung derselben lässt die Plate’sche Deu- tung als höchst unwahrscheinlich erscheinen. Bei gewissen Krebsen gibt es ja paarige Mitteldarmdrüsen, welche eine exkretorische Funktion besitzen; die aneische Untersuchung wird ergeben, ob die Mitteldarmdrüsen der Tardigraden dieser Bildungen homolog sind. Ebensowenig spricht die Entstehung der unpaaren Anhangsdrüse dafür, dass dieselbe wie v. Kennel meint, eine rückgebildete Gonade wäre, da sie in der Mittellinie angelegt rd und erst später entsteht als die Gonade selbst. 584 v. Erlanger, Morphologie und Embryologie eines Tardigraden. Wenn alle Extremitäten ausgebildet sind, hat sich der Darmtraktus noch weiter differenziert. Aus dem vorderen Abschnitt sind von vorn nach hinten der Pharynx, der Schlundkopf oder Saugmagen und der Oesophagus entstanden, aus dem hinteren Abschnitt der Magen und der ektodermale Enddarm. Der Mundzapfen entsteht ziemlich spät als eine Wucherung des Ektoderms, von welcher auch die Zähne abgesondert werden, welche daher nicht auf Extremitäten zurückgeführt werden können. Gleich- zeitig, d. h. auch recht spät entstehen die Speicheldrüsen als ekto- dermale Einstülpungen, welche unmittelbar hinter dem Mundzapfen in den Vorderdarm einmünden. Aus den Cölomsäcken gehen die Muskeln, sowie die Drüsenzellen der Extremitäten hervor. Die Entstehung der Blutkörperchen habe ich noch nicht feststellen können. Dieselben scheinen sich erst nach dem Ausschlüpfen zu bilden. Die vier Ganglienpaare der Bauchkette, sowie das paarige untere Sehlundganglion, entstehen aus einer ventralen Verdickung des Ekto- derms an der Einkrümmungsgegend des Embryo und lösen sich relativ spät vom äußeren Keimblatt ab. Seitlich im der Kopfgegend und dorsalwärts vom Darın tritt eime paarige Wucherung des Ektoderms auf, welcher sich jederseits bald in drei Abschnitte sondert. Der ventralste bildet das obere Schlundganglion oder Gehirn, der mittlere das Ganglion opticum, der dorsalste das Auge. Ich kann erst später die Histiogenese und Histiologie, welche manches Interessante bieten, behandeln und will nur hinzufügen, dass das Auge von Maerobiotus Mocronyx im Gegensatz zu dem, was Plate von anderen Formen mitgeteilt hat, durchaus kein einfacher Pigment- fleck ist. Das Auge ist hier ziemlich kompliziert gebaut und invertiert indem der sehr dieke Sehnerv, vom Ganglion opticum von vorn nach hinten in den Augenbecher umbiegt und in die Retina übergeht. Der Augenbecher besteht aus einer Anzahl von Ommatidien, indem jede Sehzelle von mehreren Pigmentzellen umgeben wird. Ferner besitzt das Auge eine einheitliche, stark gewölbte, sehr deutliche Linse. Der feine Strang, welcher vom Augenbulbus nach hinten zum ersten Rumpf- ganglion zieht, ist höchst wahrscheinlich kein Nerv, sicherlich kein Sehnerv, sondern wahrscheinlich bindegewebiger Natur. Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, weitere Sinnesorgane nachzu- weisen. Antennen fehlen sogar in der Entwicklungsgeschichte gänzlich, dagegen zeigt sich auf einen gewissen Stadium hinter dem After und zwischen dem letzten Beinpaar ein weiteres kleines Segment, welches bald zurückgebildet wird.: Dasselbe hat an seinem freien Hinterende 5 kleine Auswüchse einen medianen unpaaren längeren und zwei seit- liche kürzere. Man kann darin ein Rudiment eines Postabdomens oder Haacke, Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen. 585 Ir Schwanzes erbliceken, woraus entnommen werden kann, dass einige, wenn nicht alle Rumpfsegmente ein Abdomen vorstellen. Meine eigene Auffassung gcht vorläufig dahin, dass das Kopf- segment mit dem 1. und 2. Rumpfsegment einen Cephalothorax vorstellt, darauf würde ein aus dem 3. und 4. Rumpfsegment gebildetes Abdomen folgen und schließlich ein rückgebildetes Postabdomen oder Schwanz. Für die Senderung des Rumpfes in Cephalothorax (mit dem Kopf) und Abdomen spricht der Umstand, dass der Geschleehtsapparat und Mittel- darmdrüsen im öten Segment gebildet werden. Die Anlagen eines Herzens oder Kiemen ließen sich nicht nachweisen. Heidelberg, den 24. Juli 1894. Die stammesgeschichtliche Verschiebung der Längenver- hältnisse von Arm und Bein beim Menschen. Von Wilhelm Haacke. Das wundervolle Werk der Vettern Sarasin über „Die Weddas von Ceylon und die sie umgebenden Völkerschaften“ (Wiesbaden 1892 — 3) beschäftigt sieh u. a. auch eingehend mit: den Längenverhält- nissen der menschlichen Gliedmaßen und gibt mir Veranlassung, ein von mir entdeektes und in meiner „Schöpfung der Tierwelt“ (Leipzig, 1893) sowie in meinem Werke „Gestaltung und Vererbung“ (Leipzig, 1893) besprochenes gesetzmäßiges Verhalten der Säugetierextremitäten in Bezug auf seine Giltigkeit für die Längenverhältnisse der menschlichen Extremitäten zu schildern. Dieses gesetzmäßige Verhalten gibt sich dadurch kund, dass während der Stammesentwicklung der Säugetiere in allen Abstam- mungsreihen die Armlänge, gemessen an der der Beine, immer be- trächtlicher und umgekehrt die relative Länge der Beine immer ge- ringer geworden ist. Niedrig organisierte Säugetiere haben kurze Vorder- und lange Hinterextremitäten, hochentwickelte dagegen lange Arme und kurze Beine. Dieser Satz ist nun nicht etwa so zu verstehen, dass z. B. bei sämtlichen Affen die Arme im Verhältnis länger und die Beine im Verhältnis kürzer wären, als bei irgend emem Halbaffen, oder dass bei allen Hochsäugern (Placentaltieren) die relative Armlänge be- trächtlicher, die der Beine weniger beträchtlich wäre, als bei irgend einem Beuteltiere; das von mir entdeckte Gesetz gilt vielmehr nur für die zu einer und derselben Abstammungsreihe gehörigen Säugetiere, nur für die Glieder eines Stammes, die in die direkte Vorfahren - und Nachkommenlinie eines Individuums fallen. Die jüngeren Glieder einer Deszendenzreihe haben relativ längere Arme und kürzere Beine als die älteren, und von den ältesten nach den jüngsten Stammesgenossen 586 Haacke, Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen, hin werden die Arme sowohl absolut als auch relativ immer länger, die Beine absolut zwar auch meistens länger, dagegen relativ immer kürzer. Wollen wir das stammesgeschichtliche oder phylogenetische Längen- gesetz der Extremitäten in eine schärfere Fassung bringen, so haben wir zu sagen, dass der Intermembralindex im Laufe der Phylo- genesis oder Stammesgeschichte der Säugetiere immer höher wird. Wir können das betreffende Verhalten der Säugetierextremitäten des- halb auch als den Ausdruck des Gesetzes des steigenden Inter- membralindex bezeichnen. Durch den Intermembralindex gibt man bekanntlich die Armlänge in Prozenten der Beinlänge an, wobei man unter Armlänge die Summe der Längen von Oberarmknochen und Elle (Humerus + Radius), unter Beinlänge die Summe der Längen von Oberschenkelknochen und Schienbein (Femur — Tibia) versteht. Der Intermembralindex wird also aus folgender Gleichung berechnet: (Femur + Tibia): (Humerus —- Radius) = 100 :x. Daraus ergibt sich: Intermembralindex — (Humerus 4 Radius) . 100 (Femur + Tibia) Es handelt sich beim Gesetze des steigenden Intermembralindex um eine stammesgeschichtliche Wachstumsverschiebung, die stetig in einer und derselben kichtung fortgesetzt wird, und die ich im Allgemeinen dadurch erkläre, dass im Laufe der phylogenetischen Entwicklung das Vorderende des Säugetierkörpers gegenüber dem Hinterende begünstigt wurde, wie wir es auch bei sämtlichen übrigen Wirbeltieren sowie auch bei den Arthropoden (Insekten, Spinnentieren, Krustern) sehen. Der Körper wird gewissermaßen zusammengezogen; seine hinteren Folgestücke oder Metameren — das sind z. B. bei den Wirbeltieren die den einzelnen Wirbeln entsprechenden Querstücke des Körpers — kommen in Wegfall. Bei den Arthropoden verschwinden mit den hinteren Körperringen auch die Gliedmaßen, die an ihnen be- festigt sind, während die nächstgelegenen Metameren und die etwa daran sitzenden Gliedmaßen gleichfalls zurückgebildet werden. Bei den Säugetieren wird die Anzahl der Schwanzwirbel nach und nach verringert, die relative Länge der Hinterbeine reduziert. Für das Zustandekommen dieser Zusammenziehung des Kör- pers in ein einheitlicheres Gebilde und für den sie begleiten- den Fortfall der himntersten Metameren und die damit zusammen- hängende Verkümmerung der diesen zunächst gelegenen Teile des Rkumpfes und der benachbarten Gliedmaßen mache ich diejenige Form der Naturauslese verantwortlich, die ich in meinen oben genannten Werken als Gefügezuchtwahl oder konstitutionelle Auslese bezeichnet habe. Das Wirken einer solchen konstitutionellen Zuchtwahl drückt sich meiner Ansicht nach darin aus, dass diejenigen Organismen über- Haacke, Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen. 587 leben, bei denen die einzelnen Teile des Körpers am engsten ver- schmolzen sind, während die übrigen untergehen. Die Resultate der Gefügezuchtwahl beobachten wir im sämtlichen Tierreihen, und das Entwicklungsgesetz, das sich darin ausspricht, können wir als das der Verschmelzung benachbarter gleiehwertiger Organe bezeichnen. Bei den Schädeltieren sind z. B. die Kopfwirbel miteinander verschmolzen, bei vieien Krebstieren diejenigen Rumpf- stücke, die die Kopfbrust oder den Cephalothorax bilden; bei dem Menschen die Steisbeinwirbel. Diese Verschmelzung kommt dadurch zu Stande, dass die einzelnen Zellen und Zellengruppen des Körpers nach und nach ihre Selbständigkeit mehr und mehr einbüßen. Es ist nieht nötig, dass ich hier eingehender auf diese Wirkung der konstitutionellen Zuchtwahl eingehe; genug, dass ich die phylo- genetische Verkleinerung der relativen Armlänge und die Vergrößerung der relativen Länge der Beine bei den Säugetieren auf konstitutionelle Zuchtwahl zurückführe. Ich hofte bald Gelegenheit zu haben, in ein- gehenden Tabellen über die relative Extremitätenlänge der Säugetiere zu zeigen, dass ich in Bezug auf die Thatsachen wenigstens Recht habe, dass diese Thatsachen den Beweis erbringen werden, dass die stammesgeschichtliche relative Verlängerung der Arme und Verkürzung der Beine eine stetig nach einer und derselben Richtung hin fortge- setzte war und nie eine auch nur vorübergehende Umkehr erlitt. Mit dem von mir behaupteten Verhalten der Säugetierextremitäten stimmen die Schlussfolgerungen nicht, die die Vettern Sarasin teils aus selbst gefundenen, teils aus von ihnen zusammengestellten 'That- sachen gezogen haben. Es lässt sich aber leicht der Beweis führen, dass die von diesen Herren diskutierten Thatsachen dem von mir ent- deckten Gesetze durchaus entsprechen. Untersuchen wir zunächst das Verhalten der Arme und geben wir deren Länge in Prozenten der Körperhöhe an, so ergibt sich zwar, dass die Europäer verhältnismäßig kürzere Arme haben als die zweifellos tieferstehenden Neger, und diese wieder kürzere als die auf noch tieferer Entwieklungsstufe stehenden Buschleute, denen sich die Weddas von Ceylon anschließen. In Bezug auf die in Prozenten der Körpergröße angegebene Länge der Beine zeigt es sich aber gleich- falls, dass der Europäer kürzere Unterextremitäten hat als der Neger, dieser kürzere als der Buschmann und dieser kürzere als der Wedda. Diese Angaben mit Ausnahme der auf die Weddas bezüglichen haben die Herren Sarasin nach Humphry’s Tabellen wiedergegen. Nach Topinard haben die Europäer verhältnismäßig kürzere Beine als die Hindus, diese kürzere als die Australier, diese kürzere als die Neger und diese kürzere als die Neukaledonier. Die Weddas haben nach den Vettern Sarasin wieder kürzere als die Neukaledonier. Es wird also, wie die Herren Sarasin mit Recht betonen, aus diesen An- >88 Haacke, Längenverhältnisse von Arın und Bein beim Menschen. gaben klar, dass sich die niederen Menschenrassen durch relativ längere Unterextremitäten von den Europäern unterscheiden. Und wenn nun auch, gemessen an der Körperhöhe, die Armlänge der niederen hassen ebenfalls beträchtlicher ist als beim Europäer, so ist doch der Intermembralindex beim Europäer und bei einer Anzahl änderer Rassen, z. B. bei Eskimos und Lappen, höher als bei Weddas, Andamanesen, Australiern und Negern, und nur für ihn, nicht aber für das Verhältnis der Extremitätenlänge zu der des Körpers gilt unser Satz. Die Herren Sarasin beantworten die Frage, was sich ergebe aus der Thatsache, dass der Intermembralindex bei den Europäern und bei einer Anzahl anderer höherer Menschenrassen höher sei als bei den Weddas, Andamanesen, Australiern und Negern, folgender- maßen: „Die meisten Autoren ziehen den Schluss, ‘dass die Varietäten mit hohem Intermembralindex dureh relativ längere Arme von denen mit niedrigerem sich unterscheiden, wonach also die Europäer längere Arme als die angeführten dunkelfarbigen Stämme besitzen würden. Es ist dies aber ein Fehlschluss; denn wir haben ja oben schon durch Messung an Lebenden sowohl, als am Skelette nachgewiesen, dass die Weddas zum Beispiel im Verhältnis zur Körpergröße ganz merklich längere Arme haben, als die Europäer, und dasselbe gilt, wie wir wissen, für eine ganze Reihe anderer Stämme. Wenn nun trotz dieser sicher konstatierten Verlängerung des Armes der Intermembralindex beim Wedda niedriger ist als beim Europäer, so bedeutet dies nichts anderes, als eine Verlängerung auch der unteren Extremitäten, gegen- über dem Europäer.“ „Es steht also die sonderbare Thatsache fest, dass die Weddas und eine Anzahl anderer, niederer Varietäten nicht nur durch relativ längere Arme, sondern auch durch ebensolehe Beine von den Europäern sich unterscheiden. Große Länge der Arme er- scheint nun bekanntlich als ein pithekoides Merkmal, Länge der Beine dagegen durchaus nicht, indem mit einziger Ausnahme des Hylobates die Anthropoiden kurze Unterextremitäten besitzen.“ „Es ließe sich daher die Vermutung aufstellen, dass die Stammform des Menschen in den Verhältnissen ihrer unteren Extremitäten sich ähnlich wie der Hylobates verhalten habe. Unmöglich wäre dies ja nieht, aber wir möchten doch eher annehmen, dass die Länge der Beine als ein selb- ständiger Erwerb niederer Menschenvarietäten aufzufassen sei und dass der Europäer wieder sekundär, dureh Verkürzung der unteren Extremitäten, in diesem Punkte eine Annäherung an die höheren Anthropoiden zeige.“ Wenn diese Annahme der Herren Sarasin richtig wäre, so wären zunächst aus langarmigen und kurzbeinigen Anthropoiden durch Ver- längerung der Beine langbemige und langarmige niedere Menschen entstanden und aus diesen durch eine Verkürzung der Beine die Euro- Haacke, Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen. 589 päer und diejenigen Menschenrassen, die sich ähnlich verhalten wie diese. Es hätte also keine stetige Verkürzung der Beine in der Vor- fahrenreihe der Europäer stattgefunden. Allen das Verhalten der Intermembralindices spricht gegen diese Folgerung. Wenn aus relativ langbeinigen und kurzarmigen Formen solche mit relativ kürzeren Beinen und längeren Armen werden sollen, so müssen sich, bezogen auf einen gemeinsamen Maßstab, entweder die Arme relativ verlängern, oder die Beine verkürzen oder gleichzeitig die Arme verlängern und die Beine verkürzen. Es kann nun sehr wohl, olıne dass das Gesetz des wachsenden Intermembralindex durch- brochen wird, der Fall eintreten, dass sich die Beine anfänglich in einem langsameren Tempo verkürzen, als die Arme sieh verlängern. Dadurch müssen aber aus Formen, deren Arme in Bezug auf einen den Vorder- und Hinterextremitäten gememsamen Maßstab lang, deren Beine, bezogen auf denselben Maßstab, kurz sind, zunächst langarmige und langbeinige Formen wie die Weddas es sind, entstehen. Später konnten sich dann die Beine in emem schnelleren Tempo verkürzen, als die Arme sich verlängern konnten, wodurch aus den langarmigen und langbeinigen Formen langarmige und kurzbeinige werden mussten. Solche haben wir in den Europäern mit ihrem hohen Intermembral- index vor uns. i Aehnliehes gilt für die Menschenaffen. Der höchstentwickelte unter diesen, der Gorilla, hat einen weit höheren Intermembralindex als die tiefstehende Gattung der Anthropoiden, die der Gibbons (Ay- lobates). Die von den Vettern Sarasin beigebrachten Thatsachen recht- fertigen also nicht den Schluss, den diese Herren daraus gezogen haben, sondern stimmen mit dem von mir behaupteten Satze über das relative Längenwachstum der Säugetierextremitäten im Laufe der Stammesgeschichte überein. Der Gibbon zeigt ein ähnliches Verhalten wie der Wedda, und der Gorilla ein ähnliches wie der Europäer, und daraus ergibt sich ein Parallelismus der stammesgeschichtlichen Entwicklung zwischen Menschen und Anthropoiden. Der Stammbaum des Menschengeschlechts hängt mit dem der Menschenaffen nur an der Wurzel zusammen; von gemeinsamen Vorfahren stammen einerseits die Anthropoiden, an- derseits die Menschen ab. Aber sowohl bei diesen als auch bei jenen hat sich dasselbe Entwieklungsgesetz geltend gemacht. Es kann des- halb nicht gut davon die Rede sein, dass sich die Vorfahren von Europäer und Gorilla eimander durch „konvergente* Entwicklung in ihren Formenverhältnissen genähert hätten. Vielmehr haben die Vor- fahren des Menschen auf der einen, die des Gorilla auf der andern Seite nur die Entwicklung in der von den gemeinsamen Stammvätern überkommenen Richtung fortgesetzt, wodurch notwendigerweise die 590 Haacke, Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen. höchste Menschenrasse der höchsten Anthropidenart ebenso ähnlich werden musste wie die niederste Menschenrasse der niedersten Anthro- poidenart. Das Gesetz des stammesgeschichtlichen Wachsens des Intermem- bralindex ist Teil eines allgemeinen Entwieklungsgesetzes, dem zufolge Jedes Organ die einmal eingeschlagene Entwicklungsrichtung beibehält. Dieses Gesetz habe ich in meinem Werke „Gestaltung und Vererbung“ (Leipzig, 1895) als Orthogenesis, Entwicklung in gerader Richtung, bezeichnet, während ich jenes sehon besprochene Gesetz, dem zufolge der Körper der Organismen immer einheitlicher wird, mit dem Namen Epimorphismus belegt habe. Auf den Epimorphismus hat unter den Botanikern namentlich Nägeli, unter den Zoologen Eimer hin- gewiesen. Dieses Gesetz findet auch noch in anderen als den angeführten Thatsachen über die relative Extremitätenlänge der Menschenrassen und Anthropoidenarten seinen Ausdruck. Unter diesen Thatsachen verdient namentlich das Gesetz der Ver- ıninderung des Vorderarm- oder Antebrachialindex unsere Be- achtung. Unter Antebrachialindex versteht man die Länge des Radius ausgedrückt in Prozenten des Humerus. Er wird durch folgende Gleichung gefunden: Humerus : Radius —= 100 : x, woraus sich der Radius . 100 Humerus nun beim Europäer klemer als beim Neger, bei diesem kleiner als beim Wedda und beim Wedda kleiner als beim Andamanesen. Beim Gorilla ist er kleiner als beim Schimpanse, bei diesem kleiner als beim Orang. Er ist auch beim Fötus und beim Kinde des Europäers kleiner als beim Erwachsenen. Die höheren stammes- und keimes- geschichtlichen Formen haben mit andern Worten einen relativ kür- zeren Unterarm als die tieferen. Aehnliehes finden wir am Bein. Der Tibiofemoralindex, der die Länge des Unterschenkels, bezw. des Schienbeins oder der Tibia in Prozenten der Oberschenkellänge, bezw. der Länge des Oberschenkel- knochens oder Femur angibt, ist beim Wedda bedeutend höher als beim Europäer; auch die Andamanesen, Negritos, Australier, Tas- manier, Neger, Indianer und Feuerländer haben einen hohen Tibio- femoralisindex, wie sie ja auch einen hohen Antebrachialindex auf- weisen. Sie haben relativ lange Unterschenkel sowohl als auch Vor- derarme. In ähnlicher Weise wie bei den Menschenrassen ist beim Orang der Tibiofemoralindex höher als beim Schimpanse, beim Schimpanse höher als beim Gorilla. Auch dieser Parallelismus zwischen den Anthropoiden und dem Menschen darf nicht, wie es auch die Herren Sarasin thun, als Kon- vergenzerscheinung bezeichnet werden. Es herrscht vielmehr hier wie Antebrachialindex als ergibt. Der Antebrachialindex ist Haacke, Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen 591 dort das Gesetz des Epimorphismus mit seinem Unterprinzip der Ortho- genesis. Wollte man die Uebereinstimmung zwischen Europäer und Gorilla, die beide kurze Unterschenkel und kurze Unterarme haben, als eine Konvergenzerscheinung deuten, so würde man sagen müssen, dass der Europäer in Bezug auf die Längenverhältnisse von Ober- und Unterschenkel sich affenartiger verhielte als die niederen Völkerrassen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr hat der Europäer sich ebenso weit von den niederen Menschenrassen entfernt wie der Gorilla von den niederen Anthropoidenarten. Das zeigt sich auch bei sei seiner individuellen Entwieklung. In den frühesten Lebensperioden ist der Oberschenkel relativ kürzer als später; erst zur Zeit der Pubertät hat er seine größte relative Länge. Eimer hat das Gesetz der männlichen Präponderanz auf- gestellt, dem zufolge das männliche Tier dem weiblichen in der stam- mesgeschiehtlichen Entwicklung voranschreitet. Dieses Gesetz muss auch auf den Menschen seine Anwendung finden. Wir haben gesehen, dass die Europäer einen höheren Intermem- bralindex haben als die niederen Menschenrassen. Nach dem Gesetz der männlichen Präponderanz müsste demnach auch das Weib einen niedern haben als der Mann. Das ist auch im der That der Fall. Sowohl bei den europäischen Frauen als auch bei denen der Weddas, Neger und Australier ist der Intermembralindex nicht so hoch wie beim Manne. Beim Manne haben sieh die Arme schneller verlängert, die Beine schneller verkürzt als beim Weibe. Man könnte nun ferner zu dem Schlusse gelangen, dass der Mann dem Weibe auch in Bezug auf die Verringerung des Antebrachial- und des Tibiofemoralindex voraneilen müsste. Wenn dieser Schluss gerechtfertigt ist, so müsste das Weib höhere Indices haben als der Mann; denn die niederen Menschenrassen und die niederen Anthro- poiden haben höhere als die höheren Vertreter des Menschengeschlechts und der Menschenaffen. Aber die Folgerung stimmt nicht mit den Thatsachen überein: Die Indices der Weiber sind kleiner. So stimmten also unsere stammesgeschichtlichen Wachstumsgesetze nicht? Wir scheinen uns in der That zu diesem Schluss bequemen zu müssen, sagen doch auch die Herren Sarasin, dass die Thatsache des klei- neren Antebrachialindex beim Weibe, der Umstand, dass das Weib einen relativ kürzeren Unterarm hätte als der Mann, einen jener merk- würdigen Fälle bilde, wo das Weib sich weiter vom Fötus und vom Anthropoiden entferne als der Mann. Wir werden aber sehen, dass uns eine eingehende Analyse eines besseren belehren wird. Wenn wir einmal dem Gesetze des steigenden Intermembral- index auf den Grund gehen wollen, dem zufolge die Beine während der Stammes- und Keimesentwicklung relativ kürzer, die Arme relativ länger werden, so müssen wir fragen, welche Rolle die einzelnen 592 Haacke, Längenverhältnisse von Arm und Bein beim Menschen. Strecken der Extremitäten gespielt haben. Nehmen wir, um diese Frage zu beantworten, einmal als bewiesen an, dass der Mann dem Weibe in der Entwicklung voraufgeeilt sei! Dann könnte Folgendes geschehen sein: Zunächst wurde der Oberarm des Mannes länger, ni-ht der Vorderarm, der Unterschenkel des Mannes kürzer, nicht der Ober- schenkel. Darauf erst holte das Weib diesen stammesgeschichtlichen Fortschritt nach. Aber der Mann begnügte sich nicht mit dem er- reichten: Sein Vorderarm folgte im weiteren Verlaufe der Stammes- geschichte dem Beispiel des Oberarms, der Oberschenkel dem des Unterschenkels. Das Weib hat aber bis jetzt diesen Fort- schritt noch nieht nachgemacht. Aus diesem hypothetischen Gange der Stammesgeschichte folgt aber mit Notwendigkeit, dass auf ein Stadium, wo Vorderarm und Unterschenkel des Mannes relativ kurz waren, ein solches folgen konnte, wo die Längenunterschiede zwischen Ober- und Vorderarm, Öber- und Unterschenkel weniger bedeutend waren. In diesem Stadium steht der Mann heute, während das Weib es noch nicht erreicht hat. Das Weib ist also vorläufig auf einem von dem Manne bereits überwundenen Stadium stehen ge- blieben, und das Gesetz der männlichen Präponderanz und das des Epimorphismus bestehen zu hRecht. Das letztere gilt nicht nur für den Mann, sondern auch für das Weib, wie es ja auch nieht anders sein kann, wenn wir es hier überhaupt mit einem Gesetz zu thun haben. Es hat sich also nicht, wie die Vettern Sarasin wollen, das Weib der höheren Rassen weiter von dem niederen Zustande entfernt als der Mann, sondern dieser hat es weiter gebracht als das Weib, und bei der individuellen Entwicklung des Mannes geht aus dem Fötus mit relativ langen Beinen und kurzen Armen, relativ langem Vorderarın und langem Unterschenkel durch relative und absolute Verlängerung des Vorderarms und relative Verkürzung des Oberschenkels der Er- wachsene mit längeren Armen und kürzeren Beinen, mit relativ längerem Vorderarm und kürzerem Oberschenkel hervor, während sich aus dem weiblichen Fötus, der gleichfalls lange Beine und kurze Arme, lange Vorderarme und lange Unterschenkel besitzt, durch Ver- längerung des Oberarms und Verkürzung des Unterschenkels das er- wachsene Weib mit kürzeren Armen und längeren Beinen, kürzerem Vorderarm und kürzerem Unterschenkel als sie der Fötus besaß, ent- wiekeln musste. Der Fötus des Weibes steht eben noch auf dem ur- sprünglichen Entwicklungsstadium des Mannes und bringt es nur bis zum zweiten Stadium der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Mannes, während der männliche Fötus, nachdem er dieses Stadium durchlaufen hat, auch noch das dritte und letzte erreicht. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich also, dass die Verlängerung des Oberarms der.des Vorderarms, die Verkürzung des Unterschenkels der des Oberschenkels vorangeht, dass sich also diejenigen Ex- Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 595 tremitätenabscehnitte, die dem Rumpfe zunächst gelegen sind, leichter vergrößern und schwerer verkleinern las- sen als die weiter abgelegenen. Damit haben wir ein scheinbar neues gesetzmäßiges Verhalten entdeckt, das aber schon in dem Ge- setze des wachsenden Intermembralindex enthalten ist. Denn wenn dieses Gesetz, wie wir vermuteten, der Ausdruck einer stamm- geschichtlichen Fortbildung der vorderen und Rückbildung der hin- teren Körperhälfte ist, wenigstens insofern, als es sich um die rela- tiven, nicht um die absoluten Maße handelt, so werden sich auch diejenigen Gliedmaaßenteile, die dem fortschreitenden Vorderende des Körpers am nächsten liegen, in unserem Falle der Oberarm, zuerst am Fortschritt beteiligen, während diejenigen, die am weitesten vom Vorderkörper entfernt sind, und das ist in unserem Falle der Unter- schenkel, im geringsten Maße am Fortschritt teilnehmen können, sich also relativ zurückbilden müssen. Damit ist das scheinbar abweichende Verhalten des Weibes als ein durehaus gesetzmäßiges nachgewiesen, und wir haben gezeigt, dass beim Menschen dieselben Wachstumsgesetze gelten wie bei den übrigen Säugetieren. | Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Dreizehntes Stück.) Zwar sind schon seit alters die nahen verwandtschaftlichen Be- ziehungen des Ohres der Vögel zu dem der Reptilien, besonders der Krokodile, bekannt und hervorgehoben worden, aber man hat bis jetzt die Beschaffenheit dieses Organes so gut wie gar nicht speziell für das ornithologische System verwertet. Trotzdem lassen sich schon heute an die Kenntnis dieses Sinneswerkzeuges einzelne taxonomische For- derungen anknüpfen, wenn auch dieselben erst dann als gut fundiert anzusehen sind, wenn ihnen umfangreiche Studien als Grundlage dienen können. Von kaum größerer Bedeutung für die Systematik ist auch das Geruchsorgan der Vögel. Abgesehen von den sehr zahlreichen, auch systematisch benutzbaren Angaben über das Verhalten der äußeren Nasenlöcher und von den mit der osteologischen Beschreibung des Kopfes zusammenhängenden Mitteilungen liegen über dieses Werkzeug ebenfalls wenig eingehende Untersuchungen vor. Bekanntlich hat man die Lage, Größe und das sonstige Verhalten der äußeren Nasenlöcher systematisch verwendet, und zwar zumeist zur Trennung kleinerer Abteilungen. So ist z. B. bei Apteryx die Lage, bei den Steganopodes und Aceipitres die Größe derselben von Wichtigkeit. Seit langer Zeit XIV. 98 594 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. wurde auch die Ausbildung des Septum narium vielfach für diese Zwecke verwertet; so gab dasselbe z. B. Veranlassung zur Unter- scheidung von Nares perviae (wie sie namentlich bei den Schwimm- vögeln, aber auch bei anderen Gruppen, so unter anderem bei den kamphastidae auftreten und N. imparviae. Als ziemlich wertlos für die Systematik betrachtet F. dagegen die Größe und Form der Nasen- höhle, die Choanen und den von der Nasenhöhle ausgehenden Neben- sinus. Besonderes Interesse beanspruchen andrerseits die Nasaldrüsen, deren genaue Kenntnis wir Nitzsch verdanken. Sie sind bei den Impennes, Anseres, Aleidae, Laridae und Limicolae ansehnlich, bei den Passeres, Pelargi-Herodii, Galli, Caprimulgidae nur gering ausgebildet und fehlen den Columbae, Cuculus, Coracias, Steatornis ete. ganz oder sind nur durch Rudimente angedeutet. Die Verdauungsorgane, deren anatomischer Bau von zahlreichen Forschern aufs gründlichste studiert worden ist, haben im allgemeinen die Erwartungen, welche auf sie in Bezug auf die Systematik gesetzt worden sind, nicht ganz erfüllt. Von den Organen der Mundhöhle erlangen in erster Linie die Zähne und die Zunge einen gewissen systematischen Wert. Wie hinlänglich be- kannt, teilte zuerst Marsh auf Grund des Vorkommens oder Fehlens aus Schmelz- und Zahnbein bestehender Zähne die Vögel in 2 Unter- klassen ein, von denen die eine alle bisher genauer bekannten (be- zahnten) Vögel aus Jura und Kreide, die andern die tertiären, quater- nären und rezenten umfasst. Zur Gliederung der ersten Unterklasse benutzte Marsh sodann die Art der Zahnbefestigung in den Kiefern. Aber gegen diese ganz außerordentlich hohe Wertschätzung des Zahn- merkmals erhob Seeley und Dames und auch F. bald Einspruch. Jedoch war die Entdeekung Marshs die Veranlassung, dass auch die Untersuchungen darüber, ob bei den Jungen der jetzt lebenden Vögel zahnähnliche Gebilde sich finden, wieder aufgenommen wurden. Fraisse und Gardiner prüften daraufhin Embryonen verschiedener Anseres, Columbae, Accipitres, Psittaci ete., Fürbringer that dies bei mehreren Laridae und Limocolae. Als Resultat dieser Forschungen ergab sich, dass bei den Embryonen der rezenten Vögel zwar zahnähnliche Er- hebungen vorhanden sind (am ausgebildetsten, wie es scheint, bei den Papageien), dieselben es aber nicht bis zur Entwicklung von spezi- fischen Schmelzepithelien und Dentinzellen bringen. Man kann diese Papillen deshalb nur mit den frühesten Stadien von Zahnanlagen ver- gleichen — sie als frühzeitig abortivierende Anlagen auffassen — und daraus schließen, dass die Vorfahren der jetzigen Vögel nicht auch Zahnvögel waren. Die bisherigen Untersuchungen haben zwar dazu keinen Beweis geliefert, die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber in An- betracht der Zahnbildung bei Amphibien, Reptilien und Säugetieren nieht gering. Sollte aber auch mit zunehmender Kenntnis der palä- ontologischen Vögel dieser Beweis erbracht werden, so würde trotzdem Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 595 F. nicht geneigt sein, das Zahnmerkmal als absolutes Differential- moment für die beiden Hauptäste der Vögel anzuerkennen. Dagegen ist F. der Ansicht Dames’, welcher auf Grund der Resultate, die Fraisse (bei Papageien) und Geoffroy St. Hilaire (bei Struthio) durch ihre Untersuchungen der Zahnanlagen erhalten, annimmt, dass die Carinaten einstmals Zähne in Alveolen, die Ratiten solche in Rinnen besessen haben. Allerdings hält F. fernere Untersuchungen zur festeren Begründung dieser Hypothese noch für unerlässlich. Obgleich sich die Zunge im großen und ganzen der Dimension und Form des Schnabels anschließt, weist sie doch einen außerordentlichen Wechsel und zahl- reiche Abweichungen von der darnach zu erwartenden Form auf und legt dadurch genugsam Zeugnis von ihrer Selbständigkeit ab. Klein, kurz und wenig ausgebildet ist sie z. B. bei den meisten Ratiten, Steganopodes, Pelargi, schlank bei den Alcidae, Laridae, Limicolae, Fulicariae, Herodii, Eurypigidae, Pteroclidae, Columbidae ete., umfang- reicher bei den Anseres, Phoenicopteridae, Galli und vor allem bei den Psittacidae, endlich beträchtlich wechselt ihre Form bei den Impennes, Tubinares, Herodii, Limicolae. Daraus ergibt sich schon, dass es einerseits fast unmöglich ist, für dieses Organ allgemeine Charaktere aufzufinden, andrerseits dasselbe aber wenigstens als gutes Differential- merkmal für Unterfamilien und Gattungen dienen kann. Auch die m sehr mannigfaltiger Weise auftretende Schleimhautbekleidung (mehr oder weniger ausgebildete Papillen oder Zähne, zusammenhängende Hornscheiden, feine Seitenborsten, pinselförmige Verlängerungen ete.), obwohl meist auf sekundäre Anpassungen zurückzuführen, die mit der Lebensweise Hand in Hand gehen, bietet mitunter, wie z. B. bei den Psittacidae, Pici, Makrochires, Passeres, für gewisse Unterfamilien recht charakteristische Verhältnisse dar. Den verschiedenen Drüsen und Follikelbildungen der Mundhöhle dagegen vermag F. keine systema- tische Bedeutung beizulegen, höchstens scheint ihm die Mundwinkel- drüse (Gl. parotis) zur Charakterisierung der Colymbidae und Stegano- podes gegenüber den meisten anderen Natatores, für die Herodii gegenüber den Pelargi, für die Strigidae gegenüber den Aceipitres ge- eignet zu sein. Aehnliches wie für die Drüsen und Follikel gilt auch für die Mundhöhle und den Kehlsack. Sundevall hat bekanntlich die bei manchen Vögeln sich vorfindende weite Mundhöhle zur Grün- dung der Ampligulares s. Hiantes benutzt. Diese Gruppe umfasst je- doch recht heterogene und zum Teil recht künstlich von ihren natür- lichen Verwandten abgetrennte Abteilungen, andrerseits kommt auch der systematische Wert des Kehlsackes nur in ganz speziellen Fällen in Betracht. Am Oesophagus beansprucht der Kropf (Ingluvies) das größte systematische Interesse. In seiner einfachsten Form stellt er eine bloße spindelförmige Erweiterung oder schwache einseitige Aus- sackung der Speiseröhre dar (so ist er z. B. beschaffen bei Caswarzus, L er [9 Io 596 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. einzelnen Alcidae, Carbo, mehreren Anatinae, größeren Pelargi, Otididae, Strigidae ete.), durch größere Entwicklung der Drüsen und bisweilen auch durch bessere Abgrenzung nimmt er dann eine spezifische Be- schaffenheit an (dies geschieht z. B. bei den Psittaci und Aceipitres), um endlich als drüsenreiches und deutlich abgesetztes Organ, wie bei den Gallidae, Pteroclidae, Columbidae ete., seine höchste Ausbildung zu erlangen. Auch hinsichtlich seiner Lage, Nachbarschaft zum Drüsen- magen und Anordnung ist bei den verschiedenen Gruppen eine ziem- liche Mannigfaltigkeit zu konstatieren. Mag nun einerseits unzweifel- haft feststehen, dass seine sehr wechselnde Ausbildung hauptsächlich infolge Anpassung an schwer verdauliche Nahrung (Fische, Körner z.B.) erfolgt ist, so kommt es andrerseits auch bei Vögeln mit leichterer Nahrung vor und fehlt solchen mit schwerer. Deshalb gibt er trotz- dem bei umsichtiger Verwendung für manche Familien ein gutes Charakteristikum ab. Aehnliches gilt auch vom Magen. Derselbe setzt sich bekanntlich aus dem Drüsen (Proventrieulus —) und dem Muskelmagen (Ventriculus) zusammen. Bei einigen Arten gesellt sich dazu noch der sogenannte Magenanhang. Der erste Teil zeigt, was seine Größe und Entwicklung, Entfaltung und Verteilung der Drüsen anbelangt, manche Verschiedenheiten, die allerdings zum Teil von der Ernährungsweise abhängig und daher mit großer Vorsicht für syste- matische Zwecke zu gebrauchen und überdies oft nur für kleine Ab- teilungen (selbst Genera und Species) verwertbar sind. Gering ent- wickelt ist der Drüsenmagen bei den Herodii, Rallidae und Alcedinidae, er setzt sich bei ihnen nur wenig oder kaum von Oesophagus ab; in Form einer nicht großen eigentümlichen Aussackung tritt er bei Plotus anhinga auf, als recht ansehnlich entwickelt findet er sich bei den katitae, Impennes, Tubinares, Steganopodes, Palamedeidae, Pelaryo- Herodii, Acei,itres ete., größer als der allerdings nur kleine Muskel- magen wird er bei den Impennes, Tubinares ete. Auch die Verteilung seiner Drüsen kann für manche Familien, Subfamilien, Gattungen und Arten ein ziemlich gutes, ja überraschendes Merkmal abgeben, so z. B. bei Rhea, Struthio. Am Muskelmagen ist es in erster Linie die Ent- faltung der Muskulatur, welche zwar auf jeden Fall, aber nicht als ganz zuverlässig zu systematischen Folgerungen benutzt werden kann. Diese Muskelmassen entwickeln sich bei den Granivoren viel beträcht- licher als bei den Inseeti-, Carni- und Piseivoren. Cuvier (und zahl- reiche andere Autoren) unterschied deshalb 2 Hauptformen: Gesier simple und G. complique, die aber durch zahlreiche Uebergänge unter- einander verbunden sind._ Eine geringe Wanddicke besitzen die meisten Podicipidae, Steganopodes, Herodii, Accipitres, Strigidae, Musophagidae, Cueulidae ete., mäßig resp. mittelgroß ist diese Dieke beispielsweise bei den Impennes, Alcidae, Tubinares, Odontoglossae, Pelargi, Alecto- rides, gewissen Psittacidae ete., beträchtlich endlich wird sie bei den Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 597 Anseres, manchen Laridae und Limicolae, den Fulicariae, Galli, Ptero- clidae. Aus dieser Uebersieht ergibt sich schon, dass die Stärke des in Rede stehenden Organes nicht allein von der Art der Nahrung ab- hängig ist. Ebenfalls nicht weniger variiert die Dimension des Muskel- magens, seine Schleimhäute und der Ausbildungsgrad der von ihr seeernierten Cutieularplatten; jedoch kommt auch diesen Bildungen keine weiterreichende taxonomische Bedeutung zu. Der Magenanhang oder Pylorusmagen fehlt vielen Gruppen gänzlich, denn er tritt nur auf bei den Colymbidae, Podicipidae, Steganopodes, Pelargi- Herodii, sowie bei einzelnen Anseres, Fulicariae und Aceipitres. F. ist aus diesem Grunde der Ansicht, dass ihm ein nicht zu unterschätzender systematischer Wert beigelegt werden muss. Obwohl von den beiden Abteilungen des Darmes der Dünndarm meist beträchtlich länger als der Diekdarm ist (nur bei Struthio liegt das Verhältnis umgekehrt), beansprucht doch der letztere infolge seiner manchmal sehr ansehnlich entwickelten Blinddärme ein größeres Interesse als der erstere. Am Dünndarm gestattet die erste Schlinge desselben (der Pankreasdarm, das Duodenum) keine systematischen Folgerungen, auch der andere Abschnitt, das Deum, ist, weil seine Länge, Lage und sonstige An- ordnung beträchtlich wechseln, dazu nur mit großer Vorsieht zu be- nutzen. Noch weniger geeignet aber zur Entscheidung über die höhere oder niedrigere Stellung dieser oder jener Gruppe ist das von jeher besonderes Interesse erregende Diverticulum (coecium vitelli), das Rudiment des Duetus omphalo-interieus, welches unter anderem bei den Ratiten oft das ganze Leben hindurch Dotterprodukte enthalten kann. Am Diekdarm halten namentlich die Blinddärme (Caeca) das Interesse der Systematiker im hohen Grade erregt. Garrod benutzte sie geradezu als Hauptgrundlage seines Systems; sie geben in der That auch für die meisten Familien ein sehr charakteristisches und nicht zu vernachlässigendes Kennzeichen ab. Im großen und ganzen ist die Ausbildung der Blinddärme bei den Ratiten eine hohe (vor allem bei Rhea und Struthio), dann folgt unter den Carinaten Chauna, viele Anseres, Otis, Hemipodius und die Rasores, fast gänzlich fehlen dagegen diese Gebilde den Oceanitidae, der Mehrzahl der Columbidae, den Psittacidae, Makrochires, fast sämtlichen Pici etc. Ueberdies sind beide Anhänge häufig von ungleicher Länge, mitunter ist sogar der eine (z. B. bei den Ardeidae) ganz zurückgebildet. Andrerseits ergibt sich aber bei genauerem vergleichenden Studium dieser Organe, dass ihre Größe und Existenz innerhalb gewisser Familien (bei den Podi- cipidae, Alcidae, Laridae, Limicolae, Tubinares, Columbae, Aceipitres, Piei ete.) zum Teil nieht unerheblich schwankt, nahe verwandte Fa- milien große Abweichungen voneinander und entfernter stehende mit- einander darbieten; ja bei gewissen Gattungen scheint selbst ein be- trächtlicher individueller Wechsel vorzukommen — zur genauen Grup- 598 Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. pierung der Familien eignet sich demnach auch dieses Merkmal nicht. F. kann aus diesem und anderen Gründen deshalb mehrere Abteilungen Garrods, die vornehmlich durch die Art des Verhaltens der Caeca abgegrenzt werden (die Passeriformes und Oypseliformes), nicht billigen, er will aber durchaus nicht verkennen, dass bei näher verwandten Gruppen die Blindsäcke dazu dienen können, Einblicke in den phylo- genetischen Entwicklungsgang derselben zu verschaffen, denn er ver- mutet, dass diese Gebilde, sich schon in recht früher Zeit bei den Urvögeln zu einer mittleren Entwicklungsstufe erhoben haben. (Fortsetzung folgt.) Dr. F. Helm. Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. O0. Hertwig, Zeit- und Streitfragen der Biologie. Heft I: Präformation oder Epigenese. Gruudzüge einer Entwicklungstheorie der Organismen. Jena 1894. Ueber den Verlauf der Spencer-Weismann’schen Kontroverse sind die Leser dieser Zeitschrift teils durch Referate, teils durch Original- aufsätze auf dem Laufenden erhalten worden. In dem soeben erschie- nenen I. Heft seiner „Zeit- und Streitfragen der Biologie“ ist nun auch OÖ. Hertwig unmittelbar gegen den Weismann’schen Standpunkt vorgegangen!). Bekanntlich ist ©. Hertwig einer der ersten Forscher gewesen, welche den Zellenkern als den Träger der Vererbungssubstanz be- trachtet haben, eine Auffassung, welche heute — man kann vielleicht sagen, von allen Autoren, die sich selbst mit Untersuchungen auf dem Gebiet der Zellen- und Befruchtungslehre befasst haben, geteilt oder wenigstens als verhältnismäßig gut begründet anerkannt wird. >o steht denn auch jetzt noch O. Hertwig auf dem Standpunkt, dass der Kern der Träger des Idioplasma oder der Erbmasse sei, d. h. einer Substanz, welche stabiler als das Protoplasma ist und, da sie weniger den Einflüssen der Außenwelt unterworfen ist, die Eigenart des Orga- nismus ausdrückt (8. 31). Bis zu diesem Punkte fallen denn auch die Wege zusammen, auf welchen einerseits Weismann, andrerseits OÖ. Hertwig, ihr Ziel, die Aufstellung einer Vererbungs- und Entwicklungslehre, zu erreichen 1) Indem Ref. der Aufforderung der Redaktion, die O0. Hertwig’sche Schrift an dieser Stelle zu besprechen, entgegenkommt, ist er sich bewusst, dass vielleicht der eine oder andre Leser es für bedenklich halten wird, wenn ein Schüler des Angegriffenen den neutralen Boden der Recension zu betreten unternimmt. Dennoch glaubt er für sich eine gewisse Berechtigung hiezu aus dem Umstand ableiten zu dürfen, dass sich ein großer Teil der Hertwig’schen Arbeit mit dem Problem der erbungleichen Teilung beschäftigt, einer Frage, welcher der Ref. selbst seit mehreren Jahren auf histologischen Gebiet näher zu treten bemüht war. Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. 599 suchen. Gleich mit dem nächsten Schritt sehen wir aber die Rich- tungen nach entgegengesetzten Seiten auseinandergehen. Ein Grund- und Eckstein der Weismann’schen Theorie ist, wie O. H. hervorhebt, die Annahme einer erbungleichen Teilung des Zellen- kerns. Nach W. wird nämlich nicht bei jeder während der Ontogenese sich vollziehenden Kernteilung die vollständige Architektur des Keim- plasmas und demnach auch das ganze durch dieselbe gegebene Anlagen- material von Kern zu Kern übertragen, vielmehr wird das Keimplasma auf Grund „erbungleicher“ Teilungen nach und nach in die Bestim- mungsstücke (Determinanten) für die einzelnen Teile des Organismus zerlegt. Gegenüber diesem Versuch Weismann’s, die Differenzierung des Organismus durch die Annahme einer Zerlegung des Anlagen- materials in ungleiche Bestandteile zu erklären, stellt sich O. H. die Aufgabe, den Nachweis zu führen, dass es keine Erscheinung und Erfahrung auf dem Gebiet der Zellenlehre gibt, welche sich zu Gunsten der Annahme eines erbungleichen Teilungsmodus verwerten lässt, dass sich vielmehr die Zellen allein durch erbgleiche Teilung vermehren. In Uebereinstimmung mit Weismann wird in erster Linie für die einzelligen Organismen, deren biologische Verhältnisse ja für jede auf zellulärer Grundlage aufgebaute Vererbungstheorie einen wichtigen Prüf- stein bilden, bestritten, dass bei ihnen eine erbungleiche Teilung vor- kommt. Denn auch in denjenigen Fällen, in welchen die Teilprodukte zunächst von ungleichem Aussehen sind (z. B. bei der Knospung der Acineten) muss die Anlagesubstanz der Tochterorganismen derjenigen der Mutter gleich sein, da die ersteren gewissermaßen nur ein Ent- wieklungsstadium darstellen, welches in die Form der Mutter zurück- läuft. „Das Wechselverhältnis zwischen Protoplasma und Kern als dem Träger der Erbmasse lässt sich hier nur in der Weise vorstellen, dass sich nicht alle Anlagen gleichzeitig in Wirksamkeit zu befinden brauchen, sondern dass einzelne von ihnen zeitweise latent bleiben können“. In ebenso augenfälliger Weise tritt nach ©. H. bei vielen niederen mehrzelligen Organismen, so bei Fadenalgen, Fadenpilzen, bei viel- kernigen Protoplasmamassen, die allgemeine und ausschließliche Ver- breitung des erbgleichen Teilungsmodus zu Tage. ©. H. muss aber auch für Formen wie Volvox einen Gegensatz zwischen Geschlechts- und Körperzellen abweisen, während Weismann bekanntlich gerade hier, im Vergleich zu Pandorina, die erste Differenzierung von Keim- zellen und Somazellen sieht. Beim Uebergang zu den Metaphyten und Metazoen stoßen wir dann auf eine Reihe von Erscheinungen, welche nach O. H. im Sinn eines erbgleichen Teilungsmodus zu deuten sind, nämlich das Vermögen der ungeschlechtlichen Reproduktion, wie es ganz besonders den Pflanzen, dann aber auch vielen Cölenteraten, Würmern, Tunikaten zukommt, 600 Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. und die damit in naher Berührung stehende Fähigkeit des Organismus, einzelne Organe zu regenerieren, eine Fähigkeit, welche sogar gewissen Gliedern des Wirbeltierstammes in hohem Maße eigen ist. Ganz besonders beweisend scheinen O. H. die Erscheinungen der Heteromorphose zu sein, worunter er mit Loeb das Vermögen des Organismus versteht, „in Folge äußerer Eingriffe Organe an Körper- stellen zu bilden, wo sie unter normalen Bedingungen nicht hingehören und nicht gebildet werden können, oder verloren gegangene Teile durch andere, von den verlorenen nach Form und Funktion verschie- dene zu ersetzen“. Hier nur ein Beispiel. Durch Belichtung der Unter- seite und Beschattung der Oberseite können Farn-Prothallien gezwungen werden, die Antheridien und Archegonien in abnormer Weise an der Oberseite zu bilden. Erscheinungen, welche als Heteromorphose im weiteren Sinn bezeichnet werden können, treten auch dann auf, wenn in den ersten Stadien der Ontogenie durch äußere Eingriffe die normale Anordnung und Zusammenlagerung der Furchungszellen gestört wird. Aus den Druckversuchen von Driesch am Seeigelei, aus eigenen Kompressionsversuchen am Froschei, sowie aus den Experimenten von Driesch und Wilson, welche aus isolierten Furchungszellen von Echinus bezw. Amphioxus normale, aber entsprechend kleinere Larven zogen, folgert ©. H., dass von den ersten Furchungszellen jede ihrem inneren Wesen nach Teil und Ganzes zugleich ist. Und ebenso weisen nach O.H. andere an Amphibieneiern angestellte Versuche darauf hin, dass beim Aufbau bestimmter Organe ein genetisch durchaus ver- schiedenartiges Zellenmaterial Verwendung finden kann, dass also auch auf späteren Entwicklungsstufen das gesamte Zellenmaterial die gleiche Anlage besitzen muss. Noch eine letzte Gruppe von Thatsachen führt der Verf. zu Gunsten seiner Auffassung an. Sowohl bei der von den Gärtnern angewandten Methode des Pfropfens, als auch bei den tierphysiologischen Versuchen über Transplantation und Transfusion tritt ein Erfolg im Allgemeinen nur bei naher Verwandtschaft der zu verbindenden Arten ein, ebenso wie dies bekanntlich bei der Bastardbefruchtung der Fall ist. Der systematischen Verwandtschaft muss, wenn die Vereinigung gelingen soll, nach O. H. auch eine innere Verwandtschaft (vegetative Affinität) parallel laufen. Darnach müssen den Zellen außer den wahrnehm- baren Eigenschaften noch zahlreiche, uns nicht sichtbare Eigenschaften zukommen, die ihnen als Teile eines bestimmten Organismus eigentüm- lich sind (konstitutionelle oder Arteigenschaften). Diese unsichtbaren Eigenschaften haben sie mit anders spezifizierten Geweben desselben Organismus gemeinsam und der Besitz solcher gemeinsamer Eigen- schaften weist wiederum auf ein hohes Maß von Gleichartigkeit inner- halb aller Zellen eines und desselben Organismus hin. Durch Zusammenfassung aller dieser Erscheinungen kommt 0. H. Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. 601 zu dem Schluss, dass sich die Zellen allein durch erbgleiche Teilung vermehren, dass zwischen Körper- und Geschlechtszellen kein prin- zipieller Gegensatz besteht, und dass also auch die Aufstellung be- sonderer Keimbahnen keinen größeren Erkenntniswert haben könne, als die Unterscheidung von Muskel-, Leber-, Nieren- und Knochenzell- bahnen. : In einem weiteren Abschnitt wendet sich ©. H. speziell noch gegen Weismann’s Determinantenlehre, welcher zufolge jede selbständig variable Zellengruppe bereits in den Geschlechtskernen durch ein be- sonderes Bestimmungsstück vertreten ist. Durch die ordnungsmäßige Zerlegung des Keimplasmas in seine Bestimmungsstücke gelangt nach W. jedes derselben während der Entwicklung zur rechten Zeit an den rechten Ort. Diesen Vorstellungen gegenüber betont ©. H. die Rolle, welche die verschiedenen im Ei selbst und außerhalb desselben ge- legenen Bedingungen beim normalen Entwicklungsverlauf spielen. Unter dem Einfluss dieser Bedingnngen und auf Kosten derselben wächst und verändert sich die Anlage in kontinuierlicher Weise (S. 82). ‚Jede Entwicklungsstufe ist Anlage und Grund für die nächste Stufe, die als Folge aus ihr hervorgeht, und was auf einer früheren Stufe als äußere Bedingung erscheint, kann auf der nächstfolgenden bereits in die Anlage selbst eingehen (Nahrungsdotter). Es sei also unrichtig, die sichtbare Mannigfaltigkeit des Endstadiums des Entwicklungsprozesses in ent- sprechende, nur unsichtbare Mannigfaltigkeit des Anfangsstadiums ein- fach zurückzuwandeln, und für alle Eigenschaften, die am Endglied der Entwicklungskette zu erkennen sind, die bewirkenden Ursachen schon im Anfangsglied gegeben anzunehmen (S. 33). Speziell solehe ganz heterogene Eigenschaften, welche der Zelle nicht als solcher eigentümlich sind, sondern auf dem normalen Zu- sammenwirken ganzer Organgruppen oder fast aller Teile des Körpers beruhen (Zeichnung des Tierkörpers; Größe, Struktur, Gestalt der Blätter), können nicht in die Zelle selbst verlegt werden. Jede Zelle, und also auch Ei- und Samenzelle, kann vielmehr nur mit stofflichen Trägern solcher Eigenschaften ausgestattet sein, welche von der Zelle für sich schon verwirklicht werden können. Jeder zusammengesetzte Organismus kann also seine Eigenschaften nur in Form von Zelleigen- schaften vererben (8. 88). Im zweiten Teil seiner Schrift sucht nun weiter O. H. seinerseits das Verständnis für die Thatsache anzubahnen, dass aus dem Ei mit Notwendigkeit immer derselbe Organismus mit allen seinen verschie- denen Eigenschaften entsteht. Während W. die Ursache für die gesetz- mäßige Entfaltung der Anlagen vorwiegend in die Anlagensubstanz selbst hineinverlegt, betont OÖ. H. umgekehrt die Abhängigkeit des Entwicklungsprozesses von den Bedingungen und Ursachen, die außer- halb der Anlagesubstanz liegen, aber trotzdem in gesetzmäßiger 602 Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. Folge durch den Entwicklungsprozess produziert werden. Die un- gleiche Differenzierung der Zellen stellt die Reaktion der organischen Substanz auf ungleichartige Reizursachen dar, auf Fak- toren, die als wirklich vorhanden und die Bildungsprozesse wirklich beherrschend von der Physiologie experimentell nachgewiesen worden sind (8.99). Beispielsweise !) werden alle Eigenschaften, welehe dem Furchungsprozess des Froscheies sein eigenartiges Gepräge verleihen (Richtung der Teilebenen, Lage- und Größenverhältnisse der Zellen), „ausschließlich von den besonderen Eigenschaften der den Kern ein- hüllenden Dottermasse aus determiniert“. Das Ei ist also ein Organismus, der sich dureh Teilung in zahl- reiche ihm gleichartige Organismen vermehrt. Erst durch die Wechselwirkungen aller dieser zahlreichen Elementarorganismen auf jeder Stufe der Entwicklung kommt die Differenzierung des Orga- nismus zu Stande, und die jeweilis zu verrichtende Funktion der ein- zelnen Zellen wird dabei in erster Linie durch den morphologischen Ort bestimmt, den sie an der Lebenseinheit einnimmt (S. 111). Speziell den Botanikern sind genugsam Fälle bekannt, aus welchen die ursprüng- liche Indifferenz der morphologischen Elemente, ihre Befähigung, je nach den äußeren Bedingungen in verschiedener Weise sich zu ent- wickeln, hervorgeht. Und ebenso wird in besonderem Maße durch die Versuche der Botaniker auch der zweite der Epigenese zu Grunde liegende Faktor, die Korrelation zwischen den Teilen des Organismus, erwiesen. „Es ist als ob das Idioplasma genau wüsste, was in den übrigen Teilen der Pflanze vorgeht“ (Nägeli). Auch aus den Er- scheinungen des tierischen Wachstums ergibt sich, dass alle verschie- denen Elemente des Körpers in beständiger und feinster Fühlung unter einander stehen. Dies zeigt sich vor Allem beim geschlechtlichen Dimorphismus in der Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere, und in noch viel auffälligerer Weise in der bekannten Thatsache?), 1) Dies Beispiel ist nicht an dieser Stelle, sondern bereits in einem früheren Abschnitt angeführt (S. 90). Der Ref. 2) Diese Thatsache ist so bekannt, dass es auffällt, wenn O. H, die Un- kenntnis derselben bei Weismann vorauszusetzen scheint. Weismann hat, um die Entstehung des Polymorphismus speziell bei den Hymenopteren zu er- klären, die Alternative gestellt, entweder Vererbung funktioneller Anpassung oder Naturzüchtung. ©. H. wendet hier ein, dass es doch noch eine dritte Art der Erklärung gebe: unter verschiedenen äußeren Einflüssen kann sich dieselbe Anlage zu verschiedenartigen Endprodukten entwickeln. 0. Hertwig scheint hier übersehen zu haben, dass es sich für Weis- mann bei jenem Dilemma um die phyletische Entstehung des Poly- morphismus handle, also um die Entstehung der Vielseitigkeit der Anlage, und nicht um die Frage, warum beim einzelnen Individuum die eine oder die andre Seite zur Entfaltung kommt. Dass bei verschiedener Ernährung ver- Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. 605 dass bei Hymenopteren, welche Polymorphismus zeigen, je nach den verschiedenen äußeren Einflüssen, vor Allem je nach der Beschaffen- heit der Nahrung, Weibchen oder Arbeiterinnen mit ihren verschieden- artigen sekundären Geschlechtscharakteren entstehen. Wer den Ausführungen des Verf. bis zu diesem Punkte gefolgt ist, wird sich die Frage vorlegen: wenn in jeder einzelnen Zelle, welche beim Aufbau des Organismus als Baustein funktioniert, die nämliche Entwicklungsmöglichkeit steckt, und wenn nur die zufällige Lage und die beständig wechselnden Beziehungen zur Umgebung ihre Differen- zierung bestimmen; wenn, um einen konkreten Fall zu wiederholen, beispielsweise der ganze Verlauf und alle Eigenartigkeiten bei der Furchung des Froscheies auschließlich von den besonderen Eigen- schaften der Dottermasse bestimmt sein sollen; wenn Entsprechendes für die Gastrulation und Keimblätterbildung und überhaupt für die ganze Ontogenie gelten soll: was brauchen wir dann noch im Kern eine be- sondere Anlagesubstanz anzunehmen, weshalb genügt es nicht, die chromatische Substanz als ein Organ der Zelle von irgend welcher speziellen physiologischen Funktion zu betrachten. Kurz, es erhebt sich die Frage, inwieweit schließlich die Anlagesubstanz der Zelle selbst auf den Entwicklungsgang des Ganzen bestimmend einwirkt. OÖ. H. gibt hierauf folgende Antwort: die Eigentümlichkeit der Zelle besteht in der spezifischen Art und Weise, mit welcher sie auf die verschiedenen, sie treffende Reize unter den verschiedenen Bedingungen reagiert, sie beruht also in der verschiedenen Micellar-Struktur der reizbaren Substanz der Zelle, und, da der Voraussetzung nach speziell der Kern die Eigenartigkeit des Organismus ausdrückt (8.31), in der Verschiedenheit der Micellarstruktur der Kernsubstanz. Diese letztere, die Anlagesubstanz, reagiert in spezifischer, d. h. ihrer Art entsprechen- den Weise, auf alle äußeren und inneren Reize, von welchen sie an den verschiedenen Punkten des durch Zellteilung wachsenden Orga- nismus getroffen wird. Im Hühnerei, bemerkte Nägeli, ist die Species ebenso vollständig enthalten, als im Huhn, und das Hühnerei ist von dem Froschei ebensoweit verschieden, als das Huhn vom Frosch. Die unterscheidenden Momente liegen aber auf einem unsrer Wahrnehmung noch verschlossenen Gebiete. So ist also auch für 0. H. der Ausgang für die Entwicklung die Annahme einer spezifisch und sehr hoch organisierten Anlagesubstanz, einer Substanz also, welcher gewisse spezifische, d. h. für die Art charakteristische Qualitäten zukommen; und in diesem Sinne erhält auch die Theorie O. Hertwig’s, wie dieser selbst zugibt, bis zu einem schiedene Formen von s0 charakteristischer Ausbildung entstehen, setzt ja schon eine entsprechende eigenartige Veranlagung der Species voraus, welche ein Produkt der phyletischen Entwicklung ist. 604 Häcker, Eine neue Schrift zur Vererbungslehre. gewissen Grad eine evolutionistische Färbung!). Jene Qualitäten äußern sich in der bestimmten Form, mit welcher die Substanz auf die beim normalen Entwicklungsverlauf in bestimmter Reihenfolge sie treffenden Reize reagiert. Insofern nun aber diese Reize ein Accidens sind, welches keineswegs von vornherein gegeben ist, sondern während der Ontogenie Stufe für Stufe neu erzeugt werden muss, ist die Theorie in erster Linie als „epigenetisch“ zu bezeichnen. Dies ist das Resultat, zu welchem O0. Hertwig im positiven Teil seiner Auseinandersetzungen gelangt ist, und wir können nun nochmals nach seinem Ausgangspunkt zurückschauen, also nach der Kritik der Lehre von den erbungleichen Teilungen. Für den Morphologen erhebt sich hier zunächst die Frage, ob es wohl denkbar ist, dass wir auf histologischem Wege der Frage nach der Erbgleichheit oder Erb- ungleichheit einer Zellteilung näher treten können, ob wir also den verschiedenen Habitus zweier Schwesterelemente als den wahrnehm- baren Ausdruck einer qualitativen Differenzierung betrachten dürfen, welche dureh den Kernteilungsakt selbst, speziell durch die Spal- tung der ehromatischen Substanz bewirkt wird. Ref. glaubt, diese Frage verneinen zu müssen. Denn wenn wir, beispielsweise in einem in der Furchung befindlichen Ei, die chromatische Substanz zweier Schwesterkerne unmittelbar nach der Teilung ein durch- aus verschiedenes Gepräge annehmen sehen, so muss der epigenetischen Auffassungsweise immer die Möglichkeit zugegeben werden, dass hier die verschiedene Lage der beiden Schwesterzellen, ihre dureh äußere Umstände bedingte verschiedene Größe die maßgebenden Fak- toren bilden. Entsprechende Betrachtungen mögen Geltung haben, wenn wir beim Konjugationsprozess der Infusorien die ursprünglich gleichariigen Mikronuklei in die Bildung verschiedenwertiger Kerne, des neuen Makronukleus und des neuen Mikronukleus, eingehen sehen. Was überhaupt die Beziehungen des Kernteilungshabitus zur Funk- tion der betreffenden Zelle anbelangt, so ist Referent selbst durch neuere Untersuchungen (Ueber generative und somatische Mitosen, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 43, 1894, 8.783) zur Auffassung ge- langt, dass der Kernteilungshabitus in einem gewissen Abhängigkeits- verhältnis zur Masse des Chromatins und damit zur Größe des Kerns steht, aber nicht einen unmittelbaren Ausdruck der in der betreffen- den Zelle vorhandenen erblichen Qualitäten darstellt. 1) d.h. wenn wir mit Roux unter Evolution „das bloße Wahrnehmbar- werden präexistierender, latenter Verschiedenheiten“ verstehen, eine Begriffs- bestimmung, welche auch ©. H. für zutreffend erklärt (S. 8). Es ergibt sich schon aus dieser Definition, dass der Standpunkt der heutigen „Evolutionisten“ doch ein wesentlich anderer ist, als der rohe Evolutionismus, wie er in der Einschachtelungslehre des vorigen Jahrhunderts hervortrat. Zacharias, Biologische Untersuchungen in amerikanischen Seen. 605 Die Frage nach der Existenz erbungleicher Teilungen muss also zunächst allgemeineren theoretischen Betrachtungen und vor Allem den entwicklungsmechanischen Versuchen zur Entscheidung überlassen wer- den. In erstgenannter Hinsicht wird es für die Epigenese stets mit großer Schwierigkeit verbunden sein, die jedem Embryologen geläufige Thatsache zu erklären, dass in den späteren Stadien der Ontogenie, beim Einsetzen der eigentlichen Organbildung, aus dieht nebeneinander gelegenen, scheinbar völlig gleichartigen Zellen gleichzeitig die ver- schiedenartigsten Gewebselemente sich herausdifferenzieren. In zweiter Linie bilden aber z. B. der Roux’sche Hemiembryo lateralis u. anterior des Frosches und die von Chun!) beschriebene Ötenophoren-Halblarve eine Beobachtungsgruppe, welche, wie Roux auch neuestens?) wieder betont hat, auf ein hohes Selbstdifferenzierungsvermögen einzelner Zellen und Zellkomplexe hinweist. Unter „Selbstdifferenzierung“ eines von der Natur oder in Gedanken von uns abgegrenzten Teils versteht bekanntlich Roux, dass die Ursachen des Spezifischen der Dif- ferenzierung dieses Teils in ihm selber gelegen sind. Sobald aber dieses Selbstdifferenzierungsvermögen für eine einzelne Zelle oder für benachbarte, in näherer genetischer Verwandtschaft stehende Zell- gruppen erwiesen werden kann, folgt aus der Voraussetzung, dass der Kern die Anlagesubstanz enthält, mit Notwendigkeit, dass das Anlage- material in ungleicher Weise verteilt worden ist. Es muss dann zum mindesten zugegeben werden, dass die Verteilung in der Weise statt- sefunden hat, dass in dem einen Teilprodukt vorzugsweise und zu- nächst dieser, in dem andern jener Anlagekomplex aus inneren Gründen und aus sich selbst heraus zur Entfaltung zu kommen bestrebt ist. Diese Fassung würde aber in unbestimmterer Form nur dasjenige umschreiben, was Weismann durch Aufstellung seiner Determinanten- lehre unserem Vorstellungsvermögen näher zu bringen bemüht war. Freiburg i./Br., den 13. Juli 1894. Dr. V. Häcker. Biologische Untersuchungen in amerikanischen Seen. Mitgeteilt von Dr. Otto Zacharias (Plön). Auf Anregung der Michigan Fish Commission hat bereits im vorigen Jahre eine Durehforschung des St. Clair-Sees stattgefunden, um die Flora und Fauna dieses Wasserbeckens festzustellen. An der Spitze 4) Vergl. W. Roux, Ueber das entwicklungsmechanische Vermögen jeder der beiden ersten Furchungszellen des Eies. Verh. Anat. Ges., 1892, S. 54 ff. 2) W. Roux, Die Methoden zur Erzeugung halber Froschembryonen und zum Nachweis der Beziehung der ersten Furchungsebene des Froscheies zur Medianebene des Embryo. Anat. Anzeiger, 9. Bd., 1894, 8. 277. 606 Zacharias, Biologische Untersuchungen in amerikanischen Seen. dieses Unternehmens stand Prof. J. E. Reighard, der übrigens die wichtigsten Ergebnisse desselben demnächst veröffentlichen wird. Wäh- rend des heurigen Soinmers soll nun der bei weitem größere Michigan- See in ähnlicher Weise untersucht werden, wobei man auch Näheres über das natürliche Futter und die noch nieht genügend bekannten Lebensbedingungen gewisser Coregonus- Arten zu ermitteln hofft, die für die dortige Fischindustrie von großer Bedeutung sind. Es sind das die sogenannten White fishes — eine Kollektivbezeichnung, welche mehrere Arten der oben genannten Gattung umfasst. Nach Günther führen sogar mehr als 10 nordamerikanische Coregonus-Species die Bezeichnung White fish. Dieses Mal ist Prof. Henry B. Ward von der Nebraska - Univer- sität zum Leiter der auf 2 Monate berechneten Exkursion ausersehen. In Gemeinschaft mit ihm widmen sich der nunmehr bereits begonnenen Seedurehforschung noch folgende Herren: Prof. E. A. Birge (Univer- sität von Wisconsin), Prof. ©. Dwight Marsh (Ripon College, Wis- consin), Dr. Charles A. Kofoid (Univ. von Michigan), Dr. Robert H. Woleott (Univ. von Michigan), Mr. Herbert S. Jennings (Univ. von Michigan) und Mr. Bryant Walker (Detroit, Michigan). Für eingehendere Untersuchungen, die an Ort und Stelle vorge- nommen werden müssen, ist auf dem östlichen Ufer des Michigan-Sees — zu Charlevoix — ein Holzhaus von hinlänglicher Größe errichtet worden, welches als Laboratorium dient. Dort wurde auch eine An- zahl Aquarien aufgestellt, um Beobachtungen an lebenden Tieren und Pflanzen machen zu können. Die Universität von Michigan lieh ihrer- seits die erforderlichen Instrumente und stellte eine kleine Special- bibliothek zur Verfügung. Verschiedene Boote, ein kleines Dampfschiff und alle Arten von Fanggerätschaften stehen den Forschern gleichfalls zur Disposition. Die geplante Untersuchung erstreckt sich in erster Linie auf die Tier- und Pflanzenwelt des Michigan -Sees, welche eingehend studiert und genau bestimmt werden soll. Ferner handelt es sich um Erkun- dung von deren horizontaler und vertikaler Verbreitung, aber immer soll dabei die Beziehung derselben zur Lebensgeschichte der Coregonen und der Seeforelle im Auge behalten werden. Außerdem hat man die Absicht, sowohl die Temperatur als auch die Durchsichtigkeit des Wassers einer fortgesetzten Kontrole zu unterwerfen. Wie das Zirkular, dem ich diese Notizen entnehme, mitteilt, werden alljährlich von der Michigan Fish Commission allein etwa 100 Millionen erbrütete Coregonus-Fischehen in den nahe gelegenen großen Seen aus- gesetzt, woraus erklärlich wird, dass ein großes Interesse dafür vor- handen ist, zu wissen, ob diese Tierchen an ihren neuen Wohnstätten die geeignete Nahrung und die ihnen zusagenden Lebensbedingungen finden. Die Biologie tritt hier also unmittelbar in den Dienst des Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. 607 Fischereiwesens, um dieses in seinen Erfolgen zu fördern. Natürlich wird sie auch ihrerseits manche wertvolle Belehrung über die große und kleine Lebewelt der Binnengewässer empfangen. Notiz. Biol. Station zu Plön. — Herr Dr. Otto Zacharias ersucht uns innerhalb des Leserkreises dieser Zeitschrift zur Mitteilung bringen zu wollen, dass vom 14. August d. Js. ab sämtliche 8 Arbeits- plätze des Laboratoriums am großen Plöner See besetzt sein werden und dass es ihm in Folge dessen nicht möglich ist, noch weitere Praktikanten aufzunehmen. Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Neunzehnte Versammlung in Magdeburg am 19., 20., 21. und 22. September 1894. Tagesordnung: Dienstag, den 18. September. 8. Uhr Abends: Gesellige Vereinigung zur Begrüfsung in den Räumen der Loge „Ferdinand zur Glückseligkeit“, Neuerweg 6. Mittwoch, den 19. September. 9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung im grofsen Saale der Gesellschaft zur Freundschaft, Prälatenstra/se 32. I. Hygienische Beurteilung von Trink- und Nutzwasser. Referent: Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Flügge (Breslau). II. Beseitigung des Kehrichts und anderer städtischer Ab- fälle, besonders durch Verbrennung. Keferenten: Oberinge- nieur F. Andreas Meyer (Hamburg); Medizinalrat Dr. J. J. Reincke (Hamburg). III. Eröffnung der Ausstellung technischer Einrichtungen aus dem Gebiete der Wohnungshygiene, Domstrafse 3. Nachmittags: Besichtigungen (nach Spezialprogramm); 7 Uhr Abends: Fest- essen mit Damen im „Cafe Hohenzollern“, Breiteweg 40. Donnerstag, 20. September. 9. Uhr Vormittags: Zweite Sitzung. IV. Die Notwendigkeit einer extensiveren städtischen Bebau- ung und die rechtlichen und technischen Mittel zu ihrer Ausführung. Referenten: Oberbürgermeister Adickes (Frankfurt a. M.); Geh. Baurat Hinckeldeyn (Berlin); Baupolizeiinspektor Classen (Hamburg). V. Technische Einrichtungen für Wasserversorgung und Kanalisation in Wohnhäusern. Referent: Ingenieur H. Alfred Roechling (Leicester). 4 Uhr Nachmittags: Fahrt nach dem Herrenkrug. Daselbst Kaffee und Vesperbrod von der Stadt angeboten; 8 Uhr Abends: Gesellige Zusammenkunft in der „Wilhelma“ (Neustadt). 608 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Freitag, den 21. September. 9 Uhr Vormittags: Dritte Sitzung im grofsen Saale der Gesellschaft zur Freundschaft. VI. Die Mafsregeln zur Bekämpfung der Cholera. Referenten: Geheimrat Dr. v. Kerschensteiner (München); Prof. Dr. Gaffky (Giefsen). 3 Uhr Nachmittags: Gemeinschäftliche Wagenfahrt nach der Neuen Kranken- anstalt an der Leipziger Strafse und dem Schlacht- und Viehhofe. Hier von der Stadt Magdeburg dargebotenen Imbiss; Abends: Zusammenkunft im Münchener Hofbräu (Hasselbacherstrafse 1). Sonnabend, den 22. September. Ausflug nach dem Grusonwerke und Stassfurt oder nach Thale im Harz. Mit der diesjährigen Versammlung in Magdeburg wird eine Austellung technischer Einrichtungen aus dem Gebiete der Wohnungshygiene verbunden sein. Dieselbe steht im Anschluss an den Vortrag des Herrn Ingenieur Roechling in der zweiten Sitzung: „TDechnische Einrichtungen für Wasser- versorgung und Kanalisation in Wohnhäusern“, und hat den Zweck, die besten technischen Einrichtungen der bezeichneten Art als Muster in hygienischer Be- ziehung einem gröfseren Publikum, namentlich den bei Gelegenheit des Kongresses zahlreich vertretenen Sachverständigen,. vorzuführen. Die städtische Verwaltung hat für diesen Zweck ein Haus (Domstr. 3) mit gröfserem Hofraum zur Verfügung gestellt, welches im Erdgeschosse und im Obergeschosse ausreichenden Raum für eine solche Ausstellung bietet. Das Erdgeschoss enthält einen zusammenhängenden Ausstellungsraum, in welchem nur Gegenstände, die auf die Wasserversorgung und Ent- wässerung von Wohnhäusern Bezug haben, untergebracht werden sollen; dem gleichen Zwecke sollen der Hofraum und die angrenzenden Schuppenräume dienen. Dagegen ist das Obergeschoss mit seinen einzelnen Zimmerräumen dazu bestimmt, die Gegenstände in Verbindung mit dem Hause, sowie mit den Wasser- zuleitungen und Abjlussleitungen zu zeigen, und soll hier das Programm auch auf Gegenstände der Zimmerheizung, Beleuchtung und Ventilation ausgedehnt werden. ; Zur Beschickung der Ausstellung ist eine Anzahl hervorragender Firmen aufgefordert, und verspricht dieselbe nach den eingegangenen Zusagen eine veich- haltige und hochinteressante zu werden. Anmeldungen neuer Mitglieder zu dem Deutschen Verein für öffentliche Ge- sundheitspflege (Jahresbeitrag 6 M.) nimmt der Unterzeichnete entgegen. Frankfurt a.|M., im Juni 1894. Der ständige Sekretär: Dr. Alexander Spiess. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 1 Septemierl18d2' Nr. 17. Inhalt: Wolff, Bemerkungen zum Darwinismus mit einem experimentellen Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. — Przesmyeki, Ueber die Zellkörnchen bei den Protozoen. — Haacke, Die Formenphilosophie von Hans Driesch und das Wesen des Organismus. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (14. Stück). — Zacharias, Ueber die wechselnde Quantität des Planktons im großen Plöner See. ;emerkungen zum Darwinismus mit einem experimentellen Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. Von Gustav Wolff. Vor jetzt gerade vier Jahren habe ich im „Biologischen Central- blatt“!) eine Reihe von Gründen darzulegen versucht, aus denen mir die Unhaltbarkeit der Darwin’schen Selektionstheorie hervorzugehen scheint. Ob meine Arbeit einigen Nutzen gestiftet, d. h. ob sie die Aufgabe, das Dogma der Selektionstheorie zu beseitigen, der Lösung, wenn auch nur um einen minimalen Schritt näher zu bringen geholfen hat, darüber habe ich kein sicheres Urteil; aber es will mich fast be- dünken, als ob es so sei, und ich schöpfe diese Vermutung nicht aus der meiner Arbeit zu Teil gewordenen offenen Beachtung, deren Gering- fügigkeit nur einen mit den Verhältnissen nicht Vertrauten entmutigen könnte, sondern ich schöpfe sie aus der verstohlenen Beachtung, aus den heimlichen Verschanzungsversuchen gegen meine Einwände, welche ich im Darwinistischen Lager wahrnehme. Wie dem aber auch sei — Thatsache ist, dass im Lauf der letzten Jahre das Gleichgewicht, in welchem die Selektionstheorie sich in der Sehwebe hält, ein bedeutend labileres geworden ist. Es mehren sich die Anzeichen, dass die Episode des Darwinismus überwunden werden wird. Als solche Anzeichen betrachte ich weniger die wachsende 1) Biol. Centralblatt, Bd. X, S. 449 ff. XIV. 39 610 Wolft, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. Zahl Derjenigen, deren Stimme sich gegen die Theorie erhebt, als vielmehr vor Allem die Thatsache, dass schon mehr als Einer, um mit Schopenhauer zu reden, „still davonschleicht und thut, als wäre er nicht dabei gewesen“. Aber wem auch diese Zeichen noch nicht deutlich genug reden, den verweise ich auf die neueste Schrift !) Weismann’s, welche „die Allmacht der Naturzüchtung“ betitelt ist, und welche die Ohnmacht der Selektionstheorie verkündigt. In dieser Schrift wird zugegeben, dass man sich in keinem einzigen Falle die Entstehung einer zweckmäßigen Einrichtung durch den Selektions- prozess wirklich vorstellen kann; es wird verzichtet auf die direkte Verteidigung des Darwinismus, dieser wird nur noch zu halten gesucht durch die Unzulänglichkeit des Lamarckismus. Daraus, dass Lamarckis- mus und Darwinismus bis jetzt die einzigen zur Erklärung der orga- nischen Zweckmäßigkeit aufgestellten Theorien sind, werden aber doch wohl nur Wenige folgern, dass eine von diesen beiden Theorien die richtige Erklärung enthalten muss, und dass es außer ihnen überhaupt keine andre mehr geben kann. Und wenn der Lamarckismus beim Probieren auf Einzelbeispiele versagt hat, so werden wir nicht glauben, uns deshalb ein entsprechendes Erproben des Darwinismus ersparen zu können; wir werden uns nicht für berechtigt halten, die Darwinistische Formel nun einfach überall maschinenmäßig einzusetzen, ohne uns um das Einzelne zu kümmern, und ohne davor zurückzuscheuen, wenn es Not thut, auch einmal die Selektion durch Zuchtwahl zu erklären; und wir werden uns nicht überreden lassen, dass jetzt jedes Erklär- ungsprinzip, welches irgendwie in Verbindung mit Selektion gebracht ist, — sei es auch nur dadurch, dass letztere gestrichen wird, wie in der Panmixie?) — „mit seiner Aufstellung auch schon als wirkend nachgewiesen“ ist, sondern wir werden uns nach wie vor für ver- pflichtet halten, der Darwinistischen Erklärungsweise im Allgemeinen wie im Speziellen nachzugehen. Große Meinungsverschiedenheit herrschte bekanntlich von jeher über den eigentlichen Erklärungswert der Darwin’schen Theorie, und worin das eigentliche Erklärungsmoment der Theorie besteht, darüber haben sowohl Anhänger als auch Gegner der Zuchtwahllehre sich nicht immer die nötige Klarheit verschafft. Es wird dem Darwinismus oft der Vorwurf gemacht, er erkläre nur, dass Unzweckmäßiges zu Grunde ging, nicht aber, dass Zweckmäßiges entstand, ein Einwand, der keines- wegs so ohne Weiteres stichhaltig ist. 4) Weismann, Die Allmacht der Naturzüchtung. Jena 1893. 2) Wer sich genauer über die Panmixie orientieren will, den verweise ich auf Kapitel 7 meiner „Beiträge“ (Biol. Centralblatt, Bd. X, S. 459 ff.) und auf meine Erwiderung gegen Emery (Biol. Centralblatt, Bd. XT), wo ich mich mit diesem „Prinzip“ etwas näher beschäftigt habe, Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. 611 Es ist wahr: wenn wir sagen, die Selektion schafft Zweckmäßiges dadurch, dass eben nur das Zweckmälige erhalten wird, das andre zu Grunde geht, so wird in dieser Fassung das Zweckmäßige natür- lich vorausgesetzt aber nicht sein Zustandekommen erklärt. Dass Zweckmäßiges überhaupt da war, ist im höchsten Grade unwahrschein- lich und unverständlich. Mochte auch unter den vielen Variierungen manchmal etwas Zweckmäßiges zufällig vorgekommen sein, so ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintreffens so gering, dass ich nicht das Recht habe, diesen Faktor als einen gegebenen in meine Rechnung einzusetzen. Diese Wahrscheinlichkeit sucht nun der Darwinismus da- durch zu vergrößern, dass er alle möglichen Fälle annimmt, unter welchen natürlich auch das Zweckmäßige als Spezialfall enthalten sein muss. Der Darwinismus sucht also den Treffer sich dadurch zu sichern, dass er den ganzen Glückshafen mit nach Hause nimmt. Um ein Beispiel zu nehmen: es sei von Vorteil, dass die Schnabel- form entsteht, wie sie beim Kreuzschnabel vorhanden ist. Der Dar- winismus nimmt an, dass durch glückliche Variierung ein bezw. mehrere oder sogar viele gekreuzten Schnäbel auftraten. Sagt nun der Gegner: das spontane Auftreten einer Schnabelkreuzung scheint mir so un- wahrscheinlich, dass ich diese Voraussetzung eben nicht zugebe, so antwortet der Darwinist: unter allen möglichen Schnabelvariierungen ist auch der gekreuzte, darf ich alle, so darf ich auch diesen voraus- setzen; da aber die Variierung, wie die Beobachtung lehrt, nach allen Richtungen beliebig wirkt, so sind alle Variierungen möglich, folglich darf ich auch jene spezielle voraussetzen. Der Gegner würde jetzt vielleicht so erwidern: Gewiss, möglich sind alle Variierungen, aber gegeben ist deren doch immer nur eine begrenzte Anzahl. Die Zahl aller möglichen Variierungen ist — %, die Zahl der gegebenen ist eine endliche Größe. Die Wahrschein- lichkeit des Eintretens einer speziellen zweekmäßigen Variierung (in unserm Beispiel der zweekmäßigen Schnabelkreuzung) ist Endliches dividiert durch Unendliches, d. h. eine Zahl, welche sich der Null ohne Ende nähert; mithin ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter den gegebenen Fällen sich eine günstige Variierung befindet, so ungeheuer klein, dass nicht die geringste wissenschaftliche Berechtigung besteht, den betreffenden Fall vorauszusetzen. Und nun würde allerdings dem- jenigen Darwinisten, welehem die Kühnheit fehlte, die Zahl der ihm zur Verfügung stehenden Variierungen einfach — » zu setzen, wohl kaum etwas andres übrig bleiben, als sich darauf zu berufen, dass es eine Sorte von Variierungen gibt, bei denen die Zahl der gegebenen Fälle groß genug ist, um alle möglichen zu enthalten, groß genug also, um die Voraussetzung jedes einzelnen wissenschaftlich zu recht- fertigen, nämlich diejenigen Variierungen, welche nur in graduellen Veränderungen bestehen, bei denen es sich also nur darum handelt, 39% 612 Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. dass ein Vorhandenes größer oder kleiner wird. Hier ist die Zahl der möglichen Fälle gleich 2, die der gegebenen ebenfalls, die Wahrschein- lichkeit, sich unter den gegebenen zu befinden, ist also für jeden der möglichen Fälle gleich 1. In der That, diese Konzession, dass die Zuchtwahllehre, wofern sie nur mit graduellen Veränderungen rechnet, ein Moment in sich trägt, welches sie — falls ihre Anwendung sonst gerechtfertigt wäre — zu einer Erklärung befähigen könnte, müssen wir dem Darwinismus machen, damit er sich nicht über ungerechte Behandlung beklagen kann, wobei man allerdings darauf gefasst sein muss, dass er sich sogar gerade über diese ihm gemachte Konzession beklagt; denn als ich in meinen Angriffen der Selektionstheorie dieses Zugeständnis ge- macht hatte, erhob sich ein Darwinist!) und protestierte gegen diese willkürliche Voraussetzung. Er hat sich damit natürlich den Ast, auf dem er selber sitzt, abgesägt. Willkürlich gemacht ist diese Voraus- setzung ja allerdings, aber natürlich nur zu Gunsten des Darwinismus, sie ist ein letzter, ihm noch eingeräumter Schlupfwinkel, und die Sache wird dadurch noch humoristischer, dass Weismann, was ich damals gar nicht wusste, diesen Schlupfwinkel schon längst?) für sich im Anspruch genommen hatte, aus dem ihn Herr Emery verjagt, um ihn zu verteidigen. Es ist wahrhaft schmerzlich zu sehen, mit welcher Flüchtigkeit nicht bloß Emery, sondern sogar Forscher von der Bedeutung Wil- helm Roux’s die hier berührten Probleme glauben behandeln zu dürfen. In der Art und Weise, wie der letztgenannte Forscher den Darwinismus gegen meine Einwände zu verteidigen) sucht, offenbart derselbe leider nicht denjenigen Grad von Gründlichkeit, welchen die Sache beanspruchen darf. Was soll man dazu sagen, wenn Roux die Weismann’sche Ableitung der Rückbildungen durch Wegfall der Selektion mit der Bemerkung verteidigt, dass „die Auslese“ (deren Fehlen ja die betreffende Wirkung hervorbringen soll) „hier eine überaus große ist und daher wohl die von Weismann angenommene Wirkung haben kann“? Oder was soll man erwidern, wenn die nach- gewiesene gesetzmäßig komplizierte Variierung dadurch aus der Welt geschafft werden soll, dass man sie zurückprojiziert auf die Anlage im Keimplasma unter Berufung auf unsre Unkenntnis darüber, wie hier die betreffende Gesetzmäßigkeit (deren Vorhandensein nicht ge- leugnet werden kann) ihren Ausdruck findet? Ein Versteckenspiel, eine Flucht ins Dunkle ist es, wenn man vorschreibt, dass wir „aus den gemeinsamen Variationen mehrerer entwickelter gleicher Teile“ „bloß 4) Emery, Biol. Centralblatt, Bd. X, S. 742 ff. 2) Weismann, Ueber die Vererbung. Jena 1883. S. 53. 3) Roux, Entwicklungsmechanik (Ergebnisse der Anatomie und Entwick- lungsgeschichte von Merkel und Bonnet, Band II, 8. 423 fg.). Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. 613 auf ein enges entwicklungsmechanisches Verknüpftsein der virtuellen Vorstufen dieser erst später gegliederten Bildungen schließen“ dürfen. Denn wenn man zugeben muss und zugibt, dass das Gesetzmäßige der Variierung im Keim schon „irgendwie potentia“ enthalten ist, so muss man sich doch sagen, dass damit Dasjenige, worum allein es sich handelt, zugegeben ist, und dass das „Wie“ gar nieht mehr in Frage kommt. Dasselbe gilt natürlich auch von den gesetzmäßigen Korre- lationen, über welche ich das, was Roux in diesem Punkte zu ent- gegnen wäre, schon im Voraus erörtert habe'). Aber wir wollen uns hier gar nicht lange damit aufhalten, den Darwinismus auf die Richtigkeit seiner Einzelvoraussetzungen zu prüfen, wir wollen die Sache von eimem etwas allgemeinern Gesichtspunkt auffassen, wollen uns hierzu eine scheinbare Abschweifung erlauben und uns zunächst einmal die Frage vorlegen: was ist denn eigentlich ein Organismus? Was ist Leben ? Ueber unser Unvermögen, diese Frage zu beantworten, herrscht wohl allgemeine Einigkeit. Denn selbst unsre Physiologen, welche wissen wollen, dass das Leben ein physikalisch - chemischer Prozess ist, wissen dies nur, sozusagen, programmmäßig. Sie haben sich das Resultat ihrer Reehnung im voraus selbst gegeben und suchen nun nachträglich den Weg, auf dem die geforderte Lösung herauszubringen ist. Wie weit man aber noch von des Rätsels Lösung entfernt ist, zeigt der Umstand, dass es noch nicht einmal gelungen zu sein scheint, das Rätsel in klare Worte zu fassen, eine Definition des Lebens zu geben. Nun wäre zwar, könnte es scheinen, der Mangel einer richtigen Definition noch das kleinste Unglück. Was unter „Organismus“, unter „Leben“ verstanden wird, weiß ein Jeder. Man hat oft gestritten, ob ein Körper dem Tier- oder Pflanzenreich angehöre, aber ob ein Körper der belebten oder der unbelebten Natur beizuzählen sei, darüber tauchten — auch die Geschichte des Bozoon Canadense, selbst die des Bathybius Haeckeli ändert hieran nichts — noch keinerlei Meinungs- verschiedenheiten auf. Praktisches Bedürfnis ist die gesuchte Defini- tion nicht, aber wie dürfen wir hoffen, ein Rätsel zu lösen, das wir noch nicht einmal auszusprechen gelernt haben? Der Organismus hat mit anorganischen Gebilden Form und Stoff gemeinsam, d. h. er hat räumliche Ausdehnung, ist ein Körper wie sie und besteht aus denselben Substanzen, die wir auch in der anorga- nischen Natur finden. Jeder lebende Körper kann mit Leichtigkeit in einen toten verwandelt werden. Könnten wir einen toten Körper in einen lebenden verwandeln, so wüssten wir wahrscheinlich das Wesen des Lebens anzugeben; aber wenn wir einen lebenden Körper in einen 1) Biol. Centralblatt, Bd. X, S. 464 ff. 614 Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. toten verwandeln können, sollte es uns dann nicht möglich sein, die hierbei eintretenden Veränderungen zu bestimmen ? Die Gewebe eines Tieres gehen nach dessen Tode rasch Ver- änderungen ein, die hervorgerufen werden durch die Einflüsse der Außenwelt. Indem wir die Einflüsse der Außenwelt geeignet modifi- zieren, können wir die Veränderungen hintanhalten. Indem wir z. B. das Fleisch in kalte Umgebung bringen, können wir dasselbe vor den Einflüssen der Außenwelt schützen. Der organische Körper bedarf also nach seinem Tode eines’Schutzes, um nicht in Folge der Einflüsse der Außenwelt verändert zu werden. So lange sie lebte, bedurfte die organische Materie gegen diese nämlichen Einflüsse des Schutzes nicht, der Schutz lag in ihr, sie war diesen Einwirkungen angepasst. Nicht allenthalben zeigt sich nach dem Aufhören des Lebens eine solch auffallende Veränderung. Haare können lange unverändert auf- bewahrt werden. In den osteologischen Sammlungen finden wir die Kalkmassen, welche einstige Organismen stützten, in den Insekten- sammlungen die Chitinhüllen früherer Lebewesen. Aber auch diese Teile sind gegen die Einflüsse der Außenwelt lange nicht mehr so geschützt, als zu der Zeit, wo sie Bestandteile des lebendigen Organis- mus waren. Durch künstliche Mittel muss den Einflüssen der Außen- welt begegnet werden, und was schließlich erhalten bleibt, war schon toter Bestandteil des lebenden Körpers. So viel ist sicher, die organische Materie verliert mit dem Tode die Anpassung an die Außenwelt, in dieser Anpassung muss also etwas für das Leben Charakteristisches liegen. Und in der That, Dasjenige, was uns die Lebenserscheinungen als etwas Andersartiges, in der anorganischen Natur nicht Vorkommendes erscheinen lässt, ist ganz ausschließlich das Verhalten gegenüber der Außenwelt. Jeder Körper wird von seiner Umgebung beeinflusst, jeder setzt diesen Einflüssen einen bestimmten Widerstand entgegen; aber der leblose Körper setzt ihnen einen immer gleichen Widerstand entgegen, der Organismus dagegen kann diesen Widerstand den Einflüssen der Außenwelt entsprechend verändern, sei es dass er befähigt ist, den widrigen Einflüssen zu entfliehen, oder die eigene Form zu ändern, so dass dem Angriff besser widerstanden wird, oder denselben zu paraly- sieren, oder gar einen bereits erlittenen Schaden wieder auszubessern. Also auch die Erscheinungen der Wundheilung und der Regeneration verloren gegangener Teile, dieser Lebenserscheinungen zar’ &&oxn» sind nichts andres, als Anpassungserscheinungen. Bei jeder Veränderung, die der Organismus an sich vornimmt, z. B. um einem Angriff von Außen zu entgehen, oder um irgend eine Einwirkung der Umgebung zu seinem Nutzen zu verwenden, wird Be- wegung frei. Damit aber Kräfte frei werden, müssen Verbindungen Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. 615 zerfallen, d. h. Stoffe des Organismus verbraucht werden. Diese im Kampf mit der Außenwelt verlorenen Stoffe kann nun der Organismus durch Assimilation der in der Außenwelt vorgefundenen Stoffe regene- rieren. Da die Einwirkung der Außenwelt eine beständige ist, so ist der Verlust und damit der Ersatz von Stoffen ein beständiger, und es resultiert hieraus ein beständiger Stoffwechsel, der also nichts andres ist, als eine Anpassungserscheinung. Dass Sensibilität und Perzeptionsfähigkeit Anpassungen an die Außenwelt sind, braucht nicht hervorgehoben zu werden, überhaupt wird Jeder bei einigem Nachdenken leicht erkennen, dass alle Lebens- erscheinungen weiter gar nichts sind, als Anpassungserscheinungen, d. h. Erscheinungen jener ganz eigenartigen Wechselbeziehung zwischen Organismus und Außenwelt, die uns als organische Zweckmäßigkeit erscheint. Auch die Lebensthätigkeit der niedersten Orgauismen zeigt dieses Verhalten, ja, dieses Verhalten ist eben das Einzige, was die Lebenserscheinungen von den Erscheinungen in der anorganischen Natur unterscheidet. Die zweckmäßige Anpassung ist das, was den Organismus zum Organismus macht, was sich uns als das eigentliche Wesen des Lebendigen darstellt. Wir können uns keinen Organismus denken ohne dieses Charakteristikum!). Und nun kehren wir zurück, und fragen uns: was will denn eigent- lich der Darwinismus? Er will die Entstehung der organischen Zweck- mäßigkeit erklären. Das hieße doch, er will die Entstehung des Lebens erklären. Aber will er denn das? Nein, sondern er setzt ja das Leben voraus und bringt nachträglich in die Organismen- welt die Zweckmäßigkeit hinein. Er verlangt von uns, dass wir uns Organismen denken, welchen das Einzige fehlt, was wir als das Wesen des Organischen erkennen können. Der Darwinismus be- hauptet also, dass es Organismen gab, welchen die Eigenschaft der zweckmäßigen Anpassung fehlte und für diese Behauptung bringt er nicht den leisesten Versuch eines Beweises, einer Begründung, bringt ihn deshalb nicht, weil er gar nicht merkt, was er be- hauptet. Die Aufgabe, den Beweis für diese Behauptung zu er- bringen, d. h. diejenige Aufgabe, welche für den Darwinismus die allererste sein musste, ist ihm noch nicht einmal eingefallen, in An- griff zu nehmen. 1) Wer sich überzeugt hat, dass die Besonderheit organischer Körper, ihr eigentliches Charakteristikum in der zweckmäßigen Anpassung beruht, für den ist es eine völlig untergeordnete Frage, ob er dieser besondern Fähigkeit organischer Körper auch einen besondern Namen gibt. Er wird, wenn ihm dies bequem erscheint, durchaus kein Bedenken tragen, von einer vis adap- tiva zu sprechen, weil er damit nur einer thatsächlich vorhandenen Erschei- nung einen Namen gibt, und weil man ein Rätsel nicht dadurch aus der Welt schafft, dass man ängstlich vermeidet, es auszusprechen. 616 Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. Wir erkennen also, auf welchem Fundament das System des Darwinismus aufgebaut ist. Und wir erkennen, dass jede Erklärung, welche das Leben voraussetzt, jede postvitale Erklärung der orga- nischen Zweckmäßigkeit in jedem Falle voraussetzt, was sie erklären will, wir erkennen, dass die Erklärung der Zweckmäßigkeit mit der Erklärung des Lebens zusammenfallen muss. Eine postvitale Erklärung der Zweckmäßigkeit ist auch der Lamarckismus. Er kann also ebenfalls zur Lösung des hier in Frage stehenden Problemes nichts beitragen. Auch übersieht, was nur nebenbei bemerkt sein möge, der Lamareckismus vollständig, dass die Fähigkeit, durch Uebung zu gewinnen, eine äußerst zweckmäßige Einrichtung ist, die nicht zur Voraussetzung einer Erklärung der Zweckmäßigkeit gemacht werden darf. Der Lamarekismus hat mit dem Darwinismus gemeinsam, dass er ebenfalls versucht, seine Jünger zu überrumpeln und ihnen die bittre Arznei der organischen Zweckmäßigkeit in mög- lichst zahlreichen aber möglichst verdünnten Dosen einzugeben, in der Hoffnung, dass nichts davon gespürt wird, eine Ordinationsweise, die immer auf ein zahlreiches und dankbares Publikum rechnen darf. Auch in der Fassung, welche Roux in seiner interessanten Sehrift „Der Kampf der Teile im Organismus“ dem Lamarckismus durch dessen Verbindung mit dem Selektionsprinzip gegeben hat, konnte dieser Fehler, weil er eben ein konstitutioneller ist, nicht beseitigt werden, ganz abgesehen davon, dass es zahlreiche Einrichtungen gibt, für welche von diesem Prinzip eine Erklärung verlangt werden müsste, ohne dass dasselbe eine solche zu leisten im Stande sein könnte. In der Schichtung der Linse unsres Auges haben wir z. B. die ebenso wunderbare Lösung einer Minimum -Maximumaufgabe, wie in der An- ordnung der Knochenbälkchen, und doch kann hier selbstverständlich von einer Erklärung durch funktionelle Anpassung keine Rede sein. Und selbst wenn wir einmal für eine Erscheinung der „äußern“ oder der „innern“!) Zweckmäßigkeit eine mechanische Entwicklungs- weise nachgewiesen hätten, ja, sogar wenn Dasjenige, was der soge- nannten Entwicklungsmechanik als Ziel vorschwebt, vollständig er- reicht wäre, so dürften wir uns nicht verhehlen, dass damit für das eigentlich Biologische noch wenig gewonnen wäre. Selbst wenn wir 1) Die „innere“ Zweckmäßigkeit der „äußern“ gegenüberzustellen, ist prinzipiell unrichtig. Je höher der Organisınus differenziert ist, um so raffı- nierter kann er die Verhältnisse der Außenwelt zu seinem Nutzen ausbeuten, um so ausgedehntere Vorarbeiten hat er anzustellen, um so kunstvollere Ap- parate in Betrieb zu setzen. So liefert die „innere“ Zweckmäßigkeit nur Vor- arbeiten für äußere Leistungen, und ihr einziger Unterschied von der „äußern“ ist der, dass die Beziehungen zur Außenwelt nur indirekte sind. Das Gleiche gilt von der gegenseitigen Anpassung der Teile an einander und der hieraus resultierenden „innern* Zweckmäßigkeit. Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. 617 den ganzen Organismus, alle seine Funktionen, zu denen auch seine Entstehung gehört, mechanisch verstünden, so hätten wir damit vom eigentlich Biologischen noch nichts verstanden. Wenn uns, um beim frühern Beispiel zu bleiben, die Bewegungen sämtlicher Atome und alle Kräfte bekannt wären, welche zur Bildung des Kreuzschnabels führen, so dass wir die Entstehung des Schnabels mechanisch voll- ständig verstünden, so wäre uns das eigentlich Wesentliche noch eben so unverständlich als vorher. Denn das eigentliche biologische Rätsel ist ja die genaue Beziehung dieses ganz bestimmten Schnabels zu dem ganz bestimmten Nadelbaumzapfen, und über diesen Punkt können wir von der Kenntnis derjenigen Kräfte, die bei der Ontogenese in Wirkung treten, also von der Entwicklungsmechanik, selbst wenn sie auf dem Gipfel der Vollendung angelangt wäre, auch nicht die leiseste Auf- klärung erwarten. Es ist deshalb auch keineswegs selbstverständlich und darf nicht einfach ohne Begründung behauptet werden, dass von der Entwicklungsmechanik auch „ein Schimmer der Aufhellung auf die Ursachen der Phylogenese fallen* wird. Wenn wir z. B. über das Wesen der ontogenetischen Wiederholung phylogenetischer Prozesse etwas besser unterrichtet wären, wenn wir „die Kräfte, welche diese Wiederholung vollziehen“ kennen würden, so würde uns damit ja noch nichts über diejenigen Kräfte bekannt sein, welche diese Prozesse in der Phylogenese hervorriefen. Von der Kenntnis der ontogenetischen Kräfts einen Aufschluss über die phylogenetischen ohne Weiteres als selbstverständlich zu erwarten (sofern man nämlich sagen will, dass in diesem Punkt die Ontogenie sich anders verhalte wie jedes andre Kapitel der Physiologie) wäre falsch nicht nur nach der im Obigen vertretenen Auffassung, sondern sogar vom Standpunkt des Darwinisten. Denn dass in der Entwicklung des einzelnen Individuums eine Ziel- strebigkeit, ein Hinarbeiten auf ein bestimmtes Resultat ganz unver- kennbar ist, kann auch der Darwinist nicht leugnen. Eine solche Zielstrebigkeit soll aber in der Phylogenie fehlen. Die Zweckmäßig- keit in der Ontogenese muss zugegeben werden, die, wenigstens primäre Zweckmäßigkeit in der Phylogenese wird bestritten. Letzteres ist nun zwar falsch, doch allerdings besteht in diesem Punkte ein gewaltiger Unterschied zwischen beiden Arten der Entwicklung. Denn während wir einerseits in der Ontogenese einen fertigen zweckmäßigen physio- logischen Vorgang beobachten, dessen Weg und Ziel gegeben ist, so ist andrerseits gerade das Erstaunliche an der phylogenetischen Ent- wicklung, dass hier das Ziel gesucht, der Weg gefunden werdeu muss. Die Zweckmäßigkeit der Ontogenese ist, wie die eines jeden physio- logischen Vorgangs eine fertige, durch Vererbung überlieferte, wir sehen hier nur den Ablauf eines von langer Hand zweckmäßig vor- bereiteten Prozesses, der schon vorgezeichnet ist in der Organisation des Keimes. Die Frage nach dem eigentlich Wesentlichen, nach der 618 Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. wirklichen Entstehung dieser Zweckmäßigkeit führt also zur Frage nach der Entstehung des Keimes und damit zur Phylogenese, während die Entwicklung aus dem Keime nur (wenn auch erklärende) Be- schreibung des Vorgangs ergeben kann, ebenso wie die genaueste Physiologie der Niere nur eine Beschreibung zweckmäßiger Vorgänge ist, in deren noch so genauer Darlegung eine Auskunft über das Zu- standekommen dieser Vorgänge nicht gelegen sein kann. Wir sehen nur Ausgelöstes, dureh Vererbung Ueberliefertes. Das erstmalige Auf- treten einer Zwecekmäßigkeit sehen wir nicht, oder doch nur ausnahms- weise, unter abnormen Bedingungen und auch dann nicht anders wie auch auf andern physiologischen Gebieten. Dann handelt es sich aber eigentlich nicht um einen ontogenetischen, sondern eher um einen phylogenetischen Prozess. Alles, was in der Phylogenese neu auftrat, trat natürlich im Lauf des Lebens von Individuen auf. Solche erst- maligen Erscheinungen, welche wir heute noch beobachten und als unsre wertvollsten Wegweiser ansehen können, dürfen aber nur un- eigentlich zur Ontogenie gerechnet werden, denn sie sind gänzlich ver- schieden von den durch Vererbung bestimmten Entwieklungsvorgängen, aus denen sich die eigentliche Ontogenese zusammensetzt. Die vor- erwähnten erstmals auftretenden Erscheinungen können natürlich in jedem Abschnitt des individuellen Lebens, (welches eigentlich in seiner Gesamtheit zur Ontogenese gehört), also auch in der Ontogenese im engern Sinn auftreten, doch der Zeitpunkt, in welchem sie erscheinen, verändert an und für sich nicht ihren Erklärungswert für die Phylo- genese. Noch mehr gilt dies für die durch Vererbung fixierten onto- genetischen Prozesse, von denen die in den Anfängen der Ontogenie auftretenden nur auf Grund einer Aeußerlichkeit, des formalen Momentes der Entstehung, in besonders nahe Beziehung zur Phylogenese gesetzt werden. Auch hier kommt der Zeitpunkt des individuellen Lebens in welchem sie auftreten, für die Beziehung zur Phylogenese nicht in Betracht, zu dieser verhält sich die Ontogenie (wenn man von den bei der Beschreibung der Vorgänge sich ergebenden Analogien absieht), nicht anders, wie die andern, später auftretenden physio- logischen Prozesse, und nicht mehr als diese kann sie prinzipiell zur Erklärung der Phylogenese beitragen. Es ist durchaus wichtig, sich diese Dinge klar zu machen, denn von den allgemeinen Gesichtspunkten hängt die Fragestellung spezieller Untersuchungen ab. Wir werden uns also nieht etwa überreden lassen, unsre Neugierde nach der ersten, d. h. phylogenetischen Entstehung von Zweckmäßigkeiten so lange noch zu zügeln, bis die Entwieklungs- mechanik genügende Vorarbeiten geliefert hat, sondern wir werden suchen, schon jetzt primäre Zweckmäßigkeiten, d. h. Akte, in denen sich zum ersten Male eine Zweckmäßigkeit zeigt, aufzufinden. Zu Wolff, Darwinismus und Beitrag zur Physiologie der Entwicklung. 619 diesem Zweck ist es vor Allem nötig, die Vererbung, welche die Ontogenie beherrscht, bei den Versuchen auszuschalten. Schon seit einer Reihe von Jahren bin ich damit beschäftigt, von diesen Gesichtspunkten ausgehend, Experimente anzustellen, und es sei mir gestattet, die hauptsächlichsten Resultate einer diesbezüglichen Untersuchung hier vorläufig mitzuteilen, deren ausführliche Veröffent- liehung baldigst erfolgen wird. Um einen biologischen Vorgang zu finden, in welchem eine Zweck- mäßigkeit primär, d. h. nicht als ererbte auftritt, versuchte ich, dem Amphibien- Auge die Linse herauszunehmen, um zu sehen, wie das Tier darauf reagiere. Es war von vornherein sehr wahrscheinlich, dass der Wassersalamander, dieser klassische Repräsentant des Re- generationsvermögens unter den Wirbeltieren, den Verlust der Linse in irgend einer zweekmäßigen Weise kompensieren werde, so dass mit ziemlicher Sicherheit aus diesem Versuch für unsere Frage etwas zu hoffen war, ganz besonders im Hinblick auf die etwaige Möglichkeit völliger Regeneration der Linse. Denn wenn diese erfolgte, so konnte sie ja unmöglich nach dem ererbten Typus der ontogenetischen Ent- stehung erfolgen, sondern der Organismus musste völlig neue Wege finden, um dieses Gebilde wieder herzustellen, welches, losgelöst von seinem Mutterboden, als ein Fremdling in fremde Umgebung gewandert und mit dieser nur in ganz lockere, äußerliche Verbindung getreten war. Der Versuch zeigte, dass die der Larve und der erwachsenen Form von Triton taeniatus entnommene!) Linse nach einigen Monaten vollständig regeneriert ist. Nach Feststellung dieses Thatbestandes war zu ermitteln, auf welchem Wege die Regeneration erfolgt. Als das Wahrscheinliehste konnte vielleicht zunächst erachtet werden die hegeneration aus dem Corneaepithel, weil dieser Weg der ontogene- tischen Entstehung am nächsten käme. Bedachte man jedoch, dass in diesem Falle die Epithelzellen die ganze mesodermale Schicht der Cornea, die vordere Kammer und die Pupillaröffnung zu durchwandern hätten, so konnte diesem Entstehungsmodus wenig Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden; es war vielmehr zu vermuten, dass die Regene- ration erfolge aus Zellen des Augenbechers oder seines Inhalts. Aber was sind denn da noch für Zellen, an welehe man denken könnte? Etwa die Retinazellen? Diese waren von vornherein auszuschließen: so hochdifferenzierte Zellen können sieh nieht mehr zum einfachen Epithel zurückbilden. Oder etwa mesodermale Zellen? Dass Binde- gewebszellen, welche ja ursprünglich selbst Epithelzellen waren, sich wieder zum epithelialen Verbande ordnen, ist ja in der Embryo- logie nichts Unerhörtes. Aber doch war die mesodermale Regene- ration eines ektodermalen Gebildes kaum zu erwarten. Doch was 1) Medianer Schnitt durch die Cornea, Entbindung durch vorsichtigen Druck auf den Bulbus. 620 Przesmycki, Zellkörnchen bei den Protozoen. konnte denn sonst noch in Betracht kommen? Etwa das Epithel der Iris? Sollten Zellen, welche den Beruf haben und bereits ausüben, möglichst undurcehsichtig zu sein, diesen Beruf auch einmal, wenn es gerade zweckmäßig ist, vertauschen können mit dem denkbar entgegengesetztesten Berufe, möglichst durehsichtig zu sein? Jedenfalls haben wir hier ein ektodermales Epithel, welches den Epitheleharakter des ursprünglichen Hornblattes, aus welchem ontogenetisch die Linse entsteht, noch am reinsten bewahrt hat. Die einzige Differenzierung desselben ist die dichte Pigmentanhäufung in den Zellen. Aber die Wegschaffung von Pigment ist für den Organis- mus bekanntlich eine Kleinigkeit. Die Linse aus diesem Epithel zu regenerieren, musste für den Organismus unter allen vorhandenen der einfachste Weg sein. Und diesen einfachsten Weg wählt der Organismus. Das innere epitheliale Blatt der Iris verliert sein Pigment, welches von massenhaft herbeieilenden Leukocyten fortge- tragen wird, am Pupillarrande wuchert das Epithel, aus diesen Wucherungen entsteht am obern Rand der Pupille ein Linsensäckchen, und aus diesem Linsensäckchen bildet sich — nunmehr nach vererbtem Typus — die vollständig normale Tritonenlinse. Abnorm ist zuweilen bei Triton nur die Lagerung der Linse, welche in Ausnahmsfällen in die vordere Kammer hineinwächst, eine abnorme Beschaffenheit der Linse selbst habe ich dagegen bei Urodelen nie beobachtet, wohl aber bei Anuren, wo die Tendenz zur Faltenbildung, welche die Iris hier zeigt (Ciliarfalten), bei der neugebildeten Linse ebenfalls zur Geltung kommen kann, dergestalt, dass eine Linse resultiert mit zottenartigen Auswüchsen, die zwar ebenfalls die Linsenstruktur zeigen, die aber selbstverständlich den optischen Wert der Linse vollständig vernichten müssen. Nietleben bei Halle a. S., Juli 1894. Ueber die Zellkörnchen bei den Protozoen. Von Marian Przesmycki in Warschau. (Vorläufige Notiz). (Aus dem zootomischen Laboratorium der k. Universität Warschau.) Wem von den gelehrten Naturforschern ist nicht die Altmann ’sche Granulatheorie bekannt?! Der Tendenz Granula als wichtige morphologische Einheiten der lebenden Materie zu betrachten, begegnet man in allen Alt- mann’schen Arbeiten. In diesem Sinne spricht er seine Anschauung schon im Jahre 1886!) aus, sich auf seine ersten Forschungen über 1) 1886: Studien über die Zelle. Przesmycki, Zellkörmnchen bei den Protozoen. 621 Aw Chlorophyll- und Pigmentkörner, die Zellen des Darmepitheliums, Leber- und Nervenzellen, Muskel- und Nervenfasern stützend. Dieselbe Anschauung spricht Altmann ausdrücklicher in seiner späteren Arbeit vom Jahre 1890!) aus, indem er sich auf seine neuen Untersuchungen über die Leber von Rana esculenta und Sekretions- erscheinungen in den Drüsen stützt. Seinen Beobachtungen nach meint Altmann das Recht zu haben, „das Protoplasma als eine Kolonie von Bioblasten zu defi- nieren, deren einzelne Elemente, sei es nach Art der Zoo- gloea, sei es nach Art der Gliederfäden gruppiert und durch eine indifferente Substanz verbunden sind“, dem- gemäß „bildet der Bioblast“, nach ihm, „jene gesuchte morpho- logische Einheit der organisierten Materie, von welcher alle biologischen Erwägungen in letzter Instanz auszu- sehen haben“. Dieselbe Anschauung und mit denselben Worten wiederholt Alt- mann in der letzten Ausgabe (1894) seiner Arbeit — „die Elementar- organismen und ihre Beziehungen zu den Zellen“ —, indem er sie mit den neuesten Resultaten seiner Forschungen und Beobach- tungen bekräftigt, welche die granuläre Zusammensetzung des inter- sranulären Netzes und des Kernes?), sowie das Verhältnis zwischen den Bildern seiner Teilung und denen der Ruhe?) zeigen sollen. Dass die Zelle kein letzter Elementarorganismus sei, fanden schon Viele vor Altmann. Welcher Art die Anschauungen jener Gelehrten sind und inwiefern sie mit denen Altmann’s übereinstimmen, wird bald in meiner vollständigen Arbeit genauer in Betracht genommen werden. Hier soll nur angedeutet werden, dass Altmann jedenfalls der her- vorragendste und wohlverdiente Vertreter der molekulären Richtung in der Zellenlehre ist. Die Altmann’sche Granulatheorie hat Anlass gegeben zur Bildung einer recht reichen Litteratur. Wie überall, so haben sich auch hier zwei Lager gebildet: das eine — der Parteigänger, das andere — der Gegner. Von den ersteren werden verhältnismäßig wenige gezählt: die Gebrüder Zoja®), S. Lukianow, Jul. Stein- haus und J. Raum. Gegen die Altmann’sche Hypothese haben sich ausgesprochen vor anderen: P. Mitrophanow in den Jahren 1889 und 1893, sich 1) 1890: Die Elementarorganismen und ihre Beziehungen zu den Zellen. 2) 1892: Ein Beitrag zur Granulalehre. Verhandl. der anatom. Gesellsch. in Wien. 3) 1893: Ueber Kernstruktur und Kerntechnik. Verhandlungen der anat. Gesellschaft in Göttingen. 4) Luigi e Rafaello Zoja, Interno ai plastibuli fuchsinofili (Bioblasti dell’ Altmann). 693 Przesmycki, Zellkörnehen bei den Protozoen. auf seine Forschungen über die Elemente von verschiedenen Gewebe- zellen der verschiedenen Tiere, und nachher über Bakterien, stützend, indem er sich der Methode der Methylenblaufärbung während des Lebens bediente‘); dann Flemming?), Roux, Bütschli?), Ehr- lich, OÖ. Hertwig*), Rosenstadt?). Der kleine Rahmen der vorläufigen Notiz nötigt mich wiederum die Betrachtung des Inhalts der Kritiken dieser Autoren, sowie Alt- mann’s Antworten auf dieselben vorläufig bei Seite zu legen®). Was meine selbständigen Untersuchungen betrifft, so werden hier ebenfalls nur die Hauptsachen angezeigt. Die Aufgabe meiner Arbeit bestand in der Ausführung einer Reihe von Forschungen über gewisse Formen der Infusorien, mit Hilfe der Methode der Methylenblaufärbung während des Lebens, und einer vergleichenden Zusammenstellung der damit erhaltenen Resultate mit denen, welche ich durch das Anwenden der Altmann’schen Methoden erhalten hatte, und denjenigen, welche Altmann selbst bis jetzt dar- gestellt hat. Als Untersuchungsmaterial dienten mir Infusorien der Gruppe Ciliata. Nach Bütschli’s System”) ordnen sich dieselben folgender- maßen an: Subordo: Aspirotricha | Colpidium colpoda. Fam. Ohrlifera Colpidium nasutum. Fam. Paramaecina | Paramaecium aurelia. i zB Opalina ranarum. Ordo Fam. Opalinia 6 rel 5 Opalina dimidiata. Triehostomata. Subordo: Spirotricha, Seetio: Heterotricha. Fam. Plagiotomina | Spirostomum ambiguum. Fam. Stentorina | Stentor coeruleus. 1) P. Mitrophanow: a) Protokolle der Sitzung der biologischen Ab- teilung der Warschauer Gesellschaft der Naturforscher, 1889; b) Ueber die Bestandteile der Bakterien (Arbeiten aus dem zootom. Laboratorium an der Universität Warschau, Nr. VI); e) Ueber Zellgranulationen. Biol. Centralblatt, Bd. IX; d) Etude sur organisation des Bacteries. Internationale Monatschrift für Anatomie und Physiologie, Bd.X, Heft 11. 2) W. Flemming, Zelle. (Fr. Merkel und R. Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, I, 1892.) 3) Dr. O0. Bütschli, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma. Leipzig 1892. 4) Dr. Oscar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. Jena, 1892. 5) B. Rosenstadt, Zellgranula, Keratohyalingranula und Pigmentgranula. Internationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie, 1893, Bd.X. 6) Eine ausführliche Auseinandersetzung der Altmann’schen Anschau- ungen und die Litteratur der Granulafrage finden wir in dem Aufsatz von J. Aug. Hammar, Altmann’s Granulatheorie. Archiv f. Anat. u. Phys,., 1894, Anat. Abt., Heft I u. II. 7) Dr. H. G. Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tier-Reichs, I. Band, Dr. O0. Bütschli, Protozoa. Przesmycki, Zellkörnchen bei den Protozoen. 