MARINE BIOLOGIGAL LABORATORY. Received Accession No. Given by Place, *,*No book or pamphlet is to be removed from the Lab- oratorrwibhout the permission of the Trustees. Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Professor in Erlangen Professor in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Sechszehnger Band 1896. Mit 63 Abbildungen. Leipzig. rer ame Evzorne Di deusarredı De 870.100. (Arthur Georgi.) 1896. K. b. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Junge & Sohn) in Erlangen. Inhaltsübersicht des sechszehnten Bandes. 0 = Original, BR = Referzt. Seite Mhomas Huxley2O) „2... RTL 1 Heinricher, Iris pallida Lam. ahlapeah das a apnien einer a: Grund atavistischer Merkmale vorgenommenen Züchtung und ihre Geschichte O0 13 Poirault u. Raciborski, Ueber Kerne und die konjugate KernteilungJOÖ) ... 2... en a MUCH UN ee ET RA Zacharias, Sucher-Okular mit Meisplende Dr EEE ernet Be ale Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich 0 . . .. . 33 Nagel, Ueber eiweißverdauenden Speichel bei Insektenlarven 0 . „5, 103 Beer, Die Accommodation des Fischauges R . . 2. 2 2.0. 2.02... 58 Beer, Studien über die Accommodation des Vogelauges R . .. . 39 Zacharias, Ueber die natürliche Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen O . . . rt 260 Haeckel, Systematische Phalanene der Pectisten. and Planzen R 126 Hansteen, Studien über Weiden und Wiesen in den norwegischen Hoch- gebirgen O.... ..,. 81 Dreyer (Roux), ee von Eonschnnseh in lehenaspaetzlicher ad mechanisch-ätiologischer Hinsieht 2..." „nu us ans ah. 84 Leydig, Koprolithen und Urolithen 0 RR 101 nn, Ueber Th. J. Huxley’s "pädagogische ı ri | philosophische Ansichten im Gebiete der Biologie O . . ; UI IE BEE 165) Wagner, Ueber den Bauinstinkt der Spinnen R Aa Be a ee) Rywosch, Zur Biologie der Tardigraden 0. . . . 122 Nuttall u. Thierfelder, Tierisches Leben ohne Bakterien; im erdan- ungskanal R . . 123 Möbius, Ueber Entstehung und Bedantang ne zeschlechtichen "Fort. pflanzung im Pflanzenreiche O . . . A 129 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Bnsslanı) R IR ELIRATE 153, ‚660, 695 Weinland, Neue Untersuchungen über die Funktionen der Netzhaut nebst einem Versuche einer Theorie über die im Nerven wirkende Kraft am Allgemeinen,.R, .. 1y.,ch alfa anstelle ds 178 Möller, Brasilianische Pilzblumen R .... a a, SO Schimkewitsch, Zur Frage über die Inzestancht o rllele us a 17 674 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale 0 181, 209, 267, 374, 392 Friedlaender, Be über den Bau der markhaltigen Nerven- Fasern. ON. A aradinn! ans ehl Ortmann, Grundzüge der marinen Tiergensaphie R nal aastkrlan He 208 Die Wirbeltiere Thüringens nach F. RegelR .... 208 Fleischmann, Lehrbuch der Zoologie, nach ernkogenakischon Gesichter in bee ne eve nee. 24208 IV Inhaltsübersicht. Seite Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung O 231 v. Lendenfeld, Report on the Scientific Results of the Voyage of HaNMS: NChallengpen ee A has or Pintner, Versuch einer keller kelhen Erkläcing ges Mekrachynehen rüssels O.. s 5 258 Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwickinhesmechanile R : 277 Deene Zur Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere, zu- gleich ein Beitrag zur Stammesgeschichte dieser Tiergruppe R 283 Rodet, De la variabilit& dans les microbes. Au point de vue morpho- lostue et physiologique R . ; 296 Rosenthal W., Beobachtungen über die Variabilität den Bakterienverbände und der Kolonieformen unter verschiedenen physikalischen Beding- ungen R . 302 Garbowski, Zur Notiz. ; 304 Sernoff, Die Lehre Lonbe of 8 do ihrei anstehen Grunälkten im Tichte moderner Forschung (Deutsch von Weinberg) O 305 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie OÖ 344 Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens O . . . . EIN 308 amanaa) Ueber die Begriffe „Evolution“ und Enigenegee OR: 368 v. Lendenfeld, R. Hesse’s Untersuchungen über das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen R . ... ee 371 Helm, Einige Beobachtungen über die Frühfliegende Eledermaus Budo oo (Daubenton) O. . 5 383 Voigt, Beddard’s Oligochaeten - Mensen a L 385 Oppel, Ueber die Funktionen des Magens; eine ohyaielogiäche Krane) im Lichte der vergleichenden Anatomie O ADRIA ESBIRLENEN 406 Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische O0. . . 2 2.2.2. 410 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? R y 417 Reinhar A, Zur Frage über die amitotische Teilung der Zellen 0. 420 zur Strassen, Riesenembryonen bei Ascaris 0 426 Imhof, Fortpflanzung des Aales O r 431 Eisler, Die Homologie der Extremitäten O0 433 Exner, Die Funktion der menschlichen Haare O ER 449 Popoff, Weiterer Beitrag zur Frage über die Histogenese der Kleinhirn- rinde OÖ 462 Standfuss, Bandpuen der palia Kirschen Gröndehmererlinne für For sche und Saint Rasa BET EA Fürbringer, Uxtersuchungen zur Morpholbkie ai Systemaäik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane R 472, 497 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen O . . . 481, 529, 817 Parker, Vorlesungen über elementare Biologie R 526 Bauer, Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Sehsale in dem Vogeleiern 301, n2ei0"} DES EIER I NODENIEAE Wallengren, Einige neue eiliate Infusorien 0x : ee ARE DAT Roux, Berichtigung zu dem Artikel in Nr. 9 d. Bl. von H. Driesch über die Maschinentheorie des Lebens . 556 79. Versammlung der Schweizerischen atasforschönden Gesellschaft. am 2. 9. August 1896 in Zürich. Dee ra ae Balak: 559 Inhaltsübersicht. V Seite Internationaler Kongress für Medizin in Moskau 1897 . . . 2 2 2.2..559 Zacharias, Notiz . . . HN ae ale ir 560 Möbius, Uebersicht der Mhoörien über die a in den Pilanzenm Os... 0... EUIENA 561 Lombroso, Die neuesten en Entdeckungen zur Anthropologie der. Verbrecher. O.r277... SUPER SEN ET Lebedinsky, Zur remis klanenseschiehte Bar Nemertnen Nr LET Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise in den Molukken und in Borneo, im Auftrage der Senckenbergischen naturforschenden Gesell- schaft auf Kosten der Rüppellstiftung ausgeführt von Professor Dr. Ww>..KükenthalR 3.00%. 8. U586,4074 Zopf, Zur biologischen Bedeutung der Hlochleh-suren 0 uch Lindner, Studien über die Biologie parasitischer Vorticellen O . . 610 Haacke, Berichtigung zu dem Referat von „R.“ über Kükonthäl, „Ergebnisse einer De Forschungsreise in den Molukken und in Borneo* . . el IE er RI Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sa shsen o Rt, 638 Strasburger, Noll, Schenk u. Schimper, Tobchach der Botanik für Hochsehulen, Rı zum. ar; 654 68. Versammlung deutscher Naratlarscher endı Keräte, in Hrankfar a m. 655 Kogevnikov, Zur Frage vom Instinkt O0. .... 697 Spuler, Ueber das Vorhandensein von ee bei den Schmeeter- lingen O . . Ma: 678 Boulenger, Gatalogie of ho Shake in the British lan) R 320.7 1680) Imhof (de Guerne und Barrois), Die Binnengewässer-Fauna der Azoren BR .. Be N ee ac Re 307 088 Haeckel, etematsche Ehylogonie R. BER URBAN ER. RT 708 Lindau, Tichonelosische Untersuchungen R. . . . . 712 Zschokke (Zacharias), a aus eelseoh Station zu, Plon Rs: A EDIT DRRE PART ET I SE”: Rees, Lehrbuch der Botanik Bi ER : a zalke) Keller, Fortschritte auf dem Gebiete (den Planzenpiseielasie und -biologie R . . a le 30122103, 180 Schlater, Einige Gedenken über il Noeaıng o 29.%.168952732,2 765,795 Baer, Beiträge zur Kenntnis der Anatomie und Physiologie der Atmungs- oe bei den Vögeln R . .. . 745 Kennel, Studien über sexuellen Dimerpre akakion an ohrähllte Biecheiiugen anslier Re ON AH Huppert, Ueber die haltung der Are Eigenachaften BR Me ei LO) Nagel, Der Lichtsinn augenloser Tiere R .... 752 v. Lendenfeld, Die physiologische Bedeutung der Dia bei Ber fliegenden Tieren 0. . ee te ee ee NA Binz, Der Aether gegen den le elinerz R en a har TTS een Behrbuchider, Ayrıkulturehemie By =lherssım 12° 0 ra Ur 7784 Zacharias, Monatsmittel der Plankton- Volumina O0 . . 2 .2.2.2...803 Arthus, Nature des Enzymes R . . ; 813 Hatschek und Cori, Elementarkurs der za onie) in fünfzehn Vor lesungen R. . Men 85819) Rawitz, Leitfaden für Bretolopinehe Unteredchungen Dr BR Aa th lc VI Inhaltsübersicht. Seite Brandes, Ueber den vermeintlichen Einfluss veränderter ErEihrung‘ auf die Struktur des Vogelmagens O0. . . - Dan 1 3898 Brandes, Die Entwicklung von Ascaris heinbrakäides) o ala. 2 2839 Neue Arbeiten über Blutgerinnung R. . ... agent. 844 Schmeil, Deutschlands freilebende Süßwasser- een R RT USA Knauthe, Fortpflanzung des Aales O0. ... Be N. BET, Schulze, Zellmembran, Pellieula, Cuticula und sin ) N a ern Faser 7) Heymons, Ueber die abdominalen Körperanhänge der Insekten 0 . . 854 Eismond, Anwendung von Mikrophotographie zur Anfertigung genauer Abbildungen O0 . . \ END A ER ei PRDART NS6E Rauber, Die Hogeneraen der Krystalle NE TER EHER UNE 865 Mitteilungen aus der biologischen Gesellschaft zu Christiania: 1. Wille, Exemplare einer für Norwegen neuen Alge, Spirogyra rivu- larıs Kalbh!nO) su van Hay 124 2. Wille, Resultate einiger ee Untersuchungen. aber Organismen im Christiania- Trinkwasser O. . ... 125 3. Wille, Früchte und Blätter eines Pfropfbastards von einer auf Weiß- dorn (Crataegus oxyacantha L.) veredelten Birne O0. . ... 126 4. Johannessen, Bemerkungen über die Behandlung atrophischer Kunder in der2Couveuse O0. 21.2. 127 5. Guldberg, Ueber die Zirenlanhaysekung. als kiansche (Erundbersakung, ihre Ursache, Phänomenalität und Bedeutung O0 . ... TS) 6. Guldberg, Ueber die morphologische und funktionelle Asunonetmie der Gliedmaßen beim Menschen und bei den höheren Vertebraten O . . 806 Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: 1. Nussbaum, Die mit der Entwicklung fortschreitende Differenzierung der.Zellen zum Dr RI EREINRIEN LARA TERTI 2. Wiesner, Beiträge zur Kenntnis des tropischen Regens . . . . . 239 3. Gjokie, Zur Anatomie der Frucht und des Samens von Viscum . . 718 4. Wiesner, Untersuchung über das photo-chemische Klima von Wien, Buitenzorg und Cairo . . . 2.719 5. Wettstein, Die europäischen Anton der Gettuhg Eentiaail aus der Sektion Endotricha Froel. und ihr entwicklungsgeschichtlicher Zu- sammenhang . . . a LOTT AREE FRIEDEN 819 6. Molisch, Die Ernährung der Alben LaDEALzRR KREIEREN E89 Berichtigungen. S. 673 Z. 8 v. o. statt: Norm der Geburt lies: Norm der Geburtshelfer (soll heißen: der von den Geburtshelfern angenommenen Norm). . 703 Z. 4 v. o. statt: Längskopf-Bogen lies: Längs-Kopfbogen. S. 707 2.8 v. u. ist unter die Worte Prozent-Verhältnis zu setzen: zur Körper- größe — zur Armlänge. S. 708 2.2 v. u. statt: nicht russischen Litteratur lies: meist russischen L. Id pi Biologisches Centralblatt unter’ Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI. Band. kann 1896: Nr. 1. Inhalt: Rob. Keller, Thomas Huxley. — Heinrieher, Iris pallida Iıam., abavia, das Ergebnis einer auf Grund atavistischer Merkmale vorgenommenen Züchtung und ihre Geschichte. — Poirault u. Raeiborski, Ueber konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. — Zacharias, Sucher-Okular mit Irisblende. Thomas Huxley. Am 29. Juni 1895 starb in London ein Naturforscher, der wohl einer der geistreichsten und unerschrockensten Vorkämpfer der Ent- wicklungslehre war, ein Mann, der nicht nur durch seine zahlreichen Untersuchungen, die alle Gebiete der Zoologie beschlagen, sich ein bleibendes wissenschaftliches Verdienst erwarb, sondern auch dureh das Geschick, mit dem er es verstand, die fundamentalen Probleme seiner Wissenschaft weitesten Kreisen zugänglich zu machen, sich einen Namen als Lehrer des Volkes schuf, der für ihn nicht minder ehrend ist, als der des großen Gelehrten. Thomas Huxley, dessen Klarheit der Vorstellung, dessen kri- tisches Urteil in gleicher Weise seinen wissenschaftlichen Untersuchungen, wie seinen populärwissenschaftlichen Darstellungen, seinen spezielle Gebiete beschlagenden Publikationen, wie seinen Lehrbüchern eigen ist, starb im Alter von 70 Jahren. Am 4. Mai 1825 wurde er in Ealing, einem kleinen stillen Dorf, das sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer Vorstadt Londons entwickelte, die heute ca. 30000 Einwohner zählen mag, als Sohn eines Lehrers geboren, körperlich und geistig, wie er in seiner Autobiographie sagt, der Sohn seiner Mutter. Als er heranwuchs, war das Ziel seiner Wünsche ein Maschinen- ingenieur zu werden. Das Schicksal wollte es jedoch anders. Der Einfluss eines heilkundigen Schwagers ließ ihn noch jung das Studium der Medizin ergreifen, ohne dass er dem Lieblingswunsche seiner Jugend sich dadurch entfremdet hätte. In launiger Weise erzählt der Greis xVl. 1 ) Thomas Huxley. re . von seinen Studien: „Obwohl nun das „Institute of Mechanical Engineers“ mich gewiss nicht aufnehmen würde, glaube ich fast immer eine Art Maschineningenieur „in partibus infidelium* gewesen zu sein. Mit Entsetzen denke ich jetzt zuweilen. daran, wie wenig ich nach der Medizin als Heilkunst je gefragt habe. Die einzige Seite meines Be- rufsstudiums, die mir ein wahres und tiefes Interesse einflößte, war die Physiologie, die ja die Maschinenlehre des lebenden Mechanis- mus ist. Das Sammeln habe ich nie betrieben und Spezialistenarbeit war mir stets eine Last. Was mich interessierte war das Architek- tonische und Maschinelle in der Naturwissenschaft, das Erkennen des wunderbar einheitlichen Plans in den lebenden Konstruktionen und der Modifikationen ähnlicher Apparate zur Erfüllung verschiedener Zwecke“. Sein erstes anatomisches Studium geht auf sein 13. Jahr zurück, in welchem ihn ältere Studiengenossen zu einer Sektion mitnahmen, ein Gang, auf welchem sein außerordentliches Interesse für den Mecha- nismus komplizierter Lebewesen ihm fast hätte verderblich werden können. „Ich war, schreibt er, immer für die Unannehmlichkeiten empfindlich, die mit anatomischen Studien verknüpft sind; jetzt aber wurden alle anderen Gefühle von meiner Wissbegierde überwunden und die Untersuchung fesselte mich für zwei bis drei Stunden. Ich habe mich nicht dabei geschnitten; es stellten sich auch keine der gewöhnlich nach Infizierung mit Leichengift eintretenden Symptome ein, aber vergiftet war ich doch irgendwie nnd ich erinnere mich, dass ich in einen seltsamen Zustand von Apathie versank. Das Letzte, was zu meiner Heilung versucht wurde, war ein Aufenthalt bei guten Leuten, mit denen mein Vater befreundet war und die eine Farm mitten in Warkwiekshire bewohnten. Ich weiß noch, wie ich an dem klaren Frühlingsmorgen nach meiner Ankunft vom Bett zum Fenster wankte und es weit öffnete. Mit dem hereinströmenden frischen Luftzug' schien mir das Leben wiederzukehren und noch lange blieb ein schwacher Holzrauchgeruch, wie er damals früh morgens über den Hof hinüber- wehte, für mich „süß wie der Südwind über Veilchen streifend“. Ich genas bald, aber noch Jahre lang litt ich an gelegentlich wieder- kehrenden inneren Schmerzanfällen und auch meine beständige Freundin, die hypochondrische Dyspepsie, hat dazumal ihre Wohnung in meinem fleischlichen Tabernakel aufgeschlagen“. Huxley gibt sich nicht das Zeugnis eines fleißigen Studenten, der all die mannigfaltigen Gebiete, die den Inhalt seines Berufsstudiums ansmachten mit gleichem Eifer und gleicher Liebe gepflegt hätte.‘ Ein Gebiet aber zog ihn mächtig an, die Physiologie, die Herr Whaston Jones lehrte, ein Dozent „dessen reiches, präcises Wissen einen tiefen Eindruck“ auf den jungen Huxley machte. Seiner Liebe und Ver- ehrung für diesen Lehrer gab er durch eisernen Fleiß Ausdruck. Thomas Huxley. 3 Ein glücklicher Zufall verschaffte ihm bald nach Vollendung seiner Studien die Gelegenheit als Schiffsarzt auf der „Rattle snake“ eine vierjährige Reise nach Australien zu machen (1846—1850). Dem Studium der interessantesten Formen der niederen Tierwelt, die das Meer be- völkert, den Siphonophoren, jenen schwimmenden Quallenpolypenkolonien, deren Organisation auch heute der Zoologen Aufmerksamkeit immer wieder auf sich zieht, da sie in so trefflicher Weise den Einfluss der Arbeitsteilung auf die Differenzierung der zum Tierstock vereinten Individuen erkennen lassen, sind die Veröffentlichungen aus dieser Zeit gewidmet. Im Jahre 1854 erhielt er an der kgl. Geologenschule die Lehr- stelle für Paläontologie und Naturgeschichte, die er, trotz seines Vor- satzes bald ausschließlich der Physiologie sich zu widmen, 31 Jahre innehatte. Sie ließ aus dem jungen Physiologen den Gelehrten werden, dem kaum ein Teil der Zoologie im weitesten Sinne fremd blieb, den Gelehrten, der in jungen Jahren schon den Ruf eines tüchtigen Forschers genoss. Denn, wo er eingriff, mochte es das Gebiet der vergleichenden Anatomie, der Ontogenie oder Paläontclogie beschlagen, überall wirkte seine Arbeit befruchtend, selbst bahnbrechend. Der Ruf eines überaus klaren Denkers, objektiven, wenn auch scharfen Kritikers war ihm längst geworden, als die größte That auf dem Gebiete der biologischen Naturwissenschaften sich vorbereitete, Darwin’s Publikation der „Entstehung der Arten“. Dass Dar- win ganz besonders auf Huxley’s Urteil und Aufnahme seines Werkes zur Würdigung seines Wertes und seiner Tragweite Gewicht legte, ist wohl, das ehrendste Zeugnis für Huxley’s Tüchtigkeit, wie für die Objektivität seines Urteils. Am 15. Okt. 1859, 40 Tage vor dem denkwürdigen 24. Nov. 1859, an welchem die erste Auflage des Werkes „Entstehung der Arten“ in 1250 Exemplaren erschienen und zugleich vergriffen war, schrieb Darwin an Huxley: „Ich werde ganz intensiv begierig sein zu hören, was für eine Wirkung das Buch auf Sie hervorbringt. Ich weiß, es wird sehr viel darin sein, wogegen Sie Einwendungen erheben, und ich zweifle auch nicht daran, viele Irrtümer. Ich bin weit davon ent- fernt zu erwarten, Sie zu vielen meiner Ketzereien zu bekehren; wenn aber Sie und zwei oder drei Andere — es sind wohl Lyell undHooker gemeint — glauben, dass ich im Ganzen auf dem rechten Wege bin, wird es mich nicht kümmern, was die Menge der Naturforscher denkt“. Und wie nahm Huxley das Werk auf? Im 2. Bande Leben und Briefe von Charles Darwin findet sich ein Artikel Huxley’s „über die Aufnahme der Entstehung der Arten“, aus dem wir erkennen, dass es keines geringeren Mutes bedurfte Fürsprecher Dar win’scher Ideen zu sein als ihr Urheber. 4 Thomas Huxley. Das Fundament der Entwicklungslehre ist heute zum unveräußer- lichen Eigentum der Wissenschaft geworden. „Wo nur immer die biologischen Wissenschaften studiert werden, die „Entstehung der Arten“ erleuchtet den Pfad des Forschers. Wo sie nur immer gelehrt werden, sie durehdringt den Gang des Unterrichtes“. Und über das Gebiet der Biologie hinaus, auf dem Gebiete der Philosophie und Sociologie macht sich ihr Einfluss geltend. Welches Kampfes aber bedurfte es um ihr diese Stelle zu erobern. Welche Unsummen von Vorurteilen waren zu beseitigen, welches reiche Maß von Ungebührlichkeiten, Entstellungen und Verdächtigungen musste Darwin über sich ergehen lassen, bis es seine anfänglich nur von wenigen weitblickenden hervorragenden Männern der Wissenschaft befürwortete Lehre das Gemeingut der Wissen- schaft werden sah. In diesem Kampfe war Darwin in Huxley ein Streiter zur Seite, dessen Unerschrockenheit, dessen sprühender Geist und Witz Darwin’s Sache vielleicht erfolgreicher zu verfechten verstand, als Darwin selbst. Denn der Eindruck, den Darwin’s Werk auf Huxley her- vorbrachte, war ein mächtiger, dauernder. „Er ist voll Lobes und Dankes für die große Masse neuer Gesichtspunkte“, welche es ihm gab. Er schreibt unter anderem an Darwin: „Ich glaube sicher, dass sie sich in keiner Weise von beträchtlichem Tadel und starker Entstellung, was, wenn ich mich nicht sehr irre, Ihrer in reichlicher Menge wartet, werden verstören oder verärgern lassen. Verlassen Sie sieh darauf, Sie haben die dauernde Dankbarkeit aller denkenden Menschen sich erworben. Und was die Kleffer betrifft, welche bellen und. heulen werden, so müssen Sie sich daran erinnern, dass einige Ihrer Freunde unter allen Umständen mit einem Grade von Kampfbereitschaft (ob- gleich Sie dieselben oft und gerechterweise dafür getadelt haben) aus- gerüstet sind, welche für Sie freudig eintritt. Ich schärfe meine Krallen und meinen Schnabel in Vorbereitung“. Darwin schrieb darauf folgenden Brief an Huxley, der die Be- deutung, welche dem Gelehrten in den Augen eines der Berufenssten zukam, treffend illustriert. „... Wie ein guter Katholik, der die letzte Oelung empfangen hat, kann ich jetzt singen „nune dimittis“. Ich würde schon mit einem Viertel von dem, was Sie mir gesagt haben, mehr als befriedigt gewesen sein. Genau vor fünfzehn Monaten, (Darwin schrieb am 25. Nov. 1859), als ich die Feder ansetzte zu diesem Bande, hatte ich schreckliche Ahnungen, und obgleich ieh mich vielleicht getäuscht hatte, ... so bestimmte ich mir damals in meinen Gedanken drei Richter, an deren Entscheidung ich mich eventuell zu halten beschloss. Diese Richter waren Lyell, Hooker und Sie. Das war es, was mich in so außerordentlicher Weise auf Ihren Urteils- spruch gespannt machte“. Dass Darwin berechtigt war in seinem Freunde Huxley seinen Thomas Huxley. 5 'Generalagenten zu sehen, wie er ihn scherzweise nannte, lehrt uns zwar die ganze Geschichte der Darwin’schen Entwicklungslehre, ganz besonders aber das Jahr 1860 und die nächstfolgenden. Ein Artikel aus Huxley’s Feder, der durch einen glücklichen Zufall den Weg in die Spalten der Times fand, gab dem Darwin’- schen Werke das Geleite in einen großen, einflussreichen Leserkreis. Huxley war es wieder, der vielleicht als erster eine Vorlesung über die Entstehung der Arten hielt, die für die Charakteristik Huxley’s und jener bewegten Zeit so wertvoll ist, dass ich wenigstens Teile ihres Schlusses nicht vorenthalten will. „Ich habe gesagt, dass der Mann der Wissenschaft der geschworene Dolmetscher der Natur im hohen Gerichtshof der Vernunft ist. Aber von was für einem’ Vorteil ist die ehrliche Aussprache, wenn Ignoranz der Beisitzer des Richters und Vorurteil der Obmann der Gesehwornen ist? Ich kenne kaum eine einzige große physikalische Wahrheit, deren universeller Annahme nicht eine Epoche vorausgegangen ist, in welcher die achtungswertesten Personen behauptet haben, dass die erforschten Erscheinungen direkt vom göttlichen Willen abhängig sind und dass der Versuch, sie zu erforschen nicht allein vergeblich, sondern gottes- lästerlich ist. Diese Art der Opposition gegen die Naturwissenschaften hat auch eine wunderbare Zähigkeit des Lebens. In jedem Kampfe zermalmt und gelähmt scheint sie doch niemals vernichtet werden zu können; und nach hundert Niederlagen ist sie doch heutigen Tages noch so um sich greifend, obschon glücklicherweise nicht so unheil- stiftend wie in der Zeit von Galilei. Aber für diejenigen, deren Leben, um Newton’s herrliche Worte zu brauchen, damit erfüllt wird, hier einen Stein und dort einen Stein am Strande des großen Ozeans der Wahrheit aufzulesen — welche Tag für Tag das langsame aber sichere Heranrücken jener mächtigen Flut beobachten, welche in ihrem Busen die tausend Schätze birgt, mit denen der Mensch sein Leben veredelt und verschönt — würde es lächerlich sein, wenn es nicht traurig wäre, zu sehen, wie die kleinen Kanuts der flüchtigen Stunde, in friedlichem Gepränge auf den Thron gesetzt, jener großen Welle stehen zu bleiben befehlen und ihren wohl- thätigen Fortschritt aufhalten zu wollen drohen. Die Welle erhebt sich und sie fliehen. Aber ungleich dem alten tapfern Dänen, lernen sie die Lehre der Demut nieht: Der Thron wird von Neuem in einer scheinbar Sicherheit gewährenden Entfernung aufgeschlagen und die Thorheit wird wiederholt. — Die Entstehung der Arten ist nicht die erste und sie wird nicht die letzte sein von den großen, von der Wissenschaft gestellten Fragen, welche ihre Beantwortung von der jetzigen Generation fordern. In den Geistern ganz allgemein siedet es merkwürdig, und für diejenigen, welche die Zeichen der Zeiten be- obachten, scheint es offenbar, dass dies 19. Jahrhundert Umwälzungen 6 Thomas Huxley. der Gedanken und Gewohnheiten erleben wird, so groß wie diejenigen, deren Zeuge das 16. Jahrhundert war“. Und wieder war es Huxley, der in den „Schlachten“ zu Oxford, die im Schoße der Versammlung der British Association im Jahre 1860 wegen der Entstehung der Arten geschlagen worden, die in jenem Kreise wenig dankbare Rolle des Verteidigers der Darwin’schen An- sehauung mit vielem Geschick, großer Männlichkeit und entschiedenem Erfolge spielte. Es sind diese Oxforder „Schlachten“ so überaus charak- teristisch für die Art, wie man das Werk des Mannes, der 22 Jahre später eben um dieses Werkes willen in der Westminster Abtei auf Staats- kosten beigesetzt wurde, aufnahm und sie geben zugleich ein so gutes Bild des streitbaren Huxley, dass ich mir nicht versagen will eine kurze Skizze der Sitzung zu entwerfen, die am 30. Juni 1860 anläss- lich einer Abhandlung von Dr. Draper von New-York „über die intellektuelle Entwieklung von Europa in Bezug auf die Ansichten Mr. Darwin’s untersucht“ einen geradezu tumultuarischen Verlauf nahm. Die Aufregung, schreibt ein Augenzeuge, war fürchterlich. Das Audi- torium erwies sich als bei weitem zu klein für die Zuhörerzahl, die auf 700-1000 geschätzt wurde. „Der Bischof (von Oxford) beherrschte die Situation und sprach eine volle halbe Stunde mit unnachahmlicher Lebendigkeit, Leerheit und Unbilligkeit. Aus der ganzen Art den Gegenstand zu behandeln ging offenbar hervor, dass er bis an den Hals vollgepropft worden war und dass er nichts aus erster Hand ‚wusste.... Er machte Darwin in schlimmer und Huxley in wüthen- der Weise lächerlich, aber alles in solch süßem Tone, in einer so über- zeugenden Weise und in so wohlgesetzten Perioden, dass ich, der ich geneigt gewesen war den Präsidenten deswegen zu tadeln, weil er eine Diskussion zugelassen habe, die keinem wissenschaftlichen Zwecke dienen könne, ihm jetzt vom Grunde meines Herzens vergab. Unglück- licherweise vergaß sich der Bischof, vom Strom seiner eigenen Beredt- samkeit fortgerissen, so weit seinen erstrebten Vorteil bis zum Gipfel des Persönlichwerdens in einer wirkungsvollen Frage zu treiben, mit weleher er sich kurz umwandte und Huxley anredete, ob er von Seiten seines Großvaters oder seiner Großmutter mit einem Affen ver- wandt sei“. In seiner Entgegnung sagte Huxley nach einem Briefe an Prof. Dawkin’s unter anderem folgendes: „Ich habe behauptet und ich wiederhole es, dass ein Mensch keinen Grund hat, sich darüber zu schämen, dass sein Großvater ein Affe war. Wenn es einen Vor- fahren gäbe, den mir ins Gedächtnis zu rufen ich mich schämen würde, so würde es en Mann sein, ein Mann von rastlosem und beweglichem Verstande, welcher, nicht zufrieden mit dem zweifelhaften Erfolge in seiner eigenen 'Thätigkeitssphäre sich in wissenschaftliche Fragen ein- lässt, mit denen er nicht eingehend bekannt ist und sie deshalb nur durch eine zwecklose Rhetorik verdunkelt und der die Aufmerksam- Thomas Huxley. 7 - keit seiner Zuhörer von dem wirklichen in Rede stehenden Punkte durch beredte Absehweifungen und geschickte Berufung auf religiöses Vorurteil abzieht“. Diese Zurückweisung machte einen großen Eindruck und auch Gegner Darwin’scher Anschauung empfanden sie als eine ebenso würdevolle als verniehtende Entgegnung. Selbst „die schwarzen töcke und weißen Halsbinden von Oxford“ brachten den Siegern im Kampfe, Huxley und Hooker, ihre Glückwünsche dar. Bedeutungsvoll für die Wissenschaft wurden diese Oxforder Kämpfe dadurch, dass sie wohl den unmittelbaren Anstoß zu einem Werke gaben, in welchem Huxley die schon im Oxforder Streit gezogene Konsequenz der Blutverwandtschaft des Menschen mit den Anthropoiden in meisterhafter Weise zur Darstellung brachte. Es ist das im Jahre 1863 zugleich in englischer Ausgabe und deutscher Uebersetzung erschienene Buch „Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur“. Der rote Faden, der sich durch dieses Werk zieht, ist das Be- streben mit Hilfe der vergleichenden Anatomie und Entwicklungs- geschichte das objektive Verhältnis des Menschen zu den Affen klar zt legen. Es kann natürlich hier nicht der Ort sein einlässlich den Inhalt dieses bedeutungsvollen Werkes Huxley’s wiederzugeben. Aber einige Momente seiner Untersuchungen zu skizzieren ist auch heute nicht außer Weges. In den Debatten zu Oxford bildete Owen’s Behauptung, dass „der dritte Lappen, das hintere Horn des. Seitenventrikels und des - Hippocampus minor der Gattung Homo eigentümlieh“ sei, den Gegen- stand eifriger Erörterung. Denn Owen wollte mit seiner Behauptung seine Ansicht begründen, dass die anthropoiden Affen mit den nieder- stehenden ihres Geschlechtes inniger verbunden sind als mit den Menschen. Es mag deshalb am Platze sein einige der Ergebnisse der vergleichenden Anatomie des Schädels und Gehirmes der Anthropoiden und des Menschen in Kürze zu wiederholen, umsomehr als sie uns Huxley’s Auffassung dieser Beziehungen am klarsten erkennen lassen. Huxley zeigt auf Grund eigner Messungen und der anderer Naturforscher, dass die Menschen dem Schädelinhalte nach viel weiter unter einander abweichen als die niedersten menschlichen Rassen von den höchsten Affen, während die niedersten Affen von den höchsten wieder im ‘gleichen Verhältnis abweichen wie diese vom Menschen. Ueber die Wechselbeziehung zwischen dem Gehirne verschiedener Affenarten einerseits und den menschlichen Rassen anderseits äußert sich Huxley in folgender Weise: Als ob die Natur an einem auf- fallenden Beispiele die Unmöglichkeit nachweisen wollte, zwischen dem Menschen und den Affen eine auf den Gehirnbau gegründete Grenze aufzustellen, so hat sie bei den letzteren Tieren eine fast voll- 8 Thomas Huxley. ständige Reihe von Steigerungen des Gehirns gegeben, von niedrigeren Formen an bis zu Formen die wenig tiefer sind als die Gesichtsformen des Menschen. „Und es ist ein merkwürdiger Umstand, dass, obgleich nach unserer gegenwärtigen Kenntnis ein wirklicher anatomischer Sprung in der Formenreihe der Affengehirne vorhanden ist, die durch diesen Sprung entstehende Lücke in der Reihe nieht zwischen dem Menschen und den menschenähnlichen Affen, sondern zwischen den niedrigeren und niedersten Affen liegt, oder mit anderen Worten zwischen den Affen der alten und neuen Welt und den Lemuren. Bei jedem bis jetzt untersuchten Lemur ist das kleine Gehirn zum Teil von oben sichtbar und der hintere Lappen mit dem eingeschlossenen hinteren Horn und Hippocampus minor ist mehr oder weniger rudimentär. Jeder amerikanische Affe, Affe der alten Welt, Pavian oder Anthro- poide hat dagegen sein kleines Gehirn hinten völlig von den Lappen des großen Gehirns bedeckt und besitzt ein großes hinteres Horn mit einem wohlentwickelten Hippocampus minor.“ Man hat Huxley und der Entwicklungstheorie überhaupt, nach- dem aus ihr die Konsequenz der tierischen Abkunft des Menschen gezogen war, den Vorwurf gemacht, dass durch sie die Würde des Menschengeschlechts erniedrigt werde. Man warf hinwieder die Frage auf: Wenn der Anatom die nahen Beziehungen zwischen Anthropoiden und Menschen zu erweisen vermag, erhebt dann nicht „die Kraft der Erkenntnis, die mitleidsvolle Zartheit menschlicher Gemütsstimmung“ das menschliche Geschlecht hoch über die Genossenschaft mit den Tieren? Huxley hat darauf folgende schöne Antwort gegeben: „Ich bin es gewiss nicht, der die Würde des Menschen auf seine große Zehe zu gründen sucht, oder zu verstehen gibt, dass wir verloren wären, wenn ein Affe ein Hippocampus minor hat. Ich habe im Gegenteil diese eitlen Fragen zu beseitigen mich bemüht. Ich habe zu zeigen versucht, dass zwischen uns und der Tierwelt keine absolute Linie anatomischer Abgrenzung gezogen werden kann, die breiter wäre als die zwischen den unmittelbar auf uns folgenden Tieren. Und ich will noch mein Glaubensbekenntnis hinzufügen, dass der Versuch, eine psychische Trennungslinie zu ziehen, gleich vergeblich ist und dass selbst die höchsten Vermögen des Gefühls und Verstandes in niederen Lebensformen zu keimen beginnen. Gleichzeitig ist Niemand davon so stark überzeugt wie ich, dass der Abstand zwischen zivilisierten Menschen und den Tieren ein ungeheurer ist oder so sicher dessen, dass, mag der Mensch von den Tieren stammen oder nicht, er zu- verlässig nicht eins derselben ist. Niemand ist weniger geneigt die gegenwärtige Würde des einzigen bewussten intelligenten Bewohners dieser Welt gering zu halten oder an seinen Hoffnungen auf das Künftige zu verzweifeln. Es wird uns allerdings von Leuten, die in diesen Sachen Autorität Thomas Huxley. 9 beanspruchen, gesagt, dass die beiden Ansichten nicht zu vereinigen wären und dass der Glaube an die Einheit des Ursprungs des Menschen und der Tiere die Vertierung und Erniedrigung des ersteren mit sich führe. Ist dem wirklich so? — Ist es wirklich wahr, dass der Poet, Philosoph oder Künstler, dessen Genius der Ruhm der Zeit ist, von seiner hohen Stellung erniedrigt wird durch die unbezweifelte historische Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen Gewissheit, dass er der direkte Abkömmling irgend eines nackten und halbtierischen Wilden ist, dessen Intelligenz gerade hinreichte, ihn etwas verschlagener als den Fuchs, dadurch aber um so mehr gefährlicher als den Tiger zu machen? Oder ist er verbunden zu heulen und auf allen Vieren zu kriechen wegen der außer Frage stehenden Thatsache, dass er früher ein Ei war, das keine gewöhnliche Unterscheidungskraft von dem eines Hundes unterscheiden konnte? — Ist die Mutterliebe gemein, weil eine Henne sie zeigt, oder Treue niedrig, weil ein Hund sie besitzt? — Haben sich die denkenden Menschen einmal den blindmachenden Einflüssen traditioneller Vorurteile entwunden, dann werden sie in dem niederen Stamm, dem der Mensch entsprungen ist, den besten Beweis für den Glanz seiner Fähigkeiten finden und werden in seinem langen Fort- schritt durch die Vergangenheit einen vernünftigen Grund finden, an die Erreichung einer noch edleren Zukunft zu glauben. .... Unsere Ehrfurcht vor dem Adel der Menschheit wird nicht verkleinert werden durch die Erkenntnis, dass der Mensch seiner Substanz und seinem Bau nach mit den Tieren eins ist; denn er allein besitzt die wunder- bare Gabe verständlicher und vernünftiger Rede, wodurch er in der Jahrhunderte langen Periode seiner Existenz die Erfahrung, welche bei anderen Tieren mit dem Auflösen jeden individuellen Lebens fast gänzlich verloren geht, langsam angehäuft und organisch verarbeitet hat, sodass er jetzt wie auf dem Gipfel eines Berges weit über das Niveau seiner niedrigen Mitgeschöpfe erhaben und von seiner gröberen Natur verklärt dasteht, verklärt dadurch, dass er hier und da einen Strahl aus der unendlichen Quelle ewiger Wahrheit reflektieren konnte.“ Auch Huxley’s „Affentheorie“ gegenüber erwies es sich, dass wohl der Wahrheit oft schwere Hindernisse in den Weg gelegt werden können, dass sie aber früher oder später siegreich das Feld behaupten wird. Die peinliche Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit der anatomischen Darlegungen Huxley’s hatte für alle Zeit den Weg erschlossen, auf welchem die genetische Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und seinen tiefer stehenden Ahnen liegt. Die einst so berüchtigte „Affen- theorie“ wird heute ebenso als ein integrirender Bestandteil der Ent- wickiungslehre anerkannt, wie sie einst gleich dieser perhoreseiert wurde. Die Macht seines Wortes lieh Huxley fort und fort dem Zeugnis für die natürliche Entwieklung der Lebewelt. Im Jahre 1862 hielt 10 Thomas Huxley. er die 3 Jahre später auch ins Deutsche übertragenen Vorlesungen über unsere Kenntnis von den Ursachenin der organischen Natur. Fast 1!/, Jahrzehnte später, im Jahre 1876, hielt er in New-York über die Entwicklungslehre Vorträge, die für uns deshalb bedentungsvoll sind, weil wir aus ihnen erkennen, dass es die That- sachen der Paläontologie waren, die in Huxley’s Augen die Hypo- these zur Theorie werden ließen. Wir haben im Vorangehenden gezeigt, mit welcher Entschiedenheit Huxley die Darwin’sche Entwicklungslehre verfochten hat. Seine ursprüngliche Stellung zu ihr wäre aber doch nicht hinreichend ge- kennzeichnet, wenn wir nicht betonten, dass er sich der und jener Schwierigkeiten der Lehre wohl bewusst war und bei seiner großen Liebe zur Wahrheit daraus nie ein Hehl machte. Die Gruppe der Erscheinungen, die Huxley unter dem Namen Hybridismus zusam- menfasste und welche nach ihm in der Unfruchtbarkeit der Abkömm- linge gewisser Arten, wenn sie miteinander gekreuzt werden, besteht, sah er, wenn auch nicht im Gegensatz zur Darwin’schen Lehre, doch durch sie nicht erklärt. Sollte durch die künstliche Zuchtwahl experimentell die Gesamtwirkung der natürlichen Auslese dargethan werden, dann musste sie nicht nur differente Rassen schaffen, sondern sie musste auch das Phänomen als Begleiterscheinung mit sich bringen, dass gewisse Rassen gleicher Herkunft unter sich unfruchtbar wären. Darwin hielt dafür, dass Huxley durch den Einwand der Un- fruchtbarkeit dieser einen zu großen Wert beilege. „Erscheinungen der Unfruchtbarkeit sind sehr launisch.* Anderseits betont er na- mentlich, dass wohl den Gelehrten, niemals aber den erfahrenen Züchtern die Thatsache unbekannt sei, dass wirklich die Züchtung zu Rassen führen kann, die geschwächte Fruchtbarkeit, selbst völlige Unfruchtbarkeit zeigen, wenn sie miteinander gekreuzt werden. Von welchem Momente an Huxley dieses sein größtes Bedenken preisgab, kann ich nieht bestimmen. "Wohl aber kann die Thatsache konstatiert werden, dass er bei den Amerikanern Darwin’s Lehre zwar als Hypothese einführte, zugleich aber, wie bereits betont, auf Grund der bedeutenden paläontologischen Entdeckungen in den tertiären Ablagerungen der westlichen Territorien Nordamerikas der Hypothese die Weihe der Theorie verlieh. Als die Gegner der Entwicklungslehre durch die auf allen Ge- bieten der biologischen Naturwissenschaften mächtig geförderten Er- kenntnisse einen Einwand nach dem andern vor dem Forum der Wissenschaft fallen sahen, da konzentrierten sie sich gleiehsam auf die Position, welche der Zufälligkeit der Entdeckungen wegen natur- gemäß der Lehre nicht so leicht dienstbar gemacht werden konnte, wie die übrigen methodisch zu pflegenden Gebiete, auf die Paläonto- logie. Wo sind denn, so wurden die Freunde der Entwieklungslehre Thomas Huxley. al apostrophiert, die Entwicklungsreihen, die während der langen geo- logischen Perioden zur Umwandlung eines tierischen Typus in einen anderen führten ? Lange mussten sich die Anhänger der Entwicklungslehre fast darauf beschränken auf die Thatsache hinzuweisen, dass unser Wissen über die Lebewelt früherer Aeren der Erdgeschichte mit den Annahmen der Entwicklungslehre nicht im Widerspruch stehe, dass also aus ihm nicht eine Waffe gegen die Lehre geschmiedet werden könne, wenn schon dieses Thatsachenmaterial zunächst nicht soviel erkennen ließ, als man_wünschen mochte. Denn es ist ein recht lücken- haftes Werk, das dem Schoße der Erde enthobene Buch von der Pflanzen - und Tierwelt. Im Laufe der 70iger Jahre wurde aber auch in das letzte Fort der Gegner der natürlichen Entwicklung der Arten Bresche geschossen. Eine ungeahnte, ans Wunderbare grenzende Fülle von tierischen Ver- steinerungen wurde aus dem Westen Nordamerikas bekannt. Hier fanden sich die lange vermissten zusammenhängenden Entwieklungs- reihen, die von den Gegnern verlangt wurden, die oft recht extreme Gestalten verbanden. Hier fand sich, um an das berühmteste Beispiel anzuschließen, die Entwieklungsreihe, welche vom Eohippus des äl- testen Eocän zum Eguus der Gegenwart führte. „Das verstehe ich, sagt Huxley in seinen erwähnten New-Yorker Vorträgen, unter einem Beweise für die Entwicklung. Die Entwicklungslehre hat gegenwärtig eine ebenso sichere Grundlage wie die Copernicanische Theorie von den Bewegungen der Himmelskörper zur Zeit ihrer Auf- steilung. Ihre logische Basis ist genau derselben Art, die Ueberein- stimmung der beobachteten Thatsachen mit den theoretischen For- derungen.“ Dem Biologen liegt es nahe die Erkenntnisse der Naturgesetze der Biologie unmittelbar auf die menschlichen Verhältnisse zu über- tragen. Dass ein so regsamer Geist wie Huxley auch auf dem na- turwissenschaftlich beleuchteten socialpolitischen Gebiete sich versuchte, kann uns nieht überraschen. Eine Verfolgung dieser Thätigkeit, seiner Darstellung der Beziehungen zwischen natürlichem und sittlichem Recht, seiner Anschauungen über den liberalen Nihilismus ete. führte uns aber auf Bahnen, die außerhalb der von uns verfolgten Ziele liegen. Auch nur die Skizze seiner Lebensthätigkeit zeigt uns, wie innig er mit der Sturm- und Drangperiode der heute die Biologie be- herrschenden Entwicklungslehre verbunden ist, sodass sein Name dauernd mit dem Darwin’s verknüpft erscheint. „Solange Darwin als Reformator in der Geschichte der Biologie fortleben wird, solange wird Huxley dabei als einer seiner treuesten Freunde und erfolg- reichsten Mitarbeiter gefeiert werden.“ 12 Thomas Huxley. Mit Huxley’s Worten, die seine autobiographische Skizze be- schließen, wollen wir auch dieses Lebensbild enden lassen, da sich in ihnen sein edler Charakter in schönstem Glanze wiederspiegelt. „Es will mir nicht passend scheinen, von meinem Lebenswerk zu reden und am Abend zu sagen, ob ich meinen Tagelohn verdient zu haben glaube oder nicht. Die Menschen sind, wie man sagt, geneigt sich selbst parteiisch zu beurteilen; bei jungen Leuten mags der Fall sein, doch ich glaube nicht, dass die Alten es thun. Das Leben zeigt sich ihnen, wenn sie zurückblieken, in der schrecklichsten perspektivischen Verkürzung. Der Berg, den zu erklimmen sie sich in der Jugend vornahmen, erweist sich, sobald sie außer Atem die Höhe erreicht haben, nur als ein Vorsprung unermesslich höherer Gebirgsketten. Wenn ich aber von den Zielen sprechen darf, die ich mehr oder weniger bestimmt vor mir hatte, seit ich meinen kleinen Berg zu er- steigen begann, so waren es, kurz ausgedrückt, diese: die Zunahme der naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu fördern und für Anwendung der wissenschaftlichen Forschungsmethode auf alle Probleme des Le- bens zu thun, was in meinen Kräften stand, in der Ueberzeugung, dass es keine andere Linderung für die Leiden der Menschheit gibt als Wahrhaftigkeit im Denken und Handeln und ein beherztes An- schauen der Welt, wie sie ist, wenn die Hülle .des Scheins, mit der fromme Hände -ihre hässlichen Seiten verkleidet haben, ihr abgestreift ist. Weil ich diesem Ziele nachging, habe ich jeden — berechtigten oder unberechtigten — Ehrgeiz, den ich mir gestattet haben mag, stets anderen Interessen untergeordnet: der Populasierung der Wissen- schaft; der Entwicklung und Organisation der wissenschaftlichen Bil- dung; den endlosen Kämpfen und Scharmützeln über die Entwicklungs- lehre und der unermüdlichen Opposition wider den kirchlichen Geist, der in England, wie auch überall anderswo und welcher Glaubens- gemeinschaft er angehören mag, der Todfeind der Wissenschaft ist. In dem Bestreben, diese Ziele zu erreichen, war ich einer von vielen und es genügt mir, wenn ich als solcher in der Erinnerung einen Platz erhalte — oder auch nieht erhalte. Durch Umstände, zu denen ich mit Stolz das innige Wohlwollen vieler Freunde rechne, bin ich zu verschiedenen hervorragenden Stellungen gelangt. Es hieße falsche Bescheidenheit zur Schau tragen, wenn ich trotzdem behaupten wollte, ich hätte keinen Erfolg in der Laufbahn gehabt, die ich ‚mehr auf äußeren Antrieb als aus eigener Wahl eingeschlagen habe; aber ich könnte selbst alles das nicht als Zeichen eines Erfolges betrachten, wenn ich nicht hoffen dürfte, nach meinen Kräften an der geistigen Bewegung mitgearbeitet zu haben, die man treffend die „Neue Re- formation“ genannt hat.“ Robert Keller (Winterthur). 116] Heinricher, Atavismus und Züchtung. 13 Iris pallida Lam., abavia'), das Ergebnis einer auf Grund atavistischer Merkmale vorgenommenen Züchtung und ihre Geschichte. Von E. Heinricher. Die Blüten der Irideen wurden theoretisch stets von einer nach Lilientypus gebauten Stammpflanze hergeleitet; d. h. man stellte sich vor, dass das Fehlen eines inneren Staubblattkreises bei Iris ein durch Anpassung, aus einem Vorfahren, welcher beide Staubblattkreise besaß, allmählich entstandener Charakter sei. Im Jahre 1878 beobachtete ich im Grazer botanischen Garten einen Stock der /ris pallida Lam., welcher in seinen Blüten die Glieder dieses theoretisch geforderten, inneren Staubblattkreises nun wirklich zur Ausbildung brachte, eine Erscheinung, die man füglich wohl als Rückschlag bezeiehnen muss. Wie die sechsjährige Beobachtung dieses Iris-Stockes ergab, waren wechselnd zwischen 10—30 Prozent der Blüten durch solchen Rückschlag ausgezeichnet; und zwar waren ent- weder nur einzelne Glieder dieses Staubblattkreises ausgebildet vor- handen, oder die volle Zahl. Auch die Ausbildungsform dieser Glieder war großen Schwankungen unterworfen; bald zeigten sie sich als ver- kümmerte, bald auch als vollkommen ausgebildete Staubblätter; bald waren es Staminodien, lappige, mehr oder minder blumenblattartige Bildungen, mit oder ohne Rudimenten von Pollensäcken, bald wieder mehr oder weniger vollkommen ausgebildete, narbenartige Glieder. Seit jener Zeit habe ich diese Erscheinungen nicht aus dem Auge gelassen und dieselben insbesondere auf ihre Vererbbarkeit geprüft ?). Meine Absicht war, für den Fall, dass Vererbung eintreten würde, eventuell eine Häufung und Fixierung der Erscheinung dahin zu ver- suchen, dass eine Iris-Pflanze erzogen würde, mit Blüten vom normalen Aufbau einer solchen von Iris pallida (oder von ]. germanica, I. floren- tina), nur mit dem Plus dreier Staubgefäße, jener, des bei den Ahnen als vorhanden gewesen vorausgesetzten, inneren Staubblattkreises. Diese Versuche hatten einen teilweisen Erfolg, insofern als die Vererbung wirklich gelang und bei den Descendenten die angedeuteten Erscheinungen an einem gesteigerten Prozentsatz der Blüten auftraten. Von einer erzielten Fixierung, in dem Sinne, dass ein Individuum ständig nur Blüten der angestrebten Art entwickelt hätte, kann aber 1) abavia, ae, die Urgroßmutter. 2) Diese Vererbungsversuche, soweit sie die Jahre 1882 — 1890 umfassen, wurden eingehend in den Pringsheim’schen Jahrbüchern, Bd. XXIV, ver- öffentlicht: Versuche über die Vererbung von Rückschlagserscheinungen bei Pflanzen. Ein Beitrag zur Blütenmorphologie der Gattung Iris, 96 S., 2 Taf., 28 Holzschnitte. Dortselbst findet man $. 65 auch alle übrigen, im Gegenstande von mir veröffentlichten Arbeiten angeführt. 14 Heinricher, Atavismus und Züchtung. noch keine Rede sein. Dies nimmt übrigens weniger Wunder, wenn man beachtet, dass nicht alle künstlichen Bestäubungen, welche vor- genommen wurden, Erfolg hatten, und vor allem, dass die Entwick- lung der Zris-Pflanzen aus den Samen nur langsam vor sich geht. Vom Samen bis zur blühenden Pflanze braucht es meist wenigstens 3 Jahre, So verfüge ich, trotz der langen Reihe von Versuchsjahren, erst über blühstarke Pflanzen dritter Generation. Fig. 1. x x i 3 2 x } fi Fig. 1. Normale Iris- Blüte. Was mich veranlasst über einen Teil der Ergebnisse meiner Züch- tungsversuche schon jetzt zu berichten, während eine zusammenfassende Bearbeitung erst nach Ablauf eines zweiten Decenniums wieder statt- finden soll, ist die Thatsache, dass nicht nır die Vererbung des von mir Angestrebten und Erwarteten erzielt wurde, sondern, dass auch — zwar gewiss ebenfalls im Sinne eines Rückschlages zur Ahnenform — eine Umänderung der Blüten in weiterreichender Art eintrat, welche. Heinricher, Atavismus und Züchtung 15 gegenüber der gewöhnlichen Form der Zris-Blüte eine sehr auffallende Umgestaltung derselben darbietet, und die ihr eine wesentlich ver- schiedene, fremdartige Tracht aufprägt. Von Interesse schien es mir, dass diese weitreichende Umgestaltung schon in der zweiten Generation aufgetreten ist, und dass durch meine Buchführung ein genauer Beleg für die Züchtung vorliegt. Fig. 2. Iris pallida Lam., abavia. Wollen wir vorerst die in Rede stehende Umänderung an der Hand einer Abbildung erläutern, und gehen wir von dem Holzschnitte aus, der uns die Tracht einer normalen Iris-Blüte (Fig. 1) in Erinne- rung ruftt). Die Blüte baut sich demnach auf aus: drei äußeren Hüll- blättern (Sepalen), die nach außen umgebogen und durch einen Bart geziert sind, drei inneren Hüllblättern (Petalen), bartlos und nach oben zusammenneigend, drei Staubblättern und den drei, die Gattung Iris kennzeichnenden, blumenblattartigen Griffeln. 1) Da der Gegenstand für weitere Kreise von Interesse ist, habe ich auch ein Bild der normalen Iris- Blüte beigegeben und dieselbe kurz besprochen, was Botanikern gegenüber wohl überflüssig erscheinen würde, 16 Heinricher, Atavismus und Züchtung. Welchen wesentlichen Unterschied der Tracht zeigt nun die in Figur 2 dargestellte Blüte!)! Wir sehen da nicht nur sechs Staub- blätter, deren Ausbildung von mir als Züchter angestrebt war, sondern es treten auch an Stelle der drei, normaler Weise aufgerichteten, bart- losen Hüllblätter des inneren Kreises, drei solche auf, welche voll- kommen jenen des äußeren Kreises der normalen Blüte gleichen. Mit andern Worten beide Hüllkreise bestehen aus gleichen, mit Bart ver- sehenen Blättern. Auf die Deutung dieser Umgestaltung des Blüten- baues werde ich später eingehen, vorerst will ich Einiges aus der Ge- schichte dieser Züchtung mitteilen. Im Jahre 1880 gelang es von drei Blüten, des durch die eingangs erwähnten Rückschlagserscheinungen ausgezeichneten Stockes von Iris pallida zu Graz, drei reife Kapseln zu ziehen. Eine dieser Kapseln lieferte die Samen zu jener Vererbungs-Kultur I. Generation, von welcher in II. Generation unsere, in Fig. 2 .wiedergegebene Blüte stammt. Diese Kapsel wurde aus einer Blüte gezogen, in welcher ein Glied des inneren Staubblattkreises, als mehr oder weniger verkümmertes Staubblatt, vor- handen war. Zur Bestäubung wurde ebenfalls eine Blüte mit Rück- schlagserscheinungen des gleichen Stockes, benützt. Wie viele Glieder des inneren Staubblattkreises diese „Vaterblüte“ besaß und welche Aus- bildung die Glieder aufwiesen, darüber habe ich keine Aufzeichnungen. Betont muss aber werden, dass an jenem Stammstocke in Graz, während einer sechsjährigen Beobachtungsperiode, in der durchschnitt- lich im Jahre 150 Blüten gezählt wurden, nur einmal eine Blüte auf- trat, welche die Petalen mit Bart versehen, kurz in Gestalt der Sepalen, gezeigt hatte. Während des Winters 1880/81 wurden 12 Samen jener Kapsel ausgesäet; im Sommer 1881 kamen einige Samen, andere erst 1882, zur Keimung. Die Pflanzen wurden in einer Scheibe vereinigt und gelangten erst 1883 zum Blühen. Der Rückschlag ergab sich als ver- erbt, d. h. auch an diesen Pflanzen wurden Blüten mit Gliedern des innern Staubblattkreises entwickelt; beispielsweise führe ich an, dass 1834 20°/,, 1885 14,3 9l0, 1886 48,8 %/,, 1887 55°/,, 1888 32°/, der Blüten Rückschlagserscheinungen aufwiesen. Die Glieder erschienen in ver- schiedenster Ausbildung, mehrfach auch als vollständig normale Staub- blätter. Auch waren bald alle drei, bald nur zwei oder nur eines vorhanden. So hatten z. B. 1887 36 Prozent der rückschlagweisen- den Blüten nur ein Glied, 30 Prozent zwei Glieder und 34 Prozent drei Glieder (den vollen Wirtel) des inneren Staubblattkreises entwickelt. Gegenüber der Mutterblüte eine beträchtliche Steigerung der Rück- schlagserscheinung, da in derselben nur ein Glied vertreten war. 1) Selbe ist nach einem Aquarellbilde reproduziert, für dessen Ausführung ich Baronesse Lilli von Gagern zu besonderem Danke verpflichtet bin. Heinricher, Atavismus und Züchtung. 47 Im Jahre 1885, wo die relativ noch schwachen Pflanzen der Kultur 49 Blüten, und davon nur 7 mit Rückschlagserscheinungen lieferten, wurde von einer dieser Blüten eine Frucht erzogen für eine Vererbungs- Kultur in II. Generation. Die Mutterblüte enthielt (so wie in dem ge- nannten Jahre alle übrigen Blüten der Scheibe, welche Rückschlag aufwiesen) nur ein Glied des inneren Staubblattkreises; der Rückschlag war also in mäßiger Stärke ausgeprägt. Als „Vaterblüte* (zur Be- stäubung) wurde eine des Stammstockes benützt, welche Rückschlags- erscheinungen aufwies; über den Grad derselben besitze ich keine Auf- zeichnung. Aus der erwähnten, 1885 gezogenen Kapsel wurden nun fünfzehn Samen im Winter 1885/86 ausgesäet, und aus ibnen jene Vererbungs- Kultur II. Generation gezogen, in der Blüten, von der Tracht der in Fig.2 dargestellten, nun in großer Zahl gebildet werden. Allein nicht in den ersten Jahren gleich traten diese Blüten auf. Zur näheren Be- leuchtung der Erscheinung will ich Einiges über diese Kultur, aus den Jahren 1888—1895, mitteilen. 1888 gelangten in der Scheibe die ersten Blüten zur Entfaltung. Es waren nur 5 Blüten, drei davon wiesen Rükschlag auf, indem in jeder je ein Glied des inneren Staubblattkreises entwickelt war. Von einer Umgestaltung der Petalen noch keine Spur. 1889 erfolgte meine Uebersiedelung nach Innsbruck, und da der Transport meiner Kulturen dahin kurz vor der Blütezeit erfolgte, wurden dabei die Pflanzen so geschädigt, dass die Blüten dieses Jahres nicht zur Ausbildung gelangten. 1890. Die Sehädigung der Pflanzen durch den Transport im Vorjahre ist noch bemerkbar. Neun Blüten, davon 4 mit Rückschlags- erscheinungen, entfalten sich. Diese zeigen sich gesteigert (1 Blüte hatte 3, eine zweite 2, zwei je 1 Glied des inneren Staubblattkreises entwickelt), rücksichtlich der Hüllblätter aber waren noch alle Blüten normal. 1891. 42 Blüten, davon 28 mit Rückschlagserscheinungen; 10 Blüten mit 1 Glied, je 9 Blüten mit 2 und 3 Gliedern des inneren Staubblattkreises. In einzelnen Blüten zeigte ein oder das andere Blatt des inneren Hüllkreises, in einem Falle alle drei, Bartbildung. Diese war entweder nur am Grunde des Blattes vorhanden und schwächlich, oder sie näherte sich in der Stärke der Ausbildung jener der äußeren Hüllblätter. 1892. 20 Blüten, 11 mit Rückschlag. 6 Blüten mit 3 Gliedern, 4 mit 2, eine mit 1 Glied. Vier der Blüten mit sechs Staubblättern haben alle Hüllblätter mit Bartbesatz versehen. Bei einigen sind alle Hüllblätter des inneren Kreises zurückgeschlagen, ganz so wie die äußern, bei andern ist eines oder das andere noch mehr oder minder aufgerichtet, und erinnert so an die Stellung der bartlosen Hüllblätter VL 2 18 Heinricher, Atavismus und Züchtung. normaler Blüten. In diesen Fällen ist die Ausbildung des Bartes etwas geringer als an den Hüllblättern des äußeren Kreises. 1893. 155 Blüten, davon 78 mit Rückschlagserseheinungen, — 50,3 Prozent. 20 Blüten enthielten alle drei Glieder, 22 zwei, 36 ein Glied des inneren Staubblattkreises. An 35 Blüten (22,5 Prozent) trat die Bartbildung an Blättern des innern Hüllkreises auf, und zwar bald an allen Petalen (17 Blüten), bald an zweien (10 Bl.), bald nur an einem (8 Bl.). 1894. Die Kultur ergibt 242 Blüten. In Folge Rückschlages gebildete Glieder des inneren Staubblattkreises enthalten 158 Blüten (65,3 Prozent) !). Bartbildung an den Petalen zeigten 83 Blüten (34,3 Prozent) und zwar 62 Blüten (25,6 Prozent) an allen dreien. An 42 Blüten (17 Prozent) war der Bart aller Blätter der beiden Hüllkreise vollständig gleich stark entwickelt. Diese Blüten ent- sprachen vollständig der in Fig. 2 dargestellten. Im Jahre 1895 gelangten 486 Blüten zur Entfaltung, davon waren 366 (69,5 Prozent) im Besitze von deutlich ausgebildeten Gliedern des innern Staubblattkreises; und zwar besaßen: 185 Blüten drei Glieder, 81 zwei Glieder, 100 je ein Glied. 200 Blüten (41,1 Prozent) zeigten Bartbildung an den Petalen, und zwar in 57 Blüten nur an einem Blatte, in 30 Blüten an zwei Blättern, in 113 Blüten (23,2 Prozent) an drei; unter letzteren hatten 56 an allen sechs Hüllblättern einen gleichen, vollständig entwickelten Bartbesatz. Was bedeutet nun dieses, wie man sieht an einem nicht un- beträchtlichen Prozentsatz der Blüten vorkommende Auftreten eines Bartes an den Petalen? Die Erscheinung war mir anfangs befremd- lich, ich hatte sie nieht erwartet; angestrebt war ja nur die Vererbung des inneren Staubblattkreises. Auch kam, wie schon Eingangs er- wähnt, ein mit Bart versehenes Petalum nur einmal an einer Blüte des Stammstockes zu Graz vor, ohne dass diese Blüte jedoch zu den Vererbungs-Kulturen herangezogen worden wäre. Auch an den Blüten der -Vererbungs-Kultur I. Generation war, wenigstens bis zu dem Zeitpunkte, wo die Samen für die Vererbungs-Kultur gewonnen wur- den, nie Bartbildung an den Petalen beobachtet ?). Dies erklärt wohl, 4) Der Prozentsatz der Rückschlag weisenden Blüten ist eigentlich noch größer, weil ich inzwischen festgestellt habe, dass oft nur rudimentäre An- deutungen der Glieder des inneren Staubblattkreises vorhanden sind. Bei Mit- berücksichtigung dieser Fälle, würden auf die Blüten mit Rückschlagserschei- nungen, im Jahre 1894, 89,6 Prozent aller Blüten entfallen. 2) In späteren Jahren traten in der Kultur I. Generation vereinzelt Blüten auf, in welchen ein oder das andere Petalum mit vollständig entwickeltem oder rudimentärem Bartbesatz versehen war. So produzierte diese Kultur 1895 453 Blüten, und 8 davon zeigten an je einem Petalum Bartbesatz in wechseln- der Stärke. Wenn also auch sehr gering, im Verhältnis zur Vererbungs-Kultur Heinricher, Atavismus und Züchtung. 49 dass das plötzliche Auftreten so vieler Blüten von neuer Tracht in der Vererbungs-Kultur II ursprünglich einigermaßen befremden musste. Bei genauerer Ueberlegung und Zusammenfassung der mir be- kannten Thatsachen entschied ich mich aber leicht zu der Auffassung: in der beschriebenen und in Abbildung (Fig. 2) vorliegen- den /ris-Blütenur eine noch weitergeführte Rückschlags- form zuerblicken, alsesdie /ris-Blüten mit ausgebildeten Gliedern des inneren Staminalkreises sind. Indem zur Zucht Blüten erwählt wurden, welche in letzterer Hinsicht durch Rückschlag ausgezeichnet waren, wurden Keime erzielt, in denen urväterliche Tendenzen in dem Maße gehäuft waren, dass sie an den Nachkommen nicht nur in der gesteigerten Vererbung des innern Staubblattkreises zu Tage traten, sondern, dass auch ein weiteres Merkmal der Vor- fahren an ihnen ersichtlich wurde, nämlich die Bartbildung an den Petalen. Mit andern Worten, diegewöhnlichen Blüteneiner Iris pallida (germanica, florentina ete.), wo der äußere Hüllkreis allein dureh Bartbildung ausgezeichnet ist, sind nicht nur voneiner Stammform herzuleiten, die sechs Staubblätter besaß, sondern deren Blütenhülle ursprüng- lich aus lauter gleichartigen und zwar bebärteten Blät- tern bestand. Erst später kam durch Anpassung eine ver- schiedene Ausgestaltung der Blätter beider Kreise zu stande. Für diese Auffassung sprechen folgende Momente: 1) Haben wir noch derzeit eine Iris-Art, deren sämtliche Hüll- blätter normaler Weise einen Bart besitzen. Es ist die der Sub-Sektion Hexapogon!) angehörige Iris falcifolia Bunge?). II. Generation, so ist doch die Tendenz, zur Bartbildung an den Petalen, schon in der Vererbungs-Kultur I. Generation vorhanden. 1) Nach G. Baker, A Synopsis of the known species of Iris. Gardener’s Chronicle, 1876 (Referat im botan. Jahresb.). 2) Eine zweite Iris spec., I. Kaempferi Hect., welche ich kennen lernte, ist zwar von I. faleifolia jedenfalls wesentlich verschieden, aber doch in Parallele mit ihr zu stellen, insofern als auch bei ihr sämtliche Hüllblätter gleichgestaltet und nach außen umgebogen sind, und sie, jenen Irideen gegen- über, welche eine morphologisch verschiedene Ausgestaltung beider Hüllkreise durchgeführt haben, gewissermaßen noch einen älteren Typus repräsentiert. Die Ausgestaltung des Bartes an den Hüllblättern dient zur besseren Aus- schmückung der Blüte, und als „Saftmal“, als Wegweiser zu den Nektarien für die Insekten. Bei Iris Kaempferi Siebold (bezogen von Thom. Ware), finden sich nun an allen Hüllblättern, dort wo sonst die Bärte ent- wickelt zu werden pflegen, zitrongelbe Flecken, welche sich von dem dunkel- roten Farbenton des übrigen Blattes scharf abheben, und offenbar nur eine, die Bartbildung vertretende, demselben Zwecke dienende Bildung sind. 2% PN) Heinricher, Atavismus und Züchtung. 2) Ist eine rudimentäre Bartbildung, bestehend aus einzelnen wenigen jener Haare, welche bei den gebärteten Ir’s-Arten den reichen, bürstenartigen Besatz bilden, auch an den inneren Hüllblättern noch sehr häufig zu finden. Es ist offenbar der überkommene Rest, der bei der allmählichen Rückbildung noch nicht vollständig ausgemerzte Ahnen- charakter, der uns hier entgegentritt. Auf die Frage, warum die Umgestaltung der ursprünglich einheit- lich ausgebildeten Blütenhülle in zwei gestaltlich verschiedene Kreise zweckmäßig war, fällt es nicht schwer, eine wahrscheinlich das Rich- tige treffende Antwort zu geben. Wie später noch genauer auszu- führen sein wird, waren in meiner Vererbungs-Kultur II, Blüten von der Art der abgebildeten, durch einen Teil der Blütezeit hindurch vor- herrschend. Der eigenartige Charakter derselben trat da so recht hervor. Diese Blüten sind jedenfalls nicht weniger schön und lockend für die Insektenwelt, als die normalen Iris-Blüten. Doch als zweck- mäßig eingerichtet erwiesen sie sich nicht; das trat klar hervor, als einige Regentage gekommen waren. Die sämtlich zurückgebogenen Hüllblätter lassen dem Regen freien Zutritt, und zwischen der Basis der Hüllblätter und der Geschlechtsblätter dringt das Wasser in die Höhlung der Perizonröhre ein. Er erreicht so die im Grunde derselben vorhandenen, Nektar absondernden Partien und erfüllt die becherartig sich erweiternde Röhre nach oben, bis zur Stelle, wo die einzelnen Blätter der Blütenhülle auseinandertreten. Diese Wassermenge ist nicht so unbedeutend. Zumal wenn an einem Sprosse fünf bis sechs Blüten gleichzeitig entfaltet waren, konnte man dies an dem Ueber- neigen derartig durch Wasser belasteter Inflorescenzen klar erkennen. Von Bedeutung ist aber jedenfalls, dass dieses Wasser auch den Weg zu den Honigdrüsen findet, und so den ausgeschiedenen Nektar fort- schwemmt. Verglich man eine normale /ris-Blüte, so lag es klar vor Augen, welch trefflichen Schutz gegen eine solche Gefahr, die drei aufgerichteten Petalen bieten, wie ausgezeichnet sie das Wasser außen ableiten und so das Auswaschen der Nektarien verhindern. Ansehn- lichkeit besitzt die Blüte der Iris (wir denken dabei stets an den Typus, dem pallida, germanica, florentina ete. angehören), wie sie heute normaler Weise sich repräsentiert, noch genug; an zweckdienlicher Organisation scheint sie aber ihren Ahnen gegenüber nur gewonnen zu haben!). 4) Man könnte nun fragen, wie sich der ältere Typus, der in Iris faleifolia und I. Kaempferi vorzuliegen scheint, unter solchen Verhältnissen zu erhalten vermochte. Da ist nur daran zu erinnern, wie die Anpassung in den einzelnen Zweigen einer Gattung, zu gleichen Zwecken ganz andere Wege zur Lösung einer und derselben Aufgabe betritt. Iris faleifolia kenne ich nicht aus eigener Anschauung. Bei I. Kaempferi erinnere.ich mich aber gesehen zu haben, dass die Hillblätter oben äußerst Heinricher, Atavismus und Züchtung. 2 Die durch Rückschlagserscheinungen (Bildung der Glieder eines inneren Staubblattkreises, und eventuell Bartbildung an den Petalen) ausgezeichneten Blüten bedürfen offenbar einer grösseren Menge von Baustoffen als die normale Blüte. Es bestätigt dies die Art, wie das Auftreten der, beide bezeichneten Rückschlagsbildungen aufweisenden Blüten, wärend der Blüteperiode sich gestaltet. Wie aus dem früher Mitgeteilten ersichtlich, erreichten jene Blüten in den Jahren 1894 und 1895 annähernd 25 Prozent. Es ist nun aus den Tagebüchern sehr genau zu entnehmen, dass sich diese Blüten zu Beginn der Blütezeit allmählich einstellen; zuerst in Form solcher, wo der Rückschlag nur in der Ausbildung eines oder zweier Glieder des inneren Staubblatt- kreises und in dem Erscheinen eines oder des andern Petalums mit Bart ausgeprägt ist. Dazwischen kommen noch einzelne normale Blüten vor. Hierauf treten die Blüten mit stark ausgeprägtem Rück- schlag (Typus der Abbildung Fig. 2) sehr in den Vordergrund, um dann allmählich wieder den normalen oder doch solchen, welche den Rückschlag in geringerer Stärke aufweisen, zu weichen. Durch einen, wenn auch sehr gekürzten, Auszug des Tagebuches aus dem Jahre 1895 lässt sich dieses noch besser beleuchten. Die Blütezeit der Kultur fiel zwischen den 29. Mai und den 23. Juni. 29. Mai. 1 Blüte, 1 Glied (des inneren Staubblattkreises) vorhan- den. 1 Petalum mit starkem, 2 mit schwachem Bart. 30. Mai. 4 Blüte, normal. 9 Blüten, 1 Glied. Petalum davor mit schwachem Bart, 4 Blüten, 2 Glieder, Bart +. 1. Juni. 1 Blüte, normal. »2 2 Blüten, 1 Glied 4 Blüten, 2 Glieder! Bart + 6 Blüten, 3 Glieder 3. Juni. 11 Blüten, 1 Glied 8 Blüten, 2 Client Bart + 16 Blüten, 3 Glieder 5 Blüten, 3 Glieder. Bart an allen Petalen stark. 4. Juni. 5 Blüten, 1 Glied Bitten. 2 Glieder RE 27 Blüten, 3 Glieder. Beinahe an allen Petalen mit starkem Bart. 5. Juni. 3 Blüten, normal. 4 Blüten, 1 Glied 7 Blüten, 2 Glieder) 30 Blüten, 3 Glieder. Petalen vorwiegend mit starkem Bart. Bart ar eng zusammenschließen,, so dass nur geringe Spalten, die durch auftropfendes Wasser gleich kapillar verschlossen werden, vorhanden sind. So ist hier das Auswaschen der Nektarien, und eine größere Ansammlung von Wasser in den Blüten vermieden. 22 Heinricher, Atavismus und Züchtung. 6 Juni, 6 Blüten, 1 Glied. In 3 Blüten ein Petalum mit Bart. 4 Blüten, 2 Glieder. Petalen ohne Bart. 2 Blüten, 3 Glieder. Bei einer 1 Petalum, bei der andern zwei Petalen mit Bart. 7. Juni. 3 Blüten, normal. 4 Blüten, 1 Glied Ein Teil der Blüten mit Bart an ein- 8 Blüten, 2 Se zelnen Petalen. 25 Blüten, 3 Glieder, Vorwiegend mit starkem Bart an allen Petalen. etc. etc. 11. Juni. 8 Blüten, normal. 6 Blüten; 1 Glied. Petalen ohne Bart. 2 Blüten, 2 Glieder. > = 5 4 Blüten, 3 Glieder. Nur an einem 1 Petalum mit starkem Bart. etc. ete, 14. Juni. 14 Blüten, normal. 8 Blüten, 1 Glied. Zwei mit Bart an je einem Petalum. etc. etc. 18. Juni. 4 Blüten, normal. Man sieht, wie beide Rückschlagserscheinungen gegen Ende der Blüteperiode rasch und stark abnehmen, die Bartbildung an den Petalen aber früher verschwindet als die Ausbildung einzelner Glieder des inneren Staubblattkreises. Die letzte Blüte, welche an allen Petalen noch Bartbildung zeigte, war am 10. Juni aufgetreten. Die letzte Blüte, welche alle 3 Glieder des inneren Staubblattkreises enthielt, am 17. Juni; aber auch die allerletzte Blüte (vom 23. Juni) enthielt noch zwei Glieder. Wohl waren diese Glieder sehr wenig entwickelt; sie erschienen als grüne Höckerchen, welche unterhalb der Basis der Petalen aufsassen. Lehrreicher als die Beobachtung einer ganzen Scheibe, in der die Individuen unentwirrbar durcheinandergedrängt sind, wäre noch die Beobachtung einzelner Individuen. Allein das gleiche Gesetz, das hier an der ganzen Scheibe sich ausprägt, tritt auch an der einzelnen Inflorescenz deutlich hervor. Die ersten Blüten solcher Inflorescenz- sprosse, welche zur Zeit des Höhepunktes der Blütezeit nur Blüten vom Typus der in Fig.2 abgebildeten aufwiesen, begannen mit Blüten, welche relativ geringen Rückschlag zeigten, und schlossen mit solehen oder mit normalen ab. Die geschilderten, thatsächlichen Verhältnisse erkläre ich mir folgendermassen: Zur Zeit, da die Anlage der Blüten beginnt, findet die Zufuhr der Baustoffe noch etwas langsamer statt; die Pflanze arbeitet gewissermaßen noch in etwas trägerer Weise. Deshalb sind die ersten Blüten vereinzelt normal, oder weisen nur relativ schwache Rückschlagserscheinungen auf. Bald aber ist der Zufluss der Bau- stoffe in vollstem und reichlichstem Gange, die Thätigkeit der Pflanze Heinricher, Atavismus und Züchtung. 93 278) im Höhepunkt der Energie, und nun herrschen jene Blüten, welche sowohl die Glieder des inneren Staubblattkreises als auch den Bart an den Petalen ausbilden. Darauf tritt allmählich wieder Mangel an Baumaterial ein; manche Blütenanlage erlangt noch so viel davon, um die Rückschlagserscheinungen wenigstens teilweise hervorbringen zu können, eine bedeutende Zahl aber muss davon ganz abstehen und bildet sich in normaler Weise aus. Für die vorgetragene Anschauung scheint auch die Thatsache zu sprechen, dass wie aus dem 8.17 und folgend Mitgeteilten ersichtlich ist, im der Vererbungs-Kultur II die Rückschlagserscheinungen anfänglich in geringerem Grade auftraten und sich mit dem Erstarken der Pflanzen nach und nach steigerten. Was speziell die Bartbildung an den Petalen betrifft, so war selbe in den ersten Jahren 1888—1890 nieht vorhanden, während sie in den folgenden Jahren in steigendem Maße auftrat und 1895 schon 41,1], der Blüten betraf). Ist der hier gegebene Erklärungsversuch richtig, so dürfte sich durch Eingriffe, welche die Ernährung (im weitesten Sinne des Wortes) zu heben oder zu vermindern im Stande sind, auch der Prozentsatz der Blüten mit Rückschlagserscheinungen etwas erhöhen oder ver- mindern lassen. Versuche in dieser Richtung bleiben noch anzustellen. Die starke Vererbung, welche die hier besprochene Kultur rück- sichtlich der Glieder des inneren Staubblattkreises ergeben hat, dann das häufige Auftreten der zweiten Rückschlagserscheinung, die Bart- bildung an den Petalen, liessen mich weitere Züchtung dieser Charaktere anstreben, um so mehr als die abgebildete Iris pallida Lam., abavia, nicht nur von wissenschaftlichen, sondern auch vom gärtnerischen Standpunkte interessant ist und der Schönheit nicht entbehrt. Deshalb wurden Blüten von der als abavia bezeichneten Form 1893 sowohl untereinander bestäubt, und so Fruchtkapseln erzogen, als auch mit Blüten einer andern Vererbungs-Kultur II. Generation, an 4) Mit dem Mangel an Baustoff hängt es wahrscheinlich auch zusammen, dass in meinen Kulturen, besonders häufig gegen Ende der Blüteperiode, Blüten auftreten, welche Vorstufen der Pseudodimerie darstellen, oder pseudo- dimer, oder echtdimer sind. Es handelt sich im Wesen darum, dass einzelne Glieder der normalen Blüte ausfallen, oder, dass die Blüten an Stelle drei- zähliger Wirtel nur zweizählige bilden. Solche Blüten kamen z. B. in der Vererbungs - Kultur II, im Jahre 1895, bei einer Gesamtzahl von 486 Blüten, 16 vor. Wie erwähnt begann die Blütezeit am 29. Mai und dauerte bis 23. Juni. Die ersten Blüten, welche Vorstufen zur Pseudodimerie darstellten, erschienen am 11. Juni; es waren 2 solche. Am 12. und 13. folgten ebenfalls je zwei solche, am 14. drei, am 16. desgleichen drei, ihnen gesellten sich aber am gleichen Tage 3 dimere (pseudodimere) und eine gleiche trat noch am 19. Juni auf. Ueber Pseudodimerie, vergleiche meine vorn angezogene Abhandlung in Pringsheim’s Jahrbüchern, Bd. XXIV, 8.126 u. ft. 24 Poirault u. Raeiborski, Konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. deren Blüten zwar wohl der innere Staubblattkreis, nicht aber die Bartbildung an den Petalen aufzutreten pflegt. Je zwölf Samen von sieben so erzogenen Kapseln, wobei die Eigen- schaften von „Mutterblüte* und „Vaterblüte* genau gebucht sind, wurden am 3. Febr. 1894 ausgesäet. Leider ist bisher ein einziger Same aller dieser Kulturen auf- gegangen (Febr. 1895). Wie die Revision zeigte, befindet sich noch jetzt ein beträchtlicher Teil der Samen in gutem Zustande vor, wäh- rend ein anderer Teil allerdings verfaulte. Auch von drei aus der 1894er Ernte, unter ähnlicher Auswahl, angesetzten Kulturen ist noch kein Keimungsergebnis zu verzeichnen. Dies erweckt in mir die Befürchtung, dass in Folge fortgesetzter In- zucht die Entwicklungsfähigkeit, der sonst allerdings noch vollkommen ausgebildeten Samen, verloren gegangen sein mag!). Dadurch würde meinen Versuchen, welche auch nach andern Richtungen, vom be- sonderen Interesse, angestellt wurden (Vererbbarkeit der Pseudodimerie, der Dimerie) ein unerwünschter Abschluss aufgedrungen werden. Innsbruck, Botanisches Institut. Oktober 189. [18] Ueber konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. Eine Zusammenfassung von G. Poirault in Paris und M. Raciborski in München. G. Poirault et M. Raciborski, Les Phenom£nes de Caryokynese dans les Uredinees. Comptes rendus vom 15. Juli 1895; Sur les noyaux des Ur&dinees im Journal de Botanique, 1895. Schon Schmitz, dem wir die ersten genauen Angaben über die Kerne der Pilzgruppe der Uredineen verdanken, konnte bei Coleosporium Campanulae, dem häufigen Parasit unserer Campanula- Arten konsta- tieren (Sitzungsberichte der niederrhein. Gesellschaft für Naturkunde zu Bonn, 1879, 5.39), dass in der „Mehrzahl der Fälle die Zellen des „Mycels zwei ziemlich große Kerne führen, die ganz nahe bei einander „liegen, so dass die Zellkerne eines längeren, verzweigten Mycel- „abschnittes höchst eigentümlich paarweise verteilt erscheinen“. Die zweikernigen oder mehrkernigen Zellen sind, wie bekannt, in dem Pflanzen- wie in dem Tierreiche sehr verbreitet. So haben z. B. die Pollenkörner in den meisten Fällen zwei Kerne, welche durch eine Teilung des primären Kernes, ebenso wie die zahlreichen freien Kerne des Embryosacks durch wiederholte Teilungen des Primärkernes ent- stehen. Die beiden Kerne des Pollenkernes, die 8 Kerne eines Embryo- sacks sind also Gesehwisterkerne. 1) Diese Befürchtung wird wesentlich genährt durch die Ergebnisse, welche Dr. Ritzema Bos bei seinen Inzuchtversnchen mit Ratten erhalten hat. Vgl. „Untersuchungen über die Folgen der Zucht in engster Blutsverwandtschaft“. Biologisches Centralbl., 1894, 8. 75. Poirault u. Raeiborski, Konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. 25 Anders bei den Uredineen. Die zwei Kerne einer Uredineenzelle sind keine Geschwisterkerne. Sie sind in der Größe, Gestalt, Reak- tionen und der Zahl der Chromosomen ganz gleich gebaut und es war uns nicht möglich zwischen den zwei Kernen eines Kernpaares irgend welche Differenz zu finden. Doch haben diese Kerne nicht die Fähig- keit jeder für sich allein, von dem anderen unabhängig sich zu teilen. Zur Karyokinese schreiten die beiden Kerne eines Kernpaares immer zusammen, indem sie sich symmetrisch an einander legen und simultan ein Kernteilung durchführen, die einer Mitose gewöhnlicher Kerne in den Stadien der Prophasen, Metaphasen und Anaphasen durchaus ähn- lich erscheint. Erst nach der vollendeten Kernteilung erkennen wir wieder, dass es zwei und nicht ein Kern waren, die sich segmentiert haben, denn wir bekommen an den Spindelpolen nicht je einen, aber je zwei neue Kerne, die sich abrunden, zur Ruhe kommen und bis zur nächsten Kernteilung in der Nähe bleiben. Am leichtesten und am klarsten zu studiren erscheinen diese Ver- hältnisse bei der Bildung der Aecidiosporen. Die Uredineen bilden bekanntlich sehr verschiedene Sporen, die als Aecidiosporen, Sperma- tien, Uredo, Teteutosporen und Sporidien bezeichnet werden. Die Bil- dung der Aeeidiosporen kommt auf die folgende Weise zu Stande. Die Fäden des Pilzes verlaufen zwischen den Zellen der Wirt- pflanze und senden in die letzten verschieden gebaute Saugorgane sogen. Haustorien. In den Zellen der Fäden finden wir gewöhnlich zwei Kerne, manchmal in den Endzellen auch mehr, die dann jedoch zu zweien nebeneinander liegen. In den Haustorien sind immer zwei Kerne vorhanden. Vor der Bildung der Aeeidiosporen drängen zahl- reiche Hyphen unterhalb der Oberfläche des Blattes oder Stengels, wo ihre Enden die mit einem dichten Plasma erfüllt sind, gedrängt neben einander stehen. Die zwei Kerne eines Hyphenendes, die anfangs über einander oder schief liegen, verschieben sich vor der Kernteilung so, dass beide in eine zu der Längsaxe der Hyphe senkrechter Linie kommen. In jedem Kern ist ein großer Nukleolus, häufig mit kleinen Vakuolen in dem Inneren sichtbar. Dieser Nukleolus liegt vor der Kernteilung unmittelbar unter der Kernmembran. Nach der erwähnten Verschiebung der Zellkerne sind die Nukleolen immer an der nach außen gewandten Seite des Zellkernes vorhanden, dagegen sammelt sich das Chromatingerüst an der inneren Seite des Zellkernes, also an der Stelle, wo die beiden Kerne neben einander liegend, sich gegen- seitigfast berühren. Das Chromatingerüst verdichtet sich mehr und mehr, und endlich, nachdem die Kernmembran verschwindet, verschmilzt das ganze Chromatin eines Zellkernes zu einem einzigen Segment, einem Chromosoma. In diesem Stadium liegen in dem Plasma der Hyphe an einer transversalen Linie zwischen zwei randständigen Nukleolen zwei Chromatinsegmente in der Mitte, von welchen jedes das ganze Chro- 26 Poirault u. Raeiborski, Konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. matin eines Zellkernes umfasst. Jetzt strecken sich die Chromosomen in der Längsaxe der Kernspindel, sie sind grade und stäbchenförmig, und in jedem erscheint eine deutliche Längsspalte. In dem weiteren Verlaufe der Teilung ziehen sich die Tochtersegmente eines Chromo- soms zu den entgegensetzten Polen der Spindel, verkürzen sich, ver- dicken und erscheinen endlich an den Polen als zwei neben einander liegende birmförmige Körperchen. Während nun bei der gewöhnlichen Kernteilung alle Segmente, die an einem der Spindelpole angesammelt sind von einer gemeinsamen Plasmamembran umschlossen werden und so einen Kern bilden, wird bei den Uredineen ein jedes Chromosom für sich allein von der Plasmamembran umschlossen und so entstehen an den Polen der Kernspindel nicht ein, sondern zwei Kerne. Das obere Ende eines Pilzfadens mit den zwei neu gebildeten Kernen wird von dem unteren Teile desselben durch eine Wand ab- getrennt, wird jedoch nicht gleich zu einer Spore, aber schnürt noch früher nach unten eine kleine sogen. Zwischenzelle ab. Bei der Bil- dung der Zwischenzelle teilen sich die 2 Kerne der Zelle in derselben Weise simultan in der Richtung der Längsaxe. Die beiden an dem unteren Pol gebildeten Kerne der Zwischenzelle werden jetzt durch eine schiefe Wand von den beiden oberen Kernen der reifen Aecidio- spore abgetrennt. Aus dem mitgeteilten geht hervor, dass die beiden Kerne der Uredineen zusammen eine Einheit darstellen, dass zwischen ihnen ein gewisser Zusammenhang besteht, der sie zwingt nie allein, sondern immer zusammen, und dazu in einer ganz regelmäßigen, symmetrischen Weise zur Teilung zu schreiten. Solche Kerne haben wir konjugate, solche Kernteilung eine konjugate Kernteilung genannt. Nicht nur während der Bildung der Aeeidiosporen, aber auch in- den vegetativen Hyphen, wie auch bei der Bildung der Teleutosporen haben wir immer nur die konjugate Kernteilung gesehen. Von den über SO Uredineenarten die wir untersucht haben eignen sich nicht alle für die Untersuchungen (manche haben zu kleine Zellkerne) doch bei 19 Species ist uns gelungen die Anwesenheit eines einzigen Chromo- som in dem Zellkerne und die konjugate Kernteilung nachzuweisen. Es sind das die folgenden Arten: Trachyspora Alchemillae, Puccinia Aegopodii, liliacearum, Caeoma. der Ooleosporium Sonchi, Senecionis, Euphrasiae, Campanulae, Aecidien der Puccinia Gentianae, Magnusiana, Thesü, Poarum, Swertziae, der Uromyces Vieiae, Poae, Pisi, Aecidium leucospermum, Thalietri, Leucanthemi, Caeoma Aegopodii. Bei allen diesen Rostpilzarten, wo wir die konjugate' Kernteilung gesehen haben, konstatierten wir immer die Anwesenheit nur je eines Chromosoms in dem Kerne während der Teilung. Die langen, graden Chromosomen zweier konjugaten Kerne liegen immer in der Längsaxe der Spindel, spalten sich der Länge nach in je zwei Tochtersegmente Poirault u. Raeiborski, Konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. 27 die nach den entgegengesetzten Polen sich zurückziehen. Mit Hilfe der besten Linsen die uns zu Gebote standen (Zeiss, Apochromat 2 mm, 1:3 Ap., Seibert !/, 132 Ap.) konnten wir in den relativ dieken Chromosomen keine Differenzierung sehen, sie erscheinen ganz homogen, kompakt. Die Kerne der Uredineen besitzen die kleinste denkbare Zahl der Chromosomen. Bei den Pflanzen waren so wenig Chromosomen zäh- lende Kerne bisher unbekannt, bei den Tieren sind sie schon längst bei der Ascaris megalocephala typ. van Beneden (var. univalens) genau untersucht, wo sie in den Richtungsspindeln zum Vorschein treten. Die Rostpilze dagegen besitzen während der ganzen vegetativen Periode, und während der Richtung der Aecidio- und der Teleutosporen nur ein Kernsegment. Charakteristisch für die konjugate Kernteilung der meisten (nicht aller) Rostpilze ist die Lage der Nukleolen, die von den Kernen aus- gestoßen lange in dem Plasma, fast immer genau in der Ebene des Equators liegen. Bei manchen Arten bleiben sie sehr lange erhalten so z. B. bei Peridermium Pini acicola, wo neben den längst ruhenden, mit neuen Nukleolen versehenen Kernen noch in dem Plasma, die alten Kernkörperehen der Elternkerne herumiıren. Mit den Centro- somen haben somit diese extranukleolären, vakuoligen Nukleolen nichts zu -thun. Nicht während der ganzen Entwicklung besitzen die Uredineen die konjugaten Kerne und konjugate Kernteilung. In einem gewissen Stadium verschmelzen die beiden konjugaten Kerne mit einander und dieser einzige Verschmelzungskern verhält sich während der Teilung ganz ähnlich, wie die zwei getrennten konjugaten Kerne zusammen. Während der Teilung bildet dieser Verschmelzungskern zwei Chromo- somen, die nach der Spaltung und Vollendung der Anaphasen zwei, nicht vier Tochterkerne liefern. Soweit wir bis jetzt untersucht haben, ist das Stadium in der Entwicklung der Rostpilze, in welchem die Zellen derselben nur einen Zellenkern mit je 2 Chromosomen besitzen, sehr beschränkt. Bei den Uredineen verschmelzen die zwei Kerne einer Teleutospore, und nach der Verschmelzung teilt sich der Ver- schmelzungskern noch 2mal, die vier Kerne der Basidie liefernd. Jeder Kern der Basidie wandert durch einen Schlauch (sterigma) in die kleine Sporidie und da teilt er sich nochmals. Die zwei so entstan- denen Kerne der Sporidie wandern aneinander und in ihnen haben wir wieder die konjugaten Kerne vor uns. Die Sporidie keimt auf der Nährpflanze und dureh die ganze folgende Wachstumsperiode bis zur Bildung neuer Basidieen, teilen sich die Kerne eines Rostpilzes, soweit wir untersucht haben!), auf die konjugate Weise. 1) Wie sich die einkernigen Spermatien bei der Keimung verhalten bleibt noch zu untersuchen. 98 Poirault u. Raeiborski, Konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. Wir haben also, in der Entwieklung der Rostpilze zwei verschie- dene Phasen erkannt. Eine sehr lange dauernde Generation, wo in den Zellen 2 konjugate Zellkerne zu finden sind, die bei der Teilung je ein Chromosom liefern, und eine andere, ganz kurze Generation der Basidie, wo in den Zellen nur ein Zellkern vorhanden ist, der jedoch bei der Teilung zwei Chromosomen erzeugt. Die Chromosomen der Basidiengeneration sind sehr merkwürdig gebaut, unregelmäßig, mit Einsehnürungen versehen, sehr lang, vielfach in Bruchstücke zerfallen. Die für die Uredineen charakteristische Erscheinung der konju- gaten Kerne ist geeignet, auf die Rolle des Kernes in der Zelle, ein neues Licht zu werfen. Indem wir auf die große Uebereinstimmung einer konjugaten, simultanen Kernteilung zweier Kerne mit einer nor- malen, karyonetischen Segmentierung eines Kernes mit 2 Chromosomen erinnern, wollen wir anknüpfen auf die trefflichen Auseinandersetzungen Boveri’s (Zellenstudien III, p. 55). „Die durch Teilung entstehende „Zelle wird einkernig, wenn die ihr zugeteilten Chromosomen so dicht „zusammengelagert sind, dass sie entweder gleich von Anfang an eine „gemeinsame Vakuole um sich erzeugen oder dass wenigstens die zu- „nächst um die einzelnen Elemente auftretenden Bläschen noch vor „ihrer vollen Ausbildung sich berühren und verschmelzen. Ist dagegen „der Abstand der einzelnen Teile während dieser Bildungsperiode zu „groß, so wird die Zelle mehrkernig dauern“. Und etwas weiter: „Wenn es ganz gleichgiltig ist, ob das Kernmaterial einer Zelle in „einem Kern vereinigt ist, oder verteilt auf zwei oder mehrere Vakuolen, „so folgt daraus, dass der gewöhnliche einfache „Kern“ weder morpho- „logisch noch physiologisch eine Einheit ist, sondern sozusagen nur „ein gemeinsames Haus für eine Anzahl gleichwertiger, voneinander „unabhängiger Bestandteile, die ihre Funktionen ebensogut getrennt „auszuüben vermögen“. Dem gegenüber wollen wir betonen, dass es uns zweifelhaft er- scheint ob nur die weitere Entfernung der Chromosomen zu Ende der Anaphasen oder ihre dichte Zusammenlagerung die Ursache ist, warum die einzelnen Chromosomen bei der konjugaten Teilung getrennte Kerne bilden oder später miteinander verschmelzen. Es sind doch die Chromo- somen an den Polen der Spindel bei der konjugaten Kernteilung in derselben Entfernung voneinander, wie bei der gewöhnlichen Mitose in den Basidieen, trotzdem liefern sie in dem letzten Falle nur je einen gemeinsamen Kern, in den ersten dagegen zwei Kernblasen. Es müssen also andere Gründe sein, welche die Chromosomen nach den Anaphasen, oder die ruhenden Kerne der Teleutosporen zwingen, miteinander zu verschmelzen oder getrennt zu bleiben. Thatsächlich scheint es sich bei den Zellen der Rostpilze um „Halb- kerne“ zu handeln, „die erst in ihrer Gesamtheit alle Qualitäten des „sonst vorhandenen einheitlichen Kerns repräsentieren und die sich Poirault u. Raciborski, Konjugate Kerne und die konjugate Kernteilung. 29 er „aus diesem Grunde nicht jeder für sich teilen, sondern zusammen „eine karyokinetische Figur erzeugen, wie sie einem gewöhnlichen ein- „heitlichen Kern entspricht“. Wenigstens unter den in der Natur schon gegebenen Verhältnissen, findet man immer nur eine konjugate Kern- teilung dieser Halbkerne. Ob jedoch ein solcher „Halbkern“ nicht auch für sich allein in gewissen Umständen ein regenerationsfähiges Ganzes darstellt, kann nur ein Experiment belehren. Es bleibt uns noch die Kernverschmelzung in den Teleutosporen der Rostpilze zu gedenken. Diese hat schon Rosen (Cohn’s Bei- träge VI) beobachtet, später hat sich mit denselben Dangeard und Sappin-Trouffy beschäftigt (Comptes rendus 1893; le Botaniste 1893). Die letzten Autoren fassen die beiden verschmelzenden Kerne als einen männlichen und einen weiblichen auf, die miteinander kopulieren. Wir hatten also bei den Uredineen mit einer Befruchtung zu thun, welche zwar die Autoren „pseudo-fecondation“ nennen. Strasburger, der vor kurzem in dieser Zeitschrift (Biol. Centralbl., 1894, S. 864) die Untersuchungen Dangeard’s und Sappin-Trouffy besprochen hat, meint: „wenn die Kerne, die auf solche Weise zur Vereinigung kom- „men, weit auseinander liegenden Teilungsschritten in der Pflanze ihren „Ursprung verdanken, so könnte immerhin durch ihre Vereinigung ein „gewisser Ausgleich erzielt werden, der eine unveränderte Erhaltung „der Art sichern möchte. Diese Verschmelzung der Kerne ließe sich „dann in der That in ihrem physiologischen Nutzeffekt mit einem Be- „fruchtungsvorgang vergleichen. Thatsächlich fehlen aber noch die „Anknüpfungspunkte für einen verschiedenen Ursprung dieser ver- „schmelzenden Kerne, ebenso wie für ihre Verschiedenheit überhaupt „und kann man daher geneigt sein, den Schwerpunkt der Verschmelzung „hier in die Stärkung der ernährungsphysiologischen Funktionen dieser „Kerne zu verlegen“. Es zeigen nun unsere Untersuchungen, dass zwischen den beiden verschmelzenden Kerne keine morphologische oder tinktionelle Ver- schiedenheit zu finden ist, dagegen ist es gelungen nachzuweisen, dass dieselben wirklich keine „Geschwisterkerne“ sind, aber weit ausein- ander liegenden Teilungsschritten in der Pflanze ihren Ursprung ver- danken. Sollen wir deswegen in dem Vorgange der Kernverschmelzung der Uredineen eine Befruchtung sehen? Mehrere Gründe veranlassen uns zu einer — wenigstens zur Zeit — verneinden Antwort. Aehnliche Verschmelzung finden wir zwischen den beiden primären Endosperm- kernen des Embryosacks'), die doch nicht als Befruchtung aufgefasst wird. Warum aber sollen wir die Kernverschmelzung der Uredineen 1) Zwischen den beiden Vorgängen ist natürlich eine große Differenz in den Folgen nicht zu verkennen. Die verschmelzenden Kerne der Uredineen regenerieren die Pflanze, liefern eine neue Generation, das Endosperm da- gegen nicht, 30 Zacharias, Sucher -Okular mit Irisblende. mit der Verschmelzung der sexuellen Kerne, und nieht der Verschmel- zung der Endospermkerne in Parallele setzen? Oder wollte jemand vielleicht auch den letzten Vorgang eine Befruchtung nennen? In solchem Falle wird jedoch der Begriff der Befruchtung zwar sehr er- weitert, verliert aber in demselben Maße an bestimmter Schärfe, in welchem er an der Breite und Unklarheit gewinnt. Dazu kommen noch andere Betrachtungen, welche sich leicht in Anknüpfung an die oben mitgeteilten Gedanken Boveri’s weiterspinnen lassen. Die konjugaten Kerne verhalten sich während der Kernteilung wie ein normaler Kern. Die Differenz in der Verwandlung isolierter Chromosomen zu getrennten Kernen, die in den Zellen der Teleuto- spore eine Zeit lang nach den Anaphasen miteinander verschmelzen, während die Chromosomen eines gewöhnlichen Kernes gleich nach den Anaphasen verschmelzen. Von dem Momente an, wo wir in der Kern- verschmelzung der Uredineen einen sexuellen Vorgang erblicken, sollten wir mit gutem oder schlechtem Recht in jeder Verschmelzung der Chromosomen nach den Anaphasen der karyokinetischen Kernteilung auch eine Analogie der Befruchtung erkennen. Doch wollen wir nicht leugnen, dass die weiteren Untersuchungen der sonderbaren Vorgänge in den Uredineenzellen, Ausdehnung der- selben auf die so verschiedenen, in dieser Beziehung vollständig oder fast vollständig unbekannte Gruppen der Pilze wahrscheinlich zu Re- sultaten führen wird, welche einerseits auf den Vorgang der Kern- teilung, andererseits vielleicht auch auf den Vorgang der Befruchtung neue Lichtstrahlen werfen können. 28. Juli 1895. [3] Sucher-Okular mit Irisblende. Von Dr. Otto Zacharias in Plön. Zur Durchmusterung der Planktonfänge und zur Besichtigung von solchen Präparaten, welche eine größere Mannigfaltigkeit von Objekten enthalten, von denen schließlich ein einziges (bestimmtes) ins Auge gefasst werden soll, be- diene ich mich neuerdings eines kürzlich in der optischen Werkstätte von C. Zeiss (Jena) konstruierten Sucher-Okulars, dessen Hauptvorzug in der Größe und Helligkeit des Gesichtsfeldes besteht. Wir haben hier in der Bio- logischen Station dieses Okular erst seit wenigen Monaten in Gebrauch, das- selbe ist uns aber bereits ganz unentbehrlich geworden, so dass ich es solchen Interessenten, welche ähnliche Zwecke beim Mikroskopieren verfolgen, wie wir in Plön, nur angelegentlichst zur Anschaffung empfehlen kann. Der Preis dieses neuen Okulars beträgt etwa 25 Mark. Eine offizielle Angabe der Firma Zeiss darüber liegt zurzeit noch nicht vor. Bekanntlich hängt das Sehfeld jedweden Okulars in erster Linie vom Durchmesser seiner dem Objektiv zugewandten Kollektivlinse ab und unter sonst gleichen Verhältnissen ist es dem Durchmesser der letzteren nahezu pro- portional. Während nun bei den stärkeren Okularen die Kollektivlinse und damit das Gesichtsfeld so groß ist, als es sich mit genügender Schärfe und Klarheit des vom Objektiv gelieferten Bildes vereinigen lässt, ist dies bei den schwächeren Okularen nicht mehr der Fall und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der Tubus des Mikroskops bei dessen gewöhnlicher Konstruktion eine Vergrößerung des Okulardurchmessers bis zu dem erforderlichen Betrage nicht mehr gestattet. Hinsichtlich des stärkeren Okulars dagegen gilt nach optischen Zacharias, Sucher-Okular mit Irisblende. 31 Gesetzen im Allgemeinen die Regel, dass bei denselben die Vorderlinse erheb- lich verkleinert werden kann, ohne dass dadurch das Sehfeld eine entsprechende Beeinträchtigung erfährt. Bei dem Huyghens’schen Okular Nr. 3 (also einem solehen von mittlerer Stärke) und bei dem Kompensations-Okular Nr. 6 ist ungefähr die Grenze erreicht, wo die Kollektivlinse zur Brennweite noch im richtigen Verhältnis steht. Bei Okularen aber, welche schwächer sind als diese, lässt die mechanische Kon- struktion des Mikroskops, d. h, die geringe Weite des Tubus am Okular-Ende eine der größeren Brennweite angemessene Vergrößerung des Kollektivs nicht mehrzu, wodurch das Sehfeld beträchtlich kleiner wird, als es aus optischen Grün- den zu seinbrauchte. Dieser Uebelstand wird um so stärker empfunden, als die Anwendung eines schwächeren Okulars hauptsächlich den Zweck hat, einen größeren Flächenteil des Präparats unter Verzichtleistung auf bedeutende Ver- größerung im Sehfelde zu behalten. Dieser Zweck wird aber durch die jetzige Konstruktion der schwachen Okulare fast völlig verfehlt und bei der gegenwärtig allgemein üblichen Konstruktion der Mikroskope ist dies auch nicht zu vermeiden. Wollte man hier Wandel schaffen, so blieb nichts weiter übrig, als von der erwähnten mechanischen Einrichtung ganz abzusehen und den ausziehbaren Tubus zu entfernen. Geschieht dies, so bietet das äußere Rohr eine genügende Weite dar, um ein größeres Sehfeld zu ermöglichen. Konstruiert man nunmehr ein schwaches Okular (etwa wie Nr.2 der Zeiss’schen Firma) mit so großen Linsen als seiner Brennweite entspricht, so kann man dasselbe an seinem unteren Ende mit einem Gewinde versehen, mit dem es sich unmittelbar auf den äußeren Tubus aufschrauben lässt. Vorher muss natürlich die Hülse, welche dem ausziehbaren Tubus zur Führung dient, weggenommen werden. Da nun jetzt der Okularkörper frei über der Tubusöffnung steht und nicht mehr vom Auszieh-Stück umschlossen wird, so war es nun möglich, am Okular eine Ein- richtung anzubringen, nach welcher sich schon oft ein Bedürfnis gezeigt hatte. Es ist dies der Ersatz der gewöhnlichen festen Blende durch eine lris-Blende mit veränderlicher Oeffnung, wie sie unterhalb des Kondensors mit so viel Vorteil angewandt wird. Denn nun ist Spielraum für das aus der Fassung herausragende Knöpfchen vorhanden, durch dessen Verschiebung der innere Mechanismus der Blende, resp. deren Oeffnungsweite auf das Genaueste reguliert werden kann. Auf die Vorteile einer solchen Irisblende ist erst jüngsthin von Cowes (vergl. die Verhandlungen der physiol. Gesellschaft, Berlin) aufmerk- sam gemacht worden. Im Zeiss’schen Spezialkatalog Nr. 2 (über Apparate für Projektion und Mikrophotographie) wurde ein mit der gleichen Einrichtung versehenes Okular unter Nr. 210a bereits beschrieben; dasselbe ist seinerzeit für den speziellen Zweck von Projektionen konstruiert worden. Die Anwendung der Irisblende vereinigt die Vorteile der sogenannten Ehrlich’schen Blende mit den Vor- zügen, welche eine kontinuierliche Aenderung der Größe des Sehfeldes neben bequemer Handhabung des dazu erforderlichen Mechanismus darbietet. An dem von der Zeiss’schen Werkstätte jetzt hergestellten Okular Nr. 2 mit Iris- blende trägt der die letztere bewegende Ring eine Teilung, welche direkt die lineare Größe der Blendenöffnung abzulesen gestattet, so dass man jederzeit über die absolute Größe des Sehfeldes orientiert ist. Im Uebrigen ist dieses Okular so eingerichtet, wie die Messokulare der Firma Zeiss, d. h. die Augenlinse ist für sich besonders in eine Hülse gefasst, die sich in dem eigentlichen Okularrohr — behufs Einstellung auf die Blenden- öffnung — verschieben lässt. In dem Gehäuse der Irisblende ist eine Aus- drehung für die Aufnahme von Mikrometerplättchen, Strichkreutzen u. dergl. vorhanden, auf welche die Augenlinse gleichfalls eingestellt werden kann. Um schließlich die eingelegte Teilung bequem in die Messungsrichtung zu bringen, ist das ganze Okular um seine optische Axe drehbar. Das Gesichtsfeld des- selben ist, wie eine vergleichende Ermittelung ergeben hat, im Durchmesser etwa um die Hälfte größer (in der Fläche also 2,25 mal so groß) als der des gewöhnlichen Huyghens’schen Okulars von gleicher Brennweite. Es ist augen- scheinlich, dass ein derartiges Okular für manche Zwecke ausgezeichnete Dienste leistet; so z.B. kann ich es besonders auch fürZählungen mikroskopischer Objekte empfehlen, wobei es namentlich mit Objektiv (Zeiss) 44 zu verbinden ist. [23] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. —. Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Verlag von Gustav Fischer in Jena. VE TS u Naturwissenschaftliche Neuigkeiten des Jahres 1895. a Dr. W., Prof. der Physiologie in Jena, Elektro- Biedermann, physiologie. Zweite Abteilung. Mit 149 Abbildungen. Preis 9 Mark. Preis für das vollständige Werk: brosch. 18 Mark, geb. 20 Mark. Detmer Dr. W., Professor an der Universität Jena, Das pflanzen- » physiologische Praktikum. Anleitung zu pflanzen- physiologischen Untersuchungen für Studierende und Lehrer der Natur- wissenschaften sowie der Mediein, Land- und Forstwissenschaft. Mit 184 Abbildungen im Text. 2. völlig neu bearbeitete Auflage. Preis: broschiert 9 Mark, gebunden 10 Mark. Eimer Dr. G.H. Theodor, Professor der Zoologie und vergleichenden » Anatomie zu Tübingen, Die Artbildung und Verwandt- schaft bei den Schmetterlingen. Zweiter Teil. Eine syste- matische Darstellung der Abänderungen, Abarten und Arten der Schwalbenschwanz-ähnlichen Formen der Gattung Papilio. Unter Mitwirkung von Dr. K. Fickert. Mit 4 Tafeln in Farbendruck und 7 Abbild. im Text. Preis 14 Mark. Groos Karl, a.0. Professor der Philosophie in Giessen. Die Spiele »‚ der Tiere. Preis 6 Mark. He mons Dr. Richard, Privatdozent und Assistent am Zoologischen Y 9 Institut der Königl. Universität in Berlin. Die Embryo- nalentwickelung von Dermapteren und Orthopteren unter besonderer Berücksichtigung der Keimblätterbildung monographisch be- arbeitet. Mit 12 lithographischen Tafeln und 33 Abbildungen im Text. Preis 30 Mark. Klebs Dr. Georg, Professor der Botanik in Basel. Ueber einige ‚Probleme der Physislogie der Fortpflanzung. Preis brosch. 75 Pfennig. Me er Dr. Arthur, ord. Professor der Botanik u. Direktor des bota- y » nischen Gartens zu Marburg, Untersuchungen über die Stärkekörner. Mit 9 Tafeln und 99 in den Text gedruckten Figuren, Preis 20 Mark. Möller Alfred, Brasilische Pilzblumen. Mit 8 Tafeln. ) Preis 11 Mark. Möller Alfred, Protobasidiomyceten. Untersuchungen aus » Brasilien. Mit 6 Tafeln. Preis 10 Mark. Die beiden Möllerschen Arbeiten bilden das 7. und 8. Heft der Botanischen Mitteilungen aus den Tropen, herausgegeben von Dr. A. F. W. Schimper. 1 Richard, Dr. med. et phil., Professor an der Universität Neumeister, Jena, Lehrbuch der physiologischen Chemie mit Berücksichtigung der pathologischen Verhält- nisse. Für Studierende und Aerzte. I. Teil. Die tierischen Gewebe und Flüssigkeiten. Mit einer lithograph. Tafel. Preis 8 Mark 50 Pf. Preis für das vollständige Werk brosch. 15 Mark 50 Pf. Ortmann Dr. Arnold E., in Princeton N. Y. U.S.A., Grundzüge der ‚ marinen Tiergeographie. Anleitung zur Untersuchung der geographischen Verbreitung mariner Tiere, mit besonderer Berücksich- tigung der Dekapodenkrebse. Mit 1 Karte. Preis 2 Mark 50 Pf. a a Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 34 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. V1l. Band. 15. Januar 1896. Nr. 2. Inhalt: Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. — Nagel, Ueber eiweiß- verdauenden Speichel bei Insektenlarven. -— Beer, Die Accommodation des Fischauges. — Beer, Studien über die Accommodation des Vogelauges. — Zacharias, Ueber die natürliche Nahrung der jungen Wildfische in Binnen- seen. — Haeckel, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn. Ueber die einfachen Farben im Tierreich. Antrittsvorlesung, am 28. Oktober 1895 gehalten, von Prof. Dr. Heinrich Simroth in Leipzig. Wer von Farben reden will, muss wohl vom Licht ausgehen. Die allgemeinsten Beziehungen der Organismen unter einander und zur anorganischen Natur werden vermittelt durch das Licht. Das Auge wird immer unser vornehmstes Sinneswerkzeug bleiben, weil es uns über die Welt den weitesten Aufschluss gibt. So oft auch im Tierreich die unmittelbaren praktischen Bedürfnisse des Nahrungserwerbes und des Geschlechtslebens den Geruchswahrnehmungen etwa ein Uebergewicht über das Gesicht verschafft zu haben scheinen, immer bleibt doch der Geruch in bestimmten Organen lokalisiert, die allein auf andringende Gase reagieren, während, selbst im Falle völligen Augenmangels, ursprünglichen oder erworbenen, doch die ganze Haut noch über und über. den Einfluss des Lichtes bezeugt in ihrem Farbenkleide, sei es auch bis zur Negation der beiden Faktoren, des Lichtes und der Farbe, bei farblos gewordenen Höhlentieren. So wenig man sich diesem mächtigen Eindruck entziehen kann, so schwierig ist der Nachweis im Einzelnen. Gerade auf der höchsten Staffel wird man am meisten schwankend, und man ist wohl längst davon zurückgekommen, die Hautfarbe der verschiedenen Menschen- XVl. 3 34 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. rassen als eine unmittelbare Wirkung des Lichtes zu betrachten. Oder um ein Beispiel von den Wirbellosen zu entlehnen, unsere größte Nackt- schnecke, Limax maximus, in der Jugend rot, später in unserem Vater- lande mannigfach aus weiß, grau, braun und schwarz gesprenkelt und gefleckt, sie wird in der frischen Luft unserer Berge durchweg schwarz, bis auf die regenreichsten Distrikte z. B. des Erzgebirges, wo zwischen den schwarzen vereinzelt und völlig unvermittelt rein weiße auftreten, ohne jede Spur von Pigment in der Haut, mit Ausnahme der Augen. In diesen Fällen handelt es sich um innere, konstitutionelle Ursachen, die an Farbstoffe des Blutes und vielleicht der Leber anknüpfen, nicht aber unmittelbar auf das Licht zu beziehen sind. Und nun jenes Heer von Thatsachen, welches man wohl unter den Bezeichnungen der Schutzfärbung und Mimiery znsammenfasst. Man könnte noch etwa daran denken, für die einfacheren Fälle eines gleichmäßigeren Kolorits einen einfachen Zusammenhang anzunehmen und zu behaupten, dass der grüne Laubfrosch, grüne Raupen, grüne Heuschrecken auf grünen Blättern, graubraune Kröten und Gryllen auf erdigem Grund, noch mehr die sandfarbigen Wüstentiere auf der breiten Sandfläche, rosenrote Schnecken und Würmer auf roten Florideenwiesen der tiefern Litoralregion u. dergl. m. ihr Kleid durch die direkte Be- einflussung der von der nächsten Umgebung reflektierten Lichtstrahlen erworben hätten. Möglich, dass hier und da auch ein derartiger Kausalnexus vorhanden ist. Der Erklärungsversuch versagt sofort, wenn wir ein komplizierteres Beispiel echter Mimiery heranziehen. Wenn da das eine Tier das aus vielen Farben und Abstufungen ge- mischte Kleid eines andern nachahmt bis in alle Einzelheiten der Zeich- nung, der grelleren Flecke, der zartesten Abtönungen hinein, dann erscheint es direkt unmöglich, die Einzelreize und Auslösungen duzch das zusammengesetzte Sonnenlicht übertragen und aus demselben sich sondern zu lassen. Hier bleibt zunächst nichts anderes übrig, als mit dem Darwinismus auch in Bezug auf die Färbung eine freie Variabilität der Organismen anzunehmen und der natürlichen Auslese im Kampf ums Dasein die Erhaltung und Festigung des Brauchbarsten zu über- lassen. Die Ursachen der Variabilität und deren Gesetzmäßigkeit werden auf irgend einem andern Gebiete zu suchen sein, etwa auf dem der Wachstumsgesetze, die durch die jeweiligen Verschiedenheiten des tierischen Bauplanes geregelt werden, oder auf dem der Aus- scheidungen, welche bestimmt gefärbte Exkrete der malenden Natur zur Verfügung stellen, oder unter Umständen selbst auf dem der histo- rischen Geologie, wie sich etwa die Mimiery unter den neotropischen Schmetterlingen in einem aus Gelb, Braun und Schwarz gemischten Kleide abspielt, die unter den äthiopischen und indischen in einem schwarz- und weißgefleckten oder blauschillernden, und wie möglicher- weise diese auf große Gebiete ausgedehnten Trachten mit einem aus- Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. 35 gebreiteten Lokalkolorit eben dieses Gebiets in irgendwelcher zurück- liegenden Erdperiode ihren Grund haben!). Hier stehn wir in Bezug auf Kleid und Tracht dem kompliziertesten Gewebe gegenüber, dessen Entwirrung noch viele Einzelarbeit er- heischen wird, bis die Möglichkeit erreicht ist, die verschiedene Rich- tung von Faden und Einschlag unter einen allgemeinen, einheitlichen Gesichtspunkt zu bringen. Und doch scheint es mir an der Zeit, bereits jetzt an der Funda- mentierung zu arbeiten und auf eine Summe von Erfahrungen der letzten Jahre hinzuweisen, welche in recht erfreulicher Weise nach einem gemeinsamen Augenpunkt konvergieren und es vielleicht gestatten, das Problem seiner Lösung um einen Schritt näher zu bringen. Frei- lich dürfen wir da nicht von jenen erwähnten vielfach zusammen- gesetzten Fällen ausgehen, sondern wir müssen uns, wie überall, an möglichst einfache Grundlagen halten. Die können aber bei Licht und Farbe nichts anderes sein, als die einfachen Spektralfarben, nicht in dem strengen Sinne des monochromatischen Lichtes wie bei der Natrium- oder Thalliumflamme, sondern in der allgemein üblichen Bezeichnung der sieben Regenbogenfarben. Es scheint in der That, als wenn fast alles, was von derlei ein- farbigen Pigmenten in der gesamten organischen Natur, nicht im Tier- reich allein, vorkommt, sowohl in seiner Genese, wie in seiner physiologisch-biologischen, vielleicht selbst psychischen Bedeutung auf einen einzigen Urgrund, einen einzigen wertvollen Stoff zurückgeht, der mit dem ursprünglichen Protoplasma aufs Engste verquickt ist und sich in seiner weiteren Entwicklung und Gliederung den einfachen Spektralfarben in der Reihenfolge des Regenbogens unmittelbar an- schließt. Der Wege, die zu diesem Resultate zusammenführen, sind, wie mir scheint, vorläufig drei. Zwei entstammen der Litteratur, einen dritten möchte ich versuchen hinzuzufügen. Der erste knüpft, bei der grundlegenden Bedeutung der Sinnes- wahrnehmungen für unsere gesamte Erkenntnis, naturgemäß an das Auge an; den zweiten, auf einem breiteren Terrain, haben physio- logische Chemiker, namentlich Botaniker gangbar gemacht. 1) Beim Auge ist es selbstverständlich in erster Linie der Seh- purpur, der hier in Frage kommt. Der Ausdruck „Purpur“ erscheint von unserem Standpunkt aus nicht ganz glücklich gewählt, da man leicht an jene Zwischenfarbe zwischen Rot und Violett denken könnte, 4) Sehr lehrreich waren die bez. Zusammenstellungen Doederlein’s, welche er auf der letzten Versammlung der zool. Gesellschaft in Straßburg vorlegte, sowie die Diskussion darüber. Namentlich beweisend waren die Fälle von Nachtschmetterlingen, welche die gleiche Tracht hatten wie die Tagfalter desselben Gebietes, so dass von Mimiery nicht wohl die Rede sein Konnte, 3% 36 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. welche man einschaltet, wenn man das Spektrum zum Zwecke be- quemer linearer Verbindung der Komplementärfarben unter der Form eines Kreises oder Dreiecks darstellt. Bezeichnender ist der terminus technieus Rhodopsin, und alle Unklarheit verschwindet, wenn man an die Veränderungen denkt, die der Sehpurpur unter der Einwirkung des Lichtes erleidet; dann geht das Sehrot in Sehgelb über, wir haben also die engste Anschmiegung an die weniger brechbare Seite des Spektrums mit den längsten Lichtwellen. Ueber die Bedeutung des Sehpurpurs hat sich wohl zuletzt, im vorigen Jahre, A. Koenig ausgesprochen!) (vergl. den Nachtrag). Seine Unter- suchungen ergaben, dass beim Menschen die Verteilung der Lichtabsorption des Sehpurpurs zusammenfällt mit der spektralen Helligkeitsverteilung bei totaler Farbenblindheit; für Di- und Trichromaten, also farbenempfind- liche Individuen gilt dasselbe Gesetz auf den untersten Stufen der Liehtwahrnehmung vom Dunkeln aus, d. h. bei so niedrigen Hellig- keitsgraden, bei denen noch keine Farbenempfindung möglich ist. Schwache Zersetzung des Sehpurpurs verursacht also die der Reiz- schwelle (mit Ausnahme des Rot) allgemein zukommende farblose Empfindung, d. h. Grau. Bei stärkerer Zersetzung des Rhodopsins, die sich dann auch auf das erst gebildete Sehgelb erstreckt, entsteht die Empfindung Blau. Man darf wohl die Vermutung hinzufügen, dass das Blau, als Komplementärfarbe, lediglich eben auf das Sehgelb zurückzuführen ist, angesichts einer Reihe nachher zu besprechender Thatsachen. Da der Ort des schärfsten Sehens, die Fovea centralis, welche nur Zäpfchen, aber keine Stäbchen trägt, des Sehpurpurs ent- behrt, ergibt sich die durch den Versuch bewiesene überraschende Thatsache, dass dieselbe blaublind ist. Bei Totalfarbenblinden ist der Sehpurpur die einzige lichtempfindliche Substanz, das aus ihm hervor- gehende Sehgelb ist hier aber auch nicht weiter zersetzbar. Bei Seite lassen möchte ich die noch nicht genügend geklärte Annahme Koenig’s, dass die noch unbekannten Substanzen für die beiden anderen Grund- empfindungen Rot und Grün, die beiden anderen Komplementärfarben also, schwerer zersetzbar sind, als der Sehpurpur, sie sollen ihren Sitz vielleicht in den Zapfen und dem Pigmentepithel haben. Andere Schwierigkeiten entstehen zunächst aus dem Mangel des Sehpurpurs bei manchen Tieren, z. B. Vögeln und Reptilien, auch aus den Unterschieden von Nacht- oder Dämmerungstieren, wie Eule und Fledermaus, von denen ihn nur die erstere aufweist. Indessen wäre es verfrüht, daraus weitere Einwürfe herzuleiten; denn nach der einen Seite ist es noch dunkel, wieweit das Schwarz, mit der höchsten Absorptionsfähigkeit für alle Lichtstrahlen, sich zu den Sehvorgängen verhält, auf der anderen kommen noch die verschiedenen farbigen 4) Arthur Koenig, Ueber den menschlichen Sehpurpur und seine Be- deutung für das Sehen. In: Sitzungsber. Berl. Akad, Wiss.. 1394, S. 577 ft. Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. 37 Pigmente der Zapfen hinzu, die Chromophane, wie sie Kühne, der erfolgreichste Demonstrator aller Augenfarbstoffe, genannt hat. Es sind jene farbigen Tropfen, die im Innengliede der Zäpfchen von Fischen, Reptilien und Vögeln sich finden, und die sich in ein rotes, ein gelbes und ein grünes Pigment gliedern, bez. in Rhodophan, Xantho- phan und Chlorophan. Sie bilden in mehrfacher Hinsicht eine gesetz- mäßige Reihe: alle absorbieren vom Spektrum die stärker brechbare Hälfte, alle haben dazu noch ein oder zwei breite Absorptionsbänder nach der roten Seite hin, das Rhodophan eins, das bis ins Grün reicht, das Xanthophan eins etwa bis an die Grenze von Blau und Grün und das Chlorophan zwei im Blau. In entsprechender Reihe unterliegen sie der Zersetzung durch das Licht: Rhodophan wird am langsamsten, Chlorophan am schnellsten gebleicht, Xanthophan steht auch hier in der Mitte. Nimmt man ihre Komplementärfarben dazu, so hat man das ganze Spektrum. Kühne ist in der That geneigt, die Farben- wahrnehmung ganz auf sie zurückzuführen, entsprechend Hering’s theoretischer Forderung eines dreifachen Sehstoffs. Betonen möchte ich noch zwei Verhältnisse. Unter den verschie- denen Reagentien wirkt konzentrierte Schwefelsäure (wohl durch Ent- ziehung des spärlichen Sauerstoffs unter der Form von Wasser) so ein, dass sie die Farbstoffe durch Grün und Blaugrün in Violett überführt, wenn auch dieses später wieder verschwindet. Sodann bitte ich aueb das Vorkommen von farblosen Tröpfehen an Stelle der gefärbten vor- läufig im Gedächtnis zu behalten. Welches auch schließlich als die richtige Theorie vom Sehen sich ergeben wird, auf jeden Fall steht fest, dass außer dem Schwarz im Auge sehr vielfach noch Pigmente verbreitet sind, welche der linken Hälfte des Spektrums entsprechen, so zwar, dass Rot die allgemeinste Grundfarbe darstellt, an die sich als selbständiger oder abgeleiteter Stoff Gelb und am seltensten Grün anschließt. Das entspricht aber, wenigstens in Bezug auf die Grundfarbe, von der sich alles ableitet, durchaus den Befunden im Tierreich, rote Augen sind die einzigen, die sich, streng genommen, außer schwarzen finden; natürlich ist von der Farbe der Iris der Vertebraten und Cephalo- poden ebenso abzusehen, wie von den blutroten Augen albiner Wirbel- tiere, sowie auch von den mancherlei spiegelnden Einlagerungen, die man als Tapetum bezeichnet. Einige Beispiele nur seien namhaft ge- macht! Wie viele einzellige Flagellaten, Euglenen, Schwärmsporen von Algen, ihren roten Augenfleck haben, so kann man recht wohl Rädertiere mit ebenso gefärbtem, wenn auch vielzelligen Augenfleck noch ohne brechende Medien ihnen an die Seite stellen. Wo aber unter irgendwelchem Einfluss das Pigment im ganzen Körper mehr und mehr schwindet, da hält schließlich oft nur noch das Auge ein rotes Pigment fest. Wenn Strudelwürmer aus der Litoralzone, wo sie dunkle Augen 38 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. haben, in tiefere und damit dunkle Wasserschichten hinabsteigen, dann werden die Augen rot!). Jene großen räuberischen, pelagisch lebenden Borstenwürmer, die Aleiopiden, sie sind glashell geworden wie das ÖOzeanwasser, aber ihre sehr großen Augen sind grell-rot. Die Bei- spiele ließen sich mehren. Man könnte hier wohl fragen, wie sich diese, auf die neuere Ent- deckung des Sehpurpurs gegründete Anschauung mit jener älteren, von unseren !geistreichsten vergleichenden Anatomen und Physiologen aufgestellten Hypothese verträgt, welche als erste Stufe eines Seh- apparates einen dunkeln mit einer Nervenfaser verbundenen Pigment- fleck der Haut betrachtet, der das Licht absorbiert und in Wärme umsetzt. Vielleicht erscheint jetzt das Schwarz, so wenig als Grau, Braun und ähnliche Farben, nicht mehr als etwas ursprüngliches, sondern bereits als eine hohe Komplikation, auf eine größere Summe von einfachen Farben gegründet. Und so scheint mirs keineswegs ausgeschlossen, dass der Weg, der an den schwarzen Pigmentfleck anknüpft, auf einer relativ höheren Stufe in der That betreten wurde, also nur eine kleine Verschiebung und Einschränkung. (Vergl. den Nachtrag.) 2) Ich komme zur zweiten Reihe von Beobachtungen. Sie betrifft eine Menge von gelben und roten Farbstoffen, welche zahlreiche frühere Einzeluntersuchungen im Tier-, namentlich aber im Pflanzenkörper nachgewiesen und beschrieben hatten. Betreffs ihrer sind wir in der höchst erfreulichen Lage, dass das früher Vereinzelte durch jüngste Arbeiten immer mehr und mehr in seinem engen Zusammenhange er- kannt worden ist. Kürzlich hat Schrötter-Kristelli, anknüpfend an das Carotin in einer Fruchthülle, die wesentlichsten Thatsachen mit einander verknüpft und für alle diese Farbstoffe zusammen einen gemeinsamen Namen vorgeschlagen?), nämlich Lipoxanthin. Es sind darunter zu verstehen aus dem Pflanzenreich etwa das Carotin, das Chlorophyligelb, das Anthoxanthin oder Blütengelb, das aber gleich mit dem Xanthin in unseren Geweben zusammensteht, das Xanthophyll, Chrysophyll, Phylloxanthin, Erythrophyli in den Blättern, das Phyco- 1) L. v. Graff, Monographie der Turbellarien. I. Rhabdocoelida. S. 115: „Die Farbe des Augenpigmentes ist zumeist schwarz, findet sich aber auch in allen Schattierungen von Gelbbraun und Rotbraun, und nicht selten als leb- haftestes Karminrot. Interessant erscheint die durch Duplessis beobachtete Thatsache, dass Formen, welche in seichten Gewässern schwarzbraune Augen besitzen, in großen Seetiefen solche von karminroter Farbe erhalten (Mesostoma Ehrenbergü)*“. 2) Schrötter-Kristelli, Dr. Hermann Ritter, Ueber ein neues Vor- kommen von Carotin in der Pflanze, nebst Bemerkungen über die Verbreitung, Entstehung und Bedeutung dieses Farbstoffes. Vortrag. In: Botan. Centralbl., LXI, 1895, S. 33—46. Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich, 39 xanthin der Pilze, das Bakteriopurpurin, Solanorubin und wie sie alle heißen, also die massenhaften roten und gelben Farbstoffe, die in den grünen Blättern neben dem Chlorophyll vorkommen, die sich rein zeigen bei Zurücktreten des Blattgrüns etwa in Bakterien, in Myxo- myceten, lebhaft strahlenden Hutpilzen, in den gelben und roten Blumen, in den lachenden Früchten, in dem gelben und roten Schmuck des Herbstwaldes. Ueberall haben wirs mit nahe verwandten Lipochromen zu thun, mit Modifikationen des Lipoxanthins, welche den nahezu gleichen che- mischen Bau aus Kohlenstoff, Wasserstoff und minimalem Sauerstoff und die gleichen Löslichkeitsverhältnisse und Reaktionen zeigen. Un- löslich in Wasser, meist an Fett gebunden, werden sie weder von Säuren noch Basen angegriffen, von konzentrierter Schwefelsäure aber wiederum durch Grün in tiefes Blau, das Lipocyan, übergeführt. In dem einen seltneren Fall häufen sich diese gelben und roten Tröpfehen in der Pflanzenzelle außerhalb des Protoplasmas, gewisser- maßen in Vakuolen also, so in Pilzsporenanlagen und manchen Frucht- hüllen; hier dient das Lipoxanthin als Reservestoff. Viel wichtiger ist aber seine ursprüngliche, aktive Bedeutung. Da findet es sich stets zuerst in den Chlorophyliträgern, mit oder an Stelle von Chlorophyll, letzteres beimanchen Algen, wie gerade dem Zoologen die Zooxanthellen dureh ihre Symbiose bekannt sind. Stets, sagt Schrötter, befindet sich das Lipoxanthin im Mittelpunkte der Assimilation. Als terpenartiger Körper zieht es lebhaft Sauerstoff an, ohne selbst zerstört zu werden, es ist ein Sauerstoffträger und -überträger, ja wir werden sagen dürfen, der allerursprünglichste. Somit hat es aber die innigsten Beziehungen zum Chlorophyll; wir kennen sowohl den Uebergang von Chlorophyll in Xanthophyli oder Lipoxanthin, wir kennen umgekehrt den von Rot und Gelb, von Lipo- xanthin, in Chlorophyll, letzteres beim Ergrünen etiolierter Blätter. Es sind die verschiedensten Ursachen, welche das Chlorophyll in das Lipoxanthin zurückverwandeln; stets aber hängen sie mit einer Herab- drückung des Stoffwechsels zusammen, wobei der von der Zelle auf- genommene Sauerstoff zur Oxydation und Umfärbung der Pigmente nach der schwächer brechbaren Seite des Spektrums hin verbraucht wird. So finden wir es bei den anfangs grünen Blumenblättern, die gelb und rot werden, ebenso bei den anfangs grünen Früchten, so namentlich bei der herbstlichen Verfärbung des Laubes; aber die ver- schiedensten Eingriffe, welche den Stoffwechsel herabsetzen, wirken entsprechend, Verlstzung der Blätter durch Insektenstiche, Fröste, zu starke Beleuchtung ete. Die umgekehrte Funktion aber, welche bei lebhaft gesteigertem Stoffwechsel den Sauerstoff im Protoplasma ver- braucht und den Pigmenten entzieht, führt vom Rot und Gelb zum Chlorophyll hinüber. 40 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. Die Verwertung dieser botanischen Thatsachen für das Tierreich mag sich auf zwei Daten stützen, einmal auf die nachgewiesene Zu- gehörigkeit solcher animalischen Farbstoffe zu den Lipoxanthinen, ander- seits auf die Weiterführung eben dieser gelben und roten Stoffe in einen farblosen, das Cholesterin. Zu den Lipochromen, bezw. Lipoxanthinen gehört nicht nur der Sehpurpur und nicht nur die Chromophane des Auges, die wir vorhin besprachen, es sind hierher zu rechnen, was mindestens ebenso wichtig, viele Hautpigmente bei Tieren; an der untersten Stufe, wo Pflanzen- und Tierreich zusammenstoßen, haben wir wieder den roten Augenfleck der Einzelligen, sodann das Rot in der Haut niederer Krebse, wobei darauf hingewiesen werden mag, dass die physiologischen Handbücher (wie Halliburton) von gleicher Stelle auch unser Hämoglobin an- geben, ohne an einen Zusammenhang zu denken, das Rot bei den Coceinellen, das Lutein und Vitellorubin namentlich in Eiern und Dot- tern; neuerdings ist erst von Phisalix auch das Rot der Feuerwanzen als ein dem Carotin zunächst stehender Farbstoff erwiesen, wobei der Autor physiologische Wichtigkeit leugnet; wahrscheinlich gehört hierher auch das aus der Rose der Waldhühner bekannte, weitverbreitete Tetronerythrin. Ebenso wichtig aber ist der Zusammenhang der Lipoxanthine mit dem Cholesterin. Sie werden durch längere Schwefelsäureeinwirkung in diesen farblosen Stoff übergeführt. Der aber ist bekannt aus so vielen Geweben, aufgespeichert in Pflanzenkeimlingen, bei Tieren wohl am reichsten in der höchsten Gewebsform, im Nervengewebe. Hierher gehört das schon erwähnte Vorkommen der farblosen Kügelehen neben gefärbten in den Retinazapfen; ich möchte aber namentlich darauf hin- weisen, dass gerade im Centralnervensystem an der wichtigsten Stelle, innerhalb der Ganglienzellen, so gut wie in den Zäpfchen der Retina, die Lipoxanthine reichlich auftreten können. Diesem Umstande ver- danken u. a. die Chitoniden, unsere Limnaeen und manche andere Weichtiere die lebhaft rote oder orangene Färbung ihres Schlundrings. Hier handelt es sieh wohl zweifellos um wichtige physiologische Mit- wirkung beim Stoffwechsel. Was den anderen Fall anlangt, wo die Stoffe in der Haut schein- bar ohne alle Bedeutung sind, d. h. wo uns vorderhand das physio- logische Verständnis fehlt, so habe ich vor einigen Jahren darauf hin- gewiesen, dass jenes ursprüngliche Rot sich gerade bei vielen alter- tümliehen Tieren findet und sehr häufig an Körperstellen, welche dem Lichte am wenigsten zugänglich sind, so in der ganzen Haut verborgen im Schlamm, im Holz, in Röhren lebender Würmer und Insektenlarven, so auf dem kücken unter den Flügeldecken bei vielen Wanzen, wo es denn, wie beim Wasserskorpion, höchstens gelegentlich bei nächt- Simrotb, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. 41 lichem Flug der Oberfläche sich darbietet, ohne gesehen werden zu können!). Eine physiologische oder wenn wir wollen, eine psychische Be- deutung aber haben jene Farben da, wo sie zum Schutze des Tieres als Schreck- oder Trutzfarben auftreten, denn auch solche sind stets einfache Farben von langen Wellen; und es ist wohl kein Zufall, dass die einzige psychische Farbenwirkung bei uns an ganz demselben Punkt anknüpft, das Erröten nämlich. 3) Die dritte Kategorie betrifft die komplizierteren Farbenerschei- nungen. Während die Augenpigmente und die allgemein verbreiteten, für den Stoffwechsel so wichtigen Farbstoffe des Pflanzen- und Tier- körpers vom Rot bloß bis zum Grün reichten und die stärker brech- bare Hälfte des Regenbogens nur unter der Erscheinung der Komple- mentärfarben berücksichtigten, so handelt sichs jetzt um Farbstoffe, welche entweder, im einfacheren Falle, auf dieser rechten Seite des Spektrums liegen, oder im verbreiteteren gar nicht auf die primären, einfachen Farben sich zurückführen lassen. Jene würden also die blauen und violetten Pigmente sein, diese die zusammengesetzten, wie Schwarz, Grau und die mannigfachen Abstufungen von Braun. Es ist wohl selbst kein Zufall, dass die blauen Farbstoffe, von denen ich vorderhand nur das schon erwähnte Lipocyan nenne, in ihrer che- mischen Konstitution an die Lipochrome, bezw. Lipoxanthine sich an- reihen, während die sekundären Pigmente, die sich nicht auf das Spektrum unmittelbar beziehen lassen, ihre höhere chemische Kom- plikation durch den Gehalt an Stickstoff bekunden. Vielleicht macht hier nur die Cellulosegruppe, ohne Stickstoff, eine Ausnahme; die an- deren Pigmente, die Horn- und Chitinstoffe, Conchiolin, die manch- fachen Melanine und was dahin gehören mag, dürften sämtlich hoch komplizierte, stiekstoffhaltige Verbindungen sein. Man bezeichnet sie wohl gelegentlich als physiologische Farben, die zufällig mit den Aus- scheidungen des Organismus verquickt sind und in den meisten Fäl- len keinen Wert haben für denselben, wie die braune Rinde des Baums und die dunkle Chitindecke eines Insekts. Sollte nicht gerade ihr Charakter als zufällig in ihrer hohen Komplikation liegen? „Zu- fällig“ heißt doch weiter nichts, als dass uns noch jede sichere Hand- habe für die Beurteilung fehlt, weil wir zunächst noch mit dem Ein- 4) Simroth, Entstehung der Landtiere, S. 410 ff., Die Färbung der Land- tiere. Herr Dr. Müggenburg machte mich darauf aufmerksam, dass viele Baumwanzen, die einen roten Rücken haben, unmittelbar nach der letzten Häutung über und über rot sind und sich erst beim Erhärten des Chitinpanzers verfärben, ebenso, dass bei vielen die Weibchen rot, die Männchen aber anders, weiß, braun u. dergl, gefärbt sind. Diesem Gesetz der männlichen Präponde- ranz entspricht es auch, dass Bibio- Arten schwarze Männchen, aber rote oder orangene Weibchen haben. Aehnliches gilt von Ichneumoniden, 42 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. fachsten zu thun haben; aller Zufall wird für den, dem die Auflösung gelingt, gerade das Interessanteste. In dieser Hinsicht darf man wenigstens betonen, dass die Vertei- lung dieser kompliziertesten Pigmente mit der Komplikation des orga- nischen Haushaltes parallel geht. Wie sich die größere Intensität des Lebens, im Psychischen und Mechanischen, auf der tierischen Seite entfaltet, so kommt die größere Menge der komplizierten sekundären Pigmente auf die Seite des Tierreichs. Umgekehrt sind die Pflanzen reicher an den einfacheren, an den Spektralfarben; die Tiere sind nur selten bis zum Grün vorgeschritten, welches doch die Pflanzenwelt be- herrscht, und selbst das einfache Rot, wiewohl bei Tieren häufig genug, kann doch nicht aufkommen gegen so allgemeine Erscheinungen, wie die Algen des roten Schnees, oder die Florideenwiesen der tieferen Litoralregion, bei denen das Rhodophyll mit an den Chlorophylikörpern haftet, oder die Pracht unseres oder noch mehr des nordamerikanischen Herbstwaldes. Aehnliches gilt nun auch vom Blau. Bei Pflanzen kommt es nicht selten vor, wohl als eine Chlorophyllumänderung in den Blüten und Früchten, oder mit Chlorophyll zusammen, in manchen Algen, bisweilen allein in Pilzen. Es entzieht sich meinem Urteil, wie weit Cockerell’s Erklärung der blauen Blütenfarbe begründet ist. Er behauptet, dass alle oder die meisten Pflanzen mit blauen Blumen zu Gattungen gehören, welche eine mehr oder weniger große Anzahl von ‘Arten im Hochgebirge haben. Das Blau wäre nun entstanden an Orten, welehe während der Blütezeit die größte Lichtfülle genießen, sowohl nach der täglichen Insolationszeit als nach der Reinheit der Luft. Um so seltner sind blaue Pigmente im Tierreich; wohl kommt die Farbe, zumeist wenigstens, auch hier den Lichtfreunden zu, namentlich Tagfaltern und Vögeln, nicht aber der Farbstoff, denn es handelt sich bei blauen Schmetterlingsflügeln und blauen Federn lediglich um Interferenzerscheinungen. Bei den psychisch-höchstentwickelten Tieren aber, bei den Säugern, gehören einfache Farben überhaupt zu den größten Seltenheiten, vielleicht beschränken sie sich auf das Rot des gelegentlich durehseheinenden Blutes, höchstens könnte man noch das Blau an Vorder- und Hinterbacken bei den Pavianen heranziehen. Aber auch das ist keine einfache Farbe mehr; im allgemeinen ist das Kleid schwarz, braun, grau, mit einem Stich ins Rote, Gelbe, Grüne, Blaue, lauter Komplikationen also. Und doch gibt es ein großes Feld, wo das Tierreich Blau und Violett nicht als Interferenz, sondern als Pigment massenhaft ausbildet, die weite Fläche des Ozeans, soweit die klare Flut ein herrliches Kobalt- und Ultramarinblau zurückstrahlt, d. h. in den wärmeren Meeresteilen, in geographischer wie bathymetrischer Beziehung, also Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. 4) nach dem Gleicher zu und in den oberflächlichen Wasserschichten. Hier haben wir massenhaft Quallen, Krebse, Mantel- und Weichtiere, nackte und beschalte ete., welche sämtlich an den reinen blauen und violetten Tönen partizipieren. Meistens sucht man die Deutung in einer Anpassung oder Schutzfärbung; und es ist wohl zweifellos, dass die Natur reiehlieh diesen Gebrauch macht. Und doch, glaube ich, lässt sich zeigen, dass diese Funktion nur die sekundäre ist, dass die pri- märe Ursache vielmehr in der unmittelbaren Liehtwirkung zu suchen ist, wie ja die natürliehe Auslese immer nur gegebene Verhältnisse, die sie vorfindet, benutzen, bezw. weiter züchten kann. Zunächst die von Hensen, Brandt u.a. aufgedeckte Thatsache, dass unter den eupelagischen Tieren der wärmeren Meeresteile neben dem Blau fast nur noch Gelb oder Gelbbraun, d. h. Gelb durch kom- pliziertere Chitinfarben u. dergl. getrübt, sich findet. Wir treffen also wieder jenes merkwürdige Wechselverhältnis der Komplementärfarben !). Der ursächliche Zusammenhang ergab sich mir bei der mehrjährigen Untersuchung der Planktongastropoden?). Es zeigt sich da, dass eine große Anzahl von Schnecken teils im erwachsenen, teils im Jugend- zustande eben jene wärmeren Gegenden des Ozeans bevölkert. Die letzteren, oft mit allerlei Sonderanpassungen zum Schwimmen, gehören als ungewöhnlich große Larven Gattungen an, welche erwachsen an den Küsten jener Meeresteile hausen. Die Wärme, um die es sich handelt, ist etwa dieselbe, welche die Verbreitung der riffbauenden Korallen regelt, d. h. die Wassertemperatur darf zu keiner Zeit unter 20° C herabsinken. Da das kosmische Licht aber als eine Funktion der Wärme betrachtet werden muss, so ist es unmöglich, auf unserer Erde einen Organismus dauernder und vollkommner der Lichtwirkung auszusetzen, als Tiere, welche ununterbrochen ohne andere Beschattung als durch die Wolken, in jenen wärmsten Wasserschichten treiben. Natürlich müssen sie noch eine andere Bedingung erfüllen, nämlich die, nie im die Tiefe zu tauchen. Dadureh schließen sich von den Schnecken namentlich die in den wärmeren Meeren verbreiteten Kiel- füßer aus, die zumeist als sogenannte Glastiere farblos geworden sind. Es kommt vielmehr von den beschalten Gastropoden — die nackten lasse ich der Kürze wegen bei Seite — nur die Familie der Janthiniden oder Veilchenschnecken in Betracht, denn diese treiben an ihrem Floß, das sie aus abgeschiedenem und erhärtetem Schleim mit eingeschlossenen Luftblasen fabrizieren, beständig an der Oberfläche. 4) Brandt K., Ueber Anpassungserscheinungen und Art der Verbreitung von Hochseetieren. In: Ergebnisse der Plankton-Expedition, Bd.I, 8.338 ff., 1892. 2) Simroth, Die Gastropoden der Plankton -Expedition. In: Ergebnisse der Plankton-Expedition, Bd. II, 1895. — Eine einschlägige Mitteilung habe ich auf der letzten Versammlung der d. zool. Ges. in Straßburg gemacht. 44 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. Unter den Larven fand ich neben blassen oder manchem schwarzen und braunem Punkt, der von den litoralen Eltern stammen mochte, von grelleren Pigmenten fast nur Gelb und Violett, nie in Flecken durch einander, sondern in gleichmäßiger Ausbreitung bald über die ganze Schale, bald das eine an der Spitze, das andere am Deckel oder umgekehrt. Hier war eine andere frühere Untersuchung heranzuziehen, die, welche Lacaze-Duthiers seinerzeit am Purpursafte der Stachel- und Purpurschnecken, der den Purpur der Alten lieferte, angestellt hat. Bekanntlich handelt es sich da um einen Saft, der von einem flächenhaft ausgebreiteten, etwas gefalteten Epithel neben der Kieme, der sogenannten Hypobranchialdrüse, geliefert wird. Frisch ist er blassgelb !), am Lichte geht er durch Grün in Violett über, mit andern Worten, er durchläuft die Farben-Scala, welche wir oben wiederholt durch die Schwefelsäure bewirken sahen, einfach unter dem Einfluss des Lichtes, Das Purpurin aber, so gut wie das Janthinin, wie man den violetten Farbstoff der Veilchenschneckenschale genannt hat, werden zu den Lipochromen gezählt?). Hierzu kommt nun der Nachweis, dass die Purpuridenlarven in ganz besonderer Umformung, welche ihnen den eigenen besonderen Gattungsnamen Sinusigera verschafft hat, ihre Jugend pelagisch im freien Meere zubringen. — Diese Thatsachen führten zu einer anderen Schlussfolge. Die größten Schnecken des Mittelmeeres sind die Tritonshörner und Tonnenschnecken, Triton und Dolium. Sie sind in vielen Arten als Küstenschnecken in den tropischen Meeren verbreitet. Ihre Larven leben, mindestens zum Teil, eupelagisch, mit relativ großen Schalen, die 0,5 em Durchmesser erreichen. Die von Dolium wird als Macgillivrayia bezeichnet. Nun ist es höchst merkwürdig, dass eine Anzahl von Triton- und Dolium- Arten dem westindischen und dem fernen ostindischen Meere, der Sundasee u. s. w., gemeinsam sind, ohne dass eine von ihnen an der Westküste von Amerika vorkäme. Es ist also ausgeschlossen, dass die Verbreitung sieb vollzog zu einer Zeit, als etwa an Stelle der Landenge von Panama 4) Leider habe ich bei Bearbeitung der Planktongastropoden eine Abhand- lung übersehen, nämlich: A. Letellier, Recherches sur le Pourpre produit par la Purpura lapillus, in: Compt. rend. Ac. sc. Paris, CIX, p. 82—85. Da- nach wird im Purpursafte nicht das gelbe, sondern das grüne Pigment durch das Licht nach der rechten Seite des Spektrums hin verändert. Wiewohl diese Angabe nicht gerade im Widerspruch steht mit den vorliegenden Ableitungen, glaube ich doch, dass ihre Korrektheit nur für das einzelne Experiment gilt. Grün ist auch bei den verwandten Farbstoffen, z. B. den Chromophanen (s. 0.) der hinfälligste. Das Gelb wird jedenfalls sehr viel langsamer vom Lichte beeinflusst. 2) In diesen, wie den meisten physiologisch-chemischen Angaben bin ich Halliburton-Kaiser’s Lehrbuch der chemischen Physiologie und Pathologie (Heidelberg 1893) gefolgt. Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. 45 ein Meeresarm den Tieren zur Verfügung stand. Es muss mithin ein anderer Weg gesucht werden. Man konnte ebenfalls an veränderten Meereszusammenhang in früherer Zeit denken, was aber bei völliger Identität der betreffenden Species an den weit entlegenen Fundorten unwahrscheinlich war; der Weg konnte andrerseits um das Cap der guten Hoffnung herum durch den Indie und Atlantie führen. Die Strömungs- und Wärmeverhältnisse während des südlichen Sommers, im Dezember etwa, bieten kein Hindernis. Die Verbreitung der Larven von Dolium perdix, der einzigen Art von Tonnenschnecken von dem fraglichen zugleich westlichen und östlichen Vorkommen geht nach den Planktonergebnissen von Westindien nach der afrikanischen West- küste. Die Entscheidung der Frage ergab sich mir aus der Pigmen- tierung der erwachsenen großen Schalen. Alle die verschiedenen Arten aus dem paeifischen, indischen etc. Ozean zeigten durch die scharf- abgesetzte Spitze des Gehäuses, dass sie als Macgillivrayien pelagisches Leben geführt hatten, in Uebereinstimmung mit den direkten Beobach- tungen. Aber während alle auf dem weißen Kalk nur gelbliche oder bräunliche Farben trugen, hatte nur Dolium perdix einen violetten Ton eingefügt und zeigte dadurch die längere Insolation. Sie war ihm zu Teil geworden während der langen, jedenfalls mehrjährigen pelagischen Reise von Ost- nach Westindien. Der vereinzelte Befund bewies sofort die Berechtigung der Deutung, wenn sich das Augenmerk auf andere Schalen richtete. Nicht nur jene erwähnten Tritonen haben im Alter violetten Hauch oder grellviolette Spitzen, sondern derartige Purpur- zeichen finden sich nur bei tropischen und subtropischen Küstenschneeken und zwar solchen, von denen vorher aus morphologischen Gründen eine Zusammengehörigkeit mit irgendwelchen eupelagischen Larven vermutet war!). Das Auffallende an diesem Verhältnis ist aber das Zustande- 4) Eine Anzahl Gastropoden mit dem auf eupelagische Lebensweise der Larven hindeutenden Purpurzeichen habe ich im Planktonwerk zusammgestellt. Bei einem Gange durch das Dresdner Museum fielen mir kürzlich noch die folgenden auf: Conus flavidus Indie. lividus " rattus 5 emaciatus „ maltzanianus Tahiti purpurescens Panama tulipa Indic. glans rn „ festivus, lachsfarben, ins Lila. Pleurotoma ceryptoraphe, innen blauer Schein. Olivella biplicaria Mazatlan. Olivancillaria hiatula Senegambien. Oliva tessellata Indie. ” blau, meist innen indigo. Der Er Dar Vet 3 46 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. kommen der violetten Färbung nicht oder kaum während der Ozean- reise mit ihrer vollen Belichtung, wo das Tier Nutzen davon haben könnte, sondern erst nachher, wenn die Larve am Ufer anlandet und damit einen neuen Wachstumsimpuls erhält!), wobei unter der ver- änderten vielfarbigen Umgebung aus dem Violett gewiss kein Vorteil mehr entsteht! Die langdauernde hochgradige Insolation hat nur die Stimmung erweckt, bei neuem Wachstumsantrieb das Violett auszu- scheiden, als Farbe von höchster Brechbarkeit. Vergleichen wir hiermit die Janthiniden, deren ganzes Leben sich oberflächlich im freien Meere abspielt, die an der Küste sogleich zu Grunde gehen. Eine kleinere Gattung, die Recluzia, hat einen be- schränkteren Bezirk in den östlichen Meeren, ihr ist die Lebensweise noch nicht so lange aufgeprägt, daher sieht ihre Schale gelb aus, und das Floß hat einen gelblichen Ton. Die echten Janthinen sind eircum- äquatorial mit durchweg violetter Schale, das Floß ist selten gelblich, meist farblos oder blasslila. Eine reflektorische Anpassung an die Umgebung kann nicht durch das Auge vermittelt werden, da die Tiere blind sind. Hier ist das Violett, da das Tier ganz und gar unter stärkster Besonnung lebt, auf dem Gipfel seiner Steigerung angekommen. Wie verhält sich da das Sekret der Hypobranchialdrüse? Es ist nicht hell- gelb, sondern tief indigblau und zeigt nur hie und da noch eine Spur eines lebhaft blaugrünen Tones, und das alles gleich beim Abscheiden. Und nun noch zwei Thatsachen ebenfalls von beschalten Weich- tieren, welche geeignet sind, den behaupteten Zusammenhang zwischen Licht und Wärme zu erhärten und zu zeigen, dass das, was beide Latirus elegans 3 e innen violett. „ incarnatus Pentadactylus horridus e subgen. morula innen violett. fast alle Arten Pyrula ficus innen violett. Calyptraea chinensis. CÖypraea exanthema und verwandte. Wie man sieht, lauter echte Tropepformen, 1) Die violette Umfärbung bezieht sich auf Macgillivrayia, bezw. Dolium. Andre Gattungen und Arten haben den lebhaften Ton zum Teil voraus als pelagische Larven, aber zumeist nur als zarten Hauch. Die energische Aus- bildung kommt erst später, bei dem Wachstum an der Küste. Dass dasselbe hier sehr viel schneller vor sich geht, als während der pelagischen Wanderung, folgt aus der gleichen Größe derselben Larvenform in weit von einander ent- legenen Meeresteilen, wohin sie nur langsam verschlagen sein können. Ja in den meisten Fällen scheint die pelagische Larve, nachdem sie eine bestimmte Größe erreicht hat, völlig stabil zu bleiben, bis sie durch Zufall an die Küste kommt. Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. 47 zusammen in höchster Steigerung zu wirken vermögen, auch durch die Wärme allein oder doch vorwiegend durch sie erreicht werden kann. Zu den ältesten Molluskenformen, die sich zugleich seit den ersten versteinerungsführenden Schichten fast unverändert erhalten haben, gehören die Scaphopoden, bezw. Dentalien oder Elephantenzähne. Ihr Aufenthalt im Schlamm, aus dem sie höchstens nächtlich hervorkommen, bewahrt sie wohl vor der Verpflichtung vieler Neuerwerbungen, er zeigt aber zugleich, dass das Licht auf ihre Ausfärbung nur wenig Einfluss gehabt haben kann; höchstens könnte die erste Tönung, wäh- rend der wenigen Wochen, an denen nach unseren Erfahrungen die Larve frei schwärmt, gewonnen werden. Diese Elephantenzäbne nun haben in der kalten Zone sowie bei allen Tiefseeformen weiße, bezw. farblose Kalkschalen. Die Küstenformen werden lachsfarben, zeigen also Rot nnd Gelb etwa von den Breiten des Mittelmeeres an rings um die Erde; Grün tritt an mehreren Stellen auf, wo die Tiere domi- nieren, sie sind streng tropisch, Westindien nämlich und die Philippinen und Sundainseln und der Indie; Blau kommt meines Wissens nur ein- mal vor, in einem der wärmsten Meere, in der Sulu-See!). Die andere Thatsache geht damit parallel, sie besagt, dass wirk- lich blaue Bänder an Landschneckenschalen nur auf heißem Tropen- boden vorkommen, in Westindien und Südostasien. Beschalte Weichtiere sind aber insofern besonders geeignet, auf Einflüsse der anorganischen Natur, wie Licht und Wärme, zu reagieren, da sie mit ihren organischen Mitgeschöpfen vorwiegend nur insofern sich zu beschäftigen haben, als sie ihre Nahrung daraus ziehen. Schutz und Waffen bilden sie nicht besonders aus, weil sie auf alle Widrig- keiten einfach mit dem Rückzug ins Haus antworten. Die ganze Summe der Anpassung, welche die meisten anderen Tiere in dieser Richtung zu leisten haben, fällt weg, daher die Wirkungen der anorganischen Kräfte nur um so klarer hervortreten. Dem Einwurf, dass ja die Schalenfarbstoffe namentlich bei ver- steckt lebenden Tieren keine physiologische Bedeutung haben und daher nicht in Rechnung gezogen werden dürfen, kann man, wie mir scheint, leicht begegnen. Die Sache liegt beinahe umgekehrt. Organe, wie die Schilddrüse, haben dem Verständnis die meisten Schwierigkeiten entgegengesetzt, und doch gewinnt es immer mehr den Anschein, als ob sie für den normalen Stand unserer Gesundheit von allerhöchstem Werte wären. So genau wir den Kräfteverbrauch des Organismus im Allgemeinen zu beurteilen wissen, so stehen wir im Einzelnen doch erst am Anfange der Erkenntnis. Es ist, als wollte man den Haus- halt einer menschlichen Familie nach dem Werte der Nahrungsmittel bemessen, die notwendig sind, um die einzelnen Mitglieder im physio- 4) Vergl.Bronn, Klassen und Ordnung des Tierreichs. Simroth, Weich- tiere $. 449: „Das Spektrum folgt einfach der zunehmenden Wärme“, 48 Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. logischen Gleiehgewieht zu erhalten, und nach den Anforderungen der Wohnung und Kleidung zum Schutze gegen Unbilden und Wechsel der Witterung. Ich brauche nicht auszuführen, dass die Rechnung kaum im einfachsten Falle mit dem wirklichen Budget stimmen würde. Bedürfnisse und Umsatz sind eben ungleich verwickelter. Und doch muss die Nationalökonomie nach einfachen Grundlagen sich umsehen. So erzeugen Licht und Wärme, ohne dass der Anteil der beiden Faktoren in jedem Falle, vielleicht nur ganz selten, bereits zu bemessen wäre, in der Organismenwelt zunächst eine Farbenwirkung, welche sich aufs engste an die einfachen Regenbogenfarben in der Reihenfolge des Spektrums anlehnt, so dass nach einander die Farben mit den längsten Wellen bis zu denen mit den kürzesten durchlaufen werden. In den meisten Fällen reichen die Pigmente nur vom Rot bis zum Grün, und die stärker brechbare Seite wird nach dem Prinzip der Komplementärfarben ergänzt. Nur bei der dauerndsten und stärksten Einwirkung der beiden Faktoren kommt auch die blaue und violette Seite unter der Form von Pigmenten zum Vorschein. Höchst auffällig bleibt die so häufig auftretende Beziehung zwischen den Komplementär- farben. Auf der niedrigsten Stufe einzelliger Wesen haben wir das Grün des Chlorophylis mit dem roten Augenfleck. Ob eine ähnliche Farbenzusammenstellung bei so manchen Käfern, Malachius z. B., bei Papageien u. a. auf ähnlich einfache Gesetze zurückzuführen ist, muss bei der hohen Organisation dieser Geschöpfe vorläufig dahingestellt bleiben. Zufällig ist es schwerlich, dass solche unserem Auge so wohl- thätige Zusammenstellung auch in der Natur oft vorkommt. Gelb und Blau, bezw. Violett, findet sich nieht nur bei den pelagischen Tieren, die vorhin erwähnt wurden, sondern gelegentlich auch bei Jugend- formen. Manche Schwammlarven so gut wie die Jungen unserer ge- meinen Wegschnecke haben ein violettes Vorderende und im Uebrigen einen blassgelben Leib. Freilich nur in der Jugend. Man gewinnt den Eindruck, als ob die einfach klare, man möchte sagen, geniale Anlage nachher durch die vielseitigen Anforderungen des Lebens wieder unterdrückt oder eingeschränkt würde. Ein ausgezeichnetes Beispiel für die Reihenfolge der Farbstoffe in ihrem Auftreten lieferte jüngst die Untersuchung der unter dem Namen des wandelnden Blattes bekannten Phasmidengattung Phyllium. Die Untersuchung der erwachsenen ergab, dass der grüne Farbstoff der Haut Chlorophyll war; die Entwicklung zeigte, dass die Jungen zuerst rot aus dem Ei kriechen, dann gelb und zuletzt erst grün werden!). Am kompliziertesten sind jedenfalls die Fälle, wo blinde Tiere, und zwar hochstehende, deren Vorfahren vermutlich Augen hatten, auf 1) Requerel, Henry et Ch. Brongniart, La matiere_ verte chez les Phyllies, Orthopteres de la famille des Phasmides. In: Compt. rend. Ac. Sc. Paris 1894, CXVII, p. 1299—1303. at Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. 49 Licht und Farben reagieren, wie der Regenwurm oder die Muscheln, bei denen neuerdings photometrische Fähigkeiten in weiter Verbreitung nachgewiesen sind. Wie soll man es erklären, wenn die Raupen des- selben Tagfalters zur Zeit der Verwandlung zwischen grünen Blättern grüne, auf dunklem Grunde schwärzliche Puppen liefern? Eine An- passung, wie bei farbenwechselnden Tieren mit bestimmt vorgebildeten Pigmenten ist wohl ausgeschlossen. Hier liegen neuerworbene Fähig- keiten vor, aber sie waren wohl nur möglich auf Grund einer gegebenen Claviatur, welche auf äußere Lichtreize mit der Erzeugung entsprechen- der Pigmente antwortet. Wie sollen wir schließlich die Entwicklung der einfachen Pigmente in der Reihenfolge des Spektrums deuten? Mir scheinen zwei Mög- lichkeiten vorzuliegen. Die eine habe ich früher kurz ausgesprochen; sie nimmt an, dass in alter geologischer Zeit eine viel dichtere, wasserreichere Atmosphäre zuerst nur die roten Farben des Sonnen- lichtes durchließ und dann die übrigen, und dass die Färbung der Organismen damit gleichen Sehritt hielt. Die Gründe will ich nicht wiederholen. Die andere Annahme würde auf eine immer feinere An- schmiegung des Protoplasmas an die verschiedenen Lichtwellen bei vollem Sonnenlichte hinauslaufen, so zwar, dass das Protoplasma zu- nächst mit der Bildung des gröbsten Farbstofts auf die gröbsten, längsten Wellen reagierte und zu immer feineren fortschritte, wobei man sich denken könnte, dass die Molekülgröße dieser Farbstoffe zur Länge der Liehtwellen in irgendwelchem direkten Verhältnis stünde. Es scheint mir unmöglich, die Wagschale auf die eine oder andere Seite senken zu wollen. Ich bin zu Ende mit meiner tastenden Skizze. Vieles, was am Wege lag, musste ich unberücksichtigt lassen, um die Richtung nicht zu verlieren. Sie möchten mir wohl vorwerfen, dass ich Sie auf ein zu un- sicheres Gebiet geführt habe. Aber stehen wir an irgend einer Stelle, wo wir dem Rätsel des Lebens im Einzelnen näher treten wollen, auf festerem Boden? beim Muskel? beim Nerven? bei den Absonderungen ? Immer sind es zwei Wege, welche die Forschung fördern müssen, das einzelne Experiment, die einzelne morphologische Analyse auf der einen, die verknüpfende Spekulation auf der anderen Seite. Beide Methoden müssen sich gegenseitig ergänzen und befruchten. In dieser Stunde aber schien mir es angezeigt, Ihnen nicht die Ergebnisse irgendwelcher Spezialuntersuchung vorzulegen, sondern ein Programm. Das aber konnte kein anderes sein, als das Ziel, welches instinktiv bei allen seinen Detailarbeiten in der Brust jedes Natur- forschers schlummert, der Nachweis der Einheit der gesamten anorga- nischen und organischen Natur. xXVI. 4 r Simroth, Ueber die einfachen Farben im Tierreich. ) ’ Nachtrag. Nachträglich bin ich, zum Teil durch kollegiale Freundlichkeit, auf einige einschlägige neueste Arbeiten aufmerksam geworden, welche ich nicht übergehen zu dürfen glaube. Die im Vorstehenden vertretene Auffassung erleidet dadurch keine wesentliche Modifikation, erhält viel- mehr, wie mir scheint, noch mehr theoretischen Halt. Koenig’s Behauptung von der Blaublindheit der Fovea centralis ist auf mehrfachen Widerstand gestoßen !), am energischsten von Seiten Hering’s. von Kries macht selbst auf die Schwierigkeit aufmerk- sam, die Empfindung des Blau auf die Zersetzung von Sehgelb zurück- zuführen, das erst aus dem Purpur entsteht; denn auch das völlig aus- geruhte Auge, das also derartig erzeugtes Sehgelb noch nicht enthalten kann, nimmt unmittelbar Blau wahr. Da aber beide Forscher gegen die Bedeutung der Sehstoffe, Sehrot und Sehgelb, im Allgemeinen nicht polemisieren, so wird auch die Begründung der Farbentheorie, insofern sie sich aus der Physiologie der Säuger herleitet, nicht weiter er- schüttert. Wesentlichen Succurs erhält sie dagegen durch Wiener’s Ab- handlung über Farbenphotographie durch Körperfarben?). Wiener stellt den Satz auf: „Es ist grundsätzlich möglich, dass farbige Be- leuchtung in geeigneten Stoffen gleichfarbige Körperfarben erzeugt“, d. h. solehe, die nieht durch Interferenz, sondern durch Absorption bedingt werden. Das ist aber, auf die Organismenwelt übertragen, nichts anderes, als was ich angenommen habe. Nur habe ich einen viel allgemeineren und weitergehenden Zusammenhang zwischen Licht und ursprünglichem Protoplasma schlechthin wahrscheinlich zu machen gesucht als der Physiker, welcher die Anwendung auf die Biologie vorwiegend auf Poulton’s Versuche an Lepidopteren, d. h. auf eine bereits sehr komplizierte Reihe von Erscheinungen und speziellen An- passungen stützt. Schließlich möchte ich noch für die Annahme, welche die Organis- menwelt in Anlehnung an die Spektralfarben in ihrer natürlichen Folge entstehen und sich färben lässt, eine Thatsache ins Feld führen, den Mangel nämlich von Schwarz bei den Einzelligen. So viel ich weiß, "kommt die Steigerung irgendwelchen Pigments bis zuSchwarz (— denn im Allgemeinen scheint dieses bei genügender Verdünnung durchweg 4) Hering, Ewald, Ueber angebliche Blaublindheit der Fovea centralis. Pflüger’s Archiv, LIX, 1895, 8. 403 - 414. J. von Kries, Ueber die Funktion der Netzhautstäbchen. Zeitschrift f. Psychologie, IX, 1895, S. 831—125; besonders IV, S. 108. 2) Wiener, Otto, Farbenphotographie durch Körperfarben und mechanische Farbenanpassung in der Natur. Wiedemann’s Annalen der Physik, LV, 1895, 8.225 — 281. Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 51 in andere Farben sich aufzulösen —) weder bei Protophyten noch bei Protozoen vor, daher auch die Wärmeabsorption schwerlich Anfang und Grundlage der Gesichtswahrnehmungen bilden kann; umgekehrt wiegen die roten, gelben und grünen Farben bei den Protisten vor. [13] Ueber eiweißverdauenden Speichel bei Insektenlarven. Von Dr. Wilibald A. Nagel, Privatdozent der Physiologie in Freiburg i. Br. An einer Anzahl erwachsener Larven des bekannten großen Schwimmkäfers Dytiscus marginalis L. hatte ich kürzlich Gelegenheit, einige Beobachtungen zu machen, die ich im folgenden mitteilen will. Leider war zu der Zeit, als ich die Tiere erhielt, die Periode ihrer Larvenentwicklung schon nahezu beendet, und die Tiere zeigten zum Teil schon deutlich das Verhalten, welches beim Herannahen des Zeit- punktes der Verpuppung bei allen Insektenlarven einzutreten pflegt, nämlich eine bei diesen sonst so lebhaften und raubgierigen Geschöpfen sehr in die Augen fallende Trägheit und Nachlassen bezw. bald gänz- liches Aufhören der Fresslust. Ausgenommen hievon waren einige Exemplare, die anfangs Juli eingefangen waren, und noch die ganze diesen Tieren eigene Wildheit und Fressgier zeigten, leider auch dadurch, dass anfänglich, ehe sie isoliert wurden, einige sich gegenseitig auffraßen. Diese ungünstigen Umstände mögen es erklären, wenn die vor- liegenden Beobachtungen von einem befriedigenden Abschlusse noch weit entfernt bleiben mussten. Auf der anderen Seite glaubte ich mir doch erlauben zu dürfen, diese Beobachtungen, denen der Biologe viel- leicht einiges Interesse abgewinnen könnte, zu veröffentlichen, da eine Fortsetzung der Versuche aus dem angegebenen Grunde in diesem Jahre ausgeschlossen, und ihre Wiederaufnahme frühestens im nächsten Som- mer möglich ist. In erster Linie sei hier mit wenigen Worten an die eigentüimliche Beschaffenheit der Mundteile der Dytiscus-Larve erinnert, infolge deren. dieselbe eine Sonderstellung nicht nur unter den Insekten und Glieder- tieren überhaupt, sondern auch unter den Insektenlarven einnimmt. Nur die nächstverwandten Schwimmkäferlarven bieten, soviel bekannt, ähnliches; einige Neuropterenlarven zeigen, wie wir weiter unten sehen werden, in ihren Mundteilen zwar einen ähnlichen physiologischen Grundplan, der aber auf andere Weise zur Ausführung gebracht ist. Das Besondere bei diesen Larven liegt darin, dass sie, obgleich so räuberische unersättliche Tiere, doch keinen eigentlichen Mund be- sitzen. Die Stelle, wo derselbe bei anderen Insekten und Insekten- 4* 59 Nagel, Biweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. larven (auch denjenigen der anderen Hauptgruppe der Wasserkäfer, der Hydrophiliden) sitzt, erscheint geschlossen. Der platte Kopf ist oben und unten durch eine sehr feste Chitindecke begrenzt, welche ebensowenig, wie der bogenförmig gerundete Vorderrand des Kopfes von einer sichtbaren Mundöffnung durchbrochen ist. Dass eine Mund- öffnung nicht fehlen und sich nirgends anders befinden kann, als am Kopfe, ist klar; thatsächlich weichen auch die Verhältnisse bei genauerer Betrachtung von den bei anderen Insekten sieh vorfindenden weniger ab, als dies auf den ersten Blick wohl scheinen könnte. Die Mund- öffnung ist vorhanden'), sitzt auch an der gewöhnlichen Stelle, an der unteren Seite des Kopfes, nur ist sie in so eigentümlicher Weise ver- engert und verdeckt, dass sie bei makroskopischer Beobachtung ganz zu fehlen scheint. Es ist nicht meine Absicht, die Gestaltung der Mund- teile hier eingehend zu besprechen, das für uns hier wichtige ist, dass Fig. 1. Fig. 1. Dytiscus -Larve in Angriffs- stellung. Natürliche Größe. 1) Die Feststellung dieses Thatbestandes und die genauere Kenntnis der Dytisciden- Mundteile verdanken wir Fr. Meinert (Om Mundens Bygning hos Larverne af Myrmeleontiderne, Hemerobierne og Dytiscerne. Vidensk. Medd. fra den naturhist Foren. i Kjebenhavn 1879—80 und: roget mere om Spiracula eribraria og Os clausum, en Replik. ibid. 1883). Von besonderem Interesse ist folgende Angabe Meinert’s (Om Mundens Bygning ete., S.3 d. Sep.-Abdr.): „Ved Manipulering af den levende Larve er det ogsaa let at se, at Tarmroret fortil maa have anden Aabning end de to Huller i Mandiblernes Spidser; thi ihvorvel Tarmrerets Indhold, naar man trykker paa Dyret, vaelder traabevis frem i Spidsen af Mandiblerne, traeder ogsaa Indholdet, om end kun sparsomt, frem ved disses Rod og langs Under- siden af Clypeus. Munden er altsaa ikke lukket, men kun sammenklemt, men desuagtet er vistnok Roret gjennem Mandiblere de udelukkende Vei til Spise- röret“. Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 3) sie ein Kauen der Nahrung nicht gestatten, sondern bloß zum Saugen eingerichtet sind. Zu beiden Seiten des vorderen Kopfrandes sitzen, beweglich ein- gelenkt, die beiden hakenförmig gebogenen Saugzangen. Dieselben bestehen in der Hauptmasse aus einem außerordentlich festen Chitin, das in seinem Inneren die spärliche Masse der Matrix birgt. Nahe dem konkaven Innenrand durchzieht die Zange ein Kanal, der etwas unterhalb der Spitze ausmündet. Er ist nicht ringsum festgeschlossen, sondern besteht aus einer Rinne im Chitin, deren Ränder sich oben nahezu berühren und in einer Weise ineinander greifen, dass der Kanal faktisch doch nahezu geschlossen ist!). Dewitz?) hat diese Verhältnisse von einer Dytiseidenlarve beschrieben und 'abgebildet. An der Basis der Zangen kommuniziert der Kanal durch einen feinen Verbindungs- gang mit dem Hohlraum im Kopfe, den man wohl als Mundhöhle, besser vielleicht als Kopfdarm bezeichnen kann. Diese Saugzangen, Homologa der Mandibeln (Oberkiefer) anderer Kerfe, sind es, mittels deren sich die Schwimmkäferlarven den Nähr- stoff zuführen. Beobachtet man eine Dytiscus-Larve im Zustande vollständiger, ungestörter Ruhe, so sieht man zuweilen, namentlich bei einigermaßen gesättigten Tieren, die Kieferzangen einwärts geschlagen, so dass sie sich vor der Mitte des Kopfes überkreuzen und die hakenförmigen Spitzen unter dem Kopfrande verborgen sind. Häufiger beobachtet man eine andere Stellung der Zangen, die Angriffsstellung, in welcher sie weit geöffnet sind, bereit, jeden Augenblick zusammenzuklappen (Fig.1). Der langgestreckte, vorn auf 6 langen befiederten Schwimmbeinen ruhende Körper pflegt dann geradlinig nach hinten gestreckt zu sein, seltener ist er mit seinem Hinterleibsende senkrecht in die Höhe ge- stellt, in der Art, wie es manche Käfer (die Kurzflügler oder Staphy- liniden) namentlich im Zustande der Erregung thun. 4) Dass der Verschluss kein hermetischer ist, konnte ich in einem Falle erkennen, wo eine Larve die beiden Zangenspitzen fest in ein derbes Stück Rindfleisch eingebissen hatte, und nun den unten näher zu besprechenden Speichel aus der einen Zangenhälfte entleeren wollte. Die feste Muskelsubstanz musste wohl vorübergehend die eigentliche Mündung des Kanals verschlossen haben, denn ich sah deutlich, wie der braune Tropfen nicht, wie sonst, aus dem Stichkanal in dem angebissenen Fleische, sondern an der Basis (Gelenk- stelle) der Zange hervorquoll. (Vergl. auch die in Anmerkung 1 zitierte Notiz Meinert’s,) 2) H. Dewitz, Ueber die Führung an den Körperanhängen der Insekten, speziell betrachtet an der Legescheide der Acridier, dem Stachel der Meliponen und den Mundteilen der Larve von Myrmeleon, nebst Beschreibung dieser Organe. Berliner entomologische Zeitschrift, Bd. XXVI, 1882, 8.51. 1 SD Z Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. An einem möglichst geschützten und im Halbdunkel versteckten Platze lauert so das räuberische Tier vollkommen regungslos oft durch Stunden hindurch, bis ihm eine Beute nahekommt. Die Nahrung be- steht beim freilebenden Tiere wohl fast ausnahmslos aus lebender Beute. Dies beruht indessen keineswegs darauf, dass die Larve tote tierische Substanz und Aas verschmähte, — so wählerisch ist sie nicht —, es ist vielmehr ausschließlich die Bewegungslosigkeit, welche bewirkt, dass derartige Nahrung von dem Tiere selten genossen wird. Nach dem, was sich am gefangenen Tiere beobachten lässt, ist anzunehmen, dass bei der Nahrungswahl die chemische Beschaffenheit und die hiervon abhängige Wirkung auf den Geschmackssinn nicht häufig den Anlass dazu gibt, dass die Schwimmkäferlarve eine vor ihrem Kopfe befindliche Substanz anbeißt. Zweifellos ist, dass niemals der Geschmackssinn es ist, welcher dieses oder irgend ein anderes Wasserraubtier veranlasst, in einem um ein beträchtliches Stück ent- fernten Objekte etwas zur Nahrung geeignetes zu wittern. Einen Ge- ruchssinn hat diese Larve so wenig wie alle anderen dauernd im Wasser lebenden Tiere und auch das „Schmecken in die Ferne“ spielt bei ihr wie bei jenen eine minimale Rolle. Zur näheren Begründung dieser Angabe muss ich auf den Abschnitt III (das Riechen im Wasser) und IV (die Bedeutung des chemischen Sinnes für die Wassertiere im Vergleich zu den Lufttieren) meiner Abhandlung über den Geruchs- und Geschmackssinn !) verweisen. Was die Dytiscus-Larve veranlasst, einen vor ihrem Kopfe befind- liehen Gegenstand anzubeißen, das ist fast ausschließlich die Be- wegung desselben. Unbewegliche Nahrungsstoffe erregen nicht ihre Aufmerksamkeit. Man kann selbst einer hungrigen Larve ein Stück Fleisch dicht vor den Kopf halten, ohne dass sie davon Notiz nimmt, wenn man nur die Vorsicht gebraucht, es von vorne ganz langsam, unmerklich, zu nähern. Sowie aber das Fleischstück hin und her bewegt wird, wird die Larve aufmerksam und spreizt nun ihre Zangen weit von einander, um sich bei fortdauernder Bewegung des Objektes blitzschnell auf dasselbe zu stürzen. Gesichtssinn und Tastsinn dürften sich in die Wahrnehmung der Bewegung teilen, wenn auch dem ersteren die hauptsächlichste Be- deutung zukommen wird. Dass der Tastsinn (mechanische Sinn) hierbei überhaupt mitwirkt, scheint mir daraus hervorzugehen, dass hungrige 1) W. A. Nagel, Vergleichend-physiologische und anatomische Unter- suchungen über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe, mit ein- leitenden Betrachtungen aus der allgemeinen vergleichenden Sinnesphysiologie. Gekrönte Preisschrift. Bibliotheca zoologica, herausgeg. von Leuckart und Chun, Heft 18, Stuttgart 1894. Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 55 Dytiscus-Larven zuweilen auch gegen einen schwachen auf ihren Kopf gerichteten Wasserstrahl sich wie gegen einen bewegten sichtbaren Gegenstand verhalten und gewissermaßen nach ihm schnappen. Die Fähigkeit, Formen durch den Gesichtssinn zu unterscheiden, ist, wenn überhaupt vorhanden, äußerst unvollkommen. Niemals unter- scheidet die Larve, ob das ihr vorgehaltene und bewegte Objekt ein Stein, ein Insekt, eine Pincette oder Glasröhre ist, wahllos schnappt sie nach allem, was sich bewegt, oft selbst nach den Wasserpflanzen ihres Behälters. Auch dass sie selbst beim stärksten Hunger ein ruhig daliegendes totes Tier nie anbeißt, außer vielleicht, wenn sie beim Umherlaufen zufällig an dasselbe anstößt (was ich übrigens nie mit angesehen habe), spricht für die geringe Entwicklung ihres Sehver- mögens. Man könnte denken, es beruhe dies auf dem primitiven Bau der Augen dieser Larve, doch verhält sich auch der ausgebildete Käfer (Dytiscus), der große Facettenaugen besitzt, kaum anders und die im Wasser lebenden Libellenlarven (Aeschna, Libellula, Agrion) über- treffen in Hinsicht auf Mangelhaftigkeit der Wahrnehmung und Beur- teilung der Formen die Dytiscus-Larve womöglich, obgleich jene vor der letzteren mit ihren sechs kleinen einfachen Punktaugen jederseits den Vorteil sehr großer zusammengesetzter Facettenaugen voraus haben. Diese Libellenlarven sind allerdings auch von einer sonst beispiellosen Indolenz und Gleichgiltigkeit gegen die verschiedensten Reizarten, während die. Dytiscus-Larve ziemlich sensibel ist. Ich erwähnte oben, dass die Schwimmkäferlarve wahllos nach allem schnappt, was sich vor ihrem Kopfe bewegt. Das weitere Ver- halten gegen den auf diese Weise mittels der Zangen gepackten Ge- genstand ist nun sehr verschieden je nach der Natur des betreffenden Objektes. Ist dasselbe hart und glatt, so dass die Zangen daran abgleiten, z. B. ein Glasstab, so lässt sie alsbald los. Ist sie aber im Erregungszustand, so schnappt sie auch dann noch, nachdem der be- treffende Gegenstand sich als ungenießbar erwiesen hat, mehrmals heftig nach demselben, jedesmal sofort wieder den Kopf zurückziehend. Dies thaten auch die Larven, die nicht mehr fraßen; wurden sie durch wiederholte Berührung mit einem Stäbehen gereizt, so fuhren sie, den Hinterleib senkrecht aufgestellt, blitzschnell auf dasselbe los, schnappten mehrmals danach und blieben nun entweder in drohender Abwehr- stellung sitzen, die Kiefer weit geöffnet (wie Fig, 1), oder sie begaben sich plötzlich auf eilige Flucht. Bemerkenswert ist, dass bei diesem Zuschnappen, das offenbar eine Abwehrbewegung ist, niemals der sogleich zu besprechende gif- tige Speichel entleert wird. 56 Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. Hatte man die Larve in weiche, aber ungenießbare Stoffe, wie Bällehen aus reinem Filtrierpapier, beißen lassen, so werden diese mindestens einige Sekunden festgehalten !), die Kiefer wühlen darin herum, die Fühler und Taster betasten, drehen und wenden das Ob- jekt einige Male herum, öfters mit Hilfe des vordersten Beinpaares. Jetzt aber öffnen sich die Zangen wieder, lösen sich aus dem Gewirr der Cellulosefäden und die Vorderbeine stoßen den als ungenießbar befundenen Gegenstand heftig fort. Wieder anders ist das Verhalten gegen die wirkliche Nahrung. Hier tritt dann der Kanal in den Mandibeln in Wirksamkeit, indem durch ihn zunächst der chemisch wirksame Speichel entleert und dann die flüssige Nahrung eingesaugt wird. An der Wirkung des Speichels lässt sieh zweierlei unterscheiden, die toxische und die verdauende Wirkung, die wir im Folgenden ge- sondert betrachten wollen. Die Giftwirkung des Speichels. Wenn man zusieht, wie eine Dytiscus-Larve ein lebendes Tier bewältigt, kann man sich der Annahme nicht verschließen, dass sie hierbei einen Giftstoff in Anwendung bringt. Sie bezwingt ihre Opfer, die das doppelte ihrer eigenen Körperlänge haben können, nicht, oder mindestens nicht ausschließlich mittels mechanischer Gewalt, sondern durch eine eigentümliche chemische Wirkung ihres Mundsekretes, das wir, dem Gebrauche der vergleichenden Anatomie folgend, kurz Speichel nennen können. Dass die Tiere ein solches Sekret besitzen und will- kürlich entleeren können, ist leicht festzustellen. Man braucht nur eine der Larven aus dem Wasser zu nehmen und ihr einen Finger vorzuhalten, in welchen sie alsbald ihre Saugzangen einschlägt. Bei weicheren Partien der Haut dringen dieselben ein Stück weit ein und klemmen gehörig, ohne dass ich es indessen zum Bluten hätte kommen sehen. Larven, die noch nicht ihre Fresslust verloren haben, entleeren dabei stets nur aus einer der beiden Zangen einen großen Tropfen einer dunkel graubraunen Flüssigkeit, von deren weiteren Eigenschaften noch unten zu sprechen sein wird. Dasselbe geschieht, wenn die Larve in ein Stück Fleisch oder einen aus hartgekochtem Eiweiß ge- schnittenen Würfel beißt. Besteht ihre Beute aus einem Tiere, so bemerkt man den dunkeln Saft gewöhnlich nicht, namentlich nicht, wenn man die Larve in ein Insekt oder eine Spinne ihre Zange hat einschlagen lassen. Das Chitin einer Fliege oder einer kleineren Spinne wird von den Zangen 1) Dies, wie alles folgende bezieht sich nur auf solche Larven, die noch Nahrung aufnahmen. Das Verhalten der der Verpuppung nahen weicht hiervon mehrfach ab, was hier aber ohne weiteres Interesse ist. Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. ar mit Leichtigkeit durchstochen und dann offenbar der Speichel in das Innere des Tierkörpers entleert. Bedenkt man, wie lange, stunden -, ja tagelang ein auf eine Nadel gespießtes Insekt noch fortleben kann, und vergleicht man damit, wie rasch, oft in weniger als einer Minute, ein von einer Schwimmkäfer- larve ergriffenes Insekt oder eine Spinne bewegungslos wird und stirbt, so kann man keinen Augenblick im Zweifel sein, dass hieran nicht die bloße Durehstechung durch die feinen Zangenspitzen Schuld ist. Wichtig scheint es allerdings zu sein, in welchen Körperteil die Zangen eingedrungen sind. Ein Brach- oder Junikäfer (Rhizotrogus solsti- tialis), der ganz nahe der Hinterleibsspitze gepackt war, lebte noch nahezu eine halbe Stunde. Nach dieser Zeit war allerdings das Ab- domen des Käfers schon fast völlig leer gefressen. Bekanntlich können viele Insekten noch stunden-, ja tagelang leben, wenn ihnen das Abdomen, also der größte Teil des Körpers abgeschnitten wor- den ist. | Sehr rasch sterben Kerfe, welche den verhängnisvollen Biss am Thorax erhalten haben. Die Bewegungen einer Fliege (Musca vomi- toria) oder Spinne (Lycosa) werden in diesem Falle alsbald ganz schwach, willkürliche Befreiungsversuche hören schon nach wenigen Sekunden auf und man sieht nur noch einige Zeit hindurch kleine konvulsivische Zuekungen einzelner Beine. Auch wenn eine Larve die andere gepackt hat, ist diese in kurzer Zeit bewegungslos. Mit Leichtigkeit, aber allerdings in längerer Zeit, bezwingt die Dytiscus-Larve einen doppelt so großen Wassersalamander, ebenso Frosch- und Krötenlarven. Selbst wenn diese Tiere dem Räuber bald nach dem Biss weggenommen und vor weiteren Angriffen geschützt werden, gehen sie nachträglich an der Giftwirkung unter Zuckungen zu Grunde, ebenso Larven, die von ihren Artgenossen gebissen und nachher befreit worden sind. Die Vermutung dürfte gerechtfertigt erscheinen, dass es das Cen- tralnervensystem ist, welches gegen die Giftwirkung des Speichels am empfindlichsten ist und dessen Schädigung den raschen Tod her- beiführt. Der rasche, kurze Biss, den die Schwimmkäferlarve zur Vertei- digung ausführt, ohne die Absicht, sich Nahrung zu verschaffen, hat diese toxische Wirkung nicht, er wirkt, wenn er ein lebendes Tier trifft, nur durch die ganz unerhebliche mechanische Verletzung. Zur Entfaltung der Giftwirkung ist es nötig, dass das Opfer einige Zeit festgehalten wird, wobei sich der Speichel in dasselbe ergießt. 2 (Schluss folgt.) 8 Beer, Accommodation des Fischauges. Th. Beer, Die Accommodation des Fischauges. Pflüger’s Archiv, Bd. 58, S. 523—650. Die vorliegende Untersuchung ist ein Muster sorgfältiger und syste- matischer Arbeit und enthält eine große Fülle höchst interessanter Einzel- beobachtungen. Das erste Kapitel bringt eine gedrängte historische Ueber- sicht der verschiedenen Hypothesen über Refraktion und Accommodation bei den Fischen; Beer betont, dass das Vermögen der Accommodation bei Fischen bisher nur aus teleologischen und anatomischen Betrachtungen ge- folgert worden ist; „gesehen hat bisher noch Niemand eine accommodative Veränderung am Fischauge“. Seine eigenen Untersuchungen begann Beer mit dem Studium der Refraktion des Fischauges im aufrechten Bilde und mit Hilfe der skiaskopischen Methode: die Fische wurden unter Wasser (viele in kurarisiertem Zustande) und unter Atropinwirkung untersucht. Unter eirca 100 Fischen fand Beer bei den meisten zunächst leichte Hypermetropie, nur bei wenigen Myopie. Diese Messung bezieht sich aber nicht auf die liehtempfindliche Schicht der Netzhaut, sondern auf eine vor derselben liegende Stelle. Für die wahre Refraktion musste dieser Ab- stand in Rechnung gezogen werden, woraus sich ergab, dass die meisten untersuchten Fische eine Myopie von 3—12 D im Ruhezustand hatten. Bei einer Reihe von Fischen war Beer im Stande, am lebenden Tier die Zapfenmosaik der Netzhaut selbst zu sehen und so direkt mit dem Augenspiegel die wahre Refraktion genau zu bestimmen; auch hier fand er stets leichte Myopie. In der Luft fand sich bei allen untersuchten Fischen eine Myopie von 40 bis 90 Dioptrien. Es wird dies zum großen Teile durch die Brechkraft der (in Wasser unwirksamen) Hornhaut erklärt, die einen Krümmungsradius von 4—-9 mm zeigen kann (also nicht, wie Plateau angegeben hat, flacher als beim Menschen ist). Die Untersuchung in Luft ist nicht bei allen Fischen möglich, da viele eine stark facettierte Hornhaut mit unregelmäßigem Astigmatismus hohen Grades besitzen. — Weiter erörtert B. die Frage: Lässt sich am Fischauge eine Aendernng der Einstellung nachweisen? Nachdem ihm schon früher Refraktions- veränderungen während der Spiegeluntersuchung eine solche Aenderung wahrscheinlich gemacht hatten, prüfte Beer die Refraktion der Fischaugen mit gut ausgedachten Methoden sowohl in der Luft als unter Wasser ein- mal im Ruhezustand, dann bei Reizung durch zwei subkonjunktival ein- gestochene Nadelelektroden und erbrachte so den Beweis, dass die Fische Accommodation besitzen und dass Einrichtungen zu einer aktiven Ein- stellung für die Ferne vorhanden sein müssen. Diese negative Aceommodation beruht nicht auf Abplattung der Linse. Weder bei elektrischer Reizung des Accommodationsmuskels, noch bei Reizung des ganzen Auges lässt sich eine Veränderung des Krümmungs- radius der Linse nachweisen. Der Accommodationsmechanismus ist vielmehr der folgende: Die Linse ist mit ihrem oberen Pole an dem in vertikaler Richtung äußerst wenig dehnbaren Ligam. suspensorium aufgehängt; der an den unteren Teilen des Linsenumfanges mit seiner Sehne sich anheftende Accommodationsmuskel (Campanula Halleri, wofür B. den Namen Retractor lentis vorschlägt), übt bei seiner Kontraktion einen nach unten, innen und rückwärts gerichteten Beer, Studien über die Accommodation des Vogelauges. 59 Zug au der Linse aus. Entsprechend der dadurch bedingten Ortsver- änderung der Linse wandert auch das Bild der Außenwelt im Fischauge auf der Netzhaut; die Fische besitzen dadurch vielleicht das Vermögen, innerhalb eines beschränkten Gebietes umherzublicken, ohne das Auge zu bewegen. Alle diese Angaben werden von Beer durch eine Fülle interessanter Beobachtungen und geschickter Experimente gestützt, und es ist damit zum ersten Mal das Vermögen einer aktiven Einstellung für die Ferne im Tierreiche dargethan worden. Nach Durchsehneidung des Museulus retractor fällt die Linsenbewegung vollständig aus. Ebenso fehlt nach Atropinisierung die sonst bei elek- trischer Reizung zu beobachtende accommodative Veränderung. Eine Messung der Accommodationsbreite im gesunden Fischauge (unter Wasser) ergab eine Differenz von 4—5 D zwischen dem Ruhezustande und dem bei elektrischer Reizung (in der Luft fand sich, bei sonst gleichen Bedingungen eine Aenderung um 10, 12, 15 D.). Die Geschwindigkeit der Accommodation variierte bei verschiedenen Species der Knochenfische innerhalb weiter Grenzen; sie war am größten bei den flinken, am trägsten bei den wenig beweglichen Grundfischen. Weitere Untersuchungen über die Iris ergaben, dass diese auf die Accommodation ohne Einfluss ist und dass bei elektrischer Reizung sich auch die Pupille in temporaler Richtung verschiebt, allerdings viel langsamer als der flinkere Accommodationsmuskel. Atropin hat bei vielen Fischen einen Einfluss auf die Pupille. „Es bedingt keine nennenswerte Pupillen- erweiterung, hebt die direkte Lichtreaktion der Iris nicht auf, setzt aber die Erregbarkeit der Iris gegen elektrische Reizung in mehr oder weniger hohem Grade, unter Umständen fast bis zur Vernichtung, herab“. Bei Haien und Rochen kommt die Accommodation, wenn sie hier überhaupt vorhanden ist, nicht, wie bei den Teleostiern, durch Ortsver- änderung der Kıystalllinse zu Stande. C. Hess (Leipzig). |5| Th. Beer, Studien über die Accommodation des Vogelauges. Pflüger’s Archiv f. d. ges. Phys., Bd.53, S. 175—237. Der Ciliarmuskel des Vogels besteht (nach Leuckart) ausschließ- lich aus Längsfasern. Man kann den ganzen Muskel in 3 Portionen zer- fällen, die bei verschiedenen Vogelarten mehr oder minder innig zu einer zusammenhängenden Masse vereinigt sind. Die äußerste Schicht ist der sog. Crampton’sche Muskel, dessen vorderes Ende sich an die inneren Lamellen der Hornhaut unmittelbar ansetzt. Diese inneren Lamellen sind meistens so deutlich von den äußeren (vorderen) Hornhautlamellen ge- sondert, dass sie von diesen förmlich abgespaltet erscheinen. Bei Kon- traktion des Cr. Muskels (z. B. bei elektrischer Reizung) wird ein Zug auf die innere Hornhautlamelle ausgeübt, welche sich infolge dessen gegen die Peripherie verschiebt: dieser Zug ist bis in die Nähe des Hornhaut- zentrums zu verfolgen und lässt sich beispielsweise an den Bewegungen einer feinen durch die Cornea gestochenen Nadel leicht demonstrieren, 60 Zacharias, Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen. Bei verschiedenen Raubvögeln wird durch die Kontraktion des Cramp- ton’schen Muskels die Hornhaut in ihren peripheren Partien abgeflacht, also der Krümmungsradius größer, im Zentrum dagegen kleiner; doch ist diese letztere Erscheinung, welche eine Accommodation für die Nähe dar- stellen würde, nicht regelmäßig vorhanden. Beer widerlegt damit gegen- teilige Ansichten, wie sie u. A. von Cramer ausgesprochen worden waren. Besondere Aufmerksamkeit wendete B. dem Verhalten der Linse zu. Bis dahin hatte noch ziemlich allgemein die Ansicht geherrscht, dass ak- tiver Druck der Iris eine vermehrte Wölbung der vorderen Linsenfläche zur Folge habe. B. zeigte zunächst, indem er die Accommodation am intakten Auge und nach operativer Entfernung der Iris prüfte, dass das Fehlen der Iris die Accommodation nicht beeinflusst. Die Accommodation kommt vielmehr lediglich durch Krümmungsänderung der vorderen Linsenfläche zu Stande, welch letztere etwas nach vorne rückt und zugleich stärker gewölbt wird. Der Mechanismus dabei ist der folgende: Die Linse wird im Ruhe- zustande des Auges durch die elastische Kraft ihrer Aufhängebänder in abgeflachter Form erhalten; unter diesen Aufhängebändern spielt neben der Zonula Zinnii das stark entwickelte Ligamentum pectinatum eine wich- tige Rolle. Dasselbe wird durch die Kontraktion des Crampton’schen, eventuell auch des Müller’schen Muskels entspannt, infolge dessen wird die Linse in ihrem anteroposterioren Durchmesser dicker, der Krümmungs- radius der vorderen Linsenfläche kleiner. Ebenso wie die Kontraktion des Ciliarmuskels wirkt Zerstörung des Ligamentum pectinatum auf die Gestalt der Linse: nach einer solchen Zerstörung hat elektrische Reizung des Ciliarmuskels auf das Verhalten der vorderen Linsenfläche keinen Ein- fluss mehr. Beer deutet zum Schlusse auf die große Analogie der am Vogelauge gefundenen Accommodationsvorgänge mit den nach der v. Helmholtz’schen Theorie beim Menschen sich abspielenden Prozessen hin und hebt mit ltecht hervor, dass hieraus der v. Helmholtz’schen Auffassung eine neue Stütze erwachse. Ü. Hess (Leipzig). 6 Ueber die natürliche Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen. Von Dr. Otto Zacharias, Direktor der Biologischen Station zu Plön. Die nachstehenden Mitteilungen wenden sich in erster Linie an die Adresse des Zoologen und Hydrobiologen: nächstdem aber auch an die- jenige des wissenschaftlich-gebildeten Teeichwirtes, dem es darum zu thun ist, einen gründlichen Einblick in die Beziehungen zu erhalten, welche zwischen den ökonomisch wichtigsten Wasserbewohnern, den Fischen, und jenen Milliarden von winzigen Lebewesen bestehen, die in Gestalt von niederen Krebsen, Rädertieren, Protozo@n und Algen fast ausnahmslos unsere Gewässer bevölkern. Dass die eben genannten Organismen-Gruppen eine wichtige Rolle bei Ernährung der Fische spielen, ist eine jetzt genügend erhärtete Thatsache. Zacharias, Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen. Gl Zahlreiche Magen- und Darminhaltsuntersuchungen, die man bei jungen und erwachsenen Fischen vorgenommen hat, lassen hieran keinen Zweifel mehr aufkommen. Namentlich müssen die kleinen Kruster (Copepoden, Daphniden, Bosminen und Lynceiden) als ein sehr wichtiger Bestandteil des natürlichen Fischfutters angesehen werden, wogegen die übrigen Mit- glieder der Mikrofauna nebst den Algen von weit geringerer Bedeutung in dieser Hinsicht sind. Allerdings gilt das eben Ausgesprochene lediglich nur für die Jung- fische und die erwachsenen Vertreter derjenigen Gattungen, welche man als „Kleintierfresser“!) bezeichnet, während Hechte, Barsche, Zander u. s. w. einer kräftigeren Kost bedürfen und zu Fischräubern werden, sobald sie das zartere Jugendstadium hinter sich haben. Da nun aber diese Cannibalen sich gerade vorwiegend von solchen Fischen ernähren, deren Lieblingsnahrung die kleinen Kruster bilden, so besitzen diese letz- teren offenbar, obgleich nur indirekt, auch eine große Bedeutung für das Gedeihen jener zahlreichen räuberischen Species, die ihrem Gebahren und ihrer ganzen Lebensweise nach vollkommen unabhängig von jener Klein- fauna zu sein scheinen. Schon vor vielen Jahren hat man erkannt, dass gewisse Salmoniden, die Coregonen, sich fast ausschließlich von Daphnien und Copepoden er- nähren. Nur im Winter, wo die Anzahl der Entomostraken stark zurück- geht, nehmen diese Fische auch mit Insekten und kleinen Wasserschnecken fürlieb. Professor Franz Leydig in Tübingen war der Erste, der auf Grund von Mageninhaltsbefunden diese Thatsache feststellte?). Von andern Forschern ist dieselbe später in ausgedehntem Maße bewahrheitet worden. So z. B. von Dr. G. Asper für die Coregonen der Schweizerseen ?). Im Magen frisch gefangener Maränen (Coregonus albula) aus dem Gr. Plöner See, die ich im November 1894 untersucht habe, fand ich ebenfalls nur Bosminen, denen einige Cyclopiden beigemischt waren, als Nahrungs- objekte vor. Merkwürdiger Weise sind solche Analysen der Verdauungsmasse von Fischen noch niemals in systematischer Weise durchgeführt worden, ob- gleich der Wunsch nach derartigen Aufschlüssen schon vielfach in den Fischereizeitschriften zur Kundgebung gelangt ist. Dies mag mit daran liegen, dass solche Untersuchungen mit Erfolg nur dann ausgeführt werden können, wenn der betreffende Mikroskopiker eine ausreichende Orientierung über die niedere Fauna und Flora der Seebecken besitzt — Kenntnisse also, die auch bei fachwissenschaftlich gebildeten Zoologen nicht immer zu finden sind. Freilich fehlte es bisher auch oft an Gelegenheit zur regelmäßigen Herbeischaffung von geeignetem Material, d. h. von frisch erbeuteten Fischen in verschiedenen Altersstufen. Seit der Errichtung von biologischen Süßwasserstationen ist jedoch auch dieses Hindernis in Wegfall sekommen, und so werden wir wohl in nächster Zeit verschiedentlich Aus- 4) Josef Susta, Die Ernährung des Karpfens und seiner Teichgenossen, 1888, S. 203. 2) Vergl. F. Leydig, Naturgeschichte der Daphniden, 1860, 8.153 u. 245. 3) Schweizer Spezialkatalog der Internationalen Fischereiausstellung zu Berlin, 1880. 52 Zacharias, Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen. kunft über die Ernährungsweise der wirtschaftlich-wichtigsten Fischspecies erhalten. In Böhmen, dem klassischen Lande der Karpfenzucht, ist schon längst ein guter Anfang nach dieser Richtung hin gemacht worden. Dort haben Josef Susta!) und Prof. Anton Fritsch?) sehr eingehende Beobach- tungen über die Nahrung des Karpfens angestellt und den augenfälligen Beweis dafür erbracht, dass dieser beliebte Speisefisch sich mit Vorliebe. nur von kleinen Crustaceen, Insektenlarven und Schnecken ernährt, keines- wegs aber von „modernden Pflanzenresten“, wie früher allgemein angenom- men wurde. Dr. J. Kafka?), der sich neuerdings auch mit diesem 'T'hema befasst hat, konnte die Untersuchungsergebnisse seiner beiden Landsleute, wonach der Karpfen ausgesprochenermaßen ein Tierfresser ist, durchweg bestätigen, so dass dies als völlig gesichert angesehen werden darf. Dasselbe gilt von verschiedenen anderen Mitgliedern der Cypriniden- Familie, wie ich selbst zu ermitteln in der Lage gewesen bin. Im Magen und Darm von Plötzen (Leueiseus rutilus) hingegen fand ich der Haupt- masse nach immer nur grüne Pflanzenteile in zerkleinertem Zustande vor, namentlich aber auch Algen (Oladophora). Durch solche Ausnahmen wird jedoch die Regel, dass die Entomostraken einen ganz hervorragenden An- teil an der Fischernährung haben, keineswegs umgestoßen, sondern viel- mehr befestigt und wir kommen angesichts der durchgängigen Erfahrung, dass sehr viele Fische — und besonders alle jungen Fische — auf die kleinen Kruster als ihr natürliches Futter angewiesen sind, zu einer Erwägung, welche nicht bloß in wissenschaftlicher, sondern auch in prak- tischer Hinsicht von großem Belang ist. Jene Tierchen zerfallen nämlich in zwei sehr verschiedene Grup- pen, wovon die eine die sogenannten Uferformen umfasst, die sämtlich ein nur geringes Schweb- und Schwimmvermögen besitzen, wesswegen sie gern am Boden oder auf den Wasserpflanzen Erholungspausen machen. Im Gegensatz dazu besteht die andere Gruppe aus lauter vortrefflichen Schwimmern, die in zahlreichen Arten über das ganze Areal der Seen verbreitet sind, so dass sie überall — im freien Wasser sowohl wie in unmittelbarster Ufernähe — in bedeutender Menge aufgefischt werden können. Diese zweite Gruppe steht als diejenige der pelagischen (oder limnetischen) Kruster der andern gegenüber, in welcher besonders Lyncöiden (Linsen- krebse) und Daphniden in stattlicher Artenzahl vertreten sind. Die Quan- tität der pelagischen Orustaceenfauna übertrifft namentlich in den größeren Seebecken die der littoralen bei weitem. Bei kleinen Teichen mit viel Pflanzenwuchs verhält es sich umgekehrt; da sind die littoralen Crustaceen vorherrschend und es gibt nur wenig oder gar keine limnetischen Species in derartigen Gewässern. Selbstverständlich sind dann auch die kleintier- fressenden Fische (und die junge Brut überhaupt) bei ihrer Ernährung lediglich auf die Uferformen angewiesen. Es ist nun offenbar von Wichtigkeit, zu wissen, wie die Fische sich in dem Falle verhalten, wo ihnen beide Gruppen von Crustaceen, die 4) J. Sustal. ec. S. 57— 9%. 2) A. Fritsch, Kurze Anleitung znr Karpfenzucht, 1892, S. 5 u. 6. 3) J. Kafka, Untersuchungen iiber die Fauna der Gewässer Böhmens 41892, S. 101 u. ff. Zacharias, Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen. (053 pelagische sowohl wie die littorale, in unbeschränkter Anzahl zur Ver- fügung stehen. Werden sie da die eine Gruppe zu Gunsten der andern bevorzugen oder wird sich ihre Ernährung so gestalten, dass beide Gruppen gleich viel zu derselben beitragen ? Eine Entscheidung dieser Frage hat darum eim besonderes Interesse, weil gegenwärtig bei manchen Fischereisachverständigen die Meinung Platz gegriffen hat, die Ernährung der jungen Wildfische werde zum weitaus srößten Teile aus der Uferfauna bestritten und die limnetische Kruster- welt (resp. des Plankton) komme hauptsächlich nur für die Ernährung der Renken und Stinte in Betracht!). Ich bin in jüngster Zeit bestrebt gewesen, thatsächliches Material zur Klarstellung der vorliegenden Frage zu sammeln und habe zu diesem Zwecke eine große Anzahl junger Fische aus dem Gr. Plöner See genau bezüglich ihres Magen- und Darminhalts untersucht. Dabei ergaben sich folgende Befunde, die ich übersichtlich zusammenstelle. Datum: Species: Größe: | Magen-Inhalt: 8. August |Barsch (Perca fluv.) 11 cm |Hyalodaphnia _kahl- bergensis, Larven der Zuckmücke (Chiro- nomus). 8. August |Ukelei (2Stück)|(Alb. lucidus) 12 cm |Hyalodaph. kahlberg. 2. Septbr. |Brachsen (Abr. brama) 9 em |Üyelops oithonoides, Chironomus-Larven. 5. Septbr. |Barsch (5 St.)|(Perca fluv.) 9—12 em |Hyalodaph. kahlberg. . Septbr. |Kl. Weißfisch/Alburnus sp. 1,5 em |ÜOyelops oithonoides, Lynceiden, Ü'hirono- mus-Larven. 16. Septbr. |Ukelei (6 Stück)|(Alb. lueidus) 11 em |Ayalodaphnia, Cy- clops oithon., Bos- mina coregoni, Lep- todora hyalina. — — Barsch (4 St.) |(Pere. fluv.) 9em |Cyel. oithon., Hyalo- daphnia, Eurytemora lacustris, Leptodora hyalina. — — Kaulbarsch |(Acerin. cernua) | A0—11 cm|Gammarus pulex (in Menge). — —— Ukelei (3 St.) |[(Alb. Tucidus) 8—9 cm |Hyalodaphnia, Lepto- dora, Bosmina core- goni, Eurytemora. 3. Oktober Stichling (Gast. pungitius)| 3-4 em |Cyelops oithonoides (6 Stück) (viele), [er) Sämtliche 30 Stück Fische sind in geringer Entfernung vom Ufer gefangen und sofort nach ihrer Abtötung seeiert worden. Aus obiger Tabelle geht aufs Deutlichste hervor, dass alle diese jungen Fische sich zum über- wiegenden Teile von Crustaceen ernähren, welche der limnetischen Fauna 1) Vergl. hierüber den Jahresbericht der Müggelsee - Station in der Zeit- schrift für Fischerei, 1895, Nr. 1/2, 8. 65 u. s. w. b4 Zacharias, Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen. angehören, d. h. von Hyalodaphnien, Burytemora, Bosmina coregoni, Lep- todora hyalina‘) und dem pelagischen Cyclops oithonoides. Aus der Ufer- fauna scheinen nur die Mückenlarven (Chironomus sp.) und die Flohkrebse (Gammarus) als Zuspeise gewählt zu werden, da es wohl kaum lohnt, die zwischen den Armleuchtergewächsen versteckten Linsenkrebse hervorzuholen, wenn die Planktonkruster sich so zahlreich zum einfachen Wegschnappen darbieten. Anders freilich steht die Sache, wenn wir uns in eine pflanzen- reiche Bucht des Plöner Sees (z. B. in das Helloch) begeben und dort Fische fangen. Da spiegelt sich die abweichende Beschaffenheit der Lo- kalität sofort im Mageninhalt der betreffenden Stichlinge, Barsche und Ukeleie wieder, insofern dieselben dann neben den limnetischen Daphniden und Copepoden auch die in ihrer Umgebung zahlreich vorkömmlichen Linsen- krebse (Ohydorus-, Alona- und Acroperus- Arten) in größerer Menge ver- zehren. Die Mehrzahl der Fische scheint somit beim Aufsuchen der Nahrung keinen größeren Arbeitsaufwand zu machen, als unumgänglich notwendig ist. Sie stürzen sich demgemäß immer auf diejenigen Species von Krustern, welche am bequemsten zu erlangen sind). Sonst scheint ihnen Alles, was „Krebs“ heißt als Nahrungsgegenstand willkommen zu sein. In neuester Zeit ist mehrfach bezweifelt worden ?), dass die Gruppe der pelagischen Crustaceen in einschneidender Weise für die Ernährung der Wildfische (und deren Brut) in Betracht komme. Zur Begründung dieses Zweifels hat man angeführt, dass die jungen Fischchen sich ja stets mit Vorliebe am Schaarbord (d. h. im nächsten Bereich des Ufers) aufhielten, ohne sich an die freie Fläche des Wassers zu begeben. Dieser Beweisführung liegt die ganz irrige Voraussetzung zu Grunde, dass die limnetischen Kruster in ein bestimmt abgegrenztes Areal der Seefläche gebannt seien, über welches sie uferwärts nicht hinauskommen können. Dieser Irrtum wird leider noch sehr allgemein geteilt, obgleich er durch speziell darauf gerichtete Untersuchungen am Gr. Plöner See längst wider- legt ist). Ich habe aufs Bestimmteste nachgewiesen, dass die plank- tonischen Krebstiere (und das Süßwasser-Plankton überhaupt) keineswegs bloß die Mittelzone der Seen, sondern auch deren peripherische Teile, resp. den Ufersaum, bevölkern. Eine Einschränkung erfährt dieser Satz nur hinsichtlich einiger Species, welche die Gewohnheit haben, gelegentlich in größere Tiefen hinabzugehen, wie z. B. Bythotrephes und Leptodora. 4) Kürzlich hat Dr. A. Seligo (Königsberg) die Wahrnehmung gemacht, dass Leptodora auch massenhaft von den Stinten im Frischen Haff verzehrt wird. Vergl. darüber die Berichte des Fischereivereins der Provinz Ostpreußen, Nr. 3, 1895. 2) Hierdurch wird es vielleicht auch erklärlich, dass die beständig in größeren Tiefen lebenden Coregonen sich in ihrer Ernährung gänzlich der pelagischen Krusterfauna angepasst haben, weil bei der Abwesenheit einer animalischen Tiefenbevölkerung in unseren Seen nur jene kleinen Krebstiere das Nährmaterial darstellen, welches bis in die untersten Wasserschichten hinab verbreitet ist. 3) So z.B. von Prof. J. Frenzel im Jahresbericht der Müggelsee-Station, 1895, S. 75. 4) Vergl. Forschungsberichte aus der Biologischen Station zu Plön, Teil I, 1893, S. 30 u. ft. Zacharias, Nahrung der jungen Wildfische in Binnenseen. 65 Doch ist ‚letztere auch mehrfach schon dicht an der Wasserkante auf- gefischt worden }). Die Krustergruppe des Ufers hingegen wird durch den Mangel an ausdauernder Schwimmfähigkeit vom Besuch der mehr zentral gelegenen Seeteile abgehalten, weil sich unterhalb derselben gewöhnlich größere Tiefen befinden, in welche die kleinen Abenteurer rettungslos hinabsinken müssten, sobald ihre schwache Ruderkraft erlahmt, und dies würde bei Alona-, Campto- cereus- und Pleuroxus-Arten sehr bald eintreten. Eine merkwürdige Aus- nahme hiervon macht jedoch Uhydorus sphaerieus, der seinem ganzen Habitus nach zu den Littoralformen der Krusterfauna gehört, trotzdem aber in einigen Seen auch pelagisch-lebend angetroffen wird. Dies ist von mir in westpreußischen Wasserbecken beobachtet worden (1886): Apstein hat es später (1892) für den Dobersdorfer See festgestellt und ganz neuerdings hat Jacob Reighard?) die nämliche Wahrnehmung in einem nord- amerikanischen See gemacht. Für die Uferkruster liegt also (ebensowohl wie für die Insektenlarven und schlammbewohnenden Würmer) ein bestimmter Grund vor, nämlich das Unvermögen, frei im Wasser zu schweben und ausdauernd zu schwim- men, wodurch sie verhindert werden, dieselbe allgemeine Verbreitung in den Seen zu gewinnen, wie die virtuosen Schweber und Schwimmer des Plauktons.. W. Weltner”) hat dieser Erklärung gegenüber einen Ein- wand in Gestalt folgender Frage erhoben: „Wenn die Schwebfähigkeit der einzige Faktor wäre, warum haben denn nicht auch die typischen Uferbewohner diese Eigenschaft erworben“? Dabei weist Weltner auf die Blutegel und Insektenlarven hin. Auf einen derartigen Vorhalt habe ich einfach zu entgegnen, dass ich die Schwebfähigkeit und Pelagieität einer Species als faktisch vorliegende Resultate der Naturzüchtung be- trachte und keineswegs als Ziele, denen die Blutegel und Käferlarven nachzustreben hätten. Ich verwende demgemäß das, was als ein anerkanntes Faktum zu betrachten ist, zur Erklärung eines anderen Faktums und schreibe das Verbleiben gewisser Kruster in der Uferregion ihrem notorischen Mangel an Schwebfähigkeit zu. In derselben Weise erkläre ich mir auch aus der Konstruktion einer Lokomotive, dass dieselbe nur auf einem Schienenstrange laufen kann, wogegen ein guter Landauer, der mit kräf- tigen Pferden bespannt ist, über Berg und Thal dahin kutschiert. Niemals würde es daher gerechtfertigt sein, den Maschinenbauer darüber zu inter- pellieren, weshalb er sich bei Anfertigung von Lokomotiven nicht lieber den Landauertypus zum Muster nehme. Genau dieselbe Argumentation passt auch auf den Weltner’schen Einwand, der sich bis zu der mir völlig unverständlichen Bemerkung zuspitzt: „Zu welchem Zwecke sollte wohl ein blutegelartiges Wesen im freien Wasser schweben“! Hierauf kann ich nur erwidern, dass ich gleichfalls nicht zu begreifen vermöchte, 4) C. Apstein fand sie z. B. zahlreich im Molfssee (bei Kiel) nur 1 m weit vom Lande. Vergl. Festschrift für A. Weismann, 189. 2) Vergl, biologieal Examination of Lake St. Clair, 1895. Dort heißt es S.38: „Chydorus sphaerieus OÖ. F.M. is pelagie in considerable numbers in Lake St. Clair“. 3) Vergl. die Weltner’sche Recension des 2. Teils meiner „Forschungs- berichte“ in der Zeitschrift für Fischerei, Heft 5, 1894. XV. 5 56 Haeckel, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen. wozu das gut wäre. Solcher Widersinn ergibt sich schließlich, wenn man den Zweckbegriff in einer biologischen Diskussion aufs 'Tapet bringt! Doch genug hiervon. Ich kehre zu meinen Mageninhaltsanalysen zurück und führe das Ergebnis derselben als Beweis dafür an, dass die limnetische Krusterfauna in hohem und bisher nicht geahntem Maße zur Er- nährung der verschiedensten Fischspecies beiträgt, und dass somit der Nahrungs- gehalt solcher Wasserbecken als ihrem Planktonreichtum direkt proportional angenommen werden kann. Hiermit erledigt sich zugleich die Streitfrage nach der Möglichkeit einer Bonitierung der Seen und Teiche, wie sie von einem meiner Herrn Mitarbeiter, dem Dr. E. Walter (jetzigem Leiter der teichwirtschaftlichen Versuchsstation zu Trachenberg i. Schl.), in die Praxis einzuführen versucht worden ist 1). Der betreffende Vorschlag hat mancherlei Widerspruch erfahren, obgleich er von einer ganz richtigen Grundlage ausgeht, zu deren Sicherung ich im Obigen selbst noch überzeugendes Material beigebracht habe. — Zum Schluss möchte ich noch die Mitteilung machen, dass ich seit vielen Monaten auch den Darminhalt der kleinen Kruster (der pelagischen sowohl wie der littoralen) genauer in betreff seiner Zusammensetzung mikroskopisch untersucht habe. Es hat sich dabei herausgestellt, dass die Nahrung der Copepoden, Bosminen und Linsenkrebse im Wesent- lichen nur aus Kieselalgen (Bacillariaceen) besteht. Die kleinen Species (wie Oyelotella, Gomphonema und dergl.) werden meistenteils ganz ver- schluckt, wogegen die Frusteln von Asterionella, Fragtilaria u. s. w. vorher in Bruchstücke zerbissen werden. Die Nahrung der Daphniden besteht ebenfalls aus kleinen Bacillariaceen und deren Fragmenten, doch sind dieselben gewöhnlich noch mit sehr feinem organischen Schlamm (pflanz- lichem Detritus) vermischt, so dass der Darmkanal dieser Krebschen fast immer von einer bräunlichen, dunklen Masse erfüllt erscheint. Hieraus wird ersichtlich, dass die Abhängigkeit der Fischfauna von andern wasser- bewohnenden Lebewesen sich bis zu den niedersten Formen des Pflanzen- reichs erstreckt; denn insofern die Bacillariaceenflora die Hauptnahrung für die kleinen Kruster bildet, ermöglicht sie gleichzeitig auch einer großen Anzahl von Fischen die Existenz, welche ihrerseits wieder die Krebstiere verzehren. Erst neuerdings ist man im praktischen Fischereiwesen dazu gelangt, sich diese Einsicht in den Umsatz der organischen Substanz, wie er fortwährend in unseren Seen und Teichen vor sich geht, zu Nutze zu machen. [2] Haeckel, Ernst, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen. Erster Teil des Entwurfs einer systematischen Phylogenie. Berlin. Georg Reimer. 1894. 400 Seiten. Ein Werk aus der Feder Haeckel’s wird stets das Anrecht erheben dürfen, dass ihm von Seiten der Forscher auf dem Gebiete der Biologie Interesse entgegengebracht werde. Wendet sich aber, wie das im vorliegen- 1) E. Walter, Ueber die Möglichkeit einer biologischen Bonitierung von Fischteichen. München 189. Haeckel, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen. 67 den ersten Teil des Entwurfes einer systematischen Phylogenie geschieht, der Zoologe nicht bloß an seine engeren Fachkreise, sondern speziell an die Botaniker, so wird diesen die doppelte Pflicht erwachsen dem Gelehrten zu folgen. Denn, welche Bahnen Haeckel auch gehen mag, sicherlich wird es manche Anregungen bringen. Zugleich aber hat es ja ein ganz besonderes Interesse für den Botaniker eine phylogenetische Darstellung der Objekte seiner Wissenschaft gerade unter den Gesichtspunkten des Mannes zu sehen, der mehr denn ein Vierteljahrhundert auf dem Gebiete der Er- forschung der organischen Welt eine führende Rolle spielte, der von seinem höheren Standpunkte aus die die Detailforschungen auf dem Ge- biete der Botanik und Zoologie verbindenden Fäden zu einem höchst interessanten, wertvollen Gewebe zu verarbeiten weiß. Haeckel’s Werk ist in der Hauptsache das neue Gewand, in welchem sich ein Teil der einst epochemachenden generellen Morphologie zeigt, dieser hervorragendsten Philosophie der biologischen Naturwissenschaften. Und wie als Teilstück jenes Größeren ist es wieder ein Werk geworden, das im großen Stile eine Begründung des phylogenetischen Systems ver- sucht auf Grund des umfangreichen empirischen Materials der Paläontologie, Ontogenie und Morphologie. Mit Hilfe dieser drei Stammesurkunden sucht Haeckel einen klaren Einblick in den allgemeinen Gang des historischen Entwicklungsprozesses uud in die Wirksamkeit seiner wichtigsten Faktoren, der Vererbung und Anpassung, zu gewinnen. Die hypothetischen Stamm- bäume sind der Ausdruck dieser Vorstellung. Ihrer Konstruktion, die viele Vertreter der biologischen Naturwissenschaften, welche gerne die alleinigen Männer exakter Forschung sein wollen, als Ausgeburt einer willkürlich schaltenden Phantasie lange perhorreszierten und zum Teil auch heute scheel ansehen, spricht Haeckel einen hohen wissenschaftlichen Wert zu, „denn ein solches systematisches Genealogium ist eine heuristische Hypothese, welche die Aufgaben und Ziele der phylogenetischen Klassi- fikation viel klarer und bestimmter mit einem Blicke übersehen lässt, als es in einer weitläufigen Erörterung der verwickelten Verwandtschafts- verhältnisse ohne diese Form der Darstellung möglich sein würde“. An das einleitende Kapitel, das die generellen Prinzipien der Phylogenie behandelt, schließt sich die generelle Phylogenie der Protisten an, die mit der Lehre von der Urzeugung (Archigonie) beginnt. Haeckel vertritt die Anschanung, „dass der physikalisch-chemische Pro- zess der Plasmodomie oder Karbon-Assimilation, die Synthese von Plasma aus einfachen anorganischen Verbindungen, unter dem ersten Auftreten der dafür günstigen Bedingungen in der Erdgeschichte zum ersten Male stattgefunden habe“. Das Protistenreich bildet Haeckel aus jenen Organismen, welche kein Gewebe bilden. Damit gewinnt er eine klare und einfache Grenze. Physiologische Momente lassen das Protistenreich in die 2 Unterreiche der Protisten, die Protophyten oder Plasmo- domen und die Protozoen oder Plasmophagen teilen. Jene besitzen synthetischen Stoffwechsel. Sie vermögen unter dem Einfluss des Sonnen- lichtes aus einfachen anorganischen Verbindungen Plasma zu bilden; diese müssen ihr Plasma direkt oder indirekt aus dem Plasmareich auf- nehmen. In glücklicher Weise wird damit das wohl einzige Kriterium gewonnen, das im Reiche der Protisten die den beiden Organismenreichen entsprechende Gliederung ermöglicht. 5* b8 Haeckel, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen. ‘ Mit derselben. ist nun auch die Vorstellung der zeitlichen Folge beider Unterreiche gewonnen. „Der Pflanzenorganismus ist älter als der Tier- organismus; denn nur reduzierendes Phytoplasma konnte ursprünglich direkt durch Archegonie aus unorganischen Verbindungen entstehen. Der jüngere Tierorganismus ist sekundär aus dem älteren Pflanzenorganismus hervorgegangen; denn das oxydierende Zooplasma der ersteren konnte erst sekundär aus dem bereits vorhandenen Phytoplasma der letzteren entstehen und zwar vermöge jener bedeutungsvollen Veränderung im organischen Stoffwechsel, welche wir mit einem Worte als Metasitismus oder Er- nährungswechsel bezeichnen“. Diese Umkehrung des ursprünglich synthe- tischen Stoffwechsels in einen analytischen ist polyphyletisch und vollzog sich nicht nur beim Werden der Protoxoa aus den Protophyta, sondern ber verschiedenen selbst hochentwickelten Abteilungen des Pflanzenreiches, indem z. B. die Orobancheen metasitische Scrofularineen sind. Die konsequente Durchführung dieses Prinzipes führt es mit sich, dass der Stammbaum des Protistenreiches namentlich durch die Placierung einer Gruppe, der Fungili (Phycomycetes der gewöhnlichen Systeme) uns etwas eigentümlich anmutet. Vielleicht nur aus dem äußeren Grunde, dass sie bislang die sozusagen ausschließliche Domäne botanischer Forschung bildeten, sind wir gewohnt sie in den botanischen Systemen eingeordnet zu sehen, während sie nun auf Grund des erwähnten physiologischen Ein- teilungsprinzipes den Protoxoan zugewiesen werden. Es will uns aber scheinen, dass ein morphologischer Charakter ihnen doch eine etwas andere Stellung zuweise, als wie sie den übrigen Protozoen zukommt. Ihr eim- zelliger Organismus wird wie bei echten Pflanzenzellen von einer ge- schlossenen Membran umhüllt. Der Metasitismus, der sie durch Anpassung an saprophytische und parasitische Lebensweise zu plasmophagen Protisten werden ließ, wirkte also immerhin nicht in dem Maße umgestaltend ein, — ist also vielleicht zeitlich von nicht sehr fernem Ursprung, —- dass der phylo- genetische Anschluss an echte Protophyten nicht inniger wäre, als bei anderen Protozoen. Es’ kommt also den Fungelli, so er sie mit den Phyco- myceten identisch sind, unserer Auffassung nach im phylogenetischen Systeme eine ganz analoge Stelle zu wie anderen metasitischen höher organisierten Pflanzen. Wir stellen uns also vor, dass die Fungilli plasmo- phag veränderte Siphoneen sind, die zu diesen eine ähnliche Verwandt- schaftsstellung einnehmen wie z. B. die Cuseutaceae zu den Convolvulaceae, Neottia zu plasmodomen Orchideen etc. Die einfachsten Glieder der Fungilli Haeckel’s dürften als in Folge parasitärer Lebensweise rückgebildete Glieder der vollkommneren Gestalten der Gruppe anzusehen sein. Der systematischen Phylogenie der Protophyten und Protozoen schließt sich ® (die generelle Phylogenie der Metaphyten an, der gewebebildenden Pflanzen. In diesem Abschnitt findet Haeckel wieder in ganz besonderem Maße Gelegenheit seine Originalität zu entfalten. Jeite durch eine so überaus erfolgreiche Taufbalkr auf dem Gebiete der Zoologie gewonnenen allgemeinen biologischen Auffassungen werden speziell in ihrer Bedeu- tung für die botanische Wissenschaft dargelegt. Das biogenetische Örundgwserz, das für die Erkenntnis der Stammesentwicklung der Tiere sich‘ als so fruchtbar erwiesen hat, fordert auch von den Botanikern die Prüfung der ontogenetischen Thatsachen zunächst auf ihre palingenetische Bedeutung. Dass nun freilich die cenogenetischen Veränderungen wenigstens Haeckel, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen: 69 bei gewissen Abteilungen sehr bedeutend sind, leugnet auch Haeckel nicht undt. damit wird auch! ohne weiteres anarkacat, dass die Verwertung der Öntogenie zu phylogenetischen Zwecken bedeutenden ee be- gegnet. Wir vermuten, dass gerade die Beobachtung der überaus großen Anpassungsfähigkeit der Pflanzen und der damit im Zusammenhang stehen- den cenogenetischen Veränderungen, die bisweilen so weit sehen, dass sie alıah sinasidhe en ea heterogener Stammesglieder vor- täuschen, die Ursache ist, dass die Botaniker die Ontogenie für phyllo- genetische Zwecke ungleich weniger ausbeuteten als die Zele Dass aber die Ontogenie die auf ihre palingenetischen Werte geprüft wird, auch für die Erkenntnis der Stammesentwicklung der Pflanzen fruchtbar .ge- macht werden kann, lehrt gerade Haeckel’s phylogenetische Systematik der Metaphyten. In der generellen Morphologie der Metaphyten begegnen uns zunächst Parallelstellen zu der generellen Morphologie der Protisten. So versucht Haeckel die konkrete, reale Gestalt der Metaphyten auch „auf eine ideale geometrische Grundform zu reduzieren, deren Verhältnisse mathe- matisch bestimmbar sind“. Mr Von besonderem Interesse erscheinen uns auch die der Phylogenie der Pflanzenseele gewidmeten Paragraphen. Gleich wie die Zellseele bereits eine ansehnliche Stufenreihe von psychologischen Differenzierungen aufweist, so kommt auch den Metaphyten gleich wie den Metazoen eine Seele zu, die nicht selten bei ersteren eine höhere Stufe des Seelenlebens - verrät als bei niederen Formen der letzteren. „Man pflegt dieser objektiven Ver- gleiehung von Pflanzenseele und Tierseele oft entgegenzuhalten, dass die ähnlichen Erscheinungen in beiden Reichen auf ganz verschiedenen Ein- richtungen beruhen. Das ist insofern ganz richtig als der besondere Mechanismus der Reizleitung und die Organe der Reaktion hier wie dort sehr verschieden sein Können“ ‚ ja wegen der ungleichen Zellenart (membran- lose und membranhaltige) ungleich sein müssen. „Die organische Reizbar- keit als solche aber, die Fähigkeit, physikalisch - ee Einwirkungen der Außenwelt als Reize aufzunehmen und zu empfinden und darauf durch innere oder äußere Bewegung zu reagieren, kommt allem lebenden Plasma zu, ebenso dem plasmodomen Phytoplasma, wie dem plasmophagen: 7,00- plasma“. Das Bewusstsein kann aber nicht ein Kriterium der Tierseele im Gegensatz zur Pflanzenseele sein, da die Empfindungen der Pflanzen ee wie jene der Protisten und zahlreicher Tiere unbewusst sind. „Die besondere physiologische Funktion der Ganglienzellen, welche wir beim Menschen und den höheren 'Tieren als Bewusstsein bezeichnen, ist an eine sehr verwickelte, erst spät erworbene Struktur des Gehirnes geknüpft“. Fehlen den Pflanzen diese höchsten psychologischen Funktionen gleich wie den niederen Tieren, so lässt sich doch eine lange enlen der graduellen Ausbildung ihrer Seelenthätigkeit era, „Die Aufgabe einer botanischen Psychologie wird es sein, die zahlreichen an en der Reizbarkeit, welche das Metaphytenreich offenbart, kritisch vergleichend zu untersuchen, die mannigfaltigen Entwicklungsstufen. desselben in ihrem phylogenetischen ) zu erkennen und bei jeder einzelnen Er- scheinung die Anpassung und die Vererbung als bewirkende Ursachen nachzuweisen“. Die Empfindlichkeit der Pflanze gegen Licht, Wärme, Schwerkraft, elektrische und chemische Reize ete., d. h. also die Gesamt- 0 Haeckel, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen. summe der Tropismen der Pflanze sind für Haeckel Seelenthätigkeiten, welche den Instinkten der Tiere gleichen. Wie diese drei wesentliche Eigenschaften in sich vereinigen, „1) die Handlung ist unbewusst; 2) sie ist zweckmäßig auf ein bestimmtes physiologisches Ziel gerichtet; 3) sie beruht auf Vererbung von den Vorfahren, ist also potentia angeboren“, so charakterisieren die gleichen Eigenschaften auch die Sensationsphänomene der Pflanzen. Die systematische Phylogenie der Metaphyten wird zu einer systema- tischen Uebersicht über das ganze Pflanzenreich. Haeckel teilt dasselbe in 3 Phylen, die Thallophyten, Diaphyten und Anthophyten. Die Thallo- phyten erscheinen nun, nachdem eine Reihe von plasmophagen Zelllingen den Protozoen zugewiesen sind und die nicht gewebebildenden Gruppen der plasmodomen Organismen zur Vorstufe des Pflanzenreiches, den Proto- phyten, vereint wurden, natürlich in ganz anderer Gliederung, als wie wir sie in den botanischen Lehrbüchern zu sehen gewohnt sind. Ihr System gewinnt nun sehr an Uebersichtlichkeit, indem die beiden Cladome Algae und Mycetes auf Grund des physiologisch verschiedenen Plasmas, dort Plasmodomie, hier Plasmophagie, leicht zu trennen sind und das verwickelte System der Pilze sich in die zwei Klassen Ascomycetes und Basimycetes auflöst. Auch darin weicht Haeckel’s System der 'Thallophyten von den üblichen Systemen ab, dass die symbiotischen Flechten, wenn schon auch Haeckel ihren polyphyletischen Ursprung durchaus anerkennt, nicht diesem Ursprung gemäß als symbiotische Erscheinungsform den bezüglichen stammverwandten Pilzen angereiht werden, sondern zu einem besonderen Cladom erhoben den Algen und Pilzen koordiniert werden. „Denn erstens, so motiviert Haeckel sein Verfahren, ist die ganze innere Organisation und äußere Gestaltung des Lichen-Organismus durchaus eigentümlich, eben in Folge der innigen Symbiose von Pilz und Algarie; zweitens ist die assimilierende Algarie für die Existenz der Flechte ein ebenso unentbehr- licher Bestandteil als der fruktifizierende Pilz, drittens hat sich der sporen- bildende Pilz der ernährenden Alge so angepasst, dass er ohne sie nicht leben kann; viertens sind die physiologischen Beziehungen der Flechten zur Außenwelt ganz eigentümliche, ebenso verschieden von denen der plasmodomen Algen, als von denen der plasmophagen Pilze“. Diese von Haeckel befürwortete systematische Autonomie der Flechten wird zweifellos den Beifall vieler finden, denn sie hat den zweifellosen Vorzug, dass sie praktisch ist. Anderseits wird man die Frage aufwerfen, ob die konsequente Durchführung der Verwertung einer biologischen Er- scheinungsform zur systematischen Trennung, den Vorteil, den sie hier bieten mag, nicht durch zahlreiche Nachteile an anderem Orte wieder illusorisch macht. Aber gerade der Umstand, dass diese biologische Erscheinungsform, die Symbiose zwischen Pilz und Alge, eine ganz besonders starke Be- einflussung des symbiotischen Organismus nach sich zog, ihn zu einem auch morphologisch neuen Wesen werden ließ, dürfte doch die Koordination der Flechten zu Algen und Pilzen rechtfertigen. Ist doch der Metasitismus, der zur Scheidung der Pilze führte, auch nur eine biologische Erschei- nungsform, die Niemand für ein ungenügendes Teilungsprinzip erklären wird. Das Cladom der Diaphyten, die Bryophyten und Pteridophyten um- fassend, lässt Haeckel aus den Ulvaceen hervorgehen, deren thallophy- Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. nn tische Generationen das phylogenetische Bindeglied zum niedrigeren Cladom darstellen. Die Anthophyten werden als die Descendenten der Lycopodarien auf- sefasst, mit denen sie durch die Cycadeae verknüpft erscheinen. Der Umfang eines Referates gestattet natürlich nicht auf alle wesent- lichen Punkte, die bisweilen eben gerade in der Detailbehandlung zum Ausdruck kommen, einzugehen. Wenn nach dieser Richtung unsere Darstellung viele Lücken aufweist, so hoffen wir doch in großen Zügen ein Bild von Haeckel’s Werk gegeben zu haben, das uns zeigt, wie von der Warte des bedeutendsten Entwicklungstheoretikers aus auch das System des Pflanzenreiches zu einer natürlichen Geschichte desselben wird. Wenn wohl in den Einzelheiten die eine und andere Auffassung, die eine und andere Art der Interpretation des 'Thatsachenmateriales nicht als die einzig zutreffende allgemein anerkannt werden wird, so wird doch zweifellos manche wertvolle Anregung zu weiteren Forschungen in Haeckel‘s Phylo- genie ihre Quelle haben. Robert Keller (Winterthur). [10] Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Niederrhein. Gesellsch. f. Natur- u. Heilkunde zu Bonn. (Allgemeine Sitzung vom 5. November 1894). M. Nussbaum, Die mit der Entwicklung fortschreitende Differen- zierung der Zellen. Alles Lebende stammt vom Ei ab. Die Eier der verschiedenen Wesen sind aber schon von vornherein so sehr verschieden, dass eine Art aus den Eiern der andern nicht gezüchtet werden kann. Es haben sich im Laufe der Stammesgeschichte durch Vererbung die aufgetretenen verschiedenartigen Eigen- schaften der einzelnen Species oder Gattungen so sehr befestigt, dass vorläufig keine äußeren Bedingungen bekannt sind, aus einem Hiühnerei etwa eine Ente zu züchten. Und doch sind wir im Stande, den normalen Gang der Entwicklung des Eies durch äußere Bedingungen zu beeinflussen. Die Grenze zu ziehen, wo der experimentelle Eingriff erfolglos verlaufen wird, ist naturgemäß schwer. Daher die Verschiedenheit der Auffassung, je nachdem für die theoretische Vor- stellung der positive „oder negative Erfolg in den Vordergrund gerückt wird. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte. Das Experiment hat zu entscheiden. Verallgemeinerungen, die nicht der zusammenfassende Ausdruck der Resultate aller denkbaren Eingriffe sind, werden stets der Abänderung durch erweiterte Einsicht unterworfen sein. Dieselbe Verschiedenheit, wie sie zu gewissen Zeiten der Stammesentwick- lung in den Geschlechtsprodukten der einzelnen Species auftritt, besteht auch für die Zellenarten im Leibe jedes einzelnen Individuums. Von gewissen Zeit- punkten an sind sie untereinander verschieden. Aus einer bestimmten Zell- gruppe können immer nur bestimmte Organe hervorgehen und regeneriert werden. Ich glaube kaum, dass das von den Eiern der Tiere und Pflanzen Gesagte von irgend einer Seite auf Widerspruch stoßen wird. Dagegen soll nach der 70) Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. Ansicht vieler und mancher recht berühmten Autoren nicht allein aus den ersten Teilprodukten des Eies, sondern aus allen Abkömmlingen dieser ersten Zelle im fertigen Organismus unter der variierten Einwirkung äußerer Einflüsse nach Belieben Alles erzeugt werden können. Wenn Sie das befruchtete Ei betrachten, so ist in dasselbe eine Samen- zelle eingedrungen. Die Zellenleiber und ihre Kerne sind mit einander ver- schmolzen. Es ist eine neue Zelle entstanden. Das Ei teilt sich. Aus dem befruchteten Ei entstehen durch Teilung zwei, entstehen vier Zellen u. s. f., bis schließlich eine große Zahl von Zellen vorhanden ist, die sich zu einer Hohlkugel an einander legen. Die Hohlkugel wird später an einer bestimmten Stelle eingestülpt. So ist es wenigstens für die meisten Organismen. In diesem Gastrulastadium unterscheidet man ein Äußeres und ein inneres Keimblatt, zu denen später noch ein mittleres Keimblatt hinzutritt. Die Versuche Pflüger’s am befruchteten, aber noch ungefurchten Ei haben eine völlige Isotropie des Eies ergeben. Der Experimentator hat es nach Belieben in der Hand, auf der schwarzen oder der weißen Kugelhälfte des Froscheies das zentrale Nervensystem entstehen zu lassen. Nach den Roux’schen Ermittelungen hängt es vom Ort des Eindringens des befruchtenden Samenfadens ab, wo Kopf- und Schwanzteil des entstehenden Embıyo sich anlegen werden. Da dieser Ort variabel ist, so wird auch durch diese Form des Experiments die völlige Gleichwertigkeit der einzelnen ent- wieklungsfähigen Massenteilchen im ungefurchten Ei nachgewiesen. Denn so- bald es gleichgiltig ist, ob diese oder jene Masse Kopf- oder Schwanzteil, diese oder jene Partikel Nervensystem oder Darm werde, so muss im Anfang der Entwicklung in den kleinsten Teilen des Eies die Fähigkeit zur Erzeugung des Ganzen gegeben sein. Es können nur unter der Einwirkung ganz be- stimmter äußerer Einflüsse die Organe aus bestimmten Teilen entstehen. Sie würden bei der Variierung dieser äußeren Einflüsse eben so gut aus andern Teilen des Eies entstanden sein. Die äußeren Bedingungen drücken demgemäß den einzelnen Portionen des Eiinhaltes und des Kernes einen bestimmten, mit den äußeren Bedingungen aber veränderlichen Stempel auf. So haben neuere Beobachter, unter ihnen namentlich Driesch und Wilson gezeigt, dass wenn man ein Ei aus dem Zweizellenstadium der Furchung, aus dem Vierzellenstadium und gar aus dem Achtzellenstadium schüttelt, so dass das Ei in zwei bis acht Zellen zerlegt wird, dann durch fortgesetzte Teilung jeder einzelnen dieser Zellen ein ganzer Organismus, also zwei bis acht Embryonen aus einem Ei entstehen. Solche Versuche waren mit Eiern von Seeigeln und selbst von Amphioxus gelungen. Während früher aus der ganzen Zellgruppe der ersten Furchungskugeln nur ein Organismus hervorging, ist durch die Versuche von Driesch und Wilson erwiesen worden, dass man diese Zellen auch von einander trennen kann, ohne ihre Entwick- lungsfähigkeit aufzuheben. Es entwickelt sich im Gegenteil jetzt jede der einzelnen Zellen zu einem vollständigen Ganzen. Oscar Schultze hat es durch eine sinnreiche Einrichtung erreicht, .auf das eben in zwei Zellen geteilte befruchtete Froschei so einzuwirken, dass sich regelmäßig zwei Embryonen entwickeln. In seinem Versuche waren die Zellen durch langsame Umdrehung von einander so weit unabhängig geworden, dass die beiden ersten Furchungskugeln sich wie zwei befruchtete ungefurchte Eier verhielten, und aus jeder ein ganzer Embryo entstand. Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. 7) Die Isotropie des Eies bleibt also unter besonderen, günstigen Bedingungen mindestens bis zum Achtzellenstadium der Furchung bestehen. Der Zeit nach früher, als die Ergebnisse von Driesch und Wilson gewonnen wurden, hat Roux beim Froschei nach Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln Embryonen erhalten, die nur eine der symmetrischen Hälften eines normalen Tieres darstellen; aus der rechten ersten Furchungs- kugel einen rechten Halbembryo, aus der linken ersten Furchungskugel einen linken Halbembryo. Da aber nach Zerstörung einer der ersten Furchungs- kugeln aueh ganze Embryonen zu erzielen sind, so müssen auch in den beiden ersten Furchungskugeln des Froscheies die Elemente zum Aufbau des ganzen Tieres vorhanden sein und durch geeignete Bedingungen zu einer von der normalen Entwicklung abweichenden Entfaltung gebracht werden können. Die normale Entwicklung ist die Entstehung eines Halbembryo; die abweichende, die durch Regeneration erzielte Entwicklung eines ganzen Embryo aus einer der beiden ersten Furchungskugeln. Wenn Sie die Entwicklungsgeschichte der Tiere weiter verfolgen, so finden Sie, dass aus den einzelnen Keimblättern ganz bestimmte Organe hervorgehen; aus dem äußeren Epithelier der Oberfläche, Gehirn und Rückenmark, Sinnes- organe; aus dem innern Drüsenschicht des Darmes; aus dem mittleren der Bewegungsapparat, die Harn- und Geschlechtsorgane. Betrachten Sie die Er- gebnisse des Studiums der Entwicklung des Auges, so finden Sie Linse und Glaskörper, die später im Innern des Auges liegen, von vornherein nicht an dieser Stelle. Am fertigen Tiere erkennt man nicht mehr, dass die Teile von zwei Keimblättern abstammen, und dass sowohl der Kern des Auges, der Glas- körper, wie die äußeren Augenhäute sich vom mittleren Keimblatt ableiten; während Linse und Netzhaut, die zwischen Glaskörper und den äußeren Augen- häuten sich finden, vom äußeren Keimblatt gebildet werden. Wie der Name sagt, liegt das äußere Keimblatt außen, das innere innen, das mittlere zwischen beiden. Im Auge liegt aber der Abkömmling des mittleren Keimblatts, der Glaskörper, innen; Linse und Netzhaut, aus dem äußeren Keimblatt entstanden, in der Mitte und die Chorioidea und Selera mit der Cornea, wiederum Derivate des mittleren Keimblatts, außen. Wenn die Zellen des gefurchten Eies sich einmal in den Keimblättern geordnet haben, so müssen diese sich durch Einstülpungen und Durchwachsung verschieben, um diejenige Lage zu einander einnehmen zu können, die man am fertigen Orgaue findet. Wenn die Entwicklung nicht an bestimmte Gesetze gebunden wäre, wenn aus jeder Zelle Alles werden könnte, so würde die komplizierte Einstülpung und Umwachsung der einzelnen Schichten bei der Entwicklung des Auges nicht nötig sein. Dann könnte einfach aus einer Retinazelle eine Linsenfaser, das Gewebe des Glaskörpers, der Accomodationsmuskel entstehen. Vergleicht man die Organe der fertigen Tiere, so zeigt sich, dass bei den niedersten von einer Lunge noch nicht die Rede ist. Die Atmung geschieht durch Kiemen oder durch den Darm. Leber und Pankreas sind noch nicht getrennte Drüsen; die Funktion dieser Organe wird durch eine einzige Drüse, das Hepatopankreas geleistet. Bei höheren Tieren sind Leber und Pankreas gesonderte Drüsen. Werfen Sie einen Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Zähne. Die Zähne sind zum Teil auf dieselbe Weise entstanden, wie die Linse des Auges; nur kommt noch ein bindegewebiger innerer Kern hinzu. Ein Säckcehen, aus- 74 Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. gehend vom embryonalen Mundhöhlenepithel, hat sich von der Oberfläche in die Tiefe gesenkt und einer dort entstandenen, bindegewebigen Papille auf- gelagert. Aw fertigen Zahn überzieht der Schmelz die Krone des Zahnbeines. Wäre kein Unterschied in den Zellen der verschiedenen Keimblätter vorhanden, so würde es unverständlich sein, dass zur Bildung des Schmelzes die Ein- stülpung des Epithels nötig wäre, dass der Schmelz nicht zugleich aus den- selben Zellen wie das Zahnbein entsteht. Wenn Sie die Entstehung der Geschlechtsorgane verfolgen, so sehen Sie bei manchen Tieren schon vor der eigentlichen Furchung kleine Zellen vom Ei abgeschieden, die nachher wieder in den werdenden Organismus einwandern und die Anlage der Geschlechtsorgane bilden. Stellen Sie sich demgemäß das Stadium der Gastrula vor, so würden diese Zellen zwischen die beiden Keim- blätter einwandern und, ganz im Innern des Leibes gelagert, sich zu den Geschlechtsorganen entwickeln. Hier ist also vor jeder weiteren Differenzierung durch die Abscheidung der Geschlechtszellen eine Sonderung des Eimaterials in Fortpflanzungszellen und Körperzellen eingetreten. Bei andern Tieren werden, wie die Beobachtungen lehren, die Geschlechts- organe viel später angelegt. Bei allen aber entstehen sie aus ganz bestimm- ten Zellen. Wenn man ein Wirbeltier kastriert, so hört die Fortpflanzungsfähigkeit auf. Die Pflanzen und niederen Tiere sind anders organisiert. Sie bilden neue Eierstöcke, neue Hoden, wenn man sie der alten beraubt. Wenn Sie von einem Baume eine Blüte abbrechen, so wird die Fruchtbarkeit desselben nicht im mindesten verändert. Pflanzen und niedere Tiere sind teilbar und diese Eigen- schaft hängt in letzter Instanz damit zusammen, dass an allen Stellen des Leibes Zellen vorhanden sind, die wie die Geschlechtszellen der höheren Tiere durch Teilung ein neues ganzes Individuum zu bilden im Stande sind. Wir gelangen an der Hand dieser Betrachtungen zu Experimenten, die man an fertigen Pflanzen und Tieren angestellt hat. Ein Vergleich zwischen den beiden Gruppen von Beobachtungen wird nicht ohne Interesse sein. Die Versuche am ungefurchten Ei sind mit den Versuchen an Protozoen, den Infusorien und Amöben, einzelligen Tieren, zu vergleichen. Durchschneidet man ein Protozoon, so wird aus jeder Hälfte ein ganzes neues Tier. Durch- schneiden Sie es wie Sie wollen, der Quere nach, der Länge nach, schräg, in zwei oder mehrere Stücke: jedesmal regeneriert sich, wenn in dem Stück Protoplasma und Kernbestandteile vorhanden sind, das ganze Tier. Das fehlende Protoplasma, die entfernten Kernbestandteile, Wimpern, Schlund, selbst Muskeln, wenn solche vorhanden waren, werden ersetzt. Aber der Wert eines Infusor erhebt sich nicht über die Bedeutung einer einzigen Zelle. Man kann demgemäß von den Erfolgen der Versuche an Proto- zoen nur Schlüsse ziehen auf das Regenerationsvermögen der Zelle überhaupt. Der Versuch an einem Protozoon beweist nur, dass vor jeder Teilung die das Ganze aufbauenden Teile im Zellleib und im Kern als Multipla vorhanden sind. Das gilt in der That für alle Zellen wie für die Protozoen und das Ei. Sie erzeugen durch Teilung Gleiches. Daraus resultieren die Erscheinungen der Regeneration, die aus einer Zelle, sobald sie dem korrelativen Einfluss der ihr benachbarten gleichen Zellen entzogen wird, diese durch Teilung neu bildet oder bei Teilen einer Zelle die fehlenden Stücke aus den Resten ergänzt. Deshalb bildet das zerschnittene einzellige Protozoon den ganzen Leib aus Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. 75 seinen Teilstücken wieder, erzeugen die ersten Furchungszellen ganze Em- bryonen, In einem höhern Organismus sind aber so viele morphologisch und funk- tionell verschiedene Zellenarten vorhanden, dass die theoretische Verwertung der Versuche an Protozoen und an den ersten Furchungsstadien des Eies für sie nicht statthaft ist. Es ist durch die Versuche an Protozoen und am eben gefurchten Ei keineswegs erwiesen, dass durch die Teilung einer beliebigen Zelle in einem hoch differenzierten Organismus das Ganze mit allen seinen verschiedenen Formen und Leistungen gebildet werden könnte. Die Erfahrung widerlegt diese Annahme geradezu. Die Gewebezellen erzeugen ebenfalls ihres- gleichen. Eine Epidermiszelle aber nur Epidermiszellen, eine Muskelzelle nur Muskelzellen u. s. f. Wenn man Eier noch auf dem Achtzellenstadium durch geeignete Eingriffe in acht sich selbständig entwickelnde Teile zerlegt hat, so fehlt vorläufig doch das Experiment, ob bei ausgebildeten Keimblättern der Verlust eines Keim- blattes ebensowenig störend in die Entwicklung eingreife, als die Entfernung einer oder mehrerer Furchungskugeln. Man wird mir erwidern, dass doch das, was für die eine Zelle gelte auch für die andere richtig sein muss. Ich wage zu behaupten, dass das keineswegs nötig ist. Es gibt sicher, wie ich schon vor vielen Jahren ausgesprochen habe, eine additionelle und eine differenzierende Teilung der Zellen. Sucht man nach einem greifbaren Ausdruck einer differen- zierenden Teilung, so dürfte das Ei von Pollicipes polymerus und anderer Cirripedien dafür nicht ungeeignet sein. Das befruchtete Ei, dessen Dotter- plättchen vorher im ganzen Protoplasma verteilt waren, wird durch die erste Furchung in eine dotterbaltige und eine dotterfreie Zelle zerlegt. Die Be- obachtungen Boveri’s am Ascaris-Ei konstatieren eine andere Kernteilung für die Geschlechtszellen als für die Körperzellen. Es wird aber gewiss noch eine große Zahl von differenzierenden Teilungen ohne einen grobsinnlich wahr- nehmbaren Ausdruck verlaufen. Verfügen wir nun auch vorderhand über kein Experiment an einer Gastrula, der eines der Keimblätter genommen wurde, so gibt es in der Natur, nach der Entdeekung Bischoff’s ein Experiment, das die Unabhängigkeit der Keim- blätter von äußeren Bedingungen bis zu einem gewissen Grade deutlich genug darthut. Bei einigen Nagern findet eine Umdrehung der Keimblätter statt, und doch entsteht aus ihnen dasselbe, was bei anderen Tieren ohne die veränderte Lage gebildet worden wäre. Die Isotropie des Eies besteht auf dem Stadium der Gastrula, so scheint es wenigstens, nicht mehr fort. Auch die Experimente an Tieren, die auf der Stufe der Gastrula zeit- - lebens verharren, beweisen, dass durch Variation der äußeren Bedingungen bisher aus Entoderm nicht Ektoderm gemacht werden konnte. Dies sind die Versuche an Hydra. Sie mögen einen Süßwasserpolypen, wie Trembley zuerst gezeigt hat, zerschneiden wie Sie wollen: immer regeneriert jedes Teilstück das Ganze. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass, wenn auch Trembley vor 150 Jahren der Erste gewesen ist, der diese Versuche angestellt und durch klassische Klarheit und Einfachheit die Grundlage geschaffen hat, seine Schlüsse sich doch nieht durchweg auf Beobachtung gründen. Wie die weitere Erfah- rung gelehrt hat, treffen sie, wo sie des Bodens der Thatsachen entbehren, nicht das Richtige. Aus einem Süßwasserpolypen schnitt Trembley einen Ring heraus, teilte 1v Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. diesen Ring in mehrere Teile, so dass jedes Stück aus „der inneren und äußeren Haut“, aus Ektoderm und Entoderm bestand. Aus jedem dieser Teilstücke regenerierte sich ein vollständiger Polyp. Hierzu machte Trembley die An- nahme, dass der obere Teil des kleinen Läppchens, der vorher äußere Haut gewesen war, bei den neugebildeten Polypen zur vorderen Wand würde. Aus dem unteren Teil des Läppcehens, gebildet aus der inneren Haut des alten Polypen, sollte nach ihm die hintere Wand des neugebildeten Tieres entstehen. Trembley dachte sich den Vorgang derart, dass sich zwischen Entoderm und Ektoderm ein Hohlraum, der spätere Magenraum des jungen Polypen, gebildet habe. Diese Annahme mochte nahe liegen. Der Vorgang spielt sich aber in ganz anderer Weise ab. Was Ektoderm war, bleibt Ektoderm, mag es im Versuch oben oder unten gelegen haben; stets klappt sich auch das kleinste Stückehen von Entoderm und Ektoderm des Polypenleibes so um, dass es zuerst eine Hohlrinne und dann eine Hohlkugel bildet, an der wie am alten Polypen das Ektoderm außen und das Entoderm im Innern liegt. Dadurch ist die Trembley’sche Vorstellung, dass sowohl aus. Ektoderm Entoderm, wie aus Entoderm Ektoderm werden könnte, widerlegt. Denn die hintere Wand des regenerierten Polypen ist nicht aus dem Entoderm und die vordere Wand nicht aus dem Ektoderm entstanden. Das Ektoderm und Entoderm der vorderen und der hinteren Wand stammen in gleicher Weise von dem Ektoderm und dem Entoderm des zum Versuche benutzten Läppchens ab. Die Hohlkugel, die auch Trembley gesehen hatte, und die ein Anfangsstadium jeder Re- generation bei Polypen ist, entsteht nicht durch Aufblähung, sondern durch Verwachsung der freien Ränder des Läppchens. — Auch die Umstülpung des Süßwasserpolypen hat Trembley nicht richtig gedeutet. Trembley ließ, durch das Endresultat seiner nicht kontinuierlich beobachteten Versuche ver- leitet, das Entoderm zu Ektoderm sich umgestalten und das Ektoderm zu Ento- derm, wenn er den umgestülpten Polypen nach seiner Meinung an der Zurück- stülpung durch eine hindurchgestochene Borste hinderte. Aber auch die Um- stülpung vermag diese zauberhafte Verwandlung von Entoderm und Ektoderm ebensowenig zu erzwingen, wie bei dem Regenerationsvorgang aus kleinen Teilen zerschnittener Polypen. Es gibt kein Mittel, den umgestülpten Polypen, falls er am Leben bleiben soll, an der Rückstülpung zu hindern. Da man in neuerer Zeit die Sachlage zu verkennen scheint, so möchte ich bei aller Verehrung für die Leistungen Trembley’s darauf hinweisen, dass ich Trembley’s Anschauungen widerlegt und gezeigt habe, dass er in seinen Versuchen keineswegs Entoderm in Ektoderm umgewandelt habe. Meine Versuche beweisen geradezu, dass durch die bis jetzt angewandte Variation äußerer Bedingungen die Umwandlung ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ich bin durchaus nicht damit einverstanden, dass man, nachdem ich die Möglichkeit des Trembley’schen Versuches nachgewiesen habe, nun auf meine Kosten Trembley Alles zuschreibt. Als wolle man ihn dafür entschädigen, dass man ihm über hundert Jahre gar nicht geglaubt, glaubt man ihm jetzt Dinge, die er gar nieht gemacht hat. Vielleicht komme ich aber auch noch einmal an die Reihe. Untersucht man Pflanzen auf ihr Regenerationsvermögen, so wissen Sie, dass man eine Pflanze zerschneiden kann, wie man will; immer entsteht unter günstigen Bedingungen aus einem Teilstück eine neue Pflanze. Man kann sogar unter günstigen Bedingungen aus einer Galle eine neue Pflanze erzeugen. Geht doch ebenfalls unter geeigneten Bedingungen aus einer einzigen Zelle eines Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. 17 Begonienblattes eine neue Pflanze hervor. Es müssen somit auch in den Gallen noch Zellen vorhanden sein, die wie eine Zelle des Begonienblattes die Fähig- keit das Ganze zu reproduzieren besitzen. Sie kennen auch die Versuche, durch Variation der äußeren Bedingungen, einen Pflanzenteil bald zur Blüte, bald zum Laubspross, bald zum Dorn zu ziehen. Das wissen sogar Weinbauern und Gärtner ganz genau; sie brauchen nur die Zweige in ganz bestimmter Weise zu biegen, zu schneiden, um an denselben Stellen Blüten oder Blätter oder Dornen. hervorzubringen. Die fun- damentale Bedeutung der Vöchting’schen Arbeiten liegt in dem Nachweis, dass die Regeneration und Variation der Pflanzenteile unter dem Einflusse äußerer Bedingungen von undifferenzierten Zellen ausgeht. Aehnlich wie bei den Pflanzen kann man auch an Polypen die Fortpflanzung beeinflussen. Wenn man Polypen hinreichend füttert, so knospen sie; lässt man in der Fütterung nach, so bilden sie Geschlechtsprodukte. — Man hat es also ganz in der Hand, die Polypen auf geschlechtlichem oder ungeschlecht- lichem Wege zu vermehren. Die Willkür beim Eingreifen in die Art der Foıt- pflanzung ist nicht auf so tiefstehende Tiere wie die Polypen beschränkt. Man kann zwar durch äußere Eingriffe die Blattläuse nicht zur Knospung oder Tei- lung veranlassen. Wohl aber kann man bei ihnen durch Variation der Be- dingungen Parthenogenese mit geschlechtlicher Fortpflanzung abwechseln lassen, Man kann in einer rein weiblichen Kolonie das Auftreten von Männchen er- zwingen. — Doch davon ein anderes Mal. Bei dieser Gelegenheit habe ich nur darauf hinweisen wollen, wie der Erfolg des äußeren Eingriffes je nach der Entwicklungsstufe des Organismus sich abändert, und der Grad der Ver- änderlichkeit nach oben hin, das heißt mit weiterer Differenzierung, abnimmt. Bei den Polypen hat man auch noch folgende merkwürdige Thatsache beobachten können. Wenn man aus einem Süßwasserpolypen einen Ring heraus- schneidet, so wird das vorher im ganzen Tier nach oben orientierte Ende dieses Tieres zum Kopf, das untere zum Fußende eines neuen Polypen. Nun hat aber Löb in seinen Versuchen an marinen Polypen gezeigt, dass dies Ver- halten nicht immer bestehen bleibt; sondern gefunden, dass ein festsitzender Polyp durch äußere Bedingungen gezwungen werden kann, an ein und derselben Scehnittfläche bald einen neuen Kopf, bald ein neues Fußende zu bilden, Schneidet man von solchen Polypen einen Ring heraus und richtet das Kopfende nach oben, so entsteht oben ein neuer Kopf und unten ein neuer Fuß. Dreht man das zum Versuch benutzte Stück um, so dass das Kopfende abwärts liegt, so entsteht ein Kopf an dem jetzt nach oben liegenden Fußpol und ein Fuß am Kopfpol. Ob es erlaubt sei, nach diesen Versuchen jede Orientierung im Polypen- leibe zu leugnen, scheint mir vorläufig unentschieden. Die Teilstücke müssen so lange hungern, bis sich ein neuer Mund gebildet hat. Lässt man Polypen verhungern, so werden sie nicht allein leichter, sondern schrumpfen allmählich mehr und mehr ein, bis schließlich auch der letzte punktförmige Rest ihres früheren Leibes völlig verschwindet. Sie zehren von ihrem eigenen Körper, wie die Kaulquappe ihren Schwanz verzehrt. In beiden Fällen geht unter dem Einflusse äußerer Bedingungen eine große Zahl von Zellen zu Grunde und dient anderen zur Nahrung. Einem regenerierten Polypen kann man aber nicht ohne weiteres ansehen, welche von seinen alten Zellen erhalten geblieben sind, und welche neu gebildet wurden. Es wäre denkbar und könnte vielleicht durch eingehende mikroskopische Untersuchung 7S Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. der einzelnen Stadien im Laufe der Regeneration nachgewiesen werden, dass der Polyp mit veränderter Polarität seines Leibes eine totale Neubildung dar- stellt, hervorgegangen aus der Teilung und dem Wachstum seiner intermediären Zellen. Die intermediären Zellen sind amöboid, haben keine histologisch dif- ferenzierte Form, können auf Grund ihrer Ortsbeweglichkeit ihre Richtung ändern. Wenn demgemäß in einem fertigen Organisınus die Gewebezellen im Raume orientiert sind, wie das Ganze ein Vorn und Hinten, Rechts und Links, Außen und Innen aufweisen, so wird man von den zur Regeneration des Ganzen und seiner Teile bestimmten intermediären amöboiden Zellen eine Orientierung im Raum nicht erwarten können. Die Orientierung der geweblich differenzierten Zellen bedingt die Orientierung des ganzen Tieres. Daraus folgt aber nicht, dass die regenerationsfähiger Zellen schon vor der Umwandlung zu bestimmten» und für den Kampf mit der Außenwelt histologisch differenzierten Gewebe- zellen orientiert seien. Diese Zellen orientieren sich erst unter dem Einfluss der äußeren Bedingungen zur Zeit ihrer geweblichen Differenzierung. Es ist daher verständlich, wenn eine frei lebende Form, wie der Süßwasserpolyp, am verletzten Kopfpol stets das Kopfende neu bildet. Hier fehlt die Möglichkeit der Variation der äußeren Bedingungen, die bei der sessilen marinen Form je nach der eingenommenen Zwangslage wirken können, so dass oben immer ein Kopf, unten immer ein Fuß entsteht, mag auch die Polarität vor der Verletzung eine entgegengesetzte gewesen sein. Sehen wir vorläufig davon ab, auf welche Weise bei marinen Polypen unter dem Einflusse äußerer Bedingungen die Aenderung der Polarität zu Stande kommt und untersuchen wir, wie weit im Tierreich der Aufbau des Ganzen aus seinen "Teilen möglich ist. Sie sahen, dass man aus einem Infusor oder einem andern einzelligen Tier durch künstliche Teilung zwei Tiere machen kann, wenn nur Kernsubstanz und Protoplasma in den Teilstücken vorhanden ist. Sie hörten, dass unter ent- sprechenden Bedingungen aus einem Ei zwei Embryonen entstehen. Man braucht die Furchungskugeln nur durch Schütteln zu trennen oder gar nach dem Vor- gange von Oscar Schultze das Ei langsam zu drehen. Diese Fähigkeit aus den Teilen eines Zellkomplexes oder aus den Teilstücken einer Zelle das Ganze wieder aufzubauen, habe ich früher mit dem Namen der Restitutionsfähigkeit bezeichnet. Die Pflanzen zeigen ähnliche Erscheinungen wie Eier und einzellige Tiere. Sie regenerieren sich aber nicht mehr aus allen Zellen. Auch bei den Polypen ist es nicht mehr möglich, aus einer beliebigen Zelle oder ihren Teilen einen neuen Polypen zu erzeugen. Bei den höheren Tieren ist die Restitutions- fähigkeit noch mehr beschränkt. Viele Würmer ergänzen das verlorene hintere Körperende, Schnecken die abgeschnittenen Fühler und Augen, Salamander und Tritonen ein verlorenes Bein, Kaulquappen den Schwanz, wenn er vor der Zeit der definitiven Resorption verletzt wurde. Sie können gelegentlich eine Ei- dechse sehen, der ein neuer Schwanz hervorgewachsen ist, wenn durch irgend einen Unfall der alte verloren ging. Aber da zeigt sich schon der große Unterschied zwischen der Restitutionsfähigkeit der Polypen und dem Regenera- tionsvermögen höherer Tiere. Bei den Polypen können Sie große oder kleine Stücke abschneiden; das Verlorene wächst wieder nach; die kleinen Stücke bilden neue ganze Tiere. Aber ein abgeschnittenes Molluskenauge treibt keinen neuen Körper; an einem Eidechsenschwanz wächst kein neues Tier. Bei den höheren Wirbeltieren, speziell dem Menschen, tritt eine noch größere Beschrän- kung ein. Kein Chirurg wird einen Finger amputieren, weil er etwa erwartet, Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. 79 der Stumpf werde sich regenerieren. Noch viel weniger wird der abgeschnittene Finger wieder zum vollständigen Menschen auswachsen. Nimmt man dem Polypen seinen Kopf, so geht er nicht zu Grunde; am alten Kopf wächst ein neuer Rumpf und am alten Rumpf ein neuer Kopf. Bei recht ungeschiektem Experimentieren kann das Fehlende sogar in der Mehrzahl wieder ergänzt werden. Wem würde es einfallen, durch das Abpflücken einer Rose den Rosen- stock unfruchtbar machen zu wollen? Aber man kann keinen Stier, keinen Hahn, kein Huhn kastrieren ohne Unfruchtbarkeit zu erzielen. Im Rosenstocke sind die Zellen, die zum Aufbau des Ganzen geschickt sind, d. h. Zellen, die noch keine differenzierende Teilung erlitten haben, weit verbreitet; dieselben Zellen sind beim Wirbeltier auf Hoden und Eierstock beschränkt. Einen Po- lypen kann man in Stücke zerlegen: jedes Stück wächst wieder zum vollständigen Individuum heran; ein in kleine Teile zerlegtes Huhn gehört nicht mehr in den Hühnerhof, sondern in die Küche. Bei den höchsten Tieren hat sich das Regenerationsvermögen auf die Fähigkeit, Wunden zu heilen, beschränkt. Hierbei wird Epithel nur von Epithelzellen regeneriert, und was darunter liegt nur von Zellen des mittleren Keimblatts: Bindegewebe von Bindegewebszellen, Muskeln nur von Muskelzellen. Während demgemäß bei den niedern Tieren und den Eiern auch der höhern Tiere in ihren ersten Entwicklungsstadien Restitutionsfähigkeit vorhandenist, während noch jede Zelle und selbst Teile von Zellen einen ganzen Organismus erzeugen können, ist es bis jetzt noch nicht gelungen, die Abkömm- linge eines bestimmten Keimblattes zur Regeneration von Zellen anzuregen, die aus einem andern Keimblatt abstammen. Beim gewöhnlichen Verlauf, ab- gängige Zellen in mehrschichtigen Epithelien zu ersetzen, schieben sich die neuen Zellen ungefähr senkrecht in die Höhe; jede Zelle der am tiefsten ge- legenen Ersatzzellen- oder Keim- Schicht versorgt ihren bestimmten Bildungs- bezirk. Legt man künstlich Epitheldefekte an, die bis auf das unterliegende Bindegewebe reichen, so bilden nicht etwa die freigelegten Bindegewebszellen, sondern die Epithelzellen vom Rande des Defektes her die zur Deckung der Lücke im Epithel nötigen Zellen. Auf den künstlichen Reiz hin wiederholt sich ein Vorgang, wie er beim embryonalen Wachstum vorkommt. Die vor- handene Zahl der Zellen wird nicht allein durch senkrechte, sondern auch durch wagerechte Verschiebung vermehrt. Die Bindegewebszellen bilden aber ebensowenig die zum Ersatz nötigen Epithelzellen, wie sie es im Embryo ge- than hatten; trotzdem nach Entfernungder Epitheldecke die Gelegenheit hierzu die denkbar günstigste ist. Woher kommt denn nun die Verschiedenheit des Regenerationsvermögens der einzelnen Tiere und der einzelnen Zellen eines Tieres auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung? Wenn eine Zelle durch äußere Einflüsse variiert werden kann, so müssen entweder in der Lagerung ihrer Teile Aenderungen eintreten, oder ihre körper- lichen Bestandteile müssen eine Vermehrung oder Verminderung erfahren. Ich bin nicht der Ansicht, dass im Ei und in der Samenzelle schon von vornherein die Stoffteilchen und die Kräfte vorgebildet sind, die dem fertigen Organismus oder den übrigen zwischenliegenden Entwicklungsstadien zukommen. Gerade so wie das Ei selbst ein Wachstum zeigt, Stoffteile aufnimmt, andere abgibt oder neu gruppiert, so wird auch bei der Entwicklung nach der Befruchtung eine stete Aenderung stattfinden; der folgende Zustand unter der steten Wir- kung der Vererbung oder besonderer, abweichender äußerer Bedingungen aus dem vorhergehenden sich ableiten. Es scheint mir aber den 'Thatsachen zu s0 Nussbaum, Fortschreitende Differenzierung der Zellen. widersprechen, in jede Zelle durch irgend. eine Teilung zu beliebigen Zeiten: der Entwicklung gleich viele Arten verschieden begabter Massenteilchen ge- langen zu lassen. Dann muss man freilich die Verschiedenheit der formalen und funktionellen Eigenschaften, die Auslösung ganz bestimmter Kräfte in den: einzelnen Zellgruppen dadurch erklären, dass zwar alle Kräfte, vorhanden, aber die meisten mit Ausnahme der sichtbaren unter dem Einfluss äußerer Bedingungen latent geworden seien. Mir scheint es mit den Thatsachen mehr in Einklang zu stehen, wenn die Zellen mit fortschreitender Arbeitsteilung ihre Vielseitigkeit dadurch eingebüßt haben, dass in ihnen das Substrat für die von ihren Vor- gängern besessenen Kräfte nicht voll und ganz, sondern nur zu dem Teil vor- handen sei, der ihrer Leistung entspricht und wegen der Ausschließlichkeit die Leistung selbst virtuoser gestaltet. Wenn die ersten Furchungskugeln ganze Embryonen zu bilden im Stande sind, so kann hier noch keine differen- zierende Teilung aufgetreten sein; wenn aber Epithel nur Epithel regeneriert, so ist zwar das Teilungsvermögen der Zelle erhalten geblieben, aber nicht mehr die Fähigkeit, das ganze Tier durch Teilung neu zu bilden. Die differen- zierende Teilung muss der ersten Bildung von Epithelzellen voraufgegangen sein. Eine Zelle, die sich durch Aussenden von Fortsätzen kriechend weiter bewegt, leistet bei weitem nicht dasselbe, als ein vielzelliges Tier, von dessen Zellen eine bestimmte Gruppe Muskelfasern ausbildet, die auch für die übrigen Zellen die Aufgabe der Ortsbewegung übernehmen, während andere Zellgruppen ausschließlich mit andern Leistungen betraut werden, die dem Leibe der Amöbe neben der Fähigkeit zu kriechen zu gleicher Zeit zukommen. — Der Grad des Regenerationsvermögens der Organismen ist proportional der ihnen auf Grund ihrer Eigenschaften im System angewiesenen Stellung und nimmt nach oben hin ab. Wie wir annehmen, dass in der individuellen Entwicklung sich die bleibendeu Zustände niederer Formen flüchtig und vergänglich wiederholen, so steigt dementsprechend das Regenerationsvermögen bei einem hoch organisierten Tier, je näher der befruchteten Eizelle es sich in seiner Entwicklung befindet. Hierfür hat Barfurth noch kürzlich einen schönen Beweis geliefert und die alten Angaben Spallanzani’s bestätigt. Der Frosch steht auf höherer Ent- wicklungsstufe als der Salamander. Während bei dem Salamander die Fähig- keit abgeschnittene Gliedmassen zu bilden zeitlebens besteht, kann man nur bei Larven des Frosches und bei ihnen nur in sehr früher Zeit der Entwick- lung diese Regenerationsfähigkeit beobachten. Demnach nimmt das Regenerationsvermögen mit der phyletischeu und individuellen Entwicklung Schritt für Schritt ab. Mit der auf Grund der Arbeits- teilung fortschreitenden höheren Entwicklung werden die Zellen nicht mehr ein- fach vermehrt. Die Summe der zur Bildung des Ganzen erforderlichen Massen- teilchen, wie sie im Ei und in den ersten Furchungskugeln sich findet, geht nur auf bestimmte Zellen, die Geschlechtszellen über; in den übrigen Zellen sind nur Teile derselben vorhanden. Neben additioneller Teilung tritt zum ersten Male funktionelle Teilung auf. Die Teilung der Geschlechtszellen kann zur Bildung eines Ganzen führen. Die Teilung der übrigen Zellen dient nur zur Vermehrung der Zellenzahl in der bestimmten Gruppe. Jede Gruppe ist unter dem Einflusse äußerer Bedingungen befähigt sich weiter zu differenzieren, d. h. die in ihr enthaltenen Kräfte in Komponenten zerlegt, auf getrennte Zell- gruppen zu übertragen. [15] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. 2 Druck der kgl. ‘ bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 1. Februar 1896. Nreo: xXVI. Band, Inhalt: Hansteen, Studien über Weiden und Wiesen in den norwegischen Hoch- gebirgen. — Dreyer, Ergebnisse von Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiologischer Hinsicht. — Leydig, Koprolithen und Urolithen. — Nagel, Ueber eiweißverdauenden Speichel bei Insektenlarven (Schluss). — Nusbaum, Ueber Th. J. Huxley’s pädagogische und philosophische An- sichten im Gebiete der Biologie. — Emery, Ueber den Bauinstinkt der Spinnen. — Rywoesch, Zur Biologie der Tardigraden. — Nuttall u. Thier- felder, Thierisches Leben ohne Bakterien im Verdauungskanal. — Mittei- lungen aus der biologischen Gesellschaft zu Christiania. Studien über Weiden und Wiesen in den norwegischen Hochgebirgen. Vortrag, gehalten in der biolog. Gesellschaft zu Christiania 17. Oktober 1895. Von Barthold Hansteen. Mittels eines Universitätsstipendiums war mir verflossenen Sommer Gelegenheit geboten näher zu untersuchen, welche Pflanzen es sind, die auf den Wiesen und Matten unserer Hochgebirge die zusammen- setzenden Bestandteile bilden, ferner, soweit möglich, mir Kenntnisse über den relativen Futterwert dieser einzelnen Bestandteile anzueignen. Die Gegenden, die in dieser Richtung untersucht wurden, waren hauptsächlich die hochliegenden im süd-östlichen Teile der „Jotun“- Gebirge. Wenn man bedenkt, in welchem verschiedenen Grade die auf die Vegetation influierenden äußeren Faktoren, wie z.B. Wärme, Licht, Feuchtigkeit und chemisch-physikalische Beschaffen- heit des Erdbodens, selbst auf relativ nahe bei einander liegenden Stellen, zugegen sein können. Wenn dazu kommt, dass nur die oder diejenigen Pflanzen-Species, die sich am besten und schnellsten nach den gegenwärtigen Verhältnissen accommodieren können, siegreich und als die dominierenden aus dem Kampf um das Dasein hervorgehen können, so sieht man leicht ein, wie dieselbe Vegetation selbst auf XVl. 6 83 Hansteen, Weiden und Wiesen in den norwegischen Hochgebirgen. nahe bei einander liegenden Stellen doch ein ganz verschiedenes Bild gewähren könne, obwohl natürlich die Total-Physiognomie dieselbe ist. Dies Verhältnis zeigte sich besonders schön bei der Station „Mustad“ in Vardal. Hier lagen nämlich in einer Höhe von 1500° mehrere Wiesen, die nie gedüngt oder irgend einer Kultur unterworfen wurden, in der nächsten Nähe bei einander, nur getrennt durch etwas Gebüsch oder höchstens einige kleine Baumgruppen. Dieser unmittelbaren Nähe ungeachtet, war doch das Bild der einzelnen Wiesen ein verschiedenes; denn die Species, die auf der einen von ihnen als Hayptbestandteil auftraten und so der Vegetation ihr Gepräge gaben, spielten hingegen bei der Zusammensetzung einer anderen vielmehr eine Nebenrolle und umgekehrt — so wie es die folgende tabellarische Uebersicht über die zusammensetzenden Arten auf 3 der erwähnten Wiesen zeigt: Namen Wiese Nr.: der zusammensetzenden | | Arten: | I u IT ıl Avena pubescens | Haupt- Neben- Neben- ı bestandteil | bestandteil | bestandteil Trifolium pratense . ı Haupt- Neben- Neben- ı bestandteil | bestandteil | bestandteil Polygonum viviparum | Haupt- Haupt- Haupt- | bestandteil | bestandteil | bestandteil Leontodon autumnale . ' Haupt- Haupt- ı bestandteil | bestandteil Trollius europaeus . ı Haupt- Neben- Haupt- ‚ bestandteil | bestandteil | bestandteil Ranunculus acris | Haupt- Neben- bestandteil | bestandteil Phleum alpinum " Neben- Neben- ' bestandteil |, bestandteil Anthoxanthum odoratum Neben- Haupt- Neben- bestandteil | bestandteil | bestandteil Festuca rubra ' Neben- Neben- Neben- bestandteil | bestandteil | bestandteil Aira caespitosa . Neben- Haupt- ' bestandteil bestandteil Aira flexuosa . ' Neben- Haupt- Neben- | bestandteil | bestandteil | bestandteil Agrostis vulgaris " Neben- Haupt- Neben- " bestandteil bestandteil ' bestandteil Bei sämtlichen Wiesen traten noch folgende Arten als untergeord- nete Nebenbestandteile hinzu: Festuca ovina Lotus corniculatus und Alectrolophus minor. Nardus strieta Vicia eracca Briza media V. sepium Wir sehen alsdald, dass während die erste Wiese durch Arten wie Avena pubescens, Trifolium pratense, Polygonum viviparum, Leontodon Hansteen, Weiden und Wiesen in den norwegischen Hochgebirgen. 83 autumnale, Trollius europaeus und Ranunculus acris charakterisiert wurde, so wurde die andere es durch Polygonum viviparum, Antho- zanthum odoratum und Aira flexuosa, und die dritte durch Polygonum viviparum, Trollius europaeus und Aira caespitosa. Ein ähnliches Verhältnis zeigte sich auf naheliegenden Wiesen und Matten. in den Hoch-Gebirgen. Auf „Dalssäter“ liegen ea. 3000’ üb. d. Meere zwei Wiesen neben einander und ihre Zusammensetzung war folgende: Namen | Wiese Nr.: der Pflanzen- | Species: | I II Aira caespitosa . . . ‚Hauptbestandteil Nur ganz vereinzelt vork. Agrostis vulgaris ‚Nebenbestandteil Poa pratensis Poa alpina | } ? n ) Festuca rubra e = Carun Carvi ß 5 s Alchemilla vulgaris L. x & Ranunculus acris . 5 R Saussurea alpina R n Trifolium pratense | = = Astragalus alpinus | 3 R Avena pubescens . . . Nebenbestandteil Hauptbestandteil Phleum alpinum B a 5 Alopecurus geniculatus . 5 Nebenbestandteil Polygonum viviparum . \ 4 Hauptbestandteil Anthoxanthum odoratum \ 5 et Alectrolophus minor . . | „ sn Aconitum septentrionale. \ 4 . Dieselben Arten, wie hier für Dalssäter angegeben, nahmen auch Teil an der Zusammensetzung anderer hochliegender Wiesen z. B. bei „Hinöglelidsäter“, Sikkilsdalsäter“, „Bessestrandssäter“ alle ea. 3300° üb. d. M. und bei „Kampesäter“ ca. 2900‘ üb. d. M. Die hochliegenden Matten und Weiden wurden überall namentlich von Festuca ovina und Nardus stricta gebildet, Gräser, die während des Sommers mit der größten Begierde von den Ziegen und dem Viehe gefressen werden. Die Wiesen werden gewöhnlich Ende Juli oder Anfang August gemäht und das Heu als Winterfütterung benützt. Was den relativen Futterwert der einzelnen Bestandteile anlangt, so war dieser — nach den Aussagen der da wohnenden Bauern zu urteilen — in den verschiedenen Höhen über dem Meere auch manch- mal ein verschiedener. In einer Höhe von 1500‘ (bei „Mustad“) war Aira caespitosa wie in den Thälern ein steifes und schlechtes Futter und wurde kaum (Ds 84 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht, gefressen; auf den besprochenen hochliegenden Wiesen (ca. 2000‘) da- gegen galt diese Art für das beste Futtergewächs, wonach die Milch besonders fett werden sollte. Die Blätter waren hier auch weich und fein. Besonders fett und wohlschmeckend wird auch hier die Milch nach dem Genusse von Festuca ovina, die auf den hochliegenden Matten, wie erwähnt, ein beliebtes Futter liefert, in den Thälern aber als ein äußerst schlechtes angesehen wird. Ein gutes Futter lieferten überall auch die Poa-Arten, Festuca rubra, Avena pubescens, Phleum alpinum, Anthoxanthum odoratum und die Agrostis- Arten. Polygonum viviparum, Ranunculus acris und Aconitum septentrio- nale wird aber nicht gefressen — wahrscheinlich wegen darin ent- haltenen Alkaloide — und bedauernswert ist es deshalb, dass eben diese Pflanzen oft auf den Gebirgswiesen die vorherrschenden sind. Rumex acetosa wird in jungem Zustande — ehe die Früchte zur Entwicklung gekommen sind — mit Begierde besonders von den Ziegen gefressen, ebenso die jungen Sprosse und Blätter von Alchemilla vul- garis und Saussurea alpina. Die gewöhnliche Astragalus alpinus liefert auch ein gutes Futter. Merkwürdiger Weise wurde mir überall von den Bauern in den Hochgebirgen erzählt, dass Cladonia rangiferina bei dem Viehe sehr be- liebt sein solle; denn wenn dies an einer Stelle weidet, wo frisches grünes Gras neben Cladonia wächst, so wird diese doch dem Grase vorgezogen. Nach dem Genusse von Cladonia liefert das Vieh nicht allein ein größeres Quantum Milch, sondern es bekommt auch ein schöneres und kräftigeres Aussehen. Aus diesem Grunde werden auch im Herbste mehrere Hundert Fuder von Cladonia nach den Sennhütten gebracht und während des Winters wird dann das Vieh gern zweimal des Tages damit gefüttert. Einmal des Tages besteht die Fütterung aus dünneren Zweigen von Betula odorata, daneben auch Heu von den Wiesen. [26] Ergebnisse von Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch -ätiologischer Hinsicht. Referierendes und Diskutierendes. Von Friedrich Dreyer in Kiel. II, Wilhelm Roux, Ueber den Cytotropismus der Furchungszellen des Gras- frosches [Rana fusca]'). Es handelt sich um die Erforschung von Gesetzlichkeiten in dem Verhalten isolierter Furchungszellen zu einander. 1) Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, Bd. I, S. 43—68, 161--202, 3 lithogr. Taf. u. 3 Textfig., 1894. Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 5 I. Untersuchungsmethode. Das Prinzip der Methodik ist einfach. Man zerreißt oder zer- schneidet das kleingefurchte Froschei in einer indifferenten Flüssigkeit und beobachtet unter dem Mikroskop das Verhalten der isolierten unversehrten Zellen zu einander. In Wirklichkeit jedoch hängt die Deutung der zu beobachtenden Vorgänge wesentlich von der Fern- haltung resp. Inrechnungziehung unvermeidlicher Fehlerquellen ab, so dass den letzteren sorgfältigste Beachtung gewidmet werden muss. Dies gilt besonders für die Deutung der zwischen sich nicht berühren- den Furchungszellen zu beobachtenden Vorgänge. — Am leichtesten und sichersten sind die bezüglichen Vorgänge an den Zellen solcher Eier von Rana fusca wahrzunehmen, die am Tage vorher befruchtet worden sind, die sich daher je nach der Temperatur des Raumes im Stadium der feingeteilten Morula oder bereits der Blastula befinden; und zwar eignen sich nur Eier vom Anfange der normalen Laich- periode. Bei Eiern, deren Laichung hinausgeschoben wird, sei es künstlich durch getrennte Aufbewahrung der gefangenen Tiere, sei es in der Natur durch abnorm kalte Witterung, sinkt erfahrungsgemäl die Lebensenergie, so dass sie für diese Untersuchungen, durch die die Eiprodukte doch immerhin beträchtlichen Insulten — Isolierung der Zellen und darauf folgende Uebertragung in ein fremdes Medium — unterzogen werden, nicht mehr geeignet sind. Am Anfang der recht- zeitigen Laichperiode dagegen sind die zu untersuchenden Vorgänge genügend charakteristisch ausgesprochen. — Als Medium, in dem die Objekte untersucht werden, dient frisches filtriertes Hühnereiweiß; auch halbprozentige resp. mehr oder weniger starke Kochsalzlösung wurde verwandt. — Das Eiprodukt wird seiner Gallerthülle beraubt, auf eine runde planparallele Glasplatte von etwa 3 em Durchmesser gelegt, mit etwa 5 Tropfen des Eiweißes begossen und hiernach mit zwei Präpariernadeln zerrissen oder mit einer scharfen kleinen Scheere zerschnitten. Die austretenden Eiteile werden durch einige wenige Bewegungen mit den Nadeln weiterhin zerkleinert. Die Glasplatte wird sogleich in eine runde Glasschale von etwa 4—5 em Durchmesser und 1 em hohem Rande gelegt, in die vorher 10—15 Tropfen Wasser gethan worden waren, und zwar geschieht dies deshalb, um die Ver- dunstung der dem Ei zugesetzten Flüssigkeit zu beschränken und damit sowohl Veränderungen in der Konzentration des Mediums wie Strömungen desselben möglichst zu vermindern und zugleich die un- vermeidliche Verdunstung wenigstens auf allen Seiten der Peripherie möglichst gleichmäßig zu machen, was zur Verringerung von Strö- mungen gleichfalls sehr nötig ist. — Objekttisch des Mikroskops und obere Fläche der in die Schale gelegten Objektplatte werden mit einer Dosenlibelle wagerecht eingestellt. — Die Glasschale bietet auch den Vorteil, dass man sie bei Unterbrechung der Beobachtung durch 86 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. eine auf den eben abgeschliffenen Rand aufgelegte Platte vollkommen abschließen kann, wonach die Zellen bei geeignetem Medium am An- fang der Laichperiode sich noch 1—2 Tage lebend erhalten und man- cherlei später zu schildernde Verhalten zu beobachten gestatten. Während die Beobachtung im unbedeckten Tropfen den Vorteil bietet, dass die gelegentliche Beeinflussung der Lage der Zellen mit einer feinen Nadel möglich bleibt, ist es gleichwohl zur Kontrole nicht zu entbehren, auch Beobachtungen bei aufgelegtem, durch Wachsfüßchen unterstütztem Deckglase zu machen. Noch vollkommener erreicht man den Hauptzweck der möglichsten Verminderung von Strömungen im Medium, die die isolierten Zellen passiv bewegen könnten, durch Anwendung einer in den Objektträger eingeschliffenen feuchten Kammer, die nach der Einbringung des Objektes mit einem großen Deckglas bedeckt wird. Da jedoch ihr Boden eben sein und wagrecht stehen muss, muss man sich dieselbe besonders anfertigen lassen; doch ge- währt sie die günstigsten Versuchsbedingungen. An so zubereiteten Objekten kann man die zunächst zu besprechenden Vorgänge mehrere Stunden lang studieren. Beabsichtigt man dagegen, bloß einmal einige Näherungen isolierter Furchungszellen gegen einander und nur auf geringer Distanz von etwa !/, Zelldurehmesser zu beobachten, so ge- nügt es, das Eiprodukt auf einem gewöhnlichen Objektträger in der genannten Flüssigkeit zu zerreißen und das Objekt rasch unter dem Mikroskop zu besichtigen. — Nach der Zerteilung des Eies beeilt man sich bei schwacher Vergrößerung zwei Zellen zu finden, die in ge- ringem Abstande, etwa um den Radius der kleineren Zelle, von ein- ander entfernt liegen und in deren Umgebung, etwa im Umkreise des doppelten Zelldurchmessers, keine Zellen lagern. Hierauf wird ein stärkeres Objektiv in Anwendung gebracht und das Zellpaar derart unter das Okularmikrometer eingestellt (in verschiedener Hinsicht ist es empfehlenswert, sich zu den Verschiebungen des Objektes eines durch Mikrometerschrauben beweglichen Objekttisches zu bedienen), dass die mittlere Verbindungslinie, d. h. die Verbindungslinie der Mittelpunkte beider Zellen, in die Längsrichtung des Mikrometers fällt, so, dass jede Zelle beiderseits gleichviel über die kurzen Striche des ÖOkularmikrometers vorragt, die mittlere Verbindungslinie der Zellen also mit der gedachten Halbierungslinie der kurzen Striche zusammen- fällt. Diese Einstellung gestattet, stets zu erkennen, ob die Zellen sich nur gegeneinander oder zugleich auch etwas seitwärts bewegen. I. Verhalten isolierter und durch kleine Zwischenräume getrennter Furchungszellen zu einander. A. Verhalten bei Lagerung der Zellen in filtriertem Hühner- eiweiß. 1) Verhalten von zwei Zellen zu einander. Die Furchungszellen, in dem Verbande des Eiproduktes bekannt- Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 87 lieh gegeneinander abgeplattet, kontrahieren sich innerhalb ein bis drei Minuten nach der Isolation zur anscheinend vollkommenen oder annähernden Kugelform; sie haben dabei glatte Konturen und zeigen auch keine Pseudopodien. — Ferner lassen sich dann schon ohne Messung dreierlei wichtige Wahrnehmungen machen. Beobachtet man nacheinander Zellpaare, deren Zellen in geringem Abstande, von etwa ein Viertel Zelldurchmesser und darunter, sich befinden, so wird man an mehreren der Paare wahrnehmen, dass im Laufe weniger Minuten der Zwischenraum der Zellen sich verkleinert und schließlich schwindet, so dass beide rundlichen Zellen sich berühren. Zweitens sucht man sich bei schwachem Objektiv eine Stelle, die in demselben Gesichtsfeld vier oder mehr in dem bezeichneten Abstand befindliche Zellpaare zeigt. Hiernach ist dann wahrzunehmen, dass die Zellen jedes Paares oder wenigstens mehrerer Paare sich nähern und dass diese gleich- zeitige Näherung in verschiedenen, eben den Verbindungslinien der Zellen jedes Paares entsprechenden Richtungen erfolgt. Diese Be- obachtung ist deshalb wichtig, weil solche gleichzeitige Näherung von Zellen in mehreren verschiedenen Richtungen nicht durch eine Strö- mung im Medium hervorgebracht werden kann. Die geringe Strömung, die bei der vorher geschilderten Versuchsanordnung noch auftritt, hat im ganzen Gesichtsfeld jeweilig bloß eine Richtung, wie man bei Beobachtung feiner suspendierter Körnchen sieht, so dass also durch sie bloß Bewegung isolierter Zellen in dieser einen Richtung hervor- gebracht werden könnte. Eine dritte Wahrnehmung ist, sofern im Anfang der Laichperiode experimentiert wird, die, dass, wenn man sich vorher überzeugt hatte, dass viele einander sehr nahe Zellen vorhanden waren, schon kurze Zeit, etwa 3—D5 Minuten nach der Zer- reißung des Eies, nur sehr wenige Zellen zu sehen sind, die, einander sehr nahe, etwa bloß in !/,, Zelldurchmesser Abstand und darunter sich befinden. Auf Grund der 1. und 2. Beobachtung ist aus dieser 3. zu schließen, dass in den wenigen Minuten alle oder fast alle, von vorn herein einander sehr nahen Zellen sich bereits bis zur Vereini- gung genähert haben, während die von einander weiter entfernten Zellen sich zumeist noch nicht bis zu so geringem Abstande wieder genähert haben. Am Ende der Laichperiode dagegen findet man noch nach Stunden sehr viele Zellen einander sehr nahe, und wenn man einzelne Zeilenpaare einstellt und lange Zeit beobachtet, erkennt man, dass eine Näherung zwischen ihnen zumeist nicht stattfindet. Die Näherungen geschehen sowohl zwischen schwarzen wie zwischen farblosen Zellen und zwischen beiderlei Zellen unter einander, doch überwiegen die farblosen Zellen unter den isolierten Zellen stets er- heblieh, einmal, weil ihrer im Ei erheblich mehr überhaupt vorhanden sind und dann auch, weil sie sich leichter von einander trennen, als die pigmentierten. Die hier darzulegenden Beobachtungen beziehen 88 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. sich also daher zumeist auf diejenigen Zellen des Eiproduktes, die noch am wenigsten innig mit einander sich verbunden haben und die wohl auch erst am wenigsten differenziert sind, somit noch am meisten den Namen der Furchungszellen verdienen. Dies ergibt sich schon aus ihrer Rundung nach der Isolierung, die eine Aeußerung der Kon- traktion bekundet, die z. B. den Zellen der Dorsalplatte der Gastrula bereits abgeht, denn diese behalten nach der Isolierung ihre eckige Gestalt. Ein zunächst gewonnenes Resultat wäre also die Erkenntnis, dass zwischen vielen Furchungszellen desselben Eies vom Stadium der älteren Morula und der Blastula Näherungswirkungen stattfinden. Nach Analogie von anderen Richtungsbewegungen ein- und mehrzelliger Organismen, wie dem Heliotropismus, Geotropismus, Chemotropismus (Chemotaxis Pfeffer’s), Galvanotropismus, will Roux diese Be- wegung der Furchungszellen gegen einander unter Vermeidung jeder Andeutung über die eventuelle Ursache und Vermittelung dieser Wir- kungen rein sachlich als „Oytotropismus“ der Furchungszellen be- zeichnen. Im Folgenden geht dann Roux dazu über, die Ergebnisse des speziellen Studiums einer Reihe von Näherungsgeschichten von Zell- paaren darzustellen. Die Möglichkeit einer genau messenden Be- obachtung der Vorgänge wird, wie unter „Untersuchungsmethode“ schon angeführt wurde, so geschaffen, dass das Zellenpaar unter das Okularmikrometer eingestellt wird, so, dass die gedachte Verbindungs- linie der Zellmittelpunkte in die gedachte Halbierungslinie der Mikro- meterstriche fällt. Gemessen werden die Abstände der beiden einander nächsten oder proximalen Punkte beider Zellen und die beiden ent- ferntesten oder distalen Punkte. Halten sich diese vier Punkte während des Näherungsvorganges der Zellen in der gedachten Mittellinie der -Mikrometerskala und bleiben die Zellen symmetrisch zu dieser Linie gestaltet, so ist die Näherung der Zellen als eine vollkommen direkte, d. h. auf dem nächsten Wege erfolgende zu bezeichnen. Verschie- dentlich finden sich auch seitliche Abweichungen; sind dieselben jedoch gering und finden bald nach der einen, bald nach der anderen Seite statt, so bleibt doch als Resultante wenigstens direkte Näherung ge- wahrt. Diese direkte Näherung stellt das gewöhnliche Verhalten der Furchungszellen beim Anfange jedes neuen Versuches während des Anfanges der Laichperiode dar, sofern äußere Störungen ferngehalten werden. Erhebliche, dauernd nach gleicher Seite gerichtete Seitwärts- bewegungen der Zellen, wie schiefes Sichnähern derselben oder an einander Vorbeiwandern kommen unter diesen Umständen nicht vor, wohl aber finden sie sich gegen Ende der Laichperiode oder mehrere Stunden nach Beginn des Versuches nicht selten. Die in ihrem spe- ziellen Verlauf besprochenen Näherungsgeschichten bringt Roux Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 59 graphisch auf beigegebenen lithographischen Tafeln so zur Darstellung, dass er die 4 Punkte (die beiden distalen und die beiden proximalen eben der 2 Zellen) in ihrem einer jedesmaligen Beobachtung ent- sprechenden gegenseitigen Entfernungsverhältnis in der Ordinaten- richtung eines Parallelkoordinatensystems einträgt, dessen Erstreckung in der Abseissenrichtung dem Zeitverlauf der Geschichte entspricht. Die spezielle Verfolgung der Näherungsgeschichten ergab folgende für die Lehre des Cytotropismus bemerkenswerte Punkte. — Die Näherung der Zellen gegen einander pflegt keine stetige zu sein, sondern schritt- weise zu erfolgen, so, dass nach jedem Schritt vorwärts gewöhnlich ein mehr oder weniger großes Zurücksinken stattfindet. — Zwei Näherungsweisen der Zellen sind zu unterscheiden: Diejenige durch Vergrößerung des Zelldurehmessers in Richtung auf die andere Zelle; Roux nennt dies „Entgegenstreckung“. Die Größe der Entgegenstreekung wird gemessen durch die positive Differenz der Näherungsgrößen des proximalen und des distalen Punktes. Zweitens diejenige durch Ent- gegenbewegung der ganzen Zelle; Roux nennt dies „Zellwanderung“. Die Größe der Zellwanderung wird gemessen an der Näherung des distalen Punktes. Diese Unterscheidung zwischen Entgegenstreckung und Zellwanderung bezeichnet deutlich formal das Verhalten der Zellen und mehr soll es nicht bezeichnen; so möge man auch nicht etwa Andeutung darin sehen, dass die beiden unterschiedenen Näherungsweisen des Cytotropismus in ihren Ursachen wesentlich verschieden seien. Ueber Ursächliches soll hier nichts ausgesagt sein. — Von der von Roux erstbeschriebenen Näherungsgeschichte wollen wir hervorheben, dass nach der Vereinigung beide Zellen sehr starke amöboide Bewegungen nach verschiedenen Seiten machten, denen bald eine Teilung der einen Zelle folgte. — Es ist nicht durchgängige Regel, dass die Näherung beiderseits gleichmäßig gefördert wird, sondern es sind meist Ungleichheiten in der Aktivität des Vorgehens der beiden Zellen zu konstatieren, ja es braucht die Näherung über- haupt nicht beiderseits gefördert zu werden, einseitige Näherung einer der beiden Zellen gegen die andere ohne Entgegenkommen dieser ist sogar ein sehr häufiges Vorkommnis. In vielen Versuchen ist es der überwiegende Näherungsmodus; und zwar nähert sich ebensowohl die größere Zelle der kleineren wie umgekehrt die kleine der größeren. — Teilung kommt bei den Zellen der Näherungsversuche verschiedentlich zur Beobachtung. Dieselbe erfolgt nicht immer annähernd quer zur Verbindungsrichtung der beiden Versuchszellen, obschon dies das über- wiegende Verhalten zu sein scheint. Vielleicht bewirkt die Näherungs- tendenz eine erste Verlängerung der Zelle in der Verbindungsrichtung der Versuchszellen, was. dann die Einstellung der Kernspindel in diese Richtung veranlassen und so die weitere Verlängerung in derselben Richtung und die quer dazu stehende Teilungsrichtung bedingen kann; 90 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. die Einstellung der Kernspindel pflegt sich bekanntlich der Richtung der größten Protoplasmamasse entsprechend zu regeln. — Die letzte Näherung unmittelbar vor der Berührung pflegt mit einer besonderen Beschleunigung verbunden zu sein. — Häufig spitzen sich die Zellen ein wenig, aber deutlich, gegen einander zu. — Es kommt vor, dass die Zellen an der Unterlage etwas haften bleiben. Wenn eine solche Fixation lange dauert, werden die Zellen manchmal sehr unruhig, senden Pseudopodien nach einander oder gleichzeitig nach verschie- denen Riehtungen aus; die Bewegungen dieser Fortsätze werden all- mählich schneller, was manchmal zu einer Losreißung von der Unter- lage und nachfolgender rascher Vereinigung führt. — Dass die Furchungszellen unter Umständen amöboide Bewegungen ausführen, ist bekannt. Die von Roux beobachteten Pseudopodien waren bei Verwendung von Hühnereiweiß als Medium von zweierlei Art. Meist waren sie aus der ganzen Masse des Zelleibes gebildet; diese Pseudo- podien nennt Roux protoplasmatische Pseudopodien. Selten dagegen entstanden bei diesem Medium ganz klar durchscheinende, schwach gelbliche Pseudopodien, die ihre Größe und Gestalt sowie ihren Ort an der Peripherie der Zelle viel rascher wechselten als die vorigen; diese nennt Roux paraplasmatische Pseudopodien. Es erhebt sich diese Art der Pseudopodien frei über die unbeweglich gebliebene, aus kör- niger Masse zusammengefügte Zellrinde. Wenn ein solches Pseudo- podium wieder kleiner wird, legt sich seine feine homogene Um- schließungshaut der Zellrinde außen an; diese Haut stellt also wohl den abgehobenen feinen, körnerfreien äußersten Protoplasmasaum der Furchungszellen dar. Manchmal aber bricht unter einem solchen Pseudopodium die Zellrinde ein und ein Strom der körnigen Zellmasse ergießt sich in das bisher wasserklare Pseudopodium und verteilt sich allmählich in ihm. Beim Wiedereinziehen des Fortsatzes werden dann diese Körnchen auch wieder mit- und ins Innere aufgenommen, zum letzten Teil wohl der Zellrinde ein- oder zur Rinde zusammengefügt !). Bei Anhaften der Zellen auf der Unterlage sah Roux einige Male die paraplasmatischen Pseudopodien in überraschender Thätigkeit. Ein großes zungenförmiges Pseudopodium von mehr als der Größe des Zellradius wurde mit explosionsartiger Geschwindigkeit ausgestoßen und bewirkte durch den heftigen Rückstoß das Flottwerden der Zelle, dem dann rasche Näherung gegen die andere Zelle und Vereinigung mit ihr folgte. In der That ein merkwürdiges Schauspiel, anregend zum Denken in ätiologischer und teleologischer Weise. — Als den Cytotropismus hindernde und abschwächende Umstände sind anzu- führen: Einmal eben das Anhaften auf der Unterlage. Dann das Vorrücken der Versuchszeit gegen das Ende .der Laichperiode, wo der 1) Man denke bei dem eben Berichteten an die analogen Befunde bei Rhizopoden. Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 91 Cytotropismus schließlich ganz schwindet. Das Vorliegen dieses Zu- standes pflegt sich schon dadurch anzuzeigen, dass das Eiprodukt beim ersten Zerreißen sogleich in sehr viele Zellen zerfällt, gleichsam zerstäubt; die Zeichen von Minderung der vitalen Energie. Bei vor- schreitender Ausbildung dieses Zustandes wird der epitheliale Zell- verband, die gegenseitige Abplattung der Zellen eines Eiproduktes aufgehoben, indem die Zellen sich runden und nur noch punktuell berühren; ein ‚Zeichen des Todes zunächst des Ganzen als Indivi- duum !), dem dann der Tod der Zellen allmählich nachfolgt. Es ist interessant, dass schon in den äußerlich noch nicht sichtbaren, bloß durch Zerstäuben der Eier beim Zerreißen erkennbaren Anfangsstadien dieses am Ende der Laichperiode von selber eintretenden Zustandes, die Zellen nach ihrer Isolierung auch keine Näherungen gegen ein- ander mehr erkennen lassen. Drittens war eine Abnahme des Cyto- tropismus zu konstatieren mit der Zeit nach der Isolierung der Fur- chungszellen. — Ein den Cytotropismus verstärkender Faktor ist die Wärme. Eine Temperatur von 20—28° C. wirkt begünstigend, durch Erwärmung dann weiterhin über 30° C. hinaus werden die Zellen geschädigt und reagieren nicht mehr. — Für die Größe des Zellab- standes, in dem Näherung noch zu beobachten war, ergab sich als absolute obere Grenze 60 «. Bei kleineren Zellen ist der maximale Näherungsabstand viel geringer; nur äußerst selten erreichte er die Größe des Zelldurchmessers, meist betrug er nur das Maß des Radius etwa. Die absolute obere Grenze des Näherungsabstandes gilt jedoch als solche trotz Zellen von mehrfach größerem Radius als 60 u; es ergab sich anscheinend sogar, dass bei weiterer Zunahme der Zell- größe der Näherungsabstand sich verkleinerte. Doch haben die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen an großen Zellen dadurch geringeren Wert, dass sie erst gegen Ende der kurzen Laichperiode gemacht wurden; sie bedürfen daher der Wiederholung am Anfange einer nor- malen Laichperiode. 2) Verhalten dreier in Näherungsabstand befindlicher Furchungszellen zu einander. Von 3 Zellen verrät gewöhnlich eine Zelle größere Beweglichkeit als die anderen. Manchmal nähert sich diese auf direktem Wege einer der beiden anderen (mit oder ohne Entgegenkommen dieser), die jedoch nicht die nähere zu sein braucht. Nach der Vereinigung kann dann noch die Näherung zwischen diesem Zellpaar und der dritten Zelle stattfinden. In anderen Fällen war die Bewegung der ins Auge ge- fassten beweglichen Zelle zunächst eine resultierende des Strebens nach 1) Roux sagt „des Individuums als Ganzen“; wir halten obige Ausdrucks- weise für korrekter. 2 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. den beiden anderen Zellen, um sich erst nach einiger Zeit einer dieser beiden zuzuwenden, mit der zunächst dann die Vereinigung erfolgte. 3) Verhalten von Zellkomplexen zu einander und zu einzelnen Zellen. Legt man Komplexe, die aus einer Reihe von je 3, abgeplattet an einander schließender Zellen bestehen, parallel neben einander in einem Abstand von nicht viel über einen halben Zelldurchmesser, so kann man häufig beobachten, dass sie sich mit einem Paar ihrer Enden gegeneinanderneigen um so in Kontakt zu kommen. Bei Näherungen zwischen Zellkomplexen bis zu 4 Zellen und einzelnen Zellen kommt es sowohl vor, dass sich die Einzelzelle dem Komplexe, als auch um- gekehrt dieser jener, als auch beide einander sich nähern. Größere Komplexe von 6 und mehr Zellen näherten sich als Ganze nicht, selbst nicht bei einem Abstand von Näherungsdistanz der einzelnen Zellen. Aber einige der in Näherungsabstand befindlichen Zellen zweier solcher Komplexe näherten sich manchmal einander durch stärkere Vorwölbung der betreffenden Zellen und unter teilweiser Loslösung aus dem Kom- plexe. Die zwischen Zellkomplexen stattfindende Näherung ist also nicht den Massen dieser proportional und stellt somit auch keine Massenwirkung der Komplexe auf einander dar, sondern sie erscheint von Zellen der einander zugewendeten Oberflächen der Komplexe her- vorgebracht. Zwischen Komplexen, deren Zellen dicht zusammen- geschlossen waren und zwar so, dass die Zellen auch nach außen, über das Gesamtniveau des Komplexes nicht hervorragten, die Roux daher „geschlossene Komplexe“ nennt, konnten Näherungen nicht beobachtet werden, eben so nicht zwischen solchen und naheliegenden einzelnen Zellen, wozu KRoux bemerkt: Diese Beobachtung bedarf je- doch der Kontrole an frischem Materiale vom Anfang der Laichperiode. Wenn sie sich da bestätigt, würde sie von großer Bedeutung sein. 4) Verhalten vieler isolierter Zellen zu einander. Eine größere Anzahl isolierter Zellen, die sich in Näherungsabstand zu einander befinden, pflegen ein System von Näherungen zu bilden, die in dem Zustandekommen häufig eines einzigen Komplexes ihren schließlichen Abschluss finden. 5) Umwandlung der Furchungszellen zu Amöben. Gegen Ende der Laichperiode oder nach bereits mehrere Stunden bestehender Trennung der Furchungszellen wurden die Zellen hoch- gradig amöboid. Sie verhielten sich wie selbständige Amöben und ließen keinen Cytotropismus erkennen. Auch wenn sie auf ihren Wan- derungen zufällig selbst zu gegenseitiger Berührung kamen, kam es zu keiner Vereinigung. Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlieher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 93 6) Negativer Cytotropismus, Manchmal wurde zwischen 2 Zellen, die sich in punktueller Be- rührung befanden, manchmal auch bei solchen, die sich eben erst bis zur Berührung genähert hatten, gegenseitige Retraktion und Abrundung beobachtet. Zweitens konnte zuweilen an der Berührungsstelle zweier Zellen Sekretion einer hyalin bröckeligen Masse konstatiert werden. Eine dritte Art der Entfernnng bestand darin, dass von zwei einander nahen oder sich berührenden Zellen die eine sich von der anderen weit entfernte, sei es unter Bildung besonderer Pseudopodien, sei es ohne solche. Diese Entfernung pflegte jedoch nicht in der mittleren Verbindungsrichtung der Zellen zu erfolgen. — Ob in solehen gelegent- liehen Entfernungsvorgängen vitale Erscheinungen bestimmter Bigenart vorliegen, die man dann als negativen Cytotropismus zusammenfassen könnte, muss noch dahingestellt bleiben. B. Verhalten der isolierten Furchungszellen bei Lagerung in Kochsalzlösung. In halbprozentiger Kochsalzlösung tritt in den Zellen des Eipro- duktes nach ihrer Isolierung Pseudopodienbildung auf. Auch eyto- tropische Näherung findet in Kochsalzlösung statt, nur wird das Be- obachtungsbild durch die Pseudopodienbildung beeinträchtigt. Etwa 5—7 Minuten nach der Zerreissung des Eies in der halbprozentigen Kochsalzlösung verschwanden die Pseudopodien der isolierten Zellen; die Zellen rundeten sich und nahmen einen glatten Kontur an wie in Eiweiß liegende Zellen und verhielten sich danach bei ihren eyto- tropischen Bewegungen gleich solchen. C. Verhalten der Furchungszellen verschiedener Eier gegen einander. Das eytotropische Verhalten zwischen Zellen verschiedener Eier unterschied sich im allgemeinen nicht von dem der Zellen desselben Eies; insbesondere trat eine Neigung der Zellen verschiedener Eier, sich von einander zu entfernen, nicht hervor. D. Befunde an den Zellen älterer Entwiceklungsstadien. Zu den Versuchen herangezogen wurden Gastrulae, Embryonen und junge Kaulquappen von Rana fusca. Die Trennung geschah wieder in filtriertem Hühnereiweiß oder halbprozentiger Kochsalzlösung. Sie lieferte bei diesen älteren Eiprodukten isolierte Zellen von zweierlei wesentlich verschiedenem Verhalten: einmal sich rundende Zellen und dann Zellen, die ihre vorherige, von abgeplatteten Flächen begrenzte Gestalt auch nach der Isolierung beibehielten. Die sich nach der Isolierung rundenden Zellen entstammten dem Dotter, dem Mittelblatt und dem Centralnervensystem; es waren zugleich die im Durchschnitt 94 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. größeren der Bausteintrümmer des Eiproduktes. Zum Teil zeigten die gerundeten dieser Zellen lebhafte amöboide Bewegungen. An diesen sich rundenden Zellen konnten ceytotropische Bewegungen deutlich nachgewiesen werden. Doch fiel es auf, dass die Zellen sich wieder- holt bis zur Berührung näherten, diese aber sogleich wieder lösten und zurücksanken, um aufs neue sich zu nähern; andere lösten sich nach der Berührung einfach von einander, um einen Spalt zwischen sich zu lassen. Da dies Verhalten bei den Zellen der erst weniger differenzierten Stadien seltener war, erweckte sein öfteres Vorkommen bei Zellen älterer Eiprodukte den Gedanken, dass Zellen von schon höher differenzierten Organen sich weniger!) mit einander vertragen als Zellen noch indifferenterer Stufen. — Die nach der Isolierung sich nicht rundenden Zellen, im Durchschnitt kleiner, entstammten der so- genannten Cylinderepithel- oder kubischen Epithel-Formation. An ihnen konnten im Gegensatz zu dem Verhalten der runden Zellen eyto- tropische Bewegungen nicht festgestellt werden. Natürlich ist hieraus nicht zu schließen, dass zwischen ihnen überhaupt kein Cytotropismus besteht; er ist möglicherweise nur so schwach, dass er gegenüber den Fehlerquellen nicht hervortritt. Auch an isolierten Epithelelementen des erwachsenen Frosches konnte ein Ergebnis in positivem Sinne nieht konstatiert werden. — Besondere Sorgfalt verwendete Roux weiterhin auf die Prüfung des Verhaltens der roten Blutkörper des erwachsenen Frosches, doch konnten hier keine sicheren Ergebnisse gewonnen werden; ebenso nicht bei den weißen Blutkörpern des Gras- frosches und den Blutkörpern und sonstigen Zellen von erwachsenen Säugern, wo die Versuche ja auch von vornherein viel aussichtsloser waren. Endlich berichtet Roux, dass an isolierten Zellen von Morulis und Blastulis von Iana esculenta und Bombinator igneus eytotropische Erscheinungen nicht zu konstatieren waren, ein vorläufig jedenfalls sehr auffallendes Ergebnis, dazu angethan, einen beinahe an den an entsprechenden Zellen von Rana fusca gemachten Beobachtungen irre zu machen, wenn diese nicht zu zuverlässig konstatiert wären. II. „Vitale* Bedeutung der beobachteten Thatsachen. Roux diskutiert hier noch einmal im Zusammenhang die Frage, ob die beobachteten Erscheinungen auch wirklich Leistungen der vitalen Objekte selbst seien. Zunächst werden, wir können wohl sagen in erschöpfender Voll- ständigkeit, die Möglichkeiten kritisch durchgegangen, dass die be- obachteten Zellnäherungen durch äußere Einwirkungen hervorgebracht 1) Der Text Roux’s drückt sich aus: „... sich nieht mit einander ver- tragen als ... .*; vermutlich ein Schreib- oder Satzfehler. Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 95 sein könnten. Es ergibt sich, dass das Vorhandensein dieser Möglich- keiten im allgemeinen die vitale Bedeutung der Ergebnisse speziell der angestellten Versuche nicht in Frage zu ziehen vermögen. Doch auch die weiterhin beobachteten negativ eytotropischen Er- scheinungen konnten bei den angestellten Versuchen nieht durch äußere Einwirkungen hervorgebracht sein. Auch über ihre aktiv vitale Natur kann kein Zweifel bestehen, daraus folgt aber noch nicht, dass die beobachteten Entfernungserscheinungen gerade auf einer einem positiven Cytotropismus entgegengesetzten Leistung beruhen: es ist nicht gesagt, dass die negativ eytotropischen Erscheinungen negativer Cytotropismus sind; denn die wahrgenommenen, stets sehr geringen Enfernungen der Zellen in Richtung der mittleren Verbindungslinie kann auch schon durch ein Bestreben der sich berührenden Zellen, bloß ihre Berührung zu lösen, hervorgebracht werden, indem dabei die Zellen sich runden, wobei eine geringe distale Bewegung mit resultiert. Ein Bestreben von Zellen dagegen, sich direkt von einander zu entfernen, also auch ein Vermögen derselben, durch das fremde Medium hindurch sich irgendwie abstoßend zu beeinflussen, kann aus diesen Thatsachen allein nicht erschlossen werden; um so weniger, als die Bewegungen, der weiter als das genannte geringe Maß von einander sich entfernenden Zellen fast immer statt in Richtung der mittleren Verbindungslinie beider Zellen, schräg zu derselben erfolgte. Diese öfter beobachtete größere Entfernung einer Zelle von einer anderen kann daher höchstens als Ausdruck des mangelnden Cytotropismus aufgefasst werden. Schwieriger ist es weiterhin den Befund zu deuten, dass zwischen vielen Zellen eine direkte Näherung nicht zu beobachten war, denn entweder kann dies auf dem Fehlen oder zu großer Schwäche des Cytotropismus, oder auf eytotropische Bewegungen hemmenden inneren oder äußeren Momenten beruhen. Als den Cytotropismus hemmende Momente können gegenwärtig bereits betrachtet werden zu niedrige Temperatur und Lichtmangel; beides wirkte bei den angestellten Ver- suchen auf alle Zellen in gleicher Weise, weshalb für ein verschiedenes Verhalten der Zellen ein und desselben Objektes die Ursache hier nicht zu suchen wäre. Weiter kann das fremde Medium die Zellen schädigend beeinflussen. Da auch dies auf alle Zellen desselben Ob- jektes gleichmäßig wirken wird, so muss für die Verschiedenheit des Verhaltens der Zellen eine verschiedene Empfindlichkeit derselben gegen den Einfluss des Mediums angenommen werden, eine Annahme, die wohl berechtigt sein kann. Weiterhin kann die Isolation an sich, der Verlust der normalen Nachbarschaft, schädigend und zwar in verschiedenem Grade schädigend auf die Zellen wirken. Denn es ist zu vermuten, dass der Verlust der Nachbarschaft auf Zellen, die der abhängigen Differenzierung unter- 96 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. liegen, stärker wirkt als auf Selbstdifferenzierungszellen !), und dass andererseits nur erst sehr wenig differenzierte und auch zur Zeit nicht in lebhafter Differenzierung begriffene Zellen, wie die Dotterzellen, ebenso wie vielleicht auch bereits voll ausdifferenzierte Zellen, weniger empfindlich gegen die Isolierung an sich sein werden, als schon in einem mittleren Grade differenzierte und noch in rascher Differenzierung begriffene Zellen. Die hier berichteten Versuche werden es vorzugsweise mit den weniger differenzierten Zellen des Eiproduktes zu thun gehabt haben, da diese sich leichter von einander lösen wie die differenzierteren und daher wohl auch den größten Teil der nach dem operativen Eingriff isoliert vorgelegenen Zellen gestellt haben werden. In Folge des Umstandes, dass verschiedengradig differenzierte Zellen auch verschieden innig mit einander zusammenhängen, werden die Zellen eines Eiproduktes nicht nur durch die Isolation an sich verschieden betroffen, sondern auch schon durch sie mechanisch in verschiedenem Grade insultiert werden. Verschiedene Zustände der isolierten Zellen desselben Eiproduktes zeigten sich ferner auch darin, dass die Zellen bei Durchströmung des Objektes mit dem elektrischen Wechselstrome in sehr verschiedenem Grade reagieren. Alles dies sind Momente, die bei der beobachteten Verschiedenheit des cytotropischen Verhaltens der Zellen desselben Eiproduktes in Rechnung zu ziehen wären. Wie Verschiedenheiten in der Intensität der cytotropischen Er- scheinungen durch den Einfluss äußerer Faktoren bedingt sein können bei immanent gleicher eytotropischer Stimmung, so können sie aber auch auf Verschiedenheiten der eytotropischen Beanlagung der Zellen ohne Beteiligung äußerer Einflüsse beruhen. Die aus dieser Möglich- keit sich ergebenden Alternative ist von großer Wichtigkeit für die Auffassung von dem eventuellen Anteil des Cytotropismus bei der Ent- wicklung des Individuums. Denn wenn alle Zellen des Eiproduktes denselben Cytotropismus zu einander haben, dann kann diesem Faktor kein differenzierend gestaltend eingreifender Einfluss, also kein distinkter Anteil in der individuellen Entwicklung 'zukommen; wenn dagegen der Cytotropismus zwischen den Zellen desselben Eiproduktes beträchtlich verschieden ist, und wenn diese Verschiedenheiten typische sind, dann kann der ordnende und gestaltende Einfluss des Cytotropismus in der Ontogenese ein sehr bedeutender sein. Es bieten sich nun auch mannig- fach Beobachtungen, die teils mit Sicherheit, teils mit Wahrscheinlich- keit auf spezifische Verschiedenheiten des Cytotropismus der einzelnen Zellen schließen lassen. D 4) Vergl. Roux’s Aufsatz „Ueber die Spezifikation der Furchungszellen“ in dieser Zeitschr., 1893, Bd. XIIL, S. 665. Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 97 Die Thatsache, dass sich an den Furchungszellen von Rana esculenta, Bombinator igneus und Telestes Agassizii unter den gleichen Verhält- nissen eytotropische Näherungen nicht beobachten ließen, dürfte die Vermutung nahelegen, dass dies von einer größeren Empfindlichkeit der Eiprodukte dieser Species gegen die künstlichen Bedingungen des angewendeten Experimentierens herrührt. Denn es ist nicht wahrschein- lich, dass eine so fundamentale Leistung, wie sie bei Rana fusca sicher konstatiert wurde, bei nächst verwandten Species ganz fehlen sollte. Darauf hinzuweisen ist in dieser Richtung auch, dass die Furchungs- zellen der genannten Species nach der Isolierung und Uebertragung in das fremde Medium überhaupt sich nicht bewegten. Hier würde also an der Technik des Experimentierens weiterhin noch zu pro- bieren sein. Ueber das Vorkommen oder Fehlen des Cytotropismus endlich bei den roten Blutkörperchen war kein sicheres Urteil zu gewinnen, da sich die Beobachtung des Verhaltens dieser kleinen und platten Gebilde innerhalb der Versuchs- und Beobachtungsfehlerbreite bewegte. IV. Bemerkungen über denMechanismus des Cytotropismus der Furchungszellen. Da die beobachteten Zellen, sowohl in der Kochsalzlösung als im Eiweiß, am Boden lagen, dürften die beobachteten eytotropischen Be- wegungen allgemein als Kriechen zu bezeichnen sein. Ueber die kausale Natur der beobachteten cytotropischen Be- wegungen lassen sich in dem heutigen Anfangsstadium unserer bezüg- lichen Kenntnisse nur Vermutungen hegen, die sich auf anscheinend analoge Thatsachen stützen. Es liegt hier der Chemotropismus am nächsten. Unter einigen Modifikationen des hier verstandenen Begriffs- inhalts — die sonst übliche, von Engelmann-Pfeffer ausgehende Theorie des Chemotropismus muss hier in gewisser Weise modifiziert und ergänzt werden — erörtert Roux die Vorstellung, die man sich von dem den cytotropischen Bewegungen wohl zu grunde liegenden Prozess etwa bilden kann. Bei dem weiteren Durcharbeiten des Gegen- standes wird es aber schließlich, wie im allgemeinen, so auch hier am Platze sein, auch die anderen unterschiedenen Richtungsvorgänge, Helio-, Thermo-, Geo-, Rheo-, Galvano-, Hydro-, Tropho-, Thigmo- tropismus im Auge zu behalten. V. Weiteres Vorkommen von Cytotropismus. Der beobachtete Cytotropismus der Furchungszellen zeigt sich als etwas so charakteristisches und eigenartiges, dass es unwahrscheinlich erscheint, dass er erst durch die Trennung der Zellen und ihre Ueber- tragung in ein fremdes Medium hervorgerufen würde. Der Cytotropis- mus wird den Zellen wohl auch im Organismus zukommen. XVl, 7 98 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. Dass der Cytotropismus fernerhin auch im Organismus Gelegenheit haben wird, sich wirksam zu bethätigen, ist auch wahrscheinlich. Möglicher Weise ist auch hier im Organismus, unter den ganz normalen Verhältnissen, der maximale Näherungsabstand erheblich größer als bei den künstlichen Versuchen. Wenn er über die Größe eines Zell- durchmessers hinausginge, könnten dann auch auf weitere Strecken hin eytotropische Wirkungen stattfinden. Außerdem aber kommen Zellen, die sich in einem geringen Abstand befinden, in früheren oder späteren Stadien der Entwicklung, und zwar nicht nur im Mesenchym, reichlich vor. — Auf grund eines in Betrachtung ziehens der mannig- fachen hier in betracht kommenden Einzeipunkte der Situation gewinnt man die Meinung, dass im Organismus, zumal in den früheren Stadien der Entwicklung, reiche Gelegenheit zu ceytotropischen Wirkungen ge- geben sei. Eine weitere Frage ist die, ob diese Wirkungen auch in typischer Weise lokalisierte und quantitativ und zeitlich normierte sind. — Die Untersuchungen verschiedener Autoren (C. Vogt, W. His, 8. Strieker, C. v. Kupffer, van Bambeke) haben die Aufmerksamkeit auf die bei der Entwicklung des Keimes eine bedeutsame Rolle spielenden, nunmehr in allen Keimblättern in typischem Vorkommen nachgewiesenen, Zellwanderungen gewendet!). Es wird durch Mancherlei wahrschein- lich gemacht, dass der Oytotropismus als Gestaltungsfaktor hier weit eingreift. Wenn der Cytotropismus chemotaktisch vermittelt und ihm zugleich elektive Wirksamkeit eigen sein sollte, dann käme der Chemotaxis ein erheblich größerer Anteil an der Ausbildung der normalen Gestal- tungen des Individuums zu, als es bisher zu vermuten war. Es wird Aufgabe der Forschung sein, diese Vermutungen zu prüfen und — können wir hinzusetzen — sie sind es wert, Direktiven der Forschung abzugeben; Roux hat das Verdienst, diese in dieser all- gemeinen und tiefgreifenden Fassung gegeben zu haben. Als eytotropische Befunde können auch die sexuellen Zellvereinig- ungen, die Kopulation der Samen- und Eizellen und die Konjugation und Kopulation der Infusorien aufgefasst werden. Da letztere Orga- nismen sich in typischer Weise in bezug auf ihre verschieden differen- zierten Körperrichtungen zusammenlegen, so wäre neben dem einfachen Cytotropismus noch ein polarer Cytotropismus zu unterscheiden. Gerade die eytotropischen Befunde der Kopulationsvorgänge zu untersuchen dürfte sich besonders lohnen, da hier die Beobachtung unter normalen Verhältnissen geschehen kann, ohne Eingriffe in Zellverbindungen und Uebertragung in fremdes Medium nötig zu machen. 4) Vergl. hierzu His, Ueber mechanische Grundvorgänge tierischer Form- bildung. Arch. f. Anat. u. Phys., anat. Abt., 1894. Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. 99 Zum Schlusse gedenkt noch Roux als an die Zellbewegungen sich anschließend der Gegeneinanderbewegungen der Zellkerne. bei der Kopulation, im Hinblicke auf die man von karyotropischen Bewegungen reden kann, der analogen Gegeneinanderbewegung der Centrosomen, endlich der fadenförmigen Aufreihung der Chromatinkörperchen beim Beginne der indirekten Kernteilung. Die Bewegungserscheinungen dieser verschiedenen, einander gleichwertigen Organisationskörper innerhalb der Zellkörper mögen vielleicht viel komplizierter, mögen vielleicht auch ganz anders, mögen auch unter sich ganz verschieden bedingt sein wie die analogen Bewegungen der Zellen. Ueber das wie des Bedingtseins aller dieser Befunde wissen wir ja noch nichts, dies wird eben eine hier vordringende Forschung herauszuarbeiten haben. Jeden- falls hat man Roux nicht den ja so sehr auf der Oberfläche liegen- den!) Vorwurf zu machen, dass er hier ja ganz heterogene Dinge zu- sammenfasse, denn er hat ja ausdrücklich hervorgehobeu, dass er „Cytotropismus“ nicht als Ausdruck eines Begriffs eines bestimmt, so oder so, gearteten Prozesses einführt, sondern als vorläufig zusammen- fassende Bezeichnung ähnlicher Befunde, deren Erkenntnis wir noch nicht gewonnen haben?). Einen Versuch macht Roux dann allerdings, die hier vorliegenden Befunde ihrer Natur nach dem Verständnis näherzubringen, indem er vermutungsweise chemotropische Konstellationen zur Erklärung ein- führt. Es hat dieser vermutende Versuch viel für sich und wird zu- nächst mindestens den Wert besitzen, einem erklärenden Eindringen hier manche Anregung zu geben. Schließlich erinnert Roux noch an die bekannte geldrollenförmige Aneinanderlagerung der Blutkörper als an einen Befund, der mög- licherweise durch eytotropische Geschehnisse bedingt ist und weist schließlich noch auf folgende von Lavdowsky jüngst publizierte Ent- deckung hin: Bei toten Säugetier-Blutkörpern: findet nach zufälliger Aneinanderlagerung der Ränder derselben ein sich Vereinigen der Nucleoide dieser Blutkörper statt und zwar in der Weise, dass das zentral in jedem Blutkörper gelagerte körnige Nucleoid sich berühren- der Blutkörper sich gegen das des anderen Blutkörpers hin stielartig vorwölbt und mit dem in gleicher Weise entgegenkommenden Fort- satze des anderen sich verbindet. Lavdowsky glaubt, dass dies Chemotropismus sei. — 4) Daher wohl auch zu gewärtigenden, 2) Da wir das Wesen der eytotropischen Befunde nicht erkannt haben, wäre übrigens auch das Urteil unbegründet, dass hier heterogene Dinge zusammen- gefasst würden; dass sie heterogen sind, wissen wir ebensowenig, wie dass sie gleichartig sind, n* 400 Dreyer, Forschungen in lebensgesetzlicher und mechanisch-ätiol. Hinsicht. Während die Arbeit Bütschli’s, der wir unseren ersten resu- mierenden Beitrag widmeten, zu den Unternehmungen gehörte, die Befunde an lebenden Körpern physikalisch-chemisch darzuthun bestrebt sind, gehört die vorstehende Arbeit Roux’s zu den Unternehmungen, die die Gesetzlichkeiten des vitalen Geschehens als solchen zu eruieren und darzustellen bestrebt sind; vorliegend können wir Ergebnisse von Forschungen in lebensgesetzlicher Hinsicht verzeichnen, dort waren es solche in mechanisch -ätiologischer Hinsicht. Es unternimmt die vorliegende Abhandlung Roux’s ein forschen- des Eindringen in ein bisher noch wenig bekanntes, jedenfalls als solches wenig beachtetes Gebiet vitalen Geschehens, durch dessen fort- schreitende Erkenntnis einmal für die analytische Erforschung der Ontogenese viel herauskommen kann und dann seiner selbst wegen für das Verständnis „des Lebens“ in allgemeiner Hinsicht noch Wesent- liches gewonnen werden mag. Wir haben uns in unserem Bericht eng an die Darstellung gehalten, die Roux seinen experimentellen Ergebnissen gegeben hat; er bleibt also unser verantwortlicher Gewährsmann. Nur ein kritisches Moment, das auch Roux selbst in seiner Untersuchung mit anzuerkennender Schärfe im Auge behalten hat, sei ganz im allgemeinen noch einmal besonders genannt: die Eventualität des hier in betracht kommens physikalischer oder physikalisch-chemischer Faktoren. Nachtrag zu I — Zu unserem Beitrag I ist zu dem S. 269/70 Gesagten korrigierend resp. ergänzend nachzutragen: Eine Kritik von uns bezog sich auf Bütschli: „. . . die geschlossene Wabe füllt sich mit Luft, die in dem Maße eindringt, als der flüssige Inhalt verdunstet. Man könnte vermuten, dass die in den Waben auftretenden Gasblasen nicht Luft seien, sondern Dampf der Wabenflüssigkeit“ und zwar eben auf diese, durch das „nicht ..... sondern“ mitbestimmte Art der Mei- nungsaussprache Bütschli’s und als solche bleibt sie auch bestehen. Nur ist korrekter Weise hinzuzusetzen, dass unbeschadet, unter gleich- zeitiger und gleichräumlicher Anwesenheit des Flüssigkeitsdampfes, molekularhypothetisch gesprochen zwischen den Flüssigkeitsdampf auch Luft eindringen wird. Man hat also korrekter Weise Flüssig- keitsdampf (seil. untermischt mit Luft) zu setzen. Im Uebrigen bleibt die Sache beim alten und so lange von noch vorhandener Flüssigkeit in der Wabe verdunstend Flüssigkeitsdampf produziert wird, wird die Wabe (außer der Flüssigkeit selbst) wohl auch nicht von Luft, sondern von solchem Flüssigkeitsdampf (seil. untermischt mit Luft) gefüllt sein. 1 Leydig, Koprolithen und Urolithen. 101 Koprolithen und Urolithen. Geschichtliche Bemerkung von F. Leydig. Bei den seiner Zeit angestellten Studien über Bau und Leben der Eidechsen !) musste sich an den in Gefangenschaft gehaltenen Tieren, die Beobachtung aufdrängen, dass sehr abweichend von dem, was man bei Amphibien sieht, hier bei Reptilien die Exkremente aus zwei wesent- lich verschiedenen Teilen bestehen. Nämlich einmal aus dem größeren, kaffeebraunen oder eigentlichen Kotballen, welcher die nicht einver- leibbaren Speisereste, namentlich das Chitinskelet von Insekten ent- hält ?); sodann zweitens aus einer daran hängenden Partie vom Aus- sehen eines kreideweißen Kalkbreies, welch letztere den Harn vorstellt. Die einzelnen Arten der Eidechsen verhalten sich hierin gleich, doch war zu bemerken, dass in Form und Größe der beiden Massen immer noch die Speciesverschiedenheit sich kund gibt. Bei Lacerta muralis z. B. war der Kotballen von einfach länglicher Gestalt und der Harnklumpen von halbkugliger, brodlaibartiger Form; bei ZLacerta agilis zogen sich beide Teile mehr ins Längliche und waren gekrümmt; bei der ganz großen dalmatinischen Lacerta viridis war der Harnstein, wie ich die Masse auch nannte, ein zolllanger schwach birnförmiger Körper. Ich könnte jetzt auch den Gongylus ocellatus als Beispiel an- führen, welchen ich seit zwei Jahren im Zimmer pflege und dessen Harnklumpen ebenfalls von charakteristischer Form sind?). Allgemein ist, dass der Harnklumpen an dem hinteren Ende, wo er an den Kot- ballen anstößt, etwas gelblich gefärbt ist, während er im Uebrigen lebhaft weiß aussieht. Es ließ sich ferner daran erinnern, dass in dieser Form der Harn- abscheidung die Reptilien den Vögeln sich nähern, doch gewinne bei letzteren das Harnprodukt — könne man beinahe sagen — nicht die zierliche Ausprägung der Form, wie sie bei den Sauriern entgegentritt. Dabei wurde auch von meiner Seite nicht unterlassen, eine Arbeit von Schreibers*) ins Gedächtnis zurückzurufen, welche vor langen Jahren veröffentlicht, in Vergessenheit gesunken war und näheren Bezug zu dem Gegenstand hat. Der beregte Sachverhalt schien mir ein Licht zu werfen auf ge- wisse fossile Funde und deshalb gab ich das Bild eines solchen Harn- klumpens in etwas vergrößertem Maßstabe von Pseudopus Pallasii®), 4) Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen 1872. 2) Im frischen Zustande wimmeln im Kotballen, wie bei Amphibien, dichte Massen von Vibrionen als ständige Einschlüsse. 3) Zwei Prachtexemplare des oben genannten Tieres verdanke ich Herrn Dr. Escherich, welcher sie von Seiner naturwissenschaftlichen Reise nach 'Tunis und der Insel Dscherba (Girba der Syrtis minor) zurückbrachte. 4) In Gilbert’s Annalen der Physik, 43. Bd., 1813. 5) A. a. O., Taf. IX, Fig. 123. 102 Leydig, Koprolithen und Urolithen. welchen ich dazumal ebenfalls lebend um mich hatte, und schloss zur Erläuterung die nachstehend wiederholte „Bemerkung über Kopro- lithen“ an}). „Es ist mir sehr wahrscheinlich, um nicht zu sagen gewiss ge- worden, dass manche Bildungen, welche man herkömmlich als Kopro- lithen der Saurier anspricht, nicht eigentlich Exkrementballen sind, sondern solche Harnkonkremente. Wer die wirklichen Kothaufen der Saurier und die Harnmassen im frischen Zustande ansieht, wird sich gestehen müssen, dass die letzteren bei ihrer von vorneherein steinigen Natur sich eher erhalten werden, als die weichen, leicht zerfallenden Exkremente. Dazu kommt, dass beim Absetzen des Harnzylinders ins Wasser, was im Zwinger gern geschieht, der Harnklumpen keines- wegs zerfließt, sondern seine Gestalt noch viel reiner behält, als im Trocknen. Ferner, und deshalb lege ich besonders eine getreue Ab- bildung vor, der Harnklumpen zeigt auf der Oberfläche zierliche Ring- furchen, von denen wieder feinere verästigte Seitenfurchen abgehen, alles offenbar Abdrücke der Schleimhaut der Kloake! Durch die Güte meines Kollegen v. Quenstedt hatte ich Gelegenheit, diese meine Ansicht an Koprolithen der hiesigen paläontologischen Sammlung, sowie an solchen, welche Dr. Endlich in größerer Menge aus den von ihm näher studierten Bonebed bei Bebenhausen gesammelt, zu prüfen. Es ergab sich hiebei, dass allerdings die Koprolithen aus dem Bonebed eine ganz überraschende Aehnlichkeit mit den Harnmassen des Pseu- dopus darboten; insbesondere auch, was die Art der Furchenbildung auf der Oberfläche betrifft. Dann musste ich aber hinwieder meinem Kollegen v. Quenstedt zustimmen, wenn er Koprolithen von Fischen der hiesigen Sammlung, z. B. von Macropoma, in hergebrachter Weise als wirkliche Exkrementballen ansah, und ihre in der That durchaus spiralige Furchenbildung von der Spiralklappe des Darms nach wie vor ableitete. Es scheint somit, dass man bisher unter dem Namen Koprolithen verschiedene Bildungen zusammengeworfen hat und zwar 1) wirkliche Kotballen der Fische, mit Spiraltouren versehen und auch von einer Größe, dass sie ganz wohl als Abdruck eines mit Spiralklappe ausgestatteten Darmes gelten können; 2) Harnklumpen oder Harnkonkremente, welche lediglich den Reptilien angehören und auf der Oberfläche nicht eigentliche Spiralgänge, sondern Ringfurchen mit seitlichen Ausläufern zeigen“. 1) A.a. 0. 8. 172. — An einem stattlichen dalmatinischen Exemplar dieses „animal mitissimum“, welches ebenfalls durch die Gefälligkeit des Herrn Dr. Escherich seit fast nahezu zwei Jahren in meinem Besitze ist, kanu ich die Richtigkeit meiner früheren Angaben bestätigen. Und es sei beigefügt, dass das durchaus gesunde Tier bei reichlicher Nahrung — es nimmt täglich ein Stück rohen Rindfleisches zu sich — den großen Harnklumpen ziemlich regel- mäßig in Zwischenräumen von 14 Tagen absetzt. Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 103 Daran reihte ich auch noch einiges Bedenken an über die voraus- gesetzte Spiralklappe im Darm der Ichthyosauren. Meine Ermittelungen über die Harnkonkremente der Saurier sind bisher kaum beachtet worden. Indessen ist dies keineswegs der eigent- liche Grund, warum ich im Augenblick den Gegenstand von Neuem zur Sprache bringe; es geschieht vielmehr aus dem Bedürfnis, ein Versäumnis nachzuholen, welches ich beging, indem ich seiner Zeit keine Ahnung davon hatte, dass ein Vorgänger zu nennen gewesen wäre, welcher schon längst durch einen ähnlichen Gang der Unter- suchung zu gleichen Ergebnissen wie ich gekommen war. Es war der auf dem Gebiete der vergleichenden Anatomie viel erfahrene G. L. Duvernoy, welcher in der Abhandlung: Fragments sur les organes genito-urinaires des reptiles et leurs produits!) einen Abschnitt gibt mit der Ueberschrift: „Sur l’existenee des urolithes fossiles et sur Putilit&E que la science des fossiles organique pourra tirer de leur distinetion d’avec les coprolithes, pour la determination des restes fossiles de Sauriens et d’Ophidiens“. Der genannte Autor behandelt dort in ausführlicher Weise den Unterschied zwischen den Koprolithen („feces alimentaires“) und den Urolithen („feces urinaires“), beschreibt beide nach Form, Farbe und chemischer Beschaffenheit; er geht auch näher auf den Mechanismus ein, durch welchen die Urolithen die Spiralfurchen erhalten. Man erfährt zugleich aus der Abhandlung, dass bereits im Anfang der 30er Jahre des Jahrhunderts Duvernoy an die Straßburger Akademie über seine Beobachtungen berichtet hat, weshalb denn auch wahrscheinlich ist, dass in den mir fremden Schriften der französischen Paläontologen die „Urolithen“ der Reptilien längst ihre Stelle gefunden haben. In der deutschen einschlägigen Litteratur ist das nicht der Fall gewesen; auch besaß keiner der Paläontologen, mit denen ich ‚seither persönlich in Verkehr zu treten Gelegenheit hatte, irgend ein Wissen über fossile Harnballen der Reptilien. [20] Ueber eiweißverdauenden Speichel bei Insektenlarven. Von Dr. Wilibald A. Nagel, Privatdozent der Physiologie in Freiburg i. Br. (Schluss.) Die eiweißlösende Wirkung des Speichels. Der Speichel der Schwimmkäferlarve besitzt noch eine andere interessante Eigenschaft, die mit der eben besprochenen Giftwirkung wahrscheinlich in nahem Zusammenhange steht; er wirkt eiweiß- verdauend. 1) In den Mem. pres. par div. sav, & l’Avademie des sciences, Paris 1851, Tom. 11. 104 Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. Wo ich in der mir zugänglichen Litteratur Notizen über die Er- nährungsweise der Schwimmkäferlarven gefunden habe (— die An- gaben sind sehr spärlich —), heißt es immer, dass diese Tiere der Beute das Blut aussaugen. Es wäre dies auch a priori keineswegs undenkbar; kennen wir doch eine ganze Anzahl von Beispielen gerade aus der Reihe der Insekten, wo nach allgemeiner Annahme ausschließ- lich das anderen Tieren entnommene Blut den Bedarf an Eiweiß- nahrung deckt !'). Die wirkliche Ernährungsweise der Dytiscus- Larve ist hiermit indessen keineswegs in ausreichender Weise gekennzeichnet. Sie saugt den von ihr ergriffenen Tieren nicht nur das Blut, überhaupt die Flüssigkeit aus, sondern sie nimmt den größten Teil ihrer Körper- substanz in sich auf. Sie saugt außer den eiweißhaltigen Flüssigkeiten auch die geformten Eiweißmassen aus, nachdem sie dieselben zuvor durch Wirkung ihres Spei- chels verflüssigt hat. Von Insekten und Spinnen lässt sie fast nichts als die Chitinhülle übrig, von. weich- häutigen Tieren nichts als eine durchsichtige schleim- artige Masse. Die verdauende Wirkung lässt sich auch an Stücken rohen Rind- fleisches konstatieren, doch geht sie hier langsamer und unvollstän- diger von statten. Es bleibt schließlich eine schleimartig aussehende Masse zurück, welche indessen noch Eiweiß und sogar geformte Sub- stanz, Muskelfasern, enthält 2). Ueberraschend schnell wird die Larve mit dem Aussaugen lebend ergriffener Tiere fertig. Nach Verlauf einer Viertelstunde schwimmen von einer Schmeißfliege oder Spinne nur noch die leeren Chitinteile an der Oberfläche, gewöhnlich in mehrere Teile zerpflückt (die Fliege in Kopf, Thorax und Abdomen). Von einigen Spinnen fand ich das vollständige, gänzlich geleerte und durchsichtige Chitingerüst vor. Wie lange Zeit zur vollständigen Verdauung eines gleich großen Indi- viduums der eigenen Art notwendig ist, konnte ich nicht beobachten; 1) Sie sind ja bekannt, diese lästigen Blutsauger, Culex, Tabanus, Floh und Wanzen u. s. w. Auch andere Tierklassen stellen Vertreter; ich erinnere nur an die Blutegel. Ob in allen diesen Fällen wirklich nur Blut gesaugt wird, ist übrigens nicht erwiesen. Möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich ist es, dass auch in diesen Fällen das in der Wunde entleerte Sekret eiweißlösende Wirkung hat. 2) Von Interesse ist, was man namentlich an Tieren mit dünnem Chitin, z.B. manchen Spinnen feststelleu kann, dass nämlich auch der Inhalt der Beine in Lösung übergeht. Das eiweißlösende Sekret dringt also sogar in diese engen Hohlräume ein, während die Zangen selbst in den Cephalothorax ein- geschlagen sind und der Speichel sich in dessen Binnenraum zunächst er- gossen hat. Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 105 es dürfte hiezu über eine Stunde gebraucht werden. Die leeren Häute sehen dann aus wie das bei der Häutung abgestreifte Kleid. Ein wirkliches Kauen ist der Schwimmkäferlarve bei der eigen- tümlichen Beschaffenheit ihrer Mundteile natürlich nicht möglich. Gleichwohl wird bei der Lockerung der zu verdauenden Massen auch mechanisch nachgeholfen. Am deutlichsten ist dies beim Saugen an rohem Rindfleisch; die Zangen wühlen fast ununterbrochen in demsel- ben, die Fühler, Taster und Vorderbeine helfen dabei nach, indem sie das Stück drehen und wenden. Etwas anders ist das Verhalten der Larve gegen ein erbeutetes kleines Insekt, eine Fliege oder dergleichen. Hat sie die Zangen in das Tier eingeschlagen, so flüchtet sie meist damit an einen ihr sicher scheinenden Ort und hält das Opfer nun einige Zeit ganz regungslos fest, ohne dass die später zu beschreibenden Saugbewegungen eintreten. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass die Larve gleich anfangs ihren giftigen Speichel in die Beute entleert und nun zunächst dessen lähmende und tötende Wirkung abwartet. Ist diese eingetreten, so wühlen jetzt die Zangen in dem Leichnam, indem bald die eine, bald die andere tiefer eingebohrt, dann wieder weiter herausgezogen wird. Doch bleiben bei kleinen Tieren die Kiefer stets in der zuerst geschlagenen Wunde in der Chitinhülle. Nur bei großen, namentlich langgestreckten Tieren zieht die Larve, wenn sie einen Teil des Körpers leer gesaugt hat, die Zangen heraus, um sie an einer anderen Stelle wieder einzuschlagen. Auch wenn ein Tier sich heftig sträubt und an dem Biss langsam zu grunde geht, wie dies bei großen Käfern vorkommt, beißt die Larve mehrmals ein und zerrt dabei ihr Opfer durch ihren ganzen Behälter hin und her. Eine eigentümliche Erscheinung, die ich mit großer Regelmäßig- keit wiederkehren sah, ist die folgende. Bekanntlich atmen diese Larven durch Tracheen, welche an der Hinterleibsspitze münden. Von Zeit zu Zeit wird diese Hinterleibsspitze an die Wasseroberfläche ge- bracht und damit der Luftraum der Tracheen mit der Außenluft in Verbindung gebracht. An der Hinterleibsspitze befinden sich zwei (früher als Tracheenkiemen gedeutete) gefiederte Schwimmblättchen (s. Fig. 1), die in Folge ihrer Unbenetzbarkeit dem Wiederunter- tauchen einen gewissen Widerstand entgegensetzen, wenn sie einmal an die Wasseroberfläche gekommen sind. Hierdurch wird es ermög- licht, dass die Larve mit ihrem Hinterende gewissermaßen an der Wasserfläche hängt. Der nach unten hängende Vorderkörper braucht dann nur noch durch eine Wasserpflanze oder dergl. leicht unterstützt zu sein, um eine stabile Lage des Körpers herzustellen. Während nun diese Lage vom nicht-fressenden Tiere verhältnismäßig selten aufgesucht wird und dieses vielmehr oft stundenlang sich auf dem 406 Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. ‘Grunde des Wassers ohne Kontakt mit der Luft aufhält, ist dies an- ders, sowie die Larve Nahrung erhält. Die fressende Larve scheint das intensive Bestreben zu Haben: sich mit dem Hinterende an die Wasserfläche zu hängen, und wenn sie ein erbeutetes Tier zwischen den Zangen hält, ruht sie im all- ‚gemeinen nicht eher, als bis sie jene Stellung erreicht hat. Eine der Larven hielt ich anfangs in einem hohen Becherglase mit Wasserpflanzen und bemerkte bald die hochgradige Unruhe des Tieres, das eine Spinne als Futter erhalten hatte. Die un- ruhigen Bewegungen gingen schließlich, wie deutlich zu sehen war, darauf aus, das Hinterleibsende nach oben an die Wasserfläche zu bringen. Als dies erreicht war, wurde das Tier sofort ruhig und begann nun sein Sauggeschäft. Von da an hielt ich alle Larven in flachen Glasschalen und beobachtete auch hier regelmäßig das Be- ‚streben, beim Fressen die erwähnte Stellung einzunehmen. Um eine bestimmte Orientierung gegen die Richtung der Schwere oder um Entlastung des nicht durch Beine gestützten Hinterleibes konnte es der Larve in diesen Fällen nicht zu thun sein, denn diesen Zwecken wäre auch in mannigfacher anderer Weise zu genügen ge- wesen, da die rankenförmigen Wasserpflanzen den Tieren die Einnahme jeder beliebigen Stellung auch mit Unterstützung des Hinterleibes ge- statteten. Es muss der Kontakt mit der Luft sein, der hier angestrebt wird. Möglicherweise besteht während der Verdauungsthätigkeit ein besonders intensives Atembedürfnis. Nicht ausgeschlossen wäre auch, dass bei dem Saugen die Gefahr des Wassereintrittes in die Tracheen bestände, wenn diese nicht mit der freien Luft kommunizieren. Doch ‘ist über diese Verhältnisse, über die Möglichkeit eines aktiven Ver- schlusses des analen Stigma, meines Wissens nichts bekannt. Es erübrigt noch, einiges über die Eigenschaften des Speichels und über dessen Entleerung zu sagen, wenngleich die beginnende Meta- morphose der Larven mir hier die Möglichkeit einiger noch sehr wünschenswerter Untersuchungen abgeschnitten hat. Die Ergießung des Speichels ließ sich am besten verfolgen, wenn ich die Tiere in passend zurecht geschnittene Stücke hartgekochten Hühnereiweißes beißen ließ. Die Mandibeln drangen mühelos in das- selb ein und bewegten sich darin wühlend hin und her. Schon nach wenigen Sekunden sah man dann aus dem einen der beiden Stich- kanäle den Speichel, den oben erwähnten dunkelgraubraunen Saft, hervorquellen. Die Entleerung ist keine kontinuierliche, sie erfolgt in erhebliehen Zwischenräumen wiederholt und jedesmal wird nur ein Tropfen des Saftes ergossen, offenbar willkürlich. Nie sah ich den Saft aus den Stichkanälen beider Kiefer gleichzeitig quellen, auch Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 107 war kein regelmäßiger Wechsel in der Benützung der beiden Ent- leerungsröhren bemerkbar. Der hervorquellende Saft hat ein hohes spezifisches Gewicht, er sinkt im Wasser schnell unter, mischt sich aber mit demselben leicht. Ließ ich die Larve in meinen Finger beißen, so gelang es, eine kleine Quantität des Sekretes rein zu erhalten. Es schien mir geruchlos. Die Reaktion war neutral, zuweilen vielleicht ganz schwach sauer, nie alkalisch. Da der Speichel, auf möglichst sorgfältig gereinigtem Finger aufgefangen, stets saure Reaktion vermissen ließ, vermute ich, dass die nur vereinzelte Male andeutungsweise auftretende sauere Reaktion auf ungenügend entfernten Schweiß auf der Haut meines Fingers zurückzuführeu sein dürfte. Das normale wäre demnach die neutrale Reaktion. Dies steht in vollkommenem Einklange mit einer Beobachtung von J. Frenzel!) an einer anderen Käferlarve, dem Mehlwurm ( Tenebrio molitor). Das Sekret der Verdauungsdrüsen wird hier nicht nach außen entleert, da der Mehlwurm gewöhnliche kauende Larvenmundteile hat, sondern in den Mitteldarm ergossen. Es ist ebenfalls ohne Wirkung auf Lakmus. Frenzel verschaffte sich eine Lösung des fermenthaltigen Sekretes dadurch, dass er mehrere Därme jener Tiere in Wasser zerrieb. Er versetzte eine bestimmte Quantität dieser fermenthaltigen Flüssigkeit mit Salzsäure, eine andere Portion mit kohlensaurem Natron, und brachte in beide Mischungen eine Fibrinflocke. In alkalischer Lösung wurde verdaut, in saurer nicht. Die Verdauung erfolgte unter den Erschei- nungen der Trypsinwirkung, das Fibrin quoll nicht, sondern zerfiel bröckelig unter schwärzlicher Verfärbung. Ich konnte aus dem angegebenen Grunde leider nicht mehr ge- nügende Mengen von dem Sekrete gewinnen, um derartige künstliche Verdauungsversuche anzustellen; ein einziger, den ich mit einem bloß mit Wasser versetzten, also neutral gelassenen Speicheltropfen anstellte, fiel negativ aus. Was sich aber über die natürliche Verdauung der Dytiseus-Larve beobachten ließ, spricht entschieden dafür, dass hier ein ähnlicher Verdauungsmodus wie bei der Tenebrio-Larve vorliegt, nur dass bei dieser die Verdauung im Mitteldarm, bei jener außerhalb des Mundes erfolgt. Die alkalische Reaktion ist höchst wahrscheinlich auch für die extraorale Eiweilverdauung der Dytiscus-Larve förderlich, wenn nicht gar notwendig, und diese Bedingung wird unter den natürlichen Lebens- bedingungen des Tieres stets erfüllt sein, indem die Körpersäfte der ihnen zur Nahrung dienenden Tiere, so viel bekannt, alkalisch reagieren. Es ist daher nieht notwendig, dass das fermenthaltige Sekret das Alkali 1) J. Frenzel, Ueber Bau und Thätigkeit des Verdauungskanals der Larve von Tenebrio molitor, mit Berücksichtigung anderer Arthropoden. Berliner Entomol, Zeitschrift, Bd. XXVI, 1882, S. 267. 108 Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. selbst liefere. Zweifelhaft kann es sein, ob alkalische Reaktion un- bedingtes Erfordernis ist, da doch auch schwach sauer reagierendes Rindfleisch verdaut wird. Dabei ist allerdings zu bemerken, dass dieses Fleisch entschieden langsamer verdaut wird, als die Eiweißmasse eines lebendigen oder frisch getöteten Tieres. Vor allem ist die Verdauung eine unvollständigere, der zurückbleibende Rest ist weit beträchtlicher als derjenige, welcher in der Chitinhülle eines ausgesaugten Insektes zurückbleibt. Sicher ist, dass die Eiweißsubstanzen bei der Verdauung durch den Speichel nicht quellen, sondern bröckelig zerfallen. In einzelnen Fällen, so z. B. wenn eine Larve die andere aussaugte, war zu be- merken, dass der angebissene Körperteil eine dunkelgraubraune Ver- färbung zeigte, die stärker war, als sie wohl durch die doch immerhin geringe Menge des eingedrungenen Speichels bewirkt worden wäre. Dies würde eine weitere Analogie mit den Beobachtungen Frenzel’s bedeuten können; jedoch habe ich bei Verdauung isolierter Fleisch- stücke ähnliches nicht gesehen. Uebrigens kann eine derartige dunkle Verfärbung auch keineswegs als charakteristisch für die tryptische Verdauung bezeichnet werden. Der Erwähnung wert dürfte es sein, dass reines Fibrin, aus Rinder- blut gewonnen und sehr gut ausgewaschen, von den Larven kein einziges Mal wie ein Nahrungsstoff behandelt wurde. Es wurde wohl angebissen, im übrigen aber wie ein völlig unverdaulicher Stoff, etwa Filtrierpapier behandelt. Darüber, ob das Fibrin für sie überhaupt unverdaulich sei, konnte ich deshalb ein Urteil nicht gewinnen, weil die Larven auf diesen Stoff niemals ihren Speichel ergossen, was sich der Beobachtung nicht hätte entziehen können. Es scheint also das Fehlen jeglichen Geschmacksreizes die Ursache dafür gewesen zu sein, dass die Tiere nicht einmal den Versuch machten, das Fibrin zu ver- flüssigen. Das Hühnereiweiß wirkt, wie erwähnt, anders, es veranlasst Er- gießung des fermenthaltigen Speichels. Trotzdem ist es mir zweifel- haft, ob es durch denselben verdaut wird. Selbst kleine Stücke wurden nämlich niemals gänzlich aufgelöst, ja es war kaum eine Verminderung der Substanz zu bemerken. Das Eiweiß wurde durchwühlt und etwas zerbröckelt, aber stets nach wenigen Minuten wieder verlassen. Ich vermute demnach, dass das gekochte Eiweiß den Geschmacks- sinn der Larven zwar erregte und durch dessen Vermittelung die Er- gießung des Speichels bewirkte, dass es aber durch das Ferment nicht peptonisiert werden konnte; der Geschmacksreiz hatte unterdessen nachgelassen, es trat kein neuer Reiz durch Peptonbildung ein und so gab das Tier die ergebnislose Bemühung auf. Möglich wäre es auch, dass das Hühnereiweiß einen Stoff, der auf den Geschmackssinn der Larve abstoßend wirkt, entweder von vorn- Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 4109 herein enthielte, oder, wahrscheinlicher noch, dass ein solcher bei der Verdauung entstände. Frenzel (l. e.) gibt an, dass den Verdauungssekreten aller In- sekten eine Eigenschaft gemeinsam sei, die sie auch mit dem Pankreas- sekrete der Wirbeltiere teilen, die Eigenschaft nämlich, dass in ihnen nach Ammoniakzusatz sich Krystalle von Tripelphosphat abscheiden. Frenzel bezeichnet dies als Charakteristicum der tryptischen Verdau- ungsfermente. Auf der anderen Seite gibt Basch!) an, dass der reichlich in den Vorderdarm (Munddarm) ergossene Speichel der Küchen- schabe (Blatta orientalis) neben der diastatischen auch eine peptische Wirkung habe, d.h. Eiweiß unter saurer Reaktion peptonisieren könne. Ganz allgemein verbreitet scheint also das tryptische Ferment bei den Insekten nicht zu sein, jedenfalls aber ist es auch keine Besonderheit der Schwimmkäferlarve. Die Sekrete, die bei den verschiedenen Insekten in den Vorder- darm und Mund ergossen werden, sind mannigfaltiger Natur und wohl je nach der Ernährungsweise der Tiere verschieden. Die Bezeichnung „Speichel“, die für diese Sekrete allgemein gebraucht wird, kann in der vergleichenden Physiologie nur mehr die Bedeutung eines in den Mund ergossenen Sekretes haben, über dessen chemische Beschaffen- heit und physiologische Wirksamkeit dagegen nichts aussagen. Analoges bei anderen Gliedertieren. Wenn auch die extraorale Eiweißverdauung der Dytiscus-Larve eine physiologiche Seltenheit darstellt, so steht sie doch keineswegs einzig da, und genaueres Nachforschen dürfte in einer ganzen Reihe von Fällen ähnliches zu Tage fördern. Sehr bekannt ist die Eiweißverdauung außerhalb des Körpers bei den insektenfressenden Pflanzen, wo sie sich nach mehrfachen Angaben unter saurer Reaktion und unter dem Einflusse eines pepsinartigen Fermentes abspielt. ‘ Bei Tieren aber war meines Wissens ähnliches bis jetzt nicht be- kannt. Es wäre nun zu überlegen, ob andere Insekten analoge Er- scheinungen bieten, und da liegt es nahe, an diejenigen Tiere zu denken, welche in Folge der Konfiguration ihrer Mundteile wie die Dytiscus-Larve auf flüssige Nahrung und zwar tierischen Ursprunges, angewiesen sind. Es sind dies außer den nächstverwandten Larven- formen der Dytiseiden (Acilius, Colymbetes, Cybister ete.), die Larven des Ameisenlöwen (Myrmeleon) und der Florfliegen (Chrysopa, He- merobius, überhaupt der Neuroptera planipennia megaloptera), also 4) Basch, Untersuchungen über das chylopoetische und uropoetische System der Blatta orientalis. Sitzungsber. der k. k. Akad. d. Wiss. in Wien. Math.- naturwiss. Klasse, XXXIII. 410 Nagel, Eiweiß verdauender Speichel bei Insektenlarven Tiere, welehe mit der Schwimmkäferlarve in keiner näheren Verwandt- schaft stehen. Es ist nun auch interessant zu sehen, wie diese ana- logen, physiologisch gleichwertigen Mundteile bei den beiden Tier- familien auf ganz ungleiche Weise gebildet sind. Meinert und Dewitz haben in ihren oben erwähnten Arbeiten die Mundteile der Myrmeleon-Larve geschildert. Dieses Tier besitzt ebenfalls zwei spitzige Saugzangen, der Mund, d. h. die Stelle, wo der Kanal der Zangen in das Innere des Kopfes eintritt, ist ebensowenig zu sehen, wie bei der Dytiscus-Larve. Nur wird hier jede Hälfte der Zange aus zwei Stücken gebildet, dem Ober- und Unterkiefer, die beide die gleiche langgestreckte Form haben und zwischen sich den Saugkanal einschließen. Beide Teile sind durch eine „Führung“ derart mit ein- ander verbunden, dass sie nicht leicht sich an einander verschieben können. Trotz der Zusammensetzung der Kanalwände aus zwei Stücken ist damit der Zusammenhalt genügend gesichert. Auch vom Ameisenlöwen sagte man bisher, er nähre sich vom Blute seiner Opfer. Nach der Analogie mit der Dytiscus-Larve darf es wohl als sehr wahrscheinlich gelten, dass auch bei ihm die Beute gründ- licher ausgenützt, d. h. auch das Organeiweiß verflüssigt, peptonisiert, wird. Man findet die vom Ameisenlöwen erbeuteten und ausgesogenen Tiere nachher als leere Chitinhäute in seinem Sandtrichter liegen. Noch eine ganze Klasse von Gliedertieren zeigt Verhältnisse in Bauart der Mundteile und in der Lebensweise, welche es wahrschein- lich machen, dass auch hier extraorale Eiweißverdauung vorkommt; ich meine die Spinnen. Auch sie saugen die Tiere aus, nur die leeren Häute übrig lassend; auch sie wissen, zum Teile wenigstens, durch ihren giftigen Biss ihre Opfer zu lähmen; auch sie entbehren der eigentlichen Kauwerkzeuge, allerdings auch eines derart voll- kommenen Saugapparates, wie ihn die bisher erwähnten Tiere be- sitzen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die räuberischen Spinnen sich mit dem immerhin spärlichen Blut ihrer Beute begnügen sollten; auf der anderen Seite spricht die Gestaltung ihrer Mundteile aufs ent- schiedenste dagegen, dass sie die gefangenen Insekten ausfressen, in der Weise, wie dies die Raubinsekten (Raubkäfer u. dergl.) thun. Ihre Kiefer sind wohl zum Festhalten, nieht aber zum Kauen der Beute geeignet. Viel zweifelhafter ist es, ob bei wirklich kauenden Insekten ein eiweißverdauendes Ferment vor oder während der Aufnahme der Nah- rungsstoffe in den Mund zur Einwirkung auf dieselben _ kommt. In manchen Fällen wird höchst wahrscheinlich den abgebissenen und von den Mandibeln zermahlenen Fleischstückehen innerhalb des Mundes ein eiweißlösendes Sekret zugemischt, welches seine Hauptwirkung aber wohl erst im Darme entfaltet. Bei vielen kauenden Insekten (Schmetterlingsraupen, fleisch- und Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. 111 aasfressenden Käfern, Orthopteren wie Forfieula) sieht man allerdings, dass schon während des Abbeißens und Kauens eine oft reichliche Menge eines Mundsekretes ergossen wird, welches sich der Nahrung. schon vor deren Eintritt in die Mundhöhle zumischt. Selbst wenn je- doch dieses Sekret eiweilverdauende Eigenschaften hat, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ihm eine ähnliche Bedeutung zukommt, wie bei den Larven von Dytiscus und Myrmeleon, d. h. dass das Eiweiß schon außerhalb des Mundes peptonisiert werden muss, um vom Tiere aufgenommen werden zu können. Man findet bei derartigen Raub- insekten noch das Fleisch in Substanz im Vorderdarme vor. Es soll damit nicht gesagt werden, dass extraorale Peptonisierung bei diesen Tieren überhaupt nicht vorkomme. Wenn ein Raubinsekt ein anderes Insekt frisst, sind relativ günstige Bedingungen auch für extraorale Verdauung gegeben. Das Raubtier kann seinen Speichel in den Körper seiner Beute entleeren, und dieser wird hier seine ver- dauende Wirkung sogleich entfalten können, in der Chitinhülle des getöteten Tieres eingeschlossen, wie ein künstliches Verdauungsgemisch im Reagenzglase. ‘Der vergleichenden Physiologie steht hier noch ein weites und interessantes Gebiet offen, auf welchem erst wenige Untersuchungen gemacht sind, immerhin doch genug, um erkennen zu lassen, dass hier mannigfache eigentümliche, von den viel durchforschten Verhältnissen der Wirbeltiere abweichende Verhältnisse obwalten. Besondere Be- achtung verdient auch die Frage, wie die Fettverdauung bei saugenden Raubinsekten vor sich geht. Frenzel fand das Verdauungssekret der Tenebrio-Larve ohne Wirkung auf Fett, dasselbe wurde nicht einmal emulgiert. Da von dem beträchtlichen Fettkörper der Insekten, welche ich meinen Dytiscus-Larven zu fressen gab, nichts übrig blieb, ist die Annahme nicht zu umgehen, dass auch das Fett aufgenommen wurde, wobei zunächst unentschieden bleibt, ob in Seifenform, als Emulsion, oder einfach in der Form, wie es im Fettkörper vorhanden ist, aus welchem es durch gänzliche Auflösung der zelligen Substanz frei werden musste. Mit wenigen Worten sei noch auf das Saugen der Dytiscus-Larve eingegangen. Ich habe über den Mechanismus des Saugens keine Untersuchungen angestellt, bemerke nur, dass der Akt des Saugens wegen der großen Durchsichtigkeit des platten Kopfes der Larve sich einigermaßen beobachten lässt, wenigstens insofern, als man erkennen kann, wann das Tier saugt und wann nicht. Einige Zeit, nachdem die erste Speichelergießung erfolgte, sieht man zweierlei Bewegungen im Kopfe auftreten, erstens Kontraktionen der großen Muskelmasse, welche von der dorsalen Seite des Kopfes entspringt und zweitens (dies dürfte die Hauptsache sein) sieht man in unregelmäßigen Zwischen- räumen in der Mittellinie des Kopfes, da wo er in den Hals übergeht, 4129 Nagel, Eiweißverdauender Speichel bei Insektenlarven. einen dunklen Körper schnell nach vorne und wieder zurück sich bewegen. Diese Bewegung tritt nur ein, wenn das Tier Nahrung zwischen den Zangen hat, und dann regelmäßig. Genauere Untersuchungen über den Mechanismus des Saugens und die Herkunft des verdauenden Saftes hoffe ich in Zukunft vornehmen und mitteilen zu können. In Kürze seien die Resultate der vorstehenden Mitteilung zusammen- gefasst: 1) Die Schwimmkäferlarve saugt den Tieren nicht nur Blut aus, sondern sie vermag deren ganze Eiweißsubstanz in sich aufzu- nehmen. 2) Sie ergießt zu diesem Zwecke ein fermenthaltiges Sekret durch ihre Saugzangen in das auszusaugende Tier, wodurch dessen geformtes Eiweiß verflüssigt, peptonisiert wird. 3) Das Sekret hat giftige Wirkung, es lähmt und tötet die ange- bissenen Tiere in kurzer Zeit. 4) Das Sekret reagiert neutral. Die Verdauung ist eine tryptische, die Eiweißmassen quellen nicht, sondern zerfallen bröckelig. 5) Ebensolche extraorale Eiweißverdauung findet aller Wahrschein- lichkeit nach bei den mit ähnlichen Saugzangen ausgerüsteten Larven einiger Neuropteren (Ameisenlöwe, Florfliegen) statt, ferner bei Spinnen. Nachtrag. Ein bemerkenswerte Analogie zu den hier mitgeteilten Beobach- tungen finde ich im Verhalten des Speichels der Cephalopoden nach einer kürzlich erschienenen kurzen Mitteilung von R. Krause!). Lo Bianco, der Konservator an der zoologischen Station zu Neapel, hatte schon vor langer Zeit die Beobachtung gemacht, dass Octopus die ihm als Futter gereichten Krebse zunächst auf eigentümliche Weise tötet, ehe er sie auffrisst. Krause gelang es, festzustellen, dass er dies mit Hilfe seines giftigen Speichels thut, welcher, Krebsen oder Fröschen injiziert, diese in kurzer Zeit unter Krämpfen, welchen Lähmungen folgen, verenden lässt. Auch darin stimmt der Speichel der Cephalo- poden mit demjenigen der Dytiscus-Larve überein, dass er, wie dieser, Eiweiß zu peptonisieren vermag; ein erheblicher Unterschied aber be- steht insofern, als der Cephalopodenspeichel stark sauer reagiert, während der Insektenlarvenspeichel neutrale Reaktion zeigt. Nicht unerwähnt mag schließlich bleiben, dass auch dem mensch- lichen Speichel nach Beobachtungen von Hüfner, J.Munk undKühne eine, allerdings minimale, eiweißlösende Wirkung zukommt. 4) Die Speicheldrüsen der Cephalopoden. Centralbl. f. Physiol., Bd. IX, Nr, 7, 189. [2] Nusbaum, Huxley’s pädagogische und philosophische Ansichten. 113 Ueber Th. J. Huxley’s pädagogische und philosophische Ansichten im Gebiete der Biologie. Von Jözef Nusbaum, o, ö. Professor in Lemberg. In einem Aufsatze über den verstorbenen Prof. ThomasH. Huxley hat Herr R. Keller!) hauptsächlich die Leistungen dieses berühmten Forschers auf dem Gebiete der Entwicklungslehre hervorgehoben. Huxley zeichnete sich jedoch durch eine derartige Vielseitigkeit aus und beherrschte so weite Wissensgebiete, dass er nicht nur als zoologi- scher Forscher und ais einer der „geistreichsten und unerschrockensten Vorkämpfer der Entwicklungslehre“ bedeutende Verdienste, vielmehr auch durch seine pädagogischen und philosophischen Leistungen einen glänzenden Ruhm sich erworben hat. Zur Ergänzung der interessanten von Herrn Keller skizzierten Silhouette sei es mir gestattet auch über die letzterwähnten Eigenschaften Huxley’s Einiges zu berichten. In einer Reihe von Aufsätzen war Huxley bestrebt, die große pädagogische Bedeutung der Naturwissenschaften zu beweisen, als eines Mittels zur Geistesentwicklung der Jugend und als eines der bedeu- tendsten Förderungsmittel der menschlichen Kultur im Allgemeinen. Wir haben ihm auch vor Allem einen großartigen Schatz von Ge- danken inbezug auf die Reform der biologischen Studien sowohl in den Mittel- wie auch in den Hochschulen zu verdanken. Die von Huxley ausgesprochenen pädagogischen Ansichten hatten eine um so größere Bedeutung, als er selbst seine eigenen Ideen dadurch zu ver- wirklichen suchte, dass er einige berühmte, unvergleichliche biologische Lehrbücher verfasste. Wer von den jüngeren Zoologen hätte nicht in seiner Studienzeit bei den zootomischen Uebungen im Laboratorium an der Hand der „Praktischen Biologie“ Huxley’s gearbeitet, sein Werk über den Krebs und seinen Grundzügen der Anatomie der Wirbellosen und der Wirbeltiere nicht benutzt und seine mit wundervoller Klarheit geschriebene „Physiologie“ nicht gelesen ? Indem er die pädagogische Bedeutung der Naturwissenschaften im Allgemeinen zu bemessen sucht, sagt er: „Die große Eigentümlich- keit des naturwissenschaftlichen Unterrichts, gerade die, in Folge deren er durch keine andere Disziplin ersetzt werden kann, ist die, dass er den Geist in unmittelbare Berührung mit den Thatsachen bringt und in der vollständigsten Form der Induktion übt, nämlich darin, aus den einzelnen Thatsachen, die man durch unmittelbare Beobachtung der Natur kennen gelernt hat, Schlussfolgerungen zu ziehen. .... Die anderen Studien, welche gewöhnlich zum Sehulkursus gehören, dis- 1) Dieses Blatt, Nr. 1, 1896. xXVI 3 414 Nusbaum, Huxley’s pädagogische und philosophische Ansichten. ziplinieren den Geist nicht auf diese Weise. Der mathematische Unter- richt ist fast ganz und gar deduktiv. Der Mathematiker beginnt mit einigen einfachen Annahmen, deren Beweis so offenbar ist, dass sie als selbstverständlich bezeichnet werden, und die übrige Arbeit besteht in feinen Deduktionen, die daraus gezogen werden. Der Sprachunter- richt, jedenfalls derjenige, wie er gewöhnlich erteilt wird, ist von derselben Natur. Autorität und Ueberlieferung bilden das Gegebene und die Geistesoperationen des Schülers sind deduktiv. Sei Geschichte der Gegenstand des Studiums, so werden doch die Thatsachen auf die Beweiskraft der Autorität und Ueberlieferung hin angenommen“. — In den genannten Lehrgebieten kommt man mit den natürlichen That- sachen nicht in direkte Berührung, hier gibt es keine Befreiung von der Autorität, vielmehr ruht man auf ihr. In allen diesen Beziehungen, unterscheidet sich, wie Huxley mit Recht hervorhebt, die Naturwissen- schaft von allen anderen Unterrichtsfächern und bereitet den Schüler für das praktische Leben vor. Was haben wir denn — fragt Huxley — im täglichen Leben zu thun? Der größte Teil unserer Thätigkeit be- zieht sich auf Thatsächliches und dieses will in erster Linie richtig beobachtet und begriffen, in zweiter Linie durch induktives und deduk- tives Denken erklärt sein — und dieses ist seiner Natur nach dem in der Naturwissenschaft angewandten durchaus ähnlich. Damit aber der naturwissenschaftliche Unterricht all diejenigen Vorteile gäbe, die er thatsächlich geben kann, muss er notwendiger Weise real sein, d. h. es muss der Schüler Alles mit eigenen Sinnen erkennen, der Natur unmittelbar begegnen und die wahren Thatsachen aus erster Hand empfangen. Von außerordentlieber Wichtigkeit waren die Vorschläge Huxley’s, betr. der Universitätsstudien der Biologie und namentlich der Zoologie. Das Hauptgewicht legte Huxley immer darauf, dass den Studenten die Thatsachen zwar in kleinerer Anzahl, dafür jedoch in gründlicherer Behandlung dargelegt werden. Als wesentliche Bedingung des vorteil- haften zoologischen Studiums fasste Huxley das möglichst gründ- liche Durcharbeiten gewisser typischer Repräsentanten des Tierreichs im Laboratorum der Anatomie und die Anknüpfung allgemeiner Gesetz- mäßigkeiten an die selbständig praktisch vom Studierenden errungene Thatsachensammlung. Das für den Studenten wesentliche — sagt Huxley — ist die Kenntnis der Thatsachen der Morphologie und er sollte stets bedenken, dass Verallgemeinerungen leere Formen sind, so lange er nicht in seiner persönlichen Erfahrung Etwas besitzt, was den Worten, in denen die Verallgemeinerungen ausgedrückt sind, Wesen und Inhalt verleiht. In der Vorrede zu den „Grundzügen der Anat. der wirbellosen Tiere“ behauptet Huxley mit Recht, dass durch ana- tomische Zerlegung eines einzelnen Vertreters jeder der Hauptabtei- lungen des Tierreichs der Student eine gründlichere Kenntnis ihrer Nusbaum, Huxley’s pädagogische und philosophische Ansichten. 445 vergleichenden Anatomie sich aneignen wird, als wenn er noch so fleißig in diesem oder einem anderen Buche liest. In diesen „Grund- zügen“ hat er deshalb das praktische Studium dadureh zu erleichtern gesucht, dass er bei den komplizierteren Typen eine ausführliche Be- schreibung von einzelnen Formen gegeben hat. Dasselbe Ziel ver- folgte Huxley in seiner „Praktischen Biologie“, in seinem Werke über den Krebs u. dergl. Es erschienen zwar nach Veröffentlichung der Huxley’schen Arbeiten in der zoologischen Litteratur auch viele andere Werke, deren Aufgabe war, die praktische Gewinnung z00t0- mischer Kenntnisse im Laboratorium zu erleichtern, es unterliegt je- doch keinem Zweifel, dass der verdienstvollste Verteidiger, wenn nicht ursprünglicher Schöpfer, dieser außerordentlich fruchtbaren Methode Huxley war, dessen grundlegende diesbezügliche Arbeiten den Anderen als Muster galten. Huxley hat jedoch immer die zootomischen Studien als Mittel zum Zweck betrachtet und hat auf Schritt und Tritt die große Bedeutung wissenschaftlicher Verallgemeinerungen mit Nachdruck hervorgehoben. Die selbständige Erkenntnis biologischer Thatsachen, das Aufgeben des blinden Glaubens an Autoritäten nnd das „wissenschaftliche Denken“ — dies sind die drei wichtigsten Be- dingungen der in Wahrheit wissenschaftlichen biologischen Universi- tätsstudien. „Die große Hauptsache ist die — sagt der englische Forscher — der Belehrung einen realen und praktischen Erfolg da- durch zu geben, dass man die Aufmerksamkeit des Schülers auf ein- zelne Thatsachen fixiert, aber zugleich die Belehrung weit und um- fassend macht, dadurch, dass man sich beständig auf die allgemeinen Gesetze zurückbezieht, zu denen alle einzelnen Thatsachen nur die Illustrationen bilden“. Interessant sind Huxley’s Bemerkungen inbetreff der Universitäts- vorlesungen. Je besser, meint mit Recht Huxley, ein Vortrag als rein oratorische Leistung ist, um so schlechter ist er als Lehrvortrag. Denn der Redefluss reisst fort, ohne dass man seine Aufmerksamkeit genau auf den Sinn der Worte heftete; man überhört ein Wort oder einen Satz, man versteht einen Augenblick nicht genau den Sinn, und während man selbst noch bestrebt ist, sich zu verbessern, ist der Redner schon zu etwas Neuem übergegangen. „Die von mir — sagt Huxley — seit vielen Jahren für den akademischen Vortrag ange- nommene Methode besteht darin, den Inhalt eines Vortrages in einige trockene Sätze verdichtet zusammenzufassen, die langsam gelesen und diktiert werden“. Meiner Meinung nach ist es noch vorteilhafter, solche Sätze vor dem Anfange des Vortrages an einer Schultafel niederzu- schreiben. „Auf die Vorlesung — sagt nun weiter der englische Natur- forscher — eines jeden, folgt dann ein freier, die Sätze entwickelnder und illustrierender Kommentar, worin die Ausdrücke erklärt und durch S# 416 Nusbaum, Huxley’s pädagogische und philosophische Ansichten. rohe, unter der Hand des Vortragenden entstehende Zeichnungen alle auf diesem Wege überhaupt zu beseitigenden Schwierig- keiten aus dem Wege geräumt werden. Auf diese Weise versichert man sich jedenfalls bis zu einem gewissen Grade der Mitarbeit des Studenten. Ganz leer kann er dem Hörsaal nicht verlassen, wenn er zum Niederschreiben einiger Sätze gezwungen ist“. „Was für Bücher soll ich lesen?“ ist eine Frage, die dem Lehrer beständig von Stu- denten vorgelegt wird. Meine gewöhnliche Antwort — sagt Huxley — ist: „Gar keine! schreiben Sie Ihre Bemerkungen ausführlich und sorg- fältig nieder; suchen Sie dieselben gründlich zu verstehen; haben Sie etwas nicht verstanden, so bitten Sie mich um Erklärung; denn es wäre mir lieber, Sie zerstreuten sich nicht durch Lesen“. „Ein richtig zu- sammengesetzter Kursus von Vorlesungen sollte gerade soviel Material enthalten, als ein Student in der den Vorlesungen gewidmeten Zeit assimilieren kann, und der Lehrer sollte sich stets vor Augen halten, dass es seine Aufgabe ist, den Geist zu nähren, nicht aber ihn voll- zustopfen“. Diese Ansichten des ausgezeichneten Universitätslehrers sind ohne Zweifel sehr zutreffend und gründen sich auf einer tiefen Kenntnis der Psychologie der Studierenden. In seinen Schriften spricht Huxley sehr häufig für die Anwen- dung wissenschaftlicher Methoden in verschiedenen Forschungsgebieten und geht immer von dem Grundsatz aus, dass die Feststellung natur- wissenschaftlicher 'Thatsachen nur die erste Stufe der wissenschaft- lichen Untersuchung bildet. Er trat auch immer gegen die zu enge Spezialisierung bei den Naturforschern auf, und seine diesbezüglichen Ermahnungen sind um so wichtiger, als heutzutage der immer noch außerordentlich wachsende Umfang des Wissens thatsächlich einen negativen Einfluss auf die Geister vieler Spezialforscher ausübt, die durch die kleinlichen Ziele nicht nur eines gewissen Teiles der Wissenschaft, sondern eines un- bedeutenden Zweiges eines solchen absorbiert, die großen und allge- meinen Ziele der Wissenschaft aus dem Auge ganz und gar verlieren und die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Zweige der Na- turwissenschaft vollkommen verkennen. Huxley war auch einer der eifrigsten Anhänger einer Versöhnung der Philosophie und Naturwissenschaft, die so oft einander feindlich gegenübertreten. Nur durch diese Versöhnung könnte, seiner Meinung nach, sowohl die eine wie auch die andere der begangenen funda- mentalen Fehler sich bewusst werden. Sein philosophisches „Credo“ spricht Huxley in seinem berühmten Aufsatz über Descartes’ Ab- handlung „Ueber die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung“ und namentlich in folgen- den Worten aus: „Ich glaube mit den Materialisten, dass der mensch- liche Körper, wie alle lebenden Körper, eine Maschine ist, dessen Nusbaum, Huxley’s pädagogische und philosophische Ansichten. 147 Prozesse früher oder später nach mechanischen Prinzipien sich er- klären werden. Ich glaube, dass wir früher oder später auch zu einem mechanischen Aequivalent für das Bewusstsein gelangen werden, genau so, wie wir zu einem für die Wärme gekommen sind. Wenn ein Pfundgewicht, das einen Fuß hoch niederfällt, ein bestimmtes Quantum Wärme erzeugt, welches mit Recht sein Aequivalent genannt wird, so erzeugt auch dasselbe Pfundgewicht, wenn es auf die Hand eines Menschen einen Fuß herabfällt, ein bestimmtes Quantum Em- pfindung, welches mit gleichem Rechte sein Bewusstseinsäquivalent genannt werden kann. Und da wir bereits wissen, dass es ein gewisses Verhältnis zwischen der Intensität eines Schmerzes und der Stärke der Begierde, ihn loszuwerden, gibt, und dass zweitens ein gewisses Verhältnis zwischen der Intensität der Wärme oder der mechanischen Gewalt, welche den Schmerz erzeugte, und dem Schmerze selbst be- steht, so wird es klar, dass eine Möglichkeit gegeben ist, zwischen der mechanischen Kraft und dem Willen eine Beziehung herzustellen.“ Bis zu diesem Punkte geht Huxley mit den Materialisten zusammen. Er sagt aber weiter: „Wenn aber die Materialisten über die Schranken ihres Pfades hinausschweifen und zu schwatzen beginnen, dass es im Weltall nichts weiter gebe, als Kraft und Stoff und not- wendige Gesetze... so kann ich ihnen nicht mehr folgen“. Denn es ist ja eine unbestreitbare Wahrheit, dass das, was wir die materielle Welt nennen, uns nur unter den Formen der idealen Welt bekannt ist und, wie es schon Descartes sagte, unsere Kenntnis von der Seele ist unmittelbarer und gewisser als unsere Kenntnis vom Körper. „Wenn ich sage, Undurchdringlichkeit ist eine Eigenschaft der Materie, so ist Alles, was ich hier wirklich meinen kann, dies, dass die Vorstellung, welche ich Ausdehnung nenne, und die Vorstellung, welche ich Wider- stand nenne, beständig zusammen auftreten. Warum, und wie sie in diesem Verhältnis stehen, in ein Geheimnis“. Die Versöhnung der Philosophie und Naturwissenschaft liegt nach Huxley’s Meinung darin, dass einerseits die Naturwissenschaft zugibt, dass alle Naturerscheinungen, wenn wir sie bis in ihre letzten Bestand- teile auflösen, uns nur als Thatsachen des Bewusstseins bekannt sind, dass andrerseits die Philosophie eingesteht, dass die Thatsachen des Bewusstseins praktisch nur durch die Methoden und Formeln der Natur- wissenschaft zu erklären sind und schließlich darin, dass sowohl der Philosoph als auch der Naturforscher Descartes’ Maxime beobachtet: „stimme keinem Satze bei, dessen Inhalt nicht so klar und deutlich ist, dass jeder Zweifel unmöglich ist“. — [40] 118 Emery, Bauinstinkt der Spinnen. Ueber den Bauinstinkt der Spinnen. Woldemar Wagner, L’industrie des Araneina. Description syste- ınatique des constructions des Araignees de la r&gion mediane de la Russie (prineipalement de leur retraite, des nids et des cocons). Classification des Araignees d’apres les particularit&s de leur industrie et sa valeur pour la phylog£nie de cette classe. La nature de l’activit& psychique des Araignees dans le choix de l’emplacement, des materiaux et de l’architeeture pour leurs constructions. Fluetuations, d&viations et variations des instincts. La marche du de&veloppement progressif des instincts nidificateurs et les facteurs qui d&terminent sa direction generale. — in: M&moires de !’Acad. imp. des sciences de St. Petersbourg (7), Tome XLII, Nr. 11, 1894, 270 p., 10 pl, Der lange Titel gibt genügend an, was die betreffende umfangreiche Arbeit enthält. Dieser Inhalt ist zum großen Teil sehr speziell und nur für eigentliche Arachnologen von Interesse. Aber an die Einzelbeobach- tungen knüpft Verf. Betrachtungen über Tierpsychologie im Allgemeinen und über Entstehung und Veränderung der Instinkte, welche die Aufmerk- samkeit jedes Biologen beanspruchen dürfen. Die meisten Menschen und sogar geistreiche und rühmlichst bekannte Naturforscher verfallen gar oft in den Fehler, die Handlungen der Tiere nach demselben Standpunkt zu betrachten und zu beurteilen, als wie menschliche Handlungen. Diesem Anthropomorphismus verdanken wir die vielen übertriebenen Schilderungen der Intelligenz der Tiere, wobei zweck- mäßige Handlungen als zielbewusste und intelligente beschrieben werden, während sie ihre Entstehung nur einem blinden Triebe, d. h. dem Instinkt verdanken. Jener falschen Methode, die er als „subjektive“ bezeichnet, tritt Verf. entgegen, indem er die mannigfachen Thatsachen, die er im Gebiet der Gespinnstindustrie der Araneiden gesammelt hat, möglichst „objektiv“ zu behandeln strebt; er vergleicht dieselben im Licht der Descendenztheorie mit einander und sucht ihre Entstehung und Veränderung durch Naturauslese zu erklären. Wirklich intelligente, d. h. auf Grund von persönlicher Erfahrung, oder Nachahmung begründete Handlungen sind im Leben der Spinnen nicht nachgewiesen worden. Wenn Abweich- ungen in der Bauart einer Spinne als Beweis einer willkürlichen Anpassung an besondere Verhältnisse angenommen wurden, so geschah es immer in Folge zu flüchtiger Beobachtung, bei welcher die augenfällige Erscheinung allein, der intime Vorgang und seine Beziehungen zu den äußeren Um- ständen aber nicht genügend untersucht wurden. Diese Flüchtigkeit und Öberflächlichkeit der meisten bis jetzt veröffentlichten Beobachtungen und Beschreibungen tritt jedem Versuch der Vergleichung und der Verwertung zu allgemeineren Schlüssen hemmend entgegen. Letzteres gilt zunächst für die Beziehungen der Baukunst der Spinnen zum System. Eine oberflächliche Kenntnis derselben scheint zu zeigen, dass ähnliche Bauten bei systematisch und phyletisch weit auseinander stehenden Formen gebildet werden und umgekehrt sehr unähnliche Bil- dungen bei nahe verwandten Formen. Bei genauerem Studium ergeben sich für jede natürliche Gruppe gemeinsame Züge in der Baukunst, welche, in den Unterabteilungen derselben — ja bei den Arten einer Gattung — große Unterschiede zulassen. Aber im Ganzen stimmt das derart auf Emery, Bauinstinkt der Spinnen. 119 biologischer Grundlage entworfene System gut mit dem auf morphologische Merkmale begründeten überein. — Jede Gruppe bildet für sich eine phyletische Reihe in der Baukunst; sie lässt primitivere und vollkommnere Stadien jener Industrie erkennen und die Vervollkommnung lässt sich hier in der Struktur des Eiercocons, dort im Bau des den Cocon umgebenden Nestes oder in dessen Schutzmitteln u. dergl. erkennen. Wir wollen nun die Bauthätigkeit der Spinnen in ihren Einzelheiten dem Verf. folgend genauer betrachten. Zunächst muss die Spinne einen Ort zu ihrem Bau auswählen. Thut sie das in Folge intelligenter Er- wägung der lokalen Verhältnisse? lässt sie sich, wie Delboeuf sagt, durch dieselben Betrachtungen führen, wie ein Landwirt, welcher den Ort für seine Wohnung bestimmt? Mehrere Faktoren bestimmen diese Wahl: Meistens baut die Spinne ihr Nest auf ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort, d. h. auf ihrem Jagdrevier; nur wenige wandern zur Zeit der Eierablage instinktmäßig nach verschiedenen Orten. Dann muss der zu wählende Ort eine für die Form der Nestbasis passende Fläche darbieten: sonst kann das Nest nicht in der gewohnten Form angelegt werden. Dieses wird von jungen und noch ganz unerfahrenen Weibchen genau so wie von alten gethan: geschieht also ganz instinktmäßig. Ist eine solche Fläche nicht vorhanden, so kann die Spinne sterben ohne ihre Eier abzulegen: so geschah es z. B. den Weibchen von Sparassus virescens, welche in Glasröhren eingesperrt waren. Diese Wahl des Ortes betrifft nur die für die erste Anlage nötigen Bedingungen; ist der Ort für den weiteren Bau ungünstig, so wird die Spinne dadurch gezwungen, dessen Form zu ändern, was aber nicht als ein Beweis einer intelligenten Anpassung, son- dern nur als eine Folge der unintelligenten Wahl der Baustelle betrachtet werden muss. Weiter wirken in der Wahl der Baustelle die Organisations- verhältnisse der Spinne und der Einfluss des Lichtes, indem gewisse Arten sonnige Stellen, audere beschattete oder sogar dunkle bevorzugen. Abgesehen von der Seide, die jede Spinne nur in einer bestimmten Sorte produzieren kann, brauchen manche Spinnen zu ihrem Nestbau noch andere, ihrem Organismus fremde Materialien, welche sie zu dem Zweck aufsuchen müssen. Es lässt sich nun fragen, ob sie bei diesen Hand- lungen durch Intelligenz geleitet werden oder nur einem fatalen Instinkt folgen. — Agroeca Haglundi, einer der geschicktesten Baukünstler unter den Spinnen, bedeckt ihr Nest mit eingesponnenen Erdpartikeln. Letztere mögen verschieden gefärbt sein, aber dieses hängt nicht von einer will- kürlichen Auswahl von Seiten der Spinne ab, sondern sie sammelt immer nur gerade jene Sorte von Erde, welche unmittelbar unter ihrem Nest vorkommt, indem sie sich an einem Faden auf den Boden herunterlässt. Intelligenz braucht hier ebensowenig wie bei anderen Arten des Nestbaues thätig zu sein. Instinkt reicht zur Erklärung vollkommen aus. Nun kommen aber auch Abweichungen von der gewöhnlichen Bauart vor, und diese sind verschiedener Natur. — Oft ist das bauende Tier genötigt, seine Bauart zu ändern, indem es auf Hindernisse stößt. So gräbt eine gefangene Tarantel (Trochosa singoriensis) ihre Röhre senkrecht in die Erde bis auf den Boden des Gefäßes, in welchem sie gehalten wird, setzt dieselbe nun wagerecht dem Boden entlang fort; dazu braucht sie sich den Fall nicht zu überlegen, sondern sie thut nicht anders, als 120 Emery, Bauinstinkt der Spinnen. wenn sie im Freien einem Stein oder einer Baumwurzel begegnet und, um das Hindernis zu überwinden ihre Röhre dessen Oberfläche folgend fortsetzt. — Aber auch im Freien bieten die Löcher der Tarantel, ohne dass Hindernisse die Schuld daran tragen Variationen dar. Sie sind z. B. im Sommer nicht alle gleich tief. Verfasser hat es festgestellt, dass solche Schwankungen weder von den Eigenschaften des Bodens, noch vom Alter oder Größe der Spinne abhängen. Dass die Tarantel im Stande ist, viel tiefere Löcher zu graben, beweist die etwa dreifache Länge der zum Ueber- wintern gegrabenen Röhren. Die Tiefenunterschiede der 'Tarantellöcher können also nur durch Schwankungen des Instinktes erklärt werden. Ebensolche Schwankungen bieten die Bauten anderer Spinnen dar; so die Länge des Stieles, an welchem das Nest der Agroeca Haglundı hängt, oder die Länge der Seidenröhre von Agelena labyrinthica u. a. m. Diesen als Schwankungen des Instinktes zu bezeichnenden Varia- tionen kommen andere viel seltenere hinzu, welche Verf. Abweichungen nennt. Letzterer Name ist dem von Romanes gebrauchten Wort „Fehler des Instinktes“ vorzuziehen. — Solche Abweichungen können sowohl den Ort, wie die Baustoffe und die Architektur der Bauten betreffen. So beobachtete Me Cook einmal bei Epeira triaranea 2 Cocons in der Nest- kammer, während diese Spinne ihre Cocons sonst in der Nähe des Nestes, aber nicht in der Kammer aufhängt. — Bei Agroeca Haglundi beobachtete Verf. mehrfach eine unvollkommene Erdbedeckung des Nestes; da es aber möglich ist, dass die Spinne an der Vollendung ihres Werkes gehindert worden sei, so ist darauf kein besonderer Wert zu legen; aber zweimal fand er je ein Paar sehr merkwürdiger Abweichungen: Einmal waren die zwei Nester von normaler Form, aber ihr seidener Stiel war nicht von Erde bedeckt und fiel durch seine weiße Farbe auf. Am anderen Paar war der Erdeüberzug normal, aber die Nester waren ohne Stiel am Zweig befestigt. Die gleiche Struktur beider Nester jedes Paares lässt annehmen, dass die Abweichung in einer individuellen Verschiedenheit des Instinktes ihren Grund hatte, und dass die betreffende Spinne alle ihre Nester in derselben abweichenden Weise gebaut hätte. Selten benutzt dieselbe Art, statt der Erde, Stücke von Blättern oder Baumrinde zur Bedeckung ihres Nestes: die Vergleichung mit A. brunnea und anderen Arten der Gattung, sowie mit den Bauten der Agelenidae lässt in den eben erwähnten Nestern Fälle von Atavismus erkennen. — Die 'Thomisiden spinnen in der Wand ihrer Nester niemals Fremdkörper ein und entfernen solche, wenn sie darauf fallen, sorgfältig: sehr merkwürdig war darum der einmal be- obachtete Fall von Einschaltung eines trockenen Blattes in einem solchen Neste: dieser Fall könnte als eine progressive Abweichung des Instinktes betrachtet werden. — Sehr wahrscheinlich sind solche individuelle Ab- weichungen des Instinktes erblich und können mit Hilfe der natürlichen Zuchtwahl zu dauernden Veränderungen des spezifischen Instinktes führen. Sie dürfen aber nicht verwechselt werden mit allerlei Abweichungen, welche besonders bei in Gefangenschaft arbeitenden Spinnen beobachtet werden und von welchen Verf. auf Grund einer sorgfältigen Analyse nachweist, dass sie nur durch Einwirkung besonderer äußerer Bedingungen entstanden sind, ohne dass die betreffende Spinne anders als ihrem gewöhnlichen Instinkt gemäß zu handeln gebraucht habe. So u. a. das bekannte Bei- Emery, Bauinstinkt der Spinnen. 121 spiel von Argyroneta, die in einem pflanzenlosen Aquarium ihre Glocke mittels Fäden an den Glaswänden aufhängt; jene Fäden sind nichts anders als die Fäden, welche die Wasserspinne überall auf ihrem Wege zurück- lässt; sie sind auch in reichlich mit Pflanzen versehenen Aquarien in großer Zahl vorhanden; sie wurden also im pflanzenlosen Aquarium nicht etwa zum Zwecke gezogen, die Glocke festzuhalten, sondern dazu benutzt, weil keine bessere Stütze vorhanden war. Es wurde mehrfach versucht, die Mutterpflege der Spinnen zu der größeren oder geringeren Vollkommenheit des Baues ihres Cocons im Ver- hältnis zu bringen. Leider mit geringem Erfolg, insofern letzterer ein- seitig betrachtet wurde; der Cocon darf nicht nur in seiner Struktur, und auch nicht vom ganzen Nestbau gesondert in Betracht kommen. Als Ausgangspunkt muss eine Form angenommen werden, in welcher das Weibchen einen umfangreichen mit vielen Eiern gefüllten Cocon mit sich trägt, denn eine sehr ausgebildete Brutpflege ist wohl für die Araneiden ein uraltes Erbstück, welches ihnen von ihren arthrogastren Ahnen über- liefert wurde. Das Mitschleppen eines solchen Cocons, besonders wenn er zur Zeit des Ausschlüpfens der Jungen schlaffer und größer wird, ist der Mutter sehr hinderlich: sie kann dabei wenig laufen und sich schlecht ernähren: ihre ganze Thätigkeit ist der Brut gewidmet, was aber der Mutter selbst schadet. Jede Veränderung der Brutpflege, welche entweder direkt die Sicherheit der Brut gegen ihre Feinde erhöhen, oder ohne die- selbe zu vermindern der Mutter nutzen mag, wird für die Species nütz- lich gewesen und deswegen von der natürlichen Zuchtwahl bevorzugt wor- den sein. — Wir können mit Verf. 3 Reihen unterscheiden. A. Spinnen, welche nicht nur die Eier hüten, sondern auch die junge Brut ernähren. Die eben ausgeschlüpfte Brut ist schwach und hat andere Instinkte als die der erwachsenen Spinnen. Bei diesen Spinnen (Sitigradae und Laterigradae) können 2 phyletische Reihen erkannt werden. In der einen bleibt der Cocon groß, aber die Spinne gräbt sich einen mehr oder minder tiefen unterirdischen Bau, der bei Tarentula opifex sogar mit einem beweglichen Deckel versehen wird und legt den Cocon in den Bau, dessen Oeffnung bewachend. In der anderen Reihe trägt die Mutter den Cocon mit sich; dieser wird kleiner angelegt, enthält eine geringere Zahl Eier, was aber der Vermehrung der Art nicht schadet, denn die Mutter ist durch den kleinen Cocon an ihren Bewegungen wenig gehindert, kann sich gut ernähren und legt während des Jahres mehrere Male nach einander wie- der Eier. B. Spinnen, welche die Eier hüten, aber sich um die ausgeschlüpfte Brut nicht kümmern (Drassidae, Thomisidae, Philodromidae u. a.). Auch hier gehen wir von einer baulosen Grundform aus, von welcher ab 2 Reihen sich aufstellen lassen. In der einen baut sich das Weibchen eine mehr oder weniger vollkommene Wohnung, in welcher der Cocon aufgehängt wird. Bei Agelena wird um den Cocon noch eine besondere Hülle gebaut, welche mit Fremdkörpern verstärkt wird. Agroeca baut eine solche Hülle um den Cocon außerhalb ihrer Wohnung und bewacht das Nest nicht mehr. In der anderen Reihe baut die Mutter einen geschlossenen Sack, in welchem sie ihren Cocon hütend verbleibt (Drassus, Olubiona). C. Spinnen, welche weder die Eier noch die Brut hüten (T’heridüdae). In einer Reihe dieser Gruppe wird um den bei primitiveren Formen nackten 122 Rywosch, Zur Biologie der Tardigraden. Cocon ein mehr oder minder vollkommenes Schutzdach gebaut, in dessen Nähe : sich die Mutter aufhält. In einer anderen Reihe wird die Wand des Cocons selbst fester gesponnen und sogar durch Fremdkörper verstärkt oder bei Ero an einem fadenförmigen Stiel aufgehängt. Also bietet uns der Instinkt des Nestbaues bei den Araneiden lange Reihen stufenweise vollkommnerer Formen. Zur Leitung der progressiven Entwicklung desselben wirken einerseits die Interessen der unmittelbaren Nachkommenschaft, andrerseits diejenigen des mütterlichen Individuums selbst, welche oft sich gegenüber stehen und durch die Naturauslese zum Besten der Art geregelt werden. Dieses geschieht aber in verschiedener Weise je nach den ungleichen Beziehungen der Mutter zur Brut. Die Sorge für die Brut ist aber durchaus instinktiv; erreicht der Instinkt des Nestbaues eine gewisse Vollkommenheit, so überlässt die Mutter die Brut ihrem Schicksal, ohne sich weiter darum zu bekümmern, dieses natürlich abgesehen von einzelnen Fällen, in welchen in Folge gewisser Eigentüm- lichkeiten des Nestbaues die Anwesenheit der Mutter nötig bleibt. Die Vervollkommnung des Nestbaues führt also zum Resultat den mütterlichen Schutz unnötig zu machen, was der Mutter nicht minder als der Brut zu nutzen kommt, indem erstere dadurch ihren Nahrungserwerb ungestört weiter treiben kann, Die systematisch-phylogenetischen Anschauungen des Verf. zu be- urteilen, muss ich als Referent, wegen zu ungenügender Kenntnis des Specialfaches, mich enthalten. Ich muss mich aber dem Verf. entschieden anschließen in der Verwerfung der üblichen Tendenz, die Handlungen der Tiere ohne genügende Gründe als auf intelligente Erwägung und auf Ver- folgung eines bewussten Zweckes beruhend zu beurteilen. Alles was nicht auf persönliche Erfahrung des Tieres beruht, muss als instinktsmäßig be- trachtet werden; ob die Spinnen durch Erfahrung belehrt werden können, kann nicht a priori geleugnet werden, aber für die wichtigsten Handlungen ihres Lebens, also besonders für alles, was die Baukunst und die Brutpflege betrifft, sind die Spinnen genügend mit Instinkt versehen um der persön- lichen Belehrung zu entbehren. Ihre Intelligenz, deren Vorhandensein ich doch nicht ganz in Abrede stellen möchte, ist jedenfalls eine äußerst geringe. Besonders wichtig finde ich auch die vom Verf. nachgewiesenen Schwankungen und Abweichungen des Instinktes: sie werfen etwas Licht auf die dunkle Frage der Entstehung und Veränderung der Instinkte, und zwar zeigen sie, wie solche Veränderungen nicht etwa durch Vererbung von fixierten intelligenten Handlungen, sondern durch Vererbung von -an- gebornen (blastogenen) Variationen des Instinktes selbst ihren Ursprung gehabt haben müssen. C. Emery (Bologna). [8] Zur Biologie der Tardigraden. In Betreff einiger Momente in der Arbeit des Herrn R. v. Erlanger „Zur Morphol. und Embryo]. eines Tardigraden“ (Biol. Centralbl., Bd. XV, Nr. 21) möchte ich mir einige Berichtigungen erlauben. — Auf die 'That- sache, dass „entgegengesetzt dem Verhalten der landlebenden Tardigraden Männchen fast ebenso häufig, wie Weibehen (bei Macrob. maeronyx) auf- treten“, machte ich schon im Jahre 1889 (Einige Beobachtungen an Tardi- Nuttallu. Thierfelder, Tierisches Leben ohne Bakterien im Verdauungskanal. 193 graden, Sitzber. d. Dorpater Naturf.-Vereins) aufmerksam. Ich muss aber hinzufügen, dass dieses Verhalten nur in den ersten Frühlingsmonaten zu konstatieren ist, dagegen fällt es schwer in den Sommermonaten Männchen von Macrob. maerony& anzutreffen. Andererseits gelang es mir in diesem Jahre in Moosen, die ich in März und April gesammelt habe, viel öfter Männchen von Macrob. Hufelandii zu finden, als in den Moosen, die im Sommer oder im Winter gesammelt wurden. Die Männchen von Macrob. maecrony& sind zu erkennen, außer nach dem Gehalt ihrer Geschlechts- drüse und ihrer Kleinheit, an einem eigentümlichen Häkchen an den vordern Fußstummeln: neben der drei normalen findet sich ein kleineres, welches stärker als die andern gekrümmt ist und an seiner konvexen Seite einen kleinen Vorsprung besitzt (Einige Beobachtungen u. s. w.). Auch die Thatsache, dass Macrob. macrony&c „nach Austrocknen nicht wieder auflebt“ findet sich in meiner erwähnten Mitteilung von 1889: „die Wasserform, Macrob. macrony& auf dem Objektträger eingetrocknet, ist rettungslos tot“. Die andern 'Tardigraden, die im Moose leben, erwiesen sich, wie bekanntlich, sehr resistent: nach 4tägigen Stehen im Exsiccator lebten sie alle (Macrob. Hufeland., Macrob. Oberhäus., Milnesium tardı- gradum wie auch die Philodinäen und Nematoden, die mit auf den Ob- jektträger gerieten) nach Befeuchtung auf. Umgekehrt konnte ich be- obachten, dass wenigstens die Tardigraden des Mooses in Wasser nicht lange aushalten. Und dieses Verhalten äußerten Tardigraden, die aus frischem, noch feuchtem Moose genommen wurden, wie diejenigen, die aus altem, lange in trocknem Zustande gewesenen. Das scheint mir gegen die Behauptung von Plate zu sprechen, dass Wasser das Lebenselement der Tardigraden (der Moose) wäre: Feuchtigkeit allerdings, nicht aber Wasser. Dr. Rywosch (Riga). [21| Nuttall und Thierfelder, Tierisches Leben ohne Bakterien im Verdauungskanal. Hoppe-Seyler’sche Zeitschrift für physiolog. Chemie, Bd. XXI, Heft? u. 3, S. 109 ff. Mit Rücksicht auf die 'Thatsache, dass es kein lebendes, tierisches Wesen gibt, welches nicht in seinem Innern, vor allem im Darmkanal, Bakterien beherbergte, war schon 1885 von Pasteur die Vermutung aus- gesprochen worden, dass diese Symbiose zwischen Tier und Bakterien keine nur rein zufällige, durch die äußeren Verhältnisse bedingte sei, sondern dass die Gegenwart der Bakterien zur Erhaltung des Lebens not- wendig wäre, dass mit andern Worten der tierische Organismus allein nicht im stande wäre, nur mit Hilfe der Verdauungssäfte die in den Ver- dauungskanal eingeführten Nährstoffe zu assimilieren. Diese Ansicht Pa- steur’s hatte bald Widerspruch gefunden, jedoch war bisher ein exakter, experimenteller Beweis für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Ver- mutung nicht erbracht worden. Dieser Aufgabe haben sich Nuttall und Thierfelder unterzogen. Sie wollten versuchen, ein neugeborenes Tier, welches ohne Bakterien in die Welt gesetzt war, auch unter Fernhaltung von Mikroorganismen nur durch Darreichung steriler Nahrung aufzuziehen. Und zwar wählten sie 424 Wille, Exemplare emer für Norwegen neuen Alge (Spirogyra rivularis). nicht, wie Pasteur vorgeschlagen hatte, zu diesem Versuche das Hühnchen, sondern aus äußeren Gründen ein Säugetier, das Meerschweinchen. Es wurde unter der peinlichsten Beobachtung der Asepsis ein Meer- schweinchen durch die Sectio caesarea steril geboren und dann sofort in einen sterilisierten Apparat gebracht, welcher mit sterilisierter Luft venti- liert und auf Körpertemperatur erwärmt gehalten wurde. Dieser sehr komplizierte Apparat, welcher mit Unterstützung von Geldmitteln aus der Gräfin Bose- Stiftung erbaut wurde, gestattete außerdem ein keimfreies Zuführen einer Saugflasche zu dem Maule des Tieres, welche mit sterili- sierter Milch gefüllt war. Ferner waren Vorrichtungen getroffen, welche ein Aufsaugen und Wegschaffen des — natürlich sterilen — Harnes und der Fäcalien des Tieres gestattete; und auch das Ansammeln und Herab- tropfen oder -fließen von Kondenswasser an den Wandungen der erwärmten Glasglocke, unter welcher sich das Versuchstier befand, wurde durch ge- eignet angebrachte 'Trockenvorrichtungen verhütet. In diesem Apparat wurde das Tier 8 Tage lang nach der Geburt erhalten, während welcher es über 330 cem Milch getrunken hatte. Der Versuch wurde nun abgebrochen, da der Tag und Nacht unterbrochene Dienst — das Meerschweinchen bekam alle 2 Stunden Nahrung, außerdem mussten die Fäcalien fortgeschafft, die Ventilation reguliert, überhaupt der Apparat fortwährend überwacht werden — die Kräfte der Untersucher derartig in Anspruch genommen hatte, dass sie sich zu einem Abschluss entschließen mussten. Das munter und kräftig aussehende Tier wurde aus dem Apparat genommen und gewogen. Eine genaue Angabe war nieht möglich, da aus Gründen der Asepsis von einem Wiegen des "Tieres unmittelbar nach der Geburt Abstand genommen werden musste und das ursprüngliche Gewicht daher nur durch Vergleichen mit einem andern, durch denselben Kaiserschnitt geborenen, ebenso großen Tiere geschätzt werden konnte. Das Tier wurde hierauf getötet und unter antiseptischen Kautelen geöffnet. Eine mikroskopische Untersuchung des Darminhaltes im gefärbten und ungefärbten Präparat ergab ein vollständiges Fehlen von Bakterien, desgleichen blieben Kulturröhrehen aller Art, welche mit Darminhalt, mit Milch und mit den während des Versuches steril auf- gefangenen Exkrementen beschickt wurden, vollständig steril; keine einzige Kolonie wurde beobachtet. Es erscheint demnach der Beweis erbracht zu sein, dass für das Leben der Meerschweinchen, und wahrscheinlich auch der andern Warm- blüter, die Anwesenheit von Bakterien im Darmkanal nicht erforderlich ist, wenigstens nicht bei Darreichung rein animalischer Nahrung. H. Kionka (Breslau). [33] Mitteilungen aus der biolog. Gesellschaft in Christiania. Sitzung am 17. Oktober 1895. Professor N. Wille legte Exemplare einer für Norwegen neuen Alge, Spirogyra rivularis Kabh vor, die vom Prof. G. O0. Sars im Binnensee „Mjösen“ gefunden wurde; sie kommt hier in der Renne zwischen Hamar und Helgöen in einer Tiefe von ca. 200 Metern vor und bedeckt den Schlamm des Bodens in großer Menge. Die Alge war zwar steril; es kann jedoch keinen Zweifel unterliegen, dass es die genannte Art ist, da die Zellen 30—40 u breit und 4—40mal so lang Wille, Untersuchungen über Organismen im Christiania-Trinkwasser. 195 waren, mit 3—4 Chlorophylibändern, die zuweilen dicht spiralig gewunden, meistens aber in den Zellen beinahe längsgehend waren. Einzelne Zellen, die sich vielleicht zur Kopulation vorbereiteten, waren schwach tonnenförmig an- geschwollen, sonst aber waren sie vollständig zylindrisch ohne Duplikatur der Querwände., Die Alge ist bis jetzt in Flüssen und an Flussufern in Deutschland, Oesterreich, Ungarn, Australien (?) und Nord- Amerika (?) gefunden worden, aber niemals früher in Skandinavien. Bemerkenswert ist es, dass sie in einer so großen Tiefe wie 200 m leben konnte, da man sonst nur angibt, dass Characeen bis auf eine Tiefe von 20—25 m gehen und Forel gibt von einem Moose Thamnium alo- pecurum Schpr. an, dass man es in einer Tiefe von 60 m findet. Spirogyra rivularis war inzwischen nicht allein vollständig lebensfähig, sondern soll sogar ein kräftig grünes Aussehen beim Herausnehmen gehabt haben. Hierbei ist doch zu bemerken, dass, da sie nicht am Boden befestigt war, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass sie, wie viele andre Algen zuweilen durch Gas- blasen an die Oberfläche gehoben werden dürfte, wodurch sie mehr Licht zu ihrer Assimilation erhalten kann als das, welches bis auf die Tiefe dringen kann, wo sie sonst im Allgemeinen lebt. Unter den genannten Spirogyra kamen auch einzelne sterile Fäden von einer Zygnema (stellinum?) vor. Da diese aber verhältnismäßig selten waren und keine freudige Vegetation zeigten, liegt es nahe anzunehmen, dass man sie nur als zufällige Beimischungen betrachten darf, die durch den Strom dort- hin geführt und zu Boden gesunken sind. — Prof. N. Wille teilte die Resultate einiger vorläufigen Unter- suchungen über Organismen im Christiania-Trinkwasser mit, die im Verein mit dem norwegischen „Süßwasser-Biolog* H.Huitfeldt-Kaas ausgeführt waren. Christiania bekommt die Hauptmenge seines Trinkwassers aus dem ca. 5 km nördlicher gelegenen Binnensee „Maridalsvandet*“. Von Maridalsvand wird das Trinkwasser nachdem es ein Drahtnetz passiert hat in unterirdischen Röhren nach zweien offenen Granitbassins geleitet, die auf den Gipfeln von zwei der bekanntesten Aussichtspunkte Christianias gelegen sind: „St. Hanshaugen“ und „Kampen“. Von diesen Bassins verzweigt sich dann das Wasserleitungsnetz der Stadt. In der ersten Hälfte von Oktober wurden mehrere Proben aus den beiden genannten Bassins mit Hilfe von Hensens Oberflächen - Netz genommen und diese Proben zeigten bei näherer Untersuchung, dass sie ein ganz reiches, so- wohl Pflanzen- wie Tierleben enthielten, neben einem Teil von toten Resten, teils tierischen, teils vegetabischen Ursprungs wie: Insektenreste, Wollenfäden, Spicula von Spongien, Exkremente von Crustaceen, Holz- und Bastzellen, Epidermiszellen von Gräsern, Haare von Elaeagnus und anderen Pflanzen, Stärkekörnchen, Rindenstückchen, Lycopodien- und Farnsporen, sowie beson- ders Pollen von Fichten, welche wohl teilweise, sowie manche der übrigen Reste, von Verunreinigungen an selber Stelle und wohl zum Teil vom Maridals- vand und deren Zuflussgewässern herstammen, die von dichten Fichtenwäldern umgeben sind. Von größeren lebenden Tieren wurden nur einige Exemplare von Insekten- larven, ein Pferdeegel und eine Schnecke gefunden. Von kleineren Tieren, die doch nicht alle bestimmt wurden, können genannt werden: Rhizopoda: Amoeba sp., Arcella vulgaris, Difflugia coronata, Vampyrella sp. Infusoria: Codonella lacustris, Vorticella sp. 126 Wille, Früchte und Blätter eines Pfropfbastards. Rotatoria: Anuraea aculeata, A. cochlearis, A. longispina, Triatra longiseta. COrustacea: Bosmia longispina, Cyclops agilis, ©. scutifer, Diaptomus hamatus, Daphnia cucculata, D. obtusirostris, Eurycereus lamellatus, Sida ery- stallina. Von niedriger stehenden Pflanzen wurden folgende Arten gefunden: S'yngeneticae: Synedra Üvella. Cilioflagellata: Ceratium Hirudinella, Peridinium tabulatum. Diatomaceae: verschiedene Arten gehörend zu folgenden Gattungen: C'yclotella, Cymbella, Diatoma, Fragillaria, G@omphonema, Melosira, Navicula, Synedra. Schizomycetes: Orenothrixe Kühneana, Sphaerotilus natans. Myxophyceae: Anabaena circinalis, Ohroococcus turgidus, Coelosphaerium Nägelianum, Oscillaria sp., Scytonema sp. Chlorophyceae: Acanthococcus aciculiformis, Binuclearia tatrana, Botryococcus Braunü, Bulbochaete sp., Chlamydomonas Steinü, Closterium setaceum, Coelastrum sphaericum, Crucigenia n. sp., Euastrum binale, E. elegans, E. verrucosum, Eudorina elegans, Gymnozyga moniliformis, Hormidium parietinum, Hyalotheca dissiliens, H. mucosa, Mierasterias truncata, Mougeotia sp., Nephrocytium Agardhianum, Oedogonium sp., Oocystis solitaria, Pediastrum Boryanum, Raphidium sp., Sphaerella pluvialis, Spirogyra sp., Staurastrum Arctiscon, S. gracile, S. Ophiura, $. para- doxum, $. telipherum, $. tricorne, Ulothrix flaccida, Zygnema Sp., Xanthidium fasciculatum. Fungi: Lagenidium pygmaeum (in Pollenkörner der Fichte), Oospora sp., sowie Gärzellen und sterile Pilzfäden. Von diesen muss ein Teil als zufällige Gäste betrachtet werden, darunter sind aber auch manche Arten, die ohne Zweifel zu dem, in den norwegischen Binnenseen vorkommenden gewöhnlichen Süßwasserplankton gerechnet werden müssen, die so günstige Bedingungen für ihr Dasein in den offenen Wasser- bassins finden, dass sie nicht nur allein das Leben fristen, sondern sich auch vermehren und wachsen können. Obgleich man nun sieht, dass die Artenanzahl ganz bedeutend ist, lässt sich doch nicht dasselbe von der Individuenanzahl sagen. Wohl sind hierüber noch keine näheren Untersuchungen angestellt worden, es unterliegt aber doch keinem Zweifel, dass diese weit zurücksteht hinter der Individuenzahl an Organis- men der Binnenseen südlicherer Länder. Das Trinkwasser Christianias muss deshalb als verhältnismäßig arm an größeren Organismen angesehen werden (die Bakterien also nicht mitgerechnet), und dies dürfte wohl darauf beruhen, dass es von subalpinen Gegenden mit äußerst geringem Anbau kommt. Hierin muss wohl auch der Grund zu suchen sein, dass das Trinkwasser Christianias, obgleich es nicht filtriert ist, doch als verhältnismäßig gesund angesehen wird. — Sitzung am 21. November 1895. Prof. N. Wille legte Früchte und Blätter eines Pfropfbastards von einer auf Weißdorn (Crataegus oxyacantha L.) veredelten Birne vor. Diese Pfropfhybride befindet sich auf dem Hofe Torp in Borge Kirch- spiel im südöstlichsten Norwegen. In Folge der Berichte, die Herr Apotheker Johs. Smith in Fredriksstad mitteilte, ist der Baum ungefähr 20 Jahre alt und stand ungefähr 15 Jahre auf einen ungünstigen Platz ohne zu blühen. Nachdem der Baum inzwischen nach einen besseren Platz versetzt wurde, hat Johannessen, Behandlung atrophischer Kinder in der Couveuse. 497 er nun in 5 Jahren geblüht und Früchte getragen. Die Blumen sollen denen des Birnbaumes gleichen, doch sind sie etwas kleiner und sitzen in Dolden- rispen wie bei Crataegus. Die Fruchtstiele und Früchte sind glatt, die Kelch- zipfel aber sind triangelförmig und wollig behaart, mit den Spitzen etwas zurückgebogen. Die Früchte haben Birnenform aber die rote Farbe der Urataegus- Früchte, sind klein (1,5 —3 em lang und 1,3—?2 cm breit). Die Früchte sind 5fächerig und im Allgemeinen mit zwei sterilen Kernen in jedem Fache, das Samengehäuse ist etwas fester als das Fruchtfleisch und erinnert an den so- genannten Stein der Crataegus-Früchte, hat aber keine so harte Konsistenz. Der Geschmack des Fruchtfleisches ist fade und liegt zwischen dem Geschmack der Birnen dem der Weißdornfrüchte. Alle die vom Vortragenden untersuchten Früchte enthielten nur sterile Samen, aber Herr Apotheker Smith hat ihm mitgeteilt, dass er einmal einen einzigsten normalen Samen in einer Frucht gefunden hätte. Die Blätter des Baumes scheinen nicht verändert zu sein und haben das Aussehen der Birnen- blätter behalten; aus dem Wildstamme aber, unterhalb der Veredelungsstelle, kommen hin und wieder junge Triebe von Weißdorn (Crataegus oxyacantha) mit der diesem Baume charakteristischen Blattform hervor. Es konnte also nicht bezweifelt werden, dass man hier einen wirklichen Pfropfbastard vor sich hatte. Da aber solche zu den größten Seltenheiten ge- hören, stellte der Vortragende die Hypothese auf, dass solche Bastarde dadurch gebildet werden, dass eine Wanderung des Protoplasmas von den Zellen des Wildlings nach den Zellen des Edelreises vor sich geht und zuweilen umgekehrt und zwar so, dass eine intime Mischung des Protoplasmas der beiden Sym- bionten stattfindet. Es wird dadurch auch verständlich, dassgerade, begründet auf die Verwundung, die beim Veredlungsprozesse hervorgebracht wird, so große Schwierigkeiten gegen eine solche Protoplasmawanderung entstehen, dass dieses nur unter exzeptionell günstigen Verhältnissen vor sich gehen kann. — Sitzung am 21. November 189. Bemerkungen über die Behandlung atrophischer Kinder in der Couveuse von Prof. Dr. Axel Johannessen. Das neugeborne, normal entwickelte Kind, wird sich leicht an die ver- änderten Verhältnisse gewöhnen, unter welche es zu leben kommt. Das zu früh geborne oder atrophische Kind aber wird oft der Gefahr ausgesetzt sein zu Grunde zu gehen, wenn nicht besondere Veranstaltungen getroffen werden, seine schwache Wärmeproduktion zu unterstützen. Früher hat man in dieser Hinsicht die kleinen Wesen mit warmen Sand, Asche, Laub, Tierfelle, Watte, Wolle, Federn u. s. w. bedeckt, oder man hat Wärmeflaschen in die Wiege gelegt, diese an den erwärmten Ofen gestellt u. s. w. In der letzteren Zeit hat man versucht mit Hilfe besonderer Apparate, die Verhältnisse mehr oder weniger nachzuahmen, unter welchen das Kind im Mutterleibe lebt. So hat man das Kind in ein permanentes Bad gelegt (Winkel) oder in Badewannen mit hohlen Wänden und Boden, gefüllt mit warmen Wasser (v. Rühl, Cred&®) u. 8. w. Am besten scheint die Aufgabe mit der Couveuse gelöst zu sein, die von Tarnier im Jahre 1881 konstruiert und später auf verschiedene Art modifiziert ist (Auvard, Eustache, Fürst, Hochsinger). Die Resultate der Behandlung mit diesem Apparate fielen sehr günstig aus. Auf La maternit& in Paris, wo die ersten Versuche angestellt wurden, 428 Johannessen, Behandlung atrophischer Kinder in der Couveuse. starben nämlich von atrophischen Kindern, die nicht in der Couveuse behandelt wurden, 65°/,, von atrophischen Kindern, die in der Couveuse behandelt wur- den, 38°/,; aber der Aufenthalt in der Anstalt ist nur 10—12 Tage, so dass die Resultate bloß eine beschränkte Bedeutung haben. Die Couveuse, die auf der pädiatrischen Universitäts-Klinik in Christiania benutzt wird, ist von Odile Martin in Paris konstruiert und besteht aus einem Holzkasten, der 82 cm lang, 62 cm breit, 75 em hoch und auf einem 33 cm hohen Fuß angebracht ist. Der Deckel besteht aus doppeltem Glas, die Wände und der Boden sind hohl und dazu bestimmt, das warme Wasser aufzunehmeu, das mit einem Thermosiphon auf 30° C erwärmt gehalten wird. Der Kasten ist mit Zink ausgefüttert und enthält einen Zinkkorb, worin das Kind liegt. Die Luft kommt durch Oeffnungen hinein, die in den Boden und Wänden angebracht sind. Im Kasten befinden sich Thermometer und Feuchtigkeitsmesser. Im Laufe von 2 Jahren sind in dieser Couveuse 10 Kinder, 5 Knaben und 5 Mädchen, behandelt worden, die meisten in einem Alter von 5-20 Tagen. Das Gewicht der Kinder war bei der Aufnahme niedrig, bei der Hälfte 45—1700.0 g, bei dem Rest 2—2400.0 g. Ein einzelner Patient war bei der Aufnahme °/,, Jahr alt, wog aber nur 3 Kilo. Bei sieben entwickelte sich Lues hereditaria, für 6 wurde angegeben, dass sie von 2—8 Wochen zu früh geboren waren. Eins litt an Palatum fissum, Bei allen wurde eine sehr niedrige Temperatur, hinab bis zu 34,5° C, bei der Aufnahme beobachtet, außerdem Cyanose und Sclerem. Der Aufenthalt in der Couveuse dauerte von 1—110 Tagen. Die Nahrung bestand in sterilisierten Milchmischungen, öfters wurde die Gavage angewendet. Die Temperatur stieg in den meisten Fällen bis auf 37 und 38° C. Nur in 2 Fällen bei einem Mädchen von 6 Wochen mit Palatum fissum und einem Gewicht von 1620,0, sowie bei einem Knaben von 41 Tagen mit Lues hereditaria und einem Gewicht von 1540,0 — glückte es nicht sie bis über 36 0 C zu bringen. Auch verschwanden die Cyanose oder das Scelerem nicht in allen Fällen. Das Gewicht stieg zu Anfang bei mehreren von den kleinen Patienten mit ganz hohen Ziffern bis auf, 180,0 in 4 Tagen. In den meisten Fällen aber folgte dieser initialen Zunahme eine bedeu- tende Abnahme im Gewicht, oft gleichzeitig damit, dass die luetischen Symptome sich zeigten, oder dass Verdauungs-Beschwerden eintraten, die in kurzer Zeit den Tod zur Folge hatten. Die mitgeteilten Beobachtungen scheinen darauf hinzudeuten, dass zwar zu Anfang der Behandlung in der Couveuse, eine Steigerung der Gewichts- und der Temperaturkurven eintreten kann, so dass man, wenn die Fälle nach 2—4 Wochen ausgeschrieben worden wären, sehr gute Resultate hätte notieren können. Bei genügender Beobachtung zeigt es sich aber doch, dass Symptome, teils von der luetischen Krankheit und teils vom Verdauungskanal eintreten können. Es ist die künstliche Ernährung, die hier, wie überall, der schwache Punkt ist, wo es sich um die Verhältnisse im frühesten Kindesalter handelt. Man muss in erster Reihe versuchen, den atrophischen Kindern Frauen- milch zu verschaffen. Kann diese Forderung nicht erfüllt werden, so wird es zunächst auf verbesserte Methoden in Bezug auf die Ernährung solcher Kinder und nicht nur auf Verbesserungen der wärmespendenden Apparate beruhen, dass manerwarten kann, gute Resultate beider Couveuse-Behandlungzu erreichen. [27] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xXVl. Band. 15. Februar 1896. Nr. 4, Inhalt: Möbius, Ueber Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung im Pflanzenreiche. — Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. — Weinland, Neue Untersuchungen über die Funktionen der Netzhaut nebst einem Versuche einer Theorie über die im Nerven wirkende Kraft im All- gemeinen. — Möller, Brasilianische Pilzblumen. Ueber Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung im Pflanzenreiche. Von M. Möbius in Frankfurt a. M. Bei den meisten Pflanzen und Tieren sehen wir, dass das Ei, um sich weiter entwickeln zu können, befruchtet werden muss, und dass die das Ei und die das befruchtende Element produzierenden Individuen als weibliche und männliche getrennt sind, dass also eine sogenannte geschlechtliche Fortpflanzung vorhanden ist. Weil sie so allgemein verbreitet und besonders weil sie bei den Menschen und bei den höheren Tieren die einzige Art der Reproduktion ist, ist man geneigt, ihr Vor- handensein als eine ganz selbstverständliche Notwendigkeit anzusehen und sie allen, wenigstens den mehrzelligen Organismen von vornherein beizulegen. Wo eine ungeschlechtliche Vermehrung stattfindet, da wird meist angenommen, dass sie nur neben der geschlechtlichen existiere oder dass doch letztere früher einmal vorhanden gewesen sei. Trotz- dem ist eine rein nngeschlechtliche Vermehrung nicht wenigen Pflanzen, besonders in den niederen Abteilungen eigentümlich. Wir können dabei noch unterscheiden: 1) die asexuelle Reproduktion, bei welcher ähn- lich wie bei der sexuellen besondere Fortpflanzungszellen gebildet werden, die aber dann ohne vorangehende Befruchtung keimen und am besten durch die Sporen der Pilze repräsentiert werden, 2) die vegetative Vermehrung oder Propagation, bei der vegetative Organe XVl. J 4530 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. die nicht an besonderen Fruktifikationsorganen stehen, zur Fortpflanz- ung und Vermehrung benutzt werden. Freilich ist es hierbei nicht möglich eine scharfe Grenze zu ziehen, denn es ist z. B. schwer zu entscheiden, welcher Art der ungeschlechtlichen Vermehrungsorgane die Brutknospen der Marchantia zugerechnet werden sollen oder auch die Brutzellen, welche an den Blättern gewisser Lebermoose erzeugt werden: die letzteren entstehen zwar einfach durch Auswachsen der Randzellen des Blattes, verhalten sich aber bei der Keimung wie Sporen. | Auch für höhere Pflanzen habe ich früher gezeigt!), dass viele Arten im Stande sind, sich fortgesetzt ohne Schaden auf rein vegeta- tivem Wege, also propagatorisch, fortzupflanzen und zu vermehren; allein es sind das doch solche, die unter normalen Verhältnissen außer der Propagation auch eine sexuelle Fortpflanzung besitzen und bei denen die Vermehrung auf letztere Art entweder durch die Kultur, wie bei den Bananen, oder durch das rauhe Klima, wie bei dem Kalmus in Deutschland, oder durch einen anderen Umstand nicht stattfindet. Die einzige Pflanzengattung, deren Arten lediglich auf vegetative Ver- mehrung angewiesen zu sein scheinen, ist, soweit mir bekannt ist, die Algengattung Caulerpa. Die an den Küsten des Mittelmeeres vor- kommende ©. prolifera ist vielfach und zu den verschiedenen Jahres- zeiten untersucht worden und nie hat man etwas gefunden, was man als ein besonderes Organ der Vermehrung anzusehen berechtigt ge- wesen wäre. Ebensowenig haben solche Organe bei einer der anderen 75 Arten, die meist in den tropischen und subtropischen Meeren vor- kommen, gefunden werden können: diese Pflanzen zeigen nur die Fähigkeit, dass aus jedem kleinen Teil des Thallus leicht ein neuer Thallus auswachsen kann. Die Arten der Algengattung Pitophora pflanzen sich auch nur auf vegetativem Wege fort?), bilden aber be- sondere Vermehrungsorgane, sogenannte Akineten. — Eine Fortpflanzung durch ungeschlechtlich erzeugte Sporen ist beschränkt auf die Algen und Pilze und ist bei den letzteren die Regel; die Flechten, welche ja in der Bildung der Fortpflanzungs- organe als Pilze zu betrachten sind, vermehren sich also auch nur asexuell durch Sporen. Wir können die Pilze als einen von den Algen abgehenden Zweig des Pflanzenstammbaumes ansehen und wir finden, dass bei den den Algen noch am nächsten stehenden Pilzen, den Peronosporeen und Saprolegnieen sich der Uebergang von der sexuellen zur asexuellen Fortpflanzung stufenweise verfolgen lässt. Bei einigen Peronosporeen tritt der Inhalt des Antheridiums noch in den des Oogoniums über, bei anderen nicht mehr; bei einigen Sapro- 1) Siehe diese Zeitschrift, Bd. XI, Nr.5 u. 6. 2) Vergl. des Verf. Mitteilung in den Berichten der deutschen botanischen sesellschaft, Bd. XIII, S. 356. Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 131 legnieen wird vom Antheridium noch ein Befruchtungsschlauch ge- bildet, aber er öffnet sich nicht mehr, bei anderen Arten bleiben die Antheridien ohne Befruchtungsschlauch und bei noch anderen fehlen die Antheridien überhaupt, wie z. B. bei Saprolegnia monilifera: die Sporen sind hier aus der Analogie mit anderen Arten als partheno- genetisch gebildete Oosporen aufzufassen, in Wirklichkeit aber unter- scheiden sie sich nicht von den Sporen, die bei anderen Pilzen asexuell in einem Sporangium oder Ascus entstehen. Dass in den beiden großen keihen des Pilzreiches, beiden Basidiomyeeten und Ascomyceten, Geschlechtsorgane durchaus fehlen, ist eine durch Brefeld’s Unter- suchungen hinlänglieh festgestellte und wohl von den meisten anerkannte Thatsache, an welcher einige hartnäckige Anhänger einer veralteten Anschauung nichts ändern werden. Wenn wir sehen, dass gerade die Pilze schon in ihren untersten Abteilungen von der sexuellen zu der rein asexuellen Fortpflanzung übergehen, so liegt natürlich die Vermutung nahe, dass dieses mit ihrer saprophytischen und parasitischen Lebensweise zusammenhängt. Der Einfluss derselben auf die Ausbildung der Geschlechtsorgane ist nicht zu verkennen, wenn wir ihn uns auch nicht erklären können. Hat er bei den Pilzen zu einem vollständigen Verlust dieser Organe seführt, so wirkt er bei den parasitischen und saprophytischen Phanero- gamen, die sich ja doch dem System der andern, sich selbständig er- nährenden ohne große Schwierigkeit einreihen, wenigstens in vielen Fällen hindernd auf die Ausbildung der sogenannten Geschlechtsorgane ein. Wir finden bei vielen parasitischen Phanerogamen eine abnorme Entwicklung der Samenknospen und eine Vereinfachung in der Ent- stehung des weiblichen Apparates. Ein solcher Einfluss auf die männ- lichen Organe ist weniger zu bemerken; Bestäubung und Befruchtung scheint auch in normaler Weise zu erfolgen, obgleich Niemand, meines Wissens, diese Vorgänge bei einer parasitischen Phanerogame genauer studiert hat. Was die Parasiten anbetrifft, so könnte vielleicht Jemand meinen, dass durch die Verbindung, welche sie mit andern lebenden Organismen, ihren Wirten, eingehen, in irgend einer Weise Ersatz dafür geschaffen wird, dass sie der Verbindung, die, bei der Zeugung, mit ihres gleichen eintreten würde, entbehren und dass sie dadurch diese Entbehrung ohne Nachteil für ihre Entwieklung vertragen könnten. Allein eine nähere Begründung einer solchen Annahme scheint mir nicht möglich und sie würde auch nicht in Einklang stehen mit der Auffassung von der Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung, wie sich eine solche Auffassung aus den weiteren Betrachtungen ergibt. Etwas anderes ist es mit der asexuellen Reproduktion bei den Algen, bei denen sie teils als einzige Form der Fortpflanzung, teils neben sexueller Reproduktion auftritt: hier ist die erstere als die Vor- stufe zu der letzteren zu betrachten. Die am tiefsten stehenden Algen, g% 152 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. die Cyanophyeeen haben es überhaupt noch nicht zur geschlecht- lichen Fortpflanzung gebracht, sondern vermehren sich außer durch Teilung nur durch ungeschlechtlich erzeugte Sporen. Das Fehlen der Sexualität bei diesen Algen hat man, wohl nicht mit Unrecht in Ver- bindung gebracht mit der Konstitution der Zellkerne, welche abweichend von denen der anderen Pflanzen gebaut sind und bei der Teilung !) keine karyokinetischen Figuren bilden. Aber nicht bloß diese kleinen und niederen Algen sind bei der asexuellen Reproduktion stehen ge- blieben, sondern auch andere Algengruppen, zu denen die durch ihre Größe und durch die, ihrer Größe entsprechende, weitgehende Differen- zierung der Gewebe auf der obersten Stufe stehenden Laminaria- ceen gehören. Diese großen Brauntange des Meeres bilden nur ein- fache Schwärmsporen, Zellen, die mit Hilfe ihrer 2 Geißeln eine Zeit lang herumschwärmen, sich dann festsetzen und zu neuen Pflanzen auswachsen. Auf die Schwärmsporen werden wir sogleich zurückzu- kommen haben, denn von ihnen leiten sich die männlichen und weib- lichen Fortpflanzungszellen der Algen überhaupt ab. Vorher aber haben wir noch einen Blick zu werfen auf die Anfänge der geschlechtlichen Fortpflanzung, wie sie sich bei den Algenklassen der Diatomeen und Konjugaten finden. Bei den Diatomeen erfolgt die Bildung der Auxosporen, nicht immer, aber in manchen Arten, durch die Verschmelzung der Plasma- körper zweier Zellen. Eine dabei eintretende Verschmelzung der Zell- kerne ist neuerdings bei Epithemia beobachtet worden?), bei welcher Form die kopulierenden Plasmakörper sich erst teilen und die Teile, welche nicht aus einer Zelle entstanden sind, paarweise mit einander verschmelzen. Zwar sind die Auxosporen weder Vermehrungsorgane noch Ruhezustände der Diatomeen, sondern nur Gebilde, deren Ent- stehung durch die Teilungs- und Wachstumsverhältnisse der Zellen be- dingt wird, aber sie müssen doch mit anderen Sporen verglichen wer- den und ihre Bildung ist, so weit sie durch Zellverschmelzung erfolgt, entschieden analog derjenigen der Zygosporen bei den Konjugaten. Die Diatomeen haben echte Zellkerne, die sich karyokinetisch, aber unter einer eigentümlichen Modifikation dieses Prozesses, teilen?). Wir sehen also, dass bei den Diatomeen die Kopulation gewissermaßen erst als etwas nebensächliches auftritt, indem die Auxosporen sich auch 1) Nachträglich muss ich hinzufügen, dass Hegler in Lübeck 1895 Prä- parate demonstriert hat, welche die karyokinetische Kermmteilung bei mehreren Spaltalgen zeigen sollen. (Nach dem Referat im botan. Centralbl., Bd. LXIV, S. 203.) 2) Klebahn, Ueber das Verhalten der Zellkerne bei der Auxosporenbildung von Epithemia. (Vortrag auf der Naturforscherversammlung in Lübeck, 1895.) 3) Lauterborn, Ueber Bau und Kernteilung der Diatomeen. (Verhdl. des naturhist.-med. Vereins zu Heidelberg, N. F., Bd. V, 1895.) Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 133 auf andere Weise bilden können, dass sie aber hier zuerst auftritt gleichzeitig mit dem Auftreten echter Zellkerne und karyokimetischer Teilungen. Fig. 1. Closterium. A. Reife Zygospore mit 2 Chromatophoren und 2 Kernen. B. Zygospore kurz vor der Keimung. €. Zygospore im Begriffe zu keimen. D. 2 von der gemeinsamen Haut noch umschlossene Keimzellen, deren jede einen Großkern und einen Kleinkern enthält. (Nach Klebahn.) u Bei den Konjugaten muss nun immer eine Verschmelzung zweier Zellinhaltskörper eintreten, wenn eine Spore gebildet werden soll, aber sehr eigentümlich ist es, dass die Verschmelzung der Plasmamassen nicht immer mit der Kernverschmelzung verbunden ist, sondern dass letztere viel später, erst vor der Keimung der Zygospore eintreten kann (Fig. 1). Dieses ist der Fall bei Desmidiaceen, wie Closterium- nnd Cosmarium-Arten, nach Klebahn!). Unter den fadenförmigen erhalten sich bei den Spirogyra-Arten die zwei Kerne in der jungen Zygote tagelang getrennt neben einander, erst völlig ausgereifte Zygoten zeigen nur einen Kern, auch bei Mesocarpus sieht man in den jungen Zygoten noch längere Zeit die getrennt bleibenden Kerne, bei Zygnema dagegen scheinen sich die Kerne rasch zu einem einzigen zu vereinigen?). Es hat also den Anschein, als spielten die Kerne hier noch nicht die Hauptrolle bei der Kopulation, sondern als ob es zunächst nur auf die Vereinigung zweier Plasmamassen ankäme. Ein Unterschied zwischen diesen Plasmakörpern oder den kopulierenden Zellen ist bekanntlich hier noch wenig ausgeprägt. Bei den einzelligen Konjugaten, den Desmidiaceen, sind die kopulierenden Zellen äußerlich nicht zu unterscheiden. Für die fadenförmigen hat Verf. einen Modus der Kopulation, der wohl als der einfachste angesehen werden kann, vor Kurzem beschrieben®): es vereinigen sich zwei benachbarte Zellen 1) Klebahn, Studien über Zygoten I. (Pringsheim’s Jahrb., Bd. XXII, Heft 3.) Auf die merkwürdigen Kernteilungen und die Bildung von Groß- und Kleinkernen bei der Keimung der Zygosporen sei nur in der Anmerkung hin- gewiesen, diese Erscheinungen gehören nicht in die oben ausgeführte Betrach- tung. Dies gilt auch für die Bildung von Groß- und Kleinkernen bei der Ent- stehung der Auxosporen von Epithemia. 2) Klebahn, Ueber die Zygosporen einiger Konjugaten. (Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, Bd. VI, S. 160, 1888.) 3) in: Hedwigia 1895. 134 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. eines Fadens, die vorher von größeren Zellen abgetrennt worden sind, dadurch, dass die trennende Querwand resorbiert wird, worauf natür- lieh die vereinigten Plasmakörper noch mit einer gemeinsamen Haut umgeben werden und so die Zygospore gebildet wird (Fig. 2). Wir Fig. 2. Mougeotia Uleana. A. Teil eines Fadens mit zwei kopulieren- den Zellen, b ist von a, d von ce ab- getrennt worden. B.C. Vereinigung der Zellen b und d. % ) ? % % 4 4 D. Reife Zygospore. DEE sehen dann bei anderen Arten, wie die kopulierenden Zellen erst eine Verbindung zwischen sich herstellen müssen, den Kopulationskanal; die Plasmakörper der zwei Zellen können sieh in demselben vereinigen oder, auf der nächsten Stufe, der Inhalt der einen Zelle wandert durch den Kopulationskanal zu dem der zweiten Zelle hinüber, um hier mit ihm zu verschmelzen: in diesem Falle können wir schon den ersteren als das männliche, den letzteren als das weibliche Element ansehen. Für den sich hinüberbewegenden, männlichen Plasmakörper, ist es vorteilhaft, wenn er kleiner ist, denn dann ist er offenbar leichter be- weglich: dementsprechend teilen sich bei Sirogonium die Mutterzellen der männlichen und weiblichen Zellen ungleich. Sie sind anfangs ziemlich gleich an Größe, in der einen aber wird eine kleine von einer größeren Zelle getrennt und letztere gibt die weibliche, in der anderen dagegen entstehen drei Zellen und die mittlere, kleine, gibt die männ- liche Zelle. Dies ist die höchste Differenzierung in den kopulierenden Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 155 Zellen, die wir bei den Konjugaten kennen; diese Art der Befruchtung wird bei den Algen nicht weiter ausgebildet, sondern es ist die Kopu- lation der Schwärmsporen, welche später zur Unterscheidung zwischen ruhenden Eiern und beweglichen Spermatozoidien führt. Als Pringsheim im Jahre 1869 die Paarung der Schwärmsporen von Pandorina entdeckt hatte, erkannte er auch sogleich die Bedeu- tung, welche diese Entdeckung für das Verständnis der sexuellen Fort- pflanzung besitzt, indem die Paarung der Schwärmsporen sich als die einfachste Form der Paarung überhaupt darstellt. Außer für Pandorina kennt man diese Schwärmsporenkopulation jetzt für eine ziemlich große Anzahl grüner und für einige braune Algen; da man aber gefunden hat, dass die Schwärmsporen sich in anderen Fällen selbständig, ohne Kopulation, entwickeln können, so hat man mit Recht den Namen für diese, also für die asexuellen Schwärmer reserviert, und die sich paarenden Schwärmer, die ja noch keine Sporen sind, als Planogameten bezeichnet. Selbstverständlich ist diese Benennung etwas nebensäch- liches, da eine Verwirrung der Begriffe nicht zu befürchten ist. Außer- dem gibt es kein Merkmal, nach welchem wir einer solchen Schwärm- zelle ansehen könnten, ob sie eine Schwärmspore oder ein Planogamet ist; selbst wenn wir die Entwicklung der einzelnen verfolgen, erlangen wir nicht immer Sicherheit, denn in einigen Fällen (Ulothrix zonata, ketocarpus siliculosus) sterben die einzeln bleibenden Planogameten nicht ab, sondern keimen und werden zu Pflänzchen, die sich aller- dings schlechter als die aus der Zygote, dem Kopulationsprodukt der Planogameten, entstehenden zu entwickeln scheinen. Was die Plano- gameten veranlasst, mit eimander zu kopulieren und zu verschmelzen, das wissen wir nicht, welchen Vorteil diese Paarung für die Ent- wicklung der Pflanzen mit sich bringt, das werden wir später unter- suchen. Wir gehen jetzt zunächst von der Erscheinung selbst aus, welche also darin besteht, dass sich zwei gleichartige Zellen, jede mit einem Kern, so vereinigen, dass eine neue Zelle wieder mit einem Kern entsteht. Aus den Befruchtungsverhältnissen der Pflanzen und auch der Tiere können wir schließen, dass die Kernverschmelzung der wichtigste Vorgang bei der Paarung ist, und aus diesem Umstande wiederum verstehen wir, wie aus den gleichen Planogameten die ver- schiedenen Gameten entstanden sind. Von dem Protoplasma, welches bei den sich paarenden Planogameten verschmilzt, können wir an- nehmen, dass es mehr die Rolle eines Nahrungsstoftes spielt. Es ist darum nicht von Bedeutung, ob an die beiden Kerne gleiche Mengen von Protoplasma gebunden sind, oder ob das Protoplasma mehr zu dem einen Kerne gehört, jedenfalls aber ist es vorteilhaft, dass die keim- fähige Zelle gleich mit einer größeren Menge von Protoplasma aus- gestattet ist. Es erscheint nun als eine zweckmäßige Binrichtung die Teilung der Arbeit in der Weise, dass dem einen Kerne die Haupt- 136 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. menge des ermährenden Plasmas beigegeben wird, dem andern die Aufgabe zufällt, jene Zelle aufzusuchen, und dieser zur Erhöhung der Beweglichkeit möglichst vom Plasma entlastet wird: wir nennen die kleine bewegliche Zelle die männliche und die größere die weibliche. Wie sieh ein solcher Unterschied aus der Gleichheit der sich paarenden Schwärmer entwickelt und wie er immer größer wird, können wir bei den grünen und braunen Algen sehr schön verfolgen. Wenn die sich paarenden Schwärmsporen, die Planogameten, ein- ander gleich sind, haben sie meistens eine sehr geringe absolute Größe, bei Chaetopeltis minor z. B. fand ich sie 8—-10 « lang. Bei einer mit dieser Alge nahe verwandten, bei Aphanochaete repens‘), kopuliert immer eine kleinere Schwärmzelle mit einer größeren: die erstere ist noch nieht 10 « lang und ca. 4 w diek, die letztere ist kugelig und hat einen Durchmesser von 18-20 u. Die erstere entsteht einzeln oder zu zweien in einer Zelle, die kleiner als die vegetativen Zellen ist, die letztere entsteht einzeln in einer Zelle, die beträchtlich größer als die vegetativen Zellen ist. In Beziehung auf das letztere Verhältnis finden wir ganz Aehnliches bei den Formen der folgenden Stufen, bei welehen ein im Oogonium verbleibendes Ei, das der großen Schwärm- zelle von Aphanochaete entspricht, von einer kleinen männlichen Schwärmzelle aufgesucht und befruchtet wird. Das Ei hat eben seine Beweglichkeit ganz eingebüßt und deshalb muss der andere, männliche Gamet bis in das Oogonium eindringen, wie es der Fall ist bei Oedo- gonium, Coleochaete u. a. (Fig. 3). Fig. 3. Fig. 3. 4A. Chaetopeltis minor, zwei Planogameten. b. Aphanochaete repens: a. Sperma- tozoid, b. Schwärmspore, c. weib- licher Planogamet. C. Coleochaete pulvinata: a. Sperma- tozoid, b. Schwärmspore, c. Vogo- nium mit Ei und geöffnetem Hals. DB. nach Huber, C. nach Pringsheim. Alle Figuren bei gleicher Ver- größerung. U! h h Y N/ /% N 07 N, DISCTLEEEW WW 1) Dieses interessante, bei den Confervoideen vereinzelt dastehende Ver- hältnis ist von Huber entdeckt worden. (Bulletin de la Soei&te Botanique de France, Paris 1894.) Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortplanzung. 1‘) =) Auch unter den Siphoneen haben wir solche verschiedene Stufen in der Ausbildung der Sexualität: bei Acetabularia kopulieren zwei gleichartige kleine Planogameten, bei Dryopsis ist der eine etwa doppelt so sroß wie der andere, bei Vaucheria schließlich wird ein großes Ei im Oogonium von einer winzig kleinen Schwärmzelle befruchtet. Es kommt auch vor, dass zahlreiche Eier im Oogonium gebildet werden, wie bei Sphaeroplea; allein die Zahl der männlichen Schwärmzellen, die in einem Antheridium entstehen, ist noch viel größer und die letz- teren sind so schmal, dass sie durch die engen Oeffnungen der Membran in den Antheridien und Oogonien heraus- und hereinschlüpfen können, während die Eier kugelig und etwa doppelt so diek, wie die Sperma- tozoidien lang sind. Neben der sexuellen Reproduktion kommt nun häufig noch eine asexuelle durch Schwärmsporen vor!). Wenn die erstere in einer Kopulation gleicher Gameten besteht, so sind diese kleiner als die Schwärmsporen, z. B. bei den Hydrodie- tyeen, einigen Ulvaceen, Ulotriehaceen und Chaetophora- ceen; außerdem haben die Schwärmsporen bisweilen 4 Cilien, während die Gameten nur zwei besitzen, so dass die sich paarenden Gameten gewissermaßen die Hälften einer Schwärmspore darstellen, die sich bei der Kopulation wieder vereinigen. Wenn sich aber männliche und weibliche Gameten deutlich unterscheiden lassen, dann stehen die Schwärmsporen in ihrer Größe meistens in der Mitte zwischen ihnen, wie es Aphanochaete zeigt, welche also dreierlei viercilige Schwärm- zellen besitzt: die kleinsten sind die männlichen Gameten, die mittleren die Schwärmsporen, die größten die weiblichen Gameten. Auch die Arten, welche ruhende Eier bilden, wie Oedogonium und Coleochaete, haben Schwärmsporen, welche etwas kleiner als die Eier, aber größer als die Spermatozoidien sind (Fig. 3). Warum die männlichen Gameten kleiner, die weiblichen aber größer werden, wurde oben erläutert. Freilich ist dabei nur auf die äußerlichen Verhältnisse, nicht auf das Verhalten der Kernsubstanz Rücksicht genommen und es liegen noch keine Beobachtungen vor, ob vielleicht eine Reduktion der Chromo- somen bei den Gameten gegenüber den Schwärmsporen stattfindet. Jedenfalls aber können wir aus dem bis jetzt Bekannten schon er- klären, warum die kleinen männlichen Gameten nicht im Stande sind, sich selbständig weiter zu entwickeln: enthalten sie doch neben dem Kern nur sehr wenig Plasma, ja, wenn wir gleich auf die höher stehenden Pflanzen einen Blick werfen, bei den Oharaceen z. B. so wenig, dass es nur schwer nachzuweisen ist und einige Forscher be- haupten konnten, dass hier die Spermatozoidien nur aus Kernsubstanz beständen. Die Eier dagegen sind viel eher im Stande, sich ohne 1) Man vergleiche hierzu die Arbeit von Strasburger, Schwärmsporen, (sameten, pflanzliche Spermatozoiden und das Wesen der Befruchtung. (Histo- logische Beiträge, Heft IV, 2. Teil, Jena 1892.) 158 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. Befruchtung zu entwickeln, weil ihnen eine genügende Menge von Plasma mitgegeben ist, und so ist denn die Parthenogenese eine nicht selten zu beobachtende Erscheinung bei den Algen (Sphaeroplea, Oedo- gonium, Cylindrocapsa). Interessante Uebergänge von der Schwärmsporenpaarung zur Ei- befruchtung können wir nun auch bei den braunen Algen beobachten. Der weitaus größte Teil der hierher gehörenden Formen pflanzt sich, wie die schon erwähnten Laminariaceen, durch ungeschlechtliche Schwärmsporen fort. Nur bei einigen wenigen, wie Eetocarpus silien- losus und Seytosiphon lomentarius ist es nachgewiesen, dass eine Kopu- lation der Schwärmzellen stattfindet. Diese Schwärmzellen sehen an- fangs ganz gleich aus aber schon vor der Kopulation tritt eine Verschiedenheit auf, indem sich die eine, die somit als weibliche za bezeichnen ist, festsetzt und die andere, die männliche, jene aufsucht, sich ihr anlegt und schließlich mit ihr verschmilzt. Sind hier die Planogameten nur in ihrem Verhalten, nicht aber in der Gestalt und Größe verschieden, so finden wir auf der nächsten Stufe die Kopulation eines kleinen männlichen mit einem großen weiblichen Planogameten. Auf dieser Stufe stehen die Cutleriaceen, bei welchen außerdem noch ungesehleehtliche Sechwärmer gebildet werden; eine partheno- genetische Entwicklung der unbefruchtet bleibenden Eier kommt bei ihnen auch vor. Auf der dritten und höchsten Stufe stehen die Fuca- ceen, deren weibliche Gameten als Schwärmzellen ohne Cilien auf- gefasst werden müssen. Denn nur so lässt es sich verstehen, dass die Fig. 4. Fig. 4 4. Zwei Planogameten von Eectocarpus siliculosus. B. Zanardinia collaris: a. Spermatozoid, b. Ei (oder Schwärmspore), ec. Kopulation von «a. u. b C. Fucus serratus: a. Spermatozoid, b. Ei. Alle Figuren bei gleicher Vergrößerung. Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 139 großen kugeligen Bier vor der Befruchtung ausgestoßen werden, wäh- rend ihre Größe uns den Mangel der Cilien erklärt, die nieht im Stande wären das schwerere Ei zu bewegen. Die männlichen Gameten sind sehr kleine zweieilige Schwärmsporen und der Unterschied zwischen der Größe der männlichen und weiblichen Gameten ist bei den Fuca- ceen am bedeutendsten (Fig. 4). Was die absoluten Maße betrifft, so sind bei Eetocarpus siliculosus die Planogameten ca. 6 « langt), bei Zanardinia collaris, einer Cutleriacee, sind die Spermatozoidien 2—3 u lang, die Eier 11—14 « lang und die Schwärmsporen sind hier von derselben Größe und Gestalt wie die Eier. Bei Freus serratus sind die Spermatozoidien ca. 5 « lang, die Eier aber 80-100 « dick, so dass sie die ersteren um das 30 000- bis 60 000 fache an Masse über- treffen?). Die weiblichen Gameten nehmen also von der ersten zur dritten Stufe um das 13--17fache an Größe zu, während die männ- lichen Gameten in der zweiten Stufe am kleinsten, in der dritten Stufe auch noch etwas kleiner als die Planogameten der ersten Stufe sind. Bei den Fucaceen existieren keine Schwärmsporen, die wir zur Ver- gleiehung heranziehen könnten 3). — Beiallen braunen Algen oder Phae o- phyeeen zeigt sich deutlich, dass die Befruchtung auf Planogameten- kopulation zurückzuführen ist, denn auch bei den Tilopterideen und Dietyoteen, bei denen die Fortpflanzungsverhältnisse noch nicht genau genug bekannt sind, wird aus den als Oogonien gedeuteten Organen das vermutliche Ei vor der Befruchtung als eine nackte Zelle ausgestoßen, die aber keine Cilien besitzt. Sie ist auch hier vielmals größer als die als männliche Gameten zu deutenden Zellen, welche bei den Tilopterideen noch mit Cilien versehen sind, bei den Die- tyoteen aber der Cilien entbehren. Diese letztere Erscheinung sowie das Fehlen der Cilien bei den asexuellen Sporen der beiden genannten Familien ist wohl als eine Anpassung an die Lebensweise zu erklären, indem bei ihnen das bewegte Wasser des Meeres, in dem sie leben, den Pflanzen erlaubte, sich die Cilienbildung zu ersparen. Auch die Florideen habeu sozusagen von dieser Erlaubnis Gebrauch gemacht und erzeugen niemals Schwärmzellen mit Cilien: die Bewegung des Wassers sorgt schon dafür, dass die Sporen verbreitet werden und dass die Spermatien zu den Trichogynen, den weiblichen Empfängnis- organen, gelangen®). Warum die unter gleichen oder ähnlichen Ver- hältnissen lebenden Phaeozoosporeen und Fucaceen die Cilien 1) berechnet nach der Abbildung von Thuret in Ann. sciene. nat. Bot., III Ser., T.14, Tab. 24. 2) nach Thuret et Bornet. Etudes phyeologiques, p. 29. 3) Vielleicht sind die sagen. Fasergrübcehen die Rudimente von Öoncep- takeln mit ungeschlechtlichen Sporen. 4) Die wenigen Florideen des Süßwassers leben bekanntlich nur in rasch fließenden Gewässern, während bei den im ruhigen Süßwasser lebenden grünen Algen die nackten Vermehrungszellen immer mit Cilien versehen sind. 140 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 2 $) o oO o° o© beibehalten haben, das entzieht sieh vorläufig unserer Erklärung in biologischer Hinsicht, wir können nur auf die phylogenetisehen Bezieh- ungen hinweisen, welche offenbar engere sind zwischen den Schwärm- sporen bildenden Chlorophyceen und den Phaeophyceen als zwischen ersteren und den Florideen. Bei den grünen Algen haben wir gesehen, dass die großen Eier gewöhnlich einzeln im Oogonium, die kleinen Spermatozoidien aber zu mehreren im Antheridium gebildet werden. Bei den braunen Algen tritt dies noch mehr hervor: bei Zanardinia z.B. entsteht aus jeder Zelle des wenigzelligen Oogoniums ein Ei, aus jeder Zelle des vielzelligen Antheridiums aber entstehen 8 Antherozoidien. Bei den Fucaceen entstehen die Antherozoidien in großer Anzahl in dem sackförmigen einfächerigen Antheridium, die Eier aber entstehen zu 1—8 in einem Oogonium. Sehr interessant ist es nun, dass im Oogonium anfangs immer 8 Kerne vorhanden sind). Von diesen werden bei Fucus alle zu Eiern, bei Ascophyllum wandern 4 nach der Peripherie und werden zu Eiern, 4 gehen nach der Mitte und bleiben unentwickelt zurück, bei Pelvetia werden 6, bei Hömun- thallia 7 Kerne ausgeschieden, da dort nur 2 Eier, hier nur ein Ei gebildet wird (Fig. 5). Es wird dureh diese Vergleichung ganz deut- Fig. 5. 4. Vogonium von Ascophyllum nodosum im Querschnitt: 3 Eier und in der Mitte 5 ausgestoßene Kerne sichtbar. B. Oogonium von Pelwetia im Längsschnitt mit 2 Eiern, von den ausgestoßenen Kernen sind 2 sichtbar. C. Oogonium von Himanthallia mit 4 Ei und 4 (sichtbaren) ausgestoßenen Kernen. (Nach Oltmanns.) lich, dass bei Himanthallia die 7 Kerne, welche, jeder mit einer ge- ringen Plasmamasse umgeben, neben dem einen großen Ei vorhanden sind, als reduzierte Eier aufgefasst werden müssen. Sie erinnern uns aber auch an die sogenannten Richtungskörperchen bei den tierischen Eiern und sie sind denselben offenbar homolog und analog. Denn wenn auch die letzteren erst nachträglich abgeschieden werden, nach- dem das Ei schon gebildet ist, so sind sie doch nichts anderes als 1) F. Oltmanns, Beiträge zur Kenntnis der Fucaceen. (Bibliotheca botanica, Heft 14, 1889, 4°, 94 p., 15 Taf.) Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 141 reduzierte Eier oder vielmehr Eier, die in der ersten Entwicklung stehen geblieben sind. Fasst man sie in dieser Weise auf, so erklärt es sich, warum sie nicht immer in einer solchen Anzahl gebildet wer- den, welche den Anforderungen einer Hypothese entsprechen würde, nach der die Riechtungskörperchen die Ausscheidung des männlichen Elementes aus den anfangs neutralen Biern u. dergl. bedeuten sollen. Wenn wir nämlich von einer solchen Anschauung ausgehen, nach der es sich bei der Bildung der Richtungskörperehen um die notwendige Ausscheidung gewisser Elemente aus dem Ei und ihre Beziehung zu dem Eintreten der Befruchtung handelte, so müssten ganz gewiss auch bei den Pflanzen homologe Vorgänge auftreten, da die Befruchtungs- verhältnisse bei Pflanzen und Tieren sonst ganz gleichartig sind. Allein nirgends, soviel man auch danach gesucht hat, sind wirkliche Rich- tungskörperchen bei pflanzlichen Eiern gefunden worden, und alles, was man in solcher Weise zu deuten gesucht hat, ist in Wirklichkeit ganz anders zu erklären, während uns andererseits die Fucaceen durch die geschilderten Vorgänge bei der Eientwicklung zu der rich- tigen Auffassung führen. Warum nun bei einigen Fucaceen nicht alle durch die vorhandenen Kerne angedeuteten Eier zur Entwicklung gelangen, das lässt sich nicht weiter erklären, als dass wir sagen, dass das eine oder die zwei oder vier Eier so groß werden, dass sie alles vorhandene Protoplasma aufbrauchen. Wir finden etwas ähn- liches bei der Entstehung mancher Sporen, z. B. in den Makrosporangien von Salvinia, in denen 4 x 16 Sporen angelegt werden, aber nur eine zur Entwicklung kommt und diese dann das ganze Makrosporangium ausfüllt; bei der Ausbildung des Eies dagegen ist so etwas für andere Pflanzengruppen nicht bekannt. Fig. 6. Befruchtungsreifes Archegonium von Marchantia (Lebermoos): im Grunde des Archegoniums liegt das Ei, unten an der Oeffnung des Halsds tritt ein Antherozoid ein. (Nach Strasburger.) 142 Möbius, Entstehung und Bedentung der geschlechtlichen Fortpflanzung. Was nun die übrigen Klassen des Pflanzenreiches betrifft, so haben wir von den Moosen an aufwärts einen regelmäßigen Generations- wechsel, also auch eine sexuelle Fortpflanzung. Bei den Moosen und Farnen erinnert das Antherozoid, welches eine kleine, mit Cilien ver- sehene und wesentlich aus dem Zellkern bestehende freibewegliche Zelle ist, noch an die Planogameten der Algen; das Ei dagegen ist immer eine unbewegliche, nackte, kugelige Zelle, die in dem Arche- gonium liegen bleibt und hier das Antherozoid erwartet (Fig. 6). Bei den Phanerogamen sind Schwärmzellen überhaupt nicht mehr vor- handen und die Vereinigung der männlichen und weiblichen Elemente erfolgt auf eine Weise, die mehr an die oben erwähnten Verhältnisse bei den Konjugaten erinnert, freilich ohne zu diesen in näherer Be- ziehung zu stehen. Es ist erst ziemlich spät gelungen nachzuweisen, dass auch hier die Befruchtung auf der wirklichen Verschmelzung ge- formter plasmatischer Bestandteile beruht. Das Eindringen des Anthero- zoids in das Archegonium bei Moosen und Farnen hatte man schon vorher beobachtet und man konnte somit auch für die höheren Krypto- gamen eine Gametenkopulation als sicher annehmen. Es gab also eine Zeit, in der man sagen konnte, dass eigentlich die Kryptogamen die Pflanzen seien, die eine deutliche Befruchtung zeigen, während bei den Phanerogamen der Befruchtungsvorgang noch verborgen sei. Jetzt ist nun dureh die schönen Arbeiten Strasburger’s, Guignard’s u.a. nachgewiesen, dass auch bei den Phanerogamen im Befruchtungsakt zwei Zellen mit einander verschmelzen, die als kleiner männlicher und großer weiblicher Gamet unterschieden sind. Da sich nun die Ge- schleehtsorgane der Phanerogamen als ganz homolog denjenigen der höheren Gefäßkryptogamen gezeigt haben (weswegen wir eben auch bei ersteren von einem Generationswechsel sprechen können) und da wir die Befruchtung bei den Gefäßkryptogamen ohne Schwierigkeiten von derjenigen bei den Algen ableiten können, so geht auch der Be- fruchtungsakt der Phanerogamen in letzter Instanz auf die Plano- gametenkopulation zurück: die Planogameten sind hier m das Ei und den generativen Kern des Pollenschlauches umgewandelt. Die morphologischen Verhältnisse der Fortpflanzung sind also für die Pflanzen heutzutage ziemlich verständlich und wir haben versucht, im Vorstehenden einen Ueberblick über dieselben zu geben. Wenn man sich aber früher begnügte, das Zusammenkommen zweier Zellen bei der Befruchtung nachzuweisen, so geht man jetzt auch darauf aus, das Verhalten der einzelnen Bestandteile dieser Zellen bei der Befruch- tung zu untersuchen. Aus allen zur Zeit vorliegenden Untersuchungen zieht nun schon Strasburger (1892].e.) den Schluss, „dass an dem 3efruchtungsvorgang bei den Pflanzen drei Bestandteile des Protoplas- mas beteiligt sind: der Zellkern, die Centrosphären und das Kino- Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 145 plasma“). Am deutlichsten sieht man dies bei der Befruchtung der Phanerogamen, welche durch die beistehende Abbildung, eine Wieder- gabe einiger Figuren aus Guignard’s Arbeit?), erläutert werden Fig 7. Lilium Martagon. A. Der Pollenschlauch erreicht das Ei: ns genera- tiver Kern mit 2 Centrosomen; no Eikern mit 2 Centrosomen; s Synergide. B. u. ©. Das befruchtete Ei mit den beiden Synergiden s; p in B der Pollen- schlauch, die Kerne liegen nebeneinander, in C. sind aus den 4 Centrosomen 2 geworden, entsprechend den Zahlen c,, » 3» „ D. Das Ei, in dem die beiden Kerne zu einer karyokinetischen Figur mit 24 Chromosomen verschmolzen sind. (Nach Guignard.) soll: sehr gut sieht man besonders auch, dass die 2 Paare von Centro- somen sich zu zwei Gentrosomen vereinigen, während die Kerne selbst noch getrennt sind, die dann bei ihrer Vereinigung sogleich eine Tei- lungsfigur bilden. Wir sind noch nicht so weit bei den übrigen Pflanzen das Verhalten der einzelnen Teile der Gameten bei der Kopulation so genau zu kennen; man ist zunächst noch bemüht, wenigstens die Kern- verschmelzung nachzuweisen und inwieweit dies gelungen ist, soll in kurzer Zusammenfassung gezeigt werden. Wir wollen aber dabei be- rücksichtigen, dass bei der Befruchtung nicht überhaupt eine Kern- verschmelzung eintritt, sondern dass der eine Kern des männlichen 1) Auf die von Strasburger aufgestellte Unterscheidung von Kinoplasma und Trophoplasma bin ich hier nicht eingegangen und spreche deshalb nur von Plasma oder Protoplasma. — 2) Ann. d. seiene. nat. Bot., Ser. VI, T. VII, Tab. 15 u. 16. 144 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtliehen Fortpflanzung. Gameten zu dem Kerne des Eies gelangen und dass dieser auch nur mit diesem einem Kern verschmelzen muss: was das zu bedeuten hat, wird sich bei der Betrachtung der einzelnen Fälle besser verstehen lassen als in der allgemeinen Fassung. Am einfachsten liegen in dieser Beziehung die Verhältnisse bei den Angiospermen, bei denen nur ein Pollenschlauch in eine Samenknospe hineinwächst. Letztere ent- hält nur ein empfängnisfähiges Ei, der Pollenschlauch enthält zwar zwei generative Kerne, welche aber nicht gleichzeitig zu dem Ei kom- men, da sie hintereinander liegen: der vordere verschmilzt dann mit dem Eikern, der zweite kann auch sogar bis in das Ei hineingelangen, wird dann aber in demselben, ohne eintretende Kernverschmelzung (nach Guignard) aufgelöst. Bei den Coniferen enthält die Samen- knospe mehrere Archegonien und somit auch mehrere Eier. Wenn die Archegonien ganz dicht bei einander liegen, wie bei Juniperus, so werden alle nur durch einen Pollenschlauch befruchtet, dessen genera- tiver Kern sich aber so oft teilt, wie es nötig ist, damit jedes Ei von einem männlichen Gameten befruchtet werden kann. Bei anderen, wie bei der Tanne, liegen die Archegonien nicht so dicht beisammen und hier werden sie von ebensovielen Pollenschläuchen, deren jeder einen generativen Kern enthält, aufgesucht, als Archegonien vorhanden sind. Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass jedes Ei, resp. jede Samen- knospe befruchtet werden muss: im Gegenteil bleibt es oder sie natür- lieh oft genug unbefruchtet und dann tritt in den meisten Fällen keine Weiterentwieklung des Eies ein; nur sehr selten scheint bei den Phanerogamen eine wirkliche Parthenogenese vorzukommen. Bei den Kryptogamen ist, wenn die Eier nicht ganz unbefruchtet bleiben und wenn überhaupt die Verhältnisse dafür günstig sind, dass die männlichen Gameten zu den weiblichen kommen können, eher die Gefahr vorhanden, dass mehr als ein männlicher Gamet in das Ei eindringe. So bei den Farnen und Moosen bei denen wohl immer gleich mehrere Spermatozoidien in den Hals des Archegoniums ein- dringen: sobald aber das erste mit dem Ei verschmolzen ist, umgibt sich dieses sofort mit einer Membran und ist für die folgenden Sperma- tozoidien, die sich in dem engen Halskanal einzeln hintereinander be- wegen, nicht mehr zu sprechen. Diese Ausscheidung einer Membran um die vor der Befruchtung nackte Oosphäre ist ein ganz allgemeiner Vorgang und damit werden auch bei den Algen die weiteren Sperma- tozoidien abgehalten, wenn sie hintereinander in das Oogonium ein- dringen. Nicht so ist es bei den großen kugeligen Eiern von Fuecus, die von zahlreichen Spermatozoidien umschwärmt werden: ein beson- derer Empfängnisfleck scheint nicht vorhanden zu sein und man sieht nicht ein, warum nicht mehrere Spermatozoidien gleichzeitig in das Ei eindringen können. Es ist dies ja auch möglich, aber es wird dann doch eines zuerst den Kern erreiehen und seinen Kern mit ihm ver- Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 145 schmelzen, während die anderen, gleichzeitig eingedrungen seienden, sich vermutlich im Eiplasma auflösen wie der zweite generative Kern im Ei der Angiospermen. Nach dem Eindringen des Spermatozoids und der Verschmelzung der beiden Kerne, was bei Fucus vesiculosus schon 1886 von Behrens beobachtet worden ist!), umgibt sich das Ei auch sogleich mit einer Haut. Bei denjenigen weiblichen Gameten, die noch die Gestalt der Schwärmspore bewahrt haben, erfolgt eine Kopulation mit dem männlichen Gameten in der Regel nur, wenn sich beide mit ihren eilientragenden Spitzen berühren. Hier ergeben dann schon die Größenverhältnisse, dass nur ein männlicher Gamet sich mit einem weiblichen vereinigen wird, wie auch bei der Verschmelzung der Schwärmsporen dieselbe fast immer paarweise erfolgt. Allerdings kommt es auch vor, dass mehr als zwei Schwärmsporen mit einander kopulieren, nämlich drei oder vier bei Acetabularia. Fig. 9, Oedogonium Bosci. A. Junges Oogonium, welches sich öffnen will. Vor der Mündung ein Spermatozoid. BD. Oogonium mit befruchteten Ei, das die beiden Kerne enthält und sich mit einer Membran umgeben hat. 0. D.E. oberer Teil des befruchteten Eies, in dem der Kern des Spermatozoids mit dem Eikern verschmilzt. (Nach Klebahn.) Dass eine wirkliche Verschmelzung der Kerne bei der Befruchtung eintritt, ist erst für wenige Algen nachgewiesen: zunächst für den schon erwähnten Fucus vesiculosus, dann für Oedogonium Boscii?) (Fig. 8) und zuletzt für Vaucheria ?). Bei Vaucheria ist die Sache insofern besonders interessant, als wir es hier mit einer Siphonee zu thun haben, in deren schlauchförmigem, ungegliedertem Thallus zahlreiche Zellkerne gleichförmig durch das ganze Plasma verteilt sind. Das junge Oogonium wird anfangs auch von einem Plasma mit zahlreichen Zellkernen erfüllt, aber bei der Reifung wandern alle diese Kerne 1) Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, Bd. 4, S. 92. 2) H. Klebahn, Studien über Zygoten Il. (Pringsheim’s Jahrbücher, Bd. XXV, S. 235, 1892.) 3) F. Oltmanns, Ueber die Entwicklung der Sexualorgane bei Vaucheria. (Flora 1895, S. 388.) XVl. 10 446 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. wieder aus bis auf einen, der dann den Kern des Eies bildet (Fig. 9). Die winzig kleinen Spermatozoidien bekommen gleich bei ihrer Ent- Fig. 9. &S bi © Fig. 8. Vaucheria. A. B. (0. Junge Oogonien im Längsschnitt: A. mit vielen Kernen; B. die Kerne wandern wieder aus bis auf einen; ©. im Oogonium nur noch ein Kern, der Eikern; a—d die aufeinander folgenden Stadien der Ver- schmelzung der Kerne von Ei und Spermatozoid. (Nach Oltmanns.) stehung nur einen Kern mit. Als bemerkenswerte Entdeckung ist noch hervorzuheben, dass auch bei den Florideen die Kernverschmelzung bei der Vereinigung des Inhalts des Spermatiums mit dem der Carpo- sphäre für eine Art, Nemalion multifidum, nachgewiesen ist!), eine um so interessantere Entdeckung, als man bisher noch nicht die Wan- derung des Inhaltes des Spermatiums durch die Triehogyne hindureh nach der Carposphäre hatte verfolgen können. Ist die Kernverschmel- zung hier erfolgt, so wird die verengte Stelle, weJche die Carposphäre init dem unteren Teile der Triehogyne verbindet, durch eine Zellwand- Fig. 10. Nemalion multifidum A. Befruchtetes Procarp: sp Spermatium, 2 Tricho- gyne, xs. Kern des Spermatiums, n.o Eikern. B. Ein folgendes Stadium, in dem in der Carpo- sphäre n.o und n.s verschmelzen. (Nach Wille.) N. Wille, Ueber die Befruchtung bei Nemalion multifidum. (Berichte der deutschen bot. Gesellschaft, 1394, Bd. XII, p. (57). Möbius, Entstehung und Bedentung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 147 verdiekung geschlossen und so ist die Carposphäre gegen das Ein- dringen anderer männlicher Gameten auch hier geschützt (Fig. 10). Schließlich sei auf das hingewiesen, was oben über die eigentümlichen Verhältnisse der oft erst nachträglich eintretenden Kernverschmelzung bei den Konjugaten gesagt wurde, was aber gleich an jener Stelle zu erwähnen zweckmäßiger schien. Es kann hier noch hinzugefügt werden, dass bei den Konjugaten dadurch, dass zwei abgeschlossene Zellen mit einander kopulieren, dafür gesorgt ist, dass auch immer nur 2 Kerne mit einander verschmelzen, allein dass man zuweilen doch drei Zellen in Kopulation findet, indein z. B. bei Spirogyra oder Zyg- nema zwei Zellen ihre Kopulationsfortsätze auf eine andere hintreiben, die zwei Fortsätze bildet: ob dann auch eine Zygote gebildet werden kann, weiß ich nicht. Die Erscheinungen der Kernverschmelzung sind, soweit genauere Angaben darüber vorliegen, einfach. Bei Oedogonium und Vaucheria, bei denen das Produkt der Befruchtung eine ruhende Zygote ist, schwellen die Kerne des männlichen und weiblichen Gameten bei ihrer Annäherung etwas an, sie legen sich aneinander, die Kernmembranen werden aufgelöst und die Kerne verschmelzen zu einem, der sich jetzt wieder etwas kontrahiert und bald auch wieder einen Nukleolus zeigt; Öentrosomen hat man dabei nicht nachweisen können. Bei den Pha- nerogamen (Lilium) lässt sich ebenfalls die Anschwellung vom Ei- und Pollenschlauchkern beobachten, da aber das befruchtete Ei nicht in einen Ruhezustand übergeht, so sind die folgenden Vorgänge etwas anders. Zwischen den Kernen nämlich, die dicht aneinander liegen, lässt sich bis zuletzt noch eine trennende Membran beobachten; nur die zwei Paare von Centrosomen, deren je eines vom männlichen und weiblichen Gameten stammt, sind zu zwei Öentrosomen verschmolzen, die sich gegenüber liegen auf zwei verschiedenen Seiten des Kernpaares und zwar enthält jedes dieser neuen ÜÖentrosomen eines vom männ- lichen und eines vom weiblichen Gameten. Dann tritt sogleich eine einheitliche Kernteilungsfigur auf mit 24 Chromosomen, die sich in 48 spalten, unter gleichzeitiger Teilung der zwei Centrosomen in vier (Fig. 7). Die Zahl der Chromosomen bei der Karyokinese scheint bei der Befruchtung eine gewisse Rolle zu spielen, wenigstens was die Angio- spermen betrifft. Bei den Zell- und Kernteilungen, welche zur Bil- dung der Samenknospe und des Embryosacks führen, ist z. B. bei Lilium und Fritillaria die Zahl der Chromosomen 24, in den weiteren Teilungen, welche zur Bildung des Eies und seiner Synergiden führen, ist ihre Zahl hier 12. Ebenso wird die Zahl der Chromosomen von 24 auf 12 herabgesetzt, wenn in den Antheren die Teilung der Pollen- mutterzellen beginnt: in den weiteren Teilungen bleiben es immer 12 Chromosomen. Aber die erste Teilung des Eies zeigt wieder, wie schon erwähnt, 24 Chromosomen. Ueber diese als Reduktion der 10* 148 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. Chromosomen bekannte Erscheinung kann ich mich kurz fassen, da sie von Strasburger in diesem Blatte!) unlängst zum Gegenstande einer ausführlichen Abhandlung gemacht worden ist und da ihr von Strasburger dieselbe Bedeutung zugeschrieben wird, welche mir auch schon, ehe ich jene Abhandlung kannte, als die wahrscheinlichste er- schienen ist. Nach dieser Auffassung ist die Reduktion der Chromo- somen eigentlich nicht auf einen physiologischen, sondern einen phylo- genetischen Grund zurückzuführen, nämlich darauf, dass bei den, einen regelmäßigen Generationswechsel besitzenden Pflanzen die Kerne der ungeschlechtlichen Generation eine doppelt so große Anzahl von Chromo- somen bei der Karyokinese zeigen, als die der geschlechtlichen Genera- tion. Die letztere beginnt nun bei den Phanerogamen eigentlich mit den Teilungen innerhalb des Embryosackes und innerhalb des Pollen- kornes und -schlauches, während mit der Teilung des Eies wieder die ungeschlechtliche Generation anfängt. Embryosaeck und Pollenkorn sind als Sporen anzusehen; dass schon bei der Teilung ihrer Mutterzellen?) die Reduktion der Chromosomen eintritt, scheint gegen die Richtigkeit der gegebenen Erklärung zu sprechen, allein wenn wir die Gefäß- kryptogamen und Moose betrachten, da finden wir auch schon von der Teilung der Sporenmutterzellen an die Reduktion der Chromosomen. Andererseits liefern aber diese Pflanzen den Beweis für die kientig- keit unserer Erklärung, indem aus den bisher vorliegenden, von Stras- burger mitgeteilten Beobachtungen hervorgeht, dass die Kerne der geschlechtliehen Generation (Moospflanze und Prothallium) bei der Karyokinese halb so viel Chromosomen bilden als die Kerne der un- geschlechtlichen Generation (Mooskapsel und Farnpflanze). Zur Er- klärung der analogen Verhältnisse bei den Tieren nimmt Strasburger auch einen allerdings sehr reduzierten Generationswechsel bei ihnen an. Eine physiologische Bedeutung der Reduktion der Chromosomen scheint mir für unsere bis jetzt erlangte Kenntnis dieser Verhältnisse nur unter der Annahme zu finden zu sein, dass die Chromosomen ihre Selbständigkeit auch im ruhenden Kerne bewahren, trotzdem sie hier äußerlich verloren geht. Auch Strasburger sieht sich zu dieser An- nahme genötigt, obgleich einige Erscheinungen an der Entwicklung der pflanzlichen Generationsorgane dagegen sprechen. So teilt sich, wie Guignard angibt, von den beiden aus der ersten Kernteiluug im Embryosack entstehenden, also ganz gleichwertigen Kernen der eine unter Bildung von 12 Chromosomen, wie sein Mutterkern, der andere unter Bildung von mehr als 12, sogar bisweilen 24 Chromo- somen, wie die vorletzte Kerngeneration. Dagegen erhalten ganz deut- lich ihre Selbständigkeit die Chromosomen in den Kernen des männ- dv Ren 2) Bei einigen Angiospermen entsteht nämlich der Embryosack aus einer besonderen Einbryosackmutterzelle durch deren Teilungen. Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 14% liehen und weiblichen Gameten der Angiospermen, denn es treten nach dem Verschwinden der die Kerne trennenden Membran sogleich 2 x 12 Chromosomen auf ohne vorhergehende Verschmelzung der Kerne zu einem. Noch deutlicher wird die Selbständigkeit der Chromosomen bei der Entwicklung des tierischen Eies und bei seiner Befruchtung bewahrt. Darauf beruht nun auch die Erklärung, welehe Weismann für die Vorgänge der Verdoppelung und der Reduktion der Chromo- somen oder, wie er sie nennt, Idanten aufstellt. Es scheint mir, dass sich seine Auffassung der Richtungskörperchen, deren Bedeutung nach ihm in der Reduktion der Idanten des Bies liegt, mit unserer oben ausgesprochenen Meinung vertragen kann, nach welcher die Riehtungs- körperchen nur unentwiekelte Eier sind, wie ja auch von manchen Zoologen angenommen wird. Es ist hier nicht am Platze, sich länger anf diesem so vielfach diskutierten Gebiete aufzuhalten, es soll in dieser Beziehung nur noch auf einen Punkt hingewiesen werden. Nach Weismann nämlich kommt es nur darauf an, dass das Ei eine gewisse Menge derjenigen Substanz erhält, die als Träger der Vererbung fungiert und in diesem Sinne können wir ihm sehr wohl beistimmen entgegen jener sonder- baren Auffassung, nach welcher bei der Reduktion der Chromosomen gewisse männliche Elemente hinausgeschafft würden, damit das Ei „rein weiblich“ sei. Sonderbar erscheint mir diese Meinung deshalb, weil sie annimmt, dass die Unterscheidung des männlichen und weib- liehen Geschlechtes etwas ursprünglich vorhandenes sei. Wir haben aber gezeigt, dass sich eine Unterscheidung von Geschlechtern, weil vorteilhaft, allmählich herausgebildet hat, dass es aber eigentlich nur darauf ankommt, zwei vorher getrennt seiende Zellen oder Kerne zu vereinigen. Das befruchtungsreife Ei ist einfach eine Zelle, welcher die Eigenschaften des einen Individuums anhaften, wie das Spermatozoid eine andere Zelle ist, welcher die Eigenschaften des anderen Individuums anhaften. Die vererbbaren Eigenschaften denkt sich Weismann speziell an . die Chromosomen gebunden, eben weil man aus der Reduktion der Chromosomen und den karyokinetischen Vorgängen sieht, dass bei der Veremignng der beiden Kerne im Befruchtungsakt eine möglichst gleich- artige Mischung aus den beiden Eltern erzielt wird. Wäre das Proto- plasma der Träger der vererbbaren Bigenschaften, so müsste bei jeder sexuellen Fortpflanzung, die dureh Eibefruchtung erfolgt, der mütter- liche Einfluss der überwiegende sein. Dass der männliche Gamet über- haupt mit Protoplasma versehen ist, erklärt sich daraus, dass ein Kern für sich allein offenbar nicht zu existieren im Stande ist. Es kämen dann aber noch die Gentrosomen in Frage, die ja auch bei den männ- lichen und weiblichen Gameten gleich groß sind und wahrscheinlich überall vorhanden und nur wegen der Schwierigkeit, sie sichtbar zu 450 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. machen, nieht überall nachgewiesen sind. Es dürfte wohl am besten sein, Kern und Öentrosomen als ein gemeinsames Ganze anzusehen und uns nicht jede einzelne Eigenschaft, die von den Organismen vererbt wird, an ein bestimmtes Teilchen der Kern- oder Zellsubstanz überhaupt gebunden zu denken. So können wir auch ein besonderes Keimplasma und besondere Bahnen für dasselbe im Weismann’schen Sinne nicht anerkennen‘). Ueberhaupt wird schwerlich je ein Botaniker sich zu dieser Anschauung bewegen lassen, da er ja sieht, dass, z.B. bei einem Lebermoos, fast jede Zelle der Pflanze im Stande ist, die ganze Pflanze zu reproduzieren. Sagt man aber, dass bei dieser Pflanze das Keimplasma auf alle Zellen verteilt ist, so würde dies nur ein anderer Ausdruck für die zu beobachtende Erscheinung sein, ohne dass wir damit eine genauere Kenntnis der Sache erworben hätten. Doch wir würden uns mit solchen Erörterungen zu weit von unserem Wege entfernen und wollen uns deshalb daran erinnern, dass wir zu- nächst die morphologische Seite der geschlechtlichen Fortpflanzung, dann, wenn man so sagen darf, ihre anatomisch -physiologische be- trachtet haben, dass uns jetzt also noch ihre biologische Bedeutung zu erörtern bleibt. Da die Beobachtung des Kopulations- und Befruchtungsvorganges auf die Vereinigung gleichartiger Schwärmsporen als Ausgangspunkt aller weiteren Erscheinungen führt, so entsteht zunächst die Frage, was die Schwärmsporen veranlasst habe mit einander zu kopulieren? Man könnte annehmen, wie schon oben angedeutet, bei der Entstehung derselben sei die Teilung so weit gegangen, dass die entstehenden Schwärmsporen zu klein geworden seien, um sich selbständig weiter zu entwickeln und dass erst aus zweien wieder eine Zelle entstanden sei, welche diese Fähigkeit besitzt. Viel wäre damit natürlich nicht gewonnen, denn es bleibt nieht nur unerklärt, was nun die getrennten Produkte wieder zusammenführt, sondern es wird auch nur als Grund der Erscheinung ein Vorgang angegeben, für den wir gar keinen Grund wissen. Von dieser Seite her werden wir also die Sache nicht erklären können, wir werden uns darauf beschränken müssen, die bio- logische Bedeutung der Erscheinung zu verstehen. Die Frage nach der Bedeutung der Sexualität ist ja schon wiederholt diskutiert wor- den; auch ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Notwendigkeit der Sexualität zur Erhaltung der Art keineswegs von vornherein klar ist: im Gegenteil sehen wir, dass viele Arten sich sehr gut und dabei unverändert erhalten, ohne je sich sexuell zu ver- mehren, sei es dass sie überhaupt keine Geschlechtsorgane besitzen 1) Die Kontinuität des Keimplasmas im Sinne Sachs’ ist freilich etwas anderes, es ist eine '[hatsache, eine Erscheinung in der Entwieklnng der Pflanzen, welche in das rechte Licht gesetzt zu haben ein großes Verdienst unseres genialen Physiologen ist. Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. 151 wie das ganze große Reich der Pilze (die sog. Meso- und Mycomy- cetes, mit Auschluss der Phycomycetes), sei es dass sie solche besitzen, diese aber funktionslos sind, und dass sie sich nur durch Propagation vermehren und erhalten. Andererseits freilich werden individuelle Abänderungen, die durch Veränderung der äußeren Lebensbedingungen entstanden sind, gerade bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung er- halten. Allein dies würde doch gewiss auch von Vorteil für den ganzen Haushalt der Natur sein können, indem auf diese Weise die Organismen sich besser den veränderten Lebensbedingungen anpassen könnten. Nur würden wir dann bald eine Menge verschiedener Formen vor uns sehen und die spezifischen Unterschiede würden verschwinden. Wir müssen nun annehmen, dass es eine Naturnotwendigkeit ist, so- wohl dass getrennte Arten existieren, als auch dass Varietäten und neue Arten entstehen: damit beide Zwecke erreicht werden, besteht die Einrichtung der sexuellen Fortpflanzung. Zunächst hat sie also die Bedeutung, welche Grisebach!) u. a. als ihre einzige angesehen zu haben scheinen: den Arttypus zu erhalten, die Erhaltung und Ver- erbung individueller Abweichungen aber zu vermeiden. Wie leicht ersichtlich wird bei der sexuellen Verbindung von zwei Individuen derselben Art die Vereinigung der Gameten in der Weise wirken, dass die Eigenschaften des einen Gameten nicht allein zur Geltung kommen können, sondern durch die des anderen modifiziert werden; es werden also die erhaltenen Mittelwerte sich viel weniger leicht vom Typus der Art entfernen, als wenn die Eigenschaften nur von einer Seite aus vererbt werden. Eine andere Anschauung dagegen findet die hauptsächlichste Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung in der Er- zeugung neuer Arten aus den vorhandenen. In diesem Sinne fasst Kerner!) die Sache auf und spricht sich dahin aus, dass Fortpflan- zung, Vermehrung und Verbreitung der Pflanzen auch durch „Ableger“ (d. i. Organe der ungeschlechtlichen Reproduktion und Propagation) erfolgen können, dass sich aber die Befruchtung nur begreifen lässt, wenn man sie als ein Mittel zur Entstehung neuer Arten auffasst. Nach ihm ist, speziell für die Blütenpflanzen, das Ziel aller jener Ein- richtungen, welche zur Befruchtung führen sollen, „dass im Beginne des Blühens eine zweiartige Kreuzung und erst dann, wenn diese nicht zu Stande kommt, einartige Kreuzung, Geitonogamie, Autogamie und Kleistogamie stattfinden“. Die Hauptsache wäre also, dass durch die Sexualität eine Vermischung zweier Arten und dadurch die Ent- stehung neuer Arten ermöglicht würde. Man muss zugeben, dass die Sexualität in dieser Hinsicht eine große Bedeutung besitzt und ich glaube auch, dass man viel eher durch sprungweise, durch die Kreu- zung hervorgerufene Veränderungen als durch allmähliche, auf An- 1) Göttinger Nachrichten, 1878, Nr. 9. 2) Pflanzenleben, Bd. II, S. 581. 152 Möbius, Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung, passung beruhende Veränderungen die Entstehung neuer Arten er- klären kann. Wie nun aber schon oben angedeutet wurde, ist es möglich, dass — um mich eines kurzen Ausdruckes zu bedienen — die Grisebach’sche Auffassung neben der Kerner’schen bestehen bleibt, denn bei ersterer handelt es sich um die sexuelle Vereinigung von Individuen innerhalb einer Art, bei der letzteren um die Kreu- zung verschiedener Arten. Wenn die sexuelle Fortpflanzung nur die Erhaltung der Art sichern sollte, so würde dafür gesorgt sein, dass eine zweiartige Kreuzung überhaupt nicht stattfinden könnte oder erfolglos wäre; allein die Kreuzung nahe verwandter Arten ist wohl viel häufiger erfolgreich und liefert vielmehr fruchtbare Bastarde, als viele anzunehmen geneigt sind. Wäre aber die wahre Absicht der sexuellen Fortpflanzung die Vermischung der Arten, so würde nicht die Vereinigung von Individuen derselben Art die Regel sein, wie sie es doch wohl ist. Darum ist anzunehmen, dass dem Fortbestehen der organischen Welt sowohl aus der einartigen wie aus der zweiartigen Kreuzung ein Vorteil erwächst. Neben diesen Vorteilen, auf welche die sexuelle Fortpflanzung gerichtet ist, muss nun aber noch ein dritter hervorgehoben werden, der mir bis jetzt nicht in entsprechender Weise Beachtung gefunden zu haben scheint. Die Sexualität kann nämlich auch ein Mittel zur Ausbildung höher stehender, d. h. kom- plizierter gebauter Formen werden. In dieser Hinsicht kommt es in Betracht, dass nicht bloß zwei Individuen ihre Gameten zur Vereinigung bringen, sondern dass die beiden Gameten oder auch Individuen als männlich und weiblich unterschieden sind. In solcher Weise wirkt die geschleehtliche Fortpflanzung besonders bei den Blüthenpflanzen und wir brauchen, um dies zu erkennen, nur die verschiedenartigen Einrichtungen für die Bestäubung und die mannigfaltigen, oft wunder- vollen Gestalten der Blüten und Konstruktionen der Bestäubungs- apparate mit ihrer Anpassung an die Insekten zu betrachten. Viel mehr aber als bei den Pflanzen ist im Tierreich die Sexualität in der Hand der Natur ein Mittel zur Vervollkommnung oder besser gesagt zur Ausbildung komplizierter gebauter Formen geworden. Hier han- delt es sich nicht nur um die Mittel zur Vereinigung der verschieden gebauten Geschlechter, sondern auch um die Auswahl der Individuen und was dabei die geschlechtliche Zuchtwahl gewirkt hat, das führt Darwin in meisterhafter Weise in seinem bekannten Werke aus. Aber auch hier dürfen wir nicht zu weit gehen und nicht glauben, dass erst durch die geschlechtliche Fortpflanzung eine Entwicklung zu höheren Formen stattfände. Im Allgemeinen zwar geht mit der Vermehrung der Bedürfnisse, welche ja durch die Sexualität gegeben wird, eine Vervollkommnung der Einrichtungen, hier also der Organi- sation Hand in Hand. Aber gerade das Pflanzenreich liefert uns einige gute Beispiele davon, wie sich eine hochentwickelte Organisation bei Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 153 ungeschlechtlicher Fortpflanzung finden kann. Die Laminariaceen, welche sich nur durch asexuelle Schwärmsporen fortpflanzen, stehen im Bau ihres Thallus auf derselben hohen Stufe im Reiche der Algen wie die Fucaceen, bei denen eine Befruchtung zwischen sehr ver- schieden gebauten Gameten stattfindet. Bei den Moosen finden wir den kompliziertesten Bau in der Mooskapsel, dem Organ, welche zur ungeschlechtlichen Vermehrung dient, und analog ist bei den Farn- pflanzen die ungeschlechtliche Generation diejenige, welche Stamm, Blätter und Wurzeln bildet, während die geschlechtliche Generation als ein unscheinbarer kleiner Thallus auftritt!). Also nur unter ge- wissen Umständen wirkt die Sexualität im der Weise, wie ich sie in in dritter Linie als emen Vorteil, der daraus für die Entwicklung der Örganismenwelt entsteht, anführte. Es ist aber nun zu bedenken, dass im Pflanzenreieh die Sexualität gar nicht die hervorragende Rolle spielt, welche ihr im Tier- und Menschenreich zukommt. Ob Jemand, wenn er auch dieses in Betracht zieht, eine befriedigende Antwort über die biologische Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung zu geben im Stande ist, bezweifle ich freilich noch. Das Pflanzenreich aber zeigt uns in sehr klarer Weise, wie die geschlechtliche Differen- zierung allmählich sich immer weiter ausgebildet hat, und das habe ich in den vorhergehenden Betrachtungen darzulegen versucht. — 17] Anthropologische Arbeiten in Russland. Das ausgedehnte Russische Reich mit seinen verschiedenen und mannigfaltigen Völkern bietet der Anthropologie ein weites Feld der Forschung dar. Seit der Begründung der Moskauer Gesellschaft der Freunde der Anthropologie, Ethnologie und Naturkunde durch A. Bog- danow ist insbesondere Moskau der Ausgangspunkt einer langen Reihe von anthropologischen Arbeiten geworden. — Von Moskau aus ist die Anregung zu wissenschaftlicher Bearbeitung anthropolo- gischer Fragen auch auf andere Teile des Russischen Reiches über- gegangen. Abgesehen von den älteren Arbeiten Bogdanow’s und seiner Schüler Anutschin, Sograf und anderer sind einige 4) Hiergegen nun wieder könnte Jemand einwenden, dass es sich bei den Moosen und Farnen um einen Generationswechsel handelt, der ja nach dem- selben Prinzipe auch bei den Phanerogamen vorhanden ist. Die Sache liegt aber insofern anders, als bei letzteren die ungeschlechtliche Generation so zu sagen in den Dienst der geschlechtlichen gestellt ist, was sich darin zeigt, dass die ungeschlechtliche Generation die Aufgabe übernommen hat, für das Zusammenbringen der Gameten, die Bestäubung, welche der eigentlichen Be- fruchtung vorangeht, zu sorgen; bei den Kryptogamen ist dies (mit Ausnahme von Azolla) nieht der Fall. 154 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. neuere Arbeiten hier zu nennen: A. N. Charusin, Ueber die Kir- gisen, 2 Bände 1889—91 (noch nicht beendigt); A. A. Iwanowski, Die Mongolen-Torgouten 1893; N. J. Sograf, Die männliche Be- völkerung im Gouv. Wladimir, Jaroslaw, Kostroma 1892; N. P. Da- nilow, Zur Charakteristik der gegenwärtigen Bevölkerung Persiens, 1894. — Eine Zeit lang — während meiner Lehrthätigkeit in Dorpat — konnte ich mich an diesen anthropologischen Arbeiten beteiligen. Es sind damals unter meiner Leitung untersucht woroen: die Letten (Waeber); die Liven (Waldhauer); die Esten (Grube); die Littauer (Brennsohn): die Juden (Bloehmann); die Klein- russen (Diebold). Seit ich Dorpat verlassen, sind daselbst keine derartigen Arbeiten ausgeführt; wenigstens sind mir keine zugekommen, wenn ich von einer speziellen Arbeit über die Gehirnwindungen der Esten, (einer anatomisch-anthropologischen Studie, Dorpat 1894), ab- sehe. Es ist daher sehr erfreulich, dass in St. Petersburg der Professor der Anatomie an der militär- medizinischen Akademie Herr Dr. A. Tarenetzky in der letzten Zeit das anthropologische Studium sehr gefördert hat. Herr Tarenetzky, selbst ein eifriger und thätiger Anthropolog, über dessen Arbeiten auf dem Gebiete der Cra- niologie auch hier berichtet worden ist, hat nicht nur eine neue anthropologische Gesellschaft bei der militär- medizinischen Akademie gegründet, sondern hat auch einzelne seiner ehemaligen Schüler, die als Aerzte Gelegenheit haben, in fernen Gegenden des Russischen Reiches zu wirken, zu anthropologischen Arbeiten angeregt. Ueber die Dissertation Giltschenko’s, die unter Tarenetzky’s Leitung verfasst ist, habe ich neulich (Biolog. Centralblatt 1891, Nr. 9—10) berichtet. Ich liefere hier weitere Berichte über andere Arbeiten. Ich will zum Schluss dieser einleitenden Bemerkungen nicht unerwähnt lassen, dass auch in Tomsk, an der neu begründeten Universität Sibiriens, Prof. Malijew, Prof. Florinsky und Dr. Tstehuganow anthropologische Arbeiten veröffentlicht haben, die in den schwer zugänglichen Nachrichten der K. R. Universität von Tomsk nie- dergelegt sind. Schendrikowskj, J. J., Beiträge zur Anthropologie der Sselenga’schen Burjäten. St. Petersburg 1894. 135 + 21 Seiten. Doktor-Dissertation der Militär. Mediz. Akademie zu St. Petersburg. Nr. 22 des Jahrgangs 1894 95. Der Verfasser war als Arzt n Transbaikalien stationiert und hat eben in dieser seiner Eigenschaft als Arzt die Möglichkeit gehabt, Messungen vorzunehmen: nur die jungen Burjäten, die zum Militär eingestellt werden sollten, die sich Zeugnisse über ihre geleisteten Militärdienste besorgen wollten, die als Kranke gemeldet wurden u. 8. w., Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 155 konnten untersucht werden. Nur der „Obrigkeit“ fügten sich die Bur- jäten in solehen offiziellen Angelegenheiten; freiwillig ließ sich keiner messen; — die Burjäten sind nur wenig kultiviert, sehr misstrauisch, scheu und vorsichtig; weder durch Geld noch durch Geschenke konnten sie bewogen werden, sich außerhalb jener offiziellen Veranlassungen zur Messung zu stellen. — Der Verfasser hatte deshalb mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ueber die angewandten Instrumente und die Methode der Messung berichtet der Verfasser auf Seite 5-9. Er verfuhr dabei nach der Methode seines Lehrers Prof. A. J. Tarenetzky auf Grundlage der allgemein üblichen Messmethode. Der Verfasser untersuchte und registrierte 198 Individuen an ver- schiedenen Orten: im Lager bei der Station Kiransk (Bezirk von Troizkosawsk), in der Stadt Troizkosawsk, in der Stadt Selen- sinsk. Das Alter der untersuchten Individuen schwankte zwischen 20—23 Jahren; nur einzelne Individuen waren älter. Mit wenigen Ausnahmen waren alle gesunde und kräftige Leute, die sich zum Mili- tärdienst (Kosaken) stellen mussten; Leute, deren Organismus noch nicht durch das Wohnen in den Kasernen gelitten. Der Verlust der Freiheit wirkt in hohem Grade verderblich auf die Gesundheit der Nomaden. Nach einer Mitteilung in der Orient-Rundschau, 1888 Nr. 48, führt der Verfasser folgendes an: In der ersten Zeit un- mittelbar darauf, nachdem die Burjäten zum Militärdienst herangezogen wurden — im Jahr 1850 nach Bildung des transbaikalschen Kosaken- heeres — hatten die Leute schwer zu leiden. Sie waren durch das Leben in den Kasernen ihrer Freiheit, der reinen Steppenluft, ihrer gewöhnlichen eiweißhaltigen Nahrung beraubt, — sie erkrankten in Folge dessen insbesondere an Skorbut, viele starben. Das Kontingent musste deshalb mitunter binnen Jahresfrist 2—3mal erneuert werden, d. h. mit andern Worten, fast alle Burjäten, die zum Militärdienst kamen, traten im Lauf des Jahres wieder aus, — sie starben oder wurden wegen Untauglichkeit wieder ausgeschieden. Man glaubte damals, dieser Kalamität dadurch abhelfen zu können, dass man zur Behandlung der Burjäten emen Mongolischen Lama gegen be- sondere Bezahlung anstellte. Heutigen Tages ist es damit viel besser, die Burjäten sind bereits an das Kasernenleben gewöhnt und ertragen den Militärdienst ganz gut. Freilich erkrankt auch eine bestimmte Anzahl an allgemeinen erschöpfenden Krankheiten, doch Todesfälle kommen fast gar nicht vor, weil die Mannschaften zeitig beurlaubt werden. — Die Burjäten besaßen — ehe sie kurz vor Beginn des jetzigen Jahrhunderts den Buddhismus und Lamaismus annahmen, keine be- sondere Schrift — sie erhielten mit den heiligen buddhististischen 156 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Büchern auch die tibetanische Schrift, die jedoch nur von den Lamas gelernt wurde. Später haben sie die mongolischen Sehıiftzüge an- genommen, viele von ihnen schreiben und sprechen mongolisch; alle die heiligen buddhistischen Bücher wurden aus dem Tibetanischen ins Mongolische übertragen, jedoch sind nur ihre Priester, die Lamas, die allein Wissenden. Sie haben eine Art buddhischer Hochschule bei Gussinoosersk, (Bezirk von Sselenginsk, Gebiet Transbai- kalien), wo der Bandidochambo-Lama oder das Oberhaupt der La- ma’schen Geistlichkeit lebt und wo die Lamas ausgebildet und unter- richtet werden. Die übrigen Burjäten sind unwissend und abergläu- bisch, doch beginnt jetzt in Folge der russischen Schulen auch unter dem Volk der Burjäten eine gewisse Aufklärung sich auszubreiten. Eine eigentliche Geschichte haben die Burjäten nicht; sie wissen einige Legenden über ihren Ursprung zu erzählen, das ist Alles. Aus der Chronik des berühmten Mongolischen Historikers Ssa- nang-Ssezen ist bekannt, dass zur Zeit Tschingis-Chans die Bur- jäten in der Baikalsteppe wohnten und diesem Fürsten unterworfen waren (im J. 1189). Ueber die Entstehung und Erklärung des Namens der Burjäten ist nichts Sicheres zu melden. Die Russen stießen im Jahre 1622 zum ersten Mal mit den Bur- jäten zusammen, und bald darauf begannen regelrechte Verbindungen, die zu einer vollständigen Unterwerfung führten; 1864 wurde ein Teil der Burjäten von Sselenginsk zur Bewachung der Grenze herange- zogen (Kosaken). Besonders hervorzuheben ist, dass die Burjäten nicht rein, sondern schr stark mit echten Mongolen gemischt sind, — das gilt ins- besondere von den Sselenga-Burjäten; sie sind wiederholt in die Mongolei hinein gezogen und wieder zum Baikal- See zurückgekehrt. Das Wohngebiet der Burjäten ist sehr ausgedehnt. Es umfasst das südliche Ende des Baikal-Sees — (der heilige See der Burjäten) — und erstreckt sich weit nach Osten und nach Westen. Die Sselenga’schen Burjäten wohnen in einem verhältnis- mäßig schmalen Streifen im westlichen Transbaikalien, im Gebiet des Flusses Sselanga, sowie in den Thälern der Nebenflüsse (Tsehikoi, Dshida und Temnik). Eine auch heute noch giltige Charakteristik der Burjäten gibt Georgi. Aus dieser Beschreibung und den wenigen Mitteilungen anderer Autoren (Ritter, Erman, Hellwald u. a.) geht hervor, dass die Burjäten den Mongolen im Allgemeinen, insonderheit den Kalmücken, gleichen sollen. Die Körpergröße der Sselenga-Burjäten kann als unter dem Mittel stehend bezeichnet werden, soviel geht aus den Mittelzahlen hervor. In Wirkliehkeit aber kommen unter ihnen 2 Normalgrößen vor: eine Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 57 fe) 154 sroße und eine kleine. Diese Thatsache, die von vielen Autoren als das Zeichen einer Vermischung aus 2 Volksstämmen angesehen wird, ist ein charakteristisches Kennzeichen der Burjäten; sowohl bei den reinen Mongolen wie bei den Kalmücken ist die Körpergröße im Allgemeinen bei allen Individuen die gleiche. Die Burjäten sind, auch in jüngeren Jahren, nicht zart gebaut. Im mittleren Lebensalter ent- wickelt sich bei ihnen eine große Neigung zum Fettwerden, die bei einzelnen Individuen fast pathologisch erscheint. Im Allgemeinen haben die jungen Burjäten schon abgerundete Körperformen. Das Muskelsystem ist gut entwickelt, insbesondere die Muskulatur der Arme und Beine in Folge der fortgesetzten Leibesübungen. — Die Hautfarbe ist je nach den verschiedenen Körperstellen ver- schieden; der Verfasser vergleicht 3 Stellen: das Gesicht, die Brust und die Achselgruben. Vor der Untersuchung müssen die Leute sich baden und waschen. Die Grundfarbe ist nach Ansicht des Verfassers die der Achsel- grube: sie ist bei allen Individuen weiß-gelblich. Diese Farbe wird auf der Brust, im Sommer unter dem Einfluss der Sonne, im Winter unter dem Einfluss des Rauches und Schmutzes der Wohnungen dunkelgelb, sie erscheint wie verräuchert. Im Gesicht dagegen und am Halse verliert die Haut vollständig ihre ursprüngliche Farbe und wird dunkelbraun. Im Allgemeinen ist die Gesichtshaut rauh; doch trifft man junge Leute mit zarter rosiger Haut. Die als Kosaken im Militärdienst stehenden Burjäten haben kurz geschnittene Haare wie alle Soldaten; die Sselenga-Burjäten dagegen tragen die Haare lang und flechten sie in einen Zopf, der etwa 4 bis 4'/, Werschok (e. 16 Centimeter) lang ist. Zur Herstellung des Zopfes werden nie alle Haupthaare benutzt, sondern nur ein bestimmtes Bündel vom Scheitel und Hinterhaupt. Am übrigen Teil des Vorder- haupts, der Schläfe und dem unteren Teil des Hinterhaupts werden die Haare rasiert. Die Lamas aller Stufen tragen ihr Haupthaar kurz und rasieren dasselbe. | Die jetzige Sitte der Burjäten, einen Zopf zu tragen, ist ihnen nicht von jeher eigentümlich; sie ist eingeführt durch die jetzige Mandschu-Dynastie in China, sie ist eigentlich ein Zeichen der Zu- gehörigkeit zum Chinesischen Kaiserreiche. Allein bei Uebersiedelung der Burjäten auf Russisches Gebiet wurde der Zopf nicht abgeschafft, sondern blieb in Gebrauch. Die Haupthaare sind dicht, hart, selten weich, gerade, rundlich und blau-schwärzlich (78°,); nur wenige Individuen haben dunkle, 20°), und nur einzelne hellbraune Haare (2°/,). Um das fünfzigste Jahr beginnen die Haare zu ergrauen. Im Gegensatz zu dem dichten Haarwuchs auf dem Haupt ist der Haar- 158 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. wuchs am übrigen Körper sehr spärlich. Auf der Oberlippe war auch nicht der geringste Flaum sichtbar bei 18°%,, ein deutlicher Haarwuchs (Flaum) bei 72°%,, so lange und so dicht stehende Haare, dass zur Not von einem Schnurrbart die Rede sein konnte, nur bei 10°/,. Die Farbe der Haare auf der Oberlippe war mit einer einzigen Ausnahme schwarz; die Haare standen so wenig dicht, dass man meist mit unbewafinetem Auge die Zahl der Haare hätte zählen können. Ein eigentlicher Bart (behaartes Kinn) ist nur selten zu finden. 60°, aller jungen Burjäten zeigten nicht die geringste Spur von Haar- wuchs am Kinn; bei 40°, kann man mit Mühe einen schwarzen Haar- büschel erkennen. Auch bei etwas älteren Leuten von 25—26 Jahren ist der Bartwuchs sehr schwach, sehr viele haben weder einen or- dentlichen Schnurr- noch Kinnbart, höchstens einen geringen Flaumbart an der Oberlippe und am Kinn. In der Achselhöhle ist der Haar- wuchs nur spärlich; viel Haare bei 16°,, wenig bei 22°/,, einige Haare bei 42°%),, gar keine Haare bei 20°],. Die Farbe der Augen entspricht der Haarfarbe: sie ist dunkel- braun und schwarz bei 30°/,, braun bei 41,77°/,, hellbraun bei 25°, hellblau nur bei 3,53°/,. Die Augen sitzen ziemlich tief in den Augenhöhlen, die Augenlid- spalte ist sehr eng mit erhobenem lateralen Winkel, d.h. sie ist schräg gestellt. Dazu kommt, dass das dritte Augenlid (Plica semilunaris), die senkrechte Falte am medialen Augenwinkel sehr stark entwickelt ist. In Folge dessen ist es leicht verständlich, wenn bei den jugend- lichen Burjäten die Augen so schwarz wie Kohlen erscheinen; durch die enge Spalte hindurch ist nur die Hornhaut sichtbar; um die Selera, das Weiße der Augen zu sehen, muss man das Augenlid heben, oft sogar umschlagen. Mit dem zunehmenden Alter wird die Plica semi- lunaris kleiner. Der Kopf der Burjäten ist im allgemeinen ziemlich groß; er erscheint vollständig rund, kugelig, kurz, verhältnismäßig breit, aber nicht hoch; in hohem Grade brachycephal. Der Nacken und das Hinterhaupt sind breit und flach; das Hinterhaupt erscheint oft so flach, als sei es abgehauen. Die Scheitelhöcker erscheinen in Form dreikantiger Ecken zwischen dem Scheitel, dem Hinterhaupt und den Schläfen. Im allgemeinen macht das Hinterhaupt den Eindruck einer Deformation. Wahrscheinlich ist die Beschaffenheit der Wiegen von Einfluss auf die Bildung des Hinterhauptes. — Der Rand der behaarten Kopfhaut ist vorn sehr hoch, so dass die Stirn groß erscheint; eigentlich aber ist die Stirn ziemlich niedrig und stark nach hinten fliehend. Die Stirnhöcker und die Augenbrauen- wülste sind nicht besonders entwickelt. Die Ohren sind von mittlerer Größe, mittlerer Lage und mittlerer Breite, stark abstehend. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 159 Das Gesicht ist auffallend durch seine Flachheit und durch seine Breite und die stark vortretenden Backenknochen. Besonders flach erscheint das Gesicht in seinem mittleren Drittel: zwischen den Backenknochen ist das Gesicht gleichsam vertieft, so dass eben des- halb die Backenknochen besonders stark vorspringen. Die Nase ist nicht groß, eher klein, sehr breit, plattgedrückt und kurz. Nach Hellwald sei die Nase so kurz, dass sie niemals über das Niveau der Lippen vorspringt; das ist übertrieben. Die Form der Nase und der Nasenlöcher ist nach Topi- nard’s Schema (Elemente der Anthrop. S. 300) bestimmt. Bei 42%, sind die Nasenlöcher länglich elliptisch (Nr. 3 des Schemas I), bei 35,990, sind die Nasenlöcher rund (Nr. 4 des Schemas), bei 10°), liegt die Form zwischen Nr. 3 und Nr. 4. Beide Formen der Nasen- löcher können als typisch für die Mongolen gelten. — Die Form der Nase selbst ist bei 80%, typisch mongolisch (Topinard Nr. 6, S. 298), bei über 20°, ist die Form der Nase unbeständig, zeigt alle Ueber- gänge. Die Lippen sind dünn und nicht groß, die Schleimhaut leb- haft rot. — Die Zähne sind blendend-weiß mit einem gelblichen Anflug, fest, im Oberkiefer groß, nicht dicht stehend, im Unterkiefer klein, sehr dieht stehend, stark vorspringend (Prognathismus). — Das Kinn ist breit, stumpf. Alles zusammengefasst, der typische Sselenga-Burjäte ist von mittlerer Körpergröße mit langem Rumpf und verhältnismäßig kurzen Beinen, der Kopf rund, kugelförmig mit breitem und flachem Hinter- haupt, die Haare des Hauptes schwarz, schlicht, diek, sehr dieht. Die Stirn, obgleich hoch wegen der hohen Grenze des Haarbodens, doch sehr nach hinten geneigt, fast ohne Stirnhöcker; das Gesicht breit, die Nase groß, breit, flachgedrückt; der Zwischenraum zwischen den medialen Augenwinkeln groß und breit; das Auge dunkelbraun oder braun mit enger, schief gestellter Lidspalte, der Mund nicht groß, die Lippen dünn; das Kinn breit und stumpf; Lippen- und Kinnbart schwarz und spärlich, entwickeln sich erst gegen das 30. Lebensjahr. Diese Beschreibung stimmt im Allgemeinen mit den Schilderungen Georgi’s, Erman’s und Hellwald’s; doch sind im Detail einzelne Untersekiede vorhanden. Im Gegensatz zu der Aehnlichkeit der Bur- Jäten mit den Kalmücken, die Hellwald besonders hervorhebt, meint der Verfasser, dass die Burjäten viel ähnlicher ihren nächsten Nach- barn und Stammesgenossen, den östlichen Mongolen oder den Kalcha-Mongolen seien. Anthropometrische Messungen. I. Körpergröße 8. 33 —42). Unter 181 Individuen, die gemessen wurden, Min. 145,2 em 160 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Max. 180,0; im Mittel 163,1 em; nach Topinard’s Tabelle gilt die Zahl als unter der Mittelgröße stehend. Körpergröße von 145,2—147,9 bei 2 Ind. 1,1 °, ” „ 148,0— 150,6 ” 0 „ 0 5 2 Te 0 k TR h Sina a I ee & Lo 7 a a i 2 TS R I ee Nee ” ” 169,6 172,2 „ 13 „ 1,88 „ J LI S Te er ei 180,0 n 1 )) 0,53 ” Nach Metsehnikow ist das Mittel der Körpergröße bei den Wolga-Kalmücken 163,5; nach Deniker (8 Kalmücken) — 163,4; nach Mazejewski und Pojarkow für verschiedene Gruppen von Kal- mücken 162,2, dann 161,1, 163,3; für die Torgouten 162,3; nach Iwa- nowski für die Mongolo-Torgouten 163,3 em. S.d \ Der Verfasser berechnet nach der Formel m = — den Oseilla- tions-Exponent mit 4,99; diese Zahl beweist, dass Einzelschwankungen sehr groß sein müssen. Er bedauert, dass den andern Mittelzahlen der zitierten Autoren der betreffende Osecillations- Exponent nieht beige- fügt ist. Aus der großen Differenz zwischen Maximal- und Minimal-Körper- sröße, sowie der großen Zahl des Oseillations- Exponents zieht der Verfasser den Schluss, dass die Sselenga-Burjäten, die Bur- jätischen Kosaken ein gemischter Stamm sind, entstanden aus der Vermischung zweier oder mehrerer Stämme von verschiedener Körper- größe. Eine Bestätigung dieser Vermutung findet der Verfasser darin, dass sich der größere und der kleinere Wuchs auf die verschiedenen Sippen der Burjäten regelmäßig zu verteilen scheint: es gibt Sippen mit großem, Sippen mit mittlerem und Sippen mit kleinem Körperwuchs. Brustumfang (S. 42—47). Im Mittel 34,4 em (Oseillations- Exponent 3,14), Min. 75,2, Maximum 94,1, Differenz 18,9 cm. Bei Torgouten Min. 72,0, Max. 99,0, Diff. 27 em, im Mittel 84,2 cm. Rumpflänge (S. 47—51), kann auf sehr verschiedene Weise gemessen werden. Iwanowski zählt 3 Methoden auf. Der Ver- fasser bestimmte die Rumpflänge auf zweierlei Weise: 1) bei sitzen- den Individuen wurde der Abstand vom Scheitel bis zum Sitzbrett Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 461 gemessen — man erhält die Rumpf- und Kopflänge. 2) Bei stehen- den Individuen wurde der Abstand von der Incisura jugularis (Ma- nubrium sterni) bis zu Perineum gemessen. Nach der ersten Messung (sitzend) wurden 97 Individuen ge- messen; die Rumpf- und Kopflänge zusammen im Mittel 87,67 cm (Max. 396,0, Min. 78,0, Diff. 18 cm. — Im Vergleich zur Körpergröße 53,759,. j Nach der zweiten Messung (stehend) Max. 62,95, Min. 51,5 em, Diff. 11,9; im Mittel bei 97 Individuen 56,1 em (Oseillations- Expo- nent 1,89) im Vergleich zur Körpergröße 34,39°/,, also beträgt die Rumpflänge noch etwas weniger als ein Drittel der Körpergröße. Bezeichnen wir einen Rumpf von 51,0 cm als kurz, einen bis 57,0 als mittel und einen über 57,0 als lang, so haben ?/, der Burjäten (70°/,) eine mittlere Rumpflänge, die übrigen 30%, eine große. (Die hier, wie bisher, sich anschließenden Erörterungen des Ver- fassers, namentlich die Zahlen, die sich auf die einzelnen Sippe der Burjäten beziehen, müssen wir bei Seite lassen.) Schulterbreite (S. 5l—52). 97 Individuen wurden gemessen; das Mittel 36,3 em; im Vergleich zur Körpergröße 22,25%, Max. 37,2, Min. 35,4, Diff. 1,5 em. Beckenbreite (S. 52—54). Bei 97 Individuen im Mittel 27,5 (Max. 32,1, Min. 23,4) im Vergleich zur Körpergröße 16,86°,. Für 80 Individuen (81,4°/,) sind die Grenzen zwischen 25,6—28,8 em. Bei den Tarbagatai-Torgouten ist das Mittel 29,8 cm oder 18,240], der Körpergröße. Umfang des Bauches (S. 55—57). Im Mittel 77,5 em im Ver- hältnis zur Körpergröße 47,52°/,, Max. 87,°, Min. 65,0 em, Diff. 22,0. Klafterweite (S. 57—59). Abstand der Enden der beiden Mittelfinger von einander bei ausgestreckten Armen. Bei 97 Indivi- duen gemessen, im Mittel 170,2 cm im Vergleich zur Körpergröße 104,0 em, Min. 156,0, Diff. 23 cm. Länge der Arme, gewonnen durch Abziehen der Schulterbreite von der Klafterweite. Bei 97 Individuen im Mittel 70,0 em im Ver- gleich zur Körpergröße 42,92°/, (Max. 76,2, Min. 62,7), Länge des Oberarms, im Mittel 22,37 em im Verhältnis zur Körpergröße 13,7 /o. Länge der Hände (S. 61) bei 96 Individuen gemessen, im Mittel 18,6 cm, im Verhältnis zur Körpergröße 11,4°%,. Max. 20,7, Min. 16,3 em. Länge der Beine (S. 63). Die Beinlänge, (Länge der unteren Extremitäten) wurde berechnet durch Abzug der beim Sitzen gemes- senen Rumpflänge von der ganzen Körpergröße. Bei 97 Individuen ist die mittlere Beinlänge 76,12 em (im Verhältnis zur Körpergröße xXVI 11 162 Stieda, Anthropologische Arbelten in Russland. 46,67°/,), Min. 66,5, Max. 86,0 em, Differenz 19,5 em. Bei den Mon- golen ist die Differenz nur 7,0 em, bei den Kalmücken viel größer -- 21,0 em. Länge des Oberschenkels (S. 63) wurde berechnet durch Abzug des unterhalb des Knies liegenden Abschnittes von der ganzen Beinlänge. Bei 97 Individuen im Mittel 34,6 em (im Verhältnis zur Körpergröße 21,2°/,), Min. 27,6, Max. 41,55 cm, Diff. 13,95 ist sehr groß. Länge des Unterschenkels, in gleicher Weise durch Abzug berechnet, ergibt bei 97 Individuen im Mittel 41,48 (im Verhältnis zur Körpergröße 25,4°/,); Min. 33,0; Max. 48,1 em. Länge der Füße. Bei 97 Individuen wurde der linke Fuß ge- messen; im Mittel 25 em (Oseillations- Exponent 10,84) im Verhältnis zur Körpergröße 15,33°%,; im Min. 22,7, im Max. 27,6 cm. Der Kopf |S. 67—134]!). Der Verfasser hat bei 181 Individuen die Länge und Breite des Kopfes gemessen und darnach den Kopfindex auf 88,4 berechnet (Oseillations- Exponent 2,76). Professor Malijew gibt als Mittel (3 Schädel) 89,6 an aus den 3 Zahlen: 93,8 — 92,0 — 83,2 (ef. das Referat über Malijew’s Arbeit im Archiv für Anthropologie). Die Burjäten sind unzweifelhaft brachycephal; der mittlere Kopfindex wurde der Art bestimmt, dass zunächst für jeden ein- zelnen Kopf der Index berechnet und dann erst aus allen Indices das Mittel (das Mittel aus den Indices) gezogen wurde; danach erhält man für die Burjäten 88,4. — Rechnet man aver erst die Mittel- zahlen für die größte Länge und die größte Breite heraus, und be- stimmt danach den Index, so erhält man 88,13 (Mittel-Index). Unter den 181 gemessenen Individuen hat ein einziges den Kopf- index von 77,55 (Subdolichocephal nach Broca). Bei 2 Individuen 79,738— mesocephal 1,15 ],. = 18 MR 80,42—83,33 subbrachycephal 10°),. „160 - brachycephal. 1) Der Verfasser spricht in seiner Abhandlung stets vom Schädel statt vom Kopf, vom Schädelindex statt vom Kopfindex, und stellt auch ge- legentlich Vergleiche zwischen den an Lebenden gefundenen Resultaten mit den am Schädel gefundenen. Ich habe hier in meinem Referat, da es sich ja um Lebende handelt, nicht den Ausdruck Schädel (das trockene Knochen- gerüst des Kopfes) sondern den Ausdruck Kopf gebraucht. Auf die auch heute noch nicht endgiltig entschiedene Frage, ob der Kopfindex (das Ver- hältnis der Länge und Breite des mit Haut bedeckten Schädels) mit dem Schädelindex (Verhältnis der Länge und Breite am trockenen Kochen- Schädel) identifiziert werden darf oder nicht, gehe ich hier nicht ein, Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 163 Von 83,34—84,00 — 6 Individuen. „ 84,10—86,00 — 23 a »„ 86,10—88,00 — 31 a „ 88,10—90,00 — 44 s » .90,10—92,00 — 32 5 „ 92,10—94,00 — 18 5 „ : 94,10-%,57 — 6 \ Bei einem Viertel aller Individuen ist der Koptindex von 88,10 — %,00 1). Das Mittel des Kopfindex bei den Mongolen (von Tarbagaisk d. h. die Torgouten) ist 84,68; es ist demnach 3,30 geringer als bei den Burjäten. Min. 81,34, Max. 39,88, Diff. 8,54, wogegen bei den Burjäten die Differenz 19,82 beträgt. Die Torgouten sind eine ver- hältnismäßig reine Rasse. Die Kalmücken von Kuldscha haben einen mittleren Kopf- index von 84,31, Min. 75,81, Max. 96,49, Diff. groß, 26,08, noch größer als bei den Burjäten. Kopfindex bei den Burjäten . . . . . . 88,4 (der Verfasser) „ » » Mongolo-Torgouten . . 84,68 h = „ Kuldscha-Kalmücken . . . 84,31 4 53 „ Wolga-Kalmücken . . . . 81,32(Metschnikow) n „ Wolga-Kalmücken . . . 81,36(Deniker) „ den Kaukasischen Khlmieken 80,90 (Erckert). Kopflänge (Schädellänge des Verf.) im Mittel 18,03 em (Oseill.- Expon. 0,425), Min. 16,0 cm, Max. 19,8 em. Im Verhältnis zur Körper- größe 11,1°,. Im Einzelnen 16,0—16,9 em bei 3 Individuen 1,66 °% 0 Eger 34,86 „ 18,0—18,9 „ „ 102 » 56,351, ” P 10198 u hrana® - 7,15 - Die Burjäten haben einen auffallend kurzen Schädel (Kopf). Der Verfasser ist zu der Meinung gelangt, dass die auffallende Kürze des Kopfes, die in der eigentümlichen Abflachung des Hinterhaupts ihren Grund hat, zurückzuführen ist auf eine gewisse Deformation des Schädels in Folge der Konstruktion der Wiegen bei den Bur- jäten. Es ist bei den Burjäten üblich, das Kind nach der Geburt in 4) Der Verfasser stellt im Anschluss an die ermittelten Zahlen sehr ein- gehende Vergleiche mit den Zahlenergebnissen anderer Autoren, insbesondere mit den Arbeiten vom Iwanowski über die Torgouten undKuldscha-Kal- mücken auf. — Um diesem Referat keine allzu große Ausdehnung zu geben, habe ich die meisten Vergleiche fortgelassen. Ueber die Abhandlung von Iwanowski werde ich später ein Referat liefern, I1® 164 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. die Wiege zu legen und in der Wiege fast so lange liegen zu lassen, bis es stehen kann. Das Kind liegt demnach anhaltend auf dem Rücken, mit dem Kopf auf harter Unterlage. — Die Wiege ist sehr einfach aus Holzbrettern zusammengefügt. Ein Schaffell dient als Unterlage, keine Matratze, kein Bettchen, unter dem Kopf ein 2 Finger dickes Filzstück. Durch das anhaltende Liegen auf harter Unterlage wird eine Deformation des Schädels zweifelsohne erzeugt. Größte Sehädelbreite (Kopfbreite). Bei 181 Individuen ge- messen im Mittel 159,34 mm (Oseill.-Expon. 0,4), Min. 14,1, Max. 17,5. Von 14,1—15,0 — 9 Individuen — 4,97°, „ 151-160 — 104 A — ae 5 „. 16,1—17,0 — 67 4 — . 37,02 — 15 -— 1 — 0,55 , n Sch üdel (Kopfbreite), in ir Gegend der Ohröffnung gemessen, ergibt bei 181 Individuen im Mittel 14,57 (Ose.-Exp. 0,45), im Verhältnis zur Körpergröße 8,9°/,, im Min. 13,0 em, im Max. 16,5, Diff. 3,5. Von 13,0—13,4 — 3 Individuen — 1,60%, „ 135-139 — 18 = 1000, „ 140-144 — 4 „ —ı: 25,9 „ „. 14,5-14,9 — 57 » — 31,49 „ „. 150-154 — 44 a — 2450 „ a 8 EN ” EL 16,5 7ER 1 ” T, 0,55 „ Geringste Stirnbreite, bei 181 Individuen gemessen, gibt im Mittel 108,1 (Oseill.-Exp. 0,39), im Verhältnis zur Körpergröße 6,63°/,, im Min. 9,4 cm, im Max. 14,6 cm. Kopfumfang, bei 181 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 56,0 em, im Verhältnis zur Körpergröße 34,32, im Min. 490, Max. 600 mm, dir. 11. Von 49,0—50,9 — 1 Individuum — 0,55° „ 51,0-52,9 — 4 Individuen — 2,22 „ „ 530-549 — 33 5 — 11823, „ 55,0-56,9 — 90 H — 40,70 „ „ 570-589 — 50 “ — 27,602 „ 59,0—60,0 — 3 2 — 1,66 „ nn bei’Buürjätentd} au, 192 BU uk 2560 Ham a „ Torgouten . SE RER TTS 220 5 „ Kuldscha- Kölmiicken 1ot® 566,42 „ Wolga-Kalmücken (Metschniköw) 576,00 „ Wolga-Kalmücken (Deniker) . . 586,00 „ Kirgisen. . ch DD IelFe Kirgisen der eis Herde EN DE IE N „© Kara-Kırgisen. . 2... “ua Bobo, Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 165 Der vordere Abschnitt des Horizontal-Umfangs, der zwischen den Ohröffnungen liegt, beträgt bei 181 Individuen im Mittel 293 mm, Verhältnis zur Körpergröße 18, Min. 26,1, Max. 33,0, Diff. 6,9 cm. Stirn-Hinterhauptbogen, der (unvollständig) senkrechte Kopf- umfang beträgt im Mittel, bei 181 Individuen gemessen, 32,2 em (Oseill.- Expon. 1,11), Verhältnis zur Körpergröße 19,7301,. Querumfang des Kopfes im Mittel 34,68 cm, Verhältnis zur Körpergröße 21,37, Min. 31,5, Max. 38,4, Diff. 6,9 em. Das Gesicht. Die Länge des Gesichts kann gemessen werden: 1) bei lebenden Menschen von der Grenze des Haarbodens bis zum Kinn (größte Gesichtslänge); 2) von der Nasenwurzel bis zum Kinn (volle Gesichtslänge); 3) von der Nasenwurzel bis zum Ober- kiefer (einfache Gesichtslänge). Die größte Gesichtslänge, bei 181 Individuen gemessen, be- trägt im Mittel 18,46 cm, im Verhältnis zur Körpergröße 11,32, Min. 16,0, Max. 21,7 em. Oberes Drittel der Gesichtslänge (Stirnhöhe), Abstand von der Grenze des Haarbodens bis zur Nasenwurzel. — Bekanntlich ist ein be- sonders charakteristisches Zeichen der mongolischen Rasse die schwache Ausbildung der sog. Glabella und der Arcus supereiliares. Bei den Burjäten ist das in hohem Grade zu bestätigen; bei ihnen findet sich unterhalb der Glabella eine breite Grube statt des geringen Wulstes, der sonst am unteren Rand des Stirnbeins vorhanden ist. Im Mittel beträgt die Stirnhöhe bei den Burjäten 6,5 em (Oseill.- Expon. 0,53), das Verhältnis zur Körpergröße 3,98°,, Min. 4,8 em, Max. 8,7 cm, Diff. 3,9 ist sehr groß. Die volle Gesichtslänge beträgt im Mittel 11,96 em. Das Verhältnis zur Körpergröße 7,33°%,, Min. 9,65, Max. 14,5, Differenz 4,85 cm. Die größte Gesichtsbreite — der größte Abstand zwischen den beiden Backenknochen beträgt im Mittel 14,6 cm. Das Verhältnis zur Körpergröße 8,95° „ im Min. 12,5, im Max. 15,9, Diff. 3,4 ziemlich groß. Bei den Torgouten ist die Gesichtsbreite im Mittel 15,48, also um 1,24 cm breiter als bei den Burjäten, die Schwankungen sind gering: Min. 14,4, Max. 16,6, Diff. nur 2.2. Gesichts-Index wird von dem Verfasser nach Broca durch das Verhältnis der größten Breite zur vollen Gesichtslänge mit 122,07, oder zur größten Gesichtslänge mit 79,09, oder umgekehrt, das Ver- hältnis der vollen Gesichtslänge zur Breite mit 81,9, der größten Ge- sichtslänge zur Breite mit 126,4, davon 81,92 als typisch genommen, ist das Gesicht der Sselenga-Burjäten breit (platy-prosopisch) zu nennen. 166 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Die Lage des mittleren Drittel des Gesichts (Nasenhöhe) beträgt im Mittel 5,65 em. Das Verhältnis zur Körpergröße 3,46%, Min. 4,7, Max. 7,2 cm, Diff. 2,5. Die untere Nasenbreite (Abstand der Nasenflügel) beträgt im Mittel 3,62 em (Oseill.-Expon. 0,19). Das Verhältnis zur Körpergröße 2,22°/,, Min. 2,9 cm, Max. 4,1 em. Der Nasen-Index beträgt 64,07. Nach Broca ist der Nasenindex (das Verhältnis der Nasenbreite zur Nasenhöhe) besonders charakteristisch. Es seien daher zum Ver- gleich die Maße einiger anderer Volksstämme beigefügt: Nasenindex der Burjäten . . . . .... 64,07 ” „oxDorzouten 33h or (4 (16047 A „ BDon-Kalmücken . ..32::1173,90 2 „ Kaukasischen Kalmücken 75,3 a „.. Wolga-Kalmücken : . ... 70,67 e „ Mongolen 127.00 FM7A8.68 r „ ‚Chinesen, . „2. 22.2... ,48:53 | Don nz Der Abstand zwischen den beiden medialen Augenwinkeln (obere Nasenbreite) beträgt im Mittel 3,63 cm. Das Verhältnis zur Körper- größe 2,2, Min. 2,8, Max. 4,5. Der Abstand zwischen den beiden lateralen (äußeren) Augen- winkeln beträgt im Mittel 8,93 em. Das Verhältnis zur Körpergröße 5,47°|,, Min. 7,4, Max. 10,3 cm. Der Abstand der beiden Tubera zygomatica, den am meisten vorspringenden Teilen des Jochbogens, beträgt im Mittel 11,9 em. Das Verhältnis zur Körpergröße 7,3%,. Der Abstand zwischen den Winkeln des Unterkiefers, die untere Gesichtsbreite, beträgt im Mittel 11,30 cm. Das Ver- hältnis zur Körpergröße 6,9°/,, Min. 9,3, Max. 12,9 cm. Die Länge des horizontalen Unterkiefer-Astes beträgt im Mittel 9,66 em, Verhältnis zur Körpergröße 5,9°/,, Min. 7,5, Max. 11,2. Die Länge (Höhe) der Ohren wurde bei 97 Individuen gemessen: die Länge (Höhe) des (rechten) Ohres beträgt im Mittel 6,33 em. Das Verhältnis zur Körpergröße 3,88°],, Min. 5,3, Max. 7,2 em. Die Länge (Höhe) .des linken Ohres im Mittel 6,24 cm, Verhältnis zur Körpergröße 3,82°/,. Den Gesichtswinkel und den Grad des Prognathismus hat der Verfasser nicht gemessen; er schaltet in Bezug darauf Notizen hier ein, die er der Abhandlung von Malijew entnommen hat. Der Verfasser stellt zum Schluss folgende Sätze auf: 1) Die Burjätischen Kosaken (Sselenga-Burjäten, haben eine Körper- größe, die unter der mittleren sich hält; doch ist eine Hinneigung Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 167 zum Uebergang in die Körpergröße, die über dem Mittel steht, zu bemerken. 2) Der Brustumfang übertrifft, wenn auch nur um ein Geringes, die Hälfte der Körpergröße. 3) Der Rumpf ist, absolut genommen, von mittlerer Länge, im Vergleich zur Körpergröße ziemlich lang. 4) Der Unterleib (Bauch) ist groß. 5) Die Schultern sind nicht besonders breit. 6) Die Breite des Beckens ist sehr beträchtlich. 7) Die Klafterweite ist groß; sie übertrifft die Körpergröße; die Arme sind ziemlich lang. 8) Die Burjäten sind nach ihrem Kopfindex als hochgradig brachy- cephal zu bezeichnen. 9) Der Horizontalumfang des Kopfes ist groß; der Längsdurch- messer (die Kopflänge) ist verhältnismäßig kurz; der Breitendurch- messer im Gegenteil ziemlich groß. 10) Die Burjäten haben ein breites Gesicht, jedoch nicht in dem hohen Maße, als verschiedene Stämme der Kalmücken. 11) Die Nase ist kurz, breit und flach. Der Abstand zwischen den Augen ist sehr breit und der unteren Nasenbreite gleich. 12) Die Ohren sind nicht groß; das linke Ohr etwas kürzer als das rechte. — Der Abhandlung sind auf 21 Seiten die Zahlen der Einzelmessungen in Form übersichtlich angeordneten Tabellen bei- gefügt. — Wyschogrod J. D., Materialien zur Anthropologie der Kabar- diner (Adighe), St. Petersburg 1895, 94. 8%. (Doktor-Dissertation der militär.-med. Akademie zu St. Peterburg, Nr. 35 des Lehr- Jahrs 1894/95). Der Verfasser, der neun Jahre als Arzt in Kaukasien thätig war, unternahm die Messungen auf Anregung seines Lehrers, des Professors der Anatomie an der St. Petersburger Akademie, Herrn A. Tare- netzky. Die Untersuchung stieß auf viele Schwierigkeiten. Nach den Begriffen der Kabardiner ist die Entblößung des Körpers etwas Sündhaftes; doch gelang es dem Verfasser, 17 freie Kabardiner zu untersuchen, außerdem 23, die im Gefängnisse saßen. Von den Kabar- dinern, die gelegentlich auf den Markt zur Pätigorsk kamen, ließ sieh keiner untersuchen; alle Versprechungen, Ueberredung waren vergeb- lieh. Die Zahl der untersuchten Individuen blieb daher auf 40 be- schränkt. Der Verfasser gibt als Einleitung geographische Untersuchungen und ethnographische Mitteilungen über die Kabardiner (S. 7—25). 168 Stieda, Anthropologisehe Arbeiten in Russland. Die Kabardiner bewohnen im zentralen Teil Kaukasiens ein Gebiet, das von den Vorbergen des Elborus bis zum Ursprung des Flusses Ssunsha und am linken Ufer des Flusses Malka bis zu den Gipfeln der schwarzen Berge sich erstreckt; es wird dies Gebiet als die große und kleine Kabarda bezeichnet, Teile des Terek- und des Kuban- Bezirks. In der großen Kabarda leben ca. 65,117, in der kleinen Kabarda ca. 14,540 Menschen. Man rechnet die Kabardiner zu dem einst mächtigen und zahl- reichen Volk der Adighe oder Tscherkessen, von denen jetzt nur ein- zelne schwache Stämme übrig geblieben sind. Ein großer Teil der Adighe (Tscherkessen) wanderte 1864 und später in die Türkei. — Die Kabardiner wohnten von jeher in den offenen, zugänglichen Ebenen des Kaukasus; ‘die Aule der jetzigen Kabardiner liegen meist an den Ufern der Flüsse. Sie sind jetzt Muhamedaner und zwar Sun- niten, einst bekannten sie sich zum Christentum. Anthropologische Beobachtungen (S. 26—36). Haare. Unter 40 Individuen hatten schwarze Haare 19 Individuen 47,5°, dunkelbraune „ 13 N 32,5 „ hellbraune hund n 15:0, rote „ 2 h) 0, Anders ausgedrückt waren 80°, dunkel-, 20°, hellhaarig. Bei 26 Kindern der Ortschaft Atashukin hatten schwarze Haare 2 Individuen 7,6 % dunkelbraune lo 5 50.0, , hellbraune ed ” 42,30 „ Der Unterschied zwischen den Befunden bei Kindern und Erwach- senen ist leicht zu erklären; er beruht auf der bekannten Thatsache, dass bei allen Kindern im Allgemeinen die Haare heller als bei Erwachsenen sind und dass die Haare mit zunehmendem Alter dunkler werden (Jelissejew). Der Verfasser bestimmte ferner die Haarfarbe bei 91 Kabardinern und fand dunkelhaarige 73 Individuen 80,219, hellhaarige 28 " 19,28, also demnach dasselbe Resultat, wie oben 20°/, aller Kabardiner sind hellhaarig. Die Haare sind meist schlicht, gelockte wurden nur einmal be- obachtet; besonders weich sind die Haare nicht, doch kann man sie deshalb noch nicht als straff und hart bezeichnen. An den Augenbrauen und Augenwimpern ist nichts besonderes zu beobachten. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 169 Die Haare auf der Oberlippe nnd im Gesicht sind häufig heller als die Haupthaare; sie sind nicht besonders dicht und lang; eigent- liche Vollbärte sind sehr selten. Die Behaarung der übrigen Körperoberfläche ist sehr gering. Die Augen sind von mittlerer Größe; sitzen ziemlich tief in der Orbita — die Augenlidspalte ist horizontal. Die Farbe der Augen war an 40 Erwachsenen: an 26 Kindern: dunkelschwarz . . bei 28 Indiv. 70 %, | bei 18 Indiv. 69,23°, blauschwarz , .. .,... bei 6 ., Da Sr 3.0 el dunkel-lasurblau . . bi 3 „ Rasen 1 er N Aunkel-violett ..x. . bei 2, , 5.0, a N 3,84 ,, kastanienbraun . . bei 1 „ 2.0. a RR 3,84 „ Die Hautfarbe ist im Gesicht und an den Händen nur schwach gebräunt, nur bei 4 Individuen war die Färbung stärker. Die mit Kleidung bedeckte Haut unterscheidet sich nicht von der des Europäers im Allgemeinen. Die Stirn hat deutlich ausgesprochene Höcker, ist ziemlich hoch und grade. Die Nase zeigte folgende Form bei 40 Erwachsenen u. 26 Kindern. 1) Nasenscheidewand etwas erhaben: bei 3 Ind. 7,5%, — 6 Ind. 23,07%, 2) Nasenscheidewand horizontal: 20: „IN BON ye—l15 752 57,69, 3) Nasenscheidewand herabgesenkt: „17 „425,„— 5 „ 1973, Inbetreff des Nasenrückens ist zu bemerken: gerader Nasenrücken bei 24 Indiv. 60°, — bei 18 Indiv. 69,23%, gebogener Nasenrücken „: 9 ,„: 225, — n4: 2.0 1.695, andere Formen ne El Den paul. 1022,08, Die Nasenlöcher sind elliptisch. Die Zähne im Allgemeinen gesund, kariöse Zähne wurden be- obachtet etwa an 22,5 %,. — Die Ohren sind von ovaler Form, dem Kop nahe anliegend; Helix und Antihelix sind gut gebildet, Ohrläppehen mäßig lang. Ab- stehende Ohren wurden nur an 10 Individuen (25°,) beobachtet. Unter den Kindern traf der Verfasser 11 Individuen (42°/,) mit abstehenden Ohren. — Das Hinterhaupt ist nicht abweichend gebildet; unter den 40 untersuchten Individuen hatten nur 2 ein abgeflachtes, plattes Hinter- haupt; doch ist zu bemerken, dass die Protuberantia oceipitalis bei vielen Individuen sehr schwach entwickelt ist. Der Mund ist nicht groß, die Lippen dünn, grade; dicke Lippen wurden nicht beobachtet. 170 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Das Kinn ist ziemlich spitz. Der Hals ist mäßig dick, biegsam. Individuen mit kurzem, diekem Hals wurden nicht getroffen. Das Fettpolster der Haut ist gering entwickelt. Fettleibige Indi- viduen sind unter den Kabardinern sehr selten zu finden. Nicht allein bei den Weibern, jungen wie alten, sondern auch bei den Männern gilt Fettleibigkeit als ein Fehler. — Den kleinen Mädchen wird bereits ein Korset angezogen, um die Ausbildung und Entwicklung der Brüste zu hemmen. — Fettleibigkeit gilt als eine so wenig anziehende Eigen- schaft, dass eine dicke Frau, stets zu Hause sitzt, und nie über die Grenzen ihrer Wohnung hinausgeht. 1) Die Kabardiner sind dunkelhaarig und dunkeläugig. Im Kindes- alter sind die Haare oft heller. 2) Die Barthaare sind auch dunkel, aber heller als die Haupthaare. 3) Die Behaarung des Körpers ist geringfügig. 4) Die Augen sind dunkel- oder blauschwarz. 5) Die Hautfarbe ist die des Europäers; nur die unbedeckten Teile sind leicht gebräunt. 6) Die Stirn ist hoch; Stirnhöcker gut entwickelt. 7) Die Nase von hinreichender Länge, Nasenrücken grade. 8) Die Lippen sind fein, der Mund nicht groß. 10) Die Zähne von mittlerer Größe. 11) Der Hals biegsam, lang. 12) Geringe Entwicklung des Fettpolsters der Haut. Anthropometrische Ergebnisse. Die Körpergröße beträgt im Mittel (bei 40 Individuen) 1677,95 mm über 1700 bei 14 Individuen = 35°, Os Too a -ı © - 3601-1650, „ Horıdıı oe „ 1600 )) 4 „ = W, Demnach haben 65°/, eine Körpergröße, die über das Mittel hinausgeht. Der Oseillations-Exponent (Ihering) beträgt 5,144. Der Brustumfang beträgt bei 40 gemessenen Individuen im Mittel 907,49 mm; das Verhältnis zur Körpergröße 54,08 °/,. Max. 1090, Min. 836 mm. Mit andern Worten: der Brustumfang übersteigt die halbe Körpergröße um 4,08°],. — Die Hälfte des Mittels der Körper- größe beträgt 838,97; der Brustumfang 907,49; folglich der Unterschied 68,52 mm. Der Abstand zwischen den Brustwarzen bei 38 Individuen beträgt im Mittel 212,31 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 12,62%. Max. 260, Min. 176, Diff. 34. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 171 Die Rumpflänge vom Scheitel bis zum Mittelfleisch (Perineum) bei 36 Individuen im Sitzen gemessen, ergibt im Mittel 885,80. Ver- hältnis zur Körpergröße 52,71°/,. Max. 988, Min. 826 mm, Diff. 162. Die Rumpflänge von der Incisura sterni bis zu Symphysis oss. pubis, bei 40 Individuen gemessen, beträgt 523,47. Das Verhältnis zur Körpergröße 31,19°/,. Max. 583, Min. 474, Diff. 109. Scehulterbreite, von einem Acromion zum andern gemessen, bei 40 Individuen im Mittel 373,42 mm, Max. 408, Min. 342, Diff. 66 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 22,289/,. Der Abstand des Acromions von den Füßen bei 15 Indi- viduen gemessen, ergibt im Mittel 1364,06 mm, Max. 1494, Min. 1293, Diff. 207 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 81,84°/,. Der Abstand der Perineums von den Füßen bei 39 Indi- viduen gemessen, ergibt im Mittel 790,53 mm, Max. 990, Min. 715 mm, Diff. 275. Der Baueh-Umfang wurde bei 40 Individuen in der sogenannten Taille an der engsten Stelle gemessen, nämlich dort, wo die Kabar- diner, wie die andern Bergvölker, eine deutliche Furche besitzen, die oberhalb des Nabels hinläuft — in Folge des Tragens eines den Bauch einschnürenden Riemens oder Gürtels. Das Mittel beträgt 704,95 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 42,01, Max. 930, Min. 615. Die Ka- bardiner sind ihrer schlanken Taille wegen im Kaukasus berühmt. — Der Bauch-Umfang im Niveau des Nabels, bei 40 Individuen gemessen, ergibt im Mittel 799,9 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 47,6°,, Max. 1050, Min. 624, Diff. 426 mm. Die Höhe des Nabels, bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 1000,9 mm. Verhältnis zur Körpergröße 59,66°%,, Max. 1122, Min. 925, Diff. 197 mm. Breite des Beckens beträgt im Mittel 254,17 mm. Verhältnis zur Körpergröße 15,11°/,, Max. 310, Min. 225, Diff. 85 mm. Klafterweite, bei 38 Individuen gemessen, ergibt im Mittel 1782,89 mm. Verhältnis zur Körpergröße 103,25°%,, Max. 1935, Min. 1570, Diff. 365 mm. Länge deroberen Extremität (der rechten), bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 750,87 mm. Verhältnis zur Körpergröße 45,34°/,, Max. 849, Min. 660. Bei 16 Individuen wurde auch die linke obere Extremität ge- messen. Das Mittel beträgt 751,2 mm im Gegensatz zu dem Mittel der rechten oberen Extremität dieser Individuen 747,05. — Die Länge des Oberarms im Mittel 278,96 mm. Verhältnis zur Körpergröße 16,68°,, Max. 312, Min. 280, Diff. 62. Der Umfang des Oberarms, gemessen im Niveau der dicksten Stelle des M. biceps 172 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. brachii, ergibt im Mittel 278,6 mm; dicht oberhalb der unteren Epi- physe 159,5 mm. Die Länge der Hand beträgt im Mittel 194,43. Verhältnis zur Körpergröße 11,28°/,, Max. 287, Min. 154 mm, Diff. 73 mm. Die Länge der unteren Extremität, bei 40 Individuen ge- messen, beträgt im Mittel 376,72. Verhältnis zur Körpergröße 52,249], Max. 971, Min. 793, Diff. 178 mm. Die Maße sind verhältnismäßig groß. Das Mittel für die Länge des Ober- und Unterschenkels, bei 37 Individuen gemessen, beträgt 809,63 mm. Die Länge des Oberschenkels, bei 39 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 494mm. Verhältnis zur Körpergröße 26,21 ,, Max. 494, Min. 392, Diff. 102. Die Unterschenkel-Länge, bei 39 Individuen gemessen, be- trägt im Mittel 334,57 mm, Max. 454, Min. 334, Diff. 120. Verhältnis zur Körpergröße 22,28 °],. Die Fuß-Länge, bei 39 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 259,6 mm, Max. 291, Min. 236, Diff. 55 mm. Der Kopf. Der Verfasser hat zunächst ein wenig übliches Maß genommen, das er als die Kopflänge bezeichnet, nämlich vom Scheitel bis zum Kinn, bei 33 Individuen. Dieser Abstand beträgt im Mittel 232,21 mm, Max. 261, Min. 205, Diff. 56. Verhältnis zur Körper- größe 13,809|,. Kopflänge (größte Schädellänge des Verfassers), bei 40 Indi- viduen gemessen, beträgt im Mittel 185,55 mm, Max. 203,00, Min. 172 mm, Diff. 31 mm. Verhältnis zur Körpergröße 11,05 %,. Breite des Kopfes (größte Schädelbreite), bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 155,36, Max. 172, Min. 143, Diff. 29 mm. Verhältnis zur Körpergröße 9;28],. Ko,pfindex rl Obwohl der Verfasser die oben zitierten Male als Schädellänge und Schädelbreite bezeichnet, so braucht er hier den richtigen Ausdruck Kopfindex. Derselbe beträgt, bei 40 Individuen berechnet, im Mittel 83,68. Wyrubow fand 33,31. Die Kabardiner sind als brachycephal zu bezeichnen. Die Schwankungen des Kopfindex sind 75,39—91,27. Im Einzelnen verteilen sich die Zahlen wie folgt: der Verfasser Wyrubow Doliehocephal . . 0 — 30 Subdolichocephal 5 12.59, 1.6. Mesocephal. . . .2 5,0., 12.8,, Subbrachycephal 12 30. „ 28,0 „ Brachycephal . . 21 525 „ 54,4 „ Der Oseillations- Exponent beträgt 3,15. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 173 Die Höhe des Kopfes (des Schädels), bei 40 Individuen ge- messen, beträgt im Mittel 135,17 mm, Max. 154, Min. 115, Diff. 39 mm. Verhältnis der Höhe zur Länge m] — 13.01; n „ Höhe zur Breite [5] — 81,0. Horizontaler Umfang des Kopfes [A], bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 561,0, Max. 601, Min. 515, Diff, 86. Ver- hältnis zur Körpergröße 34,02°],. Querumfang des Kopfes [OPO] nach Topinard, bei 40 Indi- viduen gemessen, beträgt im Mittel 371,5 mm, Max. 404, Min. 355, Diff. 79. Verhältnis zur Körpergröße 22,13 9/,. Der unvollständige vertikale Umfang des Kopfes, bei 40 Indi- viduen gemessen, beträgt im Mittel 330,77 mm, Max. 374, Min. 280, Diff. 44. Verhältnis zur Körpergröße 19,7°|,. Durchmesser von einem Ohr zum andern [OO], bei 40 In- dividuen gemessen, beträgt im Mittel 137,2 mm, Max. 148, Min. 127, Dil. :21. Der geringste Stirn-Durchmesser [F,, F,], bei 40 Individuen gemessen, im Mittel 110,76, Max. 124, Min. 102, Diff. 22. Der Stirn- Index. Das Verhältnis des Frontal-Durchmessers zur Kopfbreite be- trägt 71,35 1 Das Gesicht der Kabardiner hat die Gestalt eines Ovals, das sich zum Kinn etwas verjüngt. Die Backenknochen sind gering entwickelt: breite Gesichter wurden nicht häufig beobachtet. — Die größte Länge des Gesichts, von der Grenze der be- haarten Kopfhaut bis zum unteren Kinnende, bei 39 Individuen ge- messen, beträgt im Mittel 177,89 mm. Verhältnis zur Körpergröße 19,59°],, Max. 208, Min. 152, Diff. 56 mm. Die einfache (volle) Gesichtslänge von der Nasenwurzel bis zum Kinn beträgt im Mittel 121,17 mm, Max. 135, Min. 106, Diff. 29 mm. Die größte Breite des Gesichts, der Abstand der Arcus zygo- matici von einander, beträgt im Mittel 142,07 mm, Max. 154, Min. 129, Diff. 25 mm. Der Jochbein-Durchmesser oder der Abstand der untern vordern Punkte der beiden Jochbeine von einander (Tarenetzky) ist schwierig zu messen; beträgt im Mittel 103,41 mm, Max. 132, Min. 94, Diff. 28. Die obere Gesichtsbreite, bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 108,32, Max. 129, Min. 100, Diff. 29. Die untere Gesichtsbreite, bei 40 Individuen gemessen, be- trägt im Mittel 108,05, Max. 117, Min. 96, Diff. 21. 174 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Die Breite der Mundöffnung, bei 36 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 54,13 mm, Max. 65, Min. 43, Diff. 22 mm. Die Nase. Die Länge (Höhe) der Nase von der Nasenwurzel bis zur Nasenscheidewand, bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 55,87 mm, Max. 67, Min. 47, Diff. 20 mm. Das Verhältnis der Nasen-Länge (Höhe) zur Körpergröße 3,44 %,. Die Breite der Nase oder die untere Nasenbreite — der Abstand der Nasenflügel von einander, bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 36,33 mm, Max. 42, Min. 27, Diff. 15 mm. Der Nasenindex, das Verhältnis der Länge zur Breite der Nase, beträgt im Mittel 61,44. Die Höhe (Länge) der Nase vom unteren Nasenpunkte bis zur Spitze, bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 25,17 mm, Max. 31, Min. 18, Diff. 13. Die obere Nasenbreite, oder der Abstand der medialen Augen- winkel von einander, bei 40 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 30,72 mm, Max. 37, Min. 27, Diff. 10. Die Ohren wurden bei 37 Individuen gemessen, und zwar das rechte und das linke gesondert: Die Länge des rechten Ohres im Mittel 64,13, Max. 72, Min. 51, Diff. 21. ” n ” linken ” ” „63,67%, „ 14, 2) 55, „ 10. Im Allgemeinen ist zu bemerken, dass die Ohren nieht von gleicher Größe, und dass bald das rechte, bald das linke Ohr größer ist. — Ohrlinie. Der Abstand von der Basis der Nase bis zur Ohr- öffnung (Basis des Tragus), beträgt bei 40 Individnen gemessen, im Mittel 117,87, Max. 128, Min. 106, Diff. 22 mm. Die Entfernung des vorderen Endes des Oberkiefers (mediale Schneidezähne) von der Ohr- öffnung: im Mittel 116,17 mm, Max. 128, Min. 97, Diff. 31. Der Abstand des Kinns von der Ohröffnung im Mittel 138,7, Max. 149, Min. 120, Diff. 29. Der Gesundheitszustand der Kabardiner ist ein ganz vortrefflicher: von Jugend auf im Freien, nur mit körperlichen Uebungen beschäftigt, bei guter Luft und guter Nahrung, bleiben die Kabardiner bis zu ihrem spätesten Alter hin gesund und kräftig; ein 82jähriger Greis besaß noch 27 gesunde Zähne. Bei den 40 untersuchten Individuen war alles gesund. Arteriosklerosis ist sehr selten — die Mäßigkeit im Genuss geistiger Getränke wird hoch geschätzt und geehrt. — Die Körpertemperatur wurde an 20 Individuen gezeigt, die im Gefängnis von Pjatigorsk interniert waren. Minimum der Morgen- Temperatur 36,6, Max. 37,4; Abend -Temperatur Min. 36,1, Max. 37,5. Die Pulsfrequenz bei 28 Individuen geprüft (22 Gefangene und 6 in Freiheit befindliche) im Mittel 69,64. Die Atmungsfrequenz, bei 28 Individuen geprüft, ergab im Mittel 17,14, Max. 19, Min. 16 in der Minute, Weinland, Funktionen der Netzhaut. 475 Kurzsichtigkeit wurde nicht beobachtet. Die Gehörweite ist größer als bei Europäern. Der Verfasser gibt folgende Schlusssätze: 1) Die Karbardiner sind mehr als mittelgroß. 2) Der Brustumfang übertrifft die Hälfte der Körpergröße. 3) Die Länge des Rumpfes ist nicht groß. 4) Die Schulterbreite ist beträchtlich. 5) Die obere Extremität ist absolut und relativ lang (länger als bei den Osseten). 6) Die untere Extremität ist von beträchtlicher Länge (kürzer als bei den Osseten). 7) Die Kabardiner sind brachycephal. 8) Die Kabardiner sind mesoprosop. Der Verfasser gibt am Schluss seiner Arbeit (S. 90 und 91) ein Verzeichnis der von ihm benutzten Litteratur, insbesondere führt er diejenigen Arbeiten an, deren Messungs-Resultate er mit den seinigen vergleicht. — In meinem Referat habe ich die vergleichenden Zahlen mit wenigen Ausnahmen fortgelassen. Anthropometrische Unter- suchungen an Kabardinern sind sehr wenig angestellt worden. Dr. Giltschenko (Referat im Biolog. Centralblatt, 1891, Nr. 9 u. 10), Erckert (Berlin), Pantuchow (Tiflis). Inbezug auf einzelne Teile, z. B. Kopf (Schädel) liegen freilich mehr Messungen vor (Erckert). Aber immerhin ist das Material zu geringfügig, um daraus endgiltigen Schlüsse zu ziehen. Der hier oder vom Verfasser gemachte Vergleich mit andern Völkerschaften des Kaukasus ist wegen der fraglichen Verwandtschaft der einzelnen Stämme unter einander ebensowenig von großem Erfolg wie der Ver- gleich mit weitabliegenden Völkern. Ich habe es daher für angezeigt gehalten alle verschiedenen Zahlen ganz fortzulassen. — L. Stieda (Königsberg i. Pr.). [4] E.F. Weinland, Neue Untersuchungen über die Funktionen der Netzhaut nebst einem Versuche einer Theorie über die im Nerven wirkende Kraft im Allgemeinen. 123 Seiten Fol. Verlag v. Pietzcker, Tübingen. Weinland entwickelt in der vorliegenden Abhandlung auf Grund ein- gehenden Studiums der neueren anatomischen Untersuchungen über den Bau der Netzhaut eine Reihe geistreicher Spekulationen über Ort und Art der Umsetzung von Lichteinwirkung in Nervenerregung. Verf. versucht auch die Erscheinungen aus dem Gebiete des Licht- und Farbensinnes, die Entstehung der Kurzsichtigkeit u. s. w. zu erklären. Eigene Beobach- tungen und neue Thatsachen vermisst man hingegen in dem mit vielem Fleiße durchgearbeiteten Werke. 176 Möller, Brasilianische Pilzblumen. W. geht von der Ansicht aus, dass in dem geschlossenen Raume, der nach außen durch die Glaslamelle der Chorioidea, nach innen durch die Limitans interna retinae abgeschlossen werde, der Sehstoff durch die Licht- einwirkung eine Umsetzung erfahre. Durch diese Umsetzung des Seh- stoffes soll derselbe eine Volumsänderung erleiden, welche sich als Druck auf die in den Raum hineinragenden Zapfen äußere. Der Sehstoff soll ein einheitlicher sein. Bei größerer Helligkeit werde die Intensität des auf die Zapfen ausgeübten Druckes größer. Farbige Lichter von verschiedener Wellenlänge bedingen verschiedene Anstiegskurven des Drucks. Die Farbenblindheit teilt W. in 2 Gruppen: eine echte und eine scheinbare. Die echte Farbenblindheit soll ebenso wie die auf der peri- pheren Netzhaut durch Abnahme der Feinheit der Uebertragungen zu Stande kommen. Die Kontrasterscheinungen sollen in dem Beharrungs- vermögen der Ganglienzellen ihre Erklärung finden, die Nachbilder in der Thatsache, dass die Ganglienzelle nicht augenblicklich in ihre Ursprungs- form zurückkehrt. Von allen bisherigen Ansichten weit abweichend ist Weinland’s Auffassung von der Entstehung der Myopie. Er geht von der (leicht zu widerlegenden) Meinung aus, dass „bei der Nahearbeit in der Fovea infolge der großen Nähe der Lichtquelle fortgesetzt verhältnismäßig große Schwan- kungen in der Intensität des einwirkenden Lichtes stattfinden“. „Da- durch kommt es zu starken Stößen auf die Wände, also auch auf die Außenwand des Umsetzraumes (Chorioidea und Sklera)“. Diese Stöße sollen die Skeralkapsel zum Ausweichen nach hinten bringen und so Verlängerung des Bulbus, Sklerektasien, Makulaveränderungen erzeugen. Neben dem pereipierenden Zapfensystem soll es noch ein centrifugales (rückleitendes) Stabsystem geben, dessen Endglieder die Stäbchen sind und welches in erster Linie der Pigmentregulierung der Netzhaut dienen soll. Weinland hat die Vorstellung, dass das Netzhautbild „in Druck umgesetzt“ in den „Nervenröhren“ des Sehnerven zum Hirn geleitet werde. In ähnlicher Weise sollen, nur ohne Umsetzung, die Schallwellen als Schall zum Hirne geleitet werden, überhaupt sollen alle Sinneszuleitungen zum Gehirn, alle im Nervenrohr verlaufenden Bewegungen auf „Druck- bewegung“ beruhen. Die elektrischen Vorgänge, die dabei in den Nerven beobachtet werden, seien lediglich Begleiterscheinungen der Druckbeweg- ungen. C. Hess (Leipzig). |6] A. Möller, Brasilianische Pilzblumen. Verlag von Fischer. Jena 1895. 11 Mark. Das Materiäl, welches diesem 7. Heft der von Schimper herausgegebenen botanischen Mitteilungen aus den Tropen zu Grunde liegt, wurde in Blumenau in Südbrasilien gesammelt. Die Arbeit ist eine einlässliche Darstellung der Anatomie und Entwick- lungsgeschiehte einer Reihe neuer Gattungen und Arten aus den Abteilungen der Hymenogastreen und Phalloideen. Dem Werke sind 8 mustergiltig aus- geführte Tafeln beigegeben. R.K. [9] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI. Band. 1. März 1896. Nr. 5. Inhalt: Schimkewitsch, Zur Frage über die Inzestzucht. — Haacke, Zur Stammes- geschichte der Instinkte und Schutzmale. — Friedlaender, Bemerkungen über den Bau der markhaltigen Nervenfasern. — Ortmann, Grundzüge der marinen Tiergeographie. — Die Wirbeltiere Thüringens nach F. Regel. — Fleischmann, Lehrbuch der Zoologie, nach morphogenetischen Gesichtspunkten bearbeitet. Zur Frage über die Inzestzucht. Von W. Schimkewitsch. Im 4. und 5. Hefte dieser Zeitschrift veröffentlichte W. Haacke im vorigen Jahre einen interessanten Artikel, welcher dieser Frage gewidmet ist. Da ich in einer rnssischen Zeitschrift (Rev. des sec. nat. de St. Petersb. 1893) eine indirekt diese Frage berührende Bemerkung veröffentlicht hatte, so erlaube ich mir in Kürze meine daselbst ange- führten Gedanken zu publizieren, obgleich denselben als Ausgangspunkt andere theoretische Betrachtungen dienen, als diejenigen, welche der Arbeit Haacke’s zu Grunde liegen. Die Befruchtung erscheint sowohl vom morphologischen, als auch vom physiologischen Standpunkte als ein komplizierter Vorgang. Vom morphologischen Standpunkte können wir in diesem Akte das Zu- sammenfließen zweier Plasmen, der Centren (falls diese Erscheinung eine konstante ist), und der Kerne unterscheiden. Von der physio- logischen Bedeutung der Verschmelzung der Centren haben wir keine Vorstellung. Was den Zusammenfluss des Plasmas betrifft, d. h. das Eindringen der Spermas in das Ei, so regt dieser Akt die Bildung der Eihaut und den Beginn der Furchung an. Der in Folge des Ein- dringens des Spermas ausgeübte Reiz kann in beiden Hinsichten durch einen äusseren Reiz ersetzt werden, wie es Hertwig und Herbst bezüglich der Bildung der Eihaut, Dewitz, Tichomiroff u. a. be- züglich der Furchung nachgewiesen haben. Endlich beginnt in einigen Fällen der Furchungsprozess bereits, bevor noch eine Verschmelzung XVl. 12 178 Schimkewitsch, Zur Frage über die Inzestzucht. des männlichen und weiblichen Kernes stattgefunden hat, wie es z.B. Häcker bei den freilebenden und ich bei den parasitischen Copepoden beobachtet haben. Was die Verschmelzung der Kerne betrifft, so ist ihre physio- logische Bedeutung ihrerseits ebenso verwickelt, wie die physiologische Rolle des Zellkernes. Der Kern ist nicht nur der Träger der Vererbung, sondern spielt auch eine Rolle in den Ernährungsfunktionen der Zelle (Klebs, Hofer, Korschelt u. a.). Die Verschmelzung der Kerne bei der Befruchtung bestimmt einerseits die individuellen und die Art-Unter- schiede des folgenden Geschlechtes, andrerseits ruft sie jene Verjüngung hervor, auf welcheBütschli, Maupas u. a. Protozoen-Forscher hin- weisen. Es fragt sich nun, in welches Gebiet wir jene Erklärungen, welche bei der Inzestzucht oder Selbstbefruchtung vor sieh gehen, einreihen sollen, d. h. ins Gebiet der Vererbungsfunktion, im obenge- nannten engen Sinne des Wortes, oder ins Gebiet der Ernährungsfunk- tion des Kernes? Die Entartung, welche nach mehreren auf einander folgenden Teilungen der Infusorien eintritt wird nur durch die Konjugation bezw. Kopulation der Individuen unverwandter Kulturen beseitigt. Dieser Um- stand legt die Vermutung nahe, dass die bei auf einander folgenden Teilungen eintretende Entartung der Infusorien und die Störungen, welehe durch Inzestzucht und Selbstbefruchtung bei den Metazoen hervorgerufen werden, in eine Kategorie gehören. Andrerseits wird die Degeneration der Infusorien nach mehreren Teilungen und dem Altern des Metazoenorganismus, welches bei häufiger Teilung seiner Zellen im Verlaufe des Lebens eintritt, wahrscheinlich durch ähnliche Ursachen hervorgerufen. Wenn Mino t (Diese Zeitschr., Nr. 15, 1895) Recht hat, dass der Tod eines Protozoenindividuums mit dem Tode eines Metazoons nicht ho- mologisiert werden kann, so kann auch das Altern eines Metazoons nicht mit dem Altern eines Protozoons verglichen werden, sondern mit der Entartung, welche im Verlauf einer ganzen Geschleehtsreihe von Protozoen zu tage tritt. Wie Bütschli nachgewiesen hat, tritt eine Konjugation von Zellen eines und desselben Organismus nicht ein, gleichfalls geht auch keine Verjüngung des Metazoenorganismus vor sich. Uebrigens haben wir jetzt einen Hinweis auf die Konjugation der Spermatozoen von Dytiscus (Diese Zeitschr., Bd. XIV, S. 408, 1894) und die Konju- gation der Darmepithelzellen bei Percellio, Ryder and Penningten, (Anat. Anz., Bd. X, Nr. 24—25); doch zu dieser Frage kehre ich weiter unten zurück. Jene Störungen, welche bei der Degeneration der Infusorien, bei der Kreuzung verwandter Individuen (Ritzema-Bos, diese Zeitschrift, Bd. XIV, 5. 75, 1895) und beim Altern‘ der Metazoen auftreten, Schimkewitsch, Zur Frage über die Inzestzucht. 179 sprechen eher zu Gunsten jener Meinung, dass in all diesen Fällen die trophischen Eigenschaften des Kernes verändert und gestört werden. Das Wort „Verjüngung“ hat bereits öfters den Tadel für seinen, vermeintlichen, metaphysischen Charakter hervorgerufen. Doch glaube ich, dass dieser Tadel zum Teil beseitigt werden kann, wenn wir für unsere heutigen Begriffe vom Baue der Zelle jene Ideen anwenden, welehe Delboeuf betrefis der Experimente Maupas veröffentlichte (Rev. Se. XLVIL, p. 368, 1891). Selbstredend sind auf diesem Gebiete bis jetzt nur Vermutungen möglich. Die meisten Biologen sind einig, dass der Kern bestimmte Nneleinelemente enthält, welche physiologische Einheiten sind und verschiedene Funktionen des Kernes verursachen. Was die trophischen Funktionen des Kernes betrifft, so muss zu ihrer vollständigen Entfaltung der Kern jeder Zelle alle verschiede- nen Einheiten, welche diese Funktionen verursachen, in bestimmtem quantitativem Verhältnisse besitzen. Wenn dieses Verhältnis gestört oder der Zellkern irgend welche Einheiten nicht erhalten hat, so er- scheinen die trophischen Funktionen gleichfalls gestört. Wie genau auch der Mechanismus der Karyokinese sei, bei welchem die durch Teilung entstandenen Kerne möglichst gleich erscheinen, immerhin kann dieser Mechanismus nicht absolut vollkommen sein. Abgesehen von den möglichen Veränderungen unter dem Einflusse äusserer Faktoren, widerspräche die Annahme eines mathematisch genauen Mechanismus der Kernteilung allen unseren Vorstellungen von der Natur lebender Wesen und von den Funktionen des Lebens. Es ist, wie Delboeuf bemerkt, nieht möglich, aus einem Sacke welcher 1000 schwarze und 1000 weiße Kugeln enthält, 1000 Kugeln so zu nehmen, dass man 500 weiße und 500 schwarze habe. Wenn jedoch einmal eine Ungenauigkeit eingetreten ist, so wird sie mit den folgenden Teilungen wachsen. So können wir annehmen, dass bei aufeinanderfolgender Zell- teilung, sowohl bei Infusorien, als auch bei Metazoen, in Folge der Unvollständigkeit des Mechanismus der Karyokinese Störungen in der Gruppierung der Nucleineinheiten eintreten, und dass diese Störungen wiederum eine Störung der trophischen Funktionen des Kernes zur Folge haben. Bei der Kreuzung und Konjugation verwandter Indivi- duen oder bei der Selbstbefruchtung vergrößern sich diese Störungen vielleicht nieht immer, werden jedenfalls aber in vielen Fällen nicht verbessert, denn es verbinden sich in diesen Fällen verwandte und folglich oft gleiche Störungen aufweisende Zellen. Bei der Verbindung unverwandter Zellen ist zwar natürlich dieselbe Erscheinung möglich, wie bei der Verbindung verwandter Zellen, in den meisten Fällen aber verbinden sich Kerne mit Störungen in verschiedenen Richtungen, was zu einer Ausgleiehung und Hebung dieser Störungen führt. Um bild- lich zu reden, sind bei der Verbindung verwandter Kerne solche Ver- 12° 150 Schimkewitsch, Zur Frage über die Inzestzucht. bindungen möglich, wo beide Kerne z. B. eine Neigung zur Ueberhand- nahme der schwarzen Kugeln haben, bei der Verbindung nicht ver- wandter Kerne sind die Verbindungen von an schwarzen Kugeln reicheren Kernen mit an weißen Kugeln reicheren am häufigsten. Na- türlich ist in Wirklichkeit die Erscheinung bedeutend mannigfaltiger: die Nucleineinheiten unter sich sind nämlich einander weit verschiedener, als die Kugeln in dem Beispiele Delboeuf’s. Von diesem Standpunkte aus ist es erklärlich, warum, wenn nach aufeinander folgenden Teilungen während des Lebens eines Individuums nicht gleich eine Regulierung durch Befruchtung eintritt, in sehr vielen Fällen eine ziemlich frühe Differenzierung der Geschlechtszellen beim Embryo beobachtet wird (Grobben u.a.). So kommt es, dass die Ge- schlechtszellen aus den ersten Blastomeren entstehen, welche noch nicht durch viele Teilungen verändert worden sind. Die Geschlechtszellen erscheinen auf diese Weise am weitesten von jener Stufe entfernt, auf welcher die Entartung beginnt. Existiert eine Konjugation der Zellen im Körper eines Metazoen- Individuums? A priori scheint eine solche Annahme sehr wenig wahrscheinlich: in der That können in den Geweben nur nahe an ein- ander liegende Zellen konjugieren, welche folglich in nächster Ver- wandtschaft sind. Wenn die Rede von der Konjugation freier Elemente ist, wie z.B. von der Konjugation der Spermatozoen, wie sie Ballo- witz, Auerbach (Dytiscus), Selenka (Opossum) beschreiben und welche Mereschkovsky augenscheinlich bei Dinophilus gesehen hat, jedoch für eine Teilung der Spermatozoen hielt, so ist hier die Annahme möglich, dass die Cytotaxis der durch trophische Kernstörungen am meisten von einander verschiedenen Elemente viel stärker wird, als die Oyto- taxis der die gleichen Störungen besitzenden Elemente. Doch ist eine Auslese nur unter der Bedingung der freien Bewegung der Elemente möglich. Deswegen unterwarf ich die Beobachtungen von Ryder und Pennington über die Konjugation der Darmzellen von Porcellio einer Kontrole. Bei Bearbeitung mit Perenyi’scher Flüssigkeit erhielt ich mit Leich- tigkeit alle jene Figuren, welche diese Autoren abbilden. Doch be- merkte ich dabei, dass ich, je vorsichtiger ich den Darm herausnahm, um so weniger von diesen quasi Konjugations-Figuren zu Gesicht be- kam, während umgekehrt ein verstärktes Auseinanderziehen des Dar- mes eine Vergrößerung der Zahl solcher Figuren zur Folge hatte. Bei der Verletzung der Darmwand mit einer Nadel bekam ich an der ver- letzten Stelle immer diese Figuren zu Gesicht und außer ihnen noch andere, welche unstreitig durch Verletzung hervorgerufen worden waren, zwischen letzteren und ersteren lassen sich alle Uebergänge beobachten. Alles dieses führt mich zu dem Schlusse, dass die von Ryder und Marie Pennington beschriebenen Konjugations-Figuren Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 11 Kunstprodukte sind, welehe durch die Struktur der Kerne des Darm- epithels bedingt werden. So kann ich also diesen einzigen beschrie- benen Fall von Konjugation unfreier Gewebselemente nicht bestätigen. Und so scheint mir die Annahme möglich, dass die durch Inzzestucht und Selbstbefruchtung sowie durch auf einander folgende Teilungen bei In- fusorien und Metazoenzellen hervorgerufenen Störungen, welche in letz- terem Falle zum Altern und Tode führen, Störungen desselben Charakters sind und durch Störungen der trophischen Funktionen des Kernes hervor- gerufen werden. Gleichfalls können wir annehmen, dass vor allem die trophischen Funktionen Störungen erleiden, da sie in Verbindung mit größerer Reizbarkeit und Kontraktilität stehen, welche die tierische Zelle charakterisieren. Wenigstens kann bei den Pflanzen die ungeschlecht- liche Fortpflanzung in einigen Fällen scheinbar ununterbrochen vor sich gehen und ebenso ist die Selbstbefruchtung bei ihnen keine so seltene Erscheinung wie bei den Tieren. Die Tier- und Pflanzenzellen verhalten sich ungleich bei aufeinander folgender Teilung. [22] Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Eine Untersuchung über die Phylogenie des Brutparasitismus und der Ei- charaktere des Kuckucks. Von Wilhelm Haacke. Der nachfolgende Beitrag zur Stammesgeschichte der Organismen und zur Lehre von der schützenden Aehnlichkeit, der insbesondere auch die Behandlungsweise phylogenetischer Fragen betrifft, verdankt seine Entstehung einer Anregung, die ich vor einigen Jahren in einer Sitzung der Senekenberg’schen naturforschenden Gesellschaft zu Frankfurt a. M. empfing, wo der bekannte Ornitholog Ernst Hartert eine Anzahl von Eiern unseres Kuckucks (Cuculus canorus) nebst den Eiern aus denjenigen Vogelnestern, in denen die betreffenden Kuckuckseier gefunden worden waren, vorzeigte. Herr Hartert de- monstrierte uns die mehr oder minder große, zum Teil überraschende Aehnlichkeit zwischen den Eiern des Kuckucks und denen der Kuckucks- pfleger. Daich schon damals den Darwinismus'!) als unzulänglich erkannt hatte, suchte ieh mir eine eigne Auffassung über das Zustandekommen dieser Aehnlichkeit zu bilden. Hierbei erwiesen mir zwei in der Folge- zeit veröffentlichte Werke ausgezeichnete Dienste, nämlich „Das Leben der europäischen Kuckucke. Nebst Beiträgen zur Lebenskunde der übrigen parasitischen Kuckucke und Stärlinge“ von Dr. Eduard Bal- Der berühmteste lebende Vertreter des Darwinismus, der noch 1893 eine Schrift über die „Allmacht“ der Naturzüchtung veröffentlichte, macht jetzt den Versuch, die Darwin’sche Lehre von der zufälligen Formbildung mit ihrem kontradiktorischen Gegenteil zu verschmelzen. Vergl. August Weismann, „Ueber Germinal-Selektion eine Quelle bestimmt gerichteter Variation“ (Jena 1896). — Ernst ist Weismann immer zu nehmen. 182 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. damus, dem leider schon verstorbenen ausgezeichneten Kenner unserer Vogelwelt (Berlin 1892), und „Altes und Neues aus dem Haushalte des Kuckucks“ von dem tüchtigen Leipziger Ornithologen Dr. Eugene Rey (Leipzig 1892). Aus diesen beiden Werken gebe ich in durchaus neuer und meinen Zwecken entsprechender Anordnung das, was mir für meine Aufgabe besonders wesentlich erschien, zum größten Teil mit den eignen (freilich meistens etwas — wenn natürlich auch nieht sachlich — veränderten und deshalb nicht in Anführungszeiehen ge- setzten) Worten der Verfasser wieder und biete dem Leser damit einen kurzen Abriss des interessantesten Teiles der merkwürdigen und für die allgemeine Biologie sehr wichtigen Naturgeschichte des Kuckucks und seiner Verwandten, der aber freilich die Lektüre jener Werke nicht überflüssig machen, sondern vielmehr dazu auffordern soll, sie ein- gehend zu studieren. Die höchste Entwieklungsstufe des Brutparasitismus m der Vogelwelt erblickt mein Gewährsmann Baldamus in den Eigentüm- lichkeiten der durch eine größere Anzahl von „Anpassungen“ an den Brutparasitismus charakterisierten Unterfamilie der Baumkuckucke (Cueulinae), als deren bekanntester Vertreter unser europäischer Kuckuck (Cueulus canorus) zu gelten hat. Nach anderen stellt da- gegen die Entwicklungshöhe, auf welcher sich der Brutparasitismus unseres Kuckucks befindet, eine niedere Stufe des Schmarotzertums dar. So erbliekt der Amerikaner Hamilton Gibson nach Balda- mus in der Sorglosigkeit und Ungeschicklichkeit des Nestbaues der Regenkuckucke (Coccygus) einen Uebergang von der niederen Stufe des kein Nest bauenden Parasiten zu dem künstlichen Nestbau, ein Beispiel des Entwieklungsprozesses zu einem höheren Standpunkt, näm- lich dem der dämmernden Intelligenz der Nestbaukunst, stellt also die Regenkuckucke höher als die nichtnestbauenden Parasiten. Denn nach Baldamus betrachtet er den Nestbau der Vögel als ihre höchste Lebensäußerung, als Schlüssel zu ihrer Seele. Ihm gelten Nestbau, Selbstbrüten und Erziehung der Jungen als Fortschritt gegenüber dem Parasitismus, wie denn Gibson das liederlich gebaute Nest des gelb- schnäbeligen Regenkuckucks (Coccygus americanus) als einen solehen in Anspruch nähme. Das Nest der beiden nordamerikanischen Regenkuckucke ist, Baldamus zufolge, nach den Angaben sämtlicher Augenzeugen verhältnismäßig klein, aus wenig Reisern erbaut und mit einigen Baumzweigen, Moos- und Grasstengeln sowie mit Blättern ver- woben, kunstlos und undicht. Gibson fand nach Baldamus mehrere Nester, wenn, wie er sagte, der nachlässig geschichtete Reisigklumpen den Namen eines Nestes verdiente, in deren einem nur ein einziger junger Vogel saß oder hing, den er zum Erreichen seiner Stoppelfeder- tage im Neste und dazu, dass er nicht wie seine früheren Nestgenossen, herausgefallen sei, beglückwünschte. Denn der Rand des Reisighaufens Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 185 war viel niedriger, als seine Mitte, auf der sich der junge Kuckuck gehalten hatte. Bei allen vier von Gibson gefundenen Nestern war es ersichtlich, dass der Aufbau zum Ruin der Jungen führen musste. Sternberg fand, nach Baldamus, dass Angehörige einer Art der Regenkuckucke kein eigues Nest gebaut, sondern ein Taubennest, dem Sternberg acht Tage früher die Eier entnommen hatte, benutzt hatten. Das Taubennest wäre noch ganz so gewesen, wie Stern- berg es verlassen hätte. Er hätte aber nicht feststellen können, ob der betreffende Kuckuck stets ein fremdes Nest usurpiere. Das wir in den Nestbaueigentümlichkeiten der Regenkuckucke nach allem obigen eine Uebergangsstufe zwischen Bauen und Nicht- bauen zu erblicken haben, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Es fragt sich nur, ob unser europäischer Kuckuck, der kein Nest baut, auf einer höheren oder auf einer tieferen, oder, besser, auf einer stammesgeschichtlich späteren oder früheren Entwicklungsstufe steht. Ich möchte das erstere annehmen. Wir müssen die Vögel nach allem, was wir wissen, von Vorfahren ableiten, die noch keine Brut- pflege übten. Die Brutpflege kann aber, wie ich bereits in meiner „Dehöpfung der Tierwelt“ (Leipzig 1893) darzulegen suchte, nur da- durch entstanden sein, dass die Vögel oder ihre Vorfahren sich zu- nächst um ihre Eier kümmerten. Zuerst mag eine natürliche Nest- mulde auf dem Boden oder in einem Fels- oder Baumloche benutzt worden sein. Später wurde diese durch Vertiefung und durch Aus- gleichung ihrer Unebenheiten verbessert, noch später mit in der Nähe befindlichen, darauf mit herbeigeholten Pflanzenteilen, Federn, Haaren u. dergl. ausgepolstert, ein Verfahren, woraus sich daun endlich die höheren Stufen der Nestbaukunst entwickelten. Der Nestbau der Regen- kuckucke, insbesondere das, was Gibson und Sternberg darüber berichten, macht dagegen den Eindruck, als ob er einem degene- rierenden Instinkte entsprünge: Zunächst ein liederlich gebautes und die Jungen gefährdendes Nest, dann Benutzung fremder Nester, die für den eignen Bedarf hergerichtet wurden, endlich vollständige Aufgabe des Nestbaues und Brütens — das werden die Entartungs- stufen gewesen sein, denen der Nestbauinstinkt der Vorfahren unseres Kuckucks unterworfen gewesen ist. Ueber die Ursachen dieser Degeneration müssen wir unsere Un- wissenheit bekennen. Man hat den Brutparasitismus des Kuckucks unter anderem mit seiner Nahrung in Zusammenhang bringen wollen. Das Kapitel von der Nahrung der Kuckucke ist nach Baldamus für ihre gesamte Biologie, besonders aber für so viele exzeptionelle Eigentümlichkeiten ihrer Fortpflanzungsweise von großer Bedeutung, und fast alle Be- obachter stimmen nach Baldamus darin überein, dass unser Kuckuck und, wie Baldamus glaubt, auch andere Arten der Baumkuckucke 184 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. (Cueulinae) sich zu gewissen Zeiten hauptsächlich von behaarten Raupen nähren. Ramsay fand nach Baldamus Raupenhaare im Magen des australischen Bronzekuckucks (Lamprococey& lucidus). Gleiche Ent- deckungen wurden später, wie Baldamus ebenfalls mitteilt, bei andern Arten der Baumkuckucke gemacht. Indessen frisst der europäische Kuckuck auch Käfer, Nachtschmetterlinge, Libellen, Maulwurfsgrillen und Heuschrecken. Gleichwohl zweifelt Baldamus nicht daran, dass die bisher nur bei den Kuckucken nachgewiesene Eigentümlichkeit, stachelhaarige Raupen zu fressen, in mittel- oder unmittelbarer Be- ziehung zu deren Brutparasitismus steht. Möglich, dass es so ist; wir wissen aber nichts darüber. Auch über den Zusammenhang des Brutparasitismus mit der Zeit, welche das Ablegen der in einem Kuckucksweibchen zur Entwick- lung gelangenden Eier inAnspruch nimmt, können wir nichts sicheres aussagen. Baldamus meint zwar, der nächste und zureichende Grund des Brutparasitismus von Cuculus canorus sei die vielseitig konstatierte Thatsache des langsamen Heranwachsens seiner Eier, in Folge dessen sie nur in Zwischenräumen von 6—7 Tagen abgelegt werden könnten. Unter diesen Umständen sei aber ein erfolgreiches Selbstbrüten seitens der Mutter oder beider Eltern gänzlich ausgeschlossen. Allein nach tey muss man das „Dogma“ von dem langsamen Heranwachsen der Kuckuckseier fallen lassen. Die Ablage der Eier geschieht beim Kuckuck einen Tag um den andern, wie Rey durch eingehende und sorgfältige Forschungen festgestellt hat. Immerhin erfolgt sie lang- samer als bei, man kann wohl sagen, der großen Mehrzahl der anderen Vögel, die täglich ein Ei legen, bis das Gelege vollzählig ist. Es mag deshalb auch wohl sein, dass sie mit dem Brutparasitismus zu- sammenhängt; in welcher Weise, das müssen wir dahingestellt sein lassen. Außer in der Zeit, welche die Eiablage beansprucht, hat man in dem Bau der Geschlechtsorgane unseres Kuckucks die Ursache seines Brutparasitismus erblicken wollen. Opel hat aber nach Bal- damus durch anatomische Untersuchungen den Nachweis geliefert, dass mit den Verhältnissen der Geschlechtsorgane die merkwürdige Art und Weise der Fortpflanzung des Kuckucks nicht erklärt werden könne. Und nach Rey zeigten weder der Eierstock noch das Heran- wachsen der Eier des Kuckucks irgend welches Anormale im Vergleich zu andern Vögeln. Inwieweit, nebenbei bemerkt, das Legen des relativ sehr kleinen Eies, das sich nach Baldamus unter langen, schweren und krampfhaften Wehen vollzieht, wobei der Vogel nicht sieht und hört, etwas Abnormes darstellt, mag dahingestellt bleiben. Unser Kuckuck legt nach Rey im Jahre bis einige 20 Eier. Rey meint, dass vielleicht gerade durch diese hohe Eierzahl der Brut- parasitiswus des Kuckucks bedingt werde. Ich kann mich dieser Auf- Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 185 fassung nicht anschließen, wenn ich auch zugeben muss, dass die hohe Eierzahl des Kuckucks, die gegenüber der der meisten andern Vögel außerordentlich groß ist, mit dem Brutparasitismus zusammenhängt. Vielmehr denn als Ursache möchte ich die hohe Eierzahl als Folge des Schmarotzertums betrachten. Als solche dürfte auch die Polygamie unseres Kuckucks, falls sie wirklich existiert, zu betrachten sein. Baldamus bestreitet sie. Nach diesem Beobachter sind bei Cuculus canorus sowohl Polyandrie als auch Polygynie hin und wieder behauptet worden. Aber man ist, wie Baldamus glaubt, die positiven Beweise für die Behauptungen bis jetzt noch schuldig geblieben. Die Gebrüder Naumann, bekannt- lich zwei der besten Kenner unserer heimischen Vogelwelt, waren nach Baldamus der Ansicht, dass der Kuckuck in Monogamie lebe, eine Ansicht, die Baldamus lediglich bestätigt gefunden hat. Dieser meint, dass man, um die Frage nach dem Eheleben des Kuckucks zu entscheiden, berücksichtigen müsse, dass die Kuckucke immer ihr altes Standquartier wieder aufsuchen. J. F. Naumann habe einen Kuckuck beobachtet, der 25 Mal wieder auf sein Standquartier zurückkehrte. Außerdem war in allen von Baldamus beobachteten Fällen das Kuckucksweibehen von seinem Männchen begleitet, das die lebhafteste Teilnahme an den zu Gunsten der Kinder vorgenommenen Manipula- tionen des Weibcehens bezeugte, sich aber freilich stumm und beobach- tend in einiger Entfernung hielt. Baldamus erwähnt dieses, um daran die Bemerkung zu knüpfen, dass sich das Männchen auch bei der Nestersuche und Nesterbeobachtung, wenn auch nur als stiller und stummer Zuschauer, beteilige. Aber auch andere haben nach Baldamus ähnliche Beobachtungen gemacht. Unter diesen soll Thiele behaupten, dass das Männchen in einsamen Waldrevieren häufig mit- spioniere, d. h. sich bei der Suche nach geeigneten Pflegernestern thätig beteilige. Baldamus sah ferner im Engadin ein Kuckuckspaar, das Männchen voraus, auf eine Tanne zufliegen, auf welcher sich das Paar unter fortwährendem Rufen des Männchens niederließ. Dann hörte das Rufen auf. Das Weibchen begab sich, dicht über den Boden hin- streichend, nach einem mit vertrocknetem Gras bedeckten Platze, kaum dreißig Schritt von Baldamus’ Versteck entfernt, beugte sich fünf Mal über ein Nest, nahm etwas heraus, und schob es in das Gras, das fünfte Mal unter das Nest. Dann flog es nach dem nun wieder eifrig rufenden Männchen zurück, und verschwand mit ihm abwärts in den Wald. Das war, sagt Baldamus, das Benehmen eines „ge- paarten Paares“. Die später noch näher zu erörternde Thatsache, dass ein Kuckucksweibehen immer gleiche Eier legt, ist nach Bal- damus nicht ohne Gewicht für die Entscheidung der Frage nach dem ehelichen Leben des Kuckucks. Er findet einen Beweis für die Mono- gamie unseres Kuckucks und wahrscheinlich aller parasitischen Arten s16 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. in der ganz zweifellosen Thatsache, dass die Weibehen mindestens zwei Jahre hindurch einander äußerst ähnliche Eier legen. Wie groß, oder wie gering nun auch der Einfluss des Männchens auf die Färbung und Zeiehnung der Eier sein möge, gänzlich außer Frage käme er doch wohl schwerlich. Es hat nämlich, wie ich zur Erläuterung dieser Ansicht von Baldamus hinzufügen will, W. von Nathusius be- hauptet, dass das Weibchen einer Vogelart, gepaart mit dem Männchen einer fremden Art, andere Eier lege als die seiner Art eigentümlichen, und an entsprechendes denkt Baldamus beim Kuckuck, dessen Eier, wie wir noch später sehen werden, außerordentlich verschieden sind, weshalb man auch als möglich annehmen darf, dass verschiedenen Eiern Männchen entschlüpfen, die die Eier der von ihnen begatteten Weibchen in verschiedener Weise beeinflussen. Indessen müsste hierfür doch erst der Beweis erbracht sein, ehe man die Monogamie des Kuckucks behaupten darf. Wie die Dinge mir zu liegen scheinen, kann man zur Zeit das Eheleben des Kuckucks noch nicht mit seinem Brutparasitismus in Zusammenhang bringen. Graf von Berlepsch hat in einer der Sitzungen der deutschen zoologischen Gesellschaft darauf hingewiesen, dass bei den Maden- fressern (Crotophagidae), die mit den Kuckucken verwandt sind, Gesellschaftsbrüter vorkommen, woraus er den Schluss zieht, dass der Brutparasitismus der Kuckucke vielleicht aus dieser Art der Brutpflege herzuleiten sei. Bei einem der Madenfresser, dem Ani (Crotophaga ani) vereinigen sich mehrere Weibchen, um ihre Eier in einem gemeinsamen Nest zu bebrüten. Man weiß zwar nach Newton noch nichts genaueres über diesen sonderbaren Instinkt, aber wenn man sich dem „rohen“ Neste des Ani nähert, fliegen nach Newton vielleicht ein halbes Dutzend Weibchen laut klagend von dem Neste fort, um sich in Sicherheit zu bringen, weshalb es nicht zweifelhaft sein kann, dass sie alle auf dem Neste brüteten. Es ist deshalb be- greiflich, dass Graf von Berlepsch auf die Idee kam, den Ursprung des Brutparasitismus des Kuckucks bei Vorfahren zu suchen, die Ge- sellschaftsbrüter und schlechte Nestbauer nach Art der Madenfresser waren. Ich möchte mich seiner Ansicht, die ich früher geteilt habe, aber jetzt nicht mehr anschließen, sondern vielmehr annehmen, dass der Brutparasitismus der Kuckucke einer-, das Gesellschaftsbrüten der Madenfresser andrerseits auf einer ihren Ursachen nach uns zur Zeit noch unbekannten Degeneration des Nestbauinstinktes seinen Grund hat. Infolge dieser Degeneration sahen sich die Vorfahren der Madenfresser veranlasst, sich zu mehreren zur Erbauung eines Nestes und zur Be- brütung der Eier zu vereinigen, während die Ahnen der Kuckucke von der liederliehen Erbauung eines eignen Nestes zur Einrichtung eines fremden und hiervon zur gänzlichen Aufgabe des Brutgeschäftes über- gingen. Diese Auffassung scheint mir deshalb größere Wahrschein- Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 187 lichkeit als die Berlep’sche für sich zu haben, weil die Coceygus-Arten, die doch schon eehte Kuckucke sind, ihre Eier nicht gemeinsam be- brüten, und weil es außer ihnen auch andere echte Kuckucke gibt, die ihre Eier selbst bebrüten. Dass sich aber das Gesellschaftsbrüten in Brutparasitismus umwandeln könne, will ich nicht bestreiten; denn man kann sich vorstellen, dass Vögel wie die betreffenden Maden- fresser schließlich dazu übergehen, ihre Eier in’fremde Nester zu legen, hier aber durch die Nesteigentümer am Mitbrüten verhindert werden und infolge dessen den Instinkt des Brütens dann schließlich verlieren. Es drängt sich uns nunmehr die Frage auf, ob die Kuckucke von ihrem Brutparasitismus Nutzen haben. Darwin, der den Brutparasitismus natürlich durch seine Theorie erklärt, bejaht diese Frage ohne Weiteres. Was er über den Brutparasitismus unseres Kuckucks sagt, ist für ihn so charakteristisch, dass ich es mir nicht versagen kann, es hier anzuführen. Wir brauchen nach Darwin nur anzunehmen, dass der alte Stammvater des Kuckucks die Gewohnheit gehabt habe, seine Eier zuweilen in das Nest eines andern Vogels zu legen. Wenn er von diesem gelegentlichen Gebrauche den Vorteil ge- habt habe, dass er früher wandern konnte, oder irgend einen andern Vorteil, oder wenn der junge Kuckuck kräftiger geworden wäre, als unter der Pflege seiner eigenen Mutter, so hätten entweder die alten Vögel, oder ihre auf fremde Kosten gepflegten Jungen dabei gewonnen. Der im fremden Neste groß gewordene Kuckuck sei dann in Folge der Erblichkeit geneigt gewesen, der zufälligen und abweichenden Handlungsweise seiner Mutter zu folgen, und auch seinerseits die Eier in fremde Nester zu legen, um auf diese Weise seine Art erfolgreicher fortzupflanzen. Durch fortgesetzte Prozesse dieser Art ist nach Dar- win’s Meinung der wunderliche Instinkt des Kuckucks entstanden. Welche Vorteile aber für den Kuckuck z. B. in dem Früherwandern- können liegen sollen, ist, wie Baldamus mit Recht hervorhebt, nicht ersichtlich. Zudem würde, wie er ferner betont, dieser angebliche Vor- teil durch das Selbstbrüten des Kuckucks früher und sicherer erreicht werden. Gegenüber „der von Darwin so stark betonten Zufälligkeit“ des Vorganges erhebt Baldamus die Frage nach der Entstehung der Gewohnheiten des amerikanischen Kuckucks, der, wie wir noch sehen werden, seine Eier zuweilen in fremde Nester legt und von Darwin herangezogen wurde, um die Gewohnheiten des Stammvaters unseres Kuckucks zu illustrieren. Eine befriedigende Antwort, sagt Balda- mus, bleibt Darwin schuldig, und wir sind um keinen Schritt weiter gekommen. Ich kann mich Baldamus nur anschließen. Der Zufall ist von der Stammesgeschichte der Organismen ausgeschlossen, und damit die Zulässigkeit darwinistischer „Erklärungen“. Außerdem aber ist die Berechtigung, in dem Brutparasitismus der Kuckucke einen Vor- teil für diese Vögel zu erblicken, keineswegs über alle Zweifel erhaben. 188 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte nnd Schutzmale. Es ist nämlich durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Kuckucke infolge des Brutparasitismus allmählich aussterben. Indessen hat die Vermutung, dass der Brutparasitismus schädlich sei, keinen größeren Wert als Darwin’s Annahme von seiner Nützlichkeit. Ich wollte nur darauf auf- merksam machen, dass keineswegs die Nötigung vorliegt, alle Ein- richtungen der Organismen als nützliche zu betrachten. Es sind ja doch große Gruppen von Organismenformen ohne Nachkommen aus- gestorben, und das können nur solche gewesen sein, die dem Kampf ums Dasein nicht gewachsen waren. Auch sie können Einrichtungen gehabt haben, die dem einen oder andern von uns als nützlich er- schienen sein würden und dennoch zum Untergang ihrer Träger ge- führt haben. Was den Brutparasitismus der Kuckucke anlangt, so werden wir später sehen, dass die Anpassung dieser Vögel an ihre Lebensweise nach unserem Ermessen nicht als eine vollkommene be- zeichnet werden kann. Uebrigens haben wir es in unserer Wissen- schaft nur mit Ursache und Wirkung zu thun, und die Wirkung des Brutparasitismus auf den schließlichen Ausgang der Stammesgeschichte kennen wir zur Zeit ebenso wenig wie seine Ursachen. Indessen müssen wir annehmen, dass die Natur der Kuckucksahnen und die Verhältnisse, unter denen die Vorfahren der parasitischen Kuckucke lebten, so zusammen wirkten, dass daraus die verschiedenen Abstuf- ungen des Brutparasitismus mit Notwendigkeit hervorgingen; und damit werden uns Einrichtungen, wie der für die Jungen wohl kaum nützliche liederliche Nestbau der Regenkuckucke verständlicher als durch den Darwinismus. Die alleinmögliche Auffassung, dass neue Orga- nismenformen ein notwendiges Produkt aus dem Zusammenwirken der Natur ihrer Vorfahren und der Bedingungen, unter denen diese leben, sind, ermöglicht uns, wie bei anderen Organismen so auch bezüg- lieh der Kuckucke, die Annahme, dass ihre gemeinsamen Eigentümlich- keiten noch nicht bei ihren Vorfahren ausgeprägt, wohl aber angelegt waren, und dass sie in verschiedenen Abstammungsreihen selbständig in die Erscheinung getreten sind. Denn wenn, um bei den Kuckucken zu bleiben, die Organisation der Kuckucksahnen eine derartige war, dass ihre Beeinflussung dureh gewisse Faktoren der umgebenden Natur notwendigerweise zum Brutparasitismus führen musste, so kann dieser in jeder Descendenzlinie der Kuckucke selb- ständig zur Entwicklung gekommen sein. Dieser Auffassung gemäß musste der Brutparasitismus in jeder Abstammungsreihe der Kuckucke auftreten, sobald die entsprechenden Faktoren der umgebenden Natur gegeben und die Kuckucke so weit in der stammesgeschichtlichen Ent- wicklung vorgeschritten waren, dass der Brutparasitismus als not- wendiges Entwieklungsprodukt in die Erscheinung trat. Und hierdurch sewinnen wir das Verständnis für die merkwürdige Thatsache, dass Kuckucke aus der amerikanischen Gattung Coceygus zuweilen ihre Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 189 Eier in fremde Nester legen. Auch aus diesem Grunde kann die Gattung als Uebergangsgruppe von Selbstbrütern zu Schmarotzern betrachtet werden. Die Eier von Coceygus americanus hat man, wie Baldamus mitteilt, in den Nestern des Katzenvogels (Galeo- scoptes carolinensis) und der Wanderdrossel (Turdus migratorius) gefunden, die gleich ihm einfarbig grüne Eier legen, während er in der Regel Nester baut und seine Eier in Zwischenräumen ablegt. Außerdem hat Dr. Merrill aus Iowa Darwin mitgeteilt, dass er einmal in Illinois einen jungen Kuckuck und einen jungen Blauhäher (Cyano- citta cristata) in einem Neste des letzteren gefunden habe. Baldamus stellt die Regenkuckucke zu den Schmarotzerkuckucken und zwar weniger deshalb, weil Fälle beobachtet worden seien, in welchen Regen- kuckucke ihre Eier in fremde Nester legten, als deswegen, weil die beiden nordamerikanischen Regenkuckucke ihre Eier gelegentlich in längeren Zwischenräumen legten, da man wiederholt ihre Eier in einem und demselben Neste in verschiedenen Bebrütungsstadien neben Jungen verschiedenen Alters gefunden habe. Baldamus glaubt darin einen Uebergang vom eigentlichen Parasitismus zu einer offenbar höheren Entwicklungsstufe der elterlichen Selbstpflege und Selbst- erziehung der Jungen zu erblicken. Mit dieser Anschauung wird Bal- damus aber wohl im Unrecht sein, denn der Brutparasitismus ist aus dem Selbstbrüten hervorgegangen, und nicht umgekehrt. Oder aber wir hätten es mit einem kückschlag zu thun, wonach die Regenkuckucke als Vögel zu betrachten wären, die den Brutparasitismus durchweg wieder aufgegeben hätten. Ein solcher Rückschlag ist aber im höchsten Grade unwahrscheinlich, denn die vergleichende Formenkunde der Orga- nismen lehrt, dass die stammesgeschichtliche Entwicklung immer in einer und derselben Richtung vor sich gehen muss. Die Stammes- geschichte ist Orthogenesis, wie ich es genannt habe, geradlinige Entwicklung in unveränderter Richtung; das ergibt sowohl ein Ueber- blick über die gesamte Formenwelt der Organismen, als auch ein ge- naues Studium der Einzelheiten, wie es besonders Eimer, und zwar an den Schmetterlingen, betrieben hat. Auf Grund des Gesetzes der orthogenetischen Entwicklung müssen wir darum die Regenkuckucke als Vögel betrachten, die im Begriffe sind, vom Selbstbrüten zum Brut- parasitismus überzugehen. Einzelne sind, wie es auch sonst vorkommt, den übrigen in der Entwicklung etwas vorangeschritten und bereits zum Parasitismus übergegangen. Durch diese Ausführungen soll nun aber nicht bestritten werden, dass, wie. bei andern Organismen, so auch bei den Kuckucken ver- einzelte Rückschläge vorkommen können. Bekanntlich ist von Adolf Müller das gelegentliche Selbstbrüten unsers Kuckucks behauptet worden, und ich vermag mit dem besten Willen nicht einzusehen, wes- halb diese Behauptung einen solchen Sturm des Unwillens bei den 490 Haacke, Zur Stammesgeschiehte der Instinkte und Schutzmale. Ornithologen hervorgerufen hat. Kein Anhänger der Entwicklungs- lehre wird daran zweifeln, dass der Kuckuck von Selbstbrütern ab- stammt. Warum also soll nicht gelegentlich ein Rückschlag auf den ursprünglichen Instinkt erfolgen? Und wenn man die Mitteilung Müller’s, wonach sein Kuckucksweibchen auf verschiedenen Eiern gebrütet hat, gegen ihn ins Feld führt, so möchte ich darauf hinweisen, dass das brütelustige Weibchen sich doch auch fremde Eier angeeignet haben kann; hat man doch eine Hündin beobachtet, die Pantoffeln säugte! Beruht aber Müller’s Behauptung wirklich auf ungenügen- den Beobachtungen, und kommt ein Rückschlag auf das Selbstbrüten bei den parasitischen Kuckucken nicht vor, dann um so besser. Denn die Rückschläge bereiten uns immer Schwierigkeiten. Jedenfalls aber liegt keine Nötigung vor, das Selbstbrüten bei den Vögeln der Gattung Coceygus als Rückschlag aufzufassen. Sie haben noch die ursprüng- liche Brutpflege bis zu einem beträchtlichen Grade beibehalten, und die Fälle von Brutparasitismus, die bei ihnen beobachtet worden sind, entsprechen einer stammesgeschichtlichen Fortbildung, zu der die Kuckueke durch ihre Organisation gedrängt werden. Die Coceygus- Arten haben erst heute ein Entwicklungsstadium erreicht, das der europäische Kuckuck längst hinter sich hat. Gleich dem der Kuckucke aus der Gattung Cocceygus steht auch der Brutparasitismus etlicher anderer ausländischer Kuckucke noch nicht auf der Entwicklungsstufe, die wir beim europäischen Kuckucke finden. Nach Verreaux vereinigen sich, wie Baldamus mitteilt, die jungen australischen Bronzekuckucke (Lamprococey& lucidus) des Jahres und wandern in Massen in andere Lokalitäten, wo sich Männ- chen und Weibchen in fast gleicher Anzahl finden, ihre Nester selber bauen, drei Eier hineinlegen und selber bebrüten. Außerdem wurde es nach Baldamus bei mehreren ausländischen Schmarotzerarten, 7. B. gerade auch beim australischen Bronzekuckuck, direkt beobachtet, dass sich das elterliche Paar seiner Jungen, nachdem sie das Nest verlassen haben, annimmt, sie füttert, und von dem Pflegerneste fort- führt. Ferner beobachtete Ramsay, wie ich gleichfalls bei Balda- mus finde, dass ein Paar alter Pfeifkuekucke (Heteroscenes pal- lidus) sich in einer Weise um einen jungen, kKläglich schreienden Vogel ihrer Art kümmerte, dass Ramsay, obwohl er es nicht sehen konnte, davon überzeugt war, dass die Alten das Junge fütterten. Von Lam- prococcyx chrysochlorus sah Heuglin nach Baldamus im Bogos- lande drei auf einer Hecke sitzende Junge ungleichen Alters, die von den Eltern gefüttert wurden. Weiter teilt Baldamus mit, Philipps habe berichtet, er selber und ein im Beobachten geübter zuverlässiger Eingeborner hätten gesehen, dass ein Weibchen des schwarzen Guckels (Eudynamis nigra), nachdem es sein Ei in ein Krähennest gelegt, dieses aus einiger Entfernung häufig beobachtete, um zu er- Haacke, Zur Stammesgeschiehte der Instinkte und Sehutzmale. 1491 fahren, ob nicht sein Junges aus dem Neste geworfen werde. Dieses fände statt, sobald das Junge sein geflecktes Kleid anlege und flügge sei; dann nähme sich die rechte Mutter des noch hilflosen Kindes an. Endlich sah Blyth nach Baldamus, dass ein Guckelweibehen seinem Jungen, das, fast gänzlich erwachsen, ruhig auf einem Baume saß, Früchte zutrug und es damit atzte. Ob sich aueh beim europäischen Kuckucke die Fürsorge der Eltern auf ihre Nachkommen ausdehne, nachdem diese das Nest des Pflegers verlassen und selbständig geworden wären, darüber fehlen nach Bal- damus zuverlässige Angaben. Dennoch möchte Baldamus die Un- möglichkeit einer ausnahmsweisen Fütterung eines etwa um seine Pfleger gekommenen jungen Kuckucks durch seine Eltern umsoweniger be- haupten, als vom australischen und andern Glanzkuckucken berichtet werde, dass das Elternpaar seine von den Pflegern zur Selbständigkeit erzogenen Jungen an sich locke und von der Brutstelle fortführe. Jedenfalls ist so viel sicher, dass das Kuckucksweibchen viel Mühe mit der Sorge für das Unterbringen seiner Eier hat. In An- passung daran, besitzt unser Kuckuck eine Anzahl Instinkte, die bei seinen brütenden Vorfahren noch nicht vorhanden gewesen sein können, sondern zu dem Brutparasitismus in Beziehung stehen. Diese werden wir gelegentlich der folgenden Schilderung über die Fürsorge des europäischen Kuckucks für seine Nachkommenschaft kennen lernen. Das Weibehen mit und ohne Männchen späht nach Baldamus gleich nach vollzogener Begattung oder schon früher eifrigst nach geeigneten Pflegernestern aus und beobachtet die gefundenen von Be- ginn des Nestbaues ab täglich, um das geeignete auszuwählen. Die schwere Sorge des Unterbringens der Eier und der von Woche zu Woche ausgedehnter und schwieriger werdenden Ueberwachung der Pflegernester laste jetzt auf dem Kuckuck, und zwar hauptsächlich auf dem Weibehen. Die Eltern beweisen nach Baldamus Ansicht eine rege Fürsorge und Teilnahme an dem Schicksal ihrer Kinder. Dass das Behüten der Nachkommenschaft vorzugsweise der Mutter zufalle, bedürfe kaum noch einer Betonung, da es das Geschäft der Mutter bei fast allen Tierarten sei. Das Amt des Kuckucksweibehens sei keineswegs so belanglos, so leicht, wie man gewöhnlich anzunehmen pflege. Abgesehen von den Nestflüchtern, deren Junge nicht geatzt, sondern nur geführt und zur Nahrungnahme angeleitet würden, und deren Nestbau wenig Mühe verursache, dürfe doch kaum einem der Nesthocker eine größere Summe von Sorge und Beschwerde auferlegt sein, als dem Kuckuck. Alsbald nach seiner Ankunft sähe sich das Weibehen nach nestbauenden Pflegern um, überwache die Fortschritte des Nestbaues verschiedener in Betracht kommender Pfleger, um sein Ei rechtzeitig einem geeigneten Neste auvertrauen zu können. Nach der Begattung nehme die Nestersuche einen akuten Charakter an. In 499 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. kurzer Zeit kenne und beobachte das Kuckucksweibehen womöglich sämtliche Nester der Sängerarten seines Reviers.. Die Anzahl der letzteren sei zu Ende April und Anfang Mai vielleicht keine allzugroße, erstrecke sich aber bis Mitte Mai auf etwa dreißig. Bei der Nester- suche husche das Weibchen still und geräuschles durch das niedere Buschwerk, über Wald, Blößen, Wiesen und Felder, und später über das Geröhricht hin. Fände es die Nesteigentümer bei dem Neste be- schäftigt, so hüte es sich, dem Neste zu nahe zu kommen. Es husche scheinbar teilnahmlos vorüber, um zu rechter Zeit wieder zu kehren, d. h. dann, wenn die Eigentümer des Nestes nicht in der Nähe wären. Würde es von diesen bemerkt, so wiche es vor deren Angriffen, an denen sich auch die Nachbarn beteiligten, und ergreife die Flucht. Alles dieses hat Baldamus nach seiner Angabe vielmals beobachtet. Die Sache verliefe auch durchaus nicht immer glatt; es gebe Kämpfe dabei, oft sehr harte. In offene, tragfähige, d. h. solche Nester, welche den Kuckuck aufzunehmen im Stande seien, ohne dadurch verletzt oder zerstört zu werden, lege das Kuckuckweibchen seine Eier direkt, indem es sich auf den Nestrand setze. Wenn die Nester unzugänglich seien oder seitens der Eigentümer heftig verteidigt würden, so lege das Kuckucks- weibchen sein Ei auf den Erdboden und ergreife es mit dem Schnabel, um es schnell und unbemerkt in das Pflegernest zu schieben. Das Kuckucksweibehen träfe indessen manchmal eine recht schlechte Wahl, indem es solchen Pflegernestern seine Eier anvertraue, die in einer Höhle mit engem Eingangsloche stünden, das dem jungen Kuckuck nicht die Möglichkeit böte, das Nest zu verlassen. Diese Fälle ständen nieht so vereinzelt da, wie man wohl geglaubt habe. Er habe einmal an einem Tage sechs oder sieben Gerippe von offenbar verhungerten jungen Kuckucken in Höhlungen von sogenannten Kopfweiden gefunden. Wäre das Ei glücklich untergebracht, so gäbe es eine neue Sorge, eine dritte, vierte u. s. w., und dabei müssten die erstgelegten Eier stetig überwacht werden, um nötigenfalls den Kindern die Möglichkeit des Heranwachsens selbst durch Gewaltmaßregeln zu sichern, und diese Ueberwachung hätte sich zugleich auf drei oder mehr Pfleger- nester zu erstrecken. Auch in ein sonst geeignetes Nest lege das Kuckucksweibchen kein Ei, wenn das Nest von Menschen beobachtet oder. gar berührt worden wäre. Das Weibchen trage das gelegte Ei im Schnabel fort, wenn es beim Legen beobachtet worden sei. Andere hätten ähnliches beobachtet. Im Jahre 1864 schrieb Förster Thiele an Baldamus, er hätte in sämtlienen Nestern — gewiss Tausende an der Zahl — die er sich seit fünfzehn Jahren gemerkt hätte, um später vielleicht ein Kuckucksei darin zu finden, und die teils noch im Bau begriffen, teils schon mit Eiern belegt gewesen wären, niemals ein Kuckucksei gefunden. Den Grund dieser auffälligen Thatsache Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 193 erkläre er sich nicht anders, als dadurch, dass der Kuckuck die Vögel, denen er seine Eier anzuvertrauen gedenke, vom ersten Augenblick ihres Nestbaues an beobachte, wobei er dann natürlich den unberufenen Gast gesehen haben möchte, und das hätte den Kuckuck wohl ver- anlasst, seine Eier nicht den vom Förster entdeckten Nestern anzu- vertrauen. Es ist Baldamus ferner vielfach aufgefallen, dass Kuckucks- eier aus den Nestern der Pfleger spurlos verschwunden waren, in denen man sie Tags vorher gesehen hatte. Die Eier der Pfleger wären dabei unverletzt geblieben, und in den meisten Beobachtungsfällen weiter bebrütet worden. Wer hatte, fragt Baldamus, das Kuckucksei entfernt, und wo war es geblieben? Die kleinen Pfleger könnten zwar die Kuckuckseier aus ihrem Neste geworfen haben, die man mehr oder weniger verletzt unter ihm oder in seiner unmittelbaren Nähe gefunden hätte, allein es müsse zweifelhaft bleiben, ob ihr Rachen weit genug sei, um ihnen einen weiteren Transport des Kuckuckseies zu gestatten. Wohl aber läge es nahe genug, dem Kuckucksweibchen die Entführung des eigenen Eies zwecks dessen Sicherstellung zuzutrauen, und Bal- damus hat auch einen Fall beobachtet, wo ein Kuckucksweibchen ein Ei aus dem Neste einer Bachstelze (Motacilla alba) entfernte. Er fand ein Nest dieser Vogelart mit einem warmen, dem der Bach- stelzen sehr ähnlichen Kuckucksei, und als er sich etwas von dem Neste entfernt hatte, kam das Kuckucksweibehen direkt auf das Nest zu, beugte sich schnell hinein und flog ebensoschnell zurück, wie es gekommen war. Das Nest war leer. Die sein Ei oder sein Junges enthaltenden Nester besucht das Kuckucksweibehen nach Baldamus in nicht zu naher Begleitung des Männchens täglich mehrmals und so lange, bis das Junge das Nest verlässt. Nach Wetterberg wende es die Pflegereier, so oft es dazu kommen könne, mit den Spitzen nach einer und derselben Seite, und schiebe dann sein eignes Ei in die Mitte des Nestes. Eine ganze Reihe von Thatsachen — bis zu rastloser Hingebung — bezeugt nach Baldamus die besondere Für- sorge des Kuckucksweibchens für seine Nachkommenschaft zur Zeit ihres Ausschlüpfens aus den Eiern. Man hat nach Baldamus be- obachtet, dass Eier oder Junge der Pflegeeltern gewöhnlich kurz nach dem Ausschlüpfen des jungen Kuckucks verschwunden sind. Die Eier hätte man meist zerbrochen, die jungen Nestvögel tot unter dem Neste oder in dessen Nähe gefunden. Aus der Ernährungsweise des Kuckucks hätte man das erklären wollen. Baldamus sagt indessen, dass der Kuckuck weder Eier noch kleine Junge fräße. Die Eier, die man im Schnabel oder Schlund erlegter Kuckucksweibchen gefunden hätte, wären entweder seine eigenen gewesen, die es in ein Pflegernest zu tragen im Begriff gestanden hätte, oder Pflegereier, die es hätte fort- schaffen wollen. Wir erfahren nämlich von Baldamus, dass das Kuckucksweibehen die Eier des Pflegers entfernt und versteckt, nach- XVl. 13 194 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. dem der junge Kuckuck ausgeschlüpft und von den Pflegern ange- nommen ist, und dass es dabei von dem Männchen bis in die Nähe des Nestes begleitet wird. Baldamus sah einmal aus nächster Nähe, kaum dreißig Schritt von gedeckter Beobachtungsstelle, ein Kuckucks- weibchen fünf Eier des Alpenpiepers!) vorsichtig aus dem Nest nehmen, in welchem sieh ein etwa 15 bis 20 Stunden alter Kuckuck befand, und in der Nähe des Nestes im Gras, eins unter das Nest, versteeken — vorsichtig, denn keins der fünf sehr stark bebrüteten, dem Ausschlüpfen nahen Bier hätte auch nur die geringste Spur einer Verletzung ge- zeigt. Nach Rey scheint der Kuckuck die Nesteier, die er beseitigen will, indessen meist ziemlich weit fortzutragen, doch scheine hierbei individuelle Gewohnheit mitzuspielen. Denn die Fälle, in denen Rey’s Sohn die Trümmer von Nesteiern direkt unter den Nestern gefunden hätte, hätten regelmäßig dieselben Weibchen betroffen. Im Gegensatz zu Rey möchte ich eher glauben, dass es sich hierbei um Rassen- eigentümlichkeiten handelt. Wir werden nämlich sehen, dass wir zahlreiche Rassen unseres Kuckucks zu unterscheiden haben, die zwar getrennten Ursprungs, aber bei uns in Deutschland und auch in an- deren Ländern vielfach durcheinander geworfen sind. Fast alle Be- Hbachter stimmen nach Baldamus darin überein, dass der Kuckuck nicht unmittelbar nach Einschieben oder Legen des eigenen Eies die Pflegereier aus dem Neste wirft, sondern fast immer damit wartet, bis sein Junges ausgeschlüpft ist. Dagegen sagt Rey, dass der Kuckuck bei Ablage seines Eies meist ein oder mehrere Nesteier entferne. Manchmal geschähe das Entfernen von Nesteiern bereits einen oder einige Tage vor dem Legen. Ueber die Anzahl der Eier, die der Kuckuck aus den Nestern entfernt, lässt sich nach Rey wenig allge- mein Giltiges sagen, da auch hier individuelle Eigentümlichkeiten eine Rolle spielten. Nach Baldamus Ansicht entfernt das Kuckucks- weibehen nur dann die Eier oder Jungen der Pfleger nicht aus dem Neste, wenn es dem Neste nicht beikommen kann, d. h. wenn dieses in einer zu engen oder zu tiefen Nesthöhle steht. Verhältnismäßig häufig findet man nach Rey volle Gelege mit Kuckuckseiern bei Rotkehlchen, Rotschwänzehen, Bachstelzen und Finken, während dieses bei Rohrsängern und Kuhstelzen nur ausnahms- weise der Fall sei. Dass die europäische Kuckucksmutter aus Für- sorge für ihr Kind die Eier und auch wohl die Jungen der kleinen Pfleger aus deren Nest entfernt, muss, wie Baldamus sagt, als vielfach beobachtet und thatsächlich erwiesen angesehen werden. Es sprechen nach Baldamus auch Beobachtungen dafür, dass der in Südeuropa lebende Häherkuckuck (Üoceystes glandarius) ein Ei aus dem Neste der Blauelstern (Cyanopolius cooki), die er gern als 1) Die später folgende Liste der Kuckuckspfleger enthält deren wissen- schaftliche Namen. iHaacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 495 Pfleger seiner Jungen benutzt, entfernt, und dafür sein eigenes Ei an dessen Stelle legt. Der australische Bronzekuckuck (Lamprococeyx lueidus) scheint seine Eier gelegentlich in noch unfertige Nester zu legen. Denn nach Baldamus fand Ramsay in einem Neste ein Ei dieser Art unter der Ausfütterung des Nestes und eins von anderem Typus, also wohl von einem anderen Weibchen herrührend, über ihr. Dass solches öfters vorkommen kann, ist begreiflich. Auch Bridger sah nach Baldamus ein bebrütetes Ei des Bronzekuckucks in einem Pflegerneste, das frische Pflegereier enthielt, und folgert daraus, dass die Eier des Bronzekuckucks zuerst in das Pflegernest gelegt werden. Ob der junge europäische Kuckuck Eier oder Junge der Pfleger absichtlish oder unabsichtlich, wenn überhaupt, aus dem Neste wirft, scheint noch nicht entschieden zu sein. In neuerer Zeit hat man nach Baldamus versucht, das Kuckucksweibehen von dem Verdachte, die Eier und Jungen der Pfleger zu entfernen, zu reinigen, und dafür den jungen Kuckuck verantwortlich gemacht. Dr. Jenner war nach Bal- damus der erste Schriftsteller, der die Mitteilung machte, dass der junge Kuckuck seine kleinen Nestgeschwister durch einen eigentüm- lichen Kunstgriff aus dem Neste schaffe, indem er unter sie zu kommen suche, sie auf seinen mit einer Vertiefung versehenen Rücken lade, und sie dann über Bord werfe, was er auch mit den noch nicht brut- reifen Eiern thue. Eine solehe Ansicht, die auch der englische Orni- thologe Newton teilt, hält Baldamus für eine anfechtbare. Denn einmal sei eine derartige Anpassung überflüssig, weil die Mutter des jungen Kuckucks in allen geeigneten Fällen die Entfernung der Eier oder Jungen besorge, uud weil die Anpassung des jungen Kuckucks in allen übrigen Fällen, wo sie sich nützlich erweisen könnte, völlig versage. Der junge Kuckuck würde es kaum jemals fertig bringen, Eier oder Junge der Pfleger aus den Nesthöhlen solcher Vögel, die, wie das Gartenrotschwänzchen, die weiße Bachstelze, das Rotkehlehen, der Steinschmätzer u. a., ihre Nester in tiefen Nisthöhlen anbringen, zu entfernen. In Nestern, zu denen das Kuckucks- weibehen nicht gelangen könne, würden die Jungen des Pflegers auf die eine oder andere Weise von dem jungen Kuckuck erdrückt, oder sie verhungerten und würden dann wohl durch die eignen Eltern Rein- lichkeit halber entfernt. Auch Naumann hält es nach Baldamus zwar für ein Märchen, dass der junge Kuckuck Eier und Junge der Pfleger aus dem Neste werfe, gibt aber zu, dass es unabsichtlich ge- schehe, indem in Folge Verengerung des Raums die schwächeren Stief- geschwister durch den schnell wachsenden Eindringling an die Seiten des Nestes und endlich über den Rand gedrängt würden. Aber er fragt, wo Eier und Junge der Nestvögel bei den Arten blieben, die auf flacher Erde nisteten. Er hätte einen jungen Kuckuck im Neste ia 196 Haacke, Zuı Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. einer Kuhstelze beobachtet, deren Junge sehr bald verschwanden, obgleich sie, wenn der junge Kuckuck sie bloß aus dem Neste heraus- gedrängt hätte, neben dem Netze hätten sitzen und ebenso gut ge- füttert werden können, als wenn sie darin geblieben wären. Es ist nach Baldamus ferner anzunehmen, dass es nicht immer das Kuckuck- weibchen sei, das die weiter vom Neste aufgefundenen Jungen kleiner Vögel noch lebend aus dem Neste forttrage, oder sie vorher töte. Nicht selten möchten, wie wir bereits gesehen haben, auch die Pfleger ihre toten Jungen selbst fortgeschafft haben, und zwar aus Reinlich- keitsliebe. Unter den ausländischen Kuckucken wachsen, wie Baldamus mitteilt, die Jungen des schon genannten Pfeifkuckucks (Hetero- scenes pallidus), die in 12 bis 14 Tagen erbrütet werden, sehr schnell heran und verdrängen oder erdrücken ihre schwächeren Stiefgeschwister, die dann von den Eltern aus dem Neste geworfen werden. Bei einem Jungen von Hierococcy® varius fand Jerdon nach Baldamus auch einmal zwei junge Weichschwänze (Malacocercus), ein Beweis, dass der junge Kuckuck die Eier und Jungen der Pfleger nicht immer aus dem Neste wirft. Sind die geschilderten Eigentümlichkeiten der parasitischen Kuckucke schon bemerkenswert genug, so werden sie noch weit übertroffen durch die Besonderheiten der von solchen Kuckucken gelegten Eier. Die Charaktere dieser Eier, namentlich ihre Färbung und Zeichnung sind aber so mannigfaltig und so wichtig für die Beurteilung allge- meiner biologischer Fragen, dass wir sie an der Hand unserer Gewährs- männer eingehend schildern müssen. Ich erlaube mir bei dieser Ge- legenheit, für die schleppende Bezeichnung „Färbung und Zeichnung“ den kurzen und bequemen Terminus Kleidmal vorzuschlagen und zu gebrauchen. Er ist nach der Analogie von „Brandmal“ und „Mutter- mal“ gebildet und dürfte ebenso wenig zu beanstanden sein, wie diese beiden Bezeichnungen. Außer der Färbung und Zeichnung haben wir auch Form und Größe zu beachten. Alle diese Dinge betreffen die äußere Erscheinung eines Organismus oder Organisationsproduktes ohne Rücksicht auf inneren Bau, Gliederung, Zusammensetzung und Verwandtschaft, also, kurz gesagt, das, was wir unter dem Begriff Traehtmale zusammenfassen können. Die Trachtmale, die sämtlich durch den Gesichtssinn wahrgenommen werden, sind häufig, aber nicht immer, Schutzmale. Sind sie es, so können sie Bergungs- male, Lockmale, Schreckmale, Warnmale und Täuschungs- male sein, womit die Anzahl der Schutzmale indessen kaum erschöpft ist. Außer den Schutzmalen, die ja auch gleichzeitig Nutzmale sind, gibt es noch weitere Nutzmale, nämlich Kennmale, Lockmale, keizmale und andere. Eine eingehende Klassifikation und Definition der Trachtmale behalte ich mir für eine andere Gelegenheit vor. Es Friedlaender, Bau der markhaltigen Nervenfasern. 197 dürfte dem Leser indessen jetzt schon einleuchten, dass meine neuen Kunstausdrücke Beachtung und vielleicht den Vorzug vor älteren ver- dienen. So wird das, was wir bisher „Schutzfärbung“ nannten, was aber nicht allein die Färbung, sondern oft auch die Zeichnung betraf, durch das umfassendere „Schutzmal“, welches Größenmal, Formmal, Kleidmal und im letzteren Falle Farbmal und Zeichnungsmal sein kann, ersetzt. Schützende Farbmale allein wollen wir Schutz- färbung nennen; zu ihnen gesellen sich die schützenden Zeichnungs- male, welche die Schutzzeichnung bilden. Schutzfärbung und Sehutzzeichnung stellen zusammen die Schutzkleidung dar, zu der sich die Schutzform und die Schutzgröße als zwei weitere Kategorien der Schutztracht gesellen. [25] (Zweites Stück folgt.) Bemerkungen über den Bau der markhaltigen Nervenfasern. (Doppelt oder einfach konturiert?) Von Benedict Friedlaender in Berlin. Die folgenden Zeilen beziehen sich auf eine sehr alte und bis auf den heutigen Tag nicht beseitigte Unsicherheit in der Deutung des Aussehens der markhaltigen Nervenfasern. Schon zur Zeit der Ab- fassung meiner Abhandlung über die damals sog. Neurochorde und mark- haltigen Fasern der Crustaceen und Anneliden (Neapler Mitteilungen 1889) war ich darauf aufmerksam geworden, ohne jedoch trotz eines ziem- lieh umfangreichen Litteratur- Studiums eine befriedigende Erklärung der Widersprüche zwischen den namhaftesten Histologen finden zu können. Freilich ist die Litteratur über Nervenhistologie so ausgedehnt, dass man sich fast scheut, eine eigentlich ziemlich naheliegende Er- klärung als neu zu veröffentlichen. Das war auch einer der Gründe, weswegen ich meinen Erklärungsversuch‘, auf den ich schon vor län- gerer Zeit gekommen bin, bisher nicht bekannt gegeben habe. Man wird es jedoch hoffentlich als zulässig ansehen, wenn ich mich hierin auf die annähernde Vollständigkeit und Sorgfalt eines umfangreichen modernen Lehrbuches eines Spezialisten wie Kölliker verlasse; in dessen „Handbuch der Gewebelehre“ (II. Bd., 1. Hälfte, Leipzig, Engel- mann 1893, S. 6) ist nämlich des fraglichen Widerspruchs gedacht, ohne daß eine, wie mir scheinen will, befriedigende Erklärung gegeben würde. Es handelt sich um die Frage nach dem sogenannten „dop- pelten Kontur“ der markhaltigen Fasern. Die einen glauben, daß der „doppelte Kontur“ bereits den frischen uud unveränderten Fasern zukomme; die andern, unter ihnen auch Kölliker, vertreten die Ansicht, dass „die markhaltigen Nervenfasern 498 Friedlaender, Bau der. markhaltigen Nervenfasern, von Hause aus einfach konturirt sind und erst nach und nach doppelte Umrisse annehmen“, und noch später in verschiedenen Graden körniges Mark zeigen. „Man bezeichnete diese Umwandlungen“, fährt Kölliker fort, „bisher als „„Gerinnung““ und ist nicht zu leugnen, daß für eine solehe Deutung namentlich die Umwandlungen sprechen, welche das herausgeflossene Nervenmark erleidet, indem an demselben ebenfalls doppelte Konturen und später körmige Umwandlungen im Innern auftreten.“ Nach diesen Ausführungen von Kölliker und andern scheint es allerdings so, als ob der sogenannte „doppelte Kontur“ im lebenden Zustande noch nicht siehtbar sei sondern erst mit dem Absterben der Fasern auftrete. In der Nervenhistologie steht nun leider sehr viel weniger wirklich fest, als der Fernstehende anzunehmen geneigt ist. So erscheint dann der fragliche Widerspruch in recht bedenk- lichem Lichte; ich will gestehen, dass er mich früher förmlich beun- ruhigt hat. Der doppelte Kontur ist der optische Querschnitt der Markscheide; und wenn er in der lebenden Faser nicht sichtbar ist, so muß hierfür eine befriedigende Erklärung gefunden werden ; widri- genfalls grundsätzliche Unsicherheiten bestehen bleiben. So könnte beispielsweise ein Skeptiker womöglich gar auf die Idee kommen, dass die ganze Markscheide ein postmortales Gebilde und dass in der lebenden Faser das Mark etwa mit der Axenzylindersubstanz ge- mischt sei. Von meiner Erklärung, die später besprochen wird, ab- gesehen, kann nämlich die Unsichtbarkeit des doppelten Konturs nur so gedeutet werden, daß entweder die Markscheide als solche in der lebenden Faser nicht existiere, oder aber zwar schon vorhanden sei, jedoch ein Brechungsvermögen besitze, das von dem der Axen- zylindersubstanz nicht merklich abweiche. Letzteres scheint z. B. Kölliker’s Ansicht zu sein; erst durch die sogenannte Gerinnung entsteht nach dieser Meinung eine hinreichende Aenderung der Brech- ungsindices, um eine optische Sonderung des Marks und des Axen- zylinders, nämlich eine deutliche Begrenzung der Markscheide nach innen, zu erzeugen. Man ist gewohnt, die Nervenfasern als ganz besonders zarte und veränderliche Gebilde anzusehen, und hat damit auch Recht. Allein, es will mir so scheinen, als ob man hierin zu weit gegangen sei. Kölliker selbst hat eine Entdeckung gemacht, die auch für diese Frage von grosser Bedeutung ist und gegen seine Auffassung spricht. In seiner Abhandlung über die „Vitalität der Nervenröhren“ in der Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. IX, 1858, S. 417 berichtet er näm- lich, dass Nervenfasern nach Behandlung mit 16°/, Kochsalzlösung, ja sogar nach Eintroeknung, binnen kurzer Zeit wieder funktionsfähig werden können. Es ist nun schwer zu glauben, dass den Nervenfasern dies in so kurzer Zeit möglich sein sollte, wenn ihre feinere Struktur Friedlaender, Bau der markhaltigen Nervenfasern. 