623 Alle diese Formen, mit Ausnahme der Opalina, bekam ich aus Aquarien von doppelter Art: 1) aus Aquarien mit Heu, Moos, Aehren und frischem Wasser aus der Wasserleitung und 2) aus Aquarien mit Baumblättern und Schlamm aus einem faulenden Brunnen in einem vorstädtischen Garten („Promenada“) und aus einer faulenden Pfütze im Garten der Universität. Paramaeeium aurelia und Colpidium fanden sich in der größten Zahl und im reinsten Zustande in den Aquarien mit Heu oder Moos; in den Aquarien der zweiten Art aber waren dieselben Formen in viel kleinerer Zahl vorhanden und ihre Existenz war auch eine viel kürzere als in den Aquarien der ersten Art. Stentor coeruleus und Spirostomum ambiguum bekam ich dagegen ausschließlich aus den Aquarien der zweiten Art. Opalina endlich, wurde aus dem Reetum der Frösche gewonnen. Für meine Untersuchungen brauchte ich zweifache Methoden: 1) die Methode der Methylenblaufärbung während des Lebens und 2) zwei spezifische Methoden Altmann’s, welche man nach einer vorangehenden Fixierung mit verschiedenen tötenden Mischungen an- wendete. Die erste Methode wendete ich ungefähr in derselben Art an, m welcher sie P. Mitrophanow im Jahre 1889 für seine Untersuchungen über Gewebe und nachher — im Jahre 1893 — über Bakterien an- wendete. In eine Portion des die Infusionstierchen enthaltenden Was- sers, welches man aus einem beliebigen Aquarium genommen hatte, wurde eine entsprechend verdünnte Lösung von Methylenblau einge- tröpfelt. Dabei habe ich mir immer Mühe gegeben, das Infusorien enthaltende Wasser und die Farbenlösung in verhältnismäßig bestimmten Quantitäten zunehmen. Das von dort genommene Objekt wurde an dem- selben, oder am folgenden Tage, oder noch später, dem Prozess der Beobachtung gemäß, mit gesättigter Sublimat-Lösung in physiologi- scher Kochsalzlösung fixiert und in Glyzerin aufbewahrt. Um Schnitte von den mit Methylenblau während des Lebens gefärbten Infusorien zu bekommen, wurden die letzteren ins Paraffın nach der Parker’- schen Methode!) eingebettet. Was die Altmann’schen Methoden betrifft, so wurden von mir die zwei ersteren angewendet: 1) Fixierung mit der Mischung Altmann’s, Färbung mit Säurefuchsin; 2) Fixierung mit 2prozentiger Ösmiumsäure, Nachbehandlung mit Goldehlorid und Färbung mit Cyanin. Diese beiden Methoden wurden selbst- verständlich, dem Objekte gemäß, von mir modifiziert. Die Schnittdieke betrug immer !/,,, mm. 4) G. H. Parker, Zoologischer Anzeiger, Nr. 403, 1892. 624 Przesmycki, Zellkörnchen bei den Protozoen. Jetzt will ich die faktischen Resultate meiner Untersuchungen und Beobachtungen in kürzester Weise darstellen und sie zugleich mit denen Altmann’s vergleichen. Vor allem will ich die Thatsache notieren, dass die Anwesen- heit der Zellgranulationen in allen von mir erforschten Formen derInfusorien mitHilfe der von mir angewendeten Methoden nachgewiesen werden kann. Dem Charakter der sich färbenden Körnchen nach, können die- selben in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden: 1) in Körnchen, welche sich in Vakuolen sehen lassen, und 2) diejenigen, welche in dem Ento- plasma auftreten. Die vakuolären Körnchen treten deutlicher auf und fallen eher ins Auge als die der zweiten Gruppe angehörenden Körnchen. Die Körnchen der ersten Gruppe können sowohl mit der Methode der Methylenblaufärbung während des Lebens, wie auch mit den beiden Altmann’schen Methoden hervorgerufen werden. Der Unterschied liegt nur darin, dass man im ersten Falle ein klareres, volleres und mehr verschiedenartiges Bild, als in dem zweiten, erhält. Bei Methylenblaufärbung treten die Körnchen in den Vakuolen, entweder in Form großer, runder (oder mit etwas unregelmäßigen Kon- turen) Granulationen, welche aufeinander liegen und in dunkler Farbe gefärbt sind (Paramaecium aurelia, Colpidium nasutum), oder in Form sehr kleiner, verschiedenartiger Körnchen, welche entweder an der Bil- dung der kompakten Vakuolen Teil nehmen, oder im Innern der Vakuole in größerer oder kleinerer Masse, auf einem helleren Hintergrunde zer- streut sind. Was die Form dieser Körnchen betrifft, so stellt sich dieselbe größtenteils als regelmäßig rund vor; es gibt auch ovale Formen, und zuweilen erinnern diese letzteren an eine Form der Flagellata Chilomonas, zuweilen an abgesonderte Gliederchen der stäbehenförmigen Bakterien (Paramaecium aurelia, Colpidium colpoda). Ich halte es für möglich das Vorkommen dieser letzteren Formen durch eine wirkliche Anwesenheit von Bakterien oder sehr kleiner Infusorien in den Vakuolen erklären zu können, welche die größeren Formen der Infusorien bei der Aufnahme von Nahrung verschlucken könnten. Ieh gebe jedoch dieser Erklärung nicht die Bedeutung einer dem Zweifel nieht unterliegenden Thatsache. Schon Ehrenberg!) spricht von der Fähigkeit der Infusorien die kleineren Formen herunterzuschlucken. Ich selbst hatte einmal Gelegenheit in der Vakuole einer lebenden Bursaria truncatella einige Formen Chilomonas zu beobachten, welche während meiner Beobachtung sich noch ganz wohlergehend bewegten. Auf den Bildern, welche man bei Anwendung der Altmann’schen Methoden bekommt, werden zwei Hauptarten der Färbung beobachtet. 4) "Dr. Christian Gottfried Ehrenb erg, Die Infusionstierchen als vollkommene Organismen. Leipzig 1838. Przesmycki, Zellkörneken bei den Protozoen. 695 Einmal stellen sich die Vakuolen als regelmäßige, im Ganzen in dunklen Farben diffus gefärbte, undurehsichtige Kügelchen vor, von denen man nur mit Hilfe des Immersionssystemes ein Bildnis von sehr kleinen Granulationen entziffern kann (Colpidium colpoda, Paramaecium aurelia) ; in andren Fällen stellen sie sich als ungefärbte, hohle, mit mehr oder minder regelmäßig runden Konturen umgrenzte Räume dar, in welchen es gelingt, einen gewissen, zuweilen in helle Farben gefärbten Inhalt und darin noch sehr kleine in dunklere Farben gefärbte Körnehen zu beobachten (Paramaecium aurelia, Colpidium colpoda und nasutum). Die Größe dieser, sozusagen vakuolären Körnchen, ist im all- gemeinen geringer als die derjenigen, welche im Entoplasma liegen. Von dem vakuolären Charakter der Zellkörnehen finden wir bei Altmann keine Erwähnung. Ich halte es für möglich, anzunehmen, dass die Granulationen, welchein den so charakterisierten Vakuolen auftreten, die beste Bestätigung für jene An- schauung der Autoren sind, wonach „die Zellgranulationen sich als morphologischeZeichen der biologischen Prozesse vorstellen, welche innerhalb der Zelle ablaufen“: die Körncehen von vakuolärem Charakter treten als Stoff- wechselprodukte in den Infusorien hervor!). In die zweite Gruppe der Zellgranulationen gehören die kleinsten uud auch die größeren Körnchen, welche abgesondert in dem Ento- plasma zur Einlagerung kommen. Die Bilder, welche man bei Anwendung der ersten Altmann’schen Methode bekommt, entsprechen der morphologischen Seite nach völlig denen, welche Altmann darstellt: in dem Entoplasma einer und der- selben Form treten gleichzeitig die kleinsten, sich dunkler färbenden, und die größeren, sich heller färbenden Körnchen auf; die letz- teren stellen sich ja als Zusammenhäufungen kleinerer, zusammenge- flossener Körnchen vor; in demselben Falle treten die Zellgranulationen auch als Gruppen von kleineren Körnchen, welche noch nicht zusammen- geflossen sind, hervor. Was die Form der Granulationen dieser Gruppe betrifft, so stellt sich dieselbe fast immer, sowohl bei den größeren als auch bei den kleinsten, regelmäßig rund, seltener aber oval vor. Endlich treten die Zellgranulationen als Stäbchen auf, welche nicht ganz gerade und deren äußere Spitzen abgerundet sind. Gestützt auf genaue Beobachtungen, halte ich für unzweifelhaft, dass die genannten Stäbchen nicht homogen sind, sondern wieder aus runden Körnchen bestehen. Ganz denselben Bau zeigen auch Trichoeysten. 4) In dem gleichen Sinne ist auch die Notiz von Prof. A. Fischer, Zur Kritik der Fixierungsmethoden und der Granula (Anat. Anz., IX. Bd., Nr. 22) bemerkenswert. XIV. 40 526 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. Etwas andere Resultate bekommt man bei Anwendung der Methode der Methylenblaufärbung während des Lebens. Die Körnchen, welche sich in diesem Falle in dem Entoplasma eingelagert finden, entsprechen nur teilweise den Altmann’schen Granulis. Die größte Aehnlich- keit glaube ich zwischen den kleinsten Körnchen, welche im ersten und denen, welche im zweiten Falle auftreten, beobachten zu können: in beiden Fällen haben dieselben eine hauptsächlich runde Form; sie stellen sich auf gleiche Weise in dunklen Farben gefärbt und mehr oder minder gleich, der Größe nach, dar. Die größeren Körnchen aber, welche sich mit Hilfe des Methylenblau färben, machen nicht den Ein- druck von Zusammenhäufungen, was man in den mit Säurefuchsin färbenden Körncehen beobachten kann. Oft erinnern die ersteren sogar an gewöhnliche Abscheidungsprodukte. Die Resultate, welche ich bei Anwendung der zweiten Methode Altmann’s bekommen habe, nähern sich mehr denjenigen, welche Methylenblaufärbung verursachte. Mich auf die Uebersicht der zweiten Körnchengruppe stützend, halte ich es für möglich eine Schlussfolgerung zu machen, welche für die Alt- mann’sche Hypothese spricht, nämlich dass die Zellkörnchen, welche den Altmann’schen Granulis entsprechen, in allen von mir erforsehten Formen der Infusorien auftreten. Bis jetzt aber ist es mir nicht gelungen, Erscheinungen zu be- obachten, welche auf irgend eine Weise für die Anwesenheit einer Lebensthätigkeit in den Granulis sprechen oder ihre Fortpflanzung nachweisen könnten. Gestützt auf alles vorher Gesagte, erlaube ich mir folgende An- schauung, hinsichtlich der Altmann’schen Hypothese, zu bilden; ich glaube annehmen zu müssen, dass man die Anwesenheit von Körnehen, welche den Altmann’schen Granulis entspre- chen, in den Zellen als ein keinem Zweifel unterliegen- des Faktum ansehen kann, dass es jedoch bis jetzt zu wenig Thatsachen gibt, um den Granulis die Bedeutung von elementaren Bestandteilen der Zelle zusprechen zu können; ferner finde ich keinen Grund dafür, das Proto- plasma mit einer „Art der Zoogloea* vergleichen zu können. Die Formenphilosophie von Hans Driesch und das Wesen des Organismus. Von Wilhelm Haacke. Hans Driesch hat im vorigen Jahre eine kritische Studie über „Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft“ (Leipzig, W. Engel- Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch, 627 mann) veröffentlicht, die so viele Fragen, welche für die Naturwissen- schaft im allgemeinen und für die Biologie im besondern von der allergrößten prinzipiellen Wichtigkeit sind, behandelt, dass es als eine nicht abzuweisende Notwendigkeit erscheint, diese Studie eingehend zu analysieren und auf die Haltbarkeit der darin vorgetragenen höchst eigenartigen Anschauungen zu prüfen. Es ist nötig die einzelnen Paragraphen dieser Schrift der Reihe nach vorzunehmen, weil es sonst schwer werden würde, den Gedanken- gang von Driesch zu würdigen. Driesch beginnt mit folgendem von ihm in Anführungszeichen gesetzten Ausspruch, der charakteristisch für die heutige Biologie sein soll. „Das Leben“, lässt er die Vertreter dieser Wissenschaft be- haupten, „ist ein chemisch-physikalisches Problem verwickelter Natur, und es ist die Aufgabe der biologischen Wissenschaft, die im Gebiet des Lebenden sich äußernden Wirkungsweisen auf die Kräfte der anorganischen Natur zurückzuführen.“ Die Begründung dieses Satzes will Driesch prüfen; aber der Satz zeigt, dass Driesch von einer nicht ganz richtigen Auffassung ausgeht. Es lässt sich ja nicht leug- nen, dass Aussprüche wie der, den Driesch in Anführungszeichen gesetzt hat, oft genug gethan worden sind; es muss aber gleichzeitig auch betont werden, dass, wenn auch viele, vielleicht die meisten, Biologen einen solchen Satz als ihrer Anschauung entsprechend be- zeichnen würden, es dennoch einige, vielleicht wenige, gibt, die ihre Ansichten über die Probleme der Biologie in anderer Weise ausdrücken würden. Es kann sich nicht darum handeln, das „Leben“ als ein Problem zu betrachten, denn Leben ist nichts weiter als Bewegung. Werfen wir ein Stück Kreide in Schwefelsäurelösung, so sehen wir, dass sofort Leben, d. h. Bewegung, entsteht, während die Kreide vorher tot war. Absolutes Gleichgewicht bedeutet absoluten Tod, wo aber Bewegung ist, da ist Leben, einerlei ob es sich um Organismen oder um nicht organisierte Körper handelt. Eine Raupe, die durch die Einwirkung starker Kälte starr und spröde wie Eis geworden ist, ist zweifellos tot. Aber ihre Organisation braucht darum nicht gestört zu sein. Lässt man sie langsam auftauen, so kehrt sie wieder zum Leben zurück, d. h. die Thätigkeit, die Bewegung ihrer Organe be- sinnt von neuem, und der Umstand, dass diese Raupe zeitweilig tot war, hindert sie nicht daran, sich zu einem Schmetterlinge zu ent- wickeln, weil sie sowohl im lebenden als auch im toten Zustand ein Organismus ist. Vernichten wir aber diesen Organismus auf irgend eine Art, etwa indem wir der Raupe den Kopf abschneiden, so wird der Körper nicht starr und unbeweglich, sondern er beginnt sich zu zersetzen; es tritt an Stelle der vorher in ihm herrschenden organi- 40* 628 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. schen Bewegung unorganische Bewegung!). In dem einen sowohl, als auch in dem anderen Falle haben wir es aber mit Bewegung, d.h. mit Leben zu thun, das eine Mal mit organischem, das andre Mal mit unorganischem Leben. Die Biologie hat es also nicht mit dem Problem des „Lebens“ zu thun, sondern mit dem der Organisation. Besser als die Be- zeichnung Biologie, d. h. Wissenschaft vom „Leben“, wäre deshalb der Ausdruck Organologie, den wir aber gewöhnlich in einem an- deren Sinne gebrauchen. Mit dem Leben, d. h. mit der Bewegung, hat es die Dynamik zu thun, die Wissenschaft von der Bewegung im weitesten Sinne, die einen Teil der Mechanik bildet und der Gleichgewichtslehre, der Statik, gegenübersteht, die den zweiten Hauptteil der Mechanik ausmacht. Die Mechanik im weitesten Sinn ist aber die Wissenschaft vom Gleichgewicht und von der Bewegung sowohl in der organischen als auch in der unorganischen Natur, und die Wissenschaft von den Organismen kann keine andere sein als die von den Gleichgewichts- und Bewegungszuständen, die wir an den Organismen wahrnehmen; sie ist deshalb eine mechanistische Disziplin. Dieses und nichts anderes behaupten, im Grunde genommen, die „mo- dernen“ Biologen, und dass die Biologie die Hilfe der Physik und der Chemie bei der Lösung ihrer Aufgaben in Anspruch nimmt, ist nur natürlich, auch wenn sie nicht als auf die Tiere und Pflanzen ange- wandte Physik und Chemie bezeichnet werden kann, sondern, gleich den physikalischen Disziplinen, gleich Hydrodynamik und Akustik und gleich der Chemie angewandte oder spezielle Mechanik ist: Lehre vom Gleichgewicht und von der Bewegung in der organischen Natur. Die Warnung Driesch’s „vor der festen Ueberzeugung, es müsse unter allen Umständen ‚das Leben‘ ein physikalisches und chemisches Problem sein, d. h. sich in das, was man Physik und Chemie nennt, auflösen lassen“, ist also überflüssig, und wir können nicht „vielleicht“, wie Driesch meint, sondern wir müssen dem oben zitierten „zeit- gemäßen“ Meinungsausdruck die Bedeutung unterlegen, „er halte das Leben“, d. h. die Organisation, „für ein mechanisches oder besser mechanistisches Problem“. Die Chemie hat es mit der Mechanik der Atome zu thun, die Hy- draulik mit der der Flüssigkeiten, die Optik mit der des Aethers, und die Biologie mit der des Plasmas, des organischen Bildungstoffes. Um Mechanik handelt es sich aber in allen diesen Wissenschaften: alle kommen schließlich auf die Mechanik der Uratome hinaus. Wenn wir also mit Driesch die Begründung von irgend etwas prüfen wollen, so kann es sich nur um die Begründung der Lehre, dass die Biologie eine „mechanistische“ Wissenschaft sei, handeln. NS 1) Ich sehe hier natürlich davon ab, dass an dieser unorganischen Be- wegung Mikroorganismen einen wesentlichen Anteil haben.. Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 629 Bei der Prüfung, die Driesch anstellt, müssen wir uns, sagt er, naturgemäß zuerst mit der Frage beschäftigen, „ob denn ‚das Leben‘ für uns ein einheitliches Problem, oder ob es nicht vielmehr eine Summe verschiedener, wennschon in gegenseitiger Beziehung stehender Pro- bleme sei. Mit Leiehtigkeit“, fährt Driesch fort, „werden wir konsta- tieren, dass letzteres der Fall ist; dann aber ist gleich bei Beginn der Untersuchung jener oft gehörte Ausspruch zum mindesten als nieht präzis, ja, wir können geradezu sagen, als oberflächlich erkannt.“ In verständliehere Ausdrucksweise übersetzt, lautet die Frage Driesch's: Ist der Organismus aus einem einzigen Prinzipe heraus zu erklären ? Und Driesch glaubt mit Leichtigkeit nachweisen zu können, dass diese Frage zu verneinen ist. Zunächst prüft Driesch, was man Alles bezüglich emes ge- gebenen Tier- oder Pflanzenkörpers fragen könne, wodurch wir, wie Driesch ganz richtig sagt, „offenbar die Zahl der möglichen bio- logischen Probleme“ erhalten. Aber leider stellt Drieseh etliche Fragen, die notwendiger Weise aufgeworfen werden müssen, nicht; er behandelt die sie betreffenden Gebiete der Zoologie und Botanik als „biologische Nebendisziplinen“ und rechnet zu diesen die Lehren von der geographischen und geologischen Verbreitung der Formen, die ihn „nieht interessieren“, und denen er die Disziplinen der „reinen Bio- logie“ gegenüberstellt. Driesch reißt also den Organismus aus seiner Umgebung heraus und begeht damit den schlimmsten Fehler, den ein Biologe der Gegenwart machen kann. Wer Tiere und Pflanzen wirk- lich kennt, wer sie in ihrer natürlichen Umgebung aufgesucht hat, der weiß, dass sich die Probleme der Biologie nur dann lösen lassen, wenn man den Organismus als einen integrierenden Teil des Gebietes, das er bewohnt, betrachtet; denn das letztere wird gewissermaßen verstümmelt, sobald man sich eine es bewohnende Tier- oder Pflan- zenart aus ihm fortdenkt. In der That stellt jedes in sich abge- schlossene Wohngebiet, sei es ein großer Wald, eine Austernbank, ein Korallenriff oder ein Weiher, emen Gleichgewichtszustand dar. Reißt man aus diesem eine Organismenart heraus, so wird das Gleichgewicht gestört; es tritt zwar nach einiger Zeit ein neuer, aber auch ein anders gearteter Gleichgewichtszustand ein, Beweises genug, dass die betreffende Tier- oder Pflanzenart eine ganz be- stimmte Rolle in jenem Gleichgewichtszustande spielte, eine Rolle, der sie gewachsen sein muss, die also ihre Organisation verständlich machen hilft. Warum das Wasser in einem Flusse ganz bestimmte Strömungs- formen zeigt, wissen wir, sobald wir seine Menge und die Form des Flussbettes kennen, und warum dieser oder jener Organismus so und nieht anders geformt ist, lernen wir verstehen, sobald wir untersuchen, 630 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. welcher Lebensgemeinschaft er angehört. Dass demnach die geo- graphische und geologische Verbreitung der Organismen, die uns über die Rollen Aufschluss gibt, welche die Tier- und Pflanzenformen gegenwärtig spielen oder in früheren Zeiten innegehabt haben, uns nicht zu interessieren brauche, ist eine Anschauung, die wir nicht zu der unsrigen machen dürfen, nachdem wir erkannt haben, dass es sich auch hierbei, wie in der ganzen Natur, lediglich um Gleichge- wichts- und Bewegungszustände handelt. Da aber Driesch die Lehren von der geographischen und geologischen Verbreitung der Organismen nicht mit in seine kritische Studie hineinzieht, werden wir auch unsrerseits berechtigt sein, diese letztere selbst mit kri- tischem Blick zu betrachten. Die erste Aufgabe der „reinen“ Biologie ist nach Driesch die „Beschreibung“ des gesamten Entwicklungsganges jedes indivi- duellen Organismus. Auch wenn diese Disziplin sich über den „ziem- lich rohen“ Zustand, in welchem sie sich nach Driesch gegenwärtig befindet, erhebt, soll sie nichts weiter als Beschreibung bleiben. Da- gegen hat die „Entwicklungsmechanik“ die allgemeinen Prin- zipien zu erforschen, die „sich in der Entwicklung offenbaren; sie „geht über die Beschreibung hinaus zur Theoriebildung“, und ihr „wesentliches Hilfsmittel ist das Experiment“. Wir können die Unterscheidung einer Disziplin, die alles, was in der Organismenwelt im Einzelnen vorgeht, zum Gegenstande hat, von einer zweiten, die es lediglich mit den Gesetzen der or- ganischen Formenbildung zu thun hat, nur gutheißen; man darf aber diese beiden Disziplinen nicht in Gegensatz zu einander bringen. In dem einen Falle handelt es sich um spezielle, in dem andern um allgemeine Formenkunde. Aber auch die spezielle Formenkunde hat es nicht lediglich mit der „Beschreibung“ ihrer Objekte zu thun, sondern sie hat jede einzelne Formenerscheinung auf ihre Ursachen zurückzuführen; sie hat also die von der allgemeinen Morphologie aufgefundenen Gesetze auf den einzelnen Fall anzuwenden. Wenn man also von „beschreibender“* Formenkunde sprechen will, so muss man immer im Auge behalten, dass es sich dabei nieht nur um die bloße Darstellung der Erscheinungen, sondern auch um die Auf- findung der in dem betreffenden Falle wirksamen Ursachen handelt. Es ist also nicht richtig, dass uns, wie Driesch will, lediglich die Entwicklungsmechanik ein Problem darbietet, sondern es handelt sich in der speziellen Morphologie jedesmal um die Lösung eines speziellen Problems, ein Umstand, der Driesch entgangen ist. — Doch sehen wir weiter zu, welche biologischen Disziplinen Driesch sonst noch unterscheidet. „Als wichtigstes Problem von allen“, fährt Driesch in seiner Untersuchung fort, „dürfte wohl den meisten die Antwort auf die Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 631 Frage erscheinen, warum denn die vorliegende Form gerade so sei, wie sie ist, was die Ursache ihrer Existenz sei.“ Dieses Problem ist offenbar ein Problem der speziellen Morpho- logie; Driesch stellt es indessen nicht als solches hin. Wir werden sehen, dass Driesch im weiteren Verlauf seiner Studie den Nachweis zu führen sucht, dass dieses Problem überhaupt kein Problem sei, sondern dass die Frage, warum eine spezielle Form so und nicht anders beschaffen sei, nieht gelöst werden könne. — Doch gehen wir weiter! „Die Frage nach den Beziehungen der Formen zu einander, ihrer Aehnlichkeit und Verschiedenheit leitet uns“, sagt Driesch, „zum letzten Problem der Morphologie, welches wir kurz als Problem der Systematik im weitesten Sinne, oder auch als das der speziellen oder vergleichenden Morphologie bezeichnen wollen im Gegensatz zur Entwicklungsmechanik oder allgemeinen Morphologie.“ Dieser Satz zeigt, dass Driesch eine sonst nicht übliche Auf- fassung über das Verhältnis der speziellen zur allgemeinen Morpho- logie hat. Das „Problem der Systematik“, um mit Driesch zu reden, berührt zwar insofern die spezielle Morphologie, als die letztere eine Systematik der Formen zur Voraussetzung hat, aber „die Ver- schiedenheiten, ihr Wesen und ihre eventuelle Gesetzmäßigkeit“ sind nicht, wie Driesch will, das eigentliche Objekt der speziellen Morpho- logie, sondern das Wesen und die Gesetzmäßigkeit der Formen- verschiedenheiten ist ganz zweifellos von der allgemeinen Morpho- logie, die ja eben Wesen und Gesetze der Formenbildung zum Gegenstande hat, zu erforschen. Die spezielle Morphologie hat ledig- lich bald diese, bald jene Tier- oder Pflanzenform als Vorwurf, und sie hat selbstverständlich nicht bloß eine Beschreibung von der be- treffenden Form zu geben, sondern auch die Ursachen, denen diese ihre Entstehung verdankt, und ihre Beziehungen zu anderen Formen zu erforschen. „Den Formproblemen der Biologie schließt sich“, nach Driesch, „endlich die Physiologie, die Lehre von den Funktionen, vom Kraft- und Stoffwechsel der Organe und Zellen an“ — ein Satz, au dem wir nichts auszusetzen haben. Driesch beginnt zunächst mit der Untersuchung der Probleme der Physiologie. „Soweit die ‚Funktion‘ ganzer Organe in Frage kommt, hat die Physiologie“ nach Driesch „häufig eine rein physikalische Lösung gegeben.“ Als Beispiel für derartige physikalische Lösungen führt er die Funktion des dioptrischen Apparates des Auges an, den er mit einer Camera obscura vergleicht. Anders verhielte es sich indessen bezüglich des Kraft- und Stoffwechsels der Zelle. Hier sei von einer 632 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. chemischen oder physikalischen Erklärung noch nicht die Rede, obwohl eine solche doch grade das Wesentliche sein müsse. Driesch fragt dann, woher dieser Misserfolg komme, ob er durch den heutigen un- vollständigen Zustand der Physiologie zu erklären, oder ob er tiefer begründet sei, ob wir die Kraft- und Stoffwechselvorgänge in der Zelle zur Zeit noch nicht physikalisch, beziehungsweise chemisch, verständen, oder ob das überhaupt nicht möglich sei. Um eine Entscheidung über diese Frage zu gewinnen, führt Driesch aus, dass ein Problem zwar mechanisch sein könne, ohne dass es physikalisch zu sein brauche, Er zieht zur Erläuterung dessen, was er meint, die Theorie des Wachstums von Wiesner heran, die das Wachstum der Organe dadurch erklärt, dass sie diese aus kleinen letzten Gebilden, den Plasomen, die ihrerseits wachsen, zusammen- gesetzt sein lässt, die also das Wachstum durch das Wachstum er- klärt. Um dem Gedankengange Driesch’s weiter folgen zu können, wollen wir hier davon absehen, dass eine solche Erklärung überhaupt keine Erklärung ist, sondern annehmen, dass die Wachstumstheorie von Wiesner uns in der That die Vorgänge verständlich mache. Die Theorie von Wiesner besitzt nach Driesch in dem wachsenden Plasom ihr eignes Grundelement, und deshalb darf sie nach Driesch keine physikalische Theorie genannt werden, denn damit würde gesagt sein, dass sie der Physik untergeordnet sei; sie sei ihr aber koor- diniert. Man könne die Grundannahme von Wiesner eine Kraft nennen und sie den übrigen Naturkräften zur Seite stellen; man brauche sich auch nicht zu scheuen, diese Kraft eine Lebenskraft zu nennen und die Wiesner’sche Theorie als eine vitalistische zu be- zeichnen. Der Vitalismus oder die Lebenskraftlehre könne sehr wohl unter den allgemeineren Begriff Mechanismus fallen; den Unterarten des letzteren, der Optik, Thermik, Hydromechanik u. s. w. würde dadurch eine fernere, die Vitalistik, hinzugefügt; man könnte von mechanistischem Vitalismus reden. Driesch sagt, dass er die Wiesner’sche Wachstumstheorie nur herangezogen habe, um die betreffenden Begriffe zu erläutern und um zu zeigen, dass „mechanistischer Vitalismus“ kein Unsinn sei. Er fragt nun, wie die Physiologie sich zu diesem Ergebnis stelle. Wirklich physikalisch oder chemisch hätten wir, sagt Driesch, Sekretion, Bewegungsauslösung und dergleichen noch nicht verstehen können; es handle sich also um die Frage, ob diese physiologischen Prozesse etwa auf vitalistischer Grundlage zu verstehen seien, näm- lieh auf Grund der Annahme einer Muskelkraft, einer Nervenkraft u. 8. w., die der Wärme, der Elektrizität und anderen Kräften bei- zugesellen wären. Driesch weist auf den verstorbenen Marburger Bo- taniker Albert Wigand hin, der diese Frage bejaht habe, der für die organischen Prozesse eine besondere Kraft aufstelle, um das phy- Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 6353 siologische Geschehen dadurch dem Verständnis zu erschließen. Den Ansichten Wigand’s und anderer Vitalisten ständen aber die von Bunge gegenüber, der die Giltigkeit des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft betone, aber trotzdem durch die Worte, dass in der Ak- tivität das Rätsel des Lebens stecke, gegen den Mechanismus Front mache. Die Giltigkeit des Satzes von der Erhaltung der Kraft nimmt sowohl Wigand als auch Bunge, wie überhaupt jeder Physiologe und ebenso auch Driesch an. Der Satz besagt in Bezug auf Or- ganismen nichts weiter als in Bezug auf eine Maschine. Die Kraft, die der Maschine zugeführt wird, gibt sie auch wieder her; das Gleiche silt für den Organismus. Driesch fragt nun, ob die Giltigkeit des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft uns dazu zwänge, eine mecha- nische Natur der physiologischen Probleme anzunehmen, auch wenn man die Physik um die Lebenskraftlehre, die Vitalistik, erweiterte. Zur Beantwortung dieser Frage erörtert Driesch den Begriff des in der Physiologie so oft gebrauchten Wortes „Reiz“. Die Beeinflussung des Organismus nennt man heizung und ihre Wirkung eine Reizer- scheinung. Diese kann nun etwas Explosionsartiges an sich haben, wie es etwa die Mimose oder Sinnpflanze, die auf geringe Berührung hin ihre Blätter herunterhängen lässt und zusammenfaltet, zeigt. Der explosionsartigen Wirkung des Reizes, die den Reiz als die Veran- lassung des Auftretens einer bedeutenden zur Stärke des Reizes selbst in keinem Verhältnis stehenden Menge von freier Energie erscheinen lässt, stehen andere Reizerscheinungen gegenüber, nämlich die, wo die als Wirkung des Reizes auftretende freie Energiemenge der zu- geführten Energiemenge gleich ist. In diesem Falle wirkt, wie Driesch ausführt, die zugeführte Energiemenge etwa wie bei der Dampfma- schine die Wärme; aber dass die in der Maschine frei werdende Energie grade in dieser oder jener Form auftritt, ist nach Driesch durch die Einrichtung der Maschine bedingt. „Die Energie kann zwar“, sagt Driesch, „das System quantitativ ungehindert passieren, aber der Effekt ist qualitativ in ganz bestimmter Weise modifiziert. Hier liegt das Wesentliche! Das Aequivalentbleiben der Energie ist für das Wesen des Systems resp. der Zelle offenbar etwas durchaus Nebensäch- liches, die qualitative Veränderung der Energie ist doch gerade die Hauptsache, und über den Grund dieser erfahren wir durch die Energie- messungen nichts. Werden doch auch Maschinen nicht durch das äquivalente Wiedererscheinen zugeführter Energiemengen gekenn- zeichnet; das ist ihnen allen ja gerade gemeinsam; das, was die spe- zifische Energieänderung der Qualität nach bedingt, das ist ihre Eigen- tümliehkeit.“ Die Wirkung einer Maschine liegt also nach Drieseh in ihrer Struktur oder Konstruktion begründet. Da nun zum Verständnis der 634 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. Wirkungen einer Maschine keine neue Naturkraft anzunehmen sei, so wäre es auch vor der Hand durchaus nicht nötig, die Erscheinungen der Physiologie durch eine solche zu erklären. Es könnte sich bei den physiologischen Erscheinungen lediglich um eine eigentümliche Kombination bekannter Wirkungsweisen handeln. Kombination sei aber ein morphologischer Begriff. Es wäre deshalb zunächst nötig, die morphologischen Probleme der Biologie zu erörtern, um auf diese Weise auch eine endgiltige Entscheidung über das Wesen der Physio- logie zu gewinnen. Um die Lösung des biologischen Formenproblems in Angriff zu nehmen, fragt Driesch zunächst, was das „Charakteristische der lebenden Form“ sei, und er erhofft von der Beantwortung dieser Frage auch eine Aufklärung über das Wesen des Formproblems über- haupt und über die Art seiner Begreiflichkeit. Zur Lösung der Frage nach dem Charakteristischen der lebenden Form knüpft Driesch wieder an das Wesen einer von Menschen er- bauten Maschine an. Er sagt, dass diese nieht durch die Aequivalenz der ihr zugeführten und der an ihr als Leistung erscheinenden Energie gekennzeichnet werde, dass uns der Aequivalenzsatz über das Wesen der Maschine durchaus nichts sage, sondern nur über das der an ihr erscheinenden Naturkräfte; die Maschine sei vielmehr einzig und allein durch die Art der Kombination ihrer Teile, und damit der Kräfte, und durch die qualitative Art des Umsatzes der letzteren gekennzeichnet. Es sei nun eine beliebte Sitte, den Organismus mit einer Maschine zu vergleichen. Dieser Sitte folgt auch Driesch, und zwar an der Hand der Ausführungen von Wigand. Der letztere sagt: „Wenn bei einer Uhr in demselben Augenblicke, wo der Zeiger auf 12 steht, die Glocke zwölf schlägt, obgleich die Bewegung des Zeigers keinerlei Einfluss auf die Zahl der Glockenschläge übt, so liegt der Grund dieser Erscheinung zwar einerseits in dem rein mecha- nischen Verlauf der beiden von einander unabhängigen Getriebe, des Gehwerks und des Schlagwerks; auch die Art und Weise, wie beide Mechanismen und zwar ebenfalls unabhängig durch verschiedene Ar- beiter zu Stande gekommen sind, ist nichts anderes als eine Reihe von Ursachen und Wirkungen im Sinne des Kausalprinzips. Der nächste Grund aber für jene Koinzidenz liegt in dem Plan der Kon- struktion, entspringt aus der Berechnung des Meisters und weiter zurück aus der Absicht, jene Koinzidenz zwischen Stellung des Zeigers und Schlag der Glocke herzustellen, so dass also das, was das Letzte des ganzen Verlaufes ist, zugleich als das Erste desselben erseheint.“ „Mechanisch verständlich“, fährt Driesch seinerseits fort, „ist also an der Uhr, und wir fügen hinzu an jeder Maschine, erstens: das Zustandekommen der einzelnen Teile, zweitens: die Wirkungsweise Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 635 des Ganzen; nicht mechanisch verständlich ist, warum die einzelnen Teile gerade so und nicht anders kombiniert sind.“ In diesen scheinbar so selbstverständlichen Worten Driesch’s liegt ein folgenschwerer Trugschluss, als dessen Opfer Driesch im gesamten weiteren Verlauf seiner im übrigen so dankenswerten Aus- führungen erscheint. Driesch nennt die Kombination der einzelnen Teile „zweckmäßig, denn“, sagt er mit Kant, „der Begriff von einem Objekte, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält, heißt der Zweck desselben.“ „Wir sagen“, fährt Driesch fort, „dieser Teil ist hier, jener dort angebracht, damit die ganze einheitliche Maschine mit der bestimmten einheitlichen Wirkungsweise hervorgehe, oder weil sie hervorgehen soll; anders können wir über den Zusam- mentritt des Verschiedenartigen zum Einheitlichen, oder, was dasselbe ist, über den Begriff der Kombination schlechterdings nieht urteilen.“ Dieser Ausspruch erscheint gleich dem vorhin zitierten zunächst außerordentlich plausibel, und der Gedankengang Driesch’s mag manchem Leser als unanfechtbar vorkommen; allein er enthält eine pe- titio prineipii, einen Zirkelschluss, und besagt, in dürre Worte übersetzt, weiter nichts, als dass das Zustandekommen einer von Menschen er- bauten Maschine nicht mechanisch verständlich sei, weil es nicht mechanisch verständlich sei. Die Maschine ist ja jedenfalls von dem beschränkten Standpunkt der meisten Menschen aus lediglich als ein zweckmäßiges Gebilde zu be- urteilen, und deshalb erscheint die Kombination ihrer einzelnen Teile nicht mechanisch verständlich, wenn man sich mit einer oberfläch- lichen Erörterung begnügt. Die Herstellung der Maschine und die Kombination ihrer Teile wird aber sofort mechanisch verständlich, sobald wir die Hirnthätigkeit des Menschen gleichfalls als einen Mechanismus auffassen und den Menschen nicht aus seiner Umgebung herausreißen. Der Maschinenbau hat seine Geschichte. Maschinen haben sich aus den primitiven Werkzeugen der Urmenschen historisch entwickelt, d. h. der Mensch hat im Laufe der Zeit gelernt, immer vollkommenere Maschinen zu erbauen, und wenn wir die Entwicklung des mensch- lichen Körpers und Geistes und die seines Gehirnbaues, wenn wir die Prozesse, die sich im Gehirn abspielen, als rein mechanische Vorgänge betrachten, wenn wir etwa die Arbeiter in einer Uhrenfabrik als Mechanismen auffassen, desgleichen die Leute, die der Fabrik Material zuführen, wenn wir sämtliche Menschen als Mechanismen betrachten, nicht minder die Bewegungssysteme, die von unserer Erde, unserem Planetensystem, dem ganzen Weltall dargestellt werden, so ist auch die Anfertigung einer Uhr oder irgend einer andern Maschine me- chanisch verständlich. 636 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. Was uns nicht verständlich ist, das ist die ungleiche Verteilung der Materie im Weltall und das Wesen der Materie und der Energie. Nehmen wir aber beide als gegeben an, so können wir, im Prinzip wenigstens, alles Andere daraus mit Hilfe der Mechanik herleiten. Aber einen einzelnen Vorgang darf man nicht aus der Natur heraus- reißen, um dann von ihm zu behaupten, dass er nicht mechanisch verständlich sei. Wenn Driesch seme Behauptung, dass die Kom- bination der Teile einer Maschine nicht mechanisch verständlich sei, aufrecht erhalten will, so muss er zunächst nachweisen, dass die Hirnthätigkeit des Menschen und die Art und Weise, wie der Bau des ınenschlichen Gehirns zu Stande gekommen ist, also die Kombination der einzelnen Teile des Gehirns, nicht zu verstehen sei. Der Mensch ist aber ein Organismus, und Driesch will, wie wir sehen werden, gerade den Nachweis führen, dass die Kombination der einzelnen Or- gane im Organismus nicht verständlich sei. Um dies zu thun, ver- gleicht er den Organismus mit eimer Maschine und sagt, die Kom- bination der Teile in der Maschine sei nieht verständlich, und deshalb sei es auch die Zusammensetzung des Organismus nicht. Aber eine Maschine ist von Menschen erbaut, und es müsste doch erst nach- gewiesen werden, dass die Kombination der Teile im menschlichen Organismus unverständlich sei, ehe man die Unverständlichkeit der Kombination der Teile in einer von Menschen gemachten Maschine behaupten darf. Driesch muss also die Unverständlichkeit der Kombination der Organe im Menschen und allen an- deren Organismen voraussetzen, um wirklich den Beweis führen zu können, dass die Kombination der Teile in einer vom Menschen angefertigten Maschine unverständlich sei, und um nachzuweisen, dass deshalb aueh die Kombi- nation der Organe im Körper der Tiere und Pflanzen nicht mechanisch verständlich sei. Um darzuthun, dass das Zustandekommen des Organismus mechanisch nicht verständlich ist, muss er unerlässlicher Weise annehmen, dass das Zustandekommen des Organismus nicht verständlich sei; und er thut es auch. Er nimmt das, was er beweisen will, unbewusster Weise als bewiesen an. Da der Beweis, den Driesch geführt zu haben glaubt, nämlich der, dass wir schlechterdings über den Begriff der Kombination nicht anders urteilen könnten als teleologisch, d. h. dass wir zur Erklärung der Kombination einen Zweck voraussetzen müssten, durchaus nicht geführt, Driesch vielmehr einem schweren Irrtum anheimgefallen ist, so müssen wir seinen weiteren Ausführungen über die Unbegreiflich- keit des Zustandekommens der Organisation mit verschärfter Vorsicht begegnen. Zunächst verlohnt es sich indessen, etwas näher darauf einzugehen, auf welehe Weise Drieseh zu seinem Hauptresultate ge- langt ist, obwohl wir das letztere im vorhergehenden bereits vorweg- Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 637 genommen und als auf einem Trugschluss beruhend nachgewiesen haben. Nachdem Driesch nachgewiesen zu haben glaubt, dass die Kom- bination der Teile in einer von Menschen gefertigten Maschine nicht mechanisch begreifbar sei, fragt er: „Was sollen wir hinsichtlich des Organismus, der ganz ofienbar ein zusammengesetztes Einheitliches ist, daraus schließen ?* Was Driesch hier als ganz offenbar annimmt, ist durchaus falsch, und es ist schwer verständlich, wie ein Biologe zu einer solchen Annahme gelangen kann. Darüber, dass der Organismus etwas Einheitliches ist, wird aller- dings wohl Niemand im Zweifel sein, dass er aber etwas zusam- mengesetztes Einheitliches sei, werden wir nicht mehr zugeben können, nachdem wir uns über den Begriff der Zusammensetzung klar geworden sind. Die Teile einer Uhr oder irgend einer andern Maschine werden allerdings zusammengesetzt; sie werden einzeln hergestellt, um später zu einem einheitlichen Ganzen kombiniert zu werden. Bei dem Or- ganismus liegen die Dinge aber ganz und gar anders. Hier findet keine Zusammensetzung statt, sondern eine im Laufe der Zeit er- folgende Gliederung. Bei der Eizelle lässt sich, sofern man auf dem Boden der Epigenesislehre steht, nicht von irgend welcher „Zu- Sammensetzung“ reden. Huldigt man freilich dem Präformismus, dann allerdings muss man annehmen, dass bei Erschaffung der ersten Or- ganismen die Teile, aus welchen sie bestanden, und die Keime, aus denen sich alle ihre Nachkommen entwickeln sollten, von dem Schöpfer „zusammengesetzt“ wurden. Da sich der Präformismus aber als un- haltbar erwiesen hat, und wir in der Eizelle keine den späteren Or- ganen des Körpers, der sich aus ihr entwickeln soll, entsprechende Zusammensetzung nachweisen können, so müssen wir sie als etwas Ein- heitliches betrachten, das sich erst im Laufe der Entwicklung gliedert. Es entwickelt sich aus der Eizelle ein mehrzelliger Organismus, dessen Zellen im Lauf der Keimesgeschichte ungleich werden. Aus diesem Grunde ist es gänzlich unzulässig, dass Driesch einen organischen morphologischen Vorgang mit einem anorganischen paralelisiert. Er vergleicht das Auge mit einer Camera obscura und behauptet, dass sich die einzelnen Teile des Auges unabhängig von einander entwickeln, in ähnlicher Weise wie die einzelnen Teile der Camera unabhängig von einander durch verschiedene Arbeiter herge- stellt werden. Wenn man freilich das Auge aus dem Organismus herausreißt und für sich betrachtet, so entwickeln sich allerdings seine Teile unabhängig von einander, beispielsweise die Linse unabhängig von der Netzhaut; allein eine derartige Betrachtung der keimesge- schichtlichen Vorgänge ist durchaus unzulässig. Das Auge ist aller- 638 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. dings kein einheitliches Organ; aber der gesamte Organismus ist ein durchaus einheitliches Gebilde, dessen einzelne Teile sich nicht un- abhängig von einander entwiekeln. Oder will man Angesichts der Thatsache, dass in den allermeisten Fällen, wo an der linken Hand sechs anstatt fünf Finger sitzen, bei der rechten Hand dasselbe statt- findet, allen Ernstes behaupten, dass die linke Hand sich unabhängig von der rechten entwickele? Das Abhängigkeitsverhältnis, in welchem die einzelnen Teile des Organismus zu eimander stehen, mag zwar nicht in allen Fällen ein leicht nachweisbares sein; aber das wissen wir ganz bestimmt, dass sich alle Teile des Organismus in Abhängig- keit von der Eizelle entwickeln, und dass die einzelnen Teile der letzteren ein Gleichgewichtssystem bilden, sich also im einem gegen- seitigen Abhängigkeitsverhältnis befinden. Es ist die Aufgabe der keimesgeschichtlichen Forschung, die Entwicklung der einzelnen Teile des Organismus auf den Bau der Eizelle zurückzuführen; von dieser sind sie alle abhängig. Die Entwicklung des Organismus ist also historisch zu be- greifen, d. h. wir haben jedes Organ des fertigen Organismus von dem nächstvorhergehenden Entwicklungsstadium desselben Organs abzu- leiten, wie wir dieses auf eine frühere Ausbildungsstufe zurückführen müssen. Auf diese Weise gelangen wir aber dazu, sämtliche Organe endlich aus dem Bau der Eizelle herzuleiten. Die Entwicklung des Organismus aus der Eizelle gebraucht Zeit, und daraus folgt ohne weiteres, dass sie ein historischer Vorgang ist, dessen einzelne Phasen — selbstverständlich mechanistisch — aus den nächstvorhergehenden Phasen zu erklären sind. Es handelt sich darum, jeden einzelnen während eines bestimmten Augenblicks bestehenden Gesamtzustand des Organismus aus dem nächstvorhergehenden mechanisch herzu- leiten. Alle Vorgänge, die in der Welt stattfinden, sind doch solche, die innerhalb desRkaumes und der Zeit vor sich gehen, also ohne allen Zweifel historische Prozesse, von denen freilich jeder einzelne mechanisch aus dem nächstvorhergehenden abgeleitet werden muss. Die reine Mechanik hat es aber nur mit den Gesetzen des Einzelge- schehens zu thun; wo wir sie auf einen wirklich stattfindenden kom- plizierten Vorgang, auf ein Gleichgewichts- oder Bewegungssystem, anwenden, da handelt es sich immer darum, diesen Vorgang auf an- dere Vorgänge zurückzuführen, also um seine historische Erklärung, um seine Entwicklungsgeschichte. Diesen Sachverhalt dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, wenn wir über die Entwicklung der organischen Natur philosophieren wollen, eine Vorschrift, die Driesch nicht beachtet hat. Wenn wir nun die Gesamtwelt historisch betrachten, so gelangen wir zwar nie dazu, die ungleichmäßige Verteilung der Materie im Weltall auf eine gleichmäßige Verteilung zurückzuführen, und deshalb Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 639 passt auf das gesamte Weltall der Ausspruch von Drieseh: „Es ist schlechterdings unmöglich, diese Kombination in toto causal zu be- greifen, wie es unmöglich ist, sie logisch zu verstehen, d. h. irgendwie auf Grund allgemein erkannter Gesetzlichkeiten als notwendig einzu- sehen resp. aus ihnen abzuleiten“; aber auf die Entstehung eines Organismus, auf die ihn Driesch bezieht, findet dieser Ausspruch durchaus keine Anwendung. Wohl können wir das Zustandekommen der Kombination des Weltalls aus seinen einzelnen Atomen nur, um mit Driesch zu reden, „teleologisch verstehen“, indem wir seine Wir- kung „als Zweck, als Absicht gesetzt“ denken, oder, um uns wissen- schaftlich auszudrücken, nur als gegeben hinnehmen. Wir müssen unsere Unwissenheit in Bezug auf das Zustandekommen der ungleieh- mäßigen Verteilung der Materie im Weltall eingestehen, weil es sich hier um Ewiges und nicht um Endliches handelt. Aber alle endlichen Dinge sind uns verständlich, sobald wir die unendlichen, nämlich die un- gleichmäßige Verteilung der Materie im Weltall und die Eigenschaften der Materie als einfach hinzunehmende Thatsachen betrachten, und des- halb ist das Problem, das sich in der von Driesch gegebenen Ein- teilung der Morphologie „als wichtigstes von allen darzustellen schien“, nämlich das Problem, weshalb der einzelne Organismus gerade so beschaffen ist, wie er ist, ein Problem historischer Forschung. Wenn Driesch also sagt: „Wir vermögen nicht irgendwie kausal oder lo- gisch einzusehen, warum nun hier dann dort am Embryo Zellteilungs-, Wachstums- und Differenzierungsprozesse vor sich gehen“, so ant- worten wir: Gerade dies vermögen wir historisch zu begreifen, in- dem wir jede einzelne Entwicklungsphase des Embryo von der nächst- vorhergehenden ableiten. Man könnte uns nun zwar antworten, dass es wohl möglich sei, den Organismus auf die Eizelle zurückzuführen, dass wir aber diese als schlechtweg gegeben hinnehmen müssten. Darauf ist zu erwidern, dass auch die Keimzellen sich historisch in dem Körper des Organis- mus, von welchem sie erzeugt werden, entwickeln, kurz, dass die Or- ganismen genetisch, also historisch, mit ihren Vorfahren und Nach- kommen zusammenhängen, dass wir demnach die heute auf der Erde lebenden Organismen auf die vor ihnen lebenden und diese endlich auf die allerersten organisierten Bewohner der Erde zurückführen müssen, und dass wir ferner die Entstehung des Organischen aus dem Unorganischen als einen lückenlosen historischen Prozess mechanischen Geschehens nachzuweisen haben, wie wir die Entstehung der Erde und der übrigen Planeten auf frühere Zustände des Weltalls zurück- führen müssen. Zuletzt freilich haben wir immer bei der ungleich- mäßigen Verteilung der Materie im Weltall und bei den unveränder- lichen Eigenschaften der Uratome Halt zu machen: hier ist das Letzte, das Ewige, die Grenze unseres Naturerkennens; aber der Organismus 640 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. ist ein endliches Ding, und daraus geht hervor, dass die Organis- menkunde eine historische Wissenschaft ist, ganz ebenso wie Geo- logie und Astronomie. Gerade die Astronomie werden nun zwar die meisten Menschen nicht als eine historische, sondern als eine eminent mechanistische, eine „exakte“, Wissenschaft bezeichnen wollen, weil sie eine weitgehende Anwendung der Gesetze der Mechanik zulässt; aber nichtsdestoweniger ist sie lediglich eine historische Wissenschaft. Es handelt sich bei ihr nicht darum, die Gesetze der Mechanik festzu- stellen, denn das ist ja die Aufgabe der reinen Mechanik, sondern die Astronomie sucht die Konstellation der Gestirne in einem gegebenen Momente auf die Konstellation im nächstvorhergehenden Momente zu- rückzuführen; sie ist, gerade wie die Biologie, angewandte Mechanik und, wenn man will, eine „beschreibende“ Wissenschaft. Im Prinzip unterscheidet sie sich in nichts von der Biologie; auch diese sucht die Vorgänge, die wir an den Organismen beobachten, mechanistisch zu er- klären; sie darf aber nie vergessen, dass es sich für sie nicht darum handelt, mit den Sätzen der Mechanik zu hantieren, sondern darum, für das Zustandekommen der von ihr thatsächlich beobachteten Or- ganisationen Erklärungen, selbstverständlich mechanistisch begründete, aber trotz alledem historische Erklärungen zu geben. Und diese historischen Erklärungen lehren uns vor allen Dingen die allgemeine Wahrheit, dass der Organismus zweifellos etwas im Laufe der Zeit Gewordenes ist. Dieser Hinweis zeigt, dass die historische Er- forschung der Organismenwelt nicht nach Driesch’s Beispiel zu verachten, sondern hochzuhalten ist. Gestützt auf diesen Hinweis könnte man freilich einwenden, dass die historische Erforschung der Organismenwelt nur dadurch ihre Da- seinsberechtigung erhalte, dass sie allgemeine Wahrheiten ans Licht fördere, dass diese aber schließlich auf reine Mechanik hinauskommen müssten, und dass, wer hiervon überzeugt sei, nur eine harmlose Spielerei betriebe, wenn er alle Einzelheiten als beherrscht von mecha- nischen Gesetzen, die ja längst feststehen und überall gelten, nach- zuweisen suche. Aber würde nicht das Gleiche von dem Astronomen gelten, dem Vertreter der „Königin der Wissenschaften“, der nichts anderes thut? Würde nicht auch den mit seinen Formeln hantieren- den Mathematiker derselbe Vorwurf treffen? Zweifellos! Aber dieser Vorwurf lässt sich leicht entkräften. Nicht nur unser Körper, sondern auch unser Geist verlangt nach Nahrung. Was den Hunger stillt und den Körper gesund erhält, ist für diesen zur Nahrung geeignet, und was den Wissensdurst stillt und den Geist erfrischt, ist dem letzteren dienlich. Nun sind aber die Menschen glücklicherweise verschieden geartet. De gustibus non est disputandum! Der eine liebt möglichst einfache Nahrung, der andere mannigfaltige und reich gewürzte. Das gilt sowohl in Bezug auf die Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 64 leibliche, als auch auf die geistige Nahrung. Nicht für jeden aber ist die einfachste Nahrung das Beste, nicht allen ist eine reich zu- sammengesetzte gleich zuträglich. Auch dieses gilt nicht nur von der leiblichen, sondern auch von der geistigen Nahrung. Aber immer muss die Nahrung ihren Zweck erfüllen, die geistige nicht minder als die körperliche. Mit einfacher körperlicher Nahrung lässt sich die geistige Nahrung vergleichen, die uns die Mathematik und die „reine Mechanik“ bietet. Diese ist für manchen das zuträglichste, aber nicht für jeden. Es gibt viele Menschen, deren Geist nur dadurch ge- nügend ernährt wird, dass ihm die Nahrung in der Gestalt gereicht wird, wie sie sich uns in dem Reichtum an Problemen, deren Lösung uns die Organismenwelt aufgibt, darbietet. Hier erhalten wir die Nahrung mit allerhand Zuthaten, die dem einen so willkommen sind, wie sie dem andern überflüssig erscheinen mögen. Aber was will der letztere dem ersteren erwidern, wenn dieser erklärt, dass er die geistige Nahrung in jener Form aın schmackhaftesten, verdaulichsten und zu- träglichsten, kurz am besten ihrem Zweck dienend erprobt hat? Es bleibt dabei: Ueber den Geschmack lässt sich nicht streiten, und wenn es überhaupt die Aufgabe der Wissenschaft ist, für die geistige Nahrung des Menschen zu sorgen, so darf es nicht bloß Wissenschaften geben, die ihre Jünger durch die Offenbarung neuer Gesetze belohnen, son- dern es müssen auch solche Wissenschaften da sein, die uns wieder und wieder dadurch erheben, dass sie uns in allen Erscheinungen die Wirkung der uns wohlbekannten Gesetze, die ja nur höchst selten ohne weiteres zu Tage tritt, erkennen lassen. Eine Wissenschaft der ersteren Art ist einzig und allein die Mathematik, von der die reine Mechanik ein Zweig ist, während alle andern Wissenschaften, die einen mehr, die andern weniger, zur zweiten Kategorie gehören: die Physik und die Chemie, die Astronomie und die Meteorologie, die Geo- logie und im höchsten Maße die Biologie. Wir treiben aber nicht bloß deshalb historische Forschung, weil uns daran liegt, diesen oder jenen speziellen Vorgang auf seine Ursachen zu- rückzuführen, nicht lediglich aus Interesse an den Einzelheiten, sondern auch deshalb, weil historische Forschung uns das Allgemeine offenbaren hilft, die Gesetze, nach denen sich die Einzelprozesse vollziehen. Dabei handelt es sich aber nicht gleich um das Allerallgemeinste, um die Gesetze der reinen Mechanik. Die historisch -biologische Forschung führt uns zur Unterscheidung verschiedener Individualitätsstufen in der Organis- menwelt, und die Gesetze, nach welehen Individualitäten derselben Kategorie auf einander einwirken und nach denen sich höhere Indi- vidualitäten in niedere gliedern, sind ihr Gegenstand. Das lehrt uns folgende Betrachtung: Gewöhnlich versteht man unter historischer Forschung nur die, welche die Menschengeschiehte zum Gegenstande hat. Was die letztere anbelangt, so mag uns ja diese oder jene Ein- XIV. 41 542 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. zelheit aus der Geschichte der Menschheit aus dem einen oder andern Grund ganz besonders interessieren; im allgemeinen treiben wir aber nicht Menschengeschichte, um die Einzelheiten kennen zu lernen, son- dern wir suchen umgekehrt die Einzelheiten zu erforschen, damit sich aus ihnen die allgemeinen Gesetze, welche die Völkergeschiehte be- herrschen, offenbaren. Bei der Menschengeschichte handelt es sich im Grunde genommen um eine Mechanik der Völker, wenn wir uns so ausdrücken dürfen. Die Geschichtsforschung soll uns das Verhältnis der einzelnen Völker zu einander aufdecken und uns zeigen, nach welchen Gesetzen sich die einzelnen Völker bekriegen und besiegen, weshalb ein Volk das andere verdrängen konnte, kurz, was Bewegung und Gleichgewicht im Verhältnis der einzelnen Völker zu einander bedingt. Ebenso nun, wie die Menschengeschichte an die Völker anzu- knüpfen hat, um ihre Aufgabe zu lösen, haben Zoologie und Botanik zunächst die höchste Individualitätsstufe des organischen Lebens, die Lebensgemeinde oder Biocönose ins Auge zu fassen. Unter Lebens- gemeinde versteht Möbius eine in sich abgeschlossene Genossenschaft, wie sie etwa durch die Bewohnerschaft eines Weihers dargestellt wird. In diesem finden wir verschiedene Arten pflanzlicher und tierischer Organismen, jede durch eine bestimmte, nur in geringem Grade hin und her schwankende Anzahl von Individuen vertreten. In einer solchen Lebensgemeinde herrscht ein bestimmtes Gleichge- wichtsverhältnis, und wenn dieses gestört wird, so tritt nach einiger Zeit abermaliges Gleichgewicht ein. Man kann also sehr wohl sagen, dass die Lebensgemeinden Mechanismen darstellen, man kann von einer Mechanik der Biocönosen sprechen. Jede Lebensgemeinde setzt sich aus den Beständen der einzelnen Arten der Tiere und Pflanzen, die ihr gerade eigentümlich sind, zusammen. Die Anzahl der einzelnen Vertreter dieser Arten schwankt innerhalb jeder Art nur in ganz bestimmten Grenzen. Zwar werden fortwährend neue Indi- viduen in großer Menge erzeugt; aber die allermeisten von diesen müssen wieder zugrunde gehen. Es finden somit in dem Individuen- bestande jeder einzelnen Art fortwährende Störungen statt; aber ebenso oft wie das Gleichgewicht, in welchem die Individuen zu einander stehen, gestört wird, wird es auch wieder hergestellt. Deshalb kann man auch von einer Mechanik der Individuen sprechen. Die Individuen bestehen aber aus Organen, und wir wissen, dass die Organe durch den Gebrauch stärker werden und infolge von Nicht- gebrauch verkümmern, weil der Gebrauch eine stärkere Nahrungs- zufuhr bedingt als der Nichtgebrauch. Wird ein Organ zeitweilig oder dauernd in übermäßiger Weise in Anspruch genommen, so entzieht es den übrigen Organen Nahrung. Es besteht also auch unter den Organen ein Gleichgewiehtsverhältnis, das gestört und wiederhergestellt werden Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 643 kann, woraus sich für uns das Vorhandensein einer Organmechanik ergibt. Die Organe sind aus Zellen zusammengesetzt. Durch Betrach- tungen, wie die von uns soeben angestellten, gelangen wir dazu, eine Zellenmechanik und weiterhin eine Plasma-, eine Molekular- und eine Atomenmechanik zu unterscheiden. Die Atomenmechanik erklärt uns nun das Wesen der Moleküle, die Molekularmechanik das des Plasmas, die Plasmamechanik die Eigentümlichkeiten der Zelle, und so gelangen wir dazu, das Wesen jeder besondern organischen Individualitätsstufe durch die Mechanik der nächstvorhergehenden Individualitätsstufe zu erklären, denn das Molekül ist ein Gleichgewichtszustand der Atome, die Zelle der Aus- druck plasmatischen Gleichgewichts, das Organ eine Masse im Gleich- gewichte stehender Zellen. Und weiter: Wenn wir historisch-biologische Forschung treiben, so suchen wir einen Gleiehgewiechtszustand aus dem Bewegungsprozesse, dessen Resultat er ist, herzuleiten, wie wir diesen oft auf die Störung eines früher bestehenden Gleiechgewiehts- zustandes zurückführen können. Die historische Biologie hat es also, indem sie den zu einer gegebenen Zeit herrschenden Zustand aus dem nächstvorhergegangenen, aus dem er entstanden ist, herleitet, indem sie also ein Gleichgewiehts- oder Bewegungssystem auf ein anderes Gleiehgewichts- oder Bewegungssystem zurückführt, mit der Mechanik von Individuen verschiedener Ordnung zu thun. Handelt es sich bei- spielsweise darum, die Fauna eines Landes aus der ihr vorhergehen- den, einer anderen geologischen Epoche eigentümlichen, zu erklären, so handelt es sich um die Mechanik der Artbestände; will man da- gegen irgend eine keimesgeschichtliche Entwieklungsstufe eines Tieres auf die nächstvorhergehende zurückführen, so hat man es mit der Mechanik der Organe oder der Zellen zu thun. Was uns aber bei allen diesen Forschungen in erster Linie interessiert, ist das Gesetz, das sich in dem Einzelvorgange kund gibt. Die historische Biologie ist die Voraussetzung der entwicklungsmechanischen Forschung, und aus diesem Grunde ist sie unentbehrlich. Es war nötig, diese Brörterungen hier einzuflechten, den histori- schen Charakter der Biologie zu betonen, weil wir ohne historische Forschung keinen Aufschluss über das Wesen der organischen Formen- bildung gewinnen. Während Driesch unter spezifischer Formbildung „getrennte Prozesse, die zur Einheit sich zusammenschließen“, versteht, erkennen wir dureh historisch-biologische Betrachtungen vielmehr, dass organische Formbildung das Auftreten einer Gliederung an einem un- segliederten Individuum bedeutet. Wir haben nun vorhin mit Driesch den Organismus mit einer Maschine verglichen und ihn dabei in Gegen- satz zu dieser gebracht, indem wir die Maschine als etwas, das durch Zusammensetzung entsteht, bezeichneten, während der Organismus das Resultat einer Gliederung sei. Dabei haben wir aber einen Fehler 41 = 644 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. begangen, denn wir verglichen Prozesse miteinander, die nicht mit gleichem Maß gemessen werden können. Ein in richtiger Weise vor- genommener Vergleich zeigt vielmehr, dass eine Maschine genau auf dieselbe Art zu Stande kommt, wie ein Organismus. Maschinen ent- stehen nicht dadurch, dass man irgendwelche Räder, Schrauben, Hebel und andere Stücke irgendwoher zusammensucht und dann probiert ob sich irgend eine Maschine daraus machen lässt, sondern die Maschinen sind gleichfalls das Resultat einer Gliederung, und zwar einer Glie- derung, die sich im Gehirn desjenigen vollzieht, der den Plan zu der Maschine entwirft. So ist die Nähmaschine aus der Nähnadel hervor- gegangen, indem sich von der letzteren im Gehirn des Erfinders der Nähmaschine gewissermaßen Räder, Hebel und andere Maschinenteile abgliederten. Das Wesentliche an der Nähmaschine ist und bleibt die Nadel; auch eine Nähmaschine ist im Grunde genommen nichts anderes als eine vergrößerte, gegliederte und dadurch vervollkommnete Nähnadel, und wer heute eine Nähmaschine verbessern will, der lässt sie sich in seinem Gehirn weiter gliedern; an etwas in seinem Geiste vorhandenes muss er anknüpfen, zum mindesten an die Nähnadel. Die Maschinen sind also keineswegs etwas Zusammengesetztes; sie sind etwas von vornherein Einheitliches, das im Laufe der Zeit zu einem Gegliederten geworden ist. Der vollendetste Ozeandampfer der Gegen- wart ist schließlich weiter nichts als der stark gewachsene Einbaum des Wilden, von dem sich während des Wachsens nach und nach die einzelnen Dampferteile abgegliedert haben. Freilich, das Material zu dem Dampfer oder irgend einer anderen Maschine entstammt den ver- schiedensten Quellen, aber genau dasselbe gilt auch für die Rohbau- stoffe des Organismus. Hat man lediglich das Material im Auge, so ist allerdings der Organismus ein Zusammengesetztes, ganz ebenso wie es die Maschine ist, wenn man ausschließlich daran denkt, dass die Eisenteile an ihr einer anderen Quelle entstammen, als die Kupferteile. Aber darum handelt es sich bei dem allein zulässigen Vergleich zwischen dem Organismus und der Maschine nicht, sondern um die Frage nach dem Zustandekommen der Organisation einerseits und der Einrichtung der Maschine andrerseits, nach der Frage, auf welche Weise hier die Gliederung der Organe, dort die der einzelnen Maschinenteile zuwege gebracht worden ist. Diese Gliederung ist aber in dem einen Fall sowenig wie in dem anderen das Resultat getrennter Prozesse, die sich zur Einheit zusammenschließen; sie ist im Gegenteil das Ergebnis einer allerdings unvollkommenen Auflösung eines einheit- lichen Gleichgewichtszustandes in einen komplizierten; nicht um einen Zusammenschluss sondern um eine Zerlegung handelt es sich. Diese braucht nun freilich nicht dahin zu führen, dass der ursprüngliche Gleichgewichtszustand, in welchem sich der Organismus als Eizelle befindet, einem labileren Platz macht, sondern das Gesamtgleiehgewicht Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 645 kann sich ebensogut im Laufe der Entwieklung erhöhen, und das ist in der That gewöhnlich der Fall. Aber um diese Frage handelt es sich hier nieht, sondern um das Wesen der organischen Formbildung: Tier- und Pflanzenformen entstehen nicht durch Zusammenschluss ge- trennter Prozesse zur Einheit, sondern durch Gliederung der Einheit in untergeordnete Einheiten. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Gliederung und ihr Zustandekommen zu erforschen, sie auf ihre Ursachen zurückzuführen, und es handelt sich dabei keineswegs um im Prinzip unlösbare Probleme, wie Driesch meint. Nachdem Driesch den Nachweis geführt zu haben glaubt, dass uns die organische Form unverständlich sei, vergleicht er sie mit anderen Dingen, die wir nach ihm gleichfalls als gegeben hinnehmen müssen. „Der Zusammenschluss zur Einheit bedingt es“, sagt er, „dass uns die Gesamtheit der Prozesse in ihrer spezifischen Verteilung selbst als etwas einheitliches erscheint, wir können sagen, sie erscheint uns als Form“. „Der Begriff ‚Seeigel‘, der Begriff ‚Frosch‘ ist uns durch eine Form in diesem genetischen Sinne definiert, ebenso wie uns der Begriff Eisen oder Wasser durch spezifische Dichte, spezifische Farbe, spezifische Leitungsfähigkeit u. s. w., kurz, physikalisch gesprochen, durch seine Konstanten definiert ist, wozu noch die spezifisch ehemi- schen Eigenschaften hinzukommen“. „Kennen wir den Grund“, fragt Driesch dann weiter, „warum Eisen und Wasser existieren?“ Und er antwortet mit einem entschiedenen „Nein!“. Darauf fährt er fort: „Wir nennen Licht und Wärme und die dem flüssigen Zustand suppo- nierten molekularen Attraktionsweisen Naturkräfte, die physikalische Theorie ist dahin gekommen, sie sich als besondere Bewegungsarten oder als besondere ‚Fernkräfte‘ zur Anschauung zu bringen. Gut; aber kennen wir die Ursache, warum diese Bewegungsarten oder Fernkräfte oder, weniger fiktiv gesprochen, ‚Energiearten‘ existieren ? Nein!“ Die Stoffe und Kräfte sind also nach Driesch, weil wir für sie keine Ursachen anzugeben vermögen, ursachlos, gegeben. Der Begriff des Grundes in einer seiner Formen, nämlich in derjenigen der Kausalität, ist also nach Driesch auf Stoffe und Kräfte nicht anwendbar. Aber auch als Erkenntnisgrund lässt sich der Begriff des Grundes auf Stoffe und Kräfte nicht anwenden, sofern Driesch wenigstens Recht hat. Er sagt, dass wir die Existenz von Stoffen und Kräften nicht irgendwie als notwendig einzusehen, als in allge- meineren Wahrheiten notwendig enthalten zu erkennen vermöchten. Es wären also Stoffe und Kräfte nieht bloß ursachlos, sondern auch unbegreiflich. 646 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. Auch diesen Anschauungen Driesch’s vermögen wir uns nicht an- zuschließen. Wir dürfen die Hoffnung hegen, dass die Chemie dermal- einst dahin kommen könnte, die Elemente zurückzuführen auf ein Urelement, die Eigenschaften der Atome des Eisens, des Kohlenstoffs, des Silieiums und aller anderen Elemente aus denen der Atome des Urstoffs herzuleiten. Nur diesen Urstoff mit seinen Eigenschaften brauchten wir dann als gegeben, als ursachlos und als unbegreiflich hinzunehmen; aus den Formen seiner Atome und aus der dadurch be- dingten Anzahl verschiedener Gruppierungsmöglichkeiten dieser Atome werden wir vielleicht einmal die Formen der Elementatome erklären können. Freilich werden wir nie dahin kommen, zu sagen, weshalb bestimmte chemische Prozesse die in unserem Gehirn vorgehen, von dieser oder jener Empfindung begleitet sind; aber mit den Empfin- dungen hat die auf die Erforschung der mechanischen Vorgänge der Außenwelt gerichtete Wissenschaft nichts zu thun, sondern lediglich damit, die Formen der Naturkörper zurückzuführen auf die Formen der Uratome und sämtliche im Weltall stattfindenden Bewegungsprozesse auf mechanischem Wege zu erklären. Das Gebiet der Empfindungen bildet ein Reich für sich. Wir werden vielleicht einmal dahin ge- langen, zu sagen, in dem und dem Augenblick, wo ich die und die Empfindung habe, geht der und der Prozess in meinem Gehirn vor sich; aber wir werden nie begreifen, warum dies der Fall, und deshalb können Mechanik und Psychologie immer nur nebeneinander hergehen. Aus eben diesem Grunde können wir aber z. B. unter den „Eigen- schaften“ des Eisens nur solche Eigenschaften verstehen, welche die Formen der Atome des Eisens und die Art und Weise, in welcher sich das Eisenatom im Verein mit anderen Atomen an dem Mechanismus chemischer Prozesse beteiligt, betreffen. Daraus folgt aber, dass wir das Eisen nicht als gegeben und nieht als unbegreiflich zu betrachten haben. Prinzipiell müssen wir wenigstens daran festhalten, dass das Eisen gleich allen anderen Elementen nur eine bestimmte Gleichge- wichtsform des Urstoffes, und aus den Eigenschaften des Letzteren zu erklären ist. Die Wissenschaft darf nicht eher ruhen, als bis sie sämt- liche Elemente der Chemie auf einen einzigen Urstoff zurückgeführt hat. Was von den Stoffen gilt, gilt aber auch von den Kräften. Wir wissen seit geraumer Zeit, dass Wärme und Licht ihrem Wesen nach dasselbe sind, und die epochemachenden Untersuchungen von Hertz haben den unumstößlichen Beweis geliefert, dass auch das Wesen der Elektrizität sich nicht von dem der Wärme und des Lichts unter- scheidet. Deshalb dürfen wir wohl hoffen, dass mit der Zeit auch der Magnetismus, die Gravitation und die chemische Energie zusammen mit den schon genannten Energiearten, zu denen noch — darin stim- men wir Driesch bei — die organische Energie kommen muss, auf eine und dieselbe Urkraft zurückgeführt werden, und dass die Theorie Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 647 uns zeigen wird, wie die eine Naturkraft mechanisch aus der anderen hervorgeht. Und wenn schließlich auch alle unsere Vorstellungen von den Stoffen und Kräften hypothetische sind, wenn wir diese nur in der Theorie auf einen Urstoff und eine Urkraft, oder, sofern man diese nicht von einander trennen will, auf eine Ursubstanz zurückführen können, so wird doch dadurch unser Bedürfnis nach Erkenntnis vollständig befriedigt sein. Denn das wissen wir schon heute, dass wir das Wesen dieser Ursubstanz niemals werden ergründen können, und dass uns eben des- wegen dass innerste Wesen aller aus der Ursubstanz sich herleitenden Dinge durchaus und für ewig verschlossen ist. An dieser Stelle galt es nur, Driesch gegenüber die prinzipielle Begreifbarkeit der Natur, insofern es sich darum handelt, alle Vorgänge auf die Eigenschaften eines Urstofis und einer Urkraft zurückzuführen, zu verteidigen. Wer schon bei den chemischen Elementen, bei Licht und Wärme, oder gar schon bei den Organismenformen halt machen will, der leistet Verzicht auf zu früher Stufe. Bei denjenigen in der Außen- welt stattfindenden Vorgängen, die in unserem Gehirn, wahrschemlich auf sehr umständliche Weise, Licht und Wärmeempfindungen hervor- rufen, handelt es sich für die Wissenschaft lediglich um bewegte Materie und um die Gesetze nach denen sich diese Materie bewegt. Ebenso sind die Formen nichts weiter als Gleichgewichtszustände einer Materie, die zwar beweglich ist, aber im übrigen nur solche Eigenschaften hat, wie sie im der Mechanik im Betracht kommen. Deshalb hat Driesch Unrecht, wenn er meint, dass die Formen sich in Bezug auf ihre Ursachlosigkeit und Unbegreiflichkeit den Stoffen und Kräften anschließen. Allerdings steht das Formenproblem nicht isoliert da, sondern es schließt sich dadurch dem Stoffproblem an, dass es gleich diesem prin- zipiell lösbar ist, insofern nicht der Urgrund alles Seins in Betracht kommt. (Schluss folgt.) Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Vierzehntes Stück.) Die Länge und Weite des Darmes, mit deren Studium sich schon seit den ältesten Zeiten zahlreiche Forscher beschäftigt haben und über die Gadow die genauesten Untersuchungen angestellt hat, dürfen für die Systematik nur mit Vorsicht verwendet werden. Doch sind andrerseits diese Faktoren auch sehr wohl geeignet, gewisse Gattungen und Fa- milien von ihren Nachbarn recht scharf abzugrenzen. Die Darm- lagerung, d. h. die Schlingen desselben und speziell des Ileum, bei verschiedenen Vögeln eine charakteristische Anordnung aufweisend, hat 648 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. ebenfalls Gadow auf das eingehendste studiert und zum Aufbau seines Systems in hervorragender Weise benutzt. In demselben nehmen die Ratiten eine besondere Stellung ein, während die Carinaten sich in 3 Unterabteilungen gliedern, in Orthocoela (mit Darmschlingen, die einander parallel und längs gelagert sind, wie dies der Fall ist bei den Natatores, Herodii, Alectorides und Fulicariae), Plagiocoela (bei denen die mittleren Darmschlingen krausgefaltet und schräg gelagert sind, Galli) und Cyelocoela (wo eine oder einige Darmschlingen sich spiralig gewunden, ihr Ende ventral liegt). Forbes verwarf die Be- nutzung der Darmschlingen als systematisches Merkmal gänzlich, F. hingegen hält dieselbe für recht wohl geeignet zur Aufklärung mancher Verwandtschaften (z. B. bei den Tubinares, Steganopodes, Lamelli- rostres etc.) und ist deshalb der Ansicht, dass wenn auch der Darm- lagerung nicht die Bedeutung eines taxonomischen Merkmales höheren Ranges zukommt, doch wohl mit ihr zu rechnen ist. Geringeren Wert hat dagegen die Leber und die Bauchspeicheldrüse. Die Größe des ersten Organes wechselt ungemein, selbst innerhalb enger Familien, dasselbe ist auch der Fall mit der Entwicklung der beiden Lappen desselben. Selbst der zuweilen auftretende 3. Lappen und die sogar individuell veränderlichen sekundären Einschnitte im rechten oder linken Lappen einiger Vögel haben nur geringen taxonomischen Wert. Auch die Ausführungsgänge der Leber (Duectus hepaticus resp. hepatici) geben mit ihren ungemeinen Verschiedenheiten nach Zahl, Trennung und Verbindung, Einmündungsstellen in das Duodenum nur für manche Familien brauchbare Charaktere ab; ähnlich verhält es sich auch mit der Gallenblase — sie fehlt bekanntlich (infolge Rückbildung) meist bei Struthio, Rhea, vielen Columbae und Psittacidae, einzelnen Oueulidae, individuell auch Arten von Apteryx, Mergus, Ciconia, Ardea, Numenius, tritt andrerseits ebenfalls nur individuell bei Rhea und Centropus auf — ihr Vorkommen kann demnach in sehr beschränktem Maße systematisch verwertet werden. Größere Wichtigkeit kommt dagegen ihrer Gestalt zu (vor allem sind die Pici durch eine längliche, darmähnliche Gallen- blase aufs deutlichste gekennzeichnet). Auch die Größe, Gestalt und das Verhalten ihrer Ausführungsgänge wechselt beträchtlich, ohne dass ein genügender Erklärungsgrund dafür aufzufinden wäre. Ueber die Kloake und Bursa Fabrieii sind bis jetzt Untersuchungen mit Rück- sicht auf die Systematik nur wenig angestellt worden. Dagegen bildete schon seit den ältesten Zeiten der Atmungsapparat und die Stimmorgane sehr beliebte Untersuchungsobjekte. Für die Klassifikation der Vögel haben sich dadurch bis jetzt folgende Resultate ergeben. Der obere Kehlkopf kann, mit nur geringem Erfolge für taxonomische Zwecke verwertet werden, hingegen eignet sich die Luftröhre mit ihren Aesten in mehr als einer Hinsicht vortreftilich dazu. Obwohl in den meisten Fällen ihre Lage sich nach der des Halses richtet, so kommen doch Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 649 auch sehr bedeutungsvolle Ausnahmen vor. So gibt es unter den Pelargi, Gruidae, Limicolae, Galli und Passeres eine ziemliche Anzahl, bei denen die Luftröhre mehr oder weniger länger als der Hals ist; die dadurch zu stande kommenden Schlingen und Windungen werden bald am Halse nur von der Haut resp. der ihr dicht anliegenden dünnen Halsmuskulatur bedeckt (so bei Tetrao urogallus), bald liegen sie in derselben Weise im Bereiche der Brust oder selbst des Bauches (bei zahlreichen Arten von Crax), bald lagern sie sich in das aus- gehöhlte sternale Ende der Furcula resp. Crista sterni, bald endlich ins Innere des Thorax. Obgleich diese Verhältnisse nur für spezielle systematische Fälle bedeutungsvoll sind, so werden doch durch sie verwandtschaftliche Beziehungen vielfach klar gelegt. Keine größere taxonomische Bedeutung darf man ferner der Weite der Trachea (meist ist sie unten enger als oben), der Zahl, Konfiguration und dem sonstigen Verhalten der Ringe desselben (die Zahl derselben schwankt zwischen 30 und 400, regelt sich nach der Länge der Luftröhre und ist bedeu- tungslos, nicht ganz dasselbe gilt von ihrer Konfiguration, meist ringsum geschlossen, zeigen die ersten und letzten (in wechselnder Zahl) die- selbe Eigentümlichkeit wie bei den Reptilien und manchen Säugetieren, d. h. sie sind dorsal durch eine Membran verschlossen). Bedeutsamer als diese Verhältnisse erscheint F. dagegen das Auftreten eines sagi- talen Septum am unteren Ende der Luftröhre, das auch bei Reptilien vorhanden ist; dasselbe ist kräftig bei den meisten /Impennes, von ge- ringerer Ausdehnung bei vielen Tubinares. Ob die Länge der beiden Bronchii irgend welche Berücksichtigung verdient, müssen erst weitere Untersuchungen ergeben. Hingegen beansprucht wieder die manchmal vorkommende Asymetrie der Weite der Bronchien manches taxonomische Interesse. Wie die untersten trachealen sind auch die bronchialen Ringe medial nur häutig geschlossen, und die Breite dieses Verschlusses ist in verschiedenen Fällen auch für die hier in Betracht kommenden Zwecke verwertbar. Aehnlich verhält es sich auch mit den in der Nähe der Bifurkation bei zahlreichen Anatin«e, Micropterus, Mergus und einigen Passeres etc. sich findenden blasigen Erweiterungen (Pauken oder Labyrint); bei gewissen Gruppen scheint dies gleichfalls von den zur Trachea gehenden Muskeln zu gelten; beispielsweise fehlen die Mm. ypsilo-tracheales vielen Abteilungen ganz oder größtenteils und sind anderseits an dem M. sterno-trachealis der Podicipidae, Columbidae, Formicariinae etc. eigentümliche Insertionsverhältnisse zu beobachten. Mit großem Rechte ist der untere Kehlkopf (von Huxley Syrinx genannt) schon seit den frühesten Zeiten taxonomisch verwertet worden, denn er weist bei den verschiedenen Vögeln eine recht gut dazu ge- eignete prägnante Beschaffenheit auf. Von den 3 Formen der Syrinx, den S. trachealis (ausschließlich oder vorwiegend von verdünnten und eigentümlich modifizierten Trachealringen gebildet), den S. tracheo- 60 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. bronchialis (aus trachealen und spezifisch differenzierten bronchialen Ringen entstanden) und den S. bronchialis (nur an den beiden Bron- chien, also paarig auftretend), ist der 2. am weitesten verbreitet und erregt infolgedessen das größte Interesse. Das sehr wechselnde Ver- halten der diesen Syrinx bildenden (trachealen und bronchialen Ringe, der sie verbindenden Membranen und zahlreicher anderer damit zu- sammenhängender Bänder und Falten erweist sich ganz besonders zur Charakterisierung der Gattungen und selbst Species geeignet. Auch die Muskulatur der Syrinx, dem Reetus-System des Halses zugehörig, ist infolge ihrer sehr mannigfaltigen Entwicklung gut verwertbar, je- doch mehr zu durchgehenden systematischen Zügen. Während der >yrinx trachealis allein bei einer ziemlich gut begrenzten Abteilung neotropischer Pusseres, bei den Tracheophonae (J. Müller, der zuerst die 3 Formen des Syrinx aufstellte) vorkommt und der Syrinx bron- chialis bei Steatornis und mehreren Cueulidae gut ausgeprägt ist, fehlt der Syrinx tracheo-bronchialis nur den meisten Ratiten, Pelargi und Cathartidae, bei allen übrigen hingegen ist er in außerordentlich großer Mannigfaltigkeit entwickelt, und es ergeben sich aus diesem Grunde selbst innerhalb der Familien (namentlich bei den Tubinares, Stegano- podes, Galli und Passeres) große Verschiedenheiten. Die höchste Aus- bildung erreicht dieser Kehlkopf aber bei den Oscines. Trotz der großen Verschiedenheit in seinem Aufbaue zeigt die Muskulatur des- selben — ausgenommen die Psittaci, Passeres, Pseudoseines — doch ein ziemlich gleichmäßiges Verhalten. Bei der zuerst genannten Vogel- gruppe finden sich 3 Muskelpaare (Mm. trachealis longus und tr. brevis und M. syringeus). In ganz abweichender Weise ist dagegen die Muskulatur bei den tracheobronchophonen Passeres ausgebildet, bei ihnen können die niedrigsten und höchsten Differenzierungszustände beobachtet werden; außerdem lassen sich zwischen diesen beiden ex- tremen Stufen alle möglichen Uebergänge auffinden. Dabei hat man auszugehen von den primitiven mesomyoden Formen, die durch einen meist schwachen M. tracheo-bronchialis sich auszeichnen, der lateral (mesomyod) im brochialen Bereiche sich inseriert. Von diesen primi- tiven Formen aus führen 3 Wege, der eine zu den Tracheophonae (bei denen die Muskulatur rein lateral ist und aus dem manchmal fehlen- den M. trachealis und dem M. syringeus (der ebenfalls fehlen oder jederseits einfach oder doppelt vorhanden sein kann) besteht, der andere Weg führt zu den höher stehenden amerikanischen haploophonen Olamatores, die eine große Mannigfaltigkeit in Bezug auf diese Musku- latur darbieten, über die aber noch umfassende Untersuchungen nötig sind, ehe eine endgiltige Beurteilung derselben stattfinden kann, der 3. Weg endlich leitet zu den Oscines hin. Die Muskulatur des Syrinx tracheo-bronchialis dieser Abteilung setzt sich zusammen aus den ober- flächlichen längeren Mm. tracheo-bronchiales und den tieferen kürzeren r Zacharias, Wechselnde Quantität des Planktons. Hl Mm. syringei; beide Gruppen inserieren sich überdies auch an den ventralen und dorsalen Enden der Ringe (akromyod nach Garrod, vielleicht aber besser diakromyod). Im allgemeinen fand F. wie Wunderlich am Syr. tracheo-bronchialis der hochentwickelten Sing- vögel 7 Muskelpaare. Von denselben gehört der M. tracheo-bronchialis ventralis (Levator longus anterior der Autoren, Levator longus anterior areus III. Wunderlich), derM. trach.-bronch. obliquus (Rotator are. III. Wunderlich), die Mm. brach.-bronch. dorsales longus und brevis (Levatores posteriores longus und brevis der Autoren, Levator longus posterior are. II. und Tensor membranae tympaniformis internaeW under- lich), sämtlich dorsal liegend, der ersteren Muskelgruppe an, während die Mm. syringei in doppelter oder 3facher Zahl auftreten (1 oder 2 M. syringeus ventralis (Obligquus anterior der Autoren, Levator brevis anterior areus II. Wunderlich) und M. syringeus dorsalis (Obliquus posterior der Autoren, Levator brevis posterior are. II. Wunderlich). Nach Garrods Beschreibung besitzen die Pseudoscines nur 2 bis 5 Paare von Mm. tracheo-bronchiales: jederseits einen M. trach.-bronch. ventralis und einen M. trach.-bronch. dorsalis). Dadurch entfernt sich nach F.s Ansicht diese Abteilung weit von den echten Oseines. Auf Grund dieser Thatsachen fällt F. über den Syrinx der Vögel folgendes Urteil: Der untere Kehlkopf mit seiner Muskulatur stellt zwar ein be- deutsames Merkmal dar, der im Detail der Systematik oft sehr brauch- bar ist, aber wegen seiner ungemeinen Mannigfaltigkeit und Veränder- lichkeit eine breitere Anwendung nicht finden kann. Deshalb darf auch den Oscines, welche Abteilung ca. 5000 Arten umfasst und da- durch alle anderen übertrifft, nur der Rang einer Unterfamiliengruppe zuerkannt werden. (Fortsetzung folgt.) Dr. F. Helm. Ueber die wechselnde Quantität des Planktons im Großen Plöner See. Von Dr. Otto Zacharias in Plön. Jedem, der sich mit Plankton-Studien befasst, drängt sich die Wahrnehmung auf, dass die Quantität des sogenannten pelagischen Auftriebs, d. h. des im Wasser schwebenden Materials an pflanzlichen und tierischen Organismen einem periodischen Wechsel unterworfen ist. Dies gilt vom Plankton des Meeres sowohl wie von dem unserer Süß- wasserseen. Die riesigen Gefilde des Ozeans bieten in dieser Hinsicht keine anderen Verhältnisse dar, als die relativ kleinen Seebecken des Binnenlandes. Wir wissen aus Erfahrung, dass heute und morgen — ja wochenlang — die reichlichsten Fänge mit dem Planktonnetz gemacht werden können, wogegen man zu anderen Zeiten nicht die Hälfte oder das Drittel von dem zu erbeuten im Stande ist, was sich 652 Zacharias, Wechselnde Quantität des Planktons. vorher in kürzester Frist mit Leichtigkeit auffischen ließ. Angesichts eines solchen Wechsels in der Quantität der im Wesser flottierenden Organismen taucht naturgemäß der Wunsch auf zu wissen, in welchen Grenzen sich die Zu- und Abnahme der Planktonmenge bewegt, bezw. wie oft und in welchen Perioden ein Maximum oder Minimum derselben eintritt. Inbetreff der Binnenseen käme außerdem noch in Frage, ob hier die Flächengröße und Tiefe von Einfluss auf die Quantität der durehschnittlichen Planktonproduktion ist, und in welchem Maße sich der Einfluss dieser Faktoren bemerkbar macht. In der hiesigen biologischen Station, wo man Gelegenheit hat, das Plankton eines großen Sees täglich inbezug auf Quantität und Qualität zu kontrolieren, musste die große Veränderlichkeit desselben nach beiden Richtungen hin alsbald deutlich hervortreten. Infolge davon kam ich zu dem Entschlusse, den Planktongehalt einer und derselben Wassersäule in bestimmten Zwischenräumen zu wiegen, so dass hierdurch vergleichbare Zahlenangaben gewonnen wurden, ver- möge deren man sich ein ungefähres Bild von dem periodischen Wechsel der Plankton-Quantität entwerfen kann. Ich begann mit diesen Wäg- ungen am 24. Januar d. Js. (1594). Sämtliche Fänge sind mit einem und demselben Netze ausgeführt worden. Dieses wurde immer in die nämliche Tiefe (40 m) hinabgelassen und dann vertikal emporgezogen. Nachdem das aufgefischte Plankton sorgfältig gesammelt und möglichst gut auf Fließpapier abgetrocknet worden war, brachte ich es jedes Mal im frischen Zustande auf die Wage. Ich erhielt dann das Gewicht desselben in Milligrammen. Die so erhaltenen Ziffern entsprechen einer Oeffnung des kegelförmigen Netzaufsatzes von 63,6 Quadratzentimeter (= !/;; Quadratmeter). Wir haben also stets die Gewichtszahlen mit 157 zu multiplizieren, um die Planktonmenge zu berechnen, welche sich unter 1 Quadratmeter Seefläche (bis zu einer Tiefe von 40 Metern hin) thatsächlich vorfindet. Am 24. Januar d. Js. ergab die Wägung 34,5 Milligramm. Somit waren an jenem Tage 157 x 34,3 Millig., d.h. 5,585 & Plankton im einer Wassersäule von 1 Quadratmeter Quer- schnitt und 40 Meter Höhe vorhanden. Bei diesen Verfahren wird freilich das Gewicht jedes Fanges um einen gewissen Betrag niedriger angenommen werden müssen, weil es unmöglich ist, alle Feuchtigkeit von Wäge-Material durch Abtrocknen zu entfernen. Und zwar wird dieser Betrag bei reichlichen Fängen größer sein, als bei spärlichen. Ich veranschlage die haften gebliebene Feuchtigkeit im Durchschnitt auf ein Fünftel vom Gesamtgewicht der einzelnen Fänge. Es liegt hierin zweifellos ein Mangel meines Ver- fahrens, aber trotzdem lässt sich die Veränderlichkeit des Planktons hinsichtlich seiner Quantität nach den ermittelten Gewichtszahlen besser beurteilen, als auf Grund bloßer Schätzungen. Nach dem Augenschein kann man wohl sagen, dass jetzt z. B. viel mehr Plankton vorhanden Zacharias, Wechselnde Quantität des Planktons. 653 ist, als vor einer Reihe von Wochen; aber man ist außer Stande, an- zugeben, um ein Wievielfaches die jetzige Planktonmenge die damalige übertrifft. Gewichtsermittelungen sind deshalb, auch wenn sie keinen Anspruch auf Exaktheit machen können, immerhin wertvoll, insofern sie die Subjektivität bei der Beurteilung von Quantitätsverhältnissen ausschließen, womit an und für sich schon die Feststellung der Wahr- heit gefördert wird. Besonders kommt aber noch inbetracht, dass wir durch die Methode fortgesetzter Wägungen auf die einfachste Weise ein klares Bild von den Schwankungen der Planktonmenge während der aufeinander- folgenden Jahreszeiten erhalten und so überhaupt erst zu bestimmteren Vorstellungen über die Produktion limnetischer Organismen, wie sie jahraus jahrein in unseren Binnenseen stattfindet, gelangen. Am 7. April d. Js. betrug das Gewicht eines Planktonfanges aus 40 m nicht weniger als 1116 Milligramm, was auf den Quadratmeter berechnet über 175 g ausmacht. Das ist das reichlichste Ergebnis, welches ich in der Zeit vom 24. Januar bis 28. Juli (1894) erhalten habe und dasselbe ist darauf zurückzuführen, dass an jenem Tage eine schon seit Märzbeginn in Zunahme begriffene limnetische Baeillariacee (Melo- sira distans Ehrb., var. Zaevissima Grun.) ein Maximum des Vor- kommens erreichte. Man hatte damals ein fast völlig reines Melosiren- plankton vor sich, denn die übrigen flottierenden Organismen traten gänzlich vor der ungeheuren Menge der kleinen, gelblichen Fädehen zurück, welche die gesamte Wassermasse des Plöner Sees von der Oberfläche bis zum Grunde durchsetzten. Um über die Verteilung der genannten Bacillariacee in größeren und geringeren Tiefen Klarheit zu erlangen, wurden Stufenfänge ge- macht, welche folgende Resultate lieferten: Aus 2,5 Meter Tiefe 132 Millig „ 5 „ „ 157 ” 10 ” ” An N” ” 20 ” ” 431 PD] » „ )) ) „280 # 9629 „40 2, „ 1116 „(wie schon mitgeteilt). Da es hier nicht auf Bruchteile von Milligrammen ankommt, gebe ich die Gewichte nur in abgerundeten Zahlen an. Aus denselben ist zu entnehmen, dass die Melosira-Fäden in den verschiedenen Tiefen- regionen sehr ungleichmäßig verteilt waren. In der Nähe der Ober- fläche zeigten sie die größte Diehtigkeit; denn der Fang aus 2,5 Meter ist der reichste. Ein Netzzug aus doppelter Tiefe (5 Meter) brachte nur 25 Milligramm mehr herauf. Vergleichen wir hiermit den Melosira- Gehalt der Schieht zwischen 10 und 15 Meter, so lieferte dort die Durchfischung von 2,5 Meter ein bei weitem günstigeres Ergebnis, 1 392200 2 nämlic — % Milligramm. Man findet diesen Betrag ganz 654 Zacharias, Wechselnde Quantität des Planktons. einfach so, dass man die Gewichtszahlen der Stufenfänge aus 10 und 15 Meter von einander subtrahiert und dann dureh 2 dividiert. Letz- teres muss geschehen, weil die Schicht, deren Planktongehalt ermittelt werden soll, die doppelte Höhe der Oberflächenschicht besitzt, welche der Vergleichung zu Grunde liegt. Auf dieselbe Weise berechnet man, dass zwisehen 15 und 20 Meter an jenem Tage ein Netzzug durch 2,5 Meter nur 19,5 Milligramm ergeben haben würde, wogegen ein solcher zwischen 20 und 30 Meter für dieselbe Strecke 48,5 Milligramm gebracht hätte. Am nächstreichlichsten nach der Oberflächenschicht würde sich aber die zwischen 30 und 40 Meter gelegene erwiesen haben, denn für diese ergibt sich rechnungsmäßig ein Melosiren-Gewicht von 122,7 Milligramm für die Fangstrecke von 2,5 Meter. Mithin waren die Bacillariaceen am 7. April sowohl an der Ober- fläche als auch in der Nähe des Grundes am dichtesten zusammen- geschaart, während sie in den mittleren Wasserschichten in weit ge- ringerer Menge auftraten. Ohne mich an dieser Stelle mit einer Erklärung dieser auffälligen Erscheinung zu befassen, konstatiere ich nur, dass auch Apstein bei seinen Untersuchungen des Dobersdorfer Sees (4. Okt. 1892) in der Tiefe „große Mengen von Melosira“ vorfand!). Vom 7. April d. Js. an machte sich eine immer mehr fortschrei- tende Abnahme der Vegetation von Melosira laevissima bemerklich, so dass am 23. April ein fast vollständiges Fehlen dieser Baecillariacee zu verzeichnen war. Das Zurückgehen derselben ist klar aus folgen- der Tabelle zu ersehen: Netzzüge aus 40 Meter. 7. April 1894 . . . 1116 Milligramm Elysfs im 4029 N 14... Seh ui 3 Feten HÜNT s RE a El) R IT, en SEEN LS S LS. Ba 17 % 2 ee 20 5 " 2a. 0 ie A; 11 n Es war also am 23. April nur noch etwas mehr als der hundertste Teil jener großen Menge von Melosira vorhanden, welche am 7. April mit so staunenswerter Ueppigkeit den ganzen See erfüllte. Im Gegensatz zu der vielfach wechselnden vertikalen Verbrei- tung, welche Melosira laevissima während der Zeit ihres massenhaften Vorkommens zeigte, erwies sich die horizontale als sehr gleich- förmig. Diese Bacillariacee war damals überall an der Seeoberfläche in nahezu gleicher Menge zu finden, was ja auch begreiflich erscheint, da die Bedingungen für die Assimilation in den hellbeleuchteten obersten Wasserschichten allerwärts dieselben sind. Diese gleichförmige Ver- 4) C. Apstein, Quantitative Planktonstudien im Süßwasser. Biol, Central- blatt, Bd. XII, Nr. 16 u. 17, 8. 498. Zacharias, Wechselnde Quantität des Planktons. 655 teilung gibt uns nun auch die Möglichkeit an die Hand, das Gesamt- gewicht der Melosira-Fäden, deren Anzahl am 7. April für den Plöner See ein Maximum erreichte, innerhalb gewisser Fehlergrenzen festzu- stellen. Nehmen wir zu diesem Behufe die durehschnittliche Tiefe des großen Plöner Sees zu 15 Meter an (was aber eher zu niedrig ge- eriffen sein dürfte), so entfällt auf jeden Netzzug aus dieser Tiefe laut der oben mitgeteilten Tabelle 392 Milligramm. Multiplizieren wir nun diese Ziffer mit 157 — wofür eingangs der Grund angeführt wor- den ist — so erhalten wir diejenige Planktonmenge, welche am 7. April unter 1 Quadratmeter vorhanden war, nämlich 61544 Milligramm. Für den Kilometer Fläche (= 1 Million Quadratmeter) ergibt das nun ein Planktongewieht von ebensoviel Kilogramm, als es für den Quadrat- meter Milligramm waren. Für den ganzen See also, welcher 32 Kilo- meter Fläche besitzt, berechnet sich auf diese Weise das Gesamtgewicht der damals im Wasser schwebenden Melosiren auf über 39000 Zentner. Hiervon muss freilieh noch ein Abzug gemacht werden, weil in den 392 Milligrammen, welche der Netzzug auf 15 Meter Tiefe lieferte, auch ziemlich viel Feuchtigkeit mitgewogen wurde, deren Betrag ich (siehe oben) auf etwa den fünften Teil des Wägeergebnisses schätze. Darnach würden aber immer noch über 31000 Zentner Melosiren-Plankton am genannten Tage im Plöner See vorhanden gewesen sein. Dieser Betrag erscheint sehr hoch, aber selbst wenn ein kleiner Fehler bei dem Abwiegen des Fanges zu dessen Gunsten sich einge- schlichen haben sollte, der sich bei den nachfolgenden Multiplikationen entsprechend mitvergrößert hätte — selbst unter dieser Voraussetzung würde obige Angabe noch ihren vollen Wert behalten. Denn gleichviel, ob es sich um 30000 oder bloß 20000 Zentner handelt — jedenfalls erhalten wir durch derartige Gewichtsermittelungen und Berechnungen einen Begriff davon, wie beträchtlich das Gewicht der lebenden Sub- stanz sein kann, welches, auf zahllose mikroskopisch-kleine Zellketten verteilt, in der Wassermasse eines größeren Landsees sich schwebend zu erhalten vermag. Für den 23. April d. Js., wo die Melosiren fast dem Verschwinden nahe waren und auch die übrigen flottierenden Organismen nur ganz spärlich vorkamen, ergab die Wägung eines Fanges aus 15 Meter Tiefe nur 1,5 Milligramm. Das macht für den Quadratmeter 157 x 1,5 — 235,5 Milligramm. Somit für die gesamte Seefläche — unter zu Grundelegung eimer durchschnittlichen Tiefe ven 15 Metern — wenig mehr als 15 Zentner. Am 28. Juli hingegen ergab Wägung und daran sich schließende Rechnung wieder mehr als 11000 Zentn. Plankton für den gr. Plöner See. Es wird aus solchen Daten klar ersichtlich, dass der Gehalt eines Binnensees an limnetischen Tier- und Pflanzenwesen außerordentlich großen Schwankungen unterliegt. 656 Zacharias, Wechselnde Quantität des Planktons. Ich habe hierüber fortgesetzt Beobachtungen angestellt, welche ich im nächsten (3.) Teile der „Forschungsberichte aus der biologischen Station zu,Plön“ veröffentlichen werde. In diesem Aufsatze teile ich nur Einiges aus meinen Aufzeichnungen mit, um auch andere Forscher zur Vornahme von Planktonwägungen anzuregen. Ich bin der Ueberzeugung, dass die Massenverhältnisse des Planktons durch solche Gewichtsermittelungen leichter vorstellig werden, als dadurch, dass man die einzelnen gleichartigen Bestandteile der Fänge gewissenhaft durchzählt. Um zu erfahren, wie viele Fäden von Melosira auf 1 Milligramm Plankton entfallen, habe ich seinerzeit eine wirkliche Zählung ausgeführt und dabei gefunden, dass es 6024 sind. Nehmen wir nun jeden Faden als aus 20 aneinandergereihten Zellen bestehend an, so macht das auf das Milligramm 120480. Ein Netzzug aus 2,5 Meter Tiefe vom 23. April d. Js., welcher 132 Milligramm er- gab, würde sich somit nahezu 16 Millionen Melosira-Zellen zusammen- setzen -— eine Menge, von der wir uns keine Anschauung mehr bilden können und die wir daher mit unseren alltäglichen Erfahrungen von Zahl und Quantität nicht zu verknüpfen im Stande sind. Mit Hilfe von Wägungen habe ich auch feststellen können, wie sich die Planktonproduktion des Vierer Sees, einer größeren Bneht des Plöner Seebeckens, zu derjenigen dieses letztern verhält. Beim bloßen Anblick der beiden fast gleichzeitig gemachten Fänge konnte man bereits urteilen, dass in der Bucht (von 1,34 Quadratkilometer Fläche) mehr Plankton produziert werde, als im See selbst. Aber erst mit Hilfe der Wage ließ sich feststellen, dass bei gleicher Höhe (10 Meter) und gleichem Querschnitt der Wassersäule (63,6 qem) die Bucht 228 Milli- gramm, der See aber nur 101 geliefert habe; dies war am 19. Juni d. Js. Am 25. Juni wurden neue Fänge gemacht und eine zweite Vergleichung vorgenommen, wobei sich ergab, dass die Produktion in beiden Wasser- becken zwar abgenommen hatte, aber im Vierer See doch auch jetzt noch größer war (150 Millig), als im großen Plöner See (90 Millig). Die Temperatur in der Bucht erwies sich an beiden Fangtagen um 1 Grad höher als im Hauptbecken, nämlich 16,5° Celsius. Meines Wissens sind Gewichtsermittelungen inbetreff des Planktons bisher überhaupt nicht vorgenommen worden, wenigstens sicher nicht auf Grund von Vertikalfängen !), deren Ergebnisse ganz allein dazu geeignet sind, Vergleiche mit der Produktion anderer Seen zu ermög- lichen. 4) Nur C. Apstein hat den Versuch gemacht, für den Dobersdorfer See das Gewicht der darin enthaltenen Mengen von Leptodora hyalina gewichts- mäßig festzustellen. Er fand für dieses 2 Quadratkilometer große Wasser- becken einen Gehalt von 132 Zentnern dieser Krebse. Z. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 15. Seniemier 1894. Nr. 18. Inhalt: Herbst, Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorzügen in der tierischen Ontogenese. — Haacke, Die Formenphilosophie von Hans Driesch und das Wesen des Organismus (Fortsetzung). — Lang, Zur Frage der Knospung der Hydroiden. — Seelmann, Beschleunigte Färbung der Blutkörperchen. — Walther, Bionomie des Meeres. Beobachtungen über die marinen Lebensbezirke und Existenzbedingungen. Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese. 1. Von Curt Herbst. Einleitung. Eine Beobachtung, welche ich während meiner Untersuchungen über den Einfluss der veränderten chemischen Zusammensetzung des umgebenden Mediums auf die Entwicklung der Tiere machte [23], brachte mich auf die Vermutung, dass Richtungsreize bei dem Zustande- kommen ontogenetischer Prozesse höchstwahrscheinlich eine bedeutende Rolle spielen. Ich habe in der letzten Zeit eingehend über diese Frage nachgedacht, und da ich glaube, dass die Resultate, zu denen ich hierbei gekommen bin, in vielfacher Hinsicht fördernd und zu experimentellen Untersuchungen anregend wirken können, so habe ich mich entschlossen, in drei aufeinander folgenden theoretischen Schriften zu zeigen, was sich eventuell im Verlauf der Ontogenese mittels der Reizphysiologie verständlich machen ließe, Ich werde hierbei zwei Hauptgruppen von Reizen unterscheiden, die hier kurz charakterisiert werden mögen. Die erste Gruppe wird von den „Richtungsreizen*“ repräsentiert, d. h. von denjenigen äußeren Anstößen, welehe entweder die Richtung eines freibeweglichen Organismus oder die eines wachsenden Organes beeinflussen. Wir werden hierbei dem Sprachgebrauch der meisten Botaniker folgen und im ersteren Falle von Heliotaxis, Geotaxis reden, XV. 42 658 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. während wir im anderen die Worte Heliotropismus, Geotropismus etc. verwenden werden !). Die zweite Gruppe von Reizen, deren Wirksamkeit bei ontogene- tischen Vorgängen ich im folgenden wahrscheinlich zu machen ver- suchen will, ist durch das Verhalten der Ranken von Ampelopsis hederacea, des wilden Weines, charakterisiert, welche bei längerer Be- rührung mit einem festen Körper an ihren Spitzen breite Haftpolster entwickeln. Hier wird also durch die Berührung ein Gestaltungs- prozess ausgelöst, der qualitativ anders geartet ist als der, welchen die Ranke vor der Berührung zeigte. Wir werden deshalb diese zweite Gruppe mit dem Namen formative Reize belegen. Die zwei Hauptteile unsrer Untersuchung ergeben sich nach dem Gesagten von selbst. I. Hauptteil. Die Bedeutung der Richtungsreize für die kausale Auffassung ontogenetischer Vorgänge. Da ich nicht bei allen Lesern dieser Schrift die Bekanntschaft mit den Thatsachen der Reizphysiologie voraussetzen kann, so halte ich es für geraten, zunächst die hauptsächlichsten hierher gehörigen Thatsachen zusammenzustellen. Ich werde mich dabei nicht auf das Tierreich beschränken, sondern auch zahlreiche Thatsachen aus dem Pflanzenreich anführen. Sind es ja gerade die Botaniker, welche zuerst und am erfolgreichsten die Erforschung dieses Gebietes der Physiologie in Angriff genommen haben. Es braucht wohl nicht erst besonders betont zu werden, dass ich nur die hauptsächlichsten Punkte zur Sprache bringen und unmöglich eine erschöpfende Darstellung unsrer Kenntnisse von den Richtungs- reizen geben kann. Der erste Teil ist ohnehin schon als einführender Abschnitt zu lang ausgefallen, so dass ich lange schwankte, ob ich ihn überhaupt veröffentlichen solle. Wenn ich mich nun schließlich doch dazu entschlossen habe, ihn so, wie er ist, der Oeffentlichkeit zu übergeben, so geschah dies einmal in der Hoffnung, dass die. Zu- sammenstellung für manchen eine willkommene Gabe sein dürfte, und zweitens deswegen, weil ich eine genaue Kenntnis der Richtungsreize zum Verständnis der theoretischen Betrachtungen im 2. Teil für uner- lässlich halte. 1) Da die Wortmann’sche Theorie der Reizkrümmungen hinfällig ge- worden ist, so erscheint mir das Auseinanderhalten beider Erscheinungsreihen — wenigstens zur Zeit — als vollkommen begründet. o Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese, 659 I. Teil. Die Richtungsreize im Tier- und Pflanzenreich. A. Spezielles. a) Ueber die Wirkung des Lichtes. «) Auf das Wandern freibeweglicher Organismen. Phototaxis [Heliotaxis] !). Bringt man einen Tropfen Wasser mit Kuglena viridis auf einen Öbjektträger und stellt den Spiegel des Mikroskops so ein, dass nur ein Teil des Tropfens von diffusem Tageslicht beleuchtet wird, so sieht man, wie sich bald alle Geißelschwärmer an der beleuchteten Seite ansammeln. Das Licht wirkt für Euglena wie eine Falle, so bemerkt treffend Engelmann [16]. Stahl [63], welcher ebenfalls mit Euglena experimentierte, konnte feststellen, dass sich die Euglenen mit der Längsaxe ihres Körpers in der Richtung der Strahlen einstellen und zwar bei schwächerem Lichte so, dass sie ihr vorderes Ende der Licht- quelle zu, ihr hinteres davon abwenden. Er zieht hieraus den Schluss, dass es sich bei dem Einfluss des Lichtes auf die Bewegung der Schwärmer „bloß um Richtungsverhältnisse handelt, welche von der rotierenden Bewegung selbst unabhängig sind“. Dies trat besonders deutlich bei denjenigen Individuen hervor, welche nicht auf die Licht- quelle zuschwammen, sondern an dem Objektträger oder an einem anderen im Tropfen anwesenden Körper festsaßen. „Die Längsaxe dieser Euglenen fiel, wie bei den freischwimmenden, annähernd mit der Richtung des Lichtstrahls zusammen“. Ebenso wie Euglena verhielten sich nach den ausgedehnten Unter- suchungen von Strasburger |66] eine große Menge Schwärmsporen und Flagellaten schwächerem Lichte z. B. diffusem Tageslichte gegen- über „positiv photo- resp. heliotaktisch“. Es mögen hier nur die Schwärmsporen von Botrydium granulatum und die Flagellate Chzlo- monas genannt werden. In ausgezeichneter Weise erwiesen sich nach den Versuchen Verworn’s |68] die Fäden der Osecillarie Glaucothrix graeillinia positiv phototaktisch. Auch Navieula brevis, eine Diatomee, sammelt sich nach den Angaben desselben Forschers an der Lichtseite des Tropfens an. Hierbei stellte er auch die bereits früher durch Cohn, Strasburger, Borodin u. a. bekannt gewordene Thatsache fest, dass die stärker brechbaren Strahlen d. h. die blauen, indigo- farbigen und violetten in höherem Grade die Bewegungsrichtung be- einflussen, als die schwächer brechbaren d. h. die roten, gelben und grünen. Der Unterschied kann so groß sein, dass sich manche Orga- nismen in Licht, welches eine Lösung von Kupferoxydammoniak durch- 4) Ich werde mich bei der Darstellung der phototaktischen und helio- tropischen Erscheinungen an die Auffassung anlehnen, welche von den meisten Forschern vertreten wird, und die neue Ansicht von Oltmanns [48] außer Acht lassen, da mir dieselbe weiterer Aufklärung zu bedürfen scheint. Ebenso werde ich nicht auf die Unterscheidung von phototaktischen und unterschieds- empfindlichen Tieren eingehen, welche Loeb [37] neuerdings eingeführt hat. 42* o 660 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. drungen hat, genau so verhalten, wie bei gewöhnlichen Tageslicht, während Licht, welches durch eine Lösung von doppeltehromsaurem Kali gegangen ist, wie Dunkelheit wirkt!). Es können selbstverständ- lich nicht alle Fälle von positiver Phototaxis angeführt werden, er- wähnen müssen wir jedoch, dass diese Erscheinung auch bei höheren Tieren nachgewiesen worden ist. In auffälliger Weise ist z. B. Hydra viridis positiv phototaktisch. Schon Trembley beobachtete dies in einem Gefäß, welches er in ein Mufffuteral gestellt hatte, das nur an einer Seite ein Loch aufwies. Wurde dieses Futeral mit der Oeffnung nach dem Fenster zugekehrt, so sammelten sich die grünen Polypen an der Seite des Glases an, welche sich der Oeffnung gegenüber be- fand. Mit den phototaktischen Erscheinungen bei Insekten hat sich in neuerer Zeit in ausgedehnter Weise Loeb [33] beschäftigt. Nach seinen Untersuchungen erwiesen sich z. B. die Raupen von Porthesia chrysorrhoea, die Blattläuse und die geschlechtsreifen Ameisen positiv phototaktisch. Der stärker brechbare Teil des Spektrums war auch hier wirksamer als der schwächer brechbare. Die Tiere verhielten sich also auch in dieser Hinsicht ganz so wie die oben erwähnten einzelligen Organismen. Als wir oben von der positiven Phototaxis der Flagellaten und Schwärmsporen sprachen, war es immer nur schwächeres Licht, welches die Bewegung zur Lichtquelle hin bewirkte. Lässt man aber auf die Stelle des Tropfens, an welcher sich die Algen angesammelt haben, direktes Sonnenlicht fallen, so kehren die Schwärmer um, und begeben sich jetzt nach dem nicht beleuchteten Teile des Tropfens. Durch Steigerung der Lichtintensität sind also dieselben Organismen, welche vorher positiv phototaktisch waren, negativ phototaktisch geworden (Strasburger). Dieselbe „Stimmung“ auf eine bestimmte Licht- intensität, die positive Phototaxis im Gefolge hat und nach oben nicht überschritten werden darf, falls nicht die entgegengesetzte Richtungs- bewegung ausgelöst werden soll, zeigen nach Stahl [63] auch die Desmidiaceen und Diatomeen. Negativ phototaktisch zeigen sich selbst für gewöhnliches Tageslicht die Plasmodien von Aethalium septicum vor ihrer Reife. Plasmodien, welche im Dunklen an die Oberfläche der Lohe gekrochen sind, kriechen bei Beleuchtung wieder in das Substrat hinein. Dasselbe Verhalten zeigen die Plasmodien, welche auf eine nasse Glasplatte gekrochen sind; wird nämlich eine Stelle 4) Die Beobachtungen von Engelmann [16], welche dieser Regel schein- bar widersprechen, erklären sich daraus, dass es sich hierbei um gar keine direkte Lichtwirkung handelt. Die untersuchten Tiere (Navicula und chloro- phylihaltige Ciliaten [Stentor viridis, Bursaria ete.]) sammelten sich nämlich bei Sauerstoffmangel in demjenigen Teil des Spektrums an, in welchem die Chlorophylikörner und parasitären Algen, die sie enthielten, am meisten Sauer- stoff produzierten. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 661 der letzteren beleuchtet, so kriechen sie an die dunkleren Stellen der- selben (Stahl und Baranetzky). Unter den Diatomeen hat Verworn [68] eine typisch negativ phototaktische Form entdeckt; es ist dies eine nicht näher bestimmte Stauroneis- Art. Dieselbe zeigte sich auch im Halbdunkel negativ phototaktisch. Bei höheren Tieren beobachtete Loeb |33] negative Phototaxis bei den Larven des Mehlkäfers ( Tenebrio molitor) und bei den Museciden- larven. Letztere sind noch besonders aus dem Grunde interessant, dass sie keine Augen besitzen und trotzdem auf Lichtreize reagieren. Es ist Graber |19] gewesen, welcher diese wichtige Thatsache zuerst am Regenwurm und an geblendeten Tritonen und Periplaneten fest- gestellt hat. ß) Ueber die Wirkung des Lichtes auf die Wachstumsrichtung. Heliotropismus. Der Einfluss einseitiger Beleuchtung auf die Wachstumsrichtung pflanzlicher Organe ist so augenfällig, dass es nicht nötig ist, ausführ- lich darauf einzugehen; kann ja jeder täglich im Zimmer an den Pflanzen des Blumentisches die betreffenden Erscheinungen beobachten. Am exaktesten lässt sich der riehtende Einfluss des Lichtes auf die von Sachs [60] angegebene Weise demonstrieren. Wir bringen einen Topf mit jungen Keimpflanzen der Bohne in einen lichtdichten Kasten, welcher nur an einer Seite durch ein Loch beleuchtet wird. Auf letzteres ist nach außen ein Rohr aufgesetzt, das vorn von einer mit einem Spalte versehenen Platte verschlossen ist. Oeftnet man nach einigen Stunden den Kasten wieder, so wird sich zeigen, dass sich die Sprosse sämtlicher Keimlinge in der Rich- tung der einfallenden Lichtstrahlen nach der Oefinung hingekrümmt haben. Sie haben sich also als positiv heliotropisch erwiesen. Als Grund für diese Krümmung wird gewöhnlich angegeben, dass die vom Lichte abgewandte Seite stärker gewachsen ist als die demselben zugekehrte. Dies ist jedoch nach den neuesten Untersuchungen von Kohl [31] ungenau, wie wir später sehen werden. Aendern wir nunmehr den Versuch dahin ab, dass wir vor die Oefinung des Rohres eine parallelwandige Glasflasche mit einer Lösung von Kupferoxydammoniak bringen, so wird sich zeigen, dass sich die Sprosse ebenso verhalten wie bei gewöhnlichem Lichte. Stellen wir dagegen eine Flasche mit einer Lösung von doppeltehromsaurem Kali, welche nur die roten, gelben und einen Teil der grünen Strahlen durch- lässt, vor die Oeffnung, so reagieren die Keimstengel in keiner Weise: sie wachsen in derselben Richtung weiter wie vorher. Dasselbe tritt ein, wenn wir schließlich noch eine 3. Flasche mit einer Lösung von schwefelsaurem Chinin, welche sämtliche ultroviolette Strahlen absor- biert, vor die Oeffnung bringen. Das Resultat unsrer 3 Versuche ist also 662 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. dieses, dass hauptsächlich die sichtbaren blauen und violetten Strahlen eine Aenderung der Richtung wachsender Pflanzenorgane herbeiführen. Stellen wir nunmehr Keimpflanzen von Sinapis alba, welche sich in einem Glasgefäß mit Nährlösung befinden, in den dunklen Kasten, so werden wir nach einiger Zeit bemerken, dass sich die Wurzeln von der Lichtöffnung weggekrümmt haben und in Richtung der Strahlen nach der entgegengesetzten Wand der Dunkelkammer gewachsen sind. Die Keimwurzeln der jungen Senfpflanzen haben also im Gegensatz zu den Sprosgaxen, welche sich auch hier der Lichtquelle zugewendet haben, eine negativ heliotropische Krümmung ausgeführt. Neben den beiden, bis jetzt erwähnten Arten von Heliotropismus gibt es nun aber noch eine dritte, welche von Frank [18] als Trans- versal-, von Darwin |4] als Diaheliotropismus bezeichnet wor- den ist. Derselbe offenbart sich z. B. an bilateralen Laubblättern, welche immer so orientiert sind, dass die Lichtstrahlen annähernd senkrecht auf die Blattoberfläche fallen. Auch der Thallus vieler Lebermoose hat das Bestreben, seine Oberfläche senkrecht zu den ein- fallenden Lichtstrahlen zu stellen. An einfach angestellten Experimenten kann man sich leicht vor der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen. Bei festsitzenden Tieren wurde eine Aenderung der Wachs- tumsrichtung durch einseitig einfallende Lichtstrahlen zuerst von Driesch [8] beobachtet. Derselbe stellte Stöcke von Sertularella polyzonias L. in verschiedener Lage im ein Aquarium, von dessen Glas- wänden 3 mit schwarzem Papier verklebt waren. Das Licht fiel nur durch die eine der beiden schmalen Glasscheiben, welche dem Zimmer- fenster zugewandt war, in das Aquarium ein. Driesch machte nun zunächst an den so aufgestellten Stöcken die merkwürdige Beobachtung, dass dieselben an Stelle von Polypen Stolonen produzierten; und diese Stolonen erster Ordnung er- wiesen sich sämtliche in ausgesprochener Weise negativ helio- tropisch. Die von diesen erzeugten Tochterstolonen, die Stolonen zweiter Ordnung, wuchsen dagegen stets dem Lichte ent- gegen, sie wurden also zunächst positiv heliotropisch. Dieser positive Heliotropismus verwandelte sich jedoch ebenfalls in negativen, nachdem sich vom Stolo ein Tochterstolo dritter Ordnung abgezweigt hatte. Während bei Driesch durch geeignete Stellungen ein Einfluss der Schwerkraft auf die Wachstumsrichtung der Stolonen ausgeschlossen wurde, sind die von Loeb [34] an Serpula unecinata und einer nicht näher bestimmten Sertularia- Art beobachteten heliotropischen Aende- rungen der Wachstumsrichtung!) nieht einwandsfrei. 