199 erst einmal dureh Gerinnungen u. dgl., die angeblich so leicht eintreten, zerstört worden ist. Die Behandlung mit 10°/, Kochsalzlösung ist doch nun aber eine sehr viel ärgere Mißhandlung, als diejenigen Eingriffe, die notwendig sind, um ein Nervenfaserbündelehen zur mikroskopischen Betrachtung herzurichten, wenigstens dann, wenn man die selbstver- ständliche Vorsicht anwendet, die Fasern vor Salzlösungen von zu ge- ringer Konzentration, oder gar destillirtem Wasser, zu schützen. Dennoch aber soll angeblich eine ganz besondere Vorsicht notwendig sein, wenn das ursprüngliche Aussehen der vermeintlich oder wirk- lieh einfach konturierten „dunkelrandigen“ Fasern erhalten wer- den soll. Ich habe viele markhaltige Fasern bei Gelegenheit meiner früheren Studien (Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 58, 60, Mitteilung der Neapler Station, Bd. 9 S. 205) betrachtet, freilich vorwiegend markhaltige Fasern wirbelloser Tiere; aber auch mit dem Ischiadicus des Frosches habe ich oft zu thun gehabt, und endlich auch lebende Fasern in kleinen durchsichtigen Fischen betrachtet, letzteres ausschließlich in der Absicht, hinter die Geheimnisse des fraglichen Widerspruchs zu kommen. Ich will hervorheben, dass es lange gedauert hat, ehe ich Fasern des Ischiadieus fand, die keinen doppelten Kontur besaßen. Ich hatte sie dabei mit großer Sorgfalt und mit möglichster Schnellig- keit zu lockeren Bündelehen isoliert und in physiologischer Kochsalz- lösung, oder anch in Froschblut, nach Art der Beobachtungen „im hän- genden Tropfen“ montiert, um Druck und Austrocknung zu gleicher Zeit auszuschließen. Eine andere Art der Herrichtung sollte dann, wie ich glaube, den Schlüssel zum Ganzen liefern. Es ist im wesentlichen dieselbe, die ich schon zum Studium der markhaltigen Fasern (der früher sogenannten Neurochorde), des Anneliden Mastobranchus an- gewandt hatte. Das Präparat wurde nämlich so zugeschnitten, dass zwischen zwei Stückchen der hinteren Extremität nichts außer dem Nerven übrig blieb, so dass man also an jenen Stücken als Handhaben die Spannung des sie verbindenden Nerven ändern konnte. Der Nerv wurde dann in der Mitte gespalten, und Theile von ihm gleichfalls entfernt, so dass an einer Stelle schließlich nur noch einige Fasern vorhanden waren, die gut zu beobachten waren und deren Spannung in der angegebenen Weise reguliert werden konnte. Hierbei ergab sich nun zunächst das Resultat, dass die bekannten Varikositäten der Markscheide durch vermehrte Spannung zwar nicht gänzlich, aber doch teilweise ausgeglichen werden konnten, wie ich das schon für Mastobranchus angegeben hatte. Der Versuch gelingt nicht so gut, wie bei Mastobranchus, aber doch hinreichend, um jene Varikositäten weniger auf chemische Aenderungen, als auf einen rein mechanischen Vorgang, den ich bei Mastobranchus als „Zusammenschnurren“ be- zeichnet hatte, zurückzuführen. 200 Friedlaender, Bau der markhaltigen Nervenfasern. Isolierte, frei flottierende Fasern, namentlich aber Rissenden, ziehen sich unregelmäßig zusammen, wodurch die bekannten Varikositäten entstehen. Die Markscheide bildet bei jener Kontraktion, die viel- leicht auf eine elastische Beschaffenheit einer Stützsubstanz zu- rückzuführen ist, eben jene eigentümlichen tropfenartigen, wurst- förmigen oder gedrehten Falten und Anschwellungen, die bei der starken Breehung der Marksubstanz das bekannte, oft beschriebene und abgebildete Aussehen zeigen. Für unsere Frage ist nnn aber der Umstand wichtig, dass es mir mitunter gelang, aus einer deutlich doppelt konturierten Faser eine solche zu machen, auf die die Be- zeiehnung einer „einfach konturierten, dunkelrandigen“ passte. Ver- mehrte Spannung der Faser, besonders mit gleichzeitiger Verkleine- rung der Blendenöffnung des Kondensors ließ den vorher deutlichen inneren Kontur der Markscheide verschwinden. Ja, es genügte mit- unter die Verkleinerung der Blendenöffnung oder das Hinabschrauben des ganzen Abbe’schen Beleuchtungsapparats allein zu diesem Zwecke. Soweit man wenigstens aus den Beschreibungen und Abbildungen anderer Beobachter, oder aus der Bezeichnungsweise, — bei den einen als „dunkelrandiger, einfach konturierter“, bei den anderen Au- toren als „doppelt eonturierter Fasern“ — eine Vorstellung davon ge- winnen kann, was für mikroskopische Bilder von den verschiedenen Forschern gesehen wurden, so schien mir das Aussehen der etwas entspannten und mit weiterem Kegel beleuchteten Faser die eine Bezeichnung („doppelt konturiert“), das Aussehen der stärker ge- spannten und mit engerem Kegel beleuchteten Faser die andere Be- zeichnung („einfach konturiert dunkelrandig“) zu verdienen. Sollte vielleicht der wunderliche Widerspruch erklärt sein? Denn es ist doch wohl wunderlich, wenn verschiedene mit guten Augen und vorzüglichen Mikroskopen versehene und dazu in solchen Dingen ge- übte Beobachter nieht einmal darüber einig werden können, ob ein so alltägliches Objekt, wie die markhaltige Faser, einen oder zwei Kon- turen habe. Weiteres Licht wird auf diese Angelegenheit durch das Aussehen eines anderen sehr gewöhnlichen Gegenstandes, nämlich der Glasröhren geworfen. In einer Unterhaltung mit meinem verehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Prof. F.E.Sehulze, erwähnte ich einmal die Aehnlichkeit des Aussehens der markhaltigen Fasern mit Glasröhren, indem diese ja in ganz ähnlicher Weise „doppelt konturiert“ seien, wie die mark haltigen Fasern. Beides wurde mir bestritten; und dennoch hatten wir in ganz ähnlicher Weise beide Recht, wie etwa Ranvier auf der einen und Kölliker auf der anderen Seite. Ich hatte nämlich bei jenem Vergleiche stillschweigend an Capillarröhren mit ver- hältnismäßig starken Wandungen, Herr Professor Schulze aber an diekere Röhren, etwa vom Caliber eines Lampenzylinders gedacht. Friedlaender, Bau der markhaltigen Nervenfasern. 201 In der That braucht man nur das eine Mal eine gläserne Kapillare und das andere Mal einen gewöhnlichen Lampeneylinder gegen einen gleichmäßig hellen Hintergrund gehalten zu betrachten, um sich von der Richtigkeit unserer letzten Behauptung zu überzeugen. Die Er- klärung des Ganzen dürfte nun auch nicht mehr schwer sein, wenigstens wenn man von einer exakt mathematischen Berechnung absieht. Der eine, nämlich der innere Kontur der Röhre oder der markhaltigen Faser ist der optische Schnitt der inneren Grenze des Glases oder des Marks. Man kann diesen nun offenbar nur durch die darüber lie- senden Glas- oder Markschichten hindurch erblieken, und dies ist natürlich nur möglich, wenn die von jener inneren Glas- oder Markgrenze ausgehenden Strahlen nicht von der äußeren Glas- oder Markfläche — total reflektiert werden. Die totale Reflexion hängt bekanntlich von den Brechungsindices der beiden Medien und von der Schiefe der auffallenden Lichtstrahlen ab. Je größer das Brechungs- vermögen der Wand im Verhältnis zu demjenigen des umgebenden Mediums ist, und je schiefer die vom inneren Kontur der Wand aus- gehenden Strahlen auf die äußere Wandung treffen, um so größer sind die Chancen für totale Reflexion und somit für den Uebergang vom „doppelt konturierten“ zum „einfach konturierten, dunkelrandigen“ Aussehen. Nun hängt die hier wesentlich in Betracht kommende Schiefe der Strahlen vom Durchmesser der Röhre und von ihrer Wand- stärke ab. Die Schiefe wächst mit dem Durchmesser der Röhre und mit der Dünnheit ihrer Wandungen, wie eine sehr einfache Ueber- legung lehrt. Bezeichnet r den Gesamtdurchmesser der Röhre, d die Wandstärke und « den Winkel der parallel der optischen Axe des Instruments verlaufenden Strahlen !) mit dem Einfallslothe, so ist = — sin «; und für jeden Winkel «, dessen Sinus gleich oder größer ist, als der Quotient der Brechungsindices der Wandsubstanz, (also des Marks), und des umgebenden Mediums, tritt totale Reflexion ein. Hierzu kommt nun noch die Oeffnung des Beleuchtungskegels und vor allen Dingen jede etwa vorkommnnde Abplattung des ur- sprünglich ziemlich genau kreisförmigen Querschnitts der Fasern. Jeder Druck, schon das bloße starke Adhärieren an dem Objektträger oder (bei Untersuchung nach Art derer im hängenden Tropfen) an dem Deck- glase wird nämlich einen so weichen Gegenstand, wie eine Nerven- faser, abplatten. Hierdurch wird aber die Schiefe der in Betracht kommenden Strahlen vermindert, also die Chance zum Erscheinen eines deutlichen doppelten Konturs vermehrt. Das vorher angedeutete „Zusammenschnurren“ der Fasern mag die Wandstärke vergrößern und deswegen in demselben Sinne wirken. Bei Beobachtung lebender 1) um der Einfachheit wegen von anderen abzusehen. 202 Friedlaender, Bau der markhaltigen Nervenfasern. Fasern in Amphibienlarven und ähnlichen Objekten ist darauf hinzu- weisen, dass die Markscheide bekanntlich erst mit einem gewissen Entwicklungsstadium überhaupt auftritt und daher wohl anfänglich eher dünn sein wird; bei solchen Untersuchungen ist also mehr Wahr- scheinlichkeit vorhanden „einfach konturierte, dunkelrandige Fasern“ zu sehen. Um nun meiner Sache sicherer zu gehen, ließ ich mir mikrosko- pische Glasröhren herstellen, die man ohne Mühe in sehr feinen Ka- libern auch selbst machen kann, indem man Kapillaren, an beiden Seiten zugeschmolzen, über dem Zylinder einer Lampe vorsichtig auszieht. Eine aufs Geradewohl ausgewählte Röhre, die bei weitem noch nieht einmal zu den feinsten gehörte, hatte einen Totaldurchmesser von 0,035 mm und eine Wandstärke von 0,01 mm. Sie sieht, in Luft be- trachtet, so ziemlich einfach konturiert und dabei dunkelrandig aus; bedeckt man sie aber mit einem etwas stärker als Luft brechenden Medium, wie z.B. Wasser, so sieht man einen sehr deutlichen doppelten Kontur und das Ganze ist dann einer markhaltigen Faser sehr ähn- lich. Nun ist freilich die Wandstärke meiner Glasröhren relativ viel bedeutender wie die der Nervenfasern und auch sonst stimmen die in Betracht kommenden Größen nicht überein; dennoch kann die Be- trachtung solcher mikroskopischer Röhrchen ganz lehrreich sein. Meine Ansicht geht demnach dahin, dass erstens die Markscheide der markhaltigen Fasern nicht nur als solche präformiert ist, sondern auch von Hause aus das verschiedene, nämlich viel größere Licht- brechungsvermögen besitzt, als die plasmatische Axenzylindersubstanz. Dennoch kann durch rein physikalische Umstände, die mit einer Ge- rinnung oder andern chemischen Umwandlungen nichts zu thun haben, die innere Grenze des Marks unsichtbar werden, indem die von ihr ausgehenden Strahlen von der äußeren Oberfläche des Marks total reflektiert werden. Je nach Umständen wird dies eintreten oder nicht; und so erklärt sich der Widerstreit der verschiedenen Autoren. Zu- fällige Gewohnheiten bei der mikroskopischen Arbeit werden dabei leicht von ausschlaggebender Wichtigkeit werden. Wer gern enge Beleuch- tungskegel anwendet, wer dünnwandige Fasern wählt, wer diese im Zustande physiologischer oder stärkerer Spannung betrachtet, und ferner Sorge trägt, dass die Fasern nicht durch irgend welchen Druck ab- geplattet werden; — der hat alle Chancen, die Fasern „einfach konturiert und dunkelrandig* zu sehen; wer anders verfährt, wird „deutlich doppelt konturierte Fasern“ finden. Was nun endlich noch die „doppelt konturierten Marktropfen“ anbelangt, die für einen Gerinnungsvorgang zu sprechen scheinen, so neige ich der Vermutung zu, dass sie überhaupt nicht durchweg aus Mark bestehen; im Gegensatz zu meiner früheren Auffassung. Mir scheint, dass sie einen Bau ähnlich dem der Seifenblasen haben, dass Ortmann, Grundzüge der marinen Tiergeographie. 203 8 U nämlich die Wand, d.h. die Schicht zwischen den beiden Konturen, aus Mark, das Innere dagegen aus Axenzylindersubstanz bestehe. Der ganze Markzerfall tritt ja vorzugsweise bei Einwirkung von Flüssigkeiten von zu geringem osmotischen Drucke, z. B. reinem Wasser ein. Die Axenmasse nimmt Wasser auf und quillt; der Inhalt der Schwann’- schen Scheide wird zu voluminös, hat keinen Platz mehr und quillt daher an den Stellen des geringsten Widerstandes hervor; besonders also an Rissstellen. Hierbei überzieht häufig das mitströmende Mark die Axenzylindersubstanz. Diese Auffassung ist im Wesentlichen u. a. von Rawitz im Archiv f. Anatomie u. Physiologie, Jahrgang 1879, S. 68 u. 69 ausgeführt worden. Uebrigens möchte ich aber meine Lösung der alten Streitfrage doch nur als eine, wenngleich wahrscheinliche, Hypothese hinstellen. Das etwas nicht sei, lässt sich nämlich sachlich und formell immer schwerer beweisen, als dass etwas ist. Die Idee einer sog. „Markgerinnung“ zu widerlegen, ist nicht leicht. Jedoch scheint mir diese Annahme wenig plausibel, da ja Kölliker’s Versuche beweisen, dass die Nerven- fasern viel mehr zu ertragen vermögen als man gemeinhin glaubt. Sehr empfindlich sind sie nur gegen Salzlösungen von zu geringer Konzentration, abgesehen natürlich von allen an sich heftig wirkenden Chemikalien. Deswegen sehe man zu, ob man nicht mit meiner rein physika- lischen Annahme ausreicht, um den Widerspruch unter den berühm- testen Histologen zu erklären. [24] Berlin, Ende November 1895. Ortmann, Dr. Arnold E., Grundzüge der marinen 'Tier- geographie. Anleitung zur Untersuchung der geographischen Verbreitung mariner Tiere, mit besonderer Berücksichtigung der Dekapodenkrebse. Jena 1896. G. Fischer. Ein Buch, welches die Arbeiten über ein bestimmtes Gebiet zusammen- fasst, unter allgemeinen Gesichtspunkten behandelt und es sich zur Auf- gabe macht, darauf hinzuweisen, wie weit einerseits unsere Kenntnis in Bezug auf dieses Gebiet vorgeschritten ist, wie viel aber andererseits noch zu thun übrig bleibt, wird stets mit Freuden begrüßt werden und sich des Dankes aller Fachgenossen zu erfreuen haben, zumal wenn es, wie in dem vorliegenden Fall, von einem Verfasser geschrieben ist, der durch eine Anzahl eigener einschlägiger Arbeiten in dem betreffenden Gebiete zu Hause ist und seine neuen Gesichtspunkte an einer Reihe von Beispielen aus seinem Spezialgebiet zu erläutern vermag. Der Verfasser hat es sich in seiner vorliegenden Arbeit zur Aufgabe gemacht, das hochinteressante Studium der marinen Tiergeographie zur gebührenden Anerkennung zu bringen und hat zunächst die Grundzüge festgestellt, nach denen man die Verbreitung mariner Tiere zu untersuchen hat. Es sind dafür einige allgemeine tiergeographische Prinzipien ent- 204 Ortmann, Grundzüge der marinen Tiergeographie. wickelt worden, deren Anwendung in der Spezialforschung an der Gruppe der Dekapodenkrebse, mit denen Verfasser sich schon seit einer Reihe von Jahren beschäftigt hat, im einzelnen durchgeführt worden sind. Nach einem geschichtlichen Ueberblick über die Entwicklung der tiergeographischen Wissenschaft, die sich im wesentlichen an die Namen von Wagner, Dana, Schmarda und Wallace knüpft, behandelt Verf. die wichtigsten physikalischen Lebensbedingungen und die Lebens- bezirke: Er unterscheidet als die Grundlagen, nach denen sich die allge- meinen Existenzbedingungen gestalten, Licht, Medium und Substrat. Diese Grundprinzipien bilden in ihren verschiedenen Kombinationen die verschiedenen Lebensbezirke, d. h. Bezirke gleicher primitiver Existenzbedingungen. Nach den verschiedenen Erscheinungsformen dieser Grundbedingungen des Lebens kann man zunächst einen erleuchteten und einen nicht- erleuchteten Bezirk unterscheiden: in ersterem ist pflanzliches, assimi- lierendes Leben vorhanden, im letzteren fehlt dieses. Die unter dem Ein- fluss des Sonneslichtes stehenden Teile der Erdoberfläche zerfallen nach dem Medium, in dem die Tiere leben, in zwei Bezirke: in dem einen, dem festländischen oder terrestrischen bildet die Luft das Medium, in dem anderen, dem aquatischen (von dem man aber die nichterleuchtete Tiefsee abrechnen muss) das Wasser. Die das letztere bewohnenden Tiere trennen sich nach ihrem Verhältnis zum Substrat in zwei große Gruppen: die einen sind an das Substrat mehr oder weniger gebunden und bewohnen den littoralen Bezirk, die anderen sind unabhängig von einem Substrat und schwimmen oder treiben frei im Medium: sie bewohnen den pela- gischen Bezirk. Zum zweiten Hauptbezirk, dem abyssalen, gehören diejenigen Teile der Ozeane, welche dem Einflusse des Lichtes infolge ihrer bedeutenden Tiefe entrückt sind. Nach dem verschiedenen Charakter des Mediums, ob Süß- oder Salzwasser, kann man von dem littoralen Bezirk einen weiteren abtrennen, der sich als Bezirk des Süßwassers bezeichnen lässt und nach seinen unterscheidenden Merkmalen einen Bezirk niederer Ordnung bildet, aber durch sein Eindringen in das Gebiet des terrestrischen eine eigentümliche Sonderstellung erlangt hat, so dass man ihn wohl für praktische Zwecke den übrigen Lebensbezirken koordinieren kann. Dar- nach unterscheidet Verf. folgende sechs Lebensbezirke: 1) Terrestrial oder Kontinental, 2)Fluvial, 3)Littoral, 4) Pelagial, 5) Abyssal. Mit dieser Einteilung greift Ortmann auf Moseley zurück, der ja schon 1855 unter den marinen Tieren eine littorale, eine Tiefsee- und eine pelagische Fauna unterschied, setzt sich aber im großen Gegensatz zu der neueren englischen Litteratur, indem er als Littoral die dort unter- schiedenen Bezirke des Littorals und der Flachsee zusammenfasst und zu J. Walther, welcher in seiner Bionomie des Meeres, sechs marine Lebens- bezirke unterscheidet. Diese sechs Walther’schen Bezirke hat Ortmann mit vollem Recht auf drei reduziert; geologisch mögen sie von praktischer Bedeutung sein, aber zoologisch lassen sie sich nicht aufrecht erhalten. Wenn sich nun allerdings auch nieht leugnen lässt, dass sich die Moseley-Ortmann’sche Einteilung auch nicht scharf abgrenzen lässt, da die Bewohner sich natürlicher Weise an den Grenzen vielfach vermischen und mancherlei Uebergänge vorhanden sind, auch sekundäre, besonders lokale Sonderheiten zu ähnlichen Faciesbezirken führen können, so ist sie Die Wirbeltiere Thüringens nach F. Regel. 205 scharf begründet und praktisch; die Schwierigkeit der Abgrenzung wird um so größer, je mehr Grenzen vorhanden sind, d. h. je mehr Bezirke man unterscheidet. Ortmann scheint für seinen ganzen ersten Hauptbezirk, den er- leuchteten, pflanzliches, assimilierendes Leben anzunehmen; doch dürfte die Grenze von Licht und Assimilation durchaus nicht zusammenfallen. Die Tiefe, bis zu der Licht ins Wasser eindringt, beträgt etwa 400 m in klarem Wasser, der Pflanzenwuchs reicht aber nicht einmal im reinsten Wasser bis in diese Tiefe. — Nachdem Verf, die Grundgesetze, die im allgemeinen die Verbreitung der Organismen regeln — Beförderung und Verhinderung der Verbreitung, Einfluss der geologischen Veränderungen der Erde u. s. w. —, eingehend erörtert hat, sucht er dieselbe in ihrer Wirkung an einer einzelnen Tier- gruppe wieder nachzuweisen, an der Gruppe der Dekapodenkrebse, die ganz besonders geeignet erscheint, als Beispiel zu dienen, nach dem andere Tiergruppen behandelt werden können, da sich hinsichtlich der bionomischen Verhältnisse in ihr alle Möglichkeiten verwirklicht finden. Wenn auch die Darstellung der geographischen Verbreitung der Deka- podenkrebse durchaus nicht erschöpfend ist, — teilweise fehlen dazu über- haupt noch die notwendigsten Voruntersuchungen: Monographien kleiner Gruppen —, so gibt sie doch einen befriedigenden Ueberblick darüber, wie sich der Verfasser die Einzelbearbeitung einer Tiergruppe in geogra- phischer Beziehung denkt, was zu einer derartigen Bearbeitung unumgäng- lich notwendig ist, wenn anders sie zu befriedigenden Resultaten ge- langen soll. Das Schlusskapitel gibt einen Ueberblick über den Stand unserer Kenntnis der geographischen Verbreitung anderer 'Tiergruppen, in denen einerseits die Aehnlichkeiten oder Verschiedenheiten derselben gegenüber den Deka- poden, was das Verhalten zu den allgemeinen Lebensbedingungen anbetrifft, festgestellt werden, andererseits aber überall darauf hingewiesen wird, wie viel in den einzelnen Gruppen noch zu thun und wie notwendig eine gründliche Revision ist. Besonderer Wert ist auf die Litteraturnachweise gelegt worden. Verf. hat dadurch eine bequeme und sichere Grundlage gegeben, auf der weitere Forschungen aufgebaut werden können. R—r. |31] Die Wirbeltiere Thüringens nach F. Regel. Aus Pflanzen- und Tierverbreitung Thüringens, 2. Teil eines geographischen Handbuches für Thüringen. Jena 1894. G. Fischer. Die Fauna Thüringens hat in ihrer Gesamtheit noch keine einheit- liche Bearbeitung erfahren. Mit einzelnen Gruppen, die aus naheliegenden Gründen das Interesse weiterer Kreise auf sich zogen, sind Spezialforscher und Sammler seit einer Reihe von Jahren beschäftigt und haben schon recht umfangreiche Resultate erzielt. Für verschiedene Insektengruppen sind schon einigermaßen vollständige Listen vorhanden, so hat z. B. E. Krieghoff für Thüringen allein 208 Arten Wanzen festgestellt! Unter den Wirbeltieren haben die Vögel die umfassendste Bearbeitung erfahren, an der neben J. F. Naumann, 906 Die Wirbeltiere Thüringens nach F. Regel. J. M. Beckstein und Brehm besonders der vor kurzem verstorbene K. Th. Liebe mitgearbeitet hat. — Alle diese Bearbeitungen der Fauna "Thüringens sind aber in zahl- reichen größeren und kleineren Schriften, geographischen, systematischen und biologischen Inhaltes zerstreut und versteckt; manche Gruppen sind mehr, manche weniger behandelt worden, manche aber überhaupt noch garnicht in Angriff genommen. Verfasser hat sich nun der höchstmüh- seligen und schwierigen Arbeit unterzogen, diese zahllosen Einzelarbeiten und Beobachtungen zu sichten und unter allgemeinen Gesichtspunkten zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinigen, das in recht übersichtlicher und zusammenhängender Weise dem Fachmann wie dem Laien eine will- kommene Hilfe und Grundlage für seine Studien über die Tierwelt 'Thü- ringens bietet. Auch die Entwicklung der Fauna Mitteleuropas, die Ver- änderungen, welche die verschiedenen Eiszeiten mit den dazwischen liegen- den Interglacialperioden durch abwechselndes Vordringen der arktischen und der Steppenfauna in der Fauna Thüringens veranlasst haben, sodann das Aussterben der größeren Säugetiere wie Bär, Wolf, Luchs u..s. w. sind eingehend ergründet und behandelt worden. Von Säugetieren finden sich 52 Arten in T'hüringen vor und zwar in folgender Verteilung: Artiodactyla 4, Rodentia 17, Insectivora 7, Carnı- vora 9 und Chiroptera 15. Das Aussterben der großen Waldtiere lässt sich an der Hand ver- schiedener Forststatistiken und städtischen Chroniken verfolgen und mit sicheren Zahlen belegen. Der Bär ist im allgemeinen zu Ende des 17. Jahrhunderts verschwunden. Während im 16. Jahrhundert und .um die Mitte des 17. Jahrhunderts noch ganze Bärenfamilien im Thüringer Wald hausten (von 1611—1665 wurden im albertinischen Sachsen im ganzen 324 Bären erlegt) tauchen im 18. Jahrhundert nur noch einzelne, wahrscheinlich herübergewanderte und versprengte Exemplare auf; der letzte Bär ist im Jahre 1797 erlegt worden. Die Luchse sind schon im 18. Jahrhundert in Thüringen sehr selten; der letzte ist 1819 im Herzogtum Gotha geschossen worden. Die Wölfe sind noch im 17. Jahr- hundert äußerst zahlreich, im 18. Jahrhundert wurden sie bereits seltener und im 19. Jahrhundert sind nur noch wenige Exemplare gejagt worden, die letzten 1859 und 1884 im Erzgebirge und im Vogtlande unweit Greiz. In S. Meiningen wurde bis 1837 eine Wolfssteuer erhoben. Nicht so genau, wie über diese großen Räuber, sind wir über das Verschwinden der kleineren Raubtiere unterrichtet, der Sumpfotter oder Nerz (Mustela lutreola L.) und des Bibers. Der Nerz kam zu Ende des vorigen Jahrhunderts noch an der Leine bei Göttingen vor; an der oberen Werra soll noch zu Anfang dieses Jahrhunderts ein Exemplar gefangen worden sein. Der Biber wurde seit dem Ende des Mittelalters immer mehr dezimiert und bereits damals in manchen Gegenden, z. B. in Hessen ganz ausgerottet. Wann er zuletzt in Thüringen beobachtet wurde, ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen; gegenwärtig lebt er in Deutschland nur noch an der mittleren Elbe. Die Wildkatze hat sich in den Bergen des Thüringer Waldes noch bis auf den heutigen Tag erhalten; im gothai- schen wurden 1850—1860 noch 10 Stück erlegt. Auch sind in den letzten Jahren noch einzelne Exemplare zur Strecke gebracht worden. Die Fischotter ist sogar noch außerordentlich häufig, denn es wurden Die. Wirbeltiere Thüringens nach F. Regel. 9207 von den thüringischen Fischereivereinen in den Jahren 1879 —1893 918 Otternprämien gezahlt. Die Hausratte, Maus rattus, die überhaupt noch in Deutschland eine viel größere Verbreitung und Häufigkeit hat als man gewöhnlich annimmt, ist in Thüringen noch nicht allenthalben von der Wanderratte verdrängt worden. Verf. führt Orte an, in denen die letztere vor 20 und selbst vor 10 Jahren noch gänzlich unbekannt war. Der Erhaltung der Hausratte scheinen in Stroh gedeckte Ziegeldächer oder reine Strohdächer günstig zu sein. Die Menge des Wildes hatte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die Pflege, welche man demselben angedeihen ließ, auch durch die starke Verminderung der großen Raubtiere den Höhepunkt erreicht; im vorigen und in diesem Jahrhundert nahm dieselbe bedeutend ab. In den letzten 40 Jahren sind aber unter fürstlichem Schutz in manchen Teilen Thüringens wieder bedeutende Wildstände erzielt worden. Den Vögeln Thüringens ist bei der großen Vorliebe, welche den gefiederten Sängern aus allen Kreisen entgegengebracht wird, seit etwa 100 Jahren eine gründliche Erforschung gewidmet worden; aus den ver- schiedensten Teilen Thüringens sind bereits lokale Zusammenstellungen der Avifauna vorhanden. Aus allen diesen bekanntgewordenen und erreich- baren Quellen hat Verf. eine übersichtliche Tabelle zusammengestellt und nach dem Vorgange von Taschenberg und Baldamus 3 Kategorien unterschieden: 1) Die in Thüringen brütenden Vögel als der eigentliche Stamm der hier heimatsberechtigten Arten 161: 2) die Durchzügler, welche mehr oder weniger regelmäßig, wenigstens einen Teil des Jahres, hier zubringen 60 und 5) nur ganz vereinzelt einmal als Irrgäste beobachtete Vögel 79 Arten. Auf einzelnes kann hier nicht näher ein- gegangen werden; es mag nur noch erwähnt sein, dass der Sperling in einzelnen Gebieten recht selten ist und manchen hochgelegenen Dörfern vollkommen fehlt, obschon man ihn mehrfach anzusiedeln versucht hat. Die Grenze des Körnerbaues ist auch seine Grenze, nur einzelne Punkte mit Posthalterei vermögen ihn noch anzulocken. Die kaltblütigen Landwirbeltiere sind in Thüringen recht spärlich vertreten. Von Reptilien sind im ganzen nur 6 Arten vorhanden und zwar 3 Echsen: Lacerta agilis L. und L. vivipara Jacg., sowie Anguis fragilis L. und 3 Schlangen: Coronella laevis Mer., Tropidonotus natrix L. und Vipera berus L. Das Vorkommen verschiedener anderer Reptilien, 2. B. der Sumpfschildkröte Emys europaea Sehneid., ist noch recht zweifelhaft, sichere Funde mit Belegstücken liegen nicht vor. Ebenso er- wiesen sich die Angaben über das Vorkommen der Smaragdeidechse Lacerta viridis L. und der Aeskulapschlange Ooluber Aeseulapii Host., als nicht stichhaltig. Für die beiden angeblich vorhandenen Belegstücke konnte Verf. nachweisen, dass dieselben entweder aus der Gefangenschaft ent- wischt oder falsch bestimmt waren. Die Kreuzotter ist in den Vorbergen der Buntsandsteingebiete häufiger als auf dem Muschelkalk, wofür natür- lich kein direkter Zusammenhang der Bodenunterlage mit der geographi- schen Verbreitung, wohl aber vielleicht der Einfluss der Gesteinsunterlage in Verbindung mit der Vegetation und dem Klima geltend gemacht werden kann: auf dem häufig etwas moorigen Waldboden des Buntsandsteines findet die Kreuzotter die ihr zusagenden Lebensbedingungen besser als auf dem trockenen Muschelkalk. Kreuzotter und Waldeidechse finden sich vor 208 Fleischmann, Lehrbuch der Zoologie. allem im Gebirge und im moorigen, feuchten Tiefland, Zauneidechse und glatte Natter dagegen in trockenen, sonnigen Gegenden der tieferen Ge- birgslagen und der Ebene. Die Amphibien haben 10 Arten in Thüringen aufzuweisen, 11 frosch- artige und 5 Molche. Von den deutschen Arten fehlen nur zwei, der Spring- frosch Rana agilis Thom. und der schwarze Alpensalamander Salamandra atra. Zu erwähnen ist die Geburtshelferkröte Alytes obstetricans (Laur), welche im Nordwesten des Thüringer Waldes mit Sicherheit nachgewiesen wurde, aber auch schon in das östliche Hügelland vorgedrungen sein soll, wofür allerdings Beweisstücke noch ausstehen. Die rotbauchige Unke Bombinator igneus (Laur.) ist nur aus dem Nordrande im Elsterthal und bei Halle bekannt. Von Fischen leben in den thüringischen Gewässern 35 Arten. Ihre Verbreitung und ihre Häufigkeit in den einzelnen Gewässern ist durch die verschiedensn thüringischen Fischereivereine genauer bekannt geworden, welche auch zur Hebung der Fischbestände in den letzten Jahren außerordentlich viel geleistet haben. R—r. [32] A. Fleischmann, Privatdozent der Zoologie in Erlangen. Lehrbuch der Zoologie, nach morphogenetischen Gesichts- punkten bearbeitet. Spezieller Teil. I. Die Wirbeltiere. Mit 98 Abbildungen im Text und 3 Farben- drucktafeln. Wiesbaden. C. W. Kreidels Verlag 1896. Von der Erwägung ausgehend, dass ein rechtes Verständnis der gesamten Organisation ebenso wie das der Homologien einzelner Organe und der darauf sich gründenden Verwandtschaftsbeziehungen der Tiere nur auf entwieklungs- geschichtlicher Grundlage gewonnen werden kann, rückt der Verfasser in seinem Lehrbuche der Zoologie die Embryologie in den Vordergrund des Unterrichtes. Indem er die Darstellung der frühesten Bildungsvorgänge sich für den Schluss- Abschnitt verspart, der über das Ei und seine Entwicklung handelt, beginnt er mit der Schilderung eines Embryos in einem Stadium, wo die Organe so weit ausgebildet sind, dass sie den gemeinsamen Wirbeltiertypus deutlich er- kennen lassen und beschreibt dann, in welcher Weise sie in jeder einzelnen Klasse um- und weitergebildet werden. Diese Art der Darstellung bietet nicht zu verkennende pädagogische Vorteile; sie ermöglicht es, den umfangreichen Stoff leichter zu bewältigen und den Vortrag einheitlicher zu gestalten, da sie vom Einfacheren zum Verwickelteren fortschreitet, das Wesentliche deutlich hervortreten lässt und die Uebersicht erleichtert. So war denn der Verfasser im stande, ohne sich den Vorwurf der Oberflächlichkeit zuzuziehen, auf dem engen Raum von 122 Seiten die wichtigsten Thatsachen der Entwicklungs- geschichte und Morphologie der Wirbeltiere in einfacher, an einzelnen Stellen allerdings auf Kosten der leichten Verständlichkeit für den Anfänger etwas zu knapp gehaltener Fassung vorzuführen. Ein Anhang von 42 Seiten gibt eine systematische Uebersicht, in welcher ebenfalls das Wesentlichste aus den fünf Wirbeltierklassen in gedrängter Kürze zusammengestellt ist. Voigt (Bonn). [47] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal 24 Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xV [ Band. 15. März 1896. Nr. 6. Inhalt: Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale (2. Stück). — Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Eine Untersuchung über die Phylogenie des Brutparasitismus und der Ei- charaktere des Kuckucks. Von Wilhelm Haacke. (Zweites Stück.) Die in mehr als 200 Arten über die ganze Erde verbreitete Familie der Kuckucke lässt sich wie in Bezug auf die Lebensweise, so auch rücksichtlich der Beschaffenheit der Eier nach Rey in zwei an Arten- zahl nahezu gleiche Gruppen teilen. Nach demselben Gewährsmanne brüten die Vögel der einen dieser Gruppe, die nur in Europa fehlt, selbst, und legen einfarbige Eier von weißer oder blaugrüner Grundfarbe, die von einem porösen Kalküberzuge gleichmäßig oder ungleichmäßig überlagert sind, während die Angehörigen der anderen Gruppe, welche die eigentlichen Kuckucke umfasst und nur in Amerika nicht vertreten ist, ihre meist bunt gezeichneten Eier, denen ein gleicher Ueberzug gänzlich fehlt, nach Art der Spähvögel und Viehstaare anderen Arten zur Bebrütung unterschieben. Bei den Eiern sämtlicher selbstbrütenden Kuckucke sind die Grenzen der Variabilität nach Rey ziemlich enge. Dagegen sind die Eier bei manchen Arten der Para- siten, insbesondere bei Cuculus canorus, außerordentlich verschieden unter einander, jedoch nach Baldamus weniger nach Größe, Schwere und Gestalt, als in Bezug auf die Kleidmale, die nach Baldamus bei unserm Kuckuck und seinen Verwandten bei weitem mannigfaltiger sind, als bei irgend einer der etwa 2000 Vogelarten, deren Eier man bisher kennen gelernt hat. Fbenso sagt Rey, dass die Eier des XVl. 14 310 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Kuckucks in Bezug auf die Kleidmale so verschieden untereinander sind, wie dieses bei keinem andern Vogel, dessen Fortpflanzung wir kennen, auch nur annähernd vorkommt. Man muss aber mit Balda- mus fragen, ob auch alle Eier, die man für Kuckuckseier hält, wirk- lich solche, oder nicht vielmehr Doppel- oder Rieseneier der Pfleger sind, in deren Nestern sie aufgefunden wurden. Aber die Kuckucks- eier weichen nach Baldamus in Größen- und auch wohl in Form-, ferner in Farb- oder Zeichnungsmalen oder beiden zugleich, von den Pflegereiern ab. Oft findet man nach Baldamus einander ähnliche Kuckuckseier in den Nestern zweier oder mehrerer verschiedener Pflegerarten, oder auch solcher Vögel, die nur als Nothelfer benutzt werden. Dann sind, wie wir von Baldamus erfahren, manche Eier vor den Augen des Beobachters auf den Erdboden oder sogar in dessen Hand gelegt worden, und bei manchen Nestern hat man das Abtliegen des Kuckucksweibchens von dem Neste beobachtet, in welchem darauf das noch warme Kuckucksei gefunden wurde. Ebenso hat man, sagt Baldamus weiter, aus dem Kuckucksei öfter einen jungen Kuckuck hervorgehen sehen. Außerdem haben, wie Baldamus mit Recht be- tont, die Eier, die mit keinen andern Vogeleiern zu verwechseln sind, zumal wenn sie in Pflegernestern gefunden werden, deren Eier nicht die mindeste Aehnlichkeit mit ihnen haben, als Kuckuckseier zu gelten. Die Kuckuckseier, sagt Baldamus, haben nach verschiedenen Forschern bestimmte Kennzeichen. Naumann fände das Charak- teristische des Kuckuckseies in dessen Zeichnungsmalen, einer Art Be- kritzelung, die das Kuckucksei fast immer kenntlich mache und dem geübten Blick zwar leicht auffindbar, aber doch mit Worten schwer zu beschreiben sei. Auch diejenigen Eier, welchen die Kritzelzeich- nung fehle, hätten nach Naumann etwas besonderes in der Form ihrer Flecke. Thienemann stelle als Hauptkennzeichen das charak- teristische Korn, d.h. die Schalenskulptur, voran. Forstmeister v. Göbel hielte die Verwechselung der Riesen- uud Doppeleier kleiner Vögel mit dem Kuckucksei nicht für möglich, wenn man das Gewicht der Schale zu Hilfe nähme. Die Schalen der Doppel- und Rieseneier der Pfleger überträfen das Gewicht der normalen Eier nur um eine Kleinig- keit, dagegen sei das Gewicht der Kuckuckseischale ein viel bedeu- tenderes. Es sei sehr konstant und daher ein gutes Kennzeichen. Zu demselben Resultat seien Krüger-Feldhusen und A. Walter gelangt. Auch die großen blauen Eier, die man in den Nestern des Gartenrotschwanzes und des Steinschmätzers fände, seien durch das Gewicht von Doppeleiern dieser Pfleger zu unterscheiden. Als Kennzeichen der Kuckuckseier sei ferner von manchen Forschern die Härte und die Festigkeit der Schale bezeichnet worden. Baldamus hält aber das Gewicht für das sicherste Kennzeichen des Kuckuckseies. Die Naumann’sche Methode der Bestimmung der Kuckuckseier nach Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 211 den Zeiehnungsmalen komme ohne Zweifel zur häufigsten Anwendung, reiche aber nicht in allen Fällen aus, nämlich da nicht, wo es sich um ungezeichnete Eier oder stark verwischte Zeiehnungsmale handle. In allen übrigen Fälleu würde aber selbst der Anfänger nicht lange zweifeln, ob er ein Kuckucksei vor sich habe oder nicht, besonders wenn er es neben den Pflegereiern fände. Durch auch dem ungeübten Blicke wahrnehmbare Merkmale ließe sich das Kuckucksei als fremdes, nicht zu den Pflegereiern gehörendes, sofort unterscheiden. Im Gegen- satz zu der ungemein großen Verschiedenheit der Kuckuckseier in Bezug auf die Kleidmale müssen ihre Formmale nach Rey als ziem- lich konstant bezeichnet werden. Nach diesem Forscher liegen die Hauptkennzeichen der Kuckuckseier in der Form, in dem hohen Ge- wicht der Schale, und besonders in der großen Festigkeit der Schalen- substanz. Wesentlich wichtiger als die Form sei aber das Gewicht, weil es recht merklich höher sei, als das anderer Eier von gleicher Größe, und die Festigkeit der Schale sei ein ohne weiteres schr wert- volles Kennzeichen der Kuckuckseier. Der geübte Oologe wird aber nach Baldamus selten in die Lage kommen, zu Lupe, Waage, Schliff und andern Hilfsmitteln greifen zu müssen, um ein Kuckucksei zu be- stimmen. Nicht weil das in einem Pflegerneste gefundene Ei kein Pflegerei sei und deshalb ein Kuckucksei sein müsse, sondern weil der Kenner es als solches erkenne, bezeichne er es mit voller Sicherheit als Ei des Kuckucks. Altums Scharfsinn wäre keinen Augenblick im Zweifel gewesen, ob das von ihm in einem Rotkehlehenneste gefundene himmelblaue ungefleckte Ei dem Kuckuck angehörte, oder ein Doppelei des Gartenrotschwänzchens, der Heckenbrau- nelle, des Wiesenschmätzers oder des Steinschmätzers ge- wesen sei, es sei denn, dass man annehmen wolle, dass die eben ge- nannten Pfleger die Eigentümlichkeit, oder besser, die Marotte hätten, ihre Doppeleier in fremde Nester zu legen. Als Baldamus zuerst im Jahre 1851 ein blassbläulichgrünes ungeflecktes Ei von der Größe der Kuckuckseier erhielt und zwei ganz gleiche von derselben zarten Färbung in einer Sammlung sah, wäre ihm, so sagt er, die Behaup- tung, dass der Sammler diese blaugrünen Kuckuckseier selber nebst den Pflegereiern aus drei Nestern des Gartenrotschwanzes ge- nommen hätte, sehr zweifelhaft erschienen. Später hätte er aber von einem eifrigen und kundigen Sammler ein solehes Ei samt Gelege des Gartenrotschwanzes erhalten. Er fragt, ob alle die zahlreichen Rotschwänzchen in den parkähnlichen Revieren von Dessau bis Wörlitz und Oranienbaum, wo die betreffenden Kuckuckseier gefunden wurden, die sonderbare Passion hätten, wahre Rieseneier zu legen und nicht nur in die eigenen, sondern auch in fremde Nester? Im Ganzen sind Baldamus 30 und einige hellblaue und ungefähr 9 gesättigt blau- grüne Kuckuckseier bekannt geworden; 5 oder 6 davon lagen bei Eiern 14* 919 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. von total verschiedener Färbung und Zeichuung, so z. B. in den Nestern und bei Eiern vom Berglaubsänger, Waldlaubsänger, Rot- kelchen, der weißen Bachstelze u.8. w. Dehne berichtet nach Baldamus, dass ein in der Nähe eines Rotschwanznestes auf einem Heuboden ergriffenes Kuckucksweibehen am zweiten Tage seiner Ge- fangensehaft ein einfarbig grünes Ei gelegt habe. Es hätte die meiste Aehnlichkeit mit dem Ei des braunkehligen Wiesenschmätzers gehabt. Thiele ließ, ebenfalls nach Baldamus, ein grünes Kuckucksei in einem Rotschwanzneste liegen, und dem Ei ent- schlüpfte ein junger Kuckuck. Baldamus teilt ferner mit, ein Revier- förster bei Oldenburg habe beobachtet, dass aus einem größeren blauen Ei in einem Rotschwanzneste ein junger Kuckuck ausschlüpfte; Altum habe in einem an der Wurzel einer Buche stehenden Rotkelchen- neste mit zwei Eiern das himmelblaue und ungefleckte möglichst abstehende Ei des Kuckucks gefunden, Grunach drei blaue Kuckucks- eier, zwei in Gartenrotschwänzchennestern bei 7, beziehungs- weise 8 Pflegereiern, eines in einem Neste der weißen Bachstelze; an dem ausgebildeten Embryo, den das letztere enthielt, sei die paar- zehige Fußbildung des Kuckucks zu erkennen gewesen. An hellbläu- licehgrüne Kuckuckseier schließen sich nach Baldamus die mehr oder weniger gesättigt bläulichgrünen, meist aus den Nestern des braun- kehligenWiesenschmätzers genommenen Kuckuckseieran. Förster Hintz sei der erste gewesen, der über diese auffallende Färbung und die in der That frappante Aehnlichkeit mit den Eiern des Wiesen- schmätzers berichtet habe. Ein Ei, das Baldamus erhielt, und das den Eiern des Wiesenschmätzers ähnlich war, sei ohne Zweifel ein Kuekucksei, denn der Sammler hätte das Kuckucksweibchen dicht neben dem Neste sitzen sehen. Es sei erst fortgeflogen, als er sich dem Neste näherte. Baldamus fand auch selbst ein intensiv bläulich- grünes zeichnungsloses Ei bei 8 Eiern des Wiesenschmätzers, und er konnte feststellen, dass dieses von einem Kuckucksweibehen gelegt worden war. Einmal sah er einen Kuckuck auf dem Neste des Sump f- rohrsängers sitzen. Nach etwa einer Minute wäre der Kuckuck geräuschlos und langsam davon geflogen. Im Neste hätte neben zwei kälteren Eiern des Sumpfrohrsängers das warme Ei des Kuckucks gelegen. Keins von allen irgend welchen Pflegereiern ähnlichen Kuckucks- eiern, die Baldamus bekannt geworden sein, habe eine so große Aehnlichkeit mit den Eiern der betreffenden Pflegeeltern gehabt, wie dieses Ei, das sowohl in der Grundfarbe als auch in der Färbung und im Charakter der Zeichnung den Pflegereiern geglichen habe. Es bliebe nur die Alternative, dass der Kuckuck in der That dieses Ei gelegt, oder dass er sich einige Minuten lang auf das Nest gesetzt habe, in welches der Eigner innerhalb weniger als 24 Stunden ein gewöhnliches und ein Riesenei gelegt hätte. Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 215 ! Nach allen diesen Mitteilungen kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass die Eier, die von den besten Kennern als Kuckuckseier angesprochen werden, auch wirklich solehe sind. Wir dürfen uns des- halb auch auf die Uebersichten verlassen, die unsere Gewährsmänner von den verschiedenen Kleidmalen der Eier von Cuculus canorus geben. Nach Rey gibt es einfarbige lebhaft blaugrüne Kuckuckseier und ebensolche mit spärlicher feiner rötlichlehmgelber Punktierung; ferner mit größeren dunklen Flecken versehene von weißlicher, gelblicher, grünlicher, bläulicher, bräunlicher, rötlicher, roter, grauer, violettgrauer und anderer Grundfarbe, die mit Punkten, Striehen, Zügen, Schnörkeln, scharf umgrenzten oder verwaschenen Flecken von schwarzer, violetter, rotbrauner, graubrauner, graugrüner oder rötlieh bis rostroter Farbe gezeichnet sein können. Diese Zeichnung tritt nach Rey in mehr- facher, meist dreifacher Nüancierung auf und häuft sich in sehr vielen Fällen gegen das stumpfe Ende hin zu einem mehr oder weniger deut- lichen, oft ungleichmäßigen Kranze an, ohne aber irgend welche andern Teile der Oberfläche gänzlich frei zu lassen. Besonders charakteristisch sind nach Rey die kleinen, runden, scharf begrenzten, leicht abwasch- baren Flecke von schwarzer Farbe, die der Oberfläche deutlich auf- gelagert erscheinen und nur in seltenen Fällen gänzlich fehlen. Als eine besondere Eigentümlichkeit der Kuckuckseier hebt Rey hervor, dass die Diehtigkeit der Zeichnung häufig auf der einen Längsseite eine wesentlich andere sei, als auf der entgegengesetzten, und dass, wenn große Flecke von intensiver Farbe vorkämen, diese fast niemals geschlossen, sondern fast immer zerrissen erschienen. Baldamus hat die verschiedenen Kleidmale der Kuckuckseier als verschiedene Typen bezeichnet. Thienemann und Ramsay haben sie nach Baldamus Varietäten genannt. Baldamus klassi- fiziert die ihm bekannt gewordenen Kuckuckseier folgendermaßen: I. Gruppe: Kuckuckseier ohne Zeichnung bei Pflegereiern ohne Zeichnung. 1. Typus: Denen des Hausrotschwänzchens ähnliche Eier, weiß, oder aus blaugrünlichweiß in weiß verbleichend.. Baldamus kannte 5 oder 6 Eier dieses Typus, eins aus dem Neste des Berg- laubvogels, die übrigen aus denen des Hausrotschwänzchens. 2. Typus: Den Gartenrotschwänzcehen-Eiern ähnliche schön bläuliehgrüne Kuckuckseier; meist etwas heller als die des Pflegers. 5. Typus: Denen des braunkehligen Wiesenschmätzers ähn- liche Eier von gesättigt bläulichgrüner Färbung. Fünf Eier aus den Nestern dieses Pflegers sind Baldamus bekannt geworden. Ein blaugrünes Kuckucksei von etwas hellerem Ton lag in der Nähe eines Nestes der Alpenbraunelle. 7 214 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 11. Gruppe: Eier mit bis zur Einfarbigkeit verwischter Zeichnung. 4. Typus: Ein Ei aus dem Neste des Schilfrohrsängers, hellockergelb mit einem Schein ins Graugrüne. 5. Typus: Ein blau- oder stahlgraues Ei im Neste der weißen Bach- stelze. III. Gruppe: Verwischte aber noch deutlich erkennbare Zeichnung. 6. Typus: Schilfrohrsängern-Eiern ähnliche Eier. Grünlich- ockerweißes Ei mit Flecken von dunkler Nüance desselben Farbentones aus dem Neste dieser Art. 7. Typus: Rotkehlchen-Eiern ähnliche gelbrötlichweiße und nelken- rötlichweiße Eier mit entsprechender dunkler Zeichnung. Zwei dieser Kuckuckseier den Pflegereiern sehr ähnlich, ein drittes und viertes wurden in den Nestern des Baumpiepers bezw. des Wiesenpiepers gefunden. 8. Typus: Feldlerchen-Eiern ähnliche graulich und grünlich- ockerfarbene Eier in verschiedenen Nüancen mit dichterer Flecken- zeichnung in tieferen Tönen. Zwei dieser Eier stammten aus Nestern der Feldlerche und waren den Pflegereiern sehr ähnlich; eins wurde im Neste des Baumpiepers bei Eiern von bräunlich- roter Zeichnung, eins im Neste des Wiesenpiepers bei Eiern von hellgrauer Färbung gefunden. IV. Gruppe: Eier mit deutlicher und mehr oder weniger scharf abgesetzter Zeichnung. 9. Typus: Eier mit Strichelzeichnung. a) Den Eiern der weißen Bachstelze ähnlich. Bläulich-, grau- b) und bräunlichweiß mit dunkleren Stricheln. EIf Kuckucks- eier dieser Kategorie wurden in Nestern der weißen Bach- stelze gefunden und waren den Pflegereiern in den Kleidmalen sehr ähnlich. Drei ähnelten ihnen nur in der Zeichnung, vier nur in der Färbung, während vier in Nestern gefunden wur- den, mit deren Eiern sie keinerlei Aehnlichkeit hatten. Den Eiern des Baumpiepers ähnlich. Baldamus kannte zwei rötlichgraue mit braunrötlichen Stricheln gezeichnete Eier dieser Kategorie, ferner zwei graubraune mit dunkleren Stricheln und ein graues mit braungrauen Stricheln. Alle fünf waren den entsprechenden Eiern des Baumpiepers, in dessen Nestern sie gefunden wurden, sehr ähnlich; zwei hier- hergehörige Eier stammten aus den Nestern anderer Pfleger- arten. 10. Typus: Den Eiern des Gartensängers ähnliche, mit Punkt- und Tüpfelzeichnung versehenen Eier. Sie sind nelkenrötlich- weiß mit braunroten Punkten und Tüpfeln. Ein solches Ei fand sich im Neste des Gartensängers und war dessen Eiern sehr Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 215 ähnlich; ein anderes von intensiverer Färbung hatte geringere Aehnlichkeit mit Gartensängereiern. 11. Typus: Bier mit Flecken und Flatschenzeichnung. a) Die Kuckuckseier ähneln denen des Neuntöters und rot- köpfigen Würgers, sind grünlich- und bläulichweiß oder gelbrötlichweiß mit hell und dunkelviolettbrauner Zeichnung, beziehungsweise mit bräunlichroten Flecken. Fünf Kuckucks- eier mit diesen Kleidmalen fanden sich in Neuntöternestern bei Pflegereiern von abstechender Färbung, zwei Kuckuckseier von schön blaugrünlichweißer Grundfarbe mit olivengrüner Zeichnung, offenbar von einem Weibchen stammend, gleich- falls in Nestern des Neuntöters, das eine bei Pflegereiern von lebhaft lachsroter, das andre bei solchen von gelblich grauer Färbung. b) Die Kuckuckseier sind Orpheussänger-Eiern ähnlich. e) Ein Ei fand sich bei zwei Eiern dieser Art. Die letzteren waren hellblaugrünlichweiß mit blassolivengrauen kleinen Flecken und Punkten; das Kuckucksei hatte Flecken der gleiehen Farbe und viele scharf umgrenzte, kleine, dunkel- olivenbraune Flecke und unterschied sich nur dadurch und außerdem durch etwas bedeutendere Größe und gedrungenere Gestalt von den Pflegereiern. Kappenammer-Eiern ähnliche Kuckuckseier. Ein zweitel- haftes Kuckucksei wurde bei diesem Vogel gefunden. 12. Typus: Eier mit Brandflecken- oder Marmorzeichnung, den Eiern des Baumpiepers, Buchfinken und Bergfinken ähnlich. Ein Kueckucksei mit diesen Zeichnungsmalen, aber mit mit Grün gemischter Grundfarbe fand sich bei den Eiern des Baumpiepers von etwas mehr violetter Grundfarbe und stärker ausgeprägter Zeiehnung. Ein zweites Bi, dem ersten sehr ähnlich, stammte aus dem Neste des Gartenammers, ein drittes aus dem Neste des Baumpiepers. V. Gruppe: Eier mit verwischter Zeichnung. 13. Typus: Eier mit Schnörkel-, Haarlinien und Tüpfelzeichnung. a) = Den Eiern des Grau-, Garten-, Gold- und Rohrammers ähnlich. Zwei Kuckuckseier dieser Kategorie wurden bei sehr ähnliehen Eiern des Goldammers gefunden; ein drittes lag bei Eiern des Gartenammers; zwei fanden sich bei Eiern der Amsel bezw. des Rotkehlehens; ein dieht und unregelmäßig brandiggeflecktes wurde einem Neste des Kohrammers ent- nommen. Kuckuckseier, die in den Nestern der Gartengrasmücke, Mönchsgrasmücke, Zaungrasmücke und Dorngras- mücke, sowie in denen der Sperbergrasmücke und des 216 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Teichrohrsängers gefunden werden, sind nebst den in Nestern der weißen Bachstelze gefundenen sehr häufig. Den Eiern der genannten sehr häufig in Anspruch genommenen Pflegerarten ähneln die Kuckuckseier öfter als fast allen übrigen Pflegereiern. Solche Kuckuckseier findet man oft in den Sammlungen sowie in den Nestern der im Allgemeinen meist bevorzugten Pflegerarten. Als Eier des 14. Typus bezeichnet Baldamus, wenigstens vorläufig, diejenigen Kuckuckseier, die mit irgend welchen bekannten Pflegereiern keinerlei Aehnlichkeit haben, und die er deshalb „Originäre“ nennt. Hierher gehören Kuckuckseier aus Zaunkönigsnestern und etliche andere. In Bezug auf die große Mannigfaltigkeit der Kleidmale, welche die Eier von Cueulus canorus nach obiger Aufzählung zeigen, schließt sich von anderen Kuckucksarten der australische Bronzekuekuck (Lamprococeyx lucidus) unserm Kuckucke an. Vom Bronzekuckuck hat, Baldamus zufolge, eine große Anzahl verschiedener Forscher Eier in den Nestern von einigen 20 Arten von Pflegern gefunden, die in noch größerem Maße, als die unseres Kuckucks variieren sollen, und mit und ohne Zeichnung vorkommen. Ramsay unterscheidet nach Baldamus zwei Typen von Eiern des Bronze- kuckucks. Bei den einen variiere die Färbung von einfarbig aschgrau bis zu einem reichen, dunklen Olivenbraun oder -bronze. Manche der bellaschgrauen Exemplare hätten oft kleine olivenfarbige Punkte nach der Basis zu. Bei einem Exemplar, bei welchem diese Punkte eine Flatsche bildeten, neige sich die Färbung mehr nach rötlichbraun. Die Eier des zweiten Typus hätten reinweißen Grund, der vor Entleerung des Eies nelkenrötlich überlaufen sei. Diese Eier seien auf der ganzen Oberfläche fein gesprenkelt mit Punkten von einer hellbräunlichroten oder dunkleren Lachsfarbe, die in einigen Fällen zu Flatschen zu- sammenliefen und stellenweise den weißen Grund ohne Zeichnung ließen. Bei einem Exemplare wäre die Zeichnung verwischt und bildete einen eigentümlichen Ton von Braunlila. In Nestern einer und derselben Pflegerart hätte Ramsay Eier von beiden Typen gefunden. Die Eier des schwarzen Guckels (Eudynamis nigra), der in Indien lebt, variieren Baldamus zufolge, nach Allan Hume, der solche oft erhalten hätte, gleichfalls. Ein Ei sei auf blass oliven- grünem Grunde dicht mit purpurbraunen und gelbbraunen Flecken und Schmitzen bedeckt gewesen, und die Schmitze wären am stumpfen Pole gänzlich zusammengeflossen gewesen. Die Grundfarbe eines an- deren sei hellseegrün, und das Ei sei an einem Pole ziemlich dicht olivenbraun gefleckt und gestrichelt, und einige dieser Flecke und Strichel seien viel schwächer und von beinahe purpurbrauner Farbe gewesen. Die meisten Eier bildeten um den stumpfen Pol herum eine Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 317 ziemlich breite, unregelmäßig und schlecht abgegrenzte Zone. Im Großen und Ganzen schiene aber die Variabilität der Eier des schwarzen Guckels keine große zu sein. Der afrikanische Kupferglanzkuckuck (Lamprocoeeyx cupreus) scheint zwar meistens glänzend weiße Eier zu legen, und zwar in die Nester der kleinsten Insektenfresser. Wenigstens gibt Levaillant nach Baldamus an, dass er glänzend weiße Bier in den Nestern solcher Vögel gefunden habe. Auch ein Ei in Thienemann’s Samm- lung war nach Baldamus glänzend reinweiß. Tristram hätte je- doch ein Ei beschrieben, das den heller gefärbten Eiern des Haus- sperlings und denen des Drosselrohrsängers äußerst ähnlich gewesen sei. Wir wenden uns nunmehr der Frage zu, wodurch die große Man- nigfaltigkeit der Kleidmale der Kuckuckseier zu stande gekommen sei. Um diese Frage zu erledigen, haben wir zunächst die nach den ursprünglichen Kleidmalen der Kuckuckseier zu beantworten. Der Thienemann’schen Frage „wie wohl das erste Kuckucksei ausge- sehen haben möge“, fehlt nach Baldamus freilich jedes Substrat: der freien Phantasie könnten wir nun einmal keinen Platz in der Naturwissenschaft einräumen. So schlimm ist die Sache indessen nicht: vielmehr haben wir genügende Anhaltspunkte, um es wahrscheinlich machen zu können, dass die Vorfahren sämtlicher parasitischer Kuckucke blaue, oder grünblaue, oder blaugrüne oder grüne Eier legten, und hierbei können wir die Phantasie gänzlich ausschließen. Als nahe Verwandte der Kuckucke sind die Madenfresser (Crotophagidae) zu betrachten, die sehr charakteristische Eier von blaugrüner Färbung, die bald vollständig, bald teilweise von einem weißen Kalküberzuge bedeckt sind, legen. Weil nun die Maden- fresser selbst brüten und in dieser Beziehung auf einer tieferen Ent- wicklungsstufe stehen als die eigentlichen Kuckucke, und wir demnach annehmen dürfen, dass die Brutpflege der Kuckucke eine stammes- geschichtliche Entwicklungsstufe durchlaufen hat, die der, auf welcher die Brutpflege der Madenfresser steht, einigermaßen entspricht, so dürfen wir auch schließen, dass die Kuckucke auf einer gewissen Stufe ihrer stammesgeschichtlichen Entwicklung Eier legten, die denen der Maden- fresser gleich oder wenigstens sehr ähnlich waren. Und in der That gibt es echte Kuckucke, die Eier mit den Kleidmalen der Maden- fressereier legen. Die Färbung der Eier des nordamerikanischen gelb- schnäbeligen Kuckueks (Coceygus americanus) ist nach Balda- mus ein gleichmäßig helles oder dunkleres apfelgrün, zuweilen mit einem Stich ins Gelblichgrüne. Viele, wenn auch nicht alle Eier, wären mit einem abreibbaren weißen oder schmutzigweißen Kalküberzuge versehen, der in meist größeren Flecken und Flatschen die Oberfläche mehr oder weniger überziehe. Die Eier dieses Vogels bestätigen also die Richtigkeit unserer Schlussfolgerung. Sie lehren uns aber noch 218 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. ein zweites, was für unsere Untersuchungen sehr wichtig ist. Wir haben weiter oben gesehen, dass Coccygus americanus, der meistens selbst brütet, seine Eier zuweilen in fremde Nester legt, und hierin haben wir den Beginn eines Ueberganges zum Brutparasitismus er- blickt. Haben wir hiermit Recht, so kann uns Coccygus americanus dazu dienen, auch noch die Frage zu beantworten, wie wohl die Eier der Pfleger aussehen, in deren Nester Kuckucke, die im Begriffe sind, zum Brutparasitismus überzugehen, ihre Eier legen. Die Antwort ist mit Rücksicht darauf, dass die Kleid- male der Eier von Coceygus americanus, der selbst ja noch lange kein richtiger Brutschmarotzer ist, von seinen nichtparasitischen Vorfahren ererbt sein müssen, für den Darwinismus, der selbstverständlich die häufige Aehnlichkeit der Kuekuckseier mit den Eiern der Pfleger durch die „natürliche Zuchtwahl“ erklärt, verhängnisvoll. Nach Baldamus sind nämlich die Eier des Katzenvogels und der Wanderdrossel, bei denen Eier von Coecygus americanus gefunden werden, einfarbig blaugrün und denjenigen des Schmarotzers ähnlich gefärbt. Die Aehnlichkeit der Schmarotzereier mit denen der Pfleger hat also nicht „herangezüchtet“ zu werden brauchen, son- dern war von vornherein gegeben. Coccygus americanus und seine gelegentlichen Pfleger sind unabhängig von einander zu ihren einander ähnlichen Eiern gekommen. Coceygus americanus wählt wahrscheinlich die betreffenden Pfleger deshalb, weil ihre den seinigen ähnliche Eier ihn dazu einladen, seine Eier in ihr Nest zu legen. Und so wie es der amerikanische gelbschnäbelige Kuckuck heute macht, werden es zu ihrer Zeit die Vorfahren vieler oder aller parasitischen Kuckucke, deren Eier den Pflegereiern ähnlich sind, gemacht haben. Ist es notwendig, dass eine solche, die Pfleger zur Annahme des Kuckuckseies geneigter machende Aehnlichkeit besteht, so musste sie von allem Anfang an gegeben sein, denn sonst nahmen die ersten Kuckuckspfleger die- Eier der ersten Schmarotzer nicht an, und es konnte nicht zum Brutparasitismus kom- men. Dass aber die Aehnliehkeit der Kuckuckseier mit den Pfleger- eiern nicht „herangezüchtet“ sein kann, bevor die Kuckucke Brut- schmarotzer waren, liegt auf der Hand. Wie nun die Aehnlichkeit der nicht blaugrünen Kuckuckseier mit Eiern von Pflegern zu stande gekommen sein kann, werden wir später sehen, wenn wir uns noch eingehender mit der Aehnlichkeit zwischen Kuckucks- und Pflegereiern befassen. Hier haben wir zunächst noch weiteres Material dafür bei- zubringen, dass die Bier der Kuckucke zur Zeit des Ueberganges zum Brutparasitismus die angegebenen Kleidmale hatten und den Pfleger- eiern ähnlich waren. Dafür, dass solches der Fall gewesen, sprechen vor allen diejenigen Kuckucksarten, die nur wenige Pflegerarten haben. | Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 219 Der schwarzweiße Häherkuckuck (Coceystes jacobinus), der durch ganz Indien verbreitet ist, legt Baldamus zufolge, nach Ha- milton seine Eier in das Nest einer Weichsehwanzart, Malacocercus canorus. Seine Eier sind, wie Baldamus mitteilt, einfarbig grünlich- blau und denen der unter sich so ähnlichen Weichschwanzarten sehr ähnlich. Von andern Beobachtern werden nach Baldamus noch andere Weichschwanzarten als Pfleger dieses Vogels angeführt, was deshalb wichtig ist, weil es zeigt, dass sich Coccystes jacobinus bei der Pflegerwahl auf die Weichschwänze zu beschränken scheint, und zwar deshalb, weil diese ähnliche Eier legen, wie er. Die Eier des schwarzen Guckels (Endynamis nigra) ähneln nach Baldamus in Gestalt und Kleidmalen sehr den Eiern von Den- drocitta rufa; doch ist die Farbe viel gesättigter, ein helles Oliven- grün mit gleichmäßig dichter brauner Fleckenzeichnung die nahe dem dieken Pole etwas gedrängt steht. Nach Blyth hat, wie ich bei Baldamus finde, das Ei des schwarzen Guckels eine auffallende Aehn- lichkeit mit den Kräheneiern, und Blyth berichtet, dass das Ei dieses Kuckucks ausschließlich in die Nester der beiden ostindischen Krähen gelegt wird. Kräheneier haben bekanntlich eine blaugrüne Grundfarbe. Die Eier des Rinnenschnabels (Scythrops novae -hollandiae) werden nach Baldamus, wie es scheint, in den Nestern der austra- lischen Krähen und der mit den Krähen verwandten Flötenvögel ge- funden, denen sie in Bezug auf Form und Kleidmale ähneln. Die Arten der Gattung der Häherkuckucke (Coceystes) legen nach Baldamus verhältnismäßig größere Eier, als die der Gattung Cueulus, und fast ausschließlich in die Nester krähenartiger Vögel, deren blaugrüngrundigen Eiern die ihrigen nicht nur in den Kleid- malen, sondern auch in der Größe ähnlich sind. Entsprechend der beschränkten Anzahl der von Häherkuckucken benutzten Pflegerarten finden sich nach Baldamus nur wenig von einander abweichende Kleidmaltypen bei ihren Eiern. Als Pfleger der kleineren Arten der Gattung werden nach Baldamus etliche kleinere Vögel angegeben. Die Grundfärbung der Eier des südeuropäischen Straußkucekucks (Coceystes glandarius) variiert nach Baldamus zwischen einem mehr oder weniger reinen Bläulichgrün und einem Zusatz von Oliven- braun. Nach Hewitson sind, Baldamus zufolge, die Eier des Straußkuckucks am meisten denen der Amse] und Schildamsel ähnlich. Es sollte ihn nieht wundern, sagt Baldamus, einstmals die Amsel unter die Pflegeeltern des Straußkuckucks aufgenommen zu sehen, mindestens als Hilfspfleger. Baldamus ist mit diesem Ausspruche unserer Ansicht über die ursprünglichen Kleidmale der Eier parasi- tischer Kuckucke und ihrer Pfleger bis zu einem gewissen Grade nahe gekommen, denn die Amsel legt blaugrüngrundige Eiger. 220 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Die Vorfahren etlicher Kuckucksarten mögen sich aber zur Wahl ihrer Pfleger durch die Aehnlichkeit des Federkleides der Pfleger mit ihrem eignen haben bestimmen lassen. Cacangelus dieruroides (!) ist nach Baldamus vollständig in die Maske des langschwänzigen Gabeldrongo (Dierueus (!) macrocereus) gekleidet. Hierococeyx Fugax legt nach demselben Gewährsmann sein Ei in das Nest einer ihm sehr ähnlichen Sperberart (Nisus dussimieri). Ob sein Ei dem Sperberei ähnlich ist, sei noch nicht festgestellt. Außer durch die Achnlichkeit der Eier und Kleider anderer Vögel mit den ihrigen mögen die Kuckucke aber auch durch die Beschaffen- heit der Nester zur Wahl bestimmter Pflegerarten hingeleitet worden sein. Dabei ist nun zu bemerken, dass viele Kuckuckspfleger Höhlen- brüter sind oder überwölbte Nester bauen. Für Cueulus canorus ist nach Baldamus die Anzahl der Pfleger- arten mit solchen Nestern eine ziemlich große. Es gehören nach unserem Gewährsmanne dazu die vier europäischen Laubsängerarten, die beiden europäischen und höchstwahrscheinlich die asiatischen Rot- schwänze, das Rotkehlchen, der Zaunkönig, die weiße und graue Bachstelze, zusammen 10 oder 11 der häufigst heimgesuchten Pfleger. Bemerkenswert erscheint es nach Baldamus, dass, wenn nicht alle, so doch viele ausländische Arten von Kuckucken die Vor- liebe für überwölbte Pflegernester teilen. Ramsay sagt, Baldamus zufolge, dass die Mehrzahl der von dem Bronzekuckuck erwählten Pflegernester überwölbt und mit meist engem Seiteneingange und einem Vordache über diesem versehen sei. Der Eingang dieser zum Teil hängenden und beutelförmigen Nester werde durch das Einschieben der Kuckuckseier bedeutend erweitert. Gould sagt nach Baldamus ähnliches. Auch Cacomantis flabelliformis hat nach Baldamus, wie alle kleinen Kuckucksarten, eine auffällige „Vorliebe“ für überdeckte Nester, und vom Scehreikuckuck (Cuculus elamosus) fand Levail- lant, wie Baldamus ebenfalls berichtet, Eier in den überwölbten Nestern mehrerer Singvogelarten. Diese eigentümliche „Vorliebe“ der Kuckucke für überwölbte Nester wird uns noch beschäftigen, nach dem wir diejenigen Kuckucksarten eingehender besprochen haben werden, die im Gegensatz zu den wahrscheinlich auf einer tieferen Entwick- lungsstufe stehenden Kuckucken mit geringer Pflegerzahl eine größere Anzahl von Vögeln heimsuchen. Unter diesen Kuckucken vertraut der Pfeifkuckuck (Heteroscenes pallidus) nach Baldamus seine Eier den Nestern verschiedener Pfleger an. Ramsay habe beobachtet, dass dieser Kuckuck, wenn er seine Eier m offene Nester lege, solche entschieden vorziehe, deren Eigentümer den Kuckuckseiern ähnliche Bier legen, ein Umstand, der uns noch zu beschäftigen haben wird. Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 31 m Der indische Kuckuck (Cueulus indieus) legt seine Bier nach Baldamus in die Nester der Malacocercus- Arten und in Ostsibirien gewöhnlich in die von Anthus agilis und wahrscheinlich auch in die der andern Pieper- und in solche von Laubvogelarten Sibiriens sowie in die der sibirischen Verwandten der europäischen Pflegerarten von Cuculus canorus. Von Cuculus gabonensis beobachtete, Baldamus zufolge, ein Reisender des Hauses Verreaux, dass ein Individuum dieser Art seine Eier in die Nester dreier verschiedener Pflegerarten legte. Die gut beobachtete Fortpflanzung des Bronzekuckucks scheint nach Baldamus vielseitiger zu sein, als die aller anderen ausländi- schen Kuckucksarten. Diesem kleinen Kuckucke steht nach Baldamus eine verhältnismäßig große Anzahl von Pflegern zur Verfügung. Die große Anzahl der Pflegerarten bei den genannten Kuckucken dürfte ver- ständlicher werden, wenn wir sie als ein Anzeichen zunehmender De- generation gewisserlInstinkte betrachten. Diejenigenalten Kuckucke, die infolge von Degeneration des Nestbauinstinktes zum Parasitismus übergingen, dürften zunächst Pflegerarten gewählt haben, deren Nester, Eier und manchmal auch wohl Kleider den ihrigen ähnlich waren. Die Anzahl soleher Pflegerarten wird aber naturgemäß eine beschränkte gewesen sein, womit eine Anzahl von Thatsachen, die wir kennen ge- lernt haben, gut stimmt. Dadurch, dass die Kuckucke sich an diese Pflegerarten gewöhnten und Hand in Hand damit das Erbgedächtnis, wie wir den Instinkt nennen können, für den eignen Nestbau verloren, wurde überhaupt eine Degeneration aller der Instinkte eingeleitet, die mit der Brutpflege zusammenhängen. Zunächst verloren die Kuckucke das Erbgedächtnis für die bei ihren ursprünglichen Pflegern vorge- fundenen und ehedem auch ihnen eigenen Nest- und Eimerkmale und nahmen auch solche Arten in Anspruch, deren Nest- und Eimerkmale den ihrigen wohl noch etwas, aber doch nicht mehr so ähnlich waren, wie die der ersten Pfleger. Schließlich wurde durch zunehmende Un- fähigkeit der Kuckucke, das Gedächtnis an bestimmte Nest- und Ei- merkmale erblich festzuhalten, die Anzahl der Pflegerarten eine sehr beträchtliche. Besonders groß ist sie bei unserem europäischen Cueulus canorus. Nach Baldamus kennt man bis jetzt in Europa und Asien min- destens 80 verschiedene Pflegerarten unseres Kuckucks, und 30 von diesen stehen dem Kuekucksweibehen in den besonders vogelreichen Waldrevieren Mitteleuropas, die man vorzugsweise in den Auenwäldern größerer Flüsse und Seen abwechselnd mit Wiesen, trockenen Blößen, Sümpfen u. s. w. findet, zu Verfügung. In Nordostrussland und im asiatischen Verbreitungsbezirk des Kuckucks wird nach Baldamus zu den bereits bekannten Pflegerarten wahrscheinlich noch eine große Anzahl neuer kommen, denn unsere Kenntnis der Kuckuckspfleger 222 Haacke, Zur Stammesgeschiehte der Instinkte und Schutzmale. Osteuropas und des nördlichen Asien bis zur Gebirgsscheide des Hima- laya und darüber hinaus nach Südasien sei lückenhaft. Die Gesamt- zahl der Pflegeeltern unsers Kuckucks und seiner Repräsentanten (d.h. der anderen Formen der Gattung Cuculus) in Afrika, Asien und Austra- lien dürfe sich nach Baldamus auf ungefähr 300 belaufen. Rey zählt 117 Arten von Vögeln auf, in deren Nestern Eier von Cuculus canorus gefunden worden sind. Es sind (die deutschen nach Reichenow, Systematisches Verzeichnis der Vögel Deutschlands und des angrenzenden Mittel-Europas, Berlin 1839, benannt und geordnet) die folgenden: 1) Erithacus philomela Sprosser. 2) A luseinia Nachtigall. 3) a3 cyaneculus Blaukehlchen. 4) & suecicus , Rotsterniges Blaukehlchen. 5). # rubeculus Rotkehlchen. 6) M phoenicurus Gartenrotschwanz. 7) 5 titis Hausrotschwanz. 8) Pratincola rubicola Schwarzkehliger Wiesenschmätzer. 9) n rubetra Braunkehliger Wiesenschmätzer. 10) % hemprichi. 11) 5 indica. 12) e Ferrea. 13) P caprata. 14) Saxicola oenanthe 15) „ stapazina Steinschmätzer. Schwarzohriger Steinschmätzer. 16) al arte, 17) „ morio. 15) Copsychus saularis. 19) Monticola saxatilis Steinrötel. 20) Turdus musicus Singdrossel. 21) „ pülaris Wacholderdrossel. 22) »„ merula Amsel. 23) „ torquatus Ringdrossel. 24) Regulus regulus 25) „ ignicapillus 26) Phylloscopus rufus 27) „ trochtilus 28) » sibilator 29) » bonelli 30) » Fuscatus 31) Hypolais philomela 32) ».. polyglotta 33) Locustella naevia 34) y, Sluwwiatilis Gelbköpfiges Goldhähnchen. Feuerköpfiges Goldhähnchen. Weidenlaubsänger. Fitislaubsänger. Waldlaubsänger. Berglaubsänger. Gartensänger. Kurzflügliger Gartenspötter. Heuschreckensänger. Flussrohrsänger. Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 35) Acrocephalus aquaticus 36) r schoenobaenus 37) 5 palustris 38) " streperus 39) si arundinaceus 40) Cettia sericea. 41) Sylvia atricapilla 42 „ orphaea AB) 252 V Curruca 4) „ sylvia 45) „ hortensis 46) 2, "Nisoria 4A) „ Provincialis. 48) „ melanocephala. 4)) Accentor modularis 50) Troglodytes troglodytes 51) Actinodura egertoni. 52) Parus major 53) Certhia familiaris 54) Alauda arvensis DD): 5 brachydactyla. 50) isabellina. 57) Galerita arborea 58) n cristata 59) Budytes flavus 60) n campestris 61) " rayi. 62) A viridis. 63) Motacilla sulphurea 64) h alba 65) n melanope. 66) " yarrelli. 67) " lugens. 68) Anthus pratensis 69) „ cervinus 70) „ trivialis 71) „ campestris 72) „. richardi 73) „. spipoletta 74) „ rupestris. 75) ». agilis. 76) „ Jerdont. 77) Heterura sylvana. 18) Emberiza schoeniclus Binsenrohrsänger. Schilfrohrsänger. Sumpfrohrsänger. Teichrohrsänger. Drosselrohrsänger. Mönchsgrasmücke. Sängergrasmücke. Zaungrasmücke. Dorngrasmücke. Gartengrasmücke. Sperbergrasmiücke. Heckenbraunelle. Zaunkönig. Kohlmeise. Baumläufer. Feldlerche. Haidelerche. Haubenlerche. Kuhstelze. Zitronenstelze. Graue Bachstelze. Weiße Bachstelze. Wiesenpieper. Rotkehliger Pieper. Baumpieper. Brachpieper. Sporenpieper. Wasserpieper. Rohrammer, 223 224 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 79) aureola Gelbbäuchiger Ammer. s0) A hortulana Gartenammer. 81) 5 cirlus Zaunammer. 82) " eitrinella Goldammer. 83) 5 calandra Grauammer. 84) Calcarius lapponicus Sporenammer. 85) Pyrrhula pyrrhula 86) Uragus sibiricus. Großer Gimpel. 37) Serinus serinus Girlitz. 88) Acanthis cannabina Hänfling. 89) 5 linaria Birkenzeisig. 90) Chloris chloris Grünling. 91) Fringilla coelebs Buchfink. 92) : montifringilla Bergfink. 93) n nivalis Schneefink. 94) Coccothraustes coccothraustes Kernbeißer. 95) Passer montanus Feldsperling. 96) „ domesticus Haussperling. 97) Sturnus vulgaris Star. 98) Garrulus glandarius Eichelhäher. 99) Pica pica Elster. 100) Lanius collurio Neuntöter. 101) „ senator Rotköpfiger Würger. 102) „minor Grauer Würger. 103) „ excubitor Raubwürger. 104) „ phoenicuroides. 105) Muscicapa atricapilla Trauerfliegenschnäpper. 106) „ grisola Grauer Fliegenschnäpper. 107) Niltava grandis. 108) „. sundara. 109) Stoporala melanops. 110) Leucocerca aureola. 111) " albicollis. 112) Hirundo rustica Rauchschwalbe. 113) Picus viridis Grünspecht. 114) Turtur turtur Turteltaube. 115) Columba palumbus Ringeltaube. 116) » oenas Hohltaube. 117) Colymbus fluviatilis Zwergsteißfuß. In der Liste Rey’s findet sich die Alpenbraunelle (Accentor collaris) nicht aufgeführt, in deren Nest Baldamus Kuckuckseier ge- funden hat. Auch die Blaumeise (Parus coeruleus) fügen wir nach Baldamus noch hinzu, Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 395 Die gewöhnlichen und regelmäßigen Pfleger gehören nach Bal- damus zu den Singvögeln, und zwar zu den Grasmücken und ihren Verwandten, die das reichste Kontingent stellen, ferner zu den Stelzen und Piepern, den Lerchen und einzelnen Arten anderer Gattungen, z. B. den Ammern. Aus den einander nahestehenden Gattungen Accentor, Sylvia, Acrocephalus, Hypolais, Phylloscopus und kegulus sind nach Rey’s Liste 23 Arten als Pfleger bekannt, aus den Gattungen Krithacus, Pratincola, Saxicola, Monticola, Turdus, die man als Erdsänger zusammenfasst, 22 Arten, aus der Familie der Lerchen 5 und aus der der Erdläufer 18 Arten. Die Familie der Finken liefert insgesamt 19 Arten, die den Unterfamilien der Ammern und echten Finken angehören, aber nach Baldamus größtenteils zu den selten oder doch nicht häufig benutzten Pflegern zu rechnen sind. Auffällig ist nach Baldamus die ziemlich häufig beobachtete Pfleger- schaft des Hänflings und des gleichfalls nur Körnerfressenden Grünlings. Zu den häufig erwählten Pflegern gehört nach Bal- damus außerdem der einzige europäische Repräsentant der Busch- schlüpfer, unser Zaunkönig. Nur wo gewisse Pflegerarten auch in großer Anzahl vertreten sind, wird, wie Baldamus hervorhebt, dem Kuckuck das Aufsuchen der Nester und die Wahl der Pfleger leicht gemacht, und hier sei es, wo er zuweilen das ganze Gelege bei einer und derselben „sympathi- schen“ Art oder allenfalls bei Vögeln aus verwandten Arten unter- bringen könne. Die wechselnde Individuenzahl der verschiedenen Pflegerarten, die gleichfalls wechselnde frühere oder spätere Nistzeit und die Anzahl der jährlichen Bruten üben nach Baldamus einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Wahl der Pflegernester. Unter den bekannten Pflegeeltern des Kuckucks finden sich, wie Baldamus betont, nicht wenig Arten, zu denen das Kuckucksweibehen offen- bar nur in der äußersten Not seine Zuflucht genommen haben wird, und die man deshalb nicht als eigentliche Pfleger bezeichnen kann. Solche Nothelfer sind nach Baldamus die Hohltaube, die Turtel- taube, die Elster, der Eichelhäher, die Kohlmeise, die Blau- meise, der Leinfink, der Dompfaff, der rotköpfige Würger, der Raubwürger, der graue Fliegenschnäpper, der Trauer- fliegenschnäpper, der Star, der Steinrötel, die Amsel, die Singdrossel, die Nachtigall, der Sprosser, der Baumläufer, der Buchfink, der Haussperling und der Feldsperling, zu denen noch eine Anzahl anderer kommen. Das in so vielen verschiedenen Kleidmalen vorkommende Ei von Cuculus canorus ähnelt nun, wie wir bereits gesehen haben, oft mehr oder weniger, manchmal in hohem Grade, den Eiern der Pfleger, eine Eigentümlichkeit, auf die wir jetzt noch etwas näher eingehen müssen, XVl, 15 226 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. ehe wir ihr Zustandekommen und das der großen Mannigfaltigkeit der Kuckuckseier erörtern können. Baldamus hat im Jahre 1853 den Satz aufgestellt, zu allen, selbst den abweichendsten Färbungen und Zeiehnungen der Kuckuks- eier fänden sich bis zum Verwechseln ähnlich gefärbte und ge- zeichnete Eier unter denen der Pfleger. 1826 hatte nach Badamus aber bereits Johann Friedrich Naumann gesagt, die Kuckucks» eier hätten keine geringe Aehnlichkeit mit manchen Pflegereiern. Auch Thienemann hatte nach Baldamus auf die Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit manchen Pflegereiern hingewiesen. Baldamus fand, wie er in seinem Buche mitteilt, vielseitige entschiedene Zu- stimmung. Gleichzeitig wäre auch bei ausländischen Kuckucken die Aehnlichkeit ihrer Eier mit denen der Pfleger, die hauptsächlich be- nutzt werden, festgestellt worden. Von besonders beachtenswerten Fällen führt Baldamus die folgenden an: Zu den im allgemeinen häufigsten Pflegern des Kuckucks gehört, die weißeBachstelze und ihre Vertreterin in England. Nicht weniger als 22 den Nestern der weißen Bachstelze entnommene Kuckuckseier befänden sich nBaldamus Sammlung, und etwa halb so viel hätte er im Tausch fortgegeben, während er das vierfache in andern Sammlungen gesehen hätte. Etwa die Häfte aller dieser Kuckuckseier hätte den Typus der Bachstelzeneier gezeigt. Die Eier wären bläulichweiß, grauweiß, grau bis bräunlichgrau und mit einer meist die ganze Oberfläche mehr oder weniger dicht bedeckenden Strichel- oder Fleckenzeichnung in dunkleren Schatti- rungen der verschiedenen Farbentöne versehen gewesen. Die Zeichnung hätte sich ziemlich oft am dicken Pole angehäuft und nicht selten einen sogenannten Kranz in dessen Nähe gebildet. Den Typus der Eier der Garten-, Mönchs- und Zaungrasmücke tragen nach Baldamus acht in den Nestern und bei den Eiern dieser Grasmücken- arten und sieben in Nestern der weißen Bachstelze, des Gartensänger’s der Sperbergrasmücke und des Grünlings gefundene Kuckuckseier in Baldamus Sammlung. Bei einem Besuche der Mansfelder Seen fand Baldamus ein den Eiern der Gartengrasmücke äusserst ähnliches Kuckucksei in dem Neste der weissen Bachstelze bei einem Ei dieses Vogels. Baldamus erhielt auch ein Kuckucksei aus dem Nest der Sängergrasmücke, das höchst charakteristisch gezeichnet und den Eiern des Pflegers sehr ähnlich war. Ein „verblüffend angepasstes“ Ei eines Kuckucksweibehen entnahm Baldamus einem Tags vorher entdeckten Neste des Sumpfrohrsängers, auf welchem er das Kucekucksweibchen sitzen sah. H. v. Preen fand nach Baldamus in dem Neste des Schilfrohrsängersein Kuckucksei, das in Färbung und Zeiehnung völlig den Eiern dieses Vogels glich. Die gründlich- hellockerfarbene Zeichnung wäre indessen auf dem Kuckucksei so Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale Da mit der gleichen etwas helleren Grundfärbung verquickt gewesen, dass dieses Ei wie einfarbig erschien. Ferner haben v. Preen und Hartert nach Baldamus versichert Kuckuckseier gefunden zu haben, die von verblüffender Aehnlichkeit mit denen des Schilfrohrsängers gewesen seien. Hartert hätte sogar fünf in einer Brutperiode, und zwar vier in Nestern des Schilfrohrsängers, eines in einem Neste des Sumpfrohr- sängers gefunden. Baldamus erhielt auch ein Bi aus dem Neste eines Heuschreekensängers, dessen eigne Eier von der gewöhnlichen Färbung und Zeichnung der Eier dieser Art verschieden gewesen wären. Sie wären auf schwachweinrötlichweissem Grunde überall dicht mit kleinen violettbraunen Punkten und Stricheln, die am dieken Pol so dicht standen, dass man wenig von der Grundfarbe erblickte, bedeckt gewesen. Das Kuckucksei hätte ausser zwei schwarzen Punkten genau dieselbe Zeichnung von demselben durch die eigentliche Grund- farbe etwas nüanzierten Farbenton gezeigt. In der stumpfovalen Ge- stalt wäre es von dem gestreckten Oval der Pflegereier abgewichen. Ferner schoss Hofjäger Braun in Schleiz nach Baldamus ein Kuckucks- weibchen in der Nähe eines Gartensängernestes und fand in dessen Leibe ein vollständig ausgebildetes, den Eiern des Gartensängers ähnlich gefärbtes Ei: Ein ganz gleiches fand er bereits im Neste des betreffenden Gartensängers liegen. Drei Kuckuckseier in Baldamus Sammlung tragen gänzlich den Charakter der Färbung und Zeichnung der Eier des Grauammers. Das eine wurde in einem Neste des Gartenammers gefunden, das zweite in einem Amsel- und das dritte in einem Rotkelchennest. Die Alpenbraunelle soll nach Balda- mus nicht selten seitens des Kuckucks benutzt werden. Balda mus erhielt ein hellbläulichgrünes Kuckucksei aus dem Neste dieses Vogels, dessen Eier bläulich grün sind. Verhältnismäßig wenig Kuckuckseier hat Baldamus aus Rotkehlcehennestern erhalten und darunter nur zwei, die eine allerdings sehr stark ausgesprochene Aehnlichkeit mit den Eiern dieses örtlich häufig in Anspruch genommenen Pflegers zeigten, während alle übrigen andern Typen angehörten. Unter vier aus Nestern der Kuhstelze genommenen Kuckuckseiern inBaldamus Sammlung waren zwei von frappanter Aehnlichkeit mit den zuge- hörigen Pflegereiern. Beide hätten hellockerfarbenen Grund und ver- waschene etwas dunklere Zeichnung gehabt. Forstmeister v. Göbel fand nach Baldamus ein Kuckucksei in einem Neste des Baum- piepers, in welchem drei Eier dieses Vogels von violettgrauer Grund- farbe mit heller und dunkler braunvioletter Brandflecken - Zeichnung lagen. Das Kuckucksei habe dieselbe, nur um einen Schritt ins grün- liche ziehende, Grundfarbe gehabt, während die Zeichnung sparsamer, die punktförmigen Flecke von gleichem, aber tieferen Tone, einige Haarzüge von etwas hellerer Nüance gewesen seien. Die Eier des Baumpiepers variren nach Baldamus in den Kleidmalen in einem 15° 398 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. solchen Maße, dass man unter 100 Gelegen nur äusserst wenige sieht, die nach der einen oder andern Richtung hin vollkommen gleich er- scheinen. Man kann nach Baldamus im allgemeinen zwei Typen von Baumpiepereiern unterscheiden, und die Kuckuckseier, die in den Nestern von Baumpiepern gefunden werden, gleichen entweder dein einen oder dem andern dieser Typen, oder haben auch aus beiden Typen gemischte Kleidmale, falls sie nicht den Eiern anderer Vögeln ähneln. Baldamus bemerkt hierzu aber, dass die betreffenden beiden Typen der Kuckuckseier nur in wenigen Fällen denen der Piepereier, zu denen sie gelegt wurden, entsprächen. In, beziehungsweise unter den Nestern des Neutöters fand Baldamus sechs Eier, wozu vier andere kamen, die in den Kleidmalen sämtlich eine gewisse Aehnlichkeit mit den variablen Eiern des Pflegers zeigten, sich jedoch auf den ersten Blick durch eine meist schärfer umrissene Zeichnung unterschieden. Blasius Hanfschrieban Baldamus, dass er mit den Angaben von Baldamus über die Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit den Pflegereiern im allge- meinen zwar einverstanden sei, dass sie aber doch nicht bis zum Ver- wechseln gehe. Hanf besitzt nach Baldamus zwei ganz gleiche Eier aus Nestern des Hausrotschwanzes, die bei oberflächlicher 3esichtigung den Eiern des Nesteigentümers ganz gleich weiß zu sein schienen, doch bei genauer Untersuchung blassrötlichbraune Spritz- . flecke bemerken liessen. Baldamus gelangt zu dem Schluss, dass fast alle Kuckuckseier eine grosse Aehnlichkeit mit den Eiern der am häufigsten heimgesuchten Pfleger zeigen. Allein er stellt auch Ausnahmen fest. Unter den Kuckuckseiern aus den Nestern der grauen Bachstetze z. B. sei keines, das eine ent- schiedene Aehnlichkeit mit den Pflegereiern aufwiese. Nach Rey scheint die Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit denen der Pfleger auf den ersten Blick viel geringer zu sein als nach den Angaben von Baldamus. Die Eier der eigentlichen Kuckucke zeigen nach ihm eine Veränderlichkeit, die sich bei einzelnen Arten bis zu einer überraschenden Mannigfaltigkeit steigern kann, und bei näherer Betrachtung als eine mehr oder weniger deutlich ausgesprochene, bei den Eiern aller parasitischen Kuckucke vorhandene „Annäherung“ ihrer Merkmale an diejenigen der Eier mancher Pflegerarten kenn- zeichnet. Diese Aehnlichkeit schiene am ausgesprochensten bei den- jenigen Kuckucksarten zu sein, welche die Gewohnheit hätten, ihre Eier in die offenen Nester einer nur beschränkten Anzahl unter sich verwandter und hinsichtlich ihrer Eier sehr übereinstimmend gekennzeichneter Arten zu legen. Bei denjenigen Kuckucken, die ihre Eier einer grösseren Anzahl von verschiedenen Pflegerarten anver- trauten, also in die Nester von Vögeln legten, die zum Teil nicht nahe mit einander verwandt wären und sich hinsichlich der Charaktere ihrer Eischalen sehr von einander unterschieden, beständen die Aehnlich- Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 229 keit der Kuckuckseier mit denjenigen der Pfleger enweder nur in einer „Durehschnittsanpassung“, oder sie würde ganz vermisst. Die Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit den Eiern der Nestvögel sei nur eine gelegentliche und durchaus nicht etwa, wie oft noch irrthüm- lieherweise behauptet würde, eine häufige oder gar vorwiegende, und es handele sich dabei nicht um eine genaue schablonenhafte Ueber- einstimmung mit den zufälligen individuellen Merkmalen der Pfleger- eier, sondern die Kuckuckseier seien den typischen Exemplaren der betreffenden Art ähnlich, namentlich wenn bei dieser Art stark vari- irende Eier vorkämen. Im Gegensatze hierzu bemerkt Rey aber, auch bei den Kuckucksarten, die ihre Eier einer verhältnismäßig grossen Anzahl verschiedener Pflegeeltern anvertrauten, sei die Aehnlichkeit der Eier mit den Eiern der Pfleger zuweilen eine ganz überraschende und ebenso spezialisiert wie bei den Kuckucksarten, die nur wenige Pflegerarten hätten. Von sämtlichen Kuckuckseiern, die Rey in den von ihm mitgeteilten Sammlungsverzeichnissen aufführt, seien die beim Gartenrotschwänzchen gefundenen in mehr als 85°, aller Fälle den Eiern dieser Vogelart angepasst, und in einigen Gegenden, wie in der Dessauer Heide und in Finnland wiche kein einziges Kuckucks- .ei von dem Typus der Gartenrotschwanzeier ab. Sevön schrieb an Rey, dasser, obgleich ihm aus allen Teilen Finnlands häufig Knckucks- eier zugegangen seien, niemals andere erhalten habe, als blaue, die bei Gartenrotschwänzchen gefunden wurden. Nur aus Nordfinnland seien ihm auch Kuckuckseier übersandt worden, die aus den Nestern des Bergfinken stammten, und die wieder völlig mit den Eiern dieser Art übereinstimmten. Kutter, dem Kuckuckseier aus Lappland zugegangen waren, schrieb darüber an Rey, er sei geradezu verblüfft gewesen. Abgesehen natürlich von Korn, Größe und Schalengewicht gegenüber dem der betreffenden Pflegeeier, die die fraglichen Stücke mit positiver Sicherheit als Kuekuckseier gekennzeichnet hätten, hätten sie in den Kleidmalen eine ganz erstaunliche „Nachahmung“ der eigen- artigen Merkmale von Bergfinkeneiern gezeigt und wären dadurch sehr augenfällig von allen ihm bisher bekannt gewordenen Eiern unseres Kuckucks abgewichen. Ferner sind nach Rey in Mähren bei Weitem die meisten der in den Nestern des Gartenrotschwänzchens gefundenen Kuckuckseier den Pflegereiern ähnlich gefärbt. Nur 7 von 27 Exem- plaren hätten andere Kleidmale gehabt. Dagegen zeige sich eine spezialisierte Anpassung an die einzelnen Nestgelege ausser beim Gartenrotschwanz und dem Bergfinken nur selten, und namentlich die Kuckuckseier, die beim Gartenrotschwänzchen gefunden würden, nähmen einen Ausnahmezustand ein. Ganz anders verhielten sich die Kuckucks- eier, die in den Nestern anderer Vögel gefunden wurden. Rey hat eine Tabelle derjenigen ihm bekannt gewordenen Kuckuckseier aufge- stellt, die in den Nestern der am häufigsten vom Kuckuck benutzten 230 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Pflegeeltern gefunden wurden. Diese Tabelle enthält 551 Kuckuckseier, zu denen noch 66 andere kommen, bei welchen in den Rey zur Ver- fügung stehenden Sammlungslisten die Kleidmale angegeben waren. Unter der Gesamtzahl dieser 597 Kuckuckseier waren 180 Stück, oder 30,2%/, den Pflegereiern ähnlich, 164 Stück oder 27,5°/, ähnelten nicht den Eiern der Pfleger, sondern denen anderer Arten, 209 Stück oder 35%, zeigten die Kleidmale der Eier verschiedener Arten gemischt, 44 Stück oder 7,4%, zeigten keine Aehnlichkeit mit den Eiern anderer Vogelarten. Sähe man von den Kuckuckseiern, die bei Gartenrot- schwänzehen gefunden wurden, ab, so ergäbe sich inbezug auf die Aehnlichkeit mit Eiern anderer Vögel bei den 530 dann noch übrig bleibenden Eiern, deren Kleidmale bekannt wären, das folgende: 123 Stück, oder 23,2%, seien den Pflegereiern ähnlich; 156 Stück oder 29,40], seien nieht den Pflegereiern, aber den Eiern anderer Vogelarten ähnlich; 207 Stück oder 39%, zeigten gemischte, und 44 Stück oder 8,3°/, hätten selbständige Kleidmale. Unter den Kuckuckseiern, die den Eiern der Pfleger ähnlich seien, fänden sich 57, die den Eiern des Gartenrotschwänzchens, 2, die denen des Schilfrohrsängers, 4, die denen der weissen Bachstelze, 2, die denen der Gartengrasmücke, 2, die denen des Rotkehlehens in den Kleidmalen wirklich ähnlich wären. Dasselbe gälte von 9 Kuckuckseiern, die bei andern Arten gefunden wurden. Es wären also zusammen 14,3°/, der von ihm aufgeführten Kuckucekseier den Eiern der Pfleger in hohem Grade ähnlich. Ließe man aber die Eier aus Gartenrotschwanznestern ausser Betracht, so sänke der Prozentsatz der wirklichen Aehnlichkeit auf 3,6 herab. Wo bliebe da die schön klingende und viel bewunderte Theorie, nach welcher die Kuckuckseier in der Regel eine so täuschende Aehnlich- keit mit den Pflegereiern haben sollten, dass die Vögel dadurch veran- laßt würden, das Kuckucksei für das ihrige zu halten? In Wirklich- keit sähen wir, dass die „Detailanpassung“ im Grossen und Ganzen eine Ausnahme, und zwar eine recht seltene sei, und wenn in einigen Sammlungen eine grössere Anzahl von Kuckuckseier figurierten, die den Nestgelegen zum Verwechseln ähnlich seien, so liege der Verdacht sehr nahe, dass diese Kuckuckseier sich bei näherer Prüfung als Rieseneier der betreffenden Nesteigentümer erweisen würden. Seine Tabelle zeige, dass schon die Annäherung der Kuckuckseier an den Typus der Pflegereier bei mehreren Arten eine recht seltene genannt werden müsse. Unter 139 Kuckuckseiern aus Würgernestern zeigten nur 12 den Typus der Würgereier, und bei der Braunelle und dem Zaunkönig werde überhaupt keine Aehnliehkeit der Kuckuckseier mit denen der Pfleger beobachtet. Ausser beim Gartenrotschwänzchen und dem Berg- finken, bei denen die in deren Nestern gefundenen Kuckuckseier nach Rey fast immer den Pflegereiern in den Kleidmalen entsprechen, finden sich aber nach unserm Gewährsmann auch bei der Dorngrasmücke, Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. 231 bei der Gartengrasmücke, beim Drosselrohrsänger und beim Schilfrohr- sänger verhältnismäßig oft dem Typus der Nesteier angepasste Kuckucks- eier. Bei allen übrigen Vogelarten findet sich eine solche Anpassung nach key viel seltener, und beim Zaunkönig, bei der Braunelle und den Laubsängerarten, wie es scheint, niemals. Wir haben aber zu be- achten, dass gerade nach Rey die meisten Kuckuckseier in den Kleidmalen den Typus der Eier einer der gewöhnlichen Vogelarten nachahmen, andere einen Mischtypus, und dass nur wenige, nämlich, wie aus Key’s Tabelle hervorgeht, nur 7,4°/, sich nieht mit andern be- kannten Eiern vergleichen lassen, und wollen jetzt der Frage näher treten, auf welche Weise diese Aehnlichkeit und die Ausnahmen davon sowie die große Mannigfaltigkeit der Kuckuckseier zustandegekommen sind. 125] (Drittes Stück folgt.) Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. Von Dr. Otto Maas in München. Neuere Arbeiten über die Entwieklung der Spongien haben be- kanntlich den Gegensatz, der bis dahin zwischen dem Verhalten der Kalk- und Kieselschwämme bestand, überbrückt und es ermöglicht, ein gemeinsames Bild des Entwicklungsganges für den ganzen Typus auf- zustellen. Schon länger waren die Thatsachen der Sycandra Entwick- lung, bei welcher die Geißelzellen der Larve zur Auskleidung des Kanal- systems, die großen Körnerzellen zur Haut und zu den Nadelbildnern wurden, durch Beobachter wie F. E. Schulze und Metschnikoff festgestellt und standen, so wenig sie sich mit der Entwicklung anderer Metazoen vereinbaren ließen, über dem Streit der Meinungen. Anders bei den Kieselsechwämmen, wo ähnlich wie sonst bei den Metazoen, spez. bei den Cölenteraten, der äußere Geißelbesatz einer Planula-ähn- liehen Larve die Haut, die innere Masse die Auskleidung des Kanal- systems liefern sollte; doch gingen die einzelnen Untersucher jeder Form sehr weit auseinander, und namentlich fehlte jede Uebereinstim- mung mit den nächstverwandten Kalkschwämmen. Die Arbeiten von Delage und mir |1, le u. 2, 2«] haben nun gezeigt, dass auch hier die Geißelzellen der Larve, trotzdem sie nicht nur, wie bei Sycandr« den vorderen Teil, sondern u. U. die ganze äußere Bedeckung bilden können, nach der Metamorphose zu den Zellen der Geißelkammern werden, die innere Masse der Larve dagegen die Haut, die Plattenepithelien des Kanalsystems, die Nadeln, die kontraktilen Faserzellen ete. liefert. In vielen einzelnen Punkten gehen die An- sichten von Delage und mir auseinander!); namentlich ist ein Gegen- 1) Vergl. hierzu das Referat von Minchin. Science Progress, May 1894. 239 Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. satz unserer Auffassung wohl dadurch verursacht, dass Delage erst von der freien Larve an untersucht hat, ich dagegen auch die. Embryonal- entwicklung in den Kreis meiner Betrachtung gezogen habe und die Larven nicht aus vier bis fünf Sorten von Zellen bestehend, sondern aus zwei, aus den Makro- und Mikromeren der Furchung sich ergeben- den Schiehten zusammengesetzt ansehe. Ferner lässt Delage die Geißelzellen nur indirekt zu den Kammerzellen werden, indem sie in einer Anzahl von Fällen, wenigstens zum Teil, von großen amöboiden Zellen gefressen und dann wieder ausgestoßen werden, während ich als den normalen Verlauf den ansehe, dass sich die kleinen Geißel- zellen direkt um Hohlräume herum gruppieren (vergl. die Diskussion hierüber in meiner Arbeit |2, S. 357]). In den wesentlichsten Punkten aber, d. i. der Verwendung der Larvenelemente an und für sich stim- men Delage und ich überein. Auch durch Nöldeke ist in einer Darstellung von Spongilla die Umkehr der Larvenschichten noch einmal bestätigt worden [3], und es werden von ihm Stadien abgebildet und erwähnt, „die lebhaft an die Figuren von Maas bei Esperia erinnern“ |3, S. 169. Nachher aber lässt Nöldeke die eingewanderten Geißelzellen durch Gefressenwerden oder Degeneration zu Grunde gehen, und sucht so, allerdings auf ganz anderer Beobachtungsbasis wie früher Goette, dessen Auffassung auf- recht zu erhalten, dass der ganze Schwamm nur aus der inneren Schicht der Larve, dem „Entoderm“, entstehe. Gegen dies Zugrunde- gehen der Geißelzellen und gegen seine Darstellung der Kammerbildung aus Zellen der inneren Masse habe ich bereits an anderer Stelle einige Einwendungen gemacht!). Davon abgesehen aber stimmen die Sta- dien vor, während und nach der Metamorphose, wie sie Nöldeke zeichnet, mit dem überein, was von Delage und mir an einer Reihe von marinen Kieselschwämmen und was schon früher an Kalkschwämmen festgestellt wurde. Bei der Metamorphose der Schwämme ge- langt das äußere Lager von Geißelzellen nach innen, die innere Masse körniger Zellen nach außen und liefert Haut, Nadelbildner u. s. w. Bei solcher Uebereinstimmung erscheint wie ein Anachronismus eine Arbeit von H. V. Wilson [4] (nieht E. B. Wilson), die noch auf dem alten Standpunkt steht und die Geißelzellen der Larve zur Oberhaut des Schwammes werden lässt. Der Anachronismus liegt wohl im Erscheinungstermin; denn ihrer Konzeption nach fällt die Arbeit wirklich noch vor die Untersuchungen von Delage und mir, die beide von Wilson nur inZusätzen behandelt werden. Auch geht seine Dar- stellung, in ihren Hauptresultaten nicht über die vorläufige Mitteilung hinaus, die ich bereits in meiner Arbeit besprochen habe [2, S. 370]. Man könnte also sehr wohl geneigt sein, die Wilson’sche Unter- 1) Zoolog. Centralblatt, 1894; ebendaselbst 1895, S. 818, 1. Jahrg. Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. 333 suchung als vor den Arbeiten von Delage und mir liegend anzusehen und sie durch die letzteren als erledigt zu betrachten; dennoch aber enthält sie, trotz des verfehlten Gesamtbildes viel sehr gute Einzel- beobachtungen, von denen einige geradezu entgegen Wilson’s eigenen Erörterungen auf die Umkehr der Larvenschichten hinweisen. H. V. Wilson hat vier Cornacuspongiengenera: Esperella, Tedaniu, Tedanione und Hircinio, die erste ausführlich und in allen Stadien, die beiden letzteren nur auf die Embryonalentwieklung innerhalb des müt- terlichen Körpers untersucht. Die freischwärmenden Larven von Es; erella und Tedania ent- sprechen den von Delage und mir beschriebenen Monaxonierlarven bis in Details, laut Wilson sollen sie aber nicht aus einem Ei, son- dern aus einer Gemmula entstanden sein, eine Ansicht, die er schon früher geäußert und die ich bereits in meiner Arbeit ausführlich kriti- siert habe |2, S. 376). Hier möchte ich zunächst der Fassung des Begriffs Gemmula entgegentreten, die Wilson zu haben scheint. Zur Diagnose einer Gemmula gehört meiner Ansicht nach nicht nur, dass sie ungeschlechtlich entsteht, als „innere Knospe“, sondern auch dass sie sich durch eine Hülle vom übrigen Schwammgewebe abgrenzt, passiv frei wird und passiv weiter transportiert wird. Die hier vor- liegenden Gebilde jedoch liegen in einem Follikel, haben ein „Ekto- derm“ von Geißelzellen, schwärmen durch Eigenbewegung aus und weiter und sind überhaupt „identical in structure with the typical egg-larvae of Silieeous Sponges“. Wilson hilft sich daher mit der Mittelbezeichnung „gemmule - larva“, weil sie ungeschlechtlich als „internal buds“ entstünden. Hierfür kann ich aber ebensowenig wie in seiner früheren Mitteilung einen Beweis finden, vielmehr ist seine Argumentation nur negativ, d. h. er hat nicht sehen können, dass es sich um Bildung von Eiern und um nachfolgende Furchung handelt, was doch anderen Autoren an andern Species desselben Genus ge- lungen ist und was er selber an weniger ungünstigen Objekten (Teda- nione) erkannt hat. Ein Teil seiner eigenen Beobachtungen heißt uns, eine ganz gewöhnliche Eientwicklung anzunehmen. Dass sich eine Anzahl von „Mesoderm“-Zellen zusammenlegen, spricht doch nicht für innere Knospung, sondern kommt gerade bei der Eibildung vor, und es ist besonders von Fiedler beschrieben worden, wie eine Zelle schließlich dominiert, und die andern als Nährmaterial verbraucht werden. Das scheint auch hier der Fall zu sein. Bei Esperella sind in der „reifen Gemmula“ die Zellen „so full of yolk and so tightly packed that it is very diffieult to make out the cell out-lines“. Die Zusammensetzung aus Zellen sei verhüllt, noch mehr sei dies aber bei Tedania der Fall, wo gar keine Kerne der zusammensetzenden Zellen, sondern nur eine einheitliche, aus gleichmäßigem Dotter bestehende Masse erkannt wird. Mit seiner eigenen Gemmulaauffassung erscheint 934 Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. dies Wilson selbst schwer vereinbar und „puzzling“; sobald man aber, wie es jeder andere wohl thun wird, dies Stadium als Ei auffasst, das die andern Zellen als Dottermaterial in sich aufgenommen hat, liegt alles sehr einfach und nichts ist „puzzling“. Noch weit merkwürdiger wäre die Weiterentwicklung für die Wilson’sche Auffassung. Die aus einer Ansammlung von Zeilen bestehensollende Masse unterzieht sich nämlich einem Pro- zess, der gewissermaßen „analogous to the segmentation of an egg“, sie teilt sich zunächst in ungleichmäßige, größere, dann immer kleinere Stücke, bis sie zuletzt im einzelne Zellen aufgelöst ist. Wie man es sich vorstellen soll, und welche Kräfte es bewirken sollen, dass ein Aggregat von Zellen, eine Gemmula, sich in ein- zelne Stücke weiter und weiter spaltet, darnach will ich hier nicht fragen, sondern nur darnach, warum Wilson in dem ganzen Vorgang nicht eine Furehung, in dem Auseinanderbrechen der Massen in kleine und kleinere Stücke nicht eine Zellteilung gesehen hat!? Dass er keine Kernbilder in den Teilstücken gefunden hat, spricht doch nicht gegen ihre Zellnatur, da diese durch die intensiv gefärbten Dotter- körner leicht verdeckt werden. Zudem hat er bei Tedanione und Hireinia die Kerne gesehen und redet da von Ei und Furchung. Anstatt also ohne Kritik bei so nahe verwandten Objekten ganz ver- schiedene Vorgänge anzunehmen, wäre es wohl angebracht gewesen, die Verhältnisse der günstigeren Objekte, Tedanione und Hircinia zur Deutung der andern, Zsperella und Tedania zu verwenden, umsomehr als von anderen Autoren auch bei hierhergehörigen Species eine Furchung klar und unzweideutig beschrieben worden ist. Späterhin sondert sich das Material in zwei Schichten und es ist ein Stadium zu erkennen, ganz wie ich es bei verschiedenen Monaxoniern beschrieben habe |2, 5. 365], aus äußeren mehr spin- delförmigen, dotterarmen und inneren rundlichen, dottergefüllten Elementen bestehend. Eine anscheinend nur kleine Differenz zwi- schen mir und Wilson, die aber die ganze folgende Auffassung be- einflusst, besteht darin, dass ich eine Heteropolie als von allem An- fang an erkennbar beschrieben habe und den hinteren Pol aus Zellen der inneren Masse bestehen lasse, während laut Wilson die spindel- förmigen jungen „Ektoderm“-Zellen ganz um den Embryo herumgehen. Ich erkläre mir seine Bilder daraus, dass er nicht vollkommene Längs-, sondern schiefe Schnitte der Embryonen erhalten hat. Bei der nun folgenden histologischen Differenzierung sollen die dotterreichen Zellen im Innern die Spieula und die sog. „formative cells“ liefern, das äußere Lager nur vorn und seitlich zu einem schlanken Geißelzellenepithel werden, hinten aus spindelförmigen Zellen zusammengesetzt bleiben. Laut meiner Darstellung aber — und auch ähnlich nach der Delage’s — bilden die Zellen des hinteren Pols (die zudem noch lange nicht immer Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. 235 spındelförmig zu sein brauchen) eine Differenzierung der inneren Masse. Dies wird bewiesen 1) dadurch, dass in der Larve innen auch andere spindelförmige etc. Zellen mit allen Uebergängen zu finden sind; 2) durch die scharfe Abgrenzung gegen die geißeltragenden „eolumnar cells“, was Wilson selbst anerkennt (4, S. 296), und vor allem 3) durch die Genese dieser Zellen des hinteren Pols, die ich nicht nur an einer Form, sondern an zahlreichen Beispielen aus den Makromeren in verschiedenen Uebergangsstufen |2, Fig. 28, 29, 30] sich herausdifferenzieren sah. Diese irrtümliche Auffassung, wonach die Zellen des hintern Pols morphologisch zum Geißelzellenlager gehörten, hat Wilson auch bei seiner Deutung der Metamorphose irregeleitet. Er hat nach der Metamorphose als Oberhaut des Schwämmchens ganz richtig ein Lager von spindelförmigen resp. flachen Zellen gefunden und schließt einfach, dass dies die umgewandelten Geißelzellen der Larven seien, die nunmehr überall die Gestalt wie vorher am hinteren Pol angenommen hätten; die Abflachung selbst hat er, wie er bekennt |4,S.299] nicht gesehen. Auch hier ist seine ganze Argumentation nur negativ. Er hat die Umkehr der Schichten, also die zwischenliegenden Vorgänge, nicht beobachten kön- nen; da aber die andern Autoren diesen Umwachsungsvorgang mit aller Deutlichkeit beschreiben und abbilden, so könnte man diesen be- obachteten Vorgängen gegenüber, die Wilson’sche, nur erschlos- sene Darstellung einfach ad acta legen. Protestieren möchte ich aber noch gegen die Auffassung, die Wilson von einzelnen beweisenden Bildern anderer Autoren hat. Ich habe z. B. in meiner ausführlichen Arbeit, die Wilson ja erst nach Abfassung der seinen gesehen hat, ein Stadium während der Metamorphose von Olathria abgebildet [2, Fig. 19], wo an demselben Individum a) an einer Stelle noch die Geißelzellen in ursprünglich epithelialer Lage an der Peripherie liegen, b) an anderen Stellen ihren epithelialen Zusammenhang aufgeben und ins Innere geraten, ce) wo an weiteren Stellen bereits flache Zellen der inneren Masse darüber gewachsen sind, die vom hinteren Pol aus nach außen strömt. Wilson meint nun in einer Anmerkung [4, S. 379], solche Bilder könnten zu Stande kommen bei Schnitten durch Larven, deren Oberfläche an gegenüberliegenden Stellen eingedrückt („pitted in“) sei, durch die Kontraktion nach dem Fixierungs-Reagens. Ich muss gestehen, dass ich einfach nicht verstehe, wie auf solche Weise ein Figur wie die in Rede stehende erzielt werden sollte, wo doch das Epithellager über den Geißelzellen liegt. Mag man geschrumpfte Larven schneiden wie immer — die betreffende ist zudem absolut un- kontrahiert und oval —, so könnte doch höchstens an der einen oder andern Stelle des Schnittes ein Uebergreifen „overlapping“, der innern Masse, auch wenn es noch nicht eingetreten is!, vorgetäuscht werden, nicht aber ein Bild der ganzen Peripherie wie hier zu stande 2536 Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung, kommen |2, Fig. 19], und zudem zeigt nicht nur der betreffende Schnitt, sondern die ganze Serie das entsprechende Verhalten. Auf alle die andern Bilder bei vielen verschiedenen Species, die eine Umkehr der Schichten beweisen, auf die Figuren De- lage’s, der allerdings nur einzelne Randpartien in diesem Sta- dium |[1, Tab. XV, Figur 2a] bringt, auf alle die Gründe, die gegen eine Abflachung der Geißelzellen sprechen, will ich hier nicht eingehen, weil das nur eine Wiederholung der in den Arbeiten |lu.2] gegebenen ausführlichen Erörterungen wäre, und nur noch hervorheben, dass Wilson’s eigene Aussagen an mehreren Stellen für eine Umkehr der Schichten sprechen. Er erwähnt einmal ganz aus- drücklich [4, S. 29], dass sich die Geißelzellen am vorderen Pol zu- sammenziehen, eine nach innen ragende Masse bilden, so dass das Aussehen vermuten lässt („the appearance suggests“), dass sie ins Innere wandern. Auf einer Abbildung [4, Fig. 30] ist dies sogar deut- lich zu erkennen. Ferner erwähnt Wilson den Zusammenhang, den die flachen „Ektoderm“-Zellen mit den „Mesoderm“-Zellen haben, was bei unserer Auffassung, wonach sie eine Schicht bilden, ja selbst- verständlich ist. Die Darstellung der weiteren Vorgänge stimmt teils mit früheren Autoren überein (getrennte Entstehung der Hohlräume), teils weicht sie durch die irrige Auffassung der Metamorphose in der Deutung der Zellelemente ab, und bedarf hier keines Resumes. Nur ein Punkt, die Bildung der Geißelkammern, soll noch angeführt werden, weil hierüber auch die anderen Autoren, Delage, ich und Nöldeke nicht einerlei Ansicht sind. Aus den Zellen der inneren Masse bilden sich „formative cells“ (wie sich dieselben zu den von Delage und mir unterschiedenen Kategorien gemäß Plasma und Kern verhalten, ist nicht zu ersehen); diese Zellen erscheinen mit einem Male vielkernig, und aus ihren Teil- produkten entstehen die Kammerzellen in zweierlei Weise: entweder sollen sich die formative cells zuerst um Hohlräume anordnen und dann teilen, oder zuerst eine Masse kleiner Teilprodukte liefern und dann diese um einzelne Hohlräume sich gruppieren. Mit der Nöl- deke’schen Auffassung |3]) hat diese Darstellung gemeinsam, dass die Kammerzellen Teilungsprodukte von „Mesoderm“-Zellen sind, mit der Delage’schen, dass ein Stadium von vielkernigen Zellgruppen („groupes polynucl&es“) vorhanden ist; letzterer lässt aber diese Grup- pen aus einer zentralen amöboiden Zelle mit großem Kern und aus den gefressenen Geißelzellen mit kleinen Kernen bestehen. Ueber diese beiden Möglichkeiten der Vieikernigkeit (die bei Nöl- deke auch als zeitlich different beschrieben werden) hat sich Wilson keine Sorgen gemacht. Dass die „Kerne“ solcher Gruppen Unter- schiede in Größe und Struktur zeigen, hat er selbst allerdings auch Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. 237 gesehen [4, S. 310), und es hätte ihn dies schon darauf führen müssen, dass es sich da nieht um einfache Teilprodukte handelt. Ich selbst halte nach wie vor an der Auffassung fest, dass normaler Weise die Kammerzellen direkt aus den Geißelzellen der Larve hervorgehen aus den schon in meiner Arbeit [2, S. 357] ausführlich erörterten Gründen. Auch Wilson’s Beobachtungen scheinen mir an mehreren Stellen für meine eigene Auffassung zu sprechen. Er beschreibt z. B. |4, S. 313], dass die innere Masse des gerade angehefteten Schwämmehens aus fast lau- ter kleinen kleinkernigen Zellen und aus nur sehr wenigen formative cells bestehe. Die ersteren sind laut ihm schon Teilungsprodukte der letzteren; er hat aber die Teilung nicht beobachtet, und es ist auch gar kein Grund vorhanden, eine solche überhaupt anzunehmen, sondern es sind diese kleinkernigen Elemente (die die späteren Kammern bilden) meiner Ansicht nach einfach die ehemaligen Geißelzellen der Larve. Immer- hin werden die Fachgenossen im Hinblick darauf, dass Delage, Nöl- deke, Wilson (ferner einzelne frühere Autoren und in einzelnen Fällen auch ich) einen vielkernigen Zustand von Zellen im Innern beschreiben, der allerdings sehr verschieden interpretiert wird, die Entstehung der Geißelkammern nicht für so definitiv geklärt ansehen, wie die Umkehr der Schichten der Larve bei der Metamorphose, und neue Untersuchungen an günstigen Objekten nicht für überflüssig halten, Den allgemeinen Erörterungen Wilson’s kann ich nicht folgen. So interessant und klar dieselben bezüglich der vergleichend- anato- mischen Daten sein mögen (ebenso wie auch seine Beschreibungen der erwachsenen Species ausgezeichnet sind), so fehlt doch bezüglich der embryologischen Angaben Vergleich und Kritik. Anstatt, wie es schon vor so und so vielen Jahren Balfour gethan hat, sich zu fragen, ob der Mangel an Uebereinstimmung nicht viel eher an den Untersuchungen der so diffieilen Objekte liege, als er in den Objekten und Thatsachen selbst begründet sei, stellt Wilson die verschiedenartigsten Entwick- lungsgänge, selbst bei nächstverwandten Species, als erwiesene That- sachen zusammen und zieht seine Schlüsse daraus. Er hilft sich dann stets mit dem Wort Caenogenie. Wie sich die früheren Beobachtungen zu den heute feststehenden Thatsachen der Schwammentwicklung ver- halten, wie sie teilweise sogar auf letztere hinweisen, habe ich in meiner Arbeit zu erörtern versucht |2, S. 418 ff.|, und auch von Min- chin (l. e.) ist in dieser Beziehung einiges herausgehoben worden. Zum Schluss noch ein Hinweis mehr allgemeiner Natur. In einer sehr interessanten Studie hat Braem versucht, in die verschiedenen Auffassungen der Keimblätter etwas Ordnung zu bringen‘); er will nicht die morphologische Lagebeziehung, sondern die physiologische Bedeutung als Kriterium des Keimblatts angesehen wissen; die Funk- tion ist entscheidend, „Keimblätter sind Organbildner“. Er spricht 4) Was ist ein Keimblatt? Diese Zeitschr., 1895, 8. 427, 938 Maas, Erledigte und strittige Fragen der Schwammentwicklung. demzufolge von einer Analogie der Keimblätter, die aber nicht zu- sammenzufallen braucht mit der Homologie der Keimschichten. Mir scheint der Entwicklungsgang der Kalk- und Kieselschwämme ein gutes Beispiel zu sein, um sich die Begriffe analog und homolog für den Keim zu verdeutlichen und um vielleicht weiter Stellung zu nehmen. Nach einer inäqualen Furchung sehen wir den Embryo aus großen, dotterreichen Makromeren und zahlreichen dotterarmen Mikro- meren bestehen. Die letzteren vermehren sich auch weiterhin stärker, ordnen sich zu einem Zylinderepithel, bekommen Geißeln, und je nach dem quantitativen Verhältnis dieser Geißelzellen zu den dotterreichen Zellen und je nach der Größe resp. dem Verschwinden der Furchungs- höhle bekommen wir eine mehr oder minder weitgehende Umwachsung der granulären Schicht durch die Geißelzellen. |In der ersteren können sich bei Kieselschwämmen schon in der freischwärmenden Larve wei- tere Differenzierungen, Skelettbildner, flache Epithelzellen u. s. w. ein stellen.] Vergleichen wir eine solche Larve mit der gewöhnlichen Planula eines Cölenteraten, so sind in beiden Fällen die äußeren Geißel- zellen sowohl wie die inneren Körnerzellen einander, was Herkunft und Lagebeziehung betrifft, vollkommen entsprechend, sie sind homolog. Anders aber, wenn wir auch ihr Schicksal, ihre physiologische Bedeu- tung in Betracht ziehen. Bei den Schwämmen liefern die Geißelzellen die Auskleidung der inneren Kammern, die Körnerzellen die Haut und Stützschieht, bei den Cölenteraten dagegen liefern die Geißelzellen die Haut, die Körnerzellen die Auskleidung des Kanalsystems. Es ist also das Geißelzellenblatt der Schwämme der Körnerschicht der Cö- lenteraten, die körnige Schicht der Schwämme dem Geißellager der Cölenteraten in der Larve analog. Setzen wir also die zweischich- tigen Keime der Spongien und der Cölenteraten nebeneinander, so ist genau das, was homolog ist, nicht analog und umgekehrt. Es erhellt hieraus, dass nicht wie Braem will (l. e. S. 504) „für die beiden primären Keimblätter das Prinzip der Analogie ganz un- angetastet bleibt“ und die alleinige Basis der Homologie bilde, sondern dass auch bei den primären Keimblättern Homologie und Analogie ent- gegengesetzte Begriffe werden können. Bezeichnet man mit Rücksicht auf das spätere Schicksal die innen liegenden Zellen der Schwamm- larve als Ektoderm, den äußeren Geißelzellensaum als Entoderm, dann wäre die Gastrula allerdings „weiter nichts als eine ideelle Kombi- nation zweier analoger Keimschichten“; berücksichtigt man aber die morphologische Seite der Frage, dann darf man, wie ich in meiner Arbeit ausführlich erörtert habe (2, S. 426), nicht den Umwachsungs- vorgang der Metamorphose als Gastrulation ansprechen, sondern muss bei Sycandrı wie bei den Kieselschwämmen die Geißelzellen Ektoderm, die Körnerzellen Entoderm nennen. Eine dritte Auffassung wäre nur dann möglich, wenn man aus dem Bereich der Keimblätterlehre über- Wiesner, Beiträge zur Kenntnis des tropischen Regens. 339 haupt heraustritt und die verschiedenen Elemente als durch Arbeits- teilung bedingte Differenzierungen ansieht, die durch sekundäre Ursache gewisse Lagebeziehungen gewinnen können. Es steht zu hoffen, dass Untersuchungen, die an den niedrigsten Vertretern der Gruppe, den Asconen, angestellt werden, von klärendem Einfluss sein werden. München. Dezember 189. Litteratur. [1} Yves Delage, Embryog£nie des Eponges. Developpement postlarvaire des Eponges siliceuses etc. in: Arch. Zoolog. Exper. (ser. 2, Tom. 10, 1892). [le] — ibidem 1893. Notes et Revue und [12] — Compt. Rend. Acad. Paris, T. 110, 1890 und T. 113, 1891. [2] 0. Maas, Die Embryonalentwicklung und Metamorphose der Cornacuspongien. Zool. Jahrb.. Bd. VII, 1893. [?«] — Die Metamorphose von Esperia lorenzi ete. Mitt. Zool. Stat Neapel, Bd. 10, 1892. [22] — Die Auffassung des Spongienkörpers etc. Biolog. Centralblatt, Bd. 12, 1892. [3] B. Nöldeke, Die Metamorphose des Süßwasserschwamms. Zool. Jahrb., 8. Bd., 1894. [4] H. V. Wilson, Observations on the Gemmule aud Egg De- velopment of Marine Sponges. Journ. of Morph., Vol.IX, 1894. [4«] — Notes on the Development of Some Sponges. ibid. V.ol.V. 1891: [29] Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 5. Dezember 1895. Das w. M. Herr Hofrat Prof. J. Wiesner überreicht eine Abhandlung, betitelt: „Beiträge zur Kenntnis des tropischen Regens“, Veranlassung zu dieser vom Verfasser in Buitenzorg auf Java im Winter 1893/1894 ausgeführten Untersuchungen gab die Frage über die direkte mecha- nische Wirkung der heftigen Tropenregen auf die Pflanze, iiber welchen Gegen- stand durchaus unrichtige Anschauungen verbreitet sind. Der Verfasser bestimmte zunächst die Regenhöhen pro Sekunde und fand als höchsten Wert 0,04 mm. Würde ein Regen solcher Intensität angehalten haben, so wäre innerhalb eines Tages beinahe die jährliche Regenmenge von Buitenzorg erreicht worden. Die in den Tropen bei den schwersten Regenfällen niedergehenden Wasser- massen sind mit den aus der Brause einer Gartengießkanne ausströmenden Wasserquantitäten verglichen sehr gering. Die ersteren verhalten sich zu letzteren wie 1:25 bis 100. Aus den größten Regenhöhen und der kleinsten Zahl der bei starkem Regen zu beobachtenden, auf eine Fläche von 100 em? in der Sekunde nieder- fallenden Tropfenzahl würde sich der größte mögliche Regentropfen auf 0,4 g berechnen. Diese Zahl ist aber viel zu groß. Denn die größten herstellbaren Wassertropfen (von 0,25-—0,26 g) zerreißen bei einer über 5m gelegenen Fall- höhe, in einer größeren 0,2 g schweren und in einen oder in mehrere kleinere 940 Stift, Chemische Zusammensetzung des Blütenstaubes der Runkelrübe. Tropfen. Das Gewicht der nach der Absorptionsmethode in Buitenzorg ge- messenen größten Regentropfen ist aber noch kleiner, beträgt nämlich bloß 0,16 g. Die vom Verf. ausgeführten Fallversuche haben ergeben, dass Wasser- tropfen von 0,01—0,26 g bei Fallhöhen von mehr als 5--10 m mit (angenähert) gleicher Geschwindigkeit von etwas über 7 m in der Sekunde fallen. Die Acceleration wird also sehr bald nach beginnendem Fall durch den Luftwider- stand fast ganz aufgehoben. Die lebendige Kraft des schwersten Regentropfen beträgt, nach der Formel 2 52 berechnet, für die schwersten Regentropfen bloß 0,0004 Kilogrammeter. Es fallen allerdings bei starken Regenfällen rasch hintereinander auf ein Blatt mehrere Tropfen (pro 100 em? und pro Sekunde 2—6 größere Tropfen), aber der Stoß jedes fallenden Tropfens wird durch die elastische Befestigung des Blattes am Stamme vermindert. Aus den Versuchen ergibt sich, dass die Kraft, mit welcher der schwerste bei Windstille niedergehende tropische Regen fällt, viel zu gering ist, um die nach der verbreiteten Ansicht stattfindenden Verletzungen der Gewächse her- beizuführen. Die mechanische Wirkung des stärksten tropischen Regens auf die Pflanze äußert sich in einem heftigen Zittern des Laubes und der Aeste. Verletzungen kommen nur vereinzelt an zarteren Pflanzenteilen vor, welche dem Stoße nicht ausweichen können, z.B. an den zarten, den Boden berühren- den Keimblättern des Tabaks, wenn dieselben einem grobkörnigen, aus harten, eckigen Sand- und Erdteilen bestehenden Boden aufliegen. Die Angaben, dass Blätter durch die bloße Stoßkraft des Regens, also bei ruhiger Luft, zerrissen und vom Stamme abgetrennt, aufrechte krautige Pflanzen zerschmettert werden und Aehnliches, berulien auf Irrtümern. Herr Hofrat Wiesner legt ferner eine von Herım A. Stift, Adjunkt am chemischen Laboratorium der Versuchsstation für Zuckerindustrie in Wien, ausgeführte Arbeit „über die chemische Zusammensetzung des Blütenstaubes der Runkelrübe“ vor. Die Analyse ergab folgende Resultate: Wasser! .ı al; ua ao. ALL LNEI A SUN BOTEN, Eiweiß . ” 15.2908 Nichteiweißartige Stickstoffverbindnngen 122,905 Fett . Dr Er Se Sr Stärke und Dextrin Pl a a ehr OLD). > Pentosen . 2.0.10 Andere stickstofffreie Extraktivstoffe SEE EN Kohfaser, „1... 0 0 act uger ee a IRemascher cr er ange 5 N 2 Die Asche enthält nur wenig Kali, was umso auffallender ist, als in den übrigen Teilen der Runkelrübe viel Kali vorkömmt. Ein Teil der nichteiweiß- artigen Stickstoffverbindungen ist in der Form von 'Trimethylamin vorhanden. In dem wässerigen Auszuge des Blütenstaubes wurde Oxalsäure nachgewiesen (Weinsäure und Apfelsäure, welche im Blütenstaube der Kiefer von Kres- ling aufgefunden wurden, konnten nicht beobachtet werden). Rohrzucker kommt im Blütenstaube der Runkelrübe neben einer kupferreduzierenden Zucker- art vor, deren weitere Unterscheidung wegen zu geringer Menge des Unter- suchungsmateriales nicht durchführbar war. [41] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. / Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XV1. Band. ne April 1896. Nr.i7. Inhalt: v. Lendenfeld, Report on the Scientific Results of the Voyage of H. M. S. „Challenger“. — Pintner, Versuch einer morphologischen Erklärung des Tetrarhynchenrüssels. — Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale (3. Stück). — Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwick- lungsmechanik. — Leche, Zur Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere, zugleich ein Beitrag zur Stammesgeschichte dieser Tiergruppe. — Rodet, De la variabilit€ dans les mierobes. Au point de vue morphologique et physiologique. — Rosenthal, Beobachtungen über die Variabilität der Bakterienverbände und der Kolonieformen unter verschiedenen physikalischen Bedingungen. — Garbowski, Zur Notiz. Report on the Scientific Results of the Voyage of H. M. S. „Challenger“ (mit Benützung der „Challenger*-Number von „Natural Seience“, Nr. 41, Bd. VII zusammengestellt) von R. v. Lendenfeld in Üzernowitz. Mit dem Erscheinen der beiden letzten seiner 50 stattlichen Bände ist dieses großartige Werk nun zur Vollendung gediehen und ziemlich erscheint es daher jetzt der wichtigsten Ergebnisse der Challenger- Expedition zu gedenken, deren Durchführung und wissenschaftliche Ausnutzung der britischen Thatkraft ein so glänzendes Zeugnis aus- stellen. Neben den übrigen Gelehrten und Seeoffizieren, welche an der Expedition teilnahmen, gebührt vor allem Herın Dr. John Murray für die Redaktion der „Reports“ die höchste Anerkennung und unser aller Dank. Jeder von uns, die wir an den keports mitgearbeitet haben, hat in Murray nicht nur einen Herausgeber von seltenem Verständnis und unübertrefflicher Zuvorkommenheit gefunden, sondern auch einen Freund gewonnen. Seinem Takte, seiner unvergleichlichen Thatkraft und Ausdauer ist der schöne Erfolg zu danken, den das stattliche Werk uns vor Augen führt. Wohl selten hat sich die alte Phrase besser anwenden lassen wie in diesem Falle: finis coronat opus! VI. 16 242 v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. Wenn ich nun die wichtigsten Ergebnisse der Expedition her- vorheben will, so stehe ich vor einer Aufgabe, die im besten Falle nur in sehr unvollkommener Weise gelöst werden kann. Möge dies der Leser bedenken, wenn er in den folgenden Zeilen das eine oder andere vermisst, was trotz der notwendigen Kürze dieses Referates hätte aufgenommen werden sollen. Erst durch die vom Challenger ausgeführten Lotungen ist es möglich geworden, eine annähernd richtige Karte des Meeres- grundes zu entwerfen, eine richtige Vorstellung von den Tiefenverhält- nissen zu gewinnen und das Volumen der auf unserem Planeten vor- handenen Seewassermasse zu berechnen. Die größte gelotete Tiefe war 8426 Meter (in der Nähe der Marianen). Die älteren Angaben, nach denen das Meer stellenweise bis 18000 Meter tief sei, sind durch die Challenger-Expedition als völlig mythisch für immer beseitigt worden. Die genauen, mit großer Mühe durchgeführten Temperaturbestim- mungen in verschiedenen Tiefen ergaben, dass unter 180 Meter die Temperatur des Wassers von der Jahreszeit nicht mehr beeinflusst wird, und — im allgemeinen — von hier bis zum Meeresgrunde fort- während abnimmt. Im nordöstlichen Teile des Atlantischen Ozeans wurde in Tiefen von mehr als 3766 Metern keine Wärmeabnahme mehr beobachtet, sondern eine durchaus konstante Temperatur von —+ 27° Im nordwestlichen Teile des atlantischen Ozeans war das gleiche der Fall, hier jedoch das Wasser um 027° kälter. Die Grundtemperatur betrug im nördlichen stillen Meere + 1'67°, im chinesischen Meere — 27°, in der Sulusee + 10'27°, in der Celebessee + 375°, in der Arafurasee + 309°, im südwestlichen Teile des südlichen atlantischen Ozeans aber bloß + 042°. Diese Unterschiede der Grundtemperaturen und die Konstanz der Wärme verschiedener Tiefen unter bestimmten Niveaus in gewissen Meeres- teilen werden, wie die Lotungen des Challenger ergaben, durch unterseeische Höhenzüge veranlasst, welche einzelne Becken um- grenzen und das in denselben befindliche Wasser derart abschließen, dass es von benachbarten Tiefwasserpartien vollkommen getrennt, den kalten, von den Polen kommenden Grundströmungen nicht zugänglich ist: jene Becken, welche mit den Polarmeeren in Kommunikation stehen, enthalten viel kälteres Grundwasser als jene, bei denen dies nicht der Fall ist. Auch über den Salzgehalt und die Strömungen sind eingehende Berichte erstattet worden, doch mehr als diese Dinge interessieren uns hier die biologischen, namentlich zoologischen Ergebnisse, welche auch den weitaus größten Raum in dem Report einnehmen. Es wurde nachgewiesen, dass Tiere mit Hartteilen, welche aus kohlensaurem Kalk zusammengesetzt sind, ihre Skelette nicht bloß aus v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. 343 im umgebenden Wasser gelöstem kohlensauren Kalk, sondern ebenso gut aus phosphorsauren, salpetersauren, schwefelsauren und kiesel- sauren Kalksalzen herzustellen im Stande sind. Es wird angenommen, dass dieser Vorgang durch die Anwesenheit von Ammoniumkarbonat vermittelt wird, einer Substanz, die stets als Endprodukt der Fäulnis stiekstoffhaltiger, organischer Körper gebildet wird. Bei höherer Tem- peratur wirkt das Ammoniumkarbonat lebhafter auf die genannten Kalksalze ein als bei niederer. Dies wird zur Erklärung der That- sache herangezogen, dass die Steinkorallen der Tropen und der Ober- fläche unvergleichlich voluminösere, massigere Kalkskeletie besitzen wie jene der kälteren Zonen und der kälteren Tiefe. Diatomeen sind im Stande ihre Kieselschalen auch dann zu bil- den, wenn gar kein gelöstes Silikat, sondern nur feinverteilter Lehm in dem Wasser vorhanden ist, in dem sie leben. Es hat sich gezeigt, dass diese Diatomeen in jenen Meeresabschnitten am häufigsten sind, wo größere Quantitäten von Lehm im Meerwasser suspendiert sind; so z. B. in der Nähe von Flussmündungen, in den Polarregionen und im nordwestlichen Stillen Meere, wo das Wasser wegen seines hohen spezifischen Gewichtes besser wie anderswo im Stande ist feine Lehm- teilchen schwebend zu erhalten. Es wird daher angenommen, dass Organismen mit Kieselskeletten nicht auf die im Meerwasser gelöste Kieselerde allein angewiesen sind, sondern ihre Hartteile auch aus den ungelösten Silikaten des Lehms, den sie verschlucken, herstellen können. In der Umgebung der Küsten, sowie dort, wo schwimmende Eis- berge über ihn hinziehen, finden sich verschiedene vom Lande her- rührende Ablagerungen, Schlamm, Sand, Geröll und erratische Blöcke am Meeresgrunde: überall sonst wird er von einem pelagischen Sedimente bedeckt, welches aus den Hartteilen abgestorbener Orga- nismen und feinem Staub zusammengesetzt ist. In den tropischen und subtropischen Regionen besteht dieses pelagische Sediment, wenigstens dort wo der Meeresgrund nicht allzu tief ist, zumeist aus Schalen von Foraminiferen und teilweise auch von Weichtieren (Globigerinen- und Pteropoden -Sediment). Gegen den Südpol hin und im eentralen und nordwestlichen Teile des Stillen Meeres besteht das pelagische Sedi- ment häufig zum größten Teile aus Kieselschalen von Protozoen und Algen (Radiolarien- und Diatomeen-Sediment). In den größten Tiefen fehlen die Kalkschalen zuweilen ganz. Sie aceumulieren natürlich auch hier, werden aber vom Seewasser ebenso rasch oder rascher aufgelöst, als sie sich anhäufen. An ihrer Stelle findet man.den eigentümlichen, für jene Tiefen charakteristischen, roten Lehm, welcher terrestrisch vulkanischen oder kosmischen Ursprungs ist, teilweise wohl auch von den Kontinenten auf das Hohe Meer hinausgeweht wer- den mag. 167 344 v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. Referent möchte hiezu bemerken, dass zweifellos dieser „rote Lehm“ überall in ziemlich gleicher Menge im pelagischen Sediment vorkommt und nur deshalb an diesen Stellen — den tiefsten Punkten Radiolarien-armer Meere — besonders auffallend hervortritt, weil er überall sonst zwischen der großen Masse der Kalk- oder Kieselschalen der pelagischen Organismen verschwindet. Bei der Verwitterung (Auflösung) des Kalkstens am Karste „entsteht“ auch solcher roter Lehm, das heißt er bleibt nach Entfernung des Kalksteins, in dem er vorher eingeschlossen war, zurück. Nicht selten erbeutete der „Challenger“, zusammen mit diesem roten Lehm, kleinere oder bedeutendere Mengen von Haifischzähnen, einige von ungeheurer Größe, welche zum Teile ausgestorbenen Spezies anzugehören scheinen. Auch Walknochen, namentlich Gehörknöchelchen wurden an solchen Stellen häufig heraufgebracht. Der Prozentsatz des kohlensauren Kalkes in dem pelagischen Sedimente nimmt mit zunehmender Tiefe rasch ab. Bei 1246 Metern macht er im Korallensande 86.41°/,; bei 2044 Metern im Pteropoden- Sedimente 79.26°/,; bei 3650 Metern im Globigerinen-Sedimente 64.53 /,; bei 4987 Metern im Roten Lehm 6.7°/,; und endlich bei 5293 Metern im Radiolariensedimente bloß 4.01°/, aus. Der Challenger - Expedition verdanken wir die erste sichere Kunde von der weiten Verbreitung einzelliger pelagischer Algen auf hoher See. Spätere Expeditionen haben dann das massenhafte Vorkommen derselben im Plankton und die Wichtigkeit der Rolle, welche sie im Haushalte der Natur, namentlich im offenen Meere spielen, dargethan. Besonders interessant sind die Peridinieen, Coccosphereen und Rhabdo- sphereen. In dem Berichte Castracane’s über die Diatomeen sind zahlreiche neue Arten beschrieben worden. Auch die Landflora mancher selten besuchter, entlegener Insel ist dank dem Sammeleifer Moseley’s durch die Challenger -Expedition besser bekannt worden. Hemsley hat auf Grund der Challenger- Sammlung einen Bericht über die Gefäßkryptogamen und Phanero- gamen von Bermuda, Fernando Noronha, Ascension, St. Helena, Trini- dad, Tristan da Cunha, Prinz Edward-Inseln, Amsterdam-Insel, St. Paul, Juan Fernandez, Aru, Re-Inseln und Admiralty -Inseln zusammen- gestellt. Besonderen Wert gewinnt diese Arbeit dadurch, dass in derselben alle von jenen Inseln überhaupt bekannten Arten — auch jene, welche nicht der Challenger, sondern andere Schiffe heimbrachten — auf- geführt sind und somit die Florenlisten als ziemlich vollständig an- gesehen werden können. Und diese erscheinen um so wertvoller, wenn wir bedenken, wie rasch diese Inselfloren unter dem Einflusse des Menschen und der in seinem Gefolge auftretenden Tiere, Kultur- pflanzen und Unkräuter ihren ursprünglichen Charakter verlieren, v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. 345 Aber alle diese ozeanographischen, geologischen und botanischen Er- gebnisse werden an Wert von den Zoologischen weit übertroffen: keine Expedition, welche je ausgerüstet worden ist, hat ein so bedeutendes zoologisches Ergebnis geliefert wie die Reise des Challenger. Vordem wusste man nichts von den Tieren, die unter 1000 Metern leben, ja man bezweifelte, ob in der ewigen Winternacht jener Tiefen Organismen überhaupt existieren könnten; — diesen Zweifel hat die Challenger-Expedition gründlich zerstreut und eine höchst merkwür- dige Fauna aufgedeckt, welche die Meerestiefe belebt. Andrerseits aber sind Erwartungen, die von gewisser Seite gehegt wurden, nicht realisiert worden. Manche hofften im tiefen Wasser bekannte, ausge- storbene Tiere lebend wieder zu finden, sowie auch das eine oder andre neue Verbindungsglied zwischen jetzt lebenden Tierstämmen — sogenannte „missing links“ zu entdecken. Moseley erzählt, dass „even to the last every cuttlefish which came up in our deepsea net was squeezed to see if it had a Belemnite’s bone in its back“ — je- doch vergebens. Diese Hoffnungen sind nur in sehr geringem Maße erfüllt worden und es hat sich gezeigt, dass die Tiefseefauna im Allgemeinen von der Seichtwasserfauna abstammt und der Hauptsache nach nur insofern von dieser abweicht, als sie sich dem Leben in der Tiefe an- gepasst hat. Auch hatte man gehofft, die Entdeckung des Urschleims (Bathy- bius), die schon vorher von Huxley gemacht worden war, durch den Challenger bestätigt zu sehen, aber es stellte sich heraus, dass dieser Schleim, welcher nach den älteren Angaben den ganzen Meeres- grund mit einer kontinuierlichen Protoplasmaschichte bedecken sollte, nichts anders war als ein durch Weingeist im Meerwasser erzeugter Gypsniederschlag. Doch nun zu den positiven Ergebnissen! Die Foraminiferen sind von Brady bearbeitet worden und der voluminöse, mit 115 Tafeln ausgestattete Bericht, den er über dieselben publiziert hat, muss die Grundlage aller späteren Foraminiferenarbeiten bilden. Besonderes Interesse nehmen die mit Sandgehäusen ausge- statteten Formen in Anspruch, welche in Brady’s Challengerreport zum ersten Male in entsprechender Weise beschrieben worden sind. Ueber Orbitolites hat Carpenter Bericht erstattet. Ein besonderes Interesse beanspruchen die Radiolarien, welche Haeckel bearbeitet hat. Er selbst berichtet, wie er bei dem Studium und der Beschreibung dieser 4316 Arten, von denen die allermeisten neu waren, sich wie ein Forschungsreisender gefühlt habe, der als Erster ein Gebiet betritt, das von einer neuen, fremdartigen und unend- lieh formenreichen Organismenwelt belebt ist. Zehn Jahre hat er an den Radiolarien des Challenger gearbeitet und das Ergebnis dieses 246 v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. Studiums in drei mächtigen, mit 140 Tafeln illustrierten Bänden nieder- gelegt. Die 4316 vom Challenger erbeuteten Arten verteilen sich auf 739 Genera, 35 Familien, 20 Ordnungen, 4 Legionen und 2 Unter- klassen. Vor dem Jahre 1834 waren die Radiolarien überhaupt nicht be- kannt, und in 1862, als Haeckel seine erste Radiolarienmono- graphie veröffentlichte, belief sich die Zahl der bekannten lebenden Arten kaum auf 200 — etwa 80°, aller gegenwärtig bekannten, recenten Radiolarienarten wurden vom Challenger gesammelt. Aber nicht nur in systematischer Hinsicht, auch in Bezug auf Morphologie und Physiologie hat das Radiolarien-Material des Chal- lenger eine reiche Ausbeute geliefert. Unser Verständnis von dem komplizierten Baue der Zentralkapsel, der Bedeutung der dunkelgrünen symbiotischen Zellen, welche bei einer Gruppe an Stelle der bekannten Zooxanthellen treten, des Baues des Skelettes der Phaeodarien u. 8. w., ist bedeutend gefördert worden. Die Spongien wurden von F. E. Schulze, Haeckel, Sollas, Ridley, Dendy und Polejaeff bearbeitet. Besonderes Interesse boten die nächst dem Strande überhaupt nicht vorkommenden Hexae- tinelliden dar. F. E. Sehulze hat das reiche Challengermaterial an solehen zur Ausarbeitung einer Monographie der Hexactinelliden ver- wendet, welche uns in ein bis dahin völlig unbekanntes Gebiet ein- geführt hat. „It was a great opportunity when the „Challenger“ collection was placed in Sehulze’s hands, and splendidly he employed it“ sagt Sollas. Alle hinreichend gut konservierten Arten — und es waren deren viele — wurden mit den Hilfsmitteln der modernen Technik untersucht, tingiert und in Schnittserien zerlegt. So war Schulze im Stande nicht nur ein System der Hexactinelliden zu errichten, eine Anzahl neuer Arten zu beschreiben und uns mit dem erstaunlichen Formenreichtum der Kieselnadeln jener Spongien bekannt zu machen, sondern auch Aufschlüsse über den Bau des bis dahin ganz unbe- kannten Weichkörpers der Hexaectinelliden zu erlangen. In ähnlicher Weise hat Sollas die Tetractinelliden behandelt und auf Grund des Challengermaterials, mit Berücksichtigung aller in der Litteratur enthaltenen Angaben, eine, erschöpfende Monographie dieser Spongiengruppe zusammengestellt. Besonders wichtig waren die Er- gebnisse seiner Untersuchung des Weichkörpers der Lithistiden, denn auch das sind meist Formen der Tiefsee, über deren Bau vorher nur wenig bekannt war. Ridley und Dendy haben die Monactinelliden behandelt und durch ihre sehr genauen und verlässlichen Untersuchungen viel dazu beigetragen einige Ordnung in die chaotischen Zustände der Monac- tinelliden-Systematik zu bringen. Viele von den Tiefseemonactinelliden sind recht eigentümlich gestaltet. Während die Seichtwasserformen v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. 247 stets unregelmäßig sind, haben die Arten der Tiefe zumeist eine radial- symmetrische, zuweilen (Amphilectus challengeri) sogar eine annähernd bilateral symmetrische Gestalt. Je weiter wir von dem warmen Seicht- wasser der Tropen gegen die kalte Tiefe und die kalten Pole vor- rücken, umsomehr schwindet bei den Monactinelliden das Spongin. Das ist eines der Resultate, welche sich aus dem Studium der Monae- tinelliden (inclusive der Hornschwämme) des Challenger ergeben. Weniger Neues boten die, größtenteils auf seichtes Wasser be- schränkten, von Polejaeff bearbeiteten Horn- und Kalkschwämme, obwohl auch von letzteren einige interessante Formen, welche ich seit- her in der Familie Sylleibidae untergebracht habe, erbeutet wurden. Haeckel hat eine Anzahl merkwürdiger, vom Challenger aus großen Tiefen heraufgebrachter Bildungen als Tiefseehornschwämme beschrieben. Ob das wirklich Hornschwämme sind, scheint einigermaßen zweifelhaft. Wenn nun auch, wie sich hieraus ergibt, nnsere Kenntnis der Spongien, namentlich der Hexactinelliden, durch die Challengerexpedition sehr mächtig gefördert wurde, so ist es doch eine starke Uebertreibung zu sagen: „Our knowledge of Sponges absolutely dates from the great volumes here devoted to this diffieult and multiform group“, wie Lankester gethan hat. In Bezug auf unsere Kenntnis der Spongien waren die, ein Decennium vorher in der Zeitschrift für wissenschaft- liche Zoologie von F. E. Schulze publizierten Arbeiten grundlegend — von diesen, nicht von den Challenger-Reports — „absolutely dates our knowledge uf the sponges“. In Bezug auf die Coelentera enidaria verdanken wir der Challenger- Expedition zunächst die Richtigstellung unserer — bis zu Moseley’s diesbezüglicher Publikation — falschen Vorstellung von den Hydro- corallinen, welche vorher als Tabulatae bezeichnet und trotz der Zweifel, die Nelson und Agassiz an ihrer Korallennatur erhoben hatten, als Zoantharia angesehen wurden. An dem vom Challenger erbeuteten Materiale dieser Formen wies Moseley den Dimorphismus der die Stöcke zusammensetzenden Polypen nach und bestätigte die schon früher von Agassiz und Nelson behauptete Hydroid - Natur derselben. Er zeigte, dass alle Stylasteridae echte Hydrocorallinae sind. Ferner fand er, dass die Tabulate Heliopora nieht zu den Zoantharia sondern zu den Aleyonaria gehöre. All dies, sowie seine Betrachtungen über die Beziehungen der Heliopora zu ähnlichen, fos- silen Formen führte zur gänzlichen Auflösung der Gruppe der Tabu- laten. Moseley’s Report über die mit festen Kalkskeletten ausge- statteten Hydroiden (Hydrocorallinae) ist einer der interessantesten von allen. Die Aleyonarien wurden von v. Kölliker, Studer und Wright bearbeitet. Die Pennatuliden sind im tiefen Wasser gar nicht selten. 248 v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. Eine Art, die Umbellula thomsoni wurde aus einer Tiefe von nahezu 4!/, Kilometern heraufgeholt. Vom Genus Spongodes sind 22 Arten erbeutet worden, von denen 13 neu waren. Ungemein reich war die Ausbeute an Gorgoniaceen. Zahlreiche Arten wurden aus sehr großen Tiefen heraufgebracht. Eine Anzahl von Muriceideen machte die Auf- stellung neuer Gattungen notwendig. Ueber die Antipatharia wurde von Brook referiert. Durch sein, zunächst auf das Challengermaterial gestütztes Werk ist eine befrie- digende Ordnung in das System dieser Gruppe gebracht worden. Unter den Actinien, über welche Hertwig berichtete, sind die, von Moseley als Corallimorphideen bezeichneten Formen, welche Korallencharaktere mit den Eigenschaften der gewöhnlichen Actinien vereinigen, die interessantesten. Die Tentakel bilden bei diesen Formen mehrere Cyclen; sie sind so angeordnet, dass von jedem Septalraume eine radiale Reihe von Tentakeln entspringt. Die Nesselkapseln dieser Formen zeichnen sich durch besondere Größe aus. Das Studium der Corallimorphideen hat Hertwig zu dem Schlusse geführt, dass es eine in der Natur begründete Grenze zwischen den (skelettlosen) Actinien und den eigentlichen Steinkorallen nicht gebe, dass letztere vielmehr unter die Gruppen der ersteren aufgeteilt werden sollten. Von Hydroidpolypen wurden zahlreiche neue Arten beschrieben. Besonders interessante, von den früher bekannten weiter abweichende Formen sind jedoch nicht aufgefunden worden. Von den Medusen, über welche Haeckel berichtete, sind besonders die Pertyllidae (Tiefsee-Craspedoten) und die Periphyllidae und Atol- lidae (Tiefsee-Acraspeden) interessant. Wertvoller und inhaltreicher als der Bericht über die Medusen ist jener -—— gleichfalls von Haeckel stammende — in welchem die Siphonophoren behandelt werden. Durch Einbeziehung aller seiner, im Laufe von 30 Jahren gesammelten Erfahrungen hat der Autor diesen Band zu einer umfassenden Monographie der Siphonophoren gemacht und darin seine bekannten Anschauungen über die Bedeutung der ein- zelnen die Stöcke zusammensetzenden Individuen niedergelegt. Vom Challenger wurden auch Siphonophoren des tiefen Wassers auf- gefunden. Angehörige der merkwürdigen, dem Leben in der Tiefe angepassten neuen Familien Stephalidae und Rhodalidae. Unter den Echinodermen waren es natürlich in erster Linie die Crinoiden von denen der Challenger ein ebenso reichhaltiges, wie interessantes Material heimbrachte. Denn die Entdeckung des Rhizo- crinus, welche 1864 G. O. Sars gemacht hatte und das Interesse, welches dieses Tier wegen seiner Aehnlichkeit mit den altbekannten, fossilen Crinoiden erweckte, gaben die Veranlassung zur Expedition des „Lightning“ in 1868, welche ihrerseits wieder die Aussendung des „Poreupine* und endlich des Challenger im Gefolge hatte. Zudem v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. 249 hatte der Leiter der Expedition, Sir Wyville Thomson, gerade an den Crinoiden ein besonderes Interesse: kein Wunder, dass die Cri- noidensammlung des Challenger eine ungemein wertvolle wurde. Während man früher glaubte, dass die Crinoiden sehr selten und im Aussterben begriffen seien, zeigte es sich nun, dass dieselben weit verbreitet und sowohl an Arten wie an Individuen gegenwärtig nicht viel weniger zahlreich seien, wie sie in der jurassischen und eretaeischen Zeit gewesen waren. Vor 1869 waren drei recente Gattungen von ge- stielten Crinoiden bekannt. Die „Poreupine“- und „Blake“-Expeditionen fügten diesen je eine, der Challenger zwei neue Genera hinzu. In dem Report über die Crinoiden, den Carpenter (Sohn) verfasste, sind 6 Genera und 28 Arten von gestielten Crinoiden beschrieben. Nicht weniger als 20 von diesen 28 sind neue, vom Challenger zum ersten Male erbeutete Formen. Viel größer aber als die Zahl der gestielten, war jene der, vom Challenger erbeuteten, ungestielten Crinoiden. Carpenter unter- scheidet 180 Arten von denen 88 neu sind. Viele von den neuen Formen sind sehr interessant. Bathyerinus ist durch verschmolzene Basalplatten ausgezeichnet. Hyocrinus erinnert durch seine hohen Basal- und massiven Oral-Platten an sehr alte, fossile Formen. Auch Metacrinus zeigt Anklänge an ausgestorbene Arten. Von den unge- stielten Crinoiden zeichnet sich Promachocrinus durch eine Verdopp- lung der Zahl der Radialia und Thaumatocrinus durch eine merk- würdige Vereinigung der Eigentümlichkeiten verschiedener Gruppen (Rhodoerinidae, Toxocrinidae und Larviformia) mit denen der Comatula aus. Diejenigen Crinoiden, welche anscheinend die ältesten sind, haben die ausgedehnteste horizontale Verbreitung. Auch die Echinoiden, welche von Agassiz bearbeitet wurden, boten viel des Interessanten. Von nicht weniger als sieben, vorher nur als fossil bekannten Genera, hat man in der Tiefsee lebende Re- präsentanten gefunden. Als Ausgangspunkt für die Verbreitung der Tiefseeechinoiden ist die Littoralzone anzusehen; und je älter die Formen sind, um so weiter sind sie von hier aus gegen die Tiefe vor- gedrungen. Diejenigen Gattungen, welche bis in die abyssale Region hinabreichen, existierten schon zur Kreidezeit; diejenigen aber, welche noch nicht so weit vorgedrungen sind, traten erst im Tertiär auf; die- jenigen endlich, welche fossil überhaupt nicht bekannt sind, erscheinen jetzt auf die Littoralzone beschränkt. Zu den interessantesten Seeigeln der Tiefsee gehören die lang- gestreckten Pourtalesieen, welche von Pourtales entdeckt und zuerst von Loven eingehend beschrieben worden sind. Dieser merkwürdigen Gruppe wurden durch den Challenger 12 neue Arten hinzugefügt. Eine von diesen, der mit einer biegsamen Schale ausgestattete Cyste- chinus wyvillei zeigt in der Struktur seiner Platten eine auffallende IH v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. Uebereinstimmung mit dem fossilen Palaeechinus. Auch die Spatan- goideen, Echinocrepis und Galerites, ähneln ausgestorbenen Formen, weichen aber von allen recenten erheblich ab. Aörope und Aceste zeigen im ausgebildeten Zustande Eigentümlichkeiten, welche Brissin« in der Jugend durchläuft indem bei ihnen das unpaare, vordere Ambu- lacrum außerordentlich entwickelt und seine Füßchen von ungeheuerer röße außer allem Verhältnisse mit den rudimentären Füßchen der paarigen Ambulacren sind. Sehr bedeutend ist auch unsere Kenntnis der mit beweglichen Platten gepanzerten Echinothuriden durch den Challenger erweitert worden. Bei einigen von ihnen liegen die Stacheln in Säcken, welche mit einer giftigen Flüssigkeit gefüllt sind, während bei andren (Phormo- soma hoplacantha) die Stachelenden Schneereif-artig erweitert sind um das Gehen auf dem weichen Schlamme des Meeresgrundes zu er- leichtern. Auch bei den Arbaeciden sind die Stachelenden verbreitert und bei Coelopleurus werden diese Endplatten 4—5mal so lang als der Stachel dem sie aufsitzen. Diese S:acheln betrachtet Agassiz als Stelzen, mit deren Hilfe der Seeigel rasch über den Grundschlamm dahinschreiten kann. Außerordentlich reich war die Ausbeute an Asteroideen. Von allen früher bekannten Arten wurden 77'/,%,, und außerdem 184 neue Arten durch den Challenger erbeutet. Die interessantesten Formen waren natürlich jene aus der Tiefe; und viele von diesen trugen Charaktere alter, fossiler Formen an sich. 109 Arten wurden aus der abyssalen Zone heraufgebrächt. Alle diese, mit Ausnahme von 4, waren neu. Die Pterastrideen, welche allenthalben im tiefen Wasser vorkommen, besitzen eine dorsale Kammer, in welcher die Jungen ihre Entwicklung durchlaufen. Auch bei andren Eehinodermen wurden Brutpflege-Einrichtungen angetroffen. Merkwürdig ist es, dass solche namentlich bei den in den südlichen Meeren lebenden Arten häufig sind. Den vorher bekannten 380 recenten Arten von Ophiurideen wurden durch den Challenger 170 neue hinzugefügt und es ist die Errich- tung von 20 neuen Gattungen notwendig geworden. Einige Genera, wie Ophiotrochus, Ophioplinthus und Ophiermus sind auf die abyssale Zone beschränkt; andre aber, wie Amphiura und Ophiacantha, reichen von den größten Tiefen herauf bis an den Strand. Manche Ophiurideen der Tiefsee weisen Beziehungen zu fossilen Formen auf, aber es finden sich auch unter den Arten der Littoralzone manche, wie Peetinura und Ophiohelus, welehe mit ausgestorbenen Species näher verwandt zu sein scheinen: im allgemeinen sind die Ophiurideen der Tiefsee erloschenen Arten nicht ähnlicher, wie die Schlangensterne des Strandes. Vor der Challengerexpedition kannte man fast nur littorale Holo- thurien; erst durch sie erfuhren wir, dass auch in den Tiefen zahl: reiche Repräsentanten dieser Echinodermenklasse leben. Die Holo- v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise, 351 thurien der Tiefsee sind zweierlei Ursprungs: 1) solche, welche erst in neuerer Zeit in die Tiefe hinabgewandert sind, sich dem Leben dort einigermaßen angepasst haben, aber, wie die bis zu einer Tiefe von 5300 Metern hinabreichenden Cucumarien, ihren littoralen Vorfahren noch sehr ähnlich sind — diese sind wenig zahlreich —: und 2) solche, welche vor langer Zeit hinabgestiegen sein müssen und von Vorfahren abstammen, wie ähnliche gegenwärtig in der Littoralzone nicht mehr vorkommen. Die letzteren, welche den überwiegenden Teil aller Tiefsee- holothurien ausmachen, bilden die Gruppe der Elasipoda. Vor der Challengerexpedition waren 3 Elasipoda bekannt. Durch sie wurde die Zahl der bekannten Rlasipodenarten auf 52 erhöht, welche von Theel auf 19 Gattungen verteilt wurden. Fast alle sind in Tiefen von mehr als 1800 Metern gefunden worden und haben eine weite horizontale Verbreitung: manche Arten reichen von Pol zu Pol. Die Elasipoda zeichnen sich schon auf den ersten Blick durch ihre hoch entwickelte bilaterale Symmetrie aus. Die Differenzierung der Bauch- und Rücken-Seite ist bei ihnen viel deutlicher ausgesprochen als bei allen andren Holothurien. Nur die Ambulacralanhänge der Unterseite dienen der Locomotion. Dieselben bilden auf jeder Seite der Ventralfläche eine Reihe von Füßchen. Die Füßchen der beiden Reihen sind wenig zahlreich, groß und paarweise in bestimmter Lage angeordnet. Diesen Füßchen fehlt in der Regel die Terminalplatte zuweilen auch die Saugscheibe; sie sind kurz, gedrungen und mit einem äußeren Skelett ausgestattet. Es wird anzunehmen sein, dass sie, wie die Extremitäten höherer Tiere (und nicht wie die Füßchen andrer Holothurien) fungieren und zum Gehen und Graben benützt werden. Auch die Anhänge der Oberseite haben die Tendenz, bestimmte Ge- stalten und Lagen anzunehmen und in bestimmter Zahl aufzutreten. Sie sind reich an Nerven und haben allem Anscheine nach einen hoch entwickelten Tastsinn. Die Tentakeln bilden einen Kragen in der Umgebung des Mundes, durch welchen der Grundschlamm aufgenommen und nach Essbarem durchsucht wird. Von baumförmiger Verzweigung findet sich an demselben keine Spur. Gehörbläschen sind wohl ent- wickelt. Augen fehlen. Die Kalkkörper sowie die Wasserkanäle der Elasipoden besitzen, im Vergleiche zu jenen andrer Holothurien, einen embryonalen Charakter. Die Blasipoden besitzen einen offenen Stein- kanal. Einige, der Familie Psychoropotidae angehörige Formen sind gewissen Aspidochiroten, wie Paelopatides ähnlich. — Theel glaubt, dass die Ahnen der Holothurien Pedata mit einem offenen Steinkanale und einem wohlentwickeltem Ambulacralsystem gewesen sein dürften. Bei den Seichtwasserholothurien Cladodactyla erocea und Psolus ephippifer wurde eine Brutpflege konstatiert. The&el meint dass bei den Elasipoden die Entwieklung ohne Schwärmlarvenstadien vor sich geht. 2352 v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. Von Anneliden wurden 330 Arten erbeutet. 220 von diesen waren neu. Besonders abweichende Formen waren nicht darunter, aber gleichwohl wurden im Datail viele interessante Thatsachen an’s Licht gebracht. Merkwürdig ist eine Syllis, welche in einem hexactinelliden Schwamme lebt und durch wiederholte seitliche Knospung zu einem ungemein reich verzweigten Tiere auswächst, dessen Äste die Kanäle des Schwammes, in dem es lebt, nach allen Richtungen hin durchziehen. Die meisten Tiefsee-Anneliden sind Röhrenwürmer. Manche Gattungen reichen von der Littoralzone bis in die grössten Tiefen hinab. Die Anneliden der Tiefsee lassen in keiner Weise erkennen, dass sie alte, von neueren, besser ausgerüsteten Spezies in die unwirtliche Tiefe hinabgedrängte Formen seien. Der interessanteste von ‚den durch den Challenger erbeuteten Nemertinen ist wohl der Pelagonemertes, eine Amphiporide, welche man früher für einen Mollusken hielt. Das Tier ist (ohne Rüssel) fast so breit wie lang, durchsichtig und in der That beim ersten Blick alles anderem eher ähnlich wie einem Wurme. Hubrecht, welcher die Challenger-Nermertinen bearbeitet hat, war in der Lage seinem Report zahlreiche wichtige anatomische Beobachtungen einzuverleiben. Mehr als ein Fünftel des der Zoologie gewidmeten Teiles der Challenger-Berichte wird von den Reports über die Crustaceen ein- genommen. Nahezu 1000 neue Arten sind vom Challenger erbeutet worden, obwohl das eigentliche Gebiet derselben, die Littoralzone vom Challenger fast gar nicht abgesucht worden ist. Nur bei Kerguelen wurden auch Littoralformen mit grösserer Sorgfalt gesammelt und dort, an der Kerguelanisehen Küste, erbeutete der Challenger nieht weniger als 85 neue Crustaceen-Arten, für welche 16 neue Genera errichtet werden mussten. Die Brachyuren reichen bis zu einer Tiefe von nahezu 3!/, Kilo- metern hinab. Zthusa challengeri ist in einer Tiefe von 3429 Metern gefunden worden. In diesem Tiefsee-Genus (Ethusa) begegnen wir nach Miers der weitgehendsten Degeneration des Brachyurentypus. Einige Macruren wurden aus einer Tiefe von 5!/, Kilometern herauf- gebracht. Im ganzen haben Spence Bate bei 2000 Exemplare von Macruren vorgelegen. Auch die Ausbeute an Schizopoden war eine reiche. Zahlreiche merkwürdige Larvenformen von Stomatopoden, so- wie neue Arten von Cumaceen sind gefunden worden. Mehrere Gamariden-Arten haben eine kosmopolitische Verbreitung. Daneben gibt es aber auch viele, welche auf bestimmte Lokalitäten beschränkt zu sein scheinen. Scharf umgrenzt scheint besonders die Gruppe der Amphipoden zu sein. Durch den Challenger hat auch die merkwürdige Nebalia zwei Genossen erhalten. Metschnikoff hatte die Nebalien für phyllopodenartige Decapoden gehalten. Sars, der die Challenger- v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. 255 Nebalien untersuchte, erklärte sie für Copepodenartige Branchiopoden. Claus hat seither in der von ihm zu den Malacostraken gestellten Nebalia die Stammform der höheren Krebse erkannt und die Irrthüm- lichkeit der Sars’schen Auffassung nachgewiesen. Die Isopoden-Sammlung des Challenger war die reichhaltigste Collektion solcher Tiere, die je zusammengebracht worden ist. Nament- lich gross ist die Zahl der neuen Arten der Tiefsee-Gattungen Serolis und Areturus. Die Sehorgane der meisten Tiefseetiere sind durch die Finsternis, die in ihrem Wohnorte herrscht, beeinflusst worden: viele Angehörige der abyssalen Fauna sind ganz blind. Dementgegen schienen die Isopoden der Tiefsee normale Augen zu besitzen. Die histologische Untersuchung hat aber gezeigt, dass die tieferen Schichten der äusserlich scheinbar normalen Augen solcher Formen wie Serolis neaera stark degenerirt sind. Beddard schließt daraus, dass bei dem Rudimentärwerden der Augen infolge dauernder Dunkelheit zuerst die inneren, und zuletzt die äusseren Teile verschwinden. Einige von den Tiefsee-Isopoden scheinen aber wircklich ganz normale, brauch- bare Augen zu besitzen. Auf den Mangel an Sauerstoff im tiefen Wasser führt Beddard die Thatsache zurück, dass bei Anuropus auch das letzte Paar der Abdominal-Füße Kiemenanhänge trägt. Viele Tiefseeisopoden sind sehr stachlig. Von Ostracoden beschrieb Brady in seinem Challenger - Report 221 Arten. Darunter 144 neue. Im allgemeinen ist die abyssale Zone arm an Östracoden: sie sind Seichtwassertiere. Nur 17 Arten wurden in Tiefen von mehr als 2742 Metern (1500 Faden) erbeutet. Sehr interessant waren die Cirripeden von denen bei 80 Arten gesammelt wurden. Von dem, durch Sars bekannt gemachten Tief- seegenus Scalpellum erbeutete der Challenger über 40 Arten. Alle diese, mit einer einzigen Ausnahme, waren neu. Merkwürdig sind die durch die Assymetrie ihrer Schalen ausgszeichneten Angehörigen der Gattung Verruca. Die neuen Tiefsee-Formen dieses Genus weichen von den früher bekannten erheblich ab. Scalpellum und Verruca sind die einzigen Cirripeden-Genera, welehe unter 1823 Meter (1000 Faden) gefunden worden sind. Balanus reicht blos bis zu einer Tiefe von 944 Metern hinab. Eine neue Chthamalus-Art wurde an der Schraube des Challenger selber gefunden; die vor allen verdiente — und er- hielt auch — den Speciesnamen „challengeri“ ! Von Pyenogoniden — Hoek will sie als eigene, zwischen den Crustern und Arachniden stehende Klasse angesehen wissen — wurden 36 Arten gefunden. Alle von diesen, mit Ausnahme von dreien waren neu. Die meisten Tiefseegenera kommen auch in der Littoralzone vor. Sogar Angehörige einer und derselben Species leben zuweilen in sehr verschiedenen Tiefen. Nymphon grossipes wurde aus 151 und 987; Colossendeis leptorhynchus aus 731 und 2925 Metern heraufgeholt. Das 354 v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. Tiefsee-Genus Oorhynchus ist das einzige, welches keine Vertreter in seichtem Wasser hat. Einige der Tiefsee-Pyenogoniden erreichen eine bedeutende Größe. Ein Exemplar von Colossendeis gigas maß von Fußspitze zu Fußspitze bei 60 Centimeter. Es lag in der Natur der Expedition, dass nur wenige tracheate Arthropoden gesammelt wurden. Gleichwohl hat der Challenger eine Anzahl neuer Myriopoden mit heimgebracht. Moseley untersuchte am Cap der guten Hoffnung den Peripatus, den er am Tafelberge gefunden hatte und wies in seiner gewohnten kurzen, bündigen und unwider- leglichen Weise nach, dass derselbe wegen seiner Tracheen und dem Bau seiner Mundwerkzeuge zu den tracheaten Arthropoden gestellt werden müsse, deren einfachste bekannte Form er darstelle. Besonderes Interesse nehmen die pelagischen Hemipteren — Halobates — in Anspruch. Buchanan White hat auf Grund des Challengermaterials, sowie aller andern in Museen aufbewahrten Stücke, die er untersuchen konnte, und unter Berücksichtigung der gesammten einschlägigen Literatur eine kleine Monographie dieser Meerwanzen zusammengestellt. Er unterscheidet 11 Arten von Halobates. Alle sind klein. Die grösste blos ömm lang. Sie entbehren der Flügel voll- ständig und haben ein sehr kleines Abdomen. Das zweite und dritte Beinpaar sind lang und schlank, das erste kürzer und stärker. Die Endglieder des zweiten Beinpaares sind mit einem Saume langer Haare besetzt. In Bezug auf die Lebensweise ähnelt Halobates ihrer Ver- wandten im süssen Wasser der Hydrometra, taucht jedoch (bei un- ruhiger See) mit grösserer Vorliebe als diese. In Ästuarien wurden Zwischenformen gefunden, welche die pelagischen Hydrometren mit jenen des süssen Wassers verbinden. Für diese hat White das Genus Halobatodes aufgestellt. Halobates ist nicht, wie White glaubte, als eine Stammform, sondern als ein hochdifferenzirtes, von Land- oder Süsswasserinsekten abstammendes Genus aufzufassen. Eine Anzahl in der abyssalen Tiefe vorkommende Gastropoden haben ihre Kopfaugen verloren und ebenso fehlen den, unter 1800 Meter vorkommenden Pectiniden die Augen des Mantelrandes. Sehr schön liess sich das Rudimentärwerden der Augen an @Guivillea verfolgen: die Retina ist stark reduziert, das Pigment vollständig verschwunden, und das äußere Epithel seines spezialisierten Charakters größtenteils verlustig geworden. Bei den Septibranchiern sind die Kiemen in eine muskulöse Membran umgewandelt worden und die Respiration wird von der Innenfläche des Mantels in der oberhalb dieser Membran liegenden Kammer besorgt. Die Kontraktionen jener Membran erzeugen den diesen Raum passierenden Strom von Athemwasser. Die phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse der Lamelli- branchiaten sind durch das Studium des Challengermaterials in manchen Punkten aufgeklärt worden. Der Hermaphroditismus erwies sich bei v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. 255 De den Mollusken als ein sekundärer, durch Umwandlung der Weibchen entstandener Charakter. Einige vom Challenger gesammelte Po/yplacophora haben nur wenige, 8 oder 6 Kiemenpaare (Leptochiton benthus). Diese Thatsache und andre Erwägungen haben zu dem Schlusse geführt, dass die Amphineuren, die der Struktur nach ältesten Mollusken, ursprünglich zahlreiche über die ganze Länge des Körpers verbreitete Kiemen be- saßen. In einigen Formen ist die Anzahl der Kiemen reduciert worden, indem die vorderen verloren gingen. Das letzte Kiemenpaar ist das einzige, welches bei den andren Mollusken (Pleurotomariidae, Fissurel- idae, Haliotidae, Lamellibranchia, Dibranchiata) erhalten ist. Bei Nautilus persistieren die zwei letzten Kiemenpaare. Die Untersuchung des reichen Materials an Pteropoden hat das tesultat ergeben, dass die Pteropodenklasse aufgegeben und die Pteropoden zu den Opisthobranchiern gestellt werden müssen. Die Gymnosomata sind von den Aplysioidea, die Thecosomata von den Bulloidae abzuleiten. Alle Enthyneuren werden von gewundenen Vor- fahren abgeleitet. Eine der erbeuteten Nudibranchien, die Buthydoris, besitzt zahl- reiche getrennte Kiemenfedern. Es wird daher angenommen, dass die peranalen Kiemen der Doriden durch die Vereinigung zahlreicher solcher Federn zu Stande gekommen und den Kiemen andrer Mollusken nicht homolog sind. Der Challenger erbeutete 72 Arten von Cephalopoden. 32 von diesen waren neu. Alle Sepia-Arten wurden zwischen Australien und Japan gesammelt. Interessanter als diese und die zahlreiehen neuen Arten von Octopus und Loligo sind einige andre, für welche neue Genera aufgestellt werden mussten. Bei Amphitretus ist — im Gegen- satze zu allen andren Cephalopoden -—— der Mantel fest an den Sipho geheftet. Bei Japetella und Eledonella ist der Körper gallertartig und durehsichtig. Bathyteuthis ist durch die teilweise Rückbildung der Fangarme, Saugnäpfe und Flossen, sowie durch die bedeutende Aus- bildung der Lippe dem Leben am tiefen Schlammgrunde angepasst. Es wurde auch eine vollständige Spirula erbeutet — eines von den fünf kompleten Exemplaren, welche unsere Sammlungen enthalten. Von Brachiopoden wurden verhältnismäßig wenige Exemplare er- beutet. Die Formen der Tiefsee sind kleiner als jene der littoralen Zone. Die in der grössten Tiefe vorkommende Art ist Terebratula wyvillei, welche auf 5295 Meter tiefem Grunde gefunden wurde. Nur wenige vonden vom Challenger erbeuteten Arten sind mit Sicherheit auch aus dem Tertiär bekannt: alle diese sind littoral, keine einzige eine Tiefseeform. Unter den vom Challenger erbeuteten Bryozoen sind jene Tief- seeformen die bemerkenswertesten, für welche Busk und Waters 356 v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. die neue Familie Bifaxariadae aufgestellt haben. Der hochinteressante Cephalodiscus, den der Challenger heimbrachte und den man ursprüng- lich zu den Bryozoen gestellt hatte, ist der Bateson’schen Klasse Hemichordata einverleibt und aus der Bryozoenklasse entfernt worden. Dieser in der Magelaes-Straße in einer Tiefe von 448 Metern lebende Cephalodiscus ist ein 2 mm langes Tier, welches an seinem Vorderende sechs Paar wiederholt fiederartig verzweigter Tentakeln trägt. Von dem Hinterende geht ein Fortsatz ab, an dessen Ende junge Individuen durch Knospung entstehen. Viele solche Tiere stecken in einer gemeinsamen gelatinösen Masse, stehen mit einander aber nicht in direktem, organischen Zusammenhange. Cephalodiscus ist nicht nur mit der Rhabdopleura, sondern auch, wie im Report dargelegt wird, mit Balanoglossus verwandt: alle inneren Organe des Cephalodiscus stimmen mit den inneren Organen des Balano- glossus überein, so dass trotz der äußeren Verschiedenheit die innere Verwandtschaft zwischen beiden kaum bezweifelt werden kann. Mög- lich, dass er auch zu Phoronis Beziehungen hat. In den noch unreifen Cephalodiscus-Knospen sind die drei Regionen des Balanoglossus: Rüssel, Kragen und Leib, deutlich erkennbar. Die diesen Abschnitten ent- sprechenden Abteilungen der Leibeshöhle sind auch im ausgebildeten Tiere vorhanden. Sie bestehen, wie beim Balanoglossus, aus einer unpaaren Rüsselhöhle und paarigen Höhlen in den folgenden Ab- schnitten. Der After liegt nahe dem Munde dorsal. Die Rüsselhöhle kommuniziert durch ein Paar Rüsselporen, welche das Nervensystem durehbreehen, mit der Aussenwelt. Die Kragenhöhlen besitzen ein Paar Kragenporen. Das Nervenzentrum liegt dorsal in der Kragenregion. Im Rüsselstiele findet sich eine Art Chorda. Sehr reich ist die Challenger-Sammlung an Tunicaten. Die freischwimmenden Formen (Salpidae, Doliolidae, Pyrosomidae) waren — als sehr häufige und auffallende Tiere der Oberfläche — größten- teils schon früher gesammelt und beschrieben worden, so dass der Challenger nur wenige neue Formen erbeutete. Von diesen sind das über 1 Meter lange Pyrosoma spinosum und vor allem die zwei Arten des neueu Genus Octacnemus, welche abyssale Verwandte der pelagischen Salpidae zu sein scheinen, die interessantesten. Auch die Sammlung von zusammengesetzten Ascidien bot, da das größtenteils Seichtwasser-Formen sind, wenig besonders Interessantes. Wohl hat Herdmann in seinem Report zahlreiche neue Arten be- schrieben, diese gehören aber fast durchweg altbekannten Gattungen an. Die wenigen Tiefseeformen zeigen keine besonders bemerkens- werten Eigentümlichkeiten. Am interessantesten dürfte das Pharyngo- dictyon mirabile sein, in welchem die Kiemensäcke eine ebensolche, vereinfachte Form aufweisen, wie bei Culeolus unter den einfachen Aseidien. v. Lendenfeld, Ergebnisse der Challenger-Reise. 257 Wiehtigere Resultate ergab das Studium der einfachen Aseidien. Besonders interessant sind die in der Tiefe lebenden, der Boltenia ver- wandten, gestielten Oynthiodae. Sie werden in den beiden Gattungen Culeolus und Fungulus untergebracht. Es sind im ganzen S Arten. Bei denselben hat der Kiemensack einen ausserordentlich einfachen Bau. Einige Culeolus-Arten besitzen hohle, dünnwandige Papillen an der äusseren Oberfläche, deren Lumen mit den Blutgefäßen in Ver- bindung steht. Das sind offenbar accessorische Atmungsorgane und dürften wohl dem Mangel an Sauerstoff in jenen Tiefen ihre Entstehung verdanken. Eine ausserordentlich große vertikale Verbreitung weist das Genus Styela auf. Zu demselben gehören Arten, welche zwischen den Gezeitengrenzen am Strande vorkommen und auch solche, die im tiefen und tiefsten Wasser leben. Styela bythia ist aus einer Tiefe von 4754 Metern heraufgeholt worden. Für zwei riesenhafte, gestiele Molgulidae und für mehrere Ascididae wurden 4 neue Genera aufge- stellt. Für einige, die Clavellinidae mit den Ascididae verbindende Formen wurde das neue Genus Keteinaseidia errichtet. Auf Grund der Ergebnisse des Studiums der letzteren vereinigt Herdman die Asecidiae sociales mit den Ascidiae simplices. Obwohl ziemlich allgemein ver- breitet so sind doch die einfachen Aseidien in der gemässigten süd- lichen Zone am weitaus häufigsten. Ich möchte hiezu bemerken, dass die Zahl der Asceidien — der Arten sowohl als der Individuen an den Australischen Küsten eine wahrhaft erstaunliche ist. Die Hauptergebnisse seiner Untersuchung der Challenger-Tuni- caten stellt Herdmann in folgenden Sätzen zusammen: 1. Es wurden 184 neue Arten beschrieben. 2. Die Tunicaten sind als degenerirte Abkömmlinge der Protochordaten anzusehen. 3. Die Stammform der festsitzenden Aseidien war eine Olavellinide. 4. Pyrosoma stammt von festsitzenden, zusammengesetzten Ascidien ab. 5. Die Ascidiae com- positae sind eine polyphyletische Gruppe. Ein sehr großes Interesse bieten die Fische dar, denn dem Challenger verdanken wir die erste genaue Kunde von abyssalen Fischen. Obwohl schon Risso gewisse Fische als Angehörige der Tiefseefauna bezeichnet, und Lowe nachgewiesen hatte, dass mehrere Arten in der Jugend an der Oberfläche, später in der Tiefe leben, so war doch eigentlich nichts über die Fischfauna grosser Tiefen bekannt als der Challenger seine Forschungsfahrt antrat. Der Challenger erbeutete 610 Fische, welche von Günther beschrieben und deren Leuchtorgane von mir histologiseh untersucht wurden. Die eigentlichen Tiefseefische sind nicht hepräsentanten alter Gruppen, sondern den Verhältnissen der Tiefsee angepasste Ab- kömmlinge rezenter Seichtwasserformen. Die gegenwärtig . leben- den Repräsentanten alter Formen sind durch die neu Auftretenden nieht in die Tiefe hinab gedrängt worden, sondern hinein in süße Ge- XVl. 167 258 Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels, wässer (Ceratodus). Was die Ergebnisse meiner Untersuchung der Leuchtorgane der Tiefseefische des Challenger betrifft, so habe ich in dieser Zeitschrift bereits ausführlich darüber berichtet und erlaube mir hier auf jene Mitteilung zu verweisen. Auch einige Schildkrötenembryonen wurden vom Challenger erbeutet und auf Grund dieses Materials und einiger später gesammelter Exemplare veröffentlichte Parker einen eingehenden Bericht über die Entwicklung des Schildkrötenschädels. Dank Murray’s Sammeleifer hat der Challenger eine beträcht- liche Anzahl von Vogelbälgen mit heimgebracht. Unter diesen fanden sich mehrere neue Arten. Dem Berichte über die Vögel sind 30 kolorierte Tafeln beigegeben. Besonders reichhaltig sind die Reports von Forbes über die Tubinares und von Watson über die Spheniscidae. Auch über Wale und Robben ist einiges berichtet worden. Das Skelet eines jungen Mesoplodon layardi, das Gehirn des Walrosses und der Elephanten-Robbe, und anderes wurde beschrieben. Ebenso finden wir Angaben über Landsäugetiere und besonders interessante, vonMoseley aufgezeichnete Notizen über die Anthropologie der Bewohner einiger der vom Challenger berührten Inseln. So ist denn dieses Werk ein ebenso vielseitiges wie reichhaltiges Denkmal ernster wissenschaftlicher Arbeit und immerdar wird es der wichtigste Markstein der Entwicklung unserer Kenntnis von dem Meere sein. 112] Versuch einer morphologischen Erklärung des Tretrarhynchen- rüssels. (Mit 3 schematischen Abbildungen.) Von Dr. Theodor Pintner in Wien Die Familie der Tetrarhynchiden verdankt ihre scharfe systema- tische Abgrenzung von allen nahe verwandten Gruppen bekanntlich Organen, die trotz ihrer hohen Ausbildung und der vollkommensten Anpassung an ihren Zweck weder bei den Bandwürmern selbst, noch bei sonst einer Gruppe der Platt- oder gar Rundwürmer in Vorstufen oder Resten vorhanden zu sein schienen. Denn die vier Rüssel der Tetrarhynchen können doch ernstlich ebensowenig mit dem Rostellum der Taenien, als mit dem Rüssel der Turbellarien oder Nemertinen, oder gar von Acanthocephalen, lauter unpaaren, median gelegenen Organen, verglichen werden, und so spotteten sie also einer morpho- logischen Erklärung und phylogenetischen Zurückführung bisher hart- näckig. Angesichts dieser Sachlage mag eine Betrachtung erlaubt sein, die von thatsächlichen Verhältnissen im Bau des Bandwurmkopfes ausgeht und vielleicht einen Weg in der angedeuteten Richtung anzu- Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels, 259 bahnen geeignet ist, zumal sie durch einige ganz überraschende That- sachen gestützt zu werden scheint. Erinnert man sich der verschiedenen Formen der Haftscheiben oder Bothridien, so findet man, dass einfache und zusammengesetzte unterschieden werden könnten. Einfache Bothridien, obne jede sekundäre Sauggrubenbildung und ohne jeden ihnen selbst aufsitzenden Hakenapparat, somit ohne Hilfsapparate der Befestigung, finden wir bei den Tetrarhynchen und Echinobothrien, also in Fällen, in denen andere mächtig ausgebildete Organe, wie die Rüssel im ersteren Falle, im letzteren die gewaltigen Hakengruppen des Kopfes, die Fixierung des Tieres übernehmen. Wir finden die Haftscheiben hier in der Vier- zahl, oder in der aus dieser hervorgegangenen!) Zweizahl. Wo vier solcher einfacher Haftscheiben vorhanden sind, z.B. bei Tetrarhynchus tetrabothrium Ben. erinnern sie natürlich am meisten an die Saug- näpfe der Taenien. Indessen ist festzuhalten, dass gerade die Haft- scheiben der meisten Tetrarhynehen und der Eehinobothrien gegen die Hauptmasse des Kopfparenchyms nieht nur nicht abgeschlossene, selb ständig differenzierte Gebilde sind, wie die Saugnäpfe, sondern nicht einmal irgend wie abgegrenzt erscheinen. Sie liegen äußerlich am Kopfe im Gegensatze zu der meist mehr oder weniger tief in das Parenchym des Kopfes eingesenkten Lage der Taeniadennäpfe, sie sind viel freier beweglich als diese, sie können ihre Form, ihre äußeren Umrisse viel mebr verändern. Die Bothridien sind hervorstehende Flügel des Kopfes selbst, die Saugnäpfe Gruben im Kopfe, wird man im Allgemeinen sagen können. Ferner sind die Haftscheiben ungefähr, wenn auch sicher nicht ausnahmslos, im Verhältnis zu dem von ihnen unmittelbar umstellten Stücke des Kopfes von größerem Umfange als die Saugnäpfe, mit dem entsprechenden Abschnitte ihres Scolex ver- slichen. Alle diese Punkte zusammengenommen bilden ja eben den Unterschied zwischen den Begriffen „Haftscheibe“ oder „Bothridie“ und „Saugnapf“, wobei freilich in erster Linie an die Saugnäpfe der gewöhnlichen und bekannteren Taenien der Säugetiere gedacht ist. Betrachtet man hingegen die Haftscheiben der Tetrabothrien, so wird man fast ausnahmslos eine, wenn auch bisweilen unscheinbare, weitere Differenzierung eines Teiles der Haftscheibe finden, die dieselbe als zusammengesetzt zu bezeichnen gestattet. Es gibt da einmal Hakenapparate. Diese interessieren uns hier nieht weiter. Dann aber sekundär auf der Haftscheibe zur Entwieklung gekommene Saug- gruben. Solche finden wir auf den Haftscheiben der Tetrabothrien bekanntlich in verschiedener Zahl, in verschiedener Stellung und von verschiedenem Bau. Histologisch und jedenfalls auch genetisch ab- 1) Oder umgekehrt? denn über den Gang in der phylogenetischen Ent- wicklung dieser, sowie fast aller übrigen Organe der Bandwürmer ist ja bis jetzt kaum eine Hypothese aufgestellt worden. 7: 260 Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels. u weichende Sauggruben finden sich ja sogar auf einer und derselben Haftscheibe vereinigt, wie bei den Calliobothrien und Orygmatobothrien, wo die apikalen Sauggruben sehr wesentlich im Bau von den hinter ihnen gelegenen abweichen. Bei eben diesen Formen, und ebenso bei den Echeneibothrien, sehen wir zugleich auch, dass in diesem Prozesse der Haftgrubenbildung auf der Haftscheibe von vorne nach hinten eine Wiederholung aufzutreten vermag. Die größte Neigung zur Sauggruben- bildung hat offenbar das Vorderende; ist aber hier bereits eine Saug- grube vorhanden, so kann diese Neigung hinter derselben neuerlich sich geltend machen und zur Bildung ähnlicher oder modifizierter Fixationsapparate führen. Die Ausbildung dieser sekundären Sauggruben der Haftscheiben- fläche ist eine sehr verschiedene. Wir sehen von solchen, welche ein- fach durch eine Cristabildung der Haut und wenig veränderten Muskel- verlauf von der allgemeinen Haftscheibenfläche abgegrenzt erscheinen, angefangen alle Stufen bis zu hochdifferenzierten, mit Einsenkung tiefer Hautgruben, spezieller Umgestaltung der mächtigen Muskulatur, völliger Abgrenzung gegen die Gewebsteile der übrigen Haftscheibe, Starrheit der äußeren Umrisse; kurz wir sehen aus der einfachen Sauggrube einen vollkommenen Saugnapf auf der Haftscheibe entstehen. Es ist dies ja ganz derselbe Gang, den die Sauggrube und die Haft- scheibe selbst am Scolex in ihrer phylogenetischen Entwicklung ge- nommen haben dürften. Wie sich durch Einbuchtungen der Haut und anfänglich geringe Umgestaltungen der zugehörigen Muskulatur aus der allgemeinen Körperoberfläche erst leichte Befestigungsmittel ge- bildet haben mochten, ähnlich denen, die wir z. B. bei Amphilina und Triaenophorus noch heute finden, so hat sich auf der Haftscheiben- fläche dieser Prozess wiederholt und verschiedene Stufen der Aus- bildung erlangt. Das Streben aber, von der großen Fläche der ge- samten Haftscheibe einen kleineren Bezirk besonders abzugrenzen und saugnapfähnlich umzubilden, ist nichts anderes, als eine Folge des allgemeinen Gesetzes der Kräfteersparnis: denn die Muskelkraft, die eine kleine Fläche stempelartig zurückzieht, um unter ihr ein Vacuum zu erzeugen, ist, bei derselben Wirkung, offenbar kleiner, als diejenige, die für die größere Fläche erforderlich wäre. Diese Betrachtungen drängen uns zunächst die Frage auf: Sind die Saugnäpfe der Taenien den Bothridien der Tetrabothrien in toto homolog oder etwa dem saugnapfähnlich differenzierten vordersten Ab- schnitte derselben? Wenn diese Frage bisher nicht aufgeworfen wurde, so hatte dies seinen Grund darin, dass man wohl allgemein die erstere Anschauung für die selbstverständliche hielt. Auch gibt es thatsäch- lich bei gewissen seltener untersuchten und weniger allgemein be- kannten Taenien Saugnäpfe, die durchaus an eine Tetrabothriumhaft- scheibe in ihrer Gesamtheit erinnern. Für die bekannteren Taenien Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels. 261 der Haussäugetiere aber scheint mir die zweite Auffassung keineswegs von vornherein verwerflich. Sie würde uns z. B. auch eine, wie mir scheint, bestechende Erklärung der „Oehrehen“ bei Anoplocephala perfoliata (Goeze) geben, die nichts anderes wären als Rudimente von ehemaligen Haftscheiben, auf denen die mächtigen Saug- näpfe zur Entwicklung gekommen sind. Für denjenigen, der häufig Bandwürmer in lebendem Zustande zu beobachten Gelegenheit hatte, wird auch ein physiologischer Unter- schied zwischen Haftscheiben und Saugnäpfen in die Augen springend sein. Die Haftscheiben sind in erster Linie Bewegungs- organe, die Saugnäpfe Organe zum festheften. In erster Linie: denn die andere Funktion erscheint bei keinem der beiden Gebilde völlig ausgeschlossen. Ein Organ kann nur dadurch zu einem Bewegungs- organe werden, dass es durch Reibung, Flächenwiderstand, Festhaften dem ganzen übrigen Körper zeitweilig einen Stützpunkt liefert, so also natürlich auch die Haftscheiben; und andererseits ermöglicht der mit den Saugnäpfen festgeheftete Scolex die Bewegungen der Taenien- strobila. Nun bewegen sich die weniger agilen Taenien thatsächlich meist nur mit der letzteren hie und da etwas lebhafter, die Tetra- bothrien und Tetrarhynchen aber kriechen und rudern mit ihren Bothridien, die in ganz gesetzmäßiger Weise vorgestoßen werden, ruhelos im Darmschleim oder im Seewasser hin und her. Auch das Ziel dieser zwischen Kriechen und Schwimmen schwankenden Bewegung ist natürlich die endliche Fixierung, diese erfolgt dann aber haupt- sächlich mit Haken und Sauggruben, nicht mit den Haftscheiben als solehen. Sehr schön kann man das z. B. an Scolex polymorphus be- obachten, der unter den lebhaftesten Bewegungen seiner Haftscheiben umherwandert, um sich endlich mit dem Stirnnapf festzuheften. Selbst an Präparaten ist dieser Gegensatz oft noch deutlich ersichtlich: an den Haken, in den Stirnnäpfen, in den „accessorischen Sauggruben“ finden sich zahlreich Gewebsfetzen des Wirtes festgeklemmt, anderer- seits zeigen die Haftscheiben bei rasch getöteten frischen Tieren oft noch die sonderbarsten Stellungen, die auf die plötzlich erstarrte Leb- haftigkeit der Bewegung deuten. Die Auffassung der Haftscheibe als Bewegungsapparat stimmt auch mit der Biologie der betreffenden Familien gut überein. Die Tetrarhynchen und Tetrabothrien dürften bei ihren oft umfangreichen Wanderungen im Larvenleben besser aus- gebildete Bewegungsorgane brauchen und ferner in dem Labyrinthe der Spiralklappen leichter einen Ortswechsel ausführen können, ohne die Gefahr, plötzlich aus dem Wirte herausbefördert zu werden, als die Parasiten im Darme höherer Wirbeltiere, die deshalb hier kon- stanter festgeheftet bleiben müssen. Angesichts aller dieser Umstände scheint mir folgender Gedanken- gang ein naheliegender zu sein: Auf der. zusammengesetzten Tetra- 262 Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels. bothrienhaftscheibe, als einem Bewegungsorgane, entwickelt sich als Fixierungsapparat mit Vorliebe die apikale, saugnapfähnliche Saug- srube. Bei den Tetrarhynchen ist fast ausnahmslos die einfache Haft- scheibe allein Bewegungsorgan geblieben. Der Rüssel übernimmt die Fixierung des Tieres im Wirte, also die Funktion der apikalen Saug- grube, er ist ihr jedenfalls analog. Ist aber der Tetrarhynchen- rüssel nicht vielleicht zugleich auch ein Homologon einer apikalen Haftscheibensauggrube — oder eines Saugnapfes —, hat die Uebernahme ihrer Funktion ihn nicht etwa auch aus jenen Organen entstehen lassen? Wenn man Querschnittbilder von Taenienköpfen mit tief in das Parenchym eingebetteten Saugnäpfen neben Querschnitten von Tetra- rhynehenköpfen betrachtet, so wird man über die weitgehende Aehn- lichkeit beider auf das höchste überrascht sein, ja man wird beide leicht mit einander verwechseln können. Sieht man z. B. eine Serie von Schnitten durch den Kopf von Anoplocephala perfoliatu (Goeze) durch!), so findet man erst Bilder, im denen die Masse der Saugnäpfe nach den Seiten zu noch frei liegt, wie der vorgestülpte Rüsselteil bei Tetrarhynchen, wenn man Schnitte durch die äußerste Scolexspitze führt. Es folgen Bilder, an denen der Querschnitt des Saugnapfes immer mehr und mehr vom Parenchym umschlossen wird, endlich solche, wo die Querschnitte der Saugnäpfe völlig im Parenchym des Scolex, von demselben allseitig umgeben, eingebettet liegen, und so durchaus die Bilder quergeschnittener Tetrarhynchenrüssel darbieten. Die Uebereinstimmung bezieht sich auch auf die relativen Größen- verhältnisse: die Saugnapfquerschnitte nehmen ungefähr ganz ebenso viel Raum des Tlaenienquerschnittes ein, als die Rüssel auf dem Quer- schnitte des Tetrarhynchenkopfes. Aber auch die Anordnung des Parenchyms und der Muskulatur, die Lage der Nervenquerschnitte zeigt weitgehende Uebereinstimmung in beiden Fällen. Nach ihrer Tiefendimension in die Länge gezogene Saugnäpfe oder Sauggruben, die sich der Form einer einseitig geschlossenen Röhre näherten, würden somit dem eingestülpten Häkchenteile eines Tetrarhynehenrüssels nach der Lagerung der Organe zu einander ohne weiteres homologisiert werden können, und es fragt sich, ob wir auch für die übrigen Be- standteile dieses komplizierten Organes Homologa nachweisen oder deren Entstehung plausibel machen könnten ? 1) Vergl. Max Lühe, Zur Morphologie des Taenienscolex. Inaug.-Diss., Königsberg i. Pr., Fig. 7, 8, 9. Ich gestehe, dass diese Abbildungen es waren, die mich zuerst auf die Grundidee des vorliegenden Aufsatzes gebracht haben. Herr Dr. Lühe hatte die Liebenswürdigkeit, mir auch mehrere, ebensowohl in technischer Hinsicht schöne, als instruktive Präparate, die seiner Arbeit zu Grunde lagen, zu übersenden, wofür ich ihm an dieser Stelle nochmals bestens danke. Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels. 263 Stellen wir uns zu diesem Zweeke irgend ein saugnapfähnliches Gebilde vor, wie es in der schematischen Figur 1 skizziert ist. Das- selbe sei von seinem frei vorragenden Rande bis in den Grund mit kleinen Häkehen, Modifikationen der fast allgemein die Cutieula der Cestoden bekleidenden Härchen, besetzt. Dieselben wären alle gleich angeordnet und zwar so, dass sie in der Höhlung des Napfes mit den Spitzen nach außen wiesen. Denken wir an den Mechanismus beim Festsaugen, so erkennen wir, dass diese Häkchen, sobald sie nur soweit steif sind, dass von einem Einbohren in die Schleimhaut des Wirtes und von einem Festhaften in derselben überhaupt die Rede sein kann, die Fixierung des Parasiten fördern, dass sie aber das glatte Funk- tionieren des Apparates nicht nur nicht unterstützen, sondern demselben geradezu hinderlich werden. Es bedarf ganz besonderer, von der Saug- napfmuskulatur sonst nicht ausgeführter Bewegungen, sie aus der Schleimhaut des Wirtes loszumachen, überhaupt das Streben der Häk- chen, festzuhaften oder nachzulassen, mit dem gleichen Streben der Saugnapfmuskulatur in Uebereinstimmung zu bringen. Am besten wird hierzu vielieicht geeignet sein eine Bewegung, die ein leichtes Ein- rollen der gewulsteten und vorrangenden Ränder des Saugnapfes in die Höhlung desselben vorstellt. Jedenfalls können wir uns denken, dass durch diese unter einander zunächst nicht mehr völlig klappenden Vorgänge immerwährende Zerrungen und Dehnungen in den Geweben des Saugnapfes stattfinden werden, die bei dem Bestreben den Gesamt- zustand dieses Organes in demselben Sinne weiterzubilden, Folgen her- beiführen müssen. Die mit Häkchen besetzte Haut (immer — ÜQuti- eula -—+ Matrix) der Saugnapfhöhle wird sich von der tiefer liegenden Muskulatur trennen, weil sie sich jetzt unter Umständen von der Fixationsfläche nicht so rasch entfernen kann, als die letztere, die dem altgewohnten Impuls von Seite des Zentralnervensystems zeitlich frühere 264 Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels, und raschere Folge gibt. Dadurch werden lockere, parenchymatöse Elemente, die hier überall schon vorhanden sind, eine calottenförmige Zone zwischen Muskulatur und Haut erzeugen (Fig. 2), mit der Auf- gabe, die diskordanten Bewegungen dieser beiden Organteile auszu- gleichen. Das wird umso besser geschehen, je praller die Füllung dieser Zone, je schmiegsamer der Inhalt andererseits ist, und so wird sich das Zwischengewebe endlich verflüssigen. Aus den Radiärmuskeln des Saugnapfes mag ein Schopf, der um den tiefsten Punkt gegen- über der Eingangsöffnung in die Saugnapfhöhle Ansatz findet, erhalten bleiben, um die Saugnapfhaut in ihrer ursprünglichen Lage zu be- festigen, beziehentlich in dieselbe zurückzuführen. Der Saugnapf ist ferner dort, wo sein freier Rand über die allgemeine Körperoberfläche emporragt, von einer Hautfalte umlaufen, einer Furche, welche das Spiel des Hervor- oder Zurücktretens dieses beweglichen Organs er- möglicht. An die ringförmig in das Körperinnere einspringende Kante (a Fig. 2) dieser Hautfalte nun wird, schon durch den Druck der Flüssigkeit (bei d Fig. 2) die Insertionslinie der nach innen wandernden Muskulatur allmählich hingedrängt werden, und wir erhalten eine Saugnapfform wie in Fig. 3. Hier aber wird der konstante Zug der Muskulatur sowohl im thätigen, wie im erschlafften Zustande diese Hautfalte immer mehr und mehr vertiefen. Je tiefer die Falte wird, desto mehr werden sich ihre beiden Wände aneinander legen und end- lich mit den aneinander gelagerten Flächen, der früheren freien Körper- oberfläche, verwachsen. Damit aber ist der Tetrarhynchenrüssel fertig: die das Saugnapflumen auskleidende Körperhaut mit ihren Häkchen ist der eigentliche Rüssel, die eingestülpte und verwachsene Hautfalte ist die Rüsselscheide, die frühere Saugnapfmuskulatur, die bei der Notwendigkeit rascher, blitzschneller Kontraktion die physiologische Umwandlung in quergestreifte Muskel erfahren hat, der Muskelkolben; die Radiärmuskel des Saugnapfes haben wahrscheinlich den Retraktor, das Bindegewebe zwischen der Haut und Muskulatur, unterstützt durch Drüsensekrete, die Rüsselflüssigkeit geliefert. Mit dem Momente, in welchem das Einschlagen der Häkchen in die Schleimhaut des Wirtes und das tiefere Eindringen des Rüsselapparates in dieselbe zur Haupt- sache wird, gegen die eine ansaugende Wirkung völlig zurücktritt, ist auch die Bedingung zu einer immer schlankeren, röhrenförmigen Entwicklung des ganzen Apparates gegeben, in dem der hydrostatische Druck der Flüssigkeit sowohl beim Aus- als beim Einstülpen die Haupt- rolle spielt, der Retraktor nebensächlicher ist, wie ich an anderem Orte gezeigt habe. Das vorstehend Gesagte ist eine Hypothese, die Phasen der phylo- genetischen Entwieklung mechanisch plausibel zu machen versucht, und ich glaube nicht, dass man gegen dieselbe den Vorwurf zu lebhafter Phantasie wird erheben können, wenn sich Thatsachen namhaft machen Pintner, Erklärung des Teetrarhynchenrüssels, 265 lassen, die für den gedachten Entwicklungsgang sprechen. Ich habe bereits eingangs erwähnt, dass dies in erfreulichster Weise der Fall ist. Erstens also ist hervorzuheben, dass es bekanntlich häkchen- besetzte Saugnäpfe, wie sie oben als Voraussetzung eingeführt wurden, thatsächlieh gibt, wie die der von R. Blanchard aufgestellten Genera lchinocotyle und Davainea. Ein Saugnapf wie der von Duvainea echinobothria (Megnin) ist schon ein halber Tetrarhynehenrüssel und auch im äußeren Bilde einem aus der Gruppe der kurzen und dicken dieser Organe (Tetrarhynchus megacephalus Rud.) gar nicht so un- ähnlich. Zweitens stehen die Tetrarhynchenrüssel keineswegs etwa in den vier Interradien am Scheitel des Scolex, sondern in eime dorsale und eine ventrale Gruppe geteilt, je ein Rüssel einer Haftscheibe oder je ein Rüsselpaar einem Haftscheibenpaar entsprechend. Man kann bei vielen Formen auf das deutlichste erkennen, dass der Rüssel nicht etwa neben der Haftscheibe, direkt aus dem Scolex entspringt, son- dern dass er der Haftscheibe zugehört, und zwar, dass die Rüssel- öffnung genau so einan der Spitze der Haftscheibe gelegenes, in die Tiefe führendes Loch bildet, wie die Oeffnung der apikalen Sauggrubenhöhlung der bekannten Tetrabothrien- arten. Sehr schön ist diese Stellung erkennbar bei den Tetrarhynchen aus der Gruppe des 7. attenuatus (also bei den Formen, die bisher mit diesem Namen, sowie als: 7. megacephalus, gyrossus ete. bezeichnet wurden), am schärfsten und klarsten vielleicht bei 7. viridis Wagener, einer Form, bei der, von der Seite her betrachtet, die Rüssel wie Rinderhörner emporgekrümmt zu je zweien aus ihren Haftscheiben- paaren hervorragen. Ich lege auf dieses Verhältnis, das ich an anderem Orte ausführlich beschreiben werde, das größte Gewicht und halte dasselbe ganz allen für vollkommen ausreichend, die Homologie und den genetisch gleichen Ursprung der beiden Organe zu behaupten. Anschließend an diesen Punkt lassen sich drittens mit der wieder- gegebenen Auffassung die, allerdings noch sehr spärlichen, Daten in Uebereinstimmung bringen, die ich in meiner Arbeit über Tetrarhynchus smaridum!) von der Entwicklung der Rüssel geben konnte. Es lässt sich erkennen, dass die küssel erst als kurze Röhrehen mit verdiekten Wandungen entstehen, in denen die Zellen epithelartig mehrfach ge- schichtet übereinander liegen. Natürlich sind diese Zellschichten, deren innerste den ausstülpbaren küsselteil liefert, zunächst alle miteinander fest verbunden. Die Röhrchen werden immer länger, das Hinderende derselben, das Epithel der späteren Muskelkolben, schwillt immer mehr an. Der ganze Rüssel entsteht also, soweit, wie gesagt, die gewon- nenen Bilder Schlüsse zulassen, thatsächlich wie eine vom vorderen 1) Sitzungsber. d. k. Akademie in Wien, Math.-naturw. Kl., 102. Bd. 256 Pintner, Erklärung des Tetrarhynchenrüssels. Haftscheibenrand in die Tiefe gehende röhrenförmige Grube, deren Hinterende die zugehörige Muskulatur liefert. Viertens endlich erhält die Annahme der küsselscheidenbildung durch Einfaltung und Verwachsung der Haut eine geradezu über- raschende Bestätigung durch den Bau der Rüsselscheidenwand. Diese besteht nämlich thatsächlich aus zwei ziemlich gleich dicken, verwach- senen Häuten, also ganz wie wir erwarten dürften. Aber noch lange nicht genug hieran: Diese Wände bestehen, wie sich für einige Formen leicht und schön nachweisen lässt, aus ungefähr gleich breiten und parallel begrenzten glashellen Bändern, die diagonal zur Längsrich- tung der Rüsselscheide verlaufen. Die Richtung dieser Faserzüge ist aber in der inneren Schicht entgegengesetzt der in der äußeren, so dass man auf Flächenansichten diese Bänder einander überkreuzen sieht und die küsselscheidenwand wie aus Carreaus zusammengesetzt erscheint. Man nehme nun einen durchscheinenden Papierstreifen, zeichne auf denselben dieke, schwarze, zur Länge des Streifens diagonal ge- richtete Striche parallel zu einander und falte den Streifen in der Hälfte seiner Länge zusammen, mache also die Hautfalte der Tetra- rhynehenrüsselscheide künstlich nach: so erhält man ganz genau das Bild der einander überkreuzenden Faserzüge! Es stimmt dies also in doch wirklich geradezu verblüffender Weise mit unserer Voraussetzung überein, dass die beiden Wände ursprünglich ein am hinteren Ende in einander übergehendes, gebrochenes Ganze, die Falte einer einheit- lichen Haut bilden. Im Rüsselhohlraum wurde das Scheidenwand- epithel erhalten, nach der Körperseite zu wurde es durch angelagerte Faserzüge kontraktiler und elastischer Natur verdrängt, genau wie an der Körperoberfläche. Dieser Umstand würde dann wieder umgekehrt für die neuerdings durch Bloehmann aufgenommene Deutung der Cutieula als Produkt der subkutikularen Zellen, ihrer Matrix, und der Auffassung der letzteren als gewöhnliches ektodermales Epithel sprechen. Fassen wir kurz zusammen. Die Tetrarhynchenrüssel— und vielleicht auch manche Taeniadensaugnäpfe — lassen sich auf apikale auxiliäre Sauggruben der Tetrabothrienhaft- scheibe zurückführen. Beide haben genau die gleiche Lage zur Haftscheibe und zu den parenehymatösen Organen des Kopfinneren, beide bestehen aus den eingestülpten Hautschichten, unter denen eine calotten- förmige, geschlossene Muskellage sieh befindet. Diese ist jedoch in dem einen Falle von der Hautauskleidung der ursprünglichen Saug- napfhöhle, einer hohlzylinderförmig eingestülpten Hautfalte aufsitzend, abgerückt, wodurch ein mit Flüssigkeit gefülltes Lumen entstand, das der vielleicht auf die Radiärmuskulatur des ursprünglichen Saugnapfes zurückführbare Retraktor durchzieht. Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale, 267 In dieser Form scheint mir die Sache auch hypothesenfeindlichen Naturen vorläufig annehmbar zu sein. Freilich werden für weitere Sicherung oder Umgestaltung der gegebenen Auffassungen neue, be- sonders auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen nötig sein, zu denen durch vorliegenden Aufsatz angeregt zu haben, den Verfasser auch schon allein befriedigen würde. November 1895. [30] Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Eine Untersuchung über die Phylogenie des Brutparasitismus und der Ei- charaktere des Kuckucks. Von Wilhelm Haacke. (Drittes Stück.) Cuceulus canorus ist sehr weit verbreitet. Diese Art ist nach Baldamus die am Weitesten verbreitete ihrer Gattung und der Kuckucke überhaupt. Nach unserem Gewährsmann ist der Kuckuck ein Bewohner des bei weitem größten Teils der Nordhälfte der alten Welt und hat eine ausgedehnte vertikale und horizontale Verbreitung. Seine vertikale Sommerverbreitung erstrecke sich von unter der Meeres- höhe an den Gestaden der Nord- und Ostsee und zum Teil auch des Mittelmeeres bis zur Schneegrenze. Er gehe in den skandinavischen Gebirgen bis in die Birken- und Weidenregion. In den Alpen sei er noch über die Knieholzregion hinaus nicht selten und steige bis zu 2000 Metern empor. In den Karparthen würde er bis 2500 Fuß ge- funden. In den meisten europäischen Gebirgen komme er bis zur Kamm- höhe vor. In Sibirien hätte ihn von Middendorf auf den höchsten Kämmen des Stanowoij Gebirges überall sehr häufig gefunden. Nach Radde wäre er in verschiedenen sibirischen Gebirgen außerordentlich gemein. Der Kuckuck sei wahrscheinlich über die ganze paläarktische hegion südlich bis zum Atlas und Palästina, östlich dureh Sibirien bis Japan verbreitet. In Europa gehe die Nordgrenze der Verbreitung des Kuckucks bis zu 69°, in Sibirien bis 68°. In Norwegen verbreite sich der Kuckuck bis zu den Küsten des Eismeeres. Er würde am Nordkap auf der Insel Magerö angetroffen. In Skandinavien käme er überall gleich häufig vor. Bei Archangel sei er gemein. Von der Ostküste des weißen Meeres und vom Meridian der Petschora verbreite er sich durch das ganze europäische Russland und Kaukasien bis zur Südküste der Krim und Bessarabien. Im Süden lebe er nur in den Gebirgen. In Ostasien erstrecke sich der Sommeraufenthalt des Kuckucks von der Nordgrenze dureh das Stanowoij- Gebirge und das Amurland bis nach China, Japan und Formosa, ferner bis zum Kamm des Hima- laya-Gebirges. In Nordehina sei er bei Peking häufig, Er bewohne 268 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. auch Nordjapan und die Philippinen und sei in den Bergen zwischen Simla und Mussoori, wo Oberst Titler seinen Ruf bei Tag und Nacht gehört hätte, gemein. Im Westhimalaya gehe er im Juli bis nahe an die Grenze des ewigen Schnees. Eim junger Kuckuck wäre sogar unter 11° nördlicher Breite im Tapoorpass gefunden worden. Er sei gemein in Bengalen. Man fände ihn auch in andern Teilen Indiens, z. B. in Dekkan und in der Nähe vo Kalkutta, ebenso in den tur- kestanischen Steppen, ferner in den südlichen Steppen am kaspischen Meer und am Aralsee, durch Kleinasien, Palästina und Arabien, wo er auf dem Hochland von Edom gemein sei, ferner im Thale von Kaschmir und Ladak. Auch auf Celebes solle er gefunden worden sein. Jenseits des Mittelmeeres scheine er jedoch nicht als Brutvogel vorzukommen. Nordafrika durchwandere er zweimal im Jahre auf dem Zuge. Der Sommeraufenthalt des Kuckucks umfasse gegen 170 Längen- und 40 Breitengrade. Wolle man aber die nahe mit unserm europäischen Kuckuck verwandten Arten oder Formen, die in Südasien, Australien und Afrika lebten und schwer von unserm Kuckuck zu unterscheiden seien, nur als Lokalformen betrachten, so würde sich das Brutgebiet des Kuckucks nahezu über die ganze östliche Erdhalb- kugel erstrecken. Für Europa, Nord- und Mittelasien, wahrscheinlich auch für die Gebirgsländer Nordostafrikas und die Himalayalandschaften, falls er sich dort wirklich fortpflanzen sollte, sei der Kuckuck Zug- vogel. Die Shetlandsinseln bildeten die Nordgrenze seiner Sommer- verbreitung im nordatlantischen Ozean. Auf Island und Grönland sei er nicht beobachtet worden. Auf den Farroer wäre er zweimal be- obachtet, auch auf den Loffoten und in Westeralen wäre er gehört worden. Ob der Kuckuck sich jenseits des Mittelmeeres fortpflanze, sei noch zweifelhaft; wahrscheinlich thue er es nicht. Die Grenzen des Winteraufenthaltes unseres Kuckucks seien auch zweifelhaft, weil er leicht mit verwandten Formen verwechselt würde. Nach Kabnitz sei freilich die Verbreitung unseres typischen Cuculus canorus eine viel beschränktere als man bisher angenommen habe, und unser Kuckuck käme in Sibirien gar nieht vor, würde dort vielmehr durch zwei andere Formen, Cuculus indieus und canorinus, ersetzt. Auf diese Ersatzformen würden dann wahrscheinlich auch die Angaben über das Vorkommen des europäischen Kuckucks in dem größten Teile von Asien mit Ausnahme Vorderindiens zu beziehen sein. Der Kuckuck gehört dem obigen entsprechend zu einer Vogelform, die fast über die ganze östliche Erdhalbkugel verbreitet und in deren einzelnen größeren Gebieten dureh Lokalformen, zu denen auch der typische Cuculus canorus gehört, vertreten ist. Jedes der von einer ausgeprägten Lokalform bewohnten Gebiete ist aber noch recht an- sehnlich, namentlich das unserer europäischen Form. Wir dürfen des- halb annehmen, dass jede der als solche unterschiedenen Lokalformen Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 269 mw ursprünglich in verschiedenen Gegenden ihres Verbreitungsgebietes auch durch untergeordnete Rassen vertreten war und auch jetzt noch vertreten ist, durch örtliche Rassen, die zwar schwer festzustellende Unterschiede der Körpermaße und des Gefieders, aber Differenzen der- jenigen Merkmale des Kuckucks, die nach allem, was wir wissen, am leichtesten abändern, nämlich der Kleidmale der Eier, aufwiesen und aufweisen. In jeder Gegend von einigermaßen ausgesprochenem Cha- rakter hat sich, so dürfen wir annehmen, aus einer ursprünglichen Kuckucksform, die blaugrüne Eier in den Nestern von ähnliche Eier legenden Pflegern unterbrachte, eine Rasse mit anderen Eikleidmalen entwickelt, weil jede gut charakterisierte Gegend ihre Kuckucke in ganz bestimmter Weise beeinflussen musste. Der Kuckuck kommt aber in Landschaften von sehr verschiedenem Charakter vor. Wo größere mit Strauchwerk versehene und ruhige Baumgärten, Parkanlagen, kleine und größere Wälder, besonders Laub-, Fichten- und Tannenwälder, wo Wiesen, Aenger, Triften, Sümpfe, die Umgebungen von Teichen und Flüssen, aber auch trockene Kiefernhaiden und selbst Hochgebirge bis über die Grenzen des Baumwuchses hinaus irgend eine oder einige Arten unserer kleinen Singvögel in genügender Individuenzahl be- herbergten, da sei, sagt Baldamus, auch unser Kuckuck zur Fort- pflanzungszeit anzutreffen. Insektenreichtum mag zwar das häufige Vorkommen des Kuckucks und vieler insektenfressender Singvögel, wie es nach Baldamus in manchen Gegenden angetroffen wird, herbei- geführt haben, aber der Kuckuck kommt nach Baldamus auch, frei- lich nur in wenigen Paaren, in andern Gegenden vor, z. B. auf der Nordseeinsel Sylt. Er ist also sozusagen überall anzutreffen. Nun aber hängt er mit großer Zähigkeit an seinem Geburtsort. Die alten Kuckucke sowohl als auch die jungen suchen nach Baldamus regel- mäßig ihre zum Teil viele Jahre lang behaupteten Reviere auf, bezw. den Ort, wo sie geboren wurden, und nach Rey benutzen die meisten Kuckucksweibehen zur Unterbringung ihrer Eier immer ein und das- selbe, oft eng begrenzte Revier. Eine ganze Anzahl von Kuckucks- eiern der Rey’schen Sammlung zeigen, dass viele Kuckucksweibchen nicht nur mit großer Konsequenz durch Jahre hindurch dieselben eng begrenzten Reviere zur Unterbringung ihrer Eier innehalten, sondern selbst eine bestimmte Hecke oder Gebüschgruppe, die regelmäßig von Würgern besetzt war, dazu aufsuchten. Einmal fand Rey’s Sohn in zwei aufeinander folgenden Jahren je ein Ei von demselben Weibchen in den nämlichen Tannenbüschen, und zweimal sogar an den nämlichen Stellen je zwei Kuckuckseier die von denselben beiden Weibehen ge- legt waren, zusammen in je einem Neste. Es ist nämlich, wie wir hier einschalten müssen, zweifellos festgestellt, dass jedes Kuckucks- weibehen zeitlebens gleiche Eier legt, weshalb man denn auch so genau über das Thun und Lassen einzelner Weibehen unterrichtet ist. 9370 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 27 Nun scheint es nach Rey zwar, um auf die Anhänglichkeit der Kuckucke an ihr Revier zurückzukommen, dass manche Kuckucksweibehen ihr Revier periodisch wechseln, und wieder andere ihr Ei bald hier, bald dort, wie sich die Gelegenheit findet, unterbringen. Aber das sind doch wohl nur Ausnahmen, denn von den 16 Kuckucksweibchen, deren Eier bei Leipzig in mehr als einen Jahre gefunden wurden, sind nach key 10 an ein Revier gebunden, 4 kamen in 2 Revieren vor, und 2 brachten ihre Eier in 3 verschiedenen Revieren unter. Etliche andere Kuckucke schienen freilich nur gelegentlich eins der von Rey’s Sohne durchforschten Reviere aufzusuchen, oder es seien junge Weibchen, die zum ersten Male legten. Wie dem nun aber auch sei, so viel steht fest, dass der einzelne Kuckuck, auch wenn er sein engbegrenztes Revier öfter wechselt, dennoch immer zu der Gegend seiner Geburt zurückkehrt, und das ist völlig genügend, um diese einen Einfluss, der sich vielleicht erst an seinen Nachkommen äußert, auf ihn gewinnen zu lassen. Dieser Einfluss mag sich zunächst öfter im Charakter der Kuckucke geltend machen. So fand nach Rey z.B. Zabeck in Mähren verhältnismäßig häufig zerbrochene Pflegereier in unmittelbarer Nähe des Nestes, in welchem der Kuckuck sein Ei untergebracht hatte, während die Beobachter in andern Gegenden nur sehr selten solche Eier gefunden hätten. Nichts steht aber unserer Annahme entgegen, dass das Wohngebiet vor allem auf die Kleidmale des Kuckucks- eies, die ja in so außerordentlich vielen verschiedenen Typen vor- kommen, eingewirkt hat. Diese große Anzahl verschiedener Typen konnte deshalb entstehen, weil die Kuckucke, die von blaugrünen zu Eiern mit anderenKleidmalen über- gingen, keine kleineren Verbreitungsgebiete innegehabt haben werden, als ihre heute lebenden Nachkommen, und weil jene gleich diesen gleichwohl zähe an ihrer eng- begrenzten, bald so, bald anders beschaffenen, die Kleid- male des Eies in charakteristischer Weise beeinflussen- den Heimat festhielten. Damit ist nun nicht gesagt, dass jede Gegend ihr besonderes Kuckucksei erhielt. Die Eier vieler Gegenden, und zwar auch solcher, die weit von einander entfernt waren, mögen sich geähnelt oder auch gegslichen haben, weil die betreffenden Gegenden gleichen oder ähn- lichen Charakter hatten, und weil die an der Bildung der ursprüng- lichen Kleidmale der Kuckuckseischale beteiligte Organe so beschaffen gewesen sein müssen, dass sie auf gleiche Reagentien auch in gleicher Weise reagieren musste. Trotzdem war aber in dem weiten Verbrei- tungsgebiete, das von den Formen der Gattung Cxeulus eingenommen wird, genügende Mannigfaltigkeit der Gegenden für die Entstehung örtlicher hassen gegeben. Wie aber kam es, dass die Kuckuckseier in vielen Fällen den Haacke, Zur Stammesgeschiehte der Instinkte und Schutzmale. a Eiern der Pfleger in größerem oder geringerem, oft in hohem Grade ähnlich sind? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir das Ver- halten der Pfleger gegenüber dem Kuckuck, seinen Eiern und seinen Jungen kennen lernen. Das Kuckucksei wird nach Baldamus in die Nester vieler meist kleiner Singvogelarten gelegt; die Eigner hätten es zu bebrüten und das ihm entschlüpfende Junge aufzufüttern. Dieses mühe- und selbst gefahrvollen Amtes werde von der bei weitem srößeren Zahl der Zieh- oder Pflegeeltern mit bewundernswerter Auf- opferung gewaltet, wenn es einmal übernommen worden sei. Ob es aber in den meisten Fällen übernommen wird oder nicht, ist eine andere Frage. Die Frage nach dem Verhalten der Pfleger ver- schiedener Arten gegenüber dem Parasitismus des Kuckucks ist nach Baldamus schon öfter aufgeworfen und erörtert worden, aber bisher ohne befriedigende Antwort geblieben. Baldamus meint, alle die kleinen und großen Pfleger des Kuckucks seien ausnahmslos weit davon entfernt, über den ihrem Neste nahenden Kuckuck Freude zu empfinden. Alle Pfleger ohne Ausnahme zeigten Misstrauen, Furcht und Angst beim Herannahen des Kuckucks zu ihrem Nest, und selbst die kleinsten suchten ihn, mindestens durch Geschrei, zu vertreiben. Verzweiflung gäbe den Vögeln den Mut, sich dem Störenfried schreiend entgegenzu- werfen. Zuerst geschähe dieses seitens des Männchens, wenn das Weibehen auf den Eiern säße; dann käme auch dieses, und, durch das Angst- und Zorngeschrei herbeigerufen, flöügen wohl auch die nächsten Nachbarn der gleichen Art oder fremder Arten herbei. Die Vögel zwängen den Kuckuck, die Flucht zu ergreifen; er hätte dann einen günstigeren Augenblick, nämlich die Entfernung der erkorenen Pfleger von ihrem Neste, für sein Vorhaben abzuwarten. Die kleinen Vögel seien in der Verfolgung des Kuckucks oft so tollkühn, dass sie ihm Federn ausrissen, wie Baldamus es bei der Verfolgung des Kuckucks durch die weiße Bachstelze und den Zaunkönig gesehen habe. Die weiße Bachstelze greife alle ihr verdächtigen größeren Vögel an, und suche sie, meist mit Erfolg, von ihrem Neste zu vertreiben, besonders auch den nahenden Kuckuck, den sie meist thätlich angreife und weit verfolge. Erregter gestalte sich voraussichtlich der Kampf zwischen Kuckuck und stärkeren Pflesern, z. B. dem Neuntöter, der selbst Krähen und Raubvögel angreife. Auch nach Rey hat der Kuckuck beim Ablegen seiner Eier oder beim Entfernen von Pflegereiern oft heftige Kämpfe mit den Nesteigentümern auszufechten, die nieht selten das Zugrundegehen des Kuckuckseies zur Folge haben. Ob in solehen Fällen, in denen offenbar ein Kampf zwischen dem Kuckucksweibehen und den Nesteignern stattgefunden hätte — man hätte z. B. einzelne Federn des ersteren neben dem verletzten Kuckucksei gefunden — die eine oder die andere der Parteien die Schuld der Verletzung träfe, darüber liegen nach Baldamus keine genauen Beobachtungen vor. 972 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Besonders heftig und hartnäckig werde der Kampf, wenn die Pfleger (den Kuckuck auf ihrem Neste ertappten. Forstmeister v. Göbel habe beobachtet, dass ein Paar Teichrohrsänger das vor seinen Augen ge- legte Kuckucksei nach wütendem Kampfe mit dem Kuckuck zer- hackten; Nest und Nesteier wurden dabei zerstört. Aehnliche Scenen sind nach Baldamus auch sonst beobachtet worden, aber sie spielten sich, wie Baldamus meint, wohl immer nur dann ab, wenn die Nest- eigentümer den Kuckuck auf ihrem Nest anträfen. Geschähe dieses nicht, so würde das Kuckucksei nach einigen Bedenklichkeiten in der Regel aufgenommen. Sogar zweimal in einer Brutperiode, wie es bei einem Bachstelzenpaar beobachtet worden sei, das zwei junge Kuckucke nach einander erzogen hätte, noch dazu in demselben Neste. Baldamus sah auch einmal ein Paar Laubvögel (Phylloscopus rufus) einen über den Boden hinstreichenden Kuckuck verfolgen, fand aber in dem Neste der Vögel einen vier Tage alten Kuckuck, und trotz des heftigen Kampfes mit dem rotköpfigen Würger, der stets mit der Flucht des Kuckucksweibchens endige, wisse dieses doch fast immer sein Ei einzuschmuggeln. H. Blasius und Baldamus sahen auch einmal ein Neuntöterpaar hinter einem Paar Kuckucken her- stürzen und letzteres verfolgen. Am dritten Tage darauf fand Bal- damus aber doch in dem Neste der Neuntöter neben vier Eiern der letzteren ein Kuckucksei. Man habe, sagt Baldamus, einen unlösbaren Widerspruch zwischen der leidenschaftlichen Abwehr des Kuckucks und der Annahme seines Eies seitens der großen Mehrzahl der Pfleger gefunden. Die einzig mögliche Erklärung beruhe nach Thienemann auf der Voraussetzung, dass diese das fremde Ei nicht von ihren eignen Eiern zu unterscheiden wüssten. Anderseits habe man eine „Vorausbestimmung“ gewisser Singvögel für die Pflegerschaft des Kuckucks behauptet. Die Vögel sollten zwar das Kuckucksei erkennen, aber „sich dem Naturwillen fügen“, das Bi annehmen, bebrüten und die Jungen aufziehen. Andere seien der Ansicht, die Pileger würden sich hüten, ein Kuckucksei an- zunehmen, wenn sie es als solches zu erkennen im Stande wären, und viele Ornithologen hätten auf die Frage, ob die Pfleger das unter- geschobene Kuckucksei zu erkennen und von den eigenen Eiern zu unterscheiden vermöchten, eine verneinende Antwort gegeben, beson- ders die mit eigenhändigem Unterschieben fremder Eier operierenden, die irriger Weise den Resultaten ihrer Versuche volle Beweiskraft zu- schreiben zu dürfen meinten. Aber das durch Menschenhände bewerk- stelligte Verwechseln von verschiedenen Arten zugehörigen Eiern habe für die Beantwortung der Frage, welche Arten das Kuckucksei an- nehmen, nur geringen oder vielmehr keinen Wert. Das Verlassen der Eier in Folge des Einschiebens des Kuckuckseies fände entschieden seltener statt, als das durch Betasten und Herausnehmen der Eier und Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 2 andere Manipulationen verursachte. Nach Baldamus’ Meinung er- kennen die meisten Pflegerarten das ihnen untergeschobene Kuckucksei auch dann als ein fremdes, wenn sie den Kuckuck nicht an oder auf ihrem Neste ertappt haben. Sie betrachteten das in ihrer Abwesenheit eingeschmuggelte Ei längere Zeit unter Tönen und Bewegungen, die Furcht, Angst und Zorn verriethen, entfernten sich, kämen wieder und setzten sich anf das Nest, legten, und dieses geschähe in den „meisten“ Fällen, die noch am Gelege fehlenden Bier hinzu und brü- teten nun ruhig weiter. Es sei ihm, sagt Baldamus, keine That- sache bekannt, wonach die Pfleger das Kuckucksei aus dem Neste geworfen hätten. Wenn man gleichwohl intakte oder auch verletzte Kuckuckseier außerhalb des Nestes gefunden hätte, so habe das Hinaus- werfen oder die Verletzung des Eies jedenfalls in Folge eines Kampfes, sei es mit einem andern Kuckucksweibcehen, oder mit den Nesteigen- tümern, stattgefunden. Er habe überhaupt nur wenig Fälle von Nest- verlassen kennen gelernt. Der eine bezöge sich auf ein Goldhähnchen- nest, in welchem er selber das Glück, ein Kuckucksei neben zwei Eiern der Nesteigner zu finden, gehabt hätte. Der zweite beträfe ein bereits mehrtägig bebrütetes Kuckucksei im Nest der Zaungrasmücke. In diesem Falle sei bestimmt anzunehmen, dass das Kuckucksei von dem kleinen Vogel angenommen worden und dieser durch irgend eine Störung, vielleicht durch den täglichen Besuch des Kuckucksweibchens, zum Verlassen des Nestes veranlasst worden sei. Ihm schiene das Nestverlassen nicht etwa charakteristisch für bestimmte Arten, sondern rein individuell zu sein. Außer einem Kuckucksei, das bei drei Eiern der Zaungrasmücke, die sich gleich dem Kuckucksei in vorgerücktem Bebrütungsstadium befunden hätten, gelegen gewesen wäre, hätte er einige Jahre später ein anderes gefunden, das neben zwei Eiern der Zaungrasmücke ein fast zur Hälfte verdorbenes Kuckucksei enthielt, und es wäre ihm auch ein junger Kuckuck in einem Nest des feuer- köpfigen Goldhähnchens gezeigt worden, den diese kleinsten europäi- schen Vögel ängstlich umflattert hätten, während jenes andere Nest, das zwei Eier des Goldhähnchens und ein Kuckucksei enthielt, bereits seit drei Wochen verlassen gewesen wäre. Beweise von regelmäßigem Zurückweisen des Kuckuckseies seitens gewisser Arten lägen durchaus nicht vor. Vielleicht seien es besonders durch den Kuckuck beim Legen verursuchte Störungen des Nestes, was die Vögel der kleineren Arten zum Aufgeben ihrer Nester veranlasse. Er sei überzeugt, dass das Nestverlassen seitens der Pfleger in Folge des Einschiebens des Kuckuckseies lediglich zu den Ausnahmen gehöre und in der Regel nur bei den kleinsten und seltener heimgesuchten Vogelarten vorkomme, obwohl keineswegs zu leugnen sei, dass manche Arten hierin empfind- licher seien, als andere, z. B. eben die Zaungrasmücke, und es gäbe auch Arten, deren Angehörige keine Kuckuckseier annehmen wollten. XVI. 18 374 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. So erzähle Dybowski, er und seine Begleiter hätten sich etliche Male davon überzeugt, dass der sibirische Gimpel (Uragus sibirieus) die Kuckuckseier nieht annehmen wolle, sondern sogleich sein Nest zerstöre und dessen Material zum Bau eines anderen verwende, obwohl die betreffenden Kuckuckseier für die Aufnahme in das Nest dieser Art „vorbereitet“ seien. Baldamus führt auch andere Beispiele von durchaus nicht freundlicher Behandlung des Kuckuckseies seitens der Pfleger an. Man habe öfter Kuckuckseier unter dem höher angelegten Neste mancher Pfleger, oder auch in der Nähe des auf dem Erdboden befindlichen gefunden und gefragt, wie und auf welchem Wege die teils unbeschädigten, teils mehr oder weniger verletzten Eier aus dem Neste entfernt worden seien. Naumann habe für einen bestimmten Fall eine genügende Antwort gegeben. Er hätte in einem Neste der Zaungrasmücke zwei Eier dieses Vogels gefunden. Nach einiger Zeit hätte jedes der beiden Eier unter dem Neste auf dem Boden und im Neste ein Kuckucksei gelegen. Ein paar Tage darauf hätten sich wieder zwei Zaungrasmückeneier im Nester befunden, während das Kuckucksei zerbrochen auf der Erde gelegen hätte. Hier habe der Kuckuck offenbar, meint Baldamus, ganz gegen seine sonstige Ge- wohnheit, die Grasmückeneier aus dem Neste entfernt. Dagegen hätten die Grasmücken das fremde Ei erkannt, vielleicht auch den Kuckuck beim Legen überrascht und das Kuckucksei sofort aus dem Neste geworfen, nicht ohne es zu verletzen, da sie es mit dem kleinen Schnabel zwar anzupicken und aus dem Neste zu schieben, aber nicht ohne Beschädigung im Schnabel fortzuschaffen vermocht hätten. Bal- damus hat auch einmal ein Finkenei im Neste eines Stieglitzes (Carduelis carduelis), der nicht zu den Kuckuckspflegern ge- hört, gefunden. Der Fink hätte, da sein drei Eier enthaltendes Nest durch Katzen zerstört worden wäre, sein Ei in der Notlage dem be- nachbarten Neste anvertraut, allein die Stieglitze hätten ihr Nest verlassen. Trotz alledem erblickt Baldamus den besten Beweis dafür, dass sogar ausnahmsweise heimgesuchte Pflegeeltern das Kuckucksei annähmen, darin, dass die weit größere Eier legenden Amseln, Singdrosseln u. s. w., das Kuckucksei nicht aus dem Nest geworfen, und, „wie es schiene“, ihr Nest nicht verlassen hätten. Uebrigens sei nicht zu bezweifeln, dass die Mehrzahl der kleinen, aber auch manche große Vögel ihr volles Gelege, zumal wenn die Eier schon mehr oder weniger bebrütet seien, nicht so leicht verließen, als wenn sich erst wenige Eier im Neste befänden. Ein sicherer Nach- weis der Annahme eines ins leere Nest gelegten Kuckuckseies sei nicht bekannt, wohl aber sei es mehrseitig konstatiert worden, auch durch ihn, dass verschiedene Pfleger das zu einigen ihrer Eier gelegte Kuckucksei unbeachtet ließen und weiter legten. Viele der Pflegeeltern möchten dann aber während der Nistzeit eine Beute des Raubzeuges Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 2975 werden; er wäre selber Augenzeuge gewesen, wie ein Neuntöterweibchen eine brütende Grasmücke von ihrem Neste wegraubte, in welchem neben fünf ihrer eignen Eier auch ein Kuckucksei lag. Dass die Pfleger den glücklich ausgebrüteten jungen Kuckuck wie Junge ihrer eigenen Art behandeln, erklärt Baldamus durch das Mitleid. Ich möchte mich so ausdrücken, dass ihr Brutpflegeinstinkt durch den hungrigen und sie um Futter anbettelnden, wenn auch häss- lichen, jungen Kuckuck weniger leicht gestört wird als durch das fremde Ei im Neste. Ich lese nämlich aus der soeben mitgeteilten Blumenlese aus Baldamus’ Werk, in der sich mir der Autor, der übrigens bei Abschluss seines Werkes nahezu 80 Jahre alt war, doch mehrfach zu widersprechen scheint, wenigstens so viel heraus, dass es doch oft genug vorkommt, dass die vom Kuckuck auserkorenen Pfleger ihr Nest verlassen, weil sie ein Kuckucksei darin finden. Was ich bei Rey darüber finde, bestätigt dieses Ergebnis. Rey teilt mit, dass der Zaunkönig nach Walters’ Beobachtungen, der allein über 50 Kuckuckseier in Zaunkönigsnestern gefunden habe, das Nest meist verlasse, wenn der Kuckuck sein Ei hinein gelegt habe. Eine ebenso unglückliche Wahl träfe der Kuckuck mit Laubsängernestern, da die meisten Nester dieser Vögel verlassen würden, sobald der Kuckuck sein Ei hinzugefügt und darauf Nesteier entfernt habe. Auch Rey sind eine ganze Reihe von Fällen vorgekommen, die Walters’ Be- obachtungen am Zaunkönige für andere Vögel bestätigen, und Rey kommt zu dem Schluss, dass der Kuckuck nicht immer seinen Zweck erreicht, dass vielmehr die Eigentümliehkeiten seiner Brutpflege nicht selten zum Verderb für seine Nachkommenschaft ausschlagen. Zwar legten die meisten Vögel, nachdem der Kuckuck sein Ei ins Nest ge- bracht hätte, die zur normalen Gelegezahl gehörigen Eier nach, gleich- giltig, ob und wie viele Eier der Kuckuck herausgeworfen hätte. Andere dagegen seien gleich dem Zaunkönige sehr leicht geneigt, das Nest zu verlassen. , Es ist nach Rey eine auffällige Thatsache, dass, obgleich die Nester der Gartengrasmücke ziemlich häufig vom Kuckuck belegt werden, dieses bei der doch ebenso häufigen Mönchsgrasmücke nur selten der Fall ist. Auf 100 Kuckuckseier, die man in den Nestern der Gartengrasmücke fand, kämen nur 20, die dem Mönch unter- geschoben würden. Den Mitteilungen Rey’s lasse ich andere folgen, welche die Pfleger anderer Kuekucksarten und die der Kuhvögel, die gleichfalls Brut- schmarotzer sind, betreffen. G. v. Gonsenbach schrieb an Baldamus, dass das Betragen der Blauelstern (Oyanopolius cooki), in deren Nester der Häher- kuckuck seine Eier legt, gegen den letzteren zwar nicht gerade ein feindliches sei; doch jage ihn die brütende Elster von ihrem Neste fort, wenn er in dessen Nähe käme. Lord Lilford berichtet nach 18” 376 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Baldamus, dass zwischen Elstern und Häherkuckucken ein fort- währendes Scharmützel stattfände, indem jene die Zudringlinge mit lautem Geschrei verfolgten. Saunders bemerkt, wie Baldamus gleichfalls mitteilt, dass die Elstern, wenn ein Kuckuck in der Nähe wäre, schwer dazu gebracht werden könnten, ihr Nest zu verlassen, während sie sonst damit nicht zauderten. Das Betragen der Pfleger gegen den Häherkuckuck und seine Eier und Jungen, sowie das des Parasiten gegen jene, ist also, wie Baldamus bemerkt, nach allem, was wir davon wissen, ein ganz ähnliches, wie wir es bei unserm Kuckuck und seinen Pflegern kennen gelernt haben, und wie es im Großen und Ganzen auch bei den übrigen parasitischen Kuckucken bekannt ist. Frith sah nach Baldamus öfter, dass das Weibchen der Glanzkrähe (Corvus splendens) den weiblichen schwarzen Guckel mit großer Heftigkeit aus seiner Nähe vertrieb, gerade so wie fast alle Pfleger der parasitischen Kuckucke zu thun pflegten. Aber gleich den andern Pflegern nähmen die Krähen die untergescho- benen Kuckuckseier an und schützten und pflegten die jungen Ein- dringlinge. Endlich fand Allan Hume nach Baldamus, dass die Krähen die Aufdringliche von ihren Nestern vertreiben. Die Pfleger der Kuhstärlinge freuen sich nach Baldamus durchans nicht über das fremde Ei. Im Gegenteil, wie die altweltlichen Pfleger verriethen auch die neuweltlichen unverkennbar Schreck, Angst und Furcht bei der Entdeckung des fremden Eies. Potter sage, dass alle heimge- suchten Vögel wohl mehr oder weniger Bekümmernis zeigten, wenn sie ein Kuhstärlingsei in ihrem Neste fänden. Der sogenannte ameri- kanische Sperling (Spinites socialis) nehme die Sache sehr ernst. Er zirpe zuweilen zwei Tage lang seine Klage und verließe oft sein Nest selbst dann, wenn er bereits mehrere Eier gelegt hätte. Fassen wir nunmehr alles, was wir über das Verhalten der vom Brutparasiten als Pfleger seiner Nachkommenschaft auserkorenen Vögel gegen den Schmarotzer und seine Eier erfahren haben, zusammen, so gelangen wir zu dem Schluss, dass es den allerwenigsten Vögeln gleichgiltig sein dürfte, ob sie ein fremdes Ei in ihrem Neste antreffen oder nicht. Wir entnehmen den mitgeteilten Thatsachen aber auch ferner, dass der Grad der Empfindlichkeit der Vögel gegen das fremde Ei je nach den Arten sehr verschieden ist. Die einen Vögel nehmen die Sache leicht, andere schwer, noch andere stehen in der Mitte. Hieraus erklärt es sich, dass wir Vögel gewisser Arten häufig als Kuckuckspfleger antreffen, Angehörige anderer Species seltener und die Mitglieder einer Reihe von Arten gar nicht. Wollten wir diese Erklärung nicht annehmen, so würde es uns unter anderem unver- ständlich bleiben, warum, z.B. dieMeisen nicht häufiger vom Kuckuck in Anspruch genommen werden. Von den zwölf Meisenarten, die ich bei Reichenow (Systematisches Verzeichnis der Vögel Deutschlands Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik. 377 und des angrenzenden Mittel-Europas) aufgeführt finde, zählt Rey in seiner offenbar sehr sorgfältig zusammengestellten Liste der Kuckucks- pfleger nur die Kohlmeise auf, und von dieser nur zwei Eier, von denen er Kunde erhalten hat, während er z. B. bei der Gartengras- mücke 103, bei der weißen Bachstelze 165, beim Sumpfrohrsänger 86 Eier angibt. Baldamus führt auch noch die Blaumeise unter den Vögeln, bei welchen Kuckuckseier gefunden worden seien, auf, sagt aber ausdrücklich, dass sie nur als Nothelfer gelten kann. Nun sind aber die Meisen Vögel, die wir an und für sich recht zahlreich unter den Kuckuckspflegern anzutreffen erwarten sollten. Sie erscheinen uns viel geeigneter, das Kuckucksei auszubrüten und den jungen Kuckuck aufzufüttern, als z. B. Goldhähnchen, Laubvögel und Zaun- könige. Wenn sie gleichwohl nicht unter die Pfleger des Kuckucks aufgenommen worden sind, so kann das nur daran liegen, dass sie ihr Nest verlassen, wenn sie ein fremdes Ei darin finden. (Viertes Stück folgt.) Wilhelm Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwick- lungsmechanik!'). Als W. Roux sich vor einigen Jahren einmal wieder der Angriffe seiner zahlreichen und rührigen Gegner zu erwehren hatte und dabei vielfach auf seine früheren Angaben verweisen musste, machte er die satyrische Bemerkung: „Ich sehe jedoch von weiteren Selbsteitaten ab, denn es ist schließlich einfacher und auf die Dauer doch nicht ganz zu umgehen, dass die Herren, welche über die von mir behandelten Probleme sich äußern und zu meinen Auffassungen Stellung nehmen wollen, zum Aeußersten greifen und meine bezüglichen Arbeiten derart lesen müssen, dass sie von ihrem Inhalte Kenntnis haben (II, p. 829)“. Mittlerweile ist das Interesse für die von W. Roux begründete neue Richtung in der Anatomie, die kausale Forschung durch analytisches Experiment, in immer weitere Kreise gedrungen und das Bedürfnis nach einer quellenmäßigen Zusammenstellung der Roux’schen Lehren gewachsen. Diesem Bedürfnis ist W. Roux dadurch entgegenkommen, dass er seine in zahlreichen, viel- fach schwer zugänglichen Archiven zerstreuten Abhandlungen gesammelt veröffentlicht hat. Sie sind soeben in zwei vortrefflich ausgestatteten Bänden bei W. Engelmann in Leipzig erschienen. Man findet in diesen Bänden alle wissenschaftlichen Arbeiten von W. Roux, soweit dieselben vor dem Erscheinen des „Archivs für Ent- wicklungsmechanik“ veröffentlicht worden sind. Sie wurden aber nicht einfach abgedruckt, sondern mit Berücksichtigung der neuesten einschlä- gigen Arbeiten durch zahlreiche Zusätze in vorteilhaftester Weise ergänzt und „auf den gegenwärtigen Standpunkf der Erfahrungen und Auffassungen des Verfassers gehoben“ (I, Einleitung, XT). 1) W. Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik der Organismen. I. Bd. XIV u. 816 Stn. wit 3 Taf. und 26 Textbildern; II. Bd. IV u. 1075 Stn. mit 7 Tafeln und 7 Textbildern. Groß 8°. Leipzig 1895 W. Engelmann. 278 Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik. Die musterhaft klar geschriebene „Einleitung“ bietet die nötigen redaktionellen Hinweise, wirft Streiflichter auf Ziel und Methode der vom Verfasser inaugurierten kausalen Forschung, warnt vor einem neuen Er- wachen „naturphilosophischer“ Denkweise, liefert therapeutische Hilfsmittel zur Bekämpfung dieser und anderer Kinderkrankheiten der jungen Ent- wicklungsmechanik und gibt in großen Zügen eine Darstellung des Inhalts beider Bände. Der I. Band enthält die Abhandlungen, die sich vorwiegend mit der funktionellen Anpassung beschäftigen. Mit diesem kurzen und treffenden Ausdruck bezeichnet Roux (I, 114) die Wirkung des Gebrauchs und Nichtgebrauchs, also „alle progressiven und regressiven Anpassungs- vorgänge der Organe, die durch die eigene Funktions-Vollziehung oder — Unterlassung der Organe vermittelt werden“, sowie auch „das Produkt jedes solchen Vorganges“ (II, 211). Dieses Prinzip ist seit Lamarck von vielen hervorragenden Naturforschern gewürdigt worden, aber keiner hat seine Bedeutung so tief erfasst und die Grenzen seines Wirkens so scharf bestimmt, als W. Roux. Er zeigte insbesondere, dass nicht nur, wie bereits bekannt, die Größe und gröbere Gestaltung der Organe, son- dern auch die Struktur und die feinere äußere Gestalt der Organe auf das Zweckmäßigste durch dieses Prinzip ausgebildet zu werden ver- mögen. So wies er in den Blutgefäßen Einrichtungen nach, die durch feinste funktionelle Anpassung der lebenden Wandung an die mechanischen Kräfte des Blutstroms den Charakter der höchsten Vollkommenheit oder der „Zweckmäßigkeit, wie man heutzutage noch sagt“ (I, 76), erhalten haben (Nr. 1 und 2). Wie die Natur größte Mannigfaltigkeit und Zweck- mäßigkeit mit den einfachsten Mitteln erzielt, zeigte er an der funktionellen Gestalt und Struktur der Schwanzflosse des Delphins (Nr. 7). An der Muskulatur des Menschen fand er eine direkte morphologische Anpassung der Muskellänge an dauernde Aenderungen ihrer entsprechenden funktionellen Beanspruchung (Nr. 8). Auch das Problem zweckmäßiger Knochenstrukturen wurde gefördert durch sorgfältiges Studium der funktionellen Spongiosatypen, der Maschenweite der Spon- giosa u. a. Alle diese verschiedenartigen, direkt zweckmäßigen Leistungen an Stützorganen und an aktiv fungierenden Organen wurden von einer und derselhen Wirkungsweise, nämlich von der trophischen Wirkung der funktionellen Reize abgeleitet. Den Mittelpunkt dieser Studien bildet die berühmt gewordene Untersuchung über den „Kampf der Teile im Organismus“ (Nr. 4), von der z. B. kein Geringerer als Ch. Darwin sagt, sie sei das „bedeutungsvollste Buch über Entwicklung, welches seit einiger Zeit erschienen ist“. Diese Abhandlung brachte außerdem, wie der neue Titel noch prägnanter hervorhebt, als neues das sogenannte Zweckmäßige hervorbringendes gestaltendes Prinzip den „züchtenden“ Kampf der Teile im Organismus. A. Weismann unterscheidet in seiner neuesten Schrift!) dieses Roux’sche Prinzip?) als das der „Intra- 1) Weismann A., Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. Jena 1895. 2) Weismann verteidigt an dieser Stelle auch die Verdienste Roux’ gegenüber einer Prioritäts- Reklamation von Herbert Spencer, indem er die sicherlich berechtigte Bemerkung macht, dass „von dem einmaligen Auf- Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik. 379 selektion“ von der Darwin’schen „Selektion“ und erinnert damit an den wesentlichen Unterschied dieser beiden Formen des Auslese- prozesses, dessen einer sich zwischen den ganzen Individuen abspielt, während der andere innerhalb (intra) des Individuums seinen Ablauf nimmt (p. 12, Anm.). Die Begründung dieses Prinzips der Teilauslese, seine Leistungen im Kampf der „lebensthätigen“ Molekel, der Zellen, Gewebe und Organe muss man im Original einsehen; man wird staunen über das ungeheure Material, das hier verarbeitet ist. Auf einige andere in dieser Arbeit behandelte Probleme von allge- meinstem Interesse mag aber hier noch kurz hingewiesen werden. Roux erörtert im V. Abschnitt vor allem die Frage über das Wesen des Organischen. Er hält alle rein chemischen Definitionen des Lebens für vollkommen unzureichend, da nach seiner Ansicht die wesentliche, das Leben bedingende Struktur wohl nur zum kleineren Teil in dem Bau der Atome liegt, sondern mehr in der Struktur der aus diesen Atomen zu- sammengesetzten Molekel und noch mehr in dem Aufbau der letzten lebensthätigen Teilchen aus diesen Molekeln. Diese kleinsten lebens- thätigen Teilchen, die alle eine (unsichtbare) „Metastruktur“ besitzen, nennt er Isoplassonten, Autokineonten, Automerizonten und Idioplassonten und hält sie für die Träger der allgemeinen Grund- funktionen des Lebens: der Assimilation, der Selbstbewegung, der Selbstteilung und der Selbstgestaltung. Mit der Leistung dieser letzten Lebenseinheiten und dem durch sie bedingten Verbrauch tritt aber noch ein neues Erfordernis zwingend her- vor, welches von der größten Bedeutung ist und das ganze organische Geschehen beherrscht, die Selbstregulation in allen Verrichtungen (I, 400). Sie ist die Vorbedingung, das Wesen der Selbsterhaltung, d. h. derjenigen Fähigkeit, die das Organische über das Anorganische emporhebt. Schon der große Physiologe E. Pflüger hatte!) in seinem „allgemeinen Prinzip der Selbststeuerung der lebendigen Natur“ die Thhatsache des allgemeinen Vorkommens dieser Selbstregu- lation nachgewiesen. Der wesentliche Inhalt der Roux’schen Abhandlung gipfelt, wie er selber sagt, darin, das „von Pflüger in geistvoller Weise als Thatsache formulierte teleologische Gesetz kausal abzuleiten, blitzen eines Gedankens bis zu seiner Durchführung noch ein weiter Weg ist“. W. Roux zeigt nun aber in Nr. 4, dass die Reklamation von H. Spencer überhaupt hinfällig ist. „Das Specifische meines Buches besteht darin, dass ich die von Herbert Spencer acceptierte und lange vor ihm schon in Deutschland allgemein verbreitete Erklärung der funktionellen An- passung durch die funktionelle Hyperämie als unrichtig nach- weise (s. Nr. 4, S.137 u. fg.) und dass ich darnach auf Grund des Kampfes der gleichwertigen Teile im Organismus und der in ihm gezüchteten Gewebseigenschaften eine neue Erklärung gebe, welche auch für die da- mals erst jüngst erkannten, feinsten direkten Anpassungen ausreicht (weiteres siehe unten Nr. 4, S. 72),. (I, 141). Eine wirkliche Priorität in Bezug auf einen Teil kommt dagegen E. Haeckel zu, wie Roux I, 227 ausführt. 1) E. Pflüger, Ueber die das Geschlecht bestimmenden Ursachen und die Geschlechtsverhältnisse der Frösche. Pflüger’s Archiv, 29. Bd., 1882, S. 13 ff. (S. 28). In der eigentlichen Arbeit war bekanntlich das Prinzip von Pflüger „die teleologische Mechanik der lebendigen Natur* genannt worden: E. Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur. Pflüger’s Archiv, 15. Bd., 8.57 £. 380 Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik. es mechanisch zu erklären und so seines anscheinend metaphysischen Charakters zu entkleiden“ (I, 148 Anm.). Das fruchtbare Prinzip der Züchtung durch Auslese verwertet Ronx auch zu einer interessanten Hypothese über die Entstehung des ersten Lebens. Wie man früher den Homunculus fix und fertig aus der Retote hervorgehen lassen wollte, so verlangt man es heutzutage von der Monere, Das heißt nach Roux ungefähr so viel, als wolle man erwarten, dass zu- fällig einmal der Sturmwind eine Beethoven’sche Symphonie bliese. „Man muss sich vielmehr vorstellen, dass das Leben zunächst einfach als bloßer Assimilationsprozess ähnlich wie das Feuer begonnen habe. Allmählich bildeten sich dann vielleicht unter dem Auftreten und Verschwinden zahlloser Varietäten, unter fortwährender Steigerung der „dauerfähigen“ (statt sogenannten „zweckmäßigen“) Figen- schaften, quantitative und qualitative „Selbstregulation“ in der Assimilation und im Verbrauch aus. Dann folgte wohl die Entstehung von Reaktionsqualitäten, als deren schon außerordentlich hohe Stufe nach einer Richtung hin, in vielleicht Millionen Jahre umfassenden Zeiträumen, nach und nach die Reflex- bewegung gezüchtet wurde in der niederen Form, wie sie uns die Monere zeigt“. Auf die Reflexbewegungen folgte wohl die Ausbildung fester, vererbbarer Richtungen, sowohl in Bewegungen als in Gestaltungen aus dem Stoffwechsel unterliegenden Prozessen, das Grundprinzip der organischen Morphologie“ (I, 410 f.). Das Wesentliche dieser Anschauung liegt also im der Entstehung des ersten Lebens aus anorganischen Vorgängen durch nach einander er- folgende Züchtung der einzelnen Grundeigenschaften und jeder derselben zu immer höheren Grade der Leistung bis zur Vollkommenheit (I, 415; II, 85). In einigen wesentlichen Punkten vertritt Roux in dem neuen Abdruck andere Anschauungen als früher. Die E. Haekel’sche Lehre von der Homogenität oder Struktur- losigkeit des Protoplasmas lässt er fallen. „Es muss aus den komplizierten Verrichtungen des scheinbar homogenen orga- nischen Substrates mit Sicherheit eine komplzierte Struktur gefolgert werden“ (II, 143). Solche unmittelbare Strukturen stellt er als „funktionelle Metastrukturen“ den sichtbaren funktionellen Strukturen gegenüber (I, 187). Auch die früher als unzweifelhaft angenommene Stichhaltigkeit des Beweismaterials für die „Vererbung vom Individuum erworbener Eigenschaften“ ist ihm, seit A. Weismann seine schwer wiegenden Gründe dagegen ins Feld führte, nicht mehr sicher (I, 140). Unterscheidet man im Individuum einen Personalteil und einen Germinalteil (A.Rauber [Ref.]), so müssten, wie Roux mit Recht hervorhebt, die vom Personalteil erworbenen Eigenschaften nicht bloß auf den Germimalteil (Weismann’s Keimplasma) übertragen, sondern zugleich auch aus dem entwickelten Zustande zurück in den unentwickelten, dem Keimplasma adaequaten Zu- stand verwandelt, also impliziert oder involviert werden. Deshalb ist „für denjenigen, der sich die Größe des Rätsels der angeblichen Ueber- tragung von Veränderungen des Personalteils auf den Germinalteil vor- gestellt hat, die von Weismann sorgfältig begründete und neben ihm auch Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik. 251 von Owen, Bütschli, Galton, M. Nussbaum, J. Sachs u. a. an- gebahnte "Theorie von der Kontinuität des Keimplasma die Erlösung von einem auf unserem Erkenntnisvermögen lastenden Alp“ (II, 61). Da aber die Frage auch heute noch nicht als ganz sicher im negativen Sinne entschieden betrachtet werden kann (I, 140), so wäre es wohl an der Zeit, wenn endlich in einem unserer grossen, reich dotierten Institute durch genügend variierte und genügend lang fortgesetzte Versuche diese fundamentale Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften einer unantastbaren Entscheidung zugeführt würde.“ (I, 456). Auf einzelne bisher wenig gewürdigte, oder im zweiten Abdruck neu eingefügte kausale Ableitungen im I. Bande mag hier nur im Vorbeigehen hingewiesen werden. Es gehören dazu die Angaben über die Funktion der Zwischenwirbelscheiben und die Struktur des Perimysiums (I, 182 Anm.), die Herzstruktur (I, 184 A. und 369 A.), die funktionelle Meta- struktur z.B. des Bindegewebes (I, 187 A.), die Gewöhnung an Schäd- lichkeiten (Immunität) durch innere Umzüchtung (I, 235), die relative Dicke der Sehnen (I, 270), die qualitative Anpassung der Kapillarwandung jedes Organs (Leber, Muskeln, Gehirn ete.) an den spezifischen Verbrauch desselben (I, 314), die Entstehung der Gelenk- formen (I, 354 und 734), die Selbstdifferenzierung und abhängige Differen- zierung bei Anlage der Gefässe (I, 83), die Erklärung der Schwalbe’- schen Regel vom Muskelnerveneintritt (I, 366) u. a. Die Abhandlungen des II. Bandes beschäftigen sich mit spezifischen Problemen der embryonalen Entwicklung. Es sind die Probleme, deren Erörterung augenblicklich die ganze zoobiologische Welt bewegt. Da sie zum großen Teil in dieser Zeitschrift von Roux u.a., von mir an anderer Stelle (Referate über Regeneration in den Ergebnissen der Anatomie etc. von Merkel und Bonnet, 1891 — 1894) besprochen wurden, so mag es hier genügen, wenn ich eine kurze Angabe über Roux’s Experimente und Untersuchungen nach der von ihm selber (I, Einleitung, VIII) gegebenen Uebersicht liefere. Nach einer klassischen Untersuchung über das Wesen der entwick- lungs-mechanischen Aufgaben (Nr. 13) und Erörterungen über die zu ihrer Lösung nötigen Methoden (Nr. 13, 14, 15) wurde folgendes von Roux geprüft bezw. ermittelt: A. Bezüglich der Entwicklung des ganzen Eies: 1. ob äußere „gestaltende“ Einwirkungen zur Entwicklung des befruchteten tierischen Eies nötig sind (Nr. 19); 2. ob die „normale“ individuelle Entwicklung von ihrem Beginn an ein bestimmt geordnetes System von Richtungen ist (Nr. 16); 3. wann zuerst die Hauptrichtungen des Embryo im Ei be- stimmt werden (Nr. 20): 4. wodurch dies geschieht (Nr. 20 und 21): 5. welches die Bedeutung der normalen Furchung des Eies in Bezug auf qualitative Materialscheidung ist (Nr. 20 und 22); 6. wo an der Blastula des Froscheies das Material des Zentralnerven- systems gelagert ist, und unter welchen Materialumlagerungen sich die Gastrulation vollzieht (Nr. 20 und 23): 7. welche Wirkung bestimmt lokalisierte Defekte am Ei auf die Bildung des Embryo hervorbringen (Nr. 18 und 22); 989 Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik. 8. welcher der Ort der gestaltenden Kräfte einzelner bestimmter Gebilde ist: ob sie dem gestalteten Gebilde bez. Teile selber inne- wohnen (Selbstdifferenzierung), oder ob sie außerhalb desselben liegen (abhängige Differenzierung), insbesondere, ob die zur Ge- staltung einer seitlichen oder vorderen Hälfte des Embryo nötigen Kräfte im ganzen Ei, oder in der ihrer Lage nach entsprechen- den einen der beiden ersten Furchungszellen sich befinden (Nr. 18, 22 und 26); 9. ob freier Elektrizität im Ei ein Anteil an der gestaltenden Ent- wicklung desselben zukommt (Nr. 18); 10. ob Deformation des in Zellen geteilten Eies einen wesentlich die Differenzierung alterierenden Einfluss ausübt (Nr. 28, 29); 11. dass es nötig ist, für die Entwicklung des Individuums zwei wesentlich verschiedene Entwicklungsarten, eine normale s. typische und eine atypische s. regulatorische (regeneratorische) Entwicklung zu unterscheiden (Nr. 26, 27, 28, 31); 12. dass die von Roux entdeckte Postgeneration der ursprünglich nicht gebildeten Körperhälfte durch differenzierende Wir- kungen von Zelle zu Zelle stattfindet, welche zunächst von den Zellen der primär entwickelten Embryohälfte ausgehen (Nr. 22): B. Von dem Verhalten der einzelnen Zellen des Eies wurde geprüft: 13. welche Wirkung eine der Furchungszelle passiv gegebene Gestalt auf die Richtung der nächsten Teilung hat (Nr. 20, 29, 31); 14. ob die Richtung des elektrischen Stromes einen Einfluss auf die Richtung der Befruchtung und der ersten Eiteilung auszuüben ver- mag (Nr. 25); 15. ob den Furchungszellen ein Vermögen der Selbstordnung zu- kommt. Solches Vermögen wurde erkannt als stattfindend a) unter noch von einander entfernten Zellen (Cytotropismus) (Nr. 25); b) unter sich berührenden Zellen (Nr. 32); 16. welche gestaltenden Wechselwirkungen zwischen Zellleib und Zellkern stattfinden (Nr. 20, 21, 29, 30, 31-und 33); 17. weiterhin wurde neben anderem, hier nicht Erwähntem, z. B. zu er- mitteln gesucht, auf welcher nächsten Ursache die von Roux be- obachtete Spezialpolarisationder einzelnen Zellen der lebens- kräftigen Morula und Blastula gegenüber der, dem Verhalten eines noch ungeteilten Eies gleichenden, Generalpolarisation der geschwächten Morula und Blastula beruht (Nr. 25). Eine gedrängte Zusammenstellung der von ihm ermittelten „gestaltenden Wirkungsweisen“ (Naturgesetze) und Regeln gibt Roux am Schlusse jedes Bandes: außerdem ist schnelle Orientierung im ganzen Werke durch ein Autoren- und Sachregister ermöglicht. Von besonderem Interesse wird für alle Biologen, speziell für die Freunde und Gegner der Roux’schen Anschauungen das „Nachwort“ zum Il. Bande sein (II, 996 ff.), in welchem er seine theoretischen Auffassungen über die gegenwärtig im Kampfe der Meinungen stehenden, in den Ar- beiten des II. Bandes behandelten Probleme so kurz als möglich zu- sammenhängend darstellt. Die Gegner von W. Roux pflegen in jedem Jahre wenigstens einmal zu versichern, dass seine Lehre von der Entwick- Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. 283 lung von Halbembryonen, von der Postgeneration, von der Mosaik-Ent- wicklung, von der Spezifikation der Furchungszellen, von der typischen und der regulatorischen Entwicklung u. s. w. ein „Missgriff“, oder dass seiner Theorie durch neue Versuche „ihr letzter Boden entzogen“ sei. Wer aber dieses „Nachwort“ eingehend und unbefangen studiert, wird sich überzeugen, dass diese Theorie sich trotz aller Insulte von seiten der Gegner zu einem festgefügten Bau entwickelt, also ein ausgezeichnetes Postgenerationsvermögen bekundet hat. Der denkende Biologe findet aber in diesem Nachwort noch manches andere, was ihn im höchsten Maße fesseln wird. Bekanntlich erhebt seit einiger Zeit wieder der „Vitalismus“ das Haupt in mannigfaltiger Verbrämung. Die Spekulationen seiner Vertreter, speziell die teleologische Anschauung der Jung-Vitalisten werden von Roux ebenso zurückgewiesen, wie die zu einfach physikalisch-chemische Auffassung der Lebensvorgänge. Ihn hat die Analyse der organischen Gestaltungsvorgänge zu einem mehr Erkenntnis verheißenden Resultate geführt. Er erblickt „das höchste Rätsel der organischen Gestaltung in dem zwar überaus schwierigen, aber doch nur speziellen Probleme der „morphologischen Assimi- lation“, in dem bisher von niemandem in seiner hohen Bedeutung er- kannten Problem, wie Gestaltetes sich im Stoffwechsel durch Assi- milation erhalten, d. h. sich in gleicher Weise selbst produzieren kann“ (II, 1021). Und das nächstgrößte Rätsel der organischen Ge- staltung ist ihm die Bildung „typisch gestalteter Produkte bei ‚atypischem‘ Ausgangstück“, also die regenerative, s. regulatorische Entwicklung (TI, 1022). Ganz zum Schluss äußert sich Roux auch noch über den speziellen Anteil der Epigenese und der Evolution an der Ontogenese im Sinne der neuen, von ihm gegebenen und jetzt allgemein gebrauchten Definitionen. Roux hat von Anfang an den Anteil beider gestaltenden Prinzipien an der Entwicklung zu erforschen für nötig erklärt, die Wir- kungsweise beider charakterisiert und Beispiele für den Anteil jedes der- selben beigebracht. Dass er hierdurch auch auf diesem Gebiet reforma- torisch gewirkt hat, lässt sich leicht in den neueren theoretischen Schriften der Zoobiologie erkennen. Das Werk von W. Roux enthält die Ergebnisse einer 17 jährigen angestrengten, aber auch außergewöhnlich fruchtbringenden Thätigkeit. Mit seltenem Scharfsinn, genialem Experiment und eiserner Konsequenz fasste er die Arbeit seines Lebens an und gab mit ihr der biologischen Forschung einen neuen Aufschwung und eine neue Richtung. Dorpat, Dezember 1895. Dietrich Barfurth. [35] Wilhelm Leche, Zur Entwicklungsgeschichte des Zahn- systems der Säugetiere, zugleich ein Beitrag zur Stammes- geschichte dieser Tiergruppe. Erster Teil: Omtogenie mit 19 Tafeln und 20 Textfiguren. Stuttgart, Verlag von E. Nägele, 1895. Das Gebiss, welches für die zoologische Systematik schon in deren Anfängen eine reiche Verwertung fand, spielte auf dem Gebiete der 284 Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. Paläontologie der Säugetiere immer die erste Rolle. Der Anstoß zum Aufbaue einer Odontographie ging von den Paläontologen aus, welchen die vergleichenden Anatomen sich erst später an die Seite stellten. Owen suchte weitere Gesichtspunkte zu gewinnen, indem er die Säugetiere in Monophyodonten und Diphyodonten einteilte, welche Einteilung mit der älteren Gruppierung in Homodonten und Heterodonten nach dem früheren Stande der Erkenntniss zusammenfiel. Trotz mancher Errungenschaften und der wertvollen Bereicherungen, welche durch die unter neuen Gesichts- punkten ausgeführten Arbeiten von Hensel, Tomes, Rütimeyer, Flower, W. Kowalewsky u. a. zu stande kamen, gelang es nur in geringem Maße das Gebiss von einem vergleichend anatomischen Gesichts- kreise aus zu durchforschen und von dieser Seite Fortschritte anzubahnen. Die Morphologie hat auf anderen Gebieten mehr gefördert als auf dem der Odontologie. Eine unendliche Summe von Beschreibungen und von unkritisch aufgestellten Verallgemeinerungen hat die Odontographie all- mählich in eine Art von Misskredit gebracht. Erst in den letzten Jahren hat sich hierin ein Umschwung voll- zogen. Durch Anwendung allgemeinerer Gesichtspunkte und strengerer Vergleichsmethode sowie durch die Untersuchungen Waldeyers’, Köl- liker’s und Kollmann’s ist das Interesse wieder auf das Zahnsystem gelenkt worden. Die Untersuchungen von Ryder, Cope, Winge, Thomas, Schlosser, Osborn, Röse und Kükenthal leisteten dem neu erwachenden Interesse Vorschub. Das Gebiss ist ein sehr wenig konservatives Organsystem; es neigt zur Bildung von Konvergenzerscheinungen mannigfaltigster Art hin, da es selbst den leisesten äußeren Impulsen nachgibt. Nichtsdestoweniger ist das Zahnsystem für die Feststellung der Genealogie der Säugetiere nicht zu entbehren. Die Bewältigung und Erkenntniss des Zahnsystems wird deshalb für die moderne Zoologie notwendig. Wir besitzen z. B. von den historisch ältesten, d. h. den mesozoischen Säugetieren keine anderen morphologisch brauchbaren Reste als das Gebiss. Dasselbe gilt auch in Bezug auf viele tertiäre Formen. Das Gebiss liefert uns außer- dem die Handhabe für die Erschließung des historischen Vorganges bei der Säugetierentwicklung, weil es das einzige Organsystem der Wirbel- tiere ist, an dem die Ontogenese, wie sie sich im Milchgebisse manifestiert, mit der historischen Phylogenese direkt verglichen werden kann. Wir sind im stande, das Milchgebiss der einzelnen Formen mit fossilen Be- funden zu vergleichen, also individuell frühere Entwicklungsstufen auf historisch frühere Formzustände beziehen zu können. Dies gewinnt an Wert, da die Untersuchung des individuell früheren Milchgebisses auch bei historisch früheren Entwicklungsstufen oft zugänglich ist. So hat man bei einzelnen Säugetierkiefern der Juraperiode einen Zahnwechsel nach- weisen können. Die Bedeutung des Zahnsystems für die Genealogie der Säugetierwelt ist demgemäß unbestreitbar und eminent. Bei richtiger Wertschätzung der Verhältnisse gewinnen wir in dem Gebiss einen Prüfstein für die Tragweite des biogenetischen Satzes. Während bisher unsere Kenntnis von der Öntogenie des Ge- bisses auf die Untersuchung weniger und meist unabhängig von einander untersuchter 'Tierformen sich stützte, so war W. Leche bestrebt, eine Uebersicht über die Entwicklungsmodi durch zusammenhängende Unter- Leche, Entwieklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. 285 suchungen einer größeren Formenreihe zu gewinnen. Leche stellte sich die Aufgabe, das Unwesentliche auszuschalten und eine Basis zu schaffen, auf welcher erfolgreich weiter gearbeitet werden könnte. Dem vorliegenden, ersten Bande soll ein zweiter Band folgen. Die Vorarbeiten hierzu sind teilweise abgeschlossen. Es wird für den zweiten Band in Aussicht gestellt, das fertige Milchgebiss und dessen Verhalten zum Ersatzgebiss bei möglichst vielen lebenden und ausgestorbenen Reprä- sentanten einzelner geeigneter Säugetierordnungen darzulegen, wobei die ontogenetischen Befunde Berücksichtigung finden werden. Die erkannten Zustände werden Einsicht in die Umgestaltungsgesetze des Zahnsystems weiterer Formenkreise gestatten. Die gewonnenen Resultate werden unter kritischer Berücksichtigung der Gesamtorganisation genealogisch ihre Verwertung finden. Die im vorliegenden ersten Teile niedergelegten Untersuchungen sind an Schnittserien von folgenden Tierarten gewonnen: Inseetivora: ZErinaceus europaeus, Erieulus setosus, Sorex vulgaris, Crossopus fodiens, Talpa europaea, Scalops aquaticus, Condylura eristata. Carnivora: Felis domestica, Canis familiaris, Phoca groenlandica. Chiroptera: Phyllostoma hastatum, Desmodus rufus, Vesperugo serotinus, Uynonyeteris aegyptiaca. Marsupialia: Didelphys marsupialis, Myrmecobius fasciatus, Perameles nasuta, Trichosurus vulpinus, Phascolarctus cinereus, Macropus ualabatus. Edentata: Tatusia peba, » hybrida, Bradypus Sp. Tamandua tridactyla, Manis trieuspis. Cetacea: Phocaena communis, Balaenoptera borealis. Primates: Homo sapiens. Diese zahlreiche und gut gewählte Formengruppe, genau untersucht, ist geeignet, eine Uebersicht über die wichtigeren Modifikationen der Ent- wicklung des Säugetiergebisses gewinnen zu lassen. Nagetiere und Huf- tiere sind von Leche’s Untersuchungen ausgeschlossen. Für Halbaffen werden spätere Nachträge in Aussicht gestellt. Meistens sind mehrere Stadien, bis 11, der angegebenen Formen unter- sucht worden. Schnittserien mehrerer Stadien von Süredon pisciformis, Anguis fragilis, Lacerta vivipara und Iguana tubereulata wurden durch Leche zur Vergleichung herangezogen. 286 Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. Der Darlegung der speziellen Verhältnisse geht eine Uebersicht des heutigen Standpunktes unserer Kenntnis von der ontogenetischen Ent- stehung der Milch- und Ersatzzähne voraus, um die für die eigene Unter- suchung bedeutsamen Punkte hervorheben zu können. Leche beginnt seine Darstellung mit den Verhältnissen bei Prinaceus europaeus. Die früheren Angaben von Sahlertz, welcher allerdings nur gelegentlich einen oberen Milcheckzahn beobachtet hat, stimmen bezüglich der Anzahl der verkalkten Zähne des Milchzahngebisses vollkommen mit der an Serienschnitten gefundenen überein. Leche stellt für Erin. europ. unter Berücksichtigung aller zu irgend einer Zeit funktionierenden und verkalkten Zähne, folgende Zahnformel auf. Ein oberer Milcheekzahn wird hierbei als konstant aufgefasst: 1.2.3 1 2. 3. 4 1. 2.3 7 1 2 (&% 1 12. 3. 4 M. Bustealayralaiı aba. ek 2. 3. 1 3. 4. 1. 2.3 Die Ersatzähne sind in der Zahnformel durch fette, die Milchzähne durch einfache Zahlen unterschieden. Das Gebiss des Igels ist während der ersten Lebensmonate -— von den Molaren abgesehen — aus den verschiedenen Arten, aus den echten Milchzähnen, den nicht wechselnden Ante-Molaren und aus immer echten Prämolaren zusammengesetzt. Zweifellos sind die beim jungen Indi- viduum als Jd. 1 Jd. 2. Cd. Pd. 4 Jd. 2. Pd. 4 zu bezeichnenden Gebilde dem gewöhnlichen Sprachgebrauche nach als Milchzähne zu betrachten, da an deren Stelle die einzigen Ersatzzähne treten, welche regelmäßig zur vollen Ausbildung kommen. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie diejenigen Ante- Molaren zu beurteilen seien, an deren Stelle keine Ersatzzähne auftreten. Das sind die als J.3 P.2 kenne! Eye) rkin) zu bezeichnenden Zähne. Die Entwicklungsgeschichte sichert die Deutung, dass die genannten Ante-Molaren zur selben Dentitionsreihe wie die oben erwähnten Milchzähne gehören, mithin persistierende Milchzähne sind. Diese Zähne gehören also der ersten Dentition an. Da diese Ante-Molaren während des ganzen Lebens funktionieren, so besteht das definitive Gebiss des Igels aus Elementen der ersten und der zweiten Dentition. Für die Ansicht der Zugehörigkeit der genannten Zähne zur zweiten Dentition führt Leche folgende Gründe an. Der obere C. ist seiner ganzen Entwicklung nach der zweiten Dentition zugehörig; aber durch rasches Wachstum, im Verbande mit dem Rudimentärwerden und dem zeitigen Ausfalle des vorausgehenden C., wird er etwas später als die Zähne der ersten Dentition fertig und funktioniert zusammen mit diesen. Wenn nun diese Entwicklung in der eingeschlagenen Richtung fortschreitet, so wird C. in die Reihe der Ante-Molaren erster Funktionsreihe übertreten. Diese Erwägung legt die Ansicht nahe, dass auch die anderen nicht Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. 287 wechselnden Ante-Molaren der zweiten Dentition angehört haben mögen, dass sie Vorgänger gehabt haben, welche sie im Laufe der Ontogenie verloren haben, wodurch ihre Anlage und Ausbildung beschleunigt worden ist. Das Vorkommen einer rudimentären Zahnanlage labialwärts von oberen J. 3 unterstützt diese Auffassung. Beim neugeborenen Igel erreicht jene Zahnanlage das Schmelzkeimstadium, um beim 8,3 cm langen Jungen zum Epithelialrest zu degenerieren. Die Anlage ist in diesem Zusammenhange als ein Rest des J. 3 einer ersten Zahnreihe auf- zufassen. J. 3 der zweiten Periode entwickelt sich aber ohne Vorgänger und zeigt, wie C. bei weiter vorgeschrittener Reduktion des ©. d. (C. des Milchgebisses) sich in der Ontogenie verhalten werde: ©. bedarf nur des Wegfalls des Vorgängers, um ein Entwicklungstempo zu beschleunigen und um so in eine jüngere Dentitionsreihe überzutreten. Bei Erinaceus besteht also eine vollständige Stufenleiter zwischen Zähnen mit funktionierenden Vorgängern und Zähnen ohne nachweisbare Vorgänger. Schwerer wiegen die aus der vergleichenden Anatomie geholten Er- wägungen. Bei den Insectivoren besteht eine verbreitete Differenzierungs- richtung der Ante-Molarenreihe. Die vordersten Schneidezähne differen- zieren sich höher, während die mittleren Ante-Molaren funktionell ent- lastet und reduziert werden. Hierbei verhalten sich namentlich zwei Zähne charakteristisch, nämlich die unteren J. 1 und ©. Der erstere schwindet unter der Ausbildung von J. 2 schließlich ganz, sodass der untere J. 2 keine entsprechende Entfaltung, wie der obere J. 1 erlangt. C. weist alle Stufen der typischen Ausbildung bis zur Uebereinstimmung mit den Schneidezähnen resp. Prämoloren auf. Bei den Talpiden kommt dieser Differenzierungsprozess in verschiedenem Maße und in verschiedener Art zum Ausdrucke. Bei Talpa ist die Eekzahnkrone gut entwickelt; bei Scaptonyx sind die Eckzähne nicht mehr typisch ausgebildet. Bei Scapanus und Myogale bildet sich der untere J. 2 aus, und J.1 ist bei diesen ebenso wie die vorderen Prämoloren nur schwächer entfaltet, welche bei Scalops sogar in ihrer Anzahl verringert sind. Bei Urotrichus und Uropsilus “ist der untere J. 1 verschwunden, und die Prämolaren sind noch mehr vermindert. Auch bei den Centetidae sind C. und der untere J. 1 reduziert. Bei den Sorzeidae liegt die höchste Entwicklungs- stufe vor. Hier sind die minderwertigen Ante-Molaren im Unterkiefer fast vollständig, im Oberkiefer verschieden gradig, am vollständigsten bei Anourosorex entwickelt. Der höhere Differenzierungsmodus wird stets im Unterkiefer angetroffen (Urotrichus, Uropsilus, Soricidae). Unter Berücksichtigung dieser T'hatsachen sowie der Gesamtorgani- sation der Erinaceidae muss das Erinaceus-Gebiss als durch Entwertung der mittleren und durch höhere Ausbildung der vorderen Ante-Molaren entstanden aufgefasst werden. Gymmura besitzt beinahe typische Eck- zähne bei mäßiger Differenzierung der oberen Schneidezähne. Hylomys hingegen besitzt Eckzähne, welcht nicht differenziert und Prämolaren ähnlich sind. Bei Erinaceus ist C. stets im Unterkiefer, im Oberkiefer meist prämolarenähnlich; gleichzeitig ist die Zahl der Ante-Molaren reduziert, und der untere J. 1 ist verloren gegangen. Da überdies die Sonderung im Unterkiefer weiter vorgeschritten ist als im Oberkiefer, so gewinnt die Deutung des Erinaceus-Gebisses an Halt. 288 Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. Der Zahnwechsel ist bei Zrinaceus teilweise verloren gegangen. Diese Reduktion hat naturgemäß bei den physiologisch am meisten ent- wertesten mittleren Ante-Molaren ihren Anfang genommen. Die bei Erinaceus keinem Zahnwechsel unterworfenen Ante-Molaren gehörten der zweiten Dentition an; sie haben durch den Verlust der ent- sprechenden Zähne der ersten Dentition ihr Entwicklungstempo be- schleunigt und traten so allmählich in die Reihe der ersten Dentition über, um zuerst mit dieser, später zusammen mit den Ersatzzähnen zu funktionieren. Öntogenetisch ist dieser Gang in verschiedenen Phasen noch bei J. 3 und ©. des Öberkiefers vorgezeichnet. Diese Zähne als Milchzähne aufzufassen, ist vom ontogenetischen Standpunkte aus durch- aus gerechtfertigt. Diese Annahme wird aber durch die vergleichend anatomische Forschung im obigen Sinne korrigiert. Es handelt sich um eine Art Cänogenese. Die richtige Beurteilung dieser Verhältnisse ist für die exakte Auffassung der Beziehungen beider Dentitionen zu einander von grösster Bedeutung. Es wird hier beleuchtet, wie ursprünglich ge- trennte Dentitionen sekundär in einander wachsen, wie der Uebertritt eines Zahnes der einen Dentition in die andere während der Ontogenie erfolgt, indem Beschleunigung oder Hemmung der Entwicklung einzelner Zähne eintritt. Die einzelnen Abschnitte, in welchen Leche die ontogenetischen Befunde darlegt, sind mit zusammenfassenden Bemerkungen versehen. In diesen wird des Nähern auf die litterarischen Kontroversen eingegangen. Allgemeine Ergebnisse und Folgerungen sind in den letzten 30 Seiten niedergelegt. Die wichtigsten Ergebnisse sind die folgenden. Für den Aufbau einerMorphologie des Zahnsystems treten die Unter- suchungen über das Wesen der Dentition, die Anzahl derselben sowie deren Beziehungen zu einander und zur Schmelzleiste in den Vordergrund. Der sogenannte Zahnwall und die Zahnfurche haben keine ursäch- lichen Beziehungen zur Zahnentstehung oder Zahnentwicklung. Dieselben treten bei Erinaceus, Didelphys und Tatusia erst auf, nachdem die Zahn- anlagen einen hohen Ausbildungsgrad erreicht haben. Beim Menschen besteht ein eigentlicher Zahnwall zu keiner Zeit. Jene-Bildungen haben ihre Bedeutung für die Konfiguration der Mundhöhle während der zahn- losen Lebensperiode. Sie stehen auf gleicher Stufe in ihrer Bedeutung wie die Lippenfurche u. a. Bildungen. Mit der Schmelzleiste etwa gleichzeitig tritt die Lippenfurche auf. Diese vertieft sich allmählich und wird mit Zellen ausgefüllt, so dass sie als Lippenfurchenleiste in das Mesoderm einwuchert. Aus dem Zerfall der in der Mitte gelegenen Zellen geht das Vestibulum oris hervor (Erinaceus); Lippenfurche und Schmelzleiste gehen aus getrennten Anlagen hervor; beide können nur sekundär streckenweise in Verbindung treten. Baume’s und Röse’s gegenseitige Ansichten über jene Bildungen ver- tragen keine Verallgemeinerungen. Röse bezeichnete die über das Niveau der übrigen Schleimhaut her- vorragende Epithelialverdickung als die primäre Zahnleiste im Gegensatze zu der in das Mesoderm eingesenkten und sekundären Schmelzleiste. Leche hat eine solche primäre Leiste bei Didelphys marsupialis an- getroffen; er hält es aber für nicht angezeigt, die fraglichen Bildungen als primäre und sekundäre von einander zu scheiden. Die erstere ist Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. 289 vielmehr als das Anfangsstadium der Zahnleiste zu betrachten; aus ihr geht direkt die letztere hervor. Der Autor hält daran fest, dass bei Säugetieren der Ausgangspunkt für die Zahnbildung in einer einheitlichen Epithelleiste angetroffen wird. Die Schmelzleiste ruft überall da, wo sie genügend tief in das Mesoderm eindringt, eine Verdichtung in diesem hervor (Baume). Diese Verdichtung und Abplattung der Mesodermzellen stellen durchaus nicht immer die Anlage eines Zahnsäckchens oder einer Zahnpapille dar, son- dern sind als das rein mechanische Produkt des Eindringens der Eetoderm- leiste aufzufassen. Wo Schmelzkeime entstehen, schreitet die Verdichtung der Mesodermzellen zur Bildung von Zahnsäckchen und Zahnpapille vor, während durch die Reduktion der Schmelzleiste in den Räumen zwischen den Schmelzkeimen die von jener hervorgerufene Differenzierung wieder ausgeglichen wird. Der Schmelzkeim entsteht durch Zellenwucherung der Schmelzleiste ausschließlich oder doch vorzugsweise an der labialen Fläche. Degenerierte Zähne entstehen in gleicher Weise. Die Ausbildung des Schmelzkeimes geschieht in drei Stadien, welche als das knopfförmige, kappenförmige und als das glockenförmige Stadium bezeichnet werden. Im glockenförmigen Stadium, in welchem die Diffe- renzierung der Zellen in inneres und äußeres Schmelzepithel sowie in die Schmelzpulpa erfolgte, hat der Schmelzkeim den Höhepunkt seiner Ausbildung erreicht. Bei Bradypus und Phocaena kommt es niemals zur Ausbildung einer Schmelzpulpa. Dieses Verhalten bezeichnet eine rückschrittliche Entwick- lung. Dabei bleibt es befremdend, dass die Zähne von Dalaenoptera mit typischer Schmelzpulpa ausgestattet sind. Die zeitige Rückbildung der Cylinderformn der Zellen des inneren Schmelzepithels steht bei Tatusia und Bradypus in Beziehung zu dem Umstande, dass hier kein Schmelz gebildet wird. Die wichtigste und wahrscheinlich auch die primäre Auf- gabe des Schmelzkeimes ist die formbildende; der Schmelzkeim gibt die Unterlage ab für die spätere erst durch die Odontoblasten zu schaffende Dentinmasse. Der Schmelzkeim schnürt sich in einer gewissen Zeit von der Schmelzleiste ab. Dies beginnt im glockenförmigen Stadium des Schmelz- keimes mit der Entstehung der Schmelzpulpa. Dabei schnürt sich das tiefe Ende der Schmelzleiste ab und erscheint auf Frontalschnitten als „Knospe“ oder „Spross“, welches zuerst vorn und hinten, darauf in der Mitte des Schmelzkeimes sichtbar wird. Da diese Differenzierung des Schmelzkeimes labialwärts erfolgt, so tritt das tiefe Ende der Schmelz- leiste lingualwärts auf, und da die „Knospe“, das sichtbare Produkt des Abschnürungsvorganges des Schmelzkeimes von der Schmelzleiste ist, so kann dieselbe an und für sich nicht identisch mit einer Schmelzkeim- resp. einer Zahnanlage sein, zumal die Entstehung einer Knospe nicht an eine bestimmte Dentitionsreihe gebunden ist. Die „Knopsen“ treten bei typischen Milchzähnen sowie bei den Zähnen auf, welche in der Regel ohne Nach- folger sind, wie die Ersatzzähne und die Molaren. Es ist nicht beobachtet worden, dass bei allen Ersatzzähnen ein Schmelzleistenteil vom Keime abgeschnürt wird. Die Schmelzleiste wird möglicherweise bei der Bildung AVI. 19 340) Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. einiger Zahnanlagen völlig aufgebraucht, sodass dann keine Abschnürung erfolgen kann. Bezeichnet die „Knospe“ nun den beginnenden Abschnürungsprozess des Schmelzkeimes von der Leiste, so ist dieser Prozess andrerseits die notwendige Voraussetzung für das Zustandekommen eines neuen Schmelz- keimes. Aus dem Abschnürungsprodukte entwickelt sich ein neuer Zahn oder eine „Knospe“, welche zu Grunde geht. Für den ersteren Fall muss nach der Bildung älterer Schmelzkeime noch genügend Material übrig bleiben, damit die Schmelzleiste eine neue jüngere Dentition entstehen lasse. Bei der Mehrzahl niederer Wirbeltiere verbrauchen die einzelnen Zahngenerationen einen geringen Teil der breiten tiefen Schmelzleiste, sodass der linguale Teil der letzteren in ganz anderen Volumverhält- nissen zur Zahnanlage bei Säugetieren zu stehen kommt. Befunde bei letzteren geben Belege für die Auffassung von der Vorbedingung der Entstehung eines neuen Zahnes. Bei Erinaceus und Talpa wurden Bilder gewonnen, welche bestätigen, dass zwischen der Zahnbildung der Rep- tilien (z. B. I/guana) und Säugetiere nur ein gradueller Unterschied be- steht, dass dieser durch das größere Zahnindividuum bei Säugetieren ver- ursacht wird. Bei Formen mit schwachen Backenzähnen erster und zweiter Dentition (von Phoca, Desmodus) bleibt der abgeschnürte Teil der Schmelz- leiste verhältnismäßig groß, sodass sich hier größere „Knospen“ lingual- wärts erhalten, und dadurch eine größere Prädisposition für das Zustande- kommen einer dritten Dentition gegeben ist. Aus dem für die Prämolaren nicht verbrauchten Materiale können nachweislich Zähne hervorgehen. So wird es verständlich, dass in der Regel die Molaren keine Ersatz zähne haben, deren Größe einen bedeutenden Verbrauch der Schmelzleiste im Gefolge haben. Sind daher die Molaren schwach entfaltet, so können sich auch Ersatzzähne ausbilden. Es ist daran festzuhalten, dass die Ersatzzähne nicht Abkömmlinge der Milchzähne seien (Baume), dass beide vielmehr aus der gemeinsamen Schmelzleiste hervorgehen. Jeder jüngere Zahn entwickelt sich lingual- wärts vom älteren aus dem Schmelzleistenende. Es besteht trotzdem ein Konnex zwischen den entsprechenden Zähnen verschiedener Dentitionen; derselbe ist wohl auf die gleichartigen mechanischen Einflüsse zurückzuführen. Der Zusammenhang zwischen Milch- und Ersatzzähnen ist demnach ein rein lokaler (Hensel). Die morpho- logische Unabhängigkeit besagter Zähne erhellt aus Fällen, wo wie bei Raubtieren der obere Reisszahn des Milchgebisses durch einen permanenten Lückenzahn, und der Mahlzahn desMilchgebisses durch den Reisszahn des permanenten Gebisses ersetzt wird. Auch das verschiedenartige Gepräge, welches ein hochgradiger Funktionswechsel, verbunden mit Reduktion, dem Milchgebisse der Chiropteren aufgedrückt hat, kann nur bei morpho- logischer Unabhängigkeit der entsprechenden Zähne verschiedener Den- titionen zu stande gekommen sein. Die Kriterien, welche Leche bei der Entscheidung leiten, ob ein Zahn der ersten oder der zweiten Dentition angehöre, sind die folgenden. Hat der fragliche Zahn einen Vorgänger oder Nachfolger, so ist die Frage leicht zu beantworten. Schwieriger wird die Entscheidung zu treffen sein, wenn nur ein Zahn an der betreffenden Stelle erscheint. Die Gleichzeitigkeit der Funktion ist kein entscheidendes Merkmal. Das Vorkommen einer Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. 291 „Knospe“, d. h. das mehr oder weniger frei hervortretende Schmelz- leistenende neben einem Schmelzkeime beweist auch keineswegs, dass der letztere zur ersten Dentition gehöre. Die Gleichzeitigkeit der Anlage ist hingegen ein wichtiges Kennzeichen, wenn es auch nicht absolut maßgebend ist. Dieselbe ist Störungen und Anpassungen weniger aus- gesetzt als die oben angegebenen Erscheinungen: denn die Anlagen der zu derselben Zahngeneration gehörigen Zähne differenzieren sich nahezu gleichzeitig. Zeitliche Verschiebungen können trotzdem auftreten (Brinaceus). Zähne derselben Dentition nehmen nicht in allen Stadien dieselbe Ausbildungsstufe an. Zähne der zweiten Dentition können durch be- schleunigtes Entwicklungstempo ihre Dentitionsgenossen überholen und gleichzeitig mit Zähnen der ersten Dentition funktionieren. Auf diese Weise erfolgt ein sekundäres Ineinanderwachsen verschiedener Dentitionen. Die oberen C. bei Erinaceus liefern ein lehrreiches Beispiel hierfür. Zähne, die ihr verspätetes Auftreten dem Platzmangel im embryonalen Kiefer verdanken, können natürlich nicht zu einer späteren Generation gerechnet werden (Weisheitszahn). Wenn in einzelnen Fällen ein Zweifel besteht, welcher Dentition ein Zahn zuzurechnen sei, so darf dies doch nicht als ein Einwand gegen die Annahme verschiedener Dentitionen angeführt werden. Die Dentition ist als Zahngeneration aufzufassen. Zur ersten Dentition gehören die- jenigen Zähne, welche einer historisch früheren, zur zweiten Dentition diejenigen, welche einer späteren Entwicklungsstufe angehören. „Die Zähne, welche der ersten Dentition der Placentalier entsprechen, bilden auf dem älteren Stadium: Marsupialia (mit Ausnahme des P. 3) die einzige, die persistierende Dentition; die zweite wurde wahrscheinlich erst von den Placentaliern vollständig erworben.“ Bei vielen Säugern bewahrten Zähne der ersten Dentition Merkmale von fossilen Vorfahren, indessen die entsprechenden Zähne der zweiten Dentition abgeändert wurden. Durch die Annahme verschiedener Dentitionen wird der unmittelbare Anschluss an die polyphyodonten niederen Wirbeltiere ermöglicht. Bei den Amphibien haben wir es mit Zahngenerationen zu thun, wenn schon von einem reihenweis erfolgenden Ersatze nichts vorhanden ist (Baume). Der Zahnwechsel läßt bei Reptilien eine ziemlich regelmäßige Reihenfolge auf einander folgender Dentitionen erkennen (Leche, Röse). Die jüngeren Dentitionen sind auch bei Tejw teguixin weniger differenziert als die älteren (Koken). Bei Reptilien und Säugetieren deckt sich der Begriff der Dentition mit dem „reihenweise Auftreten“, welcher die un- mittelbare Folge der höheren Differenzierung der einzelnen Komponenten des Gebisses ist. Die bei Reptilien auftretende Sonderung steigert sich bei Säugetieren zu höherer Individualisierung der Zähne, womit die Massenproduktion ihr Ende erreicht. Die Zähne werden allmählich der Form und der Zeit nach immer mehr different. So kommt der Zahnwechsel von wenigen, aber in strenger Reihenfolge folgenden Zahngenerationen zu stande. Bei Carnivoren, Primaten etc. deckt sich die schärfste zeit- liche Sonderung mit dem deutlichsten „reihenweisen Auftreten“. Dabei können aber auch Zähne der 2. Dentition durch beschleunigtes Entwick- lungstempo die Dentitionsgenossen überholen. Es kann auf diese Weise 19* 999 Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. ein sekundäres Ineinanderwachsen ursprünglich getrennter Dentitionen erfolgen. Leche behandelt weiterhin die Frage, in welcher Weise sich die Reduktion des Gebisses in den beiden Dentitionen geltend mache. Die Reduktion kommt erstens dadurch zu Stande, dass einzelne Teile des Gebisses durch höhere Arbeitsleistung mehr speecialisiert werden und dadurch andere Teile allmählich entlasten und zum Schwunde bringen, zweitens dadurch, dass die Nahrungsweise der Tiere das Zahnsystem als Ganzes oder in Abschnitten überflüssig werden und dadurch der Rückbildung ver- fallen lässt, wobei Zahnteile oder Zähne schwinden, ohne dass ein Ersatz durch die höhere Ausbildung erlangt wird. Das zahnlose Stadium ist bei allen Gnathostomata ein sekundärer Zustand. Der Monophyodontis- mus, d. i. das Auftreten nur einer Reihe verkalkter Zähne, sowie Vor- bereitungen zu diesem durch Ausfall eines Zahnelementes bei sonst diphy- odonten Säugern ist ebenfalls eine Sekundärerscheinung. Die ontogenetischen Thatsachen verhalten sich zu den auf vergl. anatom. Wege erlangten Ergebnissen folgendermaßen: Bei den Marsupialia liegen keine Reduktionen vor, hat nie ein aus- gebildetes Ersatzgebiss existiert; bei ihnen sind außerdem „Vor-Milch- zähne“ vorhanden. Das fast monophyodonte Gebiss der Marsupriaha ist daher nicht im obigem Sinne des Monophyodontismus zu deuten. Wo letzterer aber sonst bei Säugern auftritt, ist die erste Dentition ver- schwunden, während die zweite persistiert (Soricidae, Bradypus). Zweifel- haft sind die Verhältnisse bei den Waltieren. — Der erste Backenzahn bei Cunis und Phoca gehört sicherlich der 2. Dentition zu. Das spricht nicht gegen die Möglichkeit eines gelegentlichen Vorkommens eines Pd. 1. Die Ursachen des Verlustes genannter Zähne bei, Prinaceidae, Canis und Phoca beruht in der Entwertung einiger Regionen des Gebisses. In solchen Fällen schwindet die schwächere, weniger wertvolle erste Gene-' ration früher als die besser angepasste zweite. P. 1 schwindet bei fortgesetzten Reduktionen aber auch bei zahlreichen Raubtieren. Der Monophyodontismus bei Dradypus wird von hier aus verständlich. Die Milchzähne wurden zuerst unterdrückt. Die Rückbildung bei Dradyp., Brinac. und Carnivora ist derartig, dass beide Dentitionen ihr unterliegen. Und da die erste Dentition die schwächere ist, wird sie zuerst unterdrückt, obschon sie ein primitiveres Verhalten aufweist. Bei Chiromys haben beide Reduktionsarten ihren Einfluss geltend gemacht. Infolge der Ausbildung des nagerartigen Schneidezahnes erfolgt in der 2. Dentition die Unterdrückung anderer Ante-Molaren, während die durch die Nahrungsweise hervorgerufene Ent- wertung der Backenzahnreihe eine gehemmte Ausbildung dieser verursacht. Auf die erste Dentition hat die Reduktionsart, welche auf der Diffe- renzierung von Gebissteilen beruht, keinen nachweisbaren Einfluss aus- geübt. Die Reduktion, auf Veränderung der Nahrungsweise beruhend, hat sich kaum merkbar gemacht. Die Milchzähne sind daher bei Ohiromys fast ganz so zahlreich wie bei anderen Halbaffen. Bei Bradypus, Erinae., Canis und Phoca sind daher beide Dentitionen durch Reduktionen beein- flusst; die Wirkungen treten hauptsächlich an der schwächeren, ersten Dentition zu Tage. Bei C'hiromys hingegen ist vornehmlich das persi- Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. 29) stierende Gebiss beeinflusst; und zwar durch die mit der Differenzierung verbundene Reduktionsart. Leche tritt weiterhin der Frage näher, welcher Dentition die Mo- laren angehören, welche man bisher derselben Zahnreihe wie die Ersatz- zähne zuzählte. Bei Galeopithecus ergab sich jedoch deren Zugehörig- keit zur 1. Dentition. Diese Annahme hat L. in anderen Untersuchungen zu begründen versucht (1888). Die Molaren differenzieren sich beim Schafe (Pouchet et Chabry) und Menschen (Röse) direkt aus der Schmelzleiste. Dies Verhalten trifft nach L. für alle Säugetiere zu. Der von der Schmelzleiste sich emancipierende Schmelzkeim kommt ober- flächlich von den Molaren zum Vorscheine; die freie Spitze ist lingual- wärts gerichtet. Die Ursache hierfür ist in der bedeutenden Größe der Molaren, verglichen mit den vorstehenden Milchzähnen, zu suchen; denn wo die Molaren schwach sind (Desmodus) stimmt das Verhalten zwischen Schmelzkeim und Leiste mehr mit dem anderer Zähne überein. L. fand ein freies Schmelzleistenende bei M. 1 und M. 2 bei allen Säugetieren, bei mehreren unter ihnen aber das besagte Ende knospenförmig an- geschwollen. Diese 'T'hatsachen beweisen die Zugehörigkeit der Molaren zur 1. Dentition nicht: aber die folgenden Momente machen sie in hohem Grade wahrschemlich: 1. Da alle Umstände dafür sprechen, dass die persistierenden Ante-Molaren (ausgenommen P. 3) der ersten Dentition der Placentalia entsprechen, so werden auch die Molaren dieser Tiere keiner anderen Zahngeneration angehören. Die Homologie der Molaren der Marsup. und Placent. aber kann nicht gut bezweifelt werden. 2. Die Richtigkeit der Ansicht wird durch Verhalten des M. 1 bei Phoca er- wiesen; denn dieser verhält sich thatsächlich zu einem Ersatzzahne ganz wie zum Milchzahn. Ist aber M. 1 der Phocidae denjenigen der übrigen Säuger homolog, so ist sicher M. 1 und deshalb auch M. 2—3 (4) der ersten Dentition angehörig. Aus diesem Befunde bei Phocidae, zusammen- gehalten mit dem Vorkommen eines freien, zuweilen knospenförmigen Schmelzleistenendes lingualwärts von den Molaranlagen, erhellt, dass mehrere Zahnserien im Bereiche der Molaren ebensowenig wie bei den Prämolaren vorkommen. Mit der Anlage einer zweiten Dentition ist die Entwieklungsmöglich- keit nicht erloschen: es können Repräsentanten eimer dritten Dentition auftreten. Es ist bei Erinaceus und Phoca nachgewiesen, dass aus den Knospen lingualwärts von „Ersatzzähnen“ Zähne einer dritten Generation hervorgehen können. Solche kommen vielleicht nicht selten vor. Auch beim Menschen sind Zähne einer 3. Generation mehrfach beobachtet, wennschon eine Verwechslung mit retinierten Zähnen nicht ausgeschlossen ist. In diesen Befunden kommt ein völlig normaler progressiver Ent- wicklungsprozess, d. h. ein Fall von Erwerbung neuer ÖOrganteile zum Ausdrucke. Dieser Vorgang ist nicht ohne Analogie; die sog. 2. Den- tition (Ersatzgebiss) ist nach L. erst innerhalb der Säugetiere entstanden. Es kann also die Wiederholung eines solchen Prozesses nicht ganz aus- geschlossen sein. Es ist demnach sogar ein Prozess schon im Gange, vermöge welches eine 3. Dentition der Säugetiere, also ein neues Ersatz- gebiss ins Leben treten kann. Aber auch mit einer 3. Dentition ist es bei den Säugetieren nicht abgethan. Vor der 1. (Milch)-Dentition traten nämlich noch als älteste 294 Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. Generation die Vor-Milchzähne auf. Bei Marsupium - Jungen von Myrmecobius, Macropodidae und Phascolarctus treten im vorderen Kiefer- ende labialwärts von den Zähnen der 1. Dentition kleine, rückgebildete, zeitig fertige und völlig verkalkte Zähne auf. Diese Zahnrudimente sind Reste eines von niederen Tieren ererbten Gebisses, welches älter ist als die der 1. Dentition der Placentalier homologe Zahnserie. Bei Placen- taliern sind bisher mit Sicherheit keine verkalkten Gebilde, den Vor- Milchzähnen homolog, nachgewiesen worden. Bei Didelphys und mehreren Placentaliern hat L. aber knospenförmige Hervorragungen angetroffen, welche von dem oberflächl. Teile der labialen Fläche der Schmelzleiste ent- stehen. Diese Gebisse dürfen als Reste der Vor-Milchzähne gedeutet werden; denn bei Myrmecobius hat die Schmelzleistenpartie der verkalkten Vor-Milchzähne dieselben Beziehungen zu derjenigen des (persistierenden) Milchzahns wie die besagten Epithelialsprossen zur Schmelzleiste bei Didelphys und Placentaliern sie haben. Der Entwicklungsgang für die vier bei den Säugetieren vorkommenden Dentitionen (I—IV) gestaltet sich folgendermaßen: 1. Marsupialia. Dentition I (Vor-Milchzähne) findet sich vom im Kiefer von Marsupium-Jungen, entweder aus verkalkten, aber rudimentären und nicht funktionierenden Zähnen oder aus Sprossen der Schmelzleiste zusammen- gesetzt. Dentition II (Milchgebiss): völlig ausgebildete Antemolare und Molare, welche mit Ausnahme von P. 3 das ganze Leben persistieren. Dentition III (Ersatzgebiss): P. 3 ist der einzige, völlig aus- gebildete Repräsentant, andere treten nur als knospenförmige Schmelz- keime bei jungen Tieren auf. 2. Placentalia. Dentition I erreicht nicht mehr das verkalkte Stadium, sondern ist nur durch Knospen der Schmelzleiste während des Embryonallebens vergegenwälrtigt. Dentition II persistiert mit Ausnahme der Molaren nicht während des ganzen Lebens, ist von verschiedener Dauer und Ausbildung. Dentition III ersetzt alle Molaren der Dentition II und stellt mit den Molaren die funktionierende Zahnreihe des Erwachsenen dar, Dentition IV ist meist nur lingualwärts von Dentition III durch Knospen der Schmelzleiste vertreten, aus welcher zuweilen völlig aus- gebildete Zähne hervorgehen. Die Genese der vier Zahngenerationen ist in der Weise zu ver- stehen, dass nicht alle Dentitionen des reptilienähnlichen Gebisses der Säugetiervorfahren übernommen worden sind, da infolge des Diffe- renzierungsprozesses die Polyphyodontie einer Oligophyodontie Platz machte. Von diesen Zahngenerationen ist die völlig funktionslose Den- tition I bei Säugern als Rest aufzufassen. Die Dentition II indessen passte sich jedoch den neuen Anforderungen an und funktioniert, ohne gewechselt zu werden. Allmählich machte sich das Bedürfnis eines Er- satzes der am längsten funktionierenden vorderen Zähne (Ante-Molaren) geltend: es entstand als Neuerwerb die Dentition III, welche bei Marsu- pialia nur unvollständig zur Ausbildung kam. Die Dentition IV ist gewissermaßen das für die Zukunft in Aussicht stehende Gebiss. Leche, Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. 295 Als ursprüngliches Gebiss ist für die Säugetiere dasjenige zu be- trachten, in welchem mindestens zwei Dentitionen auftreten. Dieser Diphyodontismus wurde repräsentiert durch das Vor-Milchgebiss (I) und das Milchgebiss (II). Das Ersatzgebiss (III) ist als Zuthat des Zahnsystems der Säugetiere zu betrachten und hat kein Homologen bei niederen Wirbeltieren. Für die Beurteilung der ursprünglichen Bedeutung der Den- tition II ist die lange Persistenz maßgebend, wodurch sich diese Dentition bei einigen niedersten Säugetieren noch heute auszeichnet und so ihre größere funktionelle Bedeutung bekundet. Dies zeigt sich bei Didelphys durch Pd. 3 bewahrheitet (Hensel), bei den Insektivoren durch die Ante-Molaren, welche bei Hemicentites erst beim erwachsenen Tiere ge- wechselt werden. Andere Beispiele deuten ebenfalls darauf hin, dass die jetzt noch temporäre Dentition II früher wichtigere bleibende Funktionen gehabt habe, dass eine vollständige Scala des Rudimentärwerdens des Milchgebisses von höheren zu niederen Säugetieren nicht vorgelegen hat. Die Dentitionen heben sich auch insofern als Zahngenerationen her- vor, als zuerst Dentition I, dann Dentition II und, erst wenn das Zahn- system überhaupt entwertet wird, die von den Säugetieren neuerworbene Dentition III der Rückbildung anheimfällt. lLeche vertritt die Ansicht gegen Kowalewsky, Schmidt und Schlosser, dass eine Vermehrung der Zahnanzahl bei Säugetieren statt- finden könne. Es ist nämlich beobachtet, dass neue entwicklungsfähige Schmelzkeime aus der Schmelzleiste, beim Mensch selbst in großer Anzahl entstehen können (vgl. Kollmann, Röse). Es werden hier während der Ontogenese weit mehr Keime angelegt als zur Ausbildung kommen. Von den Keimen, welche sonst resistiert werden, können natürlich auch unter gegebenen günstigen Umständen einige zur Ausbildung kommen. Es handelt sich dann hier um eine progressive Entwicklung, nicht um einen Atavismus. Im Einzelfalle wird es immer schwer zu entscheiden sein, ob Vererbung oder Neuerwerbung vorliegt. Bei den Phocidae sind die zwischen den vier Prämolaren auftretenden Zähnen zweifellos Neuer- werbungen, während das Auftreten des M. 2 ebenso unbedingt als atavistisch aufgefasst werden muss. Gegen die „Verschmelzungshypothese“, nach welchen die mehr- höckerigen Säugetier-Zähne aus der Verwachsung von kegelförmigen Rep- tilienzähnen hervorgegangen seien, wendet sich Leche. Er weist auf die folgenden Umstände hin, welche gegen jene Hypothese geltend zu machen seien. Jeder Säugetierzahn geht aus einer vollkommen einheitlichen An- lage hervor, und erst im Laufe der weiteren Entwicklung kann eine Komplikation eintreten, wodurch die Anlage mehrspitzig wird. Eine Zahnanlage aus mehreren getrennten Papillen ist nicht nachgewiesen. Es ist selbstverständlich, dass, da die zuerst in Gebrauch kommenden Teile auch stets zuerst fertig werden, die Kronenspitzen zuerst aus- gebildet werden. Diese Zustände dürfen nicht zu Gunsten einer Ver- wachsung eines Backenzahnes aus mehreren kegelförmigen Reptilienzähnen verwertet werden. Der thatsächlich beobachtete umgekehrte Entwicklungs- modus (Teilung von Backenzähnen in einspitzige Zähne bei den Barten- walen) betrifft ein in Rückbildung begriffenes Zahnsystem. Es ist nicht berechtigt, von solchen Fällen auf einen entgegengesetzten, pro- gressiven Prozess Schlüsse zu ziehen. Andererseits ist es von Wert, zu 396 Rodet, Variabilität der Bakterien. sehen, dass bei Phocaena eine Verschmelzung von ursprünglich vollständig getrennten Zahnanlagen vorliegt (Kükenthal). Hierdurch ist die Mög- lichkeit einer Verwachsung verschiedener Dentitionen unter günstigen Bedingungen dargethan. Die Thatsachen der Paläontologie und vergleichenden Anatomie sprechen entschiedener gegen die „Verschmelzungshypothese“. Eine pro- gressive Entwicklung des Zahnsystems ist innerhalb der Säugetierklasse ontogenetisch und paläontologisch nachweisbar. Allmähliche Vermehrung und Vergrößerung der Kronenspitze erfolgt bei den geologisch ältesten Säugetieren (Dromotherium, Microconodon, Spalacotherium). Die Molaren der Multitubereulata älterer Formen haben mehr Spitzen als diejenigen der späteren. Der Zuwachs der Krone geschieht bei den ersten Huf- tieren durch neu auftretende Höcker. Die historische Entwicklung des Elephantengebisses an demjenigen des Mastodon (Uebergang der Joche in Lamellen, Vermehrung letzterer ete.) ist ebenfalls mit der Verschmelzungs- theorie unvereinbar. Die Leistungen der Ontogenie im Dienste der Morphologie des Zahn- systemes leisten den hochgespannten Hoffnungen, welche man an ontogene- tischen Forschungen knüpfte, keinen Vorschub. Gehegte Erwartungen, aus der Ontogenese Aufschluss über die Entstehung des Säugetiergebisses aus dem der niederen Wirbeltiere zu erhalten, blieben bisher unerfüllt. Zu- dem führen ontogenetische Befunde, allein für morphologische Schlüsse verwandt, zu argen Irrungen. Erst wenn die ontogenetischen Thatsachen in Beziehung zum vergl. anatomischen und paläontologischen Material ge- bracht, wenn die Aussagen beider Instanzen kritisch gegen einander ab- gewogen worden sind, erst dann gelangen wir zu Erkenntnissen, welcher sich genealogisch verwerten lassen, indem sie uns eine Vorstellung von wirklich geschichtlichen Vorgängen geben. Amsterdam, Dez. 1895. G. Ruge. |34] A. Rodet, De la variabilite dans les mierobes. Au point de vue morphologique et physiologique. Application ä la pathologie g&n6rale et & l’hygiene. Paris, J. B. Bailliere et fils, 1894, Q. 294 8. Die Bakteriologie hat in wenigen Jahren eine außerordentliche Zahl von Thatsachen zur wissenschaftlichen Erkenntniss gebracht, aber sie zeigt sich als sehr junge, unfertige Wissenschaft darin, dass es noch nicht ge- lungen ist, in einem einheitlichen System diese 'T'hatsachen einzuordnen. In der allerersten Zeit wurde mehrfach der Versuch gemacht, eine Syste- matik der Bakterien aufzustellen. Diese Versuche, auf allzuwenig Ma- terial gegründet, wurden bald durch neue Beobachtungen überholt. Je mehr die letzteren sich häufen, desto schwerer scheint ihre Ordnung zu werden; inzwischen hat dieser unfertige Zustand dazu geführt, die Nomen- klatur der Bakterien sehr unsicher zu machen und zu vielen Missverständ- nissen Anlass zu geben. Bei dieser Lage ist ein Versuch, die bisherigen Erfahrungen unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu ordnen und die thatsächliche Bedeutung einiger vielgebrauchter Schlagwörter festzulegen, sehr nützlich. Rodet, Variabilität der Bakterien. 397 Dieser Arbeit hat sich Rodet in dem oben genannten Buche „über die Variabilität der Bakterien“ unterzogen. In einem historischen Rückblick erläutert Rodet, warum er gerade dieses Thema gewählt. Pasteur, als er die Bakteriologie als Wissen- schaft begründete, und später Koch, legten von ihrem Standpunkt aus das größte Gewicht auf die Funktion der Bakterien, die sie zunächst für konstant ansahen. Die Botaniker Nägeli, Cohn und Zopf legten der Morphologie größere Bedeutung bei, die überall sonst in den biologischen Wissenschaften die Grundlage unserer Erkenntnis bildet. Aber während Nägeli vollständige Inkonstanz der Formen behauptete, begründete Cohn seine Einteilung der Bakterien auf die Konstanz der einzelnen Formen, und Zopf gab das Bestehen verschiedener Species zu, suchte ihre Cha- rakteristik aber in der Verbindung mehrerer Entwicklungsformen, die dieselbe Art nach einander annehmen sollte. Die neuere Forschung hat unter dem Vortritt Pasteur’s nach- gewiesen, dass auch die Funktionen sicher nicht im strengen Sinn des Wortes konstant seien. Aller dieser Beobachtungen und Behauptungen von Variabilität und Polymorphismus hat sich nun einerseits die Speku- lation bemächtigt, um sie als Beispiele für „die Umbildung der Arten“ zur Stütze der Darwin’schen Theorie zu verwenden, andrerseits stand Koch mit seinen Schülern diesen Beobachtungen lange Zeit sehr skeptisch gegenüber und es sind infolge des starren Artbegriffes dieser Schule eine Menge neuer Arten beschrieben worden, deren Trennung von andern in der Praxis sich nicht durchführen lässt. Deshalb glaubt Rodet zunächst untersuchen zu sollen, in welchen Grenzen thatsächlich Variieren der Form und der Funktion nachzuweisen sei, um daraus dann weiter abzuleiten, welche Kennzeichen als- die kon- stantesten sich am besten zur Charakteristik der Arten eignen müssen. Dementsprechend teilt er seine Untersuchungen in 2 Hauptabschnitte, einen „analytischen“ und einen „synthetischen“. Im dem ersteren, weit umfang- reicheren, wird in 5 Kapiteln das Material zusammengetragen, geordnet und kritisch beleuchtet. Die Kapitel handeln von den Variationen der Gestalt, der physikalischen Eigenschaften der Kulturen, der chemischen Funktionen, der biologischen Charaktere und der pathogenen Eigenschaften der Arten. Diese Einteilung ist durch die verschiedene Fülle des Materials geboten und R. weist selbst ihre Schwächen auf. Er stellt einerseits das erste Kapitel allen anderen gegenüber und weist darauf hin, wie die „physikalischen Eigenschaften“, das heißt das Aussehen der Kulturen, fast ausschließlich bedingt sei von Faktoren, die den beiden nächsten Kapiteln angehören, nämlich den chemischen Funktionen, wie Farbstoff- und Fermentbildung, und den biologischen Charakteren, die verschieden üppiges und rasches Wachsen und dadurch Variation der Kolonieformen bedingen. Etwas zu isoliert scheinen dem Referenten dagegen die Varia- tionen der Pathogenität behandelt zu werden, indem dieselbe als Produk- tion von Giften aufgefasst und in Paralelle zu den chemischen Funktionen gesetzt wird, die Variation der „biologischen Charaktere“ aber, die ent- scheidend dafür werden kann, ob eine Bakterienart sich in einem 'Tier- körper stärker oder schwächer vermehrt, nicht scharf beleuchtet wird. Dabei beschränkt der Verfasser in diesem Kapitel seine Untersuchung nicht auf die Krankheiten, welche schon mit mehr oder minder großer Wahr- 298 Rodet, Variabilität der Bakterien, scheinlichkeit auf bestimmte Bakterienarten zurückgeführt worden sind und bei denen sich experimentell entscheiden ließe, ob wirklich eine Variation in den aktiven Eigenschaften der Bakterien vorliege, sondern zieht auch Variola und Vaccine, die anderen akuten Exantheme und die Hundswut in den Kreis der Betrachtung hinein, Krankheiten, bei denen wir nur nach Analogie bakterielle Erreger annehmen dürfen. Es ist aber hervor- zuheben, dass R. nicht etwa auf dem schwanken Grund solcher Hypothesen neue 'T'heorien aufbaut, sondern sie nur, um die Zahl der Beispiele von „spontanen Variationen“ von Viris zu mehren, in Paralelle setzt zu der experimentellen Abschwächung und Verstärkung der Virulenz der Milz- brand- und Diphtherieerreger. Er hebt überall hervor, wie weit es sich um Thatsachen und wie weit um Hypothesen handelt, aber während er aus den ersteren seine Schlüsse zieht, liebt er es zu zeigen, dass auch die klinischen Erfahrungen, welche wir bisher nur nach Analogie zu der Bakteriologie in Beziehung setzen, sich seinen Anschauungen fügen. Auf das erste Kapitel, in welchem sich R. mit den Variationen der Form beschäftigt, will ich näher eingehen, weil es von besonderem Interesse ist, und um daran die Untersuchungsmethode des Verf., der seinen Stoff von verschiedenen Seiten sehr gründlich betrachtet, zu zeigen. Er führt zu- nächst eine Anzahl von nicht zu bezweifelnden Beispielen an, beginnend mit den verschiedenartigen Wachsfumsformen des Baeillus anthracis im Tierkörper und auf künstlichen Nährböden, den Bedingungen, unter welchen Sporenbildung bei ihm eintritt und ausbleibt, und ähnlichem. Bei nicht so allgemein bekannten T'hatsachen gibt er die Namen der Autoren an, aber ohne genauere Litteraturnachweise. Er findet, dass alle hierher ge- hörenden Thatsachen in drei Gruppen sich ordnen lassen. Die erste sind die Abänderungen der Form, welche in genauer Abhängigkeit von der Natur des Nährbodens oder von den Bedingungen, z. B. der Temperatur, stehen, unter denen die Art gezüchtet wird, und sofort wieder verschwinden, sobald man auf einen anderen Nährboden abimpft oder unter anderen Be- dingungen züchtet. R. schlägt vor, hierfür speziell den Ausdruck Pleo- morphismus anzuwenden. Er weiß wohl, dass derselbe ursprünglich gesetzmäßigen Generationswechsel bezeichnen sollte. Da aber ein solcher bei Bakterien nicht nachzuweisen, mit Pleomorphismus bei Bakterien aber inzwischen alles mögliche andere bezeichnet worden sei, hält er sich für berechtigt, diese neue beschränkende Definition einzuführen. In anderen Fällen lässt sich durch langdauerndes Züchten einer Bakterienart auf einem bestimmten Nährboden, oder durch langdauernde oder auch nur sehr heftige Einwirkung physikalischer Bedingungen (Tem- peratur, Belichtung) derselben eine Abänderung ihres Habitus aufprägen, die vererbbar ist. Dann kann man von derselben Stammkolonie durch verschiedenartige Behandlung zwei Rassen züchten, die nun auf denselben Nährboden geimpft und unter ganz den gleichen Bedingungen gehalten, Unterschiede der Gestalt zeigen. Aber diese Abänderungen sind, soweit unsere bisherigen Erfahrungen reichen, nicht konstant: nach einigen Ge- nerationen tritt, zuerst bei einzelnen Individuen, Rückschlag ein; werden die beiden Rassen dann fortdauernd unter gleichen Bedingungen gehalten, so werden sie auch bald einander wieder vollständig gleich. Diese Fälle einer vererbbaren Abänderung der Formen will R. künftig allein als „Variation“ im engeren Sinne bezeichnet wissen. Zur dritten Gruppe Rodet, Variabilität der Bakterien. 299 stellt R. jene Fälle, in denen man in einer Reinkultur einer Bakterienart verschiedene Formen nebeneinander findet. Dies ist besonders häufig bei jenen Arten, die man ebendeswegen als Proteus benannt hat. Aber R. hebt mit Recht hervor, dass man versucht sein könnte, dieser Eigenschaft wegen auch andere Arten, besonders Bacterium coli, der Gattung Proteus zuzuteillen. Man könnte nun diese Fälle mit Hilfe einer Hypothese in eine der obigen Rubriken zwängen, indem man annähme, entweder, dass in dem Impfmaterial, obgleich es einer anscheinend einförmigen Kultur entnommen war, sich Individuen mit verschiedenen Vererbungsqualitäten befanden, deren Nachkommen sich nebeneinander, aber verschieden ent- wickeln, oder aber dass eine Eigenschaft des Nährbodens oder physika- lische Umstände auf die Bakterien abändernd einwirken, aber in ver- schiedenem Grade auf die einzelnen Individuen. Eine dritte Annahme wäre, dass es sich hier um verschiedene Entwicklungsstadien der Bakterien handle. R. hält es für besser, unter Verzicht auf jede Hypothese alle hierhergehörigen Erscheinungen mit einem besonderen Ausdruck zu be- zeichnen, wofür er „Pluriformität“ vorschlägt. R. sucht sodann einen Ueberblick über die Tragweite und Bedeutung aller erwähnten Abänderungen zu gewinnen. Er findet, dass man, im Gebiet des Pleomorphismus, dieselbe Art in sehr verschiedener Gestalt er- halten kann. Aber dann seien die von der Norm sehr abweichenden Formen immer bedingt durch Einflüsse, die den Bakterien unzweifelhaft schädlich seien, denn in noch höheren Graden verhindern sie ihr Wachs- tum und töten sie endlich. Hierher gehören Zusatz von Desinfizientien oder Säuren zu den Nährböden, abnorme erhöhte T’emperatur, Belichtung, und um einen selteneren Faktor anzuführen, komprimierter Sauerstoff. Die Abänderung trage hier also deutlich pathologischen Charakter. Wendet man sich zur zweiten Gruppe, R.’s Variation, so sind die Formabände- rungen sehr viel geringer. Sie beschränken sich bei Baecillen auf Längen- differenzen der Individuen oder auf die Sporenbildung, bei Kokken auf Bildung von größeren oder kleineren Verbänden. Die Ursachen sind aber hier von derselben Kategorie, wie die oben angeführten, solche die wir als den Bakterien schädlich bezeichnen müssen. Endlich möchte Rodet auch für das, was er als Pluriformität bezeichnet, die Wirkung schädigender Einflüsse annehmen. Rodet’s Induktionsschluss, dass deshalb alle Abweichungen von dem häufigsten, als normal betrachteten Typus einer Bakterienart als patho- logische Degenerationen anzusehen wären, weil sie verursacht werden durch Bedingungen, die bei stärkerer Wirkung die Art töten, lässt sich wohl entkräften durch die Deduktion, dass das a priori gar nicht anders sein könne. Denn einer Art in kurzer Zeit einen anderen Charakter aufzuprägen kann uns doch nur mit solchen Mitteln gelingen, die auf den Lebens- prozess derselben einen durchgreifenden Einfluss haben; und solche Mittel müssen notwendig bei stärkerer Wirkung denselben zum Stillstand bringen. In ähnlicher Weise gruppiert R. nun auch in den anderen Kapiteln den Stoff. Ihm dort im genaueren zu folgen würde zu weit führen. Von einem speziellen Streitfall wird es interessant sein, R.’s Ansichten anzu- führen. Er selber hat mit G. Roux zusammen die Hypothese aufgestellt, dass Typhusbacillus und Colibakterium nur zwei verschiedene Formen einer Art seien. Nun erklärt er diese Hypothese hier als sowohl unwiderleg- 300 Rodet, Variabilität der Bakterien. lich wie unbeweisbar. Unwiderleglich, weil, soviel Unterschiede in morpho- logischer wie funktioneller Hinsicht zwischen Baet. coli und Typhusbaeillen gefunden seien, sich auch immer Abarten von Baet. coli hätten züchten lassen, die sich gleich den authentischen 'Typhusbacillen verhielten. Weil auch die Pathogenität des Baect. coli für Tiere in so weiten Grenzen variiere, dass sie die des T'yphusbacillus ebensowohl übertreffen als unter ihr bleiben könne und in den Erscheinungen der Wirkung beider Arten kein Unterschied bestehe. Für unbeweisbar aber, weil die Umwandlung von Bact. coli in T'yphusbaeillen nach seiner Hypothese unter gewissen noch unbekannten Bedingungen im menschlichen Körper vor sich gehen solle und deshalb dem Experiment entrückt sei. Als roter Faden zieht sich durch diese Kapitel, die von den funk- tionellen Eigentümlichkeiten der Bakterienarten handeln, das Bestreben, die wirklich vorhandenen Grenzen der Variabilität unparteiisch festzustellen, sie aber danaehı aus einer möglichst einfachen Hypothese zu erklären. Als solehe schwebt R. augenscheinlich folgende Annahme vor. Alle Bakterien- arten besitzen eine größere oder kleinere Anzahl für. sie charakteristischer Funktionen, wie Farbstoffbildung, Bildung verschiedenartiger Fermente und von Giften: letzteres ihre pathogenen Eigenschaften. Alle diese Bigen- schaften können dem Grade nach variieren, so weit, dass sie häufig ganz zu verschwinden scheinen. Gewöhnlich variieren sie alle zusammen in demselben Sinne, was R. dann als Erhöhung oder Verminderung der Lebensvorgänge der Art auffasst. Eine einzelne dieser Funktionen könne sich aber auch als besonders empfindlich gegen bestimmte äußere Ein- wirkungen erweisen und durch ihre Elimination, während die anderen er- halten blieben und nun diejenigen, welche früher vielleicht zurückstanden, deutlich hervortreten, könne sich anscheinend der biologische Charakter der Art ganz ändern. Diese Auffassung hat für R. augenscheinlich des- halb solchen Reiz, weil sie weiterhin gestatten würde, den Verlust irgend welcher, uns charakteristisch und wichtig erscheinender Funktionen als Zeichen von Krankheit (häufig erblicher Krankheit) der betreffenden Bak- terien anzusehen. Hält man dieselbe zusammen mit R.’s Anschauung, dass die auffallenderen Formabänderungen Krankheitssymptome seien, so könnte man alle wichtigeren Abänderungen einer Bakterienart als Krank- heit bezeichnen und den Typus einer „gesunden Art“ als ziemlich unver- änderlich beschreiben. Rodet selber aber weiß wohl, dass sich doch nicht alle experi- mentell bewiesenen T'hatsachen, besonders nicht die in dem Kapitel über die krankheitserregenden Eigenschaften der Bakterien, diesen Hypothesen fügen und hütet sich deshalb, dieselben als die seinen zu proklamieren, so schwer es ihm wird, eine Gruppe von Thatsachen unter der Rubrik „Anpassung“ zu belassen, denn „Anpassung (adaptation) ist eine Be- zeichnung, aber keine Erklärung“. Wenden wir uns nun zu dem zweiten „synthetischen“ Teil des Buches, in dem R. den Stoff in vier Kapiteln noch einmal durcharbeitet. Zuerst rekapituliert er die Resultate der Untersuchung. Dann wendet er sich zur Bedeutung der Speeies in der Bakteriologie. Nirgends hat er „unbe- egrenzte Variabilität“ der Arten gefunden. Die Ansichten Naegeli’s ent- behren jeder Begründung. Aber auch die Auffassung Cohn’s von der Unveränderlichkeit der Bakterienarten kann nicht vollständig bestehen Rodet, Variabilität der Bakterien. 301 bleiben. Statt ihrer muss man eine „weite Definition der Arten einführen, welche die Abänderung berücksichtigt“. Zunächst sei diese Aufgabe sehr schwer und bei dem gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft kaum schon gut zu lösen, aber ihre Lösung doch nicht ganz unmöglich. Noch schwieriger sei vorerst die praktische Unterscheidung der einzelnen Arten. Zunächst aber sei es möglich und nötig, die Beziehungen zwischen nahverwandten Arten zu untersuchen und daraufhin die zusammengehörigen nach Möglichkeit zu vereinen. Dann wendet er sich zu der Frage, welche Bedeutung bei der zu- künftigen Definition der Arten den verschiedenen Merkmalen zukomme. Das Resultat alles von ihm zusammengetragenen Materials sei, dass die morphologischen Eigentümlichkeiten auch bei den Bakterien die konstan- testen seien. Auch wenn eine Art durch äußere Einflüsse erblich morpho- logisch abgeändert sei, so trete nach einigen, unter „normalen“ Be- dingungen gezüchteten Generationen wieder Rückschlag ein, während wir bisher noch keine Mittel wüssten, um einem Staphylococeus aureus seine Farbstoffproduktion oder einem Diphtheriebaeillus seine Pathogenität wieder zu verleihen, nachdem wir sie ihnen absichtlich oder unabsichtlich ge- nommen hätten. Dass bisher den morphologischen Charakteren so wenig Bedeutung beigemessen worden sei, habe seinen Grund darin, dass man verzweifelte Unterschiede zwischen Bacillus und Baecillus, Kokken und Kokken zu finden; aber das sei seit der allgemeinen Verbreitung der vor- trefflichen modernen Mikroskope und seitdem man mit ihrer Hilfe die Bakterien genau studiere, nicht mehr berechtigt. R. glaubt, dass ein ge- wiegter Bakteriologe schon heute den Milzbrandbaeillus allein aus seinen morphologischen Eigentümlichkeiten, nachdem er ihn eventuell unter ver- schiedenen Bedingungen gezüchtet habe, diagnostizieren könne, ohne seine Virulenz zu prüfen oder das makroskopische Aussehen der Kulturen zur Diagnose heranzuziehen. Und er ist überzeugt, dass nach entsprechend eingehenden Untersuchungen, wie sie dem Dae. anthracis gewidmet wurden, wir auch bei anderen Bakterienarten ebensoweit kommen könnten. Das wird die praktische diagnostische Bedeutung der jetzt gebräuchlichen funk- tionellen und biologischen Merkmale wohl auf lange Zeit nicht berühren. Aber R. glaubt nicht, dass wir berechtigt seien, in der Bakteriologie, im Gegensatz zu allen anderen Zweigen der Biologie, auf solche Merkmale allein Artunterschiede zu gründen. Zum Schlusse wendet er sich zu der Frage, inwiefern man 'T'hatsachen aus der Bakteriologie als Beweise der Descendenztheorie heranziehen könne. Und hier glaubt er, dass unter allen den unzähligen Beispielen von Variabilität sich doch keines von „Transformation“, Umzüchtung einer gut charakterisierten Art in eine andere finden lasse. Imbezug auf morpho- logische Abänderungen könne davon keine Rede sein, denn sie seien nicht konstant. Funktionelle Varietäten können wir zwar anscheinend konstant erhalten; wir wissen zwar eine Methode dem abgeschwächten Milzbrand- bacillus seine Virulenz wieder zu geben, aber nicht dem abgeschwächten Diphtheriebaeillus. Aber auch dieser bewahrt wie jener im unschuldigsten Zustand noch einen, in seinem Wesen freilich ganz unerklärten Rest seiner früheren Eigenschaft: nämlich Tiere gegen virulentere Rassen seiner Art widerstandsfähiger zu machen, zu immunisieren. In diesen Fällen patho- gener Bakterienarten haben wir am Tierkörper ein außerordentlich feines 302 Werner Rosenthal, Variabilität der Bakterien. Reagens, die latente Eigenschaft der Rasse merklich zu machen. Nach Analogie vermutet R., dass auch die Bildung chemischer Fermente bei einer Rasse anscheinend unterdrückt sein kann, ohne doch vollständig ge- schwunden zu sein. So lasse sich aus unseren bisherigen bakteriologischen Erfahrungen kein Beispiel der Umbildung von Arten anführen. Werner Rosenthal. |36| Werner Rosenthal, Beobachtungen über die Variabilität der Bakterienverbände und der Kolonieformen unter verschie- denen physikalischen Bedingungen. Deutsches Archiv für klinische Medizin, 55. Bd., (Festschrift für Herın Prof. v. Zenker), Leipzig 1895, S. 513—530. Im Anschluss an obiges Referat erlaube ich mir über eine Unter- suchung zu berichten, welche ich im Sommer 1894 im Erlanger patho- logisch-anatomischen Institut anstellte. Ausgehend von der Beobachtung auffälliger Kolonieformen in Gelatine an einigen sebr heißen Tagen, unter- suchte ich, welchen Einfluss die Konsistenz des Nährbodens auf das Wachs- tum bekannter Bakterienarten habe. Ich bereitete mir dazu Nährböden, die statt 10°/, oder 5°/, nur 2,5°/, oder 3,3°/, Gelatine, aber den üb- lichen Gehalt an Pepton, Kochsalz und Extraktivstoffen hatten und unter- suchte in Plattengüssen mit denselben Baet. coli, Typhusbacillen, Cholera- vibrionen und Heubacillen. Die beiden ersteren zeigten darin Kolonien von ganz anderem Charakter als in dickeren Gelatinen. Dieselben waren nicht mehr kugelig oder regelmäßig wetzsteinförmig, sondern wurden in 3,3°/, Gelatine mindestens buckelig und in vielen Fällen konnte man einzelne Fäden aus ihnen herauswachsen sehen. In 2,5°/, Gelatine lösten sich die Kolonien von 'T'yphusbacillen häufig sogar zu lockeren Haufen einzelner Fäden und Bacillen auf und das allmähliche Auftreten junger Kolonien in der Nachbarschaft älterer schien auf aktives Auswandern einzelner Keime hinzudeuten. Das auffallendste aber war, dass einzelne der heraustretenden Bacillenfäden in Form wohlausgebildeter Spiralen mit mehreren Windungen sich darstellten. In der Litteratur fand ich keine An- deutung, dass Spirillenformen je bei Typhusbacillen beobachtet worden seien. Da ich unter sonst gleichen Umständen ein lockereres Wachstum der T'yphusbaeillen im Vergleich zu den Colibakterien beobachtet hatte, und bei letzteren keine so wohlausgebildeten Spirillenformen fand als bei ersteren, warf ich die Frage auf, ob dieser Unterschied zur Diagnose von Typhus- bacillen verwendbar wäre. In einer auf Anregung von Herrn Professor Hauser von. Joh. Klie angestellten Nachuntersuchung, welche nächstens im Centralblatt f. Bakteriologie u. Parasitenkunde veröffentlicht werden wird, konnte Herr K. meine Befunde über das Verhalten von Colibakterien und Typhusbacillen in verdünnten Gelatinenährböden bestätigen, fand aber, dass auch hier sich kein konstanter Unterschied zwischen den beiden Mikroben finden lässt, da einzelne Rassen von Baect. coli sich gerade so verhielten, wie ich es oben vom Eberth’schen Baeillus angegeben habe. Choleravibrionen und Heubaeillen zeigten in verdünnter Gelatine kein wesentlich anderes Verhalten als in dicker. Bei letzteren konnte ich gar nichts bemerkenswertes beobachten, während bei ersteren, ähnlich wie bei Werner Rosenthal, Variabilität der Bakterien. 205 Typhusbaeillen, ein Auswandern einzelner Keime aus den Kolonien vor- zukommen schien. Nie aber sah ich die geringste Andeutung von dem Herauswachsen einer Spirille in die verdünnte Gelatine, obgleich doch die Choleravibrionen in flüssigen Nährböden Spirillen bilden. Außerdem beschäftigte ich mich mit einer Bakterienart, die wohl wegen des Mangels pathogener oder gärungserregender Eigenschaften bisher wenig beachtet wurde, aber wegen der Deutlichkeit, mit der sie auf äußere Einwirkungen reagiert, ein interessantes Objekt ist. Die Geschwister Frankland beschrieben einen ähnlichen unter dem Namen Baeillus arbores- cens, nach der charakteristischen Erscheinung 24 Stunden alter Kolonieen so benannt, weil sie aus einem Stämmchen bestehen, das sich an beiden Polen in immer feinere, divergierende Aeste auflöst, so dass sie einem kahlen Baume ähneln, der sich in einem See spiegelt. Da die von mir gezüchtete Rasse wohl etwas von der von den Geschwistern F. beschriebenen abweicht und jene Beschreibung auch im Sinne Rodet’s zu „eng“ ist, so habe ich den Bacillus beschrieben, wie er sich mir darstellte und die Gründe angeführt, wegen deren ich ihn für wahrscheinlich identisch mit Dae. aborescens F. halte. Meine Aufmerksamkeit wurde auf diesen Bacillus gelenkt, weil ich an ihm die Fähigkeit beobachtete, auf der Oberfläche starrer, zehn- prozentiger Gelatine umherzukriechen, ähnlich wie es bisher nur vom Proteus vulgaris Hauser und dessen Abarten bekannt war. Er bewegt sich freilich bedeutend träger als jener, aber dafür ist die Erscheinung schon auf 10 proz. Gelatine konstant. Sie führt zur Bildung sehr charak- teristischer Oberflächenkolonien. Dieselben bestehen im Zentrum aus flachen, mit Bacillen erfüllten Kanälen, die zwischen sich Inseln unveränderter Gelatine einschließen und umgeben sind von einem Netzwerk bogig verlaufender Bacillenzüge, zwischen welchen und außerhalb derer Baecillengruppen und einzelne Bacillen liegen. Beobachtet man diese aufmerksam, so sieht man, dass sie alle in Bewegung sind; ebenso wandern, so weit man die Individuen in den dichteren Zügen noch beobachten kann, auch diese immer hin und her. Wird dieselbe Art bei kühler Temperatur (unter 15° C) gezüchtet, so wird die Vermehrung der Bakterien zwar verlangsamt, aber nicht auf- gehoben. Die charakteristischen Bäumchenkolonien gehen dabei in knollig kugelige Kolonien über, und zwar dadurch, dass die Aeste, statt in der ursprünglichen Richtung fortzuwachsen, sich zurückbiegen und so eine Schale um das im Zentrum gelegene Stämmchen bilden. Der innerhalb derselben frei gebliebene Raum wird allmählich mit Bacillen ausgefüllt, so dass nach 3 Tagen die für die Art charakteristische Form ganz ver- schwunden ist. Zugleich scheint die Bewegungsfähigkeit der Bacillen zu schwinden, denn die Oberflächenkolonien bilden nur noch unregelmäßig begrenzte Rasen, selten straßenähnliche Ausläufer. Ganz dieselbe Abänderung der Kolonieformen des BDae. arborescens erhielt Marshall Ward (Proc. of the Roy. Soc., 24. Nov. 1894) durch Einwirkung des Sonnenlichtes auf die Bacillen, indem er das Keimmaterial vor Anlegung der Platten einige Stunden dem Sonnenlicht aussetzte. Eine gerade entgegengesetzte Abänderung der Kolonieform erzielte ich, als ich Plattengüsse mit fünfprozentiger Gelatine von diesem Bacillus anlegte. Zuerst entwickeln sich auch die charakteristischen Bäumchen, aber die Verzweigungen sind von vornherein zahlreicher, statt vorherrschend 304 Garbowski, Zur Notiz. dichotomisch mehr wirtelig; die Aeste sind viel feiner, sie bestehen aus einfachen Bacillenfäden. Diese wachsen rasch und zwar alle fast gerade in radiärer Richtung fort. Dadurch wird schon nach 48 Stunden der ursprünglich 2polige Bau der Kolonie unmerklich und diese lässt sich bei schwacher Vergrößerung leicht für die eines Schimmelpilzes halten. Bei starker Vergrößerung erkennt man, dass die Scheinfäden aus einzelnen Bacillen bestehen, die an den Enden der Fäden häufig deutlich von ein- ander getrennt liegen, sich also auch wohl innerhalb der Gelatine fort- bewegen können. Zu den oben beschriebenen Oberflächenausbreitungen kommt es in fünfprozentiger Gelatine nur selten: auch die an die Ober- fläche gelangten Individuen scheinen nur radiär und einzeln fortzuwachsen und fortzuwandern, so dass es zu keiner Bildung von Gruppen und von Straßen kommt. Ich musste meine Beobachtungen im Sommer 1894 sehr rasch ab- schließen, aber es würde wohl lohnend sein, genauer zu verfolgen, in welchen Beziehungen die 3 verschiedenen Kolonieformen des Bac. arbores- cens zur erblichen Wachstumsenergie der Rasse, zur Temperatur und Kon- sistenz des Nährbodens, zum Bewegungsvermögen und zur Fermentproduk- tion der Bacillen stehen. Werner Rosenthal. |39] Zur Notiz. Da ich bereits von zwei verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht wurde, dass man in der Arbeit Friedrich Dreyer’s „Studien zur Methoden- lehre und Erkenntnisskritik“ (Leipzig, W. Engelmann, 1895) und in meiner Publi- kation „Bemerkungen über biologische und philosophische Probleme* (Wien und Leipzig, F. Deuticke, 1896) mehreren sehr ähnlichen Stellen begegnet, so sehe ich mich genötigt zu bemerken, dass diese meine soeben erschienene Schrift sich schon im Frühjahre 1895 privatim als Manuskript in den Händen Berliner Professoren befand und ohne jede Aenderung abgedruckt wurde; der Gedanken- gang wurde aber in den Sitzungsberichten der k. k. zool -botan. Gesellschaft in Wien vom Dezember 1894 (Bd. XLIV, Quart. IV, 8. 46 f.) öffentlich angezeigt. Die „Studien“ Dreyer’s gelangten hingegen erst Ende 15895 zur Versendung. Abgesehen von ganz allgemeinen Aeufserungen, wie über das Bedürfniss zusammenfassender philosophischer Momente in der zeitgenössischen biologischen Forschung u. dergl., sind übrigens die in den beiden Schriften beobachteten Standpunkte sowohl in Bezug auf Erkenntnisskritik (Verhältnis des Bewusstseins- inhaltes zum Naturgeschehen) als in Bezug auf Methode wesentlich, nicht selten diametral verschieden. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Inhaltsangabe meines diesbezüglichen Vortrages (l. c.) von Herrn Dreyer gelesen wurde und ihm möglicherweise, unter anderem, zu gewissen Teilen der Diskussion, 2. B. zu dem metageometrischen Exkurse ($ 29a, S. 137 ff.) Veranlassung gegeben hatte, sonst aber sind sich beide Schriften völlig fremd. In ähnlicher Weise wird man in meiner Publikation die energetischen Ideen Prof. W. Ostwald’s hervorgehoben finden, während ich dessen Broschüre „ÜUeber- windung des wissenschaftlichen Materialismus“ (Leipzig, Veit & Comp., 1895) erst im November erhalten habe. Auf den letzteren Umstand habe ich selbst im Vorworte hingewiesen. Wien, 18. Februar 1896. Dr. Tad. Garbowski. [49] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der eg in en, 2 Nummern von je 94 Bin Daran einen To! Preis ne Bandes 20 u Zu beziehen durch alle Buchhandiue und Postanstalten. XV1. Band. SB; April 1696. er 3 8 Tahale: Serneil)! Die Lehre Lombroso’s und ihre anatomischen wen im Lichte moderner Forschung. — Emery, Gedanken zur Descendenz- und Ver- erbungstheorie. Die Lehre Lombroso’s und ihre anatomischen Grundlagen im Lichte moderner Forschung !). Von D. Sernoff, 0. 6. Professor der Anatomie an der Universität, Präsident der physiko-medizinischen Gesellschaft in Moskau. Deutsch von R. Weinberg, Assistent am Dorpater Anatomischen Institut. Ich folge gern einer althergebrachten, an den Universitäten aller Länder treu geübten schönen Sitte, indem ich am heutigen Tage zum Jahresaktus unserer Universität vor diese feierliche Versammlung mit einem Bericht über eine wissenschaftliche Frage hintrete, welche die nächsten Interessen der Gesellschaft unmittelbar berührt. Um dieser meiner Aufgabe gerecht zu werden, habe ich es unternommen, der Frage nach dem Wesen des sog. geborenen Verbrechers hier näher zu treten, ein Gegenstand, welcher seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der gebildeten Kreise entschieden auf sich lenkt und die Gemüter ernst- lich in Unruhe und Erregung versetzt. Der Begriff des „geborenen Verbrechers“ stammt aus aller- jüngster Zeit, er entstand um die Mitte der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts, als der Turiner Gerichtsarzt, Professor Cesare Lom- broso, zum ersten Mal sein berühmtes Werk „L’uomo delinquente“ veröffentlichte. Dieses Werk hat im Laufe der Zeit fünf Auflagen in italienischer und zwei in französischer Sprache erlebt; die letzte fran- zösische Auflage erschien im verflossenen Jahr (1895). Das Originelle 1) Nach einem Vortrage, gehalten zum feierlichen Jahresaktus der kaiser- lichen Universität Moskau am 12. Januar 1896. XVI. 20 306 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. der Idee, die kühne Beweisführung, die Aufdeckung wesentlicher Mängel in der bestehenden Gesetzgebung und in der Kriminalwissenschaft — alles dies war gewiss dazu angethan, um ein Heer von Jüngern, aber auch von Gegnern in Bewegung zu setzen und eine gewaltige Litteratur in sämtlichen europäischen Sprachen zu Tage zu fördern; und heute, nach Ablauf eines Vierteljahrhunderts seit dem ersten Erscheinen des Lombroso’schen Werkes, sehen wir bereits eine ganze Schule vor uns, die den Namen der anthropologisch - positivistischen erhalten hat, eine Schule, die nicht nur die bestehenden Anschauungen über das Wesen des Verbrechens und den Habitus des Verbrechers von Grund aus umzugestalten bestrebt ist, sondern auch die üblichen Methoden zur Beseitigung der Verbrechen einer eingreifenden Reform unter- ziehen will. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, die Lehren der anthro- pologisch - positivistischen Schule in ihrem ganzen Umfang und nach allen Richtungen zu erörtern, dies könnte auch auf dem Wege eines kurzen Resumes kaum ausführbar sein, da jene Theoreme von außer- ordentlicher Kompliziertheit sind, ihr Beweismaterial aus den mannig- fachsten Gebieten herbeiziehen und endlich auch der nötigen Bestimmt- heit und Stabilität noch zu sehr entbehren. Ich will mich daher darauf beschränken, nur eine, aber beiläufig die allerwichtigste These jener Doktrin herauszugreifen, — ich meine die These betreffend die Existenz eines anatomischen Typus des geborenen Verbrechers, d.h. eines Menschen, dessen verbrecherische Natur in einer bestimmten an- geborenen körperlichen Organisation begründet ist. Lombroso und seine Schule vermögen es zwar nicht in Abrede zu stellen, dass auch ein ganz normales Individuum, sei es infolge zufälliger Umstände, sei es unter dem Einfluss von Leidenschaft oder körperlicher Krankheit ein Verbrechen begehen kann, sie behaupten jedoch, dass 40%, sämt- licher Verbrecher durch eine gewisse angeborene Prädisposition zur Aus- führung verbrecherischer Handlungen hingeleitet werde und durch den Stempel inferiorer Organisation, durch atavistische oder degenerative Merkmale gekennzeichnet sei. Als Beleg für das Dasein eines solehen entarteten Menschentypus führt Lombroso die Ergebnisse von Untersuchungen auf, die er mit seltener Sorgfalt und Ausdauer an einem Material von einigen Tausend lebender Verbrecher und einigen hundert Leichen von Verbrechern nach allen möglichen Richtungen ausgeführt hat. Diese Untersuchungen führten ihn zu der Ueberzeugung, dass der angeborene Verbrecher in anatomischer Beziehung gekennzeichnet sei: 1. durch eine Ver- kleinerung des vorderen Teiles des Hirn-Schädels, starke Entwicklung des Unterkiefers, und häufiges Vorkommen verschiedener Formabweichungen des Schädel- und Gesichtsskelettes, welche Formabweichungen bald atayistischer, bald pathologischer Art sind; 2. durch einen bestimmten atypischen Bau der Windungen des Großhirns und häufiges Auftreten Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 307 soleher Varietäten der Hirnwindungen, die ein Merkmal tierischer Organisation darstellen. — An lebenden Repräsentanten des Verbrecher- typus hob Lombroso, abgesehen von den soeben genannten Körper- anomalien, noch eine Reihe anderer Abweichungen hervor, welche die Form und Lage der Ohrmuschel, starkes Nachvornetreten des Gesichts- teils des Schädels oder, was dasselbe ist, kleinen Gesichtswinkel (sog. Prognathismus), frühzeitige Kahlköpfigkeit, mangelhafte Entwicklung des Bartwuchses und starken Umfang des Brustkorbes betreffen. Weiter- hin aber stellteLLombroso eineReihe physiologischer Charaktere dieser Menschenrasse auf: Herabsetzung der Schmerzempfindung, wo- dureh sich der Verbrecher an die wilden Menschenstämme annähern soll, ferner sog. Mansinismus oder die Neigung die linke Hand statt der rechten zu gebrauchen, eine Erscheinung, die unter den prähistorischen hassen weiter verbreitet gewesen sein soll, als in der jetztlebenden Menschheit; endlich die Unfähigkeit infolge von Gemütsbewegungen zu erröten, — ein Merkmal, das der Verbrecher nach der Behauptung Lombroso’s mit dem Idioten und Wilden gemeinsam hat. Zuguterletzt weist Lombroso sodann auf zahlreiche psychische Merkmale hin, welche den Typus des Verbrechers näher charakterisieren, so z.B. auf die Neigung zum Tätowiren der Haut, zur Anwendung eines spe- ziellen Verbrecherjargons im mündlichen Verkehr u. s. f.; auch hierin erblickt Lombroso Erscheinungen von Atavismus. War aber das Vorkommen eines entarteten Menschentypus für Lombroso und seine Anhänger einmal zur unzweifelhaften Thatsache geworden, so mussten sie in durchaus logischer Weise dahin gelangen zu behaupten, dass die Gesellschaft ein schweres Unrecht begeht, wenn sie so belastete Individuen um ihrer Vergehen willen zur Rechenschaft zieht, ja sie zur Abbüßung schwerer Strafen verdammt. Und weiter sprechen sie die Gewissheit aus, dass unsere Bemühungen zur Besserung solcher Verbrecher ganz nutzlos sind, denn es wohne ihnen weder die Fähigkeit inne, ihre Thaten zu bereuen, noch sich zum Guten zurück- zuwenden. Im Verlaufe der weiteren Entwicklung dieser Lehre gelangen die Anhänger Lombroso’s zu giner Reihe außerordentlich merkwürdiger Widersprüche. Der italienische Jurist Ferri, einer der eifrigsten Jünger der neuen Schule, macht den Vorschlag, auch die Strafen für die aller- schwersten Verbrechen zu mildern; den betreffenden Verbrechern soll nur die Gelegenheit zur Wiederholung ihrer verbrecherischen Hand- lungen genommen werden, und zu dem Zweck müssten sie in beson- deren, dazu bestimmten Kolonien interniert werden. Im Gegensatz hierzu wendet sich Taine an Lombroso in einem Brief, welcher dem Werk „Puomo delinquente“ beigelegt ist, mit folgenden Worten: „Ich bin weit entfernt, die humanen Ideen unserer Juristen zu teilen; wäre ich Jurist, Gesetzgeber oder Richter, ich wäre schonungslos gegen 20* 308 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Räuber, Diebe, gegen geborene Verbrecher und pazzi morali“ (fou moral, ein von Lombroso eingeführter Terminus, der etwa gleich- bedeutend ist mit „geborener Verbrecher“). „Wo im Leben, in der intellektuellen und moralischen Organisation eines Verbrechers der Trieb zum Verbrechen isoliert, zufällig und vielleicht auch als vorüber- gehende Erscheinung auftritt, da kann er, ja muss er entschuldigt werden; je mehr aber der verbrecherische Trieb in Abhängigkeit tritt von der ganzen Anlage des Denkens und Fühlens, desto offenbarer ist die Schuld solcher Individuen und desto schonungsloser sind sie zu strafen. Sie zeigen uns schamlose, grausame Orange in Menschen- gestalt; sind sie einmal wirklich so beschaffen, dann freilich konnten sie nicht anders, als so handeln; wenn sie rauben, stehlen oder morden, so thun sie dies infolge eines Verhängnisses, kraft ihrer Organisation und kraft ihrer Vergangenheit. Um so mehr Grund, sie sofort der Vernichtung preiszugeben, wenn der Beweis erbracht ist, dass sie Orange sind und es immer sein werden. Solchen Subjekten gegenüber finde ich die Todesstrafe, wo die Gesellschaft dies verlangt, unbedenk- lich für durchaus angebracht“. Ein soleher geradezu diametraler Gegensatz zwischen den An- sichten hervorragender Autoritäten auf dem Gebiete der Rechtswissen- schaft und Sociologie konnte natürlich nicht umhin, das Interesse des Publikums rege zu machen und dies in nicht minderem Grade, als die ursprüngliche Lehre vom geborenen Verbrecher selbst. So kann es wohl nicht wunder nehmen, wenn unter dem Eindruck jener Divergenzen eine große Reihe von Untersuchungen entstanden, welche den anato- mischen Bau der äußeren Körperformen der Verbrecher, ihrer Gehirne und insbesondere ihrer Schädel zum Gegenstand haben und aus welchen überall die gleiche Tendenz spricht, die neue Lehre entweder zu be- stätigen oder zu widerlegen. Halten wir indessen Umschau unter der Reihe der Forscher, welche sich über die vorliegenden Fragen schriftstellerisch geäußert haben, so finden wir, dass in derselben Namen bekannter Anatomen nur ver- hältnismäßig selten anzutreffen sind. Und dennoch muss gerade die Stimme der Anatomen von Fach in diesem Fall ganz besonders schwer ins Gewicht fallen, da ja die Lösung jener Fragen einerseits spezielle fachmännische Kenntnisse und große Erfahrung auf anatomischem Ge- biete erheischt, andererseits aber nur durch völlig objektives Urteil zu erreichen ist. Freilich bin ich der letzte, der den Anatomen ihr Still- schweigen verargen würde. Der Grund davon liegt klar zu Tage. Sie waren sich nur zu sehr der schweren Verantwortung bewusst, welche ihnen zur Last fiele, wenn sie als das am meisten kompetente Forum auf die Frage: gibt es in der Menschheit einen anatomischen Typus des geborenen Verbrechers? bejahend oder verneinend antworten zu müssen in der Lage wären. Die wichtige Thatsache der schon inner- halb der Grenzen des Normalen sich abspielenden gewaltigen Mannig- Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 309 faltigkeit der Form der Körperorgane stand den Fachanatomen natür- lich näher, als dem Urheber der neuen Doktrin und den meisten seiner Anhänger; auch konnten sie die Schwierigkeiten, inmitten dieser Mannig- faltigkeit sich zurechtzufinden, um dem von Lombroso aufgestellten Typus eine feste Grundlage zu verleihen oder ihm ganz den Boden zu nehmen, nicht verkennen, und darum ist es nur natürlich, wenn sie mangels ausreichenden und sicheren Beweismateriales der Lombroso’- schen Lehre gegenüber mit ihrem Urteil zurückhielten. Dass insbe- sondere in der ersten Zeit nach dem Auftauchen der neuen Lehre ein in quantitativer oder qualitativer Beziehung irgend befriedigendes Be- obachtungsmaterial noch nicht herbeigeschafft werden konnte, ist eben- falls begreiflich, da ja die spezielle Untersuchung der Besonderheiten der Verbrecherorganisation sich eben als ein ganz neues Gebiet eröffnete. In der großen Reihe von Forschern, welche sich mit unserer Frage beschäftigt haben, finden sich nur 5—6 Fachanatomen, welche wie gesagt im vorliegenden Fall mit Recht als die allein kompetenten Richter anzusehen sind. Es sind dies Ranke und Weisbach im Deutschland, Tenchini und Mingazzini in Italien, Manouvrier und Debierre in Frankreich. Von ihnen hat sich nur Tenechini zu Gunsten der Lombroso’schen Theoreme geäußert, alle übrigen da- gegen mehr oder minder gegen letztere. Von den anatomischen Werken der genannten Forscher ist das wichtigste und umfangreichste das- jenige von Debierre, Professor der Anatomie in Lille; es ist vor wenigen Monaten unter dem Titel „Le erane des eriminels“ erschienen, behandelt aber nicht, wie der Titel besagt, den Schädel allein, son- dern berücksichtigt auch auf dem Wege genauester Analyse und Kon- trole sämtliche Organe und Organmerkmale, die von Lombroso und seiner Schule zur Charakteristik des geborenen Verbrechers in Be- ziehung gebracht werden. Ein besonderer Vorzug des Debierre’schen Werkes besteht darin, dass es alle jene anatomischen Merkmale streng systematisiert, welche als Besonderheiten entarteter oder verbreche- rischer Individuen gelten können. Eine solche systematische und gründ- liche Inangriffnahme der Sache war um so notwendiger, als das Lom- broso’sche Werk gerade in dieser Beziehung grobe Irrtümer aufweist. Bei der Aufzählung und näheren Beschreibung der Charaktere des Verbrechertypus wirft Lombroso Merkmale von ganz verschieden- artiger biologischer Bedeutung durch und vergleicht sie unter einander, ohne sich irgend um eine begründete Auswahl zu kümmern und augen- scheinlich einzig und allein von dem Bestreben geleitet, dem Leser durch die Zahl der Verbrechercharaktere zu imponieren. Der nämliche Vorwurf trifft auch die Mehrzahl der Jünger Lombroso’s; größtenteils gingen sie bei ihren Untersuchungen planlos zu Werke und begnügten sich damit, irgend beliebige anatomische, physiologische oder patho- logische Besonderheiten im Organismus des Verbrechers ausfindig zu machen, ohne immer die Grenzen ihrer jeweiligen Kompetenz innezu- 510 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. halten. Debierre hingegen nahm aus der Reihe der von Lombroso und seiner Schule aufgestellten Verbrechercharaktere für die Zwecke seiner Untersuchungen mit Vorbedacht nur solche heraus, welche nach dem heutigen Stande unserer biologischen Kenntnisse als wesentlich gelten müssen und welche, sofern sie sich als vorhanden oder konstant erweisen würden, thatsächlich ausreichen könnten, um die hypothetische relativ inferiore Organisation eines Verbrechertypus in der Menschheit näher zu kennzeichnen. Unter sorgfältiger Berücksichtigung wichtiger Litteraturangaben untersuchte Debierre außer seiner eigenen Samm- lung von Verbrecherschädeln und -hirnen noch diejenigen in Paris, Gent, Brüssel und Liege, alles in allem eine Reihe von einigen hun- dert Stücken, also ein Beobachtungsmaterial, wie es bisher noch nie- mand zur Verfügung gestanden hat. Das Werk Debierre’s ist darum von allen bis nun erschienenen Publikationen als der wertvollste Beitrag zur Litteratur unserer Frage zu bezeichnen. Die Ergebnisse, zu welchen er auf Grundlage der Literaturangaben und durch Vergleichung dieser letzteren mit eigenen Beobachtungen kommt, sind größtenteils nega- tiver Art; sie bringen keine Bestätigung der anfänglichen Behaup- tungen Lombroso’s, und Debierre tritt durch seine Resultate in einen ausgesprochenen Gegensatz zur Lombroso’schen Schule. In einigen Punkten ergab sich nun freilich eine Bestätigung der früheren Beobachtungen, und zwar betreffen diese solche Verhältnisse, welche wenigstens auf den ersten Blick entschieden zu Gunsten Lombroso’s zeugen. Merkwürdigerweise aber enthält sich Debierre hier jeder Erörterung, trotzdem dass er als Anatom sehr wohl die Mittel in Händen hat, um Kritik zu üben, oder er beschränkt sich darauf, kurz zu bemerken, dass die betreffenden Verhältnisse seiner Ansicht nach in keiner Beziehung zur verbrecherischen Organisation stehen. Diese Lücken des Debierre’schen Werkes erzeugen beim Leser ein Gefühl von Unbefriedigtsein und erwecken das Bedürfnis nach neuem Beob- achtungsmaterial, welches in bestimmterer Weise, als dies bisher ge- schehen, für oder wider die Lombroso’sche Lehre sprechen würde. Im Besitze einer kleinen Sammlung von Verbrecherschädeln und Verbrechergehirnen, war ich in der Lage eine Reihe auf das in Rede stehende Thema bezüglicher Beobachtungen anzustellen. Ehe ich je- doch zu einer Mitteilung meiner Ergebnisse übergehe, will ich hier vorerst den heutigen Stand der ganzen Frage noch kurz resümieren. Es würde mich zu weit führen, wollte ich die große Anzahl jener „Verbrechercharaktere* hier durchgehen, die sich in der Folge als unbeständig herausgestellt haben, ich beschränke mich darauf nur solche Besonderheiten der Verbrecherorganisation ins Auge zu fassen, deren Häufigkeit durch nachträgliche Beobachtungen gewiegter Forscher erwiesen worden ist. Behufs leichterer Uebersicht will ich sämtliche Merkmale in drei Gruppen unterbringen. Zur ersten Gruppe zähle ich diejenigen Verbrechercharaktere, welche auf eine Herabsetzung Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 51 der Größe des Gehirns in toto oder des Stirnteils des Großhirns, weleher schon seit altersher als Sitz der intellektuellen Centren betrachtet wird, hinweisen. In einer zweiten Gruppe will ich solehe Besonderheiten zusammenfassen, welche entweder als rein patho- logische oder an das Pathologische grenzende Erscheinungen betrachtet werden dürfen und darum mit Recht als Degenerationsmerkmale in Anspruch genommen werden können. Als dritte Gruppe führe ich die Anomalien und hier unter anderem auch die sogenannten ata- vistiscehen Anomalien auf, worunter man solche Charaktere zu ver- stehen hat, die bei gewissen Tieren konstant vorkommen, beim Menschen aber nur als Abweichung von der Norm zur Beobachtung gelangen. Die Mehrzahl der vorhandenen Untersuchungen über die Merkmale der ersten Gruppe beschäftigt sich mit Schädelmessungen; die sehr zahlreichen Maße des Schädels werden nach den üblichen kranio- metrischen Methoden, wie sie bei der Untersuchung der menschlichen Rassen zur Anwendung gelangen, gewonnen und behandelt; nur sind diese Methoden in Anpassung an den besonderen Zweck zum Teil modifiziert worden. Durch die in Rede stehenden Messungen wurden folgende Merkmale bestimmt: 4. Das Gewicht des Schädels. 2, Der Rauminhalt der Schädelhöhle. 3. Der kranio-cerebrale Index, d.h. das Verhältnis des Gewichts des Schädels zum Volum der Schädelhöhle (Manouvrier). 4. Der kranio-femorale Index, d. h. das Verhältnis des Gewichts des Schä- dels zum Gewicht des Oberschenkelknochens, was nach Manouvrier das Verhältnis des Schädelgewichts zum Gewicht und somit auch zum Grade der Entwicklung des gesamten Skelettes ansdrücken soll. ‚ Der eerebro-femorale Index, d. h. das Verhältnis des Schädelvolums zum Gewicht des Oberschenkelknochens (Manouvrier). 6. Der kranio -spinale Index, d. h. das Verhältnis der Größe des Foramen oceipitale magnum zu dem in Cubikcentimetern ausgedrückten Volum des Schädelinnenraums (Manouvrier). . Die Größe des Schädelumfanges. 8. Die relative Größe des vorderen und hinteren Schädelbogens. Nach Broca wird als Grenze zwischen vorderer und hinterer Hälfte der Schädel- circumferenz eine quere Kurve angenommen, welche über das Schädel- dach im Niveau der beiden Meatus auditorii externi hinweggeht. 9. Die Länge der queren Schädelkurve im Niveau der beiden äußeren Ge- [d) | -I hörgangsöffnungen. 10. Die Länge der sagittalen Schädelkurve, diese zerfällt in vier Segmente: 1) Das frontale Segment — von einem Punkte im Niveau des kleinsten Querdurchmessers der Stirn, dem sog. Ophryon (derselbe liegt an der Grenze desjenigen Teiles des Stirnbeins, welcher das Gehirn bedeckt, und desjenigen, welcher zum Gesichtskelett gehört) bis zur Kranzuaht. 2) Das parietale Segment — zwischen Kranznaht und Lambdanaht 3) Das oceipito- cerebrale Segment — zwischen Spitze der Lambdanaht und Hinterhaupts- höcker. 4) Das oceipito-cerebellare Segment zwischen Protuberantia oceipitalis externa und distalem Rande des Foramen magnum. 312 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Ueber die soeben namhaft gemachten Merkmale liegen Unter- suchungen vor von Lombroso selbst, sodann von Ten-Kate, Paw- lowski, Manouvrier, Benedikt, Ranke, Weisbach, Debierre, Orschanski und vielen anderen. Bei einer Vergleichung der Resul- tate dieser Untersuchungen ergab es sich, dass die Erwartungen Lom- broso’s und seiner Schüler sich nicht bewahrheiten. Die Untersuch- ungsergebnisse sind teils so unbestimmter Art, dass sıe weder nach der einennoch nach der andern Richtung Schlüsse zu ziehen gestatten, oder aber sie weisen mit größter Entschiedenheit darauf hin, dass die Verbrecherschädel in der Mehrzahl der Merkmale durchaus keine Unterschiede darbieten gegenüber Schädeln von Leuten, die gemeinig- lich mit der Justiz nicht in Beziehungen gestanden hatten. Aus der ganzen Gruppe von Charakteren lenkt nur ein einziges Merkmal unsere Aufmerksamkeit auf sich, indem es offenbar zu Gunsten der Lombroso’schen Lehre zeugt; es ist dies die relative Größe des Stirnbeins oder genauer des Teiles des Stirnbeins, welcher beim Ver- brecher sowohl, wie bei Niehtverbrechern die Stirnlappen des Groß- hirns außen bedeckt. In der Majorität der Fälle lehrt die Beobach- tung, dass das in Rede stehende Stück des Stirnbeines, von der unteren Grenze (Ophryon) bis zur oberen gemessen, an Verbrecherschä- deln geringere Mittelwerte aufweist, als am Schädel ge- wöhnlicher Menschen. Diese Thatsache, vor welcher sich auch so erklärte Gegner der Lombrososchen Lehre, wie Manouvrier und Debierre nicht zu verschließen vermögen, muss umso bedeutsamer erscheinen, weil sie den Verfechtern der antropologisch-positivistischen Lehre, nachdem alle übrigen von ihr aufgebrachten Belege für die Inferiorität des Ver- brecherschädels zu Wasser geworden, eine mächtige Waffe in die Hand liefert; denn die Thatsache geringer Flächenausdehnung des Stirnbeins, die ja an und für sich nicht besonders belangreich ist, ge- winnt an Bedeutung durch die sehr verbreitete Meinung, dass Ver- änderungen der Dimensionen dieses Knochens Hand in Hand gehen mit Größenveränderungen der Stirnlappen des Großhirns, wodurch sich dann von selbst die Berechtigung ergibt, auf relativ geringe Entwick- lung der intellektuellen Geistesfunktionen bei Verbrechern zu schließen. Es mag hier gleich bemerkt werden, dass die von einigen Autoren an Verbrechern beobachtete Erscheinung übermäßiger Entwicklung der hinteren Schädelpartien, die einem Ueberwiegen der Hinterlappen des Gehirns bezw. der Centra des Gefühls und der Bewegung ihre Ent- stehung verdanken soll, in den Beobachtungen späterer Forscher keine Stütze gefunden hat. So steht es um die Resultate der zahlreichen Untersuchungen über Dimensionen und Form der Verbrecherschädel. Eine genauere Wür- digung derselben in ihrer Beziehung auf die uns hier beschäftigende Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 315 Frage behalte ich mir für später vor, wo ich über das Endresultat sämtlicher Untersuchungen resumieren will. Die vergleichende Betrachtung der zweiten Kategorie kriminell- anthropologischer Charaktere, welche infolge ihrer wahrscheinlichen pathologischen Grundlage als Entartungszeichen aufgefasst wer- den dürfen, führte im großen und ganzen ebenfalls zu negativen Ergebnissen. Die Zahl dieser Merkmale ist nieht groß und da sie jedermann leicht verständlich sind, so will ich sie hier namhaft machen: 1. Persistenz der Stirnnaht und somit Gliederung des Stirnbeins in zwei symetrische Hälften. 2. Geringe Auszackung der Ränder der Schädel- knochen. 3. Vorhandensein von Schaltknochen (ossa wormiana) in den Schädelnähten und am Orte der Fontanellen. 4. Asymmetrie des Schädel- und Gesichtskelettes. Die genannten Formabweichungen können als pathologische Fr- scheinungen betrachtet werden. Ich sage: können, denn in der Regel werden sie zu den Anomalien gerechnet, d. h. zu solchen Besonder- heiten der Form der Körperorgane, welche ohne Erscheinungen von Kranksein im gewöhnlichen Sinn dieses Wortes einherzugehen pflegen. Allein ihre Entstehung ist demungeachtet mit großer Wahrscheinlich- keit auf krankhafte Vorgänge zurückzuführen, die in frühen Entwick- lungsstadien zu einer Verlangsamung des Verknöcherungsprozesses oder auch unmittelbar zu einer qualitativen Veränderung desselben geführt haben. Durchaus wahrscheinlich ist die pathologische Grundlage der Asymmetrien des Schädel- und Gesichtskelettes. Wenn geringgradige Asymmetrien auch wohl an jedem normalen, gesunden Schädel nach- weisbar sind, so ist diese sozusagen physiologische Erscheinung hier immer so schwach ausgeprägt, dass sie jedesmal nur durch genaue Messung erkannt werden kann. Das was wir gewöhnlich als abnorme Asymmetrie bezeichnen, ist eine Erscheinung, die allemal so deutlich ausgeprägt ist, dass sie ohne vorgehende Messung schon dem bloßen Auge auffällt. Nur wo es sich um solche Anomalien handelt, kann allenfalls von einer Beziehung zu Entartungszuständen die Rede sein. Eine Vergleichung der Häufigkeit der oben erwähnten Abweichungen bei Verbrechern und Nichtverbrechern lieferte nun ebenfalls ein durch- aus negatives Resultat — sie ist bei beiden gleich groß!). 1) Was die zweifellos pathologischen Veränderungen der Schädelknochen betrifft, die Lombroso und Debierre an Verbrecherschädeln beobachteten, wie abnorme Verdichtung und Auflockerung des Knochengewebes (Osteosklerose und Osteonorose) und knöcherne Auflagerungen (Osteophyten), so müssen die mit solchen Veränderungen behafteten Individuen zu einer ganz anderen Kate- gorie, nämlich der der Kranken, gerechnet werden und der etwa bestehende Zusammenhang zwischen Krankheit und Verbrechen ist dann mit Hilfe anderer Methoden zu ermitteln. In Anbetracht dieses Umstandes habe ich derartige Fälle, als nicht hierher gehörig, aus der vorliegenden Erörterung ganz aus- geschlossen. u 314 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s, Ich wende mich nun zu der dritten Gruppe von Merkmalen, welche, wie erwähnt, teils dem Gebiete der einfachen Formabweichungen (Varie- täten) teils dem der atavistischen Anomalien angehören. Das sind 1. ungewöhnliche Größe der Eckzähne, 2. übermäßige Breite des harten Gaumens, 3. stärkere Schiefstellung des Hinterhauptloches, 4. Auf- treten einer sog. wurmförmigen Grube am Hinterhauptbein!), 5. das 1) Die wurmförmige Grube (Fossette vermienne, Fossette oceipitale moyenne) findet sich manchmal auf der inneren Fläche des Hinterhauptbeins und liegt dann am Orte jenes Kammes, welcher aus der Mitte der hier vorhandenen kreuzförmigen Erhebung zum hintern Rande des Hinterhauptloches sich hin- zieht und den unteren Schenkel der Kreuzfigur darstellt. Wo die in Rede stehende Grube vorhanden ist, da erscheint der genannte Kamm gabelig aus- einandergewichen und weist in seiner Mıtte eine größere oder kleinere Ver- tiefung auf. Die Bildung einer solchen Grube ist eine Eigentümlichkeit nie- derer Tiere (Marsupialia, Edentata, Huftiere etc.) und wird bei den höheren Affen (Schimpanse, Gorilla, Orang) vermisst (Debierre, Comptes rendus hebdom. de la Soeiete de Biologie, 1892). Beim Menschen kommt sie, wie zahlreiche Beobachtungen festgestellt haben, selten (2--3°/,) vor und zwar bei normalen Menschen ebenso oft wie bei Verbrechern. Lombroso, welcher in dieser Anomalie eine außerordentlich wichtige Erscheinung von Atavismus erblickte und sie darum besonders betonte, ging dabei von der Voraussetzung aus, dass sie einer übermäßigen Entwicklung der Wurmpartie des Kleinhirns ihre Entstehung verdankt. Da aber das Kleinhirn den älteren Lehren (Gall) zufolge das Organ aller tierischen Instinkte dar- stellt, so erschien inm das Vorhandensein des Grübchens als Beleg für die starke Entwicklung solcher Instinkte bei Verbrechern. Ob die hypothetische Koineidenz jener Grube mit Vergrößerung des Wurmes im Kleinhirn wirklich zu Recht besteht, darüber geht Lombroso ganz leicht hinweg, und es ist daher nicht ganz sicher, ob er sie auch wirklich beobachtet hat. Etwas bestimmter äußert sich Rossi (Lo sperimentale, 1891); in seinem Fall war eine derartige Koineidenz nicht vorhanden — der Oberwurm des Kleinhirns war von gewöhn- lichen Dimensionen trotz des Vorhandenseins der Grube am Hinterhauptbein. Auch Benedikt (Arch. de l’anthropologie eriminale, T. IV) leugnet die Ab- hängigkeit der geschilderten Knochenbildung von einer Größenzunahme des Kleinhirnwurms. An einem Exemplar meiner Sammlung von Verbrecherschädeln fiel mir auf der inneren Fläche der Hinterhauptsschuppe eine sehr deutliche wurm- förmige Grube auf; als ich hierauf das hinzugehörige Kleinhirn (das ganze Gehirn wird im anatomischen Museum .aufbewahrt) näher untersuchte, vermochte ich keinerlei Vergrößerung des Wurmes zu konstatieren. Um nun darüber ins Reine zu kommen, ob überhaupt Fälle von so bedeutender Größenzunahme des Kleinhirnwurms vorkommen, dass letzterer die Hemisphären überragend den Knochen berühren würde, durchmusterte ich eine mir gerade vorliegende Reihe von mehr als 80 Kleinhirnen und musste zu dem Resultat kommen, dass es derartige Vorkommnisse überhaupt nicht gibt. Der mittlere Lappen des Unter- wurms, die sog. Pyramis, welcher der Lage nach der in Rede stehenden Grube entsprechen würde, unterliegt allerdings gewissen Größenschwankungen, allein diese sind so gering, dass von einem Hinausragen aus der Vallecula gar keine Rede sein kann. Das Vorhandensein der wurmförmigen Grube am Hinterhauptbein kann Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 315 Vorwiegen einer Farbe am Auge, 6. mangelhafter undichter Bart- wuchs. In betreff dieser sechs Merkmale bedarf es keiner um- ständlichen Auseinandersetzung, indem ihre größere Häufigkeit und somit ihre Bedeutung als Kennzeichen verbrecherischer Organisation durch spätere Untersuchungen definitiv widerlegt ist; zudem ist es gar zu zweifelhaft, inwieweit sie überhaupt als Zeichen von Atavismus oder Entartung ernstlich in Betracht kommen. Weiter nenne ich 7. Anomalien der Ohrmuschel, welche an die Form dieses Organes bei den Affen oder bei Repräsentanten noch entlegener Tierreihen er- innern. 8. Starke Entwicklung der Augenbrauenbogen des Stirnbeines, der Wangenfortsätze des Schläfenbeines und der rauhen Linien am Scheitel- bein. Endlich 9. größere Länge des Gesichtsskelettes bei Verbrechern. Die Anomalien der Ohrmuschel, deren Beobachtung jeder- mann unmittelbar zugänglich ist und welche darum das Interesse vieler in Anspruch genommen haben, werden hervorgerufen durch stärkeres Abstehen vom Schädel, durch verschiedene Formveränderungen der Muschelwindungen, endlich durch Verwachsung des sog. Ohrläppehens (d. h. des weichen Teiles der Ohrmuschel) mit der Haut der Wangen. Wenn die Vertreter der kriminell-anthropologischen Schule behaupten, dass die genannten Anomalien bei geborenen Verbrechern ganz beson- ders häufig sind, so ist vor allem auf den Umstand hinzuweisen, dass ihre Bedeutung als Merkmal niederer Organisation von den Koryphäen der anthropologischen Wissenschaft völlig in Abrede gestellt wird. So äussert sich Topinard in seinen Elements d’anthropologie, dass es absolut unmöglich ist, aus diesen Anomalien irgend positive Anhalts- punkte für eine Charakteristik der Menschenrassen zu gewinnen. Der genannte Forscher beurteilt diese Anomalien als rein individuelle Form- erscheinungen, welche ganz so, wie alle anderen individuellen Besonder- heiten, deren Gesamtheit das bedingt, was wir Familienähnliehkeit nennen, den Gesetzen der Erblichheit unterworfen sind, aber ebenso- wenig wie jene mit der Stufe der Organisation in einem Zusammen- hang stehen. Dass es nicht gestattet ist, jene Anomalien als Zeichen von Atavismus aufzufassen, das geht schon aus dem Umstand hervor, dass eine von ihnen, nämlich die Verwachsung des Ohrläppehens mit der Wangenhaut, welche nach Lombroso und Gradenico bei 25°], ailer Verbrecher anzutreffen ist, in der Tierreihe überhaupt nicht vorkommt. Eine ähnliche Rolle wie die geschilderten Anomalien der Ohr- muscheln, spielt in den Arbeiten Lombroso’s und seiner Schüler die starke Entwicklung der Augenbrauenbogen, eine Besonder- heit, welche die Physiognomie eines Menschen stark beeinflusst und dem demnach mit einer stärkeren Entwicklung tierischer Instinkte (Lombroso) in keinem ursächlichen Zusammenhang stehen, schon allein aus dem Grunde, weil die Lehren Gall’s, aus welchen Lombrose diese Behauptung geschöpft hat, dem Bereich des Dilletantentums angehören und von der Wissenschaft niemals acceptiert worden sind. 316 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Gesicht bekanntlich einen finstern Ausdruck verleiht. Es liegt auf der Hand, dass diese Erscheinung von der Lombroso’schen Schule aus dem Grunde besonders betont wird, weil stark entwickelte Augen- brauenbogen ein Merkmal anthropoider Affen (Schimpanse, Orang, Gorilla) darstellen, und so wird es sich auch wohl mit den zwei anderen Kennzeichen, der starken Ausbildung der Wangenfortsätze und der die Schläfengrube begrenzenden Scheitellinien verhalten. In dem Auftreten dieser Merkmale erblickte Lombroso einen offenbaren Beleg für die atavistische Natur derselben. Die unbefangene objektive Beobachtung führt indessen zu dem Ergebnis, dass beim Menschen und wohl auch bei Verbrechern Fälle von stärkerer Ausprägung der in Rede stehen- den Knochenvorsprünge thatsächlich zuweilen vorkommen und dass die betreffenden Individuen sich durch jene Besonderheiten in ziemlicher auffallender Weise von anderen Personen gleichen Alters und Geschlechts unterscheiden; dass aber in diesen Fällen der Grad der Entwicklung obiger Merkmale irgendwie ihrer Ausprägung bei den Affen nahe sei, das ist denn doch eine Behauptung, die nicht im Entferntesten den Thatsachen entspricht. Die fraglichen Körperteile erreichen beim Menschen nicht einmal den zehnten Teil ihrer Dimensionen bei den Affen. Man ersieht hieraus auch ohne weiteres, dass es völlig Sache der Willkür ist, derartige Besonderheiten als atavistische in Anspruch zu nehmen. Die betreffenden Bildungen finden sich bei jedem Menschen, und sie können sehr stark entwickelt sein, ohne dass ihre Form hier- durch irgend verändert würde. Aber davon ganz abgesehen, steht ja der Grad der Ausprägung der Warzenfortsätze und der Scheitellinien in jedem einzelnen Falle in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis von der Entwicklung des Muskelsystems; die Größenzunahme der frag- lichen Knochenhöcker, die ja zum Ansatz von Muskeln dienen, ent- spricht fast immer einer Massenzunahme aller übrigen Muskelhöcker am Skelett und wird auch von einer Diekenzunahme sämtlicher Knochen begleitet. Zu den Erscheinungen, welche sich im Verlaufe einer solchen Verstärkung des Knochenwachstums herausbilden, gehört auch das Hervortreten der Augenbrauenbogen. So erklärt es sich, dass die er- wähnten drei Bildungen gewöhnlich gleichzeitig in stärkerer Entwick- lung gefunden werden. Die Häufigkeit ihres Vorkommens bei Ver- brechern ist, wie sich durch eine Vergleichung der Befunde von Lom- broso, Roncoroni, Mingazzini, Baer u. a. herausgestellt hat, keine sehr große, und durch diese ihre Inkonstanz wird auch ihre an- fänglich behauptete Bedeutung für die Charakteristik der Verbrecher- organisation vollständig hinfällig. Es hat aber bei der weiteren Untersuchung nieht alle von Lom- broso aufgestellten atavistischen Verbrechercharaktere das nämliche Los getroffen, wie die oben besprochenen; vielmehr ist das letzte der von uns oben namhaft gemachten Merkmale, nämlich die relativ starke Entwicklung des Gesichtsskelettes und der sich daraus ergebende Prog- Sernofl, Die Lehre Lombroso’s. 317 nathismus (d. h. starkes Nachvorneragen der Gesichtspartien des Schä- dels bezw. kleiner Gesichtswinkel ), sowie die Neigung der Stirn nach hinten („fliegende Stirn“) durch Beobachtungen von Corre, Manou- vrier, Debierre, Orschanski, Tegami und anderer bestätigt worden und erfahren durch die Ergebnisse meiner eigenen Messungen noch eine weitere Stütze. Es liegt hier somit eine zweite durch zahl- reiche Kontrolbeobachtungen sichergestellte Thatsache vor, welche augenscheinlich in positivem Sinne zu Gunsten der Lombroso’schen Lehre Zeugnis ablegt. Ich komme auf diesen Punkt, der in Anbe- tracht des Gesagten näher gewürdigt zu werden verdient, unten noch genauer zurück, und will mich jetzt sofort zu einer Betrachtung der Merkmale des Verbrechergehirns wenden. Diese letzteren sind den Angaben Lombroso’s zufolge zweierlei: erstens solche des Ge- wichts des Gesamthirnes oder einzelner Teile desselben, und zweitens Besonderheiten der Lage und Form der Gehirnwindungen. In Beziehung auf die Gewichtsverhältnisse des Verbrechergehirns und seiner einzelnen Teile erhalten wir wichtige Aufschlüsse nicht durch die Arbeiten Lombroso’s, sondern durch das klassische Werk des Münchener Anatomen Bischoff!), welcher in der Lage war, 137 Hirne von Verbrechern und 422 Hirne von Nichtverbrechern selbst zu wägen. Ueber die Resultate dieser Wägungen lässt sich in aller Kürze berichten: Die Majorität der Verbrechergehirne hat ein mittleres Gewicht, welches zwischen 1300 und 1400 Gramm schwankt, also nicht anders als die Hirne gewöhnlicher Menschen. Sehr leichte Hirne (unter 1300 Gramm) kommen viel seltener vor, aber gleich häufig bei Ver- brechern und Nichtverbrechern; sehr große Hirngewichte (über 1400 Gramm) sind ebenfalls selten, aber bei Verbrecehern öfter anzutreffen, als bei normalen Indviduen. Dieses auf großen Beobachtungsreihen basierende Resultat konnte gewiss den Wünschen der Lombrososchen Schule nicht entsprechen; war doch ihr ganzes Streben einzig und allein dahin gerichtet, die geringere Größe der Verbrecherhirne nachzuweisen, um sie so den wilden Menschenrassen oder den anthropoiden Affen näher zu bringen. Aus diesem Bestreben heraus entstand denn auch jene überwältigende Masse von Unter- suchungen über die Schädelgröße, welche uns die Forscher der anthro- pologisch-positivistischen Richtung geliefert haben. Diese behandeln allerdings vorzugsweise die Schädel, und nicht das Gehirn selbst, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil Schädel in den Museen überall zu finden und leicht zu untersuchen sind, während das Hirn schwer aufzuheben ist, unter dem Einfluss konservirender Medien Verände- rungen erleidet und in den Sammlungen nur selten in größerer Anzahl vertreten ist. Es können ausserdem die Schädel von jeder- 1) Th. L. W. v. Bischoff, Das Hirngewicht des Menschen. Eine Studie, Bonn 1880. 318 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. mann ohne weitere Vorbereitungen, einfach mit Hilfe von Bandmaß und Zirkel beliebig bearbeitet werden; um aber Gehirne richtig zu behandeln und zu untersuchen, dazu bedarf es mancherlei spezieller Kenntnisse und dazu bietet sich nicht immer die Gelegenheit. Nachdem nun ihre Erwartungen an den unanfechtbaren Resultaten der Untersuchungen Bischoff’s Schiffbruch erlitten hatten, begannen Lombroso und seine Schüler mit der ihnen eigenen Planlosigkeit nach neuem Beweismateriale Umschau zu halten, und dieses bot sich ihnen auch alsbald in der Vergleichung des Gewichtes beider Hirn- hemisphären. Die bezüglichen Thatsachen fanden sich bei Bischoff und Giacomini fertig zur Benutzung. Ersterer hatte nur beide Hemi- sphären eines Verbrechergehirns gewogen, die rechte hatte sich um 21 Gramm schwerer erwiesen. Von Giacomini lagen vergleichende Wägungen über 42 Verbrechergehirne vor; in 20 Fällen war die rechte, in 18 die linke Hemisphäre schwerer, in 4 Fällen bestand kein Unter- schied zwischen rechts und links. „Diese Angaben“, bemerkt Lom- broso, „sind wenig beweisend, sie werden aber“ — so fährt er fort — „durch das Studium der Schädelasymmetrien ergänzt. Diese habe ich in der That auf der rechten Seite überwiegend gefunden in 41°], auf der linken in 20°/, der Fälle; in 38 (°/, oder Fälle?) bestand kein Unterschied zwischen rechts und links, während doch in den Fällen von physiologischer Schädelasymmetrie beide Seiten stets gleiche Werte ergeben“). Es ist nicht ganz leicht über den Sinn dieses Lombroso’schen Passus ins Reine zu kommen und es hat sogar den Anschein, dass er den Autor selbst ebenfalls nur wenig befriedigt habe, denn unmittelbar darauf wendet er sich zu neuen Beweismitteln: „Eine andere That- sache aber“ heißt es: „welche noch zuverlässiger ist, findet sich in dem größeren Gewicht von Kleinhirn, verlängertem Mark und Hirn- stielen bei Verbrechern. Nach den Untersuchungen von Varoglia und Silva beträgt das Gewicht dieser Teile bei Frauen aus dem Volk 141 Gramm, bei Verbrecherinnen aber 155 Gramm; es steht dies wie unten gezeigt werden soll, in bestem Einklang mit der großen Beweglichkeit dieser unglücklichen Geschöpfe. Mit dieser doch wahrlich gar zu kühnen Hypothese schliesst Lom- broso das Kapitel über die Hirngewichte. Bei so geringfügigen Resul- taten hätte Lombroso gewiss besser gethan, die Erörterungen über Besonderheiten im Hirngewichte der Verbrecher gar nicht anzufangen, um so mehr, als in dem mehrfach genannten Werke Bischoff’s, 4) Ce sont, pourtant, des chiffres peu deeisifs, mais l’&tude des asymetries les compl&tent. Nous les avons trouves, en effet, predominant ä droite sur 41°], et & gauche sur 20°),; 38 &taient &gaux, tandisque dans les asymetries physiologiques on trouve toujours des chiffres &gaux de deux cotes. Lom- broso, l’homme eriminel, p. 176. Sernoft, Die Lehre Lombroso’s. >19 welchem Lombroso seine Angaben über das Hirngewicht der Ver- brecher entlehnt hat, Beobachtungen verschiedener Autoren über das Gewicht einer ungeheuren Anzahl (über 2500) Gehirne sittlieh normaler Individuen, vom Neger und Schweinehirten bis hinauf zu solchen Kory- phäen der Wissenschaft, wie der Mathematiker Gauss und der Che- miker Liebig, sich zusammengestellt finden, aus welchen ganz un- zweifelhaft hervorgeht, dass das absolute Gewieht des Gehirns ohne gleichzeitige Berücksichtigung der übrigen Eigenschaften eines ge- gebenen Individuums, an sich keinen Maßstab. abgibt für die geistige und intellektuelle Entwicklung. Diese These ist heutzutage in der Wissenschaft allgemein angenommen und findet ihre nähere Begrün- dung in folgenden Thatsachen. Das Gehirn ist kein einfaches, sondern ein zusammengesetztes Organ; es beherbergt die Centra für die will- kürliche Bewegung, die sogenannten psychomotorischen Centren, ferner die Gefühls- oder psychosensorischen Centra, welche die Gesichts-, Gehörs-, Geruchs-, Geschmacks- und Tastempfindungen pereipieren, und endlich die Centra der intellektuellen Funktionen. Jedes dieser Centra bezw. Gruppen von Centren kann bei verschiedenen Individuen in verschiedenem Grade entwickelt sein, und diese Differenzen ver- mögen wahrscheinlicherweise das Gewicht des Gehirns zu beeinflussen. Allein welche Hirneentra und in welchem Grade diese in jedem einzelnen Fall entwickelt sind, davon haben wir keinerlei Kenntnis. Die Abgrenzung der einzelnen Gruppen von Hirneentren sind wir noch weit entfernt genauer zu kennen, und es fehlen uns so die Mittel zur eventuellen Untersuchung ihrer räumlichen Ausbreitung und ihrer Ge- wichtsverhältnisse. Niemand hat es denn auch bisher unternommen, über das Gewicht einzelner Hirneentren oder Centrengruppen Beobach- tungen anzustellen. Dahingegen können Wägungen einzelner Hirn- hälften oder des Hirnstamms für sich, wie sie von den Jüngern Lom- broso’s vorgenommen wurden, deshalb keinen rechten Sinn haben, weil jede Hemisphäre sich genau so wie das ungeteilte Hirn aus einer Summe ganz verschiedenartiger Organe zusammensetzt, welche abzu- grenzen wir nicht im stande sind. Um aber bei der Wägung des Ge- hirns den Grad der Entwieklung der verschiedenen Hirnfunktionen mit in Rechnung zu bringen, dazu fehlt uns meist die Gelegenheit, von allem andern ganz abgesehen. Wollten wir uns nur eine ungefähre Vorstellung verschaffen von dem Anteil des absoluten Gewichts eines gegebenen Hirns, welcher z. B. auf die Centra der psychischen Funk- tionen entfällt, so könnte dies nur geschehen, wenn wir zu Lebzeiten das betreffende Individuum auf die Entwicklung seines Gesichts-, Ge- hörs-, Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinnes und auf die Stärke seiner sämtlichen Muskeln hin genau untersucht hätten; wir müssten ferner genau feststellen, in welchem Maße ein bestimmtes Plus an Funktion im einzelnen auf die Zunahme der Gehirnmasse einzuwirken vermag. Erst nach Erledigung all’ dieser Fragen wären wir in der Lage, aus 320 Sernoff, Die Lehre Lombroso's. dem Gewichte eines Hirns irgend belangreiche Schlüsse zu ziehen. So lange wir aber mit den oben genannten wesentlichen Faktoren noch nicht zu rechnen verstehen, vermag uns das Gehirngewicht keinen Maßstab zu geben für den Grad der Entwicklung des Intellektes und noch weniger natürlich für die Beurteilung so eigenartiger und kom- plizierter psychischer Besonderheiten, wie sie die Verbrechernatur dar- bietet; und mit Bedauern muss man zugestehen, dass das gesamte bis heute vorliegende Material über Hirnwägungen, soweit letztere ohne Berücksichtigung der oben näher erörterten Momente ausgeführt worden sind, einen völlig unbrauchbaren wissenschaftlichen Ballast darstellen. Indem wir mit den Verbrechercharakteren, die sich auf das Ge- wicht des Hirns beziehen, abschließen, erübrigt es noch einer That- sache zu gedenken, welehe, wenn auch nicht gerade mit dem Gewicht, so doch mit der Größe des Gehirns in Zusammenhang steht und die relative Größe, der vorderen und hinteren Gehirnlappen betrifft. Bei der vergleichenden Untersuchung der Größe der einzelnen Schädel- 'knochen von Verbrechern und normalen Individuen stellte es sich heraus, dass das Stirnbein der ersteren kleinere Dimensionen aufweist als das der letzteren. Wenn diese Thatsache, welche auch Gegner der Lombroso’schen Lehre bestätigt gefunden haben, einen Wert beanspruchen soll, so könnte dies nur durch den Nachweis geschehen, dass der größeren oder geringeren Ausdehnung des Stirnbeines that- sächlich eine größere oder geringere Entwicklung der Stirnlappen des Großhirns entspricht. Stände es ausser Frage, dass die Schwankungen der Größe des Stirnbeinknochens und des darunter liegenden Stirn- lappens des Gehirns mit einander Hand in Hand gehen, so würde der Nachweis geringerer Dimensionen oder richtiger der Nachweis des häufigeren Auftretens dieser letzteren am Stirnbein verbrecherischer Individuen zu einer Thatsache von größter Tragweite sich gestalten, denn es müsste dies uns zu dem Schluss berechtigen, dass die Stirn- lappen des Großhirns bei Verbrechern häufiger schwach entwickelt sind, als bei sittlich unbescholtenen Menschen. Mit großem Interesse nahm ich daher die Aeusserung Debierre’s, eines Gegners der Lom- broso’schen Lehre auf, welcher anerkennt, dass die Thatsache der geringeren Flächenentwicklung des Stirnbeins bei Verbrechern nicht von der Hand zu weisen ist und durch seine eigenen Messungen eine Bestätigung erfahren hat. Es wurde so der Wunsch rege gemacht, einmal die Beobachtung selbst durch Messung der in unserem Museum vorhandenen Verbrecherschädel näher zu prüfen, dann aber auch der Wunsch, über die Bedeutung der Beobachtung ins Reine zu kommen und nachzusehen, ob den Schwankungen der Stirnbeindimensionen wirklich Veränderungen der Größe der Stirnlappen des Gehirns parallel gehen ? Was den ersten Teil des Planes betrifft, so liegen ja für Unter- suchungen des Knochensystems hier am Orte keine sehr günstigen Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 39 Bedingungen vor, da unsere Sammlungen infolge der großen Entlegen- heit der Verbrecherkolonien nicht über unbeschränkte Serien von Ver- brecherschädeln verfügen können. Es standen mir insgesamt nur 18 Schädel zu Gebote, deren Herkunft mir genauer bekannt war. Die Inhaber dieser Schädel waren Leute, welche wegen Raubes oder Mordes zur Deportation in die Zwangsarbeiterkolonien verurteilt und unterwegs an verschiedenen akuten Krankheiten zu Grunde gegangen waren. Der Nationalität nach waren es meist Russen, zu einem Teil aber auch Bewohner Polens und des Kaukasus. Meine Messungen habe ich geflissentlich nach den nämlichen Methoden ausgeführt, welche auch frühere Forscher angewandt hatten, ungeachtet des Umstandes, dass gegen die Brauchbarkeit dieser Methoden und gegen die Genauig- keit der damit erhaltenen Resultate sich mancherlei einwenden ließe. Zum Zwecke der Vergleichung untersuchte ich auch 20 Schädel von Nichtverbrechern, welche in Beziehung auf ihre Rassenzugehörigkeit den erwähnten Verbrecherschädeln möglichst nahe standen, was mir von Wichtigkeit erschien, um den Einfluss der Rasse auf die Ergeb- nisse einfürallemal auszuschließen. Mit Absicht vermied ich es auch, größere Reihen normaler Schädel zur Vergleichung heranzuziehen, da- mit der Einfluss der Zahl der Beobachtungen auf die Mittelwerte in beiden Fällen sich gleich bliebe). 1) Die Länge der Schädelknochen wurde längs der Medianlinie gemessen, und zwar von der Nasennaht bis zum hinteren Rande des Hinterhauptloches; die ganze Kurvenlinie setzt sich, wie oben (S.311) erwähnt, aus mehreren Segmenten zusammen. Die Messung der Winkel zur Bestimmung der Ausdehnung ein- zelner Hirnabschnitte geschah durch geometrische Projektion des sagittalen Schädelkontures, die mittels des Broca’schen Stereographen ausgeführt wurde. Die Spitze dieser Winkel, welche der Mitte der äußeren Ohröffnung entspricht, wurde ebenfalls mit dem Stereographen bezeichnet. Im folgenden gebe ich eine Zusammenstellung der erhaltenen Mittelwerte: A. Länge der einzelnen Segmente der sagittalen Schädelkurve Normale Verbrecher- Schädel schädel 1. Von der Sutura naso-frontalis bis zum Ophryon 14,9 mm 16,3 mm 2. Vom Ophryon bis zur Kranznaht (sog. Gehirn- teil des Stirnbeins) . : a EOS 110,4 5 3. Scheitelbein (von der Kranznaht Bis zur Lambda- naht) SiLIUN'S, Ha. 090% 1234 123:0 U, 4. Hinterhauptbein Dis) zum Besen Hinterhaupt- hocker ....ı.. . ihrdure bo-leen 5. Hinterhauptbein vom ri achanpthöcker ii zum hinteren Rande des Foramen magnum 49,0 „ a B. Winkelmasse zur Bestimmung der Knochengröße und der ent- sprechenden Gehirndimensionen. Gemessen wurde nur der Gehirnteil des Stirnbeins, das Scheitelbein und die obere Hälfte des Hinterhauptbeins bis zum Hinterhauptshöcker, d. h. der Teil des Schädeldaches, welcher den Hemisphären des Großhirns entspricht. Normale Schädel Verbrecherschädel SEIINWINKEL, FE uhrenstnd er ce orte A 53,52 Sehartelwinkele 277,0... . Beer 59H 60,4 Hinterhauptwinkel, Hunt 02 228, 7330 3,9. XVI; 21 329 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Die Thatsache der relativ geringeren räumlichen Ausdehnung des Stirnbeins bei Verbreehern wurde durch die vorliegenden Untersuchungen vollauf bestätigt. Bei der Messung der Abstände entlang der Knochen- oberfläche ergab sich im Mittel eine Differenz von 2 mm; die Messung mittels Winkelmaßes fiel ebenfalls zu Ungunsten der Verbrecher aus, jedoch war die Differenz (sie betrug 0,7°) hier ganz unbedeutend. Sei dem aber wie ihm wolle, die Größe der Knochen interessiert uns erst in zweiter Linie und es bleibt noch die wichtige Frage offen, ob die Knochendimensionen in einem direkten Verhältnis stehen zur Größe des Stirnlappens des Großhirns. Eine Antwort auf diese Frage vermag uns weder die Litteratur der Verbrecheranthropologie, noch auch die heutige anatomische Wissenschaft zu geben. Untersuchungen über die relative Größe des Stirnbeins und der Stirnlappen des Gehirns an den nämlichen Individuen sind zwar in geringerer Anzahl ausge- führt worden, allein in ganz anderer Absicht und nach Methoden, die in unserem Falle zu keinem Resultat führen können. Es handelte sich bei diesen Untersuchungen darum, die Lage der sog. Rolando’schen oder Centralfurche des Gehirns ausfindig zu machen, welche aner- kanntermaßen die einzig rationelle Grenze des Stirnlappens nach hinten darstellt; man verfolgte dabei den rein praktischen Zweck, ein Ver- fahren zu präeisieren, welches gestatten würde, am lebenden Menschen jene Punkte an dem Schädel zu bestimmen, die den oberen und unteren Enden der genannten Furche entsprechen, ein Verfahren, welches für die Trepanation des Schädels behufs Ausführung chirurgischer Eingriffe am Gehirn heute immer mehr an Bedeutung gewinnt. Als Ausgangs- punkt der Orientierung dient nach einigen Methoden — es gibt deren mehrere — die Kranznaht des Schädels d. h. der hintere Rand des Stirnbeins, und es handelte sich in diesem Falle darum, die Entfernung zwischen oberem Ende der Rolando’schen Furche und Kranznaht zu bestimmen. Die durch individuelle Schwankungen der Größe des Stirn- beins etwa hervorgerufenen Lageveränderungen der Koronalnaht wur- den, weil für chirurgische Zwecke ganz belanglos, vollständig außer acht gelassen. So erklärt es sich, warum jene Untersuchungen über die, uns interessierende Frage keinen Aufschluss gebracht haben, ob- gleich die Thatsache des Vorkommens individueller Schwankungen in dem Abstand der Kranznaht von der Rolando’schen Furche sehr wohl bekannt war. Unser anatomisches Institut ist nun gegenwärtig in der glücklichen Lage, in bestimmterer Weise als dies bisher geschehen konnte, auf die oben aufgeworfene Frage Antwort geben zu können. Die bezüglichen Thatsachen sind folgendermaßen gewonnen worden. Als ich vor nun mehr 6 Jahren mit dem Plane umging, die Methoden zur Bestimmung einzelner Punkte der Gehirnoberfläche am lebenden Menschen behufs operativer Eingriffe am Gehirn zu verbessern, brachte ich hier das Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 393 nämliche Verfahren in Anwendung, welches den Geographen zur Be- stimmung einzelner Punkte auf der Oberfläche der Erdkugel dient, d. h. die Methode der Meridiane und Parallelkreise, wobei bekanntlich die Orientierung durch Grade geschieht, in welche jene Kreise ein- geteilt werden. Um diese Methode der Orientierung für den Kopf in Anwendung bringen zu können, konstruierte ich einen besonderen Apparat, den ich als Encephalometer bezeichnet habe, und fertigte nun auf Grundlage einer Reihe von Untersuchungen mittels des En- cephalometers eine Tabelle an, welche gestattet, die Lage eines ge- suchten Punktes der Schädel- oder Gehirnoberfläche ähnlich abzulesen, wie die Breite oder Länge beliebiger Orte des Erdrundes auf geo- graphischen Karten. Auch die relative Größe der Linien und Flächen lässt sich hier ganz so, wie auf der Landkarte, feststellen. Als ich aber im Jahre 1889 die Ergebnisse meiner Untersuchungen zum ersten Male veröffentlichte, hatte ich die mich hier beschäftigende Frage über die Relationen zwischen Größe des Stirnbeins und der Stirnlappen des Gehirns bei den nämlichen Individuen noch nicht ins Auge gefasst und hatte darum auch unterlassen, die bezüglichen Zahlangaben der Tabellen mitzuteilen. Diese letzteren konnten nun gegenwärtig für die Zwecke der vorliegenden Arbeit verwertet werden, umsomehr als die Anzahl der Tabellen dank den Bemühungen meines Prosektors Dr. Altuchoff, welcher auf meinen Vorschlag die Beobachtungen mit dem Encephalometer weiter fortsetzte, in letzterer Zeit einen er- freulichen Zuwachs erfahren hat. Wir besitzen augenblicklich voll- ständige encephalometrische Tabellen über 42 Individuen, also ein Material, bei welchem der Einfluss zufälliger Faktoren auf die Resultate von vornherein als ausgeschlossen erachtet werden darf!). 1) Zum besseren Verständnis der nebenstehenden Tabelle, welche die Er- gebnisse der vergleichenden Untersuchung über die Größe des Stirnbeins und der Stirnlappen des Gehirns von 42 Individuen vorführt, bedarf es einiger er- klärender Bemerkungen. Als Maßeinheit für die encephalometrischen Tabellen wurden Meridiangrade bezw. Parallelkreisengrade angenommen. Die beiden Pole, durch welche die Meridiane gelegt wurden, werden dargestellt einerseits durch den Supraorbitalpunkt des Stirnbeins (welcher entsprechend der Mittel- linie des Schädels im Niveau des oberen Randes der Angenhöhlen liegt) und andererseits durch den Hinterhauptshöcker; beide entsprechen ziemlich genau der Ebene der Gehirnbasis. Auf den encephalometrischen Karten zählt man die Grade in der auch in den geographischen Atlanten üblichen Weise vom Aequator bezw. vom ersten Meridian aus. Als erster Meridian gilt der mittlere, welcher durch die Pfeilnaht des Schädels hindurchgeht, als Aequator — der quere in gleichem Abstande zwischen beiden Polen angebrachte Bogen des Encephalometers. Jedoch habe ich bei der Bestimmung der relativen Ausdehnung des Stirnbeins und der Stirnlappen des Großhirns (siehe die nebenstehende Tabelle) als Aus- gangspunkt der Zählung den vorderen bezw. Stirnpol angenommen; es geschah dies im Interesse größerer Anschaulichkeit, indem hier die höheren Ziffern 22 os DD „nn Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Eine vergleichende Betrachtung unserer auf 42 Fälle sich er- streckenden encephalometrischen Daten über Größe des Stirnbeins auf eine Zunahme, die niedrigeren auf eine Abnahme des gemessenen Teiles hinweisen, während bei der Zählung nach dem Modus der geographischen Karten — vom Aequator aus — das umgekehrte statthatte. Die encephalo- metrischen Ergebnisse finden sich in der Tabelle nach Maßgabe der Größen- zunahme des Stirnbeins geordnet, Nr. 1 entspricht einem Individuum der Unter- suchungsreihe mit dem kleinsten, Nr. 42 einem solchen mit dem größten Stirn- bein. — Es bedarf hier noch des Hinweises, dass die Gradeinteilung der encephalometrischen Aufnahmen mit denen, von welchen oben (8.321) bei der Triangulation des Schädels die Rede war, nicht verglichen werden dürfen, da die Spitzen der Winkel bei beiden Messungsmethoden sich nicht entsprechen. Während bei der Triangulation der Projektion des sagittalen Schädelkonturs die Spitzen der Winkel gegen die Mitte der äußeren Ohröffnung gerichtet sind, streben sie bei der encephalometrischen Aufnahme gegen den Mittelpunkt des Encephalometerringes, in einer Ebene, welche durch den Supraorbitalpunkt der Stirn und den Hinterhaupthöcker hindurchgeht; sie kommen demnach hier viel höher zu liegen als dort, und dem entsprechend sind auch die Zahlenwerte größer als bei der Triangulation. Tabelle der encephalometrischen Messung des Stirnbeines von 42 Individuen. Stirnlappen des Großhirns. Nr. Stirnbein. Linke Hemisphäre. Rechte Hemisphäre. 1 66° 105° 104° 2 66° 982 102° 3 67° 108° 109° 4 68° 104° 106° ) 68° 100° 100° 6 68° 104° 103° 7 69° 96° 95° 8 69° 101° 103° g 69° m Sl 10 69° 100° li 11 700 108° 110° 12 70° 97° 98° 13 70° 105° 102° 14 202 96° 952 15 70° 105° 104° 16 0 100° gar 47 DE 102° 104° 18 Tals 19% 100° 19 male 10% 92% 20 722 106° 107° 21 22 102° Z 100° 22 125 105 ® 104° 23 ge 103° 103° 24 Nor 10%° 106° 25 136 104° 102° 2h 73» 950 98° Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 39 und der Stirnlappen des Gehirns ergibt nun, das ein Parallelismus der Dimensionsschwankungen beider absolut nicht zu Recht besteht. Fassen wir beispielshalber den ersten und den letzten Fall unserer Tabelle ins Auge; dort war bei minimaler Ausdehnung des Stirnbeins (= 66°) der Stirnlappen von mittlerer Größe und maß links 105°, rechts 104°; in dem Falle 42 hingegen fand sich bei maximaler Dimension des Stirnbeins (= 80°) am linken Stirnlappen nahezu das kleinste Maß der ganzen Reihe, nämlich 98°, am rechten 100° (das Minimalmaß des Stirnlappens betrug in den 42 Fällen 93°, das Maximum 114°). Man ersieht aus dem Gesagten, dass die von der Kraniometrie festgestellte Thatsache der geringeren Größe des Stirnbeins am Ver- brecherschädel dank den Ergebnissen der vergleichenden Encephalo- metrie gegenstandslos geworden ist, und ich kann nunmehr zu dem letzten kriminell-anthropologischen Hirnmerkmal, zu einer Betrachtung der Form der Gehirnwindungen beim Verbrecher übergehen. Ueber die historische Entwicklung dieser Frage können wir uns kurz fassen. Es ging hier nicht viel anders, als mit den kranio- metrischen Beobachtungen, d. h. es bestand von Anfang bis zu Ende das Bestreben, den Nachweis zu erbringen, dass das Relief der Gehirn- windungen bezw. die Anordnung der Gehirnfurehung bei den Ver- brechern ganz besondere nur ihnen eigene Charaktere und Anomalien aufweist, die sonst in der Menschheit nicht vorkommen. Diese An- nahme erwies sich jedoch in der Folge als wenig zutreffend und war nur der Ausfluss mangelhafter Kenntnis der normalen Form der Gehirn- oberfläche; denn ganz dieselben für das Verbrecherhirn charakteristisch seinsollenden Windungsformen sind auch, und zwar sehr oft, bei nor- malen Individuen anzutreffen und stellen nichts weniger als Anomalien vor. Man ging aber noch weiter und wollte am Verbrechergehirn ee 27, Stirnlappen des Großhirns. Nr. Stirnbein. Linke Hemisphäre. Rechte Hemisphäre. 27 32 100° 100° 23 74° 107° 108° 29 74° 103° 102° 30 74° 104° 102° 31 74° 101° 100° 32 14° 105° 107° 33 74° 1122 111° 34 74° 1072 109° 39 74° 103° 105° 36 Cor 105° 104° 37 an 102° 104° 38 16.0 106° 106° 39 10 104° 102° 40 Us 114° 107° 4 78° 106° 107° 42 80° 985 100° 326 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Windungskombinationen herausfinden, welche dem Hirn der Idioten, der anthropomorphen Affen und Raubtiere eigen sind. Ich will mich über die zahlreichen Schicksale dieser Frage, die vielen Irrwege, die sie gegangen, hier nicht noch einmal ausbreiten, sondern fasse sofort den augenblicklichen Stand derselben ins Auge!). Auf dem vorjährigen Aerzte-Kongress in Rom äußerte sich Prof. Mingazzini in völliger Uebereinstimmung mit den beiden neuesten Publikationen über kriminelle Anthropologie von Lombroso und Debierre dahin, dass die Architektonik der Verbrechergehirne nichts besonders Spezifisches darbiete, dass dagegen innerhalb der Variationsbreite der Gehirnwindungen bei Verbrechern atypische und atavistische Bildungen ungleich häufiger entgegentreten, als amGehirn unbescholtener Individuen. Hierdurch betrat die Frage der Verbrechergehirne ein Gebiet, auf welchem ich mich persönlich bereits seit vielen Jahren heimisch fühle, nämlich das Gebiet der Formvarietäten der Furchen und Windungen des Großhirns. Der Frage dieser Formvarietäten, welche als individuelle Besonderheiten verschiedener Gehirne aufzufassen sind, habe ich in den siebziger Jahren eine Untersuchung gewidmet, deren Ergebnisse 4) Von Eiferern der Lombroso’schen Doktrin, wie Benedikt, Hanot, Bouchat, Broca, Richter, Ferrier, Ponta, Tenchini, Brown, Willigk und anderen waren folgende Verbrechercharaktere am Gehirn nam- haft gemacht worden: 1. das Vorhandensein zahlreicher Anastomosen zwischen den typischen Hirnfurchen; 2. das Unbedecktsein des Kleinhirns von den Hinter- lappen der Großhirnhemisphären; 3. gabelförmiges Auseinanderweichen der Rolando’schen Furche; 4. Ueberbrückung der Rolando’schen Furche; 5. Fehlen der letzteren; 6. das Auftreten von vier sagittalen Stirnwindungen anstatt drei; 7. größere Länge desjenigen Stückes der Fissura parieto - oceipi- talis, welche auf der äußeren bezw. oberen Fläche des Gehirns sich hinzieht (eine Bildung, welche von Rüdinger mit der Affenspalte analogisiert wird), und außerdem noch eine Reihe anderer, minder auffallender Modifikationen der typischen Hirnfurchen. Alle diese Besonderheiten, mit alleiniger Ausnahme der von Benedikt beobachteten unbedeckten Lage des Kleinhirns, sind wie nachträgliche Untersuchungen ergaben, ebenso oft, ja zum Teil noch häufiger bei Nichtverbrechern zu konstatieren. Was aber das Freiliegen des Kleinhirns betrifft, so ist diese für das Mikrocephalenhirn charakteristische Erscheinung außer vonBenedikt von niemandem gesehen worden, und auch dieser Forscher, welcher die obige Hirnabnormität in seiner ersten bezüglichen Publikation (Anatomische Studien an Verbrechergehirnen, Wien 1879) schildert, geht über diesen Punkt in seinen späteren Arbeiten mit Stillschweigen hinweg. Der Be- fund von vier Stirnwindungszügen (anstatt der normalen Anzahl von drei) stand in keinerlei Einklang mit den Erwartungen, die Lombroso an diese Untersuchungen knüpfte. Er postulierte den Nachweis mangelhafter Entwick- lung der grauen Hirnrinde und dem entsprechend wenig zahlreicher Windungen am Verbrechergehirn, während doch die Befunde gerade im Gegenteil auf reiche Entfaltung der Windungen, zumal im Stirnlappen, dem Organ der höheren Geistesfunktionen hinweisen. Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 397 auf dem detaillierten Studium von 100 Hirnexemplaren normaler Indi- viduen fußten. Diese Arbeit und die ihr zu Grunde liegende Gehirn- sammlung gab mir die Mittel an die Hand, um jene Schlüsse, die von den Forschern aus der Betrachtung des Verbrecherhirns gezogen waren, einer eingehenden Kritik zu unterziehen. Zu letzterem Ende aber sah ich mich gleichzeitig genötigt, das bereits vorhandene Material durch eine Sammlung von Verbrechergehirnen zu vervollständigen. Von solchen habe ich freilich nur eine relativ geringe Zahl, nämlich 25 Stücke, in Händen; allein auch diese kleine Sammlung musste dank der Erfahrung, die mir von der Untersuchung der Normalhirne her zur Seite steht, völlig hinreichen, um die erwähnten Verbrechereigen- tümlichkeiten, sofern sie thatsächlich vorhanden sind, ausfindig zu machen. Aus dieser Sammlung habe ich mich bemüht, solche Ver- brecher auszuschließen, welche zur Kategorie der von Lombroso sogenannten zufälligen Verbrecher gerechnet werden; die betreffenden Hirne stammen denn auch mehr als zu einem Drittteil von rückfälligen Dieben, Giftmördern, Brandstiftern, Räubern und Raubmördern. Die Verbreehernatur dieser Leute war so zweifellos als möglich; sämtliche waren bereits vorbestraft und zur Abbüßung verschiedener Strafen verurteilt. Wer die obenerwähnten auf die Gehirnwindungen der Verbrecher- rasse bezüglichen Auseinandersetzungen Lombroso’s und Debierre’s einmal gelesen hat, der wird mit mir erstaunt sein, wie sehr dieselben vor allem der näheren Begründung entbehren; die genannten Autoren seben keinerlei Hinweis darüber, was für Formen sie als atypisch an- sehen. Bei Lombroso ist dies einigermaßen begreiflich, da er ja nicht Fachanatom ist; von Debierre hingegen, welcher als Anatom und seinen eigenen Worten zufolge zahlreiche Verbrechergehirne in seinem Institut und in fremden Museen beobachtet hat, hätte man wohl detailliertere Angaben erwarten sollen. Nichtsdestoweniger ist dies nicht der Fall, ja er deutet nicht einmal an, welche Form der Gehirn- furchen er für typisch annimmt und erhält uns so im Ungewissen, nach welchem Maßstab er bei der Vergleichung der Verbrecherhirne mit denen von Nichtverbrechern vorgegangen ist. Ist dem so, so steht der Annahme nichts im Wege, dass er zur Vergleiehung die Schemata der sog. typischen Hirnfurchen bezw. Hirnwindungen der anatomischen Handbücher herangezogen hat. Das ist nun aber ein großer Fehler, indem die üblichen Darstellungen der sog. typischen Hirnfurchen nichts anderes sind, als Schemata, welche aus rein pädagogischen Rücksichten vereinfacht und gleichzeitig durch Kombination verschiedener Bilder hergestellt sind, deren Gesamtheit an einem und demselben Individuum niemals zur Beobachtung gelangt. Es kann demnach auch eine Ab- weichung von einem solchen Schema nicht ohne weiteres als Atypie betrachtet werden, da ja das Schema selbst die extremste Atypie darstellt. 328 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. In meiner Schrift über die individuellen Form-Varietäten der Ge- hirnwindungen habe ich den Versuch gemacht, nachzuweisen, dass es einen einheitlichen Typus der Hirnarchitektonik überhaupt nicht gibt, dass vielmehr nicht nur die Gesamtheit aller Windungen, sondern auch jede einzelne Furche und Windung in Form mehrerer Typen auftreten kann. Es können in dieser Beziehung einmal extreme Typen hervor- gehoben werden; diese markieren die äußersten Grenzen der Variations- fähigkeit der Gehirnform, jenseits welcher keine neuen Formen mehr auftreten. Während aber die extremen Typen nur verhältnismäßig selten beobachtet werden, haben wir es in der größten Mehrzahl der Fälle mit Uebergangsformen zu thun, welche beide Extreme mehr oder minder deutlich verknüpften, so zwar, dass man die verschiedenen Formen einer gegebenen Furche an einer Serie von Hirnen in eine kontinuier- liche Reihe bringen kann, welche den successiven Uebergang von einem Typus zum andern in anschaulichster Weise erkennen lässt. Die Zahl der Furchenvarietäten ist verschieden, einige Furchen variieren mehr, andere weniger. Für diejenigen Furchen, welche einen größeren Reich- tum an Formabweichungen darbieten, habe ich neben den extremen Typen auch Zwischenformen angegeben, weil solches die Schilderung wesentlich erleichtert und die Ergebnisse übersichtlicher gestaltet. Nur wenn man diese Typen vor sich hat, lassen sich einzelne Stücke oder ganze Serien von Gehirnen erfolgreich in Vergleichung bringen. In welcher Weise die erwähnten einzelnen Typen bei der vergleichenden Betrachtung der Gehirnform benutzt werden, dies will ich mir erlauben an einem Beispiel zu erläutern. Jedermann weiß, dass die Farbe des menschlichen Auges außerordentlich mannigfache Nuancen aufweisen kann; sie schwankt zwischen weiß im albinotischen Auge und reinem oder annähernd reinem schwarz bei brünetten Menschen. In dem Rahmen dieser beiden Extreme bewegen sich alle übrigen vorkommenden Farben- schattierungen: braun, blau, grau. Allein das, was wir braun, grauu.s. w. nennen, kommt in reiner Form verhältnismäßig selten vor, während die erdrückende Majorität der Fälle den als typisch angenommenen Farben nur mehr oder minder nahe kommt. Man ist angesichts dieses Um- standes in der Anthropologie übereingekommen, zur Bestimmung der Farbe der Augen innerhalb eines Volksstammes oder einer bestimmten Bevölkerung eine einfürallemal festgesetzte Farbenskala anzuwenden, welche sämtliche typische Farben des menschlichen Auges umfasst. Der Beobachter verfährt dann so, dass er diejenige Farbe in der Skala aufsucht, welche der des zu untersuchenden Auges am meisten nahe- kommt. Ein solehes Verfahren wäre auch das am meisten rationelle für Untersuchungen über die Form der Gehirnwindungen in einer ge- gebenen Bevölkerung; sie mit irgend einem einzigen Schema zu ver- gleichen, wäre dagegen ebenso unstatthaft, als wenn wir die Farbe vieler Augen mit einer einzigen künstlich erzeugten Farbe in Vergleichung bringen wollten. Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 329 Ich habe nun von den von mir sogenannten typischen indi- viduellen Varietäten der Gehirnfurchen!) eine Reihe bild- licher Darstellungen gegeben, deren Gesamtheit eine ähnliche Skala bildet, wie sie zur Bestimmung der Farbe des Auges Verwendung findet. Die fraglichen Abbildungen geben eine Reihe von Formen wieder, welche einmal nicht künstlich kombiniert, sondern der Wirk- lichkeit entsprechen und welchen zweitens alle übrigen in der Wirk- lichkeit vorkommenden Formvarietäten mehr oder minder nabekommen. An der Hand dieser Abbildungen vermag man die Hirnform einer ge- gebenen Bevölkerungsgruppe mit größter Anschaulichkeit und Genauig- keit zu charakterisieren, indem man die Häufigkeit der einzelnen als typisch geltenden Windungsformen innerhalb der untersuchten Gehirn- reihe prozentisch zum Ausdruck bringt. Dies that ich denn auch?), als fünf Jahre nach dem Erscheinen meiner Arbeit über die Varietäten der Hirnform') der Turiner Anatom ©. Giacomini eine ähnliche Untersuchung) veröffentlichte. Da die von Giacomini als typisch angenommenen Formen mit meinen Typen genau übereinstimmten, so brauchte ich nur die auf die einzelnen Formen bezüglichen Prozent- zahlen einander gegenüberzustellen, um beide Hirnreihen in Ver- gleichung zu bringen nnd nachzusehen, ob zwischen den beiden unter- suchten Rassen, der romanischen und slavischen, etwa merkliche Unter- schiede im Baue der Gehirnwindungen bestehen. Das Resultat der Vergleichung war ein recht verblüffendes, denn die prozentische Häufig- keit der einzelnen Formen war in beiden Hirnserien so nahe überein- stimmend, dass ich nieht umhin konnte, das Vorkommen von Unter- schieden in der Anordnung der Gehirnwindungen bei den in Rede stehenden Vertretern zweier verschiedener Rassen in Abrede zu stellen. Auch Giacomini kam dieses Resultat nieht minder unerwartet, denn in der zweiten Auflage seines Werkes, welehe er nach Kenntnisnahme meiner erwähnten vergleichenden Studie veröffentlichte, sieht er sich im Gegensatz zu der Mehrzahl der Forscher veranlasst, die slavische und romanische Rasse geradezu als stammverwandt zu bezeichnen. Diese Erfahrungen waren gewiss geeignet, den Plan zu recht- fertigen, auch die Verbrechergehirne nach dem gleichen Verfahren zu untersuchen. Denn die für Hirnuntersuchungen überhaupt so braueh- bare statistische Methode musste bei der Kontrole der Ergeb- nisse Mingazzini’s, Lombroso’s und Debierre’s sich um so 1) Die individuellen Typen der Großhirnwindungen des Menschen. Mit 77 Figuren im Text (russisch). Moskau 1877. 2) Ueber die Grenzen der individuellen und ethnologischen Varietäten der typischen Furchen und Windungen des Großhirns (russisch). Acta der kaiser- lichen Universität Moskau 1883. 3) C.Giacomini, Guida allo studio delle eirconvoluzioni cerebrali del’uomo, Torino 1882. 390 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. leistungsfähiger erweisen, als ja der Schwerpunkt derselben in einem quantitativen bezw. prozentischen Ueberwiegen gewisser Erscheinungen liegt, die von den erwähnten Forschern als Atypien dargestellt werden !). 4) Die Ergebnisse, zu welchen mich die Untersuchung meiner Sammlung von Verbrechergehirnen führte, sind in Kürze folgende: Die Fissura praecentralis habe ich in jener Form, welche von mir als erster Typus bezeichnet wird (siehe die entsprechenden Abbildungen der einzelnen Furchentypen in meiner Schrift: „Die typischen individuellen Varie- täten der Gehirnwindungen des Menschen, Moskau 1877), wobei die obere und untere Präcentralfurche nach der Darstellung der Handbücher getrenut von einander auftreten, am Gehirn normaler Individuen in 66'/,°/, gefunden, am Verbrecherhirn ist diese Form mit 42°/, vertreten. Der zweite Typus, welcher dureh das Auftreten eines dritten Furchenelementes zwischen den beiden Teilen der typischen Präcentralfurche ausgezeichnet ist, kommt am normalen Gehirn in 15!/,°/, am Verbrechergehirn in 34°), vor. Der dritte Typus endlich, d.h. Fälle von Vereinigung der geschilderten Teilstücke zu einer einheitlichen Prä- centralfurche umfasst in der Norm 12?/,°/, bei Verbrechen 24°/, der Fälle. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob die angeführten Ziffern wesentliche Differenzen bezeichnen. Berücksichtigt man aber, dass zwischen Typus I und II mehrfache Uebergangsformen bestehen (vergl. die typischen individuellen Varietäten ete., p. 16), welche bei der Bestimmung der Furchen mit einer gewissen Willkür bald zum ersten, bald zum zweiten Typus gerechnet werden, so erscheint es begreiflich, dass bei der Vergleichung notwendiger- weise Fehler unterlaufen müssen, und es ist daher zweckmäßiger, beide Typen zusammen der Betrachtung zu Grunde zu legen. Thun wir dies im vorliegen- den Fall, d. h. addieren wir die Prozentzahlen des Typus I und II, so ist das Resultat ein ganz anderes: in der Norm beträgt ihre Summe 82°/,, bei Ver- brechern 76°/,. Die Differenz beträgt alsdann nur 6°/, und solche Unterschiede kommen zuweilen auch zwischen Hirnreihen von Nichtverbrechern (z. B. meiner und Giacomini’s Gehirnsammlang) vor. Was die Differenz der Häufigkeit des III. Typus (12'/,°/), in der Norm gegen 24°, bei Verbrechern) anbelangt, so gleicht sich auch diese aus, wenn wir den Umstand in Rechnung bringen, dass in der normalen Hirnserie noch 5'/,°/, der Fälle unter der Rubrik „Fehlen der oberen Präcentralfurche“ sich finden, wo analog dem Typus III eine zwar ununterbrochene, aber nach oben hin etwas verkürzte Präcentralfurche besteht. Solche Formen sind mir an den Verbrecherhirnen gar nicht entgegengetreten, es müssen daher wegen ihrer Verwandtschaft mit dem III. Typus jene 5!/,°%, zum III. Typus der Verbrecherreihe hinzugezählt werden. Es ergibt sich so in der Norm 18°/,, bei Verbrechern 24°|,. Die Fissura frontalis superior, von welcher ich zwei Haupt- typen mit je einer Varietät, bestehend in dem Auftreten von zwei oder drei Fragmenten oder Ablösung von der Präcentralfurche aufgestellt habe, hat folgendes prozentisches Verhalten: a) Typus I: Die Furche erstreckt sich nur über einen Teil der Länge des Stirnlappens; dies wurde bei Verbrechern in 52°/, der Fälle beobachtet (und zwar ununterbrochen 38°/,, mit Ueberbrückungen 14°),). In der Normalserie ist dieser Typus mit 51°/, vertreten, wovon 16!/,°/, auf die unüberbrückte, 341/,, ‚auf die überbrückte obere Stirnfurche entfallen. b) Typus II: Die obere Stirnfurche erstreckt sich über die ganze Länge Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Sol [9 {1 Die systematische Untersuchung der Verbrechergehirne nach meiner Methode führte zu ganz analogen Ergebnissen, wie die vergleichende des Stirnhirns. An den Verbrecherhirnen kam solches in 48°/, zur Beobach- tung, in reiner Form 22°/,, in modifizierter 26°/,; in der Sammlung normaler Hirne beträgt hier die Häufigkeit ebenfalls 48°), (ohne Modifikationen 15!/,°/,, modifiziert 32!/,/,). Fissura frontalis inferior. a) Typus I. Die Furche erstreckt sich nur über einen Teil des Stirn- lappens. Verbrecherhirne .... 56°], 1. mit der Fissura Brnecontäihk ok serbiäden 409), 2. davon abgelöst oder überbrückt . . . . . . 14% Normallhınnleseser + WEGE aa Ra. ehe 1. ohne Modifikationen ER TATETENIHLT TITAN, 2°. modifiziert'. „7... GEREIT Er 20.00 b) Typus Il: Die Furche erstreckt sich über "die ans Länge des Stirn- hirns. Verbrechergehirne, . . , Rirugukigiann. 2. 2 EREFA2El, +30’ reiner. Form... En tstlal a RET, 2 medihziert? au LATE TRAUN Normale Hirnedsiswsssu Finale. ailuinirarpieint ara Bid 728%, 4. ini reiner. Formi.., a... 2 REIST TE 2. mit Modifikationen. . . „siert 6 c) Die untere Stirnfurche war nicht anhweisbär: Merbrecherhirme ‚rag .nsdunteuoi agloadk mohens r48, NörmalesBirne: haus. klamm nonsshn) ellanhivdn16. 28 Am Stirnlappen habe ich und Giacomini noch eine dritte, wittlere Furche beobachtet, bei deren Vorhandensein die üblichen drei Stirnwindungen auf vier anwachsen. Diese Form des Stirnhirns fand Giacomini in 13!/,°/, der Fälle, bei mir findet sie sich mit 14'/,°/, aufgeführt. Einen solehen „Vierwindungstypus“ beschreiben Hanot und Benedikt an Verbrechergehirnen als eine sehr häufige Erscheinung (30—40°/,), wogegen ich letztere in meiner Verbrecherkollektion nur in 14—20°/, wiederfinde. Ich gebe die bezügliche Prozentzahl hier nicht genauer an, da die in Rede stehende Furche mehrfach ganz kurz und mit transversalen tertiären Elementen derart verbunden erscheint, dass es schwer zu sagen ist, ob in diesen Fällen vier Stirnwindungszüge zu zählen sind oder nicht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die hohen Prozentzahlen bei Hanot und Benedikt durch Miteinrech- nung solcher Fälle hervorgerufen sind. Fissura postcentralis. a) Typus I: Die Furche ist selbständig und außer Verbindung mit der Fis- sura interparietalis: Werbrecherhirner. . ac AS N are Normalhbirne” !,. . 2er a en RERTTR b)TypusII: Die Furche er wie "anf den nellematien Bildern der Handbücher, in Verbindung mit der Fissura interparietalis: Merbreecherhirne .„ 22 N. tn, er no, NOTmESPINENe -.. . rt OR 332 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. Betrachtung der normalen Rassengehirne. Es stellte sich heraus, dass die prozentische Häufigkeit der einzelnen Formen bei beiden entweder c) Die Fissura postcentralis fehlt: Verbrecherhiswe vr. URN. IRRE ERST Normalh iTmest.3,.%: { ; 5 Die Fissura Ion weit zwei Eutröfhe Typen und eine Zwischenform auf. a) Typus I: Die Furche erstreckt sich über die gesamte Ausdehnung des Scheitelhirns und reicht hinten bis zur Hälfte des Oceipital- lappens: Verbrechergehirne,.... 9. SHrikTalssarden Ban Normalhirne .. BT ER ne aD le b) Typus Il Üdbergnuerketu: Die Furche verhält sich wie TypusI, nur zerfällt sie in zwei Segmente: Verbrechergehirne. ..'.. sakoRkillikali- ande 22328], Normalgehirne .. ho 20229215975 c) Typus Ill: Die vordere Hälfte de Enigha) fehlt, die hintere durchzieht einen Teil des Scheitellappens und einen Teil des Hinter- hauptlappens: Verbvieche:hirne, 4...r27., anal Bernd en le Normalhirne“i....,': sine: .22 32:58 d); Die Fissura interparietalis nieht nacheelchar Verbrecherhime u... a... ter. Er area al, Normalreihe . . . . SRamsER FR 11 RA Die Fissura tem Domains ee welche zu Fe Furchen erster Kate- gorie, d. h. zu den absolut konstanten gehört, zeigt nichts destoweniger die Tendenz, individuelle Varietäten zu bilden, und zwar kann sie Verkürzungen erleiden oder aber in zwei Fragmente zerfallen. Verkürzung der Furche war in beiden Hirnsammlungen gleich oft, nämlich in 6°/, der Fälle zu beobachten. Auflösung in zwei Fragmente findet sich in der Verbrecherreihe mit 6°/,, in der Normalreihe mit 4!/,°],. Die Fissura supraorbitalis transversa, welche im allgemeinen außerordentlich selten vermisst wird (in der Normalreihe in 1?/,°/, aller Fälle), war an den Verbrecherhirnen überall vorhanden, wobei sie in 8°/, der Fälle in mehrere Stücke zerfallen erscheint; letztere Modifikation wird bei normalen Hirnen in 9°/, gefunden. DieFissuratemporalis quartas.occipito-temporalis medialis der Hemisphärenunterfläche gehört ebenso, wie die Parallelfurche, zu den ab- solut konstanten Hirnspalten; ganz konstant ist übrigens nur ihr mittleres Stück, während ihr hinteres und vorderes Drittel auch fehlen können. Sämt- liche Varietäten der Furche können daher auf folgende vier Formen zurück- geführt werden: a) Die Furche erstreckt sich über die ganze Länge des Schläfen- und Hinterhauptlappens: Verbrecherreihe; 1.2: can ke ne me al, Normalreıhe, ‘. .n: +.,. li DOnlaın b) Die Collateralfurche ist nur im BE a rer en Drittel entwickelt: Verbrecherreihe- hr ae Normalreihe . .. 0 et ee RE Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 38: genau übereinstimmte oder nur so geringe Differenzen darbot, dass diese letzteren auch durch den Einfluss von Zufälligkeiten in der Aus- c) Die Furche ist nur im mittleren und vorderen Drittel ausgeprägt: Merbrescherteihe: +; '. Cu ee a en ee Normalreihe . ..., he. EL a d) Die Fissura oceipito- ae besteht nur im mittleren Drittel: VOrDERECHOLLEINE: su Ne An" un Aa] Normalreihe,,.. . . 5 IA re u AR Von der Fissura on or ale terra s. oceipito-temporalis lateralis sind folgende Formvarianten namhaft zu machen. Erstens kann die Fnrche sich über die gesamte Länge der Schläfenhinterhauptbasis erstrecken. Diese Form, welche ich als Typus I bezeichne, kann, successive in eine andere Anordnung der Furchen dieser Gegend übergehen, bei welcher die Fissura temporalis tertia kürzer erscheint und sich auf zwei, ja auf ein Drittel der oceipitotemporalen Basis beschränkt, während die freibleibenden Teile der letzteren von schräggerichteten Furcherelementen oceupiert erscheint, welche mit der Collateralfurche verschieden große Winkel einschließen. Die Fissura temporalis tertia kann aber endlich auch ganz fehlen bezw. in ganzer Aus- dehnung durch schräge Fragmente ersetzt sein, und dies ist der II. Endtypus der Furchenanordnung dieser Hirnregion. Eine Vergleichung der Befunde an den Verbrecherhirnen mit denen der Normalreihe ergab folgende Zusammen- stellung: I. Typus. Verbrecherreihe Normalreihe a) Die Furche ist in ganzer Ausdehnung vorhanden 12°], lade b) Die Furche erstreckt sich über zwei Drittel der Basis 30 „ 234230 FON Fa 2 Ai A 1 BIN DIIHLEL nn Ent 20, 6% 72% 57°) I. Typus. a) In reiner Form ausgeprägt . . . 20°), 384% b) Die EireKanfinsmohlevonuntögelhäßteet ‚Aneotdiuini 3%, D>R SE 43%, Von den Furchengebilden der inneren Fläche der Großhirnhemi- sphären weist die Fissura callosomarginalis in ihrer Konfiguration ebenfalls zwei Endtypen auf, zwischen welchen aber eine Reihe von Uebergangs- formen besteht. Der erste Typus der Furche stellt sich in jener Form dar, wie er uns in den schematischen Figuren der Handbücher entgegentritt, d. h. die Furche beginnt am oberen Rande der Hemisphäre im Niveau des Hinterendes des Corpus callosum und begibt sich von hier in nach hinten konvexem Bogen eine Strecke weit nach abwärts, — dieser Teil der Furche ist keinen Modifi- kationen der Form unterworfen; sodann wendet sie sich nach vorne und ver- läuft anfangs horizontal, um alsbald im Bogen das Knie des Corpus callosum zu umkreisen. Diese Gestalt der Furche bezeichne ich, wie erwähnt, als I. Typus. Bei der II. Endform erscheint der ganze horizontale Teil samt dem vorderen absteigenden Stück der Furche doppelt. Zwischen beiden Endtypen findet sich eine Reihe von Zwischenformen, welche durch das Auftreten von Windungsbrücken im Verlaufe der Callosomarginalis gekennzeichnet sind. Die relative Häufigkeit der Furchenvarianten gestaltet sich in unseren beiden Hirn- sammlungen wie folgt: 394 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. wahl der Stücke erklärt werden konnten. In einigen Fällen, wo die Häufigkeitsziffern etwas stärker differieren, bedeuten diese Ziffern sogar Verbrecherreihe Normalreihe Typus I, mit allen Varretäten .„.'. 2... 47°, 45%, Typus II „ 5 N 53%, 55%, Die unter dem nen Eisen oma praecunei von mir und als Suleus subparietalis von Broca beschriebene Furche, welche auf der Ober- fläche des Lobulus quadratus (Praecuneus) parallel dem Balken sich hinzieht und bisweilen aus dem horizontalen Stück der Fissura callosomarginalis sich kontinuierlich nach hinten fortsetzt, kann folgende Varietäten der Form dar- bieten: 1. die Furche liegt in einer Flucht mit den Callosomarginalis; 2. sie ist von letzterer isoliert; 3. in zwei Fragmente aufgelöst oder 4. durch un- regelmäßige Furchenelemente ersetzt. Auf meine beiden Hirnserien bezogen ergibt sich folgende Zusammenstellung: Verbrecherreihe Normalreihe I. Form der Fiss. arcuata praecunei . . . . 44°], 3614,.°, 1 “ " RENNEN 36 „ 40 r tn a 7, 2 - a Re 1272 ih ehe Die Furche fehlt FR N a Ne Ba IRRE 100°), 100°], Die Fissura parieto-oceipitalis gibt nur äußerst selten Anlass zur Entstehung von Formvarietäten. Nach Bildung einer tiefen Kerbe im oberen Rande der Hemisphäre an der Grenze des Scheitel- und Hinterhauptlappens, verläuft sie schräg nach unten am hinteren Rande des Balkenkörpers vorbei und gelangt sodann auf die untere Fläche des Schläfenlappens, wo sie der Fissura Hippocampi parallel wird und hier bald verstreicht. Die einzige und dabei nur selten vorkommende Modifikation wird durch Zerfall der Furche in zwei Stücke herbeigeftihrt, dieser Fall liegt in der Normalhirnreihe zweimal, in der Verbrecherreihe nur einmal vor. Die Fissura ealearina, welche den Zwickel bezw. die Medianfläche des Hinterhaupthirns von der Gehirnbasis abgrenzt, kann 1. nach hinten ver- kürzt sein, 2. Ueberbrückungen erleiden und 3. vor der Fiss. parieto-oceipitalis sich loslösen. Die letztgenannte Varietät entspricht einer sehr auffallenden theromorphen Bildung, denn das Fehlen der Verbindung zwischen den ge- nannten konstanten Furchen des Hinterhauptlappens stellt eine Eigentümlich- keit des Anthropoidenhirns vor und wird zuweilen auch bei Idioten beobachtet. Die relative Häufigkeit der einzelnen Formen wird durch folgende Prozent- zahlen ausgedrückt: Verbrecherreihe Normalreihe 4. Fiss. calcarina von gewöhnlicher Form . . 6225 76°/e 2 5 > hinten frühzeitig endend . . 2, R2uE Hans A überbrückt . . . . iR! PAS 1; Hash - von der parieto- odeipilaik isoliert 8 „ aid 100°], 100°, Hier fällt eine bedeutende Differenz in der Häufigkeit der erwähnten atavistischen Form (4) auf: während sie unter den 50 Verbrecherhemisphären 4 mal auftritt, war sie in einer- Sammlung von 100 normalen Gehirnen nur 2 mal zu beobachten gewesen, Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 335 das genaue Gegenteil von dem, was Mingazzini, Lombroso und Debierre beweisen wollen, d.h. die Abweichungen vom gewöhnlichen Furehenschema sind bei normalen Individuen häufiger, als bei Ver- brechern anzutreffen. Es ergab sich demnach hier eine Bestätigung dessen, was Giaco- mini schon vor längerer Zeit geäußert hatte, indem er, wenn auch nicht auf Grundlage statistischer Erhebungen, so doch in Berück- sichtigung des ganzen Verhaltens der Verbrechergehirne die These aufstellte, „dass diese letzteren kein spezifisches Gepräge aufweisen, sondern dieselben individuellen Windungsvarietäten durchblicken lassen, wie die Gehirne der übrigen Menschen“. Dass Giacomini im Gegen- satze zu den Beobachtungen anderer Forscher eine derartige Schluss- folgerung ziehen konnte, ist ganz natürlich; denn er hatte durch die Betrachtung und das Studium der zahlreichen Varietäten am Gehirn normaler Individuen die Möglichkeit gewonnen, einen richtigen Maß- stab an die Beurteilung der Einzelheiten der Verbrechergehirne anzu- legen, mit anderen Worten, er besaß hier den erforderlichen erfahrenen Bliek, welcher anderen Bearbeitern dieser Frage größtenteils abging. Diese unzureichende Kenntnis des normalen Hirnbaues hat es auch bedingt, dass die meisten Anhänger der Lehre Lombroso’s ganz ge- wöhnliche Gehirnbildungen als Verbrechereigentümlichkeiten in Anspruch nahmen. Leider wurde auf die skeptische Sprache Giacomini’s zur Zeit noch wenig Gewicht gelegt, da er sich nur auf allgemeine Ergebnisse stützen konnte. Heute aber führt das Studium der Gehirn- windungen nach meiner Methode nicht mehr zu Resultaten, die den Verdacht übermäßiger Subjektivität erwecken könnten, sondern zu ganz bestimmten, ziffermäßig ausdrückbaren und von Jedermann leicht kontrolierbaren Thatsachen. Dieses Untersuchungsverfahren erbringt in Beziehung auf das Gehirn der Verbrecher meines Erachtens den endgiltigen Beweis, dass es sich inbetreff der hier in Frage kommen- den funktionell wichtigen Windungsgruppen in keiner Weise von dem Gehirn sittlich unbescholtener Individuen unterscheidet. Ungeachtet dessen war es aber gleichzeitig nicht zu verkennen, dass in einer freilich ganz kleinen Region der Großhirnrinde den Windungen ein gewisser exzeptioneller Charakter anhaftet. Es ist dies die innere Fläche des Hinterhauptlappens des Großhirns. Hier findet sich auch normalerweise, aber äußerst selten, eine Windungskombination, die an die bezüglichen Verhältnisse bei Mikrocephalen und gewissen Reprä- sentanten der Tierreiche sehr lebhaft erinnert und bereits seit langer Zeit den Ruf einer atavistischen Erscheinung genießt. Ich meine die Trennnng der Sporenfurche (Fissura-calearina) von der Hinterhaupt- scheitelfurche (Fissura pariet.-oceipitalis), welche zur Folge hat, dass der sog. Zwickel (Cuneus) in die Windung des Seepferdes (Gyrus hippocampi) kontinuierlich fortgesetzt erscheint, 336 Sernoff, Die Lehre Lombroso'’s. Eine solche Form habe ich in meiner Sammlung unter 200 Hemi- sphären normaler Individuen nur zwei Mal beobachtet, während sie mir an den 50 Verbrecherhemisphären bereits vier Mal auffiel, was in Prozenten ausgedrückt eine nicht bedeutende Differenz ergibt, näm- lich von 1°, in der Norm gegen 8°], in der Reihe der Verbrecher- hirne. Die Gehirpwindungen bilden das letzte Merkmal in der Reihe derjenigen, welche Lombroso und seine Schüler als anatomische Charakteristik des geborenen Verbrechers aufführen. Ich habe mich im Vorhergehenden bemüht, sie einer möglichst genauen und objektiven Analyse zu unterziehen und kann nun aus sämtlichen positiven und negativen Befunden ein Schlussfacit ziehen. Dieses lautet dahin, dass aus der langen Reihe von Merkmalen, welche teils als Zeichen von Entartung, teils als Erscheinungen von Atavismus betont worden waren, die größte Mehrzahl vor der Kritik nicht Stand zu halten vermag. Nur zwei davon können nach den vorhandenen Untersuchungen allen- falls noch aufrecht erhalten werden, ich meine die etwas größere Länge des Gesichtsskelettes der Verbrecherschädel!) und die etwas größere Häufigkeit einer fraglos tierischen bezw. atavistischen Form im Windungsplane des Hinterhauptlappens des Großhirns. Sind diese Resultate auch geringfügig genug, so möchte ich im Interesse völliger Objektivität und weil sie infolge ihrer positiven Natur immerhin zu Gunsten der Lombroso’schen Doktrin zu sprechen scheinen, die be- treffenden Verhältnisse noch einmal näher ins Auge fassen und will versuchen, ihre allgemeine biologische Bedeutung mit Berücksichtigung der vorliegenden Frage nach dem heutigen Stande der Wissenschaft thunlichst zu präzisieren. Die größere Länge des Gesichtsskelettes und der Prognathismus des Verbrecherschädels ist eine Thatsache, auf welche viele Forscher hinweisen und welche bis zu einem gewissen Grade durch meine eigenen Messungen bestätigt wird. Wenn wir uns die Frage angelegen sein lassen, wie die Lom- broso’sche Schule dazu gekommen ist, jene Erscheinung als Beweis für die Richtigkeit ihrer Hypothesen so sehr in den Vordergrund zu stellen, so führt uns dies auf eine Epoche in der Geschichte der An- thropologie zurück, welche im vorigen Jahrhundert durch die neuen Lehren Camper’s über die Entwicklung des Gesichtsskelettes und ihre nähere Bedeutung für die Schädelphysiognomie gezeitigt worden ist. Diese 1) Die Messung der Gesichtslänge bezw. der Länge der Oberkieferpartie vom Ophryon bis zum Rande des Alveolarfortsatzes des Oberkieferbeins an den Verbrecherschädeln der hiesigen anatomischen Sammlung ergab im Mittel 86,2 mm bei einem Minimum von 72 mm und einem Maximum von 95,2 mm; an den Schädeln normaler Individuen betrug das Mittel 84,4 mm, das Minimum 72 mm, das Maximum 97,5 mm. Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 337 Lehren gipfeln in der These, dass bei den Tieren das Gesichtsskelett im Verhältnis zum Gehirnschädel ungleich stärker entwickelt ist, ganz im Gegensatz zum Menschen; dieser Umstand bedingt den Unterschied der Kopfform, welche bei den Tieren länglich, beim Menschen aber abgerundet erscheint. Ferner: je niedriger der Rang eines Tieres in der Reihe der Organismen, desto mehr überwiegen die Gesichtsknochen in ihrer Entwieklung über den Gehirnschädel und umgekehrt. Drückt man diese Differenz und die Stufenfolge der Entwicklung des Gesichts- schädels durch die Größe des Gesichtswinkels aus, so bekommt man folgende Reihe: Raubtiere (Hund) 24°, anthropoide Affen (Schim- panse) 38°, Mensch 56° — 72°. In der Reihe der verschiedenen Menschenrassen gelangen die kleinsten Gesichtswinkel als Ausdruck starker Entwicklung des Gesichtsskelettes bei den prognathen Völker- stämmen Afrikas und Australiens zur Beobachtung, während große Gesichtswinkel ein Merkmal der weißen europäischen Rassen darstellen. Daraus ergibt sich denn der Schluss: starke Entwicklung des Gesichts- schädels in einer Rasse ist ein Merkmal niederer Organisation. So weit die These der Anthropologie. Ob und inwiefern sie zu- treffend ist, kann hier nicht Gegenstand der Diskussion sein. Sie kann ja ihre volle Berechtigung haben, so lange es sich um so weite Diffe- renzen handelt, wie gelegentlich zwischen Negern und Europäern, wo der Unterschied bis zu 16° gehen kann. Allein den Anhängern Lom- broso’s diente das in Rede stehende Merkmal nicht wie in der An- thropologie, zur Differenzierung der verschiedenen Menschenrassen, sondern zur Charakteristik bestimmter Personen innerhalb einer und derselben Rasse, wo sie es mit unverhältnismäßig geringeren Schwan- kungen des Gesichtswinkels bezw. der Gesichtslänge zu thun hatten. Hier nun kann die Diskussion einsetzen. Das Wesen des Irrtums er- hellt aus einem kurzen Beispiel. Die Farbe der Haut ist bekanntlich ebenfalls ein wichtiges Rassenmerkmal: schwarze, kupferrote Farben- töne bilden eine Besonderheit niederer Menschenrassen, während weiße Hautfarbe für die hochorganisierten Völkertypen bezeichnend ist. Eine solche Klassifikation der Menschheit nach der Farbe der Haut hat also augenscheinlich ihre Berechtigung. Anders, wenn wir dasselbe Merk- mal, die Unterschiede der Hautfarbe, auf Personen gleicher kKassen- zugehörigkeiten beziehen, und das nämliche Verfahren bei ungleich geringeren Nüancendifferenzen in Anwendung bringen wollten; hier werden wir natürlich fehlgehen, da ja die Unterschiede der Hautfarbe innerhalb bestimmter Grenzen rein individuell bedingt erscheinen und insofern mit der Höhe der Organisation eines Individuums nichts zu thun haben. Zu ganz dem nämlichen Irrtum haben sich die Lombro- sianer hinreissen lassen, indem sie an die geringen Differenzen, inner- halb welcher der Entwicklungsgrad des Gesichtsskelettes bei einer und XVI 22 338 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. derselben Rasse schwankt, einen Maßstab anlegten, welcher nur für die Beurteilung großer Unterschiede in Frage kommen kann. Vermögen aber — so könnte man fragen — hier nicht auch ge- ringe Schwankungen von Belang zu sein? Ist vielleicht stärkere oder schwächere Entwieklung des Gesichtsskelettes und sei es auch nur innerhalb der Breite der sog. individuellen Schwankungen doch nicht ein Zeichen beispielsweise von bestehender Entartung? Diese Frage kann die wissenschaftliche Anatomie mit einem fertigen und gut be- gründeten Nein zurückweisen; denn wir wissen mit Sicherheit, dass der Entwicklungsgrad des Gesichtsschädels von drei Faktoren abhängt, nämlich vom Alter, Geschlecht und der Entwicklung der Gesichts- sowohl wie der gesamten Körpermuskulatur. Das Wachstum des Gesichtsskelettes kommt in sehr späten Ent- wicklungsperioden und dabei je nach der Energie der physischen Ent- wieklungsvorgänge im Einzelfalle zu verschiedenen Zeiten zum voll- ständigen Abschluss, so zwar, dass bei vielen anscheinend erwachsenen Individuen das Wachstum des Knochensystems noch nicht definitiv be- endet ist. Letzteres tritt der üblichen Annahme zufolge nicht vor Erreichung des 25. Lebensjahres ein. Das weibliche Geschlecht, bei welchem das ganze Knochensystem schwächer entwickelt erscheint, ist auch durch ein entsprechend weniger entwickeltes Gesichtsskelett ausgezeichnet. Die Stärke der Gesichtsknochen wird ferner von der Kraft der Muskulatur, und speziell der Kaumuskulatur in hohem Maße beein- flusst. Dieser Einfluss ist ein so weitgehender, dass man nur allein nach der Entwicklung des Gesichtsskelettes, ohne Besichtigung des übrigen Körpers, ein starkes muskulöses Individuum von einem schwäch- lichen Subjekt mit absoluter Sicherheit zu unterscheiden vermag. Wir können nun die obige Frage dem Gesagten zufolge dahin modifizieren: Können die genannten drei Momente, welche mit Erschei- nungen wie Degeneration oder Atavismus natürlich gar nichts zu thun haben, in unserem Falle auf die relativen Mittelwerte der Ge- sichtsmaße bei Verbrechern und Nichtverbrechern einen Einfluss aus- üben? Ehe wir jedoch diese Frage beantworten, wollen wir uns daran erinnern, wie groß denn bei Verbrechern und Nichtverbrechern die be: stehenden Differenzen der Gesichtslänge sind, deren Wertschätzung uns hier obliegt. Debierre erhielt bei seinen Messungen — die Spitze des von ihm angenommenen Winkels hat er in die äussere Ohr- öffnung verlegt — einen Unterschied von 0,6%; mir ergaben die direkten Messungen eine Differenz von 1,3mmt). Man sieht, um wie 1) Beide Resultate sind, da ja die Seitenlänge des Winkels, welcher Debierre zur Bestimmung der Gesichtslänge diente, auf jeder Schädelprojek- tion gemessen werden kann, ohne Mühe mit einander zu vergleichen: jeder Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 339 geringfügige Verhältnisse es sich hier handelt. Und was besagt denn am Ende die größere Mittelzahl für die Gesichtslänge der Verbrecher- schädel? Bedeutet sie ein Ueberwiegen der Maxima und Minima oder was sonst? Meine Messungen lassen erkennen, dass die Minima der Gesichtslänge bei Verbrechern und Nichtverbrechern gleich groß sind, nämlich in beiden Fällen 72 mm; das Maximum dagegen war bei den normalen Schädeln größer (97,5 mm) als bei den Verbrecherschädeln (95,2 mm). Die größeren Mittelzahlen können demnach nur die Bedeutung haben, dass unter den Verbrecherschädeln stark entwickelte Gesichts- skelette häufiger sind, unbeschadet des Umstandes, dass die betreffen- den Werte in den einzelnen Fällen nicht einmal sehr bedeutend sind. Unter den normalen Schädeln kommen im Gegenteil solche mit gering entwickelten Gesichtspartien öfter zur Beobachtung und doch sind einzelne von ihnen mit einem Gesichtsskelett ausgestattet, welches ab- solut größer ist als das des prognathesten Verbrechers. Es ist ohne weiteres klar, dass diese Erscheinung in einer qualitativen Ungleich- wertigkeit der verglichenen Schädelserien begründet sein kann, welche mit solehen Momenten, wie Degeneration oder Atavismus, schlechter- dings nichts zu thun hat. Jede Sammlung von Verbrecherschädeln stellt ein Material vor, welches zweifellos dem Einfluss einer ganz bestimmten Auslese unter- worfen ist; dies erscheint schon durch das Wesen des Verbrechens be- dingt. Die Mehrzahl solcher Schädel, die man in den westeuropäischen Museen anzutreffen gewohnt ist, kommen von Verbrechern, die ihrer- zeit für schwere Vergehen zum Tode verurteilt waren; schwere Ver- brechen aber pflegen in der erdrückenden Mehrzahl der Fälle von männlichen Individuen, und meist ‚von solchen in vorgeschrittenerem Alter, begangen zu werden. Wohl kommen in dieser Beziehung hie und da Ausnahmen vor, aber sie gehören jedenfalls zu den großen Seltenheiten. So kommt es, dass jugendliche Individuen männlichen Geschlechts mit noch nicht definitiv beendetem Knochenwachstum, und ebenso weibliche Individuen äusserst selten zum Kontingent solcher Sammlungen gehören. Ferner hat die Ausführung von Verbrechen wie Totschlag, Raub und Raubmord, welche in erster Linie der Todes- strafe verfallen, begreiflicherweise den Besitz bedeutender Muskelkräfte zur Voraussetzung; physisch schlecht entwickelte Subjekte erscheinen für diese Kategorien des Verbrechens ungleich weniger geeignet. Meine kraniologische Verbrechersammlung besteht zwar aus solchen Schädeln, deren Inhaber eines natürlichen Todes verstarben, allein sie wird wahr- scheinlich auch nicht von dem Einflusse einer ähnlichen Auslese unberührt Winkelgrad entspricht ungefähr 2 mm Gesichtslänge, es ist demnach die von Debierre gefundene Differenz, linear ausgedrückt (= 1,2 mm), wie man sieht, mit meinen Ergebnissen nahezu übereinstimmend. > 340 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. geblieben sein. Denndie Mehrzahl dieser Schädel stammt von Verbrechern, deren Verurteilung auf Zwangsarbeit gelautet hatte, eine Strafe, die bei uns in Russland für die Mehrzahl der Kriminalfälle als Ersatz der Todesstrafe üblich ist. Die Auslese bezüglich Geschlecht, Alter und Körperentwicklung vollzieht sich also bei uns zu Lande ganz in dem- selben Sinne, wie im westlichen Europa, und diese Auslese ist denn auch zweifellos dafür verantwortlich zu machen, dass unter den Ver- brechern Leute mit stark entwickeltem Knochensystem die Ueberzahl ausmachen, was natürlich zur Folge haben muss, dass die Mittelwerte der Messungstabellen in die Höhe gehen. Was andererseits unsere Sammlungen von Schädeln normaler In- dividuen betrifft, welche uns zur Vergleichung mit den Verbrecher- schädeln dienen, so sind auch diese von dem Einfluss einer gewissen Auslese nicht ausgeschlossen. Die Sammlungen normaler Schädel sind ja hier so wenig wie im übrigen Europa niemals mit Rücksicht auf eine Vergleichung mit Verbrecherschädeln entstanden; immer handelte es sich teils um ethnographische, teils um rein pädagogische Zwecke, und da erscheint es natürlich, dass auf das Vorkommen einer unwill- kürlichen Auslese nicht acht gegeben wurde; man nahm und nimmt eben in die Sammlungen alles auf, was nicht gerade pathologisch ver- ändert ist. Und dennoch vollzieht sich eine bestimmte Auslese ganz von selbst kraft der Verhältnisse, unter welchen die anatomischen An- stalten ihre Wirksamkeit ausüben. Es gelangen in den Besitz dieser Institute in der Regel nur Schädel von Leuten, welche — sit venia verbo — die Hefe der Gesellschaft ausmachen, von Leuten, die teils infolge sehr jugendlichen Alters, teils infolge mangelhafter Ernährung und schlechter hygienischer Lebensbedingungen, zur Zeit ihrer Ueber- antwortung an die Seziersäle ihre volle physische Entwicklung noch nicht beendet haben. Es ist dies eine Erscheinung, welche sich stets unmittelbar bemerkbar macht und welche zweifellos auch in Beziehung auf das Gesichtsskelett die Mittelzahlen im Sinne einer Herabsetzung derselben beeinflusst. Dieselben Momente bewirken weiterhin ein Sinken der im Vorher- gchenden behandelten mittleren Dimensionen des Stirnbeins bei Ver- brechern, und zwar aus folgendem Grunde. Als Grenze zwischen Stirnregion resp. Gehirnschädel einerseits und Gesichtsschädel andrer- seits wird von den Anthropologen nicht, wie dies in der Anatomie geschieht, die Naht zwischen Nasenbein und Stirnbein angenommen, sondern das sog. Ophryon, ein Punkt, welcher am Stirnbein der Ebene des geringsten Querdurchmessers der Stirn entspricht. Dieser Quer- durchmesser der Stirn aber hat eine verschiedene Lage, je nach der Stärke der Jochfortsätze des Stirnbeins, die bereits dem Gesichtsskelett angehören. Sind die Jochfortsätze des Stirnbeins und somit auch der gesamte Gesichtsschädel stärker entwickelt, so verschiebt sich ‚das Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. 341 Ophryon unweigerlich nach oben, wodurch die Dimensionen der Stirn- region des Schädels sich vermindern, und umgekehrt. In Beziehung auf die räumliche Ausdehnung des Stirnbeins ergeben sich so infolge irrationeller Wahl der unteren Stirngrenze ganz falsche Resultate. Denn führen wir, um diese Verhältnisse recht anschaulich zu machen, an den nämlichen Schädeln unserer Sammlung die Messung des Stirn- beins zwischen den anatomischen Grenzen, d. h. zwischen Nasen- und Kranznaht aus, so sinkt die Differenz der mittleren Stirnlänge von 1,35 mm auf 0,3 mm, d. h. sie wird fast ganz aufgehoben. In diesem Sinne lassen sich die vorliegenden Erscheinungen auf einfachem und natürlichem Wege erklären, ohne dass man zu Hypo- thesen oder zu vermeintlichen atavistischen Grundlagen der Verbrecher- organisation Zuflucht zu nehmen braucht. Zum Sehlusse erübrigt uns noch eine Thatsache, deren nähere Bedeutung hier zu würdigen ist, ich meine die Häufigkeit einer im Vorhergehenden bereits geschilderten theromorphen Windungsform am Hinterhaupthirn der Verbrecher, eine Thatsache, welche für die Lom- broso’sche Lehre nicht gerade bedeutungsvoll ist, aber in den Augen ihrer Anhänger doch verlockend erscheinen kann. Die Windungsvarietät, um welche es sich hier handelt, tritt bei gewissen Affen thatsächlich konstant auf, beim Menschen hingegen wird sie selten beobachtet und bei normalen Individuen noch seltener, als bei Verbrechern. Demun- geachtet kann diese Thatsache noch nicht als völlig einwandfrei gelten, weil solche Fälle bisher nur in geringer Zahl beobachtet sind und es sich in der Folge durch die fortgesetzte Beobachtung doch noch heraus- stellen könnte, dass die Häufigkeit der fraglichen Windungsvarietät im Verbrechergehirn nur eine scheinbare ist. Es kann also leicht ge- schehen, dass auch diese Frage das Los aller übrigen vermeintlichen Verbrechercharaktere trifft. Wir können aber, wie dem auch sei, schon heute den biologischen Wert der ganzen Sache mit großer Wahrschein- lichkeit abschätzen. Die Gegend der Gehirnrinde, in welcher die in Rede stehende Besonderheit auftritt, enthält sog. psyehosensorische Centren, d.h. Organe, welche die Aufgabe haben, die ihnen durch die verschiedenen Sinnesorgane übermittelten Reize der Aussenwelt in bewusste Empfindungen zu verwandeln und zu verarbeiten. Zu welchem speziellen Sinnesorgan aber das uns hier interessierende Rindengebiet in nächster Beziehung steht, ist bisher nicht näher bekannt, wir wissen nur so viel mit Sicherheit, dass es weder mit der Gesichtsfunktion, noch mit der Gehörs- und Geruchsfunktion etwas zu thun hat. Ver- mutungsweise sucht man hier das Centrum für den Tast- oder Ge- schmackssinn (Ferrier). Unsere Unkenntnis der vorliegenden Ver- hältnisse erklärt sich erstens durch die Schwierigkeit, Veränderungen der Energie dieser Sinneswerkzeuge bei Störungen ihrer Öentra ge- nauer zu unterscheiden, und zweitens durch die tiefe verborgene Lage 342 Sernoff, Die Lehre Lombroso’s. der betreffenden Hirnregion auf der Innenfläche der Gehirnhemisphären welche der experimentellen Untersuchung ausserordentlich schwer zu- gänglich ist. In der Wissenschaft gilt es für zweifellos, dass stärkere oder schwächere Entwicklung der Großhirnrinde am Orte der psychosen- sorischen Centra Hand in Hand geht mit einer entsprechenden Aus- bildung der korrespondierenden äusseren Sinneswerkzeuge. Dass dem so ist, dafür liefert uns die vergleichende Anatomie eine Reihe von Beweisen. Von den höheren Sinnesorganen ist z. B. der Geruchssinn bei verschiedenen Tieren in ganz ausserordentlich verschiedenem Grade entwickelt. Die Raubtiere besitzen ein sehr entwickeltes Geruchs- vermögen, wogegen bei den höheren Tieren, wie bei den Affen, sowie beim Menschen der Geruchssinn gerade im Gegenteil ungemein schwach ausgebildet ist. Dementsprechend haben auch diejenigen Teile der Gehirnrinde, welche mit den Nerven des Geruchsorganes unmittelbar verbunden sind, bei den Raubtieren' im Vergleich mit anders funk- tionierenden Nachbarbezirken der Rinde eine ungleich mächtigere Ent- faltung erfahren, als bei den Affen oder beim Menschen. Dürfen wir diese Thatsache verallgemeinern, so erscheint der Schluss gerecht- fertigt, dass die nämliche Wechselbeziehung zwischen Höhe der Funk- tion und Hirnrinde auch für die übrigen Sinnesorgane Geltung hat, mit dem alleinigen Unterschied, dass hier die Thatsache schwerer zu beobachten ist und hier keine so sinnfälligen Unterschiede in der Tier- reihe entgegentreten, wie wir sie in Beziehung auf den Geruchssinn kennen lernten. Wir sind aus diesem Grunde auch ausser Stande, die erwähnten Unterschiede der Windungen am Hinterhauptlappen des Menschen und der höheren Tiere zu beurtheilen. Weisen sie auf stärkere Entwieklung oder auf eine Herabsetzung des in dieser Gegend befindlichen psychosensorischen Centrums hin? Beides kann der Fall sein, denn am Geruchsorgan haben wir ein prägnantes Beispiel von ungleicher Entwicklung eines Sinnesorganes beim Menschen und beim Tier. Was aber auch immer jene Windungsform bedeuten möge, ob sie mit hoher oder mit niederer Entwicklung des betreffenden senso- riellen Centralorgans zusammenhängt, einen wesentlichen Wert für ein nur ungefähres Urteil über die etwaige Organisationsstufe eines Menschen wird sie jedenfalls niemals beanspruchen können, da ja so- wohl der Tastsinn, wie auch der Geschmackssinn im intellektuellen Leben gemeiniglich nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen. Nachdem wir im Vorhergehenden sämtliche Merkmale degenera- tiver und atavistischer Natur, welche Lombroso und seine Anhänger ihrer Hypothese zu Grunde gelegt, mit mögliehster Objektivität einer kritischen Betrachtung unterzogen haben, können wir nunmehr zu einem Schlussresum& übergehen. Dieses muss, wie sich aus den obigen Erörterungen ganz von selbst ergibt, notwendigerweise dahin lauten: Sernoft, Die Lehre Lombroso’s. 343 Der geborene Verbrecher im Sinne Lombroso’s hat in der Wirklichkeit kein Dasein; jenes Wesen, welches nach der Schilderung Lombroso’s schon im Keime dureh den Stempel tierischer niederer Organisation gebrandmarkt ist und uns in Gestalt nahezu jedes zweiten Gefängnis- bewohners emtgegentritt, jener Orang-Utang, wie ihn Taine nennt — existiert in der Menschheit nicht. Den Schöpfern der anthropologiseh-positivistischen Schule ist es trotz lang- dauernder und sorgfältiger Arbeit nicht gelungen, ihre Hypothese mit den Thatsachen der menschlichen Anatomie in Einklang zu bringen. Man darf indessen hieraus nicht den weiteren Schluss ziehen, dass Individuen mit wenn auch nieht gerade atavistischem, so doch degenera- tivem Habitus, mit Körpereigentümlichkeiten, die auf zurückgebliebene oder fehlerhafte Organentwieklung hindeuten, in der Verbrecherwelt überhaupt nieht vorkommen. Im Gegenteil, solehe Individuen sind als vereinzelte Erscheinungen unter Verbrechern zweifellos ebenso zu be- obaechten, wie sie hier und da auch unter Nichtverbrechern angetroffen werden, und es kann sich nur noch um die Frage nach der relativen Häufigkeit solcher Degenerierten innerhalb der Gefängnisbevölkerung handeln. In Beziehung auf diese letztere Frage hat die Untersuchung der ganzen Reihe wirklicher und vermeintlicher Degenerationsmerkmale, wie wir sahen, zu dem Resultat geführt, dass die Zahl soleher Sub- Jekte unter Verbrechern und Nichtverbrechern höchstwahrscheinlich gleich groß ist; im Zusammenhang damit ergeben sieh überall die nämlichen Mittelwerte. Hier wie dort kann die Degeneration des Organismus mehr oder minder ausgeprägt sein, in beiden Fällen ver- mag sie die Gesamtorganisation mehr oder minder in Mitleidenschaft zu ziehen und je nach dem Grade der Desorganisation der Betreffenden ihr ganzes intellektuelles Vermögen bezw. ihre Widerstandskraft im Kampfe mit bösen und zum Verbrechen hinleitenden Neigungen in stärkerem oder schwächerem Maße herabzusetzen. Diese Thatsache unterliegt gar keinem Zweifel und sie wird auch von niemandem in Abrede gestellt; mit Rücksicht auf diese Thatsache enthalten die Ge- setzcodices Normen über Unzurechnungsfähigkeit und mildernde Um- stände in Fällen niederer geistiger Entwicklung, und aus dem näm- lichen Grunde hat die moderne europäische Legislatur die ärztliche und psychiatrische Expertise für den Kriminalprozess mit so großer Sorgfalt organisiert. Der Irrtum Lombroso’s aber besteht darin, dass er den Begriff der Degeneration und ihrer Merkmale zu weit und auf Erscheinungen ausdehnte, welche die wissenschaftliche Morphologie als Anomalien, ja als individuelle Formvarietäten kennzeichnet, von denen man allezeit gewusst hat, dass sie keine nennenswerten Störungen dder Organfunktion herbeiführen. Zu diesem Irrtum fügte er noch einen 344 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbuugstheorie. zweiten hinzu, indem er die Erscheinungen des sog. Atavismus eben- falls als Merkmale niederer Organisation in Anspruch nahm. Der Ata- vismus bezw. die atavistischen Anomalien der modernen Wissenschaft ist aber ein rein anatomischer Begriff, die funktionelle Seite der Frage, die Frage nach dem etwaigen Einfluss atavistischer Erscheinung auf die Organverrichtungen ist bis anhin nicht einmal berührt worden. Hatte Lombroso einmal diesen Fehler begangen, so war es nur natürlich, dass er bei der ziffermäßigen Bestimmung der degenerierten Elemente unter den Verbrechern viel zu hohe Werte erzielte; aus im Grunde gesunden und innerhalb normaler Grenzen organisierten Indi- viduen schuf er ganz unwillkürlich eine besondere durch ihre ver- brecherische Natur ausgezeichnete Menschenrasse. Zu solehen Schlußfolgerungen führt uns die nüchterne Betrachtung der nackten Thatsachen, welche unbeeinflusst ist von vorgefassten Ideen und frei von dem Bestreben nach übermäßiger Effekthascherei. Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Von Prof. ©. Emery in Bologna. (Fortsetzung von Bd. XIV S. 727.) VIII. Homologie und Atavismus im Licht der Keimplasma- Theorie. In den theoretischen Anschauungen Weismann’s, deren hohe Bedeutung auch von seinen Gegnern anerkannt werden muss, sind zweierlei zu unterscheiden: Einerseits allgemeine Prinzipien, welche zum Teil auch anderen Theorien zu Grunde liegen; anderer- seits eine hypothetische Darstellung vom Bau und von der Zusammensetzung des Keimplasmas. — Diese letztere könnte später mehr oder weniger tiefen Aenderungen unterworfen, oder sogar als falsch anerkannt werden, ohne dass dadurch die ihr zu Grunde liegenden Prinzipien von ihrer Giltigkeit etwas einbüßen müssten. Von jenen Prinzipien will ich hier zwei hervorheben: 1) die Kon- tinuität des Keimplasmas; 2) die Zusammensetzung des Keimplasmas aus heterogenen Teilchen, welche die einzelnen Eigenschaften des sich aus dem Keim entwickelnden Organismus be- stimmen. — Die konsequente Durehführung dieser Prinzipien, welchen ich ganz unbedingt beistimme, wird uns erlauben, die Begriffe der Homologie und des Atavismus, nicht nur theoretisch genauer zu de- finieren, sondern auch praktisch genauer zu verwenden. Der frühere schwankende Begriff der Homologie wurde erst durch die Descendenztheorie festgestellt: allgemeine wie spezielle Homologie beruht darauf, dass ursprünglich gleichartige Teile morpho- Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 345 logisch gleichwertig bleiben, wenn sie sich auch im Laufe der Phylo- genese so stark verändert haben, dass sie sonst bei direkter Vergleichung sich als solche nicht erkennen lassen würden. Im Fall der speziellen Homologie, verlangt die Keimplasma-Theorie für jede Veränderung eines Organs eine entsprechende Veränderung der dasselbe bestimmenden Keimteilchen, welche jener als ihre not- wendige Grundlage vorausgegangen sein muss. Reste der ursprüng- lichen Gleichartigkeit mögen, selbst wenn sie in den fertigen Organen nicht mehr erscheinen, im Keim als atavische Elemente erhalten bleiben, deren Thätigkeit sich, während der Ontogenese, durch vorübergehende Anlagen, oder in seltenen Fällen, durch Auftreten atavischer Bildungen (Rückschlag auf Ahnenformen) im Erwachsenen kundeibt. Aehnliches gilt auch für allgemein homologe, homotypische oder homodyname Gebilde. Auch hier erweist sich die Anwesenheit gleich- artiger Keimelemente für die ungleichartig gewordenen homologen Ge- bilde in einer ausgesprochenen Gleichartigkeit ihrer Anfangsstadien. Aber sie kann auch zu anderen besonderen Erscheinungen Veranlassung geben: Homodyname Körperteile können im Laufe der Phylogenese sich unabhängig von einander verändern; sie werden dadurch ungleich- artig; die Differenzierung der Organismen beruht gerade hauptsächlich darauf, dass aus einer Anzahl gleichartiger Gebilde Gruppen ver- schiedenartiger Teile entstehen. Die Keimgrundlage dieses Vorgangs mag so aufgefasst werden, dass, neben den der ganzen Reihe gemein- samen ursprünglichen Keimteilchen, sich für die einzeln oder gruppen- weise veränderten Gebilde besonders differenzierte Keimelemente hinzu- gesellen, von welchen ihre neuen Eigenschaften bestimmt werden. Wenn nachher neue Variationen im Keimplasma auftreten, so können die- selben sowohl die der ganzen Organenreihe gemeinsamen als die be- sonderen Gliedern der Reihe eigenen Keimanlagen betreffen. In ersterem Fall werden sämtliche homodyname Gebilde davon zugleich affiziert, sie werden dann, wenn eines derselben verändert wird, alle zugleich verändert. So kommt es vor, dass wenn z. B. eine Hand eine von der Norm abweichende Fingerzahl besitzt, die andere Hand und sogar die Füße die gleiche Anomalie darbieten. Obschon es nicht in Abrede gestellt werden kann, dass einzelne Haare oder Haargruppen variieren können, zeigen doch oft alle Haare eines Individuums gemeinsame Eigenschaften, wodurch jenes von seinen Speciesgenossen abweicht. Wenn sich nun eine bestimmte Beziehung zwischen den Anomalien verschiedenartiger Gebilde erweist, deren Homologie noch nicht ge- nügend festgestellt ist, so wird ein derartiges Verhältnis sehr zu Gunsten der fraglichen Homologie sprechen. Ich habe die Vermutung ausgesprochen, dass die Haare der Säugetiere und andere ihnen etwa gleichwertige Gebilde aus Hautzähnen der fischartigen Urahnen des Säugerstammes entstanden sind. Vom Standpunkt der Keimplasma- 346 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. theorie aus, gewinnt jene Hypothese eine wesentliche Stütze durch die mehrfach beobachtete Thatsache, dass hochgradige Anomalien des Haarkleides, namentlich Hypertrichose beim Menschen, mit Anomalien des Gebisses verbunden zu sein pflegen. Nicht wenige Ereignisse in der Phylogenese werden durch die Annahme derartiger keimplasmatischer Korrelationen der Organe klarer; so z.B. die parallele und gleichartige Reduktion der Finger und Zehen an den Extremitäten der pari- und imparidigitalen Ungulaten. Ebenso der merkwürdige Parallelismus in der Gliederung der vorderen und hinteren Extremitäten aller Landwirbeltiere; denn die gegliederten penta- daktylen Extremitäten entstanden aus ungegliederten polydaktylen Fischflossen, welehe in Folge der langsam erfolgten Veränderung einer für beide Extremitätenpaare gemeinsamen Keimanlage im gleicher Weise modifiziert wurden. Aehnliche Betrachtungen ließen sich an jede Organenreihe anknüpfen; denn in gleicher Weise erfolgte die parallele Veränderung der mannigfaltigen metameren Gebilde der Arthropoden und Anneliden, der diffus verteilten Hautorgane der ver- schiedensten Tiere u. s. w. — Ueberall besteht ein Gegensatz von zweierlei Variationen: a) der gemeinsamen Veränderung ganzer Organenreihen; b) der besonderen Differenzierung ein- zelner Organe oder Organengruppen. Beide haben in der Stammesentwieklung der Tiere eine hochbedeutende Rolle gespielt. Noch wichtiger erweist sich die Keimplasma-Theorie für dıe Fest- stellung des Begriffes des Atavismus. Es hat sich bereits Weismann für eine Beschränkung der als Rückschlag auf Ahnenformen zu be- trachtenden Erscheinungen geäußert; und mit Recht! Denn ganz kritiklos wird hier für die eine, dort für die andere Anomalie des Menschenleibes je einer seiner vermutlichen Ahnen verantwortlich ge- macht. Genügt die Reihe der Säugetiere nicht, so geht es bis zu den Reptilien oder sogar zu den Fischen weiter abwärts. Als der Atavis- mus noch nieht in die Mode gekommen war, sprach man nur von „Tierähnlichkeit“, was am Ende doch vernünftiger gewesen sein dürfte. Ohne eine bestimmte theoretische Grundlage wird es nicht mög- lich sein, festzustellen, ob eine Anomalie atavisch ist oder nicht, und in welehem Maß sie ihre Entstehung einer Ahnenerbschaft verdankt. Eine solehe Grundlage so!l uns die Keimplasma-Theorie geben. Eine Variation des sich entwiekelnden Organismus kann theoretisch als ein Atavismus-Fall bezeichnet werden, wenn sie dureh das Ueber- handnehmen von sonst normal vorhandenen Keimteilchen bestimmt wird, welche aber gewöhnlich den Entwicklungsgang in der Ontogenese nur vorübergehend oder scheinbar nicht beeinflussen. Bleiben aber solche scheinbar schlafende Keimanlagen thatsächlich wirkungslos? und übt ihre Anwesenheit in normalen Fällen nicht einen mehr oder minder Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 347 deutlich nachweisbaren Einfluss? Ich will es versuchen an der Hand einiger Beispiele zu zeigen, dass, wenn nicht immer, doch oft und viel- leicht in der Regel die Wirkung solcher Ahnenerbkeime während der Entwicklung nicht unbemerkbar bleibt, ja sogar unter besonderen Um- ständen eine bedeutendere werden kann. Es kommt häufig vor, dass Kinder die Farbe ihrer Augen ändern. So wurde meine jetzt 6jährige Tochter mit blauen Augen geboren, welche aber nach und nach braune Farbe bekamen. Da meine Augen blau sind, die meiner Frau braun, so erklärt sich der Fall sehr einfach als ein Kampf der eine braune Iris bestimmenden Keimelemente gegen die anfangs überwiegenden, welche die blaue Färbung bestimmt hatten. Weder ich und meine Frau, noch unsere Eltern und Großeltern haben rotes Haar gehabt; aber in meiner Familie ist solches ein altes Erbstück, welches hier und dort wieder erscheint; eine als Kind ge- storbene Schwester von mir soll rothaarig gewesen sein. Nun hat meine Tochter keine roten Haare, aber als sie kleiner war, zeigte ihr Kopfhaar einen sehr deutlichen kupferroten Schimmer, welcher später spurlos verschwand. Ich betrachte diese Erscheinung als den sicht- baren Ausdruck der rothaarigen Ahnenerbschaft, welcher bei ihr nur vorübergehend auftrat und leicht hätte übersehen werden können. Aehnliches beobachtete ich in noch schwächerem Maß an meinem Knaben und ich bin davon überzeugt, dass derartige flüchtige Zeichen scheinbar latenter Erbschaft noch öfter bemerkt werden könnten, wenn nur genug darauf geachtet würde. — Was bei dem einen Kind als vorübergehende und kaum bemerkbare Erscheinung auftritt, mag sich bei einem andern deutlicher ausprägen; es entsteht derart ein exqui- siter Fall von Atavismus. In derartigen Fällen handelt es sich um Wiederauftreten von nur wenige Generationen alten Erbschaften; aber sie sind im Wesentlichen nicht verschieden von anderen weiter zu be- sprechenden, in welchen solche Körperteile dureh Rückschlag wieder erscheinen, die seit geologischen Perioden verloren gegangen sind. Als Beispiel wähle ich einen von mir untersuchten Fall von Hyper- daktylie an einem Schweinsembryo. Der Knorpel, welcher dem Tra- pezium der normalen Handwurzel entsprieht (und vielleicht auch ein Rudiment der Metacarpale 1 enthält), war außerordentlich verlängert und hatte die Form eines Metacarpale; ihm folgte eine Phalanx und weiter eine noch indifferente Skelettanlage, gleich wie in den anderen Fingern derselben Hand. Es ist nicht möglich direkt zu erkennen, wie der überzählig erscheinende Daumen beim weiter entwickelten Ferkel ausgesehen haben würde; aber ein von Ercolani beschriebener Fall vom erwachsenen Schwein, von welchem mir das Originalpräparat vorgelegen hat, scheint den bei meinen Embryo angelegten Verhält- nissen vollkommen zu entsprechen. Der überzählige Finger ist ganz so eingelenkt, wie ein Daumen sein sollte, aber dessen Metacarpale ist 348 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. mit dem Trapezium verschmolzen und die Zahl der Phalangen ist drei, wie im darauf folgenden normalen Zeigefinger (dieselbe Glieder- zahl ist in vielen anderen Fällen am überzähligen radialen Finger von Schweinen vorhanden). Wegen der Phalengenzahl betrachtete Ereolani jenes Gebilde als eine Verdoppelung des 2. Fingers und nicht als einen atavischen Daumen. Ich betrachte meinen und Ercolani’s Fall ganz entschieden als atavisch, nieht etwa weil die Ahnen der Suiden und der Artiodaktylen überhaupt einst einen Daumen besessen haben müssen, sondern weil in der normalen embryonalen Hand des Schweines eine indifferente, vorübergehende Anlage des Daumenskeletts erscheint. Ihre proximaler Abschnitt liefert das Trapezium, während der distale spurlos schwindet. Das Keimplasma des Schweines enthält als Erbschaft seiner untereocänen Ahnen Elemente, welche die Bildung des Daumens bestimmen; sie üben aber nur vorübergehend einen ge- ringen Einfluss auf den Gang der normalen Ontogenese; unter beson- deren Umständen können sie es weiter bringen, ja bis zur Bildung eines ganzen Fingers. Aber es lässt sich fragen, ob der überzählige Finger im Fall Ereolani’s (und wohl auch in meinem) dem Atavis- mus seine ganze Ausbildung, oder nur seine Stellung und seine erste Anlage verdankt; in welchem letzten Fall eine Teilnahme der in der Bildung und Gliederung der anderen Finger wirken- den Keimelemente angenommen werden muss. — Ich neige zu letzterer Anschauung, denn die normal vorhandene Daumenanlage des Schweines entbehrt jeder Spur von Gliederung. Darum nehme ich an, dass im Keimplasma des Schweines die bestimmenden Elemente für das Daumenskelett als Ganzes enthalten sind, nieht aber für seine Gliederung. Ein ausgebildeter Pollex kann deswegen nicht mehr rein atavisch entstehen, sondern es bedarf dazu der Teilnahme von Keimteilehen, welche für die Gliederung der übrigen Finger bestimmt sind. Wollen wir diesen Fall als Paradigma für die Aufstellung eines theoretischen Begriffes des Atavismus verwerten, so können wir den Satz formulieren: dass nurdann eineAnomalie als erwiesener Atavismus angesprochen werden kann, wenn in der nor- malen Ontogenese Spuren der beobachteten Bildung er- scheinen. Aus solehen Spuren (deren Erkenntnis in vielen Fällen sehr schwierig sein dürfte) lässt sich auf das Vorhanden- sein entsprechender Ahnenerbteile im Keimplasma der betreffenden Species sehließen. Bildungen, von denen in der Ontogenese nicht das geringste Zeichen sichtbar wird, können nicht mit Sicherheit auf latente Ahnenerbschaft bezogen werden; sie sind Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 349 bis auf weitere Beweise als scheinbar atavisch, d. h. als einer bei Ahnen vorkommenden Bildung ähnlich zu betrachten, aber nicht als von einer aus früheren Generationen ererbten Keimanlage be- stimmt. Natürlich darf dieser Satz nicht ohne Vorbehalt und Bedenken ausgesprochen werden. Wir kennen die spezielle Organogenie noch nicht genug, um in den meisten Fällen sagen zu können, dass von einer bestimmten Bildung normal keine vorübergehende, selbst spur- weise Anlage erscheint. Wenn sich aber aus anderen Gründen eine Anomalie als atavisch beurteilen lässt, so wird eine erneuerte, beson- ders sorgfältige Untersuchung der Ontogenese von großer Wichtigkeit und bei positivem Ergebnis entscheidend sein. Fehlt ein richtendes Prinzip zur Beurteilung der scheinbar atavischen Anomalien, so können die vorzüglichsten Untersuchungen leicht zu extremen und wohl kaum zu billigenden Schlüssen führen. Als Bei- spiel will ich die sonst musterhafte neue Arbeit Rosenberg’s über die Ineisiven des Menschen wählen. Von der Thatsache ausgehend, dass viele Säugetiere und darunter die primitivsten Typen der Placen- talier an jeder Kinnlade 3 Paar Schneidezähne besitzen, wurde mit Recht angenommen, dass dieses auch bei den Ahnen des Menschen der Fall gewesen sein sollte; es hatten auch bereits mehrere Autoren ver- sucht, festzustellen, welchen jener 3 Zahnpaare die 2 Paar Ineisiven des Menschen und der Primaten überhaupt entsprächen. Für den Öberkiefer allein waren schon drei Annahmen möglich und alle drei wurden ausgesprochen und von einzelnen Anatomen durch thatsächlieh beobachtete anomale Fälle gestützt, welche als Atavismen aufgefasst wurden. Nun hat Rosenberg gezeigt, dass in der That überzählige Ineisiven im menschlichen Oberkiefer in drei Stellungen auftreten können, d. h.: 1) medial von J,; 2) zwischen J, und J,; 3) lateral von J.. Wenn man einen dieser Fälle als atavisch betrachtet, so ist überhaupt kein Grund vorhanden, diese Eigenschaft für die beiden anderen zu leugnen. Rosenberg hat dieses wohl gefühlt und be- trachtet deswegen alle drei Fälle als atavisch; dadurch wird er ge- zwungen eine Ahnenform mit 5 Paar Zähnen am Zwischenkiefer zu postulieren, wie sie sonst bei Säugetieren nicht bekannt ist, und des- wegen unter den Reptilien gesucht werden muss. Einen anderen Schluss würde ich als vielmehr berechtigt betrachten, nämlich, dass keiner der drei Fälle atavisch ist. Die Ontogenese der Zähne des Menschen ist bekannt genug, damit wir bestimmt sagen können, dass normal keine rudimentäre Anlage von überzähligen Schneidezähnen stattfindet. Aber dem im Gebiet des Zwischenkiefers befindlichen Abschnitt der Zahnleiste liegt die im Keimplasma be- stimmte Eigenschaft inne, ineisivenartige Zähne zu erzeugen. Wird in diesem Gebiet eine überzählige Zahnanlage gebildet, so wird sie da- 550 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. nach streben, die Form eines Schneidezahns hervorzubringen. — Ueber- zählige Schneidezähne beim Menschen mögen also als Rückschritt betrachtet werden, d. h. als Annäherung an einen in der Phylogenese längst überwundenen Zustand; sie sind aber kein Rückschlag auf bestimmte oder bestimmbare Ahnenformen, denn die zu ihrer Erzeugung notwendigen ererbten Teilchen existieren im normalen Keimplasma der Species nicht mehr. Vollkommen latente Vererbung während zahlloser Generationen schlafender Keimteilchen, deren Existenz sich hie und da plötzlich durch Bildung komplizierter Organe kundgibt, darf meiner Ansicht nach nicht ohne besondere und schlagende Beweise angenommen wer- den. — Eine vollkommene oder scheinbar solche Latenz der Vererbung ist zwar für besondere Fälle von Dimorphismus und Generationswechsel festgestellt. Aber diese Fälle sind vom eigentlichen Atavismus grund- verschieden und besonders durch ihre Gesetzmäßigkeit charakterisiert. — Hier sind auch besondere Erscheinungen aufzuführen, welche bei Züch- tung von Schmetterlingen unter abnormen Temperaturverhältnissen auf- treten und mit Recht zum Teil als Rückschlag auf Ahnenfärbung ge- deutet worden sind; ähnliche Erscheinungen liegen auch zum Teil dem Saisondimorphismus zu Grunde !). Die Keime der Ahnenfärbung werden unter normalen Verhältnissen von den überwiegend gewordenen die neue Färbung bestimmenden Keimteilchen in ihrer Wirkung vollkommen unterdrückt, treten aber erst unter bestimmten Umständen wieder in Thätigkeit und rufen die verschwundene Färbung wieder hervor. Das vollständige Ausbleiben irgend welcher erkennbaren Spur der Ahnen- färbung hängt wohl von der Unmöglichkeit des Auftretens zweier ver- schiedener Färbungen bei der raschen, einmaligen Metamorphose ab. In diesen Fällen gibt uns das Experiment das Mittel, die bei gewissen Arten noch vorhandene latente Erbschaft zu erkennen, indem die ihr entsprechenden Keimteilchen durch dasselbe in ihrer bestimmenden Wirkung begünstigt werden. Wo solche Keime fehlen ist die Ahnen- färbung für immer erloschen. In Folge der oben dargelegten Betrachtungen, erscheint auch das sog. „biogenetische Grundgesetz“ in einem neuen Licht. — Warum durchläuft der werdende Organismus eine bestimmte Reihe von Entwieklungsstadien? Der Grund scheint mir ein zweifacher zu sein: 1) sind gewisse Stadien des Gesamtorganismus, sowie der einzelnen Teile desselben eine mechanische Notwendigkeit, d. h. sie werden ganz unabhängig von Vererbung und Phylogenie, durch physikalisch- chemische Gesetze in Gestalt und Reihenfolge bestimmt; 2) hängt das Erscheinen oder Nichterscheinen von vererbten Ahnenstadien haupt- 1) Vergl. Weismann, Neue Versuche zum Saisondimorphismus der Schmetterlinge. In: Zool. Jahrb., Syst. v. 8, S. 611—684, 1895. Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungsthcorie. 5 sächlich von der An- oder Abwesenheit der entsprechenden bestimmen- den Teilchen im Keimplasma der betreffenden Tierart ab; solche Teilchen können sowohl von uralten wie von jüngsten Vorfahren hergekommen sein. Wenn wir mit Weismann'!) annehmen, dass die bestimmenden Elemente während des Wachstums des Keimplasmas unter einander kämpfen und derart innerhalb des Keimes einer natürlichen Zuchtwahl unterliegen, so ergibt sich daraus als notwendiges Resultat die Verein- fachung des Keimplasmas, durch Unterdrückung und schließliche Ver- nichtung gewisser Anlagen zu Gunsten anderer, welche sich für den Organismus als nützlicher erweisen. Wir können uns dadurch auch die zeitliche Verschiebung der Onto-Stadien erklären, indem wir an- nehmen, dass begünstigte Keimanlagen, insofern es mechanisch mög- lich und physiologisch nicht schädlich ist, die ihnen entsprechenden Gebilde früher zur Ausbildung führen, während dagegen Organe, deren bestimmende Keimteilchen im Schwinden begriffen sind, als rudimentäre Bildungen langsam und spät entstehen, oder wenn auch früh angelegt, bald darauf wieder verschwinden, resp. den begünstigten Anlagen gegenüber zurückbleiben. Gebilde und Formen der Ahnen, welchen im Keimplasma der lebenden Tiere keine bestimmende Teilchen ent- sprechen, erscheinen entweder nicht mehr oder nur in Folge mecha- nischer Notwendigkeit. Die Reihenfolge der Erscheinungen in der ÖOntogenese ist also keineswegs eine direkte Konsequenz der Phylogenese, sondern das Resultat von physikalisch-chemischen Momenten einerseits, sowie andrer- seits von der relativen Energie der einzelnen älteren und neueren be- stimmenden Elemente des Keimes. — Es gibt also in der Keimes- entwieklung weder eine wirkliche Rekapitulation der Phylogenese, noch palingenetische und cenogenetische Vorgänge in reellem Sinn. Solche Ausdrücke dürfen eigentlich nur in bild- lichem Sinn richtig gebraucht werden. In Folge der epigenetischen Auffassung der Ontogenie entstanden, müssen diese Begriffe mit dem Ueberhandnehmen des Evolutionismus ihre Bedeutung verändern. Wenn wir nun den Gedanken aufgeben müssen im Entwicklungs- gang jedes Tieres eine, obgleich lückenhafte und zum Teil gefälschte, doch in ihren Grundzügen historisch verfasste Urkunde seiner Stammes- geschichte zu finden, so wird dadurch der morphologische Wert der ontogenetischen Forschung durchaus nicht vermindert, sondern nur in ein richtigeres Licht gestellt. Ein Gegensatz zwischen embryologischer und vergleichend-anatomischer Methode, wie er oft betont wird, existiert nicht. Wir können ebensowenig aus der Ontogenie einer Tierart wie aus deren Anatomie ihre Phylogenie rekonstruieren, sondern nur aus 1) Neue Gedanken zur Vererbungsfrage; eine Antwort an Herbert Spencer. Jena 1895, 359 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. den Resultaten der Vergleichung anatomischer und ontogenetischer Stadien mit denen anderer Tierarten. Die embryonalen Stadien besitzen den Vorteil der Einfachheit, welche die Vergleichung und die Erkenntnis der Homologien erleichtert; sie lassen uns überdies oft vorübergehende, ja sogar sehr flüchtige Anlagen entdecken, welche die letzten Spuren uralter Erbschaft darstellen, wie sie nur in seltenen Fällen und vielleicht niemals im ausgebildeten Tier als Atavismen auf- treten. Einzelne solcher vorübergehender Rudimente im Embryo mögen ja bei keiner lebenden Tierform mehr als bleibende Teile gebildet werden, so dass ihr flüchtiges Erscheinen im werdenden Organismus allein noch im Stande ist, uns über die Existenz des geschwundenen Organs bei ausgestorbenen Vorfahren zu belehren). Meine Auffassung des Atavismus und ihre Konsequenzen will ich hier überhaupt nicht als eine abgeschlossene Theorie abgeben, sondern nur als ein Versuch jene mysteriös erscheinende Potenz des lebenden Keimes in ihren Erscheinungen verständlicher zu machen. Ihre Fest- stellung würde eine sehr große Anzahl von Untersuchungen verlangen, wie sie von einem einzelnen kaum angestellt und ausgeführt werden könnten. Durch die theoretische Auffassung geschärfte Aufmerksam- keit der auf dem großen Gebiet der Organogenie arbeitenden Forscher, sowie intelligenter Vieh- und Geflügelzüchter mag in Folge der Ver- bindung vieler Kräfte leichter zum Ziele führen. Es handelt sich hauptsächlich darum festzustellen, inwiefern während der embryonalen und postembryonalen Entwicklung, neben den bleibenden morphologi- schen und biologischen Eigenschaften, auch solche flüchtig erscheinen, welche an Eigenschaften der näheren oder ferneren Ahnen eines be- stimmten Tieres sich anschließen. Ich bin aber fest überzeugt, dass eine schärfere Kritik der vielen, besonders vom Menschen beschriebenen Anomalien, welche auf Ver- erbung längst geschwundener Eigenschaften entfernter Gattungen, ja sogar anderer Klassen bezogen wurden, erweisen wird, dass ein großer Teil davon gar nicht zum Atavismus gehört. Es handelt sich dabei meist nur um ahnenähnliche, nieht um ahnenerblieche Erschei- nungen, anders gesprochen um Rückschritt, nicht um Rückschlag in der Phylogenese. 1) Das schönste mir bekannte Beispiel der Art ist wohl die Bildung prä- lactealer Zahnkeime bei verschiedenen Säugetieren. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI Band. 1. Mai 1896. Nr. 9. Inhalt: Drieseh, Die Maschinentheorie des Lebens. — Samassa, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese“. — v.Lendenfeld, R. Hesse’s Untersuchungen über das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen. — Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale (4. Stück). — Helm, Einige Beobachtungen über die Frühfliegende Fledermaus Panugo noctula (Daubenton). Die Maschinentheorie des Lebens. Ein Wort zur Aufklärung. Von Hans Driesch Die vorliegende Notiz wurde ihrem wesentlichen Gedankeninhalte nach vor mehr als Jahresfrist niedergeschrieben, bald nachdem ich E. du Bois-Reymond’s Rede über „Neo-Vitalismus“ zu Gesicht be- kommen hatte. Sie sollte einige Punkte aufklären, in denen meine Schrift „Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft“ seitens dieses Forschers nicht ganz zutreffend aufgefasst worden war. Ich unterließ die Veröffentlichung, da mir bekannt war, dass auch Roux am Schluss seiner „Gesammelten Abhandlungen“ zu meinen Ansichten Stellung nehmen werde: etwaige Missverständnisse hier, welche frühere gelegent- liche Aeußerungen dieses Autors erwarten ließen, dachte ich, sei es besser im Rahmen eines etwas breiter angelegten Artikels mit zu er- ledigen, als im Einzelnen auf sie eingehen und etwa schon Gesagtes wiederholen zu müssen. Von dem Roux’schen „Nachwort“ interessieren uns hier nur die sechs letzten Seiten); zunächst wird es gut sein auf den Inhalt dieser 1) Der erste bei weitem größere Teil des „Nachworts“, der sich auf engerem, „entwicklungsmechanischem“ Gebiet bewegt, rekapituliert früher von dem Ver- fasser gesagtes und veranlasst mich daher nicht zu einer Entgegnung, um so weniger, als ein auch nur einigermaßen sorgfältiges Studium meiner Schriften weder aus ihm noch aus den zahlreichen den „Gesammelten Abhandlungen“ neu beigefügten Zusatzanmerkungen spricht und meine Einwände gegen die Roux’schen Schlussfolgerungen nicht die geringste Beachtung oder auch nur XVlI. 23 354 Driesch, Die Maschinentheorie des Leben». etwas näher einzugehen, darauf werde ich in kurzer Skizze darzu- legen versuchen, was eigentlich in meinen Schriften über „Teleologie“ gesagt, und was in dieselben hineininterpretiert worden ist. Roux beginnt seine mich betreffende Darlegung mit den Worten: „Driesch denkt sich die Lebensvorgänge und den typischen Eibau „sehr einfach“, grob physikalisch-chemisch“. Halten wir uns zunächst nur an das „sehr einfach“. Wo denn habe ich solchen Nonsens gesagt? In meiner „Biologie“ S. 53 heißt es, dass, um z. B. das Gebahren höherer Tiere auf Grund meiner tektonisch-mechanistischen Lebensauffassung (wovon später die Rede) zu verstehen, wir der von ihr postulierten „Struktur“ eine „Komplikation beilegen müssen, die unsere Fassungskraft weit übersteigt“! Ja es wird gefragt, ob eben aus diesem Grunde nicht etwa jene Ansicht überhaupt aufzugeben und durch eine andere („vitalistische“) zu ersetzen sei. „Analytische Theorie“ S. 123 heißt es, dass der protoplasmatische Bau des Eies dem Kern „an Komplikation weit nachsteht“; was hat diese Aeußerung mit dem Roux’schen Satze gemeinsam? Ebenda S. 136 wird gerade die That- sache der so ungeheuer kompliziert zweckmäßigen Beschaffenheit der Lebewesen als Argument gegen den sogenannten Darwinismus ins Feld geführt. Anders allerdings A. Th. S. 149, wo ich sage „schon jetzt sehen wir im Froschei die geschilderten Umordnungsvorgänge in sehr ein- facher Weise, auf Grund der Anwesenheit von Substanzen differenten spezifischen Gewichts im Ei verlaufen, und es liegt durchaus kein Grund vor, hier (d. h. bei Selbstregulationsvorgängen) immer an größte Kompliziertheiten zu denken, wie es neuerdings beliebt ist“. Heißt aber diese Aeußerung über spezielle Dinge, dass ich mir „die Lebensvorgänge und den typischen Eibau sehr einfach“ denke? Man könnte sich beinahe versucht fühlen zu glauben, dass Roux nicht viel mehr als jenen Satz über das Froschei von meinen Arbeiten gelesen habe. Gehen wir über zu dem „grob physikalisch-chemisch“. Was ist denn ein „fein-chemischer“ Vorgang? Gehört beispielsweise die Wasser- zersetzung in die Kategorie der „groben“ oder der „feinen“? Ich denke, es ist doch wohl besser zwischen „chemisch-physikalischen“ und „nicht Erwähnung gefunden haben. Man sieht diesen Mangel an Kleinigkeiten, 30 z. B. wenn Roux denkt, das, was ich über den Anteil des Chemismus an der ÖOntogenese gesagt habe, mit der dunklen Wendung „Gestaltung aus chemi- schen Prozessen“ abthun zu können (I, S. 208), wenn er (II, S. 1014) angibt, ich ließe die Regulation in meinen Druckversuchen „durch Umordnungen der Zellen geschehen“ (!) und an vielen ähnlichen Unbestimmtheiten und Entstellungen. Auch hinsichtlich solcher einzelner Dinge lasse ich mich aber in keine neue Polemik gegen Roux ein, da der selbständige Leser schon bemerken wird, wo Ronx meine Ansichten richtig und wo entstellt wieder gibt, und da, was ein unselbständiger Leser denken mag, mich nicht angeht. Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. 355 chemisch-physikalischen“ Vorgängen zu unterscheiden!). Da habe ich denn allerdings in meiner „Analytischen Theorie“ ausdrücklich, in der „Biologie“ mit gewissem Zögern erklärt, dass jedes einzelne Ver- änderungsgeschehnis in der Gesamtheit der Lebensvorgänge chemisch- physikalischer Art sei. Hiervon reden wir nachher; fragen wir uns zunächst einmal, wie sich denn Roux jeden einzelnen Lebensvorgang denkt. Dass er ihn nicht „grob physikalisch-chemisch“ auffasst, sagt er implieite in dem gegen mich gerichteten Tadel, das „grob physika- lisch-chemische“ ist ja nach ihm die zu vermeidende Seylla. Da wir nun das Epitheton „grob“, wie sein Gegenstück „fein“ überhaupt be- anstanden, bleibt wohl nur anzunehmen, Roux fasse jedes Lebens- geschehnis „nicht chemisch-physikalisch“ auf. Dann träte er also für eine spezifische vitale Gesetzlichkeit ein, er wäre „Vitalist“; spricht er doch auch von der Wirkung „zweckthätiger seelischer Leistungen“. Aber Vitalist in irgend einem Sinne des vieldeutigen Worts will er nicht sein, damit geriete er ja in die Charybdis, er hat jene „zweckthätigen seelischen Leistungen“ ja „erklärt“, und „erklärt“ zwei Seiten weiter noch weit mehr; freilich geschieht die ganze „Erklärung“ nach darwi- nistischem Recept, man weiß also, wie es mit ihr bestellt ist, aber Roux sieht doch in ihr eine Erklärung?). Was haben wir also festgestellt? Aus seinem sicheren Fahrwasser zwischen Scylla und Charybdis, aus dem Gebiet des „fein physikalisch- chemischen“ mussten wir Roux gleich anfangs vertreiben, unter diesem dunklen Wort konnten wir uns nichts denken; in die Charybdis ferner, den „Vitalismus“ will er unter keinen Umständen geraten: da bleibt denn, weil in der Logik der Satz vom ausgeschlossenen Dritten gilt, wohl nur die Roux’sche Seylla, d. h. eben das Physikalisch- Chemische ohne „grob“ und „fein“ für ihn selber übrig. Damit haben wir ihn aber auf einen Widerspruch mit sich selbst ertappt: Roux 1) Es sollte der Erwähnung kaum bedürfen, dass auch neu zu entdeckende elementare Geschehensarten (Naturgesetze) naturgemäß entweder „chemisch- physikalisch“ oder „nicht chemisch - physikalisch“ sein werden. 2) Auf eine Diskussion über den Darwinismus nochmals einzugehen (vgl. Anal. Theor. S. 135 ff.), dazu wird mich weder Roux noch sonst Jemand veranlassen. Er gehört der Geschichte an, wie das andere Curiosum unseres Jahrhunderts, die Hegel’sche Philosophie; beide sind Variationen über das Thema „Wie man eine ganze Generation an der Nase führt“, und nicht gerade geeignet, unser scheidendes Saeculum in den Augen späterer Geschlechter besonders zu heben. — Bemerkt sei hier nur dieses: inhaltlich ist die Darwin’sche Lehre widerlegt, wäre sie aber auch nicht widerlegt, so würde sie nichts „erklären“ d. h. nichts auf bekannte Naturgeschehnisse zurückzuführen, da sie ihr eigent- liches Problem, die Zweckwäßigkeit, wie G. Wolff trefflich bemerkt (Biolog. Centralbl., XIV, S. 616): „ihren Jüngern in möglichst zahlreichen, aber mög- lichst verdünnten Dosen gibt, in der Hoffnung, dass nichts davon gespürt werde“, „Dr 23 356 Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. eifert dagegen, dass jedes einzelne Lebensgeschehnis physikalisch-chemischer Art sei, um — es schließlich selbst für physikalisch-chemisch zu erklären. Der allge- meine Horror vor „Vitalismus“ hat offenbar Roux in diesen Zirkel hineingedrängt; er steht damit ja nicht allein; wie viele andere hat nicht die allgemein herrschende methodologische Unklarkeit ähnlich verstrickt! Da den von mir mehrfach empfohlenen hervorragenden Ausführungen E. du Bois-Reymond’s, sowie meinen eignen sich ihnen eng anschließenden Erörterungen eine Zerstreuung dieses methodo- logischen Dunkels bisher nicht gelang, wünsche ich diesen für Weiter- bildung oder Stagnation der Biologie entscheidenden Erfolg der neuen vortrefflichen Schrift F. Dreyer’s recht von Herzen, leider freilich, ohne an die Erfüllung meines Wunsches recht fest glauben zu können!). Wir verlassen die Diskussion des Roux’schen Nachwortes ohne den Teil desselben, der sich auf meine Auffassung der Zweck- mäßigkeit bezieht, berührt zu haben. Denn es wird zur Klarlegung dieser meiner Auffassung selbst zweckdienlicher sein, sie kurz in 4) Wir haben Roux’ Worte rein logisch zergliedert, dann sind und bleiben sie in sich widerspruchsvoll. Verständlich, denke ich, wird diese Sachlage bei psychologischer Analyse des Gedankenganges unseres Forschers: er darf kein anderes als chemisch-physikalisches Einzelgeschehen im Bereich der Lebens- vorgänge zulassen, das „Leben“ ist ihm notwendigerweise eine Kombi- nation dieser; so schreibt es das moderne Dogma vor, dem er durchaus er- geben ist. Wird aber einmal mit dem Dogma Ernst gemacht, wird einmal, wie ich das — ich denke mit Recht — hinsichtlich der Regulierung der Frosch- blastomere that, ein Lebensgeschehnis wirklich als physikalisch nachgewiesen, so befällt ihn eine gewisse — nun sagen wir Enttäuschung, ein Missbehagen, eine Ahnung, so etwas könne „das Leben“ dann doch wohl nicht sein, und eben dieses unbestimmte Gefühl treibt ihn einem unbestimmten Begriff in die Arme, da er sich anderen Ausweg selbst verschloss. Wir sind weit entfernt, Roux jenes Missbehagen am modernen Dogma, sobald es einmal greifbar vor ihn tritt, verargen zu wollen; wir halten zwar unsere Auffassung der Vorgänge am Froschei für richtig und glauben auch an die Möglichkeit vieler anderer „Eliminationen“; aber, wie sich am Schlusse dieser Abhandlung zeigen wird, stehen wir über dem Dogma, nicht unter ihm. Wenn wir daher auch von einigen Geschehnissen am Organismus die physikalische oder chemische Natur als nachgewiesen ansehen, so haben wir damit doch nicht, wie der Dogmatiker, ein Abbild dessen vor Augen, was einmal im Großen die ganze Biologie sein wird. Uns enttäuscht daher auch der Nachweis physikalischen Geschehens im Organismus durchaus nicht, aber, wie schon bemerkt, wir verstehen sehr wohl, wie er den enttäuschen, gleichsam entmutigen kann, dem so recht deutlich damit vor Augen tritt, was es heißt unter einem Dogma stehen; dass es näm- lich heißt: das Hauptresultat der von ihm beherrschten Disziplin vorher- wissen, und nichts finden dürfen, was zu diesem vorgewussten Resultat nicht passt. — Uebrigens war Roux als jüngerer Forscher kein Dogmatiker, wie mehrere treffliche Stellen seiner früheren Schriften zeigen (z. B. Ges, Abh. II, p. 141/3, 188/9). Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. 357 systematischer Form darzulegen, als, im Anschluss an E. du Bois- keymond oder Roux in polemischer. Von selbst wird sich dann für den denkenden Leser ergeben, in welchen Punkten die genannten Forscher mich missverstanden haben, und wieweit das an ihnen oder etwa, was ich durchaus nicht von vorherein ausschließen will, an mir selbst lag. Im Teil VI meiner ‚Entwicklungsmechanischen Studien‘ habe ich es zum ersten Male klar ausgesprochen, dass die Möglichkeit einer spezifischen neben Physik und Chemie zu stellenden Lebensgesetzlich- keitslehre, einer Vitalistik, den Grundsätzen der allgemeinen Wissen- schaftsmethodologie nicht widerstreite. Wenn Keime zu dieser Anschau- ung sich auch bei mir selbst entwickelt hatten, so verdanke ich ihren Besitz in vollster Klarheit doch der Lektüre der oben genannten Ab- handlung von E. du Bois-Reymond „Ueber die Grundlagen der Erkenntnis in den exakten Wissenschaften“, der besten neueren Schrift, welche über Wissenschaftslehre existiert. Sie zeigt uns so recht, wie viel der Biologe an dem methodischen Vorgehen in Physik und Chemie lernen kann und zu lernen hat, während unsere Modernen stets nur den Inhalt dieser Disziplinen im Auge haben und in andere Gebiete übertragen wollen, Dinge, die ja kürzlich von Dreyer!) in trefflicher und sehr eindringender Weise dargelegt wurden. Meine Schrift die „Biologie als selbständige Grundwissenschaft“ arbeitete an den in jenem Teil VI in Angriff genommenen Problemen weiter, verließ aber gleichzeitig zum Teil die dort gewonnenen Ge- sichtspunkte. Wenden wir uns zunächst denjenigen Abschnitten dieser Schrift zu, die über die eigentliche Physiologie handeln. In beschränktem Maße wird hier zwar noch spezifischen Lebensgesetzlichkeiten das Wort geredet, z. B. S. 6 für das Wachsen?), im allgemeinen aber werden die physiologischen Erscheinungen als „seltsame Kombination bekannter Wirkungsweisen (Naturkräfte)“ bezeichnet. Das physio- logische Geschehen ist „Mechanismus auf Basis von Struktur“. Es ist klar, dass damit die Frage nach dem spezifisch Vitalen eine ganz andere Wendung erhält: man könnte analogienhaft sagen, sie sei nicht mehr auf dynamischem sondern auf statischem Gebiet zu lösen ver- sucht worden. Die als physiologisch bezeichneten Lebenserscheinungen lassen sich, sagte ich, wohl „begreifen“ d. h. auf Erscheinungen der Physik und 1) Studien zu Methodenlehre und Erkenntniskritik. Leipzig 1895. 2) Es wäre besser gesagt worden „die Assimilation“; über diesen Begriff treffliche (leider aber auch darwinistisch „erklärte“*) Andeutungen im Schluss- worte Roux’. 358 Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. Chemie zurückführen, wenn wir die Struktur des lebenden Körpers als gegeben annehmen. Der Begriff „Struktur“ sollte „alle geord- neten stoffliehen Verschiedenheiten“ einschließen (S. 55). Als Aufgabe der Physiologie bezeichnete ich geradezu die: aus den physiologischen Erscheinungen unter Zuhilfenahme der Erfahrungen der Physikochemie jene Struktur zu ermitteln. Als gegeben sah ich, wie erwähnt, die physiologische Struktur an, als gegeben auch diejenige Eigenschaft derselben, vermöge welcher alles, was sich an ihr abspielt, nicht nur an verschiedenen Orten des Körpers in gegenseitiger Harmonie ist, sondern auch zur Außenwelt in Harmonie, in Anpassungsbeziehung steht. In der gegebenen Struktur war mir also zugleich die physiologische Zweckmäßigkeit der Organismen gegeben. — Die Struktur des erwachsenen organischen Körpers wird in der Ontogenie successive geschaffen, die Ontogenie geht vom Ei aus. Es erhebt sich also die Frage: wie wird aus dem Ei jene Struktur ge- schaffen? In meiner „Biologie“ zeigt sich in den Versuchen zur Be- antwortung dieser Frage ein unklares Schwanken, wie denn der $ 9 überhaupt der schlechteste dieser Schrift ist!), mögen manche Einzel- heiten in ihm mir auch jetzt noch zutreffend erscheinen. Es ist in diesem $9 bald von einer der Physik koordinierten Vitalistik die Rede, bald aber auch von einem „unfassbaren Regulator“, welcher denn auch in der That von mir wenigstens nicht gerade klar „gefasst“ war. Ein „schüchternes Eintreten“ für Vitalismus durfte E. du Bois-Rey- mond in der That aus diesem Paragraphen herauslesen; lassen wir ihn auf sich beruhen und halten wir uns an meine „Analytische Theorie der organischen Entwicklung“, in welcher die uns jetzt interessierende Frage mit Eindeutigkeit und Bestimmtheit zu entscheiden versucht wurde. In dieser Schrift nämlich arbeitete ich eine Theorie aus, nach welcher die Ontogenie nicht minder physiko-chemisch aus der ge- gebenen Eistruktur folgte, als die physiologischen Erscheinungen aus der Struktur des Erwachsenen. Ich parallelisierte geradezu diese „entwieklungsmechanische Maschine“ mit der physiologischen (S. 166). Als Gegeben sah ich, wie erwähnt, die Eistruktur an, als ge- geben auch diejenige Eigenschaft derselben, vermöge welcher alles, was sich an ihr und ihren Produkten abspielt, nicht nur in einer Harmonie der Möglichkeit des Geschehens (Kausalharmonie), sondern auch in Harmonie mit Rücksicht auf die Lieferung eines einheitlichen 4) Man wolle aus dieser Selbstkritik nicht entnehmen, dass ich einem anderen zugestehe, besser über „Entwicklungsmechanik“ geschrieben zu haben. Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. 359 Produktes steht (Kompositionsharmonie, Anal. Theor., S. 131). In der gegebenen Struktur war mir also zugleich die ontogenetische Zweck- mäßigkeit gegeben. So bietet also die Struktur des Eies eine, von mir auch im Wort- laut nachgeahmte, Analogie zur Struktur des Erwachsenen. Sie bietet aber noch mehr: da nämlich diese Struktur aus jener wird, so wird auch diese Zweckmäßigkeit aus jener und so ist denn in der ge- gebenen ontogenetischen Eistruktur auch die physiologische Harmonie und Anpassung gegeben!). Alles, was sich dereinst am Erwachsenen abspielen wird, ist nicht nur in seiner Struktur, sondern schon in dem Bau des Eies, wenigstens implieite, nach Maschinenart vorbereitet. Die physiologische Struktur war uns also nur für die Physio- logie etwas letztes: eine andere Wissenschaft, die Entwicklungsanalytik, vermag dieses „Letzte“ zurückzuverlegen, wenn schon sie bei dieser Zurückverlegung über einige, durch den qualitativen Charakter des Entwieklungsgeschehens bedingte Unverständlichkeiten nicht spezifisch biologischer Natur (Anal. Theor., S. 166) hinwegsieht. — Auch das spezifisch vitale der ontogenetischen Erscheinungen hat in diesen Darlegungen, wie man sieht, eine statische Lösung erfahren; es ist das „Gegebene“, das der kausalen Betrachtung entrückte. — Die „Eistruktur“ ist uns jetzt das letzt-gegebene. Sie bliebe das letzte, wenn die organischen Formen mit Sicherheit konstant wären; dann wären wir jetzt am Ziele, d.h. vor dem definitiv Letzten, Gegebenen angelangt. Wie nun aber, wenn unsere Ideen von einer allgemeinen Abstammung der Formen von einander im Großen und Ganzen richtig sind? Können wir dann unser „Letztes“ mit Hilfe der Physikochemie noch weiter hinausschieben? Und weiter, können wir eine eventuelle Phylogenie auf Basis einer „Struktur“ verstehen ? Ich bringe zunächst 2 Dinge in Erinnerung. Einmal gilt es bei jeder organischen Form, die Organisationshöhe (Typus) und die Anpassungshöhe zu unterscheiden ?). Zum anderen erinnere ich daran, dass ich zu anderem Zwecke (Anal. Theor., S. 87 ff.) die Annahme erdachte, es sei der Kern ein Gemisch von Fermenten und in diesem Gemisch sei das eigentlich Spezifische jeder Form gegeben. 4) In zutreffender Weise hat Wolff die ontogenetische Zweckmäßigkeit gleichsam eine Vorarbeit für die Anpassungszweckmäßigkeit genannt. Be- merkungen zum Darwinismus u. s. w. Biol. Centralbl., XIV. 2) Das scheint mir nieht zur Genüge geschehen zu sein in dem Aufsatz von G. Wolff: „Bemerkungen zum Darwinismus“ etc. Diese Zeitschr., Bd. XIV- 360 Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. Der Anpassungscharakter der Formen an die Außenwelt, welcher sehr im Detail sich gegebenen Spezialverhältnissen durchaus anschmiegt, zwingt uns bei Annahme einer Descendenz, jene Außenweltsver- hältnisse als umwandelnde Anstöße thätig sein zu lassen. Kennen wir doch solches Umwandlungswirken der äußeren Agentien z. B. in den Standortsvarietäten der Pflanzen thatsächlich und benötigen wir doch für Zustandekommen echter Descendenz nur der suecessiven Stabilität der Umwandlungsprodukte!). Ich habe früher eine solche Umwandlung einer „Form“ seitens eines Agens als morphologischen Reiz?) bezeichnet („Biologie“ S.22), um den Gegensatz des Geschehens von der physiologischen Auslösung oder Reizwirkung und auch von der dieser naheverwandten ontogenetischen oder formativen zu kenn- zeichnen: Durch formative Reize entstehen im Lauf der Ontogenese successiv die Organe, durch sie werden (in der Sprache meiner Hypo- these) die Kernfermente partiell aktiviert; ich möchte jetzt, wieder auf dem Boden meiner Ferment-Hypothese, das Wesen des morpho- logischen Reizes in einem verändernden Wirken auf die Kern- fermente selbst sehen. Natürlich hat diese Wendung, wie die ganze Fermentsache überhaupt, nur den Zweck, die vorliegenden Probleme einigermaßen greifbar anschaulich zu gestalten. — Wir betonten oben den Unterschied zwischen Höhe der Anpassung und Höhe der Organisation. Nur erstere ist mit Aeußerem in Beziehung und daher von Aeußerem bedingt; letztere muss, wenn überhaupt, durch innere Ursachen umgewandelt sein. Um also wieder in der Sprache unserer Hypothese zu sprechen, so ist das Fermentgemisch der Kerne, welches das Spezifische der Formen bedingt, auch einer Selbst- umwandlung, durch Wirkung der Bestandteile des Gemisches auf einander fähig?). Dass wir hier keine naturwissenschaftliche Unmög- 1) Vergl. Biologie, S. 41, Anm. Eine gewisse Art von Vererbung er- worbener Eigenschaften halten wir also, wenn überhaupt Descendenz statt- fand, der Anpassungscharaktere wegen für wahrscheinlich. Wie weit übrigens die Standortsvarietäten der Pflanzen und Verwandtes wirkliche Be- deutung für Descendenzprobleme haben d. h. ob sie uns irgendwie eine Etappe phylogenetischer Umwandlung vorführen, steht ganz dahin, sie sind nur der Analogie wegen genannt. Schon allein deshalb ist dem so, weil wir zur Zeit in keinem scheinbaren Umwandlungsfalle genau wissen, ob wirklich der von mir postulierte „morphologische Reiz“ oder ob etwa nur Dichogenie bezüglich einzelner Bildung (Anal. Theor., S.108) oder auch irgend welche äußere rein formative Reize vorliegen. — Alles im Text gesagte ist rein schematisch zu verstehen, es handelt sich nur um die Frage des Vitalismus oder Anti- vitalismus. Wirkliche Kenntnis von Descendenz haben wir gar nicht, nicht einmal von ihrer Möglichkeit. 2) Vergl. über die Kategorien der Reize die vortreffliehen Erörterungen bei Herbst, Bedeutung der Reizphysiologie ete. II. Biol. Centralblatt, XV, S. 817 ft. 3) In streng kausaler Fassung des Ausdrucks ist hier ein beliebiges Fer- Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. 361 liehkeit annehmen, zeigt uns die beobachtete langsame Selbstumwandlung chemischer Gemenge und auch wohl die, im ganzen betrachtet, als „Selbstdifferenzirung“ verlaufende ontogenetische Entwicklung der Eier). Da ein späterer Einblick in den chemischen Charakter unserer Fermente nicht prinzipiell ausgeschlossen ist, so ist ein prinzipiell physiko-chemisches Verständnis der Einwirkung der „morpho- logischen Reize“ auf dieselben sowie ihrer Selbständerung auch nicht auszuschließen. Wir gelangen so zu einer gegebenen lebenden Urstruktur?) (oder mehreren Urstrukturen), auf Grund deren wir die Phylogenie mit Hilfe der chemisch-physikalischen Erfahrungen prinzipiell verstehen. Eben um das zu erweisen, dazu dienten uns unsere obigen, zwar rein erdachten aber — und nur darauf kommt es hier an — nicht sinnlosen Annahmen. Führt also die Physiologie auf eine gegebene Struktur als Basis des Geschehens und gelingt es der Entwicklungsanalytik diese Struktur als Folge einer anderen gegebenen Struktur nachzuweisen, so führte endlich die Phylogenie auch die große Menge der Strukturen letzter Art auf eine oder wenige gegebene Urstrukturen zurück. — Ohne Reaktionsmöglichkeit keine Reaktion, ohne Geschehensmög- lichkeit kein Geschehen sind 2 selbstverständliche Sätze. Ich zeigte ment A als Ursache der Umwandlung anderer Fermente B, C, D... zu be- trachten. Bei allen Kausalerörterungen kommt es ja auf den Standpunkt der Betrachtung des Geschehens an. Ursache allgemein ist dasjenige „worauf etwas nach einer Regel folgt“ (Kant) d. h. das, was an einem betrachteten System immer die gleiche, von uns aprioristisch für notwendig gehaltene Verände- rung zur Folge hat. Habe ich also befruchtete Eier da, bei einer Temperatur, welche sie zwar nicht tötet, aber ihre Entwicklung hemmt, so erscheint eine Temperaturerhöhung jetzt als „Ursache“ der Entwicklung. Bei unbefruchteten Eiern in richtiger Temperatur ist Befruchtung „Ursache* desselben Geschehens. Ja, insofern Sauerstoffgehalt des Mediums zur Entwicklung unumgängig nötig ist, sind in beiden Fällen eigentlich nicht die Eier allein, sondern (Eier + sauer- stoffhaltigem Wasser) als von der „Ursache“ betroffenes System zu betrachten. Mir erscheint diese Einbeziehung der gewöhnlich sogenannten „äußeren Be- dingungen“ in die wahren „Bedingungen des Systems“ im streng-mechanischen Sinne im Interesse der Klarheit geboten. Es gibt auf diese Weise für jedes Geschehen nur 2 Voraussetzungen: die Ursache auf der einen, die System- bedingungen auf der anderen Seite. Freilich soll nicht geleugnet werden, dass die „Systembedingungen“ dann aus 2 Bestandteilen gemischt sind, es können nämlich nur die sogenannten äußeren Bedingungen oder Umstände be- liebig als „Ursachen“ betrachtet werden, die anderen nicht. Vgl. zum Begriff der Ursache auch meine „Biologie“ $ 4. 1) Ich glaubte früher eine Umwandlung, rein aus inneren Ursachen, ver- werfen zu müssen (s. „Biologie“ 8.27). 2) Wie immer schließt mein Begriff „Struktur“ alle „geordneten chemischen Verschiedenheiten“ ein. 562 Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. ferner (Anal. Theor., S. 80), dass zu jedem Effekt nieht nur die Mög- lichkeit der Reaktion als solcher, sondern auch die Fähigkeit des Empfanges gerade dieser typischen Ursache notwendige Voraussetzung sei. Wenden wir diese Einsicht auf unsere verschiedenen Arten von Strukturen einmal an: Von der physiologischen Struktur sagten wir schon oben, sie er- mögliche das gesamte physiologische Geschehen und sei daher zweck- mäßig, wie dieses. Von dem Eibau sagten wir, er ermögliche nicht nur das komplizierte Zustandekommen des Organismus, sondern schließe zugleich die Möglichkeit seiner physiologischen Harmonie ein: der Ei- bau ist gleichsam komplex-zweckmäßig. Wie muss nun unsere „Ur- struktur“ oder auch nur die „Struktur“ auf irgend einer phylogene- tischen Phase beschaffen sein? Jedenfalls so, dass das aus ihr folgende geschehen kann. Aber was heißt das? Zunächst einmal muss diese Struktur, also in unserer Sprache das Fermentgemisch, oder anders die Natur des Kernes so beschaffen sein, dass sie gewisse „morphologische Reize“ überhaupt empfangen und ihnen antworten kann; das mag selbstverständlich erscheinen, obwohl es gut ist, es zu betonen. Weiter aber muss unsere „Struktur“ es doch jedenfalls ermöglichen, dass das aus ihr durch äußeren oder inneren Reiz umgewandelte Produkt aus dem Ei in harmonischer Weise entstehen kann und auch als Erwachsenes harmo- nisch funktioniert d. h. die Thatsache der dreifachen ontogene- tischen Harmonie, die Voraussetzung der Entstehung der erwach- senen Form, muss gewahrt bleiben, obwohl der spezielle Charakter des durch diese Harmonien gelieferten Produktes (die „spezifische Form“) verändert ist (Anal. Theor., S. 138); aber auch das ist noch nicht alles: es muss die „Struktur“ auch fähig sein, den äußeren Reiz!) nicht nur, wie erörtert, allgemein zu empfangen und zu beantworten, sondern auch ihn in einer Weise zu beantworten, die wir eben An- passung nennen, und die besagt, dass das Umwandlungsprodukt in einer unter den neuen Umständen lebenserhaltenden Weise gebaut ist?). Endlich muss auch das neue Produkt eine große Reihe prospektiver phylogenetischer Möglichkeiten besitzen, d. h. alle ferneren von ihm 4) Wir lassen die Betrachtung der Umwandlung aus inneren Ursachen hier außer Acht, da unser Problem auch so schon kompliziert genug wird. Würden wir sie heranziehen, so hätten wir auch die Frage zu streifen, ob eine even- tuelle Phylogenie als „Entwicklung“ zu bezeichnen sei oder nicht (Anal. Theor., 8. 133). 2) Eine phylogenetische Kausal- und Adaptionsharmonie ist also Voraus- setzung der Phylogenie. Erstere (d. h. die allgemeine Forderung des den an- stoßenden Reizen „Entsprechen -könnens“) unterscheidet sich von der gleich- benannten ontogenetischen Harmonieart dadurch, dass die Anstöße von außen kommen, sie selbst ist also auch adaptiven Charakters, wennschon ich sie von der echten Adaptionsharmonie sondern möchte. Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. 363 einmal ausgehenden phylogenetischen Umwandlungen mit ihrem jedes- maligen Anpassungs- und Harmoniencharakter müssen in ihm der Er- weckung fähig sein, ebenso wie ein ontogenetisches Organ die Mög- lichkeit einer ferneren Organbildungsserie einschließt. In ganz un- geheuer komplizierter Weise zweckmäßig, muss uns also jede Durehgangsstruktur erscheinen und in der Urstruktur, die nun wirk- lich das absolut „Gegebene“ darstellt, nimmt diese „gegebene“ Zweck- mäßigkeit geradezu ungeheuerliche Formen an. Da nichts ein- zelnes soll geschehen können, was nicht physikalisch- chemisch geschehen kann, so muss in dieser Urstruktur alles vorbereitet gedacht werden, was überhaupt einmal bio- logische geschehen ist oder geschieht oder geschehen wird; nicht ex- plieite zwar, aber doch implieite war auch die merkwürdige von Wolff beobachtete Linsenregeneration des Triton wie an einer Maschine in ihr „vorgesehen“. Die „Harmonie“ des phylogenetischen Prozesses, welcher alle ontogenetischen und physiologischen Prozesse mit ihren Harmonien einschließt, erscheint also unermesslich, und selbst die im Eibau verborgen liegende und sich in der Ontogenese und in Regenera- tionen bethätigende Zweckmäßigkeit erscheint an Komplikation gering gegen sie, obwohl wir uns hier schon zu verwundern pflegen, was alles in der „Struktur“ des Eies „vorbereitet“ sei. Aber was soll alles dieses? Wozu nützt dieser Aufbau der un- geheuerlichsten Hypothesen? Er eben soll die falsche Auffassung zurückweisen, welche meine Arbeiten von verschiedenen Seiten erfahren haben, er soll zugleich eine Art des biologischen Forschens möglichst klar darstellen und — vielleicht noch etwas mehr. Die vorstehenden Erörterungen lehrten uns nämlich folgendes: In meinen beiden theoretischen Schriften, der „Biologie“ und der „Analytischen Theorie“, sah ich das eigentlich biologische des organischen Geschehens stets in einer gegebenen Ordnung oder Struktur, wie ich es nannte, in etwas „Statischem“: die Biologie war mir in diesem Sinne Tektonik. Auf Grund dieser gegebenen Ord- nung, sagte ich, spiele sich jeder einzelne physiologische Vorgang ab nach den aus der Physikochemie bekannten Gesetzlichkeiten. Sei also somit jeder einzelne elementare Geschehensakt wohl „Mecha- nismus“, so gelte das aber doch nie von ihrer Gesamtheit und eben darum sei Biologie kein Mechanismus. Da die Tektonik nun gegeben d. h. logisch und kausal letzt-instanzlich unerforschbar ist, so hätte ich auch sagen können: nur soweit sie Mechanismus sei, sei Biologie kausal erforschbar, d. h. nur in Bruchstücken; soweit sie Tektonik sei, sei sie nur beschreibbar. 964 Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. Ich bitte zu beachten, dass die kurze Erweiterung, welche meine Ansichten in diesem Aufsatz bezüglich der „Phylogenie* erfuhren, mit der soeben skizzierten Grundansicht durchaus harmoniert, ja wenn man die Phylogenie einmal zugibt, eine Konsequenz derselben ist: bekannte Kausalprozesse, hinzunehmende Struktur heißt es auch hier. Die Zweckmäßigkeit der organischen Wesen in ihrem vielverzweigten Sinne, sagte ich nun weiter, sei in ihrer Struktur enthalten, mit ihr gegeben: die Struktur sei zweckmäßig und es sollte auch dieser Thatsache der zweckmäßigen Struktur nur einen bildlichen Ausdruck verleihen, wenn ich von einem Bildungstrieb sprach, der scheinbar die Struktur in intelligenter Weise gemacht habe. Kurz mit allem, was ich sagte, beschrieb ich nur das Wesen der gegebenen Struktur. Ich habe aber an keiner Stelle den „Bildungstrieb“ nach Art einer zweekthätigen Ursache im einzelnen biologischen Geschehen thätig sein lassen, ich habe keine neue „vitalistische“ Art des elemen- taren Geschehens statuiert: die Art der Kausalität des elementaren Geschehens die ich verwertete, war vielmehr nur die aus den an- organischen Wissenschaften bekannte. Ich betone das besonders stark, da E. du Bois-Reymond in seiner Rede „Neo-Vitalismus“ meine Ansichten als vitalistisch im Sinne der alten Lebenskraftslehre bezeichnet hat und Roux in diesem Punkte sich mindestens nicht ganz klar ist. Dass ieh meine „Biologie“ in dieser Hinsicht nicht von allen Zweideutigkeiten freispreche, ist oben gesagt, E. du Bois-Reymond kannte nur diese. Bei Missverständ- nissen meiner analytischen Theorie liegt aber meiner vollen Ueber- zeugung nach die Schuld nur an meinen Auslegern. „Auf Grund dieses „Gegebenen“, dieser „Maschine“ verstehen wir mit Hilfe der Chemie und Physik die Funktion prinzipiell sehr wohl kausal, nicht minder die Leistung der entwieklungsmechanischen als die der physiologischen „Maschine“. Aber das „Gegebene“ selbst vermögen wir nur teleologisch zu verstehen“ (Anal. Theor., S. 66). Ich denke, das ist unzweideutig genug; andere Stellen sind ent- sprechend, reden in bildlicher Weise zur Kürzung der Beschreibung vom „Bildungstrieb“, der nur im Perfeetum thätig erscheint, der (das Gegebene) gemacht hat, der aber nichts macht). Das einzig unzu- 4) Man wolle in meinem Bildungstriebe namentlich nicht etwas dem Aehn- liches erblicken, was Dreyer in seiner erwähnten Schrift (8.135 ff.) aus einer Stelle in Liebmann’s „Analysis der Wirklichkeit“ herausliest, nämlich eine Art von „Gubernatrix“, welche die im übrigen nach chemisch - physikalischer Kausalität verlaufenden Lebensvorgänge „leitet“. Das in sich Widerspruchs- volle solcher Auffassung hat Dreyer klar dargethan, worauf ich hiermit ver- weise. — Eine andere Frage ist die, ob man aus den betreffenden Erörterungen Liebmann’s bei etwas freierer Auffassung nicht auch eine der meinigen verwandte Ansicht herauslesen könnte. Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. 365 treffende, das ich in meiner Schrift in der uns interessierenden Frage entdecke, ist, auf S. 139, die Parallelstellung meines Bildungstriebes zum physikalischen Begriff der „Kraft“; das ist aus Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, falsch, hat aber keinen irre geführt, schon weil keiner meine Arbeit mit einiger Sorgfalt las!). — Die „Form und Mischung“ war mir also gegeben, um einmal in der Sprache der älteren Forscher zu reden und bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass Lotze in dem einleitenden Kapitel zu Wag- ner’s Handwörterbuch der Physiologie eine vortreffliche Darstellung einer der meinen verwandten Ansicht gegeben hat, die ich leider erst später durch Zufall kennen lernte. Was ich vertrat, war also durchaus kein „Vitalismus“, sondern war, soweit wenigstens als Lebensgeschehnisse in Frage kommen, gerade die landläufige Ansicht des physiko- chemischen Dogmatismus! Nur scheute ich mich nicht die Konsequenz dieses Dogmatismus zu sehen und klar auszu- sprechen, die man sich heutzutage (sehr im Gegensatz zu Lotze) zu sehen seheut: das Gegebensein der zweckmässigen Basis, auf der sich das Lebensgeschehen abspielt. Als formal-teleologisch oder physiko- chemisch -tektonisch- teleologisch möchte ich meine Ansicht vom Leben im Gegensatz zum Vitalistischen bezeichnen: besser vielleicht als: Maschinentheorie des Lebens; sie sieht, um das nochmal zu sagen, in dem „Leben“ nicht etwa ein chemisch-physikalisches Problem, das wäre, auch wenn man sich unsere Energetik und Chemie vervollkommnet nicht nur, son- dern auch in gleichem Rahmen an Inhalt vermehrt denkt, geradezu Unsinn; aber sie sagt: nur soweit Mechanismus im Leben eine Rolle spielt, bietet es uns überhaupt kausal erforschbare Probleme, gerade sein Wesentlichstes aber, weil es Struktur oder Tektonik ist, ist nur beschreibbar?) und zwar ganz vorwiegend mit Zweckmäßig- keitsausdrücken beschreibbar. Da ferner alle diese Zweckmäßigkeitsbeschreibungen ganz vor- wiegend in Möglichkeitseigenschaften bestehen, welche, wie etwa die bereits mit der Eistruktur zugleich implieite gegebenen physio- logischen Harmonien, in dem im einzelnen Falle beschriebenen Lebens- gegenstand latent sind (zumal gilt das von den „Eigenschaften“ der hypothetischen Phylogeniestruktur), so darf man sich ferner ja nicht durch die angeblich auf jede folgende Stufe zurückgeführte Reihe „Physiologiestruktur — ontogenetische Struktur — Phylogeniestruktur“ blenden lassen und denken, man habe damit sonderliche Erkenntnis. 1) Dass ich die gründliche Kritik von T. Garbowski hier ausnehme, ver- steht sich von selbst, aber nur sie nehme ich aus. Biol. Centralbl.,, XV. 2) Man wird verstehen, was das hier heißen soll. In letzter Hinsicht zwar kann man ja mit Kirchhoff alle Wissenschaft Beschreibung nennen, 366 Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. Es wäre das geradeso, als dächte man zugleich mit den Eigenschaften des Wasserstoffs die seiner sämtlichen Verbindungen zu kennen. Be- grifflich zwar ist unsere Charakteristik der Strukturen durch potentielle Harmonien unanfechtbar, eine bestimmte vorgesehene Zahl derselben ist sogar, wenn man, wie wir, nur physika- lisch-chemische Einzelgeschehnisse zulässt, Postulat, ebenso wie eine bestimmte, vorgesehene Zahl von Latenzen im Wasserstoff Postulat ist, praktisch aber werden wir aus der einen Phylogeniestruktur nie die folgende, aus der Eistruktur nie die Struktur des Erwachsenen vorhersagen können, sondern nur, von der explieiten, thatsächlichen, keine Latenzen enthaltenden Beschreibung der einen ausgehend, die einzelnen Kausalwege ermitteln können, welche zu der anderen führen: haben wir das im einzelnen Falle gethan, wissen wir, wie eine Struktur aus einer früheren wird, dann mögen wir letztere mit speeifischen Potenzen ausstatten, es schadet nichts und nützt nicht viel!). Ja denken wir uns die Biologie auf der geschilderten Bahn zu Ende geführt, so dass wir die „Urstruktur“ mit ihren sämtlichen harmonischen Potenzen ausstaffieren könnten, was hätten wir damit anderes als eine Gruppierung alles „Gegebenen“* um einen Punkt? — E. du Bois-Reymond hat zugleich mit mir auch Bunge und Rindfleisch als Neo-Vitalisten bezeichnet, es ist das eine Folge der unrichtigen Auffassung meines teleologisch-tektonischen Standpunktes. Mit Bunge’s Ansichten, welche einen, meiner Ansicht nach, durchaus nicht genügend präcisierten „monistischen“ Standpunkt ver- treten und die scharfe Grenze zwischen Physischem und Psychischem in, wie ich denke, fehlerhafter, weil metaphysisch-dogmatischer Weise verwischen wollen, haben meine gedruckten Ausführungen im speziellen gar nichts gemeinsam, außer etwa, dass wir Beide uns der „Zweck- mäßigkeit“ der Lebenserscheinungen gegenüber nicht wie unsere „modernen“ Forscher, die es dem Vogel Strauß nachmachen, verhalten, sondern in ihr etwas fundamentales sehen. Aber auch, wenn man aus Bunge’s kurzer Skizze einen kri- tischen Vitalismus herauslesen will d. h. die Statuierung einer besonderen Art der Gesetzlichkeit für die an lebend genannten Körpern beobachteten Vorgänge, auch dann ist das von mir Gedruckte seiner Ansicht im einzelnen fremd; denn, wie oft gesagt, die Vorgänge an 1) Eine weitere Diskussion des Begriffs der Möglichkeit, den auch Dreyer in seiner Schrift berührt, gehört nicht hierher. Sagen wir hier nur allgemein dieses eine, dass uns Latenzen als Bestandteile der ideellen, nicht-historischen, be- griffliehen, nach Dreyer: „mechanistischen“ Charakterisierung (Beschreibung) von Erfahrungsgegenständen zulässig zu sein scheinen; in diesem Sinne sind sie „wirklich“, „thatsächlich“, | Driesch, Die Maschinentheorie des Lebens. 367 Lebewesen an und für sich sind mir nichts spezifisch neues, sondern nur ihre auf der gegebenen, über kausale Reflexion erhabenen Struktur beruhende Kombination, von der wir bildlich sagen, dass der Bildungs- trieb sie gemacht hat (Perfectum). Was nun Rindfleisch angeht, so hat er uns durch seinen Lübecker Vortrag die Auseinandersetzung leieht gemacht: diese meta- physisch - theologischen Erörterungen haben mit dem Problem des Vitalismus nicht das mindeste zu thun, ja, haben es gar nicht erkannt. Man wolle uns doch mit dem Worte „Neovitalist“ verschonen: Bunge hat seine Ansicht, Ich habe meine Ansicht, ein dritter hat eine dritte Ansicht über das Fundamentale des Lebens. Wenn diese Ansichten negatives gemeinsam haben, sind sie deshalb identisch, oder auch nur ähnlich? Man möchte aber gern, wo immer es nur angeht, die Existenz einer „Schule“, hier also einer „Schule des Neo- Vitalismus“ statuieren, da man es nun einmal ganz und gar nicht be- greifen kann, dass es auch Leute gibt, die sich selbst ihre Schule sind. Ich weise also die Gemeinschaft der von mir gedruckten Ansichten mit dem alten Vitalismus, mit den Ansichten Bunge’s und ganz be- sonders mit den Worten Rindfleisch’s durchaus zurück. Wenn ich aber das thue, so will ich damit nicht meine Ansicht, die Maschinentheorie des Lebens, als richtig verteidigen, sondern nur klar stellen, wasich gesagt habe; dasallein ist ja überhaupt der Zweck dieses Aufsatzes. Ich selbst habe wohl die größten Bedenken gegen die Zulässig- keit meiner Auffassung, meiner formal-teleologischen Maschinentheorie. Ich selbst bin mir des Ungeheuerlichen, was in der Annahme liegt, jeder Vorgang der Ontogenese, der Physiologie, der Regeneration sei physiologisch-chemisch im Ei, im Organismus vorbereitet, wie der Effekt an einer Maschine in ihr vorbereitet ist, durchaus klar. Aber war es nicht lohnend, die Maschinentheorie einmal zu Ende durchzudenken, die geforderten dreifachen Harmonien der postulierten Tektonik auf- zudecken; kurz sich einmal zu sagen. was man eigentlich meint, wenn man spezifische Gesetzlichkeiten der Lebensgeschehnisse verwirft? War nicht die mit diesem Durchdenken verbundene Analyse!) des Lebens- geschehens an und für sich von Wert? 4) Diese war mir hinsichtlich der Entwieklungsvorgänge der Hauptzweck bei Abfassung meiner „Analytischen Theorie“, wie ja schon der Name sagt, und der rein analytische Teil derselben (der ganze Teil I mit Ausnahme von Kap. III $ 8, von Teil II $5 u. 6) wird seinen Wert behalten, gleichgiltig ob meine Maschinentheorie steht oder fällt.. Obwohl aber für Viele aus diesen analytischen Darlegungen und Problemaufstellungen etwas zu lernen gewesen wäre, hat man sie vornehm ignoriert und sich neben Einzelheiten gerade an 368 Samassa, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese“. Mein Bildungstrieb ist, wie gesagt, nur im Perfeetum thätig ge- wesen, er „hat“ alles zweckmäßige gemacht, vorgesehen: ließe sich das unbefriedigende dieser Ansicht, die uns so vieles „statisch ge- geben“ sein lässt, die uns zumutet, mit so ungeheuer vielen und doch (darin liegt die Hauptschwierigkeit) bestimmt beschränkten harmo- nischen Latenzen unsere „Strukturen“ auszustatten, nicht durch eine echt „vitale“ Theorie aufheben? — Hat etwa die strikte Durchführung der Maschinentheorie sie selbst aufgehoben? — Aber kritisch-fundiert wird eine „Vitaltheorie“ sein müssen; dog- matischer „Monismus“ nützt uns nichts. Psyche und Welt bleiben, trotz der Unanfechtbarkeit subjektiv-idealistischer Lehren, für die Erfahrungs- welt und Erfahrungswissenschaft Gegensätze; die Lebensvorgänge ge- hören zur „Welt“. Doch genug der Andeutungen und der Ausblicke in geahnte Ge- biete des wissenschaftlichen Denkens. Erwarten wir das Schicksal der „Lebenkraft“ von der Zukunft, und sagen wir jetzt nur noch das eine, dass nämlich diese „Lebenskraft“ jedenfalls keine „Kraft“ d. h. keine spezifische Energieart ist. Aber was ist sie dann? — Neapel, im Januar 1896. Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese“. Von P. Samassa in Heidelberg. Vor Kurzem erschien in dieser Zeitschrift ein Aufsatz F. v. Wag- ner’s!), der sich mit ©. Hertwig’s?) Entwicklungstheorie kritisch beschäftigt. Den Einwürfen die F. v. Wagner Hertwig insbesondere bezüglich seiner Ansicht über die Einwirkung der äußeren Bedingungen auf die Formbildung macht, kann ich um so mehr zustimmen, als ich selbst in einer kurz vor dem Aufsatze v. Wagner’s erschienenen jenen $ 8 gehalten! Den Inhalt jenes Paragraphen allein, dass ich im Kern ein Fermentgemisch sähe, begriff man, hier war man auf altbekanntem Terri- torium; man freute sich, ihn recht absurd und unwahrscheinlich finden zu können, ohne zu ahnen, dass für mich selbst dieser Paragraph nur ein anschau- liches Abschlussbild war, weiter nichts, für das sich vielleicht 10 andere hätten erdenken lassen. Den analytischen Gehalt, der auch diesem Paragraphen nicht ganz fehlt, hat nur Garbowski erfasst, sonst aber, so scheint mir, ist es keinem auch nur im Geringsten klar geworden, wozu ich meine „Analytische Theorie“ überhaupt schrieb. Beiläufig sei hier bemerkt, dass die an meine Organzellenarbeit (A. E.M. II) sich anschließenden Erörterungen absichtlich ganz im Geiste der „Analytischen Theorie“ gehalten sind und daher auch von der „Maschinentheorie* einige Streiflichter abbekommen haben. 1) F. v. Wagner, Einige Bemerkungen zu O0. Hertwig’s Entwickluugs- theorie. Diese Zeitschr., Bd. XV, Nr. 21 u. 22. 2) 0. Hertwig, Präformation oder Epigenese? Jena 1894, Samassa, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese“. 369 Arbeit !) ganz ähnliche Gesichtspunkte geltend gemacht habe. In dem letzten Abschnitte, in dem v. Wagner die Resultate seiner Kritik zusammenfasst, braucht der Autor aber die Worte „Evolution“ und „Epigenese“ mit einem Begriffsinhalt, der von dem herkömmlichen völlig abweicht; er glaubt schließlich den Prozess für die Evolution ganz gewonnen zu haben, während es weiter nichts gethan hat, als die Grenzsteine zwischen den beiden Begriffen so zu verschieben, dass die Epigenese fast vollständig unter den Begriff der Evolution fällt. Da ein solches Verfahren notwendig zu den größten Verwirrungen in der Terminologie führen muss, will ich im Nachstehenden auf den Inhalt der erwähnten beiden Begriffe etwas näher eingehen. Nachdem F. v. Wagner die Ansicht, dass die äußeren Ursachen für die Entwicklung maßgebend sind, zurückgewiesen hat, kommt er zu folgenden Schlüssen: „Die Ursachen der Embryonalentwick- lung sind“ nur einartige, innere, im Keime gelegene“. „Ursächlich gefasst ist daher die Letztere (se. die individuelle Entwicklung) unter allen Umständen eine Evolution und keine Epigenese“. Die beiden Sätze genügen um zu zeigen, dass nach der Ansicht v. Wagner’s die Evolution jene Lehre ist, die die Ursachen der Entwicklung in den Keim verlegt, während die Epigenese sie in den äußeren Umständen sucht. Sehen wir nun zunächst, welche Bedeutung die beiden Begriffe in ihrer ursprünglichen Anwendung im vorigen Jahrhundert hatten. Die Evolutionisten ?) behaupteten, dass im Ei der Organismus der Form nach bereits vorgebildet sei; dem gegenüber behauptete der Vertreter und Neubegründer der Epigenesistheorie, Caspar Friedr. Wolff?), dass während der Entwicklung die Formen erst gebildet werden durch die vis essentialis und die solidesecibilitas. Weder in der einen noeh in der andern Begriffsbestimmung spielen die äußeren Um- stände irgend eine Rolle; die Vertreter beider Theorien sehen die Ursachen der Entwicklung ausschließlich im Ei (bezw. im Samen). Nun haben natürlich beide Begriffe in der Gegenwart einen ver- änderten Inhalt bekommen; der Neu-Evolutionismus Weismann’s verzichtet auf die formale Vorbildung des Organismus im Ei; er nimmt aber an*), dass jeder „selbständig und erblich verändernde Teil des 4) P. Samassa, Studien über den Einfluss des Dotters auf die Gastru- lation und die Bildung der primären Keimblätter der Wirbeltiere II. Amphibien. Arch. f. Entwicklungsmechanik, II. Bd., 1895. 2) Im Gegensatz zur Evolutionslehre nahm die Präformationslehre die Vor- bildung des Organismus im Samen an; beide Theorien wurden als Systemata praedelineationis der Epigenesis gegenüber zusammengefasst. Gegenwärtig wird häufig der Ausdruck Präformationslehre für die Evolutionslehre im neueren Sinne gebraucht. was aber zu Bedenken kaum Anlass gibt. 3 Theoria generationis. Halle 1759. 4) Weismann A., Das Keimplasma. 1892. XVlI 24 370 Samassa, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese*. Körpers“ durch einen besondern materiellen, räumlich begrenzten Träger (Determinant) im Keimplasma vertreten sei; es werden also bestimmte Teile des erwachsenen Organismus auf bestimmte, räumlich begrenzte Teile des Eis projiziert; hierin liegt die unverkennbare Verwandtschaft des Neu-Evolutionismus mit der Evolutionslehre des vorigen Jahr- hunderts und begründet es völlig, dass man den Namen der letzteren auf die erstere übertragen hat. Was nun die Epigenese anbetrifft, so sieht die moderne Fassung des Begriffs von der vis essentialis und der solideseibilitas ab; er beschränkt sich auf die Annahme, den die verschiedenen Teile des Organismus, nicht auf die Wirkung verschiedener Teile in der Anlagesubstanz zurückzuführen sind, sondern dass während der Ent- wicklung selbst erst eine zunehmende Komplikation entsteht. Darüber ob die Faktoren, die diese Komplikation bewirken, im Ei oder außer- halb derselben gelegen sind, ist damit gar nichts ausgesagt, es kann demnach eine epigenetische Entwicklungstheorie geben, welche die Einwirkung der äußeren Bedingungen auf die spezifische Entwicklung völlig ausschließt. Dass der hier gegebene Begriff der Epigenese der gebräuch- liche ist, dafür möchte ich nur die beiden bedeutendsten Vertreter der evolutionistischen Theorie anführen. Weismann schreibt!): „ich versuchte deshalb einen Bau der Keimsubstanz auszudenken, der minder verwickelt sei, indem er sich erst während der Entwicklung komplizierte. Mit andern Worten, ich suchte nach einer Keimsubstanz, die durch Epigenese und nicht durch Evolution den Organismus aus sich hervortreten lasse“. In ganz derselben Bedeutung finden wir den Begriff der Epigenese bei Roux?); nachdem er aufGrund seiner Experimente zu dem tesultate gekommen ist, dass die äußeren Einflüsse keinen bestimmenden Einfluss auf die Formbildung des Embryos besitzen und „dass wir die gestaltenden Kräfte bloß im befruchteten Ei selber zu suchen haben“ setzt er auseinander wie von dem so gewonnenen Standpunkte aus, eine evolutionische Entwicklung einerseits, eine epigenetische andrerseits zu denken sei. Er charakterisiert die letztere dann vortrefflich mit folgenden Worten (l. ec. S. 427): „Wenn dagegen die Entwicklung wesentlich durch Wechselwirkung aller oder vieler Teile vor sich geht, so braucht umgekehrt das be- fruchtete Ei nur aus wenigen verschiedenen Teilen zu bestehen, welche durch wechselndes Zusammenwirken nach und nach große Kompli- 4) lc SxI 2) Roux W., Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryos. Zeitschr. f, Biologie, Bd. 21, 1885. v. Lendenfeld, Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen. 374 kationen schaffen. Die Entwicklung ist dann wesentlich Produktion von Mannigfaltigkeit, Epigenesis in unserem Sinne“. Aus dem Vorstehenden geht doch wohl zur Genüge hervor, dass man bisher die Worte „Evolution“ und „Epigenese“* in einem ganz anderen Sinne gebraucht hat, als dies v. Wagner thut; v. Wagner hätte daher doch mindestens bemerken und begründen müssen, dass und warum er das thut. Da dies aber nicht der Fall ist, so muss der mit dem Gegenstande minder Vertraute der Täuschung verfallen, dass v. Wagner die Worte „Evolution“ und „Epigenese“ mit dem herkömmlichen Begriffsinhalte gebrauche; er wird dann wohl auch dem Schlusse v. Wagner’s zustimmen müssen, dass die Epigenesis nunmehr definitiv widerlegt und ihr nur als „Denkgewohnheit“ noch für einige Zeit ein kümmerliches Dasein beschieden sei, während sich v. Wagner in dem genannten Aufsatze mit dem Problem der Epigenesis de facto gar nicht beschäftigt hat. Dieser Konsequenz zu begegnen, war der Zweck der vorstehenden Zeilen; dass die Thatsachen der Entwicklung einer epigenetischen Auffassung derselben nicht im Wege stehen, habe ich an anderer Stelle bereits zu zeigen versucht!). R. Hesse’s Untersuchungen über das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen?). Von R. v. Lendenfeld in Üzernowitz. Hesse hat die Randkörper und Nerven von Pilema pulmo (Rhixostoma cuvieri) und eimiger anderer Scheibenquallen untersucht. Der Pilema- Raudkörper wird größtenteils von einem Sinnesepithel bekleidet, welches aus Sinnes- und Stützzellen besteht. Die ersteren entsenden je einen oder inehrere Basalausläufer und tragen distal je eine Geißel. Die Basalausläufer der Sinneszellen verflechten sich innerhalb der Region „ihrer Zellkörper zu einem dichten Nervenfilz“, welcher nicht unter dem Epithel, sondern die Stiele der Epithelzellen umspinnend innerhalb des Epithels liegt. Nur an der!Dorsalseite des Randkörperendes ist das Epithel niedrig (kubisch), sonst überall hoch (zylindrisch), am höchsten (dicksten) an seinen Seiten. Die Fasern des Nervenfilzes häufen sich an den Seiten des Rand- körpers an und laufen hier von der Spitze gegen die Basis (Randkörper- Wurzel oder -Stiel),. An den seitlichen oder hinteren Teilen des Rand- körpers finden sich zahlreiche Ganglienzellen, mit leicht nachweisbaren Kernen. Im Entoderm des Grundes jenes Gastrovasculardivertikels, welcher in den Randkörper eindringt, liegt der Otolithenhaufen. Bisher ist dieser als solid aufgefasst worden, Hesse zeigt nun, dass er bei Pilema pulmo hohl ist, indem vom Randkörperlumen aus ein enger, distal geschlossener Kanal in ihn eindringt. Bei Cotylorhixa ist dieser Otolithenkanal weniger I)elu6; 2) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 60, S. 411—457, Taf. 20—22. 245 372 v. Lendenfeld, Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen. deutlich, und er dürfte bei andren Formen, wie bei den von mir unter- suchten australischen Rhizostomen ganz fehlen. Während ich den Ötolithen- haufen der australischen Rhizostomen als ein vielschichtiges Epithel auf- fasste, in dessen polyedrischen, subepithelialen Elementen die einzelnen Ötolithen liegen, schildert Hesse denselben als ein einschichtiges Entodermepithel in dessen hohen und schlanken, sämtlich die Oberfläche erreichenden Elementen die Otolithen gebildet werden. Der Boden der sogenannten „Riechgrube“, welche in die Dorsalfläche der Umbrella über dem Randkörper eingesenkt ist, erscheint durch eine nur ganz dünne Gallertlage von der Randkörperwurzel getrennt. Diese dünne Trennungsplatte, in welcher ich (bei den australischen Rhizostomen ) multipolare Zellen mit anastomosierenden Ausläufern gefunden habe, wird nach Hesse bei Pilema pulmo von Nervenfäden quer durchsetzt, welche eine Verbindung zwischen dem Nervenfilz der Riechgrube mit einem Nerven- filze herstellen, der das Randkörperrohr an einer Ursprungsstelle umspinnt. Letzterer liegt unter dem Entoderm. Er fehlt bei Cotylorhixa. Von der Decke der Randkörpernische von Prilema pulmo ragt — proximal vom Randkörper — ein radial verlaufender Kamm empor. Dieser Kamm sowohl, wie auch die übrigen Teile der Nischen-Decke hinter dem Randkörper, werden von Sinnesepithel bekleidet und dieses breitet sich auch ziemlich weit nach den Seiten aus. Im Nervenfilz dieses Epithels liegen zahlreiche Ganglienzellen: am häufigsten sind sie in der Nähe des Kammes und in der Umgebung der Randkörperwurzel. Diese Ganglien- zellen scheinen nur zwei Fortsätze zu besitzen. Hesse fasst sie als das nervöse Öentralorgan auf und giebt an, dass die Fasern der Nervenfilz- schichte nach demselben zusammenlaufen. Die von den Epyralappenkanälen randkörperwärts abgehende (ento- dermale) Gefässlamelle zieht zum Ektoderm der Randkörpernischen-Seiten und stößt hier an das Ektoderm. Von dem Nervenfilz der Riechgrube, namentlich von einer besonders differenzierten Stelle desselben — mit Kernen — und von ihrem Grunde, treten zahlreiche Nervenfäden in die Gallerte ein. Das sind dann die Fäden, welche das Sinnesepithel der Riechgrube mit dem Randkörper verbinden. Hesse glaubt in ihnen allein die Verbindung zwischen beiden sehen zu sollen und leugnet, dass jene, wie oben erwähnt, von mir bei austra- lischen Rhizostomen beobachteten und von Hesse auch bei Piema auf- gefundenen anastomosierenden multipolaren Zellen dieser Gallertpartie ner- vöser Natur seien. In Bezug hierauf hat er einige Worte von mir zitiert, welche, aus dem Zusammenhange gerissen, nicht den richtigen Eindruck machen. Ich möchte deshalb hier die ganze Stelle, welcher jenes Zitat entnommen ist, wiedergeben. Sie lautet: Es liegt sehr nahe, in diesen Zellen Ganglienzellen zu vermuten und ich bin in der’'T'hat geneigt, sie als solche in Anspruch zu nehmen und in der von ihnen gebildeten Gruppe das eigentliche nervöse Zentralorgan des ganzen um den Randkörper gruppierten Apparates zu sehen. Freilich ist dies eine Hypothese, die jedes thatsächen Beweises entbehrt, .... .“ Hesse sagt nun (8. 436), dass ich diesen Zellenhaufen als Zentral- organ betrachte. So bestimmt habe ich mich, wie aus obigem Zitat hervorgeht, keineswegs geäußert, sondern diese Ansicht möglichst reserviert v. Lendenfeld, Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen. 373 angedeutet und weiterhin einige, gewichtige, gegen dieselbe vorzubringende Einwendungen angeführt. Ich habe dabei die Frage nach dem Zentral- organe mehr gestellt als beantwortet, und wenn es sich herausstellen sollte, dass bei allen Medusen mit Riechgruben eine Verbindung derselben mit dem Randkörper durch, die Gallerte durchsetzende Fäden, vorkommt, von Fäden, welche mit diesen Zellen nicht im Zusammenhage stehen, so werde ich nicht länger geneigt sein sie als Ganglienzellen anzusehen. Es ist ‘aber der Nachweis solcher Nervenfasern bei andren Medusen noch keineswegs erbracht, und selbst bei Pilema pulmo von Hesse nicht bewiesen worden, dass diese von ihm beobachteten Fäden wirklich Nerven- fäden sind. Ganz die gleichen Fäden habe ich schon vor 14 Jahren unter der Riechgrube von Uyanea beobachtet, eingehend beschrieben und abgebildet sowie auch darauf hingewiesen, dass es Nervenfäden sein könnten. Aber mir fehlte damals jeglicher Beweis für diese Annahme und Hesse hat für Prlema, wie gesagt, auch keinen solchen geliefert. Die Ergebnisse über seine Untersuchung des „peripherischen“ Nervensystem fasst Hesse in folgenden Worten zusammen: „Das peripherische Nerven- system der Rhizostoma“ (Pilema pulmo) „breitet sich auf der Subumbrellar- seite aus. Es besteht in einem ausgedehnten Geflecht von Nervenfasern, welehe Ausläufer bipolarer Ganglienzellen sind. Die Fasern zeigen eine bestimmte Anordnung, oder sagen wir eine Bevorzugung bestimmter Straßen und stehen zu den inneren Sinnesgruben mit ihren Nervenzentren in einer gewissen Beziehung.“ Er fand helle Fasern, welche von den Randkörpern zentripetal ver- laufen und eine Zusammensetzung aus feinen parallelen Fibrillen erkennen lassen. Flüssige Osmiumsäure schwärzte sie weniger als andre Gewebe- teile, wohl aber wurden sie durch Osmiumdämpfe geschwärzt. Methylen- blau sowie Chromsilber und Gold gaben keine positiven Resultate. „Je- doch“, meint Hesse (p. 438), „spricht das Versagen dieser Mittel durch- aus nicht gegen die nervöse Natur der Fasern Jede dieser Fasern ist als Ausläufer einer bipolaren Zelle anzusehen. Sie stimmen im übrigen mit den von mir seinerzeit bei Oyanea annaskala aufgefundenen und ale Nerven beschriebenen Fäden überein. Von den Nervenfäden und auch von den Muskeln der Subumbrella sagt Hesse, dass sie innerhalb (nicht unterhalb) des Epithels liegen, weil die Stiele der Epithelzellen zwischen denselben hindurch bis zur Gallerte hinabziehen. Hierauf legt Hesse großes Gewicht und stellt diesen Ausspruch in Gegen- satz zu den Angaben andrer Autoren — auch von mir — wonach diese Elemente subepithelial, also unter dem Epithel liegen. Ich muss offen gestehen, dass Hesse da einen Gegensatz hervorhebt, der gar nicht besteht, indem er den Worten „in“ und „unter“ eine ungewöhnliche Be- deutung beimisst. Obwohl die Stiele der Epithelzellen durch die Nerven- und Muskelzellen-Lagen durchgehen, liegen die letzteren doch unter dem Epithel, denn man sagt nicht kr Keller liegt im Hause, sondern unter dem Hause, obwohl lie Grundmauern des Hauses bis unterhalb des Keller- bodens hinabreichen. Bei Cotylorhixsa fand Hesse die gleiche Doppelfaltung der subum- brellaren Muskelplatte, welche ich bei den australischen Rhizostomen ent- deckt hatte, wieder. Es scheint jedoch hier die Entwicklung derselben 374 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. nicht so weit gegangen zu sein, da die primären Falten nicht — wie bei den australischen Formen — mit Gallerte angefüllt ist. Die Nervenbündel der Subumbrella der Pilema pulmo ziehen nach Hesse unter den acht Radialkanälen zentripetalwärts bis zum Ringgefäße und lösen sich hier in zirkulär verlaufende Fasern auf. Sowohl von diesen wie von den Radialfasern gehen Zweige ab, welche netzartig ein loses Geflecht auf der Subumbrella bilden. Schließlich betrachtet Hesse die physiologischen Versuche Eimer’s im Lichte seiner histologischen Befunde. Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Eine Untersuchung über die Phylogenie des Brutparasitismus und der Ei- charaktere des Kuckucks. Von Wilhelm Haacke. (Viertes Stück.) Hier könnte man aber fragen, warum man überhaupt nur ganz vereinzelt Kuckuckseier in Meisennestern und bei anderen Vögeln, die sich dem Kuckucksei gegenüber ähnlich verhalten, wie die Meisen, auf- findet. Die Antwort ist die, dass der Kuckuck seine Bier, wenn er kann, wieder in ein Nest der Vogelart legt, zu der seine eignen Pflege- eltern gehörten, dass man also in der Regel nicht erwarten kann, Kuckuckseier in Nestern von Vogelarten anzutreffen, deren Angehörige sich nicht zum Ausbrüten des Kuckuckseies bewegen lassen. Die meisten Kuckucksweibchen, sagt Rey, pflegen ihre Bier nur bei einer bestimmten Vogelart unterzubringen und legen nur im Notfall in die Nester anderer, zunächst, was wir uns merken wollen, ähnlich bauen- der Arten, und nach Baldamus bevorzugt das Kuckucksweibchen Nester von der Art seiner eignen Zieheltern, wenn es solche in seinem Revier in passendem Zustande aufzuspüren vermag. Man muss näm- lich nach Baldamus annehmen, dass das Kuckucksweibchen, ehe es seine Wahl des Pflegernestes trifft, sämtliche oder doch nahezu alle Pflegernester seines Gebietes aufgespürt hat, und dass die Wahl des Kuckucks durch die Beschaffenheit der Pflegernester wesentlich ein- geschränkt wird. Das Erkennen der Pflegeelterg durch das Kuckucks- weibehen, vielleieht auch durch das Männchen, erschiene durchaus nicht wunderbarer, als z. B. das Wiedererkennen desselben Nestes seitens der Schwalben, oder des Nistplatzes seitens der Fliegenschnäpper und der meisten andern Vögel. Schon Leonhard Frisch habe be- obachtet, dass gleich andern Vögeln auch der Kuckuck seine Heim- stätte gern wieder aufsuche. Wenn der Kuckuck im Frühling nach seinem Geburtsjahr aus seinem Winterquartier wiederkehre, so besuche er den Ort, wo er ausgebrütet worden sei, und wenn er seine Pflege- mutter fände, spiele er nach Frisch’s Beobachtung viele Tage mit ihr. Baldamus beobachtete mehrere Jahre lang mehrere Kuckucke, die regelmäßig ihre Eier in die Nester von Wiesenpiepern legten, be- Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 37 sonders ihre ersten Eier, aber niemals fand er ein Kuckucksei in den Nestern von Brachpiepern, die unmittelbar an den Brüchen, in welchen er die Wiesenpiepernester fand, auf großen Sand- und Haide- flächen ebenso häufig nisteten; ebensowenig in denen des Baumpiepers. Die Standreviere der einzelnen Kuckuckspaare erstrecke sich zwar auch selten oder vielleicht niemals über mehrere von einander stark abweichende Terrain- und Vegetationsgebiete, an welche manche Pfleger- arten mehr oder weniger ausschließlich gebunden seien. Gleichwohl hat Link nach Baldamus berichtet, dass die in der Nähe eines von Teiehrohrsängern bewohnten im Wald befindlichen Teiches ansässigen Kuckucke niemals jene als Pfleger benutzten, sondern stets zu den Wald- vögeln, Rotkehlehen und anderen, ihre Zuflucht nahmen. Wahrscheinlich seien, so meint Baldamus, Teich und Rohr in dem von Link durehsuchten Wald erst später entstanden, wenigstens das Rohr, und die Kuckucke seien bei ihren altgewohnten Pflegerarten geblieben. Mit alledem will es nun freilich nicht recht stimmen, wenn Baldamus annimmt, dass der Kuckuck zumeist diejenigen Pflegerarten wähle, welche in dem von ihm behaupteten Revier am zahlreichsten brüteten. Wenn wir von Baldamus erfahren, dass Walter bei Wittenberg an der Elbe in 10 Jahren 60 Kuckuckseier unter 62 überhaupt von ihm er- haltenen in Rohrsängernestern gefunden habe, von denen sieb etwa die Hälfte in denen des dort sehr häufigen Sumpfrohrsängers und die andere in Nestern des ebenso häufigen Schilfrohrsängers, aber nur wenige in denen des weniger häufigen Teichrohrsängers gefunden hätten, dass Walter ferner bei der Oberförsterei Reihersdorf, Kreis Templin in der Mark, binnen 14 Jahren den Zaunkönig ungefähr 150 Mal, die weiße Bachstelze dagegen nur 20 Mal, die Gartengras- mücke zwölfmal, den Weidenlaubvogel viermal, und Mönchs-, Dorn- und Zaungrasmücke nur je einmal als Pfleger entdeckte, dass er weiterhin bei Neustadt an der Dosse meistens die Mönchs- und Garten- grasmücke und in nur einem Jahre den Neuntöter als alleinige Pfleger der dortigen Kuckucke und in einer guten halben Stunde vier Kuckucks- eier in Nestern des Nenntöters gefunden, und dass Thiele in der Umgegend von Dessau acht- oder neunmal das Gartenrotschwänzehen als Pfleger des Kuekucks beobachtet habe, brauchen wir es noch keineswegs mit Baldamus als erwiesen anzunehmen, dass der Kuckuck bei der Pflegerwahl die am häufigsten vertretenen geeigneten Arten bevorzugen werde, am wenigsten dann, wenn deren Häufigkeit, wie es öfters vorkommt, eine ausnahmsweise ist. Das wird der Kuckuck nach allem, was wir sonst von Baldamus selbst erfahren, nur dann thun, wenn er in Nestern der betreffenden häufigen Vogelarten groß geworden ist. Und wenn einmal eine vom Kuckuck benutzte Pflegerart in einem Jahre, wie nach Baldamus Mitteilungen im Frühjahr 1867 das Gartenrotschwänzchen bei Halle a./S. und 1359 der Trauerfliegen- 376 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. fänger bei Osternienburg, über alle Maßen häufig ist, und wenn wir in den zahlreichen Nestern solcher in einem Jahre besonders häufiger Pfleger auch oft Kuckuckseier finden, so müssen wir schließen, dass die Ursachen der plötzlichen Häufigkeit einer Pflegerart, die ja ein Jahr lang zurückliegen müssen, auch der Häufigkeit des Kuckueks zu Grunde liegen. Ueberdies werden Kuckucke, die etwa in Gartenrot- schwänzehennestern groß geworden sind, nicht dazu gedrängt werden, ihre Eier in die Nester anderer Arten zu legen, wenn ihnen einmal oder dauernd Gartenrotschwanznester im Ueberfluss zu Gebote stehen. Wir können deshalb auch Baldamus nicht beipflichten, wenn er meint, dass die bekannte „Vorliebe“ unseres Kuckucks für Pfleger, die überwölbte, überdeekte und überhaupt geschützte Nester bauen, mit der lokalen relativen Häufigkeit der betreffenden Arten zusammen- hänge, während in zweiter Linie die Sicherheit soleher Nestanlagen maßgebend für ihn sei. Vielmehr sind wir anzunehmen genötigt, dass weder diese Sicherheit noch die Anzahl der betreffenden Pfleger be- sonders maßgebend für den Kuckuck ist, sondern vor allem seine eigne Herkunft. Schwer, wie Rey meint, ist es deshalb auch nieht, zu ver- stehen, dass oft ganz allgemein verbreitete Vögel an einem Orte häufig vom Kuckuck angenommen werden, die er nicht weit davon selten oder gar nieht berücksichtigt. Das wird nämlich — und hiermit kehren wir zur weiteren Behandlung der Frage nach der Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit manchen Pflegereiern zurück — folgendermaßen ge- kommen sein: Die Kuckuckseier waren, wie wir gesehen haben, ursprünglich blaugrün, wie es noch heute die meisten in Gartenrotschwanznestern gefundenen Kuckuckseier sind, und sie wurden, als der Kuckuck zum Brutparasitismus überging, in Pflegernester mit blaugrünen Biern unter- gebracht, wie es die des Gartenrotschwanzes und bemerkenswerterweise auch die der Vögel sind, die Coceygus americanus heimsucht, der gerade im Begriff ist, ein Parasit zu werden. Der seine Heimat liebende und stets wieder zu ihr und meist auch zu Vögeln seiner eignen Pflegerart zurückkehrende Kuckuck war aber über ein sehr ausgedehntes Gebiet verbreitet, das in verschiedenen Zonen und Gegenden sehr verschiedene und zum großen Teil gut charakterisierte Oertlichkeiten bot, die um- bildend auf Färbung und Zeichnung des Kuckuckseies einwirkten, d.h. Lokalrassen von Kuekucken erzeugten, die sich namentlich durch die am leichtesten von allen ihren Merkmalen zu beeinflussenden Eikleid- male unterschieden. Aber auch die Eier der ursprünglichen Pfleger, veränderten sich im Laufe der Zeit, und hierdurch, sowie durch die Veränderungen der Kuckuckseier werden diese von den Pflegereiern, in den meisten Fällen wenigstens, verschieden geworden sein. Hatten die Pfleger sie so lange geduldet, als sie noch ihren eignen Eiern einigermaßen ähnlich waren, so wurde das jetzt anders. Die bisherigen Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. NEL Pfleger hörten mit dem Brüten auf, wenn sie ein Ei in ihrem Neste fanden, das anders aussah, als die ihrigen, eine Annahme, die wenig- stens für eine große Anzahl, wenn nicht die meisten Vogelarten ihre Giltigkeit haben dürfte, denn es ist bei den Bedenklichkeiten, die, wie wir gesehen haben, von den meisten Pflegern gegenüber dem Kuckucksei an den Tag gelegt werden, einleuchtend, dass die Pfleger, wenn sie gemerkt haben, dass ihr Heim gestört worden ist, ihre Be- denklichkeiten schwerer überwinden, wenn das fremde Ei von dem ihrigen stark absticht, als wenn es ihnen mehr oder weniger ähnlich ist. Somit ging der Kuckuck allmählich semer ursprünglichen Pfleger verlustig, denn diese weigerten sich, seine Eier auszubrüten. Aber dieser stammesgeschichtliche Prozess ging langsam vor sich, und während seines Verlaufes war der Kuckuck, wie er es noch heute nicht selten ist, des öfteren gelegentlich genötigt gewesen, von seinen gewohnten Pflegern ab- und zu anderen überzugehen, was, wie wir gesehen haben, übrigens auch dadurch erleichtert wurde, dass der Rest des Brutinstinktes, der ihm geblieben war, fortgesetzt degenerierte und dass sich das Erbgedächtnis des Kuckucks für Vogelnester mit blau- grünen Eiern schwächte. Der Kuekuck erinnerte sich, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, nicht mehr der Eier seiner Ahnen und ursprünglichen Pfleger, sondern nur noch der Pflegeeltern seiner eignen Person, deren Art er, wenn es anging, zeitlebens auch für seine eigne Nachkommen- schaft in Anspruch nahm. Legte also einmal ein Kuckucksweibehen, durch diese oder jene Umstände, veranlasst, ein Ei in das Nest einer andern Pflegerart, so blieb die Tochter bei dieser, vorausgesetzt natür- lich, dass es zur Entwicklung der Tochter gekommen war, d. h. dass die neuen zu Pflegern auserkorenen Vögel das betreffende Ei adoptiert hatten. Das wird nun manchmal vorgekommen sein, manchmal aber auch nicht. Es sind nämlich in dieser Beziehung bei jeder Lokalrasse von Kucekucken folgende Fälle denkbar: 1) Das Kuckucksei war den Eiern aller neu in Anspruch genom- menen Nesteignerarten ähnlich und fand a) lauter willige Pfleger, b) lauter empfindliche Pfleger, e) teils willige, teils empfindliche Pfleger. 2) Das Kuckucksei war den Eiern aller neu in Anspruch genom- menen Nesteignerarten 'unähnlich und fand a) lauter willige Pfleger, b) lauter empfindliche Pfleger, ce) teils willige, teils empfindliche Pfleger. 3) Die Eier der neu in Anspruch genommenen Nesteignerarten waren dem Kuckucksei teils ähnlich, teils wnähnlich. Das Kucksei fand a) lauter willige Pfleger, b) lauter empfindliche Pfleger, c) teils willige, teils empfindliche Pfleger. 318 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Im Falle la musste eine Lokalrasse von Kuckucken entstehen, die sich in der Folge an eine oder mehrere Pflegerarten mit Biern hielt, denen die Kuckuckseier durch unabhängige Entwicklung „zu- fällig“, wie wir als Naturforscher sagen müssen, die nichts von einem Schöpfungsplan wissen, mehr oder minder ähnlich geworden waren. Der Fall wird aber kaum jemals eingetreten sein. Im Falle 1b werden nur die am wenigsten empfindlichen Pfleger das Kuckucksei adoptiert haben, namentlich dann, wenn seine Aehnlichkeit mit ihren Eiern sehr beträchtlich oder täuschend war. In diesem Falle entstand eine Kuckucksrasse, die ihre den Pflegereiern äußerst ähnlichen Eiern bei einer oder sehr wenigen Pflegerarten unterbrachte; aber auch dieser Fall dürfte nie eingetreten sein. Fand, wie es der Fall Ice annimmt, das Kuckucksei teils empfindliche, teils unbedenkliche Pfleger, so ent- stand eine Kuckucksrasse, deren Bier denen aller Pfleger zwar im hohen Grade ähnlich sein konnten, den Eiern eines Teiles der Pfleger, aber nicht in demselben hohen Grade ähnlich zu sein brauchten, wie denen des anderen Teiles. Jedoch ist auch dieser Fall ein hypothe- tischer, der niemals eingetreten zu sein braucht. Im Falle 2a, wo das Kuckucksei den Eiern der neu in Anspruch genommenen Nesteigner unähnlich ist und lauter willige Pfleger findet, konnte eine Kuckucks- rasse entstehen, die sich einer größeren Anzahl von Pflegerarten be- dienen konnte, ohne das ihre Eier irgend welchen Pflegereiern ähnlich zu sein brauchten. Dass der Fall aber jemals vorgekommen sei, müssen wir nach allem, was wir wissen, bezweifeln. Fand — Fall 2b — das den Eiern der auserkorenen Vögel unähnliehe Kuckucksei lauter unwillige Pfleger, so musste die betreffende Lokalrasse des Kuckucks aussterben, was möglicherweise dann und wann, wenn auch selten, vorgekommen sein mag, obwohl wir darüber nichts wissen und auch den Fall 2b als höchst unwahrscheinlich annehmen müssen. Der Fall 2e, wo das den Eiern der in Anspruch genommenen Vögel unähnliche Kuckucksei teils willige, teils empfindliche Pfleger findet, ist nicht so unwahrscheinlich, wie die vorhergehenden, und mag öfter vorgekommen sein, wenn auch nicht gerade allzu oft. In diesem Falle kommt es nicht zum Aussterben der betreffenden Lokalrasse des Kuckucks, son- dern es entsteht eine örtliche Rasse, die zwar keine den Eiern ihrer Pfleger ähnliche Eier legt, aber sich hält, weil sie unter den von ihn heimgesuchten Vogelarten, willige Pfleger gefunden hat. Die unter 3 aufgeführten Fälle sind wahrscheinlicher als die unter 1 und 2, weil es bei der großen Anzahl verschiedener Charaktere, die das Kuckucksei von vornherein anzunehmen befähigt war, öfter vorgekommen sein muss, das die Eier der heimgesuchten Vogelarten ihm bei den einen Arten ähnlich, bei den andern unähnlich waren. Trat nun der Fall 3a ein, der übrigens auch noch nieht sehr wahrscheinlich ist, weil er lauter willige Pfleger annimmt, so entstand eine Lokalrasse, deren Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 379 ständige Pfleger teils den Kuckuckseiern ähnliche, teils ihnen unähn- liche Eier legten. Im Falle 3b, der in Bezug auf seine Wahrschein- lichkeit mit dem Fall 3a auf gleicher Stufe stehen dürfte, wird das den Nesteignereiern unähnliche Kuckucksei von den Pflegern, die alle empfindlich sind, zurückgewiesen; das Kuckucksei wird aber von einer oder von etlichen heimgesuchten Arten angenommen in den Fällen, wo es den Eiern der betreffenden Vögel in genügendem Grade ähnlich ist. Wahrscheinlich werden sich aber nicht sehr viele Arten finden, wo dieses zutrifft. Die zwar bedenklichen Vögel nehmen aber gegebenen- falls das Kuckucksei an, weil es den ihrigen ähnlich ist und sie des- halb nieht stört. Es entsteht eine Kuckucksrasse, die sich hält, wenn auch mit einiger Mühe. Der Fall 3c, der komplizierter ist, als die vorhergehenden, ist von allen der wahrscheinliehste und dürfte bei der großen Mehrzahl der örtlichen Rassen des Kuckucks, wenn nicht bei allen, eingetreten seien. Er lässt folgende Unterfälle zu: «@) Das den Nesteignereiern ähnliche Kuckucksei findet willige ‘ Pfleger. ß) Es findet unwillige Pfleger. y) Das den Nesteignern unähnliche Kuckucksei findet , willige Pfleger. ö) Es findet unwillige Pfleger. Demgemäß müssen bei jeder der betreffenden Lokalrassen folgende Kategorien von Pflegerarten ständig werden: 1) Solehe, die das den ihrigen ähnliche Kuckucksei ohne Weiteres annehmen. Das Kuckucksei ist durch unabhängige Entwicklung den Eiern der Nesteigner „zufällig“, wie wir uns ausdrückeu, ähnlich geworden. 2) Pfleger, die das Kuckucksei, nur deshalb annehmen, weil es den ihrigen ähnlich ist. 3) Pfleger, die das Kuckucksei annehmen, obwohl es ihren eignen Eiern unähnlich ist. Natürlich wird zwischen willigen und empfindlichen, beziehungsweise unwilligen Vögeln überall, wo es zahlreiche Arten gibt, eine Abstufung bestehen. Es wird ganz willige, weniger willige, aber nicht allzubedenkliche, bedenklichere und sehr empfindliche, schließ- lich auch solehe Arten geben, die das Kuckucksei unter keinen Um- ständen adoptieren. Ein sehr williger Pfleger ist z. B. die Hecken- braunelle, die, wie ich bei Newton (A Dietionary of Birds, London, 1893) finde, verschiedenartige Experimente über sich ergehen lässt und z. B. Rotkehleheneier, die von den ihrigen sehr verschieden sind, und ebenso auch das Kuckucksei, das meistens von ihren Eiern stark ab- sticht, geru ausbrütet. Ein Vogel, der das Kuckucksei dagegen unter allen Umständen zurückweist, scheint der sibirische Gimpel (Uragus sibirieus) zu sein, wie wir, laut Baldamus und Rey, von Dy- bowski wissen. Natürlich kann auch der Fall eintreten, dass das Kuckucksei den Eiern einer andern Vogelart sehr ähnlich ist, aber gleichwohl nicht adoptiert wird, weil die Vögel der betreffenden Art, zu denjenigen gehören, die von dem Kuckucksei durchaus nichts wissen 380 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. wollen, während es von Vögeln anderer Art, die ganz andere Eier legen, unbedenklich angenommen wird. Für diesen sonderbaren Fall bietet gerade die Kuckucksrasse, die Dybowski in Sibirien antraf, ein ausgezeichnetes Beispiel. Die blauen, schwarzgefleckten Eier dieser Rasse wären, wie Baldamus mitteilt, sichtlich für den obengenannten Uragus sibirieus „vorbereitet“ gewesen, dieser zerstöre aber sein Nest, um dessen Materialien zu einem andern zu verwenden, wenn er ein Kuckucksei darin träfe; dagegen würde das für den Gimpel „bestimmte“ Kuckucksei von einem Laubvogel, Phylloscopus fuscatus, ausgebrütet, obwohl es mit dessen Eiern keine Aehnlichkeit hätte. Nach allem obigen erklärt sich nunmehr die häufige Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit den Eiern der Pfleger aus der durch Thatsachen wohlbegründeten Annahme, dass die Angehörigen der meisten Vogel- arten fremde Eier im Neste als solche erkennen, das Brutgeschäft deshalb aufgeben, sich aber — die einen schwerer, die andern leich- ter — durch Aehnlichkeit des Kuckuckseies mit ihren eignen Eiern, täuschen lassen, auch wenn sie, was meistens der Fall sein dürfte, merken, dass etwas mit dem Neste vor sich gegangen ist, und darüber, wie es nach dem, was wir aus Baldamus Mitteilungen entnehmen können, meistens zu geschehen scheint, in zeitweilige Aufregung ge- raten. Die Angehörigen der meisten Vogelarten, deren Nester vom Kuckuck heimgesucht wurden, übten Rassenzurückweisung und Rassenwahl, insofern sie die Eier solcher Kuckucksrassen im Stiche ließen, welche in eine Entwieklungsrichtung hineingerieten, die die Kuckuckseier den ihrigen unähnlich machte, die zur Täuschung ge- eigneten Eier anderer Kuckucksrassen aber adoptiert. Infolge dessen mussten diejenigen Kuckucksrassen am zahlreichsten werden, die in ihren Eicharakteren mit denen anderer Vögel mehr oder weniger über- einstimmten. Wir haben denn auch gesehen, dass nach Rey nur 7,4%, von über 500 Kuckuckseiern einen selbständigen Typus haben. Viel- leicht wurde eine solche Rassenwahl bereits von allem Anfang an geübt, und die Thatsache, dass manche Kuckucksarten, die immer noch blaugrüne oder ähnliche Eier legen, ständige Pfleger haben mit Eiern, die ebenfalls blaugrün oder ähnlich gefärbt sind, erklärt sich vielleicht daraus, dass Vögel mit anderen Eiern die betreffenden Kuckuckseier nicht adoptieren. Indessen dürfte unsere frühere An- nahme, dass die Kuskucke sich beim Uebergang zum Parasitismus zu- nächst an Pfleger mit blaugrünen Eiern gewandt haben und noch wenden, jene Vorkommnisse ebensogut erklären. Vielleicht auch wirkte und wirkt beides zusammen: Einerseits die Pflegerwahl durch die Kuckucke, anderseits die Eierwahl durch heimgesuchte Vögel. Eine kassenwahl, wie wir sie hier annehmen, hat natürlich mit dem Darwi- nismus nichts zu thun. Darwin’s Hauptwerk, dessen unbezeichnender Titel zwar beachtenswerter Weise von „begünstigten Rassen“ spricht, Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 381 enthält, von einigen fremdartigen Dingen abgesehen, eine Theorie der natürlichen Zuchtwahl, die das Ueberleben der begünstigten Indi- viduen annimmt. Bei uns aber handelt es sich um die dureh die gleichzeitige Umbildung aller eine Lokalität bewohnenden Individuen erfolgende Entstehung von verschiedenen Rassen in von einander ab- gegrenzten verschiedenen Lokalitäten, von weleh letzteren jede nur eine Rasse erhielt, und zwar eine Rasse, die aus mehr oder minder gleichen Individuen bestand. Ob eine begonnene neue Entwicklungs- richtung zum erfolgreichen Abschluss gelangte oder nicht, d. h. zur Ausbildung einer durch typische Eicharaktere gekennzeichneten Rasse führte oder nicht, darüher entschied die Vogelfauna der betreffenden Gegend. Je nachdem die einen in Anspruch genommenen Arten die Eier der in Umbildung begrifienen Kuckucksrasse adoptierten und die andern sie zurückwiesen, und je nach dem Verhältnis der empfind- lichen Arten zu den unempfindlichen, gestaltete sich das Schicksal der betrefienden Lokalform des Kuckucks günstig oder ungünstig und erhielt sie viele, oder wenige, oder gar keine Pflegerarten. Es wurde dabei gleich über sämtliche Kuckucke einer ganzen Gegend, die sämtlich einander gleich waren, entschieden, nicht aber über Leben und Tod ungleicher Individuen, wie es der Darwinismus annimmt, der die einen Individuen begünstigt sein lässt, die andern nicht. Soviel, um zu verhüten, dass meine Theorie der Kuckuckseikleidmale für eine Art von Darwinismus gehalten wird. Außer der jetzt erledigten Frage nach dem Zustandekommen der Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit den Pflegereiern, die, wie wir nun- mehr erkennen, vielmehr eine Frage des Zustandekommens der Aehn- lichkeit der Pflegereier mit denen des Kuckucks ist, oder, noch besser ausgedrückt, sich darum dreht, warum das selbständig zu seinen Kleid- malen gekommene Kuckucksei in den meisten seiner Typen den Biern von Pflegern ähnlich ist, die gleichfalls selbständig zu ihren Eikleid- malen gekommenen Arten angehören, haben wir uns nunmehr noch kurz mit der Thatsache zu beschäftigen, warum sich unter den Kuckucks- pflegern verhältnismäßig viele Arten befinden, oder befinden sollen, die in Höhlen brüten oder überwölbte Nester bauen. Von einer „Vorliebe“ des Kuckucks für solche Nester, von der z. B. Baldamus spricht, dürfte wohl kaum die Rede sein können. Kuckucksrassen, die zu Pflegern mit dergleichen Nestern kamen, und deren Eier von den Pflegern adoptiert wurden, blieben bei diesen in Folge der Gewohnheit der Kuckucksweibchen, ihre Eier in Nester von der Art der eignen Pflegeeltern zu legen. Nun sind aber Höhlenbrüter und Erbauer überwölbter Nester keineswegs selten. Wollte man alle Vogelarten in Betracht ziehen, die von vornherein zur Pflegerschaft des Kuckucks geeignet erscheinen, so dürfte eine Statistik ergeben, dass die Vogelarten, die in Höhlen brüten oder überwölbte Nester 382 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. bauen zu den Uebrigen in demselben Verhältnis stehen, wie die Höhlen- brüter und Nestwölber unter den thatsächlichen Kuckuckspflegern zu den übrigen Kuckuckspflegern. Es fehlen unter den letzteren ja auch viele Vögel mit verdeckten Nestern, z. B. die meisten Meisenarten und der Kleiber (S’tta). Es ist, wie ich im Anschluss hieran noch be- merken will, in manchen verdeckten Nester vielleicht so dunkel, dass die Pfleger das fremde Ei nicht erkennen, auch wenn es sehr von den ihrigen abstieht, wodureh Licht auf die bereits zitierte Angabe Ram- say’s fällt, dass der australische Pfeifkuckuck (Heteroscenes pallidus) in dem Falle, wo er offene Nester benutzt, solche wählt, deren Eier den seinigen ähnlich sind, woraus mir hervorzugehen scheint, dass die Eier in den von ihm in andern Fällen benutzten überwölbten Nestern seinen eignen nicht ähnlich sind. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Vögel mit überdeckten Nestern auch oft den Kuckuckseiern ähn- liche Eier legen, so z. B. die weiße Bachstelze und der Gartenrot- schwanz. In die Nisthöhlen dieser Vögel dürfte also doch genügendes Licht fallen, um auffällige Kuckuckseier zu verraten. Wir gelangen somit zu dem Schluss, dass es sich mit der Aehnlichkeit, beziehungs- weise Unähnlichkeit der Kuckuckseier mit den Pflegereiern bei Höhlen- brütern und Nestwölbern nieht wesentlich anders verhalten wird, als bei anderen Vögeln. Wir haben in diesem Abschnitt über die Aehnlichkeit der Kuckucks- eier mit denen der Pfleger vorzugsweise unsern europäischen Kuckuck herangezogen. Bei ausländischen Kuckucken finden wir ähnliches wie bei diesem. So heben nach Baldamus die ostindischen und austra- lischen Ornithologen besonders hervor, dass die Eier der Schmarotzer- kuckucke den Eiern der Pflegeeltern mehr oder minder ähnlich seien. Die Eier des indischen Kuckucks (Cuculus indicus) scheinen nach Baldamus ebenso zu variieren, wie die des europäischen. Dr. Kutter schrieb an Baldamus, dass die große Mehrzahl indischer Kuckucke fast ausnahmslos Eier lege, die — was wir uns merken wollen — denen der Zieheltern noch bei Weitem vollkommener glichen, als bei unserem europäischen Kuckucke. Die Anpassung in allen Einzelheiten sei zuweilen eine so verblüffende, dass die betreffenden Eier in der That nur von einem geübten Sachverständigen, von diesem aber mit Lupe und Waage allerdings unschwer, als Parasiteneier zu erkennen seien. Diesen Mitteilungen Kutter’s fügt Baldamus hinzu, dass die große Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit den Pflegereiern bei allen parasitischen Kuckucken als Regel anzunehmen sei. Die Grenzeu der Anpassungen seien bei ausländischen Kuckucken fast noch weiter, die Kontraste in Färbung und Zeichnung noch stärker hervortretend, als bei dem europäischen Kuckuck, so z. B. bei dem australischen Bronze- kuckucek (Lamprococcyx lueidus). Die Bronzekuckuckseier, die Ver- reaux in den Nestern der Honigfresser (Meliphagidae) fand, sind, Helm, Frühfliegende Fledermaus. 385 wie Baldamus mitteilt, allerdings olivengrün oder von düsterem braunrötlichen Purpur gewesen, während die Eier der Honigfresser sewöhnlich weiß, mehr oder weniger trübrötlich angelaufen und mit bräunlichroten Flecken versehen sein. Aber auch mehrere olivengrüne und olivenbraune Färbungen kämen bei den Honigfressern vor, und die Eier anderer Pfleger des Bronzekuckucks seien, wie die der meisten Arten, auf weißem Grunde ziegelrot gefleckt, und in solchem Falle zeige auch das Kuckucksei diese Kleidmale. Nach Levaillant soll, wie Baldamus mitteilt, der Kapkuckuck (Cveulus capensis) drei Eier in die Nester des "Onpoevogelsl (Petrocincla supereiliosa) legen, was von Tait konstatiert werde. Der Kapkuckuck solle aber auch die Nester anderer kleiner Vögel benutzen. Die Eier seien nach Levail- lant blassrot, mit hellbraunen Flecken versehen, und denen des ge- nannten südafrikanischen Vertreters des Rotkehlehens sehr ähnlich. Die Bier unseres Rotkehlchens seien nur etwas weniger lebhaft ge- färbt, als die des Capoevogels oder Kaprotkehlehens, das mit unserem Rotkehlchen in jeder Hinsicht außerordentliche Aehnlichkeit zeige. Die Eier von Cacomantis flabelliformis, der in Australien lebt, sind nach Baldamus denen von Acanthiza pusilla äußerst ähnlich und unterscheiden sich von ihnen lediglich durch ihre Größe. Ramsay beschreibe sie als zart weiß mit hellbraunen, tiefblauen und lilafarbenen Schmitzen und Flecken, und blass lilafarbenen Schalenflecken. Manche seien überall fein gesprenkelt, und ihre Zeichnung sei wie verwaschen, andere seien abstechender gezeichnet. Die Zeichnung bilde zuweilen einen deutlichen Gürtel, der mitunter durch einen Haufen sehr tief gefärbter Flecke unterbrochen sei. Diese Eier seien aber von denen eines andern Pflegers sehr verschieden, dessen Eier einfarbig hellröt- lich ehokoladefarbig seien. Die Eier von Eudynamis taitiensis, der auf Neuseeland und vielen Inselgruppen Polynesiens lebt, scheinen nach Baldamus in Bezug auf ihre Färbung und Zeiehnung haupt- sächlich für die Nester der Honigfresser bestimmt zu sein. (Fünftes Stück folgt.) Einige Beobachtungen über die Frühfliegende Fledermaus Panugo noclula (Daubenton). Von Dr. F. Helm. Obwohl in allen Naturgeschichten der Säugetiere hervorgehoben wird, dass die Frühfliegende Fledermaus unter sämtlichen einheimischen Arten der Flatter- tiere am zeitigsten munter wird und herumfliegt!), so glaube ich doch, dass 1) Blasius äußert sich in seiner Fauna der Wirbeltiere Deutschlands B I, p. 53 darüber in folgender Weise: „Diese Art ist die kräftigste aller einhei- mischen Fledermäuse, fliegt am höchsten und kommt abends am frühesten zum Vorschein. Zuweilen fiegt sie schon etliche Stunden vor Sonnenaufgang“. In Koch, Das Wesentliche der Chiropteren p. 241 heißt es darüber: „Sie trägt den Namen „Frühfliegende Fledermaus“ mit vollem Recht, indem sie meist schon vor der Abenddämmerung ihre Schlupfwinkel verläßt; an heiteren Herbst- tagen soll sie nach K olenati schon nachmittags gegen 3 Uhr umher- 384 Helm, Frühfliegende Fledermaus. einige von mir darüber angestellte Beobachtungen nicht ganz ohne Interesse sein dürften. Es sind das die nachstehenden. 1890. Am 7. Okt. bei trübem Wetter und Windstille flogen gegen 4 Uhr nachmittags, als es noch ganz hell war, denn es fing gegen 5 Uhr erst an dunkel zu werden, 2 Exemplare in großer Höhe (in doppelter bis dreifacher Häuser- höhe) über dem Eingangsteil des Großen Geheges bei Dresden Gegen 5 Uhr trieben sich daselbst S— 10 in gleicher Höhe herum, 2 Individuen thaten dies außerdem auch noch über der Weisseritz und dem Kleinen Gehege. Am 2.Nov. gegen '/,1 Uhr mittags flog bei ruhigem, warmem Wetter 1 Exem- plar ebenfalls in großer Höhe über dem Wilde am Frauenteich bei Moritzburg lange Zeit umher, stieg mitunter sogar noch höher führte und auch kühne Schwen- kungen und Bogen aus. Nach einiger Zeit gesellte sich zu ihr eine zweite, und beide tummelten sich dann, während ein leichter Wind sich erhob und die Sonne die Wolken durchbrach, noch eine Zeit lang gemeinschaftiich in der Luft herum. 1891. Den 17. März bei hellem, sehr warmem Wetter und mässigem Winde flog 1 Exemplar gegen 4 Uhr nachmittags wiederholt über die Große Lache im Großen Gehege bei Dresden. Diese Lache befand sich damals an der nach Uebigau führenden Lindenallee. Die Fledermaus flatterte nur einige Meter über dem Wasserspiegel hin und her, senkte sich auch 6—8mal zu demselben nieder und berührte ihn auch wiederholt, wie die daselbst sich bildenden Ringe aufs deutlichste bewiesen. Das Senken geschah in der Weise, dass die Fledermaus jedesmal im Bogen von der Lache wegflog, sich ihr darauf wieder näherte und dann eintauchte. Dabei scheute sie nicht im geringsten die mit dem Zufüllen der Lache beschäftigten Leute und Fuhrwerke, einmal kam sie bei ihrem nie- drigen gradlinigen Fluge auch so nahe an mir vorbei, dass ich sie hätte mit einem Stock herunterschlagen können. Nach einiger Zeit besuchte sie auch eine benachbarte kleinere Lache, senkte sich ebenfalls bis zum Spiegel derselben einigemale nieder und begab sich darauf zu einer der in der Nähe befind- lichen starken Linden. Dort hakte sie sich am Stamme in der Gegend der Ab- gangsstelle der unteren Aeste ein, kletterte aber dann verhältnismäßig schneil 3/,m höher (an den Stamm) hinauf bis zu einer Stelle, an welcher ein starker Ast abging. Dort drehte sie sich um, sodass der Kopf nach unten gerichtet war, krallte sich mit den Hinterbeinen an einer von der Sonne beschienenen Stelle fest, zog den Kopf etwas ein und blieb bewegungslos hängen. Als ich nach !/, Stunde an diese Stelle zurückkehrte, hatte die Fledermaus ihren Platz noch nicht verlassen, auch wurde ihr Rücken immer noch von der Sonne ge- troffen. Zweifellos hatte die Fledermaus keine andere Absicht, als sich von der Sonne bescheinen zu lassen. Den 2. Mai bei mäßigem Winde und Sonnenschein kreiste am Schloßteiche von Moritzburg gegen !/,12 Uhr vormittags 1 Exemplar erst um die Kronen hoher Bäume, begab sich darauf in ziemlicher Höhe und gerader Richtung über dem Teiche dem Schlosse zu. Am 20. Nov. trieb sich ein Exemplar trotz Sonnenscheins und mäßigen Windes gegen 3 Uhr nachm. in ziemlicher Höhe über dem Dippelsdorfer Teiche bei Moritzburg umher. Mitunter beschrieb es auch kühne Bogen nach oben oder unten. Ich verbarg mich so gut als esging am Zapfenhause des Teiches, und so lange ich daselbst ruhig war, flog auch die Fledermaus geradlinig in der Nähe hin und her. Sobald ich mich aber bei ihrem Herannahen bewegte, lenkte sie von ihrer bisherigen Richtung ab und schwenkte zurück. Erst als ich mich auf der anderen Seite des Häuschens verbarg, flog sie auf der gegen- überliegenden Seite desselben wieder vorbei. Ging ich aber an meinen alten Platz zurück, so vermied die Fledermaus die Stelle sofort wieder. Den 6. Dez. '/,1 Uhr mittags, als ein starker Wind wehte und die Sonne schien, flatterte in Höhe des Schlosses 1 Exemplar über dem rechten Moritz- burger Schlossteiche, ohne durch den Wind im geringsten von ihrer geraden Flugrichtung abgelenkt zu werden, ja, sie verschwand endlich sogar in der Richtung, aus welcher der Wind kam. fliegen. Brehm II. Aufl. sagt über sie: „Nicht selten sieht man sie einige Stunden vor Sonnenuntergang, und falls man so sagen darf, oft genug im Kampfe mit Raubvögeln. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVl. and. 15. Mai 1896. Nr. 10. Inhalt: Voigt, Beddard’s Oligochaeten- Monographie. — Haacke, Zur Stammes- geschichte der Instinkte und Schutzmale (5. Stück und Schluss), — Oppel, Ueber die Funktionen des Magens, eine physiologische Frage im Lichte der vergleichenden Anatomie. -— Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische. Beddard’s Oligochaeten- Monographie, A Monograph of the Order of Oligochaeta by Frank Evers Beddard. Oxford 1895 - In einem stattlichen Quartband von 770 Seiten mit 5 Tafeln und einer größeren Anzahl von Holzschnitten im Text stellt der als eifriger Oligochaeten-Forscher bekannte englische Gelehrte die Resultate aller bis- herigen Untersuchungen auf anatomischem und systematischem Gebiete zu- sammen. Seit dem Erscheinen der verdienstvollen Werke von Vejdovsky |Monographie der Enchytraeiden, Prag 1879, System und Morphologie der Oligochaeten, Prag 1884| und Vaillant [Histoire naturelle des Anneles marins et d’eau douce, Paris 1889] hat sich unsere Kenntnis der Oligo- chaeten besonders durch die Beschreibung einer großen Anzahl tropischer Regenwürmer bedeutend erweitert. Es ist daher mit Freuden zu begrüßen, dass das umfangreiche Material von einem Forscher, der selbst durch eine größere Reihe eigener Arbeiten vieles zu dieser Bereicherung der Oligo- chaeten-Litteratur beigetragen hat, gesammelt, neu gesichtet und übersicht- lich bearbeitet worden ist. Der erste, 173 Seiten umfassende Teil seines Werkes gibt einen Ueberblick über die anatomischen Verhältnisse und über die geographische Verbreitung. Der systematische Teil beginnt mit einem kurzen geschichtlichen Abriss über die den älteren Werken zu Grunde liegende Einteilung der Oligochaeten, dem sich ein Kapitel über die phylo- genetischen Beziehungen zwischen den einzelnen Familien anschließt. Der das System behandelnde Hauptteil des Werkes liefert außer einer genauen Aufzählung der Art-Merkmale auch eine eingehende anatomische Beschrei- bung derjenigen Formen, deren abweichende Organisationsverhältnisse im allgemeinen Teil nur kurz erwähnt werden konnten. Aus dem reichen Inhalt des Werkes dürften besonders die Abschnitte über den jetzigen Stand unserer Kenntnisse der Segmental- und vor allem der komplizierten, XVl, 25 386 Voigt, Beddard’s Oligochaeten - Monographie. selbst heute noch nicht in allen Einzelheiten verständlichen Geschlechts- organe ein allgemeines Interesse finden. Segmentalorgane. Eine größere Anzahl Arten aus den Familien der Perichaetiden, Acanthodriliden und Cryptodriliden besitzen „diffuse“ Segmentalorgane, welche sich von den gewöhnlichen dadurch unterscheiden, dass ihr drüsiger Teil nicht eine zusammenhängende Masse darstellt, sondern in eine Anzahl von kleineren Drüschen zerfällt, die durch die ganze Länge des Segmentes verteilt und eines hinter dem anderen der Leibeswand innen angeheftet sind. Sie stehen untereinander in der Weise in Verbindung, dass ihr Kanalgeflecht unter dem Peritoneum an der Innenseite der Leibeswand von dem einen zum anderen sich hinzieht. Eine Reihe sich verästelnder Ausführungsgänge, von derselben Weite wie die übrigen Kanäle und mit deutlichem Epithel versehen, führen von dem Geflecht aus durch die Muskelschichten nach außen und münden in seit- lichen Poren, die unregelmäßig gestellt sind und keine segmentale An- ordnung erkennen lassen. Wahrscheinlich stehen die Schleifenkanäle der Segmentalorgane aufeinander folgender Segmente mit einander in Ver- bindung. Bei den Eudriliden zeigt der in der Leibeshöhle liegende T'eil des Segmentalorganes die gewöhnlichen Verhältnisse, sein Ausführungsgang aber durchsetzt die Körperwand nicht direkt als ein leicht erkennbarer, von deutlichent Epithel umgebener Kanal, sondern mündet in ein reich verästeltes System äußerst feiner mit einander anastomosierender Röhrchen, welches den gesamten Hautmuskelschlauch in allen seinen Teilen durch- zieht. Von diesen Röhrchen treten durch ihr etwas weiteres Lumen erstens innen, der Leibeshöhle zunächst, eine Reihe von Längsstämmchen deut- licher hervor, welche in dem hier sehr stark verdieckten Peritoneum dahin- ziehen, und zweitens ein System ringförmig verlaufender Kanälchen, die zwischen den beiden Muskelschichten der Körperwand liegen. Von hier aus führen sehr zahlreiche ganz dünne Röhrchen nach außen, so dass man statt einzelner größerer Oeffnungen eine beträchtliche Menge unregelmäßig verteilter sehr feiner Poren rings über die ganze Oberfläche des Körpers zerstreut vorfindet. Als Peptonephridien wurden von Benham Segmentalorgane be- zeichnet, die in den vordersten Teil des Darmkanales münden. Sie finden sich bei Enchytraeiden, Acanthodriliden, Eudriliden, Cryptodriliden und Geoseolieiden. Bei den Enchytraeiden allerdings besteht noch einiger Zweifel, ob die unter den Namen Speicheldrüsen bekannten Organe wirk- lich solehe umgewandelte Segmentalorgane sind oder nicht, denn ein die Verbindung mit der Leibeshöhle herstellender Wimpertrichter ist hier nicht vorhanden, auch fehlt die Flimmerung im den Kanälen. Bei dem zu den Acanthodriliden gehörigen Ortochactus multiporus aber konnte Beddard mit Bestimmtheit nachweisen, dass das beim erwachsenen Tier einer Oeff- nung in die Leibeshöhle entbehrende Drüsenpaar aus mindestens zwei Paaren von Segmentalorganen entsteht, die ursprünglich getrennt sind und von denen auch jedes ursprünglich mit Trichtern versehen ist, die später rückgebildet werden. Oectochaetus multiporus besitzt außerdem auch noch in den End- Abschnitt des Darmes einmündende Segmentalorgane, wovon bei anderen Oligochaeten bisher noch nichts gefunden wurde, Voigt, Beddard’s Oligochaeten - Monographie. 387 Geschlechtsorgane. Ueber die Zahl, Anordnung und Ausbildung der einzelnen Teile der Geschlechtsorgane bringen Tafel II und III eine Reihe übersichtlicher schematischer Abbildungen, die einen guten Ueber- blick über die etwas verwickelten, aber für die systematische Einteilung höchst wichtigen Verhältnisse geben. Gonaden. Alle Oligochaeten sind Zwitter. In der Regel sind zwei Paar Hoden und ein Paar Eierstöcke vorhanden. Letztere liegen, mit einziger Ausnahme von Plutellus nach Perrier, stets hinter den Hoden. Die männlichen und weiblichen Geschlechtsdrüsen folgen direkt aufeinander. Wo beim Erwachsenen "Tier eine Lücke sich findet, wie bei Lumbrieus, bei dem die Hoden im 10. und 11., die Ovarien im 13. Segment liegen, ist beim Embryo auch im 12. Segmeut ein Ovarium zu finden, welches aber nicht zur Entwicklung kommt und bald schwindet. Eiersäcke. Die reifen Eier lösen sich vom Ovarium und fallen in die Leibeshöhle des betreffenden Segmentes.. Bei den Süfßswasser- Oligochaeten drängen die sich entwickelnden Eier die Hinterwand dieses Segmentes oft weit nach hinten, in die folgenden Segmente hinein und bilden so einen meist unpaaren Eiersack. Gelegentlich jedoch, wie bei den Lumbriculiden, ist er aber auch in paariger Ausbildung anzutreffen, indem sich die rechte und linke Seite des Dissepimentes gesondert nach hinten aussackt. Bei den Regenwürmern entstehen die hier paarigen Eiersäcke, an dem das Eierstocksegment nach hinten abschließenden Dissepiment dicht neben dem Eileiter als ganz kleine in das folgende Segment sich hinein- wölbende taschenförmige Wucherungen, deren Inneres durch ein System von Balken und Lamellen in unvollständig getrennte Kammern geteilt wird. Diese Art von Eiersäcken pflegt man mit dem Namen Recepta- cula ovorum zu bezeichnen. Bei den Regenwürmern wird die beim jungen Embryo noch neben dem Trichter liegende Oeffnung des Recepta- culum ovorum später vom Rande des 'Trichters umwachsen, so dass es dann als eine nach hinten gerichtete Ausstülpung des Trichters selbst erscheint. Bei den Perichaetiden dagegen bleibt es zeitlebens vom Trichter getrennt. Einzelne Arten der Perichaetiden besitzen außer dem im Eierstock- Segment befindlichen Paar von Eiersäcken noch ein zweites an der Hinter- wand des vorhergehenden Segmentes, was darauf hindeutet, dass ursprüng- lich wahrscheinlich zwei Paare von Ovarien vorhanden waren, von denen nur das hintere zur Ausbildung gekommen ist. Ovidukte sind bei den niedersten Formen der Oligochaeten nicht entwickelt. _Aeolosoma legt die Eier durch einen auf der Mitte der Bauch- seite des sechsten Segmentes befindlichen Spalt ab, sonst ist diese Oeft- nung paarig. Bei den höher entwickelten Oligochaeten finden wir paarige, die Körperwand durchsetzende Eileiter, die aus einem Trichter |der nur den Enchytraeiden fehlt| und einem kurzen Ausführungsgang bestehen. Samensäcke. Die männlichen Geschlechtsprodukte, welche sich in einem sehr frühen Stadium vom Hoden ablösen, machen ihre Entwick- lung bei fast allen Oligochaeten in Samensäcken durch, taschenförmigen Wucherungen der Dissepimente, die den Eiersäcken entsprechen und wie diese entweder unpaar oder paarig sind. Bei den Regenwürmern ist der Innenraum von einem gleichen Gerüstwerk von Muskelfasern und Binde- 25* 388 Voigt, Beddard’s Oligochaeten - Monographie. gewebe durchzogen, wie es sich im Receptaculum ovorum findet. Nur in der Familie der Enchytraeiden fehlen die Samensäcke fast allen Arten, sonst sind sie regelmäßig vorhanden. Die im Wasser lebenden Formen besitzen bloß einen oder ein Paar, aber das Organ ist umfangreich und zieht durch eine ganze Reihe von Segmenten hindurch. Bei den in der Erde wohnenden dagegen sind die in der Zahl von 1—-4 Paaren vor- handenen Samensäcke meist kleiner und nehmen nur den Raum eines Segmentes ein; man findet aber Ausnahmen und diese betreffen immer Formen, welche nur ein Paar besitzen. Am auffallendsten sind in dieser Beziehung Polytoreutes und Trichochaeta, bei denen sich die Samensäcke durch zwanzig bis dreißig Segmente nach hinten ziehen. Samen-Ausführungsgänge fehlen, wie Stole neuerdings nach- gewiesen hat, bei Aeolosoma, sonst sind sie überall vorhanden. Sie be- ginnen mit einem Wimpertrichter, an den sich ein mehr oder weniger gewundener Samenleiter anschließt, der schon im nächsten Segmente |bei den Limicolen| oder erst einige Segmente weiter hinten ausmündet |bei den Terricolen|. Die Anzahl der Trichter entspricht der Anzahl der Hoden mit Ausnahme mancher Lumbrieuliden, die zwei Paar Trichter, aber nur ein Paar Hoden besitzen. Sind zwei Paar Trichter vorhanden, so vereinigen sich in der Regel die beiden Samengänge derselben Körper- seite zu einem gemeinsamen Ausführungsgang. Bei Phreocystes mündet jedoch jeder gesondert. Samenleiterdrüsen. Mit dem End-Abschnitt des Samenleiters sind drüsige Organe verbunden, die Beddard unter der gemeinsamen Bezeichnug Samenleiterdrüsen |spermiducal glands] zusammenfasst. Sie fehlen nur den Lumbriculiden, Phreoryctiden und den meisten Geoscolieiden, sonst sind sie allgemein verbreitet. Aber sie treten in sehr verschieden- artiger Ausbildung auf und werden im einzelnen bald als Atrium, bald als Prostata bezeichnet. Die Ansichten darüber, was bei den verschiedenen Gattungen als Atrium und was als Prostata zu benennen ist, gehen zum Teil noch recht auseinander |siehe Benham, „Atrium“ or „Prostate“. Zool. Anzeiger, Vol. XIII, 1890, p. 368]. Als Atrium erscheint die Samenleiter-Drüse in Gestalt eines mit weitem Lumen versehenen Schlauches, in welchen das Vas deferens bei verschiedenen Gattungen an ganz ver- schiedenen Stellen einmündet. Bald bildet das Atrium die direkte Fort- setzung des Samenleiters |z. B. bei Jeyodrilus |, bald tritt letzterer von der Seite her ein |wie bei Eudrilus|, oder er vereinigt sich erst mit den Aus- führungsgang des Atriums |z. B. Pontodrilus|. Aber man findet schließ- lich auch Samenleiterdrüsen, die in ihrem Bau den Atrien gleichen, jedoch vom Vas deferens völlig getrennt sind. Diese münden dann entweder mit dem Samenleiter in einer gemeinschaftlichen Oeffnung nach außen | Mieros- colex| oder getrennt auf demselben Segment [Gordiodrilus| oder auf dem benachbarten Segment | Acanthodrilus|. Mit dem Namen einer Prostata bezeichnet man die dem Samenleiter oder Atrium seitlich ansitzenden Drüsen. So mündet bei Perichaeta in den hier nicht erweiterten Abschnitt des Vas deferens der Ausführungsgang einer mehrfach verästelten Drüse. Einfacher gebaute Drüsen findet man am Atrium bei Tubifex und anderen in der Ein- oder Mehrzahl vor. Die bisherigen Untersuchungen über die Entwicklung der Oligochaeten geben noch keinen genügenden Aufschluss darüber, ob alle diese Samenleiter-Driüsen homologe Bildungen sind, aber Voigt, Beddard’s Oligochaeten - Monographie. 389 Beddard ist geneigt anzunehmen, dass dies der Fall ist und dass wir in ihnen umgebildete Segmentalorgane vor uns haben, mit welchen die aus anderen Segmentalorgan-Anlagen hervorgegangenen Vasa deferentia erst sekundär in Verbindung getreten sind. Penis. Der Endabschnitt des Samen - Ausführungs-Apparates ist muskulös und wird in den meisten Fällen als sogenannter Cirrus bei der Begattung nach außen hervorgestülpt. Gelegentlich, so bei Stylodrilus und einigen anderen, findet sich aber an jeder der beiden Geschlechts- öffnungen ein äußeres, nicht einstülpbares Anhängsel der Körperwand, welches als erektiler Penis funktioniert. Dieser wird entweder vom Samen- gang durchbohrt | Stylodrilus| oder das Vas deferens mündet in der Nähe seiner Basis | Stuhhnannia, Hyperiodrilus]. Die männlichen Geschlechtsöffnungen sind in der Regel paarig, bei den meisten Eudriliden aber vereinigen sich die hinteren Enden der beider- seitigen Samenleiter- Drüsen kurz vor ihrer Mündung in der Mittellinie des Bauches. Die Lage der männlichen Geschlechtsöffnungen ist sehr wechselnd und selbst bei Gattungen, die zu derselben Familie gehören, nicht überall an ein bestimmtes Segment gebunden. Die Receptacula seminis werden nur bei 10 Arten vermisst, unter anderen bei Uriodilus lacwum und Lumbrieus Fiseni. Neuere Unter- suchungen haben gezeigt, dass bei der Mehrzahl der Eudriliden von den gewöhnlichen Samentaschen morphologisch verschiedene Gebilde auftreten, welche deren Funktion übernehmen. So weit man bisher die Entwick- lung kennt, entsteht die gewöhnliche Form der Samentaschen als einfache Einstülpung der äußeren Haut, und ihr Lumen ist stets von der Leibes- höhle getrennt. Bei den Eudriliden dagegen bleibt diese Art von Samen- taschen rudimentär oder sie fehlt ganz und an ihrer Stelle finden sich Säcke, welche als mesoblastische, erst später nach außen sich öffnende Bildungen von den Dissepimenten aus entstehen, und deren Lumen daher einen Teil der Leibeshöhle darstellt. Es sind gewöhnlich umfangreiche und bei der Mehrzahl der Gattungen unpaare Gebilde. Im einzelnen kann hier aber nicht näher auf diese Organe eingegangen werden, da die anatomischen Verhältnisse der Gattungen, bei denen sie vorkommen, etwas zu verwickelter Natur sind, um ohne Abbildungen verständlich geschildert werden zu können. Was die gewöhnliche Form der Receptacula seminis betrifft, so bilden diese einfache Taschen, die in der Regel dicht vor dem Hodensegment oder in demselben liegen, nur bei Lumbrieuliden und bei Phreodrihıs hinter den Eierstöcken. Es sind meist ein oder zwei Paar von Samentaschen vorhanden, in letzterem Falle auf zwei aufeinander folgende Segmente verteilt, doch kann die Zahl bis zu sieben Paaren in sieben aufeinander folgenden Segmenten steigen /Allolobophora complanata]. Ausnahmsweise finden sich mehr als ein Paar in einem Segment, so bei Kynotus madagascariensis, wo man vom 14.—16. Segment je 11—13 Paare gezählt hat. Sehr selten kommen mediane, unpaare Samentaschen vor |z. B. bei Fletscherodrilus|. Bei Enchytraeus Möbii machte Michaelsen die merkwürdige, später durch Beddard’s Untersuchungen an anderen Enchytraeiden und an Sutroa bestätigte Entdeckung, dass das Receptaculum seminis nicht blind geschlossen ist, sondern dass sein Lumen mit dem Lumen des Darmes durch einen Kanal in Verbindung steht. Ueber den Zweck dieser Einrichtung hat man vorderhand nur unbestimmte Ver- 390 Voigt, Beddard’s Oligochaeten - Monographie. mutungen. Am nächsten liegt die von Michaelsen geäußerte, dass dieser Kanal eine Art Ventil darstellt, durch welches überzählige, bei der Be- fruchtung nicht zur Verwendung gekommene Samenkörper in den Darm abgeführt und dort verdaut werden, ähnlich wie bei gewissen Polystomeen der Laurer’sche Kanal in den Darm mündet und in diesen die über- schüssigen Dotterzellen abführt. Spermatophoren kommen bei 5 oder 6 Familien vor, aber durch- aus nicht bei allen dazu gehörigen Gattungen. An welcher Stelle sie gebildet werden, ist immer noch nicht sicher gestellt, am meisten Wahr- scheinlichkeit hat die Annahme von Rosa, dass die drüsige Papille, auf welcher bei vielen Lumbrieiden das Vas deferens ausmündet, der Ort ist, wo dies geschieht. Auch über manche Einzelheiten des Begattungsvor- ganges ist man leider noch immer im unklaren. Das Clitellum bildet bei den meisten im Wasser lebenden Familien einen vollständigen Gürtel, bei den Lumbriciden, bei fast allen Geoscoli- eiden und bei einigen Megascoliciden einen Sattel, indem es nicht auf den Bauch übergreift, bei Aeolosoma dagegen, wo umgekehrt gerade der Rücken und die Seiten frei bleiben, einen sich über 3 Segmente erstreckenden Schurz auf der Bauchseite. Am kürzesten ist das Clitellum bei den Familien der Naidomorphen und Tubifieiden, bei denen es zwei, am längsten bei den Geoscolieiden und Acanthodriliden, wo es bis zu 27 Seg- mente bedecken kann /Trigaster Lankester:). Genitalpapillen. Was von manchen unter dem gemeinsamen Namen Genitalpapillen zusammengefasst wird, sind nicht überall die gleichen Bil- dungen. Bei den Perichaetiden findet man entweder in der Nachbarschaft der männlichen Geschlechtsöffnungen oder nahe den Mündungen der Recep- tacula seminis, mitunter auch an beiden Stellen zugleich Papillen, auf denen die von Beddard als capsulogenous glands bezeichneten Drüsen ausmünden. Ihre Funktion ist noch nicht sicher erkannt, gewöhnlich nimmt man an, dass das von ihnen abgeschiedene Sekret dazu bestimmt sei, den Tieren bei der Begattung einen festeren Halt aneinander zu geben; Beddard aber meint, dass sie das Eiweilß absondern, welches den Cocon erfüllt und vergleicht sie mit den Drüsen, die bei den Lumbrieiden in der Nachbarschaft des Receptacula seminis vorkommen, deren Bau aber gegenwärtig noch nicht genau bekannt ist. Die von Eisen als Tuber- cula pubertatis bezeichneten Papillen der Lumbrieiden sind knötchen- förmige Verdickungen an der Bauchseite einiger der Segmente, über welche sich das Clitellum erstreckt: sie erscheinen schon, ehe das Clitellum sich entwickelt. Diese Papillen unterscheiden sich von denen der Perichae- tiden dadurch, dass ihre Drüsen nicht bis in die Leibeshöhle hineinragen, doch ist dies kein wesentlicher Unterschied, denn es handelt sich in beiden Fällen um mehr oder weniger umgebildete Hautdrüsen. Die Wollustorgane verschiedener Acanthodriliden endlich ähneln in ihrer äußeren Form sehr den Papillen der Perichaeten, aber bei mikroskopischer Untersuchung zeigt sich, dass sie aus verlängerten Hypodermiszellen be- stehen, die aller Wahrscheinlichkeit nach eher Sinneszellen als Drüsen- zellen sind. Die Anordnung aller dieser Papillen ist schon früh als ein gutes Mittel zur Unterscheidung der einzelnen Arten erkannt und benutzt worden. Voigt, Beddard’s Oligochaeten - Monographie. 391 Der systematische Abschnitt bildet den wichtigsten und um- fangreichsten "Teil des Werkes, in ihm sind die Unterscheidungsmerkmale der Gattungen und Arten in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt. Den Diagnosen der Familien |für welche leider keine Bestimmungstabelle beigegeben ist| und der Gattungen folgt eine ausführliche Beschreibung der anatomischen Verhältnisse, soweit diese nicht schon im allgemeinen Teil geschildert sind. Was die Gruppierung betrifft, so schließt sich Beddard im großen und ganzen der gebräuchlichen Einteilung an, wie ja die von Clapare&de herrührende Spaltung der Oligochaeten in zwei Unterordnungen in ihren Grundzügen von der Mehrzahl der späteren Öligochaetenforscher beibehalten worden ist, da sie den natürlichen Ver- wandtschafts-Beziehungen Rechnung trägt. Es sind die wasserbewohnenden Naiden einerseits und die landbewohnenden Regenwürmer andererseits, welehe die typischen Gattungen für die beiden Unterordnungen liefern, aber diese sind nicht scharf getrennt und es gibt einige Familien, wie die Enchytraeiden, Phreoryctiden, Moniligastriden, über deren Zugehörig- keit zu der einen oder anderen die Ansichten der Forscher auseinander- gehen. Daher fallen auch die Diagnosen verschieden aus und der Umfang jeder der beiden Unterordnungen !) schwankt je nachdem eine solche zweifelhafte Familie der einen oder anderen zugerechnet wird. Vejdovsky ließ daher diese Einteilung ganz fallen und teilte die Oligochaeten direkt in 10 Familien ein. Beddard nimmt sie dagegen ebenso wie Vaillant wieder auf, da sie, besonders für die allgemeine Schilderung, sich immer- hin ganz praktisch erweist. Er trifft aber die wesentliche Aenderung, dass er die Gattung Aeolosoma von allen übrigen absondert und als be sondere Gruppe der Aphaneura den beiden Gruppen der Mierodrilı und Megadrili gegenüberstellt. Dass die eingebürgerten Namen Limi- colae und Terricolae durch die von Benham in viel enger begrenztem Sinne |nämlich als Unterabteilungen seiner Lumbricomorpha| verwendeten Namen Mierodrili und Megadrili ersetzt worden sind, dürfte wohl nicht allgemein Anklang finden. Auch kommt Beddard dadurch in die eigen- tümliche Lage, die von ihm 1892 aufgestellte Gattung Mierodrilus den Megadriliden zurechnen zu müssen. Die Gattung Branchiobdella ist nicht mit aufgenommen, wodurch die Frage nach ihrer Zugehörigkeit zu den Oligochaeten stillschweigend verneint wird. Auf der anderen Seite hat sich aber Apathy in seinen systematischen Essay über die Süßwasser- Hirudineen ?) entschieden geweigert, sie als Blutegel anzuerkennen. Es ist nicht zu leugnen, dass branchiobdella in keiner der beiden Ordnungen sich bequem und leicht einordnen lässt, doch beruhen die Beziehungen zu den Hirudineen mehr auf der äußerlichen durch die parasitische Lebensweise bedingten Uebereinstimmung. Gegen ihre Zugehörigkeit zu den Oligochaeten spricht der Besitz eines Saugnapfes am Hinterende und der Mangel der Borsten |unter den Borsten, die Apathy S. 727 erwähnt, sind Tasthaare zu verstehen]. Aber die ohne Zweifel zu den Oligochaeten gehörige Gattung Anachaeta besitzt auch keine Borsten und als Beispiel für das Auftreten eines Saugnapfes in einer sonst nicht damit versehenen 1) Limicolae und Terricolae bei Clapr&de, Naidina und Lumbrieina bei Johnston, Naidea und Lumbricina bei Vaillant, Naidomorpha und Lumbrico- morpha bei Benham. 2) Zool. Jahrbücher, Abt. für Systematik u. s. w., Vol. III, 1888. 392 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Wurm-Ordnung kann man auf Malacobdella unter den Nemertinen hin- weisen. Für ihre Zugehörigkeit zu den Oligochaeten spricht die innere Organisation die Beschaffenheit des Hautmuskelschlauches, der Besitz einer geräumigen Leibeshöhle, eines nicht mit Blindschläuchen versehenen Darmes und die Gestalt und Anordnung der Geschlechtsorgane, obwohl diese aller- dings von den typischen Verhältnissen dadurch abweichen, dass das Re- ceptaculum seminis und der Endabschnitt des Samen-Ausführungs-Apparates unpaar sind. Doch kennen wir einige Oligochaeten, wo das gleiche der Fall ist. Am ähnlichsten ist die Anordnung der Geschlechtsorgane bei dem von Goodrich entdeckten Vermieulus!). Es steht also nichts im Wege, sich der von Gegenbaur und Vejdovsky vertretenen Ansicht anzuschließen, dass Dranchiobdella den Oligochaeten und nicht den Hiru- dineen zuzurechnen ist. Voigt (Bonn). Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Eine Untersuchung über die Phylogenie des Brutparasitismus und der Ei- charaktere des Kuckucks. Von Wilhelm Haacke. (Fünftes Stück und Schluss.) Angesichts der großen Mannigfaltigkeit der Eicharaktere der para- sitischen Kuckucke fällt es auf, dass die nichtparasitischen echten Kuckucke, wie Reichenow (Vögel der zoologischen Gärten, Leipzig, 1884) angibt, in der Regel einfarbige weiße oder bläuliche, bis- weilen noch mit einem dünnen weißen Kalküberzuge versehene Eier legen. So legen alleBuschkuckucke (Zanclostominae) nach Reiche- now, soweit bis jetzt bekannt, rein weiß gefärbte Eier. Wir dürfen aber wohl annehmen, dass diejenigen Entwicklungsfaktoren, die den Parasitismus der Kuckucke, den wir als eine Art Degeneration an- sehen, herbeigeführt haben, gleichzeitig so auf die Chemismen und Mechanismen, denen die Eischale ihre Kleidmale verdankt, eingewirkt, sie gewissermaßen so gelockert haben, dass sie eine leichtere Be- einflussung der Eikleidmale zuließen, so dass die Individuen einer Kuckucksart, die eine bestimmt charakterisierte Gegend bewohnten, durch die Einwirkungen, die diese Gegend auf sie ausübte, beim Ueber- gang zum Parasitismus so beeinflusst wurden, dass eine bestimmte für die Gegend charakteristische Gruppe von Eikleidmalen zu Stande kommen musste. Die Vorfahren der echten Kuckucke sowohl als auch die der mit den Kuckucken verwandten und von manchen Forschern zu ihnen gestellten Madenfresser werden weiße Eier mit mehr oder weniger diehtem rauhen Kalküberzuge auf der glatten Schale gelegt haben. Die Buschkuckucke sind bei weißen Eiern geblieben. Die Madenfresser sind zu blaugrünen Eiern übergegangen, 1) Zool. Anzeiger, Vol.XV, 1892, S. 475. Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 393 weil die Organisation ihrer weiße Eier legenden Vorfahren so beschaffen war, dass sie auf gewisse Einflüsse, die sie auf einem bestimmten Ent- wieklungsstadium traten, mit der Produktion blaugrüner Eier reagieren mussten. Ebenso sind die Vorfahren der Regenkuckucke, welch letztere, wie wir gesehen haben, gleich den Madenfressern blaugrüne mit einem Kalküberzuge versehene Eier legen, vermöge ihrer den der Vorfahren der Madenfresser ähnlichen Organisation auf einem be- stimmten, vielleicht noch nicht weit zurückliegenden Entwicklungs- stadium gezwungen gewesen, auf bestimmte Einflüsse der Umgebung mit dem Legen blaugrüner Eier zu antworten. Endlich mussten ge- wisse Einwirkungen der Umgebung bei den Vorfahren der parasi- tischen Kuckucke, die gleich denen der Regenkuckucke und der Madenfresser weiße Eier gelegt haben werden, zunächst blaugrüne und weiterhin anders gefärbte Eier hervorrufen. Demnach wären die Madenfresser, die Regenkuckucke und die parasitischen Kuckucke un- abhängig von einander zu blaugrünen Eiern gekommen, weshalb wir denn auch annehmen dürfen, dass die durch bestimmte Eikleidmale gekennzeichneten Rassen von Ouenlus canorus und anderen parasitischen Kuekucken unabhängig von einander — aber nieht unabhängig von ihrer Vorfahrenschaft — zu ihren Eikleidmalen gekommen sind, wobei es vorkommen konnte, dass Kuckucksrassen weit von ein- ander entfernter Gegenden zu gleichen, Rassen benachbarter Gegenden zu verschiedenen Eiern kamen. Sind wir hierüber einig, so liegt es auch nahe, eine selbständige aber durch die Organisation der Vorfahren vorbereitete und notwendig erfolgende Entstehung des Brutparasitismus bei verschiedenen Unter- familien der Familie, bei verschiedenen Gattungen einer Unterfamilie, bei verschiedenen Arten einer Gattung und bei verschiedenen Rassen einer Art anzunehmen. In der That ist der, welcher auf unserem Standpunkte steht, wonach die stammesgeschichtliche Umbildung der Organismenformen eine gesetzmäßige und notwendige ist, nicht ge- zwungen, eine sogenannte „einstämmige Descendenzhypothese“ anzu- nehmen, wo es sich darum handelt, ähnliche Charaktere verschiedener Arten auf ihren Ursprung zurückzuführen. Wenn die Stammesgeschichte im Gegensatz zur Annahme der Darwinisten, die nur ein ungeregeltes hin- und herschwankendes Variieren gelten lassen und, wie wir hinzu- fügen können, auch kein anderes gelten lassen dürfen, wenn sie nicht die charakterischen Prinzipien ihrer Theorie des Zufalls preisgeben wollen, auf gesetzmäßig geordneter Umbildung der Formen beruht, dann konnten unabhängig von einander einmal hier, einmal dort Kuckucke mit gelbrötlichweißen Eiern aus Kuckucken mit blaugrünen Eiern, Kuckucke mit blaugrünen Eiern aus Kuckucken mit weißen Eiern, parasitische Kuckucke aus selbstbrütenden, Kuckucke aus Nicht- kuckucken hervorgehen. Da erhebt sich nun die Frage, ob dann 394 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. nicht gleichzeitig in einer und derselben Gegend zwei Kuckucksrassen entstehen konnten, von denen die eine etwa durch gelbrötlichweiße, die andere durch blaugrüne Eier charakterisiert war. Diese Frage ist zu bejahen für den Fall, dass diese beiden Kuckucksrassen einander nicht so nahe standen, dass ihre Angehörigen sich geschlechtlieh ver- mischen und fruchtbare Nachkommen zeugen konnten. Konnten sie das aber, so mussten sie über kurz oder lang zu einer einzigen Rasse verschmelzen. Zwei oder mehr durch ihre Eikleidmale unterschiedene Kuckucksrassen, die einander so nahe standen, dass erfolgreiche Er- zeugung einer gemischten und fruchtbaren Nachkommenschaft leicht möglich war, können aber, wie sämtliche Thatsachen der Tiergeographie, worauf besonders der mehr und mehr zur Anerkennung gelangende Moritz Wagner aufmerksam gemacht hat, überzeugend darthun, nur auf von einander getrennten Gebieten entstanden sein, vorausgesetzt, dass sie von einer gemeinsamen Mutterrasse abstammen. Und das stimmt wieder zu unserer Entwicklungstheorie, wonach Geschöpfe gleicher Organisation, die gleichen umbildenden Einflüssen unterworfen werden, mit gleichen Reaktionen antworten. Bewohnt also eine Kuckucks- rasse eine bestimmt charakterisierte Gegend, die auf ihre Organisation Einfluss gewinnt, so kann aus ihr in dieser Gegend nur eine neue Kuckucksrasse werden. Verbreitet sie sich nun über andere Gegenden, so kann sie in der einen diese, in der andern jene Umbildungen ihrer Organisation erfahren, je nach der Verschiedenheit der Gegenden, was dann eine Auflösung der Rasse in mehrere neue zur Folge haben würde. Bei diesem Verbreitungsprozesse können nun Angehörige von Kuckucksrassen verschiedener Herkunft zu Bewohnern einer und der- selben Gegend werden. Und jetzt entsteht die Frage, ob, abgesehen von der Möglichkeit einer erfolgreichen geschlechtlichen Vermischung, die betreffende Gegend so auf die verschiedenen Organisationen der sie bewohnenden Kuckucke einwirken wird, dass die Organisationen einander gleich werden. Wir müssen, unserer Entwieklungstheorie entsprechend, annehmen, dass die neuen und gut charakterisierten Ein- flüsse des neuen Wohnorts diejenigen Charaktere der in Frage kom- menden Kuckucksrassen, die einander gleich, oder, da dieses nicht vorkommen wird, sehr ähnlich sind, auch in ähnlicher Weise beein- flussen werden, aber eben deswegen müssen wir auch folgern, dass sie die ungleichen Charaktere in un gleicher Weise beeinflussen werden. Wenn ich gleichzeitig ein Stück Gyps und ein Stück Kreide, die ja beide Kalk enthalten, in Essigsäure werfe, so wird nur aus der Kreide Kohlensäure ausgetrieben. Ebensowenig, wie in diesem Falle aus dem schwefelsauren essigsaurer Kalk wird, wird aus einem Kuckucke mit dem Eitypus A in einer Gegend, wo aus einem Kuckucke mit dem Ei- typus B ein Kuckuck mit dem Eitypus C wird, ebenfalls ein Kuckuck mit dem Eitypus © werden. Solches wird nur dann geschehen können, Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 59% wenn die beiden Kuckucke zur geschlechtlichen Mischung befähigt sind. Eine Entstehung von Mischrassen des Kuckucks muss aber, wenigstens bei Cuculus canorus oft vorgekommen sein, weit öfter noch, als es die bekannten Thatsachen bezeugen. Diese sind aber zahl- reich genug. Mit Rey können wir, was übrigens ganz unseren eigenen Anschau- ungen entspricht, annehmen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass jedes Kuckueksweibehen in früheren Zeiten, bevor noch die Kultur gewaltsam die Einförmigkeit großer Gebiete beeinflusste, indem sie diese Einförmig- keit immermehr unterbrach und dadurch eine Mannigfaltigkeit der Pflanzenwelt hervorbrachte, die ihrerseits wieder die Tierwelt veran- lasste, hier zu verschwinden, um da oder dort neue Wohnplätze zu suchen, seine Eier bestimmten Vogelarten unterzuschieben pflegte. Anders, sagt auch Rey, lässt sich die ausgesprochene Anpassung vieler Kuckuckseier an zahlreiche Eitypen der Pfleger kaum erklären. Als dann die angedeuteten Aenderungen der Vegetationsverhältnisse eintraten, fährt Rey fort, konnten viele Vogelarten nicht mehr in der ursprünglichen Menge an ihren früheren Wohnplätzen nisten, sondern sie waren zum Teil gezwungen, die für sie unbewohnbar gemachten Gebiete zu verlassen, um sich andere und passendere Nistplätze zu suchen. Dadurch hätte notwendiger Weise die Vogelwelt der von der Kultur verschont gebliebenen passenden Lokalitäten artenreicher wer- den müssen, weil gewisse Arten in ihren Sonderansprüchen an die Natur ihrer Nistplätze herabgegangen sein müssten, um überhaupt noch existieren zu können. Es würde dann auch den Kuckucksweibchen nieht immer mehr möglich gewesen sein, eine genügende Anzahl von Nestern der speziell bevorzugten Pflegerart aufzufinden, um ihr ganzes Gelege unterzubringen, und sie würden gezwungen gewesen sein, andere, zunächst ähnlich bauende, Vögel mit der Bebrütung ihrer Eier zu betrauen. So möge es gekommen sein, dass heutzutage sehr viele Kuckuckseier vorkämen, die in Bezug auf die Eieranpassung anderen Arten entsprächen, als die seien, in deren Nestern sie ange- troffen zu werden pflegten, und dass die Zahl der Vogelarten, in deren Nestern Kuckuckseier gefunden würden, zu einer sehr beträchtlichen angewachsen sei. Nach Baldamus schiebt das Weibchen, wenn es kein passendes Nest der gewöhnlichen Pfleger innerhalb seines Reviers findet, das Ei aufs Geradewohl in Nester solcher Arten, die es sonst nicht benutzt, oder in solche, in welchen das Ei wegen vorgerückter Bebrütungszeit zu Grunde geht, oder es legt das Ei auf den Erdboden, ohne sich weiter darum zu bekümmern. Mangels anderer passender Nester suche das Weibchen auch gern Nester des Hausrotschwänz- chens an und in Gebäuden auf und scheue dann selbst die Nähe des Menschen nicht. Gäbe es Lokalitäten von größerer Ausdehnung, wie z. B. Weiden, rohr- und schilfdurchwachsene Flusswälder, Teichländer 396 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. und dergleichen, so fänden sich an solchen günstigen und verhältnis- mäßig sicheren Plätzen oft drei oder mehr Kuckuckspaare zusammen, vorausgesetzt, dass Baumwuchs, der ihnen genügende Nahrung zu bieten vermöge, nicht allzuweit entfernt sei. Aus diesen Angaben von Baldamus und der Schilderung Rey’s geht hervor, dass das Zu- standekommen gemischter Rassencharaktere und damit von Misch- ıypen der Eier in unseren Gegenden ein leichtes sein musste, Entweder einen Mischtypus oder einen „selbständigen Typus“ der Kuckuckseier zeigten denn auch unter den Eiern, von denen Rey Kunde erhielt, 3%, der Eier aus Nestern des Gartenrotschwänzchens, 6°), aus denen des Sehilfrohrsängers, 17°), aus denen des Drossel- rohrsängers, 23°, aus denen der Sperbergrasmücke, 25°, aus den Nestern der Gartengrasmücke, 30°, aus den Nestern des Rotkehlehens, 430], aus denen der weißen Bachstelze, 53°, aus denen der Braunelle, 70°, aus denen des Neuntöters, und 74°/, aus den Nestern des Zaun- königs. Die Kleidmale der Kuckuckseier mit gemischten Charakteren setzen sich nach Rey am häufigsten aus denen der Eier des Neun- töters, der weißen Bachstelze und der verschiedenen Grasmückenarten zusammen, und zwar so, dass die Kuckuckseier entweder die Kleid- male der Eier des Neuntöters und der Gartengrasmücke, oder die der weißen Bachstelze und der Dorngrasmücke, oder die verschiedener Grasmückenarten, wobei die Kombination Gartengrasmücke und Zaun- grasmücke vorherrscht, vereinigen. Die Kuckuckseier, die einen „selb- ständigen Typus“ zeigen, finden sich nach Rey vorwiegend in den Nestern des Neuntöters. Etwa 25°, der in Neuntöternestern gefun- denen Kuckuckseier zeigen nach Rey einen „selbständigen Typus“. Diesen „selbständigen Typus“ Rey’s möchte ich, in manchen Fällen wenigstens, gleichfalls als einen Mischtypus betrachten, bei dem die Zusammensetzung aber nicht mehr zu erkennen ist. Bei der Kreuzung verschiedener Rassen einer Art entstehen nämlich, wie übrigens zur Geuüge bekannt ist, verschiedene Mischtypen, je nachdem man rein- rassige Tiere oder Kreuzungstiere mit einander paart. Um diese That- sache zu illustrieren, will ich einiges aus meinen eignen Erfahrungen mit Ziermäusen anführen. Kreuzt man z. B. gewöhnliche Mäuse mit schwarz- und weißgescheckten Tanzmäusen, so erhält man einfarbige oder mit ganz kleinen weißen Abzeichen versehene schwarze oder graue Tiere, die nicht tanzen. Züchtet man diese unter sich weiter, so kann man einfarbig weiße Tanzmäuse, einfarbig schwarze Tanzmäuse, einfarbig graue Tanzmäuse und gescheckte nicht tanzende Mäuse neben noch anderen Mischungsformen erhalten. Diese Nachkommen der von zwei verschiedenen reinrassigen Tieren erzeugten Kreuzungs- mäuse sind den reinrassigen Großeltern oft viel ähnlicher, als deren direkte Mischlinge, und gleichen jenen auch nicht selten. Deshalb Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 397 möchte ich annehmen, dass die Kuckuckseier, die einen „selbständigen Typus“ haben, in manchen Fällen, nicht in allen, viel eher als Pro- dukte direkter Mischung in Anspruch genommen werden können, als die Mischtypen, die aus indirekter Mischung hervorgegangen sein dürften. Die verschiedenen Mischformen, die ich bei meinen Mäusen erhielt, waren sehr zahlreich. Zahlreiche Mischformen müssen nun auch ent- stehen, wo zahlreiche Kuckucksrassen zusammengedrängt sind, und so dürfen wir uns auch nicht darüber wundern, dass nach Rey bei Leipzig, selbst nicht in benachbarten Revieren, jemals Kuckuckseier gefunden wurden, die sich nicht auf den ersten Blick als zweifellos diesem oder jenem bekannten oder einem neuen Weibchen angehörig charakterisiert hätten. Es müsse hier, sagt Rey, die Erblichkeit der Eikleidmale von ‘der Mutter auf die Tochter eine sehr beschränkte sein, im Gegensatz zu der großen Uebereinstimmung, die zwischen sämtlichen Eiern eines und desselben Individuums bestände. Die Ver- erbung wird aber, wie ich im Gegensatz zu Rey betonen muss, bei Leipzig ebenso sicher ihren Gesetzen folgen, wie anderswo. Diese Gesetze, von deren Strenge ich mich zur Genüge durch viele hunderte von Zuchtversuchen überzeugt habe, äußern sich aber bei der Zucht mit Kreuzungstieren anders als sonst, wodurch der Eindruck entstehen kann, dass die Vererbung bei solchen Tieren regellos vor sich gehe. Dass das nicht der Fall ist, werde ich demnächst durch die Bearbei- tung der von mir an über 3000 Mäusen gewonnenen Resultate zeigen. Diese Ergebnisse gestatten mir nicht, für die Leipziger Kuckucke eine beschränktere Erblichkeit der Eikleidmale anzunehmen als für andere. Uebrigens spricht Rey nur von einer Erblichkeit der „Mutter auf die Tochter“. Er vergisst, dass auch der Vater in Betracht kommt. Die Mutter kann ihre Eicharaktere nicht nur auf ihre Töchter übertragen, sondern durch ihre Söhne auch auf die Großtöchter, ebenso, wie z. B. ein Mann, der an der Bluterkrankheit leidet, diese Krankheit durch seine gesunden oder wenigstens gesunderscheinenden Töchter auf seine männlichen Enkel übertragen kann. Diesen Umstand müssen wir in Betracht ziehen, wenn wir die Mischformen der Kuckucks- eier richtig beurteilen wollen. Wo wir hier individuelle Eigentümlich- keiten vor uns zu haben scheinen, haben wir es in Wirklichkeit mit Mischungen ganz bestimmter Kassen zu thun, und wenn key sagt, die Lebensgewohnheiten des Kuckucks zeigten eine außerordentliche individuelle Verschiedenheit, die durch Vererbung zu einer örtlichen werden könne, und der Kuckuck zeige örtlich und individuell in seinem Thun und Treiben Verschiedenheiten, wie sie auch nicht annähernd bei irgend einem andern Vogel beobachtet würden, so wissen wir jetzt, wie wir dieses zu beurteilen haben. Uebrigens gibt es auch bei uns in Deutschland noch Gegenden, 398 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. wo sich die einzelnen Kuckucksweibchen nicht leicht nach ihren Eiern von einander unterscheiden lassen. So teilt Rey mit, dass nach Walter die von diesem Beobachter in einem Zeitraume von sieben Jahren bei Gülzow in Pommern in großer Anzahl aufgefundenen Kuckuckseier alle von denselben Kleidmalen gewesen seien. In einigen Gegenden, wie in der Dessauer Haide und in Finnland weicht nach Rey kein einziges Kuckucksei von dem Typus der Gartenrotschwanz- eier ab. Aehnlich verhielte es sich mit den lappländischen Kuckucks- eiern, die den Eiern der Bergfinken verblüffend glichen. Alles dieses bestätigt oder gestattet wenigstens den Schluss, dass in einem und demselben Gebiet aus einer Kuckucksrasse höchstens eine einzige neue Rasse hervorgehen kann, und dieser Schluss wird auch gerechtfertigt durch den Umstand, dass die Kuckucke verschie- dener Gegenden verschiedene Pfleger bevorzugen. Bei Kassel, Naum- burg und Altenkirchen ist nach Rey das Rotkehlchen der gewöhn- lichste Brutvogel für das Kuckucksei, und bei Gülzow im Kreis Tem- plin hat der Zaunkönig das Pflegeramt am häufigsten zu übernehmen. Nach Baldamus fanden v. Preen und Walter in den Werdern der Unterelbe, Hartert in denen des Unterrheins bei Wesel, Baldamus an der mittleren Elbe und an der Mündung der Saale, an den Eis- lebener Seen, am Badeetzer Teiche, im weißen Morast in Ungarn und an der untern Theil und Donau fast in jedem Nest des Teich-, Fluss- und Schilfrohrsängers ein Kuckucksei, zuweilen auch zwei. In Eng- land wird nach Rey außer der dortigen Bachstelze (Motacilla yarrelli) ganz besonders die Heckenbraunelle vom Kuckuck bevorzugt, und nächst dieser die Pieperarten, von denen auch in Pommern der Baum- pieper nicht selten als Pfleger dienen muss. Nach Seidensacher wird, Rey zufolge, in Obersteiermark der Gartenrotschwanz vorzüg- lich als Erzieher des jungen Kuckuck erwählt, und Dybowski fand nach Rey oft Kuckuckseier, die in den Nestern des sibirischen Gimpels gelegen hatten, aber niemals vom Nestvogel bebrütet, sondern regel- mäßig zerschlagen wurden. In Norwegen scheint, wie Baldamus mitteilt, besonders das Tundrablaukehlehen (#rithacus suecicus) ein gern heimgesuchter, in manchen Lokalitäten vielleicht der einzige Pfleger neben dem Weidenlaubsänger zu sein. Das solle z. B. auf den Loffoten der Fall sein. Und in Lappland bevorzugt der Kuckuck nach Rey die Nester des Bergfinken, in Finnland die des Gartenrot- schwanzes, aber in Nordfinnland die Bergfinkennester. Unter den übrigen Kuckucken legt, wie Baldamus nach Taylor mitteilt, der Straußkuckuck in Aegypten ausnahmslos seine Eier in die Nester der Nebelkrähe (Corvus cornix). Nach Lord Lilford sei in Spanien die Blauelster (Oyanopolius cooki), die fast alleinige Pflegemutter des Straußkuckucks, indessen hätte er auch ein Ei aus dem Neste des Kolkraben (Corvus corax) erhalten. Auch Saunders Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 399 hätte in der Umgegend von Aranjuez, wo Lilford gesammelt hätte, mehrere Eier des Straußkuckucks nur aus Elsternestern erhalten. Es dürfte jedoch, meint Baldamus, mit diesen drei Pflegerarten die Reihe der letzteren keineswegs geschlossen sein, und es erschiene mehr als wahrscheimlich, dass auch noch andere Arten der Gattung Corvus, vielleicht auch der verwandten Gattung Garrulus (Häher) als Pfleger gewählt oder als Nothelfer benutzt würden. In der That sei auch Tristram der Ansicht, dass der Häherkuckuck auf dem Karmel- gebirge, wo er ziemlich gemein sei, und die Nebelkrähe fehle, seine Eier einem Häher anvertraue, während er in Palästina, wo die Blau- elster fehle, seine Eier der Nebelkrähe unterschiebe. Rey erhielt nach Baldamus drei Gelege der letzteren mit je einem Häherkuckucksei aus Spanien. Der Häherkuckuck gehört zu denjenigen Kuckucksarten, die nur wenige Pfleger haben und geringe Variation ihrer Eikleidmale, die denen der Pfleger sehr ähnlich sind, aufweisen. Aber auch Kuckucke mit vielen verschiedenen Typen von Eikleidmalen werden in Ländern, die noch nicht die intensive Kultur von Mitteleuropa erdulden müssen, in verschiedenen Gegenden verschiedene Pfleger haben, wodurch sich z. B. die oben berührte große Aehnlichkeit der Eier des indischen Kuckucks mit denen seiner Pfleger erklären dürfte. Fassen wir nunmehr die Ergebnisse unserer Untersuchungen über das Zustandekommen der Kleidmale der Kuckuckseier und ihrer häu- figen Aehnlichkeit mit denen der Pflegereier zusammen, so haben wir folgende Punkte hervorzuheben: 1) Die Kuckuckseier haben ein stammesgeschichtliches Entwick- lungsstadium durchlaufen, auf welchem sie mehr oder weniger blaugrün waren. 2) Die Vorfahren der Schmarotzerkuckucke gingen während dieses Stadiums der blaugrünen Eier zum Parasitismus über. 3) Da sie gewohnt waren, auf blaugrünen Eiern zu brüten, wählten sie Nester mit blaugrünen Eiern. 4) Manche der zuerst von den Kuckucken gewählten Vogelarten, wenn nicht alle, duldeten die Kucksuckseier, weil sie ihren blaugrünen eignen Eiern ähnelten, und wurden zu ständigen Pflegern, weil die Kuckucksweibehen die Gewohnheit haben, ihre Eier in Nester der eignen Pflegerart zu legen. 5) Im weiteren Verlaufe der Stammesgeschichte wurden sowohl die Eikleidmale der Kuckucke als auch die der ursprüng- lichen Pflegerarten in vielen Fällen anders, und zwar in der einen Gegend diese, in der andern jene, wodurch die Mannig- faltigkeit der Kuckuckseier eine sehr große wurde. Dadurch kam vielfach eine beträchtliche Verschiedenheit zwischen den Kuckuckseiern und den Eiern der gewohnten Pfleger zu Stande. 6 Se4 400 Haacke, Zur Stammesgeschiehte der Instinkte nnd Schutzmale. 7) 8) In Fällen, wo dieses zutraf, hörten die empfindlicheren Pfleger- arten auf, die Kuckuckseier zu adoptieren. Aber die Kuckucke büßten das Erbgedächtnis für Nester mit blaugrünen Pflegereiern mehr und mehr ein und gingen ge- legentlich zu under Vogelarten über, namentlich in den Fällen, wo sie kein geeignetes Nest der bisherigen Pfleger fanden. 9) Die neu in Anspruch genommenen Vogelarten adoptierten oder 10) 14) verließen die ihnen untergeschobenen Kuckuckseier je nach ihrer mehr oder minder großen Empfindlichkeit und der größeren oder geringeren Aehnlichkeit der Kuckuckseier mit den ihrigen. Da die meisten Vogelarten den Kuckuckseiern gegenüber bis zu einem für jede Art bestimmten Grade empfindlich waren, konnten sich in den meisten Fällen nur solche Lokalrassen der Kuckucke halten, deren Eier den Eiern einer oder mehrerer der in Anspruch genommenen Vogelarten mehr oder weniger ähnlich waren, wodurch es gekommen ist, dass die meisten uns bekannten Kuckuckseitypen Eiern der einen oder andern Vogelart oder gleichzeitig Eiern mehrerer Arten ähnlich sind. Die meisten Kuckucksrassen erhielten von Zeit zu Zeit neue ständige Pflegerarten, und zwar in der einen Gegend diese, in der andern jene. Die Grade der Aehnlichkeit der adoptierten Kuckuckseier mit den Pflegereiern behielten in allen stammesgeschiehtlichen Stadien ihre Abstufung bei, weil dasselbe mit den Graden der Empfindlichkeit der Pflegerarten der Fall war. Ursprünglich hatte jede Gegend nur je eine Rasse der dort vorkommenden Art oder Arten von parasitischen Kuckucken. Da aber manche oder viele, wenn nicht alle Rassen ihr ur- sprüngliches Wohngebiet lehnten kam vielfach, namentlich in Kulturländern, eine Rassenmischung zu Stande, wodurch Mischtypen von Kuckuckseiern erzeugt wurden. Da Kreuzungstiere trotz der Gesetzlichkeit der Vererbung eine sehr mannigfache Mischung von Charakteren der reinen Stammrassen aufweisen können, wurden die einzelnen Kuckucke mancher Gegenden von den meisten oder allen andern Kuckucken derselben Gegenden verschieden, was z. B. bei Leipzig ein- getreten ist. In solehen Gegenden ist die eigentliche individuelle Variabilität der Kuckucke aber nicht größer als in Gegenden, wo nur eine Kuekucksrassse vorkommt, deren einzelne Individuen eine große Uniformität zeigen. Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 401 16) Die stammesgeschichtliche Entwicklung der ein- zelnen Abstammungsreihen der Kuckucke war in allen einzelnen Fällen eine notwendige und be- stimmt gerichtete, orthogenetische, und die Ueber- einstimmung der Kuckuckseier mit denen der Pfleger kam durch unabhängige Entwicklung zu Stande. Außer den Kleidmalen besitzt das Kuckucksei in vielen Fällen noch andere Schutzeinrichtungen. Unter diesen steht die Größe obenan. Die Aehnlichkeit der Kuckukseier mit denen der Pflegeeltern erstreckt sich nach Rey in erster Linie auf diese, sodann erst auf die Kleidmale, weniger noch auf Form und Schalenglanz und endlich gar nicht auf das Schalengefüge (das sogenannte Korn) und das relative Schalengewicht. Nach Baldamus sind die Eier des Kuckucks im Verhältnis zur Größe des Vogels, verglichen mit den Eiern der meisten Pflegerarten, denen sie in der Größe nahekommen, als sehr klein zu bezeichnen. Unter den Eiern der parasitischen Kuckucke schienen die des europäischen die relativ kleinsten zu sein, nicht nur im Vergleich mit denen der Häherkuckucke, deren Eier nahezu von relativ normaler Größe seien, sondern auch verglichen mit manchen der übrigen Arten der Unterfamilie Cueulinae. Als auf zweiter Stufe der Anpassung stehend könne man diejenigen Gruppen und Arten be- zeichnen, denen die Anpassung der Eigröße abgehe. Als eine Schutz- vorrichtung können wir ausser der Kleinheit der Kuckuckseier auch die Festigkeit der relativ sehr schweren Schale betrachten. Eine auf den Instinkt des Kuckucks sich beziehende Anpassung an den Brutparasitismus ist offenbar die Thatsache, dass das Weibchen nur je ein Ei in ein Pflegernest legt. Baldamus und Rey sagen übereinstimmend: Finden sich zwei oder mehr Kuckuckseier in einem Neste, so rühren sie von ebenso vielen verschiedenen Weibchen her, und nach Baldamus herrscht unter den Kokzygologen vollkommene Uebereinstimmung darüber, dass sämtliche Parasiten je nur ein Ei ins fremde Nest legen, vielleicht nur mit Ausnahme der Häherkuckucke. Baldamus fand einmal zwei Kuckuckseier in einem Neste des Teich- rohrsängers, die wesentlich von einander verschieden waren. Das eine hätte große Aehnlichkeit mit den beiden Eiern des Pflegers gehabt, das andere wäre rötlich und mit dunkler Zeichnung versehen gewesen, an die Eier des Rotkehlehens erinnernd, und G. D. Rowley fand nach Baldamus in einem Neste der englischen Bachstelze zwei Kuckuckseier, von denen das eine rot, das andere grau war. Ferner weist Ramsay nach Baldamus in seinen Beiträgen über australische Kuckucke unter Anderm nach, dass der Glanzkuckuck nur ein Ei in das Pflegernest legt, und dass wohl in allen Fällen, wo zwei Kuckuckseier in einem Neste gefunden würden, diese verschieden wären - ZV1, 26 402 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. also auch verschiedenen Weibchen des Glanzkuckucks oder verschie- denen Kuekucksarten angehörten. Auch die Nester der beiden ost- indischen Krähen enthalten nach Baldamus jedes Mal nur ein Ei desschwarzenGuckels. Aber die Häherkuckucke unterschieden sich von den Baumkuekucken dadurch, dass sie mehrere Eier in ein und dasselbe Pflegernest legten. Von dem am besten bekannten anda- lusischen Häherkuckuck habe man acht Stück in einem Elster- neste neben fünf Elstereiern gefunden. Eine fernere Anpassung unseres Kuckucks an seine Lebensweise besteht darin, dass, wie Baldamus mitteilt, der junge Kuckuck ge- wöhnlich 24 Stunden früher ausschlüpft als seine Stiefgeschwister. Diese Anpassung teilt der Häherkuckuck mit dem unsrigen. Nach Lord Lilford und andern steht, Baldamus zufolge, die mehrfach beobachtete Thatsache fest, dass die Eier des Häherkuckucks beinahe in jedem Falle länger bebrütet waren, als die bei ihnen liegenden der Blauelster, dass die Kuckuckseier also einer kürzeren Brütezeit be- dürfen, als die betreffenden Pflegereier. Als weitere Anpassung ist nach Baldamus das schnellere Wachs- tum des jungen Häherkuckucks zu bezeichnen. Die schwierige Frage, durch welche Mechanismen alle diese An- passungen zu Stande gekommen sind, dürfte zur Zeit noch nicht zu lösen sein. Begreiflich erscheint es indessen, dass sich, wie Rey be- tont, die Fortpflanzungszeit des Kuckucks nach der Brutzeit der be- treffenden Pfleger richtet und örtlich oft wesentlich verschieden ist, sowohl in Bezug auf die Dauer, als auch in Bezug auf frühes oder spätes Eintreten. Hier und da schiene der Kuckuck jährlich zwei Gelege von Eiern zu produzieren, und zwar in solchen Gegenden, wo er seine Eier Vögeln unterschiebe, die selbst eine doppelte Brut zei- tigten. Es wäre dieses nur als eine weitere Anpassungserscheinung anzusehen. Interessant, aber auch leicht erklärlich, ist endlich nach Balda- mus die Thatsache der nahezu der des Kuckucks gleichen horizontalen und vertikalen Verbreitung einer nicht geringen Anzahl insektenfressen- der Singvögel, die vom Kuckuck als Pflegeeltern mehr oder minder bevorzugt werden. Trotz aller dieser begünstigenden Einrichtungen und des hohen Alters, das das einzelne Individuum erreichen kann, vermehrt sich unser Kuckuck schwach. Ein Männchen, das von allen Kuckucken im weiten Umkreis an dem sonderbaren Rufe kenntlich war, hat Nau- mann, wie Baldamus mitteilt, 25 Sommer hindurch auf dem Stand- quartier dieses Vogels beobachtet. Nach Baldamus liegt die Ursache der schwachen Vermehrung des Kuckucks in den vielfachen Gefahren seiner parasitischen Fortpflanzungsweise, z. B. in der Feindseligkeit mancher Pflegerarten und einzelner Pfleger gegen ihn, in der Furcht Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 403 und Angst anderer, die ihr mit einem Kuckucksei belegtes Nest verließen, in den Irrungen seines Instinktes, in der Notlage, in die er, besonders in vorgerückter Brutzeit, mangels geeigneter Pfleger- nester geriete. Außer den Kuckucken scheinen auch etliche Mitglieder der kleinen Familie der Spähvögel, Honigweiser oder Honigkuckucke (Indica- toridae) zum Brutparasitismus übergegangen zu sein oder wenigstens damit begonnen zu haben, und es ist von großem Interesse, ihre be- züglichen Eigentümlichkeiten mit denen der Kuckucke zu vergleichen, wobei wir den Angaben von Baldamus folgen wollen. Es waren die Gebrüder Jules und Edouard Verreaux, die zu- erst die „Kuckucksnatur“, d. h. den Brutparasitismus der Spähvögel feststellten. Sie fanden Eier von drei der südafrikanischen Arten, nämlich von Indicator minor, sparmanni und major in Nestern von Spechten, Pirolen (Oriolus) und anderen Vögeln. Die drei weißen Eier der Spähvögel sollen gewöhnlich in Zwischenräumen von zwei Tagen gelegt werden, was an unsern Kuckuck, der nach Rey einen Tag um den andern legt, erinnert. Das Ei würde auf die Erde gelegt und mittels des Schnabels in das vorher erwählte Nest ge- schoben, nach Baldamus aber wohl nur dann, wenn ein leichter zu- gängliches Nest nicht vorhanden oder ungeeignet ist. Jules Verreaux ist einem Weibchen während der ganzen Legezeit gefolgt, das jedes seiner drei Eier auf dieselbe Weise in Nester dreier verschiedener Vogelarten legte. Darauf verschwand das Weibchen mit dem Männchen, das sich stets in einiger Entfernung gehalten hatte, und erst nach Wochen sah er beide wieder erscheinen. In dem einen Neste befand sieh jetzt ein junger Indicator, der seine Stiefgeschwister aus dem Nest geworfen hatte. Als er zu fliegen begonnen hatte, wurde er von seiner rechten Mutter gerufen und flog sofort zu dieser, zum großen Leidwesen der Stiefeltern. Darauf nahm sich das /ndicator-Männchen des Jungen an, während die Mutter ihre Jungen aus den beiden andern Nestern entführte. Jules Verreaux hat auch in fast allen Fällen ein zerbrochenes Pflegerei unter dem vom Indicator heimge- suchten Neste gefunden. Dass der noch nicht sehr weit in der Entwicklung vorgeschrittene Brutparasitismus der Spähvögel unabhängig von dem der Kuckucke entstanden ist, dürfte zweifellos sein, denn die Spähvögel lassen sich nicht gut als nächste Verwandte der Kuckucke betrachten, denen die Madenfresser, die keine Brutschmarotzer sind, viel näher stehen. Allein entfernte Verwandte der Kuckucke dürften sie dennoch sein, und dadurch gewinnt ihr Brutparasitismus ein hervorragendes Interesse. Denn wir dürfen schließen, dass der Brutparasitismus der Kuckucke sowohl als auch der der Spähvögel in der Organisation gleicher, sei es bluts-, sei es nur formverwandter Vorfahren begründet war. 20, 404 Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. Baldamus betrachtet die Spähvögel als Uebergangsglieder von den Kuckucken zu den Spechten. Eine beiläufige Bemerkung Layard's, dass er den großen Indicator an einem aufrechten Stamme oder Aste wie einen Specht emporklettern sah, schiene für eine Annäherung der Spähvögel an die Spechte zu sprechen, während gewichtige Charaktere sie mehr den parasitischen Kuckucken zuwiesen. Lucian Bonaparte stelle sie an das Ende seiner Cuculidae und ließ die Picidae folgen. Auch andere Ornithologen stellen die Spähvögel zwischen Kuckucke und Spechte, während Reichenow sie mit den gewöhnlich zu den Spechten gesellten Wendehälsen (Jynginae) vereinigt und die letz- teren von den Spechten trennt. Fürbringer, dem wir wegen seiner gegenwärtig wohl beispiellosen Kenntnis der Vogelmorphologie ein sehr gewichtiges Wort einräumen müssen, stellt die Indicatoriden gleich- falls ziemlich weit von den Cueuliden ab und vereinigt sie mit den Pieiden und anderen in seine Gens der Pici. Wenn er recht hat, dann ist der Brutparasitismus der Spähvögel allerdings völlig unab- hängig von dem der Kuckucke entstanden. Unter allen Umständen unterstützen die Spähvögel die Annahme, dass der Brutparasitismus der Kuckucke in allen oder wenigstens etlichen Stämmen dieser Vögel gesondert in die Erscheinung getreten ist. Aber er musste unserer Ansicht nach in verschiedenen Abstammuugsreihen auf- treten, weil er schon in der Organisation der Vorfahren aller Kuckucke, oder, vielleicht richtiger, aller Vorfahren der Kuckucke begründet war und auf die Faktoren, die ihn hervorrufen sollten, harrte. Außer den Kuckucken und Spähvögeln sind auch Angehörige einer Familie der Singvögel durch Brutparasitismus ausgezeichnet, die nach Baldamus auf einer andern Entwicklungsstufe des Schmarotzer- tums stehen als die Kuckucke. Die Unterfamilie der Kuhstärlinge (Molobrinae) umfasst nach Baldamus eine Gattung von Vögeln, deren Arten ihre im Ganzen ziemlich stark variierenden Eier in die Nester anderer, meist kleinerer Vögel legen, wie dieses von den bekannten Arten zweifellos nach- gewiesen ist. In ihren parasitischen Gewohnheiten schienen jedoch die Kuhstärlinge darin von den Kuckucken und Spähvögeln abzuweichen, dass jenen alle eheliehen und elterlichen Beziehungen abhanden ge- kommen, und nur die rein sexuellen geblieben wären. Nach Baldamus variieren die Eier des nordamerikanischen Kuh- staares wenig unter einander, und weichen konstant von denen der übrigen Kuhstärlinge ab, deren Variabilität gleichfalls eine verhältnis- mäßig beschränkte sei. Sie variierten zwar in Größe und Gestalt nicht unwesentlich, und vielleicht ebenso stark, wie die unseres Kuckucks, aber weniger in Bezug auf die Kleidmale, soweit wenigstens die bis- herigen Beobachtungen ein Urteil gestatteten. Die Farb-, mehr aber noch die Zeichnungsmale zeigten eine auffallende Aehnliehkeit mit den Haacke, Zur Stammesgeschichte der Instinkte und Schutzmale. 405 Eiern vieler Arten aus der Reihe der Pfleger des Kuhvogels. Die Eier des Kuhvogels würden auch nach Wilson regelmäßig früher ausge- brütet, als die aller Pfleger, und zwar um einen oder zwei Tage früher. Der junge Kuhvogel zeichne sich ferner durch ein sehr schnelles Wachs- tum aus. Das Weibchen des Seidenkuhvogels sei durchaus nicht wählerisch in Bezug auf die Art der Pflegeeltern, denn es lege seine Eier sowohl in Nester insektenfressender als auch in solche samen- fressender Vögel. Seine Eier variierten auffallender in Größe, Schwere und Form als in den Kleidmalen. Sie seien entweder einfarbig, und dann entweder weiß oder grünlichweiß, oder gezeichnet auf weißem, grünlichblauem, bräunlich- oder rötliehgrünem, gelblichem und rötlichem Grunde. Die Mehrzahl der bisher bekannten Pfleger des Seidenkuh- vogels baue offene Nester. Zeigen die Stärlinge in Bezug auf die mitgeteilten Eigentümlich- keiten eine weitgehende Analogie zu den Kuckucken, so finden wir bei ihnen anderseits auch einen Parallelismus zu den Madenfressern, die Fürbringer übrigens mit den Kuckucken iu eine Familie ver- einigt. Nach Sternberg gehört nämlich, wie Baldamus mitteilt, der Braunstärling nicht zu den Parasiten, wohl aber zu den Gesell- schaftsbrütern, wie wir sie unter den Madenfressern finden. Es wurde Sternberg versichert, dass die Nester dieser Art manchmal mit nahezu 30 Eiern belegt würden. Er habe indessen immer nur ein Paar in nächster Nähe des Nestes verweilen und sich um das Nest bekümmern sehen. Der Braunstärling benutzte die Nester eines andern Vogels, um sie für seine Zwecke herzurichten, eine Eigentümlichkeit die an die Regenkuckucke erinnert. Ein erfolgreiches Bebrüten einer Anzahl von 30, ja auch nur 15 Eiern von so bedeutender relativer Größe, wie es die desBraunstärlings seien, ist nach Baldamus nur durch die Annahme eines geselligen gleichzeitigen Bebrütens erklärlich. Nach Baldamus kommt ein der- artiges geselliges Bebrüten auch gelegentlich bei zwei Weibchen vor, die verschiedenen Arten angehören. Baldamus hat ein Rotkehlehen neben einem Fitislaubvogel auf sechs, beziehungsweise auf sieben Biern im Neste des Laubvogels sitzen, und Wachtel und Fasan auf unge- zählten Eiern gemeinsam und friedlich brüten sehen. Die letztgenannten Vorkommnisse und der Parallelismus des Ge- sellschaftsbrütens bei Stärlingen und Madenfressern, der Umstand, dass sowohl die Stärlinge als auch die gänzlich anders organisierten Kuckucke Brutschmarotzer sind, die Thatsache der Achnlichkeit der Stärlings- und Kuckuckseier mit den Pflegereiern — alles dieses und vieles andere, bei dessen Deutung wir auf den mehr und mehr seine Anhängerschaft einbüßenden Darwinismus nicht im allergeringsten einzugehen brauchen, lässt uns auch darauf verzichten, die sogenannte Mimikry mit Hilfe der Zufallstheorie Darwin’s zu beleuchten. Das Vorkommen 406 Oppel, Funktionen des Magens. z.B. von ähnlichen Schmetterlingen an einem und demselben Ort dürfte analog dem Vorkommen von gleichgefärbten Kuckucks- und Pflegereiern in einem und demselben Nest zu deuten sein. Hier begegnen sich unsere Anschauungen mit denen, die Eimer kürzlich im 2. Teil seiner Untersuchungen über „Die Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen“ (Jena 1895) entwickelt und äußerst eingehend und sorgfältig begründet hat. Nach Eimer kann die Mimikry nur auf Grund „der Herrschaft bestimmter Entwicklungsrichtungen, insbesondere auf Grund unabhängiger Entwicklungsgleichheit erklärt werden“. „Eine Entstehung von Arten durch natürliche Zuchtwahl gibt es nicht“. Einiges vorurteilslose Nachdenken muss nach Eimer, und darin stimme ich ihm bei, zu der klaren Ueberzeugung führen, dass die darwinistische Ansicht, es habe Auslese die Verkleidung erzeugt, un- haltbar ist. Nachdem in der letzten Zeit zahlreiche Forscher gegen den nun- mehr seit bald vierzig Jahren herrschenden Darwinismus vorgegangen sind, mögen die noch immer zögernden wenigstens das Wort Pope’s beherzigen, das Rey seinen schönen Untersuchungen über den Haus- halt des Kuckucks vorangestellt hat: „Be not the first by whom the new is tried, „Nor yet the last to lay the old aside“. Ueber die Funktionen des Magens, eine physiologische Frage im Lichte der vergleichenden Anatomie. Von Dr. med. Albert Oppel, a. o. Professor an der Universität Freiburg i. Br, In einem Aufsatze „Ueber die Funktionen des Magens“ hat Prof. Moritz!) in München kürzlich darauf hingewiesen, dass sich gegen die allzustarke Hervorkehrung des Chemismus bei der Funktion des Magens Stimmen erhoben haben und dass wir über den Umfang seiner Anteilnahme an der Gesamtverdauung noch ungenügend orientiert sind. Ebenderselbe erwähnt mehrfache Beobachtungen, welche darthun, dass die Magenverdauung unter Umständen ohne erheblichen Schaden für den Organismus sogar ganz fehlen kann, indem die Darmverdauung für die Arbeit des Magens völlig aufzukommen im stande ist. Moritz fasst den Magen der Hauptsache nach als ein Schutzorgan für den Darm auf, welches die schädlich reizenden Eigenschaften jeder Art (mechanischer, bakterieller, chemischer und thermischer Natur) mildert oder ganz beseitigt. 1) Moritz, Ueber die Funktionen des Magens. Münchener medizinische Wochenschrift, 42. Jahrg., Nr. 49, 8.1143 —1147, 3. Dez. 1895. — Siehe dort weitere hierhergehörige physiologisch - klinische Litteratur. i Oppel, Funktionen des Magens». 407 Es liegt nicht in meinem Arbeitsgebiet, auf die Versuche und Er- fahrungen (vor allem am Hunde und am Menschen), mit welchen Moritz seine Anschauung unterstützt, einzugehen. Dagegen scheinen mir einige ältere und neuere Erfahrungen der vergleichenden Ana- tomie der Wirbeltiere!) für die Entscheidung der Frage und für einen weiteren Ausbau der von Moritz begründeten Anschauungen auch mit von Wert zu sein. Ich stelle für diesen Exkurs in das Gebiet der vergleichenden Anatomie zunächst die Frage: Kommt denn allen Wirbeltieren ein Magen zu? Darnach möchte ich vom selben Boden aus die Bedeutung des Magens betrachten. 1. Fehlen des Magens. — Für die Beantwortung dieser Frage schicke ich voraus, dass ich im engeren Sinne unter Magen einen Darmteil verstehe, der mit bestimmten zur Bildung des Magensaftes befähigten Drüsen ausgestattet ist, so wie er sich beim Menschen und bei der Mehrzahl nicht nur der Säuge- sondern der Wirbeltiere über- haupt findet. Unter den Fischen fehlt dem Amphioxus lanceolatus und den Neunaugen ein Magen im genannten Sinne. Ebenso besitzen zahlreiche höher stehende Fische aus der Ordnung der Knochenfische keinen Magen, es folgt auf einen kurzen Schlund der Darm. Hierher gehören z. B. die Karpfen (Cyprinidae), ferner einzelne Vertreter zahlreicher anderer Familien der Knochenfische z. B. mehrere Lippfische (Labri- dae), dann die Meernadel (Syngnathus acus), der Schlammpeitzger (Co- bitis fossilis) u. a. Als merkwürdig ist zu bezeichnen, dass öfters in ein und derselben Fischfamilie einigen Arten ein Magen fehlt, während andere Vertreter einen wohldifferenzierten Magen besitzen. In anderen Fischgruppen z. B. bei den Knorpelfischen und den Ganoiden sind bisher solche magenlose Tiere mit Sicherheit noch nicht nachgewiesen. Die zur Zeit noch nicht genügend untersuchten Dipnoer scheinen nach den vorliegenden Angaben eines Magens zu ermangeln. Der Umstand, dass einzelnen Vertretern aus verschiedenen einander im System näher oder ferner stehenden Fischgruppen ein Magen fehlt, beweist, dass ein Magen für die Verdauung bei Fischen nicht notwendig ist. Die Reihe der Amphibien und Reptilien bietet für die uns interessierende Frage keine Momente von einschneidender Bedeutung. Hier findet sich überall ein Magen im oben angegebenen Sinne. Eine besondere Stellung nimmt der Vogelmagen ein, indem hier ein Teil des Magens, der sogenannte Muskelmagen (der mit der zweiten Magen- abteilung, der sogenannten Pylorusdrüsenregion der übrigen Wirbeltiere zu vergleichen ist) mechanische Funktionen übernimmt. Doch kommt 1) Die Begründung der im folgenden von mir vertretenen Anschauungen und die einschlägige vergleichend anatomische Litteratur, siehe in: Oppel A,., Lehrbuch der vergleichend mikroskopischen Anatomie, I. Teil, Magen. Jena. G. Fischer. Im Druck. A408 Oppel, Funktionen des Magens. es nirgends zum vollständigen Schwinden der Drüsen, wenn auch in der Ausbreitung der großen Drüsen der ersten Magenabteilung (Drüsen- magen oder Vormagen) große Schwankungen bestehen. Bei den niedersten Säugetieren, den Kloakentieren !) (Monotremen), finden wir Verhältnisse, welche zusammengehalten mit den magenlosen Fischen den Satz zur Evidenz beweisen: ein Magen (d. h. ein Drüsenmagen, der einen vorwiegend chemisch wirkenden Magensaft liefert) ist für die Wirbeltiere nicht erforder- lich. Bei den beiden Vertretern der Kloakentiere dem Ameisenigel (Echidna) und dem Schnabeltiere (Ornithorkynchus) findet sich zwar ein Magen, der in Form und Gestalt mit dem Magen anderer Säuge- tiere (auch mancher Fische) Aehnlichkeit hat, allein er ist in seinem Baue so hochgradig verändert, dass er nicht mehr die Bedeutung eines Magensaft bildenden Organes haben kann. Während sonst der Magen auf seiner Innenfläche weiche mit Cylinderepithel überkleidete und mit Drüsen erfüllte Schleimhaut trägt, besitzt der Magen der Kloakentiere ein derbes geschichtetes Pflasterepithel, wie es der Schlund und die Mundhöhle der Säugetiere zeigt. Es führt uns dies zu dem Schlusse: das Fehlen des Magens bei vielen Wirbeltieren zeigt, dass ein solcher für die Gesamtverdauung nicht notwendig ist. Ferner kann die Verdauung bei diesen magenlosen Tieren nur im Darme erfolgen. Es unterstützt dieser Befund die An- nahme von Moritz, dass auch bei den Tieren, denen ein Magen zu- kommt, der Magen dem Darme gegenüber in seiner Bedeutung für die Verdauung zurücktritt. 2. Die Bedeutung des Magens. — Als „Verdauung“ im Magen be- zeichnen wir chemische Veränderungen der Nahrungsmittel, welche dieselben zur Resorption geeignet machen; hier steht in erster Linie: Ueberführung der Eiweißkörper in Peptone durch Pepsin und Salz- säure, welche im Magen gebildet werden. Auch andere chemische Umsetzungen, welche ihre Ursache in im Magen selbst gebildeten Stoffen z. B. anderen Fermenten haben, wären hierher zu stellen. Andere Vorgänge dagegen, welche nicht als Verdauung in diesem engeren Sinne zu bezeichnen sind, dürften wohl am einfachsten ihrer Bedeutung nach als „vorbereitende Prozesse“ für die Darmverdauung zusammengefasst werden. Vor allem ist hierher die Fortsetzung der schon in der Mundhöhle beginnenden Zerkleinerung und Aufweichung der Nahrung zu rechnen. Ebenso gehören hierher thermische Ver- änderungen und jede Umwandlung der Nahrung in einen für die Darm- verdauung geeigneten Zustand. Auch chemische Umsetzungen können 1) Die Befunde an Kloakentieren machte ich an Material, welches ich der Güte des Herrn Prof. Semon in Jena verdanke; die Veröffentlichung meines im Oktober 1895 eingereichten Manuskripts hierüber in den Reiseberichten des Genannten steht gegen Ostern d. J. bevor. Oppel, Funktionen des Magens. 409 zum Teil vorbereitende sein, soweit sie nämlich die Nahrung nicht ganz in einen zur Resorption geeigneten Zustand umbilden. Ganz richtig ist es, dass manche dieser verschiedenen (sowohl der als Ver- dauung, wie der als Vorbereitung gedeuteten) Umwandlungen (nament- lich aber letzterer), auch als „Schutz“ für den Darm aufgefasst werden können. Ich befinde mich hier durchaus in keinem Gegensatz zu Moritz, möchte nur das von ihm geltend gemachte Moment auf eine etwas breitere Basis stellen. Der Mensch und der Hund, welche Moritz für seine Versuche gewählt hat, sind wenig geeignet, um die Magenverdauung als solche von den vorbereitenden Prozessen zu trennen. Es ist hier der Magen in seiner ganzen Ausdehnung von drüsentragender Schleimhaut ausgekleidet, deren einzelne Bezirke an der Bildung von Pepsin und zum Teil auch der Salzsäure mehr oder weniger beteiligt sind. Bei anderen Tieren dagegen besitzen große Abschnitte des Magens geschichtetes Epithel, während die den Magen- saft bildenden Drüsen in diesen Abschnitten fehlen. Eine solche Magenabteilung, welche als „Schlundabteilung“ des Magens bezeichnet wird, findet sich z. B. beim Pferd, bei manchen Nagern und Beutel- tieren. Bei anderen z. B. den Wiederkäuern kommt es zur Bildung von ebensolehen mit geschichtetem Epithel ausgekleideten Magen- abteilungen, welche sich gegen den eigentlichen Hauptmagen (Drüsen- magen) auch äußerlich schärfer absetzen, und man spricht dann von Vormägen. Ein derartiger Vormagen findet sich z. B. auch bei der Mehrzahl der Walfische (Cetaceen). Schon Home hat zu Anfang dieses Jahrhunderts solche Magenabteilungen als „vorbereitende Mägen“ dem eigentlichen Hauptmagen oder Drüsenmagen gegenübergestellt. Dass in diesen vorbereitenden Organen auch chemische Umsetzungen z. B. dureh Gärung der Nahrungsmittel oder durch Wirkung des ab- geschluckten Speichels stattfinden können, ist dabei im Auge zu be- halten. Auch an ein Eindringen des Magensaftes vom Drüsenmagen her ist bei einigen Tieren zu denken. Doch verliert letzteres Moment an Bedeutung, da von physiologischer Seite nachgewiesen wurde, dass z. B. beim Pferd die Durchmengung der eingeführten Nahrungsmittel im Magen nicht in dem Maße stattfindet, wie man dies früher annahm. Die weitgreifendste Entwicklung erhält die Bildung einer Schlund- abteilung bei den niedersten Säugetieren beim Ameisenigel und beim Schnabeltier, hier hat sich der ganze Magen nach Art eines solchen Vormagens umgebildet. Pepsindrüsen fehlen hier im Magen. Während nach Home die Schlundabteilung die Nahrungsmittel für dieMagen- verdauung in erster Linie vorbereiten sollte, habe ich diesen Namen in dem Sinne übernommen, dass ich die Vorbereitung auch für die Darmverdauung oder wie bei den Kloakentieren nur für die Darmverdauung in Anspruch nehme. Manche andere Säugetiere z. B. aus der Ordnung der Zahnarmen (Edentaten) zeigen eine ähn- 410 Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische. liehe Bildung wie die Kloakentiere. So wird zum Beispiel bei einem Schuppentier Manis javanica, der ganze Magen von geschichtetem Pflasterepithel ausgekleidet, doch sind hier die Magendrüsen nicht ganz verschwunden, sondern haben sich in einer mit dem Magen kommuni- zierenden Tasche erhalten, welche sich an einer kleinen Stelle in die Magenhöhle öffnet, um ihr Sekret dorthin zu ergießen. Bei zahlreichen Edentaten zeigt der Pylorusteil des Magens einen Bau, der gleichfalls, wenn auch durchaus verschieden von dem der Vögel, mechanische Funktionen ermöglicht. (Bei den Vögeln ist die keibeplatte des Muskel- magens ein erstarrtes Drüsensekret, während das Triturationsorgan der Edentaten eine vorwiegend epidermoidale Bildung ist.) Es sind so die Kloakentiere die einzigen Säugetiere, bei welchen der Magen vollständig zu einem „vorbereitenden Organe“ umgewandelt ist. Wohl aber sehen wir bei zahlreichen anderen Säugern, dass die Verhältnisse, wie sie z.B. die Carnivoren und der Mensch (wir müssen sagen von den Fischen, Amphibien und Reptilien her) rein erhalten haben, in hochgradiger Umänderung begriffen sind. Diese Umände- rungen sind derart, dass sie uns vielfach ein Zurücktreten der Bil- dungsorgane für die chemisch wirkenden Säfte erkennen lassen, eine Weiterentwicklung dagegen der Einrichtungen, welche besonders ge- eignet erscheinen, eine vorbereitende Veränderung der Nahrung zu bewirken. Die vergleichende Anatomie ergibt also für die aufgeworfenen Fragen: 1. Ein Magen (als Magendrüsen besitzendes Organ) fehlt zahl- reichen Wirbeltieren; es kann daher die Bedeutung des Magens keine so hohe für die Gesamtverdauung sein, wie häufig angenommen wird. Dies unterstützt die Anschauungen von Moritz. 2. Die Bedeutung des Magens liegt a) in seiner verdauenden Thätigkeit, b) in der Vorbereitung der Nahrung für die Darmverdauung; hierher gehört die von Moritz betonte Schutzthätigkeit, deren Er- forschung bei ihrer klinisch-physiologischen Bedeutung für den Menschen besonders wertvoll erscheint. Freiburg i. BB — München, im Januar 1896. Zur Biologie der Süßwasserfische. R Um feststellen zu können, ob die Eigenwärme unserer Fische überhaupt oder inwieweit sie die Temperatur ihrer Umgebung übersteigt, habe ich seit Januar 1894 eine Menge von Versuchen mit allen mir erreichbaren Tieren, vor- nehmlich größeren und kleineren Cypriniden, teils in Schlaupitz (Schlesien), teils in Starnberg und Friedrichshagen (Müggelseestation) angestellt und erlaube mir nunmehr die gewonnenen Resultate kurz vorzulegen. Die größeren Fische, besonders Perca fluviatilis, Lucioperca sandra, Uy- prinus carpio und carassius, Luciscus rutilus, erythrophthalmus, cephalus, vulgaris, Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische. 411 Abramis ete. lassen sich sehr leicht „messen“, wenn man sie, natürlich in ihrem Elemente, schnell auf den Rticken wendet, dicht hinter den Kiemen- deckeln oder den Brustflossen leicht hält, sodann das Thermometer rasch durch den After in den Darmkanal einführt. Dabei liegen die Tiere ganz ruhig. Kleinere Cypriniden, wie Gobio fluviatilis, Leuciscus phoxinus und nemachilus barbatulus wurden dagegen meist durch den Schlund gemessen, nachdem sie in vielen Fällen durch Chloralhydrat!) betäubt worden waren. Die hierbei vorwiegend benützten drei sehr empfindlichen Instrumente mit !/;o Graduierung (Celsius) wurden von der Firma Johannes Greiner in München nach meinen Angaben und Skizzen für mich hergestellt, — sie können 5, 7 und 10 cm tief in den Darmkanal eingeführt werden. Außer diesen ge- brauchte ich ab und zu ein kleines, von Warmbrunn, Quilitz und Comp. in Berlin konstruiertes, verschluckbares Maximumthermometer. Die Litteratur über diesen Punkt ist meines Wissens sehr spärlich: ich kenne nur die Angaben von Broussonet, wonach die Innenwärme bei klei- neren Fischen !/, bis ?/z°, beim Aal ?/, und beim Karpfen 1° höher ist als die der Umgebung. Es fand ferner Despretz bei 10,83°C Wassertemperatur die Körperwärme von zwei Karpfen zu 11,69, von zwei Schleihen zu 11,54° C (ef. Seligo, „Die deutschen Süßwasserfische und ihre Lebensverhältnisse* in Dr. Zacharias, „Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers“, Leipzig 1891, II. Teil, S. 179). Einige kurze Notizen hierüber habe ich selbst bereits ver- öffentlicht ?). Im Winter zunächst ist bei den Cypriniden die Temperatur stets gleich derjenigen der Umgebuug, steigt nur äußerst lang- sam, wenn die Fische in wärmeres Wasser gesetzt werden und fällt in kälterem Elemente gradezu rapide herunter. Auch bei solchen Cypriniden, die dicht gedrängt im Schlamme liegen, wie Karpfen, Schleihen, Barben findet eine Erwärmung durch Reibung oder gegenseitige Ausstrahlung, wie sie Noll („Zoolog. Garten“, 33. Jahrg., Nr. 6, S.185 Fußnote) annahm, nicht statt. Unsere Weißfische verdauen ja aber auch um diese Zeit nicht, sind lethargisch und halten dieht gedrängt im Schlamme vergraben Winterschlaf (ef. dabei nur Brehm’s „Tierleben“: Fische; M, v. d. Borne „Fischzucht“, „Teiehwirtschaft“; Benecke: „Fische, Fischzucht und Fischerei in Ost- und Westpreußen“; Seligo |. ce. etc.). In diesem Stadium sinkt be- kanntlich die Temperatur warmblütiger Tiere ganz beträchtlich (Adolf und Karl Müller: „Die Säugetiere der Heimat“; Brehm’s „Tierleben“ u. s. w.) und auch bei den Amphibien und Fischen ist dies der Fall), 4) Von Chloralhydrat gab ich 7 g auf 1 Liter Wasser, dabei erzielte ich in kurzer Zeit eine sehr schöne Narkose, während ich bei Chloroform, das den Wasser beigemengt wurde, meistens allzu lange warten musste. Curare, von dem stets einige Minuten vor der Injektion frische Lösungen hergestellt wurden, 0,1:10 g aqu. dest., scheint bei Fischen überhaupt nicht zu wirken. Ein Steigen oder Fallen der Temperatur der Versuchstiere infolge der Wirkung des Chloral- hydrates oder Chloroforms konnte nicht nachgewiesen werden. 2) „Allgemeine Fischerei - Zeitung“, München 1894, Nr. 19, S. 332/33 und Nr. 20, S. 350/51. — „Der Zool. Garten“, Frankfurt a./M., 1895, Nr. 5. 3) In den Gewässern am Zobten findet man, wie ich bereits im „Zoolog. Garten“ angegeben habe (Jahrgang 1890, Nr. 2) sehr häufig schon im Januar Stücke von Leuciscus phoxinus und Gobio fiuviatilis mit vollständiger Perl- bildung. Diese Exemplare habe ich in großer Anzahl gemessen, ohne indessen bei einem einzigen ein Plus von Wärme konstatieren zu können. 419 Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische, Beim Hecht, der im Winter nach v. d. Borne u. a. zu fressen pflegt, haben wir meist sofort nach dem Fange ein kleines Plus von Wärme (+ 0,20, + 0,15) beobachtet, sobald er aber einen oder einige Tage in Tümpeln ohne Nahrung gehalten wurde, verschwand auch bei ihm das Plus und seine Innenwärme wurde gleich der- jenigen von der Umgebung. Perca fiuviatilis, Acerina cernua, Lucioperca sandra und die zu uns aus Amerika gekommenen: @Grystes nigricans, @. salmoides, Centrarchus aeneus Ver- halten sich genau so wie die Karpfenfische; dagegen zeigten junge Salmoniden!), welche in Friedrichshagen bei sehr niedriger Temperatur öfters gemessen wur- den (+ 0,90 bis + 2,0° C) immer ein Plus von 0,5 bis 0,4° C, während hier in Starnberg bei + 8° C die nämlichen Lachsfische in der kalten Jahreszeit einen Wärmeüberschuss von 0.6 bis 0,65, größere sogar von 0,7°C aufwiesen 2). (Man vergleiche hierbei die treffenden Worte von Seligo l. e., dass die Sal- moniden im Winter zwar fressen, aber doch nicht so rege sind wie im Sommer). Sobald nach der Schneeschmelze im Frühjahr das Wasser in den Bächen und Teichen sich zu erwärmen beginnt, beobachten wir an den nunmehr rege und nach und nach reger werdenden Karpfenfischen und Barscharten eine langsame Steigerung der Innenwärme über diejenige der Umgebung, die in demselben Maße zunimmt wie Nahrung aufgenommen wird; bei hungernden Fischen fanden wir, mochten sie noch so groß sein, eine sehr schnelle Abnahme des Plus von Körperwärme. Dasselbe verschwand sehr bald und die Temperatur wurde gleich derjenigen der Umgebung. Große schlesische Karpfen zeigten: Umgebung. Körperwärme. Bei + 480 = + 48 „40 in +4,94 „ut 6,50 ur! 46555 = EN INN N,62 5 #850 et 882, Eine Anzahl großer schlesischer Karpfen (Urrasse) dem Hälter entnommen maßen bei + 8,30° Wasserwärme + 8,60° C. In eine nahrungsreiche, flache Lettengrube übergefihrt maßen sie 6 Stunden später bei + 10,60°C = 11,0°C und 18 Stunden später bei 10,70° C = 11.30° C. Gallizier Karpfen, die aus demselben Hälter bei derselben Temperatur und Innenwärme entnommen waren, maßen dagegen in der nämlichen Grube bei + 10,70° © (nach 18 Stunden) = + 11,60° C. Wir müssen beim Karpfen die verschiedenen Rassen sehr sorgfältig aus- einander halten. Die schnellwüchsigen ernähren sich vorwiegend von tierischer, die Urrassen dagegen von pflanzlicher Kost, erstere wachsen, wie ich an anderer 1) Salmo alsaticus, fontinalis, Trutta fario, T. iridea. Bei Osmerus eperlanus, von dem ich eine Anzahl Exemplare im Winter 1894/95 aus dem Müggelsee erhielt, habe ich dagegen nur immer die nämliche Temperatur wie die der Umgebung zu konstatieren vermoch t. 2) Salmoniden, die eben ihrer Gesehlechtsprodukte sich entledigt haben oder entledigt wurden, verhalten sich genau so wie eben abgelaichte Karpfen, ihre Innenwärme sinkt auf die der Umgebung herab und verbleibt da so lange bis die Tiere Nahrung zu sich genommen haben. Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische. 413 Stelle nachgewiesen habe !), ungleich schneller als letztere, verdauen rascher und brauchen mithin auch beträchtlich größere Quantitäten von Nahrung als die letzteren. 1. Bei reichlicher Nahrung wurde konstatiert an je 1 kg schweren Karpfen der: schlesischen veredelten böhmischen galizischen Rasse: schipeinehen Rasse: s Rasse: bei + 11,0° C Wasser: + 11,60 + 11,70 + 11,75 +11,80°C ",:3.,13,026 5 + 13,70 + 13,70 + 13,85 +1400°C 190€ „ + 15,70 + 15,80 + 15,95 + 16,00° C ei e + 17,90 + 18,00 + 18,00 +18235°C 20,00 & + 21,00 + 21,15 + 21,0 +21,35° C ONE # + 23,10 + 23,15 + 23,20 +23,65° C 2212:25:0°,0 n + 26,20 + 26,20 + 26,40 + 26,90’ C bis + 27,00° C ?) Alte Veredelte Beni: Ya LERIPR en: schlesische schlesische ts Galaiens Rasse: Rasse: ä + 27,0° C + 28,0 + 28,0 + 27,8 327,0 + 29,0° 6 + 29,5 + 29,4 + 29,2 +29 °C + 35,0° C + 35,0° C — — _ Sobald die Fische an die Grenze der von ihnen in dem betreffenden Ge- wässer zu ertragenden Höchsttemperatur kommen, hören sie auf zu fressen, in Folge dessen sinkt auch ihre Innenwärme auf das Niveau der Umgebung herunter. I. Versuche mit schlechtgenährten Karpfen der diversen Rassen je 1 kg schwer: Alte Veredelte Wasser- : ; Böhmische Galizische temperatur: aebleninehe achleeieche Rasse: Rasse: + 11,0° C + 11,30 + 11,30 + 11,25 + 11,20 + 13,0° € + 13,30 + 13,35 + 13,30 + 13,25 + 15,0° 6 + 15,50 + 15,60 + 15,60 + 15,75 + 17,0° € + 17,60 + 17,80 + 17,80 + 17,90 + 20,0° C + 20,80 + 20,80 + 20,85 + 20,90 + 22,0° C + 22,35 + 22,90 + 22,80 + 22,60 + 25,0° C + 25,95?) + 25,85 + 25,70 + 25,30 III. Karpfen der alten und veredelten schlesischen Rasse, die 8—10 Tage in Wasser ohne jedwede Nahrung gehalten worden waren, zeigten selbst im Juli kein Plus von Wärme. Dasselbe gilt von Karauschen (Cyprinus 1) ef. „Allgemeine Fischerei-Zeitung“, München, XX. Jahrg., Nr. 17 u. 18; Otto Herrguth, „Deutsche Jägerzeitung*, Neudamm 1895 und v. d. Borne, „Teichwirtschaft“, 4. Aufl., Berlin 1894, S. 57 ff. 2) Nur an einigen Stücken beobachtet, die 2jährig am 20. April 370 g schwer eingesetzt wurden und Anfang September bereits 1,5 kg schwer waren. Mitte Juli (ef. Borne Il. c S.57 oben). 3) Hierbei sei bemerkt, dass die sogen. „Bauernkarpfen“, zu denen die beiden schlesischen Rassen zu rechnen sind, relativ große Quantitäten pflanz- licher Kost verzehren und dabei ganz gut gedeihen, während die beiden hoch- gezüchteten Rassen: Böhmen und Galizier, wie ich nachgewiesen habe, aus- schließlich von Tieren leben. 414 Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische. carassius var. typica und var. humilis). Schleihen, Gründlingen, Elritzen und Schmerlen. Merkwürdig ist, dass sich bei hungernden Karpfen auch in den Monaten Juni, Juli und August, für welche Horack!) bei wohlgenährten die größte Gewichtszunahme konstatierte, die größte Abnahme am Körpergewicht bemerkbar macht. Zur Laichzeit der alten schlesischen Rasse — eine andere konnte ich während des Fortpflanzungsgeschäftes nicht „messen“ —, habe ich folgende Beobachtungen gemacht, die schon in der „Allgemeinen Fischerei - Zeitung“, München 1894, Nr. 19, S. 332 registriert wurden, deren Wiedergabe hier ich indessen nicht unterlassen möchte: Die Temperatur der eben abgelaichten Fische, die vorher + 23,85° C betragen hatte, war bei + 24,5° C eben am Laichplatze, + 23,0° C in tieferen Schichten am 18. Mai = 23,50° C, am 49. Mai Temp. am Laichplatze + 23,0°, in tieferen Schichten + 22,0, Fische = 23,0°C. Am 27. April Fische vor dem Laichen bei + 19° Wasserwärme = + 19,60, nach dem Laicher sofort gemessen = + 19,00° C. Von der Karausche habe ich ebenfalls zu meinen Versuchen zwei Varietäten, die degenerierte humilis und die hochrückige Teichkarausche, welche nament- lich durch Vietor Burda zur relativ schnellwüchsigen Rasse herangezüchtet worden ist, benützt. Ich fand bei der letzteren fast genau dasselbe Plus von Wärme wie beim alten schlesischen Karpfen, während die var. humilis bei: 1:0 = 1,40; 430.395 0792101, 7200 0,83; 22.0. 22,31.725,0° =23,91:727,05=727,3955 723,071 23,98 Crzeigte. Bei der Schleihe, von der mir nur sehr wenige Exemplare der goldigen Varietät zur Verfügung standen, fand ich entgegen den Angaben von Despretz bei, 6,44 9 C.mır 441145: beil 413 4 0113562 ;19? EC’ 19170; 17°C’ =M7785 2020. —.20,3:.2..0=R2,37; 3 C E30 77.40) — 727,92, cbwohlame ca. 500 g schweren Tiere in einer sehr nahrungsreichen Lettengrube gehalten wurden. In einem Bache bei Schlaupitz konnte ich, wie ich bereits in der „Allgemeinen Fischerei-Zeitung“, München bemerkte (94 Nr. 20, S. 350/51), an zwei in den von Siebold?) zuerst beobachteten Sommerschlaf versunkenen Schleihen folgendes wahrnehmen: Wasser am Grunde — + 23,60, oben 24,20° C, Tiere = 23,50, die Kiemendeckel wurden nicht bewegt. Als ich die Fische anatomieren wollte, um konstatieren zu können, ob das Herz pulsiere oder nicht, erwachten sie, entwanden sich der Hand und schwammen davon, anfangs noch ganz träge, lethargisch, bald aber völlig munter. Sofort begann die Tem- peratur im Inneren zu steigen und 2 Stunden später zeigten die Fische bereits 25,85° C bei einer Wassertemperatur von + 24,40 unten + 25,00 oben. Leueiscus rutilus, cephalus, vulgaris, sowie Abramis brama, von denen allen möglichst große Stücke gehalten wurden, wiesen bei + 29,0°C Wasser- wärme, da erreichten sie das Maximum ihrer Temperatur, + 29,85°C auf, bei + 20° C maßen sie + 20,55, bei + 11,0°C = + 11,20° C?), also immerhin etwas mehr als Broussonet ]. e. angibt. Der Barsch, von dem mir 12 je 0,75 kg schwere Stücke zur Verfügung standen, zeigte unter günstigen Nahrungsverhältnissen folgende Daten: 1) Nach v. d. Borne, „Teichwirtschaft“, S. 56/57. 2) K. Th. E. v. Siebold, „Süßwasserfische von Mitteleuropa“, Leipzig, 1863, S. 108/109. 3) Diese Fische ernähren sich, wie Susta, „Die Ernährung des Karpfen und seiner Teichgenossen“ S. 224/225 treffend bemerkt, in den Zobtengewässern vornehmlich von Pflanzenkost. Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische. 415 Wasserwärme: +4,80 = + 4,83; + 4.90 = + 4,94; + 6,50 = + 6,64; +755 = +7,68; + 850 = + 8,84; + 11,00 = + 11,70; + 13,00 = + 13,9%; + 415,00:= + 5,95; + 17,0: = + 1805574 20,0 = + 21,10; + 260 = + 1,95; +30 = + 233,56; + 24,0 = + 2410; + 25,0 = + 3,00. Bei schlecht genährten oder solchen Exemplaren, die längere Zeit gehungert hatten, wurden dieselben Beobachtungen gemacht wie bei den unter den gleichen Verhältnissen gehaltenen Karpfen. Messungen an den amerikanischen Barscharten wurden im Sommer nicht vorgenommen. Der Hecht, dem wir zum Schluss noch einige Zeilen widmen wollen, kann, wie M. v. d. Borne in seiner „Teichwirtschaft“!) treffend bemerkt, das erößte Quantum an Fischfleisch unter den bei uns gehaltenen Fischen produzieren, er verzehrt demgemäß auch ungeheuere Quantitäten Nahrung, die er in überraschend kurzer Zeit zu verdauen vermag, damit steht denn auch seine Innenwärme im Einklang. Bei einem ständig vollgefressenen 1 kg schweren Hecht maß ich bei einer Wasserwärme von + 8,50 = + 8,98; + 11,00 = + 11,88; + 13,00 = + 14,02; + 15,00 = + 16,10; + 17,00 = 18,15; + 20,00 = + 41,55; + 22,00 = + 23,78; + 23,00 = + 25,00; + 24,00 = + 26,10; + 3.00 = + 26,85; + 26,00 = + 26,45; + 27,00 = + 27,00. Im Anschluss an die Publikation von C.B.Davenport und W.E. Castle „Acclimatization of organisms to high Temperatures“?) erlaube ich mir zwei Beobachtungen an Fischen mitzuteilen, die immerhin interessieren dürften: Im Jahre 1888 verkaufte mein Vater eine Anzahl fünf Monate alte Gold- schleihen (Tinca chrysitis S.) an einen Müllermeister in Silsterwitz am Zobten, während der Rest der von einem einzigen Pärchen abstammenden Brut von uns im Brutweiher, einem flachen, leicht erwärmbaren Himmelsteiche, weiter gehalten wurde. Jener Mühlteich in Silsterwitz wird von Quellwasser durch- strömt, dessen Temperatur selbst an den heißesten Tagen + 16° C nicht über- steigt, dennoch gediehen die Schleihen ganz ausgezeichnet, weit besser als Karpfen, laichten indessen nicht?). Einen Teil davon kaufte ich im März 93 zurück und setzte sie zu unseren gleichaltrigen Goldschleihen in jenen oben genannten Tümpel, nachdem sie an der Caudale deutlich gezeichnet waren. Hier waren sie bis in den Juli hinein munter und gesund, sobald indessen die Temperatur des Wassers + 25° C überstieg, fingen sie an in Massen abzusterben, + 27°C überlebte keine mehr, während ihre Brüder und Schwestern, die in jenem Weiher groß geworden waren, erst bei + 35° C eingingen‘). Von Karausche (Uyprinus carassius L.) und Bitterling (Rhodeus amarus Bb.), deren große Lebensfähigkeit bekannt ist, hatte ich 1893 je ein Pärchen in einer meiner Lettengruben zum Laichen gebracht. Sobald die Brut den Dottersack verloren hatte, wurde ein Quantum derselben mittels eines Kätschers aus feinster Müllergaze herausgefangen und in einen unbenützten, gut verschlossenen Brunnen geworfen, dessen Wasser + 13° C nicht übersteigt. Der Rest blieb bis 1894 in der Grube und überstand darin, namentlich im Hochsommer des Geburtsjahres, sehr hohe Temperaturen. Im Frühlinge, Ende Mai 1894, gesellte ich ihnen die Fischehen aus dem Brunnen — nachdem ich sie gezeichnet — 1) S. 85/86. 2) „Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen“, II. Band, 2. Heft, Leipzig 189. 3) Kerien, „Allgemeine Fischerei - Zeitung“, München, XX, 22, S. 400, 4) Knauthe, „Biol. Centralbl.*, XV, 20, 8. 752. 416 Knauthe, Zur Biologie der Süßwasserfische. und beobachtete auch diesmal wieder, dass letztere bei + 33 sämt- lich abstanden, während die ersteren bei + 35° C noch munter waren. Starnberg, Mitte November 1895. II. Von der Karausche ((arassius vulgaris Nils.) unterscheidet man bekannt- lich zwei extreme Varietäten, deren eine, recht hochrückig und kurz, „Karausche* (ef. Heekelu.Kner, „Süßwasserfische der österreich.-ungarischen Monarchie“, Leipzig 1858, S. 67, Fig. 29), deren andere, niederrückig und langgestreckt, „Giebel“ genannt wird (Carassius vulgarıs var. humilis von Siebold „Süß- wasserfische von Mitteleuropa“, Leipzig 1863, S. 102, Fig. 5). Von dieser letz- teren entnahm ich aus einer kleinen, tiefen mit eisenhaltigem Wasser gefüllten Pfütze mit Mooruntergrund, in der es geradezu von degenerierten Karauschen wimmelte, eine Anzahl winziger, junger, ganz verkümmerter Exemplare und setzte dieselben in eine rationell behandelte, gut gedüngte Lehmgrube hinein. Ihr Wachstum war in Folge dieses Umsetzens ein ganz bedeutendes. Nun wollte ich doch aber auch gern sehen, aus welchen Gründen diese Schnell- wüchsigkeit resultierte und dachte natürlich zuerst an die bessere Nahrung, namentlich in Hinblick auf eine bezügliche Notiz von Susta, „Die Ernährung des Karpfen und seiner Teichgenossen“, Stettin 1888, S. 204. Es wurden in Folge dessen vergleichende Darmuntersuchungen zwischen diesen nunmehrigen Zuchtfischen und ihren Verwandten in der eingangs erwähnten Pfütze vor- genommen. Der Tümpel war sehr nahrungsarm, doch fanden sich in ihm immerhin genügend Cyclopiden, Daphnien, Ostracoden, Neuropteren-, Orthro- pteren- und Dipterenlarven, viele Schnecken, Hydrachniden, ferner hinreichend Algen und pflanzlicher Detritus vor, trotzdem waren alle von mir unter- suchten aus dieser Pfütze stammenden Karauschen ausge- sprochene Pflanzenfresser, ihr Darm war mit Algen, pflanzlichem Detritus, Grasstengeln oder feinen Wurzeln prall angefüllt, nnr höchst selten fand sich unter diesem vegetabilischen Konglomerat ein Tier, Crustacee oder kleinere Insektenlarve, vor; Schnecken und Hydrachniden waren gar nicht aufgenommen worden, obwohl von ersteren grade die kleinsten Species nebst gewissen Wassermilben relativ zahlreich im Pfuhl vertreten waren. — Dem gegenüber waren die Karauschen in der Lehmgrube wie die in den Teichen von Wittingau in Böhmen (ef. Sustal.c.)ausgesprochene Kleintierfresser. Ihr Darminhalt bestand in der ersten Zeit vorwiegend aus Rüsselkrebsen, Hüpfnerlingen und Wasserflöhen, später aus diesen und allerhand Insektenlarven, endlich, als auch diese zusammengefressen waren, aus Wassermilben und kleineren Schnecken, welch letztere von mir in der Grube angesiedelt worden waren. So lange diesen Fischen hinreichend tierische Kost zur Verfügung stand, wurden vegetabilische Stoffe nur ganz spärlich auf- genommen, gelegentlich mitverschluckt, sie erschienen auch im Enddarm noch ganz grün, unverändert und unverdaut. — Aehnliche Wahrnehmungen an aller- hand anderen Weißfischen habe ich bereits in einem besonderen kurzen für den neuesten Jahresbericht der biologischen Station in Plön bestimmten Auf- satz wiedergegeben. Auch dabei zeigten ausgesprochene Grünweidefische, die in Folge des „Umsetzens“ in ganz andere Gewässer raschwüchsig geworden waren,-sich nunmehr als ausgesprochene Kleintierfresser. Harburg a./Elbe, 21. Februar 1896. Karl Knauthe. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl- bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XV. Band. 1. Juni 1896, Nr... Inhalt: Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? Reinhard, Zur Frage über die amitotische Teilung der Zellen. — zur Strassen, Riesenembryonen bei Ascaris. — Imhof, Fortpflanzung des Aales. — Eisler, Die Homologie der Extremitäten. F. Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? Die wichtige Rolle, welche die Insekten bei der Befruchtung der Blumen spielen, ist nicht mehr zu bestreiten. Sie sind thätige und ge- wissenhafte Gehilfen der Pflanzen und erfüllen eine nützliche Funktion, indem sie Honigsaft und Blütenstaub sammeln. Wenn aber auch diese Grundthatsache nicht in Zweifel gezogen werden kann, so verlangen doch gewisse mit ihr im Zusammenhang stehende Fragen noch eine Lösung. Was vor allem zieht das geflügelte Insekt zu der Blume; ist es die Farbe der Kronenblätter, welche sich für das menschliche Auge von dem Grün der Laubblätter abhebt? ist es die Gestalt? ist es der Duft? Für die meisten der Forscher, welche sich mit der Befruchtung der Blüten durch die Insekten beschäftigt haben (Chr. C. Sprengel, Delpino, H. Müller, Ch. Darwin, Lubbock, Dodel-Part, Th. Barrois u. a.) gilt die Farbe als das hauptsächliche, wenn nicht einzige Anziehungsmittel. Delpino meint, die gefärbte Krone wirke als „Flaggensignal“, und Müller stellt das Grundgesetz auf: unter sonst gleichen Umständen werde eine Blume umsomehr von Insekten besucht, je heller gefärbt sie sei. Indessen haben die beiden letztgenannten Forscher anerkannt, dass den Blumen entströmende Düfte die Insekten ebenfalls anziehen würden, bisweilen sogar wirksamer als ein lebhafte Färbung. Nägeli, Errera und Gevaert schreiben dem Duft eine bedeut- same Rolle zu. AV. 2 I 48 Plateau, Wodureh locken die Blumen Insekten an? Andere schließlich bestreiten oder bezweifeln, dass die Farbe eine anziehende Wirkung ausübe. Nach Gaston Bonnier beeinflussen weder die mehr oder weniger helle Färbung noch überhaupt das Vor- handensein gefärbter Blumenblätter, welche nach unserer menschlichen Ansicht den schönsten Schmuck der Pflanze bilden, die Wahl der die Befruchtung vermittelnden Insekten; J. Mac Leod hat sich bemüht an Beispielen zu zeigen, dass man der Farbe der Blumen eine über- triebene Bedeutung beimisst. Prof. F. Plateau in Gent hat neuerdings Beobachtungen ange- stellt, welche die in Rede stehende Frage für die betreffende Pflanzen- art wohl endgiltig entscheiden. Er beschäftigte sich mit Georginen, welche vor einer mit wildem Wein bewachsenen Mauer standen und sich mit ihren sämtlich nach vorn geneigten Blütenschöpfen deutlich von dem gleichmäßig grünen Hintergrund abhoben. Zahlreiche Insekten (Bombus terrestris, B. hor- torum, B. muscorum, Megachile ericetorum, Vanessa urticae, V. atalanta, Piesis rapae) kamen zu Besuch: sie fanden in den benachbarten Gärten und in dem anstoßenden freien Feld auch noch zahlreiche andere Blumen, so dass die Georginen sicherlich nicht die einzige Art waren, welche sie anlockte. Plateau hat mehrere Beobachtungsreihen aufgestellt, welche (nach Beendigung der Vorbereitungen) je eine Stunde umfassten. Zunächst kam es ihm darauf an, einen etwaigen Einfluss der auf- fälligen Gestalt der Georginenblüten festzustellen. Er schnitt aus rotem, violettem, weißem und schwarzem Papier vier kleine Quadrate von 8 bis 9 cm Seitenlänge, brachte in ihnen ein mittleres Loch an und be- festigte sie mit Hilfe je einer Insektennadel so auf vier Blütenschöpfen, dass von diesen die rötlichen oder lachsfarbigen Randblüten verdeckt wurden und nur die mittleren gelblichen Röhrenblüten sichtbar blieben. Man musste erwarten, dass die Insekten die so maskierten und ver- unstalteten Blüten meiden und nur die anderen unverhüllten aufsuchen würden, die in großer Menge in der Nähe standen. Dem war aber nicht so: die Tiere flogen gegen die gelben Mittelblüten, ohne sich darüber zu beunruhigen, dass die äußeren Blüten nicht sichtbar waren; in einer Stunde wurden auf den vier verhüllten Blumen nicht weniger als 30 Insektenbesuche gezählt. Die Zahl der Besuche verminderte sich auch nicht, als auch noch die Mittelblüten durch kleine Papierkreise von 2—2!/, em Durchmesser zugedeckt wurden. Die Blumen hatten jetzt für den Beobachter nichts mehr, was an Blumen erinnern könnte; die Insekten flogen ihnen aber auch jetzt noch zu (29 in einer Stunde). Sie stockten zwar anfangs ein wenig, bald aber gelang es ihnen, ihren Rüssel oder ihren Körper unter das sie hindernde Mittelteilchen zu zwängen und Honig aufzu- saugen. Es erscheint mithin der Schluss gerechtfertigt: die Gestalt Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? 419 der Georginenblüten spiele trotz ihrer Auffälligkeit keine oder nur eine untergeordnete Rolle bei der Anlockung der Insekten. Eine zweite Gruppe von Versuchen beschäftigt sich mit der Frage: übt die Farbe eine anziehende Wirkung aus? Plateau blendete wie vorher zunächst die Randblüten ab, aber nicht mehr durch Papier oder Zeug, sondern durch die Blätter des wilden Weins; es hätte ihm sonst mit Recht der Einwurf gemacht werden können, dass die Insekten, deren Farbenwahrnehmungsvermögen nach den Untersuchungen von V. Graber ein, oft wesentlich, anderes ist als das des Menschen, einen Unterschied zu machen verstünden zwischen der grünen Kupfer- oder Anilin-Farbe von Papier oder Zeug und dem Blattgrün des den Hinter- grund bildenden Weins. Die Weinblätter wurden, nachdem aus ihnen ein kleines Loch von passender Größe ausgeschnitten war, so auf 20 Blütenschöpfen befestigt, dass nur noch die Mittelblüten sichtbar blieben. Die Blüten wurden jetzt von einem nicht vorbereiteten Be- obachter überhaupt nicht mehr wahrgenommen; die Insekten aber be- suchten sie mit demselben Eifer wie die anderen nicht verhüllten. In einer Stunde stellte Plateau, trotzdem er nicht alle 20 Blüten gleich- zeitig zu überschauen vermochte und ihm darum leicht ein Besuch ent- gangen sein kann, 36 Besuche fest. Nunmehr wurden auch die Mittelblüten durch ein kleines grünes Blatt zugedeckt, so dass die betreffenden Blütenschöpfe vor dem grünen Hintergrund völlig verschwanden. "Trotzdem wurden diese in einer Stunde von nicht weniger als 38 Insekten besucht, allem Anschein nach ebenso sehr als die nicht maskierten Blüten. Besonders merk- würdig war hierbei das Benehmen der Insekten: sie kommen an, stocken, wenden, fliegen weg und kommen wieder; sie finden ein Hindernis zwischen sich und einem Ding, welches sie suchen, endlich gelingt es ihnen aber, sich zwischen das große und kleine Blatt einzudrängen und den Honig in gewöhnlicher Weise aufzusaugen. Diese Ergebnisse stehen in völligem Widerspruch mit der üblichen Meinung von der anziehenden Wirkung, welche die Farbe der Blumen- blätter ausüben soll. Plateau hat sie durch fortgesetzte Beobach- tungen über alle Zweifel erhoben. An eimem anderen Tage hat er z. B. 16 Blüten maskiert und dann in einer Stunde 30 Besuche ge- zählt, bei denen das betreffende Insekt es verstand zu dem Inneren der Blüten vorzudringen. Schließlich hat er sich der Mühe nicht ver- drießen lassen, die sämtlichen Georginenblüten seines Gartens zu um- hüllen, und dann 70 Insektenbesuche gezählt (36 von Hummeln, 34 von Schmetterlingen — 41 erfolgreiche, 29 vergebliche). Hiernach ist es weder die Gestalt noch die Farbe der Blüten, welehe die Insekten anlockt; wir müssen vielmehr annehmen, dass dies der Duft thut, welcher den Blumen entströmt. “IT x u 420 Reinhard, Amitotische Teilung der Zellen, Die Georginen haben zwar für uns keinen besonderen Geruch; wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Insekten nach allem, was wir wissen, ein sehr entwickeltes hiechvermögen besitzen. Kommen doch Schmetterlingsmännchen aus dem Freien selbst in das Innere großer Städte, um ein Weibehen zu suchen, welches in einem Zimmer oder einer Schachtel gefangen gehalten wird, und lassen sich manchmal selbst durch eine leere Schachtel anlocken, in der S Tage vorher ein Weibchen gesessen hat! Mit Spannung darf man den weiteren Veröffentlichungen entgegen- sehen, welche uns Plateau in Aussicht stellt. Tiebe (Stettin). Zur Frage über die amitotische Teilung der Zellen. Von Prof. W. Reinhard in Charkow. In dem bekannten Referate über amitotische Zellteilung, welches in „Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte v. Merkel und Bonnet“ (1892, Bd. II) abgedruckt ist, sagt Flemming: „Es ist geschichtlich interessant und lehrreich für die allgemeine Wertschätzung von Schulmeinungen, diesen Standpunkt des heutigen sehr bescheidenen Wissens mit dem zusammenzuhalten, der in Bezug auf den vorliegenden Gegenstand noch bis vor 20 Jahren dominiert hat. Damals lernte ein jeder, dass die Teilung der Zelle, in der von Remak formulierten Weise, mit und auf Grund einer einfachen Durchtrennung oder Durch- schnürung des Kerns, nach vorgängiger Verdoppelung des Nukleolus erfolge, und als Beweis hierfür galten auch den vorzüglichsten Forschern die mehrkernigen Zellen und die eingeschnürten Kernformen die sich in so vielen Geweben finden lassen. Dann folgte eine Zeit, in welcher an der Existenz einer derartigen Form der Zellteilung völlig gezweifelt werden konnte. Und heute hat es der ausgedehnten Arbeit vieler Be- obachter bedurft, um sicher zu stellen, dass sie wirklich vorkommt, aber kaum je genau in der Form, wie die alte Lehre sie annahm, und jedenfalls nicht als der hauptsächliche Weg der normalen Neubildung von Zellen“. Flemming zitiert hier eine ganze Reihe von Arbeiten, welche die Existenz der amitotischen Teilung in allerlei Geweben bei Verte- braten und Avertebraten und mitunter auch bei Protozo« beweisen. Besonders interessant sind die Beobachtungen über amitotische Teilungen in den Hodenzellen. Bei Besprechung der Arbeit von Meves über die Teilung der Zellen in den Salamanderhoden sagt er: „also ist es nicht auszuschließen, dass so geteilte Zellen sich dann weiter auf mitotischem Wege an der Spermatocytenbildung beteiligen Könnten. Aber es spricht bis jetzt nichts dafür, dass bei den Amphibien die Amitose irgendwie eine typische Durchgangsstation der Spermatogenese repräsentieren sollte“. Sehr vorsichtig und nieht übereilt in seinen Reinhard, Amitotische Teilung der Zellen. 491 Folgerungen, kommt er in Bezug auf die amitotische Teilung bei den Embryonen der Wirbeltiere zu folgenden Schlüssen: „es liegen über- haupt keine Beweise dafür vor, dass eine amitotische Kernzertrennung, ohne oder mit Zellteilung, in Geweben von wachsenden Larven oder Embryonen bei Wirbeltieren als ein normaler Prozess, oder auch als abnormer vorkäme, es ist dies immerhin ganz möglich, man weiß davon aber bis jetzt nichts“. Nachdem er auf den schon früher von ihm aufgestellten Satz hin- gewiesen, „dass die amitotische Teilung, bei Protozoen und einigen Metazoenformen noch vielfach in generativer Wirksamkeit, diese bei den übrigen und besonders bei Wirbeltieren und höheren Pflanzen ver- loren hat“, bemerkt er: „Ich habe aber diese Sätze als eine Hypothese hingestellt, die ich selbst keineswegs unbedingt verfechten will, die aber bei Beurteilung des Befundes amitotischer Teilung in irgend welehen Geweben Berücksichtigung verlangen darf. Ich verkenne nicht, dass diese Hypothese einen misslichen Punkt hat, es ist der, dass sie einem Prozess, der bei vielen Protozoen und vielen wirbellosen Tieren zur normalen und physiologischen Zellenneubildung dient, diese Bedeutung bei Wirbeltieren und höheren Pflanzen nicht zuerkennt“. Seit dem Jahre 1593 ist die Zahl der Arbeiten sowohl solcher, die für die Existenz der amitotischen Teilung als eines normalen Prozesses, als auch solcher, die gegen dieselbe sprechen, gestiegen. Die Entgegnungen, welche von Gegnern der amitotischen Teilung gemacht werdeu, laufen im Grunde darauf hinaus, dass wir es hier mit anormalen, degenerierenden Zellen zu thun haben, die zwar einige Male sich zu teilen im stande sind, aber durchaus nicht mitotisch. Gegen das Vorhandensein der amitotischen Teilung in den Sexualzellen machen sie geltend, dass, obschon dieselbe dort beobachtet wird, die sich in dieser Weise teilenden Zellen als Stützzellen betrachtet werden müssen. Keines der beiden Argumente kann jedoch durch Thatsachen be- wiesen werden, da alle Beobachtungen an fixierten Zellen angestellt werden und wir dieselben nicht längere Zeit in lebendigem Zustande, geschweige denn im Laufe mehrerer Generationen beobachten können. Zur endgiltigen Beantwortung der Frage ist es daher notwendig, ein Objekt zu finden, bei welchem die amitotische Teilung nicht als anormale Erscheinung und die Zellen nicht als degenerierende erklärt werden könnten, — ein Objekt, in dem gleichzeitig in einer und derselben Entwicklungsphase der größte Teil der Zellen oder alle sich amitotisch teilten, wobei auf diese Teilung kein Zugrundegehen der Zellen folgte, sondern im Gegenteil eine Fortdauer und eine Vermehrung derselben auf irgend eine Weise nachgewiesen werden könnten. Mit besonderer Energie treten gegen die Verteidiger der amitotischen Teilung, als eines normalen Prozesses, Ziegler und vom Rath auf. Nach dem 499 Reinhard, Amitotische Teilung der Zellen, ersteren „deutet die amitotische Kernteilung stets das Ende der Reihe an“. vom Rath kommt in der eben erschienenen Schrift „Ueber den feineren Bau der Drüsenzellen des Kopfes von Anilocra medi- terranea Leach im speziellen und die Amitotenfrage im Allgemeinen“ !) zu einer Reihe ven Schlussfolgerungen, unter denen ich mich an folgende halten werde: „Alle Zellen, welehe einmal amitotische Kernteilung er- fahren haben, können sich unter keiner Bedingung mehr mitotisch teilen, sie gehen vielmehr einem sicheren Untergang entgegen, doch können die Kerne sich vielleicht vorher noch einmal oder einige Male amitotisch teilen“ ... (S. 19). „Alle Zellen (S. 53) im Sexualapparat der Amphibien (und sämtlicher anderer Metazoen), welche maulbeer- förmige oder polymorphe Kerne haben, gehören nicht in den Entwick- lungszyklus der Samen und Eizellen; sie sind weder an den Anfang noch an das Ende der Spermatogenese oder Ovogenese zu stellen; sie gehen allmählich zu Grunde und können höchstens für die übrigen sich normal entwickelnden Sexualzellen als Nährmaterial Verwendung finden. Es leitet die Maulbeerform unter keinen Umständen eine Mitose ein, sie deutet vielmehr darauf hin, dass die Zelle fernerhin keine Mitose mehr eingehen kann“... „Dass Amitose (S. 20) auch im relativ jungen Gewebe vorkommen kann, braucht kaum betont zu werden, da auch in Furchungs- oder Blastodermzellen sowie bei Embryonen und Larven an einzelnen Stellen Zellen zu Grunde gehen“. — Bei meinen Untersuchungen über die Entwicklung der Knochen- fische (Leueiseus erythrophtalmus), wandte ich meine Aufmerksamkeit unter anderem auch den frühesten Entwicklungsphasen zu. In diesen nun konnte ich selbst bei der Teilung in 6 Blastomeren keine Kerne entdecken, während hier die Sphären, die CGentrosomen und die Spindel genau zn schen sind. Die Centrosomen sind jedoch nicht überall zu sehen, sie erscheinen als kleine dunkle Körperchen oder (zuweilen) als eine Gruppe kleinster Körnchen (Centrioli Boveri), die den von Hei- denhein bei den Riesenzellen in seiner Schrift „Neue Untersuchungen über die Centralkörper ete.“?) abgezeichneten Ähnlich sind. In einem Falle konnte ich 16 derselben zählen. Wahrscheinlich haben sich die Kerne, ihrer Durchsichtigkeit und geringeren Größe wegen, meinen Beobachtungen entzogen. Es ist aber auch möglich, dass sie in den ersten Phasen der Teilung noch keine deutlichen Umrisse haben. Da- für spricht der Umstand, dass die Kerne iu den ersten Entwicklungs- phasen aus sehr kleinen gesonderten Teilcheit bestehen und nur allmäh- lich an Größe zunehmen. Sollte sich diese Thatsache bewahrheiten, so würde sie als Bestätigung derjenigen Meinung dienen, welche die Centrosomen und Sphären als die Zellteilung leitende Organe auffasst. 4) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, XVI. Bd., 1. H., 1895. 2) Archiv f. mikrosk. Anatomie, 1894, Bd. 43. Reinhard, Amitotische Teilung der Zellen, 493 Bei der Teilung in 8 Blastomeren habe ich die Kerne schon gesehen: sie haben das Ansehen einer Gruppe kleinster durchsichtiger Körper- chen, welehe beim betrachten mit Oelimmersion und dem Okular 4 von Zeiss kaum zu bemerken sind. Diese Körperehen oder Bläschen sind von einem hellen Raum umgeben und entbehren vollständig der chro- matischen Substanz. In späteren Entwicklungsphasen sind schon Bläschen von größeren Dimensionen zu sehen. Offenbar wachsen sie und können außerdem ineinander fließen. Die Zahl derselben variiert. Diese Kerne teilen sich amitotisch, wenn wir mit Flemming als Kennzeichen der mitotischen Teilung „Formung der chromatischen Substanz des Kerns zu bestimmt gestalteten, meist fadenförmigen Chromosomen, typische Folge von Formphasen in der Anordnung dieser Gebilde, Spaltung derselben in je zwei, für je einen Tochterkern bestimmten Hälften“ annehmen. Fig. 1. Fig. 2. Homog. Immers. 2,0. Zeiss Oe. 4. Apochromot 4,0. Zeiss. Oc. 4. Zeichenapp. nach Abbe. Die amitotische Teilung erscheint hier als notwendige Folge des Mangels an Chromatin. Bei dieser Teilung werden zwei Sphären und die Spindelfigur beobachtet; sie wird von der Zellteilung begleitet. Verschiedene Phasen dieser Teilung der Kerne und der Zellen habe ich abgezeichnet; auf den Präparaten sind sie sehr gut zu sehen. Wenn sich diejenigen Kerne teilen, welche eine bläschenförmige Gruppe darstellen, so ordnen sie sich zu je einer Reihe auf den Polen der Spindel- fieur (Fig. 1). Durch das weitere Ineinanderfließen dieser Körnchen oder Bläschen entstehen polymorphe achromatische Kerne. Sie teilen sich auf dieselbe Weise, wobei auch eine Spindelfigur und Sphären beobachtet werden (Fig. 2). Auch in diesem Falle folgt hierauf eine Zellteilung. Ich habe Serienschnitte, deren sämtliche Zellen mit den beschriebenen bläschenförmigen oder mit aus denselben entstandenen polymorphen Kernen versehen sind. Auf diesen Umstand möchte ich ganz besonders aufmerksam machen. Die mitgeteilte Beobachtung ent- spricht einem der von Flemming aufgestellten Sätze und beweist, meines Erachtens, dass die amitotische Teilung bei normalen Bedingungen 494 Reinhard, Amitotische Teilung der Zellen. in den sich vermehrenden Zellen der Embryonen von Wirbeltieren vor- kommt. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass eine solche Zell- vermehrung zu keiner Degeneration der Zellen führt und dass sie keine zufällige Erscheinung ist, welehe nur zu einer oder einigen Zellen Be- ziehung hätte. Gleiche achromatische Kerne wurden schon früher von Oellacher!) und Janosik?) beobachtet, auch von M. Kowalewski?), der sie bei Carassius auratus abgezeichnet hat. Kowalewski sagt, dass die Kerne eine Bläschenform während der Teilung haben; er meint aber, dass diese hier auf mitotischem Wege erfolgt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass er die amitotische Teilung mit der mitotischen ver- wechselt und zwar dadurch, dass man in mehreren Fällen Eier trifft, deren Zellen Kerne in verschiedenen Phasen der Entwicklung enthalten und während einige mit bläschenförmigen oder polymorphen Kernen verschen sind, man in Anderen schon runde, mit chromatischer Sub- stanz, die sich mitotisch teilen, sieht. Kerne der letzteren Form prä- valieren in den späteren Entwicklungsphasen. Bläschenförmige Kerne ohne ehromatische Substanz, die in runde, mit Chromatin versehene über- gehen, wurden von mir bei Lexeiscus erythrophtalmus schon im Jahre 1888 beschrieben *). Im Jahre 1893 beschrieben Koehler und Bataillon?) dieselben bei Leueiscus jaculus. Die genannten Gelehrten kamen auch zu dem Schlusse, dass die Teilung der Blastomeren hier auf mitotischem Wege erfolgt. Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgten sie die Ent- wieklung des Chromatins, welches ihrer Meinung nach in Form von Körnchen erscheint. So gehen denn die bläschenförmigen Kerne nach meinen Beobach- tungen in polymorphe über. In den letzteren entwickelt sich ein achromatisches Netz, und hinterher erscheint das Chromatin. Die mit Chromatin versehenen polymorphen Kerne gehen, wie oben gesagt, in runde über, die sich schon beständig mitotisch teilen. So glaube ich denn, dass die Kerne in einer heihe von Zellengenerationen bestimmte Entwiecklungsphasen durchlaufen. Zellen mit runden chromatischen Kernen, die eine Centrosome und Sphäre enthalten, und auch solche mit zwei Sphären und Centrosomen und verschiedenen Phasen der { 4) J. Oellacher, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische nach Beobachtungen am Bachforelleneie. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXI, 1872. 2) J. Janosik, Partielle Furchung bei den Knochenfischen. Arch. f. mikr. Anatomie, Bd. XXIV, 1885. 3) M. Kowalewski, Ueber die ersten Entwicklungsprozesse der Knochen- fische. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XLIIl, 1886. 4) W. Reinhard, Entwicklung der Keimblätter, der Chorda und des Mittel- darmes bei den Cyprinoiden. Zool. Anzeiger, Nr. 293, 1888. 5) R. Koehler et E. Bataillon, Observations sur les phenomenes karyokinetiques dans les cellules du blastoderme de Teleosteens. Comptes rendus, T. CXVII. Reinhard, Amitotische Teilung der Zellen. 495 mitotischen Teilung sind sehr gut zu sehen. Es ist sehr leicht, ver- schiedene Uebergangsformen zwischen den polymorphen ehromatin- haltigen und den runden Kernen zu beobachten. Runde ehromatin- haltige Kerne teilen sich auch zuweilen amitotisch, durch Einschnürung, aber in diesen Fällen ist es mir nicht gelungen, Centrosomen und Sphären zu finden, und eine solche Teilung führt zur Bildung von zweikernigen Zellen, die man zuweilen in der Deckschicht, so wie auch in den darunter liegenden Zellen trifft. Mitunter sieht man auch un- gleiche Teilung des Kernes.. Was mit den Teilungsprodukten weiter- hin vorgeht, ist mir unbekannt, jedenfalls konnte ich ihre Zerstörung sowie auch die der polymorphen Kerne nicht beobachten, obgleich ich mehrere Serienschnitte durchmusterte. Die allmähliche Entwicklung des Uhromatins kann auch als Zeichen dessen dienen, dass wir hier keinen Zerstörungsprozess, sondern einen normalen Entwicklungsprozess vor uns haben. Es unterliegt mir keinem Zweifel, dass die bläschen- förmigen und polymorphen Kerne nicht degenerierende, sondern normale Kerne in normalen Zellen sind, sonst müsste man ein Verschwinden einer Menge, ja zuweilen sämtlicher Zellen des Eies und ein Ersetzen derselben durch neue, auf unbekannte Weise entstehende Zellen an- nehmen. Es kann auch kein Zweifel darüber besiehen, dass alle Zellen, deren Kerne sich anfänglich amitotisch teilen, sich späterhin mitotisch zu teilen anfangen. Ich komme also zu einem Schlusse, welcher dem oben angeführten vom Rath’s widerspricht. Da das Parablast aus den Blastomeren gebildet wird, so können selbstverständlich die Kerne, die sich mitotisch teilen, wieder eine be- sondere Form annehmen, größer werden und sich amitotisch durch Einschnürung oder Fragmentation teilen. Ich habe Grund zu glauben, dass das Parablast beim Embryo nicht spurlos verschwindet und dass seine Kerne, umgeben vom Proto- plasma, sieh in Zellen zu differenzieren im Stande sind, die einen ge- wissen Anteil an der Bildung von Organen des Embryos haben. Wenn dem so ist, so wäre das eine Bedingung zum abermaligen Uebergang von der amitotischen zur mitotischen Teilung der Kerne. Ich kann hier die interessanten Arbeiten von Meves nicht un- erwähnt lassen, welcher zu dem Schlusse gekommen ist, dass die polymorphen Kerne in den Hodenzellen des Salamander zu einer be- stimmten Zeit in gewöhnliche runde, welehe sich mitotisch teilen, übergehen. Diese Beobachtung wird durch die Beobachtungen von Nieolas und Benda bestätigt. Wenn auch vom Rath in seiner letzten Sehrift wieder einige Einwände gegen Meves macht, so haben diese doch einen mehr polemischen Charakter und die Thatsachen werden nicht widerlegt. Obgleich ich die Entwicklung der Samen- fäden bei den Amphibien nicht selbst untersucht habe, erlaube ich mir doch die Vermutung auszusprechen, dass Meves nicht mit degenerieren- 496 zur Strassen, Riesenembryonen bei Ascaris. den sondern mit normalen Zellen zu thun hatte, deren Kerne gewisse Entwieklungsphasen durchmachen, welche vielleicht auch hier sieh nicht auf die zwei beschriebenen beschränken, da der Zustand der Hodenzellen noch nicht allmonatlich im Laufe des ganzen Jahres unter- sucht wurde. Dahin weisen auch die Beobachtungen Benda’s, welcher sagt, dass das Chromatin in den polymorphen Kernen sich allmählich entwickelt. — Ich erhielt zu meinen großen Bedauern die Arbeit des Herren haffael (Osservazioni sul foglietto epidermico superficiale degli embrionı dei Pesei ossei. Mitt. aus .d. zool. Stat. zu Neapel, Bd. XII, 1895) viel zu spät, um sie hier berücksichtigen zu können: mein Aufsatz in russischer Sprache (Arbeiten d. Gesellsch. d. Naturf. an der k. Univ. zu Oharkow, Bd. XXIX, 1595) war schon abgedruckt und die deutsche Handschrift zum Absenden bereit. Eins will ich nur hier bemerken, nämlich, dass ich auch jetzt alle in dieser meiner Schrift mitgeteilten Ansichten aufrecht erhalten muss. — Riesenembryonen bei Ascaris. Von Dr. 0. zur Strassen. Unter den mancherlei Problemen, an denen experimentierende Ent- wicklungsmechaniker sich versuchen können, dürfte eins der denk- würdigsten das sein, ob es gelingen werde, aus der Vereinigung mehrerer Eier zu einem neuen Ganzen ein normal-gestaltetes Geschöpf zu er- halten. Man hat in vielfach wiederholten Versuchen die Anlagesubstanz dividiert, durch 2, 4, 8, und meist gefunden, dass aus dem Teilstücke ein ganzer Embryo hervorzugehen vermag. Was aber wird geschehen, wenn man die Anlagesubstanz multipliziert ? Ich finde in der Litteratur nur einen einzigen Versuch, der interes- santen Frage näher zu treten, und dieser eine bezeichnet sich selbst als „negatives Resultat“. H. Driesch!) machte die Beobachtung, dass membranlose Seeigeleier sich unter besonderen Umständen zu zweien, dreien oder vielen auf das engste aneinanderschmiegten und eine polygonal abgeplattete Gestalt gewannen, wie Furchungszellen. Aber bei der Entwicklung verhielten sich trotz des innigen Zusammen- schlusses die scheinbaren Blastomeren nicht wie solche, sondern wie selbständige Bier: die Furchungshöhlen blieben getrennt, und mit der Bildung der Blastula wurde die Scheidung definitiv. Unversehrte Eier zu einem mehrzelligen aber embryologisch ein- heitlichen Komplexe zu verbinden, sie gleichsam zu Furchungskugeln 1) Driesch, Beitrag IX, p. 235 (Mitteilungen aus der Zool. St. Neapel, Bd. 11, 1893). zur Strassen, Riesenembryonen bei Ascarzs. 497 zu degradieren, war also nicht geglückt. Es gibt aber noch einen andern Weg zum Ziele, eigentlich den näher liegenden: die wirkliche, substanzielle Verschmelzung der Eier — nicht zu einem Furchungs- komplexe, sondern zu einem neuen ungeteilten Ei. Wir begreifen indess leicht, dass dieses Verfahren eine noch weit geringere Chance des Gelingens darbieten müsse. Denn selbst wenn man eine Methode fände, die Plasmaleiber zu vereinigen, wie wollte man die Kerne zu- sammenbringen, mit deren Verschmelzung die Multiplikation der Anlage- substanz doch erst vollkommen werden würde? So scheint es denn um die Aussicht, die von uns aufgeworfene Frage auf experimentellem Wege beantwortet zu sehen, schlecht bestellt. Da hilft uns die Natur und macht selbst das schwierige Experiment. Unter den Eiern, die man dem Uterus der Ascaris megalocephala entnimmt, und die alle kugelrund und von genau gleicher Größe sind, findet man hin und wieder ein einzelnes von sehr abweichender Bil- dung. Erstens ist die Form ungewöhnlich: nicht rund, sondern ellip- tisch, biskuit- oder sanduhrförmig, und zweitens übertreffen solche Eier die normalen ganz bedeutend an Größe. Denn dem Volumen eines gewöhnlichen Eies entspricht schon die Hälfte des monströsen, das ganze oblonge Gebilde ist also doppelt so groß, und man gewinnt sofort den Eindruck, dass hier zwei Eier zusammengeflossen seien. Der Erste, der solche Rieseneier gesehen und abgebildet hat, war Öarnoy!). Er meinte aber, es seien Eier, die im Begriffe ständen, sich ungewöhnlicher Weise durch „Stenose“ in zwei Hälften zu zer- schnüren. Seitdem sind die auffallenden Doppeltgebilde erst in neuester Zeit von Luigi Sala?) wiedergefunden, diesmal aber eingehender und mit mehr Verständnis besprochen worden. Sala unterscheidet zwei Typen von hieseneiern, die einander äußerlich ähnlich, ihrer Entstehungs- weise nach aber gänzlich verschieden sind. Erstens kann es geschehen, dass die letzte in der Keimzone stattfindende Teilung zwei Ureier nicht vollkommen von emander scheidet, so dass zwar die Kerne ge- trennt werden, die Plasmaleiber jedoch zu einem sanduhrförmigen Ge- bilde vereinigt bleiben. Jeder Kern bildet selbständig beide Richtungs- körper, das Doppelei als Ganzes nimmt aber nur ein einziges Sperma- tozoon auf; demnach enthält es nach der Befruchtung eine größere als die normale Anzahl von Chromosomen, nämlich acht bei der Varietät bivalens, sechs bei zmivalens. Alle vorhandenen Schleifen 4) Carnoy, La vesicule germinative et les globules polaires de l’ascaris megalocephala. La Cellule, Tome II, fasc.1, 1879. 2) Luigi Sala, Experimentelle Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung des Eies bei Ascaris megalocephala. Archiv für mikroskopische Anatomie, 44. Bd., S. 422, 1895. 428 zur Strassen, Riesenembryonen bei Ascaris. vereinigen sich endlich zu einem gemeinsamen ersten Furchungskern. — Eine ganz andere Form von Doppelbildung ließ sich zuweilen an den Eiern solcher Weibehen beobachten, die Sala der Einwirkung bedeu- tender Kältegrade ausgesetzt hatte. Zwei, drei oder selbst noch mehr Eier vereinigten sich zu einem monströsen Gebilde von oft sehr sonder- barer Form, indem die Schalen an ihrer Berührungsstelle sich er- weichten und auflösten, die Plasmaleiber aber durch den entstandenen Kanal zusammenflossen. Solche Rieseneier enthielten gewöhnlich eben- soviel Spermatozoen als Keimbläschen, manchmal aber auch eine ge- ringere oder eine größere Anzahl, und gaben durch diese Unbestimmt- heit eime gewisse krankhafte Schwäche zu erkennen, wie sie auch hinsichtlich ihres Entwicklungszustandes meist etwas zurückgeblieben waren. Weder diese Form der Zweifachbildung noch die vorher be- schriebene wurde über die Bildung der ersten Furchungsspindel hinaus verfolgt. — Luigi Sala legt sich auch die Frage vor, ob die mon- strösen Eier zu weiterer Entwicklung fähig seien. Er glaubt diese Frage nie für die durch Kälte erzeugten, offenbar krankhaften Eier verneinen zu müssen. Sonach hat Sala die Möglichkeit einer Multi- plikation von Anlagesubstanz zwar festgestellt, allein über den Aus- sang des Experimentes vermochte er nichts in Erfahrung zu bringen. Mir selbst sind gelegentlich einer Untersuchung über die Embryo- genese der Ascaris megalocephala unter zahllosen Eiern nur drei Fälle von Zweifachbildung vor Augen gekommen. Indess fügen sich, wie die nähere Beschreibung lehren wird, diese drei Fälle den von Sala gegebenen Typen nicht ohne weiteres ein. oO "NR N.Ar' Fig. 1. Riesenei von Ascaris megalocephala. Nach einem konservierten Prä- parate. R%‘ und R%“ erster und zweiter Richtungskörper. Das erste Exemplar fand ich auf einem Präparate von konser- vierten und mit Karmin gefärbten Biern der Ascaris m. bivalens (Fig. 1). Die beiden Plasmaleiber waren zu einem großen kugelrunden Ballen zusammengeflossen, der die eine Häifte der sanduhrförmigen Doppel- schale nieht nur völlig erfüllte, sondern durch seine Gegenwart sogar eime Erweiterung und stellenweise Verdünnung derselben herbeigeführt zur Strassen, Riesenembryonen bei Ascaris. 495 hatte. Umgekehrt zeigte sich die andere, leere Hälfte dem normalen Verhalten gegenüber verkleinert und verdiekt. Jede Halbsehale ent- hielt an der gewohnten Stelle den ersten Riehtungskörper. Das Doppelei selbst hatte dieht vor der Bildung der Aequatorialplatte gestanden. Es umschloss vier normal gestaltete, im Verhältnis zum Ei daher auf- fallend kleine Chromosomen und zwei etwas seitlich daran gelegene deutliche Strahlenfiguren. Außerdem haftete dem Riesenei ein großer rundlieher Körper von durchsichtiger Beschaffenheit an, in dessen Innerem eine Anzahl gefärbter Chromatinkörner zu erkennen waren. Leider ließ sich deren Anzahl nieht mit Sicherheit bestimmen; min- destens waren es vier, wahrscheinlich aber sechs. Ohne Frage stellte das Gebilde den von beiden verschmolzenen Zellen gemeinsam aus- gestoßenen zweiten Richtungskörper dar. Da an den anderen, lebend von mir untersuchten Rieseneiern über die Kernverhältnisse nichts weiteres zu erfahren war, als dass auch sie zwei getrennte erste Richtungskörper, aber nur einen einzigen „weiten von unverhältnismäßiger Größe enthielten, so nehmen wir an, alle drei Doppelbildungen seien auf übereinstimmende Weise zu stande gekommen, und versuchen gleich an dieser Stelle die Deutung unseres Befundes. Die Monstrositäten waren wie bei dem ersten der von Sala beschriebenen Typen ohne experimentelles Zuthun meinerseits auf- getreten. Allein wenn ich die mir gelieferten Würmer nicht absicht- lieh der Kälte aussetzte, so war ich doch auch nicht besonders be- müht, sie davor zu bewahren, und da meiner Untersuchung in den Winter fiel, so ist es keineswegs ausgeschlossen, dass unsere Doppelt- bildungen wie beim zweiten Typus durch Kälteeinwirkung während des Transportes veranlasst worden seien. Die anatomischen Verhält- nisse unseres hieseneies gestatten jedenfalls keinen Schluss auf seine Zugehörigkeit zum einen oder zum andern Typus, denn in der Be- schaffenheit der Polzellen sowie durch den Umstand, dass nicht eine größere sondern die normale Anzahl von Chromosomen vorhanden ist, unterscheidet es sich ganz wesentlich von beiden. Die Gegensätzlich- keit, die in der Bildungsweise der getrennten ersten und des gemein- samen zweiten Riehtungskörpers hervortritt, legt den Gedanken nahe, dass die Verschmelzung nachträglich, und zwar zwischen den beiden Reifteilungen stattgefunden habe. Allein dies Datum könnte nur für die Kerne gelten; die Plasmaleiber müssten schon früher zusammen- geflossen sein. Es geht nämlich, wie wir gleich sehen werden, aus der Zahl der vorhandenen Chromosomen hervor, dass keinesfalls mehr als ein Spermatozoon in das Ei gelangt ist. Die Verschmelzung der Eikörper muss also bestimmt vor der Befruchtung stattgefunden haben. Diese aber fällt bei Ascaris in eine Zeit, in der überhaupt noch keine Richtungskörper zur Ausscheidung gekommen sind. — Von besonderem Interesse ist nun die Frage nach der Herkunft der Chromosomen, die 430 zur Strassen, Riesenembryonen bei Ascarıs. das Doppelei samt seinen Riehtungsbläschen enthielt. Nehmen wir an, der Reifungsvorgang habe für jedes Halbei zur Elimination der nor- malen Chromosomenzahl geführt, und das Ganze sei durch ein einziges Spermatozoon befruchtet worden, so müssten eigentlich, da es sich um die Varietät divalens handelt, im Ei sechs Kernschleifen enthalten sein. Statt dessen aber trafen wir die normale Anzahl von vier Chromo- somen an. Das lässt sich nicht anders begreifen, als dass entweder überhaupt kein Spermatozoon hineingekommen ist, die Eier sich also gleichsam gegenseitig befruchtet haben, — oder dass die überzähligen Kernschleifen wiederum entfernt worden sind. In der That schien der gemeinsame Richtungskörper sechs Chromosomen zu enthalten. Eine genaue Zählung wurde durch ungünstigen Erhaltungszustand leider vereitelt, aber die kolossale Größe, die das Gebilde bei diesen und den beiden übrigen Eiern aufwies, macht es wahrscheinlich, dass wir in dem stattlichen Plasmaklumpen mehr als nur die Summe zweier Rich- tungskörper zu erblicken haben. Der zweite Fall von Rieseneibildung, den ich beobachten konnte, führt uns nicht wesentlich weiter. Die Schale des lebendigen Doppel- eies war nur wenig eingeschnürt, der Umriss fast regelmäßig oval, die Plasmaleiber hatten sich, wie beim ersten, zu einem kugelrunden Ballen vereinigt. Bei dem Versuche, das Monstrum zu konservieren, ging es verloren. Ein besonders glücklicher Fund war der dritte und letzte Fall. Hatten wir bis dahin Gelegenheit, uns über die Einzelheiten des Ver- schmelzungsvorganges, die Versuchsbedingungen zu unterriehten, so eibt uns dies dritte Riesenei erwünschte Antwort auf die Frage nach dem Ausgange des Experimentes. Auf einem Präparate von lebenden Ascaris-Eiern, die seit längerer Zeit der Entwicklung überlassen wor- den waren und ein Stadium von 250 bis 300 Zellen erreicht hatten, fand ich ein Riesenei von der gewöhnlichen Bildung. Die Schale war regelmäßig biskuitförmig, enthielt an zwei entfernten Stellen die beiden Fig. 2. Riesenei nach dem Leben. Fig. 3. Dasselbe Ei dreizehn Tage später, darüber ein normaler Ascaris - Ei. Imhof, Fortpflanzung des Aales. 431 ersten Riehtungskörper und, der Innenwand angeklebt, einen gemein- samen zweiten von kolossaler Größe (Fig. 2). Der Embryonalkörper, den diese Schale umschloss, unterschied sich von den gleichaltrigen seiner Umgebung auffallend genug durch seine Riesenhaftigkeit, sonst aber trug er durchaus die Züge eines normal gestalteten Ascaris- Embryo, ja, es schien, soweit sich das im Leben beurteilen ließ, nicht “einmal wesentlich in der Entwicklung zurückgeblieben zu sein. Ich wünschte das fernere Schicksal des jungen Riesen zu erfahren und hielt ihn unter dem Deckglas lebendig. Nach dreizehn Tagen war aus dem eiförmigen Zellhaufen ein langgestreckter, diekköpfiger Embryo geworden, der sich indess von der normalen Form jetzt wesentlich unterschied (Fig. 3). Statt nämlich den Hinterleib hakenförmig umzu- biegen, trug er ihn unter dem Zwange der Raumverhältnisse fast gerade gestreckt (oder sind es umgekehrt die normalen Embryonen, die sich in der Zwangslage befinden?), und zweitens wies die relative Plumpheit seines Körpers darauf hin, dass seine Entwicklung, wie sich erwarten ließ, eine geringe Verzögerung erlitten hatte. Die Einschnürung der Doppelschale zeigte sich gegen früher um eine Kleinigkeit ver- mindert. Wenige Tage später begannen die Würmer abzusterben. Ein Versuch, den Riesenembryo zu konservieren und zu färben, misslang. Das Ergebnis dieser kleinen keihe von Beobachtungen ist folgen- des: Es kann unter gewissen noch nicht genau bekannten Verhältnissen geschehen, dass zwei Eier von Ascaris miteinander verschmelzen. Das entstandene doppelwertige Ei ist entwicklungsfähig. Die Multiplikation des Eiplasmas hat also den typischen Ablauf der Ontogenesis innerhalb überraschend weiter Grenzen nicht zu hem- men vermocht, dagegen scheint es, als sei die Chromosomenzahl von höherer Bedeutung für den Entwicklungsgang; in den von uns be- schriebenen Eiern würde der normale Bestand — anscheinend durch eine ungewöhnliche Form von Riehtungskörperbildung — vor Beginn der Furchung hergestellt. Ich unterlasse es, aus den mitgeteilten Thatsachen an dieser Stelle Schlüsse zu ziehen; sie liegen ja zum Teil auf der Hand. Vor allem dürfte es denjenigen nicht leicht werden, sich mit den Riesenembryonen abzufinden, die das punctum saliens jeder typischen Entwicklung in einem anisotropen Baue des Eiplasmas erblicken möchten. kovigno, 16. März 1896. Fortpflanzung des Aales. Von Dr. Othm. Em. Imhof. Nach den bisherieen Untersuchungen musste angenommen werden, \ 5 8 8 dass sich der Aal nur im Meere fortpflanze. Von den vielen Autoren die über die Vermehrung des Aales ge- E k ; o° o schrieben haben, dürfte Brehm allein die Frage: ob der Aal auch im 439 Imhof, Fortpflanzung des Aales, Süßwasser laiche, als noch zu stellende und noch zu beantwortende an- gesehen haben. Es ist daher der Nachweis der Fortpflanzung eingesetzter Aale in einem Alpensee, eine der interessantesten Entdeckungen. Im Jahre 1832 wurden im Kanton Graubünden eirca 3000 Stück junge Aale in zwei Seen: Heidsee 1407 m ü. M. auf der Lenzerheide zwischen Chur und Tiefenkasten, und Caumasee 1000 m ü. M. zwischen Reichenau und llanz, und in ein drittes Wasserbecken, in den Weiher des Klosters Churwalden, eingesetzt. Im Heidsee und im Klosterweiher scheinen die Aale ausgestorben zu sein. Im Caumasee aber sind sie sehr gut fortgekommen. Im April 1886 wurde wieder eine kleinere Anzahl und im Juni 1887 15000 Stück in den Caumasee und etwa 5000 Stück in den naheliegenden Laaxersee 1020 m ü. M. eingesetzt. In diesen zwei Seen gedeihen gegenwärtig die Aale sehr gut und erreichen eine Länge bis zu 1,3 Meter. Seit 1887 sind keine neuen Aale eingesetzt worden, so dass alle nun vorhandenen annähernd 8—9 Jahre alt sein müssen, oder aber, wenn jüngere Aale gefunden werden, so muss Fortpflanzung erfolgt sein. Letztes Jahr im Juni erhielt Herr Dr. med. pract. P. Lorenz!) in Chur, der sich mit der Fischfauna der Seen Graubündens beschäftigt, eine zweite Sendung von Aalen, 5 Stück, aus dem Oaumasee. Von diesen 5 Exemplaren wurde eines als ein Männchen erkannt. Es misst 47 cm Länge und zeigt deutlich die charakteristischen äußeren Merkmale der Aalmännchen: Auffallend dunkle Hautfärbung. Kopf kurz, breit, rasch zu einer abgerundeten schmalen Schnauze verjüngt. Maul sehr klein. Augen viel srößer als beim Weibchen und stark vortretend. Dorsalflosse niedriger als beim Weibchen. Diese äußeren Merkmale reichen wohl immer aus, um das Geschlecht der lebenden Aale erkennen zu können. Die Untersuchung der Generationsorgane dieses noch kleinen Exem- plares ließ die äußere Bestimmung bestätigen. Da eine Einwanderung junger Aale auf natürlichem Wege höchst unwahrscheinlich ist, so ist aus dem Vorkommen kleiner Aale und dem Fund eines Männchens der Schluss vollkommen berechtigt, dass im Cauma- see die eingesetzten Aale sich vermehrt haben müssen und können. Der Besitzer dieses männlichen Exemplares hatte die Freundlichkeit mir dasselbe vorzuweisen und mir ein Stückchen der Generationsdrüse herauszuschneiden. Jch glaube Spermatozoen beobachtet zu haben und hoffe später diesen Nachweis noch bestätigen zu können. Der Caumasee, der durch diese Entdeckung von Herrn ‚Dr. med. pract. P. Lorenz zu wissenschaftlicher Berühmtheit gelangt, liegt auf der linken 'Thalseite des Vorder-Rheins in der Nähe der Poststraße von Chur nach dem Oberalp- und Lukmanierpass, 21 Kilometer von Chur weg, süd- lich von Flims und den Waldhäusern, dem berühmten Alpenkurorte, in einem kleinen Wassergebiet von kaum 3 km Länge und 14 km Breite, ohne oberirdischen Abfluss, in welchem Wassergebiet noch 2 etwas kleinere 1) Jahresbericht der naturf. Ges. Graubündens, XXXIX, 1896. Eisler, Homologie der Extremitäten. 433 interessante Seen, der Prau pulte und Prau duleritig, letztere 2 durch einen Bach in Verbindung miteinander, und ein ganz kleiner See bei Staderas ohne oberirdischen Zu- und Abfluss gebettet sind, die fast aus- schließlich von am Grunde eintretenden Quellen genährt werden. Der Caumasee misst 570 m Länge, 240 m Breite und circa 30 m Tiefe (nach Coaz), erwärmt sich im Sommer bis auf 23 HE: Er hat eine an Individuen sehr reiche pelagische Fauna, doch habe ich bisher nur eine Daphnia-, eine Dosmina- und eine Uyelops- Species gefunden. Littoral ist er besonders reich an Wasser-Coleopteren, die einen Teil, nach Untersuchung des Darmtraktus, der Nahrung der Aale reprä- sentieren. Die Homologie der Extremitäten. Von Dr. P. Eisler. Zur Abfassung des nachstehenden Selbstberichts über eine bereits vor Jahresfrist erschienene Abhandlung !) werde ich veraulasst durch das Referat K. v. Bardeleben’s im letzten Bande der „Ergebnisse der Anatomie“ ?), welches auf die für meine Stellungnahme Ausschlag gebenden Punkte so wenig eingeht, dass ein mit der Originalarbeit unbekannter Leser von deren Inhalt eine rechte Vorstellung nicht erhalten kann. Es bietet sich damit eine Gelegenheit Manches kürzer, vielleicht auch schärfer zu fassen und zugleich einige im Laufe des verflossenen Jahres erschienene Veröffentlichungen, die mit der Frage der Extremitätenver- gleichung im engsten Zusammenhange stehen, zu berühren. — Die Geschichte der Versuche zur Lösung des Problems lässt durch- gängig eine genaue Präcisierung der ursprünglichen Funktion der kranialen und kaudalen Extremität vermissen ?). Und doch ist die ursprüng- liche Funktion von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der definitiven Gliedmaßenstellung und ebenso für die Ausbildung von Skelett und Muskulatur in den einzelnen Gliedmaßenabschnitten. Sobald bei Wirbeltieren überhaupt kraniale und kaudale Extremitäten- paare auftraten, müssen sie stets ungleiche Funktion besessen haben. Sie waren nie einfache Stützen, sondern stets hauptsächlich Lokomotionsorgane und hatten als solche andre Funktionen, je nachdem sie vor, d. h. kranial, oder hinter, d. h. kaudal zu dem Schwerpunkte am Körper saßen. Die kraniale Extremität hatte stets den Körper vorwärts zu ziehen, die kaudale konnte ihn immer nur vorwärts schieben. Mögen im weitern Verlaufe der phyletischen Entwicklung noch so viele Nebenfunktionen hin- zugekommen sein, die Grundfunktion wird stets erkennbar bleiben müssen. 1) Die Homologie der Extremitäten. Morpholog. Studien. 3 Lopp.- Tat. und 17 Figuren im Text. Abhandl. Naturforsch. Ges. zu Halle, 19. Bd., 3. u. 4. Heft, 1895, S.1-258 (87—344). 2) Merkel-Bonnet, Ergebnisse d. Anat. u. Entwicklungsgesch., 4. Bd,, 13894 Wiesbaden 1895. 3) Die einzige Ausnahme bildet Humphry, der 1876 auf die „traetion funetion“ der kranialen und die „propelling funetion“ der kaudalen Gliedmaße hinwies (On the fore and hind limbs in vertebrates. Jour. Anat. and Physiol. Vol. X). XVI, 28 434 Eisler, Homologie der Extremitäten. Falls man nicht kurzer Hand die Möglichkeit einer Anpassung leugnet, wird man zugeben, dass die prinzipielle Differenz in der Funktion selbst bei ursprünglich völlig gleicher Anlage schon in frühester Zeit zweck- entsprechende Abänderungen anregen musste. Wir werden also bei den primitivsten Vierfüßlern, den urodelen Amphibien, bereits solche Anpas- sungen zu erwarten haben. & Erwägen wir aber weiter, dass trotz der Differenz in der Grund- funktion der ganzen Extremitäten doch wieder für die distalen bezw. terminalen Abschnitte insofern Funktionsgleichheit besteht, als sie mit Einrichtungen versehen sein müssen, die ein Haften und Festhalten an der Unterlage ermöglichen, wenn anders der Zug der kranialen, der Schub der kaudalen Extremität von Erfolg für die Vorwärtsbewegung sein soll, so leuchtet ein, dass für beide Extremitäten im distalen und terminalen Abschnitt analoge d. h. physiologisch gleichartige Anordnung und Ausbildung der Muskulatur und des Skeletts vorhanden sein kann, ohne dass von Homologie d. h. morphologischer Gleichartigkeit die Rede zu sein braucht. Das Nichterkennen dieses verhältnismäßig einfachen 'T'hatbestandes hat uns die große Anzahl unbefriedigender, mehr oder minder gewaltsamer Vergleichungsversuche gebracht, die alle auf die Homologisierung des Radius mit der Tibia, der Ulna mit der Fibula, des Daumens mit der Großzehe hinauslaufen und sich in neuerer Zeit hinter Gegenbaur’s Autorität verschanzen. Aber auch Gegenbaur hat die Funktion der Extremitäten nicht richtig erkannt und einfach vorausgesetzt, dass die analog gelagerten Skelettstücke des Vorderarms und Unterschenkels bei Säugerembryonen und Amphibien auch homolog seien. Jeder Homologi- sierungsversuch, der nicht am Gürtel und proximalen Abschnitt der Ex- tremitäten beginnt, sondern stillschweigend oder ausgesprochen zuerst Distal- und Terminalabschnitte berücksichtigt, kann von vornherein als verfehlt betrachtet werden. Die neuerdings mehrfach ventilierte Frage nach der Ausgangs- stellung ist für die Vergleichung der Extremitäten irrelevant. Besteht ein gemeinsamer Bauplan für kraniale und kaudale Extremität, so muss er sich in jeder Stellung erkennen lassen !). Vollkommen einwandsfrei lässt sich die phylo- und ontogenetisch primitive Stellung der Extremitäten nur unter der Führung der Innervation rekonstruieren. Die erste Anlage einer Extremität erscheint als Längsfalte an der seitlichen Rumpfwand. Mit der Ausbildung von Hautnerven werden die Zweige für den kranialen Rand der Falte in segmentaler Folge aus weiter kranial entspringenden Spinalnerven abgehen als die Zweige für den kau- dalen Rand. — Weiterhin entsendet eine Anzahl aufeinander folgender Myotome Fortsätze, die an der Basis der Hautfalte zu einer ungesonderten Masse konfluieren. Zugleich mit den Myotomen wuchern die zugehörigen 1) Abgesehen davon aber ist als Indifferenzlage des Radius und der Hand nicht die volle, sondern nur halbe Pronation anzunehmen, sobald der Radius frei beweglich ist, denn nur bei dieser Haltung des Vorderarms erscheinen die bereits am Oberarm abgehenden Muskeläste des Medianus nicht gegen den Stamm des Nerven gedreht. Eisler, Homologie der Extremitäten. 435 Neurotome gegen die Hautfalte und verschmelzen zu einer Leiste. Aus diesem Bildungsmaterial metameralen Ursprungs differenziert sich sekundär die Extremitätenmuskulatur mit ihren Nerven. Alle neueren Untersuchungen über die Innervation der Extremitäten- muskeln zeigen als gemeinsames Resultat, dass trotz des Verlustes einer metameralen Abgrenzung in polymeren Muskeln das Material noch im Sinne der ursprünglichen Reihenfolge der Metameren in kranio-kaudaler Richtung angeordnet ist. Das gleiche Verhältnis wiederholt sich in der Anordnung der gesamten Muskulatur der Extremität. Die Extremitäten- muskeln sind in der Reihenfolge der Metameren, die sich an der Bildung der Extremität beteiligen, nebeneinander gelagert. In den wenigen Aus- nahmefällen handelt es sich um Verschiebungen während der Phylogenese, die sich mehr oder minder leicht verfolgen lassen. Die Hautfalte der ersten Anlage wie die bereits weiterentwickelte, aber noch plattenartige Extremität lässt äußerlich eine dorsale und eine ventrale Fläche unterscheiden. Auch im Innern wird die in die Falte einwachsende Muskelmasse durch die inzwischen aufgetretene Skelettanlage in eine dorsale und eine ventrale Schicht geteilt. Die aus dem primitiven Plexus an die Muskulatur und Haut tretenden Nervenstämme ordnen sich ebenfalls in dorsale und ventrale. Da sich nun an der fertigen Extremität die gleiche Sonderung der Nerven mit einiger Geduld selbst bis in die Plexuswurzeln ausführen lässt, so gewährt uns also die Nervenverteilung einen untrüglichen Anhalt einmal für die Bestimmung der beiden Hauptflächen der Extremitäten und der dorthin gehörigen dorsalen und ventralen Muskulatur, zweitens für die Bestimmung des ursprünglich kaudalen bezw. kranialen Randes, woraus sich von selbst ergibt, welche Stellung der Extremitäten für die Ver- gleichung die bequemste ist. Mit Hilfe dieser Betrachtungen erkennen wir ohne weiteres an der menschlichen Schultergliedmaße als ursprünglich kranialen Rand die Lateral- fläche des Oberarms, den Radialrand des Vorderarms und der Hand (d. h. das Versorgungsgebiet des 4.—6. Cervikalnerven), als ursprünglich kau- dalen Rand den Ulnarrand der Hand und des Vorderarms nebst der Medialfläche des Oberarms (Gebiet des 8. Cervikal-, 1. u. 2. Dorsalnerven). Eine Pronation des Vorderarms würde die Innervation der Hand um 180° gegen die der Kubitalgegend drehen. Für die Beckengliedmaße ist als ursprünglicher Kranialrand die Medialfläche des Oberschenkels, der Tibial- rand des Unterschenkels und Fußes (Nn. lumb. II--IV) zu betrachten, als kaudaler Rand der fibulare des Fußes und Unterschenkels, die Lateral- fläche des Oberschenkels (Nn. sacrales I u. II). Eine Pronation des Unter- schenkels (Holl, Stieda) existiert nicht. Für die Muskulatur der Extremitätengürtel und die Haut darüber gilt natürlich das Gleiche wie für die freie Extremität. Wesentlich er- leichtert wird aber die Bestimmung der kranialen und kaudalen Ränder, wenn man mittels der von Bolk!) zuerst angegebenen Methode nach Feststellung der Anheftung und der Innervation der am Gürtelskelett inserierten Muskeln die Grenzlinien der einzelnen Segmente über das 4) L. Bolk, Beziehungen zwischen Skelett, Muskulatur und Nerven der Extremitäten ete. Morph. Jahrb., Bd. 21, 1894. 28* 436 Eisler, Homologie der Extremitäten. Skelett zeichnet und dann unter Reduktion der so gewonnenen „Sklero- zonen“ auf einen einheitlichen kranio-kaudalen Durchmesser das Abstraktum eines Schulter- oder Beckengürtels konstruiert. Mit diesen Abstrakten arbeitet man leicht und sicher, wie mit einer Formel, selbst wenn die Konstruktionen ihre höchste Vollkommenheit noch nicht erreicht haben. Wir ersehen daraus, dass das Hüftbein sich um eine durch die Artieul. sacroiliaca gelegte transversale Axe gedreht hat: das ursprünglich ventral gelagerte Ischio-pubis ist dadurch kaudalwärts verschoben, der früher kraniale Margo inguinalis wird zum ventralen, der ursprünglich kaudale Margo ischiadieus zum dorsalen Rand. Am Schultergürtel war primitiver Kranialrand der Margo coracoides, Kaudalrand der M. axillaris; die dorsale Scapulaplatte entspricht dem Ileum, zeigt aber gegen dessen kranio-kaudale Breite einen erheblichen Defekt am Kaudal- (Axillar-) Rande. Dem ven- tralen stark entwickelten Ischio-pubis ist an der Schulter nur der Proc. coracoides als Ueberrest des Coracoidapparates niederer Vertebraten gegen- über zu stellen !). Von diesen doch gewiss einfachen physiologischen und morphologischen Feststellungen ging meine Arbeit aus. Die Verfolgung des naheliegenden (Gedankens, mit Hilfe der Nerven noch weiter zu kommen, hat mich nur 1) Bolk bemängelt in seiner Arbeit (Die Sklerozonie des Humerus. Morph. Jahrb., Bd. 23, 1895) meine Scapulakonstruktion besonders hinsichtlich .der ventralen Partie, der ich eine zu geringe Ausdehnung gegeben haben soll. „E. lässt die ganze Ventralportion des Schultergürtels nur durch den kleinen, die Coracoidanlage darstellenden Fortsatz dargestellt sein“. -- Auf diesem kleinen Fortsatz steht in meiner Konstruktion „Proc. cor.“, während die Aus- dehnung des Coracoids punktiert angedeutet ist. Der Text (S. 54—59) spricht aus, dass und weshalb ich im Processus coracoides nur ein Rudiment des primi- tiven Coracoids sehe. Nicht die Sklerozonenkonstruktion, sondern vergleichend- anatomische Erwägungen veranlassen mich, den Fortsatz in dorsoventraler Richtung so kurz zu halten; für die kranio-kaudale Ausdehnung aber ist der Pectoralis minor nieht verwertbar, denn dessen Insertion am Processus eorae. ist erst erworben, liegt ursprünglich auf dem 'Tubereul. maius humeri (vergl. meine Arbeit S. 94). Für die Breite der „Coracoidanlage“ dagegen ist der Muskel benutzt. Mein Ziel bei der Konstruktion bestand weder darin, die von Bolk angenommene „strengste Korrelation“ zwischen Muskeln und Skelett der Extremität zu bestätigen, noch „die Form der eben angelegten Scapula“ dar- zustellen. Ich habe auch nicht ohne Absicht die Spina scapulae (und die Clavikel) aus der Konstruktion weggelassen, denn für meinen Zweck genügte die Berücksichtigung der Fossa supraspinata, obzwar diese ebensowenig pri- mitiv ist als die Clavikel. v. Bardeleben vermutet an dieser Stelle meiner Arbeit einen Schreib- oder Druckfehler. Der Fehler liegt jedoch bei ihm selbst. Denn bei genauerem Durchlesen der in Frage kommenden 11 Zeilen (S. 59 u. 60). wird er finden, dass der Margo coracoides der Scapula nicht gleich dem N. inguinalis des Hüftbeins gesetzt, sondern nur ebenso wie dieser als ursprünglicher Kranial- rand bezeichnet ist, und dass kein Widerspruch gegen diese Angabe darin liegt, wenn ich ganz im Sinne meiner antitropen Vergleichung der Extremitäten an derselben Stelle den kranialen M. coracoides als homolog dem kaudalen M. ischiadieus auffasse. Eisler, Homologie der Extremitäten. 437 bestärkt in der Ansicht, dass die Beziehungen zwischen Muskel und Nerv konstanter und von größerer Bedeutung sind als die zwischen Muskel und Skelett. Natürlich leugne ich nicht das Vorhandensein einer gewissen Konstanz in den Beziehungen zwischen den letztern, aber ich halte zu- gleich nicht das Skelett, sondern die Muskulatur für das Primäre. Man kann sich wohl Muskulatur ohne Skelett als leistungsfähig vorstellen, nicht aber ein bewegliches Skelettstück oder gar einen gegliederten Skelett- abschnitt ohne Muskulatur. Deshalb scheint mir auch Gegenbaur’s!) Versuch, unter Herbeiziehung der Caenogenese seine Gliedmaßenhypothese, die Ableitung des Gliedmaßenskeletts von einem Kiemenbogen, neuerdings zu begründen, nicht gelungen. Bolk’s außerordentlich einfache und des- halb sofort einleuchtende Sklerozonenkonstruktion betrachte ich als eine willkommene Unterstützung meiner Ansichten, denn die ganze Konstruk- tion basiert auf der Kenntnis der Muskelinnervation; ich schließe daraus auf eine. „strengste Korrelation“ zwischen Muskel und Skelett nur insoweit, als das Extremitätenskelett sich nicht beliebig innerhalb seines Muskel- mantels verschieben oder verlagern kann?). Nun ist seit Fürbringer das Verhalten der Innervation bei ver- gleichend anatomischen Untersuchungen bereits vielfach als Anhalt benutzt, sein Wert jedoch auch gelegentlich zu hoch veranschlagt worden. So ist die Unterscheidung der Derivate des Extremitätenplexus in pro-, dia- und metazonale Nerven nur als rein topographische brauchbar, nicht aber morphologisch-diagnostisch, wie Fürbringer will: ein M. infraspinatus, der aus C,C, innerviert wird, kann seine Nerven- fasern das eine Mal ganz durch den prozonalen Suprascapularis, das andre Mal ganz durch den metazonalen Axillaris zugeführt erhalten, ohne dass wir daraus einen andern Schluss zu ziehen berechtigt sind, als dass in den beiden Fällen die Nervenfasern verschiedene Bahnen nach ihrem End- pe 1) Gegenbaur, Das Flossenskelett der Crossopterygier und das Archi- pterygium der Fische. Morph. Jahrb., 22. Bd., 1884. 2) Ich durfte also ruhig bejahen, als v. Bardeleben anfragte, ob ich die Muskeln als Führer bei der Homologisierung der Skelettteile anerkennte. Von einer Ueberschätzung der Führerrolle der Muskeln wird man sich aber hüten müssen, denn die vergleichende Anatomie zeigt uns sowohl Einzel- als Massenverschiebungen in der Muskulatur, Verdrängung der Insertion einerseits, Verbreiterung derselben anderseits ete, Ich empfinde es auch durchaus nicht als Vorwurf, wenn Stieda (Ein Ver- gleich der Brust- und Beckengliedmaßen. Verhandl. Anat. Ges. in Basel, 1895) sagt, ich babe mieh „verleiten lassen, einseitig von den Nerven aus einen Vergleich zu machen“. Stieda hatte damals meine Arbeit noch nicht gelesen, sonst würde er doch vielleicht etliches Brauchbare darin gefunden und erfahren haben, dass der vergleichenden Anatomie der gebührende Platz eingeräumt ist. Stieda experimentiert zunächst mit dem bloßen Skelett und lässt zur Be- seitigung des schroffen Gegensatzes zwischen Vorderarm- und Unterschenkel- knochen Radius und Ulna die Plätze wechseln. Welche Faktoren in Aktion treten, um diese totale Revolution des Vorderarmskeletts hervorzubringen, davon erfahren wir ebensowenig wie von den ursächlichen Momenten. P. Al- brecht’s Bilder sind für eine Beweisführung unbrauchbar, da sie den that- sächlichen Verhältnissen nicht entsprechen. 458 Eisler, Homologie der Extremitäten. gebiete eingeschlagen haben. — Pro- und metazonale Nervenstäinme können sowohl der dorsalen als der ventralen Plexusschicht entstammende Fasern in sich vereinigen, diazonale enthalten (von den Amphibien auf- wärts) stets nur ventrale Plexusderivate. In gleicher Weise sind wir bei der Versorgung eines Muskels durch zwei verschieden verlaufende Nerven, z. B. des Adductor magnus durch Aeste des N. obturatorius und des Ischiadicus, noch keineswegs zu der Annahme genötigt und berechtigt, dass hier 2 verschiedene Muskeln in einen zusammengeschmolzen seien (Ruge). Vielmehr gewinnt die diplo- neure Versorgung eines Muskels erst dann morphologisch-diagnosti- schen Wert, wenn in einen scheinbar einheitlichen Muskel zwei Nerven aus den beiden Hauptschichten des Plexus, also ein dorsaler und ein ventraler Nerv eintreten. Für die spezielle Vergleichung der Extremitäten habe ich mich auf die Seite der sog. Antitropisten gestellt, die neben einer bilateralen auch eine antero-posteriore Symmetrie in der Gliedmaßenbildung voraussetzen, und denen es nicht als unübersteigliches Hindernis erscheint, dass bei der Vergleichung der rechten kranialen mit der linken kaudalen Extremität der Daumen nicht mit der großen, sondern mit der kleinen Zehe zu- sammenfällt. Bei antero-posteriorer Symmetrie sind auch die Plexusnerven in anti- troper Reihenfolge gegenüber zu stellen: VELOLDD, Bu 9, ., 1, PB, 7. Da voraussichtlich, sobald überhaupt ein prinzipiell gleicher Bauplan für kraniale und kaudale Extremität besteht, durch die Anpassung an die verschiedene Funktion die geringsten Veränderungen in den proximalen Abschnitten der Extremitäten hervorgerufen sind, so hat die Vergleichung hier zu beginnen. Bei der Behandlung der Frage, welche Teile des primitiven Schulter- sürtels, speziell des Coracoidapparates, der Urodelen den Säugern fehlen, ergab sich, dass das Procoracoid der Urodelen bereits bei den Anuren bis auf den kurzen Proc. acromialis reduziert, bei Reptilien gänzlich ge- schwunden ist. Ferner dürfen Procoracoid und Clavikel nicht als Syno- nyme verwandt werden, denn die Olavikel tritt erst mit bezw. nach dem Schwund des Procoracoids nicht an dessen Stelle, sondern über dem kra- nialen Rand des Coracoids auf. Die breite Platte des Urodelencoracoids entspricht beiden Spangen des Anurencoracoids und ebenso dem eventuell mehrfach gefensterten Reptiliencoracoid. Der Proc. coracoides der Säuger erscheint nur einem ganz beschränkten Bezirk des Urodeleneoracoids ver- gleichbar, nämlich der das typische Nervenloch kranial-lateral begrenzen- den, gewöhnlich der Wurzel des Procoracoids zugeteilten Partie !). 1) Der Margo coracoides s. superior der Scapula des Menschen und der Säuger von den Beutlern aufwärts ist ebenso wie die Fossa supraspinata (Ursprungsstelle des M. supraspinatus) erst erworben. Bei Ornithorhynchus existiert jenes noch nicht, sondern da entspricht der kraniale Seapularand der Spina seapulae nebst dem Akromion höherer Säuger, eine Fossa supraspinata beginnt sich andeutungsweise zu bilden, indem ein kleiner Muse. supraspin. Eisler, Homologie der Extremitäten. 439 Da hier nicht auf alle Einzelheiten eingegangen werden kann, mögen einige Beispiele die Methode, nach der die Vergleichung vorgenommen wurde, kurz charakterisieren. Der oberflächlichste der vom dorsalen Plexusabschnitt innervierten äußern Schultermuskeln ist der Deltoides. Er ähnelt in seinen Lage- beziehungen am meisten dem ebenfalls dorsal innervierten Glutaeus maximus an der Hüfte. Die Nerven für den Deltoides (C,C,) stammen aus dem kranialen Abschnitt des Plex. brachialis, die für Glut. maximus (S, L,S,) aus dem kaudalen Abschnitt des Plex. lumbosacralis, würden also nach der allgemeinen syntropistischen Vergleichung nicht zusammengebracht werden können, bei antitroper Gegenüberstellung der Plexus dagegen fallen die Hauptnerven beider BESeNT überginau ie ©, 17, 6,] CAdaDen; 15, S, Bi Tr 15% 108 Zugleich erfahren wir aus der Tan raon dass die Homologie beider Muskeln insofern inkomplet ist als der Glutaeus max. aus 3, der Deltoides aber nur aus 2 Metameren Material bezogen hat. Der Anconaeus longus ist ein zweigelenkiger Muskel der dorsal inner- vierten Oberarmgruppe und entspringt kaudal neben dem Schultergelenk; der Reetus femoris ist ebenfalls zweigelenkig, dorsal innerviert, entspringt kranial neben dem Hüftgelenk und zeigt zur Umgebung ganz die näm- lichen Beziehungen wie jener am Oberarm, besonders wenn man die Ein- wärtsrotation des Oberschenkels im Hüftgelenk redressiert. Die Muskeln sind antitrop komplet homolog, denn der Anconaeus wird von Ü,C,, der Rectus von L,L, innerviert: 00,0 [6,0] D S,S, iD, IL,L;| IT Bei zwei andern Nenn dem Small: und Iliacus, scheint die Homologie kaum eines besondern Nachweises zu bedürfen, denn beide entspringen von der Binnenfläche der Dorsalabschnitte ihrer Extremitäten- gürtel, sind dorsal innerviert und setzen sich dicht nebeu Schulter- bezw. Hüftgelenk an Humerus und Femur. Aber hier lässt uns die Innervation scheinbar im Stich, denn der Subscapularis wird aus >, 0, (C,), der Iliacus aus L,L,L, versorgt, so dass bei antitroper Gegenüberstellung der Plexus nur C, mit L, zusammenfällt. Von C, wird aber normaler Weise nur der sog. Subscapularis minor, ein axillares Randbündel des Subscapularis versehen. Eine Konstruktion der Ursprungsflächen des Subscapularis und Dliacus auf den Abstrakten der Scapula und des Hüftbeins zeigt, dass der der Fossa iliaca entsprechende Abschnitt an der Scapula fast völlig fehlt, sodass nur der Subscapularis minor mit dem entlang der Linea ileopeetinea entspringenden Iliaeusabschnitt direkt homologisiert werden darf, falls aber jener nicht vorhanden, eine rein imitatorische Homologie vorliegt. Nun ersehen wir aber aus der vergleichenden Anatomie, dass der Subscapularis in der That vom kaudalen (axillaren) Rande aus auf die Binnenfläche der Seapula vorgerückt ist: dabei kann er recht wohl Material aus weiter kranial gelegenen Metameren erworben haben eben um den Ventralrand der Akromionwurzel herumzuwandern sich anschickt. Der kraniale Scapularand des Ornithorhynchus lässt sich nur mit dem Kranial- rand der Scapula und dem Dorsalrand der Procoracoidwurzel des Urodelen- schultergürtels vergleichen. 440 Eisler, Homologie der Extremitäten. Muskeln. Von den dorsalen Muskeln an den Gürteln und proximalen Abschnitten der Extremitäten ist 1. der Deltoides homolog dem Glutaeus maximus, 2. der Basiodeltoides (Krause), der Costodeltoides (Calori) homolog dem Tensor fasceiae; jene beiden (Varietäten) sind vom Del- toides, dieser ist vom Glut. maximus abgespalten. 3. Der Supraspinatus ist homolog dem Glutaeus medius. 4. Der Infraspinatus ist homolog dem Glutaeus minimus. 5. Der Teres minor ist homolog dem Scansorius, der ventralen Randportion des Glut. minimus. Supra- und Infraspinatus entstammen einer gemeinsamen Anlage ebenso wie die Glut. medius und minimus. Der Teres minor ist vom Infraspinatus, der Scansorius vom Glut. minimus abgespalten. 6. Der Cervico-costohumeralis (Var. Gruber, Humero-trans- versarius Teestut) ist höchst wahrscheinlich dem Piriformis homolog. Der letztere ist nicht vom Glut. medius abgespalten, sondern ein alter kaudofemoraler Muskel. 7. Der Subscapularis ist das imitatorische Homologon des Iliacus (vergl. oben). 8. Der Teres maior ist aus dem Subscapularis hervorgegangen und besitzt am Becken kein Homologon. 9. Dem Iliacus minor, der lateral vom Rectus fem. an der Spina ant. inf. ilei entspringt und zum 'I’rochanter min. geht, entspricht beim Menschen und den höhern Säugern kein Muskel des Schultergürtels, wohl aber beim Or nithorhynchus der Scapularis lateralis (mihi). 10. Der Psoas maior ist imitatorisch homolog der Dorsal- (Vertebral-) Portion des Latissimus dorsi. 11. Der Psoas minor ist (ebenfalls imitatorisch) homolog der Kostal- portion des Latissimus. Dreht man das Becken um 90° in seime primitive Stellung zurück, so erhält der Psoas zum lliacus eine kraniale Lage ganz ahnlich der kaudalen Lagerung des Latissimus zum Subscapu- a 1), — Der Latissimus dorsi des Menschen und der höhern Säuger setzt sich aus zwei, ursprünglich getrennten Muskeln zusammen, einem Dorsohumeralis und einem mehr ventral gelegenen Costoaxillaris post. (mihi). Der letztere besitzt ursprünglich skapulare Insertion und entspricht dem Thoraeiscapularis (Fürbringer) der Amphibien, Reptilien und Vögel: durch die starke Entwicklung des Subscapularis wird die Insertion ver- drängt und erlangt zuletzt durch Vermittlung der Fascie Beziehungen zum Humerus. 12. Der Rectus femoris ist homolog dem Anconaeus longus. 4) Die Lageverschiebung des Psoas durch die Rotation des Beckens und die Ausbreitung des Ursprungs von den Kostarfortsätzen auf die Wirbelkörper sind die Ursachen, dass die von den dorsalen Abschnitten der Wurzeln des Plexus lumbaris abgehenden Nerven den jetzt ventral zum Plexus gelagerten Muskelabschnitt nur unter Durchbrechung bezw. Durchflechtung auch der ven- ralen Plexusabschnitte erreichen können. Dadurch wird die Hauptschwierig- keit geschaffen für die Versuche, das Geflecht der Lendennerven glatt in eine tdorsale und eine ventrale Schicht aufzulösen. Eisler, Homologie der Extremitäten. 441 3. Die Vasti-lateralis und medialis (incl. Cruralis) sind homolog den Anconaei lateralis bezw. medialis. 14. Der Sartorius ist homolog dem Anconaeus quintus (Latissimo- condyloideus, Dorsoepitrochlearis), der als Varietät beim Menschen, normal bei vielen Säugern von der Latissimussehne entspringt und bei voller Ausbildung über den Epicondylus medialis hum. hinweg in die dorsale Vorderarmfascie ausstrahlt. Dieser Muskel entspricht vollkommen dem Anconaeus coracoideus der Urodelen, der da von der Binnenfläche der Schulterpfanne (Coracoidabschnitt) kommt. Mit dem Schwund des Coracoids rückt der Ursprung des Muskels auf die Achselfascie bezw. die ihm am nächsten gelegene Latissimussehne. Auch der Sartorius besitzt nicht mehr seinen primitiven Ursprung: bei Ornithorhynchus kommt er noch von der starken Eminentia pectinea, der Ansatzstelle des Psoas minor. — Die Innervation durch Zweige des dorsalen N. cutan. brachii post. sup. bezw. des Cutan. fem. ant. ergibt eine komplete Hombologie. Für die Vergleichung der ventralen Muskeln war zu berücksich- tigen, dass nach Reduktion des Coracoids der Schultergürtel sich in toto kaudalwärts verschoben und auf dem kranialen Abschnitt des Thorax einen neuen Halt gewonnen hat. Alle ursprünglich vom Coracoid kommenden Muskeln wurden dadurch genötigt, soweit sie nicht bereits vorher zur Ulavikel in Beziehung getreten waren oder sich auf den Üoracoidrest (Proc. coracoides) zurückziehen konnten, auf der Brustwand oder an der Achselfascie und weiterhin durch letztere an der Latissimussehne neue Anheftung zu suchen. Ferner war festzustellen, ob für alle Coracoidmuskeln der Urodelen Homologa bei den Säugern und dem Menschen zu finden sind. Dies kann aber nur unter sorgfältiger Verwertung der zahlreichen Varietäten im Bereich der Achselhöhle und ihrer Umgebung gelingen. Ich glaube nun, es ist mir in vollem Umfange gelungen, so dass ich daraus das Folgende abzuleiten vermochte. 15. Der Gracilis ist homolog der Abdominalportion (und dem Kaudalabschnitt der Sternalportion) des Peetoralis maior. 16. Der Adductor magnus fem. ist homolog der sternoklavi- kularen (und dem Kranialabschnitt der sternalen) Portion des Pecto- ralis maior!). 17. Der Adduetor profundus s. minimus ist homolog der Kostal- portion des Peetoralis maior. 18. Der Adductorbrevis ist homolog dem Peetoralis tertius (Var.). |Der Durchlass der A. u. V. femoralis nach der Kniekehle ist ein Adduktorenschlitz, kein Canal. adductorio-Hexorius (Ruge)|. 1) Bolk lässt den Pectoralis maior nur aus C,—C., den Pectoralis minor aber aus C,—D, innerviert werden. Dabei sind die Zweige des N. thoraeie. ant. internus aus O,—D, an Peetor. maior, die um oder durch den Kaudalrand des Pectoral. minor treten, ganz bei seite gelassen. Wenn die kraniale Extremität so stark kaudalwärts geschoben ist, dass D, noch in den Pectoral. min. ge- langt, so habe ich stets wie Herringham D, kräftig an der Versorgung des Pectoral. maior beteiligt gefunden. 449 Eisler, Homologie der Extremitäten, 19. Obturator int, Gemelli, Quadratus fem. sind homolog der Pars superficialis des Peetoralis minor und dem Subelavius. 20. Der Obturator ext. ist homolog der P. profunda des Pec- toralis minor (Var.). Die ursprüngliche Insertion des Pectoralis minor findet sich am Collum anatom. humeri zwischen höchster Facette des Tubereul. maius und Gelenkkopf, ganz entsprechend der Insertion der Obturatoren in der Fossa trochanterica. 21. Der Thoraco-axillaris (mihi Var.), der bei Ornithorhynchus als ein starker Sterno-costocoracoides besteht, wäre etwa dem Kaudal- segment des Rectus abdom'nis zu homologisieren. 22. Der Coracobrachialis brevis ar) entspricht der tiefen Por- tion des Epicoracobrachialis des Ornithorhynchus und ist der oberfläch- lichen Portion des Pecetineus homolog. 23. Der muskulöse Achselbogen s. str. (Var.\, der von der Sehne oder mittels Schaltsehne vom Bauche des Latissimus entspringt, ist homolog der tiefen Portion des Peetineus. — Der Achselbogen ist also nicht aus einer Reduktion des Panniculus carnosus hervorgegangen. Ich vermute vielmehr, dass der letztere durch Weiterwandern des Ursprungs des Pec- toralis III über den Rumpf entstanden ist, analog der Ausbreitung der vom Facialis versorgten Muskulatur des 2. Kiemenbogens über Kopf und Hals. 24. Der Adduetor longus fem. ist (imitatorisch) homolog dem Coracobrachialis und Biceps brachii. 25. Der lange Kopf des Biceps femoris findet ein Homologon nur in dem Pectoralis minimus (Var.). Diese beiden jedenfalls auffallenden Vergleichungen haben mich selbst einige Ueberwindung gekostet. Dass der kurze Kopf des Biceps brachii sich vom Üoracobrachialis abspaltet, lässt sich aus der vergleichenden Anatomie unschwer nachweisen. An Stelle des langen Bicepskopfes findet sich bei den Urodelen am Oberarm nur die Sehne des Coracoradialis propr., dessen Muskelbauch auf der Coracoidplatte liegt und eine sehnige Ankerung am Tubereul. maius humeri besitzt. Bei Ornithorhynchus ist der homologe Muskel ein Epicoracoradialis. Dieser würde noch vollständig dem langen Kopf des Biceps zu vergleichen sein. Mit dem Schwund des Coracoids muss der Ursprung des Coracoradialis auf die Thoraxwand übertreten, zumal auch tiefer als er gelegene Muskeln das thun. Es scheint mir nur bei Berücksichtigung der Verhältnisse bei niedern Säugern und einer Anzahl Varietäten im Bereich des langen Kopfes des menschlichen Biceps brachii, dass die ursprüngliche Nebeninsertion des Coracoradialis am 'Tubereul. maius zur Hauptinsertion wird, die lange Sehne am Oberarm zunächst als ein Lig. capsulo- (oder humero-) radiale persistiert, an dessen distalen Teil eine abgespaltene Portion des Coracobrachialis (long.) sich inseriert. Erst weiterhin sind dann von diesem, den kurzen Bicepskopf repräsen- tierenden, Coracobrachialisabsehnitt Muskelfasern auf das Ligament über- gewandert und haben so einen langen Bicepskopf gebildet. Der an der Brustwand liegen gebliebene Muskelbauch des Coracoradialis entspricht dann in seinen Lagebeziehungen durchaus dem, bei Beutlern sehr kräftigen, Peetoralis minimus, Der lange Kopf des Biceps femoris, der Semitendinosus und Semi- inembranosus entstammen einer einheitlichen Muskelmasse, von der sich Eisler, Homologie der Extremitäten. 443 der Biceps am frühesten abtrennt. —- Die Schaltsehne im Semitendinosus ist nicht durch Zusammeiwachsen zweier verschiedener Muskeln entstanden, sondern persistiert als Marke der Insertion eines längst geschwundenen Caudofemoralis. 26. Der Popliteus ist homolog dem Brachialis internus!). 27. Der kurze Kopf des Biceps fem. ist homolog dem Brachio- radialis und Supinator, die beide ursprünglich ein Muskel waren. — Bei Betrachtung der distalen und terminalen Abschnitte der Ex- tremitäten ist zunächst darauf hinzuweisen, was eingangs dieses Aufsatzes über die physiologische Gleichartigkeit dieser Abschnitte gesagt ist. Der funktionswichtigere kraniale Rand ist in der Ausbildung der Muskulatur bevorzugt. Damit hängt augenscheinlich die Tendenz der auf die End- abschnitte wirkenden Muskeln zusammen, ihre Ursprünge gegen den kau- dalen (d. h. also ulnaren bezw. fibularen) Rand zu verschieben. Am deut- lichsten tritt dies bei den Urodelen hervor, wo die Stellung der Extremi- täten sich noch am primitivsten und die Grundfunktionen am reinsten erhalten haben. Mit dem Auftreten von Nebenfunktionen setzt wieder eine mehr oder weniger tief greifende Umordnung der Muskelursprünge ein. Die kranialen Ränder der terminalen Gliedmaßenabschnitte zeigen aber zugleich eine deutliche Reduktion, die am Finger beginnend gegen den Carpus bezw. 'Tarsus allmählich fortschreitet und mit v. Bardeleben die stärkern Muskelmaßen an diesen Rändern zum Teil aus einer Anhäufung der Muskulatur geschwundener Finger bezw. Zehen entstanden erklären lässt. Es müssen also hier entwicklungshemmende Momente sich geltend gemacht haben. Die Nervenverteilung an Muskulatur und Haut gestattet ohne weiteres den Schluss, dass sich die distalen und besonders die terminalen Abschnitte beider Extremitäten aus den kaudal gelegenen Metameren der Extremitätenanlagen entwickeln. Bei antitroper Vergleichung der Innervation ergibt sich, dass nur die 3 radialen Finger Homologa in den 3 tibialen Zehen besitzen. Dann ent- spricht dem Daumen die 3., dem Zeigefinger die zweite, dem Mittelfinger die 1. Zehe. Die Homologa für 4. und 5. Finger sind in zwei am Tibialrand des Fußes verloren gegangenen Zehen, die Homologa für 4. und 5. Zehe in zwei am Radialrand der Hand geschwundenen Fingern zu suchen ?). 1) Der Brachialis internus ist ursprünglich ein rein ventraler Muskel Woher die vom N. radialis versorgte Lateralportion abzuleiten ist und wo sie phylogenetisch zuerst auftritt, bleibt noch festzustellen. 2) Wenn ich aus dem Verhalten der Innervation nicht „in ungezwungener Weise die* — wie v. Bardeleben meint — „auf der Hand liegende Homo- logie der Nerven wie der Finger und Zehen in kranial-kaudaler Reihenfolge“ schloss, mich vielmehr „nicht irre machen“ ließ, in der supponierten Antitropie weiter zu vergleichen, so muss ich wohl Gründe für meine Hartnäckigkeit ge- habt haben. Ich begann eben meine Untersuchung nicht am Vorderarm und Unterschenkel und hielt es für eine bedenkliche Inkonsequenz nach den im Ganzen recht befriedigenden Resultaten der ersten Hälfte meiner Arbeit vor einer Schwierigkeit zurückzuschrecken, die bei genauerem Zusehen leichter zu beseitigen war, als es anfänglich scheinen mochte. S Eisler, Homologie der Extremitäten. ps Ha Fig. 1. Die dorsale Muskulatur der distalen und terminalen Extremitätenabschnitte war primitiv zweischichtig: eine oberfläch- liche Schicht entsprang vom Distalende des Humerus bezw. Femur und heftete ihre distalwärts strahlenden Bündel zunächst bei- derseits an die Vorderarm- bezw. Unter- schenkelknochen (aa des Schemas), weiter- hin beiderseits an Uarpus bezw. Tarsus (bb), endlich an Finger bezw. Zehen (ec); eine tiefe Schicht entsprang auf dem Carpus (Tarsus) und inserierte sich an die Finger (Zehen). Beide Schichten haben mannigfache Ab- änderungen und Weiterbildungen erfahren, doch hat sich die oberflächliche (beim Menschen) noch am besten am Dorsum antebrachii konserviert: Anconaeus IV und Brachioradialis — Supinator — aa, Ulnaris und Radiales ext. — bb, Extensor digg. comm, = c, An der kaudalen Extremität ist bei den Säugern die gesamte oberfläch- liche Muskulatur außer dem kurzen Biceps- kopf mit ihren Ursprüngen auf den Unter- schenkel gerückt, während sie bei den Urodelen noch ganz vom distalen Femurende kommt. Es fehlt daher dem Menschen normal die tibiale Portion a des Schemas; die Portionen b werden repräsentiert durch die Peronei long., brev. und tertius einerseits, 'Tibialis anticus anderseits, e dureh den Extensor digg. comm. longus. — Die tiefe Schicht der dorsalen Muskulatur zerlegt sich bereits bei den Urodelen in mehrere sekundäre Schichten kurzer Strecker (bis zu 4 am Fußrücken); davon zeigen die Extensores breves superficiales die Tendenz proximalwärts zu wandern, wie an der Schultergliedmasse der Abductor poll. long. + Extensor poll. brevis, Extensor poll. long., Extens. indieis propr. und Extensor dig. V propr., an der Beekengliedmaße der Extensor halluc. longus. Der Extensor hallueis et digg. brevis auf dem Fußrücken entspricht einer 2. sekundären Schieht, die auf dem Handrücken gelegentlich in Gestalt einzelner kurzer Strecker wieder erscheint. Die dorsale Muskulatur, soweit sie zu Hand und Fingern, Fuß und Zehen Beziehungen eingeht, schließt in ihrer Innervation kaudal um ein volles Segment früher ab als die entsprechende ventrale Muskulatur, es ist also am Kaudalrande der Extremität ein Myomer in seinem dorsolateralen Abschnitt nicht zur Verwendung gekommen. 28. Die Mm. radiales ext. longus et brevis sind homolog den Peronei long. et brevis. 29. Der Extensor digg. manus comm. long. ist homolog dem Extensor digg. pedis comm. longus. 30. Der Ulnaris ext. ist homolog dem Tibialis anticus. 31. Der Anconaeus IV ist normal ohne Homologon an dem Unter- schenkel, entspricht aber dem als Varietät bekannten Tibialis ant. Eisler, Homologie der Extremitäten. 445 accessorius (Blandin). Der Anconaeus IV gehört nicht zu dem 'Triceps brachii (Gegenbaur), sondern zu den Vorderarmmuskeln, wie die ver- sleichende Anatomie lehrt. Der Peroneus III ist eine progressive, dem Aufrechtstehen dieuende und daher voll ausgebildete nur dem menschlichen Fuße zukommende Bildung. 32. Der Extensor hallucis long. ist homolog dem als Varietät auftretenden Extens. dig. III manus proprius. 33. Der Extensor hallucis brevis ist homolog dem Extensor brevis dig. III manus (Var.). 34. Ein Homologon des Extensor dig. V manus propr. fehlt am. Fuße. 35. Ebenso fehlen dem Menschen Homologa für die Extens. indieis proprius, pollieis longus et brevis, Abduetor pollieis longus. Doch entspricht der Extensor indieis propr. dem an der Fibula ent- springenden Extens. brev. dig. II pedis bei Monotremen und Marsupialien, der Extens. poll. longus dem Extens. brev. dig. III, der Abductor long. (+ Extens. brev.) pollieis den. Extens. brev. digg. pedis IV et V. Ich sehe in dem Abduct. pollicis long. die Reste der kurzen oberflächlichen Strecker zweier radial vor dem Daumen verloren gegangner Finger. — Die ventrale Muskulatur der distalen und terminalen Gliedmaßen- abschnitte ist vielleicht ursprünglich in gleicher Weise wie die dorsale zweischichtig gewesen, aber jedenfalls schon sehr früh in kompliziertere Verhältnisse übergeführt worden. Denn wir sehen bereits bei den Urodelen zwar noch die Muskulatur der distalen Abschnitte von der kürzeren der terminalen gut geschieden, aber an beiden Abschnitten in mehrere Lagen differenziert, die sich nicht leicht auf das einfache Schema beziehen lassen. Am Vorderarm finden wir allerdings selbst noch beim Menschen in der oberflächlichen ventralen Muskulatur die gleiche Anordnung wie in der dorsalen: Pronator teres und Epitrochleo-anconaeus —= «#a, Radialis und Ulnaris int. — bb, Palmaris longus — ce. Wie die darunter gelegenen Flexores digg., die sich bei den Urodelen noch einfach an die Dorsal- fläche. der Palmaraponeurose heften, ihre Fingersehnen und dabei Be- ziehungen zu den kurzen Muskeln in der Vola erlangt haben, ist in meinem Vortrage auf der Anatomenversammlung in Basel auseinander- gesetzt!) und soll hier nicht wiederholt werden. — An der kaudalen Ex- 1) Die Flexores digitorum. Verhandl. d. Anat. Ges., Basel 1895. — In der Diskussion zu diesem Vortrage bemerkte Hr. v. Bardeleben, er hielte einen großen Teil der von mir bei Menopoma beschriebenen Muskeln nicht für primitiv, sondern für reduziert; dafür spräche das verhältnismäßige Ueberwiegen von Fascien und Sehnen. Von letzterem kann aber nicht die Rede sein, denn die Beziehungen der ganzen Vorderarm- und Unterschenkelmusknlatur zu Fingern und Zehen werden durch die eine Palmar- (Plantar-) Aponeurose vermittelt. Ich halte auch meinen Ausdruck „Ansatz an die Palmaraponeurose* aufrecht, da mir das gemeinsame Sehnenblatt als das Primitive, die Einzelsehnen als höhere Differenzierungen erscheinen und, nicht nur nach meiner Auffassung, die Sehne erst das Produkt des Muskels ist. — Die Muskulatur von Menopoma ist sicher nicht mehr primitiv, aber nicht reduziert, sondern in progressiver Weiterbildung begriffen. 446 Eisler, Homologie der Extremitäten. tremität ist die Gruppe des Triceps surae und Plantaris das Ergebnis einer von den Urodelen über die niedern Säuger verfolgbaren Umordnung und Verschmelzung von Muskeln. Der mediale Kopf des Gastroenemius ist, wie wir aus der Innervation ersehen können, über den lateralen Kopf hinweg tibialwärts gewandert und hat dabei den Plantaris in die Tiefe gedrängt. 36. Der Pronator teres ist (imitatorisch) homolog dem Caput mediale des Gastrocnemius. 37. Der Radialis internus ist Baoe dem Cap. laterale des Gastrocnemius nebst dem Soleus. 38. Der Palmaris longus ist homolog dem Plantaris. 39. Dem Ulnaris internus fehlt ein Homologon an der kaudalen Extremität, desgl. dem Epitrochleo-anconaeus (Var.). 40. Der Flexor digg. comm. sublimis (ohne Schaltsehnen) ist (imitatorisch) homolog dem Tibialis secundus (Var.), manchem sog. Soleus accessorius (Var.). 41. Der Flexor pollicis long. 4 Flex. digg. profundus ist (imitatorisch) homolog dem Flexor die tibialis. 42. Der Radiocubitocarpeus (Var.) ist homolog dem Flexor digg. fibularis + Quadratus plantae. 45. Der Accessorius ad flexorem profundum ist (imitatorisch) homolog dem Tibialis posticus. 44. Rudimentäre Flexores breves superficiales an der Palmar- aponeurose und distale Bäuche eines Flexor digg. sublimis mit Schaltsehnen sind (imitatorisch) homolog dem Flexor digg. pedis brevis (perforatus). 45. Der Pronator quadratus ist vielleicht homolog dem Peroneo- tibialis (Var.). Von dem Skelett der Extremitäten entsprechen einander der dorsale Teil der Scapula und die dorsale (ehemals kaudale) Hälfte des Ileum, Ram. sup. ischii nahe der Hüftpfanne dem Proc. coracoides scapulae. Ein Homologon für die Olavikel existiert an der kaudalen Gliedmaße nicht. — Tubereul. maius hum. ist homolog dem 'Trochanter maior fem., 'Tubereul. minus dem 'Trochanter minor. Die Insertionsstelle des Crus sup. des Lig. coracohumerale (Sehne des Pectoralis minor) ist homolog der Insertions- stelle der Obturatores in der Fossa trochanterica !). Die Trochlea hum. — beiden Kondylen des Femur. Die Patella entspricht nicht dem Olekranon, sondern etwa der Patella brachialis der Anuren ete. — Die Ulna ist im Ganzen homolog der Tibia, der Radius der Fibula. — War schon aus der Innervation der Haut und der Muskeln und aus der Insertion der letzteren zu entnehmen, dass die Hand am Radialrand, der Fuß am Tibialrand um 2 Finger bezw. Zehen reduziert seien, während 1) Bolk (Morph. Jahrb., 23) schreibt dem Gelenkkopf des Humerus ebenso wie der Schulterpfanne rein dorsalen Charakter zu. Meiner Ansicht nach ist der von dem auch beim Menschen zu beobachtenden sog. accessorischen Knochen- kern gebildete Pfannenabschnitt der Scapula, desgleichen die an die ehemalige Insertion des Pecetoralis minor grenzende Partie des Caput hum. noch ventralen Charakters. Eisler, Homologie der Extremitäten. 447 am Ulnar- und Fibularrand derartige Hinweise fehlen, so lässt sich nun auch das Verhalten der karpalen und tarsalen Skelettelemente damit in Uebereinstimmung bringen t). Entfernt man an Hand und Fuß 4. und 5. Finger bezw. Zehe, deren Homologa eben in den geschwundenen Fingern und Zehen zu suchen sind, mit den zugehörigen Karpalien und Tarsalien, so bleiben 1. bis 3. Finger und die ihnen antitrop homologen 3 tibialen Zehen übrig. Nimmt man die Hand eines Primaten mit stark ausgebil- detem Centrale, so reihte sich proximal vor das 3. Metakarpale Uapitatum, Oentrale, Lunatum, wie vor dem 1. Metatarsale Entocuneiforme, Naviculare, Talus liegen. Ich homologisiere nun: Navieculare carpi — (aleaneus. Lunatum —i PFalus: Oentrale — Naviculare tarsi. Capitatum — Entocuneiforme. Trapezoides — Mesocuneiforme. Trapezium — Ektocuneiforme. Radiales Sesambein (Präpollexrest) Cuboides (Tibialabschnitt). Bei der Vergleichung der Nerven sprechen wiederum die 'T’hatsachen zu Gunsten der antitropen Homologisierung der Extremitäten. Die Haut der Achselhöhle erhält als Hauptnerven D,, also den letzten Nerven des Plexus brachialis; die homologe Schenkelbeuge wird von L,, dem ersten Nerven des Plex. lumbosacralis innerviert. Die Gesäßhaut wird aus 5,53, die Haut über der Schulter aus U,C, versorgt. Die Anastomose zwischen dem ventralen Musculocutaneus und dem dorsalen Radialis über dem distalen Ende des Radius entspricht ganz der Schlinge des Suralis über dem distalen Ende der Fibula. Das Stammgebiet des N. radialis auf dem Handrücken, auch im Ram. profundus in Fällen, wo dieser bis an die Finger gelangt, entspricht dem Stammgebiet des N. peroneus am Fuß- rücken und umfasst Daumen bis Mittelfinger, wie dieses die 3 ersten tibialen Zehen; im speziellen geht der Radialis profundus in das Spatium zwischen Index und Medius, wie der homologe Peroneus prof. zwischen zweite und erste Zehe. Die Nerven homologer Muskeln laufen nicht überall in homologen Bahnen. Ueber die Ursachen wissen wir vorläufig nichts. Ebenso fehlt noch eine Erklärung dafür, dass an beiden Extremitäten die größte Masse der Nerven metazonal verläuft und dass bei niedern und höhern Verte- braten eine abweichende Anordnung der Nerven besteht. Die Nn. thoraciei ant. sind homolog den Nn. Iumbosacrales ant. (mihi). Der N. tibialis entspricht in der Hauptsache dem kranialen (lateralen) Teile des Medianus;: im Plantaris medialis können aber noch Fasern enthalten sein, die einem Teile des Ulnaris homolog sind. Ferner sind zu vergleichen Nn. suprascapularis — axillaris den Nn. glutaei, Quadricepsanteil des N. femoralis dem Tricepsanteil des N. radialis, 1) Nach Thilenius (Untersuchungen über die morphologische Bedeutung accessorischer Elemente am menschlichen Carpus (und Tarsus). Morph. Arbeiten, herausgeg. von Schwalbe, V, 1896) deuten allerdings am Ulnarrand der Hand außer dem Pisiforme gefundene accessorische Elemente auf den Verlust eines ulnaren Strahles hin, doch würde das unsre Homologisierung der Karpal- und Tarsalelemente nicht weiter beeinflussen. 448 Eisler, Homologie der Extremitäten. N. peroneus im großen Ganzen dem Vorderarm- und Handabschnitt des Radialis. Der tiefe Ast des N. radialis geht nach dem Dorsum antebrachii um den Radius, wie der homologe Peroneus prof. um die homologe Fibula. An den freien Teil der Extremitäten verlaufen die homologen Blut- gefässe auch in homologen Bahnen. Es entsprechen einander A. brachialis und A. femoralis, A. eircumflexa hum. post. der A. circumflexa fem. la- teralis, A. collateralis radialis der A. collateralis fibularis (Ram. musculo- articularis Krause), A. collateral. ulnaris sup. der A. articularis genu suprema, A. profunda fem. dem Üollateralstamm Ruges, die A. interossea ant. antebrachii der A. peronea, A. mediana antebrachii der A. tibialis postica (bei geringer Entwicklung der A. radialis wird der tiefe Hohlhand- bogen hauptsächlich von der A. mediana oder der A. interossea beschickt gerade wie der Arc. plantaris prof. von der A. tibialis post. oder vika- riierend von der A. peronea). Die A. recurrens radialis ist homolog der A. recurrens tibialis post., die A. interossea antebrachii post. der A. tibialis antica. Die A. radialis prof. ist ohne Homologon am Unterschenkel, dagegen entspricht die A. radialis superficialis (Var.) der A. suralis (saphena parva Var.) die A. saphena magna (Var.) der hoch von der A. brachialis ab- gehenden, den Cutaneus medius und die V. basilica begleitenden, hinter dem Epicondylus medial. auf den Vorderarm tretenden A. ulnaris, denn diese bildet das Hauptgefäß für den Arcus volaris superficialis wie jene den Arc. plantaris superficialis. Die Vena cephalica antebrachii ist homolog der V. saphena parva, die V. basilica der V. saphena magna, wenigstens am Unterschenkel. Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, die antero-posteriore Symmetrie der kranialen und kaudalen Extremität, also eine Homotypie im Sinne Gegenbaur’s, die antitrope Homologie Wilder’s, zu beweisen, d. h. — da uns nur empirische Urteile als Argumente zur Verfügung stehen — ihr den höchstmöglichen Grad von Wahrscheinlichkeit zu geben. Es lag in der Natur der Sache begründet, dass die Beweisführung im wesent- lichen regressiven Charakter trug, wobei das zu Beweisende vorläufig als wahr vorausgesetzt und daraus auf die unvermeidlichen Bedingungen zu- rückgeschlossen wurde. Ich bin der Ueberzeugung, dass der Beweis in allen Hauptsachen lückenlos gelungen ist. Es fiele nicht schwer, auch noch einen indirekten Beweis zu konstruieren, wollte man die „Schwächen und Lücken“ nicht nur, sondern die offenbaren Ungenauigkeiten, Will- kürlichkeiten und Fehler bei der Ausführung der syntropistischen Ver- sleichungsversuche zusammenstellen. Ich bin selbst nicht so leicht und rasch zu meinen Ergebnissen gelangt, und diese Ergebnisse entsprechen zu wenig den herrschenden Anschauungen, als dass ich erwartet hätte, bald Zustimmung zu finden. Mit der Publikation unterstellt man eine Arbeit der allgemeinen Kritik. Von dieser aber darf man wohl billiger- weise verlangen, dass sie sich nicht auf die Hervorhebung beliebiger, außer Zusammenhang besonders befremdlicher Resultate beschränke, sondern auch auf die vom Autor versuchte Begründung eingehe. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen dureh alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI, Band. 15. Juni 1896, Nr. 12. Inhalt: Exner, Die Funktion der menschlichen Haare. — Popofl‘, Weiterer Beitrag zur Frage über die Histogenese der Kleinhirnrinde. — Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge für Forscher und Sammler. — Für- bringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (18. Stück). Die Funktion der menschlichen Haare. Vortrag, gehalten in der Jahressitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 20. März 1896. Von Prof. Sigm. Exner. Die Behaarung des Menschen ist am größten Teile des Körpers eine so spärliche und trägt so sehr das Gepräge des kudimentären, dass es nicht Wunder nehmen kann, wenn man viele Bände von Lehr- büchern oder Journalen der Physiologie durchzublättern vermag, ohne auch nur eine Erwähnung ihrer Bedeutung zu finden. Einiges wird als selbstverständlich vorausgesetzt, anderes, was sich auf das Wachs- tum, die Ernährung u. dergl. bezieht, wohl besprochen, aber von der Rolle des Organes „Haar“ und deren Bedeutung im Gesamtorganismus ist nur höchst selten die Rede. Schein!) hat die Ansicht ausgesprochen, es hänge die Behaarung und der Haarmangel an verschiedenen Stellen des menschlichen Körpers mit den Spannungs- und Wachstumsverhältnissen der Haut zusammen, so dass sich da, wo die Haut in gewissen Lebensperioden wenig wächst, die Haare reichlich entwickeln, an den anderen Stellen scheint er die Verhältnisse zu einer Degeneration derselben für günstige zu halten. 1) Ueber das Wachstum der Haut und der Haare des Menschen. Archiv für Dermatologie und Syphilis, 1892. XVI. 29 450 Exner, Funktion der menschlichen Haare. Man bekommt den Eindruck, dass die Behaarung des Menschen weniger interessiert, als die kaum zweifelhafte Enthaarung, die er in längstvergangenen Generationen zur Zeit seiner Entwicklung aus einer niederen Säugetierform durchgemacht hat. Sprieht doch die Abstam- mungslehre überhaupt, und speziell auch die reiche Behaarung des menschlichen Embryo, sowie die vorkommenden atavistischen Miss- bildungen dafür, dass die Ahnen des Menschengeschlechtes ein Haar- kleid getragen haben, das sich von dem der heutigen anthropoiden Affen kaum wesentlich unterschieden haben wird. Ch. Darwin bemühte sich zwar, den Wegfall des Haarkleides bei der Entstehung des Menschen auf klimatische Einflüsse, insbesondere die Bestrahlung durch die Sonne zurückzuführen !}), erkannte aber bald die Unfruchtbarkeit dieses Beginnens, ließ die Idee fallen, ging von einem anderen Gesichtspunkte aus, und begründete in der ihm eigenen sachlichen und scharfsinnigen Weise seine auf Erfahrungsthatsachen ruhende Anschauung ?). Sie geht dahin, dass die Enthaarung des Menschen ein durch Zuchtwahl entstandener sekundärer Geschlechts- charakter ist. Sowie der Hahn seinen Kamm und seine prunkvollen Federn dem Geschmacke der Hennen verdankt, die durch viele Generationen lieber einen so geschmückten Gatten annahmen, als einen ungeschmückten, so verdankt der Mann seine relative Haarlosig- keit dem Widerwillen der Frauen gegen behaarte Männer. Gibt es doch in Neuseeland ein Sprichwort des Inhalts: für den haarigen Mann eibt es keine Frau. Der Geschmack des Mannes muss dieselbe Rich- tung gehabt haben, er wird aber in dem Resultate der Zuchtwahl noch stärker zum Ausdrucke gekommen sein, da die Männer immer mehr in der Lage waren, ihre Frauen nach Geschmack zu wählen als um- gekehrt. So entstand die noch vollständiger enthaarte Frau. Ja, wir können wohl sagen, so geht dieser Enthaarungsprozess des Menschen- geschlechtes vielleicht heute noch vor sich, da die wilden Völker und auch die zivilisierten, im Großen und Ganzen noch immer diesen Ge- schmack hegen. Aber nach der Auffassung Darwin’s, der man wohl beipflichten muss, ist nicht nur die Enthaarung des größten Teiles der Körper- oberfläche Resultat der geschlechtlichen Zuchtwahl, sondern ist auch die mächtige Entfaltung des Haarwuchses im Gesicht des Mannes und (das bei vielen Völkern auftretende Riesenwachstum der Kopfhaare als sekundärer Geschleehtscharakter aufzufassen. Wird doch ein kräftiger Bart beim Manne und reiches, langes Haar bei der Frau (unter den Nordamerikanern auch beim Manne) heute noch als Schmuck betrachtet. 1) Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl. Uebersetzt von Carus. Stuttgart 1871. Ba. 1. S. 128. DL rer BAS2mSTaBdt Exner, Funktion der menschlichen Haare. 451 Wir werden uns also nicht verhehlen können, dass die meisten Haare des Menschen degenerierte Organe sind, Residuen aus alter Zeit. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie physiologisch bedeutungslos sind. Wenn, wie Moleschott fand, der Mensch täglich 02 g Haarsubstanz bildet, so sind die dazu verbrauchten Stoffe vielleieht nicht ausschließ- lieh zur Anlockung des anderen Geschlechtes verwendet. Kann sich doch die Funktion eines Organes im Laufe der phylogenetischen Ent- wicklung ändern. Ja, in neuerer Zeit werden gerade die typischen Haare selbst als Beispiele einer solchen Wandlung angeführt, indem man sie als degenerierte Sinnesorgane aus früheren Perioden der Ent- wicklung der Wirbeltiere ansieht. Fr. Maurer!) hat auf Grund morphologischer Forschungen die These aufgestellt, dass gewisse aus Epithelien bestehende Gebilde der Körperoberfläche von Fischen und besonders von Amphibien die Urform der Haare darstellen. Innerhalb eines schützendes Wulstes von Epi- dermiszellen findet sich eine Gruppe von mit Nervenfasern in Beziehung tretenden zylindrischen Zellen. In der Trockenheit verlieren die Organe ihre Bedeutung als Sinnesorgane, die hinzutretenden Nerven sind beim Verfolgen durch die phylogenetische Reihe nieht mehr zu finden, die Zylinderzellen büßen die typische Form des Sinnesepithels ein. Sie bilden einen Zapfen von unregelmäßig geformten Epithelzellen, welehe verhornen und das Mark des Haares darstellen, während die herum- gelagerten Epidermiszellen, ebenfalls verhornend, sich außen anschmiegen und die übrigen Bestandteile des Haares sowie seiner epithelialen Scheiden aufbauen. Hier hätten wir es also mit einem Wandel der Funktionen eines Organes zu thun, der größer kaum gedacht werden kann. Von einer Gruppe Sinnesorgane bis zu dem gegen Witterungseinflüsse schützenden Pelz scheint ein weiter Schritt. Die Haare wären degenerierte Sinnes- organe. Ob dieser Schritt wirklich gethan wurde, oder die mitgeteilte Deu- tung vom Ursprunge der Haare weiteren Forschungen wird weichen müssen: das darf doch wohl angenommen werden, dass das Haarkleid eines der Urahnen des Menschengeschlechtes in allen seinen Anteilen nicht notwendig genau dieselbe Funktion gehabt haben wird. An ver- schiedenen Körperstellen werden die Haare in ungleicher Weise zum Nutzen und Frommen des Individuums gegen Schädlichkeiten gewirkt und sich diesen wechselnden Bedingungen im Laufe der Genera- tionen wohl auch in Länge, Stärke, Farbe und feinerer Struktur angepasst haben. Ich brauche nur an die Schnurrhaare der Tiere, die exquisite Tastorgane sind, oder an den Unterschied zwischen dem flaumigen Pelz der Bauchseite und dem steiferen des Rückens, I) Die Epidermis und ihre Abkömnlinge, Leipzig 1805. I 452 Exner, Funktion der menschlichen Haare, an dem der Regen abrinnen, der Hagel abprallen soll, zu erinnern. Es hat sich also frühzeitig eine Differenzierung im Genus „Haar“ eingestellt. Wenn nun in den Uebergangsperioden zum heutigen Menschen eine Kraft auftrat, die im Sinne der Enthaarung wirkte, aber, wie das Resultat zeigt, an einer Reihe von Körperstellen keinen Effekt hervor- brachte, wenn sie auch am größten Teil der übrigen Hautoberfläche ihr Ziel nicht völlig erreichte, so könnte das an der noch zu kurz dauernden Wirkung liegen; es könnte aber auch auf der Unentbehr- lichkeit gewisser Anteile des ursprünglichen Haarkleides beruhen. Den Haaren sind vielleicht in jenen alten Zeiten Funktionen aufgebürdet worden, welche nun vom Organismus nicht entbehrt werden können, und die sich im Kampfe ums Dasein als ebenbürtige Gegner des haar- feindlichen Geschmackes erweisen. Ich muss es für wahrscheinlich halten, dass diese letztgenannten Umstände in der That die Grundlage des heutigen Zustandes unseres spärlichen Haarkleides bilden. Denn wo sich am Körper Haare be- finden, scheinen sie mir entweder ein, dem umformenden Geschmacke entsprungener, sekundärer Geschlechtscharakter im Darwin’schen Sinne zu sein, oder eine Funktion zu haben, die nicht leicht ohne Nachteile für die Erhaltung des Genus in Wegfall kommen könnte. In einzelnen Fällen mögen diese beiden Faktoren im selben Sinne wirken. Dem Gesagten zufolge werden die Funktionen der Haare an ver- schiedenen Körperstellen verschiedene sein, und so will ich an die Besprechung der, wie mir scheint, wichtigsten gehen. I. Das Haar als Tastorgan. Die Erfahrung, dass die leichteste Berührung an den Cilien der menschlichen Augenlider reflektorische Blinzelbewegungen auslöst und empfunden wird, veranlasste mich schon vor einer Reihe von Jahren Herrn Dr. v. Mises die Untersuchung der Nerven dieser Haare zu empfehlen. Seine Studien!) lehrten ihn ein aus markhaltigen Fasern bestehendes, korbartiges Geflecht kennen, das wie ein Ring eine Stelle des Haarbalges jeder Cilie umgibt. Es liegt unter der Einmündung der Talgdrüsen. Bei Durchsicht der Litteratur zeigte sich, dass dieser Fund nicht neu war. Jobert?) hatte schon vor uns diesen Ring an menschlichen Haaren und speziell aueh an den Cilien gesehen und beschrieben. Beil, Arnstein und Bonnet haben die analogen Nervengebilde an den Haaren verschiedener Tiere untersucht, ohne 1) Ueber die Nerven der menschlichen Augenlider. Sitzungsbericht der Akademie der Wissenschaften zu Wien, Bd. 55, 3. Abteilung, März 1882. 2) Compt. rend. de l’academie des sciences, Paris 1875, Janvier, p. 274. Exner, Funktion der menschlichen Haare; 453 wesentlich mehr zu finden als Jobert schon an den menschlichen Haaren gefunden hatte. Des Letzteren schöne Resultate, sowie die Ergebnisse von v, Mises scheinen kaum beachtet worden zu sein, wie ich daraus schließe, dass selbst ein so gewissenhafter Autor wie G. Sehwalbe in seinem Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane von denselben nichts erwähnt und sagt: „Leider sind bisher die menschliehen Haare auf ihre sensiblen Nerven kaum untersucht“, v. Mises bezeichnete schon damals die Cilien des Menschen als „Tasthaare“. Sie hatten sich bei der mikroskopischen Untersuchung als reichlich mit Nerven versehen herausgestellt und verdienten diesen Namen, wiewohl sie den Nervenreichtum der sogenannten Sinneshaare vieler Säuger noch nieht erreichen, auch wegen der dureh die physio- logische Prüfung leicht erkennbaren außerordentlichen Empfindlichkeit. Eine, wenn auch geringere, doch recht ausgeprägte Empfindlichkeit zeigten auch die kleineren Haare an den weniger behaarten Hautstellen (Handrücken, Streckseite der Arme und Beine), so dass der aus Jüngster Zeit stammende Ausspruch M. v. Frey’s!) vollkommen zutreffend er- scheint: „Die Behaarung der Haut stellt den empfindlichsten Tast- apparat des Körpers dar, jedes Haar einen Hebel, dessen kurzer Arm in der Haut steckt, während der lange Arm dem Reiz zum Angrifte dient“. Dabei ist freilich nur an eine gewisse Art des Reizes und nicht an alle mit sogenanntem Tastsinne begabten Körperstellen gedacht. Prüft man die Haare, indem man sie einzeln mit einer Nadel aus ihrer natürlichen Lage biegt, so bemerkt man die außerordentlich große Empfindlichkeit der Cilien. Berührt die Nadel die Spitze einer Cilie so, dass eine Verbiegung derselben noch gar nicht mit Sicherheit gesehen werden kann, so sagt der Beobachtete, er fühle es, und es stellen sich gewöhnlich auch, trotz absichtlichen Augenschließens, reflektorisch Blinzelbeweguugen ein. Ich hatte ein Stäubehen Eisen (Eisenfeile) an eine Cilie geklebt, der Stromschluss eines genäherten Elektromagneten verursachte Empfindungen, als würde ein Gegenstand die Cilien berühren, dabei war die Anziehung eine so geringe, dass an der Cilie eben eine unscheinbare Bewegung sichtbar war. Immer noch recht empfindlich, wenn auch den Cilien nachstehend, erweisen sich die Augenbrauen. Bei der verschiedenen Beschaffenheit in Länge, Dieke und vor Allem in Steifheit der Haare kann bei dem Vergleiche ihrer Empfindlichkeit, den ich in der angeführten Weise vorgenommen habe, natürlich nur von einer annähernden Schätzung gesprochen werden. Sie genügt aber doch wohl, um zu behaupten, diese um das Auge angeordneten Haare seien die empfindlichsten am menschlichen Körper. Sind die sensorischen Nerven überhaupt als 1) Beiträge zur Physiologie des Schmerzsinnes. Berichte der mathematisch- physischen Klasse der k. sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, 2. Juli 1894. 454 Exner, Funktion der menschlichen Haare. Wächter zu betrachten, welche den Körper vor drohenden Gefahren rechtzeitig zu warnen haben, so sind die Nerven der genannten Haare, sowie die überaus erregbaren Nerven der Cornea und Conjunetiva als ein besonders fein organisierter Schutzapparat des Bulbus aufzufassen. In der 'That ziehen die Verletzungen dieses Sinnesorganes weit üblere Folgen für den Organismus nach sich als die der meisten, in gewissem Sinne aller übrigen Stellen der Körperoberfläche. Dabei bilden die Brauen nach oben, die Spitzen der Wimpern nach. vorne vorgeschobene Posten, damit der reflektorische Impuls zum Lidschluss der von oben oder vorne eindringenden Schädlichkeit vorauseilend noch reehtzeitig den Bulbus schützt. Ich will nieht behaupten, dass diese Funktionen die einzigen seien, welche den genannten beiden Haargruppen zukommen. Sie halten den von der Stirne herabrinnenden Schweiß vom Vordringen in die Lid- spalte ab, und die Wimpern dürften wohl auch als Filter gegen Staub, als Dach gegen Regen zu betrachten sein. Uebrigens wäre es wohl kaum berechtigt, der Behauptung entgegenzutreten, die Brauen, ja vielleicht auch die Cilien seien als Schmuck durch Zuchtwahl erhalten geblieben. Es können eben mancherlei Kräfte mitgewirkt haben, das- selbe Ziel zu erreichen. In der Reihe der Erregbarkeit dürften sodann die kleinen Haare (ieh möchte sie nicht gerne Lanugo nennen, denn sie haben einen anderen Charakter als die dichten Wollhaare des Embryo oder Neu- geborenen) folgen, welche am Gesicht außer dem Barte und am größten Teile der Hautoberfläche vorkommen. Seit Jahren suche ich meinen Schülern die Rolle der kleinen Körperhaare als Tastorgane durch Schilderung folgenden Versuches und Anregung zur Wiederholung des- selben einzuprägen. Wenn man im Wannenbade sitzt und mit den Fingern einer Hand in der Nähe des Körpers eine Ruderbewegung macht, so läuft eine dem Kitzel nahestehende, wellenartig fortschrei- tende Tastempfindung eine Strecke weit über den Körper. Es gelingt leicht eine solche am Oberschenkel erregte Welle bis in die Brust- gegend fortschreiten zu lassen. Die Handbewegung kann eine derartige sein, dass an der Oberfläche des Wassers keine Welle entsteht, also nicht etwa wirklich eine Zone gesteigerten Wasserdruckes über den Körper abläuft. Die Empfindung beruht vielmehr auf der durch die Hand erzeugten Verschiebung der Wasserteilchen, die nun ihrerseits die Haare aus ihrer Gleichgewichtslage biegen. Da jene Wasser- verschiebung mit, geringer Geschwindigkeit wellenartig fortschreitet, so verursacht die Verbiegung der Haare eine Gefühl, als würde etwas sehr leichtes an dem Körper vorbeistreichen. Unempfindlicher als diese Haare sind die Kopf- und Barthaare und am meisten vom Typus der Tasthaare entfernt stehen jene der Urogenital- und Analgegend, sowie die der Achselhöhle. Wiewohl es Exner, Funktion der menschlichen Haare. 455 sich hier meist um dieke und steife Haare handelt, kann man nicht selten ein solches ausgiebig hin- und herbiegen, ohne dass es eme Empfindung veranlasst. II. Das Haar als Walze. Es ist mir nicht bekannt, dass auf die Funktion des Haares als Walze sehon jemals aufmerksam gemacht worden ist. Und doch dürfte sie ziemlich nahe liegen. Ueberall da, wo sich bei den gewöhnlichsten Bewegungen des Körpers (z. B. Gehen) zwei Hautflächen aneinander reiben, sind zwischen ihnen Haare eingelagert. Solche Orte sind die Achselhöhlen, die Analfalte, die Perinealgegend mit ihrem Uebergang zum Serotum, oder zu den Labia majora, sowie die Außenflächen der letzteren selbst. Hier herrscht gekräuseltes und wirr durcheinander stehendes Haar vor, d. h. es pflegt jedes Haar für sich in der natürlichen Lage nach verschiedenen Riehtungen gekrümmt zu sein, und die Richtung selbst benachbarter Haare nicht übereinzustimmen. Zwei Stücke mit solehen Haaren bekleideter Haut müssen, wenn sie aneinander gleiten, die Haare zwischen sich wälzen, wobei immer jene Anteile der Haare, deren Längsaxen senkrecht auf die Richtung der Bewegung stehen, sich am meisten um ihre Achsen drehen werden. Man denke sich runde Bleistifte in kleinen Abständen parallel nebeneinander gelegt, auf ihnen und mit ihnen gekreuzt eine zweite ebensolche Lage von Bleistiften, auf die nun ein Buch gelegt werde. Schiebe ich das Buch in der Richtung, nach welcher die Bleistifte der zweiten Lage weisen, so wird die erste Lage durch Rollbewegung dem Drucke nachgeben. Die zweite wird dasselbe thun, wenn ich die Verschiebung des Buches um 90 Grad ändere. Denken wir uns viele Lagen von vielen Rich- tungen, so wird das Buch, wohin immer ich es schieben will, Bleistifte in Rotation versetzen. Es ist nun selbstverständlich gleichgiltig, ob die als Walzen wirkenden Gebilde in regelmäßigen Schiehten ange- ordnet sind, oder ob sie, wie jene Haare wirr durcheinander liegen, wenn nur überhaupt mehrere Schichten und mehrere Verlaufsriehtungen vorhanden sind. Den Wert dieser, zwischen den zwei Hautstreeken eingelagerten Haarwalzen sehe ich natürlich darin, dass erstere viel leichter an- einandergleiten, als wenn sie nackt wären. Von dem ganz bedeutenden Unterschiede kann sich jeder sofort eine Anschauung bilden. Er drücke die Fingerbeeren des Daumens und Zeigefingers so fest aneinander, dass die Verschiebung derselben gegeneinander (als sollte etwas zwischen den Fingern gewalkt werden) nur mehr schwer und ruckweise möglich ist. Jetzt fasse er ein Büschel krausen Barthaares zwischen dieselben Finger, presse sie womöglich ebenso stark zusammen und er wird be- merken, dass die Verschiebung nun ganz leicht und glatt von Statten 456 Exner, Funktion der menschlichen Haare. seht. Er wird vielleieht auch den Eindruck bekommen, dass er im ersten Falle seine Epidermis bald abgenützt, sich die Finger wund gerieben hätte, während er im zweiten Falle wohl stundenlang unge- straft walken könnte. Es wirken die Haare eben als Walzen, und wir machen das im Kleinen, was die Technik seit Jahrtausenden im Großen macht. Dass das angewachsene Haar nicht schließlich durch das Walzen um seine Achse abgedreht wird, hat seinen Grund in der Verwendung derselben ausschließlich an solehen Körperstellen, wo die Hautverschie- bungen nicht nach einer Richtung geschehen, sondern stets ein Hin- und Zurückgehen stattfindet. Obwohl es kaum nötig erscheinen mag, habe ich (schon vor vielen Jahren) die in Rede stehende Bedeutung der Haare experimentell ge- prüft. Zwei mit krausem Haare bewachsene Hautstücke (aus der Symphysengegend) wurden auf kleine Brettchen genagelt. Eines war am Tische fixiert und trug die behaarte Fläche nach oben. Das andere habe ich in umgekehrter Stellung auf das erste gelegt, so dass die beiden Haarflächen sich berührten, und durch ein Gewicht beschwert. An ihm zog durch Faden und Rolle ein zweites Gewicht im Sinne einer horizontalen Verschiebung. Es wurden nun unter verschiedener Beschwerung die Gewichte gesucht, bei welchen die beiden behaarten Flächen eben aneinander zu gleiten begannen. Dann habe ich den- selben Versuch mit nackten Hautstellen ausgeführt. Oder es wurden zwei auf ihr Gleitvermögen schon geprüfte nackte Hautstücke neuer- dings geprüft, nachdem abgesehnittene Haare als Zwischenlage einge- schaltet worden waren. Wie zu erwarten, reichte immer ein schwächerer Zug hin, die Hautstücke gleiten zu machen, wenn Haare zwischen ihnen waren, als im Falle ihrer Nacktheit. Ja ich stehe nach dem Dargelegten nicht an, auch die Haare der Symphysengegend zu jenen zu rechnen, die sich durch ihre Bedeutung als Walzen erhalten haben. Nur ist ihre Aufgabe nieht, zwei Haut- stellen desselben Körpers aneinander gleiten zu lassen, sondern zwei Hautstellen verschiedener Körper bei der sexuellen Vereinigung. II. Das Haar als Temperaturregulator. Diese augenscheinlich für zahlreiche Tiere wichtigste Funktion des Haares ist beim Menschen auf einen kleinen Rest zusammen- geschrumpft. Als Pelz wirkt hier wohl nur mehr das Kopfhaar. Dass dem so ist, wird kaum bezweifelt werden können. Denn einerseits wird das Tragen von Perrücken oder von Kappen seitens haarloser Leute doch nicht wohl immer auf unberechtigte Aengstlichkeit zurück- zuführen sein, andererseits sehen wir die Kopfbedeckungen gerade in den heilen Ländern aus viel diehteren Stolfen und weit massiger ge- formt als bei uns, so dass auch nach dieser Seite das natürliche Exver, Funktion der menschlichen Haare. 457 Kopfhaar nicht immer auszureichen, vielmehr der Orientale aus guten Gründen den Turban zu tragen schemt. Dass überhaupt Todesfälle an Sonnenstich, und, wie kaum zu be- zweifeln ist, auch als Folgen zu starker Abkühlung des Kopfes vor- kommen, beweist einen Einfluss der Behaarung des Kopfes auf die Resultate des Kampfes ums Dasein. Der auf dem Geschmacke beruhende Enthaarungsprozess des Menschen wird wohl den Pelz, der das Schädeldach und das darunter liegende Gehirn vor Gefahren schützt, deshalb geschont haben, weil wahrscheinlich bei keinem anderen Organe ein auch nur Minuten oder Stunden währendes abnormes Fallen oder Steigen der Temperatur von so schweren Folgen begleitet ist. Was zunächst das bekannte schlechte Wärmeleitungsvermögen des Pelzes betrifft, so beruht es erstens auf dem überaus schlechten Lei- tungsvermögen der Haare selbst. Nach den Messungen von Tyndall!) steht das Fischbein und die Hornsubstanz, letztere gemessen am Rhi- noceros- und am Rinderhorn, am Ende der nach ihrem Wärmeleitungs- vermögen in eine Reihe geordneten Substanzen. Nur Steinkohle, Wachs, Guttapercha und einige in bestimmter Richtung von der Wärme dureh- strömte Holzarten übertreffen sie noch. Wenn man ein Vögelehen mit seinen dünnen Beinen stundenlang im Schnee waten sieht, und bedenkt, dass unter der dünnen Horn- schichte Blut von normaler Temperatur kreisen und die Gewebe er- nähren muss, so ersieht man, ein wie schlechter Leiter die Epidermoidal- gebilde sein müssen. Zweitens wirkt der Pelz als schlechter Wärmeleiter durch die in zahlreichen und engen Spalträumen zwischen der selbst fein verteilten Hornsubstanz eingelagerte Luft. Die Wärme ist eine Bewegungsform, und wir wissen, dass solche an der Trennungsfläche zweier verschie- dener Medien in ihrem Fortschreiten alteriert werden. Es kommt hier aber weiter in Betracht, dass auch die vorbeistreichende Luft zwischen den Haaren einen umso größeren Widerstand finden, also umsoweniger abkühlend wirken wird, je enger jene Spalträume sind. Bei einem gegebenen Haarkleide wird dieser Widerstand gegen Luftströmungen umso größer sein, je gleichmäßiger die Haare im Raume verteilt stehen. In dieser Beziehung mag hier erwähnt sein, dass ich unlängst bei der Untersuchung von Tierfellen die Elektrizität als die ordnende Kraft in dem Gewirre von Haaren erkannte?). Diese nehmen, wie jeder weiß, sehr leicht elektrische Ladungen an. Sie stehen eben als äußer- stes Glied der Spannungsreihe aller bisher auf Reibungselektrizität 1) Die Wärme. Deutsch herausgeg. von Helmholtz und Wiedemann. sraunschweig 1871, S. 271. 2) Ueber die elektrischen Eigenschaften der Haare nnd Federn. Pflüger’s Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. 61 u. 63. 458 Exner, Funktion der menschlichen Haare. untersuchter Körper. Nun ist bekannt, dass viele Pelze aus zwei Arten von Haaren bestehen, den steiferen, an der Oberfläche sicht- baren, und den viel zahlreicheren und kürzeren flaumartigen Haaren, die man erst zu sehen bekommt, wenn man die ersteren zurückbläst, oder, wie die Kürschner vielfach thun, ausreisst (gerupfte Pelze). Es stehen nun diese beiden Haargattungen in einem derartigen elektrischen Gegensatze, dass, wenn man sie aneinander reibt, die steifen Haare mit positiver, die Flaumhaare mit negativer Elektrizität geladen wer- den. Dieses Reiben geschieht aber bei jeder Bewegung des Tieres und die Ladungen können ganz enorme Spannungen annehmen. Die Folge davon muss sein, dass die gleichnamig geladenen Flaumhaare sich sämtlich wie die Streifen eines Goldblattelektroskopes abstoßen, also in der vorteilhaftesten und gleichmäßigsten Weise im Raume verteilt werden. Dasselbe gilt von den steiferen Deekhaaren. Da nun überdies letztere von den ersteren wegen der ungleichnamigen Ladung angezogen werden, so wird weiterhin bewirkt, dass der Flaum durch den Zug nach oben stets locker erhalten, die steifen Haare aber durch den Zug nach unten zu einer dichten, dem Flaume anliegenden Decke herabgezogen werden. Es ließe sich noch manche Feinheit in der Rolle anführen, welche die Natur der Elektrizität am Pelze zugewiesen hat, mehr noch von derjenigen, welche die Ladungen im Gefieder der Vögel spielen, doch ist hier nieht der Ort, darauf näher einzugehen. Aber nicht nur mit der Aufnahme und Abgabe der geleiteten Wärme stehen die Kopfhaare in Beziehung, auch gegen die strahlende Wärme bieten sie Schutz, und in dieser Hinsicht werden sie zu den Zeiten, welche noch keine künstlichen Kopfbedeckungen gekannt haben, wohl kaum von geringerer Wichtigkeit gewesen sein, als in ersterer. Die Rolle, die sie als Schutzmittel gegen Strahlung spielen, ist auch heute noch eine ganz bedeutende. Eis handelt sich um die Bestrahlung durch die Sonne. Die auf den Kopf fallenden Wärmestrahlen treffen bei gut behaartem Kopfe nirgends die Haut; ihre lebendige Kraft wird zunächst zur Erwärmung der Haare verwendet. Indem deren Temperatur steigt, nimmt ihre Ausstrahlung zu, und diese muss bei der großen Oberfläche, welche die sämtlichen Haare zusammengenommen haben, eine außerordentlich bedeutende sein. Ist doch die Ausstrahlung proportional der Oberfläche. Es lohnt sich eine approximative Berechnung dieses Verhaltens des Kopfhaares auszuführen. Nehmen wir die behaarte Schädeldecke als eine Halbkugel von 11 em Radius an, so beträgt ihre gekrümmte Fläche 760 em?. Nach einer vorgenommenen Zählung kommen bei einem mäßig dicht behaarten Kopfe va. 300 Haare auf den Quadrat- zentimeter. Nehmen wir weiter die Länge eines Haares mit S em und seine Dicke mit 0'06 mm an. Exner, Funktion der menschlichen Haare. 459 Es beträgt dann die Oberfiäche eines Haares 15 mm? und die Summe der Oberflächen sämtlicher Haare 34200 em? = 3'4 m?. Es wird also die lebendige Kraft der Sonnenstrahlung, welche eine senk- recht gegen dieselbe gestellte ebene Fläche von 380 em? (die Basis der gedachten Halbkugel des Schädels) trifft, in leitende Wärme ver- wandelt, welche selbst wieder ausgestrahlt wird von einer 34200 em? messenden Fläche, so dass man sagen kann, die Verhältnisse für die Ausstrahlung sind eirca hundertmal so günstig wie an einer auch mit Hornsubstanz überzogenen ebenen haarlosen Fläche, von der Basis des Schädels, oder 45 mal so günstig wie beim nackten Kopfe. Dabei ist freilich noch zu erwägen, dass ein Teil der von den Haaren ausgehenden Wärmestrahlen nicht in den freien Raum zurück- kehrt, sondern auf andere Haare, eventuell sogar auf die Haut auf- fällt; es wird dieser Bruchteil kein so kleiner sein, dass man ihn ver- nachlässigen kann, er ist aber auch nicht so groß, dass dadurch die Bedeutung der Haare als Schutzorgane gegen Strahlung zweifelhaft werden könnte. Bemerkt sei noch, dass das an die Null grenzende Wärmeleitungs- vermögen der Haare das Eindringen der durch Strahlung in ihnen entstandenen Wärme in die Haut hintanhält. Um eine Anschauung darüber zu gewinnen, in welchem Maße die hier besprochenen Umstände die Durehwärmung der Kopfhaut bei Strahlung beeinflussen, machte ich folgenden einfachen Versuch. Die mäßig stark mit blonden, wenige Zentimeter langen Haaren bewachsene Kopfschwarte einer Leiche wurde über eine halbkugelige Glasschale gezogen, so dass sie auf derselben wie auf dem Schädeldache auflag. Dann wurde die rechte Hälfte derselben rasiert, die mit dem Bauche nach oben gekehrte Schale ziemlich dieht, d. i. mit Hilfe von Watte, in den Falz eines Brettchens befestigt, so dass die Schale mit dem brettehen einen Hohlraum abschloss, in welchem von unten her das Gefäß eines Thermometers hineinragte. Eine in gleicher Höhe auf- gestellte Bogenlichtlampe bestrahlte aus einer bestimmten Entfernung entweder bloß die behaarte oder bloß die nackte Seite der Kopfschwarte, eine gegebene Zeit lang, nach welcher die Temperatursteigerung im Innern des künstlichen Schädelraumes abgelesen wurde. Indem ich in regelmäßigen Zeitintervallen von 20 Minuten das Präparat um 150 Grade drehte und so abwechselnd durch je 15 Minuten die be- haarte oder die nackte Seite bestrahlen ließ, erhielt ich die in nach- stehender Tabelle verzeichneten Werte. Sie, und noch augenfälliger die nach den mitgeteilten Zahlen konstruierte Kurve, zeigt einen sehr bedeutenden Einfluss der Behaarung auf die Durchwärmung der Haut. Man sieht am Anfange der Kurve, dass die Bestrahlung der nackten Kopfhälfte die Temperatur im Inneren bedeutend rascher ansteigen lässt, als die Bestrahlung der behaarten Hälfte. Im weiteren Ver- 460 Exner, Funktion der menschlichen Haare. ers | Temperatur unter er der | Die | ee | : = @ lan Umgebung | bestrahlte | ————— — — | Zeit der Exposition in in Graden| Seite war: | EN | Minuten Ges: | strahlung strahlung | 18°2 ‚ behaart 181 20:28 || 6U.10M bis6 U.25M. 15 18:5 nackt 20:8 253 | 6U.30M.bis6 U.45M. 15 18:7... |}. .behaart 25:28 26'253 6U.50M.bis7 U. 5M. || 15 18'8 nackt ||; 26:28 28:82 7 U.10M.bis7 U.25M. 15 18°8 behaart 28°3 28:2 | 7U 30M.bis7 U.45M. 15 188 nackt | 2788 2985 | 7U.50M.bis8U. 5M. 15 18:8 behaart 2917 28.8 8U.10M.bis8U.25M. 15 18:8 nackt | 284 30 15 8U.350M.bis8U.45M. | 15 188 | behaart 294 29.1 ı 8U.50M.bis9U. 5M. 15 187 "nackt 28:6 3025 9U.10M.bis9 U.25M. 15 laufe bewirkt die Strahlung im ersten Falle immer noch bedeutende Steigerungen, im letzteren aber findet sogar Abkühlung statt. r Terme] nasse [former Innere ienzarf Tnacıe rar oo” 20 0 70 70 80 90 00 NO 120 10 10 150 10 170 180 190 200 Alinuten Die Entstehung des Sonnenstiches müssen wir uns bei unbedecktem und gut behaartem Kopfe also folgendermaßen vorstellen. Es trifft zwar kein Strahl die Haut selbst, auch wird von den durchwärmten Haaren kaum eine nennenswerte Wärmemenge der Haut direkt zuge- leitet, wohl aber erwärmt jener oben genannte Bruchteil der von den Haaren ausgehenden und nicht in den freien Raum zurückkehrenden Wärmestrahlen die zwischen den Haaren liegende, und, wie wir sahen, ziemlich schwer bewegliche Luft. Durch diese werden die Haut und die Exner, Funktion der menschlichen Haare, 461 darunter liegenden Gebilde über jene Grenzen erwärmt, welche dem normalen Ablauf der Funktionen gezogen sind. Bei bedecktem Haupte kommen natürlich die ausstrahlenden Funktionen der Haare nicht in Betracht. IV. Das Haar als Schmuck. Nach dem eingangs Erwähnten habe ich über die Haare als An- loekungsmittel für das andere Geschlecht — um mich der Darwin’- schen Ausdrucksweise zu bedienen — wenig mehr zu sagen. Sowie sie am größten Teile des Körpers durch Zuchtwahl geschwunden sind, haben sie sich an gewissen Teilen aus demselben Grunde besonders mächtig entwickelt. Dazu sind nach Darwin zu rechnen der Bart, und das bei gewissen Völkern zu großer Länge auswachsende Kopf- haar. Fraglich kann es, wie erwähnt, sein, ob bei Augenbrauen und Augenwimpern der Geschmack auch eine Rolle gespielt hat. Die auffallende Thatsache, dass die Ausdehnung des Haarwuchses am Kopfe zwar ziemlich genau mit der Area zusammenfällt, in der über dem Gehirn nur Schädeldach und Haut liegt, die Stirne aber hievon eine Ausnahme macht, muss zum Nachdenken anregen. Nach meiner Meinung dürfte auch hier das kosmetische Prinzip mitgewirkt haben. Betrachten wir doch auch heute eine freie hohe Stirn beim Manne, eine Stirn mit scharf abgesetzter und in bestimmter Weise ge- schnittener Haargrenze beim Weibe als Schönheit. Wenn hier der Geschmack auf die Enthaarung, der Schutz des Gehirns gegen schädliche Temperaturen auf die Erhaltung der Haare losgearbeitet haben, so ist ersterer vielleicht deshalb Sieger geblieben, weil der Schutz gegen Abkühlung wenigstens teilweise durch die zwischen die beiden Schädellamellen eingelagerte Stirnhöhle und das nur allmähliche Zusammentreten der Knochenlamellen nach oben und lateralwärts, also durch eine dickere Lage schlechter Wärmeleiter, gegeben ist, und weiterhin die Gefahr der zu starken Bestrahlung an der Vorderfläche des Schädeldaches gemildert sein dürfte. Befinden sich nach vorne gewendet doch auch die Augen, welche einer direkten Bestrahlung auszuweichen suchen. Es wird bei brennender Sonnen- glut nicht leicht Jemand sich so legen oder setzen, dass ihm die Strahlen gerade von vorne und oben treffen; selbst im Gehen wird er, schon um nicht geblendet zu werden, den Kopf passend zu drehen suchen. Das wird gewiss auch in jenen Urzeiten der Fall gewesen sein, in denen der Kampf zwischen dem Lebensvorteil und dem primi- tivsten Schönheitsgefühl die Grundform des menschlichen Antlitzes produzierten. 462 Popoff, Histogenese der Kleinhirnrinde. Weiterer Beitrag zur Frage über die Histogenese der Klein- hirnrinde. (Aus dem histologischen Laboratorium der k. Universität in Moskau ) Vorläufige Mitteilung von Dr. S. Popoff. In Nr. 20 des Biologischen Centralblattes 1895 habe ich Einiges über die Histogenese der Kleinhirnrinde bei verschiedenen Säugetieren während ihres intrauterinen Lebens und auch bei Huhn-Embryonen mitgeteilt. Jetzt möchte ich einige Details, die in meiner ersten Mit- teilung nur flüchtig berührt wurden, etwas ausführlicher beschreiben Schon damals hatte ich angezeigt, dass bei den Katzen und Schaf- Embryonen der früheren Perioden die jungen Formen der Purkinje’- schen Zellen äußerst verschiedenartig gestaltet und deswegen schwer zu beschreiben sind. Es versteht sich von selbst, dass ich zwischen denselben einige gemeinschaftliche Bildungszüge aufzufinden suchte, welche mir eine regelmäßige, konsekutive Umwandlung der jungen Nervenzellen während ihrer Differenzierungszeit nachweisen könnten. In dieser Absicht hielt ich es für zweckmäßig mehrere parallele Unter- suchungen an Embryonen anderer Tiere mit Hilfe der Golgi’schen Methode zn machen. Es wurde die Kleinhirnrinde der Hund- und Meerschweinchen-Embryonen mit Silber imprägniert. Bei dem Zusammenstellen dieser verschiedenförmigen Figuren der jungen Purkinje’schen Zellen bei allen vier obengenannten Embryo- arten, ersieht man, dass diese Zellen in früheren Perioden sich von einander sehr unterscheiden. Auf diese Weise kann man den Schluss ziehen, dass die Form einer jeden Zelle einer besonderen Veränderung unterworfen ist und es ist sehr schwer in dieser Hinsicht eine ge- meinsame Regel festzustellen Ganz anders liegen die Verhältnisse bei dem Katzen-Embryo von 12 em. Die abgebildeten Figuren p (s. D, unserer ersten Mitteilung) der Purkinje’schen Zellen sind nicht nur einander gleich, sondern auch mit denjenigen vollkommen analog, die ich bei dem Huhn-Embryo am 12. Bebrütungstage und bei dem Hund-Embryo 11 em beobachtet habe; endlich sind von Ramon y Cajal!) solche Formen Purkin)e’- scher Zellen bei Neugeborenen vorgefunden worden, — ein Ergebnis, zu welchem ich in meinen Erforschungen ebenfalls gelangt bin. — Diese Thatsache lehrt uns, dass von einem gewissen Zeitpunkt an die Formen der Purkinje’schen Zellen konstant werden und dass ihre fernere Entwieklung sich nach einem mehr bestimmten Plan vollzieht. Weitere Untersuehungen zeigen uns, dass die Differenzierung soleher Zellbildungen darin besteht, dass ihre oberen Fortsätze sich allmählich ausziehen und rasch sieh zu verzweigen anfangen; schon 1) Internationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie Bd. VII, 1890. Popoff, Histogenese der Kleinhirnrinde. 463 bei Neugeborenen haben die Purkinje’schen Zellen eine große Aehn- liehkeit mit denen der Erwachsenen. Der embryonale Charakter solcher Zellen bei Neugeborenen äußert sich erstens darin, dass die untere, d. h. innere Peripherie des Zellleibes mit einer großen Anzahl sowohl feiner, als auch dicker Fortsätze versehen ist und zweitens darin, dass ihre protoplasmatischen Fortsätze bis an die untere Peri- pherie der äußeren Körnerschicht gelangen. Solche dieke Fortsätze beobachtete ich ferner bei dem achttägigen Kätzchen, — sogar bei dem zweiwöchentlichen, obwohl dieselben im letzteren Falle nicht so scharf ausgesprochen waren. Ueberhaupt erreicht die Kleinhirnrinde ihre völlige Entwicklung erst bei dem dreiwöchentlichen Kätzchen, bei dem zweiwöchentlichen aber sehen wir noch'neben den vollkommen entwickelten Zellen auch solche, die einen embryonalen Charakter tragen. Es ist mir gelungen eme ganze Reihe von Purkinje’schen Zellen mit ihren Nervenfortsätzen bei einem achttägigen Kätzchen und bei einem Huhn-Embryo am 17. Bebrütungstage mit Silber zu imprägnieren. Solche Figuren bieten in der Hinsicht ein Interesse, dass sie deutlich zeigen, wie die Purkinje’schen Zellen mittelst der Collateralen ihrer Axenzylinder in Zusammenhang miteinander treten; es wird nicht selten beobachtet, dass eine Collaterale eines und des- selben Axenzylinders in die Molekulärschicht hinaufsteigt und mit den Endstücken ihrer Verzweigungen nestartig (nids cerebelleux von kRammon y Cajal) mehrere benachbarte Purkinje’sche Zellen umgreift. Es wird nicht überflüssig sein darauf hinzuweisen, dass die Figuren dieser Verzweigungen denjenigen der Kletterfasern, die bei Neugeborenen beobachtet werden, sehr ähnlich sind. Außerdem wurde es mehrmals von mir bemerkt, dass einige Purkinje’sche Zellen zwei Axenzylinder haben, doch soll man derartige Thatsachen mit einem gewissen Vorbehalt annehmen, da ich die Möglichkeit nicht auszuschließen wage, dass uns in einem von diesen zwei Axenzylindern eine Kletterfaser entgegentritt, die in ihrem peripherischen Teile nur partiell imprägniert ist. Was die Golgi’schen Zellen anbelangt, so habe ich schon früher diejenigen jungen Formen angegeben, welche ich bei den Schaf- und Katzen-Embryonen beobachten konnte. Im meiner ersten Mitteilung habe ich in den Zeichnungen polygonale Golgi’sche Zellen darge- stellt, die man häufig bei Erwachsenen trifft und nebenan — auch solche Zellen, die ihren Kontouren nach nicht die geringste Aehnlich- keit mit den vollkommen entwickelten Zellen bieten. — Es darf über- haupt festgestellt werden, dass die Golgi’schen Zellen beim Katzen- Embryo 12cm, bei neugeborenen und mehr herangewachsenen Kätzehen eine mehr oder weniger regelmäßige polygonale Form haben. — Je weiter der Embryo entwickelt ist, desto reicher ist der Axenzylinder 464 Popoff, Histogenese der Kleinhirnrinde. der Golgi’schen Zellen verzweigt. Ich kann die von Retzius ge- machte Beobachtung bestätigen, dass die protoplasmatischen Fortsätze der embryonalen Golgi’schen Zellen bedeutend länger sind, als bei völlig entwickelten Zellen. Bei einem Hündehen fand ich eine Golgi’sche Zelle, deren protoplasmatischer Fortsatz, nachdem er eine lange Strecke in der inneren Körnerschicht sich horizontal hinge- zogen hatte, in die Molekulärschieht hinaufstieg und dort bei der äußern Körnerschicht sein Ende nahm. Bei meinen Untersuchungen konnte ich nur eine Art von Bildung der vertikalen bipolaren Zellen konstatieren — nämlich — die aus epithelioiden Elementen; nie habe ich die Ausbildung dieser Zellen aus horizontalen bipolaren Zellen beobachten können, was nach Ernst Lugaro’s!) und Anderer Behauptung in den von ihnen an- gestellten Beobachtungen der Fall war. Ich bin gezwungen schon deshalb auf meiner Voraussetzung zu beharren, weil es mir mehrere- mals vorgekommen ist, die vertikalen bipolaren Zellen in der äußeren Körnerschicht über den horizontalen gelagert zu sehen. Cajal und Lugaro teilen die Ansicht, dass die horizontalen bipolaren Zellen an der inneren Peripherie der äußeren Körnerschicht sich befinden müssen. Die Ausbildung der Körnerzellen aus den vertikalen bipolaren Zellen geht nach unserer Beobachtung in folgender Weise vor: eine bipolare Zelle wird während ihres Herabsenken aus den äußeren Zonen in die innere Körnerschicht allmählich mit lateralen proio- plasmatischen Fortsätzen versehen. Bei einigen embryonalen Zellen sind diese Fortsätze besonders lang und zahlreich; fast immer besitzt die bipolare Zelle einen dickeren inneren Fortsatz, welcher auch bei Neugeborenen beobachtet wird. Bei achttägigen Kätzchen fangen die protoplasmatischen Fortsätze an sich zu verzweigen, bei den zwei- wöchentlichen aber sind diese Zellen vollends formiert. Ehe ich zu den horizontalen Zellen übergehe, will ich noch be- merken, dass ich in meinen Präparaten zwei Arten horizontaler Zellen gesehen habe; die einen lagen in den sagittalen, die andern in den frontalen Flächen; in Folge dessen unterscheiden wir transversale (zu der Richtung der Furchen perpendikuläre) horizontale Zellen und longitudinale (mit der Richtung der Furchen parallele). Meinen Erforschungen nach werden die Korbzellen aus transver- salen horizontalen Zellen gebildet; einer von den Ausläufern der letzteren wird allmählich immer dieker und fängt an sich stärker zu verzweigen, so dass bei den Neugeborenen die Ausläufer (proto- plasmatische) sehr zahlreich werden. Was den Axenzylinder betrifft, so giebt derselbe Collateralen zu den Körpern der Purkinje’schen Zellen ab, was zum ersten Male bei achttägigen Kätzchen aufzufinden ist; bei zweiwöchentlichen Kätzchen sehen wir die vollends formierten 4) Ueber die Histogenese der Körner. Anat. Anz., Bd. IX, 1894. Popoff, Histogenese der Kleinhirnrinde. 465 Korbzellen und nebenan andere embryonale Zellen mit einer Menge protoplasmatischer Fortsätze und einem horizontalen unverzweigten Nervenfortsatz. Was die longitudinalen horizontalen Zellen anbelangt, so konnten wir bemerken, dass einer von ihren Ausläufern (der protoplasmatische) in ganz analoger Weise, wie wir es von den Korbzellen eben berichtet haben, sich allmählich verzweigt, während der andere sich verlängert und nur sehr kurze Collaterale aussendet. Dergestalt umgewandelte Zellen treffen wir bei Stägigen Kätzchen in der Molekulärschicht. Um die Natur dieser Zellen zu bestimmen, konnten wir uns nach zweierlei Kriterien richten: 1. sowohl ihre Größe, als ihre Lage und ihre Ver- zweigungen gestatten uns sie als kleine Zellen der Molekulärschicht zu betrachten; 2. wir kommen zu demselben Schluss um deswillen auch, weil in dieser Periode alle Elemente der Kleinhirnrinde mit Aus- nahme der obenerwähnten schon vollständig entwickelt sind. Zu dem, was wir früher von der Histogenese der neuroglischen Zellen mitgeteilt haben, müssen wir noch folgendes hinzufügen: schon von früheren Perioden an (Katzen-Embryo 8 em), beginnt die äußere Körnerschicht neuroglische Zellen zu produzieren. Die einfachsten embryonalen Zellen sind polygonaler oder runder Form mit einem äußeren Fortsatz; einige von diesen Zellen lassen auch einen inneren mehr oder weniger langen Fortsatz ausgehen und auf diese Weise entsteht eine bipolare Zelle, welche von den oben beschriebenen bipo- laren Zellen sich durch ihr grobes Aussehen unterscheidet. Ein solcher innerer Fortsatz verbleibt manchmal sehr lange unverändert, manchmal aber verschwindet er sehr bald. Die Differenzierung solcher embryo- naler Zellen, die bei Neugeborenen schärfer ausgesprochen ist, besteht darin, dass ihr Körper allmählich zuwächst und von seiner Peripherie eine große Menge kleiner Fortsätze aussendet, wobei ihr äußerer Fortsatz sich mehr und mehr verzweigt. Der Zuwachs des Zellkörpers geht mit dem Hinabsenken desselben in die innere Schichte der Kleinhirn- rinde gleichzeitig vor. Nun bleibt es uns noch übrig, einige Worte über die Histogenese der Nervenfasern (Moos- und Kletterfasern) der Rinde zu sagen; zum ersten Mal haben wir dieselbe beim Katzen-Embryo 12 cm beobachtet. In dieser Periode kommen bei den Moosfasern ihre charakteristischen Verdickungen noch nieht zum Vorschein; die Kletterfasern sind sehr dünn und ihre Verzweigungen noch nicht zahlreich. Bei dem neu- geborenen Kätzchen erhalten die Moosfasern ihre charakteristischen Eigenschaften in vollständiger Form; die Kletterfasern aber erreichen ihre völlige Entwicklung nur bei dem zweiwöchentlichen Kätzchen. Wie es aus unseren Erforschungen zu ersehen ist, kann die äußere Körnerschicht sowohl nervöse als auch neuroglische Elemente produ- zieren; genau dasselbe ist schon früher von Alf. Schaper als eine PANE 30 466 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. Hypothese ausgesprochen worden. Wir dürfen also die äußere Körner- schicht als eine sekundäre Keimschicht betrachten, die zur Bestimmung hat für den Aufbau der Kleinhirnrinde neues Material zu liefern. 22. April 1896. M. Standfuss (Zürich), Handbuch der paläarktischen Groß- schmetterlinge für Forscher und Samnler. Zweite gänzlich umgearbeitete und durch Studien zur Descendenztheorie erweiterte Auflage des Handbuches für Sammler der europäischen Groß- schmetterlinge. Jena. Gustav Fischer. 1896. In dem neuen schönen und des Inhaltes würdigen Gewande erkennt man es fast nicht mehr, das kleine Handbuch, das der treffliche Lepi- dopterologe Standfuss 1891 im Selbstverlage herausgegeben hat und das rasch vergriffen wurde. Die erste Auflage war hauptsächlich für Sammler bestimmt. Der Verfasser konnte über die ausgedehntesten Er- fahrungen zweier Forschergenerationen verfügen, denn das Tagebuch seines ehrwürdigen Vaters, dessen Sammeleifer, feine Beobachtungsgabe und Forschergeduld sich auf den Sohn vererbt und mit der Neigung und Fähigkeit zu allgemein wissenschaftlicher Verwertung des Beobachteten oder durch das Experiment Gewonnenen gepaart haben, reicht bis in das Jahr 1840 zurück und der Sohn selbst steht auch schon auf dem Boden einer zwanzigjährigen lepidopterologischen Praxis. Die neue Auflage wendet sich nun aber nicht nur an das Heer der Sammler, sondern ebensosehr an die wissenschaftlichen Zoologen, oder sagen wir besser an die Vertreter der allgemeinen Zoologie. Es vereinigt in sich zwei Dinge — sagt der Verfasser: „lepidopterologische Praxis“ und „wissenschaftlich-zoologische Spekulationen“, mit denen sich zur Zeit im allgemeinen durchaus nicht die gleichen Leute befassen. Ueber den praktischen Teil des Buches, der sich in der neuen Auf- lage ebenfalls nicht unwesentlich bereichert hat, soll hier nicht ausführ- licher berichtet werden. Er behandelt das Sammeln und die Zucht der Schmetterlinge und gibt Ratschläge für die Präparation, für die Einrich- tung der Sammlung, für Tausch und Kauf u. s. w. Dabei wird der Schmetterling in allen Stadien seiner Metamorphose, als Ei, Raupe, Puppe und Falter, gleichmäßig berücksichtigt. Ueberall verrät sich die reiche Erfahrung, so dass auch die gewiegtesten Lepidopterologen erklären konnten, dass sie Vieles für sie Neue erfahren hätten. Eine Menge feiner Beobach- tungen auch von allgemeiner Bedeutung sind eingestreut und manche wichtige Fragen der Insektenbiologie werden im Vorbeigehen gestreift, so dass man merkt, dass hinter dem Gesagten sich noch manches wichtige Ungesagte verbirgt. Erfrischend ist die überall zu Tage tretende Tendenz des Verfassers, seinen Lieblingen als Lebewesen inmitten der belebten und unbelebten Natur nahezutreten, sie als Glieder des großen, lebendigen, unendlich verwickelten und doch geordneten Haushaltes der Natur zu er- fassen. Der Lepidopterologe soll nicht bloß auf der Stufe eines Brief- markensammlers stehen bleiben. So finden wir z. B. in dem Abschnitte, welcher von dem Sammeln mit Schirm und Klopftuch handelt, neue interessante Beobachtungen über die Farbenanpassung von Raupen: „Es kann sich treffen, dass wir im Laufe weniger Stunden die Raupe von Zupithecia absinthiata Cl. m sechs Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 467 ganz verschiedenen Färbungen antreffen: nämlich zitronengelb etwa in den leuchtenden Aehren der Goldrute ( Solidago virgaurea L.); grün an nicht oder noch nicht blühenden Individuen der gleichen Pflanze; rosa auf den Knöpfen der Grasnelke (Statice armeria L.) oder an ÜOentaureen: weiß an den Dolden der Pimpinella saxifraga L.; braun in den Blüten- büschen des Beifuss (Artemisia vulgaris L.); ja sogar schön himmelblau auf den kleinen Kugeln des Teufelsabbiss (Suceisa pratensis Mönch.)“. „Dieser Proteus vermag sein Kleid sogar total umzufärben, wenn noch klein genug, mehrmals umzufärben, falls man ihn in der Sonne auf Blumen von verschiedener Farbe (etwa Astern) weiter erzieht (Ergänzung von Beobachtungen und Experimenten von Schröder und Poulton). Von Interesse sind auch die S. 18 mitgeteilten Erfahrungen über das Verschwinden von lokalen Arten oder Rassen von Arten in ihren Ver- breitungsbezirken. Wirklich lokale Arten oder Rassen von Arten, die fast durchweg zu dem für die Sammlungen gesuchten Materiale gehören, sind erfahrungsgemäß an ihren Fundorten in Menge vorhanden. Ohne ein sehr zahlreiches Vorhandensein, kann sich bei den vielen Feinden und Gefahren, welche die Existenz jedes Geschöpfes bedrohen, eine auf sehr beschränktem Areal vorkommende Form längere Zeiträume hindurch nicht halten. Im folgenden wollen wir nun über die wichtigsten neuen Beobach- tungen, Experimente und Spekulationen referieren, von denen der „Die Zucht der Schmetterlinge“ überschriebene zweite Abschnitt des Stand- fuss’schen Werkes handelt. Paarung. Es existiert eine Beziehung zwischen der Dauer des Raupen- lebens und der Dauer des Falterlebens. Das eine Extrem bilden die Psychiden, das andere die Rhopalöceren. Bei den ersteren dauert die Entwicklung vom Ei bis zum Falter zwei (bei Ps. standfussiüi H. S. sogar drei) Jahre. Der Falter aber lebt nur wenige Stunden, ja sogar Minuten, nur zum Zwecke der Fortpflanzung. „Psyche apiformis Rossi, die Stand- fuss bei Rom in größerer Anzahl aus der Puppe erzog, paarte sich in sechs männlichen Stücken sofort nach dem Auswachsen der Flügel nach- einander mit je zwei weiblichen Individuen. Noch während des Kopu- lationsaktes mit dem zweiten Weibchen starben die Männchen ab, deren gesamte Lebensdauer vom Momente des Ausschlüpfens bis zum Tode nur zwischen 32 und 58 Minuten betrug“. Die Tagschmetterlinge hingegen haben ein kurzes Raupenleben, dafür ein längeres Falterleben (bei Vanessa-Arten bis auf 10 Monate), vielmehr noch als irgend einer Gruppe der Heteroceren fällt den Faltern dieser Abteilung die Rolle der Blütenbestäubung zu. Damit hängt zusammen die erst nach längerer Flugzeit erfolgende Paarung und wohl auch die wunderbare Farbenpracht der Rhopaloceren. Folgen interessante Beobachtungen über die Paarung der Schmetter- linge in der Gefangenschaft und im Freien. Die größere oder geringere Farbenpracht spielt bei der Auswahl der Weibehen zum Zwecke der Paarung ganz gewiss keine Rolle. Die Männchen ziehen die frischer ent- wickelten Weibehen den ältern vor. Verschmähte Weibehen erwiesen sich als arm an Eiern. Der von den Weibchen ausströmende Duft scheint allein bestimmend zu wirken. Im ersteren Falle ging derselbe bei den 0 U 468 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. verschmähten älteren Weibchen bereits verloren, im zweiten Falle gelangte er nicht recht zur Entwicklung. Vererbung der Pebrine. Standfuss bestätigt aus eigener Erfahrung, dass die „Pebrine“, jene perniciöseste und ansteckendste aller Raupenseuchen, welche von der Raupe auf Puppe und Falter übergeht, vom Weibchen auf die Nachkommen übertragen wird, dagegen nicht vom Männchen. „Weibchen, die aus einer teilweise verseuchten Zucht stammen, seien sie auch noch so schön und kräftig, sind für Verwendung zur Weiterzucht stets bedenklich, Männchen aus verseuchter Zucht können ohne Bedenken verwendet werden“. Kreuzungsversuche. Standfuss gibt zunächst eine ausführliche Zusammenstellung der bekannten Hybriden, indem er das reiche Material kritisch sichtet. Bis zum Falter scheinen ihm bis jetzt 24 aus verschiedenen Kreuzungen stammende Bastardformen erzogen worden zu sein. Die Bastardfalter sind im allgemeinen Zwischenformen zwischen den zeugenden Arten, aber nicht Mittelformen. Wie beim Pferd und Esel (vie. Maulesel, Maultier) ist der Bastard zwischen A SZ und B 2 nicht dasselbe Geschöpf wie der Bastard zwischen AQ und BG. Von den 24 verschiedenen Hybridenzuchten lieferten 5 nur Männchen, 5 nur Weibchen (sämtliche ohne entwicklungsfähige Eier), 7 Männchen und Weibchen, die letzteren seltener, sämtlich steril. Bei diesen wäre also an eine Fortpflanzung der Bastarde unter sich nicht zu denken. 3 Hybriden liefern Männchen und Weibehen in normaler Verhältnis- zahl. Nur ganz vereinzelte Weibchen legen, und zwar anormale Eier. 2 Hybriden liefern Männchen und anscheinend entwickelte Weibchen, die aber nach Standfuss’ Vermutungen auch nicht fruchtbar sein dürften. Nur das Weibchen von Saturnia hybr. standfussi, eine ganz eigen- tümliche Bastardform, über die wir weiter unten referieren, legte an- scheinend normale Eier ab „und da die Männchen woll sicher fortpflanzungs- fähig sind, so wäre es wohl möglich, dass dieser Hybride eine in sich fortpflanzungsfähige Form darstellt. Resultat: Bis jetzt ist die Fortpflanzungsfähigkeit keines einzigen Hybridenweibchens durch Zucht oder Experiment bei den Schmetterlingen festgestellt. Es folgt nun eine eingehende Besprechung einiger speziellen Fälle von Hybridation und von Hybridationsversuchen, die der Verf. an 3 Arten der Nachtpfauenaugen, Saturnia pavonia L., spini Schiff. und pyri Schiff. mit unübertrefflicher Geschicklichkeit und Ausdauer ausgeführt hat. 1. Saturnia hybr. bornemanni Stdfs. aus der Kopulation von Falter | pavoma dd spini 9 2. Saturnia hybr. hybrida O. wohl sicher von | DT pavonia ?% 3. Saturnia hybr, a) var. daubü Stdfs. pavonia Falter b) var. emiliae Stdfs. } pyri 2 Die Weibchen aller dieser Hybriden, die auf den verschiedenen Stadien ihrer Metamorphose genau beschrieben, und mit den Stammarten verglichen Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 469 werden, waren alle unreif. Hingegen ergab die mikroskopische Unter- suchung des Männchens von hybr. var. emiliae eine normale Beschaffenheit der Hoden und reife Spermatozoen. Gestützt auf diese Befunde unternahm Standfuss folgende ebenso schwierigen wie merkwürdigen Hybridationsversuche. Er suchte Paarungen herbeizuführen 1. zwischen dem Männchen von hybr. var. emiliae und dem Weibchen derselben Form; 2. zwischen dem Männchen dieses Bastards und dem Weibchen der Stammart pavonia. 3. zwischen dem Männchen dieses Bastards und dem Weibchen der Stammart pyri. Die Paarung gelang in allen 3 Kombinationen. Doch blieb die erste Kombination, wie zu erwarten, unfruchtbar, während bei der zweiten und dritten Kombination Nachkommen erzielt wurden, also Hybriden der zweiten Generation aus einem hybriden Vater und der Mutter aus einer der beiden Stammarten. Durch diese Erfolge ermuntert, setzte Standfuss seine Versuche fort und brachte zur Paarung 4. Männchen von Sat. hybr. bornemanni (siehe oben) mit den Weibchen desselben Bastardes. Erfolg: in einem Fall 16 Eier, die sich nicht weiter entwickelten. !) 5. Männchen des genannten Bastardes mit Weibchen von Saturnia pavonia. Resultat: Nachkommenschaft. 1)6. Männchen desselben Bastardes mit Weibchen von Saturnia spini. Resultat: Nachkommenschaft. !)7. Männchen dieser Bastarde mit Saturnia pyri Weibchen. Resultat: entwicklungsfähige Eier, aus denen 92°/, Raupen ausschlüpften. Diese stammen also von drei distinkten Saturnia-Arten ab, haben zur Mutter Sat. pyri, zum Großvater väter- licherseits Sat. pavonia und zur Großmutter väterlicher- seits Sat. spimi. Bei der Kombination 5. Aufzucht der Raupen bis zum 4. Kleid. Dann Tod durch Infektionskrankheiten. Bei der Kombination 2. Aufzucht bis zum Falter (Sat. hybr. stand- fussi Wsktt.) ein einziges Weibchen und mehrere Männchen. Die Männchen dieses Bastards hält Standfuss für sicher fortpflanzungsfähig. Das Weibchen legte beim Töten freiwillig 4 Eier und der Leib enthielt unzweifelhaft noch mehr, höchstens 20, ungefähr den 10 Teil des normalen Eierschatzes von Sat. pavonia oder pyri. Es besteht also die Möglichkeit, dass dieser abgeleitete Bastard in sich fortpflanzungsfähig ist. Bei der Kombination 3. Aufzucht bis zum Falter (6 Exemplare, davon 3 Männchen, 2 Weibchen und 1 Zwitter). Ueberall schildert der Verf. genau die Raupenstadien, die Puppe und den Falter. Es hat sich bei der Rückkreuzung von Bastardmännchen mit den Weibchen der Ursprungsarten die eigentümliche 'Thatsache herausgestellt, 1) Auch die Zucht der Kombinationen 5, 6 und 7 ist seither bis zum Falter und zwar männlicher wie weiblicher Falter von Standfuss glücklich durchgeführt worden. ATO Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. dass ein ziemlich hoher Prozentsatz der Nachkommenschaft den äußeren Charakteren nach zwitterige Merkmale aufweist. Wie weit sich der Hermaphroditismus auch auf die inneren Organe erstreckt, muss noch genauer untersucht werden. Bevor nun Standfuss dazu übergeht, allgemeine Schlüsse aus seinen Beobachtungen über die Hybridation der 3 Saturnia-Arten zu ziehen, sucht er in einlässlicher Weise die Frage nach dem relativen, phylogenetischen Alter der 3 Arten spini, pavonia und pyri zu beantworten, wobei er alle in Betracht kommenden Faktoren sorgfältig abwägt. Insbesondere stellt er eine eingehende Vergleichung der verschiedenen Entwicklungsphasen der drei Arten an und diskutiert beim erwachsenen Falter die sich aus der Färbung, aus dem Dimorphismus, der Flugzeit, der geographischen Verbreitung für die Beurteilung des phylogenetischen Alters in Betracht kommenden Faktoren, die freilich nur bis zu einem gewissen Grade Aus- kunft erteilen. Bei einer Vergleichung der Raupen- und Puppenstadien aber vermag Standfuss nachzuweisen, „dass Sat. spini, pavonia und pyri in mehrfacher Beziehung 3 verschiedene Grade des Geschütztseins gewissen feindlichen Faktoren der Außenwelt gegenüber darstellen. Auf dieser Stufenleiter nimmt spini stets die niedrigste und pyr? stets die höchste Stufe ein. Bei der so außerordentlich engen Verwandtschaft und der großen Aehnlichkeit der biologischen Verhältnisse der 3 Arten sind wir darum zu der Annahme gezwungen: „dass spint die phylogenetisch älteste, pavonia eine jüngere, pyri phylogenetisch die jüngste Form ist“. In dem nun folgenden Abschnitte „Allgemeines über die Hybridation und die Hybriden“ finden sich interessante Beobachtungen und Ansichten über den Duft der Männchen und Weibchen, und über die Bedingungen, unter welchen in der freien Natur Paarung von Individuen verschiedener Arten vorkommt. Standfuss ist u. a. zu der Annahme genötigt, dass „der Duft, welcher von den weiblichen Individuen zum Anlocken der männlichen ausgeströmt wird, selbst bei recht nahe stehenden Arten ein specifisch verschiedener sein muss“. Ja es müsse „dieser Duft auch in einer bisweilen nachweisbaren Divergenz bei den Weibchen verschiedener Lokalrassen von ein und derselben Art bereits begriffen sein, wie Ver- suche mit Callimorpha var. persona Hb. klar zeigten. Die Männchen von Callım. dominula L. fanden sich bei zahlreich ausgesetzten, frisch ent- wickelten Weibchen der var. persona Hb. äußerst spärlich ein, während sie in Menge an die gleichzeitig und nicht weit davon ausgesetzten, eben- falls frisch entwickelten Weibehen von dominula anflogen“. Eine genaue Vergleichung der Hybriden mit ihren Eltern ergibt die beiden Gesetze. 1. In der Nachkommenschaft aus hybrider Paarung vermag die phylogenetisch ältere Art ihre physiog- nomischen, biologischen und physiologischen Eigenschaften besser zu bewahren, als die phylogenetisch jüngere Art“. Ihre Eigenschaften haben sich durch die längeren Reihen von Generationen hindurch stärker befestigt. 2. „Bei reciproker hybrider Paarung vermag das männ- liche Geschlecht als zeugendes in der sich ergebenden Nach- kommenschaft das Gepräge der Art in höherem Grade zu wahren als das zeugende weibliche Geschlecht der gleichen ATi Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 471 Wie oben mitgeteilt, war Standfuss auf anderem Wege zu der Ansicht gekommen, dass von den drei Saturnia-Arten, mit denen er Hybridationsversuche anstellte, spini die phylogenetisch älteste, pavonia jünger, pyri die jüngste sei. Die Kreuzungsversuche ergaben nun beispielsweise folgende Resultate. pavonia Die Nachkommenschaft N x nähert sich mehr als ?/, pavonia. VE 2 pavoma g ; s | x nähert sich ?/, spint. spini 2 spim & x Rn " x nähert sich noch mehr spint. ER 2 Kreuzungsversuche hätten also große Bedeutung für die Ermittelung des relativen phylogenetischen Alters verschiedener Arten. Bedeutung der Hybridation für die Artbiidung. Standfuss kommt sodann auf die Bedeutung der Hybridation für die Artbildung zu sprechen, die er wie viele Forscher, meiner Ansicht nach mit Recht, nicht hoch anschlägt. Seine lepidopterologischen Er- fahrungen führen ihn zu folgender Ansicht: „Neue Formen bilden sich durch Divergentwerden gewisser Individuengruppen einer Art, zufolge der sich anders gestaltenden Faktoren der Außenwelt. Es nutzen diese divergent gewordenen Individuen im allgemeinen andere Existenzbedingungen aus als der nicht, oder doch in anderer Richtung veränderte Grundstock der Art, und sie treten darum außer Konkurrenz mit diesem Grundstock“. „Die Hybridation hingegen ist eine Konvergenz der Arten und muss im allgemeinen zu einer größeren oder geringeren Konkurrenz der durch Hybridation neugebildeten Individuengruppen gegenüber beiden, oder doch einer der Ursprungsarten führen. Die im Haushalte der Natur uns so wunderbar anmutende ökonomische Ausnutzung jedes Plätzehens, welches einem organischen Wesen, sei es Pflanze oder Tier, die Möglichkeit einer Existenz bietet, ist nur unter der Bedingung des Bestehens von einander getrennter und vollkommen isolierter Formen, die eben als Arten be- zeichnet werden, denkbar, und es dürfte gerade darin der Hauptgrund ihres Bestehens liegen“. Uebrigens muss doch zuerst eine Divergenz von Individuengruppen vorhanden sein, bevor eine Konvergenz zwischen ihnen auftreten kann. Die Raupen des Oleanderschwärmers auf Immergrün. In dem reichhaltigen Abschnitt „Zucht der Raupen“ findet sich n. a. folgende reizende Beobachtung eingestreut, die ich dem Leser nicht vor- enthalten will: Anfangs September 1893 erbeutete Standfuss in Schlesien innerhalb dreier Tage 94 Stück Raupen des Oleanderschwärmers (Deil nerüil..), sämtliche an Immergrün (Vinca minor L. und Vinea major L.). Die aus dem Süden infolge des abnorm heißen Jahrganges so weit nach Norden vorgedrungenen Weibchen des Schwärmers hatten also sofort diese dem Öleanderstrauch verwandten und doch davon äußerlich recht ver- schiedenen Pflanzen zu finden gewusst. (Schluss folgt.) 472 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Achtzehntes Stück.) Die ornithologischen Stammbäume von heute beruhen nur zum kleinen Teile auf fossile Reste (es sind dies ganz vereinzelte kleine Aststücke), der Hauptteil derselben — die überwiegende Masse des Ast- werkes — ist konstruiert auf Grund vergleichender Rückschlüsse. Auf diese Weise hat auch F. das seinige aufgestellt. In einem besonderen Kapitel gibt F. die Gesichtspunkte an, nach welehen er seine systematischen Folgerungen gezogen hat. Als erste und wichtigste Regel bei systematischen Arbeiten gilt ihm der Satz: „Nichts vernachlässigen“. Denn die schwersten Irrtümer, welche jemals von Systematikern begangen worden sind, lassen sich auf einseitige Ueberschätzung zufällig gefundener oder infolge ungenügender Unter- suchungen ausgewählter Charaktere zurückführen. Im gewisse Sinne darf wohl behauptet werden, dass die heutigen Systematiker sämtlich davon überzeugt sind, dass alle Merkmale berücksichtigt werden müssen und — mag auch das eine höher gewertet werden als ein 2. oder 3. — nur in der Kombination der verschiedenen Charaktere das gute Erfolge versprechende Moment zu erblicken sei. Allerdings führt auch diese Kombination nur dann zu dem rechten Erfolg, wenn ihr eine kritische Abschätzung des Wertes der einzelnen Merkmale vorhergegangen. Darüber, wie das Abschätzen geschehen soll, gehen aber die Meinungen der Forscher weit auseinander (z. B. stellt der eine die äußeren Kenn- zeichen höher als die inneren, ein anderer verfährt umgekehrt ete.). Wenn auch aus diesem Grunde allgemeine Regeln für diesen Fall nicht aufgestellt werden können, so darf doch nur als Grundsatz gelten: viel und genau zu untersuchen und sich erst von den Ergebnissen umfangreicher Forschungen leiten zu lassen. Das Studium eines mög- licehst reichen Materials, d. h. die eingehende Untersuchung vieler Exemplare derselben Art oder Gattung ist deshalb in erster Linie zur Er- reichung bleibender Ergebnisse nötig, wie auf das deutlichste Nitzschs Pterglographie, Parkers und Huxleys Gaumenuntersuchungen, Garrods Muskelstudien ete. darthun. Das zur Verfügung stehende Material ist aber auch nach allen Riehtungen hin auszunutzen und in möglichster Vollständigkeit durchzuarbeiten, d. h. die äußeren und inneren Merkmale sind gleich eingehend zu studieren, außerdem muss das Studium der inneren Eigentümlichkeiten, soweit dies angeht, sich auch auf das Knochen-, Muskel- und Nervensystem, auf die Sinnes- organe und die Eingeweide erstrecken. Ueber die Ausgiebigkeit der verschiedenen Merkmale erhält man dann durch Vergleichung großer teihen näher und ferner stehender Formen Gewissheit, es ergibt sich Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 473 dann daraus weiter, dass die eine Gruppe dieser Merkmale mehr oder minder durchgreifenden, die andere nur einen eng begrenzten Wert haben, esresultiren demnach daraus häufigKlassen-, Ordnungs-, Familien-, Gattungs- und Artmerkmale, welche allerdings wie die Erfahrung be- wiesen, manchmal gewisser Einschränkung unterliegen. Dies war bei- spielsweise der Fall mit dem Gaumencharakter, welchen Cornay als durchgreifendes Kennzeichen ersten Ranges ansah, Huxley aber als Merkmal für Unterordnungen benutzte, der sich aber später als selbst innerhalb der Familien wechselnd erwies. Werden aber die Unter- suchungen in den schon angedeuteten Sinne ausgeführt, so ergibt sich unausbleiblich die weise Regel, dass kein Merkmal alles leisten kann. Ein Charakter zur Scheidung großer Abteilungen (Unterklassen, Ord- nungen etc.) ist in der Regel unbrauchbar zur Sonderung kleinerer Gruppen wie Gattungen, Arten. Umgekehrt sind die zu diesem Zwecke gut geeignete Kennzeichen nicht benutzbar für die ersteren, so be- währen sich z. B. die inneren Merkmale in erster Linie zur Fixierung der Ordnungen und Familien, die äußeren dagegen mehr zur Bestim- mung der Gattungen und Arten. Hinsichtlich des Wertes der Existenz oder Nichtexistenz dieses oder jenes Charakters kommt F. zu dem Schlusse, dass die bloße quantitative (graduelle) Differenz, wechselndes histologisches Verhalten mancher derselben und namentlich der alleinige Unterschied des Auftretens oder Fehlens mit großer Um- und Vorsicht beurteilt werden müssen. Weit höhere Bedeutung als diesem Umstande kommt seiner Meinung nach der qualitativen Verschiedenheit (Hetero- genität) mancher dieser Momente zu. So gibt z. B. die besondere Konfiguration des skapularen und nicht selten auch des sternalen Endes der Fureula einen recht guten Familiencharakter, während die gra- duelle Entfaltung dieses Skelettstückes sehr oft nur zur Unterscheidung von Gattungen benutzt werden kann. Auch zahlreiche Muskeln lassen hinsichtlich ihrer Größe und Existenz innerhalb Gattungen und selbst Species Schwankungen erkennen, während sie infolge der Besonder- heiten ihrer Lage, ihres Ursprungs und Verlaufes innerhalb Familien Uebereinstimmung zeigen. Während im allgemeinen eine Entscheidung darüber, ob im Einzel- falle dem Quantum oder dem Quale ein höherer Wert zukommt, nicht schwer ist, stößt die Beurteilung des primären und sekundären Charak- ters, sowie des progressiven oder retrograden Entwicklungsganges dieser oder jenes Merkmales oft auf größere Schwierigkeiten, denn ganz gleich erscheinende Bildungen sind in gewissen Fällen doch sehr ungleiche, wenn ihr Entwieklungsgang ein ganz abweichender war. Einem Charakter, welcher sicher von primitiven Formen ausgegangen, kommt eine ganz andere und viel höhere systematische Bedeutung zu als einem solchen, welcher erst bei späterer Entwicklung seine spezi- fische Differenzierung gewonnen hat. Ferner ist es von großem Werte 174 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. festzustellen, ob eine bestimmte Entwicklung zu ihrem jetzigen Zu- stande auf dem Wege einer zunehmenden Ausbildung — eines in die Höhe schreitenden Ganges — gelangte oder ob sie früher schon eine höhere Ditierenzierung erreicht hatte und nun von ihrem Gipfelpunkte abwärts gestiegen. Um in jedem dieser Fälle eine sichere Entschei- dung fällen zu können, ist es nötig, die ganze phylogenetische Ver- gangenheit des betreffenden Merkmales zu kennen. Dies ist aber nur zu erreichen durch umfassende vergleichend anatomische Forschungen, die sich nötigenfalls auch auf die Reptilien zu erstrecken haben und auch die Ontogenie, Paläontologie und Zoogeographie berücksichtigen. Wenn auch die Hauptsache in dieser Hinsicht noch zu thun ist, so sind trotzdem schon manche gute Resultate auf diese Weise erreicht worden, weil es bei nicht wenigen Formen möglich war, sowohl das Primäre und Sekundäre, als auch das Progressive und Retrograde auseinander zu halten. Es hat sich dadurch ergeben, dass z. B. die Pneumatizität der Knochen als sekundäre Erscheinung anzusehen ist, ebenso die Größe der Vögel. Infolge dieses letzteren Umstandes sind bei taxonomischen Vergleichungen und Folgerungen die kleineren oder mäßig großen Formen derselben zu wählen. Aber auch die Des- mognathie stellt nur ein sekundäres Entwieklungsstadium dar, das von verschiedenen schizognathen, aegithognathen Ausgangsstufen er- worben wurde. Auch Gadows Cyelocoela, um noch ein Beispiel an- zuführen, scheinen F. auf verschiedenen Entwicklungsbahnen zu der hohen Ausbildung ihrer Darmlagerung gelangt zu sein. Zur Ent- scheidung, ob im gegebenen Falle progressive oder retrograde Bildungen vorliegen, eignet sich in erster Linie die Ontogenie. Freilich nicht immer, denn nicht durch sie, sondern nur durch die vergleichende Anatomie und zuweilen auch Paläontologie kann oft festgestellt werden, was als wirklich primitiv oder nur als pseudoprimitiv aufzufassen ist. Die Bedeutsamkeit eines Merkmals hängt aber außer von dem quali- tativen Verhalten desselben und seinen primitiven oder sekundären Charakter auch von seiner räumlichen Ausdehnung und seiner umfas- senderen oder beschränkteren Bedeutung am Tierkörper ab. Aus diesem Grunde kommt beispielsweise dem Schnabel ein geringerer systema- tischer Wert zu als der Anordnung der Federfluren, weil diese über eine viel größere Körperfläche sich ausdehnen als jener nur auf das vordere Körperende beschränkte Teil. Bei Verwendung dieser Momente muss aber immer beachtet werden, dass die Größe der räumlichen Ausdehnung und der funktionellen Bedeutung eines Organs sich nicht immer decken; es sind infolge dessen diese Merkmale untereinander, wie schon erwähnt, zu kombinieren. Deshalb lässt sich auch nicht ohne weiteres entscheiden, ob an sich die äußeren oder inneren Merk- male, resp. welche von diesen einen geringeren oder größeren taxo- nomischen Wert besitzen, denn alle werden im gewissen Sinne mehr Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 45 oder minder direkt von äußeren Einflüssen beherrscht. In erster Linie muss deshalb das Quale und die genetische Bedeutung Berücksich- tigung finden, ferner dürfen dazu nicht allzusehr lokalisierte Merkmale ausschließlich verwendet werden, und vor allem sind recht viele gute Charaktere dabei zu benutzen. Nitzsch, Garrod, Forbes haben diese kombinierende Methode mit großem Erfolge benutzt. Der erstere zog dabei alle möglichen Organe in Betracht, leider hinderte ihn ein allzufrüher Tod an einem umfassenden Abschluss und einer kritischen Sichtung seiner Beobachtungen. Garrod legte bei seinen Unter- suchungen in erster Linie das Hauptgewicht auf gewisse Oberschenkel- muskeln, vor allem auf den M. ambiens; außerdem berücksichtigte er aber, weil gerade der eben genannte Muskel bei manchen Familien (z. B. bei den Psittacidae) in seiner Existenz variiert, auch das Vor- kommen der Bürzeldrüse und die Caeca beim weiteren Ausbau seines Systems. Bei manchen Abteilungen diente ihm sodann als weitere Hilfsmittel die Existenz oder Nichtexistenz einiger anderer Muskeln (hauptsächlich am Flügel), ferner die Gabelung der Dorsalflur, die Zahl der Rectrices, gewisse osteologische Konfigurationen (einzelne Schädeldetails, das Sternum, die Clavieula), endlich der Syrinx, die Gallenblase ete. Infolge der Kombination sehr verschiedenartiger und voneinander möglichst unabhängiger Merkmale kommt dem System Garrods ohne Zweifel ein nieht geringer Wert zu. Weil er aber dabei hauptsächlich allein das Auftreten oder Fehlen der schon auf- gezählten Merkmale berücksiehtigte und das qualitative genetische Verhalten derselben nicht in Betracht zog und endlich dieselben auf ihre räumliche und korrelative Bedeutsamkeit nicht genug prüfte, scheint F. sein System nicht ganz einwandfrei zu sein. Trotzdem ver- dient aber die Methode Garrods unsere volle Anerkennung und dieselbe hätte sicher, vorausgesetzt, dass es diesem Forscher (und auch Forbes) vergönnt gewesen, diese Studien zu vollenden, zu glänzenden Resultaten geführt. Schon seit den ältesten Zeiten sind von zahlreichen Forschern bald diese, bald jene änßeren Merkmale für systematische Zwecke untereinander kombiniert worden. Diese Methode — die gegenwärtig jedenfalls für immer verschwunden ist — war natürlich nur in äußerst wenig Fällen im stande, über die wahren verwandtschaftlichen Be- ziehungen der Familien und Ordnungen aufzuklären, sie eignet sich aber gut für die Auseinanderhaltung der kleineren Unterabteilungen, der Gattungen und Species, für welchen Zweck die anatomische Unter- suchung nicht nötig ist und überdies gerade diese Methode eine schnelle und bequeme Klassifizierung der Vögel in ganz ausgezeichneter Weise ermöglicht. Auch demjenigen Verfahren vieler Autoren, 2—3 äußere und innere Merkmale zusammen zu kombinieren, legt F. keine weiter reichende Bedeutung bei; dieselbe erweist sich zwar ebenfalls inner- 476 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. halb ganz enger Gruppen recht brauchbar, sobald es sich aber um minder eng begrenzte oder gar weiter stehende Abteilungen handelt, wird sie unbrauchbar. Bei der Kombination sehr vieler und hinreichend auf ihren taxo- nomischen Wert geprüfter Merkmale erhält man schließlich für jede Vogelgruppe ein so besonderes Bild, dass man sie leicht von den Nachbargruppen unterscheiden kann, aber zugleich die Anschlüsse an diese verliert. Zur Erreichung dieser müssen gewisse mehr sekundäre Charaktere aufgegeben werden. Aber welche von den verschiedenen Merkmalen sind als sekundäre und für jede Gruppe als spezifische aufzufassen? Außerdem ist die Ausbildungsstufe der verschiedenen Kennzeichen bei den verschiedenen Gruppen eine äußerst heterogene, denn eine höhere Entwicklung vollzog sich bei der Differenzierung nicht an allen Organen, weshalb die einen einen progressiven Charakter darbieten, während die andern in ihrem primitiven Zustande persistieren, noch andere aber einem retrograden Bildungsgange verfallen. So treten beispielsweise unter den lebenden Vögeln bei den am tiefsten stehenden Struthio einzelne Züge, in erster Linie am Becken und an der hinteren Extremität auf, welche alle der andern bekannten Vögel an Höhe der Entwicklung übertreffen, aber teilweise ganz noch mit primitiven Merkmalen vergesellt sind; ferner trifft man bei den nach ihrer Gehirnentwicklung am höchsten stehenden Pic und Passeres Gaumencharaktere, welche sich wenig über die Höhe des saurognathen Typus (Parker) erheben. Wollte man aber auf jedem bestimmten Charater ein Vogelsystem aufbauen und alle diese Systeme kombinieren, so würde man nur ein unbrauchbares Zerrbild und sicher kein natür- liches System erhalten. Aus diesem Grunde muss die Beurteilung dieser heterogenen Kennzeichen und die Auslese unter ihnen für jede Gruppe von Anfang an unter den bereits angeführten Gesichtspunkten vorgenommen und dabei der Umstand beachtet werden, dass das eine oder andere Merkmal, welches sich als konstant bei 10 Familien be- währt hat, bei der 11. plötzlich sich so wenig beständig erweisen kann, dass seine taxonomische Bedeutung dadurch sehr beeinträchtigt wird. Betreffs der phylogenetischen Beziehungen der primitiveren und höher stehenden Typen der Vögel äußert sich F. in folgender Weise: Selbstverständlich läuft die geringere oder größere Höhe der Entwick- lung mit der früheren oder späteren phylogenetischen Existenz parallel. Die niederen Formen lebten in sehr früher paläontologischer Zeit, die höheren kamen erst nach und nach in den mittleren und jüngeren Perioden zur Entwicklung. Aber trotzdem darf aus diesem Umstande nicht die Folgerung gezogen werden, dass die Höhe der morphologischen Entwicklung und das phylogenetische Alter immer sich decken, denn es sind auf der einen Seite viele alte und primitive Formen im Laufe der Zeiten in der Hauptsache unverändert geblieben (d. h. sie besitzen Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Aa77 heute noch dieselbe Ausbildung wie ihre ersten Vorfahren), auf der andern Seite aber gab es bereits in sehr frühen paläontologischen Epochen alte und teilweise jetzt verschwundene Formen, die eine hohe und einseitige Differenzierung aufwiesen, wodurch sie mit den viel später zur Ausbildung gekommenen Typen auf eine Entwicklungshöhe zu stehen kommen, ja die letzteren nach dieser oder jener Richtung sogar übertrafen. Die Geschichte der Organismen weist einen ähnlichen Verlauf auf wie uns ihn die Weltgeschichte vor Augen stellt. Aus noch früheren primitiven Zuständen ging hervor die alte Kultur der assyrischen, babylonischen und ägyptischen Reiche, darauf folgte, teilweise an den Untergang derselben anknüpfend, die griechische Kunst und Wissen- schaft und das römische Weltreich; später gingen aus den zu jener Zeit noch rohen und unentwickelten keltischen, gallischen und germa- nischen Völkern die heutigen Kulturstaaten hervor, und niemand ist heute schon im stande, zu bestimmen, welchem gegenwärtig noch tieferstehenden und mehr verbogenem Volke dereinst die Aufgabe zu- fallen wird, die Anführerrolle zu übernehmen, wenn unsere heutige Kultur verschwunden ist. Gleichzeitig lehrt aber die Weltgeschichte uns sehr deutlich, dass, wenn ein Volk eine hohe und auserwählte Stellung unter seinen Zeitgenossen erreicht hat, nach kürzerem oder längerem Zeitraume eine Rückbildung oder sogar der gänzliche Unter- gang desselben erfolgt, ferner lehrt sie uns, dass da, wo zur Zeit noch primitive und wenig ausgebildete Zustände existieren, bildungs- fähige Keime für das Erreichen zukünftiger höherer Entwieklungs- reihen vorhanden sind. Aehnliche Verhältnisse sind auch, wie schon betont, in der Geschichte der Organismen zu konstatieren. Unter den Wirbellosen, aber auch unter den Wirbeltieren finden sich schon in den paläozoischen Schichten (im Silur, Devon und in der Dryas) Formen (wie Brachiopoden, Ammoniten, Gigantostraken, Trilobiten, gewisse Panzerganoiden, thermomorphe Reptilien), welehe bald durch die eine, bald durch die andere Eigenschaft viele der jetzt lebenden Verwandten an Höhe der Differenzierung übertreffen und aus diesem Grunde eine ihnen vorausgegangene lange phylogenetische Entwick- lungsreihe als sicher annehmen lassen. Ihre scharf ausgeprägte und für neue Anpassungen wenig geeignete Organisation ist aber die Ur- sache geworden, dass sie entweder zum Teil schon in früher Zeit aus- gestorben oder von ihnen nur einige Reste übrig geblieben sind, weil sie im Kampfe ums Dasein mit ihren primitiveren und anfangs noch zurücktretenden, aber für diesen Kampf besser befähigten Zeitgenossen unterlagen. Aus diesen Generationen entstand die Kultur der meso- zoischen Aera, und in ähnlicher Weise schließt sieh an diese die Fauna der Tertiär-, Quartär- und Jetztzeit an. In sichtbarem Mit- bewerb treten die Vögel um die Mitte der mesozoischen Periode, aber 478 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. der Bau dieser Geschöpfe und auch die aus dem Anfang der Trias (vielleicht auch schon von der Kohle) bekannten Fußspuren deuten auf eine lange Reihe von älteren Ahnen hin. Aber schon die in relativ frühen Zeiten (in der Kreide) sich findenden Formen derselben, wie die Hesperornithidae, zeigen eine recht ansehnliche, jedoch bereits dem Untergange entgegeneilende Entwicklung; auch im Eocän gab es schon Vögel, welche teilweise an die relativ hoch stehenden Typen der Tubinares, Steganopodes, Odontoglossae, Accipitres ete. erinnern. Daraus ergibt sich aufs deutlichste, dass wir bei morphologischen und phylo- genetischen Parallelisierungen vorsichtig verfahren müssen und nicht ohne weiteres den Satz aufstellen dürfen, dass die Vögel des Tertiärs und Endes der Sekundärzeit vorwiegend aus solchen Formen bestanden, die mit dem tieferstehenden der jetzt lebenden vergleichbar sind. Es existierte damals schon neben wirklich primitiven Typen eine reiche und hoch entwickelte Ornes, von der jedoch allem Anscheine nach nur spärliche Anklänge in jenen vereinzelten Gattungen größerer Vögel erhalten sind, deren isolierte Stellung direktere Anknüpfungen an lebende Verwandte nicht gestattet. Ausschließlich primitve Formen aber, zu denen einerseits von den fossilen Vögeln Archaeoptery& und Ichthyornis gehören, denen andrerseits unter den heute lebenden gewisse allgemeine Typen der Limicolae relativ ziemlich nahe stehen, traten zu einer Zeit auf, welche noch vor der Kreideperiode liegt. Ehe F. zu seiner Systematik der Vögel übergeht, schickt er noch eine Reihe von Bemerkungen voraus, welche sich auf den Wert der ornithologischen Systeme, die Abgrenzung der Unterfamilien, Familien, Unterordnungen, Ordnungen und Unterklassen ete. beziehen. Die wich- tigsten dieser Bemerkungen sind etwa folgende. Infolge der Unvoll- kommenheit der anatomischen, ontogenetischen und namentlich palä- ontologischen Grundlagen kann von keinem vorwurfsfreien und dauern- den Vogelsystem heute schon die Rede sein. Jedoch ist die Unzuläng- keit der bisherigen systematischen Forschung keine durchgehende; in manchen Stellen des Vogelsystemes liegen die taxonomischen Fragen verhältnismäßig einfach, so dass daselbst eine gute Methode verhältnis- mäßig leicht gute Erfolge erzielen kann, an andern Punkten des Systems aber ist unter den heutigen Verhältnissen an erfolgreiche Unter- suchungen gar nicht zu denken. Daher kommt es auch, dass jeder die ganze Vogelwelt umfassende systematische Versuch mit sehr ver- schiedenen Mitteln operiert: mit sicher bewiesenen Ergebnissen, Wahr- scheinlichkeiten größeren oder geringeren Grades, weniger soliden Schlüssen und bloßen Vermutungen. Der Forscher kann in diesem Falle so verfahren, dass er nur allein die sichern Beweise mitteilt (und in diesem Falle natürlich nur ein ganz und gar lückenhaftes Werk zu stande bringt), oder auch gleichzeitig zur Konstruktion eines vollständigeren systematischen Ueberblickes die bloßen Wahrseheinlich- Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 479 keiten und minder sicheren Konjekturen benutzt. F. hat diesen letzten Weg eingeschlagen und dabei die kleineren Abteilungen des Vogel- systems wie die Species und Genera, vorausgesetzt, dass sie nicht zugleich die einzigen Vertreter größerer Abteilungen (Subfamilien, Familien) waren, unberücksichtigt gelassen. Von ungleieh größerer Wichtigkeit erschien ihm dagegen vom morphologischen Gesichtspunkt aus die Beurteilung der größeren Abteilungen, der Familien (und Unter- familien), Unterordnungen (Tribus, Cohorten), Ordnungen und Sub- klassen, sowie die Bestimmung ihrer gegenseitigen Verwandtschaften und ihres genetischen Zusammenhanges. Den Anfang machte er mit dem ersten (niedrigsten) Grade dieser umfangreicheren Abteilungen, mit den Familien (nebst den Unterfamilien) und ihren gegenseitigen Beziehungen. Ihre Abgrenzung und genealogische Stellung bildet ja auch die Grundlage für die Bestimmung und Gruppierung der höheren taxonomischen Rangstufen. Dieselben behandelt er dann eingehend in einem umfangreichen Kapitel, daran schließt sich ein weiterer Ab- schnitt, in welchem die für den Unterordnungen, Ordnungen und Unter- klassen der Vögel sich ergebenden Schlussfolgerungen gezogen werden. Bei der Feststellung der Begriffe „Unterfamilien“, „Familien“, „Unterordnungen“, „Ordnungen“ und „Unterklassen“ stößt man sehr bald auf die schwer genügend zu beantwortende Frage, wie diese Ab- teilungen von einander abzugrenzen sind. Mit dieser Schwierigkeit hatten bereits die ältesten Systematiker zu kämpfen, und sie wird auch so lange bestehen, als man überhaupt Systematik treibt, denn von einer einheitlichen Anschauung darüber sind wir noch weit ent- fernt. F. sieht die eigentliche Bedeutung dieser Frage hauptsächlich in der Aufgabe, die einmal angenommenen Begriffe in einer möglichst gleichmäßigen Weise durch das ganze System hindurch anzuwenden und dabei in erster Linie auf den geringeren oder größeren Verwandt- schaftsgrad der Gruppen das Hauptgewicht zu legen. Die Ausführung dieser Aufgabe ist aber nicht leicht, weil eine vollkommene Gleichheit des Ranges der Familien, Ordnungen ete. in der Natur überhaupt gar nicht existiert. Bekanntlich sind ja die Vögel mit einem Stamme aus dem primitiven Stocke der Sauropsiden entsprungen, infolge der ersten Teilungen des Stammes differenzierten sich nach und nach die Sub- klassen, Ordnungen und Unterordnungen; durch weitere Verästelungen und Verzweigungen kamen darauf die Familien, Subfamilien, Gattungen, Arten ete. zur Ausbildung. Alle diese suecessiven Teilungen an den Hauptästen, Teilästen, Zweigen können aber im natürlichen Verlaufe der phylogenetischen Entwicklung nieht in völlig übereinstimmenden Zeitparallelen und Differenzierungshöhen stattgefunden haben, vielmehr wird an dem einen oder andern Ast, sei es aus äußeren, sei es aus nneren Ursachen, eine frühere Teilung vor sich gegangen sein, als an einem der übrigen — der morphologische Rang der durch diese 480 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Verästelungen entstandenen Zweigen ist somit kein gleicher, und unsere üblichen Begriffe reichen nicht aus, die ganze Fülle der natürlichen genealogischen Entwicklungsvorgänge zu umschreiben, denn zwischen den Ordnungen und Unterordnungen, zwischen diesen und den Familien, sowie zwischen Familien und den Unterfamilien ete. gibt es zahlreiche Zwischenstufen, weshalb die Grenzen dieser Begriffe teilweise undeut- lich werden. Aus diesem Grunde wird es dem gewissenhaften Unter- sucher sehr oft schwer werden, zu entscheiden, ob es sich in dem einen Falle um Unterfamilien oder Familien, oder in dem andern um Familien oder Unterordnungen handelt. Allerdings könnte man in solchen Fällen sich dadurch helfen, dass man zwischen Subfamilie, Familie, Subordo, Ordo, Subklassis ete. zahlreiche neue Begriffe ein- schaltet, der dadurch erzielte Nutzen würde nach F.s Ansicht jedoch nur ein illusorischer sein. Daher erscheint es ihm am geeignetsten, sich auch weiterhin mit den bisher üblichen Abteilungsbegriffen zu begnügen, aber bei ihrer Anwendung mit einer gewissen Freiheit zu verfahren. In diesem Sinne hat er auch im speziellen Teile seines Werkes diese Bezeichnungen gebraucht. Was nun die Charakterisierung der verschiedenen Abteilungsbegriffe durch Endsilben anbelangt — welche übrigens von den verschiedenen Forschern in sehr verschiedener Weise angewendet worden sind — so folgt F. denjenigen Autoren, welche für die Subfamilien, Familien, Unterordnungen und Ordnungen durch die Endsilben: -inae, -idae, -formes oder -morphae und -ornithes gewählt, jedoch berücksichtigt er auch solche Namen, welche die Lebens- weise oder charakteristische morphologische Merkmale gut bezeichnen, außerdem schiebt er zwischen die Familia und Subordo noch den Be- griff Gens (Familien- Versammlung, Familie höheren Ranges) mit der Endung - (-ae oder -es) ein. Die Familien und Familiengruppen der Vögel und ihre gegenseitigen Beziehungen. In diesem Kapitel behandelt F. die Familien resp. Familiengruppen in einer Reihenfolge, welche er schon im Anfang des 1. Bandes kurz skizziert hat. Nur reine Zweckmäßigkeitsgründe sind es, welche ihn veranlasst haben, zuerst die Carinatae 8. Acrocoracoidae, dann die hatitae 8. Platycoracoidae und endlich die Saururae zu betrachten. Neben geographischen und paläontologischen Notizen, sowie einer kurzen Uebersicht der hauptsächlichsten bisherigen Anschauungen über die Systematik führt F. bei jeder Familie oder Familiengruppe die für diese oder jene Verwandtschaft beweisfähigen Merkmale kurz an, ohne auf den größeren oder geringeren Wert desselben ausführlicher einzugehen. Dr. F. Helm, (Neunzehntes Stück folgt.) Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 2 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI. Band. 1. Juli 1896. Nr. 12. suchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (19. Stück). — Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge für Forscher und Sammler (Schluss). — Parker, Vorlesungen über elementare Biologie. — Bauer, Ueber «das Ver- hältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogeleiern. Entwicklungsmechanische Untersuchungen. Von Wilhelm Haacke. I. Ueber numerische Variation typischer Organe und korrelative Mosaikarbeit. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Campanulaceen, Compositen und Ranunculaceen. Auf der die Stadt Jena umgebenden, aus humusbedecktem und von Buntsandstein unterlagertem Muschelkalk bestehenden Hochebene, aus der ein Teil des Saalthals nebst den zugehörigen Nebenthälern im Laufe der Zeit herausgearbeitet worden ist, und an den Abhängen dieser Hochebene gegen die Thäler hin ist bis zu einer gewissen Tiefe herunter eine Glockenblume, Campanula glomerata L., nicht selten, stellenweise sogar sehr häufig. Sie ist zwar in Bezug auf die Be- schaffenheit ihres Standortes nicht allzu wählerisch, wird aber in den Thälern nicht angetroffen und zieht unbewaldetes Gelände dem Walde und größere oder kleinere Waldblößen dem Stande im Baumschatten vor. Sie liebt vor allem Sonne und meidet Feuchtigkeit. Das ist wohl jedem, der sich um sie bekümmert hat, aufgefallen, so z. B. auch Garcke (Illustrierte Flora von Deutschland, 17. Aufl., Berlin, 1895), nach welchem sie gern auf Kalk, und zwar auf trockenen Berg- abhängen und Grasplätzen wächst. Indessen fehlt sie auch dem eigent- lichen Walde nicht. Unter anderen fand ich sie in einem Bestande von Kiefern auf dem „Forst“ bei Jena, und zwar auf einem durch diesen Bestand gehenden und stark von den Kiefern beschatteten Wege, der, xVl. 31 489 Haacke, Entwieklungsmeechanische Untersuchungen. wie sieh namentlich an dem üppigen Graswuchse und an dem Vor- kommen Feuchtigkeit liebender Pflanzen zeigte, ziemlich feucht war. Auf diesem Wege und in seiner Nachbarschaft unter den Kiefern sammelte ich im Sommer 1895 eine Anzahl von Exemplaren von CO. glomerata, und zwar so viele, wie ich finden konnte. Alle stimmten mehr oder minder in der auffälligen und sehr beträchtlichen Länge und Schlankheit ihrer Stämme und ihrer wenig zahlreichen Zweige, in der bedeutenden Größe ihrer Laubblätter und in ihrer verhältnismäßig beträchtlichen Blütenarmut überein. An denjenigen ihrer Blüten, die weit genug, aber noch nicht zu weit entwickelt waren, um eine bequeme und genaue Untersuchung zuzulassen, zählte ich die Anzahl der Narben, die bei Campanula zusammenfällt mit der Anzahl der Fruchtblätter und typischerweise 3 beträgt. Unter den 356 untersuchten Blüten fand ich 315 — 88,48°/, mit 5 Narben, 40 — 11,24 »n.2 D) 1= 0238, ,„ 4 „ Auf einem trockeneren Standorte, und zwar auf der Höhe des vorderen Jenzig bei Jena, an gänzlich unbewaldeter aber: horizontal gelegener Stelle, hatte ich im Jahre 1894 an einer Anzahl niedriger, diekstämmiger, stark verzweigter, kleinblättriger und blütenreicher Exemplare, wie sie für diesen Standort typisch waren, 326 Blüten auf ihre Narbenanzahl untersucht und dabei gefunden: 237 — 712,7°|, mit 3 Narben, 89 27,3 »n.2 » 0 0 2.2 4 ” Ferner sammelte ich 1895 an einem noch trockeneren Standorte, nämlich am Abhange des vorderen Jenzig, in der Nähe der zum Gute Thalstein gehörigen „Bismarekhöhe“ einen Strauß von Campanula glo- merata. Auf diesem Standorte, der baumlos und etwas geneigt ist, ähnelten die Pflanzen in ihrem Habitus denen von der Höhe des vor- deren Jenzig. Unter den 386 untersuchten Blüten fanden sich 274 —= 70,98°!, mit 3 Narben, 10—= 285 „ „2 ” 2 = 052, 4% n Endlich sammelte ich im letzten Sommer an ausgesuchten schatten- losen Stellen des nach dem Gembdenthal zu gelegenen ziemlich steilen Abhanges des in den Jenzig auslaufenden Schenkels des „Hufeisens“, der fast den ganzen Tag über von der Sonne beschienen, von den Strahlen zeitweilig in annähernd senkrechter Richtung getroffen und deshalb von Touristen an sonnigen Sommertagen, wo er in seinem nackten Muschelkalkfelsen eine unerträgliche Hitze aufspeichert, gern gemieden wird, eine Anzahl von Exemplaren unserer Art, die den vorigen ähnlich, aber womöglich noch typischer waren. Unter 800 untersuchten Blüten fanden sich I Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 483 490 — 61,25°/, mit 3 Narben, 310, 38,75 ,,.09..2 = ei: 2) Ein außergewöhnlich starkes Exemplar dieser Kollektion, mit dicht gedrängten Blütenständen und einem unterkalb der Blütenregion noch 5 mm dieken Stamm, hatte unter 54 Blüten ne; 13 — 24,07°/, mit 3 Narben, | A ga ae 0= 0 ,%,„ 4 ” Diese Thatsachen lehren folgendes: 1. Die typische Anzahl der Narben, die bei Campanula glomerata, wie bei andern Campanula- Arten, 3 beträgt, findet sich nicht in allen Blüten, sondern es finden sich auch Blüten mit 2 und mit 4 Narben. 2. Die Anzahl der Blüten mit 4 Narben ist außerordentlich viel geringer als die der Blüten mit 2 Narben. 3. Mit der zunehmenden Trockenheit des Standortes gewinnt der Habitus der Pflanzen von Campanula glomerata ein anderes Aus- sehen, und nimmt die Prozentzahl der zweinarbigen Blüten zu, und zwar in unseren Fällen von 11,24%, auf 38,75°/,, und bei einem Exemplar sogar auf 75,93%. Ich glaube aus diesem Ergebnis meiner Untersuchungen folgende Schlüsse ziehen zu dürfen: 1. Camp. glomerata ist in einem stammes- geschichtlichen Umbildungsprozess begriffen. 2. Durch diesen Prozess wird insbesondere die Anzahl der Narben bezw. Fruchtblätter von 3 auf 2 gebracht. 3. Das Fehlschlagen des einen Fruchtblattes ist eine Folge des Wachsens auf trockenem Standorte und beruht auf Mosaik- arbeit; denn die andern beiden Fruchtblätter schlagen nicht fehl. 4. Hand in Hand mit der durchschnittlichen Häufigkeit des Fehl- schlagens dieses Fruchtblattes an einem bestimmten Standorte ändert sich der Habitus der Pflanzen. 5. Die aus dem Fehlschlagen des be- treffenden Fruchtblattes zu erschließende Mosaikarbeit steht in Korre- lation mit andern durch örtliche Bedingungen hervorgerufenen Um- bildungsprozessen, weshalb wir sie als korrelative Mosaikarbeit auf- fassen dürfen. Unter korrelativer Mosaikarbeit verstehe ich die in einem be- stimmten Organe, oder einer bestimmten Zelle, oder einem bestimmten Teil einer Zelle durch Einwirkungen der unmittelbaren Umgebung dieses Organes, dieser Zelle, dieses Zellenteiles hervorgerufenen morpho- genetischen Prozesse, die deshalb in einem bestimmten Teil des Orga- nismus vor sich gehen müssen, weil dieser Teil eine bestimmte Lage zu den übrigen, gleichfalls bestimmt gelagerten Teilen einnimmt. Wer die Formumbildungsprozesse als korrelative Mosaikarbeit auffasst, be- kennt sich weder zum Präformismus noch zur Lehre von der chaotischen Formwandlung, sondern betrachtet den Organismus als einen Mikro- sr 484 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. kosmos bestimmt verteilter und von ihrer Umgebung abhängiger Form- bildungsherde, als eine Korrelationsmosaik oder ein Gleichgewichts- system. Die durch C(ampanula glomerata dargestellte Korrelationsmosaik dürfte im weiteren Verlauf der stammesgeschichtlichen korrelativen Mosaikarbeit, die sich an ihr vollzieht, zu einer Pflanzenform führen, die an die durch zwei Fruchtblätter ausgezeichnete Gattung Jasione erinnern würde. Die trockenheitliebenden Angehörigen dieser gleich- falls zu den Campanulaceen gehörigen Gattung dürften von drei- narbigen Pflanzen abstammen. Es ist nun beachtenswert, dass die an die Kompositen erinnernde Köpfehenbildung von Jasione auch bereits bei Campanula glomerata, die ja von der Zusammenhäufung ihrer Blüten „glomerata“ heisst, angebahnt worden ist. Im dieser Köpfechen- bildung sind bei Jena diejenigen Exemplare am weitesten vorgeschritten, die auf den trockensten Standorten stehen, weshalb anzunehmen ist, dass auch die Köpfehenbildung eine Folge der Wirkung des trockenen Standortes ist. Bei anderen Arten von Glockenblumen, von denen bei Jena noch fünf vorkommen, ist die Annäherung an Jasione viel weniger weit gediehen, als bei Campanula glomerata. Unter 345 von mir am sonnigsten und trockensten Teil des Jenzig gesammelten Blüten von (. rapunculoides hatten nur 20 —= 5,8°/, 2 Narben; alle andern hatten 3. Gleich Jasione dürften auch die Kompositen aus Pflanzen, die den Campanulaceen ähnlich waren und dreinarbige und nicht sehr dicht stehende Blüten hatten, hervorgegangen sein, und zwar gleichfalls infolge der Wirkungen trockener Standorte, wie sie die meisten Kom- positen bekanntlich lieben. Wenn wir mit den von uns gezogenen Schlüssen im Rechte sind, dann haben wir bei Campanula glomerata einen Fall einer Verminde- rung der Anzahl typischer Organe durch die direkte Wirkung der Umgebung. Ob sich das wirklich so verhält, darüber wird umsomehr das Experiment zu befragen sein, als man die Möglichkeit einer Ver- minderung der Anzahl typischer Organe durch die direkte Wirkung der Umgebung bestritten hat. Unmöglich, so heisst es z. B., kann es die Art der Fütterung sein, die das Auftreten eines Teils der Eiröhren bei den Arbeiterinnen der Ameisen verhütet, weil schlecht gefütterte Larven von Schmeißfliegen zu Imagines mit normalen Ovarien werden. Es sei nicht bekannt, heisst es ferner, dass typische Teile des Körpers durch Aenderung der Ernährung zum Wegfall veranlasst worden. Sofern. man die einlippigen Randblüten gewisser Kompositen als „typische Teile“ gelten lässt, bin ich in der Lage, den Beweis dafür, dass sich die Anzahl typischer Teile mit Aenderung der Ernährung gleichfalls ändern kann, zu erbringen. Es handelt sich dabei um ein schönes Beispiel zur Illustrierung der korrelativen Mosaikarbeit, welcher der Organisınus seine Form verdankt, Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 485 Bei Jena wächst eine auffällige durch einlippige Randblüten aus- gezeichnete Komposite, Tanacetum (Chrysanthemum, Pyrethrum) corym- bosum (L.), ziemlich häufig. Sie ist mehrblütig, d. h. sie trägt mehr als ein Blütenköpfehen oder Blütenkörbehen. Eins davon, das ich das primäre oder Stammköpfchen nennen will, steht an der Spitze des Hauptstammes der Pflanze. Darauf folgt eine größere oder geringere Anzahl von Köpfchen, die zu je einem an der Spitze von Aesten stehen. Diese will ich sekundäre oder Astköpfehen nennen. Die dem Stammköpfehen benachbarten Aeste tragen nur Astköpfehen, d.h. sie sind unverzweigt. Es folgen aber meistens, wenn auch nicht immer, noch Aeste mit Zweigen, die an ihrer Spitze je ein tertiäres oder Zweigköpfchen tragen. Nur eine einzige Pflanze habe ich ge- funden, bei der auch einzelne Zweige Seitenzweige mit je einem Köpfchen an ihrer Spitze trugen. Solche Köpfehen will ich quartäre nennen. Ich konnte nun zunächst durch Messungen feststellen, dass die Abstände der Aeste des Hauptstammes von einander einer bestimmten Gesetzmäßigkeit unterworfen sind. Die folgende Tabelle gibt für 21 Exemplare von Tanacetum corymbosum die Längenmaße der Strecken des Hauptstammes, die sich zwischen den Ansatzstellen der Aeste 1 und 2, 2 und 3, 5 und 4, 4 und 5, 5 und 6 befinden, in Millimetern wieder: 3— 2— 41235 14— 9— 625—32 14— 6—16—335—27 15— 1--15—35—74 23—15—20—32—33 17—25—50—70—90 13—26—33—38— 14 6—38—45—47—65 15— 8—28—33—58 7— 3— 7—12—16 20— 5—15—15—55 10—13— 7—317—44 7--27—25—43— 47 12— 5—15—40—42 s—15—28—23—40 8— 5—33—57—82 2—20—40—35—65 7-—25— 35 —43— 60 14—25—16—30—31 10— 5—20—23—33 10—13—19—50—62. Die Summierung dieser Tabelle —235—301--475— 733 — 1068 zeigt, dass sich die betreffenden Abstände im Durchschnitt ungefähr 486 Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. wie 1:1,2:2:3:4,5 verhalten, also mit zunehmender Entfernung vom Stammköpfehen wachsen, ein Ergebnis, das zwar von vielen anderen Pflanzen her bekannt, hier aber besonders mitzuteilen ist, weil dieser Befund mit anderen Hand in Hand geht. Zunächst fand ich in Bezug auf die Verzweigung der Aeste am einzelnen Pflanzenindividuum folgendes: 15 Exemplare trugen 2, bezw. 3,3,3,3,44 4 4 5,5, 6, 6, 6, 7, zusammen 65, also durchsehnitt- lich 4,33 unverzweigte Aeste. 7 Exemplare trugen 2, bezw. 3, 3, 4, 5, 6, 6, zusammen 29, also durchsehnittlich 4,14 unverzweigte, auf das Stammköpfchen folgende Aeste und darauf einen Ast mit 1, bezw. 1, 2, 2, 1, 1,2, zusammen 10, also durchschnittlich 1,42 Zweigen. 6 Exem- plare trugen 5, bezw. 3, 4, 4, 4, 5, zusammen 25, also durchsehnitt- lich 4,16 unverzweigte, auf das Stammköpfehen folgende Aeste, und darauf 1) einen Ast mit 2, bezw. 1, 1, 1,2, 1, Ren 8, also durehschnittlich 1,33 Zweigen, 2) einen Ast mit 0, bezw. 2, 2, 2, 5, 2, zusammen 11, also durchschnittlich 1,83 Zweigen. 3 remplare trugen 3, bezw. 4und 4, zusammen 11, also durchschnittlich 3,66 unverzweigte, auf das Stammköpfehen folgende Aeste, und darauf 1) einen Ast, mit 1, bezw. 1 und 1, zusammen 3, also durchschnittlich 1 Zweig, 2) einen Ast mit 2, bezw. 2 und 2, zusammen 6, also durchschnittlich 2 Zweigen, 3) einen Ast mit 3, bezw. 3 und 2, zusammen 8, also durchsehnittlieh 2,66 Zweigen. 9 Exemplare trugen 3, bezw. 3, 4, 4, 4, 4, 6, 7, 6, zu- sammen 37, also durchschnittlich 4,11 unverzweigte, auf das Stamm- köpfchen folgende Aeste, und darauf 1) einen Ast mit 1, bezw. 1, 2, 1 2, 11,025 02, en 13, also durchschnittlich 1,44 Zweigen, 2) einen Ast mit 2, bezw. 2, 1, 2, 2, 1, 1, 2, 2, zusammen 15, also 1,66 Zweigen, 3) einen Ast mit? ,‚ bezw. 3,2 2,.2,.8,.2, 2.202, ZUBamE men 20, also durchschnittlich 9,29 Zweigen, 4) einen Ast mit 3, bezw. 2, 2, 3, 4, 2, 2, 3, 3, zusammen 24, also durchschnittlich 2,66 Zweigen. 4 Exemplare trugen 5, bezw. 4, 4, 5, zusammen 18, also durchschnitt- lich 4,5 unverzweigte, auf das Stammköpfehen folgende Aeste und darauf 1) einen Ast mit 1, bezw. 2, 1, 1, zusammen 5, also dureh- schnittlich 1,25 Zweigen, 2) einen Ast mit 2, bezw. 3, 2, 1, zusammen $, also durchschnittlich 2 Zweigen, 3) einen Ast mit 2, bezw. 4, 3, 2, zusammen 11, also durehsehnittlich 2,75 Zweigen, 4) einen Ast mit 5, bezw. 5, 4, 3, zusammen 15, also durch elntdich 3,75 Zweigen, 5) einen Ast mit 2, bezw. 4, 3, 3, zusammen 12, also durchschnittlich 3 Zweigen. Aus diesen Ergebnissen können wir uns folgende Tabelle zu- sammenstellen: (Siehe folgende Seite.) In dieser Tabelle sowie in der obigen Aufzählung fehlen aber zwei Exemplare, deren Verzweigungsverhältnisse ich gleichfalls fest- gestellt habe: Ein Exemplar hatte 5 unverzweigte Aeste, und 7 ver- zweigte mit 2, bezw. 2,2, 3,4, 3,4 Zweigen, das andere 1 unverzweigten Ast und 12 verzweigte mit 2, bezw. 2, 3, 4, 7, 7, 8, 9, 9, 9, 7, 6 Zweigen. Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 487 Im wesentlichen lehren uns diese beiden Exemplare dasselbe, wie die übrigen: Unsere Tabelle zeigt uns erstens, dass die durchschnittliche | Durch- Rah] | sehnitt- Durchschnittliche Anzahl der Zweige. Anzahl | Ana liche An- der .Exem-| | zahl der I Te —— plare |zweigten | unver- | Am | Am | Amr; ı Am: j,7% Am Aeste ızweigten | 4. ver- | 2. ver- | 3. ver- | 4. ver- | 5. ver- Aeste zweigten | zweigten | zweigten | zweigten | zweigten Ast = Ast Aste | Aste | Ast 15 0 4,33 7 1 74,14 1,42 SIEBEN ' 416 33) 2 a | ee ) 4 4 1,44 | 1,66 2,22 2,66 4 5° 450: | 125 | 200 | 275 | 3% 3 Anzahl der unverzweigten Aeste im Großen und Ganzen dieselbe bleibt, einerlei, ob wir es ınit Exemplaren, die lauter unverzweigte Aeste haben, oder mit Exemplaren mit 1, oder 2, oder 3, oder 4, oder 5 verzweigten Aesten zu thun haben, d. h., dass die Verzweigung mit einer bestimmten Entfernung vom Stammköpfchen beginnt, und dass die Anzahl der verzweigten Aeste mit der Gesamtzahl der Aeste in Zusammenhang steht: Je mehr Aeste überhaupt vorhanden, desto mehr verzweigte Aeste sind zu erwarten. Zweitens lehrt uns unsere Tabelle, dass die durchschnittliche Anzahl der Zweige an dem 1., bezw. an dem 2., 3., 4., 5. verzweigten Ast gleichfalls im Großen und Ganzen dieselbe bleibt, einerlei ob die Anzahl der verzweigten Aeste klein oder groß ist, dass aber die durchschnittliche Anzahl der Zweige mit der Entfernung der Aeste vom Stammköpfehen zunimmt, d. h., dass die Anzahl der Zweige eines Astes in Zusammenhang mit seiner Entfernung vom Stammköpfchen steht, was übrigens dasselbe ist, wie das, was uns die unverzweigten Aeste lehrten, nämlich: Die Anzahl der Zweige eines Astes ist eine Funktion seines Ortes am Stamm. Da die Zweigzahl der Aeste mit deren Entfernung vom Stamm- köpfehen, d.h. von der Stammspitze, zunimmt, so haben die mit vielen Zweigen versehenen unteren Aeste größere Aehnlichkeit mit der ganzen Pflanze als die mit wenigen oder kleinen Zweigen besetzten oberen. Sie sind ihr aber auch deshalb ähnlicher, weil die Astköpfehen die- selbe Entfernung vom Erdboden erreichen, wie das Stammköpfehen, und weil die Abstände der Aeste von einander nach unten hin, wie wir gesehen haben, immer größer werden. Hand in Hand mit der Ver- mehrung der Zweigzahl und mit der Längenzunahme der Aeste geht auch eine Zunahme der Dicke, was die unteren Aeste gleichfalls der ganzen Pflanze ähnlicher macht als die oberen. Alles dieses steht in 488 Haacke, Entwicklungsmeehanische Untersuchungen. Zusammenhang damit, dass die Nahrungszufuhr zu den Aesten desto geringer wird, je weiter sie von der Wurzel entfernt sind. Unsere bisherigen Ergebnisse werden wohl kaum jemandem als etwas neues und besonderes erscheinen. Allein, wir mussten sie ein- gehend begründen, weil die Anzahl der Randblüten an jedem Blüten- köpfehen eine Funktion des Ortes ist, den das Köpfehen an der Pflanze einnimmt. Sie hängt ab von der Menge der Nahrung, die dem Köpfchen durch den Stamm, beziehungsweise durch Aeste und Zweige der Pflanze zugeführt wird. Ich habe an 81 Exemplaren von Tanacetum corymbosum die An- zahl der Randblüten an den Stamm- und Astköpfehen gezählt, wobei verletzte Köpfchen (?) nicht berücksichtigt wurden. Die Zahlen für die Stammköpfehen, die Astköpfehen des obersten Astes, die des zweit- obersten Astes ete. habe ich dann addiert und daraus den Durchschnitt berechnet, wobei ich zu folgender Zahlenreihe gelangt bin, in der sich unter O der Durchschnitt der Stammköpfehen, unter I der Durchschnitt der obersten Astköpfehen, unter II der Durchschnitt der zweitobersten Astköpfehen etc. befindet. 0 l II II IV V VIF TNITSANVIH Al; 17,55 197 19er. 20550: 20,80: 20,95: 20,59 92045: IX X XI Xu XI XIV 1950: 2155-0021,0:9 421: 2450 21, Diese Zahlenreihe zeigt, dass das Stammköpfehen durchschnittlich die meisten Randblüten besitzt. Durchschnittlich am wenigsten hat das oberste Astköpfehen, das unmittelbar auf das Stammköpfehen folgt. Vom zweiten bis zum fünften Astköpfchen nimmt die durch- schnittliche Anzahl der Randblüten von Köpfehen zu Köpfchen zu. Vom fünften bis zum elften hält sie sich ungefähr auf gleicher Höhe, um beim zwölften wieder zu steigen und bis zum vierzehnten auf ungefähr gleicher Höhe zu bleiben, und zwar ungefähr auf der Höhe des Stammköpfchens. Die Gesetzmäßigkeit unserer Zahlenreihe schließt die Annahme einer unabhängigen Variation der Anzahl der Randblüten aus. Die Randblüten aber sind, trotz ihrer wechselnden Anzahl, „typische“ Teile, deren Anzahl bei andern Kompositen übrigens auch konstant ist, z. B. bei vielen Arten 5 beträgt. Da die Anzahl dieser typischen Teile eines Köpfehens von der Leichtigkeit, mit der dem betreffenden Köpfehen Nahrung zugeführt werden kann, und demnach von der Menge der Nahrung, die es erhält, abhängt, so haben wir hier einen Fall von Aenderung der Anzahl typischer Teile mit der Aenderung der Ernährung, einen Fall also, der thatsächlich für unmöglich erklärt worden ist. Wollte man aber bestreiten, dass die Randblüten von Tanacetum corymbosum typische Teile dieser Pflanzen seien, weil ihre Anzahl wechselt, so würde man arg in die Enge geraten. Die Pflanze Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 489 ist durch ihre großen und schönen weißen Randblüten höchst auffällig und weithin sichtbar; nimmt man ihr die Randblüten, so wird ihr Typus durchaus geändert. Nun schwankt die Anzahl der Randblüten ihres Stammköpfechens zwischen 13 und 31, und zwar bei den von mir unter- suchten 80 Exemplaren, bei denen das Stammköpfehen vorhanden war (bei einem der 81 Exemplare, von denen ich oben sprach, war es ab- gerissen), in der Weise, wie folgende Tabelle angibt: 132 15.177. 18.719. 20.: 21. 22.7232 24..725. 26..127. 28.731. Be 2. 25.8. 78 1, Ada Ziel. EL Die Tabelle besagt, dass nur 1 Exemplar gefunden wurde mit 13 Randblüten im Stammköpfen, 2 Exemplare mit 15, 1 mit 17 Rand- blüten u. s. w. Wollte man nun auf Grund dieser Tabelle etwa sagen, die typische Anzahl der Randblüten des Stammköpfens beträgt 21, und diese 21 Randblüten können als typische Teile der Pflanze gelten, so muss man zugeben, dass die Anzahl typischer Teile vermindert werden kann. Wollte man aber sagen, die Anzahl typischer Randblüten be- trägt 13, nur was darüber hinausgeht, ist Schwankungen unterworfen, aber die 13 typischen Randblüten weichen und wanken nicht, was immer auch kommen möge, so hat man sich mit der Thatsache ab- zufinden, dass unter 80 aufs Geratewohl gesammelten Exemplaren nur ein einziges mit der typischen Anzahl der Randblüten des Stamm- köpfehens war. Diesem Dilemma entgeht man aber, wenn man zugibt, dass Tanacetum corymbosum den Beweis für etwas erbringt, was man auf Grund der Ergebnisse von Versuchen an Schmeißfliegen für unmög- lich zu halten sich berechtigt glaubte. Die Antwort aber auf die Frage, ob ein Teil eines Organismus ein typischer sei oder nicht, darf man nicht davon abhängen lassen, ob er in bestimmter Anzahl vorkommt oder nicht. Sonst wären z. B. die 4 Quadranten, aus denen der Körper der Ohrenqualle (Aurelia aurita) in der Regel besteht, keine typischen Teile, weil bei dieser Art anstatt ihrer auch 3, oder 5 oder 6 gleichwertige Körperstücke auftreten, und zwar nicht einmal selten. Wären aber diese 3 oder 4 oder 5 oder 6 kongruenten Stücke, aus denen der gesamte Körper des Tieres be- steht, keine typischen Teile, so bliebe für die typischen Teile nichts übrig. Wenn man trotzdem dabei bleibt, dass nur solche Teile des Organismus typisch sind, die immer in ganz bestimmter Anzahl vor- kommen, dann ist es freilich leicht, zu behaupten, dass die Anzahl typischer Teile nieht von der Ernährung oder andern äußern Einflüssen abhängt. Sobald man dann nämlich findet, dass sich die Anzahl ge- wisser Teile mit der Ernährungsweise ändert, erklärt man sie einfach als nicht typisch und hat dadurch den Vorteil, eine unwiderlegliche Behauptung aufgestellt zu haben. Der Logik wird dabei freilich Ge- walt angethan. [A 490 Haacke, Eutwicklungsmechanische Untersuchungen. Eine ähnliche Tabelle wie für den Stamm und seine Aeste habe ich für die verzweigten Aeste und ihre Zweige auf Grund der Befunde an meinen 81 Exemplaren aufgestellt. In dieser Tabelle bedeutet O die Rubrik für die Durchschnittszahl der Randblüten an den Ast- köpfehen, I die Rubrik für die Durchschnittszahl der Randblüten an den auf die Astköpfchen folgenden Zweigen u. s. w. Die Tabelle ist die folgende: 0. 1. II. II. IV. v. VL.’ VL Se ar Wonb Minst 0.20.80, 0 1/0 Die Tabelle zeigt, dass die Astköpfchen die größte Durchsehnitts- zahl der Randblüten haben, die auf den Astköpfehen folgenden Zweig- köpfehen die kleinste, dass die Durchschnittszahl dann von I bis VI von Rubrik zu Rubrik steigt, sich aber in den letzten Rubriken un- gefähr auf einer und derselben Höhe hält und hier wieder die Höhe von O erreicht. An den Aesten zeigt sich also genau dasselbe gesetz- mäßige Verhalten wie am Stamme. Die Aeste sind ja auch gewisser- maßen Miniaturausgaben der ganzen Pflanze. Sie sind aber kleiner als diese und haben deshalb weniger Randblüten, und zwar desto weniger, je kleiner sie sind. Das Verhalten der sekundären und tertiären, der Ast- und Zweig- köpfehen, ist auch bei den wenigen quartären Köpfchen angedeutet, die ich, und zwar nur an einer einzigen, nämlich an der Pflanze mit den meisten Aesten, fand. Diese Köpfchen ergeben mit den zu- sehörigen Zweigköpfehen folgende Tabelle: 0. E; II. 21. 16. 49: 17: 21: 11: 20. 11. 21. 17: 22. 9 20. % 13. Durehsehnitt: 20,;-. 13,; 13. Wenn die Anzahl der Randblüten bei Tanacetum corymbosum einer Gesetzmäßigkeit unterworfen ist, so müssen diejenigen Exemplare, die wenig Randblüten im Stammköpfehen haben, auch in den übrigen Köpfehen wenig Blüten haben, und einer Vielzahl von Randblüten im Stammköpfehen muss eine Vielzahl von Randblüten in den übrigen Köpfehen entsprechen. Dass das der Fall ist, werde ich nunmehr ein- gehend nachweisen, wobei ich gleichzeitig Gelegenheit habe, mein ge- samtes Material in allen Einzelheiten vorzuführen. Dies thue ich in folgenden Tabellen. Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 491 1. Tabelle, Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfehen der Exemplare mit 13—19 Rand- blüten im Stammköpfchen (Stammköpfehen = 0, Astköpfehen = I, II ete.). VORBRS FREI BEI NETRRRTEES: DV. V227 90 SVATESRVARSOV. FIT EER RENT) 10 BL Alan sea 2 ee Er ee Br a Ka se ir gen ke ze LIED a) en 1: BR lIG®e,- — la ern 18,014 SE, 13% ze ale AloRr selig 17 >» 7 k 1S - - — BB 20o Sl - -— - - .-.-.— ken le _—- - - — — 1977127157 Ir ZHand m SSyErae — ty Luk La LE 5) _— TOP TIRRZ NM HIST Rs - en ae Klare lila Die Tabelle zeigt, weil die Anzahl der Exemplare zur Berechnung des Durchschnitts nicht genügt, zwar einige Schwankungen, bekundet aber im Großen und Ganzen die von uns erkannte Gesetzmäßigkeit und zeigt in den Rubriken I—XI geringe Randblütenzahl, weil die Rubrik O0 gleichfalls nur geringe Randblütenzahl zeigt. Mit der Ver- schiebung der Randblütenzahl des Stammköpfehens nach unten hin wird auch die Randblütenzahl der Astköpfehen nach unten hin ver- schoben. Dass diese letztere Zahl mit der ersteren wächst, werden die folgenden Tabellen zeigen. 2. Tabelle. Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfchen bei Exemplaren mit 20 Rand- blüten im Stammköpfchen. Oral. SEE EV, Ve EN VI V I RE ZAUERE en U Ko ea DE A re ZU HA ET = 16 20°. 20621020018 220°. 9 8 — ' —"' <-'- — — 25818 O0 -.-.7- — 20... 16 ‚13 ..16: — » 1 BJ 4 —- .— 20117 212 22 721 719 2 00 - 2 en AR ALLE IS & st on Die Tabelle offenbart die Gesetzmäßigkeit gut bis zu Rubrik VI. Von da an zeigen sich Schwankungen, wegen der Unmöglichkeit, einen Durehsehnitt aus einer genügenden Anzahl von Exemplaren zu ge- winnen. Die Durchschnittszahl der Randblüten des Stammköpfchens ist höher als in Tabelle 2, die übrigen Durchschnittszahlen sind es gleichfalls. 499 Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. Zum Vergleich mit den Durehschnittszahlen in Tabelle 2 lasse ich hier gleich die Durchschnittszahlen der 33 Exemplare mit 21 Rand- blüten im Stammköpfehen folgen, zu denen ein 34. Exemplar mit ab- gerissenem Stammköpfehen kam, das aber zu jenen 53 zu gehören scheint: 0 I Il III IV V VI vl Da 1a Oel 19a 2 VII IX X XI XIl:.; XI ‚aXIV. 20500 10 210072280: 21. 21. 21. Wir sehen gutes Bezeugen der Gesetzmäßigkeit und Zunahme der Zahlen in Rubrik I—XIV mit der in Rubrik 0. Da ich die hohe Anzahl von 33 Exemplaren mit 21 Randblüten im Stammköpfchen zur Verfügung hatte, habe ich sie auf 5 Tabellen verteilt, und zwar nach der Anzahl der Randblüten im obersten Ast- köpfehen (T). Die Tabellen, die ich jetzt folgen lasse, zeigen, dass die Anzahl der Randblüten in den Köpfchen II, III ete. auch mit der Anzahl der Randblüten in Köpfchen I wächst, also eine weitere Ge- setzmäßigkeit. 3: Tabelle: Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfehen bei Exemplaren mit 21 Rand- blüten im Stammköpfehen und 13-145 Randblüten im obersten Astköpfchen. OR PS], PR SAT RIVER ENT. VATER SVLLAEER SSR 219, 15° 2.162 50 a En TR ee 21 ara ds cin slor Man Te een 213 H9,.8.19 7.20. 44197019920 — 212,14.,2192, 14. 218,7 710722396 21. 34: 216.2 18, 20 „214 721=7 21.7277 920,7 209 >31 14 170 ao „18.020 2.10 20.70.19, °18.0 7212001 21 15, 14216 7,277, _— 0 217° 19 207722477720, 0 Se ae 21. 15.21.0021, —, en Ze Bi. 14: 17, 27, 18, 180017,,00,,, 18 0010 oo 4. Tabelle. Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfehen bei Exemplaren mit 21 Rand- blüten im Stammköpfehen und 16 Randblüten im obersten Astköpfchen. DE El TI - IV. - VEIT SVIL VOL TEE RERRERV. 2IikIe SS 11T - -— - — 211 BB - -— - —- — 21 171 91 --- 2 — oo oe 27V BB 1 -- -— 1 — —- 21 16. VI IMETST 20) 201mn19 Bike le 212164191 1829180 119 120 IF 21 16 -11914:2042010:21 201420855202: 20u27 02 3 31 BR 7 Bi, 20 190,20 een Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 5. Tabelle. Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfehen bei Exemplaren mit 21 Rand- blüten im Stammköpfchen und 17—19 Randblüten im obersten Astköpfchen. De ll: IV... Na SR rle 1279 .19,,20 Sl 19.00 in Fe, 19. 17 amt 00..21, 21,19 a isn 20, 21 , 21... 2 019 70.00, ., 19... .21 a9 91 >| 21 0 EB 1945192019 NEE vol IX x 14 16 I er 19,21 9% 2,20 8A 20 bs. s,berke: Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfehen bei Exemplaren mit 21 Rand- blüten im Stammköpfchen und 20 Randblüten im obersten Astköpfehen. 0. 1. II. Du. IV. V. v1. 21 20 19 22 23 - = 21 20: 20 21 20 2 22 21 20 20 21 23 21 = 21 20 20 22 — = = 21 20 21 21 23 — _ 21 20 20 on. 22,2; 21 22 blüten im Stammköpfehen 7. Tabelle. Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfehen bei Exemplaren mit 21 Rand- und 21—22 Randblüten im obersten Astköpfehen. In dieser Tabelle ist auch das oben erwähnte Exemplar mit fehlendem Stamm- köpfehen und ein Exemplar mit fehlendem obersten Astköpfchen untergebracht. 0 el. ea Il 20V VO VE. SVIESSVIEN STR ER RT IE SX IE 2 - - ana, 21° 21 321, 21 ei 20125 20 21 20, 18. 22] 108 2217 295, 255, 2lıı ao 20 91 00a, 22, 10RMaı, 22. one 2lnı 2 E01 12299805. 21. Dual al 0. 2021 21. 21.. Dale 21,621, 21, Ale O2 20.0210 217,20,.20° 2iga0n ar, 224, 22, 21er Stellen wir nunmehr die Durchschnittszahlen der wie folgt zusammen, Tabellen 3 - | 07T. 1. Il. IV V- VE VIE NIE, X. << XI ZI: TS IT, 18,518 47,05.20,05 18,19. ,20,21 u Eier 1 18, 218, 20°19,.002008204.19. 