1) Spirographis wendet sich nach Loeb in auffälliger Weise der Licht- quelle zu. Wir haben es hier jedoch nur mit einer heliotropischen Krümmungs- bewegung und nicht mit einer Aenderung der Wachstumsrichtung zu thun. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 663 Loeb legte einen Block, der ausschließlich aus parallelen Wurm- röhren bestand, so auf den Boden eines von oben beleuchteten Aqua- riums, dass die Längsaxen der Röhren horizontal lagen. „Nach 6 Wochen war der Block mit aufwärts gekrümmten Röhren übersäet, während nicht eine einzige Röhre in der ursprünglichen Richtung weiter ge- wachsen war“. Die Würmer waren also allerdings in der Richtung der Liehtstrahlen der Lichtquelle zugewachsen, da aber die Strahlen- richtung zugleich mit der Richtung der Schwerkraft zusammenfiel, so ist der Versuch nicht beweisend. ; Ebenso steht es mit den Versuchen an Sertularia. Die Stöcke waren nahe an ihrem unteren Ende abgeschnitten und verkehrt in den Sand gesteckt worden. Das Licht fiel schräg von oben ein. An dem nach oben gekehrten Schnittende wuchs nach einiger Zeit ein Stolo und ein Polypensympodium — von Loeb kurz „Spross“ genannt — hervor. Letzteres wuchs schräg nach oben nach dem Fenster hin, während sich der Stolo schräg nach unten richtete. Da in diesem Falle die Richtung der Lichtstrahlen wieder annähernd mit der Rich- tung der Schwerkraft übereinstimmte, so ist auch hier wenigstens ein Mitwirken der letzteren nieht ausgeschlossen, was übrigens Loeb selbst erwähnt. b) Ueber die Wirkung der Schwerkraft. a) Auf das Wandern freibeweglicher Organismen. Geotaxis. In gleicher Weise wie die Lichtstrahlen wirkt auch die Schwer- kraft riehtend auf die Bewegung der Organismen. Fr. Schwarz [62] war der erste, welcher an den Flagellaten Zug/ena und Chlamydomonas geotaktische Erscheinungen konstatieren konnte und zwar erwiesen sich die betreffenden Algen negativ geotaktisch d. h. sie bewegten sich in der Richtung der Schwerkraft von dem Erdmittelpunkte weg. Aderhold|1] wies darauf zwar nach, dass die Versuche von Schwarz nicht durchweg einwandsfrei waren, konnte aber trotzdem seine An- gaben bestätigen. Außerdem konnte er auch bei Haematococeus lacustris und den Schwärmsporen von Ulothrix tenuis Kg. — hier zwar in weniger ausgeprägter Weise — negative Geotaxis nachweisen. In neuerer Zeit hat sich Jensen |27] eingehend mit der Geotaxis niederer Organismen beschäftigt und bei Paramaecium aurelia, P. bur- saria und Urostyla grandis ausgesprochenen negativen Geotropismus nachgewiesen. Er legte em Hauptgewicht auf die Untersuchung der Frage, ob das Aufwärtskehren des Vorderendes und das Abwärts- wenden des Hinterendes und damit die Bewegungsrichtung bei den gen. Organismen vielleicht einfach dadurch verursacht werde, dass sich der Schwerpunkt in der Nähe des hinteren Endes befinde. An konservierten Exemplaren, die durch das Konservationsmittel keine Formveränderung erfahren hatten, konnte er feststellen, dass dies 664 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. nicht der Fall ist; so fielen z. B. die konservierten Euglenen stets mit dem eilientragenden Ende voran nach unten; also gerade entgegen- gesetzt als sie nach der oben aufgestellten Vermutung fallen sollten. Das Phänomen des neg. Geotropismus selbst stellt sich Jensen!) jedoch nicht als unmittelbare Reizwirkung der Schwerkraft vor, son- dern er sucht die Ansicht plausibel zu machen, dass sich die sog. negativ-geotaktischen Organismen „von Orten höheren hydrostatischen Druckes nach solchen von geringerem begeben“, während bei der positiven Geotaxis die Bewegung von Orten geringeren nach solehen von höherem Druck gerichtet sein soll. Seine Beweise haben mich jedoch von der Richtigkeit dieser Annahme nicht überzeugen können; wenn auch ihre Wahrscheinlichkeit nicht zu bestreiten ist. Ueber geotaktische Erscheinungen bei höheren Tieren berichtet Loeb [35]. So erweisen sich z. B. nach ihm die Schmetterlinge, welehe eben der Puppenhülle entschlüpft sind, in deutlicher Weise negativ geotaktisch. „Das Tier ist so lange unruhig und ist gezwungen, so lange umherzulaufen, bis es an eine vertikale Wand gelangt, an der es die Längsaxe seines Körpers in die Richtung der Vertikalen mit dem Kopfe nach oben stellen kann“ (S. 53). Einige Zeit nach dem Ausschlüpfen soll jedoch diese Reizbarkeit durch die Schwerkraft schwinden. Auch Raupen (z. B. Bombyx neustrin), kleine Käfer (Coceimellen), die Küchenschaben, Cucumarien und Asterina gibbosa sollen negativ geotaktisch sein. ß) Ueber die Abhängigkeit der Wachstumsrichtung von der Wirkung der Schwerkraft. Geotropismus. Besser bekannt als die geotaktischen Bewegungen der Organismen sind — wenigstens im Pflanzenreiche — die Erscheinungen des Geo- tropismus, welcher neben der Wirkung des Lichtes einen großen Einfluss auf die äußere Gestalt der Pflanzen ausübt. Legen wir eine Keimpflanze einer Bohne auf feuchte Erde in einem dunklen dampfgesättigten Raum, so sieht man nach einiger Zeit, wie die Hauptwurzel nieht weit von ihrer Spitze eine Krümmung erfährt und sich senkrecht in die Erde einzubohren beginnt. Hätten wir an Stelle des Bohnenkeimlings irgend welche andere Keimpflanzen verwendet, so würden sich die Hauptwurzeln überall positiv geotropisch gezeigt haben. 1) Jensen redet von einer „mystischen“ Wirkung der Schwerkraft, zu der man bei Verwerfung seiner Ansicht seine Zuflucht nehmen müsse. Hätte er Noll’s Arbeit [46] gekannt, so würde er sich vielleicht überzeugt haben, dass man an dem Beispiel einer Maschine sehr wohl die positive und negative Geotaxis würde plausibel machen können. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 665 Einen ausgesprochenen positiven Geotropismus besitzen ferner die Luftwurzeln tropischer Aroideen (Philodendron) und die Säulenwurzeln der indischen Feigenbäume, welche anfangs seilartig wie Luftwurzeln von den Seitenästen der Bäume herabhängen, später aber eine be- trächtliche Dicke erreichen. Befestigt man eine von diesen strick- artigen Säulenwurzeln in horizontaler Lage, so bemerkt man in feuchten Klimaten bereits am anderen Tage, dass die Spitze ihre ur- sprüngliche Wachstumsrichtung senkrecht nach unten wieder einge- schlagen hat. An unsrer Keimpflanze, welche wir oben zum Ausschluss helio- tropischer Krümmungen in einen dunklen Raum gelegt hatten, sieht man außerdem, wie sich im Gegensatz zur Wurzel der Stengel so lange nach aufwärts krümmt, bis er seine ursprüngliche senkrechte Stellung wieder erlangt hat. Während also die Hauptwurzeln der Pflanzen positiv geotropisch sind, weisen die aufrecht wachsenden Hauptsprosse negativen Geo- tropismus auf. Sollte jemand durch den bloßen Ausschluss anderer richtender Kräfte noch nicht überzeugt sein, dass die senkrechte Aufwärts- und Abwärtskrümmung der Hauptsprosse und -Wurzeln durch den Reiz der Schwerkraft veranlasst wird, so mag er eine Keimpflanze an der horizontalen Axe eines sich langsam drehenden Klinostaten in beliebiger Orientierung befestigen und er wird sehen, dass Spross und Wurzel in der erhaltenen Richtung weiter wachsen. Da durch die fortwährende Drehung immer andere Pflanzenteile der Wirkung der Schwerkraft ausgesetzt werden, und zu dem Zustandekommen der Krümmungen stets einige Zeit erforderlich ist, so kann keine Krümmung der Wachs- tumsrichtnng durch die Schwere ausgelöst werden. Neben den positiv und negativ geotropischen Organen gibt es aber auch noch solche, welche mit der Richtung der Schwerkraft einen annähernd konstanten Winkel bilden, den sie immer wieder zu bilden suchen, wenn sie durch einen künstlichen Eingriff m eine abnorme Lage gebracht werden. Man nennt derartige Organe dia- oder transversal- geotropische. Ein ausgezeichnetes Beispiel hierfür sind nach Sachs die Nebenwurzeln erster Ordnung von Vicia faba. Drehte derselbe den Kasten, in welchem die Keimpflanze wuchs, so um, dass die Spitze der Hauptwurzel nach oben gekehrt war, so krümmte sich dieselbe an ihrer Spitze vertikal abwärts, während die Nebenwurzeln schief nach unten weiter wuchsen und zwar so, dass sie mit der Riehtung der Schwerkraft ungefähr denselben Winkel bildeten, den sie vor der Umkehrung gebildet hatten. Transversalgeotropisch sind ferner die horizontal in der Erde hin- kriechenden Rhizome, z. B. die von Heleocharis palustris, Sparganium ramosum und Seirpus maritimus. Bringt man ein Rhizom dieser Pflanzen 666 Haacke, Formenpbilosophie von Hans Driesch. bei Lichtabschluss in eine aborme Lage, so krümmen sie sich so lange, bis die horizontale Lage wieder hergestellt ist (Elfving [12]). Von oberirdischen Organen sind die Seitenäste der vertikalen Coniferenstämme diageotropisch. Auch sie krümmen sich in ihre ge- wöhnliche Lage zurück, wenn man sie in eine abnorme Stellung bringt. Unter den Laubbäumen sind ebenfalls diageotropische Seitensprosse verbreitet; hier sei nur an die Seitenäste erster Ordnung des weißen Baumwollenbaumes (white cotton-tree), Friodendron attractuosum, dessen senkrecht vom vertikalen Hauptstamm abstehende, ziemlich weit von einander entfernte Aeste dem Baum einen eigenartigen Habitus verleihen. Von den Kryptogamen seien nur die von Sachs [60] er- wähnten Hüte der Hymenomyeeten wegen ihres ausgesprochenen Transversalgeotropismus erwähnt. Bei festsitzenden Tieren ist der Einfluss der Schwerkraft auf die Wachstumsrichtung von Loeb und Driesch nachgewiesen worden. Ersterer |30, IL] wies nämlich in überzeugender Weise nach, dass der Hauptstamm von Antennularia antennina negativ, die Stolonen dagegen positiv geotropisch sind. Driesch [9] machte seine Beobachtungen an einer höchst spärlich verästelten, bei Nisida (Golf von Neapel) ge- fischten, namenlosen Sertularella-Form. Dieselbe produzierte gleich der von Drieseh in Plymouth untersuchten Sertularella polyzonias!) im Aquarium an Stelle von Polypen Stolonen, von denen sich diejenigen erster Ordnung inbezug auf Lieht und Schwerkraft riehtungslos ver- hielten — wenn sich schon im Laufe des Wachsens meist eine Ten- denz zu horizontaler Lage geltend machte —, während sämtliche Tochterstolonen an der nach oben gewandten Seite der Primärstolonen entstanden und einen typischen negativen Geotropismus aufwiesen. „Durch wiederholtes Umlegen des Stockes können die Stolonen zu Wendungen veranlasst werden, die sich, da stets nur ein kleiner Be- zirk wächst und nur dieser geotrepisch ist, dauernd fixieren“. (Fortsetzung folgt.) Die Formenphilosophie von Hans Driesch und das Wesen des Organismus. Von Wilhelm Haacke. (Fortsetzung statt Schluss.) Nachdem Driesch sich bemüht hat, nachzuweisen, dass das Formenproblem nicht isoliert dastehe, fragt er: „Wie kommt es aber, dass Physik und biologische Morphologie bei dieser Uebereinstimmung doch gar so verschieden in ihrem Wesen sind? In der Physik ist das Naturgesetz mühsam zu ermitteln, gestattet dann aber Deduktionen 1) Die Stolonen dieser Form zeigten sich im Gegensatz zur Neapler Art ausgesprochen heliotropisch. Siehe oben S. 662. Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 667 in weitem Maß; dagegen ist uns die Grundthatsache des Formbildungs- prozesses unmittelbar gegeben“, und ferner: „Wenn ich sage: „Dieser Körper ist elektrisch‘ oder ‚dieser Körper ist warm‘, auch ‚dieser Körper ist flüssig‘, so drücke ich dadurch Eigenschaften desselben aus; ebenso wenn ich sage: ‚dieser Körper hat eine bestimmte Form‘. Im ersten Fall ist die Eigenschaft eine bestimmte Fähigkeit, auf andere Körper zu wirken, im zweiten bezeichnet sie eimen bestimmten Zustand; be- züglich der Wirkung kann ich nun fragen: ‚nach welchem Gesetz wird gewirkt‘ und baue dann die quantitative Theorie der Naturkraft aus; bezüglich des Zustandes kann ich entsprechend nur fragen: ‚wie ist er‘, d.h. ich kann ihn bloß beschreiben“. „Wenn ich ferner sage: ‚dieser Körper ist elektrisch‘, so genügt das, um aus der Theorie seine Wirkungsweise auf andere Körper wenigstens im Prinzip quantitativ darzustellen, ohne dass ich weiß, wieviel Elektrizität er enthalte; aber zu sagen: ‚dieser Körper hat Form‘, ist ein Unding, womit gar nichts gesagt ist, als dass er einen bestimmten Raum einnehme, was iel a priori weiß“. Eine bestimmte Form entspricht nach Driesch einem Naturgesetz, und daraus soll sich ein Gegensatz zwischen Physik — Driesch hätte lieber sagen sollen Mechanik — und Morphologie ergeben. „Physik“, sagt Driesch, „ist Lehre des Wirkens in quan- titativer Hinsicht, der Bewegung, der Energie. Als solche nennt sie sich von ihrer allgemeinsten Unterabteilung her Mechanik, Mechanismus (neuerdings Energetik). Da aber Morphologie, sofern sie wenigstens auf das Verschiedene und Spezifische an den Formen Rücksicht nimmt, durchaus keinen quantitativen Charakter hat und nicht von Wirkungen, sondern von Ordnung handelt, so ist sie eben kein Mechanismus“. Hiermit glaubt Driesch die von der neueren Biologie gehegte Ueber- zeugung, dass die Formen mechanistisch zu erklären seien, endgiltig widerlegt zu haben. Sehen wir zu, ob er Recht hat! Der Beweis, welchen Driesch erbracht zu haben glaubt, ist des- halb hinfällig, weil er von falschen Voraussetzungen ausgeht. Die Behauptung, dass die Formen keinen quantitativen Charakter hätten, ist durchaus unbegründet. Die Zahl spielt eine hervorragende Rolle, wo es sich um die Unterschiede der Formen handelt: Ein Dreieck ist kein Viereck! Und in derselben Weise, wie sich die Polygone durch die Anzahl ihrer Ecken unterscheiden, unterscheiden sich die Tiere und Pflanzen zum großen Teil durch die Anzahl der Zellen, aus denen sie bestehen. Nehmen wir einmal an, die Zellen seien kugel- förmige Gebilde, so hätten wir in einem einzelligen Organismus eben weiter nichts als eine Kugel vor uns. Auch in einem zweizelligen Organismus würden wir nur zwei einander berührende und zum Teil miteinander verschmolzene Kugeln haben. Sobald aber der Organismus dreizellig wird, ist dadurch die Möglichkeit einer großen Formenmannig- faltigkeit gegeben. Die drei Kugeln können so zu einander liegen, 668 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. dass ihre Mittelpunkte in eine grade Linie zu liegen kommen; sie können sich aber auch in den Ecken etwa eines gleichschenkligen Dreiecks befinden, oder so angeordnet sein, dass die Verbindungslinien ihrer Mittelpunkte einen rechten oder einen stumpfen Winkel mitein- ander bilden. Eine noch weit größere Formenmannigfaltigkeit wird aber durch vier-, fünf- und sechszellige Organismen bedingt, kurz, mit der Zunahme der Anzahl der Zellen nimmt auch die Anzahl der möglichen Formen zu. Wir haben eben zu bedenken, dass der Organismus etwas Ge- gliedertes ist, und dass der Charakter der Gliederung sehr wesent- lieh von der Anzahl der Glieder beeinflusst wird. Wenden wir uns nun vom Organismus zum chemischen Molekül, so ersehen wir aus den einschlägigen Thatsachen, dass die Eigentüm- liehkeiten der chemischen Verbindungen im höchsten Grade von der Anzahl der Atome in ihren Molekülen abhängen. Das Molekül des Kohlenoxydgases, das nur ein Atom Sauerstoff hat, ist anders be- schaften als das der Kohlensäure, in welchem mit dem Kohlenstoff- atom zwei Atome Sauerstoff verbunden sind. Hier hängt also der Charakter der Verbindung direkt von der Anzahl der Sauerstoffatome ab, von der Quantität des Sauerstoffs, die sich mit dem Kohlenstoff verbunden hat; und wenn wir auch nie aus dem Auge verlieren dürfen, dass es chemische Verbindungen gibt, in welchen dieselben Elemente durch dieselbe Anzahl von Atomen vertreten sind, wie in anderen, qualitativ von ihnen verschiedenen Verbindungen, wenn wir also auch wissen, dass die Qualität der chemischen Verbindungen nicht allein von der Anzahl der verschiedenen Atome sondern auch von der Art und Weise ihrer Gruppierung abhängt, so kann doch ebersowenig be- stritten werden, dass die Anzahl der Atome ebenso wichtig ist, wie die Gruppierung, und zwar deshalb, weil eine größere Anzahl von Atomen eine mannigfachere Gruppierung zulässt. Wir brauchen dabei nur an die Kohlenstoffverbindungen zu denken. Der Satz, in welchen Driesch das Hauptergebnis seiner Unter- suchungen zusammenfasst, ist deshalb falsch. Dieser Satz lautet: „Dem Mechanismus steht die Tektonik, oder allgemeiner (die Chemie init einschließend) die Qualität eoordiniert zur Seite“. Dieses Ergebnis ist schon deshalb gänzlich hinfällig, weil Tektonik nur durch Mechanismus zu stande kommt. Die Formen sind Gleich- sewichtszustände, und sie können durch mechanische Eingriffe geändert werden. Die Mechanik zerfällt bekanntlich in Statik und Dynamik, in die Lehre vom Gleichgewicht und in die von der Bewegung. Mit Gleich- gewichtszuständen der Materie hat es die Statik zu thun. Insofern es sich dabei nur um die allgemeinsten Gesetze des Gleiehgewiehts handelt, wie sie sich an den einfachen Maschinen, an dem Hebel, an Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 669 der Schraube, an dem Wellrad u. s. w. offenbaren, können wir von allgemeiner Statik sprechen. Im Gegensatz zu dieser allgemeinen Statik können wir die Tektonik als spezielle Statik bezeichnen. Die Tektonik hat es mit speziellen Gleichgewichtssystemen zu thun, in der Chemie mit den Molekülen, in der Mineralogie mit den Krystallen, in der Zoologie und Botanik mit den verschiedenen Individualitäts- stufen der Tiere und Pflanzen. Neben der speziellen Statik steht die spezielle Dynamik, die sich mit den Bewegungszuständen, die wir an Gruppen von Naturkörpern beobachten, beschäftigt. Eine solche spezielle Dynamik ist die Astronomie. Da es sich bei der speziellen Dynamik um die Anordnung der Materie im Raum handelt, also schließlich auch um Formenverhältnisse, so können wir sie als einen Teil der Tektonik betrachten. Demnach würde die Mechanik über- haupt zerfallen in allgemeine Mechanik, die wir, wie es neuerdings üblich ist, am besten Energetik nennen, und in spezielle Mechanik oder Tektonik. Auf mangelhafter Einsicht in das Wesen der Tektonik beruht es aber, wenn man sie in Gegensatz zur Mechanik bringt; denn es handelt sich in der Tektonik keineswegs um die Qualität der Naturkörper. Diese geht uns in den mechanistischen Wissen- schaften garnichts an, eine Wahrheit, deren Giltigkeit hier zu zeigen nicht überflüssig sein wird. Wer sich von dieser Wahrheit noch nicht überzeugt hat, wird vor allen Dingen auf die Chemie hinweisen und sagen, dass wir es in dieser Wissenschaft vor allen mit den Qualitäten der Stoffe zu thun hätten. Aber das ist ein Irrtum, wenn auch ein leicht verzeihlicher. Wenn wir etwa den Geschmack des Kochsalzes wahrnehmen, so han- delt es sich dabei doch durchaus nicht um das Kochsalz selbst. Das Kochsalz erregt unsere Geschmacksnerven in bestimmter Weise, d. h. es erzeugt in ihnen noch genauer zu erforschende Prozesse unbekann- ter Natur, die sich von den Endigungen der Geschmacksnerven in den Schmeckbechern durch die Nerven hindurch bis zum Gehirn fort- pflanzen und auch hier bestimmte mechanische Prozesse erzeugen. Mit diesen letzteren ist erst die Empfindung des Salzigen verbunden. Auf welche Weise, das wissen wir freilich nicht; aber soviel wissen wir, dass wir behaupten können, es bilde sich in dem Momente, in welchem uns die Empfindung des Salzigen zum Bewusst- sein kommt, kein Kochsalz im Gehirn. Welches Gleichgewichtssystem an der Stelle des Gehirns, wo die Empfindung des Salzigen stattfindet, entsteht oder zerfällt, das wissen wir zwar nicht; dass es aber nicht grade Kochsalz ist, können wir mit Sicherheit behaupten. Wir können ferner annehmen, dass alle Empfindungen, falls es sich dabei um die Bildung oder den Zerfall von Gleichgewichtssystemen handelt, nur in dem Moment wahrgenommen werden, in welchem sich die betreffenden 670 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. Systeme bilden, beziehungsweise zerfallen, in dem Moment, wo ein Gleiehgewichts- oder Bewegungszustand in einen anderen Gleichge- wichts- oder Bewegungszustand übergeht. Aus allen diesen Erwägungen geht aber zweifellos hervor, dass wir zur Zeit überhaupt noch nicht von irgend welchen Qualitäten der Stoffe und der Energiearten sprechen können. Wir wissen nicht, was im Gehirn vorgeht, wenn wir salzig oder süß schmecken, Rosenduft oder Kotgestank riechen, grün oder rot sehen, einen Flintenknall oder die Schwingungen einer Stimmgabel hören, heiß oder kalt empfinden. Es ist möglich, oder doch wenigstens denkbar, dass wir noch einmal dahin kommen werden, zu sagen: In dem Moment, wo wir die Empfindung blau haben, entsteht oder zerfällt diese oder jene Anordnung, konstituiert oder ändert sich dieses oder jenes Gleichgewichts- system. Und wenn wir einmal so weit sein werden, dann können wir von Qualitäten sprechen, dann können wir sagen, der Bildung oder dem Zerfall dieses Gleichgewichtssystems entspricht die Empfindung grün, der jenes die Empfindung sauer; ja es ist, wenigstens im Prinzip, nicht ausgeschlossen, dass wir einmal die psychischen Vorgänge durch die ihnen entsprechenden zur Zeit noch unbekannten mechanischen Prozesse bezeichnen, sie durch dieselben Formeln wie diese Prozesse ausdrücken; aber vorderhand wissen wir über die Qualität der in der Welt stattfindenden Vorgänge nicht das allergeringste, da wir die Vorgänge, die unseren Empfindungen entsprechen, nicht kennen, da diese Vorgänge im Gehirn stattfinden und ganz andere sind als die Prozesse in der Außenwelt, durch welche erst auf weiten Umwegen die uns zum Bewusstsein kommenden Vorgänge im Gehirn veranlasst werden. Und wenn wir auch dahin gelangen sollten, einen vollständigen Paral- lelismus zwischen den psychischen Vorgängen und denen der Körper- welt, mit denen sie Hand in Hand gehen, festzustellen, so muss doch die Körperwelt für unsere Forschung qualitätlos bleiben, weil wir niemals den Grund einsehen werden, weshalb bestimmten Vorgängen in der Körperwelt bestimmte Empfindungen entsprechen. Nach alledem ist es zwar ganz richtig, mit Driesch und Wigand zu sagen, dass der Charakter der Natur als Mechanismus nur eine ihrer Seiten sei; aber es ist falsch, dieser einen Seite die Tektonik als die andere Seite gegenüberzustellen. Tektonik ist spezielle Mechanik, Mechanik angewandt auf ein spezielles Gleichgewichts- oder Bewegungs- system. Tektonik hat ebensogut einen quantitativen Charakter wie die allgemeine Mechanik oder Energetik. Die Energetik handelt von den all- gemeinen Gesetzen des Gleichgewichts und der Bewegung, die Tektonik von der Anwendung dieser allgemeinen Gesetze auf die vorhandenen Naturkörper. Mechanik aber sind beide. Der Mechanik steht als zweite Hauptwissenschaft die Psychologie gegenüber; diese, und nur diese, hat es mit Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 671 den Qualitäten zu thun. Auch ein Taubgeborener kann mecha- nische Akustik betreiben. Was er nicht weiß, das ist, dass kurze Schallwellen die Empfindung hoher Töne, lange die tiefer Töne er- zeugen; aber auch dem, der Hören kann, nützt dieses Wissen bei akustischen Studien durchaus nichts, insofern wenigstens, als die Theorie der Schallwellen in Betracht kommt. Wirhaben demnach die Wissenschaften im mechanistische und psycho- logische zu trennen. Die ersteren haben es lediglich mit den Gesetzen des Gleichgewichts und der Bewegung und deren Anwendung auf die Naturkörper zu thun. Dass der Zinnober rot ist, geht den Physiker nicht das allergeringste an, sondern nur, dass er nur Lichtwellen von bestimmter Wellenlänge reflektiert, die von anderen Wellenlängen aber absorbiert. Der von Driesch versuchte Nachweis, dass Tektonik mit Qualität identisch sei, ist deshalb nur ein vermeintlich geführter, und dasselbe gilt folglich auch von dem, dass die Morphologie, die tektonische Wissenschaft, es nicht mit Mechanismus zu thun habe. Sie wie alle übrigen die Körperwelt betreffenden Wissenschaften hat sie es ausschließ- lich mit Mechanismus zu thun, während die Psychologie allein die Qualitäten zum Gegenstand ihrer Forschung hat!). An sein vermeintliches Resultat, dass die Formen ursächlich un- verständlich seien, knüpft Driesch die Frage, wie damit die 'That- sache stimme, dass gewisse Agentien die Formen verändern, und die fernere, ob diese Thatsache seiner Behauptung nicht wiederspräche. Diese Fragen erörtert Driesch an einem speziellen Fall, und zwar an den Versuchen von Herbst, der dem eine Anzahl Seeigeleier bergen- den Seewasser geringe Mengen eines Lithiumsalzes zusetzte und da- durch die Entwicklung der Eier in völlig andere Bahnen lenkte. „Hier können wir“, sagt Driesch, „mit Fug und Recht das Lithium eine Ursache der Veränderung nennen; so wäre denn also die neue Form kausal begriffen ?* Um zu zeigen, dass solches nieht der Fall sei, kommt Driesch auf seine Erörterung über „Reize“ zurück und sagt: „Wohl ist das Lithium Ursache der Veränderung, aber nur eine Ursache; die zweite, für das spezifische Resultat wesentliche Ursache liegt in der Natur des betroffenen Körpers“. „Es wird nicht unnütz sein“, sagt Driesch weiterhin, „das Gesagte durch ein der Chemie entlehntes Beispiel zu erläutern. Wenn ich dieselbe Lithiumlösung zu einer ge- 1) Ich bin darauf gefasst, dass Driesch den philosophischen Standpunkt, der sich durch obige Erörterungen kund gibt, nicht gelten lassen wird. Für den Naturforscher ist aber die einzig mögliche Weltanschauung die, welche in naiver Weise nach dem Beispiel des gesunden Menschenverstandes die Außenwelt und nicht bloß die Empfindungen für etwas Reales hält. 672 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. lösten Substanz A gegossen hätte, so wäre, nehmen wir an, ein Nieder- schlag B entstanden; das Entstehen von B liegt doch ganz offenbar nur zur Hälfte im Lithiumsalz begründet, zur anderen in A, was sich schon daran zeigt, dass, wenn ein Stoff A‘ statt A verwandt worden wäre, auch nicht B, sondern ein anderer Niederschlag B‘ entstanden wäre“. Driesch fährt dann fort, Herbst habe das Lithium geradezu als Reiz bezeichnet, der die Formenveränderung der Seeigeleier aus- löse; allein das Wort Reiz im physiologischen Sinne bezeichne „das auf eigenartiger Struktur des Substrats beruhende und bei gegebener Struktur durchaus verständliche Auftreten einer spezifischen Energie- art“, das durch Zufuhr einer gewissen Energie ausgelöst werde. Durch ein Beispiel erläutert, würde dieser Satz besagen, dass etwa bei dem Herabfallen eines Steines mit bestimmtem Gewicht von einer be- stimmten Höhe durch das Auffallen auf eine Unterlage eine be- stimmte Menge von Wärme hervorgerufen oder ausgelöst werde, oder, sofern es sich um Organismen, also um physiologische Reize handelt, dass durch das Verzehren einer bestimmten Quantität von Nahrung von gegebener chemischer Zusammensetzung eine bestimmte Quantität von Wärme im Tierkörper erzeugt werde. Aber um derartige Reize handle es sich, sagt Driesch, bei den sich in lithiumhaltigem See- wasser entwickelnden Seeigeleiern nicht, denn bei ihnen würde nicht eine gewisse Energieart hervorgerufen, sondern ihre Struktur selbst würde verändert. Man solle deshalb in derartigen Fällen von „morphologischen Reizen“, also von Reizen, die eine Umgestaltung auslösen, reden. Durch diesen Gedankengang glaubt Driesch sich zu der Ent- scheidung berechtigt, dass die sich normaler Weise aus Seeigeleiern entwickelnden Jugendformen oder Larven und die Lithiumlarve zwei differente Naturkörper seien, und dass uns das Verständnis ihrer Existenz bei beiden gleichermaßen verschlossen sei, und zwar deshalb, weil wir nicht, wie wir es doch bei eigentlichen Reizen könnten, vorherzusagen im Stande wären, was aus Seeigeleiern durch Zusatz eines Lithium- salzes zu dem sie bergenden Seewasser würde. Das müsse vielmehr erst durch die Erfahrung ermittelt werden. Ganz ebenso seien Wärme- entwicklung und mechanische Bewegung unter Einfluss der Schwere die Aeußerungen zweier differenter Naturkräfte, weil sich, obschon die eine (lebendige Kraft eines fallenden Gewichtes) sich in die andere (Erwärmung der Unterlage) umsetze, dieses Umwandlungsgeschehen als solehes durchaus nicht begreifen ließe, sondern durch Erfahrung ermittelt werden müsse. Wir könnten nur das in Form von Wärme auftretende gleiche Energiequantum begreifen, nicht aber seine ver- änderte Natur. Somit stießen wir auch bei allen rein physikalischen Erscheinungen auf einen „mechanisch“ nicht verständlichen Rest. Alle qualitativen Differenzen der Naturkräfte seien nicht mehr „Mechanis- mus“; alle Ursachen in der Natur seien deshalb in Wirklichkeit Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 673 nur causae occasionales, eine Wahrheit, die dem Philosophen seit lange geläufig sei. „Es mag“, sagt Driesch im Anschluss an diese Erörterungen, „bei dieser Gelegenheit vor einem ebenso oft ge- hörten wie gerügten Fehler gewarnt werden: wir wissen (a priori), dass, wenn ein Stein beschleunigt fällt, eine Ursache da sein muss, die diese Veränderung bewirkt, wir erkennen empirisch als solche die _ Anwesenheit der Erde; wir wissen nieht, warum der Stein gerade fällt. Hierfür ist die Gravitation nicht ‚Ursache‘, denn ‚Gravitation‘ ist nichts als ein allgemeiner Begriff einer Wirkungsart, unter den auch der beobachtete Spezialfall gehört. Das Gravitationsgesetz ist aber Erkenntnisgrund des Fallens; wir verstehen auf Grund des Ge- setzes, dass der Stein so oder so fällt“. Driesch hält mit Recht seine Erörterungen über diese Dinge für wichtig und fast sie in folgender Weise zusammen: Er will die Begriffe vom Grunde als Kausalität und als logischer Grund scharf auseinandergehalten wissen, und sagt im Anschluss an diese Forderung: „Das fallende, aufschlagende Ge- wicht ist Ursache der auftretenden Wärme nur, soweit ihr Quantum (die übertragene Energiemenge) oder überhaupt insoweit das Vorsich- gehen irgend einer Veränderung in Betracht kommt. Es ist nicht Ursache für das Auftreten gerade von Wärme. Letzteres sehen wir als Ausdruck einer den Körpern inhärierenden Fähigkeit an, womit nur gesagt wird, dass es diese Thatsache eben giebt. ‚Wärme‘ ist das ursachlos als Naturkraft existierende Naturgesetz, welches aber jedesmal durch eine Causa realisiert wird. Das Lithium ist Ursache dafür, dass sich die Entwicklung des Seeigeleies überhaupt verändert; nieht Ursache dafür, dass sie in dieser bestimmten Weise verändert wird. Da letzteres aber für die Betrachtung das Wesentliche ist, so dürfen wir die umgewandelte Form doch in gewisser Hinsicht ursachlos nennen, obschon eine Causa ihre Existenz vermittelte. Sie ist ursachlos, da sich der Effekt des anorganischen Agens nicht vorher- sagen ließ, sondern empirisch ermittelt werden musste. Aus diesem Grund ist die ‚Lithiumlarve' im der That eine neue spezifische Form. Die Lithiumlarve ist die durch die Wirkung des Lithiums auf das Echinidenei hervorgerufene Naturform, welche, obschon an sich betrachtet außerhalb Kausalität sowie bestimmtem Raum und Zeit stehend, doch zu ihrer jedesmaligen an bestimmten Raum und Zeit gebundenen Realisation eines Anstoßes (causa) bedarf. Nur ein anderer Ausdruck für dieselbe Sache ist es, zu sagen, das Lithium riefe im Seeigelei eine in ihm enthaltene und gewöhnlich nicht hervor- tretende ‚Anlage‘ wach. Damit wäre dem betreffenden Ei eine neue spezifische Eigenschaft, nämlich eben diese Anlage zugeschrieben, an Einsicht gewonnen wäre nichts. Da es jedenfalls aber der Charakter der fraglichen Anlageeigenschaft ist, sich nur in der fertigen Form zu äußern, so ist es wohl naturgemäßer, diese selbst als neu und spezifisch XIV. 43 674 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. zu betrachten“. — Aus Sauerstoff und Wasserstoff ließen sich die Bigen- schaften des Wassers nicht ableiten, d. h. vorhersagen; insofern sei das Wasser ein neuer spezifischer Körper. Mit der Redewendung, im Wasser würden gewisse verborgene Eigenschaften des Sauerstoffs wach, die sich nur im Beisein von Wasserstoff bethätigen könnten, wäre niehts gewonnen als ein zwar richtiger aber gekünstelter Ausdruck. In den genannten Beispielen handelt es sich um den Satz vom Grunde als Kausalität. In dem folgenden von Driesch beige- brachten Beispiel, lernen wir den logischen Grund kennen. Der Prozess der Wärmeerregung durch das Gewicht, sagt Driesch, sei verständlich, d. h. unter allgemein Bekanntes, unter das Natur- gesetz logisch subsumierbar, nur soweit Quantität in Frage komme, und das gälte von allen physikalischen Wirkungen. Wir könnten sagen, wenn das Gesetz von der Erhaltung der Kraft gelte, und das fallende Gewicht eine bestimmte lebendige Kraft, die Unterlage, auf welche das Gewicht auffällt, eine bestimmte spezifische Wärme habe, so erwärme sich die Unterlage auf eine bestimmte Temperatur; aber nicht verständlich sei dieser Prozess, soweit das Qualitative, also das Auftreten von Wärme als solcher, die Existenz der Energieart Wärme in Frage komme. Im Gegensatz zu dem Prozess der Wärmeerregung durch ein fallendes und auf eine Unterlage aufschlagendes Gewicht, der, soweit die Quantität m Frage komme, unter das Gesetz von der Erhaltung der Kraft logisch subsumierbar, also verständlich, sei, sei die Wirkung des zu Seeigeleier bergenden Seewassers gesetzten Lithiumsalzes, die sich in einer Gestaltveränderung der aus den Eiern entstehenden Larven kund gebe, durchaus unverständlich, d. h. unter nichts subsumierbar, da ihr nichts quantitatives anhafte. Dieser Unterschied sei darin begründet, dass das durch die causa realisierte Naturgesetz in einem Falle eine Naturkraft sei, die eine quantitative Bestimmung ihrer Größe nötig mache, im anderen Falle aber ein ge- ordneter Formenprozess. Im ersteren Falle handele es sich um einen Mechanismus, im letzteren dagegen nicht. Wir haben diese Erörterungen von Driesch deshalb so eingehend angeführt, weil sie die eigentümlichen Anschauungen dieses Forschers genau wiedergeben und uns Gelegenheit bieten, unsere eigne Auffassung des Formenbildungsprozesses darzulegen. Der Fehler, welchen Driesch begangen hat, liegt darin, dass er eine falsche Auffassung von der Qualität hat. Er verlegt die Qualität in die Stoffe und Naturkörper selbst hinein, während es sich doch bei der Qualität, die wir kennen, lediglich um Begleiterseheinungen von irgend welchen mechanischen Prozessen in unserem Gehirnehandelt. Diese haben je nach ihrer Eigentümlichkeit bestimmte Qualitäten und zwar so, dass wir bei einem gewissen Prozess die Empfindung blau, bei einem zwei- ten die von sauer, bei einem dritten die von angenehm, bei einem vierten Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 5 die von unangenehm haben. Wir begehen also einen Fehler, wenn wir sagen: der Indigo ist blau, der Essig ist sauer, der Sonnenschein ist angenehm, der Wind ist unangenehm. Es handelt sich dabei weder um Eigenschaften des Indigo, noch um solche des Essigs, oder um Qualitäten des Sonnenscheins und des Windes, sondern lediglich um Begleiterscheinungen oder, wenn wir wollen, Qualitäten von uns noch nicht bekannten Prozessen, die sich in unserem Gehirn abspielen. Da wir aber nicht wissen, warum die letzteren von bestimmten Em- pfindungen begleitet sind, und es auch niemals wissen werden, so ist die außer uns liegende Formenwelt durchaus qualitätlos. Es kann sich nur darum handeln, die Veränderungen, die in dieser Formenwelt vor sich gehen, als Veränderungen in der Konstellation von Uratomen zu begreifen. Diese freilich, und diese allein, haben für die Mechanik einen gegebenen Charakter, und ihre Bewegungen erfolgen nach bestimmten Gesetzen; aber auf diese Uratome und ihren gegebenen Charakter, sowie auf die Gesetze ihres Gleichgewichts und ihrer Bewegung als das Letzte zu kommen, muss die Wissenschaft trachten. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, sämtliche Naturkräfte auf Bewegungen zurückzuführen, und sämtliche Stoffe als bestimmte Gleich- gewichtszustände der Urmaterie nachzuweisen, und endlich, zu zeigen, warum aus der Konstellation der Uratome, die in einem bestimmten Momente, innerhalb eines bestimmten Raumes gegeben ist, die im nächsten Moment stattfindende Konstellation hervorgeht. Es sind dem- nach sowohl die Naturkräfte als auch die Formen der Elementatome, Moleküle, Krystalle und Organismen zu begreifen, d. h. logisch zu- rückzuführen auf die gegebenen Eigenschaften, die wir dermaleinst den Uratomen zuschreiben werden, und auf die Gesetze, nach welchen sich diese Uratome bewegen und das Gleichgewicht halten. Es ist erklärlich, dass der Irrtum, in welchen Driesch verfallen ist, dass nämlich die organischen Formen unbegreiflich seien, Driesch nicht zu einer gerechten Würdigung der Abstammungslehre gelangen lässt. Wir können uns zwar seinem Ausspruch anschließen, dass der Kern der Abstammungslehre in der Umwandlungsfähigkeit der Formen und nicht in der geschichtlichen Aufeinanderfolge der letzteren be- stehe; aber was Driesch weiter über die Abstammungslehre sagt, beruht auf unzulänglicher Einsicht in das Wesen der organischen Formbildung. Es könne uns durchaus gleichgiltig sein, meint Driesch, dass hier diese und dort jene Formen auf unserer Erde realisiert seien, und dass diese so und jene so aufeinander folgten, und zwar durchaus gleichgiltig im Sinne der theoretischen allgemeinen Naturforschung, welcher der sich an bestimmte Orte und Zeiten knüpfende Begriff der Geschichte fremd sei. Die Formen selbst nach ihren Eigenschaften 43 * 676 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. und nach ihrer Reaktionsfähigkeit, worauf ja die Umwandlung beruhe, seien allein Objekte der exakten Wissenschaft. Diese Behauptung sucht Driesch durch einen abermaligen Ver- gleich mit chemischen Prozessen zu begründen: Wenn es eine Zeit auf der Erde gegeben habe, in der die Temperatur weit höher war als jetzt, so konnten manche chemische Verbindungen damals nicht existieren. Sie sind deshalb, wie Driesch sich ausdrückt, historisch entstanden; wir könnten, sagt dieser, ruhig sagen, dass sie von anderen Stoffen abstammten, wenn auch nicht auf dem Wege der Fort- pflanzung. Aber dem Chemiker fiele es deshalb doch nicht ein, in einer solchen historischen Betrachtung irgend etwas Bedeutsames zu sehen; es sei ihm völlig gleichgiltig, dass sich nun grade diese und nicht andere Verbindungen auf der Erde fänden, denn ihn interessierten nicht die zufällig vorkommenden Stoffe, sondern das Gesetz der Stoffe, die Stoffe und ihre Eigenschaften unabhängig von bestimmtem Ort und bestimmter Zeit. Was aber für die Stoffe gälte, gälte auch für die Formen, und es sei ganz gleichgiltig, ob ihre Realisationsmöglichkeit auf der Erde nur zu einer bestimmten Zeit gegeben war, ob sich etwa nur einmal Krebse aus gegliederten Würmern bilden konnten, weil sie nämlich diese zur Voraussetzung hatten, wie gewisse chemische Ver- bindungen andere, oder nicht. Nicht die auf der Erde stattgefundene Thatsache der Umwandlung eines Gliederwurms in einen Krebs habe für den Forscher Wert, sondern die allgemeine Naturthatsache, dass es Gliederwürmer gäbe, dass es Krebse gäbe, und dass zwischen beiden eine gewisse vermittelte Beziehung bestände. Der Unterschied, auf welchen Driesch hier aufmerksam gemacht hat, ist nach ihm von großer prinzipieller Bedeutung. Ein anderer Umstand müsse, sagt Driesch, neben jenem Unterschied, wenigstens für die nicht denkenden Leser, gleichfalls scharf hervorgehoben wer- den: Würden Umwandlungsursachen und Umwandlungsweisen auf Grund des Experiments in allgemeinerem Umfang bekannt sein, wür- den wir ferner in das Wesen der Vererbung und der Entwicklungs- mechanik einen Einblick haben, so könnte sich wohl zuletzt eine Stammesgeschichte als Nebenresultat ergeben, und zwar könnten die biologischen Disziplinen der Zukunft, die sich mit der Umwandlung der Formen, mit der Vererbung und mit der Entwieklungsmechanik zu befassen hätten, stammesgeschichtlichen Hypothesen eine gewisse Wahrscheinliehkeit und auch einen gewissen Wert verleihen. Solche Hypothesen würden sich dann zu der exakten Wissenschaft von den Formen wie die Geologie zur Physik und Chemie verhalten. Aber ohne die geforderte Kenntnis einer Einsicht in das Wesen der Form- bildung, der Vererbung, und der Umwandlung der Formen, könne eine Abstammungslehre niehts anderes liefern, als Ahnengallerien, und es verriete einen geradezu bedenklichen Mangel an Einsicht, wenn Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 477 man Driesch am Beispiel der Geologie, der Himmelsgeschichte und der sogenannten Weltgeschichte fortwährend vorhielte, dass er histo- rische Forschungen nicht zu würdigen wüsste. Der Abstammungs- theoretiker, der diesen Vorwurf ausspräche, schriebe damit geradezu das Todesurteil seiner Wissenschaft. In der Geologie hätten wir ja gerade in den chemischen und physikalischen Gesetzen das, was wir brauchten, und was wir in der Biologie eben nicht hätten; in der Weltgeschichte verträten die psychischen Gesetze die mechanischen, und jeder kenne jene an sich selbst; was aber die Himmelsgeschichte anlange, so würde die Kant-Laplace’sche Theorie von der Entsteh- ung unseres Planetensystems allerdings den Stammbaumphantasien gleichwertig sein, wenn wir nichts von der Wirkungsweise der Centri- fugalkraft, nichts vom flüssigen und gasigen Aggregatzustande, nichts von der Beziehung der Wärme zu diesem, nichts von der Schwerkraft wüssten. Was aber würde jene Theorie dann sein? fragt Driesch, und er sagt, dass trotz des auf Kenntnis des allgememen physikali- schen Geschehens gegründeten Wertes der Kant-Laplace’schen Theorie ihre allgemeine wissenschaftliche Bedeutung nur eine relative sei und den Bestrebungen im Gebiete der reinen Physik und Mechanik weit nachstehe; denn in diesen Disziplinen handle es sich um allge- meine Gesetzlichkeit des Geschehens, in jener Theorie um einen spe- ziellen Fall. Was nun die Wertschätzung des historischen Gebiets anlange, so könnten wir an jedem Punkt der Planeten-, Erd- und Menschengeschichte „warum“ und „wie“ fragen und darauf wenigstens im allgemeinen Auskunft erhalten. In der Stammesgeschichte der Organismen würden wir aber vergebens „warum“ fragen. Die Frage „warum“ sei ja auch illusorisch, wenn wir die Bilder der Vorfahren eines Fürsten besähen; wir müssten die zeitliche Reihenfolge der Bilder hinnehmen, und das mache derartige Bildersammlungen so langweilig. Aber die Stammesgeschichte der Organismen könne ebenfalls nichts anders liefern als Ahnengallerien, deshalb stände sie, abgesehen von dem prinzipiell geringeren Wert, der den geschichtlichen Wissen- schaften gegenüber den exakten Wissenschaften zukomme, auch historisch genommen auf einer sehr tiefen Stufe. Die Stammbäume der histori- schen Biologie schwankten zwischen Wahrscheinlichkeiten rein äußeren Charakters, wie sie die Paläontologie und die Geographie böte, und wüster Phantasie, die sich in der Ableitung von Typen kundgäbe, hin und her. Es könne auch gar nicht anders sein, da die historische Biologie mit dem anfange, womit sie eventuell aufhören sollte. Wir können an den letzten Satz Driesch’s anknüpfen, um die Unhaltbarkeit der soeben skizzierten Ansichten Driesch’s über die Bedeutung stammesgeschichtlicher Forschungen darzuthun. Driesch ist sehr im Irrtum wenn er meint, dass die Biologie mit dem aufhören sollte womit sie anfängt, nämlich mit der Ermitt- 678 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. lung der Blutsverwandtschaft zwischen den einzelnen Gruppen der Tiere und Pflanzen. Gerade dadurch, dass wir, um Driesch’s Worte zu gebrauchen, eine Ahnengallerie aufstellen, werden wir auf die Gesetze der organischen Entwieklung hingeführt. Wenn wir die Ver- wandtschaft zwischen zwei Organismen zu ermitteln suchen, und wenn wir beide durch eine möglichst lückenlose Reihe von Uebergangsgliedern zu verbinden trachten, wenn wir außerdem die Umstände zu ermitteln suchen, die die allmähliche Umbildung der Formen innerhalb dieser Reihe bewirkt haben, so thun wir doch nichts weiter, als dass wir einem von der Natur angestelltem Experiment auf den Grund zu kommen suchen! Auch die Arbeit des Chemikers und des Physikers sowie eines jeden, der experimentelle Forschungen betreibt, ist zunächst nichts weiter als eine historische; d. h. man lässt bestimmte Kräfte oder Stoffe, oder beide, aufeinander einwirken und beobachtet das Resultat dieser Einwirkung. Etwas anderes thut aber auch die Stammes- geschichte nicht. Wenn sich herausgestellt hat, dass eine Tierform aus einer anderen hervorgegangen ist, so sucht sie zu ermitteln, welche Umstände die Umbildung der einen Form zu der anderen bewirkt haben. Eine vollständige Stammesgeschichte bekümmert sich nieht nur um die Lebensweise der gegenwärtig lebenden Tiere und Pflanzen, um die geologische, klimatische und organische Umgebung einer Orga- nismenart, sondern auch um die Lebensbedingungen unter welchen die den heutigen voraufgehenden Organismen gelebt haben. Es handelt sich also bei der Stammesgeschichte um die Feststellung alles dessen, was überhaupt bei dem historischen Entwicklungsprozess der Tiere und Pflanzen eine Rolle gespielt hat, also um die Ermittlung einer langen Reihenfolge von organischen Gestaltungsprozessen oder, was dasselbe ist, um die Verfolgung der gewaltigen Formbildungsexperi- mente, welche die Natur auf unserer Erde angestellt hat. Dass die Natur zu ihren Experimenten längerer Zeiträume bedarf, als die Physik und Chemie, lässt sich nun einmal nicht ändern, aber ein prinzipieller Unterschied wird dadurch nicht bedingt. Wie wenig Driesch in das Wesen der historischen Forsehung eingedrungen ist, zeigen seine Bemerkungen über die Ahnengallerien fürstlicher Schlösser. Hätten wir von einem Menschen sämtliche Vor- fahren bis zur 10.,Generation beisammen, kennten wir genau die 2 Vorfahren der ersten, die 4 der zweiten, die 8 der dritten, die 16 der vierten, die 32 der fünften, die 64 der sechsten, die 128 der siebenten, die 256 der achten, die 512 der neunten und die 1024 der zehnten nach rückwärts liegenden Generation von irgend einem menschlichen Indi- viduum, so würden wir daraus außerordentlich wichtige Schlüsse über die gegenseitige Beeinflussung verschiedener Formen, die durch die geschlechtliche Fortpflanzung ermöglicht wird, ziehen können. Wer derartige Experimente an Tieren ausgeführt hat, weiß, dass er durch Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 679 die Aufstellung solcher „Ahnengallerien* zu den wichtigsten allgemein giltigen Resultaten gelangen kann. Derartige Ahnengallerien sind doch nicht so langweilig, wie Driesch meint, und wenn sie es auch wären, so sind sie ebensosehr die notwendige Voraussetzung jeder auf das Wesen der Formbildung gerichteten Forschung, wie das chemische Experiment Voraussetzung der Forschung nach dem Wesen der Stoffe ist. Wenn den Chemiker, wie wir ja zugeben müssen, nicht die zu- fällig vorkommenden Stoffe, sondern wenn ihn das Gesetz der Stoffe interessiert, so interessiert den Morphologen das Gesetz der Formen, und dieses kann er nur aus Formenreihen erschließen, und zwar deshalb weil die Organismenformen, wie wir gesehen haben, eine weitergehende Gliederung haben als die chemischen Stoffe. Die Atome der chemischen Elemente gliedern sich in Uratome, die Moleküle der Stoffe in Elementatome, die Organismen gliedern sich aber in Plasma- elemente, Zellen, Organe und höhere organische Individualitäten, und wenn wir über das Wesen dieser etwas wissen wollen, so müssen wir sie unter sich vergleichen. Wenn wir aber die Umwandlung der Formen studieren wollen, so müssen wir Umwandlungsreihen kennen. Wir kennen in der That eine große Anzahl solcher Umwand- lungsreihen, und diese zeigen uns, dass das Wachstum der organischen Formen ein gesetzmäßiges ist, sie zeigen uns auch, in welcher Weise der Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe, sowie die Umgebung auf die Formenbildung einwirken. Wir sehen z. B., dass Zehen, die nicht gebraucht werden, allmählich immer kleiner werden und endlich verschwinden, und dass die Formen zwar nicht ausschließlich, aber doch in hohem Grade von den äußeren Umständen abhängen unter denen sie vorkommen. Wenn eine Zehe etwa nicht mehr gebraucht wird, so verschwindet sie nicht plötzlich, sondern erst nach einer langen Reihe von Generationen; das lehren uns die Formenreihen, welche wir inbezug auf die Ausbildung der Zehen bei den Wirbeltieren aufstellen können, und diese Formenreihen zeigen uns, dass sich die Umbildung der Formen nur auf dem Wege historischer Forschung völlig begreifen lässt, und dass es nicht bloß darauf ankommt die Plasmareaktionen zu untersuchen, die sich infolge von äußeren Beeinflussungen an Organismenformen vollziehen. Um ein Or&an in voller Ausbildung zu erhalten, ist der stete Ge- brauch oder „Reiz“, um dieses nichtssagende Wort anzuwenden, not- wendig. Hört aber der Reiz auf, so reagiert der betreifende Organis- mus nieht gleich dadurch, dass er das Organ völlig verschwinden lässt; sondern dessen kückbildung findet nur sehr allmählich statt. Auch Organe, die seit vielen Jahrtausenden nicht mehr notwendig sind, sind heute noch mehr oder minder vollkommen ausgebildet, weil eben Zeit zu ihrem Verschwinden notwendig ist, und weil sich innerhalb jeder Generation nur eine geringe kückbildung vollziehen kann. Das völlige 680 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. Verschwinden derartiger Organe ist also nur auf dem Wege der historischen Forschung zu begreifen und zwar einer Forschung, die allerdings nicht bloß „Ahnengallerien“ aufstellt, sondern die Um- stände zu ermitteln sucht, unter denen die Ahnen der heutigen Organismen gelebt haben. Die stammesgeschichtliche Forschung darf von dieser Ermittlung nicht absehen, und sie thut es auch nicht, so- fern sie ihre Aufgabe begriffen hat. Wenn es dennoch hier und da, und vielleicht sogar meistens, geschieht, so ist das nicht die Schuld der historischen Organismenkunde, sondern die ihrer Vertreter. Nach alledem ist es durchaus nicht gleichgiltig, ob eine Tierform hier oder da auf der Erde entsteht, sondern wir müssen genau wissen, unter welchen Umständen, zu welcher Zeit und an welchem Ort sie entsteht, um daraus unsere Schlüsse ziehen zu können. Die Ansicht aber, dass wir die Stammesgeschichte dennoch nicht mit der Geologie vergleichen dürften, weil die Geologie in den physikalischen und chemischen Gesetzen das hätte, was sie zur Erklärung der historischen Vorgänge gebrauche, ist deshalb hinfällig, weit die Geologie mit den chemischen und physikalischen Gesetzen an und für sich nicht das allergeringste anfangen kann, sondern immer die Kombinationen von Wirkungen, die zur Bildung einer Erdschicht geführt haben, kennen muss, um die historische Entwicklung dieser Erdschicht zu verstehen. Ganz ebenso ist es aber auch in der Biologie, wie wir zur Genüge gesehen haben. Auch hier handelt es sich um Kombinationen, oder besser um Gliederungen von mechanischen Prozessen. Aus alledem geht aber hervor, dass die Ermittlung dieser Prozesse Das- jenige ist, womit die Biologie anfangen muss. Die darauf gerichtete Forschung aber ist eime historische. Die notwendige Voraussetzung einer Wissenschaft, die das Wesen der organischen Formbildung zum Gegenstande hat, ist also die Abstammungslehre. Historisch ist aber auch die Forschung, welche die Keimesgeschichte als erste Aufgabe betreiben muss. Driesch hat zwar darin ganz recht, dass man eine tierische oder pflanzliche Form noch nicht ver- standen habe, wenn man ihre Keimesgeschichte kenne, dass die letz- tere nur die Thatsachen vollständig kennen lehre, uns aber über die Thatsachen, sofern sie Problem seien, nichts aussage, und dass eine Analyse normaler oder abnormer keimesgeschichtlicher' Vorgänge immer darauf hinausgehe, die nächsten Ursachen der sichtbar vorliegenden Vorgänge zu ermitteln und diese soweit zurückverfolgen, wie es anginge; er irrt aber, wenn er meint, dass man dadurch nie zu einer Ein- schränkung der Zahl der von einander wnabhängigen Wachstums- erscheinungen gelange. Er verfällt hiebei im den Irrtum der Präfor- misten, die jedes Organ im Keime vorgebildet sein lassen, also in der That von einander unabhängige keimesgeschichtliche Prozesse an- nehmen. Wir wissen aber sicher, dass dergleichen Prozesse nicht Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch, 681 existieren können, und haben jedenfalls die Berechtigung, von der Annahme auszugehen, dass eine Zurückführung der keimesgeschicht- lichen Vorgänge auf den Bau der Eizelle zu einer Einschränkung der Anzahl der Wachstumsprozesse, die wir in späteren Entwicklungs- stadien des Keimes unterscheiden können, führen muss. Es ist des- halb nur eine epigenetische Entwicklungstheorie möglich; das bedeutet aber, dass die Wachstumserscheinungen, die wir an dem sich ent- wickelnden Keime beobachten, nur scheinbar voneinander unabhängig sind, und dass sie sich alle zurückführen lassen auf Gleichgewichts- verhältnisse in der Eizelle. Diese Letztere stellt ein Gleichgewichts- system dar, und deshalb können die einzelnen Wachstumsprozesse, die sich später im Keime vollziehen, gar nicht unabhängig von einander sein, denn sie hängen alle von der Anordnung der Plasmaelemente in der Eizelle ab. Dass Driesch sehr im Irrtum ist, wenn er das Wesen der spezi- fischen Formbildung in einer Kombination von einander unabhängigen Wachstumserscheinungen erbliekt, haben wir bereits gesehen; hier ist aber der Ort, zu betonen, dass Driesch nicht in diesen Irrtum ver- fallen sein würde, wenn er sich nicht geflissentlich gegen eine gerechte Würdigung historischer Forschung verschlösse. Wenn wir den keimes- geschiehtliehen Entwicklungsprozess eines Organismus als einen histo- rischen Prozess betrachten, so gelangen wir notwendiger Weise zu einer Reduktion der am entwickelten Organismus unterscheidbaren Vorgänge. Dass eine Eizelle, wie Weismann elaubt, alle Organe dureh Determinanten vorgebildet enthielte, ist eben eine unmögliche Annahme. Wir dürfen auch, wenn wir keimesgeschichtliche Studien treiben, den sich entwickelnden Keim nicht aus seiner Umgebung herausreißen; wir verstehen die ontogenetischen Prozesse nur dann, wenn wir den Keim als Glied einer Lebensgemeinde betrachten, sei es, dass er sich im Inneren des mütterlichen oder des väterlichen Körpers, oder in einer Umhüllung dureh Eischalen oder dergleichen, oder auch frei entwickelt. Wenn Larven von Tritonen daran ver- hindert werden, das Wasser zu verlassen, so können sie zeitlebens ihre Kiemen behalten. Es müssen also immer die äußeren Lebens- bedingungen mitwirken, wenn aus einem Keim wieder das werden soll, was seine Eltern gewesen sind. Diese Erkenntnis gewinnen wir aber nur auf dem Wege historischer keimesgeschiehtlicher Forschung, ganz ebenso, wie wir die stammesgeschichtliche Umbildung nur ver- stehen, wenn wir das Tier nicht aus seiner Umgebung herausreißen. Geschichtliche Forschung ist also die notwendige Voraussetzung aller biologischen Untersuchungen, die das Wesen der organischen Formen zum Gegenstand haben. (Schluss folgt.) 682 Lang, Zur Frage der Knospung der Hydroiden. Zur Frage der Knospung der Hydroiden. Von Dr. Albert Lang. Im Februar dieses Jahres erschien in dieser Zeitschrift eine Unter- suchung über die Knospung bei mehrschichtigen Tieren, insbesondere bei Hydroiden von Herrn F. Braem!) in Breslau, in welcher die Resultate meiner Arbeit: „Ueber die Knospung der Hydra und einiger Hydropolypen“ für unriehtig und die daraus gezogenen Folgerungen für hinfällig erklärt werden. Die Publikation von Braem ist nicht geeignet, meine Auffassung von der Hydroidenknospung zu widerlegen. Herr Br. hat mit dem größten Eifer meine Beobachtungen angezweifelt und bestritten, trotz- dem kann ich seinen Auffassungen keine weitere Bedeutung beilegen; es kommt eben in dieser Frage nieht auf beredte Diskussion, sondern auf sorgfältige Beobachtung an. Ich habe aber aus der Darstellung des Herın Br. keineswegs die Ueberzeugung gewonnen, dass er ein- gehender untersucht habe als ich. Ich halte daher meine Ansicht fest und hoffe dieselbe durch weitere Untersuchung anderer verwandter und fernerstehender Cölenteraten in nächster Zeit unterstützen zu können. Herr Br. unterschiebt mir von vorneherein die Absicht, dass ich aus theoretischen Gründen die „Unzulänglichkeit der früheren For- schungen und die Haltlosigkeit der Ansichten der älteren Autoren“ hätte nachweisen wollen, um „eine alte bisher allseitig bestätigte An- schauung zu entwurzeln.“ Er wirft mir Voreingenommenheit vor, um meine Glaubwürdigkeit herabzusetzen. Gegen letzteren Vorwurf muss ich mich aufs entschiedenste verwahren, da ich aus sehr naheliegen- den Gründen bewogen wurde den Knospungsvorgang zu studieren, nämlich deshalb, weil derselbe einer genaueren histologischen Unter- suchung vermittelst der Schnittmethode noch nicht unterzogen worden war; wenigstens ist mir trotz eingehendem Studium der einschlägigen Literatur keine derartige Untersuchung zu Gesicht gekommen. In der Einleitung zu meiner Arbeit habe ich die bedauerliche Thatsache, dass ich bloß Eudendrium racemosum und E. ramosum, Plumularia echimulata und Hydra mit Erfolg untersuchen konnte, damit begründet, dass die andern untersuchten Formen „wegen der Kleinheit der Elemente, der ungünstigen Lage der Knospen, oder auch wegen der ungenügenden Konservierung der mir vorliegenden Exem- plare zur Untersuchung nicht tauglich waren.“ Trotz dieser doch maßgebenden Gründe macht mir Herr Br. einen Vorwurf daraus, dass ich diese Formen nicht aueh untersucht habe, indem er sagt: „Die vielen andern Formen, die „keine befriedigenden Resultate er- 1) F. Braem, Ueber die Knospung mehrschichtiger Tiere, insbesondere beı Hydroiden. Biol Centralbl., 1894, S. 140—161. Lang, Zur Frage der Knospung der Hydroiden. 683 gaben, haben doch auch, so zu sagen, ihre Daseinsberechtigung; auch sie wollen gehört sein“ etc. etc. Das kennzeichnet so recht die Kampfweise des Herrn Br. Er unterschiebt mir, ich hätte Objekte deshalb bei Seite gelassen, weil sie widersprechende Resultate ergaben, dabei habe ich lediglich das gethan, was in solchem Fall jeder Histo- loge gethan hätte: ich habe die Untersuchung an denjenigen Objekten gemacht, die mir unter dem mir zugänglichen Material zur Entschei- dung der Frage die günstigsten zu sein schienen. Bei der Besprechung der einzelnen Knospungsstadien bezw. meiner Abbildungen erklärt Herr Br. das in Fig. 1 dargestellte Knospungsstadium I (gekenn- zeichnet durch Verdickung des Ektoderms und Veränderung des Ento- derms) kurzweg als eine durch die Konservierung hervorgerufene Erscheinung“. Dagegen kann ich eben nur bemerken, dass ich mich natürlich, bevor ich Schlüsse aus meinen Präparaten zog, davon über- zeugte, dass eine derartige Unregelmäßigkeit nicht vorhanden war. An den angrenzenden Teilen des Cönosarkrohrs war das in jedem Fall ja leicht zu kontrollieren. Ich habe das auf dem Schnitt sich darstellende Stadium (Fig. 1) als Stadium I bezeichnet. Herr Br. erkennt ohne weiteres, dass es älter ist als mein in Fig. 2 dargestelltes Stadium II, weil in jenem die Cutieula schon aufgelöst sei, in Fig. 2 jedoch nicht. Es entgeht ihm dabei, dass die Schnitte gar nicht von derselben Species herühren (Fig. 1 E. ramosum, Fig. 2 E. racemosum). Eine vollständige Uebereinstimmung in diesem übrigens ziemlich nebensächlichen Verhalten der Cutieula — sie ist ja bei beiden ver- schieden dick — kann man am Ende von verschiedenen Formen nicht verlangen. Auch ist in meiner Fig. 2 die Stützlamelle nicht, wie Br. sagt, nur schüchtern, teilweise gar nicht markiert, sondern sie wurde eben nach dem Bild, das der Zeichenapparat entwarf, ge- zeichnet, nicht markiert. Bei der Untersuchung war für die Auf- fassung der Entodermbildung vor allem maßgebend, dass die Einwan- derung der Ektodermzellen nur daraus erkannt werden konnte, dass solche auf oder in der Stützlamelle gesehen wurden (vergl. Fig. 2, 3 u. 4, Fig. 11 u. 12). Herrn Braem fiel das bloß in Fig. 3 auf, „leider an einer Stelle, — wie er sagt — wo an Knospenbildung auch nicht von ferne zu denken ist.“ Dieser Einwand ist hinfällig, denn gerade bei Eudendrium sieht man recht deutlich, dass sich die Ekto- dermverdiekung im allgemeinen auf etwa °/, des Querschnitts des Cönosarkrohrs erstreckt. Man muss eben annehmen, dass das ganze Zellmaterial später beim Hervorwölben der Knospe zur Vergrößerung der Oberfläche verwandt wird. Herr Braem glaubt bei der ganzen Besprechung der Figuren voraussetzen zu dürfen, dass bei dem Stu- dium der Präparate auch nicht den elementarsten Vorsichtsmaßregeln Rechnung getragen wurde und dass mit den primitivsten Mitteln gear- 684 Lang, Zur Frage der Knospung der Hydroiden. beitet wurde; sonst könnte er beispielsweise nicht auf den Gedanken kommen, ich hätte nur mit den Vergrößerungen gearbeitet, in welchen meine Figuren ausgeführt sind. Sollte es für Herrn Braem so ganz unfasslich sein, dass man es bei einer histologischen Untersuchung manchmal für zweckdienlicher halten kann, das Bild nicht so zu zeichnen, wie man sie bei der stärksten Vergrößerung gesehen hat?! Bei dieser geringen Taxierung meiner Beobachtung verlangt Herr Br. anderseits wieder Unmögliches. So findet er, wo es sich um die Ein- wanderung der Ektodermzellen handelt, dass ich dieselbe nicht „ge- zeigt“ habe. Nun habe ich des öfteren gesagt, dass die Zellen einzeln, nicht schaarenweise einwandern; ist dem so, so kann der Vorgang natürlich nur aus der Lage der einzelnen Zellen und der Veränderung der Stützlamelle geschlossen und erkannt werden. Ich habe darauf Gewicht gelegt, dass das Knospen - Ektoderm bei Hydra zum größten Teil aus den indifferenten Zellen des Ektoderms hervorgehe. Nur Br. hat das scheinbar missverstanden und schreibt: „Und wenn durch Wucherung des älteren Ektodermgewebes Zellen mit kleinen Kernen entstehen konnten, wie Lang selber annimmt, warum nicht ebenso gut durch Teilung des Entoderms.“ Das habe ich durchaus nicht angenommen, sondern habe nur in den indifferenten Zellen, die ihren embryonalen Charakter bewahrt haben, das prae- destinierte Material zum Aufbau der Knospe erblickt. Damit ist durchaus nicht gesagt, dass die differenzierten älteren Ekto- und Ento- dermzellen sich überhaupt nicht mehr teilen könnten. Fig. 5 meiner Abbildungen stellt einen Schnitt vor, der nicht ganz normal zur Stützlamelle geführt ist, daraus folgert Br., dass sich des- halb die Zellschichten des Schnittes übereinander lagern und somit die Blätter gegenseitig nicht scharf abgegrenzt wären. Ich dächte, gerade die von der Fläche gesehene Stützlamelle müsste breiter er- scheinen (natürlich bei ein und derselben Einstellung des Tubus); dann ist aber das gezeichnete Bild nur durch die Annahme einer teil- weise aufgelösten Stützlamelle zu interpretieren. Bei der Knospung der Hydra beobachtet Herr Br. ganz entgegen- gesetzte Verhältnisse wie ich. Er findet, „dass schon auf den frühesten Stadien der Knospen- bildung das Entoderm ganz ebenso Spuren einer lebhafteren Thätig- keit zeigt wie das Ektoderm“. Ich konnte, wie meine Fig. 10 zeigt, konstatieren, dass das Ektoderm resp. die indifferenten Zellen des- selben schon in reger Teilung begriffen sind, bevor man Veränderungen im Entoderm wahrnimmt, dass letzteres sehr wenig, ıneistens gar keine Mitosen aufweist, und dass, wenn solche bei älteren Stadien beobachtet wurden, die Lage und das Aussehen der sich teilenden Zellen ver- inuten ließ, dass sie eingewanderte Ektodermzellen seien. Lang, Zur Frage der Knospung der Hydroiden. 685 Bei Fig. 11 findet Br. die Assymetrie der Knospe so sonderbar, „dass sie gerechten Zweifel an der Korrektheit der Zeichnung wach- ruft“, weil nämlich „im untern Teil der Figur, welcher der linken Seite der Knospe entspricht, die beiden Keimblätter sich sehr deutlich von einander abheben, während in dem obern Teil, der die andere Knospenhälfte wiedergibt, kaum eine solche Grenze zu konstatieren ist.“ Nach meiner Erklärung der Fig. 11, die Herrn Braem scheinbar ent- gangen ist, kann diese Assymetrie durchaus nicht verblüffen und ist ganz nebensächlicher Natur. Ich habe nämlich, wie oben schon er- wähnt, nachweisen können, dass, nachdem vom distalen Pol der Knospen indifferente Zellen zur Bildung des Knospenentoderms die Stützlamelle durchdrungen haben, auch (meine eignen Worte) „die Einwucherung resp. Einwanderung seitwärts, ober- und unterhalb der Spitze fort- schreitet.“ Damit ist absolut nicht gesagt, dass das gleiehmäßig und gleichzeitig, auf beiden Seiten, oben und unten vor sich gehen muss; ich habe im Gegenteil immer betont, dass dieser Vorgang allmählich vor sich geht. Weiterhin stellt Br. die Zuverlässigkeit der Fig. 11 in Abrede, da er „trotz der Auflösung der Stützmembran in keinem Falle irgend welche Unbestimmtheit in der gegenseitigen Begrenzung der beiden Blätter“ gefunden hat. Dagegen lasse ich eben Fig. 11 meiner Ab- bildungen reden, die ein treues Bild des vorgelegenen Schnittes gibt. Wertvoll ist mir bei seinem Einwand nur, dass er hier die Auflösung der Stützlamelle bestätigt. Es war bis jetzt nur von der Polemik Braem’s die kede, wir wollen nun das positive Ergebnis seiner Beobachtung einer kurzen Besprechung unterziehn, seine Resultate, nach denen Br. glaubt das „was die älteren Beobachter bei Hydroiden ermittelt haben“ vollauf bestätigen zu müssen. Meiner Ansicht nach gab es aber nichts zu bestätigen, sondern viel neu zu untersuchen. Br. gibt selbst am Schlusse seiner Arbeit wenigstens zu, dass die Konstitution des innern Blattes auch durch seine Untersuchung noch keineswegs ganz sichergestellt sei. Unsere Wissenschaft hätte Herrn Br. entschieden mehr Dank gewusst, wenn er seinen Scharfsinn mehr in dieser Frage entfaltet hätte, statt im meinem Versuch zur Lösung der Knospungs- frage einen Cireulus vitiosus der bedenklichsten Art zu wittern. Es befremdet in erster Linie, dass Br. sich in Wort und Bild so kurz fasst bei der Darstellung seiner Befunde. Von seinen Abbil- dungen ist Fig. 2 und 3 belanglos für den Knospungsprozess. Der in Fig. 5 dargestellte Schnit ist nicht durch die Knospungszone geführt, ersterer soll es sein, ist es aber meiner Ansicht nach nicht; denn wo eine Knospe auch nur minimal angelegt war, habe ich stets im Ekto- derm eine Menge Kernteilungsfiguren auf jedem Schnitt beobachtet; davon ist hier nichts zu sehen. Die größeren, dichtgedrängten Zellen 686 Lang, Zur Frage der Knospung der Hydroiden. des Ektoderms und Entoderms in der Abbildung können von einer lokalen Kontraktion herrühren, oder der Schnitt ist schräg geführt. Die „Sekretzellen“ oder die sog. embryonalen Zellen des Ento- derms, von denen Br. soviel erwartet, sind mir keineswegs entgangen, sie fallen durch ihre dunklere Tinktion besonders bei Doppelfärbung bei all den untersuchten Formen, besonders Eudendrium, auf den ersten Blick auf, und sind bei Hydra kaum mit andern Zellelementen zu verwechseln. Ich glaube nicht, dass sie sich beim Aufbau des Knospenentoderms beteiligen, sonst müssten sie doch in der Knospen- region häufiger sein, sowie etwa die interstitiellen Zellen. „Das neu- gebildete Entoderm der jungen Knospe, das sich als einfache Schicht kleiner, plasmareicher und, wie es scheint, membranloser Zellen unter- halb des fnnktionierenden Entoderms neben der Stützlamelle anlegt“ und als Produkt der Sekretzellen von Br. angesehen wird, sind eben gerade die eingewanderten Zellen des interstitiellen Gewebes. Darum kann ich Braem’s Fig. 4 ebenso gut als Stütze meiner An- sicht verwenden, wie meine Fig. 11 oder Fig. 13, bloß denke ich mir die erwähnte Abbildung etwas weniger schematisiert, nämlich mit teilweise aufgelöster Stützlamelle. Dass diese nämlich aufgelöst wird, gibt Br. selbst zu, zeichnet es aber nicht. Auch die Beobachtung, die er in Fig. 5 darstellt, wo sich in der Tentakelzone „jene Kuppe em- bryonaler Entodermzellen, welche im jüngsten Stadium der Knospe unmittelbar anlegt“, noch nachweisen lässt, passt vorzüglich zu der meinigen, bloß würde ich wieder statt „embryonaler Entodermzellen“ eingewanderte Ektodermzellen schreiben, weil ich eben überzeugt bin, dass die dort lagernden Zellen mit den Sekretzellen des Entoderms nichts zu thun haben. Den Umstand, dass ich wenig, fast keine Mitosen im Entoderm sah in den Anfangsstadien der Knospung, möchte Herr Br. mangel- hafter Beobachtung zur Last legen; er stützt sich dabei auf die Aus- sage Pfitzner’s, dass bei Entodermzellen die Beobachtung von Kern- teilungen häufig durch die im Zellleib befindlichen Einlagerungen sehr erschwert wäre. Dies letztere, meint er, ist vielleicht der Grund, dass ich keine Zellwucherung im Entoderm hätte konstatieren können. Von Uebersehen der Mitosen im Entoderm kann bei genauer Durch- sicht sorgfältig ausgeführter Schnitte kaum die Rhede sein, ebenso- wenig wie im Ektoderm, wo ich massenhaft Kernteilungen sowohl der srößeren Zellen, als der des interstitiellen Gewebes gesehen habe. Nachdem Herr Br. sich über mein vorwitziges Unterfangen, die Knospung der Hydroiden nochmals untersucht zu haben, genugsam entrüstet hat und das Gegenteil von dem bewiesen zu haben glaubt, was ich behauptete, macht er noch einige weitere Bemerkungen über die Knospung der Hydra, wobei er nun auch findet: „Fraglich kann nur das Eine sein, wo die neu sich bildenden Entodermzellen der Seelmann, Beschleunigte Färbung der Blutkörperchen. 687 jungen Knospe herkommen.“ Genau diese Frage habe ich mir vor- gelegt, als ich meine Arbeit begann, und hier liegt die Entscheidung. Wie kurz hätte sich daher Herr Br. fassen können; allerdings über der Suche nach dem mir unterschobenen Cireulus vitiosus hat Herr Br. die Hauptfrage ganz vergessen und trägt zu ihrer Lösung nur mit seinem Zugeständnis bei: „zweifelhaft bleibt immer, ob die embryo- nalen Zellen (des Entoderms) die einzigen Konstituenten des innern Blattes sind, welche Neubildungen hervorzurufen vermögen.“ .. „Durch direkte Beobachtung dürfte das schwer zu entscheiden sein.“ — Er entscheidet sich dann doch dafür, dass er die Entodermzellen sich durch fortgesetzte Teilung in embryonale Zellen zurückverwandeln lässt. „Die Teilungsprodukte der funktionierenden Entodermzellen würden alsdann gerade so zur Vermehrung der embryonalen Zellen des Entoderms beitragen, wie es die peripheren (Deck-) Zellen des Ektoderms gegenüber dem interstitiellen Gewebe thun.“ Diese letztere Behauptung ist mir vollständig neu. Dass Epithelmuskelzellen des Ektoderms sich teilen, habe ich bei Hydra häufig gesehen, dass die Teilstücke aber interstitielle Zellen werden, nie. Ich habe bis jetzt immer geglaubt, dass die letzteren solche Verstärkung nicht nötig haben, weil sie seit dem Embryonalleben in genügender Anzahl vor- handen waren und in reger Teilungsfähigkeit ete. ihren embryonalen Charakter bewahrt haben. Nach Allem erkennt man, dass Herr Br. meinen Beobachtungen etwas Positives und Sicheres nicht entgegenzustellen vermochte. Wenn auch seine Angaben sehr bestimmt lauten, so scheint doch seine Unter- suchung keine eingehende gewesen zu sein. Herr Br. tritt mir sehr siegesbewusst entgegen, aber seine Kraft liegt mehr in seinen Worten, als in seinen Beobachtungen. Beschleunigte Färbung der Blutkörperchen. Von Dr. med. H. Seelmann, Assistenzarzt in Dessau. Bekanntlich nimmt das gewöhnliche Ehrlich’sche Verfahren, die roten von den weißen Blutkörperchen durch Färbung zu differenzieren, einen für den praktischen Arzt abschreckenden Zeitverlust von mehreren Stunden und einen nicht für jeden Arzt zugänglichen Apparat in An- spruch. Um diesen Uebelständen zu begegnen und um eine Farb- lösung zu haben, die angefertigt sofort brauchbar und haltbar ist und dabei ein deutliches Bild giebt, schlage ich seit ?/, Jahren nachstehendes Verfahren mit bestem Erfolge an: Auf die etwas erwärmten Deckgläschen wird ein Tropfen Blut gebracht, ausgebreitet und an der Luft getrocknet, sodann 5 Minuten 688 Walther, Bionomie des Meeres. in Alkohol absolutus fixiert. Von da kommt das Präparat direkt in eine gesättigte alkoholische Eosinlösung mit einem Zusatz von !/, Vo- lumen Wasser; darin bleibt es '/, Minute; dann wird es abgespült und in eine wässerig-alkoholische Metbylenblaulösung (1:85 Wasser, 15 Alkohol absolutus) auf etwa 2—2!/, Minute gebracht, worauf es wieder abge- spült und gleich mit anhängendem Wasser auf den Objektträger gebracht oder getrocknet mit Canadabalsam eingelegt und mit Trockensystem untersucht wird. Die roten Blutkörperchen werden dabei braunrot, die Kerne der weißen Blutkörperchen dunkelblau, deren Protoplasma zart hellblau gefärbt; auch eosinophile Zellen färben sich auf diese Weise. Die Präparate können natürlich nieht mit denen nach Ehrliech’- scher Methode gewonnenen an Schönheit der Bilder und feinster Dif- ferenzierung sämtlicher Arten von Blutkörperchen und ihrer Entwick- lungsformen konkurrieren, geben aber doch eine genaue Differenzierung von roten und weißen Blutkörperchen und gestatten so binnen weniger Minuten einen Rückschluss auf das Verhältnis der weißen zu den roten Blutkörperchen. Johannes Walther, Bionomie des Meeres Beobachtungen über die marinen Lebensbezirke und Existenzbedingungen. Erster Teil einer Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. 8. XXX u. 196 Seiten. Jena. Gustav Fischer. 1893. Obgleich der Herr Verfasser sein Werk als eine Einleitung in die Geologie bezeichnet, hat dasselbe doch für den Biologen eine selb- ständige Bedeutung. Die Bedingungen für die Erhaltung des Lebens, die Verteilung der Formen im Meere werden nach allen Richtungen ausführlich erörtert. Wir wollen von den einzelnen Abschnitten nur einige hervorheben, welche uns von allgemeinem biologischen Interesse zu sein scheinen, so den Einfluss des Lichtes, der Temperatur, des “ Salzgehaltes, der Strömungen. An die Besprechung derselben, welche sich überall auf reiche Einzelthatsachen stützt, schließen sich Be- trachtungen über die Flora und Fauna des Litorals, der Flachsee, der Aestuarien und Reliktenseen, des offenen Meeres und der Tiefsee. Zum Schluss bespricht Verf. die geologischen Veränderungen der Meere, die Wanderungen der Tiere und die Korrelation der Lebensbezirke. In allen diesen Abschnitten stützt sich der Verf. auf ein umfassendes Studium der Litteratur und gibt ein reiches Material von Thatsachen in frischer und übersichtlicher Darstellung, welche ebenso fesselnd als belehrend ist. re. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ee in en, 24 N von je 09 Bo bilden einen Band. Preis ash Barden 20 Mark. Zu beziehen durch alle Be und Postanstalten. XIV. Band. 1. Oktober 1894. u Ns 19. Inhalt: Herbst, Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorzügen in der tierischen Ontogenese. I. (Fortsetzung). — Haacke, Die Formenphilosophie von H.Driesch und das Wesen des Organismus (Schluss). — Beneke, Sammlung mikroskopischer Präparate. — Berichtigung. Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese. 1. Von Curt Herbst. (Fortsetzung.) c) Ueber die Wirkung von Stoffreizen. a) Auf das Wandern freibeweglicher Organismen, Chemotaxis. Mit der Untersuchung über die Abhängigkeit der Bewegungsrich- tung niederer Organismen von chemischen Reizen hat sich in der ein- gehendsten Weise Pfeffer |50 u. 51] beschäftigt. Von den vielen Thatsachen, welche dieser Forscher zu Tage gefördert hat, dürfte der Nachweis, dass die Samenfäden der Farne durch neutrale Salze der Aepfelsäure, die der Laubmoose durch Rohrzucker angelockt werden, auch in nicht botanischen Kreisen am bekanntesten sein. Die Versuche wurden so angestellt, dass der anlockende Stoff in kleine Kapillar- röhrchen gefüllt wurde, in welche die Spermatozoen dann bei einer bestimmten Konzentration hineinsteuerten. Um eine Anlockung herbei- zuführen muss der Stoff in einer bestimmten Konzentration vorhanden sein. Pfeffer bezeichnet diese untere Grenze mit dem Namen „Reiz- schwelle“. Wird die Konzentration gesteigert, so wird schließlich ein Punkt erreicht, wo das Reizmittel nicht mehr anlockend wirkt, son- dern die Samenfäden abstößt. Die positive Chemotaxis wird also dann demselben Stoff gegenüber in eine negative verwandelt. In ähnlicher Weise wie die Samenfäden der Farne und Laubmoose hat Pfeffer eine große Anzahl von Bakterien, ferner Flagellaten und XIV. 44 690 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. Volvocineen untersucht. Chlorkalium, Pepton und Fleischextrakt er- wiesen sich als die besten Anlockungsmittel, während Alkohol und sauer oder alkalisch reagierende Stoffe stets negativ chemotaktisch wirkten. Negative Chemotaxis konnte in vielen, doch nicht allen Fällen auch durch Steigerung der Konzentration einer Lösung herbeigeführt werden. Dass auch Stahl [64] bei Myxomyceten positive und. negative Chemotaxis nachgewiesen hat, sei hier nur angedeutet. Was die höheren Tiere betrifft, so ist die Chemotaxis auch bei diesen sehr verbreitet, wenn auch meist noch nicht eingehend unter- sucht. So kriechen z. B. die Muscidenlarven aus einiger Entfernung auf faules Fleisch oder faulen Käse zu, während faules Fett, asa foe- tida und Ammoniak ohne Wirkung auf die Tiere bleiben (Loeb). Eine wahrhaft staunenerregende chemotaktische Reizbarkeit müssen die männlichen Schmetterlinge besitzen, welche aus weiten Entfernungen zu gefangenen Weibchen herangeflogen kommen. Der Chemotaxis wollen wir als Unterabteilungen die sog. Aero- resp. Oxygenotaxis und die Hydrotaxis anreihen. Bringt man in einen bakterienhaltigen Wassertropfen ein Stück eines Vaucheria-Fadens oder irgend eine Alge, so bemerkt man nach einiger Zeit, dass sich die Bakterien alle um die Alge dieht zusammengeschaart haben. Es ist der von letzterer produzierte Sauerstoff, welcher die Bakterien heranlockt. Engelmann, welcher zuerst diese Thatsache beobachtet hat, macht darauf aufmerksam, dass man infolge dessen die Bakterien als ausgezeichnetes Reagens auf geringe Sauerstoff- mengen verwenden kann. Da der Sauerstoff für das Leben unumgäng- lich notwendig ist, so dürfte die positive Aerotaxis zu den verbreitesten Erscheinungen gehören, obwohl sie noch nicht gerade in vielen Fällen durch das Experiment sicher erwiesen ist. Von den wenigen sicher gestellten Fällen sei nur noch erwähnt, dass nach Aderhold [1] Euglena viridis in hohem Grade aerotaktisch ist, was leicht zu demon- strieren ist, wenn man 3 Seiten des Deckglases, unter dem sich die Algen befinden, mit Wachs verkittet; die Euglenen sammeln sich dann sämtlich an der offenen Seite an. Positive Hydrotaxis hat Stahl [64] an den jungen Plasmodien von Aethalium septicum beobachtet, welche sich bei ungleicher Feuch- tigkeit des Substrates nach den feuchten Stellen begeben. Schicken sich die Plasmodien dagegen zur Fruchtbildung an, so kriechen sie umgekehrt zu den trockenen Stellen; sie sind also im reifen Zustande negativ hydrotaktisch. ß) Ueber den Einfluss der Stoffreize auf die Wachstumsrichtung der Organe. . Chemotropismus. Nachdem bereits früher von Pfeffer darauf hingewiesen worden war, dass chemische Reize wahrscheinlich von Einfluss auf die Wachs- Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 691 tumsriehtung mancher Organe sein könnte, hat Reinhardt [54] 1892 zuerst in einigen Fällen experimentell festgestellt, dass in der That Pilzfäden auf chemische Reize mit einer Aenderung ihrer Wachstums- richtung reagieren können. In neuester Zeit hat nun auf Veranlassung Pfeffer’s Miyoshi ausgedehnte Untersuchungen über die chemische Reizbarkeit der Hyphen verschiedener Pilze angestellt [43]. Zu den Versuchen wurden die Sporen auf Tradescantia-Blätter, welche mit den zu untersuchenden Stoffen injiziert und darauf rein abgespült worden waren, oder auch auf fein durchlöcherte Collodium-Häutchen und Glimmerblättchen, welche auf die Flüssigkeiten gelegt wurden, ausgesäet. Waren nun unter der Oberfläche anlockende Reizmittel in der richtigen Konzen- tration vorhanden, so wuchsen die Hyphen durch die Spaltöffnungen oder Löcher hindurch. Die neutralen Salze der Phosphorsäure und des Ammoniums, Traubenzucker, Pepton und Asparagin wirkten positiv chemotropisch, während mit Alkohol, freien Säuren und Alkalien, NaCl und KNO, — Stoffen, die in keiner Konzentration anlockend wirkten — Wachstumskrümmungen von der Reizquelle hinweg erzielt wurden. Außerdem können aber auch positiv chemotropisch wirkende Substanzen bei zu hoher Konzentration eine Abstoßung herbeiführen, wie wir dies bereits oben bei der chemotaktischen Reizbarkeit niederer Organismen kennen gelernt haben. Nicht unerwähnt mag noch bleiben, dass nach den Untersuchungen von Miyoshi höchst wahrscheinlich chemische Reize bei dem Ein- dringen der Pilzfäden in das Innere der Pflanzen und Tiere eine große Rolle spielen. In allerneuester Zeit hat derselbe Autor auch den längst ver- muteten Chemotropismus der Pollenschläuche durch zahlreiche Experi- mente sicher gestellt [42]. Es zeigte sich hierbei, dass die Ausschei- dungen der Narbe, des Griffels und der Ovula, welche nach den Angaben des genannten Forschers Zuckerarten sein sollen, kein spezi- fisches Reizmittel für Pollenschläuche sind, sondern auch auf Pilzfäden und Bakterien anlockend wirken. In manchen Fällen konnte Miyoshi die Beobachtung von Molisch bestätigen, nach welchen gewisse Pollenschläuche negativ aerotropisch sind d. h. nach den Stellen der geringeren Sauerstoffspannung hin wachsen. Molisch [45] hatte bereits vor längerer Zeit auch an Wurzeln aerotropische Krümmungserscheinungen beobachtet, die hier kurz besprochen werden sollen. Die Versuche wurden derartig ange- stellt, dass weithalsige Glasgefäße mit den zu prüfenden Gasen gefüllt und sodann mit einer Hartkautschukplatte verschlossen wurden, welche 1—2spaltförmige Oeffnungen aufwies. Vor die Spalten der horizontal gelegten Flaschen wurden nun die Keimpflanzen mit der Wurzelspitze 692 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. nach unten befestigt, und über das Gefäß wurde schließlich eine mit nassem Fließpapier ausgeklebte Glasglocke gestürzt, deren Inneres durch eine dünne Wasserschicht abgeschlossen wurde. War nun z.B. in das Gefäß Sauerstoff geleitet worden, so wendeten sich die Wurzeln von den Spalten hinweg, sie wuchsen nach den Stellen geringerer Sauerstoffspannung. War dagegen in der Flasche durch Pyrogallus- säure die Sauerstoffspannung vermindert worden, so krümmten sich die Wurzeln von dem Spalte hinweg und wuchsen in die atmosphärische Luft hinein. Je nachdem also der Sauerstofigehalt größer oder ge- ringer war als der der atmosphärischen Luft, kann man an den Wurzeln negativen oder positiven Aerotropismus hervorrufen. Eine weit energischere Wirkung als Sauerstoff hatte die einseitige Einwirkung von Kohlensäure, Leuchtgas, Chlordämpfen ete. auf die Wachstumsriehtung der Wurzeln zur Folge. Waren diese Gase in ge- ringen Mengen vorhanden, so trat eine negative aerotropische Aenderung der Wachstumsrichtung ein. Waren die Gase dagegen im Gefäß in zu großen Mengen vorhanden, so krümmten sich die Wurzeln gerade in den Spalt, also in die schädliche Atmosphäre hinein. Molisch bezeichnet diese Erscheinung als positiven Aerotropismus, was aber deswegen nicht erlaubt ist, weil die „positive“ Krümmung nach seinen eigenen Untersuchungen durch eine Schädigung der der Gasquelle zu- gekehrte Wurzelseite herbeigeführt wird. Auch bei den Versuchen mit Sauerstoff hat er zu Beginn des Versuches eine — wenn auch geringfüge — Krümmung in den Spalt hinein beobachtet, wenn durch zu hohe oder zu geringe Sauerstoffspannung die dem Spalt zugekehrte Wurzelseite geschädigt worden war. Gehen wir nunmehr zu der 2. Unterabteilung des Chemotropismus, zu dem Hydrotropismus über. Derselbe lässt sich ebenfalls leicht an Keimwurzeln, nach den Angaben von Sachs, demonstrieren. Pflanzt man irgendwelche Keimpflanzen mit der Wurzelspitze senkrecht nach unten in ein Sieb, welches feuchte Sägespähne enthält und schräg aufgehängt ist, so wachsen die Wurzeln, falls der Raum nieht dampf- gesättigt ist, nicht senkrecht durch die Löcher hindurch nach abwärts, sondern sie schmiegen sich dem feuchten Siebe an oder wachsen auch wieder in die feuchte Sägespähne hinein. Hätte man das Sieb da- gegen in einem dampfgesättigten Raum aufgehängt, so würden die Wurzeln durch die Löcher hindurch und senkrecht nach unten weiter gewachsen sein. In derselben Weise wie für die Wurzeln ist der Feuchtigkeitsunterschied auch für die Wachstumsrichtung mancher Pilze maßgebend. Während nämlich die Mycelien derselben nach den feuchteren Stellen hinwachsen, wachsen die Sporangienträger von dem feuchten Substrat hinweg, sind also negativ hydrotropisch. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 693 d) Ueber den Einfluss der Wärme. a) Auf die Bewegungsrichtung freibeweglicher Organismen. Thermotaxis. Stahl [64] ist wohl der erste gewesen, welcher den Einfluss ein- seitiger Wärme auf die Bewegungsrichtung der Organismen an dem Beispiel der Plasmodien von Aethalium septicum nachwies. In zwei neben einander aufgestellten Gläsern, von denen das eine Wasser von 7°, das andere solches von 30° C enthielt, wurde ein Fließpapierstreifen, auf dem sieh ein Plasmodium befand, so aufgehängt, dass das eine Ende in das warme Wasser, das andere in das kalte eintauchte. Nach einiger Zeit stellte es sich heraus, dass das Plasmodium aus dem kalten Gefäß heraus und in das warme herübergekrochen war, es hatte sich also positiv thermotaktisch gezeigt. Im Gegensatz hierzu hat Verworn [68] bei Amoeba limax und Echinopyxis aculeata nega- tive Thermotaxis beobachtet; die Tiere krochen in die kühlere Partie des Tropfens. Es geschah dies jedoch auch nur, wenn die warme Stelle eine Temperatur von mehr als 35° C aufwies. ß) Ueber die Wirkung einseitiger Erwärmung auf die Wachstumsrichtung der Organe. T'hermotropismus. Die einzigen sicheren Thatsachen, welche über thermotropische Krümmungserscheinungen an wachsenden Organen beobachtet worden sind, verdankt man den Untersuchungen Wortmann’s [73]. Derselbe war im Stande, sowohl an Sprossen wie an Wurzeln von Keimpflanzen eine Veränderung der Wachstumsrichtung durch einseitige Erwärmung herbeizuführen. Der Wärmequelle zu krümmten sich die Stengel von Zea mais, während sich die von Linum davon abwendeten. Eine Temperatur von 20° C war jedoch zu diesen Krümmungen unerläss- lich. Die Wurzeln der Keimpflanzen erwiesen sich bei niederen Tem- peraturen positiv, bei höheren negativ thermotropisch; so war z. B. bei Pisum sativum die Krümmungsbewegung bis zu 32—33° C positiv, bei einer höheren Temperatur negativ. Ebenso kurz wollen wir uns fassen: e) Ueber den Einfluss konstanter Ströme. a) Auf die Bewegungsrichtung freibeweglicher Organismen. Galvanotaxis. Die Erscheinung der Galvanotaxis, welche bereits früher von Hermann an Kaulquappen beobachtet worden war, hat Ver- worn!) in eingehender Weise an Protisten studiert [67]. Leiten wir durch einen Wassertropfen, welcher Paramaecien enthält, mittels un- polarisierbarer Elektroden einen konstanten galvanischen Strom, so 4) In neuerer Zeit haben Nagel und namentlich Blasius und Schwei- zer [2], Beiträge zur Kenntnis der Galvanotaxis geliefert, auf welche hiermit verwiesen sein möge. 694 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. sieht man wie sich sämtliche Tiere sofort mit ihrem Vorderende der Kathode zuwenden und innerhalb der Stromkurven dieser zuschwimmen. Die Protisten bewegen sich also von dem positiven zu dem negativen Pol; wir können sie deshalb als negativ galvanotaktisch bezeichnen. Wird der Strom, nachdem sich die Paramaecien an der Kathode an- gesammelt haben — wobei die größte Ansammlung hinter der nega- tiven Elektrode (d.h. zwischen ihr und dem Tropfenrand) stattfindet —, nunmehr geöffnet, „so schwimmen die Protisten wieder in der Richtung nach dem positiven Pol zurück, und zwar ebenfalls zuerst mit strenger Innehaltung der Stromkurven, bis allmählich die Bewegung und damit die Verteilung im Tropfen wieder regellos wird“. Negativ galvano- taktisch wurden ferner Coleps hirtus, Colpoda cucullus, Stentor coeru- leus, St. polymorphus ete. befunden, während bei Opalina ranarum, einigen Flagellaten und Bakterien positive Galvanotaxis konstatiert wurde. $) Ueber den Einfluss konstanter Ströme auf die Wachstumsrichtung der Organe. Galvanotropismus. Negativer Galvanotropismus oder ein Wachstum nach der Kathode hin wurde von Brunchorst [3] an Wurzeln nachgewiesen, welche in Wasser kultiviert wurden, durch das ein schwacher konstanter Strom geleitet wurde. In stärkeren Strömen krümmten sich dagegen die Wurzeln nach der Anode zu, eine Erscheinung, die aber nicht als „positiver Galvanotropismus“ zu bezeichnen ist, da sie dadurch zu Stande kam, dass die am positiven Pole ausgeschiedenen Substanzen die demselben zugekehrte Wurzelseite schädigten, wodurch ein stär- keres Wachstum der abgewandten Seite und damit eine „positive“ Krümmung erzielt wurde. Wir haben ähnliches bereits oben S. 669 bei zu starken Einwirkungen von Chlordämpfen, Leuchtgas ete. auf die Keimwurzeln kennen gelernt. f) Ueber den Einfluss von Wasserströmungen. a) Auf die Bewegungsrichtung freibeweglicher Organismen. Rheotaxis. Bringt man Plasmodien auf einen Fließpapierstreifen, so bemerkt man, dass sich dieselben stets dem Wasserstrom entgegenbewegen (Stahl). Wir können diese Eigenschaft positive Rheotaxis nennen. Es ist ferner bekannt, dass manche Fische (Lachse) zum Laichen aus dem Meere in die Flüsse hinaufschwimmen, und nach vollendetem Laichgeschäft das entgegengesetzte thun, sollte hierbei vielleicht die gleiche mit der Jahreszeit wechselnde Reizbarkeit strömendem Wasser gegenüber im Spiele sein? £) Ueber den Einfluss von strömendem Wasser auf die Wachstumsrichtung von Organen hat Jönsson Untersuchungen angestellt und gefunden, dass die Wurzeln des Mais dem Wasserstrom entgegenwachsen. PositiverRheotropismus. J Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 695 g) Ueber den Einfiuss des Kontaktes, a) Auf die Bewegung freibeweglicher Organismen. Stereotaxis nach Loeb, Thigmotaxis nach Verworn. Die Thatsache, dass der Berührungsreiz mit einer Fläche derartig auf manche freibewegliche Organismen wirkt, dass dieselben die Fläche nicht wieder verlassen, sondern sich stets auf ihr weiter bewegen, ist zuerst von J. Dewitz |6] an den Samenfäden von Periplaneta orientalis sicher gestellt worden. Bringt man einen Tropfen Samenflüssigkeit dieses Insekts in physiologische Kochsalzlösung auf einen Objektträger, so sieht man, wie die Spermatozoen, welche auf die Fläche des Objekt- trägers gestoßen sind, in fortwährender kreisförmiger Bewegung auf ihr herumschwimmen, ohne sie wieder zu verlassen; sie werden von den Flächen „gleichwie von einem Magneten festgehalten“. Bemerkens- wert ist, dass sich die Samenfäden auf Flächen immer in derselben Richtung, nämlich stets umgekehrt wie die Zeiger der Uhr, im Kreise herumbewegen, und dass diese eigentümliche Bewegungsform nach den Angaben von Dewitz erst durch die Berührung mit einer Fläche ausgelöst wird, da man sie an den Spermatozoen, so lange sie noch frei im Wasser schweben, nicht wahrnehmen kann. Dass wir es bei den geschilderten Erscheinungen wirklich mit einem Reiz zu thun haben, den die Berührung mit einer Fläche auf die Spermatozoen ausübt, zeigt sich besonders schön, wenn wir in einen samenhaltigen Tropfen eine kleine Glaskugel bringen. Sämt- liche Samenfäden, welche mit der Oberfläche derselben in Berührung kommen, schwimmen nie wieder von ihr ab, sondern führen auf ihr fortwährend ihre kreisförmigen Bewegungen aus. Nach einiger Zeit trifft man nur noch tote oder im Absterben begriffene Samenfäden frei im Tropfen schwebend an. Es ist klar, dass diese ausgeprägte Thigmotaxis vollkommen aus- reichend ist, um die Spermatozoen, welche aus dem Leiter der Samen- tasche an die vorbeirutschenden Eier herangeschleudert werden, un- fehlbar in die Mikropylen der letzteren einzuführen. Im Anschluss an die Untersuchungen von Dewitz hat Massart [41] die Samenfäden des Frosches auf ihre Reizbarkeit geprüft und dieselben Verhältnisse wie bei Periplaneta gefunden. Bei der Art und Weise, wie die Froscheier befruchtet werden, ist leicht einzusehen, dass auch hier noch die Thigmotaxis der Spermatozoen zur Garantierung der Befruchtung hinreicht; in vielen anderen Fällen dürfte jedoch die Thigmotaxis — wenigstens allein — nicht genügen und durch die Chemotaxis unterstützt oder vertreten werden müssen. Endlich sei noch erwähnt, dass auch Loeb [33] an Museiden- larven eine ausgeprägte Kontaktreizbarkeit konstatiert hat. 696 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. $) Ueber die Wirkung des Kontaktes auf die Wachstumsrichtung der Organe (Thigmotropismus und Stereotropismus). Wohl das beste botanische Beispiel für den Einfluss der Berührung auf die Wachstumsrichtung dürften die Ranken abgeben, welehe — an- fangs gerade — bei Berührung mit einer Stütze eine Krümmung nach derselben hin erfahren, wodurch die Umschlingung der Stütze einge- leitet wird!). Es ist von Interesse, dass nur ein diskontinuierlicher, mit Reibung verbundener Druck, aber kein statischer nach den Unter- suchungen Pfeffer’s |52] die Krümmung der Ranken auslösen kann. Gegen Wind und Regen, ja gegen einen anprallenden Quecksilberstrahl sind sie vollkommen unempfindlich. Wie Sachs zuerst zeigte, krümmen sich in ähnlicher Weise wie die Ranken auch die Wurzeln bei einseitiger Berührung ihrer Wachs- tumszone nach dem Körper hin, eine Eigenschaft, welche unter anderem das Umwachsen der Erdpartikelchen von Seiten der Wurzelhaare zur Folge hat?). Wohl am ausgeprägtesten ist der Thigmotropismus an den Luft- wurzeln epiphytischer Orchideen und an den Haftwurzeln der „baum- würgenden“ Ficus-Arten. Besonders bei den Wurzeln dieser letzteren Kategorie ist die Erscheinung derartig auffallend, dass es den Anschein hat, als hätten die breitgedrückten Haftwurzeln anfangs aus Strömen einer teigartigen Masse bestanden, welche häufig mit einander anasto- mosierend um den Stützbaum herumgeflossen und erst nachträglich erstarrt seien ?). Auf zoologischem Gebiete ist es Loeb |36] gewesen, welcher an Stolonen der Hydroidpolypen nachwies, dass deren Wachstumsrichtung nach Berührung mit einem festen Körper bestimmt ist, sie wachsen dann nämlich nicht wieder in das umgebende Medium hinein, sondern bleiben dem Körper dieht angeschmiegt. 1) Auf die Fortpflanzung des Reizes auf die Teile oberhalb und unterhalb der Berührungsstelle wollen wir nicht näher eingehen. 2) Hiermit stehen die Entdeckungen von Darwin [4] in scheinbarem Widerspruch, der bei Betupfen der Wurzelspitze mit Schellack, Höllenstein ete. oder bei Befestigung eines Kartonstückchens mittels eines Klebmittels ein Wegkrümmen von der Berührungsstelle konstatierte. Es handelt sich hierbei nach Detlefsen [5] um eine Tötung resp. Schädigung des betreffenden Teiles der Wurzelhaube, welche infolge dessen an dieser Stelle der Ausdehnung der unter ihr liegenden Gewebe einen geringeren Widerstand als im unverletzten Zustand entgegensetzt. Das Resultat hiervon ist ein stärkeres Wachstum der betreffenden Partie und ein Wegkrümmen der Wurzelspitze von der Berührungs- stelle. 3) Bemerkenswert ist, dass die Haftwurzeln den Stützbaum annähernd horizontal umschnüren; es ist infolge dessen wahrscheinlich, dass dieselben abgesehen von dem Thigmotropismus noch die Eigenschaft haben, eine Wachs- tumsrichtung senkrecht zum Lothe einzuschlagen. Vergl. Haberlandt [20] Seite 164. Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 697 Wir sind nunmehr mit der Aufzählung einiger bekannter That- sachen über die sicher!) begründeten Richtungsreize am Ende ange- langt und könnten nun gleich zur Anwendung des Gelernten auf ge- wisse Vorgänge der Ontogenese übergehen. Wir wollen dies jedoch noch etwas aufschieben und zuvor noch einige allgemeine Fragen, welche auf die Richtungsreize Bezug haben, zur Sprache bringen, da uns dieselben für die spätere Durchforschung der richtenden Kräfte in der Ontogenese von Wichtigkeit zu sein scheinen. (Fortsetzung folgt.) Die Formenphilosophie von Hans Driesch und das Wesen des Organismus. Von Wilhelm Haacke. (Schluss.) Wir wenden uns nun dem zu, was Driesch über die Systematik sagt. Er hat zu wiederholten Malen betont, dass in der Physik die Deduktion, die logische Subsumption, eine große Rolle spiele, und zeigt an einen Beispiel, dass das in der That der Fall sei. „Die Gleichungen, welche für die Bewegung der Flüssigkeiten gelten“, sagt er, „sind in ihrer Allgemeinheit der Ausdruck eines letzten nicht weiter zerlegbaren Naturgesetzes; spezialisiere ich die Bewegungsbedingungen in diesen Gleichungen derart, dass ich sage, die Bewegung zweier Axen soll gleich O0, d. h. mathematisch x und y in den Gleichungen sollen = 0, und es soll die einzige auf die Flüssigkeit wirkende be- wegende Kraft die Schwere sein, so erhalte ich nach einiger Um- 1) Höchst unsicher scheint mir der sog. Somatotropismus begründet zu sein, dem zu Folge sich die Keimstengel mancher Pflanzen (Mistel) und die Sporangien einiger Pilze auch bei Ausschluss von Helio- und Geotropismus senkrecht zum Substrat stellen sollen. Ich werde in meiner Skepsis durch den Nachweis Wortmann’s bestärkt, nach dem die Wachstumsrichtung der Sporangienträger von Phycomyces nitens — einem Sachs’schen Beispiel von Somatotropismus — durch negativen Hydrotropismus bestimmt wird. Außerdem ist zu beachten, dass die Organe doch stets in einem gewissen Lageverhältnis zu einander stehen und auch bei Ausschluss aller von außen wirkenden richtenden Kräfte mit den Längsaxen der übrigen Organe einen Winkel, den sog. Eigen- winkel bilden. Vergl. Pfeffer [49] S. 347-350. Ebenso wenig begründet ist die von Elfving [14] entdeckte „physiolo- gische Fernwirkung“ von Eisen und einigen anderen Stoffen auf Sporangien- träger von Phycomyces nitens, welche von diesen Substanzen angezogen werden. Es hat sich nämlich durch Untersuchungen von Errera [17] herausgestellt, dass nur hygroskopische Körper anziehend auf die betreffenden Gebilde wirken und dass die eigenartige Fernwirkung weiter nichts als negativer Hydrotropis- mus ist. Elfving [15] sucht zwar neuerdings durch erneute Experimente seine Ansicht aufrecht zu erhalten, aber wie mir scheint mit sehr wenig Erfolg. 698 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. formung einen Satz, den man das Toricelli’sche Ausflusstheorem nennt und der besagt, dass ein Flüssigkeitsteilchen mit der Geschwindig- keit ausfließt, die es erhalten hätte, wäre es dureh den mit Flüssigkeit gefüllten Raum gefallen (v = v2gh). Das Toricelli’sche Theorem ist also unter die allgemeinen Gleichungen subsumiert, als in ihnen enthalten erkannt. Auf diese Weise kann ich jede spezielle Kraft- bethätigung als Spezialfall eines allgemeinen Naturgesetzes darthun. Eine solche Unterordnung kommt stets auf eine Spezifikation der un- abhängigen Variablen und darauf folgende mathematische Operationen hinaus. Da jede physikalische Gleichung eine Veränderungsrelation zweier Größen (ein ‚mechanistisches‘ Gesetz) ausdrückt, so ist natür- lich auch eine solche das Resultat der Umformung. Eine andere Art der Subsumption findet in folgendem Beispiele statt. Die allgemeine Kegelschnittsgleichung ist die allgemeine Gleichung zweiten Grades (ax? + bsy + ey? + dx + ey + f= 0). Aus ihr folgen dureh Verbindung mit anderen Sätzen die Eigenschaften der Kegelschnitte, und zwar handelt es sich bei denselben auch stets um Spezifikation der Variablen als solcher. Will ich dagegen aus der allgemeinen Kegelschnittsgleichung über die Parabel Sätze ableiten, so habe ich nichts mit den Variablen zu thun, vielmehr mus cha=b=e=f —=( setzen, e=1 und d—= — 2p, um die Gleichung y? = 2px zu er- halten. Ich habe also in diesem Falle Konstante spezialisiert. Erhielt ich nun durch Operation mit den Variablen aus einer Relation andere ihr untergeordnete Relationen, so erhalte ich durch Operation (Spezi- fikation) mit den Konstanten Relationsarten, d. h. sie führt zur Systematik, zur Klassifikation. Die Ellipse, die Parabel, der Kreis, die Hyperbel, die gerade Linie, der Punkt sind ‚Arten‘ der Kegel- schnitte“. Driesch hat diese Betrachtungen angestellt, weil der Begriff der Klassifikation in der Biologie eine große Rolle spielt. Nun aber fragt er mit Rücksicht auf den vermeintlich von ihm geführten Nachweis, dass der Erkenntnisgrund in der Morphologie keine Rolle spiele, ob nicht gerade jede Klassifikation auf dem Erkenntnisgrund beruhe; habe doch Schopenhauer gradezu dem Erkenntnisgrund die beschreibende Naturforschung als eigentliches Feld angewiesen. „So wäre also unsere Behauptung falsch?“ fragt Driesch, die Behauptung nämlich, dass der Erkenntnisgrund in der Morphologie keine Rolle spiele. Durch folgende Ueberlegung sucht er zu zeigen, dass diese Behauptung nicht falsch sei, aber eines Zusatzes bedürfe. Die bloße Klassifikation, z. B. der Satz, dass der Löwe ein Säuge- tier sei, sei zwar eine Unterordnung von Begriffen, aber es fehle ihr der Charakter der notwendigen Einsicht. Dieser Charakter hafte dagegen dem Verfahren der Physik und Geometrie, das auch in einer Subsumption von Begriffen bestehe, an. „Was verleiht nun“, fragt Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 699 Driesch, „einer Subsumption die Eigenschaft, wirkliche Einsicht zu gewähren, und wie verhält sich die Systematik zu Einsicht gewähren- der Subsumption?“. Im Hinblick auf die vorher von ihm angestellten und von uns wiedergegebenen Betrachtungen beantwortet Driesch diese Frage folgendermaßen: „In der physikalischen Deduktion sahen wir das Verfahren, welches von der allgemeinen Relation zur speziellen führte, Schritt für Schritt als möglich ein, es war eben ein mathematisches“. Auch bei der Ableitung der einzelnen Arten der Kegelschnitte, der Ellipse, der Parabel, des Kreises, der Hyperbel, der graden Linie und des Punktes, sähen wir die Möglichkeit, dass ein spezielles Verfügen über die Konstanten der Kegelschnittsgleichung stattfinden könnte, ein. In dem einen wie in dem anderen Falle seien die Unterschiede der Art von der Gattung quantitative und würden mathematisch vermittelt und dieser Satz enthielte die Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage. Eine Systematik wie jede Subsumption gewähre nur dann wirkliche Einsicht, wenn der Weg, auf dem die Arten aus dem Genus hervorgehen, rationell durchsichtig sei. Mit der mathematischen und physikalischen Deduktion vergleicht Driesch nun die chemische Systematik. Für die primären Alkohole z. B. gelte die Formel C) Ho) 40H, und den einzelnen Alkoholen entsprächen Formeln, in welchen das n eine bestimmte ganze Zahl darstellt. Man pflege nun die Formel als den eigentlichen Inbegrift des Stoffes zu betrachten und die Eigenschaften des letzteren als eine Funktion der Formel anzusehen; andrerseits gälten die Intensitäten der Eigenschaften, z. B. die Stärke der Säuren der Elemente, als Funktionen des Atomgewichts. Diese Auffassung gewähre keine wirk- lich befriedigende Einsicht, und zwar käme dies nicht von der Unmög- lichkeit, die Grundthatsache, dass eine bestimmte Formel einem be- stimmten chemischen und physikalischen Eigenschaftskomplexe ent- spräche, einzusehen, sondern daher, dass es sich durchaus nicht klar machen ließe, inwiefern die Unterschiede in der Intensität der Eigen- schaften bei den einzelnen Stoffen von einer bestimmten Formel ab- hängig seien. In der allgemeinen Formel der primären Alkohole seien zwei Dinge enthalten, erstens die Grundthatsache, dass die be- treffende Gruppe chemischer Stoffe, die wir als primäre Alkohole be- zeichnen, bestimmte Eigenschaftskomplexe aufwiesen, und zweitens die Intensitätsregel, die sich auf die Verschiedenheiten der einzelnen Alkohole beziehe. Der Umstand, dass es sich hier nur um eine Regel handle, die erst durch die Erfahrung gewonnen sei, bedinge den ratio- nellen Minderwert der chemischen Systematik gegenüber der physi- kalischen Gesetzesdeduktion, denn bei der letzteren folge die auf das Spezielle bezügliche Größenangabe mathematisch aus dem Gesetz selbst, sie sei kein neues empirisches Datum. 