21. 23: a arg Pla 19 19.4800 % 19.18.0102 21, 20 >020..20° 20. 2m 2122 ER END 20.,:21= v2] 20,20, 30, 1 22, ae 494 Haacke, Entwicklungsmeehanische Untersuchungen. so sehen wir bei Vergleichung der unter einander stehenden Zahlen deutlich, dass die Anzahl der Randblüten in den Astköpfehen II—XI mit der Anzahl der Randblüten im Astköpfehen I wächst. Ganz deut- lich zeigen dieses die Rubriken II und III, weniger gut, aber immer noch deutlich genug, die übrigen. Man vergleiche nur die erste mit der letzten Horizontalreihe. Eine Pflanze, die wegen der Ernährungs- weise (vielleicht schon ihrer Vorfahren) eine höhere Anzahl von Rand- blüten im obersten Astköpfehen hervorbringt, trägt auch eine höhere Anzahl von Randblüten in den übrigen Astköpfehen. Früher hatten wir gefunden, dass die Anzahl der Randblüten in den Astköpfehen mit der Anzahl der Randblüten in dem Stammköpfehen wächst. Das bekundet auch die Durchschnittsreihe aus den Pflanzen, die 22—31 Rand- blüten im Stammköpfehen haben. Diese Durchschnitssreihe findet sich in der folgenden Uebersicht, die außerdem noch zum Zweck der Ver- gleichung die Durchschnittsreihen der Exemplare mit 13—20 und mit 21 Randblüten im Stammköpfehen unter Fortlassung der Dezimalstellen wiedergibt, an dritter Stelle. Man vergleiche die unter einander stehenden Zahlen mit einander. 0... 1. IE 1 IV. SV. VI VDSVIE BER IX XNEXTERIV 18 14° 16:16 6 10, 18, 188 10, 883 ae 212 1701871924197 4977197 20220 718 217227 22221 221 247197 21e21 2.22 2m 2 area a Aus den Exemplaren mit 22—31 Randblüten im Stammköpfehen habe ich drei Tabellen zusammengestellt, die unsere bisherigen Ergeb- nisse erhärten. Ich lasse sie hier folgen. 8. Tabelle. Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfchen bei Exemplaren mit 22 Rand- blüten im Stammköpfchen. 04T 712. IE IV. Vo VEON DENE IN Er A ET Ta NE 19= 20% 18% 207, Mal Sa 1022 202 Dan ON = = 159 20. 207 21 Dr ale 22 are ro 16,7% 21 = 222 23T Te ee nn 1727 19°7 201: 21. 288 208 DIE Ze on Bee , 21 2297 2215 2119 18 ° 20 °20° — In 72, 22 = 20 19 u u 21 21:72] 21° eu — DDDDDNDNDMD DLR N NND DIDEIDED DENIED I) 22 21° 24 721 21a en ge Do ae 2er >] 222447720 ? 22 0: 0. — 2, Uli; 20, 211.20, 20 A A Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 495 9. Tabelle. Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfchen bei Exemplaren mit 23 bis 24 Randblüten im Stammköpfchen. OT Delle ORTTEe DV.. 2 VE. VIIL.. 1% X. Erd lo ua) U I 33 ee 1 2a, Az 181 18 Plone — 9, [23 rin Ko ei ah a a aka — ZOP FARSSRFNIUU Di me DU NWS 2, 23200 au ar aa a ah u — — ae ze Dr a DON 24. 0 21 21 213 2 4 21 24 —- — 242 3 2 2 — - Dar DDIZUEN a0 23.23 22 24 D RB D 23 25 „JO [3 Ya c < < 5 Ve er > 2 = 3 —e An 23,4 19,4 21 20,92 21,33 21 21 09, 21.5, 23.50, 24m 28 10. Tabelle. Randblütenanzahl in Stamm- und Astköpfehen bei Exemplaren mit 25 bis 31 Randblüten im Stammköpfehen. 0. IE I a ER vl... 25 19 21 23 23 26 21 — 25 20 21 23 22 21 0 — Se Ne ee re a a 36. ae Re ae ee Ma SB RO Wosor Yan. on on RZ RE DEE) Beaeuad lol 953 9m 9 25...94 rn ee Kor NARGEN Fo Ma) 60 ae El ES 3 N 26,90 21,10 22,60 23460 25,60 24,90 2A,9g 24,50. Die nunmehr vollständig mitgeteilten Tabellen über die Rand- blütenzahl in Stamm- und Astköpfehen meiner 81 Exemplare von Tanacetum corymbosum oifenbaren beim genauen Studium noch manche interessante Einzelheiten. So kommt zum Beispiel die höchste Anzahl von Randblüten in Astköpfchen (29) nur bei der höchsten Anzahl von Randblüten im Stammköpfehen (31) vor. Besonders möchte ich aber diejenigen Exemplare hervorheben, die 21 Randblüten im obersten Ast- nen haben. Ich stelle sie hier zusammen: 2? 2112212? 3 - — oo. on 211 22 2331 211 — - — — — - 21 21 213 21 22 — — — —_— 0-0 21.24 22 20 21 2071822 19 22.1722... 2D 321 0.2] Dee DEP SPITZ 2t=>T 21 220, 221: 21: 21-521 21 — 225 2,2, 21121 21, meer a Fe 22,21, 217°21..21L 22.215207 3452: | | | | 496 Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. Wir haben hier 59 Zahlen, und unter diesen ist 21 nicht weniger als 40 mal, also in gut ?/, aller Fälle vertreten. Ich ziehe daraus den Schluss, dass 21 die Normalzahl der Randblüten ist, und dass sie auch in den meisten andern Köpfchen erreicht wird, falls sie nur im obersten Astköpfehen, das, wie wir gesehen haben und noch sehen werden, sich besonders hartnäckig auf einer niederen Randblütenzahl hält, erreicht wird. Wird sie hier erreicht, so offenbart sieh unser Gesetz nicht mehr in der alten Form. Aber es gilt auch hier. Es besagt nämlich, dass Störungen in dem einen Teil der Pflanze mit Störungen in allen übrigen Teilen Hand in Hand gehen. Keine Stö- rungen haben die wenigen Pflanzen erlitten, die in allen Blütenköpfehen 21 Randblüten haben. Verhältnismäßig wenig Störungen haben die übrigen mit 21 Randblüten im obersten Astköpfchen erlitten. Die stärksten die, wo das oberste Astköpfehen erheblich hinter dem Stamm- köpfehen zurückbleibt. Hierher gehört die Mehrzahl aller Exemplare. Unter den 79 Exemplaren der obigen Tabellen, von denen wir die Anzahl der Randblüten im Stammköpfehen und im obersten Astköpfehen kennen, befinden sich nur 4, bei denen die Anzahl der Randblüten im obersten Astköpfchen die der Randblüten im Stammköpfchen erreicht, und noch weniger, nämlich nur 2, wo sie diese übertrifft. Unsere Tabellen zeigen uns also, dass das oberste Astköpfchen infolge seiner ungünstigen Stellung am leichtesten in dem Bestande seiner Rand- blüten geschädigt wird. Sie zeigen uns ferner, dass um so weniger leicht ein Ausfall von Randblüten stattfindet, je günstiger die Stellung der Köpfchen am Stock ist. Am günstigsten ist das Stammköpfchen gestellt, weil es die direkte Fortsetzung des Stammes bildet. Ihm schließen sich die Astköpfehen der untersten Aeste an. Von unten nach oben sind die Aeste immer ungünstiger gestellt. Daraus resultiert die gesetzmäßig verteilte Anzahl ihrer Randblüten. Die einzelne Pflanze zeigt diese Gesetzmäßigkeit freilich nur selten in völliger Reinheit. Allein es wäre durchaus verkehrt, wollte man hierin Ausnahmen vom Gesetze erblicken. Das Gesetz besagt nämlich, dass die Anzahl der Randblüten eine Funktion des Ortes der Köpfehen ist. Tritt nun, was bei den allermeisten Pflanzen der Fall ist, eine erhebliche Störung in einem einzelnen Teil der Pflanze auf, so müssen auch Störungen in allen andern Teilen auftreten, denn die Pflanze bildet, wie jeder Organismus, ein Gleichgewichtssystem; sie ist zwar eine Mosaik, aber eine Korrelationsmosaik, in welcher kein Teil machen kann, was er will. Gerade darin, dass so oft Unregelmäßig- keiten in einem Teil der Köpfchen von Tanacetum corymbosum mit Unregelmäßigkeiten in den anderen Köpfchen verbunden sind, offenbart sich Gesetzmäßigkeit. Die Exemplare, die dem Gesetz auf den ersten Blick nicht zu folgen scheinen, sind weit entfernt davon, das Gesetz zu erschüttern, sie erhärten es vielmehr, Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 49% Dass nun diese Exemplare die große Mehrzahl bilden, ist weiter nicht wunderbar. Völlig so, wie er sein sollte — man stoße sich nicht an dem Ausdruck — ist kein Organismus. Aber in der geschlecht- lichen Fortpflanzung hat der Organismus ein Mittel, seine Uneben- mäßigkeiten auszugleichen. Die Mischung der Bildungsstoffe verschie- dener Individuen nivelliert, beseitigt, so gut es geht, die Abweichungen von der Norm, sorgt wenigstens dafür, dass sie sich nicht häufen. Das ist, wie ich schon früher betont habe, die einzig mögliche Auf- fassung von der Wirkungsweise der geschlechtlichen Fortpflanzung, einer Auffassung, die zwar durch sämtliche Thatsachen, namentlich durch die von den Folgen der Inzestzucht her bekannten, als zu- treffend dargethan wird, der man aber noch immer die Anerkennung versagt. Durch die über Tanacetum corymbosum mitgeteilten That- sachen wird sie lediglich tiefer begründet. Die geschlechtliche Fort- pflanzung sorgt dafür, dass die Gefügelockerung, die jedes Individuum während seiner Existenz erleidet und auf die von ihm erzeugten Keime überträgt, wieder wett gemacht wird. (Zweites Stück folgt.) Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Neunzehntes Stück.) zule A. Carinatae s, Acrocoracoidae. Be ad 1. Ichthyornithidae (Ichthyornithidae und Abatorhiikdad). Diese Abteilung (deren Kenntnis wir ausschließlich Marsh und seinen Mitarbeitern verdanken) umfaßt eine Reihe etwa taubengroßer Vögel aus der mittleren amerikanischen Kreide, welche sich dureh den Besitz von Zähnen in Alveolen, bieoncave Wirbel und durch ein sehr schmales und kleines Gehirn von den zahnlosen Vögeln (Euornithes) auszeichnen. Bei der Einreihung derselben in das System spielt selbstverständ- lich das Auftreten von Zähnen die Hauptrolle. Marsh hat deshalb die Ichthyornithes und Hesperornithes zu einer besonderen Subklasse, Odon- tornithes verbunden (denen die unbezahnten Vögel als Kuornithes, Rhynchornithes gegenüberstehen). Andere Forscher haben in erster Linie den ausgesprochenen carinaten Charakter derselben berücksich- tigt, sie deshalb von den Hesperornithidae getrennt und zu den Carinaten in nähere Beziehungen gebracht. Ueber die systematischen Stellungen, welche diese Vögel zu verschiedenen Zeiten angewiesen erhielten, sei folgendes erwähnt: 1. Vor ihrer genaueren Kenntnis reihte sie Cope (1875) mit? den Saururae ein. VI 32 498 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 2. Sie stellten die Ordo Odontotormae dar und bildeten mit der O. Saururae und O. Odontolcae die Subelassis (Suborder Forbes) Odon- tornithes Marsh 1880, Forbes 1884. 3. Nach Haeckel repräsentierten sie die Familie Ichthyornithes und mit der Familie Hesperornithes bildeten sie den Ordo Odontor- nithes. 4. Sie bilden die‘ Ordnung Odontotormae und mit der Ordnung Odontolcae die Subelassis Odontornithes (Marsh 1873, 1875, Nichol- son, Hoernes). 5. Gleich den andern fliegenden Vögeln stammen sie von einem eidechsenartigen Reptil ab, stehen deshalb den Ratiten (welche mit den Dinosauriern verwandt sind) gegenüber (Wiedersheim 1884/85). 6. Sie repräsentieren mit Archaeopterye (von dem sie abstammen) und den heutigen Flugvögeln (welche von den Ichthyornithidae sich abgezweigt haben) einen besonderen von saurierartigen Vorfahren aus- gehenden und hier zugleich mit den Pterosauriern entspringenden Ent- wieklungsast, der einem 2., gebildet von Dinosauriern, Hesperornis und Ratiten, gegenübersteht (Wiedersheim 1884/85. 7. Sie bilden die Ordnung Odontotormae und mit der Ordnung Saururae und der Ordnung der posteretaceischen Carinaten die Sub- klasse der Carinaten. Dames 1884, Paylow. 8. Sie entwickelten sich wie Hesperornis und die Ratiten von den Odontolcae und infolgedessen mittelbar von den Archaeopterygidae und Compsoynathidae und geben zugleich den Carinaten Abstammung. Dollo 1891. 9, Sie sind als Vorfahren der Carinaten anzusehen. Dollo, Für- bringer 1883, Wiedersheim, Dames, Newton. 10. Sie sind den Natatores einzureihen. Seeley. Sie werden in 2 Genera: Ichthyornis (mit vielen Spezies) und Apatornis (celer) geteilt, die in ihrer allgemeineren Konformation zwar übereinstimmen, aber namentlich im Verhalten des Proc. procoracoi- deus, des Acromion, der Sulei articulares coracoidei des Sternum von einander sich unterscheiden. Jedoch sind diese Differenzen zwischen den beiden Genera keine schwerwiegenden, höchstens könnte die sehr starke Kreuzung des sternalen Endes des Coracoides bei Ichthyornis, welche an Dromaeus, die Herodii und gewisse Accipitres anklingt, aber das Verhalten bei denselben noch übertrifft, einigen Anspruch auf Berücksichtigung verdienen, dagegen wechselt das Verhalten des Acro- ımion und des Proc. procoracoideus auch bei lebenden Vögeln inner- halb nahe verwandter Gruppen und selbst Familien. F. will deshalb beide Gruppen vorläufig als Familien (Ichthyornithidae und Apatorni- thidae), vielleicht auch nur als Subfamilien einander gegenüber gestellt wissen, bis genauere Kenntnisse des Skelettes dieser Vögel weitere Schlüsse gestatten. Von allen lebenden Vögeln ist es in erster Linie Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 499 Sterna, welche nach der Ansicht Marshs die meisten Berührungs- punkte mit den Z/chthyornithidae darbietet. In der Beschaffenheit seines Brustbeines, Brustgürtels ete. zeigt I/chthyornis manche Uebereinstim- mung mit Ardea, dagegen erinnert Apatornis durch diese Skelettstücke, sowie durch Vorderarm und Hand mehr an Phalarocorax. Die ersten Halswirbelfortsätze ähneln in mancher Hinsicht Ciconia; Gehirn- volumen, Bezahnung, die symphytische Verbindung der beiden Aeste und Wirbel kommen den tiefer stehenden Sauropsi/dae nahe; infolge der Beschaffenheit der Crista lateralis humeri findet sich einige Aehn- lichkeit mit den Aceipitres, sowie den Pterosauriern. Wegen der Beschaffenheit der Wirbel und des Auftretens der Zähne nehmen die Ichthyornithidae unstreitig allen anderen späteren und namentlich den lebenden Vögeln gegenüber eine Sonderstellung ein. Es ist aber jedenfalls noch nicht endgültig entschieden, weil aus- reichende fossile Funde noch nicht genügend vorhanden sind, ob diese Vogelgruppe wirklich eine ganz einseitig entwickelte und ausgestorbene Ordnung oder Unterklasse repräsentiert, welche mit den recenten Vögeln nichts zu thun hat, oder ob nicht in den Ichthyornithidae ein phylogenetisches Stadium zu erblicken ist, welches bei der weiteren Entwicklung zu dieser oder jener noch lebenden Gruppe führte. Aber schon jetzt lässt sich beweisen, dass die zahnlosen Vögel ebenso wie die anderen unbezähnten Amnioten von mit Zähnen ver- sehenen Urformen abstammen, dass ferner die einfache proximale Ge- lenkfläche des Quadratum, die syndesmotische Verbindung beider Unter- kiefer, die bieoncaven Wirbel, die fehlende Synostose der distalen Enden von Pubis, Ischii und praeacetabularem Ileum, sowie das kleine Gehirn primitivere Merkmale darstellen und bei höherer gradueller Ausbildung eventuell ohne Schwierigkeiten zu dem bezüglichen Ver- halten der gegenwärtigen Vögel führen konnten. Diese Verhältnisse und einige andere Momente zeigen aufs deutlichste, dass die Kluft zwischen den jetzt lebenden Vögeln und den Ichthyornithidae keine unausfüllbare ist. Daher ist eine vollkommene Absonderung derselben von den Euornithes noch keineswegs vollkommen bewiesen. Im übrigen finden sich bei den Ichthyornithidae auch sonst man- cherlei Anklänge an die unbezahnten Vögel, und zwar in erster Linie an die Laridae, z. T. auch an die Pelargo-Herodii, Steganopodes und Acceipitres, sowie infolge einiger Differenzierungen des Coracoides auch an die Tubinares. Weil die Beziehungen der Ichthyornithidae zu den Laridae (oder allgemeiner zu den Laro-Limicolae) nicht nur durch ausgedehntere, sondern auch primitivere Merkmale zu stande kommen, demnach sehr beachtenswerte sind, betrachtete F. sie vor einigen Jahren als wirkliche Vorfahren der Laridae. Gegenwärtig sieht er dagegen in ihnen einen generalisierteren Typus als jene Familie ist. Die Uebereinstimmungen der /chthyornithidae mit den andern schon 9) 32 500 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. genannten Familien beruhen in der Hauptsache auf der hohen Entfal- tung der Flugorgane, sind aber so wichtig, dass man die ersteren als einen besonderen Seitenzweig, der von den zu lebenden Sumpf- und Schwimmvögeln führenden Aesten nicht allzu weit abgewichen ist, auf- fassen kann. Bemerkenswerte Verwandtschaften zwischen den Ichthyornithidae und Hesperornithidae existieren, abgesehen von den bei beiden auf- tretenden Zähnen, nach F. nicht, vielmehr weichen beide in funda- mentaler Weise von einander ab, denn die letzteren, die Hesperorni- thidae, sind Ratiten mit gut ausgeprägten sattelförmigen Wirbelflächen, kräftiger und sehr spezialisierter hinterer Extremität und bestimmter Beziehung zu den Colymbo-Podicipidae. Die Ichthyornithidae hingegen repräsentieren Carinaten mit ansehn- lich entwickelten vorderen und schwach ausgebildeten hinteren Glied- maßen und ganz primitiver Wirbelbildung. Diesen Unterscheidungs- merkmalen gegenüber können die Zähne, welche übrigens bei beiden Abteilungen in sehr verschiedener Weise den Kiefern eingefügt sind, durchaus nicht ausschlaggebend sein, denn dieses Moment ist ein sehr allgemeiner, gradueller phylogenetischer Charakter, der wahrscheinlich ebenso durchgehend den Vögeln von dem Alter der Hesperornithidae und Ichthyornithidae und den noch älteren Typen zukam. Mit den Enaliornithidae stimmen die Ichthyornithidae in der Be- schaftenheit der Dorsalwirbel, vermutlich auch in dem Auftreten der Zähne überein; beide Familien haben demnach nur einige primitive Merkmale gemein, welche außerdem höchst wahrscheinlich allen Vögel- vorfahren gemeinsam waren. Die ungemein mächtige Ausbildung gewisser Muskelfortsätze der Ichthyornithidae (z. B. des Proc. lateralis posterior des Coracoids und der Proc. lateralis humeri) deuten auf eine Entwicklung der Flug- muskulatur hin, welche diejenigen der meisten lebenden Carinaten übertraf. Die Ichthyornithidae waren aber auch Vögel, die eine um- fangreichere Muskulatur bedurften als die später lebenden, bei denen die Zähne fehlten, die Schädelknochen infolgedessen leichter gebaut waren, das Flugskelett vollkommenere Vorrichtungen zeigte. 2. Aptenodytidae (Impennes) (Ptilopteri Vieillot, Spheniscidae Gray, Spheniscomorphae Huxley). Sie bilden eine scharf abgegrenzte und nur aus ca. 25 Arten be- stehende Familie flugloser Schwimmvögel, deren Vaterland die südliche Halbkugel und dort in erster Linie die antarktische Region ist. Aus dem oberen Eocän von Neuseeland ist von dieser Familie ein sehr großer fossiler Repräsentant (Palaeeudyptes Huxl.) bekannt ge- worden. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 501 Die Stellung, welche die Impennes bei den verschiedenen Syste- matikern im Systeme erhielten, war eine wechselnde, wie aus folgender Uebersicht hervorgeht: 1. Nur mit den Aleidee vereinigt, resp. zwischen die Glieder der- selben gestellt haben sie Swainson, Eyton, Gray. 2. Mit den Alcidae und Colymbidae zu den Plongeurs verbunden wurden sie durch Gervais. 3. Als mit den Alcidae, Colymbidae und Podicipidae eine gemein- same Gruppe (Brachypteri Cuv., Pygopodes Ni, Urinatores Sundev., Peropteri Fitz) bildend wurden sie angesehen von Cuvier, Sunde- vall 1844, Brandt, Blyth, Nitzsch, de Selys Longchamps 1842, Kaup, Reichenbach, Fitzinger, Owen, Brehm, Gadow, Reichenow ete.). 4. Allein mit den Colymbidae vereinigte sie Brisson. 5. Der Ordo Anseriformes Cohors Anseres reihte sie Garrod ein. 6. Eine mehr gesonderte Stellung innerhalb oder am Anfang der Schwimmvögel nehmen sie ein nach der Ansicht von Illliger, L’Her- mimier,. sBrandı, Huxley... W. KR. Parker, sundevall, Wal- lace, de Selys Longchamps. 7. Sie stellen eine besondere Familie innerhalb der Schizognathae dar nach Huxley. 8. 2 Gattungen der Palmipedes bilden sie nach Temminck. 9. Sie werden als besondere Ordnung neben den anderen Nata- tores oder den dieselben vertretenden Vögeln aufgeführt von Bona- parte, DesMurs, Gervais et Alix, Studer, Sclater, Watson, Forbes, Filhol und Newton. 10. Als eine besondere Subklasse (Impennes) stehen sie den bei- den andern Unterklassen der Vögel (den Rudipennes und Alipennes) gegenüber nach von J. Geoffroy St. Hilaire und Lemaout. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, welche diese Familie an die tiefste Stelle am Anfang der Vogelklasse setzen wollen, räumt ihr F. einen ziemlich oder mäßig tiefen Platz unter den Carinaten und zwar eine mehr gesonderte Stellung unter den Schwimm- vögeln ein. Mit den Pygopodes oder Urinatores haben sie die wahrscheinlich erst sekundär erworbene Reduktion des Flugapparates und zum Teil die Anpassung der vorderen Extremität als Ruderorgan gemeinsam. Es sind dies aber Verhältnisse ohne jede verwandtschaftliche Bedeu- tung. Ebenso werden die vielfach angenommenen näheren Beziehungen der Impennes zu den Alcidae weder durch den morphologischen Bau noch durch die geographische Verbreitung gestützt. Auch zwischen ihnen und den Colymbo-Podicipidae sind nur ganz entfernte und in- direkte Verwandtschaftsverhältnisse zu konstatieren. Das hohe Alter 502 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. der Impennes beweist übrigens die schon erwähnte eocäne Pulaeeu- dyptes, bei der, nach der Länge ihres Oberarms zu schließen, die Re- duktion der Flügel noch nicht so weit vorgeschritten war als bei den lebenden Formen, die aber auf Grund ihres Baues und ihrer Körper- größe (sie übertraf darin Alca impennes) auf eine ziemlich lange Vor- fahrenreihe schließen läßt. Unter diesen Umständen wird man die Anknüpfung der /mpennes an andere Vogelfamilien in eine sehr frühe Zeit, jedenfalls in die Sekundär-Periode verlegen müssen. Aus diesem Grunde und weil überhaupt fossile Materialien fehlen, ist die Fest- setzung der Verwandtschaften der /mpennes mit großen Schwierig- keiten verknüpft. In morphologischer Hinsicht existieren einige Be- rührungspunkte zwischen ihnen und den Steganopodes, sowie Anseres, hauptsächlich aber zwischen ihnen und den Tubinares. In erster Linie ergibt sich eine solche Uebereinstimmung bei pterylographischen (breite, wenig ausgeprägte Fluren bei den Tudbinares — zusammenfließende Fluren und ziemlich gleichförmige Befiederung bei den Impennes), myologi- schen (z. B. hochgradige Reduktion der M. biceps bei den Tubinares — gänzlicher Schwund dieses Muskels bei den Inpennes, ete.) und endlich splanologischen Merkmalen (in den Ausführungsgängen der Nasaldrüsen, im großen Drüsenmagen, ete.). Diese Aehnlichkeiten finden sich allein zwischen den Tubdinares und Impennes, und überdies zeigen auch die anderen Organsysteme manche allgemeine Ueberein- stimmungen. Aus allen diesen Thatsachen resultiert, dass die /m- pennes namentlich im Hinblick auf die anderen Schwimmvögel mit reduzierten vorderen Extremitäten für sich zu stellen sind, aber zu- gleich gewisse, wenn auch nicht sehr intime verwandtschaftliche Be- ziehungen zu den Tudinares aufweisen. In sehr früher Zeit, jedenfalls schon in der Sekundärepoche, mag sich von den beiden gemeinschaft- lichen Vorfahren ein Ast abgezweigt haben, der unter sekundärer kückbildung der Flugfähigkeit und Lokalisation auf das antarktische und gemäßigte Gebiet der Notogaea zur Entwicklung der Impennes führte. Von da aus erfolgte später auch, wie A. Milne Edwards nachgewiesen, vielleicht in Verbindung mit der Vereisung des antark- tischen Kontinents, eine nach den Tropen gerichtete Wanderung. 3. Alcidae (Alcariae, Alcidae und Uriidae verschiedener Autoren). Diese arktische Familie umfaßst ca. 40 Arten Schwimmvögel, bei denen das Flugvermögen meist verringert oder (bei einzelnen) ganz geschwunden ist. Auch dieser Familie wurde von den verschiedenen Autoren eine verschiedene systematische Stellung zugewiesen. 1. Mit den Podieipidae und Colymbidae zu den Pygopodes Ill. ver- bunden wurden sie von Illiger, Bonaparte, Des Murs, Sunde- vall 1872, De Selys 1879, Selater, Sharpe. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 503 2. Mit den Impennes zu den Alcidae vereinigte sie Swainson und Eyton. 3. Mit den I/mpennes und Colymbidae die Plongeurs bilden sie nach Gervais. 4. Die Pygopodes Ni (Urinatores Sund., Brachypteri Cuv., Brevi- pennes Sel., Brevipennatae Owen, Peropteri Fitz.) bilden sie in Gemein- schaft mit den Podicipidae und Colymbidae nach der Ansicht von Cuvier, Sundevall 1344, Brandt, Nitzsch, de Selys 1842, Kaup, Reichenbach, Fitzinger, Owen 1866, Lilljeborg, Schlegel, Cones, Carus, Hartlaub, Brehm, Gadow, Rei- chenow. 5. Nach Huxley verbinden sie sich mit Colymbidae, Tubinares und Laridae zu den (ecomorphae. 6. W. K. Parker hält sie nahe verwandt mit den Laridae, Tu- binares und Limicolae. 7. Garrod und Forbes reihen sie in die Ordo Charadriformes Cohors Limicolae resp in die Pluviales ein. 8. Newton verbindet sie mit den Laridae, Limicolae (und wahr- scheinlich auch Otididae). 9. Sie repräsentieren 4 besondere Gattungen der Palmipedes nach Huxley. 10. Sie sind als besondere Familie oder Ordnung der Nautatores (Palmipedes) zu betrachten: Brisson, L’Hermiier, Lemaout, Parker, Gray, Wallace. Es kommen demnach hauptsächlich Verwandtschaften zwischen den Alcidae und (den schon behandelten /mpennes), den Podierpidae, Colymbidae, Tubinares, Laridae und Limicolae in Betracht. Mit den Podicipidae und Colymbidae stimmen die Alcidae überein durch die kiückbildung der Flügel, sowie durch die zu der tauchenden Lebens- weise in Korrelation stehende Befiederung; ferner sind manche über- einstimmende Merkmale zu konstatieren in der Verteilung der einzelnen Pterylen, in gewissen Konfigurationen des Schädels, in der Zahl der Halswirbel, in der sternalen Länge und der Ausbildung des Xipho- sternum, im Verhalten einiger Beinmuskeln ete. Namentlich kommen hierbei die Colymbidae in erster Linie in Frage. Die beiden ersten Merkmale sind aber eine Folge der sekundären Anpassung, die übrigen, mit Ausnahme der sternalen Dimension und der Konfiguration des Siphosternum, hinsichtlich deren die Alcidae allerdings den Colymbidae näher stehen als irgend einem andern Vogel, treten im großen und ganzen auch bei den Laridae auf. Da überdies auch die beiden Cha- raktere, dureh welche die Alcidae mit den Colymbidae übereinstimmen, erst sekundär erworbene sind, so ist die Summe wesentlicher Difteren- zen im Bau der Colymbo-Podicipidae und der Aleidae trotzdem eine durchschlagende; direkte Verwandtschaften der letzteren mit den Co- 504 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. /ymbidae oder gar mit den Podicipidae existieren somit nicht, und F. sieht im den einzelnen Berührungspunkten zwischen beiden nichts als Analogien (Isomorphien, heterophyletische Homomorphien). Die näheren Beziehungen zwischen den Alcidae und Tubinares sind hauptsächlich auf die kurzflügelige und steissfüßige Gattung Pele- canoides gegründet, welche nur wenige in der gemäßigten Region der südlichen Erdhälfte lebende Arten (der Tubinares) umfasst. Diese Vögel sind demnach räumlich von den rein arktischen Alcidae durch eine außerordentlich beträchtliche Entfernung getrennt, außerdem er- gibt die morphologische Untersuchung von Pelecanoides so bedeutende Differenzen im innern Bau gegenüber den Alcidae, dass die nicht zahl- reichen und außerdem noch meist sekundären Aehnlichkeiten zwischen beiden Gruppen dagegen völlig zurücktreten. Trotzdem sollen gewisse Beziehungen zwischen Tubinares und Alcidae nicht ganz in Abrede gestellt werden, es sind dies aber recht entfernte und erst durch andere Gruppen (Laro- Limicolae) vermittelte. Auf den ersten Blick scheinen auch die Uebereinstimmungen zwischen den Alcidae und den Laridae oder da (wie später bewiesen werden soll, dieselben mit den Limicolae ganz nahe verwandt sind), den Laro-Limicolae sehr wenig intime zu sein, denn schlechte Flieger oder Steissfüßer unter den Laridae gibt es nicht, außerdem erhalten diese durch die andere Beschaffenheit des Gefieders ein von den Aleidae recht abweichendes Aussehen; dazu kommen einige Verschiedenheiten in der Anordnung der Pterylen, der Konfiguration des Xiphosternum, der Mm. bieipites brachii und propatagiales ete. Durch genaueres Stu- dium aber überzeugt man sich bald, dass die pterylographische Ver- schiedenheit durch das Verhalten bei Lestris und Scolopax einiger- maßen ausgeglichen und zu einer nur quantitativen herabgesetzt wird. Das Gleiche gilt für die Mm. bieipites und das Xiphosternum. Dazu kommt nun noch, dass diesen nicht sehr bedeutungsvollen Differenzen eine große Anzahl von Merkmalen gegenüber stehen, durch welche die Aleidae mit den Laridae und Limicolae, bald mehr mit der einen, bald mehr mit der andern Gruppe übereinstimmen, und zwar in so aus- gesprochener Weise, dass man hier nicht von bloßen Anpassungs- ähnlichkeiten (welche zudem infolge der Verschiedenheit in der Lebens- weise der in Rede stehenden Familien auch unverständlich wären), sondern von vollkommenen Homologien sprechen muss, die in be- stimmter Weise auf einen ursprünglichen Zusammenhang der Laro- Limicolae mit den Alcidae hinweisen. Weil aber fossile Materialien fehlen, ist eine sichere Angabe darüber unmöglich, wann die Ab- trennung der Alcidae von dem gemeinsamen Stamme dieser Familie erfolgt; die morphologischen Verhältnisse aber sprechen für eine nicht allzufrühe Abzweigung (vielleicht erst am Ende der Sekundärzeit oder am Anfang des Eocän). Auf jedem Fall erfolgte dieselbe aber etwas Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 505 früher als diejenige der noch näher mit einander verwandten Laridae und Limicolae. Die ausgestorbene Alca impennis repräsentiert die am meisten progressiv und retrograd umgebildete Gattung der Alcidae: dies ist aber für die Feststellung der Verwandtschaften dieser Familie mit anderen ohne Bedeutung und ein recht sprechender Beweis dafür, dass die extinkten Vögel in gewissen Familien nicht die primitiven Verhält- nisse, sondern nach Volumen und Qualität die höheren Differenzierungen aufweisen und dass gerade in diesem Umstande der Grund ihres früheren Aussterbens zu erblicken ist. Die Alcidae bilden eine ziemlich enge Gruppe: die Uriinae und Aleinae kann man als Unterfamilien betrachten, von denen auf Grund innerer und äußerer Merkmale die erstere «die primitivste Stellung einzunehmen hat. Ob dagegen den Mormoninae auch ein solcher Rang zukommt oder dieselben einfach den Alcinae zugeteilt werden müssen, lässt F. unentschieden, ist aber mehr zu der letzteren Auf- fassung geneigt als zu der ersteren. 4. Enaliornithidae. Diese Abteilung beruht auf unvollständigen fossilen Resten aus der mittleren englischen Kreide (des oberen Cambridge-Grünsandes); auf diese Funde wurde die Gattung Enaliornis gegründet; dieselbe umfasst den größeren E. Barretti und den kleineren E. Sedgwicki. Es sind dies Formen, welche in ihrer Größe den größeren und mittelgroßen Species von Colymbus gleichkommen. Seeley, welcher sie 18641866 zuerst als Pelagornis resp. als Palaeocolymbus Baretti und Palaeocol. Sedgwicki beschrieb, später aber in Enaliornis umtaufte, rechnete sie anfangs zu den Natatores (speziell zu den Colymbidae und Impennes), später sah er sie an als mehr in Beziehung stehend mit Co/ymbus und auch den Hesperornithidae. Ex ‚konnte aber nicht entscheiden ob sie flügellos oder beflügelt waren; wahrscheinlich aber besaßen sie Zähne und außerdem bikonkave Wirbel. Aber diese beiden Merkmale schienen Seeley nicht so wichtig zu sein, um sie deshalb von den unbezahnten mit sattelförmigen Wirbeln ausgestatteten Natatores abzutrennen. Hörnes rechnet die Enaliornithidae zu den Odontolcae (Hesper- ornithidae); Newton dagegen erlaubt sich infolge der unvollkommenen Kenntnis der vorhandenen fossilen Reste über ihre systematische Stel- lung gar kein Urteil. Da Seeley später die Beziehungen der Enaliornithidae zu den Impennes nicht mehr aufrecht erhielt, so handelt es sieh für ihn nur noch um solche zu den Colymbo- Podicipidae und Hesperornithidae. Auch F. ist sehr geneigt, solche anzunehmen. Den hauptsächliehsten Beweis für seine Annahme erbliekt Seeley in der großen Ueberein- 506 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. stimmung der Knochen der unteren Extremität, besonders des Femur und des Tarso-Metatarsus, zwischen den Enaliornithidae und Colymbus. Ueberdies treten an diesen Skelettstücken, wenn auch nicht in so aus- gesprochenem Maße, Aehnlichkeiten mit Hesperornis auf. Andrerseits weicht die Tibia in der Gestalt und Größe ihrer proximalen Protuberanz mehr von derjenigen von Podiceps und namentlich Colymbus ab und nähert sich hierin Hesperornis; auch die Breite des Bruchstückes vom Ileum weist Beziehungen zu demselben auf. Wenn auch F. die Uebereinstimmung des hinteren Schädelfragmentes von Enaliornis mit dem entsprechenden Teile von Colymbus nicht so ausgeprägt finden kann wie Seeley (die Oeeipitalregion ist bei Enaliornis weniger gewölbt als bei den Colymbidae und Podicipidae), so erblickt er doch auch im diesem abweichenden Verhalten keine bedeutsameren Differenzen. Infolge der besonderen Beschaffenheit der Wirbelsäule von Enaliornis, deren Dorsalwirbel bikonkav sind, während die vordere Artikulationsfläche eines hinteren Cervikalwirbels die Ten- denz zur Sattelform aufweist, repräsentiert diese Gattung einen primi- tiveren Zustand als die Colymbidae, Podicipidae und Hesperornithidae und nähert sich dadurch den Ichthyornithidae. Weil sichere Reste des Brustbeines und Brustgürtels, sowie der vorderen Extremität von Enaliornis fehlen, ist bis auf weiteres zu ent- scheiden, ob Enaliornis als ein Carinate, ähnlich den Colymbo - Podi- cipidae, oder ein Ratite, ähnlich den Hesperornithidae, aufzufassen sei. Seine mäßige Größe und das primitive Verhalten seiner Wirbel- säule spricht allerdings mehr für die carinate Natur, doch sind auf alle Fälle weitere Funde abzuwarten; dieselben werden, wie F. sicher glaubt, nicht allein für Enaliornis, sondern auch für die genealogischen Relationen der Hesperornithidae manche Aufklärungen ermöglichen. Auf Grund dieser Erörterungen erblickt F. in den Enaliornithidae den Typus einer recht primitiveren Familie von Vögeln, welche sowohl mit den Colymbidae und Podicipidae nicht so entfernte verwandtschaft- liche Beziehungen aufweisen, aber tiefer als die eben angeführten Familien stehen. Er ist auch nieht unmöglich, dass in den Enaliorni- thidae direkte Vorfahren der Co/ymbo-Podicipidae und nahe Verwandte der Vorgänger der Hesperornithidae vorliegen; in diesem Falle müsste die Familie eingezogen und Enaliornis den Colymbo- Podicipidae ein- verleibt werden. 5. Colymbidae und 6. Podicipidae (Colymbo- Podicipidae). Es sind dies durchgängig tauchende und auch meist nicht gut fliegende Wasservögel, welche die beiden Abteilungen Colymbidae und Podicipidae bilden. Die erste, die Colymbidae (Kudytidae), werden repräsentiert durch die 4 Arten umfassende Gattung Colymbus, welche die Arktogaea bewohnen und den Seestrand bevorzugen; die zweite, Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 507 die Podicipidae, aus 35 Species bestehend, bewohnen in erster Linie die Binnengewässer und sind Cosmopoliten. Die paläontologischen Kenntnisse dieser Abteilungen beschränken sich auf mittel- und spättertiäre und quarternäre Funde, sind dem- nach nur sehr lückenhafte. Auch diese Gruppen haben in Bezug auf ihre Stellung im System von verschiedenen Forschern sehr auseinandergehende Beurteilungen erfahren. Manche fassten Colymbus (Eudytis) und Podiceps (Colymbus) zu einer Familie, den Colymbidae s. lat., zusammen; andere verteilen sie in gesonderte Familien der Colymbidae (Eudytidae) s. str. und Podicipidae (Colymbidae). Diesen Familien wurden von den Forschern folgende Stellen im Vogelsysteme zu Teil. a) Colymbidae s. lat. (Colymbo- Podicipidae). 1) Sie bilden nach Linne mit Uria das Genus Colymbus. 2) Mit den Alcida verbinden sie sich zu den Pygopodes nach Illiger, Selater, Sharpe. 3) Cuvier, Nitzsch, Sundevall 18355, Reichenbach, Owen, Carus, Hartlaub, Reichenow vereinigten sie zu den Pygopodes Ni, (Urinatores Sundev. ete.) mit den Alcidae und Impennes. 4) Kaup verband sie mit den Alcidae, Impennes und FPodoa zu den Brachypteri. 5) Nach Huxley repräsentieren sie in Verbindung mit den Alcidae, Tubinares und Laridae die Cecomorphae. 6) Als besondere Familie (Ordnung) der Schwimmvögel oder der Vögel überhaupt werden sie angeführt von Swainson, Eyton, A. Milne Edwards. b) Colymbidae s. str. 1. Sie wurden mit den Alcidae verbunden von Des Murs, walır- scheinlich auch von W. K. Parker und Newton. 2. Sie bilden mit den Podicipidae und Aleidae die Pygopodes 1. nach Bonaparte, Sundevall (1872), de Selys 1579. 3. Sie’ stellen mit den Impennes und Alcidae die Plongeurs dar nach der Ansicht Gervais’. 4. Sie wurden von Brisson mit den Impennes zu einer Ordnung vereinigt. 5. Sie bilden mit den Podieipidae, Alecidae und Impennes die Py- gopodes Ni. nach Brandt, de Selys (1842), Fitzinger, Cones, Brehm. 6. Von Schlegel und Forbes werden sie mit den Podieipidae und Heliornithes zu den Colymbi Schleg. (Eretopodes Fo.) verbunden. 7. Mit den Impennes, Podicipidae und Anseres bilden sie die Ord- nung Anseriformes Coh. Anseres nach Garrod (1874). 508 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 8. Sie stellen eine besondere Gattung, Familie oder Ordnung der Vögel resp. der Natatores (Palmipides) dar nach Temminck, L’Her- minier, Gray, Wallace, Gervais. c) Podieipidae 8. str. 1. Sie bilden mit den Colymbidae und Alcidae die Pygopodes ll. nach Bonaparte, Sundevall 1872, de Selys 187%. 2. Sie wurden mit den Colymbidae, Alcidae und Impennes zu den Pygopodes Ni. vereinigt von Brandt, de Selys 1842, Fitzinger, Lilljeborg, Coues, Brehm. 3. Schlegel und Forbes verbanden sie mit den Co/ymbidae und Heliornithes zu den Colymbi Schleg. (Eretopodes Fo.). 4. Sie bilden eine Abteilung der Pinnatipedes nach Latham, Temminck. 5. Sie sind eine Parallele zu Fulica nach Gervais. 6. Mit den Steganopodes wurden sie vereinigt von Baird, Hartlaub. 7. Mit den Impennes, Colymbidae und Anseres bilden sie die An- seriformes Anseres nach Garrod 1874. 8. Gervais vereinigte sie mit Aptornis, den Frlicariae, Parridae und Tinamidae zu den Macrodactyli der Grallae. ). Sie bilden eine Familie (Subordo, Ordo) für sich nach Brisson, L’Herminier, Brandt, Gray, DesMurs, W.K.Parker, Wallace, Newton. Aus dieser Zusammenstellung ist ersichtlich, dass die Colymbidae und Podicipidae nicht allein zu allen andern Familien der Schwimm- vögel, sondern auch zu manchen Unterabteilungen der Grallae (Pha- laropus, Heliornithidae) in Beziehung gebracht worden sind. Schon an einer früheren Stelle seines Werkes hat F. nachgewiesen, dass er zwischen den in Rede stehenden Abteilungen und den /m- pennes uud Alcidae keine näheren Verwandtschaften erkennen konnte. Ebenso wenig war es ihm möglich, irgend welche morphologische Ver- hältnisse aufzufinden, die eine nahe Verwandschaft der Colymbidae ünd Podicipidae mit den Laridae und Tubinares begründen. Von den Schwimmvögeln bleiben sonach uns die Steganapodes und Anseres zum Vergleiche übrig. Das äußere Ansehen der Colymbidae und Podieipidae zeigt einige Aehnlichkeiten mit gewissen Steganopodes, geringere mit einzelnen Anseres, welche aber wenig beweisen. Das Verhältnis des Gaumens dieser Gruppen scheint sogar direkt gegen jede Verwandtschaft zu sprechen: die Colymbidae und Podieipidae sind ausgeprägt schizognath, die Anseres, und vor allen die Stenago- podes dagegen typisch desmognath. Aber F. hat schon an anderer Stelle seines Werkes nachgewiesen, dass den Gaumencharakteren, weil sie innerhalb ziemlich enger Gruppen flüssig sind, keine durchgreifende Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 509 Bedeutung zukommen kann. Aehnliches gilt auch für die auffallende Konfiguration des Laufes bei den Colymbo und Podieipidae — einigen an- deren ihnen zukommenden Besonderheiten. Diesen Differenzen steht aber eine Summe von mehr oder weniger übereinstimmenden Merk- malen gegenüber, durch welche diese Gruppen bald mehr mit den Steganopodes, bald mehr mit den Anseres, bald mit beiden Familien in auffallender Weise teilen. Mit den Steganopodes zeigen die Colymbo- Podieipidae manche Uebereinstimmung in Anordnung gewisser Ptery- len, am Schädel- und Rumpfskelett, in der Länge und Breite der Scapula, am Becken, an der Patella, an den Mm. serratus profundus, subceoracoscapularis, anconaeus bumeralis ete.; den Anseres ähneln sie in der Beschaffenheit der Schwanzfedern, des Coracoid, der Verbin- dung der Clavieula mit der Scapula, ferner durch die Mm. rhomboides superficialis und scapulo-humeralis anterior, gewisse Beinmuskeln ; Uebereinstimmung mit beiden Familien kommen zustande durch das Fehlen des Brustastes der Unterflur, durch verschiedene Schädeldetails, die Wirbelsäule, insbesondere aber durch das Verhalten der Crista sterni und der Linea m. supracoracoidei, den Coraco-Scapular-Winkel, durch die Gestalt der Furceula, größte Länge der 4. Zehe, der Mm. eueularis und cuc. omo-eutaneus, pectoralis thoracicus, supracoracoi- deus, latissimus metapatagiales, auconaeus coracoideus, Beschaffenheit der Caeca, Darmlänge etc. Im ganzen sind die Anschlüsse an die Steganopodes zahlreicher und werden mehr durch Colymbus als durch Podiceps vermittelt, aber in gewissen Fällen ist andererseits auch letzterer brauchbarer für Anknüpfungen als jener. Wenn auch alle die vorhin angeführten Merkmale an Wert nicht gleich sind, so be- weisen sie doch deutlich genug, dass die durch sie ausgedrückten Be- ziehungen der betreffenden Familien nicht alle analoger Natur sind, sondern sich nur durch die Annahme primordialer verwandtschaftlicher Beziehungen mit den Stenagopodes und Anseres erklären lassen. Sind auch diese Beziehungen keine sehr intimen, namentlich nicht mit den Anseres, so gestatten sie doch, für diese Gruppen einen gemeinsamen Stock anzunehmen, dessen Teilung bereits in sehr früher Zeit (in der Sekundärperiode) erfolgte, wobei die Steganopodes und Anseres die beiden seitlichen, die Colymbidae und Podicipidae den mittleren, den Steganopodes etwas mehr als den Anseres genäherten Ast bildeten. Die Beziehungen der Colymbo-Podicipidae zu den Fulicariae (Ral- lidae und Heliornithidae), welche die meisten Ornithologen nicht an- erkennen, fand auch F. durch seine Untersuchungen nur als ganz ent- fernt. In überzeugender Weise hat Reichenow nachgewiesen, dass die Zehenverbindung, auf Grund welcher manche ältere Autoren die Podi- cipidae mit den Rallidae (Fulica), Heliornithes und Limicolae (Phala- ropus) zu den Pinnatipedes vereinigten, zu einer derartigen Gruppierung 510 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. nicht berechtigt. Trotzdem verfechten aber auch einige neuere Orni- thologen noch die Verwandtschaft der Podieipidae und Colymbidae mit den Heliornithidae. Sehr vereinzelte Züge haben die Colymbo-Podicipidae mit den Herodii gemein, doch sind dieselben von keiner schwerwiegenden Be- deutung. Ueber die Stellung der Colymbidae und Podicipidae zu den creta- ceischen Hesperornithidae (Hesperornis und Baptornis) und Enal- ornithidae (Enaliornis) äußert sich F. in folgender Weise. Wenn auch die Hesperornithidae durch zahlreiche Charaktere des Brustbeins, Brust- gürtels und infolge der hochgradig reduzierten vorderen Extremität sich als Ratiten erweisen, so finden sich doch am Becken, der Patella, der Tibia, dem Tarso-Metatarsus und den Zehen, sowie stellenweise am Rumpfskelett und Schädel eine Anzahl Charaktere, welche sehr lebhaft an die Colymbo- Podicipidae, in erster Linie aber an Podiceps erinnern und teilweise so frappante sind, dass man sie nicht leicht wie Marsh dies thut, als einen bloßen Isomorphismus infolge gleichmäßiger Anpassung an gleichwirkende Ursachen annehmen, sondern eher auf Grund alter verwandtschaftlicher Beziehungen entstanden denken kann. Thut man dies, so würden die generalisierten Vorfahren der Colymbo- Podicipidae ein sehr hohes Alter besitzen, denn die danach erst von diesen Vorfahren abzuleitende Hesperornis lebte schon in der mittleren Kreide. Aber auch abgesehen davon, zeigt das morphologische Ver- halten der Colymbo- Podicipidae, dass sehr wahrscheinlich in ihnen eine Abteilung von Tauchern vorliegt, welche viel früher zur definitiven Ausbildung gekommen ist, als die erst ziemlich spät von den Laro- Limicolae abgezweigten Alcidae. Vielleicht noch nähere Verwandtschaften als mit den Hesperorni- thidae verbinden die Colymbo-Podieipidae mit den Enaliornithidae, dem die untere Extremität derselben, in erster Linie den Femur und Meta- tarsus, zeigen bei beiden Abteilungen sehr auffallende Uebereinstim- mungen. Allerdings weisen andereiseits die Dorsalwirbel bei beiden Gruppen ein sehr ungleiches Verhalten auf. Dieser Umstand kann aber besondere Berücksichtigung nicht beanspruchen. Wie schon an einer früheren Stelle angeführt, werden die Colym- bidae und Podicipidae von manchen Forschern als 2 getrennte Ab- teilungen betrachtet. In der That zeigen die beiden Gruppen auch mehrfache und teilweise gar nicht so geringwertige Differenzen (so z. B. an den Schwanzfedern, im Verhalten der Zehenbekleidung, Ver- bindung der Dorsalwirbel, am Sternum, an den Mm. latissimus meta- patagialis und deltoides minor, Anordnung der Carotis ete.), welche darthun, dass die Colymbidae in der Mehrzahl die Charaktere der mehr primitiven, die Podicipidae die mehr sekundären Formen reprä- sentieren. Zugleich neigen die ersteren mehr nach den Steganopodes, Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 511 die letzteren mehr nach den Anseres hin. Die geographische Verbrei- tung und die Artenzahl beider Abteilungen verleihen diesen morpho- logischen Ergebnissen noch besonderen Wert: die marinen Colymbidae und Steganopodes zeigen in der geringen Anzahl spezialisierter Gat- tungen, dass sie aussterbende Gruppen darstellen, während die haupt- sächlich auf dem süßen Wasser lebenden Podieipidae und Anseres noch in der Höhe ihrer Ausbildung und Verbreitung sich zu befinden scheinen, trotzdem aber jedenfalls ein hohes Alter besitzen. Alle diese Thatsachen veranlassen F., die Podicipidae als die mehr aberrante Gruppe die Colymbo-Podieipidae aufzufassen und ihnen zugleich eine größere Selbständigkeit den Colymbidae gegenüber zu erteilen. Beide Abteilungen müssen demnach entweder als sehr differente Subfamilien oder als selbständige, jedoch sehr nahe mit einander ver- wandte Familien betrachtet werden. F. thut das letztere und sieht sonach in den Colymbidae und Podicipidae 2 getrennte, aber neben einander stehende Familien. Dr. F. Helm, (Zwanzigstes Stück folgt.) M. Standfuss (Zürich), Handbuch der paläarktischen Groß- schmetterlinge für Forscher und Samnller. Zweite gänzlich umgearbeitete und durch Studien zur Descendenztheorie erweiterte Auflage des Handbuches für Sammler der europäischen Groß- schmetterlinge. Jena. Gustav Fischer. 1896. (Schluss. ) Zucht von Raupen und Puppen in erhöhter Temperatur. Im gleichen Abschnitte berichtet Standfuss über Zuchtversuche an Raupen und Puppen in erhöhter 'T'emperatur, die von ihm und andern zur Winterszeit angestellt wurden. Es handelt sich um Schmetterlings- arten, deren Raupen normaler Weise in der freien Natur überwintern, die Frostzeit in einem Winterschlaf zubringen, im Frühjahr erwachen, sich sodann nach kürzerer oder längerer Fraßzeit verpuppen um schließ- lich nach kürzerer oder längerer Puppenruhe als Falter die Puppenhülle zu verlassen. Wenn man solche Raupen vom Herbst an in geeigneten Gefäßen, mit passender Nahrung und unter sorgfältiger Pflege im warmen Zimmer (über 20° C), etwa in der Nähe eines Kachelofens züchtet, so kann man bei vielen Arten beobachten, dass sie fortfahren zu fressen, dass sie wachsen und sich weiter entwickeln sich schließlich verpuppen, etwa im November, oder im Dezember, oder Januar. So kann man dann mitten im Winter tadellose, ausschlüpfende Falter erhalten. Bei des Verfassers Zuchtversuchen wurden oft schon die Eier der zu züchtende Schmetterlingen in erhöhter Temperatur gehalten. Solche Zuchtversuche ergeben nun interessante Resultate. Die vor- zeitig entwickelten Falter lassen im Allgemeinen in Form und Gestalt, 512 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. Färbung und Zeichnung keine nennenswerten Abweichungen von den normal entwickelten Individuen erkennen, wohl aber in der Größe. In dieser Hinsicht konnte Standfuss folgendes konstatieren: 1. Bei einem Teil der Arten wird durch Zucht bei erhöhter 'Tem- peratur die Zeit, während welcher sich die Raupe ernährt und sich vor- wärts entwickelt, wir wollen sagen die Fraßzeit, nicht verkürzt. (Bei dem Vergleich mit den normalen, überwinternden Raupen muss selbst- verständlich bei diesen die Zeit des Winterschlafes in Abzug gebracht werden.) In diesem Falle werden die frühzeitig (meist schon im Winter) ausschlüpfenden Falter größer, als die normalen, zur gewöhnlichen Zeit (im Frühjahr oder Sommer) aus- schlüpfenden Falter derselben Art. Beispiel. Lasiocampa pini L. Normale Spannweite der Flügel beim Männchen zwischen 57 und 64 mm, beim Weibchen zwischen 73 und 80 mm. Die Brut eines Pärchens wurde vom Ei an bei einer 'Tem- peratur von 25° © gezogen. 81°/, entwickelten sich ohne Ueberwinterung (ohne Winterschlaf) der Raupen zu Faltern. Die Fraßzeit der Raupen verlief in 150—172 Tagen (ungefähr der Dauer des Raupenlebens nach Abzug der Zeit des Winterschlafes entsprechend), die Puppenruhe in 25 bis 27 Tagen. Die männlichen Falter maßen 65—68 mm, die weiblichen 84— 86 mm Spannweite. 2. Bei einer Auzahl von Arten wird die Fraßzeit der Raupe bei der Zucht in erhöhter Temperatur abgekürzt. Die sich ent- wickelnden Falter werden dann kleiner als die normalen. Je größer die Reduktion der Fraßzeit, um so bedeutender die Größenreduktion des Falters. In einem extremen Falle (Lasiocampa quereifolia) wurde das Gewicht auf den siebenten Teil des normalen reduziert. Beispiel. Lasiocampa pruni L. 2 Versuche 1. Spannweite der Eltern: Männchen 50, Weibchen 62 mm. Zucht der Nachkommenschaft vom Ei inklusive aufin 30° C. 60°/, entwickelten sich ohne Ueber- winterung der Raupen bis zum Falter. Fraßzeit der Raupen 28—52 Tage, Puppenruhe 10—13 Tage. Fraßzeit 22—26 Wochen. Die männlichen Falter maßen 36—40 mm, die weiblichen 45 mm Spannweite. 2. Spannweite der Eltern: Männchen 49, Weibehen 63 mm. Zucht in derselben Weise aber bei nur 25° C. 72°/, entwickelten sich. Fraßzeit der Raupen 55 —68 Tage, Puppenruhe 12—18 Tage, Größe der erzielten Falter Männchen 42—45 mm, Weibchen 48—56 mm Spannweite. Diejenigen Individuen die auf die Wärmeversuche nicht in der ersten oder zweiten Weise reagierten und zu frühzeitigen Faltern wurden, blieben als Raupen vor oder nach der vorletzten Häutung in ihrer Entwicklung stille stehen. Bei fortdauernder Einwirkung der erhöhten "Temperatur gingen sie früher oder später zu Grunde. Wurden sie in normale Ver- hältnisse versetzt, starb die größere Hälfte allmählich ab, die aus dem Winterschlaf noch lebend hervorgehenden Raupen aber ergaben schließlich Falter von normaler Beschaffenheit. Zwischen dem Zeitpunkt des Ausschlüpfens frühzeitiger Falter, die aus einer in erhöhter Temperatur gehaltenen Zucht stammen und der nor- malen Zeit des Ausschlüpfens liegt ein Abstand von 6—9 Monaten. Da die erwachsenen Falter nur 3—5 Wochen leben, ist eine Kreuzung der Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge., 513 beiden Formengruppen unmöglich. In der freien Natur erleichtert und ermöglicht zeitliche Isolierung das Entstehen von Varietäten und Arten. In der That geben nach Standfuss die erwähnten Versuche einen Fingerzeig, wie gewisse Lokalformen oder Varietäten oder Arten ent- standen sein können. Es sind Veränderungen der 'Temperaturverhält- nisse, welche die Stammforınen entweder nicht sämtlich in der gleichen Weise trafen, oder denen gegenüber, falls eine solche gleiche Einwirkung thatsächlich vorlag, diese Ursprungsformen nicht durchweg in demselben Sinne reagierten. Dabei konnten die 'Temperaturverschiebungen entweder im Fluggebiete der Stammform selbst Platz greifen, oder zufolge Aus- breitung oder Wanderung derselben eintreten. Standfuss diskutiert, gestützt auf sehr genaue Kenntnis der jeweiligen biologischen und zoogeographischen Verhältnisse für zahlreiche Formen die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass zu ihrer Entstehung solche Veränderungen in den Temperaturverhältnissen den Anstoß gegeben haben. Indem wir für alles Nähere auf das Original verweisen, erwähnen wir hier nur einige wenige Fälle. Experimentell konnten die ansehnlich großen paläarktischen Spinner Lasiocampa quereifolia und populifolia, deren Raupen sich im Herbst und Frühjahre, also während der Zeit der niedrigen "Temperaturen, bei einer Fraßdauer von ungefähr 22—26 Wochen entwickeln, in ihrem Raupen- leben auf 7—12 Wochen abgekürzt und dadurch zu einer außerordentlich verkleinerten Form umgestaltet werden. Nun finden wir in der Natur drei mit diesen großen Formen sehr nahe verwandte kleine Arten, Lasiocampa tlieifoha L., tremulifoha Hb., suberifolia Dup., welche annähernd die Größe der durch die 'T’emperatur- experimente gewonnenen Formen besitzen, und deren Raupen ebenfalls etwa 6—12 Wochen, und dies gerade während der wärmsten Zeit des Jahres, zur Vollendung ihres Wachstums bedürfen. L. suberifolia von Südfrankreich und Spanien, die südlichste Species, zeigt bei doppelter Generation die kürzeste Raupendauer und dem entsprechend die geringste Größe unter diesen drei kleinen Arten. Ferner: „Die kräftige Boarmia roboraria Schiff., deren Raupe von Ende August bis Ende Mai lebt, mit kurzer Puppenruhe, und die nur halb so große Boarm. consortaria F., welche im Juli und August aus- wächst und als Puppe überwintert, beide Arten in den gleichen Laub- wäldern vorkommend, bieten eine vollkommene Parallele zu den behan- delten Lasiocampen“. Weiter: „Der experimentell nachgewiesenen Vergrößerung der Arctia faseiata “nd Lasiocampa pini durch erhöhte Temperatur bei einer der normalen gleichen Ernährungszeit entsprechen die biologischen Unterschiede einerseits zwischen den nördlichen und zwischen den südlichen, oder ander- seits zwischen den alpinen und zwischen der Ebene und den niederen Bergen angehörenden verwandten Formen, handele es sich nun um Lokal- rassen der gleichen Species, oder um bereits selbständig gewordene Arten“. Krankheiten der Raupe. Ein Abschnitt des Werkes handelt von den Krankheiten der Raupe, u. a. von der „Muscardine“, der „Pebrina“, der „Flacherie“. Bei Gelegenheit der Besprechung der Pebrina, deren Krankheitserreger VI 39 514 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. unbekannt sind, konstatiert Standfuss einerseits mit Nachdruck die wichtige Thatsache, dass wiederholte Inzucht die Prädisposition zur Infektion in hohem Grade vermehrt und die Widerstands- fähigkeit bei erfolgter Infektion vermindert. Der Name „Flacherie“ ist nach Standfuss ein Kollektivname für mehrere äußerst ansteckende, aber wie es scheine nicht erbliche Krank- heiten. Bekämpfung der Schädlinge. Bei Gelegenheit der Besprechung der Raupenkrankheiten geht der Verfasser auch auf die Frage der Bekämpfung der Pflanzenschäd- linge ein. Gewiss wird der Land- und Forstwirt das Urteil eines so erfahrenen Entomologen in gebührender Weise würdigen. Standfuss steht ganz auf der Seite derjenigen, welche sagen, dass nicht der Mensch durch verschiedenartiges Eingreifen der Verwüstung durch ausgedehnten Raupenfraß Einhalt zu gebieten vermag, sondern dass es die bei einer solchen Ueberproduktion von Individuen einer Art auf- tretenden Seuchen, durch Pilze oder andere Krankheitserreger hervorgerufen, sind, welche die Schädlinge dezimieren. Am 17. Januar 1891 hat Stand- fuss bezüglich der Nonnenplage (Verwüstung von Wäldern durch den Fraß der massenhaft auftretenden Raupe der Nonne oder des Fichten- spinners, Psilura monacha L.) in den bayerischen Wäldern vorausgesagt, dass dieselbe durch Auftreten der Flacherieseuche aufhören oder zurück- gehen werde: Die bei diesem großen Nonnenfraß in den bayerischen Wäldern nachmals eingetretenen Thatsachen haben die Voraussage vollauf bestätigt. „Darum soll aber nicht etwa geraten werden, die Dinge stets und unter allen Umständen laufen zu lassen, wie sie eben laufen wollen. Es gibt sehr viele Schädlinge in der Insektenwelt, deren Lebensweise vorzügliche Anhaltepunkte für ein erfolgreiches Einschreiten gegen ihre Ueberhandnahme bietet, so dass es zuerst und vor allen Dingen darauf ankommt, die Biologie der Schädlinge genauestens zu kennen. Aber auch gegen diejenigen Arten, deren Bekämpfung zufolge ihrer Lebensweise auf größere Schwierigkeiten stößt, lässt sich meist bei beginnender Ueberhand- nahme noch erfolgreich vorgehen, während der Mensch hilflos dasteht, wenn das Uebermaß ihrer Entwicklung bereits einen sehr hohen Grad erreicht hat“. Standfuss teilt dann eine Reihe von Beobachtungen mit über Be- dingungen, welche das Auftreten und die Verbreitung der Raupenseuche fördern. Das Studium des diesen Gegenstand behandelnden Abschnittes des Werkes sei den interessierten Kreisen auf das Angelegentlichste em- pfohlen. Das Geschlecht der Puppen. Bei den Arten, bei welchen die Antennen in beiden Geschlechtern verschieden sind, ist dies schon bei der Puppe der Fall, doch in geringerem Maße als beim Falter. Aber abgesehen hiervon unterscheiden sich bei allen Lepidopteren die männlichen und weiblichen Puppen durch bestimmte, oft geringfügige Merkmale an der Unterseite des Abdomens, wie schon Ratzeburg und den Brüdern A. u. OÖ. Speyer bekannt war. Die Farbe der Puppen hat mit dem Geschlecht gar nichts zu thun, Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 515 Das Ueberwintern der Puppe. Standfuss berichtet über die von ihm und andern beobachteten Fälle mehrmaliger Ueberwinterung, Bombyx var. arbusculae Frr. erscheint als Falter am häufigsten erst nach viermaliger Ueberwinterung der Puppe, doch auch nach fünfmaliger, sechsmaliger, in dem äußersten bis jetzt be- kannten Falle erst nach achtmaliger Ueberwinterung; bis siebenmal über- wintert auch Biston alpinus Sulz. Solche Arten stellen die Geduld des Züchters auf eine harte Probe. Zweimalige Ueberwinterung kommt gar nicht selten vor. Bei fast allen Schmetterlingen entwickeln sich von derselben Brut die männlichen Individuen etwas früher als die Weibchen. Bei mehrmalig im Puppenstadium überwinternden Arten lässt sich nachweisen, dass von einer und derselben Brut alternierend in einem Jahre vorwiegend Weibchen und in dem folgenden überwiegend Männchen ausschlüpfen. Dadurch wird die Inzucht zwischen den Nachkommen derselben Elternpaare bis zu einem gewissen Grade vermieden. Bei kurzlebigen Arten haben sich die weitaus meisten Männchen bereits gepaart, wenn ihre Schwestern ausfliegen. Successive Einwirkung von Trockenheit und Feuchtigkeit auf die Puppe. Standfuss hat zu wiederholten Malen folgende Beobachtung gemacht. Wenn größere Puppenmengen von Saturnia pyri, pavonia, spini zwischen Juni und Ende September sehr trocken gelegen hatten und dann mehrere Male intensiv angefeuchtet wurden, so entwickelten sich etwa 1°/, Falter aus diesen Puppen 10—12 Tage nach dem Anfeuchten. Diese Falter zeigten immer in ihren verschwommenen Zeichnungsmerkmalen Unterschiede von der Art. Wenn ähnliche Verhältnisse in der freien Natur auftreten und sie kommen vor, so werden sie ähnliche Folgen haben. Da eine Kreuzung solcher sich abnorm verhaltender Individuen mit den normalen (aus den überwinternden Puppen hervorgehenden) ausgeschlossen ist, so können solche Individuen den Ausgangspunkt für die Bildung von Varietäten und Arten werden. Standfuss weist auf einige Arten hin (Saturnia boisduvalüi Ev., Bombyx catax L., rimicola Hb.), die sehr wohl in solcher Weise entstanden sein können. Das Zahlenverhältnis der beiden Geschlechter. Standfuss hat 32,176 Individuen von 40 Arten auf das Geschlecht untersucht. Dabei hat er nur normale Zuchten berücksichtigt, die mehr als 75°/, Falter ergaben. In dreifach verschiedener Berechnung ergab sich immer fast genau dasselbe Verhältnis: 105—-107 Männchen auf 100 Weibehen. Standfuss macht auf die auffällige Uebereinstimmung dieses Verhältnisses mit dem bei gewissen Pflanzen und beim Menschen ermittelten aufmerksam. Friedrich Heyer fand beim Bingelkraut (Mer- eurialis annuaL.), gestützt auf sorgfältigste Untersuchungen, 105,36 Männ- chen auf 100 Weibchen. Das statistische Amt in Berlin für das gesamte Deutsche Reich von 1882—-1891 bei im Ganzen 18,142,237 Geburten 106,068 Knaben auf 100 Mädehen. Mangel an Futter (gegen Landois) bedingt bei den Schmetterlingen nicht eine größere Produktion von Männchen, doch können die männlichen Individuen Nahrungsmangel in höherem Grade ertragen als die Weibchen. 99% [9 79} 516 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. Albinismus und Melanismus. Albinismus ist geringe Ausbildung oder vollständiges Fehlen von Pigment. Standfuss unterscheidet den partiellen oder unechten Albinis- mus von dem totalen, echten. Der partielle hat lediglich in äußeren Ursachen seinen letzten Grund und ist eine Verkümmerungserscheinung. Diese Ursachen können sehr verschiedener Art sein. „So führen z. B. wirkliche Verletzungen der Puppe, oder Eindrücke in dieselbe, oder Ein- trocknung sichtlich in manchen Fällen albinistische Erscheinungen“ an den betroffenen Stellen beim ausschlüpfenden Falter hervor. Was den totalen Albinismus anbetrifft, so ergeben Standfuss’ Er- fahrungen keinen Anhaltspunkt für die vielfach verbreitete Meinung, dass er durch ein Uebermaß von Nässe hervorgerufen werde. Standfuss bringt vielmehr Gründe für die Annahme bei, dass der totale Albinismus dem Individuum vom Ei an angeboren, dass er eine Hemmungsbildung sei, die nicht experimentell durch Einwirkung äußerer Ursachen erzeugt werden könne. Der unechte Albinismus vererbt sich nicht, der totale in nur wenig charakteristischer Weise. Doch hat der Verf. keine Gelegen- heit gehabt, Nachzucht von einem Albinopaar zu erhalten. Im Gegensatz zum Albinismus hält Standfuss den Melanismus, jene Neigung zur Verdüsterung der Färbung, die sich bis zu fast reinem Schwarz steigern kann, für die Folge „einer Ueberproduktion, eines Ueber- maßes von Kraft und Energie“, die vielleicht auch mit einer individuellen inneren Beanlagung zusammenhängt. Mit der Zeichnung und ihrer Ver- änderung hat der Melanismus nichts zu thun. Umfärbung, Farbenwechsel, Farbentausch. Wir müssen uns versagen, näher auf die interessanten Ausführungen einzutreten, welche Standfuss über die Gesetzmäßigkeit in der Ver- änderung der Farben bei Aberrationen, Varietäten und verwandten Arten gibt und welche zum Teil auch schon von andern Forschern besprochen worden sind. Am häufigsten wird gelb durch rot ersetzt, seltener um- gekehrt. (Die grellen leuchtenden Farben hält auch Standfuss für Schreckfarben.) Gelb kann mit weiß wechseln und umgekehrt, braun mit grau, oder mit blau, oder mit grün. Gewisse Verschiebungen hängen offenbar mit klimatischen Einflüssen zusammen. Die Annahme, dass die Nahrung einen wesentlichen Einfluss auf die Färbung ausübe, dass man mit bestimmter Nahrung prächtige Varietäten erzielen könne, bezeichnet Standfuss als lepidopterologisches Jägerlatein. Zuchtversuche die Stand- fuss in verschiedenfarbigem Lichte anstellte, ergaben keine Resultate, ob- wohl die Raupen schon von klein auf der Einwirkung des farbigen Lichtes ausgesetzt wurden. Nur das schien aus neueren Versuchen hervorzugehen, dass violettes Licht eine Beschleunigung des Wachstums der Raupe und der Entwicklung der Puppe hervorruft. Die Falter blieben aber auch hier unverändert. Lokalformen. Bezüglich des Verhaltens der Arten klimatischen Einflüssen gegenüber kommt Standfuss zu folgenden Schlussfolgerungen : 1. „Mit dem südlicheren Vorkommen tritt bei den meisten Arten der Lepidopteren eine Verschiebung in der Entwick- Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 517 lungsrichtung der Tiere ein, welche bei der überwiegenden Anzahl darin besteht, dass die licehteren Farbentöne überhand und gleichzeitig die Dimensiouen des Tieres zunehmen“. 2. „Mit dem nördlicheren Vorkommen tritt bei den meisten Arten eine Verschiebung in der Entwicklungsrichtung der Tiere ein, die bei der überwiegenden Zahl darin besteht, dass die dunklen Farbentöne überhand und gleichzeitig die Dimen- sionen des Tieres abnehmen. Standfuss präeisiert genau die Begriffe Grundform und Lokalform. Als Grundform sollte naturgemäß die phylogenetisch ältere bezeichnet werden, von der wir die Lokalformen ableiten müssen. In den meisten Fällen sind wir freilich noch nicht im stande mit genügender Sicherheit diese Verhältnisse festzustellen. Die Grundform kann auch nicht mehr existieren oder sich selbst verschoben haben. Die gegenwärtig herrschende Nomenklatur ruht aber durchaus nicht auf phylogenetischer Grundlage. Als Grundform gilt gewöhnlich diejenige, welche zufällig zuerst beschrieben wurde. Es sind meistens die im mittleren Europa verbreiteten Formen, weil diese den bahnbrechenden Entomologen zunächst und am leichtesten in die Hände fielen. Der Verf. erörtert einlässlich die Mittel, die zur Verfügung stehen, um zu bestimmen, welches die Grundform, welches die abgeleiteten Lokal- formen sind. Von großem Wert ist ohne Zweifel die Zoogeographie. Im allgemeinen wird die sehr weit verbreitete Form einer Art die ältere sein, als eine auf ein sehr kleines Gebiet beschränkte Lokalform. Doch kann auch gerade das Gegenteil der Fall sein und es ist nicht aus- geschlossen, dass eine Lokalform der letzte schwindende Rest der wirk- lichen Stammform ist. Man muss eben jeden Fall besonders untersuchen. Verf. thut dies an zwei Beispielen, indem er nachzuweisen versucht, dass 1. Hepialus humuli var. hethlandica Knaggs von den Shetlands-Inseln als ein Rest der Grundform, der in Mitteleuropa häufige Hepialus humuli L. aber als die abgeleitete Form betrachtet werden muss. Bei hethlandieu gibt es noch gelbe den Weibchen gleichgefärbte und gezeichnete Männchen, so dass beide Geschlechter ungefähr dem Durchschnittstypus des Genus Hepalus entsprechen. Daneben gibt es aber schon gelbweiße Männchen mit Zeichnung, weiße Männchen mit Zeichnung und weiße Männchen ohne Zeichnung. Es existiert also eine Uebergangsserie zu H. humuli L., wo das Weibchen die alte Färbung und Zeichnung beibehalten hat, das Männ- chen aber durchwegs atlasweiß und zeichnungslos geworden ist. „Es wäre doch wohl absurd anzunehmen, dass sich die ganze artenreiche Gat- tung verschob und nur dieses Männchen von humadi allein seine ursprüng- liche Form bewahrte“. Die richtigen Bezeichnungen wären also: Hepialus hethlandieus Knaggs. — Hepial. hethland. var. humuli L. 2. Im Gegensatz hiezu tritt Vanessa urticae var. ichmusa Bon. von Corsiea und Sardinien schroff aus dem Formenkreis der nächstverwandten Typen heraus und hat also die richtige Bezeichnung als Varietät. Nun haben wir aber, wie oben berichtet, nach Standfuss noch ein anderes Mittel in der Hand, um das relative phylogenetische Alter von verwandten Formen zu bestimmen, nämlich die Kreuzung, bei welcher in erster Linie das größere phylogenetische Alter, in zweiter Linie dann 518 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. freilich das männliche Geschlecht den größeren Einfluss auf die Bastarde ausüben. Standfuss diskutiert die 4 nach dieser Richtung hin untersuchten Fälle (zwei solche Kreuzungen hat er selbst vorgenommen). Wir be- gnügen uns mit einem Referat über den zuletzt angeführten Fall; Kreuzung zwischen Spilosoma mendica Cl. und Spiü. mendica var. rustica Hb. Das Männchen von wmendica ist aschgrau, das Weibchen weiß mit spärlichen schwarzen Punkten. Das Männchen von var. rustica ist fast weiß wie das Weibchen. Die schwierigen Kreuzungsversuche, die übrigens nur zum kleinsten Teile glückten, wurden von Standfuss und Aristides von Caradja vorgenommen und ergaben folgende Resultate: 1. Kreuzung von mendica g' mit var. rustica 2. Die Bastard- weibchen sind uncharakteristisch, die Männchen neigen in überwiegend großer Zahl zu var. rustica hin. 2. Kreuzung von mendica 2 mit var. rustica Zd. Die Weibchen sind uncharakteristisch. Die Männchen nähern sich in überwiegend großer Zahl zu var. rustiea, von 17 nur 3 zu mendica. Daraus würde sich ergeben (ähnlich wie oben für Hepialus humuli), dass die var. rustica phylogenetisch älter ist als mendica (die Vererbungs- energie ist übrigens hier bei den Weibehen sehr groß, vielleicht größer als beim Männchen). In diesem Falle hat also das Kreuzungsexperi- ment gezeigt, dass die Verdunkelung des mendica-Männchens eine neuer- dings erworbene Eigenschaft ist. Es verschiebt sich zuerst das Männchen. Zu dem gleichen Resultat gelangt Standfuss auf Grund einer Reihe anderweitiger Beobachtungen und Thatsachen, die er einzeln aufzählt. 1. „Es stehen bei den verschiedenen Lokalformen einer Species die Weibchen in ihrem Falterkleide einander sehr häufig wesentlich näher als die zu ihnen gehörenden Männchen“. 2. „Es ist eine sehr häufige Erscheinung, dass von zwei oder auch noch mehr verwandten Arten die Weibchen recht ähnlich, die Männchen aber viel sichtlicher verschieden sind“. 3. „Diese Thatsache tritt am klarsten dann zur Erscheinung, wenn in einem Genus alle Arten eine große Aehnlichkeit zeigen und nur eine Art sich darin anders verhält, so zwar, dass das Weibehen dem T'ypus des Genus treu bleibt, das Männchen aber sichtlich aus diesem 'T'ypus heraustritt. Schon Darwin, dann hauptsächlich Eimer und Fiekert haben auf diese Initiative der Männchen bei den Umgestaltungen der Art aufmerksam gemacht. Das Weibchen folgt dann öfter dem Männchen in der speziellen Verschiebungsriehtung nach, so dass sich folgender Gang der Entwicklung ergibt: 1. primärer Monomorphismus, Männchen und Weibchen ähnlich: 2. Dimorphismus, das Männchen hat sich verändert: 3. sekundärer Mono- morphismus, das Weibchen hat das Männchen in der Veränderung ein- geholt. Standfuss leugnet übrigens, wie mir bekannt ist, durchaus nicht, dass in anderen Fällen, mit Bezug auf andere Organisationsverhältnisse die Initiative zur Veränderung vom Weibchen ausgehen kann. Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 519 Saisondimorphismus. Standfuss gibt zunächst eine Uebersicht über die bekanntesten Fälle von Saisondimorphismus (bei gewissen Arten könnte man sogar von einem Saisontrimorphismus sprechen). Es handelt sich hier bekanntlich um das Auftreten von zwei von einander verschiedenen Generationen der gleichen Art und am gleichen Ort, von denen die eine während der kälteren, die andere während der wärmeren Jahreszeit zur Entwicklung gelangt. Standfuss wirft die Frage auf, sind die beiden Generationen denn überhaupt phylogenetisch gleichaltrig? Waren die betreffenden Arten nicht vielmehr ursprünglich nur in einer Generation im Jahr im Falterstadium vertreten? Indem sich St. für diese zweite Alternative entscheidet, ge- langt er zu der zweiten Frage, welche Generation ist die phylogenetisch ältere? Die Antwort darauf lautet im Allgemeinen: die erste Generation. Es handelt sich um Arten die offenbar nördlicher Provenienz sind und die in dem Maße als sie sich südwärts ausbreiteten, Zeit gewannen, noch eine zweite Generation zu liefern. Doch gibt es auch vereinzelte Fälle, wie Papilio maecki zweite Generation und P. maacki var. raddei erste Generation, wo es sich um das Vorrücken eines südlichen Typus in die paläarktische Region handelt. Hier ist unzweifelhaft die erste Generation die veränderte, abgeleitete, ist aber nicht neu hinzugekommen, sie existierte schon bei der südlichen Stammform, wurde aber durch den Einfluss der kühleren Jahreszeit auf ihre früheren Stadien stärker beeinflusst. Bezüglich der charakteristischen Unterschiede der beiden Generationen konstatiert Standfuss, dass sie im Allgemeinen den gleichen Gesetzen unterliegen, die er für die Unterschiede der Lokalformen (siehe oben) aufstellen konnte, nur geschieht hier die Einwirkung der bestimmenden Faktoren (vorwiegend der verschiedenen Temperatur) in einem und dem- selben Fluggebiet; die verschiedenen Klimata werden durch die verschie- denen Jahreszeiten ersetzt. Experimente zum Saisondimorphismus sind hauptsächlich in den letzten 20 Jahren vielfach ausgeführt worden. Besonders die 1875 erschienene feine Arbeit von Weismann ist jedem Zoologen bekannt. Neuerdings, seit 1888 hat vornehmlich Merrifield umfangreiche und äußerst sorgfältige Temperaturexperimente an Lepidopteren ausgeführt. Unabhängig von ihm hat nun auch Standfuss bereits 1887, in sehr großem Umfang aber seit 1893 solche Versuche angestellt. Er richtet bei der Verwertung der Resultate sein Augenmerk nicht nur auf den engen Rahmen der betreffenden Arten, sondern zieht auch die verwandten Arten in den Kreis seiner vergleichenden Betrachtungen. Seine Versuche betreffen folgende Arten. Papilio machaon L., Rhodocera rhamni L., Vanessa c-album L., Vanessa urticae L., Vanessa io L., Vanessa atalanta ER Vanessa earduwi L., Argynnis aglaja L., Dasychira abietis Schift. Bei den Versuchen ist Standfuss in folgender Weise vorgegangen. Er verwendete nur größere Bruten von Puppen, deren kaupen unter normalen Verhältnissen aufgewachsen waren. Ein Teil der Brut wurde der Einwirkung einer niederen Temperatur von + 4 bis — 6° C unter- worfen. Die Falter schlüpften in diesem Falle nur dann aus, wenn die Puppen nach kürzerer oder längerer Einwirkung der niederen 'T’emperatur einige Zeit in normaler T’emperatur gehalten wurden. Ein zweiter Teil 520 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. wurde in einer Temperatur von meistens — 35 bis + 40° C gehalten. Zur Kontrole ließ Standfuss einen dritten Teil sich in der normalen Zimmertemperatur von 19—23° zum Falter entwickeln. Der Rahmen dieses Referates erlaubt es nicht, auf alle Versuche im Einzelnen einzugehen. Wir können nur unter kurzer Erwähnung einzelner Beispiele die wichtigsten Resultate mitteilen. A) Kälte-Versuche mit saison-dimorphen Arten, deren phylogenetisch ältere Generation die nächsten Verwandten im Norden hat, während die jüngere sich von solchen verwandten Typen entfernt. Durch Erniedrigung der Temperatur entstehen Formen, welche sich an die nächstverwandten nordischen Typen auffallend annähern, Beispiele: Die erste (nicht überwinternde) Generation von Vanessa c-album liefert bei Erniedrigung der Temperatur Falter, die eine große Aehnlichkeit mit Yan. faunus Edw. von Nordamerika, die dort nur in einer Generation auftritt, besitzen. Die erste (nicht überwinternde) Generation von Vanessa urtieae liefert unter denselben Bedingungen Falter, welche sich auffallend der nord- amerikanischen Van. milberti Godt. nähern. Zugleich sei bemerkt, dass je nördlicher die Provenienz von Vunessa urticae ist, sie sich umsomehr dieser Vanessa mülberti Godt. annähert, am meisten in der lappländischen var. polarıs Stgr. B) Kälte-Versuche mit Arten, die nur in einer Generation auftreten. Es entstehen ebenfalls atavistische Formen. Beispiele: Vanessa io L. nähert sich in auffälliger Weise der Van. urticae, sie wird, verglichen mit dieser, als eine phylogenetisch jüngere Form aufgefasst. Yan. antiopa L. nähert sich in aus Kältezuchten her- vorgangenen Exemplaren an Van. polychloros und zanthomelas an. C) Wärme- Versuche mit saison-dimorphen Arten, die wahrscheinlich aus dem Süden stammen und in ihrer phylogenetisch -älteren Generation sich an südliche Formen annähern. Durch Erhöhung der Temperatur entstehen Formen, die in vielen Beziehungen als atavistisch gelten müssen. Beispiele: Vanessa atalanta L. nähert sich Van. callirrhoe F. und deren Lokalformen var. vulcanica Godt. von den Canaren ete. Vanessa cardui nähert sich den tropischen Lokalformen der Art. D) Wärme-Versuche mit Arten, die aus dem Norden, E) Kälte-Versuche mit Arten, die aus dem Süden stammen. Es entstehen dadurch Formen, welche sich vom Grundtypus der Art oder sogar auch von dem Typus aller verwandten Arten mehr oder weniger weit entfernen. Während also bei den sub A, B und EC resumierten Ver- suchen atavistische Formen entstehen, bilden sich bei diesen Versuchen progressive Formen. Dabei verändern sich die phylogenetisch älteren Formen wenig, die moderneren mehr. Die älteren Arten werden nur etwa aus der mitteleuropäischen in die südeuropäische Form übergeführt; Va- nessa e-album L. (Zürich) ergibt Individuen, wie sie im Juni und Juli bei Neapel fliegen, Vanessa wrticae nähert sich der var. ichnusa Bon. von Corsica und Sardinien; Vanessa polychloros ergibt Falter, die den süd- europäischen entsprechen oder sich sogar in einzelnen Stücken der alge- rischen var. erythromelas Allard stark nähern. Die jüngeren Arten aber (Yan. antiopa, atalanta und cardwi) erhalten ein ganz neues Kleid, ein Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 521 solches, wie es bisher noch niemals und nirgends beobachtet worden ist. Es kann sich hier unter keinen Umständen um Atavismus handeln. Standfuss knüpft an diese höchst bemerkenswerten Resultate seiner Untersuchungen eine Reihe von Betrachtungen. Die Versuche ergeben, dass experimentell, durch Einwirkung extremer Temperaturen, wie sie selbst in den extremsten Flugorten des Verbreitungsgebietes that- sächlich niemals, oder doch niemals annähernd so dauernd vorkommen, mit einem Schlage Formen erzeugt werden können, welche sich in der freien Natur gar nicht finden, oder nur an den nörd- lichsten oder südlichsten Flugorten der betreffenden Spezies. Dieß vermag Standfuss nur dadurch zu erklären, „dass bei jenen nörd- lichsten oder südlichsten Formen der verschiebende Faktor lange Zeit- räume hindurch in geringerer Intensität einwirkte, und dass die kleinen, durch ihn hervorgerufenen Veränderungen sich vererbten und dadurch allmählich steigerten. Wir erhöhen die Intensität des Faktors und erhalten damit sprungweise Formen, welche sich jenen in der freien Natur sehr allmählich herausgebildeten mehr oder weniger annähern.*“ Ein Beispiel: „Papilio machaon, der in seiner zweiten, sich etwa im Laufe des Juli entwickelnden, Generation in Zürich als Puppe von einer Durchschnitts- temperatur von 18,4° C. getroffen wird, kann in von Zürich stammenden Individuen durch konstante Einwirkung von 37—38° C. auf das Puppen- stadium direkt in eine Form verwandelt werden, wie sie im Juli bei Jeru- salem fliegt. Jerusalem hat aber im Juli, als dem heißesten Monat nur eine Durchschnittstemperatur von 24,50 C. und wenn die Puppen der zweiten Generation von Zürich konstant mit einer Temperatur von 24,5°C. behandelt werden, so zeigen die Falter aus diesen Puppen keinerlei be- merkbare Veränderungen, verglichen mit normalen Exemplaren der zweiten Züricher Generation. Es würde also die Einwirkung von 24,5° C. auf die Züricher Puppen einer außerordentlich hohen Zahl von Generationen gegenüber wiederholt werden müssen, um das Gewand des Jerusalemer Typus zu erreichen.“ Bezüglich der neuen, progressiven Formen, die in der Natur nicht vorkommen und nie vorkamen, glaubt sich Stand fuss gestützt auf die Resultate seiner Experimente berechtigt, anzunehmen, dass solche Formen in ähnlichem Gewande in der Natur auftreten werden, wenn ähnliche Einflüsse, wie die bei den Experimenten in extremem Maße einwirkenden, auch in geringerem Maße aber durch eine lange Reihe von Generationen hindurch auf sie einwirken werden. Sie werden sich freilich nicht in identischer Weise, sondern nur in ähnlicher Weise realisieren, wie denn auch der experimentell erzeugte Atavismus kein vollkommener ist, sondern sich nur oder vorwiegend auf diejenigen Merkmale erstreckt, die durch den in Betracht kommenden umbildenden Faktor, die veränderte Tem- peratur hervorgerufen resp. verändert wurden. Außer diesem Faktor gibt es aber sicherlich noch viele andere, welche umbildend einwirken. Es sei übrigens bemerkt, dass die durch T’emperatureinwirkungen erzeugten Veränderungen nicht nur die Färbung, Größe und Zeichnung, sondern auch die Gestalt der Flügel betreffen können, wie Standfuss bei Vanessa- Arten mit Bezug auf die Zacken am Aussenrande der Flügel zur Evidenz nachweist. 522 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. Standfuss versucht schließlich, in Würdigung der Resultate seiner Experimente und zahlreicher anderer Faktoren, besonders auch der geo- graphischen Verbreitung, der Veränderung der Klimas in den letzten geologischen Epochen, der Veränderungen in der Konfiguration der Erd- teile die phylogenetischen Beziehungen der experimentell untersuchten Vanessa-Arten und ihrer nächsten Verwandten zu skizzieren. Wir müssen für diese interessanten Ausführungen auf das Original verweisen. Kreuzungsversuche zwischen Grundart und Lokalrasse und zwischen Grundart und Aberration. Verschiedene Versuche der Kreuzung der Grundart mit einer durch allmähliche Verschiebung entstandenen Lokalrasse ergaben das Resultat, dass Reihen von Zwischenformen entstehen. Kreuzungen der Grundart aber mit unter der Grundart plötzlich, sprungweise entstandenen Aberrationen ergaben in vielen Fällen keine Zwischenformen, sondern Grundart und Aberration. Standfuss berichtet von Schmetterlingen, die in einer sehr energisch Platz greifenden Umgestaltung zu einer besseren Schutz bietenden Färbung begriffen sind. In diesem Falle befindet sich z. B. die Nonne, Psilura monacha. Von Norden her gegen den Süden fortschreitend, wandelt sie sich immer mehr aus der normalen, überwiegend weißlichen zu einer mehr und mehr geschwärzten Form um, welche wesentlich geschützter ist. Aehnlich verhält sich Amphidasis betularius, bei welcher die vor 30 Jahren nur aus Großbritannien bekannte aberratio doubledayaria sich in Deutsch- land immer weiter verbreitet und die Grundform zu verdrängen beginnt. Standfuss gegen Weismann. Standfuss ist überzeugt von der Vererbbarkeit durch äussere Einflüsse auf den erwachsenen Körper hervor- gerufener Veränderungen und er führt für seine Ansicht und gegen die Weismann’sche Theorie eine Reihe von Wahrscheinlichkeitsgründen an, die alle Beachtung verdienen. Von besonderem Werte erscheinen ihm die oben besprochenen Resultate der Wärme- und Kälteversuche. Wenn durch Einwirkung extremer Temperaturen atavistische oder progressive Formen erzeugt werden, so müssen wir annehmen, dass in der freien Natur entsprechende, doch in geringerem Maße einwirkende Faktoren ähnliche aber sehr geringfügige Veränderungen hervorgerufen haben oder hervorrufen werden, die sich im Verlaufe einer sehr großen Anzahl von Generationen durch Vererbung summiert haben oder summieren werden. Standfuss legt großes Gewicht darauf, dass experimentell Formen hervorgerufen werden können, welche unzweifelhaft bessere Schutzfarben aufweisen als die gegenwärtig lebenden Typen der betreffenden Arten. Er zeigt dies bei Vanessa- und Dasychira-Arten und er fragt, warum hat sich die nach Weismann allmächtige natürliche Zuchtwahl dieser Formen nicht bemächtigt? Nach Standfuss sind diese Formen in der Natur nicht oder nicht mehr vorhanden, weil die entsprechenden Einflüsse in der That gegenwärtig nicht erfolgen. Standfuss leugnet das Wirken der natürlichen Zuchtwahl in keiner Weise, aber sie wirkt auf der Basis der in der Wechselwirkung zwischen Organismus und Außenwelt in diesem liervorgerufenen Variationen. Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 523 Weismann kommt es im Interesse seiner 'Theorie sehr gelegen, wenn Färbungen und Zeichnungen als nützliche Anpassungserscheinungen nachgewiesen werden können. Als einen der Fälle, die sich einer solchen Betrachtungsweise nicht fügen, hatte Weismann früher Vanessa levana mit ihrer Sommergeneration prorsa bezeichnet. Im der neueren Schrift aber: „Aeußere Einflüsse als Entwicklungsreize“ ist er geneigt, zu bezweifeln, dass eine so totale Umgestaltung der Farbe und Zeichnung, wie sie bei der Sommerform prorsa eingetreten ist, nur auf der Wirkung höherer 'T’empe- ratur beruhen kann. Er denkt jetzt vielmehr an Mimiery und fasst die Möglichkeit bestimmter ins Auge, dass die Sommerform prorsa auf Nach- ahmung der Limenitis sibylla beruhen könnte. Standfuss bestreitet das auf das Entschiedenste. Erstens ist nach ihm Limenitis sibylla überhaupt nicht geschützt. Sie wird von „unseren sämtlichen gemeinen, insektenfressenden Vögeln: Turdus-, Rutieilla-, Sylvia- Spezies etc. sehr gern verzehrt“. Zweitens bemerkt Standfuss, dass er selbst auf eine sehr bedeutende Entfernung hin jede Limenitis sibylla, „die doch sehr erheblich größer ist und andere Flugmanieren und Ge- wohnheiten hat als Vanessa lerana var. prorsa“, sicher von letzterer zu unterscheiden vermag. Beiläufig sagt er, dass doch die mimetische Art wesentlich seltener als die geschützte sein sollte, sonst würde eine Täuschung der Verfolger auf die Dauer nicht gelingen. Auch dies treffe nach seinen Beobachtungen in diesem Falle nicht zu. In einem Punkte scheint es mir, dass Standfuss Weismann miss- verstanden hat, wenn er nämlich diesem Forscher die Ansicht zuschreibt, dass Veränderungen in der Färbung direkt durch Einwirkung veränderter Temperaturen hervorgerufen sein können. Weismann nimmt dies even- tuell und speziell nur in dem Sinne an, dass die betreffenden Einwirkungen auch adaequate Veränderungen im Keimplasma bewirkten, leugnet aber hier wie überall anderswo, dass an der Peripherie des Körpers erzeugte, somatische Veränderungen in entsprechender Weise auf die in den Fort- pflanzungszellen enthaltenen Anlagen rückwirken können. Von großer Bedeutung für die 'Theorie der Vererbung sind Stand- fuss’ Beobachtungen über die experimentelle Erzeugung neuer, progressiver Formen, die niemals existiert haben. Hier wäre das Experiment fortzu- setzen, es wären diese Formen durch mehrere Generationen weiter zu züchten um zu konstatieren, ob überhaupt und in welchem Maße die durch Einwirkung erhöhter oder herabgesetzter Tempe- ratur hervorgerufenen neuen Merkmale vererbt werden. Nie- mand ist für die Ausführung solcher Versuche berufener als Standfuss selbst und ich möchte ihn lebhaft dazu aufmuntern. Ihr Wert wird nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass man, falls sich die Erblichkeit in irgend einem Grade herausstellt, die Behauptung aufstellen wird, die Ein- wirkungen haben in mehr oder minder adaequater Weise auch auf das Keimplasma und nicht ausschließlich auf die betreffenden somatischen Regionen des Körpers stattgefunden resp. Veränderungen bewirkt. Die Weismann’sche Theorie ist jetzt formell derart ausgebildet, dass sie sich, das ist ihre größte Stärke und zugleich ihre größte Schwäche, ex perimentell nicht wird widerlegen lassen. Es wird ihr immer wieder eine Hilfshypothese, wie die der adaequaten Einwirkung äußerer Einflüsse auf Bestandteile des Keimplasmas, hinzugefügt werden können und man wird 594 Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. allerdings — auch im vorliegenden Falle — die größte Mühe haben, sich einen Versuch auszudenken, bei welchem die Einwirkung auf das Soma sorgfältig und reinlich von der auf die Fortpflanzungszellen gesondert werden könnte. Für die Erblichkeit durch 'Temperaturwirkungen auftretender Er- scheinungen führt übrigens Standfuss einige Wahrscheinlichkeitsbeweise an, die sich aus Beobachtungen über Saisontrimorphismus und Saison- dimorphismus ergeben. Ich referiere über eines dieser Argumente: Im heißen Jahre 1893 erfuhren mehrere Falterarten eine überaus beschleunigte Entwickelung. Bei Standfuss’ Zuchten schlüpften u. a. viele Falter von Dasychira abietis Schiff. schon im August 1893 anstatt im Juni und Juli 1894 aus. „Dasychira abietis pflanzte sich in dieser, ver- slichen mit der normalen, sichtlich kleineren und lichteren Form auch fort und ergab im Jahre 1894 und im Jahre 1895 abermals eine doppelte Generation in hohem Prozentsatz und von etwa gleicher Beschaffenheit wie 1893. Diese zweimalige Wiederholung der doppelten Generation, welche meines Wissens an den Flugorten der Art niemals beobachtet wurde, erfolgte doch wohl durch Vererbung der im Jahre 1893 erworbenen Eigenschaft, da das Wachstum der Raupen in den Jahren 1894 und 1895 keineswegs in irgendwie außergewöhnliche Temperatur fiel.“ Sehr beachtenswert sind ferner folgende Beobachtungen und Re- flexionen. In einer leider von den Zoologen zu wenig beachteten Schrift über „die Beziehungen zwischen Färbung und Lebensgewohnheiten der Schmetterlinge“ hat Standfuss 1894 die Anordnung und Verteilung der Färbung an den gedeckten und ungedeckten Teilen der Vorder- und Hinter- flügel, an ihrer Ober- und Unterseite erklärt. Bei vielen Arten von Heteroceren ist die Ruhestellung der Flügel so, dass sie dachförmig den Körper bedecken, wobei zu gleicher Zeit der Hinterflügel vom Vorderflügel bedeckt ist. Die Oberseite der Vorderflügel zeigt dann Schutzfärbung, während der bedeckte Hinterflügel eine durchaus andere Färbung zeigt. Nun ist häufig der Hinterfligel vom Vorderflügel in der Ruhestellung nicht vollständig bedeckt, sondern es ragen die Hinterflügel, etwa an der Dorsalecke, ein Stück weit frei und unbedeckt über den Vorderflügel vor. Der Hinterflügel zeigt dann an diesem Stück, genau soweit er unbedeckt ist, scharfabgeschnitten, dieselbe Schutzfärbung wie die der Oberseite des Vorderflügels. Dieses Stück oder diese Stelle ist oft so winzig klein (bis herunter zu 1 mm), dass man schlechterdings, so meint Standfuss, nicht einsieht, wie ihre Schutzfärbung nützlich sein und durch Zuchtwahl erklärt werden könne. Auch sei das Verhalten so absolut und ausschließ- lich auf die Ruhestellung der betreffenden Falter eingerichtet, dass es nur bei dieser Stellung entstanden sein könne. Ein Rest einer ursprünglich auf die ganze Oberfläche des Hinterflügels ausgedehnten Färbung könne es nicht sein. Standfuss verweist auf die Otto Wiener’sche Abhand- lung (Annalen der Physik und Chemie, Leipzig 1895), in welcher nach- gewiesen wird, dass es möglich ist, dass farbige Beleuchtung in geeigneten Stoffen übereinstimmende Körperfarben erzeugt. Er hält diesen Nachweis für außerordentlich wichtig mit Bezug auf die Erklärung sympathischer Färbung. In unserem speziellen Falle würde sich die Färbung der be- treffenden, unbedecekten, winzig kleinen Flügelstelle, falls hier wirklich Standfuss, Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 525 „Farbenphotographie“ des Organismus vorliegt, sehr einfach erklären. Die Einwirkung würde ja auf alle freiliegenden, beleuchteten Teile der Flügel (ganze Oberseite des Vorderflügels, Dorsalecke des Hinterflügels) dieselbe sein und dieselbe Wirkung haben. Es wäre deshalb anzunehmen, dass sich diese spezielle Färbung ursprünglich an dem fertigen Falter allmählich herausgestellt hat und dass dann diese Eigentümlichkeit von der Peripherie centripetal auf irgend eine Weise in die Geschlechtszellen, in die Vererbungssubstanz übertragen worden und von hier aus auf die Nachkommen gelangt sei, bei denen dann allerdings der Falter diese Färbungsverhältnisse schon aus der Puppe mitbringt. Zum Schlusse sei der Wunsch ausgesprechen, es möchte Stand- fuss in einer neuen Auflage seines Handbuches auch die Resultate seiner Untersuchungen über „die Beziehungen zwischen Färbung und Lebensgewohnheit bei den paläarktischen Großschmetterlingen (Vierteljahrs- schrift der naturf. Gesellsch. in Zürich, 39. Jahrg., 1894) mitteilen und durch einige farbige Bilder illustrieren. Was Standfuss da ermittelt hat, ist wohl weitaus das Beste und Vollkommenste, was auf dem Gebiete der Färbung und Zeichnung der Tiere je geleistet worden ist, dabei oft so verblüffend einfach und unmittelbar einleuchtend, dass man an das Ei des Columbus denken und sich verwundert fragen muss, wie es denn mög- lich sei, dass solche Dinge von keinem aus der Legion der Sammler bis jetzt beobachtet und verstanden worden sind. Für eine neue Auflage möchten wir dem Verfasser hier und da eine größere Uebersichtlichkeit, eine etwas andere Anordnung des Stoffes und gelegentlich auch eine knappere Darstellungsweise empfehlen. In einzelnen Abschnitten ist die allgemein zoologische Litteratur zu wenig berücksichtigt. Ich will daraus freilich dem Verfasser, dessen Zeit und Kräfte durch die ausgedehnten, mühseligen und zeitraubenden Experimente bis an die äußerste Grenze in Anspruch genommen wurden, keinen Vorwurf machen, um so weniger als die Vernachlässigung auf Gegenseitigkeit beruht. Wir empfehlen das Standfuss’sche Werk, das übrigens von den verschiedensten und kompetentesten Seiten schon die vollste Anerkennung gefunden hat, nicht nur den Sammlern, sondern auch allen Zoologen, die sich für Biologie, Artbildung, 'Tiergeographie, Bedeutung der Färbung und Zeichnung, die Probleme der Vererbung u. s. w. interessieren auf das Wärmste zum eingehenden Studium. Keiner wird es ohne das Gefühl aus der Hand legen, reichen wissenschaftlichen Gewinn und mannigfaltige Anregungen empfangen zu haben. Das Buch gereicht in seiner schönen Ausstattung auch dem bekannten, großen Verleger, Herrn Dr. Gustav Fischer in Jena zur Ehre. Die prachtvollen Chromolithographien wurden nach den vortrefflichen Vorlagen des wissenschaftlichen Malers und Zeichners, Herın L. Schröter in Zürich von der lithographischen Anstalt von Werner & Winter in Frankfurt a./M. in unübertroffener Weise hergestellt. Arnold Lang. 596 Parker, Vorlesungen über elementare Biologie. J. Parker, Vorlesungen über elementare Biologie. Aut. deutsche Ausgabe von Dr. R. v. Hanstein. Verlag von F. Vieweg und Sohn. Braunschweig 1895. Preis 8 Mark. Die Vorlesungen Parker’s „über elementare Biologie* verfolgen den Zweck die Studierenden an Hand von Einzeldarstellungen aus dem Pflanzen- und Tierreich in die Biologie einzuführen. Ueber die Gesichtspunkte, die den Verfasser leiteten, spricht er sich in folgenden Worten aus: „Was die allgemeine Behandlung des Gegenstandes anbetrifft, so haben mich dabei 3 Grundsätze geleitet. Erstens der, dass das Hauptziel des biologischen Unterrichtes, als Teils der wissenschaftlichen Bildung das ist, den Studenten nicht sowohl mit den Thatsachen, als mit den Ideen der Wissenschaft bekannt zu machen. Zweitens, dass diese Ideen, wenigstens von Anfängern, am besten verstanden werden, wenn sie in Verbindung mit konkreten Typen des Tier- und Pflanzen- reiches studiert werden. Und drittens, dass die ausgewählten Typen ohne unnötige Komplikation gerade die besondere Organisationsstufe veranschau- lichen sollen, als deren typische Vertreter sie ausgewählt wurden und dass in einen elementaren Kurs für Ausnahmefälle kein Platz ist“. Dabei zeigt sich ein an sich gewiss in höchstem Maße rühmenswertes Streben die biologische Nomenklatur zu vereinfachen in erster Linie dadurch, dass für die Vertreter des Pflanzen- und Tierreiches gleichmäßige termino- logische Bezeichnungen gewählt werden. Alle der Benennungen werden nun kaum als Vereinfachungen empfunden werden, da sie zum Teil neu sind, zum Teil eingebürgerte im einen oder im anderen Reiche durch solche verdrängt werden sollen, welche nur in einseitiger Anwendung üblich sind. Die Tendenz ist aber, trotz dieser kleinen Unzukömmlichkeiten insofern sehr zu begrüßen, als sie im Zeitalter der internationalen Kongresse und Ab- machungen vielleicht einmal den Anstoß zu einer internationalen Regelung dieser Frage gibt. Wäre es doch gewiss ein eben so vernünftiges als humanes Streben der Gelehrten, die zumeist zugleich auch Lehrer sind, das rein ge- dächtnismäßige, das den Studierenden zugemutet werden muss, nicht durch unnötige Komplikation der Nomenklatur zu belasten. In 30 Vorlesungen entledigt sich der Verfasser der gestellten Aufgabe. Der I. Abschnitt, die einfacheren einzelligen Organismen und die denselben gleichwertigen Elemente der höheren Organismen, umfasst 9 Vorlesungen. Es sind Monographien von Protisten wie Amoeba, Haematococcus, Heteromita, Euglena, Protomyxa, Mycetozoen, Bakterien, Saccharomyces. Zwischen sie oder an sie anlehnend sind als Darlegungen allgemeiner Natur behandelt eine Vergleichung dieser niederen Organismen mit gewissen Bestandteilen der höheren Pflanzen und Tieren, ferner die Erörterungen über Biogenesis und Abiogenesis, Homogenesis und Heterogenesis. Die Wahl der Typen wurde durch die Rücksicht bestimmt, alle wich- tigeren Modifikationen des Baues und der wesentlichsten physiologischen Pro- zesse bei Pflanzen und Tieren zu veranschaulichen. Durch die Einschaltung von Exkursen über allgemeine Prinzipien war eine völlig zasammehängende Darstellung der allgemeinen Prinzipien der Biologie zu erreichen. Diese Ge- sichtspunkte bedingen es, dass gerade Repräsentanten der Protisten in größerer Zahl behandelt werden, bei deren Schilderung ja eine Reihe fundamentaler Begriffe der Biologie zu entwickeln ist. Parker, Vorlesungen über elementare Biologie. 527 Von Huxley wurde, entgegen seinen eigenen ursprünglichen Anschau- ungen der Gedanke verfochten, dass das Studium der organischen Natur mit den höhern Formen des Tierreiches begonnen werden sollte. Er hält dafür, dass es unzweckmäßig sei, den Anfänger sogleich in das ihm neue, fremde Gebiet des mikroskopischen Lebens einzuführen, dass die Darstellung zweck- mäßiger dort anknüpfe, wo auch der Anfänger bereits einige Kenntnis besitzen muss, mit der elementaren Anatomie und Physiologie eines Wirbeltieres. Dass sich Verf. dadurch nicht bestimmen ließ von seinem Wege, welcher der Fortschritt vom einfachen zum komplizierten, das Aufsteigen von den Pro- tisten zu den höhern Pflanzen und Tieren ist, nicht abbringen ließ, begrüßen wir sehr. Denn wenn man Huxley’s Grundsatz für jene Stufe beipflichten wird, welcher die Formen pflanzlichen und tierischen Lebens zum ersten Male nahe gebracht werden, so ist wenigstens für unsere deutschen Verhältnisse diese Bekanntschaft mit der Lebewelt auf der Mittelschulstufe doch so weit gediehen, dass die für den Studierenden bestimmten Vorlesungen Parker’s sicherlich die richtige Gruppierung zeigen, welche eben allein eine logische Entwicklung der Materie gestattet. Der II. Abschnitt, die Vorlesungen XI—XVII umfassend, entwickelt eben- falls zum großen Teil an Hand monographischer Darstellungen einzelliger Organismen, welche eine beträchtliche Komplikation des Baues vereint mit physiologischer Arbeitsteilung zeigen, die Prinzipien der Differenzierung und zwar a) Komplikation auf Differenzierung im Zellkörper beruhend (Paramaecium, Stylonychia, Oxytricha, Opalina, Vorticella, Zoothamnium). Im Anschluss daran werden der Artbegriff, die Entstehung der Arten, die Prinzipien der Klassifikation behandelt. b) Komplikation auf Differenzierungen der Zellwand oder dem Auftreten von Skelettbildungen im Protoplasma beruhend (Foraminiferen, Radio- larien, Diatomeen). ce) Komplikation auf einfacher Verlängerung oder Verzweigung der Zelle beruhend (Mucor, Vaucheria, Caulerpa). Daran anschließend behandelt Verf. die unterscheidenden Merkmale von Tier und Pflanze. Dem III. Abschnitt (Vorlesung XVIII—XX) werden Organismen zu Grunde gelegt, deren Komplikation auf der Mehrzelligkeit bei fehlender oder nur ge- ringer Zelldifferenzierung beruht. Die. 3 Vorlesungen sind den dreierlei Zell- aggregatformen gewidmet, der linearen (Penicillium, Agaricus, Spirogyra), dem flächenhaften (Monostroma), der körperlichen (Ulva, Laminaria). Der IV. Abschnitt (Vorlesung XXI--XXIV) ist den körperlichen Zell- aggregaten gewidmet, deren Komplikation sich durch ein beschränktes Maß von Zelldifferenzierung erhöht. XNitella, Hydra, Hydroidpolypen sind die Para- digmen. Den Abschnitt beschließt eine das Wesen der geschlechtlichen Fort- pflanzung schildernde Vorlesung (Spermatogenesis und Oogenesis, Reifung und Befruchtung des Eies; Beziehungen zwischen einzelligen und zweischichtigen Tieren). Im V. Abschnitt, der die Vorlesungen XXV— XXX umfasst, bilden die körperlichen Zellaggregate, in welchen Zelldifferenzierungen begleitet von Zell- fusionen einen wesentlichen Anteil an der großen Komplikation des ausgebil- deten Organismus haben, die Ausgangspunkte für die biologischen Erörterungen. Eine monographische Darstellung des Polygordius leitet den Abschnitt ein. Es folgt eine ebenfalls auf Darstellung von Typen fußende allgemeine Charak- 528 Bauer, Vogeleier, teristik der höheren Tiere (Seestern, Krebs, Muschel, Hundshai). In analoger Weise wird die Pflanzenwelt entwickelt. Den Abschluss bildet ein vorzügliches Register und Glossarium. 88 Abbildungen bilden eine, wie es von dieser Verlagsbuchhandlung übrigens zu erwarten ist, treffliche Erläuterung und Ergänzung des überaus klaren Textes, der auch in der Uebersetzung keine Härten zeigt. Unsere biologische Litteratur ist wohl nicht reich an Werken, die auf gleichbeschränktem Raum (288 Seiten) einen ebenso reichen, belehrenden und anregenden Inhalt zeigen. Das Werk ist so trefflich, dass es gewiss sich schnell auch bei uns einbürgern wird. Denn wer in gründlicher, wissenschaft- licher und doch wieder einfacher Weise mit den Fundamenten der Biologie sich vertraut machen will, wird keinen besseren Führer finden als Parker’s Vorlesungen. Wir möchten vor allem auch den Lehrern der Mittelstufe das Buch em- pfehlen. Sie werden an ihm manche Anregungen empfangen, die der Methodik des Zoologieunterrichtes auf der Mittelschulstufe in hohem Maße förderlich sein müssen. Robert Keller (Winterthur). Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogeleiern. (Fortsetzung; vergl. Bd. XV S. 448.) 2 Eier von der Ente (Anas domestica) wurden 12 Minuten gekocht, wobei eine geringe Menge leicht karamelisierender, nach Zucker riechender organischer Substanz [0,020 g Karamelisiert, 0,010 g Asche (Nall)] diffundiert. Das Eie): wog irisch. ... RT EHRT gleich geköcht .. . a. 2 . een ttoadleg Darın- Dotter- 2 u. 0: 0 er ee lan EIwoll & 20 ee en Due Das andere Ei wog . . u ne ler nach einigen Tagen none. ne unten, nm 0DBLE WOottor, 0... ana er een, Sr EG AH EET BiWoiß., ..: 000. a ee rn Dura SERABIe.. 2%. 2.10 ee ag Mithin 35,43°), Dotter 51,30°/), Eiweiß 9,6°/, Schaale 35,78°], Dotter 50,87°], Eiweiß. Die Ente, deren Ei etwa 25,31 g Dotter, 36,65 g Eiweiß und 6,925 g Schaale nebst Eihaut enthält, legte am 13. Mai ein kleines Ei mit harter grüner Schaale, das ganz aus Eiweiß besteht. Kekocht'wog!es' "Am EU Bu 9 die Schaale wog EDS 2DEE also 19,308 g. D,;o4 Haas N O4 S,. Am 17. wurde wieder ein solches kleines „Wunderei“ gelegt, das fälsch- lich für ein „Rebhuhnei“ gehalten wurde. Dr. R. W. Bauer (Leipzig). Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Öentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI Band. 15. Juli 1896. Nr. 14, Inhalt: Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen (2. Stück). — Wallen- gren, Einige neue ciliate Infusorien. — Roux, Berichtigung zu dem Artikel in Nr. 9 dieses Blattes von H. Driesch über die Maschinentheorie des Lebens. — 79. Versammlung der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft am 2.—5. August 1896 in Zürich. — Internationaler Kongress für Medizin in Moskau 1897. — Notiz. Entwicklungsmechanische Untersuchungen. Von Wilhelm Haacke. I. Ueber numerische Variation typischer Organe und korrelative Mosaikarbeit. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Campanulaceen, Compositen und Ranunculaceen. (2. Stück.) Ich teile nunmehr noch meine Tabellen über die Randblütenzahl der Zweigköpfehen meiner 81 Exemplare von Tanacetum corymbosum mit, indem ich es dem Leser überlasse, daraus seine Schlüsse zu ziehen. In diesen Tabellen steht in der Rubrik O die Randblütenzahl der Ast- köpfehen der verzweigten Aeste, in den Rubriken I, II ete. die Rand- blütenzahl des obersten, bezw. des zweit- ete. -obersten Zweigköpfchens. Jede Horizontalreihe stellt einen Ast dar. 11. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an einem Aste mit 14 Rand- blüten im Astköpfechen. 0. L 10% 11. 14 13 13 13 12. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 15 Randblüten im Astköpfchen 0. I. 11: 15 12 13 15 13 13 15 14 14 15 13 1% xXVl. 34 530 Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. 13. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfchen an Aesten mit 16 Randblüten im Astköpfchen. 0. 1. 1. IM. 16 11 10 = 16 13 = = 16 13 — — 16 13 13 15 16 13 14 = 16 16 14 = 16 Ei 1 15 14. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 17 Randblüten in Astköpfchen. 0. I. II. IH. 17 13 m 2 17 13 = En 17 13 13 zu 17 ? 13 == 17 14 ? 15 17 15 En _ 17 13, 13 15 15. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 18 Randblüten im Astköpfchen. 0 1. II II IV. V vI 18 13 — = = ei - 18 13 13 = - = = 18 13 13 15 = = 18 13 14 16 16 17 = 18 14 16 14 L = _ 18 15 14 - = 2& S 18 15 15 13 _ = — 18 16 15 ar Li — = 18 ? 19 19 20 20 21 18 14 u 15, 18 18,, 21 16. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 19 Randblüten im Astköpfchen. 0. I. IT... SIE IV. 'V. VL: vM. 19 12 15 13 — = ur: 19 13 — — — Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. 31 a I Are oh Agwsh Igrnmilchigtenk ba uk au Ina Oi Fa Belkin Er I AT Eee, > \ ne os Nils a | u ne 19 16 Be Ne TO 2 VA ER 19 16 Tl 19 16 1 — — 19 Ser! 20 227 19 id, 10; 7 20 22 19 17. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 20 Randblüten im Astköpfchen. bel 0. T. I. EI. IV. 20 B — — —_ 20 3 — — — 20 13 — — — 20 13 —. — — 20 13 _- — — 20 B — _— _ 20 14 3 - — 20 15 15 u — 20 15 1 — -— 20 16 — — — 20 16 15 — — 20 16 14 — — 20 16 14 — ai 20 16 18 — 20 16 20 2a 21 20 18 20 21 18 20 19 18 20 19 18 — _ı 20 15,98 16,18 21 19 18. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 21 Randblüten im Astköpfehen und 13 Randblüten im obersten Zweigköpfchen. 0. 1. IL. TI IV. 21 13 = er Br 21 3 = = — >] 13 13 = = 21 13 14 wi u 21 13 17 a — 21 13 17 15 18 21 13 18 16 = 21 13 18 16 = TOTER 3 Tan 25 18 539 Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. 19. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 21 Randblüten im Astköpfehen und 14 Randblüten im obersten Zweigköpfchen. 0. L II. II. IV. 21 14 es > ie 21 14 13 14 a 21 14 13 16 = 21 14 15 2 u 21 14 15 16 13 21 14 16 16 = 21 14 16 17 Br 21 14 17 u a 21 14 19 16 = 21 14 15,, 1, 13 20. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aessten mit 21 Randblüten im Astköpfehen und 15 Randblüten im obersten Zweigköpfchen. 0. E II: II. 21 15 a — 21 15 = - 21 15 14 17 21 15 15 = 21 15 16 a 21 15 16 = 21 15 17 n 21 15 17 = 21 15 18 _ 21 15 18 16 21 15 18 20 21 15 18 20 21 15 16,, 18), 21. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 21 Randblüten im Astköpfchen und 16 Randblüten im obersten Zweigköpfchen. 0. T. M. IH: 21 16 — — 21 16 — — 21 16 _— — 21 16 — — 21 16 — = 21 16 15 — 21 16 16 — 21 16 20 19 21 16 17 19 Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. 535 22. Tabelle. 2 Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 21 Randblüten im Astköpfchen und 17 Randblüten im obersten Zweigköpfchen. 0. je HM. IH. IV. 21 1 16 _ — 2 17 16 — — 21 17 16 16 — 21 17 17 —_ — 21 17 18 —_ — 21 17 18 _ — 21 17 20 — = 21 7 20 = — 21 17 20 19 19 21 I ? ? = 21 17 ? 18 M 21 ir) BT, 10% 18 23. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen an Aesten mit 21 Randblüten im Astköpfehen und 13—19 Randblüten im obersten Zweigköpfehen. 0. I. 1. 21 18 16 21 18 17 21 18 19 21 18 20 21 18 21 21 19 20 Randblütenanzahl der Ast- 24. Tabelle. Ill. 19 21 20 und Zweigköpfehen an Aesten mit 21 Randblüten im Astköpfehen und 21 (!) Randblüten im obersten Zweigköpfchen. Os 0 1.2 029 SOLLEN A a IV NE VE. Val. 21, 2 2 naeh nl 1 1 1-1]. 0 DIL 2L ©... 2120 2 rn al 2,207 2,,, 20 DO 22 Fu al 2 2 5,20 2 ? ? Sl ‚27 12.20, Van 2 ? 25. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfchen bei einem Ast mit 21 Randblüten im Astköpfchen und 22 Randblüten im obersten Zweigköpfehen und bei einem Ast mit21 Randblüten im Astköpfchen und abgerissenem obersten Zweigköpfchen. 0. IE 21 22 21 % 21 22 1% 21 23 22 534 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 26. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweiköpfehen bei Aesten mit 22 Randblüten im Astköpfchen. 0. T. 11.202 111.2 Vers), VI NIE ENT SEAR 2b ae ee RE), 2 ae Be Bo ae U ee en ee Te ee De ee ee 9a 5, 5 Be a N N ee 92416. 15 BEER | Re Pe 7 Eee a a DD, loan N Er re PR BB a re Een iz Pl CE 2 DI Re 22 18 % 19 20 21 19 20 ? ? 22 18 19 20 21 21 21 20 = — 22 18 19 20 21 21 21 ? 2 _ 22 18 20 20 21 — — — _ 22 19 20 19 21 2 20 21 _= — 22 1) 21 — — — — — 22 19 21 19 20 20 21 22 21 20 _ — =— — — — — 22 21 21 — — — 2 — — — 22 5 5 ? 22 ? _— 22 17,, 18,9. 19, 12 21 20,5: 20,4 20,33 ? ? Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfchen bei Aesten mit 27. Tabelle. im Astköpfchen. 0. 1. 1. IM. 23 15 14 = 23 17 18 = 23 17 21 20 23 18 20 = 23 18 20 = 23 21 a su 23 21 — _ 23 22 - — 23 ? 20 = 23 185 18,5 20 23 Randblüten Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 535 28. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfchen bei Aesten mit 24 Randblüten im Astköpfehen. 0. 1. II. IM. 24 15 = = 24 18 19 21 24 18 19 21 24 20 — = 24 20 15 = 24 20 23 — 24 21 20 _ 24 21 22 21 24 22 19 - 24 22 ? = 24 19,, 19,5: 21 29. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfchen bei Aesten mit 25 Randblüten im Astköpfchen. 0. T. DZ]. EV: iv. VI. VII, VII SEEN 25 1 Br! 21 21 21 21 21 20 ? 2 25 19 21 — — — —_ —_ — — 25 21 21 19 — — — — —— — 25 21 21 19 — — _ — — — 25 21 24 — — — — — — — DE De Ol. en ae pen ae Da 10, 260010, a oa 0 a 30. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfchen bei einem Aste mit 26 Rand- blüten im Astköpfchen. 0. I. I: Il. 26 20 20 23 al. Pabelle Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfehen bei Aesten mit 27 Randblüten im Astköpfchen. 0. T. Bl: 27 21 — 27 21 — 27 21 20 27 21 20 27 21 Er Eög 536 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 32. Tabelle. Randblütenanzahl der Ast- und Zweigköpfchen bei Aesten mit 29 Randblüten im Astköpfchen. 0. E I. 2) 91 23 ER ZEN On N en 29 21, 23 Außer den in diesen Tabellen aufgeführten Aesten fand ich an meinen 81 Exemplaren von Tanacetum corymbosum noch einen, der nicht unterzubringen war; er hatte die Formel: ? 14 16 ? ?. Ich lasse jetzt eine Zusammenstellung der Durchschnittszahlen der Randblüten an den Ast- und Zweigköpfchen folgen, wobei aber für die zahlreichen Aeste mit 21 Randblüten im Astköpfehen nur der Gesamtdurehschnitt gegeben ist und die Dezimalstellen fortgelassen sind: 0. T: IT. 5,111. IV. NV ONDeseVdl 14 115, B) 13 = — =. — 15 135 13 — 0 — 16 13 12 1 = 17 13 13 15 18 14 14 15 18 15 21 -— 19 14 15 16 17 20 22 19 20 15 16 21 19 = — 21 16 17 17 18 2 =. — 22 17 18 19 21 20 20 20 23 18 18 ZUERST —_ = 24 19 19 21 -- _- = = 25 19 21 19 21 21 21 20 26 200220: W253 — — — 27 21 0 — -- _ = 29 21 23 — =. 0 —- — Die Zusammenstellung zeigt trotz mancher Unregelmäßigkeiten gut das Wachsen der Randblütenzahl der Zweigköpfehen mit dem der Astköpfehen. Die Aeste mit 21 Randblüten im Astköpfehen sind in genügender Anzahl vorhanden, um an ihnen zu zeigen, dass die Anzahl der Rand- blüten an den übrigen Zweigköpfehen auch mit der am obersten Zweigköpfehen wächst, wie eine Zusammenstellung der um ihre Dezi- malstellen verminderten Durchschnittszahlen aus den Tabellen 18—25 darthut: 0. I. Ir IM: IN. IN: 21 13 16 12 18 — Dil 14 15 15 13 —_ 21 15 16 18 — es a 16 17 19 21 1 17 17 18 — >21 18 18 20 — — 21 21 21 20 21 22 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 537 Wollte man sich dem Schluss, zu dem uns alle unsere Tabellen zwingen, entziehen, dem Schluss nämlich, dass die Anzahl der Rand- blüten an einem Köpfchen von Tanacetum corymbosum eine Funktion des Ortes ist, und zwar insofern, als von dem Ort die Reichlichkeit der Nahrungszufuhr abhängt, so müsste man mit den alten Präforma- tionstheoretikern wenigstens so weit zusammengehen, als man annehmen müsste, dass die ganze Pflanze im Samenkorn auf die eine oder andere Weise in allen einzelnen Teilen vorgebildet sei. Es würde nicht ge- nügen, sämtliche Blütenköpfehen durch einen gemeinsamen Teil der Keimsubstanz vorgebildet sein zu lassen. Ich will auf die Ungeheuer- lichkeiten, die aus jener Annahme folgen, nicht weiter eingehen, son- dern nur an einigen Thatsachen zeigen, dass von einer unabhängigen Variation der einzelnen Örgankeimchen auch dann keine Rede sein könnte. Ich habe zwei in den obigen Tabellen nicht mitberücksichtigte Exemplare von Tanacetum corymbosum gefunden, die eine teilweise Verdoppelung der Blütenköpfehen aufwiesen. Ueber sie gibt die folgende Tabelle Auskunft, in welcher für die Zahlen, die auch hier die Anzahl der Randblüten angeben, verschiedene Schrifttypen gewählt wurden. Die Zahlen mit den fettesten Typen bedeuten bisquit- oder schuhsohlen- förmige Köpfchen mit zwei Centren; die mit den zweitfettesten Typen geben die Anzahl der Randblüten an von Köpfchen, die elliptisch ge- formt sind und ein langgezogenes Centrum, d.h. an Stelle eines punkt- förmigen ein linienförmiges Centrum haben. Die drittstärksten Zahlen repräsentieren Köpfehen, die nur schwach elliptisch geformt sind. Die schwächsten Zahlen endlich entsprechen gewöhnlichen kreisrunden Köpfehen. Eine 0 bedeutet, dass das betreffende Köpfchen nicht zur Ausbildung gelangt, sondern nur als kleines Knöpfehen vorhanden ist. Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf Zweigköpfehen, während die übrigen Stamm-, bezw. Astköpfchen darstellen. 0. 1 II. II. IV. V. 27 0 26 0 0 30 204? 27 33 24 33 30 (21.20) VI. VIE. VID. 30 (0) 30 (22) 25 (19. 23. 22. 0) 36 (18. 22) 17 (21.1610) Die Tabelle zeigt, dass zahlreiche Köpfchen bei den Exemplaren mehr oder weniger verdoppelt sind und deshalb eine so auffallend hohe Anzahl von Randblüten haben. Außerdem fällt noch, namentlich beim ersten Exemplar, die verhältnismäßig große Anzahl verkümmerter Köpfehen (0) auf. Auch das Köpfehen III des zweiten Exemplars hatte Anzeichen der Verkümmerung, ebenso die Köpfehen unter VII, die alle auffallend klein waren. Bei einem dritten Exemplar, dessen Rkandblüten ich nicht gezählt habe, waren 2—3 Köpfchen verdoppelt, die übrigen kümmerlich. 538 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen, Bei diesen Exemplaren hatte also eine Störung der Korrelations- mosaik stattgefunden, in deren Folge sich viele Köpfchen teilweise verdoppelt hatten, andere verkümmert und nur wenige normal geblieben waren. Diese Störung hat offenbar das gemeinsame Keimmaterial sämtlicher Köpfchen einer Pflanze betroffen, und der ganze Organismus erlitt dadurch eine so starke Gefügelockerung, dass die beschriebenen Unregelmäßigkeiten die Folge waren. Aus einer unabhängigen Variation gesonderter Köpfehenkeime in einer in der befruchteten Eizelle prä- formierten Pflanze lassen sich die Unregelmäßigkeiten dagegen nicht verstehn. Dagegen könnten unsere abnormen Exemplare von Tana- cetum corymbosum zu Gunsten einer Präformationstheorie herangezogen werden, die gegenseitige Beeinflussung der Organkeimchen im Gesamt- keime annimmt. Man könnte nämlich annehmen wollen, dass die Keimehen der mehr oder minder verdoppelten Köpfchen den Keimchen der verkümmerten Köpfehen wegen ihrer stärkeren „Assimilationskraft“ gewissermaßen das Futter weggefressen hätten. Im Anschluss daran könnte man das Schwinden von Organen erklären wollen, z.B. das der Hinterbeine der Wale durch die Annahme, dass den Keimehen der Walhinterbeine von benachbarten Keimchen die Nahrung entzogen wurde. Man käme dann, wie es zunächst scheint, über die Schwierig- keit hinweg, die das völlige Schwinden nicht mehr gebrauchter Organe denjenigen bereitet, die alles von der „Naturauslese“ besorgen lassen. Die „Natürliche Zuchtwahl“, so könnte man sagen, sorgt zwar dafür, dass notwendige Organe nicht unter einer gewissen Größe heruntersinken, denn sie beseitigt Individuen, bei denen solches ge- schehen ist. Ist aber ein Organ nicht mehr nötig, dann kann es sich bald vergrößern, bald verkleinern, der „natürlichen Zuchtwahl“ ist das einerlei, nur darf es nicht allzu groß werden, sonst wird das betreffende Individuum, das ein unnützes Organ in unmäßiger Größe produziert, im Kampf ums Dasein vertilgt. Es bleiben also schließlich nur Indi- viduen leben, bei denen das unnütze Organ die Tendenz hat, kleiner zu werden, denn die Individuen mit umgekehrter Tendenz führen end- lich zu Nachkommen mit zu großen unnützen Organen. Die Tendenz eines Organs, sich zu vergrößern oder zu verkleinern, kommt aber daher, dass seine Keimehen entweder anderen die Nahrung rauben oder im Kampf um die Nahrung unterliegen, und so gewissermaßen verhungern. Nun werden aber sowohl die gemästeten Fresskeimehen als auch die mageren Hungerkeimchen nach Gustav Jäger’s Lehre von der Reservierung des Keimprotoplasmas auf die Nachkommen über- tragen. Die Hungerkeimchen setzen hier ihr Hunger- und Mager- werden, die Fresskeimchen ihr Fressen und Fettwerden fort. Es kann nicht ausbleiben, dass sich aus den Hungerkeimchen schließlich nichts mehr entwiekelt, während die Fresskeimehen immer größere Organe produzieren. — Es könnte aber auch nicht ausbleiben, dass dasjenige Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 539 Organ, das sich der tüchtigsten Fresskeimchen erfreut, schließlich allein übrig bleibt oder wenigstens so groß wird, dass der Kampf ums Dasein seinen Träger beseitigt. Das müsste aber zum Aussterben der betreffenden Art führen, denn wir haben ja angenommen, dass der Kampf ums Dasein nur solche Individuen leben lässt, deren unbrauch- bare Organe deshalb schwinden, weil ihren Keimchen von den Nach- barkeimehen die Nahrung entzogen wird. Diese Nachbarkeimchen müssen fort und fort wachsen; eine Umkehr gibt es für sie so wenig wie für die zum Hungern und Schwinden verurteilten. Eine Umkehr wäre nämlich nur dann in jedem Augenblick möglich, wenn die „Assi- milationskraft“ der Keimehen von Elter auf Kind variiert. Die An- nahme einer solchen ungeregelten Variation gibt man aber Preis, wenn man annimmt, dass ein Keimchen, das sich in der einen Generation gemästet hat, in der nächsten noch mehr mästen, dass ein ins Hungern hineingeratene in der folgenden Generation noch mehr hungern muss. Mit dieser Annahme verzichtet man auf die Annahme einer unab- hängigen Variation der Keimchen; diese hat man aber auf Grund der angeblichen unabhängigen Variation der einzelnen Körperteile, durch die man die Präformation ja förmlich bewiesen glaubt, erschlossen. Mit der unabhängigen Variation der einzelnen Körperteile fällt auch die Theorie von der natürlichen Zuchtwahl. Schließlich führt der Kampf der Organkeimchen um die Nahrung zum endlichen Ueberleben eines einzigen Keimcehens, oder wenigstens von Keimchen einer einzigen Art, man müsste denn annehmen, dass verschiedenartige Keimchen gleiche Assimilationskraft besitzen können. Aber dann müssten die verschiedenen Organe des Körpers alle gleich groß werden. Wie wir die Sache auch drehen und wenden mögen, sei es ohne, sei es mit Dialektik, sei diese geschickt oder ungeschickt: Mit der Annahme von Fress- und Hungerkeimchen, von denen die einen immer größere Fresser, die andern immer größere Hungerleider erzeugen, verträgt sich die Präformationslehre und der Darwinismus nicht. Dagegen liegt a priori kein Grund vor, die einzelnen Organ- keimchen so im Gesamtkeime angeordnet sein zu lassen, dass sie je nach ihrer Lage mehr oder weniger gut ernährt werden. Damit gibt man freilich die unabhängige Variation und somit auch den Darwinis- mus preis, aber eine solche Präformationslehre verträgt sich mit der Thatsache, dass der Organismus ein Gleiehgewichtssystem, eine Korre- lationsmosaik ist. Eine Korrelationsmosaik ist gewiss nun auch die Keimzelle, in der wir ja mancherlei verschiedene Dinge unterscheiden können. Damit ist indessen keineswegs gesagt, dass alle Organe, oder auch nur ein einziges, in ihr präformiert sein müssen. Der Bau der Keimzelle, der ja bis jetzt sehr ungenügend bekannt ist, bleibt nach wie vor problematisch, dürfte aber über kurz oder lang die Epigenesis- lehre als richtig darthun. Die von mir mitgeteilten Thatsachen über 540 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. die Köpfenverdoppelung bei Tanacetum corymbosum sprechen jedenfalls zu ihren Gunsten. Noch mehr thun dieses die Thatsachen, welche die Abhängigkeit der Randblütenzahl eines Köpfchen von dessen Lage beweisen. Wollte man aber etwa annehmen, dass die Lage und Rand- blütenzahl der Köpfehen schon im Keime präformiert ist, so müsste man ähnliches auch wohl bei andern Pflanzen thun. Dann würde aber z.B. bei Coniferen aus einem Seitentrieb, wie es doch thatsächlich bei abgeschnittenem Gipfeltrieb geschieht, kein Gipfeltrieb werden können, es sei denn, man wolle Reservekeimehen annehmen und sich damit in immer größere Schwierigkeiten verwickeln. Die Schwierigkeiten, mit denen die Präformationstheorie zu kämpfen hat, sind in der That so endlos, dass ich gern auf diese Theorie verzichten würde, auch wenn es keine bessere gäbe. Sehr ungefügig der Präformationstheorie gegenüber ist auch eine noch nicht mitgeteilte Thatsache, die ich bei Tanacetum corymbosum und namentlich bei einer andern Komposite, Anthemis tinetoria L., ermittelt habe. Ein Exemplar von Tanacetum corymbosum trug 2 Blüten- köpfehen, an denen die meisten Randblüten am Grunde zu einer Röhre umgebildet waren. An einem dritten Köpfehen waren nicht die meisten, aber immer noch viele Randblüten am Grunde röhrig; bei einem vierten und fünften Köpfchen jedoch nur je eine Randblüte, bei den übrigen fünf Köpfehen endlich gar keine. Es gab also verschiedene Arten von Köpfchen an der Pflanze und verschiedene Arten von Randblüten in fünf Köpfehen. Als Präformationstheoretiker müsste man auch auf Grund dieses Befundes annehmen, dass die Köpfehen und Blüten einzeln im Keime vorgebildet seien, eine Annahme, die auf unüberwindliche Schwierigkeiten stößt, wenn man sie auf alle möglichen Pflanzen an- zuwenden sucht. Man könnte hier nun einwerfen, dass die mitgeteilte Thatsache auch nicht sehr zu Gunsten der Annahme eines für alle Köpfehen gleichen Keimmateriales spräche. Das scheint indessen nur so. Die am Grunde zu einer Röhre verwachsenen Randblüten sind Miss- bildungen. Sie lassen auf eine Störung des Organismus schließen, wie es die Doppelköpfehen thaten, die, wie ich in einer späteren Unter- suchung zu zeigen hoffe, nicht sowohl als Verdoppelungen eines Köpf- chens als vielmehr als Verschmelzungen aus zweien, oder, richtiger, als Produkte einer unterbliebenen Trennung von Köpfchen, die normaler- weise getrennt sein sollten, aufzufassen sind. Störungen des Organismus haben aber Gefügelockerung, gewissermaßen Anarchie der Organe, zur Folge. Infolge dessen zeigen diese ein ungeregeltes Verhalten. Des- halb haben bei unseren Exemplaren von Tanacetum corymbosum die einen Köpfehen lauter normale Randblüten, die andern nicht; deshalb sind ferner an den nicht normalen Köpfchen die Randblüten teils normal, teils nicht. Es ist nun aber doch beachtenswert, dass alle Köpfehen mit abnormen Randblüten auf zwei benachbarten Aesten Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 54 stehen, und dass sich an diesen Aesten keine andern Köpfehen be- finden, ferner, dass die beiden Köpfehen mit je einer röhrigen Rand- blüte zusammen auf einem Aste, und die übrigen drei, die mehr ab- norme Randblüten haben, zusammen auf einem andern Aste stehen, endlich, dass die beiden Köpfehen mit fast lauter röhrigen Randblüten dicht benachbart sind. Trotz der Anarchie zeigt sich also hier doch ein gemeinsames Variieren benachbarter Teile, wie es ja auf Grund unserer Anschauungen von vornherein anzunehmen ist und auch sonst vorkommt. Hier sei nur noch des oben erwähnten zweiten Falles einer röhrigen Verwachsung der Randblüten gedacht. Bei einem Exemplar von Anthemis tinctoria waren sämtliche Köpfchen abnorm, wenn auch nicht alle Randblüten zu Röhren verwachsen waren. Die Verwachsung ging hier auch weiter als bei Tanacetum corymbosum, denn die Blüten waren meistens ihrer ganzen Länge nach zu Röhren umgebildet !). Mit Rücksicht auf das Vorhergehende ist es nun be- sonders interessant, dass die meistens röhrigen Randblüten benachbart waren. Ich lasse hier ein Schema sämtlicher Köpfchen folgen, in welchem die normalen Randblüten durch Striche, die abnormen durch Punkte repräsentiert sind, und jede Horizontalreihe das Schema für ein Köpfchen darstellt. Re Bee a a a Das Schema zeigt außerdem, dass der Präformismus auch hier wieder eine Vorbildung jedes Köpfehens und jeder Blüte annehmen muss, denn die Schemata für die einzelnen Köpfchen können ‚nicht zur Deckung gebracht werden, wie man sie, die eigentlich kreisförmig dargestellt sein sollten, auch gegen einander verschieben mag. Wie 1) Aber nicht etwa auf dem Wege des Rückschlags, wie ich in einer andern Untersuchung zu zeigen gedenke. 2) Bei diesem Köpfchen scheinen etliche Blüten zu fehlen. 542 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. sich nun der Präformismus mit der Notwendigkeit abfinden will, eine Vorbildung sämtlicher Köpfehen und Blüten im Keime anzunehmen, ist seine Sache. Es wäre doch wohl nicht billig, von uns Gegnern des Präformismus zu verlangen, für diesen die Kastanien aus dem Feuer zu holen, uns zuzurufen: „Man sage nicht von vornherein: so Etwas kann nicht sein!“ Zu beweisen, dass es so sein kann, liegt vielmehr den Herren selbst ob. Uebrigens habe ich längst nachgewiesen, dass der Präformismus schlechterdings unmöglich ist, nicht von vorn- herein, sondern auf Grund einer Kritik, die bis jetzt bei weitem die eingehendste ist, die über den Präformismus vorliegt, und nach der andere Kritiken eigentlich hätten überflüssig sein sollen (vergl. „Ge- staltung und Vererbung“, Leipzig 1893). Ich habe oben gesagt, dass die Blütenköpfehen von Tanacetum corymbosum je nach ihrer Stellung an der Pflanze verschieden stark ernährt werden. Das dem so sei, lässt sich auf Grund der Gliederung der Pflanze von vornherein annehmen. Indessen wird es auch durch Wägungen bestätigt. 34 Stammköpfehen wogen zusammen 10, also durchschnittlich 0,29, 121 hatten ein Gesammtgewicht von 270, also ein Durchschnittsgewicht von 0,22 Gramm. Die Anzahl der Strahlen- blüten wächst also mit dem Gewicht der Köpfchen; dieses hängt aber doch wohl von der Ernährung ab. Bei einer andern Composite, Chrysanthemum leucanthemum L., die aber in der Regel nur ein einziges Blütenköpfehen trägt, ist es ähn- lich. Ich zählte die Randblüten an 884 Köpfchen und erhielt dadurch folgende Tabelle, in welcher die obere Reihe die Anzahl der Rand- blüten, die untere die der Exemplare mit der in der oberen angegebenen Randblütenanzahl angibt: 3.210. 411. 12.213.714. 15. 16.16.48. 19:20. 721. 22.23.2425 726 224.0 5 17..19% 17. 12:16. 18..392'69.) 175. 31.262 49220747: 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.35. 36. 37... 38. 39. 40. 31. 28. 24.30. 24. 232.2]. 29.1126. 70. 1: 0271. Dieser Tabelle würde eine Kurve entsprechen, die bei 21 gipfelt und dann stark und ziemlich symmetrisch nach beiden Seiten abfällt. Man könnte aus ihr den Schluss ziehen wollen, dass die Randblüten- anzahl bei Ohrysanthemum leucanthemum ziemlich gleichmäßig um eine mittlere Zahl nach beiden hin schwankt, dass hier also ungeregelte Variation stattfindet. Dieser Schluss wäre aber ein voreiliger. Denn die Anzahl der Randblüten geht bei Chrysanthemum leucanthemum Hand in Hand mit der Größe der Pflanze und dem Gewicht und Scheibendurchmesser der Köpfehen. 42 Köpfchen, jedes mit über 30 Randblüten, wogen zusammen 20, also durchschnittlich 0,475; 213 mit 21—30 Randblüten zusammen 85, also durchschnittlich 0,399; 87 mit 20 und weniger Randblüten zusammen 20, also durchschnittlich Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 543 0,229 Gramm. Aus weit über 200 Exemplaren suchte ich 100 Exem- plare, deren Köpfchen zusammen 16 g wogen, und deren Scheiben- durchmesser von 12—5 mm hin stetig abnahm, aus und zählte ihre Randblüten. Ich erhielt folgende Tabelle: 91018 22152322 19. 16. 17. 1829.20. 21.722. 23.24.25: 2, 12:0. 748 12.012.4> "4..°3.: 032208. 01: 22. TO. O0. 2% 26. 27. 28, 29. 30. 31. 070. 12,10: Aus jenem Haufen von weit über 200 Exemplaren suchte ich ferner 100 Pflanzen mit möglichst großen Köpfehen aus. Diese wogen zu- sammen 50 g, und ihr Scheibendurchmesser nahm von 12—21 mm stetig zu. Es ergab sich folgende Randblütentabelle: 18.5 19920.21.22.23.324: 25526,27928.29.1805 312325331 34733. E28. 4217. 8.008: 25. 2A 7 04. A, 20 1 a A le In beiden Tabellen liegt der Gipfel der Kurve zwar bei 21, aber die zweite ist stark unsymmetrisch und geht nur bis zu 18 hinunter, dagegen bis zu 35 hinauf, während die erste bis 9 hinunter und nur bis 31 hinaufgeht. Bei den ersten 100 Exemplaren hatte das kleinste Köpfchen 75, das größte 250, bei den zweiten das kleinste 244, das größte 460 Scheiben- blüten. Die Anzahl der Scheibenblüten variiert also auch mit der Größe der Exemplare. Diese aber wird von ihrem Alter, denn Chry- santhemum leucanthemum ist eine perennierende Pflanze, und von der mehr oder minder guten Ernährung abhängen. Letztere scheint auf manchen Aeckern und Wiesen eine besonders günstige zu sein. 1083 aufs Geratewohl gepflückte Exemplare von einem Felde oberhalb Lichten- hain bei Jena ergaben folgende Tabelle: 21.22. 23.24. 25.20. 121.,28..29730731. 32. 33.,34. 35..36. Aal 14.00.5801. 0. 0: Koeln Be 12 97 nor Hier liegt der Gipfel der Kurve bei 33, und die Kurve beginnt da, wo sonst der Gipfel liegt, nämlich bei 21. Aehnliche Resultate erhielt ich bei einer andern Composite, Anthe- mis arvensis. Hier ergab schon der bloße Augenschein, dass manche Aecker bei Jena üppigere Exemplare trugen als andere, und dasselbe galt für die darauf befindlichen Futterkräuter und andere Pflanzen, z. B. Adonis. Im allgemeinen sind die strahlenblütenreichen Köpfchen groß, die -armen klein. 100 am 17. und 18. Juni 1895 gesammelte, meistens kleine und junge, d. h. erst eben aufgeblüte Köpfchen, deren Mehrzahl jedoch nur dadurch zusammengekommen war, dass sie wegen der geringen Dieke und Festigkeit ihrer Stengel beim Ordnen der Pflanzen abrissen, ergaben folgende Kurve: 12.,13°74. 19. 10. Pieatsseld, «20. 21. 2.513.11. 21.18. 10,897! 5. 5i 544 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. Dagegen erhielt ich von 100 ausgesuchten, alten, d. h. im Ver blühen begriffenen Köpfehen, die wohl mehrjährigen Exemplaren an- gehörten und gleichfalls am 17. und 18. Juni 1895 gesammelt waren, folgende Kurve: 13.14. 15.16: 5..2189719720721 22. DD. "8 Nr. IA: Bei der ersten Kurve liegt der Gipfel bei 15, bei der zweiten bei 20. Hier liegt sie auch bei einer dritten Kurve, die sich aus 100 aus- gesuchten, aber durchaus nicht so großen und nicht so weit im Ver- blühen begriffenen Köpfehen, wie es die der zweiten Kurve waren, ergab. Die Kurve liegt zwischen der ersten und zweiten, aber näher bei der zweiten, eine Lage, die nach dem Mitgeteilten zu erwarten war: 1257413: 14715216. 17.182 197 2072172272322. 2027 1827.254,426°10,32107163316297232 0.50.00 FH: Der Gipfel dieser Kurve liegt, ebenso wie der der zweiten Kurve, bei 20. Dagegen liegt der Gipfel der Kurve sämtlicher 770 von mir untersuchter Köpfehen von Arthemis arvensis bei 19: 12.15. 14.15. 16. 11. 18. 19.20. 21, 22. 23.24.2520: 21.205293 9.280. 64.85:83:787-90.105.793.6627°4. 27 07097 THE Ich bemerke jedoch, dass ich bei dieser Pflanze keinen Unter- schied zwischen den Köpfchen eines Exemplares gemacht habe, was, da die Pflanze oft mehr als ein Köpfchen trägt, eigentlich hätte ge- schehen sollen. Es hätten sich dann vielleicht ähnliche Resultate er- geben, wie bei Tanacetum corymbosum. Wie dem auch sei, die Ab- hängigkeit der Randblütenanzahl von der Ernährung der Köpfchen ist so wie so zweifellos. Meine Untersuchungen über numerische Variation bei Compositen und andern Pflanzen zielten nicht auf das Resultat hin, das im obigen mitgeteilt worden ist. Ich hoffte vielmehr feststellen zu können, dass die Variation in vielen Fällen eine einseitige Richtung hat, und dass die Variationstabellen Kurven ergeben, die an einem Ende gipfeln oder wenigstens stark unsymmetrisch sind, wie solches schon von de Vries bei etlichen Pflanzen gefunden worden war (Hugo de Vries, Ueber halbe Galton-Kurven als Zeichen diskontinuierlicher Variation. Berichte d. deutsch. bot. Ges., XII, 7, 1894). Diese Hoffnung erfüllte sich auch durch die Untersuchung einiger Ranunculaceen. Von Hepatica nobilis Schreber (triloda Gilibert) zählte ich die Perigonblätter an 983 Blüten und erhielt folgende Tabelle: 6. la a8: Il‘. 635. 277. 54. 15. 4. Eine Blüte mit weniger als 6 Perigonblättern fand ich nur einmal, und zwar eine mit deren 5. Hier handelte es sich aber wohl um eine Missbildung, denn die Blüte hatte nur 2 Hüllblätter. Bei Hepatica Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuehungen. 545 nobilis ist die numerische Variation der Perigonblätter also durchaus einseitig. Von Anemone nemorosa L. gilt im Großen und Ganzen das- selbe; unter 205 von mir untersuchten Blüten fanden sich 3 mit 5 Perigon- blättern. Die übrigen ergaben folgende Tabelle: 6.1 ES 185.159 Anemone ranunculoides L. variiert auch nur nach einer Richtung, wie folgende Tabelle der Perigonblätteranzahl bei 129 Blüten zeigt: Di Os 116.10: 00 Ich teile diese Ergebnisse hier mit, weil sie von großer Wichtig- keit für die Beurteilung numerischer Variationen typischer Organe sind. Solche Variationen haben nämlich nicht in allen Fällen dieselbe 3edentung. Bei der Verminderung der Anzahl der Fruchtblätter von Campa- nula glomerata handelt es sich, wie mir schemt, um einen Prozess stammesgeschichtlieher Umbildung. Die meisten Blüten der meisten Pflanzen haben noch 3 Fruchtblätter. Aber an trockenen und sonnigen Standorten haben viele Blüten vieler Pflanzen nur noeh deren 2. Hier wird ein stammesgeschichtlicher Fortschritt dureh Anpassung der Pflanzen an Sonnenhitze und Trockenheit herbeigeführt; der bisherige Stabilitäts- zustand wird verlassen und ein neuer angebahnt. Um Prozesse stammesgeschichtlicher Umbildung handelt es sich wohl auch bei den genannten Ranuneulaceen. Jedoch sind diese Pro- zesse hier nahezu vollendet, d. h. es sind hier sehon die angestrebten Gleiehgewiehtszustände annähernd erreicht worden. Bei Hepatica no- bilis und Anemone nemorosa liegt der Gleichgewichtszustand bei 6, bei A. ranuneuloides bei 5 Perigonblättern. Indessen ist die erreichte Sta- bilität noch keine sehr feste, da noch häufig Blüten mit mehr Perigon- blättern vorkommen. Dass solche Blüten für die Vorfahren unserer drei Pflanzenarten charakteristisch waren, ergibt sich aus einer Ver- gleichung dieser Speeies mit anderen Arten ihrer Gattungen, anderen Ranuneulaceen und anderen Blütenpflanzen als höchst wahrscheinlich. bei Exemplaren unserer Arten mit mehr als 6, beziehungsweise mehr als 5, Perigonblättern handelt es sich also entweder um einen Rück- schlag oder um das, was wir eine stammesgeschichtliche Nachhut nennen können, im Gegensatz zu der stammesgeschiehtlichen Vorhut, die durch die Pflanzen mit vielen zweimarbigen Blüten bei Campanula glomerata dargestellt zu werden scheint. Diese Ergebnisse legen uns die Frage nahe, ob nieht auch unsere Compositen in einem stammesgeschichtlichen Umbildungsprozess be- griffen sind, bei dem eine geringere Anzahl von Randblüten angestrebt wird, eine Frage, die um so näher liegt, als es viele Compositen gibt, XVl. 35 546 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. bei denen die Anzahl der Randblüten, die hier beträchtlich vergrößert sind, sehr stabil ist und nur 5 beträgt. Auf Grund von gewissen Be- funden an Tanacetum corymbosum glaube ich diese Frage bejahen zu sollen. Ich habe nämlich eine Anzahl von Exemplaren gefunden, die zwar sehr kräftig waren, aber nur verhältnismäßig wenige Kandblüten trugen. Diese, die in der Minderzahl vorhanden waren, scheinen mir eine stammesgeschichtliche Vorhut zu bilden. Wir hätten bei ZTuna- cetum corymbosım dann zu unterscheiden zwischen dieser progressiven Variation, die aber auch wohl, wie bei Campanula glomerata, vom Standorte abhängt, und der Abhängigkeit der Anzahl der Randblüten eines Köpfehens von dessen Ort an der Pflanze. Dazu käme vielleicht noch eine Abhängigkeit der Randblütenzahl von dem Alter der Pflanze, denn Tanacetum corymbosum ist perennierend. Bei dieser Art liegt außerdem noch die Frage vor, ob der Reichtum an Aesten und Zweigen in stammesgeschichtlicher Vermehrung oder Verminderung begriffen ist. Ich bin geneigt, das letztere anzunehmen. Ebenso wie bei Tanacetum corymbosum wird auch wohl die Varia- tion der Randblütenanzahl bei den Anthemis-Arten und manchen anderen Compositen zu beurteilen sein. Bei Ohrysanthemum leucanthemum, die nur selten mehr als ein Blütenköpfehen trägt, wird die Anzahl der kandblüten von dem Alter der Pflanze und deren Ernährungszustand abhängen, außerdem aber vielleicht noch in stammesgeschichtlicher Verminderung, wobei die Randblüten vergrößert werden, begriffen sein. Um die hier vorliegen- den Fragen der Lösung näher zu bringen, als ich es vermochte, wären Zuchtversuche auf verschiedenen Bodenarten und in verschiedenen Lagen anzustellen, wobei man nicht bloß die Anzahl und Maße der Randblüten jeder Pflanze, deren Samen man aussät, sondern auch das Alter jeder Pflanze zu notieren hätte. Denn es ist nieht unwahr- scheinlich, dass ältere und deshalb kräftigere Pflanzen Nachkommen mit mehr Randblüten erzeugen, als jüngere. Solche allein zum Ziele führende Experimente sind also keineswegs sehr einfach, sondern im Gegenteil sehr kompliziert; denn es sind dabei alle möglichen Kombi- nationen durchzuführen. Deshalb vermag ich einem immerhin sehr dankenswerten Experiment, neuerdings angestellt von de Vries, dem wir so manche schöne Zuchtversuche verdanken, und der einer der wenigen Direktoren botanischer Gärten ist, die es beherzigen, dass ein botanischer Garten eigentlich auch noch zu andern Dingen da ist, als dazu, Material für botanische Lehrkurse und mikroskopische Unter- suchungen zu liefern, nicht die Beweiskraft beizumessen, die de Vries ihm zuerkannte. de Vries hat nämlich (Hugo de Vries, Eine zwei- gipflige Variationskurve. Archiv f. Entwieklungsmechanik d. Organismen, II. Bd., 1895) Ohrysanthemum segetum L. gezüchtet und aus seinen Er- gebnissen den Schluss gezogen, dass diese Art aus zwei Rassen be- Wallengren, Neue eiliate Infusorien. 547 steht, von denen die handblütenkurve der einen bei 13, die der andern bei 21 gipfelt. Allein er begann seine Zuchtversuche mit gemischtem Samen von verschiedenen Bezugsquellen und legte sich nicht die Frage vor, ob bei Chrysanthemum segetwm die Beschaffenheit des Bodens und Standortes der Vorfahren einer Pflanze nieht von erblichem Einfluss auf die Anzahl der Randblüten ist, insofern als guter Boden und günstiger Standort kräftige Pflanzen mit zahlreichen Randblüten und gutentwickelten Samenkörnern, die wieder kräftige Pflanzen mit zahl- reichen Randblüten geben, erzeugen. So viel ist jedenfalls sicher, dass die Anzahl typischer Organe oft, wenigstens zum Teil, von Einflüssen der Umgebung abhängt, und dass kein Grund vorliegt, an die Vererb- barkeit der Folgen solcher Einflüsse zu zweifeln. “inige neue ciliate Infusorien. Von Hans Wallengren in Lund (Schweden). Während meiner Studien über eiliate Infusorien!), deren Haupt- zweck es war, die feinere Organisation und Entwicklung gewisser Formen ins Reime zu bringen, habe ich einige vorher unbekannte Infusorienformen gefunden, welche ich hier in Kürze zu beschreiben beabsichtige. Chilodochona n. g.?) Während meines Aufenthaltes an der zoologischen Station Kristine- berg in Bohuslän 1802 fand ich zwei Infusorienformen, die ich unter obigem Gattungsnamen zusammengefasst. Die eine derselben wurde zuerst an den Maxillen und Maxillarfüßen einer kleinen Krabbe, Ebalia turnefucta Mont. beobachtet, später fand ieh sie aber in größerer An- zahl an den Mundteilen von Portunus depurator Leach. Von der anderen Form, die vielleicht nur eine Abänderung der erstbesprochenen darstellt, habe ich nur wenige Individuen an den Pedes maxillares der letztgenannten Krabbe beobachtet. Ch. Zvennerstedti?) n. sp. Die Körperform ist von der Ventralseite gesehen länglich abge- rundet und bei geschlossenem Peristom am vorderen Ende halbkreis- förmig abgeschnitten, gegen den hinteren Körperpol etwas verschmälert. Gleich hinter dem Peristom ist der Körper ein wenig eingekniffen und 1) In Acta Reg. Soc. Physiogr. Lund, T. V—VI, 1894 - 95. 2) Genauere Beschreibung in Acta Reg. Soc. Physiogr. Lund, T. VI. 3) Ich habe mir erlaubt die erstbesprochene Form nach meinem Lehrer Herrn Prof. Dr. A. Zvennerstedt in Lund zu benennen, 35* 548 Wallengren, Neue eiliate Infusorien. im aboralen Ende mit einer mehr oder weniger markierten Einstülpung versehen (Fig. 1). Kig, 1. Der Körper ist etwas dorsoventral zusammengedrückt, die eine, ventrale Seite etwas stärker gewölbt als die andere, dorsale. Die Körperlänge von der vorderen Kante des geschlossenen Peristoms zum hinteren Körperpol beträgt 61—113 u; die größte Breite 37—39 u. Das Peristom, welches im vorderen Ende des Körpers liegt, weicht in seinem Bau gänzlich von früher bei eiliaten Infusorien bekannten Verhältnissen ab und ist deshalb von besonders großem Interesse sowie es auch das meist charakteristische im Bau dieser Form bildet. Ganz geöffnet bildet das Peristom einen weiten aber wenig tiefen Trichter, in dessen Grund die kleine Mundöffnung liegt. Der freie Rand ist kreisförmig und verdickt. Man könnte denselben auch hier „Peristom- saum“ nennen, wie Bütschli die äußere Begrenzungslinie des Peristoms bei den Vorticellen genannt, aber die physiologische Bedeutung ist bei Chilodochona eine ganz andere als bei diesen. Wenn das Tier das Peristom schließt, wird die dorsale Lippe aufgerichtet, so dass der Dorsalkontur eine ununterbrochene Bogenlinie bildet (Fig. 2). Die ventrale Lippe wird dagegen über die dorsale eingebogen, und die verdiekten Kanten beider Lippen werden an einander gedrückt. Die Dorsallippe hat hierbei ihre ursprüngliche Form beibehalten, während die Unterlippe gegen die Bauchseite stark konkaviert worden ist (Fig. 1 u. 2). An den lateralen Teilen des geschlossenen Peristoms Wallengren, Neue eiliate Infusorien. 549 stoßen die Lippen zusammen und bilden hier zwei scharfe Winkel oder Ecken. Die Wände des Peristoms sind recht durchsichtig und fein granu- liert und unterscheiden sich in dieser Hinsicht von dem sonst dunkeln und undurehsichtigen, von größeren und kleineren Nahrungsklumpen und Körnern erfüllten Körper. Die innere Seite des Peristoms ist fein bewimpert. Die Cilien sind entweder spiral- oder kreisförmig geordnet (Big: 2). Chilodochona lebt kommensalistisch an den Mundteilen ihres Wirtes, und wenn dieser seine Nahrung zerreisst oder zerquetscht, fängt die Infusorie mittels ihres Peristoms losgerissene Gewebeteilchen und Zellen auf, welche nach der im Grunde des Peristomtrichters liegenden Mund- öffnung heruntergewirbelt werden. Diese steht immer offen und von derselben führt ein ziemlich langer Oesophagus, der näher der Rücken- als Bauchseite dorsalwärts vom Makronucleus verläuft. Er erstreckt sich als eine etwas gebogene höhre ungefähr bis zur Mitte des Körpers, wo er unmerklich im Entoplasma verschwindet. Ich habe keine kontraktile Vacuole beobachtet. Der ganze übrige Körper ist mit einer ziemlich festen Pellieula bekleidet und eine schärfere Grenze zwischen Ekto- und Entoplasma ist nicht vorhanden. Der Makronucleus liegt im Vorderteil des Körpers, da wo dieser gleich hinter dem Peristom zu einem Halsteil ein wenig zusammen- geschnürt ist. Er ist länglich ausgezogen und liegt mit seiner Längenaxe senkrecht gegen die des Körpers. Im Makronueleus kann man ebenso wie bei Heliochona Plate!) und Spirochona St. eine größere chromatin- reichere und eime kleinere chromatinärmere oder mehr homogene Partie unterscheiden. In dieser letzteren treten doch mitunter abgerundete Chromatinkörper auf. Den Mikronucleus habe ich nicht beobachten können, da der Körper gewöhnlich mit mehr oder weniger in Auflösung begrifienen Zellen angefüllt ist, deren Chromatinbestandteile sich auch scharf färben und das Unterscheiden der kleinen Mikronuclei unmöglich machen. Vom hinteren Teil der ventralen Körperseite ein wenig vor dem aboralen Ende geht der ziemlich lange biegsame Stiel aus, durch welehen Chilodochona an ihrem Wirte befestigt ist. Die Länge des Stieles beträgt bis 160 «, die Breite nur ca. 5 w. Um den Ausgangs- punkt desselben herum und bis zum hinteren Körperpol verläuft eine mehr oder weniger markierte Einsenkung. Der Stiel steht ein wenig schräg zum Körper (Fig. 2). 1) H. Wallengren, Studier öfver eiliata Infusorier II. Acta Reg. Soc. Physiogr. Lund, T. VI. 550 Wallengren, Neue eiliate Infusorien. Am proximalen Ende ist die peripherische Schicht des Stieles in äußerst feine Spitzen ausgezogen (Fig. 3). Betrachtet man bei tiefer Einstellung des Mikroskopes den Ausgangspunkt des Stieles von der Dorsalseite, so sieht man diese Stacheln radiär vom Stiel ausstrahlen und einen gezackten Ring bilden. Diese feinen Stacheln zeigen gegen Alkalien und Säuren dieselbe kesistenz wie der Stiel im Ganzen. An dem Punkt, wo der Stiel an der hinteren Körperkante vorbei geht, ist er mıt einem eigentümlichen, regenschirmartigen Gebilde ver- sehen (Fig. 1—5). Dieses besteht aus einem dünnen, durchsichtigen Schirm, der rund um den Stiel herum ausgespreitzt ist, wie der Ueber- zug eines Regenschirms. Die Oeffnung desselben ist nach hinten ge- richtet und hat einen Durchmesser von 7 u. Die Bedeutung dieses Gebildes ist schwer zu ermitteln, da man bei anderen Infusorien nichts ähnliches beobachtet. Vielleicht kann es damit in Zusammenhang stehen, dass Chilodochona an den Mundteilen des Wirtes befestigt ist und deshalb stets von einem aus der Branchialhöhle kommenden kräf- tigen Wasserstrome überströmt wird. Chilodochona muss sich deshalb naturgemäß parallel zur Richtung des Wasserstromes legen und ihren Aboralpol gegen denselben wenden. Dieses regenschirmähnliche Gebilde mag wohl dabei dazu dienen durch seinen Schirm den Strom zu hin- dern mit seiner vollen Kraft den hintern Körperpol zu treffen und da- durch das Tier von seinem Stiel loszureißen. Die Vermehrung geschieht bei Chilodochona durch Knospung. An der ventralen Seite des Tieres, etwas nach links, gerade an der Basis des Peristoms wird das Tochtertier als eine kleine sich gegen die Spitze verschmälernde Knospe angelegt (Fig. 4). Während diese heran- wächst und sich vom Muttertiere abschnürt, wird im vorderen Ende an der Seite, die die Knospe dem Muttertier zuwendet, das Peristom in Form einer ventral offnen, bewimperten, rinnenförmigen Einbuch- Wallengren, Neue eiliate Infusorien. Hy CET tung angelegt. Diese peristomale Bucht schließt sich später, und ehe der Sprössling noch das Mutterindividuum verlassen, hat das Peristom im hauptsächlichen seine definitive Form erreicht (Fig. 5). Die Orientierung des Tochterindividuums zum Muttertiere ist bei Chilo- dochona ebenso wie bei Heliochona und Spirochona eine entgegen- gesetzte, ein Verhältnis, dass diese Formen mit den Vortieellinen gemeinsam haben (Bütschli). Ch. micerochilus n. sp. (2). Die Körperform stimmt mit der Fig. 5. vorigen Art nahe überein, doch scheint diese etwas mehr dorso- ventral abgeplattet zu sein. Die Einsenkung des aboralen Poles ist tiefer und der Winkel des Körpers zum Stiel ist mehr ausgeprägt. Je- doch ist es hauptsächlich das Peri- stom, das eigentümliche und interes- sante Verschiedenheiten aufweist. Die ventrale Lippe ist nämlich sehr schwach entwickelt, beinahe rudi- mentär, und sitzt als ein niedriger Wall an der Basis des bewimperten Peristomfeldes (Fig. 6). Die dorsale Lippe ist dagegen sehr stark ent- wickelt und bildet eine unmittelbare Fortsetzung des Körpers nach vorne, ist gegen die ventrale Seite über- gebogen und auf der Dorsalseite stark gewölbt. Da ich jedoch nur Gelegenheit gehabt von dieser Form eine ge- ringe Zahl von Individuen zu sehen, ist es natürlich recht misslich eine neue Art zu gründen, ich sehe es aber als besser an, durch einen Speciesnamen die Verschiedenheiten hervorzuheben als unter einem &emeinsamen Namen von einander verschiedene Formen zusammenzu- fassen. Möglicherweise ist die vorliegende Form als eine zufällige Hemmungsbildung der vorigen entstanden, oder ist bei einer Ch. Zven- nerstedti die ventrale Lippe durch oft wiederholte Knospenbildung reduziert worden, ebenso wie eine solche Reduktion des Peristoms recht oft bei Spirochona und Heliochona eintreffen kann. Der Platz des Genus Chilodochona im System ist meiner Anschau- ung nach in der Nähe der Gattungen Spirochona Stein und Helio- chona Plate. In verschiedenen Punkten finden sich nämlich Aehnlich- 552 Wallen®ren, Neue ciliate Infusorieu. keiten zwischen diesen Formen, wie in der Bildung des Peristoms, im Bau des Makronueleus, in der Vermehrungsweise und Entwicklung. Ich kann jedoch hier nicht genauer auf diese Verhältnisse eingehen, sondern weise in Betreff auf sowohl diese wie andere damit zusammen- hängende Fragen auf meine ausführlichere Abhandlung über die Gat- tungen Heliochona und Chilodochona hin!!. Von übrigen peritrichen Infusorien weichen diese Gattungen durch so bedeutende Verschieden- heiten ab, dass sie, wenn es gilt ein natürliches System aufzustellen, schwerlich mit diesen zusammengeführt werden können, so wie Bütschli gethan. Ich habe deshalb vorgeschlagen?) die genannten Gattungen mit einigen nahestehenden zu einer gemeinsamen Sektion Chonotricha zusammenzufassen. Die Diagnose derselben teile ich hier mit: Sektion Chonotricha. Große oder mittlere Formen. Langgestreckt oder länglich oval, etwas dorsoventral zusammengedrückt und bilateral symmetrisch. Der Körper entbehrt im Allgemeinen des Cilienkleides und ist wenig oder gar nicht kontraktil. Im vorderen Ende desselben befindet sich das Peristom. Dieses besteht aus einer trichterförmigen Bildung, die nicht eingezogen oder sphinkterförmig zusammengeschnürt werden kann, sondern gewöhnlich unbeweglich und immer offen ist. Mitunter kann ddas Peristom geschlossen werden indem es lippenförmig zusammen- gelest wird. Seine Wände sind dünn und auf der Innenseite mit feinen Cilien bekleidet, mitunter auch mit einem Kranz von Membra- nellen versehen. Das Peristom ist dadurch entstanden, dass sich der vordere Körperteil bei dem jungen Individuum ventral zusammen- gefaltet und seine Kanten dann zusammengewachsen sind. Im Grunde des Peristoms liegt die Mundöffinung; von derselben erstreckt sich ab- wärts ein längerer oder kürzerer, schmaler Oesophagus ohne Gilien. Sie führen sämtlich ein festsitzendes Leben und können weder einen hinteren Cilienkranz entwickeln noch sich von ihrer Unterlage frei machen. Sie sind mittels eines längeren oder kürzeren akontraktilen Stieles befestigt, der subterminal vom hinteren Teil des Körpers aus- scht. Zuweilen ist dieser Stiel sehr kurz oder rudimentär, mitunter fehlt er sogar ganz, und das Individuum ruht auf einem Gallertpolster. Makronueleus einfach abgerundet oder länglich. Sie vermehren sich durch Knospuug. Die Sprösslingform, welche auf der ventralen Seite die bewimperte Peristomanlage trägt, schwimmt emige Zeit frei herum. A), © 21.46 Wallengren, Neue eiliate Infusorien. 555 Zu dieser Sektion rechne ich folgende Formen: l. Familie Spirochonina St. 1. Gattung Kentrochona Rompel!). Eine Art: K. Nebaliae Rompel. 2. Gattung Heliochona Plate?). Zwei Arten: H. sessilis Plate und H. Scheutenii St. 5. Gattung Stylochona? Kent.?). Eine Art: St. coronata Kent. 4. Gattung Spirochona St.*). Eine Art: Sp. gemmipara St. II. Familie Chilodochonina W en. °). l. Gattung Ohrlodochona Wen. Zwei (?) Arten; Ch. Zvennerstedti Wgn. und Ch. micro- chilus W gen. 8 Pleurocoptes®) n. g. P. Hydractiniae n. sp. Ektoparasitisch auf Hydraetinia echinata Johnst. lebt eine kleine Infusorienform, welehe ieh während meines Aufenthalts an der zool. Station Kristineberg im Sommer 1892 zum ersten Mal sah. In einer, wie ich hoffe, bald erscheinenden Arbeit „Studien über eiliate Infu- sorien III“, werde ich genaueres über diese Form berichten, hier soll sie nur in aller Kürze erwähnt werden. Fig. 6. Kv 1) Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 58, 1894. 2) H. Wallengren, Studier öfver ciliata infusorier. Acta Reg. Svoe. Physiogr. Lund, T. VI, 189. 3) A mannal of the Infusoria, London, Bd. II, 1880—82. 4) Zeitschr. f. wissensch. Zool, Bd.3. S)elmic: 6) nlevga — Seite, zonteıv — abhauen. 54 Wallengren, Neue ciliate Infusorien. Auf der Oberfläche seines Wirtes schwimmt oder krieeht Pleuro- coptes mit großer Schnelligkeit herum, rührt sich aber auch von dem- selben entfernt mit Sicherheit. Wenn sie sich befestigt, z. B. an der Wand eines Uhrglases, drückt sie ihre eine konkave Seite gegen das Glas an, so dass der ganze Körper etwas abgeplattet wird um jedoch unmittelbar darauf wieder seine ursprüngliche Form anzunehmen. Das Tier sitzt dann recht fest. Der ganze Körper muss also dabei als Saugnapf wirken. Die Körperform der Pleurocoptes ist länglich abgerundet, im hinteren Teil etwas breiter und gegen das vordere Ende etwas ver- schmälert und meistens wie quer abgehauen (Fig. 7, das Tier von der linken Seite gesehen). Die linke Seite die abwärts gegen die Ober- fläche des Wirtes gekehrt wird, ist schwach konkaviert, die rechte ‘dagegen stark gewölbt, wie aus Fig. 8, einem optischen Quer- schnitte durch das Tier grade vor der Mundöffnung, hervorgeht. Die Ventralseite (Fig. 80) ist quer abgestutzt, in ihrem präoralen Teile schwach unmittelbar vor und um die Mundöffnung herum dagegen tief konkaviert, eine wohl entwickelte Peristomrinne bildend. Die Dorsalseite bildet eine ebene Wölbung (Fig. 87). DieLänge des Körpers beträgt 59—69 u, die Höhe 42-50 u. Fig. 8. 2 ö A Der Körper ist besonders deutlich längsgestreift. Die Streifen verlaufen parallel mit der dorsalen und ventralen Kante, nach vorn und hinten konvergierend. Die linke Seite ist etwas dichter gestreift, etwa 30 Streifen, während die Streifen an der rechten Seite (hier etwa 24) etwas weiter von einander entfernt sind. Auch auf der Ventralseite habe ich eine Längsstreifung bemerkt, ob aber die ganze Peristomrinne auch gestreift ist, habe ich nicht konstatieren können. Die Bewimperung ist fein, dieht und an beiden Seiten gleichförmig. Mitunter schien es mir, als ob sich an der unteren Kante der Peristom- rinne längere feine Cilien fänden. Ich konnte dieses jedoch nieht mit Sicherheit feststellen. Vom vorderen Ende der Peristomrinne verläuft der oberen Kante derselben entlang eine fein gestreifte Membran, die sich um die Mund- öffnung herumlegt und eine kleine Strecke an der unteren Kante herab- Wallengren, Neue eiliate Infusorien. 555 läuft um sieh schließlich zu der im tiefsten Teil der Peristomrinne liegenden Mundöffnung herabzusenken (Fig. 7 um). Die undulierende Membran löst sich leicht in eilienähnliche Fibrillen auf. Wenn sich das Tier bewegt, wird diese orale Membran zusammengefaltet gehalten, wenn es aber still sitzt, ist sie ausgebreitet und in beständiger, schneller Undulation begriffen. Von der Mundöffnung, die sich hinter der Mitte des Körpers be- findet, führt ein kurzer, schmaler Oesophagus hinein. Bei Vitalfärbung mit schwacher Lösung von Bismarckbraun traten an der Oberfläche des Leibes eine große Menge kleiner Körper, im Durchschnitt ea. 1 « hervor, welche sich in kurzer Zeit dunkelbraun färbten. Die größeren unter ihnen traten wie warzenförmige Höcker hervor. Bei Anwendung eines stärkeren Linsensystemes und bei scharfer Einstellung wurde in der Mitte der größeren ein dunklerer Punkt oder Centralkörper sichtbar. Diese Körper waren zuweilen gleichförmig über die ganze Oberfläche verbreitet, meistens jedoch am vorderen und hinteren Ende des Körpers am zahlreichsten. Mitunter beobachtete ich, dass sie abgestoßen und durch die Bewegung der Cilien weg- geschleudert wurden. Mit den von Stein und Engelmann u. a. bei verschiedenen hypotrichen Infusorien beobachteten Exkretvakuolen können sie allerdings nicht identifieiert werden. Sie liegen nämlich in oder unmittelbar unter der Pellicula. Am nächsten scheinen sie mit den von Bütschli an der Pellieula der Vorticella monilata Tatem be- obachteten Protuberanzen übereinzustimmen. Wie sie zu erklären sind, habe ich nicht finden können. Das Abwerfen derselben deutet darauf hin, dass sie Exkretkörner sein müssen. Der Anus liegt im Hinterende des Körpers, am Uebergang von der Ventral- zur Dorsalseite (Fig. 7, a). Ueber dem Anus liegt eine kontraktile Vakuole (Fig. 7, ko). Das Körperplasma ist ungefärbt. Unter der Pellieula lässt sich eine deutlich entwickelte Alveolarschicht unterscheiden. Der Makronucleus, der im Vorderteil des Körpers liegt, hat eine abgerundete Form und ist gewöhnlich dicht und fein granuliert. Sein Durehschnitt beträgt bei fixierten Individuen 14—16,9 «. Mikronuelei sind in einer Anzahl von ein bis fünf vorhanden. Gewöhnlich sind sie nur vier, zuweilen nur drei oder zwei. Gewöhn- lich liegen sie in einer Gruppe gesammelt, dorsalwärts von der vor- deren Hälfte des Makronucleus und einer ein Stück von dieser Gruppe entfernt. Ihr Durchmesser beträgt 1 bis ungefähr 2 «. Teilungsstadien habe ich wiederholt beobachtet. Der Verlauf der Teilung stimmt mit dem bei eiliaten Infusorien gewöhnlichen überein. Im System wird diese Form augenscheinlich zur Ordnung Tricho- stomata und deren Unterordnung Aspirotricha zu führen sein. Unter den dahin gerechneten Familien scheint Plewrocoptes die größte Ver- 556 Roux, Driesch: Maschinentheorie des Lebens. wandtschaft mit Pleuronemina zu zeigen, und ich rechne sie deshalb auch zu dieser Familie. Diese neue Gattung Pleurocoptes hat jedoch keine ausgeprägte Verwandtschaft mit irgend welchen früher innerhalb der Familie be- kannten Formen aufzuweisen Am nächsten mag wohl doch diese neue Infusorie den Gattungen Lembadion Perty u. Pleuronema Djsd. kommen. In dem Ektoparasitismus der Pleurocoptes, einer Lebensweise, die von der der übrigen Formen derselben Familie verschieden ist, kann wohl ein ziemlich hinreichender Erklärungsgrund für ihre isolierte Stellung zu finden sein. [60] Berichtigung zu dem Artikel in Nr. 9 dieses Blattes von H. Driesch über die Maschinentheorie des Lebens. Von Wilhelm Roux in Halle a./S. Driesch sagt auf p. VII des Vorwortes zu seiner von ihm so- genannten „analytischen Theorie der organischen Entwicklung“: „Sage ich hier etwas anderes, als ich früher sagte, oder sage ich etwas in anderer Form, so ist das kein Widerspruch in meinen Ausführungen, sondern eine Weiter- oder auch Umbildung der- selben. Kritiker aber bitte ich dringend, die Vermengung vonAltem und Neuem in meinen Schriften zu unterlassen“. Dies ist doch wohl so zu deuten, dass man über Früheres mit ihm nieht mehr rechten soll, soweit Neues vorliegt. Unter direkter Beziehung auf diese neueste Schrift berichtete ich daher in dem Nachwort zu meinen gesammelten Abhandlungen: „Driesch denkt sich die Lebensvorgänge!) und den typischen Ei- bau, „sehreinfach“, grobphysikalisch-chemisch, er leugnet ferner eine spezifische Struktur des Zellkerns, indem er ihn bloß als ein Gemisch chemischer Substanzen (1. e. S. 92) auffasst“. Dazu schreibt jetzt Driesch: „Wo habe ich denn solehen Nonsens gesagt?“ und verweist auf abweichende ältere Aeußerungen. Darauf ist zu antworten: Auf S. 92 und 86 der zitierten Schrift. S. 92 steht: „Der Kern ist uns ein Stoffgemenge; wir redeten nicht von einer Struktur des Kernes; also ist auch in fik- tiver Einkleidung unsere Theorie in Hinsicht auf Form als solche epigenetisch“. S. 86: „Der Kern, obschon Träger aller Möglichkeiten, braucht diese doch nieht in einer besonderen Form?) zu besitzen; somit ist unsere Theorie epigenetisch in Hinsicht auf das Ent- stehen der Form als solches“. 4) Dass D. außer den einfach physikalisch - chemischen Lebensvorgängen noch einen teleologischen Teil derselben unterscheidet, wurde loco eit. gleich- falls mitgeteilt. 2) Vom Autor durch gesperrten Druck hervorgehoben. Roux, Driesch: Maschınentheorie des Lebens. 557 Der Autor müsste wohl wieder von einer sehr ausgiebigen „Um- deutung“ Gebrauch machen, um darzuthun, dass diese Aeußerungen nicht den obigen Sinn haben; fast noch mehr als bei der seinerzeitigen Verleugnung seiner eigenen Semimorula und Semiblastula der Seeigel, als sie ihm nicht mehr in seine Theorie passten. Auch diese Ver- leugnung geschah in einer Form, dass die Leser glauben mussten, die Gebilde wären eine Erfindung von mir; auf die erfolgte Vor- haltung wurde dann die Verleugnung in eine „Umdeutung“ umgewandelt. Wir sehen daher auch, so lange derartige „Umdeutungen“ zu ge- wärtigen sind, davon ab, auf den sachlichen Inhalt von D.’s weiterer Darstellung einzugehen. Zugleich unterlassen wir es, die für sich allein schon bezeichnen- den, auch bei dieser Gelegenheit wiederholten selbstgefälligen Exela- mationen Driesch’s, dass „der Darwinismus abgethan sei“, dass er „die Nasführung einer Generation“ sei (vorher: dass die Darwinisten an Degeneration des Gehirnes litten), zu diskutieren. Wir können es in Ruhe abwarten, bis der Autor soleher Auffassungen gelernt hat, den Wert von Argumenten zu beurteilen, statt bloß der zur Zeit noch so oft wechselnden Stimme seines eigenen Innern zu lauschen, sie bewundernd zu verehren und alles jeweilig davon Abweichende für falsch zu erklären. Die Einsicht, dass der Darwinismus auch nach meiner Ausdeh- nung des Kampfes ums Dasein von den Personen auf die diese zusammen- setzenden Bionten nicht alle großen Rätsel der Phylogenese und Ontogenese löst, ist nicht ganz neu (siehe meine gesammelten Abhandl., Bd. IL, S. 60—66). Neu ist bloß die eigentümliche Auffas- sung einiger junger Autoren, dass deshalb der Darwinismus ganz zu verwerfen — das Kind mit dem Bade auszuschütten — sei. Ebenso unbegründet ist es, anzunehmen, dass dasjenige organische Geschehen, welches nicht jetzt gleich, beim ersten Versuch ursächlicher Erkenntnis der Ontogenese, also auf Anhieb in seine mechanischen Kom- ponenten!) zerfällt, als nichtmechanisch gedeutet werden müsse. 1) Zugleich sei darauf hingewiesen, dass ich die Bezeichnung mecha- nisches Geschehen nicht in dem engeren, physikalischen, sondern im weiteren philosophischen Sinne „jedes der Kausalität unterstehenden Geschehens“, also jedes „beständigen sive konstanten“ d.h an jedem Ort und zu jeder Zeit bei gleichen Komponenten in gleicher Weise stattfindenden Geschehens gebrauche; da dies — trotz wieder- holter Reproduktion dieser Definition nicht genügend bekannt geworden ist, haben sich vielfach irrtümliche Auffassungen meines Programmes verbreitet. Ausgeschlossen ist dabei also nur „der Kausalität nieht unterstehendes sive unbeständiges sive metaphysisches Geschehen“ (wie es manche Autoren für möglich oder existierend halten), weil dieses prinzipiell un- erforschbar sein müsste. Dem entprechend ist die Entwieklungsmechanik nicht bloß die ursäch- 558 Roux, Driesch: Maschinentheorie des Lebens. Eines sei noch erwähnt. Der Unterschied von grob- und fein-physikalischehemisch ist Driesch, wie er mitteilt, nicht klar; und er baut auf diesem sub- jektiven Mangel oberhalb und unterhalb des Striches der Seiten eine ganze Reihe komischer Schlüsse zu dem Zwecke auf, um mich angeb- lich mit mir selber in Widerspruch zu setzen. Grob und fein — dass ihm diese Distinktion überhaupt sowie die angemessene Verwendung der entsprechenden Charaktere fortdauernd Schwierigkeiten bereitet, ist den Lesern seiner Polemiken bekannt. Das entsprechende Physikalische angehend, so leitete z.B. Borelli die Verkürzung der Muskeln von der Aufblähung hohler Blasen ab: das ist uns jetzt zu grob-physikalisch. Wenn die von mir erwiesene Selbstordnung der Furchungszellen durch Selbstnäherung, Selbstver- einigung, Selbstlösung und durch Zellgleiten (Archiv f. Entwieklungs- mechanik, Bd. IH, S. 331—468) allein von der physikalisch-chemischen Beschaffenheit der Oberfläche der Zellen abhinge, wäre sie ein- facher, gröber physikalisch-chemisch bedingt, als wenn sie, wie wir nach meiner Meinung anzunehmen genötigt sind, von den vererbten typischen gestaltenden Qualitäten des Zellinnern aus vermittelt und geleitet wird. Denn wenn an einem bestimmten, also abgegrenzten physikalisch- chemischen Geschehen statt bloß 2—3 etwa 10—100 Komponenten be- teiligt sind, so müssen die einzelnen Teilmorgänge „feinere“ sein; und- man kann das ganze Geschehen selber als „feiner physikalisch- chemisch“ bedingt bezeichnen als ersteren Falles; obschon ieh selber diese Bezeichnung nicht gebraucht habe, sondern den Ausdruck „kom- plizierter physikalisch-ehemisch“ als Gegensatz zu „einfach- (ev. grob-) physikalisch - chemisch“ vorziehe. Nachdem ich mehrfach die Notwendigkeit der Unterscheidung von einfachen und von komplexen (zur Zeit für uns nicht weiter zerleg- baren aber in sich außerordentlich vielfach zusammengesetzten) K om- ponenten des organischen Geschehens begründet habe, durfte ich erwarten, dass meine Leser sich die demnach naheliegende Deutung der kurzen Bezeichnungen: „grob- oder einfach-physikalischehemisch“ bedingter Vorgänge selber ableiten würden; und es liegt, vonH.Driesch abgesehen, auch keine Veranlassung vor, anzunehmen, dass sie dazu nicht im Stande gewesen wären. liche Lehre von den „grobmechanischen“ Gestaltungsvorgängen, von den Massenkorrelationen, wie vielfach angenommen wird, sondern die ursächliche Lehre von allem im obigen Sinne „beständigen“ also von dem sogenannten „gesetzmässig stattlindenden“ Gestaltungsgeschehen der Organismen, mag dasselbe im Speziellen atomistisch, energetisch oder soustwie aufgefasst werden oder sein. 79. Versammlung der schweiz. naturf. Gesellschaft. »59 «9. Versammlung der Schweizerischen naturforschenden zesellschaft am 2.—5. August 1896 in Zürich. Die naturforschende Gesellschaft von Zürich, die älteste der Schweiz und eine der ältesten wissenschaftlichen Gesellschaften des Kontinents, feiert in diesem Jahre ihren 150jähr. Bestand. Hiermit ist die Versammlung der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft verbunden. Programm. Sonntag, den 2. August: 4 Uhr abends: Sitzung der vor- beratenden Kommission in der neuen Tonhalle. — 8 Uhr abends: Empfangsabend in den Uebungssälen der neuen Tonhalle, dargeboten von der züricherischen naturforschenden Gesellschaft. Montag, den 3. August: 8 Uhr morgens: Erste Hauptversammlung im grofsen Tonhallesaal. 1. Eröffnungsrede des Jahrespräsidenten. 2. Vortrag von Herrn Geheimrat Prof. Dr. Kölliker von Zürich, in Würzburg: „Ueber die Verrichtungen der mikroskop. Elementarteile der Hirurinde*. 3. Vortrag von Herrn Prof. Dr. Bamberger in Zürich: „Die chemische Energie“. Zwischen den Vorträgen geschäftliche Traktanden. — 1 Uhr nachm.: Bankett in der Ton- halle. — 6--10 Uhr abends: Dampfschifffahrt, bei der Rückkehr venetianische Nacht. Dienstag, den 4. August: Von 8 Uhr an: Sektionsversammlungen. Es sind folgende Sektionen in Aussicht genommen: 1. Sektion für Botanik; 2. Sek- tion für Faunistik und Systematik (inkl. Entomologie); 3. Sektion für Anatomie und Embryologıe; 4. Sektion für Mineralogie; 5. Sektion für Geologie und Pa- läontologie; 6. Sektion für Land- und Forstwirtschaft; 7. Sektion für Ethno- gıaphie und Geographie; 8. Sektion für Mathematik; 9. Sektion für Astronomie und Geodäsie; 10. Sektion für Physik; 11. Sektion für Meteorologie; 12. Sektion für Chemie und chem. Technologie; 13. Sektion für Ingenieur - Wissenschaften; 14. Sektion für Medizin: 15. Sektion für Pharmacie und Lebensmittelchemie; von 5 Uhr abends an: Freie Vereinigung im Dolder. Mittwoch, den 5. August: 8 Uhr morgens: Zweite Hauptversammlung im grofsen Saale der neuen Tonhalle. 1. Vortrag von Herrn Geheimrat Prof. Dr. Ziegler in Freiburg: „Die Zweckmä/sigkeit pathologischer Lebensvorgänge*. 2. Vortrag von Herrn Prof. Henri Dufour in Lausanne: „L’etude de la radiation solaire en Suisse“. 3. Vortrag von Herrn Prof. Dr. @eiser in Zürich: „Bundesrat Schenk“. 4. Vortrag von Herrn Prof. Dr. Schröter in Zürich: „Die Flora der Seen“. Geschäftliches zwischen die Vorträge eingeschaltet. — 2 Uhr nachm.: Bankett auf dem Uetliberg. Gleichzeitig mit der Jahresversammlung der schweiz. naturforschenden Ge- sellschaft werden noch folgende Gesellschaften ihre Sitzungen in Zürich halten: 1. Die schweiz. geologische Gesellschaft: Dienstag, den 4. August, morgens 8 Uhr, im gleichen Lokal wie die Sektion für Geologie. — 2. Die schweiz. botanische Gesellschaft: Dienstag, den 4. August, morgens 8 Uhr, im gleichen Lokal wie die Sektion für Botanik. — Traktanden: 1. Bericht des Komites; 2. kech- nungsabnahme pro 1895; 3. Neuwahl des Komites; 4. Unvorhergesehenes. — 3. Die schweiz. entomologische Gesellschaft: Sonntäg, den 2. August, morgens 81/, Uhr. — Das Lokal für diese Versammlung wird durch Zirkular an sämt- liche Mitglieder bekannt gegeben werden. — Nach Beendigung der Jahresver- sammlung findet eine Exkursion der schweiz. geologischen Gesellschaft unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. A. Heim, durch Sihlthal und Wäggithal nach der Silbern statt. Abfahrt von Zürich Donnerstag, den 6. August. Nähere Mitteilungen werden in Zürich erfolgen. — Ebenso geht eine botanische Exkursion nach Einsiedeln und in die Glarner Alpen. Näheres wird später an alle Mitglieder der schweiz. botanischen Gesellschaft und an alle Interessenten mitgeteilt, die es verlangen. Znrich, im Mai 1896. Namens des Jahresvorstandes: Präsident: Prof. Dr. Alb. Heim. Vize-Präsident: Prof. Dr. F. Rudio. Sekretäre: Prof. © Bourgeois und Dr. Aug. Aeppli. Internationaler Kongress für Medizin in Moskau 1897. Im nächsten Jahre, 1897, wird vom 7. (19.) bis zum 14. (26.) August der AI. internationale Kongress für Medizin in Moskau stattfinden. Von seiten des Kongress-Komites sind bereits Exemplare der Regeln versandt worden. 560 Intern. Kongress für Medizin in Moskau 1897. — Notiz. Der Vorstand der Sektion für Anatomie, Histologie und Anthropologie hat aufserdem ein Schreiben (in russischer Sprache) versandt. In dem Schreiben wird den Fachgenossen eine Anzahl von Fragen vorgelegt, über die auf dem Kongresse verhandelt werden soll. Die betreffenden Fragen werden hier mitgeteitt mit der Bitte, dass die Fachgenossen Kenntnis davon nehmen und so bald als möglich noch andere Fragen und Themata stellen sollen, damit die Kongressleiter sich zeitig an nicht-russische und russische Gelehrte wenden können, um sie zu einer Beant- wortung der Fragen zu veranlassen. Gleichzeitig werden die Herren Fachgenossen gebeten, so bald als möglich die Themata mitteilen zu wollen, über welche sie auf dem Kongress in den Sektions-Sitzungen Vorträge halten oder Mitteilungen machen wollen. Zur Entgegennahme jeglicher Mitteilung und zur Uebermittelung an die Sektions- Vorstände in Moskau ist bereit Dr. L. Stieda, Geheimer Medizinalrat, o. Professor d. Anatomie a. d. K. Universität zu Königsberg i. Pr. Sektion für Anatomie. 1. Soll die lateinische anatomische Nomenclatur, die von der anatomischen Gesellschaft ausgearbeitet worden ist, zu einer internationalen gemacht werden ? 2. In welcher Weise ist eine einheitliche Nomenclatur in der russischen anatomischen Litteratur durchzuführen ? 3. Ist die Polydaktylie als eine Spaltbildung oder als Atavismus aufzufassen ? 4. Die Homologie der oberen und unteren Extremität. Sektion für Histologie. 1. Vergleichende Kritik der verschiedenen Theorien und Hypothesen über den Bau des Protoplasmas im Allgemeinen. 2. Die Bedeutung der blastomeren bei der Segmentation der Kier. Post- regeneration. Die Entwicklung der Cutieular- und Zwischensubstanzen. 3. Die Bedeutung der Üentrosomen, Sphären und der Nebenkerne in ver- schiedenen Zellen. Die Bedeutung der direkten oder amitotischen Teilung. 4. Die gegenseitige Beziehung der Nervenzellen in den Nervencentren und Sinnesorganen. 5. Die Innervation der Drüsen. Sektion für Anthropologie. 1. Was für Mafsregeln sind zu ergreifen, um möglichst genaue Thatsachen über die anthropologischen Typen der russischen wie der nicht-russischen De- völkerung Russlands zu gewinnen ? 2. Was sind die vorzüglichsten charakteristischen Eigentümlichkeiten des Mongolen-Schädels und bei welchen Volksstämmen sind diese Eigentümlichkeiten am häufigsten zu finden und am deutlichsten zu erkennen ? 3. Inwieweit unterscheiden sich die Schädeltypen der gegenwärtigen bevöl- kerung Mittel- Russlands von den Schädeltypen der Kurganbevölkerung? Wie ist die etwaige Veränderung der Typen zu erklären? 4. Die Schädeltypen des Prof. Sergi und ihre Bedeutung für die Klassi- fikation der Schädelformen. 5. Die Anomalien des Skeletts und der äufseren Bedeckungen. Haben einige von ihnen die Bedeutung von Rassenmerkmalen oder können einige von ihnen als atavistische Bildungen gelten? Notiz. * Herr Dr. Otto Zacharias (Plön) macht uns die Mitteilung, dass die Biologische Station am Gr. Plöner See behufs Renovation sämtlicher Räum- lichkeiten während der Dauer des Monats Juli er. geschlossen bleiben müsse. Erst vom 5. August ab können wissenschaftliche Arbeiten wieder vorgenommen werden. Nach der bisher in Plön gemachten Erfahrung eignet” sich die Zeit vom 1. August bis Mitte September besonders gut dazu, um Studien über das Süfswasserplankton des dortigen (30 Quadratkilometer grofsen) Sees zu machen, worauf wir Interessenten hinweisen wollen — Die für einen Arbeitsplatz pro Woche zu erlegende Gebühr beträgt 10 Mark. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Öentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess wd Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. v1. Band. 1. sat 1896. | Nr, 15. Inhalt: Möbius, Uebersicht der Theorien über die Wasserbewegung in den Pflanzen, — Lombroso, Die neuesten anatomischen Entdeckungen zur Anthropologie der Verbrecher. — Lebedinsky, Zur Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. — Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise in den Molukken und in Borneo, im Auftrage der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft auf Kosten der Rüppelstiftung ausgeführt von Prof. Dr. W. Kükenthal. Uebersicht der T'heorien über die Wasserbewegung in den Pflanzen. Von M. Möbius. Dass Flüssigkeit von den Pflanzen aus der Erde aufgenommen wird, ist eine so alltägliche Erscheinung, dass zu keiner Zeit Zweifel an ihr entstanden sind. Auch ist es den früheren Naturbeobachtern nicht weiter aufgefallen, dass diese Flüssigkeit entgegen dem Gesetze der Schwere in die Höhe steigt, denn man hatte es ja hier nicht mit toten Körpern, sondern lebenden Wesen zu thun und konnte als Wirkung von deren Lebenskraft Manches betrachten, was einer rein physikalischen Erklärung unzugänglich erschien. Zudem hatte man keine rechte Vor- stellung davon, welcher Art die in den Pflanzen aufsteigende Flüssig- keit sei. Während Aristoteles angenommen hatte, dass ein ganz fertig gebildeter Nahrungssaft den Pflanzen von der Erde dargeboten werde, aus dem sie ihre Organe nur zu gestalten hätten, glaubte van Helmont im Anfange des 17. Jahrhunderts beweisen zu können, dass die Pflanze die Fähigkeit besitze, aus reinem Wasser- alle ihre Stoffe in sich zu erzeugen. Erst als man die verschiedenen Teile der Pflanze als Organe zu betrachten, sich also von den Funktionen dieser Teile eine Vorstellung zu bilden anfing, konnte von einer Theorie der Wasser- bewegung die Rede sein. Diese bildete man sich anfangs nach Analogie des Blutkreislaufes der Tiere. Malpighi, einer der Begründer der Pflanzenanatomie, ist wohl der erste, der von der Leitung und Hebung des von den Wurzeln aufgenommenen Nahrungssaftes (alimentitius AVI. 36 69 Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. Sr humor in radieibus percolatus) sich eine bestimmte Vorstellung bildete, die faserigen Elemente des Holzes (fibras seu fistulas ligneas) als Bahn für diese Leitung betrachtete und den Saft durch den Druck der Luft in die Höhe steigen ließ [urgente non solum aöre externo, sed etiam concluso intra tracheas sursum pellitur]!). Da offenbar nach seiner Ansicht der Saft nur Tropfen für Tropfen gehoben wird, so scheint es ihm nicht schwierig zu erklären, dass er bis zu beliebiger Höhe ge- langt: mimina quaelibet guttula veluti per funem seu per gradus ad ingens dedueitur fastigium ?). Es musste nun zunächst gezeigt werden, welche große Quantitäten von Wasser in einer Pflanze aufsteigen, damit erkannt würde, welches Problem hier zu lösen sei, nämlich auf welche Weise die verhältnis- mäßig große Menge Wasser nicht nur in die Höhe steige, sondern auch bis zu einer Höhe von über 100 Metern, nämlich bis zur Spitze der höchsten Bäume, die ja diese Höhe nicht erreichen könnten, wenn nicht das Wasser auch bis in die äußerste Blattspitze gelangte. Es war Stephan Hales, der zuerst nachwies, dass es sich nicht bloß um das von der Pflanze direkt verbrauchte Wasser, also einen alimentitium humorem, sondern auch und vor allen Dingen um den Ersatz des verdunsteten Wassers handelt. Hales maß die von den Wurzeln aufgesogenen und von den Blättern verdunsteten Wasser- inengen und ihm erschien die Wasserbewegung im Wesentlichen nur als ein Transpirationsstrom, indem er die Bedeutung des Wassers für die Ernährung der Pflanze zu sehr vernachlässigte, wie er ja auch die Blätter nur als transpirierende Organe ansah und das bessere Ver- ständnis Malpighi’s, der in ihnen schon Ernährungsorgane erkannt hatte, unbeachtet ließ. Im zweiten Hauptstücke seiner „Statik der Gewächse“ ?) unternimmt es der Verf. „die Kraft zu entdecken, die die Erdgewächse anwenden müssen, Feuchtigkeit einzuziehen“. „Dem Pflanzenwerke mangelt es an solchem kräftigem Werkzeuge, dergleichen in Tieren durch ein abwechselndes Ausdehnen und Zusammenziehen, das Blut zwinget, in Puls- und Blutadern fortzulaufen. Daher hat die Natur, sie schadlos zu halten, ihnen andere wirksame Mittel und Be- wegungskräfte verliehen, damit sie Saft anziehen, erheben und in Be- wegung halten können, weil in diesem Saft ihr Leben bestehet“. Diese Kraft ist nun nach ihm dieselbe, welche in quellungsfähigen und porösen Körpern wirksam ist, also die Imbibition und Kapillarität, welche beiden er nicht recht auseinanderhält, die aber allerdings auch ineinander übergehen. Wie also Asche, Schwamm u. dergl. Wasser 1) Dieses und die vorhergehenden Citate nach Anatome Plantarum, Pars altera, p. 87, London 1679. 2) 1. e. pars prior, p. 5, London 1675. 3) Ich eitiere nach der deutschen Uebersetzung von Ch. Wolff, Halle 1748. Das Original erschien zuerst 1727. Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. 563 aufsaugt und weiter leitet, „aus eben diesem Grunde kommt es her, dass die Pflanzen durch ihre kleinen Haarröhrchen die Feuchtigkeit so stark an sich ziehen, wie wir so umständlich in vorhergehenden Erfahrungen gesehen haben“. Offenbar denkt sich Hales die faserigen Elemente in Holz und Rinde ähnlich wirkend wie die Fasern eines Dochtes. Wo die Wasserbewegung eigentlich stattfinde, scheint ihm nicht recht klar zu sein; aus seinen Versuchen mit abgeschnittenen Zweigen schließt er, dass der Saft zwischen Rinde und Holz so gut aufsteige, als in anderen Teilen und es ist ihm „höchst wahrscheinlich, dass der Saft auch durch die der Sonne am meisten ausgesetzten Teile steige, darunter dann die Rinde gehöret“. Der sogenannte Ringelungsversuch, bei dem an einem in Wasser gesetzten Zweige ein ringförmiges Stück Rinde entfernt wird, dient ihm nicht zum Beweise, dass das Wasser nur durch das Holz steigt und dadurch die Blätter über dem geringel- ten Stück frisch erhält, sondern daraus, dass diese Blätter zu gleicher Zeit mit denen der nicht geringelten Zweige welken, schließt er, dass kein absteigender Saft an der Ringelungsstelle aufgehalten werde, sonst würden die ersteren Blätter länger frisch bleiben als die letzteren. Wir übergehen nun, was von folgenden Forschern, wie von Du- trochet, der die Bewegung des im Holze aufsteigenden Wassers transpirierender Pflanzen durch Endosmose von Zelle zu Zelle zu er- klären versuchte, von P. de Candolle u. a. für Hypothesen über die Saftsteigung aufgestellt wurden, da von keinem derselben ernsthaft geprüft wurde, ob die angenommenen Kräfte nach den physikalischen Gesetzen ausreichend sind, das Wasser bis in die Spitzen der höchsten Bäume zu heben, noch auch, ob die Verhältnisse in der Struktur und Beschaffenheit der pflanzlichen Gewebe die angenommenen Kräfte wirk- lich thätig sein lassen können. Wir haben Malpighi und Hales erwähnt, weil sie die Frage überhaupt zuerst zu beantworten ver- suchten, und wir erwähnen nun sogleich den Physiologen, der zuerst eine Theorie der Wasserbewegung aufstellte, die wenigstens den eben geforderten Bedingungen entsprechen sollte, nämlich Sachs, dessen sogenannte Imbibitionstheorie längere Zeit als die einzig mögliche Lösung der schwierigen Frage erschien. Sie wurde von ihm in seiner Experimental-Physiologie (in Hofmeister’s Handbuch, 1865) zuerst ausführlich dargelegt, wo, wie er selbst später sagt, noch manche aus früheren Zeiten überkommene Irrtümer beibehalten, andere aber be- seitigt sind. Auf welche Weise und in welchen Publikationen er seine Theorie allmählich ausgestaltet hat, gibt er in der vierten Anmerkung auf S. 225 der zweiten Auflage seiner Vorlesungen über Pflanzen- physiologie an. Sachs behauptet nun, auf zahlreiche Untersuchungen 1) Vergl. hierzu Sachs, Geschichte der Botanik, 5.553 fl. HN % 36 * 564 Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. gestützt, dass die Hohlräume der Holzzellen und Holzgefäße, wenigstens zu der Zeit, da ein rascher Wasserstrom im Holzkörper aufsteigt, über- haupt nicht mit Wasser, sondern mit Luft gefüllt sind, dass also von einer kapillaren Hebung des Wassers in den Pflanzen nicht die Rede sein könne. Es bleibt ihm somit als Weg für das Wasser nur der in den Membranen der Holzelemente übrig und er nimmt an, dass die verholzten Membranen eine eigentümliche Struktur besitzen, und sich dadurch auszeichnen, „dass sie verhältnismäßig nur wenig Wasser in sich aufnehmen, dass dieses wenige Imbibitionswasser jedoch in ihnen auffallend beweglich ist“. „Als das Hauptergebnis aller bisherigen Betrachtungen bleibt nun das bestehen, dass es sich bei dem auf- steigenden Wasserstrom um die Bewegung der einzelnen Wassermoleküle handelt, welche zwischen den Molekülen der Holzzellwände enthalten sind. Dabei steht soviel fest, dass diese Bewegung nur dann eintreten kann, wenn am oberen Ende dieses Systems die Holzzellwände einen Teil ihrer Wassermoleküle verlieren. Durch diesen Verlust wird ihr Sättigungszustand mit Wasser gestört, das Gleichgewicht verändert: die wasserärmer gewordenen Partien der Holzzellwände werden das Gleichgewicht herzustellen suchen dadurch, dass sie den nächstbenach- barten Holzzellen Wasser zu entziehen suchen, die ihrerseits aus dem- selben Grunde es wieder von tieferen Teilen des Holzkörpers in sich aufnehmen, bis sich endlich diese rückgreifende Bewegung von der Laubkrone einer Landpflanze durch den Stamm hinab bis in die jungen Wurzeln fortpflanzt, welche das Wasser aus der Erde aufnehmen“. Nach dieser Theorie kann also das Wasser in verholzten Membranen zu einer ganz beliebigen Höhe steigen, „weil es gleichgiltig ist, ob ein einzelnes Wassermolekül 10 oder 100 Meter hoch in den Holz- wänden enthalten ist“. Das Problem, die hebenden Kräfte zu finden, schien gelöst, nachdem die Endosmose und die Kapillarität als unver- vendbar für die Lösung erkannt worden waren. Allein wenn auch Sachs auf Grund seiner Beobachtungen und Experimente davon über- zeugt war, dass die Hohlräume der Holzfasern und -gefäße nur Luft enthalten, kein Wasser, so schien dies doch vielen Anderen zweifelhaft und mit dem Nachweise des Fehlens oder des Vorhandenseins von Wasser in den Gefäßen und Tracheiden stand und fiel die Imbibitions- theorie. Dass die Bewegung des Wassers nicht in den Wänden, sondern in den Hohlräumen der Gefäße erfolge, ist zuerst mit Nachdruck gegen Sachs hervorgehoben und beharrlich weiterhin behauptet worden von J. Böhm, der aber das Unglück hatte, lange Zeit kein Gehör bei seinen Fachgenossen zu finden. Wenn er erkannt hatte, dass das Wasser in den Hohlräumen der Gefäße steige, so musste er natürlich auch eine ganz andere Erklärung der Saftsteigung geben und so stellte er seine sogenannte Luftdruektheorie auf: „Die durch Transpiration Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. 565 bedingte Wasserbewegung in den safterfüllten Zellen parenehymatischer Gewebe, ebenso wie die in den saftleitenden Hohlräumen des Splintes, ist ein durch Druckdifferenzen in den benachbarten Zellen bedingter Saugungsprozess“. Wir können hier nicht näher auf die Böhm sche Theorie eingehen und erklären, wie er sich es denkt, dass der Luft- druck das Wasser höher treibt, als 10 Meter, was dem Drucke einer Atmosphäre entspricht. Er scheint anfangs in den Druckdifferenzen eine genügende Erklärung für die Wasserhebung gefunden zu haben, in einer seiner letzten Abhandlungen!) jedoch, in der er die Frage nach den Ursachen der Wasserbewegung in transpirierenden Pflanzen endgiltig beantwortet zu haben glaubt, schließt er mit den Worten: „Die Wasseraufsaugung durch die Wurzeln und das Saftsteigen werden durch Kapillarität, die Wasserversorgung des Blattparenchyms wird durch den Luftdruck bewirkt“. Auch R. Hartig?) glaubt die Wasserbewegung aus den Druck- differenzen der im Holze eingeschlossenen Luft und des äußeren Luft- druckes einerseits und aus der Kapillarität andererseits rein mechanisch erklären zu können. Seine Theorie, die sogenannte Gasdrucktheorie, ist aber ziemlich kompliziert, so dass hier auch auf diese nicht näher eingegangen werden kann. Die Imbibitionstheorie hat er einer ein- gehenden Kritik und Widerlegung unterzogen, denn seine Untersuchnngen über die Verteilung des Wassers in dem Holze ergaben im Gegensatze zu denen von Sachs, „dass zu jeder Zeit, sogar während der stärksten Transpiration, die Lumina der Zellen und Gefäße nicht lauter Luft, sondern auch bedeutende Mengen von flüssigem Wasser enthalten“. Schließlich muss hier noch erwähnt werden, dass es den fran- zösischen Forschern Vesque und Capus gelang, an freigelegten Ge- fäßen die Bewegung des Wassers innerhalb derselben direkt wahr- zunehmen, und dass sie dadurch viel dazu beigetragen haben, die Annahme zur Gewissheit zu machen, dass der Transpirationsstrom sich nicht in den Wänden, sondern in den Hohlräumen der Holzelemente bewegt. Bevor wir weitergehen, scheint es angebracht, zu betonen, dass in den bisherigen und folgenden Theorien die Transpiration zwar immer als die Veranlassung zur Wasserbewegung betrachtet wird, dass es sich aber bei ihnen nur um die das Wasser wirklich hebenden Kräfte handelt. Die Transpiration kann jedoch nicht als hebende Kraft wirken, sondern ist nur die Ursache, welche andere Kräfte in Wirkung treten lässt, gerade so wie die Flamme einer Lampe, d. h. die Verwandlung des Oeles in Dampf und die Zersetzung desselben durch die Wärme nur die Ursache ist, dass neues Oel durch den Docht nachgesogen 1) Berichte der deutschen bot. Gesellschaft, Bd. VII, S. (46), 1889. 2) In Hinsicht auf die Darstellung und Widerlegung der Hartig’schen Theorie sei auf Godlewski’s unten zu eitierende Arbeit verwiesen. 566 Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. wird, als welches aber nur kraft der Kapillarität desselben geschehen kann. Die Transpiration also kommt als Ursache der Wasserbewegung bei jeder Theorie in Betracht, es handelt sich nur darum, die hebenden Kräfte zu finden. Was gegen die Sachs’sche Imbibitionstheorie ein- zuwenden ist, haben wir gesehen; dass eine osmotische Wirkung von Zelle zu Zelle weder mit den Konzentrationsverhältnissen des Zell- saftes noch mit der Schnelligkeit der Wasserbewegung in Einklang steht, ist leicht nachzuweisen; da auch die Kapillarität nicht ausreicht und die rein mechanischen Theorien von Hartig und Böhm einer eingehenden Kritik nicht Stand halten, so liegt es nahe, der Kraft des lebendigen Protoplasmas einen Anteil an der Wasserhebung zuzu- schreiben: weil nun in den Holzgefäßen und Tracheiden kein Proto- plasma mehr enthalten ist, so musste man annehmen, dass die Parenchym- und Markstrahlzellen des Holzes an der Wasserhebung beteiligt sind. Dies geschah zuerst von Westermaier!), der die Wasserbewegung, wie sie nach seiner Theorie stattfindet, selbst als Kletterbewegung be- zeichnet, indem er sie vergleicht mit einem Klettern auf einer Leiter, wobei die die Wassersäulen in den Kapillaren haltenden Kräfte die festen Sprossen, die endosmotische Kraft der lebenden Zellen die hebende und bewegende Kraft darstellen. Die lebenden Zellen sollen das Wasser aus dem unteren Teile der Kapillaren — wenn man sich der Einfachheit wegen so ausdrücken darf — saugen und es in deren oberen Teil hineinfiltrieren. Mit dieser Annahme soll auch die Struktur der Holzelemente in Einklang stehen und die Hebung des Wassers bis in die höchsten Spitzen der Bäume leicht zu erklären sein. Kurz darauf wurde von Godlewski?) eine Theorie der Wasser- bewegung aufgestellt, welche mit der Westermaier’schen das Ge- meinsame hat, dass sie ebenfalls die parenehymatischen lebenden Elemente des Holzes für die Hebung in Anspruch nimmt. Godlewski erläutert seine Theorie hauptsächlich am Coniferenholze, das nur aus Tracheiden und Markstrahlen besteht, erklärt aber ausdrücklich, dass sie auch für das Holz der Laubbäume, das daneben noch Gefäße und Parenchym enthält, giltig sei. Der Unterschied zwischen der God- lewski’schen und der Westermaier’schen Theorie besteht, wie ersterer selbst angibt darin, dass nach der seinigen die Zellen der Markstrahlen und des Holzparenchyms nur als Stempel der Saug- pumpen wirken, durch welche das Wasser aufwärts getrieben wird, die Gefäße und Tracheiden aber die Röhren dieser Pumpen, in denen sich das Wasser fortbewegt, darstellen, dass nach Westermaier dagegen die lebenden Zellen des Holzes die Strombahn des Wassers selbst bilden und die Gefäße und Tracheiden nur als Reservoire dienen, 1) Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, Bd. I, 1883. 2) Pringsheim’s Jahrbücher, Bd. 15, 1884. Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen.. 567 in welche das Wasser aus den lebenden Zellen ausgegossen und in denen es durch Kapillarität so lange gehalten wird, bis es wieder durch die und in den lebenden Zellen weiter gehoben wird. Während nun noch einige Physiologen, wie Dufour und Hansen!) zu Gunsten der Imbibitionstheorie eintraten, unternahm es Janse?), die Godlewski’sche Theorie durch weitere Versuche und Erörterungen zu bekräftigen. Da auch die Berechnungen Schwendener’s?) er- gaben, dass die physikalischen Kräfte nicht das leisten können, was in hohen Bäumen zu der Wasserbewegung erforderlich ist, so schien es eine Zeit lang, dass es zur Erklärung dieser Wasserbewegung not- wendig sei, der Lebensthätigkeit der Zellen des Holzes eine gewisse Rolle dabei zuzuschreiben. Da erschien ein Buch von Strasburger „über den Bau und die Verrichtungen der Leitungsbahnen in den Pflanzen“*) und in diesem wurden Versuche beschrieben, wie sie in so großartigem Maßstabe bisher noch nicht angestellt worden waren. Ganze Pflanzen oder Pflanzenteile von 12—21 Meter Länge oder Höhe wurden entweder durch Abbrühen getötet und dann mit dem unteren Ende in Bosin- lösung gestellt oder sie wurden lebendig in eine Lösung von Kupfer- sulfat gestelit und durch das Aufsteigen dieser giftigen Lösung getötet. Diese Lösungen stiegen nun höher als 10 m, ja in manchen Fällen bis zum Gipfel der benutzten Pflanzen und es war somit bewiesen, dass das Wasser im Holze zu einer größeren Höhe, als dem atmosphärischen Drucke entspricht, gehoben werden kann, auch wenn keine lebenden Zellen dabei thätig sein können. Strasburger selbst hat eigentlich nur die Unhaltbarkeit der bisher aufgestellten Theorien nachgewiesen: er zeigte, dass weder die kapillare Steigung noch der Luftdruck für die Wasserbewegung ausreichend sind, dass weder die Imbibitionstheorie die richtige Erklärung gibt, da er das Wasser sich in den Hohlräumen der Gefäße und Tracheiden bewegen sah, noch die lebenden Zellen das Wasser heben, da, wie oben gesagt, die Steigung auch in ge- töteten Pflanzen vor sich geht. „Es muss angenommen werden, sagt er, dass es ein Vorgang eigener Art ist, welcher den Wasseraufstieg innerhalb der Wasserbahnen der Pflanze bedingt, und dass es sich hierbei um Fortpflanzung von Gleichgewichtsstörungen innerhalb der suspendierten Flüssigkeit handelt, die sich durch Strömungen aus- gleichen“. Eine eigene Theorie der Wasserbewegung hat Stras- burger nicht aufgestellt, aber auf seinen Versuchen baute Askenasy weiter und gab zum ersten Male, wie mir wenigstens scheint, eine 1) Die Arbeiten beider Physiologen finden sich meistens in den Arbeiten des bot. Instituts zu Würzburg. 2) Pringsheim’s Jahrbücher, Bd. 18, 1887. 3) Sitzungsberichte der Berliner Akademie, 1336. 4) Jena 1891. T 568 Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. mit den Verhältnissen in der Pflanze und mit den physikalischen Ge- setzen im Einklang stehende Lösung des so lange vergeblich studierten Problems!). Askenasy geht von der Annahme aus, dass in den Leitungsbahnen zusammenhängende Wassersäulen vorhanden sind: es “werden diese dann durch die Cohäsion des Wassers und die Adhäsion desselben an den Wänden der Bahnen am Sinken verhindert. Gehoben werden sie durch die osmotische Kraft der Zellen an den verdunsten- den Teilen, und diese osmotische Kraft kommt zu Stande, indem das Wasser außen verdunstet und dadurch neues durch die Imbibitionskraft der Membran aus den Zellen aufgesaugt wird. Andererseits setzt sich der Zug der Wassersäulen in den Leitungsbahnen bei den lebenden Zellen der Wurzeln wieder in osmotische Kraft um und diese bewirkt die Aufnahme aus dem Erdboden. Dieser Zug von oben scheint auch für das Aufsteigen des Wassers in den Wurzeln von größerer Bedeu- tung zu sein, als der sogenannte Wurzeldruck. Da die Cohäsion des Wassers nach der Ansicht Askenasy’s von großer Bedeutung für die Saftleitung ist, so behandelt er dieselbe vom physikalischen Stand- punkte aus noch eingehender. Es kommt nun darauf an zu zeigen, dass die Cohäsion des Wassers in den Leitungsbahnen und seine Ad- häsion an ihren Wänden auch noch wirksam ist trotz der Anwesen- heit von Gasblasen, welche sich ja in Wirklichkeit in den Wassersäulen finden. Hier tritt als Erklärung die von Strasburger und Vesque gemachte Beobachtung ein, dass zwischen den Gasblasen und der Membran sich noch eine Wasserschicht befindet, die auch wirklich an den Gasblasen vorbeifließt. Dass ein solches Verhalten mit den Lehren der Physik nicht in Widerspruch steht, wird noch besonders nach- gewiesen, um die Einwände Schwendeners?) zu entkräften. Es ist eben zu beachten, dass die wasserdurchtränkten Röhren in der Pflanze sich ganz anders verhalten als nur benetzbare Glaskapillaren. „Den Zug, den Schwendener in der lebenden Pflanze vermisst, rührt von der Verdunstung der Blätter her und wird durch die Cohäsion nach unten geleitet“, also auch an den Gasblasen vorbei. Sehr wichtig dafür sind die rinnenartigen Vertiefungen und schraubenlinigen Ver- diekungsbänder in den Wänden von Tracheen und Tracheiden: ihre Bedeutung wird uns nur dadureh klar, dass wir sie als Mittel be- trachten, durch welche dem Wasser der Weg zum Vorbeifließen an den Gasblasen gewiesen, die Cohäsion der Wasserbahn gesichert wird. 1) Die erste, hier referierte Arbeit, findet sich in den Verhandlungen des naturhist. mediz. Vereins zn Heidelberg, N. F., Bd. V, 1895. 2) Außer der oben erwähnten Arbeit hatte Schwendener 1892 in den- selben Sitzungsberichten noch einen Aufsatz: „Zur Kritik der neuesten Unter. suchungen über das Saftsteigen“ veröffentlicht, der hauptsächlich gegen Stras- burger gerichtet war. Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. 569 Zu ganz ähnlichen Resultaten, wie Askenasy, gelangten auch die englischen Forscher Dixon und Joly!), welche ihre Anregung ebenfalls durch die Strasburger’schen Versuche empfingen aber keineswegs eine so ausgebildete Theorie der Wasserbewegung auf- stellten, wie sie soeben kurz geschildert wurde. Die Imbibition der Zellwände an den verdunstenden Blättern und die Cohäsion des Wassers in den Leitungsbahnen sind also die Kräfte, durch deren Zusammen- wirkung nach der neuen Theorie das Wasser bis in die höchsten Spitzen der Bäume gehoben werden kann. In einem zweiten Aufsatze, der erst in diesem Jahre erschienen ist?), hat Askenasy nun weitere Beiträge zur Begründung seiner Theorie gebracht und besonders einige interessante eigene Versuche beschrieben. So ist es ihm gelungen, an einem Apparate die Imbibition und Cohäsion so in Wirkung treten zu lassen, dass es den in der Pflanze vorhandenen Verhältnissen entspricht, und dabei eine den Barometerstand beträchtlich übersteigende Hubhöhe zu erreichen. Während nämlich die früher von Jamin, Naegeli und Stras- burger benutzten Apparate den Fehler hatten, dass der zur Wasser- leitung dienende Apparat aus porösen Substanzen bestand und von dem verdunstenden und hebenden Apparat nicht wesentlich verschieden war, wandte Askenasy 90 em lange Glasröhren an, die 2,2—3,5 em Durchmesser hatten und oben in einen kleinen Trichter endigten, der mit einem Gipspfropfen erfüllt oder auch ganz mit Gips überzogen wird. Der Gips stellt die Membranen des Blattes dar, welche das Wasser verdunsten und immer neues nachsaugen, das Glasrohr die Holzgefälßse der Pflanze, in denen das Wasser aufsteigt. Unter gewissen Vorsiehtsmaßregeln wird nun das Rohr mit Wasser gefüllt, mit dem offenen Ende in eine Schale mit Quecksilber gestellt und in senkrechter Haltung befestigt. Sowie nun das Wasser durch den Gips verdunstet, wird es weiter aufgesogen und das Quecksilber steigt nach. In dem einen Falle stieg das Quecksilber in ca. 33 Stunden auf 82 em (6 em über den Barometerstand) in dem anderen in 26 Stunden auf 89 emi (14 em über den Barometerstand). Im ersten Versuch wurde ein weiteres Steigen durch das Entstehen einer Luftblase unter dem Gipse verhindert, im zweiten bildete sich eine solehe erst später, nachdem das Quecksilber bei vollständiger Verdunstung des Wassers den Gips berührt hatte. Diese Resultate sind jedenfalls ein sehr bemerkens- werter Beweis für die Richtigkeit der Theorie, die also wesentlich darin besteht, dass die Imbibition der Zellhaut die so lange vergeb- lieh gesuchte Quelle für die Saugkraft bei dem Aufsteigen des Wassers ist und dass die Größe der Imbibitionskraft der Zellwände wirklich 1) Proceedings Royal Soc. London, Vol. 57, 1895 und Philosoph. Transaet. Royal Soe., London, Vol. 186, 139. 2) in denselben Verhandlungen des Heidelberger Vereins. 570 Möbius, Wasserbewegung in den Pflanzen. ausreicht, um das Aufsteigen des Wassers, unter Voraussetzung von dessen Cohäsion, die ja auch nachgewiesen werden kann, in den Pflanzen zu bewirken. Askenasy sprieht es übrigens selbst aus, dass gewiss noch viel zu thun bleibt, um die Theorie des Saftsteigens vollständig klar zu legen, doch braucht dadurch die von ihm gegebene Darstellung über die Ursachen des Saftsteigens keine wesentlichen Aenderungen zu erfahren: ihre Einfachheit spricht schon sehr zu ihren Gunsten und simplex sigillum veri. Wenn ich es nun versucht habe, im Vorhergehenden einen Ueber- blick über die Geschichte der Theorien der Saftsteigung zu geben, so muss ich noch besonders betonen, dass es nur ein Ueberblick keine ausführliche Darstellung gewesen sein soll. Zunächst habe ich mich nur beschäftigt mit der Erklärung, durch welche Kräfte das Wasser gehoben wird, nicht aber, oder höchstens gelegentlich mit den Unter- suchungen über die Wasseraufnahme durch die Wurzeln, über die Bahnen des Wassers im Allgemeinen (im Splint- und Kernholz) über die Geschwindigkeit der Wasserbewegung, die Transpiration und andere solche Gegenstände, welche mit dem behandelten in engster Verbindung stehen, in Hinsicht auf welche ich aber auf die Lehrbücher, vorzüg- lieh auf Sachs’ Vorlesungen über Pflanzenphysiologie und, soweit es das Historische betrifft, auf des genannten Physiologen vortreffliche Geschichte der Botanik verweisen kann. Ferner habe ich nicht ver- sucht, die verschiedenen Theorien ausführlich zu beschreiben, zu kriti- sieren oder auch zu widerlegen: fast Jeder, der eine neue Theorie aufstellte, ist mit denen seiner Vorgänger in solcher Weise verfahren; dies hier nochmals mit Ausdehnung auf alle zu thun, schien mir nicht notwendig. Drittens bin ich auch nieht auf Vollständigkeit in der An- führung aller jemals aufgestellten Theorien und deren Kritiken aus- gegangen, vielmehr kam es mir darauf an, nur die hauptsächlichen Umwandelungen, welche die Erklärung des in Rede stehenden Problems erfahren hat, zu charakterisieren. So habe ich, weil sie sich nicht gut in diesen Verlauf der Umwandelungen, wie er sich dem Ueber- bliekenden darstellt, einfügen lässt, die Theorie von Scheit!) nieht besprochen und vielleicht auch sonst manches nicht erwähnt, was 1) Nach dieser (Jenaische Zeitschrift f. Mediz. und Naturw., Bd. 19, 1886, S.678—734) findet die Wasserbewegung auf zweierlei Art statt. Zur Zeit der Neubildung von Organen wird das Wasser im Lumen der Gefäße als kontinuier- licher Strom (da keine Luft in die Gefäße eindringen kann) durch den Wurzel- druck und die Kapillarität in die Höhe getrieben, während zu anderen Zeiten und Verhältnissen das Wasser in Dampfform aus den tieferen Teilen in die höheren gelangt, nämlich einerseits gegen das Ende der Vegetationsperiode, wann die Wurzelthätigkeit und Neubildung der Organe aufhört und die Ab- lagerung der Reservestoffe erfolgt, andrerseits bei Trockenheit des Bodens und zu starker Transpiration. Diese Theorie wird nach der letzteren Hypo- these als Destillationstheorie bezeichnet. Lombroso, Anthropologie der Verbrecher, 571 andere erwartet hätten. Ich will schließlich deswegen nur noch be- merken, dass dieser kleine Aufsatz weniger für die Fachleute, also die Pflanzenphysiologen, berechnet ist, als vielmehr für Naturforscher überhaupt, deren Studien in anderer Richtung liegen, die es aber interessieren dürfte, über den Stand der Frage, die sich eigentlich Jedem darbietet: wie steigt das Wasser bis in die Spitzen der Bäume ? etwas zu erfahren. [66] Die neuesten anatomischen Entdeckungen zur Anthropologie der Verbrecher. Von Prof. ©. Lombroso in Turin. Herr Prof. Sernoff hat mir die Ehre erwiesen, in seiner Antritts- rede an der Universität zu Moskau „Die Lehre Lombroso’s“ (ver- öffentlieht im Biolog. Centralbl., April 1896) die Lehre der Kriminal- Anthropologie vom anatomischen Standpunkt aus mit anscheinend großer Gründlichkeit zu besprechen. Während ich ihm im Namen der neuen Schule dankbar dafür bin, da nichts dem Fortschritt dienlicher ist als eine weise Kritik, so muss ich doch bekennen, dass ich gewünscht hätte, dieselbe wäre auf ernstere Untersuchungen begründet worden. In der That hat er bei der Abfassung seiner Kritik nur etwas obenhin wenige Seiten eines Buches in Betracht gezogen, das nur eine kurze und summarische Zusammenfassung meiner Untersuchungen ist, aber nicht mein italienisches Originalwerk, in welehem sie aufs ausführ- lichste beschrieben sind, und ebensowenig die letzten 10 Jahrgänge meines Archivs der Kriminal- Anthropologie, in welchen eine große Reihe neuer anatomischer Thatsachen zusammengebracht sind, nieht sowohl von mir, der ich kein Anatom bin, als vielmehr von hervor- ragenden Anatomen, die er nicht kennt oder vorgibt nicht zu kennen, wie Romiti, Valenti, Flesch, Fusari, Roncoroni, Faller, Mondio. Dagegen bemüht er sich mit großer Ausdauer jene Schluss- folgerungen, die ich selbst bekämpft habe, zu widerlegen, so dass er schließlich nur offene Thüren einrennt. In der That, bevor Sernoff es unternahm die Gesamtheit meiner Lehre zu bekämpfen, habe ich selbst auf 8. 153 der zweiten franzö- sischen Ausgabe meines Werkes „L’uomo delinquente“ (des einzigen Buches meiner Schule, das er gelesen hat, und auch das nur flüchtig) erklärt, dass die anthropometrischen Schädeluntersuchungen dureh ihre wechselnden Ergebnisse meine Erwartungen enttäuscht hätten. Ebenso habe ich auf S. 179 derselben Auflage betreffs der Hirnanomalien ge- sagt, dass die Untersuchungen von Hensch, Willig, Hanot und Benedikt sehr an Wert verloren hätten dureh die Veröffentlichung von Giacomini, welche jetzt Sernoff als neuen und entscheidenden Beweis gegen alle Lehren der Kriminalanthropologie ins Feld führt. 572 Lombroso, Anthropologie der Verbrecher. Ich habe auch schon (S. 185) erklärt, dass es zu kühn wäre zu behaupten, dass die Hirnwindungen bei Verbrechern spezifische Ano- malien zeigten. Aber auffallend ist es, dass ich mit meiner zu großen Vorsicht vielleicht Unreeht hatte, insofern als ich außer Acht gelassen hatte, dass die negativen Schlüsse Giacomini’s von Untersuchungen her- rühren, die er an Frauen gemacht hatte, welehe dureh die Gleich- mäßigkeit der Merkmale, durch die geringe Variabilität, die sich immer bei der Frau findet, naturgemäß weniger Anomalien aufweisen mussten. In der That weisen neue Untersuchungen, besonders an Männern, stets häufigere Anomalien auf. So fand neuerdings Valenti die Ver- schmelzung der beiden Thalami optiei bei einer Prostituierten, Min- gazzini 4 Fälle von Submikrocephalie unter 40 Gehirnen von Ver- brechern. Derselbe Mingazzini fand auch bei 13°/, von Verbrecher- gehirnen die erste Uebergangsfalte der Fissura parieto-oceipitalis viel tiefer, wie es beim Schimpanse und Gorilla zu sein pflegt; ferner voll- ständiges Fehlen des Suleus oceipito-lateralis temporalis und in 36°], eine Kommunikation des Suleus temporalis und des Suleus interparietalis. Flesch fand bei einer Diebin einen wahren mittleren Hirnlappen mit 2 Furchen, welche die mittlere Ineisur überschreiten, nach vorn divergieren und in der ganzen Länge der Hemisphären die horizon- talen Windungen des mittleren Lappens kreuzen, wie es bei den nie- deren Säugetieren der Fall ist. Fallot fand bei zwei Mördern Vertiefung der zweiten äußeren Uebergangsfalte und die Bildung eines Opereulum oceipitale, Oberfläch- lichkeit des Gyrus euneiformis. Neuerdings fand Mondio!), welcher diese Studien an 18 Gehirnen männlicher Verbrecher wieder aufgenommen hat, dass Anomalien bei männlichen Verbrechern häufig sind; ich erinnere insbesondre an die anomalen Zusammenhänge der Sylvi’schen (19 Fälle) und der Ro- lando’schen (12 Fälle) Furche mit benachbarten, die Verdoppelung mancher Frontalwindungen (5 Fälle), das Fehlen einer der äußeren Uebergangsfaiten (8 Fälle), die vertikale Richtung der Rolando’schen Fnrehe; das Operculum oceipitale (2 Fälle), die Entblößung der Insula keilii (5 Fälle). Sernoff selber ist genötigt zuzugeben (S. 335—36), dass er die Trennung der Fissura ealcarina von der parieto-oceipitalis externa in 2 von 200 normalen Hemisphären, dagegen in 4 von 50 Hemisphären von Verbrechern gefunden hat. Einen neuen atavischen Charakter hat aber neuerdings Bonco- roni in der feineren Morphologie der Hirnrinde der Frontallappen bei Epileptikern und geborenen Verbrechern gefunden, nämlich den Mangel der inneren Granularschicht, die verminderte Zahl und das größere Volumen der Nervenzellen in der grauen Substanz und endlich viel 1) Archivio per l’Antropologia e l’Etnologia, 1895, Vol. XXV. Lombroso, Anthropologie der Verbrecher. 573 zahlreichere Nervenzellen in der weißen Substanz als bei normalen Menschen. Unter 26 Epileptikern, die zur Untersuchung kamen, war die innere Granularschicht in 14 sehr reduziert: in 7 fehlte sie gänzlieh. Unter 14 geborenen Verbrechern war sie in 4 sehr reduziert, in 6 fehlte sie vollständig. Aber in Fällen von erworbener Epilepsie, bei Gelegen- heitsverbrechern und bei Irren ist die innere Granularschicht ganz normal. Das vermehrte Volum und die verminderte Zahl der Nerven- zellen findet sich sehr bedeutend bei 13 Epileptikern und 6 geborenen Verbrechern, dagegen kommt die vermehrte Zahl der Nervenzellen in der weißen Substanz seltener vor. — Die andern Argumente, welche Sernoff auf 40 Seiten auseinander- setzt, lassen sich auf folgendes zurückführen: Nur wenige wahre Ana- tomen haben die morphologischen Anomalien der Schule Lombroso’s studiert. Und Flesch, und Benedict, und Hanot, und Willyk, und Mondio, und Fusari, und Valenti, und Varaglia, Romiti, Ferrier, Fallot; sind alle diese keine Anatomen? Sie alle kennt Sernoff nicht. Er teilt die Charaktere des geborenen Verbrechers in verschiedene Gruppen: I. Vermindertes Volum des Gehirns im ganzen oder nur der Frontal- lappen, mittels Schädelmessungen erkennbar (S. 311—313). Hierin hat er keine Originalstudien gemacht um sie unserer Schule entgegenzu- stellen, aber er nimmt keinen Anstoß hinzuzufügen (S. 412): Unter allen kraniometrischen Charakteren ist nur einer der Beachtung wert. Und dieser bestätigt die Theorie des Lombroso. In der großen Majorität der Fälle zeigt die Erfahrung, dass das Stirnbein, vom Ophrion bis zum oberen Rande gemessen, viel weniger als beim normalen Menschen entwickelt ist. II. Pathologische Symptome, die er als die einzigen degenerativen Charaktere betrachtet. Hier bemerkt er, dass die Zahl dieser Chrak- tere nicht sehr bedeutend sei. In der That zählt er auf: 1. metopische Knochennaht; 2. Vorhandensein einer Knochennaht; 3. Wormische Knochen; 4) Schädel- und Gesichtsasymmetrie. Dagegen hat er viele andere Charaktere ganz vergessen, nämlich: die Schädelsklerose, den übertriebenen Schädelindex, die hydrocephalische Stirn, die Oxycephalie, die Acrocephalie, die partiellen Schädeleindrückungen, die zahlreichen Östeophyten, die vorzeitigen Synostosen, die sehr großen und abstehen- den Ohren, den Strabismus, die Spuren von Meningitis, die Brust- asymmetrien, die zahlreichen Anomalien der Eingeweide, die Hernien, das Fehlen des Bartes, die anatomische, motorische und sensorische Linkshändigkeit, die Veränderungen der Reflexe, die Ungleichkeit der Pupillen, die Stumpfheit der allgemeinen Sehmerzempfindlichkeit, die Stumpfheit des Gehörs-, Geschmacks- und Geruchssinns; die periphe- 574 Lombroso, Anthropologie der Verbrecher. rischen Skotome des Gesichtsfeldes. Und im Gebiet der Psyche hat er folgende Charaktere ebenfalls nicht aufgeführt: den Aberglauben, die Veränderungen der Affekte und des moralischen Sinnes, das im- pulsive Wesen, der Kannibalismus, die Päderastie, die Onanie, die Obseönität, den auffallend früherwachenden Geschlechtstrieb und die Liebe zum Wein, die Vorliebe für Tiere, die Simulation, das mürrische Wesen, den Schwindel und die Amnesie. Wie man sieht ist die Zahl der pathologischen Symptome nicht klein. Aber Herr Sernoff, bestrebt die pathologischen von den ata- vischen Charakteren zu unterscheiden, merkt nicht, dass diejenigen, welche er als pathologisch betrachtet, gleichzeitig atavisch sind, wie zum Beispiel die metopische Knochennaht und die Wormischen Knochen. Doch zieht er hinsichtlich der pathologischen Charaktere folgenden Schluss (S. 313): Die Vergleichung der Häufigkeit dieser Charaktere in normalen Individuen und in Verbrechern gibt negative Resultate. Sie ist in beiden Fällen gleich. Aber die Menge von Daten welche diejenigen, die Verbrecher und Normale genau studiert haben, gesammelt haben, bestätigen gerade das Gegenteil. Wie kann Prof. Sernoff diese Schlüsse so leicht ziehen? Was für Beobachtungen hat er ge- macht? Welche Daten verdanken wir dem Herrn Sernoff? Keine. In dieser Weise kommt er sehr schnell und oberflächlich über die Anomalien der zweiten Gruppe hinweg und geht auf die Anomalien der dritten Gruppe über: Varietäten und atavische Anomalien. Unter diese zählt er: 1. Anomalien der Zähne; 2. die übermäßige Breite des Gaumens; 3. seltene Anomalien des Foramen oceipitale; 4. Fossa oceipitalis mediana; 5. pigmentierte Iris; 6. die Bart- losigkeit; 7. Anomalien der ÖOhrmuscheln; 8. starke Entwicklung des Augenbogens; 9. starke Entwicklung des Gesichtsknochen. Hier aber vergisst er die Mikrocephalie, die niedrige und zurücktretende Stirne, die Schiefheit der Augenhöhlen, den Lemurenanhang, die männ- liche Gesichtsbildung bei Frauen, das vermehrte Volumen des kleinen Gehirnes, den Greif-Fuß, das Vorhandensein nur einer Falte auf der inneren Handfläche, die kunzeln, die olivenfarbige Haut, das Tätto- wieren, die kurzen krausen Haare, die unruhige Beweglichkeit, die Stumpfheit des Gefühls, die Unverwundbarkeit, die niedrige Intelligenz, das Fehlen der Gewissensbisse. Selbstverständlich sind viele dieser als pathologisch betrachteter Charaktere auch atavisch. Von diesen atavischen Anomalien zieht Sernoff nur die letzten drei in Betracht und nimmt die größere Entwicklung des Gesichts- schädels als einen Charakter an, welcher die Theorie Lombroso’s bestätigt. S. 322 ff. bemüht sich Sernoff zu zeigen, dass die Breite des Stirnbeins in keiner Beziehung zu der Entwicklung der Frontallappen steht. Er gibt die an 42 Individuen gemachten encephalometrischen Lombroso, Anthropologie der Verbrecher. 575 Messungen und schließt: Den kleinen Stirnknochen (66°) entspricht eine größere Entwicklung der Frontallappen (links 105°, rechts 104) und umgekehrt dem größeren Stirnknochen (88°) entspricht die kleinere Entwicklung der Frontallappen (links 98°, rechts 100°). Er hat aber die Werte seiner Daten nicht richtig erkannt, indem er nur die Ausnahmen nicht aber die herrschenden Gesetze gesehen hat. In der That, wenn er die 21 Fälle, wo die Entwicklung des Stirnbeins kleiner ist, betrachtet (66 bis 72), so ergibt sich ein Mittel- wert für die Frontallappen — links 102,23 und rechts 101,00, während für die übrigen 21 Schädel (72 bis 80) die Zahlen 104,9 links und 104,14 rechts sind. Aber wenn wir die wittelwertigen Schädel fortlassen und nur die- jenigen, bei welchen die Entwicklung des Stirnbeins am kleinsten und am größten ist, im Betracht ziehen, so bekommen wir noch deutlichere Resultate: Rechts Links Die ersten 10 Fälle von 66 bis 60: 101,30 101,60 Die letzten 10 Fälle von 74 „ 80: 105,70 105,30. Welchen Wert hat also die Behauptung Sernoff’s (8. 325): „Man ersieht aus dem Gesagten, dass die von der Kraniometrie fest- gestellten Thatsachen der geringeren Größe der Stirnbeine am Ver- brecherschädel dank den Ergebnissen der vergleichenden Encephalo- metrie gegenstandslos geworden ist?“ Es geht daraus hervor, dass ein Autor Daten sammeln kann, ohne sie genau analysieren zu können. Um das Ueberwiegen der höheren Zahlen in der Entwicklung des Gesichts bei Verbrechern im Vergleich zu normalen Individuen zu er- klären (eine Thatsache, die er selbst annehmen muss), wendet er sich zu folgenden sophistischen Beweis; die schweren Verbrecher, wie Mörder, Diebe, Straßenräuber ete. (deren Schädel sich nur nach einer künstlichen Auswahl in den kriminellen Sammlungen finden) müssen, um diese Verbrechen vollbringen zu können, männlich, kräftig und erwachsen sein, daher ein stärker entwickeltes Skelett besitzen als normale Individuen, unter denen eine solche Auswahl nicht stattfindet. Dies aber erklärt zunächst gar nicht das Ueberwiegen von jenen Messungen anderen gegenüber; außerdem ist es bekannt, dass Jerri in seinem Buche „L’Omieidio“ einen viel größeren Wert an diesen verschiedenen Messungen angegeben hat, indem er dieselbe in Ver- hältnis zu Alter, Statur, Körpergewicht betrachtet hat, d. h. viel ge- nauer und mehr unter dem Gesichtspunkte des relativen als des ab- soluten Wertes. Aber es ist sonderbar, dass, nachdem Prof. Sernoff sich so be- müht hat, die Wichtigkeit der sogenannten degenerativen Charaktere zu leugnen, auch in dem Fall, wo sie zahlreicher bei Verbrechern als 576 Lombroso, Anthropologie der Verbrecher. beim normalen vorkommen (und wenn das wahr wäre, so wären alle vorgelegten Beweise vergeblich), er dann zu dem Schluss gelangt, dass die Zahl dieser Charaktere gleich bei normalen und Verbrechern ist. Der Verfasser sagt zu wiederholten Malen in Bezug auf die degenerativen Charaktere, sowie auch auf die pathologischen Anomalien (deren größerer Zahl bei Verbrechern Sernoff auch widerspricht), dass dieselben keine Bedeutung haben, weil sie nur als individuelle Varietäten zu betrachten sind. Aber es ist in der That wichtig, dass diese individuellen Varietäten sich immer gleich und zahlreicher bei Verbrechern finden, und dieses zeigt auch, dass sie nicht zufällig vor- kommen, sondern abhängig von gleichen und allgemeinen Ursachen sind. Er fügt noch hinzu, dass die Anthropologie einen Unterschied des Verhältnisses zwischen Schädelknochen und Gesichtsknochen bei höheren und niederen Rassen bestätigt, aber er glaubt, dass diese Unterschiede innerhalb einer Rasse keine höher oder niedriger organisierter Indi- viduen repräsentieren können, indem die Schwankungen in diesem Fall belanglos sind. Er gibt als Beispiel die Hautfarbe an, welche zur Unterscheidung der höheren und niederen Rassen dient, aber innerhalb der Rasse in ihren Abstufungen keinen Maßstab für die Höhe der individuellen Organisationen abgibt. In diesem Einwand fehlt aber der kritische Geist. Man muss in der That nieht nur die Verschiedenheiten der Schädelgestalt und der Hautfarbe bei Individuen derselben Rasse berücksichtigen, wenn die- selben Typen niedriger Rasse vorstellen; sondern diese Verschieden- heiten sind sogar in diesen Fällen noch wichtiger als gewöhnlich. Beispiele dafür bieten die Cretinen und Idioten. Der Mikrocephalus zeigt Gestalten und Formen, die nicht nur bei Negern sondern auch bei Affen vorkommen. Und wer wollte die Wichtigkeit dieser Ergebnisse und ihrer atavischer Charakter leugnen, weil die Idioten keine Affen oder Neger sind? Sie sind deshalb wichtig, weil sie eben atavische Charaktere sind. Man muss ferner noch beifügen, dass wenn viele Individuen wie Cretinen, und vielleicht die Mikrocephalen, diese Charaktere zeigen, sie innerhalb der Rasse selbst wieder ihrerseits eine spezielle und be- sondere Gruppe, und in der Rasse eine neue Rasse ausmachen. Man kann nicht einwenden, dass sie in Folge von Zeugungsunfähigkeit keine Rasse bilden, da Cretinen und Verbrecher sich leider fortpflanzen und immer unter Beibehaltung derselben Charaktere. Die Wichtigkeit der Anomalien nicht anerkennen, hieße die Ge- setze der pathologischen Anatomie und der Theratologie umstoßen. Letztere ist immer in engster Verbindung mit der Physiologie, weil sie ursprüngliche Stadien der tierischen und menschliehen Entwicklung wiederholt, was, wie wir glauben, bei der Idiotie, bei dem moralischen Irrsinn und bei Verbrechern der Fall ist. Lebedinsky, Entwieklungsgeschichte der Nemertinen. ya Weil Herr Prof. Sernoff keinen anderen Beobachter findet, so zitiert er Debierre. Aber Debierre, welchem der Verfasser so viel Lob spendet, wegen der Ordnung und Sorgfalt, mit welcher er das Schädelmaterial gesammelt und studiert hat, bevor er den Schluss gegen die Theorie Lombroso’s zieht, beweist seine wissenschaftliche Genauigkeit in folgender Weise. In einem Artikel über die Fossa oceipitalis mediana in der Anthro- pologie (Comptes rendus de la Societ€e de Biologie) schreibt Debierre, dass er 406 Verbrecherschädel beobachtet hat: 231 Verbrecher aus Gent mit 8; 24 Enthauptete mit 1; 25 Mörder mit 3; 17 Mörder und 6 andere Verbrecher mit 1 Fossa oceipitalis. Dann fährt er fort: Wenn ich alle die Verbrecherschädel, die ich beobachtet habe, zusammenfasse, so ergibt sich die große Zahl von 406 Schädeln, die durchschnittlich nur ein Verhältnis von 3°/, der Fossa oceipitalis media gezeigt haben. Aber wenn wir die von ihm aufgezählten Schädel addieren, s« ergibt sich nicht die Zahl 406 sondern nur 303, und das Verhältnis der Fossa stellt sich in diesem Falle auf 4,2°/,. Außerdem hat De- bierre unter 23 Schädeln von Irren dreimal die Fossa oceip. media gefunden, d. h. ein Verhältnis von 15°/, (Lombroso 14°/,), aber er sagt, dass das Verhältnis dieser Fossa nur zwischen 2 und 8°, sei. So genau sind seine Rechnungen. Und was seine wissenschaft- lichen Kenntnisse betrifft, so will ich nur erwähnen, dass er in dem- selben Artikel nicht zu wissen scheint, was schon längst eine aner- kannte Thatsache ist, nämlich, dass die Frauen immer weniger degenerative Charaktere als die Männer zeigen und dass sich derselbe Unterschied auch in Bezug auf Idiotie und Cretinismus zeigt. Wenn Herr Sernoff keine anderen Gewährsmänner hat, so kann man ruhig sagen, dass bis jetzt kein ernsthafter Anatom der krimi- nellen Anthropologie ernstlich widersprochen habe. [70] Zur Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. Von J. Lebedinsky, Privatdozent an der Universität in Odessa, Die Nemertinen entwickeln sich, wie bekannt, auf zweierlei Weise. Die einen laufen in der Ontogenie durch eine streng ausgesprochene Metamorphose, die anderen entwickeln sich dagegen ohne jede Meta- morphose. Erstere gehen ontogenetisch die larvale Pillidium-Form oder Desor’sche Larve durch, die letzteren besitzen keine Larven- form. Danach unterscheidet man indirekte und direkte Entwick- lung der Nemertinen. Was die indirekte Entwieklung der Nemertinen betrifft, ist dieselbe vergleichsweise ziemlich vollständig untersucht, worüber ınan sich aus AVI. 37 578 Lebedinsky, Entwieklungsgeschichte der Nemertinen. den Arbeiten von Metscehnikoff, Bütschli, Hubrecht, Salensky und Bürger informieren kann. Unsere Kenntnisse über die direkte Entwicklung der Nemertinen sind dagegen nur fragmentarisch und sehr dürftig. Von den diesbezüglichen Arbeiten sind die einen!) ziem- lich alt und fördern neuere Untersuchungen; die anderen?) bieten nur kurze Notizen, die die spätesten Stadien als die frühesten qualifizieren; die dritten?) behandeln wieder die Entwicklung nur nach optischen Schnitten. Die einzige mehr ausführliche und spätere Arbeit, die die direkte Entwicklung der Nemertinen behandelt, ist diejenige von Pa- lensky über Monopora vivipara*). Aber Monopora ist vivipar und bietet dadurch jedenfalls eönogenetische sekundäre Abweichungen dar. Die Arbeiten über die Nemertinen aus dem letzten Decennium behan- deln nur die Anatomie, Histologie und Systematik der Nemertinen gründlich. Die Ontogenie aber ist ganz bei Seite gelassen. „Unsere Kenntnisse von den ersten Entwicklungsvorgängen bei den Nemertinen — klagt Bürger — sind sehr lückenhaft. So sind wir über die Ent- wicklung der Protonemertinen völlig im Dunkeln. Auch über die Ent- wieklung der Eupoliiden wissen wir nichts. Ferner sind unsere Kennt- nisse von der Ontogenie der Meso- und Heteronemertinen dürftig zu nennen. Am völligsten sind wir über die Entwicklungsgechichte der Metanemertinen unterrichtet, wo wir sie wenigstens fragmentarisch von den meisten Gattungen besitzen®). Es ist mir nicht gelungen — gesteht Bürger — bedeutende Lücken im embryologischen Teil auszufüllen ®). Sind unsere Kenntnisse über die Entwicklungsgeschichte der Ne- mertinen lückenhaft, dürftig, veraltet — so scheint mir jede neuere Mitteilung aus diesem Gebiete nützlich und wünschenswürdig zu sein. Seit zwei Jahren beschäftigte ich mich mit der Entwicklungs- geschichte der Nemertinen. Mehrere und verschiedene Gattungen unter- lagen als Objekte meiner Untersuchungen’). Aber nur einige von 1) Dieck S., Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. Jen. Zeitschr. f. Naturw., 8. Bd., 1874. 2) Hoffmann C. K., Zur Entwicklungsgeschichte von Tetrastemma vari- color Verst. Niederländisches Archiv f. Zoologie, 3. Bd., 1876 —1877. 3) Barrois Jules, M&moire sur l’embryogenie des Nemertes. Annales des sciences nat., be serie, Zoologie, T.6, 1877 4) Salensky W., Recherches sur le d&veloppement de Monopora vivi- para Uljan. Archives de Biologie, T.5, 1884. 5) Bürger O., Nemertinen. Monographie, S. 456. 6) Ibid. Vorwort, S. 5. 7) Protonemertini: . Carinella annulata (Mont.), C. suporbes (Köl.); Mesonemertini: . Cephalothrix bioculata (Verst.); Metanemertini: . Tetrastemma vermiculus (Quatrf.), T. diadema (Hubr.), Z. melanocephalum (Johnst.); Oerstedia dorsalis (Zool. Dan.) und Drepanophorus speetabilis (Quatrf.). Meteronemertini: Micrura fasciolata, Eupolia curta und E, delineata. Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 579 ihnen haben mir embryologisches Material geliefert). Das sind Dre- panophorus spectabilis (Quatref.), Tetrastemma vermiculus (Quatref.), T. diadema (Hubr.), T. melanocephalum (Johnst.), Oerstedia dorsalis, Cephalothrix bioculata(Oerst.). Von diesen Arten wurden Drepanophorus, Tetrastemma vermiculus, Oerstedia und Cephalothrix ausführlich unter- sucht, die anderen boten nur die ersten oder späteren Entwicklungs- stadien dar. Meine Absicht ist, die Entwicklungsgeschichte von Dre- panophorus spectabilis (Quatr.) hier mitzuteilen. Diese Metanemertine legt die Eier in großer Zahl und Masse ab?). Die Eier sind in einer zarten Gallerte eingebettet, von welcher man sie leicht befreien kann. Ein Teil der Eier sind ganz rund, die anderen länglich oval. Die Eier sind so groß, dass man im Stadium von 8 Blastomeren diese gut mit dem bloßen Auge unterscheiden kann. Das sogleich abgelegte Ei ist von zwei Hüllen umgekleidet. Die innere oder Dottermembran steht nur wenig von der Eiperipherie ab, die äußere oder Chorion ist dagegen weit entfernt. Zwischen dem Eie und Dottermembran, sowie zwischen dieser und dem Chorion befindet sich eine zähe Flüssigkeit, die unter der Einwirkung von Reagentien gerinnt. Das Ei und die das selbe umkleidenden Hüllen sind zu einander konzentrisch gelagert; das Ei berührt weder die Dottermembran noch diese letztere das Chorion. Das abgelegte Ki besitzt ein großes ovales Keimbläschen. Dasselbe ist sehr deutlich konturiert, sein Plasma ist feinkörnig und auf der Peri- pherie mit den Chromatinkügelchen besämet. Bald nach der Ab- lagerung teilt das Ei zwei Richtungskörperchen ab, indem man gute karyokinetische Spindeln sehen kann. Eines der zwei Richtungs- körperchen halbiert sieh nicht selten und dann beobachten wir deren drei, die alle untereinander gleichgroß sind. Welches der zwei Rich- tungskörperchen sich halbiert — das erste oder das zweite — kann ich mit Sicherheit nicht sagen?). Das Richtungskörperchen geratet 4) Mehrere Nemertinengattungen sind — wie es auf der Stazione zoologica zu Neapel wohl bekannt ist — sehr caprieiös und wollen in den Aquarien die Eier nicht ablegen. 2) Diese Nemertine wohnte im Aquarium während 5 Monate (September- Januar) und hat nicht einmal die Eier abgelegt, obwohl alle der in großer Menge vorhandenen Individuen mit den geschlechtlichen Produkten ausgefüllt waren. Das embryologische Material habe ich ganz zufällig erhalten: einer von den frisch gefangenen Drepanophorus- Weibchen hatte eine große Menge von Eiern abgelegt. 3) Wie bekannt, nimmt man jetzt an, dass nur das erste der zwei Rich- tungskörperchen sich halbieren kann und muss. Diese Halbierung der ersten Richtungskörperchen ist aus den jetzigen hierhergehörigen Theorien verständ- lich (0, Hertwig, Vergleich der Ei- und Stammbildung bei Nematoden. Arch- f. mikrosk. Anat., 36). Aber es sind Fälle beobachtet worden, wo auch das zweite Richtungskörperchen sich halbiert, z.B. bei Macrobiotus macrony« nach Erlanger (Biol. Centralbl., XV, 1895). [> I 7 oJ 580 Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. oft in die Pigmentationshöhle und kann sich hier halbieren. Das Schicksal der Richtungskörperchen, die in die Segmentationshöhle ge- raten sind, ist für mich unbekannt geblieben. Jedenfalls beteiligen sie sich am Bau des Körpers nicht: ihre Anwesenheit in der Segmen- tationshöhle ist rein-mechanisch. Was die Riehtungskörperchen betrifft, die außerhalb des Eies geblieben sind, so liegen sie immer unter der Dottermembran und werden nur nach dem Zerreissen der beiden Ei- hüllen frei. Das reif gewordene und befruchtete Ei fängt an sich zu segmen- tieren. Die Segmentation ist eine totale inäquate, da die dritte, äqua- toriale Furche jedes von den vier ersten Blastomeren in zwei ungleiche teilt. So haben wir im Stadium von S Blastomeren eine bipolare Blastula mit einer kleinen Segmentationshöhle. Diese Differenz zwischen den beiden Polen bleibt auch während der weiteren Eifurchung, und die kleineren Zellen des oberen Poles teilen sich viel rascher als die- jenigen des unteren. Die ganze Oberfläche der Blastula ist mit Wimper- eilien bekleidet. Die weit vorgeschrittene bipolare Blastula hat einen bemerkenswerten Bau. Sie ist länglich oval und zeigt eine klar aus- gesprochene bilaterale Symmetrie. Ihre Bauchseite besteht aus hohen großen keilförmigen, die Rückseite dagegen aus niedrigen, kleinen, kubischen Zellen. In den beiden Enden der Blastula sind die Zellen sehr hoch; sie ragen in die Segmentationshöhle fächerartig hinein und markieren scharf die Bauch- und Rückenseite. Die Bauchseite bietet eine interessante Einrichtung der Zellen dar. Nahe am Hinter- ende befinden sich zwei große, ovalrunde Zellen, die immer gute karyo- kinetische Spindeln enthalten. Sie liegen im Anfange sich mit ihren Medianseiten berührend. Später aber schaltet sich zwischen ihnen eine prismatische Zelle ein, ihr folgen darauf mehrere und es bildet sich ein Feld (Ektodermfeld) von prismatischen Zellen. Diese werden die ersten invaginierenden Zellen sein. Jede der zwei großen oval- runden Zellen teilt sich in zwei und so bilden sich vier ovalrunde Zellen. Diese sind am hinteren und am vorderen Rande des Entoderm- feldes paarweise angeordnet. Eine solche bilateralsymmetrische Blastula verwandelt sich in die invaginierte Gastrula. Der Gastrulationsvorgang geht sehr langsam vor sich. Zuerst invaginiert das Entodermfeld und zieht die großen keilförmigen Zellen des hinteren Endes der Blastula mit sich. Diese bilden die dorsale, die Zellen des Feldes die ventrale Wand des Urdarms. Der Blastoporus stellt eine ovale seichte Ein- senkung dar. Während der Gastrulation teilen sich die invaginieren- den Zellen schon nach der Länge. Die beiden hinteren sowie die vorderen ovalrunden Zellen bleiben entsprechend am hinteren und vorderen Rande des Blastoporus. Sie invaginieren erst, wenn die Gastrulation schon ziemlich vorgeschritten ist, indem die hinteren in der dorsalen Wand des Urdarmes, die vorderen aber zwischen Ento- und Ektoderm, am Vorderende des Blastoporus und symmetrisch zur Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 581 Medialebene zu liegen kommen. In diesem Stadium hat der Embryo alle drei Keimblätter, von denen das Mesoderm durch zwei große oval- runde Zellen repräsentiert ist. Diese letzteren zeigen gute karyokine- tische Figuren und sich durch Mitosis vermehrend, bildet jede eine Reihe mesodermaler Zellen, den sog. Mesodermstreifen. Die Zellen des Mesodermstreifens sind untereinander locker verbunden. In diesem Stadium existiert noch keine Migration der Zellen in die Segmentations- höhle. Erst etwas später findet eine solche statt. Aus dem Ektoderm der Ventralseite emigriren einige Zellen, die sich mit denjenigen des Mesodermstreifens vereinigen. Aus den großen Zellen, die im Vorder- ende des Embryo liegen und in die Segmentatinshöhle fächerartig hineinragen, keilen sich ebenfalls mehrere Zellen aus, welche die mesodermale Bekleidung des Rüssels liefern. Der Embryo hat jetzt eine länglichovale Gestalt. Sein hinteres Ende ist diek und abgestumpft, das vordere ist etwas abgespitzt. Der mit Cilien bewimperte Embryo rotiert um seine Längsaxe. In einem solchen Embryo fangen schon die Organe sich zu bilden an. Am vorderen Ende bemerkt man drei schwache Einsenkungen des Ektoderms: 1. die mittlere stellt die Kopfgrube oder Frontalorgane dar; 2. die dorsal von ihr liegende repräsentiert die Kopfdrüse und 3. die ventral von der Kopfgrube liegende Einsenkung ist die Anlage des Rüssels. Jede von diesen drei Ektodermeinsenkungen hat ihre eigene Form und bietet einen eigenartigen histologischen Bau dar. 1. Die Kopfgrube besteht aus weniger großen flaschenförmigen Zellen, die um eine schwache Einstülpung radiär gelagert sind. Jede Zelle enthält einen großen runden Kern, der näher dem unteren Rande der Zelle liegt. Sein Plasma ist feinkörnig und vakuolisiert. Auf den Sehnitten zeigt es mehrere runde Höhlungen. Jede Zelle der Kopf- grube trägt auf seinem äußeren Ende lange Cilien, die alle zusammen einen starken Wimperschopf bilden. Die Vakuolen und Cilien dienen für die Zellen der Kopfgrube als ein charakteristisches Merkmal. In den früheren Stadien ist die Kopfgrube selbst nur eine seichte Ein- senkung, ihre Zellen sind groß und färben sich stark. In späteren Stadien wird die Kopfgrube tiefer, ihre Zellen sind kleiner und färben sich schwächer. Zuletzt bietet die Kopfgrube bei dem Embryo, der ein gut ausgeprägtes Nervensystem besitzt, eine kleine klare Höhle, aber ihre Zellen sind noch kleiner geworden und sehen etwas ver- kümmert aus. 2. Die Kopfdrüse erscheint als eine flache Einsenkung des Ekto- derms, dorsal von der Kopfgrube. Die Zellen der Binsenkung befinden sich in lebhafter Teilung, indem sie sich nur der Länge nach teilen. Die Einsenkung schließt sich gar nicht zum Sack und stellt in spä- terem Stadium eine umfangreiche Platte dar, die sich nach hinten weit verlängert. Die Zellen der Platte sind flaschenförmig und sehr an einander gepresst. Ihre inneren Ende sind mit einem Inhalt aus- 5829 Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. gefüllt, der sich stark färbt, die äußeren verjüngten haben dagegen keinen Inhalt und sind blass durchsichtig. In den noch späteren Sta- dien emigrieren mehrere Zellen aus der Platte und kommen unter ihr einzeln oder in die Gruppen vereint zu liegen. Wie es geschieht, dass die Kopfdrüse bei dem erwachsenen Tier in die Kopfgrube (resp. in das Frontalorgan) einmündet, konnte ich nicht verfolgen. Jedenfalls ist die Verbindung der Kopfdrüse mit der Kopfgrube sekundär. Nach- dem die Kopfdrüsenplatte mehrere Zellen abgegeben hat, verkümmert sie und atrophiert. 3. Die erste Anlage des Rüssels erscheint als eine kleine Ein- stülpung des Ektoderms, ventral von der Kopfgrube. Die Einstülpung besteht aus wenigen, aber großen Zellen, die in eine Reihe epithel- artig angeordnet sind. Einige von ihnen teilen sich (indem sie gute karyokinetische Spindeln zeigen), und die Einstülpung wird immer tiefer. Rings um die Rüsseleinstülpung herum emigrieren mehrere Zellen aus dem Ektoderm und lagern sich um dieselbe. Sie sind viel kleiner als die Zellen der küsseleinstülpung, färben sich intensiv mit Karmin, und bilden die mesodermale Bekleidung des Rüssels. Eine paarige, bilateralsymmetrische Entstehungsstelle dieser, die Rüssel- einstülpung umhüllenden Zellen, konnte ich nicht ermitteln, obwohl ich nach diesem Punkte mit der denkbar größten Sorgfalt gesucht habe. Die Anlagen des Oesophagus und des Rectum erscheinen sehr früh, und das Rectum legt sich etwas früher an. Am hinteren Ende des Embryo bemerkt man eine fächerartige Anordnung von wenigen Ektodermzellen. Diese sind hoch und flaschenförmig. An der Ober- fläche entspricht ihnen ein flacher Eindruck. Das ist die erste Anlage des Reetums. Später vermehren sich die Zellen, sie werden kleiner und bilden eine stärkere Einstülpung, die, als ein Röhrchen, in der Richtung zum Entodermdarm fortwächst und erst später mit diesem kommuniziert. Der Oesophagus legt sich hinter und nahe der Rüsseleinstülpung an und stellt eine Gruppe schmaler prismatischer Zellen dar. Später senken sich die mittleren Zellen ein und es bildet sich eine kleine Einstülpung. Diese wächst nach innen fort, stößt an den Urdarm und verbiegt sich etwas. Nur in späteren Stadien kommuniziert das Oeso- phagealrohr mit dem Entodermdarm. Wenden wir uns nun zum Entoderm, das wir im Gastrulastadium verlassen haben. Seine weitere Entwicklung in den Mitteldarm voll- zieht sich sehr langsam. Der Blastoporus, der im Gastrulastadium eine breite Oeffnung darstellt, wird gradatim immer kleiner, indem er von hinten nach vorne wandelt. Die Gastralhöhle, die anfangs ziem- lich umfangreich ist, verkleinert sich stark. Ihre Verkleinerung ge- schieht lediglich dadurch, dass die Entodermzellen sich längs und quer teilen, indem sie vortreffliche mitotische Spindeln darbieten. Durch die Querteilung der Entodermzellen verwandelt sich die ein- Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen, 583 reihige Darmwand in eine mehrreihige um und damit wird die Gastral- höhle stark verengert und verkleinert. Auf den Schnitten bleibt von ihr nur ein kleines rundes Lumen. Während dieser Evolution schnürt sich das Entoderm vom Ektoderm nicht ab und kommuniziert mit dem Blastoporus durch einen trichterförmigen entodermalen Fortsatz. Der Embryo ist in diesem Stadium verlängert, das Entoderm und Mesoderm füllen völlig die Segmentationshöhle aus. Das Entoderm prävaliert an der Mans. Bei weiterer Entwicklung verlängert sich der Embryo immer mehr, die Gastralhöhle vergrößert sich auch, da die Entoderm- zellen anfangen, sich in einer Reihe anzuordnen. Der Entodermdarm stellt jetzt einen röhrenförmigen Sack dar, der noch immer mit dem Blastoporus in Verbindung steht. Dieser letztere ist noch weiter nach vorne verschoben. Er befindet sich wie früher -— ınedial auf der Bauch- seite im vorderen Drittel des Körpers und hinter der Oesophagus- öffnung. Jetzt ist er mit wenigen (4 oder 6) großen vakuolisierten Entodermzellen begrenzt, die an der Oberfläche stark vorragen und das distale Ende des entodermalen Fortsatzes bilden, welch letzter zwischen den Ektodermzellen wie ein Pfropf eingeklemmt ist. Hier verkleinert sich der Blastoporus noch mehr und schließt sich zuletzt. Der entodermale Fortsatz schnürt sich vom Ektoderm ab und bildet den Blinddarm, der kurz ist und sich nach vorne richtet. Vom Blasto- porus bleibt nur eine flache Einsenkung und das Ektoderm ist an dieser Stelle etwas dünner. Der Oesophagus öffnet sich jetzt in den Entodermdarm. Er mündet in diesen ventral und nahe seinem vorderen Ende ein. Dadurch wird der Entodermdarm in zwei sehr ungleiche Abschnitte geteilt: der untere ist groß und bildet den echten röhren- förmigen Mitteldarm, der obere ist klein und erscheint nur als ein kurzer Fortsatz des Darmes. In diesem Stadium kommuniziert schon der Darm mit dem Rectum. Das letzte bietet ein kurzes Röhrchen mit einem deutlichen Lumen dar. Das Centralnervensystem der Nemertinen besteht, wie be- kannt, aus dem Gehirne und den Längsstämmen. Das Gehirn besteht wieder aus zwei dorsalen und zwei ventralen Lappen. Von den letz- teren gehen die Längsstämme aus. Die erste Anlage des Gehirns er- scheint als zwei paarige Ektodermverdiekungen in der vorderen Hälfte des Embryos. Das eine Paar von Verdiekungen liegt der Ventrallinie genähert und stellt die Anlagen der Ventralganglien dar, das andere Paar liegt näher der Dorsalseite und bietet die ersten Anlagen der Dorsalganglien des Gehirnes dar. Zwischen beiden ungleichnamigen Verdickungen jeder Körperseite befindet sich eine flache Einsenkung, die dieselben von einander abtrennt. So legen sich die dorsalen und die ventralen Gehirnganglien unabhängig von einander an und bilden entsprechend der dorsalen und die ventralen Gehirnlappen. Die ven- trale sowie die dorsale Verdickung besteht anfangs nur aus einer Reihe prismatischer Zellen. Bald aber vermehren sich die Zellen, r 84 Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. Or und die Verdiekung zeigt 2 bis 5 Reihen von Zellen. Dieselbe senkt sich ein wenig und stellt einen abgerundeten Haufen von Zellen dar, der sich vom Ektoderm abspaltet und tief unter ihm zu liegen kommt. Die beiden ventralen Zellenhaufen sind von einander getrennt, jetzt existiert noch keine Kommissur. Zwischen den beiden dorsalen Zellen- haufen, die ebenso wie die ventralen groß sind, gelingt es auch nicht, eine Kommissur klar zu beobachten. Also gibt es ein Stadium in der Ontogenie des Gehirns, wo jedes Paar der Ganglienanlagen selbständig entsteht und die Kommissuren nicht bemerkbar sind. Diese kommen erst später vor. Zuerst legt sich die Ventralkommissur, wie eine quere Ektodermverdiekung zwischen den Ventralganglienanlagen an. Jetzt bilden diese samt der Kommissur einen Halbring, der den Rüssel ventral umkreisst. Was die Längsstämme betrifft, so sind sie keine Auswüchse aus den Ventralganglien. Jeder Längsstamm oder Ventralnerv legt sich als eine paarige seitlichventrale Ektodermleiste an, welche die paarige Neuralleiste repräsentiert. Die vorderen Enden der Neuralleisten divergieren und sind in Verbindung mit den Ventralganglienanlagen. Ob diese Verbindung sekundär ist oder ob die Ganglienanlagen mit den Neuralleisten vom Anfange an eine gemeinsame Anlage bilden, diese schwierigste Frage kann ich mit Sicherheit nicht ermitteln. Je- doch erlauben einige Präparate mir die Frage im letzteren Sinne zu beantworten. Die beiden Neuralleisten, indem sie von vorne nach hinten verlaufen, konvergieren immer mehr und treffen auf der Ventral- seite zusammen. Dann ziehen sie sich medial abwärts und besteht jede nur aus einer Reihe großer, sich schwach färbender bewimperter Zellen. In dem hinteren Ende des Embryos schließt jede Neuralleiste mit einer Anschwellung. Diese zwei Anschwellungen befinden sich über der Analöffnung und berühren sich gegenseitig nicht. Wie es hier zur Bildung einer Analkommissur kommt, konnte ich nicht verfolgen. Was den Dorsalnerv betrifft, so legt er sich ähnlich den Ventral- nerven wie eine dorsalliegende Ektodermleiste an, welche die unpaarige dorsale Neuralleiste darstellt. Die Zellen der Dorsalleiste sind den- jenigen der Ventralleisten ähnlich. Sie sind so groß, als ob sie in einem früheren Segmentationsstadium stehen geblieben wären. Die dorsale Neuralleiste geht von der dorsalen Kommissur aus, die als eine quere ektodermale Verdickung zwischen den Dorsalganglien liegt und mit diesen vom Anfange an in Verbindung steht. Die Differen- zierung der Ventralleisten in die Längsstämme und der Dorsalleiste in den Dorsalnerv ist dieselbe. Die großen Zellen der Neuralleisten ver- mehren sich und bilden einen mehrzelligen Strang, der sich vom Ektoderm ablöst. Dieser doppelte Vorgang verläuft stufenweise von vorne nach hinten. Zum Schluss wollen wir die Ergebnisse über die direkte Entwick- lung von Drepanophorus spectabilis kurz fassen: Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 585 1. Das Ei dieser Nemertine ist groß, sphärisch oder oval und von zwei Eihüllen bekleidet. Bei der Eireifung werden zwei Richtungs- körperchen abgeteilt. Eines von ihnen, wahrscheinlich das erste, kann sich noch einmal halbieren. Die Richtungskörperehen geraten oft in die Segmentationshöhle. Sie beteiligen sich nicht an dem Bau des Körpers. 2. Die Eifurchung ist total adäqual. Die Segmentationshöhle existiert schon im Stadium von 8 Blastomeren. Aus der Eifurehung resultiert eine bipulare Blastula.. Im Blastulastadium findet keine Migration der Zellen in die Segmentationshöhle statt. Die bipolare (radiale) Blastula verwandelt sich in eine bilateral- symmetrische: Sie ist länglichoval, ihre Dorsalseite besteht aus kubischen und die Ventral- seite aus hohen Zellen; im vorderen sowie im hinteren Ende ragen fächerartig die großen Zellen in die Segmentationshöhle hinein. Auf der Ventralseite nahe dem Hinterende befindet sich das Entodermfeld, auf dessen vorderem und hinterem Rande zwei großovale Zellen paar- weise gelagert sind. Die zwei vorderen Zellen, die bei der Gastru- lation zwischen Ekto- und Entoderm, am vorderen Rande des Blasto- porus, zu liegen kommen, teilen sich, indem sie gute Karyomitosis- spindeln zeigen, und bilden den paarigen vorderen Mesoderm- streifen. Dieser letztere verbreitet sich längst der vorderen Oberfläche des Urdarmes und verwandelt sich in die Somato- und die Splanchno- pleura, zwischen welchen ein gut ausgebildetes Cölom liegt. Das hintere Paar der großovalen Zellen invaeiniert samt den Zellen des Entodermfeldes und liegt zeitlich in der dorsalen Wand des Urdarmes. Später aber emigrieren diese zwei Zellen aus der Gastralwand und lagern sich zwischen dem Ekto- und Entoderm, entfernt vom hinteren Rande des Blastoporus. Durch die Teilung mit guten karyokine- tischen Figuren bildet dieses Paar Zellen den hinteren Mesoderm- streifen. Beide Mesodermstreifen wachsen gegeneinander. Der vordere Mesodermstreifen entwickelt sich rascher als der hintere. 3. Im Gastrulastadium emigrieren einige Zellen aus dem Ektoderm in die Segmentationshöble. Die Zellen keilen sich an beliebigen Punkten aus, aber die lebhafteste Emigration findet aus der Ventralseite und aus dem vorderen Ende des Embryos statt. Diese Zellen bilden das Mesenchym, welches für den Aufbau der Basalmembran und walır- scheinlich der Blutgefäße und Blutes selbst verbraucht wird. 4. Das Mesoderm des hüssels hat seine eigene Entstehungsquelle. Das Ektoderm in der Nähe der Rüsseleinsttilpune proliferiert und die abgeteilten Zellen bilden die mesodermale Bekleidung des Rüssels. Nicht selten kann man zwei großrunde symmetrisch gelegene Zellen beobachten, die gute karyokinetische Spindeln enthalten. Diese Zellen liegen auf der Grenze zwischen der Rüssel-Einstülpung und dem dieselbe umgebenden Ektoderm. Aber den Hauptanteil an dem Bau der meso- dermalen Bekleidung des Rüssels nimmt das Mesenchym des vorderen Embryoendes. 5. Die anfangs umfangreiche Gastralhöhle verkleinert sich später bedeutend. Diese Verkleinerung ist durch die Querteilung der Ento- dermzellen verursacht. In den späteren Stadien verlängert sich der Embryo und die Darmwand bekommt ihren anfänglichen Charakter wieder, indem sie nur aus einem einreihigen Epithel besteht: sie er- scheint als ein röhrenförmiger Sack, der durch einen Entodermfortsatz mit dem Blastoporus kommuniziert. 586 Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise. 6. Der Blastoporus, der anfangs eine längsovale, quer zur Längsaxe gelagerte große Oeffnung ist, verkleinert sich allmählich, indem der- selbe immer mehr nach vorne rückt. Am ersten Drittel angelangt schließt er sich und es bleibt von ihm nur eıne flache Einsenkung stehen. Mit dem Verschluss des Blastoporus schnürt sich der Ento- dermfortsatz ab und bildet den Blinddarm. 7. Die Kopfgrube legt sich als eine Gruppe der hohen vakuolisierten Zellen an. Die Gruppe senkt sich ein wenig ein und die Zellen lagern sich radiär um eine kleine Höhlung. Die Zellen tragen lange Cilien, die alle zusammen einen starken Wimperschopf bilden. 8. Die Kopfdrüse legt sich dorsal und nahe der Kopfgrube an; sie stellt eine schwach eingesenkte Platte dar, ihre Zellen proliferieren sehr stark und keilen sich aus. Der vordere Teil der Platte invaginiert und bildet eine kleine Einstülpung, die sich jedoch von der Platte nicht abschnürt. Die ausgekeilten Zellen bilden Gruppen, die sich mit der Kopfgrube sekundär verbinden. 9. Die erste Anlage des küssels besteht aus wenigen sehr ver- längerten Zellen. Dieselben stülpen sich ein und teilen sich nach der Länge, und die Rüsseleinstülpung wird immer tiefer und stärker. 10. Der Oesophagus und das Rectum bilden sich als Einstülpungen des Ektoderms. Das Reetum kommuniziert schon mit dem Entoderm- darm vor dem Verschluss des Blastoporus. 11. Das Gehirn legt sich als zwei Paar Ektodermverdiekungen an. Das eine dorsale beiderseits der Kopfgrube liegende Paar stellt die dorsalen Ganglien, oder die künftigen Dorsallappen des Gehirnes dar. Das andere ventrale, zwischen der Rüssel- und Mundöffnung liegende Paar, bildet die Ventralganglien oder die künftigen Ventral- lappen des Gehirns. Also legen sich die Dorsal- und Ventrallappen des Gehirns selbständig von einander an. Die Längsstämme oder Ventralnerven entstehen als zwei Ektodermleisten, die mit den Ventral- ganglien vom Anfange an in Verbindung stehen. Die Ventralkommissur erscheint als eine schwache Ektodermverdickung zwischen den Ventral- ganglienanlagen. Der Dorsalnerv entsteht selbständig als eine dorsale Ektodermleiste und steht mit den Dorsalganglienanlagen durch die Dorsalkommissur in Verbindung, die als quere ektodermale Ver- diekung zwischen Ganglienanlagen erscheint. 12. Die Cerebralorgane legen sich als zwei Verdiekungen des Ektoderms an, die sich später einstülpen. Jede Einstülpung enthält eine Höhle und öffnet sich nach außen durch einen kurzen Kanal. Das einreihige Epithel des Organs ist bewimpert. [64] Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise in den Molukken und in Borneo, im Auftrage der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft auf Kosten der Rüppellstiftung ausgeführt von Prof. Dr. W. Kükenthal. I. Teil: Reisebericht. Mit 63 Tafeln, 4 Karten u: 5 Abbildungen im Text. Frankfurt am Main. 1896. In Kommission bei M. Diesterweg. Der XXII. Band der Abhandlungen der Senckenbergischen natur- forschenden Gesellschaft in Frankfurt a. M. bildet den I. Band der Er- gebnisse der zoologischen Forschungsreise, welche Prof. W. Kükenthal Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise. 587 in den Jahren 1893—94 im Auftrage der Gesellschaft im malayischen Archipel ausgeführt hat und enthält die Beobachtungen und Erlebnisse des Reisenden — den allgemein gehaltenen Reisebericht. Die späteren Bände sind der wissenschaftlichen Bearbeitung des umfangreichen zoologischen Materials, an der sich eine größere Anzahl von Specialarbeitern beteiligt, gewidmet; es haben daher zoologische Einzelbeobachtungen in dem ersten Bande nicht Platz gefunden. Dagegen behandelt der Verfasser hier in kurzen, zusammenfassenden Darstellungen einige allgemeinere bionomische Fragen, welche mit der Fauna der bereisten Gegenden in innigstem Zu- sammenhang stehen und zu deren Lösung Beobachtungen wie Resultate der Reise beitragen werden. Sie speziell mögen ihres allgemeineren Interesses wegen hier kurz wiedergegeben werden. Von der Reise selbst sei nur erwähnt, dass sie vornehmlich der Erforschung einer der größeren Molukkeninseln galt; Prof. Kükenthal wählte daher die der größten Insel vorgelagerte Stadt Ternate als Standquartier und unternahm von hier aus in kleineren und größeren Streifzügen die Er- forschung Halmahera’s, Batjan’s und Obi’s. Auf der Rückreise wurde auf Celebes dieMinahassa besucht, Java berührt und von Singapore aus nach Beendigung der Hauptaufgabe ein ebenso interessanter wie inhaltsreicher Abstecher ins Innere von Borneo (Baram-Distrikt) unter- nommen. Die Ausstattung des Werkes entspricht seinem Inhalte. Dem umfang- reichen Quartbande von 321 Seiten sind 4 Karten, z. Th. nach den Auf- nahmen und Bestimmungen Kükenthal’s angefertigt, beigegeben; 53 Tafeln geben einen kleinen Teil der vom Verfasser selbst aufgenommenen Photo- graphien in schärfster Reproduktion, und 10 farbige Tafeln zeigen Einiges aus der wertvollen ethnographischen Sammlung in geradezu meisterhafter Anordnung und Ausführung. Sämtliche Abbildungen sind hervorgegangen - aus der lithographischen Anstalt von Werner und Winter in Frank- furt a. M. und es kann wohl behauptet werden, dass bisher noch kein Reisewerk so sorgfältig und so künstlerisch ausgestattet worden ist. — Während der Fahrt durch den indischen Ozean hatte Kükenthal Gelegenheit, sich der Untersuchung und Konservierung des Planktons zu widmen; tagtäglich wurde Seewasser, welches durch ein grobes Filter be- reits von gröberen Organismen gereinigt war, durch eine Pumpe mehrere Stunden lang auf Deck gebracht, durch ein feinstes Müller - Netz filtriert und der Rückstand konserviert. Hier, wie namentlich auf den zahlreichen Bootsfahrten um Ternate und Halmahera konnte Verfasser mehrfach fliegende Fische beobachten und die Stellungen und Bewegungen ihrer Flossen genauer verfolgen. Die Beobachtungen berechtigen ihn, zwischen den beiden bisherigen Anschauungen, ob die fliegenden Fische ihre langen flügelartigen Brustflossen nur als Fallschirme gebrauchen (Möbius, Dahl, Ahlborn) oder auch im stande sind, Flatterbewegungen mit ihnen aus- zuführen (Seitz) dahin zu vermitteln, dass die Fische, während sie über dem Wasserspiegel dahinschießen, auch aktive Bewegungen der Brustflossen zu unternehmen im stande sind, dass diese aktiven Bewegungen aber keine Flugbewegungen sind, sondern nur die als Fallschirme fungierenden Flügel in etwas veränderte Lage bringen, wodurch eine Veränderung der Flug- richtung, vielleicht auch eine geringe Erhöhung der Flugbahn bei Ver- kürzung ihrer Länge erreicht wird, dass aber die eigentliche treibende 588 Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise. Kraft in der Seitenmuskulatur der Schwanzflosse steckt, die allein die Erhebung über die Wasseroberfläche und das Fortschnellen über sie be- wirkt. Die Littoralfauna Ternates: Im Littoral Teernates lassen sich drei Zonen ünterscheiden: erstlich die des Korallenriffes mit einem Gürtel von dichtem Seegras nahe am Lande, zweitens die des fast azoischen Sandes und drittens die der Hornkorallen und Schwämme. Die zahlreichen Korallen- stöcke und -bänke sind die Zufluchtsorte und Wohnstätten einer reich- haltigen Fauna, wodurch sich die Tierarmut der zweiten Zone erklären lässt. Ein Vergleich mit der unter ähnlichen Bedingungen vorkommenden Littoralfauna der arktischen Gebiete fällt, was die Fülle des Tierlebens anbetrifft, entschieden zu Ungunsten des tropischen Gebietes aus. Die Zahl der Arten ist dagegen in den Meeren der T'ropen, wie bekannt, eine größere! Die Korallenstöcke weisen die verschiedenartigsten Farben auf. Auffallend groß war die Zahl der weichen Korallen, die Gattungen Xenia. Aleyonium, Sarcophytuu, Spongodes u. a., wovon Kükenthal allein bei Ternate über 40 neue Arten erbeutete. Während die Spongodes-Arten aus größerer Tiefe rigide, mit langen Kalknadeln bewohnte Bäumchen darstellen, haben sie in der bei eintretender Ebbe dem Wellenschlag zu- gänelichen Zone einen weichen, nachgiebigen Aufbau und sind daher durch ihre größere Biegsamkeit der Verletzung durch die Brandung weniger aus- gesetzt. Dafür haben sie aber viel von kleinen Fischen (Scarus- Arten) zu leiden, welche sie abfressen. Auch in der Färbung unterscheiden sich die Aleyoniden der verschiedenen Zonen. Die Arten der Strandzone zeigen eine zarte gelbe, grüne oder braune Färbung, die der tiefen Zone eine intensiv rote. Von der Tierwelt der Korallenstöcke sind noch von besonderem Interesse die auf den zahlreichen Echinodermen schma- rotzenden Schnecken. Auf Linckia miliaris Linck und auf Cida- ridenstacheln fanden sich kleine napfförmige Schnecken, zum Genus Thyka gehörig. Auf Aerocladia fand sich eine wahrscheinlich neue Art, die mit ihrer turmförmig gewundenen, porcellanartigen Schale gewissen auf Echinodermen herumkriechenden Eulimen sehr ähnlich sieht, sich aber wesentlich von ihnen dadurch unterscheidet, dass sie einen langen Rüssel tief in die Leibeshöhle ihres Wirtes hineinbohrt. Eine andere, zu den Bucciniden gehörende Schnecke (vielleicht identisch mit Rhrxochrlus antipathum Steenstr.) sei noch erwähnt, welche sich auf einem Antipathes- Stock vollständig vor Auker gelegt hat. Die Lippe hat den Stamm wuchernd umwachsen und ist mit der Spindel so zusammengetreten, dass ein Verschluss der Oeffnung erfolgt ist; nach vorne zieht sich aber eine Röhre, welche die Kommunikation mit den Inneren vermittelt. Aus der mittleren tierarmen Zone wurden nur wenige Muscheln und Schnecken und ein einziger kleiner Amphioxus (Heteropleuron ceultellum J. W. Kirkaldi) erbeutet. Die größeren Tiefen sind neben Korallen bevölkert mit Hydroiden, Spongien, Asceidien, Crustaceen und Würmern. Hervorzuheben ist noch eine kleine Steinkoralle, ein Einzel- individuum, in deren Basis eine kleine Gephyree wohnt. Die Korallen sind an der Stelle der Wurmöffnung stärker gewachsen und in einen Zipfel ausgezogen. Viele haben einen ovalen Kelch und bei diesen lag die Oeffuung der Wurmröhre stets in der Nähe eines der beiden Pole des Längsdurchmessers. Es legt dies die Vermutung nahe, dass der als IT Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise. sg Kommensal lebende Sipuneulide auf das Wachstum der ursprünglich nicht so stark seitlich komprimierten Koralle einen derartigen Reiz ausgeübt hat, dass aus dem kreisrunden Querschnitt allmählich ein längsovaler ge- worden ist. Erstaunlich ist der Fischreichtum Ternates, der dem von Ambon, wo 760 Arten mariner Fische gezählt worden sind, wohl gleichkommt. Ueber die Färbung der Tiere unter spezieller Berück- sichtigung der tropischen Formen. Nach einigen einleitenden Be- merkungen über die Natur und das Zustandekommen der Färbungen der Tiere und Pflanzen, die auf physiologische Prozesse — die Anwesenheit von farbigen Stoffen — oder auf physikalische Einflüsse — Struktur oder optische Farben —- zurückgeführt werden können und über ihre Entstehung durch die natürliche Zuchtwahl, bespricht Verfasser an einer Reihe von alten und neuen Beispielen seines reichen Materials, speziell aus den „Seegärten“ der ternatanischen Korallen-Stöcke, ihre biologische Bedeutung, die uns als Schutzfarben, Warnungsfarben, Mimiery, Geschlechts- farben u. s. w. bekannt sind. Letztere will Verfasser zum größten Teil auf den Einfluss der geschlechtlichen Zuchtwahl zurückführen, wenn sich auch nicht leugnen lässt, dass viele der Färbungen, welche Darwin aus der geschlechtlichen Zuchtwahl erklären wollte, der natürlichen Zuchtwahl ihr Dasein verdanken. Dem von Wallace vertretenen Standpunkt, dass die Tiere nicht die Fähigkeit besitzen, durch Farbenempfindungen ange- nehm erregt zu werden, vermag er nicht beizupflichten. Gerade die Vögel und Insekten der Tropen haben ein sehr feines Unterscheidungsvermögen für Farben. Mit der Uebung der Farbenunterscheidung steigerte sich das Vergnügen an der Farbe, die Lustempfindung. Der Farbensinn der Tiere hat sich ursprünglich durch Suchen nach gefärbter Nahrung entwickelt und die dadurch erlangte Eigenschaft hat daun auf das Farbeukleid der Tiere selbst durch Auslese zurückgewirkt. Die Farben entstehen zunächst ohne weitere Zweckmäßigkeit als Produkte der physiologischen Thätigkeit des Tierkörpers, wo sie vielfachen Einflüssen (Nahrung, Wärme, Licht) unterworfen sind. Sie sind dann aber unter die Herrschaft der Zuchtwahl getreten und hierin für ihren Träger zweckmäßiger Weise verwandt worden. Die Herkunft der jetzigen Faunen. Verfasser wendet sich in diesem Abschnitt hauptsächlich gegen die von Gustav Jaeger aufgestellte und später von Wilhelm Haacke erweiterte sog. Nordpolhypothese, welche bekanntlich die in früheren Erdperioden um den Nordpol sich zusammendrängenden Landmassen als das Schöpfungscentrum der Landfauna betrachtet. Sie geht von der Annahme aus, dass die allmähliche Abküh- lung der Erde von den Polen ausging und nach dem Aequator zu fort- schritt; nach genügender Abkühlung entstand organisches Leben zuerst an den Polen und, da dem Südpol Festland fehlt, allein an dem Nordpol. Hier sollen sich immer neue und höher organisierte Tiergruppen gebildet haben, welche den älteren, weniger vollkommenenden Platz streitig machten, die dadurch im Kampfe ums Dasein entweder zu Grunde gingen oder zur Wanderung nach Süden gedrängt werden. Dafür sprechen scheinbar in der überraschendsten Weise die heute in den Südspitzen Amerikas, Afrikas, Asiens und ganz besonders Australiens heimischen, niedrig organisierten Säugetiere, während fossile Reste derselben im Norden vorkommen, 590 Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise. Die Beweisgründe, welche Kükenthal gegen diese Nordpolhypothese ins Feld führt, sind erstlich paläontologische. Da aus dem Mesozoicum nur wenige Reste von Säugetieren aus Europa, Asien und Nordamerika vorliegen, deren Beuteltiernatur durchaus nicht erwiesen ist, lässt sich die Verbreitung der Säugetiere erst von der 'Tertiärzeit an mit Sicherheit ver- folgen, und deutet auf eine Entwicklung von drei verschiedenen Schöpfungs- herden aus: Der erste und älteste ist Australien mit seiner Monotremen- und Beuteltierfauna, der zweite Südamerika als Ursprungsstätte der Edentaten, Nager und einiger Beutler, welche freilich von der australischen stark abweichen. Beide Schöpfungsherde haben vielleicht auch eine gemein- same Ursprungsstätte durch eine ehemalige antarktische Verbindung, die auch Siidamerika mitbetroffen haben kann. Von dieser antarktischen Heimat aus wären die Vorfahren der Beutler sowohl nach Australien wie nach Südamerika gewandert und hätten sich in beiden, später getrennten Regionen in divergenter Weise weiter entwickelt. Dadurch sind auch die in Südamerika gefundenen Dasyuridenreste in Einklang zu bringen mit den in Australien heute noch lebenden Vertretern dieser Familie. Hingegen haben aber die Beutler des europäischen Tertiärs nichts mit ihnen zu thun, da sie der Familie der Didelphiden angehören, wie sie heute noch in Süd- wie Nordamerika vorkommen. Sie sind aus Nord- amerika eingewandert, von dem ja auch aus vielen anderen Gründen in früheren Epochen ein Zusammenhang mit Europa angenommen werden muss und sind damit dem dritten, weitaus größtem Schöpfungscentrum zuzu- rechnen, welches Europa, Asien, Afrika und das mit Europa verbundene Nordamerika umfasst. Zweitens sprechen auch vom geophysischen Standpunkte aus erheb- liche Einwände gegen die Nordpolhypothese. Die Abnahme der inneren Erdwärme kann bei dem geringen Leitungsvermögen und der annähernden Gleichmäßigkeit der Erdschichten seit längeren Perioden keine erhebliche Rolle gespielt haben. Auch würden sich daraus für die älteren Perioden, aus denen wir noch wohlerhaltene 'Tierreste kennen, "Temperaturen ergeben, welche organisches Leben unmöglich machten. Von demselben Standpunkte aus bezweifelt Verfasser auch die Rich- tigkeit der von Georg Pfeffer aufgestellten Hypothese über die jetzige Verbreitung der Meerestiere, welche aus einer vortertiären über den ganzen Erdball gleichmäßig verbreiteten Littoralfauna die jetzigen Verhältnisse abzuleiten versucht. Mit der zunehmenden Abkühlung an den Polen zogen sich von den Littoraltieren diejenigen zurück, welche nur unter gewissen Temperaturverhältnissen existieren konnten, während nur ein kleiner Teil in dem immer kälter werdenden Wasser der Pole zurückblieb, woraus sich die Uebereinstimmung der arktischen und antarktischen Littoralfauna, welche vielfach die gleichen Gattungen hat, erklären lässt. Die gleichmäßige hohe "Temperatur, welche die Entstehung der Universalfauna begleitete, will Pfeffer auf die früher viel höhere Sonnenwärme zurückführen, die seit der Kreidezeit rapid abgenommen hat. Aber auch hier würde man bald zu Temperaturhöhen kommen, welche tierisches Leben ausschließen. Verfasser will mit andern Forschern diese Klimaschwankungen an den ‘ Polen aus durch Verlagerungen der Ländermassen erfolgten Schwankungen der Erdaxe erklären und daraus lässt sich dann in den Polargebieten das ehemalige Vorkommen von Tieren und Pflanzen, die heute auf mildere Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise, 591 Regionen beschränkt sind, auch ohne Zuhilfenahme einer vorcretaceischen Universalfauna, die ohnehin auch den paläontologischen 'Thatsachen wider- spricht, erklären. Mit Recht schließt Kükenthal, „wir müssen darauf Verzicht leisten, die jetzige Tierverbreitung auf grund solcher allgemeinen Prinzipien erklären zu wollen, die heutige Verbreitung der Tiere hat viel- mehr eine lange Geschichte hinter sich, sie ist ein Produkt aus unendlich vielen Faktoren“. Wale in tropischen Meeren. Der Wal, welcher bei Halmahera gejagt wird, ist der Pottwal, der zwar keine Barten, aber dafür reich- lichen Speck und in seinem Kopfe das feine, als Spermacet bekannte Oel enthält. Der Wert eines großen Pottwals kann 20,000 Mark betragen. Gelegentlich stranden auch Wale an den Küsten der Insel. Ueber das Vorkommen des Dugong (Halieore dugong) konnte nichts Sicheres in Erfahrung gebracht werden; er scheint hier seltener zu sein als in den Meeresteilen um Australien. Diesen Abschnitt benützt Verfasser, um dem noch vielfach verbrei- teten und immer wieder auftauchenden Glauben nochmals entgegenzutreten, dass die Wale wirklich Wasser aus ihren Nasenlöchern spritzen können. Gerade die Beobachtungen, welche in den 'Tropenmeeren gemacht worden sind, sind neuerdings als beweisend dafür angegeben worden, dass es nicht sich abkünlender Wasserdampf, sondern wirkliches Wasser sein müsse, welches der Wal ausstoße. Bei dem anatomischen Bau der Cetaceennase ist es geradezu unmög- lich, wie Kükenthal in seinen „anatomischen Untersuchungen an Waltieren“ (II. Teil, Jena 1893) nachgewiesen hat. Alle Erzäh- lungen und Beobachtungen beruhen auf einem Beobachtungsfehler, die Wasserstrahlen sind bei näherer Betrachtung nichts als stark mit Wasser- dampf geschwängerter Atemluft, welche mit großer Gewalt aus den Nasen- löchern ausgepresst wird. Die Verbreituug der Tiere im Malayischen Archipel. Die Trennungslinie zwischen der australischen und indischen Fauna soll nach Wallace zwischen den kleinen Sundainseln Bali und Lombok einer- seits, zwischen Borneo und Celebes andrerseits verlaufen, so dass Celebes schon zur australischen Fauna gehören würde. Die Fauna der letzten Insel beherbergt neben der australischen auch sehr alte indische Formen, die den benachbarten großen Sundainseln fehlen. Daher neigt man zu der Annahme, dass Celebes in ältester Zeit mit dem asiatischen Westen, später aber durch Neu-Guinea und Timor mit Australien zusammen- gehangen hat. Wenn nun auch die Fauna von Celebes noch nicht genügend er- forscht ist, so haben doch die Expeditionen von Max Weber ergeben, dass die Säugetierfauna von Celebes als eine durchaus indische anzusehen ist. Es beherbergt nur 3 australische Formen (Phalangerarten), wenn man die Fledermäuse für tiergeographische Fragen nicht in betracht zieht, dagegen 31 indische. Da Phalanger ein zählebiges, baumkletterndes Beutel- tier ist, das auf fast allen größeren und kleineren Inseln des malayischen Archipels vorkommt, kann man, namentlich bei den dortigen starken Strömungsverhältnissen, an eine gelegentliche Uebertragung durch ange- triebene Baumstämme denken. Für den Oynopithecus niger, der außer auf Celebes nur noch auf Batjan und sonst nirgends in den Molukken vor- 592 Ergebnisse einer zoölogischen Forschungsreise. kommt, nimmt man eine rein zufällige Verschleppung von Celebes aus an, wenn auch, wie Kükenthal meint, die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, in ihm noch den letzten Rest einer altindischen Fauna für Batjan zu erblicken. Für die anderen 'Tierklassen haben Weber’s Untersuchungen an Süß- wasserfischen, deren Verbreitung unbedingt an eine ehemalige Landver- bindung geknüpft ist, dargethan, dass die Fischfauna von Celebes einen indischen, aber keinen australischen Charakter hat. Auch die hydrographischen Verhältnisse sprechen gegen eine T'rennungs- linie zwischen Borneo und Celebes. Neue Lotungen haben ergeben, dass beide Inseln durch eine über der Hundertfadenlinie liegende Brücke ver- bunden sind. Alle diese Umstände sprechen vielmehr dafür, die 'Irennungslinie zwischen Celebes und Halmahera zu suchen, obwohl auch auf letzterer Insel noch asiatische Formen vorkommen. Kükenthal stellt sich die Entstehung der Fauna des malayischen Archipels in folgender Weise vor. „Zu sehr alter Zeit hat eine Verbindung Australiens mit dem asiatischen Kontinente stattgefunden und bis Halmahera, Batjan (Üynopitheeus ?) und Buru /(Dabirussa) lassen sich noch Spuren jener alten indischen Fauna veriolgen. Diese Verbindung wurde zuerst unterbrochen durch eine zwischen Celebes und den Molukken eintretenden, tiefen Meeresarm. Während sich in der östlichen Hälfte die Molukken von dem noch länger mit Australien in Verbindung stehenden Neu-Guinea trennten, aber dennoch, durch die fast ununterbrochene Inselverbindung begünstigt, mancherlei neue Ein- wanderer aus jenem Gebiet erhielten, kam im Westen eine Abtrennung von ÜCelebes zu stande. Von der altertümlichen Säugetierfauna der da- maligen Zeit erhielten sich auf Celebes noch Formen wie Anoa, Babirussa und Oynopitheeus, vielleicht in folge der Isolierung, während sie im west- lichen, noch mit dem asiatischen Festlande zusammenhängenden Gebiete verschwanden. Erst in später Zeit erfolgte der Zerfall dieses westlichen Gebietes in Borneo, Java, Sumatra und Malakka, deren Faunen- ähnlichkeit noch heutzutage eine sehr große ist“. Auch für den südlichen Teil der Wallace ’schen 'Trennungslinie zwischen Bali und Lombok muss eine erhebliche Verschiebung nach Osten eintreten. Die Fauna genannter Inseln ist allerdings noch nicht genügend erforscht, aber für das östlich von Lombok gelegene Flores ist durch Weber’s Untersuchungen festgestellt, dass seine Säugetierfauna keine einzige australische, sondern ausschließlich indische Formen ent- hält. — Damit hätten wir in kurzen Zügen die allgemeinen biologischen Ab- schnitte, welche Kükenthal in seinen interessanten Reisebericht einge- schlossen hat, wiedergegeben. Auf die speziellen zoologischen Resultate, die Erforschung der Landfauna von Halmahera u. s. w. einzugehen, liegt nicht im Rahmen dieses Referates. Ebensowenig konnte der reiche ethnographische Inhalt berührt werden. Nur soll demnächst im Anschluss an Kükenthal’s Untersuchungen an Alfuren-Schädeln einiges von seinen Ansichten über den Ursprung und die Verwandtschaft der Alfuren be- richtet werden. R. [63] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XV]l. Band. 15. August 1896. Nr. 16. Inhalt: Zopf, Zur biologischen Bedeutung der Flechtensäuren. — Lindner, Studien über die Biologie parasitischer Vorticellen. — Deutscher Verein für öffent- liche Gesundheitspflege. Zur biologischen Bedeutung der Flechtensäuren. Von Prof. Dr. Wilhelm Zopf in Halle. In der botanischen Litteratur findet sich verschiedentlich die Be- hauptung, dass die sogenannten Flechtensäuren, die bekanntlich seitens der Flechtenhyphen in Form von feinsten Kryställchen oder Körnchen zur Abscheidung gelangen, ein wirksames Schutzmittel gegen Tierfraß darstellen. Mit dieser Annahme wollten indessen gelegentlich in der freien Natur gemachte Beobachtungen durchaus nicht harmonieren. Ich fand nämlich im Laufe der letzten Jahre, wo ich Gelegenheit hatte, mich mehrfach mit Flechten zu beschäftigen, eine ganze keihe von strauchigen, laubigen und krustigen Formen der verschiedensten Familien bald deutlich angefressen, bald förmlich zernagt, mitunter sogar bis zur fast völligen Unkenntlichkeit zerstört. Zunächst wollte es mir allerdings nicht gelingen, die Tiere, welche solche Attentate ausführten, ausfindig zu machen, offenbar weil ich in dem Glauben befangen war, es müssten makroskopisch augenfällige Objekte die Ursache sein. Bei weiterem Verfolg der Sache ermittelte ich indessen, dass es sich meist um winzige, dem bloßen Auge leicht entgehende Orthopteren und Spinnentiere (Poduriden und Aca- rinen) handele. In einem Falle beobachtete ich eine kleine Schnecke als Flechtenfresser. Mit den betreffenden Flechten werden natürlich gleichzeitig mehr oder minder große Quantitäten von „Flechtensäuren“ verzehrt. Es NE 38 594 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. war nun meine Aufgabe zu ermitteln, welche Flechtenstoffe es denn seien, die von jenen Tieren gefressen werden, mit anderen Worten, welche Flechtenstoffe kein Schutzmittel gegen den Fraß gewisser Tiere bieten. Für die Lösung dieser Frage war ich dadurch genügend vor- bereitet, dass ich in den letzten vier Jahren zahlreiche Flechtenstoffe isolierte und untersuchte !). 1. Physcia aipolia (A ch.). Als ich eines Tages die Flechtenvegetation von jungen Eschen bei St. Ulrich in Gröden (Südtirol) musterte, fiel es mir auf, dass zahlreiche Thalli der oben genannten Lichene häufige Fraßstellen zeigten und gleichzeitig von einer Unmenge winziger grauer Tierchen besetzt ersehienen, die wie Springschwänze (Poduriden) aussahen. Auf einigen Thalli waren sie in so großer Zahl vorhanden, dass dieselben wie mit einer grauen wimmelnden Masse bedeckt erschienen. Da die einzelnen Individuen etwa die Größe eines Millimeters hatten, konnte man schon mit einer starken Lupe, besser noch bei schwacher Mikroskopvergrößerung konstatieren, dass sie sowohl an den Thalluslappen als auch an den Apothecien, besonders an deren Schlauchschicht, herum nagten, überall Löcherbildungen hervorrufend. Ohne Zweifel waren die starken Durchlöcherungen des Thallus und die Aushöhlung und Durchlöcherung der Schlauchfrüchte, welche die Flechte teilweise fast unkenntlich gemacht hatten, ausschließlich auf Rechnung dieser Tierchen zu setzen, zumal von anderen tierischen Organismen sich nichts vorfand. Einige Wochen später trat mir die Flechte mit ganz denselben charakteristischen Fraßstellen an alten Brückenbalken bei Oberwinkel unweit St. Ulrich entgegen, auch hier wieder mit zahlreichen im Nagen begriffenen Poduriden besetzt, die in Form und Größe den obigen vollkommen gleich waren. Ich setzte die Tierchen in Alkohol und übergab sie Herrn Prof. OÖ. Taschenberg in Halie, der mir freundlichst mitteilte, dass es sich um zwei verschiedene Poduriden handele und auch die Einsendung des Materials an einen gründlichen Poduriden-Kenner, Herrn Harald Schött in Skara (Schweden) vermittelte. Letzterer hatte die Gefällig- 1) Meine diesbezüglichen Publikationen sind: 1. Zur Kenntnis der Färbungs- ursachen niederer Organismen: Il. Ueber die Färbungsursachen einiger Flechten mit gelbem Kolorit. Beiträge zur Physiol. u. Morphol. niederer Organismen aus dem Kryptog. Laborat. d. Univers. Halle, Heft I, (1892). 2. Zur Kenntnis der Stoffwechselprodukte der Flechten. Daselbst HeftV. 3. Die Weißfärbung von Thamnolia vermicularıs, bedingt durch eine neue krıystallisierende Flechten- säure, Hedwigia 1893. 4. Zur Kenntnis der Flechtenstoffe, inLiebig’s Annalen, Bd. 234. 5. Ueber Atranorsäure und ihre Begleitstoffe. Daselbst Bd. 288. Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. 595 keit, eine nähere Bestimmung der Species vorzunehmen, nach welcher es sich um /sotoma ceinerea (Nie.) Tullberg und Xenylla brevicauda Tullberg handelt!). Als ich nach ein paar Tagen die oben erwähnten Eschenbäumchen wiederum besichtigte, war übrigens von den grauen wimmelnden Poduriden-Massen auch nicht ein einziges Individuum mehr vorhanden. Ich hatte also zufällig den richtigen Moment getroffen, wo Fraß und Urheber gleichzeitig zu beobachten waren. Das Auswandern der Flechtenfraß bewirkenden Tiere kann in manchen Fällen deren Auf- findung recht erschweren oder auch ganz unmöglich machen. Es ist längst bekannt, dass Physcia aipolia an der Oberfläche der Thallus- Rinde, wie auch an den oberflächlichen Teilen der Schlauch- früchte und ferner an den Hyphen des Markes feine farblose Körnchen zur Ausscheidung bringt. Am reichlichsten erfolgt die Ausscheidung seitens der Rinde und der Schlauchschicht, welche Teile daher mehr oder minder stark „bereift“ erscheinen. Es handelt sich bei diesen Ausscheidungen um zwei Flechten- säuren. Dass die eine derselben Atranorsäure darstellt, wurde von mir bereits früher nachgewiesen?) und zwar für Materialien, welche mir Herr Dr. F. Arnold freundlichst zukommen ließ und von Baum- stämmen bei München (Ahorn und Rosskastanien) stammten. Neuer- dings untersuchte ich eine größere Quantität (260 g) der Flechte von Crataegus-Hecken bei Oberwinkel in Gröden und gewann diesen Stoff abermals, im Ganzen 1!/, g. Daneben wurde noch ein anderer krystalli- sierender, ebenfalls farbloser Körper erhalten, aber in so geringer Menge, dass ich seine Natur nicht feststellen konnte. Die Atranorsäure wird, wie bei so vielen anderen Flechten, so auch bei vorliegender Physcia in den oberflächlichen Teilen produ- ziert, diesen die weiße Färbung verleihend, der andere Körper scheint an den Hyphen des Markes zur Ausscheidung zu kommen. Die Poduriden fressen nun besonders jene Atranorsäure-haltigen Teile, greifen aber auch die Markregion an. Die genannten bei- den Stoffe sind mithin nicht im Stande, die Physcia aipolia vor Poduriden-Fraß zu schützen. 2. Gasparrinia elegans (Link). An Porphyrblöcken bei St. Ulrich in Gröden von mir gesammelte Thalli dieser Flechte zeigten bei näherer Besichtigung an den Beeher- früchtehen sowohl wie an den Thallusteilen selbst zahlreiche auffällige 1) Ich spreche hierdurch beiden Herren für Ihre gütige Bemühung meinen besten Dank aus. 2) Ueber Atranorsäure und ihre Begleitstoffe. Annalen der Chemie, Bd. 288, 8.68 (1895). YO Do 596 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. Fraßstellen. Aus vielen Früchtehen waren die schön rotgelben Hyme- nien so vollständig herausgefressen, dass die darunter liegende Algen- zone als grüne Schicht frei dalag. Die Thalli erschienen teils durch- löchert, teils ihrer rotgelben Rinde an zahlreichen Stellen beraubt. Die genauere Betrachtung mit einer starken Lupe ergab die Gegenwart von zahlreichen Individuen einer Milbenart. Von anderen Tieren war absolut nichts aufzufinden. Es drängte sich hiernach die Vermutung auf, dass jene Milbe die Fraßerscheinungen verursacht habe. Zur näheren Prüfung dieser Ver- mutung stellte ich folgenden Versuch an: Ein fruktifizierender Thallus der genannten Gasparrinia, welcher von einem ganz anderen Standorte (Dolomitfelsen an der Regensburger Hütte in den Dolomiten) stammte und sich bei genauerer Betrachtung von Milben wie von anderen Tieren vollkommen frei zeigte, auch keine Spur von Fraßstellen aufwies, wurde angefeuchtet in ein Doppel- schälchen gelegt und mit einem größeren, stark mit Milben behafteten Exemplar überdeckt. Nach zweitägigem Liegen ergab sich, dass eine ganze Anzahl von Milben auf den erstgenannten Thallus übergegangen war, und bereits an den Apothecien wie an den vegetativen Teilen deutliche Fraßstellen der Tiere vorhanden waren, einige Apothecien sogar ihre Hymenien schon ganz verloren hatten. Ich brachte nun den Thallus samt den Milben ‘unter das Mikroskop und konnte Folgendes konstatieren: Eine erwachsene Milbe, die sich eben auf der Schlauchschicht eines Apotheciums festgesetzt hatte und von diesem Zeitpunkte an (1!/, Stunden hindurch bei 40facher Ver- größerung) kontinuierlich beobachtet wurde, fraß innerhalb dieser Zeit ein Loch in die Hymenialschicht, welches in der Länge 0,24 mm, in der Breite 0,16 und in der Tiefe etwa eben so viel maß. Eine andere, ebenfalls erwachsene Milbe, welche 2 Stunden lang zur kontinuierlichen Beobachtung kam, fraß in dieser Zeit in die Hymenialschicht eines Apotheciums ein Loch von 0,44 mm Länge, 0,24 mm Breite und einer Tiefe, die etwa der Höhe der Schlauch- schicht entsprach. Aus solchen direkten Beobachtungen ergibt sich, dass die genannten Tiere die Hymenien der Flechte thatsächlich angreifen und dabei eine relativ große Gefräßigkeit entwickeln. Bei 4—6 Stunden ununter- brochener Thätigkeit vermag eine solche Milbe ein Gasparrinia- Hymenium von 1 mm Durchmesser vollständig aufzuzehren, und man begreift, dass eine größere Milbenzahl in wenigen Tagen sämtliche Hymenien eines stattlichen Individuums jener Flechte zum Verschwinden bringen kann. So lange noch intakte Hymenien vorhanden sind, pflegen die Milben Thallusteile zu verschmähen, offenbar weil jene Organe von mehr weicher und saftiger Beschaffenheit sind. Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. 597 Sind die Hymenien aber verspeist, so kommen bald auch die vegetativen Teile an die Reihe, einschließlich der Apotheeium-Hülle. Zerdrückt man Milben, die längere Zeit sich an einem Hymenium delektiert haben, in vorsichtiger Weise, so wird der Inhalt des Ver- dauungstraktus herausbefördert, und man sieht, dass derselbe aus Unmassen von Schlauchsporen, zerbissenen Schläuchen und zum Teil noch intakten Paraphysen der Gasparrinia elegans besteht, untermischt mit zahllosen Häufchen winziger goldgelber Körnchen einer Flechten- säure, die bei Zusatz von Kalilauge mit purpurroter Farbe in Lösung gehen. Diese Körnchen stellen nichts anderes als Chrysophysein (Flechtenchrysophansäure im Sinne von Rochleder und Heldt) dar, welches jene charakteristische Reaktion zeigt. Dasselbe kömmt an der Oberfläche der Schlauchschieht wie der Thallusrinde relativ reich- lich zur Abscheidung und verleiht der Flechte ihre rotgelbe bis rot- bräunliche Färbung. Seitens der Milben wird dieser Körper in relativ großer Menge mitgefressen und verleiht daher dem Inhalt des Verdauungstraktus die goldgelbe Färbung. Das Chrysophysein ist also nieht im Stande, als Schutzmittel gegen den Fraß der obengenannten Milbe zu dienen. — Ich sandte dieselbe an Herrn Dr. Kramer in Magdeburg, einen der ausgezeich- neten Kenner der Milben, und erhielt von ihm die Nachricht, dass es sich um einen Vertreter der Familie der Oribatiden und zwar um Notaspis pilosa Koch handele, die von A. O. Michael in seinen British Oribatidae, Bd. II, p. 370 und Taf. 29, Fig. 11—16 beschrieben und abgebildet und durch besonders stark und lang entwickelte Rücken- borsten ausgezeichnet ist!). 3. Cetraria pinastri (Scopoli). Auf bei St. Ulrich in Gröden am Grunde von Lärchenstämmen gesammelten Exemplaren obiger Flechte traf ich zahlreiche Individuen einer kleinen schwarzen Oribatiden-artigen Milbe an, welche in die Thalli Löcher frisst und die stark gelben Soredien abweidet?). Wie bereits an anderer Stelle gezeigt wurde?), produziert die Flechte zwei gefärbte krystallisierende Säuren. Die eine derselben, welche Usninsäure darstellt, hat ihren Sitz in der graugrünen Rinde, die andere, meine Pinastrinsäure, wird sowohl im Mark, als auch 4) Herrn Provinzialschulrat Dr. Kramer spreche ich für seine gütigen Bemühungen hierdurch meinen besten Dank aus. 2) Sie ist nicht Notaspis pilosa Koch, schon weil sie nicht die langen und starken Rückenborsten aufwies. 3) Zopf, Beiträge Heft I S. 41—45 u. Heft V S. 68-71; ferner Annalen der Chemie, Bd. 284, S. 107. 598 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. an den stark soredialen Rändern des Thallus ausgeschieden und ver- leiht diesen Teilen intensiv zitronengelbe Färbung. Da nun jene Milben sowohl Rinde als Mark und Soredien fressen, so werden gleichzeitig auch die genannten Säuren mit verzehrt. Usninsäure und Pinastrinsäure sind daher nicht im Stande, die Cetraria pinastri vor Milbenfraß zu schützen. Es ist dies um so bemerkenswerter, als beide Säuren auf gewisse andere Tiere entschieden giftig wirken. Nach R. Kobert!) ist die Pinastrinsäure für Frösche sogar eben so giftig, wie die bekannte Vulpinsäure. 4. Parmelia tiliacea (Hoffmann). Zahlreiche, an alten Bretterzäunen bei Oberwinkel im Grödener Thale aufgenommene Exemplare dieser stattlichen Laubflechte fand ich reichlich besetzt mit einer winzigen Oribatiden-artigen Milbe, welche die Thalli hier und da durchfraß und auf diese Weise Löcher- bildungen hervorrief. Hierbei werden natürlich die in dieser Lichene vorhandenen Flechtensäuren ebenfalls mit verzehrt. Da sich über die Natur derselben in der Litteratur nichts auf- finden ließ, so habe ich eine besondere Untersuchung in dieser Richtung vorgenommen, welche zu dem Resultate führte, dass zwei auch in anderen Liechenen vorkommende Säuren vorhanden sind, von denen die eine Evernsäure, die andere Atranorsäure darstellt. Man gewinnt sie, indem man die Thalli durch wiederholtes Aus- kochen mit Aether erschöpft und das Lösungsmittel vollständig ab- destilliert. Kocht man nun den Rückstand mit einer geringen Menge von Chloroform aus, so geht nebst kleinen Harzmengen die Atranor- säure in Lösung, während die Evernsäure als in Chloroform sehr schwer löslich zurückbleibt. Nach dem Einengen der Chloroformlösung fällt die Atranorsäure auf Zusatz eines 3—4fachen Volums gewöhn- lichen Alkohols fast rein aus. Durch erneutes Auflösen in heißem Chloroform, Einengen der Lösung und Ausfällen mit Alkohol gereinigt schmolz sie bei 196° und verhielt sich schon hiernach wie auch nach Krystallform und Löslichkeitsverhältnissen als echte Atranorsäure. Völlige Sicherheit bezüglich der Indentität gab der Umstand, dass ich durch 6 Stunden langes Kochen einer Quantität der Krystalle mit viel absolutem Alkohol einen in weißen Nadeln krystallisierenden Körper gewann, der aus Alkohol umkrystallisiert alle Charaktere meiner Häm a- tommsäure zeigte, namentlich auch deren Schmelzpunkt (112—113°). Aus 55 der lufttrocknen Flechte wurden 0,16 g Atranorsäure erhalten also etwas über !/,],. " 4y Ueber Giftstoffe der Flechten. Sitzungsber. d. Dorpater Naturforscher- Gesellschaft, Jahrg. 1892, S. 165. Zopf, Bedeutung der Flechtensäur.,, 599 Zur Reinigung der Evernsäure benutzte ich Auskochen mit Benzol, in welchem sie fast ganz untöslich ist und darauf folgendes mehrmaliges Umkrystallisieren aus 7Oproz. Alkohol. Man erhält hierbei eine schneeweiße Masse feinster Nädelchen, die bei 165° unter Gas- entwicklung schmelzen (Hesse gibt den Schmelzpunkt zu 164° an), in heißem Alkohol nnd Aether sehr reichlich, in heißem Chloroform sehr schwer, in kochendem Benzol nahezu unlöslich sind und sich in Kalilauge mit gelber Farbe lösen. In der alkoholischen Lösung rufen Spuren von Eisenchlorid violette bis purpurne Färbung hervor. Die alkoholische Lösung rötet Lakmuspapier. Nach allen diesen Eigenschaften muss ich die Säure als die echte Evernsäure im Sinne von Stenhouse!) und Hesse?) ansprechen. Sie ist in relativ großer Menge vorhanden, denn aus 35 g der lufttrocknen Flechte erhielt ich 1,03 g mithin etwa 3°,. Trotzdem vermag sie das Gefressenwerden der Parmelia tiliacea seitens jener Milbe ebensowenig zu verhindern, wie die zu !/,°/, vorhandene Atra- norsäure, 5. Xanthoria parietina (L.). Auch unsere gemeine Wandflechte wird von gewissen Oribatiden- artigen Milben vielfach gefressen und oft bis zur fast völligen Unkennt- lichkeit zerstört. In letzterem Falle pflegen alle Hymenien abgeweidet und die Thallusteile teils oberflächlich abgenagt, teils tief und dicht durehlöchert zu sein. Die Flechtenstoffe, die hierbei mit verzehrt werden, sind bereits bekannt. Am reichlichsten vorhanden ist das goldgelbe Chrysophys- cin (CÖhrysophansäure von Rochleder und Heldt) das nach Lilien- thal?) zu fast 1°), sich vorfindet *) und in den oberflächlichen Teilen der Flechte so reichlich zur Abscheidung kömmt, dass diese die be- kannte gelbe bis rotgelbe Farbe erhalten. Nach O. Hesse?) enthält die Flechte ferner noch das farblose krystallisierende Physcianin und das ebenfalls farblose Physeiol. Es ist also keiner dieser drei Stoffe im Stande, die Milben von ihrem Fraße abzuhalten. Ja man kann leicht konstatieren, dass gerade diejenigen Teile, welche das Chrysophyscin am reichliehsten ent- halten, mit ganz besonderer Vorliebe angegriffen werden. Letzterer Stoff hat sich nach R. Kobert’s Untersuchungen auch für höhere Tiere als nicht giftig erwiesen. 4) Liebigs Annalen 68, 83-93 und 155, 55—57. 2) Daselbst 117, 297— 303. 3) Ein Beitrag zur Chemie des Farbstoffs der gemeinen Wandflechte. Dorpat 1893. 4) Herberger will es sogar zu 4°/, erhalten haben. 5) Annalen der Chemie, Bd. 284, S. 188. HUO0 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. Von Xanthoria parietina nähren sich nach ©. Wilde!) ferner die Raupen folgender Schmetterlinge: Naclia ancilla, Fumea sepium, Setina mesomella (eborina), 8. irrorella (irrorea), Lithosia rubrieollis, L. quadra, L. aureola, L. lutarella (luteola), L. complana, L. lurideola (plumbella), L. depressa (helveola), L. griseola, Calligena rosca, Aventia flexula (flexularia), Boletobia fuliginaria, Boarmia glabraria, B. liche- naria, Talaeporia pseudobombycella. Chrysophysein, Physeianin und Physciol vermögen also die Xanthoria parietina auch gegen diese Tiere nicht zu schützen. 6. Anaptychia speciosa (W ulf). Auf dieser Laubflechte habe ich bei St. Ulrich in Gröden eine kleine Olausilia-artige Schnecke gefunden, welche die Thallusrinde auf kleine Strecken hinwegnagte. Schon früher?) wurde der Nachweis geliefert, dass die Flechte relativ reichlich Atranorsäure erzeugt, was besonders in den ober- flächlichen Teilen der Fall ist, die daher ausgesprochen weiß erscheinen. Bei neuerlicher Untersuchung einer größeren Quantität der Flechte vom Plansee, die ich durch die Gefälligkeit des Herrn Dr. F. Arnold erhielt, konnte ich den Gehalt zu etwa 2°/, bestimmen, so dass Ana- ptychia speciosa zu den atranorsäure-reicheren Liehenen gehört. Die Schnecke entledigte sich ihrer Exkremente in Wurstform. Beim Betupfen dieser weißlichen Massen mit verdünnter Kalilauge trat lebhafte Gelbfärbung ein, was darauf hindeutet, dass die Atranorsäure im Verdauungstraktus nicht verändert wird, denn die reine Säure zeigt diese Farbenreaktion ebenfalls. 7. Parmelia sawatilis (L.). Gefressen wird die Flechte nach Wilde (l. e.) von den Raupen der Bryophila glandifera, Br. perla, Br. algae und Br. ereptricula. Welche Flechtensäuren die Species enthält, ist noch nicht näher geprüft. Ich habe daher eine Untersuchung in dieser Richtung vor- genommen. Hierbei erhielt ich zwei- farblose krystallisierende Körper, von denen die eine meine Stereocaulsäure, die andere Paterno’s Atranorsäure darstellt). 1) Die Pflanzen und Raupen Deutschlands, Berlin 1860, S. 168. 2) Annalen der Chemie, Bd. 238, S. 68. 3) Zur Gewinnung derselben kocht man die Flechtenmassen mit Aether aus, destilliert von den vereinigten Auszügen das Lösungsmittel fast vollständig ab und lässt auskrystallisieren. Nachdem die Mutterlauge abgesaugt ist, kocht man die Krystallmasse ganz kurze Zeit mit Alkohol aus, wobei die Atranor- säure zurückbleibt, während die Stereocaulsäure in Lösung geht. Nach starkem Einengen dieser Lösung krystallisiert die Stereocaulsäure in feinen zu Rosetten und Polstern vereinigten Nädelchen oder Prismen aus. Durch Um- krystallisieren aus Alkohol gereinigt schmilzt sie bei 193—195° unter Gas- Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. 601 3. Stieta Pulmonaria (L.). Der Thallus dieser großen laubigen Lichene wird von den Raupen verschiedener Schmetterlinge gefressen und zwar nach O. Wilde der Naclia ancilla, Lithosia rubricollis, Lith. quadra, Boarmia vidıaria, Talaeporia pseudobombycella. Die in der Flechte enthaltene, bereits 1346 von Knop und Schne- dermann isolierte Stietinsäure, ein farbloser krystallisierender Körper von ähnlieh-bitterem Geschmacke wie die Cetrarsäure, ver- mag also die genannten Schmetterlingsraupen nicht vom Fraße abzu- halten. 9. Evernia furfuracea (L.). Beobachtungen, welche ich am Arlberg in Tirol an fichtenbewoh- nenden Exemplaren machte, zeigten, dass die Thalli von einer sehr kleinen schwärzlichen Oribatiden-artigen Milbe angefressen werden, trotzdem die Flechte außerordentlich reich an Atranorsäure ist. Ich habe den Gehalt zu 3'/,°/, bestimmt. Unter 35 Atranorsäurebildnern, die ich im Laufe meiner Untersuchungen nachweisen konnte, ist diese Flechte die reichste. 10. Evernia prunastri (L.). Die Flechte dient nach Wilde (l. ec.) den Raupen von Fumea betulina, Lithosia lutarella (luteola), L. complana, Boarmia lichenaria und Mniophila corticaria (cremiaria) zur Nahrung. Sie enthält Usninsäure, Evernsäure und Everninsäure, wie von Stenhouse und O. Hesse längst festgestellt ist. 11. Cladina silvatica (L.) Seitens des Herın Dr. von Schlechtendal in Halle wurde mir mündlich mitgeteilt, dass die Flechte im feuchten Zustande von einer kleinen schwarzen Oribatide ziemlich stark angefressen werden kann. Es sind hier zwei von mir noch nicht näher untersuchte Flechten- säuren vorhanden 12. Cladina rangıferina (L.) enthält nach Stenhouse'!) Cladoninsäure (von Hesse als Z-Usnin- säure bezeichnet, von Rochleder und Heldt irrtümlich für Usnin- entwicklung. Mit Essigsäureanhydrid gekocht geht sie in denselben, bei 185 -186° schmelzenden weißen Körper über, den ich auf dem gleichen Wege aus der echten Stereocaulsäure erhielt. Die durch wiederholtes Auflösen in kochenden Chloroform mit der 3—4 fachen Menge Alkohol gereinigte Atranorsäure schmolz bei 195—197° und lieferte durch stundenlanges Kochen mit absolutem Alkohol die bei 114° schmelzende Hämatommsäure, wodurch der Atranorsäure-Charakter völlig sicher ge- stellt ist. 1) Ueber die näheren Bestandteile einiger Flechten. Annalen der Chemie, Bd. 68, S.98 und Ueber einige Flechten. Daselbst Bd. 155, S. 58. 602 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. säure gehalten), ferner nach Stenhouse und Groves!) Barbatin- säure und endlich nach F. Sehwarz?) Evernsäure. Die Gegenwart dieser 3 Substanzen hindert indessen nicht, dass die Flechte nach Wilde (l. e.) gefressen wird von den Raupen der Lithosia arideola. 13. Usnea barbata (L.). Wird nach Wilde (l. e.) gefressen von den Raupen folgender Schmetterlinge: Gnophos mucidaria, @. pullata, Acidalia calcarca, A. confinaria und A. submutata. Dureh die Untersuchungen verschiedener Chemiker, wie Knop, Hesse, Salkowski, ist längst sicher gestellt, dass die Flechte Usninsäure enthält. Stenhouse und Groves°) haben außerdem Barbatinsäure nachgewiesen. Beide Stoffe sind also nicht im Stande, jene Raupen vom Fraße abzuhalten. 14. Ochrolechia pallescens (L.). [Lecanora parella (Ach.] Diese krustenbildende Lichene enthält ziemlich reichlich Leeanor- säure?) (aus welchem Grunde sie früher nebst Ochrolechia tartarea zur Orseillebereitung benutzt wurde) außerdem aber noch Parell- säure®). Trotzdem wird sie nach Wilde (l. ec.) von den Raupen der Nudaria mundana, Bryophila ereptricula, B. receptrieula und B. raptricula als Nahrung benutzt. 15. Placodium saxwicolum (Poll.). Diese nach meinen Untersuchungen Zeorin und Atranorsäure enthaltende Flechte dient nach Wilde den Raupen von Lithosia luta- rella (luteola), Nudaria mundana und Bryoyphila ereptrieula (troglodyta) zur Nahrung. 16. Parmelia caperata (L.). Wie den Lichenologen wohl bekannt sein dürfte, ist die Flechte durch sehr bitteren Geschmack ausgezeichnet. Durch eine besondere Untersuchung, über die an anderer Stelle berichtet werden soll, habe ich ermittelt, dass derselbe auf der Gegenwart der bisher nur aus Cetraria islandica bekannten Cetrarsäure beruht. Daneben kömmt reichliche Usninsäure vor, welche der Flechte ihre gelbgrüne Farbe verleiht. Trotz der Gegenwart der bitteren Cetrarsäure wird die Flechte, wie ich in den Alpen (auf Porphyr bei St. Ulrich in Gröden) be- obachtete, von einer winzigen Milbe stark angefressen. Es ist daher zu 4) Annalen der Chemie, Bd. 68, 5. 304. 2) Chemisch-botanische Studien über die in den Flechten vorkommenden Flechtensäuren. Cohn’s Beitr. zur Biologie, Bd. Ill, S 259. 3) Beitrag zur Geschichte der Oreine. Ann. d. Chemie, Bd. 203, S. 302. 4) Schunk E., Ueber die Bestandteile der Lecanora parella. Annalen der Chemie, Bd. 54, 8. 257 u. 275. Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. 603 vermuten, dass jene Säure für dieses Tier nicht den bitteren Geschmack hat, wie für den menschlichen Gaumen. Die eingangs dieser Mitteilungen gestellte Frage: Welche Flechtenstoffe werden von gewissen Tieren zugleich mit den Fleehtenteilen verzehrt? mit andern Worten: Welche Flechtenstoffe bilden kein Schutzmittel gegen den Fraß gewisser Tiere? lässt sich durch vorstehende Ermittelungen mithin wie folgt beantworten: 1. Atranorsäure ist nicht im Stande, die Physcia aipolia vor dem Fraß gewisser Springschwänze (Poduriden), die Parmelia tiliacea, P. saxatilis und Evernia furfuracea vor dem Fraß gewisser Milben (Oribatiden) und Raupen, die Anaptychia speciosa vor dem Fraß einer Schnecke (Clausilia) zu schützen. 2. Usninsäure vermag keinen Schutz zu verleihen der Usnea barbata und der Evernia prunastri gegen den Fraß gewisser Raupen und der Cetraria pinastri sowie der Parmelia caperata gegen den Fraß gewisser Milben. 3. Zeorin schützt Placodium saxicolum nicht gegen den Fraß mehrerer Raupen. 4. Barbatinsäure kann gewisse Raupen nicht vom Fraß der Usnea barbata und der Oladina rangiferina abschrecken. 5. Stietinsäure ist trotz ihrer Bitterkeit kein Hinderungsgrund für das Gefressenwerden der Sticta pulmonaria durch einige Raupen. 6. Stereocaulsäure bietet der Parmelia saxatilis keinen Schutz gegen Milbenfraß wie gegen den Fraß mehrerer Raupen. 7. Parellsäure, in Ochrolechia pallescens (Lecanora parella) vorhanden, schützt diese Flechte nicht gegen Raupenfraß. 8. Pinastrinsäure ist nicht im Stande die Cetraria pinastri gegen das Gefressenwerden seitens gewisser Milben zu schützen. 9. Evernsäure, in Evernia prunastri und Cladonia rangiferina in geringer Menge, in Parmelia tiliacea sehr reichlich (zu 3°/,) vor- handen, hat für diese Flechten nicht den Wert eines Schutzmittels gegen Raupen- resp. Milbenfraß. 10. Everninsäure schützt Zvernia prunastri nicht gegen den An- griff seitens gewisser Raupen. 11. Chrysophysecin (Flechtenchrysophansäure) bietet der Nan- thoria parietina wie der Gasparrinia elegans keine Schutzmittel gegen Milbenfraß. 12. Physeianin und Physciol, in Xanthoria parietina vorkom- mend, sind kein Hindernis für das Gefressenwerden dieser Flechte durch Milben. 13. Lecanorsäure schreckt gewisse Raupen nicht von dem Fraß der Ochrolechia pallescens ab. 604 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. 14. Die sehr bittere Cetrarsäure schützt Parmelia caperata nicht gegen den Fraß einer Milbe. Nach diesen Ergebnissen ist mit Sicherheit zu erwarten, dass sich bei weiter fortgesetzter Untersuchung noch zahlreiche andere Flechten- stoffe als nicht schützend gegen Milben-, Poduriden-, Raupen- und Schneckenfraß erweisen werden. Jedenfalls bin ich schon jetzt berechtigt zubehaupten, dass die neuerdings mit sehr starker Betonung vorge- tragene Ansicht Zukal’s!), die Flechtensäuren hätten die biologische Bedeutung eines wirksamen Schutzmittels gegen Tierfraß in solch weiter Fassung gänzlich unzu- treffend und darum unhaltbar ist. Dass sehr kleine Vertreter der Spinnentiere (Arachniden), speziell der Acarinen und insbesondere der Oribatiden, sowie sehr kleine Repräsentanten der Orthopteren, speziell Poduriden, zu den Flechtenfressern zählen, ist den Botanikern, die übrigens ihr Augenmerk immer nur auf Schnecken gerichtet haben, bisher, wie es scheint, unbekanut geblieben, trotzdem die durch jene Tiere be- wirkten Fraßerscheinungen gar nicht so selten und, vielfach höchst auffällig sind. Auch in der zitierten Arbeit von Zukal finde ich nichts von Milben- und Poduridenfraß erwähnt. Den Zoologen aber scheint die Thatsache längst geläufig zu sein, wie ich aus den Zuschriften der Herren Dr. Kramer und Schött ersehe. Ersterer schrieb mir, „dass man auch noch andere Arten der reichen Oribatidenfamilie beobachten könne, wie sie Flechten abweiden und dabei ihre Zangen zum Ab- rupfen gebrauchen“; und Letzterer teilte mit, dass außer den beiden von mir auf Physcia aipolia beobachteten Poduriden Isotoma cinerea (Nie.) Tullberg und AXenylla brevicauda Tullb. auch noch andere Vertreter der Familie als Flechtenfresser bekannt seien, so Entomobrya rivalis L., E. corticalis Nie., E. arborea Tullb., E. marginata Tullb. und Anurophorus laricis Nie. Von Schmetterlingen scheint eine große Anzahl im Raupen- zustande sich von Flechten zu nähren. Nach O. Wilde’s schon er- wähnter Zusammenstellung waren bereits im Jahre 1860 in Deutsch- land allein 35 Species bekannt, von denen eine zu den Microlepi- dopteren gehört (Talaeporia pseudobombycella), 10 zuden Spannern (Acidalia calcaria, confinaria, submutata, Boarmia lichenaria, glabraria, viduaria, Mniophila cineraria, corticaria, Gnophos mucidaria, pullata), 24 zu den Macrolepidopteren (Boletobia fuliginaria, Bryophila glandifera, perla, algae, ereptricula, receptricula, raptricula, Aventia Sexula, Calligena rosca, Fumea sepium, betulina, Lithosia aureola, Iutarella, complana, griseola, depressa, lurideola, quadra, rwbricollis, 1) Morphologische und biolog. Untersuchungen über Flechten II. Sitzungs- berichte der Wiener Akademie, 1895. Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. 605 arideola, Naclia ancilla, Nudaria mundana, Setina mesomella und irrorella). Von Schnecken sind nur wenige als Fiechtenfresser beobachtet. Nach Rudolf von Oestreich!) sollen eine Anzahl von Olausilia- artigen sich von Kalkflechten nähren, auch auf Peltigera- Arten sind nach Arnold und Zukal (l. e. S. 28) einige Species, die nicht näher bezeichnet wurden, fressend angetroffen worden. Ich selbst beobach- tete, wie bereits gezeigt, eine kleine Clausilia, welche die oberfläch- lichen Teile der Anaptychia speciosa verzehrte. Nach meinen Beobachtungen im Freien und meinen Experimenten im Zimmer fressen Poduriden sowohl wie Milben die Flechtenteile nur dann, wenn dieselben durch Thau oder Regen resp. durch künst- liche Benetzung mehr oder minder stark aufgeweicht sind. Sobald Abtroeknung der Teile eingetreten ist, stellen die Tiere ihren Fraß ein. Ob das auch auf Raupen zutrifft, weiß ich nicht, da ich mit ihnen nicht experimentierte, halte es aber für wahrscheinlich. Milben und Poduriden attaquieren nach meinen Beobachtungen im Freien und insbesondere auch nach meinen Experimenten im Zimmer in der Regel zuerst die Schlauchschicht der Apothecien, weil diese besonders weich ist, erst später greifen sie die weniger weichen Thallus- teile an. Ob die Apothecien oder Thalli geringe oder massenhafte Ab- scheidung von Flechtensäuren tragen, ist nach meinen Beobachtungen an Poduriden, Milben sowie einer Schnecke (Clausilia) völlig gleichgiltig, wenn nur die betreffenden Teile feucht, also weich sind. An Xanthoria parietina, Gasparrinia elegans, Physcia aipolia, Anaptychia speciosa und anderen Flechten habe ich beobachtet, dass von den genannten Tieren gerade die säurereichsten oberflächlichsten Teile zuerst und mit besonderer Vorliebe gefressen werden. Exemplare von Aanthoria parietina, welche mir Herr Dr. Glück brachte, waren von zahlreichen Individuen der noch darauf sitzenden Milbe (Oribatide) so angefressen, dass die säurereichsten gelben Teile (Rinde) fast vollständig hinweggenommen waren, die säureärmsten Teile dagegen (das weißliche resp. durch die Algen grünliche Mark) fast ganz verschont geblieben. Der (für den menschlichen Gaumen wenigstens) bittere Geschmack der Stietinsäure ist für die auf Stieta Pulmonaria lebenden Raupen von Naclia ancilla, Lithosia rubrieollis, L. quadra, Aventia flexula, Boarmia viduaria, Talaeporia pseudobombycella kein Fraß-Hindernis. 4) Die östreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild S. 278 des Uebersichtsbandes. 606 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. Fütterungsversuche mit rein dargestellten Flechtensäuren. Von den Flechtensäuren, welche ich im Laufe der letzten Jahre aus verschiedenen Flechten isoliert habe, wurde eine kleine Reihe zu Fütterungsversuchen benutzt. Als Versuchstiere dienten Schnecken und zwar Helix ericetorum, H. hortensis, H. nemoralis, H. pomatia sowie Succinea amphibia. Die Versuchsanordnung geschah in der Weise, dass ich dünne Scheiben ungekochter Kartoffeln, welche von jenen Tieren gern ge- fressen werden, mit der betreffenden Säure an der Oberfläche gleich- mäßig einrieb, sie in Krystallisierschalen legte und in jedes dieser mit übergreifendem Glasdeckel verschließbaren Gefäße je einen Vertreter der betreffenden Schnecken -Art setzte. Durch Hinzufügung von ein paar Tropfen Wasser wurde Sorge getragen, dass die Kartoffelsehnitte nicht abtrockneten, weil hierdurch die Schnecken leicht vom Fraß ab- gehalten werden. Anfangs wählte ich zum Einreiben der Kartoffelscheiben intensiv rot oder gelb gefärbte Substanzen, um eventuell intensiv gefärbte Exkremente zu erhalten, später kamen auch farblose Säuren in An- wendung. Die nach einiger Zeit abgesetzten Exkremente wurden auf die Gegenwart der betreffenden Stoffe auch mikroskopisch resp. mikro- chemisch geprüft. 1. Solorinsäure. Es ist dies ein prächtig rubinroter Körper, den ich aus Solorina crocea isolierte!). In Wasser ist er völlig unlöslich. Die Kartoffelscheiben waren so stark mit der Säure eingerieben, dass sie ziegelrot erschienen. Ich setzte Helix ericetorum, H. ne- moralis, H. hortensis und Succinia amphibia auf dieselben und alle 4 Arten weideten, obwohl sie gar nicht hungrig waren (sie hatten kurz vorher Gras, resp. Alliumblätter oder andere Pflanzenteile ge- fressen) die Oberflächenschicht der Kartoffel und damit auch die Solorinsäure alsbald teilweis ab. Die nach einigen Stunden ausgestoßenen Exkremente sahen dunkel- grün aus, infolge der früheren chlorophylihaltigen Nahrung, die später abgesetzten, ebenfalls prall-wurstförmigen waren leuchtend-zinnober- rot. Unter dem Mikroskop zeigte sich dieser Darminhalt als haupt- sächlich aus den in Farbe und Form unveränderten Kryställchen und Krystallfragmenten der Solorinsäure bestehend, und nur zum Teil aus Teilchen der Kartoffel selbst (meist Stärkekörnchen). Die Krystalle gaben mit Kalilauge die schön violette, mit konzentrierter Schwefel- säure die schön purpurne Reaktion der reinen Solorinsäure. 4) Zopf, Beiträge, Heft V, S. 65. Ann, d. Chemie, Bd. 284. Zopf, Bedeutung der Fleehtensäuren. 007 2. Chrysophysein (Flechtenchrysophansäure). Das Material war aus Gasparrinia decipiens von mir dargestellt. Die stark eingeriebenen Kartoffelscheiben sahen, wie die Säure selbst, goldgelb aus. Ich setzte H. nemoralis und H. hortensis auf dieselben, und beide nahmen mit der Kartoffel die Substanz so reichlich auf, dass die Exkremente ocher- bis goldgelb aussahen. Mit Kalilauge zusammengebracht wurden sie schön purpurrot, wie das Chrysophys- ein selbst. Letzteres ist in Wasser unlöslich. Nach R. Kobert’s eingehenden Untersuchungen (l. ec.) ist es für höhere Tiere völlig ungiftig. 3. Rhizocarpsäure. Sie stellt ein schön zitronengelb gefärbtes Derivat der Pulvinsäure dar und wurde von mir in Bhizocarpon geographiceum, Catocarpus alpi- colus, Pleopsidium chlorophanum, Raphiospora flavovirescens und Biatora lucida aufgefunden. In Wasser ist sie sehr wenig löslich mit deutlich gelber Farbe. Die mit der Säure stark eingeriebenen Kartoffelstücke setzte ich einer Helix pomatia vor, die 24 Stunden gefastet hatte und sie fraß beides mit großem Appetit. Die Exkremente sahen hell zitronen- gelb aus und enthielten die Fragmente der ziemlich großen Krystalle sehr zahlreich. Das Tier blieb in der Folge völlig gesund. Ich hatte dieses Resultat eigentlich nicht erwartet, da die Pulvinsäure und ge- wisse Derivate derselben nach Kobert’s bekannten Untersuchungen für höhere Tiere mehr oder minder stark giftig sind. 4. Pinastrinsäure!t). Ein prächtig rotgelber Stoff aus Cetraria pinastri. In viel Wasser ist derselbe ein wenig löslich und zwar mit goldgelber Farbe. Die mit der Substanz stark eingeriebene Kartoffelscheibe sah röt- lieh-goldgelb aus. Von dem darauf gesetzten Exemplar der Helix hortensis wurde die Scheibe alsbald energisch angefressen. Die Ex- kremente sahen dementsprechend goldgelb bis gelbbraun aus. Dass das Tier keinerlei schädliche Folgen des Fraßes zeigte, war mir eigentlich auffällig, insofern wenigstens, als Kobert (l. e.) die ziemlich starke Giftigkeit dieser Substanz für höhere Tiere zeigte. In den Exkrementen waren die Krystalle und ihre Fragmente wohl er- halten. 5. Atranorsäure, Diese nach meinen Untersuchungen in vielen Flechten vorkom- mende farblose Säure wurde aus Lecanora thiodes Sprengel dar- gestellt: In Wasser ist sie etwas löslich. Auf die mit ihr eingeriebenen 4) Zopf, Beiträge Heft I S. 41—44 und Heft V S. 68—"72. 608 Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. Kartoffelscheiben setzte ich Helix ericetorum, H. hortensis, H.nemoralis und Succinea amphibia. Die Tiere nahmen mit den Kartoffelteilen die Säure reichlich auf, wie denn auch in den nach einiger Zeit ab- gesetzten Kreideweißen Exkrementen aller 4 Arten sich dieselbe in Masse in Form der charakterischen Prismen oder deren Fragmenten vorfand. Korrosionserscheinungen fehlten auch hier. 6. Vulpinsäure. Ich benutzte aus Lepra chlorina von mir isoliertes Material. Die Substanz ist in Wasser sehr wenig löslich und, wie aus den Experi- menten Kobert’s hervorgeht, für Kalt- und Warmblütler insbesondere für Katzen stark giftig. Die mit der Säure eingeriebenen Kartoffelscheiben wurden von allen den Schnecken, denen ich sie vorsetzte (Helix pomatia, H. ne- moralis, H. hortensis, H. ericetoruuı und Succinea amphibia nicht an- gerührt, auch nicht wenn die Tiere ausgehungert waren. Setzt man sie mitten auf die Kartoffelscheibe, so scheiden sie stark Schleim ab und suchen bald aus dem Bereich der Säure zu kommen. Die Sub- sianz übt also auf die genannten Schneckenarten, vielleicht schon durch ilıren Geruch, eine entschieden abstoßende Wirkung aus. 7. Cetrarsäure. Sie ist in Wasser fast unlöslich und schmeckt stark bitter. Ich setzte Kartoftelscheiben, welche mit der Säure so stark eingerieben waren, dass sie milchweiß erschienen, hungrigen Exemplaren von Helix pomatia vor. Nach ein paar Stunden hatte das eine Individuum über 2 cm? von der Oberfläche hinweggenommen und damit relativ viel von der Säure, das andere, in einem anderen Gefäß gehalten, innerhalb derselben Zeit 1!/, em?. Später wollten die Tiere nichts mehr fressen, wahrscheinlich weil die Säure eine Veränderung erfuhr, die sich darin äußerte, dass die anfänglich weiße Krystallschicht gelbe bis gelbbräun- liche Farbe annalım. Aus der vorstehenden Versuchsreihe ergibt sich, dass alle ange- wendeten Säuren, mit Ausnahme der Vulpinsäure, also Solorinsäure, Chrysophysein (Flechtencehrysophansäure), Rhizocarpsäure, Pi- nastrinsäure, Atranorsäure und Cetrarsäure von gewissen Schnecken mit den Kartoffelteilen in relativ beträchtlichen Mengen aufgenommen werden können, ohne irgend welche schädlichen Wirkungen auszuüben. A priori sollte man glauben, dass solche Mengen scharfer Krystalle und Krystallfragmente die Schleimhäute des Verdauungstraktus irgendwie verletzen oder doch wenigstens stark reizen müssten. Namentlich ver- wunderlich erscheint es, dass die kleinen Exemplare der Helix ericetorum Zopf, Bedeutung der Flechtensäuren. 009 und der Suceinea amphibia, die im Vergleich zu den übrigen, größeren Arten doch einen Darmkanal von sehr geringem Durchmesser besitzen, augenscheinlich gar nicht affıziert werden, selbst wenn man sie tage- lang hinter einander -mit den Kartoffelteilea die verschiedenartigsten Säuren, darunter solche mit relativ großen Krystallen, fressen lässt. Allein bei näherer Untersuchung der Exkremente überzeugt man sich, dass eine mechanische Verletzung oder Reizung der Schleimhäute des Verdauungstraktus eigentlich ganz unmöglich ist. In den prall- wurstförmigen Exkrementen sind nämlich die Verdauungsreste inelusive der Krystallmassen in einen dicken zähen Schleimsack ein- gehüllt, den man mit einer gewissen Gewalt öffnen muss, um den Inhalt herauszubringen. Auch an der Schleimhaut der Mundhöhle kann, wie ich glaube, keine Verletzung oder Reizung durch die Krystall- massen hervorgerufen werden, weil die Tiere auch aus dem Munde Schleim absondern, in den die Krystallteile sofort eingehüllt werden. Da die Versuchstiere nach dem Fraße von Solorinsäure, Chrysophysein, Pinastrinsäure, Rhizocarpsäure, Atranor- säure völlig munter und fresslustig blieben, so darf man wohl ferner annehmen, dass diese Stoffe auch in chemischer Beziehung nicht schädlich wirken. Und ich glaube dies dadurch erklären zu müssen, dass erstens Solorinsäure und Chrysophysein in Wasser gänzlich unlöslich, Pinastrinsäure, Rhizocarpsäure, Atra- norsäure nur sehr schwer löslich in Wasser sind, und die etwa von der geringen Wassermenge der Kartoffelscheiben gelösten minimalen Substanzmengen letzterer Stoffe keine schädlichen Wirkungen auszuüben vermögen; zweitens von Seiten des Verdauungstraktus alkalische Säfte, welche die genannten Flechtensäuren in Lösung zu bringen vermöchten, nicht abgeschieden werden. Für die Richtig- keit dieser letzteren Vermutung sprechen zwei Thatsachen: einmal die glatten glasglänzenden Flächen und scharfen Kanten der Krystalle und Krystallfragmente in den Exkrementen, und sodann die Abwesen- heit von Farbenreaktionen (Chrysophysein z. B. wird mit Alkalien purpurrot, Atranorsäure gelb, Solorinsäure violett). Die Krystalle jener von mir zur Verfütterung verwandten rein dargestellten Flechtensäuren sind natürlich Riesenobjekte gegen die höchst winzigen Körnchenformen, in denen die Flechtensäuren, wie zuerst Schwendener zeigte, an den Flechtenhyphen zur Abscheidung gelangen. Können nun schon die wohlausgebildeten Krystalle im Schnecken-Verdauungskanal keine schädlichen mechanischen Wirkungen ausüben, so werden es natürlich die mit den betreffenden Flechten- teilen gefressenen winzigen Flechtenstoff-Körnchen vollends nicht ver- mögen. Ich glaube daher, dass auch die seitens der oben genannten Milben, Poduriden, Raupen zugleich mit den Flechtenteilen ver- XVl. 39 610 Lindner, Biologie paräsitischer Vorticellen. zehrten Flechtensäuren sich im Darmkanal dieser Tiere mechanisch völlig indifferent verhalten. Aber auch chemisch dürften solche Stoffe gänzlich indifferent sein, denn jene Tiere würden sonst nicht die betreffenden Flechten in so großer Fresslust immer und immer wieder angehen, vorausgesetzt, dass dieselben genügend feucht sind; sie würden auch nicht, wie z. B. die auf Xanthoria parietina und Gasparrinia elegans vorkommenden Milben oder wie die von Physcia aipolia lebenden Poduriden, gerade die säurereichsten Teile mit Vorliebe abweiden, insbesondere die Hymenien und oberflächlichen Rindenteile. [67] Kryptogamisches Laboratorium der Universität Halle. Juni 1896. Studien über die Biologie parasitischer Vorticellen. Von Dr. G. Lindner in Cassel. Die im Biolog. Centralblatt, Bd. XV, Nr. 23 und in anderen Zeit- schriften von mir beschriebenen charakteristischen Eigenschaften ge- wisser stielloser Vorticellen, deren Cysten sich häufig auf und in Tierkörpern ablagern und die sich mir neuerdings als regelmäßige Inwohner der sogenannten Miescher’schen Schläuche entpuppt haben, sind in hygienischer Beziehung von so hoher Bedeutung, dass ich meine Studien über ihre Biologie bisher ununterbrochen fortgesetzt und im Laufe dieses Frühjahrs auch von neuem eingehende Untersuchungen des von Rainey’schen Körpern durchsetzten Muskelfleisches bei Schweinen vorgenommen habe. Besonders habe ich meine Aufmerksamkeit auf die Prüfung der Lebenszähigkeit und der Widerstandsfähigkeit der Vorticelleneysten gegen Trockenheit, Fäulnis und Temperaturwechsel, ferner auf die Beobachtung der Vermehrungsweise der [von mir „Ascoidien“ genannten] stiellosen Vorticellen-Art aus niederen Entwicklungsphasen, bezw. aus kleinsten Sprösslingen des Nucleus gerichtet. Bei diesen Forschungen fand ich zunächst meine früher gemachte Wahrnehmung bestätigt, dass jene stiellose Form von der überall ver- breiteten V. microstoma abstammt, welche unter gewissen Bedingungen, namentlich bei drohendem Austrocknen ihres Nährbodens, oder bei weit vorgeschrittener Fäulnis desselben ete. ihren Stiel verliert. An seiner Stelle entwickelt sich ein hinterer Wimperkranz, nach dessen Vollendung die Tierchen unter öfteren Drehungen um ihre Längsaxe sehr gewandt rückwärts schwimmen. Mit der vollzogenen Umwandlung der gestielten in die stiellose Form verliert letztere zugleich die Fähigkeit, wieder einen Stiel zu bilden und sie führt von jetzt ab ein selbständiges, dem Anschein nach vorwaltend parasitisches Familienleben. Gleichzeitig macht sich eine auffallende Veränderung ihrer Lebensfunktionen bemerkbar. Die ver- wandelte Vorticelle vermehrt sich nicht, wie dies vorher der Fall war, Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. 611 hauptsächlich durch Teilung, sondern meistens a) durch eine eigen- artige Kopulation, wobei sich zwei gleich große Individuen mit den Bauchflächen fest aneinander legen, um demnächst zu zerfallen, nach- dem die beiderseitigen Nuclei zu einem gemeinsamen hantelförmigen Körper verschmolzen sind, oder b) durch wirkliche Begattung zwischen einen kleinen Schwärmling, — welcher ebenso gebaut ist, wie die großen Vorticellen, an Stelle des bei ihm fehlenden Nucleus aber ein spieulumartiges? feines Organ dicht über dem hinteren Wimperkranz zu besitzen seheint — mit einem großen Muttertier!). Die neugebildeten stiellosen Formen nähren sieh ferner nicht mehr in derselben Weise wie ihre Stammeltern vorzugsweise von vegetabi- lischen Substanzen, z. B. in wässerigen Heuaufgüssen u. dergl., sie gedeihen vielmehr hauptsächlich in tierischem Eiweiß, — in Fleisch- brühe, Milch, Hühner - Eiweiß, in Tierblut, Blutserum, im Schleimhaut- sekret u. s. w. Die lebenden Vorticellen sind gegen Säuren, besonders gegen Essig, sauren Magensaft ete. zwar sehr empfindlich, die en- eystierten Formen aber leisten nach den von mir vorgenommenen Ver- suchen einem künstlich nachgebildeten Magensaft längere Zeit Wider- stand, indem sie nach ein- bis zu zweistündiger Einwirkung desselben sroßenteils noch lebensfähig bleiben. Durch Züchtungsversuche in bluthaltigen Nährmedien lässt sich leicht erkennen, dass jene stiellosen Vorticellen, ebenso wie ihre ge- wöhnlichen Trabanten: — „mit 2 Geißeln versehene Cercomonaden“ — echte Hämatozoen sind. In Tierblut bewahren sie ihre Lebensenergie viel länger, wie in einfacher Fleischbrühe, welche oft schon nach 2 bis 3 Wochen für ihre Ernährung nicht mehr genügt. Die Vorticellen erleiden alsdann bei ungenügenden Nahrungsverhältnissen verschieden- artige Formveränderungen und sie bewegen sich auch meist langsamer, zuweilen — in Folge Verlustes der Wimperhaare — sogar amöbenartig fortkriechend, in ähnlicher Weise wie die Amoeba coli. Bringt man solche degenerierten, oder bereits im Absterben be- griftenen Formen, welche nicht mehr die nötige Kraft besitzen, um sich einkapseln zu können, aus der für ihr Gedeihen nicht mehr ge- nügenden Fleischextrakt-Lösung in Tierblut, oder in Blutserum, so 4) Leuckart erachtet diese den Vorticellen im allgemeinen neben der Vermehrung durch Teilung zukommende Fortpflanzungsart als Kopulation. In seinem Lehrbuch „Die Parasiten des Menschen“, 2. Aufl., S. 297 äußert er sich über diesen Vorgang, wie folgt: Bei den Vorticellen geschieht die Kopulation nicht, oder doch gewöhnlich nicht zwischen gleich großen und gleich geformten Individuen, sondern zwischen einem großen festsitzenden Tiere und einem sehr viel kleineren Schwärmling, der in seinen Beziehungen zu dem ersteren vollständig die Verhältnisse wiederholt, die zwischen den sogenannten Microgonidien und Macrogonidien gewisser Algen obwalten, — Beziehungen also, welche von den Botanikern schon seit längerer Zeit den Vorgängen der Befruchtung als gleichbedeutend an die Seite gestellt werden. — 39# 612 Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. erscheinen sie oft schon nach wenigen Stunden neu belebt und äußerst produktiv. Uebrigens gedeihen sie in faulendem Blute gewöhnlich ebenso gut, wie in frischem, und sie zeichnen sich durch ihre Widerstandsfähigkeit gegen Fäulnis, besonders in eingekapselter Form, vor allen andern saprozo@n Infusorien aus. Im Monat Januar er. übertrug ich einen Tropfen vorticellenhaltiger Flüssigkeit nebst einer etwa gleichen Zahl von lebenden Paramäcien (Paramaecium putrinum) in vier Wochen altes, bereits faulendes Schweineblut. Nach zehn Tagen hatten sich die ersteren myriadenweise darin vermehrt, während von den Para- mäcien kaum noch eine Spur zu finden war. Diese Ciliaten hatten sich in der stinkenden Blutflüssigkeit anscheinend nicht nur nicht vermehrt, sondern sie waren größtenteils eneystiert zu Boden ge- sunken, oder abgestorben. Was die Temperatur des Nährmediums betrifft, so gedeihen die stiellosen Vorticellen am besten in mäßiger Wärme bei 20—30° C, — Bei starker Erwärmung der Nährflüssigkeit über 40° C sterben sie sehr bald ab, falls es ihnen nicht gelingt, sich noch rechtzeitig zu encystieren. In dieser Form scheinen sie nämlich höhere Wärmegrade bis zu 60° C ertragen zu können. Eingehendere Versuche habe ich jedoch über diese Eigenschaft der stiellosen Vorticellen noch nicht vorgenommen. Gegen niedere Temperaturgrade sind ihre Cysten ziemlich wider- standsfähig. Anfangs Dezember v. J. züchtete ich aus dem vor meinen Fenstern bei + 2° R in reinen Gläsern aufgefangenen durch Schnee- floeken abgekühlten Regenwasser, in welchem bei mikroskopischer Untersuchung eingekapselte Vorticellen nachweisbar waren, schon nach 24 Stunden lebende Cercomonaden und nach 2 bis 3 Tagen gut ent- wickelte und sehr produktive Askoidien. Letztere waren jedoch nur von kurzer Lebensdauer; nach 8 bis 10 Tagen zerfielen sie in Myriaden von kleinsten, runden, unbeweglichen, hellglänzenden Kügelchen (Sporo- zo@n?) aus denen sich in frischer Nährflüssigkeit wieder große Vorti- cellen züchten ließen! — Im Winter 1894/95 habe ich einmal aus frisch gefallenem Schnee bei — 4° R nach einigen Tagen lebende Askoidien gezüchtet; dagegen ergab im Februar v. J. die Untersuchung des bei einer Lufttemperatur von — 15° R fest gefrorenen Schnees nach erfolgter Auflösung in dünner Fleischbrühe nur zerfallene Vorti- celleneysten, während die in diesem Schnee vorgefundenen Cercomo- naden-Kapseln nach sechstägiger Züchtung wieder auflebten und nach- her sich zahlreich vermehrten. Die Cercomonaden scheinen also gegen Kälte weniger empfindlich zu sein wie die stiellosen Vorticellen. — Was ihre Widerstandsfähigkeit gegen das Austrocknen betrifft, so ist diese Eigenschaft, welche den eingekapselten Infusorien im allge- meinen zuzukommen scheint, bei unsern Vortieellen eine besonders her- vorragende. Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. 613 Leuekart schildert den Einkapselungsvorgang bei den Ciliaten in seinem Lehrbuch, 2. Aufl, Bd.I, S. 298 auf folgende Weise: Wie es scheint haben sämtliche Infusorien die Fähigkeit eine Oyste aus- zuscheiden und damit in einen ruhenden Zustand überzugehen. Man beobachtet es namentlich bei eintretendem Wassermangel oder da, wo die Umgebung der Tiere eine ungewöhnliche Be- schaffenheit annimmt, gleichgiltig, ob dieselben ausgewachsen sind, oder nieht. Unter dem Schutze der oft recht diekwandigen und resistenten Cyste ertragen die sonst so zarten Geschöpfe ein völliges Austrocknen. Man kann sie in diesem Zustande, gleich Pflanzensamen und Helmintheneiern, Jahre lang trocken aufbewahren und sieht sie bei Wasserzusatz oft schon nach wenigen Stunden wieder in Vollbesitz ihrer Lebensenergie durch die Kapselwand hervorbreehen“. „Welche Bedeutung diese Erscheinung für die Lebensgeschichte der Infusorien besitzt, liegt auf der Hand. Sie ist nicht bloß ein Mittel der Erhaltung, sondern auch der Verbreitung der trocknen Kap- seln durch die Luft u. s. w. Dass durch diese Einkapselung auch das parasitische Vorkommen der Infusorien, resp. deren Uebertragung in hohem Grade begünstigt wird, bedarf keines speziellen Nachweises“. Dieselben Erscheinungen, wie sie hier von Leucekart beschrieben werden, habe ieh bei der künstlichen Züchtung meiner stiellosen Vorti- cellen hinsiehtlich des Einkapselungsvorgangs regelmäßig beobachtet. Besonders gilt dies von der Flüchtigkeit und Verwehbarkeit der trocknen Kapseln durch die Luft, bezw. mittels der herrschenden Winde und des atmosphärischen Staubes (Leuckart a.a. 0. 8. 299). Von der leicht erfolgenden Verflüchtigung der betr. Kapseln kann man sich dadurch überzeugen, dass man die vorticellenhaltige Kulturflüssigkeit auf dem Objektglase des Mikroskops, oder auf einem Holzstäbchen ete. ein- trocknen lässt und das mittels eines Messerchens abgekratzte Pulver mit dem Munde einatmet. Nach solchen Versuchen habe ich gewöhn- lieh ein andauerndes Gefühl von Kratzen, oder Hustenreiz auf der Schleimhaut des Schlundes bei mir empfunden und in dem ausge- räusperten Schleim mehr als einmal lebens- und entwicklungsfähige Vorticelleneysten nachweisen können. Dass diese Cysten in der freien Natur sehr verbreitet sind, lässt sich daraus schließen, dass man sie — wenigstens in hiesiger Gegend — häufig auf Baumrinden und Blättern, auf Pflanzen, Moos, Flechten- gewächsen ete. sowie auch oft im Regenwasser, oder Schnee vorfindet. Was indessen die Wiederbelebung der eingetrockneten Kapseln nach langer Aufbewahrung bei Wasserzusatz betrifft, so habe ich bei meinen Züchtungsversuchen bisher niemals beobachtet, dass die alsdann wiederauflebenden Tierchen nach wenigen Stunden schon die Kapsel- wand durchbreehen. Gewöhnlich vergehen einige Tage, selbst 3 bis 6 Wochen, bevor lebende Vorticellen in der Kulturflüssigkeit zum Vor- b14 Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. schein kommen und ich habe nach meinen Beobachtungen hierbei stets den Eindruck gehabt, dass sich die ausgewachsenen Formen nach und nach aus den mutmaßlich im Nucleus befindlichen kleinsten Spröss- lingen entwickeln. Als solche sind meines Erachtens die oben er- wähnten, beim Absterben der Muttertierchen, bezw. beim Zerfall ihrer Cysten in der Regel myriadenweise zum Vorschein kommenden kleinen, runden, weißen oder hellglänzenden Körperchen zu erachten. Zur Prüfung der Widerstandsfähigkeit der Vorticellen gegen Aus- trocknen habe ich mehrere anfangs September 1894 in Vorticellen- Kulturen getauchte, zuvor sterilisierte Holzstäbehen, welche ich in reinen Pappschachteln unter sorgfältigem Verschluss aufbewahrt hatte, gegen Ende Februar d. J. — also nach 1!/, Jahren — enthüllt und die Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der daran haften gebliebenen Vorticelleneysten näher untersucht. Die mit dem Infusorienwasser armierten Enden der Stäbchen wurden den 20. Februar er. in mit dünner Fleischextrakt-Lösung gefüllten Gläschen abgerieben und diese Flüssigkeit demnächst mikroskopisch untersucht. Hierbei fanden sich zahlreiche gut erhaltene Vorticelleneysten mit deutlichem Nucleus —- a. —, darunter auch mehrere von Kopulations- bezw. sich begattenden Pärchen herrührende Kapseln — d. c. —, wie aus der hier beigefügten Zeichnung ersichtlich ist: Abbildungen a—e. Der größte Teil der an den Holz- en stäbehen eingetrockneten Vorticellen war jedoch augenscheinlich zerfallen und ein Kern in ihnen nicht wahrnehmbar. Als Ueberreste der Cysten, bezw. ihrer Nuclei zeigten sich einzelne gut konservierte hantel- förmige Gebilde — d.—. Auch einige Cer- comonaden-Cysten, welche die Gestalt einer kleinen körnigen Kugel haben — e. —, ließen sich bei der ersten Untersuchung unter dem Mikroskop nachweisen. Alle diese Gebilde waren nach 3 Tagen aus dem Gesichtsfelde verschwunden, dafür i erschienen in der auf der Oberfläche der Flüssigkeit gebildeten Kahmhaut Myriaden von den mehrfach erwähnten kleinen runden Körperchen. Nach 6 bis 8 Tagen zeigten sich einige anscheinend lebensfähige Vorticellen-Larven, welche aber in den nächsten Tagen nicht mehr sichtbar waren. Aus diesem Grunde wurde am 12. März zur ersten Kultur frische Nährflüssigkeit zugesetzt, in welcher nach 2 Tagen zahlreichere Vorticellenlarven zum Vorschein kamen, die sich aber ebenfalls nicht weiter entwickelten. Nachdem eine zweite Auffrischung des Nährbodens mittels Fleischbrühe den- selben Erfolg gehabt hatte, wurde gegen Ende März die auf der Ober- Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. 615 fläche befindliche Kahmhaut mit den darin suspendierten Sporozoen in frisches mit Wasser verdünntes Tierblut (vom Schwein) übertragen. Hiervon wurden im Laufe von acht Tagen drei Kulturen angefertigt. Im Kulturglase «a vom 27. März zeigte sich nach 72 Stunden eine starke Kahmhaut mit zahlreichen ruhenden sporenartigen Körperchen, in deren Centrum größtenteils ein Kern sichtbar war. — Am 31. März wurden ein Paar Tropfen der sporozoönhaltigen Kahmhaut aus a in ein 2. Glas 5 mit frischer Nährflüssigkeit übertragen. Hier zeigten sich schon nach 24 Stunden auf der Oberfläche des Wassers einige lebende Cereomonaden, welche sich binnen 3 Tagen sehr zahlreich vermehrt hatten. — Auch in «a kamen nach 12 Tagen (den 8. April) solche Cerecomonaden zur Entwicklung. — In der Zwischenzeit kamen in beiden Kulturen immer von neuem einzelne Vorticellenlarven vorüber- gehend zum Vorschein. Erst Mitte April also nach 6—7 Wochen — traten zuerst in «a und etwas später in 5 die ersten lebenden Vorti- cellen zu Tage, welche schon nach kurzer Zeit unter Bildung von Kopulations-Pärchen, bezw. durch Begattung sich in hohem Grade produktiv erwiesen. — Mit der zunehmenden Vermehrung der großen Vorticellen nahm die Zahl der sporenartigen Körperchen und der Cer- comonaden verhältnismäßig ab. Aus Kultur 5 wurden am 1. April einige Tropfen in eine frische Nährflüssigkeit ce importiert und auch in dieser hatten sich nach einigen Tagen kräftige Cercomonaden mit zahllosen Uvellen entwickelt. Auf- fallend war es, dass in c vollständig ausgebildete Vorticellen wie in a und 5 dauernd vermisst wurden, während die Monaden sich enorm vermehrten. Nachdem ich aber einige Tropfen dieses Monaden-Wassers einer frisch bereiteten kräftigeren Nährlösung beigemischt hatte, traten nach ein Paar Tagen neben zahlreichen Cercomonaden auch große lebende Vorticellen zu Tage. Schon früher habe ich bei meinen Züchtungsversuchen dieser Ciliaten manchmal die Wahrnehmung gemacht, dass durch Ueber- produktion der Cercomonaden die fortschreitende Entwieklung der Vorticellen-Keimlinge unterdrückt wird. Der umgekehrte Fall scheint allerdings häufiger stattzufinden. Dass jedoch diese Cercomonaden den großen Vorticellen zur Nahrung dienen, habe ich noch nicht be- obachtet. — welche nach Form und Inhalt gewöhnlich zu den Psorospermien ge- zählt werden, habe ich in der mir zur Verfügung stehenden Litteratur folgende im Wesentlichen mit einander übereinstimmende Charakteristik gefunden: Nach Leuekart „sind unsere Kenntnisse über die betreffenden Gebilde“ — wie er in seinem Lehrbuche über die Parasiten des 616 Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. Menschen 8. 251 ff. sich äußert — bis „jetzt noch keineswegs zu einem befriedigenden Abschluss gekommen, obwohl sie bei unseren Haus- tieren, bei Schwein und Rind und Schaf, auch bei dem Reh zu den gewöhnlichsten Vorkommnissen gehören“. „Die ersten Nachriehten über diese sonderbaren Gebilde stammen von Miescher, der die Muskeln einer Hausmaus in der Riehtung des Faserverlaufes von langen — schon dem Auge sichtbaren — Streifen durchsetzt sah, welche sich bei näherer Untersuchung als zylindrische Schläuche mit einem aus zahllosen nierenförmigen kleinen Körperchen gebildeten Inhalte ergaben. Dieses Vorkommen im Innern tierischer Muskelfasern ist für jene Gebilde eine allgemeine Regel; sie sind bisher noch nirgends anders aufgefunden worden, obwohl in- zwischen zahlreiche Beobachter denselben eine nähere Berücksichtigung geschenkt haben“. „Ihre äußere Begrenzung besteht aus einer ziemlich dieken und festen Cutieula. Im Innern derselben findet man eingebettet in eine zähe ziemlich homogene Grundsubstanz eine unermessliche Menge mikroskopischer Gebilde von nieren- oder bohnenförmiger Gestalt (0,01 mm), die in völlig frischem Zustande eine hyaline Beschaffenheit haben, höchstens in der Nähe der Enden ein Paar scharf gezeichnete Körnchen enthalten, meist aber schon nach einiger Zeit ein oder zwei Vakuolen in sich entwickeln. Selbständige Bewegungen lassen sich an diesen Körperchen nicht nachweisen, wenn auch die Form derselben mancherlei Wechsel zeigt. In jüngeren, d.h. kleineren Schläuchen (von nur 0,7 bis 1 mm), trifft man neben und zwischen den nierenförmigenKörperchen auch zahlreiche runde blasseKugeln, die wahrscheinlicherweise als deren Jugendformen zu betrachten sind. Uebrigens sind diese Bil- dungen nicht gleichmäßig durch das Protoplasma der Schläuche verteilt, sondern gruppenweise in dünnhäutige Kugeln von etwa 0,025—0,05 mm eingeschlossen, die in dieht gedrängter Menge neben einander liegen“. Ueber künstlich erzeugte Infektionen des Schweines durch Füt- terungsversuche liegen, wie es scheint, bis jetzt noch keine sicheren Beobachtungen vor. Nach den Versuchen von Manz soll der Magen- saft auf die Schläuche eine zerstörende Wirkung ausüben, indem bei den von ihm zu Fütterungsversuchen verwendeten Tieren einige Stunden später in dem Mageninhalte nur noch Reste der Rainey’schen Kör- perchen, in der Darmwand und in den Muskeln dagegen keine Spuren davon zu finden waren [ef. Leuckart a. a. ©. 8. 254]. Nach den Untersuchungen von Hessling’s!) kommen ganz die- selben Gebilde wie beim Schwein, auch beim Reh, namentlich aber im Herzfleisch des Ochsen, des Kalbes und besonders des Schafes vor. 4) v. Hessling, Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, Bd. V, S. 196. Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. 617 Auch Virchow hat sich in den 60er Jahren bei Gelegenheit seiner Forschungen über das Wesen der Triehinose mit der Unter- suchung der Miescher’schen Schläuche im Schweinefleisch, welche man zuweilen gleichzeitig mit Triehinen bei demselben Tier vorfindet, eingehend beschäftigt!). In seiner Abhandlung über Trichinen be- schreibt Virchow zunächst das makroskopische und mikroskopische Aussehen der genannten schlauchförmigen Mikroorganismen und be- merkt hierbei, dass über ihre eigentliche Natur, ihr Herkommen und ihre weitere Geschichte noch nichts Sicheres ermittelt sei, ferner — dass es sich hier um eine Art von tierischen Schmarotzern handele, welche am meisten einer gewissen Form der Psorospermien, oder Gregarinen gleichen, weshalb sie auch vielfach unter dem Namen der Psorospermienschläuche aufgeführt würden. „Was den Inhalt der Schläuche betrifft, so erscheint der- selbe nach Virchow (s. a. a. O. 8.23) aus lauter feinen Körn- chen zusammengesetzt, welche zuweilen in größeren zellen- artigen Abteilungen von sehr regelmäßiger Form ange- ordnet sind. Bringt man aber die Schläuche auf irgend eine Weise zum Platzen, oder Reißen, so treten daraus zahllose kleine Körperchen von runder, länglicher, wurst- oder nierenförmiger Gestalt, innen mit hellen Stellen und einzelnen glänzenden Körnchen versehen hervor. Sie bewegen sich anfangs in der Flüssigkeit, ändern ihre Gestalt durch Bildung von Ausstülpungen und Hervor- ragungen, werden später ruhig und etwas runzelig. Zu- weilen sind diese Gebilde so zahlreich im Fleisch enthalten, dass nahezu die Hälfte der Masse aus Psorospermienschläuchen besteht u. s.w.“. In neuerer Zeit hat namentlich L. Pfeiffer in Weimar den in den Muskeln, oder in dem interfibrillären Bindegewebe bei Warmblütern und bei Fischen vorkommenden Miescher’schen Schläuchen, welche von diesem Forscher unter dem Namen Sarcocystis — Sarcosporidien oder Psorospermienschläuche — beschrieben werden, besondere Auf- merksamkeit gewidmet ?). Nach Pfeiffer ist die Lebensgeschichte dieser Schmarotzer, deren Entwicklungsgang nach einer bei der Barbe vorgenommenen Muskel- infektion von ihm beobachtet wurde folgende: „Eine Anzahl von Keimen der Miescher’schen Schläuche dringt in das Innere der Muskelzelle ein. Hierauf folgt vereinzelt, oder in 4) Virchow, Die Lehre von den Trichinen. Berlin, bei G. Reimer, 1866, 22 11. 2) Dr. L. Pfeiffer, Geh. Med.-Rat ete., Die Protozoen als Krankheits- erreger, Jena 1890, bei G. Fischer, S. 27 ff. Vgl. auch Zeitschrift f. Hygiene, Bd. IV, 1880: „Ueber pathogene Gregarinen* von demselben Verf. — Ferner Dr. A. Johne, Der Trichinenschauer, Berlin bei Parey, 4. Aufl., 1893, S. 58. 618 Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. Gruppen vereinigt, eine Einkapselung von Seiten des Wirtes. Das vegetative Stadium verläuft sodann ohne Bewegungserscheinungen innerhalb dieser Kapsel. Die Sporulation erfolgt ähnlich wie bei Eimeria mit einem Sporo- blasten und sehr vielen Sporen u. s. w.“. In der beigefügten Zeichnung Fig. 8 (8.28 a. a. O.) ist u. a. ein kleiner Schlauch aus dem Herzmuskel des Schafes mit 5 Schmarotzern im Sporoblasten- stadium abgebildet, von denen letztere genau so aussehen, wie im Muskelschlauche eingeschlossene Kapseln stielloser Vorticellen. A. Brass gibt in seiner Abhandlung über die niedrigsten Lebe- wesen!) folgende Beschreibung der Miescher’schen Schläuche: In den Muskelfasern des Schweines und anderer Säuger liegen oft mehr oder minder lange, von festen Hüllen umgebene Gebilde, über deren Natur ein sicherer Aufschluss zur Zeit noch nicht gegeben werden kann. Diese Organismen sind die Früchte bildenden Ruhestadien niederer Parasiten. Aeußerlich besitzen sie eine derbere poröse Membran, innerhalb welcher der Inhalt des Schlauches in kleine Partien getrennt ist. Die einzelnen Teile zerfallen dann wieder in kleinere Gebilde, welche teils sichelförmig, teils rundlich, teils amöbenartig sind. Dies sind die Keime, welche wahrscheinlicherweise zum Teil nach außen gelangen, zum Teil aber im Körper selbst sich wieder weiter ent- wickeln und zu neuen Infektionen Veranlassung geben. — L. Pfeiffer hat in der oben angeführten Abhandlung (a. a. O. S. 28) die Lebensgeschichte des betreffenden Schmarotzers in den tierischen Muskelfibrillen, auf die er eine Anzahl der in den Miescher’- schen Schläuchen enthaltenen Keime mit Erfolg übertragen hatte, be- schrieben, ohne jedoch über die Natur und die Abstammung dieser infektiösen Keime eine Aufklärung zu bringen. Aus diesem Grunde dürfte der Ausspruch jener zuerst genannten Autoritäten, „dass unsere Kenntnisse über die Natur, das Herkommen und die weitere Geschichte der in Rede stehenden Gebilde bisher nicht zum Abschluss gelangt sind“, für jetzt noch seine Giltigkeit behalten. Ob das seit einiger Zeit von mir beobachtete regelmäßige Vor- kommen von eneystierten Vorticellen als Inwohner der Miescher’- schen Schläuche, was sich durch die öfters erfolgreiche Wiederbelebung der betreffenden Cysten in geeigneten Nährmedien nachweisen lässt, zum Ziele führen wird, sei dahin gestellt. Die Ergebnisse der seit Jahren mit zunehmendem Interesse von mir fortgesetzten Studien über die Biologie jener Protozo@n berechtigen mich jedoch zu der Annahme, dass diese Mikroben die Fähigkeit besitzen dürften, im Körper höherer Tiere zu schmarotzen, an geeigneten Stellen, z. B. im Darminhalte 1) Dr. A. Brass, Die niedrigsten Lebewesen etc. Leipzig 1888, bei G. Thieme. Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen, 619 sich haufenweise zu vermehren und unter begünstigenden Verhältnissen — in ähnlicher Weise wie die Trichinen — von dort auszuwandern. Der Gedanke, dass meine Askoidien zu den Rainey’schen Schläuchen in ursächlicher Beziehung stehen könnten, ist erst nach mannigfachen, auf die charakteristischen Eigenschaften dieser Ciliaten sich stützenden Erwägungen in mir aufgetaucht. Dahin gehören ihre eminente Ver- mehrung in allen Schmutzwässern, welche tierische Eiweißstoffe in reichlicher Menge enthalten, ferner ihre energische Einkapselung beim Austrocknen dieser Gewässer, oder bei anderen, ihre Existenz be- drohenden Einflüssen, die leichte Verflüchtigung ihrer trocknen Cysten durch die Atemluft mittels der herrschenden Winde, der häufige Be- fund eneystierter Vorticellen auf und in dem Tierkörper u. s. w. Hierzu kommt der charakteristische Vorgang bei ihrer Einkapselung. Wenn man einen Tropfen der vorticellenhaltigen Flüssigkeit auf dem Objektglase (ohne Deckglas) eintrocknen lässt, so sieht man bei mikros- kopischer Beobachtung, dass sich die Tierchen unter ruckweisen Kon- traktionen ihrer Zellhaut fest aneinander legen und somit zu sareine- artigen Gruppen von großen, meist viereckigen oder eiförmigen, zum Teil nierenförmig eingedrückten, seltner runden Zellen sich vereinigen. Wenn sieh in dem betreffenden Vorticellenwasser, wie dies nicht selten vorkommt, viele kleinere Vorticellen, oder Cercomonaden befinden, so werden dieselben von den größeren Tierchen gewöhnlich in die Mitte gedrängt, zum Teil bleiben sie auch wohl an ihrer Peripherie liegen und sie sind dann als kleine runde Kugeln zwischen, bezw. nach außen von den größeren Zellen sichtbar. Die kräftige Fortbewegung der ausgewachsenen Vorticellen selbst in diekflüssigen oder breiartigen Medien, sowie die eigenartige Grup- pierung ihrer Cysten beim Einkapselungsvorgang veranlassten mich bereits vor acht Jahren zu dem in dieser Zeitschrift a. a. ©. mitge- teilten Experiment, durch welches ich mich überzeugt habe, dass jene Protozo@n in ‚und zwischen den Muskelfasern des toten Schweines streckenweise fortkriechen und dass man ihre ovalen oder nieren- förmigen, oder rundlichen Kapseln im Muskelfleische hier und dort, ähnlich wie in den Miescher’schen Schläuchen, teils vereinzelt, teils zu Gruppen vereinigt, nach einigen Stunden wiederfindet. Bringt man die betreffenden zum Experimentieren benutzten Fleischteilchen, nach sorgfältigem Zerzupfen der Muskelfasern, in eine geeignete Nähr- flüssigkeit, so erhält man alsbald wieder lebende Vorticellen und bei der demnächst vorgenommenen mikroskopischen Untersuchung der Mnskelfasern sind eneystierte Formen in ihnen nur noch vereinzelt wahrnehmbar; die Mehrzahl ist wieder ausgewandert. Eine Untersuchung der Miescher’schen Schläuche auf ihren etwaigen Gehalt an eneystierten Vorticellen habe ich jedoch ungeachtet der hier beschriebenen bei jenen Versuchen wiederholt gemachten Be- 620 Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. obachtung im Laufe der folgenden Jahre nicht vorgenommen, weil ich eine Einwanderung jener Ciliaten in die Muskulatur der Tiere nicht für möglich hielt. Erst durch die vor etwa zwei Jahren bei einem Hunde gemachte Wahrnehmung, dass dieses Tier, welches eine zahllose Menge großer Vorticellen nebst Cercomonaden verschluckt hatte, 14 Tage nachher von lethaler Bauchfellentzündung mit heftigem Fieber befallen worden war und dass aus dem Venenblute des erepirten Hundes binnen ein Paar Tagen lebende Vorticellen und Cercomonaden sich züchten ließen, fühlte ich mich gedrängt, das Wesen der Rainey’schen Schläuche in der hier angedeuteten Weise näher zu prüfen und gleichzeitig die eigenartige Vermehrungsweise der in Rede stehenden Vorticellen durch Züchtungsversuche eingehend zu studieren. Die in dem vorliegenden Falle zweifellos stattgehabte Infektion des Hundes hatte die tötliche Erkrankung desselben höchstwahrschein- lich dadurch herbeigeführt, dass die durch Einwirkung des Magen- saftes größtenteils zur Einkapselung gelangten Vorticellen noch lebens- fähig in den Darmkanal des Tieres importiert und von hier nach der im Darminhalte eingetretenen Wiedergeburt und zahllosen Vermehrung ihrer Jugendformen — sei es aktiv, oder passiv mittels der Blut- zirkulation ausgewandert waren. Ein solcher Vorgang dürfte bei Hunden besonders dadurch leicht ermöglicht werden, dass diese Tiere durch das Fressen von Knochenstücken öfters Erosionen der Darm- schleimhaut erleiden. Gleich nach den ersten im Herbst 1894 mit Rainey’schen Kör- perehen aus dem Schweinefleisch vorgenommenen Kulturversuchen gelang es mir, wie ich in diesem Centralblatte a. a. ©. berichtet, lebende Vorticellen aus den betreffenden Nährflüssigkeiten zu züchten. Seit dieser Zeit habe ich solche Versuche mehr als zwanzigmal und großenteils mit positivem Ergebnis wiederholt. Aus der Regelmäßigkeit dieser Befunde lässt sich schließen, dass jene Schmarotzer unter begünstigenden Verhältnissen eine Wanderung durch den Tierkörper antreten, welche ihren Abschluss in den Muskeln des Wirtes findet. Ob diese Hypothese zutreffend ist, das kann nur durch Fütterungsversuche am lebenden Tiere festgestellt werden; bei meinen Züchtungsversuchen habe ich mich indessen überzeugt, dass die qu. Vorticellen in dem frisch ausgepressten Muskelsafte des Schweines ganz vorzüglich gedeihen. Die erste mikroskopische Untersuchung der mit Miescher’schen Schläuchen durchseizten Muskelfasern habe ich gewöhnlich in der Weise ausgeführt, dass ich haferkorngroße Muskelstückchen mit der Cowper’schen Scheere herausschnitt, mit Präpariernadeln fein zer- zupfte und dann mittels eines aus zwei übereinander liegenden Glas- tafeln bestehenden Schrauben -Kompressoriums platt drückte. Die vorticellenartigen Cysten treten bei diesem Verfahren unter dem Mi- Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. 621 kroskop deutlich zu Tage. Nicht selten erscheinen sie in Gesellschaft von Fettzellen, von denen sie sich jedoch teils durch ihre regelmäßige, oft perlsehnurartige Gruppierung, teils durch ihr eigenartiges Verhalten gegen auffallendes Licht unterscheiden. Wenn man durch Drehung des Spiegels nach oben die Beleuchtung des Objektes aufhebt, so erscheinen die Fettzellen weiß gefärbt, die vorticellenartigen Cysten dagegen bleiben dunkel und unkenntlich. Uebrigens sind diese Kapseln bei durchgehendem Lichte gewöhnlich auch an ihrer Form, ihrem körnigen Inhalt und an dem nicht selten durch- schimmernden Nueleus zu erkennen. Sie haben nämlich meist dasselbe Aussehen, wie jene oben beschriebenen und gezeichneten Gebilde, welche von den seit 1!/, Jahren auf Holzstäbehen eingetrockneten Vorticellen- eysten herrührten. — Die Mehrzahl der in den Muskelfasern einge- kapselten Protozoön ist gewöhnlieh schon mazeriert, oder zerfallen und ihr Nucleus nicht mehr sichtbar. Ein solcher Zerfall der Cysten scheint besonders dann einzutreten, wenn die Einwanderung der Vorti- cellen in das Muskelgewebe schon vor längerer Zeit erfolgt ist. Ob späterhin eine Verkalkung der Fremdkörper in dem Muskelfleische des Wirtes eintritt, ist mir nicht näher bekannt. Bis zum Wiederaufleben der entwieklungsfähig gebliebenen Cysten vergehen gewöhnlich einige Tage, zuweilen sogar 2 bis 3 Wochen und darüber; wahrscheinlich ist dies von der Dauer der seit der Einwan- derung verflossenen Zeit abhängig. Als Vorboten der vollständig aus- gewachsenen Muttertierchen sieht man gewöhnlich ruhende, den lebenden Vortieellen ähnlich gebildete Larven, in der Regel auch lebende Cereo- monaden und Uvellen kürzere oder längere Zeit hindurch vorangehen. Bei bereits beginnender Fäulnis der Muskelfasern scheinen die darin eingeschlossenen Vorticellen rascher wieder aufzuleben, wie in noch frischem Muskelfleisch. Was das Aussehen der Rainey’schen Schläuche in der Musku- latur des Schweines betrifft, so kann man diese Gebilde, wie dies Leuekart und Virchow a. a. O. mitteilen, mit bloßem Auge als feine grauweiße Striche erkennen. Nach meinen Beobachtungen sind diese Striehelchen hier und da mit stecknadelkopfgroßen hyaloiden Körnchen besetzt. Am zahlreichsten habe ich die Schlauchbildungen bisher in den Zwerchfellpfeilern, den Kiefer -Kehlkopf-Zwischenrippen-Lenden und Bauchmuskeln gefunden. Einmal traf ich auch zahllose Gruppen von solehen eneystierten Protozo@n im Herzmuskel, in welehem bekanntlich öfters Finnen, dagegen niemals Trichinen zur Beobachtung kommen. Dass Miescher’sche Schläuche im Herzen auch bei anderen Tieren, besonders beim Schaf, häufig gefunden werden, habe ich schon oben auf Grund der Untersuchungen v. Hesslings erwähnt. 5223 Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. Schließlich muss ich noch darauf aufmerksam machen, dass bei den Kulturversuchen mit encystierten Vorticellen oder anderen Proto- zoen — behufs ihrer Regeneration — die Anwendung von Anilinfarben, um sie besser kenntlich zu machen, möglichst vermieden werden muss. Die Entwicklungsfähigkeit der Cysten wird dadurch leicht aufgehoben, oder es entstehen verschiedenartige Degenerationsformen, in denen die charakteristischen Merkmale der betreffenden Art vollständig ver- schwinden. Am besten untersucht man die in Rede stehenden Vorticellen auf dem Objektglase ohne Deckglas, um den Einkapselungsvorgang besser beobachten zu können; im hängenden Tropfen tritt die sarcineartige Vereinigung der Kapseln nicht deutlich genug zu Tage. Um die rasche Bewegung der Ciliaten möglichst einzuschränken, empfiehlt es sich, ihrer Nährflüssigkeit nach Dr. Römer’s Angabe eine verdünnte Lösung von Gelatine zuzusetzen. Will man ihren inneren Bau näher kennen lernen, so ist die An- wendung starker Verdünnungen von Essig, Jodtinktur, oder Malachit- grün, durch welche sie sofort getötet werden, wogegen der Nucleus, das kontraktile Organ, die Nahrungskörnchen ete. alsbald sichtbar hervortreten, vorzugsweise zu empfehlen. Uebrigens darf die freie Entwicklung der Cysten bei ihrer Züchtung in Nährflüssigkeiten nieht durch Benutzung irgend welcher Reagentien gestört werden. Nachtrag. Im Anschluss an vorstehende Abhandlung habe ich auf Grund neuerer Beobachtungen noch folgende Mitteilungen zu machen, welche zur Beleuchtung der verschiedenartigen pathogenen Wirkung der in Rede stehenden stiellosen Vorticellen einen nicht unwesentlichen Bei- trag zu liefern geeignet erscheinen. Dass diese Protozoen bei Verletzungen der äußeren Haut leicht in das Unterhaut-Bindegewebe eindringen und besondere Krankheits- Erscheinungen hervorrufen können, das habe ich bei meinen Kultur- versuchen mit Vorticellen zweimal an mir selbst in recht empfindlicher Weise wahrgenommen. Im Sommer 1892 hatte ich mir durch unvor- sichtiges Aufkratzen eines Ekzembläschens im Nacken, welches nach- weislich Vorticellenkeime enthielt, eine Bindegewebsgeschwulst zuge- zogen, die sich rasch unter Fieber-Erscheinungen entwickelte und in Form und Größe eines Gänseeies vom Nacken bis zur Schulterhöhe sich erstreckte. Diese Geschwulst widerstand hartnäckig den dagegen angewandten resorbierenden Mitteln und noch jetzt ist eine Schwellung des Bindegewebes mäßigen Grades an der linken Schulter wahrnehm- bar. — Vor etwa drei Jahren hatte ich in ähnlicher Weise eine blu- tende Zerstörung eines Ekzembläschens an der rechten Wange beim Rasieren hervorgerufen und dadurch eine lokale Degeneration der Haut Lindner, Biologie parasitischer Vorticellen. 623 daselbst veranlasst, welche allmählich an Umfang zunahm und schließ- lich den Charakter eines karzinomatösen Geschwürs (Uleus rodens) annahm. Durch mehrmals wiederholte Aetzung mit Sublimat-Collodium — 1:8 —, die ich der ärztlicherseits empfohlenen Exzision mit dem Messer vorzog, wurde dieser Epithelialkrebs nach Verlauf von einigen Wochen geheilt. Aus diesen beiden Autoinfektionen, welche höchstwahrscheinlich durch die in den Ekzembläschen nachgewiesenen Vorticellenkeime her- beigeführt waren, ließ sich schließen, dass diese Protozöen vor- zugsweise im tierischen Bindegewebe schmarotzen und dass sie daselbst durch ihre das organische Eiweiß zersetzende Wirkung — je nach der individuellen Beschaffenheit der tierischen Säfte, oder je nach der bei ihnen zur Zeit in verschiedenem Grade sich äußernden Lebensenergie ete. — verschiedenartigeKrankheitsprozessehervorrufen können. Diese Vermutung scheint nach den ziemlich übereinstimmenden Ergebnissen mehrfacher im vorigen Jahre vom Monat April bis Juni, sowie im Monat Juni ds. J. von mir vorgenommenen Kulturversuche mit sarkomatösen und seirrhösen Neubildungen, sowie mit Schutzpocken- Iymphe!), welche von einem geimpften Kalbe nach 4 Tagen nebst dem mit der Vaceine infiltrierten Bindegewebe der äußeren Haut ent- nommen war, als eine auf Wahrheit beruhende Hypothese sich zu erweisen. Von jedem einzelnen der bisher mir überwiesenen 5 Untersuchungs- Objekte wurden der Kontrole wegen je zwei Kulturen in dünner Fleisch- extrakt-Lösung angefertigt. Die nähere Beobachtung der darin sich entwickelnden Mikroorganismen ergab folgendes überraschende Resultat: In jeder Kulturflüssigkeit erschienen nach 1—2 Tagen — ähnlich wie bei der künstlichen Züchtung meiner stiellosen Vorticellen, bezw. der in den Miescher’schen Schläuchen enthaltenen Körperchen — Myriaden von kleinsten, kokkenartigen weißlich glänzenden Körperchen und nach 3—6 Tagen teils noch eingekapselte, teils lebende mit zwei Geißelfäden ausgestattete Cercomonaden, welche sich demnächst in zahlloser Menge besonders nach vorhergangener Uvellenbildung ver- mehrten. [In einem weichen Krebsknoten des Peritoneums kamen schon nach 24 Stunden lebende Cercomonaden zum Vorschein.| Ihre Form 4) Herr Dr. Rosenblath, Oberarzt beim hiesigen Landkrankenhause, hatte mir auf Wunsch im Monat April und Mai vor. J. Teilstücke von drei verschiedenartigen sarkomatösen Neubildungen (Osteoid-, Drüsen- und Haut- Sarkom) und im Monat Juni ds. J. Partikel von einem primären Leberkrebs mit zahllosen weichen und harten Krebsknoten im Peritoneum zur näheren Untersuchung übersendet. Die Schutzpockenlymphe erhielt ich durch gütige Vermittlung des Direktors hiesiger Impfanstalt, Herrn Geh. Sanitätsrats Dr. Giessler. Beiden Herren sage ich für die liebenswürdige Erfüllung meines Wunsches hiermit verbindlichen Dank, 624 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. war bald länglich, schmal und kommaförmig gekrümmt, bald etwas größer und oval. Außerdem fanden sich in der Mehrzahl der Kulturen an verschiedenen Tagen größere meist ovale, seltner rundliche Zell- gebilde mit doppelter Kontur, die wie Vorticelleneysten aussahen. Die Mehrzahl derselben war jedoch amorph, teilweise zerfließend und schwarzgrau gefärbt; nur wenige zeigten ein gut konserviertes kör- niges Aussehen. Eine Wiederbelebung dieser Oysten ist mir bis jetzt niemals gelungen. Ganz dasselbe Resultat beobachtete ich übrigens mehrmals bei Züchtung der in den Miescher’schen Schläuchen be- findliehen Körperchen, wenn dieselben — [wahrscheinlich nach langem Verweilen in den Muskelfasern] — getötet waren. Da die mit pathologischen Produkten von mir vorgenommenen Versuche zur Zeit noch nicht abgeschlossen sind, da namentlich Impf- versuche an Tieren, wie sie neuerdings Heır Dr. Jürgens in Berlin bei den Untersuchungen von sarkomatösen und seirrhösen Geschwülsten mit Erfolg an Kaninchen vorgenommen hat!), noch fehlen, so sind vorstehende Mitteilungen nur als vorläufige anzusehen. [61] Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Tagesordnung der 21. Versammlung in Kiel vom 10.—13. September 1896. Donnerstag, den 10. September. 9. Uhr Vormittags: Erste Sitzung in der Aula der Kaiserlichen Marine- Akademie (Düsternbrooker Weg). Eröffnung der Versammlung. Rechenschaftsbericht und geschäftliche Mitteilungen. I. Grund- wasserversorgung mit besonderer Berücksichtigung der Enteisenung. Referenten: Bauraut A. Thiem (Leipzig), Prof. Dr Bernhard Fischer (Kiel). II. Ein- richtung von Heimstätten für Wöchnerinnen. Referent: Dr. H. B. Brennecke (Magdeburg). 4 Uhr Nachmittags: Besichtigung der Kaiserlichen Werft in Gaarden. 7 Uhr Abends: Festessen mit Damen im Restaurant der „Aus- stellung der Provinz Schleswig- Holstein“. F'reitag, den 11. September. 9 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung. ILL. Be- kämpfung der Diphtherie. Referent: Professor Dr. Carl Fraenkel (Halle). IV. Die Mitwirkung der Aerzte bei Handhabung der Gewerbehygiene. Referent: Medizinalrat Dr. Gottlieb Merkel (Nürnberg). 3 Uhr Nachmittags: Gemein- schaftliche Wagenfahrt nach dem städtischen Wasserwerk und der Ent- eisenungsanlage am Schulensee. Sonnabend, den 12. September. 9 Uhr Vormittags: Dritte Sitzung. V. Die gesundheitlichen Verhältnisse in der Handelsmarine und auf den modernen Dampf- schiffen. Referenten: Geh. Regierungsrat Prof. Busley (Kiel). Hafenarzt Dr. Nocht (Hamburg). Nachmittags 4!|, Uhr: Zusammenkunft in Bellevue. Von hier Fahrt mittels Dampfboots nach dem Kaiser- Wilhelm-Kanal bis zur Levens- auer Hochbrücke, dann Fahrt in See auf einem !grofsen Postdampfschiff der Linie Kiel-Korsör. Sonntag, den 13. September. Ausflug in die Holsteiner Schweiz. Frankfurt .a. M., im Juli 1896. Der ständige Sekretär: Geh. San.-Rat Dr. Spiess. 2 ef. Berliner klin. Wochenschrift, 1895, Nr. 15, 21, 26, 34, 1836, Nr. 22. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi). in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI. Band. 1. September 1896. Nr. 17. Inhalt: Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. — Haacke, Berichtigung zu dem Referat von „R.* über Kükenthal, „Ergebnisse einer zoologischen Forschungs- reise in den Molukken und in Borneo*. — Helm, Seltene Brutvögel im König- reich Sachsen. — E. Strasburger, F. Noll, H. Schenk und A. F.W. Schimper, Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. — 68. Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte in Frankfurt a. M. Entwieklungsmechanische Studien. Von Wilhelm Haacke. II. Ueber eine Serie bemerkenswerter Fälle von Topo- und Alloplasie. Zugleich ein Beitrag zur näheren Kenntnis von Anemone nemorosa. (Mit 11 Textfiguren.) Unter dem Terminus Topoplasie, dem ich durch die folgende Mit- teilung wissenschaftliches Bürgerrecht verschaffen möchte, verstehe ich die Abhängigkeit der Organprägung, das heißt der Differenzierung so- wohl der äußern Form als auch der histologischen (mit Einschluss der chemischen) Beschaffenheit eines Organes, von dessen topographischer Lage in dem sich entwickelnden Organismus. Um der Thatsache der Topoplasie einen prägnanten Ausdruck zu .geben, hat man wohl auch gesagt, dass die Organdifferenzierung eine Funktion des Ortes sei. Besteht Topoplasie thatsächlich, so spricht sie zu Gunsten der Annahme epigenetischer Entwicklung und bereitet zugleich der einer eehten Präformation der Organe im Keime, d. h. der Theorie, wonach dieser in bestimmte organbildende Bezirke im Sinne der Weismann’- schen Determinantenlehre eingeteilt ist, Schwierigkeiten, über welche die Präformationslehre zum Teil nur durch einen höchst künstlichen, verwickelten und dementsprechend unwahrscheinlichen Hypothesenbau, zum Teil aber überhaupt nicht hinwegkommen kann. Die entwieklungsmechanischen Untersuchungen der letzten Jahre haben mehrfach Thatsachen ans Licht geführt, die man nicht gut anders deuten kann, als in epigenetischem Sinne, Thatsachen, welche AVl. 40 626 Haacke, Entwicklungsmechanische Stndien. jedenfalls die Existenz von Topoplasie darthun. Dahin rechne ich z. B. die bekannten Untersuchungen von Driesch, Wilson, OÖ. Hertwig und anderen. Indessen wird es den Anhängern der Präformationslehre noch verhältnismäßig leicht, allerhand Worte zur Deutung dieser That- sachen im Sinne ihrer Theorie vorzubringen. In verlagerten Furchungs- zellen von Fröschen find Seeigeln z. B., sowie in isolierten Blastomeren des Amphioxus lassen sich nämlich mit nicht allzugroßen Schwierig- keiten noch immer „Reservedeterminanten* annehmen, durch die man das nach Störung der Eifurchung zur Wiederherstellung der Norm Nötige besorgen lassen kann. Man kann sagen, die „allmächtige“ natürliche Zuchtwahl habe hier dafür gesorgt, dass für verloren ge- gangene Furchungskugeln Ersatz geschaffen werde, und dass an un- rechten Ort geratene Blastomeren durch ein Arsenal von „heserve- determinanten“ befähigt wären, dennoch das dem Orte entsprechende normale Organ zu produzieren. Auch manche Umwandlungen von Organen, z. B. etliche bei Pflanzen leicht zu beobachtende, wie die Vergrünung von anders gefärbten Blütenblättern, kann man durch die Annahme erklären, es seien in den Zellen, aus denen sich die Blüten- blätter bilden, gelegentlich noch Determinanten der grünen Blätter, aus welchen sie stammesgeschichtlich entstanden seien, enthalten und gelangten dann und wann zur Entwicklung. Derartige „Erklärungen“ zu liefern, wird der Präformationslehre in vielen Fällen nicht allzu- schwer werden. Diese Theorie würde aber am Ende ihres Witzes sein, wenn es z. B. gelänge, das Keimmaterial von grünen Blättern, die stammesgeschichtlich nicht aus andersfarbigen Blütenblättern her- vorgegangen sein können, in die embryonale Anlage der Blüte zu ver- setzen, und wenn dieses Material infolge dessen nicht die üblichen srünen Blätter, die es in normaler Lage hervorbringt, sondern an deren Stelle anders gefärbte und geformte Blütenblätter produzieren würde. In solchem Falle könnte man weder von Rückschlag sprechen, noch behaupten, dass die „natürliche Zuchtwahl“ dabei im Spiele ge- wesen sei, sondern man würde sich wohl oder übel genötigt sehen, die Annahme der Präformation im Sinne der Weismann’schen Deter- minantenlehre aufzugeben, um fernerhin höchstens noch eimer Präfor- mationstheorie in der milden Form der de Vries’schen Hypothese von der intrazellularen Pangenesis zu huldigen. Denn in dem ange- nommenen Falle würde es sich um ein Vorkommnis von Topoplasie handeln, zu dessen theoretischer Deutung die Annahme eines guten Teiles von Epigenesis notwendig wäre. Man wird diese Erörterungen vielleicht für überflüssig halten, weil ein Versuch wie. der angenommene unausführbar sei, und weil man ihn im Falle seiner thatsächlichen Ausführbarkeit jedenfalls bisher noch nieht unternommen habe und deshalb das Resultat nicht wissen könne. Allein, was dem Laboratoriumsgelehrten unausführbar dünken Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. 697: mag, braucht der Natur nicht unmöglich zu sein, und ich bin in der Lage, eine ganze Reihe von einschlägigen Fällen, die allerdings nur eine und dieselbe Organismenart betreffen, mitteilen zu können, von Vorkommnissen, in welehen die Natur thatsächlich das oben beschriebene Experiment ausgeführt hat, und zwar mit dem Erfolge, dass dadurch das Bestehen von Topoplasie in eklatanter Weise bewiesen wird. Die von mir beobachteten Fälle betreffen eine allbekannte Früh- lingsblume, das Hainwindröschen oder die Weiße Osterblume (Anemone nemorosa). Diese Pflanze ist bekanntlich u. a. durch eine Anzahl in der Regel weißer, seltener violettroter und äußerst selten hellbläulicher Perigonblätter ausgezeichnet. Von ihren Perigonblättern nach Form und Färbung sehr verschieden sind die Hüllblätter von Anemone ne- morosa, die grün und im Gegensatz zu den viel kleineren langelliptisch- gestreckten und ganzrandigen Perigonblättern, fünffingerig und am kande eingeschnitten-gesägt sind. Die Anzahl der Hüllblätter beträgt in der hegel 3, seltener 2 oder 4, während gewöhnlich 6, seltener 7, noch weniger oft 8, nur in Ausnahmefällen 5, und, wenigstens nach meimer Beobachtung, niemals 9 oder mehr Perigonblätter vorhanden sind. Die Stellung der Perigon- und Hüllblätter an den typischen Exem- plaren von Anemone nemorosa, das heißt denjenigen Stücken der Art, - welche 6 Perigon- und 3 Hüllblätter haben, ist die folgende: Auf die kegion der Staubgefäße folgt wurzelwärts zunächst ein Kreis von 5 Perigonblättern, deren Spitzen den Ecken eines gleichseitigen Drei- ecks entsprechen. Diesem Perigonblattkreis folgt ein zweiter, der mit dem ersten alterniert. Darauf folgt in weitem Abstand von der Blüte ein Kreis von 3 Hüllblättern, der mit dem untern Perigonblattkreis. alterniert. Fig. 1. Ein Schema einer von unten gesehenen Blüte von Anemone nemorosa ist in Figur 1 dargestellt. Die Blätter des unteren, d. h. des dem Hüllblattkreis am nächsten stehenden und mit diesem alternierenden Perigonblattkreises, sind durch ZZ, die des oberen durch /11 bezeichnet. In unserer Figur sind die Schemata für die oberen Perigonblätter teil- weise punktiert, weil diese Blätter ja durch die untern Perigonblätter teilweise verdeckt werden, wenn man die Blüte von unten ansieht. Die Hüllblätter sind in der Figur nicht angegeben. 40* 628 Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. Neben den Pflanzen mit 6 Perigonblättern, bei denen diese die beschriebene Anordnung haben, kommen, wenn auch verhältnismäßig selten, Pflanzen mit ebenfalls 6, aber anders angeordneten Perigon- blättern vor. Diese haben bei den betreffenden Exemplaren die An- ordnung, deren Schema in Figur 2 dargestellt ist. Anstatt aus zwei Kreisen von Perigonblättern bestehen sie aus deren drei. Auf die kegion der Staubgefäße folgt hier ein Kreis von nur zwei Perigon- blättern, die wir in der Figur mit /1I bezeichnet haben, und die so gestellt sind, dass ihre Spitzen in zwei der drei Ecken eines gleich- seitigen Dreiecks zu liegen kommen. Verglichen mit den normalen Blüten mit 6 Perigonblättern fehlt also den uns gegenwärtig beschäf- tigenden im oberen Perigonblattkreis ein Blatt; indessen sind die beiden vorhandenen Blätter so gestellt, als ob dieses Blatt nicht fehlte. Der folgende Perigonblattkreis entspricht demjenigen, der in den normalen Blüten der untere ist; seine Blätter sind mit II bezeichnet und alter- nieren mit denen des oberen Perigonblattkreises, indem sie sich so dabei verhalten, als ob dieser vollständig wäre. Auf diesen von oben an gerechneten zweiten Perigonblattkreis folgt nun in unseren Blüten noch ein dritter, der allerdings nur aus einem einzigen Blatte besteht. Dieses einzige Blatt, in unserer Figur mit / bezeichnet, steht in allen von mir beobachteten Fällen, deren Anzahl 33 beträgt, genau unter- halb der Stelle, wo in normalen Blüten das bei den abnormen Blüten mit 6 Perigonblättern fehlende Blatt des obersten Perigonblattkreises steht. In keinem der zahlreichen von mir beobachteten Fälle, in welchen Pflanzen mit 6 Perigonblättern die in Figur 1 dargestellte Perigonblatt- anordnung zeigten, betrug die Anzahl der Hüllblätter weniger als drei. Dagegen waren in jedem der von mir beobachteten 33 Fälle, in welchen die Perigonblätter so angeordnet waren, wie Figur 2 es darstellt, nur zwei Hüllblätter vorhanden. Dadurch wird die Deutung nahe gelegt, dass das Bildungsmaterial des einen der normalen Hüllblätter aus der seinigen in die Region der Perigonblätter versetzt und infolge dessen nicht zu einem Hüll-, sondern zu einem Perigonblatt geworden, dass aber dafür auf korrelativem Wege eines der normalen Perigonblätter, und zwar dasjenige, das gerade über dem der Blüte abnormer Weise hinzugefügten stehen sollte, nicht zur Ausbildung gelangt war. Prä- formationstheoretiker könnten zwar annehmen wollen, dass die „Deter- minantengruppe“ des letzteren verlagert sei. Aber dieser Annahme steht die 'Thatsache entgegen, dass ich drei Exemplare beobachtet habe, bei denen zu den beiden aus je drei Blättern bestehenden, mit- einander alternierenden normalen Perigonblattkreisen zwar noch ein dritter nur aus einem Blatt bestehender unterster gekommen, aber der oberste vollständig geblieben war, und deren überzähliges Perigonblatt aus dem Bildungsmaterial eines Hüllblattes entstanden sein musste, Haacke, Entwicklungsmechanische Studien, 629 weil auch diese drei Exemplare nur zwei Hüllblätter hatten. Bei diesen drei Exemplaren konnte also von etwaiger Verlagerung der Determi- nantengruppe eines Perigonblattes keine Rede sein; dagegen lag es auf der Hand, dass das Material des einen Hüllblattes in diesen Fällen in die Region der Perigonblätter versetzt und hier zu einem Perigon- anstatt zu einem Hüllblatt geworden war. Dass dem so war, ging zur Evidenz aus der Anordnung der 7 Perigonblätter bei den betreffen- den drei Exemplaren hervor, die eine andere war, als bei den Exem- plaren mit 7 Perigonblättern, welche drei Hüllblätter haben. Bei diesen folgt nämlich auf die beiden typischen aus je drei Blättern be- stehenden Perigonblattkreise noch ein oberster, der in normalen Blüten mit 6 Perigonblättern nicht vorhanden ist und aus einem einzigen Perigonblatt besteht. Dagegen besteht die siebenblättrige Blüte der Exemplare mit nur zwei Hüllblättern aus einem unteren Perigonblatt- kreise, dem nur ein einziges Blatt angehört, und aus zwei oberen miteinander alternierenden von je drei Perigonblättern. Und in diesen Blüten steht über dem überzähligen Blatt ein Blatt des obersten Kreises, während die Perigonblätter in siebenblättrigen Blüten von Exemplaren mit drei Hüllblättern so angeordnet sind, dass das oberste Perigonblatt nicht gerade über eines der übrigen 6 zu liegen kommt. In einem Falle habe ich bei einem Exemplare mit zwei Hüllblättern sogar 8 Perigonblätter gefunden. Die Blüte dieses Exemplares zeigte, verglichen mit achtblättrigen Blüten von Exemplaren mit drei Hüll- blättern, die folgende, nach dem vorhergehenden zu erwartende, An- ordnung: Der unterste Perigonblattkreis bestand aus einem einzigem Blatte; der darauf folgende aus dreien; der nächste abermals aus dreien, die mit den vorhergehenden drei alternierten; und der oberste aus einem Blatte. Es waren also hier vier Kreise von Perigonblättern vorhanden, während in achtblättrigen Blüten von Exemplaren mit drei Hüllblättern nur deren drei stehen, nämlich ein unterster von drei, ein darauf folgender von wiederum drei, und ein oberster von zwei Perigon- blättern. Mein Exemplar mit 8 Perigon- und nur 2 Hüllblättern, und die von mir beobachteten Stücke mit 7 Perigon- und 2 Hüllblättern sprechen nach allem obigen nicht gerade zu Gunsten der von der Präformations- theorie zu machenden Annahme, dass die Determinantengruppe eines Perigonblattes an einen verkehrten Ort geraten sei. Wir müssen viel- mehr annehmen, dass das Fehlen des einen Hüllblattes, das Vorhanden- sein eines aus nur einem Perigonblatte bestehenden untersten Perigon- blattkreises, und das Fehlen eines Perigonblattes in dem obersten Perigonblattkreise der Exemplare mit zwei Hüll- und sechs Perigon- blättern auf korrelativer Umbildung des Keimes dieser Exemplare be- ruhen, dass das Fehlschlagen des einen Perigonblattes aber nicht in allen Fällen emtritt, wo das Bildungsmaterial eines Hüllblattes in die 630 Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. Region der Perigonblätter versetzt und hier zu einem Perigonblatt ge- worden, dass die betreffende Korrelation also keine so strenge ist, dass sie nicht gelegentlich die Ausbildung des bei Exemplaren mit zwei Hüllblättern in der Regel allerdings fehlenden, gerade über dem der Blüte solcher Exemplare hinzugefügten untersten Blatte stehenden Perigonblattes des obersten Kreises zuließe. Dieser Schluss wird durch anderweitige Thatsachen erhärtet. Unter 205 gewöhnlichen, d. h. mit drei Hüllblättern versehenen, Exemplaren von Anemone nemorosa fand ich nur 1,48°/, von Exemplaren mit nur 5 Perigonblättern: dagegen fand ich unter nur 43 Exemplaren mit zwei Hüllblättern 6, d. h. 13,95°/,, mit nur 5 Perigonblättern. Vergleicht man diesen hohen Prozentsatz der Exemplare mit 5 Perigon- blättern bei Pflanzen mit zwei Hüllblättern mit dem niedrigen Prozent- satz solcher Exemplare bei Pflanzen mit drei Hüllblättern, so wird man wohl den Schluss, den ich daraus ziehe, billigen, die Folgerung näm- lieh, dass bei den Exemplaren mit 2 Hüll- und 5 Perigonblättern zwar eine Verlagerung des Bildungsmaterials eines Hüllblattes und Hand in Hand damit das Fehlschlagen eines Perigonblattes eingetreten, dass aber die Ausbildung des verlagerten Hüllblattmaterials in diesen Fällen unterblieben ist. Nach allem obigen können wir nur geringe Zweifel an der Rich- tigkeit unserer wichtigsten Folgerung hegen, derjenigen, wonach das Material eines Hüllblattes infolge seiner Verlagerung in die hegion der Perigonblätter kein Hüllblatt, sondern ein Perigonblatt produziert. Jeglicher Zweifel an dieser Folgerung schwindet aber angesichts der noch mitzuteilenden Thatsachen. In 20 von den 33 Fällen der Exemplare mit 2 Hüll- und 6 Perigon- blättern konnte ich feststellen, dass das der Blüte hinzugefügte Perigon- blatt über der Lücke des in Fortfall gekommenen Hüllblattes stand. In diesen 20 Fällen standen die beiden Hüllblätter nämlich nicht ein- ander gegenüber, sondern bildeten miteinander einen Winkel von weniger als 180° In den 13 Fällen, wo sie einander gegenüber stan- den, konnte natürlich nicht festgestellt werden ob das der Blüte hinzu- gefügte Perigonblatt über der Stelle des fortgefallenen Hüllblattes stand. In diesen Fällen hatte sich die Stellung der stehen gebliebenen Hüllblätter etwas verschoben, was uns ja nicht Wunder nehmen kann. Die Thatsache aber, dass in der Mehrzahl der Fälle eine deutliche Lücke im Hüllblattkreis vorhanden war, und dass das der Blüte hinzu- gefügte Perigonblatt gerade über dieser Lücke stand, macht schon für sich allein die Annahme, dass dieses Perigonblatt thatsächlich aus dem Bildungsmaterial des fortgefallenen Hüllblattes entstanden war, zu einer nahezu unabweislichen. Andere Thatsachen erheben diese Annahme zur Gewissheit. Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. 651 In zwei Fällen war das der Blüte hinzugefügte Perigonblatt noch durch eine kleine bandförmige, der Länge nach am Blütenstiel herunter laufende Leiste mit der Stelle, an welcher das fortgefallene Hüllblatt hätte stehen sollen, verbunden. Weiterhin war das betreffende Perigon- blatt in einem Falle noch teilweise grün. Zu diesem gesellen sich drei andere, in welchen jenes Blatt gleichfalls teilweise grün war. Zwar waren diese Exemplare von einem Pilze, wahrscheinlich von Synchi- trium anemones (de Bary und Woronin) befallen, so dass ich auf den Gedanken kam, die Vergrünung rühre in diesem Falle von der Beeinflussung des Bildungsmaterials durch den Pilz her. Ich will auch nicht versechweigen, dass in zwei Fällen je zwei Perigonblätter teil- weise grün waren, nämlich das hinzugefügte und das ihm gegenüber- stehende des darauf folgenden Perigonblattkreises, dass ich einen Fall beobachtet habe, wo nur dieses letztere teilweise grün war, und dass alle diese Exemplare gleichfalls von dem betreffenden Pilze befallen waren. Ich glaube indessen nicht, dass dieser Pilz etwas mit der Ver- srünung der Perigonblätter zu thun hat, weil ich sie ausschließlich an Exemplaren mit zwei Hüllblättern beobachtet habe, während zahlreiche von demselben Pilz befallene Exemplare mit drei Hüllblättern keine Vergrünung der letzteren zeigten. Ich muss vielmehr annehmen, dass das der Blüte hinzugefügte Perigonblatt der Exemplare mit nur 2 Hüll- blättern die Neigung hat, teilweise grün zu werden,. weil sein Bildungs- material, aus dem eigentlich ein Hüllblatt hätte werden sollen, noch in einem gewissen Zusammenhang mit dem Hüllblattkreis stand, eine Annahme, die ja durch jene Exemplare mit der Leiste am Blütenstiel sehr nahe gelegt wird, und dass die Vergrünung des dem hinzugefügten gegenüber stehenden, wenn auch einem anderen Blattkreise angehörigen, Perigonblattes in Korrelation zu der abnormen Umbildung der Pflanzen mit zwei Hüllblättern steht. Denn ich habe niemals beobachtet, dass mehr als zwei Perigonblätter teilweise vergrünt waren, und dass die Vergrünung andere Blätter betroffen hätte als das der Blüte hinzu- gefügte und das ihm gegenüberstehende des nächsten Perigonblatt- kreises. Diese Thatsache muss mich in meiner Folgerung bestärken. Dazu kommt noch eine letzte. In 5 Fällen habe ich gefunden, dass das der Blüte hinzugefügte Perigonblatt viel fester am Stiele saß, als die andern, dass es sich also nicht so leicht abreißen ließ, wie diese. In zwei von diesen Fällen sah ich außerdem noch, dass es beim Verblühen nicht abfiel, sondern sitzen blieb. Weiter beobachtete ich unter 23 Exemplaren mit zwei Hüllblättern 6, die beim Verblühen noch nicht sämtliche Perigonblätter verloren hatten, sondern in 5 Fällen noch je eins und in einem sechsten Falle noch zwei hatten. In jenen 5 Fällen konnte ich feststellen, dass das stehen gebliebene Perigonblatt das über der Lücke stehende war, während in dem sechsten Falle außer diesem auch noch das ihm 632 Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. gegenüberstehende, das ja, wie wir gesehen haben, zuweilen gleich ihm vergrünt, stehen geblieben war. Die betreffenden Perigonblätter sind also fester mit dem Stiele verwachsen, als die übrigen, nament- lich das der Blüte hinzugefügte. Dass manchmal auch das ihm gegen- überstehende des folgenden Blattkreises diese stärkere Befestigung zeigt, dürfte in Korrelation mit dem sonstigen abnormen Verhalten der fraglichen Exemplare stehen, und es ist nicht gerade zu verwundern, dass ich in einem Falle dieses Perigonblatt besonders gut befestigt fand. Fassen wir nunmehr alles zusammen, bedenken wir, dass das Fehlen des einen Hüllblattes Hand in Hand mit einer abnormen An- ordnung der Perigonblätter geht, und zwar ausnahmslos, dass das für sich allein einen Blattkreis bildende Perigonblatt der Blüten solcher Pflanzen in Fällen, wo eine entsprechende Feststellung möglich, über der Lücke im Hüllblattkreise steht, dass diese Lücke manchmal noch durch eine am Blütenstiel hinauflaufende Leiste mit dem über ihm liegenden Perigonblatt verbunden, dass dieses nicht selten teilweise vergrünt und oft besser am Stiele befestigt ist, als die anderen, zwei Vorkommnisse, die außer ihm nur noch das ihm gegenüberstehende Perigonblatt, aber doch nicht so häufig, betreffen, so können wir nicht anders, als annehmen, dass die Natur in unseren Fällen Experimente angestellt hat, die das Bestehen von Topoplasie und epigenetischer Ent- wicklung beweisen. Es ist auffällig, dass bei den in Frage kommenden Fällen abnormer Exemplare von Anemone nemorosa immer nur ein einziges Hüllblatt in die Perigonblattregion hinaufrückt. Allein dies wird verständlicher, wenn wir erfahren, dass die Blüten unserer Pflanze oft einen zweiseitig- symmetrischen Bau, eine Zygomorphie haben, eine Thatsache, die gleichfalls von mir ermittelt worden ist und uns in einer anderen Studie beschäftigen soll. Ich möchte annehmen, dass sich diese Bila- teralität in vielleicht kaum merklichem Grade auch auf den Blütenstiel und Hüllblattkreis erstreckt, und dass eines der Hüllblätter, nämlich dasjenige, dessen Axe dann notwendigerweise in die der Blüte, dem Blütenstiel und dem Hüllblattkreise gemeinsame Medianebene hinein- fällt, infolge seiner Lage, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine große Neigung hat, in die Perigonblattregion zu rücken und den Cha- rakter eines Perigonblattes anzunehmen. Gelingt ihm die Versetzung in die Perigonblattregion, so wird es in den meisten Fällen einem Perigonblatt gleieh; nur in seltenen bleibt es noch teilweise grün, wenn es auch immer die äußeren Umrisse eines Perigonblattes hat. Es kann jedoch vorkommen, dass das betreffende Hüllblatt zwar eine solche Störung erleidet, dass es, um mich so auszudrücken, darnach strebt, in die Perigonblattregion zu kommen und sich zu einem Perigonblatt umzubilden, dass ihm das erstere aber gar nicht und das letztere Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. 033 darum nur schlecht gelingt. Ich habe nämlich 6 Exemplare von Anemone nemorosa gefunden, bei denen ein Hüllblatt mehr oder weniger, und 1, bei welchem es fast völlig zu einem Perigonblatt umgewandelt worden war, ohne seine Lage verlassen zu haben. In solchen Fällen handelt es sich um das, was ich Alloplasie, Umbildung des Charakters eines in seiner Lage verbleibenden Organes zu dem Charakter eines andern Organsystems desselben Organismus nennen möchte. Jene 7 Exemplare bieten eine vollständige Blattformenreihe von einem Hüll- blatt, bei dem die Umbildung zum Perigonblatt nur angedeutet ist, bis zu einem Hüllblatt, das sich nur bei sehr genauem Zusehen von einem Perigonblatte unterscheiden lässt. Die betreffenden Hüllblätter sind in den Figuren 4—10 nach von mir selbst gefertigten Orginalzeich- nungen abgebildet. Ein genaues Studium dieser Figuren und der Figur 3, die ein normales Hüllblatt darstellt, lehrt nun das folgende: Aus Fig. 3 ersehen wir, dass die Hüllblätter, wie schon weiter oben bemerkt, fünffingerig und am Rande eingeschnitten-gesägt sind. Ich habe die Figur überall punktiert, um dadurch darzustellen, dass das betreffende Blatt durchaus grün war. Die Zeichnung gibt auch einiger- maßen den Verlauf der Hauptblattnervatur wieder. Vergleichen wir mit dieser Figur 3 Figur 4, so sehen wir, dass bei dem betreffenden Blatte eine Alloplasie, eine Umbildung nach der Riehtung der Perigon- blätter hin stattgefunden hat. Das Blatt ist nieht mehr fünt-, sondern nur noch vierfingerig, und der linksstehende Teil ist ganzrandig ge- worden. Dieser Teil ist auch an der Spitze weißlich, was ich durch Fortlassung der Punktierung zur Anschauung gebracht habe. Weißlieh ist das betrefiende Hüllblatt auch in der Nähe seines Stiels und zwar an der linken Seite. Ferner ist der linke Rand des dem eben be- 634 Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. sprochenen Blattteile benachbarten Teiles weißlich. Die weißlichen Stellen nähern sich dem Charakter der Perigonblätter, denen auch der ganzrandige Blattteil in Bezug auf seine Nervatur ähnlich ge- worden ist. Die Umbildung eines Hüllblattes zu einem Perigonblatte ist noch weiter gediehen bei dem in Figur 5 dargestellten Hüllblatte. Dieses ist nur noch dreiteilig. Sein einer Teil ist fast vollständig weiß, und dieser Teil ist ganzrandig. Ganzrandig scheint auch der benachbarte Teil gewesen zu sein. Er war allerdings, was ich auch in der Figur dargestellt habe, angefressen worden, im übrigen aber ganzrandig, und auch er hatte drei weißliche Stellen, die gleichfalls in der Figur wiedergegeben sind. Bei dem in Figur 6 dargestellten Hüllblatte, das der Hauptsache nach zweiteilig ist, ist schon fast vollständige Ganzrandigkeit erreicht, und der eine der beiden Teile gleicht schon beinahe einem Perigon- blatte. Ersteres noch mehr, letzteres in demselben Grade, gilt auch von dem in Figur 7 abgebildeten zweiteiligen Hüllblatte. Bei Figur S haben wir es mit einem Hüllblatte zu thun, bei dem auch die Zweiteiligkeit, die Figur 7 noch deutlich zeigt, nur unbedeu- tend ist. Leider war auch dieses Blatt angefressen. Figur 9 zeigt uns ein Hüllblatt, das schon in so hochgradiger Weise den Charakter der Perigonblätter zeigt, dass man nur bei ge- nauem Zusehen entdeckt, dass es links unten noch einen schmalen grünen Randstreifen trägt. Figur 10 endlich stellt ein Hüllblatt dar, das sich nur durch seine bedeutendere Größe und durch kleine in der Figur nicht wiedergegebene Randhärchen von den Perigonblättern, welche in Gegensatz zu den Hüllblättern unbehaart sind, unterscheidet. Wer die Reihe der Figuren 3—10 vergleichend betrachtet, kann kaum daran zweifeln, dass es sich in den betreffenden Fällen wirklich um mehr oder weniger vollendete Umbildung eines Hüllblattes zu einem Perigonblatte oder, um uns genauer auszudrücken, um die Entstehung eines Perigonblattes oder einer Zwischenform zwischen Perigon- und Hüllblatt aus Material, aus dem normaler Weise ein Hüllblatt geworden wäre, handelt. Eine andere Deutung ist nicht wohl zulässig, wenn wir die 7 in Fig. 4—10 zur Darstellung gelangten Fälle mit denjenigen vergleichen, die weiter oben beschrieben worden sind. Oben konnten wir uns davon überzeugen, dass das der Blüte hinzugefügte Perigon- blatt in der That ein aus dem Hüllblattkreise in die Perigonblattregion versetztes Hüllblatt war. Eines der Hüllblätter von Anemone nemorosu kann also bei Eintritt gewisser Störungen, die wir freilich nieht genauer kennen, zu einem Perigonblatt werden, was ihm wegen des Bestehens von Topoplasie mehr oder weniger vollständig gelingt, wenn es gleich- Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. 535 zeitig in die Perigonblattregion versetzt worden ist, jedoch weniger leieht eintritt, wenn es an seiner ursprünglichen Stelle verbleibt. Zu der Umbildung des Hüllblattes zu einem Perigonblatt ist demnach nieht unbedingt eine Versetzung in die Region der Perigonblätter nötig; aber eine solche erleichtert die Umbildung in hohem Grade. Ich möchte annehmen, dass es gewisse auslösende Reize sind (über solche ver- gleiche mein demnächst erscheinendes Lehrbuch der Entwicklungs- mechanik, Leipzig, Eduard Besold), die aus demselben Bildungs- material wie das der Hüllblätter in der Perigonblattregion Perigon- blätter werden lassen und abnormer Weise eins der Hüllblätter treffen können, das infolge dessen, je nach der Stärke der Reize, mehr oder weniger den Charakter der Perigonblätter annimmt. Dass Pflanzenteile infolge abnormer Reize den Charakter anderer Teile derselben Pflanze annehmen können, ist ja eine hinreichend be- kannte Thatsache. Speziell ist sie auch von Anemonen berichtet wor- . den. Wie ieh bei v. Tubeuf („Pflanzenkrankheiten“, Berlin 1895) finde, hat Magnus Exemplare von Anemone ranunenloides beschrieben, deren Perigonblätter infolge von Einwirkung des Myceles von Aeeidinm punctatum zu kleinen gestielten einfachen grünen Blättchen geworden waren. In einem Falle befanden sich an Stelle der Blüte zwei Laub- blättehen an der Spitze des Blütenstieles, von denen das eine gleich den Hüllblättern fingerig geteilt war. Hier hatte also der Pilz die Entstehung von grünen Laubblättern anstatt gelber Perigonblätter aus- gelöst, und es liegt kein Grund vor, die Annahme, dass abnorme Reize auch die umgekehrte Wirkung auszulösen vermögen, zu verwerfen. Die von uns beschriebenen abnormen Blattbildungen von Anemone nemorosa lassen uns eine beherzigenswerte Warnung zu teil werden, die Warnung nämlich, solche und ähnliche Teratome nicht gleich durch die Präformationslehre, deren Anhängerschaft freilich, wie es scheint, im wachsen begriffen ist, zu erklären. Man thut gut daran, erst genügendes Material zu sammeln, ehe man dazu übergeht, einen abnormen Befund zu Gunsten einer Theorie auszubeuten, die im Grunde genommen nichts weiter hinter sich hat, als den berühmten Namen ihres Urhebers. Es ist z. B. nieht zu recht- fertigen, wenn man etwa am Abdomen einer Krabbe an einer normaler Weise beinlosen Stelle ein regelrechtes Schreitbein, vielleicht gar eins, das nach seiner Form eigentlich der anderen Körperseite, als derjenigen, auf welcher es steht, anzugehören scheint, findet und dann gleich eine Abhandlung darüber schreibt, die dazu bestimmt ist, der Präformations- theorie zur Stütze zn dienen. Ich gebe zu, dass es Thatsachen gibt, die auf den ersten Blick recht sehr imponieren. Als ich das im Frühjahr 1895 im Rauhthale 636 Haacke, Entwicklungsmechanische Studien. bei Jena von meinem Tööchterehen Anna gefundene und in Figur 11 mit Hilfe der Photographie abgebildete Exemplar von Anemone nemorosa zu Gesicht bekam, verspürte ich einen Augenblick lang eine leichte Neigung, mit einem „Pater, peecavi“ in das Lager der Präformations- theoretiker überzugehen. Dieses Exemplar, dessen eines Hüllblatt schon in Figur 10 dargestellt ist, hatte neben zwei normalen Hüllblättern eins, das außer seiner bedeutenderen Größe und der schwachen, in der Ab- bildung leider nicht sichtbaren Randbehaarung durchaus den Charakter von Perigonblättern trug, und in der Blüte dieses Exemplares fand sich oberhalb des zu einem Perigonblatt gewordenen Hüllblattes eine Lücke, und zwar eine so auffällige, dass selbst meine kleine Tochter sie sofort wahrnahm und mich gleich darauf aufmerksam machte, und zwar in demselben Augenblicke, wo sie das Exemplar fand. Was lag näher, als die Annahme, dass der Determinantenkomplex des in der Blüte fehlenden Perigonblattes an die Stelle des verloren gegangenen Determinantenkomplexes eines Hüllblattes geraten war und sich hier entwickelt hatte? Ich gebe gern zu, dass ich entzückt über den Fund meiner Tochter gewesen wäre, wenn ich nicht die Epigenesislehre für richtig gehalten hätte. Dann hätte ich auch wohl ohne weiteres einen Artikel über das schöne Exemplar, das so sehr zu Gunsten der Prä- formationstheorie zu sprechen scheint, geschrieben. Allein, mich machten die bedeutende Größe des weißen Hüllblattes, seine Randbehaarung, die es mit den grünen Hüllblättern teilt, seine derbe Befestigung am Haacke, Berichtigung. 637 Stamm und seine Stellung stutzig und ließen mich meinen einen Augen- blick lang erwogenen Uebertritt in die Reihe der Präformationstheore- tiker auf eine Zeit verschieben, wo ich mehr Material zur Beurteilung der Frage, die mir das Exemplar aus dem Rauhthal vorlegte, gesammelt haben würde. Und diese Zurückhaltung hat sich, wie wir geschen haben, gelohnt. Verglichen mit den entsprechenden oben mitgeteilten Thatsachen lehrt uns auch das in Figur 11 abgebildete Exemplar nichts weiter, als dass eines der Hüllblätter von Anemone nemorosa mehr oder weniger leicht in ein Perigonblatt umgewandelt werden, und dass Hand in Hand mit dieser Umbildung ein Perigonblatt der Blüte fort- fallen kann, und zwar dasjenige des oberen der beiden typischen Perigonblattkreise, das gerade über dem umgebildeten Hüllblatte steht. Das betreffende Perigonblatt ist auch im Falle des Exemplares vom Rauhthale in Fortfall gekommen. Die beiden Blätter der Blüte, die eine große Lücke umschließen, und das Perigonblatt, das dieser Lücke gegenüber steht, bilden den untersten Perigonblattkreis. Auf ihn folgt ein anderer, der nur aus zwei Blättern gebildet wird, näm- lich den beiden Blättern, die bei unserem Exemplare in Bezug auf die Größe die zweite Stelle einnehmen. Das Blatt, das eigentlich über der Lücke hätte stehen sollen, fehlt bei unserm Exemplare. Die Blüte hat zwar noch ein sechstes Perigonblatt, nämlich das kleinste der Blüte; aber dieses gehört, wie schon aus seiner Stellung hervorgeht, nicht zu dem Kreise der zweitgrößten Perigonblätter. Hätte die Pflanze nieht die Störung erlitten, die sein eines Hüllblatt zu einem Perigon- blatt werden lies, so wäre die Blüte siebenblätterig geworden. Die eben vorgetragene Deutung ergibt sich auf Grund der weiter oben mitgeteilten Thatsachen ganz von selbst. Und diese Thatsachen, die ich wohl nicht gefunden haben würde, wenn ich mich durch das schöne Rauhthalexemplar zu einer Preisgabe meiner bisherigen An- schauungen hätte hinreißen lassen, müssen, so denke ich, auch die- jenigen Anhänger der Präformationstheorie, die durch die Schrift über „Germinal- Selektion“ noch nicht genug ernüchtert sein sollten, davon überzeugen, dass der von Weismann aufgeführte weithin leuchtende Palast trotz der zahlreichen Reparaturen, die er bereits nötig machte, nach wie vor unbewohnbar ist und bleiben wird. [78] Berichtigung zu dem Referat von „R.“ über Kükenthal, „Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise in den Molukken und in Borneo“. Biolog. Centralblatt, Bd. XVI, Nr. 15 (1. August 1896) In dem oben zitierten Referat heißt es unter der Ueberscehrift „Die Herkunft der jetzigen Faunen“: „Verfasser wendet sich in diesem Ab- schnitt hauptsächlich gegen die von Gustav Jaeger aufgestellte und 638 Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. später von Wilhelm Haacke erweiterte sog. Nordpolhypothese, welche bekanntlich die in früheren Erdperioden um den Nordpol sich zusammen- drängenden Landmassen als das Schöpfungszentrum der Landfauna be- trachtet. Sie geht von der Annahme aus, dass die allmähliche Abkühlung der Erde von den Polen ausging und nach dem Aequator zu fortschritt; nach genügender Abkühlung entstand organisches Leben zuerst an den Polen und, da dem Südpol Festland fehlt, allein an dem Nordpol“. Aus verschiedenen Gründen muss ich annehmen, dass „R.“ mit „Wilhelm Haacke“ mich, den Unterzeichneten, meint; ich halte mich deshalb zu folgender Berichtigung für berechtigt: Ich habe nie und nirgends, ich habe weder mündlich, noch schriftlich, noch durch den Druck eine Hypothese „erweitert“ (oder, nebenbei bemerkt, selbst aufgestellt), die von der Annahme ausgeht, dass die allmähliche Abkühlung der Erde von den Polen ausging und nach dem Aequator zu fortschritt, eine Hypothese, nach der nach genügender Abkühlung organisches Leben zuerst an den Polen und, „da dem Südpol Festland fehlt, allein an dem Nordpol“, also auf dem Lande (!), entstand. Eine derartige Annahme ist für mich indiskutabel. [85] Jena, den 2. August 1896. Dr. Wilhelm Haacke, Privatdozent der Zoologie an der Technischen Hochschule zu Darmstadt. Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. Von Dr. F. Helm. Nachdem auf dem I. internationalen ornithologischen Kongress in Wien 1884 beschlossen worden war, ein über den ganzen Erdball sich erstreckendes Beobachtungsnetz der Vögel zu errichten, entstanden überall ornithologische Beobachtungsstationen, wie sie vor diesem Zeitpunkte schon in Deutschland existierten. Ein Permanentes Internationales Ornithologisches Komite, gebildet von anerkannten Ornithologen aller Länder, übernahm die Bearbeitung der dadurch gewonnenen Resultate, eine eigne auch heute noch bestehende Zeitschrift, Ornis, herausgeg. von Prof. Dr. R. Blasius, diente als Organ zur Veröffentlichung derselben. Infolge dieses plan- mäßigen gemeinsamen Vorgehens, das in erster Linie allerdings den Zweck hatte, über den Zug der Vögel Klarheit zu verschaffen, entstanden viele Arbeiten über die Ornis von Ländern, von welchen bis zu diesem Zeit- punkte nur wenig oder gar nichts bekannt war. Die in Deutschland an- gestellten Beobachtungen kamen in den Jahresberichten des Ausschusses für die Beobachtungsstationen der Vögel Deutschlands zur Veröffentlichung. Infolge der regen 'T'hätiskeit, welche Hofrat Dr. Meyer, Direktor der K. Zool. Mus. in Dresden, als Mitglied des P. J. OÖ. ©. entfaltete, wuchs in Sachsen die Zahl der Beobachter sehr rasch. Während 1884 unr 5 solche thätig waren, stieg die Zahl derselben im folgenden Jahre schon auf 43, 1887 auf 134. Allerdings verminderte sich dieselbe in den folgenden Jahren wieder. Es geschah dies aber auf Veranlassung von Dr. Meyer, weil es bald unmöglich wurde, die überaus zahlreich eingehenden Beobachtungen so zu verarbeiten wie es wünschenswert war. Infolge des sehr reichlich vorhandenen Materials schien es auch geboten, die BEL! ru Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 639 im Königreich Sachsen angestellten Beobachtungen in Form besonderer Berichte zu veröffentlichen. Dies geschah von 1885 ab: es sind seitdem 10 solche unter dem Titel „Jahresberichte der Ornithologischen Beobachtungsstationen im Königreich Sachsen“ erschienen. Durch deren Herausgabe wurde einem schon längst allseitig gefühlten Bedürfnis abgeholfen, denn gerade die Kenntnis der Fauna resp. Ornis des Königreichs Sachsen war bis dahin ungeahnt lückenhaft. Aus diesem Grunde wurden auch die in unserem Lande thätigen Beobachter angewiesen, nicht nur der Vogelwelt, sondern auch den übrigen Tieren ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, und es er- scheinen jetzt seit einer Reihe von Jahren als Anhang zu den omitho- logischen Berichten auch Zusammenstellungen der Beobachtungen über Säugetiere ete. Wenn es nun heute noch nicht möglich ist, über die Wanderungen unserer Zugvögel ein endgiltiges Urteil auf Grund 10jähriger Beobach- tungen abzugeben, so haben wir doch durch dieselben unter Benützung der schon vorhandenen Litteratur eine Uebersicht über den Bestand der einheimischen Ornis erlangt. Es ist dies gegenwärtig der folgende: im Königreich Sachsen kommen jetzt 280 Vogelarten vor, davon sind 123 Gäste und 157 Brutvögel. Die Zahl der andere Länder bewohnenden resp. besuchenden Arten beträgt auf Helgoland 396, Ferner für Borkum 222, in Schleswig-Holstein 296, Mecklenburg 262, Brandenburg 273, Pommern 293, Nord-Deutschland 340, Westfalen 254, Nassau 259, Hessen 263, Würtemberg 307, Bayern 312, Deutschland (Homeyer) 557, 5 (Reichenow) 396, Böhmen 297, Ungarn 286, Britische Inseln 376, Belgien 336, Niederlande 257, Luxemburg 275, Spanien 384, Spanien, Portugal und die Balearen 408, Italien (Salvadori) 428, »„ (Giglioli) 443, Schweiz 356, Skandinavien 330, Norwegen 278, Ehst-, Liv-, Kurland 280, "Griechenland 358. Salzburg 239, Europa 586, Kärnten 318, Algier 357, Bosnien-Herzegowina 268, Tunis 200, Croatien, Slavonien, Dalmatien, Krain, Turkestan 419, Istrien, Bosnien, Herzegowina, Ser- Japan 381, bien, Montenegro 408 Arten. China 675. Von den sächsischen Brutvögeln sind 48 Arten Stand- und Strich- vögel, SO regelmäßige Sommervögel, also Zugvögel, und 29 unregelmäßige und mehr oder weniger seltene Brutvögel. Außerdem haben 6 Arten aus- nahmsweise bei uns gebrütet und ist es von 5 noch nicht ganz sicher 640 Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. gestellt, ob sie das daselbst thun. Zur besseren Uebersicht seien folgende Zahlen über die Zugvögel anderer Gegenden angeführt. Es brüten in Schleswig Holstein 186 Arten, Als Gäste kommen vor in im Nördlichen Deutschland 211 „ Schleswig Holstein 132Arten, in Ostthüringen Abe: Nördl. Deutschland DI in Westfalen 10 Westfalen 0 Ser in Nassau ala Nassau aloe in Hessen 150-2, Hessen ee auf Britischen Inseln 1805 auf Britischen Inseln 196 2a in Belgien Pre in Belgien 2OIaE in Liv-, Ehst- und Kurland 185 ,„ Liv-, Ehst- und Kurland A in Italien (Salvadori) 2039 Italien (Salvadori) DIR in Italien (Giglioli) 216 & Italien (Giglioli) 100 3, in Europa AU Europa A. Unter denjenigen Arten, welche in Sachsen ihr Brutgeschäft ver- richten, gibt es eine Anzahl, die in den angrenzenden Ländern gar nicht oder nur ausnahmsweise vorkommen. Es sind dies folgende: der schwarze Milan, der Zwergfliegenfänger, der Rotfußfalke, die Sperbergrasmücke, der Wanderfalke, die Steindrossel, der Fischadler, der Gartenammer, die Sperlingseule, der Bergfink, der Rauhfußkauz, der Nördl. Leinfink, der Uhu, der Holbölls „ ; die Sumpfohreule, der Tiriel, die Blaurake, die Schnatterente, der Kolkrabe, die Reiherente, der Tannenheher, die Schellente. der Alpenmauerläutfer, Ueber das Nisten der eben genannten Arten im Königreich Sachsen liegen nun nachfolgende 'Thatsachen vor. Schwarzbrauner Milan. Milvus ater (Gm.). Die Heimat dieses Vogels bildet in erster Linie Zentraleuropa und erstreckt sich nur bis zur Ostsee nach Norden zu, in Mitteldeutschland ist er demnach überhaupt schon selten anzutreffen, und daher war es auch wohl von Anfang an zu erwarten, dass er in Sachsen als Brutvogel nicht gerade häufig auftreten würde. Doch sind immerhin einige derartige Fälle zu konstatieren gewesen. 1879 verrichtete ein Paar dieser Vögel sein Brutgeschäft zwischen Kamenz und Königsbrück auf einer sehr hohen Fichte. Eine Untersuchung des Horstes ergab 2 Junge und 1 faules Ei. Nachdem die alten Vögel in einem Tellereisen gefangen, wurden die Jungen ausgehoben. 1883 hatte ein anderes Pärchen ein Wäldchen in der Pleissenau . unterhalb Rötha bezogen und später, 1888, ein Paar sich in der Nähe von Altenbach bei Wurzen angesiedelt. Früher nistete der schwarzbraune Milan auch im benachbarten Herzogtum Altenburg, nämlich in der Leina. 1854 wurde im „Deutschen Holze“ auch ein Horst dieses Vogels entdeckt. Seitdem liegen keine Beobachtungen über ihn im schon genannten Lande vor, und auch Liebe bemerkt in seinen „Brutvögeln Ostthüringens und Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 641 ihr Bestand“ 1878, dass er außer der Leina keine Gegend in Ostthüringen kenne, wo der schwarzbraune Milan als Nistvogel auftrete. Rotfußfalke. Erythropus vespertinus (Linn.). Während Naumann in seiner klassischen „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“ von diesem Falken noch sagen musste: „Es ist nicht be- kannt, wenigstens nicht mit Gewissheit, wo und auf was Art sem Nest u. dergl. angelegt ist“, sind wir heute in der Lage, auch darüber genauen Bericht erstatten zu können. Nachdem der Rotfußfalke schon wiederholt als Durchzugsvogel für Sachsen in der Lausitz konstatiert werden konnte, gelang es vor ca. 10 Jahren, 1885, ihn auch als Brutvogel nach- zuweisen, und zwar in der Nähe von Chemnitz. Außerordentlich günstig war es dabei überdies, dass ein durch und durch geschulter Beobachter das Brutgeschäft dieses Falkenpaares verfolgen konnte. Sein Bericht darüber lautet ungefähr folgendermaßen: Am Anfang Mai des schon be- zeichneten Jahres begann das bei weitem kleinere Männchen seine an- mutigen Liebesspiele; es schraubte sich nach Art anderer Falken in die Höhe und stürzte sich sodann im jähen Fall herab, zog sich wieder etwas aufwärts, beschrieb einige Kreise und schoss im blitzschnellen Fluge bei dem Weibchen, welches während der Liebesspiele fast regelmäßig auf einer Tanne in den niederen Aesten aufgebäumt hatte, vorbei. Am 18. Mai machte sich das Weibchen an einem alten Krähenneste (von (©. corone) auf einer Tanne etwa 12 m Höhe zu schaffen, während das Männchen öfters kleinere Reiser zutrug, welche das Weibchen im Horste zurecht legte. Am 26. Mai saß das Weibchen auf dem Horste, am 28. Mai waren darin 2 Eier, am 7. Juni war das Gelege von 6 Eiern vollständig. Dieselben hatten einen Längsdurchmesser von 39—42 mm und einen Querdurch- messer von 33— 35 mm. Sie waren durchweg von ockergelber Grund- farbe, graubraun verwaschen gefleckt und wurden in Zwischenräumen von 2 zu 2 Tagen gelegt. Das Weibchen brütete größtenteils allein und ließ sich dabei von dem Männchen atzen; in der Mittagszeit ging es zur Tränke und wurde in dieser kurzen Frist vom Männchen beim Brüten abgelöst. Die Brütezeit währte 20 Tage, am 16. Juni kam das 1. Junge zur Welt, am 24. das letzte, ein Ei war faul. Die Jungen entschlüpften dem Ei in graugelblichem Flaum, wurden von beiden Eltern gefüttert und sorgsam geliebt. Die Alten hatten durch das öftere Besteigen des Horstes von seiten des Beobachters sich so an diesen gewöhnt, dass sie in der letzten Zeit unbekümmert um denselben nach Nahrung ausflogen. Als solche wurden größtenteils Kerfe herzugetragen. Vögel oder Mäuse sah der Beobachter dagegen die Falken nie fangen (auf dem nächsten Baum befand sich ein Nest der Singdrossel). Die Jungen saßen ungefähr 30 bis 32 'Tage im Horste und zeigten sich in den ersten Tagen nach dem Ausfliegen sehr dumm, bald aber änderte sich ihr Wesen, sie fingen an, mit den Alten zu fliegen und später auch zu fangen, kehrten jedoch 8 bis 10 Tage am Abend in den Horst zurück. Das Jugendkleid derselben war am Leib ein helles Rötlichgelb mit wenig verwaschener Längszeich- nung, aufdem Rücken dunkelgraubraun gefärbt, jede Feder war heller gesäumt. Wachshaut, Augenring und Füße waren lichtorangerot. Am 16. Oktober gegen Mittag verließ jung und alt in südwestlicher Richtung den Brutplatz. AVI. 41 642 Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. In den 60er Jahren nistete übrigens der Rotfußfalke auch im Mückerschen Grunde bei Zschernitsch unterhalb Schmölln, sonst ist weder im Herzogt. Altenburg noch in Ostthüringen eine Lokalität bekannt, wo dieser Falke als Brutvogel vorgekommen wäre. Wanderfalke. Falco peregrinus 'Tunst. Zahlreicher sind die Beobachtungen, welche über das Nisten der Wanderfalken in Sachsen vorliegen, und überdies erstrecken sich dieselben beinahe auf das ganze 19. Jahrhundert. Schon Chr. L. Brehm berichtet in seinen „Beiträgen zur deutschen Vogelkunde“, 1820, von einem Horste im Vogtlande. Derselbe befand sich — leider wird der Name des Ortes nicht näher angegeben — auf einer langen steilen und sehr hohen Fels- wand an der Stelle, wo der Fels einen großen Spalt hatte, in dem unten ein Absatz vorstand. Im dieser ca. 10 Ellen tiefen Spalte war der Horst, aus schlechten unordentlichen Unterlagen von Reisern und etwas Genist bestehend, angebracht. In der ersten Hälfte des Juni befanden sich darin 2 wenig bebrütete Eier. Uebrigens hatte ein Paar Wanderfalken in einer andern Kluft desselben Felsens 2 Jahre früher schon Junge großgezogen. Fast zu derselben Zeit, 1821, machte von Uechteritz in Okens Isis be- kannt, dass der Wanderfalke in der Felsengegend von Johnsdorf (s. von Zittau), am Hochwalde sw. von Bautzen genistet habe und dies sehr häufig in der Sächs. Schweiz thun. Für das zuletzt genannte Gebiet gilt dies im gewissen Sinne auch heute noch, denn der Wanderfalke gehört auch gegenwärtig dort stellenweise zu den regelmäßigen Brutvögeln, kommt aber außerdem auch an verschiedenen anderen Orten Sachsens als solcher vor, wie folgende Angaben beweisen werden. 1870 horstete 1 Paar auf den wild zerklüfteten Pfaffensteinen, von 1871—78 war dieser Falke Brutvogel auf Ottendorfer Revier am Gr. Teichstein und im Dreiwinkel- grunde, auf Hohensteiner Revier in der Nähe der Waltersdorfer Mühle an einer Felswand im Polenzthale. Auch im Lausitzer Gebirge nistet der Wanderfalke noch in einzelnen Paaren, so liegt ein Bericht von Zittau von 1883 und 1886 vor, in welchem gesagt wird, dass die Brutpaare in ersterem Jahre entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit auf dem Oybin über- wintert hätten und am 25. Dezember 1886 ein Weibchen erlegt worden sei. In der 2. Hälfte der 80er Jahre trat er als regelmäßiger Brutvogel in der Gegend von Schandau und Schmilka auf, so horstete 1887 1 Paar in den vorderen Schrammsteinen in einem unzugänglichen ausgewitterten Sandloch oder Felsenriss mit Ueberhang. 1888 brütete ein Paar im Heringsgrund, während ein anderes Paar auf Postelwitzer Revier, am 27. Februar ankommend, einen schon 1886 bewohnten Horst an einer glatten hohen etwas überhängenden Felswand in einem ausgewitterten Sandloch bezog. Das Brutgeschäft dieses Paares begann am 5. April und schien am 1. Mai beendet zu sein, am 17. und 18. Juni wurde je 1 der am Horstrande sich aufhaltenden Jungen erlegt und 1 vollständig flug- barer am 20. d. M. dgl., während der 4. Junge zum Ausfliegen kam. In demselben Jahre, 1888, brütete der Wanderfalke auch in der Massenei bei Schmiedefeld (in der Nähe von Stolpen), und zwar benutzten 2 Paar alte Krähennester und 1 Paar einen alten Raubvogelhorst. Wie zahlreich dieser Falke dort auftrat, mag die Thatsache beweisen, dass auf diesem Reviere im Laufe des Sommers 15 Stück, alte und junge, erlegt worden Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 643 sind. Auch im folgenden Jahr, 1889, brüteten wieder 3 Paar auf Postel- witzer Revier und fand sich 1 derselben schon am 21. Februar am Brut- platze ein. Es hatte sich aber 1 Paar auch in einer unzugänglichen Stelle in den Tissaer Wänden angesiedelt und wurde dort am 18. April erlegt. 1893 traf bei Schmilka der erste am 7. März ein, das Brutgeschäft begann jedoch erst am 21. April. Ein Paar errichtete den Horst in einem ausgewitterten Sandsteinloche, 50 m über der Erde, in den Heringsgrund- wänden. Durch Hineinschießen wurde der Horst zerstört, während man das Weibchen von einer Kiefer herabholte. An einer andern Stelle der eben näher bezeichneten Gegend waren Mitte Juni schon 5 Junge aus- geflogen. Ueber den Schaden des Wanderfalken ist zu bemerken, dass überall da, wo er nistet, man ihn anklagt, er stelle neben jungen Waldhühnern und Wildtauben ganz besonders gern auch den Haustauben nach. Weder in Ostthüringen noch im Herzogt. Altenburg ist der Wanderfalke gegen- wärtig als Brutvogel anzutreffen, bis 1868 war er es aber noch häufig in der Umgebung von Altenburg, und ausnahmsweise brütete auch früher 1 Paar zwischen Auma und Weida. Fischadler. Pandion haliaetus (Linn.). Nur wenig Orte in Sachsen sind es dagegen noch, an welchen der Fischadler seinen Horst errichtet. Allein in der teichereichen Lausitz geschieht dies jetzt noch ab und zu. So nistete er Ende der 80er Jahre vereinzelt in größeren 'Teichen der Umgebung von Klix (9 km nördlich von Bautzen) und zwar merkwürdigerweise höchst eigentümlich niedrig. Während er gewöhnlich auf hohen Bäumen seinen Horst anlegt, geschah dies an dem schon genannten Orte am Schilfe, sodass in dem einen Fall das Nest kaum !/, m über den Wasserspiegel emporragte. Der Bau, in einer sehr hohen und dichten Schilfgruppe inmitten des 'Teiches befind- lich, bestand aus zusammengetragenem Schilf und Gezweige. Die Zahl der Eier in demselben betrug 2, die Adler wurden beide gefangen. Die Wasservögel ließen sich, wie dies in der Regel der Fall ist, durch den Adler gar nicht stören. Einige Jahre darauf, 1894, wurde 1 Paar dieser Adler den ganzen Sommer hindurch auf den Deutschbaselitzer 'Teichen 8 km n. v. Kamenz beobachtet, dasselbe soll in dem in der Nähe des genannten Ortes liegenden Klosterwalde genistet haben. Ab und zu zeigt sich ein Fischadler auch an den Frohburger Teichen, nistet aber jeden- falls nieht auf sächs. Gebiet, sondern diese Exeniplare bewohnen die Leina im Herzogt. Altenburg, wie dies schon 1894/95 in dem eben genannten Walde geschah. In Ostthüringen waren in den 70er Jahren ebenfalls noch 1—2 Paar ständig, sind aber jetzt dort verschwunden. Sperlingseule. Athene passerina (Linn.). Ebenfalls nicht gerade zahlreiche Notizen aus unserem Vaterlande enthält die ornithologische Litteratur über Sperlingskauz. Es sind dies nur folgende. Nach Ch. L. Brehm ist früher ein Nest dieser Eule mehrmals in den waldigen Gegenden des Oster- und Vogtlandes in hohlen Waldbäumen gefunden worden. In den 60er Jahren soll er nach Angaben des Herrn Oberförsters Fritzsche in einem hohlen Birnbaume zu Rüben 41® 644 Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. gebrütet haben, auch er soll bei Schneeberg-Neustädtel als Brutvogel auf- getreten sein und dadurch sich schädlich gemacht haben, dass er öfters junge Stare aus den Kästen holte. In den letzten Jahren ist er auch brütend in der Gegend von Schmilka-Schandau angetroffen worden, von wo schon Reichenbach Exemplare für das Dresdener Museum erhielt und wo auch Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre zu sehr verschie- denen Jahreszeiten einzelne oder auch Paare von Sperlingskäuzen bemerkt wurden. 1892 gelang es endlich dem dortigen Beobachter, diese Eule als Brutvogel sicher nachzuweisen: er entdeckte in der Nähe des Gr. Zschirn- steines, auf Reinhardtdorfer Revier, am 6. Juni des genannten Jahres 4junge Sperlingskäuze auf einem Aste zusammensitzend, also jedenfalls kürzlich erst ausgeflogen. Auch aus Ostthüringen und dem Herzogtum Altenburg liegen nur sehr spärliche Nachriehten über das’ Brüten des Sperlingskauzes vor. Nur einmal brütete er bei Oberlödla in der Nähe von Altenburg und 2 mal hintereinander in einem Astloch eines Birnbaumes im Garten von Liebes Vater (Moderwitz bei Neustadt a. O.). Rauhfußkauz. Nyctale Teugmalmi (Gm.). Ausführlichere Angaben als über den Sperlingskauz besitzen wir von einer anderen eigentlich in Nordeuropa heimischen, daher in Mitteleuropa nur selten, aber auch in Sachsen nistenden Eulenart, dem Rauhfußkauz. Unstreitig aber lägen über ihn viel mehr Beobachtungen vor, wenn er nicht so häufig mit dem Steinkauz verwechselt würde. Ein solches Ver- kennen ist auch wohl erklärlich. Stimmen doch die alten Vögel beider Arten in Größe und Gesamtfärbung ziemlich überein! Doch ist trotzdem für den geschulten Beobachter selbst in der Natur ein Auseinanderhalten beider Arten nicht schwierig. Schon in der Wahl ihrer Aufenthaltsorte weichen beide von einander ab. Der Steinkauz liebt die Nähe des Menschen und bezieht aus diesem Grunde Gartenhäuser, Scheunen, "Türme, Dachböden, Löcher alter Gemäuer und Gebäude, Steinbrüche, hohle Bäume. Erwählt er sich den Wald zur Wohnung, so thut er dies immer in kleineren, lichteren und in der Nähe der Felder liegenden Komplexen. Der Rauhfußkauz hingegen bewohnt nie Gebäude, sondern er nistet meist nur im Walde und benützt dazu in der Regel von Spechten herrührende Höhlen. Auch durch ihren Körperbau unterscheiden sich beide Eulenarten von einander. Der Rauhfußkauz erscheint immer etwas schlanker infolge seiner längeren Flügel und seines längeren Schwanzes, außerdem sind seine Füße und Zehen mit langen, daunenartigen Federn so dicht besetzt, dass nur die langen spitzen schwarzen Krallen am sitzenden Vogel sichtbar bleiben. Beim Steinkauz ist zwar der Lauf auch von Federn dicht besetzt, dieselben sind aber nur kurz und die Füße erscheinen deshalb viel schwächer als bei seinem Verwandten. An den Zehen des Steinkauzes befinden sich überdies nur auf der Oberseite kurze borstenförmige Federn, welche die graugelbe Haut durchschimmern lassen, Eine weitere Eigentümlichkeit des Rauhfußkauzes besteht darin, dass er bei Störungen am Tage seinen Gesichtsschleier so eigentümlich zieht, dass über jedem Auge ein Wulst gebildet wird und es aussieht, als besäße der Kauz abgestumpfte Federohren. Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 645 Aus dem Königreich Sachsen liegen nun über das Brüten dieser Eule eine ganze Reihe von Beobachtungen vor. Es sind dies folgende. Nach Beobachtungen Pässlers in Breitenbach bei Meerane hat der Rauchfuß- kauz früher dort gebrütet. Herr Konservator Henke nahm vor längerer Zeit aus der in eimer Buche befindlichen Schwarzspechthöhle am Kleinen Winterberge 6 Eier dieser Eule. 1857 versuchte auch ein Paar nach Mitteilungen Schachs in der Nähe von Russdorf bei Chrimmitzschau zu brüten, wurde aber dabei gestört. Früher war sie auch Brutvogel in der Lausitz, denn R. Tobias sagt in seinen „Wirbeltieren der Oberlausitz“, 1865, über sie: „Brütet im Gebirge, selten in den Fichtenwäldern der Ebene“, Herr Öberförster Fritzsche traf diese Eule 1850—83 auch auf Hundshübler Revier 3mal in alten Krähennestern und an der Halte- stelle Bergen i. V. einmal in einem Starenkasten nistend an. Mir selbst gelang es zuerst 1887 sie als Brutvogel bei Arnoldsgrün bei Schoeneck i. V. nachzuweisen. Ich traf damals dort 2 ausgeflogene Junge an, von denen ich eins erlegen ließ, das sich jetzt im K. Zool. Museum in Dresden be- findet. Die beiden Käuze hatten sich an diesem Platze längere Zeit auf- gehalten. 20 von dort herrührende Gewölle, welche ich untersuchte, ent- hielten Reste von 8 Waldspitzmäusen, 5 Gartenschläfern, 4 Hausmäusen, einigen Waldmäusen, wahrscheinlich auch solche von der Waldwühlmaus und Erdmaus und außerdem noch Knochen von 7 meisen-, drossel- und finkenartigen Vögeln. 1888 brütete abermals 1 Paar dieser Eulen in dem Walde, wo sich im Jahre vorher die Jungen aufgehalten. Im folgen- den Jahre konstatierte Herr Oberförster Fritsche 2 Paar als Brutvögel auf Possecker Revier und hatte ein Paar auf Arnoldsgrüner Revier die Schwarzspechthöhle in einer Kiefer bezogen. Am 24. April bestieg ich diesen Baum, die brütende Eule flog dabei erst ab, als ich sie mit Gewalt aus der Höhle entfernen wollte. In derselben befanden sich 6 stark be- brütete Eier und 1 unversehrte Waldmaus. Im nächsten Jahre, also 1890, wohnte auf demselben Revier ebenfalls 1 Paar Rauhfußkäuze in einer andern Schwarzspechthöhle. In derselben lag am 12. April 1 frisches Ei und 2 Waldmäuse. 1893 kontrollierte ich die Höhle wieder. Kaum hatte ich am 2. April an den Stamm dieses Baumes geschlagen, so erschien auch ein Kauz an der Oeffnung der Höhle. Als ich am folgenden "Tage dieselben untersuchen wollte, musste ich erst die Eule gewaltsam daraus entfernen. Außer 3 Feldmäusen wurde in dem Nistbaume nichts vorge- funden. 1894 brüteten die Rauhfußkäuze in demselben abermals 6 Eier aus, und auch 1895 bewohnten dieselben wieder diese Tanne. Der Baum musste aber leider niedergeschlagen werden, wobei 1 Eule gefangen wurde. Ich hielt dieselbe einige Wochen in der Stube, und sie verstand es, sich so beliebt zu machen, dass sie der Liebling aller wurde. Seitdem ist auf dem mehrmals genannten Revier kein Rauhfußkauz mehr bemerkt worden. Auch in Herzogtum Altenburg und in Ostthüringen hat der Rauhfußkauz einige Male Junge groß gezogen. Uhu. Bubo maximus Sibb. Von jeher gehörte auch die größte unserer Eulen, der Uhu, zu den Brutvögeln Sachsens und ist es auch gegenwärtig noch. Allerdings wurde auch diese Eule wie manche andere Vogelart infolge mannigfacher Umstände gezwungen, ihr Verbreitungsgebiet mehr und mehr einzuschränken, sodass 646 Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. er stellenweise jetzt da fehlt, wo er früher nicht selten war, so z. B. im Vogtlande. Von dort bezog der a. Brehm Exemplare und sagt über diese Gegend in seinen „Beiträgen zur deutschen Vogelkunde“, dass er daselbst weit häufiger sei als auf dem 'Thüringer Walde. Uebrigens hielt sich der Uhu in diesem Teile unseres Vaterlandes ziemlich lange, denn bis ca. 1855 brütete 1 Paar in den Schieselfelsen bei Greiz und ein anderes Paar nach 1861 noch einmal in den prächtigen Felspartien des Steinicht zwischen Plauen und Elsterberg. Als regelmäßiger Brutvogel ist gegenwärtig der Uhu in unserem engeren Vaterlande nur noch anzutreffen in der Sächs. Schweiz und in der weiteren Umgebung von Zittau. Für die Sächs. Schweiz dürfte jetzt das Mittelndorfer, Ottendorfer, Hohendorfer und wohl auch der Postelwitzer Revier in erster Linie als Brutplätze des Uhus in Betracht kommen. Es soll aber damit nicht behauptet werden, dass er nicht auch auf anderen vorkomme, denn es wurden auch schon Uhuhorste gefunden auf dem Rosenthaler, Königsteiner Revier, und 1876—82 nistete auch 1 Paar auf dem Markersbacher Staatsforstrevier. In der Gegend von Zittau hat man den Uhu als Brutvogel beobachtet auf Olbers- dorfer Revier (1873), ferner in der felsenreicher Oybiner Gegend. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass er noch an andern Stellen nistet, denn es sind Exemplare auch schon an anderen Lokalitäten dieser Gegend ge- schossen worden. In Ostthüringen und Herzogt. Altenburg dürfte gegenwärtig wohl kein Uhupaar mehr seinen Horst anlegen. Sumpfohreule. Brachyotus palustris (Forster). Nur stellenweise und auch durchaus nicht regelmäßig ist ferner die Sumpfohreule bei uns als Brutvogel zu konstatieren gewesen. 1850 kam sie als solcher vor bei Russdorf bei Crimmitschau, auch im folgenden Jahre nistete dort noch ein Paar. Einzelne Paare mögen auch vielleicht 1877 dies in der Gegend von Großenhain gethan haben, wenigstens wurden dort Eulen dieser Art den Sommer hindurch angetroffen. 1884 brütet sie dann bei Kamenz und sie trat gleichzeitig an der Mulde bei Wurzen so häufig auf, dass eine Anzahl derselben abgeschossen werden konnten. 1885 nistete sie in der Umgegend von Friesen bei Reichenbach, in den darauf folgenden Jahren, so 1886 und 1888, bei Wurzen und in dem letzteren Jahre auch bei Kamenz. Von dieser Zeit ab bis zur Gegenwart liegen dann aber aus Sachsen keine weiteren Beobachtungen darüber vor. Noch spärlicher als aus unserem Vaterlande sind die Notizen über das Nisten der Sumpfohreule vom Herzogtum Altenburg und Ostthüringen. Er wurde dort nur 1mal 1 Gelege dieser Eule im Schmeelengrase einer kleinen Lehde bei Prehna unweit Altenburg gefunden. blaurake. Coracias garrula Linn. Auch die Blaurake gehört zu denjenigen Vogelarten, deren Verbrei- tungsgebiet in Sachsen früher viel ausgedehnter war als gegenwärtig. 1846 brütete 1 Paar noch bei Remse. Bis 1874 that sie dies auch auf ÖOkriller Revier und blieb nach dieser Zeit dort nur weg, weil ihre Nist- bäume der Axt zum Opfer fielen. Auch auf dem Langenbrücker Revier kam sie bis zur Mitte der 70er Jahre als Brutvogel vor, und hielten sich Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 647 sogar noch bis einige Jahre später, bis 1877, einige Paar auf der Kien- haide bei Schönfeld und bei Großenhain auf, in der dortigen Gegend soll sie auch gegen der Mitte der 80er Jahre noch bei Brossnitz (3 Std. von Großenhain) genistet haben. Gegenwärtig ist sie als Brutvogel regel- mäßig nur noch in der Umgebung von Kamenz anzutreffen. Dort bewohnt sie die Höhlen der auf den 'Treichdämmen befindlichen Eichen, in erster Linie die in der Nähe von Deutschbaselitz, und liegen von dort auch nähere Beobachtungen über das Brutgeschäft und die Ernährung dieses Vogels vor, auf welche ich etwas näher eingehen will. 1888 konnten dort 3— 4 DBrutpaare konstatiert werden. Am 18. Juli d. J. waren die Jungen in einer Höhle flügge, welche schon 1888 als Brutplatz diente. In dem Magen eines erlegten Weibehens befanden sich Knochen von kleinen Fröschen und große Mengen Flügeldecken von Wasserkäfern, eine 2te untersuchte Blaurake enthielt eine bedeutende Zahl Flügeldecken von Carabus, Necrophorus und Silpha, sowie Ueberreste von Gryllotalpa vulg. 1893 wurde die Blaurake als Brutvogel übrigens auch bei Milkel und Merka bei Bautzen konstatiert. Wie im Königreich Sachsen, so ist auch in Ostthüringen und im Herzogt. Altenburg der Bestand dieses Vogels in neuerer Zeit sehr zurückgegangen. Schon 1878 musste Liebe in seinem Werke „Die Brutvögel Ostthüringens und ihr Bestand“ von ihr sagen: „Streicht zur Zugzeit durch das Gebiet, nistet aber daselbst nicht mehr“. Im Altenburgischen wurde 1891 dagegen wieder 1 Brutpaar im Tau- padeler Holze bei Altenburg angetroffen. Kolkrabe. Corvus corax Linn. Gegenwärtig gar nicht mehr als Brutvogel kommt in unserem engeren Vaterlande die größte der einheimischen Rabenarten, der Kolkrabe, vor. Vor nicht gar langer Zeit war dies aber anders. Noch in den 60er Jahren konnte Tobias über ihn von der Lausitz sagen: „Nistet sowohl im Gebirge wie in den großen Wäldern der Ebene“. Von 1838—49 brütete auch 1 Paar regelmäßig auf einer großen Kiefer zu Frankenhausen. Von demselben wurde Jahr für Jahr 1 Exemplar abgeschossen, und in 8 Tagen war der Verlust immer wieder ausgeglichen. Dieses Rabenpaar führte seine Jungen gewöhnlich am 5. Okt. fort und kam nach 14 Tagen ohne die- selben wieder zum Nistplatze zurück. 1850 wurde aber der Nistbaum gefällt, das Rabenpaar verließ infolgedessen die Gegend für immer. Auch in der Gegend von Russdorf bei Crimmitschau existierten bis gegen 1850 noch einige Brutpaare, ebenso noch einige Jahre länger in der Harth. Am längsten aber hielt sich dieser Vogel im Gohrisch, nämlich bis 1868. Am 7. Dezember d. J. wurde jedoch die Kiefer, auf welcher der Horst stand, durch einen Sturm umgebrochen, und seitdem haben die Raben auch dieses Revier gemieden. Wie in Sachsen, so existiert auch in Östthüringen und im Herzogt. Altenburg gegenwärtig kein brütendes Kolkrabenpaar mehr; in dem zuerst genannten Gebiete nistete bis 1855 1 Paar an den 'Ihalwänden von Vollradisroda und Münchenroda bei Jena, in Altenburg bis 1850 bei dem oben schon genannten Russdorf und bei Klosterlausnitz; an beiden Orten verschwanden die Raben aber ebenfalls nach Fällung der Horstbäume, Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. [ep Hm 02) Tannenheher. Nucifraga caryocatactes (Linn.). Obwohl schon 1865 in den Abhandlungen der Naturforschenden Ge- sellschaft zu Görlitz von den 'Tannenheher gesagt wird, dass er wahr- scheinlich in den Gebirgen der Oberlausitz niste, so wurden doch erst vor gar nicht langer Zeit sichere Nachweise über sein Brüten im König- reich Sachsen veröffentlicht. Aus denselben ergibt sich, dass der Tannen- heher unzweifelhaft in der Umgegend von Markersbach (in dem südlichen Teile der Amtshauptmannschaft Pirna) Brutv. ist. Dort hält er sich haupt- sächlich in den Abteilungen 10 und 25 des k. Forstreviers auf. Von den dortigen Forstbeamten wurden zuerst 1869 mehrere junge 'T’annen- heher, die kaum fliegen konnten, auf einer Tanne sitzend, bemerkt. Einige Jahre darauf schoss ein Lehrling an demselben Orte einen solchen von einer T'anne, auf der ein größeres Nest aus dürren Reisern, kleinen Wurzeln ete., ähnlich dem der Rabenkr. gebaut, sich befand, in dessen Nähe 4 junge Tannenheher sich aufhielten, die von einem bald dazu kom- menden alten gefüttert wurden. Auch Ende April 1888 beobachtete unser dortiger Beobachter in derselben Abteilung junge derartige Vögel und traf am 2. Mai im Nadelholze in unmittelbarer Nähe einer Waldwiese auf einer 9—10 m hohen Fichte 4 ruhig sich verhaltende Jungen an. Bald fand sich dazu ein alter T'annenheher ein, der scheinbar die Jungen fütterte, nicht lange darnach gesellte sich dazu ein 2. alter, wartete auf einem benachbarten Baume bis zum Wegfliegen seines Gefährten und besuchte dann die Jungen. Leider konnten weitere Beobachtungen über diese interessanten Vögel nicht mehr angestellt werden, weil sie die Anwesen- heit eines Menschen bald merkten und sich sehr in das Geäst zurück- zogen, dass sie unsichtbar blieben. Auch in den darauffolgenden Jahren wurden auf dem schon genannten Revier Tannenheher beobachtet und Ende Mai 1890 Alte, die Junge füt- terten, wiederholt gesehen. In der Nähe dieser Stelle wurde außerdem auch ein Tannenhehernest aufgefunden, welches aus Reisern und kleinen Wurzeln gebaut und auf einer in der Nähe einer Wiese stehenden Fichte ca. 8 m hoch angelegt war. Aus den letzten Jahren liegen weitere Beobachtungen über das Brut- geschäft dieses Vogels zwar aus dieser Gegend nicht vor, er wird aber unzweifelhaft auch heute noch dort als Brut- und vielleicht sogar als Standvogel vorkommen, denn es wurden daselbst 1892 Exemplare auch im Dez. und Jan. beobachtet. Eine zweite Brutstelle dieses Vogels wurde ebenfalls erst neuerdings bekannt. Es ist dies die Gegend zwischen Schmiedefeld und Glashütte. Wiederholt schon wurden dort ganz junge derartige Heher im Schmiedefelder Holze (zw. Schmiedeberg und Glashütte) gefangen und auch im Sommer 1893 bei Glashütte Exemplare erlegt, so- dass ohne jeden Zweifel angenommen werden kann, der Tannenheher brüte auch in der dortigen Gegend. Weder in Ostthüringen noch in Altenburg ist bis jetzt jemals ein brütendes 'Tannenheherpaar angetroffen worden. Alpenmauerläufer. Tichodroma muraria (Linn.). Zu denjenigen Vogelarten, von welchen noch nicht sichere Beweise vorliegen, ob sie wirklich in unserem Vaterlande brüten, gehört auch der Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 649 Alpenmauerläufer. Bekanntlich bilden hauptsächlich die Hochgebirge Süd- und Central-Europas und Asiens die Heimat dieses Vogels. Seit einer Reihe von Jahren zeigten sich aber Alpenmauerläufer auch in den Postel- witzer Steinbrüchen und wurde auch gelegentlich, so 1879, 87 und 89, das eine oder andere Exemplar erlegt. Es wäre dies aber, so interessant das Vorkommen der Vögel an und für sich auch sein mag, durchaus nicht sehr merkwürdig, denn auch anderwärts kamen einzelne Exemplare dieser Art schon vor. Nun besuchte aber im Frühjahr und Sommer 1890 täg- lich 1 Paar 2—3 Mal die schon namhaft gemachten Steinbrüche, suchte dort Futter und begab sich damit zu den höheren Schrammsteinen, und es liegt die Vermutung sehr nahe, dass dieses Paar daselbst Junge groß ge- zogen habe. Infolge der Unzugänglichkeit der Stelle, wo die Alpenmauer- läufer verschwanden, konnte leider Näheres darüber nicht eruiert werden. Weder in Östthüringen noch im Herzogtum Altenburg ist bis jetzt jemals 1 Alpenmauerläufer bemerkt worden. Zwergfliegenfänger. Muscicapa parva Linn. Wie der 'Tannenheher, ist auch der Zwergfliegenfänger, dessen haupt- sächlichstes Vaterland Central- Europa und Central-Asien bis zum Baikal- see bilden, erst in neuerer Zeit als Brutvogel für unser engeres Vaterland nachgewiesen worden und dies auch nur an 2 Orten, nämlich in der Gegend von Kohren und bei Schmilka. An der ersteren Stelle nisteten 1885 und 1886 (und wahrscheinlich auch gegenwärtig noch) einige Paar in dem Parke zu Rüdigsdorf. Bei Schmilka kam dieser Fliegenschnäpper seit 1885 zur Beobach- tung, aber erst 1887 wurde auf dem Gr. Winterberge auf einer Höhen- lage von 548 m in dem Astloch einer hohlen Buche in einer Höhe von 4,5 m ein Nest dieses Vogels aufgefunden und auch im Jahre darauf in einiger Entfernung von der 1. Stelle, aber nur in einer Höhenlage von 300 m, ebenfalls in dem Astloch einer Buche ein 2. Nest entdeckt und Ende Juni die alten Vögel beim Füttern der Jungen beobachtet. Auch 1889 fand sich ein Paar Zwergfliegenschnäpper an den alten Brutstellen ein, es konnte aber über das Brutgeschäft nichts Näheres erfahren werden, und seit dieser Zeit hat sich der Vogel am Gr. Winterberg überhaupt nicht wieder gezeigt. In Östthüringen und Herzogtum Altenburg ist bis jetzt von einem Nisten der Zwergfliegenfänger nichts bekannt geworden. Sperbergrasmücke. Sylvia nisoria (Bechst.). Ein ebenfalls nur sporadisch bei uns auftretender Brutvogel ist die Sperbergrasmücke. Spezielle Nachrichten über ihr Nisten in unserem Vaterlande stammen übrigens auch erst aus neuerer Zeit, sie betreffen ungefähr die letzten 10 Jahre. Als Brutplätze dieser Grasmücke kom- men nach diesen Beobachtungen in Sachsen in Betracht die Gegend von Wurzen, Leipzig, das Gebiet zwischen Grimma und Böhlen, die Umgebung von Schellenberg bei Augustusburg, Niederbobritzsch, Lindenau bei Dresden, Schmilka, Schmiedefeld, Kronförstchen bei Bautzen. Interessante mehr- jährige Beobachtungen über die Sperbergrasmücke liegen aus Schellen- berg bei Augustusburg vor. Dort kam sie 1886 am 15. April an, hatte 650 Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. am 19. Mai das Nest fertig, legte am 22. Mai das 1. Ei. 1887 sang die erste am 17. Mai, begann der Nestbau am 25. d. M., und war das Gelege erst am 8. Juni vollständig. Im folgenden Jahre, 1888, zeigte sich in Schellenberg die erste Sperbergrasmücke zu derselben Zeit wie 1886, nämlich am 15. April. Die Nester bestehen in der dortigen Gegend aus dürren Grasrispen und sind inwendig mit feinen Härchen und Hälmchen ausgepolstert. Die Bebrütung dauerte 15 Tage, nach 16 weiteren Tagen krochen die Jungen bereits in Zäunen herum. Beim Brüten beteiligte sich auch das Männchen, indem es in den Mittagsstunden das Weibchen dabei ablöste. Im Herzogtum Altenburg brütet die Sperbergrasmücke nur ausnahms- weise, und in ÖOstthüringen ist sie nach Liebe ein seltener und unstäter Brutvogel, der einige Jahre an einer Stelle nistet und dann wieder dort verschwindet. Steindrossel. Monticola saxatilis (Linn.). Von der Steindrossel, deren Sommerheimat zwischen dem 35. und 52.° n. Br. in Europa und Asien liegt, sind bis jetzt als Brutstellen in Sachsen nachgewiesen worden das Muldenthal bei Rochlitz, die Johns- dorfer Steinbrüche bei Zittau, die Weinberge von Lindenau bei Kötzschen- broda und das Blösaer Thal. Nähere Angaben über das Brutgeschäft im Muldenthale liegen ebenso- wenig vor wie über das Nisten in den Johnsdorfer Brüchen. Hingegen wurden die bei Lindenau sich aufhaltenden Steindrosseln eingehender be- obachtet. Nach den von dort vorliegenden Veröffentlichungen kommen die Vögel Ende April am Brutplatze an. Sie sitzen oft minutenlang auf den Weinbergsmauern, putzen da ihr Gefieder und jagen von da aus Insekten. Es sind im allgemeinen scheue Vögel, welche nur den Wein- bergsarbeitern gegenüber zutraulicher werden, nachdem sie sich an deren Thätigkeit gewöhnt haben. Sobald die Steindrossel merkt, dass sie be- obachtet wird, fliegt sie von Mauer zn Mauer. Brütet zu dieser Zeit das Weibehen, so kehrt das Männchen wieder an den früheren Ort in der Nähe des Nestes zurück. Das Weibchen ist scheuer als das Männchen. Genaueres über die Brutzeit konnte leider nicht ermittelt werden, jedoch wurden Anfang Juli 3 kürzlich ausgeflogene Jungen angetroffen. Ueber den Nestbau ist dagegen folgendes zu berichten. 1 Nest befand sich in einer eingefallenen Mauer, ein anderes (1891) in einer Mauerspalte. Die Stein- drosseln scheinen nicht alle Jahre denselben Ort aufzusuchen, da sie mehrere Jahre an den alten Niststellen nicht angetroffen wurden. Das Nest wird liederlich aus feinen Wurzeln und Pflanzenfasern (Distelwolle) gebaut. Das brütende Weibchen sitzt sehr fest und lässt sich so leicht nicht stören. Nähert man sich demselben, so bleibt das Männchen ruhig oder entfernt sich nicht weit. Ein im Blösaer Thal bei Rachlau (am Czorneboh) 1887 nistendes Paar baute sein Nest in einen geschützten Felsenvorsprung, 2'/, m hoch, gab aber nach Fertigstellung des Baues denselben aus irgend einem Grunde auf und fertigte so dicht daneben ein 2. Nest an, dass sich die Ränder beider berührten. In dem letzteren zog das Paar 2 Bruten von je 4 und 5 Jungen groß. Uebrigens nistete vor 1887 die Steindrossel schon seit einigen Jahren in diesem Thale. Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 651 In Östthüringen und Herzogtum Altenburg ist dagegen die Stein- drossel noch nicht als Brutvogel beobachtet worden. Gartenammer. KEmbertiza hortulana Linn. Zu denjenigen einheimischen Vögeln, welche bald hier bald da als Brutvogel auftreten und dann wieder verschwinden, gehört unter anderem auch der Gartenammer. Derselbe hat in verschiedenen Gegenden unseres Vaterlandes schon Junge groß gezogen, so wahrscheinlich 1877 bei Königs- brück, 1885 bei Großenhain und in verschiedenen Jahren jedenfalls auch bei Rosswein. In Östthüringen und Altenburg dagegen war es bis jetzt nicht mög- lich, ein Nisten dieser Ammerart sicher nachzuweisen. Bergfink. Fringilla montifringilla Linn. Obwohl das eigentliche Verbreitungsgebiet des Bergfinken in Europa und Asien von Norwegen bis zum Amur reicht, er nur ganz ausnahms- weise in Schottland und Deutschland vorkommt, so konnten doch für das Königreich Sachsen einige Fälle vom Nisten dieses Vogels daselbst, und zwar an verschiedenen Stellen und zu verschiedenen Jahren nachgewiesen werden. Es sind dies folgende: 1888 brütete 1 Paar in der Gegend von Schmiedefeld — dieser Ort liegt bei Großharthau nahe von Stolpen — das kugelrunde, aus feinen Würzelchen, Grashälmcehen und Moos künstlich angefertigte Nest befand sich in dem Gezweige einer großen Birke am Rande der Massenei (Nadel- wald). Seine Außenwand war mit weißer Birkenschale überzogen, sein Inneres mit Haaren, Federn und Wolle ausgekleidet. Die 5 in demselben befindlichen Jungen zogen die Alten mit Larven und Würmchen groß und fütterten sie auch noch einige Wochen nach dem Ausfliegen, bis sie selbst auf den Feldern ihre Nahrung zu suchen in der Lage waren. 1889 wurde ein Nisten dieses Finken auch in der Umgegend von Markersbach (bei Hellendorf) beobachtet, und zwar hatte sich in diesem Falle merkwürdigerweise 1 Weibchen des Bergfinken mit einem Edelfinken- männchen gepaart. Das Nest, vom Weibchen allein gebaut, befand sich zwischen 2 Aesten auf einer am Waldrande stehenden Fichte, war kugel- rund, aber höher und diekwandiger als das von Fr. coelebs und nicht napfförmig, sondern oben nach innen gewölbt. Als Baumaterial verwendeten die Vögel grüne Moose und Flechten (während der Buchfink mehr solche von grauer Farbe wählt). Infolge der großen Entfernung des Nistplatzes von der Wohnung des Beobachters konnte derselbe leider ausführliche Studien über die Aufzucht der Jungen nicht anstellen, jedoch bemerkte er, dass beide Alte dieselben fütterten. In demselben Jahre, also 1889, wurde abermals 1 Paar Bergfinken nistend in der Massenei bei Schmiedefeld angetroffen. Das Nest dieses Pärchens stand auf einem knorrigen Aste im Gipfel einer Fichte, war kugelrund, oben wie abgeschnitten, außen aus Moos und feinen Würzelchen, inwendig aus Haaren, Federn und Wolle angefertigt und enthielt am 18. Mai 6 Eier von grünlicher Färbung. Die Bebrütung derselben be- sorgte hauptsächlich das Weibchen, während dasselbe aber Nahrung suchte, setzte sich auch das Männchen ins Nest. Die Jungen krochen am 29. Mai 652 Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. aus, wurden von beiden Eltern gefüttert und auch nach dem Ausfliegen noch eine Zeit lang mit Nahrung versorgt. Schließlich sei noch bemerkt, dass am 15. Juni 1892 in der Um- gebung von Crostewitz bei Leipzig 1 5 des Bergfinken in Sommerkleid erlegt wurde, das mit einem Weibchen zusammenflog. Es ist nicht sehr unwahrscheinlich, dass auch dieses Paar sein Brutgeschäft in der dortigen Gegend verrichtet habe. Im Herzogtum Altenburg und in OÖstthüringen kennt man bis jetzt diese Finkenart nur als Winter- resp. Durchzugsvogel. Nordischer Leinfink. Linaria alnorum Chr. L. Br. Auch von einem anderen nordischen Vogel, dem nordischen Lein- finken, dessen eircumpolare Heimat sich vom 58° n. Br. bis zur Birken- grenze erstreckt, haben einige Paar in unserem Vaterlande genistet, und zwar im Sommer 1882, nachdem dieser Vogel im November 1881 im oberen Erzgebirge sich in großen Schwärmen gezeigt hatte. Wahrschein- lich blieben davon einige Paare zurück, denn der jetzige Oberförster Fritzsche hörte den Sommer des schon näher bezeichneten Jahres hin- durch bei Eibenstock den Lockruf des nord. Leinfinken, und einer seiner Waldarbeiter, ein geschickter Vogelfänger, welcher diesen Vogel genau kannte, beobachtete in demselben Jahre unweit Wildenthal (bei Eiben- stock) ein Weibchen dieser Art, wie es seine eben dem Neste entflogenen Jungen fütterte. Es kann demnach nicht im geringsten das Nisten dieser Art in unserem Vaterlande angezweifelt werden. Holbölls Leinfink. Linaria holböllk Chr. L. Br. Neben den nordischen Leinfinken ist es in einem der letzten Jahre, 1891, gelungen, auch eine andere Leinfinkenart, den Holbölls Leinfink, dessen Vaterland Nord-Europa von Skandinavien bis Ost-Sibirien bildet, für Sachsen als Brutvogel nachzuweisen. Es geschah dies in folgender Weise: Am 17. Juli 1891 bemerkte unser Beobachter in Markersbach, wie 4 junge Leinfinken unter einigen Erlenzeisigen auf einer Birke von einem Zeisig gefüttert wurden. Da diese Vögel täglich auf demselben Baum erschienen, gelang es bald einen Leinfinken nebst dem fütternden Zeisig (Männchen) zu fangen. Bald gewöhnte sich der Junge, der sich später als ein Holbölls Leinfink erwies, an die Gefangenschaft, und nahm die 2 ersten Tage das Futter von dem Zeisig an, fraß aber dann allein. Stellte man den Jungen ins Freie, so sang er sehr fleißig: anfangs glich der Gesang dem des Leinfinken, ball aber meinte man, einen Zeisig zu hören. Von Weihnachten ab wurde er ein fleißiger Sänger, dabei ein eifriger Kletterer, dessen Bewegung an den Kreuzschnabel erinnerten. Auffällig war seine starke Fressbegier. Das Vorkommen dieser Vögel in unserem Vaterlande während des Sommers ist vielleicht auf folgende Weise zu erklären. Den Winter hindurch werden in vielen böhmischen Grenzorten Leinfinken gefangen und im Frühjahr wieder freigelassen, was auch im Januar d. J. der Fall war. Wahrscheinlich kam ein gefangenes Paar zu spät im Frühjahr frei und brütete infolgedessen bei uns, verließ aber dann die Jungen, welche sich den Zeisigen zugesellten. Da der Leinfink später an das K. Zool. Museum in Dresden abgegeben wurde — dort sich unter Nr. 14000 noch befindet — ist demnach an Helm, Seltene Brutvögel im Königreich Sachsen. 653 ein Brüten der Vögel in Sachsen ebenfalls nicht im geringsten zu be- zweifeln. Beide Leinfinkenarten haben bis jetzt weder in Altenburg noch in Östthüringen genistet. Dickfuß. Oedicnemus erepitans (Linn.). Bei der hohen Stufe, welche unser engeres Vaterland in Bezug auf den Stand seiner Landwirtschaft einnimmt, ist von vornherein schon zu erwarten, dass diejenigen Vogelarten, deren Vorkommen abhängig ist von Sümpfen oder unfruchtbaren Sand- und Haidegegenden, bei uns wohl schwerlich zahlreich anzutreffen sein werden. Im großen und ganzen ist dies auch der Fall. 'T'rotzdem beherbergt Sachsen auch in dieser Hinsicht mehrere interessante Arten, unter denen unstreitig der Dickfuß oder 'Triel in erster Linie unser Interesse in Anspruch nimmt. Durch die fortgesetzten Beobachtungen der einheimischen Ornis hat sich ergeben, dass auch dieser Vogel bei uns regelmäßig nistet, und zwar sind bis jetzt als Brutplätze bekannt geworden vor allen Dingen Nün- chritz bei Riesa, dann auch Altenbach bei Wurzen und Bautzen. Bei Altenbach nistete er 1888 auf den die Mulde umgebenden Hegern; über den Brutplatz bei Bautzen liegen nähere Angaben nicht vor, dass er aber dort nistet ist sicher; wurde doch ein noch nicht ganz flügger junger Triel von einem Hunde gefangen. In der Umgebung von Nün- chritz ist der T'riel oder „Regenvogel“, wie er dort allgemein heißt, schon seit 1888 als regelmäßiger Brutvogel beobachtet worden. Den Brutplatz bildet dort eine von einem kleinen Kiefergehölz eingeschlossene Sandfläche (in der Nähe der Elbe), welehe auch von Kiebitzen bewohnt wird. In allen bis jetzt dort untersuchten Nestern fanden sich stets 2 Eier. Die Vögel treffen am Brutplatze je nach der Witterung anfangs oder Mitte April ein und ziehen früher oder später im Oktober ab. In welcher Anzahl sie den Sommer in dieser Gegend verbringen, mag die 'T'hatsache beweisen, dass in Sept. wiederholt Scharen von 50—80 Stück angetroffen worden sind. In den beiden zum Vergleiche herbeigezogenen Nachbarländern kennt man den Dickfuß bis jetzt nur als Durchzugsvogel. Auch von den Schwimmvögeln haben sich einige Arten in Sachsen angesiedelt, welche in andern Ländern von ähnlicher Beschaffenheit durch- aus nicht zu den regelmäßigen Erscheinungen gezählt werden dürfen, so z. B. im Herzogt. Altenburg und in Ostthüringen, wo dieselben mit Aus- nahme der ersteren gänzlich fehlen. Es sind dies die Schnatterente, Schellente, Reiherente. Die Schnatterente. Anas strepera Linn. eine in Norddeutschland überhaupt seltene Art, hat seit 1868 die Teiche bei Eschefeld bei Frohburg und Hasselbach (zu Altenburg gehörig) be- zogen und bis jetzt daselbst diese Wohnplätze innebehalten. Zu geeigneten Zeiten, d.h. dann, wenn unsere Wildenten überhaupt leicht sichtbar sind, wird man auch heute noch auf den Frohburger und Hasselbacher Teeichen wohl niemals vergeblich nach dieser Art suchen. Die Schellente. Clangula glaucion (Linn.). deren Vaterland in Europa sich etwa von 70—58° n. Br, erstreckt und die weiter südlicher nur vereinzelt vorkommt, wurde bis jetzt als Brut- 654 Strasburger, Noll, Schenk u. Schimper, Botanik für Hochschulen. vogel aus der Umgebung von Kamenz (Milstrich) und von Klix (9 km nördl. von Bautzen) nachgewiesen. Von der Reiherente. Fuligula eristata (Leach.). endlich, welche in unserem Erdteile die Britischen Inseln, Skandinavien etwa von 60—70° n. Br., Russland nicht ganz von 60° an nach Norden zu bewohnt, aber sonst in Europa vereinzelt bis zum 50.° nach Süden geht, kennen wir als sichere Niststelle nur die großen zum Jagdschlosse Moritzburg gehörenden Teiche. Auf zweien derselben, dem sogenannten Dippelsdorfer Teiche und dem Schlossteiche, wurden wiederholt Enten- weibchen mit Jungen beobachtet, welche nur zu dieser Art gehört haben können. Uebrigens trifft man auf den dortigen Gewässern den ganzen Sommer hindurch Männchen und Weibchen dieser Entenart an. Dasselbe ist auch gegenwärtig auf den Frohburger Teichen der Fall, so dass also wahrscheinlich diese Art auch dort als Brutvogel vorkommt). Auch zeigte sich in den 60er Jahren die Reiherente den Sommer hindurch auf manchen Teichen der Lausitz, und die damaligen dortigen Beobachter vermuteten, dass sie dort brüte. Leider gelang es nicht, dies unzweifelhaft nachzu- weisen. Ordnet man die eben besprochenen Vogelarten nach ihrer geographi- schen Verbreitung, so ergibt sich, dass ein 'Teeil derselben, und zwar den schwarzbraunen Milan, die Sperbergrasmücke, „ Rotfußfalken, „ Steindrossel, „ Alpenmauerläufer, „ Schnatterente umfassend, „ Zwergfliegenfänger, m. 0. w. südliche Arten sind, eine Anzahl aber, nämlich der Sperlingskauz, der Bergfink, „ Rauhfußkauz, die beiden Leinfinken, die Sumpfohreule, die Reiher- & der Tannenheher, „ Schnatter- zu Vögeln gehören, die den Norden bewohnen, demnach in unseren engeren Vaterlande eine Reihe nördlicher und südlicher Formen zusammentreffen. [73] E. Strasburger, F. Noll, H. Schenk und A. F.W. Schimper, Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. Zweite umgearbeitete Auflage. Mit 594 zum Teil farbigen Abbildungen. Gr. 8. VI und 556 Stn. Jena, Gustav Fischer, 1895. Von diesem Lehrbuche, dessen erste, 1894 erschienene Auflage wir Bd. XV. S.254 angezeigt haben, liegt jetzt die nach etwa 15 Monaten notwendig ge- wordene zweite Auflage vor. Dass die Anlage im ganzen dieselbe geblieben ist, kann als selbstverständlich gelten. Trotzdem haben die Verfasser Ver- besserungen im Text vorgenommen; auch ist die Zahl der Abbildungen um 17 (darunter eine farbige) vermehrt worden. Das Lob, welches wir der ersten Auflage gespendet haben, können wir demnach hier nur auf das wärmste wiederholen. P. [81] 1) Ende Juli beobachtete ich täglich auf dem Gr. Teiche bei Frohburg 1 weibliche Reiherente mit 8 Jungen. Die Reiherente ist somit auch dort Brutvogel, Der Veıf. 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Frankfurt a. M. 655 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Frankfurt a. M. 21. bis 26. September 1896. Allgemeine Tagesordnung. Sonntag, den 20. September. Morgens 11 Uhr: Grundsteinlegung des Denk- mals Samuel Thomas von Soemmerings. Abends 8 Uhr: Begrüfsung im Saalbau (mit Damen). Liedervorträge des Sängerchors des Frankfurter Lehrervereins. Montag, den 21. September. Morgens 9 Uhr: I. Allgemeine Sitzung im grofsen Saale des Saalbaues. 1. Eröffnung durch den ersten Geschäftsführer der Versammlung, Herrn Geh. San.-Rat Prof. Dr. Moritz Schmidt. 2, Be- grüfsungsansprachen. 3. Mitteilungen des Vorsitzenden der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, Herrn Geh.- Rat Prof. Dr. Hugo von Ziemssen (München). 4. Vortrag des Herrn Prof. Dr. Hans Buchner (München): Biologie und Gesundheitslehre. 5. Vortrag des Herrn Geh. Hofrat Prof. Dr, Richard Lepsius (Darmstadt): Kultur und Eiszeit. Nachmittags 3 Uhr: Bildung und Eröffnung der Abteilungen. Wahl der Wahlmänner für den wissen- schaftlichen Ausschuss. Abends 7 Uhr: Festvorstellung im Opernhause; Vor- stellung im Schauspielhause. Nach denselben zwanglose gesellige Vereinigung. Dienstag, den 22. September. Morgens 9 Uhr: Sitzungen der Abteilungen. Nachmittags: Sitzungen der Abteilungen. Abends 6!|, Uhr: Festessen im Zoo- logischen Garten (mit Damen), nach demselben zwanglose gesellige Vereinigung daselbst. Mittwoch, den 23. September. Morgens 9 Uhr: Wahl des wissenschaft- lichen Ausschusses durch die Wahlmänner im grofsen Saal des Saalbaues. Ab- teilungssitzungen, bezw. gemeinsame Sitzungen verschiedener Abteilungen. Gemein- same Sitzung der Abteilungen der medizinischen Hauptgruppe im grofsen Saale des Saalbaues, morgens 9'/, Uhr. Vorsitzender: Herr Geh.- Rat Professor Dr. Wilhelm His (Leipzig). Zur Verhandlung kommen: „Die Ergebnisse der neueren Gehirnforschung“. Herr Geh.-Rat Prof. Dr. Paul Flechsig (Leipzig): Die Lokalisation der geistigen Vorgänge. Herr Prof. Dr. Ludwig Edinger (Frankfurt a. M.): Die Entwicklung der Gehirnbahnen in der Tierreihe. Herr Geh.-Rat Prof. Dr. Ernst von Bergmann (Berlin): Ueber Gehirngeschwülste. Nachmittags: Abteilungssitzungen, bezw. gemeinsame Sitzungen verschiedener Ab- teilungen. Abends 8!|, Uhr: Fest-Kommers (mit Damen) in der Landwirtschaft- lichen Halle, gegeben von der Stadt Frankfurt a. M. Donnerstag, den 24. September. Sitzungen der Abteilungen. Abends 8 Uhr: Festball im Palmengarten. Freitag, den 25. September. Morgens 9 Uhr: Geschäftssitzung der Gesell- schaft im grofsen Saale des Saalbaues. Morgens 9, Uhr: II, Allgemeine Sitzung daselbst. 1. Vortrag des Herrn Prof. Dr. Max Verworn (Jena): Erregung und Lähmung. 2. Vortrag des Herrn Dr. med. Ernst Below (Berlin): Die praktischen Ziele der Tropenhygiene. 3. Vortrag des Geh. San.- Rat Prof. Dr. Carl Weigert (Frankfurt a. M.): Neue Fragestellungen in der pathologischen Anatomie. Nachmittags: Ausflüge; 1. nach Darmstadt zum Besuch der technischen Hochschule (Besichtigung der neuen Institute) und der landwirtschaftlichen Ver- suchsstation; 2. nach der Lungenheilanstalt Falkenstein, der Volksheilstätte Ruppertshain und Königstein i. T.; 3. nach den Höchster Farbwerken zur Be- sichtigung der Serumabteilung; 4. nach Bad Soden a. T.; 5. nach Bad Nauheim, 656 68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Frankfurt a. M. Abends: 1. Zwanglose gesellige Vereinigung im Saalbau in Darmstadt. 2. Ge- sellige Vereinigung im Garten des Hötel Pfaff in Königstein i. T.; 3. Gesellige Vereinigung auf der Kurhausterrasse in Bad Soden a. T. 4. Gesellige Ver- einigung auf der Kurhausterrasse in Bad Nauheim. 5. Festkonzert der Museums- gesellschaft im grofsen Saale des Saalbaues in Frankfurt a. M. Sonnabend, den 26. September: 1. Tagesausflug nach Homburg v. d. H. 2. Tagesausflug nach Marburg i. H. 3. Vormittagsausflug nach Giefsen (eventuell mit dem Ausfluge nach Marburg zu verbinden). Uebersicht über die Abteilungen. 6. Abteilung: Botanik. 1. Prof. Dr. F. Buchenau in Bremen: a) Ein- heitlichkeit der botanischen Kunstausdrücke und Abkürzungen. b) Ueber die Blütenstände. — 2. Prof. Dr. @. B. De-Toni in Padua: Thema vorbehalten. Besichtigung des Botanischen Gartens, Palmengartens und der städt, Anlagen. 7. Abteilung: Zoologie. 1. Dr. med. A. Kraemer in Kiel, $. M. 8. „Gefion*: Die Bestimmung des Planktons mittels der Centrifuge und die damit erzielten Resultate in der Südsee und in den heimischen Gewässern. — 2. Dr. med. OÖ. Thilo in Riga: Die Stacheln der Fische, mit Demonstrationen an Prä- paraten und Modellen. Besichtigung des Senckenbergischen Museums. 8. Abteilung: Entomologie. 1. Entomolog Ludw. Kuhlmann in Frank- Jı.t a. M.: Thema vorbehalten. — 2. Direktor Dr. Seitz in Frankfurt a. M.: Der gestaltende Einfluss der Schmetterlinge auf das Antlitz der Erde. Besich- tigung der Lepidopteren-Sammlung des Zoologischen Gartens und diverser Privat- sammlungen. 10. Abteilung: Ethnologie, Anthropologie und Geographie. 1. Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. J. Rein in Bonn: Die Nordostküste der japanischen Insel Hondo und das Erd- und Seebeben von Kamaishi. — 2. Dr. med. O0. Cahn- heim in Dresden: Die Faröer (mit Demonstration photographischer Original- aufnahmen). — 3. Dr. med. W. Kobelt in Schwanheim: Zoogeographie des Mittelmeergebietes. 23. Abteilung: Anatomie. 1. Prof. Dr. Waldeyer in Berlin: Zur Kenntnis der Anatomie des knöchernen Beckens. — 2. Prof. Dr. Karlv. Barde- leben in Jena: Eine neue Theorie der Spermatogenese mit Demonstration von Präparaten von Monotremen, Beuteltieren und Mensch. — 3. Zahnarzt M. Mor- genstern in Frankfurt a. M.: Die Entwicklung des Zahnbeins unter dem Ein- flusse funktioneller Reize. — 4. Prof. Dr. Max Flesch in Frankfurt a. M.: Mikrochemische und biochemische Untersuchungen an Nervenzellen. 24. Abteilung: Physiologie. 1. Prof. Dr. A. Herzen in Lausanne: Thema vorbehalten. — 2. Dr. Ad. Jolles in Wien: Beiträge zur Kenntnis der Gallenfarbstoffe und Harnfarbstoffe. — 3. Dr. K. Kaiser in Heidelberg: Ueber die Natur der bei der Muskelkontraktion wirksamen Kräfte. — 4. Prof. Dr. H. Dreser in Göttingen: Thema vorbehalten. — 5. Dr. F. Blum in Frankfurt a. M.: Ueber das Protogen (Methylen- Albumin) und sein phystologesches Ver- halten. — 6. Prof. W. Prausnitz in Graz: Ueber die Menge der Nahrungs- bestandteile in den menschlichen Faeces. Prof. Dr. Moritz Schmidt, Prof. Dr. Walter König, Geheimer Sanitätsrat Dozent am physikalischen Verein I. Geschäftsführer. II. Geschäftsführer. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI Band. 15. September 1896. Nr. 18. Inhalt: Kogevnikov, Zur Frage vom Instinkt. — Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. — Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise in den Molukken und in Borneo, im Auftrage der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft auf Kosten der Rüppellstiftung ausgeführt von Prof. Dr. W. Kükenthal. — Spuler, Ueber das Vorhandensein von Schuppenbälgen bei den Schmetter- lingen. — Boulenger, Catalogue of the Snakes in the British Museum. — Imhof, Die Binnengewässer- Fauna der Azoren. Zur Frage vom Instinkt. Von G. Kogevnikov. Obwohl die Litteratur über den Instinkt eine sehr umfangreiche ist, fehlen hinsichtlich vieler höchst interessanter Fragen auf diesem Gebiete genaue Experimente. Daher glaube ich auf Interesse rechnen zu dürfen, wenn ich über neue Versuche Mitteilung mache, die den Zweck verfolgten, die Frage zu entscheiden, ob die Kunst, Waben zu bauen, ein den Bienen angeborener Instinkt ist, oder ob die jungen Bienen in dieser Kunst von den älteren unterrichtet werden. Auf die theoretische Wichtigkeit solcher Versuche wies schon Wallace in seiner „Natürlichen Zucehtwahl“ hin. Wie bekannt, drückte der Autor in dieser Arbeit die Voraussetzung aus, dass die Jungen Vögel das Bauen von den alten lernen, wobei er übrigens her- vorhob, dass diese Frage zu ihrer endgiltigen Lösung genauer Versuche bedürfe. Hinsichtlich der Bienen schrieb Wallace, man müsste Bienen- larven aus den Zellen nehmen und die ausgeschlüpften Bienen abge- sondert in ein großes Treibhaus mit zahlreichen Blumen setzen, die ihnen die erforderliche Nahrung lieferten, und dann beobachten, was für Waben sie bauen würden. Als ich im Sommer 1895 an meine Versuche ging, hielt ich es für unmöglich, dieselben unter so ungewöhnlich schwer erfüllbaren Be- dingungen vorzunehmen, wie Wallace sie beschreibt, glaube aber, XV. 42 658 Kogevnikov, Zur Frage vom Instinkt. Re dass die weiter unten beschriebenen Experimente auch ohne dass man die Larven aus den Zellen nimmt und ohne dass die Bienen in einem Treibhause isoliert werden, Bedeutung haben. Für meinen Versuch nahm ich einen nicht besonders großen Stock, der 6 Rahmen nach Langsrote’s System fasste. Dieser Stock wurde in ein Zimmer des von mir bewohnten Hauses, nahe der Fenster gestellt, und als die Bienen zu fliegen anfingen, blieb das Fenster beständig offen. Am 11./23. Juni wurden in den zum Versuch bestimmten Stock 4 Rahmen mit gedeckelter Brut, die nahe vor dem Auskriechen stand, gestellt. Außer der gedeckelten Arbeitsbienen- und Drohnenbrut be- fand sich in den Waben auch eine geringe Anzahl noch ungedeckelter Larven, sowie zwei gedeckelte und eine ungedeckelte Weiselzelle. Ferner war in den Zellen auf den Rahmen Honig und Bienenbrod, so dass der Stock mit allem versehen war, was zum Wohlergehen eines Schwarmes erforderlich ist. Bei der Aufstellung des Stockes befand sich in demselben keine einzige erwachsene Biene, aber sofort nach Einsetzung der Rahmen in den Stock kroch unter meinen Augen die erste junge Bewohnerin des Stockes aus der Zelle. Am andern Tage fand ich bei Besichtigung des Stockes auf allen Rahmen junge, schwache, kaum kriechende Bienchen, die Larven aber, welche zum Gedeckeltwerden reif waren, waren zur Hälfte aus ihren Zellen hervorgeschoben. Ich erkläre diese anormale Erscheinung folgendermaßen: unter normalen Verhältnissen wären die Larven in dieser Nacht gedeckelt worden, dieses geschah aber nicht, da die frischausgekrochenen Bienen noch nicht arbeitsfähig sind. Bekanntlich webt nach dem Gedecktwerden die Larve ihren Cocon, wobei sie sich in der Zelle umdreht. Obwohl sie ungedeckelt waren, führten die Larven dennoch instinktiv die ihnen für diesen Zeitpunkt eigentüm- lichen Bewegungen aus, und da sie keine Deckel über sich hatten, wurden sie infolge der Reibung an den Zellenwänden aus den Zellen hervorgeschoben. Einige lagen sogar auf dem Boden des Stockes. Am 16./28. Juni fand ich die ungedeckelte Weiselzelle gedeckelt: das war die erste von mir bemerkte Arbeitsleistung der jungen Bienen. Am 17./29. Juni bemerkte ich, dass eine Königin ausgekrochen war, doch ließ ich die beiden andern Weiselzellen einstweilen unberührt. Am 18./30. Juni fand ich die eine der Weiselzellen ein wenig aus- gebissen, und ich schnitt sie heraus; am 19. Juni (1. Juli) öffnete ich zum ersten Mal das Flugloch, und am 20. Juni (2. Juli) ward die zweite Weiselzelle von den Bienen selbst vernichtet vorgefunden, d. h. sie hatten, ohne einen Begriff vom Leben in einem Bienenstocke zu haben, so gehandelt, wie Bienen gewöhnlich in diesem Falle handeln. Zu Ende Juni (im halben Juli), als fast alle Brut ausgekrochen war, stellte ich in die Mitte des Stockes einen ganz leeren, neuen Rahmen, ohne ihn mit einem Wachsstreifen zu versehen, und nach zwei Tagen N Kogevnikov, Zur Frage vom Instinkt, 659 erwies sich, dass an demselben eine kleine, vollkommen richtige, ellip- tische Wabenzunge fertig gebaut war. Bei genauer Untersuchung der so erhaltenen Wabe stellte es sich heraus, dass die ersten Ver- suche der Bienen in der Baukunst bewiesen, dass sie sehon auf der Höhe dieser Kunst standen. - Die erste Mitteilung über meinen Versuch erschien in den „Mit- teilungen der Russischen Bienenzuchtgesellschaft“ (Westnik Russkago Obsehtschestwa Ptschelowodstwa), August und September 1895. Im April des Jahres 1896 erschien in einem andern russischen Bienen- journal „Russisches Bienenzuchtblatt“ (Russkij ptschelowodnyi Listök) eine Beschreibung ähnlicher Versuche des Stud. des Landwirtschaft- lichen Institutes zu Moskau W1. Butkewitsch, welcher dieselben eben- falls im Juni 1895 vorgenommen hatte. Die Bedingungen, unter denen er seinen Versuch anstellte, unterschieden sieh von den meinigen im Folgenden: er erzog die Bienen in einem besondern Stocke, in dem es keine alten Bienen gab, und setzte dann die ausgekrochenen Insekten in einen anderen Stock mit leeren Rahmen, auf deren oberen Brettchen jedoch ein kleiner Längsstreifen aus Wachs sich befand. Dieses Hineinbringen der jungen Bienen auf leere Rahmen macht den Versuch noch drastischer, da in diesem Falle die Bienen nicht Waben vor Augen haben, aber der Wachsstreifen bringt ein schäd- liches Element hinein. Das Endresultat des Butkewitsch’s Ver- suches war dasselbe wie das meinige. Interessant ist es, dass bei Butkewitsch’s Versuch die jungen Bienen, bevor sie in den leeren Stock gesetzt wurden, während sie auf den Waben saßen, in denen sich junge Brut befand, eine Weiselzelle zu bauen anfingen. Nimmt man an, dass der Anblick fertiger Zellen den jungen Bienen bei der Erbauung neuer Waben von Nutzen sein konnte, so fragt es sich doch, woher sie den Begriff der Weiselzelle genommen ? Mir scheint, dass man auf Grund der beschriebenen Versuche mit Sicherheit behaupten kann, dass die jungen Bienen, ohne jeg- liche Beeinflussung durch die alten, vollkommen regel- rechte Bauten ausführen können und dass das Beispiel und die Belehrung bei den Zustandebringen dieser so komplizierten Arbeiten gar keine Rolle spielen. Die An- nahme, dass der Anblick fertiger Zellen allein den Bienen zeigte, wie man sie zu bauen habe, hat wenig Wahrscheinlichkeit, denn um nach dem Aussehen der Zelle zu erkennen, wie man sie bauen müsse, er- fordert zum Mindesten die Kenntnis der Geometrie, wovon man gewiss bei der Bienen keineswegs sprechen kann, und außerdem, wenn es sich schon um die Erlernung der Bauweise handelt, würden jedenfalls die ersten Versuche des Baues unvollkommen ausfallen, da auch der Mensch nichts mit einem Male lernt. Ich habe mich, wie oben gesagt war, überzeugen können, dass die erste von den jungen Bienen erbaute 42* 660 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Wabe ein Muster von Vollkommenheit war, obwohl bei Bienen unregel- mäßige Bauten viel öfter vorkommen, als man gewöhnlich glaubt. Wir kommen somit zum Schlusse, dass die Fähigkeit, Wabenbauten auszuführen, eine den Bienen angeborene Fähigkeit ist. Ich will noch auf eine schon längst bekannte, aber doch sehr interessante Thatsache aus dem Leben der Bienen hinweisen, die als ausgezeichnetes Beispiel angeborenen Instinkts dienen kann. Wenn wir direkt aus gedeckelten Weiselzellen zwei Mutterbienen nehmen, die noch nichts gesehen haben, gar keine Lebenserfahrung besitzen, und sie zu einander setzen, so stürzen sie sofort aufeinander los und es beginnt ein Kampf auf Tod und Leben, der bald mit dem Unter- gange der einen von ihnen endet. Wenn wir die Weiselzellen vor dem Auskriechen der Mutterbienen aus der Wabe geschnitten haben und sie nicht im Stocke, sondern bei uns im Zimmer auskriechen lassen, beseitigen wir die Möglichkeit der Annahme, dass dieses tötliche Duell das Resultat der umgebenden Lebensverhältnisse ist, dass in seinem Zustandekommen die Arbeitsbienen irgend eine Rolle spielen u. s. w. Kann man diesen unbesiegbaren Drang (der unter den gegebenen Ver- hältnissen absolut sinnlos erscheint) sich gegenseitig zu töten, anders benennen als angeborenen Instinkt? Und dieser instinktive Mord, wenn er im Stocke in einem gewissen Moment des Bienenlebens stattfindet, kann als bewusste That, ja vielleicht sogar als vorher überlegte Hand- lung erscheinen. Bemerkenswert ist aber, dass, nach meinen Beobach- tungen, die Mutterbienen der kaukasischen (gelben) Rasse ohne Kampf zusammen sitzen können. [80] Moskau, 1./13. Juli. Anthropologische Arbeiten in Russland. Als Fortsetzung meiner Berichte im Centralblatt, XVI, Nr. 4, 1896, über die Abhandlungen von Schendrikowski (Anthropologie der Selenga’schen Burjäten, 1894) und von Wyschogrod (Anthropologie der Kabardiner, 1895) mögen hier weitere Berichte folgen: eine zweite Arbeit Porotow’s über die Burjäten und 2 Abhandlungen Gilt- schenko’s über die Kosaken des Kaukasus. M. T. Porotow, Zur Anthropologie der Burjäten. Die Alar-Bur- jäten. St. Petersburg 1895. 175 Seiten. 8. Mit 1 Taf. Doktor- Dissertation der K. Militär-Mediz.-Akademie zu St. Petersburg, Nr. 20, der Lehrjahre 1895/96. Trotzdem, dass erst vor kurzer Zeit eine Arbeit über die Burjäten veröffentlieht worden ist — eben die oben genannte Abhandlung von Schendrikowski, so fand der Verfasser es doch für angezeigt, seine Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 661 eigenen Untersuchungen hier mitzuteilen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Vor allem ist hervorzuheben, dass die Alar-Burjätent), die zuletzt aus der Mongolei eingewandert sind, am reinsten ihre Stammeseigentümlichkeiten sich bewahrt haben, während die oben be- zeichneten Selenga-Burjäten unzweifelhaft mit mongolischem Blut ge- mischt sind, so dass sie von einzelnen Forschern für reine Mongolen erklärt worden sind. Ferner hat Schendrikowski als Militär-Arzt männliche Individuen nur im militärpflichtigen Alter untersucht, während der Verfasser nicht allein Vertreter aller Lebensalter, d. h. auch Individuen vor der Mannbarkeit, sondern auch, was bisher nicht geschehen konnte, auch Burjätische Weiber untersuchen und messen konnte. Der Verfasser konnte 100 Männer und 40 Frauen untersuchen; seine Arbeit stieß vielfach auf Widerstand, — er hatte viel Hinder- nisse zu überwinden. Einst musste er den Schauplatz seiner Thätig- keit verlassen, weil eine Schamanin (Zauberin) das Gerücht ver- breitet hatte, die Messungen fänden nur statt, um einen geeigneten Platz zum Ausschneiden einer Partie Menschenfleisch festzustellen; das Fleisch sollte zur Anfertigung von Arzeneimitteln dienen. Dies Gerücht genügte, um die Burjäten zu veranlassen, sich der anthropologischen Untersuchung zu entziehen. — Besondere Schwierigkeiten boten die Untersuchungen resp. die Messungen der Burjäten-Frauen. — Der Verfasser verfuhr bei seinen Arbeiten nach dem Programm Tarenetzky’s, das auch die andern Autoren ihren Messungen und Beobachtungen zu Grunde gelegt haben (S. 6—12). Als Einleitung gibt der Verfasser einige Bemerkungen über die Geschichte und über die Einteilung resp. Administration der Burjäten (S. 135—19). Wir können diesen Abschnitt ebenso übergehen, wie die folgenden geographischen Skizzen (S.20—26) und die ethnographischen Schilderungen (S. 27—66). Hieran schließen sich die anthropologischen (S. 67—90) und die anthropometrischen Untersuchungen (8. 91-160). Wir entnehmen diesem Abschnitt folgendes: Der Ernährungszustand der Burjäten ist gut; von untersetzter Gestalt, mit breiter Brust, mit ziemlich gut entwickelter Muskulatur, insbesondere der oberen Extre- mitäten, machen sie den Eindruck eines plumpen, aber kräftigen Orga- nismus. Eine Neigung zur Fettbildung ist nicht häufig, eine mäßige 1) Mit dem Namen Alar-Burjäten werden diejenigen Burjäten bezeichnet, die das Gebiet des Oberlaufes der großen Belaja bis zur Aufnahme des Neben- flusses Urik, das Gebiet des Flusses Urik und zum Teil der kleinen Belaja einnehmen. Die beiden Belaja sind linksseitige Nebenflüsse der aus dem Baikal-See kommenden und in den Jenissei einmündenden Angara. Während dieSelenga-Burjäten in Transbaikalien östlich vom Baikal leben, sind die Alar-Burjäten in Cis-Baikalien westlich vom Baikal ansässig. 662 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. u Fettansammlung nicht selten. Unter den registrierten Individuen waren 45°, gut ernährt, 52°), mittelmäßig, 3°, schlecht ernährt. Die Hautfarbe ist bei den Burjäten im Allgemeinen nicht weil, sondern brünett (bräunlich). Unter den Männern waren 2°, sehr brünett, 52°], mittel-brünett, 36°, leicht-brünett, nur 10°/, weiß. Unter den Weibern waren mittel-brünett 50°/,, leicht-brünett 35°%,, weiß 15°,. Die Farbe der Augen (Regenbogenhaut). Der Verfasser unter- scheidet 5 verschiedene Kategorien: 1. dunkelbraun, 2. mittelbraun, 3. hellbraun, 4. graubraune und 5. graue. Unter den dunkelbraunen finden sich wohl einige fast schwarze, doch ist immerhin die kastanien- braune Farbe überwiegend. Mittelbraun sind 50°/,, hellbraun 26°, dunkelbraun 8%, und nur 2%, graue. Im Gegensatz dazu sind die Augen der Selenga-Burjäten heller. Unter den Weibern der Burjäten finden sich mit dunkelbraunen (schwarzen) Augen 27,5°%,, mit mittel- braunen 52,5°,, mit hellbraunen 17,5°,, mit graubraunen 2,5°%,. — Danach sind die Augen der Weiber im Allgemeinen dunkler als die der Männer. Die Farbe der Haare ist bei den Alar-Burjäten schwarz, und nur selten finden sich braune. schwarz schwarz braun hellbraun (blond) mit rotem Schimmer Männer: 84 9, Lin an 2% Weiber: 825, ae 25, “ Die Männer tragen das Haupthaar kurz, 1—3 em; bei den jungen Individuen sind die Haare sehr dicht; nach dem 50. Lebens- jahre fangen die Haare an zu schwinden, doch hat der Verfasser keine Glatzköpfe gesehen. Die Haare sind dieht, grob und grade (steif), nur zwei Individuen hatten etwas lockiges Haar. Die Haare werden sehr spät grau. Die Mädchen tragen lange Haare und flechten sie in einen Zopf; zur Hochzeit aber werden statt eines Zopfes 18 kleine Zöpfe geflochten, die /,—1 Jahr getragen werden, dann flechten die Weiber das Haar zu 2 Zöpfen, die bis ans Lebensende getragen werden. Auch die Haare der Weiber ergrauen sehr spät. Die Barthaare erscheinen bei den Alar-Burjäten sehr spät; bei 28°, im Alter von 19—44 Jahren fand sich kein Schnurrbart; Beginn eines Schnurrbarts bei 42% ,; vollständig ausgebildeter Schnurrbart nur bei 30°,. Lebensalter kein Schnurrbart Beginn Ausgebildet 10-29 Jahr bei 2567,50), 1232,59, 6: 30—39 „ e 2—18,8 „ 10-—-58,8 „ 5—29,9°], 40-49 „ ARE her 50-59 „ R 2 Hegel 8615 „ 60—69 ” ” „ „ 7—100 ” r» (4 ” ” PP] 1 N Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 663 Die Farbe des Schnurrbarts war bei 89°/, schwarz, bei 9%, dunkel- rot, bei 1°, hellbräunlich, bei 1°, braun. Ein Bart fehlte der Hälfte aller Männer (51°%,); Anfang eines Bartes zeigten 32°/,; ein voller Bart war nur bei 17°,. Die Farbe der Barthaare war bei 94°, schwarz, bei 4°, mit rötlichem Schimmer, bei 1°/, braun und bei 1°/, hellbraun. Die Form des Gesichts ist bei Männern im Allgemeinen breit; bei 20°, ist sie rundlich, bei 41°, oval, und bei 39°, länglich; das Profil des Gesichts erscheint orthognath; nur in 2 Fällen war Prognathie des Oberkiefers und in 4 eine unbedeutende Prognathie des Unter- kiefers vorhanden. Bei den Weibern ist die Form des Gesichts mehr gerundet; sie ist rundlich bei 25°/,, oval bei 52°%,, länglich bei 22,5°|,. Bei Männern ist die Nasenwurzel sehr schwach ausgebildet, in einem Fall schien sie fast zu fehlen. Bei den Weibern ist das Zurücktreten der Nasenwurzel noch auf- fallender, ein Fehlen ist in 32°], vermerkt. Das Gesicht sieht in Folge dessen so aus, als sei es in seinem mittleren Teil eingedrückt. Die Augenlidspalte soll nach der Angabe der früheren Autoren bei allen Burjäten schief gestellt sein. Misst man jedoch mit einem Instrument, so findet man, dass in 55°, bei Weibern und Männern die Spalte horizontal liegt, und nur in 45°, die lateralen Augenlidwinkel etwas höher als die medialen stehen. Ein drittes Augenlid, das bei Vertretern der Kaukasiscken Rasse nur im Kindesalter beobachtet wurde, findet sich bei den Männern in 26 und bei Weibern in 24,5°|,. — Die Form der Nase wird von Schendrikowskj (Selenga- Burjäten) als klein, niedrig und plattgedrückt bezeichnet. Der Verf. hat die Nase der Alar-Burjäten mit Grundlegung der Figuren- Tabellen untersucht, die im anthropometrischen Bureau (St. Petersburg benutzt wird (ef. Bertillon). Es werden drei Hauptformen der Nase unterschieden: 1. Nasen mit nach oben gerichteter Spitze, 2. mit horizontal liegender und 5. mit nach unten gerichteter Spitze. In jeder der drei Hauptformen gibt es weitere 5 (gleiche) Unterabteilungeu, die die ver- schiedene Form des Nasenrückens hervorheben. (Der Rücken ist konkav, gradlinig, konvex gekrümmt, die Konvexität beginnt dieht unter der Nasenwurzel, der Nasenrücken ist wellig.) Demnach ist die Nasenspitze nach oben gerichtet bei 53°/,, horizontal gelegen bei 36°,, nach unten gerichtet bei 11°/,. Aus einer Zusammenstellung ergibt sich, dass am häufigsten vorkommt eine Nase mit nach oben gerichteter Spitze 53%, und mit gradem Rücken 33%. Der Mund der Burjäten ist im Gegensatz zu der Ansicht anderer Autoren, die ihn als groß bezeichnen, im allgemeinen als mittelgrols 664 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland, (59°/,), selten klein (26°,) und sehr selten als groß (15°%,) zu be- zeichnen. Auch bei den Weibern überwiegt ein mittelgroßer Mund (55°/,), ein kleiner Mund ist selten (25°/,), ebenso ein großer (20°|,). Die Zähne sind bei Männern von mittlerer Größe 61°/,, selten klein 20°/,, oder groß 19°/,, bei Weibern von mittlerer Größe 50°%,, kleine und große Zähne 25°,. Eine besondere Eigentümlichkeit der Zähne ist das Abgeschliffensein der Kaufläche, aber auch der vorderen, labialen Fläche der Schneidezähne, bei 16°/, der Männer und bei 10%, der Weiber. Es scheint nicht die Art des Speisens, auch nicht die Art des Kauens die Ursache zu sein, sondern vielleicht nur die be- sondere Größe der oberen Schneidezähne. Die Ohrmuschel ist ziemlich groß, erscheint lang, die Umfangs- linie (helix) ist gut entwickelt. Bei 52°, der Männer, 42,5%, der Weiber sind die Ohren vom Kopf abstehend, bei 9°, der Männer wie der Weiber war der obere Teil dem Kopf angedrückt, der mittlere Teil abstehend, bei 39%, war nichts besonderes zu bemerken. Bei 5%, der Männer wie der Weiber war der obere Teil der Muschel etwas gugespitzt. — Es hängt das Abstehen der Ohren aber nicht von der Kopfbedeckung ab; die Mädchen binden sich ganz kleine einfache Tücher um und haben doch abstehende Ohren. Das Hinterhaupt der Burjäten ist im Allgemeinen wenig ent- wickelt, ist meist so flach wie abgehauen. Die Squama ossis oceipitis ist uneben, man kann allerlei Unebenheiten sehen, insbesondere bei Männern; bei Weibern ist das Hinterhaupt größer, regelmäßiger, nicht so uneben. Nach der geläufigen Ansicht ist das Liegen der Neuge- borenen in der Wiege und eine künstliche Binde die Ursache der Deformation. Von einer künstlichen Deformation ist unter den Bur- jäten nichts bekannt. Das Liegen in der Wiege (1'/,—2 Jahre) kann unzweifelhaft als Ursache der Deformation des Hinterhaupts beschuldigt werden; doch ist es auffallend, dass trotz des gleichen Einflusses bei Mädchen und Knaben die Weiber kein so verbildetes Hinterhaupt haben wie die Männer. Zum Schlusse dieses Abschnitts gibt der Verfasser folgende Ueber- sicht: Alar-Burjäten. Männer Weiber Ernährungszustand ein ziemlich guter ein mittlerer. Hautdecke . . . . mittelbraun, in höchst mittelbraun, heller als die selten Fällen Sommer- Männer, in 1°/, aller sprossen Fälle Sommersprossen. Augenfarbe. . . . mittelbraun mwittelbraun, dunkler als die Männer. Haare . .. ..... schwarz, rauh, schlicht, schwarz, rauh, schlicht vom 40. Jahr ab grau vom 45. Jahr ab grau. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 665 Schnurrbart Bart Augenbrauen : Körper - Behaarung Gesichtsform Augenlidspalte Nase Lippen Mund. Zähne Ohr. Hinterhaupt Männer schwarz, straff, spärlich, tritt spät (im 30. Lebens- Jahr) auf, wird fast nie grau schwarz, straff u, schlicht, spärlich, ergraut, spät und selten schwarz, straff, spärlich sehr gering länglich oval der laterale Augenwinkel liegt erhöht in einem Drittel aller Fälle, eine Plica semilunaris (Pal- pebra tertia) von mittlerer Größe, mit nach oben gerichteter Spitze und gradem Rücken von mittlerer Größe, fast als dünn zu bezeichnen klein mittlerer Größe gewöhnlicher Größe, in der Hälfte aller Fälle abstehend wenig entwickelt Weiber schwarz, rauh, schlicht vom 45. Jahr ab grau. ” schwarz, straff, spärlich. sehr gering. oval. in einem Drittel aller Fälle der laterale Augenwin- kel höher. mittlerer Größe, Spitze nach oben, Rücken kon- kav. mittlerer Größe, zu dick. klein. mittlerer Größe. weniger abstehend als bei den Männern. besser entwickelt als bei den Männern. Anthropometrische Ergebnisse. Körpergröße. Auf Grund der an 100 Männern gemachten Mes- sungen beträgt die Körpergröße im Mittel 163,6, Min. 151,6, Max. 179,3, Diff. 27,7 cm. In Gruppen geordnet, ergibt sich Körpergröße in em 151,6. 152,5—155,0. 155,0—157,0. 157,5—160,0. 160,0— 162,5. 162,5—165,0. 165,0—167,6. 167,5—170,0. 170,0—172,5. 172,5—175,0. 175.02175. 177,5 119,3. Zahl der Gemessenen 1 ” ” 6 ” ” 10 „ ” 1 1 » » 14 ” p) 19 ” ” 19 ” ” 6 , rD] 1 1 ” r] 1 n ” 666 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Die größte Zahl fällt auf die Maße 162,5 — 167,5 (28°/,). Bezeichnen wir eine Körpergröße, die mehr als 170,0 em beträgt, als’ hoch, von 170,0—165,0 mit mehr als mittel, von 165,0-—160,0 unter dem Mittel, und unter 160,0 mit niedrig, so ergibt sich für die Alar- Burjäten eine Körpergröße unter dem Mittel bei 61°/,, während über der Mittelgröße 39°/, stehen. Das stimmt mit den gewöhnlichen Angaben, dass die asiatischen Völker im Allgemeinen eine niedrige oder mindestens unter dem Mittel stehende Körpergröße haben. Selenga - Burjäten im Mittel 163,1 em Kalmücken a Torgouten lln-tn 1683 „ Alar- Burjäten uses Chinesen 5133 „snfodl63.00 Indochinesen eine ne Kirgisen er 66:3 ,85; Auf Grund der Formel m — berechnet der Verfasser die Oscillations-Exponenten für die Alar-Burjäten mit 4,28; demnach ist die Körpergröße im Mittel 163,2—4,28 em. Mit Rücksicht auf den ziem- lich hohen Exponenten schließt der Verfasser, dass dem Blut der Alar-Burjäten noch ein anderes fremdes Element beigemischt sei. Die 40 gemessenen Weiber hatten eine Körpergröße im Mittel von 151,81 em, demnach 11,4 cm geringer als die Männer. Nach Topinard beträgt der Unterschied im Allgemeinen ca. 12 cm, Min. 151,2, Max. 163,7, Osecillations-Exponent von 3,75, demnach 151,8—3,75 em. Der Brustumfang bei 100 Männern im Mittel 88,6 em (bei den Selenga-Burjäten 84,4 em); er übertrifft die Hälfte der Körper- größe (163,7) um 7 cm. Der bedeutende Unterschied zwischen den Selenga- und Alar-Burjäten hat seinen Grund wohl in erster Linie in dem entschieden guten Ernährungszustande der Alar-Burjäten, dann aber auch in der Art und Weise des Messens. Giltschenko hat den Brustumfang bei erhobenen Armen, der Verfasser bei horizontal ausgestreckten Armen gemessen. Das Verhältnis des Brustumfangs zur Körpergröße ist — 54,26 (bei Selenga-Burjäten 51,75). Bei den 40 gemessenen Weibern beträgt der Brustumfang im Mittel (in der Höhe des 4. Interkostalraums gemessen) —= 80,8 em, Max. 90,6, Min. 71,6, Unterschied 18,4, Oseillations- Index 4,31; dem- nach Mittel 80,83—4,31, Verhältnis zur Körpergröße 53,2 em. Der Abstand zwischen den Brustwarzen bei Männern beträgt im Mittel 20,33, Max. 25,5, Min. 17,3 cm. Der Hals vom Pomum Adami bis zur Ineisura manubri sterni beträgt bei Männern 6,7 em, Max. 8,9, Min. 4,4, Verhältnis zur Körper- größe 3,8 cm. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 667 Die Länge des Halses bei Weibern ist im Mittel 5,63 em, Max. 8,0, Min. 3,8, Verhältnis zur Körpergröße 3,69 em. Rumpflänge bei Männern (100) im Mittel 51,4, Verhältnis zur Körpergröße 31,4, Max. 59,2, Min. 46,5, Differenz 12,7, Oscillations- Index 1,90 em. Bei Weibern im Mittel 47,97, Verhältnis zur Körpergröße 31,61, Max. 50,9, Min. 43,3, Diff. 7,6, Oscillations-Index — 1,57 em. Abstand des obern Randes der Symphysis ossis pubis vom Fußboden ist beiMännern S1,0 em, Oseillations-Index 32,3, Max. 90,7, Min. 73,2, Differenz 17,5, Verhältnis zur Körpergröße 49,66 em. Bei Weibern im Mittel 74,4, Oscillations-Index 26,0, Max. 82,6, Min. 65,2, Diff. 17,4 cm. r Abstand des Perineums konnte nur unter großen Schwierig- keiten bei 70 Männern und 7 Weibern gemessen werden. Der Abstand beträgt bei 70 Männern im Mittel 74,15, Verhältnis zur Körpergröße 45,46, Max. 80,3, Min. 66,8, Diff. 13,5 em. Dies Maß wird selten genommen; es fehlt z. B. für die Selenga- Burjäten; bei den Torgouten beträgt das Maß 76,7, bei den Kuldscha- Kalmücken 75,94 em. Für die 7 gemessenen Weiber beträgt das Maß im Mittel 66,06, Min. 60,3, Max. 72,2 cm. Die Schulterbreite (der Abstand der Acromia von einander) beträgt bei 100 Männern im Mittel 35,7, Oseillat.-Index 12,0, Max. 41,5, Min. 32,4, Diff. 9,1 em. Die Schulterbreite bei 40 Weibern gemessen gibt im Mittel 32,6, Oseillat.-Index 13,2, Min. 28,4, Max. 35,1, Diff. 6,7 cm. Verhältnis zur Körpergröße 31,47°], (bei Männern 21,30°1,). Der Bauchumfang beträgt bei 100 Männern im Mittel 79,2, Osecillat.-Index 4,41, Max. 11,1, Min. 69,3, Diff. 41,7 em; bei 37 Weibern im Mittel 79,48, Oseill.-Index 4,21, Max. 94,0, Min. 70,7, Diff. 23,5 em, das Verhältnis zur Körpergröße ist 52,29], (bei Männern 48,58°|,.) — Demnach ist bei Weibern der Bauchumfang größer, bei Männern kleiner als die Hälfte der Körpergröße. Becekenbreite (Hüftenbreite), der größte Abstand zwischen den beiden Cristae ossis ilei, beträgt im Mittel bei 100 Männern 27,9, Öseill.-Index 0,29, Verhältnis zur Körpergröße 17,05, zur Schulter- breite 78,17, Max. 31,5, Min. 24,5, Diff. 7 cm. Die Beckenbreite bei 40 Weibern gemessen beträgt im Mittel 28,22, Oseill.-Index 0,90, Verhältnis zur Körpergröße 18,59, zur Schulterbreite 86,56, Max. 31, Min. 26,2, Diff. 4,8. Im Vergleich zu dem Maße der Beckenbreite, wie es in der Geburtshilfe als Norm angenommen ist, 29 em, ist die Becken- breite der Alar-Burjäten fast um 1 cm geringer. Die Conjugata externa bei 40 Weibern gemessen (mit Hilfe des Beckenmaßes Colin’s) beträgt im Mittel 19,42 em (als Norm wird gewöhnlich angenommen 20—21 em), Oseill.- Index 0,70, Max. 21,5, 668 Stieda, Anthropologische Arbeiten in-Russland. Min. 18 cm. — Der Abstand der großen Trochanteren von einander, bei 20 Weibern gemessen, beträgt im Mittel 29,67, Osecill.-Index. 0,63, Min. 28,35, Max. 31 em (als normal gewöhnlich angenommen 31 cm). Die Conjugata vera konnte nicht gemessen werden, immerhin konnte nur aus dem vorliegenden Maße geschlossen werden, dass die Bur- jJätinnen im Allgemeinen ein gleichmäßig verengtes Becken haben. Die Klafterweite beträgt im Mittel (bei 97 Individuen) 168,5 em, übersteigt die Körpergröße folglich um 5,4 em; das Verhältnis zur Körpergröße ist demnach 103,3°/,. Max. 183, Min. 152,5 cm. Bei den Selenga-Burjäten ist die Klafterweite noch größer, 170,2 em; das Ver- hältnis zur Körpergröße ist 104,355 em. Die Klafterweite bei 38 Weibern beträgt im Mittel 157,37 em, Max. 167, Min. 142,2, Diff. 24,3 em; das Verhältnis zur Körpergröße 103,72°],. Die Extremitäten. Die Länge der oberen Extremität wurde bestimmt, indem das Maß der Entfernung der Spitze des Mittelfingers vom Fußboden abgezogen wurde von dem Maße der Entfernung des Acromion vom Fußboden. Die Länge beträgt bei 100 Männern im Mittel 72,49 em; Verhältnis zur Körpergröße 44,38°/,. Min. 65,9, Max. 80, Diff. 14,1 em. Die Länge beträgt bei 40 Weibern im Mittel 67,42 em; Verhältnis zur Körpergröße 44,41°],. Min. 60,4, Max. 72,2 cm. Bemerkenswert ist die verschiedene Länge der oberen Extremität im Vergleich mit dem Lebensalter bei Männern und bei Weibern. Alter Länge des Arms Zahl der Indiv. Männer: 19—29 Jahr 18-91 31 30—39 ,„ 72,46 1% 40—49 „ 72,16 27 50—59 „ 72,62 13 60—74 „ 72,08 8. Verhältnismäßig am längsten sind danach die Arme bei den jüngsten Individuen; nach dem 3. Lebensdecennium bis zum späten Lebensalter werden die Arme kürzer. Lebens-Alter Länge des Arms Zahl der Indiv. Weiber: 18—29 Jahr 66,75 7 30—39 „ 66,85 8 40—49 „ 67,67 18 50—63 , 67,97 Ye Also bei Weibern werden die Arme mit dem späteren Lebensalter länger, im Gegensatz zu dem Verhältnis bei Männern. Eine Erklärung dieser merkwürdigen Thatsache, wenn sie sich anders bestätigen sollte, ist vielleicht darin zu suchen, dass die Burjätinnen in der Jugend viel körperliche Arbeit zn leisten haben. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 669 Oberarm. Das Maß wurde dadurch gewonnen, dass das Maß der Entfernung des Condylus ext. humeri vom Fußboden abgezogen wurde von dem Maße der Entfernung des Acromions vom Fußboden. Die Länge des Oberarms beträgt bei 100 Männern im Mittel 31,17 cm; das Verhältnis zur Körpergröße ist 19,11°/,. Min. 27,6, Max. 34,5 cm. Bei 40 Weibern im Mittel 28,18 em; Verhältnis zur Körpergröße 18,56 %,. Min. 25,1, Max. 31,9 em. Die Malse sind demnach, sowohl absolut wie relativ, geringer als bei Männern. Vorderarm. Das Maß wurde dadurch gewonnen, dass das Maß der Entfernung des Proc. styloideus radii vom Fußboden abgezogen wurde von dem Maß der Entfernung des Condylus externus humeri vom Fußboden. Die Länge des Vorderarms bei Männern beträgt 23,84 em; das Verhältnis zur Körpergröße ist 14,61°/,. Min. 21,1, Max. 27,5, Diff. 6,4 em. Bei den Weibern beträgt die Länge 22,0 cm; das Verhältnis zur Körpergröße 13,48°/,. Min. 18,3, Max. 23,9 cm. Der Vorderarm der Burjäten ist relativ wie absolut größer als bei den Burjätinnen. Die Hand. Die Länge wurde dadurch bestimmt, dass das Maß der Entfernung der Spitze des Mittelfingers vom Fußboden abgezogen wurde von dem Maß der Entfernung des Proc. styloideus radii vom Fußboden. Die Länge der Hand beträgt bei Männern im Mittel 17,98 em; das Verhältnis zur Körpergröße 11,02. Min. 16,1, Max. 20,3 em. Bei den Weibern beträgt die Länge der Hand im Mittel 16,90; das Verhältnis zur Körpergröße ist 11,13°/,. Min. 14,1, Max. 18,4 cm. Die Hand der Burjätinnen erscheint sehr lang und sehr schmal und hat lange, dünne Finger, lange schmale Nägel. Die Muskulatur ist schwach entwickelt. — Die Hand ist absolut bei Männern größer, relativ aber kleiner als bei Weibern (11,02 und 11,13). Die untere Extremität, das Bein. Die Länge des Beins wurde bestimmt durch die Entfernung des oberen Randes des Trochanter major vom Fußboden; sie beträgt bei Männern im Mittel 83,0 cm; das Verhältnis zur Körpergröße ist 50,85 °/,. Min. 73,5, Max. 91,7, Diff. 18,2 em. Bei den Weibern beträgt die Länge des Beins 76,45 cm; das Verhältnis zur Körpergröße 50,55. Min. 67,2, Max. 82,5. Die Weiber haben ab- solut wie relativ kürzere Beine als die Männer. Der Oberschenkel. Die Länge wurde gewonnen dadurch, dass man von der Entfernung des Troch. major vom Fußboden die Ent- fernung des Condylus ext. femoris abzog. Das Maß beträgt bei Män- nern im Mittel 41,03 em; Verhältnis zur Körpergröße 25,77. Max. 46,4, Min. 34,5, Diff. 11,9 em. Bei Weibern ist die mittlere Länge 37,25 em; das Verhältnis zur Körpergröße 24,54. Min. 32,7, Max. 40,6 em. Die Länge des Beins ist bei Männern absolut und relativ größer als bei Weibern. 670 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Der Unterschenkel. Die Länge wurde dadurch gewonnen, dass das Maß der Entfernung des Malleolus lateralis vom Fußboden von der Entfernung des Condylus ext. fem. vom Fußboden abgezogen wurde. Die Länge beträgt im Mittel 37,22 em; das Verhältnis zur Körper- größe 22,82. Max. 42,2, Min. 33,2, Diff. 9 em. Bei den Weibern ist die Länge 34,11 cm; das Verhältnis zur Körpergröße 22,33. Max. 36,7, Min. 29,6, Diff. 8,8 em. Die Länge des Fußes; sie wurde gemessen durch die Entfer- nung des Endes der großen Zehe von der Ferse. Sie beträgt bei Männern 24,73 cm; Verhältnis zur Körpergröße 15,16. Max. 27,2, Min. 22,9, Diff. 4,3 em; bei Weibern 22,31 cm; Verhältnis zur Körper- größe 14,69. Min. 20,9, Max. 23,9, Diff. 3 em. Der Fuß der Männer ist absolut und relativ größer als der der Weiber. Der Kopf. Die Länge des Kopfes beträgt im Mittel bei den Burjäten 188,0 mm; Verhältnis zur Körpergröße 11,52°/,. Min. 173 mm, Max. 208 mm (Malijew gibt im Mittel die Länge des Schädels auf 178 mm an). Bei den Selenga-Burjäten . . beträgt die Kopflänge 180,3 mm bei den Kalmücken . . . “ 5 a 188,0°,;, bei den Weibern der Alar- Bunte P 5 a 182,2. 0 Verhältnis zur Körpergröße 11,01. Min. 172, Max. 192 mm. Bei einem Vergleich zwischen dem ehe und weiblichen Kopf ergibt sich, dass die Minima einander fast gleich sind, 172 und 173 mm; die Maxima um 16 mm größer bei Männern als bei Weibern. Die absolute Länge des Kopfes ist bei Männern größer, die relative Länge bei Weibern. Die Breite des Kopfes beträgt bei Männern im Mittel 154,6 mm; das Verhältnis zur Körpergröße 9,47. Min. 140 mm, Max. 165 mm (Malijew fand die Schädelbreite 159,6 mm). Die Breite des Kopfes bei Weibern ist im Mittel 147,1 mm; Verhältnis zur Körpergröße 9,69. Min. 137, Max. 160 mm. Die Kopfbreite ist bei den Männern absolut größer als bei den Weibern, relativ aber bei den Weibern größer als bei den Männern. Die Weiber haben demnach im Vergleich zu ihrer Körpergröße einen größeren Kopf als die Männer. Der Kopfindex ist im Mittel 82,4; Min. 71,4, Max. 91,4 cm. Dolichocephal . . 71—74,9 . . 2 Prozent Mesocephal . . . 75-199 . . 26 = Brachycephal . . 80-849 . . 49 n Hyperbrachycephal 85—89,9 . . 21 a Ultrabrachycephal 90-914 . . 2 Der Oseillations-Index (Ihering) ist 3,1; demnach im Mittel 82,4—3,1; aus dem hohen Index muss geschlossen werden, dass der Typus der Rasse nieht ganz rein ist. Malijew bestimmte den Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 671 Schädelindex der Burjäten auf 89,6; der Kopfindex der Selenga - Bur- jäten ist 88,4; der Unterschied zwischen den Alar-Burjäten 82,4 und den Selenga-Burjäten ist demnach sehr beträchtlich und weist auf gewisse Stammesverschiedenheiten hin. Doch lässt sich darüber nichts Sicheres aussagen. Der Kopfindex der Torgouten ist 84,68. „ Kalmücken „ 84,31. Der Ver kasser et dann auf Topinard (4. Auflage, 1884, S. 245), nach dessen Mitteilungen der Cephalindex der Biensolen 81,40 sei, und meint, seine Zahl 82,40 käme derjenigen Topinard’s am nächsten. Allein es muss hier, wie sonst, hervorgehoben werden, dass Topinard (eigentlich Broc 2. hier Schädel im Sinn hat, und kun Kopfindex und Schädelindex ein Unterschied gemacht werden muss (Topinard 8.355). Bei den Burjätinnen ist der Kopfindex 80,7. Min. 72,° Max. 87. Beim Vergleich des Kopfindex der Männer und Weiber finden wir, dass der der Männer größer ist (82,4) als der der Weiber (80,7); dass die Männer der Mehrzahl nach brachycephal sind (49°/,), während die Mehrzahl der Weiber (45°/,) mesocephal ist. Es ist dies jeden- falls eine sehr auffallende 'Thatsache, die einer Erklärung bedarf. Ref. möchte vor allem darauf hinweisen, dass die Zahl der gemessenen Weiber (40) zu gering erscheint, um sie mit den Männern zu ver- gleichen. Vielleicht würde bei einer größeren Anzahl das Ergebnis doch ein anderes sein. Wenn nicht, so müsste auch hier auf eine fremdartige Beimischung zum Typus der Alar-Burjäten geschlossen werden. Die Höhe des Kopfes ist bei den Männern im Mittel 130 mm, Max. 146, Min. 112 mm. Längenhöhenindex 69,15. Der Kopf ist dem- nach platycephal. Breitehöhenmesser ist 83,87. Bei Weibern ist die Kopfhöhe 123,1 mm, Min. 112 mm, Max. 135 mm. Längenhöhen- index 83,67. Der Kopfumfang ist bei den Männern im Mittel 569 mm, Min. 5350, Max 612 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 34,9°/,. Die Burjäten-Schädel haben, nach Melijew gemessen, einen Horizontal- umfang von 540,03 mm. Der Kopf der Torgouten 543, der Kalmücken 560 mm. Bei den Weibern ist der Kopfumfang 558,2 mm, Min. 532,0, Max. 538 mm. Verhältnis zur Körpergröße 36,57. Gesichtslänge (von der Nasenwurzel bis zum Kinn) bei den Männern im Mittel 123,5 mm. Verhältnis zur Körpergröße 7,5. Min. 112, Max. 145 mm. Bei den Weibern 116,7 mm, Min. 111, Max. 126 mm. Gesichtsbreite zwischen den am me Vorspringenden Wangen- beinhöckern, bei Männern im Mittel 146,9. Verhältnis zur Körper- größe 9,01. Min. 134, Max. 160 mm. Bei den Weibern ist die Ge- sichtsbreite im Mittel 137 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 9,0. 672 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Min. 128, Max. 145 mm. Gesichtsindex bei Männern 84,07, bei Wei- bern 85,06. Das Gesicht ist demnach mesoprosop. Die Nase. Länge (Höhe) der Nase bei Männern im Mittel 53,6 mm, Min. 47, Max. 62 mm. Verhältnis zur Körpergröße 3,37. Bei Weibern im Mittel 51,5 mm, Min. 46, Max. 56,0 mm. — Die Breite der Nase (Abstand der Nasenflügel) bei Männern 38,6 mm, Min. 34, Max. 48 mm. Verhältnis zur Körpergröße 2,36. Bei Weibern im Mittel 34,8 mm, Min. 31, Max. 42 mm. Die Nase der Weiber ist im Vergleich mit der der Männer von gleicher Länge, aber etwas schmäler. Der Nasenindex ist bei Männern 72,2, bei Weibern 70 mm (bei den Selenga-Burjäten ist der Nasenindex 64,07). Demnach haben die Alar- Burjäten einen sehr hohen Nasenindex. Die Breite der Nasenwurzel (der Abstand der innern Augen- winkel, Spatium interorbitale, Intervalle orbitaire) ist bei Männern im Mittel 36,1 mm. Verhältnis zur Körpergröße 2,21. Min. 31, Max. 42 mm. Bei den Weihern ist der Interorbitalabstand im Mittel 34,5 mm. Ver- hältnis zur Körpergröße 2,22. Min. 30, Max. 44 mm. Unter den Wei- bern finden sich häufig Individuen mit einer breiten Nasenwurzel; in 250), ist das Maß der Nasenwurzel gleich dem Maß der Nasenbreite (Flügelbreite), und in 27°/, ist das erstere Maß größer als das zweite Maß. Bemerkenswert ist, dass diese Thatsache, die für die Kinder charakteristisch ist, und die bisher nur bei den Kalmücken bekannt ist, bei den Alar-Burjäten, bei Männern wie insbesondere bei Weibern, sehr häufig vorkommt. Das Ohr. Die Länge des Ohres ist bei Männern 66 mm. Verhältnis zur Körperlänge 4,08. Min. 54, Max. 32 mm. Die Ohrlänge der Selenga-Burjäten ist 63,3 mm. = # „ Kalmücken „049,5 Demnach stehen die Alar-Burjäten in der Mitte. Die Ohrlänge bei den Weibern ist 65,6 mm. Verhältnis zur Körpergröße 4,32. Min. 55, Max. 77 mm. Die Länge der Ohren ist absolut bei Männern und Frauen gleich, relativ aber bei Weibern größer. Die Breite des Ohres vom Tragus bis zum hinteren Rand ist bei Männern im Mittel 37,6, Min. 32, Max. 44 mm. Verhältnis zur Körpergröße 2,30; bei Weibern 35,2 mm im Mittel. Der Ohren- index ist bei Männern 56,45, bei Weibern 53,66. Männer. Weiber. Körpergröße . . . unter dem Mittel unter dem Mittel. Rumpflänge. . . . mittlere mittlere, aber größer als bei Männern. Thorax-Umfaug . . mehr als die Hälfte der mehr als die Hälfte der Körpergröße Körpergröße, aber ge- ringer als bei Männern. Schulterbreite . . ziemlich schmal ziemlich schmal, Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland, Baueh-Umfang Becekenbreite Conjugata externa, Trochanterenbreite Klafterweite Armlänge. Hand Männer beträchtlich groß ” erheblicher als die Körper- 675 Weiber beträchtlicher als bei Män- nern. etwas (1,3) größer als bei Männern, aber geringer als die Norm. unter der mittleren Norm der Geburt. desgleichen. erheblicher als die Körper- Beinlänge Fuß Kopf-Umfang Kopfindex Nase Ohr. größe größe. groß groß. klein, schmal länger als die männliche, schmal. mittlere mittlere. nicht groß klein. beträchtlich beträchtlicher als bei Män- nern. brachycephal brachycephal, mit einem Hinneigen zum meso- cephalen. kurz und breit, Spatium mittelbreit, oft gleich der Nasenflügelbreite nahen: groß kurz und breit, Spatium interorbitale ist relativ breiter als bei Männern. größer als bei Männern. Allgemeine Schlüsse. . Die Burjäten repräsentieren einen der 3 Hauptstämme des mon- golischen Volkes (die eigentlichen Mongolen, Kalmücken und Burjäten). 2. Die Alar-Burjäten sind ein verhältnismäßig reiner Burjäten- Stamm. 3. Die Alar-Burjäten bewohnen die Vorberge des Saigan — das Gebiet des Flusses, der Großen Belaja. 4. Sie sind vorzügliche Ackerbauer und Viehzüchter. 5. Sie sind zum Teil Christen, zum Teil Buddhisten, ihrer Ueber- zeugnung nach sind sie aber alle Anhänger des Schamanentums. . Der Sehamanismus, der den Aberglauben unterstützt, ist von schädlichem Einfluss auf den Geisteszustand der Burjäten. . Konstitutionelle Erkrankungen und Alkoholismus führen zur Ent- artung und zum Aussterben der Nation, unbeschadet dessen, dass der Stamm lebensfähig und befähigt ist und . dass der Stamm bei Vermischung mit andern Nationalitäten gute Resultate gibt. 10. Die Frauen entwickeln sich spät und welken früh. 11. Die Frauen sind in hohem Grade produktiv. 12. Die Lebensdauer der Burjäten ist nicht groß. xXVL 43 574 Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise 13. Die Burjäten sind zu einer geistigen Entwicklung sehr befähigt. 14. Sie sind in den ihnen zugänglichen Handfertigkeiten sehr er- fahren. 15. Sie haben ein ovales, ziemlich dunkles Gesicht, schwarze Haare; nur geringe Behaarung im Gesicht. 16. Die Körpergröße ist wenig unter der mittleren; Kopf groß, brachycephal, Schulterbreite schmal; Bauch groß, Rumpf mittel, Arme lang, Beine von mittlerer Länge. Die Weiber haben im Allgemeinen ein gleichmäßig verengtes Becken. — 1733 L. Stieda (Königsberg i. Pr.) (Zweites Stück folgt.) Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise in den Molukken und in Borneo, im Auftrage der Senekenbergischen naturforschenden Gesellschaft auf Kosten der küppellstiftung ausgeführt von Prof. Dr. W. Kükenthal. I. Teil: Reisebericht. Mit 63 Tafeln, 4 Karten u. 5 Abbildungen im Text. Frankfurt am Main. 1896. In Kommission bei M. Diesterweg. (Fortsetzung von Nr. 15 S. 592.) Die Alfuren von Halmahera. Der Name „Alfuren“ ist keines- wegs der Name eines bestimmten Volksstammes, sondern ein Kollektiv- name, denn es werden damit auf verschiedenen Inseln des Ostens die im Innern wohnenden unzivilisierten Völker bezeichnet. Von den über den Ursprung dieses Namens existierenden Hypothesen hält Kükenthal die- jenige von A. B. Meyer für die plausibelste, wonach der Name Alfure von dem im nordwestlichen Neu-Guinea wohnenden Volksstamme der Arfu’s herrührte, die früher sehr gefürchtet waren. Die Bewohner der Molukken wie anderer Inseln, welche die Küsten Neu-Guineas besuchten, hörten von einem gefürchteten, wilden Volksstamme in dessen Innern und übertrugen seinen Namen auf die wilden Stämme ihres eigenen Landes. Die Alfuren Halmaheras zerfallen in eine größere Anzahl Stämme, die von Kau, Tobelo, Galela, Tubaro u. s. w., welche trotz vieler gemeinsamer anthropologischer und ethnologischer Züge doch auch manches Abweichende besitzen. So ist z. B. die Sprache der einzelnen Stämme so sehr verschieden, dass die Alfuren der Ostküste nicht die Sprache der Alfuren der Westküste verstehen, und nur durch Anwendung der ternata- nischen Sprache ist eine Verständigung möglich. Ihre Kulturstufe ist im großen und ganzen die gleiche; für die am tiefsten stehenden hält Ver- fasser die im Waldesinnern herumstreifenden Orang Tugutil, die aus dem Distrikte von Kau stammen. Die Alfuren sind im Gegensatz zu den Malayen durchweg grosse Leute: Gestalten von 1,380 m Höhe sind nicht selten. Ihr Körper ist kräftig und von schönem Ebenmaß der Glieder. Ihre Hautfarbe ist licht- braun bis dunkelbraun, ihre Haarfarbe schwarz bis kastanienbraun. Verfasser kam auf seinen ausgedehnten Streifzügen durch Halmahera mit den verschiedensten Stämmen der Alfuren in Berührung, lebte mehrere Ergebnisse einer zoologisehen Forschungsreise. 675 Wochen unter ihnen und hatte hier im engsten Verkehr mit ihnen reichlich Gelegenheit, ihre Sitten und Gebräuche kennen zu lernen. Er giebt uns in seinem Reisewerk eine umfassende Schilderung von ihrem häuslichen und sozialen Leben. Wenn diese Mitteilungen auch nicht den Anspruch, etwas absolut Neues über die Alfuren zu bringen, machen können, so haben sie aber unzweifelhaft das große Verdienst, ein einheitliches, objek- tives und gerechtes Bild über einen für Ethnographen wie Anthropologen gleich interessanten Volksstamm gegeben zu haben. Sie berichtigen vor allem eine Reihe von irrtümlichen und durchaus ungerechten Ansichten über die Abstammung und den Charakter dieser Urbewohner Halmaheras. Besonders wendet sich Kükenthal gegen die in der Litteratur vielfach ver- breitete und heute sogar noch in 'l’rernate herrschende Ansicht, die Alfuren seien ein blutdürstiges und rohes Volk, vor denen man den Reisenden nicht genug warnen könnte. Kükenthal stellt ihnen dagegen das beste Zeugnis aus und lobt neben ihrer Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe besonders ihre strenge Reinhaltung der Ehe und die gute Behandlung der Frauen, ihre Gastfreundschaft und Dankbarkeit. „Die Alfuren sind mit ihrem Leben durchaus zufrieden und aus dieser Zufriedenheit resultiert auch ein Grundzug ihres Wesens: eine gewisse kindliche Heiterkeit, die den Verkehr mit ihnen sehr angenehm macht.“ Den Ruf der Blutdürstigkeit hat den Alfuren jedenfalls die früher allgemein verbreitete Sitte des „Koppensnellen“ eingetragen, die heute noch auf Borneo geübt wird. Unter den Alfuren hat sie aber in den letzten Dezennien vollkommen aufgehört. Auch Seeräuber sind die Alfuren nicht mehr. Kriegszüge und blutige Greuel kommen ebenfalls seit langem nicht mehr vor. Die holländische Regierung ist energisch gegen alle diese Unsitten zu Felde gezogen. Die Alfuren sind tapfere Krieger; sie wurden früher vielfach sowohl von der Regierung wie auch vom Sultan zur Unterdrückung von Aufständen auf anderen Inseln verwandt und zeichneten sich stets durch ihre 'T’apfer- keit aus. . Von ihrem 'Todesmute geben ihre zahlreichen Kämpfe Zeugnis, bei denen das Zurückweichen für eine große Schande galt. Dass diese Kämpfe einen gewissen Grad von Mordlust erzeugen können, liegt auf der Hand. Jähzorn scheint selten auszubrechen. Ihre stets rege Eifer- sucht zeugt aber von ihrer Reizbarkeit. Ehebruch, besonders von seiten der Frau, ist sehr selten und wird vielfach mit dem Tode bestraft. Auch Scheidungen und Verstoßungen kommen selten vor. Hier findet sich noch die Ehe in strengster Form und allein schon dieser Umstand deutet darauf hin, dass wir in den Alfuren ein noch tiefstehendes Volk zu erblieken haben. Dem hohen Kunstsinn der Alfuren zollt Verfasser seine Bewunde- rung; er tritt besonders zu Tage auf den schönen, geflochtenen und mit Glimmerplättchen belegten Matten, sowie auf den geschmackvollen Mustern der Baumrindenkleider, welche auf mehreren 'T’afeln farbig abgebildet sind. Über den Ursprung und die Verwandtschaft der Alfuren von Halına- hera sind mancherlei Hypothesen aufgestellt, von denen bisher aber keine Anspruch auf sichere Begründung machen kann. Verfasser bekämpft hier die von Wallace und anderen vertretene Ansicht, dass die Alfuren ein Mischvolk zwischen Malayen und Papuas darstellen und hält sie vielmehr auf grund verschiedener anthropologi- 45 * 676 Ergebnisse einer zoologischen Forsehungsreise. scher wie ethnologischer Merkmale für ein altes, in vieler Hinsicht auf früher Entwickelungsstufe stehendes Volk, das sich von seinen nächsten Nachbarn, den Malayen wie Papuas, in vielen und wesentlichen Punkten unterscheidet. Dieser Schluss stützt sich auf einen Vergleich der Alfuren Halmaheras mit den Bewohnern der anderen Inseln des malayischen Archipels, Cerams und Burus, wie sie sich nach Martin’s neuesten Unter- suchungen darstellen. Wenn auch viele Unterschiede (Körpergröße, Haar- und Bartwuchs, Hautfarbe, Tätowierung, Gesichtsausdruck u. s. w.) die Alfuren Halmaheras von denen der beiden anderen großen Molukkeninseln trennen, so ist doch auch manches Gemeinsame, sowohl in anthropologischer Hinsicht als auch speziell in sozialer Organisation, religiösen Anschauungen, sowie auch in der Aehnlichkeit von Waffen und Geräten, zu verzeichnen. Verfasser glaubt daher, dass die Alfuren von Halmahera noch den un- berührtesten T'ypus zeigen, während die von Ceram und Buru stark mit Papuas gemischt sind und fasst die Alfuren der Molukken als die letzten Reste einer alten, prämalayischen Bevölkerung auf, die sich noch am reinsten auf Halmahera erhalten hat. Eine starke Vermischung mit den benachbarten Papuas hat die Berg- alfuren von Ceram und Buru hervorgebracht und die ursprünglichen alfurischen Charaktere verwischt. Eine spätere Vermischung hat mit den Malayen stattgefunden. Die Bewohner von Ternate, Tidore und den anderen kleinen, Halmahera vorgelagerten Inseln sind das Resultat einer solehen, ebenfalls schon ziemlich alten Vermischung der ursprünglichen alfurischen Bevölkerung mit malayischen Einwanderern. Auch in dem Orangslam Halmaheras wird etwas alfuriscbes Blut fließen, während an den Küsten Cerams das malayische Element zurücktritt. Die Frage nach der Herkunft und der Verwandtschaft der ursprüng- lichen Alfuren ist eine vollkommen andere. Ob wir es hier, wie wahr- scheinlich, mit dem letzten Reste eines Stammes dravido-australischer Rasse zu thun haben, oder ob Beziehungen zu anderen Rassen sich er- geben werden, lässt sich vor der Hand nicht entscheiden. — Ueber Alfurenschädel von Halmahera. Die Erlangung von Alfurenschädeln ist ungemein schwierig, ja direkt gefährlich, da der Ahnenkultus der Alfuren stark ausgeprägt ist. Verfasser hatte aber das Glück, 3 Alfurenschädel zu erwerben, von denen 2 gut erhalten waren. Ein paar Christenalfuren hatten im Walde Gräber entdeckt, die niemand zugehörten, und holten aus ihnen in der Dunkelheit, sorgfältig verborgen, die 3 Schädel. Dieselben sind zweifellos alfurischer‘ Abkunft, denn sie sind aus alfurischen 'Totenkisten entnommen, die im Binnenlande von Galela in der Nähe verlassener, vielleicht ausgestorbener Hütten im Walde standen. Um dieses wertvolle und interessante Material allseitig auszunützen und die charakteristischen Merkmale der Schädel zu ermitteln, hat Ver- fasser 3 verschiedene Untersuchungsmethoden angewandt, erstens direkte Messungen, dann graphische Darstellung nach der Rieger’schen Methode und drittens die Herstellung möglichst exakter Photographien, die eine Nachmessung ermöglichen. Verschiedene Gründe nötigen zu der Annahme, dass ein Schädel ein Weiberschädel, der andere dagegen sicher ein Männerschädel ist. Ergebnisse einer zoologischen Forschungsreise. 677 Von den Resultaten, welche die Messungen ergaben, sei hier nur erwähnt, dass der Weiberschädel ausgesprochen mesocephal ist, während der Männerschädel zwischen brachycephal und mesocephal steht. Beide Schädel sind ausgesprochene Hochschädel, bei dem Weiberschädel übertrifft der Längenhöhenindex sogar den Längenbreitenindex. Außerordentlich stark entwickelt sind am Schädel des Mannes die Superciliarbogen sowie die linea nuchae superior. Er ist ferner mesognath, während der Weiberschädel prognath ist. Die graphischen Aufnahmen der Schädel sind nach der Rieger’schen Methode erfolgt, die auf 2 beigefügten Tafeln dargestellt sind. Die bildliche Darstellung der Schädel ist in Lichtdrucken gemacht, zu denen Verfasser sich eines, in der optischen Werkstätte von Ü. a in Jena unter Mitwirkung des Herrn Schüttauf ermittelten Verfahrens bediente, welches, auf dem von den Sarasins gegebenen Verfahren basierend, vor allen bisherigen Schädelabbildungen, sowohl Zeichnungen wie Photographien, den grossen Vorteil bietet, dass es eben so einfach wie exakt ist, da die an den Photographien gemachten Messungen mit den direkt am Schädel ausgeführten bis auf t/, Prozent übereinstimmen Das Verfahren ist folgendermaßen: Ein Holzrahmen wurde auf der Frontseite mit Papier bezogen und so gegen die Achse des photographischen Apparates orientiert, dass ein auf dem Papier möglichst genau gezeichnetes Quadrat von 30 cm Seitenlänge genau als Quadrat abgebildet wurde. In die Oeffnung des auf dem Tische fest angeschraubten Rahmens wurde dann der Schädel hineingeschoben und so aufgestellt, dass die aufzunehmende Ebene mit der Ebene des Rahmens zusammenfiel. Dann wurde die Auf- nahme gemacht, welche den Schädel zeigte, umgeben von dem Rahmen resp. Quadrat, und zwar wurde der Schädel auf ungefähr ?/,, verkleinert aufgenommen mittels eimer Erythrosinplatte feinen Korns. Bei der nach- folgenden Vergrößerung brauchte man dann nur ein Negativ so einzustellen, dass das 30 cm grosse Quadrat des mitphotographierten Holzrahmens auf 15 cm im Quadrat gebracht wurde, der Schädel zeigte dann die verlangte halbe Grösse mit Innehaltung der gewünschten Genauigkeit, wie ver- gleichende Messungen an der Photographie wie am Objekt zeigten. Als besonders bequemer Vorteil des Verfahrens ist hervorzuheben, dass, wenn die Einstellung erst für einen Schädel erfolgt ist, diese Einstellung für alle folgenden gilt, und ebenso die Einstellung der Vergrösserung auf t/, natürlicher Ce nur einmal ausgeführt zu werden braucht, um dann mit Leichtigkeit zur exakten Versrössne aller anderen Photagraphien benutzt zu werden Bei der geringen Anzahl der heimgebrachten und untersuchten Schädel hat Verfasser es unterlassen, Vergleiche mit Schädeln benachbarter Rassen, sowie Schlussfolgerungen irgend welcher Art an seine Untersuchungen zu knüpfen. Es ist aber schon außerordentlich verdienstvoll, dieses wegen der Schwierigkeit der Beschaffung so seltene und wichtige Material durch die exakten Messungen und Abbildungen weiterer Verwertung zugänglich gemacht zu haben. —- In den vorstehenden Berichten kam es darauf an, den Inhalt der zusammenfassenden Darstellungen, der streng wissenschaftlichen Abschnitte des Kükenthal’schen Reisewerkes kurz wiederzugeben. Am Schlusse der- selben möchten wir aber unsere Ansicht über das ganze Buch noch einmal 678 Spuler, Vorhandensein von Schuppenbälgen bei den Schmetterlingen. dahin zusammenfassen, dass es em in Bezug auf Ausstattung, Stil und Inhalt durchaus vornehmes Wiek: ist, welches dem Ver- fasser wie der Senckenbergischen naturforschenden Gesell- schaft und der lithographischen Anstalt von Werner & Winter in Frankfurt am Main gleiche Ehre macht! R. |77] Ueber das Vorhandensein von Schuppenbälgen bei den Schmetterlingen. Von Dr. Arnold Spuler. Vor kurzer Zeit ist eine Arbeit von Alfred Goldsborough Mayert), — unter Leitung von Prof. Edward L. Mark angefertigt —, erschienen, in welcher uns mancherlei interessante Details über die Entstehung von Flügeln, Schuppen und deren Farben bei den Schmetterlingen mitgeteilt werden. Auch weist die Arbeit, wie der Verfasser hervorhebt ausführlich nach, dass die Schuppen je aus einer Hypodermiszelle entstehen — eine Thatsache, an der seit Semper’s?) grundlegender Arbeit kein Mensch gezweifelt hat. Einige Ausführungen des Verfassers auf S. 221 nötigen mich zu einer ‘kurzen Erwiderung das Wort zu ergreifen. Nachdem er an der Hand seiner Figuren 29, 30 u. 31 seine Anschauung über die Befestigungs- weise der Schuppen ausgesprochen, fährt er weiter: „I Cannot find any- thing resembling the eurious structure described by len 3) (95, p. 526, Taf. XXXVI, Fig. 2, 3, 4) as serving for the insertion of the scales and called by a ee Sp uler describes this Schuppenbalg method of insertion in Galleria mellonella, Polyommatus phlaeas and Lycaena alexis, and comes to the conclusion that it is general in the Lepidoptera. I believe this conclusion to be erraneous, for I am unable to substantiate it in any of the forms which I have examined, although my sections were only 6,6 « thik, and were made in all of the three schief planes of the wing. Sometimes, however, in oblique sections (such as make an angle of 45° with the plane of the wing) one finds an appearance which might be imagined to represent the Schuppenbalg of Spuler. But the appearance is entirely due to the wing membrane being eut obliquely, the section embraeing portions of two sockets. For this reason I am inclined to think that Spuler may be mistaken in his interpretation of what he saw“. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Bezeichnung „Schuppen- balg“ nicht von mir, sondern, wie A. Goldsborough Mayer aus der von mir zitierten Stelle*) hätie ersehen können, von Mayer’) stammt, der ganz richtig die Befestigung der Schuppen in Chitin- Doppelsäckchen beschreibt. 1) Mayer, The development of the wing scales and their pigment in butterflies and moths, in: Bulletin of the Mus. of Comp. Zool. at Harward Coll., Vol. XXIX, Nr.5 2) Semper, Ueber die Bildung der Flügelschuppen und Haare (Epidermoidal- gebilde) bei den Lepidopteren, in: Zeitschr. f. wiss. Zool., V, 8, 1857. 3) Spuler, Beitrag zur Kenntnis des feineren Baues und der Phylogenie der Flügelbedeckung der Schmetterlinge, in: Zool. Jahrb, Anatom. Abteilung, Bd. 8, 1895. 4) .1.46:,8.,5247 5) Mayer: Allgem. mediz. Centralzeitung, 1860, 8. 772—774. Spuler, Vorhandensein von Schuppenbälgen bei den Schmetterlingen. 679 Die von A. G. Mayer zitierten Figuren 2, 3, 4 meiner Arbeit sind Abbildungen ganzer Schuppenbälge, nicht solche von Schnitten. Daher ist es mir recht gut verständlich, dass er diese Bilder auf seinen nur 6,6 « dieken Schnitten (NB. auf 0,1 .. genau die Schnittdicke zu bestimmen halte ich für unmöglich!) nicht sehen konnte, Wenn A.G. Mayer nur einmal, auch nur bei mittlerer Vergrößerung einen etwas entschuppten Schmetterlingsflügel unzerschnitten ansehen wollte, so würde er die Bildungen, welche schon den alten Autoren, so Rösel von Rosenhof, bekannt gewesen, und die ich genauer beschrieben habe, wahrnehmen. Wenn er dann meine Abbildung 10, welche einen Längs- schnitt darstellt, mit seiner Fig. 36, Taf. 6 vergleichen würde, fände er, dass er ja in derselben das gleiche abgebildet hat; durch Heranziehen seiner Fig. 12 (Taf. III) würde er ferner einsehen können, warum der Schuppenbalg nach seiner Genese im Prinzip ein Doppelsäckchen sein muss. In der Abbildung Fig. 1 gebe ich, statt aller weiteren Ausführungen, die Chitinverhältnisse von A. G. Mayer’s Figur 12, in Fig. 3 diejenigen meiner Fig. 10. Fast das gleiche zeigt A. G.Mayer’s Fig. 36, nur der Haltering (r Fig. 3) ist nicht zu sehen. Dass derselbe verschieden stark entwickelt sein kann, habe ich in meiner Arbeit 8. 520 ausdrücklich an- gegeben. Fig. 1. 6% Das Bild der Figur 2, nach Mayer’s Fig. 30, Taf. V!), erklärt sich dadurch, dass das Chitin sehr dick geworden ist und dabei die beiden Wände des Säckehens bei @ verschmolzen sind. Derartiges findet sich in verschiedenem Grade häufig, wie es z. B. durch Schraffierung in Fig. 3 dargestellt ist. Die mit x bezeichneten Stellen der Figuren 1 und 3 entsprechen einander. Es findet wohl zumeist hier eine Unterbrechung (Fig. 3) der in der Anlage kontinuierlichen (Fig. 1) Chitinschichte statt. Manchmal schien mir auch beim fertigen Tier dort eine chitinöse Verbindung von Säckchen und Schuppenstiel zu persistieren — in der großen Mehrzahl der Fälle konnte ich solches jedoch nicht wahrnehmen. — Nachdem ich in diesen Zeilen A. Goldsborough Mayer gezeigt habe, wie er selbst die Schuppenbälge, deren allgemeines Vorkommen er als eine irrige Ansicht von mir bezeichnet, in seinen Abbildungen vor- führt und in ihrer Entstehung schildert, dürfte er wohl von deren Vor- handensein sich überzeugen. 1) Ich habe leider keine (’allosamia promethea und keinen Danais plexhippus zur Verfügung, um mich von der Richtigkeit seiner diesbezüglichen Abbildungen überzeugen zu können. 680 Boulenger, Catalogue of the Snakes in the British Museum. Uebrigens habe ich in der Einleitung zu meiner Arbeit bemerkt, dass ich sehr viele Arten — viele Hunderte — untersucht habe, so dass es wohl nicht unangebracht gewesen wären, wenn M., bevor er die Rich- tigkeit meiner Verallgemeinerung bestritt, sich etwas mehr als 7 Arten, darunter nur Vertreter hochdifferenzierter Gruppen, angesehen hätte. So sehr auch die Schuppenbälge in ihrer feineren Struktur Ver- schiedenheiten aufweisen, im Prinzip sind sie bei allen Schmetterlingen gleich gebaut und finden sich von den niedersten Micropteryginen bis zu den differenziertesten Formen. Auf A. G. Mayer’s Vermutung, dass ich Schrägschnitte falsch ge- deutet hätte, brauche ich wohl nicht weiter einzugehen. Boulenger, Catalogue of the Snakes in the British Museum. London 1892—1896. Vor kurzer Zeit ist der dritte und umfangreichste, über 700 Seiten Text und 25 Tafeln Abbildungen umfassende Band von Boulenger’s Schlangenkatalog erschienen und damit nicht nur dieser, sondern über- haupt die ganze Serie von herpetologischen Katalogen dieses Autors, welche aus neun Bänden besteht, abgeschlossen. Wenn wir Einblick nehmen in diesen Band, so ist vor allem die allgemeine Uebersicht über die Zahl der jetzt bekannten Reptilien- und Batrachierarten von Interesse. Boulenger führt auf als beschriebene, gute („valid“) Arten: Schlangen 1639 Chamaeleons 7 n Squamata Eidechsen 1839 ger: 4 Krokodile 983 Reptilie,. .... 2, ee RAUS IR Schildkröten 219 Rhynchocephalen 1 Froschlurche nl al Schwanzlurche 17802. Batrachiat ZW DE FRE od Schleichenlurche 43 also zusammen 5170 Arten, von denen 3905 in 38086 Exemplaren im British Museum vertreten sind. Was den Inhalt des letzten, vorliegenden Bandes des Boulenger’- schen Schlangenkatalogs anbetrifft, so ist es notwendig, vorerst die im ersten Bande enthaltene, vom Autor eingeführte Einteilung der Schlangen kennen zu lernen, welche vor den Systemen früherer Autoren mit über 30 teilweise, nämlich was die große Gruppe der Colubriden anbelangt, sehr schwierig auseinander zu haltenden und zu definierenden Familien den Vorzug großer Einfachheit und Natürlichkeit hat. Sie beruht wesent- lich auf osteologischen Charakteren, wie nachstehend ersichtlich: I. Kein Ektopterygoid (Transpalatinum); Pterygoid nicht bis zum (Qua- dratum oder Unterkiefer reichend: kein Supratemporale; Praefrontale mit dem Nasale eine Sutur bildend; Coronoid vorhanden; Spuren eines Beckens. Oberkiefer vertikal, lose befestigt, Zähne tragend; Unterkiefer zahn- los; ein einziger Beckenknochen . . . . 4. Typhlopidae. Oberkiefer den Mundrand bildend, durch Sutur mit dem Praemaxillare, Praefrontale und Frontale verbunden, zahnlos; Unterkiefer be- Boulenger, Catalogue of the Snakes in the British Museum. 681 zahnt; Pubis und Ischium vorhanden, letztere eine Symphyse bildenden au aha! Si VIE Glaueonovidee: II. Eetopterygoid vorhanden: beide Kiefer mit Zähnen. A. Coronoid vorhanden; Praefrontalet) in Kontakt mit dem Nasale. 1. Spuren von Hinterextremitäten; Supratemporale vorhanden. Supratemporale groß, das Quadratum daran aufgehängt III. Boidae. Supratemporale klein, in die Schädelwand eingezwängt IV. Ilystidae. 2. Keine Spuren von Hinterextremitäten; Supratemporale fehlende] 112 5° 17 NEN EVA rUroDeltadee: B. Coronoid fehlend; Supratemporale vorhanden. 1. Oberkiefer horizontal, Pterygoid das Quadratum oder den Unterkiefer erreichend; Praefrontale in Kontakt mit dem Nasale. . . . VI. Xenopeltidae. Praefrontale nicht in Kontakt mit dem Nasale . VI. Colubridae. 2. Oberkiefer horizontal, nach hinten gegen das Palatinnm konvergierend: Pterygoid weder Quadratum noch Unter- kiefer erreichend . . ... . . . YDI Amplicephalidae. 3. Oberkiefer vertikal am Eetopterygoid aufrichtbar; Pterygoid (Juadratum oder Unterkiefer erreichend . IX. Viperidae. Die weitere Einteilung geschieht vorwiegend auf Grund des Gebisses, ferner der Beschuppung des Kopfes und übrigen Körpers. Die Boiden zerfallen in die beiden Unterfamilien der Pythoninae mit und der Boinae ohne Supraorbitalbein, ebenso die Viperiden in die Vrperinae ohne und die (rotalinae mit einer Grube zwischen Auge und Nasenloch. Mit Meisterschaft hat Boulenger die überaus schwierige Systematik der großen Familie der Colubridae behandelt, welche den weitaus größten Teil aller Schlangen umfasst und dabei von einer Gleichförmigkeit der äußern Erscheinung ist, welche die Schlangensystematiker bisher zur Ver- zweiflung brachte und ein unmäßiges Anwachsen der Synonymie hervor- rief. Boulenger führt die alte Gruppeneinteilung in Aglyphae, Opistho- glyphae und Proteroglyphae, allerdings in wesentlich verändertem Umfange, wieder ein und teilt jede dieser Gruppen in eine aquatische und eine terrestrische, wohl unterscheidbare Sektion, dazu kommt noch bei den Aglyphen und Öpisthoglyphen je eine bis auf das Gebiss sich sehr ähnliche Sektion von Schlangen, deren vorderste Wirbel an der Spitze mit Email überzogene, zahnartig verlängerte Hypapophysen besitzen, die kleinen Familien der Rhachiodontiden (einzige Gattung und Art die afri- kanische Dasypeltis scabra L.) bezw. Elachistodontinen (einzige Gattung und Art der indische Klachistodon westermanni Reinw.) beide eierfressend. Wir haben also: 1. Opisthoglyphae: a) Acrochordinae (kleine, nur 5 Gattungen und (aquatisch) ebensoviel Arten umfassende Gruppe; 4 Gattungen indisch, eine zentralamerikanisch). b) Colubrinae (größte aller Ophidiergruppen). (terrestrisch) ce) Rhachiodontinae. 1) Selbstverständlich sind hier unter Präfrontale, Nasale die Knochen und nicht die gleichnamigen Schilder der Kopfhaut zu verstehen. 682 Boulenger, Catalogue of the snakes in the British Museum. 2. Opisthoglyphae: a) Homalopsinae (kleine, nur 10 Gattungen zäh- (aquatisch) lende Gruppe, rein indo-australisch). b) Dipsadomorphinae. (terrestrisch ) c) Elachistodontinae. 3. Proteroglyphae: a) Hydrophüinae (relativ kleine, 10 Gattungen um- fassende, fast ausschließlich indo- australische Gruppe); marin. b) Elapinae: terrestrisch. Der erste Band umfasst die ersten 6 Familien der Ophidier und bereits einen großen Teil der Colubridae, Aglyphae, der zweite nur letztere, der dritte die Opisthoglyphen, Proteroglyphen, Amblycephaliden und Vipe- riden. Von letzteren ist zu erwähnen, dass Boulenger außer dem birmanischen Axemiops auch die früher bald als Elapiden, teils als Ver- treter selbständiger Familien betrachteten Gattungen (ausus und Atractaspis in die Gruppe der Viperinen einbezogen hat und weiters die außerordent- liche Vereinfachung des Crotalinensystems, indem von den zahlreichen Gattungen, die von den früheren Autoren errichtet worden waren, nur vier beibehalten wurden, von denen Aneistrodon und Lachesis keine, Sistrurus und COrotalus aber eine Klapper am Schwanzende besitzen. Aneistrodon unterscheidet sich von Lachesis geradeso wie Ststrurus von Crotalus durch das Vorhandensein der neun normalen großen Schilder auf der horizontalen Kopfoberfläche, während die Gattungen Lachesis und Orotalus nur Arten mit Schuppen oder kleinen Schildchen umfassen. Es genügt also jetzt thatsächlich ein Blick, um eine Crotalinengattung zu erkennen, wo früher eingehende Studien der verstreuten Litteratur und äußerst ver- wickelten Synouymie notwendig waren; auch die Revision der Arten, namentlich bei Lachesis, ist wie bei anderen schwierigen Gruppen, Atraet- aspts, Elaps, Psammophis u. a. glücklich durchgeführt. Von Einzelheiten wären vielleicht hervorzuheben die Vermehrung der paläarktischen Tarbophis- Arten; von den 8 Arten gehören T. savignyı (Süd-Syrien, Unterägypten): T. fallaxz (= vwax); T. iberus (Kaukasus): T. rhinopoma (— Dipsas rhinopoma Blant: Persien, Sind); T. guentheri (Arabien und, wie Ref. hinzufügen kann, auch Syrien, ferner Ostafrika): T. obtusus (Aegypten bis Somaliland) der paläarktischen Region an. Die Gattung Psammophis ist durch zwei Arten in der Mittelmeerregion vertreten, von denen die eine, P. schokart in der ganzeu nordafrikanischen Sahara, in Arabien, Syrien, Persien, Balutschistan, Afghanisten und Sind zu Hause ist, während die eigentliche P. sibilans dem tropischen Afrika angehört und nur in Aegypten das Mittelmeergebiet erreicht. Beide Arten sind, wie sich Ref. überzeugt hat, schon an der Gestalt des Kopfes leicht zu unterscheiden. Von den Hydrophiinen wäre zu erwähnen, dass Platurus schon öfters vom Meere ziemlich weit entfernt gefunden wurden und dass eine Art (Distira semperi) in einem Süfßwassersee auf Luzon lebt. Besonders ausführlich ist die in neuerer Zeit so in den Vordergrund des Interesses getretene Viperidengruppe Vipera ursinüi-renardi- berus-aspis behandelt worden, welche, wie Boulenger andeutet, durch V. aspis var. hugyi mit V. lebetina und durch die var. zanthina der letzteren mit TV. russellii verbunden ist, während V, aspis andererseits durch V. latastii ein Uebergang zu ammodytes hergestellt ist. Imhof, Binnengewässer-Fauna der Azoren. 683 Das nun abgeschlossene Werk Boulenger’s, welches vierzehn Jahre (davon der Schlangenkatalog allein 4 Jahre) unermüdlicher Thätigkeit er- forderte, wird den Ruf Boulenger’s als ersten der heute lebenden Herpe- tologen gewiss noch befestigen, und durch seine mit ebenso großem Fleiße als mit Gründlichkeit, Exaktheit und außerordentlicher Beherrschung so- wohl der anatomischen als auch der rein systematischen Verhältnisse ge- schriebenen Kataloge hat er sich den aufrichtigsten Dank aller Herpeto- logen verdient, die mit einer unberechenbaren Ersparnis an Zeit und Mühe und mit viel größerer Genauigkeit als früher ihre Forschungen auf Grund- lage dieses unentbehrlichen Werkes ausführen können. [S4| Dr. F. Werner. Die Binnengewässer-Fauna der Azoren Referat nach de Guerne und Barrois. Von Dr. phil. Othmar Emil Imhof. Besonderes Interesse beansprucht die Erforschung der Fauna der Binnen- gewässer der Inseln und Inselgruppen in den Weltmeeren. Noch wenige von den Festländern weit entfernte Inseln sind auf ihre Süßwasserfauna einem ein- gehenderen Studium unterzogen worden. Einen höchst wertvollen Fortschritt auf diesem Gebiete der Zoogeographie haben die beiden hervorragenden Forscher Jules de Guerne und The&eodore Barrois über die Tierwelt der Insel- gruppe der Azoren im nördlichen Teil des atlantischen Ozeans im südlichen Auslauf des Golfstroms in zwei umfangreichen Abhandlungen geliefert. Das vorliegende Referat will einen Einblick speziell in die Wasserfauna dieses Inselgebietes zu gewinnen suchen. Es gibt vorerst eine tabellarische Gesamtübersicht der determinierten Species und Varietäten mit ihrem Vor- kommen auf den Inseln: 1. S. Jorge, 2. Graeciosa, 3. Terceira, 4. Santa Maria, 5. Fayal und 6. San Miguel, speziell die Verteilung in den Gewässern ver- schiedener Natur: I. kleinere und größere Seen, II. stagnierende Gewässer und III. Bäche und Flüsse. Die letzte Kolonne zeigt das Vorkommen in den dreierlei Gewässern, die drei vorstehenden das Vorhandensein nur in einer der drei (rewässerarten. Tabelle 1. Von den 104 Species und 2 Varietäten kommen auf Santa Maria 34 Spec. 1 Var., auf Terceira 36 Spee. 1 Var. und auf S, Miguel die größte Zahl 91 Spee. > Varietäten vor. Auf allen 6 Inseln finden sich nur 2 Species: Öyelops agilis Keh. Uypris nitens Fsch. und die importierte Rana esculenta Perezi Sn. Dieses Moment ist ein sehr auffälliges. Auf 5 Inseln trifft man nur: Cypris virens Im. Auf 4 Inseln nur die folgenden 6 Species: Dina Blaisei Bl. C'ypridopsis villosa Irn. Daphnia pennata Mll. C'yclops fimbriatus Fsch. Alona costata Srs. Corixza atomaria Il. Das ansehnliche Verzeichnis weist an neuen Arten auf: Rotatoria: Asplanchna Imhofi de Guerne, Fayal und San Miguel. Brachionus Ohavesi Barrois, Fayal. Cladocera: Moina azorica Moniez, i Terceira. Alona Barroisi Moniez, Terceira. Ostracoda: Cypridopsis Chavesi Moniez, S. Jorge und S. Miguel. Uypris elegans Moniez, S. Miguel. „ Moniezi de (zuerne, Graciosa und S. Miguel. Amphipoda: Gammarus de Guernei Chevreux, Flores. Coleoptera: Hydroporus de Guernei Regimbart, Fayal und S. Miguel. 684 Imhof, Binnengewässer- Fauna der Azoren. SEE =1.2| 5 > E „a = 2 ia] 2 [ee ei ar as Tabelle I I S i : FARBEN ; 2a a m an an 2a Bine Bi 1 ls u BLU LEUTE EEE EEE Era ET BITTE TS Protozoa. KBhizopoda. 1 Arcella vulgaris Ehr. | | | 3 3 „ dentata Ehr. | | 1 3 Difflugia acuminata Ehr. | 1 4 h constricta Ehr. l | 2 5 = pyriformis Ptr. | 2 6 Centropyxis aculeata Ehr. | | | 3 7 Quadrula symmetrica Schl. | 2 8 Euglypha alveolata Dj. 1 9 Trinema enchelys Dj. | | 1 10 Nebela collaris Ehr. | | 2 Flagellata. 1 Euglena viridis Ehr. | | 1 RER spirogyra Ehr. | | 1 3 Phacus longicaudatus Dj. | | 1 4 Dinobryon sertularia Ehr. | | 1 Dinoflagellata. 1 Peridintum tabulatum Cl. Leh. | 1 2 (Ceratium hirundinella M. | | 1 Infusoria. 1 Stylonychia mytilus Ehr. | 1 2 Condylostoma pateus Dj. | 1 Coelenterata. Tubularia. 1 Hydra fusca L. 2 Vermes. Platyhelmintes. Turbellaria 1 Planaria polychroa Schin. || If Nemertini. 1 Prorhynchus stagnalis Schltz. | | 2 Nemathelminthes, Nematodes 1 Dorylaimus stagnilis Dj. II 2 Rotatorza. 1 Melicerta tubieularia Ehır. | | 1 2 Limnias ceratophylli Schr. | N 3 Cephalosiphon limnias Ehr. | | 1 4 Philodina roseola Ehr. | | 1 5 Actinurus neptunius Ehr. 1 2 6 AsplanchnalmhofideGın. il) Kir 2 7 Triarthra longiseta Ehr. | | 3 5 Salpina mucronata Ehr. | 1 9 Euchlanis macrura Ehr, | | 10 e deflexa Gss. | 3 11 Monostyla lunaris Ehr. | 2 12 Plerodina patina Ehr, | 2 3 Brachionus pala Ehr. | AN 2 14 A amphiceros Ehr. | { 15 ® rubens Ehr, | | 3 16 Chavesi Bır. | | 1 17 Anuraea aculeata Ehr. | | 1 15 " brevispina Gss. | | | 19 Pedalion mirum Hds. | | 1 Annelides. 1 Nais elinguis Mll. ill || 1 2 2 Naidium Iuteum Schm. | | 3 Dero palpigera Grb. | 1 j Imhof, Binnengewässer - Fauna der Azoren. 585 4 Tubifex rivulorum Lm. | | l 5 Limnatis nilotica Sv. | | | | 6. Dina Blaisei Bl. | III El Il 4 Arthropoda. | 1 Plumatella repens L. | l 2 Arthropoda. Urustacea. Oladocera 1 Daphnella brachyura Lv. | 1 2 Daphnia pennata Ml. | | | Il 4 3 Simocephalus exspinosus Keh. | | 1 4 Streblocerus serricandatusF sch. | 1 5 Moina azorica Mn. | | 1 6 Leydigia acanthocercoides Fsch. | | | 3 7 Alona testudinaria Fsch. | | 2 8 „. tuberculata Kız. | | ) 91 = costata.'Sts: | | | 3 10, affinis Ldg. | 1 11 Barroisi Mon. | 1 12 Pleuroxus nanus Brd. | 3 3 Chydorus sphaeriens Mll. BE | Il 1 3 Ostracoda. 1 Cypridopsis vidua Ml. | | B) 2 & villosa In. | | | | [4 55 % Chavisi Mn. | | 2 4 Cypris nitens Fsch. IE | | || 6 5 „. virens Im; IR | | 5 6 „ ovum Im. 1 7 „. incongruens Rınd. | 2 8 „ bispinosa Le. | | 1 I „ tessellata Fsch. | 2 10 „ obliqua Brad. Il 1 11 „ trigonellus Brad. | | | 2 12 „ elegans Mn. | 1 3 „ Moniezi de Gm. | | 2 Copepoda. 1 Cyelops viridis Fsch. | | | | 113 8 2 diaphanus Fsch. | Il 2 3 „ fimbriatus Fsch. || | | | II 4 4 „ agılis Keh. III || | | | | I1 6 5 Canthocamptus horridus Fsch. | | 2 6 Diaptomus serricornis LI. | | 1 7 Argulus foliaceus L. | | 1 Amphipoda. 1 Niphargus puteanus Keh. | | 2 2 Gammarus de Guernei Chvr. (Flores) 1 Arachnoidea. Hydrachnidae. 1 Arrenurus emarginator Mll. | | 2 Sperchon brevirostris Kn. | | Bu 3 Insecta. Hemiptera. 1 Corixa atomaria ll. R | | | 4 2 Notonecta glauca L. | | 2 Coleoptera. 1 Parnus luridus Erch. | 14 2 Gyrinus atlanticus Rg. | 2 3 Agabus Godmanni Cr. BE BE 3 4 Hydıoporus de Guernei Rg. || Bir! 2 5 n limbatus Ab. | | 1 6 Eretes stictieus L. | | 1 7 Rhantus punctatus Frr. | 1 Mollusca. Lamellibranchiata. 2 Pisidium fossarinum Cl. | | 1 ER Dabneyi de Gm. | | 1 686 Imhof, Binnengewässer - Fauna der Azoren. Gastropoda. 1 Physa acuta Dry. | | Vertebrata. Pisces. 1 Anguilla vulgaris Trt. | | | n stomachicus Gn. | BE | Salmo fario L. G; lacustris L. Cyprinus carpio L. 8 rex-cyprinorum Bl. Oyprinopsis auratus L. Leueiscus macrolepidotus Std. Amphibia. 1 Rana esculenta Perezi Sn. [0 OS Horb @, SSUSLE IC) SE ESSEN SS | A 72 2 2217 - won HN 24 1 9 [ Es sind dies zwar nur 9 neue Species. Wenn die Hypothese der zufälligen Bevölkerung durch Winde, oder andererseits gelegentlicher unbeabsichtigter Import mit Fröschen und Fischen die einzig möglichen Erklärungsweisen sind, so wird es interessant sein die ursprüngliche Heimat sicherzustellen. Die Wasserbecken der Azoren wurden nach zuverlässigen Berichten im Jahre 1820 mit Rana esculenta Perezi aus Portugal bevölkert. In den Jahren 1878, 1879 und 1891 unternahm man Importationsversuche mit Fischhrut, die aber misslangen. Im Jahre 1882 glückte das Einsetzen von 300 jungen Salmo stomachicus Gn. aus England. Weitere Transporte 1883 und 1885 misslangen dagegen. 1889 reussierte man, mehrere Arten: Salmo lacustris L., Trutta lacustris Sb., Salmo trutta Ag., Salmo lemanus Gn. und Trutta variabilis Ln. in die zwei Seen von Sete-Cidades einzusetzen. 2 Versuche im Jahre 1894 misslangen wieder. Nach einem verunglückten Versuche, 1889, Karpfen auf die Inseln zu trans- portieren, glückte im folgenden Jahre die Bevölkerung mit Cyprinus speculum Le. und €. carpioL. Im Jahre 1876 schon waren einige Leuciscus macrolepidotus St. mit Erfolg eingepflanzt worden. Gleichzeitig mit diesen Frosch- und Fischimportationen können kleine Wassertiere mitgebracht worden sein, da aber bekanntlich Fische nur in ganz reinem Wasser transportfähig sind, so ist die Bevölkerung der Gewässer der Azoren auf diesem Wege zwar nicht unmöglich, aber nicht zu überschätzen. Die wahrscheinlichsten Bevölkerungsweisen wären somit die durch Transport von Lebenskeimen durch die Winde und Vögel. In meiner Gesamtbearbeitung der pelagischen Fauna der Süßwasserbecken werde ich eingehender darauf eintreten. Aus der reichen Liste der Binnengewässerbewohner der Azoren hebe ich einige besonders interessante Vorkommnisse hervor. Vermes: Rotatoria: Pedalion mirum Hds. Arthropoda: Orustacea: Daphnella brachyura Lv. Daphnia pennata Mll. Streblocerus serricaudatus Fsch. Diaptomus serricornis LI. Niphargus puteanus Keh. Mollusca: Pisidium fossarinum Cl. Von den noch nicht bestimmten Arten ist die Estheria spec. besonders zu bemerken. Ueber die meteorologischen Verhältnisse dieser Inselgruppe enthält die Abhandlung von Barrois sehr interessante Zusammenstellungen. Imhof, Binnengewässer- Fauna der Azoren. 687 Die vorherrschenden, regelmäßigen Winde kommen vom nördlichen Europa. Die mittleren Temperaturverhältnisse von 4 Serien von Jahren ergeben: 1866—18572 Minimum 13,95° Max. 19,77° Mittl. Temp. 17,31° 1873—1877 ’ 14,23° » AB . 40,21. 1878—1879 = 14,65 ° n 20,857 - 17,81° 1880 — 1835 > 19,01. n 202 = 10,79% Die Temperaturnotierungen gehen vom Minimum von 11,19° bis zur Maximal- temperatur von 24,38°. Die Temperaturen bewegen sich demnach innerhalb auffallend enger Grenzen. Die Monate Februar und März weisen die niedrigsten, Juli und August die höchsten Temperaturen auf. Das Minimum der Luftdruckverhältnisse ist im Februar und März, das Maximum im Juni und Juli. Die Evaporation erreicht im Dezember dasMinimum, im August das Maximum. Vollständig reiner Himmel ist selten, charakteristisch sind viele Nebel. Der höchste Berg ist selten frei. 175 Tage des Jahres sind Regentage. Ueber Temperaturverhältnisse der Gewässer gibt Barrois einige sehr wertvolle Beobachtungen, namentlich eine sehr interessante Tabelle über die Temperaturmessungen angestellt von 1833—1895 in den zwei Seen von Sete- Cidades, lagoa Azul und lagoa Grande durch den Kapitän F. A. Chaves. 261 m ü. M: See Azul. Maximaltiefe 25,4 Meter. Öberflächentemperatur: Minimum 11,5 ° April 1895. Maximum 21,75° August 1888. Tiefste Wasserschichten: Minimum 11,1 ° April 1895. Maximum 12,5 ° August 1893 und September 1890. 261 m ü. M.: See Grande. Maximaltiefe 29,7 Meter. Öberflächentemperatur: Minimum 12,0 ° April 1895. Maximum 23,0 ° Juli 1891. Tiefste Wasserschichten: Minimum 11,25° März 1891. Maximum 13,75° Juli 1891. Es sind danach die Minimaltemperaturen der Tiefe in Vergleichung mit den Seen Europas hoch und der Wechsel der Temperaturen bewegt sich inner- halb sehr engen Grenzen im See Azul von 11,1° bis 21,75°, also von 10,65° Differenz, im See Grande von 11,25° bis 23° also von 11,75° Differenz. Aus der Temperaturtabelle der zwei Seen gibt sich das Fehlen einer Sprungschicht kund. Die Temperaturverhältnisse der Azoren bieten danach ein in folgenden drei Punkten hervortretendes eigenartiges Gepräge: 1. Die Temperaturen der Luft haben ein hohes Minimum 11,19° und ein niedriges Maximum von 24,8°, 2. Die Temperaturen der zwei größten Seen besitzen ein hohes Minimum An Tnunde 12 3% 3. Die Temperaturen der Luft und der zwei untersuchten Seen bewegen sich innerhalb enger Grenzen. In diesen eigenartigen Existenzbedingungen lebt eine Wasserfauna, die mit der europäischen Fauna die größte Verwandtschaft hat. Das Gesamtbild der gegenwärtigen Wasserfauna der Inselgruppe spiegelt sich in der folgenden Tabelle der Vertretung der Kreise und Ordnungen, die die Zahlen der bestimmten Species enthält. Tabelle II. Am allgemeinsten verbreitet sind die Coleoptera, zwar nur mit 7 Arten. Mit je 13 Species folgen die Cladoceren und Ostracoden und die Anneliden mit 6 Species. 688 Imhof, Binnengewässer-Fauna der Azoren. I Tabelle II. AseESe K “1 1 OÖ . 1 2 © & = = = : = = © reise und Ordnungen 3 z|s5P$lelE|s =|= ES 5 ol lee In ln Protozoa. Rhizopoda I:R0T ini en Hain 2. | f 5 J 10 Hlagellatanatrı: Korps KwiRsensihke 4| 4 Dinoflagellata nn Bere aaa ae | | | 21 2 HNFUSOTLA., er SLR RE ke 2 Coelenterata. Tubilerie sms alı)al YEREBENIGERL Ind A Mermes= Nemeruimaı ı n ST SREeee ee 1 Al Nematodes _. N El Rotatoria (+ 1 Var) 2 ee se 7| 716) 18 Annelides no ® BITTER SEE ETF RN 121921961606 Bryozoa SE 1 Arthropoda. ÜOrustacea. Cladorera 5[ 6| 4111| 43 Ostracoda 4| 51 4| 4| 3[12] 13 Copepoda . rn a ES ale kai Ampkipoda: I REIT Sr BIRNEN 1 1 112 Arachnoidea. Hoydrachnıdae mm sure Vierefe AraE mE 1 menge 4124 2.2 Insecta. TEMEDTEROE N REN ee eier 12 Doleopteras nn EV WEN N RE ON N 202 ia 1a) 3) 1.5 Le Mollusca. Tamellibranchıata 4 2 ama na u. .een 1 12 Gasteropoda | 1) 1 Vertebrata. Pisces . Ense gsE Eee ee | | | kan. 8 8 Amphibians rn. Ar EEE 1 al 1 1 1 Lo 8deri Specieniz zur ara Kaserne le: 104 Totalzahl der Varietäten a Keule | | | | | | | r Nach der Anzahl der Arten geordnet sind vertreten: Annelaes 2, I NOTE Spee."!" Rhizopoda , >10 Sper. (KBlEOBLETN. 2 u ee ln Glaaocena en Bonepoun., : 2 waren Osiracoda:. . ». 8 5 Pe al, 037 MENT AN Specee Rotatona ee rear av ar Bezüglich der Herkunft der Fauna der Gewässer der Azoren treten zwei Hypothesen in den Vordergrund: 4. Die Azoren waren früher mit den Kontinent verbunden. Dio Fauna könnte zum Teil eine Relikten - Fauna sein. 2, Die Azoren waren immer im Ozean isoliert, ursprünglich vielleicht un- bevölkert, erst im Laufe der Zeit auf verschiedenen Wegen und von verschie- denen Richtungen auf natürliche Weise, ohne oder mit Hinzuthun des Menschen mit Organismen bevölkert. Das Studium der Fauna der Binnengewässer von Portugal, von wo die Frösche importiert wurden, kann die Frage nach der Heimat oder den nächsten Verwandtschaftsbeziehungen besonders der neuen Arten und damit der ge- sammten Fauna zu sichererem Schluse Aubren. eilt 4] Verlag von en Besold (Arthur EHE in Leipeig: — Druck der us bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bändes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XV1. Band. 1. Oktober 1896, Nr. 19, Inhalt: Sehlater, Einige Gedanken über die Vererbung. — Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland (2. Stück). — MHaeckel, Systematische Phylogenie. — Lindau, Lichenologische Untersuchungen. — Zschokke, Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. — Reess, Lehrbuch der Botanik. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Aka- demie der Wissenschaften in Wien: 1. Zur Anatomie der Frucht und des Samens von Viscum; 2. Untersuchung über das photo-chemische Klima von Wien, Buitenzorg und Cairo, Einige Gedanken über die Vererbung'). Von Gustav Schlater. T. Die Frage über die Vererbung ist eine der Hauptfragen der Biologie. Sie ist so mannigfaltig und so umfangreich, dass wir ihr auf jedem Schritte unseres Forschens begegnen. Welche Erscheinungen des Lebens unser Geist auch erforschen möge, immer gewinnen wir die Ueber- zeugung, dass die Vererbung der Hauptfaktor der Kontinuität und der Konstanz der Formen und der Eigenschaften ist. Die Vererbung ist, sozusagen, jene mächtige Kraft, welche alle unter dem Einflusse der Bedingungen der organischen Entwicklung in der Materie sich gestal- tenden Veränderungen in derselben auf lange oder auf immer festhält. Ohne Vererbung ist überhaupt keine phylogenetische Entwicklung mög- lieh. Daraus ist ersichtlich, dass die Frage über die Vererbung mit der Frage über die Entwicklung der organischen Formen überhaupt, welche seit dem genialen de-Lemarck zur Hauptidee und Richt- schnur der Biologie geworden, eng verknüpft ist; deshalb auch sind wir gezwungen, wenn wir von der Vererbung reden, die Faktoren der organischen Entwicklung ins Bereich unserer Betrachtung zu ziehen. 4) Vortrag, gehalten am 22. Februar 1896 in der I. (biologischen) Sektion der Russischen Gesellschaft für Wahrung der Volksgesundheit. Mit Anmer- kungen und einigen Zusätzen versehen, wird dieser Vortrag bald in Form eines Büchleins, in russischer Sprache, erscheinen. AWVI. 44 690 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Die Vererbung folgt den Fußstapfen der Phylogenese und bemächtigt sich eines jeden Schrittes auf dem Wege des Fortschrittes. Es ist begreiflich, dass diese Frage jeden denkenden Biologen quälen muss, und dass wir gerade gegenwärtig Zeugen einer ernsten, immer mäch- tiger werdenden wissenschaftlichen Polemik sind. Allein, diese Polemik verfolgend, können wir nicht umhin mit Besorgnis einer Thatsache Erwähnung zu thun, welche unter anderem unser so thätiges und in wissenschaftlicher Beziehung fruchtbares Zeitalter kennzeichnet. Merk- würdig ist es nämlich, dass wir, einerseits in unseren Laboratorien die feinsten Strukturen der lebendigen Substanz ergründen, andererseits unser Gedanke von dieser lebendigen Substanz weit weg schweift und so den Mechanismus des Lebens zu ergründen meint. Die Frage über die Vererbung ist, wie ich schon betont, so umfassend, dass die Biologie bei Beantwortung derselben von den verschiedensten Gesichtspunkten ausgehen muss, jedoch immer auf das anatomische Substrat, auf die lebendige Substanz, sich stützend, deren Funktion die Vererbung ist. Allein man muss eingestehen, dass gerade in dieser Hinsicht die heu- tigen theoretischen Anschauungen über die Vererbung vom Boden fak- tischer Daten weit entfernt sind. Alle herrschenden Theorien scheinen zu vergessen, dass die Eigenschaften und der Mechanismus der Ver- erbung notgedrungen aus den Eigenschaften und dem Mechanismus der Lebensthätigkeit der lebendigen Substanz gefolgert werden müssen. Freilich, schon bei Betrachtung des Mechanismus der Vererbung in der Zelle als solcher oder im einzelligen Organismus, überzeugen wir uns, dass eine ganze Reihe anderer Erscheinungen, wie z. B. die Er- scheinungen der Koordination und Kooperation der einzelnen Zellteile komplizierend auf denselben einwirken müssen. Im vielzelligen Orga- nismus muss der ganze Komplex der Erscheinungen und der Eigen- schaften des Vererbungsmechanismus selbstverständlich noch kompli- zierter sich gestalten, aber immer in Abhängigkeit vom materiellen Substrat. Allein die meisten der zeitgenössischen, sich mit den Fragen der Vererbung befassenden Biologen scheinen sich wenig um diese wichtigsten Gesichtspunkte zu kümmern, obgleich wir in dieser Frage keinen Schritt vorwärts kommen werden, so lange unsere Betrach- tungen nieht von der Substanz ausgehen. Es muss somit die erste Aufgabe der folgenden Untersuchungen darin bestehen, dass wir die sich kundgebenden Erscheinungen der Vererbungseigenschaften in der lebendigen Substanz, in ihrer einfachsten Form, sozusagen im Moment ihres Entstehens verfolgend, den Hauptbegriff und die Haupteigen- schaften der Vererbung feststellen, und in Grundstrichen ein allgemeines Schema des Mechanismus desselben entwerfen; dabei muss dieses Schema als Ausgangspunkt dienen, die Vererbung unter den kompli- zierteren Bedingungen ihrer sich kundgebenden Erscheinungen zu er- gründen. Die nächstfolgende Aufgabe der Biologie muss darin be- Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 691 stehen, dass wir die sich kundgebenden Erscheinungen der Vererbung im ganzen Organismus, in der Zelle, oder im einzelligen Organismus, studierend, alle jene Bedingungen zu bestimmen und nach Gebühr zu würdigen suchen — zu allererst die aus dem Bau und aus der Lebens- thätigkeit dieses Organismus resultierenden Bedingungen — welche komplizierend und verändernd auf den ganzen Vererbungsmechanismus einwirken. Schon hier wird unsere Aufgabe verwickelter; allein alle auf diesem Wege auftauchenden Fragen können in zwei Hauptfragen zusammengefasst werden: 1. In welcher Weise wirkt die Zelle selbst, der einzellige Organismus selbst, sein Bau und sein Leben auf die Vererbung ein, mit anderen Worten, wie wirken auf sie die sogenannten inneren Bedingungen? und 2. Was für Aenderungen in den Eigen- schaften und im Mechanismus der Vererbung bewirken die auf den einzelligen Organismus einwirkenden äußeren Bedingungen? Und end- lich tritt an uns die schwerste Aufgabe der Biologie — alle sich kund- gebenden Erscheinungen der Vererbung im vielzelligen Organismus zu verfolgen. Hier taucht natürlich ebenfalls eine ganze Reihe analoger Nebenfragen auf, aber noch komplizierterer, noch schwierigerer. Hier- nach ist es begreiflich, welch weites Gebiet sich den zukünftigen Forschern eröffnet und wie wenig die gegenwärtige Richtung der Lehre von der Vererbung diesen von uns aufgestellten Bedingungen gerecht wird. Die gegenwärtige Richtung hat gerade den entgegengesetzten Weg eingeschlagen, von den kompliziertesten Erscheinungen der Ver- erbung im vielzelligen Organismus ausgehend, dabei von Erscheinungen, welche ihres organischen Zusammenhanges mit dem anatomischen Substrat beraubt sind; und die Vererbungssubstanz selbst wird von jedem Biologen nach seinem Ermessen rekonstruiert und mit besonderen Kräften begabt, als hätte die Zelle keinen Bau, keine Physiologie und keine Pathologie. Ich habe nicht die Absicht in diesem Aufsatze irgend eine der von mir aufgeworfenen allgemeinen Fragen zu beantworten oder auch eine der vielen Nebenfragen eingehender zu besprechen; ich werde mich damit begnügen, von der neuen sich entwickelnden Richtung der Zellenlehre!) ausgehend, auf den Weg zu weisen, welchen meiner 4) Um dem ausländischen Leser das Verständnis der folgenden Zeilen zu erleichtern, muss ich hier ein Paar Worte über mein Büchlein sagen, welches zu Ende des vorigen Jahres in russischer Sprache, unter dem Titel: „Die neue Richtung in der Morphologie der Zelle und ihre Bedeutung für die Biologie, St. Petersburg, 1895“ erschienen ist. In diesem Werkchen suchte ich, mich auf die bekannten Untersuchungen R. Altmann’s und seiner Schule, sowie auf eine lange Reihe anderer morphologischer An- gaben, stützend, zu zeigen, dass unser Begriff der Zelle vollkommen umgestaltet werden muss und dass die Zelle als ein komplizierter Organismus, bestehend aus viel einfacheren morphologischen Lebenseinheiten, den sog. „Öytoblasten‘“, aufzufassen sei, welche unter dem Mikroskop in Gestalt der verschiedensten 44 0 6929 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Ueberzeugung nach die späteren Forscher in den Hauptfragen der Biologie einzuschlagen gezwungen werden. 11: Die letzten Ergebnisse der biologischen Forschungen zeigen uns eine allgemeine Thatsache von großer Bedeutung und großer Tragweite. Wir gewinnen nämlich immer mehr die Ueberzeugung, dass die Zelle ihre Phylogenie besitzt, und dass diese weit und kompliziert sein muss. Davon überzeugen uns in gleichem Maße sowohl die Erforschung der chemischen Prozesse, die sich in der Zelle abspielen, sozusagen des chemischen Baues der einzelnen Zellbestandteile, als auch der morpho- logische Bau der Zelle. Wir wissen jetzt, dass selbst die Eiweiß- Molekel ihre phylogenetische Entwicklung besitzt, d. h. aus einfacheren chemischen Formen hervorgegangen ist. Infolge dessen kann nicht nur die Zelle nicht als Ausgangspunkt der Entwieklung der Organismen angesehen werden; nicht nur die Zelle hat einen langen phylogene- tischen Weg hinter sich, indem sie aus „Granula“, oder aus „Mikro- somen“ hervorgegangen ist, sondern auch diese letztgenannten Gebilde, die eine gewisse Kompliziertheit in morphologischer Hinsicht besitzen müssen, sind ihrerseits aus den „definitiv letzten Struktureinheiten der lebendigen Substanz“ (wie ich sie benannte), aus den „Biogenen“ (A. Weismann), „Biophoren“ (M. Verworn), oder wie sie heißen mögen, hervorgegangen. Allein, wie wir eben gesehen haben, können auch diese nicht der Ausgangspunkt der organischen Entwicklung sein. Diese Gedankenreihe zeigt uns vollkommen klar die ganze Kompliziert- heit der Zelle — als Organismus. Wir überzeugen uns davon, dass wir dieGrundprinzipien des Vererbungsmechanismus in der Zelle selbst, ja im Bereiche der einzelnen „Cyto- blasten“ zu suchen haben. Und nur dann, wenn es uns „Granula“ und „Mikrosomen“ erscheinen. Auf eine Reihe von Betrachtungen mich stützend, suchte ich des weiteren zu zeigen, dass auch der „Cytoblast“ nicht als die letzte Instanz der morphologischen Zergliederung der lebendigen Substanz aufzufassen sei, sondern dass er aus den von mir „definitiv letzten Struktureinheiten lebendiger Substanz“ genannten Lebenseinheiten bestehe, welche eine sehr komplizierte Eiweiß -Molekel im chemischen Sinne darstellen. Weiterhin erbrachte ich aus den Litteraturangaben, sowie auch aus meinen vorläufigen Untersuchungen den Beweis, dass die Zelle zum Teil als Organismus mehrere, morphologisch und funktionell differenzierte Arten oder Typen von „Cytoblasten“ enthält (im Kerne 5; im Zellenleibe 3). Alle diese morphologischen Lebenseinheiten, diese „Cytoblasten“, welche im Verhältnis zur Zelle vollkommen analog sind den Zellen im vielzelligen Organismus, können nicht in eine völlig homogene indifferente Zwischensubstanz eingelagert sein, sondern diese letztere, welche ich „intereytoblastische Substanz“ nannte, muss auch analog sein den verschiedenen Intercellularsubstanzen des Metazoon. Dieses Schema ist eine notwendige Folge unseres gesamten gegenwärtigen Wissens auf dem Gebiete der Cytologie. Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 693 gelungen, diesen Mechanismus im Bereiche der Zelle selbst zu ergründen, sind wir berechtigt, an den viel- zelligen Organismus heranzutreten, in welchem auf den Vererbungsmechanismus noch andere, aus der Natur des Metazoon hervorgehende Faktoren komplizierend ein- wirken. Von diesen Ideen ausgehend sind wir gezwungen bei Be- trachtung der Fragen über die Vererbung zu allererst bei der Zelle stehen zu bleiben und in ihr die Lokalisation der Vererbungsfähig- keiten zu suchen, wobei diese Fähigkeiten nicht gleichmäßig über den ganzen Leib des Zellen-Organismus verteilt sein können, sondern an eine bestimmte Art von „Oytoblasten“ d. h. von Hauptstruktureinheiten der lebendigen Substanz, aus deren Summe die Zelle aufgebaut ist, gebunden sein müssen und deren spezifische Funktion darstellen. Die Analogie mit dem vielzelligen Organismus muss sich auch darin kund- geben. Gleichwie in diesem letzten die Fähigkeit der Vererbung von Arteigenschaften nur den Geschlechtszellen, dem Ei und dem Sperma- tozoon geblieben ist, so muss auch in der Zelle, als solche, die Fähigkeit der Vererbung von (sit venia verbo) Arteigenschaften der betreffenden Zelle, nur an bestimmte „Cytoblasten“ gebunden sein. Dabei gelangen wir zu einer sehr wichtigen, noch lange nicht end- giltig beantworteien Frage — zur Frage über die Lokalisation der Vererbungseigenschaften in der Zelle. Ill. Seitdem die Cytologie, d. h. die Lehre vom Zellenleben, immer mehr Thatsachen ansammelte, welche auf die große Bedeutung des Zellkernes hinweisen, und welche zwangen, den Kern als physiologisches Centrum anzusehen, aus welchem, die verschiedensten Funktionen der Zelle bewirkende Impulse ausgehen, — seitdem fing man auch an dem Kerne eine Hauptrolle in Bezug auf die Uebertragung von Vererbungs- eigenschaften einzuräumen. Besonders trugen dazu bei die großartigen, komplizierten und dabei doch regelrechten Prozesse, welche den mito- tischen oder karyokinetischen Typus der Zellteilung ausmachen. Da der Schwerpunkt der Teilung in diesem Prozesse liegt, in welchem die Hauptrolle die sog. Chromatin-Substanz des Kernes, und zwar hauptsächlich die basichromatinen Mikrosomen (Cytoblasten) spielt!), so wurde die Aufmerksamkeit der Biologen natürlich sogleich auf diese morphologischen Elemente der Zelle konzentriert, und diese letz- teren mit Vererbungseigenschaften begabt. Dazu zeigen uns die neuesten Fortschritte der Ovogenese und der Spermatogenese sowie der Befruch- tungsvorgänge eine merkwürdige Konstanz der Chromosomen, d.h. jener Einheiten, zu denen in gewissen Phasen der Karyokinese die 1) Siehe meine schon angeführte Broschüre. 694 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Chromatinelemente zusammentreten. Es erweist sich, dass die Zahl der Chromosomen für jede Art eine, wie es scheint, bestimmte ist und, im Verlaufe der angeführten Prozesse eine Reduktion und eine Ver- vielfältigung erfahrend, schließlich doch dieselbe bleibt. Zeigen solche Thatsachen nieht mit Sicherheit, dass gerade im Chromatin, oder in den basichromatinen Cytoblasten, die Lokalisation der Vererbungs- eigenschaften der Art zu suchen ist. Das ist auch die allgemein ver- breitete Ansicht der Biologen. Allein, ungeachtet alles dessen, ist diese Frage noch lange nieht endgiltig entschieden. Erstens wissen wir jetzt, dass sich der karyokinetische Prozess nieht ausschließlich auf das Basichromatin beschränkt, sodann, dass auch die sog. achroma- tischen Substanzen, die Centrosomen und vielleicht auch die Nucleolen, einen regen Anteil an denselben nehmen. Zweitens zeigen uns die neuesten Fortschritte der Zellenmorphologie, dass in dem Chromatin der Autoren (Basichromatin) noch „Oxychromatin-Mikrosomen“ (M. Heiden- hain) enthalten sind; endlich finden wir im Kerne noch einen dritten Typus von „Cytoblasten“, die sog. „Hyalosomen“ (8. Lukjanoff), oder „Cyaninophile Granula“ (R. Altmann), welche, wie es sich er- weist, eine hervorragende Bedeutung in den Lebensprozessen der Zelle als Organismus haben. In welchem Maße alle diese Elemente am Prozesse der Karyokinese beteiligt sind, und inwiefern sie alle Schuld sind an der Uebertragung von Vererbungseigenschaften der Art, können wir gegenwärtig nicht mit Bestimmtheit sagen. Deswegen sind auch wir gezwungen mit der verbreiteten Ansicht vorläufig vorlieb zu nehmen und die Chromatin-Cytoblasten als Träger der Vererbung anzusehen. Uebrigens ist diese Frage, abgesehen von ihrer großen Wichtigkeit, für uns von untergeordneter Bedeutung. Um einen Einblick in den Prozess der Uebertragung von Vererbungseigenschaften zu gewinnen, um die Grundprinzipien des Vererbungsmechanismus begreifen zu lernen, ist es im Prinzip vollkommen gleichgiltig, ob die Basichromatin - Oyto- blasten oder irgend eine andere Art von „Oytoblasten“ die Organe der Vererbung sind. Drei Fragen von großer Tragweite harren auf Antwort. 1. Die Frage von der Struktur der Vererbungssubstanz. 2. Die Frage von der Individualität oder Spezifizität der Vererbungssubstanz einer jeden Art und 3. Die Frage über den Mechanismus der Vererbung, d. h. der erblichen Uebertragung. Allein die beiden ersten Fragen fließen, wie wir später sehen werden in eine allgemeine Frage über den Mechanis- mus der Vererbung zusammen, welche nicht ohne Berücksichtigung der ersten zwei Fragen beantwortet werden kann. (2. Stück folgt.) Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 69 Anthropologische Arbeiten in Russland. (Zweites Stück). N. W. Giltsehenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. II. Die Terek-Kosaken!). (Vorläufige Mitteilungen.) Giltsehenko untersuchte im Jahre 1837 die Terek-Kosaken in ethnologischer und anthropologischer Richtung: er sammelte viel Ma- terialien, deren Bearbeitung viel Zeit und Mühe erforderte. In der gegenwärtigen Mitteilung gibt er die Hauptresultate seiner Arbeit. Die Kosaken-Bevölkerung des Terek-Gebietes lebt in 70 Höfen und Dörfern, die vorwiegend an den Ufern der Flüsse Terek, Sjunsha und Malka liegen. (Die Kosakendörfer heißen Russisch Staniza, ab- geleitet vom Russischen Stan = Lager, Lagerplatz.) Die Zahl der in diesen Dörfern und Gehöften lebenden Bewohner betrug am 1. Jan. 1890 168,768 Individuen beiderlei Geschlechts (86174 männliche und 82594 weibliche). Unter diesen Individuen sind aber mit einbegriffen 7033, die andern Ständen, nicht dem Kosakenstande angehörten. Die gegenwärtige Kosakenbevölkerung des Terek-Gebiets ist kein einheitlich gleichartiger Volksstamm, sie ist in den einzelnen Bezirken sehr verschieden. Die Geschichte des Terek-Kosaken-Heeres ist eng verbunden mit der Geschichte der russischen Kolonisation des nördlichen Kaukasus; sie geht bis ins XVI. Jahrhundert zurück. Es haben sich einige Nach- weise erhalten, aus denen man schließen muss, dass bereits in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts im nördlichen Kaukasus Russen, d. h. Kosaken, lebten. Ueber die Art und Weise, wie die Kosaken dakin gelangten, sind die Historiker verschiedener Meinung. Tatisch- tochew, Karamsin, Solowjew vermuten, dass vom Don her unter einem Ataman Andrei Schadon die ersten Kosaken, wahrscheinlich Flüchtlinge, erschienen. Andere Historiker, z. B. Popko, meinen, dass bereits viel früher, zur Zeit der Vereinigung des Fürstentums Rjäsan mit dem Moskauer, die Kosaken zuerst im Kaukasus sich ein- fanden. Den freien Kosaken in Rjäsan gefielen nicht die neuen An- ordnungen der Moskauer Regierung, die an dem Flusse Tscherwleny- Jar lebenden unzufriedenen Kosaken verließen ihre Heimat und zogen in den Kaukasus. Sie fuhren die Wolga entlang in das Kaspische Meer bis zur Mündung des Flusses Terek und ließen sich hier nieder. Sie wurden später bezeichnet als die Grebenkow-Kosaken, und von hier aus entwickelte sich das eigentliche Terek - Kosakentum. Die ersten russischen Niederlassungen sindKosaken-Gemeinden, die sich aus Flüchtlingen aus dem Lande der Don’schen Kosaken und 4) Ueber „die Materialien zur Anthropologie des Kaukasus“, I. Die Osseten, findet sich ein Referat im Biologischen Centralblatt, 1891, Bd. XI, Nr. 9 und 10. 696 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. aus großrussischen Gouvernements bildeten, unter Beteiligung von Leuten, die ihre persönliche und religiöse Freiheit sich bewahren wollten. In Folge des Mangels eigener russischer Frauen holten die Kosaken sich Frauen von den Nachbarn — Kabardiner, Kumnyken, Tschetschenzen — und daraus entwickelte sich der kräftige Typus der Grebenkow-Kosaken, der sich durch Schönheit und kräftige Gestalten auszeichnete; — jetzt verschwindet dieser Typus allmählich. Im Laufe der Zeit haben die Kosaken von ihren Nachbarn, den eigentlichen kaukasischen Bergvölkern, allerlei in Waffen, Kleidung, Wohnung, Hausrat angenommen. Sitten und Gebräuche änderten sich, nur die Religion und die Spiele blieben die alten. Die freie Kosaken-Gesellschaft, für die Moskauer Fürsten unerreich- bar, lebte noch unabhängig, doch wurde die Verbindung mit Moskan erhalten — die Kosaken betrachteten sich als Unterthanen der Moskauer Herrscher. Peter der Große verlegte im Interesse der russischen Kolonisation die Grenze vom Flusse Terek bis zum Flusse Ssulak, und ließ hier eine Festung und einige kleinere Befestigungen anbringen, veranlasste die Gründung einiger Niederlassungen verschiedener kaukasischer Volks- stämme, Kabardiner, Kumyken, Armenier, Grusier. Alle diese Ansiedler wurden dem Kosakenheere zugeschrieben und bildeten eine besondere Gruppe, die als „Ochotscheni“ und „Nowokreschtscheni“ be- zeichnet wurde. (Nowokreschtscheni heißt Neugetaufte.) — Außerdem ließ Peter noch eine beträchtliche Zahl Don’scher Kosaken mit ihren Familien in den Kaukasus übersiedeln. Derartige Uebersiedelungen wiederholten sich später öfter. Im Beginn des XIX. Jahrhunderts ließen sich auf Aufforderung der russischen Regierung eine beträcht- liche Zahl Osseten-Familien an dem Fuße des Gebirges nieder — ein Teil dieser Osseten wurde auch dem Kosakenheere zugeschrieben. Derartige Kosakendörfer (Stanizen) sind: Lukowskoja, Neu-Osseten- owskoja, Tschernojarskaja. Auch später wurden hunderte von rus- sischen Bauernfamilien zur Verstärkung des Kosakenheeres in den Kaukasus gesandt — es galt eine lang ausgedehnte Grenzlinie zu be- wahren. So wurden 2 vollständige in Klein-Russland ausgehobene Kosaken-Regimenter in den Kaukasus geschickt. Als die Kosaken an- gelangt waren, wurde ihnen mitgeteilt, dass sie daselbst angesiedelt werden sollten; auf Kosten der Regierung wurden die Familien der Kosaken aus der Ukraine abgeholt. Auch Polen wurden zu ver- schiedenen Zeiten daselbst angesiedelt. — Aus dieser kurzen Uebersicht geht hervor, dass das heutige Terek- Kosaken-Heer größtenteils aus den Nachkommen Donscher, Wolga- scher und anderer Kosaken besteht, denen fortgelaufene Bauern, ent- lassene Soldaten, Eingeborene u. 8. w. zugeschrieben wurden. Ueber- dies fand während der 300 Jahre in Folge der Eheschließungen mit Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 697 den benachbarten Kaukasus - Volksstämmen eine stete Vermischung statt. Dazu kommt noch ein Umstand, die ungehinderte Freiheit der Kosakenmädchen und Frauen, die früher noch ungebundener war als heute. — Die gesamte männliche Bevölkerung, Jünglinge, Männer und Greise müssen den harten Grenzdienst ertragen, bleiben oft monatelang abwesend von Hause, während hier nur zurückgeblieben sind die Weiber und die Arbeiter: Kumyken, Hoja u. a. Die anthropologischen Untersuchungen bestätigen diese aus histo- rischen Thatsachen gezogenen Schlüsse. — Der Typus der Terek- Kosaken ist sehr verschieden: die Grundlage ist eine slawische Be- völkerung, der fremde, nichtrussische Elemente beigemischt sind. Nach einer Zusammenstellung in dem Buche von Pissarew („300 Jahre des Terek-Kosakenheeres, 1577—1877*, Wladikawkas 1881), fanden sich Großrussenss Iran ran 4.02 Kleinrussen. „= 2 02.2.. Aus 30.126,05 Soldaten . . 8,3 Eingeborene, d. h. Nieht- Russen 2,3 i Der Verfasser hat 400 Individuen gemessen nach dem Programm, dessen er sich bei Untersuchung der Osseten bediente (Biol. Central- blatt, 1891, Bd. XI, Nr. 9—10). Er führte an jedem Individuum gegen 40 Messungen aus und machte fast ebenso viel anthropologische Be- merkungen über Haare, Augen u. s. w. Die Terek-Kosaken sind überwiegend hellhaarig und helläugig: bellhaarıg © .2227.29/680], dunkelhaarig . . 32, Nach den verschiedenen Abteilungen des Heeres wechseln die Verhältniszahlen hier wie bei den übrigen Zählungen. Augen. Helle Augen (blau, dunkelblau, graublau, grau, dunkelgrau und grünlich, finden sich bei . . 62% Dunkle Augen, hellbraun, braun und dunkel- braun. ben...“ 4A TEEN WER Sl Messungen. Die mittlere Körpergröße der Terek-Kosaken ist 1678 mm (Max. 1902; Min. 1500). Die Klafterweite ist im Mittel 1728. Das Verhältnis zur Körper- größe 102,9. Der Brustumfang ist im Mittel 913,7 mm. Verhältnis zur Körpergröße 54,4, also ein äußerst günstiges (Max. 1035 mm, bei einer Körpergröße von 1731 mm, Min. 773 bei einer Körpergröße von 1530 mm). Der Kopf. Es wurde die größte Kopflänge von der Glabella bis zur Protuberatia oceipitalis externa gemessen: sie betrug im Mittel 156 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße ist 11,08. Der größte Querdurchmesser des Kopfes beträgt im Mittel 151 mm, das Verhältnis zur Körpergröße 9,0. Der Kopfindex ist im Mittel 81,1; es können demnach die Terek- Kosaken als subbrachy- cephal bezeichnet werden. 698 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Die Abweichungen der genannten Zahlen in den einzelnen Be- zirken habe ich bei Seite gelassen. — | Der Verfasser fasst seine Resultate schließlich folgendermaßen zu- sammen: Die Terek-Kosaken sind hellhaarig und helläugig, von mehr als mittlerer Körpergröße; sie sind subbrachycephal; sie haben keine bedeutende Klafterweite, aber einen sehr großen Brustumfang. N. W. Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. Ill. Die Kuban-Kosaken. (Arbeiten der anthropologischen Abteilung der Moskauer Anthropolog. Gesellschaft, Bd. XVII, 2. Lieferung, Moskau 1895, 254 Seiten, 4°. Mit vielen Tabellen.) Ein Kuban-Kosaken-Heer ist 1860 geschaffen. Es wurde ge- bildet aus einem kleinen Teil der kaukasischen Linien-Kosaken und aus den sogenannten Schwarzen-Meer-Kosaken (Tschernomorzi). Die letzteren sind die Reste des Saporoger Heeres, die für ihre Erfolge am schwarzen Meere im Kampfe gegen die Türken 1783 und 1791 den Namen der Schwarze-Meer-Kosaken erhielten. Am Ende des Jahres 1792 siedelten sie sich an den Ufern des schwarzen Meeres an, in den Niederungen des Flusses Kuban, in einer damals vollständig menschenleeren Gegend. Die Halbinsel Taman und das angrenzende Gebiet, das früher nach einander sehr verschiedene Völker und Stämme bewohnt hatten, war zuletzt von den Nogaiern eingenommen; aber im Jahre 1784 mussten die Nogaier auf Befehl Suworow’s in das Gouvernements Taurien ziehen, und das Taman-Gebiet blieb menschen- leer und öde. Das Land war wild und völlig ungeeignet für ruhige und stete Bewohner. Den Kosaken fiel die Aufgabe zu, das Land zu besiedeln, Wege anzulegen und sich an die ungewohnten Lebensverhältnisse zu ge- wöhnen. Bald mussten sie auch das Land gegen die kühnen tscher- kessischen Stämme verteidigen, einzeln Mann gegen Mann. Hier bildete sich ein besonderer Typus der Kosaken aus, der Typus des „Plastun‘“, der anderswo nicht getroffen wird. Die Zahl der in das Kuban-Gebiet übergesiedelten Kosaken betrug etwa 25000 Individuen. Sie nahmen das Land ein und gründeten Niederlassungen, die einen halb bürgerlichen, halb militärischen Cha- rakter hatten. Zuerst gründeten sie 40 Dörfer (genannt Kurenji) und gaben ihnen Namen der bekannten 38 Kosakendörfer der Saporoger Setsche; später wurden die sogenannten Kurenj-Niederlassungen in Stanizen umbenannt. — Da die Grenzbewachung viel Leute erfordert, und die natürliche Zunahme, sowie das Zuströmen von Flüchtlingen nicht hinreichend war, so wurden in den Jahren 1808, 1820 und 1848 noch gegen 200000 Individuen beiderlei Geschlechts aus den Klein- Russischen. Gouvernements angesiedelt. Außerdem gestattete man 500 Soporogern, die 1808 in die Türkei gewandert waren, nach Russ- land resp. in den Kaukasus zurückzukehren. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 699 Aus dieser kurzen historischen Uebersicht ergibt sich, dass die Kuban-Kosaken kleinrussischer Abstammung sind. Giltschenko untersuchte 61 Mann aus verschiedenen Stanizen des Gebiets. Von diesen 61 Mann konnten 35 (57°/,) lesen und schreiben — ein Verhältnis, das besser ist als unter den Bewohnern der Ukraine in Russland. Die Kosakendörfer haben bereits seit 1803 Schulen, seit 1820 sogar ein Gymnasium. Alle waren mit Ausnahme der sogenannten Altgläubigen griechisch- orthodox. Ihrem Beruf nach waren alle ohne Ausnahme, ehe sie ins Militär traten, Ackerbauer. Fast alle waren „geborene“ Kosaken, d. h. ihre Eltern waren bereits Kosaken; nur bei einigen (8) stammte der Vater oder die Mutter aus den inneren Gouvernements Russlands. Die anthropologischen Notizen sowie die Messungen sind sehr aus- führlich und genau mitgeteilt; die Resultate der Berechnungen sind stets mit den einschlägigen Resultaten anderer Forscher verglichen. Ich erwähne hier insbesondere die Abhandlungen von Emme, Krass- now, Kopernicki und Majer; Diebold (Kleinrussen. Dorpat 1886), Brennsohn, Littauer (Dorpat 1887); ein genaues Verzeichnis der gesamten — russischen — Litteratur findet sich zum Schluss auf S. 243 u. 244. Es ist ganz unmöglich, alle Zahlen des Verfassers sowie alle Berechnungen und Vergleiche wiederzugeben. Ich begnüge mich da- her, nur die Hauptergebnisse des Verfassers zusammenzustellen. Der Kuban-Kosak macht den Eindruck eines stämmigen, kräftig gebauten Menschen von hohem oder mehr als mittlerem Körperwuchs. Knoehen- und Muskelsystem sind sehr gut entwickelt. Freilich ist er nicht so gewandt wie der Terek-Kosak oder wie der kaukasische Bergbewohner, aber dafür ist er ein ungewöhnlich ausdauernder, un- ermüdlicher und zuverlässiger Krieger. Einen kräftigen Körperbau hatten . . 68,0%, „ mittleren n > a2. „ schwächlichen „ 5 er) Die Hautfarbe war bräunlich bei 64 „ hell-undrosie 7, 7.36 ,., Die Haarfarbe ist häufiger dunkel als hell; unter 217 Indi- viduen hatten 55,3°, dunkle, und 44,7°/, helle Haare. Den Kuban- Kosaken stehen die galizischen Russinen am nächsten (Koperniski). Haar und Bart treten sehr spät auf — die Behaarung am übrigen Körper ist sehr spärlich. Augen. Die Augen sind meist von mittlerer Größe (85,3°/,); nur bei einigen waren die Augen groß (14,7%,). Die Augenlidspalte hatte 700 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. fast bei allen eine horizontale Lage — eine wirklich schief gestellte Spalte wurde nur ein einziges Mal beobachtet. Spuren eines dritten Augenlids (im medialen Augenlidwinkel) waren nur einmal zu sehen. Dunkle Augen sind seltener als helle. Unter 217 Individuen hatten 63 (29%/,) dunkle Augen, die übrigen 154 (71°/,) hatten helle. Rechnete der Verfasser dagegen die Augen, bei denen dunkle Pigment- streifen sich auf hellem Grunde fanden, zu den dunkeln, so erhielt er: dunklerAugen „2 2... 4287 helle" Ange num 3 ea Nicht ohne Interesse ist die folgende Tabelle: Augen dunkle helle Kleinrussen Dieboolg a sera a DDR des Gouv. Kiew Falko-Hrinzewitsch 254 „ DIT „ Kleinrussen Krassnow sn. AAnıg HA des Gouv. Charkow ( Giltschenko . . . 373 „ D2A0, Kleinrussen E:mmieror uH81977 NAloaBaT a 52,6 , des Gouv. Poltawa Giltschenkojlisisa!n: 40,85, 59,215 Kuban-Kosaken . . Giltschenko ... 42,8 „ Hl; u, Der Verfasser stellt ferner seine Ergebnisse in Betreff der Haare und Augen zusammen. Untersucht wurden 217 Individuen. Heller Typus (helle Haare und Augen) 75 Indiv. = 34,59], dunkler Typus (dunkle „ n en EL, ME (dunkle Haare, helle Augen) 64 — 29,6 0 Se Haare nmel Ange ra bee, A 36° Der dunkle Typus war und ist eine Eigentümlichkeit der West- slawen, und folglich auch der Ukrainer, im Gegensatz zu den nordöstlichen Slawen, bei denen stets der helle (blonde) Typus überwiegt. Ist das richtig, so muss man aus jenen Zahlen schließen, dass der helle Typus immer mehr den dunkeln verdrängt. Und dies ist auch Falko-Hrinzewitsch aufgefallen: er erklärt das Ueber- wiegen eines „gemischten“ Typus durch das Eindringen nördlicher Elemente in die Ukraine. Die Stirn ist gut gebildet, hoch, grade, mit gut entwickeltem Stirnhöcker und mäßig ausgebildetem Augenbrauenhöcker; eine niedrige Stirn ist selten. Hohe,, breite“Stirn‘ 7) #73 Indw., 54205 mittelhohe A SL SG u 104 8, niedrige ß Ab EEE u 2n,, hoch (und schmal). 2 „ re Das Hinterhaupt ist fast stets gleichmäßig abgerundet, selten platt und nicht vorspringend. Der Gebrauch der unter den Einge- borenen des Kaukasus verbreiteten Wiege ist unter den Kuban-Kosaken nicht üblich. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 701 Hinterhaupt abgerundet . . 55 Indiv. . 91,6%, n abgeplattet « .ı.,D8: „ ER SRIR Das Gesicht ist breit und kurz; schmale und lange Gesichter sind selten. Breites: Gesicht . ..- ..,.1. 2885 Indiv:ii... ı,58,3%%, schmal eis nr io Sr ra gleichmäßig oval . . . Di ; 34, Die Zahlen von Diebold | Falko- Hrinzewitsch stehen den angeführten ganz nahe. Die Wangenhöcker sind im Allgemeinen schwach entwickelt, nicht breit und nicht vorspringend. schwache . „ 290., 2025 SREB23BTndiv. 2127 AlSDH Stark nen a U WEEER 28,01, Die Nase ist ziemlich roh, der Rücken grade, fein; selten sind Sattel- oder platte Nasen. Grade Nasen. mg. 02. a7 48, Indiv. 7,80], Adler Nasen rer See Re SCHE platte Nasens 7 ut aan Nor Die Lippen sind von mittlerer Größe und meist fein und dünn; dicke Lippen sind selten. Der Mund ist meist klein, selten groß. Eippemdieke =. 20.7.0280. Dilndiv. =. > .8-D01n = mittleres dr 0 nr er 22, De ae R [einer ae u rd 94,2, Min ders oroßersy un oo Ir „.10,5-, e Mitllererv..... 0027.22 08: 080 5 kleinerer... ... 23 DOSE Die Zähne sind meist von ee Größe, Släichmälig, grade und dicht stehend, selten krank (kariös). Zähne große a NN. =. 820, 5 mitseletoße.. .. vera 10,85 ; kleiner. ;: Ba ieh 18,0% Das Kinn ist häufiger breit (43, 19 /o) als schmal (27,9 1,). Die Ohren sind klein oder von mittlerer Größe und liegen dem Kopf dicht an. Anthropometrische Untersuchungen. I. Körpergröße. Anutschin bestimmt die mittlere Körpergröße der (männlichen) Be- völkerung des Kuban-Gebietes auf 1666mm. Aber diese Zahl bezieht sich auf die Bevölkerung mit Ausschluss der Kuban-Kosaken. Die Kuban-Kosaken leisten ihre Militärpflicht in anderer Weise als die übrige Bevölkerung, und deshalb gelangten die sie betreffenden Zahlen nicht zur Kunde Anutschins. Nach Giltschenko ist die mittlere Größe der von ihm gemessenen 61 Kosaken — 1700,85 mm; die Zahl übertrifft um ein Bedeutendes die mittleren Angaben, die von andern 702 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Untersuchern für die Kleinrussen gefunden sind: Diebold 1664,4 mm; Talko-Hrinzewitsch 1667 mm, galiz. Russinen 16440 mm; Erkert 1645 mm, Snegirew 1651. — Die große Zahl ist offenbar zu erklären daraus, dass essich hier nur um die kräftigsten, körperlich am meisten entwickelten Individuen gehandelt hat. Bezeichnen wir die Körpergröße vom Fußboden bis zur Scheitel- höhe mit 100, so ist der Abstand vom Fußboden bis zu den Ohrmuscheln == 1568 mm — 92,5°], der Körpergröße, der Abstand vom Fußboden bis zum Manubrium sterni — 1385,4 „ — 84,4°|, der Körpergröße, der Abstand vom Fußboden bis zum Nabel —-41016,7 , — 60,0°|, der Körpergröße, der Abstand vom obern Rand der Schambeinfurche — 4804,05 — 51,4°], der Körpergröße. I. Kopf und Gesicht. Der horizontale Kopfumfang ist im Mittel 550,5 mm (Max. 533, Min. 523, Diff. 60 mm). Verhältnis zur Körpergröße 32,3 1,. Gewicht des Gehirns. Ueber das Gewicht des Gehirns der Kleinrussen fand der Verfasser keine direkten Angaben. Nur bei Oscar Peschel fand er, dass Welcker auf Grund der gemessenen Kapazität von 18 kleinrussischen Schädeln die Kapazität im Mittel auf 1407 ce und bei Russinen (6 Schädel) auf 1485 ce bestimmt hat. An einem andern Ort bestimmt Peschel die Kapazität des männ- lichen slawischen Schädels auf 1484,5ce und das Gewicht des Hırns 1325,1 Gramm. Weisbach ermittelt das Gewicht des Hirns auf Grund der Wägungen von 18 Hirnen von Russinnen auf 1320 Gramm. (Min. 1148 g, Max. 1455 &; mittleres Gewicht des Großhirns 1162,09, des Kleinhirns 141,55, Pons Varolii 16,90 g.) Das Gewicht des slawischen Gehirns ist von Weisbach im Mittel auf 1325,0 g (Polen 1320,5, Slowaken 1310,7, Tschechen 1368,5) angegeben. Giltschenko konnte die Gehirne von 8 Kuban-Kosäken wägen. Die Kosaken standen im Alter von 22—25 Jahren. Mittel-Gewicht des ganzen Gehirns 13544 g = 5 „ kleinen Gehirns 164,45 „ Körpergröße dieser 8 Kosaken im Mittel = 16765 „ Der Verfasser untersuchte auch zum Vergleich das Gewicht klein- russischer Gehirne. Das Mittel aus Wägungen von mehr als 100 Hirnen beträgt 1365,8. — Das ermittelte Gewicht des Gehirns der Kuban-Kosaken 1354,4, sowie der Kleinrussen 1365, ist kleiner als das von Wagner im Allgemeinen angegebene 1410 g und beiHuschke 1424 g. Eben daher ist zu berücksichtigen, dass in den Tabellen bei Topinard (Anthropologie S. 111) nur Engländer und Holländer die hohe Zahl erreiehen, und dass Topinard schon 1400 g als Durch- schnittsgewicht eines normalen Gehirns annimmt. II Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 103 Der senkrechte Ohrbogen von einer Ohröffnung zur andern (Vertikaler Kopfumfang, Schmidt S. 94) ist im Mittel 326,1 mm (Min. 297, Max. 356, Diff. 59 mm). Verhältnis zur Körpergröße 19,17. Der Längskopf-Bogen von der Nasenwurzel zum Hinterhaupt (Schmidt S. 94) ist im Mittel 327,3 mm (Min. 289, Max. 359, Diff. 70 mm). Verhältnis zur Körpergröße 19,2. Längsdurchmesser des Kopfes im Mittel 134,5 mm (Min. 172, Max. 199, Diff. 27 mm). Verhältnis zur Körpergröße 10,8. Diebold fand im Mittel 183,75 mm Talko-Hrinzewitsch „ , „ 18420 ,, Erkert Bi „191483;30>3 ;; ) Größter Querdurchmesser des Kopfes (Breite) im Mittel 151,6 mm (Min. 141,0, Max. 168,0, Diff. 27 mm). Verhältnis zur Körpergröße 8,9; nach Diebold im Mittel 155,37 mm I Talko-HrinzewitschV}, 1) 153,30, Brkeri 2m 148,805 Das Verhältnis des Längsdurchmessers zum Querdurchmesser des Kopfes (184,5 : 151,6) ist bei Kuban-Kosaken = 82,1. Nach diesem Kopfindex sind die Kuban-Kosaken zu den Subbrachycephalen mit starker Hinneigung zu Brachycephalie zu rechnen. Doliehocephaler 3%, his! 1753 „av Fintv. 