700 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. An diese Auseinandersetzungen reiht Driesch die Besprechung der Frage, ob überhaupt ein rationelles System natürlicher Dinge möglich sei. Wir hätten ein solches nur im Hinblick auf mathema- tische Körper gekennzeichnet; dabei hätten wir gesehen, dass eine "ationelle Systematik mit Notwendigkeit an mathematische Behandlung geknüpft sei, und deshalb wäre es klar, dass sie nur dort denkbar wäre, wo der oberste Thatsachenausdruck eines Gebiets ein mathe- matischer Satz sei. Ein solcher sei aber Ausdruck einer Beziehung von Veränderlichen. Demnach würde die rationelle Systematik darin zu bestehen haben, dass sie über die Arten der Beziehungen etwas aussage, nämlich darüber, ob es in dem betreffenden Gebiete eine un- begrenzte ungesetzliche, oder eine unbegrenzte gesetzliche oder aber eine beschränkte Anzahl von Beziehungen gäbe. „Wenn die Chemie“, fährt Driesch fort, „über das Wesen der chemischen Energie etwas mehr wüsste, als es der Fall ist, so würde sie vielleicht dazu gelangen können, die Elemente als durch Attraktionskräfte bedingte Verdich- tungszustände eines einzigen ‚Stoffes‘ darzustellen, und indem jedes solehe Element auf Grund von Zahl und Lage der Uratome spezifische Wirkungsmerkmale erzielte, wäre damit auch der Grund für eine Ein- sicht in das Wesen der Affinitäten der Elemente unter sich gelegt“. Selbstverständlich könne die Konstante, die in der Attraktionsgleichung der Uratome die Anzahl der letzteren bezeichne, nur eine ganze Zahl sein, und wir hätten somit in den chemischen Verbindungen das Bei- spiel einer gesetzlichen aber unbeschränkten Konstantenbestimmung oder Systematik vor uns, wofern sich nicht zeigen ließe, dass nur eine beschränkte Zahl von Verdichtungszuständen möglich wäre. Eine derartige beschränkte Systematik ließe sich bekanntlich aus der Theorie der Elastizität bezüglich der Krystalle ableiten. Die Anzahl von mög- liehen Konstanten fiele hier mit der der thatsächlich vorkommenden Symmetrieverhältnisse zusammen. Wie weit nun diese Betrachtungen einst für die Biologie aktuelles Interesse gewinnen könnten, bleibt nach Driesch gänzlich dahin- gestellt. Er habe nur darauf hinweisen wollen, wie so ganz anders denn doch der Charakter der zusammengesetzten organischen Form gegenüber den Stoffen der Chemie sei und wie verschieden infolge dessen auch bei beiden der Charakter der zunächst noch unrationellen Systematik. Indessen besitze auch diese vorläufig große Vorteile, was wieder am Beispiel der Alkohole gezeigt werden könne. Die mit der Formel C,)Ho„ + 40H verbundene allgemeine Einsicht gestatte uns, die Eigenschaften eines neuen Alkohols aus seiner Zusammensetzung der Intensität nach vorherzusagen, und das periodische System der Ele- mente habe das Skandium und zwei andere Elemente mit ihren sämt- lichen Eigenschaften vorhersagen lassen. Aber in diesen Schlüssen Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 701 handle es sich doch nur um Wahrscheinlichkeiten; die Sicherheit mathematisch - physikalischer Deduktionen könnten die betreffenden Sehlüsse nieht besitzen. Auf Grund der chemischen Systematik könne in der That durch die Kenntnis gewisser Stoffe zugleich diejenige anderer, wenigstens andeutungsweise, gefördert werden, aber gleich- wohl könne kein Schluss aus den Eigenschaften zweier Elemente auf die Eigenschaften ihrer Verbindungen gezogen werden. Die Kenntnis eines Stoffes gestatte nicht, über einen anderen Stofl irgend etwas im strengerer Weise auszusagen. Die Alkoholformel sei kein Gesetz, aus dem andere Gesetze mit derselben relativen Sicherheit, die es selbst besitze, abgeleitet werden könnten, sondern die Art, wie aus ihm ab- geleitet würde, sei selbst eine neue empirische Abstraktion, nämlich die, dass die Intensitäten der Eigenschaften mit den Werten des n zusammenhingen. Die biologische Systematik stehe nun der chemischen, obschon der Mangel des Rationellen beiden zukäme, deshalb wesentlich nach, weil ihr ein den chemischen Formeln entsprechender Inbegriff des grade vorliegenden Körpers fehle. Das, was die chemischen Stoffe und Stoft- gruppen in erster Linie kennzeichne, sei immer dieselbe Kategorie von Eigenschaften, und zwar die, welche mit Fug und Recht als die wesentliche angesehen werden könne, nämlich die Zusammen- setzung. Was aber sei das Wesentliche an einer Tier- oder einer Pflanzenart? Das eben wüssten wir nicht, und daher komme es, dass von einem neu entdeckten Tiere, das Haare besäße und seine Jungen säuge, wohl mit hohem Grade der Wahrscheinlichkeit gesagt werden könne, dass sein zentrales Blutgefäßsystem linksseitig entwickelt sei, sowie dass es noch andere bestimmte Eigenschaften hätte, dass aber nie die Existenz grade dieses Tieres mit diesen bestimmten Eigen- schaften als notwendig in eine Reihe gehörig, hier einen bestimmten Platz ausfüllend, erkannt werden könne. In diesen Erörterungen Driesch’s über Systematik ist vieles Wahre enthalten, aber Driesch’s Auffassung der biologischen Systematik ist eine verfehlte. Die Frage, was das Wesentliche an einer Tier- oder einer Pflanzenart sei, ist nicht dahin zu beantworten, dass wir darüber nichts wüssten. Unsere Kenntnisse gestatten uns vielmehr die be- stimmte Antwort, dass das Wesentliche an einer Tier- und Pflanzenart die Art und Weise, wie ihre Vertreter aus einzelnen Zellen und wie diese letzteren zusammengesetzt sind, ist, und zwar handelt es sich erstens darum, in welcher Lage sich die Zellen zu einander befinden, und zweitens darum, wie die einzelnen Arten verschiedener Zellen auf verschiedene Körperteile verteilt sind. Was den ersteren Punkt anlangt, so können die Zellen etwa in einer Reihe hintereinander liegen, d. h. eine Zellenschnur oder einen Zellenfaden bilden, wie wir es bei manchen Algen antreffen. Sie können zweitens eine aus einer Zell- 702 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. schicht bestehende Fläche darstellen, und zwar entweder eine ebene, oder eine kugelförmige u. s.w., und endlich können sie drittens einen mehr- schichtigen Körper bilden. Dieser kann nun verschiedene geometrische Grundformen haben. Er kann kugelförmig, eiförmig, strahlenförmig oder zweiseitig-symmetrisch sein, kurz er wird durch die Symmetrie- verhältnisse seiner einzelnen Teile charakterisiert. Aber neben diesen spielt auch die Anzahl seiner Zellen eine große Rolle, insofern als mit der Vergrößerung der Anzahl der Zellen auch die Anzahl der Figuren, in welchen die Zellen angeordnet sein können, wächst. Da die Anzahl der Zellen nur eine ganze Zahl sein kann, und da die Anzahl der Symmetrieverhältnisse, die es überhaupt gibt, ihren Hauptkategorien nach eine beschränkte ist, so haben wir hier ein Beispiel von einer inbezug auf die Symmetrieverhältnisse beschränkten aber inbezug auf die Anzahl der Zellen unbeschränkten Konstantenbestimmung vor uns. Die biologische Systematik hat also, insofern die Anordnung und die Anzahl der Zellen in einem Organismus in Betracht kommt, große Aehnlichkeit mit der chemischen Systematik, denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Grunde genommen von Eigenschaften der chemischen Verbindungen nicht reden können, sondern dass wir nur solche Eigenschaften wirklich wahrnehmen, die unbekannten chemischen und physikalischen Prozessen im Innern unseres Gehirns entsprechen. Die Eigenschaften, die wir den chemischen Verbindungen zuschrei- ben, gehen uns also gar nichts an, insofern als sie noch lange nicht Gegenstand der Forschung sein können. Für uns können die chemischen Verbindungen nur Atomenkomplexe sein, in welchen die einzelnen Atome in bestimmter Weise angeordnet sind, und die Atome selbst haben wir uns wieder als Komplexe von in bestimmter Weise angeordneten Uratomen zu denken. Was also die Anordnung der ein- zelnen Teile im Körper anbelangt, so steht die biologische Systematik auf ganz derselben Stufe wie die chemische. Die Tier- und Pflanzen- körper sind Gleichgewichtszustände von Zellen, ganz ebenso wie die chemischen Moleküle Gleichgewichtszustände von Atomen sind. Und wenn wir für die letzteren Reihen aufstellen, wenn wir ein Molekül mit einer bestimmten Anordnung der Atome als notwendig in eine Reihe gehörig nachweisen können, so wird ein solcher Nachweis auch inbezug auf Tier- und Pflanzenkörper möglich sein. Die biologische Systematik bietet aber auch insofern eine Parallele zu der chemischen, als die Moleküle der Chemie aus verschieden- artigen Atomen zusammengesetzt sein können, ebenso wie die Tier- und Pflanzenkörper aus verschiedenartigen Zellen. Und da die chemischen Verbindungen auch inbezug auf ihre Zusammensetzung aus verschiedenen Atomen einer bestimmten Gesetzmäßigkeit unterworfen sind, so dürfen wir ein Gleiches auch von den Tier- und Pflanzen- körpern erwarten. Näher auf diese Frage einzugehen, ist hier nicht Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 703 der Ort, genug, dass wir wenigstens soviel erkennen, dass auch der biologischen Systematik die Möglichkeit nicht abgeht, Gruppen von Tier- und Pflanzenformen, die inbezug auf die Zusammensetzung aus Zellen und die Eigenschaften der letzteren bestimmten Kategorien angehören, zu unterseheiden. Nachdem Drieseh durch einen Vergleich der Morphologie mit Physik und Chemie festgestellt zu haben glaubt, was sie nicht ist, und was sie nicht kann, geht er dazu über „Positives über ihr Wesen und ihre Methodik auszusagen“. Wie es im Bereiche der Chemie eine spezielle Disziplin gäbe, welche die Eigenschaften der einzelnen Stoffe und ihre Beziehungen zu einander erforsche, und eine allgemeine Disziplin, welche die in allen chemischen Vorgängen sich äußernde chemische Energie zum Gegenstand habe, so zerfiele auch die Morphologie in eine allgemeine und in eine spezielle Wissenschaft von den Organismenformen. Die Aufgabe der speziellen Morphologie sei es, die Formen der Naturkörper zunächst rein beschreibend vollständig kennen zu lehren, dann aber auch ihre Beziehungen zu einander zu ermitteln. Zu dem letzteren Zweck bediene sie sich des Experimentes. Dieser Anschauung haben wir entgegen zu halten, dass das Ex- periment nieht genügend ist, um die Beziehungen der Organismen- formen zu einander kennen zu lehren, wenigstens nicht das von Menschen angestellte. Es genügt hier, daran zu erinnern, dass auch die Natur Experimente anstellt, und zwar Reihen von Experi- menten, und dass wir auch aus diesen recht viel lernen können. Driesch hat ganz Recht, wenn er sagt, dass durch die Thatsache eines genetischen Zusammenhangs verschiedener organischer Körper, wenn sie auch noch so sicher sei, und zwar nicht bloß im allgemeinen, sondern auch im besondern, gar nichts gewonnen sei, sofern nicht für jede einzelne Umwandlung der Formen eine besondere Ursache und ihr Effekt angegeben würde. Darnach soll ja grade die historische Forschung trachten, die besonderen Ursachen für die Umbildung der einzelnen Formen anzugeben, und wenn Driesch sagt, die hypothe- tische Behauptung der Thatsache möge immerhin dem hier entschei- denden Versuch den Weg weisen können, so gibt er damit zu, dass die historische Erforschung der stammesgeschichtlichen Vorgänge und. die genaue Beobachtung der keimesgeschichtlichen nicht so sehr zu verachten ist, wie er es uns sonst glauben machen möchte. Wenn es nach Driesch die Aufgabe der speziellen Morphologie ist, die Formen der Naturkörper zunächst rein beschreibend kennen zu lernen, dann hat sich diese beschreibende Morphologie auch auf die histori- schen Vorgänge innerhalb der Organismenstämme und der Individuen zu erstrecken. Freilich soll nach Driesch die Kenntnis der umzu- 704 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. wandelnden Form und die des umwandelnden Faktors gar nichts dazu nützen, das Resultat vorauszusagen, weil von den Umwandlungs- ursachen behauptet werden müsse, dass sie etwas der Form nach Neues in die Erscheinung treten ließen, dass sie als „Reize“ wirkten, Formenauslöser seien. Es sei vielmehr nötig, dass bei jedem Um- wandlungsvorgange alle drei Bestandteile, der Ausgangspunkt, der Endpunkt und der vermittelnde Faktor einzeln für sich durch die Be- obachtung ermittelt würden. Wenn man Wasserstoff und Sauerstoff durch Wärme zu Wasser vereinige, so wären aus den Eigenschaften des Wasser- stoffs und denen des Sauerstoffs und der Wärme diejenigen des Wassers nicht vorauszusagen. Diese Thatsachen bedingten es, dass die Morpho- logie der Organismen und die Chemie so vorwiegend anf Erfahrung beruhende Disziplinen seien. Dem gegenüber müssen wir wiederholt darauf hinweisen, dass wir von den eigentlichen Eigenschaften der Stoffe und Kräfte, also in unserem Falle von denen des Sauerstofis, des Wasserstoffs, des Wassers und der Wärme, nichts wissen, insofern als ja die „Eigen- schaften“, die wir diesen Stoffen und der Wärme zuschreiben, eigent- lich Eigenschaften von chemikalischen oder physikalischen Prozessen sind, die in unserem Gehirn vor sich gehen. Für die Naturforschung kann die Eigenschaft eines Sauerstoff- oder eines Wasserstoffatoms nur in der Art und Weise seiner Zusammensetzung aus Atomen des Ur- stoffes bestehen. Es handelt sich bei den „Eigenschaften“ der chemi- schen Elemente um weiter nichts, als um eine verschiedene Anordnung von Atomen des Urstoffes in den Elementatomen, und eine solche können wir verstehen. Die Aufgabe der Chemie ist es eben, alle chemischen Elemente auf einen Urstoff zurückzuführen, und ihre Eigen- tümlichkeiten aus denen des Urstoffes zu erklären. Ebenso ist die Wärme für die Mechanik lediglich eine Bewegungsform. Wenn demnach die Atome von Sauerstoff und Wasserstoff Gleich- gewichtszustände des Urstoffes vorstellen, so kann die Wärme, weil sie Bewegung ist, auf diesen Gleichgewichtszustand einwirken, und eine derartige Einwirkung würden wir verstehen können, wenn wir die Zusammensetzung der Atome der chemischen Elemente aus Atomen des Urstoffes kennten. Die Möglichkeit, dass wir einmal zu einer befriedigenden Einsicht in diese Zusammensetzung gelangen, lässt sich durchaus nicht von der Hand weisen. Wenn wir aber einmal so weit sein werden, dann wird es auch möglich sein, vorauszu- sagen, was bei der Vereinigung zweier verschiedener Elemente ge- schehen wird. Aus der Konstellation der Urstoffatome in den mit- einander in Berührung kommenden Atomen der chemischen Elemente wird sich die Konstellation der Urstoffatome in den Molekülen der aus der Vereinigung der Elemente hervorgehenden Stoffe mit Notwendig- keit ergeben. Dass Driesch dies nicht eingesehen hat, liegt daran, Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 705 dass er den Stoffen und Kräften Qualitäten zuschreibt, die sie nicht haben. Die Annahme aber eines „morphologischen Reizes“ im besonderen, sowie von „heizen“ im allgemeinen, ist haltlos. Wenn irgendwo in der Natur eine Veränderung vor sich geht, so geschieht dies nicht infolge eines „Reizes“, sondern deshalb, weil Kräfte auf ein System von Bewegungen oder auf ein Gleichgewichtssystem einwirken. Wenn ein Gemenge von Wasserstoff und Sauerstoff, sobald eine Flamme mit ihm in Berührung gebracht wird, explodiert, so ändert die Flamme, weil sie eben warm ist, und weil Wärme in Bewegung besteht, den Bewegungsmodus in dem Gasgemenge. Dadurch wird den chemischen Spannkräften des Sauerstoffs und des Wasserstoffs die vorher nieht vorhandene Gelegenheit gegeben, sich zu bethätigen; es wird das Gleichgewichtssystem des Gemenges direkt durch die Wärme geändert. Um etwas anderes handelt es sich auch bei morphologischen Reizen nicht. Auch die Körper der Tiere und Pflanzen sind Gleichgewichts- systeme, und diese letzteren müssen sich dadurch, dass das Gleichge- wieht infolge von von außen kommenden störenden Bewegungen verändert wird, gleichfalls ändern. Die Aufgabe der morphologischen Systematik ist es, die Ursachen der Veränderungen in jedem einzelnen Fall auf- zudeeken. Wenn also Driesch sagt, dass es das letzte in weiter Ferne liegende Ziel der speziellen Morphologie sei, die Anordnung der Formen in Reihen, in ein System, aus einem allgemeinen Gesichtspunkt als gesetzmäßig oder notwendig beschränkt zu erkennen, dass aber damit über die Ursache dieses seiner naturgesetzlichen Existenz nach zeitlosen, wenn schon vielleicht, nämlich dann, wenn die Abstammungs- lehre richtig sei, historisch realisierten Systems, oder, was dasselbe sei, über die Ursache der Existenz seiner Konstituenten nichts ausgesagt werden könne, so ist dem zu entgegnen, dass es sich hierbei nur um die allerletzten Konstituenten, nämlich um die Atome des Urstoffes und deren Eigenschaften handeln kann, nicht aber um die Körperformen der Organismen. Diese sind, prinzipiell wenigstens, in letzter Linie auf die Eigenschaften der Uratome zurückzuführen, als Kombinationen von verschieden angeordneten Uratomen zu be- trachten. Für den Naturforscher ist demnach das Feld der Systematik keineswegs ein ziemlich verschlossenes, wie Driesch meint, sondern ein äußerst reiches, denn es gilt nicht nur, alle möglichen chemischen Moleküle und Elementatome, sondern überhaupt alles, was in der Welt ist, auf Kombinationen von Uratomen zurückzuführen. Da die Uratome unveränderliche, ewige Eigenschaften haben müssen, so müssen sich aus diesen die Gesetze der Formbildung ab- leiten lassen. XIV. 45 706 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. Das gilt aber nicht bloß für solche Formen, die sich gleich denen der chemischen Moleküle und der Krystalle auf nur verhältnismäßig kleinen Umwegen auf die Formenverhältnisse der Uratome zurück- führen lassen, sondern auch für Formen von Gebilden, die größeren Zufälligkeiten unterworfen sind als Moleküle und Krystalle. Als der Form nach absolut unveränderiich können wir nur die Atome des Urstoffs betrachten; alles, was aus diesen zusammengesetzt ist, ist ver- änderlich, weil alle direkt oder indirekt aus Uratomen zusammenge- setzten Gebilde Gleichgewiehtszustände darstellen, die selbst- verständlich mehr oder weniger von ihrer Umgebung abhängen. Von dieser hängt es ab, in welcher Krystallform etwa der Schwefel oder der kohlensaure Kalk krystallisieren sollen, und welche Form die Schneesterne, die sich in der Luft bilden, haben sollen. Bekanntlich ist grade die Form dieser letzteren außerordentlich variabel. Aber an einem und demselben Wintertage finden wir durchweg dieselbe Form von Schneekrystallen, und auch die Formen anderer Krystalle werden sehr wesentlich von den umgebenden Verhältnissen beeinflusst. Dass die Schwankungen die hier stattfinden, immerhin nur innerhalb ge- wisser Grenzen erfolgen, liegt daran, dass die Krystalle Gebilde von ver- hältnismäßig einfacher Zusammensetzung sind, und dass die Moleküle, die den Krystall aufbauen, sehr eng und deshalb fest miteinander ver- bunden sind. Anders bei den Organismen. Die Tiere und Pflanzen enthalten eine große Menge von Wasser; es ist deshalb keine so feste Verbindung zwischen den einzelnen Bestandteilen ihres Plasmas mög- lich; diese können sich gegeneinander verschieben. Dazu kommt, dass die Organismen nicht aus einem einheitlichen Stoffe bestehen, sondern aus einer großen Anzahl verschiedener Stoffe, und wenn diese sich auch größtenteils erst nach und nach im Verlauf der Keimesgeschichte bilden mögen, so ist doch die Eizelle immerhin schon verhältnismäßig reich daran. Aus diesem Grund lässt sich die Formenbildung bei den Organismen garnicht ohne weiteres mit der bei den Krystallen vergleichen. Aus dem Umstand, dass die Stoffe, aus welchen die Organismen auf- gebaut sind, sehr stark mit Wasser vermischt sind, dass die organi- sierten Körper gewissermaßen inbezug auf ihren Aggregatzustand zwischen dem festen und flüssigen Aggregatzustand die Mitte halten, können wir von vornherein schließen, dass ihre Formen bis zu einem gewissen Grade mehr oder minder „zufällige“ sind, d. h., dass sie viel leichter von der Umgebung beeinflusst werden, als die der Krystalle. Allerdings sind die Organismen nicht in so hohem Grade von Zufälligkeiten abhängig, wie etwa die Formen, welche Flüssigkeiten annehmen. Die äußere Form einer Flüssigkeit richtet sich nach der Form des Gefäßes, in welcher sie enthalten ist, aber immerhin ist auch die Form einer Flüssigkeit nieht gänzlich unabhängig von der Natur des Stoffes aus welchem sie besteht. Quecksilbertropfen nehmen eine andere Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 707 Form an, als Wassertropfen, wenn man beide auf eine Tischplatte bringt, weil die Adhäsion des Wassers an Holz und andere Stoffe größer ist als die des Quecksilbers, und die Kohäsion des letzteren stärker als die des Wassers. So ließe sich eine lange Reihe von Ueber- gangsstufen zwischen dem festen und dem flüssigen und zwischen diesem und dem gasförmigen Aggregatzustand feststellen. Die Wolken halten gewissermaßen die Mitte zwischen flüssigem und gasförmigem Aggregatzustand, und ihre Formen sind allerdings im hohen Grade zufällig; aber gänzlich unabhängig von dem Stoffe, aus welchem sie bestehen, sind auch die Wolken nicht, und trotz der großen Zufällig- keit ihrer Formen ist dennoch eine Klassifikation der Wolken möglich, wie der Umstand zeigt, dass man verschiedene Wolkenformen mit ver- schiedenen Namen belegt hat, dass man Cumulus-, Stratus-, Cirrus- wolken und andere mehr unterscheidet. Wenn es nun das letzte in weiter Ferne liegende Ziel aller Morpho- logie ist, die Reihen der Formen, oder, was dasselbe ist, ihr System aus allgemeineren Gesichtspunkten als gesetzmäßig oder notwendig beschränkt zu erkennen, so können wir hinzufügen, dass diese Auf- gabe da am leichtesten ist, wo es sich um Formen von einfacher Struktur handelt, und um solche, die dem festen Aggregatzustand an- gehören. Wird der Aggregatzustand flüssig oder luttförmig und wird zu gleicher Zeit die Substanz, aus welcher die betreffenden Körper be- stehen, komplizierter inbezug auf ihre Zusammensetzung aus verschie- denen Stoffen, so wird die Erkenntnis des gesetzmäßigen Zusammen- hangs der Formen schwieriger. Am schwierigsten ist sie bei luft- förmigen Gebilden, wie es die Wolken sind, aber rein zufällig sind auch die Formen der Wolken nicht. Deshalb ist es nicht zutreffend, wenn Driesch sagt, für den Biologen, der die Formen m dem Sinne als zufällige Produkte ansehe, in welchem es die Wolken sind, oder ein Haufen zusammengeworfener Steine, oder auch alle auf der Erde vorkommenden Inseln, existiere das Problem der Systematik, die Forderung einer Zurückführung der Formenreihen auf das Gesetz, nicht. Die Formenbildung hängt unter allen Umständen von den durch die Natur der Uratome gegebenen Naturgesetzen ab, und deshalb fragt Driesch ungerechtfertigter Weise, warum die modernen Biologen ver- gleichende Formenkunde trieben. „Sie wissen ja, sagt er, dass kein besonderes Gesetz die Reihen der Formen beherrscht. Was hat denn die Mannigfaltigkeit für ein Interesse? Was für einen Wert hätte eine ‚Systematik der Inseln‘?“ Dass diejenigen Biologen, die die Anschauungen Driesch’s nicht teilen, wüssten, dass kein besonderes Gesetz die Formen beherrsche, ist eine Behauptung, die mit den Thatsachen in Widerspruch steht. Im Gegenteil gibt es eine genügende Anzahl Biologen, die vollkommen von der Gesetzmäßigkeit der Formenwelt durchdrungen sind, nur darf 108 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. man die verschiedenen Naturkörper, an welchen wir Formenverhält- nisse wahrnehmen, nicht unterschiedslos in einen Topf werfen. Der Aggregatzustand der Organismen ist ein anderer, als der der Krystalle, und deshalb zeigen sich die formenbildenden Kräfte an ihnen in an- derer Weise als bei den letzteren. Die Mannigfaltigkeit der Formen bei den Organismen hat deshalb ein ebenso großes Interesse, wie die der Krystalle, ja, ein noch weit größeres, weil das Gesetz hier viel schwieriger zu ermitteln ist, weil die Formen der Organismen auf einem weit größeren Umwege zustande kommen, als die der Krystalle, weil der Abstand, der die Form eines organisierten Körpers von der eines Uratoms trennt, ein sehr viel größerer ist, als die Entfernung zwischen der Form des letzteren und der eines Krystalls. Die Orga- nismenformen sind im Laufe der Zeit immer komplizierter geworden; es muss also historische Forschung eingreifen, um sie begreifen zu lehren. Je komplizierter eine Organismenform ist, desto längere Zeit ist nötig gewesen, um sie hervorzubringen. Das wissen wir aus der Keimesgeschichte der Tiere. Ein hoch entwickelter Orga- nismus gebraucht viel mehr Zeit zu seiner Keimesentwicklung als ein tiefstehender. Zwar können wir zugeben, dass das System der Orga- nismen seiner naturgesetzlichen Existenz nach zeitlos ist, wenn es auch historisch realisiert werden muss; aber wenn wir die Form eines bestimmten Organismus begreifen wollen, so kann uns nur historische Forschung dazu verhelfen. Ein Walfisch etwa, der ein in nahezu jeder Beziehung dem Leben im Meere angepasstes Säugetier ist, kann inbezug auf seine spezifische Form nur auf historischem Wege begriffen werden. Aber trotz dieser Behauptung leugnen wir nicht, dass die Entwicklung der Formen gesetzmäßig vor sich gegangen ist. Uebrigens hat auch eine Systematik bei solchen Gebilden Interesse, deren Form ein reines Zufallsprodukt zu sein scheint. Wenn Driesch fragt, was für einen Wert eine Systematik der Inseln hätte, so ant- worten wir ihm, dass sie für die historische Biologie, und da diese die notwendige Voraussetzung der zu den Naturgesetzen durch- dringenden biologischen Forschung ist, auch für diese, einen außer- ordentlich großen Wert hat. Man kann die Inseln in kontinentale und ozeanische einteilen, und zwar in alte und junge, in solche, die einen oder mehreren Festländern nahe liegen, und andere, die weit von allen Festlandsgestaden entfernt sind. Je nachdem nun das eine oder das andere der Fall ist, ist die tierische Bevölkerung der Insel von sehr verschiedenem Charakter. Durch die Lektüre von Wallace’s „Island Life“ hätte Driesch sich davon überzeugen können, welch großen Wert auch die Klassifikation von Gebilden von rein zu- fälliger Form hat. Indessen herrscht absoluter Zufall ja nirgends, und auch die Systematik der Inseln würde schließlich für die Er- forschung der Naturgesetze einige Bedeutung haben. Immerhin tritt Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 709 diese Bedeutung weit in den Hintergrund gegenüber derjenigen, die eine historische Klassifikation der Inseln, wie wir uns aus- drücken dürfen, besitzt. Je weniger die Gesetzmäßigkeit der Formen ohne weiteres in die Augen springt, desto bedeutungsvoller wird die historische Forschung. Auch eine Insel ist Teil eines Gleichgewichts- systemes; wir haben es freilich hier mit einem Gebilde von außer- ordentlich komplizierter Zusammensetzung zu thun. Wenn wir aber die Insel als einen Teil der Erde ansehen, wenn wir sie nicht aus unserem Planeten herausreißen und für sich betrachten, wie es Driesch mit den Formen der Organismen macht, dann gewinnen wir ein Ver- ständnis für die Bedeutung, die einer Systematik zusammengesetzter Gebilde, deren Form zunächst eine rein zufällige zu sein scheint, zu- kommt. Auch solche Formen sind, da sie Gleichgewichtszustände dar- stellen, dem Naturgesetz unterworfen, und demnach lassen sich alle Formen ohne Ausnahme in ein System bringen. Es ist also durchaus verkehrt, für das Komplizierte ohne weiteres ähnliche Bildungsweisen anzunehmen, wie für das Einfache. Das thut Driesch, wenn er die Formen der Organismen als etwas letztes be- trachtet. Nicht einmal die Krystallformen sind etwas letztes; sondern ewig sind nur «die Formen der Uratome. Da die Uratome untereinander gleich sind, so hebt Systematik erst mit den zusammengesetzten Dingen an, und sie wird um so schwieriger, d. h. die Zurückführung auf die Formen der Uratome kann nur auf desto längeren Umwegen erfolgen, jemehr die Komplikation in der Zusammensetzung zunimmt. Aber das Gesetz ist schließlich überall zu erkennen. An die Erörterung des Problems der Systematik knüpft Driesch die der Aufgaben der Physiologie. Wir wären, sagt er, bei dem Versuch ihrer Feststellung auf den Begriff des Morphologischen ge- stoßen und hätten erkannt, dass die physiologischen Vorgänge viel- leicht nichts anderes wären als auf Grund der Struktur des Substrates eigenartig kombinierte physikalische und chemische; die Physiologie sei somit, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, der sie mit Unrecht eine vornehmere Disziplin sei als die Morphologie, als Anhang der letzteren dargethan. Ihre eigenartige Methode sei darin begründet, dass die morphologische Basis der physiologischen Vorgänge meist unbekannt sei, und dass das Streben des Forschers eben darauf aus- gehe, die in Betracht kommenden Formenverhältnisse indirekt durch Schlüsse zu ermitteln, um dadurch die Funktion der Organe, also etwa die Fortleitung eines „Reizes“ durch einen Nerven, aus der Struktur des letzteren verständlich zu machen, die Wirkung des Organs bei gegebener Struktur und gegebenen physikalischen und chemischen Agentien als notwendig darzuthun. Das Objekt der Physiologie sei somit nieht Mechanismus, wenigstens nicht als erstes, es sei Mecha- 710 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. nismus auf Basis von Struktur. Für jede denkbare geforderte Leistung sei bei gegebenen physikalischen Kräften eine Struktur, eine Maschine zu ersiunen. Diese Ausführungen Driesch’s sind bis zu einem gewissen Grade richtig. Die Physiologie hat überhaupt nur einen Sinn, wenn ihr ent- weder die morphologische Forschung voraufgegangen ist, d. h. wenn diese den Bau des Organismus bis in alle Einzelheiten festgestellt hat, oder wenn sie es sich selbst zur Aufgabe macht, die Struktur eines Organs aus den sich an diesem Organ abspielenden Erscheinungen aufzuklären. Allein ganz genau trifft das, was Driesch über die Physiologie denkt, nicht zu. Driesch macht den Fehler, den Organismus mit einer Maschine zu vergleichen. Dieser oft angewandte Vergleich leistet zwar in mancher Beziehung sehr wesentliche Dienste, aber er trifft, genau genommen, nicht zu. Eine Maschine ist etwas Fertiges. Sie wird durch ihre Thätigkeit nicht verändert, und bei dem Bau der Maschine trachtet man darnach, sie so einzurichten, dass sie so bleibt, wie sie sein soll. In dieser Beziehung unterscheidet sich ein Organis- mus prinzipiell von einer Maschine. Die einzelnen Organe des Tier- und Pflanzenkörpers werden durch den Gebrauch verändert, und zwar wird der Stoffwechsel nicht bloß in Gang gehalten, es wer- den nicht nur Substanzen verbraucht und wieder ersetzt, sondern Organe, die stark gebraucht werden, wachsen auch, solehe die nicht genügend in Anspruch genommen werden, verkümmern, und Organe, die in anderer Weise als bisher benutzt werden, ändern ihre Struktur. Die Anordnung der festen Substanz in den Knochen entspricht genau den Anforderungen, die an die Knochen gestellt werden; wo die Knochen z. B. einen starken Druck auszuhalten haben, ist viel Knochensubstanz angehäuft, und die Anordnung der Knochenbälkehen ist eine genau mechanischen Prinzipien entsprechende. Wird aber ein Knochen in anderer Weise in Anspruch genommen, als es in der Regel üblich ist, was dann geschieht, wenn er nach einem Bruch schief zu- sammenheilt, so wird, nachdem er wieder in Gebrauch genommen ist, die Anordnung seiner Knochenbälkchen allmählich verändert, sodass sie den neuen Anforderungen entspricht; Teile des Knochens aber, die nicht mehr gebraucht werden, die keinen Druck oder Zug mehr auszuhalten haben, verkümmern. Aus alledem geht hervor, dass die Thätigkeit der Organe dazu notwendig ist, die Organe in dem ihnen zukommenden Aufbau zu er- halten. Die physiologischen Prozesse brechen gewissermaßen fort- während die einzelnen Teile der Maschine, an der sie sich abspielen, ab, um sie sofort von neuem wieder aufzubauen. Ihr Wesen ist also ein formzerstörendes und formenaufbauendes und dadureb ein formen- erhaltendes und formenveränderndes, kurz ein formenschaffendes, Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 71 morphogenetisches Prinzip, und alle Vorgänge in und an dem Organismus, die keine Bedeutung für den Formenaufbau des Körpers haben, sind keine physiologischen Vorgänge. Ein physiologischer Vorgang ist die Thätigkeit unserer Atem- muskeln, dagegen ist das Einströmen der Luft in die Lunge, das eine Folge der von den Atemmuskeln hervorgebrachten Erweiterung der Brusthöhle ist, ein rein physikalischer Vorgang; und zwar ist die Thätigkeit der Atemmuskeln deshalb ein physiologischer Vorgang, weil Muskelthätigkeit nur durch den Verbrauch von Muskelsubstanz ermöglicht wird. Es geht deshalb nieht an, die physiologischen Vor- gänge von denen, welche Driesch allgemein morphodynamische oder entwicklungsmechanische nennt, zu trennen. Er hätte, sagt Driesch, den Begriff der Physiologie in dem meist üblichen Sinne als Funktionslehre aufgefasst; dann führe er auf Morphologie. Man habe jedoch das Wort Physiologie auch wohl an- gewandt auf die Lehre von den allgemeinen Gesetzen der Formen- gestaltung. In diesem Sinne würde die Wissenschaft der Physiologie sich decken mit demjenigen Gebiete der Biologie, das man als all- gemeine Morphodynamik oder Entwicklungsmechanik bezeichnet. Was Driesch darunter versteht, wollen wir an der Hand seiner Aus- führungen nunmehr kennen lernen. Nach der Definition des eigentlichen systematischen Begründers der Entwicklungsmechanik, Wilhelm Roux’s, sei diese die Wissen- schaft von der Beschaffenheit und den Wirkungen derjenigen Kom- binationen von Energie, welche Entwicklung hervorbrächten. Ent- wicklung heißt nach Driesch spezifische Formgestaltung. Die Entwicklungsmechanik erforsche das allen Formbildungsvorgängen Gemeinsame, sie könne daher ihr Resultat streng genommen an einem einzigen Objekt gewinnen, da sie von den Verschiedenheiten und dem Spezifischen abstrahiere. Sie könne vielleicht unter den Begriff des Mechanismus fallen. Verfehlt wäre der Name Entwicklungsmechanik für die allgemeine Morphologie, wenn es sich herausstellen sollte, dass ein dem nisus formativus Blumenbachs ähnlicher unfassbarer Regu- lator gleichsam über der Form schwebe. Ueber diese Dinge wüssten wir nichts, es sei uns jedoch nach allgemein anerkanntem Grundsatz vorgeschrieben, die Lehre von der allgemeinen formbildenden Wir- kungsweise, d. h. die Entwieklungsmechanik, den Lehren von den all- gemeinen Wirkungsweisen in der anorganischen Natur, d. h. der Physik, für prinzipiell koordiniert zu halten, bis das Gegenteil hiervon be- wiesen sei. Der Beweis dieses Gegenteils freilich würde unsere ganze Weltanschauung über den Haufen werfen. Aber wenn auch dieser Beweis nicht geführt werden sollte, so würde die Koordination von Entwieklungsmechanik und Physik immer nur eine vage sein, denn 12 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. der Name Entwicklungsmechanik müsste mehr als Analogie, denn als wirklicher Ausdruck des Sachverhalts gelten. Entwicklungsenergie sei denn doch etwas ganz anderes als Bewegungsenergie, Wärme, Licht und Elektrizität, auch als chemische Energie; durch sie ent- stände Spezifikation an einem gleichartigen Ganzen. Entwieklungs- mechanik sei die Lehre vom geordneten Wachsen. Das Wort Mechanik oder Mechanismus dürfe dabei nur ganz allgemein als Gegensatz zur Metaphysik verstanden werden, und insofern könnte die Lehre von der Entwicklungsenergie oder von der Lebenskraft dem physikalischen Mechanismus koordiniert sein. Die „Lebenskraftlehre“ stände zwischen Mechanismus und Tektonik gewissermaßen in der Mitte. Durch Mecha- nismus führe die Entwicklungsenergie zur Tektonik. Wenn also selbst der ganz allgemeine Ausdruck Entwicklungsmechanik eum grano salis und selbst dann noch „gleichsam optimistisch“ zu verstehen sei, dann wäre es klar, wie beschränkt jene Ansicht sei, die „im Leben“ ein Problem sehe, das prinzipiell nicht nur mechanistisch, sondern sogar physikalisch-chemisch, d. h. in unsere Physik und Chemie auflös- bar sei. Es ist Driesch entgangen, dass er sich durch diese Ausführungen wieder sehr der Annahme eines Bildungstriebs, eines unfassbaren Re- gulators, der gleichsam über der Formbildung schwebt, genähert hat. Wenigstens hat er es unterlassen, die Unterschiede zu bezeichnen, die zwischen Blumenbach’s nisus formativus und der „Entwicklungs- energie“ oder „Lebenskraft“ von Driesch bestehen. Wie die „Le- benskraftslehre“ der Physik prinzipiell koordiniert sein kann, wenn die „Lebenskraft“ Spezifikation an einem gleichartigen Ganzen bewirkt, also als ganz unfassbarer Regulator über der Formbildung schwebt, das ist nicht einzusehen. Die Annahme eines Entwieklungsprinzips nach Art der „Entwicklungsenergie“ oder „Lebenskraft“ von Driesch wirft in der That, ebensogut wie die des Blumenbach’schen Bil- dungstriebes, unsere ganze Weltanschauung über den Haufen. Driesch’s Ausführungen über Teleologie bleiben uns noch zu betrachten. Diese leitet er mit einer kurzen Zusammenfassung seiner Charak- teristik der Aufgaben der Biologie ein. Mit alleiniger Ausnahme des entwicklungsmechanischen Problems seien diese durchaus spezieller Natur, gleich denen der Chemie. Wie uns in der Chemie die Kenntnis eines Stoffes zur Kenntnis der Eigenschaften eines andern gar nichts nütze, so müsse auch jeder Tier- und Pflanzenkörper für sich studiert werden, und wenn zwischen den einzelnen Körpern Uebergangsbe- ziehungen vorhanden wären, so müsse doch für jeden Uebergang eine spezielle Ursache gesucht werden; auch die Wirkung dieser Ursache, Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. TR: I . das durch sie bedingte Umwandlungsresultat, sei nicht vorherzusagen; es müsse empirisch ermittelt werden. Wir haben gesehen, dass über die Natur der organischen Formen eine ganz andere Auffassung möglich ist, als die, welche Driesch sich zu eigen gemacht hat. Diese Auffassung besagt, dass alle or- ganische Formbildung prinzipiell auf die Form der Uratome und auf die Gesetze, die das Gleichgewicht und die Bewegung dieser letzteren Gebilde beherrschen, zurückführbar ist. Die Form eines Tieres ergibt sich aus der Anordnung der Zellen im Körper, und diese muss sich zurückführen lassen auf die Anordnung und die Form der Plasma- elemente, aus welchen die Zellen zusammengesetzt sind. Die Form der Plasmaelemente ist auf die der sie zusammensetzenden Moleküle zurückzuführen, und diese ergibt sich aus der Form der Atome, welche die Moleküle konstituieren. Endlich ist die Form der Atome der che- mischen Elemente auf die Form letzter Uratome zurückzuführen. Jeder Tier- und Pflanzenkörper stellt ein Gleichgewichtssystem dar, das einerseits durch die Eigenschaften seiner Konstituenten, als deren letzte wir die Uratome erkannt haben, anderseits durch die äußeren Einflüsse, die auf dieses Gleichgewiehtssystem einwirken, bedingt wird. Was diese Einflüsse anlangt, so ist allerdings in jedem einzelnen Fall eine spezielle Ursache dafür zu ermitteln. Wenn wir aber soweit wären, die Formen der Organismen aus den Formen der Uratome herzuleiten, und wenn wir die Gesetze, die das Gleichgewicht und die Bewegung der letzteren beherrschen, kennen würden, so würden wir sicher für Formenveränderungen, deren Ursachen wir ermittelt haben, das Umwandlungsresultat voraussagen können. Es ist also falsch, dass uns die Kenntnis der Eigenschaften eines organischen Körpers nichts nützt zur Kenntnis der Eigenschaften eines andern. Die all- gemeinen Eigenschaften der Organismen sind dieselben insofern, als sich alle organischen Formen in letzter Linie auf die Formen der Ur- atome und die Gesetze des Gleichgewichts und der Bewegung, die für die Uratome gelten, zurückführen lassen. Würden wir die erforder- lichen Kenntnisse besitzen, so würden wir in jedem einzelnen Fall sagen können, was aus einer Form werden muss, wenn eine umbil- dende Ursache auf sie einwirkt. Wir würden die Form, die aus dieser Einwirkung hervorgeht, voraussagen können, und wir würden über- haupt alle möglichen organischen Formen von vornherein konstruieren können, wenn wir genau wüssten, auf welche Weise ein einziger or ganischer Körper zu Stande kommt. Wir können demnach Driesch nicht Recht geben, wenn er sagt, dass sich die Physik dadurch von der Biologie und von der Chemie unterscheide, dass die Zahl der elementaren, hinzunehmenden That- sachen bei ihr geringer sei, dass der empirische Charakter der For- schung bei ihr zurücktrete gegen den logisch deduktiven. Es ist ver- 114 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. kehrt, die Physik in einen solchen Gegensatz zu der Biologie und zu der Chemie zu bringen. Die Physik, oder sagen wir lieber die Mechanik, hat es mit den allgemeinen Gesetzen des Gleichge- wiehts und der Bewegung zu thun. Die Chemie und Biologie wenden dagegen diese Gesetze auf spezielle Gebilde an, die Chemie auf die Moleküle, die Biologie auf die verschiedenen Individualitätstufen der Organismen. Allerdings sind sowohl in der Chemie als auch in der Biologie zunächst immer die nächsten Ursachen spezifischer Form- bildung zu ermitteln. Wie das hochzusammengesetzte Eiweismolekül zu Stande kommt, das ist nur zu verstehen, wenn wir die Reihe von chemischen Prozessen, die zur Bildung des Eiweismoleküls führen, genau kennen, und ebenso müssen wir die stammesgeschichtlichen Prozesse, die zur Entstehung eines bestimmten Organismus geführt haben, genau kennen, wenn wir diesen Organismus hinsichtlich seiner speziellen Form begreifen wollen; aber die Zahl der elementaren, hinzukommenden Thatsachen ist in der Chemie und in der Biologie ebenso gering wie in der Physik, denn die letzten Thatsachen der Chemie und der Biologie sind genau dieselben wie die der Physik, nämlich die Formen der Uratome und die für die Uratome geltenden mechanischen Gesetze oder, kürzer ausgedrückt, die letzten Thatsachen aller naturwissenschaftlichen Forschung sind die Eigenschaften der Uratome und die Anordnung der letzteren im Weltall. Driesch’s Satz „die Physik ist Mechanismus, die Morpho- logie zum allergrößten Teil ist Tektonik“ lautet deshalb, in unsere Sprache übersetzt: die Mechanik hat die allgemeinen mechanisti- schen Erscheinungen in der Natur zum Gegenstand, die Tektonik die speziellen. Wir können immerhin sagen, dass die Aufgabe der Tek- tonik die ist, die Struktur der Individuen, die uns in der Natur, sei es als ehemische Moleküle, sei es als Krystalle oder als Organismen, entgegentreten, zu erforschen; aber die Tektonik steht nicht der Mechanik gegenüber, sondern sie ist Mechanik angewandt auf be- sondere Gegenstände. Wir haben hier die allgemeine Mechanik schlechtweg als Meehanik bezeichnet; eine bessere Bezeichnung würde jedoch der Name Ener- getik sein, und zu dieser würde die Tektonik als spezielle Mechanik kommen. „Es ist interessant“ sagt Driesch, „dass auch die Chemie sich ihr Elementares durch Tektonik, nämlich durch Strukturformeln zu veranschaulichen sucht. Bewegung, d. h. Veränderung in Zeit und Raum, und Struktur, d. h. Lage im Raum, sind eben die Bedingungen, unter denen wir das Mannigfaltige begreifen.“ Ganz richtig! Aber ‘wir dürfen nicht die Struktur des Tier- und Pflanzenkörpers und auch nieht die der chemischen Moleküle als etwas Elementares auffassen, denn das Elementare sind das Uratom und die Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch., 7145 Anordnung der Uratome im Weltall. Wäre Driesch zu dieser An- sieht durchgedrungen, so würden auch seine Anschauungen über Teleo- logie andere geworden sein. „Während die physikalischen Theorien“, sagt Driesch, „jeden sie Studierenden zu befriedigen pflegen und nur selten einmal eine Betrachtung auftaucht, die wir vorläufig ‚metaphysisch‘ nennen wollen, ist das namentlich bei den Ergebnissen der speziellen Morphologie nicht der Fall.“ Die Vergleichung eines Organismus mit einer Ma- schine zeige uns, warum es so sei. Wir vermöchten die Fabrikation der einzelnen Maschinenteile mechanisch, d. h. im Falle der Maschine physikalisch, zu begreifen, wie wir wohl auch einst das Wachsen eines Organismus mechanisch, d. h. in diesem Falle nicht metaphy- sisch, begreifen würden; wir vermöchten die Wirkungsweise der Ma- schine einzusehen, ebenso wie wir einst vielleicht das physiologische Wirken als Kombination physikalischer oder doch mechanischer Kräfte einsehen würden. Warum aber die Maschine da sei, das sage uns keine Ursache, sondern ein Zweck; weil man dies und jenes erzielen wolle, deshalb, aus diesem Motiv sei sie da. Der teleologische Gesichtspunkt der Beurteilung sei es, der Platz greife, wenn der kau- .sale und der logisch begründende mit Notwendigkeit im Stiche ließen. Hätten wir nun die Naturgesetze, die Stoffe und die geformten Körper ‚ihrer Unbegreiflichkeit nach parallelisiert, so schien daraus zu folgen, dass sie auch ihrer teleologischen Beurteilbarkeit nach vergleichbar seien, und das sei auch der Fall. Die allgemeinen Sätze der Mechanik, die Sätze der Optik wären zwar hinzunehmende Thatsachen; aber die teleologische Spekulation habe sich wirklich ihrer bemächtigt in den Sätzen, die unter dem Namen Satz des kleinsten Zwanges, der kleinsten Wirkung bekannt seien, und dass die teleologische Betrachtungsweise in der Physik sowenig gepflegt würde, läge daran, dass diese Wis- senschaft der deduktiven Forschung so große und lohnende Aufgaben stelle; es wäre aber eine gewisse Einseitigkeit, die Bedeutung der teleologischen Betrachtung in der Physik leugnen zu wollen. Ganz anders lägen aber die Dinge in der Morphologie; grade die hinzu- nehmenden Elementarerscheinungen, das hier so, dort anders verteilte Wachsen sei im Gegensatz zu den einfachen Grundthatsachen der Physik ein so zusammengesetztes Ding, dass es zu vernunftmäßiger Reflexion gradezu dränge. Das Nachdenken über diese Dinge hat Driesch zur Unter- scheidung von verschiedenen Arten der Zweckmäßigkeit organischer Bildungen geführt. Unter der genetischen Zweckmäßigkeit oder der Zielstrebig- keit versteht er die Thatsache, dass die keimesgeschichtliehen Vor- gänge zur Bildung einheitlich geformter, einheitlich wirkender Organe, kurz zu einem einheitlichen Organismus führe. Driesch glaubt be- 16 Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. wiesen zu haben, dass wir einen Grund, warum diese Wachstums- prozesse vor sich gehen, nicht anzugeben vermöchten, und er fragt, ob wir nicht in gewissem Sinne zufrieden gestellt wären, wenn wir sagten, sie gingen vor sich, damit sich der Körper bilde. Der Zielstrebigkeit ist nach Driesch die Funktionszweck- mäßigkeit nahe verwandt. Wie sehr diese Art des Zweckmäßigen in die Augen falle, zeige die Thatsache, dass der Physiolog es oft als seine wesentliche Aufgabe betrachte, den Zweck eines Organs als die nächste Ursache seiner Wirkungsweise darzuthun. Die Aehnlichkeit der Tiere mit ihrer Umgebung oder mit anderen Tieren bezeichnet Driesch als äußere Formzweckmäßigkeit, die aber nieht, wie die vorigen Kategorien der Zweckmäßigkeit, das eigentliche Wesen des Organischen auszumachen schiene. Endlich unterscheidet Driesch eine Reaktionszweckmäßig- keit, die sich z.B. darin äußere, dass durch Aussäen des Samens von Wasserpflanzen auf trockenen Erdboden hier eine neue zweckent- sprechende Form entstände. Diese letzte Kategorie zweckmäßiger Erscheinungen führt Driesch zur Erörterung des Verhältnisses der Kausalität zur Teleologie. Causa und Motiv dürften nicht mit einander verwechselt werden, sagt er; die eine mache nie das andere entbehrlich. Für jede morphologische Veränderung sei zwar eine wirkliche Causa gefordert; da aber diese. Causa als „morphologischer Reiz“ wirke, und da sich ihre Wirkung nicht vorhersagen lasse, so ginge die Causa nicht in der Wirkung auf, es bliebe ein Rest, der teleologisch zu beurteilen sei. Diesen Erörterungen über Teleologie entzieht Driesch aber allen Boden, wenn er sagt, die Entwicklungsmechanik, die Lehre von der in Entwicklung sich äußernden Energieart, könne wohl einmal zu einer Theorie gelangen, die nieht nur normale Entwicklung, sondern auch Regeneration und andere Arten der Entwicklung gleichmäßig und zwar prinzipiell mechanistisch verständlich machte. „Aber schlösse das aus“, fragt er freilich, „dass man dann sagen würde, man habe da ein Grundgesetz gefunden, welches eminent ‚zweckmäßig‘ sei?“ Wir können diese Frage mit nein beantworten und wir können Driesch auch darin zustimmen, dass das Außerachtlassen des Teleologischen ebenso falsch sei wie sein Gegenteil. Wenn wir das aber thun, dann gelangen wir notwendigerweise zu dem Ergebnis, dass sämtliche Naturgesetzee eminent zweckmäßig sind, dass die Formen der Uratome, die Gesetze, die deren Gleichgewicht und deren Bewegung beherrschen, sowie die Anordnung der Uratome im Weltall dazu da seien, grade diejenigen Erscheinungen hervorzubringen, die wir in der Welt sich abspielen sehen. Ueber die Annahme von Uratomen mit bestimmten Eigenschaften kann keine Wissenschaft hinausgelangen, und ebensowenig Haacke, Formenphilosophie von Hans Driesch. 747 über die einer ursprünglich gegebenen Anordnung dieser Uratome im Weltall, aus welcher mit Notwendigkeit die heutige Welt hervorgehen musste; und wenn wir diese Welt als Zweck setzen, dann allerdings müssen wir alles, was ihre Existenz herbeiführte, als eminent zweck- mäßig bezeichnen. Allein die Naturforschung hat kein Bedürfnis, nach dem Zweck der Welt zu fragen; noch viel weniger aber darf sie in den einzelnen Erscheinungen zweckmäßige Einrichtungen erblieken. Sie muss vielmehr alle Erscheinungen auf die Eigenschaften der Uratome und deren Anordnung im Weltall zurückführen, und beides betrachtet sie einfach als gegeben, ohne sich über sein Zustandekommen irgend- welehe Vorstellungen zu bilden, denn sie weiß, dass sie die Grenzen des Naturerkennens nicht überschreiten kann. Aber bis zu dieser Grenze muss sie vordringen. Wenn es möglich ist, dass, wie Driesch sagt, die Entwicklungs- mechanik wohl einmal zu einer Theorie gelangen könne, die sämtliche Vorgänge der Entwicklung mechanistisch verständlich mache, so kann doch das nichts anderes heißen, als dass wir dazu gelangen können, die keimesgeschichtlichen Vorgänge mechanistisch aus der Anordnung der einzelnen Teilchen im entwicklungsfähigen Ei herzuleiten. Was aber soll uns hindern, diese Anordnung als etwas allmählich Gewor- denes zu betrachten und sie gleichfalls mechanistisch auf ihr zeitlich vorausgehende Anordnungen, von denen sie abstammt, zurückzuführen ? Dann gelangen wir aber dazu, nicht bloß den komplizierten entwickelten Körper auf die verhältnismäßig einfache Anordnung der einzelnen Teile im Ei zurückzuführen, sondern auch diese letztere aus ein- facheren Bildungen herzuleiten und die Organismen als das Produkt chemischer und physikalischer Vorgänge, die sich zur Zeit der Ent- stehung der ältesten Organismen auf unserer Erde abspielten, zu be- trachten. Wir gelangen ferner dazu, unsere Erde und das Sonnen- system, dem sie angehört, auf andere Formen der Anordnung der Materie, aus der unser Sonnensystem besteht, zurückzuführen, kurz, wir gewinnen die Ueberzeugung, dass nicht die Organismenformen etwas letztes sind, dass überhaupt die Form keines einzigen Natur- körpers etwas letztes ist, sondern nur die Form der Uratome und die Verteilung der letzteren im Weltall. Ein Gleiches gilt von den verschiedenen Energiearten, vom Licht, von der Elektrizität, von der Wärme und von anderen Formen der Bewegung. Auch diese sind nur als verschiedene Formen einer und derselben Urenergie zu betrachten. Driesch leistet also auf viel zu früher Stufe Verzicht auf Er- kenntnis, wenn er die einzelnen Naturkräfte, die Stoffe und die Formen schon als das letzte betrachtet. Wenn er aber den Ausspruch Kants, den wir an die Spitze dieses Werkes gestellt haben, als zu Recht is Beneke, Sammlung wikroskopischer Präparate. bestehend angibt, so ist ihm ein in diesem Ausspruch enthaltener Irrtum des großen Philosophen entgangen. „Es ist nämlich ganz gewiss“, sagte Kant, „dass wir die orga- nischen Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Prinzipien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können; und zwar so gewiss, dass man dreist sagen kann, es ist für Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, dass noch dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde; sondern man muss diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen.“ Kant und mit ihm Driesch bringen dureh diesen Satz die Or- ganismen in einen Gegensatz zu den anorganischen Naturkörpern. Beide vergessen, dass die Welt etwas Einheitliehes ist. Kein Na- turforscher von heute wird den ungereimten Anschlag fassen, die Erzeugung eines Grashalms aus ungeordneten Naturgesetzen her- zuleiten, aber ebensowenig wird er irgend etwas anderes dureh ungeordnete Naturgesetze erklären wollen. Ob jedoch die Ordnung dieser Naturgesetze das Resultat einer Absicht ist oder nicht, kann dem Naturforscher völlig gleichgiltig sein. Wenn Kant jedoch meint, dass zur Erzeugung eines Grashalms jedesmal ein die Natur- gesetze neu ordnender Eingriff einer Absicht nötig sei, so ist eine solehe Meinung eine durchaus unwissenschaftliche. Wenn wir dergleichen als möglich annehmen, wenn wir die Welt ihres einheitlichen Charakters ent- kleiden, wenn wir sie als eine mangelhafte Maschine betrachten wollen, die fort und fort absichtliche Eingriffe von außen nötig macht, so geben wir Gesetz und Ordnung preis, und das thut Driesch, wenn er den zitierten Kant’schen Ausspruch als zutreffend ansieht. Durch die Annahme von Uratomen mit bestimmten, ewigen und unveränder- lichen Eigenschaften und durch die fernere, dass wir deren heutige Anordnung im Weltall nur auf vorhergehende ganz bestimmte An- ordnungen zurückführen können und damit niemals an eine Grenze gelangen, sind uns geordnete Naturgesetze gegeben, und durch diese werden wir dereinst nieht nur die Erzeugung eines Grashalms, sondern auch die aller anderen Körper erklären. Sammlung mikroskopischer Präparate‘). Von Prosektor Dr. Beneke, Privatdozent an der Universität Göttingen. Neben den Glyzeriridauerpräparaten, welche die ältere Technik vorwiegend besaß, steht heute das Dauerpräparat in Canadabalsam 4) Aus einem Vortrag; eingesandt vom Herrn Verfasser, ı ie} Beneke, Sammlung mikroskopischer Präparate. 719 und ähnlichen durchscheinenden Stoffen im Vordergrund. Die Bedeu- tung dieser Konservierung liegt in dem unermesslichen Vorzug, dass heute jeder Histologe im Stande ist, an der Hand der Sammlung seiner Dauerpräparate, welche sich jahrzehnte lang intakt halten, jederzeit sein ganzes Material zu vergleichen, bezw. zu demonstrieren; dass er einen natürlichen Atlas besitzt, besser als jede Abbildung, in welchem er jederzeit nachschlagen und weiter forschen kann. Leider steht diese Art der Sammlung noch zu ausschließlich in der Hand des Ein- zelnen. In jedem Institut gibt es heute mächtige Räume für die Samm- lung makroskopischer Präparate; unendliche Mühe und unendlicher Spiritus wird zu ihrer Erhaltung verwendet und doch, wie wenig sieht man an einem solchen Präparat gegenüber dem Reichtum eines einzigen guten Schnittpräparates. Deshalb sollte meines Erachtens jedes morpho- logische Institut auch seiner mikroskopischen Sammlung eine größere Aufmerksamkeit widmen, als es bisher meist geschieht. Es ist ja so leicht, von demselben irgendwie merkwürdigen Objekt eine größere Zahl mikroskopischer Präparate anzufertigen; eines könnte der Prä- parant der Sammlung des Institutes zum Opfer bringen — und so würden in wenig Jahren wertvolle Sammlungen entstehen, Seltenheiten mikroskopischer Natur vereinigt und aufbewahrt werden. Aber nicht nur das — ein ganz besonderer Vorteil würde unserer wissenschaft- lichen Arbeit erwachsen, wenn es auf diesem Wege möglich wäre, zu jeder Zeit die Originalpräparate kennen zu lernen, auf welche sich irgend eine derartige Dinge behandelnde Veröffentlichung stützt. Denn die bisherigen Methoden der Abbildung sind ja doch nie ausreichend, um einen Blick im das Original zu ersetzen. Die Zeichnung hat zwar den großen Vorzug, dass sie dem Leser zeigt, was der Autor gesehen hat bezw. was er hervorzuheben wünscht; die Photographie in ihrer heutigen so erstaunlich entwickelten Technik — man denke nur an den Atlas der pathologischen Histologie von Karg und Schmorl — zeigt andrerseits den rein objektiven Befund, eine Eigenschaft, die natürlich gleichfalls ein dringendes Postulat ist — jene unterstützt das Verständnis der Arbeit, diese die Kritik. Aber es ist ja doch kaum möglich, von den einfachsten Sachen Gesamtbilder zu geben, und schließlich würde die Möglichkeit, das Originalpräparat leicht erhalten zu können, oft die detaillierte Beschreibung wie die Anfertigung viel- leicht höchst mühsam herzustellender und doch unvollkommener Ab- bildungen zu vereinfachen gestatten. Gedenken wir auch der That- sache, wie selten der Autor jede Einzelheit genau beschreibt und wie dann vielleicht nach Jahren, für einen Nachuntersucher ähnlicher Prä- parate die frühere Arbeit unbrauchbar wird, eben wegen des Fehlens einer Einzelheit, auf welche der Eine nicht achtete, während der Zweite in ihr vielleicht einen wesentlichen neuen Faktor erkennt. Oft genug kommt es ja vor, dass die Untersuchung eines einzelnen seltenen Be- 720 Beneke, Sammlung mikroskopischer Präparate. fundes erst ihr Lieht erhält durch den Vergleich mit ähnlichen Fällen. Wie zahllose seltene Dinge mögen schon in den Instituten vergessen worden und nutzlos zu Grunde gegangen sein, nachdem sie höchstens einem einzigen Untersucher aufgefallen, aber von ihm nicht veröffent- licht worden sind; was würden sie in der Hand eines Zweiten, der vielleicht eine ganze Anzahl gleichartiger Objekte hätte zusammen- stellen können, genützt haben! So erscheint es mir von größter Wichtigkeit, die wissen- schaftliche Verwertung des großen in unserer Litteratur niedergelegten Materials dadurch zu erleichtern und zu verbessern, dass an den Pflanzstätten der Wissenschaft, den Universitätsinstituten, systema- tisch geordnete mikroskopische Sammlungen entstehen, welche, nach Art der Bibliotheken, jedem, auch dem auswärtigen Forscher leihweise zu gebote stehen. Allerdings wäre das Ideal hier- für die Errichtung einer oder mehrerer großen Zentralsamm- lungen, denen von allen Seiten Exemplare der mikroskopischen Präparate zugestellt würden, welchen ferner etwa durch Erbschaft die Privatsammlungen verstorbener großer Forscher zufielen u. s.w. Denn zuletzt würde doch die Mühe, auf allen Einzelinstituten nach irgend welehen Dingen nachzufragen, zu groß werden. Eine solche Zentral- sammlung müsste mit entsprechenden Arbeitsräumen, wie eine Bibliothek, eingerichtet sein und die Benutzung durch genaue Ordnung bezw. sorgfältige Konservierung der Präparate möglichst erleichtert werden. — Ich bin überzeugt, dass die Mühe, derartigen Zentralsammlungen ein Präparat oder auch eine Präparatenreihe zu überlassen, dem einzelnen Mitarbeiter bald gering erscheinen würde, gegenüber dem großen Vor- teil, den er selbst wie allen Anderen aus der Benutzung der Samm- lung ziehen würden. Berichtigung. In dem Aufsatz des Herrn Lang in Nr. 15 ist wegen zu spät einge- gangener Revision folgender Fehler stehen geblieben; man bittet solchen be- richtigen zu wollen: Auf Seite 682 Zeile 10 v. u. lies: Plumularia echinulata statt: Plumularia echimulata. Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Yedak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipwig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ER in ie 24 namen von je u an Bikhn einen Band. Preis a een 2 a Zu beziehen durch alle en und Postanstalten. XIV. Band. BO Nr. 20. Inhalt: inepr! Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. — Herbst, Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese. I. (Fortsetzung.) — Voigt, Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. — Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine Vergangenheit. — Klebs, Ueber das Verhältnis des männlichen und weiblichen Geschlechts in der Natur, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Von Prof. ©. Emery in Bologna. VI. H. Fabre’s Beobachtungen und die Entstehung der Instinkte. Dem genialen Erforscher des Lebens der Hymenopteren verdanken wir wieder einen neuen Satz wertvoller Beobachtungen. Auf die in dem mir vorliegenden Band!) enthaltenen Thatsachen einzugehen will ich hier nicht unternehmen, vielmehr jedem Biologen, besonders jedem Entomologen die Lektüre des Originals anempfehlen. Fabre hat sich mit der Evolutionstheorie und dem Darwinismus nicht befreunden können; nach ihm widerstreben die Instinkte jeder darwinistischen Erklärung. Obschon er selbst sehr viele Abweichungen des Instinkts entdeckt und beschrieben hat, bleibt er doch der Ansicht, dass die Instinkte als solche nicht variieren, sondern dass die schein- baren Abweichungen von einem gewissen Grade des Verstandes der Tiere abhängen; und in vielen Fällen hat er entschieden recht. So lässt sich die große schwarze Holzbiene (Xylocopa) gefallen, statt mit großer Mühe ein Loch im Holz zu bohren, ein altes Nest ihrer Art, oder sogar das natürliche Loch eines abgeschnittenen dieken Astes zu benutzen. So verwenden verschiedene Mauerbienen (Chalicodoma) lieber alte Wohnungen, als dass sie neue bauen; Osmia-Arten nisten in Nestern der Mauerbiene, sowie in allerlei sich darbietenden Hohl- räumen, in leeren Schneckengehäusen, in Rohr, ja sogar in Glasröhren. 1) H. Fabr e, Souvenirs entomologiques, 4. Serie; Paris, Delagrave 1891. XIV. 46 7122 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Alle Tiere streben danach Arbeit zu sparen; der Sperling übt nur noch selten die Baukunst seiner Ahnen durch Errichtung eines Nestes auf Bäumen aus, sondern zieht es fast immer vor mit viel geringerer Mühe allerlei Löcher der Wohnungen der Menschen zu benutzen, und viele Bienen und Grabwespen verfahren ebenso, indem sie bereits vor- handene Räume sehr gerne ausnutzen, um sich dadurch der großen Arbeit der Gründung eines eigenen Baues zu entziehen. Erscheint in diesen Handlungen ein größerer oder geringerer Grad des Verstandes, so werden dagegen instinktive Arbeiten ohne Rücksicht auf etwa geänderte Umstände ganz blind vollzogen. So mauert z. B. eine Biene oder Grabwespe eine leere Zelle zu, wenn die von ihr darin aufgespeicherten Vorräte entführt worden sind. Jedes Insekt ist auf seinen besonderen Baustoff angewiesen: Pelopoeus verwendet rohen Schlamm; Chalicodoma verfertigt aus Staub und Speichel einen steinharten Mörtel; die Megachile-Arten bauen ihre Zellen aus Blatt- stücken. Von der Gattung Anthidium benutzen dazu manche Arten Harz, die anderen veıfilzte Wollhaare verschiedener Pflanzen. Nun sind alle Arten von Anthidium untereinander sehr nahe Verwandte und es konnte kein morphologisches Merkmal gefunden werden, um die filzbenutzenden Species von den harzverarbeitenden zu unterscheiden. Beide Baustoffe sind aber so grundverschieden, dass ein allmählicher Uebergang vom einen zum andern nicht wohl denkbar ist. Durch solche Beispiele unterstützt Verf. seine These: dass die Instinkte nieht variieren, sondern dass jede Art von Anfangan die- selben Instinkte besaß wie heute und immer. Die wundervolle Kunst jener Grabwespen, welche ihre Beute nicht töten, sondern nur durch genau auf die Ganglien gerichtete Stiche lähmen, lässt sich durch Annahme einer allmählichen Evolution nicht gut erklären. Experimente, welehe Fabre dureh den Stich der Honigbiene an verschiedenen größeren Insekten künstlich ausführte, beweisen, das nicht die Qualität des Giftes, sondern die vom Stich getroffenen Organe sowie die Intensität der Vergiftung maßgebend sind. Es ist aber kaum denkbar, dass eine so feine Kunst erst all- mählich erlangt wurde; wäre sie von Anfang an nicht bereits ganz vollkommen gewesen, so würde die Nachkommenschaft der unge- schiekten Räuber in bedenklichem Grad gefährdet gewesen. Eine un- vollständig gelähmte Lamellikornierlarve hätte das an ihrem Leib geklebte Ei der Scolia bald abgestreift oder zerdrückt; ebenso die großen Eulenraupen der Ammophila, die Grillen und Heuschrecken der Sphex. Sollte es dem Mantidenfänger Tachytes nicht gelingen, durch den ersten Stich die Fangbeine der Gottesanbeterin zu lähmen, dem Calicurgus die Cheliceren der Tarantelspinne durch einen Stich im Munde sofort unschädlieh zu machen, so dürften beide leicht ihrer eignen Beute zum Opfer fallen. Lehrlinge dürfen also jene Tiere nie Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 723 gewesen sein und ihre Vorfahren auch nicht. Ihre Stechkunst kann nieht durch Evolution allmählich sieh entwickelt haben. Diese und die früheren Arbeiten Fabre’s lassen uns die großen Schwierigkeiten erkennen, welche einer evolutiven Entstehung und Ausbildung der vollkommensten und kompliziertesten Instinkte entgegen- stehen. Fabre nimmt eine Aenderung der Instinkte im Laufe der Zeiten überhaupt nicht an. In demselben Sinne hat sich auch in Bezug auf die Triebe gewisser Ameisen Wasmann ausgesprochen. — Scheinen aber die scharfen Beobachtungen und sinnreichen Schluss- folgerungen beider Forscher eine stufenweise Entwicklung jener In- stinkte auszuschließen, stehen sie dadurch mit dem sog. orthodoxen Darwinismus in Widerspruch, so sind sie doch mit der Descendenz- theorie nieht unvereinbar. Das Prinzip der Descendenz ist durch die Morphologie zu fest begründet um so leicht wieder aufgegeben werden zu dürfen; wir müssen nur nicht behaupten Alles auf Grund von Summierung minimaler Variationen und natürlicher Zuchtwahl sofort erklären zu können; wir müssen gestehen, dass gerade hier unsere Erklärungsversuche uns im Stiche lassen, denn nur durch geduldiges Sammeln von gut beobachteten Thatsachen kann der Boden geschaffen werden, auf welchem die Zukunft eine gute Theorie der Instinktbil- dung bauen wird. Lässt sich nun logisch beweisen, dass viele Instinkte nieht in Folge suecessiver Ausbildung anderer Instinkte entstanden sind, wird aber dagegen das Prinzip der Descendenztheorie festgehalten, wonach die jetzt lebenden Tiere mit ihren Trieben von anderen Tieren ab- stammen, welche andere Triebe besaßen, so muss als notwendige Konsequenz angenommen werden, dass die Instinkte oft plötzlich ent- standen sind !), resp. sich ruckweise von einer Generation zur andern verändert haben müssen. Der alte Spruch „natura non faeit saltus“ muss in dieser Beziehung als falsch aufgegeben werden. Ist es aber notwendig anzunehmen, dass die Natur Sprünge machen kann, so bleibt noch zu erkennen wie und warum die Natur zu solehen Sprüngen kommt; und das wissen wir überhaupt nicht. VII. Zur Entstehung und Bedeutung der Knospung bei Metazoen. Die Frage nach der Bedeutung und Mechanik der Knospung würde wohl ihrer Lösung am nächsten gebracht werden, wenn es gelingen sollte die Phylogenese des Vorganges zu ermitteln. Die Knospung ist offenbar in verschiedenen Gruppen unabhängig entstanden, und es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass scheinbar gleichartige Zustände sieh phyletisch von ganz verschiedenartigen Anfängen aus entwickelt haben. 4) Siehe auch meine frühere Schrift: Gedanken zur Deszendenz- und Ver- erbungstheorie, IV. (Diese Zeitschrift Bd XIII Nr. 13—14.) 46 * 724 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Für manche große Abteilungen, in welchen die Knospung weit verbreitet ist und, wie es scheint, seit unmessbar langer Zeit besteht, wird es sehr schwierig und vielleicht unmöglich sein die Anfangs- stadien des Vorganges zu ermitteln: so z. B. für Bryozo@en, Hydroiden und Tunikaten. Die Bandwürmer, deren Blasenform in gewissen Arten in der Bildung mehrerer Skoleces einen echten Knospungsprozess dar- bietet, gestatten dagegen einen sicheren Einblick in die Phylogenese jenes Vermehrungsmodus. Es ergibt sich daraus, dass bei diesen Tieren die Knospung aus der Metamorphose der nicht knospenden Cestoden abgeleitet werden muss. Gehen wir von Taenia solium aus: es bildet bekanntlich jede Cysticercusblase normal nur einen Skolex, ausnahmsweise zwei oder mehr. Nun könnte man hier bereits die Bildung des einzigen Skolex aus der Blase als Knospung betrachten. Vergleichen wir aber die Ent- wicklung der Taenien mit der anderer Cestoden, welche wie z.B. Ligula und Bothriocephalus in ihrer Organisation und Entwicklungsgeschichte entschieden ursprünglichere Verhältnisse darbieten, indem sie als flim- mernde Larven ausschlüpfen, die Teilung ihres Leibes in Proglotiden nicht oder minder vollkommen ausgeprägt ist und in ihrem Geschlechts- apparat Aehnlichkeit mit Trematoden sich zeigt, so wird bei diesen Gat- tungen von einer Knospung als Bildungsweise des Skolex nicht die Rede sein können; letzterer entwickelt sich durch Differenzierung eines Endes der durchaus nicht blasenartigen Larve. In der komplizierteren Metamorphose der Taenien gelangte das Schwanzende der Larve als larvales Ernährungsorgan zu höherer Ausbildung und eilte dem Skolex immer mehr voraus. Letzterer entwickelt sich deswegen als Auswuchs der Schwanzblase und kann ebensowenig (resp. ebensowohl) als Knospe der Schwanzblase betrachtet werden als der Vogel- oder Selachier- embryo als Knospe des umfangreichen Blastoderms. Gerade wie auf einer Keimblase eventuell zwei Hühnerembryonen, so können auf einem Oysticercus zwei Skoleces gebildet werden. Es ist dieses aber noch keine eigentliche Knospung, sondern ein Fall von Doppelbildung; würde aber dieser Entwicklungsmodus mit Vermehrung zur Norm, so entstände daraus eine regelmäßige Polyembryonie, wie sie v. Ihering für manche Gürteltiere nachgewiesen hat, resp. eine als Knospung aufzufassende Mehrfachbildung von Bandwurmköpfehen, wie bei Taenia coenurus. Bei Echinococeus geht die Sache noch weiter, indem die Blase sehr lange ohne Skolexbildung weiter wächst und dann die Köpfchen nicht mehr direkt aus der Blasenwand entsprossen, sondern aus den dazu besonders differenzierten sekundären Blasen. Wären nur echino- coceusartige Taenien bekannt, so würde der Ursprung der Knospung dieser Tiere ebenso in Dunkel gehüllt sein, wie es für die Hydroiden, Bryozo@n und Tunikaten der Fall ist. Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 125 Es scheint mir aber, dass durch Ueberlegung auch über die Ent- stehung der Knospung bi diesen Tieren etwas erkannt werden dürfte. Vor allem fällt mir auf, dass eine sehr große Mehrzahl der Tiere, welche sich durch Knospung vermehren, sitzende Organismen rl In diesem Lebenszustand sind sie Verstümmelungen von Seiten carni- vorer herumstreifender Tiere in hohem Grade ausgesetzt. So geschah es wahrscheinlich den primitiven solitären Hydroiden sehr oft, aber eine Anzahl derselben erlangten die Fähigkeit die abgebissenen Teile zu regenerieren. In diesem Regenerationsprozess erblieke ich die An- lage der Knospung, indem unterhalb der den Verletzungen am meisten ausgesetzten Stelle eine besonders wachstumsfähige Stelle ausgebildet wurde, welehe zuerst einzig und allein zur Regeneration diente, aber in späteren Generationen bei günstigen Ernährungsverhältnissen ohne vorangehende Verletzung einen neuen Mund mit Tentakelkranz zu bilden im Stande war, und derart zur stockbildenden Knospung führte. Ist diese Ansicht richtig, so war die diffuse Verteilung der Regenera- tions-, resp. Knospungsfähigkeit auf einen großen Teil des Organismus das Primitive, ihre Lokalisation auf bestimmte Regionen oder Organe, zuletzt auf einen sog. Stolo, ein sekundärer Zustand. Dass die Einschränkung des Knospungsvermögens bis dahin ge- führt würde, dass zur Bildung jeder Knospe nur eine besondere Zelle bestimmt wäre, ist nach dieser Anschauungsweise höchst unwahr- scheinlich und würde für den Organismus überhaupt keinen Vorteil bieten. Weismann hat auf Grund der von Alb. Lang!) ausge- führten Untersuchungen gerade dieses behauptet; sollte seine Theorie richtig sein, so würden wir, um die Phylogenese der Knospung zu verstehen, diesen Prozess eher auf die Entwicklung eiartiger Keime, d. h. auf eine Art Parthenogenese oder Sporenbildung zurückführen müssen ?). — Durch diese Anschauung wird der Knospungsprozess als etwas ganz eigenartiges sowohl der Teilung als der Vermehrung durch Geschlechtszellen gegenübergestellt. Die Knospung, wie sie Weis- mann theoretisch begreift, würde am nächsten mit der sog. „inneren Knospung“ der Trematoden-Ammen übereinstimmen, welche heute als eine extreme Form der Parthogenese aufgefasst und von dieser Abart der geschlechtlichen Fortpflanzung abgeleitet wird. Durch die von mir eben ausgesprochene Ansicht wird die Knos- pung der Hydroiden und Bryozoön aus dem Regenerations- Be ae) und dadurch in seiner Entstehung mit dem 4) Durch die späteren und von einander unabhängigen Arbeiten von Braem (Biol. Centralbl.,, XIV. Bd., Nr. 4) und Seeliger (Zeitschrift f. wiss. Zoologie, LVII. Bd., 1. Heft) scheinen die Resultate Lang’s als auf fehlerhaften Be- obachtungen fußend widerlegt worden zu sein, wodurch der Weismann’schen Theorie der Knospung der thatsächliche Boden entzogen wurde, 2) Siehe auch Braem und Seeliger l. e. 7126 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Teilungsprozess gewisser Rhabdocoelen und Anneliden vergleichbar gemacht. Auch diese Tiere, die dem Querbruch oder dem Halbge- fressenwerden stark ausgesetzt sind, hatten sehr wahrscheinlich im Ursprung nur die Fähigkeit das verlorene Vorder- resp. Hinterende zu regenerieren. Zur leichteren und schnelleren Ausgleichung der Verluste entstand bei gewissen Arten eine besonders wachstumsfähige Knospungszone; in anderen begann jene Zone des Leibes ohne voran- gehende Verstümmelung zu arbeiten, und so entstand die Strobilation der Mikrostomen, sowie der Naiden und Sylliden, deren merkwür- digstes Endglied wir in dem auf der Challenger-Reise entdeckten verzweigten Wurm Dendrosyllis erblicken. Wie die so hoch und verschiedenartig differenzierte Knospung der Tunikaten entstanden ist, mag ich auf Grund der mir bekannten That- sachen nicht zu erklären. Auch bei Anthozoön liegen sehr kompli- zierte Verhältnisse vor; zum Teil ließe sich vielleicht die Knospung der Korallen aus der bei manchen Formen vorkommenden Dichotomie der Kelche ableiten. Die Strobilation der Scyphomedusen ist wie- derum ein ganz eigenartiger Prozess und hat vielleicht ihre Wurzel in der Metamorphose eines festsitzenden Tieres in ein freischwimmen- des, wobei der Fußteil des ersteren abgeworfen wurde. Wenn wir nun annehmen, dass bei allen mehrschiehtigen Tieren die Knospung nicht von einer Zelle, sondern von mehreren, und sogar von Zellen verschiedener Leibesschichten ausgeht, so scheint mir dieses vom Standpunkt der Weismann’schen Keimplasma-Theorie keine größere Schwierigkeit darzubieten als die Entstehung eines Organs aus Elementen verschiedener Schichten des Embryo, z. B. eines Haares oder eines Zahnes, wo epitheliale Elemente der Oberhaut sowie Meso- dermzellen beteiligt sind. Sehr schwierig sind beide allerdings, wenn wir annehmen, dass die Thätigkeit jeder einzelnen Zelle einzig und allein von den in ihrem Kern enthaltenen Determinanten bestimmt wird; der Vorgang gestaltet sich aber viel leichter, wenn wir denken, dass die einzelnen Zellen und Zellgruppen aufeinander reagieren und sich zur Entfaltung ihrer morphogenetischen Fähigkeiten gegenseitig anspornen. Die Neubildung eines ganzen Hydroidenköpfehens oder einer Meduse ist jedenfalls ein viel minder kompliziertes Ding als die Regeneration des Kopfes einer höheren Annelide, wie z. B. einer Dio- patra, mit Mund, Pharynx, Gehirn und Sinnesorganen, an welcher Regeneration zweifellos alle Schichten des Leibes synergisch mitwirken. Auf die oben geschilderte Phylogenie der Knospung der Cestoden zurückzukommen, scheint mir der Fall noch in einer anderen Beziehung von besonderem Interesse. Jene ungeschlechtliche Vermehrungsart entstand, wenn meine Anschauung richtig ist, durch erbliche Fixierung einer Doppel- oder Multipelbildung, d. h. eines teratologischen Falles. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. TaX Sie entstand also nicht durch Häufung minimaler Variationen, sondern dureh Vererbung einer sehr erheblichen, plötzlich entstandenen Aen- derung der Ontogenese. Eine allmähliche Umwandlung ist hier ab- solut undenkbar. Ebenso verhält sich die Polyembryonie, sowohl des Lumbricus trapezoides wie des Gürteltieres. Die Natur muss also auch im Gebiete der Morphogenie Sprünge machen können und hat offenbar solche nicht nur da gemacht, wo es logisch nicht anders möglich erscheint, sondern wohl auch in vielen Fällen, für welche eine stufenweise Entstehung bis auf Weiteres angenommen werden darf). Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese. 1. Von Curt Herbst. (Fortsetzung.) B. Allgemeines. 1. Das Spezifische der Reaktionen und seine Abhängig- keit von der Struktur des reagierenden Körpers. Die auffallendste Erscheinung bei dem Einfluss der riehtenden Kräfte auf Bewegung und Wachstum der Organismen und ihrer Organe, ist ohne Zweifel der Umstand, dass sich demselben äußeren Agens gegenüber die verschiedenen Organismen in so differenter Weise ver- halten, und dass die systematische Stellung kein sicheres Mittel ist, um die Reaktionsart einer bestimmten Species vorherzusagen. Es ist wohl nicht erst nötig, Beispiele für die Richtigkeit dieses Satzes anzu- führen; haben wir doch gesehen, dass zwei Sertularella-Formen, welche sich äußerlich so wenig von einander unterschieden, dass man sie ihrer morphologischen Unterschiede wegen wahrscheinlich nieht zweien Arten zuteilen würde, nach den Untersuchungen von Driesch |S, 9] in ganz differenter Weise reagieren, dass nämlich die Stolonen der einen in ihrer Wachstumsrichtung durch das Licht, die der anderen dagegen durch die Schwerkraft beeinflusst werden. Wenden wir uns nun von den differenten Organismenformen zu den verschiedenen Organen, so zeigt sich auch hier, dass die spezifische Reaktionsfähigkeit derselben nicht eng mit ihrer morphologischen Natur verknüpft ist. Zwar wachsen die meisten Sprosse senkrecht nach auf- wärts oder bilden, wenn sie einer Mutteraxe ansitzen, mit derselben irgend einen nach oben spitzen Winkel, aber es gibt auch Sprosse, 1) Dieselbe These habe ich auch früher durch Betrachtungen über den Geschleehtsdimorphismus zu begründen versucht (s. diese Zeitschr., XII. Bd., Nr. 13, 14). 128 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese, welche gleich Hauptwurzeln senkrecht in die Erde hinabwachsen. Hierher gehören nach Sachs [60 8.744] z. B. die ersten Seitensprosse mancher Labiaten, ferner die der Equiseten und gewisse Rhizomsprosse von Typha, Sparganium ete. Unser oben aufgestellter Satz erscheint somit vollkommen begründet. Es fragt sich nun, von was denn eigentlich die Reaktionsfähigkeit der Organe abhängig ist, nachdem sich die naheliegende Vermutung von ihrer Verknüpfung mit der morphologischen Natur derselben als falsch erwiesen hat. Sachs [61] ist wohl der erste gewesen, welcher wenigstens für 2 Gruppen der tropischen Erscheinungen an Pflanzen die Art und Weise der Reaktion als abhängig vom Bau der Organe nachzuweisen ver- suchte. Diese 2 Gruppen werden durch die sogenannten orthotropen und plagiotropen Organe repräsentiert. Unter der ersten Kategorie fasst er alle die Organe zusammen, welche ihre Axe in der Richtung der Lothlinie oder einfallender Lichtstrahlen einstellen, während die plagiotropen Organe ihre Längsaxe senkrecht oder schräg zur Rich- tung der Schwerkraft oder der Lichtstrahlen stellen. Demnach ge- hören zu der ersten Gruppe die positiv oder negativ geotropischen und heliotropischen Organe, zu der zweiten dagegen jene, welche oben als transversalgeotropisch resp. — heliotropisch bezeichnet wurden. Sachs sucht nun zu beweisen, dass die orthotrope Stellung der Organe von ihrem radiären Bau abhängig ist, während die plagiotrope Stellung an den bilateralen Bau geknüpft sei. Einen besonders sprechen- den Beweis für diese Ansicht sieht er in dem Verhalten der Lebermoose, deren bilateraler Thallus plagiotrop ist, während die radiär gebauten Fruchtträger orthotrop sind. Der radiäre Bau der letzteren entsteht einfach durch Zusammenrollen des Thallus, wobei entweder die Ober- seite (Peltigera) oder die Unterseite (Cetronia) den Fruchtträger außen begrenzen kann. Es ist nicht zu leugnen, dass die Sachs’sche Regel sich in den meisten Fällen als richtig erweist, aber es muss auch betont werden, dass sie Ausnahmen zeigt, denn es sind nicht alle radiär gebauten Organe orthotrop. So sind z. B. die radiär gebauten Seitenwurzeln erster Ordnung mancher Keimpflanzen — wie wir oben sahen — in typischer Weise plagiotrop und ebenso steht es mit den Rhizomen, die ebenfalls nichts von einem bilateralen Bau aufweisen. Auch die Reaktionsweise der oberirdischen Organe ist nicht fest an die Regel gebunden, denn es ist bekannt, dass die Sprosse der Tanne bei ihrer Entstehung radiär und trotzdem schon plagiotrop sind. Ihre Bilateralität wird ihnen erst durch die Wirkung des Lichtes und der Schwerkraft aufgeprägt! Bei diesen Ausnahmen ist zu beachten, dass sie sich sämtlich auf die Abhängigkeit der Orthotropie von der Radiärstruktur beziehen, Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 129 dass dagegen — soweit wenigstens meine Kenntnisse reichen — kein Fall bekannt ist, wo ein bilaterales Organ sich orthotrop verhielte. Demnach können wir die Sachs’sche Regel so fassen, dass radiär gebaute Organe in der Mehrzahl der Fälle einen orthotropen, bilaterale dagegen stets einen plagiotropen Wuchs besitzen. Das wichtige an dieser Sachs’schen Regel scheint mir darin zu liegen, dass hier zum ersten Mal der Versuch gemacht wird, wenigstens für 2 Fälle die Abhängigkeit der heaktionsweise von einer bestimmten Struktur darzuthun. Es lässt sich nämlich besonders an der Hand der Maschinen nachweisen, dass man zum Verständnis einer spezifischen Reizwirkung keiner besonderen „Lebenskraft“ bedarf, sondern dass das Spezifische der Wirkung von der Struktur der Systeme abhängt, an denen sich die Reaktion vollzieht. In präziser Weise hat dies Driesch in seiner „Biologie“ [10] nachgewiesen und auch Pfeffer steht in seinem Vortrag über die Reizbarkeit [53] auf demselben Standpunkt. Als Konsequenz dieser Auffassung ergibt sich, dass man verschie- dene Reaktionsweisen z. B. positiven und negativen Geotropismus in fiktiver Weise an Maschinen demonstrieren kann, wofern nicht tech- nische Schwierigkeiten hindernd in den Weg treten. Es ist Noll [46] gewesen, welcher vor 2 Jahren in geistreicher Weise einen Versuch hierzu gemacht hat. Er zeigte nämlich, wie man ein elektrisches Maschinehen bauen könne, welches je nach der Konstruktion des Em- pfangsapparates, an welchem sich die Schwerkraft äußert, positiv-, negativ- oder auch transversal-geotropisch reagieren kann. Dasselbe Maschinchen kann auch reaktionsfähig für Liehtreize gemacht werden, wenn der Empfangsapparat in passender Weise abgeändert wird; Noll gibt auch dafür eine praktische Methode an, die wir hier natür- lich nicht näher auseinandersetzen können. Der Vorteil, welchen derartige Betrachtungen für das Verständnis der Reizvorgänge bieten, liegt auf der Hand; zeigen sie uns doch z. B., wie die unbekannten Protoplasmastrukturen der Organe, welche auf denselben Reiz in differenter Weise reagieren, sich im Prinzip zu ein- ander verhalten müssen, damit die spezifischen Reaktionsweisen der betreffenden Organe herauskommen können. Selbstverständlich wird es keinem Menschen einfallen, zu denken, dass die positiv- oder negativ-geotropischen Organe im Speziellen gerade so wie die Noll’sche Maschine gebaut sein müssten, denn er würde dann — wie Pfeffer [53] bemerkt — auf dem Standpunkte jenes Bauern stehen, der beim ersten Anblick einer Lokomotive darauf wettete, es stecke ein Pferd darin. 2. Veränderung der Reizstimmung. Ein zweiter Punkt, welcher mir von besonderer Wichtigkeit bei der Erklärung von ontogenetischen Vorgängen durch Richtungsreize 7130 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. zu sein scheint, besteht in dem Umstand, dass durch mannigfache Anlässe die Reizstimmung der Organismen resp. ihrer Organe verändert werden kann. Diese Anlässe sollen im folgenden etwas eingehender besprochen werden und zwar wollen wir uns zunächst zu der a) Veränderung der Reizstimmung in verschiedenen Eintwicklungsstadien wenden. Als erstes Beispiel mag das Verhalten der Plasmodien von Aethalium septicum angeführt werden. Nach Stahl [64] sind dieselben nämlich in ihrer Jugend negativ heliotropisch und positiv hydrotropisch; während sie sich im reifen Zustand, wenn sie sich zur Fruchtbildung anschicken, gerade umgekehrt verhalten. Auch Strasburger |66] berichtet über eine Veränderung der Reizstimmung mit zunehmendem Alter. Er konnte nämlich an Schwärm- sporen konstatieren, dass dieselben in der Jugend auf höhere Licht- intensitäten „gestimmt“ sind, als im Alter. Infolge dessen löst dieselbe Liehtintensität, welche bei denselben Schwärmern in der Jugend an- lockend wirkte, im Alter eine negativ phototaktische Bewegung aus. Ebenso können auch wachsende Organe in verschiedenen Alters- stadien auf denselben Reiz in anderer Weise reagieren. So sind z.B. die primären Seitenäste mancher tropischer Bäume (Agyrodendron amboinense, Garuga-Arten) anfangs transversal-geotropisch; nachdem sie aber 1—3 m vom Hauptstamm fortgewachsen sind, wenden sie sich senkrecht aufwärts, sie werden negativ geotropisch. Die Bäume zeigen infolge dessen einen merkwürdigen Habitus, welchen Haber- landt [20] mit der Bezeichnung „Kandelaberform“ belegt. Ein anderes Beispiel liefert Tropaeolum majus, die spanische Kresse. Nach Sachs krümmt sieh nämlich das epieotyle Glied der jungen Pflanze in ausgesprochener Weise positiv heliotropisch, während später dasselbe Axenglied und die darauf folgenden Internodien bei starker Beleuchtung negativen Heliotropismus zeigen, so dass die Pflanzen im Freien dem Boden angepresst werden. Ein ähnliches Verhalten haben wir oben bei den heteromorphen Stolonen zweiter Ordnung von Sertularella polyzonias kennen gelernt. Dieselben entstehen nach den Untersuchungen von Driesch [8] näm- lich nieht nur an der Lichtseite, sondern sind auch anfangs positiv heliotropisch und wenden sich erst dann von der Lichtquelle ab, wenn sich ein Stolo dritter Ordnung von ihnen abgezweigt hat. In sehr hohem Grade wird b) die Reizstimmung durch äufsere Agentien im weitesten Sinne des Wortes beeinflusst. «) So übt die Temperatur des umgebenden Mediums nach Strasburger |66] einen Einfluss auf die Reizstimmung der Schwärm- sporen aus, denn es gelang ihm nachzuweisen, dass bei Steigerung der Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. Tau Temperatur negativ phototaktische Schwärmer positiv phototaktisch werden können und umgekehrt. In entgegengesetzter Weise soll nach Loeb [37] die negative Phototaxis von Polygordius-Larven und Cope- poden durch Erniedrigung der Temperatur in positive umgewandelt werden können. Hatten sich z. B. die eben gefangenen Polygordius- Larven bei 16,5° an der Zimmerseite des Gefäßes angesammelt, so begaben sie sich bei 6° schaarenweise nach der belichteten Seite des- selben, sie wurden positiv phototaktisch. In derselben Weise soll es auch gelingen umgekehrt positiv phototaktische Larven in negativ phototaktische durch Temperaturerhöhung zu verwandeln. Ein Einfluss der Helligkeit des Standortes macht sich nach Strasburger bei der Lichtstimmung der Schwärmsporen bemerkbar. Es zeigte sich nämlich, dass Schwärmer derselben Art von einem intensiv beleuchteten Orte für höhere Liehtintensitäten gestimmt sind, als solche, welche sich an einem dunklen Ort befunden hatten. Das gleiche konnte Verworn [68] bei Navicula brevis, einer Diatomee, kon- Statieren. Eine Erhöhung der Lichtstimmung kann nach Strasburger’s Beobachtungen an Schwärmern auch durch Mangel an Sauerstoff herbeigeführt werden, da sich nämlich in solchen Bedingungen die Algen Lichtintensitäten gegenüber noch positiv phototaktisch verhalten, welche sie bei normaler Sauerstofizufuhr gemieden hätten. Wichtig ist eine Angabe Pfeffer’s [51 S. 13], nach der man durch Steigerung der Konzentration der umgebenden homo- genen Fleischextraktlösung die Reizstimmung von Spirillum undula dahin modifizieren kann, dass dieser Organismus in eine Lösung von Asparagin steuert, deren Konzentration zuvor abstoßend wirkte. Einen Einfluss der Konzentration des umgebenden Mediums auf die Reizstimmung konnte auch Loeb an Larven von Polygordius und an Copepoden konstatieren. Wurde nämlich die Konzentration durch Zusatz von NaCl erhöht, so wurden die negativ phototaktischen Tiere positiv phototaktisch, während der umgekehrte eintrat, wenn der Salzgehalt des Meerwassers durch Zusatz von reinem Wasser ver- mindert wurde. Ein Vergleich dieser Resultate mit den oben erwähnten Loeb’schen Befunden bei Aenderung der Temperatur zeigt also, dass Erhöhung der Konzentration ebenso wirkte wie Temperaturerniedrigung, während die Temperaturerhöhung denselben Erfolg wie Konzentrations- erniedrigung hatte. ß) Wir wollen uns nunmehr dazu wenden, die Abhängigkeit der Reizstimmung wachsender Organe von äußeren Faktoren an einigen Beispielen zu demonstrieren '). Hierbei wollen wir das Wort „äußerer Faktor“ ganz weit fassen und auch jene Fälle dazu rechnen, wo die 1) Vergl. hierzu Pteffer’s Physiologie, II, $ 69, S. 336 ff. 132 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. Reaktionsfähigkeit eines Organs von der An- oder Abwesenheit eines anderen abhängig ist. So ist z.B. bekannt, dass sich bei Coniferen nach Abschneiden des Gipfelsprosses ein oder einige Seitenäste negativ geotropisch aufrichten und den Hauptstamm ersetzen. In ähnlicher Weise wird der Transversalgeotropismus eines oder einiger Seitenwurzeln gewisser Keimpflanzen (z.B. der Bohne nach Sachs) in positiven umgewandelt, wenn die Hauptwurzel abgeschnitten wird. Durch Abschneiden der oberirdischen Sprosse kann ferner ein Aufwärtswachsen horizontaler Rhizome, wie z. B. bei Sparganium ramosum und Seirpus maritimus erzielt werden. Werden Keimpflanzen in Kulturbedingungen, z. B. in feuchter Luft, gezogen, denen sie in der Natur gewöhnlich nicht ausgesetzt sind, so können nach Sachs und Elfving [12] die Hauptwurzeln sich ähnlich wie Seitenwurzeln verhalten und anstatt senkrecht nach abwärts zu wachsen mit der Lotlinie einen größeren oder kleineren Winkel bilden, den sie wieder zu erreichen suchen, wenn sie aus ihrer Lage gebracht werden (vergl. Pfeffer II S. 338). Interessant ist, dass nach Darwin auch parasitische Pilze im Stande sind, die Reizstimmung wachsender Organe zu verändern. Wohl am meisten haben jene Veränderungen der Reaktionsfähig- keit, welche durch das Licht hervorgerufen werden, die Augen der Forscher auf sich gelenkt, obwohl sie sich in ihrem Charakter von den vorstehenden Beispielen in keiner Weise unterscheiden. Es ist Stahl [65] gewesen, welcher die Veränderung der Reizstimmung von Organen durch das Licht zuerst nachwies und zwar an den Rhizomen von Adoxa moschatellina, Circaea lutetiana und Trientalis europaea und den Nebenwurzeln verschiedener Pflanzen, deren Transversal- geotropismus durch den Lichteinfluss in positiven Geotropismus ver- wandelt werden konnte. Fassen wir diese Thatsachen im Sinne Noll’s auf, so kann man sagen, dass durch das Licht die für den Schwer- kraftreiz empfängliche Struktur verändert wird. Die Umstimmung der reizbaren Organe durch die anderen Anstöße, welche vorher zur Sprache kamen, sind natürlich in demselben Sinne aufzufassen }). 1) Gestützt auf die Stahl’schen Befunde und einige andere ähnliche Be- obachtungen hat sich Noll [46] veranlasst gesehen, zwei verschiedene Arten von Reizvorgängen zu unterscheiden. Bei der sogenannten „isogenen Induk- tion“ genügt eine Reizursache zur Einleitung der vollen Reizwirkung, während bei der heterogenen Induktion sich zwei Reizursachen an der Wirkung be- teiligen. Ein Beispiel für den ersten Fall bieten nach ihm die sogenannten autoryctitropen Pflanzen, ein solches für den zweiten die erwähnten Stahl’- schen Befunde. Gegen diese Auffassung wendet sich Pfeffer [53] mit folgen- den Worten: „Die Induktion durch den Reiz der Temperatur ist u. a. in jedem Organismus notwendig im Spiele (denn ohne zureichende Herstellung der Tem- peratur tritt Starre ein) und diese Erwägung allein genügt, um zu erkennen, Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. ad Etwas schwieriger ist die Beurteilung der Sachlage bei dem Verdrängen eines Reizes durch einen anderen, wie es sich z. B. an den stark positiv und negativ geotropischen Sprossen und Wurzeln der Keimpflanzen zu erkennen gibt. Kultiviert man dieselben nämlich bei einseitiger Beleuchtung, so stellen sich Spross und Wurzel in entgegengesetzter Richtung genau in Richtung der Strahlen ein, so dass es den Anschein hat, als hätten sie ihre geotropische Reizbarkeit ganz verloren. Ja, Noll hat nach- gewiesen, dass diese genaue Einstellung in Richtung der Strahlen auch dann eintritt, wenn die geotropischen Krümmungen der Keimpflanzen bei Ausschluss von Licht größer waren, als in derselben Zeit die helio- tropischen bei Ausschluss der Schwerkraft. Man könnte also hiernach denken, dass die geotropische Reizbarkeit durch einseitige Beleuchtung vernichtet werde, aber vollkommen sicher ist diese Annahme nicht, da nach Noll’s eigenen Angaben die Keimpflanzen, welche der Wirkung der Schwerkraft entzogen waren, ein wenig früher die heliotropische Ruhelage erreichten, als diejenigen, auf welche die Schwerkraft zu- gleich mit einwirkte. Hiernach wäre es also möglich, dass die geo- tropische Reizbarkeit bei einseitiger Beleuchtung fortbesteht, aber nicht zur Geltung kommen kann. Um Verdrängung eines Reizes durch einen anderen handelt es sich auch bei den hydrotropischen und a@rotropischen Krümmungs- bewegungen der Wurzeln; doch ist hier nicht sicher festgestellt, ob sich bei dem Zustandekommen der kuhelagen der Geotropismus nicht doch in einem gewissen Grade beteiligt. c) Ueber den Einfluss der Reizstärke auf die Reizstimmung und über das Weber’sche Gesetz. «) Bei der Besprechung der einseitigen Wirkung von Licht und von chemischen Stoffen auf die Bewegungs- und Wachstumsrichtung dass an den Reizerfolgen stets verschieden geartete Reizursachen beteiligt sind, d. h. dass die von Noll aufgestellten Bedingungen der heterogenen In- duktion allgemein sind, dass es isogene Reizungen im Sinne von Noll über- haupt nicht gibt“. Ich neigte anfangs der Meinung zu, dass dieser Einwand berechtigt sei, wurde jedoch später durch ein Gespräch mit meinem Freunde H. Driesceh zu der Ueberzeugung geführt, dass Pfeffer doch im Unrecht ist. Wenn nämlich für die Reizbarkeit eine bestimmte Temperatur erforderlich ist, so repräsentiert die letztere in diesem Falle eine ganz allgemeine Bedingung für die Reizbarkeit überhaupt, während im Stahl’schen Falle das Licht die Bedingung für eine spezifische Art derselben liefert. Die Noll’sche Einteilung ist deshalb vollkommen begründet; nur ist es besser, sie folgendermaßen zu definieren: „Nach Erfüllung der allgemeinen Bedingungen, welche die Irritabilität überhaupt erst ermöglichen, genügt bei der sogenannten isogenen Induktion eine Reizursache zur Einleitung der vollen Reiz- wirkung, während bei der heterogenen Induktion sich zwei Reizursachen an der Wirkung beteiligen“. 734 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese, der Organismen und ihrer Organe haben wir kennen gelernt, dass die heizstärke von großer Bedeutung für die Reaktionsweise ist. Dieses Abhängiskeitsverhältnis ist am genausten von Pfeffer in seinen be- kannten Arbeiten über Chemotropismus [50 u. 51] untersucht worden. Den geringsten Prozentsatz eines Stoffes, der gerade noch zur Hervor- bringung einer Reizreaktion genügt, nennt er im Anschluss an Feehner „Reizschwelle“. Haben wir ein anlockendes Reizmittel vor uns, so nimmt bei Steigerung der Konzentration die Reizwirkung zu bis zu einem Momente, dem Optimum, der Reizhöhe, wo die stärkste An- lockung hervorgerufen wird; wird nun die Konzentration noch mehr erhöht, so nimmt die anloekende Wirkung wieder ab, es wird schließ- lich ein Punkt erreicht, wo sie sich gerade noch zeigt (Maximum), und wird jetzt das Reizmittel den Organismen in noch höherer Konzen- tration dargeboten, so wird entweder der Reizeffekt umgekehrt, die positive Chemotaxis wird in negative verwandelt, oder es tritt über- haupt keine Reaktion mehr ein. Für die Samenfäden der Farne ist die Reizschwelle nach Pfeffer erreicht, wenn die Flüssigkeit in den Kapillaren 0,001°/, apfelsaures Natrium enthält, während eine Lösung von 5°/, bereits eine merkliche Abstoßung verursacht. In derselben Weise wie die Konzentration des Reizmittels ist nach den Untersuchungen Strasburger’s [66] auch die Liehtintensität für die Reaktionsweise der Flagellaten und Schwärmsporen maßgebend. Schwächere Lichtintensitäten wirken positiv, starke negativ phototak- tisch. Eine genaue Bestimmung der Reizschwelle und des Intensitäts- grades, bei dem die positive Phototaxis in negative umschlägt, ist noch für keine Flagellaten- oder Schwärmerart festgestellt worden. Stras- burger bezeichnet die Eigenschaft der freibeweglichen Organismen, sich bestimmten Lichtintensitäten gegenüber positiv oder negativ photo- taktisch oder auch indifferent zu verhalten, als Photometrie. Auch bei wachsenden Organen kann sich der Einfluss der Reiz- stärke auf die Reizstimmung bemerkbar machen. So sind z. B. die Wurzeln höheren Sauerstoffspannungen gegenüber negativ, der atmo- sphärischen Luft gegenüber jedoch positiv a@rotropisch. Obgleich N. J. C. Müller bereits vor 20 Jahren die Ansicht ver- trat, dass alle Pflanzen je nach der Lichtintensität positive oder nega- tive Krümmungen ausführen können, und obgleich in neuester Zeit Oltmanns [48] zu derselben Anschauung gelangt ist, so ist doch bis jetzt nur in wenigen Fällen die Abhängigkeit der Reaktionsweise der heliotropischen Pflanzenteile von der Lichtintensität experimentell nachgewiesen worden. Zu den wenigen Beispielen gehört nach Wies- ner |71] das Verhalten der Ranken von Vitis und Ampelopsis, welche sich bei einseitigem schwachen Licht der Lichtquelle zu, bei stärkerer Intensität dagegen davon wegwenden. Bei Tropaeolum majus scheint die Sache nach Sachs’ [60] Angaben ähnlich zu liegen. Bei schwachem Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 135 Licht im Herbst kultivierte Pflanzen erweisen sich nämlich positiv heliotropisch, während dieselben Pflanzen — wie wir oben sahen — bei intensiver Beleuchtung sich vom Lichte abwenden. Als typisch positiv heliotropisch galten bis jetzt immer die Sporangienträger von Phyco- myces nitens, einem Schimmelpilz. Oltmanns gelang es jedoch, neuerdings nachzuweisen, dass sich auch diese Organe je nach der Liehtintensität positiv oder negativ heliotropisch verhalten. Zu dem- selben Ergebnis führten endlich noch die Versuche mit Keimpflanzen von Lepidium, der Kresse, welche für sehr hohe Lichtintensitäten ab- gestimmt sind. ß) Das Weber’sche Gesetz. Wir sahen oben, dass für die Samenfäden der Farne die Reizschwelle dann erreicht ist, wenn die Flüssigkeit in den Kapillaren 0,001°/, apfelsaures Natrium enthält. Wie stark muss nun aber die Lösung sein, um eine merkliche An- lockung der Samenfäden hervorzurufen, wenn dieselben sich vor dem Versuch bereits in einer 0,001 prozentigen Lösung von apfelsaurem Natrium befanden? Die Experimente lehren nun, dass nicht etwa eine Steigerung der Konzentration in der Kapillare um 0,001°/, also auf 0,002°/, genügt, sondern dass die Konzentration in derselben 30 mal so stark sein muss als die der Außenflüssigkeit. Wir sehen daraus, dass dieEmpfindlichkeit derSamenfäden gegen das apfel- saure Salz durch einen Aufenthalt in einer verdünnten Lösung desselben geschwächt worden ist. Befinden sich die Samenfäden in einer Lösung von 0,01°/,, so muss die Kapillarflüssigkeit jetzt 0,3°/, apfelsaures Natrium und bei einem Gehalt der Außenflüssigkeit von 0,05°/, 1,5°/, enthalten, um eine Anlockung hervorzurufen. Das Ergebnis dieser Befunde lässt sich in die Worte zusammenfassen, dass der Reizzuwachs zu der bereits vorhandenen Reizgröße stets in demselben Ver- hältnis stehen muss, wenn man eine merkliche Reaktion erhalten will. In unserem Falle musste die Lösung immer 30 mal!) so stark sein, als die Außenflüssigkeit; beträgt also z. B. der Gehalt der Letzteren an apfelsaurem Natrium x °,, $8o müsste der Reiz- zuwachs 29 x °/, betragen, d.h. die Kapillarflüssigkeit müsste 30 x °/, apfelsaures Natrium enthalten, um die Samenfäden anlocken zu können. Das Gesetz, welches wir im Vorstehenden kennen gelernt haben, ist in der physiologischen Psychologie als das Weber’sche Gesetz bekannt und hat hier bei den Sinneswahrnehmungen des Menschen Geltung. Bei den Samenfäden der Farne hat es Pfeffer [50] in seinen bekannten Untersuchungen über die lokomotorischen Richtungs- 4) Diese Zahl ist natürlich nur annähernd richtig; sie hat nur für die von Pfeffer untersuchten Samenfäden und auch hier nur im Großen und Ganzen Geltung, da ja auch individuelle Abweichungen in der Reizstimmung vor- kommen können. 736 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. bewegungen durch chemische Reize festgestellt. Ein näheres Eingehen auf dieses Gesetz und auf die Erweiterung, welche es durch Fechner erfahren hat, würde zu weit führen; wir verweisen deshalb auf Pfeffer |49 S. 400 ff.| und auf die Lehrbücher der physiologischen Psychologie. Erwähnt sei nur noch, dass das Weber’sche Gesetz — wie Pfef- fer |53] mitteilt — von Massart bei den heliotropischen Bewegungen und von Miyoshi bei den chemotropischen Krümmungen der Pilz- fäden nachgewiesen wurde. 3. Ueber die räumliche Trennung von Perzeptions- und Aktionszone. In seinen Untersuchungen über „das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ suchte Darwin [4] durch Experimente an den Keimwurzeln verschiedener Pflanzen festzustellen, dass die Empfindlichkeit für den Reiz der Schwerkraft auf die Wurzelspitze beschränkt sei. Schnitt er nämlich die letztere auf 1—1,5 mm ab oder tötete er sie mittels einer ätzenden Substanz, so führten die horizontal auf nasses Erdreich gelegten Wurzeln keine positiv geotropischen Krümmungen aus. Lassen wir nun ganz außer Acht, dass Darwin vereinzelt auch eine gewisse geotropische Krümmung beobachten konnte, so ist zu be- tonen, dass die Versuchsergebnisse absolut nicht sicher beweisen, dass in der That die Wurzelspitze ausschließlich der empfindliche Teil sei; denn es ist darauf hinzuweisen, dass Verletzungen eine Veränderung der Reizbarkeit herbeiführen können, wie wir das ja oben gesehen haben. Es ist deshalb sehr wohl möglich, dass durch das Dekapitieren zugleich die Empfindlichkeit der Zone, in welcher die geotropische Krümmung auftritt, zerstört wird. Eine Beobachtung, welche diesen Einwand vollständig rechtfertigt, machte neuerdings Rothert [55]. Er sah nämlich, dass sich die scheidenförmigen Kotyledonen des Hafers nicht mehr heliotropisch krümmen, wenn ihnen die Spitze abgeschnitten wird, während bei Anwesenheit aber Verdunkelung derselben eine Krümmung eintrat. Die Thatsache, dass Wurzeln, welche vor der Dekapitation 1—1!/, Stunden horizontal dagelegen hatten, nachträglich eine geotropische Abwärtskrümmung erfuhren, beweist auch nur, dass die Spitze für das Zustandekommen der Krümmung überflüssig, nicht aber, dass sie der einzig empfindliche Teil für den Schwerkraftreiz ist. Wollen wir also vorsichtig sein, so schließen wir aus den Dekapi- tationsversuchen nur, dass bei Abwesenheit der Spitze die geotropische Reizbarkeit der Wurzel alteriert oder ganz aufgehoben wird, wofür übrigens auch die Versuche von Detlefsen [5] sprechen. Die wirk- liche Entscheidung, ob diese Alteration der Reizbarkeit im der That davon kommt, dass die Wurzelspitze ausschließlich oder doch wenig- stens in höherem Maße als die von ihr entfernten Teile für den Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. HT Sehwerkraftreiz empfindlich ist, bleibt erneuten Forschungen vorbe- halten. An den orthotropen Sprossen ist sicherlich die Reizempfindung nicht ausschließlich auf die Sprossspitze beschränkt, denn Stücke von wachsenden Sprossaxen, denen man nicht nur den Vegetationspunkt, sondern den ganzen Zipfelteil weggenommen hat, sind im Stande, kräftige geotropische Krümmungen zu machen und selbst dünne La- mellen, welche man durch zwei Längsschnitte aus solchen entgipfelten Sprossteilen herstellt, sind noch geotropisch reizbar. Natürlich ist damit nicht gesagt, dass die Empfindlichkeit der Spitzenregion in manchen Fällen nicht größer sein kann, als die der entfernten Spross- teile. So hat z. B. Rothert für die Haferkotyledonen nachgewiesen, dass hier die Spitzenregion weit empfindlicher gegen den Schwerkraft- reiz ist als die tieferen Regionen. Auch für die hydrotropischen Krümmungen suchte Dar win [4] nachzuweisen, dass die Wurzelspitze allein für die Feuchtigkeits- differenzen empfindlich sei, aber seine Untersuchungen sind auch hier ungenügend. Den einwandfreisten Beweis für die eventuelle Riehtig- keit der Darwin’schen Vermutung hat meiner Ansicht nach Pfeffer |53] geliefert, und zwar dadurch, dass er die hydrotropische Krümmung verhinderte, indem er nur die Wurzelspitze in Wasser tauchte oder mit einem nassen Papierkäppchen verhüllte und so die Empfindung einer psychometrischen Differenz von ihrer Seite ausschloss. Der Ver- such von Molisch |44|, welcher eine Krümmung eintreten sah, wenn nur die Spitze der Feuchtigkeitsdifferenz ausgesetzt war, ist für die Lokalisierung der Empfindlichkeit nicht beweisend. Was die aörotropischen und thermotropischen Krümmungen der Wurzeln betrifft, so konnten hier Molisch [45] und Wortmann [73] eine Beschränkung der Empfindlichkeit auf die Wurzelspitze nicht nach- weisen. Bei den heliotropischen Krümmungen der Wurzeln hat in neuster Zeit Kohl [31] die Lokalisierung der Perzeptionsfähigkeit auf der Spitzenregion wahrscheinlich gemacht. Von 12 Keimwurzeln von Vieia faba, deren Spitze durch ein geschwärztes Hollunderkäppehen verhüllt worden war, wuchsen bei einseitiger Beleuchtung und Aus- schluss der Schwerkraft 9 gerade aus, eine krümmte sich schwach negativ heliotropisch und 2 führten unregelmäßige Nutationen aus. Bei den Kontrolversuchen erwiesen sich die Wurzeln als negativ helio- tropisch; von 12 Keimwurzeln zeigten 10 nach kurzer Zeit deutliche Krümmungen, und die beiden anderen mussten unberücksichtigt bleiben, da sie unregelmäßig nutiert hatten. Ueber die verschiedene Empfindlichkeit der oberirdischen Organe dem Lichtreiz gegenüber hat Rothert [55] im Jahre 1892 XIV. 47 I} 738 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. namentlich an Gräsern, aber auch an Dikotyledonen ausgedehnte Unter- suchungen angestellt. Es ist unmöglich auf sämtliche Resultate dieser inhaltreichen Arbeit hier näher einzugehen, nur einige Punkte können vielmehr kurze Er- wähnung finden. So wurde zunächst festgestellt, dass bei manchen Gräserkeimlingen die Empfindlichkeit an der Spitze des scheidenför- migen Kotyledons, wo auch die heliotropische Krümmung beginnt, größer ist als in den weiter basalwärts gelegenen Partien. Sodann konnte bei gewissen Gräsern, den Paniceen, eine ausgeprägte Trennung von Perzeptions- und Aktionszone nachgewiesen werden, indem hier nur der Kotyledon auch wenn er bereits sein Wachstum eingestellt hatte — reizempfindend war; und endlich wurde gezeigt, dass eine Fortleitung des Reizes auf entfernte Pflanzenteile zum vollständigen Zustandekommen der Krümmung sogar in den Fällen nötig ist, wo zwar keine vollständige Trennung von Empfindungs- und Krüm- mungszone vorhanden, aber eine erhöhte Empfindlichkeit in der Spitzen- region nachweisbar ist. Wird nämlich letztere durch eine aufgesetzte Stanniolkappe dem Liehtreiz entzogen, so ist bei der definitiven Ruhe- lage die Abweichung von der vertikalen nicht so groß als dann, wenn die Pflanze in ihrer ganzen Länge beleuchtet worden wäre. Aus allen unsren bisherigen Erörterungen geht also hervor, dass eine mehr oder weniger ausgeprägte Trennung von Perzeptions- und Aktionszone und eine hierbei notwendige Reizleitung auf entfernte Pflanzenteile zwar nicht immer, aber doch hier und da zu konsta- tieren ist. Eine Fortleitung des Reizes ist übrigens bei der Mimose, den Ranken und in vielen anderen Fällen längst bekannt, und es ist interessant, dass sich die Drüsenhaare der Drosera nach denjenigen Haaren hinkrümmen, von denen ihnen der Reiz übermittelt wird [Pfeffer 49 8. 246 u. 330]. Die Richtung, in welcher sich der Reiz ausbreitet, ist hier also zugleich für die Krümmungsrichtung jener Haare maßgebend, auf welche der Reiz übertragen wird. Die er- wähnten Drüsenhaare liefern auch ein sehr gutes Beispiel für eine scharfe Trennung von Perzeptions- und Aktionszone, indem hier nur das Drüsenköpfehen den Reiz empfängt, der basale Teil dagegen die Krümmung ausführt. Von Wichtigkeit ist es schließlich noch, zu betonen, dass auch in Fällen von tropischen Krümmungen, wo keine deutliche Trennung der beiden Zonen zu konstatieren ist, und selbst in einzelligen Organismen, welche keine differenten Einrichtungen für die Fortbewegung und für die Reizperzeption erkennen lassen, aber trotzdem durch äußere Fak- toren in ihrer Bewegungsrichtung beeinflusst werden, eine solche Tren- nung doch vorhanden sein muss; denn es ist zur Reizempfindung Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. _ 739 offenbar eine andere Vorrichtung notwendig als zur Ausführung der Reizreaktion !). „Für die Aufnahme des Reizes — sagt Noll [46 8. 15] — ist eine andere Organisation, ein anderer Apparat innerhalb des Plasmas thätig, als für die Ausführung der Wirkung, mit anderen Worten: Rezeption und Reaktion beruhen auf, ganz verschiedenartigen Grund- eigenschaften der Substanz“. 4. Ueber die Zeit der „latenten Reizung“ und über die Reiznachwirkungen. Zwischen dem Zeitpunkt der Reizempfindung und der Reaktion verstreicht stets eine kürzere oder längere Zeit, die Zeit der „latenten Reizung“, welche spezifisch und individuell sehr differente Werte auf- weist. So beginnt z. B. die heliotropische Krümmung der Kotyledonen von Phalaris canariensis nach 4—13 Minuten langer einseitiger Be- leuchtung. Eine Folge der latenten Reizung ist es nun, dass Organe auch dann noch Reizkrümmungen erfahren können, wenn sie kurz vor einer sichtbaren Reaktion der Reizwirkung entzogen werden. Beispiele für derartige „Nachwirkungen“ sind nicht selten. Beleuchten wir z. B. den Keimstengel von Phaseolus multiflorus eine Stunde lang mit einer Gasflamme und bringen /die Pflanze dann in einen dunklen Raum, so ist nach 2 Stunden eine deutliche heliotropische Krümmung, wie Wies- ner |71| berichtet, sichtbar. An wagerecht gelegten Stengeln konnte Sachs [60] geotropische Nachwirkungen wahrnehmen und auch an Wurzeln lassen sich solche nachweisen. Selbstverständlich tritt die Nachwirkung nur dann ein, wenn das betreffende Organ bereits, eine bestimmte Zeit dem Einfluss der richtenden Kraft ausgesetzt war. Kohl [31] hat neuerdings er- mittelt, dass die Keimstengel von Piswm sativum mindestens 10 bis 15 Minuten wagrecht liegen müssen, damit an ihnen eine geotropische Nachwirkung am Klinostaten konstatiert werden kann. 5. Zur Mechanik der Reizreaktionen. «) Das Zustandekommen der lokomotorischen Bewegungen. Unsere Kenntnisse von der Reaktionskette oder Reizungskette d. h. der Kette von Ursachen und Wirkungen, welche zwischen Reiz- empfang und Reizreaktion liegen, sind bis jetzt gleich Null. Es wurde bereits oben erwähnt, dass Jensen [27] die Geotaxis der Paramaeeien und Euglenen durch die Annahme zu erklären versucht, dass sich die betreffenden Protisten in der Richtung des zu- oder abnehmenden 1) Es sei hierbei daran erinnert, dass bei Euglena viridis das farblose Protoplasma des Vorderendes vor dem Pigmentfleck am lichtempfindlichsten ist, die Geißel selbst dagegen nicht auf den Liehtreiz reagiert (Engelmann [16)]). 47 * 740 . Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese, hydrostatischen Druckes bewegen. Bei der Richtigkeit dieser Auf- fassung würde es sich also in den betreffenden Fällen um gar keinen Reiz der Schwerkraft, sondern um einen solchen größeren oder ge- ringeren Druckes handeln. Ueber das Zustandekommen der Bewegungs- richtung äußert sich Jensen in der Weise, dass bei den negativ geo- tropischen Protisten die Flimmer- oder Geißelbewegung durch den höheren Druck angeregt wird, während sich die positiv geotropischen gerade umgekehrt verhalten würden. Befindet sich infolge dessen ein Protist der ersten Kategorie in einer Wassersäule in horizontaler Lage, so würde die nach unten gekehrte Fläche stärker erregt werden, die Wimpern würden hier energischer schlagen und infolge dessen eine Aufwärtsdrehung des Körpers bewirken. Hat die Längsaxe die Loth- richtung erreicht, so würden die symmetrischen Punkte des Tieres nunmehr gleichmäßig gereizt und eine geradlinige Bewegung würde hieraus resultieren. Mutatis mutandis haben Loeb [37] und Ver- worn |67| ähnliche Betrachtungsweisen für das Zustandekommen der phototaktischen und der galvanotaktischen Richtungsbewegungen an- gewandt. Ihre Richtigkeit ist nicht zu bestreiten, da sie einfach aus- sagen, dass die Riehtungsbewegungen durch bestimmte Erregung der Bewegungsorgane zu stande kommt, was selbstverständlich ist. Das eigentliche Problem beginnt erst bei der Frage, auf welchem Wege der einseitig wirkende Reiz eine lokale Erregung der Bewegungs- apparate auszulösen vermag. Hierüber haben wir zur Zeit nicht die geringste Vorstellung, die weitere Analyse des Problems bleibt also der Zukunft überlassen !). ß) Das Zustandekommen der tropischen Krümmungen. Etwas tiefer eingedrungen ist man in den Mechanismus der Reizkrümmungen pflanzlicher Organe. Es ist nieht möglich, die ver- schiedenen älteren Ansichten von Wiesner, de Vries und Sachs näher zu berücksichtigen; wir wollen vielmehr nur die Theorie von Wortmann und die neuesten Ansichten von Kohl einer etwas ein- gehenderen Besprechung unterziehen. Im Jahre 18384 wies Kohl an den einzelligen Fruchtträgern von Phycomyces nach, dass sich in denselben bei geo-, helio- und hydro- tropischen Erscheinungen das Protoplasma auf der konkaven Seite in 1) In der Behauptung Verworn’s [69], dass „die bisher so rätselhafte Erscheinung des Chemotropismus auf ihrer niedrigsten Stufe nichts weiter ist als der unmittelbare Ausdruck chemischer Affinität“, ist selbstverständlich weiter nichts als ein Umschreiben der Thatsachen mit Worten zu sehen. In derselben Weise ist die „einfache physikalische Betrachtung“ zu beurteilen, mittels welcher auf S. 41 plausibel gemacht werden soll, wie die chemische Affinität der Protoplasmateilchen zum Sauerstoff die Oberflächenspannung vermindern kann. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. al größeren Mengen ansammelt als auf der konvexen. Diese Thatsache wurde 1887 von Wortmann bestätigt und zu einer Theorie der Reiz- bewegung pflanzlicher Organe benutzt [72]. Durch die Protoplasmaansammlung soll nämlich eine Verdiekung der Membran an der Konkavseite und damit eine geringere Dehnbar- keit derselben herbeigeführt werden. Der osmotische Druck in der Zelle wird infolge dessen die dünnere Membran auf der Konvexseite mehr dehnen als die diekere auf der Konkavseite und hieraus würde die Reizkrümmung resultieren. Das Primäre bei diesem Vorgang wäre also das Wandern des Protoplasmas an die später konkav werdende Seite. Wortmann übertrug nun diese Betrachtung von den einzelligen Organen auf die vielzelligen. Auch hier sollte das Protoplasma durch die Kienitz-Gerloff’schen Stränge wenigstens zum Teil in die Zellen der späteren Konkavseite wandern; die Zellen dieser Seite sollten durch die Thätigkeit der größeren Plasmamenge eine größere Dicke und geringere Dehnbarkeit erhalten, durch den überall gleichen Turgor würden infolge dessen die letzteren weniger gedehnt werden als die der späteren Konvexseite, und eine Aenderung der Wachstums- richtung des Organs würde die Folge sein. Standen dieser Theorie zwar gleich von Anfang an Beobachtungen gegenüber, nach denen der Turgor auf der Konvex- und Konkavseite nicht gleich sein sollte, so ist doch nicht zu leugnen, dass- sie wegen der Einfachheit, mit welcher sie die Reizkrümmungen der ein- und vielzelligen Organe erklärte, und mit den Richtungsbewegungen der freibewegliehen Protisten in Beziehung setzte, plausibel erscheinen musste. Nun zeigten aber Noll und Haberlandt an verschiedenen Ob- jekten, dass sich vor der Krümmung eine Ansammlung des Proto- plasmas nieht nachweisen lasse und Elfving konnte an künstlich sekrümmten Sporangienträgern ete. nachweisen, dass die Protoplasma- wanderung eine Folge der Krümmung und nicht ihre Ursache sei, da sich bei den künstlich gekrümmten Organen bei Ausschluss richtender Kräfte eine Ansammlung an der konkaven Seite einstellte. Wortmann sah sich nach diesem Nachweis genötigt, die Er- klärung der Reizkrümmung durch Protoplasmawanderung bei den ein- zelligen Organen aufzugeben |74], aber trotzdem hielt er seine Theorie noch bei den vielzelligen Organen aufrecht (1889). In neuester Zeit hat nun Kohl [31] an der Hand sorgfältiger Untersuchungen die Wortmann’sche Theorie einer scharfen Kritik unterzogen. Nach ihm sollen sämtliche Punkte, auf welche Wort- mann seine Theorie aufbaut, unhaltbar sein, da eine Wanderung des Protoplasmas nach der Konkavseite nicht nachweisbar, eine absolute Diekenzunahme der Zellmembranen an derselben Seite in den ersten 142 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. Stadien der Krümmung nicht vorhanden, und der Turgor endlich auf den gegenüberliegenden Seiten nicht gleich, sondern auf der Konkav- seite höher sei als auf der Konvexseite. In letzterer Hinsicht konnte Kohl die Angaben von G. Kraus bestätigen, der bereits 1832 zu demselben Resultate gekommen und damit die Ansicht von Wiesner und de Vries erschüttert hatte, dass der Turgor auf der Konvexseite gesteigert sei. Es fragt sich nun, wie trotz der Turgorsteigerung auf der Konkavseite eine Krüm- mung zu Stande kommen kann, da die betreffende Seite doch eine Verkürzung erfahren muss. Kohl weist zur Ueberwindung dieser Schwierigkeit auf seine Beobachtungen hin, nach denen die Rinden- parenchymzellen der Konkavseite kürzer, aber weiter als die der gegenüberliegenden Seite sind. Auf diese Thatsachen gestützt fasst er den Krümmungsvorgang eines negativ geotropischen Stengels in folgender Weise auf: „Durch den Schwerkraftreiz wird die Menge osmotisch wirkender Stoffe in den oben gelegenen Rindenparenchymzellen des horizontal liegenden Stengels vergrößert und damit der Turgor daselbst erhöht. Da nun die Membranen in Rede stehender Zellen infolge der gegenseitigen Verwachsung in der Längsrichtung weniger dehnbar sind als in der Querrichtung, so ruft der gesteigerte Turgor Tonnenumformung und Verkürzung dieser Zellen hervor, durch welche Kontraktion auf die Zellen der Konvexseite ein Longitudinalzug ausgeübt wird. Dieser führt passive Verlängerung der Konvexzellen herbei; die Aufwärts- krümmung der Stengelspitze ist die Folge.“ Während also nach der Wiesner-de Vries’schen Annahme in den Zellen der Konvexseite sich der aktive Vorgang abgespielt haben würde, ist es nach der Kohl’schen Ansicht umgekehrt; die Zellen der Konkavseite erleiden eine Veränderung ihres osmotischen Druckes, werden durch denselben kürzer und breiter und bewirken dadurch eine passive Dehnung der andern Seite. Von den übrigen Resultaten der Kohl’schen Arbeit sollen noch folgende wichtige Punkte hervorgehoben werden: Es wurde allgemein gesagt, dass z. B. die positiv geotropische Krümmung emer Wurzel dadurch zu Stande kommt, dass die Ober- seite stärker als die Unterseite wächst. Dies ist zum mindesten nicht ganz zutreffend. „Die Reizkrümmung ist zunächst nur eine Gewebe- spannungserscheinung“, welche durch Plasmolyse wieder aufgehoben werden kann. Das Membranwachstum kommt erst sekundär hinzu, kann aber selbstverständlich schon während des Krümmungsprozesses seinen Anfang nehmen. Eine zweite Frage, deren Klärung durch Kohl’s Untersuchungen herbeigeführt worden ist, betrifft die Beziehung zwischen Wachstums- und Krümmungszone. Er konnte nämlich feststellen, „dass die Krüm- Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 743 mungszone da anhebt, wo das Wachstumsmaximum des Stengels sich befindet, sich aber sofort nach der Stengelbasis hin verschiebt, um diese Wanderung fortzusetzen bis zur Querzone, in der das Wachstum eben im Erlöschen begriffen ist.“ Ja, die Krümmung kann sich auf Stengelpartien erstrecken, in denen ein Zuwachs überhaupt nicht mehr zu konstatieren ist. Hierzu sei bemerkt, dass Rothert [55] an den scheidenförmigen Kotyledonen der Gräser feststellte, dass daselbst die Krümmung in der empfindlichsten Spitzenregion beginnt, welche nicht mit dem Wachstumsmaximum zusammenfällt, und von da allmählich nach den basalen Teilen hinabwandert. Hiernach würde also der Anfang der Krümmung nicht immer mit der Zone des größten Wachs- tums zusammenzufallen brauchen. Die Zone, an welcher eine Reizkrümmung überhaupt möglich ist, ist nach Kohl am Stengel nach oben hin dadurch bestimmt, dass der Turgor oberhalb der Zone des Wachstumsmaximums bald so klein, die Dehnbarkeit dagegen so groß wird, dass keine Verkürzung der Zellen mittels erhöhten Turgors zu Stande kommen kann; nach unten hin würde die Grenze dagegen da liegen, wo die Dehnbarkeit der Membran gleich Null ist. Die unterhalb dieser Grenze gelegenen Partien des Sprosses — für die Wurzeln würde natürlich mutatis mutandis dasselbe gelten — behalten demnach dieselbe Lage bei, welche sie vor der Einwirkung des Reizes innehatten. Schließlich sei noch bemerkt, dass Kohl seine Untersuchungen an geotropisch gekrümmten Organen angestellt hat, dass er aber mu- tatis mutandis seine Theorie auch bei den übrigen Reizkrümmungen für richtig hält. Die Aenderung der Wachstumsrichtung der Organe durch Reize wäre demnach bei allen Reizkrümmungen auf eine Stei- gerung der osmotisch wirkenden Substanzen und somit des Turgors in den Zellen der späteren Konkavseite zurückgeführt worden. Es würde sich also nunmehr darum handeln, das Zustandekommen dieser ein- seitigen Turgorerhöhung näher zu erforschen. 6. Ueber die Zweckmäßigkeit der Reizreaktionen. a) Ueber die Zweckmä/sigkeit des Zustandekommens der Reizkrümmungen. Es ist von verschiedenen Forschern darauf hingewiesen worden, dass sich die Reizkrümmungen immer auf dem kürzesten Wege voll- ziehen, ein Verhalten, dessen Zweckmäßigkeit offenbar ist. Als ein besonders gutes Beispiel hierfür mögen die bilateralen Aeste der Tannen und Erlen genannt sein. Bringt man einen solchen Spross in eine abnorme Lage, so kehrt er stets auf dem kürzesten Wege in seine Natürliche Lage zurück und zwar immer so, dass seine morphologische Oberseite nach oben zu liegen kommt (Frank [18]). Man kann sich 144 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. hiervon leieht überzeugen, wenn man den Anfangs horizontalen Ast um 90° nach oben oder unten dreht. Hätten wir einen vollkommenen Einblick in den Mechanismus der durch Reize ausgelösten Richtungsbewegungen, so würden wir sicher- lich alle diese Einrichtungen für höchst zweckmäßig halten, d. h. wir würden sie mit den in den Organismen vorhandenen Mitteln nicht zweckentsprechender herstellen können. ß) Die Zweckmä/sigkeit der Reizwirkungen. Es braucht kaum besonders betont zu werden, wie zweckent- sprechend die Reaktionen der Organismen und ihrer Organe äußeren Reizen gegenüber sind. Die Wurzeln sind positiv geotropisch, weil sie die Aufgabe haben, der Pflanze Wasser und anorganische Salze zuzuführen; sind sie aber einseitiger Feuchtigkeit ausgesetzt, so wachsen sie nach dem feuchten Orte hin, ihr Geotropismus ist verschwunden. Einseitige Sauerstoffzufuhr hat denselben Effekt. — Aehnliche Be- trachtungen ließen sich bei den oberirdischen Organen und auch bei den Richtungsbewegungen frei beweglicher Organismen anstellen. Man denke z. B. an das zweckmäßige Verhalten der Plasmodien von Aetha- lium septicum. Viele Beispiele anzuführen ist hier vollkommen überflüssig, die Thatsache ist so augenfällig, dass man getrost den Satz aufstellen kann: die Organismen reagieren auf äußere Reize in den allermeisten Fällen so, wie es bei den gerade bestehenden Bedingungen für sie am zweckmäligsten ist. Es muss jedoch betont werden, dass dieser Satz — wie ja auch im Wortlaut angedeutet ist — keine durchgreifende Giltigkeit hat; so sei z. B. daran erinnert, dass nach Pfeffer [51] Bacterium termo, Spirillum nudula und dodo in Kapillaren hineinsteuern, welche neben 0,019°/, KCl 0,05 oder 0,01°/, Quecksilberchlorid enthalten, obwohl sie sich unfehlbar in den Tod begeben. Ebenso schwärmen nach den Angaben dieses Forschers die Samenfäden der Farne in eine Kapillare hinein, welche 0,01°/, Apfelsäure und 0,01°/, HgCl enthält. Em ähn- liches Verhalten zeigten bei den galvanotaktischen Versuchen Ver- worn’s die Paramaecien, wenn Kupferelektroden zur Verwendung kamen. Um die letzteren bildet sich nämlich allmählich ein Hof von Zersetzungsprodukten, welehe auf die Infusorien giftig wirken. Trotz alledem schwimmen dieselben ohne Zögern auf die Kathode zu, wo sie von den giftigen Substanzen getötet werden (S. 119) [68]. (Fortsetzung folgt.) Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. 145 Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. *®) Draparnauld, Tableau des Mollusques Terrestres et Fluviatiles de la France. Montpellier 1803. [Planaria subtentaculata.] *®) Dalyell, Observations ou some Interesting Phaenomena ou Animal Physio- logy exhibited by several Species of Planaria. Edinburgh 1814. [-Polycelis cornuta.] Johnson, Observations on the genus Planaria: Philosophical Transaetions of the Royal Society of London, 1822, p. 443, 1825, p. 251. [Polycelis cornuta, Planaria alpina.] Dug£&s, Recherches sur l’organisation et les moeurs des Planaries. Ann. des Sciences Naturelles, V. 15, 1818, p. 160. [Planaria subtentaculata, Stenostomum leucops.] v. Graff, Neue Mitteilungen über Turbellarien. Zeitschrift für wissen- schaftliche Zoologie, V. 25, 1875, 8. 405. Monographie der Turbel- larien. I. Rhabdocoelida. Leipzig 1882. Seite 172. [Microstomum, Stenostomum.] Zacharias, Ueber Fortpflanzung dureh spontane Querteilung bei Süß- wasserplanarien. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, V. 43, 1886, 8.271. [Planaria subtentaculata.) Kennel, Untersuchungen an neuen Turbellarien. Zoologische Jahrbücher, V. 3, Abteilung für Anatomie u. s. w., 1887, 8. 468. [Planaria fissipara.] Bergendal, Zur Kenntnis der Landplanarien. Zoologischer Anzeiger, 1887, S. 218. [Bipalium kewense.] Sekera, Beiträge zur Kenntnis der Süßwasserturbellarien. Sitzungsber. der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, Jahrg. 1888, [erschienen 1889] S. 405. v. Wagner, Zur Kenntnis der ungeschlechtlichen Fortpflanzung von Micro- stoma. Zool. Jahrb., V.4, Abteilung f. Anatomie u. s. w., 1890, 8. 349. Borelli, Osservazioni sulla Planaria alpina [Dana]. Bolletino dei Musei di Zoologia ed Anatomia comparata della R. Universita di Torino, V.85.1893,.P.,9: Keller, Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Süßwasserturbellarien. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft, V. 28, 1894, Seite 370. [Stenostomum.] Die ungeschlechtliche Vermehrung der Turbellarien ist, wie aus vorstehendem, die wichtigsten Arbeiten zusammenfassenden Litteratur- verzeichnis hervorgeht, bereits im Anfang dieses Jahrhunderts beob- achtet worden, aber eigentümlicherweise ging die Kenntnis der Tei- lungsvorgänge bei der Abteilung der dendrocölen Süßwasserturbellarien, welche gerade am genauesten und eingehendsten untersucht worden waren, fast völlig wieder verloren, so dass die Thatsache der unge- schlechtlichen Fortpflanzung bei diesen Tieren vor acht Jahren durch Zacharias und Kennel noch einmal neu entdeekt werden musste, um allgemeine Anerkennung zu finden. Die Schuld daran, jene älteren, *) Die beiden ersten Abhandlungen haben dem Referenten nicht im Original vorgelegen, 146 Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der 'Turbellarien. durchaus zuverlässigen Beobachtungen in Vergessenheit gebracht zu haben, trägt Franz Ferdinand Schulze, der in seiner 1836 er- schienenen, übrigens sonst sehr sorgfältigen und verdienstlichen Disser- tation !) auf Seite 30 sich in sehr entschiedener Weise gegen das Vor- handensein einer ungeschlechtlichen Vermehrung bei den dendrocölen Turbellarien ausspricht: Spontaneam divisionem transversam quum nunquam viderim nisi in iis, quae in medio corpore violatae erant, jure eam nego et meeum negabit quisque, quiutego plura planariarum millia per unum totum annum assidue observavit et in hanc rem prae- cique animum advertit“. Der Fehler lag darin, dass Schulze und alle diejenigen, welche mit ihm die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Peanariden leugneten, annahmen, dass die Fähigkeit sich zu teilen, wenn überhaupt vorhanden, sämtlichen Arten zukommen müsse, während sie in Wirklichkeit auf einzelne beschränkt ist, und zwar gerade auf solche Arten, welche weniger allgemein verbreitet sind und, in kühlen Bergwässern unter Steinen verborgen lebend, den Zoologen seltener in die Hände kommen. Nach der Zusammenstellung Keller’s, dessen jüngst erschienene Arbeit diesem Referat hauptsächlich zu Grunde liegt, ist die unge- schlechtliche Vermehrung durch Teilung bei nachfolgenden Turbellarien sicher festgestellt: Planaria fissipara Kennel „. subtentaculata Drap. „ albissima Vejd. Polycelis cornuta O. Schmidt. Bipalium kewense Mos.; außerdem \ einige von Fleteher und Hamil- ‘“ ton nicht näher bezeichnete austra- lische Landplanarien?). Alle Arten der Gattung Microstoma. Süßwasser-Trieladen . Land-Trieladen . Süßwasser-Rhabdocöliden .; N = 5 Stenostoma. Y 3 : » hr Catenula. Meeres-Rhabdoeöliden . | R 3 a A Alaurina. Den angeführten Planarien ist noch P. alpina |Dana] anzureihen, deren bereits von Zschokke vermutete ungeschlechtliche Vermehrung neuerdings durch Borelli sicher festgestellt worden ist. Am besten bekannt sind jetzt die Teilungsvorgänge bei den rhab- docölen Turbellarien. Stenostomum langi, an welchem Keller seine eingehenden Untersuchungen anstellte, pflanzt sich das ganze Jahr hin- 4) Franc. Ferd. Schulze, De planariarum vivendi ratione et structura penitiori nonnulla. Berolini 1856. 2) Fleteher and Hamilton, Notes on australian Land-Planarians. Proceedings of the Linnean Society of New South Wales, 2. Series, Vol. 2, 1888, p. 359. Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. 147 durch ungeschlechtlieh fort, mit Ausnahme einiger Wochen im Oktober. Während man nämlich sonst immer Ketten von zwei bis fünf anein- ander hängenden Tieren findet, lösen sich im Laufe dieses Monats die einzelnen Individuen aus dem Kettenverbande, ohne neue Teilungen einzugehen, und werden geschlechtsreif, mdem sich ungefähr zwanzig Hodenfollikel in der Schlundgegend und ein unpaares Ovarium in der Darmregion ausbilden. Die männlichen Geschlechtsprodukte reifen er- heblich früher als die weiblichen, so dass eine Selbstbefruchtung aus- geschlossen erscheint. In der Regel sind von den Hoden nur noch Rudimente vorhanden, wenn das Ovarium angelegt wird. Nach der Eiablage sterben die Tiere nicht ab, sondern sie fangen schon vor Beendigung derselben an, sich wieder durch Teilung fortzupflanzen. Auch während des Winters geht die Vermehrung von statten, aber in langsamerem Tempo als im Sommer. Bei ungestörter Fortpflanzung zerfällt jede Kette nach durchschnittlich fünf Tagen in zwei Teile von 1—3 Individuen, je nach der gerade vorhandenen Anzahl. Misshand- lung führt dagegen den plötzlichen Zerfall der Kette in mehrere Teile herbei. Das hinterste Glied einer Kette bleibt immer kleiner als die übrigen, weil es sich in schlechteren Ernährungsverhältnissen befindet. Die Untersuchung auf Schnittserien zeigt, dass die Teilung durch die Bildung eines neuen Gehirnes eingeleitet wird, hierauf erfolgt auf der Mitte der Bauchseite die Anlage eines neuen Schlundes und dann die Neubildung der Sinnesorgane. Ungefähr 2!/, Stunden nach Beginn dieser Regenerationsvorgänge fängt das Muttertier an, sich dieht vor den neuangelegten Organen einzuschnüren. Die ringförmige Furche wird allmählich immer tiefer und engt den stabförmigen Darm mehr und mehr ein, bis dieser schließlich sein Lumen ganz verliert. Bald darauf bricht an dieser Stelle die Kette durch und zerfällt in zwei Teile. Die Heilung der entstandenen Wundfläche nimmt kaum eine halbe Stunde in Anspruch. Bei anderen Stenostomen geschieht die Vermehrung auf gleiche Weise, nur bilden die meisten Arten Ketten von geringerer Individuenzahl als S!. Zangi. Die Gattung Catenula verhält sich, was die äußeren Vorgänge betrifit, ganz wie Stenostomum. Bei den Mikrostomen findet keine völlige Unterbreehung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung statt, sondern auch während der im Oktober eintretenden Geschlechtsreife sind kleine Ketten von männ- liehen und ebensolche von weiblichen Individuen vorhanden. Man nimmt an, dass Microstomum getrennt geschlechtlich ist, doch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass dieselben Individuen erst männliche und später weibliche Geschleehtsorgane hervorbringen. Auch hier findet während der Wintermonate die ungeschlechtliche Vermeh- rung statt, aber gleichfalls langsamer als im Sommer. Bei guten Er- nährungsverhältnissen geht in der warmen Jahreszeit die Bildung neuer 148 Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. Individuen |Zooide] außerordentlich rasch von statten, indem die eben entstandenen Einzeltiere der Kette sich bereits wieder teilen, ehe sie ganz ausgewachsen sind. Es kommt auf diese Weise zur Bildung von zehn- und mehrgliedrigen Ketten. Die normale Zerlegung der Kette geschieht auch hier durch eine Zweiteilung. Die Teilung wird nach v. Wagner’s Untersuchungen durch die Bildung einer ringförmigen, quer zur Längsaxe des Körpers gestellten Wand aus Bindegewebe eingeleitet, welche sich zwischen Darm und Leibeswand ausspannt. Dieses Septum [welches bei den Stenostomen nicht auftritt] besteht von Anfang an aus zwei Lamellen und schließt so die Leibeshöhle der einzelnen Zooide gegen die künftige Teilungs- ebene ab, welche später zwischen den beiden Lamellen hindurch- schneidet. Indem sich diese doppelte Scheidewand bald verkürzt, wird der Darm in der Ebene derselben nach der Haut zu hingezogen, so dass eine rings um den Darm gehende, nach außen vorspringende Falte entsteht. Durch die auf der Ventralseite am Vorderende der einzelnen Zooide sich vollziehenden Regenerationsvorgänge wird der die ganze Kette durchsetzende Darm hinter jeder Falte mehr und mehr eingeengt. Nach beendigter Regeneration senkt sich die Haut in der Ebene des Septums, eine ringförmige Furche bildend, ein. Dabei trennen sich, wie v. Graff schon bemerkte, die beiden anfangs dicht aneinander liegenden Lamellen des Septums, so dass die Furche sich zwischen ihnen bis an den Darm vorschiebt, wobei die Ringfalte des Darmes verschwindet. Der leiseste Anstoß genügt jetzt, um das Zer- brechen der Kette in zwei Teile zu bewirken. In diesem Falle ist der Darm an der Rissstelle völlig geschlossen; werden aber die Tiere durch Einwirkung von Reagentien oder durch unsanfte Behandlung früher zur Ablösung gebracht, so klaffen die Enden des Darmes wie eine vom Druck befreite Feder trichterförmig auseinander, woraus sich ergibt, dass der Darm mechanisch durch den Druck der sich regene- rierenden Organe und der Ringfurche der Haut eingeschnürt wird. Auf die histologischen Einzelheiten bei der Regeneration der Organe kann hier nieht näher eingegangen werden. Trotz mancher, haupt- sächlich durch die Verschiedenheit des anatomischen Baues bedingter Abweichungen im einzelnen, stimmen doch die Regenerationsvorgänge der Stenostomen und Mikrostomen in den Hauptzügen ganz überein und stehen auch im wesentlichen mit dem in Einklang, was man über die Neubildung der Organe bei dendrocölen Turbellarien bisher er- fahren hat. Der Aufbau der neuen Organe wird bewirkt durch An- sammlung indifferenter Parenchymzellen, mesodermaler Bindegewebs- zellen, welche ihren embryonalen Charakter bewahrt haben. Diese von Keller mit dem Namen Stammzellen belegten Elemente liefern das gesamte Gehirn, den ganzen Schlundapparat, die Augen, die Haut- drüsen und ebenso später die Geschlechtsorgane. Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. 749 Während wir es bei den rhabdocölen Turbellarien mit Tieren zu thun haben, wo das geschlechtsreife Individuum höchstens 1—2 mm misst, und die ganze Kette bei Stenostomen etwa 3, bei Mikrostomen etwa 10 mm lang wird, sind die sich ungeschlechtlich vermehrenden dendrocölen Turbellarien Tiere von !/,—1!/, em Länge. Daher wurden auch die bei ihnen auftretenden, schon mit bloßem Auge oder mit der Lupe leicht wahrnehmbaren äußeren Teilungserscheinungen bereits von den älteren Forschern mit großer Zuverlässigkeit und Genauigkeit be- schrieben. Mehrgliedrige Ketten kommen bei ihnen nicht vor, es findet stets nur eine Durehschnürung des Muttertieres in zwei Tochterindi- viduen statt. Nach Johnson (1822 S. 443), dessen vorzüglicher Darstellung wir hier folgen wollen, bildet sich bei Polycelis cornuta !) nicht weit vom Hinterende des Tieres eine Einschnürung, welche, immer tiefer werdend, nach drei Tagen zur völligen Trennung des Körpers in zwei Stücke führt, die wir als Kopfteil und Schwanzteil bezeichnen wollen. Von diesen kriecht der erstere munter umher, als ob nichts vorgefallen wäre. Der Schwanzteil dagegen bleibt still sitzen und verändert nur gelegentlich langsam seinen Platz. Stört man ihn aber durch Be- rührung auf, so bewegt er sich nahezu mit derselben Geschwindigkeit wie der Kopfteil. Beide ergänzen sich durch Regeneration der fehlen- den Partien wieder zu vollständigen Individuen. Meist ist in 14 Tagen — je nach den Temperaturverhältnissen auch früher oder später — die ursprüngliche Form wieder hergestellt, aber erst nach einem Monat oder nach noch längerer Zeit erlangt das neue Individuum die ursprüng- liehe Größe und Pigmentierung des Muttertieres. Der Kopfteil wartet nun aber in der Regel nicht so lange bis sein Hinterende völlig heran- gewachsen ist, sondern gewöhnlich wird schon wieder ein Stück ab- geschnürt, wenn die Regeneration seiner Schwanzspitze kaum einge- leitet ist. So lösten sich z. B. von einem Exemplare, welches John- son in einer Schale isoliert hielt, binnen einer Nacht nach einander zwei Stücke los. Im ganzen stießen 25 Polycelis cornuta im Laufe zweier Monate zusammen 62 Hinterleibsspitzen ab. Wie ich selbst an Exemplaren, die von mir im Aquarium des Bonner zoologischen Insti- tutes längere Zeit gehalten wurden, beobachten konnte, schneidet die 1) Nach Johnston (A Catalogue of the British Non-parasitical Worms in the Collection or the British Museum, London 1865) ist die Planaria cornuta Johnson’s (1822) identisch mit der P. felina Dalyell’s (1814) und müsste daher eigentlich jetzt Polycelis felina genannt werden. Da aber Hallez (Cata- logue des Turbellaries du nord de la France et de la cöte boulonnaise: Revue Biologique du Nord de la France (Vol.5, 1893), das Synonym felina mit einem Fragezeichen versieht, so behält auch der Referent, dem Dalyell’s seltene Abhandlung nicht zugängig ist, den bisher üblichen Namen vorderhand bei, 750 Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der 'Turbellarien. Teilungsebene hinter der Mundöffnung durch. Bei lebhafter Teilung, wenn das Hinterende nicht Zeit hat, sich vor der Absehnürung neuer Stücke ganz zu regenerieren, rücken die neuen Teilungsebenen immer weiter nach vorn und erreichen schließlich die Mundöffnung. So sieht man gelegentlich Kopfteile, an deren Hinterende die Spitze des rüssel- artigen Schlundrohres aus der durch die Teilungsebene angeschnit- tenen Schlundscheide hervorsteht. Mitunter trifft man auch derartige, stark verkürzte Exemplare, welche das Schlundrohr durch Selbst- amputation ganz abgeworfen haben. Nach der Trennung bleibt die Einschnürung an der Trennungsfläche bei beiden Teilstücken bestehen, so dass die Risswunde durch die eingeschlagene Haut bis auf einen kleinen weißen in der Mitte befindlichen Fleck geschlossen ist. Der letztere selbst wird etwas in den Körper zurückgezogen und so hat der Kopfteil hinten, der Schwanzteil vorn eine deutliche Einkerbung. Die abgelösten Schwanzteile sind anfangs deutlich herzförmig und nicht viel länger als breit, bei der nun folgenden Regeneration ihres Vorderendes, an welchem der Kopf in Gestalt eines Zellpolsters her- vorwächst, streckt sich gleichzeitig der übrige Körper beträchtlich in die Länge, so dass bald der Längsdurchmesser den Querdurchmesser beträchtlich übertrifft. Im Inneren ist bereits vor der Ablösung der neue Schlundapparat, je nachdem die Abschnürung später oder früher erfolgte, bald deutlich erkennbar, bald nur in den ersten Spuren an- gelegt. Am Hinterende des Kopfteiles entsteht das neue Schwanzende in Gestalt einer weißlichen Zellwucherung. Wie schon Johnson beobachtete, sind bei lebhafter ungeschlecht- licher Vermehrung die sich ablösenden Schwanzteile mitunter so klein, dass man sie mit bloßem Auge kaum bemerkt, und es liegt nahe, in einem derartigen Falle, wo man z. B. vom Hinterende eines kleinen Exemplares von 4—5 mm Länge sich ein winziges Stückchen von noch nicht 1 mm ablösen sieht, eher von Knospung als von Teilung zu sprechen, da man unwillkürlich mit dem Begriffe Teilung die Vorstel- lung verbindet, dass die beiden Teile auch gleich groß sind. Mit Recht hebt aber v. Wagner hervor, dass dies durchaus nicht unbe- dingt im Wortsinne liegt und dass man von einer Teilung ebenso gut sprechen kann, wenn die Teilstüicke ganz ungleich sind. Es ist ein besonderes Verdienst v. Wagner’s, in der oben angeführten Arbeit in kritischer Weise die verschiedenen mit den Namen Teilung und Knospung belegten Erscheinungen gesichtet und eine scharfe und brauchbare Definition beider Vorgänge gegeben zu haben, welche der bestehenden Verwirrung ein Ziel gesetzt hat: „Die Teilung ist ein Trennungsprozess ursprünglich zu einem einheitlichen Ganzen gehöriger, durch normales Wachstum entstandener oder im Entstehen begriffener Teile, bei welchem ergänzende Neubil- dungen unter Beseitigung der ursprünglichen Einheit neue Individuen Wiedersheim, Bau des Menschen als Zeugnis für seine Vergangenheit. 751 bilden“. Beispiele: Kettenbildung bei Ringelwürmern und Turbellarien, Strobilation der Quallen. „Die Knospung dagegen ist ein ausschließlich auf einem vom normalen verschiedenen, bescnderen (differentiellen) Wachstum be- ruhender Neubildungsprozess ganzer Individuen, bei welchem die knos- pende Lebenseinheit in der Regel unverändert erhalten bleibt“. Bei- spiele: ungeschlechtliche Fortpflanzung der Tunikaten, Bryozoen, Hy- droidpolypen. Bei der Teilung geht in jedes der beiden neugebildeten Individuen ein Teil des ursprünglichen Tieres über und die sich vollziehenden Regenerationen treten an Stellen auf, wo sie auch auftreten würden, wenn man das ursprüngliche Tier an der Teilungsstelle künstlich durehschnitte. In den typischen Fällen der Knospung (z. B. bei Hydra) entsteht das neugebildete Individuum ganz aus einer Zellwucherung embryonalen Charakters und es gehen keine bereits ausgebildeten Teile des Mutter- individuums in das Tochterindividuum über. Die Neubildungsvorgänge haben mit den die ursprüngliche Körpergestalt wiederherstellenden Regenerationserscheinungen verletzter Tiere direkt nichts zu thun. Um auf Polycelis cornuta zurückzukommen, so entstehen aus den abgelösten Schwanzteilen stets lebensfähige vollkommene Tiere, mögen die Teile auch noch so klein gewesen sein. So habe ich z. B. durch Teilung entstandene fertig regenerierte Exemplare von mir, welche nicht länger als 1 mm und nicht breiter als !/; mm sind. Johnson machte schon darauf aufmerksam, dass beim Anblick so kleiner In- dividuen leicht die Vermutung auftauchen könne, sie seien geschlecht- lich erzeugte, lebendig geborene Junge. (Schluss folgt.) R. Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine Vergangenheit. Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Mit 109 Figuren im Text. 8. VIII u. 190 S. 1893. Freiburg i. Br. und Leipzig. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Seitdem Huxley in seiner Schrift „Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur“ die für die Beurteilung der Verwandt- schaftsbeziehungen des Menschen in Betracht kommenden Thatsachen zusammengestellt hat, sind unsre Kenntnisse so mannigfach bereichert worden, dass eine neue übersichtliche und kritische Zusammenstellung derselben sehr dankenswert erscheinen muss. Es ist deshalb mit Freude zu begrüßen, dass Herr Wiedersheim seine im Jahre 1877 erschie- nene Schrift über den „Bau des Menschen“ jetzt in erweiterter Neu- 752 Klebs, Verhältnis des männlichen und weiblichen Geschlechts in der Natur. bearbeitung wieder herausgegeben hat, zumal diese durch die zahl- reichen Abbildungen und die breitere, anf vergleichender Anatomie und Entwicklungsgeschichte begründete und dadurch vertiefte Dar- stellung ungemein gewonnen hat. Indem er der Reihe nach die Organ- systeme: Integument, Skelett, Muskeln, Nerven, Sinnesorgane, Tractus intestinalis, Tractus respiratorius, Zirkulationsorgane, Milz, Urogenital- system, Nebennieren besprieht, werden die Veränderungen, welche die- selben im Laufe der Entwicklung des Menschengeschlechts durchge- macht haben müssen oder noch durchzumachen im Begriff sind, an der Hand der anthropologischen, entwicklungsgeschichtlichen und ver- gleichend anatomischen Thatsachen unter Benutzung der durch die Variationen und teratologischen Befunde gebotenen Fingerzeige be- sprochen. Dabei ergibt sich dann, wie einzelne Organe in fortschrei- tender Abnahme begriffen oder schon zu vollständiger Degeneration gelangt sind, andere dagegen, namentlich das Gehirn, in fortschreiten- der Entwicklung begriffen sind. Bei dem umfassenden Wissen, über welches der rühmlichst bekannte Verfasser in allen hierbei inbetracht kommenden Gebieten verfügt, ist ihm natürlich kaum irgend eine ein- schlägige Thatsache entgangen, so dass auch solche Leser, denen der Gegenstand nicht ganz fremd ist, vieles für sie Wissenswertes und Neues finden werden, während bei dem minder Bewanderten durch die liehtvolle Darstellung Interesse für die Sache geweckt werden muss, auch da, wo er dem Verfasser in den Einzelnheiten nicht zu folgen oder seine Schlüsse als vollkommen beweisend nicht zu erkennen vermag. An der Grundlage des Ganzen, dass der Mensch in der Reihe der Lebewesen nicht auf einer vollkommen abgetrennten Stufe, sondern an der Spitze einer Entwicklungsreihe, mit deren andern Gliedern er zusammengehört, steht, wird der Leser, welcher der Darstellung bis zum Ende aufmerksam gefolgt ist, wohl nicht zweifeln können. P. Georg Klebs, Ueber das Verhältnis des männlichen und weiblichen Geschlechts in der Natur. 8. 30 Seiten. Jena, Gustav Fischer, 1894. Die kleine Schritt des Baseler Botanikers, ursprünglich eine Rektorats- rede, welche für den Druck in einigen Punkten verändert und ergänzt wurde, gibt eine gedrängte Uebersicht unsrer Kenntnisse über Fortpflanzung bei Pflanzen und Tieren, die Unterschiede der Geschlechter, ihr Zahlenverhältnis, den Einfluss äußerer Umstände auf die Entstehung der Geschlechter. Zum Schluss berührt der Verf. die Frage der Vererbung, wobei er sich für die Möglichkeit der Vererbung erworbener Eigenschaften ausspricht. P. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes % Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. A November ag Nr. 21. Inhalt: Herbst, Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese, I. (Fortsetzung.) — Voigt, Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien (Schluss). — v. Lendenfeld, Einige neuere Arbeiten über die Verdauung bei Infusorien und Plasmodien. — Nusbaum, Einige Bemerkungen über die Extremitätenanlagen bei den Isopoden- embryonen. — Rosenthal, Kleinere Schriften und Briefe von Robert Mayer. Nebst Mitteilungen aus seinem Leben. — Bowditeh, Are composite photographs typical pictures? — Ewald, The influence of light on the gas exchange in animal tissues, Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese. 1. Von Curt Herbst. (Fortsetzung.) Il. Teil. Ueber die Bedeutung der Richtungsreize für die kausale Auffassung ontogenetischer Vorgänge. A. Einleitung und Historisches. Nachdem wir in den vorhergehenden Kapiteln den Einfluss richten- der Kräfte auf die Bewegungs- und Wachstumsrichtung der Organismen und ihrer Organe kennen gelernt haben, wollen wir im folgenden den Versuch machen, unsre Erfahrungen auf ontogenetische Vorgänge anzu- wenden. Natürlich dürfen wir nicht hoffen, alle oben aufgezählten Arten von Richtungsreizen in der Ontogenese als gestaltende Faktoren anzutreffen, da für viele derselben in dem Entwicklungsprozesse wohl kaum Gelegenheit zur Bethätigung vorhanden sein dürfte. So viel sich bis jetzt übersehen lässt, dürfte der richtende Einfluss einseitiger Stoffwirkungen die größte Rolle spielen. In den meisten Fällen werden wir zur Zeit nur das Vorhandensein einer taktischen oder tropischen Erscheinung wahrscheinlich machen, dagegen den speziellen Charakter derselben nicht bestimmen können. Dies wird dem Prinzipiellen, welches die nachfolgenden Ausführungen an sich tragen, keinen Abbruch thun. Der erste Forscher, welcher einen richtenden Einfluss äußerer Faktoren auf Gestaltungsvorgänge im Keim vermutete, war — so viel XIV. 48 754 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. ich weiß — His!) [25]. Derselbe vertritt nämlich in seinen Unter- suchungen über die Bildung des Knochenfischembryo die Ansicht, dass sich die Flächenzunahme des Lachskeimes am leichtesten so verstehen lasse, „wenn man den Zellen das Bestreben zuschreibt, in größtmöglicher Ausdehnung der oberen Fläche sich zuzuwenden. Wo die Schicht diek ist, da drängen sich tiefer liegende Zellen in Folge dieses Be- strebens zwischen die oberflächlichen ein und treiben sie auseinander; wo die Schicht dünner ist, da breiten sich die Zellen derart aus, dass sie eine größtmögliche freie Oberfläche gewinnen. — Das Streben aber der Zellen zu größtmöglicher Oberflächenentfaltung lässt sich seiner- seits am ehesten aus einem Respirationsbedürfnis derselben ableiten, und man kann dabei an Erfahrungen erinnern, weiche auch ander- weitig in der Hinsicht gemacht worden sind, speziell an diejenigen, welche Ranvier über den Einfluss der Luft auf Zellenwanderungen mitgeteilt hat [25 S. 220]“. His dachte dabei — wie er selbst Kupffer?) gegenüber be- merkt — nicht „an eigentliche Massenauswanderungen, sondern an Vorgänge mehr lokalisierten Charakters“, er suchte nur die Flächen- ausdehnung des äußeren Keimblattes, welches ja eine kompakte Platte bildet, -— ob mit Recht oder Unrecht, mag dahingestellt bleiben — durch das Sauerstoffbedürfnis der Zellen plausibel zu machen. Da er später abgesehen von einer kurzen Bemerkung, welche ich nach- träglich entdeckt habe und weiter unten erwähnen werde — nie wieder auf diesen Punkt zurückgekommen ist, so lässt sich aus diesen Er- örterungen nicht ersehen, ob er überhaupt den Richtungsreizen einen wesentlichen Anteil an dem Aufbau der Embryonen zuschreibt. Ein sehr wertvolles Beispiel für die Beteiligung von richtenden Kräften an ontogenetischen Prozessen hat in neuerer Zeit Loeb |38] geliefert. Derselbe konnte nämlich feststellen, dass die Zeichnung des Dottersackes der Fundulus-Embryonen dureh die Anordnung der Blut- gefäße bedingt ist, und zwar ist es das strömende Blut, welches das Anlagern der Chromatophoren an die Gefäßwände bewirkt, denn erstens tritt diese Ansammlung erst dann ein, wenn die Zirkulation begonnen hat, und zweitens kann sie durch einen Zusatz von KCl zum Meerwasser, wodurch der Kreislauf des Blutes, aber nicht die Ent- stehung der Blutgefäße gehemmt wird, aufgehoben werden. 1) Durch einige Bemerkungen Roux’s [57 8.2], auf die mich mein Freund Hans Driesch hinwies, wurde ich auf die betreffenden Aeußerungen auf- merksam gemacht. 2) Kupffer vertrat wie eine Anzahl anderer Forscher (Vogt, Stricker, Oellacher etc.) die Ansicht, dass am Aufbau des Teleostierembryo aktive Zellenwanderungen beteiligt seien, doch scheint er nicht auf die Ursachen dieser Wanderungen eingegangen zu sein. Vergl. His 1. c. 8. 218—219. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese, 755 Die Chromatophoren bleiben in diesem Falle in den Räumen zwischen den Gefäßen liegen, und der Dottersack behält infolge dessen seine tigerartige Zeichnung wie zu Anfang bei. Besonders erwähnenswert ist noch die Beobachtung Loeb’s [38], dass die Chromatophoren, sobald sie sich einem Gefäße angelagert haben, ihr amöbenartiges Aussehen verlieren und gleichsam eine Scheide um die Gefäße bilden !). So wiehtig mir nun diese Entdeckung zu sein scheint, so hat doch Loeb ihre Bedeutung für die kausale Auffassung ontogenetischer Vor- gänge nicht erkannt; wenigstens weist er mit keinem Worte darauf hin. Im Frühjahr 1893 veröffentlichte Roux [59] drei kurze Mitteilungen über die Selbstordnung der Furchungszellen. Er berichtet hierin über Beobachtungen, welche das Nähern isolierter Furchungskugeln des braunen Frosches gegen einander und ihre durch den engen Zusammen- schluss bedingte gegenseitige Apdplattung betreffen. Roux sieht in diesen Erscheinungen aus verschiedenen Gründen eine aktive Lebens- thätigkeit der Zeilen und vermutet als Grund der Annäherung positive Chemotaxis: „Die Furchungszellen verhalten sich zumeist in hohem Maße positiv chemotropisch zu einander, pigmenthaltige und pigment- lose Zellen ohne Unterschied. Einige Male wurden auch Erscheinungen beobachtet, welche vielleicht auf negativem Chemotropismus beruhen. Mit der Richtigkeit dieser Deutung der beobachteten Näherungserschei- nungen wird der sogenannte Uhemotropismus als ein wichtiges ge- staltendes Prinzip der Ontogenese aufzufassen sein“. Auch in seiner Streitschrift gegen Driesch und Hertwig deutet voux [58 5.664] mit einigen Worten an, dass taktische Erscheinungen in der Ontogenese vielleicht eine Rolle spielen können. Zu der gleichen Ansicht bin nun auch ich |23. II] unabhängig von Roux im Verlaufe meiner Untersuchungen über die Abhängigkeit der Gestaltung vom Medium (II. Teil S. 198 ff.) gelangt. Die Beobach- tung des Wanderns der Kalkbildungszellen an bestimmte Stellen der Gastrulawand der Echinidenlarven stellten mich vor die Frage nach der Ursache dieses Wanderns. „Warum wird nicht auch einmal der Urdarm von einem Kalkgerüst umgeben und das Ektoderm freige- lassen?“ — so fragte ich mich. Die Antwort hierauf lautete, dass es wahrscheinlieh die positive Oxygenotaxis der Kalkbildungszellen ist, welehe denselben ihre Bewegungsrichtung wenigstens zum Teil vor- schreibt. „Es liegt nämlich auf der Hand, dass bei einer normalen Gastrula oder einem normalen Pluteus das Ektoderm, welches infolge der Flimmerbewegung stets von frischem Seewasser umspült wird, weit geeigneter zum Austausch der Gase ist als das Entoderm. Bei den Lithium-Larven liegen aber die Verhältnisse anders, indem hier sowohl Ekto- als Entoderm an der Begrenzung der äußeren Körper- A)! Vergl-hierzu' Kölliker [30 S. 37 u. Fig! 24 Taf. II]. 756 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. oberfläche Anteil nehmen. Die Folge davon ist, dass jetzt eine größere Quantität Sauerstoff, als es sonst möglich ist, durch die Wandung des Urdarmabschnittes diffundieren und ein Anlegen von Kalkbildungs- zellen an dieselbe veranlassen kann“. Und in der That wurde letz- teres in einigen Fällen beobachtet. So dürfte es denn wahrscheinlich sein, dass die Bildungszellen des äußeren Kalkpanzers in der That von ihrem Sauerstoffbedürfnis gezwungen werden, sich dem Körper- epithel dicht anzulegen. Für die Fälle, wo auch an inneren Organen Kalkabscheidungen vorkommen, müsste man selbstverständlich eine andere Ursache in Anspruch nehmen. „Es braucht wohl kaum besonders betont zu werden, dass die in Bezug auf das Wandern der Kalkbildner aufgeworfene Frage im Prinzip in jeder Ontogenese häufig wiederkehrt; und zwar gehören hierher nicht nur jene Vorkommnisse, wo von freibeweglichen Mesoderm- resp. Mesenchymzellen an einem bestimmten Orte einheitliche Organe ge- bildet werden, sondern auch solche, wo eine bestimmte Zellengruppe, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, auf eine ganz bestimmte Stelle zuwächst. In die letztere Kategorie würde z. B. das heran- wachsen der Nerven an die richtigen Muskeln gehören“ (l. e. S. 199). Im folgenden wollen wir nunmehr versuchen, an der Hand einiger Beispiele die Fruchtbarkeit vorstehender Ausführungen darzuthun. Wir wollen mit den B. Taktischen Erscheinungen in der Ontogenese beginnen. a) Die Aero- (Oxygeno-) Taxis der Furchungszellen von Arthropodeneiern. Es ist bekannt, dass der befruchtete Eikern bei Myriapoden, In- sekten und vielen Krebsen (z. B. beim Flusskrebs) im Innern der Eizelle liegt und sich hier zu teilen beginnt. Nachdem die Zahl der Furchungskerne, von denen jeder von einem amöbenartigen Protoplasma- körper umgeben ist, ein gewisses Maß erreicht hat, kriechen diese Furchungszellen — wie wir cum grano salis!) sagen können — an die Peripherie des Eies und bilden hier das Blastoderm. Ein ähnliches Wandern der Furchungskerne mit den sie umgebenden, sternförmigen Plasmainseln kommt auch an den Eiern der Araneiden und zahlreicher Crustaceen vor, bei denen die Furchung anfangs total ist und erst später superfiziell wird, indem die Zellgrenzen an der Peripherie er- halten bleiben, im Innern aber mehr oder weniger verschwinden. Ausgezeichnete Beispiele für diesen letzteren Typus liefern nach Brauer und Morin die Eier von Branchipus stagnalis und Theridium maculatum, einer dipneumonen Spinne ?). 1) Vergl. hierzu Korschelt und Heider S. 765 [32]. 2) Vergl. hierzu die Fig. 227 u. 363 bei Korschelt und Heider [32]. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 197 Es ist selbstverständlich, dass das Wandern der Furchungszellen in den erwähnten Fällen eine Ursache haben muss, und ich meine, dass wir nicht fehlgehen, wenn wir dieselbe in der positiven Aerotaxis suchen. Einen indirekten Beweis für die Richtigkeit dieser naheliegen- den Vermutung sehe ich in dem Resultat von Experimenten, welche Loeb [40] an Fundulus-Eiern angestellt hat. Aus denselben geht nämlich mit großer Deutlichkeit hervor, dass die Embryonen des be- treffenden Fisches mit fortschreitender Entwicklung immer empfind- licher gegen Sauerstoffmangel werden und dass mithin die Furchungs- zellen weniger sauerstoffbedürftig als die Zellen späterer Entwieklungs- stadien sind. Auch aus einer Beobachtung Roux’s [56 S. 39] scheint hervorzugehen, „dass die Furchung noch bei sehr geringer Gelegen- heit zum Gasaustausch vor sich gehen kann, während die Bildung neuer Gestaltung durch Wachstum eines solchen nicht entbehren kann“. Wir verstehen aus dieser Thatsache, warum die Furchungskerne mit ihren amöbenartigen Protoplasmainseln anfangs im Innern der Eier liegen bleiben und erst später positiv aerotaktisch werden und an die Peripherie wandern. Es braucht wohl nicht erst besonders betont zu werden, dass nicht etwa alle Furchungszellen zu gleicher Zeit an die Eioberfläche zu kriechen brauchen, sondern dass die einen früher, die anderen später — je nach ihrer spezifischen Sauerstoffempfindlichkeit — auf die einseitige Sauerstoffzufuhr reagieren können. Falls neben dem Sauerstoffbedürfnis keine anderen Momente die Bewegung der Blasto- meren bestimmen, so müssen letztere nach unsrer Ansicht selbstver- ständlich stets die Stelle der Peripherie zu erreichen suchen, welche ihnen am nächsten liegt. Beginnt die Blastodermbildung an einer be- stimmten Stelle und breitet sie sich erst allmählich über die ganze Oberfläche aus, so kann dies meiner Meinung nach die Folge der Ei- form und der anfänglichen Lage des befruchteten Eikernes sein. Hiernach lässt es sich vielleicht verständlich machen, warum z. B. bei Hydrophilus die Blastodermbildung in einer queren, dem hinteren Pole genäherten Zone, bei Blatta dagegen, bei welcher übrigens die „Fur- chungszellen“ sehr frühzeitig positiv aerotaktisch werden, an der Ventral- seite des Eies beginnt. Nicht unerwähnt mag bleiben, dass ich weit davon entfernt bin, zu glauben, es ließen sich alle Fälle von einseitiger Ansammlung der Blastomeren auf vorstehende einfache Weise erklären, denn es ist sehr wohl möglich, dass die Richtung der Bewegung der Wanderzellen auch noch durch andere Momente mit bestimmt werden kann, worauf ja schon hingewiesen wurde. b) Die Chemo- (Tropho-) Taxis der Dotterzellen (Vitellophagen). Bekanntlich ist von verschiedenen Forschern festgestellt worden, dass bei vielen Insekten einige der Furchungszellen im Dotter bleiben und hier zu den sogenannten Vitellophagen werden. Wir haben in 758 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. dieser Erscheinung meiner Meinung nach einen Fall von positiver Chemotaxis oder — wie wir hier präziser sagen können — von Tropho- taxis vor uns. Ob diese Dotterzellen überhaupt keine Aerotaxis be- sitzen oder ob dieselbe nur durch die stärkere Anlockung von Seiten des Dotters verdrängt wird, kann natürlich nicht entschieden werden. Bei der Richtigkeit der letzteren Alternative wäre dann selbstredend auch zuzugeben, dass möglicherweise die positiv aerotaktischen Blasto- dermzellen auch eine positive Trophotaxis aufweisen, welehe aber wegen der stärkeren Reizbarkeit für einseitige Sauerstoffzufuhr — wenigstens zunächst — nicht zur Geltung kommen kann. Mir scheint diese An- sicht sehr viel für sich zu haben, und zwar erstens deswegen, weil es Insekten gibt (Blatta und Neophylax), bei denen zuerst alle Furehungs- zellen an die Oberfläche wandern und erst sekundär einige in das Innere des Dotters zurückkehren, und weil zweitens auch bei den Formen, welche primäre Dotterzellen besitzen, eine nachträgliche Ein- wanderung von Zellen des Blastoderms resp. des Keimstreifens in den Dotter hinein stattfindet. Wir haben also in diesen beiden Fällen eine Aenderung der Reizstimmung mancher Zellen mit fortschreitender Ent- wicklung vor uns, und zwar könnte man das Phänomen so auffassen, dass jetzt die positive Trophotaxis über die Aerotaxis Herr wird. Auch bei den Myriapoden, Arachniden, Crustaceen und Pyrosomen sehe ich die Ursache der Entstehung der Vitellophagen und Kalymmo- cyten in einer chemotaktischen Reizbarkeit der "betreffenden Zellen. Unsre Theorie wäre jedoch nieht ohne weiteres auf sämtliche Mero- cyten der meroblastischen Wirbeltiereier anwendbar, wenn die Beobach- tungen von Rückert und Oppel richtig sein sollten. Interessant für unsre Auffassung sind jene Fälle, wo sich die in den Dotter eingewanderten Zellen später am Aufbau des Mitteldarmes beteiligen, wie dies bei den Chilopoden (Geophilus), bei den Spinnen und zahlreichen Krebsen (Palaemon, Eupagurus ete. — bei Astacus liegen die Verhältnisse etwas anders —) der Fall ist. ‘Hier kriechen nämlich die Dotterzellen, welche entweder von Anfang an im Dotter verbliebene „Furchungszellen“ oder sekundär eingewanderte Elemente des Blastoderms repräsentieren, nach einer gewissen Zeit an die Ober- fläche des in einzelne Schollen zerfallenen Dotters, vermehren sich durch Teilung und bilden so das Epithel des Mitteldarmes. "Wir haben also in diesem Falle wieder eine Veränderung der Reizbarkeit mit fortschreitender Entwicklung vor uns, und zwar wäre die Aenderung bei jenen Zellen eine doppelte, welche zuerst als Furchungszellen an die Peripherie des Eies gewandert, dann selbst oder ihre Tochterzellen in das Innere zurückgekehrt und schließlich zum zweiten Male an die Oberfläche des Dotters herausgekrochen sind, um hier das Mitteldarm- epithel zu konstituieren. Es ist wahrscheinlich, dass die Ursache dieses zweiten Wanders ebenfalls in positiver Aerotaxis zu suchen ist, neben Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 759 der aber vielleicht auch noch ein gewisser Grad von chemotaktischer Reizbarkeit vorhanden ist, denn es wäre sonst nicht einzusehen, warum die Vitellophagen nicht ganz den Dotter verlassen und sich der äußeren Körperbedeckung anlegen, wo doch die Bedingungen zum Gasaustausch noch günstiger als auf der Oberfläche des Dotters sein müssen. Dass die wandernden Dotterzellen neben der positiven Aerotaxis eine ge- wisse Empfindlichkeit für Berührungsreize besitzen, und dass diese das Liegenbleiben an der Oberfläche der Dotteranhäufung bedingt, ist natürlich auch nicht ausgeschlossen. Mag dem nun sein, wie ihm wolle; das Wichtige unsrer bisherigen Untersuchungen scheint mir in dem Nachweis zu bestehen, dass bei vielen Arthropoden bestimmte Riehtungsreize möglicher- weise die Ursache für die Entstehung der äußeren Körper- bedeekung und häufig sogar für die des Mitteldarm- epithels abgeben können. c) Ueber die Ursache der Entstehung der Sehwann’schen Scheiden und der Neurilemmata. Durch die Untersuchungen von zahlreichen Forschern ist in neuerer Zeit — wie man weiß — festgestellt worden, dass die Nerven als Bündel nackter Axenzylinder aus dem kückenmark hervorwachsen. Erst sekundär legen sich an diese Bündel Mesenchymzellen aus dem umgebenden Gewebe an, dringen zwischen die einzelnen Axenfasern ein und bilden um dieselben die sogenannten Schwann’schen Scheiden. Besonders lehrreieh erweist sich in dieser Beziehung die Darstellung, welche Kölliker in seinen histologischen Studien an Batrachierlarven über diese Verhältnisse gegeben hat [30]. Nach der Darstellung dieses Gelehrten bestehen die Nerven im Schwanze der jüngsten Larven — wie schon Hensen richtig erkannt hatte |22] — aus nackten Axenzylindern. Erst später lassen sich auf denselben — und zwar zunächst in der Nähe der Axe — Kerne nach- weisen, welche hierauf „auch an den Aesten und schließlich selbst nahe an den letzten Endigungen erscheinen“. Schon nach diesen Beobach- tungen lässt sich vermuten, dass die betreffenden Kerne Zellen ange- hören, welche sich aus dem umgebenden Bindegewebe den Nerven an- gelegt und um die einzelnen Axenzylinder die sogen. Schwann’sche Scheide gebildet haben. Man wird in dieser Vermutung besonders deswegen bestärkt, weil „die kernhaltigen Stellen der blassen Nerven- fasern der Batrachierlarven oft so aussehen, als ob sie aus Zellen be- stünden, die von außen auf die Protoplasmafäden sich angelagert hatten, indem dieselben an der Oberfläche der Nerven vorspringende, unregelmäßig knollige, rundliche oder längliche Massen darstellten“ (l..e.. 8.4). Die Kölliker’sche Fig. 5 auf Taf. I gibt ein deutliches Beispiel hiervon. 760 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. „Vergleicht man diese Bildungen mit den im umliegenden Gewebe befindlichen, so überzeugt man sich, dass dieselben ebenso beschaffen sind wie die hier vorkommenden sehr zahlreichen amöboiden Zellen, und es sind besonders die Fälle beweisend, in denen die Zellen, wie z. B. bei Bufo, eine gewisse Anzahl Pigmentkügelchen enthalten, welche dann auch in den den Nerven angelagerten Elementen in gleicher Weise sich finden“ (l. e. 5.4). Der Entstehung der Schwann’schen Scheiden der Schwanznerven der Batrachierlarven aus angelagerten Zellen aus der Schwanzgallerte erscheint somit sicher begründet. An uns tritt nun die Frage heran, welche Ursache dieses Anlegen der Mesenchymzellen bewirkt. Der Leser wird bereits vermuten, dass ich dieselbe in einem Reize suche, den die Nervenfasern auf die um- liegenden Bindegewebszellen ausüben. Eine nähere Präzisierung dieser Neurotaxis — wie wir vorläufig sagen können — lässt sich zur Zeit nicht geben, wenn es auch wahrscheinlich ist, dass eine spezifische Substanz die Anlockung bewirkt. Aus der Thatsache, dass das Auf- treten der Kerne in zentrifugaler Richtung erfolgt, lässt sich vermuten, dass das anlockende Reizmittel in den jüngsten Nervenenden entweder überhaupt nicht oder nicht in dem richtigen Maße vorhanden ist, wissen wir doch, dass für jede taktische Bewegung eine bestimmte Reizschwelle erreicht sein muss. Doch nicht nur die Entstehung der Schwann’schen Scheiden ist meiner Meinung nach durch einen Richtungsreiz bedingt, sondern auch die übrigen Hüllen mesenchymatösen Ursprunges, welche die Nerven- bündel umfassen. Hierher sind also die als Neurilemmata oder Peri- neurien bezeichneten Schichten zu zählen, zu denen auch die sogen. Henle’schen Scheiden gehören. Was diese letzte Kategorie anlangt, so teilt Kölliker in der erwähnten Arbeit mit, dass er Pigmentzellen „auch an einzelnen dunkelrandigen Nervenfasern und an ganzen Stämm- chen von Pelobates-Larven bald mehr vereinzelt, bald in dichter Folge“ gesehen hat, „Elemente, die als erste Andeutungen H en 1 e’scher Scheiden anzusehen sind“. Es ist wohl sicher, dass diese Zellen ebenfalls von einem von den Nervenstämmchen ausgegangenen Reize angelockt wor- den sind. Sollte einmal entwieklungsgeschichtlich nachgewiesen werden, dass sich derartige Perineurien auch als hohles Röhrensystem anlegen können, ohne dass im Innern Nervenbündel vorhanden sind, so wird meine Hypothese zugleich mit dieser Entdeckung fallen. Im Anschluss an vorstehende Auseinandersetzungen muss ich einer kurzen Bemerkung von His gedenken, welche derselbe in seiner Schrift „zur Geschichte des Rückenmarkes“ [26] S. 511 macht. Hier heißt es nämlich, dass die „mit Bindegewebskapseln versehenen End- apparate (Pacini’sche Körper, Endkolben, Tastkörper, Tastkugeln ete.) deshalb ein besonderes Interesse bieten, weil sich daran zeigt, dass Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 761 von Seiten der Nerven an der Endstelle eine Art von Reiz auf die Umgebung ausgeübt und dadurch die Anhäufung besonderer Zellen- schichten veranlasst wird“. Dies ist eine zweite Bemerkung von His, welche als eine Vorläuferin unserer Hypothese zu betrachten ist. Ueber ihre Richtigkeit soll hier nicht in ausführlicherer Weise geurteilt wer- den, es sei nur erwähnt, dass ich eher glaube, es gehe von den Zellen, welehe die Bildung der betreffenden Tastkörper bewerkstelligen, ein Reiz aus, welcher das Wachsen der Nervenendigungen in die Zellen- gruppen hinein veranlasst. Wie wir später sehen werden, müssen wir das Auswachsen der Nerven an die Endorgane entschieden auf Rich- tungsreize zurückführen, welche von letzteren auf erstere ausgeübt werden. d) Ueber die Entstehung der bindegewebigen und muskulösen Hüllen um Gefäße. Die im vorstehenden Abschnitt öfter zitierte Schrift Kölliker’s enthält am Schluss noch einige kurze Mitteilungen über die Entstehung der Muskeln an der Arteria caudalis und ihren hauptsächlichsten Seitenästen bei Kaulquappen. Die Muskularis dieser Gefäße besteht nach den Angaben genannten Forschers bei älteren Larven aus „quer- gestellten zum Teil spindelförmigen zum Teil mit mehreren Ausläufern versehenen Zellen“, welche an Venen und Lymphgefäßen nicht aufzu- finden sind. Wichtig ist nun, dass „diese Muskelelemente in loco da- durch entstehen, dass sich Iymphoide Zellen der Schwanzgallerte an die Gefäßwand anlagern und an dieser in die Quere auswachsen“. Außerdem beobachtete K. aber auch an den Venen an verschiedenen Stellen aufgelagerte Zellen, welche er für „Vorläufer einer binde- gewebigen Gefäßhaut“ hält und deshalb mit den Namen Adventitial- zellen belegt. „Bei gewissen Larven, wie bei den Bufonen, sind diese Adventitialzellen sehr reichlich und pigmentiert und stellen zum Teil eine besondere Pigmenthaut dar“!). „Andeutungen solcher Pigment- scheiden sah ich auch in einzelnen Fällen an den Lymphgefäßen von Rana esculenta“ (l. e. 8. 36 u. 37). Mir scheint aus diesen Thatsachen hervorzugehen, dass die Ursache der Entstehung von Muskel- und Bindegewebsscheiden um die Schwanz- gefäße der Batrachierlarven durch einen Reiz bedingt wird, welchen die Endothelröhren oder ihr Inhalt auf umliegende Mensenchymzellen ausüben. Näheres über die Natur dieses Richtungsreizes lässt sich nicht angeben, ja es ist — wie bereits angedeutet — sogar zweifel- haft, ob das Blut oder die Gefäßwandung als Reizmittel fungiert. Bei Richtigkeit der letzteren Vermutung wäre dann wieder zu ent- scheiden, ob ein Stoffwechselprodukt der Endothelzellen die Ursache für das Anlagern von Mesenchymzellen ist, oder ob letztere eine Kon- 1) Vergl. hierzu die oben S. 755 erwähnten Befunde Loeb’s. 762 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. taktreizbarkeit für eine spezifische physikalische Beschaffenheit der ersteren besitzen d. h. also ob man es mit Chemotaxis oder mit einer Art von Thigmotaxis zu thun hat. Die einfache nackte Endothelröhrehen repräsentierenden Kapillaren dürften nach unserer Auffassung selbstverständlich nieht die Fähigkeit zur Anlockung von Mesenchymzellen haben, und dasselbe müsste während der Embryonalentwicklung auch bei den übrigen Gefäßen wenigstens so lange der Fall sein, als dieselben ausschließlich aus Endothelzellen bestehen. Wenn wir bedenken, dass die Aufgabe der Kapillargefäße in der Vermittelung des Stoffaustausches zwischen Blut und Geweben besteht, und dass sie zur Ausführung dieser Funktion vielleicht nicht nur durch ihre Zartheit, sondern auch durch eine spezifische Beschaffenheit ihrer Wandung befähigt sind, so könnte man annehmen, dass bei dem Ueber- gang der Arterien in Kapillaren die Endothelhaut ihre anlockende Wirkung deswegen verliert, weil die Beschaffenheit ihrer Zellen, auf weleher ja die Anlockung beruht, dabei eine andere wird. Hiernach könnte man den kürzere oder längere Zeit bestehenbleibenden einfachen Bau der embryonalen Gefäße dadurch erklären, dass die Endothel- wandungen derselben nicht nur äußerlich, sondern auch in ihrer physi- kalisch-ehemischen Beschaffenheit zunächst ganz den Kapillaren gleichen und demnach nicht anlockend auf die umliegenden Mesenchymzellen wirken können. Es würde sich also im Verlaufe der Ontogenese die Beschaffenheit der Endothelröhren ändern und erst diese Aenderung würde eine Anlockung der muskel- und adventitiabildenden Elemente ermöglichen. Eine besondere Ursache muss man höchst wahrscheinlich zur Er- klärung der Thatsache annehmen, dass die Elemente der Muskularis in der Quere, die der Adventitia dagegen vorwiegend in der Längs- richtung verlaufen. Welcher Umstand bewirkt es, dass die muskel- bildenden Zellen ihre Längsaxe senkrecht, die bindegewebeliefernden dagegen die ihrige parallel zu der des Gefäßes stellen? — Dies ist also die Frage, welche noch der Lösung harrt. Es ist sehr wohl möglich, dass auch hier eine Reizwirkung vorliegt und es könnte so z. B. der Druck des fließenden Blutes richtungsbestimmend auf die Elemente wirken. Späteren Forschungen bleibt die Aufklärung dieser Frage vorbehalten; die genauen Untersuchungen von Embryonen, bei denen nach dem Verfahren Loeb’s [38] die Zirkulation durch Chlor- kalium sistiert worden ist, könnte hierbei eventuell von großem Vor- teil sein. Wir haben unsre Hypothese auf die thatsächliehen Angaben von Kölliker gestützt, sind jedoch der Meinung, dass sie auch auf die Entstehung der Gefäßhüllen bei den übrigen Wirbeltieren anwendbar ist. Dass sie dagegen auf die Bildungsweise des Herzmuskelschlauches Herbst, Bedentung der Reizphysiologie für die Ontogenese, 1763 nicht passt, liegt auf der Hand, denn derselbe entsteht bekanntlich durch Faltenbildung und Diekenwachstum des viszeralen Mittelblattes, ein Vorgang der vielleicht durch einen formativen Reiz von Seiten des resp. der Endothelsäckchen ausgelöst wird. Die viel diskutierte Entstehungsweise der Endothelröhren ist für unsre Auffassung vollkommen nebensächlich. Bedenkt man aber die Resultate, zu denen P. Mayer, Ziegler und namentlich Wencke- bach bei Selachiern und Teleostiern gekommen sind |siehe in 24], so wird man geradezu dazu gedrängt, in diesen Fällen auch für die Ent- stehung dieses Hauptteiles des Gefäßsystemes die Mitwirkung von rich- tenden Kräften in Anspruch zu nehmen. Ein näheres Eingehen auf diese interessante Frage würde uns jedoch zur Zeit auf ein zu proble- matisches Gebiet führen. Nach unsren jetzigen Kenntnissen ist es nicht ausgeschlossen, dass die Endothelröhren möglicherweise in differenten Wirbeltiergruppen auf verschiedene Weise entstehen, und dass infolge dessen in dem einen Falle an ihrem Zustandekommen Richtungsreize beteiligt sein können, welche in anderen kein Wirkungsfeld haben. e) Ueber die Entstehungsursache einiger anderer bindegewebiger Hüllen, Es ist bekannt, dass sowohl die Muskelfasern als auch die schwächeren und stärkeren Bündel derselben und schließlich der ganze Muskel selbst von bindegewebigen Scheiden, den sogen. Perimysien eingeschlossen werden. Da dieselben offenbar aus Mesenchymzellen ihren Ursprung nehmen, so scheint es mir wahrscheinlich, dass das Anlagern dieser Bildungselemente durch einen Reiz veranlasst wird, welcher von den Muskelfasern ausgeht. Ein ausgezeichnetes Beispiel für die Beteiligung von Richtungs- reizen an der Bildung bindegewebiger Hüllen um Organe bietet ferner die Entwieklung der Choroidea des Auges, hier kann man an Miss- bildungen direkt nachweisen, dass die Pigmentschicht des Augenbechers das Auflagern von Bindegewebszellen auf die äußere Wand beeinflusst. Wird nämlich im Verlaufe der Ontogenese die ventrale Augenspalte, durch welche der Glaskörper in die Augenblase hineingewachsen ist, nicht wie gewöhnlich durch Verwachsung der Ränder geschlossen, so fehlt an dieser Stelle die Aderhaut des Auges. Durch unsre Hypothese, nach der die Mesenehymzellen durch einen spezifischen Reiz von Seiten der äußeren Wand des Augenbechers zu einer festen Auflagerung auf ihr veranlasst werden, ist die Entstehung dieser „Coloboma“* genannt Missbildung leicht erklärlich. Auch Hertwig macht in seiner Ent- wicklungsgeschichte [24] darauf aufmerksam, dass die mangelhafte Ausbildung der Gefäßhaut bei offen gebliebener Augenspalte ein Zeichen ist, „wie sehr die Entwieklung der bindegewebigen Umhüllung von den Bildungsprozessen der beiden Epithelblätter abhängig ist“. Den wahren Grund dieser Abhängigkeit hat er jedoch nicht erkannt. 764 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. Um endlich noch ein Beispiel aus der Ontogenese der Wirbel- losen anzuführen, so mag hier an die sogen. Perikardialzellen der Arthropoden erinnert werden, welche ebenfalls aus Mesenchymelementen ihren Ursprung nehmen, die vielleicht durch einen vom Rückengefäß aus- gehenden Reiz angelockt werden. Die sogen. Chloragogenzellenschicht an den Blutgefäßen von Anneliden wird wahrscheinlich eine gleiche Entstehungsursache haben. Man könnte die Beispiele noch sehr leicht um das Hundertfache vermehren; mir scheinen aber die unter ec, d und e mitgeteilten Fälle zn dem Nachweis zu genügen, dass das mesenchymatische Gewebe ein Hauptwirkungsfeld für gestaltende Richtungsreize ist; und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass der thatsächliche Nachweis derselben in manchen Fällen mittels des Experimentes gelingen wird. f) Ueber die Entstehungsursache des Polycladendarmes. In äußerst deutlicher Weise lässt sich die Beteiligung eines Rich- tungsreizes an der Bildung des Darmes der Polycladen wahrscheinlich machen. Wie allgemein bekannt ist, entsteht das Darmepithel hier aus den oberen und unteren kleinen Entodermzellen, während die in der Mitte des Furchungszellenhaufens gelegenen großen Entoderm- zellen ihren Kern verlieren, in einzelne Dotterkugel zerfallen und als Nahrungsdotter fungieren. Die Abkömmlinge der 8 kleinen Zellen legen sich der Oberfläche dieser Kugeln an und dringen zwischen die- selben ein, und da die Grenzen sich bald nicht mehr zwischen den einzelnen Zellen nachweisen lassen, so bilden sie zusammen „eine durch vielfache Lücken unterbrochene Schicht von Protoplasma, welche den Nahrungsdotter überzieht und durchsetzt und an einzelnen Stellen kleine Anhäufungen bildet, die mit einander durch Plasmastränge ver- bunden sind. Im Plasma treten verschieden große lichtbrechende Tropfen auf, die vermutlich von aufgenommenem Nahrungsdotter her- rühren“ (Lang S. 338). Mir scheint, dass wir nach dieser Darstellung nicht fehlgehen, wenn wir das Ausbreiten und Haftenbleiben der Entodermzellen auf der Oberfläche der Dotterkugeln, wodurch natürlich bei fortgesetzter Tei- lung ein Epithel um die Ballen zu Stande kommen muss, auf einen chemischen Reiz zurückführen, welchen der Dotter auf die Darmbil- dungszellen ausübt. Auch die Darstellung, welche Selenka von der Bildung des Polycladendarmes gibt, spricht sehr für unsre Auffassung. „Vereinzelte Entodermzellen — so berichtet er — umfließen hie und da einen durch Zerfall verkleinerten homogenen Dottertropfen und unter beginnender Resorption des letzteren und gleichzeitiger Vermehrung der Entoderm- zellen bildet sich ein kurzes Rohr oder ein tonnenförmiger Hohlkörper, der mit benachbarten gleicherweise entstandenen Darmhöhlen in Ver- Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 765 bindung tritt, um endlich einen längeren Blinddarm zu bilden“. Da wohl nichts näher liegen dürfte, als die Ursache dieses Umfließens der Dotterelemente von Seiten der Entodermzellen auf eine chemo- resp. trophotaktische Reizbarkeit der letzteren zurückzuführen, so dürfte hiermit die Beteiligung von einer Art Chemotaxis an der Darmbildung sehr wahrscheinlich geworden sein. Jedenfalls wird man dieses für die Bildung der „primären Darmhöhlen“ ohne weiteres zugestehen, wenn man es auch dahingestellt sein lässt, ob auch die Vereinigung dieser einzelnen Darmhöhlen zu einem einheitlichen Ganzen durch Richtungsreize eingeleitet wird, was ich selbst für höchst unwahr- scheinlich, ja für ausgeschlossen halte. g) Ueber die Beteiligung von Richtungsreizen an Entwicklungsprozessen bei den Süßwasserturbellarien. Da sich die definitiven Organe der Trieladen nach den Unter- suchungen von Jijima [28] und Hallez [21] sämtliche aus den sog. Wanderzellen entwickeln, welche anfangs in unregelmäßiger Weise in der gemeinsamen Nährmasse zerstreut sind, so tritt uns hier die Be- deutung der Richtungsreize für das Zustandekommen morphologischer Prozesse in geradezu utrierter Weise entgegen. Ein näheres Eingehen auf die eigenartigen Entwicklungsprozesse scheint mir deshalb hin- reichend begründet. Die erste Wirkung eines Richtungsreizes offenbart sich uns bei dem Anlegen der Dotterzellen, deren amöboide Bewegung bereits v. Siebold gesehen hat, an die in Furchung begriffenen Eier. In Fig. 19 auf Taf. II der Hallez’schen Arbeit ist deutlich zu sehen, wie sich verschiedene Dotterzellen mit Pseudopodien dem Ei anschmiegen. Die Furchungskugeln des letzteren liegen hier bereits in einer gemein- samen Nährmasse, welche bekanntlich durch Zusammenfließen anhaf- tender Dotterzellen gebildet wird. So wird also ein Bestandteil der jungen Planarienembryonen erst durch einen chemischen Reiz ermög- licht, welcher von den Eiern auf die in der Coconflüssigkeit suspen- dierten Zellen ausgeübt wird. Interessant ist, dass dieser Reiz den Zellen des primären Ektoderms nicht mehr zukommt; nach dem Auf- treten desselben bleiben nach Jijima keine Dotterzellen mehr an den Embryonen haften. Die Zellen haben also mit ihrer Differenzierung zum primären Ektoderm ihre Anlockungsfähigkeit eingebüßt. Wir hatten oben S. 756 gesehen, dass die Bildung des Blastoderms bei den Insekten wahrscheinlich durch die aerotaktische Reizbarkeit der Furchungszellen ermöglicht wird, ich glaube nun, dass auch das primäre Ektoderm der Trieladen seine Entstehung dem gleichen Rich- tungsreiz verdankt. Es muss jedoch betont werden, dass neben der Aerotaxis noch ein anderes Moment im Spiele sein muss, da nämlich bei alleiniger Wirkung einer einseitigen Sauerstoffzufuhr nicht einzu- 766 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. sehen ist, warum die Zellen nieht die Oberfläche des Embryo ganz verlassen, sondern sich auf ihr zu einem Epithel flach ausbreiten. Ob wir in diesem neuen Moment ebenfalls eine Reizursache (etwa Thigmo- taxis) oder ein physikalisches Phänomen (Kapillarität) zu suchen haben, bleibt vorläufig dahingestellt. Auch an dem Zustandekommen des sekundären Ektoderms ist höchst wahrscheinlich Aerotaxis beteiligt, da dasselbe nach Hallez dadurch entsteht, dass von den Wander- zellen immer neue an die Oberfläche rücken und sich zwischen den übrigen Zellen des Körperepithels einordnen !). ‚Einen Richtungsreiz mache ich ferner für die Bildung des sekun- dären Darmepithels verantwortlich und zwar bin ich der, Meinung, dass die in den primären Darm aufgenommenen Dotterzellen anlockend auf die in der Nähe liegenden Wanderzellen wirken. In Fig. 9 auf Taf. 5 bemerkt man bei Hallez eine der sekundären Darmepithel- zellen, wie sie Pseudopodien nach dem Inhalt des primären Darmes ausstreckt. Dass die Zellen hier nicht einfach in die Dottermasse hinein wandern, verhindert zunächst das noch vorhandene primäre Darmepithel, sodann kommt aber höchst wahrscheinlich noch eine zweite Reizursache oder auch Kapillarität hinzu, welche das Aneinander- haften der Epithelzellen bewirkt und so erst die Formierung eines ge- schlossenen Darmepithels ermöglicht. Wir erwähnten bereits oben, dass nach Hallez und Jijima auch alle übrigen Organe aus den zwischen Darm- und Körperepithel ver- teilten Wanderzellen entstehen. Leider ist in den Arbeiten der be- treffenden Forscher an keiner Stelle erwähnt, ob sich die ganze An- lage eines Organes z.B. die des Gehirnes aus einer Zelle dureh Teilung entwickelt und zwar derart, dass die Tochterzellen bei einander liegen bleiben und demnach einen dichten Zellenhaufen bilden, oder ob die- selbe dadurch entsteht, dass mehrere oder auch viele in Teilung be- griffene Zellen sich nachträglich eng aneinander schließen. Ist das letztere der Fall — wie es in der That zu sein scheint —, so wäre es vielleicht eine nahe liegende Annahme, die Ursache für diesen sekundären Zusammenschluss in einem Richtungsreize zu suchen, der entweder von einigen weniger dicht beieinander liegenden Zellen, welche bereits in der Umdifferenzierung begriffen sind, oder von einem bereits vorhandenen Organ, in dessen Nähe das neue zu liegen kommen soll, ausgehen kann. Die Richtigkeit dieser Vermutung erscheint mir je- doch selbst höchst zweifelhaft, da nämlich die Entstehung der Organe aus vielen Wanderzellen auch noch auf eine andere Weise denkbar ist. Nimmt man nämlich an, dass aus irgend einem Grunde eine be- 1) Meine Ansicht bleibt natürlich auch bestehen, falls durch erneute Unter: suchungen erwiesen werden sollte, dass sich die Zellen, welche das definitive Körperepithel liefern, unter dem primären Ektoderm ansammeln, und dass letz- teres schließlich als unbrauchbare Hülle abgeworfen wird. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 767 schränkte Gruppe von Zellen, die zunächst noch ziemlich weit von einander entfernt sein können, zu energischer Teilung veranlasst wird, so ist ein Zusammenschließen der anfangs zerstreuten Elemente zu einem einheitlichen Ganzen auch ohne Riehtungsreiz möglich. Und schließlieh könnte ja auch die Bildung einheitlicher Organe durch die Kombination beider Wirkungsweisen erzielt werden, was zumal bei Organen, die aus mehreren Schichten zusammengesetzt sind, nicht unwahrscheinlich ist. Man sieht, es tauchen hier der Probleme viele auf, über welche zukünftige Forschungen Licht zu verbreiten haben. Auch bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung ent- stehen bei Dendrocölen und Rhabdocölen nach Kennel, F. v. Wag- ner |70| und J. Keller [29] die fehlenden Organe aus den Wander- zellen, welche sich in den erwachsenen Tieren noch vorfinden und als „Bildungszellen* oder „Stammzellen“ bezeichnet werden. Dieselben Fragen, welche wir eben bei der Ontogenese der Tricladen aufgeworfen haben, drängen sich also auch hier auf. Betrachtet man die Abbildungen, welche Wagner von den Vor- gängen bei der Bildung der fehlenden Organe. gibt, so kann man leicht dazu verführt werden, kichtungsreizen einen Anteil an der Formierung einheitlicher Organanlagen zuzuschieben. Wir wollen uns aber hüten, zur Zeit hierüber einen sicheren Entscheid zu treffen. Bei der Bildung des neuen Pharynx könnte nach den Abbildungen von Keller vielleicht der oben an letzter Sielle genannte Modus Geltung haben. Während nämlich die Zellenanhäufung, aus welcher das Pharynx- epithel hervorgeht, vielleicht ohne Zuthun eimes Richtungsreizes einfach dadurch zu stande kommt, dass sich die Wanderzellen an der be- treffenden Stelle stark vermehren und so schließlich zu enger Be- rührung kommen, dürfte der Muskelschlauch so entstehen, dass um- liegende Zellen durch einen vom Pharynxepithel ausgehenden Reiz zu dichter Anlagerung an dasselbe veranlasst werden, wo sie dann zu Muskelfasern auswachsen. In ähnlicher Weise dürfte auch in der Ontogenese die Ursache für die Anlagerung der muskelbildenden Wander- zellen an das Körperepithel in einem Richtungsreize zu suchen sein. Ebenso wie oben bei den Blutgefäßen wäre natürlich auch hier noch zu erklären, warum die Zellen emmal senkrecht, das andere Mal da- gegen parallel oder auch schräg zur Längsaxe des Körpers zu Muskel- fasern auswachsen. Ich glaube, die vorstehenden Auseinandersetzungen zeigen zur Genüge, dass die Embryonalentwicklung der Süßwasserturbellarien und ihre ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Teilung für unsre Hypothese von der größten Bedeutung ist. Ueberhaupt dürften die betreffenden Entwicklungsphänomene zu den wichtigsten der ganzen Tierreihe gehören, da hier alle Organe — wie bereits öfter erwähnt wurde — aus anscheinend gleichartigen Wanderzellen ohne Falten- 768 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. bildung ihre Entstehung nehmen. Der scharfe Gegensatz, welcher in dieser Hinsicht zwischen den Dendrocölen des Süß- und des Meer- Wassers besteht — bei letzteren kann man bekanntlich bereits an vorgeschrittenen Furchungsstadien die Elemente des äußeren, mittleren und inneren Keimblattes erkennen —, ist ein deutlicher Fingerzeig, dass ähnlich gebaute Organismen durch ganz verschiedene Entwick- lungsursachen zu stande kommen können. Sollte also durch künftige Untersuchungen nachgewiesen werden, dass taktische Erscheinungen in der Entwicklung der Tricladen eine große Rolle spielen, so ist daraus nicht zu schließen, dass sie dies in demselben Maße auch bei den Polycladen thun. h) Ueber einige Punkte von allgemeiner Wichtigkeit. 1) Nachdem wir wahrscheinlich gemacht haben, dass die Bildung mancher Organe und Organteile durch Richtungsreize, welche auf freibewegliche Gewebezellen wirken, ermöglicht wird, tritt an uns die Frage heran, ob diese Zellen alle als gleichwertig zu betrachten sind oder ob die einen nur auf Reize, welche von Nerven ausgehen, die anderen dagegen nur auf solche, welche nackte Blutgefäße ausüben, reagieren können. Vom Weismann’schen Standpunkte aus müssten wir letzteres von vornherein für richtig halten. Demnach besäßen z. B. bei den Trieladen die einen Wanderzellen ausschließlich Deter- minanten, welche sie zur Reaktion auf einseitige Sauerstoffzufuhr be- fähigten, während andere wegen der ihnen zugeteilten Bestimmungs- elemente nur auf einen chemischen Reiz von Seiten des Dottermaterials reagieren könnten. Man sieht, dass die Weismann’sche Theorie mit unsrer Hypothese zunächst nicht im Widerspruch steht, ja sie bedarf ihrer sogar in solchen Fällen, wo sich einheitliche Gewebe oder Organe aus zerstreuten Elementen aufbauen. Wie sollten denn sonst die un- regelmäßig verteilten, aber spezifisch determinierten Zellen an den richtigen Ort gelangen? Wir könnten also im Anschluss an Weismann annehmen, dass die verschiedenen Gruppen der freibeweglichen Zellen ausschließlich eine ganz bestimmte Reizbarkeit besitzen. Nun ist aber durch die experimentellen Untersuchuugen zahlreicher Forscher festgestellt wor- den, dass von einer qualitativen Sonderung des Kernmaterials bei der Furchung nicht die Rede sein kann, sondern dass „die Furchung ein idioplasmatisch gleichartiges Material liefert“. Es liegt also kein Grund vor, z. B. die Zellen des Mesenchyms unter einander als idio- plasmatisch ungleichwertig zu bezeichnen, obgleich sie sicherlich von den Elementen des Körper- und Darmepithels — und vielleicht nicht nur äußerlich — verschieden sind. Wir werden so dazu geführt, das Schieksal der Mesenchymzellen von ihrer Lage abhängig zu machen: Diejenigen, welche in der Nähe Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Outogenese, 769 von nackten Axenzylindern liegen, werden zu Zellen der Schwann’- schen Scheide, während die in der Nähe von Endothelröhren gelegenen zur Bildung der Museularis oder Adventitia beitragen. Ebenso würde es sich mit den Wanderzellen der Trieladen verhalten, sie wären als unter einander gleich, wenn auch von den Zellen des primären Ekto- und Entoderms und des larvalen Pharynx als verschieden zu betrachten. Wenn es technisch ausführbar wäre, so müsste es also auch hier ge- lingen, vor beginnender Diiferenziation Zellen aus der äußeren Lage der Wanderzellen in die innere zu bringen; in dem einen Falle würden sie zur Bildung des Körperepithels beitragen, während im anderen Darmzellen aus ihnen entstehen würden. Wir könnten demnach kurz sagen, dass die freibeweglichen Zellen immer auf die Reize reagieren, deren Queile sie am nächsten liegen. Hierzu muss jedoch bemerkt werden, dass dieser Satz nur bei voll- kommener Gleichheit der Zeilen absolut bindend ist. Nun ist es aber möglich, dass sich die freibeweglichen Gewebezellen zwar in qualitativer, aber nicht in quantitativer Hinsicht gleich verhalten, d.h. dass zwar sämtliche auf alle Reize, welche in der Ontogenese eine Rolle spielen, reagieren können, dass aber ihre Reizstimmung für die einzelnen Reize verschieden ist, indem bei demselben Reiz die Reiz- schwelle für die einen höher oder tiefer liegt als für die anderen. Nehmen wir z. B. an, dass sich in einiger Entfernung von einer An- zahl Mesenchymzellen ein Bündel nackter Axenzylinder und in einer etwas größeren ein nacktes Endothelrohr befindet, so brauchen sich nicht alle Zellen dem Nervenbündel anzulegen, sondern es können auch einige von dem Blutgefäß angelockt werden. Es findet also sozusagen ein Kampf zwischen den beiden Reizen statt, und während in dem einen Falle der eine Sieger bleibt, behält im anderen der andere die Oberhand; die Entscheidung liefert dabei die jeweilige Reiz- stimmung der Zellen. Wir müssen an dieser Stelle daran erinnern, dass wir eine ähnliche Auffassung bereits früher S. 758 vertreten haben, als wir von den Richtungsbewegungen der „Furchungszellen“ bei Arthropoden sprachen. Auch dort nahmen wir an, dass sämtliche Elemente zwar auf alle auf sie wirkenden Reize zu reagieren ver- mögen, dass aber die heizschwelle für sie verschieden sei. Ueberwog bei den einen der chemische Reiz des Nahrungsdotters, so blieben sie entweder von allem Anfang an im Dotter oder wanderten sekundär in denselben ein; siegte dagegen die Aerotaxis, so krochen diese Zellen an die Oberläche, um sich an der Bildung des Blastoderms zu be- teiligen. Da nun schließlich alle Zeilen von der Eizelle abstammen und wir eine qualitative Sonderung der Anlagesubstanz verwerfen, so müssen wir annehmen, dass sich die quantitative Reizstimmung im Laufe der Entwicklung, ja selbst bereits während der Furchung ändern kann. In dem Abschnitt, welcher über die Veränderungen der Reiz- XIV. 4% 770 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. barkeit durch äußere Agentien handelte, haben wir oben gesehen, wie sehr die Reizstimmung von äußeren Bedingungen abhängig ist. In den Arthropodeneiern, im Mesenchymgewebe und in der Wander- zellenschicht der Süßwasserturbellarien, wo die einzelnen Zellen von einander entfernt liegen, dürften sich nicht alle unter den gleichen Bedingungen befinden. Ja es ist eigenartig, dass dies nicht einmal bei geschlossenen Furchungszellenhaufen der Fall zu sein scheint. Darauf deutet wenigstens — wie ich glaube — eine Beobachtung hin, welche ich in meiner ersten Mitteilung über den Einfluss der veränder- ten chemischen Zusammensetzung des Meerwassers auf die Entwick- lung der Seeigeleier erwähnt habe |23. I. Bei Zusatz einer gewissen Menge Chlorkalium zeigte sich nämlich in einzelnen Fällen, dass eine größere oder geringere Anzahl von Furchungskugeln abstarb und dass aus den übrigen normale Embryonen von verschiedener Größe hervor- singen. Die Furchungszellen, welche sich im übrigen als idioplasma- tisch gleichwertig erwiesen — insofern an den Zwergembryonen keine Organe fehlten —, besaßen also doch dem zugesetzten KCl gegenüber in quantitativer Hinsicht eine verschiedene Empfindlichkeit. Wir müssen schließlich noch betonen, dass die vorstehende Auf- fassung von der qualitativ gleichen, aber quantitativ verschiedenen Reizbarkeit der freibeweglichen Gewebezellen, nicht etwa eine Mög- lichkeit unter vielen ist, sondern dass wir einfach dazu genötigt werden, wenn wir die qualitativ ungleiche Verteilung der Anlagesubstanz ver- werfen. 2) An zweiter Stelle wollen wir auf zwei Fragen heterogenen Charakters hinweisen, welche noch der Erörterung bedürfen. Zunächst ist es nämlich klar, dass wir in den Richtungsreizen nur die Ursache für eine örtliche Ansammlung, aber nicht die für die spezifische dem Ort entsprechende Differenzierung zu erblieken haben. Worin diese letztere besteht, soll neben anderen Fragen im 2. Haupt- teil dieser Serie untersucht werden, welchen ich in Bälde zu veröffent- lichen gedenke. Sodann treten aber auch noch an uns die bedeutungsvollen Fragen heran, warum die freibeweglichen Gewebezellen überhaupt auf spezi- fische Reize reagieren, warum ferner bestimmte Körperelemente spezi- fische Reize ausüben, und warum schließlich die Reizstimmung bisweilen in spezifischer Weise verändert wird. Da uns die Fragen über unser naturwissenschaftliches Gebiet hinausführen, werden sie erst in einer dritten Abhandlung besprochen werden. Wir werden hierbei die An- sichten von Driesch, welche er in seiner Biologie [10] und in seiner neuesten theoretischen Schrift |11| vertritt, zu berücksichtigen haben. Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien ver 3) Am Schlusse unsrer Untersuchungen über die taktischen Er- scheinungen in der Ontogenese angelangt, sei noch ganz besonders betont, dass ich mich nicht etwa dem Glauben hingebe, es träfen sämtliche spezielle Erörterungen das Richtige, und es wäre dabei nie über das Ziel hinausgeschossen worden. Von dem einen aber bin ich fest überzeugt, nämlich dass das Gesamtresultat auf sicherem Grunde steht: Ebenso wie freibewegliche Organismen durch äußere Agentien in ihrer Bewegungsrichtung beeinflusst werden, so reagieren auch selbständige Gewebezellen auf be- stimmte Richtungsreize und ermöglichen dadurch das Zustandekommen einer ganzen Anzahl ontogenetischer Gestaltungsprozesse. Endlich mag noch einmal erwähnt werden, dass mir es nicht etwa daran lag, sämtliche mutmaßlichen taktischen Erscheinungen in den verschiedenen Embryonalentwicklungen aufzuzählen — dies wäre eine endlose Reihe geworden —; nur die Leistungsfähigkeit der Hypothese wollte ich an einigen Beispielen darthun. Sollte mir das gelungen sein und sollte ich mich nicht auf ganz falschen Bahnen befinden, so wäre eine Hauptaufgabe der experimentellen Forschungs- richtung die, die Natur der einzelnen Richtungsreize genau zu ermitteln und eventuell auch in ihren Mechanismus tiefer einzudringen. Hierbei muss vor allen Dingen darauf geachtet werden, ob wir es bei der Zusammenlagerung einzelner Zellen mit einer Reizerscheinung oder mit einer Kapillarwirkung zu thun haben, was ja in den meisten Fällen ohne Schwierigkeit zu entscheiden sein dürfte. (Schluss folgt.) Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. (Schluss. ) Duges fand in den Behältern, worin er seine sich ungeschlecht- lich vermehrenden Planaria subtentaculata hielt, einzelne von nur 1'/, Linie Länge und glaubte, dass dieselben unlängst aus den Eiern ge- schlüpfte Junge seien. Nach den soeben angeführten Beobachtungen ist es ebenso gut möglich, dass auch diese auf ungeschlechtlichem Wege entstanden waren, da P. subtentaculata sich im wesentlichen so wie Polycelis cornuta zu verhalten scheint. Bei den von Duge&s unter- suchten Planarien ging die Teilungsebene immer hinter der Mundöffnung durch das Tier, was er Draparnauld gegenüber hervorhebt, welcher angegeben hatte, dass dieselbe vor dem Munde das Tier durchschnitte. Da Sekera (nach einem Referat von Braun) angibt, dass Pl. subtentaculata sich gelegentlich ausnahmsweise auch vor der Mund- öffnung durchschnürt, so klärt sich dieser Widerspruch leicht auf, 49 ar Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. außerdem wäre es auch noch möglich, dass bei sehr lebhafter unge- schlechtlicher Vermehrung sich bei dieser Planarie wie bei Polycelis cornıta so viel Stücken vom Hinterende des ursprünglichen Tieres loslösen, dass schließlich die vor dem Munde gelegene Region erreicht wird. Neuerdings wurde P. subtentaculata von Zacharias in einem Bache bei Hirschberg in Schlesien gefunden und die Angaben von Duges bestätigt und ergänzt. Schon während der vor sich gehenden Einschnürung entsteht die Anlage des neuen Kopfes in Gestalt eines kleinen weißen Zäpfchens und nach Verlauf von 24 Stunden sind an demselben bereits die beiden Augenpunkte zu erkennen. Gleichzeitig damit entsteht auch ein neues Schlundrohr aus Zellen des mittleren Keimblattes. Während an den beiden soeben erwähnten Planariden die Regene- ration des neuen Kopfes und Schwanzes in der Hauptsache erst nach der Trennung der beiden Teilstücke sich vollzieht, werden an der von Kennel auf Trinidad entdeckten Planaria fissipara diese Körperteile bereits vor der Trennung erzeugt. In der Mitte des hinteren Zooides entsteht ein neuer Pharynx und dicht hinter der Ringfurche die Gehirn- anlage. Die Ausbildung des neuen Darmabschnittes im Schwanzteil ist mit eigenartigen Resorptionsvorgängen verbunden. Bei den trieladen Turbellarien zieht bekanntlich von der Stelle aus, wo der Schlund in den Darm mündet, ein Darmschenkel nach vorn bis zum Kopf, zwei nach hinten, einer rechts, der andere links vom Schlund vorbei fast bis zur Hinterleibsspitze. Da nun bei Planaria fissipara die Teilungs- ebene wie bei den zwei bereits beschriebenen Planariden gleichfalls hinter der Mundöfinung das Tier durchschneidet, so wird zu Beginn der Regenerationsvorgänge auch die spätere Vorderhälfte des hinteren Zooides von zwei Darmschenkeln durchzogen. Der unpaare vordere Darmschenkel dieses hinteren Zooides entsteht nun nach Kennel in der Weise, dass das trennende Körperparenchym verdrängt und resor- biert wird, so dass die Lumina der beiden Darmäste zusammenfließen, während natürlich hinter der neuentstandenen Schlundanlage die beiden Darmschenkel getrennt bleiben. Der Zerfall in zwei Einzelindividuen erfolgt erst, wenn die Regenerationsvorgänge beendet sind. Die Teilung der P. fissipar«, welche abgesehen von der Anzahl der die Kette bildenden Zooide im wesentlichen derjenigen der Ste- nostomen gleicht, erscheint als ein höher ausgebildeter Zustand des bei den zwei vorher beschriebenen Planariden noch recht einfachen Vorganges. Die Regenerationsprozesse treten hier, sozusagen, verfrüht auf, indem sie dem wirklichen Trennungsakt, welcher eigentlich erst den Anstoß dazu geben sollte, beträchtlich vorauseilen. Auf der an- deren Seite liegen nun .auch noch Beobachtungen vor, welche die eigentümliche Vermehrungsweise in ihren allerersten Anfängen erkennen lassen. Kennel verwahrte sich in seiner oben angeführten Abhandlung Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. 713 allerdings dagegen, die gleich zu beschreibenden Teilungsvorgänge, welche Bergendal bei einer Landplanaride, Bipalium kewense, beobachtet hat, mit der ungeschlechtlichen Vermehrung in dieselbe Gruppe der Erschei- nungen zu bringen, wies aber bald nachher, im Grunde eigentlich nur noch gegen Unklarheit schaffende Verallgemeinerung protestierend und die Unterschiede betonend, in seiner Festrede „Ueber Teilung und Knospung der Tiere“ (Dorpat 1888) selbst darauf hin, dass sich die ungeschlechtliche Vermehrung aus der Fähigkeit der Regeneration in einfacher Weise hervorgebildet haben könne. Die folgende Zusammen- stellung einiger in der jüngsten Zeit gemachten Beobachtungen wird zeigen, dass irgend eine Kluft zwischen den auf äußere Reize ein- tretenden Zerschnürungen und den einfachen Teilungsvorgängen von Polycelis cornnta und Planaria subtentaculata in Wirklichkeit nicht besteht, und dass man Keller beipflicehten muss, wenn er sagt: „Auch andere Planarien, sowie Lumbriculus, Seesterne u. 8. w. teilen sich so, ohne krankhafte Zustände als Ursache der Teilung aufzuweisen. Es ist klar, dass die hilflosen Zooide, die hierbei entstehen, gegenüber einer durch Teilung erzeugten jungen Planaria fissipara sehr im Nach- teil sind, dessen ungeachtet ist auch diese unvollkommene Art der Teilung für eine spontane Fortpflanzung zu halten“. Die von Bergendal im Orchideenhause des botanischen Gartens zu Berlin gefundenen Bipalien waren ohne irgendwelche einleitende histologischen Vorgänge, nach Bergendal’s Vermutung höchst wahr- scheinlich ganz von selbst in zwei oder mehrere Stücke zerfallen, welche alle zu neuen ganzen Individuen sich zu regenerieren im Be- grifi waren oder dies bereits gethan hatten. Auf gröbere Verletzungen, wie z. B. das Abschneiden des vorderen Körperendes reagierten die Tiere dadurch, dass sie sich in zwei oder mehrere Stücke zerschnürten. Daher ist Kennel geneigt anzunehmen, dass auch im der freien Natur bei Bipalium Teilungen von selbst nicht eintreten, wenn nicht das Tier durch irgend eine schmerzhafte Verletzung, etwa durch den Biss eines Arthropoden veranlasst wird, seine Ringmuskeln ganz gewaltsam zu kontrahieren. Dies ist freilich vorderhand nicht zu entscheiden, aber wenn es, wie wir gleich sehen werden, möglich ist, gewisse Süßwasser- planarien schon dureh reichliche Fütterung zu veranlassen, sich von selbst zu teilen, so wird man wenigstens so viel ohne weiteres zugeben, dass bei manchen Turbellarienarten . auch die gesunden Tiere eine sroße Disposition zur Selbstteilung besitzen, infolge deren auch auf schwächere Reize hin sogleich die den Teilungsprozess einleitenden Vorgänge ausgelöst werden. Sekera machte bei Planaria albissima die Beobachtung, dass sich noch nieht geschlechtsreife Individuen bei Ueberfluss an Nahrung nicht selten teilen. Die Teilungsebene schneidet ziemlich weit vor der Mundöffnung, dieht vor der Stelle, wo der Pharynx in den Darın 774 Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. übergeht, durch das Tier, und das Schlandrohr geht daher bei der Durehschnürung regelmäßig verloren, indem es sich an seine Basis vom Darm ablöst und vom Schwanzteil ausgeworfen wird. Von den beiden Teilstücken starben die Schwanzteile öfters ab, während die Kopfteile sich stets regenerierten und in dem entstehenden hinteren Körperabsehnitt einen neuen Schlund bildeten. Ganz ähnliche Beobachtungen hatte ieh vor kurzem Gelegenheit, an Planaria alpina zu machen, doch waren es in diesem Falle nicht Exemplare, welche die Geschlechtsreife noch nicht erlangt hatten, sondern völlig erwachsene Tiere mit ausgebildeten Geschlechtsorganen, von denen die äußere Mündung deutlich zu erkennen war. Auch hier gab reichliche Fütterung die Veranlassung zur Zerschnürung. Die beiden Exemplare, um welche es sich handelt, waren bis zur Teilung durchaus frisch und von normalem Aussehen, so dass von krankhaften Erscheinungen nicht wohl die Rede sein kann. Sie befinden sich nebst etwa zwanzig anderen schon seit dem 9. August 1393, also seit etwas mehr als Jahresfrist in meiner Pflege und hatten mit den übrigen die stattliche Größe von ungefähr 15 mm erreicht. Im Verlauf des Winters wurden von den Planarien auch eine Anzahl Kokons abgelegt, ein Zeichen, dass die ihnen gebotenen Verhältnisse ihren natürlichen Existenz- bedingungen gut entsprechen. Am 23. Juli d. Js. nun fand ich ein Exemplar ohne Kopf; dieser war ungefähr 1!/;, mm hinter den Augen abgeschnürt und kroch für sich munter an der Glaswand herum. Er lebte etwas über eine Woche, dann aber ging er zu Grunde. Der Rumpf blieb am Leben und ist gegenwärtig (nach vier Wochen) dabei, einen neuen Kopf zu bilden. Die beiden Teile des anderen Exemplares wurden am 8. August gefunden; hier lag die Teilungsebene etwas weiter hinten, 1 mm vor der Mundöffnung. Die Durchschnürungsfläche war nieht gerade abgeschnitten, sondern unregelmäßig zerrissen und am Schwanzteil besonders hingen noch einige Hautfetzen, die in den nächsten Tagen abgestoßen wurden. Die Wundfläche beider Teile vernarbte schnell und am 15. August war die weiter vorgeschrittene Regeneration in Form eines weißen Zellpolsters zu erkennen. Doch ging der Schwanzteil am 18. August zu Grunde, während der Kopfteil am Leben blieb. Solche durechgesehnürte Tiere in mehr oder minder vorgeschrittener Regeneration habe ich hin und wieder auch im Freien gefunden, auch von Exemplaren, bei denen die Trennungsebene nieht vor, sondern hinter dem Munde hindurchgegangen war. Früher habe ich dergleichen für Teile von Tieren gehalten, welche durch Insekten- biss oder auf andere Weise verstümmelt worden waren, denn gerade die Teilstücke vor der Mundöffnung durchschnittener Tiere schienen mir darauf hinzudeuten, dass keine Selbstzerschnürung vorliege, da in den Fällen normaler ungeschlechtlicher Vermehrung die Teilungsebene hinter dem Munde liegt. Ich kann auch jetzt, nachdem ich die Tei- Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. 175 lung im Aquarium vor sich gehen gesehen habe, diese Zerschnürung, in Uebereinstimmung mit Kennel, nicht als einen normalen unge- schlechtlichen Vermehrungsakt bezeichnen, das heißt als einen solchen, dem jedes Individuum unterworfen ist, sondern glaube, dass nur eine beschränkte Anzahl die Teilung an sich vornimmt!). Aber ich möchte auch einen Vorgang, welcher auf so leichten Reiz ausgelöst wird, nicht unter die krankhaften Erscheinungen rechnen, in dem gleichen Sinne, wie man das Abwerfen des Schwanzes bei den Eidechsen nicht als pathologisch bezeichnen wird, da er auf einer in der Organisation des gesunden Tieres begründeten Einrichtung beruht. Ich hebe aus- drücklich hervor, dass in den von mir beobachteten beiden Fällen außer der reichlich aufgenommenen Nahrung irgendwelcher anderer wahrnehmbarer Anlass für die Zerschnürung nicht vorhanden war, da die Tiere nicht die geringste Störung erfahren hatten, sondern immer noch unter den gleichen Verhältnissen lebten, welche das ganze Jahr hindurch obgewaltet hatten. Die Planarien ‚befanden sich ganz allein in ihrem gut verdeckten Behälter, und auch der stets mit Vorsicht vorgenommene Wechsel des Wassers kann nicht den Anstoß gegeben haben, da derselbe in beiden Fällen eine längere Reihe von Tagen vor der Teilung stattgefunden hatte. Die Planariden sind beim Fressen außerordentlich gierig und Exemplare, deren Darm ganz gefüllt ist, saugen häufig von neuem, sobald ihnen wieder frisches Futter geboten wird. Wenn man P. alpina beim Fressen beobachtet, so kann man gelegentlich bemerken, dass Tiere, welche eine zu reichliche Mahlzeit zu sich genommen haben, den Inhalt des Darmes nicht durch den Schlund wieder entleeren, sondern dass unter dem Einfluss der starken Kontraktionen des Körpers, welche die aufgenommene Nahrung in die Blindsäcke der Darmschenkel zu verteilen suchen, gelegentlich die Haut platzt und ein Teil des Darminhaltes sich in Form einer kleinen Wolke in das umgebende Wasser ergießt. Die Wunde schließt sich und heilt bald wieder zu, mitunter einen hellen, dunkel umrandeten Fleck hinterlassend. Auch an frisch gefangenen Tieren sah ich ein paarmal solche Flecken, die möglicherweise den gleichen Ursprung hatten. Die Teilungserscheinungen der P. alpina in der freien Natur be- dürfen noch weiterer eingehender Untersuchung, denn nach kurzen Angaben von Zschokke und Borelli zu schließen, scheint in den Gewässern der Alpen die Zerschnürung viel häufiger stattzufinden als bei den im Siebengebirge und Taunus vorkommenden, deren Lebens- 1) Es empfiehlt sich, Kennel’s praktischen Vorschlag anzunehmen, dass man die nur auf bestimmte Reize hin bei einzelnen Individuen vorkommende Zerschnürung als Augmentation bezeichnen solle, um sie von der normal bei allen Individuen einer Species eintretenden Vermehrung durch Teilung oder der Divisio zu unterscheiden. 176 Voigt, Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Turbellarien. weise eingehend zu studieren ich in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt habe. Um zum Schluss kurz zusammenzufassen, so haben wir die Er- scheinungen, welche wir an Planaria alpina, P. albissima und Bipalium kewense wahrnehmen, als eine Vorstufe zu der regelmäßigen unge- schlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung zu betrachten, welche bei Polycelis cornuta und Planaria subtentacnlata auftritt; diese aber bilden wieder die Uebergangsstufe zu den komplizierten, mit vorbereitenden Regenerations- und Resorptionsprozessen verbundenen Verhältnissen der Planaria fissiv ara. Es liegt also hier eine ganz interessante Reihe vor, welche uns die einzelnen Stadien noch vor Augen führt, die nach der allgemeinen Ansicht über die phylogenetische Entstehung dieser ungeschleehtlichen Fortpflanzungsart von den Vorfahren der Planaria fissipara durchlaufen worden sind, denn man führt, wie oben näher auseinandergesetzt wurde, jetzt die Teilungsvorgänge direkt auf die tegenerationserscheinungen zurück, welche an verletzten Tieren auf- treten. Als Grundbedingung finden wir bei sämtlichen Turbellarien ein außerordentlich großes Reproduktionsvermögen entwickelt, welches im stande ist, selbst die wichtigsten Organe neu zu bilden und Körper- stücke, die viel größer sind, als der isolierte Teil, wieder zu ergänzen. Bei Planaria alpina, P. albissima und Bipalium kewense (gelegentlich auch bei Planaria polychroa und, neben der normalen ungeschlecht- lichen Fortpflanzung fortbestehend, auch bei P. subtentaculata) haben wir den ersten Schritt zur ungeschlechtlichen Vermehrung: ohne irgend- welche vorbereitende Vorgänge schnürt sich der Körper dureh und die Teilstücke regenerieren sich wie künstlich mit Messer oder Scheere abgeschnittene Stücke. Die Teilungsebene ist bei P. alpina und Bip. kewense noch nicht auf eine bestimmte Körperregion fixiert, sondern schneidet bald vor, bald hinter der Mundöffnung dureh, bei P. albissima aber scheint sie schon festgelegt zu sein und stets dicht vor der Stelle aufzutreten, wo der Schlund in den Darm übergeht). Der ganze Vorgang der Teilung ist bei allen dreien noch nicht zu einem regel- mäßig wiederkehrenden Fortpflanzungsakt geworden, sondern tritt nur bei bestimmten Veranlassungen ein, aber doch bei Planaria al; ina und Bipalium kewense so häufig, dass eine immerhin merkliche Vermehrung der Individuenzahl dadurch stattfindet. Die nächste Stufe zeigt uns Polycelis cornuta. Hier ist die Teilungsebene in eine bestimmte, hinter der Mundöffnung gelegene Zone verlegt und die Teilung zu einer normal bei allen Individuen auftretenden Fortpflanzungsart geworden. Die die äußere Körpergestalt wiederherstellenden Regenerationsvor- 4) Der Wortlaut des böhmisch geschriebenen Aufsatzes von Sekera ist mir leider wegen Unkenntnis der Sprache nicht verständlich und musste ich mich an die Abbildungen und ein Referat Braun’s im Archiv für Natur- geschichte halten, v. Lendenfeld, Verdauung bei Infusorien und Plasmodien. AL gänge treten hier erst nach der Trennung auf, im Inneren aber ist die Ausbildung des Schlundes bereits vor der Trennung mehr oder minder weit vorgeschritten. Planaria subtentaculata führt uns einen kleinen Schritt weiter, indem bei ihr nach Zacharias der neue Kopf an dem sich eben abtrennenden Schwanzteil bereits in seinen ersten Anfängen angelegt ist. Das Schlussglied bildet Planaria fissipara, bei welcher alle Organe fertig ausgebildet sind, ehe die Trennung sich vollzieht. Da die ungeschlechtliche Vermehrung der Turbellarien auf einer Eigenschaft beruht, welehe allen Mitgliedern dieser Ordnung zukommt, so vertritt Kennel die wohlbegründete Ansicht, dass die Fähigkeit sich zu teilen, bei den einzelnen Arten selbständig und unabhängig von den anderen sich ausgebildet hat und nicht durch nähere ver- wandtschaftliche Beziehungen der Vorfahren von einer der sich jetzt dureh Teilung fortpflanzenden Arten auf die andere übertragen wor- den ist. Voigt (Bonn). Einige neuere Arbeiten über die Verdauung bei Infusorien und Plasmodien. Von R. v. Lendenfeld in Uzernowitz. [1] M. Greenwood, On the Constitution and mode of formation of food vacuoles in Infusoria, as illustrated by the history of the processes of digestion in Carchesium polypinum (Abstract). Proceedings of the Royal Society of London, Bd. 54, p. 466—472. [2] M. Greenwood, On the Constitution and mode of formation of „Food Vacuoles* in Infusoria, as illustrated by the history of the pro- cesses of digestion in (archesium polypinum. Philosophical Trans- actions of the Royal Society of London, Bd. 185, p. 355—383, mit 1 Tafel. [3] M. Greenwood und E. R. Saunders, On the röle of acid in proto- zoan digestion. Journal of Physiology, Bd. 16, pag. 441—467, mit 1 Tafel. [1] ist eine vorläufige Mitteilung von [2]. In |2] wird das Schick- sal der von Carchesium aufgenommenen Nahrung und ihr Weg durch den Körper des Infusors beschrieben. |3] behandelt die Frage nach der Reaktion der Flüssigkeit in den Nahrungsvakuolen von Carchesium und von einigen Plasmodien. Zu Beobachtungen über die Verarbeitung der aufgenommenen Nahrung eignet sich Carchesium trotz der häufigen und starken Stiel- kontraktionen wegen seiner Durchsichtigkeit besonders gut. Die Carchesien wurden im hängenden Tropfen beobachtet und mit Tusche, Karmin, schwefelsaurem Alizarin, feinverteiltem Eiweiß, Milch ete. gefüttert. Die Wimperbewegung strudelt die im umgebenden 71S v. Lendenfeld, Verdauung bei Infusorien und Plasmodien. Wasser suspendierten Körperchen in den Schlund hinem und am Grunde desselben werden sie gruppenweise — gleichgiltig ob verdau- lieh oder nicht — in die Körpersubstanz hineingezogen. Dies gilt jedoch nur für kleine Körperchen. Größere Dinge, wie z. B. die großen Milchkügelchen, werden nicht häufig genommen. Bei kräftigen Exemplaren, welche hinreichend mit aufnahmsfähigen Körperchen ver- sorgt werden, beobachtet man, dass alle 40 Sekunden etwa ein am Schlundgrunde angesammeltes Materialhäufehen zugleich mit einer Quantität Wasser aufgenommen wird. Man hat dann dicht unter dem Schlundgrund eine Vakuole, die mit Wasser gefüllt ist, in welchem die aufgenommenen Körperchen zerstreut herumschwimmen. In einem Zeitraum von meist etwa 10 Sekunden wandert diese Nahrungsvakuole nach abwärts bis zum Scheitel des Kernbogens. Hier wird die Bewegung sistiert und die Vakuole bleibt nun etwa 20 Se- kunden ruhig liegen. Jetzt tritt ganz plötzlich eine Aenderung in der Anordnung des Materials in der Vakuole ein: die in der Vakuolen- flüssigkeit suspendierten Körperchen werden mit einem Male zusam- mengerafit und zu einem in der Mitte der Vakuole oder excentrisch gelegenen Klumpen vereint. Diese merkwürdige Erscheinung, welche G. stets und sicher beobachten konnte, wird darauf zurückgeführt, dass während der Ruhepause in der Nähe des Kernbogenscheitels, vom Carchesium-Plasma aus ein Sekret in die Vakuole hinein ergossen wird, welches Sekret dann plötzlich sich verdichtet (koaguliert?) und alle in der Vakuole suspendierten Körperchen mit sich reißt. Hierauf beginnt die Nahrungsvakuole wieder oralwärts zu wan- dern und erreicht in 1—-2 Minuten die Körpermitte, wo sie vorläufig dauernd zur Ruhe kommt. In der Regel verkleinert sich hier all- mählich die Vakuole, indem ihre Flüssigkeit vom umgebenden Plasma mehr oder weniger vollständig resorbiert wird, und der in der Va- kuole enthaltene, zu einem dichten Ballen zusammengeschlossene Körnchenhaufen bleibt nun längere Zeit, !/,;—20 Stunden unverändert liegen. Nach Ablauf dieser Ruhepause bildet sich um den Körperchen- Ballen eine neue Vakuole und jetzt beginnt erst die eigentliche Auf- ‚lösung, Verdauung des löslichen Teiles des Ballens. 15—20 Minuten nach Bildung dieser neuen Verdauungs-Vakuole bemerkt man schon (falls der Ballen aus verdaulichen Stoffen besteht) ein Duresichtiger- werden und Aufquellen desselben. Nach einer Stunde wird eine be- deutende Verkleinerung verdaulicher Ballen wahrgenommen. Nach- dem alles Verdauliche aus dem Ballen ausgelangt ist, bleibt er oft noch eine Zeit liegen und wandert dann langsamer oder schneller gegen jenen nahe dem Eingang gelegenen Punkt des Schlundes hin, an welchen die unverdauten Reste der Ballen schließlich ausgestoßen werden. Das Ausstoßen dieser Exkremente wird durch mechanische Reizung stark beschleunigt. Wenn die Ballen ganz und gar aus unverdau- Nusbaum, Extremitätenanlagen bei den Isopodenembryonen. 779 liehen Stoffen (Tusche, Karmin ete.) bestehen, so kommt es meist gar nieht zur Bildung einer Verdauungsvakuole und die Ballen werden sehr bald (30-50 Minuten nach der Aufnahme) wieder ausgestoßen. Die Ausstoßung namentlich solcher Ballen wird durch mechanische Reizung stark beschleunigt. Die natürliche Nahrung von Carchesium sind ‚Bakterien. G. hat zuweilen bis hundert mehr oder weniger verdaute Bakterien-Ballen in enem Exemplar gefunden. In Betreff der Natur der Flüssigkeit in den Verdauungsvakuolen [3] sind Greenwood und Saunders zu folgenden Schlüssen ge- kommen: Die Aufnahme fester Körper veranlasst das Plasma (von Car- chesium und den Plasmodien gewisser Mycetozoen) zur Secernierung einer saueren Flüssigkeit, welche bei Carchesium in Gestalt einer Va- kuole den aufgenommenen Körperchenballen umgibt, bei den Plasmo- dien aber die aufgenommenen Körper nur durchtränkt, ohne größere Flüssigkeitsansammlungen (Verdauungsvakuolen) zu bilden. Die Ver- dauung beginnt mit dem Auftreten der Säure und endet mit ihrem Schwinden. Die Wirkung auf Congorot beweist, dass diese Säure eine freie Säure ist. Kohlensäure kann sie nach G. und S. nicht sein. Die Verfasserinnen halten es für wahrscheinlich, dass es eine Mineral- säure sei. Sie meinen wohl Salzsäure, wagen aber auf Grund ihrer Beobachtungen nicht dies auszusprechen. Einige Bemerkungen über die Extremitätenanlagen bei den Isopodenembryonen. Von Jözef Nusbaum in Lemberg. Herr Dr. A. Jaworowski hat!) in den Holzschnitten Fig. 1u.2 Teile von Abbildungen aus meiner Arbeit „Materialien zur Embryogenie und Histogenie der Isopoden“, die in polnischer Sprache in den Denk- schriften der Akademie der Wissenschaften in Krakau im Jahre 1895 veröffentlicht wurde (Fig.36u.45 Taf. III), wiedergegeben; er bezeichnete aber die verschiedenen Teile meiner Abbildungen (Holzschnitt Fig. 2 in der Arbeit von Dr. J.) so irreleitend, dass ich es für notwendig halte, die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf diesen Punkt zu lenken. Die Extremität des Embryos von Ligia und Oniscus besteht nach meinen Untersuchungen aus einem ungegliederten, äußeren, provisorischen 1) „Die Entwicklung der sog. Lungen bei den Arachniden u. 3. w.“, Zeit- schrift f. wiss. Zoologie, Bd. 58, Heft I, 1894. 780 Rosenthal, Kleinere Schriften und Briefe von Robert Mayer. Nebenaste: Exopodit, und aus einem inneren gegliederten!) Hauptaste, dessen zwei proximale Glieder als Protopodit und die fünf distalen als Entopodit zu deuten sind. Der Exopodit sitzt dem zweiten Gliede des Protopoditen an (vergl. die Fig. 9, 10, 11 in meiner polnischen oben zitierten Arbeit). Nun aber bezeichnet Jaworowski diesen äußeren Nebenast der zweispaltigen Extremität mit dem Namen „Epipodit“ und führt also eime ganz neue, aber unbegründete Terminologie in die Wissenschaft ein, denn nach der von den meisten Zoologen angenom- menen Terminologie werden als Epipoditen Anhänge des Protopodits des Hauptastes, die in der Regel dem Basalgliede desselben zugehören, bezeichnet, der Nebenast aber, den ich abgebildet und mit exop be- zeichnet habe (Fig. 35, 9, Ilu.a.) gehört, wie es mehr fortgeschrittene Stadien sehr deutlich aufweisen, dem zweiten Gliede des Protopodites an. Außer diesem Nebenaste, den man nur als Exopoditen bezeichnen kann, gibt es keinen einzigen Ast mehr, keine einzige Aussackung des Haupt- astes, und das, was Jaworowski auf meiner Abbildung (die Wieder- gabe der Abbildung im Holzschnitte in der Arbeit von Jaworowski ist nieht ganz richtig) als eine „Aussackung“ betrachten zu müssen glaubt und mit dem Namen „Exopodit“ bezeichnet, ist nichts anders als eine einfache Ringfalte am inneren Aste der Extremität, eine Ringfalte an der Grenze zwisehen zwei nachbarten Gliedern des Hauptastes! Nach außen von jeder Extremitätanlage (mit Ausnahme der vier vordersten Paare) erscheinen außerdem schildförmige rundliche Ver- diekungen des Ektoderms, die eine ganz ähnliche Lage haben wie die Stigmenöffnungen in den Keimstreifen der Tracheaten?). Ueber den morphologischen Wert dieser zur Bildung der Pleuren und Epimeren beitragenden, provisorischen Gebilde habe ich schon in meiner oben zitierten polnischen Arbeit eine Meinung ausgesprochen und werde dieselbe hier nicht wiederholen. Kleinere Schriften und Briefe von Robert Mayer. Nebst Mitteilungen aus seinem Leben. Herausgegeben von Dr. Jakob J. Weyrauch, Professor an der technischen Hochschule zu Stuttgart. Mit 2 Abbildungen. 8. XVI u. 503 Stn. Stuttgart. J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger. Julius kobert Mayer hat noch zu seinen Lebzeiten eine Samm- lung seiner Schriften veranstaltet, welche 1567 in erster, 1874, dureh 1) Einer solchen 6 liederung unterliegen natürlich nur die thorakalen Ex- tremitäten. In den abdominalen bleiben die beiden Aeste ungegliedert und blattförmig. 3) Vergl. J. Nusbaum; Beiträge zur Embryologie der Isopoden. Biol. Centralblatt, 1991 und Derselbe, Zur Morphologie der Isopodenfüße. Biol. Centralblatt, 1891. Rosenthal, Kleinere Schriften und Briefe von Robert Mayer. 7s1 fünf Vorträge naturwissenschaftlichen Inhalts vermehrt, in zweiter Auflage erschien. Von dieser Sammlung veranstaltete Herr Weyrauch eine dritte, ergänzte und mit historisch -literarischen Mitteilungen ver- sehene Auflage. Was in dieser nicht Platz gefunden hat, das bietet er jetzt in diesem zweiten Bande: Briefe von und an Mayer, Mayer’s Doktordissertation, das Tagebuch der Reise nach Ostindien, kleine, zum Teil bisher ungedruckte Aufsätze, Nachrichten über sein Leben, Aeußerungen verschiedener Autoren über Mayer und seine Schriften, Rezensionen, die Mayer über Schriften Anderer abgefasst hat u. s. w. Man kann das Buch füglich mit einem Museum vergleichen, in welchem von der Hand eines Vercehrers alles gesammelt und aufgestellt ist, was vonMayer stammt oder auch nur in irgend einem, manchmal nur losem, Zusammenhang mit ihm steht. Ueber Mayer’s Anteil an der Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie sind die Akten geschlossen. Die Nachwelt hat kein Unrecht an ihm gutzumachen, da schon bei seinen Lebzeiten das wahre Verhältnis richtig gestellt worden ist. Hat es längerer Zeit bedurft, bis seine Zeitgenossen den wahren Sinn seiner neuen An- schauungen erfassten, so kann uns das nicht verwundern, da er dies Geschick mit vielen teilt, welche neue Gedanken vortrugen, für deren Verständnis die Zeit noch nicht reif war. Hat nicht selbst der große Faraday dasselbe Geschick mit seinen theoretischen Anschauungen über Elektrizität gehabt? Und dabei war Faraday ein wegen seiner Spezialuntersuchungen bekannter und von den Fachgenossen hoch- geschätzter Forscher. Mayer dagegen war nicht nur unbekannt; er zeigte auch in seiner ersten Publikation eine mangelhafte Kenntnis der Ge- biete, deren Reform er in Angriff nahm; seine Ideen waren noch nicht ausgereift, als er mit ihnen an die Oeffentlichkeit trat, und er konnte anfangs seine Behauptungen nicht mit genügenden Beweisen stützen. Mayer war durch Nachdenken zu einer der großartigsten allgemeinen Induktionen gelangt, aber nicht auf der Grundlage umfassender De- tailkenntnis, sondern durch eine Art von Intuition, wie es häufig bei großen Entdeckungen der Fall gewesen ist. Er teilte seine Entdeckung der Welt in der Form einer deduktiven Ableitung aus einigen allge- meinen und ziemlich unbestimmten Sätzen wie „causa aequat effeetum“, „mil fieri ex nihilo*, „nil fieri ad nihilum“ mit. Für die von ihm un- zweifelhaft zuerst ausgesprochene wichtige Beziehung zwischen Wärme und mechanischer Arbeit fand er mit genialem Griff die einzige, damals vorhandene thatsächliche Beweisführung in dem Unterschied der spe- zifischen Wärmen der Gase bei konstantem Druck und bei konstantem Volum. Dass er bei der Berechnung des mechanischen Aequivalents der Wärme zu einem falschen Wert kam, dass er die sogenannte lebendige Kraft (wir sagen jetzt besser Energie) bewegter Massen der Gesehwindigkeit statt dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional 782 Rosenthal, Kleinere Schriften und Briefe von Robert Mayer. setzte, vermindert für uns heute, da wir den Wert seiner Entdeckung begreifen, ihren Wert nicht. Für seine Zeitgenossen aber musste sicherlich der Mangel an positiven Kenntnissen in Physik und Mechanik und die unklare von ihm gewählte Terminologie dem Eindringen seiner Lehre große Hindernisse bereiten. Wenn diese Zeitgenossen statt seiner Behauptungen und ungenauen Berechnungen Beweise durch Versuche oder exakten mathematischen Kalkul verlangten, so waren sie vollkommen im Recht. Diese konnte freilich der in seiner Praxis steckende Arzt in dem kleinen schwäbischen Städtchen, fern von allen Hilfsmitteln und ohne genügende Vorbildung, nicht liefern. Es fehlte ihm auch vollkommen das Verständnis dafür. Er erklärt in seinen Briefen, zu Experimenten habe er keine Zeit, oder berichtet über einen oberflächlichen Versuch mit Erwärmung von Wasser durch Schütteln. Noch naiver ist die Mitteilung, dass er den Mechaniker Stöhrer in Leipzig beauftragt habe, „auf seine Kosten“ die Versuche zu machen; dieser habe aber gar nicht geantwortet. Als dann aber durch Joule, Helmholtz u. A. die fehlenden Beweise beigebracht waren, da erinnerten sich die Fachgenossen sehr wohl dessen, der die neue Wahrheit zuerst ausgesprochen hatte, und Ehrenbezeugungen und Anerkennungen wur- den ihm in reichstem Maße zu Teil. Für die Physiologie ist Mayer’s Entdeckung von ungeheurer Bedeutung gewesen. Und wie er, von einer allerdings auch nicht ganz einwandsfreien physiologischen Ueberlegung ausgehend, zu seiner die Vorgänge des Weltalls umfassenden Verallgemeinerung kam, so hat er auch schon in seiner ersten etwas ausführlicheren Schrift (der zweiten in der Reihe seiner Veröffentlichungen) die Folgerungen für die physiologischen Vorgänge mit Schärfe und Vollständigkeit gezogen. Durch diese Schrift (Die organische Bewegung in ihrem Zusammen- hang mit dem Stoffwechsel. Heilbronn 1845) wurde Lavoisier’s Erklärung des Stoffwechsels als eines Oxydationsprozesses für die Physiologie erst fruchtbar !). Den Physiologen werden deshalb auch aus dem vorliegenden Buche die Briefwechsel zwischen Mayer und seinen Freunden, welche der Abfassung dieser Schrift unmittelbar vor- hergingen, besonders interessieren, weil aus ihnen zu ersehen ist, wie Mayer selbst nach und nach zu größerer Klarheit über seine Ent- deckung gelangte und von der fortwährenden Wiederholung des all- gemeinen Satzes zur Durcharbeitung der Einzelnheiten gelangte, die seiner Arbeit erst die thatsächlichen Unterlagen und damit den höheren wissenschaftlichen Wert verschafften. Diese Briefwechsel zwischen Mayer und dem Mathematiker Baur, sowie zwischen Mayer und Griesinger halte ich deshalb auch für eine der wertvollsten Gaben, welche der vorliegende Band bringt. Der letztere ist schon früher von Preyer veröffentlicht worden, erhält 1) Vergl. meinen Vortrag über Lavoisier. Biol. Centralbl., X, 513 ff. Bowditch, Zusammengesetzte Photographien. aber erst durch den Baur’schen seine notwendige Ergänzung und damit den vollen Wert. Die anderen mitgeteilten Briefe, namentlich die Familienbriefe ebenso wie die autobiographischen Aufzeichnungen zeigen mehr den Menschen (und zwar einen sehr liebenswürdigen, auch da, wo etwas Eitelkeit mitspielt) als den Grübler und Forscher. Die wissenschaftlichen Aufsätze sind neben den in der „Mechanik der Wärme“ gesammelten von untergeordneter Bedeutung. Weder die Doktordissertation noch der Aufsatz über die Wildbader 'Thermal- wässer haben erheblichen wissenschaftlichen Wert, und diejenigen, welche die gleichen Gegenstände behandeln wie seine Hauptschriften, fügen zu diesen auch nichts Neues von Bedeutung. Vielleicht hätte der Herausgeber besser gethan, aus seiner Sammlung dieses und jenes fortzulassen, z. B. den Abschnitt XXII „Mayer als Rezensent“, der gar nichts bietet, das des Neudrucks wert erscheint. Aber ihm als glühenden Verehrer erschien wohl alles wichtig, was mit seinem Helden zusammenhing. Trotzdem werden auch nüchterne Besucher des von ihm errichteten „Museums“ die in demselben aufgestellten Reliquien mit Pietät betrachten. Und wenn der Herausgeber in der Vorrede meint, dass seine Sammlung auch kulturgeschichtlichen Wert haben könne durch Festhaltung des Lokal- und Zeitkolorits, so stimme ich ihm darin aus voller Ueberzeugung bei. J. Rosenthal. H.P.Bowditch, Are composite photographs typical pietures? Me Clure’s Magazine for September, 1894. B Im Jahre 1878 machte Francis Galton (Nature, May 23) den Vorschlag, durch Vereinigung der Photographien einzelner Individuen typische Portraits ganzer Gruppen zu beschaffen. Seitdem hat Herr B. in mehrfachen Publikationen sich bemüht, dem Verfahren mehr Ein- gang zu verschaffen, zumal es namentlich für anthropologische Zwecke Nutzen verspricht. Eine Anzahl von Photographien einzelner Individuen derjenigen Gruppe, von welcher man ein „typisches“ Porträt zu erhalten wünscht, werden nacheinander auf einer und derselben Platte photographisch reproduziert. Die Expositionszeit wird so kurz gewählt, dass jede einzelne der primären Photographien auf der nicht sehr empfindlichen sekundären Platte nur ein sehr schwaches, kaum sichtbares Bild geben würde. Indem sich aber die auf gleichgelegene Punkte der sekun- dären Platte fallenden Wirkungen addieren, entsteht ein Bild, welches alle Züge, welche den Einzelbildern gemeinsam sind, deutlich wiedergibt, während die besonderen Eigentümlichkeiten der Einzel- porträts nur schattenhaft bleiben und kaum sichtbar sind. Selbst- verständlich muss Sorge getragen werden, dass gewisse Hauptpunkte, 184 Ewald, Einfluss des Liehts auf den Gaswechsel. namentlich die Augen der in gleicher Größe aufgenommenen Einzel- bilder stets auf dieselben Stellen der Hauptplatte projiziert werden. Herr B. sucht nun an einigen Beispielen zu zeigen, dass dies Ver- fahren wirklich geeignet ist, typische Bilder zu liefern. Was an seinen Bildern sofort in die Augen fällt, ist der schon von Galton hervor- gehobene Umstand, dass die „zusammengesetzten Porträts“ stets schöner erscheinen als die der einzelnen Individuen, aus denen sie entstanden sind, weil die kleinen Unregelmäßigkeiten, welche die einzelnen Ge- sichter entstellen, fortfallen. Es wäre gewiss von Nutzen, wenn das Verfahren öfter angewandt würde, um zunächst festzustellen, was es zu leisten vermag. Herr B. betont mit Recht, dass hier den jetzt so zahlreichen Amateurphoto- graphen ein Feld nützlicher Beschäftigung geboten ist. Die zur Aus- führung des Verfahrens notwendigen Einrichtungen lassen sich an jeder Camera leicht anbringen. Als Beispiel der Anwendung des Verfahrens für anthropologische Zwecke gibt Herr B. Kompositphotographien von Soldaten der säch- sischen Armee deutscher und wendischer Abstammung. Je 12 Einzel- bilder wurden zu einer typischen Photographie zusammengesetzt; von solchen Typen sind 2 deutsche und 2 wendische nebst den entsprechenden Einzelbildern wiedergegeben. Während die je zwei derselben Natio- nalität einander sehr ähnlich sind, unterscheiden sie sich von den beiden anderen deutlich durch bestimmte Charaktere, besonders in der Form der Unterkiefer und der Stirn. Daraus folgt, dass 12 pas- send gewählte Individuen schon genügen, um ein typisches Bild zu geben. Aber es ist klar, dass der wissenschaftliche Wert solcher Typen erst wird beurteilt werden können, wenn zahlreichere Ver- suche vorliegen werden. J. Rosenthal. Carl A. Ewald, T'he influence of light on the gas exchange in animal tissues. Journal of physiology, Suppl.-Nr., 1892. Die Frage, ob Licht einen unmittelbaren Einfluss auf die Lebens- thätigkeit tierischer Gewebe ausübe, ist oft untersucht worden, aber nicht immer mit der notwendigen Vorsicht zur Ausschließung von Ver- suchsfehlern. Verf. arbeitete an durch Curare unbeweglich gemachten Fröschen. Unter diesen Umständen war kein Einfluss nachweisbar; das beweist, dass die Einwirkung bei pflanzlichen Geweben ausschließ- bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Dame in ne: 24 Nummern ı von je 94 Bogen bilden einen Bader Preis des Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xIv. ‚Band. 15. November 1894. Mm. 2. Nie Ele Auffassuhep; von Vor eh in der tierischen ee IE ei w Nagel, Ein Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes augenloser Tiere. — Exner, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen. C. E. Brown-Sequard. (1817—1894.) Von E. Gley. So thätig war noch Brown-Sequard, so wenig angegriffen waren sein Geist und sein Gemüt, dass man trotz des vorgerückten Lebensalters, zu dem er gelangt war, seinen Tod zwar nicht als vor der Zeit, aber doch als unerwartet erfolgt bezeichnen darf. Nur seine intimen Freunde wussten es, dass der zwei Monate zuvor erfolgte Tod seiner Frau ein Schlag war, von dem er sich nicht wieder erholen würde. Es gehörte gerade zu den hervorstechendsten Eigentümlich- keiten im Wesen Brown-Sequard’s, dass ihm die Eigenschaften frisch erhalten blieben, die im Allgemeinen Eigentum der Jugend sind: der lebhafte Verstand, die leichte Auffassungsgabe, eine reiche Phantasie, eine so starke Wissbegierde, dass er fortwährend mit dem größten Interesse die Entwicklung der Physiologie in allen Ländern verfolgte, eine außergewöhnliche Leistungsfähigkeit. Er wurde am 8. April 1817 in Port-Louis auf Mauritius geboren. Sein Vater war Amerikaner, hieß Brown und stammte aus Phila- delphia, seine Mutter, deren Name Sequard war, war Französin (ihre Mutter war auf Mauritius geboren, als die Insel noch zu Frankreich gehörte). Brown-Sequard kam 1838 nach Paris. Folgende Anekdote erzählte mir sein Schüler und Freund Dr. E. Dupuy: Er hatte ein Empfehlungsschreiben an Charles Nodier, das er ihm zusammen mit einem Roman überbrachte. Nodier las ‘den Roman und riet ihm davon ab, mehr dergleichen zu verfassen. Bekanntlich erging es Claude Bernard ähnlich, als er sich bei seiner Ankunft in Paris XIV. DO 86 C. E. Brown - Sequard. Saint-Mare-Girardin mit einem Empfehlungsbrief und einer fünf- aktigen Tragödie vorstellte; die Tragödie des Einen, so scheints, war eben so wenig wert als der Roman des Anderen, und Saint-Mare- Girardin machte es ebenso wie Nodier. Und so wurde Brown- Sequard, wie Claude Bernard, Student der Medizin. Ob die Litteratur durch diesen Wechsel der Bestimmung Beider etwas verloren hat? Die Wissenschaft hat jedenfalls dabei gewonnen. Brown-Sequard wurde 1846 Doktor der Medizin, nachdem er am Krankenhaus Hilfsarzt unter Trousseau, zur selben Zeit wie Ch. Robin, und unter Rayer gewesen war. 1849 hatte er im Militär- lazareth du Gros-Caillou während der ganzen Dauer der Cholera- epidemie die Stellung eines Hilfsarztes. 1852 verließ er Frankreich. Als begeisterter Republikaner hatte er mit den Waffen in der Hand die Freiheit gegen den Staatsstreich verteidigt; er befürchtete mit Recht behelligt zu werden und ging nach Amerika. Damit beginnt die lange englisch-amerikanische Periode seines Lebens, in deren Verlauf er so viel Geduld und Energie ent- wickelte und so viele geistige Fähigkeiten bewies. Er begann damit, sich, um genug Zeit zur Erlernung der englischen Sprache zu haben, auf einem Segelschiff einzuschiffen. Nach seiner Ankunft in New-York gab er französischen Unterricht und hielt bald darauf zu gleicher Zeit Vorlesungen über Physiologie. 1853 finden wir ihn in Richmond (Virginia) als Professor der Physiologie. Als dann im nächsten Jahr auf Mauritius die Cholera wütete, eilte er ohne Zögern seinen Lands- leuten zu Hilfe; ein Hospital mit Cholerakranken wurde ihm anver- traut. Ende 1854 kehrte er in die Vereinigten Staaten zurück. 1855 war er in New-York Dozent für Physiologie und zu gleicher Zeit praktischer Arzt. Im selben Jahre kehrte er nach Paris zurück und arbeitete dort ungefähr zwei Jahre lang in einem kleinen Laboratorium, das er in einem Hause in der rue Saint- Jacques mit Charles Robin auf ge- meinschaftliche Kosten eingerichtet hatte; dort bekam er einige Schüler, mit denen er von da ab stets im Verkehr blieb, nämlich M. Rosen- thal, später Professor der Neuropathologie an der Universität Wien; Westphal (aus Berlin); Czermak; Laboulbene. Aber 1857 ging er nach England auf die Aufforderung hin, an mehreren Universitäten, in Edinburgh, Glasgow, an der medizinischen Schule in Dublin Vor- lesungen zu halten. 1858 gründete er auf seine Kosten in Paris das Journal de physiologie, das von seinen Arbeiten erfüllt ist; dank seiner außer- ordentlichen Thätigkeit.konnte es bis 1364 bestehen. Noch heute ist es eine der wertvollsten Sammlungen von Aufsätzen. Dieser Abschnitt seines Lebens verteilt sich auf Paris und London. 1858 lehrte er am College of surgeons in London und hielt seine berühmten Vorträge C. E. Brown- Sequard. 187 über Physiologie und Pathologie des Centralnervensystems (Phila- delphia 1860). Von diesen Vorlesungen her datiert sein großer Ruf als Arzt, als Neuropathologe. Ende 1859 wurde er zum Arzt am Krankenhaus für Paralytiker und Epileptiker in London ernannt und blieb bis 1863 in dieser hervorragenden Stellung. 1563 finden wir ihn dann wieder als Professor für Physiologie und Pathologie des Nervensystems an der Harvard Universität in den Vereinigten Staaten. 1567 kehrte er nach Frankreich zurück. 1868 gründete er mit seinen Freunden Vulpian und Chareot die Archives de physio- logie normale et pathologique, deren einziger Leiter er 1889 werden sollte. Im selben Jahre erhielt er den Auftrag, an der Pariser medizinischen Fakultät Vorlesungen über vergleichende und Experi- mentalpathologie zu halten, den er von 1869 bis 1872 mit großem Er- folg ausführte. Gerade während des Feldzuges von 1870 befand er sich auf Reisen in den Vereinigten Staaten; er hielt dort Vorträge, deren Erlös er für die Verwundeten nach Frankreich schickte. 1872 verzichtete er auf seine Stellung an der medizinischen Fakultät, damit Vulpian auf diesen Lehrstuhl kommen und seine Professur für pathologische Anatomie, die er bis dahin innehatte, an Charcot überlassen könnte, und kehrte wieder nach Amerika zurück, um sich in New-York als Arzt niederzulassen. Er gründete dort die Archives of seientifie and practical Medicine. In diesem Blatt erschien sein erster Aufsatz über Hemmung. Drei Jahre später verließ er definitiv die Vereinigten Staaten und nahm seinen Wohnsitz in London. Nach Paris kehrte er 1875 zurück. 1877 nahm er den Ruf auf den Lehrstuhl für Physiologie an der Universität Genf an. Aber am Anfang des folgenden Jahres bot man ihm den Lehrstuhl für Experi- mentalmedizin am College de France an; Claude Bernard, der ihn bis dahin innehatte, war eben gestorben; er verdiente es, ihn nun einzunehmen. „Man kann wahrlich sagen: er hat das Ansehen dieses Lehrstuhls würdig aufrecht erhalten“; so schrieb das Blatt The Lancet am Tage nach seinem Tode. Dieser letzte Abschnitt seines Lebens ist natürlich am besten be- kannt. Seine wissenschaftliche Thätigkeit war nie größer; er stellte fast ebenso viele Experimente an und entdeckte ebenso viele neue Thatsachen als in irgend einer andern Epoche seines Lebens. Und nun wurden ihm auch vielfach Ehrungen zu Teil: die Aecad&mie des sciences erteilte ihm 1881 den Lacaze-Preis und 1855 den großen zweijährigen Preis; und im folgenden Jahre wählte sie ihn in die Abteilung für Medizin an Stelle von Vulpian, der zum beständigen Sekretär ernannt wurde. Schon lange war er Mitglied der Royal Society in London, wo er 1861 die Croon-Vorlesung gehalten hatte, D0* 788 C. E. Brown - Sequard. und Mitglied in einer ganzen Anzahl von Akademien und wissenschaft- lichen oder medizinischen Gesellschaften. Aber sicherlich am meisten gab er auf den Titel eines Präsidenten in der Societe de Biologie. Er kam an Paul Bert’s Stelle in das Amt, zu dem die Wahl alle fünf Jahre stattfand. Und er, der so gern recht thätig war, hegte für diese lebhaft thätige Gesellschaft eine wahre Zärtlichkeit; man kann sagen, er liebte sie wie ein Vater; denn er gehörte zu den wenigen noch lebenden Gründern; er interessierte sich lebhaft für ihre Geschicke, beschäftigte sich überaus eifrig mit ihren Angelegen- heiten, nahm mit Wohlwollen und Herzlichkeit die neuen Mitglieder auf und hörte und las mit Aufmerksamkeit Alles, was dort vorging. Die wissenschaftlichen Arbeiten Brown-Sequard’s sind von her- vorragender Bedeutung; er hat sich nicht bloß mit Vorliebe mit einer Menge von wichtigen Fragen beschäftigt, sondern es gibt überhaupt wenige Gebiete der Physiologie, im denen er nicht mehr oder weniger gearbeitet hätte, und abgesehen von seinen Hauptentdeckungen hat er noch eine ganze Anzahl minder nennenswerter Thatsachen aufgefunden. Man muss zwei Hauptarten von Gelehrten unterscheiden: die einen nehmen es sehr genau und besitzen in hohem Grade die Fähigkeit, einen Gegenstand bis aufs Kleinste zu analysieren; sie pflegen mit zäher Geduld ein Phänomen vollständig zu durchforschen und sich streng an die Aufgabe zu halten, sämtliche möglichen Fälle genau zu präzisieren, und sind erst dann zufrieden, wenn sie durch ihre Arbeit eine genaue Kenntnis erlangt haben, soweit sie eben bei einem Phä- nomen der Natur erlangt werden kann; die andern führt ein Einfall, der sie ganz beschäftigt, zu mehreren neuen Ideen zugleich, und nun wollen sie schleunigst alle mit einem Male durch das Experiment prüfen, während ihr Geist sich schon wieder mit neuen Untersuchungen beschäftigt; so fehlt ihnen dann die Zeit, eine Thatsache genau und scharf nach allen Seiten hin festzustellen; es genügt ihnen schon, ihre Existenz nachgewiesen zu haben; dann eilen sie neuen unbekannten Wahrheiten zu, die sie ahnen. Solche prophetischen Köpfe thun sicher- lich der Wissenschaft ebenso gute Dienste wie die andern. Soll man darum nicht wie Goethe denken, der ärgerlich darüber war, sich un- aufhörlich mit Schiller verglichen zu sehen und den Wert der Frage nicht begreifen konnte, wer von ihnen beiden der größere sei? Soll man sich nicht gerade darüber freuen, dass sie so verschieden von einander waren? Wirklich, es wäre am besten für den gleichmäßigen Fortschritt der Wissenschaften, wenn die zwei großen Geistesrichtungen bei einem und demselben Manne gleich stark vertreten wären. Aber so glücklich ist die Verteilung nur selten und nur bei den Begabtesten. Sie war es in hervorragender Weise bei Claude Bernard. Häufig behindern übrigens bei den jetzigen sozialen Zuständen gewöhnliche C. E. Brown - Sequard. 789 materielle Fragen die harmonische Entwicklung höchst hervorragender Geister. Und der alte Spruch: ars longa, vita brevis...gilt nicht minder für die Physiologie wie für die Medizin. Das Leben ist kurz; und oft muss man sich noch dazu nach den Mitteln zum Leben umthun und das wissenschaftliche Arbeiten ist schwierig und nimmt Zeit in Anspruch. Geistvolle Menschen haben viel eher ein Gefühl dafür, wie schnell die Zeit eilt, und darum lassen sie sich von ihren unaufhörlich neuen Ideen fortreißen; die Stunden, in denen sie sich von den notwendigen Beschäftigungen frei machen können, sie weihen sie von selbst lieber neuen Untersuchungen als der endgiltigen, so müh- samen Feststellung von Wahrheiten, die sie bereits als ihr Eigentum betrachten. Brown-Sequard war einer der größten Entdecker von Thatsachen, die je gelebt haben. Es ist unmöglich, auf ein paar Seiten die Resultate seiner zahl- losen Untersuchungen darzulegen. Aber man kann doch wenigstens eine wenn auch unvollkommene, doch einigermaßen richtige Anschau- ung von seinem Werke geben, wenn man seine hauptsächlichen Arbeiten bespricht. Die Physiologie des Nervensystems war Brown-Se&quard’s Haupt- arbeitsgebiet. Schon in seiner medizinischen Doktordissertation (Re- cherches et experiences sur la physiologie de la moälle &piniere, Paris, 8. Januar 1846) hatte er zwei wichtige Thatsachen gefunden, nämlich erstens, dass das Reflexvermögen des Rückenmarks, das kurz nach der Abtrennung des Marks vom Gehirn fast gleich Null ist, danach immer stärker und stärker wird, und zweitens, dass die Leitung der sensiblen Reize im Rückenmark nicht bloß durch die Hinterstränge erfolgt, sondern auch durch die graue Substanz. In späteren Arbeiten ist er auf diese Frage nach der Bedeutung der grauen Substanz als Leitungsorgan zurückgekommen; er hat sie voll- kommen sichergestellt und zu einer klassischen Thatsache erhoben. Alle seine Gedanken über diesen Punkt erhielten dann vor einigen Jahren ihre volle Bestätigung durch die Entdeckung der Syringomyelie als einer selbständigen Krankheitsform. Die allgemeine Frage nach der Leitung der sensiblen Reize und der motorischen Impulse im Rückenmark hat ihn übrigens viel und häufig beschäftigt, sie zählte zu seinen Lieblingsstudien. Man kann sich heutzutage nur schwer eine Vorstellung von den erregten Dis- kussionen machen, welche von 1850 bis 1860 und auch noch später durch Brown-Sequard’s Vorstellungen über die Kreuzung der sen- siblen Leitungsbahnen im Rückenmark von Tieren und Mensch hervor- gerufen wurden. Broca musste erst der biologischen Gesellschaft am 21. Juli 1855 im Namen einer Kommission, deren Mitglieder Claude Bernard, Bouley, Broca, Giraldes, Goubaux und Vulpian waren, seinen denkwürdigen Bericht erstatten, um überhaupt die Auf- 790 C. E. Brown - Söquard. merksamkeit auf die Experimente zu lenken, deren Resultate man durchaus nicht gelten lassen wollte. Allerdings, diese Resultate hatten ja die wissenschaftliche Ruhe der Zeitgenossen ganz und gar gestört. Ch. Bell’s Lehre von der Funktion der Hinterstränge und der der Vorderseitenstränge, nämlich dass die ersteren bloß sensible Erregungen leiten, die letzteren ausschließlich motorische, diese so einfache und so klare Lehre, vervollständigt durch Longet, nach welcher der grauen Substanz die exeitoreflektorische Funktion als eigentümlich zu- kommen sollte, hatte alle Geister gefangen genommen. Oder wie Broca es treffend ausdrückte: „Herrn Brown-Sequard’s schöne Experimente haben für immer das wohl gegründete Gebäude umge- stürzt... . Die Geister waren derartig von Ch. Bell’s Lehre einge- nommen, dass die ersten Arbeiten des Herrn Brown-Sequard nur mit einem gewissen Misstrauen aufgenommen wurden und nur vorüber- gehend die Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Aber unser unermüd- licher Kollege verlor den Mut nicht. Er setzte seine Untersuchungen mit größter Ausdauer fort, er variierte seine Experimente bis ins Un- endliche, er wusste ihnen eine derartig einleuchtende Form zu geben, dass jeder Einwurf ausgeschlossen war, und als er vor ganz kurzer Zeit nach der Rückkehr von seiner letzten Reise nach Amerika wieder unter uns seinen alten Platz eingenommen hatte, hielt er es für an- gezeigt, die biologische Gesellschaft zu veranlassen, zu der für die Physiologie des Nervensystems so bedeutsamen Frage Stellung zu nehmen“. Und Broca, der sich der Tragweite der von seinem Kollegen ent- deckten Thatsachen voll bewusst war, schloss seinen Bericht mit den Worten: „Wohl zu keiner Zeit hat die Physiologie des Nervensystems durch eine so durchgreifende und plötzliche Umwälzung eine derartige Veränderung erfahren“. ... . Durch diese, wie sie Broca nannte, schönen Experimente wurde die komplizierte Bahn nachgewiesen, auf der die sensiblen Reize im Rückenmark fortgeleitet werden, die Bedeutung der grauen Substanz als Leitungsbahn und die Erscheinung der Hyperästhesie nach Durchschneidung der Hinterstränge und vieles andere klar gestellt‘). Aus der Gesamtheit dieser Untersuchungen und aus noch anderen zog er unter Anderem den Schluss, dass halb- seitige Durchschneidung des Rückenmarks die Beweglichkeit der einen und die Empfindung auf der anderen Körperhälfte in den Teilen auf- hebt, die von dem unter der Durchschneidungsstelle gelegenen Ab- 1) Die allgemeine Erscheinung, dass nach Durchschneidung der Hinterstränge die Partien unterhalb des Schnittes noch die Empfindung vermitteln können, die in der Zeit, als Brown-S&quard darauf aufmerksam machte, so seltsam schien und so lange Zeit Staunen hervorrief, hat nun ja vor kurzem ihre ana- tomische Begründung durch Ramon y Cajal erfahren, der nachwies, dass die Fasern der hinteren Wurzeln sich in der weißen Substanz des Rückenmarks in einen aufsteigenden und einen absteigenden Ast teilen. C. E. Brown - Sequard. 791 schnitt des Rückenmarkes aus innerviert werden. Man bezeichnet das als einseitige Lähmung von Brown-Sequard. Er machte in der That darauf aufmerksam, dass beim Menschen dieselben Erschei- nungen auftreten können; infolge seiner Experimente haben also Aerzte und Chirurgen eine Handhabe, um bestimmte einseitige Rückenmarks- verletzungen zu diagnostizieren. Was die erste, oben angeführte Beobachtung inBrown-Sequard’s Doktordissertation anlangt, so wurde auch sie der Ausgangspunkt für viele Untersuchungen, die er zu verschiedenen Zeiten immer wieder aufnahm; alle führten ihn zu der Annahme, dass zur Erhaltung der Reflexthätigkeit eine sehr kleine Partie grauer Substanz genügt. Diese Arbeiten gehören ebensogut ins Gebiet der allgemeinen Nerven- physiologie als in das der speziellen Physiologie des Rückenmarks. Hierher gehören eine Menge neuer von Brown-Se&quard entdeckter Thatsachen. Da ist erstens eine gründliche Arbeit über die Stärke der Reflexe bei den verschiedenen Tierklassen mit Berücksichtigung des Alters und der Größe (1849); dann Untersuchungen über die Be- ziehung der reflektorischen Bewegungen zu den Reizen (1857), die den Ausgangspunkt für heutzutage so allgemein bekannte Thatsachen bildeten, dass man fast glaubt, sie wären schon von jeher bekannt gewesen; dann noch eine schöne Arbeit über den Einfluss von sauer- stoftbeladenem Blute auf die Empfindlichkeit und auf die Reflexerreg- barkeit (1858, 1360). An dieser Stelle soll auch an das anschauliche Experiment erinnert sein, das darin besteht, dass bei einem dekapi- tierten Hund nach Injektion von defibriniertem, mit Sauerstoff gesät- tigtem Blut in den Kopf dessen Empfindlichkeit und Beweglichkeit auf Reize hin wieder erscheint. Wieder andere Experimente haben es zum ersten Male bewiesen, dass Verletzungen des Rückenmarks, des verlängerten Marks oder des Gehirns in verschiedenen Organen kon- gestive Hyperämie, Hämorrhagie, Oedem oder Anämie hervorrufen können (1851, 1852, 1570, 1571) und dass irgend welche Reizzustände im Nervensystem die Ursache für Sekretions- oder Ernährungsverände- rungen abgeben können (1860); dann Experimente, aus denen hervor- geht, dass Reizung oder Verletzung eines Nerven beim Menschen die verschiedensten Erscheinungen zur Folge haben kann, Lähmung, An- ästhesie, Sekretion, Ernährungsstörungen u. s. w., und zwar sowohl auf derselben Seite, an der die Verletzung liegt, als auch auf der gegenüberliegenden (1859, 1869, 1870, 1871); ferner Experimente, durch die nachgewiesen wird, dass Schmerz entsteht durch Reizung der sensiblen Nervenfasern in den Muskeln (1850, 1860) und andere, durch die er festzustellen sucht, in welcher Weise die Atembewegungen unter nervösen Einflüssen zum Stillstand gelangen (1871-72-73) u. s. w. Aus einer großen Anzahl von diesen neuen Thatsachen ließ sich allmählich ein allgemeines Gesetz ableiten, dessen Erkenntnis wohl zu 192 C. E. Brown - Sequard. den wichtigsten Ergebnissen zählt, zu denen Brown-Sequard durch diesen Teil seiner Arbeiten gelangt ist; man könnte es wohl als das Gesetz von den wechselseitigen Beziehungen zwischen centralen und peripheren Nervenreizen bezeichnen; denn ebenso wie bestimmte Er- regungen des Zentralnervensystems in entfernten Partien des Organis- mus verschiedene Veränderungen bewirken können, so kann auch die Reizung eines peripheren Nerven im Gehirn mannigfache abnorme Zustände herbeiführen. Wenn man sieht, welch eine Menge von Thatsachen Brown- Sequard für diesen Gedankengang zusammengestellt hat, so kann man es verstehen, wie er gerade zur rechten Zeit auf seine Lieblings- idee kam, nämlich die Fähigkeit der Fernwirkung des Nervensystems, wie er sich ausdrückt; oder mit andern Worten ausgedrückt: die Ver- letzung einer umschriebenen Stelle im Gehirn oder Rückenmark kann in entfernten Organen verschiedene Veränderungen zur Folge haben. Dabei kann sich eine ganze Reihe von Phänomenen zwischen den nervösen Zentren abspielen, welche dann die Fernwirkungen herbei- führen; der Reiz eines Abschnittes des Nervensystems dehnt sich dabei auf einen anderen mehr oder weniger entfernten Abschnitt des Systems aus und modifiziert dynamisch, wie Brown-Sequard es nennt, die Eigentümlichkeiten und die Thätigkeiten des letzteren; in zweiter Linie kann er sich dann ebenso noch weiter ausbreiten und die Eigen- tümlichkeiten und die Thätigkeit peripherer Organe modifizieren. Und je nach dem Zustand der so aus ihrem Gleichgewicht gebrachten zen- tralen Teile steht die Intensität der Wirkung oft in einem Missver- hältnis zur Intensität der erregenden Ursache. Was nun die Natur dieser Wirkungen anlangt, so ist sie eine zweifache: entweder tritt eine Verstärkung oder eine Abschwächung in den besonderen Eigen- schaften und der Thätigkeit des Teiles ein, auf den der Reiz schließ- lich eingewirkt hat; z. B. vermindert die quere Durchtrennung des verlängerten Markes die Erregbarkeit eines großen Teiles des Hals- marks; die Durchschneidung des Nervus ischiadieus vergrößert die Erregbarkeit der ganzen einen Seite des Zentralnervensystems und ver- ringert die der andern Seite. Wieviel Experimente der Art hat Brown- Sequard gemacht! Er wurde nicht müde, möglichst viele Erschei- nungen von Erregung („dynamogenie*) und Hemmung zusammenzu- stellen; das sind Ausdrücke, die heute von jedem Physiologen und Mediziner verstanden werden. Sicherlich kannte man auch schon vor ihm manche Hemmungserscheinungen; aber man konnte darin nichts weiter als einen besonderen Modus der Thätigkeit sehen, den nur ganz gewisse zentrifugale Nerven besitzen sollten; aber mit großer Kühn- heit und mit bewundernswerter Hartnäckigkeit hat er diesen Punkt verallgemeinert, indem er die Hemmung für eine wesentliche Form der Thätigkeit bei sämtlichen Teilen des Nervensystems erklärte, und C. E. Brown-Sequard. 795 zwar, weil jede beliebige Nerveneinheit durch die Thätigkeit einer andern gehemmt werden kann. Es ist überflüssig, hier die Bedeutung dieser Hemmungstbeorie für die Physiologie, Pathologie, gerichtliche Medizin (zur Erklärung einer großen Zahl plötzlicher Todesfälle) und gar für die Psychologie hervorheben zu wollen; die Beziehungen zu allen diesen Gebieten sind nicht minder zahlreich wie wichtig. Der andere, hierzu gehörige Gedanke von der „dynamogenen“ Thätigkeit ist noch nicht allen so geläufig; indessen ist die Erfahrung, dass zentrale oder periphere Reize rasch die Leistungen oder die Eigentümlichkeiten ver- schiedener Teile der nervösen Zentren verstärken können, vielleicht nicht minder bedeutsam; und man muss wohl Rücksicht darauf nehmen, dass Brown-Sequard bis in die letzten Jahre diese Theorie, ebenso wie die über die Hemmung, durch eine imponierende Zahl von That- sachen zu stützen gesucht hat. Die Annahme einer erregenden und einer hemmenden Thätigkeit des Nervensystems ist nicht die einzige Theorie, zu der Brown-Sequard durch das Studium der vielen von ihm beobachteten Thatsachen ge- langt ist, die sich auf Reizung von Nerven durch Verletzungen be- ziehen, welche eine Fernwirkung zur Folge hat und den Nerven zu den genannten Thätigkeiten veranlasst; durch ganz dieselben That- sachen ist er sicherlich auch auf seine vielfach angefochtene Theorie von den Gehirnfunktionen gekommen. Er hatte oft genug beobachtet, dass Erscheinungen von Lähmnng oder von Anästhesie die Folge von Verletzungen sind, die die verschiedensten Teile des Gehirns betreffen, ganz gleich auf welcher Seite sie sich befinden, und deshalb hielt er die ganz scharfe Abgrenzung von motorischen und sensiblen Gehirn- zentren, deren Existenz Physiologen und namentlich Kliniker seit 1875 nachzuweisen bemüht sind, nicht für das Richtige. Vielmehr zeigte er zuerst durch Thatsachen, und zwar in den Jahren 1861 und 1862, also lange vor Goltz, dass man einen Unterschied zwischen den Er- scheinungen machen müsse, die auf einen Reiz hin erfolgen und denen, die direkt mit dem Funktionsverlust der verletzten Partie in Zusammen- hang stehen; ferner suchte er dann zu beweisen, dass die mannigfachen Fernwirkungen bei Gehirnverletzungen auf Hemmungsthätigkeit be- ruhen, und auf Grund dieser Beobachtungen entschied er sich mit größter Bestimmtheit gegen die Lehre von der Lokalisation der Gehirn- funktionen. Bei dem Kampf, der nun gegen die pathologisch - anato- mische Schule entbrannte, hatte er nicht so viel Glück wie vorher, als er seine Ideen über die Physiologie des Rückenmarks zur Anerkennung zu bringen suchte. Aber das nicht etwa, weil er für seine Theorie und gegen die der Gegner zu wenig Experimente und zu wenig Be- obachtungen angestellt hätte. Sondern erstens hatte auch die gegne- rische Lehre durch zahlreiche für sie sprechende Beobachtungen eine Anhängerschaft, aber außerdem hat es auch den Anschein, als ob man 794 C. E. Brown - S&quard, manchmal systematisch vor der Macht der Brown-Sequard’schen Beweisgründe die Augen geschlossen hat. Es war ja so einfach, immer aus dem beobachteten Symptom die Funktion der betreffenden zerstörten Gehirnpartie abzuleiten. Die Verhältnisse liegen indessen thatsächlich wohl nicht so einfach; hat man doch auch schon zugeben müssen, dass die ursprünglich als motorisch angesehenen Teile zu- gleich sensibel sind. Doch wir wollen auf den Streitpunkt noch weiter eingehen. Man muss sich nämlich fragen, ob es sich bei dem Streit, der zwischen den Anhängern der Lokalisationsidee und Brown-Sc&quard ausgebrochen ist, nicht bloß um ein gegenseitiges Missverständnis handelt, um eine Frage doktrinärer Natur. In der That hat es den Anschein, als ob Brown-Sequard sich in seinem Gedankengang über die Funktionen des Gehirns von einem Hauptgedanken, von einem rein theoretischen Prinzip, das er übrigens, soviel ich weiß, niemals ausgesprochen hat, hat leiten lassen. Verschiedene Ueberlegungen führen uns dazu, dass wir uns die anatomischen Elemente, die einen und denselben Ursprung haben, als thatsächlich mit denselben Fähigkeiten behaftet vorstellen; sie dürften dann also wohl geeignet sein, dieselben Funktionen auszuüben. Darum erscheint es uns als selbstverständlich, dass die Ganglien des Sym- pathiceus Reflexe auslösen, ganz wie die nervösen Zentren. Und ebenso sind wir nicht besonders erstaunt darüber, dass die Drüsen der Darm- schleimhaut unter gewissen Bedingungen ganz wie Pankreaszellen ein diastatisches und ein peptonisierendes Ferment abscheiden. Es be- sitzen eben alle Epithelien gleicher Herkunft potentia und ab origine dieselben Eigenschaften. Nun ist es wohl auch etwas zuviel gesagt, wenn man die Rindenzentren als ganz scharf abgegrenzt bezeichnet, wie man es in den Jahren 1375—18S0 that. Und wie mit dem Gehirn, so wird es wohl auch mit dem Rückenmark sein. Allmählich hat man erkannt, dass die vasomotorischen und die Schweißsekretions- „Zentren“ nicht genau umschriebene Bezirke einnehmen, sondern dass man sie im Allgemeinen in Abständen von einander längs der Axe des Rückenmarks findet, ohne dass sie dabei durch scharfe Grenzen von einander geschieden sind. Indessen muss man doch auch ein- räumen — und das ist die andere Seite der Frage — dass im Laufe der Entwicklung der Organismen funktionelle Differenzierungen ent- standen sind; das ist der Grund, warum die Zellenfunktionen erstens verschieden und zweitens lokalisiert sind. Hier gibt sich das Prinzip der Arbeitsteilung in seiner ganzen Bedeutung zu erkennen. Die Arbeitsteilung ist die Ursache für die physiologische Verschiedenheit zwischen Geweben derselben Herkunft, welche ursprünglich dieselben Eigenschaften haben. Kurz, die völlige Identität der Zelleigenschaften in Elementen derselben Herkunft erfährt eine Einschränkung durch die funktionellen Differenzierungen und durch die Unterordnung der C. E. Brown - Sequard. 1 Funktionen unter einander, welche die Folge davon ist. Es ist darum wohl von Belang, zu wissen, ob in einem gegebenen Gewebe alle Elemente dieselben Eigenschaften und die gleiche Thätigkeit behalten haben, oder inwieweit sie sich physiologisch differenziert haben. Ist diese Frage nun inbetreff des Gehirns vollkommen und definitiv gelöst? Selbst wenn man sie als gelöst ansehen könnte und zwar in einem für die Lokalisationstheorie günstigen Sinne, so müsste noch immer nachgewiesen werden, ob in differenzierten Zellen sich die alten Eigen- schaften nie wieder ausbilden können. Schiff hat beobachtet, dass die Drüsenzellen der Darmschleimhaut für die Pankreaszellen nach deren Zerstörung in ihrer diastatischen und peptonisierenden Fähigkeit eintreten können. Kann nun der Ersatz wirklich ein vollkommener sein? Kann die physiologische Rückbildung der Zellelemente zum ursprünglich gemeinsamen Zustand eine völlige sein? Um das schon angeführte Beispiel wieder aufzunehmen: die Zellen der Darmdrüsen können die Zellen des Pankreas in der diesem Organ zukommenden, so bedeutend differenzierten Funktion der Umformung von Zucker nicht ersetzen. Was das Gehirn anlangt, so ist bekanntlich gleich nach den ersten Untersuchungen über Lokalisationen die Frage nach dem gegen- seitigen Ersatz der Zentren von vielen Seiten aufgeworfen worden. Was auch immer aus Brown-Sequard’s Lehre werden mag, jedenfalls ist es doch wenigstens bemerkenswert, dass von seinem Werke über das Nervensystem die sicherlich bedeutendsten!) zwei Abschnitte, nämlich die Gesamtheit seiner Untersuchungen über die „dynamogenen“ und hemmenden Thätigkeiten und die Gesamtheit seiner Untersuchungen über die Funktionen des Gehirns, dieselben Experimente zur Basis haben, sich aus dem Studium derselben Thatsachen entwickelt haben und an dieselben theoretischen Ideen anknüpfen. So erscheint uns sein Werk als ein Ganzes und die Zusammengehörigkeit seiner Teile ist nirgends unklar; allerdings, em einziger, oberflächlicher Einblick in die wahrhaft erstaunliche Menge von Experimenten, die Brown- Sequardindenvielen Jahren angehäuft und auf vielen Veröffentlichungen verteilt hat, lässt den Grundgedanken in seiner Einheit und Deutlich- keit nicht erkennen. Sicherlich würde er aber klarer hervortreten, wenn der hervorragende Physiologe die Muße gefunden hätte, alle Thatsachen noch einmal zusammenzustellen, sie zu klassifizieren, ein- zuordnen, und in einem Ueberbliek über das Ganze eine genaue Ent- wicklung und Kritik seiner Theorie zu liefern. Oft genug, und noch im letzten Jahre wollte er an die Arbeit gehen; aber die dazu not- wendige Muße hat ihm stets gefehlt. Unter seinen Arbeiten über die Physiologie des Nervensystems finden sich einige, die speziell die Eigenschaften und Funktionen der Nerven betreffen; darunter sind unbestreitbar am wichtigsten diejenigen, 1) neben seinen Arbeiten über die Physiologie des Rückenmarks. 796 C. E. Brown - S&quard. die von den vasomotorischen Nerven handeln. Heutzutage steht es in der Geschichte der physiologischen Wissenschaft fest: Brown- Scquard teilt sich mit Claude Bernard in den Ruhm, die Vaso- konstriktoren entdeckt zu haben; denn wie Claude Bernard zuerst die erhöhte Temperatur und die stärkere Blutzufuhr nach Durch- schneidung des Halssympathicus beobachtete (1851—1852), so war es Brown-Scquard, der als erster (Philadelphia medical Examiner, August 1852) das entscheidende Experiment machte, das in der Reizung des Sympathieus bestand und eine Wiederverengerung der nach der Durchschneidung erweiterten Gefäße und eine beträchtliche Abkühlung der Teile, deren Temperatur gestiegen war, zur Folge hatte. Andrer- seits verdanken wir ihm das erste Beispiel von einem vasomotorischen Reflex; denn er entdeckte mit Tholozan 1851, dass, wenn man eine Hand in sehr kaltes Wasser taucht, das Thermometer, das man in der andern hält, bald einen Temperaturabfall anzeigt. Vieles ließe sich noch erwähnen, z. B. die Untersuchungen über die Vasomotoren der Lunge (1871), über die Innervation der Magen- drüsen (1847, 1852), über reflektorische Schweißsekretion (1849, 1859), über die reflektorische Sekretion der Digestions- und Brustdrüsen (1852, 1869) u. s. w. Wenigstens genannt werden müssen auch seine grundlegenden Experimente vom Jahre 1853, durch die er bewies, dass die Erregbarkeit sensibler Nerven absolut unabhängig ist von der Leitungsfähigkeit für sensible Reize. Es ist bekannt, dass seit- dem über dies Thema in Deutschland viel gearbeitet ist, und dass nun auch der fragliche Unterschied zwischen Leitungsfähigkeit und Erregbarkeit bei motorischen Nerven gemacht ist. Man könnte sich kein richtiges Bild von Brown-Sequard’s Werk über das Nervensystem machen, ließe man den bedeutenden pathologischen Abschnitt desselben unberücksichtigt. Ich hatte schon eingangs Gelegenheit, einige Punkte hervorzuheben. Doch was davon viel wichtiger ist, ist sicher seine schöne Entdeckung der experimen- tellen Epilepsie und die gründliche Studie, die er diesem Gegenstand ge- widmet hat. Die erste Erwähnung dieser Erscheinung datiert vom Jahre 1850, und 1892 veröffentlichte er noch hierüber sehr interessante Thatsachen. Seine Experimente führten ihn natürlich auch zu Unter- suchungen über menschliche Epilepsie, deren Kenntnis er in mehreren Punkten bereichert hat. Seine Arbeiten über Epilepsie durch künstliche Verletzung des Nervensystems führten zu einer höchst bedeutsamen Erkenntnis, näm- lieh der Möglichkeit der Vererbung erworbener Eigenschaften (1859, 1560, 1870— 75). Diese wichtige Erkenntnis, deren Konsequenzen von so großer Bedeutung für die ganze Vererbungstheorie sind, deren Trag- weite auch Darwin sofort erkannt hatte, beruht auf einer großartigen Zahl von Experimenten; dagegen kann kein Beweisgrund aufkommen. 6. E. Brown - Sequard. or Die Physiologie des Rückenmarks also von Grund auf verändert, und die genaue Kenntnis der Reflexe erweitert zu haben, die Hemmungs- thätigkeit als eine allgemeine erkannt und die Theorie von der Hem- mung neu geschaffen zu haben, uns mit den „dynamogenen“ Thätig- keiten bekannt gemacht, die Nervenphysiologie bereichert, zur Patho- logie des Nervensystems Neues beigetragen zu haben, das ist Brown- Sequard’s ansehnliches Werk. Und doch ist das nur ein Teil seines Werkes. Unter der Ueberschrift: allgemeine Physiologie kann man noch eine ganze Anzahl seiner Arbeiten zusammenstellen. Seine Unter- suchungen über die physiologischen Eigenschaften des hellen und dunklen Bluts (1857 —-1858) und über den erregenden Einfluss der Kohlensäure sind epochemachend in der Geschichte der Asphyxie ge- wesen und haben uns ferner vieles Wichtige über die Bedeutung des Blutes und über das Leben der Muskeln, des Nervensystems und über- haupt aller Gewebe gelehrt. Der große Aufsatz, den Brown-Sequard hierüber im seinem Journal im Jahre 1858 veröffentlichte, gehört sicher zu seinen besten und fruchtbarsten Arbeiten. Im selben Jahre erschien obenan in dem „Journal“ eine nach dem Ausspruch von Marey (Du mouvement dans les fonctions de la vie, S. 70) höchst be- merkenswerte Abhandlung über gewisse allgemeine Lebenserscheinungen, in der zwölf Gesetze aufgestellt sind über die Bedingungen, unter denen die Nerven- und Muskelthätigkeit zu stande kommt, zunimmt oder sich erschöpft. Wenn man die beiden eben genannten Aufsätze heute liest, so ist man verwundert darüber, dass man daraus weniger lernt, als man erwarten durfte, und dass alle darin enthaltenen Gedanken, jetzt ganz bekannt und fast banal, es damals noch nicht waren und aus Experimenten des Autors selbst erst abgeleitet wurden. So haben diese neuen Ideen allmählich die Physiologie ganz durchdrungen. Später entdeckte dann Brown-Sequard noch die anästhesierende Wirkung der Kohlensäure, auf die er eine große Menge merkwürdiger Thatsachen zurückführt. Ebenso wichtig sind seine Untersuchungen über die rythmischen Bewegungen der Muskeln nach dem Tode (1849, 1853) und über die Existenz rythmischer Kontraktionen in den Ausführungsgängen der Drüsen, im Kropf und der Speiseröhre der Vögel (1853—1858). Alle die Thatsachen sind seitdem bestätigt und ihre Bedeutung erkannt worden. Hierher gehören auch seine Arbeiten über die Totenstarre, deren Resultate lange Zeit, wenigstens von gewissen Physiologen, be- stritten worden sind, jetzt aber, wie es den Anschein hat, endlich Aner- kennung finden; 1851 sprach er es zum ersten Male aus, dass die starren Muskeln ihre Erregbarkeit wieder erlangen können, und bis in die letzten Jahre hinein hat er sich mit dieser Frage beschäftigt. Hier bei Erwähnung dieser Thatsachen sei auch an die merkwürdige und 795 C. E. Brown - Söquard. interessante Entdeckung der direkten Einwirkung des Lichtes auf die Iris und an die Folgen und die Bedingungen dieser Einwirkung erinnert (1847, 1849, 1856, 1859). Noch in seinem letzten Lebensabschnitt kam Brown-Sequard auf eine großartige und folgenreiche physiologische Idee. Der erste Keim zu dieser Vorstellung von Drüsen mit innerer Sekretion, die von vornherein viel Beifall fand, liegt wohl in seiner bemerkenswerten Arbeit von 1856 über die Funktionen der Nebennieren; als er die Be- obachtung machte, dass die Exstirpation dieser Organe immer den Tod zur Folge hat, legte er sich gleich die Frage vor: was für Substanzen sind es, die das Blut diesen Drüsen zuführt, die dann dort modifiziert werden, und welches sind die Produkte der Modifikation, die das Blut aus den Nebennieren abführt? Es muss also Drüsen geben, die ins Blut für das Leben wichtige Stoffe ergießen; diesen allgemeinen Ge- danken entwickelte er 1869 in seinen Vorlesungen an der Pariser medi- zinischen Fakultät und befasste sich, wie jedermann weiß, 20 Jahre später, im Jahre 1889, mit ihm wieder, und zwar mit größter Energie und mit dem festesten Vertrauen in seine Arbeit, bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die physiologische Wirksamkeit des Hodensekretes. Ich mag nicht daran erinnern, wie man ihn von allen Seiten deshalb angegriffen, und wie man sich über ihn lustig gemacht hat. Neidische Bosheit und frivole Verleumdung haben selbst seine Uneigennützigkeit in Zweifel gezogen; und seine Freunde, die übrigens eine Menge von Beweisen für seine vollkommene Uneigennützigkeit haben, konnten sie doch gerade in diesem Falle ebenso beobachten; sie wissen es genau, dass diese Untersuchungen für ihn stets nur die Gelegenheit zu ma- teriellen Opfern abgaben. Ueber all dem Lärm scheint man zweierlei vergessen zu haben: erstens dass bei Tieren, denen die Hoden exstir- piert sind, das Nervensystem sich notorisch schlecht entwickelt und dass es darum nieht unvernünftig sein kann, wie Brown-Se&quard that, anzunehmen, dass die Hoden außer dem Samen eine Substanz abson- dern, welche die Arbeitsfähigkeit des Nervensystems erhöht; und zweitens, dass es vom Standpunkt der allgemeinen Physiologie aus wohl denkbar ist, dass eine Drüse solch eine Substanz abscheidet; denn gewisse pflanzliche Zellen bilden Verbindungen, deren Wirkungen auf das Nervensystem ganz außerordentlich heftig sind. Das untrüg- liche Experiment hatte übrigens allein hier mitzusprechen. Und das wusste Brown-Säquard sehr gut, und deshalb verfolgte er trotz Allem seinen Weg, seiner Gewohnheit gemäß, indem er immer mehr Thatsachen anhäufte. Was den Wert des Gedankens von der inneren Sekretion selbst anlangt, so braucht man über ihn heute nieht mehr zu diskutieren, wo wir die neuen Entdeckungen über die Beziehungen des Pankreas zum Diabetes, über die Funktion der Nebennieren und der Schilddrüse u. s. w. kennen; und andrerseits hat der Urheber dieses C. E. Brown- Sequard. 799 Gedankens ohne Zweifel eine neue Methode der Therapie erfunden: die Behandlung des Myxödems mit dem Saft der Schilddrüse genügt schon allein, um ihre Trefflichkeit zu beweisen. Das also sind die Ergebnisse aus Brown-Se&quard’s hauptsäch- lichsten Arbeiten. Aber damit ist sein ganzes physiologisches Werk noch nicht erschöpft; das war bisher bloß der geschriebene Teil desselben. Bei ihm war der Mensch untrennbar vom Gelehrten, oder vielmehr der Gelehrte war fast der ganze Mensch !). Der Zweck seines ganzen Lebens war, der Physiologie zu dienen; und ihr dienen, dachte er, heißt nützlich sein allen denen, die ihr aufrichtig dienen; und edel- mütig, wie er von Charakter war, fehlte er nie gegen diese Regel, die er sich gemacht zu haben schien. Mit seltener Liebenswürdigkeit nahm er Jeden bei sich auf. Er fand Gefallen daran, auf alle Weise die zu unterstützen, die ihm dieser Hilfe wert schienen, und in seiner zarten Güte empfand er es wohl, dass er oft einer Bitte zuvorkommen müsse. Es ist bekannt, dass er viel Gutes that; aber es ist nicht Alles Gute bekannt, das er gethan hat. Seine Charaktereigenschaften sicherlich, und vielleicht auch ebenso sein großer Ruf und seine hervorragende Tüchtigkeit machen auch seine Rolle als Leiter der Archives de physiologie und Präsident der biologischen Gesellschaft verständlich. Er war, in der vollsten Bedeutung des Wortes, die Seele jener Zeitschrift, seitdem er sie vom 1. Januar 1889 ab allein redigierte, wie er ja auch von 1858 bis 1864 die Seele des Journal de physiologie gewesen war; er schrieb überall hin und bat um Aufsätze, wies auf Arbeiten hin und spornte stets seine Mitarbeiter an; er achtete besonders auf jedes Anzeichen von Talent bei den jungen Experimentatoren; er stellte ihnen aufs Bereit- willigste die Archives zur Verfügung und ließ nicht nach, ihnen Er- mutigungen zuzusprechen. Es arbeiteten infolge dessen viele bei ihm. Ebenso machte er es auch in der biologischen Gesellschaft: bei jeder neuen Entdeckung, bei jedem geistreichen Experiment, bei jeder gründ- lichen Arbeit gab er aufrichtig seinen Beifall kund; er freute sich darüber, wer auch der Autor sein mochte. Denn seine Aufrichtigkeit 1) So wird es verständlich, warum er stets so ganz seine Gesundheit, seine Lebensverhältnisse und sogar sein Leben selbst verachtete, wenn es sich um seine wissenschaftlichen Untersuchungen handelte. Z. B. machte er sich da- durch sehr krank, dass er zu Untersuchungen über Verdauung Stückchen Schwamm, die an einen Faden angebunden waren, verschluckte und dann, wenn sie mit Magensaft getränkt waren, sie wieder aus dem Magen herauszog. Einmal scheute er sich sogar nicht (bei einem Experiment 1351), zu seinen Studien über die Eigenschaften des hellen und dunklen Bluts in den Arm eines Hin- gerichteten dreizehn Stunden nach der Enthauptung ungefähr ein halbes Pfund von seinem eigenen Blut, das er durch Aderlass erhielt, einfließen zu lassen, Ich könnte noch mehr solcher Beispiele anführen. 800 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. war ebenso groß wie seine Uneigennützigkeit; und die Wissenschaft liebte er um ihrer selbst willen. Wir können auch unbedenklich auf ihn anwenden, was Renan von Claude Bernard gesagt hat: „Den großen Männern aller Zeiten können wir ruhig die wissenschaftlichen Charaktere anreihen, die einzig und allein auf die Erforschung der Wahrheit hinarbeiten, die dem Geschicke gleichgiltig gegenüberstehen, oft noch stolz sind auf ihre Armut, und über Ehren, die man ihnen bietet, lächeln, die auch gegen Lob wie gegen Schmähung gleichgiltig und sich des Wertes dessen bewusst sind, was sie thun, und dabei glücklich sind, denn sie haben die Wahrheit. Hohe Freude gewährt sicherlich ein fester Glaube an die Gottheit; doch die innere Zufriedenheit des Gelehrten kommt ihr gleich; denn er fühlt es, dass er an einem Werke für die Ewigkeit arbeitet, dass er mit in der Phalanx derer steht, von denen man sagen kann: „Opera eorum sequuntur illos“. Im Auslande verehrte man in ihm einen der größten Meister der Physiologie. Die englischen und amerikanischen Blätter beklagten bei seinem Tode den unersetzbaren Verlust. In Italien schrieb vor Kurzem Professor A. Mosso (Illustrazione italiana, Nr. 19, 1894): „Die sroße Sympathie, die alle Länder für Brown-Sequard hegten, gab sich auf dem internationalen Kongress in Rom kund, als Professor Bouchard unter Thränen der physiologischen Sektion das Telegramm vorlas, das den Tod des großen Gelehrten meldete. Die Versammlung erhob sich voller ehrfurchtsvollem Schmerz und beschloss auf die Auf- forderung des Präsidenten hin, an die Acadömie des sciences in Paris ein Beileidstelegramm zu senden. ... Die Feierlichkeit dieser von den in Rom vereinten Physiologen ganz von selbst dargebrachten Ehren- bezeugung und der Ausdruck der Trauer durch so viele Aerzte!)... wirken um so ergreifender, als am selben Tage in Paris in ganz ein- facher Weise Brown-Sequard zu Grabe getragen wurde“. Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese. 1. Von Curt Herbst. (Schluss. ©. Ueber einige vermutliche Tropismen in der Öntogenese. a) In seinem Lehrbuch der Entwieklungsgeschichte |24] erwähnt O0. Hertwig, dass Hensen im Gegensatz zu der Mehrzahl der anderen Forscher die Ansicht vertritt, „dass die Nerven niemals ihrem Ende zuwachsen, sondern stets mit demselben verbunden sind“. Hensen wurde zu dieser: Anschauung einmal durch Beobachtungen 4) Eine ganz ähnliche Demonstration fand nämlich in der Sektion für innere Medizin statt. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. sol geführt, nach denen die Nerven aus Protoplasmafäden zu entstehen schienen, welche bei der Entfernung der ursprünglich einander ge- näherten Gewebe ausgezogen werden; sodann waren es aber besonders physiologische Bedenken, welche ihm ein Auswachsen der Nerven- fasern von den Ganglienzellen der Zentralorgane aus für unwahr- lich erscheinen ließen. Er konnte sich nämlich nicht vorstellen, wie die verschiedenen Nerven die richtigen Endorgane erreichen können, wie es z. B. möglich sei, „dass stets die vordere Wurzel an Muskeln, die hintere an nicht muskulöse Organe gehe, dass keine Verwechselung eintrete zwischen den Nerven der Iris und denen der Augenmuskeln, zwischen den Aesten des Quintus und Acustieus oder Faeialis u. s. w.“ !). OÖ. Hertwig |24| hält die Beseitigung dieser Bedenken für so schwierig, dass er noch in der neuesten Auflage seiner Entwicklungs- geschichte von der Richtigkeit der neueren Untersuchungen nicht recht überzeugt ist und eher der früheren Ansicht von Dohrn, Wijhe und Beard zuneigt, nach denen die Nervenfasern aus reihenweise anein- ander gelagerten Zellen, von denen jede ein Stück Axenzylinder, ein Stück Markscheide und einen Teil der Schwann’schen Scheide liefert, ihre Entstehung nehmen sollten |[vergl. 24 S. 413]. Trotz alledem steht nun aber die Thatsache fest, dass bei den Wirbeltieren die Nervenfasern weiter nichts als lang ausgewachsene Axenzylinder von Ganglienzellen sind, und dass demnach die Nerven- stränge als Bündel solcher nackter Axenfasern, zwischen welche sich erst später Mesenchymzellen zur Bildung der Schwann’schen Scheiden eindrängen, mit freiem Ende aus den Zentralorganen hervorwachsen, um sekundär mit ihren Endorganen in Zusammenhang zu treten. Es tritt also nunmehr an uns die Frage heran, auf welche Weise sich die oben erwähnten Bedenken Hensen’s beseitigen lassen. Nur zwei Wege scheinen mir hier zum Ziele führen zu können. Erstens nämlich wäre es denkbar, dass die Zwischenräume zwischen den bereits bestehenden Organen derartig angeordnet sind, dass die Nervenfasern ohne weiteres, wenn sie den Bahnen geringsten Wider- standes folgen, zu den richtigen Endorganen geleitet werden müssen. Obgleich nun sicherlich die Verteilung der Organe von Einfluss auf die Wachstumsrichtung der Nerven sein muss, so steht auf der anderen Seite aber auch fest, dass die Bahnen geringsten Widerstandes unmög- lich allein für die Verteilung der Nervenfasern maßgebend sein können. Dies ist ohne weiteres klar, wenn man das Lückensystem irgend eines Embryo auf Querschnitten betrachtet und wenn man das Typische bekannt ist, in welcher sich diese Sätze wörtlich vorfinden. Implieite sind sie dagegen bereits in der alten Arbeit von 1868 „Ueber die Nerven im Schwanze der Froschlarven“ enthalten. XIV. 51 802 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Öntogenese. So bleibt meiner Ansicht nach keine andere Erklärung übrig, als das Auswachsen der Nervenfasern nach den richtigen Endorganen auf einen Richtungsreiz zurück- zuführen, welcher von letzteren auf erstere ausgeübt wird. Ein experimenteller Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese lässt sich zur Zeit nicht geben, doch kann man sie — von den vorstehen- den Erörterungen abgesehen — noch auf eine andere Art und Weise wahrscheinlich machen. Ich meine hiermit den Beweis der Zweck- mäßigkeit, welcher sich also fassen lässt: Es ist Thatsache, dass die Zweckmäßigkeit ein Hauptcharakteristikum der organischen Formen und ihrer individuellen Entwicklungsgeschichte ist!). Da nun offenbar das Zustandekommen der richtigen Nervenverbindungen durch spezi- fische Riehtungsreize, welche von den Endapparaten ausgehen, und für welche die einzelnen Nerven abgestimmt sind, weit gesicherter ist als auf irgend eine andere Weise, so ist es wahrscheinlich, dass wir mit unsrer Hypothese das richtige getroffen haben. Es ist klar, dass auch dieses nur ein Wahrscheinlichkeitsbeweis ist, da die Einrieh- tungen in der organischen Welt uns zwar in der Regel, aber nicht immer zweckmäßig erscheinen. In seinen Vorlesungen über Pflanzenphysiologie sagt einmal Sachs [60] mit Recht, dass die äußere Gestalt einer Pflanze aus der ver- schiedenen Reizbarkeit ihrer Organe entspringt; durch unsre vorstehen- den Erörterungen sind wir nunmehr dazu gelangt, in ähnlicher Weise auch die Verzweigung der Nerven eines Tieres durch die verschiedene Reizbarkeit der Nervenfasern zu erklären. Der Grund für das Aus- wachsen der vorderen Wurzeln an Muskeln und der hinteren an nicht muskulöse Organe würde demnach in einer verschiedenen Reizbarkeit der betreffenden Nervenfasern zu suchen sein. Begeben sich bestimmte Nervenzweige zu den Muskeln des Augapfels, während andere die Iris innervieren, so erklärt sich dies meiner Meinung nach daraus, dass die Nervenfasern im ersteren Falle für einen Reiz, welcher von den be- treffenden Muskeln ausgeht, abgestimmt sind, während sie im zweiten Falle in ihrer Wachstumsrichtung von einem von der Iris ausgehenden Reiz beeinflusst werden. Lässt sich zur Zeit auch nichts bestimmtes über die Natur dieser Reize aussagen, so dürften durch unsre Hypo- these die Bedenken Hensen’s doch wenigstens im Prinzip beseitigt sein. Auch die Hertwig’schen Fragen, warum die Nerven nicht immer direkt zu ihrem Ziele gelangen, sondern oft viele Umwege machen und komplizierte und verschiedenartige Plexusbildungen eingehen, sind mittels unsrer Hypothese sehr wohl verständlich. Es ist nicht aus- geschlossen, dass wir es in solchen Fällen bisweilen mit einer Ver- änderung der Reizbarkeit der Nervenfasern mit zunehmender Ent- 1) Vergl. hierzu Drieseh [10 S.52 u. 11]. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 803 fernung von den Ganglienzellen zu thun haben!); doch dürften auch derartige Vorkommnisse, an welche Hertwig gedacht zu haben scheint, durch nachträgliche Verschiebung bereits gebildeter Organe im weiteren Verlauf der Ontogenese zu stande kommen. Wir haben bis jetzt nur von der Abhängigkeit der Verzweigung der peripheren Nerven von Richtungsreizen gesprochen, ich glaube je- doch, dass auch bei der Wachstumsrichtung der Nervenstränge inner- halb der Zentralorgane derartige Reize eine Rolle spielen. Es ist zwar bekannt, dass die Bahnen dieser Faserzüge sicher von der An- ordnung der Zwischenräume in der Neuroglia mit abhängig sind [His 26 S. 50], aber es scheint mir höchst zweifelhaft, ob diese Vor- richtung zur Herstellung der richtigen Verbindungen allein genügt. Deshalb dürften vielleicht auch hier Richtungsreize unterstützend ein- greifen. , Wenn‘ somit sowohl die Verteilung der peripheren Nerven und ihrer feinsten Endigungen als auch zum Teil der Faserverlauf in den Zentralorganen von bestimmten Richtungsreizen abhängig wäre, auf welche die verschiedenen Nervenausläufer abgestimmt zu denken sind, so ist klar, dass bei der großen Zahl von Endigungen auch sehr viele differente Reizursachen vorhanden sein müssen, da ja sonst nicht ein- zusehen wäre, weshalb nicht mehrere Nerven an einem Punkte enden. Diese Differenz der Reizursachen oder der Anlockungsmittel — wie wir auch sagen können — braucht nun aber nicht immer eine quali- tative zu sein, sondern kann in manchen Fällen auch nur in der Reiz- stärke bestehen. So wäre es z. B. möglich, dass sämtlichen Muskeln zwar dasselbe Reizmittel zukommt, dass dieses aber in den einzelnen Muskeln oder gar in den einzelnen Fasern derselben eine verschiedene Stärke besitzt, so dass nur solche Nerven angelockt werden können, deren Reizschwelle mit der betreffenden Stärke übereinstimmt. Die Zahl der Reizursachen kann auch noch dadurch verringert werden, dass die einzelnen Nervenfasern auf dieselbe Ursache in differenter Weise reagieren d. h. sich positiv, negativ oder gar diatropisch er- weisen können. Als ein Beispiel hierfür könnte man z. B. die beiden Fortsätze der Nervenzellen in den Spinalganglien anführen, da das zentrifugale Wachstum des einen und das zentripetale des anderen sehr wohl von 1) Wir haben im ersten Teil eine ganze Anzahl von Fällen aufgeführt, in denen es sich um die Veränderung der Reizstimmung mit fortgeschrittenem Alter etc. handelt. Es sei hierzu bemerkt, dass überhaupt dem Leser das typische Auswachsen der Nerven umsoweniger rätselhaft erscheinen wird, je mehr es sich mit den Richtungsbewegungen wachsender Organe beschäftigt hat. Dies ist auch der Grund gewesen, weshalb ich den ersten Teil so aus- führlich behandelt habe. Eine genaue Lektüre desselben dürfte den zweiten weit verständlicher machen und manche hypothetische Aeußerung in ihm für berechtigter als sonst erscheinen lassen. 51* 804 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. derselben Reizursache ausgelöst werden könnte. Der zentripetale Fort- satz teilt sich bekanntlich im Rückenmark in zwei sekundäre Aeste, von denen der eine nach vorn, der andere nach hinten verläuft. Auch hier wäre es möglich, dass die entgegengesetzt gerichteten Bahnen dieser Nervenfasern von einer und derselben Reizursache bestimmt werden. Man ersieht aus diesen Beispielen zugleich, dass die Zahl der Reizursachen nicht dieselbe Größe wie die der verschiedenen Wachs- tumsrichtungen der Nervenfasern zu haben braucht, was übrigens dem Leser des ersten Teiles selbstverständlich sein wird. Interessant ist, dass den Endorganen nach vollendeter Entwicklung das Vermögen abzugehen scheint, die für sie bestimmten Nerven anzu- locken, resp. dass die letzteren die Fähigkeit verloren haben, auf die Richtungsreize der ersteren zu reagieren. Wird nämlich ein Nerv durchschnitten, so wachsen die neuen Axenzylinder aus dem zentralen Stumpf in die alten Röhren des peripheren Stückes hinein und ge- langen auf diese Weise nach längerer Zeit zu den Endorganen. Sind dagegen die beiden Schnittflächen weiter von einander entfernt, so verlieren sich die neuen Nervenfasern im umgebenden Gewebe oder gelangen gar an andere Endorgane. Werden die beiden Enden des durchschnittenen Nerven mittels Seidenfäden verbunden, so gelangen die auswachsenden Axenfasern an den riehtigen Bestimmungsort, und der Nerv wird vollständig regeneriert |v. Notthafft 47]. Die Nerven- faseın benutzen also in diesem Falle die Seidenfäden als Brücke von einem Ende zum anderen und scheinen deshalb Kontaktreizbarkeit zu besitzen. Sollte sich dieses als richtig herausstellen, so würde ich trotzdem den Thigmotropismus zur Erklärung der gesetzmäßigen Ver- teilung der Nerven nicht für genügend halten. Hierbei müssen offen- bar noch andere Tropismen unbekannter Natur beteiligt sein. — Diese allgemeinen Erörterungen über den Anteil von Richtungs- reizen an der Ausbreitung der Nerven mögen zur Zeit genügen. Die genaue Erforschung der Natur dieser Reize bleibt der Zukunft über- lassen. Es ist dies eine unendlich schwierige, aber hoffentlich nicht unlösbare Aufgabe. Das Beste, was wir bis jetzt mittels unsrer Hypo- these gewonnen haben, scheint mir darin zu bestehen, dass wir das Vorhandensein von Wirkungsweisen, wie sie in der Pflan- zenphysiologie seit langem bekannt sind, auch in der tierischen Ontogenese wahrscheinlich gemacht haben. Indem wir zeigten, dass die Richtung auswachsender Nervenfasern ebenso wie die wachsender pflanzlicher Organe möglicherweise von bestimmten Reizen abhängig ist, haben wir also zwei differente Erscheinungsreihen unter einen Hut gebracht. Ein Teil des Rätselhaften, welches notgedrungen das Auswachsen der Nerven nach dem jetzigen Stand unsrer Kenntnisse an sich tragen Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 805 musste, und welches Hensen sehr richtig gefühlt hat, wäre also durch unsre Hypothese beseitigt. Ein anderer bleibt jedoch bestehen und lässt sich in den Fragen ausdrücken: Warum besitzen die verschie- denen Nervenfasern eine spezifische Reizbarkeit und warum üben die Endorgane spezifische Reize und gerade die aus, auf welche die ihnen zugehörigen Nerven abgestimmt sind? An Stelle des Rätsels, welches sich bisher in dem regelmäßigen Auswachsen der Nerven äußerte, erscheint uns also nunmehr das neue in Gestalt der Frage nach der Ursache der gesetzmäßigen Verteilung von bestimmter Reizbarkeit und bestimmter Reizursache. Dürfen wir hoffen, dereinst auch diese Frage zu lösen oder stoßen wir hier schließ- lich auf eine Schranke? Im 3. Teil unsrer Untersuchungen wollen wir eine Antwort hierauf geben, wobei wir namentlich wieder die beiden Arbeiten von Driesch [10 u. 11] zu berücksichtigen haben werden. b) Einige Tropismen in der Entwicklungsgeschichte der Süßwasserturbellarien. 1) Es dürfte bekannt sein, dass die einzelligen Drüsen der Süß- wasserturbellarien aus Parenchymzellen ihre Entstehung nehmen und oft mit ziemlich langen Ausführungsgängen an ihren Bestimmungs- orten ausmünden. Die Verteilung der sog. Schleimdrüsen ist bei den Planarien eine ziemlich scharf umschriebene, insofern die größte Mehr- zahl derselben am unteren Körperrande und am Kopfende ihr Sekret nach außen ergießen. Andere Gruppen von Drüsen münden bekannt- lich in den Pharynx, in den Penis und in die Endabschnitte der Ovi- dukte, wie aus der Arbeit von Jijima [28] ersichtlich ist. Es fragt sich nun, wie diese differenten Drüsenkanälchen den richtigen Be- stimmungsort erreichen können und wie es z. B. möglich ist, dass die Ausführungsgänge der Speicheldrüsen nicht an der zunächst gelegenen Stelle der Körperoberfläche ausmünden, sondern zu bedeutender Länge auswachsen und schließlich ihr Sekret an dem freien Ende des Pharynx in die Schlundhöhle entleeren. Sollte hier nicht die Annahme am berechtigsten sein, dass bestimmte, zur Zeit leider nicht näher bekannte Richtungsreize den auswachsenden Kanälen ihren Weg vorschreiben ? Auch bei den rhabdocölen Turbellarien können die Ausführungs- gänge bisweilen eine bedeutende Länge erreichen, so namentlich an den Kopfdrüsen von Microstoma. Wahrscheinlich wird auch hier die Richtung der auswachsenden Kanälchen durch einen Reiz bestimmt, da sonst gar nicht einzusehen wäre, warum sich dieselben nach dem vorderen Körperende und nicht nach dem Darm oder auf dem nächsten Wege zum äußeren Körperepithel wenden, zumal die Drüsenzellen oft sehr weit im Innern des Parenchyms und von der Ausmündungsstelle entfernt liegen, wie man aus den Figuren von v. Wagner ersehen kann. 806 Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 2) Nach den Untersuchungen von Jijima entstehen die Dotter- stränge der Planarien aus einzelnen Parenchymzellen, welche sich ver- mehren und zur Bildung von verästelten und häufig anastomosierenden Ketten führen. Letztere sind anfangs sehr einfach gebaut, indem sie entweder nur aus einer einzigen oder aus mehreren neben einander liegenden Zellreihen bestehen. Erst nach der Umwandlung ihrer Ele- mente in Dotterzellen füllen sie den größten Teil des Pseudocöls aus. Welcher Umstand bewirkt es nun eigentlich, dass die überall im Körper zerstreuten Dotterstränge ihren Weg nach den Ovidukten finden und dass die hinter der Genitalöffnung gelegenen nach vorn auf die Ei- leiter zuwachsen. Ich glaube, dass wir das richtige treffen, wenn wir annehmen, es gehe von den Ovidukten ein Reiz aus, welcher den ein- zelnen Dotterzellketten ihre Bahn vorschreibt. c) Schlussbemerkungen. Obgleich die Zahl der im vorigen angeführten Beispiele keine große ist, so hoffe ich doch, dass sie genügen werden, um die Beteiligung von Tropismen an ontogenetischen Prozessen wahrscheinlich zu machen. Es würde ein leichtes sein, den erwähnten Beispielen nach eine Reihe anderer Fälle hinzuzufügen, ich will jedoch davon Abstand nehmen, da es nicht der Zweck dieser Abhandlung ist, möglichst viele spezielle Hypothesen aufzustellen, die doch notgedrungen zur Zeit mehr oder weniger unsicher sein müssen, sondern da derselbe nur darin besteht, an der Hand einiger Beispiele die Fruchtbarkeit unsrer allgemeiien Hypothese nachzuweisen. Vielleicht wird es sich durch künftige Untersuchungen heraus- stellen, dass nicht nur bei dem Auswachsen der Nerven, sondern auch bei der Gefäßbildung — und wenn auch nur bei der sog. sekundären — Tropismen eine große Rolle spielen. Kam es doch bereits Hensen „völlig rätselhaft vor, dass die feinen Ausläufer der sich neubildenden Kapillaren richtig aufeinander treffen“ [22 S. 112], so dass der Kreis- lauf nicht unterbrochen wird, sondern geschlossen bleibt. Und be- trachten wir nun erst die gesetzmäßige Verbreitung der Blutbahnen im Körper; werden wir da nicht unwillkürlich zu der Annahme ge- drängt, dass hierbei höchst wahrscheinlich „riehtende Kräfte“ im Spiele sind, obgleich wir wegen unsrer mangelhaften Kenntnisse von der Entwicklungsgeschichte des Gefäßsystems zur Zeit nicht einmal sagen können, ob wir es mit taktischen Erscheinungen oder mit Tropismen zu thun haben werden. Fast hat es den Anschein, als wäre in dem einen Falle die erste, in dem anderen die zweite Möglichkeit richtig. Die Arbeiten von P. Mayer, Wenckebach etc. auf der einen und die von Rabl u. a. auf der anderen Seite [siehe in 24], lassen dies wenigstens vermuten. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 807 Auch noch in manchen anderen Fällen werden die künftigen Forschungen höchst wahrscheinlich die Wirkung von tropischen Reizen nachweisen können. Alles gerichtete Wachsen muss ja eine Ursache haben, und so dürfte überall da, wo ein Organ nach einer bestimmten Stelle des Embryo hinwächst oder wo zwei getrennte Anlagen zur Bildung eines einheitlichen Organes zusammenwachsen, nach solehen Richtungsreizen zu suchen sein. Ein Hauptaugenmerk muss man dabei natürlich darauf richten, ob die Richtung wirklich durch einen Reiz bedingt, oder ob sie nur von der Konfiguration der übrigen Organe und von dem Winkel abhängt, unter welchen sich das betreffende Organ von seinem Mutterboden abzweigt. Es wäre so z. B. möglich, dass bei der Wachstumsrichtung der Vornierenkanälchen kein Rich- tungsreiz beteiligt ist, sondern dass dieselben sämtlich aus der parie- talen Wand des Mittelblattes unter einem bestimmten, nach hinten ge- richteten, spitzen Winkel entstehen, welcher ohne weiteres die Wachs- tumsrichtung des Vornierenganges, der bekanntlich aus einer Verbindung der einzelnen Kanälchen entsteht, bestimmen würde. In der Botanik nennt man den Winkel, welchen ein Organ ohne das Hinzukommen äußerer Einflüsse mit seiner Mutteraxe bildet, den Eigenwinkel des- selben. Wahrscheinlich verdankt derselbe einer inneren Korrelation von vorläufig unbekannter Natur seine Entstehung). So wären wir denn am Ende der Aufgabe angelangt, welche wir uns in dieser Arbeit gestellt hatten. Mögen auch viele der speziellen hypothetischen Erörterungen sich in Zukunft als verfehlt herausstellen, so glaube ich doch, dass unsre Hypothese im Prinzip zu Recht bestehen bleiben wird, und es sich früher oder später herausstellen dürfte, dass in der That bei dem Zustandekommen mancher ontogenetischer Vorgänge Richtungsreize eine große Rolle spielen. Litteraturverzeichnis. [1] Aderhold R., Beitrag zur Kenntnis richtender Kräfte bei der Be- wegung niederer Organismen. Jen. Zeitschr., XXI, N. F., XV. [2] Blasius-Schweizer, Elektrotropismus und verwandte Erscheinungen. Pflüger’s Archiv, 53. [3] Brunchorst, Galvanotropismus. 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Arb. a. d. bot. Institut Würzburg, II. [13] Derselbe, Ueber eine Wirkung des galvanischen Stromes auf wach- sende Wurzeln. Bot. Zeitung, 1882. [14] Derselbe, Ueber physiologische Fernwirkung einiger Körper. Hel- singfors 1890. [15] Derselbe, Zur Kenntnis der pflanzlichen Irritabilität. Öfversigt af Finska Vet. Soc. Förhandl, Häft XXXVI. [16] Engelmann, Ueber Licht- und Farbenperzeption niederster Organismen. Pfüger’s Archiv, 29. [17] Errera L., Ueber die Ursache einer physiologischen Fernwirkung. Biol. Centralbl., XII. 18] Frank A., Lehrbuch der Botanik. Leipzig 1892, [19] Graber V., Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farben- sinnes der Tiere. Prag u. Leipzig, 1884. [20] Haberlandt G., Eine botanische Tropenreise. Leipzig 1893. [21] Hallez P., Embryog6nie des dendrocoeles d’eau douce. Paris 1887. [22] Hensen V., Ueber die Nerven im Schwanz der Froschlarven. Archiv f. mikr. Anatomie, IV. [23] Herbst C., Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss der ver- änderten chemischen Zusammensetzung des umgebenden Mediums auf die Entwicklung der Tiere, I u. II. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 55 und Mitt. a. d. zool. Station Neapel, XI. [24] Hertwig O., Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte, Jena 1893 (4. Aufl.). [25] His W., Untersuchungen über die Bildung des Knochenfischembryo. Arch. f. Anat. u. Phys., Anat. Abt., 1878. [26] Derselbe, Zur Geschichte des menschlichen Rückenmarkes und der Nervenwurzeln. Abh. d. math.-phys. Kl. d. kgl. Sächs. Ges. d. Wiss., IV, Bd. XIH. [27] Jensen, Ueber den Geotropismus niederer Organismen. Pflüger’s Archiv, 53. [28] Jijima S., Untersuchungen über den Bau und die Entwicklungsgeschichte der Süßwasserdendrocölen. Zeitschr. f. wiss. Zool., 40. [29] Keller S., Die ungeschlechtliche Fortpflauzung der Süßwasserturbel- larien. Dissertation, 1894. [30] Koelliker A., Histologische Studien an Batrachierlarven. Zeitschrift f. wiss. Zool., 43. [31] Kohl F., Die Mechanik der Reizkrümmungen. Marburg 1894. [32] Korschelt -Heider, Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsge- schichte. Jena 1890 — 1893. [33] Loeb J., Der Heliotropismus der Tiere. Würzburg 1890. [34] Derselbe, Weitere Untersuchungen über den Heliotropismus bei Tieren, Pflüger’s Archiv, XLVI. Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie für die Ontogenese. 809 [35] Loeb, Ueber Geotropismus bei Tieren. Pflüger’s Arch,, XLIX. [36] Derselbe, Untersuchungen zur physiologischen Morphologie der Tiere, Iu. I. Würzburg 1891 u. 1892. [37] Derselbe, Ueber künstliche Umwandlung positiv heliotropischer Tiere in negativ heliotropische und umgekehrt. Pflüger’s Archiv, 54. [38] Derselbe, A Contribution to the physiology of Coloration in animals. Journ. of Morph., VII. [39] Derselbe, Ueber die Entwicklung von Fischembryonen ohne Kreis- lauf. Pflüger’s Archiv, 54. [40] Derselbe, Ueber die relative Empfindlichkeit von Fischembryonen gegen Sauerstoffmangel und Wasserentziehung. 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[62] Schwarz F., Der Einfluss der Schwerkraft auf die Bewegungsrichtung von Chlamydomonas und Euglena, Sitzungsber. d. deutsch. botan. Gesellsch., II, s10 Nagel, Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes augenloser Tiere. [63] Stahl E., Ueber den Einfluss von Richtung und Stärke der Beleuch- tung auf einige Bewegungserscheinungen im Pflanzenreiche. Botan. Zeitung, 1880. [64] Derselbe, Zur Biologie der Myxomyceten. Bot. Zeitung, 1880. [65] Derselbe, Ueber den Einfluss des Lichtes auf den Geotropismus einiger Pflanzenorgane. Ber. d. deutsch. bot. Ges., II. [66] Strasburger E., Wirkung des Lichtes und der Wärme auf Schwärm- sporen. Jena 1878. [67] Verworn M., Die polare Erregung der Protisten durch den galvanischen Strom. Pflüger’s Archiv, 45 u. 46. [68] Derselbe, Psycho-physiologische Protistenstudien. Jena 1889, [69] Derselbe, Die Bewegung der lebendigen Substanz. Jena 1892. [70] v. Wagner F., Zur Kenntnis der ungeschlechtlichen Fortpflanzung von Microstoma. Zool. Jahrb., Abt. f,. Anat., 4. [71] Wiesner J., Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreich. Denkschr. d. kais. Akad. d. Wiss., Wien, Bd. 39 u. 43. [72] Wortmann J., Zur Kenntnis der Reizbewegungen. Bot. Zeitung, 45. [73] Derselbe, Ueber den Thermotropismus der Wurzeln. Bot. Zeitg., 43. [74[| Derselbe, Ueber die Beziehungen der Reizbewegungen wachsender Organe zu den normalen Wachstumserscheinungen. Bot. Zeitg., 47. Zürich, im Juli 1894. Nachtrag. Nachträglich sehe ich, dass His in seiner neuesten Schrift „Ueber mechanische Grundvorgänge tierischer Formenbildung“ (Arch. f. Anat. u. Physiol., 1894) auf seine alten Beobachtungen am Knochenfisch- embryo zurückgekommen ist und ähnlich wie dort das Flächenwachs- tum des Ektoderms bei Haifisch- und Hühnerembryonen zum großen Teil durch das Einwandern neuer Zellen aus tieferen Schichten in die oberflächliche Lage zu Stande kommen lässt. Die Ursache dieses Wanderns sieht er in einer chemo- resp. oxygenotaktischen Reizbar- keit der betreffenden Zellen. Was seine Behauptung anbetrifft, dass sich die Verteilung der Blutgefäße und Nerven dadurch erkläre, dass dieselben „den Bahnen geringsten Widerstandes entlang wachsen“ so sei bemerkt, dass ich diesen Ausbreitungsmodus der betreffenden Organe zur vollständigen Erklärung ihrer gesetzmäßigen Verteilung nicht für ausreichend halte; Tropismen scheinen meiner Ansicht nach hier unter- stützend eingreifen zu müssen. Näheres ist in meiner vorstehenden Arbeit selbst zu lesen. Neapel, zoologische Station, den 5. Oktober 1894. Ein Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes augenloser Tiere. Von Dr. rer. nat. et med. Wilibald A. Nagel, Assistent am physiologischen Institut in Tübingen. 1. Amphioxus lanceolatus ist in höherem Maße lichtempfindlich, als man nach den bisherigen diesbezüglichen Angaben annehmen sollte. Nagel, Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes augenloser Tiere. s11 Das Organ des Lichtsinnes (photoskioptischen Sinnes, vergl. meine frühere Mitteilung Biol. Centralbl., 14. Bd., Nr. 11) ist die ge- samte Haut des Körpers, und nicht die als Augenflecken be- zeichneten Pigmentanhäufungen am Kopfende. Lässt man eine Schale mit halb im Sande vergrabenen Lanzett- fischen mit einem undurchsichtigen Deckel bedeckt eine Viertelstunde ruhig stehen und nimmt jetzt den Deckel vorsichtig ab, so zuckt ein großer Teil der Tiere zurück und versteckt sich. Entsprechend ein- gerichtete Kontrolversuche beweisen, dass hierbei ausschließlich die Belichtung und nicht etwa Erschütterung und Geräusch das maßgebende ist. Auch bei Belichtung durch Drehen eines Spiegels erhält man jenes Resultat. Weit stärker wird der Reizerfolg, wenn man Lanzettfische in eine Schale mit Seewasser ohne Sand bringt, so dass die Tiere sich nicht verstecken können. Plötzliche Belichtung lässt dann die sämt- lichen Exemplare wild durch’s Wasser jagen. An diesen Resultaten wird nichts geändert, wenn die vorderste Körperspitze (mit samt den angeblichen Augen) in der Länge von einigen Millimetern zuvor abgeschnitten wurde. Ja selbst halbierte Lanzettfische reagieren, wenn auch weniger energisch, noch prompt auf Belichtung. Der Wechsel der Beleuchtungsintensität braucht nicht einmal ein bedeutender zu sein, um vorstehende Versuche gelingen zu lassen; es bedarf vor allem nieht direkter Sonnenbestrahlung, sondern schon das diffuse Tageslicht im Zimmer bei bewölktem Himmel reicht aus, um die photoptische Reaktion auszulösen. Skioptische Reaktion (Wirkung der plötzlichen Beschattung) ist bei Amphioxus nur schwach ausgebildet und etwas unsicher. Immerhin bemerkt man nach einer längeren Zeit völligen Ungestörtseins der Tiere, dass bei plötzlicher Beschattung sich ein Teil derselben versteckt. II. Der Röhrenwurm Spirographis Spallanzanii ist deutlich skioptisch er versteckt seine blumenartigen Kiemenbüschel blitzschnell, sowie auch nur ein leichter Schatten über dieselben hinstreift. Dieser Ver- such (am großen Würmerbassin des Neapeler Aquariums angestellt) gelang mir übrigens nur früh morgens sicher, wenn die Tiere noch in keiner Weise gestört waren, während des Tages sind dieselben gegen den Schattenreiz abgestumpft, so dass die skioptische Reaktion häufig ausbleibt. Die Aseidie Ciona intestinalis ist deutlich photoptisch reizbar, sie schließt und retrahiert ihre Mantelöffinungen bei plötzlicher Belichtung. Skioptische Reaktion fehlt. 812 Nagel, Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes augenloser Tiere. Die Actinie Cereanthus membranaceus zieht sich (wie schon Bronn fand) bei plötzlicher Belichtung lebhaft zusammen. Direktes Sonnen- licht (wie Bronn angibt) ist nicht notwendig. Skioptische Reaktion ist nicht vorhanden, bei Adamsia und Anemonia weder diese, noch photoptische Reaktion. Ill. Wird eine Gehäuseschnecke (Helix pomatia oder H. hortensis), nachdem sie längere Zeit in keiner Weise gestört und gereizt worden ist, plötzlich von einem Schatten getroffen, so zieht sie sich mehr oder weniger heftig zusammen. Beide Fühlerpaare pflegen momentan ein- gestülpt und der Kopf rückwärts gezogen zu werden. Nicht selten zieht sich das ganze Tier ins Haus zurück, zuweilen unter zischendem Geräusch. Die dunkel pigmentierte Helix arbustorum reagiert schwächer, die Nacktschnecken noch weit schwächer. Diese skioptische Empfindlichkeit ist nicht an die Augen geknüpft, sondern ist, wie bei manchen Muscheln, eine Eigenschaft der Haut. Die Haut ist bei den Schnecken ein empfindliches photoskioptisches Sinnesorgan, ein Organ zur Wahr- nehmung von Licht und Schatten (vielleicht auch von Farben). Die Augen stellen nur insofern eine Modifikation des Lichtsinnesorganes der Haut dar, als sie einen bilderzeugenden Apparat enthalten, wo- durch die Tiere ikonoptisch werden. Beweisend sind folgende Versuche: Werden der Schnecke beide Augen durch Abschneiden der Endanschwellungen des längeren Fühler- paares genommen, so tritt nach einer kurzen Erholungspause (aber auch noch nach Wochen) die beschriebene skioptische Reaktion noch fast unverändert ein. Die Stümpfe der langen Fühler werden, wie auch die kurzen Fühler eingestülpt. Auch wenn beide Fühlerpaare abgeschnitten sind (und zwar dicht über der Basis) wird dadurch an der Stärke der Reaktion des Kopfes und ganzen Körpers nichts geändert. Wie bei allen denjenigen Tieren, welche deutliche, rasch ein- tretende!), skioptische Reaktionen zeigen, erfolgt bei den Schnecken eine sehr rasche Gewöhnung an den Reiz des Beleuchtungswechsels. Der beschriebene Versuch gelingt stets nur wenige (2—3) Mal nach- einander, und auch da nur, wenn immer eine Viertelstunde Pause ein- geschoben wurde. Nach mehrmaliger Wiederholung bleibt jede Reaktion selbst auf die intensivste Beschattung aus, und erst nach einigen Stunden kehrt die Empfänglichkeit für den Reiz wieder. Auf die vergleichend-psychologische Wichtigkeit dieser Gewöhnung, wie über- 1) im Gegensatz z. B. zu Pholas dactylus, welche langsam reagiert und sich auch nur spät an den Reiz der Beschattung und Belichtung gewöhnt. Exner, Entwurf zn einer physiologischen Erklärung. s13 haupt der ganzen skioptischen Reaktionen habe ich schon früher (am obengenannten Orte, S. 389) hingewiesen !). IV. Meinen früheren Mitteilungen tiber den Lichtsinn augenloser See- muscheln kann ich hinzufügen, dass auch die Süßwassermuschel Unio pictorum für plötzliche Beschattung hochgradig empfindlich ist. Unter dem Einflusse der Beschattung zieht sie die papillentragenden Mantel- randlappen zurück, welche die Einfuhröffnung des Mantelraumes be- grenzen, und schließt die Schalen (letzteres nicht regelmäßig). Auch helle Belichtung (z. B. Abends durch eine Kerze) wirkt reizend, der ausgestreckte Fuß wird teilweise eingezogen, die Schale aber nicht geschlossen. Tübingen, Oktober 1884. Sigmund Exner, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen. I. Teil. Mit 63 Abbildungen. 8. VIII u. 380 Seiten. Leipzig und Wien. Franz Deuticke. 1894. Dass die psychischen Erscheinungen, über deren Dasein wir haupt- sächlich durch unsre Empfindungen belehrt und deren Gesetzmäßigkeit wir durch Selbstbeobachtung kennen lernen, innig mit den physiolo- gischen Vorgängen in unserm Nervensystem zusammenhängen, ist ja unzweifelhaft. Deshalb muss auch der Versuch gerechtfertigt erscheinen, den tieferen Zusammenhang der Prozesse zu erforschen, um zu sehen, wie weit es möglich ist, alle oder wenigstens einen größeren Teil jener Erscheinungen auf bekannte physiologische Thatsachen zurückzuführen. 4) Mit der Korrektur vorstehender Zeilen beschäftigt, finde ich in der „naturwissenschaftlichen Rundschau“, IX. Jahrg, Nr. 41 ein Referat R. v. Han- stein’s über meine obenerwähnte Mitteilung über den Lichtsinn augenloser Muscheln. Unter Bezugnahme auf meine Angabe, dass das Ausbleiben skiop- tischer Reaktion bei mehrmaliger Wiederholung des Versuches auf eine gewisse primitive Urteilsfähigkeit schließen lasse, jedenfalls also psychologisch und nicht rein physiologisch zu erklären sei, sieht sich v. Hanstein zu der Aeuße- rung veranlasst: „Uns scheint diese Deutung noch nicht hinlänglich motiviert“. Da ich die Alternative, ob es sich bei den beobachteten Erscheinungen um einen physiologischen Ermüdungsprozess oder um einen psychischen Akt handle, ausdrücklich erörtert und darauf hingewiesen habe, dass die Thatsachen sich weit besser mit der letzteren Annahme vereinigen lassen, ist es mir nicht recht verständlich, wie der Herr Referent meine Deutung so kurzweg abweisen durfte, ohne doch eine bessere Erklärung wenigstens anzudeuten, besonders da jene Frage gerade den Kernpunkt meiner kleinen Abhandlung bildet, dessen- wegen dieselbe geschrieben wurde. 814 Exner, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung. Wenn man diesen Versuch als „Erklärung“ bezeichnen will, so lässt sich dagegen nichts einwenden. Wir haben eine Naturer- scheinung erklärt, wenn wir im Stande sind, sie an die richtige Stelle in der Gesamtheit unsrer Naturkenntnis einzureihen, ihren Zu- sammenhang mit anderen Naturerscheinungen anzugeben. Wir haben das Gewitter erklärt, wenn wir nachweisen, dass es eine elektrische Erscheinung ist, d. h. dass die Vorgänge bei ihm zu derselben Reihe gehören, wie gewisse uns bekannte Erscheinungen, welche unter einander ähnlich sind und die wir unter dem Namen der elektrischen zusammenfassen. In diesem Sinne können wir also sagen, dass die psychischen Erscheinungen in die Reihe der Erscheinungen des Ner- vensystems einzuordnen eine Erklärung derselben sei. Diese Ein- ordnung versucht Herr Exner in dem vorliegenden Werke auf Grund unsrer Kenntnisse von den einen und den anderen. Nun müssen wir allerdings zugestehen, dass unsre Kenntnisse von den (physiologischen) Erscheinungen des Nervensystems selbst noch eine sehr lückenhafte ist. Aber auch das ist kein Grund den Versuch, den Herr E. unternommen hat, zu unterlassen. Auch die Kenntnis der elektrischen Erscheinungen war zu Franklin’s Zeit noch eine sehr mangelhafte und ihre wahre Natur bleibt auch für uns jetzt noch eine hypothetische. Trotzdem war es ein entschiedener Fortschritt, als Franklin zeigte, dass das Gewitter zu ihnen gehöre. Ist die Zu- sammengehörigkeit erst erwiesen, dann dient jede Erweiterung der Kenntnis in einem Teil des Gebietes auch zum besseren Verständnis der anderen, in dasselbe Gebiet gehörigen Erscheinungen. Was wir von den Leistungen unsres Nervensystems wissen, lässt sich in wenige Sätze zusammenfassen. Nervenfasern sind reizbar, d.h. unter der Einwirkung äußerer Agentien geraten sie in einen verän- derten Zustand, welchen wir als Zustand der Thätigkeit bezeichnen; dieser Zustand pflanzt sich in den Nerven mit einer gewissen Ge- schwindigkeit fort und kann von den Nerven auf andre Organe, mit denen sie in anatomischem Zusammenhang stehen, übergehen und in diesen Wirkungen hervorrufen. Jede solche Nervenfaser entspringt aus einer Nervenzelle und endigt an ihrem anderen Ende in dem so- genannten Endbäumehen, welches entweder in einem peripheren Organ (z. B. einem Muskel) liegt oder zu einer anderen Nervenzelle in Be- ziehung tritt, aus der wieder, neben anderen Fortsätzen, eine andere Nervenfaser hervorgeht. Ein anatomischer Zusammenhang zwischen jenem Endbäumchen und der Nervenzelle konnte bisher nieht nach- gewiesen werden; aber eine physiologische Kontinuität muss bestehen, denn die Erregung kann von einer Faser durch Vermittlung der Zelle auf eine andre Faser übergehen. Außerdem aber hängen die Nerven- zellen, welche namentlich in den Centralorganen des Nervensystems in außerordentlich großer Zahl vorhanden sind, unter einander durch Exner, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung. 815 ihre Ausläufer so zusammen, dass jede Erregung auf ein sehr großes Gebiet sich verbreiten kann. Auf diesen physiologischen Grundlagen baut Herr E. seinen Er- klärungsversuch auf. Er gibt im ersten Kapitel seines Buches eine kurze Uebersicht über den anatomischen Bau des Nervensystems und im zweiten über unsre physiologischen Kenntnisse von denselben. Neben jenen eben kurz dargelegten bekannteren Thatsachen bespricht er hier besonders die Erscheinungen der Hemmung und Bahnung, welche für seine späteren Erörterungen von hervorragender Wichtig- keit smd. Darunter sind die Thatsachen zu verstehen, dass unter gewissen Umständen das Zustandekommen einer Erregung durch eine andre gleichzeitige Erregung erschwert und dass andrerseits durch eine vorhergegangene Erregung das Eintreten einer folgenden Erregung in derselben Bahn erleichtert wird. Was von diesen Erscheinungen an positiven Thatsachen bekannt ist, stellt der Vf. sorgfältig zu- sammen und erweitert es, allerdings hypothetisch, zu einer allgemeinen Eigenschaft aller bei den mannigfachen im Centralnervensystem sich abspielenden Erregungsvorgängen beteiligten Nervenzellen und Nerven- bahnen. Da die Verbindungen zwischen den Zellen so zahlreiche sind, dass in Wahrheit wohl jede Nervenzelle mit jeder andern durch Leitungsbahnen zusammenhängt, so kann eine irgendwo in das Central- nervensystem eingetretene Erregung die mannigfaltigsten Wege zurück- legen. Aber nicht alle diese Bahnen sind gleich wegsam, und es ergeben sich daraus verschiedene Grade der „Verwandtschaft“ zwischen den einzelnen Zellen oder Zellhaufen. Diese Verwandtschaft kann aber durch die „Bahnung“ erhöht werden und zwar nicht nur für das einzelne Individuum, sondern kann auch durch Vererbung der erwor- benen Verwandtschaftsgrade auf die Nachkommenschaft zu dauerndem und dann angeborenem Besitz werden. Wenn eine Erregung in eine Zellgruppe eingetreten und von dieser durch die betreffenden Verbindungsbahnen zu einer anderen Zellgruppe fortgeleitet worden ist, so wird diese, wie der Vf. annimmt, geladen d. h. sie gerät in einen Zustand erhöhter Thätigkeit. Ist die Energie sroß genug, so tritt die Erregung in die von den Zellen der zweiten Gruppe abgehenden Bahnen über, die Zellen entladen sich. Reicht die Energie der Ladung hierzu nicht aus, so kann doch die Ladung der Zelle zur Folge haben, dass eine von andrer Seite her ihr zuströmende Erregung, welche an sich zu schwach gewesen wäre, eine Entladung zu bewirken, dies jetzt zu thun im Stande ist. Aber die Entladung geht auch zum Teil auf denselben Bahnen zurück, auf denen sie angelangt ist, also zu dem ersterregten Zellkomplex. So entsteht zwischen zwei Zellkomplexen ein rhythmisches Hin- und Her- strömen von Ladungen, welche Herr E. als „interzellulären Tetanus“ bezeichnet. 816 Exner, Entwurf zu einer physiologischen Erklärung. Solange, als diese Erregungen sich in den subkortikalen Zentren abspielen, erzeugen sie die Vorgänge der Reflexe u. s. w., welche ohne Mitwirkung des Bewusstseins verlaufen. Von den einzelnen Sta- tionen dieser verwickelten Zellgruppensysteme verlaufen aber auch Lei- tungsbahnen zu den Zellen der Hirnrinde; die nach diesen fortge- leiteten Erregungen bewirken die Vorgänge der bewussten Empfin- dungen, an welche sich dann die verschiedensten Arten von psychischen Prozessen anzuschließen vermögen. Auf der so geschaffenen Grundlage bespricht Herr E. nacheinander die willkürlichen Bewegungen, die Aufmerksamkeit, die Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen und Intelligenz und führt alle Er- scheinungen derselben auf jene Grundphänomene zurück. Dass dabei Vieles rein hypothetisch bleibt, ist selbstverständlich. Im Einzelnen aber finden sich viele feine Betrachtungen und zahlreiche Beobachtungen von hohem Interesse, die häufig an frühere Arbeiten des Verfassers anknüpfen, aber auch die Arbeiten anderer Forscher verwerten. Wir erhalten so eine auf physiologischer Grundlage streng durchgeführte empirische Psychologie. Was der Vf. zeigen wollte, ist ihm, soviel ich sehen kann, ge- lungen. Freilich wissen wir auch nach seiner Darstellung nicht, wie die Erregung einer Nervenzelle als eine Empfindung in die Erscheinung treten kann. Aber solche metaphysische Fragen aufzuwerfen lag auch gar nicht in seiner Absicht, wenigstens nicht in diesem ersten Teil seines Werkes. Wir wollen deshalb das Erscheinen des zweiten Teiles abwarten, um dann vielleicht auf einige Punkte zurückzukommen, welche von allgemeinerem Interesse sind. Wenn ich zum Schluss noch einen Wunsch aussprechen darf, so möchte ich bitten, diesem zweiten Teil ein ausführlicheres Register über das ganze Werk beizugeben. Das zum ersten Teil gehörige er- füllt seinen Zweck nicht genügend. Als ich nach dem ersten Durch- lesen des Buchs mich über einzelne Punkte, die mir von Wichtigkeit erschienen waren, noch weiter unterrichten wollte, ließ es mich im Stich. Ich fand keinen Hinweis auf den „interzellulären Tetanus“, welcher in dem Buch eine recht große Bedeutung hat. Bei anderen Stichwörtern fand ich nur eine einzige Seitenzahl, während die Sache selbst im Text sehr häufig behandelt wird. Ein Register zu einem Buch, welches so viele Einzelnheiten enthält, kann meines Erachtens nicht ausführlich genug sein; ein zuviel schadet nichts, jedes zuwenig aber wird von dem, der das Buch benutzt, unangenehm empfunden. J. Rosenthal. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. Inhalt: Strasburger, Ueber periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Ent- wicklungsgang der Organismen. — Schimkewitsch, Ueber die exkretorische Thätigkeit des Mitteldarmes der Würmer. — Korotneff, Embryonale Entwick- lung der Salpa democratica. — Lueb, On some facts and principles of physiological Morphology. — Marshall, Neueröffnetes, wundersames Arzenei- Kästlein, darin allerlei gründliche Nachrichten, wie es unsere Voreltern mit den Heilkräften der Tiere gehalten haben, zu finden sind. 1. Dezember 1894. Nr. 23 Ueber periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Ent- wicklungsgang der Organismen. Von Professor E. Strasburger in Bonn a. Rh. Im Juli dieses Jahres wurde ich aufgefordert einen Vortrag in Oxford bei der Versammlung der British Association for the Advance- ment of Seience zu halten, und schrieb demgemäß diesen Aufsatz nieder. Es geschah dies auf Grund von Gedanken, mit denen ich mich schon seit geraumer Zeit getragen hatte. Das nach England gesandte Manu- skript war Prof. Sydney Vines so gütig ins Englische zu übersetzen, und ist diese Uebersetzung im Septemberheft der vornehmlich von ihm redigierten Annals of Botany erschienen. Die seitdem verflossene Zeit benutzte ich, um das deutsche Manuskript durchzusehen, es zu erweitern und zu verbessern und bringe es nun in dieser Fassung hier zur Ver- öffentlichung. Die einfachsten Organismen, die wir kennen, vermehren sich nur auf ungeschlechtlichem Wege. Es scheint als könne die geschlecht- liche Differenzierung nur auf der niedrigsten Stufe der Organisation fehlen und als müsse sie sich mit Notwendigkeit einstellen, sobald eine bestimmte Höhe der Organisation erreicht ist. Sie dürfte auf Grund von Eigenschaften erfolgen, die der organischen Substanz un- mittelbar zukommen, und bildete sich zweifellos unzählige Male im Laufe der phylogenetischen Entwicklung aus. Zwar sind uns im Pflanzenreich auch relativ hoch organisierte Wesen bekannt, die sich XIV. 52 818 Strasburger, Periodische neduktion der Chromosomenzahl. nur auf ungeschlechtlichem Wege fortpflanzen, doch legt die ver- gleichende Untersuchung nahe, bei ihnen einen nachträglichen Verlust des Geschlechtes anzunehmen: So in der großen Abteilung der Pilze, so zweifellos bei apogamischen Farnkräutern. — Es scheint der Ge- schlechtsakt stets eine mächtige Förderung phylogenetischen Fortschrittes bewirkt zu haben, während umgekehrt jede höhere Ausbildung unter- blieb, so lange die geschlechtliche Sonderung noch nicht erlangt war. Vom phylogenetischen Standpunkte müssen wir annehmen, dass alle geschlechtlich -differenzierten Wesen aus ungeschlechtlichen hervorge- gangen seien. Am besten erläutern uns diesen Vorgang gewisse Chloro- phyceen, welche schwärmende Gameten im Geschlechtsakt zur Ver- einigung bringen. Augenscheinlich sind diese Gameten aus unge- schlechtlichen Schwärmsporen entstanden, denen sie meistens noch bis auf ihre geringere Größe, beziehungsweise auch kleinere Cilienzahl, gleichen. — Die geschlechtlich-differenzierten Pflanzen weisen in ihrem ontogenetischen Verhalten Verschiedenheiten auf, von welchen aus sich auf den Gang schließen lässt, den nach erfolgter geschlechtlicher Sonderung, die phylogenetische Entwicklung einschlug. Der einfachste Fall ist der, wo aus den Befruchtungsprodukten sich Individuen ent- wickeln, die denjenigen gleichen, welche diese Geschleehtsprodukte erzeugten und die den eigenen Entwicklungsgang entweder wieder mit Geschlechtsprodukten oder diesen homologen ungeschlechtlichen Fortpflanzungsorganen abschließen. So ist es bei vielen Chloropnyceen, die aus der Zygote (dem Kopulationsprodukt gleichgestalteter Ga- meten), oder dem befruchteten Ei (dem Produkt ungleich gestalteter Spermatozoiden und Eier) eine Generation entwickeln, welche der vor- hergehenden gleicht und entweder Schwärmsporen oder diesen homo- loge Geschlechtsprodukte bildet. Im Allgemeinen folgen einzelne geschlechtlich - differenzierte Generationen auf zahlreiche solche unge- schlechtliche, doch hängt diese Abwechselung von äußeren Umständen ab, so dass es, wie Klebs zeigte!), der Experimentator vielfach in seiner Gewalt hat, geschlechtliche oder ungeschlechtliche Generationen hervorzurufen. Es liegt in solchen Fällen eine homogene Generations- folge vor, die keinen anderen Wechsel in sich schließt, als den der Ausbildung ungeschlechtlicher oder ihnen homologer geschlechtlicher Fortpflanzungsorgane. Die ungeschlechtlichen Fortpflanzungsorgane haben meist für die rasche Vermehrung der Zahl der Individuen unter günstigen Entwicklungsverhältnissen zu sorgen, während der geschlecht- lichen Fortpflanzung meist die Aufgabe zufällt, die Erhaltung der Art unter Verhältnissen zu sichern, die der vegetativen Entwicklung wenig vorteilhaft sind. Zugleich bringt die geschlechtliche Fortpflanzung den Organismen bestimmte Vorteile, die aus der Vereinigung der Ge- 1) Vergl. im Besondern: Ueber den Einfluss des Lichtes auf die Fort- pflanzung der Gewächse. Biol. Centralblatt, 1893, Bd. XIII, S. 641 ff. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 819 schlechtsprodukte selbst erwachsen. So weit als die ungeschlechtliche Fortpflanzung in der geschlechtlichen vollständig aufging, die ursprüng- liche Form der Fortpflanzung somit ganz wegfiel, deckte die geschlecht- liche Fortpflanzung entweder als solche den Ausfall der ungeschlecht- lichen, indem sie für eine ausreichend große Anzahl von Keimen sorgte, so etwa bei Fucaceen, oder es bildeten sich, neben der ge- schlechtlichen Fortpflanzung, neue Organe für eine rasche und ergiebige Vermehrung der Individuen auf ungeschlechtlichem Wege aus. Dies geschah wieder in verschiedener Weise. Entweder wurden Organe der vegetativen Vermehrung in den Entwicklungsgang der ursprüng- lichen Generation eingeschaltet, oder eine neue Generation aus dem Geschlechtsprodukt erzeugt. Selbständige Individualisierung einzelner Entwieklungszustände oder Glieder der geschlechtlichen Generation zu besonderen, der vegetativen Vermehrung dienenden Organen, beziehungs- weise zu selbständigen Bionten, vollzog sich wohl vielfach bei den Pilzen und führte dort zur Ausbildung zahlreicher Fruchtformen. Diese vegetativen Vermehrungs-Einrichtungen vermochten unter Umständen so gut ihre Aufgabe zu lösen, dass sie zum Schwund der Geschlechts- organe und somit der geschlechtlichen Fortpflanzung führten. — Bei den Moosen einerseits, den Gefäßkryptogamen und Phanerogamen andrerseits, ging aus den Geschlechtsprodukten eine völlig neue Ge- neration hervor, der die Aufgabe zufiel, die Pflanze auf vegetativem Wege in großer Individuenzahl zu vermehren. Die Ausbildung dieser neuen Generation wurde aber eine verschiedene, je nachdem sie sich auf die vegetative Fortpflanzung beschränkte, oder zugleich ernährungs- physiologische Aufgaben übernahm. — Bei den Muscineen schränkte sie sich dauernd auf die ungeschlechtliche Vermehrung der Individuen- zahl ein und die geschlechtlichen Generationen waren es, welche in fortschreitender Ausbildung es bis zur cormophyten Gliederung, einer Differenzierung des Thallus in Axe und Blatt, brachten. Bei den Gefäßkryptogamen wurde der Schwerpunkt der phylogenetischen Ent- wicklung hingegen in die aus dem Befruchtungsprodukte hervorge- gangene ungeschlechtliche Generation verlegt. Sie war es, welche die cormophyte Differenzierung erlangte und in derselben in anhalten- der Vervollkommnung fortschritt. In dem Maße, als dies geschah, trat aber der ernährungsphysiologische Apparat der geschlechtlichen Gene- ration in seiner Bedeutung zurück, ja er wurde überflüssig von dem Augenblick an, wo die ungeschlechtliche Generation das zur Bildung der Geschlechtsprodukte nötige Material den Sporen mit auf den Weg zu geben begann. Nach der allgemeinen Regel, welche das Schwinden überflüssig gewordener Organe in der Phylogenie beherrscht, mussten die vegetativen Teile der geschlechtlichen Generation eine immer weiter gehende Einschränkung erfahren, um schließlich auf die Bildung der einzig noch wesentlichen Teile, der Geschlechtsprodukte, fast einge- s20 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. schränkt zu werden. Daher die fortschreitende Reduktion, welche die Prothallien, von den Farnen an bis zu den Phanerogamen, erfuhren. Diese Reduktion führte schließlich zum Einziehen der ganzen unselb- ständig gewordenen, weil der selbständigen Ernährung nicht mehr fähigen, geschlechtlichen Generation in die ungeschlechtliche und da- mit auch zum Schwinden der äußeren Merkmale des Generations- wechsels. Durch das Einziehen der geschlechtlichen Generation in die ungeschlechtliche wurden aber gleichzeitig die Vorteile welche letztere durch Schaffung neuer selbständiger Individuen brachte, aufgehoben, und musste daher Ersatz für diesen Verlust durch entsprechende Ein- richtungen in der geschlechtlichen Generation gebracht werden. So trat die Samenverbreitung bei Phanerogamen an Stelle der Sporen- verbreitung bei Kryptogamen, und die Vervielfältigung wurde nunmehr durch das entsprechend umhüllte Befruchtungsprodukt, wie zuvor durch die noch ungekeimte Spore besorgt. Obligater Generationswechsel liegt im Pflanzenreich nur innerhalb jener Abteilungen vor, welche aus der ungeschlechtlichen Spore die geschlechtliche Generation, und aus den Geschlechtsprodukten dieser eine ihr nicht homologe ungeschlechtliche Generation erzeugen. In allen diesen Abteilungen des Pflanzenreichs ist die ungeschlechtliche Generation ein Produkt der Befruchtung. — Es war nötig, dieses zu erinnern, um den Boden für die weiter hier zu entwickelnden Gesichts- punkte zu schaffen. Zunächst muss festgehalten werden, dass im ganzen Pflanzen- reiche, soweit dasselbe geschlechtliche Differenzierung aufzuweisen hat, ein ungeschlechtlicher Zustand dieser Differenzierung vorausging. Die geschlechtliche Differenzierung führte im Allgemeinen zur Aus- bildung von Generationswechsel und zwar eines solchen, den ich als isogenen oder eines solchen, den ich als heterogenen, je nach dem phylogenetischen Ursprung bezeichnen möchte. Als isogener Genera- tionswechsel kann derjenige gelten, in welchem homologe, nur mehr oder weniger verschieden ausgestaltete Generationen aufeinander folgen, sei es nun, dass je eine ungeschlechtliche mit einer geschlechtlichen, oder eine größere Zahl unter einander gleicher oder ungleicher unge- schlechtlicher mit einer geschlechtlichen, oder endlich, nach etwaigem Wegfall der geschlechtlichen Generation, nur ungeschlechtliche Genera- tionen mit einander abwechseln. Als heterogenen Generationswechsel fasse ich denjenigen auf, wo nicht homologe Generationen auf einander folgen. In diesem letzten Falle ist die ungeschlechtliche Generation nicht homolog der geschlechtlichen, sie stellt nicht die ursprüngliche ungeschlechtliche Generation vor, die zur geschlechtlichen wurde, sie ist vielmehr eine Neubildung die aus den Geschlechtsprodukten der ersten Generation hervorging. So’ verhält es sich im Pflanzenreich bei den Museineen, den Gefäßkryptogamen und Phanerogamen. Die geschlecht- Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. Ss21 liche Generation derselben ist als die ältere, durch Umwandlung der ungeschlechtlichen Generation in die geschlechtliche entstandene, die ungeschlechtliche als die jüngere, aus den Geschlechtsprodukten der ersteren hervorgegangene aufzufassen. Der erste Anlauf zur Bildung einer solchen wird ja, allem Anschein nach, schon bei den Algen ge- nommen, wenigstens lässt sich das Verhalten von Oedogonium, Coleo- chaete und der Florideen in diesem Sinne deuten. Bei Oedogonium werden aus dem befruchteten Ei zunächst vier Schwärmsporen ge- bildet, bei Coleochaete ein kleiner Gewebekörper erzeugt, der die Schwärm- sporen hervorbringt. Aus jenen Schwärmsporen geht dann erst wieder die erste Generation hervor. Bei den Florideen entwickelt sich aus dem befruchteten Ei, direkt oder indirekt, die Sporenfrucht und aus den Sporen derselben erst wieder die erste Generation. — Die Museineen und Pteridophyten dürften wohl von den Chlorophyceen abzuleiten sein. Bei den Muscineen bildete sich das Befruchtungsprodukt allmäh- lich zu dem charakteristischen Sporogon aus, bei den Pteridophyten zur sporangientragenden cormophyten Pflanze. Es dürfte sich empfehlen, so wie es in England fast allgemein geschieht, die beiden im heterogenen Generationswechsel der höheren Pflanzen mit einander abwechselnden Generationen, ihrer Entstehung gemäß, als Sporophyt und Gametophyt zu unterscheiden. Unser Einblick in das Wesen der Befruchtung wurde bedeutend gefördert, als Eduard van Beneden!) nachwies, dass die im Be- fruchtungsakt sich vereinigenden Zellkerne eine gleiche Chromosomen- zahl führen. Weitere Untersuchungen stellten für das Tier- und Pflanzen- reich alsbald fest, dass dem Geschlechtsakt in den generativen Kernen eine Verminderung der Chromosomenzahl, und zwar im Allgemeinen auf die Hälfte vorausgeht, und dass in solcher Weise, nach der Ver- einigung von Spermakern und Eikern, der Keimkern wieder diejenige Zahl von Chromosomen erhält, welche für die vegetativen Kerne charak- teristisch ist. Wie M. Nussbaum?) zuerst für das Tierreich, ieh selbst?) für das Pflanzenreich nachzuweisen suchten, beruht auch die Bildung der Geschleehtsprodukte auf indirekter, mit Längsspaltung der Chromo- somen verbundenen Kernteilung. Entsprechende Angaben wurden dann von zahlreichen Beobachtern für das Tierreich, von Guignard®) für das Pflanzenreich gemacht und des Näheren weiter begründet. 1) Rech. sur la maturation de l’oeuf, la f&eondat. et la div. cell., p. 403. Arch. d. Biol., Vol. IV, 1883. 2) Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. XXIII, S. 170. 3) Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang, 1884, S. 16, 82; Ueber Kern und Zellteilung, 1888, 8. 232. 4) Etudes sur les phenomenes morph. de la f&condation. Bull. de la so- eiete botanique de France, T. XXXVI, 1889, p. CVIu.a. a. 0. 822 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. ' Guignard und ich stellten fest, dass die für die generativen Kerne der angiospermen Phanerogamen giltige Zahl der Chromosomen in den Pollenmutterzellen einerseits, in den Embryosackmutterzellen andrer- seits fixiert wird!). Die Untersuchungen der Zoologen lehrten weiter, dass diese Fixierung im Tierreich in den Samenmutterzellen und den Eimutterzellen vor sich geht. Bei Lilien hat sich im besonderen Guignard?) bemüht, alle Vorgänge während der Aenderung der Chromosomenzahl in den Antherenfächern und den Samenanlagen auf das Genaueste zu erforschen. Diese Aenderung erfolgt ganz unver- mittelt, sowohl in den Pollenmutterzellen als auch in der Embryo- sackmutterzelle, und zwar in der Weise, dass sich aus dem Kern, zur Zeit der Prophasen, die Chromosomen in der entsprechend reduzierten Zahl sofort heraussondern. Alle vorangehenden Kernteilungen haben in der Antheren- und Samenanlage von Lilium, mit annähernder Kon- stanz, 24 Chromosomen aufzuweisen; das Gerüst des ruhenden Kerns der Pollenmutterzelle und der Embroysackmutterzelle geht somit aus 24 Chromosomen hervor; nichts destoweniger gibt es in der nächsten Prophase konstant nur 12 Chromosomen den Ursprung. Bei dieser Aenderung nimmt der Kern weder an Größe noch an Masse ab; um- gekehrt, er zeichnet sich durch seine Größe und seinen Chromatin- reichtum aus. Ich stellte die Embryosackanlage von Lilium als Embryosackmutterzelle den Pollenmutterzellen gegenüber, doch ist es nötig, dass ich dazu bemerke, dass bei Lilium, sowie auch bei Tulipa, Fritillaria, die Embryosackanlage direkt zum Embryosack wird, ohne jene Teilungen durchzumachen, welche in anderen Fällen solche An- lagen als Mutterzellen kennzeichnen. Da ließe es sich zunächst noch annehmen, dass die Reduktion der Chromosomenzahl in dem weiblichen Kerne erst im jungen Embryosack, nicht schon in der Embryosack- mutterzelle stattfände. Daher muss ich gleich hinzufügen, dass es mir auch gelungen ist?), bei Allöium und Helleborus die Reduktion der Chromosomen auf 8, bezw. auf 12, in der Embryosackanlage vor ihren, sie als Mutterzellen deutlich kennzeichnenden Teilungen, fest- zustellen. Die Embryosackanlage von Lilium, in welcher die Reduk- tion der Chromosomenzahl vor sich geht, muss danach unzweifelhaft als Embryosackmutterzelle gelten, in ihr hat sich aber eine ent- 4) Strasburger, Ueber Kern- und Zellteilung, 18*8, S. 51 u. 240 ff.; Guignard, Etudes sur les phänomönes morph. de la f&condation. Bull. de la soc. bot. de France, T. XXXVI, 1889, p. CV fi. und Nouvelles &tudes sur la f&condation. Ann. d. sc. nat. Bot., 7. ser, T. XIV, 1891, p. 246 ff.; vergl. auch: Overton, Beiträge zur Kenntnis der Geschlechtsprodukte bei Lelium Martagon; Festschrift für Kölliker und Nägeli, 1891. 2) Nouvelles &tudes sur la f&cond. Ann. d. sc. nat. Bot., 7. ser., T. XIV, 1891, p. 173,182. 3) Ueber Kern- und Zellteilung, S. 243. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 823 sprechende Verkürzung der Entwicklungsvorgänge vollzogen. Die Tei- lungsschritte der Embryosackmutterzelle liefern übrigens auch, wo sie noch, wie bei Allium, Helleborus und den meisten andern Fällen er- folgen, außer dem Embryosack nur reduzierte Zellen, die alsbald nach der Anlage wieder verdrängt und resorbiert werden. — Während bei Pflanzen eine Reduktion der Chromosomenzahl sich unmittelbar in den Kernen der Pollen- und Embryosackmutterzelle in einwandfreier Weise feststellen lässt, scheint es umgekehrt, als wenn in den Samenmutter- zellen und Eimutterzellen der Metazoen zunächst eine Verdopplung der Chromosomenzahl erfolge. Diese Zunahme der Chromosomenzahl ist aber nur eine scheinbare, denn sie beruht nur auf einer doppelten Längsspaltung der Chromosomen !), durch welche die Teilungsprodukte derselben gleich für die beiden Teilungsschritte, welche die Geschlechts- produkte liefern sollen, vorbereitet werden ?). Es liegt in diesem Spal- tungsvorgang somit nur eine Verkürzung der Kernteilungen vor, die Zusammenziehung der in zwei aufeinanderfolgenden Teilungsschritten sich sonst vollziehenden Spaltungsvorgänge der Chromosomen auf einen einzigen. Die Reduktion der Chromosomenzahl auf die Hälfte kommt in soleher Weise erst in den Geschlechtsprodukten zur unmittelbaren Anschauung, thatsächlich ist sie aber schon in deren Mutterzellen erfolgt. Wie ist nun aber diese Reduktion der Chromosomenzahl in den Gesehleehtsprodukten zu deuten? Ihr physiologischer Nutzeffekt lässt sich ja leicht begreifen, denn er bewirkt es, dass die Chromosomen- zahl nieht in jeder folgenden Generation sich verdoppelt, außerdem, dass beide Eltern mit einer gleichen Zahl von Chromosomen in dem Kinde vertreten sind, ihre Substanz - Elemente somit in gleichem Maße auf die Nachkommen übertragen. Die morphologische Ursache der Reduktion und der Gleichheit der Chromosomenzahl in den Geschleehts- zellen bei derselben Art, ist hingegen meiner Ansicht nach, eine phylo- genetische. Ich betrachte dieselbe als ein Zurückgehen auf die ursprüng- liche Generation, aus der ja erst, nachdem sie geschlechtliche Differen- zierung erlangte, die Produkte mit doppelter Chromosomenzahl hervor- 4) Die umfangreiche Litteratur zu diesem kontroversen Gegenstand habe ich in „Schwärmsporen, Gameten, pflanzliche Spermatozoiden und das Wesen der Befruchtung“ S 151 zusammengestellt. 2) Da die Samenmutterzellen und Eimutterzellen der Metazoen durch zwei Teilungsschritte die Geschlechtsprodukte liefern, so sind sie streng genommen deren Großmutterzellen. So, oder auch Spermatocyten I. Ordnunng, möchte sie daher Boveri (Befruchtung, Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungs- geschichte, herausgeg. von Merkel und Bonnet, 1892, S. 445, 451) nennen, wenn ich trotzdem hier und später, wie 0. Hertwig, die Bezeichnung „Mutter- zellen“ anwende, so geschieht es, weil mir auch in der Botanik diese Bezeich- nungsweise geläufig ist und wir thatsächlich schon von jeher die Großmutter- zellen der Sporen und Pollenkörner Mutterzellen nennen. 824 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. gingen. Nicht also um einen nachträglich ausgebildeten Reduktions- vorgang handelt es sich bei der Verminderung der Chromssomenzahl auf die Hälfte, vielmehr um die Wiederherstellung der ursprünglichen Chromosomenzahl, wie sie den Kernen jener Organismen zukam, die sich geschlechtlich erst differenziert haben. Von diesem Gesichtspunkt aus wird manches leichter verständlich: so das unmittelbare, plötzliche Eintreten der Reduktion; der Entwick- lungszustand auf dem sie erfolgt; der verschiedene Abstand, der sie vom Geschlechtsakt in der Ontogenie trennt. Die in den Pollenmutterzellen der Angiospermen festgesetzte Zahl der Chromosomen wird bis zur Ausbildung des Spermakerns einge- halten. Vier Teilungsschritte sind es, innerhalb welcher die Entwick- iung sich hier vollzieht: zwei Teilungen in den Pollenmutterzellen, welche die vier Pollenkörner liefern, dann die Teilung im Pollenkorn durch welche dasselbe in eine generative und eine vegetative Zelle zerlegt wird, endlich als vierte Teilung die Verdopplung des genera- tiven Kerns und seiner Zelle im Innern des Pollenschlauchs. Die in der Embryosackmutterzelle der Angiospermen festgesetzte Chromo- somenzahl hält durch eine je nach den Arten verschiedene Zahl von Teilungsschritten an, bevor sie im Ei ihre generativ-funktionelle Be- deutung erlangt. Im Allgemeinen teilt sich die Embryosackmutterzelle zunächst zwei Mal, worauf erst die untere der so erzeugten Enkel- zellen zum Embryosack auswächst. In letzterem folgen drei Teilungs- schritte aufeinander, bis dass der Eikern erzeugt wird. Fünf Teilungs- schritte, und nicht vier wie bei Anlage der Spermakerne, pflegen hier somit die Reduktion und Fixierung der Chromosomenzahl von der Bildung des zu befruchtenden Eikerns zu trennen und dass es auf die Zahl dieser Teilungsschritte nicht ankommt, zeigen jene Pflanzen, bei welchen die Zahl dieser Teilungsschritte in den Embryosackmutter- zellen eine andere ist, beispielsweise Lilium, Tulipa, wo sie nur drei, Ornithogalum-, Commelyna-, Agraphis- Arten, wo sie vier beträgt. In noch anderen Fällen wächst diese Zahl über fünf an, so im beson- deren bei Rosa livida ‘), wo jedoch der Augenblick der Reduktion erst noch festzustellen ist, womit ja erst erwiesen wäre, welche Zelle wirklich als die Embryosackmutterzelle gelten darf. — Nach dieser Erörterung wird es wohl nicht mehr auffällig erscheinen, dass unter Umständen auch in Pollenschläuchen, so denjenigen von Scilla, Ornitho- galum, die Teilung des Spermakerns sich über das gewohnte Maß hinaus wiederholen kann?). Thatsächlich werden da häufig vier Sperma- kerne statt zwei erzeugt. — Man hat sich demgemäß auch vergeblich 1) Vergl. Strasburger, Angiospermen und Gymnospermen, 1879, 8. 14, Tafel IV. 2) Strasburger, Neue Untersuchuugen über den Befruchtungsvorgang bei den Phanerogamen, 1884, 8. 17. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. S25 bemüht, eine Homologisierung zwischen den einzelnen Teilungsschritten, welche in den Pollenmutterzellen zur Bildung des Spermakerns und in den Embryosackmutterzellen zur Bildung des Eikerns führen, auf- zufinden. Der ganze Vorgang tritt in ein neues Licht, sobald wir von der Vorstellung ausgehen, es sei in den Sporenmutterzellen höherer Pflanzen, sowie den Samen- und Eimutterzellen der Metazoen, jene Zahl gegeben, welche den Vorfahren, vor Ausbildung der geschlechtlich er- zeugten Generation, allein zukam. In den als Beispiel zunächst herangezogenen Pollen- und Embryo- sackmutterzellen der Angiospermen ist somit die Reduktion der Chromo- somenzahl nicht als eine Vorbereitung zum Geschlechtsakt aufzufassen, sie bedeutet vielmehr nur den Beginn der neuen Generation, die mit der ursprünglichen Zahl von Chromosomen anhebt. — Diese ursprüngliche Generation musste aber eine starke Reduktion erfahren, bevor sie zu jener beschränkten Ontogenie gelangte, die sie uns bei den Angio- spermen jetzt aufweist. Zugleich bildete sich ein geschlechtlicher Dimorphismus in ihr aus, indem sie sich in zwei parallelläufige Ent- wieklungsreihen, eine männliche und eine weibliche, spaltete. Der Weg, den jene Reduktion durchschritt, so wie die Ausbildung des ge- schlechtlichen Dimorphismus auf demselben, lässt sich nach rückwärts mit einiger Sicherheit verfolgen. Dass auch bei Gymnospermen die Kerne der Pollenmutterzellen und der Embryosäcke nur die halbe Zahl der Chromosomen, im Ver- hältnis zu der aus dem befruchteten Ei sich entwickelnden Pflanzen führen, hat Overton zuerst hervorgehoben. Derselbe war überhaupt schon auf Grund seiner Beobachtungen an Lilium zur richtigen Frage- stellung gelangt, „ob nicht vielleicht auch bei den höheren Krypto- gamen (Gefäßkryptogamen und Moosen) die Reduktion in denjenigen Zellen stattfinde, welehe mit den Pollenmutterzellen und den Mutter- zellen der Embryosäcke morphologisch gleichwertig sind, mit anderen Worten, ob die Reduktion nieht in den Sporenmutterzellen — also bei dem Wechsel der Generationen stattfinde“ !). — In den Pollenmutter- zellen von Ceratozamia zählte Guignard?) 8 Chromosomen und stellte fest, dass diese Zahl in den folgenden Teilungsschritten festgehalten wird. Overton fand die nämliche Zahl von Chromosomen in den jungen Endospermzellen des Embryosacks®). Guignard konstatierte bei Ceratozamia, ich selbst bei zahlreichen Coniferen, dass alle Tei- 4) Ueber die Reduktion der Chromosomen in den Kernen der Pflanzen. Vierteljahrschrift der naturforsch, Gesellschaft in Zürich, Bd. XXXVIIL, 1895. Zuvor schon in den Berichten der Schweizer bot. Gesellechaft, Heft III, 1893 (unter: Jahresbericht der Züricher bot. Gesellschaft, 1891—1892, Sitzung vom 21. Jan. 1892) und Ann. of Botany, Vol. VII, Nr. XXV, March 1893). 2) Journal de Botanique, Bd. III, 1889, p. 232. 3) Ueber die Reduktion der Chromosomen etc. 326 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. lungsvorgänge in den Pollenmutterzellen und Pollenkörnern mit Längs- spaltung der Segmente verbunden sind!). Ich hob gleichzeitig die Uebereinstimmung der Zahl der Chromosomen in den Pollenkörnern und Eiern der Coniferen hervor. Dass auch bei Gymnospermen?) die Chromosomenzahl schon in der Embryosackmutterzelle fixiert werde, stellte ich dort als wahrscheinlich auf. Letzterer Nachweis ist noch zu liefern, da auch Henry H. Dixon in einer, im Bonner bot. Institut im Früh- jahr 1895 ausgeführten Arbeit, zunächst sich darauf beschränken musste, die Reduktion der Chromosomenzahl auf die Hälfte in dem Endospermgewebe von Pinus silvestris zu konstatieren?). Dass bei den Gymnospermen die Reduktion der Chromosomenzahl aber in der Embryosackmutterzelle, ebenso wie in der Pollenmutterzelle, erfolgt, ist kaum noch zu bezweifeln. Will man sich übrigens nur an das halten, was bereits sicher gestellt ist, d. h. an den Nachweis der Reduktion der Chromosomenzahl in der Endospermanlage lange vor Beginn der Archegonien-Bildung, so zeigt auch dieser schon, dass die Zahl der Teilungsschritte, welche die Kerne mit reduzierter Chromo- somenzahl in den männlichen und weiblichen Parallelgenerationen der Gymnospermen zurückzulegen haben, eine durchaus verschiedene ist und sich aus ihr somit durchaus keine Anknüpfungspunkte zum Ver- gleich der einzelnen Teilungsschritte ergeben. Bei Biota orientalis trennen beispielsweise nur fünf Kernteilungen die Pollenmutterzelle von der Bildung der Spermakerne: Die Pollenmutterzelle teilt sich zwei Mal, die erzeugten Pollenkörner nur ein Mal, um in die kleinere generative und die größere vegetative Zelle zu zerfallen; die genera- tive Zelle führt noch einen Teilungsschritt aus, und die vordere ihrer beiden Zellen bildet schließlich durch nochmalige Teilung im Pollen- schlauch die beiden generativen, zu der befruchtenden Thätigkeit be- fähigten Zellen *). — Man vergegenwärtige sich dagegen die zahl- reichen freien Kernteilungen, die im Embryosack eines Lebensbaumes erfolgen, bevor es zur Gewebebildung in demselben kommt und zähle dann auch noch alle die Zellteilungen hinzu, welche den Beginn der Gewebebildung von der Fertigstellung des Archegoniums trennen. Dixon’) fand bei Pinus silvestris nur 8 Chromosomen in den Kernen der Endospermanlage, so auch im Ei während der Kanalzellbildung; ich hatte hingegen 12 Chromosomen für die Pollenkörner derselben 1) Guignard I. ec. Strasburger, Ueber das Verhalten des Pollens und die Befruchtungsvorgänge bei den Gymnospermen, 1892, S. 34. 2). 1.1.6.25439. 3) Fertilisation of Pinus silvestris. Ann. of Botany, Vol. VII, Nr XXIX, p. 21, 1894. 4) Strasburger, Ueber das Verhalten des Polien ete. bei den Gymno- spermen, S. 19. 9), 1. 10:28.. 298: Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 827 Pflanze früher angegeben!). Nach wiederholter, in diesem Frühjahr vorgenommener Untersuchung darf ich annehmen, dass auch die Pollen- mutterzellen und Pollenkörner von Pinus silvestris nur 8 Chromosomen führen. Die Zählungen der Chromosomen sind in diesem Falle sehr schwer vorzunehmen und meist unsicher, weil der Bereich der einzelnen Chromosomen sich nicht scharf abgrenzen lässt, außerdem die chro- matischen Glieder in den zur Teilung sich anschickenden Chromosomen stark gegen einander abgesetzt sind, daher oft den Eindruck selb- ständiger Chromosomen machen. Die Kerne im Nucellus und in den Integumenten derselben Pinus-Art fand Dixon mit 16 Chromosomen versehen und meine älteren Präparate zeigen mir deutlich, dass die sich teilenden Kerne der Embryonalanlage im unteren Ende (dem morphologischen Scheitel) des Eies von Pinus silvestris, deutlich mehr als 8 Chromosomen, wohl deren 16, führen. Sie stimmen, was ihre Zahl anbetrifft, mit den Bildern überein, die ich 1880 für Picea vulgaris veröffentlicht habe ?). Overton?) hebt bereits hervor, dass die Vorgänge, die in den Sporenmutterzellen der Gefäßkryptogamen und Moose sich abspielen, so sehr an die Vorgänge erinnern, bei welchen die Reduktion der Chromosomenzahl in den Pollenmutterzellen sich vollzieht, dass sie wohl dieselbe Bedeutung haben dürften. Der direkte Nachweis der Chromosomenzahl stoße aber bei den Museineen, wegen der sehr ge- ringen Größe der Kerne, bei Gefäßkryptogamen, wegen der großen Chromosomenzahl auf Schwierigkeiten. — Was nun die Gefäßkrypto- gamen zunächst anbetrifft, so ist in der That die Chromosomenzahl in denselben in manchen Fällen bedeutend, doch in anderen nicht größer als bei Phanerogamen, und gibt Osmunda regalis beispielsweise ein Objekt ab, an welchem sich die Zählungen leicht ausführen lassen. Ich konstatierte in den Sporenmutterzellen von O. regalis 12 Chromo- somen. Die Differenzierung derselben aus dem Ruhezustande des Sporen- mutterkerns erfolgt ebenso unvermittelt und unter ganz denselben Erscheinungen wie in den Pollenmutterzellen der Phanerogamen. Sie wird in den beiden folgenden Teilungen, welche die vier Sporen liefern, wie ebenfalls leicht abzuzählen ist, festgehalten. Hingegen führen die Kerne der Sporangienanlagen, vor der Differenzierung der Sporen- mutterzellen, eine größere Zahl von Chromosomen, die im Allgemeinen das Doppelte beträgt, oder sich annähernd auf das Doppelte abschätzen lässt. Diese höhere Zahl verbleibt nach Differenzierung der Sporen- mutterzellen den außerhalb derselben gelegenen Geweben des Sporan- giums. Das lehrt schon der Vergleich der Figuren von J. Ellis 1) Ueber das Verhalten des Pollens und die Befruchtungsvorgänge bei den Gymnospermen, 8. 34. 2) Zellbildung und Zellteilung, 3. Aufl., Taf. III, Fig. 158. 3) 1. e. Sonder - Abzug, S. 12. 98 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. Humphrey!) der im vorigen Winter im hiesigen botanischen Institut die Kerne von Osmunda auf das Verhalten der Centrosomen und Nukleolen hin untersuchte. So zeigt die Fig. 11 (l.e.) von Humphrey eine Mutterzelle von Osmunda regalis in erster, die Fig. 12 in zweiter Teilung, während die Fig. 10 gleichzeitig die Teilung einer Tapeten- mutterzelle vorführt. Prothallien-Anlagen von Osmunda regalis, die sich in großer Menge aus Sporen, welche ich in entsprechender Nährstoff- lösung aussäete, entwickelten, zeigten mir in allen Teilungszuständen 12 Chromosomen, also ebensoviel, wie die Sporenmutterzellen. In den Prothallien-Anlagen muss man freilich mit Geduld nach Kernteilungen suchen, denn, soweit meine Erfahrungen reichen, wird keine bestimmte Tageszeit für diesen Vorgang bevorzugt. Man findet Teilungszustände daher stets nur vereinzelt vor. Auch meine Versuche, dureh niedere Temperaturen die Teilungsvorgänge aufzuhalten, damit sie alsdann in gesteigertem Maße sich einstellen, blieben erfolglos. Einflüsse, die sich seinerzeit bei Sprrogyra bewährt hatten, übten hier somit keine merk- liche Wirkung aus. Es blieb mir also nur übrig, das zu verschiedenen Tageszeiten in großen Mengen durch Einlegen in Alkohol fixierte und entsprechend tingierte Material auf Teilungsstadien durchzusuchen. Ich habe die Zählungen bis zur Anlage der Antheridien und Sperma- tozoiden verfolgt und annähernd stets die gleiche Chromosomenzahl gefunden. Es stellten sich auch bei Anlage der Geschlechtsprodukte keinerlei Vorgänge ein, welche eine nochmalige Sicherstellung oder gar Reduktion der Chromosomenzahl hätten bewirken können — sie wären ja auch thatsächlich überflüssig gewesen, da die den Geschlechts- produkten zukommende Uhromosomenzahl, von den Sporenmutterzellen an, dauernd innerhalb der ganzen Generation festgehalten wird. So steht es denn für Osmumda regalis und damit wohl überhaupt für die Farne fest, dass deren geschlechtliche Generation nur halb so viel Chromosomen in den Kernen wie die ungeschlechtliche führt. Dass die geschlechtliche Generation der Farne die ältere ist, lässt sich schlechterdings nicht in Zweifel ziehen. Die zweite entstand erst nach Erlangung der geschlechtlichen Differenzierung durch die erstere, aus dem Befruchtungsprodukt, durch fortschreitende phylogenetische Aus- gestaltung desselben: daher die doppelte Chromosomenzahl in den Kernen der zweiten Generation. Bei Museineen sind entsprechende Zählungen neuerdings von J. Bretland Farmer vorgenommen worden?). Er fand bei Palla- vieinia decipiens, einem Lebermoose aus den Höhenregionen von Ceylon, in den sich teilenden Kernen der geschlechtlichen Generation vier Chromosomen; in der ungeschlechtlichen, aus dem befruchteten Ei her- 1) Berichte der deutsch. bot. Gesellsch., 1894, Heft 5, Taf. VI. 2) Studies in Hepaticae. On Pallavicinia decipiens Mitten. Ann. of Bot., Vol. VIIL, Nr. XXIX, March 1894, p. 44. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 829 vorgegangenen Generation, dem Sporogon, rechnete er acht Chromo- somen. Weiter stellte er auch fest, dass die Sporenmutterzellen wieder nur vier Chromosomen ausbilden, somit eine Reduktion der Chromo- somenzahl auf die Hälfte sich in denselben vollzieht. Die Sporen- mutterzellen nehmen vor der Teilung bedeutend an Größe zu, wobei vier kugelige Ausstülpungen in tetraedrischer Anordnung sich aus denselben hervorwölben. Zwischen diesen Ausstülpungen wachsen gleichzeitig Scheidewände gegen die Mitte des gemeinsamen Zellraums vor. Hierauf bildet sich um den Kern eine vierseitige Spindel, deren Pole nach den vier Ausstülpungen gerichtet sind. In dem Kern der Sporenmutterzelle differenzieren sich alsdann die vier Chromosomen; sie erfahren, wie Farmer glaubt sicher behaupten zu können, eine zweimalige Spaltung, worauf je vier Enkelchromosomen in jede Sporen- anlage wandern. Schließlieh werden die Scheidewände ausgebildet, welehe die vier Sporen von einander trennen. — Dieselben Vorgänge sollen sich in den Sporenmutterzellen der Aneura abspielen. Photo- graphische Aufnahmen der Präparate, welche ich der Güte des Ver- fassers verdanke, so wie seine Präparate, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, sprechen für die Richtigkeit der von ihm gemachten Angaben. Es könnte müßig erscheinen, hier weitere Spekulationen darüber anzustellen, wie sich das Zahlenverhältnis der Chromosomen bei den niederen Kryptogamen, den Algen und Pilzen, gestalten wird. Immer- hin möchte ich die entsprechende Aufgabe, wie sie sich für die Unter- suchung dieser Organismen jetzt ergibt, bereits formulieren und so deren Inangriffnahme vielleicht anregen. — Thatsächlich sind Zäh- lungen der Chromosomen in sich teilenden Kernen bei den niederen Kryptogamen noch kaum vorgenommen worden, zum Teil der großen Schwierigkeiten wegen, welche dieser Zählung dort entgegenstehen, zum Teil aber weil die Wiehtigkeit soleher Zählungen noch nicht er- kannt war. Man könnte vor allem fragen, ob bei den niederen Krypto- gamen, denen der heterogene Generationswechsel, mit Abwechselung nicht homologer geschlechtlicher und ungeschleehtlicher Generationen, abgeht, die Zahl der Chromosomen in den Kernen überhaupt fixiert ist, und wenn dies der Fall, ob und wann eine Reduktion der durch Befruchtung verdoppelten Chromosomenzahl sich dort einstellt. — Was zunächst die Frage betrifft, ob eine fixierte Chromosomenzahl auch den Algen und Pilzen zukommt, so neige ich dazu, diese Frage im positiven Sinn bereits zu beantworten. Denn ich konnte schon vor längerer Zeit!) eine konstante Zahl von Chromosomen, und zwar die Zwölfzahl, in den Kernplatten von Spirogyra polytaeniata feststellen, welche Zahl auch von J. W. Moll?) für Spirogyra erassa konstatiert 1) Ueber Kern- und Zellteilung, 1888, S. 11. 2) Observations on karyokinesis in Spirogyra. Verh. d. kon, Akad. van Wet. te Amsterdam, Tweede Sectie, Deel I, Nr. 9, 1893, p. 29. 830 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. wurde Marcus M. Hartog teilte mir brieflich mit!), dass den Saprolegnien eine Vierzahl von Chromosomen in den Kernen zukomme; endlich bin ich einer Konstanz der Chromosomenzahl in den Kernen von Trichia fallax, also einem Organismus der niedersten Art, fast sicher. Ich glaube, dass den Kernen von Trichia fallax 12 Chromo- somen zukommen. Diese Zählung nahm ich an meinen älteren Prä- paraten vor, die mir zahlreiche Kernteilungen in jungen Sporangien- anlagen zeigen. Die Kerne von Trichia fallax sind freilich so klein, dass volle Sicherheit der Zählung nicht zu erreichen ist; unter allen Umständen kann man sich aber des Eindrucks einer großen Ueberein- stimmung unter den Teilungsbildern ?) nicht erwehren. Reicht aber die Konstanz der Chromosomenzahl bis zu den Myxomyceten hinab, dann könnte ihr wohl allgemeine Geltung zukommen, dann wäre aber auch bei den geschlechtlich differenzierten niederen Kryptogamen ein Reduktionsvorgang der Chromosomenzahl auf einen bestimmten Ent- wieklungszustand wahrscheinlich. Dass dieser Reduktionsvorgang bei Anlage der Geschlechtsprodukte erfolgen sollte, dazu liegen in dem Beobachtungsmaterial keinerlei Anknüpfungspunkte vor; auch spricht dagegen das Verhalten der höheren Kryptogamen. Die Reduktion müsste also wohl gleich bei der Keimung des Befruchtungs-Produktes erfolgen. Denn wenn aus dem Befruchtungsprodukt sich unmittelbar wieder die erste ursprüngliche Generation entwickelt, stellt ja dieses Befruchtungsprodukt, die Zygote, den Anfang und das Ende jener Ent- wicklungsphase vor, welche bei Museineen, Gefäßkryptogamen und Phanerogamen die ungeschlechtliche Generation zwischen Befruchtung und Sporenmutterzellbildung einschaltet. Hingegen könnte wohl, aus später zu erörternden Gründen, bei Oedogonium, Coleochaete, den Flori- deen, die den Beginn eines heterogenen Generationswechsels zeigen, die Reduktion der Chromosomenzahl sich erst bei Anlage der Sporen, beziehungsweise bei deren Keimung, vollziehen. Es ist zweifellos von größtem Belang, dass die generativen Kerne mit übereinstimmender und konstanter Zahl von Chromosomen zur Vereinigung kommen, weil hierdurch der gleiche Einfluss der Eltern im Befruchtungsakt gewährleistet wird. In der Befruchtung liegt aber für alle höher organisierten Wesen der Schwerpunkt der Erhaltung und Fortbildung der Species. Andrerseits sind aber doch in den somatischen Zellen der Pflanze, sowohl denjenigen der geschlechtlichen wie der ungeschlechtlichen Generation, Schwankungen in der Chromo- somenzahl der Kerne öfters festzustellen. So weit meine Erfahrungen reichen, handelt es sieh aber stets, bei veränderter Chromosomenzahl, um Kerne von Zellen, die sich nicht mehr in dem indifferenten embryo- 1) Am 30. August dieses Jahres. 2) Zur Entwicklungsgeschichte der Sporangien von Trichia fallax. Bot. Zeitung, 1884, Taf. III, Fig. 6. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 831 nalen Zustande der Keimanlage oder der Vegetationspunkte befinden, die vielmehr in eine bestimmte Entwicklungsrichtung schon eingetreten sind und die im gewohnten Verlauf der weiteren Ausbildung nicht mehr die Bestimmung haben, die Anlage von Geschlechtsprodukten einzuleiten. Vielfach fielen Guignard und mir die Schwankungen der Chromosomenzahl innerhalb des Nucellar- und Integumentgewebes der Samen-Anlagen auf. So auch fand Guignard!) bei Lilium- Arten, dass der untere Embryosackkern, der zur Anlage von Anti- poden-Zellen verwandt wird, nicht zwölf Chromosomen wie der obere, den Eiapparat bildende Kern, vielmehr häufig 16, 20, ja selbst 24 Chromosomen bei Eintritt in die Prophase ausbildet. Der sekundäre Embryosackkern, der durch seine Teilung die Bildung des Nährgewebes im Embryosack der Angiospermen einleitet, geht aus der Verschmelzung von zwei Kernen, des oberen und des unteren Polkerns, hervor, muss daher so viel Chromosomen wie beide zusammen besitzen. Daher man in den Endospermkernen von Lilium zum mindesten 24, meist aber melır als 24 Chromosomen antrifft, ungeachtet diese Kerne jener Generation angehören, der typisch nur 12 Chromosomen zukommen. — Schon vor längerer Zeit habe ich außerdem die häufigen Verschmelz- ungen beschrieben, die nachträglich noch im Endosperm der Angio- spermen sich einstellen, wenn bei der Abgrenzung der Zellräume im protoplasmatischen Wandbeleg des Embryosacks mehrerer Kerne in ein- zelnen Zellräumen zu liegen kommen ?). — Bei den Gymnospermen wird, wie zum mindesten Henry H. Dixon für Pinus silvestris feststellen konnte, die fixierte Chromosomenzahl in den Prothalliumkernen des Embryosackes festgehalten bis zur Anlage der Archegonien. Sind diese aber abgegrenzt, so kann in den übrigen Prothalliumzellen, und zwar jetzt ohne alle Gefahr für die generativen Vorgänge, die fixierte Zahl der Chromosomen sich verändern und sie steigt in den großen Kernen der Wandzellen der Archegonien bis über das doppelte ?). Das Angeführte zeigt hinlänglich, dass der fixierten Zahl der Chromosomen gegenüber, auch Aenderungen in der Chromosomenzahl möglich sind. Solche Aenderungen werden für das Tierreich ebenfalls angegeben, doch lasse ich sie unberührt, da ich ihre Tragweite dort nicht zu beurteilen vermag *). Unter den dem Pflanzenreiche entlehnten Beispielen dürfte das von Guignard?°) so eingehend studierte Ver- halten des unteren Embryosackkerns der Lilien besonders lehrreich erscheinen. Dieser Kern geht aus 12 Chromosomen hervor, um meist 1) Nouvelles &tudes, p. 187 2) Vergl. im Besonderen: Zellbildung und Zellteilung, 5. Aufl., 1880, 8.25. Ssyularc. Ss. 32. 4) Vergl. hiezu besonders: Valentin Haecker, Ueber generative und embryonale Mitosen ete. Arch. f mikr. Anat., Bd. 43, 8.773, 1894. 5,1. Cu 3218. 832 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. eine größere Zahl derselben in der nächsten Prophase aufzuweisen. Man könnte darnach zu der Vorstellung neigen, auch die Reduktion der Chromosomenzahl, wie sie in den Sporenmutterzellen der Pflanzen, den Samen- und Eimutterzellen der Tiere sich einstellt, brauche keiner phylogenetischen Erklärung; die Annahme eines Zurückgehens auf einen früheren Zustand sei überflüssig, da ja eine Aenderung der Chromosomenzahl auch sonst möglich sei. Da liegen die Verhältnisse aber doch wesentlich anders. Die Aenderung der Chromosomenzahl in den Kernen zu Beginn der geschlechtlichen Generation im hetero- genen Generationswechsel ist noch an andre Vorgänge geknüpft, die sich uns im veränderten Aussehen der betreffenden Mutterkerne zu er- kennen geben. Es handelt sich dabei offenbar um einen tief in das Wesen dieser Kerne eingreifenden Vorgang, dessen Ergebnis demgemäß auch konstante Chromosomenzahlen liefert, nicht zufällige, wie sie uns bei den Zahlenänderungen in beliebigen Gewebekernen entgegentreten. Eine Veränderung letzterer Kerne im Aussehen ist auch nicht festzu- stellen, vielmehr oft nur eine Größenzunahme, welche auf begünstigte Ernährung schließen lässt. So wächst der untere Embryosackkern von Lilium zu einem wesentlich größeren Volumen als der obere Embryosackkern an, bevor er in die Prophasen der Teilung tritt. — Bestimmte Ursachen könnten dahin wirken, dass auch bei apogamischen Farnen die aus dem Prothallium hervorsprossende ungeschlechtliche Generation die ihr zukommende Chromosomenzahl erlange!). Ob die Chromosomenzahl in den Kernen solcher Sprossungen überhaupt zu- nimmt, muss freilich erst durch entsprechende Untersuchungen fest- gestellt werden. In den Adventivkeimen die bei verschiedenen Angio- spermen aus dem Nucellargewebe in den Embryosack hineinsprossen ?), ist die richtige Chromosomenzahl in den Kernen unmittelbar gegeben; Aenderungen brauchen somit nicht zu erfolgen. Endlich müsste bei den aposporen Farnen, welche Prothallien an Stelle von Sporangien an der ungeschlechtlichen Pflanze ausbilden, eine Reduktion der Chromo- somenzahl erfolgen, da ja die ungeschlechtliche Generation der Farne doppelt so viel Chromosomen in ihren Kernen als die geschlechtliche führt. Dasselbe wäre in den Sprossungen zu erwarten, die sich aus den Sporogonien verschiedener Laubmoose gewinnen lassen und In- dividuen der geschlechtlichen Generation den Ursprung geben. Prings- heim?) und Stahl haben solche Sprossungen erzielt. Pringsheim aus den zerschnittenen Sporogonstielen *) von Hypnum- und Bryum- 1) Vergl. hierzu auch Overton |. c., Sonder-Abzug, S 14, 15. 2) Vergl. Strasburger, Ueber Polyembryonie. Jen. Zeitschr. f. Natur- wissensch., XII. Bd., Neue Folge V.Bd., 1878, 8. 647. 3) F. ©. Bower, On Apospory and allied Phenomena. Transact. of the Linn. Soc. Ser. Bot., Vol. II, Part 14, 1837, p 301. 4) Ueber vegetative Sprossung der Moosfrüchte. Monatsber. d. Berl. Akad. d. Wiss, 10. Juni 1876. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 833 Arten, Stahl bei Ceratodon purpureus und zwar nicht nur aus Zellen der Seta, sondern auch der Kapselwand !). In allen solchen Fällen könnten korrelative Einflüsse vielleicht dahin wirken, dass die Chromo- somen in den Kernen auf die der betreffenden Generation zukommende Zahl gebracht werden. Ein ähnlicher Einfluss könnte sich auch bei parthenogenetischer Entwicklung geltend machen. Bei solehen Eiern der Metazoen die nach Abgrenzung nur eines Richtungskörpers in partheno- genetische Entwicklung eintreten, würde die richtige Chromosomen- zahl im Eikern gegeben sein, da ja eine Doppelspaltung der Chromo- somen der Teilung des Kerns der Eimutterzelle bei Metazoen voraus- gcht. Wo ein zweiter Richtungskörper angelegt wird, sein Kern aber wieder mit dem Eikern verschmilzt, wie das in bestimmten Fällen be- obachtet wurde, tritt das parthenogenetische Ei ebenfalls mit richtiger Chromosomenzahl in die Entwicklung ein. Nach Bildung von zwei kichtungskörpern hingegen hebt die parthenogenetische Entwicklung mit der halben Zahl von Chromosomen an”). Es wird auch hier erst Aufgabe der späteren Forschung sein, festzustellen, ob im. letzten Falle die Chromosomen sich vermehren, ob dies allmählich oder plötzlich und auf welchem Entwicklungszustand dies geschieht. Die behandelten Vorgänge regen aber von Neuem die Frage an, wie es sich überhaupt mit der Selbständigkeit der Chromosomen in den aufeinander folgenden Kerngenerationen verhalte. Für das Pflanzen- reich kann es jetzt als ausgemacht gelten, dass im ruhenden Kern die Chromosomen keine freien Enden besitzen. Guignard?), dessen Angaben durchaus zutreffend sind *), fand in allen näher untersuchten Kernen nur einen einzigen Faden zu Beginn der Prophase. Dieser Faden zerfällt dann in eine bestimmte Anzahl von Chromosomen und zwar nicht durch succedane, sondern durch simultane Teilung. Daher vielfach auch solche Chromosomenzahlen, beispielsweise 12, vorkommen, die nicht aus gleichartiger Zweiteilung hervorgehen könnten. Unge- achtet dessen aber, dass dem ruhenden Kern ein kontinuierliches Faden- gerüst zukommt, muss angenommen werden, dass die Chromosomen ihre physiologische Individualität im ruhenden Kern nicht einbüßen. Denn sonst wäre es unbegreiflich, dass so allgemein sich dieselbe 1) Ueber künstlich hervorgerufene Protonemabildung an dem Sporogonium der Laubmoose. Bot. Zeitg., 1876, S. 692, 694. 2) Vergl. hierzu Boveri, Zellen-Studien, Heft 3, Ueber das Verhalten der chromatischen Kerusubstanz bei der Bildung der Richtungskörper und bei der Befruchtung, 1890, S.69 ff, und ©. Hertwig besonders in: Die Zelle und die Gewebe, 1893, S. 238 ff., dort auch die Angaben von Platner, Blochmann und Henking. 3) Nouvelles &tudes, S. 253. 4) Strasburger, Schwärmsporen, Gameten ete. Hist. Beitr., Heft IV, 1892, S. 147. XIV. 58) 834 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl, Chromosomenzahl aus dem Kerngerüst im den aufeinander folgenden Kernteilungen herausbildet. Wenn man solche Musterkarten aufeinander folgender Kernteilungsstadien betrachtet, wie man sie gelegentlich beim Freilegen protoplasmatischer Wandbelege aus Embryosäcken vor Augen hat, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es immer wieder dieselben Chromosomen sind, die sich in den aufeinander folgen- den Teilungsschritten aus den ruhenden Kernen heraussondern. Man sieht in der Prophase die Chromosomen genau in derselben Lage, wie sie in der vorausgehenden Anaphase gegeben war, wieder in die Er- scheinung treten. Ein entsprechend vergrößertes Bild jener Anaphase würde das Bild der Prophase vollständig decken. Das zwingt in einem Worte fast zur Annahme, dass die Individualität der Chromosomen in dem ruhenden Kern fortbesteht und eine Sonderung des Kernfadens in entsprechend viel Chromosomen in jeder Prophase demgemäß be- stimmt. Einer in gegebenen Augenblicken wirklich eintretenden Aende- rung der Chromosomenzahl muss somit eine Aenderung der Zahl dieser chromosomatischen Individualitäten vorausgehen, sei es, dass sich dieselben vermehren oder vermindern. Bei der Reduktion auf die halbe Chromosomenzahl im heterogenen Generationswechsel könnte es sich um die Vereinigung von je zwei solcher Individualitäten handeln, aus Ursachen für welche sich zunächst nur phylogenetische Gründe anführen lassen. Diese Verschmelzungen von Chromosomen zu Beginn der geschlechtlichen Generation scheinen sich nur unter zutreffenden Bedingungen vollziehen zu können. Abnorme Aenderungen des inneren Zustandes stören sie. So sehen wir, dass die embryonale Substanz der Vegetationspunkte von Sprossen, die durch Knospenvariation ver- ändert wurden, häufig unfruchtbar bleibt. Aehnliche Folgen hat viel- fach Hybridation. Auch meine entwieklungsgeschichtlichen Studien über pflanzliche Spermatozoiden!) mussten mir die Ueberzeugung aufdrängen, dass ein Aufgeben der morphologischen Selbständigkeit für Chromosomen nicht gleichbedeutend mit dem Aufgeben der physiologischen Individualität ist. Denn nur die Erhaltung der letzteren kann dahin führen, dass aus einem Kern, der im Spermatozoiden ein fast homogenes Band dar- stellte, sich im Ei die Chromosomen in vorbestimmter Zahl heraus- differenzieren. Es ist für die höher organisierten Pflanzen sicher erwiesen, dass alle Kernteilungen, die zur Bildung der Geschlechtsprodukte führen, normale, mit Längsspaltung verbundene Mitosen sind, und somit auch bis zuletzt eine gleiche Zahl von Chromosomen liefern. Reduktions- teilungen, die zur Herabsetzung der Chromosomenzahl auf die Hälfte führen sollten, gibt es im Pflanzenreich nieht. Für solche Reduktions- teilungen wird angenommen, dass ganze ungespaltene Chromosomen 1) Schwärmsporen, Gameten ete., p. 145. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 35 des Mutterkerns in zwei Gruppen geschieden und so den Tochterkernen zugewiesen werden sollen '). Die Tochterkerne könnten dann in der That nur halb so viel Chromosomen wie die Mutterkerne, die Enkel- kerne, bei Wiederholung des Vorgangs, nur halb so viel als die Tochter- kerne aufweisen. Ein derartiger Vorgang ist an keiner Stelle im Pflanzenreich zu beobachten, eine Thatsache, mit welcher die Ver- erbungs-Theorien rechnen müssten. Auch im Tierreich lässt sich, wie neuere Untersuchungen wohl lehren, die sog. Reduktionsteilung in den Samen- und Eimutterzellen auf vorausgegangene Längsspal- tung der Chromosomen zurückführen und somit aus gewöhnlicher Kern- teilung ableiten ?); doch wenn diese Zurückführung auch nicht ge- lungen wäre 3), die Vorgänge im Pflanzenreich liegen, bei sonst gleichen Erscheinungen der Vererbung und Variation, so klar vor, dass sie jede Missdeutung ausschließen und daher vor allem Berücksichtigung verlangen ®). Ebensowenig wie das Pflanzenreich die Annahme von Reduktions- teilungen zulässt, sind auch die an pflanzlichen Zellkernen gesammelten Erfahrungen dazu angethan, die Vorstellung erbungleicher Teilungen bei der Karyokinese zu stützen. So weit meine Kenntnisse reichen, sprechen auch die Beobachtungen im Tierreich gegen dieselbe. >Seit- dem ein richtiger Einblick in die Längsspaltung der Chromosomen bei der Kernteilung und in die gleiche Verteilung dieser Spaltungsprodukte auf die Tochterkerne gewonnen ist, konnte sich in mir die Vorstellung nur befestigen, dass der Vorgang einer qualitativ gleichen Halbierung der Chromosomen diene. -— Theoretische Spekulationen, die über das Gebiet der Erfahrung hinausgehen, müssen von sichergestellten That- sachen ausgehen. Eingehendes Studium der Längsspaltung der Chromo- somen, kann aber schlechterdings nur die Vorstellung einer gleichen, nicht aber einer ungleichen Teilung erwecken; für die Annahme der letzteren fehlen jede thatsächlichen Anhaltspunkte. Daher ich mich auch, von Anfang an, in den theoretischen Deutungen der Entwick- lungsvorgänge, auf den Standpunkt der Epigenese gestellt habe). i) Weismann, Ueber die Zahl der Richtungskörper und ihre Bedeutung für die Vererbung, 8.79, 1894. 2) Vergl. Boveri, Zellen-Studien, Heft I, 1887, S. 13 ff., 77 und Heft III, 1890, 8.51, und Aug. Brauer, Ueber das Ei von Branchipus Grubü v.Dyb. von der Bildung bis zur Ablage; Anhang zu den Abh. der Akad. d. Wissen- schaften zu Berlin, 1992. Auch O0, Hertwig gibt diese Möglichkeit zu; Ver- gleich der Ei- und Samenbildung bei den Nematoden; Arch. f. mikr. Anat,, 3d. 36, 1890, Sep.-Abdr., S. 65 ft. 3) Vergl. hierzu im Besonderer: Valentin Haecker, Ueber generative und embryonale Mitosen ete. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 43, 8.759, 1894. 4) Vergl. auch meine Arbeit über Schwärmsporen, Gameten ete, S. 151. 5) Vergl. das Protoplasma und die Reizbarkeit, 1891, S. 20, 27. 59” S35 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. Ich kann mir die Entwicklung nur vorstellen als eine Aufeinanderfolge von Zuständen, so zwar, dass jeder schon erreichte Zustand.die Be- dingungen für den folgenden schafft und ihn mit Notwendigkeit aus- löst. Die Entwicklung gehört meiner Auffassung nach in das Gebiet der korrelativen Vorgänge und kann nur von diesem Standpunkt aus begriffen werden. Die Zellkerne sind und bleiben mit den gesamten Eigenschaften der Art dauernd ausgestattet, in welchem Teil des Körpers sie sich auch befinden; ihre Thätigkeit wird aber durch die geschaffenen Bedingungen in bestimmter Richtung angeregt. Wäre das nicht der Fall, so könnten nicht an jeder beliebigen Stelle eines Pflanzenkörpers Neubildungen entstehen, welche die ganzen Eigen- schaften der Art reproduzieren; es könnten nicht durch künstliche Eingriffe besondere Thätigkeiten angeregt und diese oder jene Mani- festationen ererbter Fähigkeiten veranlasst werden. — In ähnlicher Weise stelle ich mir auch den Einfluss jener äußeren Einwirkungen vor, welche beispielsweise die geschlechtliche oder ungeschleehtliche Fortpflanzung bei Algen veranlassen, oder den Einfluss, der von be- stimmten, im Organismus selbst erzeugten Substanzen ausgeht und beispielsweise Blütenbildung in den Vegetationspunkten auslöst. Ebenso wie ich die erbungleiche Teilung der Kerne schon aus dem Grunde verwerfe, weil die direkte Beobachtung der Kernteilungs- vorgänge gegen dieselbe spricht, möchte ich auch, dass Vererbungstheorien nicht die ihnen theoretisch notwendig scheinenden Strukturen in die Kerne hineinkonstruieren, vielmehr von Demjenigen ausgehen, was von Kernstrukturen thatsächlich bekannt ist. Den von Weismann!) gebildeten Begriff des Ids, als eines Elementes im Kern, das die Summe sämtlicher erblicher Eigenschaften der Art in sich schließt, halte ich von diesem Standpunkt aus für einen glücklichen, und zwar weil es mir scheint, dass er durch direkte Beobachtung sich stützen lässt. Ich betrachte als Iden die chromosomatischen, scheibenförmigen Glieder die mit so auffallender Regelmäßigkeit, bei völliger gegenseitiger Uebereinstimmung in Bau und Gestalt, in den sich zur Teilung be- reitenden Chromosomen, aufeinanderfolgen. Im Ruhezustand der Kerne hat sich die Substanz jedes Ids, zum Zweck der Ernährung, über einen gestreckten Faden verteilt, in jeder Prophase sammelt sie sich zu einem Glied der Reihe wieder an. Es ist nicht etwa im Id nur das vertreten, was zuvor in Gestalt kleiner Chromatinkörnehen im Liningerüst verteilt war, nein, auch Gerüstteile dieses Fadens finden sich in dem Id wieder ein, ja sie mögen die Hauptmasse desselben bilden. Denn es ist ja bekannt, dass die Tingierbarkeit des Kern- inhalts in den Prophasen bedeutend zunimmt, die Hauptmasse desselben in jenen leicht tingierbaren Zustand übergeht, den wir als Zunahme 1) Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung, S. 84. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 837 des Chromatins betrachten, um in den Anaphasen die umgekehrte Veränderung durchzumachen. Dass die einzelnen Glieder der zur Teilung sich anschickenden Chromosomen die Summe der erblichen Eigenschaften in sich schließen, also die wahren Iden sind, dafür lassen sich wohl auch die mikroskopischen Vivisektionen einzelliger Organismen anführen, deren Stücke sich zu den ganzen Individuen regenerieren, wenn ihnen auch nur ein kleines Stück des zerschnit- tenen Kerns zugefallen ist). So auch hatte ich beobachtet, dass, wenn bei der Teilung der Pollenmutterzellen von Hemerocallis fulva einzelne Chromosomen, was nicht selten vorkommt, in der Aequatorial- ebene der Kernspindel zurückbleiben, ohne in einen der beiden Tochter- kerne eingezogen zu werden, sich normale, nur kleinere Pollenkörner um dieselben bilden. Das kleine Chromosom grenzt sich von der Um- gebung ab und das Cytoplasma der Mutterzelle wird ihm im Ver- hältnis zu seiner Größe zugeteilt?). Das oft nur sehr kleine Pollen- korn entwickelt sich dann völlig normal weiter und zeigt alle jene Eigentümlichkeiten der Struktur, welche für die betreffende Species charakteristisch sind. Die im Chromosom aufeinander folgenden Iden sind für mich Wiederholungen, und einen Unterschied zwischen den- selben lässt in der That auch die direkte Beobachtung nieht erkennen. Es ist möglich anzunehmen, dass sie Wiederholungen sind, welche aufeinander folgenden Generationen entsprechen, dass sie also wirk- lich Ahnenplasmen vorstellen, so wie es Weismann will. Durch ihre gleichzeitige Wirksamkeit wird die relative Konstanz der Art demgemäß gewahrt. Denn das Zusammenwirken so vieler Iden muss einen Gesamteffekt ergeben, der die Mitte zwischen allen individuellen Schwankungen der aufeinander folgenden Generationen hält. Wird andrerseits durch wiederholte Vereinigung von Individuen mit gleicher Abweichung die Zahl der Iden vermehrt, welche ähnliche Tendenzen repräsentieren, so muss sich diese Abweichung befestigen. — Durch jede Längsspaltung der Chromosomen im Kernteilungsakt werden die sämtlichen Iden halbiert und in gleichem Maße den aufeinander folgen- den Kerngenerationen zugeteilt. Die Zahl der Iden müsste aber mit jedem Zeugungsakt sich verdoppeln, fände nicht eine Reduktion der- selben in einem gegebenen Augenblicke statt. Da bei Pflanzen weder eine Ausstoßung noch eine Auflösung von Chromosomen zur Zeit der Zahlenreduktion zu beobachten ist, so bleibt nur die Annahme übrig, dass alsdann die Zahl der Iden ganz so wie diejenige der Chromo- somen durch Verschmelzung auf die Hälfte herabgesetzt wird. Bei jenen Differenzierungsvorgängen, die sich während der Prophase im Sporenmutterkern abspielen, sammelt sich, allem Anschein nach, die 9» Vergl. im Besonderen: A. Gru ber, Mikroskopische Vivisektion. Ber. der naturf. Gesellsch. in Freiburg i. B., Bd. VII, Heft. 2) Ueber den Teilungsvorgang der Zellkerne, S.20 u. Taf. II, Fig. 63 — 65, 1882. 838 Schimkewitsch, Exkretorische Thätigkeit des Mitteldarmes der Würmer. Substanz von je zwei Iden zu einem einzigen Id an. In solcher Weise würde das Idioplasma zahlreicher, jedoch verschiedener Ahnen, an dem Aufbau eines jeden Ids beteiligt sein. Dieses Ahnenidioplasma denke ich mir aber in den Iden nicht getrennt fortbestehend, sondern zur Einheit verschmolzen. Die Zahl der Iden ist wohl, so wie diejenige der Chromosomen, erblich fixiert. Doch steht die Zahl der Iden zu derjenigen der Chromosomen sicher nicht in einem bestimmten Ver- hältnis, da ja selbst nahverwandte Pflanzen-Arten, die anscheinend sleich große Iden führen, verschieden viel Chromosomen aufweisen können. In der Familie der Liliaceen führen die Sporenmutterzellen je nach den Arten S, 12, 16 und 24 Chromosomen. Es scheint somit die Chromosomenzahl als solche eine tiefere Bedeutung nicht zu haben. Weisen doch auch die beiden, äußerlich nicht unterscheidbaren Varie- täten des vielgeprüften Pferdespuhlwurmes, Ascaris megalocephala, in ihren Kernen die eine nur halb so viel Chromosomen als die andere auf. (Schluss folgt.) Ueber die exkretorische Thätigkeit des Mitteldarmes der Würmer. Von W. Schimkewitsch. In der letzten Zeit wurde durch die Arbeiten von Cu¬, Saint- Hilaire u. a. die exkretorische Thätigkeit der Leber bei den Crusta- ceen und Mollusken bewiesen. Während ich im Sommer 1893 an der biologischen Station Solowetzky den im Weißen Meere lebenden Di- nophilus untersuchte, habe ich auch den Versuch gemacht, ihn sowohl mit durch verschiedene Farbstoffe gefärbten Algen zu füttern, wie auch einfach ihn in verschiedenen Farbenlösungen zu halten. Zugleich habe ich auch einige andere Würmer auf dieselbe Weise in verschie- denen Farbenlösungen gehalten. Dabei habe ich einige Beobachtungen gemacht, zufolge deren es mir höchst wahrscheinlich scheint, dass das Epithelium des Mitteldarmes der Würmer einige Farbstoffe aufnehmen und dann sie wieder in den Darm ausscheiden kann. Bei Dinophilus färben Safranin, saures Fuchsin und Methylenblau das Epithelium des Vorder-, Mittel- und Hinterdarmes. Die Färbung des Epitheliums des Vorder- und des Hinterdarmes ist diffus. Das in großer Masse die Zellen des Mitteldarmes überfüllende Pigment lässt nicht unterscheiden, wie sich der Mitteldarm färbt. Was das Rektum betrifft, so wird es auf ganz andere Weise gefärbt. Wahrscheinlich unterscheidet sich die Zelleneutieula des Rektums durch irgend welche Eigenschaften von den Zellenhüllen des Epi- theliums der übrigen Abschnitte des Darmkanals und deshalb wird von den obengenannten Farbstoffen nur die Basis der Flimmerhaare Schimkewitsch, Exkretorische Thätigkeit des Mitteldarmes der Würmer. 839 gefärbt. Dieselbe Erscheinung wird im Rektum beobachtet, wenn man Dinophilus mit durch karminsaures Ammonium gefärbten Algen füttert. Wenn die Algen durch blaue Lakmus-Tinktur gefärbt sind, so färbt sich die Basis der Flimmerhaare des Rektums rot, was bedeutet, dass ihr Plasma eine saure Reaktion hat. Meinen Beob- achtungen nach entwickelt sich der Hinterdarm des Dinophilus als ein blinder Auswuchs des Mitteldarmes und nur das Rektum ist von ektodermalem Ursprunge, wodurch auch der abweichende Charakter seines Epitheliums erklärt wird. Beim Füttern des Dinophilus mit durch Indigokarmin gefärbten Algen habe ich die Färbung nur des Mitteldarmes, die sich bei der Bearbeitung mit Alkohol absolutus (m Canada-Balsam) offenbart, beobachtet, da bei dieser Behandlung der Präparate das orangengelbe Pigment der Epithelialzellen aufgelöst wird. Es ergab sich, dass nicht das Zellenplasma, sondern die vakuolen- artigen Körncehen, die die Zellen des Mitteldarmepithels überfüllen, gefärbt wurden. Um den das Resultat verdeckenden Einfluss des Mitteldarmpig- mentes zu. vermeiden, habe ich mich zu den durchsichtigen Larven der Polynoidae!) gewandt und sie in verdünnten Indigokarmin -, Sauer-Fuchsin- und Methylenblau- Lösungen gehalten. Das Resultat war ungefähr dasselbe: der Vorderdarm, d. h. das Epithelium der Rüsselröhre, des Rüssels und seiner Papillen waren von den gebrauchten Farbstoffen diffus gefärbt. Zu gleicher Zeit wurde aber auch die Färbung der Mitteldarmzellen beobachtet, wobei sich nur die Zellen der blinden Auswüchse („appendices biliaires“ von Clapa- rede) färbten; emige Zellen der Auswüchse färbten sich sehr stark, andere bekamen nur eine gelbliche (von dem sauren Fuchsin) oder grünliche (von Methylenblau) Farbe, die dritten blieben ungefärbt. Die Zellen des Mitteldarmes selbst, die an den Schnitten von den Zellen der blinden Schläuche sich nur durch eine weniger aufge- schwollene Form unterscheiden, färbten sich bei den Polynoiden- Larven gar nicht. Auf dieselbe Weise färben sich nur die Zellen der blinden Aus- wüchse bei den ausgewachsenen Polynoiden, wenn man die Tiere im saurem Fuchsin oder im Indigokarmin hält. Ich glaube, dass man die ausschließliche Färbung der Auswüchse dadurch genügend erklären kann, dass die Farbe in ihnen stehen bleibt und vielleicht beim Einsaugen des Wassers von den Wan- dungen stärker concentrirt wird, als im Mitteldarme, wo sie immer wechselt. 4) Ich habe die Larven nicht näher bestimmt; den Angaben J. K. Tar- nani’s nach kommen in der Bucht von Solowetzky Harmothoe nodosa, Nyctia cirrosa und Lepidonotus squamatus vor. S40 Schimkewitsch, Exkretorische Thätigkeit des Mitteldarmes der Würmer. Diese Voraussetzung wird teilweise durch die Thatsache bestätigt, dass bei einer Annelide, die von J. K. Tarnani als Phyllodoce macu- /ata bestimmt wurde, nach einem dauernden Aufenthalte (während 2 Wochen, was die Polynoidae nicht aushalten) in der Farblösung die Zellen nicht nur der Auswüchse, sondern auch des Mitteldarmes selbst gefärbt wurden. In allen diesen Fällen färbte sich nicht das Zellplasma, sondern die vakuolenartigen Körperchen m den Zellen. Bei den Polynoiden und Phyllodoce sind diese Körperchen auch an Schnitten zu sehen. Bei den Polynoiden-Larven ist es leicht zu beobachten, dass je stärker sich diese Vakuolen färben, desto größer sie selbst werden. In Exkrementen der Larven aber fand ich oft Plasmaklumpen, die von solchen gefärbten, vakuolenartigen Körperchen vollgestopft waren. Höchst wahrscheinlich ist es, dass diese Klumpen nichts anderes als abgerissene, aufgeschwollene Enden der epithelialen Mitteldarm- zellen sind. Bei Dinophilus habe ich in den Exkrementen solche Klumpen nicht beobachtet. Möglich ist es, dass auch in anderen Fällen ein einfacher Austritt aus den Zellen der gefärbten Kör- perchen stattfindet. Wenn man Priapulus und Halicryptus in Methylenblaulösung hält oder ihnen eine kleine Quantität Indigokarmins in die Mundhöhle ein- führt, so beobachtet man bei ihnen dieselbe Färbung der kleinen Vakuolen, die bei dem im Weißen Meere lebenden Priapulus in einer Gürtelzone in jeder Epithelialzelle des Mitteldarmes angesammelt sind. Es sind auch in den Exkrementen die Plasmaklumpen, welche von den gefärbten Vakuolen vollgestopft sind, vorhanden. Dabei werden weder der Oesophagus, noch der Hinterdarm gefärbt. Methylenblau aber dringt dennoch als ein leicht durchdringender Farbstoff in die Leibeshöhle hinein und die sich dabei bei Priapulus im Schwanz- anhange ansammelnden Blutkörperchen sind von blauen Vakuolen überfüllt. Bei Halieryptus wird, wie es scheint, das Indigokarmin gänzlich von dem Darme aufgehalten. Es wurde 2 Halieryptus ein Gemisch aus karminsaurem Ammonium und Indigokarmin in die Mundhöhle eingeführt: das Mitteldarmepithel färbte sich blau und die Exkremente enthielten kleine mit blaugefärbten vakuolenartigen Körperchen er- füllte Klümpehen, die Blutkörperchen aber enthielten mit der Lösung von karminsaurem Ammonium gefüllte Vakuolen. Es drang folg- lich das karminsaure Ammonium in die Leibeshöhle hinein, das Indigokarmin dagegen war vollkommen vom Darmepithel zurückge- halten. Bei einigen Nemertinen färben sich bei einem dauerhaften Aufent- halte im Gemische aus Indigokarmin und karminsaurem Ammonium Korotneff, Entwicklung der Salpa democralica. Ss41 die blinden Auswüchse des Darmes — und nur diese Auswüchse — blau, die Gonaden hingegen rot!). Bei den freilebenden Nematoden (Enoplus), die man in Lösungen der blauen Lakmus-Tinktur, des sauren Fuchsin und Methylenblau hält, beobachtet man, dass sich die Körner im Plasma der Mitteldarm- zellen färben; es werden auch außerdem die einzelligen Drüsen des Oesophagus (von Lakmus blau) und das Epithelium des Oesophagus und des Hinterdarmes (Sauere Fuchsm, Methylenblau) gefärbt. Dagegen bieten einige marine Oligochaeten, die wochenlang in verschiedenen Farbenlösungen leben ?), niemals die Färbung des Darmkanals dar. Von Safranin werden bei ihnen die chloragogenen Zellen ge- färbt, was vollkommen mit den Beobachtungen von Kowalewsky übereinstimmt ?). Es scheint mir, dass das Vermögen der Mitteldarmzellen die Farben aufzuhalten eine bei den Würmern ziemlich weit verbreitete Erscheinung darstellt. Es werden aber nicht alle Farbstoffe aufge- halten: einige, wie z. B. Methylenblau, färben zwar die Epithelial- vakuolen, dringen aber auch leicht in das Mesenchym oder in die Lei- beshöhle hinein. Embryonale Entwicklung der Salpa democratica. Von Prof. A. Korotneff in Kiew. Kaum ist in der ganzen Embryologie eine andere Frage noch so dunkel und unerforscht, als die vorliegende. Die Ansichten von Prof. Salensky*) sind prinzipiell unannehmbar und betreffend der neuer- lich erschienenen Arbeiten von Brooks’) muss man sagen, dass, ob- schon das ovogenetische Prinzip von dem amerikanischen Gelehrten wieder aufgestellt ist, dennoch seine Baukunsttheorie sehr hypothetisch und mehr aprioristisch zusammengesetzt als auf Beobachtungen ge- stützt ist. Der Schwerpunkt der ganzen Salpenembryologie beruht in der Be- ziehung, welche zwischen den Blastomeren (Abkömmlingen des Eies) 1) Vergl. Waldner, Färbung lebender Geschlechtszellen. Anat. Anz., VII, 17, 189. 2) Es lebte bei mir auch unter anderen Tieren Rhynchonella psittacea mehrere Wochen in verschiedenen sehr stark konzentrierten Farbenlösungen; aber das Methylenblau allein brachte eine schwache Färbung der Darmwand hervor. 3) Diese Zeitschrift, Bd. IX, 1889. 4) Salensky, Neue Untersuchungen über die embryonale Entwicklung der Salpen. Mitt. d. zool Station zu Neapel, Bd. IV, 5) Brooks, The Genus Salpa. Baltimore 1895, 842 Korotneff, Entwicklung der Salpa democratica. und den Gonoblasten, oder nach der Benennung von Salensky „Kalimmocyten“ (Derivate der Follikularzellen) existieren. Ich möchte diesen zwei Faktoren einen dritten zufügen: nämlich, Elemente die ich als „Histogene“ bezeichnen will; es sind dies besondere Zellen, die von den Blastomeren abstammen und sich direkt in diese oder jene histologische, eine spezifische Funktion ausübende Elemente ver- wandeln; anders gesagt die „Histogenen“* Elemente bilden eine Ueber- gangsstufe zwischen Blastomeren und eigentlichen Geweben. Fig 1. bk —= Brutkammer. Fig. 2. Bk = Blutknospe; Bl = Blastomeren; Gn = Gonoblasten; Hst = Histogenen. Ich habe absichtlich die S. democratica ausgewählt, da die Ver- hältnisse hier, nach der Beschreibung von Salensky zu urteilen, am einfachsten erscheinen. Prof. Salensky hat schon gezeigt, dass, nach- dem das Ei befruchtet ist und der Eistiel sich verkürzt hat, zwei ganz besondere Bildungen, aus denen der Embryo entsteht, sich an dem embryologischen Prozesse beteiligen: nämlich das eigentliche Ei mit seiner follikularen Kapsel und der sogenannte der Kapsel sieh dicht anlegende „Brutsack“ (Fig. 1). Salensky meint, dass der Brutsack dem Oviducte anderen Salpen zu vergleichen ist, eine Ansicht, die ich nieht annehmen kann, da ich fand, dass er eine Duplikatur oder besser Einsenkung des Epithels der Atemhöhle ist (Epithelhügelzellen nach Salensky). Die Höhle des Brutsackes verschwindet nie, wird aber bis zu einer Spalte reduziert. Das befruchtete Ei furcht sich in zwei, vier und dann viele Blastomeren, zwischen denen einzelne Gono- blasten hineindringen und die Blastomeren auseinanderrücken. Zu Korotneff, Entwicklung der Salpa democratica. 843 gleicher Zeit vermehren sich auch die Zellen der unteren Schicht des Brutsackes und bilden mit den Gonoblasten eine gemeinsame lockere Masse, in welche die sich fortwährend teilenden Blastomeren über- wuchern. Mit samt diesen Erscheinungen entsteht aus den Gonoblasten die allen Salpen gemeinsame Blutknospe. Während der erwähnten Ver- änderungen hebt sich das Ganze in die Höhe und ragt als ein birn- förmiger Körper in die Atemhöhle hinein. AR a Fig. 3. Ect = Eetoderm; Ent = Entoderm; Ms = Mesenchym; Ep.h Epithelhügelzellen. Fig. 4. Ath = Athemhöhle; Hst = Histogenen; Kn = Keimzellen; Ms = Mesenchym. Zu gleicher Zeit sammeln sich die Blastomeren im Zentrum des Embryos und teilen sich; ihre Derivate bilden die schon erwähnten „Histogenen“. Nicht alle Blastomeren werden thätig, grade wie von mir bei S. costata und bdicaudata beobachtet war: einige von ihnen bekommen ganz besonders große aufgeblähte Kerne, die allmählich zu Grunde gehen; solche verschwindende Blastomeren sind als Nah- rungsmaterial für den Embryo zu betrachten. Einige Histogenen äußern eine starke Neigung zur Vermehrung und bilden einen ganzen Haufen von kleinen, hellen Zellen, die lateral von Histogenen begrenzt sind (Fig. 2); diese Zellen bilden das Mesenchym, oder anders gesagt, das Bindegewebe und die Blutzellen, 544 Korotneff, Entwicklung der Salpa democratica. Die im Zentrum angehäuften Histogenen bilden sich bald eine Passage in die Spalte des Brutsackes (Fig. 2), erfüllen allmählich dessen Lumen und bilden in dieser Weise eine ununterbrochene Schicht von saftigen, sich in reger Teilung befindenden Zellen, die das Ekto- derm der Salpe bilden. Nachdem dieser Prozess abgelaufen ist, ziehen sich die Zellen der inneren Schicht des Daches des Brutsackes aus- einander (Fig. 3) und das Ektoderm wird allein nur von den Epithel- hügelzellen bedeckt. Bald darauf gibt auch die letzte Schicht nach, zieht sich von dem Embryo ab und bildet zu seinen Seiten eine auch bei anderen Salpen immer vorkommende Faltenhülle. Ms Fig. 5. 4Ath= Athemhöhle; Fh = Faltenhülle; X = Kieme; Md = Mesoderm; Ms = Mesenchym. Fig. 6. @n = Gonoblasten, K = Kieme; Md — Mesoderm; Ms —= Mesenchym. Während der Ektodermausbildung entsteht auch das Entoderm in folgender Weise: die innere Mesenchymmasse (Fig. 4) scheidet die Histogenen in zwei Gruppen, unter deren Elementen bald zwei Spalten, eine links und die andere rechts, erscheinen; diese Spalten vereinigen sich um die künftige Atemhöhle zu bilden. Der am Schnitte erschei- nende knopfförmige Körper ist ein Wulst, der sich mit der Zeit in die Kieme verwandelt. Die Spalte wird beständig größer und ver- ändert sich bald in eine bedeutende Höhle, an deren Grunde der er- wähnte, jetzt bedeutend zusammengezogene Wulst (Kieme) hervorragt. Das Zusammenziehen der Kieme hängt gewissermaßen davon ab, dass Korotneff, Entwieklung der Salpa democratica. 845 eine Anzahl von Mesenchymzellen aus ihrem Innern in den Zwischen- raum des Ektoderms und Entoderms herausgewandert ist. Salensky!) beschreibt bei der 5. pennata die Kieme als eine durch Verwachsung der beiden vorderen Aussackungen der primitiven Darm- höhle entstandene Bildung. Ich möchte eher sagen, dass bei der S. democratica die Kieme der ersten Schrift von Salensky ent- sprechend ein von dem Boden der Atemhöhle abgeschnürter Wulst ist (Fig. 6). Die Cloake ist also ein Teil der Atemhöhle, der sich zwischen der Kieme und dem Punkte der Atemhöhle befindet, wo sich die Kieme abgeschnürt hat; es ist keine selbständige Bildung, wie es Heider?) annehmen will. Alle übrigen Organe, das Herz und den Darm ausgenommen, ent- stehen selbständig, ohne jede Beziehung zum Ekto- oder Entoderm, direkt aus besonderen Anhäufungen von Histogenen; so entsteht das Nervensystem, die Muskeln und die Keimanlage mit dem Eleoblaste. Das Nervensystem vereinigt sich mit der Atemhöhle, nachdem es eine Aushöhlung bekommen hat. Die Muskeln erscheinen als eine An- zahl in die Reihe gezogener Histogenen, welche eine Gonoblasten- anhäufung überlagern. Die Histogenen teilen sich und verwandeln sich in Muskelzellen (Fig.5 Mad). Im Grunde des birnförmigen Körpers des Embryos, unmittelbar über seinen Fuß (Fig. 4 km) befinden sich schon im voraus einige Zellen, die sich vermehren und den Keimstock des Stolons der Salpe bilden. Das Herz und der Darm entstehen in einer schon bekannten Weise, nämlich als Abschnürung (Herz) und Auswuchs (Darm) der Atemhöhle. Im großen und ganzen sehen wir also, dass der Embryo der Salpa democratica erstens sich unbedeutend von anderen Salpenembryonen unterscheidet, da er auch eine Faltenhülle besitzt, die sich aber viel früher bildet, nämlich, wenn es sich noch um ein Ei handelt; damit erklärt sich vielleicht der morphologische Unterschied, den die Falten- hülle der Salpa democratica besitzt, welche eher als eine Einsenkung als eine eigentliche Falte zu bezeichnen ist. Zweitens obschon der Embryo auch Gonoblasten enthält, so entwickeln sich doch alle seine Organe aus Blastomeren ?). Es könnte wohl noch sein, dass Gonoblasten 1) Salensky, Ueber embryonale Entwicklung der Salpen. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XXVII. 2) Heider, Mitteilungen über die Entwicklung der Salpen. Verhandl. der deutschen zool. Gesellschaft, 1893. 3) Die Beziehung der Blastomeren zu den Gonoblasten kann vielleicht Analogie in den embryologischen Erscheinungen der Insekten finden; wie dort die Blastodermzellen, ohne die Teilung des Eies hervorzurufen, durch den Dotter wandern, so geschieht es bei den Salpen; die Gonoblasten bilden eine lockere Masse und Zellen (Blastomeren), welche die Oberfläche, das Ektoderm, ge- winnen, und die im Inneren müssen sich in Entoderm verwandeln, 846 Loeb, Physiologische Morphologie. einen Anteil an der Ausbildung des Bleoblastes nehmen, aber es scheint mir doch zweifelhaft. Alles übrige bildet sich ausschließlich aus Blastomeren. Drittens einige Organe entstehen ganz ohne jede Beziehung zu den Keimschiehten und sogar früher als solche sich an- gelegt haben, aus besonderen Zellenanhäufungen. Jaques Loeb, On some facts and prineiples of physiological Morphology. Biologieal leetures delivered at the inarine Biologieal Laboratory of Wood’s Holl. Third leeture. Boston, U. S. A. Published by Ginn & Company, 1894. In dieser Vorlesung hat Herr Loeb einige seiner schon früher veröffentlichten mit einigen neuen Ergebnissen seiner interessanten experimentell- morphologischen Studien zusammengestellt und den That- sachen wichtige theoretische Betrachtungen angefügt. Indem wir uns vorbehalten auf die Gesamtheit dieser Studien in einer zusammen- hängenden Uebersicht näher einzugehen, wollen wir hier nur kurz über einige interessante Punkte berichten. Als Heteromorphosis bezeichnet Herr L. die Thatsachen, dass Organe an Stellen auftreten, wo sonst andere Organe ihren Platz haben. Wenn man von einer Antennularia Spitze und Wurzelende abschneidet und den Stamm so im Wasser aufhängt, wie er ursprüng- lich gewachsen war, so bildet sich am oberen Ende eine neue Spitze mit Seitenzweigen und Polypen an den oberen Flächen dieser letzteren, während an dem unteren Ende neue Wurzeln wachsen. Hängt man aber den Stamm verkehrt auf, so entstehen an dem jetzt unteren Ende die Wurzeln, an dem oberen die Spitze mit den Seitenarmen. Wird der Stamm horizontal oder mit dem Spitzenende nach unten geneigt befestigt, so wachsen die abwärts gehenden Arme zu Wurzeln’ aus, während an der oberen Seite neue Stämmchen hervorwachsen. Hier entscheidet also die Lage über die Art der entstehenden Or- gane, und man kann von positivem und negativem Geotropismus sprechen wie bei Pflanzen. In anderen Fällen, z. B. bei Margeliss, einer in Wood’s Holl nicht seltenen Hydraart, sowie bei Pennaria, wachsen Wurzeln nur an den Stellen, welche mit festen Körpern in Berührung sind, Polypen an solchen, die von allen Seiten von See- wasser bespült sind. Herr L. bezeichnet die als Stereotropismus. Bei anderen Tieren ist die Bildung der Organe aber nur in bestimmten Riehtungen möglich. Wenn man aus einem Individuum ven Cerianthus membranaceus Stücke herausschneidet oder das Tier an einer belie- bigen Stelle einschneidet, so entstehen am oralen Ende des abge- trennten Stückes Tentakeln. Diese Erscheinung bezeichnet Herr L. als Polarisation. Loeb, Physiologische Morphologie. 847 Das Wachstum tierischer Organe sucht Herr L. auf dieselben Ursachen zurückzuführen, welche für die Pflanzen gelten: Bildung von Substanzen von höherem osmotischen Druck. Unterschiede im Wachs- tum an verschiedenen Stellen desselben Organismus wären danach auf chemische Differenzen zurückzuführen, und aus den Unterschieden im Wachstum wäre dann nach den besonders von His hervorgehobenen Gesichtspunkten die Entstehung der Körperformen abzuleiten. Um diese Anschauung zu stützen, untersuchte Herr L., wie sich die Wachs- tumsgeschwindigkeit bei Tubularia mesembryanthemum in verdünnteren und konzentrierteren Lösungen verhielt, und fand bei Meerwasser, das mit destilliertem Wasser verdünnt war, lebhafteres, bei Salzzusatz dagegen vermindertes Wachstum im Vergleich zu dem in normalem Seewässer. Brachte er befruchtete Seeigel-Eier im 2-, 4-, oder 16-Zell- stadium in Seewasser, das ungefähr mit dem gleichen Volum destil- lierten Wassers verdünnt war; die Eier nahmen Wasser auf, die Membran riss an einer Stelle ein und ein Teil des Protoplasmas quoll in Form eines Tropfens hervor. Die Eier wurden nun in normales Seewasser zurückgebracht; die Entwicklung ging vor sich und es ent- standen Doppel- und zuweilen Drillings-Bildungen, die entweder zusammenhingen oder, wenn eine Trennung der Teile des Protoplasmas eingetreten war, auch getrennt waren. Es ist bemerkenswert, dass der eine Teil des Protoplasmas keinen Kern enthielt und doch zu einem vollständigen Embryo auswuchs. Blieben die Teile in Zusam- menhang, so trat zuerst in dem noch von der Eihaut umschlossenen Teil, falls dieser den Kern enthielt, eine Teilung der Art ein, dass die Teilungsebene senkrecht auf dem gemeinsamen Durchmesser der beiden Teile stand. Die Teilung war eine ungleiche, der kleinere Teil hing mit dem ausgetretenen Anteil des Eies zusammen. Nun teilte sich die größere Zelle nochmals und jetzt erst auch der andere Abschnitt, so dass nun 4 Zellen vorhanden waren. Zuweilen bekam aber der extra- ovale Anteil auch erst nach der zweiten Teilung oder später seinen ersten Kern. Trotzdem er also nur ein Viertel oder einen noch ge- ringeren Anteil an dem ursprünglichen Eikern hatte, entstand doch immer ein durchaus normaler Embryo aus ihm. Solche Thatsachen und die von Driesch beobachteten über die Trennung der Zellen im 4-Zellenstadium des sich furchenden Seeigel- Eies zeigen, dass die Bildung der Organe in der Eizelle nicht schon im Voraus bestimmt ist, sondern durch die äußeren Umstände bestimmt wird. Wenn die normale sphärische Eizelle nur einen Embryo liefert, so liegt dies daran, dass bei der sphärischen Form das Wachstum nach allen Seiten gleichem Druck begegnet. Unter diesen Umständen entsteht auch nur eine Blastula. Aus dieser entwickelt sich dann die Gastrula durch Einstülpung, und diese muss durch chemische Unter- 848 Marshall, Arzenei - Kästlein: schiede der Mikromeren bedingt sein. Da im Blastulastadium das spezifische Gewicht des Eies abnimmt, offenbar durch Aufnahme von Wasser, so sind die Zellen der Blastula dann offenbar innen mit einer verdünnteren Flüssigkeit in Berührung als außen, und das kann den ersten Anlass zur Invagination geben. Brachte L. die Eier in ver- dünntes Seewasser, so entstand statt der zur Bildung der Gastrula notwendigen Invagination vielmehr Evagination. J. Rosenthal. William Marshall, Neueröffnetes, wundersames Arzenei- Kästlein, darin allerlei gründliche Nachrichten, wie es unsere Voreltern mit den Heilkräften der Tiere gehalten haben, zu finden sind. 16. 127 Seiten. In Leipzig verlegts A. Twietmeyer, 1894. Die vor etwa 25 Jahren aufgekommene Mode, allerlei alte und neue Sehriften im Gewande der Drucksachen des 16. Jahrhunderts, mit Schwabacher Schrift u. s. w. erscheinen zu lassen, hat hier auch auf ein biologisches Werk- chen Anwendung gefunden. Biologisch ist es allerdings nur insoweit, als es von Tieren und tierischen Präparaten handelt. Der Verf. hat aus alten Arzenei- büchern zusammengetragen, was alles früher für heilsam und ersprießlich ge- halten wurde, soweit es tierischer Herkunft ist. Da er, wie bekannt, sehr gut zu plaudern versteht, so folgt man seinen Mitteilungen über allerlei närrischen Aberglauben gern; und wenn ein Zoologe oder Mediziner gelegentlich eines freien Stündehens einmal von ernsten Studien ausruhen will, ohne sich aus seinem Gebiet zu entfernen, so wird er vielleicht geneigt sein, von der dem Buche beigelegten Ankündigung der „großen Neuigkeit* den „Bestellzedul* mit der Aufforderung an den Verleger: „Er kann mir das Buch schieken“ ab- zutrennen und an jenen zu senden. m Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leip:ig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIV. Band. 15. Dezember 1894. Nr. 24. Inhalt: Strasburger, Ueber periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Ent- wicklungsgang der Organismen (Schluss). — Bateson, Materials for the study of variation treated with especial regard to discontinuity in the origin of species. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Sitzungs- berichte der Niederrh. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn. Ueber periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Ent- wicklungsgang der Organismen. Von Professor E. Strasburger in Bonn a. Rh. (Schluss. ) Es ist jetzt bekannt und wird durch die Beobachtungen an Ascaris nigrovenosa besonders gestützt !), dass bei der Befruchtung die Chromo- somen der beiden Eltern ihre Selbständigkeit nicht aufgeben. Bei Ascaris nigrovenosa machen Spermakern und Eikern getrennt die Pro- phasen der Teilung durch und erst die gesonderten Chromosomen ordnen sich in die gemeinsame Spindel des Keimkerns ein. Bei jedem folgenden Teilungsschritt der.Kerne finden sich dann die Chromosomen in jener Zahl ein, welche der Summe der elterlichen Chromosomen entspricht. Demgemäß bleiben auch in Bastarden die Chromosomen von Vater und Mutter neben einander thätig. Im Verhalten der Bastarde zeigen sich aber Unterschiede, welche recht lehrreich auch für die Beurteilung der Vererbungserscheinungen bei Nachkommen aus einer normalen Verbindung sind. Die Bastarde weisen entweder in allen ihren Teilen eine Verschmelzung der Charaktere beider Eltern auf, oder sie zeigen sie nur in gewissen Teilen, in anderen hingegen ge- trennte Merkmale des einen oder des anderen Elters, oder sie gleichen überhaupt mehr dem einen der beiden Eltern, oder endlich sie stimmen vollständig mit dem einen Elter überein. Naudin machte bereits 41) Edouard van Beneden, Recherches sur la maturation de l’oeuf et la fecondation, Taf. XIX bis und ter. AV. 54 850 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. darauf aufmerksam, dass in gewissen Bastarden die Charaktere, statt verschmolzen zu sein, sich nur an einander gereiht zeigen. Diese Aneinanderreihung könne sich in allen Teilen der Pflanze offenbaren, besonders mache sie sich in den Blüten und Früchten geltend !). Der Bastard bilde in solchem Falle eine Art von Mosaik, die aus Teilen der beiden Eltern zusammengefügt sei. Auf Bastarde, die dem Vater oder der Mutter mehr ähneln, ja im Extrem einem der beiden nur gleichen, hat Millardet neuerdings ganz besonders hingewiesen ?). Die Bastarde mit mosaikartigem Aufbau könnten vielleicht als Beweise für erbungleiche Teilung der Kerne verwertet werden, besonders in einem Falle wie ihn Millardet für den York-Madeira, einen Wein- stock-Bastard, schildert. Dieser Bastard soll aus der spontanen Kreuz- ung von Vitis aestivalis und V. labrusca hervorgegangen sein. Er weist an der Unterseite seiner Blätter nicht nur die eingesenkten Spaltöff- nungen von Vitis aestivalis und die vorgewölbten von V. labrusca, sondern auch alle Uebergänge zwischen beiden auf. Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass die Blattepidermis dieses Bastards aus Zellen besteht, die entweder dem Typus des Vaters oder dem Typus der Mutter oder einem intermediären Typus angehören. Der Typus wäre somit schon in einzelnen Zellen ausgeprägt, da die beiden Schließ- zellen der Spaltöffnung aus einer einzigen Mutterzelle hervorgehen. Wollte man dieses auf eine durch erbungleiche Teilung veranlasste Verschiedenheit der Zellkerne zurückführen, welche diesen Zellen zu- fielen, so könnte das ja plausibel erscheinen; diese Annahme würde aber in vollem Widerspruch zu denjenigen Fällen treten, wo der Bastard ganz dem Vater oder der Mutter gleicht, Fällen die nicht nur in der Gat- tung Vitis sondern auch bei Rubus, bei Fragaria beobachtet werden. Da müsste doch bei erbungleicher Teilung in irgend welchem Körper- abschnitt des Bastards sich auch ein Ueberschuss zu Gunsten des be- nachteiligten Elters ergeben. Das tritt aber nicht ein; daher mir die Annahme allein möglich erscheint, dass die Wechselwirkung der Chromo- somen im Kern Interferenzerscheinungen nach sich zieht. In den- jenigen Fällen, wo der Bastard ganz dem Vater oder der Mutter gleicht, werden die Chromosomen des einen Elters durch diejenigen des anderen Elters in ihrer Wirkung völlig neutralisiert. In anderen Bastarden werden durch Interferenz die einen Eigenschaften geschwächt, die anderen gesteigert; in noch anderen halten sich die Chromosomen der beiden Eltern in jeder Thätigkeit das Gleichgewicht. — Die Ver- schiedenheit im Verhalten der Bastarde wirft Licht auf das Verhalten der Nachkommen von Eltern derselben Art. Auch da halten die Kinder 1) Sur P’hybridite dans-les vegetaux. Nouv. Arch. du Museum, I, 1865, p. 33, 49, 151. 2) Note sur l’hybridation sans eroisement, ou fausse hybridation. M&moires de la soei&te des sciences physiques et natur. de Bordeaux, T. IV, 4e Serie, 1894. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 851 entweder die Mitte zwischen den beiden Eltern oder zeigen sich mehr dem Vater oder der Mutter in ihren Eigenschaften genähert. Dass die in ihrer Wirkung neutralisierten Iden nicht aufgelöst oder sonstwie zerstört werden, das zeigen aber atavistische Erscheinungen deutlich an. Als auf ein besonders lehrreiches Beispiel dieser Art will ich auf das Ver- halten des pelorischen Löwenmauls (Antirrhinum majus) hinweisen, über welches Charles Darwin berichtet hat!). Individuen des pelorischen Löwenmauls, mit eigenem Pollen bestäubt, liefern nur pelorische Pflanzen; mit Pollen der gewöhnlichen Form bestäubt geben sie hingegen aus- schließlich normale Pflanzen. Ebenso entstehen nur normale Pflanzen, wenn pelorischer Pollen auf normale Blüten übertragen wird. Die Wirkung der Chromosomen, welche Pelorie veranlasst hätten, wird somit in beiden letzten Fällen durch den Einfluss der Chromosomen der normalen Form neutralisiert. Zerstört werden die Chromosomen der pelorischen Form aber nicht, denn die Nachkommen der normal - entwiekelten Individuen von halbpelorischem Ursprung sind zum Dritt- teil wieder pelorisch. Wie eigen auch die Mischung der elterlichen Charaktere sein mag, die ein Bastard uns vorführt, sie kehrt wieder bei allen Bastarden des- selben Ursprungs. Nicht so ist es bei den Nachkommen der mit eigenem Pollen bestäubten Bastarde. Solche Nachkommen zeichnen sich viel- mehr durch große Variabilität aus. In den aufeinander folgenden Generationen derselben macht sich, bei steter Bestäubung mit eigenem Pollen, die Neigung immer mehr geltend, zu dem Typus der ursprüng- lichen Erzeuger zurückzukehren. Nur ganz wenige Bastarde pflanzen sich, mit eigenem Pollen bestäubt, unverändert fort und sind solcher Weise wirklich zu neuen Arten geworden. Die Variabilität der Nach- kommen von Bastarden sucht Weismann?) durch Reduktionsteilungen bei Anlage der Geschlechtszellen zu erklären. Diese Reduktionstei- lungen sollen ja ungleiche Produkte liefern, und die Vereinigung der ungleiehen Produkte dann Ursache der Veränderung sein. Die Mög- lichkeit einer solchen Erklärung ist aber thatsächlich ausgeschlossen, da es Reduktionsteilungen weder im Pflanzenreich, noch auch über- haupt gibt. — Die Variabilität der Nachkommenschaft von Bastarden muss somit andere Ursachen haben. Wir suchen dieselben in den Vor- gängen, welche sich bei der Reduktion der Chromosomenzahl in den Sporenmutterzellen abspielen. Dass Bastarde gleichen Ursprungs in der ersten Generation mit einander übereinstimmen, hängt damit zu- sammen, dass die Chromosomen beider Eltern neben einander in allen Kernen dieser Bastarde fortbestehen und in einer bestimmten Weise die Entwieklungsvorgänge beeinflussen. Anders die Nachkommen dieser 4) Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. Deutsche Uebersetzung, 1868, Bd.II, S. 92. 2) Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung, 1892, S. 293. 359 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. Bastarde, wohl aus dem Grunde, weil bei der Bildung der Sporen- mutterzellen (Pollen- und Embryosack -Mutterzellen) im Bastard eine Verschmelzung seiner elterlichen Chromosomen und eine entsprechende veduktion seiner Idenzahl sich vollziehen muss. Da werden die Ver- schmelzungen in verschiedener Weise vor sich gehen, Interferenz- erscheinungen verschiedener Art sich geltend machen und dann durch entsprechende Beeinflussung der Entwicklungsvorgänge Veranlassung zu einer Verschiedenheit der Produkte geben. Ein unverändertes Fort- bestehen der Nachkommen von Bastarden dürfte nur in denjenigen Fällen möglich sein, in welchen die Chromosomen und Iden der ur- sprünglichen Eltern, auch nach erfolgter Reduktion und Verschmel- zung fortfahren sich in demselben Verhältnis wie zuvor das Gleich- gewicht zu halten. Wir haben es versucht, die Bedeutung der Chromosomenzahl, wie sie sich zu Beginn der geschlechtlichen Generation im heterogenen Generationswechsel der Pflanzen vollzieht, phylogenetisch zu erklären; wir fassten sie auf als eine Rückkehr zu dem ursprünglichen Zustand, in einem Worte als eine Wiederholung der Phylogenie in der ontogene- tischen Entwicklung. Diese Auffassung scheint mir auch die einzig zulässige im Tierreich zu sein. Anders die Frage, ob die Doppelt- teilungen der Samenmutterzellen und Eimutterzellen, die bei Metazoen zur Bildung der Geschlechtsprodukte führen, eine besondere Generation bedeuten. Ich neige entschieden zu dieser Annahme. Diese Generation wäre aber bis auf jene Vorgänge reduziert, die für Bildung der Ge- schleehtsprodukte notwendig sind. Daraus ließe sich auch die Ueberein- stimmung erklären, welche die Bildung der Geschlechtsprodukte in den verschiedenen Abteilungen der Metazoen zeigt. Ja, auch die auf- fällige Uebereinstimmung mit den Vorgängen, welche zur Bildung der Geschlechtskerne bei den Infusorien führen, würde dadurch in ein anderes Licht treten. Damit gelangen wir aber zu einer andern Frage, welche diejenigen Teilungsvorgänge betrifft, die zur Bildung der Geschlechtsprodukte führen. Die Bedeutung dieser Vorgänge sei hier zunächst für das Pflanzen- reich ins Auge gefasst. Dass die Zahlenreduktion der Chromosomen als solche, so groß auch deren Bedeutung für den Befruchtungsvorgang ist, nicht in un- mittelbarer Beziehung zur Bildung der Geschlechtsprodukte steht, dürfte nunmehr wohl sicher gestellt sein. Andrerseits konstatierten wir auch, dass die Zellkerne, in welchen die Chromosomenreduktion sich voll- zieht, durch ihren Chromatinreichtum ausgezeichnet sind. Dieser ihr Chromatinreichtum ist es jedenfalls, der sie zu rascher Teilungs- folge anregt; demgemäß sehen wir übereinstimmend die Sporenmutter- zellen der höheren Kryptogamen, sowie die Pollen- und Embryosack- Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. s53 mutterzellen der Phanerogamen, sich schnell hintereinander teilen. Der Mutterzellkern macht nach dem ersten Teilungsschritt kaum eine Ruhe- pause durch, zum Mindesten bleibt er sehr ehromatinreich ohne in den sonst üblichen chromatinarmen Ruhezustand einzutreten. In ge- wissen Fällen, so in Sporenmutterzellen der früher erwähnten Leber- moose, wird sogar simultan eine Vierteilung des Mutterzellkerns aus- geführt. Das erinnert Alles auffallend an die raschen Teilungsschritte in den Samen- und Eimutterzellen der Tiere, ohne dass bei den Pflanzen Geschlechtsprodukte dabei entstehen und ohne dass die erzeugten Zellen sich, wie es bei den Geschlechtsprodukten der Fall ist, zur wei- teren Teilung unfähig zeigen. Andrerseits lässt sich auch im Pflanzen- reich Chromatinreichtum bei denjenigen Kernen konstatieren, die zur Bildung von Geschleehtsprodukten verwandt werden. Auch da pflegt der Chromatinreichtum zu rasch aufeinander folgenden Kernteilungen anzuregen. Diese Teilungen liefern Produkte, die ohne Befruchtung meist unfähig zur weiteren Entwicklung sind. Bei starker Ausdehnung der geschlechtlichen Generation der mit heterogenem Generationswechsel versehenen Pflanzen trennt ein weiter Zwischenraum die raschen Tei- lungsvorgänge, die auf die Zahlenreduktion der Chromosomen folgen, von denjenigen, die sich bei Bildung der Geschlechtsprodukte einstellen. In dem Maße, als die geschlechtliche Generation eine Verkürzung er- fährt, rücken beide Vorgänge näher aneinander und schließen zuletzt im Embryosack der Angiospermen unmittelbar zusammen. Im Embryo- sack von Lilium sind es ja nur noch drei Teilungsschritte, welche die Bildung des Eies von der Zahlenreduktion im Mutterzellkern trennen. Alle drei Teilungen folgen sich unmittelbar und zeigen unausgesetzt den gleichen Uhromatinreichtum der Kerne. — In den Samenmutter- zellen und Eimutterzellen der Tiere wird die Anregung zur Teilung, die von dem Chromatinreichtum der Mutterkerne bei der Zahlenreduk- tion der Chromosomen ausgeht, gleich zur Bildung der Geschlechts- produkte verwandt. Die beiden Vorgänge, die uns bei Pflanzen zuerst getrennt entgegentreten, fallen hier vollständig zu einem einzigen Vor- gang zusammen. Dieselben Ursachen aber, welche veranlassen, dass in den Sporenmutterzellen der Pflanzen auf die Zahlenreduktion der Chromosomen eine rasche Vierteilung folgt, mögen auch im Anschluss an den nämlichen Vorgang die so allgemein verbreitete Vierteilung der Samenmutterzellen und Bimutterzellen bei Metazoen bedingen, da diese dort aber unmittelbar die Geschlechtsprodukte liefert, zugleich auch deren Vierzahl bestimmen. Die raschen Kernteilungen, welche bei Pflanzen auf die Zahlen- reduktion der Chromosomen in den Sporenmntterzellen folgen, ver- hindern bei denselben nicht die weitere Entwieklungsunfähigkeit der Teilungsprodukte. Die raschen Teilungen, welche dort, getrennt von den ersteren, zur Bildung der Geschlechtsprodukte führen, müssen so- 854 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. mit, um deren selbständige Entwicklungsfähigkeit aufzuheben, noch von besonderen Erscheinungen begleitet sein. Ich habe versucht, mir über die Ursachen dieser Verhinderung, auf Grund der gesammelten Erfahrungen, eine bestimmte Vorstellung zu bilden. — Fassen wir die Anfänge geschlechtlicher Differenzierung im Pflanzenreiche ins Auge, wo sie in so einfacher Form wie bei Ulothrix uns entgegentreten, so finden wir, dass über ein bestimmtes Maß hinausgehende Zellteilungen es sind, welche die Entwicklungsunfähigkeit der Geschlechtsprodukte bedingen!). Dieselbe Zelle, die bei einer begrenzten Zahl von Tei- lungen entwicklungsfähige ungeschlechtliche Schwärmsporen liefert, erzeugt bei einer größeren Zahl von Teilungen entwicklungsunfähige geschlechtliche Gameten. Diese Gameten unterscheiden sich von den Schwärmsporen nur durch geringere Größe und durch den Besitz von nur zwei Cilien an Stelle von vier. Ich war seinerzeit bemüht, eine Beziehung der Cilien bei Schwärmsporen, Gameten und pflanzlichen Spermatozoiden zum aktiven Bestandteil des Cytoplasma, der auch die Strahlungen um die Centrosphären, die Spindelfasern und Verbindungs- fäden in sich teilenden Zellen bildet, und den ich Kinoplasma nannte ?), nachzuweisen 3). Die Verminderung der Cilienzahl an den Gameten von Ulothrix, könnte danach der sichtbare Ausdruck für eine Ver- minderung ihres Kinoplasma sein, die geringere Größe dieser Gameten zugleich eine entsprechende Abnahme ihres Nährplasma, oder Tropho- plasma®), bedeuten. Die mit einander kopulierenden Gameten von Ulothrix gleichen einander, und so wäre denn anzunehmen, dass die ganz aufgehobene oder doch sehr beschränkte Entwicklungsfähigkeit dieser Gameten ®) bei nicht eintretender Vereinigung sowohl durch Mangel an Kinoplasma als auch an Trophoplasma bedingt sei. Bei einem Mangel an diesen Substanzen würde der Kern zur Teilung eben nicht angeregt werden, auch wenn er als solcher teilungsfähig verbliebe. Ihn für teilungsfähig zu halten liegt aber nah, da nicht einzusehen ist, warum ihm unter entsprechenden Ernährungsbedingungen die Fähig- keit des Wachstums und somit auch der Teilung abgehen sollte. — Mit fortschreitender Differenzierung der pflanzlichen Geschlechtsprodukte bildete sich dann eine Arbeitsteilung zwischen denselben aus. Den männlichen Zellen fiel, so möchte ich annehmen, das für die Teilungs- vorgänge nötige Kinoplasma, den weiblichen das nötige Trophoplasma zu. Den männlichen Geschlechtszellen wurde andrerseits das für ihre 4) Strasburger, Schwärmsporen, Gameten ete. Histol. Beitr., Heft IV, 1892, S. 88. 2) Ebendas. S. 60. 3) Ebendas. S. 96 u. a, m. 4) Strasburger, Ueber die Wirkungsphäre der Kerne und die Zellen- größe. Histol. Beitr., Heft V, 1893, S. 98. 5) Vergl. Schwärmsporen, Gameten etr., $. 88. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 855 Teilung nötige Trophoplasma, den weiblichen das nötige Kinoplasma entzogen. Daher erst die Vereinigung beider Zellen ein entwicklungs- fähiges Produkt ergeben kann. In solcher Weise möchte ich zum Mindesten die bei meinen Untersuchungen über Schwärmsporen, Ga- meten und pflanzlichen Spermatozoiden !) gewonnenen Erfahrungen verwerten, denn dieselben lehrten mich, dass einerseits auch den ex- tremsten Formen pflanzlicher Spermatozoiden außer dem Kern ein kinoplasmastischer Bestandteil zukommt?), während dieselben den trophoplasmatischen Teil ihrer Mutterzelle in einem Bläschen abstoßen; dass andrerseits die Eier meist auffallend reich an Trophoplasma sind. Auch die männlichen Zellen im Pollenschlauch der Angiospermen ent- halten außer dem Zellkern nur Kinoplasma?), während der tropho- plasmatische Inhalt der Eier sich an körnigen Einschlüssen stets kennt- lich macht. Schon bei den Florideen, unter den Algen, büßen die Spermatozoiden die zum Trophoplasma gehörenden Chromatophoren ein*), und werden daher unfähig sich zu ernähren; so gehen die Chromatophoren den männlichen Zellen auch aller höheren Pflanzen ab, während sie den pflanzlichen Eiern dauernd erhalten bleiben 5). Meine Ansicht geht also dahin, dass bei der Vereinigung von Spermatozoiden und Eiern im Vorgang der Befruchtung das Sperma- tozoid dem Ei das mangelnde Kinoplasma zuführt, selbst aber im Ei das ihm fehlende Trophoplasma vorfindet. Durch die Vereinigung beider Zellen sind dann die Bedingungen geschafien, die zu neuen Kernteilungen und damit auch zur weiteren Entwicklung anregen. So würde sich auch die von den Gebrüdern Hertwig®) festgestellte Thatsache er- klären, dass auch solche in das Ei eingedrungene Spermakerne sich dort teilen können, die nieht zur Vereinigung mit dem Eikern kamen, so auch die weitere scheinbar noch auftälligere, von den Gebrüdern Hertwig’) und von Boveri®) beobachtete Erscheinung, dass Sperma- kerne in kernfreien Bruchstücken von Eiern sich zu teilen und Furchungs- erscheinungen zu veranlassen vermögen. Darnach dürften die Verhältnisse im Tierreich nicht anders als im Pflanzenreich liegen und im Sinne 1) Histol. Beiträge, Heft IV. 2) Ebendas. S. 118. 3) Ebendas. S. 133. 4) Schmitz, Chromatophoren der Algen, Sep.-Abdr., S. 122. 5) Vergl. Schimper, Untersuchungen über die Chlorophylikörper etc. Zeitschr. f. wiss. Bot, Bd. XVI, 1885, S. 6. 6) Ueber den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des tierischen Eies unter dem Einfluss äußerer Agentien, 1887, S. 15 ff. 7) Ebendas. S. 107 und O. Hertwig, Ei- und Samenbildung bei Nema- toden. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 36, S. 85. 8) Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütterliche Eigenschaften. Gesellsch. f. Morph. u. Physiol. zu München, Sitzung vom 16. Juli 1889. 856 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. meiner Auffassung sich auch die Angaben von Boveri!) und Hen- king?) verwerten lassen, dass bei Ascaris und in einigen andern Fällen an den Kernspindeln in den Eimutterzellen, im Gegensatz zu denjenigen in den Samenmutterzellen, keine Centrosomen zu erkennen sind. Da die Centrosomen individualisierte kinoplasmatische Centren darstellen und sich als Centren der kinoplasmatischen Strahlung be- sonders markieren, so müssen sie bei Mangel an Kinoplasma und so- mit auch bei fehlender Strahlung, wenig sichtbar werden. Das spricht wohl andrerseits alles für die von mir hier vertretene Ansicht, dass die Unfähigkeit der Geschlechtsprodukte zu selbständiger Weiterentwick- lung nicht durch die Teilungsunfähigkeit ihrer Kerne als solcher, son- dern durch denMangelanderweitiger zu deren Teilung notwendiger aktiver Substanzen bedingt sei. Ob die Zuführung der fehlenden Substanz bei der Befruchtung einfach nur als eine Ergänzung dieser Substanz gelten kann und durch deren Ergänzung allein schon die Bedingungen für die weitere Entwicklung schafft oder ob nieht etwa ihr besonderer Ursprung als Reiz mitwirkt, mag dahingestellt bleiben. Letztes anzu- nehmen liegt nah und lässt sich durch solche Konjugationsvorgänge bei Infusorien stützen, bei welchen die beiden konjugierenden, sich nach der Konjugation wieder trennenden Individuen ihre Spermakerne (Konjugationskerne) austauschen und allem Anschein nach dieselben Elemente an einander abgeben, die sie von einander empfangen. Während die rasch aufeinander folgenden Teilungen bei Ulothrix zur Bildung von Gameten führen, denen es sowohl an Kinoplasma wie an Trophoplasma zur Weiterentwicklung fehlt, wird bei Bildung dif- ferenzierterer Geschlechtsprodukte der schließliche Mangel an Tropho- plasma in den männlichen, an Kinoplasma in den weiblichen Zellen, nicht allein durch die rasche Aufeinanderfolge der Teilungen, sondern augenscheinlich auch durch Absonderung oder Auflösung der betreffen- den Substanzen bewirkt. So bleiben oft bei Bildung pflanzlicher Sperma- tozoiden körnige Substanzreste unverbraucht zurück, vielfach werden sie auch in einem anhängenden Bläschen von den Spermatozoiden mit auf den Weg genommen, vor der Befruchtung aber abgeworfen. Andrerseits stoßen manche Eier, wie die von Vaucheria und einiger Oedogonien ?) vor der Befruchtung farblose Plasmamassen aus, die wohl Kinoplasma sein könnten. 1) Zellstudien Heft I S.22, Heft II a.a. 0. und Befruchtung, in: Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, herausgegeben von Merkel und Bonnet, 1892, S. 469. 2) Ueber plasmatische Strahlungen. Verh,. d. deutsch. zool. Ges., 1891. 3) Nicht bei allen, wie Klebahn neuerdings zeigte: Studien über ZygotenlI, die Befruchtung von Oedogonium Boscü. Zeitschr. f. wiss. Bot., Bd. XXIV, 1892, 8. 248. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 857 Unter allen Umständen wird aber dafür gesorgt, dass die Ge- schlechtszellen aus dem Gewebeverbande gelöst oder doch so von der Umgebung abgegrenzt werden, dass sie ihr nicht die fehlenden eyto- plasmatischen Substanzen direkt entnehmen können. Auffällig ist in dieser Beziehung der Abschluss, den die männlichen Zellen bei den Phanerogamen zeigen, da ihm eine andere Bedeutung nieht zukommen kann. Diese Zellen bleiben ja im Cytoplasma des Pollenschlauches eingebettet, werden von diesem an ihren Bestimmungsort geführt, brauchen sich nicht selbständig zu bewegen, bleiben aber trotzdem bis zuletzt durch eine Hautschicht von der Umgebung abgeschlossen. Bei Nematoden und Pferotrachea hat Boveri, bei Asteracanthion O0. Hertwig, die schon einmal berührte bemerkenswerte Beobachtung gemacht, dass eine parthenogenetische Entwieklung der Eier einge- leitet wird, wenn die zweite Polzelle von der Eimutterzelle nicht ab- geschnürt wird, vielmehr in derselben verbleibt, und ihr Kern mit seinem Schwesterkern, dem Eikern, wieder verschmilzt. Da bleibt in der That im Ei diejenige aktive Substanz auch zurück, die zur Aus- führung der zweiten Kernteilung in der Eimutterzelle führte und diese mag sich weiter durch Assimilation vermehren und eine partheno- genetische Entwicklung einleiten können. Dass diese Substanz aber nicht die durch die männliche Zelle einzuführende vollgiltig zu er- setzen vermag, dass zeigt das mehr oder minder früh erfolgende Ab- sterben der Keime!). Die Entwicklungsfähigkeit des Kinoplasma der Eier ist also allem Anschein nach herabgesetzt und leitet, auch bei unvollständiger Beseitigung, nur mangelhafte Entwieklung ein, es sei denn, dass neuerlangte Eigenschaften die Eier zu parthenogenetischer Entwicklung völlig geeignet machen. Wie die Reaktionen der pflanzlichen Spermatozoiden und der männlichen Zellen der Phanerogamen lehren, kommt es bei der Be- fruchtung auf die Einführung nur sehr geringer Mengen von Kino- plasma in die weiblichen Zellen an?). Das eingeführte Kinoplasma mag sich durch Zueignung neuer Substanzteile vermehren. Die direkte Beobachtung lehrt, dass, von Ausnahmsfällen abge- sehen, die generativen Kerne nicht nur mit gleicher Chromosomenzahl, sondern auch mit gleichen Substanzmengen im Befruchtungsakt zur Vereinigung kommen. Die Gleichheit der Substanzmenge in den kopu- lierenden Kernen braucht aber nicht die Folge einer gleichen Zahl vorausgegangenen Teilungsschritte zu sein. Das lehren deutlich fast alle Entwicklungsgeschichten der Geschlechtszellen im Pflanzenreich. Um zunächst an zwei Beispiele zu erinnern, welche neuerdings schon von Boveri und ©. Hertwig, wenn auch in anderer Absicht wie hier, herangezogen wurden, so sind es einander entsprechende Zellen 1) Vergl. 0. Hertwig, Die Zelle und die Gewebe, 1893, 8.239. 2) Vergl. auch Strasburger, Schwärmsporen, Gameten ete., 5.143 u. a. m. 858 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. die bei Eudorina durch Teilung 16 oder 32 Spermatozoiden, oder ohne Teilung nur ein Ei bilden, die bei Volvox globator zum Mindesten 64 Spermatozoiden, aber nur ein Ei erzeugen. In den Antheridien der Fucus- Arten werden 64 Spermatozoiden, in den Oogonien nur 8 Eier angelegt. Bei allen höheren Kryptogamen ist die Zahl der Teilungen in den Antheridien vielmals größer als in den Archegonien und so auch stimmt die Zahl der Teilungen, welche die männlichen und weiblichen Geschlechtszellen bei den Phanerogamen liefern, durch- aus nicht überein. — Auch im Tierreich ist die Zahl der Teilungs- schritte, welche die Urmutterzellen von den Samenmutterzellen einer- seits, den Eimutterzellen andrerseits trennt, sehr verschieden groß und zwar im ersteren Falle weit größer, wie sich das ja unmittelbar schon aus dem Vergleich der weit bedeutenderen Menge erzeugter Spermatozoen mit der Zahl der Eier ergibt. FEingehende Unter- suchungen haben andrerseits aber gelehrt, dass bei Metazoen eine Uebereinstimmung der letzten beiden Teilungsschritte der Mutterzellen, welche die vier Spermatozoen einerseits, ein befruchtungsfähiges und drei reduzierte Eier andrerseits ergeben, besteht. Man hat aus dieser Uebereinstimmung hier auf die Homologie beider Vorgänge geschlossen, während sie wohl nur die Folge der in gleicher Weise durch den in den Mutterzellen erfolgten Reduktionsvorgang angeregten Teilungen ist. Im Pflanzenreich, wo der Reduktionsvorgang und die Bildung der Geschlechtsprodukte auseinander liegen, herrscht eine ähnliche Ueberein- stimmung der Teilungsschritte bei Bildung der Geschlechtsprodukte nicht, hingegen tritt sie uns in den Teilungsvorgängen der Sporenmutter- zellen allgemein entgegen, selbst auch dort, wo, wie bei der Bildung der Makrospore der Hydropteriden, von den vier erzeugten Zellen eine sich nur weiter entwickelt, drei hingegen nachträglich verdrängt wer- den. Diese Vierteilungen folgen aber auch hier alle auf den Reduk- tionsvorgang der Chromosomen. Das letzte Beispiel würde im gewissen Sinne der Eibildung bei den Metazoen entsprechen. Wie bei der Bil- dung jener Makrosporen, so auch derjenigen tierischer Eier, hätte sich wohl schon eine direkte Umbildung der Mutterzelle zu der einen Makrospore, beziehungsweise dem einzigen notwendigen Ei eingestellt, wenn nicht innere Ursachen zur Vierteilung drängten. Diese Ursachen können hier aber nur in dem Reduktionsvorgang gegeben sein, da er den einzig übereinstimmenden Ausgangspunkt der beiden Vorgänge abgibt. Dass die Richtungskörperchen, oder wie sie jetzt besser zu nennen sind, die Polzellen tierischer Eier, „rudimentäre Zellen seien, denen atavistische Bedeutung zukomme“ sprach zuerst Giard'), dass sie als I) Sur les modifications qui subit l’oeuf des Meduses phanerocopes avant la f&condation. Comptes rendus du l’Acad. des sciences, Paris, 19 mars, 1877. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. 359 Abortiveier zu deuten seien zuerst Mark!) aus; Bütschli?) und Boveri?) suchten diese Auffassung weiter zu begründen. Auf die Uebereinstimmung, welche die Teilungsvorgänge in den Samenmutter- zellen und Eimutterzellen zeigen, wurde dann von Platner*) und besonders eingehend von O. Hertwig?°) hingewiesen. So lange die Polzellen der tierischen Eier als Sekretionskörper gelten konnten, welche die Beseitigung bestimmter Bestandteile des Eies vermitteln und in direkter Beziehung zum Befruchtungsvorgang stehen, konnte man auch versucht sein, gewisse, an manchen pflanzlichen Eiern be- obachtete Substanzausstoßungen oder Abgrenzungen mit den „Rich- tungskörperchen“ zu vergleichen. Jetzt ist die Lage eine ganz andre geworden und könnte es sich allenfalls nur fragen, ob nicht etwa die Bauchkanalzellen, die von den Eiern der höheren Kıyptogamen und meisten Gymnospermen durch Zellteilung abgetrennt werden, als abor- tive Schwesterzellen der Eier und somit dann thatsächlich als Pol- zellen noch gelten können. Ein wenig beachteter, wenn auch schon richtig gedeuteter®) Fall, welcher die Bildung von Polzellen im Pflanzen- reiche in einer dem Tierreiche ganz entsprechenden Weise zeigt, ist aber bei Fucaceen gegeben. Ich gehe auf diesen Fall hier ein, weil er in seinem ganzen phylogenetischen Zusammenhang noch vorliegt und somit zur weiteren Bestätigung der bei Tieren gewonnenen Deu- tung noch dienen kann. Bei Fucus wird der Mutterkern des Oogoniums durch succedane Teilung in acht Kerne zerlegt, die sich gleichmäßig im Cytoplasma verteilen, welches hierauf ohne Rest sich in acht Eier zerlegt. Bei Ascophyllum nodosum konnte nun Oltmanns auch eine succedane Teilung des Mutterkerns des Oogoniums in acht Kerne nach- weisen. Die Kerne verteilen sich zunächst gleichmäßig, ändern aber später ihre Lage, so dass vier sich tetraedrisch anordnen, vier nach der Mitte rücken. Dann werden simultan vier große befruchtungs- fähige peripherische, und vier fast nur auf die Kerne beschränkte zen- 1) Maturation, Fecundation and Segmentation of Limax campestris, Bull. of the Mus. of Com. Zool. Harv. Coll. Cambridge, Mass., Vol. VI, 1831. 2) Gedanken über die morph. Bedeutung der sog. Richtungskörperchen. Biol. Centralbl., 1885, S.5. 3) Ueber die Bedeutung der Richtungskörper. Sitzungsber. der Ges. f. Morph. u. Phys. in München, Bd. III, Heft 3, 1887 und Zellenstudien, Heft 3, 1890, 8. 72. 4) Ueber die Bedeutung der Richtungskörperchen. Biol. Centralbl, Bd. VII, 1889, 8.718. 5) Vergl. die Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 36, 1890. 6) Durch Oltmanns, Beiträge zur Kenntnis der Fucaceen. Bibliotheca botanica, Heft 14, 1889. DREH SHESH: 860 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. solchen, lässt der Vergleich mit Fueus keinen Zweifel. Im Oogonium von Pelvetia canaliculata werden zunächst auch acht Kerne erzeugt, zwei derselben stellen sich hierauf in die Brennpunkte des annähernd elliptischen Organs, die sechs anderen ordnen sich zu einem periphe- rischen Kreise im Aequator an. Hierauf entstehen durch simultane Teilung des Cytoplasma zwei große befruchtungsfähige und sechs ganz kleine reduzierte Eier). Im Oogonium von Himanthalia lorea endlich sieht man, nachdem die Kerne sich auf acht vermehrten, einen Kern sich in die Mitte stellen, die anderen in der Peripherie verteilen. Ein großes Ei wird hierauf um den zentralen Kern, sieben reduzierte um die peripherischen Kerne gebildet ?). So können. wir bei den Fucaceen eine stufenweise Reduktion der acht Eier auf ein Ei verfolgen, ein Vorgang, auf den bei den Metazoen nur durch Vergleich mit der Samenbildung geschlossen werden kann. — Nicht unwichtig ist es viel- leicht, hier noch einmal darauf hinzuweisen, dass das Pflanzenreich auch einen, der vorgreifenden Längsspaltung der Chromosomen in den Samenmutterzellen und Eimutterzellen der Metazoen analogen Fall aufzuweisen hat. Dieser Fall kommt bei den Lebermoosen vor, spielt sich aber nicht bei Bildung der Geschlechtsprodukte, sondern bei der Teilung der Sporenmutterzellen ab. Bei Pallavicinia, Aneura, werden im Kern der Sporenmutterzelle, wie Farmer zeigte ?), die Chromo- somen gleich für die beiden folgenden Kernteilungen durch Spaltung vorbereitet und hierauf eine simultane Vierteilung des Kerns vollzogen. Die durch den Chromatinreichtum des Mutterkerns angeregte rasche Aufeinanderfolge der Teilungen hat hier somit zu einer vollständigen Zusammenziehung von zwei Teilungsvorgängen auf einen geführt, einer Verkürzung des Vorgangs, der noch über den in den Samenmutter- zellen und Eimutterzellen der Metazoen gegebenen hinausgeht. Dass dieser Vorgang im den Sporenmutterzellen der Lebermoose in keinerlei Beziehung zu der Befruchtung steht, braucht nieht erst hervorgehoben zu werden; dass es bei demselben auch nieht auf eine Verteilung ganzer, unter sich verschiedener Chromosomen auf die einzelnen Sporen abgesehen sein kann, leuchtet ohne Weiteres ein. Die jetzigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Befruchtungslehre gehen im allgemeinen dahin, dass Spermakern und Eikern mit gleicher Chromosomenzahl im Befruchtungsakt zur Vereinigung kommen. Die auffälligste Ausnahme von dieser Regel stellt bis jetzt der Fall von ‚Arion empiricorum vor, bei welchem nach Platner der Spermakern nur zwei, der Eikern relativ zahlreiche Chromosomen führen soll ®). A) lsliesı SL 88: 2) Ebendas. 3) On Pa lavieinia decipiens. Ann. of Botany, Vol. VIII, 1894, p. 49. 4) Ueber die Befruchtung bei Arion empiricorum. Arch. f. mikr. Anat,, 1866, Bd. 27, 8.32. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. s61 Die Feststellung der Tragweite der Chromosomengleichheit von Sperma- kern und Eikern für die Vererbungsfragen führte zur Vernachlässigung der früheren Angaben über gewisse Schwankungen in der Chromo- somenzahl der Geschlechtsprodukte. Man war geneigt, diese Schwan- kungen auf Beobachtungsfehler zurückzuführen. 'Thatsächlich ist es aber richtig, dass geringe Abweichungen von der typischen Chromo- somenzahl in den Geschleehtsprodukten möglich sind, und dass die Natur wohl im Allgemeinen, nicht aber ganz ausnahmslos, sich an die gegebene Zahl bindet. In den Pollenmutterzellen, die es besonders leicht ge- statten, dass man sichere Zählungen in großer Anzahl ausführe, lassen sich Differenzen von einigen wenigen Chromosomen über und unter der normalen gelegentlieh bestimmt feststellen. So gab ich beispielsweise bereits an!), auch nachdem ich die Bedeutung erkannt hatte, welche eine konstante Chromosomenzahl in den Geschleehtsprodukten für den Befruchtungsakt besitzt, dass bei Chlorophytum Sternbergianum Antheren- fächer vorkommen können, deren Pollenkörner 14 statt 12 Chromosomen führen. Doch das sind belanglose Abweichungen; denn angenommen, ein Spermakern von 14 Chromosomen verbände sich bei Chlorophytum mit einem Eikern von 12 Chromosomen, so würde das ein kleines Ueber- gewicht den männlichen Elementen verschaffen, das wenig in Betracht käme, eventuell in einer späteren Generation sich in umgekehrter Rich- tung wieder ausgleichen könnte. Anders dagegen, wenn Spermakern oder Eikern mit dauernd bevorzugter Chromosomenzahl zur Ausbildung gelangen sollte. Derartige Fälle, und zwar mit Bevorzugung des Ei- kerns, liegen nun allem Anschein nach im Pflanzenreich vor und be- weisen uns von Neuem, dass sich die organische Entwicklung dureh von uns abstrahierte Regeln nicht zu binden braucht. Die gedachten Fälle sind im Pflanzenreich vorwiegend an vielkernige Algen und Pilze, das heißt an solehe Organismen, die innerhalb eines eytoplasmatischen Zellkörpers zahlreiche Kerne führen, geknüpft. Den Angaben von Sehmitz?) und J. Behrens?) nach sollen im Oogonium von Vaucheria zahlreiche Zellkerne verschmelzen, um den Eikern zu bilden ). Diese Verschmelzung der Kerne müsste entsprechend zahlreiche Chromo- somen im Eikern ergeben, während die Befruchtung desselben durch einen Spermakern erfolgt, der einem einzigen Zellkern den Ursprung 4) Ueber Kern- und Zellteilung im Pflanzenreich. Histol. Beitr., Heft I, 1888, S. 49. 2) Ueber die Zellkerne der Thallophyten. Sitzungsber. der niederrh. Ge- sellschaft f. Natur- und Heilkunde zu Bonn, 1879, S. 349, Sonder-Abdr. S. 5. 3) Einige Beobachtungen über die Entwicklung des Oogons und der Oosphäre von Vaucheria. Ber. d. deutsch. bot. Ges., 1890, S. 316. 4) Klebahn hält die Angaben bei Vaucheria noch nicht für erwiesen, Studien über Zygoten II. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXIV, S. 237. 862 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. dankt. Aehnlich geht aus den Beobachtungen von Rauwenhoff!) mit aller Wahrscheinlichkeit hervor, dass während die Spermatozoen von Sphaeroplea annulina nur einen Zeilkern bei ihrer Entstehung erhalten, der weit größere Eikern aus der Verschmelzung einer großen Zahl entsprechender Kerne hervorgeht. Ebenso behauptet auch schon Schmitz?), dass der Eikern von Aphanomyces laevis durch Ver- schmelzung zahlreicher kleiner Kerne gebildet werde. Nach den Angaben von Wagner?) de MareusM. Hartog*) bekräftigt, fallen von den zahlreichen Kernen eines Oogoniums von Peronospora parasitica zwei oder mehr dem Ei zu, wo sie zu einem einzigen Eikern verschmelzen, während die übrigen, in großer Mehrzahl, außerhalb des Eies im Periplasma zu liegen kommen. Bei Sapro- legnien endlich verdanken nach Marcus M. Hartog die Eikerne ebenfalls einer wiederholten Fusion von Kernen ihre Entstehung ’). In allen diesen Fällen soll aber die Befruchtung durch Spermakerne er- folgen, die einkernigen Ursprungs sind. Bei Saprolegnia unterbleibt meist diese Befruchtung und eine parthenogenetische Entwicklung tritt ein, die Mareus M. Hartog sich durch die inneren Fusionen bei Bildung des Eikerns begünstigt denkt. Er stellt sich diesen Vorgang vor als eine Verschmelzung potentieller Gameten und möchte in dem- selben eine Art innerer Befruchtung erblicken. Eine Verschmelzung von Kernen zur Bildung des Eikerns mag in der That parthenogene- tische Entwicklung fördern, ein ähnlicher Effekt wird ja, wie wir zuvor schon berührten, erzielt, wenn der Kern der zweiten Polzelle von Metazoen mit dem Eikern kopuliert. Eine innere Befruchtung möchte ich in einem solchen Vorgang aber ebensowenig erblicken wie in der von Berthold®) geschilderten Verschmelzung von Kernen, die auch bei Bildung der Schwärmsporen in den Sporangien der viel- kernigen Schlauchalge Derbesia sich vollzieht. Das Wesen der Be- fruchtung liegt für mich nicht im morphologischen Vorgang einer be- liebigen Kernverschmelzung, vielmehr in dem physiologischen Nutzeffekt der Vereinigung von bestimmten hierzu vorbereiteten Zellen zum Zwecke des Ausgleichs individueller Abweichungen, beziehungsweise auch der Schaffung von neuen individuellen Abweichungen. Von diesem Stand- 1) Recherches sur la Sphaeroplea annulina. Archives neerlandaises des sc. exactes et nat., Tome XXII, 1887, S. 140 u. 141. 2) 1. e., Sonder-Abdr., 8.15. 3) Observations on the structure of the Nuclei in Peronospora parasitica ete. Ann. of Bot., Vol. IV, 1889—1891, S. 139. 4) Some Problems of Reproduktion ete. Quart. Journ. of mier. science, Vol. XXXII, 1891, Sonder- Abdr., S. 22. 5) Ebendas. 8. 23. 6) Zur Kenntnis der Siphoneen und Bangiaceen. Mitt. aus der zool. Stat. zu Neapel, II. Bd, 1. Heft, 1880, S. 77. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. Sh3 punkte aus beurteile ich auch die bei den Florideen an den Befruch- tungsvorgang sich anschließenden Erscheinungen, deren eingehende Kenntnis wir Schmitz verdanken !). Im einfachsten Fall tritt uns auch bei den Florideen nur der gewohnte Befruchtungsvorgang ent- gegen. Das Ei wird durch das Spermatozoid (hier meist Spermatium genannt) befruchtet und treibt Zellfäden, die sich verzweigen und Sporen, Carposporen, bilden. In andern Fällen legen sich diese spo- renbildenden Fäden zunächst an andere Zellen, deren Inhalt sie durch feine Poren oder weitere Oefinungen aufnehmen, um dann so erst zur Carposporenbildung zu schreiten. Da liegt augenscheinlich nur ein besonderer Ernährungsvorgang vor, der die npehikhes fördert. In noch andern, und zwa - den zahlreichsten Fällen, tritt die Kopu- lation eines von der ee Eizelle alenen Fortsatzes mit einer Auxiliarzelle ein, wobei die Zellkörper und Kerne beider Zellen verschmelzen; oder zahlreiche Schläuche, Ooblasteme, sprossen aus dem befruchteten Ei hervor, um mit entsprechenden Auxiliarzellen in gleicher Weise zu kopulieren. Das mit der Auxiliarzelle erzeugte Kopulationsprodukt kann endlich noch ähnliche Fusionen mit Nachbar- zellen eingehen. Aus dem letzten Kopulationsprodukt gehen dann schließlich stets Büschel sporenbildender Fäden hervor. — Wie oben schon begründet wurde, bin ich geneigt, in allen diesen Fällen nur einen Befruchtungsvorgang anzunehmen, denjenigen Vorgang, durch welchen die Vereinigung des Spermatozoids mit dem Ei vollzogen wird. Die folgenden Fusionen fügen ja nur den Chromosomen des Spermakerns und Eikerns die Chromosomen von Kernen hinzu, die wohl die Sporenbildung, nicht aber den physiologischen Nutzen der Befruchtung fördern können. Denn handelt es sich um eine monöcisehe Art, und ist dieselbe mit den eigenen Spermatozoiden befruchtet wor- den, so fügen die Auxiliarzellen, im Hinblick auf das durch die Be- fruchtung erzeugte Verhältnis, gewissermaßen nur indifferente Chromo- somen dem Eikern hinzu; handelt es sich aber um eine diöeische Art oder stammen bei der monöcischen Art die Spermatozoiden von einem anderen Individuum, so wird der Nutzeffekt der Befruchtung durch Hinzufügung von Auxiliar-Chromosomen der weiblichen Pflanze nur geschwächt. Hätten beispielsweise Spermakern und Keimkern je vier Chromosomen für den Keimkern geliefert, so würden nach der Kopu- lation mit der Auxiliarzelle nur vier Chromosomen der männlichen Pflanze acht Chromosomen der weiblichen gegenüberstehen bei zweimaliger Ko- BD mit Auxiliarzellen, vier männliche Chromosomen zwölf weib- 1) Den über die Befruchtung der Florideen. Sitzungsber. der Berl. Akad. d. Wissensch., 1883, S. 215; kleinere Beiträge zur Kenntnis der Florideen. La Nuova Notarisia, 1892, Serie III, p. 110; Engler, Syllabus der Vorlesungen über spezielle und medizinisch-pharmazeutische Botanik, große Ausgabe, 1892, Florideen bearbeitet von Schmitz, S. 16. 354 Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl. lichen. Auf diesem Wege wird durch sich wiederholende Kopulationen der Nutzeifekt der Befruchtung schließlich fast ganz aufgehoben. Es stellt sich da das nämliche Ergebnis ein, wie bei solchen Algen und Pilzen, deren Eikern aus mehreren Kernen, deren Spermakern aber nur aus einem Kern hervorgeht. Anderweitiger Vorteile wegen werden in solchen Fällen die aus der Befruchtung entspringenden eben geopfert, wie es denn auch parthenogenetische und apogamische Einrichtungen im organischen Reiche gibt, durch welche die Befruchtungsvorgänge bei manchen Organismen ganz beseitigt worden sind. Solche auxiliare Kopulationsvorgänge, wie sie die Florideen aufweisen, würde ich dem- gemäß nicht als wiederholte Befruchtungsvorgänge, sondern als Kräf- tigungsvorgänge bezeichnen, nicht als Fekundation, sondern, um einen neulateinischen in der medizinischen Wissenschaft geläufigen Ausdruck zu brauchen, als Roboration. Welche Bedeutung den von Dangeardt!) geschilderten Verschmel- zungen der beiden Kerne in den Teleutosporen der Uredineen und dem ähnlichen Vorgang bei der Sporenbildung der Ustilagineen zu- kommt, mag noch dahingestellt bleiben, ebenso auch die Beurteilung der Verschmelzungen, welche nach Rosen?) und nach Wagner?) zwei oder auch mehr Kerne in den Basidien der Hymenomyceten ein- gehen, um denjenigen Kern zu erzeugen, der durch seine Teilung die vier Sporenkerne liefert. Wenn die Kerne, die auf solche Weise zur Vereinigung kommen, weit auseinander liegenden Teilungsschritten in der Pflanze ihren Ursprung verdankten, so könnte immerhin durch ihre Vereinigung ein gewisser Ausgleich erzielt werden, der eine unver- änderte Erhaltung der Art sichern möchte. Diese Verschmelzung der Kerne ließe sich dann in der That in ihrem physiologischen Nutzeffekt mit einem Befruchtungsvorgang vergleichen. Thatsächlich fehlen aber noch die Anknüpfungspunkte für einen verschiedenen Ursprung dieser verschmelzenden Kerne, ebenso wie für ihre Verschiedenheit überhaupt, und kann man daher geneigt sein, den Schwerpunkt der Verschmelzung hier in die Stärkung der ernährungsphysiologischen Funktionen dieser Kerne zu verlegen. Es ist denkbar, dass bei den niederen Pflanzen mit isogenem Ge- nerationswechsel die durch Befruchtung geschaffene, vermehrte Anzahl der Chromosomen allmählich durch korrelativen Einfluss herabgesetzt wird. Es ist aber auch möglich, dass dort plötzlich, gleich bei der Keimung, eine Zahlenreduktion der Chromosomen erfolgt und dass der 4) Recherches sur la reproduction sexuelle des champignons, Le Botaniste Ser. III, Heft 6, S. 221. 2) Beiträge zur Kenntnis der Pflanzenzelle in Cohn’s, Beitr. zur Biol. der Pflanzen, Bd. VI, 1892, S. 260. 3) On Nuclear Division in the Hymenomycetes. Annals of Bot., Vol. VII, 1893, 8. 489. Strasburger, Periodische Reduktion der Chromosomenzahl, SH: © durch die Befruchtung erzeugte Keimkern gleich mit herabgesetzter Chromosomenzahl in die Prophasen der Teilung eintritt. Dass eine Reduktion überhaupt erfolgen muss, unterliegt wohl keinem Zweifel; wie könnte sonst Marcus M. Hartog nur vier Chromosomen in den sich teilenden Kernen der Saprolegnien finden, da doch eine Mehrzahl von Kernen bei Bildung des Eikerns verschmilzt, und dieser somit, selbst bei parthenogenetischer Entwicklung, eine große, in jeder Ge- neration weiter steigende Zahl von Chromosomen besitzen müsste. Spätere Untersuchungen werden hoffentlich die Art und Weise sicher- stellen, in der sich die Zahlenreduktion der Chromosomen bei den niederen Gewächsen vollzieht, und auch den Ort dieser Reduktion ermitteln, inzwischen lässt sich aber bereits auf einige Erscheinungen hinweisen, welche dafür sprechen, dass diese Reduktion schon bei der Keimung des befruchteten Eies erfolgen dürfte. So gibt Klebahn an), dass bei den Desmidiaceen Closterium und Cosmarium der Kern der keimenden Zygoten sich rasch zweimal hintereinander teilt, worauf erst die Zygote in zwei Zellen zerfällt, von welchen somit jede je zwei Kerne erhält. Nur je einer dieser Kerne bleibt aber in jeder der beiden Zellen bestehen. In der Zygote von Spirogyra erfolgt nach Chmielewski?) ebenfalls eine Vierteilung des Kerns, ohne von irgend einer Zellteilung begleitet zu werden. Zwei von diesen vier Kernen sollen sich zu einem fortbestehenden Kern vereinigen, zwei aufgelöst werden. O. Hertwig°) meint, die von Klebahn baob- achteten Vorgänge hätten wohl „denselben Zweck wie die Reduktions- teilung bei der Reife der Ei- und Samenzelle. „Wie dort vor der Befruchtung durch die doppelte Teilung des Kerns eine Reduktion der Kernsubstanz auf die Hälfte eines Normalkerns herbeigeführt und so eine Summierung der Kernsubstanz durch Verschmelzung zweier Kerne in Folge der Befruchtung verhindert wird, so scheine bei den Desmi- diaceen erst nach der Befruchtung eine Reduktion der Kernsubstanz noch nachträglich vorgenommen und die durch die Kopulation zweier Vollkerne hervorgerufene Verdoppelung der Kernmasse wieder zum Normalmaß zurückgeführt zu werden. Der Keimkern wird anstatt in zwei Tochterkerne durch sich unmittelbar folgende Teilungen in vier Enkelkerne zerlegt, anstatt halbiert, geviertelt: der Protoplasmakörper aber wird nur halbiert und jede Teilhälfte erhält nur einen in Funktion tretenden Kern, während zwei der vier Kerne als entbehrlich gewor- den zu Grunde gehen.“ — Ich erblicke in der bei der Keimung der 1) Studien über Zygoten I, Die Keimung von Olosterium und Cosmarium. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXII, 1891, S. 415. 2) Abhandlung in russischer Sprache, eingehender Bericht in Famintzin’s Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Botanik in Russland, während des Jahres 1890, S. 16. 3) Die Zelle und das Gewebe, $. 225. IV. . 5 866 Bateson, Material zum Studium der Variation. Desmidiaceen- und Spirogyra-Zygoten beobachteten raschen Vierteilung des Kerns nur einen Anknüpfungspunkt für die Annahme einer in diesem Kern vollzogenen Zahlenreduktion der Chromosomen. Ist dieser Reduktionsvorgang, wie auch sonst, mit Chromatinzunahme verknüpft, so treibt diese den Kern zur raschen Teilung an. Es wäre das der- selbe Vorgang, wie er in den Sporenmutterzellen der höheren Pflanzen sich vollzieht, in den Pollenmutterzellen auch vielfach Kernteilungen ohne gleichzeitige Zellteilungen veranlasst. Zu dem Befruchtungsvorgang, der die Zygoten erzeugt, würde dieser Vorgang ebensowenig Beziehung haben wie die Teilungen einer Sporenmutterzelle der höheren Pflanzen zur Bildung der Geschlechtsprodukte derselben. Ist die Angabe von Chmielewski richtig, dass zwei der erzeugten Kerne bei Spirogyra wieder zu einem verschmelzen, so müsste in diesem eine anderweite Reduktion der Chromosomenzahl nachträglich erfolgen. Dass mit den Sporenmutterzellen, Pollen- und Embryosackmutter- zellen die neue Generation im heterogenen Generationswechsel der höheren Pflanzen wirklich anhebt, wird auch durch die Loslösung dieser Zellen aus dem Gewebeverbande ihrer Mutterpflanze angezeigt. Von ihrer Selbständigkeit machen diese Zellen thatsächlich keinen Gebrauch; notwendig wird dieselbe erst für die Teilungsprodukte dieser Zellen: die Sporen und Pollenkörner. Der Schwerpunkt der Entwick- lungsvorgänge, die sich in den Sporangien, sowohl in den Mikro- wie in den Makrosporangien, bei den höheren Kryptogamen als auch bei den Antheren und Samenanlagen der Phanerogamen abspielen, kann somit nicht in jene Zellen, Zellreihen oder Zellkomplexe verlegt werden, welche das sporogene Gewebe liefern und von Goebel als Arche- sporium bezeichnet wurden !). Das Archesporium gehört noch der ungeschlechtlichen Generation an, erst die Sporenmutterzellen bilden den Anfang der geschlechtlichen Generation. Aus diesem ergibt sich auch, dass auf das Vorhandensein eines besonders abgegrenzten Arche- spors kein besonderer Nachdruck zu legen ist. Das Archespor stellt eben nur das meristematische Gewebe vor, aus dem die Sporenmutter- zellen hervorgehen, ein Gewebe, welches in den meisten Fällen früh- zeitig gegen andere es umgebende, sich anders differenzierende Gewebe abgegrenzt wird, doch nicht unter allen Umständen abgegrenzt zu sein braucht. Eine prinzipielle Bedeutung kommt seiner Abgrenzung jedenfalls nicht zu. Bateson, Materials for the study of variation treated with especial regard to discontinuity in the origin of species. London. Macmillan 1894. 588 pag. 209 Fig. „Es ist höchst sonderbar“ sagt Bateson in der Einleitung zu seinem vorstehend angeführten Buche, „wenige Leute kümmern sich 1) Vergl. Entwicklungsgeschichte der Pflanzenorgane, 1883, 8. 384. Bateson, Material zum Studium der Variation. 867 viel um die Art und Weise der Variation oder um die sichtbaren That- sachen der Abstammung, aber jeder interessiert sich für die Ursachen der Variation und für das Wesen der Erblichkeit, einen Gegenstand, der doch außerordentliche und ganz eigenartige Schwierigkeiten bietet. Ohne irgend welche speziellen Kenntnisse wird über diese Dinge auch in den breiten Schichten des Publikums mit Begeisterung diskutiert“. Der Verfasser glaubt selbst den Fachgelehrten den Vorwurf nicht er- sparen zu können, dass sie sich die Sache viel zu leicht machen. Ueberall treffe man in phylogenetischen Abhandlungen auf Redens- arten wie „wenn diese oder jene Variation damals statthatte und günstig war“ oder „man kann sich leicht Verhältnisse denken, in welchen diese oder jene Variation, wenn sie eintrat, von Vorteil war“ u. dgl., Redensarten, welche im Grunde gar nichts besagten. Es sei nötig, erst einmal die Gesetze der Vererbung und Variation in der Natur genau zu studieren und die Thatsachen festzustellen, damit man in Zukunft nicht mehr zu sagen brauche: wenn eine solche Variation eintrat, sondern sagen könne: weil eine Variation in solcher Weise stattfindet oder wenigstens stattfinden kann, oder: da eine solche Variation möglieh ist. Darum halte er es für die erste Pflicht des Naturforschers, die Thatsachen der Variation zu sammeln und zusammen- zustellen, wenn auch nur, um zunächst die Wissenschaft von dem über- mäßigen Ballast widersprechender Annahmen zu befreien, mit welchem sie jetzt überladen ist. Der Verfasser hat sich dieser Aufgabe mit ebensoviel Fleiß als Gewissenhaftigkeit unterzogen und nicht nur keine Mühe gescheut, die bisher veröffentlichten sehr zerstreuten Beobachtungen zu sammeln und zu sichten, sondern er hat auch da, wo es wünschenswert erschien und ausführbar war, die beschriebenen Originalstücke einer kritischen Prüfung unterworfen sowie durch Mitteilung zahlreicher eigenen Unter- suchungen unsere Kenntnisse nicht unwesentlich bereichert. Eine recht anerkennenswerte Eigenschaft des Werkes ist die objektive Schilderung des thatsächlichen Befundes bei den 886 aufgeführten Beispielen, welche den Leser instandsetzt, sich über jeden Fall sein eigenes Urteil zu bilden. Die spekulativen Erörterungen des Verfassers sind in beson- deren Kapiteln zusammengefasst, welche den Listen vorausgehen und folgen. Zahlreiche gut ausgeführte Holzsehnitte illustrieren den Text. Bei der Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit des Inhaltes ist es nicht möglich, im Rahmen eines kürzeren Referates das Buch eingehend zu besprechen, um so weniger, als man noch nicht in der Lage ist, die meisten der zum Teil recht befremdenden Erscheinungen zu erklären und auf einheitliche Grundursachen zurückzuführen. Denn, hat man eine Reihe von Thatsachen übersichtlich geordnet und glaubt den Faden gefunden zu haben, der aus dem Labyrinth führt, so bleibt gewöhnlich noch ein verworrener Rest von Beispielen zurück, welche sich mit den Kar“ 368 Bateson, Material zum Studium der Variation. übrigen nicht ohne weiteres in Einklang bringen lassen, und man sieht sich gezwungen, vorläufig unbefriedigt halt zu machen. So ist aller- dings zunächst das Resultat von Bateson’s Arbeit in der Hauptsache negativer Art, denn sie erschüttert einige Annahmen, mit denen man sich gewöhnt hatte, leicht und bequem zu operieren, ohne dass sie vorläufig irgendeine andere, stichhaltigere Erklärung an deren Stelle zu setzen vermag. Aber indem sie Irrtümer auf die Seite schafft, öffnet sie wenigstens den Weg für weitere Forschungen, dessen Richtung festzustellen ferneren Untersuchungen vorbehalten bleibt. Es sind besonders unsere Ansichten über die langsam und unmerk- lich vor sich gehende Umwandlung der Arten, über die Bedeutung der natürlichen Auslese und über die Erscheinungen des Atavismus, welche durch Bateson’s Zusammenstellung von Thatsachen der Variation kritisch beleuchtet werden. Man pflegt die sogenannten Abnormitäten als etwas nicht in den regelrechten Verlauf der Fortpflanzung gehöriges beiseite zu schieben und bei phylogenetischen Spekulationen außer Betracht zu lassen; eine Anzahl von Fällen, welche Bateson auf- führt, spricht aber dafür, dass solche unvermittelt auftretenden stär- keren Variationen zum Teil doch wohl durch Vererbung erhalten werden und den Anlass zur Bildung einer neuen Art geben können, vielleicht häufiger als man von vornherein denken sollte. Bateson meint nicht mit Unrecht, dass jedenfalls noch vielmehr Uebergangsformen zwischen den Species existieren müssten, wenn nicht das Auftreten neuer Arten häufig unvermittelt und sprungweise vor sich gegangen wäre. Schon aus der Thatsache, dass, trotzdem die äußeren Existenzbedingungen oft ganz kontinuierlich in einander übergehen, doch die denselben unterworfenen Species eine diskontinuierliche Reihe bilden, müsse man schließen, dass hin und wieder ein nicht durch allmähliche Uebergänge vermittelter Sprung in der phylogenetischen Entwicklung der Tierreihen vorkommt, dass Reihen von sich gleichenden Generationen getrennt sein können durch eine unvermittelt auftretende Kluft, die plötzliche Aenderung eines Organes oder Instinktes, während andere Organe und Instinkte desselben Tieres sich dabei unter Umständen wenig oder gar nicht zu ändern brauchen. Das Studium der Variation biete ein Mittel, durch welches man hoffen könne, den Prozess der Entwicklung genauer kennen zu lernen. Die Thatsache, dass kontinuierliche Varia- tion existiert, ist auch dem Verfasser unbestreitbar, aber man dürfe sich der Einsicht nicht verschließen, dass auch diskontinuierliche Ent- wicklung vorkommt. Es sei höchst wichtig, dass die beiden Klassen von Erscheinungen als etwas Verschiedenes erkannt würden, weil Grund vorhanden sei, anzunehmen, dass sie ihrem Wesen nach ver- schieden sind und, obschon' sie beide in Verbindung mit einander auf- treten, doch Aeußerungen ganz verschiedener innerer Vorgänge sind, über deren Natur wir freilich noch nichts wissen. Bateson, Material zum Studium der Variation. 869 Von den zahlreichen im Werke aufgeführten Beispielen für die Diskontinuität bei der Bildung neuer Varietäten mögen hier nur einige wenige erwähnt werden. Niemand wird bestreiten, dass verkehrt ge- wundene Exemplare bei Schnecken unvermittelt und ohne allmähliche Uebergangsformen auftreten. Dass durch solche perverse Formen wirk- lich Anlass zur Entstehung einer Rasse gegeben werden kann, beweist Fusus antiquus, dessen rezente Schalen rechts-, während die im Norwich Crag gefundenen linksgewunden sind. — Die angorahaarigen Spielarten unserer Haustiere sind gleichfalls ohne Zwischenformen plötzlich ent- standen, und eme Hausmaus mit langem, schwarzem, seidenartigem Haar, welche 1852 in England gefangen wurde, zeigt, dass solche Spielarten nicht allein bei gezähmten Tieren auftreten. — Als Ursache für die Nacktheit der Menschen wird von dem einen das Tragen der Kleider angegeben, von einem anderen die Sonnenhitze in den Tropen, wo nach seiner Annahme das Menschengeschlecht seinen Ursprung ge- nommen haben soll. von einem dritten das bei der geschlechtlichen Zuchtwahl sich äußernde Schönheitsgefühl, von einem vierten das Be- dürfnis nach Schutz gegen die Parasiten, welche sich auf dem nackten Körper weniger gut als auf dem haarigen festhalten könnten. Dem gegenüber macht Bateson darauf aufmerksam, dass schon öfters bei Tieren ganz nackte Varietäten unvermittelt aufgetreten sind, so fand man erwachsene nackte Mäuse, an welchen die mikroskopische Untersuchung keine Spur einer Hautkrankheit erkennen ließ, auch nackte Pferde und Hunde. In einem Falle blieben die Jungen einer nackten Maus ebenfalls haarlos. Von Interesse ist im Zusammenhalt damit die That- sache, dass in Südafrika eine Gattung von grabenden Nagetieren existiert | Heterocephalus|, welche nur ganz vereinzelte, erst bei genauem Zusehen erkennbare Haare besitzt. — Unvermittelte Aenderungen der Haut- gebilde sind auch bei den Vögeln beobachtet worden. So wurden vom Teichhuhn [Gallinula chloropus]| wiederholt Individuen gefunden, welche ein haarartiges, an das des Apteryx erinnerndes Gefieder trugen. Das gleiche war bei einigen anderen Vogelarten der Fall und bei Cochinchina- Hühnern gelang es, die Eigentümlichkeit des Federkleides durch Züch- tung auf die Nachkommen zu übertragen. Eine sorgfältige Vergleichung der in der freien Natur vorkommen- den Varietäten ergibt, dass auch in dem Auftreten der Färbung bei Tieren wie bei Pflanzen oft eine gewisse Diskontinuität stattfinden muss. Bei Varietäten derselben Art sind oft gewisse Farben durch andere ersetzt, z. B. Rot durch Orange oder Gelb, ohne dass sich "Uebergänge vorfinden. Dies hängt wahrscheinlich mit der chemischen Natur des Farbstoffes zusammen, und die Umwandlung von Rot in Orange oder Gelb ist wohl nichts anderes als ein chemischer Vorgang, ähnlich wie die plötzliche Umwandlung von blauem Lackmus in roten beim Zusetzen einer Säure. Es erscheint daher Bateson von diesem Stand- 870 Bateson, Material zum Studium der Variation. punkt aus einfacher, die Konstanz der Farben verschiedener Varietäten oder Arten und die Seltenheit von Zwischenformen als einen direkten Ausdruck der chemischen Stabilität oder Instabilität des Farbstoffes zu betrachten, anstatt sie für Folgen der natürlichen Auslese zu halten. Für einzelne Fälle ist nachgewiesen, dass die Farbstoffe die Natur von Exkretionsprodukten haben. Es könnten also Aenderungen in der Farbe durehgreifende Aenderungen in der chemischen Oekonomie des Körpers zu bedeuten haben, und während man also behauptet, eine Tierform sei durch natürliche Auslese ausgewählt, weil sie rot oder sonstwie gefärbt ist, mag die wirkliche Ursache ihrer Ueberlegenheit nicht in ihrer Farbe liegen, sondern in ihren körperlichen Eigenschaften, von welchen die Färbung nur ein äußeres Abzeichen ist. Eine größere Reihe von Beispielen aus verschiedenen Tiergruppen, besonders Käfern, Schmetterlingen und Schnecken, sowie aus dem Pflanzenreich wird als Beleg für das Vorkommen unvermittelten Wechsels der Färbung an- geführt. Wenn man ferner die Fälle durchmustert, wo in einer Reihe gleichartiger Organe, z. B. in einer Zahnreihe oder an den Gliedern einer Antenne u. s. w. durch gelegentliche Variation bei diesem oder jenem Tier ein überzähliges Glied aufgetreten ist, so findet man, dass dies in der Regel nicht in rudimentärer Form, sondern in der Größe der normalen Organe erscheint. Es ist anzunehmen, dass in gleicher Weise auch da, wo in der phylogenetischen Entwicklung einer Tier- oder Pflanzenart eine Vermehrung der Anzahl der Glieder einer Reihe stattgefunden hat, die neu auftretenden Organe nicht zuerst in kaum merklichen Anfängen, sondern gleich in ihrer vollendeten Form auf- getreten sind, denn es ist undenkbar, wie ein noch unvollkommenes Organ einem Tiere von besonderem Nutzen sein und durch natürliche Auslese weiter ausgebildet werden solle. Wird bei radiär gebauten Tieren ein neuer Radius ein- oder ausgeschaltet, so sind die vorhan- denen Strahlen auch regelmäßig von gleicher Größe. Beispielsweise gibt es von dem vierstrahligen Tetracrinus fünf- und dreistrahlige Varietäten. Das gleiche gilt von radiär gebauten Organen, wie den Pedicellarien: die Zangen einer zwei- oder vierstrahligen sind unter sich gleich groß. Im Pflanzenreich finden wir ebenfalls die Blätter einer vierzähligen Varietät von einer gewöhnlich dreizähligen Blüte in normaler Größe. Ein klares Beispiel für die Diskontinuität bei der Varietätenbildung liefern Darwin’s eigene Untersuchungen über die Mandel, Pfirsiche und Nektarine: Die Variation von der Pfirsich- zur Nektarinenfrucht oder von der Nektarinen- zur Pfirsichfrucht kann ganz vollständig sein, d. h. Pfirsichkerne können Nektarinenbäume erzeugen und Nektarinen- kerne Pfirsichbäume, oder derselbe Baum kann echte Pfirsiche und echte Nektarinen tragen. Ist die Variation der Frucht nicht voll- Bateson, Material zum Studium der Variation. s71 ständig, so ist sie in der Weise zusammengesetzt, dass die Hälfte oder ein Viertel Nektarine ist, der Rest Pfirsich, oder umgekehrt. Es ist dann also in diesen Fällen die Variation wenigstens für jedes der be- treffenden Segmente eine vollständige. Zwischenformen, welche eine vollkommene Verschmelzung der Eigenschaften beider Früchte zeigen, sind nicht bekannt. Pfirsiche und Nektarine sind also Stadien der organischen Stabilität, die Zwischenstadien aber, wenn sie überhaupt chemisch oder physikalisch möglich sind, Stadien der Instabilität. Selbst bei Varietätenreihen, welche auf den ersten Blick unmerk- lich ineinander überzugehen scheinen, besonders in Fällen, wo es sich nur um Größenverhältnisse handelt, findet man gelegentlich bei näherer statistischer Untersuchung, dass die Uebergänge doch nicht ganz gleich- mäßig sind. Prüft man eine möglichst große Anzahl von Individuen einer Art, so findet man, dass dieselben entweder um eine in der Mitte stehende Form variieren |monomorphische Arten], oder aber, dass die mittleren Formen selten sind und die Extreme am häufigsten vorkommen [dimorphische Arten]. So entdeckte Bateson z. B. einen auffallenden Dimorphismus beim Ohrwurm [Forfieula auricularia], weleher sich be- sonders in der Größe der Zangen äußerte. Unter 1000 gemessenen vollständig erwachsenen Exemplaren waren Zwischenformen äußerst selten. Das gleiche Resultat zeigte sich bei Messungen, welche Brind- ley an den Hörnern von 342 Männchen eines Käfers aus der Familie der Lamelliceornier | Adlotrupes gideon| vornahm. Am häufigsten waren Käfer, deren Hornlänge 7—10 und dann wieder solche, wo sie nur 3—5 Linien betrug. Es ist nicht denkbar, dass die natürliche Auslese in den beiden angeführten Fällen die zwei Formenreihen geschaffen hat, da die Tiere alle unter den gleichen Existenzbedingungen bei einander leben. Auch erscheint es dem Verfasser nicht wahrscheinlich, dass die Vorfahren eines Ohrwurmes mit langer Zange, bezüglich eines Käfers mit langen Hörnern erst alle Zwischenstadien durchlaufen haben, sondern die abweichenden Formen sind vermutlich ganz unvermittelt neben den anderen unter den Nachkommen ein und desselben Weib- chens aufgetreten. Die Natur der Diskontinuität bei der Variation und die Stellung der Zwischenformen wird durch nichts so gut erläutert als durch die ganz entsprechenden Erscheinungen des Unterschiedes der Geschlechter, denn bei den getrennt geschlechtlichen Tieren haben wir auch dimorphe Formen vor uns; Zwischenformen aber [Hermaphroditen] entstehen bei den höheren Tieren selten und sind nicht als Rückschlag auf eine zwittrige Stammform der betreffenden Art zu betrachten. Allem, was man als Atavismus zu bezeichnen pflegt, verhält sich Bateson sehr skeptisch gegenüber; am besten sei es, so lange gar nicht mehr davon zu sprechen, bis erst die Gesetze der Variation und Vererbung genauer studiert sein werden. Jetzt ist ein jeder gleich 372 Bateson, Material zum Studium der Variation geneigt, das unvermittelte Auftreten einer in sich vollendet ausgebil- deten und lebensfähigen Varietät als Rückschlag zu betrachten, dies beruht aber hauptsächlich darauf, dass man noch keine klare Vor- stellung vom Wesen der Symmetrie hat. Manche Beispiele, welche man als Rückschlagserscheinungen auffassen könnte, schließen sich gegenseitig direkt aus. Wenn z. B. bei Veronica buxbaumii symme- trische Blüten mit zwei hinteren Blumenblättern auftreten, wie solche bei anderen Serophularineen vorkommen, so scheint es durchaus be- rechtigt, zu vermuten, dass dies ein wirklicher Rückschlag ist. Nun findet man aber auch ebenso vollkommen gestaltete Blüten, welche nicht zwei, sondern drei hintere Blumenblätter besitzen, und dies kann doch unmöglich auch eine Erscheinung des Atavismus sein? Gegen- baur hat nachgewiesen, dass Extremitäten mit überzähligen Phalangen oft durchaus keine Aehnlichkeit mit denen der vermutlichen Vorfahren haben; überzählige Zitzen erscheinen nieht nur an Orten, wo sie bei anderen Tierformen normal vorhanden sind, sondern auch an ganz ungewöhnlichen Stellen u. s. w. Man betrachtet das Auftreten über- zähliger Backenzähne als einen Rückschlag auf Stammformen, welche mehr Zähne im Gebiss besaßen, und hält diejenigen Tierformen, bei welchen es häufig vorkommt, für die älteren, der Stammform näher stehenden. Dann müssten aber nach den Resultaten von Bateson’s umfassenden Untersuchungen die Anthropoiden die ursprünglichste Form der Affen sein, denn bei ihnen sind solche „Rückschläge“ gerade am häufigsten. So fehlt uns also vorderhand jeder sichere Anhalt, im gegebenen Falle zu entscheiden, ob wir es mit Atavismus zu thun haben oder nicht. Es ist nötig, vorerst noch viele Erfahrungen zu sammeln, ehe es gelingen wird, einen klaren Einblick in die verwickelten Erschei- nungen zu gewinnen, aber es unterliegt keinem Zweifel, dass das Stu- dium der Variationserscheinungen noch einmal das eigentliche Arbeits- feld der Biologie werden wird. So wenig, sagt Bateson, der Chemiker die Entstehung chemischer Körper durch vergleichend krystallographische Studien zu ergründen sucht, so wenig wird sich das Problem der Ent- stehung der lebenden Wesen allein durch ein rein vergleichendes Stu- dium der normalen Formen lösen lassen. Um das Material einigermaßen übersichtlich zu ordnen, teilt der Verfasser die Variationen ein in solche, die sich auf die Zahlen- und die geometrischen Lageverhältnisse beziehen [meristische Variationen] und solche, welche die Substanz der variierenden Teile betreffen [sub- stantielle Variationen]. Unter die erste Kategorie würde z. B. der Fall gehören, dass die Blüte der Narzisse, welche normal sechszählig ist, gelegentlich als sieben- oder als vierzählige Varietät auftritt, unter die zweite der Fall, dass manche Narzissen, z. B. N. corbularia in zwei Farbenvarietäten, einer dunkelgelben und einer schwefelgelben, Bateson, Material zum Studium der Variation. 375 vorkommen. Meristische und substantielle Variationen können natür- lich gleichzeitig auftreten. Bateson’s Werk behandelt zunächst nur die meristischen Variationen. Diese sind wesentlich mechanische Er- scheinungen und hängen von der geometrischen Beziehung der Teile ab, an welchen sie auftreten, nicht von ihrer physiologischen Natur oder von den Lebensbedürfnissen u. dergl. Linear angeordnete Organe zeigen andere Variationserscheinungen als solche, die bilateral oder die in radiärer Lagerungsbeziehung stehen. In den Kapiteln über Variationen linear angeordneter Teile werden zunächst die Aenderungen in der Segmentzahl bei Arthropoden be- handelt und eingehend nebenbei auch die allgemein bekannten Unter- suchungen von Schmankewitsch über den Einfluss des Salzgehaltes des Wassers auf die Umformung von Artemia salina besprochen, welche nach den Angaben dieses Forschers durch Konzentration des Salz- gehaltes in A. milhausenii, durch Verdünnung aber in ein Branchipus- artiges Stadium übergeführt wird. Obwohl Schmankewitsch es selbst gar nicht so auffasste, so wurden seine Untersuchungen doch allgemein so gedeutet, als ob es sich um die Umwandlung einer Tierart in eine andere handele. Durch eigene Forschungen stellte Bateson nun fest, dass [wie schon Rathke mit Recht hervorgehoben hatte] A. milhausenii keine besondere Art, sondern nur eine Varietät von A. salina ist. |Die Unterscheidungsmerkmale sind untergeordneter Natur und beruhen auf der verschiedenartigen Gestalt und dem Borstenbesatz des Schwanzendes.] Außerdem fand er, dass die Umwandlung nicht ausschließlich durch den Salzgehalt des Wassers bedingt sein kann, denn es finden sich auch in stark salzigem Wasser Salina-Formen und in schwach salzigem Milhausenii-Formen, wenn schon die Angabe von Schmankewitsch insofern zutrifft, dass im allgemeinen erstere in schwach salzigem, letztere in stark salzigem Wasser häufiger sind. Das Thema direkt betrifft die angebliche Teilung des achten Segmentes von Artemia unter dem Einfluss starker Verdünnung des Salzwassers, wodurch sie den Artcharakter von Branchipus annehmen soll. Wie sich herausgestellt hat, handelt es sich aber um gar keine wirkliche Teilung, indem bei den betreffenden Artemia- Formen sowohl wie bei Branchipus das letzte Segment nur äußerlich durch eine Furche in zwei Ringel getrennt ist. Zweitens ist der scheinbar neungliederige Hinterleib überhaupt nicht das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der beiden Gattungen, wie Schmankewitsch angenommen hatte, sondern sie unterscheiden sich durch verschiedene andere wichtigere Merkmale, welche aber bei der vermeintlichen Branchipus- Form der Artemia nicht vorhanden sind. Schließlich stellte Bateson fest, dass das Auftreten der Ringelung am letzten Segmente von Artemia nicht vom Salzgehalt des Wassers abhängig ist. Die Zusammenstellung von Fällen meristischer Variationen an Wir- 874 Bateson, Material zum Studium der Variation, beln, Rippen und Spinainerven der Wirbeltiere zeigt, dass die übliche Methode, bestimmte Wirbel der einen Tierart mit entsprechenden bei einer verwandten direkt zn homologisieren auf Voraussetzungen beruht, die in Wirklichkeit nicht zutreffen, indem die einzelnen Wirbel ihre Individualität gar nicht bewahren, wenn ihre Zahl bei einer gelegent- lich auftretenden Variation vermehrt oder vermindert wird. Es ist gewöhnlich nicht möglich anzugeben, der wievielte Wirbel bei statt- gefundener vollkommener Variation hinzugekommen oder weggefallen ist, da die Wirbelsäule dann als ein harmonisches Ganzes umgeformt ist, der Arm- und Beinnervenplexus gelegentlich weiter vorn oder weiter hinten austritt, Hals- oder Lendenwirbel die Form von Brustwirbeln annehmen u. dgl. mehr. Um solche Fälle von Umwandlung eines Organes in die Form eines benachbarten kurz zu bezeichnen, schlägt Bateson das Wort Homöosis vor und spricht von Homöose nach rückwärts, wenn z.B. der 7. Wirbel des Menschen eine Rippe bekommt und so dem 8. ähn- lich wird, und von Homöose nach vorn, wenn z. B. der 20. Wirbel durch den Besitz einer Rippe dem 19. gleicht. Von soleher Homöose bringt das nächste Kapitel eine Anzahl meist wenig bekannter aber überraschender Beispiele aus dem Kreise der Arthropoden: einen Taschenkrebs, bei welchen der dritte rechte Kiefer- fuß eine Scheere trägt: eine Languste, deren linkes Auge ein langes Antennen-förmiges Flagellum besitzt [einen ähnlichen Fall, wie der, welchen jüngst Hofer in den Verhandlungen der zoologischen Gesell- schaft beschrieben hat]; eine Wanze, bei welcher das Ende der linken Antenne in einen vollkommen ausgebildeten Fuß verwandelt ist [der Fall wurde von Dr. Kraatz beschrieben und von Bateson sorgfältig nachuntersucht und bestätigt]; einen Schmetterling, welcher an der Stelle des dritten linken Beines einen Flügel besitzt, und noch eine srößere Anzahl solcher Erscheinungen, denen wir vorläufig noch ratlos gegenüberstehen. Weiterhin werden dann die Variationen in der Bildung der Seg- mente und der Geschlechtsorgane bei Würmern besprochen. Nackenfisteln, Ohr-artige Bildungen und Zitzen der Wirbeltiere bilden den Inhalt der nächsten Kapitel. Ein wertvolles Material eigener Untersuchungen ist in der Abhand- lung über die Zähne niedergelegt. Auch beim Auftreten neuer Zähne zeigt sich wie bei der Einschaltung neuer Wirbel, dass eine strenge Homologisierung nieht durchzuführen ist, indem die Zahnserie ebenfalls als ein einheitliches Ganzes angelegt wird und die Einfügung eines neuen Gliedes in die Reihe häufig durch Verschiebung, Form- und Größenveränderung der benachbarten Glieder in der Weise ausgeglichen wird, dass das Gebiss als Ganzes doch seine ursprüngliche Form be- hält. Nebenbei bestätigt die Untersuchung der Zähne die Thatsache, Bateson, Material zum Studium der Variation. 67) welche sich auch bei der Untersuchung anderer Organe ergeben hatte, dass Variationen durchaus nicht gerade bei Haustieren immer am häufigsten vorkommen, denn Abweichungen in der Zahnbildung fanden sich außer beim Hunde am zahlreichsten bei den anthropiden Affen und den Phociden. Die Neigung zur Varietätenbildung gehört mit zu den Speciescharakteren; so zeigt z.B. der Schädel des gemeinen Fuchses nur selten Variationen des Gebisses, der des südamerikanischen Fuchses dagegen häufig. Besonders eingehend sind die Doppelbildungen an den Extremitäten der Wirbeltiere behandelt. Trotzdem die Mannigfaltigkeit der Gestal- tungen noch nicht gestattet, dieselben in ein einheitliches Schema zu bringen, so sind doch hier und dort Andeutungen einer gewissen Gesetz- mäßiskeit nicht zu verkennen. Wenn das letzte Glied einer keihe im normalen Zustande im Vergleich zum vorletzten klein ist und es tritt noch ein neues hinzu, dann wächst das nun zum vorletzten gewordene Glied stärker und nimmt die ungefähre Größe des benachbarten nach innen zu &elegenen an, eine Regel, welche sowohl für die Phalangen wie auch für die Zähne gilt. Auch ergaben sich eigenartige Symme- trieverhältnisse der Extremitäten mit überzähligen Phalangen, indem sich an ihnen sekundäre, von der höheren, den ganzen Körper be- herrschenden Symmetrie unabhängige Symmetrieverhältnisse ausbilden. Eine Anzahl der Phalangen bildet häufig ein Spiegelbild der übrigen, so dass also an der rechten Hand z. B. ein Teil der Finger die Form der normalen rechten Finger, der andere Teil aber die Form der linken besitzt. Aber die Symmetrieebene liegt nicht bei allen Arten an derselben Stelle; an der Hand des Menschen befindet sie sich nach innen vom Zeigefinger, bei dem Fuße der Katze nach außen davon. Im einzelnen finden sich indess noch sehr viel vorläufig unverständ- liche Abweichungen. Aus dem Kapitel über die Antennen und Fußglieder der Insekten sind die Resultate hervorzuheben, welche eine sorgfältige Messung der regenerierten Tarsen von Dlatta americana ergeben haben. Während die normalen Tarsen fünfgliedrig sind, besitzen die regenerierten immer nur vier Glieder. Es ist aber unmöglich zu bestimmen, welches Glied eigentlich ausgefallen ist, denn die Längenverhältnisse ordnen sich in dem regeneriertem Fuss durchaus neu, und obwohl die einzelnen Glieder desselben stets in ebenso unveränderlichem Größenverhältnis zu einander stehen wie die Glieder irgend eines andern Arthropoden- fußes, so weichen die Maße doch von denen des normalen Tarsus von Blatta americana so sehr ab, dass sich keine Homologie zwischen den normalen und regenerierten Einzelgliedern entdecken lässt. Von besonderem interesse sind die Untersuchungen an überzähligen Beinen der Arthropoden, da dieselben eine ganz eigentümliche, aber allenthalben nachweisbare Gesetzmäßigkeit in der Bildung der über- 376 Noll, Eine neue Eigenschaft des Wurzelsystems. zähligen Teile und sonderbare, von denen des normalen Körpers durchaus abweichende Symmetrieverhältnisse ergeben haben. Treten nämlich derartige Bildungen auf, so erscheinen sie in doppelter Zahl, d. h. das Bein spaltet sich nicht in zwei Teile, sondern gabelt sich in drei gleich große Enden. Die Gabelung kann an einer beliebigen Stelle zwischen der Hüfte und dem Fußende auftreten. Eines der Enden ist immer als die Fortsetzung des normalen Beines zu erkennen, die beiden an- deren erscheinen diesen wie aufgepropft. Streekt man die Glieder vorsichtig aus, so liegen sie in einer Ebene und es ergibt sich dann das folgende auffallende Symmetrieverhältnis. Von den beiden über- zähligen Anhängen ist der dem normalen Bein zunächst gelegene ein Spiegelbild von diesem, der entferntere aber wieder ein Spiegelbild des näheren. Ist also das normale Bein ein rechtes, so hat der nähere Anhang die Gestalt eines linken, der entferntere wieder die eines rechten Beinendes. Aus diesem Gesetz folgt, dass doppelte Anhänge an einer Krebsscheere, welche man bisher für eine sekundäre Scheere hielt, entweder beide die Form des Pollex oder beide die des Index besitzen müssen, was die nähere Untersuchung auch bestätigt hat. Voigt (Bonn). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Sitzungsberichte der Niederrh. Gesellsch. für Natur- und Heilkunde zu Bonn. Sitzung der naturwissenschaftlichen Sektion vom 5. März 1894. Privatdozent Dr. Noll sprach über eine neue Eigenschaft des Wurzelsystems, die er als Außenwendigkeit oder Exotropie bezeichnete. Wie der Name erraten lässt, handelt es sich um eine Eigentümlichkeit in der Wuchsrichtung der Seitenwurzeln, welche bei der Verborgenheit des Wurzel- systems in der Erde bisher noch nicht festgestellt wurde. Der Vortragende hob zunächst die große Bedeutung der Wuchsrichtung von Pflanzenteilen über- haupt hervor, er zeigte, dass dieselben fast noch wichtiger sind für das Leben als die rein morphologische Ausgestaltung. Eine Wurzel, die nicht in den Boden eindränge, sondern sich wie ein Spross in die Luft erhöbe, wäre total untauglich zur Erfüllung ihrer Aufgabe der Befestigung und der Ernährung. Erst die Forschungen des letzten Jahrhunderts haben dargethan, dass sich die Pflanzen in ihrer Wuchsriehtung vornehmlich durch die Richtung äußerer physikalischer Kräfte, vor allem die des Lichts und der Schwerkraft bestimmen lassen, dass aber auch stofiliche Einwirkungen dabei zur Geltung kommen. Bei einer anstreibenden Keimwurzel ist es die Schwerkraft, welche mittels der reizbaren Struktur des Protoplasmas auf das Wachstum so lange einseitig einwirkt, bis die Wurzel senkrecht abwärts wächst. Die aus der ab- steigenden „Pfahlwurzel* hervorbreehenden Nebenwurzeln stellen sich unter allen Umständen schräg zur Schwerkraftrichtung und breiten sich demgemäß seitlich aus. Nebenwurzeln zweiter Ordnung brechen dann aus jenen wieder in jeder Richtung aus, und wenn man ein solches gutentwickeltes Wurzelsystem mit seinen Wurzelhaaren betrachtet, so staunt man, wie gründlich die ganze Noll, Eine neue Eigenschaft des Wurzelsystems 877 Erdscholle durch die verschiedene geotropische (geotropisch = erdwendig) Richtung der einzelnen Wurzelteile durchfurcht und wie ausgiebig sie in allen Teilen ausgenutzt wird. Neben dem Geotropismus lernte man als sehr nütz- liche Eigenschaft noch den Hydrotropismus der Wurzeln kennen, der darin sich zeigt, dass Wurzeln in trockener Erde sich nach den feuchten Stellen hinwenden. Die von dem Vortragenden beobachtete Richtungsbewegung der Wurzeln hat mit äußeren Einwirkungen nichts zu thun; maßgebend für dieselbe ist vielmehr die Lage der Wurzelteile zu einander. Werden die nach vier Himmels- richtungen radial von der Hauptwurzel ausstrahlenden Seitenwurzeln einer Lupine oder einer Feldbohne durch Glasplatten oder Hohlzylinder aus ihrer Richtung gewaltsam abgelenkt, so stellen sich nach Beseitigung des Hinder- nisses die fortwachsenden Wurzelspitzen mit scharfer Biegung wieder in die radiale Richtung zur Mutteraxe ein. Die exotropische Krümmung solcher Wurzeln wurde an Photographien und Spirituspräparaten demonstriert, an denen sie nicht weniger scharf zu sehen war, wie sonst die geotropische Krümmung. Bei den Nebenwurzeln höherer Ordnung überwiegt die Exotropie immer mehr den Geotropismus, sie strahlen alle radial von ihrer Mutterwurzel aus und kehren nach jeder Ablenkung wieder in die radiale Richtung zurück. Wie die Richtung von Schwerkraft und Licht auf den Ort neuer Organ- anlagen einzuwirken vermag, so beeinflusst merkwürdiger Weise auch die Außenwendigkeit den Ort neuer Wurzelanlagen in der überraschendsten Weise, Wurzeln, die gezwungen werden spiralig zu wachseln, entwickeln Neben- wurzeln stets nur auf ihrer Außenseite oder die in der Mittellinie hervorge- tretenen Wurzeln wenden sich mit scharfer Biegung nach außen. Auch bei Wurzein von Lupinen, welche Krümmungen in einer Ebene aufwiesen, kommen die ersten Seitenwurzeln immer auf der konvexen Außenseite hervor. Dass die konvexe Krümmung an sich nicht die Wurzelanlage begünstigt, ging aus Präparaten von Seitenwurzeln hervor, wo das nach der Mutterwurzel zu ge- richtete Knie von Nebenwurzeln frei blieb. Ohne auf wissenschaftlich-theore- tische Fragen diesmal einzugehen, erinnerte der Vortragende an die von ihm aufgefundene Exotropie seitenständiger Blüten und verwies auf die Vorteile, welche dem Wurzelsystem durch seine Außenwendigkeit erwachsen. Wenn die im Boden durch mannigfache Hindernisse, Steine und andere feste Körper immerfort abgelenkten Wurzeln in der ihnen mechanisch aufgedrängten Rich- tung einfach weiterwüchsen, so wäre eine horizontale Ausnutzung des ganzen Areals sehr in Frage gestellt. Die Wurzeln würden dann durch solche Zu- fälligkeiten, statt sich peripherisch auszubreiten, häufig miteinander in Kollision kommen und in bereits vom eigenen Wurzelsystem ausgebeuteten Boden ge- raten. Der wunderbaren Ausnutzung des Bodens in vertikaler Richtung würde eine solche in der horizontalen Projektion fehlen. Durch die Exotropie ist aber auch für die gleichmäßige seitliche Ausbreitung und Ausbeutung des Bodens gesorgt. In der dem Gärtner so bekannten und verhassten Erscheinung des diehten Wurzelflechtwerks an den nackten Topfwänden, wobei die Erde des Topfes selbst kärglich durchwurzelt wird, liegt eine sichtbare Folge der geschilderten Außenwendigkeit der Wurzeln vor. Sachs glückte es, die Nachteile dieser Erscheinung durch eine sinnreiche Düngungsart erheblich zu vermindern, und der Vortragende hofft in nicht zu ferner Zeit über Versuche berichten zu können, welche, auf die beobachteten exotropischen Erscheinungen gegründet, die Topferde selbst besser auszunutzen suchen. 378 Noll, Morphologischer Aufbau der Abietineen - Zapfen. Sitzung der naturwissenschaftlichen Sektion vom 21. Mai 1894. Privatdozent Dr. Noll sprach unier Vorlegung neuen Beobachtungs- materials über den morphologischen Aufbau der Abietineen-Zapfen. Für den Nichtbotaniker scheint ein Tannen- oder Fichtenzapfen ein höchst einfach gebautes Gebilde zu sein, und doch haben die scharfsinnigen Forsch- ungen und Betrachtungen hervorragender Botaniker bislang noch keine zweifellos festgestellte und allseitig anerkannte Entstehungsgeschichte dieser Fruchtform geliefert. Die hier in Betracht kommende Frage spitzt sich darauf zu: Sind die holzigen Schuppen, welehe auf ihrer Oberseite die bei den Abietineen ge- flügelten Samen tragen (die „Samen- oder Fruchtschuppen“) umgebildete Blätter oder eigenartig umgebildete Seitenzweige oder sind sie aus beiden zusammen- gesetzt? Abgesehen von haarartigen Bildungen stehen einer höheren Pflanze an den Sprossen nur diese beiden Glieder für die Organbildung zur Verfügung. Die Entwicklung des jungen Zapfens zeigt unzweideutig, dass es sich bei den Samenschuppen der Abietineen nicht einfach um die umgewandelten Blätter des fruchttragenden Sprosses handeln kann, sondern dass in dieser Beziehung die weiblichen Zäpfchen von den männlichen Blüten unserer Nadel- hölzer abweichen. Bei letzteren sind nämlich die Staubblätter nichts anderes als die pollenbildenden Blätter der Hauptaxe. Die Samenschuppen der weib- lichen Zapfen entstehen dagegen ganz wie junge Seitentriebe erst nachträg- lich in den Achseln der primären Blätter, die als sog. „Deckschuppen“ ent- weder bis zur Fruchtreife sichtbar bleiben (bei der Weißtanne und manchen Lärchenvarietäten beispielsweise) oder häufiger an reifen Zapfen nicht mehr zu sehen sind (z. B. bei Kiefer, Fichte u. s. w.). Diese Entstehungsweise der Samenschuppen hat, verglichen mit den Ergebnissen genauer mikroskopischer Untersuchungen, zu zweierlei Deutungen Anlass gegeben: 1) Die Samenschuppe ist ein nachträglicher blattartiger Auswuchs der Deckschuppe, eine Art Placenta derselben. — Diese von Sachs zuerst aus- gesprochene, von Eichler, Göbel u. a. lebhaft verteidigte Auffassung wird durch die Orientierung der Gefäßbündel und durch die thatsächliche Verwach- sung von Deck- und Samenschuppe wahrscheinlich gemacht und gestützt durch das Auftreten großer Placentarwucherungen bei Phanerogamen im Allgemeinen und im Besonderen durch die Trennung des Ophiogloseen - Blattes in einen fertilen und einen sterilen Teil. 2) Die Samenschuppe ist ein flacher, blattloser Seitenzweig, ein diskoidal entwickelter Achselspross der Deckschuppe. -— Diese von Strasburger aus- führlich begründete Auffassung stützt sich vornehmlich auf die mikroskopische Entwicklungsgeschichte der Samenschuppe und auf die Verhältnisse bei den Taxineen. Vereinzelte Beobachtungen an durchwachsenen missbildeten Zapfen, welche eigenartige Zwischenbildungen zwischen Samenschuppen und normalen Seiten- knospen trugen, haben dann noch zu einer weiteren Deutung den Anlass gegeben: 3) Die Samenschuppe ist aus zwei seitlichen Blattanlagen eines sonst unentwickelten Achselsprosses durch Verwachsung entstanden, also ein zu- sammengesetztes Gebilde. Die Verwachsung soll nach Caspary mit den vorderen Rändern, nach H. v. Mohl, dem sich neuerdings Stenzel und Cela- kovsky angeschlossen haben, mit den hinteren Rändern erfolgen. Willkomm dagegen ist der Ansicht, dass auch ein Teil der sekundären Sprossaxe in die Samenschuppe übergeht. Noll, Morphologischer Aufbau der Abietineen - Zapfen. 879 Diejenige Deutung, welche sich heute der allgemeinsten Zustimmung unter den Botanikern erfreut, ist die zuerst erwähnte, dass die Samenschuppe als placentare Wucherung der Deckschuppe zu betrachten sei. Sie wurde von Eichler mit großer Energie und mit entschiedenem Erfolg zumal gegen die an dritter Stelle angeführte Anschauung verteidigt, so dass sie heute in den botanischen Lehrbüchern die herrschende Stelle einnimmt. Das vom Vortragenden gesammelte reiche Beobachtungsmaterial, bestehend in durchwachsenen Lärchenzapfen mit sehr schönen Zwischenbildungen, ent- stammt einem kleinen Lärchenbestand auf der Anhöhe des Rheinfels bei St. Goar. Außer vereinzelten ausgesprochenen Missbildungen, welche keinerlei bestimmten Bauplan und keinerlei Mittelform zwischen normalen Samenschuppen und normalen Seitenknospen erkennen lassen, zeigen diese Rheinfelser Zapfen aber eine große Zahl klarer und sich unmittelbar aneinander reihender Ueber- gänge von der vegetativen Achselknospe zur achselständigen Samenschuppe. Es liegt bei der Heranziehung ungewöhnlicher Bildungen zur Untersuchung rätselhafter morphologischer Gebilde ja immer die Gefahr nahe, dass man durch sozusagen ganz willkürliche, völlig aus der Art schlagende Missgestal- tungen irregeführt wird. Gegenüber solchen bizarren Verbildungen, bei welchen die uns als gesetzmäßig erscheinende gewohnte Gestaltung und Anordnung der Glieder oft in der buntesten Weise durcheinander gewürfelt erscheint, und welche man früher als „Launen* der Natur bezeichnete, darf jedoch der auf- klärende Wert gewisser Metamorphosen nicht zu gering geachtet werden. Wenn an den Keimpflänzchen neuholländischer Akazien allmähliche Uebergänge zwischen den ersten gefiederten oder doppelt gefiederten Laubblättern und den senkrecht abgeflachten Phyllodien auftreten, indem sich der Hauptstiel der Blätter mehr und mehr senkrecht abgeflacht, die Spreite immer mehr reduziert zeigt, so nehmen wir mit einem gewissen Recht an, dass die normalen Phyllodien sich durch Verbreiterung der Blattstiele und Spreitenreduzierung gebildet haben. Es hat meines Wissens noch kein Botaniker versucht, diese VUebergangsformen für monströse Glieder zu erklären, in welchen das Blatt phyllodienhaft, das Phyllodium blattartig missbildet sei und beide Dinge sonst nichts mit einander gemein hätten. Dass solche Fälle nicht zu einer grundsätzlichen morpho- logischen Anerkennung der Metamorphosen führen dürfen, zeigen uns aber jene erwähnten bizarren Verbildungen, wo an Stelle einer Samenanlage bei- spielsweise eine Anthere oder an Stelle eines Sprosses beispielsweise eine Wurzel auftritt, nur zu deutlich. Man wird also von Fall zu Fall im einen oder anderen Sinne die Entscheidung zu treffen haben; dieser liegt also jeder- zeit ein subjektives Urteil zu Grunde und sie zieht nur für denjenigen Be- urteiler irgendwelche Beweiskraft nach sich, der aus eigener Ueberzeugung diese Entscheidung auch zu der seinen macht. Von diesem Gesichtspunkte aus wird auch der Wert der nachfolgend beschriebenen Zwischenbildungen zu beurteilen sein. Was sie dem Vortragenden besonders bemerkenswert erscheinen lässt, ist ihr fast lückenloser Uebergang von der normalen Seitenknospe zur normalen Samenschuppe, der sich für die morphologische Betrachtung so ein- fach, einleuchtend und einwandsfrei vollzieht wie an einer gut gewählten Serie. Gehen wir von den normalen Achselknospen aus, welche sich an den durch- wachsenen Zapfen ebenfalls vorfinden, so treffen wir als erste Uebergangsstufe darunter solche an, bei denen die seitlichen Vorblätter etwas größer geworden sind. In weiteren Knospen haben diese Vorblätter mit zunehmender Stärke die Form zugespitzter Ohren angenommen und zeigen dann bereits auf ihrer OD 880 Noll, Morphologischer Aufbau der Abietineen-Zapfen. Rückseite kleine Höcker, die sich als rudimentäre Samen- anlagen herausstellen. Diese Größenzunahme der Vorblätter lässt sich dann schrittweise weiter verfolgen, wobei auch die Samenanlagen auf ihrer Rück- seite sich immer weiter entwickelt zeigen. Gleichzeitig schlagen sich die Vor- blätter mehr und mehr rückwärts um und nähern sich einander mit ihren hin- teren Kanten hinter der Knospe. Es ist dann kein weiter Schritt zur Ver- wachsung derselben zu einer zweiflügeligen Schuppe, wie sie in fortschreitender Verschmelzung ebenfalls häufig anzutreffen ist. Die Rückseite solcher Schuppen trägt dann schon wohl ausgebildete Samenlagen. Die weitere Umbildung be- steht in der Folge nur noch in der innigeren Verschmelzung der beiden Flügel- schuppen zu einer einzigen, womit die Ausbildung der normalen Samenschuppe erreicht ist. Von ganz besonderer Bedeutung für die Beurteilung dieser Um- bildungen ist der Umstand, dass sich auf den verschiedensten Zwischenstufen der vegetative Spross der Achselknospe ebenfalls weiter entwickelt hat und dass er dann ausnahmslos vor der Samenschuppe bezw. ihren beiden Komponenten steht. Hierin unterscheiden sich die hier vorgelegten Um- bildungen vorteilhaft und ganz wesentlich von früher beschriebenen Miss- bildungen, wo eine Knospe hinter der Samenschuppe aufgetreten war und in ihrer Stellung nicht mit der dargelegten Bildungsgeschichte stimmen wollte — wo auch noch allerlei andere Blättchen der Achselknospe schuppenartig aus- gebildet und unregelmäßig untereinander verwachsen waren. Die sehr ein- fachen und ohne Störung zu verfolgenden Umbildungen deı Rheinfelser Zapfen zeigen das wenigstens ganz klar und unzweideutig, wie normale Samenschuppen aus der Metamorphose der seitlichen Vorblätter einer Achselknospe hervor- gehen können, ohne dass die morphologische Gesetzmäßigkeit der in Betracht kommenden Bildungen irgendwelche Störung erfährt. Damit steht aber der Annahme, dass sich die Samenschuppe phylogenetisch thatsächlich so ent- wickelt habe, kein Hindernis mehr im Wege. Alles was die Morphologen be- stimmte, sie für ein Blattgebilde zu erklären und sie darin den Fruchtblättern der Cycadeen und den Staubblättern der Coniferen gleichzustellen, trifft für diese Entstehung ebensowohl zu als die Gründe, welche andrerseits für ihre Achselsprossnatur geltend gemacht wurden. Die Samenschuppe gehört danach ja in der That einem Achselspross an; nur sind es dessen erste Blätter, die sie bilden. Die so entstanden gedachte Samenschuppe hai aber auch ein hoch- interessantes Homologon in der vegetativen Region einer Conifere. Wie H.v.Mohl nämlich für die grünen, scheinbar einfachen Nadeln von Sciadopitys zweifellos nachgewiesen hat, kommen diese in ganz der gleichen Weise zu Stande, wie es für die Samenschuppe der Abietineen als möglich bezw. wahr- scheinlich hingestellt wurde: Durch rückwärtige Verwachsung der beiden ersten Blättchen eines sonst unentwickelten Seitensprosses, dessen Deckblatt bei Sciadopitys nur als kleine Schuppe ausgebildet wird. In den Doppelnadeln von Seiadopitys zeigen sich daher die Gefäßbündel der Nadeln gegenüber ein- fachen seitenständigen des Haupttriebes invers gestellt. Ganz dasselbe trifft aber auch bei der Samenschuppe der Abietineen zu und muss zutreffen, wenn ihre Bildung in der gedachten Weise zu Stande kommt. Register, Inhalisverzeichnis und Titelblatt zum XIV. Bande des Biol. Centralblattes liegen dieser Nummer bei. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namen -Register. Aderhold 663, 690. Alix 406, 441. Altmann 376, 621, 659. Andre 56. Apstein 122, 654 fg. Ascherson 12 fg Auerbach 341. 226, 319, Bachofen 68. Baines 338. Ballowitz 411. Baranetzky 661. Bard 170 fg. Barral 430. de Bary 489. Bateson 866 fg. Baur 402 fe. Beard 801. Bebel 69. Beddard 406, 435 fg. Behrens 861. Bell 79%. van Beneden 457, 821 fg. Bennecke 316. Bergendall 773. Bergh 478. Bernstein 557 fg. Berthold 341, 862. Bianconi 405. XIV. Billroth 488. Biondi 411. Birge 606. Blane 315 fg. Blasius 693. Blochmann 314. Blumenbach 711 fg. Boas 317. Bobretzky 366. Böhm 338. Bokormy 427. Bonnet 160. Borelli 746, 775. Borodin 659. Bouley 789 fg. Bourne 86. Boussingault 194, 212, 241. Bovallius 472. Boven Ad4fg, 823, 855 fg. Bowditch 783. Braem 350, 682 fg., 725. Brauer 157, 453, 756. Braun Alex. 14. Brefelt 481. Breuer 111. Brindley 871. Broca 789 fg. Bronn 812. Brooks 841. 3rown-Sequard 785 fg. Brode 288. Brunchorst 694. Bryant 301. Buchenau 12. Bumm 441. Bunge 632. Bunsen 278. Bürger 317. Büsgen 256. Bütschli 82 fg., 166, 200, 492, 622, 859. Cajal 479. Carnoy 450. Caspary 878. Cattel 25. Celakovsky 878. Charcot 787. Chaniewsky 430. Chauveau 430. Chmielewski 865 fg. Chun 605. Claude - Bernard 422 fg., 787 fg. Cohn 659. Cope 262. Crampe 79 fg. Crato 129. Cuenot 838. Cuvier 596. Cyon 421 fg., 568. Czermak 786. D6 882 Dahl 319. Dalyell 749. Dames 594 fg. Dangeasa 864. Darwin 5, 66, 71, 222, 269, 284, 473, 662 fg., 690, 7.32,0196,.,891,,. 870: Decandolle 209, 252. Delage 96 fg. Detlefsen 696, 736. Dewitz 3, 69. Diakonow 419 Dixon 826. Dohrn 801. Dollo 402. Dorfmeister 61. Draparnauld 771. Dreyer 372. Driesch 340 fg., 600, 662, 666: 1g., 697. 88.,1.727, 754, 770, 847. Drosdorff 422. Drost 386. Dubois 385 fg. Duges 771 fe. Dunn 272. Ehrenberg 624. Ehrlich 325, 425, 622. Eichler 878. Eimer 590 fg. Elfving 666, 697, 732. Emery 612. Engelmann 85, 115, 659 1g.., 690, 739. Engels 69. Engler 863. Errera 697. Evermann 288. Ewald 96 fg., 563, 569 fg. Exner 813. Eyton 401. Fabre 21, 721 fg. Fairmaire 339. Farmer 821, 860. Faussek 367. Fachner 734 fg. Famintzin 865. Fisch 88, 198, 314 Fischer 625. Fleck 338. Flemming 169, 325, 449, 457 fg., 478, 622. Fletscher 746. Flint 263. Flourens 563. v. Fodor 489. Fol 492. Fookes 263 fg. Forbes 287 fg., 406 fg., 435, 569, 648. Forel 6, 55 fg., 548. Fraise 594. France 122. Frank 194, 241, 662, 743. Franklin 814. Frenzel 200 fg. Frerichs 421. Fritze 318. Fürbringer 399 fg., 434 fg., 593, 647 fg. Gadow 406, 647. Galton 783. Gardiner 594. Garrod 406 fg, 435, 597, 651. Gegenbaur 201 fg., 872. van Gehuchten 479. Geoghegan 375. Gessler 64. Giard 858. Giraldes 789 fg. (roebel 247, 866, 878. Golgi 479. Goltz 563, 793. Goubaux 789 fg. Graber 369, 661. v. Graff 748. Graftian 247. Grassi 54. Greeff 89. Grehant 427. Alphabetisches Namenregister. Greenwood 777 fg. Grönland 260. i Gruber 87, 166, 198, 314. ‘scheidlen 421. Guignard 821 fe. Günther 606. Haacke 74, 413, 497, 513, 529, 585, 626, 666, 697. Haberlandt 258, 696. 730. Haeckel37, 41 fg., 372, 562. Häcker 318, 450, 467. Hahn 420. Hallevorden 421. Hallez 749. Halliburton 376. Hammarsten 322. Hamilton 746. Hansdeen 256. Hansemann 169. v. Hanstein 813. Hardy 151. Hartog 830, 862, 865. Haswell 406, 435. Hatschek 359. Hauriot 430. Heatheote 365. Heck 207. Hehring 206. Heidenhain 556 fg. Heider 361 fg., 845. Heinrich 90. Hellriegel 194, 242. Henking 319, 856. Hennegny 315. Hensen 34, 114, 123, 176, 488, 561, 759, 800 fg. Herbst 671 fg. Hermann 196, 693. Hertwig O0. 340 fg., 372, 443, 478, 509, 598, 602 fg., 622, TI IS-NSDOHEE,, 823 fg., 854 fg., 865. Hertwig R.166, 171 fg., 372. Heusinger 435. Heymons 433. Hirschberg 773. His 479, 754 fg., 810, 847. Hofer 166, 288, 374. Alphabetisches Namenregister. Hoffmann 315. Hofmann 62. Hoppe-Seyler 375. Hubrecht 317. Hulke 402. v. Humboldt 215. Humphrey 587, 828. Hürthle 411. Huxley 238, 399, 401, 649, Zayıle Imhof 123. Ischikawa 157, 198, 314. Jäger 406 fg. v. Jaksch 373. Jaquet 432. Jaworowsky 779. Jefferson 238 Jennings 494, 606. Jensen 663 fg., 739. Jernand 263. v. Jhering 724. Jijima 765 fg., 805 fe. Johnson 402, 749. Jönsson 694 Jordan 238. Jourdan 552. Junger 308. Kant 717 fg. Karawaew 433. Karsten 311. Kaufmann 582. Keller 115, 746, 765. Kennel 369, 583, 765 fe, 778. v. Kerner 15 fg., 309. Kessler 465. Keuthen 194, 314. Kiesselbach 568. Kingsley 367. Kischinonye 565. Klebahn 861 fg. Klebs 199, 752, 818. Koch 17, 481. Kochs 303. Kofold 606. Kohl 737 fg. 745, Kölliker 479, 759 fg. Kornauth 59. Korotneif 433. Korschelt 316, 361 fg. Koschewnikow 119 fg. Kossel 327, 375 fg. Kowalewski 354, 841. Krantz 874. Kräpelin 548. Krause 486. Kreidel 569. Kronecker 380. Kraus G. 742. Kühn 11. Kupffer 316, 754. Kusnezowa 120. Laboulböne 786. Lancaster 265 fg. Landi 426. Lang 140, 725. Langendorff 411. Lauterborn 196, 582. Lauth 435. Lavoisier 782. Lebrun 467. Lee 299. Leydig 551. Leidy 87. v. Lendenfeld 497 fg., 539. Lenhossek 479. Lepine 422 fg. Leuret 441. Levaillant 338. Liebermann 376. Lilienfeld 376 fg. Linne 283. Linton 2838. Livingstone 338. Loeb 111, 342, 569, 600, 659 fg., 666, 690, 754 1g., 846. Löhr 17. Longet 791. Luciani 49. Lüders 488. Lukianow 621. Lundström 301. Lwoff 359. 853 Maas 562. Macbride 248. Magnus 401. Marey 564. Mark 859. Marsh 262, 402, 594, 600. Marshall 159, 848. v. Martens 472. Massart 695, 736. Matte 96. Mayer P. 763, 806. Mayer Robert 780 fg. Mehnert 315. Mehring 422. Meissner 421. - Merren 401. Metschnikoff 362. Miescher 375. Millardet 850. Milne-Edwards 231, 401 fg. Miyoshi 273, 691, 736. Mitrophanow 621, 623. Mivant 401. Möbius 642. v. Mohl 878 fg. Molisch 691, 737. Moll 829. Möller 491. Monoyer 568. Morgan 66 fg. Morin 365 fg., 756. Morte 404. Mosso 23 fg. Müller 169. Müller H. 284. Müller J. 650. Müller H. J. C. 734. Munk 430. Nachtrieb 299. Naegeli 132, 536, 590, 602. Nagel 693. Nathusius 11. Naudin 349. Naunyn 422. Nencki 420. Neyt 457. Nitzsch 406 fg., 435, 594. Noll 258, 664, 729 fg., 876g. 56 * 384 Notthafft 804. Nusbaum 157, 314, 490, 780, 821. Vellacher 754. Oestlund 299. Oltmanns 734, 859. Öppel 758. Qustaled 399. Overton 825. Owen 401 fg. Packart 264. Parger 399, 623. Pasteur 488. Patten 386. Paulow 420. P&nard 89. Perkin 455. Perrin 435. Petermann 245. Pfetter 117’ fg., 256 Tg., 537, 689 fg., 729 fg. Pfitzner 149. Pflüger 340 fg. Pictet 301 fg. Plate 583 fg. Plateau 471, 549. Platner 859 fg. Plosz 375. Pohl 376. Potonie 11. Prechtl 566. Pringsheim 832. Przesmycki 620. Wuincke 322. Rabe 449, 457, 492. Rabl 806. Ramon y Cajal 790. Ranvier 754. vom Rath 319. Rathke 873. Ratzeburg 64. Raum 621. Alphabetisches Namesnregister. v. Rauwenhoff 862. Rawitz 385 fg. Reichenow 405. Reinhardt 435, 691. Rengger 207. Retzius 479. Richet 423 fg. Robin 786. Rolleston 437. Rösel 160. Romanes 5, 267. Roscoe 278. Rosen 864. Rosenberger 488. Rosenstadt 622. Rosenthal M. 786. Rossbach 488. Rothert 736 fg. Roux 340 fg., 604 fg., 612, 754 fg. Rückert 315, 758. Rüdinger 437. Russel 49. Ryder 386. Sachs 275 fg., 485 fg., 661 fg., 723fg., 802, 878. Sadow 399. Salensky 317, 841. Salkowski 421. Sandersen 488. Sarasin 585. Saunders 779. Schaeffer 160. Schaudinn 314. Scheuerlen 62. v. Schewiackoff 196. Schiff 795, Schmankewitsch 873. Schindler 381. Schmiedeberg 421. Schmidt 63. Schmitz 861 fg. Schneider 151. Schopenhauer 697. Schrader 111. v. Schroeder 421. Schulgen 361. Scehultzen 421. Schulze 166. Schulze F. F. 746. Sehütt 126. Schumann 15. Schwarz 663. Schweigger 760. Schweizer 693. Seeger 422. Seeley 594. Seeliger 725. Sekera 771 fg. Selenka 343 fg., 401, 411, 435. Serres 441. Settegast 11. Sewall 111, 569. Sharp 386. v. Siebold 765. Simroth 553 Sollas 115. Sonntag 138. Spencer 1 fg., 55, 322. Stadthagen 380. Stahl 305 fg., 659 fg., 690, 832 fg. Steenstrup 239. Stein 201. Steiner 111, 569. Steinhaus 621. Stenzel 878. St. Hilaire 595, 838. Stintzing 64. Strasburger 469, 659 fg., 730 fg., 878. Strieker 754. Strümpell 495. Stuhlmann 472. Sundevall 406 fg., 435 fg., 59. Tangl 62. Tarnani 839 fg. Thoiss 381. Tholozan 79. Thuel 435. Tiedemann 401. Tiegel 488. Tommaschewitz, Annad6®. Topinard 587. Alphabetisches Namenregister. Trembley 155 fg., 660. Trombetta 489. v. Tubeuf 62. Uljanin 363. VanderBrock 488, Verhoeff 20. Verworn 112 fg., 387, 639 fg., 693 fg., 731. Vetter 402. Vines 817. Virchow 63. Vöchting 15 fg., 284. Vogt 754. Vulpian 787. de Vries 740 fg. Wachtl 59. Wagner 140. v. Wagner 748, 767, 805, 864. Walker 606. Wallace 264. Walther 688. Ward 606. Washington 288. v. Wasielewski 454 tg Wasmann 9, 549, 724. Watase 325. Watson 405 fg. Weismann 1, 53, 61, 711g, 140, Tg, 230,260 fe, 314 feg., 467, 498 fg, 513,. 598 fe, 610, 725, 167. 1%.,836 fz, 851. Weldon 406, 435. Wenckebach 763, 806. Westermarck 67 fg. Westphal 786. Wegrand 780. Wijhe 801. Whitmann 321. Wiedersheim 751. Wiesner 275 fg., 322, 48?, 632, 734. Wigand 632. S85 Will 369. Willkomm 878. Wilser 498. Wilson 315 fg., 347 fg., 600. Woleott 606. Wolfgramm 88, 314. Wolfsohn 492. Wöhler 431. Wortmann 658, 696, 697, 130e Wunderlich 651. Wundt 24. Youmans 266. Zacharias 34, 194 fg., 314, 3.2.00 0395 012: Zahn 488. Ziegler 65, 314 fg., 763. Zimmerer 64. Zograff 365. Zschokke 746, 775. Zweifel 488. Alphabetisches Sachregister, A. Abfälle 304. Abietineenzapfen, Aufbau 878. Abnormitäten, Auffassung des Wesens 868. Abwässer 304. Acanthomyrmes 56. Acer platanoides, Träufelspitze 306. Acilius sulcatus 96 fg. Acorus calamus, Agamogenese 260. Acridier 117. Acridium aegypticum 417. Acroperus leucocephalus 290. Actinien, Sinnesorgane 554. Actinosphaerium 88, 390. Actinophrys 390. Aculeaten 21. Adamsia 812. Adelops 201. Adenia 380. Adoxa moschatellina 732. Adventivknospen, Entwicklungs - Be- dingungen 277. Aeginopsis 563. Aeromyrma 56. Aörophor, bei 60. Aerotaxis 690. Aeschna juncea 96 fg. Aesculus hippocastanum, Hängeblätter 311. morphologischer Psilaria monacha Aethalium septicum, Chemotaxis 690, Phototaxis 660, Reizstimmung 730, Thermotropismus 693. Agamogenese 259. Agenia carbonaria 22. Aglantha digitalis 562. Aglaura hemistoma 562 ; A. Nausicaabb2. Agrion elegans 96 fg. Agyrodendron amboinense, Wachstum 730. Aira alpina 45. Ajuga reptans 284. Alaurina, Ungeschl. Fortpflanzung 746. Alburnus lucidus, Vorkommen 29. Allium vineale compactum 19. Allarchestes dentata291 ; A. inermis 291. Alona 2%. Altruismus 171. Alyssum calicinum 213. Alytes abstetricans W agl 70. Amblystoma, Vorkommen 299. Ameisenbär 167. Aıneisen-Neutra, Verhältnis zur Natur- züchtung 3; A., Entstehung des Arbeiterstandes 53. Amidostearin in den Chylusfetten 420. Ammodiscus gordialis P. u. J. 162. Ammophila 722. Amoebaeformia, indirekte Kernteilung 314. Amoeba limex, thermotaktische Ver- suche 693; A. proteus 87 fg., 390, A. secunda 84. Sachregister. Amöbenstudium 314. Ampelopsis, Wachstumserscheinungen 734. Amphioxus, Eifurchung 347; 4A. lan- ceolatus, Ontogenie 353; A., Licht- sinn 810. Anabolismus, Begriff 323. Anaerobie 427. Anaplasie der Zellen 173. Anapus ovalis 495. Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Ergebnisse 240; A. der Stütz- und Bewegungsorgane bei Vögeln 399 fg., 434 fg., 593, 647 fg. Anemonia 812. Anergates 56. Aneura, Chromosomen 860. Anisomorphie 275. Anisonema grande Ehrb. 390. Anisophyllie 276. Anisotropie 275. Anneliden, Eifurchung 349, 362fg.; A., (Geruchs- u. Gesckmacksorgane 554. Anophthalmus 267. Anpassung, konvergente 166 fg.; A. der Pflanzen an Regenfall 305; Wesen der A. 538, 615. Antennularia, positiver Stereotropis- mus 342; A. antennina, Diageotropis- mus 666, Heteromorphosis 846. Antebrachialindex, Verminderung 590. Anthophysa 394. Anthozoen, Knospung 726. Anthidium, Instinkt 722. Anthropoiden, Zusammenhang mit dem Menschen 589. Antinonnin 64. Antirrhinum majus 851. Anuraea aculeata Ehrb. 392; 4A. cochle- aris 122. . Apfelsäure, chemotaktische Wirkung auf Farnsamen 689. Aphenogaster (Messor) barbarus L. 57; A. aegypticus 58; 4A. striaticeps 57. Aphanomyces laevis 862. Aphis 238; A. neue Gattung 299. Apısı 59. Apsilus lentiformis 495. Apteryx, syst. Stellung 436. Aquilegia vulgaris 214. 357 Arachnoideen, Keimblätter 364. Arbeitsbiene, Entwicklung 53. Arbeitsleistung der Haustiere, Ermit- telung 474. Arca, Lichtsinn 386. Arcella 314. Archesporium, entwieklungsgeschicht- liche Stellung 866. Argulus foliaceus 106. Argyroneta aquatica 105. Arion empiricorum, Befruchtung 860. Aroideen, Geotropismus 665. Artemia Milhausenii, Zusammenhang mit 4A. salina 873; A. salina, Chromosomenzahl 467 fg.; A., Reak- tion auf Salzgehalt 873. Arthropoden, Dotterzellen 361 fg., A.-Eier, Aero- (Oxygeno-) Taxis 756 fg., Embryonalhüllen 361 fg., Entwicklung des Mitteldarms 433 fg.. Keimblätter 361 fg., überzählige Ex- tremitäten 875. „Arzeneikästlein“, Anzeige 848. Ascarts bivalens 454, Chromosomen 849, Chromosomenzahl 453 fg., lumbri- coides 455, megalocephala A5T7, nigro- venosa 341, Spermatogenese 453, univalens 454. Ascomorpha hyalina 495. Ascophyllum nodosum 859. Asellus cavaticus 552. Asparagin 274. Aspergillus niger, 213. Asplanchna 122, helvetica 123, Herricki 495, priodonta 39. Assimilation, Wesen 418. Astacus Jluviatilis 96 fg., 758. Asteracanthion, Eientwicklung 857. Asterina gibbosa, Geotaxis 664. Asterionella gracillima 230. Atavismus, Auffassung 871. Atmosph. Luft, Preisaufgabe Wesen und Eigenschaften 480. Atta, Wichtigkeit für die Selektions- theorie 4. Augen, regressive Umbildung bei Ameisen 3 fg, systematischer Wert bei Vögeln 472. Augmentation, Begrifisbestimmung 775. Chemotropismus über 888 Aulostoma lacustris 2. Auswachsen des Getreides 16. Azteca 55. Bacillus B. 62. Bacterium monachae 62, termo 744. Bakterien als Reagens auf Sauerstoff 690. Balatonsee, Plankton 33. Barbetistes 117, serricauda 118. Bastarde 849. Bathybius Haeckelüi 613. Baustoffe der Insekten 722. Becken der Vögel, systemat. tung 401. Befruchtungsvorgang 855. Bellia crassicollis 203 fg. Bembex 23. ‚Bero& ovata, Sinnesorgane 554. Bibliographische Reform 270. Bicosoeca socialis n. sp. 394. Bienengesellschaften 22. Bienenstöcke, Zustände in B. 319. Bindegewebshüllen, Entstehungs- ursache 763. Biocönose 642. Biologie, terminologische 628. Biologische Süßwasserstation am Gull- see in Minnesota 299 fg., in Frank- reich 300, in Plön, Besetzung 507. Biolog. Untersuchungen in amerika- nischen Seen 505 Bionomie des Meeres 688. Biota orientalis 826. Bipalium Kewense Mos 746, 773. Bipalpus vesiculosus 123. Blatta americana, Extremitäten 875. Blattgestalt, Beziehung zu Nieder- schlägen 305. Blut, antibakterielle Eigenschaften 489. Blutegel, Unters. über Lebensgewohn- heiten 299 fg. Blutkörperchenfärbung, rasches Ver- fahren 687. Blutsverwandtschaft 75. Blutsverwandtschaftsfamilie 67. Böhmeria urticaefolia 307. Bohnen, Geotropismus 664. 3edeu- Sachregister. Bombus lapidarius 110, muscorum 110, terrestris 110. Bombyx neustria, Geotropismus 664. Bosmina 122, cornuta 392, longirostrrs 290. Bothriocephalus 724. Bothrydium granulatum 659. Botrytis bassania Bals. 64, 274, te- nella Delac. 64, tenella 274. Brachionus angularis 392, pala 392. Branchipus 106, stagnalis, Eier 756, Verhältnis zu Artemia salina 873. Brassica Napus 184. Brown-Sequard, Biographie 785 fg. Bryozoen, Vorkommen 300. Bussaria truncatella 398, 624. Bursaridium Schewiakowii 392, 398. Burseraceen 338. Buxus, Belichtungsverhältnisse 279. c. Caenomorpha 89, Henricr 90. (aenomorphina 90. Caleituba 161, polymorpha Roboz 163. Calicurgus annulatus 21, Instinkt 122. Camponotiden 55. Camponotus 54 fg. Cannabis indica, Träufelspitzen 306. Capsa frayilis 388. Uarchesium polypinum , versuche 777 fg. Carcinus Maenas 114. Cardita sulcata 388. Cardium aculeatum 388, edule, Licht- sinn 385, oblongum 388, tubercula- tum 388. Carebara 56. (arinaria mediterranea 553. Carmarina hastata 555. Carpinus betulus 309, carolina, Träufel- spitzen 309. Casuarius 437. Catenula, ungeschl. Fortpflanzung 746. Cathypnadae 494. Cavia aperca 206, cabaya 206, Cutleri 208. Cephalotus 252. Ceratien 125. Ceratium 198, hirundinella 226. Verdauungs- Sachregister. Oeratozamia 828. Cereanthus membranaceus, 812, Polarisation 846. Ceriodaphnia 290. Chaetopteris 131. Chalicodoma, Instinkt 721 fg. Chamaeleonten 166. Chamaeleopsis 167. Chamaerops humilis 215. Chasmogame Blüten 283. Chelone 206. Chelydide Platemys Hilairi 202. Chelydra serpentina 203. Chelymis Macquaria 204, Vietoriae 204. Chelys fimbriata 204. Chemischer Sinn der Krebse 512. Chemotaxis 689 fg. Chemotropismus 273, 690 fg. Chilomonas 624, Heliotaxis 659. Chitra indica 204. Uhlamydomonas 663. Chloralhydrat bei Kaninchennarkosen 986. Chloraphytum Sternbergianum 861. Choanoflagellata 394. Cholera 304. Cholestearin, Bez. zur Leber 422. Chorioidea, Entstehung durch Rich- tungsreize 763. Uhromogaster testudo 393. Chromosomen, Konstanz der Anzahl 449 fg., doppelwertige 450, Schwan- kungen beim Hund 452, atypische Schwankungen 469 fg. Chroomonas Nordstedti Hansg. 391, periodische Reduktion 817fg., 84912. Ohrysemis pieta 202 fg. COhydorus sphaerieus 290. Oiliata, neue Arten 396, Zelikörnchen 622. Cinosternum eruentatum 205, integrum 203, leucostomum 203, mexicanum 203, pennsylvanicum 203. Cinyzis 206. Ciona intestinalis 553, Lichtsinn 11. Circaea lutetiana 732. Cistudo carolina 202 Tg. Cistus guttatus 283, salicifolius 283. Cladoceren 36. Oladrocystis aeruginosa 123. Lichtsinn 889 Clavieula, Bed. f. d. Systematik der Vögel 399. Olemmys caspia 202 fg., guttata 203 fg., leprosa 202 fg., macropus 203, ocellata 203, reveesit 203. Olepsine elegans, eschlechtsverhält- nisse 300, ornata 290. Olosterium, Vorgänge im Ei 865. ('ochlophora valvata, falsche Mimikry 473. Codonella eratera Leidy 392, lacustris 221. Codosiga 88, 198. Cofea arabica, Verhalten der Träufel- spitzen 306. Cohn’sche Normalnährlösung, suche 482. Colios hyale 318. Colobopsis 54 fg., truncata 58. Colpidium colpota 622 ig., nasutum 622 fg. Commiphoraafricana (Arn.) Eng1.338. Condylostoma vorticella Ehrb. 392. Coniferen 276. Conochilus 122, leptopus Forbes 289, unicornis 495. Copepoden, im Amazonenstrom 319, Reizempfindlichkeit 731. Coregonus albus, Vorkommen 294, 606. Corixa carinata 96 fg. Cornus sanguwirea, Blatt 280. Cörulein, Färben der Gewebe 425 tg. Cosmarium, Vorgänge im Ei 865 Cottus aobio, Vorkommen 294. Craspedoten, Vorkommen 562. Crematogaster 56. Crustaceen, chemischer Sinn Furchung 362, Geschmacks - Geruchsorgane 551. Uryptocerus 54. Oulex pipiens 97 fg. Curcubita Pepo 216. Oyelemis amboinensis 203, d’hor 205. Oyelidium glaucoma Ehrbg. 87. Cyclopiden 106. Cyelops 122, 393, capilliferus Forbes 290, gyrinus 290, mimilus Forbes 290, serratulus Forbes290, serratus Forbes 290, Thomasi Forbes 290. Uymothoa 552. Ver- 552, und 8g0 Cypriniden, Versuchstiere 448. Oypris barbata Forbes 290, Oythaea Chione 388. Cytoplasma 327. D. Dactylosphaerium radiosum 34. Damonia Hamiltoni 203 fg. Daphnella brachyura 29. Daphnia 106, angulifera Forbes 290, arcuataForb. 290, clathrata Forb. 290, dentifera Forb. 290, Entw. der Wintereier 318, pulex 290, pulex pulicaria Forb. 290, Schödleri 290, thorata Forb. 290. Darlingtonia 247 fg. Daım, relative Länge 116, der Vögel system. Verwertung 591. Darwinismus, Bemerkungen 609 fg. Decticus 118. Dendrosyllis 726. Derbesia, Befruchtung 862. Descendenztheorie 721. Desor’sche Larve 317. Diaheliotropismus 662. Diamphidia locusta Fairmaire 338. Diaptomus 290, 393, Lintoni Forbes 291, piscinae Forbes 291, shoshone Forb. 291, sicilis 291. Diaschiza semiaperta Gosse 391. Dichonia aprilina, falsche Mimikry 472. Dictyota dichotoma 530. Diemyetilus, Vorkommen 290. Didinium Balbianii 392, nasutum 392. Difflugia globulosa 289. Dimorpha mutans Grub. 198. Dinamoeba mirabilis 87. Dinobryoniden 125. Dinobryon sertularia (divergens) 297, stipitatum Stein 391. Dinocharidae 494. Dinoflagellaten 125, 396. Dinophilus 838. Dionaea 250 fg. Diplox scotica 109. „Discontinuität* in der Artentstehung 869 fg., in der Färbung der Tier- arten 869. Sachregister. Discorbina globularis d’Orbigny 162, orbicularis Terquem 162. Disematostoma Bütschlii 392, 396. Dissimilation, ohne Sauerstoff 427, mit O 429. Dolichodoriden 55. Doppelbildungen der Extremitäten 875. Doppelspermien 411. Dornschwänze 168. Doryliden 55. Dorylus 56. Dorymyrmex 56. Dotterzellen, Verhalten bei d. Furchung der Arthropodeneier 361 fg., bei Arachniden 366, d. (Vitellophagen) Chemo- (Tropho-) Taxis 157. Drosera 256. Drosophyllum lusitanicum 249 fg. Dytiscus marginalis, Vorgänge an Sperma 408 fg. E. Echinokokkus, Knospung 724. Echinopyxis 289, aculeata, thermotak- tische Versuche 693. Echinus microtubereulatus, Objekt zur Untersuchung der Eifurchung 340. Echium vulgare 217. Egernia stokesii 168. Ehrlich’sches Verfahren zur körperchenfärbung 687. Eibildung bei Anneliden 316. Eier, Verhalten gegen hohe Kälte- grade 303, Verh. von Eiweiß zu Dotter und Schale der Vögel 560, Eifurchung, Bed. des Druckes 340. Eigenwinkel beim Pflanzenwachstum 697. Eimer’sches Organ 555. Einfluss des Lichtes auf Blüten 285 fg. Einheit der Zelle 321. Elodea, Agamogenese 85, canadensis (Anacharis) 260. Eseya latisternum 203 fg Embryocyten 369. Embryonalhüllen, der Arthropoden 361 fg., 368 fg., bei Metazoen 370. Emyda granosa 203 fg., villata 204. Emydura Krefftii 204. Blut- Sachregister. Emys orbicularis 202 fg. Endothelien, Entstehung 763. Enoplus 841. Entleerung der Reservestoffe in Samen 257. Eutomostraken 34. Entwässerung der Blattflächen, Be- deutung 308 fg. Entwicklung, experimentelle Beiträge zur Physiologie 609 fg. Eoz0on Canadense 613. Epeira 551. Ephemeriden 104. Ephippigera 118. Epigenesis 515. Epimorphismus 590. Epischura nevadensis Columbiae Forb. 291. Epithel 174. Epitrophie 276. Epoecus 56. Eremobia 117. Ergograph von Mosso 23. Erhaltung der Kraft 633. Erigeron 217. Eriodendron attractuosum, Diageotro- pisınus 666. Ermüdung, Beziehung zu Thätigkeit 23 fg. Ernährung, der Pflanzen 241. Erstempfängnis, Einfluss auf spätere Früchte 262. Ervum Lens 217. Erworbene Eigenschaften, Wesen 516. Esox 111, lucius, Vorkommen 295, Labyrinth - Exstirpation 569. Eucalyptus globosus 216. Euchaeta, Spermatogenese 452. Eucharis multicornis 112. Eudendrium 140, racemosum 140 fg., 682, ramosum 141, 682. Eudorina elegans 391. Euglena acus 34, Reizempfindlichkeit 739, viridis 87, 194, 390, 659 fg., 690. Euglypha 88, alvevlata 19%. Eupagurus 758. Eurytemora 122. Eutainia, Vorkommen 299. und Epithelzelle, Definition geistiger Eutreptia viridis Perty 3%. Evolutionsbegriff 604. Exotropie der Wurzeln 876 fg. F. Fagus silvatica 215, Blattform 276. Familie, Entwicklungsgeschichte 65. Familienleben bei Anthropoiden 66. Färbemethode f. Blutkörperchen nach Seelmann 687. Festschrift für Aug. Weismann 314. Festuca alpina 15, rupicaprina 15. Fette, aus Kohlehydraten 430. Fichte, Reaktion auf Licht 283. Fische, Sinnesorgane 555, Vorkommen in den Alpenseen 292 fg. Fischerei-Verein, deutscher, Preisauf- gaben 446. Ficus, Thigmotropismus 6%. Flagellata, neue Arten 39. Florideen, Befruchtung 863. Floscularia mutabilis Bolt 393. Flügel, regressive Umbildung bei Ameisen 3. Föhre, Reaktion auf Licht 283. Foraminiferen, Art der Kernvermeh- rung 161. Forficula auricularis, Dimorphismus871. Formenphilosophie von H. Driesch 626 fg., 666 fg. Formica sangwinea, Sklaverei 7. Formieina lanestrina, falsche Mimikry 472, mutinensis 412. Frontonia leucas Ehrbg. 391, 396. Froschlurche 167. Fucus 130. Fundulus - Embryo 754. Furchung, Variabilität 350, 361, Wir- kung von Druck 343. Fußbildung der Vögel, Bedeutung für die Systematik 440 fg. Fusus antiquus, Spielarten 869. G. Gallinula chloropus, Behaarung 869. Galvanotaxis 693 fg. (Galvanotropismus 694. Gametophyt 821. 892 Gammarus pulex 108, robustus 291. Garuga, Wachstum 730. Gasheizung 304. (sasteropoden, Embryologie 491. Gastroschiza flexilis Jägersk. 393. Gastrosteus aculeatus L. 70. Gefäßhüllen, bindegewebige und mus- kulöse, Entstehungsursachen 761. Gehirn, progressive Umbildung bei den Ameisen-Neutra 4. (Gelbsucht, der Seidenraupen 63. (emmarienlehre von Haacke 413 fg., 497. Gemmen u. Gemmarien 536. (renerationswechsel 820. Gentilverfassung 68. Geodiden 115. Geoemyda spinosa 204. Geophilus 758. Geotaxis 663. Geotropes 110. Geotropismus, negativer 664 fg., bei Tieren 846 fg. (seraniaceen, Vorkommen 338. Geruchsorgane der Vögel, taxonomi- scher Wert 593. Geruchsplatten 555. Geruchs- und Geschmackssinn, Organe 593 Sg. Geschlechter, Verhältnis beider 752. Geschlechtsapparat, Umbildung bei Ameisen 3. Geschlechtsthätigkeit der Pflanzen, Einfluss auf ihr veget. Leben 286. Geschmackskegel 548. (Greschmackssinn, Verh. z. Geruchssinn bei Wassertieren 545. Geschwülste 169. Gesundheitspflege, Anzeige 304, Ver- sammlung d. Deutschen V. 1894, 607. (sewürze, Einfluss auf Pankreassekre- tion 558. Gibbon (Hylobates), Intermembralindex 989. Glaucothrix 659. Gleichgewicht, Erhaltung 9, 563 fg. Gleichgewichtsapparate bei Wirbel- losen 96. Glenodinium aeruginosum 391. Gliotrichia echinulata 123, 230. Sachregister. Glykogen, Bildung in der Leber 422. Glykokoll, Bildung in der Leber 422. Glykose 430. Gorilla, Intermembralindex 589. Granula, Theorie von Altmann 6%. Graphoderes fasciaticollis 291. Gromia mutabilis Bail 390. Grundzüge der allgemeinen Anatomie und Physiologie 443. Gryllodeen 114. Gryllus 118. Gryllotalpa 118, Mitteldarm 433, Sper- matogenese 452. Gruppenehe (Punaluafamilie) 67. Guanin, Vorkommen 381. Gymnodinium tenwissimum n. sp. 391, 396. Gyrodactylus 239. H. Haematococceus lacustris 663. Haifisch, Sinnesorgane 555. Haliamphora 247. Halieryptus 840. Halictus maculatus 22, quadristrigatus 22, sexcinctus 22. Haliplus flavicollis 100. Hängeblätter bei Tropenpflanzen 310. Hardella thurgi 202. Harmothoe nodosa 839. Harıstoff, Historisches 421, Bildung in der Leber 428. Haustierleistungen, Begründung einer Wissenschaft, auf anatom.-physiol. Grundlage 473 fg. Hautsinnesorgane der Wasser- u. Luft- insekten 150, Unterschied bei Imago und Larve 551. Heleocharis palustris, Geotropismus 669. Helianthus annuus 184, 530, tuberosus 216. ‚Heliconia dasyanthe, Schlitzblätter 312. Heliotropismus 661, 783. Helix arbustorum, Lichtsinn 812, Aor- tensis Lichtsinn 812, pomatia Licht- sinn 812. Hemerocallis fulva 837. Henle’sche Scheide 760. Heterocephalus 869. Sachregister. Heteromorphose 600, definitive 346. Heteropoda, Geruchs- und Geschmacks- organ 553. Himanthalia lorea 860. Hirudineen 554. Hirundo rustica, Eier 560. Hodgkingspreise 480. Höhlenfauna Nordamerikas 267. Höhlentiere, blinde 265. Holopedium gibberum 2%. Holophrya nigricans n. sp. 392, 396. Holothurien, Reizempfirdlichkeit 555. Homöosis, Begriff 874. Hordeum vulgare 193. Hudsonella pygmaea Calm. 392. Hydra 140, 6832 fg., fusca 140 fg., Phototaxis 660, virzdis 140 fe. Hydrachna sanguinea 105. Hydraspis 206. Hydrobia ulvae Penn. 319. Hydroiden, Knospung 140, 682 ig., 725, Thigmotropismus 696. Hydrophilus 550. Hydroporus 100. Hydrotaxis 690. Hydrotropismus 691. Hyphydrus ovatus (ferrugineus) 100. Hyla 167. Hymenomonas roseola Stein 390. Hymenomyceten, Befruchtungsvor- gänge 864. Hymenopteren, Sozialleben 20. Hyphen, chem. Reizbarkeit 691. Hypotrophie 276. Hypoxanthin, Vorkommen 381. I. Idenlehre, Bedeutung f. d. Vererbungs- theorie 514, 1.- Theorie 836. Idotea 104. Ikonoptische Tiere 387. Ilibius subaenus 100, uliginosus 96 fg. Ilyoeryptus acutifrons Sars 391, sor- didus Lievin 391. Infusorien, Verdauung 771. Impatiens parviflora 284. Incestzucht, Folgen 80. Insekten, Keimblätterbildung 363, Meta- und Ametabolie 363. 895 Insektivoren, Pflanzen 247. Instinkte, Entstehung neuer 8, 721 fg, Intermembralindex, Aenderung 586. Inzucht 68. Iridomyrmex 56. Irritabilität, Begriff 543. Isoetes 12. Isomastigoda 395. Isopoden, Extremitätenanlage 779. J. Juncus alpinus 15, bufonius L. 11 tg., compactus Celakövsky 17, $ = Ffascieulatus 17, ranarius Perrier et Songeon 18, supiuns 15, B = viviparus 17. Justicia pieta, Wirkung der Träufel- spitze 306. K. Kachuga intermedia 224, tectum 205. Kälte, Wirkung großer, auf organ. Leben 301 fg. Kandelaberform der tung 730. Kant-Laplace’sche Theorie 677. Karbaminsaures Ammonium, Beteilig- ung am Stoffwechsel 420. Kartoffelkeime, Verhalten zum Licht 2831. Karyoplasma 327. Karzinom 174. Katabolismus 323. Kehlkopf, systemat. Wert bei Vögeln 649. Keimblätter bei Arthropoden 361 fg., bei Crustaceen 363. Kellersee, Plankton 230. Kernteilung, bei Euglena 194, bei Nlagellaten 87, 169fg., bei Metazoen 314, bei Protozoen 314. Kiefer, Umwandlung bei Ameisen 7. Kleinhirn, Exstirpation 495 fg. Kleistogame Blüten, Selbstbestäubung 283. Knöllchenpilz der Leguminosen, parasit. Natur 491. Bäume, Bedeu- 894 Knospung bei Hydroiden 140, bei Me- tazoen, Entstehung und Bedeutung 723 fg., Herleitung aus Regenera- tion 725, Verhältnis z. Teilung 750. Koadaption, Beziehung zur natürlichen Zuchtwahl 2. Konjugation bei Spermien 410. Kontakt, Einfluss auf Bewegungen von Organismen 695. Konvergenz 166 fg. Körnehen, der trüben Schwellung bei „Wipfelkrankheit“ 63. Körnchenströmung 84. Krankheiten b. Blutsverwandtschaft 49. Krebse, Riech- u. Schmeckorgane 552. Kreuzungen 206. Kropf der Vögel, system. Verwertung 99. L. Labyrinthexstirpation 111, Verfahren bei Knochenfischen 569 fg. Lacaze-Duthiers’sches Organ 552. Lacinularia socialis 289. Lage der Pflanzenorgane, Einfluss auf die Gestalt 275. Lamarckismus, Unzulänglichkeit 610. Lamium amplexicaule 284, maculatum 284, purpureum 234. Lamellibranchiaten, Schmeckorgane 553. Landasseln, Riechvermögen 551. Landschnecken, Riech- und Schmeck- organe 553. Lasius 56. Laubfrosch, Vorkommen 299 Leben, Begriff 613, 627 fg. Leber, Rolle beim Stoffwechsel 421 fg., systemat. Wert bei Vögeln 648. Lebermoose, Wachstumseigentümlich- keit 729. Leberzelle, reduzierende Fähigkeit 426. Leguminosen 242. Lembadion bullinum Perty 39. Geruchs- und Lepidium sativum 194, 242, Reiz- empfindliehkeit 735. Lepidonotus squamatus, Vorkommen 839. Leptodora hyalina 36, 290, 656. Sachregister. Leptolinae im Plankton 561. Leptomitus lacteus 446. Lepus ceuniculus dom. 208. Licht, Einfluss auf Blattwachstum 277 fg, auf Kleistogamie 284 fg., Wirkung auf Organismen 661, 731 fg., 784. Lichtsinn, bei 385 fg., 810. Ligia, Entwicklung 779. Ligula 724. Limnaeus, Urnieren 492. Limulus 367. Linaria elatine 284, spuria 2834 fg., vulgaris 217, Einfluss des Lichts 285. Linse, Regeneration bei Triton 619. Linum, negat. Thermotropismus 693. Liometopum 56. Lionotus vermicularis Stokes 391. Liriope cerasiformis 562, minima 562. Litteratur, russisch-zoologische 119. Lithodomus dactylus 388. Lobelia Erinus 284. Locusta 118, viridis 110. Loeustiden 117. Lopezia coronata 284. Lophius 555. Loripes lacteus 388. Lota vulgaris 295. Lucioperca sandra 581. Lumbricus agricola 554, trapezoides, Polyembryonie 727. Lupinus albus 184, luteus 194, 242. Lyriocephalus 168. M. Macrobiotus macrony& Duj. 391, Mor- phologie und Embryologie 582 fg. Macrothrix 290, laticornis Jur. 391. Mactra helvacea 388, stultorum 388. Magen der Vögel, system. Wert 596. Malacoclemmys terrapen 203. Mallomonas var. producta 122. Malva vulgaris 284. Männliche Präponderanz 591. Mantiden 117. Mantis 118. Marmanema velatoides 562. Maßangaben, Bedürfnis nach Gleich- heit 91 fg. augenlosen Muscheln Sachregister, Mastigocerca capucina 123, 393, 495, lata 495, setifera 393. Mastleistung, Ermittelung bei Haus- tieren 474. Mayer, Robert, Mitteilungen aus seinem Leben 780 tg. Medusae, eraspedote 561, Sinnesorgane 559. Megachile, Baukunst 722. Melandrium album 284. Melanismus bei Psilura monacha 61. Melissotarsus Beccarii 58. Mellinus arvensis 23. Melosira distans Ehrb. 641, var. vissima Grun. 653 fg. Menschliche Gliedmaßen, stammesge- schichtliche Veränderung 535. Mesostigma virile n. g. n. sp. 39. Messor arenarius F. 58. Meta 551. Metastasen 174. Microstoma, ungeschl. Fortpfl. 746 fg. Mikroorganismen, Verh. zum Zellleben 481 fg. Mikroskopische Präparate, Sammlungen 718 fg. Milben, Embryonalhüllen 369, Entwick- lung 361 fg. Milchleistung der Haustiere, Ermitte- lung 474. Miliolina seminulum L. 161. Mimikry, Kasuistik falscher 471 fg. Mimonectes, falsche Mimikry 472. Mimulus Tilingi 15 fg., 284 fg. Miszellen 116, zoologische 166, 201. Mitosen, Arten 170. Mitteldarm der Würmer, exkretorische Thätigkeit 838 fg. Moina paradoxa 318. Mollusca, Riech- und Schmeckorgane 950 Moma orion Esp., falsche Mimikry 472. Momocerus plumbeus 267. Monadina 394. Monas vivipara Ehrbg. 88, 194. Monomorum destructor 56, dispar 56. Monostyla ovata Forbes 289. Monsonia, Vorkommen 338. Monstrositäten 219. Morenia Petersii 203. lae- 895 Morphologie und Systematik der Vögel 399 fg., 434 fg., 593 fg., 647 fg. Mucor mucedo 273, stolonifer 273. Muscheln, Lichtsinn augenloser 385 fg. Muscidenlarven, Reaktion aufLicht 661. Muscineen, Chromosomenzahl 828. Mus decumanus 76. Muskeln der Vögel, syst. Wert 406 fg., 434 fg. Mutterrecht 68. Myopie, Vererbung 541. Myriapoden, Keimblätter 365, Riech- organe 551. Myriothela phrygia 151. Myrmieiden 55. Mysis 111 fg. N: Narcissus corbularia, Variation 872, Narcoris cymicoides 96 fg. Nassula ornata Ehrbg. 392. Naturzüchtung 1 fg. Navicula brevis 659, 731. Nemachilus barbatula, Vorkommen 29. Nematoden, Eientwicklung 857. Nemertinen, Entwicklungsgesch. 317. Neophylax, Furchung 758. Neotoma 267. Nepa cinerea 103. Nepenthes 249, albo-marginata 249, paradisiaca 255. Nephelis obscura maculata 290, 4-striata 290. Nephroselmis Stein 39. Nerven, Wachstum 801. Nervengewebe, mikr. Darstellung 479. Nervensystem, Benützung zur Syste- matik der Vögel 441 fg., Ideen zur Entwicklung 265. Neurilemm, Entstehungsursache 759. Nicoria trijuga (var. thermalis) 203 fg., triearinata 203. Niederschläge, Anpassung d. Pflanzen 305, Gehalt an Stickstoff 247. Niphargus 552. Noctiluca 198, miliaris, Kernteilung 314. Nomenklatur 225. Nonne, Naturgeschichte u. Vertilgung der Raupe 59. 896 Notholca acuminata Ehrb. 392, hep- todon Perty 391 fg., lapis Gosse 391 fg., longispina Kell. 392, striata Ehrb. 391 fg. Notommata monopus 495, truncata 495. Notommatadae 494. Notonecta glauca 103. Notops hyptopus Ehrb. 392, lauren- tinus 495, pygmaeus 495. Nukleoalbumine, Verh. zu Nukleinen 376. Nuklein, Synthese 376, 375, Zerfall 379. Nyetia eirrosa, Vorkommen 839. Vorkommen Ö. Oberschenkel Wert 404. Odontomachus chelifer 54, haematodes54. Oedipoda 147, coerulescens 117. Oekonomie des Wachstums, Ursachen 268. Oenothera biennis 217 Ohren der Vögel, Verwertung in der Systematik 593. Oligochaeten, Mitteldarm 841. Oligodynamische Erscheinungen 132. Olynthias 562. Oniscus, Entwicklung 779. Opalinen 38. Ophioglypha lacertosa, Furchung 346. Ophryoglena 397. Ophryotrocha puerilis, &eschlechtsver- hältnisse 316. Opossum, Spermatozoen 411. Orchideen, Agamogerese 260, Thigmo- tropismus 696. Organismus, Begriff 613, 625. Orthogenesis 59. ÖOrthopteren, Darmlänge 116. ÖOrthotrope Organe 728. Osmia 721. Osmunda 827 fg. Os idlei, os pubis, systematischer Wert bei Vögeln 401, 402. Ostrea edulis 388. Ötocysten 110 fg. Ötolithen-Apparate 110 fg. der Vögel, systemat. regalis, Chromosomenzahl Sachregister. Oxydation, im arbeitenden Muskel 430. Oxydationsfermente 432. Oxygenotaxis 690. Oxygenotropismus 691. Oxyrrhis marina 8. r Paarungsfamilie 69. Pachyeondyla villosa 54. Pädagogisch-psychometrische Studien 23, 38, 328. Palaemon 366, 758. Palaemonetes varians, Formen 318. Pallavicinia decipiens, Chromosomen- zahl 828, 860. Pandorina, Zellteilung 599. Pangenesis 269 Pankreassekretion, Physiologie und Pharmakologie 556 fg., Einfluss von Giften und Reizsubstanzen 557. Panmixie, Aeußerung bei Ameisen- Neutra 4 fg., 267 fg. Papilio machaon 318 Paramaecium aurelia 623, 663, saria, Geotaxis 663. Passer domesticus, Eier 560. Patellina corrugata Williamson 162. Pecten, Liehtsinn 386. Pedalion mirum 393. Pelargonten, Vorkommen 338. Pelomyxa 82, palustris 86, Leidy 86, viridis 86. Pelopoeus, Bauinstinkt 722. Pelvetia canaliculata 860. Peneroplis pertusus Forscal 162. Penicillium glaucum 273. Pepton 274. Perca fluviatilis 111, 295, Labyrinth- Exstirpation 570, ovata 112. Perdix cinerea, Eier 560. Peridinium bipes Stein 391, 398. Perimysium, Entstehung durch Rich- tungsreize 763. Peronema trichophorum Ehrb. 390. Peronospora parasitica, Eikern 862. Petromyzon fluviatilis, Befruchtungs- vorgänge 316, Labyrinth - Exstirpa- tion 568. verschiedene bur- vrllosa Sachregister. Petunia vrolacea Lindl. 284. Pezotettix 117. Pfeilgift, neues 338 fg. Pfirsich, Beziehung zur Nektarinen- frucht 870. Pflanzen, Physiologie und Biologie, Fortschritte, 241 fg., 273 fg., 305 fg. Phacus 390. Phalangiden 367. Phalaris canariensis, Reizempfindlich- keit 739. Phaneroptera 116 fg. Phaseolus multiflorus, Blätterentwick- lung 282, Reizempfindlichkeit 739. Pheidole 54 fg. Pheidologeton 54 fg., diversus Jerd. 58. Philodinadae 494. Pholas dactylus, Gesichtssinn 385 tg., Lichtsinn 812. Pholcus 366. Phosphorernährung der Pflanzen 258. Photodermatischer Sinn blinder Tiere 387. Photographie, zur Herstellung Stammestypen 783 fg. „Photometrie“* bei Pflanzen 277, 734. Photoskiopischer Sinn 386. Phototaxis (Heliotaxis) 659. Phoxinus laevis, Vorkommen 29. Phryganiden 96 Phyciodes, falsche Mimikry 472. Phycomyces nitens 273, 697, empfindlichkeit 735. Phyllodoce maculata 840. Physiologie, Aufgaben 631, 709. Physoden 129. Picea vulgaris 827. Pieris brassica 96 fg. Pilze, Chemotropismus 273. Pinguicula 254. Pinus silvestris 826. Pisum sativum, Reizempfindlichkeit 739. Placospongia graeffei 115. Placospongiae, system. Stellung 115. Placospongidae 115. Plagiotrope Organe 728. Planaria albissima Vejd. 746, 773, alpina, ungeschlechtl. Fortpflanzung (Dana) 746, 774 fg., cornuta 749, 771 fg., fissipara Drap. 746, 772, XIV. von Reiz- 8% polychroa 776, subtentaculata Drap- 746, 771. Plankton, im Balaton 33, Pl.-Expe- dition, Ergebnisse 561 fg., Gewicht 656, Neue Station 559, Pl. - Organis- men, Verteilung in Seen 122, Pl.- Wechsel im Plöner See 651, Pl.- Wesen, Periodizität und Vermehrung 226, Pl.-Zählungen 319. Planorbulina mediterranensis d’Or- bigny 162. Plantago major 217. Plasmodien, Verdauung 777. Plastin, Beziehung zu Nuclein 377. Pleuronema Chrysalis Ehrb. 391. Ploa minutissima 103. Ploima 495. Plumatella arethusa 290. Plumularia 140, echinulata 140, 682. Pneumatischer Hammer, bei Labyrinth- Experimenten 579. Poa alpina 15, bulbosa 16, b. vivipara 19, cenisia 15. Poduren-Entwicklung 363. Pollenschläuche, Chemotropismus 691. Polyarthra 122, platyptera Ehrb. 392. Polycelis cornuta O0. Schmidt 746, 749 fg, felina 749. Polyeladen-Darm, Entstehung durch Richtungsreize 764. Polyergus rufescens, Sklaverei 7 fg. Polygonum bulbiferum 15, fagopyrum 184, viviparum 15. Polygordius, Reizempfindlichkeit 731. Polynoidae, Mitteldarm 839. Polyommatus phloeas 318. Polyphemus pedieulus 290. Polyspermie 318. Polystomella erispa L. 162 fg. Polytoma wvella 87, 194. Pompilus apicalis 21, octopunctatus 22. Poneriden 54. Populus tremuloides 309. Portesia chrysorrhoea, Phototaxis 660. Priapulus 840. Pristina lacustris 290. Proceratium 59. Promiskuitätstheorie von Morgan 66. 7 coceineus \1, 898 Prorodon farctus Clap. L. spec. 391, teres Ehrb. 391. Proteinstoffe, Veränderungen b. Stoff- wechsel 418. Protisten, Galvanotaxis 694. Protoplasma, Begriff 621, teile 326. Protospongia 373. Protozoen 34, 82, neue 390. Psammobia vespertina, Lichtsinn 386 fg. Pseudemys 202. Pseudotremia cavernarum 267. Pseudoviviparie 11. Psilura monacha L.59, var. eremita O.61. Psophus 117. Psyche helix, Mimikry 473. Pterotrachea, Eientwicklung 857. Pyrrhocoris, Mitteldarm 433. Pyxis 206. Bestand- R. Radiola linoides 213. Raja asterias 202, mireletus 202. kana esculenta 167, temporaria 166, Eifurchung 340 fg., Spermatogenese 452. Ranatra linearis 103. Rankenwachstum, Wesen 696. Rattulus sulcatus 495. Reduzierende Eigenschaft der Gewebe 425. Regeneration bei Turbellarien 748. Regressive und progressive Umbil- dungen 3 fg. Reiz, Begriff 633. Reizbarkeit der Pflanzen 273 fg. Reizphysiologie, Bedeutung für die Ontogenese 657, 689 fg., 727 fg., 753 fg., 800 fg. Reizschwelle f. Chemotaxis 689, Defi- nition 734. Reizstimmung 730. Reizstoffe f. Pflanzenbewegungen 214. Reservestoffe der Samen, Ursache der Entleerung 256. Rhea 402. Rheotaxis 694. Rheotropismus 694. binocularis 202, Sachregister. Rhinops vitrea Hudson 392. Rhizobium 242. Rhizota 495. Rhus corinus 307, glabra 307, toxico- dendron 307, typhinus 307. Rhynchonella psittacea 841. Richtungskörperchen, Wesen 858. Riehtungsreize im Tier- und Pflanzen- reich 659, Bedeutung in der Onto- genese 753 fg. Riech- und Schmeckwerkzeuge der Insekten, Prinzip 548. Riechtasten 545 fg. Robinia 275. Rohrzucker, ehemotaktische Wirkung auf Laubmoossamen 689. Ropalonema velatum 562 fg. Rosa livida 8324. Rotatorien, Vorkommen 300, 494 Tg. S. Sacculus viridis Gosse 39. Sachs’sche Nährlösung 485. Saison-Dimorphismus japan. Schmetter- linge 318. Salamandra maculosa, Versuchsobjekt für Chromosomenzählung 449 f. Salmo fario, Vorkommen 295, la- custris 294 f. Salmoniden 447. Salpa bicaudata 843, costata 843, de- mocratica, embryonale Entwicklung 841 f., pennata 845. Salpina macrocerca 49. Salvelinus Nemeyensh, Vorkommen 295, umbla 295. Salvia verbenacea 281. Sambucus nigra, Träufelspitze 306. Samenschuppen, Wesen 878. Saprolegnia ferax 273, Eientwicklung 862, Chromosomen 865. Sarcocaulon, Vorkommen 338. Sarkom 174. Sarracenia 244, Drummondi 248, flava 248, illustrata 251, psittaenia 248, purpurea 248, rubra 248, variolaris 248. Saxifraga cernua 15, nivalis 15, stel- laris 15. Sachregister. Scapholeberis mucronata 290. Scapula bei Vögeln, systematischer Wert 399. Scardinius erythrophthalmus, Vorkom- men 295, Labyrinth-Exstirpation 593. Schiefblätter 296. Schilddrüsen, Sekretion 411 f. Schildkröten, Zeichnung 201. Schizocerca diversicornis 393. Schlaffsucht (Flächerie) der raupe 63. Schlangen 167, 203. Schleuderzunge 166. Schlitzblätter, Zweck 312 f. Schmeckorgane bei Insekten, innere ‚und äußere 550. Schmetterlinge, Polymorphismus 318, chemotaktische Erregbarkeit 690. Schwammspinner 60. Schwann’sche Scheide, Entstehungs- ursache 759. Schwerkraft, Wirkung auf frei be- wegliche Organismen 663. Seiadopitys, Doppelnadeln 880. Seirpus maritimus, Geotropismus 665, a2. Scolia 126, 722. Seolopendrium, Verhalten zur chemi- schen Lichtintensität 231. Scorpion, Dotterzellen 367. Seyphomedusen, Knospung 726. Seen, Fauna hochgelegener 287 f., Be- völkerung 298. Seestern, Reizempfindlichkeit 554. Seitenorgane bei Fischen und Amphi- bien 555. Selektion, positive und negative 7 f. Selektionstheorie Darwin’s 223, Kri- tik 609 f. Selektionswert kleinster Variationen 5. Sempervivum tectorum, Verhalten zur chemischen Lichtintensität 281. Sensibilität, definition 544. Serpula uncinata 662. Sertularella polyzonias 140 L, Heliotro- pismus 662 f., 666, 730. Sida erystallina 290. Sigaria minutissima 301. Stilene noctiflora 290. Stimocephalus octulus 290. Seiden- 899 Sinapis alba 184. Sinnesorgane, spezifische Definition 545, phylogenetischer Funktions- wechsel 545. Sinnesthätigkeit, Definition 543. Sinn, Definition nach der Art der Reizform 544, Primitiv-S., abge- leitete 544. Siphonen, Empfindungswerkzeuge der Muscheln 387. Sklaverei bei Ameisen, Beziehung zur Vererbung und Selektion 7 f. Solecurtis strigillatus 388. Solen ensis 388, siliqua 388, vagina 388. Solenopsis 56 f., fugax, Verhalten des Eierstocks 6, geminata, nigella 56. Solidago serotina 217. Somatische Zellen, Zusammenhang mit den reproduktiven Zellen 264. Somatotropismus 697. Soziologie, Zusammenhang mit der Biologie 65. Sparganium ramosum, Geotropismus 665, 732. Spatangidae 371. Specularia perfoliata 284. Spelerpes fuscus 166. Spengel’sches Organ 552. Sperma des Dytiscus marginalis, Eigen- tümlichkeit 408 f. Spezifizität der Zellen 169. Siphacelaria 131. Sphaeroeca volwox n. g. n. Sp. 394. Sphaeroplea annulina, Spermatozoen 862. Spharges (Dermatochelys) coriacea 206. Sphendon 201. Sphex 7122 Spielarten, nackte, behaarter Tiere 869. Spinnen, Embryonalhüllen 369, Riech- sinn 551. Spirillum bodo 744, undula 731, 744. Spirographis 662, Spallanzanii, Licht- sinn 811. Spirogyra 132, Vorgänge im Ei 865, crassa 829, polytaeniata 829. Spirostomum ambiguum 623. Sporophyt, Bezeichnung 821. Squalius Leueiscus 581. Stauroneis 661. 57 * 900 Staurophrya elegans Zach. 227. Stellaria media 284 f. Stenactis annua 7. Stenostomum Langi 746. Stentor caeruleus 623, igneus fuligi- nosus Forbes 2839. Stereotaxis 695. Stereotropismus 695, bei Tieren 846. Sterilisierung von Pflanzensamen 483, lebender Tiere 490. Sternothaerus adansoni 203, derbyanus 203 f. Sterrastros 115. Sterraster 115. Steteophyma 117. Stickstoff, Assimilation bei Pflanzen 241. Stoffreize, Wirkung auf Bewegung der Organismen 689 f. Strongylognathus 56. Struthio 437. Stütz- und Bewegungsorgane, Ana- tomie 434. Stylaria lacustris 290. Subularia aquatica 12. Symbiose bei Leguminosen 491. Süßwasserstation, biologische in Mli- nois 589. Synapta digitata 343 fg. Synchaeta pectinata Ehrb. 392, sty- lata 495, tremula Ehrb 49. Synura uvella Ehrb. 391. Systematik, Problem 697. a Tachytes 722. Taenia coenurus, Knospung 12, solium 724. Tapes (Venus) decussata 388. Tardigraden, Morphologie 582 fg. Tastorgane der Insekten, Zweck 549. Taurin, Bildung in der Leber 422. Tegenaria 551. Telegonie 9 fg. Teleologie, Betrachtungen 712 fg. Tellina complanata 388, nitida 388. Temperatur, Einfluss auf Pflanzen- wachstum 731. Tenebrio molitor, negat. Phototaxis 661. Sachregister. Terminologie, klinische von Roth 64. Termiten 54. Tetragonia 216. Tetracrinus, Spielarten 870. Testudo (Chersine) angulata 206, (Ho- mopus) areolata 206, calcarata 206, elegans 206, (Homopus) femoralis 206, fiski 206, geometrica 206, graeca 206, Horsfieldi 206, ibera 206, marginata 206, micerophyes 206, nigrita 206, oculifera 206, pardalis 206, platy- nata 206, radiata 206, tabulata 206, trimeni 206. Tetramorium caespitum 56. Tierschwarm 37. Tierzucht, Aufgabe der wissenschaft- lichen T. 476. Thamnotrizon apterus 118, einereus 118. Theridium 366, maculatum, Eier 756 Thermotaxis 693. Thermotropismus 693. Thigmotaxis 696. Thigmotropismus 697. Thorax der Ameisen, regressive Um- bildung 4. Thylakidium truncatum Schew. 398. Tibiofemoralindex 590. „Tierreich“, Programm f. d. Werk 344. Tierzelle, Verhältnis zu Mikroben 488. Tinca vulgaris, Vorkommen 295. Tintinnidium fluviatile Stein. 392. Tomognathus 56. Torricelli’sches Theorem 698. Toxalbumin im Pfeilgift N’ywa 338. Torpedo narce 202, ocellata, Kerntei- lung 315. Träufelspitze bei Blättern, Bedeutung 305 fg., bei fossilen Blättern 310. Trachea, system. Wert bei Vögeln 648. Trachelomonas 360, volvocina 194. Trachemys 202. Trachylinae im Plankton 561. Tradescantia Selloi 258, 273. Transversalgeotropismus 665. Transversalheliotropismus 662. Traubenzucker 274. Triarthra longiseta Ehrb. 392. Trichia fallax, Chromosomenzahl 830. Trientalis europaea 732. Sachregister. Trionyz cartilagineus 203 fg., ferox 202, formosus 202, gangeticus 202, hurum 202, leithi 202, sinensis 202, spinifer 202, subplanus 205. Triticum spelta 102, vulgare 217. Triton palmatus, Spermatogenese 453, taeniatus 619. Troglophilus 116. Tropaeolum majus 284, 850 fg. Tropismen, in der Ontogenese 300. Truncatulina lobatula Walker 162, Jakob 162. Trutta lacustris, Polyspermie 315 fg. Tubularia 372, mesembryanthemum, Wachstum 847. Tunicatae, Geruchs- und Geschmacks- organe 553, Knospung 725. Turbellarien, Vorkommen 300, unge- schlechtliche Fortpflanzung 745 fg, 771 fg., Entwicklung durch Rich- tungsreize 765, Tropismen in der Entwicklung 805. U. Ueberzählige Glieder 870. Ulme, Blatt 276. Ulothrix tenuis Kg. 663, negat. Geo- taxis 663, Geschlechtsdifferenzierung 854. Unfruchtbarkeit terinnen 7. Ungeschlechtliche Fortpflanzung bei Turbellarien 775. Unio, Centrosomen Lichtsinn 813. Universalsinnesorgane 646. Unterscheidungsvermögen des Tast- sinns, Beziehung zur nat. Zuchtwahl 264. Unterschenkel Wert 405. Uranoscopus 555. Urceolus Alenitzini Mereschk. 390. Uredineen, Beiruchtungsvorgänge 864. Urethan, bei Kaninchen-Narkosen 556. Urnieren bei Süßwasserpulmonaten 492. Uroglena volvox 230, 391, 395. Urostyla grandis, negat. Geotropis- mus 663. der Ameisen - Arbei- 325, pietorum, der Vögel, systemat. 901 Urteilsfähigkeit bei Tieren (Muscheln) 389. Urtiearia dioica, Träufelspitzen 306. Ustilagineen, Befruchtungsvorgänge 864. Utrieularia 252, intermedia 254, vul- garis 254. v. Vakuole, kontraktile 89, 625, Verhal- ten bei der Verdauung 778. Vanessa lavana 4712, prorsa 412 Variation, der Arten 866, diskonti- nuierliche 867, Einteilung 872. Varietäten und Variationen 219 fg. Vaucheria elavata, Chemotaxis 690, 861. Veilchen, Blütenentwickelung 284. Venus gallina 388, verrucosa 388. Verdauung bei Infusorien und Plas- modien 777 fg. Verdauungsorgane der Vögel, taxono- mischer Wert 594. Vererbung, erworbener Eigenschaften 71, 224, 269, 513, 796, V.- Theorien 443 fg., 721 fg., V., neue Schrift 598, V.u. Variation, Auffassung 867. Verholzung 138. Veronica buxbaumiü 284, chamaedrys, Entwässerung der Blätter 307, Ata- vismus 872. Viburnum americanum, Blattform 309, opulus 309. Vicia faba 181, Geotropismus 665, sativa, Blattwachstum 280. Vitelloeyten 369. Vitis, Wachstumserscheinungen 734. Viola odorata 284, Blütenentwickl. 284. Viviparie bei Pflanzen 16, echte 19. Volwox, Entwieklung der Geschlechts- produkte 373, minor, Vorkommen 391, Zellteilungsmodus 598, globator, Ei- entwicklung 858. W. Wachstumsleistungen d. Pflanzen 177. Wachstumsrichtung der Organe, Ein- fluss von Stoffreizen 690. Wanzen, Vorkommen 189, Wasser- W. 103. Wärme, Einfluss auf Organismen 693. 902 Wärmeregulierungskraft der Warm- blüter 302. Wasseramphibien, Sinne 555. Wasserkäfer 100 f. Wasserschnecken, Riechorgane 552. Wasserströmungen, Wirkung auf Or- ganismen 694. Weber’sches Gesetz 735. Wechselsinnesorgane 387, 546. Wersmanella, neue Gattung 319. Wespengesellschaften 22. Winterfauna der Oberrheinebene 390 f. Wipfelkrankheit der Nonnenraupe 62. Wirbeltiere, Litteratur 120. Wurzeln, Wachstumsverhältnisse 736, neue Eigenschaften 876 f. Definition X. Xanthin, Vorkommen 381. Xtlotrupes gideon, Variationen 871. Xylocspa, Instinkt 721. Ye York Madeira, Bastard 852. Sachregister. 2. Zähne der Vögel 594, zur Entwick- lung 874. Zea mais 183, 217, 257, pos. Thermo- tropismus 693. Zelle, Studien 169, physiol.-chemische Untersuchungen 320 fg., 375 fg., Er- nährung 417 fg., Z.-Körner bei Pro- tozoen 690 fg., Z. u. Gewebe, Grund- züge 443 fg., Z.-Theorien 443 fg,, Bewegungs- und Reizerscheinungen 443 fg., Bildung und Befruchtung 443 fg., als Organismus 443 fg., Z.- Kern, bez. zu Protoplasma 443 fg., Vorlesungen von Bergh 478 fg. Zeliteilung 352, Einfluss des Druckes 340. Zell-Leben, Verhältnis zu Mikroorga- nismen 482. Zoocorrente (Tierschwarm) 37. Zuchtwahl, natürliche, Beziehung zur Vererbung 1 fg., Unzulänglichkeit 230, 259 fg. Zwitter, Vorkommen bei Ophryotrocha puertlis 317 fg. ra Eu © MBL/WHOI LIBRARY [4 | ii 5 “ # i fan % RER": zZ FERN AR ERROR Re ee nn ee ee nn ET ee et a ee erneriernn .w Ba, Pr Ben een an er ET een Bu ccr DT TER a an ee en ne eu Re