69, Subdohchocephale vu, 477, DEN ut, 82% Mesotocephale»? ru „8907 72U2.313:74 5.731,35 Subbrachycephale :.17 5.782,33) 1.7..:15 20,227 24.65, Brachycephale, über EHI Z2T EHHTNANZ , 61 Indiv. Der Kopfindex der Kleinrussen ist nach Diebold im Mittel 84,3 „ Talko-Hrinzewitsch a BZ )) Erkert ” )) 80,5 „ Kopernicki (Russinen) Ban 82,0 5 (russ. Bergbergen) „ „848 „ Krassnow 82121792588 Auch nach Emme sind die Kleinrussen im Vergleich zu den Großrussen durch eine große Neigung zu Brachycephalie ausgezeichnet. Die Kopfhöhe wurde an 41 Individuen (Kuban-Kosaken) be- stimmt, sie beträgt im Mittel 125,5 (Min. 112, Max. 134, Diff. 22 mm). Verhältnis zur Körpergröße 4,4%,. In Betreff des Verhältnisses der Höhe zur Länge des Kopfes — Längenhöhenindex: Niedrige Schädel, bis“7L,99% 297.35 Indiv." ! . 8557, Mittlere N ER 3 a 22 Hohe s AN EL DD SERIE as. > 4, Fe br 104 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Der Höhenbreitenindex (+) ergibt: Kleinere Maße als 91,99 bei 40 Indiv. 97,50%, niedrig-breite Schädel: mittel - breite Schädel bei 1 Indiv. 2,4%, hohe und breite 5 re _ Diebold bestimmt die Höhe des Kopfes auf 131 mm. Danach beträgt der Längenhöhenindex 71,2 und der Höhenbreitenindex 84,3. Erkert bestimmt die Höhe des Kopfes der Kleinrussen auf 125,0mm, danach den Höhenindex auf 67,6 und den Höhenbreitenindex auf 843. Es ist das gleiche Resultat: die Köpfe sind niedrig. Die geringste Stirnbreite beträgt nach Giltschenko bei den Kuban-Kosaken 106 mm (Min. 97, Max. 114, Diff. 17 mm). Verhältnis zur Körpergröße 6,2. Der Ohrdurehmesser (Aurikularbreite, Schmidt S. 248) ist im Mittel 131,5 mm (Min. 120, Max. 144, Diff. 24). Verhältnis zur Körpergröße 7,7 %1,. Aus einem Vergleich der bei Kleinrussen gewonnenen Ergeb- nisse mit den Ergebnissen bei andern Volksstämmen zieht der Verfasser den Schluss, dass türkisches Blut dem kleinrussischen allmählich sich beigemischt habe. Historische Daten bestätigen diese Meinung. In der Ukraine haben einst gelebt und sind verschwunden: Petsche- negen, Chasanen, Tataren und andere modifizierende Volksstämme. — Gesichtsmaße. Längenmaße. Ganze Gesichtslänge beträgt bei den Kuban-Kosaken im Mittel 176,8 mm (Min. 158, Max. 197, Diff. 39 mm). Verhältnis zur Körpergröße 10,4. Davon kleine. 7 48, Indiyz 2 7.224803 mubtlerer. den: ER Ko) mzoße . .. 20, ee Nach der absoluten Größe der Gesichtslänge gehören die Ku- ban’schen Kosaken (und die Kleinrussen) zu den Völkern, die nur eine geringe Gesichtslänge haben. Eine solche geringe Gesichtslänge ist charakteristisch für viele türkische Volksstämme. Durch die relative Zahl (Verhältnis der Gesichtslänge zur Körper- größe) unterscheiden sich die Kleinrussen und Kuban-Kosaken noch auffallender von andern Stämmen. Das obere Drittel des Gesichts (die Stirn) misst im Mittel bei den Kuban-Kosaken 58,9 mm (Min. 40, Max. 75, Diff. 35 mm). Verhältnis zur Körpergröße 3,46. Die kleine (oder die eigentliche) Gesichtslänge hat Gilt- schenko nicht nach Broca vom Ophryon (Schmidt S. 209, Point sur-nasal oder sur-orbitaire) aus gemessen, sondern von der Nasen- wurzel (Nasion, Schmidt S. 209). Die Nasen -Gesichtslänge ohne Stirn beträgt bei den Kuban-Kosaken im Mittel 117,5 mm (Max. 133, Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. 705 Min. 100, Diff. 33 mm). Verhältnis zur Körpergröße 6,92; Verhältnis zur ganzen Gesichtslänge 66,6. Das mittlere Drittel des Gesichts (die Nase). Die Länge |Höhe beträgt im Mittel 49,9 (Max. 67, Min. 41, Diff. 26 mm). Ver- hältnis zur Körpergröße 2,88; Verhältnis zur Gesichtslänge 27,7]. Die Nasenbreite im Mittel 34,1 (Max. 42, Min. 29, Diff. 13 mm). Nasenindex ist im Mittel 69,6 mm (nach Diebold bei Klein- russen 64,1). Leptorhin sind 27 Indiv. 44,26°7, mesorhin no 49,10 „ pletyrhin a a 6,55, Der Interorbital-Abstand (Spatium interorbitale) um die obere Breite der Nase ist bei den Kuban-Kosaken — 32,8 mm (Min. 27, Max. 42, Diff. 15 mm). Klemme v2 21a Indiveer en 2,80 imttele > 2230 „ .. 48,18 ” groß u... 14,7% 2725.08, Der Interorbital- Abstand ist demnach sehr beträchtlich, wie auch aus den folgenden Zahlen hervorgeht. Das Verhältnis des Interorbital-Abstandes zur Gesichtslänge ist 18,5; zur Körpergröße 1,93; zur Jochbreite 30,33; zur größten Stirnbreite 30,49. Das untere Drittel des Gesichts vom unteren Nasenpunkte (Sehmidt S.210) bis zum Kinn ist bei den Kuban-Kosaken im Mittel 68,38 mm (Max. 84, Min. 58, Diff. 26 mm). klein bei 30 Indiv. 49,18°], mittel 9,10, 2, 26.20, groß n 15 n 24,6 „ Das Verhältnis des unteren Gesichtsdrittels zur ganzen Gesichtslänge ist — 38,9, zum obern Drittel 116,8, zur Jochbeinbreite 65,41. Breiten- (Quer-) Maße: Der Abstand zwischen den vorsprin- genden Jochbeinhöckern ist schwierig zu messen; im Mittel 103,55 mm (Min. 102, Max. 120, Diff. 18 mm). Das Verhältnis des oberen Gesichtsdrittels zur Wangenbreite 54,28. n > „ mittleren A 5 N 45,16. - n „ unteren S x R 63.41. b 4 der unteren Gesichtsbreite , = 100,406. „ „ „ kleinen Gesichtslänge „ 5 92,10. » n „ geringsten Stirnbreite ii R 102,3. Die untere Gesichtsbreite (Abstand der unteren Winkel der Unterkiefer) —= 109 mm (Max. 125, Min. 94, Diff. 31 mm). Das Ver- hältnis der unteren Gesichtsbreite zur Gesichtslänge = 61,6, zur ge ringsten Stirnbreite 100,3; zur Wangenbreite 100,4. xXVl. 45 706 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Die größte Gesichtsbreite, Abstand zwischen den am meisten von einander abstehenden Punkten der beiden Jochbeinlängen = 149 mm (Min. 132, Max. 154, Diff. 22 mm). Das Ohr. Gewöhnlich ist das rechte Ohr größer als das linke, bis zu !/, cm. Die Länge des rechten Ohrs im Mittel 80,7; Max. 69, Min. 53, Diff. 16 mm, des.hinken?, 72% 58; Max. 68, Min. 49, Diff. 19 mm. Der Gesichtswinkel wurde nicht mittels eines Goniometers be- stimmt, sondern in anderer Weise bei 32 Individuen, im Mittel 71,3° (Min. 63°, Max. 78°). Selbstverständlich hat dieses Maß nur einen beziehungsweisen Wert. III. Maße des Rumpfes. — 1. Rumpflänge (von der Ineisura manubrii sterni bis zum oberen Rand der Symph. ossium pubis) be- trägt im Mittel 523,5 mm (Max. 598, Min. 476, Diff. 22 mm). Ver- hältnis zur Körpergröße 30,77. 2. Brust-Umfang (Perimeter) wurde sowohl bei herabgelassenen wie bei erhobenen Armen gemessen. Er betrug im Mittel 894 mm (Min. 820, Max. 967, Diff. 147 mm). Verhältnis zur Körpergröße 52,5°/,. Der Brustumfang übersteigt die Hälfte der Körpergröße um 44 mm. Der Unterschied zwischen den auf verschiedene Weise gewonnenen Zahlen des Brustumfangs schwankt zwischen 9—41 mm, im Mittel 19,8 mm. Bei erhobenen Armen ist der Brustumfang größer, er be- trägt 913,35 mm, und das Verhältnis zur Körpergröße ist 53,7. Die Zahlenangaben bei Diebold sind größer. 3. Schulterbreite ist im Mittel 378,38 mm (Max. 420, Min. 360, Diff. SO mm). Verhältnis zur Körpergröße ist 22,28. 4. Becken- (Hüften-) Breite im Mittel 262 mm (Max. 295, Min. 242, Diff. 47 mm). Verhältnis zur Körpergröße 15,4, und zur Schulterbreite 69,2°/.. 5. Bauchumfang im Mittel 771 mm (Max. 849, Min. 673, Diff. 176 mm). Verhältnis zur Körpergröße 45,3, zum Brustumfang 86,2. 6. Abstand der beiden Brustwarzen von einander im Mittel 211,5. IV. Maße der Extremitäten. — 1. Klafterweite im Mittel 1753,4mm (Max. 1940, Min. 1579 mm). Verhältnis zur Körpergröße 103. Im Allgemeinen übersteigt die Klafterweite die Körpergröße; nur bei 4 Indiv. (6,6°,) war das Umgekehrte der Fall. 2. Obere Extremität. Die Armlänge wurde am hängenden Arm gemessen, und zwar am rechten: sie beträgt im Mittel 759,1 mm (Max. 841, Min. 689, Diff. 152 mm). Verhältnis zur Körpergröße 44,63. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Summe beider Armlängen etwa ?*, der Klafterweite ausmacht. Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland, 707 Bemerkenswert ist, dass das Verhältnis der Armlänge zur Körper- größe überall fast das gleiche ist, ganz abgesehen von der schwan- kenden Größe und den absoluten Zahlen. mittlere Arm- Ver- Körpergröße länge hältnis Kosaken von großem Wuchs (über 1700 mm) 1745,2 mm 7I4,5 mm 44,3%, „ mittlerem „ (1600-1700 ,„) 1662,9 „ 7468 „ 49 „ ” R „ kleinem ,„ (unter 1600,) 15830 „ 707,5 „ 44,69, Bei den Kleinrussen des Gouv. Kiew ist nach Diebold das Ver- hältnis kein gleiches: die Armlänge ist = 779,37 mm (Max. 925, Min. 660, Diff. 265 mm sehr groß), das Verhältnis zur Körpergröße 46,6 °).- Folglich haben die Kleinrussen im Gouv. Kiew längere Arme als die Kuban-Kosaken. In Betreff der einzelnen Teile der oberen Extremität. Verhältnis zur Mittel Max. Min. Diff. Körpergr. kromion z 1 ER Be Oberarm Cmäyl es home) 351 mm 365 mm 299 mm 66 mm 19,0 Vorderarm 4 2859, "ala ! 257 325697. 116,6 Hand een 193,0 209er ja AR ES In Betreff des Verhältnisses des Oberarms zur ganzen Extremität und zu den einzelnen Teilen derselben ermittelte Giltschenko folgendes: Das Verhältnis Min. Max. Mittel des Oberarms zur ganzen Extremität . . 35,2 33,9 31,3 des Oberarms zum Vorderarm . . . . . 790 90,6 — der Hand der ganzen Extremität . . . . — — 25,6 der Hand. zum Oberarm, . ‚.......,0fen nase = 58,5 der Hand zum Vorderarm . . . 2... .— — 68,3 | Länge im Mittel | Prozent - Verhältnis nn || mE er a See © | 8 h: |, Ss | 8 |sal« |= | El8alo |8 |S3| < = SS ElVE BIl3 58 5/13 |)358 5 ON LT HI << oo» Io | | H& _ Kuban- 51 IRHITRRFTEE | SEEN Seien BASE Kosaken 759,1 331,0 283,5 193,7 144,63[19,0 116,6 |11,3 143,6 137,3 [25,5 (Giltschenko) $ | Klein- Russen | mar zen, 20,4 [15,1 \11,0 143,8 [33,5 123,5 (Diebold) 3. Die untere Extremität (Beinlänge) vom Trochanter major ab gemessen: 45* 708 Stieda, Anthropologische Arbeiten in Russland. Länge des rechten Beins 89,7 mm (Max. 965, Min. 840, Diff. 155 mm). Verhältnis zur Körpergröße 52,4. Die großen Individuen haben auch eine große Beinlänge. Große Indiv. 1730,7 untere Extrem. 915 mm Verh. zur Körpergr. 52,8, mittelgr. „ 1664,5 „ ” 877,2 „ „ „ » 52,7 „ kleine n 1583 „ „ 825,5 D) ” ” ” 52,2 „ Verh. zur Mittel Max. Min. Diff. Körpergröße Oberschenkel 438,98 mm 476 mm 386 mm 90 mm 25,8%, Unterschenkel 3960 ,.. „ 4230... 240 7.22.0608... 2335 Knöchelhöhe DEZ... ee — — 3,46 „ Fuß 231.1. 5,0280, 202230, 4,2 0 ea Das Verhältnis der einzelnen Teile des Beines zu einander: des Oberschenkels zur Beinlänge . . . . 490 9, des Unterschenkels zum Oberschenkel . . 90,2 „ des Unterschenkels zur Bemlänge . . . . 441 „ des Fußes zur Beinlänge .. is Karlaorlk- M28HT, Weiter gibt der Verfasser eine Zusammenstellung der bezüglichen Verhältniszahlen, die sowohl er, wie Diebold, Talko-Hrinzewitsch und Erkert ermittelt hat, in einer Tabelle; die wir hier fortlassen. — Die Schluss- Sätze des Verfassers lauten: 1. Der anthropologische Typus der Kuban-Kosaken gleicht dem Typus der Kleinrussen aus andern Gegenden Russlands; nur in Betreff der Farbe der Haut, Haare, Augen, Interorbital-Abstand u. a. m. finden sich kleine Unterschiede. 2. Der anthropologische Typus der Kleinrussen (Ukrainer) des Kuban-Gebiets, wie der andern russischen Gebiete, weist auf deutliche Spuren von Beimischung anderweitigen, vor allem türkischen Blutes. Die Ukrainer zeigen folgende Eigentümlichkeiten: . großer Wuchs; . Brachycephalie; . kleine (absolute wie relative) Kopfmaße; . geringe Größe des oberen und mittleren Gesichtsdrittels; . bedeutende Größe des unteren Gesichtsdrittels; . bedeutende Größe des Interorbital-Spatiums; . bedeutende Länge des Beins, insbesondere des Oberschenkels. Den Schluss macht ein Verzeichnis der (nichtrussischen) Litteratur. L. Stieda (Königsberg i. Pr.) IcocOTtprvVmDmDH Haeckel, Systematische Phylogenie. 709 Ernst Haeckel, Systematische Phylogenie. III. Bd. Systematische Phylogenie der Wirbeltiere. Wir haben an diesem Orte des ersten Teiles, der die Phyologenie der Protisten und Pflanzen zum Gegenstand hatte, einlässlicher gedacht. Es wird daher gewiss vielen Lesern willkommen sein, wenn wir wenigstens in kurzen Zügen auch der Fortsetzung des Werkes Erwähnung thun. Die Phylogenie der Wirbellosen wird voraussichtlich im Laufe des Jahres er- scheinen. Der vorliegende Teil, der III. Band des Werkes, hat die syste- matische Phylogenie der Wirbeltiere zum Gegenstand. Die 8 Kapitel des Werkes handeln 1. von der generellen Phylogenie der Vertebraten; 2. von der Phylogenie der Vertebratenorgane; 3. von der systematischen Phylogenie der Monorhinen: 4. von der systematischen Phylogenie der Fische; 5. von der systematischen Phylogenie der Amphi- bien; 6. von der systematischen Phylogenie der Sauropsiden; 7. von der systematischen Phylogenie der Mammalien; 8. von der systematischen Phylogenie des Menschen. Der Versuch beim heutigen Stande unseres Wissens ein zusammen- fassendes Bild der Stammesgeschichte der Wirbeltiere zu entwerfen, be- dingt naturgemäß, dass der Boden der Realität des öftern verlassen werden muss. Es ist deshalb kaum daran zu zweifeln, dass gegen Haeckel von den Vertretern der „exakten Naturforschung“, aus den Reihen jener Zoo- logen, denen nur das greifbare zoologische Objekt ein Gegenstand wissen- schaftlicher Forschung und Erörterung ist, der Vorwurf erhoben werden wird, dass seine systematische Phylogenie ein „natürliches System“ sei, in dem der Phantasie ein zu großer Spielraum gewährt sei. In den Kapiteln 3—8 ist ja thatsächlich hypothetischen Tierstäimmen, wir nennen die Darstellung der Provertebrata, der Archierania, des Ichthygonus u. s. f. kein kleinerer Raum gegönnt, als realen Gruppen. Es wäre aber doch durchaus verfehlt, wenn dem Werke aus der Diskussion über die fehlen- den Glieder des Wirbeltierstammes ein ernster Vorwurf erwachsen würde. Sind es doch Schilderungen, die zwar des realen Objektes entbehren, nicht aber der mit allen Hilfsmitteln einer umfassenden Kenntnis der Ontogenie, der vergleichenden Anatomie und der Paläontologie der Wirbeltiere aus- gerüsteten scharfen logischen Deduktion. Des Verfassers Einsicht in das Material der Thhatsachen, wie sie ja allerdings wohl nur wenigen Kory- phaeen der biologischen Naturwissenschaften in gleichem oder ähnlichem Maße eigen sein kann, wird zur Führerin der Phantasie, schafft die sichere Grundlage, auf welcher ein scharfer Geist ein Gebäude aufbaut, das vielleicht in dem einen und anderen Fall in der Entwicklung des Wirbeltierstammes genau in der dargestellten Form nicht bestand, das aber nicht in Hauptzügen, in den den Styl bedingenden Momenten von der Darstellung abwich, sondern nur in untergeordneten Detailpunkten, die der kühne Zeichner der Vergangenheit absichtlich außer Acht ließ, damit nicht die Phantasie in höherem Maße als sein reiches T'hatsachen- material seinen Stift führte. Man hat Haeckel schon den Vorwurf gemacht, dass er den Leser zu wenig erkennen lasse, wo er den Boden der objektiven Thatsachen ver- lasse um den Boden subjektiver Hypothesen zu betreten. Das Studium seiner systematischen Phylogenie der Wirbeltiere hat in uns diesen Ein- 710 Haeckel, Systematische Phylogenie. druck nicht wachzurufen vermocht. Wenn von nicht beobachteten, sondern nur erschlossenen Formen des Wirbeltierstammes die Existenz in der oder jener geologischen Epoche als sicher hingestellt wird, so ist ja wohl der Ausdruck „sicher“ durch den zutreffenderen „wahrscheinlich“ zu ersetzen. Aber - nirgends treffen wir Stellen, die das Hypothetische nicht als solches er- kennen ließen, die für die deduzierten Formen die Prätention der realen erhöben. Gewiss wird die subjektive Veranlagung der Leser des inhalts- reichen Werkes den Genuss des Inhaltes ungleich empfinden lassen. Der Referent empfand es als einen hohen Genuss vor seinen Augen das Bild sich entrollen zu sehen, das der Begründer der phylogenetischen Zoologie in gewöhnter Meisterschaft vom Werdeprozess der Wirbeltiere entwarf. Aus seinen Darstellungen mögen einige Züge besonders erwähnt werden. Welches sind der Wirbeltiere Epigonen? Amphioxus zieht Haeckel in den Kreis der Wirbeltiere. Eine Vereinigung desselben mit den übrigen Chordatieren weist der Verf. deshalb als unthunlich zurück, weil die Metamerie des Mesoderms, besonders die Gliederung des Muskel- systems den einfachen Chordatieren fehlt. Die transversale Segmentation fasst Haeckel als eine Folge von lebhaften Schwimmbewegungen und Längenwachstum des sich schlängelnden Körpers der Ahnen des Amplioxus auf. Die Metamerie entstand wohl in der Weise, dass die dorsale Hälfte ihrer Cölomtaschen in eine Reihe von Muskelplatten zerfiel, die ventrale Hälfte dagegen in eine Reihe von Geschlechtsdrüsen. Die Metamerie der Vertebraten ist ihren Stammformen also nicht durch Vererbung übertragen worden, sondern ist eine Neuerwerbung. Daraus ergibt sich, dass nicht Tiere, die die Metamerie besaßen, wie z. B. Arthropoden und Annceliden in der Ahnenreihe der Vertebraten liegen. Die Ontogenie vor allem spricht für die nahe Verwandtschaft der Urwirbeltiere mit den T’unicaten, in dem Sinne, dass beide Stämme aus einer gemeinsamen Wurzel entstanden. Die hypothetischen gemeinsamen Ahnen, die Prochordonia, standen dem Bau der Appendicaria nahe, die ihrerseits wieder von Helminthen abgeleitet werden. Das einzige Wurmtier, das den Kiemendarm der Chordatiere be- sitzt, mit dorso-lateralen Kiemenspalten und ventraler Hypobrachialrinne, der Balanoglossus, zugleich der einzige Vertreter der Enteropneusten, re- präsentiert den nächsten lebenden Verwandten dieser Helminthenahnen der Vertebraten. Von diessr Helminthenklasse aus führt die Ahnenreihe der Wirbeltiere durch die Klassen der Nemertinen, Gastrotrichen und Turbellarier nicht im Sinne einer ununterbrochenen Reihe; sie erscheinen vielmehr als Seitenzweige einer ausgestorbenen Reihe, welche in viel- fach gebogener Linie direkt von den Gastraeaden zu den Prochordoniern geführt hat. Nach diesem flüchtigen Blick in die Ahnenreihe der Vertebraten mag Haeckel’s Auffassung der Phylogenie des Typus durch eine Skizze der Entwicklung der Urwirbeltiere zum Menschen dargelegt werden. Wenn der Amphiorus auch als niederstes lebendes Wirbeltier be- zeichnet werden muss, so wäre es doch falsch in ihm die typische Form des Urwirbeltieres sehen zu wollen. Die besondere Lebensweise bedingte eine Reihe von Umbildungen, wie die partielle Rückbildung des Kopfes, die Asymmetrie der bilateralen Grundform: die Rückbildung der Sinnesorgane, des spindelförmigen Centralherzens, die einseitige Lage des Leberschlauches, die Dislokation der Gonaden. Das Urwirbeltier, dessen Organisation auf Haeckel, Systematische Phylogenie. zahl Grund der vergleichenden Anatomie und Ontogenie erschlossen wird, besaß einen Körper, dessen Antimeren symmetrisch gleich waren, dessen Nerven- rohr im Kopfteil leicht angeschwollen war, dessen Kopfteil 3 Sinnesorgane trug, eine unpaare trichterförmige Nase am vorderen Ende des Gehirns, ein Paar einfache Augen und ein Paar einfache Hörbläschen. An der Ventralseite des Kiemendarms befand sich als postbranchiale Anschwellung der ventralen Prinzipalvene ein spindelförmiges Herz. Dem unpaaren Leberschlauch kam eine mediane Lage zu. Die übrigen Verhältnisse, namentlich die Lage des Neuralrohres, der zylindrischen Chorda, die Gliederung des Darmrohres entsprachen im wesentlichen dem Bau des Amphioxus. Aus dieser Stammform der Vertebraten entwickelten sich die Archierania, die Urschädeltiere, von denen die heute lebenden Oyelostomata ebenfalls in Folge der Lebensweise mehr oder weniger bedeutend modifi- zierte Descendenten sind. Wie die heutigen (yelostomata einen Seiten- zweig der Archierania vorstellen, so die Pisces und Amphibien zwei andere, die sich aus den Proselachri modifizierten. Die Dipneusten, die Ahnen der Amphibien, sind als Descendenten der unmittelbaren Ahnen der Ganoiden, der Proganoiden, aufzufassen. Sie haben den Ganoiden gleich und im Gegensatz zu den entwickelten Selachiern die freien Kammkiemen der Ganoiden, wie die Deckknochen des knorpeligen Primordialschädels. Wenn wir die Dipneusta als Ahnen der Amphibien bezeichneten, so ist dies nicht in dem Sinne zu verstehen, dass wir aus irgend einem heutigen Repräsentanten der Dipneusta die Amphibien direkt abzuleiten hätten. Die heutigen Vertreter sind vielmehr entwickeltere, besonderen Lebensweisen angepasste Formen der Paladipneusta, aus denen die Amphibien wurden. Immerhin steht der Ceratodus Australiens in so enger Beziehung zu diesen Ahnen, dass er in die Ordnung der Urlurchfische gezogen werden muss. Die Stegocephalen des Carbon und Dyas sind als die nächsten Descendenten der Paladipneusta aufzufassen, die als Urlurche bezeichnet werden können. Den formenreichen Stamm der Amnioten fasst Haeckel als eine mono- phyletische Gruppe auf, die aus einer frühzeitigen Differenzierung der Stegocephalen entsprang. Wie aus dieser Ordnung einerseits die Amphibien zunächst als Progonamphibien entsprossten, so auch die Proreptilia, die gemeinsamen Ahnen der Sauropsiden (Reptilien und Vögel) und der Mam- malia. Ihre ältesten Reste, die Palaehatteria des Dyas, stellen Mischtypen vor. Zwischen den ältesten bekannten Mammalia und ihren Ahnen, den Proreptilia besteht nun freilich eine bedeutende Lücke, welche leider bisher auch durch die Zeugen der vorweltlichen Organismen nicht ausgefüllt wurde. Die Hypotherien und Architherien sind die hypothetischen Binde- glieder. Die ältesten fossilen Säugetiere, Microconodon und Dromatherium aus dem oberen Trias von Nordamerika, sind leider fast nur in ihren Unterkiefern erhalten. Zum ersten Male tritt in diesen Fossilien die für die Säugetiere so charakteristische Differenzierung des Gebisses in vier Zahngruppen auf. Indem im hinteren Abschnitt der langen Kiefer drei hintereinander stehende, einfache Reptilienzähne miteinander verschmelzen, entsteht der triconodonte Zahn, die ursprüngliche Grundform der Back- zähne. Bei den ältesten Formen sind die Kegelkronen der drei ver- schmolzenen Zähne fast gleich groß. Die gemeinsame Stammform aller viviparen Säugetiere, die Prodidelphia, tritt fossil in der Jura- und Kreide- formation von England und Nordamerika auf, leider ebenfalls fast nur in 12 Lindau, Lichenologische Untersuchungen. Unterkiefern. Ihre nächsten Verwandten sind die Prochoriata, deren fossile Reste hauptsächlich aus Neumexiko und Reims bekannt wurden, als Glieder der Fauna des ältesten Eocän. Sie sind in 4 Familien zu teilen, die die Vorfahren der Rodentien, der Ungulaten, der Carnassier und der Primaten vorstellen, die aber, trotz der Andeutung dieser kommenden Differenzierung, in so zahlreichen Merkmalen miteinander übereinstimmen und zugleich ganz primitive, generaliste Organisation verraten, dass sie als die Glieder einer Legion erscheinen, die die tiefste Stufe der Placentalia einnimmt. Die Stammesentwicklung des Menschen, die auf jene Familie der Pro- choriata zurückgeht, die als Lemuravales bezeichnet wird, ist leider eine mit vielen Lücken behaftete Reihe. Es sind wohl teils als Glieder der Fauna des Tertiär, teils als Bestandteile der heutigen Tierwelt zahlreiche Arten bekannt, die den Gliedern der direkten Ahnenreihe mehr oder weniger nahe stehen, während vielleicht nur ein Fossil, der Pithecanthropus erectus aus dem Pliocän von Java, einen direkten Ahnen des Menschen vorstellt, eine Form, die in den erhaltenen Resten den Menschen viel näher steht als irgend ein anderer anthropoider Affe. Frühzeitig dif- ferenzierte sich das Menschengeschleckt nach zwei Richtungen, in die Wollhaarigen, deren höchst differenzierte Rasse die Neger sind und die Schliehthaarigen, die selbst wieder frühzeitig in zwei Hauptrassen sich schieden, in die Euthrcomi oder Straffhaarigen, an deren Spitze die Mon- golen stehen, und in die Buplocomi oder Lockenhaarigen, die ihre höchste Differenzierung in den Mediteraneern (Kaukasier, Indogermanen, Basken, Semiten, Hamiten) fanden. R. K. |87] Gustav Lindau, Lichenologische Untersuchungen. Lindau’s Lichenologische Untersuchungen entspraugen dem Bedürfnis diejenigen anatomischen Grundlagen zu schaffen, von denen aus die Studien über die Phylogenese der verschiedenen Abteilungen der Flechten sich erfolgreich durchführen ließen. In dem vorliegenden I. Heft werden auf Grund zahlreicher Einzel- untersuchungen das Wachstum und die Anheftungsweise der Rindenflechten dargestellt. Drei sehr schön ausgeführte Tafeln dienen in trefflicher Weise der Illustration des Textes. Unsere kurze Bericht- erstattung kann naturgemäß nur eine gedrängte Darstellung der wesent- lichsten Ergebnisse dieser ersten Untersuchung geben. Die Rindenflechten lassen sich nach ihrer Beziehung zum Substrate als Hypophloeoden und als Epiphloeoden unterscheiden, als Arten, deren Thallus dem Periderm mehr oder weniger tief eingesenkt ist und als Arten, deren T'hallus der Rinde mehr aufliest. Der Thallus der höheren Flechten ist bekanntlich dreischichtig, indem eine Rinde, eine Gonidienzone und das Mark zu unterscheiden ist. Bei den Krustenflechten lässt sich diese Gliederung nicht mehr aufrecht halten. Der T'hallus besteht meist aus Schüppchen, die im wesentlichen aus Hyphenmassen gebildet werden, denen von oben bis unten die Gonidien regellos eingebettet sind. Dagegen findet sich ein gonidienloser Teil unter dem eigentlichen Thallus, der als Basalschichte bezeichnet wird. Bei den Epiphloeoden befindet sie sich nur in den obersten Schichten des Substrates, bei den Hypophloe- oden wuchert sie bis tief ins Innere des Periderms an diejenigen Stellen, Lindau, Lichenologische Untersuchungen. 715 an welche wegen des Lichtmangels die Algen den Hyphen nicht zu folgen vermögen. Dieser Basalschichte entsprechen bei den höheren Flechten die Hyphen der gonidienlosen Basalscheibe oder der Rhizoiden, welche eben- falls zwischen die Peridermzellen einzudringen vermögen. So beobachtet man z. B. bei der Bartflechte (Usnea barbata), dass das Haftorgan des Thallus durch Markhyphen gebildet wird, die in parallelem Zuge sich in das Substrat fortsetzen, die sämtlichen oberen Schichten der Borke durch- setzend. Nur die festeren Peridermplatten hindern ein weiteres Eindringen der Hyphen. An der Oberfläche des Substrates zweigen sich von diesem Thallusfuß Hyphen ab, welche eine Basalscheibe bilden, deren Elemente auch zwischen die obersten Zellen eindringen. Diese gonidienlose Basal- schichte dient der Befestigung. Wie weit sie auch als Ernährungsorgan angesprochen werden kanı; lässt Verf. unentschieden. Nach Frank und Bornet soll den Hyphen und auch den Trente- pohliagonidien die Fähigkeit zukommen, die Zellwände zu durchbohren. Lindau’s Untersuchungen sprechen dagegen für das ausschließliche inter- celluläre Wachstum. Die Spaltung des Periderms in parallele Lagen erfolgt hauptsächlich dadurch, dass sich Hyphen oder Gonidien an geeig- neten Stellen zwischen die Zellreihen einzwängen und beim Wachstum allmählich einen Riss verursachen, der durch die Entstehung neuer Hypheun und Gonidien bald beträchtlich vergrößert wird. Die Auseinandersprengung ist also hier eine Keilwirkung. Die Entstehung radialer Risse ist teils Keilwirkung, teils auf das Dieckenwachstum des Baumes zurückzuführen, wie denn auch vorhandene Intercellulargänge die Wege der in die Tiefe vordringenden Hyphen sind. Während in jüngsten Stadien der 'T'hallus der Hypophloeoden ein kreisförmiger Flecken ist, erscheinen die ältern Exemplare ausnahmslos als Ellipsen, deren Längsaxen in der Richtung der Horizontalen, der Zugwirkung entsprechend liegen. Es können sich also die Hyphen, bezw. Gonidien in tangentialer Richtung leichter aus- breiten, als in jeder anderen Richtung, da hier im Folge des Wachstums die weitere Spaltung der Hohlräume stattfindet, der Widerstand demnach der kleinste ist. Fände, wie Frank glaubt, eine Durchbohrung der Membranen beim Wachstum statt, dann wäre diese Bevorzugung einer Richtung nicht verständlich. Wenn Verf. einerseits eine direkte Lösung der Cellulose durch die Hyphen verneint, so hebt er anderseits die Möglichkeit hervor, dass die durch Einwirkung atmosphärischer Agentien chemisch umgewandelten Mem- branen zur Auflösung gelangen können. Die anatomischen Untersuchungen führen den Verf. auch zur Beant- wortung der wichtigen Frage, ob die Flechten als Schädlinge der Bäume aufzufassen sind. Zwei Momente könnten diese Schädlichkeit bewirken, die Zerstörung der Rinde resp. des Periderms durch die wuchernden Hyphen und Gonidien und die Verstopfung der Lenticellen. Die Zerstörung des Peridermgewebes durch die Flechte kann nicht schädlich sein, wuchern die Hyphen doch nur im toten Gewebe. Indirekt können sie dadurch schädlich werden, dass sie dem Ungeziefer gute Schlupfwinkel darbieten, ein Moment, das allerdings nur für die höheren Flechten, nicht auch für die Krustenflechten zutrifft. Die Lenticellen Junger Zweige können vorzügliche Anheftepunkte für die Flechten bieten, so dass der Luftzutritt beschränkt werden kann. Verf. hält aber dafür, TE Zschokke, Forschungsberichte aus der biol. Station zu Plön. dass das allein nicht den Tod der betreffenden Pflanzenteile nach sich zieht, dass vielmehr noch andere äußere Gründe hinzukommen müssen. Wenn die jungen Zweige gleichmäßig von einer Hyphenschichte bedeckt werden, die sehr langsam wachsenden Flechten also mit dem Wachstum des befallenen Zweiges Schritt zu halten vermögen, dann sind ungünstige Standorte und Ernährungsverhältnisse als die Ursachen anzusehen, die den Flechten dieses Schritthalten ermöglichen. Unter normalen Verhält- nissen vermögen die Flechten ihres langsamen Wachstums wegen einen kräftig wachsenden jungen Zweig nicht zu überwuchern, also auch nicht zu schädigen. R. K. [86] Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. Teil IV, 290 Seiten. 1. Taf., 45 Abbild. im Text, 1 Karte, Friedländer und Sohn 1896. Der neueste Bericht über die T'hätigkeit der Plöner Station beginnt mit einer, von Zacharias gegebenen, ausführlichen Darstellung der qualitativen und quantitativen Veränderungen, welchen das Plankton des Plöner Sees im Laufe eines Jahres unterworfen ist. Regelmäßig durchgeführte Fänge lehrten, dass die schwimmende Lebewelt nie ganz verschwindet; ihr Quantum unter der winterlichen Eisdecke sinkt zu einem Minimum herab, um sich im Juli und August in Folge des massenhaften Auftretens der durch Glovotrichia echinulata verursachten Wasserblüte rasch zum Maximum zu erheben. Uebrigens erweist sich die aus den täglichen Befunden gewonnene Linie der Planktonmengen als eine vielfach gebrochene. Erst die als Monats- mittel aufgestellten Zahlen zeigen eine stetige Zunahme bis im August und von dort eine ebenso regelmäßige Abnahme bis im Februar. Aus dieser Monatskurve tritt als isolierter Gipfelpunkt der Mai hervor, in dem Diatoma tenue, var. elongatum, durch starke Entwicklung die Plankton- quantität beeinflusst. Von Jahr zu Jahr soll die limnetische Lebewelt in den entsprechen- den Monaten quantitativ fast in derselben Mächtigkeit auftreten. Dieser Satz bedarf wohl noch weiterer Erhärtung durch während vieler Jahre fortgesetzte Beobachtung: wenigstens scheinen die neuesten Erfahrungen am Züricher See für die allgemeine Richtigkeit des Gesetzes nicht zu sprechen. Am reichsten entwickelt sich das Plankton in der obersten, fünf Meter umfassenden Wasserschicht. Die Anhäufung limnetischer Organismen unmittelbar unter dem Wasserspiegel bedingt auch eine durch die Secchi’sche Scheibe zu bestimmende Trübung des Wassers. Im Januar und Februar erreicht die Durchsichtigkeit ihr Maximum, im Mai, Juli und August das Minimum. Zwei größere Seebuchten übertreffen das Hauptbecken durch Stärke der Planktonproduktion; manche limnetische Organismen treten in ihnen früher auf als im offenen See. Die qualitative Planktonzusammensetzung schwankt im Plöner See während Jahresfrist in ziemlich weiten Grenzen hin und her. Manche Species gehören allerdings zum fast ganz regelmäßigen Inventar an frei- schwimmenden Organismen; andere dagegen treten nur in zeitlich be- grenzten Epochen auf, so dass qualitativ zwischen Sommer- und Winter-, Zschokke, Forschungsberichte aus der biol. Station zu Plön. 715 und wohl auch zwischen Herbst- und Frühjahrplankton unterschieden werden kann. Im Oktober und November führen die Crustaceen die Herrschaft; im März bis Mai überwiegen dagegen die Bacillariaceen. Von großem Interesse für vergleichende Planktonstudien ist die Uebersicht, welche Zacharias über die wechselnde Vertretung von 14 Protozoen, 9 Rotatorien, 8 Entomostraken, die Larve von Dreissenia polymorpha und 14 Algen gibt. Numerisch übertrifft das pflanzliche Plankton bei weitem das tierische: es wird viel mehr Pflauzenkost erzeugt, als von der vor- handenen Tierwelt aufgebraucht werden kann. Dass die vertikale Verteilung der Planktonorganismen sich je nach der Jahreszeit etwas verschieden gestalten kann, beweist das Verhalten von Cyeclops oithonoides und Hyalodaphnia kahlbergensis. Während des Sommers beleben die beiden Entomostraken fast ausschließlich die obersten Schichten, im Herbst verteilen sie sich ungefähr gleichmäßig durch die ganze Wassermenge hin; sie folgen wohl der absterbenden und zu Boden sinkenden limnetischen Mikroflora. Tägliche Vertikalwanderungen der Planktoncerustaceen scheinen in den Seen Holsteins nicht stattzufinden; sie stellen bekanntlich eine Erscheinung dar, die jedem Beobachter des 'Tier- lebens alpiner und subalpiner Seen vor allen anderen auffällt. Planktonfragen behandelt auch die Arbeit Strodtmann’s, der zahl- reiche Seen Holsteins und Mecklenburgs in Bezug auf Quantität und Qualität freischwimmender Organismen vergleicht. Von den 70—80 Plank- tonspecies sind viele selten, — nur etwa 40 treten als numerische wich- tige Komponenten von Fauna und Flora hervor. Von ihnen finden sich je 25—30 in größerer Zahl in jedem Wasserbecken. An die Stelle der von Apstein vorgeschlagenen Benennungen Dinobryon- jund Chroococca- ceenseen wären richtiger Ohydorus- und Glovotrichia-Seen zu setzen. Sie entsprechen den faunistischen und floristischen Verhältnissen besser, doch erlauben auch sie nicht eine durchgreifende Klassifizierung der Wasser- becken. Allgemein pelagisch verbreitet ist die Larve von Dreissenia polymorpha. Zu gewissen Zeiten kann die eine oder andere Species stark überwuchern und so den Planktoncharakter quantitativ und qualitativ be- dingen. Es wäre dann passend von monotonem Plankton zu sprechen. Die Zusammensetzung der limnetischen Organismenwelt in den unter- suchten Seen war eine sehr gleichartige: sie stimmt ferner mit derjenigen der böhmischen Teiche und amerikanischer Wasserbecken fast völlig überein. Andere geographische Beispiele würden die Gleichförmigkeit des Planktons für weite Strecken immer von Neuem beweisen. Strodtmann kommt dazu, die Nordpolarländer hypothetisch als ursprüngliche Heimat aller Planktonwesen zu betrachten. Von dort wären die betreffenden Organismen wahrscheinlich passiv — durch Vögel — verbreitet worden. Darin liegt gleichzeitig eine Ablehnung der Reliktentheorie Pavesis. Endlich hebt St. die interessante 'Thhatsache hervor, dass flachere Seen, unter sonst gleichen Verhältnissen, mehr Plankton erzeugen können als tiefere. In seichten Wasserbehältern liegen die Bedingungen zur Pro- duktion limnetischer Pflanzen, die selbst wieder den Planktontieren als Nahrung dienen müssen, günstiger als in weniger seichten. Es steht der limnetischen Flora im flachen Wasser eine relativ größere Menge von Stickstoff zur Verfügung, der auf dem Wassergrunde durch Verwesung organischer Stoffe gebildet wurde. 716 Zschokke, Forschungsberichte aus der biol, Station zu Plön. Könike bespricht in seinem Aufsatz die Hydrachniden Holsteins vom faunistischen und biologischen Standpunkt aus. In vierzehn Tagen wurden nicht weniger als 68 Species Wasser- milben — darunter 27 Arrenurus-Arten — gesammelt. 39 Formen ge- hören dem großen Plöner See an. In der faunistisch-systematischen Auf- zählung der gefundenen Species werden die neuen oder wenig bekannten Arten näher beschrieben (Arrenurus battilifer, A. erenatus). Eine Ver- gleichung der Hydrachnidenfauna des Plöner Sees mit derjenigen des Genfersees ergibt, dass von fünfzehn Milben des großen westschweizerischen Seebeckens vierzehn auch in Plön wiederkehren. Auch sonst wurden in Holstein bis jetzt nur aus der Schweiz bekannte Hydrachniden angetroffen, ein neuer Beweis der ‘weiten Verbreitung dieser Süßwasserbewohner. Das fast kosmopolitische Vorkommen gewisser Wassermilben erklärt sich zum größten Teil durch ihre Widerstandsfähigkeit gegen Austracknung. Ge- stützt auf Experimente, die an fünf Arten angestellt wurden, kann Könike mitteilen, dass Hydrachniden der Austrocknung im Schlamme auf kurze Zeit widerstehen, dass der Grad der Widerstandskraft spezifisch verschieden ist, und dass die Nymphen resistenzfähiger sind, als die Imagines. Größe, Färbung und besonders Art und Weise der Bewegung wechselt für die Hydrachniden in auffälligem Maße je nach der Natur der be- wohnten Lokalität. 'Tiefseebewohner z. B. sind hell, hyalin und stechen so von den dunkelgefärbten Artgenossen des Ufers ab. Moortümpel werden durch den Reichtum an dunkelgefärbten Arrenurus- Arten charakterisiert. Eine Reihe weiterer biologischer Notizen, die, wie die kurz erwähnten, dem Referenten besonders als Vergleichungsmaterial mit Beobachtungen an Ilochalpenseen lebhaftes Interesse boten, sind beigefügt. Ueber die Eiablage von Mydıachna konnte Könike zu einem sicheren Schluss nicht gelangen. Brockmeier richtete sein Augenmerk im verflossenen Jahr auf die Molluskenfauna kleiner, isolierter Tümpel. In 17 derartigen Weasser- ansammlungen fand er, abgesehen von den Pisidien, 18 Arten Weichtiere. An die Feststellung dieser Tierwelt anknüpfend bespricht B. die Frage nach der Art und Weise ihrer Verbreitung und nach der Möglich- keit ihres 'Transportes durch Wasservögel und Wasserinsekten. Gegen das Austrocknen der Gewässer und gegen den Winter pflegen sich die Wasserschnecken nieht sowohl durch Einbohren in den Schlamm, son- dern durch bloßen Rückzug in ihr Gehäuse zu schützen. Dabei kommen sie oft unter und zwischen verwesende Blätter zu liegen. So kann, be- sonders von gedeckelten und engmündigen Schnecken, eine längere Trocken- zeit ohne Schaden überstanden werden. Auf feuchtem Grunde sind sogar Kiemenschnecken längere Zeit widerstandsfähig. Im Gegensatz zu früheren Annahmen konnte festgestellt werden, dass die Limnäen gegen die Winter- kälte nur wenig empfindlich sind. Weitere biologische Beobachtungen Broekmann’s beziehen sich auf das Wachstum der Limnäen, das unter günstigen T'emperaturverhältnissen zu den verschiedensten Jahreszeiten vor sich gehen kann. Niedrige Tem- peraturen vermindern die Fressgeschwindigkeit und verzögern oder ver- unmöglichen Neubildungen. So lässt sich der Wärmegrad gewissermaßen an Gestalt und Umfang der Gehäuse noch wachsender Schnecken ablesen. Zschokke, Forschungsberichte aus der biol. Station zu Plön. TAT Auch die Erscheinung der sogenannten „Hammerschlägigkeit“ möchte B. in letzter Linie auf Störungen in der Nahrungszufuhr zurückführen. Das Zusammenleben von Schnecken und Algen, auf dessen Vorteile Lemmermann im 3. Jahresbericht aufmerksam machte, kann für das die Symbiose eingehende Tier verhängnisvoll werden. Die Oberfläche der Schnecke wird durch die Algenbüschel vergrößert und dadurch der Träger leichter der Willkür von Wind und Strömung preisgegeben. Den Schluss der anregenden Abhandlung bilden Bemerkungen über Lokalvarietäten von Limnaea stagnalis und über die Atmung derselben Art. Es gelang Exem- plare der Schnecke vom 27. Juli bis zum 16. September unter der Wasser- oberfläche zu halten. K. Knauthe berichtet über Weißfischbastarde der Umgebung von Berlin und über seine gelungenen Versuche durch künstliche Befruchtung Blendlinge zwischen Abramis blieca und A. brama zu erzeugen. Auch die mit der Milch von A. brama befruchteten Eier von Leueiscus erythroph- thalmus entwickeln sich gut. Ein entsprechender Bastard wurde bei Spandau gefangen. Am Schluss der Besprechung zoologischer Arbeiten sei hingewiesen auf die Ergebnisse einer erneuten Untersuchung der beiden Koppenteiche, die Zacharias im IV. Jahresbericht der Plöner Station niedergelegt hat. Die Arbeit verzeichnet die Resultate der in den beiden Wasserbecken vor- genommenen Tiefenmessungen und gibt Aufschlüsse über Wassertemperatur und Beschaffenheit des Untergrunds der Seen. Es folgt eine Uebersicht der Algenflora beider Gewässer und endlich eine Zusammenstellung der Tierwelt. Im großen Teich wurden 35 Species festgestellt, im kleinen 47. Heliozoen, Spongillen, Hydren, Hirudineen, Gammariden, Mollusken, und Bryozoen scheinen zu fehlen. Dor Gesamtcharakter der Fauna zeigt große Aehnlichkeit mit demjenigen der Alpenseen des Rhätikon an der Grenze der Schweiz und Vorarlbergs. Einige Bemerkungen über das Plankton schließen die Arbeit ab. Der botanische Teil des IV. Plöner Berichts setzt sich zunächst zu- sammen aus zwei floristischen Arbeiten von E. Lemmermann. Die erste zählt die Algen des Riesengebirgs auf und zieht Vergleiche mit alpinen Fundorten und mit dem hohen Norden. Mehrere neue Arten und Varietäten werden beschrieben. In der zweiten Abhandlung wird ein neuer Beitrag zur Algenflora des Plöner Seengebiets geliefert und dadurch das früher gegebene Ver- zeichnis um 96 Arten vermehrt. Sechs Formen sind neu. Da Gewässer von sehr verschiedenem Umfang und abweichenden äußeren Bedingungen untersucht wurden, bieten die algologischen Befunde nicht nur floristisches, sondern auch biologisches Interesse. Klebahn definiert die Erscheinung der Wasserblüte und spricht über ihre Verbreitung im süßen Wasser und im Meer. Für die Plöner Seen sind dreizehn wasserblütebildende Algen bekannt. Mit Ausnahme der Chlorophycee Botryococcus braunii besitzen dieselben Gasvakuolen, welche ihre Schwebfähigkeit bedingen. Aehnliche Einrichtungen kehren bei Arcella und bei Nostocaceen wieder. Gasblasen scheinen also bei freischwimmen- den Algen und in den Schwärmzuständen mancher sonst festsitzender Formen weit verbreitet zu sein. 718 Rees, Lehrbuch der Botanik. Wie der rasche Ueberblick über die Arbeiten des IV. Plöner Berichts gezeigt hat, ist die Station auf dem betretenen Wege systematischer und biologischer Erforschuug des Süßwassers rüstig vorwärts geschritten. Je weiter aber die Beobachtungsreihen zeitlich ausgedehnt werden, desto mehr gewinnen sie an Interesse und Zuverlässigkeit. Das bezieht sich besonders anf die Planktonstudien. Nur durch vieljährige ununterbrochene Arbeit dürfen wir hoffen, einen richtigen Einblick in Entstehen, Leben und Ver- gehen der freischwimmenden Organismenwelt zu erhalten. Hier liegt eine Aufgabe vor, zu deren geduldigen Lösung eine biologische Süßwasseranstalt vor allem berufen ist. Professor Zschokke (Basel). Max Rees, Lehrbuch der Botanik. Mit 471 zum Teil farbigen Abbildungen. Gr. 8. X und 453 Stn. Stuttgart. Ferdinand Enke. 1896. Dieses Lehrbuch hat mit dem der Herren Strasburger, Noll, Schenk und Sehimper viele Aehnlichkeit, besonders auch in der vortrefflichen Aus- stattung mit zahlreichen, vorzüglichen Holzstichen und den farbigen Abbil- dungen, welche für die der Leistungstähigkeit des Farbenholzschnitts in Deutschland ein gutes Zeugnis abgeben. Nach einer kurzen Einleitung be- handelt der Verf. die Morphologie, Anatomie, Physiologie und Fortpflanzung und Entwicklung, auf zusammen 229 Seiten. Dann folgt der systematische Teil, in welchem er sich an das natürliche System von Engeler und Prantl gehalten hat. Zu den ersten Abschnitten gehören 254, zum systematischen Teil 247 Abbildungen. Angehängt sind Verzeichnisse der offizinellen Gewächse sowie der wichtigsten Giftpflanzen und ein gutgearbeitetes Register. Bei aller Kürze der Darstellung hat es der Verfasser verstanden, klar und anschaulich den neuesten Standpunkt der Wissenschaft zur Geltung zu bringen, so dass auch dem Anfänger das Studium des Buches empfohlen werden kann, während zugleich dem Bedürfnis des Mediziners und des Pharmaceuten, nament- lich durch die guten Abbildungen, Rechnung getragen ist-. Der sehr guten Aus- stattung ist schon gedacht worden. Somit kann das Buch auf das wärmste empfohlen werden. P. [82] Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 21. Mai 1896. Das w. M. Herr Hofrat Prof. J. Wiesner überreicht eine im pflanzen- physiologischen Institute der k. k. Wiener Universität von Herın G. Gjokie ausgeführte Arbeit, betitelt: „Zur Anatomie der Frucht und des Samens von Veiscum“. Die hauptsächlichsten Resultate dieser Arbeit lauten: 4. Die beim Oeffnen der Mistelbeeren sich bildenden Viscinfäden sind die Membranen künstlich ausgezogener Zellen. Diese Fäden geben alle Farben- reaktionen der Cellulose und lösen sich auch wie diese in Kupferoxydammoniak. 2. Der das Hypocotyl des Keimlings umgebende Schleim ist von dem Viseinschleim verschieden. Ersterer wird durch Chlorzinkjod gelb und durch Rutheniumsesquichlorür schön rot gefärbt. 3. Die verholzten Elemente des Endocarps von Viscum album sind netz- förmig verdiekte Zellen und Spiralgefäße. 4. Die Zellen des Endocarps der tropischen Viscum-Arten (V. articulatum und orientale) sind weder netzförmig verdickt noch verholzt. 5. Der von Wiesner nachgewiesene exzeptionell starke Transpirations- schutz der Samen von Viscum album, welcher diese Samen befähigt, auf Wiesner, Untersuchung über das photochemische Klima. 719 trockenen Substraten ohne Zufuhr von Wasser, ja selbst im Exsiceator zu keimen, beruht auf der Ausbildung einer diekwandigen, kutikularisierten, von einer mächtigen Wachsschichte bedeckten Epidermis des Endosperms. Die tropischen Viscum-Arten, welche nur bei Zufuhr von liquidem Wasser zu keimen befähigt sind, weisen diesen Transpirationsschutz nicht auf; sie besitzen eine nur schwach verdickte Endospermhaut, welcher der Wachsüber- zug fehlt. Sitzung vom 2. Juli 1896. Das w. M. Herr Hofrat Prof. Wiesner überreicht eine unter Mitwirkung der Herren Dr. Figdor, Dr. Krasser und Dr. Linsbauer ausgeführte Untersuchung über das photo-chemische Klima von Wien, Buiten- zorg und Cairo. Die wichtige Beziehung des Pflanzenlebens zum photo-chemischen Klima hat den Verfasser bestimmt, eine vergleichende Untersuchung über das photo- chemische Klima der genannten Orte anzustellen. Die Wiener Beobachtungen reichen vom Herbst 1892 bis zum Frühling 1896, die Buitenzorger Beobach- tungen wurden zwischen November 1893 und Februar 1894, die auf Cairo be- zugnehmenden im März 1894 angestellt. Zur Messung der chemischen Lichtintensität diente ein Verfahren, welches im Prinzipe mit der bekannten photographischen Methode von Bunsen und Roscoe übereinstimmt. Die wichtigeren Ergebnisse dieser Untersuchung lauten: 4. Die größte chemische Lichtintensität von Wien beträgt 1°500 (im Bunsen- Roscoe’schen Maße), die von Buitenzorg (in der Beobachtungszeit) 1'612. 2. Im Durchschnitte verhält sich die Mittagsintensität zum täglichen Maxi- mum in Wien wie 1:1°08, in Buitenzorg wie 1:1'22. 3. In Wien schwankt im Jahre die Mittagsintensität im Verhältnis von 1 : 214, in Buitenzorg (während der Beobachtungsperiode) im Verhältnis von 1:124. 4. In der Regel fällt in Wien das Tagesmaximum auf den Mittag oder in die Nähe des Mittags, in Buitenzorg auf die späten Vormittagsstunden. Daraus erklären sich die relativ hohen Maxima von Wien und die relativ niedrigen von Buitenzorg. Bei um Mittag herum klarer oder gleichmäßig trüber Witterung fällt sowohl in Wien als in Buitenzorg das Maximum in der Regel auf den Mittag. 5. In Cairo wurde bei völlig klar erscheinendem Himmel zuMittag eine starke Depression der Tageskurve der Intensität beobachtet. Selten und abgeschwächt wurde diese Depression auch in Wien wahrgenommen. 6. In Buitenzorg ist in der Regel Vormittags die chemische Licht- intensität größer als Nachmittags. In Wien überwiegt dieses Verhältnis in den Monaten Juni und Juli. Die Morgenintensitäten sind in der Regel höher als die korrespondierenden Abendintensitäten, selbst bei anschei- nend gleichem Bedeckungsgrad des Himmels. 7. Das Maximum der chemischen Lichtintensität fällt in Wien auf den Monat Juli. Dasselbe wurde für Kew (Roseoe) und für Fecamp (Marchand) konstatiert, während in St. Petersburg das Maximum Anfang Juni eintritt (nach um ih p. m. von Stelling angestellten Beobachtungen). 8. Die Periode Jänner—Juni hat in Wien (wie in Kew nach Roscoe) eine größere chemische Lichtintensität als die Periode Juli—Dezember. Frühling und erste Sommerhälfte weisen eine geringere chemiche Lichtintensität auf als Herbst und zweite Sommerhälfte. 720 Wiesner, Untersuchung über das photochemische Klima. 9. Die mittlere tägliche Lichtsumme für Buitenzorg in den Monaten No- vember und Dezember entspricht trotz beträchtlich größerer mittäglicher Sonnen- höhe der Lichtsumme, welche im August in Wien beobachtet wurde. Die Jänner-Lichtsumme in Buitenzorg gleicht etwa der des Juni in Wien. Die bisher angenommene große, mit der Annäherung an den Aequator eintretende Steigerung der Lichtsumme trifft thatsächlich nieht zu, wenn die Wiener und Buitenzorger Daten verglichen werden. Die starke und fast das ganze Jahr herrschende Himmelsbedeckung in Buitenzorg und die im Vergleiche zu unserem Hochsommer kürzere Tageslänge erklären die relativ kleinen dortigen Licht- summen. 10. In Uebereinstimmung mit Stelling wurde gefunden, dass bei halb- bedeckter und unbedeckter Sonne die Himmelsbedeckung nur einen unter- geordneten Einfluss anf die chemische Lichtstärke ausübt, dass aber bei voll- kommener Bedeckung des Himmels nach dem Grade dieser Bedeckung eine mehr oder minder starke Herabsetzung der Intensität sich einstellt. 41. Die Intensität des diffusen Lichtes ist bei bedeckter Sonne für gleiche Sonnenhöhen durchschnitlich in Buitenzorg größer als in Wien und hier im Sommer größer als im Winter. 12. Bis zu einer Sonnenhöhe von 18—19° ist bei klarem Himmel in Wien die chemische Intensität des direkten Sonnenlichtes, auf der Horizontalfläche gemessen, gleich Null, also die chemische Intensität des Gesamtlichtes gleich jener des diffusen Lichtes, erreicht gewöhnlich bei 54—57° die chemische Intensität des diffusen Lichtes und überschreitet nach den bisherigen Beobach- tungen nicht das Doppelte der letzteren. 13. Mit steigender Sonnenhöhe nimmt für den gleichen Bedeekungsgrad der Sonne sowohl in Wien als in Buitenzorg die chemische Intensität des Lichtes zu. In je geringerem Grade die Sonne bedeckt ist, in desto höherem Grade nähern sich bei gleicher Sonnenhöhe die chemischen Llchtintensitäten, so dass bei sehr hohen Sonnenständen und bei unbedecktem Himmel die größte Annäherung der chemischen Lichtintensitätverschiedener Orte (Wien und Buiten- zorg) erfolgt. Aber selbst bei den höchsten vergleichbaren Sonnenständen (64—65°) und unbedeckter Sonne ist die chemische Lichtintensität in Buiten- zorg noch etwas höher als in Wien. 14. Dass in Cairo bei unbedeckt erscheinendem Himmel und bei gleicher Sonnenhöhe die Intensitäten kleiner sein können als in Buitenzorg und auch in Wien, ja selbst zu Mittag eine Erniedrigung erfahren können, hat in den der Beobachtung sich entziehenden Zuständen der Atmosphäre seinen Grund. Zeitweilig sind solche Intensitätsverminderungen auch in Wien wahr- nehmbar, so dass dann das Tagesmaximum an klaren oder gleichmäßig be- wölkten Tagen verfrüht oder verzögert eintritt. 15. So wie von Roscoe in Parä (Brasilien), so sind von uns auch in Buitenzorg häufig große und rasch hintereinanderfolgende Schwankungen der chemischen Lichtintensität beobachtet worden. 16. Die Abnandlung enthält auch einige von Dr. Figdor am Sonnenblick (3103 m) angestellte Beobachtungen, aus welchen die große Zunahme der che- mischen Lichtintensität bei Zunahme der Seehöhe hervorgeht. [76] Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI. Band. 15. Oktober»1896.: al 20, Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung (2. Stück). — Baer, Beiträge zur Kenntnis der Anatomie und Physiologie der Atmungswerkzeuge bei den Vögeln. — Kennel, Studien über sexuellen Dimorphismus, Variation und ver- wandte Erscheinungen. — Huppert, Ueber die Erhaltung der Art - Eigen- schaften. — Nagel, Der Lichtsinn augenloser Tiere, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. In meinem vorjährigen Referate berührte ich bereits die Frage der Assimilation des freien Stickstoffes. Die Untersuchungen Frank’s sind es hauptsächlich, die das Studium dieser Frage wieder mächtig anregten, da von ihm das Vermögen freien Stiekstoff zu assimilieren nicht bloß einer Ordnung zugeschrieben, sondern als all- gemeine Eigenschaft aufgefasst wird. Kossowitsch stellte sich die „Untersuehung über dieFrage, ob die Algen freien Stickstoff fixieren“ zur Aufgabe. Bei der großen Bedeutung, die weit über ein rein theoretisches Interesse hinaus- geht, rechtfertigt es sich vollauf, sich nicht nur auf die Versuchs- ergebnisse zu beschränken. Verf. operierte zunächst mit Reinkulturen einer Algenform, die dem Cystococcus Nägeli und der Chlorella vulgaris Beyerinck ähn- lieh war. Es sind kugelige, dünnwandige, freiliegende Algenzellen mit einem Durchmesser von 2,5—7 u. Das Kulturgefäß wurde so eingerichtet, dass einerseits Kulturen möglich wurden, in denen die Algen unter günstigen Wachstums- bedingungen sich befanden und anderseits trotz der Durchlüftung während längerer Zeit rein blieben. Auf Sand, der mit verschiedenen Nährlösungen begossen war, wurde die Versuchspflanze ausgesäet. In zwei Kulturen wurden außer- XV. 46 792 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. dem noch rein kultivierte Erbsenknöllehenbakterien eingeführt. Nach 2—3 Wochen hatte sich der Sand mit einer dichten grünen Algen- decke überzogen. Nach ungefähr 3 Wochen schienen die Algen sich nicht mehr weiter zu vermehren. Die Kulturen wurden aber während 3 Monate fortgeführt für den Fall, dass die Stickstofffixierung und die Entwicklung der Algen sehr langsam weiter ging. Dass nicht der Mangel an Mineralsalzen die Entwicklung der Kulturen hinderte, konnte daraus geschlossen werden, dass ein Zusatz stickstofffreier Nährsalz- lösung die Fortentwicklung nicht anregte, während umgekehrt be- obachtet wurde, dass jene Kulturen, die nur 2 ce Nitratlösung erhalten hatten, weniger Algen zeigten, alsjene, denen 3 ce gegeben worden war. Als vor Abbruch der Versuchsreihe zwei Culturen 2!/, ce sterili- sierte Nitratlösungen zugesetzt wurden, färbte sich die Algenschichte wieder intensiver grün und fing von neuem zu wachsen an. Es spricht diese Beobachtung jedenfalls gegen eine Fixierung von freiem Stick- stoff durch den Cystococeus. Die Bestimmung des Stickstoffgehaltes der einzelnen Kulturen am Schlusse des Versuches bestätigt diese Ver- mutung vollkommen. Sie hatte folgendes Ergebnis: Tabelle I. 3 ee Nitratlösung enthielten nach Berechnung . . . . . 23 mg N 3 c6 ” 4 „ Analyse Go 26 meıN Zuckerfreie, mit Algen besäete, dann sofort sterilisierte Kultur enthielt rd IT IT ee er 2m EN Zuekerhaltige, mit Algen besäete, dann sofort sterilierte Kultürnenthieltsiäl. 21 st a2 11 MP RER EN EEE DENEEN Folglich waren jeder Kultur anfänglich zugesetzt im Mittel 2,6 mg N Die Kultur war besäet mit mg N in der Kultur Nr. Reinkultur von anfangs am Schluss 2. Cystococeus ohne Zucker 2,6 2,9 3. D) ” 2,6 2,7 PR h 2,6 2,6 Mittel aus den zuckerfreien Kulturen . . 2,6 2,7 5. Oystococeus mit Zucker 2.6 2,6 9. h) 2,6 2,9 10. 4 5 2,6 2,6 8. u und Erbsenbakterien „, 2,6 20 12. ” ” 2) i) 2,6 2,7 Mittel aus den zuckerhaltigen Kulturen . 2,6 2,7 Es geht also aus diesen Analysen übereinstimmend hervor, dass in diesen reinen Kulturen (ystocoecus keinen freien Stick- stoff assimiliert hatte. Zu einem andern Ergebnis führten die Versuche mit unreinem Aussaatmaterial. Dazu wurde ein Gemisch von Algen und Bak- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflauzenphysiologie und -biologie. 723 terien benutzt. Die Versuchsergebnisse waren nun zum Teil erheblich verschieden von den beschriebenen. Sie lehrten, dass wenn auch den beiden Algen Cystococcus und Stichococcus die Fähigkeit freien Stick- stoff zu binden abgeht, sie anderen niedern Organismen in hohem Maße innewohnen kann. Tabelle II enthält einige der Versuchsergebnisse. Tabelle. mg N in der Kultur Nr. anfangs am Schluss 19. Ohne Zucker: Cystococeus, Pharmidien, Bodenbakterien, Schimmelpilze 2,6 Ze 20. Mit Zucker: dito 2,6 3,5 21. Ohne Zucker: Cystococcus und Bakterien von der Kieselsäureplatte 2,6 Sa 222 Nil, Zucker: dito 2,6 8,1 23. Ohne Zucker: Stichococeus und Bakterien 2,6 2,8 24. Mit Zucker: dito 2,6 2,7 25. Ohne Zucker: Nostoc, große runde Alge, Scenedesmus, Bodenbakterien 2,6 ? 26. Mit Zucker: dito 2,6 19,1 27. Ohne Zucker: Nostoc und Cylindrospermum ähnliche Form. Bodenbakterien 2,6 5,5 28. Mit Zucker: dito 2,6 25,4 Diese Versuchsergebnisse benutzt Verf. zur Deutung von Versuchen, die man bisher für die Bindung freien Stickstoffes durch Algen in An- spruch genommen hatte. Man beobachtete bisher, dass bei Parallel- versuchen Algenkulturen im Lichte sich entwickelten und Stickstoff fixierten, während im Dunkeln die Stickstofivermehrung ausblieb. Da in den betreffenden Kulturen, sowohl jener, die im Lichte, als jener die im Dunkeln sich entwickelten, Bakterien vorhanden waren, schloss man, dass die Algen den freien Stickstoff assimiliert hätten. Verf. glaubt nun, da das Verhalten reiner Kulturen von Oystococcus und mit Bakterien gemischter, dieBakterien als die den Stickstoff fixierenden Elemente erkennen ließen, jenes ungleiche Verhalten früherer Kulturen je nachdem sie im Lichte oder im Dunkeln gehalten werden, in folgen- der Weise deuten zu müssen. Im Liehte produzieren die Algen Kohle- hydrate, die sie den stickstoffassimilierenden Bakterien abgeben. Im Dunkeln können die Algen CO, nicht assimilieren, sie können also den Bakterien die ihre Lebensthätigkeit, also auch die Bindung freien Stick- stoffes erhöhenden Nährstoffe nicht liefern und der Mangel an kohlen- stoffhaltiger Nahrung bewirkt somit die Sistierung der Bindungen des freien Stiekstoffes durch die Bakterien. Die Versuche von Kossowitsch zeigen ja thatsächlich, wie sehr der Gehalt an kohlenstoffhaltiger Nahrung den Grad der Bindung freien Stickstoffes beeinflusst. Ist doch im Mittel (Kultur 19, 20, 21, 22, 27 und 28) in den Kulturen mit Zucker die Menge des gebundenen 46 * 724 Keller, Fortschritte anf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Stickstoffes mehr denn doppelt so groß, als in den Kulturen ohne Zucker (14 mg N gegenüber 6 mg). Sollte sich diese Anschauung bestätigen, dann stünden die Algen zu den betreffenden Bakterien in einem ähnlichen symbiotischen Ver- hältnis, wie die Leguminosen zu den Knöllchenbakterien. Wie jene an diese ihre Assimilationsprodukte abgeben und diese dafür den freien Stickstoff fixieren, so kommt in jenen gemischten Kulturen auch den Algen die holle des Kohlehydratproduzenten zu, welche den Bakterien durch diese Thätigkeit die Bindung freien Stickstoffes ermöglichen. Die Dauer des Blühens ist bekanntlich bei verschiedenen Pflanzenarten eine sehr ungleiche. Bald folgt der Schluss der Blüte, der mit dem Verblühen zusammenfällt, wenige Stunden nach dem Oeffnen, bald dauert das Blühen tage-, ja wochenlang an. In solchen Fällen beobachtet man eine gewisse Periodizität des Oeflnens und Schließens, die als eine Reizbewegung aufzufassen ist, die wesentlich durch den Einfluss der Belichtung zur Auslösung kommt. Oltmanns hat diesen Blütenbewegungen wieder besondere Auf- merksamkeit zugewandt und dabei folgende Ergebnisse gewonnen. In einer ersten Versuchsreihe ‚benutzte er Lactuca perennis, eine Pflanze mit ephemeren, normal innerhalb eines Tages blühenden und ver- blühenden Blüten. In Rostock, dem Versuchsort, pflegen die Blüten um 6 Uhr Vormittags das Oeffnen zu beginnen, zwischen 7 und 8 Uhr sind sie voll ausgebreitet, der Schluss tritt bei sonnigem Wetter schon zwischen 10 und 11 Uhr ein, kann aber durch die Bewölkung selbst bis zum späteren Nachmittag verschoben werden. Ein neues Oeffnen tritt gewöhnlich nicht mehr ein. Die bald eintretende Verfärbung der Blumenkronen deutet das Verblühen an. Experimentell lässt sich nun leicht der bedeutende Einfluss des Belichtungsgrades auf die Bewegung des Schließens feststellen. Oltmanns lässt durch Gelatine - Tusche- prismen das Licht auf die Versuchspflanzen einfallen, wodureh es mög- lieh ist je nach Wunsch eine stärkere oder schwächere Lichtverminde- rung zu erzielen. Während in einer Versuchsreihe die besonnten Blüten- körbehen sich schon um 12 Uhr zu schließen begannen und um 1 Uhr ihre Bewegung abgeschlossen hatten, begannen sie bei den beschatteten um 5 Uhr und kamen zwischen 7 und 8 Uhr zum Schluss. Des folgenden Tages öffneten sich diese vorher beschatteten Blüten hinter ihren Prismen von Neuem um sich zwischen 3 und 4 Uhr wieder zu schließen. Wie der Zeitpunkt des Schließens durch die Lichtschwächung ver- schoben werden kann, so gelingt es auch den Moment des Oefinens wesentlich zu beeinflussen, indem trotz der am Morgen etwas höheren Temperaturen in den Versuchskästen unter den dunklen Stellen der Gelatineplatten eine Verspätung des Oeffnens von !/, Stunde eintritt. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 725 Die Versuche scheinen darzuthun, dass ein gewisses Lichtquantum nötig ist, um das Verblühen zu bewerkstelligen. Wirkt schwaches Lieht ein, so muss es demnach länger andauern, um den gleichen Effekt zu erzielen, den das intensive Licht in wenigen Stunden erreicht. Es können also die ephemeren Blüten durch Beschattung zu mehrtägigen werden und sich wie periodisch bewegliche verhalten. Unter den normal periodisch beweglichen Blüten können wir nach dem Eintritt des Blütenschlusses Frühsehließer und Spätschließer unterscheiden. Tragopogon brevirostre ist nach Oltmanns ein Typus der ersten Kategorie. Bei sonnenklarem Himmel beginnt das Oeffnen des Korbes morgens zwischen 5 und 6 Uhr, der Schluss ist zwischen ) und 10 Uhr vollendet. Wieder konnte durch Abschwächung des Lichtes der Zeitpunkt des Schließens um ca. 2—4 Stunden verschoben werden. Es lässt sich aber die Schließbewegung nicht nur durch intensive Beleuchtung, sondern auch durch Verdunklung auslösen. Ich lasse hier die Angaben einer solchen Versuchsreihe folgen. Schluss des Blütenkorbes Verdunkelung Beginn Ende Neal, 7h50 12h 10 1h Nr: 2: sh 15 11h30 12h 30 Nr. 3 sh 30 10h 40 11höc Nr. 4. sh45 10h 20 11h 30 Nr):5: 9h 9h 30 10h Nr. 6. Niehtverdunkelt 12h 10 ih Er ergibt sich also, dass sich die Blüten in der umgekehrten Reihenfolge schließen, in welcher sie verdunkelt sind. Die Verdunk- lung wirkt als ein Reiz, auf welchen die Blüten um so entschiedener reagieren, je längerer Zeit sie der intensiven Belichtung ausgesetzt waren. Ein Repräsentant der Spätschließer ist Beilis perennis, welche schon Pfeffer als ein für die Untersuchung der Blütenbewegungen günstiges Versuchsobjekt erkannt hatte. Werden eine Reihe von Dellis- Pflanzen in den Kulturkasten eingesetzt und am Abend mit den Gelatine- prisma gedeckt, dann beobachtet man am folgenden Tage, dass sich die Blütenkörbe unter dem hellen Ende des Prismas zuerst öffnen und dass die Bewegung nach dem dunkeln Ende fortschreitet. Intensivere Beleuchtung wirkt also als stärkerer Oeffnungsreiz als schwache Be- leuchtung, wie umgekehrt diese eine frühere Schließung bewirkt. Wenn man Pflanzen, die vorzeitig verdunkelt wurden, mehrere Tage hinter einander beobachtet, so sind einige interessante Beobach- tungen zu machen. 726 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Bedeckt am 20./VI. Oeffnung am 21./VI. Bedeckt am 22 [VI. Oeffnung am 26./VI. Nr5.1. 12h 7h45 12h sh 10 Nr. 2. ih sh ih sh 20 Nr. 3. 2h Sh 2h sh 35 Nr. 4. 35h sh15 35h sh 50 Nr. 4h 3h 30 4h 9h 10 Der Liehtentzug beeinflusst also das Oefinen des folgenden Tages. Gleicher Lichtentzug während zweier aufeinanderfolgender Tage schiebt den Zeitpunkt des Oeffnens weiter hinaus; im übrigen sehen wir, dass Verdunklung unverkennbar einen fördernden Einfluss auf das Oeffnen der Bellis-Blüten hat. Wie die vorzeitige Verdunkelung eine Verlängerung der Blüte- zeit während des folgenden Tages bewirkt, so kann nun umgekehrt eine Verkürzung der Oeffnungszeit erzielt werden, wenn die Pflanzen durch künstliches Licht auch während der Nacht beleuchtet wurden. „Ist damit erwiesen, dass der durch Dämmerung oder Dunkelheit hervorgerufene Schluss der Bellis-Blüten durch vorgängige starke Be- leuehtung erleichtert, durch vorgängige Verminderung des Tags über wirkenden Lichtes erschwert werden kann, dass anderseits dieselben Umstände die Oeffnung im umgekehrten Sinne energisch beeinflussen, so liegt es nahe anzunehmen, dass Lieht überhaupt die Vorbe- dingung für den Dunkelschluss und Dunkelheit die Vorbe- dingung für die Liehtöffnung sei“. In der That beobachtet man, dass bei Bellis längerer Aufenthalt im Dunkeln direkt die Oeffnung bedingt und das umgkehrte wird da- durch wahrscheinlich, dass die lange beleuchtete Pflanze „selbst in den direkten Strahlen der Abendsonne“ ihre Blütenköpfehen schließt. Die Geschlechtsorgane der Blütenpflanzen sind während ihrer Ent- wicklung mancherlei Gefahren, bald schädlicher Wirkung zu weit- gehender Wasserverdunstung, bald fortdauernder Abspülung, bald dem Tierfraß u. s. f. ausgesetzt. Wir finden dem entsprechend an den Blütenknospen eine Reihe von Anpassungsformen, die sich als Schutz- vorriehtungen erweisen. Raciborski gruppiert sie nach biologischen Einheiten. Unter den Pflanzen trockener Standorte stellt Verf. die Eucalypten voran, deren große Blütenknospen Schutzvorrich- tungen zur Verminderung der Transpiration besitzen. Kron- und Kelehblätter außen mit einem dicken Wachsüberzug bedeckt, dureh großen Reichtum an Oellücken ausgezeichnet sind die Schutzorgane. In vielen Fällen stellen sie zwei Kalyptren vor, eine Kronkalyptra, die in die Kelehkalyptra eingeschachtelt ist. Durch Anschmiegung der diek kutikularisierten Epidermiszellen ist die Gipfelöffnung völlig verschlossen. Frühzeitig wird die Kelchkalyptra im allgemeinen ab- geworfen; sie kann aber auch gar nicht zur Ausbildung kommen. Kelier, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 797 Was den Bau der Kalyptra betrifft, so beobachtet man, dass immer an der Spitze oder unmittelbar unter ihr die größte Dicke auftritt. Bei andern Arten sind Brakteen die Schutzorgane. Bei Mesem- bryanthemum-Arten sind die jungen Blütenknospen tief zwischen den fleischigen Blättern verborgen, durch diese auch von oben bedeckt, dadurch nach außen vollständig abgeschlossen. Guter Verschluss der Knospe, Entwicklung sklerenehymreicher Elemente in den äußern Blütenblattkreisen oder auch in den Brakteen, Ausbildung langer diekwandiger Haare, welche die Zwischenräume zwischen den Brakteen und den Blütenknospen ausfüllen, erscheinen als die häufigst verwendeten Schutzvorrichtungen xerophyter Arten. Der Blattbau vieler Strandpflanzen weist, wie namentlich Schimper dargethan hat, manche Eigentümlichkeiten auf, welche mit xerophiler Lebensweise verknüpft sind. Aehnlich verhält es sich mit den Schutzvorriehtungen der Blütenknospen dieser Pflanzen. In ein- zelnen Fällen wird z. B. der dichte Verschluss der Blütenknospe da- durch erreicht, dass die Kronenblätter mit einander an den Berührungs- stellen durch Zahnnaht sehr fest verbunden sind. Die Verzahnung wird hergestellt durch Auswachsen der Epidermiszellen in spitze, konische Papillen, welche mit dieker Cutieula bedeckt sind. Reichliche, sehr spitze Stacheln, die diese bedecken und in die Räume zwischen anderen Cutieularstachelehen des benachbarten Blattes hineinragen, stellen die sehr feste Vernahtung dar (Rhizophora-Arten). Zum dichten Verschluss der Knospe kann sich die Entwicklung eines mehr oder weniger mächtigen Lagers großer dünnwandiger Wasserzellen gestalten. Die Epiphyten zeigen je nach ihren die Transpiration mehr oder weniger fördernden besonderen Standortverhältnissen sehr ungleich ausgebildete Schutzvorrichtungen gegen diese. Tillandsia usneoides, eine an luftigen exponierten Stellen wachsende Bromeliacee, deckt ihre Kronenblätter vollständig unter den schirmartig ausgebreiteten, dachigen, eng anliegenden Sternschuppen. Bei anderen Arten, die an stark beschatteten Stämmen der Urwälder leben, sehen wir die Blütenstände vollständig unter Wasser sich entwickeln. Die Anpas- sung an dieses Wasserleben äußert sich in der Entwicklung zweier anatomischer Charaktere der Wasserpflanzen, der Bildung des Stern- parenchyms und der Ausscheidung intercellulärer Kieselsäurekörper. Die Kalyptrabildungen finden sich auch bei dieser biologischen Gruppe nicht selten, sei es, dass die Kalyptra durch eine Verzahnung der Kronenblätter entsteht, sei es, dass sie eine einheitliche Mütze vorstellt, indem, wie bei Markgravia-Arten, an der ursprünglichen Scheitelöffnung die an- einanderstoßenden Epidermiszellen verwachsen, durch Verzahnung der zackigen Unebenheiten der Kutikula die Oeffnung schließend. Aus den zahlreichen Beispielen der Blütenschutzvorrichtung bei verschiedenen Pflanzen der Tropenflora mögen noch einige der 728 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. vielgestaltigen Verschlussvorrichtungen der Euphorbiaceen erwähnt werden. Sehr gewöhnlich tritt uns hier wieder die Kalyptrabildung entgegen, deren Spitzenverschluss oft durch Haare, dureh Schuppen erzielt wird. Oder wir sehen, wie an der Innenseite der Kalyptra kleine, kugelige Schleimtröpfehen zur Abscheidung kommen, wie denn überhaupt bei sehr vielen Arten die Thätigkeit schleimabsondernder Zellen im Dienste des Schutzes gegen die Nachteile weitgehender Transpiration steht. Thermische Einflüsse auf die Reizbewegungen sen- sibler Pflanzen sind, wenn auch im allgemeinen nicht gerade häufig doch bei einer Reihe von Pflanzen erwiesen. Durch Dutrochet und Sachs wurde bekannt, dass reizbare Organe in hohen Temperaturen empfindungslos werden können ohne dass die Reizbarkeit dauernd ge- schädigt wird. Sie treten in den Zustand der Wärmestarre. Tag- und Nachtbewegungen von Blüten und Blättern können nicht nur durch Lieht-, sondern auch durch Wärmeschwankungen ausgelöst werden. Auslösungen von Bewegungen der Tentakel von Drosera rotundifolia glaubte Darwin ebenfalls durch thermische Einflüsse erzielt zu haben, indem er bei Temperaturen von 49°—51'/,° eine schnellere Einkrümmung der Tentakel erzielte, eine höhere von 54,4° C an die Starre bewirkte. Correns hat Darwin’s Versuche wiederholt, indem es teils die abgeschnittenen Blätter in destilliertes Wasser von bestimmter erhöhter Temperatur brachte, teils das Wasser mit den darin liegenden Blättern auf bestimmte 'Temperaturgrade erwärmte. Die Versuchsergebnisse entsprachen den Darwin’schen Beobachtungen. Mussten sie aber not- wendig als Wirkungen der Wärme gedeutet werden? Correns er- wärmte die ganze Pflanze in Luft rascher oder langsamer bis zu jenen Temperaturgraden, bei denen an im Wasser liegenden Blättern eine Reaktion beobachtet werden konnte. Nie war in diesen Fällen eine Einkrümmung der Tentakel in Folge der Temperaturerhöhung zu beobachten, wenn schon die Pflanzen in ihrem sie umgebenden Medium die Reizbarkeit vollständig beibehalten hatten. Nicht die Temperatur, sondern das Medium muss also die von Darwin beobachteten Reizbeweguneen der Tentakel ausgelöst haben. Correns wurde in der That durch seine Versuche zu der Erkenntnis geführt, dass das destillierte Wasser sehon bei gewöhn- licher Temperatur reizend wirkt, wenn auch zumeist nur im fast verschwindendem Grade, und dass dieTemperaturerhöhung die Reaktion nur beschleunigt und verstärkt. Ganz anders als das destillierte Wasser wirkt das gewöhnliche Brunnenwasser. In ihm war eine Reaktion nicht zu beobachten, auch wenn die Temperatur ganz analog gesteigert wurde wie im destillierten Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 729 Wasser. Wodurch wurde die Auslösung einer Bewegung gehemmt? Nachdem durch Kochen das im Wasser gelöste Caleiumhydrokarbonat als Caleiumkarbonat gefüllt worden und die Kohlensäure ausgeschieden war, ließen sich die angegebenen heaktionen wieder erzielen. Destil- liertes Wasser, das mit Kohlensäure geschüttelt worden war, wirkte wie kohlensäurefreies destilliertes Wasser, während die Lösung von kohlensaurem Kalk in diesem kohlensäurehaltigen Wasser wieder, wie immer die Temperaturerhöhung war, die Bewegungen der Tentakel hemmte. Ganz analog verhielt sich destilliertes Wasser, das Triealeium- phosphat oder Caleiumnitrat gelöst enthielt. Verschiedene Caleium- salze haben also die Fähigkeit die Drosera-Blätter für chemische Reize unempfänglich zu machen. „Wenn die Kalksalze im Stande sind, die keizempfänglichkeit im Drosera-Blatte ganz aufzuheben, so wird es auch sehr wahrscheinlich, dass eine stetige, zu große Kalkzufuhr direkt die Pflanze schädigt. Denn die Salze werden auch von der Wurzel aufgenommen und ein wesentlicher Unterschied in der physio- logischen Wirkung wird nicht durch den Weg bedingt werden, den die Lösung nimmt. Dem entsprechend wächst die Drosera auch nur auf kalkarmen Sumpfboden und teilt mit andern Pflanzen das Schicksal, bei reichlicher Kalkzufuhr einzugehen“. — Anschließend an diese interessanten Mitteilungen Correns möchten wir auf eine scheinbare biologische Anomalie aufmerksam machen, welche unserer Ansicht nach auch darin begründet ist, dass die Pflanze des sie schädigenden kohlensauren Kalkes sich zu erwehren sucht. Den experimentellen Nachweis behalten wir uns vor. Pflanzen wasserarmer Standorte nehmen oft einen Suceulenten- charakter an. In den fleischigen Blättern oder Stengeln sind die Wasserreservoire, welche der Pflanze ermöglichen auch bei längerer Beschränkung der Wasserzufuhr ihren Transpirationsverlust zu decken. Einen ganz analogen Suceulentencharakter besitzen sehr gewöhnlich die Halophyten, wenn schon sie ganz gewöhnlich an Standorten leben, die ihnen reichliche Wasserzufuhr jeder Zeit sichern. Eine reichliche Kochsalzaufnahme wäre indessen für sie nachteilig. Dadurch, dass sie den Bau von Suceulenten trockener Standorte nachahmen, sichern sie sich die Möglichkeit ihre Wasseraufnahme und damit die Aufnahme von Kochsalz zu beschränken. Ein Analogon zu diesen Pflanzen scheinen uns die Pinguicula- Arten unserer Flora (Pinguwieula vulgaris, P. alpina und P. grandiflora) zu sein. Kaum eine andere Pflanze unserer Flora besitzt einen aus- gesprocheneren Suceeulentencharakter und doch leben sie an sehr nassen Standorten. Dabei beobachten wir, dass sie durchaus nicht nur an Stellen gebunden sind, die von weichem Wasser durchnässt werden. Standorten, die von so hartem Wasser überflossen werden, dass es zur Tuffsteinbildung kommen kann, sind sie durchaus nicht 750 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. fremd. Sollte nieht das zum Wasserspeichergewebe ge- staltete fleischige Blatt ähnlich, wie das der Halophyten, ein Schutzorgan sein, das diePflanze an ihren an hartem Wasser reichen Standorten vor der schädigenden Auf- nahme zu großer Kalksalzmengen bewahrt? In seiner Abhandlung „zur Physiologie der Ranken“ er- weitert Correns unsere Kenntnisse der Reizbewegungen auslösenden äußern Umstände. Zu seinen Untersuchungen über Temperatur- schwankungen als Reize benutzte Correns Passiflora gracilis und Sicyos angulatus. Ein analoges Verhalten zeigten indessen die Ranken von ca. 30 anderen darauf geprüften Arten. In einem Thermo- staten wird z. B. diese letztere Art 15 Minuten einer Temperatur- steigerung von 14,3° bis zu 35° unterworfen. Die Ranken beginnen sich, wenn einmal die Temperatur eine bestimmte Größe erreicht hat, erst langsam, dann schneller, dann wieder langsamer einzurollen. Immer weiter greift dabei die Krümmung zurück, immer enger werden die schon gebildeten Windungen. In dieser Versuchsreihe betrug z.B. die Zahl der Windungen anfänglich ?/,, bei 14,8° C; war nach 4 Mi- nuten die Temperatur auf 30° gestiegen °J,,, eine Minute später bei 33,2° 23/,,, wieder 1 Minute später bei 34° 2®],, u. s. f. bis sie schließlich bei 38° 3%/,, betrug. Eine Nachwirkung des Wärmereizes hat nun zunächst zur Folge, dass das Einrollen noch eine zeitlang andauert, wenn die Erwärmung auch unterbrochen wurde. Bringt man die Pflanze wieder in die früheren thermischen Verhältnisse, dann streckt sich die Ranke wieder. Im angegebenen Versuche war nach 30 Minuten die Zahl der Windungen von 3®/,, auf 1°/,, gefallen. Eine neue Temperatursteigerung hebt nun nicht sofort den Reiz der Tem- peraturverminderung, die Streckung auf; diese hält vielmehr noch kurze Zeit an und nun wirkt erst die Temperatursteigerung als Reiz, der die Ranke sich rollen lässt. Stets beginnt das Einrollen an der Spitze und so, dass die mechanisch besonders reizbare Ranke konkav wird, von welcher Seite her die Erwärmung die Ranke treffen mag. Lei- tende und strahlende Wärme wirken analog. Correns versuchte die Reizschwelle zu bestimmen, wobei sich herausstellt, dass sie sehr ungleich ist, je nachdem die Pflanze in der Luft oder im Wasser der Temperatursteigerung ausgesetzt wird. Um eine Reizbewegung in der Luft auszulösen bedarf es, wenn die An- fangstemperatur ca. 20° beträgt, einer Temperatursteigerung von 10". Im Wasser geht der Schwellenwert auf 7° herunter. An den mechanischen Reiz vermögen sich die Ranken zu gewöhnen. Auch dem Wärmereiz gegenüber besitzen sie ein Anpassungsvermögen, das sich darin äußert, dass eine bestimmte zunächst als Reiz wirkende Temperatur nach einiger Zeit aufhört als keiz zu wirken. Die Ranke, Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 731 die durch die betreffende Wärmewirkung aufgerollt werde, beginnt sich, wenn diese Wärme bleibt oder nur wenig schwankt, aufzuwickeln. Nachfolgendes Versuchsergebnis wurde mit T’hladianthe dubia ge- wonnen: 937% 33 C 0 Windungen Y3h42° 324 C Zu, i 9h47' — 41, 2 9h 52° = 45], R h57‘ — 47], & . 10h 2° == 41; 5 10h 7° = 471, s 10h 12° 32,8 4!, 10h 17° 35 321g h 10h 23° 33,8 Sn h 10h 28° = 3 ; Zur Auslösung der Reizbewegung ist nicht nur nötig, dass der Schwellenwert überstiegen werde, die Temperatursteigerung muss viel- mehr eine relativ schnelle sein, wenn sie als Reiz wirken soll. So blieben die Ranken von Sicyos bei einer Temperatursteigerung von 20° auf 48° gestreckt, als sich die Temperaturzunahme von 23° gleichmäßig auf eine Zeit von 3 Stunden verteilte. Analog der Temperaturerhöhung wirkt auch eine negative Tem- peraturschwankung, die Temperaturerniedrigung, wenigstens in einzelnen Fällen, wenn die Ranken in kaltes Wasser gebracht werden. Bei Ranken von Sycios konnte z. B. folgende Reaktion durch eine Temperaturschwankung von 16,5° auf 4° erzielt werden: 9h42' Zahl der Windungen 0 Yh 50" N) ) „ lg 3h54' ” ” n 1", ohbg’ ler i 23), 10h „ 9 9 3! ly 10h 5° : a1, 10h 10° : \ 51. Dass die Ranken auch auf chemische Reize reagieren, hatte schon E. G. O. Müller dargethan — Mohls Versuche sind nicht eindeutig —. Er sah, dass die Schnelligkeit und Anzahl der Ein- rollungen meistens der Konzentration der Lösungen, die er zu che- mischen Reizen benutzte, proportional war. Correns benutzte eine verdünnte Jodlösung als Reizmittel. Nachfolgendes Versuchsergebnis wurde an Sicyos gewonnen: 10h39 Zahl der Windungen ale 10h48 Zahl der Windungen 2f;s 10h40 Beginn der Reaktion 10h 49 herausgenommen, abgespühlt. 10h41 Zahl der Windungen "is . |. 40550.) 2. d. W. 2°]... Nachwirkung. iohas ener, A I. 1 nn a Be e 10h 47 BR M le |. AUBELO N. nn 2 (rer | ya ei 132 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Chemische Reize konnten auch dureh verdünnte Essigsäure, abso- luten Alkohol, Arsenik, Chloroformwasser, Ammoniakdämpfe ausgelöst werden. Ebenso beobachtete Correns, dass wie an die Kontakt- und thermischen Reize eine gewisse Anpassungsfähigkeit bestehe, so auch an die chemischen Reize. (Zweites Stück folgt.) Einige Gedanken über die Vererbung. Von Gustav Schlater. (2. Stück.) IV. Bevor wir jedoch an die Frage über die Struktur der Vererbungs- substanz herangehen, müssen wir einen, wenn auch flüchtigen, kritischen Blick auf die Grundprinzipien der herrschenden Vererbungstheorien werfen. Ohne unseren Ausgangspunkt gekennzeichnet zu haben, ohne uns zu diesen, oder jenen herrschenden Ansichten bekannt zu haben, oder uns vielleicht auch auf neutralen Boden zu stellen, sind wir außer Stande an die gestellten Fragen heranzutreten. Jedem, der sich mehr oder weniger für die Fragen der Biologie interessiert, ist bekannt, was für ein lebhafter Geistesaustausch gegenwärtig betreff der Ver- erbungs- und Entwicklungsfragen die Gelehrtenwelt bewegt. Alle wissen, dass gegenwärtig eine Polemik zwischen zwei entgegengesetzten Richtungen entbrannt ist: zwischen den Anhängern der neuesten Prä- formation und des Kreatismus, mit A. Weismann an der Spitze einerseits, und seinen vielzähligen, nicht zu verachtenden Gegnern, den Anhängern der Epigenese andererseits. Auf diese beiden Haupt- prinzipien lässt sich die ganze Masse, sozusagen das ganze Chaos der Ansichten und Anschauungen zurückführen. Ich habe hier nicht die Absicht auf die Besprechung der Vererbungstheorien einzugehen, was schon in mehreren beachtenswerten Werken bekannter Forscher ge- schehen ist; ich werde nur versuchen in ganz kurzen Strichen diese Frage in dem Lichte darzustellen, in welchem sie, wie mir scheint, jedem unparteiischen und objektiv urteilenden Forscher erscheinen muss. Der ganze Schwerpunkt der Vererbungsfrage liegt darin: Ist die ontogenetische Entwicklung des Organismus nur ein Erwachen zum Leben, sozusagen, eine Krystallisation in bestimmte Formen, von schon vorgebildeten, schon fertigen Formen, welche in der Vererbungssubstanz der Geschlechtszelle in latentem, unthätigem Zustande, in Gestalt einer unermesslich großen Zahl einzelner Teilchen, enthalten sind? — oder ist die Ontogenese ein schöpferischer Prozess, ein Prozess der schöpfe- rischen Thätigkeit einer mit besonderen Eigenschaften begabten und gewissen Gesetzen unterworfenen lebendigen Substanz, unter dem Ein- flusse der ganzen Summe der äußeren Bedingungen? Enthält die Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 7133 Vererbungssubstanz der Geschlechtszelle in sich schon die fertigen substanziellen Keime der ganzen Form und aller Eigenschaften des werdenden komplizierten Organismus; enthält sie, mit anderen Worten, in latentem Zustande schon den ganzen fertigen Organismus der ge- gebenen Art samt der ganzen, dem betreffenden Individuum eigenen Individualität? — oder enthält die Vererbungssubstanz der Geschlechts- zelle auch keine Spur des aus ihr sich entwickelnden Individuums, und stellt nur eine, mit bestimmten Eigenschaften begabte und bestimmt gebaute lebendige Substanz dar, welche sich dank ihrer schöpferischen Fähigkeit in einer streng bestimmten Richtung einzig unter dem Ein- flusse des Zusammenwirkens der Summe von äußeren und inneren Be- dingungen entwickelt? Ist folglich der Prozess der Entwicklung orga- nischer Formen und der Vererbung, „Präformation“, oder „Epigenese“, wie sich die mit diesen Fragen befassenden Biologen ausdrücken ? Als starker Verteidiger und Interpret der ersten Richtung trat, wie be- kannt, der Freiburger Zoologe August Weismann auf. Indem er die in der Geschlechtszelle enthaltene Vererbungssubstanz, der er volle Kontinuität und absolute Unveränderlichkeit zuschrieb, mit einer ganzen Legion von „Determinanten“, d. h. Substanzteilchen bevölkerte, von denen jedes irgend eine Eigenschaft des fertigen Organismus bestimmen soll; indem er alle diese Keime der Eigenschaften zu einem sehr kom- plizierten, architektonischen Bau zusammenfügte; und indem er endlich an eine unbekannte Kraft, die „Natürliche Zuchtwahl“, als den wich- tigsten, ja sogar den einzigen Faktor der organischen Entwicklung appellierte, — schuf A. Weismann seine im höchsten Grade geist- volle, kunstvoll aufgebaute und durch ihre Logik bezaubernde "Theorie der Vererbung und Entwicklung. Allein, wir sahen eben, was für kühne Annahmen dieser Gelehrte zur Basis seines Ideenganges nehmen musste. Die Folge der völligen Unabhängigkeit der Geschlechtszellen vom übrigen Organismus, der absoluten Unveränderlichkeit und Kon- tinuität der Vererbungssubstanz, oder des „Keimplasmas“, wie sich A. Weismann ausdrückt, ist eine völlige Machtlosigkeit der äußeren Bedingungen und der funktionellen Veränderungen, modifizierend auf das „Keimplasma“ und folglich auch auf die Entwicklung der orga- nischen Formen, einzuwirken. Alles ist in der Macht der „Natürlichen Zuchtwahl“. Die ganze Außenwelt, in welcher der Organismus lebt und sich entwickelt, die ganze Summe der äußeren Lebensbedingungen, sowie der ganze Komplex der inneren Bedingungen, der Koordination und Kooperation, — alles das ist aus dem Bereich der Weismann’- schen Auseinandersetzungen ausgeschlossen. Die Anschauungen A. Weis- mann’s riefen scharfe Kritik hervor. Die bekanntesten Biologen suchten die Haltlosigkeit seiner Hauptannahmen zu beweisen, von verschiedenen Gesichtspunkten seine Theorie untergrabend und ihr das Bürgerrecht in der Wissenschaft absprechend. So trat Herbert Spencer mit 734 Schlater, Einige Gedanken iiber die Vererbung. Eifer und mit voller Ueberzeugungskraft für die erbliche Uebertragung der erworbenen Eigenschaften ein, für die Vererbung von funktionellen Aenderungen. Romanes wies besonders darauf hin, dass es unmög- lich sei, die Vererbungssubstanz als absolut kontinuierlich und absolut unveränderlich anzusehen, wie es für A. Weismann nötig war. O0. Hertwig bewies die Haltlosigkeit einer substanziellsn Präformation, und führte des weiteren aus, dass es unmöglich sei anzunehmen, dass bei der Segmentation des Eies, und folglich bei der Teilung der Ver- erbungssubstanz, ungleichwerte, heterogene Teile der letzteren resul- tieren. Indem er seine eigene Entwicklungs- und Vererbungstheorie aufstellt, erkennt auch W. Haacke den Einfluss der äußeren Be- dingungen an, sowie die erbliche Uebertragung der erworbenen Eigen- schaften, und beweist durch eine Reihe von Kombinationen, dass die Weismann’sche Präformationstheorie — dieselbe, wenngleich auch in eine dem heutigen Stande der Wissenschaft mehr entsprechende Form gekleidete Einschachtelungstheorie ist, welehe im vorigen Jahrhunderte herrschte und deren einer der hervorragendsten Anhänger der be- kannte Physiologe Haller war, dieselbe Einschachtelungstheorie, welche C. F. Wolf durch seine bekannte Abhandlung zu stürzen suchte. C. Sedgwick Minot, auch H. Driesch und eine Reihe anderer Biologen bekannten sich zu den Gegnern A. Weismann'’s. Aus der Geschlechtszelle, aus dem Ei entwickelt sich nach A. Weis- mann’s Ansicht auf dem Wege der Ontogenese ein Individuum der- selben Art, einzig und allein in Folge dessen, dass die im „Id“ ent- haltenen „Determinanten“, d. h. die substanziellen Keime aller viel- seitigen Eigenschaften der betreffenden Art, unter einander in einer bestimmten und konstanten Wechselbeziehung sich befindend, eine be- stimmte und komplizierte Architektur darstellen, welche die Formen der betreffenden Art bestimmt. Wenn sich nun jetzt die Eizelle zu segmentieren anfängt, so beginnt auch der komplizierte architektonische Bau der Vererbungssubstanz sich in ungleichwertige Teile zu spalten, welche nur diejenigen „Determinanten“, und zwar genau in derjenigen Gruppierung enthalten, welche denjenigen Geweben und Organen ent- spricht, die aus den betreffenden Blastomeren, d.h. Segmentationszellen, sich entwickeln. Dieser Teilungsprozess der ursprünglichen Vererbungs- substanz und das Wandern der „Determinanten“ vom Centrum zur Peripherie geht so lange von statten, bis alle „Determinanten“ völlig isoliert werden, d. h. bis eine jegliche Gruppe von gleichwertigen Zellen des fertigen Organismus nur eine, ihre Eigenschaften bestim- mende Art von „Determinanten“ enthält. Damit hat die Ontogenese ihr Ende erreicht. Folglich hat jede Eigenschaft und jede Form des erwachsenen Organismus ihren substanziellen Keim (Determinante) in der Vererbungssubstanz (Id, Keimplasma) der Geschlechtszelle; und die ganze Summe von Eigenschaften, und die Form der betreffenden Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 735 Art sind durch die gegenseitige Gruppierung und Beziehung der „Deter- minanten“ im Bereiche des „Ids“ bedingt. Gleichzeitig erblickt A. Weis- mann in der „Natürlichen Zuchtwahl“ den einzigen Faktor der Phylo- genie, indem er seinem „Keimplasma“ eine absolute Kontinuität und Unveränderlichkeit, d. h. eine vollkommene Unabhängigkeit von der Außenwelt und von den Lebensbedingungen zugesteht. Die „Natürliche Zuchtwahl“ bewirkt, nach seiner Annahme, in der Vererbungssubstanz alle jene Umlagerungen, alle jene Aenderungen in der Architektur, welche den phylogenetischen Entwicklungsstadien der einzelnen Arten entsprechen; die Zuchtwahl fixiert auch, sozusagen diese Aenderungen, indem sie dieselben der erblichen Uebertragung fähig macht; bewirkt wird dieses alles mit Hilfe der geschlechtlichen Fortpflanzung, d.h. der Vermischung (Amphimixis) der „Keimplasmen“. Wie willkürlich eine solche Anschauung über die Hauptfrage der Biologie ist, leuchtet ein. Jetzt, wo auf allen Gebieten des exakten Wissens nur von Auf- einanderwirken und Zusammenwirken der inneren und äußeren Be- dingungen die Rede ist, wo wir immer mehr von ihrer mächtigen Ein- wirkung aufs Leben überzeugt werden, erscheinen solche Anschau- ungen schon als Anachronismus. Allen A. Weismann’s nicht zu verkennendes Verdienst besteht darin, dass er einen mächtigen Anstoß gab und den Forschergeist auf diese Fundamentalfrage der Biologie lenkte. An dieser Stelle will ich nur auf eine Kombination die Aufmerk- samkeit lenken, welche uns die substanzielle Präformation im Sinne A. Weismann’s unbegreiflich und vollkommen unmöglich erscheinen lässt. Es ist unmöglich, dass jedes Organ, jedes Gewebe, jede Gruppe von gleichwertigen Zellen, schon in der Ausgangssubstanz der Onto- genese, im „Keimplasma“ des Eies, welches ja nur ein Teil, nicht der ganzen Zelle, sondern des Kernes darstellt, ihr eigenes Substanzteilchen, ihre „Determinante“ haben könnte. Das ist um so weniger verständ- lich, wenn wir in Betracht ziehen, was für eine unbegrenzte Zahl von „Determinanten“ in einer in den meisten Fällen mikroskopischen Zelle enthalten sein müssen. Wenn wir uns das quantitative Verhältnis der Geschlechtszelle und des aus derselben sich entwickelnden Organismus vergegenwärtigen, so überzeugen wir uns davon, dass ja die ganze Gewichtsmasse des fertigen Organismus, welche um viele Millionen Mal die Ausgangselemente: Eizelle + Spermatozelle übertrifft, das Resultat der Assimilation und der Umwandlung der toten organischen Substanzen in weit kompliziertere Molekeln der lebendigen Substanz ist. Was bleibt hier übrig für diese hypothetischen substanziellen Elemente, welche en miniature alle, sogar die untergeordneten Eigen- schaften des fertigen komplizierten Organismus repräsentieren? Die Anhänger der substanziellen Präformation mit A. Weismann an der Spitze schreiben zwar der Vererbungssubstanz die Fähigkeit zu, sich 736 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. g 8 unbeschränkt zu vermehren. Allein, wie eine einfache Berechnung lehrt, ist das Verhältnis der ursprünglichen in der Geschlechtszelle enthaltenen Vererbungsmasse zur Vererbungsmasse im erwachsenen Organismus (ich nehme den Menschen), wie mindestens 1:25,000,000,000. Und diese ganze Masse ist neu gebildet, neu geschaffen während der Ontogenese aus totem organischen Material. Wie ist denn dieser wahrhaft magische Einfluss einer so verschwindend win- zigen Masse der ursprünglichen Substanz zu verstehen, und wie soll man sich seine Wirkungsweise vorstellen? Das ist eine Frage, auf die schwerlich Jemand Antwort geben wird, und welehe A. Weismann nicht einmal vorübergehend gestreift hat. Indessen, wie mir scheint, liegt gerade darin der Schwer- punkt der Frage über den Vererbungsmechanismus. Je- doch davon später. Wenn nun eine Präformation im Sinne A. Weismann’s mit unseren jetzigen Kenntnissen von der Natur und vom organischen Leben sich nicht vereinen lässt; wenn die Vererbungssubstanz des ausgewachsenen, eeschlechtsreifen Organismus um viele Millionen Mal die Ausgangs- masse der Vererbungssubstanz der Ontogenese an Masse übertreffend, neu gebildet und geschaffen ist, als Resultat einer Metamorphose toter organischer Substanz; wenn die Vererbungssubstanz trotzdem von stark ausgesprochener, jedoch lange nicht absoluter Konstanz in ihrem Bau und ihren Eigenschaften ist von Generation zu Generation übergehend, und wenn wir endlich auf eine Reihe von Bedingungen hingewiesen werden, welehe diese merkwürdige Konstanz und Lebensrähigkeit der Vererbungssubstanz bewirken, und gleichzeitig einen der Zeit nach zwar sehr langsamen, aber mächtigen Einfluss auf deren Veränderlich- keit ausüben, als Hauptfaktoren der organischen Entwicklung und des allgemeinen Fortschrittes sich erweisend, — so steht vor uns die Frage über den Bau der Vererbungssubstanz und über den Mechanismus der erblichen Uebertragung in ihrer vollen Naktheit; allein, die ganze um- fangreiche Litteratur überblickend, finden wir keine Antwort. Alle Biologen, die sich als Gegner des Freiburger Zoologen be- kannt haben, wiesen darauf hin, dass als wichtigster Faktor der Ent- wicklung die Außenwelt in ihrer ganzen Kompliziertheit, mit allen ihren manmnigfaltigsten Einwirkungen auf die lebendige Substanz anzusehen ist. Alle, oder fast alle, erkennen auch die Notwendigkeit einer erb- lichen Uebertragung von funktionellen Abänderungen oder erworbenen Eigenschaften an. Somit lässt sich der heutige Stand der Frage über die Vererbung in folgende Sätze zusammenfassen. 1. Die kompli- zierten Erscheinungen der Vererbung müssen als Substrat eine besondere Vererbungssubstanz von bestimmtem und kompliziertem Bau und von einer bestimmten Lokalisation in der Gescehlechtszelle haben: 2. indem diese den Aus- [9,25 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 137 gangspunkt der Entwicklung bildendeVererbungssubstanz während der Öntogenese ununterbrochen wächst, d.h. aus toten ungeformten Substanzen neu geschaffen wird, ihre ursprünglichen Eigenschaften und ihren Bau beibehal- tend, erfährt sie auf diesem Wege unter dem Einflusse der Hauptfaktoren der Entwicklung mannigfaltige, aber immer streng bestimmte Aenderungen in ihren Eigen- schaften. Es entwickelt sieh mit anderen Worten eine funktionelle Spezialisation. Folglich stellt die ontogene- tische Entwieklung einen Prozess einer ununterbrochenen Nenbildung von Vererbungssubstanz und einer allmäh- lichen Verbreitung derselben vom Centrum, d.h. von der Ausgangszelle (Eizelle) zur Peripherie dar; 3. gleichzeitig sindwir gezwungen denEinfluss deräußeren Bedingungen anzuerkennen, der sich in Form von funktionellen Aende- rungen äußert, welche sich auf diesem oder jenem Wege auf der Vererbungssubstanz der Geschlechtszelle ab- spiegeln müssen. Folglich stellt die ontogenetische Ent- wieklung gleichzeitig einen Prozess einer ununterbroche- nen Abspiegelung von Impulsen in der Vererbungssub- stanz der Geschleehtszellen dar, welehe dureh die funktionellen Aenderungen hervorgerufen werden und, an der Peripherie entstehend, zum Oentrum geleitet wer- den; dabei ist dieser Prozess auch nach Abschluss der Ontogenese im Verlauf des ganzen individuellen Lebens des betreffenden Organismus thätig. Vs Nachdem wir so zu den Hauptfragen der Entwicklung und der Vererbung eine bestimmte Stellung genommen haben, können wir es wagen an die uns gestellte Aufgabe heranzutreten. Hier harrt vorerst die Frage über die Struktur der Vererbungssubstanz ihrer Beantwortung. Als wir über die Lokalisation der Vererbungseigen- schaften der Art in «er Geschlechtszelle redeten, gelangten wir zu dem Sehlusse, dass diese Eigenschaften in den „Cytoblasten“, diesen morphologischen Grundelementen der lebendigen Substanz, welche ein volles und ganzes, wenn auch abhängiges und untergeordnetes Leben führen, ihren Sitz haben müssten. Wenn wir somit die Frage über die Struktur der Vererbungssubstanz beantworten wollen, müssen wir bei den „Cytoblasten“ stehen bleiben. Schon in meinem erwähnten, der neuen Richtung der Zellenlehre gewidmeten Büchlein suchte ich zu zeigen, dass auch der „Cytoblast“ als ein kompliziertes Gebilde anfgefasst werden muss, dass auch er keinen Endpunkt der morpho- logischen Zergliederung im biologischen Sinne darstellt, sondern aus XVI, 47 238 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. einer Summe noch einfacherer morphologischer Einheiten aufgebaut ist, welche ich: „definitiv letzte Struktureinheiten der orga- nisierten lebendigen Substanz“ benannte. Da sind die letzten denkbaren morphologischen Einheiten der lebendigen Substanz: in ihnen erfährt, sozusagen, das kaum erwachte Leben seine bestimmte Organisation und seine bestimmte Gestalt. Weiter kann die morpho- logische Zergliederung nicht geführt werden; weiter beginnt schon das unorganische Chaos von toten chemischen Strukturen. Ich nehme mir die Freiheit an dieser Steile die Worte anzuführen, mit denen ich in meiner schon genannten Broschüre dieses letzte Element der morpho- logischen Zergliederung lebendiger Substanz charakterisierte. Ich sagte: „Hier gelangen wir, meiner Ansicht nach, schon ins Bereich der Mechanik und der Chemie. Diese definitiv letzte morphologische Einheit stellt wahrscheinlich schon ein sehr kompliziertes, einerseits wiederstands- fähiges, andererseits labiles chemisches System von Molekeln einer oder mehrerer Eiweißsubstanzen dar, einen ganzen Mikrokosmos, wenn man sich so ausdrücken darf, von chemischen Molekeln, im Sinne der von unserem genialen D.Mendelejeff entwickelten Anschauungen. Einer- seits sehen wir also vor unserem Geiste eine Molekel von kompli- ziertem chemischen Bau, eine Eiweißmolekel, in welcher ein ganzes System von Atomgruppen enthalten ist, und deren Bau noch lange nicht ergründet ist. In dieser komplizierten chemischen Molekel erwachen die ersten Strahlen des organischen Lebens; diese Molekel, in welcher nur die allereinfachsten Lebenseigenschaften ohne jegliche Spezialisation enthalten sind, ist der Ausgangspunkt der organischen Entwicklung, der Anfang der Epigenese. Andererseits vereinigt sich die Summe dieser einfachsten, entweder chemisch gleichwertigen oder ungleichwertigen Lebenseinheiten auf diese oder jene Art, ihrerseits ein kompliziertes System höherer Ordnung darstellend, und zeigt sich unserem Auge unter dem Mikroskope in Gestalt feinster Körnchen, in Gestalt unserer „Cytoblasten“, welche im Aufbaue der Zelle eine ganz gleichbedeutende holle spielen, wie die Zelle im Aufbaue des viel- zelligen Organismus. Im „Cytoblast*“ beginnt schon nach allen Er- rungenschaften der letzten Jahre zu urteilen, eine Spezialisation der Lebensfunktionen, eine Spezialisation, die manchmal sehr scharf aus- geprägt ist und eine hohe Ausbildung erreicht: denn im „Cytoblast“ ist, wie wir sagten, die Fähigkeit der erblichen Uebertragung von Art- eigenschaften enthalten. Es ist daraus klar, dass die Vererbungs- substanz gleichbedeutend ist mit der Substanz einer bestimmten Art von „Oytoblasten“; und deshalb lässt sich die Frage über den Bau der Vererbungssubstanz auf die Frage über den Bau des „Cytoblasten“ zurückführen. Daraus lässt sich der logische Schluss ziehen, dass, gleichwie alle übrigen Eigenschaften und Fähigkeiten des „Oytoblasten“, auch die an eine „Oytoblastenart“ gebundene Fähigkeit der erblichen Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 739 Uebertragung von Arteigenschaften, außer den äußeren Bedingungen, vorallererst vom inneren Bau des „Cytoblasten“, von der Gruppierung in ein kompliziertes Ganze der einfachsten Träger der noch nicht dif- ferenzierten Lebenseigenschaften abhängig sein muss. Deshalb müssen wir die Ursache der Kundgabe von Vererbungseigenschaften in den inneren gegenseitigen Verbindungen und den Verhältnissen suchen, welche die „definitiv letzten Struktureinheiten der lebendigen Substanz“ im Bereich des „Cytoblasten“ eingehen. Zu dieser einzig möglichen Annahme führte uns der streng logische Gang des von der heutigen Zellenlehre ausgehenden Gedankenganges. Aber was ist das für ein Bau, und was sind das für gegenseitige Beziehungen? Diese Haupt- frage bleibt bis heute noch offen, ungeachtet der sehr umfangreichen Litteratur über die Vererbung. Die meisten Biologen scheinen sich vollkommen mit der Behauptung zu begnügen, dass die Vererbungs- substanz einen sehr komplizierten Bau haben muss, um weiterhin ihre spitzfindigen Auseinandersetzungen zu machen, ohne sich weiter um das anatomische Substrat zu kümmern; und nur zwei Biologen geben uns, wenn auch eine annähernde Vorstellung vom Bau der Vererbungs- substanz: A. Weismann und W.Haacke. Obgleich die Vererbungs- theorie von Haacke der Wirklichkeit näher steht, als die Theorie von A. Weismann, so entspricht doch die anatomische Grundlage der Lokalisation von Vererbungseigenschaften dieser letzteren vielmehr den Thatsachen der Zellenmorphologie. A. Weismann geht, wie die meisten, von den Chromatinkörnern aus (oder Chromatin- Cytoblasten nach unserer Anschauung), welche seinen „Iden“ entsprechen, d. h. den Trägern von Vererbungseigenschaften der Art. Das „Id“ zerfällt in eine sehr große Anzahl von „Determinanten“, von denen eine jede die Eigenschaften einer bestimmten Gruppe vollkommen gleichwertiger Zellen bestimmt. Die „Determinanten“ ihrerseits werden aus „Biophoren“ zusammengesetzt, aus den letzten Einheiten der lebendigen Substanz nach Weismann. Die gegenseitige Gruppierung der ganzen Masse der „Determinanten“ bestimmt die ganze Form des fertigen Organismus. Allein, welcher Art ist diese Gruppierung, welche Kräfte sind dabei thätig und welcher Art ist der ganze Mechanismus? Darüber sich des weiteren zu äußern scheint A. Weismann für überflüssig zu halten; denn in jeglicher schweren Frage steht ihm die „Natürliche Zuchtwahl“ zur Seite, dieses Phantasiegebilde einer noch großen Zahl von Biologen. Der andere Gelehrte, W. Haacke, ein Gegner A. Weismann’s, steht auf einer viel schwächeren anatomischen Basis. Erstens verlegt er alle Eigenschaften der erblichen Uebertragung in den Zellleib, als Centrum der Vererbungssubstanz das Centrosoma anerkennend. Zwei- tens legt Haacke sehr wenig Gewicht auf die Morphologie der Zelle: er scheint im Zellenleib gar keine Struktur anzuerkennen; das sogen. Plasma stellt er sich als irgend eine homogene Substanz vor, das 47* 740 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Plasma besteht aus kleinsten Krystallen (Prismen mit rhombischer Basis), den sogen. „Gemmen“, welche, sich bestimmt gruppierend, Ein- heiten höherer Ordnung bilden, die sogen. „Gemmarien“, welche auch eine bestimmte Form besitzen, und mit Anziehungspolen versehen sind. Indem die „Gemmarien“ einander anziehen und vom Hauptzentrum, dem Centrosoma angezogen werden, bilden die „Gemmarien“ gewisse Symmetrieverhältnisse, von welchen Haacke die Symmetrieverhält- nisse des werdenden Organismus ableitet. Daraus ist ersichtlich, dass Haacke ein dynamisches System, oder wie er sagt, ein „regulatives Prinzip“ anerkennt. Allein, was für Kräfte hier thätig sind, und welcher Art sie verändernd auf dieses System einwirken, bleibt auch hier völlig dunkel. Dabei verbleibt dieses System, wie auch alle übrigen, in einem unbeweglichen Gleichgewicht, welches jedesmal nur dann gestört wird, sobald sich die erblichen Eigenschaften im Verlauf der Ontogenese kund thun. Wir sehen also, dass unsere Vorstellungen vom Baue der Vererbungssubstanz sich noch sehr ungenügend erweisen. Allein, ist es denn wirklich möglich vom Mechanismus der Vererbung zu sprechen ohne eine mehr oder weniger richtige Vorstellung vom Wesen und vom Baue des Trägers der Vererbungseigenschaften zu haben? Natürlich nieht! Jedoch, und das ist sehr charakteristisch, wurden diese Fragen in den Vererbungstheorien kaum gestreift. Bevor ich des weiteren bei Besprechung des Vererbungsmechanismus noch auf diese Frage zurückkommen werde, muss ich, wenn auch nur auf einen Augenblick, bei der Frage über dielndividualität oder Spezifizität der Vererbungssubstanz jeder Art stehen bleiben. VI. Vorher überzeugten wir uns davon, dass die Hauptprinzipien der organischen Entwicklung und der Vererbung in folgenden Formeln ausgedrückt werden können: 1. die ganze Summe der äußeren Lebens- bedingungen, 2. die innere Organisation der lebendigen Substanz und 3. die von beiden abhängenden Bedingungen der Koordination und Kooperation. Indem wir nun noch das eben Gesagte über den Bau der Vererbungssubstanz berücksichtigen, können wir schon offen be- kennen, dass, wenn aus einer Eizelle nur eine bestimmte Tierart sich entwickelt, der Grund davon in einer Aenderung einer der eben an- geführten drei (richtiger zwei, da die dritte nur ein Resultat der beiden ersten ist) Hauptbedingungen der Entwicklung liegt. Wir wissen aber, dass bei denkbar ideal gleichen äußeren Bedingungen aus den ver- schiedenen Arten gehörigen Eizellen immer Individuen der betreffenden verschiedenen Arten sich entwickeln. Daraus folgt der logische Schluss, dass hier die Hauptbedingung in der Spezifizität der Geschlechtszelle der betreffenden Art enthalten sein muss, wobei diese Spezifizität im Sinne der morphologischen Struktur und der chemischen Besonder- Baer, Atmungswerkzeuge bei den Vögeln. 141 heiten der „Oytoblasten“, sowie im Sinne der aus diesen Besonder- heiten resultierenden gegenseitigen Beziehungen der „Oytoblasten“ auf- zufassen ist, welche infolge dessen ein kompliziertes Ganze von einem bestimmten, ihm allein eigenen Charakter bilden. Daraus lässt sich der, mehr als wahrscheinliche, Schluss ziehen, dass die Vererbungssubstanz, d. h. die die Vererbungseigen- schaften in sich bergenden „Cytoblasten“, spezifisch sind, mit anderen Worten, ihre bestimmte Individualität in der Geschlechtszelle einer jeden Art haben. Deswegen sind die- jenigen Biologen im Unrecht, wie z B. O. Hertwig und W.Haacke, welche sich in der den Anschauungen A. Weismann’s entgegen- gesetzten Richtung zu sehr fortreißen lassen, und die übrigen Be- dingungen der Entwicklung nicht genügend würdigen, indem sie zu glauben scheinen, dass aus der Eizelle einer bestimmten Art ein Indi- viduum eben derselben Art ausschließlich unter dem Einflusse der äußeren Bedingungen wird, welche auf die Eizelle vom ersten Augen- blicke der ontogenetischen Entwicklung an einwirken. Die äußeren Bedingungen spielen ohne Zweifel die Rolle des Hauptfaktors der Ent- wicklung, allein bei Beginn der Ontogenese eines vielzelligen Organis- mus haben wir ja nicht bloß mit einer chemischen Molekel zu rechnen, wie vielleieht zu den Urzeiten, wo zuerst das organische Leben auf der Erde entstand, — sondern mit einem ganzen komplizierten Organismus — mit der Zelle. Wie soll man sich nun diese Spezifizität der Vererbungssubstanz vorstellen? Zum Teil ist das schon, nach allem Gesagten, verständlich, es wird aber vollkommen über- zeugend sein, wenn wir die Frage über den Mechanismus der erblichen Uebertragung durchnehmen, zu welcher ich jetzt übergehe. (Drittes Stück folgt.) Max Baer, Beiträge zur Kenntnis der Anatomie und Physio- logie der Atmungswerkzeuge bei den Vögeln. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. LXI. An Säugetieren lassen sich bei einem Aufenthalt in stark luftver- dünnten Räumen auffallende krankhafte Erscheinungen (Bergkrankheit), vor allem eine große Mattigkeit beobachten; dagegen können Vögel un- beschadet ihrer Leistungsfähigkeit stundenlang in einer Höhe von 6000 Metern schweben. Ebenso ist bei den Vögeln, die in ihrem Fluge die Geschwindig- keit eines Rennpferdes bei weitem übertreffen, auch unmittelbar nach dem schnellsten Flug eine Steigerung der Atemthätigkeit nicht bemerkbar, während ja bei vierfüßigen Warmblütern schneller Lauf die Zahl der Atemzüge erheblich steigert und schließlich Atemnot herbeiführt. Diese außerordentlichen Leistungen, deren der Atmungsapparat der Vögel fähig ist, machen es von vornherein wahrscheinlich, dass sein anatomischer Aufbau und seine Wirkungsweise von dem der Säugetiere in vieler Hinsicht ab- weicht. 42 Baer, Atmungswerkzeuge bei den Vögeln. Was den anatomischen Bau betrifft, so unterscheiden sich die Atem- werkzeuge der Vögel in wesentlichen Punkten von denen der Säuger. Die Lungen sind verhältnismäßig sehr klein und füllen die Brusthöhle nicht völlig aus; vielmehr legen sie sich der Rückenwand eng an, gleich- sam einen Ausguss derselben bildend, und ihr Brustfellüberzug verwächst dabei mit jenem Teile der Brustwand. Dazu sind sie, im Gegensatz zu den Lungen der Säuger, sehr wenig elastisch. Die Luftröhre teilt sich in jeder Lunge in mehrere Aeste, die ihrerseits wieder dünnere Zweige abgeben. Die Wände dieser Bronchialverzweigungen sind von einer Menge dichtstehender gleichweiter Oeffnungen siebartig durchbohrt; diese Oeff- nungen führen in kleine Röhrchen, die sog. Lungenpfeifen, die senkrecht zu den Bronchialästen stehen. An diese Lungenpfeifen setzen sich noch- mals ringsherum kleine Aussackungen an, die primären Lungenläppchen, die mit endständigen und seitlichen Blindsäckchen, den Alveolen, endigen. In den Wänden der Lungenpfeifen und Alveolen finden sich außerordent- lich dichte Netze von Blutkapillaren, nur durch ganz dünne Wandungen von der Luft getrennt. Zwischen den benachbarten Lungenpfeifen bleibt nur sehr wenig Gewebe übrig, und so geschieht es, dass auf einen ver- hältnismäßig geringen Rauminhalt der Lungen ein ungeheurer Reichtum an Kapillaren kommt. Die Lungenpfeifen endigen nur zum Teil blind geschlossen; zum Teil stehen sie in offener Verbindung unter einander oder führen in einen benachbarten Bronchus: die Luft kann also frei durch sie hindurchstreichen. An der ventralen Fläche jeder Lunge bemerkt man fünf Oeffnungen, durch welehe Bronchialäste münden; sie führen in ebenso viele dünnhäutige Aussackungen, und setzen diese somit in Verbindung mit der Außenluft. Diese Luftsäcke stellen ein System bestimmt angeordneter Hohlräume dar: sie schieben sich zwischen die Eingeweide ein, dringen in alle freien Räume, Spalten und Vertiefungen der Rumpfhöhle, ja sie bleiben nicht auf diese beschränkt, sondern treten über die Grenzen derselben hinaus, zwischen die lokomotorischen Muskeln, und senden selbst Fortsätze in die Höhlen der pneumatischen Knochen des Rumpfes und der Extremitäten. Ihre Ausdehnung ist im Verhältnis zu dem geringen Volumen der Vogel- lunge eine ungeheure. Doch dienen sie nicht etwa zur Vergrößerung der Atemfläche, sondern sie sind in ihren Hauptabschnitten geradezu gefäß- arm; die Gefäße, die man in ihnen findet, sind nicht in den Lungenkreis- lauf eingeschaltet und haben offenbar nur ernährende Funktion. Dagegen finden sich in der auskleidenden Membran der pneumatischen Knochen- höhlen ziemlich diehtmaschige Netze wirklicher Kapillaren, die aber eben- falls arteriellen Ursprungs sind. Durch einen Versuch lässt sich zeigen, dass an diesen Stellen eine Kohlensäureausscheidung stattfindet: bringt man nämlich am Humerus eines größeren Vogels zwei Oeffnungen nahe den beiden Enden an, und leitet dann, nachdem man die Verbindung dieser Knochenhöhle mit den übrigen Lufträumen des Körpers sorgfältig verstopft hat, kohlensäurefreie Luft hindurch, so zeigt diese beim Austritt deutlichen Kohlensäuregehalt, wie ein reichlicher Niederschlag im Baryt- wasser zeigt. Natürlich kommt diese geringe Blutoxydation gegen diejenige die in den Lungen stattfindet, für die Atmung gar nicht in Betracht. Die bisherigen Anschauungen über den Vorgang der Atmung bei den Vögeln und über die Bedeutung der Luftsäcke sind mehr spekulativer Baer, Atmungswerkzeuge bei den Vögeln. 743 Natur und stützen sich nicht auf Versuche. Schon über die Beweglichkeit der Brustwände gehen die Ansichten weit auseinander. Die anatomische Einrichtung des Brustkorbes ist folgende: die echten Rippen bestehen aus 2 knöchernen Teilstücken, die durch ein Kapselband gelenkig miteinander verbunden sind; die dorsalen Stücke (Vertebralrippen) artikulieren mittels zweier Gelenkfortsätze an den Wirbeln, die ventralen Stücke (Sternal- rippen) sind an den Seitenrändern des mächtig entwickelten Brustbeins eingelenkt. Das Coracoid ist mit dem Brustbein wenig beweglich ver- bunden und gelenkt andrerseits mit dem Schulterblatt. — Bei der Ein- atmung werden nun die beiden Rippenstücke nach vorn gezogen, und da- durch wird der Winkel, den sie miteinander bilden, vergrößert; sie wirken dabei, nach Art einer Kniepresse, in der Weise, dass das Brustbein von der Wirbelsäule entfernt und zugleich nasal bewegt wird: infolge dessen wird der Brustkorb in dorsoventraler Richtung erweitert. Die Einlerkung der Vertebralrippen an der Wirbelsäule gestattet aber noch eine zweite Bewegung, nämlich eine Drehung von hinten und innen, nach vorn und außen: dadurch wird der Brustkorb in transversaler Richtung erweitert, Die letztere Bewegung ist aber nur dann von einer Erweiterung des Brust- korbes begleitet, wenn die Vertebralrippen mit der Wirbelsäule nach hinten einen spitzen Winkel bilden, nicht aber, wenn sie im rechten Winkel zu ihr stehen. Am Skelett eines guten Fliegers, z. BD. einer Taube, beträgt nun fraglicher Winkel gerade einen Rechten, bei schlechten Fliegern dagegen sind die Rippen viel schiefer eingepflanzt (Huhn, Ratiten); zugleich vergrößern sich bei schlechten Fliegen die Winkel, welche Vertebral- und Sternalrippen miteinander bilden, und dadurch wird die Bewegung des Brustbeins weniger ausgiebig. Hingegen bietet die geringe Beweglichkeit, welche die Rippen guter Flieger in der Richtung nach vorn besitzen, der für die lokomotorische Bewegung ausschließlich in Be- tracht kommenden Vordergliedmaße eine feste Basis. In der Ruhe geschieht die Atmung des Vogels durch Senkung und Hebung des Brustbeins. Die Hauptaufgabe der Luftsäcke ist es dabei, die Durchlüftung des ungewöhnlich kapillarreichen Lungenparenchyms zu besorgen: „Lungen und Luftsäcke haben sich in das Atemgeschäft geteilt; den ersteren obliegt der chemische Teil, die Hämatose, den Luftsäcken der mechanische Teil, der Wechsel der zur Respiration dienenden Luft“. Wie geschieht dies nun? Man hat bisher meist einen Antagonismus zwischen den Luftsäcken der Brust und des Bauches angenommen: bei der Einatmung sollten die ersteren sich erweitern, die letzteren aber, weil sie von dem Druck der Außenluft nur durch die nachgiebigen Bauch- wände getrennt seien, sich verengern, und umgekehrt bei der Ausatmung. Ein solcher Vorgang kann unmöglich stattfinden; man stelle sich nur die Folgen eines derartigen Verhältnisses vor: es müssten sich bei der Ex- spiration die Bauchluftsäcke mit Luft füllen, die, aus den Lungen kom- mend, Kohlensäure enthält: bei der Inspiration müssten sie sich entleeren, natürlich in die Lungen, denen dadurch schon veratmete Luft zugeführt würde — und das müsste die Respiration, anstatt sie zu fördern, in be- denklicher Weise schädigen. Wenn man die inspiratorische Entleerung der Bauchsäcke daraus folgern will, dass beim Beginn der Inspiration die Bauchdecken einsinken, so ist das ein 'Trugbeweis; man vergleiche nur die Vorgänge bei einem Blasbalg: wird Luft eingesogen, so fällt zunächst 7144 Baer, Atmungswerkzeuge bei den Vögeln. das Leder ein, beim Auspressen der Luft spannt es sich; so auch am Vogelkörper: durch Erweiterung des Brustkorbes entstehen zunächst luft- verdünnte Räume in den Luftsäcken, und bis durch Einströmen der Luft von außen diese Druckdifferenz ausgeglichen ist, bewirkt der äußere Luft- druck das Einfallen der Bauchdecken. Dementsprechend zeigen auch die Versuche mit dem Polygraphen, dass, „so lange der Thorax sich erweitert, der Druck der Atemluft in sämtlichen Säcken gleichmäßig und synchron fällt, und ebenso steigt, so lange sich der Brustkorb verengt“. Die Luft- säcke erweitern sich also und saugen Atemluft an bei der Inspiration, sie verengern sich und geben Luft ab bei der Exspiration. Der Atmungs- vorgang ist also folgender: durch Erweiterung der T'horaco - Abdominal- höhle werden sämtliche Luftsäcke ausgedehnt und infolge der entstehenden Luftverdünnung dringt die Außenluft in die Luftröhre ein; ein Teil davon ergießt sich durch die Bronchien im das Lungenparenchym und bewerk- stelligt die Hämatose, der andere Teil folgt dem Verlauf der Haupt- bronchien und gelangt in die Luftsäcke. Bei der Ausatmung werden alle Luftsäcke verengt, die in ihnen enthaltene Luft wird ausgetrieben, kann aber, da sie plötzlich in viel engere Bahnen kommt, nicht nach außen gelangen, ohne das Lungenparenchym passiert zu haben; dabei dient auch sie der Hämatose. So werden also die Blutkapillaren des Lungenparenchyms sowohl bei der Einatmung wie bei der Ausatmung von großen Mengen sauerstoffreicher Luft umspült, und der Gasaustausch zwischen dem rasch zirkulierenden Blut und der Luft vollzieht sich ununterbrochen und mit stets gleicher Lebhaftigkeit. Während der Flugbewegung müssen nun offenbar die Rippen, das Brust- bein und auch die Coracoide festgestellt werden, — die Rippen, weil auf ihnen das Schulterblatt ruht, die Axe, um die der Flügel sich bewegt — das Brustbein als Ansatzpunkt der hauptsächlichsten Flugmuskeln — die Coracoide, weil sie zwischen Brustbein und Schulterblatt die Verbindung herstellen. Diese Feststellung kann leicht erreicht werden durch Ver- harren der Inspirationsmuskeln im Kontraktionszustande. Somit muss natürlich die Durchlüftung dem Atemapparates während des Fluges in ganz anderer Weise erfolgen, als in der Ruhe. Sicher ist aber, dass diese Durchlüftung während des Fluges eine ganz ausgezeichnete sein muss. Hier spielen offenbar die Luftsäcke, die in der Achselhöhle und in den Intermuskularräumen der Brustmuskeln liegen, eine große Rolle: diese Säcke werden beim Heben der Flügel erweitert, beim Senken derselben verengert, saugen also abwechselnd Luft an und stoßen sie aus, wie ein einfacher Manometerversuch zeigt. Da nun gute Flieger 3—13 Flügel- schläge in der Sekunde machen, gibt das eine beträchtliche Luftbewegung. Dazu ist es wahrscheinlich, dass die beim schnellen Vorwärtsfliegen auf den Vogel einwirkende Luftdrucksteigerung zur Durchlüftung des Atem- apparats mit beiträgt und den Luftvorrat liefert, der durch die eben be- sprochene Pumpthätigkeit der Luftsäcke in Zirkulation gesetzt wird. Dass ein solches Atmen aus Luftvorrat ohne Atembewegungen möglich ist, zeigen folgende höchst interessante Versuche: einer Krähe wurde der Oberarm gebrochen und mittels eines Gebläses ein mäßiger Luftstrom in die Luft- röhre eingeblasen; der Körper des Tieres dehnte sich bedeutend aus, die Atembewegungen hörten sofort auf ohne dass der Vogel Missbehagen zeigte; die eingeblasene Luft strömte durch die Höhle des gebrochenen Voigt, Dimerpbismus, Variation und verwandte Erscheinungen. 145 ÖOberarmes aus. Und weiter: einer unversehrten T’aube wurde ein Luft- strom gegen die Nasenlöcher geblasen: das Tier blähte sich auf, die Atembewegungen wurden kaum wahrnehmbar, und ohne irgendwelche Aeußerung von Missbehagen lebte die Taube ruhig weiter. Man kann also mit Recht annehmen, dass „die Luftsäcke Luftbehälter für den Flug sind; sie setzen den fliegenden Vogel in den Stand, sein Atembedürfnis reichlich zu befriedrigen, ohne besondere Atembewegungen anszuführen“. Hesse [97]. Studien über sexuellen Dimorphismus, Variation und ver- wandte Erscheinungen. I. Der sexuelle Dimorphismus bei Schmetterlingen und Ursachen desselben. Von Prof. Dr. J. Kennel. Jurjeff (Dorpat), C. Mathiesen 1896. Abdruck aus den Schriften, herausgegeben von der Naturforschenden Gesellschaft bei der Universität Jurjeff (Dorpat), IX, 1896. Die Versuche, den sexuellen Dimorphismns als eine Folge der ge- schlechtlichen Auslese seitens der Weibehen darzustellen, sind unbefriedigend ausgefallen, vor allem so weit es sich um niedere Tiergruppen handelt, von deren Sinnesleben wir überhaupt noch außer stande sind, uns eine klare Vorstellung zu machen. Kennel ist durch seine Studien zu der Ueber- zeugung gekommen, dass bei Schmetterlingen die sexuelle Zuchtwahl ent- weder gar keine oder, wenn überhaupt, dann nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Er versucht daher die Lösung des Problems von einer ganz anderen Seite her und weiß seine von den bisherigen Annahmen ab- weichenden Ansichten durch eine Reihe beweiskräftiger Beispiele erfolg- reich zu stützen. Der seine Abhandlung zu Grunde liegende Gedanken- gang ist in den Hauptzügen der folgende). „Normaler Weise sind Männchen und Weibchen in äußeren Charak- teren, die nicht direkt mit dem Fortpflanzungsgeschäft in Beziehung stehen, einander gleich. Sexueller Homomorphismus. Bei Variationen im Ganzen, bei Um- und Ausbildung von einzelnen Teilen gehen meistens beide Geschlechter parallel, sei es, dass die Ab- änderungen durch Ursachen bewirkt werden, die auf beide Geschlechter in gleicher Weise und Richtung wirken, sei es durch erbliche Uebertragung der anfangs nur in einem Geschlecht aufgetretenen Umformungen. Die Abweichungen von den bisherigen Eigenschaften können sowohl allmählich gesteigert werden, als auch in größerem Umfang plötzlich auf- treten, sprungweise Variation. Die Variationen sind nicht planlos, sondern treten je nach den Charakteren der Species in einzelnen Richtungen, nicht immer in einer einzigen, aber auch nicht in sehr zahlreichen, auf und verfolgen dieselben. Dadurch entstehen Varietäten und neue Arten. Die Abänderungen in einer bestimmten Richtung können mitunter hochgradig gesteigert werden, selbst über das durch die Nützlichkeit und Gebrauchsfähigkeit begrenzte Maß hinaus: „Entwicklungstendenz““. Wenn nämlich der Organismus eine lange Reihe von Generationen hindurch zur Weiterbildung eimes Organes in bestimmter Weise in An- 1) Die in Anführungszeichen eingeschlossenen Sätze sind der zusammen- fassenden Uebersicht am Schlusse der Abhandlung entnommen. 746 Voigt, Dimorphismus, Variation und verwandte Erscheinungen. spruch genommen worden ist, so ruht die erblich übertragene Bildungs- tendenz nicht, sobald dieses Organ seine nützlichste Ausbildung erlangt hat, sondern wirkt weiter, steigert gelegentlich, wenn nicht die Auslese hin- dernd eingreift, die Entwicklung des Organs in Maßlose und bringt Monströses, selbst Schädliches hervor, wie man an den enormen Eekzähnen von Smielodon, dem Geweih des Riesenhirsches und anderem ersehen kann, denn nach der Ansicht namhafter Paläontologen sind diese Tierformen infolge der übermäßigen einseitigen Ausbildung der betreffenden Organe ausgestorben. „Nutzlose Organe degenerieren nicht infolge von Nichtgebrauch, son- dern nur infolge von stärkerer Ausbildung, Umbildung oder Neubildung anderer Organe, durch die ihre Substanz in Anspruch genommen wird“. Wie der Verfasser mit Recht hervorhebt, enthält der Satz „Nutzlose Organe degenerieren infolge von Nichtgebrauch“ gar keine Erklärung, sondern bringt nur die 'Thatsache, dass diejenigen Organe, welche durch Degeneration rudimentär werden, in der Regel solche sind, die keine oder nur geringfügige Funktion hatten, in nicht völlig zutreffender Form zum Ausdruck. Denn die Ursache des Rudimentärwerdens ist nicht in dem Umstand zu suchen, dass die betreffenden Organe nicht gebraucht werden, sondern darin, dass diesen Organen infolge des Kampfes der Teile im Organismus durch andere die zu ihrer Ausbildung nötigen Nährstoffe ent- zogen werden. So sehen wir z. B. wie bei der Umbildung der Extremi- täten der Huftiere die Reduktion der seitlichen und die mächtige Er- starkung der Mittelzehe ganz parallel geht. Da die Zehen von vornherein in der ganzen Wirbeltierreihe ungleiche Länge besaßen, so wurden bei den Tieren, die sich aus Sohlengängern zu Zehengängern entwickelten, die mittleren, längeren durch die Last des Körpers mehr in Anspruch genommen und dabei wurden die zu ihrer kräftigeren Ausbildung not- wendigen Stoffe den weniger wertvollen Nachbargebilden entzogen. Wir finden öfter, dass sich nicht nur nutzlose, sondern selbst schon rndimentär gewordene Organe mit großer Hartnäckigkeit vererben. Solche Organe müssen auch immerfort weiter vererbt werden, so lange nicht eine Veranlassung zu ihrer völligen Rückbildung vorhanden ist. Diese Ver- anlassung wird gegeben durch eine neue Periode progressiver Veränderung anderer Organe. Nur dann kann eine mehr unmittelbare Beeinflussung eines nutzlosen ÖOrganes, auch ohne dass andere Teile davon Nutzen ziehen, vorkommen, wenn dasselbe an und für sich stark variabel und für seinen Besitzer direkt schädlich ist, denn in diesem Falle tritt die natürliche Auslese der am wenigsten benachteiligten Individuen in Kraft. Was nun die Entstehung des sexuellen Dimorphismus betrifft, so fasst Kennel seine Theorie in die folgenden Sätze zusammen: „Es können Umstände eintreten, wo zu Gunsten der Erhaltung normaler Fortpflanzungsfähigkeit oder einer Steigerung derselben äußere Organe regressiv oder degenerativ umgebildet werden. Das wird der Natur der Sache nach gewöhnlich das weibliche Geschlecht treffen, da für dessen Fortpflanzungsthätigkeit sowohl größere Substanzmengen als auch komplizierte Stoffarten nötig sind. Dadurch entsteht „individuell bedingter“ Sexualdimorphismus. Dieser braucht zunächst nicht vererbt zu werden, da er immer von Fall zu Fall, jedesmal nur im nämlichen [weiblichen] Geschlecht aus den Voigt, Dimorphismus, Variation und verwandte Erscheinungen. 147 gleichen Ursachen auftritt, kann aber trotzdem die abgeänderten Individuen |Weibehen] zur herrschenden und zuletzt alleinigen Form des Geschlechts machen. Endlich wird die Abänderung habituell und von den Ursachen unab- hängig, und durch Erbschaft auf die Nachkommen auch des anderen |mänu- lichen| Geschlechts übertragbar. Betrifft es Aenderungen, welche bei Vererbung auf das andere |männ- liche] Geschlecht dessen Begattungethätigkeit nicht hindern, so kann dieses durch erbliche Uebertragung dieselben Abänderungen übernehmen und es tritt wieder sekundär Aehnlichkeit und Gleichheit der Geschlechter ein. Sind die Abänderungen aber der Art, dass das andere Geschlecht |das männliche] durch den erblich übertragenen Besitz in der Begattungs- thätigkeit gehindert wird, so werden die betroffenen Individuen immer von der Begattung ausgeschlossen und ausgemerzt, und bei deu übrig- bleibenden werden die ursprünglichen Eigenschaften befestigt. Bei habituell gewordenem sexuellem Dimorphismus verlieren aber die Geschlechter allmählich oder ziemlich schnell die Fähigkeit, ihre sekun- dären Sexualmerkmale miteinander zu mischen, da die Ausbildung der Fortpflanzungsorgane einerseits die Eigentümlichkeiten des betreffenden Geschlechts zur notwendigen Folge hat, andererseits die Entwicklung der erblich übertragenen Eigenschaften der entgegengesetzten hindert“. Die Fortpflanzung, führt der Verfasser im einzelnen näher aus, ist eine so wichtige Funktion des Organismus, dass dieselbe auch unter großen Hindernissen, häufig unter sichtlichem Darben anderer Organe und unter Hintansetzung anderer Thätigkeiten zur Ausführung kommt. Nun ver- braucht aber das Weibchen für die Ausbildung der Eier und bei lebendig gebärenden "Tieren außerdem noch für die Ernährung des Embryos be- deutend mehr Stoff, als das Männchen zur Ausbildung der Samenkörper. Infolge dessen wird der weibliche Organismus viel eher in die Lage ver- setzt, Ersparnisse an der Ausstattung anderer Organe zu machen, als der männliche, der im stande ist, Luxusausgaben für Körpergebilde zu be- streiten, die zur Erhaltung der Art nicht mehr nötig sind, deren Fort- bestehen aber den Tieren auch keinen weiteren Nachteil bringt. So ver- ursacht z. B. der Wechsel des Geweihes bei den Hirschen einen nicht unerheblichen Aufwand von Körpersäften, die sonst anderen Organen zu gute kommen würden. Infolge dessen haben denn auch mit Ausnahme des Rentieres, bei welchem das Geweih zum Aufsuchen der Nahrung unter dem Schnee auch für das weibliche Tier von Wichtigkeit ist, alle übrigen Öervinen im weiblichen Geschlecht diesen Kopfschmuck abgelegt. Dass der weibliche Organismus aber trotzdem noch die Fähigkeit besitzt, ein Geweih zu erzeugen, beweist das gelegentliche Auftreten eines solchen bei steril gewordenen Rehgaisen, Bei den Schmetterlingen lassen sich eine Reihe eigentümlicher, sonst unerklärlicher Ersche'nungen in einfacher Weise darauf zurückführen, dass zu gunsten der Entwicklung des Eierstockes Ersparnisse an anderen Organen gemacht werden und gemacht worden sind. Unter den im weib- lichen Geschlecht mit rudimentären Flügeln versehenen Arten sind die Flügelscheiden der weiblichen Puppen von Acentropus und Orgyia nicht unbeträchtlich größer als die ausgebildeten Flügel, was dadurch seine Er- klärung findet, dass hier gleichzeitig mit der Ausbildung der Eier noch 748 Voigt, Dimorphismus, Variation und verwandte Erscheinungen. eine Reduktion der Flügel eintritt. Schmetterlingsweibehen mit verküm- merten Flügeln haben gewöhnlich auch verkümmerte oder schwach ent- wickelte Saugrüssel.e. Die Antennen vieler Schmetterlingsweibehen sind bedeutend kleiner wie die der Männchen und man kann schon an der Puppe die Unterschiede wahrnehmen. Bei Aglia tau aber, wo die Weibchen auch viel kleinere Fühler besitzen wie die Männchen, ist die Fühler- scheide noch ebenso groß wie die des Männchens; der Rückbildungsprozess scheint also hier noch im Gang zu sein. In den angeführten Fällen braucht eine direkte Vererbung der Verkümmerung von vornherein gar nicht angenommen zu werden, sondern nur eine Vererbung der Tendenz, von Generation zu Generation immer mehr Eier aus dem in der Genital- anlage vorhandenen Vorrat von Geschlechtszellen zur Entwicklung zu bringen, dann ergibt sich die Verkümmerung der verschiedenen anderen Organe als Folge dieser einen Ursache von selbst. Eine Reduktion anderer Organe zu gunsten des Eierstockes erfolgt aber natürlich nur da, wo bei hoch getriebener Tendenz zur Fruchtbarkeit Mangel an Bildungs- material eintritt. Das männliche Geschlecht wird zunächst von diesen Vorgängen gar nicht beeinflusst, denn wenn ihm auch eine höhere Frucht- barkeit vererbt wird, so nimmt diese doch bei ihm verhältnismäßig so wenig Substanz in Anspruch, dass es inbezug auf seine übrigen somatischen Eigenschaften so gut wie unverändert bleibt. Ist aber die Verkümmerung der Flügel z. B. beiden Weibchen erst habituell geworden, sodass sie gelegent- lich auch auf die männlichen Nachkommen übertragen wird, dann tritt bei diesen die natürliche Auslese in 'Thätigkeit, um eine fortschreitende Vererbung dieser nachteiligen Eigenschaft zu verhindern. Es werden naturgemäß fast stets nur die geflügelten Männchen zur Begattung ge- langen, während die anderen als für ihre besonderen Zwecke mangelhaft organische Individuen stetig ausgemerzt werden. So bildet sich dann ein konstitutioneller Geschlechts - Dimorphismus heraus. Die Stoff-Ersparnis im weiblichen Geschlecht hat ferner gewisse Unter- schiede in der Beschuppung der Flügel hervorgerufen. Bei vielen Bomby- ciden sind infolge viel spärlicherer Beschuppung die Flügel der Weibchen bedeutend durchscheinender als die der Männchen. Auch noch eine wei- tere Erscheinung findet durch dieselbe Ursache ihre Erklärung. Die Männchen der Rhopaloceren zeichnen sich durch den Besitz besonderer Schuppen, der sogenannten Männchenschuppen aus, die den Weibchen mangeln. Dieser Dimorphismus ist nach Kennel in folgender Weise entstanden. Ursprünglich waren jedenfalls beide Geschlechter gleichmäßig beschuppt und auch die Weibchen besaßen außer den Grund- und Deck- schuppen auch noch die Männchen- oder Schindelschuppen. Als die Weibchen aller Schmetterlinge aus Gründen der Stoffersparnis allmählich eine dünnere Beschuppung erhielten, blieben zunächst die Schindelschuppen aus, während sie bei den Männchen sich erhielten. Hier waren sie an- fangs gleichmäßig verteilt, wie jetzt noch bei den Pieriden und Lycae- niden, bei anderen aber sind sie im Laufe der Zeit auf dem größeren Teil der Flügelfläche verschwunden, stehen dafür jetzt an bestimmten Stellen dicht gedrängt neben einander und haben sich in eigenartiger Weise weiter gebildet und umgewandelt wie z. B. zu den Federbusch- schuppen gewisser Argynnis-Arten. Sie bilden hier besondere Organe, die wahrscheinlich Duft-Apparate darstellen. Es sind also die Männchen- Voigt, Dimorphismus, Variation und verwandte Erscheinungen. 49 schuppen nicht erst durch sexuelle Zuchtwahl bei den Männchen entstanden sondern sie haben sich hier aus einer ursprünglich auch den Weibchen zukommenden gleichmäßigen Beschuppung erhalten und bei gewissen Arten in eigenartiger Weise später weiter aus- und umgebildet. Bei anderen Arten wiederum sind diese Gebilde jetzt auch im männlichen Geschlecht infolge erblicher Uebertragung der bei den Weibehen aufgetretenen Rück- bildung ganz geschwunden. Ebenso kommt Kennel auch inbezug auf die Färbung zu der Ueber- zeugung, dass das buntere Kleid der Männehen nicht durch sexuelle Zucht: wahl entstanden sein kann, ebensowenig wie infolge der natürlichen Aus- lese als sehützende Warnfarbe. Vielmehr haben die Männchen auch hierin die ursprünglichen Arteigenschaften bewahrt und die Weibchen stellen die abgeänderte Form dar. Ebenso wie die bunten Spongien und Cölenteraten, bei denen, wie der Verfasser des näheren ausführt, sexuelle Zuchtwahl überhaupt nicht in Frage kommt, erhalten die bunten Schmetterlinge ihre spezifischen Farben, weil der Chemismus ihres Körpers aus ihrer Nahrung heraus ihnen die bestimmten, bei ihnen auftretenden Farbstoffe aufnötigt. Da also die Ablagerung des Pigmentes vom Stoffwechsel des "Tieres ab- hängig ist, so ist die Möglichkeit der Variation in der Färbung bei jeder Tierart eine beschränkte, und die Farbenänderungen können sich durchaus nicht nach beliebiger Richtung hin bethätigen, auch wenn dies unter Umständen von noch so großem Vorteil wäre. Anpassen konnten sich nur solche Schmetterlingsarten, die gerade in der Richtung einer An- passungsfärbung variierten, die anderen sind teils zu grunde gegangen, teils haben sie sich trotz der auffälligen Färbung bis auf die Jetztzeit erhalten. Der Grund, warum sich bei den Schmetterlingen so vielfach grelle Farbe erhalten haben, liegt darin, dass diese Tiere jedenfalls ein höheres geologisches Alter haben als ihre jetzigen Hauptfeinde, die Vögel und Fledermäuse, und wahrscheinlich drohten ihnen auch von seiten fliegender Reptilien keine ernstlichen Gefahren. Sobald also das gefähr- liche Larvenstadium, in welchem sich die Raupen durch zahlreiche An- passungen den Verfolgungen entziehen mussten, überwunden war, fiel die Einwirkung der natürlichen Auslese auf die Färbung fort. Erst später, mit dem Auftreten größerer Feinde, wurden Variationen nach schutz- bringender Seite von Vorteil und nun begann auch hier die vielfache protektive Anpassung durch die Auslese der günstiger situierten. Bei manchen Arten sind es vorderhand nur die Weibchen, die schützende Färbung angenommen haben. Ausschlaggebend für die Frage, in welchem Geschlechte uns die Stammform noch am deutlichsten vor Augen tritt, sind Schmetterlingsarten wie Psyche. Hier hat beim Weibchen eine rückschreitende Umbildung stattgefunden bis zu dem Grade, dass es seinen äußeren Merkmalen nach auf dem Larvenstadium verharrt, ja sogar durch den Verlust der Beine und der Mundwerkzeuge noch unter die Raupe zurücksinkt. Die Raupe ist aber ein durch Anpassung abgeändertes Entwicklungsstadium und re- präsentiert nicht die Stammform, denn die Schmetterlinge stammen von geflügelten Insekten ab. Dass das weibliche Geschlecht bei den Schmetter- lingen das leichter abändernde, die Form der männlichen aber die ursprüng- lichere und stabilere ist, zeigen auch die Arten mit dimorphen Weibehen. Bei diesen ist in der Regel die eine Form der Weibchen dem Männchen 750 Huppert, Erhaltung der Art- Eigenschaften. ziemlich ähnlich oder ganz gleich, bewahrt also wie dieses den ursprüng- lichen 'I'ypus. Bei den Männchen ist, wie zu erwarten, ein solcher Dimorphismus nicht vorhanden. Zum Schluss bespricht der Verfasser noch das Auftreten zwittriger Formen. Er stimmt mit Bertkau darin überein, dass wir den Einfluss der zur Reife gelangenden Geschlechtsdrüsen auf die sekundären Geschlechts- charaktere nicht nur in der Ausbildung der dem betreffenden Geschlecht zukommenden, sondern auch in der Unterdrückung der dem anderen Ge- schlecht eigentümlichen sekundären Geschlechtsmerkmale zu sehen haben. „Bei gelegentlichem Rudimentärwerden der Sexualorgane schwinden diese Hindernisse, und es können dann auch Eigentümlichkeiten des anderen Geschlechts zur Ausbildung gelangen. Ein sehr großer |vielleicht der größte] Teil der sog. Zwitter“. |100] Voigt (Bonn). Huppert, Professor Dr., Ueber die Erhaltung der Art- Eigenschaften. Prag. K. u. k. Hof- und Universitätsbuchhandlung 1896. In seiner vor kurzen im Druck erschienenen Rektoratsrede beleuchtet der Verfasser die schwierige Frage der Vererbung vom chemisch - physio- logischen Standpunkte aus und legt dar, im welcher Weise ihm die Chemie berufen erscheint, an der Lösung des Problems einen erfolgreichen Anteil zu nehmen und das Geheimnisvolle der Vererbung unserem Verständnisse näher zu bringen. Da die Schwierigkeiten, welche sich einer chemischen Analyse des Eies entgegenstellen, so groß sind, dass man vorderhand direkt nicht zum Ziele gelangen kann, ist man allerdings genötigt, einen Umweg einzu- schlagen, indem man von den am ausgebildeten Tier gemachten Beobach- tungen einen Rückschluss auf den eigenartigen chemischen Bau der Ei- zelle zieht. Ein solcher Rückschluss ist aber durchaus gerechtfertigt und begründet, wenn der Nachweis gelingt, dass jede einzelne Tierart sich durch spezifische chemische Eigenschaften von den anderen unterscheidet und dass sie diese Eigenart durch alle Lebensstufeu bewahrt. Denn es ergibt sich danu von selbst, dass diese Kontinuität schon im Keim ihren Anfang genommen hat und dass dieser wiederum seine Eigentümlichkeiten dem Mutterboden entlehnte, von dem er sich loslöste. Der Verfasser erinnert nun daran, dass thatsächlich zwischen den Hämoglobinen der bisher darauf näher untersuchten Tierarten augenfällige chemische Unterschiede nachgewiesen worden sind. Da der eine Bestand- teil des Hämoglobins, das Hämatin, stets die gleiche Zusammensetzung hat und stets im gleichen Aequivalent mit dem anderen Bestandteile, dem Eiweiß, verbunden ist, so bleibt nur die Annahme übrig, dass der eiweiß- artige Bestandteil in jedem einzelnen Falle von anderer chemischer Be- schaffenheit ist. Wenn aber, folgert Huppert weiter, in den roten Blut- körperchen bei den verschiedenen Wirbeltieren verschiedenartige Eiweiß- körper vorkommen, so sind sicher auch noch andere Eiweißkörper verschieden und weiter nicht bloß diese, sondern auch manche andere Einzelheiten im chemischen Bau der betreffenden Tiere, denn dem Che- miker ist es ganz undenkbar, dass chemisch verschiedene Verbindungen Huppert, Erhaltung der Art- Eigenschaften. 751 in einer immer gleich beschaffenen, immer in derselben Weise thätigen Umgebung Bestand haben können. Die Umgebung muss zu den chemischen Individuen passen, sonst gehen sie zu Grunde oder werden sofort unver- wendet aus dem Organismus entfernt. Die Verschiedenheit im chemischen Bau muss im Stoffwechsel ihren Ausdruck finden, verschiedene Tierarten müssen ein verschiedenes chemisches Leben führen. Beispiele für die Verschiedenheit der Stoffwechselprodukte bei einander nahe stehenden Tieren liegen vor in der chemischen Beschaffenheit der Galle, ebenso in der der Fette. Aus den Fütterungsversuchen mit Fett geht hervor, dass die chemische Thätigkeit des Organismus verschiedener Tierarten auf den gleichen Stoff in verschiedener Weise einwirkt. Das von einer anderen "Tierart stam- mende direkt aufgenommene Fett wird zunächst an denselben Stätten ab- gelagert, wo sich das vom eigenen Organismus aus Kohlenhydraten be- reitete Fett anzusammeln pflegt, es verschwindet aber bald wieder, indem der Organismus das fremde Fett leichter zerstört, als das ihm eigentüm- liche. Weitere auffällige Beispiele der verschiedenen chemischen Reak- tionsfähigkeit in den einzelnen Tierarten sind die Bildung der Kynuren- säure, die sich allein beim Hunde, der Thioschwefelsäure, die sich nur bei Hund und Katze findet, und der Umstand, dass bei Reptilien und Vögeln der stiekstoffhaltige Rest der zersetzten Eiweißkörper in Gestalt von Harnsäure, bei Säugetieren aber in Gestalt von Harnstoff ausge- schieden wird. Wie verschiedenartig die chemischen Reaktionen der einzelnen tieri- schen Organismen sind, zeigt auch ihr Verhalten gegen Gifte wie z. B. Morphin und gegen die von den Mikroorganismen ausgeschiedenen giftigen Substanzen. Auch dass die Bakterien in der einen Tierart sich lebhaft entwickeln, in einer andern aber nicht, beruht gleichfalls auf dieser Ver- schiedenartigkeit; der Körper der immun bleibenden "Tierarten ist chemisch anders beschaffen wie der jener Tiere, deren Organe den Bakterien einen geeigneten Nährboden bieten. So kommt der Verfasser zu dem Schluss, dass jeder Tierart, wenigstens in einem beschränkten Umfange, besondere Eiweißkörper zugeschrieben werden können. Die mannigfaltigen Eiweißarten, welche die Pflanzen- nahrung den Tieren bietet, werden beim Uebergang in den Tierleib in das spezifische Eiweiß des Tieres umgewandelt. Zuerst wird durch die Verdauung das große Eiweißmolekül in eine Anzahl kleinerer Stücke zer- brochen und darauf werden diese im Säftestrom des Körpers wieder zu einem großen Molekül, aber in anderer Anordnung zusammengefügt. Der außerordentlich komplizierte chemische Bau der Eiweißsubstanzen lässt die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass die Anzahl der vorhandenen Eiweißkörper groß genug sein wird, um die Verschiedenartigkeit der Tier- und Pflanzenarten damit zu erklären. Ihre außerordentliche Vielheit be- ruht überdies nicht bloß auf ihrer chemischen Struktur, sondern auch auf ihrer Fähigkeit, sich mit anderen organischen Substanzen zu eigenartigen chemischen Individuen zu vereinigen. Hierbei kommen besonders die Ver- bindungen von Eiweißß® mit den kompliziert gebauten Nukleinsäuren in betracht. Was schließlich die Frage betrifft, ob in dem Ei alle die chemischen Bestandteile Platz finden, die nach seiner Theorie darin ent- halten sein müssen, so widerlegt der Verfasser etwaige Bedenken durch 192 Nagel, Lichtsinn augenloser Tiere. Hinweis auf die chemischen Untersuchungen von Mikroben, in denen man trotz ihrer außerordentlichen Kleinheit ohne viel zu suchen bereits eine größere Menge chemischer Bestandteile hat nachweisen können. Voigt (Bonn). [101] Wilibald A Nagel, Der Lichtsinn augenloser Tiere, Eine biologische Studie. Mit 3 Figuren. 8. 120 Stn. Jena. G. Fischer. 1896. Unter diesem Titel hat Herr N. die Ergebnisse von Versuchen, über welche er in dieser Zeitschrift (Bd. XIV. Nr. 11 und Nr. 22) berichtet hat, zusammen- gestellt und näher ausgeführt. Unter „Lichtsinn“ versteht er die Fähigkeit auf Lichtreize zu reagieren. Dieselbe ist nicht an die Existenz von „Augen“ gebunden, sondern setzt nur die Anwesenheit von Nerven voraus, welche durch Licht erregt werden können. N. unterscheidet „Lichtempfindlichkeit* und „Sehattenempfindlichkeit“, indem manche Tiere stärker und deutlicher auf plötz- liche Verdunkelung reagieren als auf Zunahme der Helligkeit. Beide sind auf das engste mit der Lebensweise der Tiere verbunden, so dass man ihre Ent- wicklung als „Anpassung“ auffassen muss. Die Organe des Lichtsinns, wie sie im Mantelrand oder den Siphonen der Muscheln, in der Haut der Schnecken, Würmer oder des Amphioxus vorkommen, sind Nervenzellen, die den gewöhn- lichen Cylinder- oder Flimmerzellen der Haut ähnlich sind, aber mit Nerven- fasern zusammenhängen, oder zeigen auch zuweilen keine deutliche Zellnatur. Pigmentiert sind sie nie; nach N.’s Meinung hat die Einscheidung lichtempfind- licher Elemente in Pigment eine Bedeutung für die distinkte Wahrnehmung ge- trennter Lichtpunkte, würde also gleichsam den ersten Schritt zur Entwicklung eines wirklichen „Auges“ darstellen. Deutlicher wird diese Entwicklung, wenn einzelne Stellen der Hant lichtempfindlicher werden als andre. Solche Stellen zeigen dann häufig Einsenkungen, und wenn diese tiefer werdeu und an ihrem Grunde zahlreiche Sinneszellen stehen, deren Nervenfasern sich zu einem ansehnlichen Nervenstamm vereinen, so kann man von einem eigentlichen Seh- organ sprechen. Kommt dazu dann noch die Vorlagerung einer Linse als eines Lichtsammlers, so ermöglicht das die Bezeichnung als „Auge“ zu rechtfertigen. N. bespricht dann in einem 2. Abschnitt seine Versuche an einzelnen Tieren, wegen welcher wir auf seine oben angeführten Mitteilungen verweisen. Es wurden untersucht: Von Acephalen die sehr lichtempfindliche Psammobia vespertina, ferner Capsa fragilis und Lima hians; die schattenempfindlichen Ostrea und Unio. Licht- und schattenempfindlich erwiesen sich Cardium-, Venus-, Pholas-Arten. Ganz unempfindlich erwiesen sich Cardita, Loripes und Solecurtus. Pholas dactylus veagiert auf Licht um so besser, je weiter ihr Sipho ausgestreckt ist. Von Gasteropoden reagiert Helix pomatia auch dann, wenn die Fühler eingezogen oder abgeschnitten sind, so dass die Empfind- lichkeit offenbar unabhängig von den Augen ist. Von Würmern ist der Regenwurm bekamntlich gegen Licht empfindlich (Hoffmeister, Darwin); die Reaktion ist aber nicht regelmäßig nachweisbar. Am Blutegel war nichts Sicheres zu finden; ausgeprägt schattenempfindlich ist Spirographis Spallanzanii. An Arthropoden hat Plateau Versuche über Lichtsinn angestellt, die N. an Geophilus bestätigen konnte. Amphioxzus ist sehr lichtempfindlich. In Bezug auf Protisten bezieht sich N. auf Engelmann und Verworn. In einigen Zusätzen erörtert Verf. gewisse Punkte etwas eingehender. Er bespricht hier den Unterschied zwischen Lichtemwpfindlichkeit und Lichtempfin- dung, die Frage, wie der „Schatten“ als Reiz wirken kann, die Organe des Liehtsinns, die Theorie der Lichtempfindung bei Pholas dactylus nach Dubois und die Bedeutung des lichtbrechenden Apparats bei niederen Augenformen, wobei er namentlich auf die Wichtigkeit desselben für die Wahrnehmung von Bewegungen hinweist. Wegen der Einzelheiten dieser zum Teil polemischen Erörterungen muss auf die Schrift selbst verwiesen werden. [83] 3. Rosenthal. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von . Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI. Band. 1. November!1896. Nr. 21. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie (2. Stück). — Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung (3. Stück). — v. Lendenfeld, Die physiologische Bedeutung der Lufträume bei den fliegen- den Tieren. — Guldberg, Ueber die Zirkularbewegung als tierische Grund- bewegung, ihre Ursache, Phänomenalität und Bedeutung. — Binz, Der Aether gegen den Schmerz. — Mayer, Lehrbuch der Agrikulturchemie. — Berich- tigungen. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Zweites Stück.) Pangium edule, ein Baum aus der Familie der Flacurtiaceae, der auf den Sundainseln und Philippinen sehr verbreitet ist, steht im Rufe einer sehr gefährlichen Pflanze, da alle seine Teile einen höchst giftigen Körper enthalten. Die Samen schließen ein fleischiges, ölreiches Endo- sperm ein, das von den Eingebornen gegessen wird, nie aber ohne dass die Samen einer längeren Behandlung mit Wasser unterworfen oder erhitzt worden wären. Die giftige Substanz des Pangium muss dem- nach ein im Wasser löslicher und flüchtiger Körper sein. Durch Greshoff wurde zum ersten Male in exakter Weise dargethan, dass die Giftigkeit der Pflanze auf die Gegenwart von Oyanwasserstofisäure (HCN) zurückzuführen ist, welche als freie Säure oder auch in einer sehr unbeständigen Verbindung den verschiedenen Gewebepartien eingelagert ist. Die Menge der HCN, die Greshoff nachweisen konnte, ist eine ganz beträchtliche. Fand er doch in jungen Blättern mehr als 1°), der Trockensubstanz, trotzdem die Flüchtigkeit des Körpers einen größeren Verlust während der Untersuchung bedingt. Greshoff glaubt, dass eine einzige Pflanze ca. 350 Gramm HCN ent- halte. Dass übrigens die Verteilung des Giftes sehr ungleich ist, dass wohl auch in verschiedenen Alterszuständen der Gehalt wechselt, xXVl. 48 754 Keller, Fortschritte anf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. geht aus den nachstehenden Angaben hervor. In 2 Stengelstücken, deren Gewicht 10,3 g betrug, wies er 113 mg HCN nach, d.h. 1,098°|.. Diese Stengel trugen 36 Blätter. Die getrockneten Blattstiele wogen 18,7 g und enthielten 127 mg HCN, d. h. 0,679°\,. Die 36 Blatt- spreiten wogen trocken 110 g und enthielten 0,383 g, also 0,357 °.. Die Anwesenheit von HCN ist in verschiedenen Pflanzen, nament- lich Amygdaleen, nachgewiesen, jeweilen als Zersetzungsprodukt von Amygdalin. In keinem Falle aber sind Mengen gefunden worden, die denen in Pangium edule gleichkämen. Treub!) stellte nun einlässlichere Untersuchungen über die Be- deutung von HCN im Leben des Pangium edule an, über die im nach- folgenden referiert werden soll. Die Cyanwasserstoffsäure ist nicht im ganzen Pflanzenkörper gleich- mäßig verteilt. Wir beobachten, dass sie im Stengel auf die Bast- schichte beschränkt ist. Diese besteht aus den Siebröhren, lang- gestreckten Zellen, die ihnen angelagert sind und parenchymatischen Elementen. In einzelnen dieser letztern befinden sich Krystalldrusen aus oxalsaurem Kalk. Sehr zahlreich sind diese in den Zellen der Mark- strahlen. Die dem Bast anliegenden Teile der Gefäßbündelscheide sind parenchymatisch, zum Teil auch fibrillär. Von diesen Elementen sind nun die Krystalle enthaltenden Zellen des Bastes, vor allem auch der Markstrahlen ohne HCN, ebenso die fibrillären Zellen, während alle übrigen Teile das Gift enthalten können. Den Holzteilen der Axen fehlt die Oyanwasserstoffsäure. Analog verhalten sich die Wurzeln. Bezüglich der Blätter beobachtet man, dass die Blattstiele in ihrem Bau den Stengeln gleichen und diesen gleich die Säure nur im Bast- teil enthalten. In den Gefäßen der Spreite findet man sie ebenfalls im Bast, aber auch außerhalb desselben im Parenchym. Ganz be- sonders aber ist die Epidermis der Blätter durch den Reichtum an HON ausgezeichnet. Die Blätter sind behaart. Die Basalzellen der Haare sind so reich an Cyanwasserstoffsäure, dass sie geradezu als die Bildungsstätten oder die besonderen Niederlagen des giftigen Stoffes erscheinen. Ganz analog verhalten sich jene Epidermiszellen, in denen sich Krystalldrusen befinden. Im Mark, sowie in der Rinde von Pangium edule finden sich außer- dem besondere Zellen, cellules speeiales, die den Myrosinzellen der Coniferen gleichen. Sie sind ebenfalls durch ihren Gehalt an HCN ausgezeichnet. So scharf lokalisiert ist hier der Körper, dass bei der Reaktion auf Cyanwasserstoff — Bindung zu Berliner Blau — nur diese Spezialzellen sich blau färben, während die ihnen anliegenden Zellen des Parenchyms keine Spur der Blaufärbung zeigen, also ohne 4 Tr oub, Sur la localisation, le transport et le röle de l’acide eyan- hydrique dans le Pangium edule Reinw. in: Annales du jardin botanique de Buitenzorg, Vol. XIII, Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 755 HCN sind. Wenn man die Blätter als die allgemeinen Bildungsstätten bezeichnen kann, in denen der größte Teil der HUN entsteht, so stellen die Spezialzellen lokale Bildungsstätten vor, in denen auch für den lokalen Bedarf des Körpers gesorgt wird. Treub hat nun nach- gewiesen, dass ein Körper, der in die Gruppe der Eiweißkörper gehört, der Begleiter der HON in den Spezialzellen ist. Im Beginn ihrer Differenzierung ist ihr Eiweißgehalt sehr unbedeutend. Vom Vegeta- tionspunkt etwas entfernt, ist die Reaktion auf Blausäure und Eiweiß der Art, dass Verf. auf eine entschiedene Eiweißzunahme schließt, die mit einer Reduktion der Cyanwasserstoffsäure zusammenzufallen scheint. Noch an ferneren Stellen wird die Blaufärbung schwach, während die Albuminreaktion nicht so geschwächt ist. An noch ferneren Stellen endlich ist in den Spezialzellen kein HCN mehr nachweisbar, wohl aber Eiweißstoffe, wenn auch sie vermindert sind. Verf. betont, dass diese anatomische Beobachtung darauf hindeute, dass die HON nicht ein notwendiges Produkt chemischer Umwandlungen ist, denen die in den Zellen abgelagerte Eiweißsubstanz unterliegt, sobald sie von der Pflanze verbraucht wird. In den Krystallbehältern der Epidermis wie in den Basalzellen der Haare konnte Treub keine Ablagerung eines Eiweißkörpers nach- weisen. In den Bastteilen war folgendes Verhältnis nachweisbar. Wo die Elemente des Bastes sich noch nicht differenziert hatten, enthielten sie auch nur wenig HCN. Im Gebiete der Differenzierung also außerhalb der jugendlichen Bastteile beobachtet man langgestreckte Zellen, die mit HON und Eiweiß angefüllt sind. Diese Zellen sind nichts anderes als die Faserelemente der Gefäßbündelscheide. In dem Maße als man vom Vegetationspunkt sich entfernt, vermindert sich der Eiweißgehalt der Fasern. Rasch kommt man in eine Zone, wo das Eiweiß völlig verschwunden ist. In den Siebröhren findet man alsdann noch ziem- lich zahlreiche Anhäufungen albuminoider Substanz. Noch weiter vom Gipfel entfernt, kommt den die Siebröhren begleitenden langgestreckten Zellen die Bedeutung von Eiweißniederlagen zu, während in den Sieb- röhren an diesen Stellen nur noch einige Kügelchen die Reaktion eines Eiweißkörpers zeigen. Während in den fibrillären Elementen der Eiweißgehalt schnell erschöpft ist,. beobachtet man umgekehrt, dass sie noch langeHCN enthalten. In der peripheren Zone des Bastes erhält sich das Eiweiß lange, vielfach länger als die HEN. Verf. berührt die Frage der Bedeutung des Bastes als Leitungs- organ derHCN. Frank hat neuerdings entgegen der allgemeinen An- nahme, dass die Siebröhren und die ihnen anliegenden Elemente die Leiter der plastischen Stoffe seien, die Ansicht ausgesprochen, dass sie Stoftbehälter seien. Aus seinen Ringelungsversuchen schließt Verf., dass HCN in der That im Bast fortgeleitet wird. 45 * 756 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Welches ist nun die Bedeutung der Cyanwasserstoffsäure? Der naheliegende Gedanke, dass das Gift als Schutzmittel gegen Fraß diene, wird vom Verf. zurückgewiesen, nicht in der Meinung, dass diese Leistung nicht in Frage kommen könne. Immerhin aber ist sie nur eine Nebenwirkung, von der namentlich die Blätter profitieren können. Dass der Baum trotz seines Giftes nicht von allen Tieren semieden wird, mag schon dem einen Umstand entnommen werden, dass nach Treub ca. 20%, der in der Umgebung von Buitenzorg untersuchten Zweige von einem tierischen Parasiten zum Teil sehr bedeutend durchsetzt waren. Ungleich bedeutungsvoller ist die Cyanwasserstoffsäure als Bildungs- stoff für Eiweiß. Die Beantwortung der Frage der Entstehung fußt auf folgenden experimentellen Untersuchungen: 1. Wirkung der Verdunklung: Blieben die Blätter während einiger Zeit verdunkelt, dann war in ihnen die HCN nicht mehr nachweisbar. Es dauerte im Mittel etwa 14 Tage bis der Körper verschwunden war. Am schnellsten verlor er sich in den untern Blättern, am längsten hielt er sich in den obern. Die grüne Farbe blieb ihnen erhalten. Ganz analoge Ergebnisse erzielte Verf. durch Verdunkelung der ganzen Pflanze. Ein junger Baum wurde am 28. November 1893 ver- dunkelt; am 3. Dezember war im ältesten Blatt keine Cyanwasserstofi- säure mehr nachweisbar; mit Ausnahme der 2 obern Blätter zeigte sich auch in den übrigen eine bedeutende Verminderung der HCN. Am 7. Dezember zeigten die Blätter keine Spur der Cyanwasserstofl- säure mit Ausnahme der beiden obersten, von denen in dem älteren nur Spuren nachweisbar waren, während das jüngste noch ziemlich viel enthielt. Die Blätter, welche während des Versuchs nicht abfielen und auch nach der Wiederbelichtung am Stocke blieben, hatten die Fähigkeit unter dem Einfluss des Lichtes die Cyanwasserstoffsäure wieder zu bilden. Wurde die Möglichkeit des Stofitransportes aus dem Blatt ver- hindert, z.B. durch Ringelung des Blattstieles, so verloren diese Blätter im Dunkeln ihre HCN fast ebenso schnell, wie die nicht so behandelten. Daraus schließt Verf., dass wohl im Momente der Verdunklung ein geringer Teil der HCN aus dem Blatt in den Stengel wandert. Rasch aber hört die Wanderung auf und nun beruht das Verschwinden des Körpers auf dem Verbrauch im Blatte selbst. In 2. Linie untersucht Verf. den Einfluss einer kohlensäure- freienAtmosphäre auf dieCyanwasserstoffsäure. Ein längerer Aufent- halt in einer solehen Luft bewirkt das allmähliche Schwinden von HCN. Es geht also aus dieser Versuchsreihe hervor, dass die Bildung der Cyanwasserstofisäure nicht von dem direkten Einfluss des Lichtes ab- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 757 hängt, wohl aber, dass eine bestimmte Beziehung zwischen der Bildung der Cyanwasserstoffsäure und der Kohlensäureassimilation besteht, wie die Versuche lehren in dem Sinne, dass die Gegenwart eines Kohle- hydrates die unerlässliche Bedingung für die Bildung der HCN im Pangium edule ist. Welches ist die Natur dieses Kohlehydrates? Schon Greshoff wies darauf hin, dass sich normal in den Blättern von Pangrum keine Stärke befindet. Dafür enthalten sie, gleich den übrigen Teilen der Pflanze eine reduzierbare Substanz, die Greshoff für eine Zucker- art hält. Kramers, der für Treub die Natur dieses Körpers zu be- stimmen suchte, kommt zum analogen Ergebnis. Er glaubt speziell, dass es sich um Dextrose oder Laevulose handle. Wo sich HCN bildet, kann auch die Gegenwart dieses Zuckers nachgewiesen werden. In den Caleiumoxalat enthaltenden Zellen der Oberhaut, wie in den Basal- zellen der Haare ist diese reduzierbare Substanz besonders reichlich vorhanden. Es ist aus diesen Gründen sehr wahrscheinlich, dass dieser Zucker die stickstofifreie Verbindung darstellt, welche zur Bildung der Cyanwasserstoffsäure notwendig ist. Woher kommt nun der zur Bildung nötige Stickstoff? Werden junge Blätter der Pflanze abgeschnitten und mit ihren Stielen an gut beleuchteten Stellen ins Wasser gebracht, dann wachsen sie bald schneller bald langsamer weiter. Der Energie ihres Wachs- tums entspricht das Schwinden der Cyanwasserstoffsäure, das in günstigen Fällen schon nach 6—8 Tagen, in weniger günstigen nach einigen Wochen sich vollzogen hat. Diese Versuche lehren also un- trüglich, dass der HCN die Rolle eines Bildungsstoffes zukommt. Wie diese unter abnormen Bedingungen lebenden Blätter, so können auch normal lebende HCN — frei werden. Sehr gewöhnlich beobachtet man das an den untersten Blättern, den ältesten, wenn schon sie sehr reich an Kohlehydrat sind. Verf. schließt aus diesen Versuchen, dass die HCN nicht ein notwendiges Produkt „des Spieles «der chemischen Kräfte“ im Blatt ist. Verf. schiekt sieh nach diesen Versuchen an festzustellen, was für eine Stiekstoffverbindung von den Wurzeln aufgenommen und zur Bildung der HEN benutzt wird. Die Untersuchung der Wurzeln ergab das interessante Resultat, dass an den Stöcken mit nur ganz wenigen Blättern in den Wurzeln die Prüfung auf Salpetersäure (mit schwefel- saurem Diphenylamin) stets positve Ergebnisse hatte, während in den Wurzeln nie Salpetersäure nachweisbar war, sobald die Stöcke reich- lichere Blätter besaßen. Pangium nimmt also den N in Form eines Nitrates aus dem Boden auf. Dieses wird in der Rindenschicht der Wurzeln aufgespeichert, wenn die Laubentwicklung im Verhältnis zum Wurzelsystem und zu den Axen schwach ist. Das scheint dafür zu sprechen, dass Pangium die Nitrate hauptsächlich in den Blättern braucht und zersetzt, dass ferner die Lösungen sehr schnell, nachdem 758 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. sie von den Wurzeln absorbiert wurden, den Blättern zugeführt und dort zersetzt werden. Der Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen der Entstehung der HON und der Zufuhr der Nitrate begegnete großer Schwierigkeit, ließ sich aber schließlich in folgender Weise erbringen. Wir haben erwähnt, dass an jungen Bäumen die unteren Blätter oft ohne jegliche Spur von HCN sind. Wenn die Bildung dieses Körpers durch die Gegenwart der Nitrate bedingt ist, dann mochten diese Blätter des- halb aufhören Bildungsstätten von HCN zu sein, weil ihnen keine Nitrate oder nur ungenügende Mengen zugeführt werden. Nun wissen wir in der That, dass die älteren Blätter weniger transpirieren als die jüngern, dass dem entsprechend ihnen auch weniger Mineralsolution zugeführt wird. Es wäre also denkbar, dass deshalb den untern Blättern die HCN fehlte, weil die Konkurrenz der oberen, jüngern, lebhafter transpirierenden bewirkte, dass jenen die zur Bildung von HEN nötige Zufuhr von Stickstoff aus dem Boden fehlte. Würde also durch Ent- fernen der oberen Blätter diese Konkurrenz aufgehoben, dann würden den unteren Blättern wieder hinreichende Mengen des Nitrates zuge- führt werden; sie müssten also wieder HCN bilden. In zahlreichen Fällen gelang es Treub in der That durch Ablation der obern Blätter die untern zur Wiederbildung der HCN zu veranlassen. Ist die Anwesenheit eines Kohlehydrates eine erste Bedingung für die Bildung der HCN, so stellt also die Gegenwart der aus dem Boden aufgenommenen stickstoffhaltigen unorganischen Substanz eine zweite Bedingung dar. Die konstante Gegenwart der HCN in den Basalzellen der Haare und den Krystallzellen der Epidermis ist ein weiteres Argument zu Gunsten der Ansicht, dass die Cyanwasserstoffsäure !des Pangium ein Assimilationsprodukt des Stickstoffes sei, der von der Pflanze in Form von Nitraten aufgenommen wurde. Sehimper hat vor einer Reihe von Jahren darauf hingewiesen, dass die nicht drüsigen Haare der Speicherung mineralischer Salze dienen. Ferner ist die Bildung der Oxalsäure nach dem gleichen Autor oft auf die Stiekstoffassimilation zurückzuführen. Der Stickstoff des Kalknitrates, sagt er, wurde assi- miliert, während der Kalk zum größeren Teile an Oxalsäure gebunden dem Stoffwechsel entzogen wurde. Emmerling hat sich über die Stickstoffassimilation in folgender Weise ausgesprochen. Die ersten Veränderungen der salpetersauren Salze in den Blättern bestehen wahrscheinlich in deren Zerlegung durch die Pflanzensäure. Es entsteht freie Salpetersäure, während der Kalk sich mit der betreffenden Pflanzensäure vereinigt. Die freie Salpeter- säure ist sehr veränderlich und dürfte durch ihre weitere Umwand- lungen und Einwirkungen auf stiekstofffreie organische Substanzen zu der Entstehung gewisser Stiekstoffverbindungen Veranlassung geben- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 759 Hier befindet sich jedoch eine große Lücke in unserem Wissen. Wir kennen weder die Reaktionen, welche nun stattfinden, noch die Pro- dukte, welche dabei entstehen. Treub’s Untersuchungen an Pangium edule haben für einen be- stimmten Fall diese Lücke ausgefüllt oder doch ganz wesentlich ver- mindert, indem er dargethan hat, dass bei dieser Art die Oyanwasser- stoffsäure das erste erkennbare Assimilationsprodukt des Stickstoffes ist. Zu den eigenartigsten Anpassungserscheinungen der Mangrovepflanzen gehört die Viviparie. Diese zieht ihrerseits einige höchst eigentümliche Ernährungseinrichtungen der Embryonen nach sich. Das interessanteste Verhalten ist seiner Zeit von Treub geschildert worden. Er wies darauf hin, dass bei der Keimung von Avicennia officinalis, einer Verbenacee der Mangrovevegetation, das Endosperm mit dem in ihm befindlichen Embryo aus der Mikropyle in die Fruchthöhle austrete. Nur eine Zelle desselben, die Cellule cotyloide, bleibt in der Samen- knospe. Sie ist sehr groß, verzweigt sich reichlich, durchwuchert den Nucellus und später auch die Placenta nach aller Richtung. Die Cotyloidzelle ist also ein Haustorium, welches dem in die Fruchthöhle hinausgewachsenen Endospermkörper bezw. dem in diesem liegenden Keimling die nötigen Baustoffe zuführt. Dieser eigentümliche Fall einer Haustorienbildung des Endosperms ist nun auch bei einigen anderen Mangrovepflanzen allerdings mit sehr wesentlichen Modifikationen beobachtet worden. Haberlandt!) hat an Bruguiera eriopetala und Aegiceras majus die Entwicklung viel- zelliger Haustorien aus Endospermzellen beobachtet. In jungen Früchten der ersten Art, die von einem 10--15 mm langen Hypocotyl durch- bohrt sind, sieht man auf Längsschnitten, dass die 4 Cotyledonen das Endosperm fast vollständig verdrängt haben. Nur vereinzelte, halb- linsenförmige, plasmareiche Endospermzellen liegen noch zwischen den Keimblättern und der Samenschale, wie auch in dem plasmatischen Endospermschleim, welcher den Längskanal zwischen den Cotyledonen ausfüllt. Diese isolierten Endospermzellen werden die Ausgangspunkte für die Entwicklung eines mehrschichtigen sekundären Endosperm- gewebes, welches die Haustorien bildet. Die Zellen werden zunächst zu mehrzelligen einschichtigen Zellscheiben. Indem das Wachstum derselben fortdauert, auch tangentiale Teilung auftritt, werden die einzelnen Endosperminseln immer größer und vereinigen sich schließ- lich an den Rändern zu einem stellenweise fast lückenlos zusammen- hängenden, an andern Stellen wieder weitmaschigen aus mehreren 4) Haberlandt, Ueber die Ernährung der Keimlinge und die Bedeutung des Endosperms bei viviparen Mangrovepflanzen in: Annales du jardin botani- que de Buitenzorg, Vol. XII. 160 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Zellenlagen bestehenden Endospermbelag. Von diesem sekundären Endosperm aus wachsen 1 bis vielzellige Saugfortsätze in das sehr lockere Parenchym des Integumentes, bald wurzelhaarähnliche Fort- sätze, die sich zwischen die Integumentzellen hineindrängen, meist lappige, an den Enden papillöse, vielzellige Fortsätze, die in das Integument hineinwuchern. Anfänglich, d. h. zur Zeit, wo vom primären Endosperm nur noch einzelne Zellen übrig sind, fungiert das dem Integument anliegende Gewebe der Cotyledonen als alleiniges Absorptionsgewebe, indem es ein Ferment ausscheidet, das die Stärke löst. Seine Thätigkeit aber reicht nicht hin, das gesteigerte Ernährungsbedürfnis des mächtig heranwachsenden Keimlings zu befriedigen. So tritt das seiner be- deutenden Oberfläche wegen wirksamere sekundäre Endosperm funk- tionell an seine Stelle und wird zum Absorptionsorgan. Zwischen diesem Gewebe und den Cotyledonen besteht eine sehr innige Verbindung, indem an vielen Stellen einzelne Endospermzellen schlauchartige Fortsätze zwischen die palissadenartig gestreckten Zellen der Keimblätter hineintreiben. Das Prinzip der Oberflächenvergrößerung kommt also nicht nur im aufnehmenden Teil des Absorptionssystemes, sondern auch im abgebenden zum Ausdruck. Auch dem aus der Mikropyle ausgetretenen Endosperm, das einem vielfach gelappten Kragen gleicht, kommt bis zu einem gewissen Grade die Rolle eines Absorptionsorganes zu. Die Außenseite des Kragens sendet in die Kelchröhre zum Teil sehr starke Haustorien. Die zwischen ihnen gelegenen Parenchymzellen zeichnen sich durch Zartwandigkeit und Größe aus, so dass es den Anschein gewinnt, als ob durch sie der Stoffverkehr stattfände. Die spezifische Bedeutung des Endosperm- kragens liegt aber in einer mechanischen Funktion. Wenn das hypocotyle Glied eine Länge von 8—9 cm erreicht hat, fällt die ganze Frucht ab, der Keimling, nicht lang und schwer genug um so in den Schlamm zu fallen, dass er sich in vertikaler Stellung einbohrte und befestigte, wird durch die etwas einwärts gebogenen Kelehblätter verankert. Der Endospermkragen dient nun der Ablösung des Keimlings von Fruchtschale und Kelchröhre, indem er beim Wasser- zutritt stark turgesziert und deshalb in die Dieke wächst. Indem er dadurch einen Druck gegen die Oberfläche des Hypocotyls bezw. gegen die Innenseite der Kelchröhre ausübt, wirkt er wie ein Keil, der be- trächtlich anschwellend, Kelchröhre und Hypocotyl auseinandertreibt und auf diese Weise gleichzeitig die Cotyledonen etwas emporhebt. Es ist von einer Reihe von Forschern betont worden, dass schon zu einer Zeit, wo der Keimling mit der Mutterpflanze noch verbunden ist, die Rhizophoreenkeimlinge selbstthätig assimilieren. Um zu einem Bild über die Größe dieser Assimilation zu kommen bestimmte Haber- landt den Chlorophyligehalt eines ausgewachsenen Hypocotyls von Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 761 Bruguiera eriopetala im Verhältnis zum Chlorophyligehalt eines normal entwickelten Laubblattes. Danach ist der Chlorophyligehalt des Hypo- cotyls etwas mehr als 50°), des Chlorophyligehaltes des Laubblattes. Es ist also wohl kaum daran zu zweifeln, dass bei der Ernährung des Keimlings die Assimilationsthätigkeit des Hypocotyls keine untergeord- nete Rolle spielt. Haustorienbildend fand Haberlandt, wie erwähnt, auch das Endosperm von Aegiceras majus, einer Myrsinee, bei welcher die Vivi- parie nur in der Weise zum Ausdruck kommt, dass das Hypoecotyl zwar die Innenschale, nicht aber die Fruchtschale durchbricht. Em- bryonen von 7 mm Länge, die jüngsten die untersucht wurden, ließen eine Differenzierung des Endosperms in 2 Teile erkennen. Die innere, dem Embryo anliegende Endospermschicht besteht aus diekwandigen Tüpfel- zellen. Dieser Teil wird zum Schleimendosperm. Außen liegt das Haustorienendosperm. Von ihm gehen Lappen, Leisten und Zellen in das Gewebe des Integumentes. Das Auftreten von Haustorien be- schränkt sich ausschließlich auf die Placentargegend, wo die Zufuhr der Bau- und Reservestoffe erfolgt. Ueber die Blütenwärme bei Cycadeen, Palmen und Araceen stellte Kraus im botanischen Garten in Buitenzorg eine Reihe interessanter Beobachtungen an!). An Ceratogamia longifolia, einer Cycadee, wurden folgende Be- obachtungsergebnisse erzielt. Der männliche Kolben hat eine tägliche Wärmeperiode, die sich verschiedene Tage hinter einander wiederholt. In einer Beobachtungsreihe ergab sich z. B. am ersten Beobachtungs- tage eine Zunahme der Temperatur von 10% (Beginn des Versuches) von 28° auf 38,5° um 4?!, während gleichzeitig die Lufttemperatur von 25,8° auf 26,2° stieg. Dann sank die Kolbentemperatur bei 5°° Uhr auf 31,4°; am folgenden Morgen 6? Uhr betrug sie 24,4° bei der Lufttemperatur von 23,2°, stieg alsdann bis 4’ Uhr auf 36° (Luft- temperatur 26,6°) und sank bis 6 Uhr Abends auf 31,4°. Die Periode wiederholte sich auch am folgenden Tag. Sie beginnt Morgens 6 Uhr mit 24,8° und ist damit 1,3° höher als die Lufttemperatur; ihr Maximum erreicht sie Abends 5? mit 34,6°, während die Lufttemperatur nur 25,6° beträgt. Während die Temperatur Morgens nur wenig über der Luft- temperatur ist, und auch am späten Abend ihr fast gleich ist, — Verf. beobachtete z. B. in einer Versuchsreihe Abends 10° eine Lufttempe- ratur von 25° und eine Kolbentemperatur von 25,5° —, erhebt sich während des Tages die Kolbentemperatur ganz auffällig über die Lufttemperatur. Der größte Ueberschuss der beobachtet wurde betrug 11,7°. Auffällig 1) Vergl. Physiologisches aus den Tropen von Georg Kraus, III. Ab- handlung, in: Annales du jardin botanique de Buitenzorg, Vol. XIII. 762 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. ist die Verschiebung der Zeit des Eintrittes des Maximums, wie sie sich aus der nachstehenden Zusammenstellung ergibt: Eintritt des Maximums am II. Tag. F20 605 Versuchspflanze IK EN er I. Tag. II. Tag. 440 450 455 514 4+2 445 435 445 416 A15 q2ı 440 522 IV: Tag. 537 5’! Die Beobachtungen an Macrogamia hatten gewisse Uebereinstimmungen ınit dem vorigen. Auch hier ist eine tägliche Wärmeperiode vorhan- den, die sich in aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt. Der Gang der Temperaturänderung ist aber insofern ein anderer als die Maximal- temperaturen früher erreicht werden z. B. Zeit 10> Januar: "11FUhr 11? li 2 05 1239 130 23 330 43° H20 11. Januar: M 10 DI 1 il! 55 130 6 12. Januar: 7 10 1 1 15 330 415 13. Januar: 7 103° 10" 122 6 24,4 30,8 26 Differenz 5,5 1,5 8,9 17 3,4 1,6 0,8 0,5 11,2 5,9 1,1 1 5,4 11,5 jR 1 1,2 9,9 10,5 5,9 1,6 Aus der voranstehenden Tabelle ergibt sich die interessante That- sache, dass eine Verschiebung des Maximums auch hier wie bei Cerato- gamia stattfindet, jedoch gerade in entgegengesetzter Weise. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 763 Die nachfolgende Tabelle enthält den Gang der Maximaltempera- turen der Kolben bei verschiedenen Versuchspflanzen. Versuchspflanze I. Tag. II. Tag. III. Tag. IV. Tag. V. Tag. a 121 1155 1135 107 105 b 1235 119 117 1110 er 6 130 1220 1158 1120 = d 1157 11 = = = e 19% 1118 et _ = Auch die Palmen zeigen beim Aufgehen der Blüten (Spathen) er- höhte Temperatur, wobei auch eine Periode, eine Zunahme bis zu einem gewissen Maximum und eine darauffolgende Abnahme der Temperatur, zu konstatieren ist. Die Beobachtung an Bactris speciosa deuten aller- dings an (vergl. die nachfolgende Tabelle), dass der Verlauf dieser Perioden ganz anderer Natur ist, ein Umstand, der vielleicht mit der geringen Widerstandsfähigkeit der abgeschnittenen Blüten zusammen- fällt. Zeit Lufttemperatur Blütenstengeltemp. Ueberschuss 1.0 23,8 0 6,2 8 24,0 34 10 8 24,3 35 1 83° 24,6 BORD 10,6 %) 24,4 54,6 10,2 10 24,6 33,9 8,8 ja 25,4 38) 1,6 12 25 34,6 8,9 > 26,1 36,3 10,2 a 26 34,2 32 5 25,6 54,1 8,5 19! 25 54,1 91 Folgender Tag: 6 23,4 33,0 20.1 9 2 34,2 9,2 12 26,2 93,9 1,7 4 26,4 94,8 TR) 6 26 34,25 1.69 % 25,6 33,5 8,2 Aus den Mitteilungen über die Erwärmung der Kolben der Araceen mögen einige Angaben betr. der Beobachtungen an Philodendron melano- chrysum und Ph. pinnatifidum folgen. An ersterer Art kamen an 2 aufeinander folgenden Tagen zwei Perioden zur Beobachtung. Am ersten Tag fiel das Maximum der Kolbentemperatur auf 7° Abends. Es betrug 36,6° bei einer Lufttemperatur von 24°, so dass also ein Ueberschuss von 12,6° vorhanden war. Am folgenden Tag trat das Maximum schon um 11 Uhr ein, wobei der Temperatur- überschuss 7,1° betrug. Die Beobachtungen an Philadendron pinnati- 764 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. fidum zeigen, wie der Geruch, der von dem Blütenkolben ausströmt, zur Wärmeentwicklung der Kolben in gewisser Korrelation steht. So- bald die Wärmeperiode den Minima sich nähert, ist der Geruch nicht wahrnehmbar; er macht sich mit der beginnenden Temperaturerhöhung mehr und mehr geltend. Nähert sich die Periode dem Maximum, dann wird es sehr stark, nimmt wieder ab, sobald dieses überschritten ist. Die Oeflnung des Blütenstandes erfolgt am Nachmittag. Eine Stunde nach der Oeffnung betrug der Temperaturüberschuss des Kolbens 2,4°, 4 Stunden später, um 9 Uhr abends 7,6°. Um 9% war das Maximum von 30,5° erreicht, der Ueberschuss gegenüber der Lufttemperatur be- trug 8,7°. Der folgende Tag zeigte eine doppelte Periode, indem um 12'° ein Maximum von 26,5°, um 8° ein Maximum von 28,7° beobachtet wurde. Das zwischen beide Maxima eingeschaltete Minimum zwischen 3% umd 4% ihetrug 23,5. Untersuchungen über den Stoffwechsel im Kolben von Philodendron macrophyllum bei der Erwärmung ergaben, dass während der Erwär- mung eine ansehnliche Verbrennung von Kohlehydraten stattfand. Die Analyse einer Knospe, die eben im Begriff stand, die Spatha an der Basis aufzurollen, hatte folgendes Resultat. Trocken- direkt indirekt Stärke Gesamtkohle- substanz reduz Substanz (Zucker) 7° hydrat. Teil. 2,6485% 0,0408 8°0,0048 054507 0,5901 >=. Teil. . 0,5475 0,0120 0,0284 0,1940 0,2544 Summe. . 3,196 0,0528 0,0527 0,7390 0,8245 Das Gesamtkohlehydrat betrug mithin 25,7, der Trockensubstanz. Ein völlig verblüter Kolben lieferte folgendes analytische Resultat. Trocken- direkt indirekt Stärk Gesamtk.ohle- substanz reduz. Substanz (Zucker) en hydrat Sg Tel... 212655 00163 ...0,007 0,2415 0,2648 el . 0,483 0,0140 00146 01419 0,1705 Summe . . 26100 0,0808 0,0216 03834 0,4253 Das Gesamtkohlehydrat betrug noch 16,9%, der Trockensubstanz. Welches ist die biologische Bedeutung der Blütenerwärmung? Physiologisch ist wohl der Vorgang als eine Atmung aufzufassen; dass aber dieser physiologische Vorgang auf eine besondere Rolle im Leben der Pflanze, spez. der Blüte hinzielt, ist zuerst von Delpino auf Grund von Beobachtungen an Arum italieum dargethan worden. Er fasste die Kolbenerwärmung als eine Bestäubungseinrichtung auf. Auch Kraus hält dafür, dass die Erwärmung der Blütenstände, wenn nicht überall und ausschließlich, so doch jedenfalls in hervorragendem Maße als ein Anlockungsmittel für Tiere in Anspruch zu nehmen sei. Da die Erscheinung nun allerdings auch bei Pflanzen auftritt, die man bisher für anemophil hielt, wird die Frage besonderer Prüfung Sehlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 7165 noch bedürfen. Verf. weist darauf hin, dass unter den „windblütigen“ Cycadeen Macrogamia jedenfalls bei der Bestäubung sich Insekten dienstbar machen. Er sagt: Die Kolben von M. Mackenzi, wenn sie gelb und reif sind, haben einen sehr starken feinen Duft und sie wur- den während der Beobachtungszeit jeden Tag außerordentlich lebhaft von den kleinen indischen Bienen beflogen. Ceratogamia dagegen wurde völlig unbeachtet gelassen; sie sind nach Kraus völlig geruch- los. Danach würde man nun allerdings nach der Ansicht des Refe- renten nicht sowohl in der Kolbenwärme als vielmehr im Geruch das Lockmittel, das Insekten anzieht, zugesehen haben. Kraus macht noch auf eine andere Bedeutung der Blütenwärme aufmerksam. Die Spathen der Palmenblüten sollen sich plötzlich und selbst mit hör- barem Geräusch öffnen. Es liegt demnach die Vermutung nahe, dass durch die Erwärmung der Blütenstände die Kräfte für das Oeffnen der oft mächtigen und derb lederartigen oder holzigen Spathen ge- schaffen werden sollen. Es ist möglich, dass durch die Erwärmung der hermetisch eingesperrten Luft oder auch durch Erzeugung von Wasserdampf in dem geschlossenen. Raume die Sprengnng der Spathen- wände herbeigeführt wird. [98] (3. Stück folgt.) Einige Gedanken über die Vererbung. Von Gustav Schlater. (Drittes Stück.) Vo. Im Vorhergehenden suchte ich zu zeigen, dass wir die Ursache der Aeußerung von Vererbungseigenschaften in den gegenseitigen Ver- bindungen und Beziehungen zu suchen haben, welche die „definitiv letzten Struktureinheiten der lebendigen Substanz“ im Bereiche einer bestimmten „Cytoblastenart“ eingehen. Ich denke, dass wir berechtigt sind, die Fähigkeit der erblichen Art-Uebertragung als höchste Stufe der Spezialisation und Vollkommenheit der Funktion der lebendigen Substanz anzusehen, wobei die Vererbung natürlich ihre Phylogenie besitzt, welche parallel zur Phylogenie organischer Formen geht. Daraus ist klar, dass die Vererbung analog jeder anderen Funktion der leben- digen Substanz denselben Grundfaktoren der organischen Entwicklung unterworfen sein muss. Wenn wir nun gleichzeitig längs den Zweigen des geneologischen Baumes der lebenden Formen herabsteigen und die Aeußerungen der Vererbung in ihren einfachsten Formen verfolgen, überzeugen wir uns davon, dass die Vererbung nicht der lebendigen Substanz allein eigen ist, sondern die allgemeinste, kardinale Grund- erscheinung in der ganzen Substanz- Welt, eine Grundeigenschaft der Substanz darstellt. Wenn die chemischen Elemente, ihre endlosen Cyelen von Metamorphosen eingehend, doch dieselben Elemente bleiben, 766 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. so sind wir berechtigt, darin eine Aeußerung der Vererbung in ihrer denkbar einfachsten Form zu erblieken. Hiermit sind wir aber ins Gebiet der reinen Mechanik hinabgestiegen. Hier muss folglich die Quelle aller unserer Auseinandersetzungen über biologische 'Themata verborgen sein, auf die hinzuweisen in meiner Absicht lag, als ich diese Abweichung machte. Somit muss die Art- Vererbung eines viel- zelligen Organismus, die höchste Entwicklungsstufe der Grundeigen- schaft der Substanz, oder die höchste Spezialisationsstufe der Funktion der lebendigen Substanz darstellend, in vollster Abhängigkeit vom morphologischen Substrate sein. Da aber eine jede Funktion der lebendigen Substanz nur eine besondere Lebensäußerung ist, so muss naturgemäß auch der Mechanismus der Vererbung eine bestimmte Form des Lebensmechanismus darstellen; darum müssen wir vor allererst unsere Aufmerksamkeit dem Mechanismus des Lebens zuwenden. In meiner vorjährigen, schon mehrmals angeführten Broschüre, sind schon Andeutungen zu finden, auf welchem Wege ich zur Lösung solcher Fragen heranzutreten gedenke. Deshalb begrüßte ich mit Freuden das Erscheinen einer Broschüre von N. Tschermak: „Ueber den Aufbau der lebendigen Substanz. Eine Hypothese lebendiger Wirbel- Molekeln, 1895“ (russisch), welche fast gleichzeitig mit meiner Broschüre die Welt erblickte. In diesem Werkchen wendet der Autor das mecha- nische Prinzip an zur Erklärung des Mechanismus der Lebensprozesse. Zu dem Schlusse gelangend: „wir müssen annehmen, dass die Lebens- erscheinungen Bewegungen eigener Art darstellen, welche im innern der lebendigen Molekel sich abspielen“, sucht N. Tsehermak tiefer in diesen Mechanismus zu blicken und beweist, dass das Leben das Resultat eines besonderen dynamischen Systems sei, welches die Molekel der lebendigen Substanz darstellt; dass das Leben ein komplizierter Wirbel sei, in dessen Bewegungen die ganze Masse von Atomgruppen teilnehmen, welehe sich im Bereiche einer Eiweißmolekel befinden. Nachdem er erst in Kürze die Theorie der Wirbelbewegungen erläutert, und auf die Eigenschaften der Eiweißkörper hingewiesen hat, über- zeugt uns der Autor durch eine Reihe von Erörterungen und Ausein- andersetzungen, dass alle Kardinaleigenschaften, welche das Leben der Substanz charakterisieren, mehr oder weniger verständlich werden und eine mechanische, d. h. wissenschaftliche Erklärung finden, wenn wir der Molekel der lebendigen Substanz den Charakter eines Wirbels zugestehen. Die Eiweißmolekel als Summe einer Masse einzelner Atom- gruppen ansehend, welche in ein verästeltes oder in ein netzförmiges System lose untereinander verbunden sind, stellt sich Tschermak vor, dass dieses System in einem unthätigen Zustande verharren kann, das Leben kann latent sein, wie wir es z. B. in einem gut getrock- netem Samenkorn haben. Wenn nun auf dieses System solche Kräfte einwirken, welche im Stande sind in ihm Wirbelbewegungen anzuregen, Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 767 so ist das bis dahin verborgene Leben erwacht. Folglich ist das Leben ein intramolekulärer Wirbel. Indem ich den Leser auf die interessante Broschüre von Tschermak verweise, werde ich nur in Kürze bei der von ihm durchgeführten Analogie und bei der Anwendung der Wirbel- bewegungsgesetze zur Erklärung der Lebenseigenschaften stehen bleiben. Indem sich Tschermak vorstellt, dass seine lebendigen Wirbel- Molekeln durchtränkt und eingelagert sind in eine zähe Flüssigkeit; indem er sich weiter vorstellt, dass durch diese Wirbel-Eiweißmolekeln immerfort Flüssigkeit mit allen in derselben suspensierten und gelösten ungeformten Nahrungspartikelchen gleichsam filtriert wird, hält dieser Gelehrte es für leicht und möglich einige Grundprozesse des Lebens zu erklären. „Die Ernährung, sagt er, kann durch die Einziehung von Partikeln aus der Umgebung durch die Sphäre in den Schlund der Wirbel-Molekel erklärt werden. Die Assimilation -—— der Uebergang vom Toten zum Lebendigen, welche der Stein des Anstoßes für alle anderen Hypothesen ist — findet ihre Erklärung einfach darin, dass unter der Masse verschiedener Atomgruppen, die infolge der Zermal- mung der Nahrung in der Mühle des Wirbels entstehen, unter anderem auch solche Gruppen entstehen, welche die gegebene Wirbel - Molekel ausmachen. Diese Gruppen nehmen sofort den ihrer Masse entsprechen- den Platz in einer der Schichten des Wirbels ein und dienen zur Er- setzung von vorher zerstörten Gruppen, oder zum Aufbau neuer Ein- schlüsse und Ansatzstücke, d. h. zum Wachstum der Wirbel-Molekel... Das Wachstum ist eine Folge der Assimilation.... Die Vermehrung lässt sich, vielleicht durch das Entstehen von Knotenverdiekungen in der Mitte des Wirbelstranges, erklären; diese Verdickung bildet eine voll- kommene selbständige Einlage in den Wirbelstrang und teilt ihn in zwei kurze und deshalb rascher wachsende Wirbel“. Es versteht sich, dass die Wirbel sehr mannigfaltig sein können, je nach dem Charakter und den Eigenschaften der sie bildenden Atomgruppen. Und es ist sehr wahrscheinlich, wie Tschermak annimmt, dass „das Protoplasma gerade eine Kombination solcher Wirbeln-Molekeln verschiedener Art darstellt, in welcher die Molekeln einer jeden Art ein unentbehrliches Glied des Ganzen darstellen“. Ich erlaube mir noch die Schlussworte des höchst interessanten und volle Beachtung verdienenden Tscher- mak’schen Büchleins anzuführen. Er sagt: „Ihr Ziel war zu zeigen, dass die Analogie, welche die Erscheinungen der ungeschlossenen Wirbel einerseits und der lebendigen Substanz andererseits darbieten, so überraschend groß ist, dass sie die ernsteste Beachtung verdient. Die Hypothese von Sir William Thomson, nach welcher Teilchen des Weltäthers in Wirbelringe zusammentretend, so beständige elastische Körper, die Atome der Substanz, bilden, führt die rätselhaften Eigen- schaften der Elastizität auf die Eigenschaften der Wirbelbewegungen zurück. Die mächtigen Wirbel, welche im Weltäther durch die Be- 768 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. wegung der Himmelskörper hervorgerufen werden, werden vielleicht zur Erklärung der Gravitationsgesetze dienen, — und die winzig kleinen Wirbel, welche von der lebendigen Molekel erzeugt werden, machen uns die Bewegungen des Lebens begreiflich“. So ist also eine kühne, aber dabei vollkommen glaubwürdige Analogie zwischen einem ganzen System von Wirbel-Moiekeln, einem Wirbel, und zwischen einer Molekel lebendiger Substanz durchgeführt; und die Kardinaleigenschaften des Lebens finden in ihr eine Erklärung. Aber diese Lebenseigenschaften in ihrer einfachsten Form müssen zuerst in den definitiv letzten, nicht weiter morphologisch zu zergliedernden Einheiten der lebendigen Sub- stanz zu Tage treten; und deshalb sind alle diese Analogien und Auseinandersetzungen N. Tschermak’s voll auf die letzten Teil- produkte der Zelle zu übertragen, auf die „definitiv letzten Struktur- einheiten der lebendigen Substanz“, aus deren Summe die „Cytoblasten“ zusammengesetzt sind. Diese morphologischen Einheiten, mögen wir sie Biophoren (A. Weismann), Biogenen (M.Verworn), Metastruktur- Teilchen (W. Roux), oder mit irgend einem anderen Namen benennen, bilden, aus einer Summe von chemischen Eiweiß-Molekeln bestehend, eine „Wirbel-Molekel“, wobei sich alle die vielgestalteten, die Eiweiß- Molekeln ausmachenden Atomgruppen nach den Gesetzen der Wirbel- bewegungen bewegen, und alle zusammen ein lebendiges Substanz- teilchen bilden. Allein in diesem Teilchen ist noch keine Spezialisation der Grundeigenschaften des Lebens zu erblieken; eine Spezialisation macht sich erst in der morphologischen Lebenseinheit höherer Ordnung, im „Cytoblast“ bemerkbar. Mir scheint es, dass wir logisch und folge- recht verfahren werden, wenn wir einen Schritt vorwärts thun und unsere Vorstellungen von den kompliziertesten Formen der Bewegung, von einem ganzen System eines stabil beweglichen Gleichgewichts, auch auf die „Cytoblasten“ als solche übertragen, und auf diesem Wege zu unserem Ziele gelangen, d. h. zur Erklärung des Vererbungs- mechanismus. Schon früher gelangten wir zum Schlusse, dass die Vererbung von den gegenseitigen Beziehungen der den „Cytoblast“ ausmachenden definitiven Lebenseinheiten abhängig sein muss; und jetzt ziehen wir den Schluss, dass diese gegenseitigen Wechselbeziehungen mechanischer Natur sein müssen, d.h. dass wir hier ein gegenseitiges Verhältnis einzelner lebendiger Wirbel-Molekeln vor uns haben, die den Wirbelbewegungsgesetzen unterworfen sind und einen ganzen Mikrokosinos, ein ganzes kompliziertes System von Wirbelbewegungen darstellen, welches aus einer ganzen Masse einzelner einfacherer Wirbel zusammengesetzt ist. Und das Resultat dieses komplizierten Systems höherer Ordnung wird eine Spezialisation der Grundeigenschaften des Lebens, eine Spezialisation der Funktionen, welche ihre, sozusagen, größte Potenz in der Fähigkeit der erblichen Uebertragung erreicht. Der Gedanke, die Vererbung sei Bewegung bestimmter Teilchen der Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 769 lebendigen Substanz, ist nicht neu. Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass schon Elsberg und Haeckel denselben im Jahre 1876 aus- gesprochen hatten, wobei dieser Gedanke in der ihm von Haeckel gegebenen Form in seiner Grundidee sich der Vorstellungen und An- schauungen nähert, die sich aus der ganzen Summe unseres heutigen Wissens ergeben. Haeckel begabte seine „Plastidulen“, d. h. die Molekeln der lebendigen Substanz mit besonderer molekulärer Be- wegung, welche, sich von Generation zu Generation fortbewegend, den Mechanismus der Vererbung erklären soll. Die äußeren Einflüsse und Bedingungen können die molekuläre Bewegung der Plastidulen ab- ändern, was zur Anpassung oder zur Entwicklung organischer Formen führt. Allein die „Plastidulen“ Haeckel’s sind in ihrem Bau und Wesen unendlich einfacher, als die „letzten Struktureinheiten der lebendigen Substanz“. Sie sind unvergleichlich einfacher in ihrem Bau, als z. B. die „Micellen* Naegeli’s, die „Idioblasten“ O. Hert- wig’s, die „Plasomen“ Wiesner’s, die „Biogenen* A. Verworn’s, die „Physiologischen Einheiten“ H. Spencer’s, die „Metastrukturen“ W. Roux’s, oder wie sie alle heißen mögen, die hypothetischen letzten Träger der Lebenseigenschaften. Haeckel’s „Plastidule* ist nur eine einfache chemische, mit Lebenseigenschaften begabte Molekel. Dabei wird dieser Gedanke von ihm nur in einer allgemeinsten Form ausgeführt. Einen Hinweis darauf, dass wir das Rätsel des Vererbungs- mechanismus in denselben Gesetzen der Wirbelbewegungen zu suchen haben, welche das ganze Weltail beherrschen, finden wir in der ge- nannten Broschüre von Tschermak; dabei ist dieser Hinweis in eine Form gekleidet, welche vollkommen den von mir ausgeführten An- schauungen und dem von mir vertretenen Standpunkt entspricht. Dieser Gelehrte sagt: „Wenn wir uns also eine oder mehrere große und starke Wirbel-Molekeln (Sonnen) vorstellen, um welche kleinere Molekeln (Planeten) in geschlossenen Bahnen kreisen, und um diese letzteren noch kleinere (Trabanten); wenn wir uns vorstellen, dass die Axen aller Wirbel annähernd parallel sind und dass eine gewisse Periodizität in der Teilung aller Wirbel besteht, so erhalten wir das Wachstum des ganzen Systems ad infinitum mit Erhaltung seiner Eigenschaften“. Diese Vorstellung gibt uns eine denkbar treffende Erklärung für jene Grundeigenschaften, mit welchen die Vererbungssubstanz begabt ist, und ohne welche keine erbliche Uebertragung denkbar ist, nämlich: für ihr ewiges Schaffen aus toter Substanz, und ihre Erhaltungsfähig- keit der Eigenschaften, oder ihre Beständigkeit. Es ist aber auch be- greiflich, dass dieses komplizierte System dieser oder jener Abände- rungen fähig ist; es kann unter Umständen sogar eine neue Einheit, eine neue „Wirbel-Molekel“ in dieses System als organischer Bestand- teil eintreten: „Ein neues Glied, sagt Tschermak, tritt in das System ein, wenn es mit demselben ein harmonisches Ganze darstellen kann, — XVl. 49 70 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. in diesem Falle entsteht eine Abart des „Idioplasmas, und folglich eine neue Abart von Tier oder Pflanze“. Mit diesen zwei Zitaten sind die Andeutungen Tschermak’s über den Vererbungsmechanismus er- schöpft; jedoch diese wenigen Worte weisen uns direkt auf den Aus- gangspunkt unserer Auseinandersetzungen, auf welchen ich die Auf- merksamkeit der Leser durch diesen Aufsatz lenken wollte. Ohne auf eine Analyse des komplizierten Baues dieses Mechanismus einzu- gehen, welchen die Vererbungssubstanz darstellt, und in dieser Rich- tung weitere Aufschlüsse von kompetenteren Forschern erwartend, begnüge ich mich nur mit dem Versuche diese Vorstellungen, wie ich es schon teils gethan, mit den neuesten Errungenschaften der Zellen- morphologie zusammenzustellen und sie mit der Lehre von den „Cyto- blasten“ in Einklang zu bringen. Ich wies schon darauf hin, dass die „lebendige Wirbel -Molekel“ der „definitiv letzten Struktureinheit der lebendigen Substanz“ ent- sprechen muss. Des weiteren überzeugten wir uns davon, dass der „Cytoblast“ als Träger der Vererbungseigenschaften angesehen werden muss; was für ein „Oytoblast“, ist für uns vorläufig ohne Belang. Folglich stellt die Vererbungssubstanz ein System von lebendigen „Wirbel-Molekeln“ dar, welche einen komplizierteren Wirbel höherer Ordnung bilden. Wie wir aus den angeführten Worten Tschermak’s schließen können, wird das die Vererbungssubstanz darstellende dyna- mische System aus lebendigen „Wirbel-Molekeln“ verschiedener Größe, aller Wahrscheinlichkeit nach verschiedener Eigenschaften und ver- schiedener Kompliziertheit gebildet. Folglich müssen die „Cytoblasten“, oder wenigstens diejenigen von ihnen, welche Träger von Art-Vererbungs- eigenschaften sind, nicht aus gleichwertigen „definitiv letzten Struktur- einheiten der lebendigen Substanz“ bestehen, sondern aus Einheiten von verschiedenem Bau, verschiedenen Eigenschaften und verschiedener Kompliziertheit. Mit einem Worte — der „Cytoblast“ stellt, vom Standpunkte des von uns vertretenen dynamischen Systems aus, einen ganzen Mikrokosmos dar, in vollem Sinne des Wortes, mit ganzen Systemen von Wirbeln ver- schiedenerKompliziertheit, sozusagen mit ganzen Sonnen- systemen, von welchen ein jedes seine streng bestimmten Bahnen umkreist, und welche alle zusammen ein harmo- nisches Ganze bilden. Indem uns diese Vorstellungen eine mehr oder weniger befriedigende Erklärung des allgemeinen Mechanismus der Grundeigenschaften des Lebens geben und gleichzeitig die Grund- eigenschaften der Vererbungssubstanz, wie Kontinuität und Widerstands- fähigkeit, unserem Verständnis näher rücken, — geben sie uns die Möglichkeit eines tieferen Einblicks in das Verständnis aller Eigen- schaften und in den Mechanismus der erblichen Uebertragung. Dieses dynamische System, welches eine solche Komplikation in denkbar Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. N kleinstem Volumen aufweist, zeigt uns zur Evidenz die Möglichkeit von Variationen und Modifikationen in unbegrenzter Zahl. Jede der im „Cytoblast“ enthaltenen „Wirbel-Molekeln“ zeigt schon an und für sich eine ganze Menge von Möglichkeiten chemische und atome Umlagerungen zu liefern, was natürlich eine Menge von Abarten der Eigenschaften der betreffenden letzten Einheit zur Folge hat. Die Zahl dieser Mög- lichkeiten und Kombinationen wird eine noch bedeutendere dadurch, dass, wie wir sagten, der „Cytoblast“ aus letzten Einheiten, d. h. „Wirbel-Molekeln“ verschiedener Eigenschaften und verschiedenen Baues besteht. Und endlich, als Resultat der gegenseitigen Beziehungen dieser Systeme, muss natürlich eine noch größere Reihe verschiedener Kom- binationen entstehen. Diese Reihe von Umlagerungen oder Perturbationen, wie die Astronomensagen, muss uns, wie wir sagten, alle übrigen Eigenschaften der Vererbungs- substanz erklären. Zu begreifen, was für eine unbegrenzte Zahl von Abänderungen der die Vererbungseigenschaften enthaltende „Cyto- blast“ erfahren kann, ist für uns von größter Wichtigkeit, denn nur dann können wir hoffen in der Zukunft alle jene mannigfaltigen Meta- morphosen kennen zu lernen, welche die Vererbungssubstanz auf ihrem ganzen Wege der ontogenetischen Entwicklung erfährt. Dieses zu be- greifen ist aber leicht, wenn wir nur einerseits uns die ganze Kompli- ziertheit der Eiweißmolekel vergegenwärtigen, andererseits das von uns entwickelte dynamische Schema des Baues der Vererbungssubstanz anerkennen. Werfen wir jetzt einen flüchtigen Blick auf jene Wege der onto- genetischen Entwicklung, auf welchen die Vererbungssubstanz ihre komplizierte Metamorphose durchmacht, und welche der zukünftige Forschergeist wird zurücklegen müssen. Wir wollen dabei von der reifen, der weiteren Entwicklung fähigen Eizelle ausgehen. Die denk- bar kleinste Quantität der Vererbungssubstanz, welche, sozusagen, den Anstoß zur Entwicklung eines ganzen komplizierten Organismus der betreffenden Art aus der Eizelle geben kann, ist in der Eizelle, wie wir sagten, in Gestalt eines im Mikroskop sichtbaren kleinen „Chromatin- Cytoblasten“, oder eines komplizierten Wirbels, eines komplizierten Systems beweglichen stabilen Gleiehgewichts enthalten. Unter dem Einflusse der Summe der auf sie einwirkenden günstigen äußeren Be- dingungen, beginnt nun die Eizelle sieh zu furchen, beginnt sich in eine immer größere Zahl von Einheiten zu fragmentieren, welche anfangs einander fast gleich sind, bald aber sich zu differenzieren beginnen, d. h. sich in Gruppen vereinigen und einzelne Gewebe und Organe des werdenden Organismus bilden. Gleichzeitig mit diesem Pro- zesse muss natürlich auch unser Urträger der Artver- erbungseigenschaften, unser „Chromatin-Cytoblast“, der aufeinanderfolgenden Teilung und Vermehrung anheim- 49 * 772 Schlater, Einige Gedanken tiber die Vererbung. fallen. In den ersten Phasen der Furchung, wo die Furchungszellen noch unter fast gleichen Einflüssen sich befinden, müssen auch die Teilprodukte der Vererbungssubstanz gleichwertig sein, oder, wenn wir im Sinne unserer Anschauungen reden, die durch die Teilung ent- stehenden, aufeinanderfolgenden dynamischen Systeme müssen noch ihr stabiles Gleichgewicht beibehalten. Den Beweis dafür liefern uns die schon vielfachen Angaben des jungen Zweiges der Biologie, der experimentellen Embryologie, welche uns zeigen, dass aus einem jeden Blastomer der ersten Furchungsstadien ein ganzer Organismus sich entwickeln kann. Im Verlauf der weiteren Entwicklung der Eizelle, wo die einzelnen Zellen an Volumen kleiner werden, gleichzeitig aber das Volumen der Summe aller Zellen zu wachsen beginnt, werden, was einem Jeden einleuchtend ist, verschiedene Bedingungen geschaffen; der ganze Komplex der äußeren Einwirkungen und der inneren gegen- seitigen Verhältnisse wird schon ‘ein anderer für verschiedene Zellen und Zellgruppen. Diese sich verändernden Einflüsse und Bedingungen müssen natürlich auf diese oder jene Art auf die in den Zellen ent- haltene Vererbungssubstanz einwirken. Der „Cytoblast der Art - Ver- erbung“ fängt an unter dem Einflusse dieser Impulse einige Verände- rungen zu erfahren, mit anderen Worten, das komplizierte System des beweglichen Gleichgewichts fängt an einige Perturbationen im Bereiche seiner Bestandteile zu erfahren, fängt an seine Stabilität, sein Gleich- gewicht zu verlieren. Diese unbedeutenden, mit unseren Forschungsmitteln nicht konstatierbaren Veränderungen in dem dynamischen Vererbungs-System müssen natürlich auch auf die ganzeZelle alsOrganismus einekückwirkung ausüben. Das gibt aber den Anstoß zum Prozess der An- passung, zur Differenzierung der Zelle, wie in morpho- logischem so auch in funktionellem Sinne. Auf diese Art erfährt das die Vererbungssubstanz bildende dynamische System zu Ende der Ontogenese, d.h. die Endpunkte der Differenzierung erlangend, solch eingreifende Verände- rungen nach den verschiedensten Richtungen hin, indem es auf dem langen Wege der Ontogenese eine ganze Reihe bestimmt aufeinanderfolgender Perturbationen durch- macht, welche den Anstoß zur weiteren Differenzierung geben, und indem es im Verlauf der ganzen Ontogenese in labilem Gleichgewicht verharrt, — dass, sozusagen, das ganze Volumen von erblicher Uebertragung irgend einer spezifischen somatischen Zelle sich ausschließlich auf dieReproduktionsfähigkeit derselbenZellenart beschränkt. Nachdem das stark veränderte dynamische System diese Endpunkte erreicht hat, erlangt es wieder sein stabiles Gleichgewicht. So wird es uns doch wenigstens teilweise verständ- Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Als lich, wie im mikroskopischen Volumen eines „Cytoblasten“, sozusagen, in potentia alle Eigenschaften des fertig ausgewachsenen Organismus enthalten sein können. Substanz-Keime dieser Eigenschaften können wir natürlich nicht anerkennen. Das ganze Rätsel liegt im Charakter und in den Eigenschaften des betreffenden dynamischen Systems. Es wird uns begreiflich, auf welche Art eine so verschwindend kleine Quantität lebendiger Substanz, wie es die Eizelle ist, welche um wenigstens 25 Billionen Mal geringer ist als der zukünftige Organis- mus, bis in die feinsten Einzelheiten die Formen und die Eigenschaften der betreffenden Art wiederholt. Dies ist nur eine direkte Folge davon, dass die Entwicklung der betreffenden Eizelle eine Wiederholung derselben Entwieklungsbedingungen in derselben strengen Aufeinander- folge ist, welchen die Bizelle der vorhergehenden Generation unterworfen war u. 8. w. Folglich erfährt auch der „Cytoblast der Art- Vererbung“, oder das dynamische System, welches den Ausgangspunkt der Entwicklung bildet, im Verlaufe einer jeglichen, periodisch wiederkehrenden Ontogenese, voll- kommen dieselben Perturbationen, in ganz derselben strengbestimmten Aufeinanderfolge. Darausist verständ- lich, dass auch die Endresultate dieselben sein müssen: dieselbe Form, dieselbe Differenzierung und dieselben Eigenschaften. Hier eröffnet sich natürlich dem forschenden Geiste eine ganze Reihe von Fragen. Wie ist es möglich sich die ganze Reihe dieser aufeinanderfolgenden Veränderungen des betreffenden dynamischen Systems vorzustellen, wie können wir an dieses biomecha- nische System herantreten von Seiten der Chemie und der Mechanik; wie ist hier die Grenze zu finden und der Uebergang zwischen den chemischen und den mechanischen Erscheinungen? Diese und viele andere Fragen können wir hier nicht einmal berühren: eine Antwort auf dieselben müssen wir von der neuen beginnenden Aera unserer Wissenschaft abwarten. Vor sechs Jahren sagte unser große Gelehrte D. J. Mendelejeff („Zwei Londoner Vorträge, 1889“): „... . der Boden für Newton in der Chemie wird erst vorbereitet, und die un- sichtbare Welt der chemischen Atome harrt nur ihres Schöpfers der chemischen Mechanik, ... “*. In viel größerem Maße sind diese Worte, natürlich bei der Erforschung des Mechanismus der Lebenserscheinungen anwendbar. Die Biomechanik harrt ihres Schöpfers, ihres Newton, erst in der Zukunft; in der Gegenwart wird nur der Boden vorbereitet. Nachdem wir nun den Weg der Ontogenese in centrifugaler Rich- tung, von der Eizelle bis zur Peripherie des fertigen Organismus hin, bis zu den Endformen der somatischen Zellen hin, zurückgelegt haben, müssen wir den entgegensetzten Weg einschlagen, von der Peripherie zum Centrum, d.h. wir müssen zeigen, wie diejenigen Momente, welche zur Phylogenie der Organismen führen, auf die Geschlechtszelle ein- 774 v. Lendenfeld, Lufträume bei den fliegenden Tieren. wirken. Vorher müssen wir jedoch einige Worte über die Vererbungs- substanz in der Geschlechtszelle sagen. Wir blieben dabei stehen, dass die Differenzierung das Resultat von ununterbrochenen Abände- rungen der Vererbungssubstanz ist. Wie soll man es sich denn vor- stellen, dass im Gegensatze zu den somatischen Zellen, in den Ge- schleehtszellen die Vererbungssubstanz ohne jegliche Veränderung ver- harrt; wie ist es zu verstehen, dass das die Entwickelung einleitende dynamische System, welches die Fähigkeit besitzt die Arteigenschaften zu übertragen, ohne jegliche Störung seines Mechanismus durch die Geschlechtszellen weiter übertragen wird. Diese Frage stößt auf einige ernste Schwierigkeiten. Allein das ist eine Thatsache von größter Wichtigkeit, mit der man rechnen muss, ein Faktum, welches die Grundlage des Verständnisses der phylogenetischen Entwickelung bildet. Es bleibt nur übrig sich vorzustellen, dass jene Furchungszellen und Zellen der folgenden Teilungsstadien, welche später zu den Geschlechts- zellen werden, auf ihrem ganzen langen Wege solch einem Komplex von äußeren Bedingungen ausgesetzt sind, welcher keine merkbareu Aen- derungen im dynamischen Vererbungssystem bewirkt. In Zusammen- hang damit ist die niedrige Stufe der funktionellen Spezialisation, welche die Geschlechtszellen darstellen. Was für Bedingungen hier noch im Spiele sind, ist jetzt noch völlig unbekannt. Wir müssen ja nicht vergessen, dass wir nur in der allerletzten Zeit einen tieferen Einblick in die ganze Kompliziertheit der Zelle als Organismus zu gewinnen beginnen; deswegen gehört die Lösung vieler hierher ge- hörender Fragen der Zukunft an. (Viertes Stück folgt.) Die physiologische Bedeutung der Lufträume bei den fliegenden Tieren. Von R. v. Lendenfeld. Im Körper der meisten Insekten und der Vögel werden bekannt- lich große, lufterfüllte Räume angetroffen, welehe morphologisch als lokale Erweiterungen, beziehungsweise als Anhänge der Atmungsorgane erscheinen. Dieselben sind bei den verschiedenen Arten in sehr ver- schiedener Weise ausgebildet und kommen nicht allen Insekten zu. Im allgemeinen kann man sagen, dass sie bei guten und ausdauernden Fliegern hoch entwickelt und geräumig sind; bei schlechten Fliegern einen geringeren Grad der Ausbildung erreichen oder (einige Insekten) gar nicht vorkommen; und bei nichtfliegenden Insekten überhaupt ganz fehlen. Dies macht es wahrscheinlich, dass sie mit der Flugbewegung in irgend einem direkten oder indirekten Zusammenhange stehen und physiologisch als dem Fluge dienende Organe aufzufassen seien. Ferner lässt sich aus der sehr bedeutenden Größe dieser Organe, namentlich v. Lendenfeld, Lufträume bei den fliegenden Tieren. rar) bei Hymenopteren und vielen Vögeln ein Schluss auf die große Be- deutung ziehen, die sie haben müssen. In Bezug auf diese Lufträume sind dreierlei Annahmen möglich: 1. sie sind ausschließlich accessorische Atmungsorgane oder Atemhilfs- apparate; 2. sie sind ausschließlich mechanische Bewegungs- (Gleich- gewichtserhaltungs- und das spezifische Gewicht regulierende) Organe und 3. sie verrichten beide von diesen Funktionen. Wir könnten uns wohl vorstellen, dass gute, kräftige Flieger, ebenso wie sie ein relativ schwereres Herz als andere Vögel haben (Parrot) auch besonders leistungsfähiger Atmungsorgane bedürften und dass dem entsprechend ihre Luftsäcke Atmungsorgane wären. Die Luftsäcke selbst können aber nicht Atmungsorgane sein, einerseits weil an ihnen gar keine Einrichtungen zur Vergrößerung der Oberfläche (Falten, Waben oder dergleichen) angetroffen werden; und anderseits weil (bei den Vögeln) die Haut, welche sie begrenzt, im allgemeinen arm an Blutgefäßen ist (Drosier u. a... Nur an der Innenfläche lufthohler Knochen werden reichere Kapillaren angetroffen und hier ist auch Kohlensäure-Ausscheidung experimentell nachgewiesen worden (Baer). Es kann die Atmung hier jedoch nicht bedeutend sein, weil die Luft in diesen starren, blindsackartigen Räumen fast ganz stag- nieren muss. Aber wenn auch Blutoxydation nur in ganz unbedeu- tendem Maße in den Luftsackwänden stattfindet, so könnten die Luft- säcke dennoch bei der Atmung als motorische Apparate, als Blase- bälge, eine bedeutende Rolle spielen; sie könnten die lebhafte Durch- lüftung der eigentlichen blutoxydierenden Teile zu besorgen haben. Man nahm an, dass die intra- und die extrathoralen Luftsäcke der Vögel sich abwechselnd zusammenzögen und hiedurch die Luft durch die Lunge hin- und hergeblasen würde (Sappey). Die Resultate der neueren Untersuchungen, welche mit Hilfe der graphischen Methode gewonnen wurden und über deren Richtigkeit gar kein Zweifel be- stehen kann, haben aber gezeigt, dass der Luftdruck in allen Luft- säcken gleichzeitig steigt und sinkt. Es gibt also keine von Luftsack zu Luftsack gehende Luftströmung, sondern nur eine zwischen dem Munde und den Luftsäcken hin- und hergehende. Obwohl nun die Luftsäcke durch weite, offene Röhren direkt mit den Bronchien kommunizieren, so soll dennoch ein großer Teil der zwischen dem Munde und den Luftsäcken hin- und herströmenden Luft, namentlich bei der Exspiration, die feinen Kanäle der Lunge passieren und die Luft in den Lungenalveolen stetig erneuern (Baer). Hiegegen muss jedoch eingewendet werden, dass die anatomischen Verhältnisse nicht für die Richtigkeit dieser Annahme sprechen. Wenn das die einzige oder die hauptsächlichste Funktion der Luftsäcke wäre, so müsste man jedenfalls Einrichtungen anzutreffen erwarten, welche bewirkten, dass die ganze Luft der Luftsäcke, oder doch der größte Teil der- 7716 v. Lendenfeld, Lufträume bei den fliegenden Tieren. selben den eigentlich respiratorischen Teil des Atmungssystems passierte. Solche Einrichtungen gibt es jedoch nicht. Bei den Insekten stehen die großen Luftblasen durch weite Tracheenrohrabschnitte in direkter und kurzer, freier Kommunikation mit den Stigmen, so dass die von außen in sie eintretende und die von ihnen nach außen abgegebene Luft die respiratorischen Endzweige der Tracheenbäumchen nicht durch- strömen kann. Bei den Vögeln sind die Luftsäcke des Kopfes sowie einige der subkutanen bei gewissen Arten mit der Nasenhöhle ver- bunden; Luftströme, welche zwischen diesen und der Außenwelt hin- und hergehen, könren also gar nicht in die Lunge kommen. Die Luftsäcke des Körpers und der Gliedmaßen kommunizieren mit den Bronchien, mit denen sie durch weite Kanäle in offener Verbindung stehen. Allerdings entspringen von den Wänden dieser geräumigen, die Lungen durchsetzenden Röhren, enge Kanälchen, welche in das eigentliche Lungenparenchym hineinführen, aber trotzdem wird die allermeiste Luft, die zwischen der Außenwelt und diesen Säcken hin- und hergeht, den Weg durch jene weiten Röhren nehmen und werden nur ganz unbedeutende Luftstromschlingen das Lungenparenchym passieren. Die Kopfluftsäcke und die zu ihnen gehörenden subkutanen Luft- säcke der Vögel sowie die meisten Luftsäcke der Insekten tragen also gar nicht, und die übrigen Luftsäcke nur in einem sehr geringen, mit ihrer Größe gar nicht im Verhältnisse stehenden Maße, zur Durchlüftung der O absorbierenden und CO, ausscheidenen Körperteile bei. — Als Atemhilfsapparate können sie also bestenfalls nur nebenbei funktio- nieren: ihre Hauptfunktion muss eine andre sein. Wir kommen damit zu der zweiten und dritten von den oben angeführten Alternativen; es fragt sich, in welcher Weise die Luft- säcke mechanisch die Flugfähigkeit unterstützen können. Jedenfalls setzen sie das spezifische Gewicht des Körpers sehr erheblich herab und ich vermute, dass dies die Flugfähigkeit erhöhen, namentlich die Erhaltung des Gleichgewichtes in der Luft wesentlich erleichtern dürfte, obwohl die damit verbundene Vergrößerung des Körpers den Luft- widerstand, besonders bei raschem Fluge beträchtlich erhöhen und so unter Umständen auch Nachteile im Gefolge haben wird. Da die in den Lufträumen der warmblütigen Vögel enthaltene Luft eine höhere Temperatur als die Außenluft hat, so werden die Luftsäcke bei ihnen allerdings direkt hebend, als Ballone wirken, aber diese Wirkung ist so unbedeutend, dass sie praktisch gar nicht in Betracht kommen kann. Abgesehen von jenen Lufträumen, welche sich (bei den Vögeln) in den Knochen ausbreiten, und deren Zweck, das Leichter - machen der Knochen ohne Beeinträchtigung ihrer Stärke, deutlich zu Tage tritt, sind alle Lufträume leicht zusammenziehbar und ausdehnbar. v. Lendenfeld, Lufträume bei den fliegenden Tieren. AN Der chitinige Spiralfaden, welcher die Insektentracheen versteift, fehlt den Wänden ihrer größeren Lufträume und bei den Vögeln sind die Wände der Luftsäcke des Körpers sehr zarte und weiche Membranen. Sicher scheint es, dass die fliegenden Tiere den Füllungsgrad dieser Lufträume (mit Ausnahme jener natürlich, die in den Knochen liegen) sehr rasch durch willkührliche Kontraktion der Körpermuskeln verändern können und hiedurch in die Lage versetzt sind, die Stellung ihres eigenen Schwerpunktes zu verrücken und das spezifische Gewicht ihrer Teile sowie die Größe derselben abzuändern. Es frägt sich nun aber, wie derartige Veränderungen für den Flug von einem so großen Nutzen sein können um den außerordentlich hohen Grad der Ausbildung dieser Hohlräume bei guten Fliegern zu erklären. Bei den Insekten stehen die Lufträume durch verschiedene Tracheen- röhren mehrfach mit einander in Verbindung; bei den Vögeln scheint eine Interkommunikation derselben nicht vorhanden zu sein. Die geräumigsten Luftblasen werden, bei Vögeln sowohl wie bei Insekten, zumeist im Abdomen angetroffen. In einigen Fällen (Libellen, Kondor) sind auch die Lufträume des Kopfes recht groß. Bei den Insekten könnten wir uns vorstellen, dass durch plötz- liches Ausstoßen größerer Luftmengen aus den Stigmen einer Seite, oder aus nur einem bestimmten Stigma, ein Rückstoß erzeugt werden könnte, welcher eine bestimmte, nützliche Seiten- oder Drehbewegung des Körpers zur Folge hätte. Solches würde dureh die Verbindung der Lufträume beider Symmetralhälften des Körpers wesentlich er- leichtert. Bei den Vögeln jedoch ist eine derartige Erklärung natür- lich ausgeschlossen. Da die zumeist schwebenden, das heißt ohne Flügelschlag sich bewegenden, in der Höhe haltenden, selbst ansteigenden Vögel ganz besonders wohl entwickelte Lufträume haben — ieh erinnere nur an den Pelikan und gewisse, große Raubvögel — so liegt die Annahme nahe, dass sie gerade beim Schweben am meisten in Verwendung kommen. Da das Schweben nur geringe, atmungsintensitätserhöhende Muskelarbeit erfordert, so spricht ihre hohe Ausbildung bei Schwebe- vögeln gegen die Annahme, dass die Luftsäcke nichts weiter als Atmungs- Hilfsorgane seien. Um über ihre mechanische Funktion beim Schweben ein Urteil abgeben zu können, müssen wir erst festzustellen suchen, wie die Schwebevögel diese merkwürdige Bewegung ausführen. Sicher ist, dass das Schweben und Kreisen auf einer Ueberwindung der Schwer- kraft mit Hilfe und unter Ausnutzung der dem Winde innewohnenden Kraft beruht. Wie nun diese ausgenützt wird, erscheint einigermaßen zweifelhaft. Falls die Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe hinreichend rasch zunimmt, kann der Vogel, das Inkrement der Windkraft ausnützend, kreisend ohne Flügelschlag ansteigen (Lord 778 v. Lendenfeld, Lufträume bei den fliegenden Tieren. Rayleigh). Auch soll der Wind sehr unregelmäßig sein, an jedem gegebenen Punkte mit rasch wechselnder Kraft und mit rasch (in geringem Maße) wechselnder Richtung wehen. Durch Ausnutzung der Differenzen der Kraft und Richtung des Windes kann der Vogel ebenfalls schwebend sich erhalten und auch ohne Flügelschlag an- steigen (Langley). Endlich kann der Vogel durch das Kreisen, ebenso wie ein rasch rotierender Kreisel, eine gewisse inhärente Stabilität erlangen, welche ähnlich wie die Schnur eines Drachens wirkend, ihn in den Stand setzt, bei stetigem und durchaus gleich- starkem Luftstrome, wie ein Drachen zu schweben und zu steigen (Lendenfeld). Wie dem nun sei, jedenfalls beruht das Schweben auf einer trefl- lichen Ausnützung der Windkraft, die nur dadurch erzielt werden kann, dass der Vogel stets seine Segelfläche, die Gesamtunterseite (Müllenhoff) ganz genau in den richtigen Winkel gegen die Hori- zontale und gegen die Windrichtung einstellt. Diese Einstellung muss sehr schwierig sein. Ja es ist schwer vorstellbar, wie ein frei schwebender Vogel, welcher dem Winde eine große Segelfläche dar- bietet, mitten in heftigen Luftströmungen und in stets wechselnder Lage, ohne jeglichen fixen Anhaltspunkt, sein Gleichgewicht behaupten und die Neigung der Segelfläche, die er bildet, leicht und sicher, zweck- entsprechend regulieren kann. Die Lage der Segelfläche kann, da der Vogel frei schwebt, eigent- lich nur durch Aenderungen in der Lage des Schwerpunktes in Bezug auf die Segelfläche, sowie durch Aenderungen der Luftwiderstand empfindenden Teile erzielt werden. Solche Lageveränderungen des Schwerpunktes und Aenderungen der Widerstandsflächen können aber durch Aenderungen des Füllungsgrades der verschiedenen Luftsäcke herbeigeführt werden, indem durch ihre Blähung Körperteile vergrößert und von dem Körpermittelpunkte abgedrängt werden. Allerdings sind diese Aenderungen gering, aber auch geringe Aenderungen dieser Art werden hinreichen, einen bedeutenden und genügenden Ausschlag zu geben. Obzwar diese Wirkung der Luftsäcke am deutlichsten beim Schweben hervortritt, so wird sie doch jedenfalls auch beim gewöhn- lichen Fluge mit Flügelschlag, bei dem ja stets die Drachenwirkung der Segelfläche in größerem oder geringerem Maße mit im Spiele ist, zur Geltung kommen. Zugegeben also, dass die Luftsäcke, namentlich bei den Vögeln, die Atmungsthätigkeit einigermaßen unterstützen, so wird ihr Haupt- zweck doch ein mechanischer, das spezifische Gewicht des ganzen Tieres herabsetzender, das spezifische Gewicht und die Größe seiner Teile sowie die Lage des Schwerpunktes regulierender sein. [89] Guldberg, Die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung. 779 Ueber die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung, ihre Ursache, Phänomenalität und Bedeutung. Von Direktor F. O0. Guldbereg. Vortrag'), gehalten in der biolog. Gesellschaft in Christiania, am 30. März 189%. Es ist gewiss den Meisten, die gewohnt sind, mit ofinen Augen für das Tierleben sich in Feld und Wald zu bewegen, auffallend ge- wesen, wie leicht Tiere, die derselben Familie oder Gesellschaft an- gehören, einander wiederfinden, nachdem sie, freiwillig oder unfreiwillig, von einander geschieden wurden. Ja selbst kürzlich ausgebrütete oder neugeborene Jungen, von denen man wohl nicht leicht annehmen kann, dass sie einen entwickelten Ortssinn oder einige Lokalbekanntschaft haben, und von denen man wohl nicht annehmen kann, dass sie schon im Besitz des vollen Gebrauches ihrer Sinne sind, finden doch, wie es scheint, mit der größten Leichtigkeit ihre Eltern, Geschwister oder Ka- meraden wieder, selbst wenn sie von ihnen längere Zeit oder durch eine größere Entfernung geschieden waren, als ihr Sinnesvermögen reicht, um sie in direkten Rapport mit einander zu bringen. Man hat nämlich aus dem Leben in der Natur eine Reihe Be- obachtungen, welche zeigen, dass die höheren Tiere, jedenfalls unter Verhältnissen, wo die Sinne nieht normal oder vollkommen fungieren oder wenn die Tiere verhindert sind mit Hilfe der Sinne sieh mit einander in Verbindung zu setzen, sich in der Weise einander auf- suchen und wiederfinden, dass sie nach der Stelle zurückkehren wo sie getrennt wurden oder wo die Sinne zum letztem Male korrespondierten. Dieses gewöhnliche und notwendige Zurückkehren der Tiere zur Trennungsstelle muss, wie ich zeigen werde, von doppel- ter Natur sein, nämlich sowohl instinktiv wie physiologisch, indem die Begegnung auf zwei verschiedene Weisen vor sich geht, entweder dadurch, dass die Tiere durch Hilfe der Sinne nach der Stelle, wo sie sich trennten, suchen und zurückfinden, oder dass sie ohne Hilfe der Sinne eine kreisförmige Bewegung machen, die sie notwendiger Weise auch nach der Trennungsstelle zurückführt. Um nun zu einem klaren Verständnisse über die Natur dieser kreis- förmigen Bewegung zu kommen, welche die Grundlage oder die Ur- sache dieses genannten instinktiven Phänomens sein muss, habe ich im Verein mit meinem Mitarbeiter, Prof. Dr. G. A. Guldberg, eine 4) Dieser Vortrag ist eine kurze, vorläufige Mitteilung über eine Arbeit, die der Verfasser schon im Frühjahr 1888, in weniger vollkommener Form, seinem Bruder Prof. Dr. G. A. Guldberg vorlegte, der später als Mitarbeiter, besonders für den morphologischen und physiologischen Teil hinzutrat. Was das eigentliche detaillierte Beweismaterial betrifft, so wird dieses in einer nahen Zukunft der wissenschaftlichen Welt vorgelegt werden, sobald Zeit und Gelegenheit es erlaubt. — 7sS0 Guldberg, Die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung. Reihe physiologischer Experimente angestellt, wodurch es bei Sinn- beraubung der Versuchsobjekte geglückt ist, eine solche Kreisbewegung zu erzwingen. Diese Bewegung ist gewiss als eine physiologische Zirkularbewegung anzusehen und als nächste Ursache nehmen wir eine funktionelle Asymmetrie bei dem Tiere an. Indessen muss es hier präeisiert werden, dass diese Zirkularbewegung nicht mit der aus der Physiologie bei Hirnläsion bekannten Manegebewegung zu verwechseln ist. Eine Reihe von Prof. Dr. G. A. Guldberg vorge- nommener morphologischer Untersuchungen machen es nämlich höchst wahrscheinlich, dass der eigentliche Grund dieser „sinnlosen“ kreis- förmigen Bewegung in dem asymmetrischem Bau der Lokomotions- organe zu suchen ist, worüber man in der folgenden Nummer dieser Zeitschrift eine kurze Mitteilung finden wird. Diese Zirkularbewegung tritt auch beim Leben der Tiere in der freien Natur auf, sobald die Sinneseindrücke nicht steuernd einwirken können. Eine Reihe kreisförmiger Bewegungen nämlich, die, soweit sie bekannt waren, als unerklärliche Rätsel dastanden, müssen als Resultate der physiologischen Einwirkung der Zirkularbewegung auf die durch unvollkommene Hirnwirksamkeit und fehlschlagende Sinne geleitete Bewegung in der Natur angesehen werden. Die hierdurch hervor- gebrachten Bewegungsformen, die mehr oder weniger regelmäßige Kreise werden, die teilweise wohlbekannte Phänomene bei höheren Tieren und bei Menschen sind, habe ich vorläufig biologische Kreise oder Kreiswanderungen benannt. Trotzdem, dass hier Grund ist anzunehmen, dass ähnliche Phä- nomene aus dem Leben der Insekten auf dieselbe Weise wie bei den Vertebraten erklärt werden können oder müssen, kann ich doch auf Grund fehlender physiologischer Experimente dieses Verhältnis hier nur andeuten. Bei den höheren Tieren, besonders bei den Vögeln und Säugetieren dahingegen sind die beobachteten Phänomene so zahlreich und die physiologischen Experimente so weit vorgeschritten, dass ich mich hier als berechtigt ansehe, die Theorie über die Wirk- lichkeit und Bedeutung der Zirkularbewegung aufzustellen. Durch Befragen von Tauchern, die jetzt elektrische Lampen auf dem Meeresgrund anwenden und von Leuchtturm-Wärtern an der norwegischen Küste habe ich Mitteilungen darüber erhalten, dass dort immer eine Reihe von Phänomenen beobachtet wurden, die man auf dieselbe Art zurückführen kann, nämlich kreisförmige Schwimmturen bei Fischen im Lichte der elektrischen Lampen und ähnliche Flugkreise bei den Vögeln, vor dem Leuchtturme (nieht um diesen herum); diese lassen sich am leichtesten und natürlichsten als „biologische Kreise“ erklären, die dadurch entstehen, dass das Tier vom Lichte geblendet wird, von welchem es durch Schwimmen oder Flug hinwegzu- Guldberg, Die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung. 78 kommen sucht; da es aber keinen neuen Richtungsweiser finden kann, indem der leitende Sinn geblendet ist, so geht die Bewegung in die physiologische Zirkularrichtung über und sie kehren zum Lichte zurück. Die beständige Wiederholung dieser Turen, bis die Vögel oft ermattet bei dem Leuchtturme niederfallen, sowie der anscheinend verstörte Gemütszustand der Tiere, unter ihren Flug- und Schwimmturen, sprechen nach unserer Meinung auch für eine solche Erklärung dieses Phänomens. Weiter kann aufgezählt werden die von den skandi- navischen Bauernjägern gekannte Kreisbewegung bei dem von ihnen nachgestelltem Geflügel, Birk- und Auerwild, bei welchen der früher genannte Lokalinstinkt aufzutreten scheint, sowie ein ähnlicher Instinkt bei den Raubtieren während der Verfolgung des Wildes zu herrschen scheint. Aber die besten, illustrierenden Beweise für diese biologischen Kreise, findet man bei den Säugetieren, die öfter mit dem Menschen in Berührung kommen, entweder als Haustiere oder als jagdbares Wild. Der Vortragende legte hier zur Erläuterung eine Reihe graphischer Karten vor, die ihm von den am meistem hervor- ragenden Jägern des Landes (Norwegen) eingesandt waren; diese Karten zeigen, dass die von jagenden Hunden gehetzten, vierfüßigen Tiere (Hase und Fuchs) immer und immer die Kurve eines biologischen Kreises in ihrem Laufe unter der Jagd zeigen. Besonders gilt dies von den Hasen, bei dem die Kreise oder „Turen“, wie die norwegischen Jäger dieselben nennen, oft deutlich, von dem einen bis zu dem anderen Ende, verfolgt werden können, indem nur Wege, Laudstraßen, die eigene Fährte des Tieres, Defilten und unübersteigliche Naturhinder- nisse oder plötzliche Unterbrechungen durch Zusammentreffen mit dem Jäger oder Hunde, Veränderungen oder Aufhören der biologischen Kreiswanderung bewirkten. Aus diesen Karten über die Kreiswanderung ist auch zu ersehen, wie dasselbe Individuum immer den biologischen Kreis nach derselben Seite hin beschreibt, wodurch es sich zeigt, dass das Individuum in seiner Bewegung zur Rechten oder zur Linken gebunden ist. In Bezug auf den Menschen kann das Phänomen als so wohl bekannt angesehen werden, dass man nur die in der Litteratur und unter den Leuten bekannten Berichte zu nennen braucht, um den Ver- ständnis der Sache vollständige Realität zu geben. Man hat auch eine Reihe von Mitteilungen über Rudern im Kreise bei Nebel auf dem Meere und in beiden Fällen, sowohl bei Wanderungen wie beim Rudern im Kreise, wirkte das Phänomen so störend auf den Zustand der Sinne, dass das Individuum teils sogar dem Kompas nicht traute, teils sogar — wie es der Fall bei abergläubischen Menschen war — sich in der Hand einer höheren Macht zu befinden glaubte. Hierfür gibt es ja Beweise genug in Sagen und Erzählungen aus dem Leben des Volkes. 7182 Guldberg, Die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung. Die Wirkungen der Zirkularbewegung machen sich auch bei militärischen Märschen bei einer größeren Frontlinie geltend, indem der Führer nur durch genaues Visieren und beständiges Festhalten des Zieles unter dem Marsche im Stande war die Marschriehtung beizu- behalten. Der Vortragende ging dann dazu über zu zeigen, welche Bedeu- tung diese eigentümliche Form der tierischen Bewegung für die Ge- schöpfe hat, die sie besitzen. Er fand in der Thatsache, dass alle Tiere stark an bestimmte Naturverhältnisse gebunden und ziemlich hilflos sind, wenn sie bestimmte Grenzen überschreiten oder wenn sie die Verbindung mit Eltern oder ihrem Heim verlieren, besonders in der ersten Zeit ihres Daseins, ehe sie gelernt haben ihre Sinne und Fähigkeiten zu gebrauchen, einen entschiedenen Beweis dafür, dass diese kreisförmige Bewegung, die mit unwiederstehlicher Gewalt ein jedes Wesen, das davon beherrscht wird, nach dem Orte zurückzieht, der die Bedingungen für die Erhaltung des Lebens und für ihr Gedeihen besitzt, auch von fundamentaler Bedeutung für den Lebens- unterhalt und Entwicklung der betreffenden Individuen sein muss. So zeigt sich diese Bewegungsform als allgemein verbreitet, sie gehört unter die generellen Gesetze. Fantasie und Aberglaube haben begierig diese Mystik des Natur- lebens ergriffen und daraus eine übernatürliche Macht geschaffen. Dieses näher auseinanderzusetzen liegt außerhalb des Ramens der vorliegenden Arbeit; indessen kann doch darauf anfmerksam gemacht werden, dass die norwegischen Landleute im Allgemeinen diese Wan- derung im Kreise „at träde paa Vildstraa“, auf verirrende Spur zu- kommen, zu nennen pflegen, also sich zu verirren, in Wirklichkeit aber ist die Meinung der Natur, wenn man sich so ausdrücken darf, gerade das Entgegengesetzte. Im Reiche der Natur liegt darin die Vorsorge, dass das Lebende sich niemals verirren sollte, sondern immer den Ort wieder finden kann, der die Bedingungen für den Lebensunterhalt und die weitere Entwicklung besitzt, die Lokalitäten und Umgebungen, die Schutz und Nahrung geben, ehe noch der Abkömmling gelernt hat, seine Sinne und Fähigkeiten zu gebrauchen, den Heimatsort, nach welchen alle Tiere so oft unter dem Kampf fürs Dasein zurückkehren müssen, es sei das Euter der Kuh, die wärmenden Flügel und die leitende Erfahrung der Henne oder der von Mutter-Instinkt auserwählte Pflanzenwirt. In den Berichten darüber, wie leicht die Abkömmlinge ausgesetzt sind zu Grunde zu gehen, wenn sie durch Menschenhand von dieser Verbindung mit Heim und Eltern getrennt werden, kann man auch die Wirkung des Gesetzes sehen, indem dies unter solchen Umständen ebenso zerstörend wirkt, wie sie rettend unter den natür- lichen Verhältnissen ist. Dies ist eben nur der Revers desselben Wertes. Guldberg, Die Zirkularbewegung als tierische Grundbewegung. 783 Als etwas bedeutungsvolles darf man auch die Wirkung dieser Zirkularbewegung in dem psychischen Leben der Tiere sehen, indem sie immer unter den unzähligen Fehlschritten, zu welchen unge- übte Sinne und unerfahrenes Hirn verleiten können, das Tier nach dem rechten Orte und unter die richtigen Verhältnisse zurückführt. Meine Auffassung dieses Verhältnisses kann ich dahin präzisieren, dass die Erziehungskunst der Natur unverständlich sein würde ohne das Gesetz der Kreisbewegung. Ferner muss auch darauf aufmerksam gemacht werden, wie das- selbe Gesetz dem Lokalinstinkt in der höheren Tierwelt zu Grunde zu liegen scheint, nämlich dem schon früher erwähnten Drange nach dem Orte, wo das Tier sein Gefolge verlor, zurückzukehren und in Ver- bindung damit auch der Fähigkeit seine Kameraden mit Leichtigkeit wieder zu finden. Wie weit die Bedeutung und Breite dieses Instinkts reicht, kann man freilich noch nieht — ob jemals weiss ich nicht — sagen; es darf aber angenommen werden, dass die angegebenen Grundformen der Bewegung und der darauf gebaute Instinkt, in naher Verbindung mit dem „Gesetze der Heimatsliebe“ oder dem Lokalinstinkt stehen, auf welchen die großen jährlichen Tierwanderungen zu beziehen sind. Und wenn ich mir erlauben darf, einen Blick hinaus über den Rahmen dieser Arbeit zu werfen, indem ich voraussetze, dass das Gesetz der physiologischen Zirkularbewegung von der wissenschaftlichen Welt an- erkannt werde, muss ich zuerst auf den Umstand hinweisen, dass die Zirkularbewegung ein sehr brauchbares Mittel bei den Untersuchungen der funktionellen Breite und Bedeutung der Sinne bei den verschie- denen Tieren und Tiergruppen werden wird. Ferner muss auch unter Hinweisung auf die Beobachtungen bei niederen Tieren die Aufmerksamkeit auf die Wahrscheinlichkeit hin- gelenkt werden, dass die physiologische Zirkularbewegung bei den niedrigsten Tierklassen vielleicht die einzige Bewegungsform des Organismus neben der mechanischen Einwirkung und der physio- logischen Reaktion ist. Im Falle einer solchen Phänomenalität darf die physiologische Zirkularbewegung, wenn ihre Realität und Umfang hinreichend untersucht und gekannt ;zein wird, sich vielleicht als von größerer biologischer Bedeutung erweisen und ein weiteres Arbeitsfeld eröffnen, als wir jetzt ahnen. In jedem Falle dürfte es sich zeigen, dass man schon jetzt mit einigem Recht die erwähnte Zirkularbewegung als eine Grundbewegung der Tiere ansehen kann, die man immer mit in Betrachtung nehmen muss beim Studium der Entwicklungsphasen des tierischen Lebens, gleichviel ob es die Biologie der einzelnen Arten oder der psychischen Genealogie einer größeren Tiergruppe gilt. [109] 784 Binz, Der Aether gegen den Schmerz. C. Binz, Der Aether gegen den Schmerz. Ein fünfzigjähriges Jubiläum. 16. XI u. 96 Seiten. Stuttgart, Deutsche Ver- lagsanstalt, 1896. Es ist ein interessantes Stück Wissenschaftsgeschichte, das uns Herr Prof. Binz in diesem flüssig geschriebenen, aber durchweg auf Quellenstudien be- ruhenden, schönen Büchlein bietet. Im Eingang erinnert er daran, dass die Menschheit eines ihrer schönsten Gedenkfeste im Herbste dieses Jahres zu feiern hat. Am 17. und 18. Oktober wurden es fünfzig Jahre, seit man große wundärztliche Operationen vollkommen schmerzlos auszuführen gelernt hat. Anfangs benützte man zur Schmerzlosmachung der Leidenden den Schwefel- äther, bis dieser allmählich durch das leichter und bequemer zur Anwendung zu bringende Chloroform verdrängt wurde. Es hat sich jedoch in der letzten Zeit eine Reaktion zu Gunsten des Aethers geltend gemacht, weil es sich herausgestellt hat, dass dieses das bei weitem gefahrlosere ist. Nach Er- mittelungen, die im Jahre 1890 begonnen wurden und jetzt noch andauern, ist in den Jahren 1890 bis 1894 je ein Todestall auf 2647 Chloroform- und auf 13,160 Aethernarkosen vorgekommen. Auch die übrigen seither aufgetauchten Betäubungsmittel zu chirurgischen Zwecken werden besprochen; insbesondere werden die Mitteilungen aus der Geschichte des Stickoxyduls die Leser gewiss ebenso interessieren wie die über die Einwände, welche gegen die Anwendung der Narkotika überhaupt gemacht worden sind. PB. 442] Dr. A. Mayer, Lehrbuch der Agrikulturchemie. IV. Aufl. Verlag von C. Winter, Heidelberg, 1895. I. Teil: Die Bodenkunde in 410 Vorlesungen. Die I. Abteilung des II. Teiles ist der Bodenkunde gewidmet. In klarer zumeist auch formschöner Weise wandelt Verf. den Inhalt der Boden- kunde ab. Fünf Vorlesungen sind der Entstehung der Ackererde gewidmet, die zwei folgenden handeln von der chemischen, die drei übrigen von der physikalischen Beschaffenheit des Bodens. Auch diese Vorlesungen werden jedem, der sich für die Bodenkunde interes- siert, ein ebenso nützlicher als angenehmer Berather sein. R. K. [106] Beriehtigungen. In dem Aufsatz „Anthropologische Arbeiten in Russland“ Nr. 18 und 19 sind einzelne Druckfehler stehen geblieben, die wir nachträglich hier verbessern. S. 673 Z. 8 v. o. statt: Norm der Geburt lies: Norm der Geburtshelfer (soll heißen: der von den Geburtshelfern angenommenen Norm). S. 703 Z. 4 v. o. statt: Längskopf-Bogen lies: Längs-Kopfbogen. S. 707 Z. 8 v. u. ist unter die Worte Prozent-Verhältnis zu setzen: zur Körper- größe — zur Armlänge. S. 708 Z. 2 v. u. statt: nicht russischen Litteratur lies: meist russischen L. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. ZU Band ... 15, Norember 1806. Nr. 22. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie (3. Stück). — Sehlater, Einige Gedanken über die Vererbung (4. Stück). — Zacharias, Monatsmittel der Plankton - Volumina. — Guldberg, Ueber die morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen beim Menschen und bei den höheren Vertebraten. — Arthus, Natur der Enzyme. — Hatschek u. Cori, Elementarkurs der Zootomie in fünfzehn Vorlesungen, — Rawitz, Leitfaden für histologische Untersuchungen. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Drittes Stück.) Die physiologische Bedeutung der bunten Farben der Laubblätter hat Stahl!) zum Gegenstand einer einlässlichen Studie gemacht. Für die vom reinen grün abweichenden Färbungen, die im ent- wickelten Zustande der Blätter in unserer heimischen Flora nicht gerade häufig auftreten, bei einer Reihe exotischer Pflanzen, wir erinnern nur an die bunten Blätter der Begonien eine häufige und höchst charak- teristische Erscheinung ist, hat man wesentlich zwei Erklärungen ge- gegeben. Die andere, rote oder helle Färbung der Vegetationsorgane stehe im Dienst der Stoffwanderung oder Transpiration, glaubten die einen, während andere in ihr ein Schutzmittel gegen die Angriffe pflanzenfressender Tiere, welche durch die eigentümlichen Färbungen abgeschreckt würden, sahen. Experimentelle Untersuchungen über das Verhalten von Tieren gegenüber roten Pflanzen ließen in der Färbung keine Schreck- oder Warnfarbe erkennen. Gleich große Stücke der fleischigen Wurzeln von einer roten und weißen Varietät von Beta vulgaris legte Verf. einigen omnivoren Schnecken vor. Helix hortensis und Arion hortensis verschonten die roten Stücke, während die weißen 1) E. Stahl, Ueber bunte Laubblätter. in: Annales du Jardin botanique de Buitenzorg, Vol. XIII, 2, p. 137— 216. AVI. 50 7S6 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. reichlich benagt waren. Dasselbe Versuchsergebnis wurde aber auch erzielt, als der Versuch bei Lichtabschluss ausgeführt wurde. Der Unterschied im Verhalten der Tiere beruht also nicht auf der ver- schiedenen Färbung, sondern auf stofflichen Unterschieden, die sich dem Geschmackssinn der Tiere bemerkbar machen und über die Wahl der Nahrung entscheiden. Versuche mit Nagern und Wiederkäuern zeigten, dass die rein grünen Blätter anderen gegenüber bevorzugt wurden. Waren die Tiere hungrig, so konnte gewöhnlich ein Unter- schied nicht wahrgenommen werden. Dass dabei nicht der Geschmack die Wahl bestimmte, sondern nur die Farbe, deutet folgender Versuch an. Von gleich großen Maisblattstücken, deren eines blank, das andere mit einigen bereits trocken gewordenen Karminflecken betupft war, fraßen in 30 Versuchen die Versuchstiere (Schafe) 29 Mal zuerst das grüne, ein einziges Mal zuerst das rotfleckige Stück weg. Die Ab- neigung der Tiere gegen die roten Flecken ist wohl ein Ausdruck der von vielen Tieren bekannten Scheu vor blutroten Gegenständen. Da aber diese Bevorzugung des Grün gegenüber roter oder rotgefleckter Blätter nur eintrat, wenn die Tiere nicht hungrig waren, kann von einer einigermaßen wirksamen Schutzwirkung der roten Färbung nicht die Rede sein. Die Buntscheckigkeit gewisser Araceenblattstiele führt oft zu einer mehr oder weniger frappanten Schlangenähnlichkeit derselben, so dass ein Arum des Himalaya geradezu als „Cobra-Pflanze“ von den Ein- geborenen bezeichnet wird. Versuche des Verf. mit einer Antilope des zoologischen Gartens von Batavia ließen unzweideutig die Schreck- wirkung der Schlangenzeichnung erkennen, während Ziegen gegenüber die Schreekwirkung dann sich nicht mehr geltend machte, wenn sie etwas Hunger hatten und an den Anblick der schlangenähnlichen Blatt- stiele etwas gewöhnt waren. So hält Stahl dafür, dass die Bedeutung dieser Buntscheckigkeit gleich der Buntheit der Blattspreiten nach einer anderen Richtung gesucht werden muss. Den roten Farbstoff der Vegetationsorgane bezeichnet der Verf. als Erythrophyll oder Blattrot. NachEngelmann wirkt dieser Farbstoff absorbierend auf Licht ein, so dass bei manchen gleichmäßig dunkelroten Blättern mehr als ein Drittel, ja mehr als die Hälfte des sonst ins Blattinnere eindringenden Lichtes zurückgehalten wird. Die rotblätterigen Varietäten, z. B. der Buche, des Haselstrauches ete. ge- deihen aber thatsächlich so gut wie die grünen. Sie sind also in ihrem Assimilationsvermögen nicht wesentlich geschwächt. Also werden durch den roten Farbstoff nur solche Strahlen absorbiert werden, die für den Assimilationsprozess die kleinste Bedeutung haben. Rot, Blau und Violett, die vom Blattgrün am stärksten absorbierten Lichtarten, werden in der That durch das Blattrot am Besten durchgelassen. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 787 Die positive Leistung des Blattrotes wurde bisher in zwei Rich- tungen gesucht. Nach der Ansicht der einen soll das Erythrophyli einem Lichtschirm gleich gegen den zerstörenden Einfluss der Sonnen- strahlung schützen. Da nun aber gerade diejenigen Strahlen, die vom Chlorophyll absorbiert werden und in ihm wirksam sind, durchgelassen werden, ist die schützende Wirkung nicht wahrscheinlich. Nach der Ansicht anderer steht das Blattrot im Dienste der Wärme- absorption. Die im roten Zellsaft zurückgehaltenen Sonnenstrahlen bewirken eine für die Pflanze vorteilhafte Erwärmung. Dass der rote Farbstoff diese Wirkung hat, wurde experimentell schon von Kny dargethan. Wurde in zwei gleichgroße Wassermengen eine gleiche Zahl Blätter grüner und tief roter Varietäten der gleichen Pflanzenart gebracht, dann konnte nach verhältnismäßig kurzer Besonnung eine gesteigerte Wärmezunahme in den Gefäßen mit den roten Blättern festgestellt werden. Auf thermoelektrischem Wege konstatierte Stahl, dass die roten Stellen der Blätter sich rascher und stärker erwärmen als die grünen. Bei gleichlanger Bestrahlung mit der Gasflamme betrug nach einiger Zeit die Differenz zu Gunsten der roten Blätter bis 1,9°. Die hellen Stellen von grau- und silberfleckigen Blättern ließen eine geringere Erwärmung erkennen als die grünen, wenn die Zu- strahlung nur kurze Zeit dauerte. Die Differenz zu Gunsten der grünen Stellen betrug bis 1,2°. Nach raschem Ansteigen ging aber die Dif- ferenz wieder langsam zurück. Die ungleiche Wärmeabsorption der verschiedenen Blattbezirke bunter Blätter demonstrierte Stahl in sehr einfacher Weise mittels leicht schmelzbarer Substanzen, wie Cacaobutter, der er zur Erhöhung des Schmelzpunktes etwas Bienenwachs zugefügt hatte. In flüssigem Zustand wird das Gemenge in möglichst gleichdicker Schicht der Blatt- unterseite aufgestrichen. Ist der Ueberzng erstarrt, so genügt es, das Blatt kurze Zeit normal zur Oberseite von der Sonne bescheinen zu lassen, um an dem verschieden raschen Erweichen gewisser Bezirke, den anderen gegenüber, die ungleiche Erwärmung derselben zu er- kennen. Auch auf diesem Weg lässt sich darthun, dass die Regionen mit rotem Farbstoff sich stärker erwärmen als die grünen, dass ferner die weißen Bezirke silberscheckiger Blätter langsamer sich erwärmen als die grünen. Zugleich lässt sich zeigen, dass die hellen Blatt- stellen sich langsamer abkühlen als die dunkelgrünen oder die roten. In dem wärmeabsorbierenden Blattrot besitzt die Pflanze ein Mittel, die Stoff- und Kraftwechselprozesse zu beschleunigen. Häufig findet sich der rote Farbstoff gerade in jungen Blättern oder in Organen, in denen die Stoffwanderungen in reichlichem Maße sich abspielen. Dieses Vorkommen ist unter dem Gesichtspunkte der wärmeabsorbierenden also die Erwärmung steigernden Wirkung des Blattrotes wohl ver- 50 * 788 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. ständlich. Wenn die Versuche nur relativ schwache Temperaturerhöh- ungen erkennen lassen, so ist zu bedenken, dass die Temperatur ganzer Gewebekomplexe, in denen nicht nur Luft, sondern auch farblose Zellen enthalten sind, gemessen wurde. Man ist wohl berechtigt an- zunehmen, dass die bei kräftiger Insolation eintretende Erwärmung der von roten Gewebeschichten umgebenen Leitungsbahnen der Stengel, Blattstiele und Blattnerven um mehrere Grade stärker ausfällt als dort, wo das Erythrophyll fehlt. Unter diesen Gesichtspunkten sind wohl auch Kerner’s Kulturergebnisse von Thalpflanzen in bedeuten- den Höhen verständlich. Er beobachtete z. B., dass in einer Höhe von 2193 m Satureja hortensis sich üppig entwickelte, während Linum usitatissimum so kümmerlich gedieh, dass es noch vor der Entwick- lung der Blüten abstarb. Da erstere Pflanze in den Oberhautzellen roten Farbstoff produzierte, hielt Kerner dafür, dass der Lein in Folge des Fehlens des Blattrotes sich gegen das intensive Hochalpenlicht nicht zu schützen vermöge. Nach der vorausgehenden Darlegung Stahl’s ist das ungleiche Verhalten der beiden Versuchspflanzen wohl so zu erklären, dass Linum usitatissimum und andere sich nicht rötende Pflanzen deshalb im Alpenklima nicht kräftig gedeihen, weil in den kühlen Nächten die Blätter wegen starker Abkühlung ihrer Assimilate sich nur ungenügend zu entledigen vermögen. Kulturversuche Stahl’s in einer Höhe von 1800 m ergaben in der That, dass in klaren Näch- ten, in denen der Nullpunkt nahe erreicht wurde, die Blätter von Linum morgens noch voller Stärke waren, während Satureja-Pflänzehen völlig stärkefrei waren, auch wenn sie Tags zuvor intensives Sonnen- licht empfangen hatten. Diese dauernde Stärkebelastung der Blätter beeinträchtigt einerseits die Bildung neuer organischer Substanz und lässt es anderseits wegen der trägen Stoffwanderung den neu anzu- legenden Teilen an den nötigen Baustoffen fehlen. Unter dem Gesichtspunkte der Temperaturerhöhung der Blattrot führenden Organe ist sein Vorkommen in anemophilen Blüten wohl verständlich. Intensive Rotfärbung kommt bekanntlich vielen unserer windblütigen Dicotyledonen zu. Wir erinnern an Populus tremula, Corylus avellana, Alnus glutinosa ete. Das Licht fördert das Wachs- tum der Pollenschläuche nicht wesentlich; es muss sich vielmehr unter dem Einfluss der Erwärmung vollziehen. Wird nun die Narbe ihres Blattrotes wegen stärker erwärmt, so wird dadurch das Wachstum der Pollenschläuche begünstigt. Die Gefahr wird verringert, dass der an der Narbe haftende Pollen noch vor Einsenkung des Schlauches durch Regen oder Thau beschädigt werde. Das Erythrophyll als wärmeabsorbierendes Medium wirkt aber nicht nur auf die Erscheinungen der Stoffwanderung fördernd ein. Die Thatsache, dass die intensive Rotfärbung der Blätter gerade bei vielen Tropenpflanzen vorkommt, weist a priori darauf hin. Die Rotfärbung Keller, Fortschritte anf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 789 erscheint hier nicht selten mit Hellfleekigkeit kombiniert und oft tritt ein prächtiger Sammetglanz hinzu. Sehr beachtenswert ist, dass die Arten mit extremer Ausbildung dieser Eigenschaft ihrer Blätter ihre Heimat an den feuchtesten Standorten der feuchtwarmen Erdstriche haben. An unserer einheimischen Flora beobachten wir, dass durch schattige Standorte die Bildung der grauen Flecken, z. B. bei Hepatica triloba begünstigt wird. Hell- und dunkelgesprenkelte Exemplare von Ficaria ranunculoides finden sich ebenfalls namentlich an feuchten Stellen u. s. f. Dieser Zusammenhang zwischen feuchtschattigem Standort und der Ausbildung bunter Blattspreiten deutet darauf hin, dass wir in der Buntheit der Blattspreiten Einrichtungen zur Hebung der Transpiration zu suchen haben. Was nun zunächst die roten und rotgefleckten Blattspreiten be- trifit, so wird durch den Farbstoff die bestmögliche Ausnutzung des Lichtes für die Transpiration erzielt. Dadurch, dass die Strahlen- absorption im Chlorophyll und Erythrophyll zu einander nahezu voll- ständig komplementär sind, ist es gegeben, dass die beiden in demselben Blatt, ja nebeneinander, in derselben Zelle, auftretenden Farbstoffe sich gegenseitig in der Ausnutzung der Strahlen kaum beeinträchtigen. Einerseits werden die bei der Kohlensäurezersetzung besonders thätigen Strahlen durch die saure Erythrophylllösung nicht geschwächt und anderseits können die bereits vom Chlorophyll aus- genutzten Strahlen noch der Pflanze zu Gute kommen durch ihre thermische Wirkung, die hier speziell im Dienste der Transpiration steht. Der experimentelle Nachweis hat in erster Linie zur Voraus- setzung, dass die Versuchsobjekte nicht im direkten Sonnenlicht und in trockener Luft geprüft werden. Unter Berücksichtigung dieser be- sonderen Versuchsbedingungen ließ sich durch Wägung an grün- und rotblätterigen Buchen und Hasel nachweisen, dass die rotblätterigen Exemplare relativ stärker transpirierten als die grünen. Der rote Farbstoff kann in den verschiedensten Gewebeelementen der Blätter auftreten, nur in den ausgewachsenen Schließzellen ist er nie nach- gewiesen worden. In diesem Fehlen liegt gerade eine indirekte Be- stätigung der Ansicht, dass dem Erythrophyli der Laubblätter die Be- deutung eines Mittels zur Steigerung der Transpiration zukomme. Seine Gegenwart in den Schließzellen würde die Verdunstungsgröße des Blattes herabsetzen. Der Turgor bewirkt die Erweiterung der Spalt- öffnung. Verlieren die Schließzelleu mehr Wasser, als sie den an- srenzenden Zellen entnehmen, dann wird ihr Turgor herabgesetzt, die Spaltöffnung verengert sich, das Entweichen des Wasserdampfes aus den Blattinnern wird erschwert und zugleich der Assimilationsgas- wechsel verlangsamt. Befände sich in den Schließzellen ebenfalls Wärme absorbierendes und in Folge dessen die Wasserdampfabgabe steigerndes Erythrophyll, dann würde die Turgorverminderung der 790 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Schließzellen, und damit die Verringerung der Transpiration oft ein- treten. Wenn, wie oben schon hervorgehoben wurde, die Zahl der Arten mit stark rotgefärbten oder gefleckten Blättern namentlich in den Tropen eine größere ist, so dient in unserer einheimischen Flora das Erythrophyll einer größern Zahl von Arten zur Transpirationssteigerung, als man nach der geringen Zahl der Arten mit gefleckten Blättern vermuten möchte. Die Blätter vieler Krautgewächse enthalten, wie die mikroskopische Prüfung lehrt, in den Epidermiszellen um die Spalt- öffnung herum mit Ausnahme der Schließzellen, Blattrot. Das Blatt wird, wie Kerner sich ausdrückte, hier besonders an den Entweich- stellen des Wasserdampfes geheizt. Da die Rotfärbung jungen Laubes auch in den Tropen sehr ver- breitet ist, darf das vorübergehende Vorhandensein des Erythrophylis in jungen Blättern wohl nicht, wie man aus seinem Vorkommen in unserer Frühlingsflora schließen möchte, auf die Begünstigung der Stoff- wanderung oder von Stoffwechselprozessen im Allgemeinen zurückzu- führen. Vor allem beachtet man die auffallende Färbung jungen Laubes in den feuchtesten Strichen der Tropenländer. Stahl hält dafür, dass in dieser Erythrophylibildung ein Mittel zur Förderung der Transpiration zu sehen ist. Für die jugendlichen Blätter, die zu ihrer Ausbildung reichliche Nährsalzzufuhr bedürfen, ist sein Vor- handensein eine vorteilhafte Eigenschaft. Wenn in vielen Fällen vor allem auch bei unserer einheimischen Flora der rote Farbstoff allmäh- lich schwindet, so mag das wenigstens zum Teil damit zusammen- hängen, dass er entbehrlich geworden ist oder aber seine Gegenwart unter Umständen nachteilige Folgen haben könnte. An gewissen Stand- orten könnte durch die Gegenwart des Blattrotes eine übermäßige Transpiration bewirkt werden, die nachteilig wirkte. Wenn so die Gegenwart des Erythrophylis die Vorteile rascherer und stärkerer Erwärmung schafft, warum beobachtet man denn so oft, dass die Pflanze diesen Vorteil nur in beschränktem Maße sich ver- schafft, indem häufig nur größere oder kleinere Regionen der Spreite rot gefärbt sind? Wo das Blattrot auf die Oberseite des Blattes kon- zentriert ist, dürfte die Differenzierung in verschiedene Bezirke den Sinn haben, neben Stellen, in denen, wie in grünen Blättern, die Funk- tionen der Assimilation und Transpiration gleichmäßig neben einander bestehen, auch solche zu schaffen, die ohne die Assimilation wesentlich zu beeinträchtigen ganz besonders wegen erhöhter Transpiration den Zufluss mineralischer Nahrung begünstigen. Bei vielen Blättern beobachtet man helle Flecken, deren Farbe vom lichten Graugrün bis zum glänzenden Silberweiß geht. Sie ent- stehen meist dadurch, dass mehr oder weniger ausgedehnte Lufträume gewöhnlich zwischen Epidermis und oberste Parenchymlage eingeschoben Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 791 sind. Häufig, namentlich bei tropischen Schattenpflanzen, tritt in den hellen Blattbezirken das Chlorophyll mehr oder weniger bedeutend zurück, im extremsten Fall in so bedeutendem Maße, dass nur in den Schließzellen der Spaltöffnungen kleine Chlorophylikörner normal aus- gebildet sind, während die Zellen des großlückigen Schwammparenchyms außer einigen lichtgrünen Leukoplasten nur wasserhellen Inhalt haben. Welche Bedeutung kommt diesen Bildungen zu ? Verf. setzte entstärkte Blätter von Begonia rex einem etwas ab- geschwächten Sonnenlicht aus. Nach 2 und dann wieder nach 4 Stun- den wurden die Zellen verschieden gefärbter Partien auf ihren Stärke- gehalt untersucht. In den Zellen der grünen und roten Stellen waren die Stärkekörner ungefähr gleich groß. In den entsprechenden Zellen unter dem Silberspiegel waren dagegen die Stärkekörner viel kleiner, in den Parenchymzellen der Unterseite kaum nachweisbar. Das Vor- handensein von Silberflecken erschwert also das Eindringen der Strah- lung, verringert also die Assimilationsenergie. Wo mit der Flecken- bildung die mangelhafte Entwieklung des Chlorophylis Hand in Hand geht, wird natürlich die Assimilationsenergie noch mehr herabgesetzt. Die Pflanze opfert lokal die Vorteile günstiger Assimilation der durch diese Strukturverhältnisse bedingten Förderung der Transpiration. Die Abkühlung der Blattspreiten geht an den gefleckten Blättern nicht gleichmäßig vor .sich. Die hellen Stellen werden mit ihren als Isolatoren wirkenden Luftsehiehten sich langsamer abkühlen als die grünen, diese wieder langsamer als die roten. Sie bleiben bei sinken- der Lufttemperatur und erschwerter Ausstrahlung, wie sie auf dem Waldboden im Schutze des Laubdaches sein wird, höher temperiert als die Luft. Dadurch bleibt die Möglichkeit der Transpiration auch in der gesättigten Luft erhalten. Eine ganz wesentliche Begünstigung erleidet an den höher temperierten Stellen die Transpirationsgröße auch dadurch, dass sie sich viel langsamer und schwächer mit Thau beschlagen als die kühleren Stellen. Der Bau der Sammetblätter steht ebenfalls im Dienste der Tran- spiration. Der Sammetglanz der Blattoberseite, wie er namentlich vielen Tropenpflanzen eigen ist, beruht auf der Papillenform der Ober- hautzellen. Sie sind sehr leicht benetzbar. Ein auf sie fallender Wassertropfen wird rasch in eine äußerst dünne, also schnell ver- dunstende Schichte verteilt. Die rasche Trockenlegung der Spreite, welche die Transpiration begünstigt, ist jedoch nur die eine Seite ihrer Bedeutung. Wichtiger noch ist dieser Bau der Oberhaut dadurch, dass er dem Strahlenfang dient. Die Papillen sind kegelförmig. Um ihre Wirkung für die Aus- nutzung des Liehtes und der Strahlung überhaupt kennen zu lernen, verfuhr Stahlin folgender Weise. Einen klaren durchsichtigen Gelatine- kegel setzte er auf eine Glasplatte, diese auf einen schwarzen Papp- 792 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. zylinder, auf dessen Boden ein Spiegel oder eine spiegelnde Glasplatte sich befand. Die Versuche wurden im Dunkeln bei künstlicher Be- leuchtung ausgeführt. Zunächst stellt er ein Licht in einer Enfernung von mehreren Metern vom Apparat so auf, dass die Strahlen parallel zur Glasplatte und senkrecht zur Kegelaxe auf den Gelatinekörper treffen. Im Grunde des Zylinders ist alsdann ein kreisförmiges Spiegelbild des Kegels, welches auf der von der Lichtquelle abgewendeten Seite einen hellen radial verlaufenden Lichtstreifen führt, wahrnehmbar. Der Licht- streifen nimmt an Intensität zu, wenn das Licht höher über die Ebene der Glasplatte emporgehoben wird. Daraus ergibt sich, dass selbst solches Licht, welches annähernd parallel die Blattoberfläche streift, noch ins innere des Blattes gelangt. Die Papillen wirken als Strahlen- fänge. Dass dieser Strahlenfang, wenn er auch für die Kohlenstoff- assimilation günstig ist, in erster Linie im Dienste der Transpiration steht, schließt Stahl aus folgenden Gründen. Sammetblätterige Pflanzen finden sich nur in Gegenden mit sehr feuchtem Klima. Bei vielen ge- scheckten Sammetblättern fehlen über den weißen Flecken die Strahlen- fänge. Dies bewirkt, dass bei Ausstrahlung des Blattes die Wärme- abgabe an diesen Stellen verringert, die Transpiration begünstigt wird. Ueberblieken wir die Mittel, deren sich die Pflanze zur Förderung der Wasserströmung bedienen kann, so lassen sich nach Stahl 6 Stufen unterscheiden, die allerdings nicht nur aus der besprochenen Unter- suchung sich ergeben, sondern zum Teil einlässlichere Begründung noch zur Voraussetzung haben. 1. Im einfachsten Fall finden sich keine besonderen Hilfsmittel, als wie sie durch den gewöhnlichen Blattbau bedingt sind, es sei denn, dass manchmal Rötung der jugendlichen Blätter beobachtet wird. 2. Hierzu treten bisweilen besondere Wasserausscheidungsorgane, die Hydathoden, durch welche das Wasser in tropfbarer Form aus- geschieden wird. 3. Statt der Hydathoden ist die Fähigkeit ausgebildet, die Blätter in Schlafstellung zu bringen (Papilionaceae). 4. Es kann diese Fähigkeit aber auch mit dem Vorhandensein der Hydathoden kombiniert sein, z. B. bei Oxalis Acetosella. 5. Zu diesen Eigenschaften kann die Entwicklung von Blattrot hinzutreten. 6. Endlich kombiniert sich mit alledem die Entwicklung heller Flecken auf der Blattoberseite und der als Strahlenfänge wirkenden Kegelpapillen. Eine Untersuchung über das Längenwachstum der Bambus- rohre von Kraus!) sind deshalb interessant, weil sie uns einen TR raus, Physiologisches aus den Tropen. I. Das Längenwachstum der Bambusrohre. in: Annales du jardin botanique de Buitenzorg, Vol. XII. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 795 genauen Einblick in das erstaunlich rasche Wachstum dieser Pflanze gibt, anderseits wohl die frappantesten Belege für das kennen lernt, was man mit Sachs als stoßweise Aenderung des Wachstums, mit Pfeffer als autonome oder spontane Wachstumsoseilation bezeichnet. Bei einem wachsenden Pflanzenteil lassen sich, wie die Physiologen schon lange nachgewiesen haben, zwei Perioden unterscheiden, die große, die durch eine allmähliche Zunahme des tägliches Zuwachses bis zu einem gewissen Maximum und darauffolgende Abnahme bedingt wird, und die kleine, welehe dadurch entsteht, dass innerhalb 24 Stun- den die Zunahme nicht gleich ist, sondern in einem bestimmten Teil dieser Zeit größer als in der übrigen Zeit. Messungen an Bambusrohren zeigen, wie dies die folgende Tabelle erkennen lässt, dieses ungleiche tägliche Wachstum in sehr deutlicher Weise. Länge, Zuwachs Tag und Nacht Vor- und Nachm. 4. Dezember. 6 Vormitt. 164 \ Tag 105 em} Vorm. 7,5 em i ’ 12 171,5 Nachm. 3,0 em 6 Abends 174,5) Nacht 16 cm 5. Dezember. 6 oe Mae 50 N Vorm. 1,5 em 5 == De: a I 1) ' Nachm. 3 cm r D 1 \ Nacht 15 em 6. Dezember. $ ae \ ie : a Vorm. 5 cm 6 218 / 7 } Nachm. 5 em 7. Dezember. 6 234, of Nacht 16 cm 5 12 238 Bl Tag Sn Vorm. 45 em 6 } Nachm. 4 cm 8. Dezember. 6 955 % Nacht 12,5 cm 12 961 ) Tar is } Vorm. 6 em 6 267 | a5 CM) Nachm. 6 cm USt Die nachfolgende Tabelle gibt das stündliche Wachstum in Milli- metern für Tag und Nacht. Spross II. 4. Dez. 5. Dez. 6. Dez. 7. Dez. 8. Dez. 9 Dez. Kae . . 194 6,6 8,4 2,9 92 6,3 Na a ee 13,0 16,6 12,1 17, 5 13,8 Spross III. 1 Kr SR a A EEE ZU 2) 3,8 6,6 Til 10,0 10,4 Nacht 1. Aalen] 12,5 13,3 10,2 11,0 10,4 Im Mittel ist also während des Tages der dliche Zuwachs 7,7 mm, in der Nacht 13 mm. Die Messungen vom 13. Nov. 1893 bis 13. Jan. 1894 lassen zu- nächst deutlich die große Periode, ein anfänglich langsames, im allge- meinen regelmäßiges Ansteigen des Zuwachses erkennen, das später in der Zeit der stärkeren Zunahme den Charakter der stoßweisen 794 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Aenderung verrät, und dadurch natürlich der Regelmäßigkeit verlustig geht. Das Abfallen der Wachstumskurve geschieht sehr rasch. Bezüglich der Zuwachse machte Krause folgende Mitteilungen. Der mittlere tägliche Zuwachs in der ganzen Beobachtungszeit von 2 Monaten beträgt für Rohr Nr. 1 in 53 Tagen 22,9 cm pro Tag ” ” Nr. 2 in 60 ” 19,0 ” P] ” ) ” Nr. 3 in 60 N” 19,9 n ” ” Der mittlere stündliche Zuwachs für die ganze Zeit der 2 Be- obachtungsmonate beträgt für Nr. 1 pro Stunde 9,5 mm N Nr. 2 ” ” 7,9 r)] Ph] Nr. 3 ” ” 8,3 ” Der größte Zuwachs innerhalb 24 Stunden fand statt bei Nr. 1 mit 57 em am 22. Dez. HENTAI Nora. „NEBEN ran: An diesen Tagen des größten Tageszuwachses war der mittlere stünd- liche, Zuwachs. bei Nr. 1 =.'2,37 ems bet ‚Nr. 27 1,75 em;7obei Nr 1,8Xtcm. Der nachfolgende Auszug aus der ausführlichen Tabelle des Verf. mag uns ein Bild über den Verlauf der Wachstumskurve geben. Der mittlere tägliche Zuwachs betrug vom November 13—18. 8,9 em 3,5 cm 2,6 em November 19—24. 19,7 em 5,2 cm 3,4 cm November 25—30. 25 cm Ii,5xem 8 cm Dezember 1—6. 27,9 cm 22,7 cm 17 cm Dezember 7—12. 26,6 cm 23,5 cm 24,3 cm Dezember 13—18. 21,2 cm 30,5 em 29,2 cm Dezember 19—24. 32,D cm 26 em 29,2 cm Dezember 25—30. 24 cm 20 cm 29 cm Dezember 31 bis Januar 5. 33,4 cm 26,6 em 26,6 em Januar 6—11. 7 cm 19 cm 22,2 cm Januar 12. — Dem 21 em Interessant sind nun die Sprünge, die sich im Wachstum zeigen. Am frappantesten treten sie an einem Spross in der Zeit vom 22. bis 26. Dezember auf, indem der tägliche Zuwachs von 57 cm auf 3 cm fällt, dann wieder auf 48 cm steigt, wieder auf 5 cm fällt und auf 23 em steigt. Aehnliche, wenn auch weniger auffallende Unregel- mäßigkeit zeigt ein anderer Spross der gleichen Pflanze in der Zeit vom 30. Dezember bis 4. Januar. Vielleicht ist diese Erschemung darauf zurückzuführen, dass die Blattscheiden, die überaus fest und dieht über den Spross gespannt sind, wie starke Fesseln wirken, die vom eingeschlossenen Stengel nur Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 79% gewaltsam und ruckweise gesprengt werden können. Der dicke, mas- sige jugendliche Stengel könnte die Scheidenblätter leiehter sprengen, als der schlank gewordene ältere und die frappante Thatsache, dass nicht im Anfang, wo das Wachstum des Stengels schwach ist, die Stöße hervortreten, sondern später, wo die Wachstumsgeschwindigkeit größer ist, fände damit ihre Aufklärung. [107] (4. Stück folgt.) Einige Gedanken über die Vererbung. Von Gustav Schlater. (Viertes Stück.) VIH. Oben überzeugten wir uns davon, dass die hervorragendsten wissen- schaftlichen Geister sich als scharfe Gegner A.Weismanns erklärten und bald in größerem, bald in geringerem Maße einen Einfluss ver- schiedener äußeren Bedingungen auf die erbliche Uebertragung an- erkannten. Anders kann es auch nicht sein. Wie ist anders die Phy- logenie zu begreifen? Wie ist das primum movens der Entwickelung der organischen Formen zu fassen? Mit einem Worte, wir können unter keiner Bedingung ohne die Annahme auskommen, dass die durch verschiedenartige äußere Einflüsse in den Geweben und Organen her- beigeführten Aenderungen auf die Geschlechtszellen übertragen werden können, und durch die letzteren auf die folgenden Generationen. Wir sind sogar berechtigt zu behaupten, dass dies der ursprünglichste Haupt- faktor der organischen Entwickelung ist. Andererseits eröffnet sich uns ein Weg, welcher uns eine wenn auch nur geringe Hoffnung giebt, den Mechanismus der erblichen Uebertragung zu ergründen. Wir ver- traten die Anschauung, dass im Mechanismus der Vererbung eine Ueber- tragung von Generation zu Generation durch Vermittelung der Ge- schlechtszellen (Eizelle — Spermatozelle) eines ganzen komplizierten Systems von beweglichem stabilen Gleiehgewieht zu erblieken ist, eines ganzen Mikrokosmos, wenn man sich so ausdrücken darf, eine Analogie durchführend zwischen diesem Mikrokosmos und dem un- endlich großen Weltensystem, mit seinen Sonnen, Planeten, Trabanten u. 8. w., einem System, welches ja auch in einer ewigen beweglichen Form stabilen Gleichgewichts verharrt. Jetzt gelangen wir zur Frage, wie man sich die erbliche Ueber- tragung von somatischen Aenderungen vorstellen soll, mit anderen Worten, wie die Uebertragung der durch die äußeren Bedingungenin den Geweben und Organen hervorgerufenen Veränderungen auf die Geschlechtszelle zu erklären ist. Und vollkommen Recht hat der junge Gelehrte B. Birukoff („Zur Frage über die Vererbung funk- tioneller Aenderungen, St. Petersburg 1895“), welcher sagt: „Und so ist die Reihe an die Beantwortung der Frage gekommen, auf welche 56 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Weise überhaupt eine Veränderung im Baue auf die Geschlechtszelle einwirkt“. Es ist merkwürdig und ungemein schwer verständlich, dass fast keiner der Biologen, welche in größerem oder geringerem Masse die erbliche Uebertragung von funktionellen Aenderungen anerkennen, es versucht hat, irgend welche Antwort auf die eben gestellte Frage zu geben. Manche Biologen halten die Uebertragung von funktionellen Aenderungen einfach aus dem Grunde für unmöglich, weil es sehr schwer ist, sich diese Uebertragung auf die Geschlechtszellen vor- zustellen. Allein es ist höchst charakteristisch und merkwürdig — aus Angst vor der Schwierigkeit und vermeintlichen Unlösbarkeit dieser Frage, bewusst die Augen zu schließen vor der Gesamtheit der uns umgebenden biologischen Erscheinungen wie des individuellen Lebens, so auch des Lebens der Art, welche mit vollster Ueberzeugung die große Bedeutung dieses Prinzips im unendlichen allgemeinen Prozess der organischen Entwickelung bekunden. Ich werde nicht von A. Weis- mann und seiner Schule sprechen, welcher die Kühnheit hatte anzu- nehmen, dass der Organismus auf die Geschlechtszellen gar keinen Einfluss hat, dass diese vollkommen unabhängig vom Körper seien. Dieser Gedanke war für A. Weismann unumgänglich nötig, um jede Möglichkeit einer erblichen Uebertragung erworbener Eigenschaften zurückzuweisen. Aber schon in seinem Werke „Das Keimplasma ...“ war Weismann durch die Beweisführung seiner zahlreichen Kritiker gezwungen, einen Kompromiss einzugehen und einen wenn auch geringen Einfluss der äußeren Bedingungen auf das Keimplasma, mit anderen Worten in gewissem Umfange die erbliche Uebertragnng erworbener Eigenschaften anzuerkennen. In einer seiner letzten Broschüren: „Aeußere Einflüsse als Entwickelungsreize 1894“ macht A. Weis- mann die neue Annahme, dass die „Natürliche Zuchtwahl“, dieser, seiner Ansicht nach einzige Faktor der organischen Entwicklung, alle Möglichkeiten und alle Zufälligkeiten, alle Kombinationen äußerer Be- dingungen, dessen langdauerndem Einflusse der Organismus ausgesetzt werden kann, schon vorhergesehen hat. „Im Keimplasma“ der Ge- schlechtszelle sind sozusagen Ersatz-Iden vorhanden, von welchen ein Jedes einem bestimmten Komplex äusserer Bedingungen angepasst ist. Die äußeren Bedingungen spielen auf diese Art nur die Rolle von heizen, welche die Entwickelung anregen, von „Entwickelungsreizen“, welche die schlafenden Ersatziden wachrufen, welehe schon alle Eigen- schaften des an bestimmte Bedingungen angepassten Organismus, in fertigem, aber noch schlummerndem Zustande enthalten. Dabei schlum- mern diese Ersatz-Iden so lange, bis die betreffenden Bedingungen eintreten und sie wecken. Folglich sind die äußeren Bedingungen nur als gewisse Reize aufzufassen. Dieser Gedanke für sich ist vollkom- men richtig, und ich glaube kaum, dass irgend ein Biologe. sich die Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 197 Rolle der äusseren Bedingungen anders wird vorstellen können, allein der Kardinalunterschied zwischen der Anschauung A. Weismans und der Anhänger der Epigenese besteht darin, dass diese letzteren, durch die als „Entwiekelungszweige“ dienenden und auf die Vererbungssub- stanz der Geschlechtszelle einwirkenden äusseren Bedingungen in der Vererbungssubstanz neue, lebendige Kräfte entstehen und thätig sein lassen, welehe in ihr gewisse neue Metamorphosen, Umlagerungen und Veränderungen hervorrufen, die nachher konstant werden und der Summe der gegebenen äußeren Bedingungen entsprechen. Hier haben wir folglich eine Schöpfung vor uns, dort — nur einen Ueber- gang aus einem todten Zustande ins Leben. Indem er den äus- seren Einwirkungen die Bedeutung vo: Entwicklungsreizen zuschreibt, macht A. Weismann nicht den geringsten Versuch, einen tieferen Einblick in diese Frage zu gewinnen und den Mechanismus ihrer Uebertragung und Einwirkung auf die Geschlechtszellen zu klären. Eine Erklärung drängt sich aber jetzt auf, besonders wenn wir die sroße Entwickelung unserer Kenntnisse vom peripheren Nervensystem in den letzten Jahren berücksichtigen. Allein auf diese Frage werden wir noch zurückkommen; jetzt seien nur noch ein Paar Worte der fast einzig möglichen Annahme gewidmet, welche der geniale Charles Darwin in seiner Theorie der Pangenesis betreffs dieser Frage that und welche gegenwärtig eine mächtige Stütze in einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Angaben findet. Die Pangenesistheorie ist, kann man sagen, fast die einzige von den die Bedeutung der äußeren Be- dingung anerkennenden Vererbungstheorien, welche uns eine Erklärung für das Factum der Uebertragung von somatischen Veränderungen auf die Geschlechtszellen giebt. Wie bekannt, unternehmen die „Gemmr,- len“ dieses Gelehrten, d. h. die substanziellen Träger von Vererbur.gs- eigenschaften jeder, auch der allerkleinsten Teilchen des Organis ‚mus, während der Intogenese eine Wanderung von der Peripherie, zum Centrum; sie wandern alle zu einem Ziele und kommen alle in der Geschleehtszelle zusammen, in welcher sie, zusammen mit der in der Geschlechtszelle schon enthaltenen Vererbungssubstanz, das \ ererbungs- subtrat der folgendenden Generationen, bilden. Folglich nahm schon Darwin, wie fast alle späteren Biologen, an, dass eine; jede, sogar die geringfügigste Eigenschaft des fertigen Organismus ein besonderes spezifisches Teilchen der in der Geschlechtszelle entnaltenen Ver- erbungssubstanz als Substrat haben muss: Jede Eigenschaft des Or- ganismus muss an ein besonderes, nur dieser Eigenschaft eigenes Sub- stanzteilchen gebunden sein. Allein, die Pangenesis Darwins lässt die Frage vom Mechanismus der Vererbung ihrem Wesen nach un- berücksichtigt. Wie verhalten sich aber unsere heutigen Begriffe und unser heutiges Wissen zu den Vorstellungen der Pangenesis? Zu der Zeit, wo sie vonDarwin entwickelt wurden, war es eine schr kühne 198 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Hypothese, welcher unüberwindliche Hindernisse entgegentraten. Heute aber weisen uns die letzten Worte der Wissenschaft auf eine ganze Reihe von Thatsachen, welche eine solche Annahme in vieler Hinsicht möglich machen, obschon auch jetzt noch viele Schwierigkeiten dabei sind. Bei diesen Thatsachen, welche oline Zweifel den Stolz der zu- künftigen Biologie ausmachen werden, werde ich nicht verweilen, denn sie sind in meiner Broschüre: „Die neue Richtung der Zellen- morphologie und ihre Bedeutung für die Biologie, 1895“ (Rus- sisch) zusammengefasst. Ich weise nur darauf hin, dass erstens die heutige, neue, sich Bahn brechende Auffassung der Zelle, als „ein komplizierter Organismus“, dieselbe mit einer Masse, ihrem Volumen nach sehr unbedeutenden biologischen Einheiten: Granulen, Mikroso- men und definctiv letzten Struktureinheiten der lebendigen Substanz bevölkert; dass es sich zweitens erweist, dass alle Zellen fast aller Gewebe organisch unter einander verbunden sind mit Hilfe protopla- stischer Auswüchse, oder, richtiger gesagt, Auswüchse des Zellenleibes, so ein ununterbrochenes Ganze darstellend, welches die Erscheinungen der Koordination und Kooperation unserem Verständnisse näher rückt, und dass wir endlich schon eine ganze Masse unbestreitbarer Beweise für eine Emigration und Wanderung verschiedener Strukturelemente der Zelle in großem Maßstabe haben. Diese Thatsachen machen den Standpunkt Darwins, wie mir scheint, vollkommen begreiflich und möglich, ihm einen wissenschaftlichen Stempel aufdrückend. Je- doch das ist so nur in dem Falle, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nur der einen Erscheinung der Emigration zuwenden, die Frage über den Vererbungsmechanismus aber beiseite lassen. Wir haben uns aber überzeugt, dass es vollkommen unmöglich sei, präformierte Sub- stanzteilchen aller Eigenschaften, aller Gewebe und Organe anzuer- kennen, und deshalb ist auch die Erklärung der Uebertragung von s0- matischen Aenderungen auf die Geschlechtszelle in der Form, wie es die Theorie der Pangenesis verlangt, von unserem Standpunkte aus unmöglich. Wo sollen wir aber in diesem Falle die Lösung dieser höchst wichtigen Frage suchen ? Wenn wir, womit die meisten Bio- logen einverstanden sein werden, die äußeren Bedingungen und Ein- wirkungen mit A. Weismann als Entwickelungsreize aulfassen, so drängt sich die Erklärung, wie gesagt, von selbst auf. Diese Erklärung entspringt aus unseren Vorstellungen von der Funktion des Nerven- systems. Ich stelle mir die Sache so vor, dass diese oder jene, dureh Einwirkung gewisser Reize in Form des Kom- plexes veränderter äusserer Bedingungen in irgend einem Gewebe oder Organe hervorgerufenen fnnktionellen Ver- änderungen eine gewisse Einwirkung auf das ganze kowpli- zierte System peripherer Nervenendigungen ausüben, welche in dem betreffenden Gewebe oder Organe sich verzweigen, Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. 799 Die dadurch in den betreffenden Nervenendigungen hervor- serufenenImpulse von einem bestimmten Charakter, welche sozusagen längs den Nervenwegen telegraphiert werden, zuerst centripetal, sodann centrifugal, — erreichen so die Organe, welche die Gechlechtszellen ausbilden, d.h. die die Vererbungseigenschaften bergenden Elemente. Hier, in der Vererbungssubstanz, an dem ganzen komplizierten Sy- stem beweglichen Gleichgewichts, als welches wir überein- sekommen sind die Vererbungssubstanz anzusehen, rufen dieseImpulse in diesem System bestimmte Aenderungen her- vor, welche analog sind den kosmischen Aenderungen oder Perturbationen, welche im Sonnensystem unter dem Ein- flusse eines neu erschienenen Planeten, oder eines vorbei- gezogenen Kometen hervorgerufen werden. Diese, den so- matischen Aenderungen an der Peripherie entsprechenden Perturbationen im komplizierten Mikrokosmos der Ver- erbungssubstanz, hervorgerufen durch die beständig sich bildenden und einwirkenden Impulse, treten in den orga- nischen Bestand des ganzen Systems. Das gestörte Gleich- gewicht des beweglichen Systems ist wieder hergestellt, so- zusagen auf immer einige Abweichungen der Bewegungs- formen in denselben fixierend. Dieses, in gewissem un- bedeutendemGrade veränderte, aber dabei seinen Charakter beibehaltende Gleichgewichtssystem wird in und mit der Geschleehtszelle auf die folgende Generation übertragen!), Ich entwickele hier keine neue Theorie, ich schreibe nicht einmal meinem Gedanken eine Originalität zu. Ich spreche nur in einer bestimm- ten Form das aus, was anzuerkennen bis jezt die verbreitete Anschauung der Biologen hinderte, dass eine jede der unzähligen Eigenschaften des Metazoon an ein bestimmtes, spezifisches Theilchen der Vererbungs- substanz gebunden und in ihm lokalisiert sein muss. Mein Gedanke, obschon bis jetzt noch von Keinem klar ausgesprochen, ist der einzig mögliche. Eine erhebliche Stütze und Begründung erfährt er von seiten nnserer in den letzten Jahren stark entwickelten Kenntnisse vom Baue und von der Topographie des peripheren Nervensystems. Dank den klassischen Untersuchungsmethoden von Golgi und, Ehrlich und deren zahlreichen Abänderungen, welche einen mächtigen Aufschwung diesem Teil der Histologie geben, begannen wir komplizierte Systeme 4) Ich halte es nicht für überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, dass dies natürlich nicht der einzige Weg der Uebertragung somaticher Aenderungen auf die Geschlechtszelle sein kann; das bezieht sich nur auf bestimmte Grup- pen von somatischen Abänderungen. Eine große Bedeutung in dieser Hin- sicht muss z. B. dem Blute zugeschrieben werden. Wahrscheinlich kommen auch noch andere Momente in Betracht, 800 Schlater, Einige Gedanken iber die Vererbung. peripherer Nervenverzweigungen in jenen Geweben und Organen aufzu- finden, welche wir vordem entweder für vollkommen ohne Nerven, oder sehr spärlich mit Nerven versehen hielten. Es erweist sich, dass fast eine jede Zelle, sei es Drüsenzelle, Epithelzelle oder andere, ihren Nervenzweig besitzt. Und vollkommen gerechtfertigt ist, meiner Meinung nach, der Gedanke, dass die sich in der Zelle voll- ziehenden Lebensprozesse sich unbedingt in dem Nerven- system auf diese oder jene Art abspiegeln müssen, indem sie in dem die Zellen umgebenden, vielleicht sogar mit ihr or- ganisch verbundenen Nervenapparaten bestimmte Impulse hervorrufen, welche weiterhin centripetal geleitet werden. Was für Perturbationen, was für Abänderungen diese ununterbrochen und gleichmäßig entstehenden Impulse im dynamischen System der Vererbungssubstanz bedingen, bleibt vorläufig unserem forschenden Geiste völlig verschlossen. Die Mechanik der lebendigen Substanz ist vorläufig unseren Untersuchungsmethoden fast völlig unzugänglich. Auch hier bleibt uns nur übrig, nochmals zu gestehen, daß die Bio- mechanik ihres Schöpfers, ihres Newton, hartt. IX. Mit dieser flüchtigen Skizze einer der wichtigsten Fragen der Bio- logie hatte ich die Absicht, den Forschergeist auf einen bestimmten Weg zu lenken, welcher sich vor dem objektiven und vorurteilsfreiem Auge des zeitgenössischen Biologen eröffnet. Es bleibt mir nur übrig, diesen Weg zu charakterisieren und zusammenfassend auf die Haupt- annahmen hinzuweisen, aus denen er entspringt. Die ganze umfangreiche Litteratur über die Entwickelung und über die Vererbung, sowie die Gesammtheit unseres heutigen Wissens vom Leben überhaupt, zwingen uns anzunehmen: 1. Die allerwiehtigsten Grundfaktoren der organischen Entwickelung sind die äußeren Bedingungen. Da jedoch in der Geschlechtszelle die aktive Vererbungssubstanz ent- halten ist, welche die Arteigenschaften überträgt, so müssen die durch die äußeren Einwirkungen in den Geweben und Organen bewirkten Aenderungen auf diese oder jene Art in der Vererbungssubstanz der Geschlechtszelle fixiert werden. 2. Daraus folgt schon, dass die funktionellen Aen- derungen unbedingt vererblich sind, dass folglich die so- matischen Zellen auf die Geschlechtszellen einwirken müssen. Von der Vererbungssubstanz und vom Mechanismus der Vererbung redend, müssen wir von folgenden Annahmen ausgehen: 1. Als Träger derVererbung von Arteigenschaften müssen wir eine in ihrem chemischen und morphologischen Baue Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. sol sehr komplizierteSubstanz anerkennen, welche, aller Wahr- scheinlichkeit nach, im sogen. Chromatin des Kernes der Geschlechtszelle enthalten ist. 2. Von den neuesten Anschauungen über die Zelle aus- gehend, als von einem komplizierten Organismus, welcher seine Organe besitzt und aus elementaren morphologischen Einheiten besteht; sodann die Theorie der „Oystoblasten“ und einige Angaben der experimentellen Histologie berück- sichtigend, müssen wir einige von den „Chromatin-Cyto- blasten“ des Kernes als Organe der Vererbung ansehen. In- dem wir uns weiterhin, den Bau der „Cytoblasten* betref- fend, auf den Standpunkt stellen, auf welchen ich in meiner vorjährigen Broschüre hinwies und welchen ich in dieser meiner Skizze zur Geltung zu bringen suchte; und indem wir dabei von der mechanischen oder dynamischen Theorie ausgehen, — können wir den Mechanismus der erblichen Uebertragung, die Spezialisation während der ontogeneti- schen Entwickelung und den Prozess der Phylogenese in folgender allgemeiner Formel zum Ausdruck bringen: 3. Die Vererbungssubstanz stellt eine Summe bestimm- ter Wirbelbewegungen dar, ein widerstandsfähiges und kompliziertes System von beweglichem stabilem Gleich- gewicht streng bestimmter Formen moleceulärer Bewegung. Im Bereiche dieses Systems entsteht nun während der Ent- wickelung, unter dem Einflusse bestimmter auf den Orga- nismus einwirkender Bedingungen, wie äußerer so auch innerer, eine Reihe neuer Umlagerungen, welche in einen harmonischen Zusammenhang mit dem ganzen System tre- ten und diese oder jene Vererbungseigenschaften zum Aus- druck bringen, oder richtiger, einen Anstoß zur Entwicke- lung der lebendigen Substanz in einer bestimmten, streng funktionellen Riehtung geben. Diese molekulären Umlage- rungen entstehen nur bei gegebenen streng bestimmten Be- dingungen, im Einklange mit den Grundprinzipien der phy- sikalischen Natur. Folglich muss das widerstandsfähige, komplizierte System von Wirbeln, welches die Vererbungs- substanz im „Cytoblast“ im Kerne der Geschlechtszelle darstellt, analog einem widerstandsfähigen chemischen System, eine Reihe von Veränderungen erfahren, allein immer nur in einer streng bestimmten Reihenfolge, was als grober Mechanismus der Kundgabe von Vererbungseigen- schaften in dem sich entwiekelnden Organismus vom Mo- ment der Befruchtung aufzufassen ist. XVl. 51 802 Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung. Diese Formel erklärt uns erstens den Mechanismus der erblichen Uebertragung von Arteigenschaften, welcher sich in der allmählichen und folgerechten funktionellen Spe- zialisation kund *hut, d.h. sie macht uns jene aufeinander- folgenden Verändernngen verständlich, welche die Verer- bungssubstanz im Verlaufe der ontogenetischen Entwicke- lung, in centrifugaler Richtung, d. h. von der Geschlechts- zelle bis zu den somatischen Endzellen, erfährt. Zweitens giebt uns diese Formel eine Möglichkeit, den Mechanismus jener ungemein langsam wachsenden und konstant wer- denden phylogenetischen Veränderungen zu verstehen, welchen das dynamische Vererbungssystem während des ganzen Lebens des Organismus ausgesetzt ist und welche in centripetaler Richtung verlaufen, d.h. von den End- punkten der somatischen Differenzierung bis zu der, das dynamische Vererbungssystem in seinem unverändertem Zustande enthaltenden Geschlehtszelle des fertigen Orga- nismus hinab. 5. Eine sehr große Bedeutung für den Mechanismus dieser centripetalen Einwirkung, d.h. für die Vererbung erworbener Eigenschaften, sind wir gezwungen dem Ner- vensystem einzuräumen, welche Annahme in den großen Fortschritten auf dem Gebiete der Histologie des .peri- pheren Nervensystems ihre Stütze findet. X. Diese Annahmen sind eine logische Folgerung der ganzen Summe unserer Kenntnisse auf dem weiten Gebiete der biologischen Forschungen. Dabei will ich es nicht verhehlen, dass einige dieser Folgerungen in der heutigen Wissenschaft neu sind. Jedoch habe ich nicht die Absicht mit irgend einer neuen Theorie hervorzutreten. Obschon diese Annahmen noch von keinem in dieser Weise formuliert worden sind, leben sie, ich bin dessen überzeugt, in einer latenten, bis zum Bewusst- sein noch nicht gelangten Form, in vielen zeitgenössischen Forscher- hirnen. Auf einen rein mechanischen Weg der Erklärung biologischer Grunderscheinurgen hinweisend, bin ich fest überzeugt, dass dieser Weg, sogar wenn er einige Abweichungen machen wird, in seiner Hauptrichtung weitergeführt, der einzig mögliche und wissenschaftliche ist. Damit haben wir Biologen aber eine Grenze erreicht, welche wir nicht allein überschreiten können. Wir können zwar auf die Not- wendigkeit einer mechanischen Erklärung von Lebenserscheinungen hinweisen; wir können sogar in Grundstrichen ein allgemeines Schema des dynamischen Systems entwerfen, dessen Resultat die Lebens- erscheinungen sind, — aber die Einzelheiten dieses ganzen kompli- zierten Systems zu ergründen und alle Teile seines vielgestalteten Zacharias, Monatsmittel der Plankton - Volumina. 803 Mechanismus kennen zu lernen, sind wir außer Stande, ohne Hilfe der Physik und der Chemie. Hier gewinnen wir, mehr denn je, die vollste Ueberzeugung, wie innig alle einzelnen Zweige der einzigen, unfass- baren Wissenschaft von der Natur miteinander verbunden sind. Der Biologe muss dem Chemiker und dem Physiker seine Hand reichen, im Namen der Gleichheit und Bruderschaft, um mit vereinten frischen Kräften nach einem gemeinsamen erwünschten Ziele zu streben: nach der Erkenntnis des Lebens. [79] St. Petersburg. Mai 1896. Monatsmittel der Plankton - Volumina. Von Dr. Otto Zacharias in Plön. Quantitative Plankton-Untersuchungen, welche das ganze Jahr hin- durch in bestimmten zeitlichen Abständen am Gr. Plöner See aus- geführt wurden, haben gezeigt, dass die Volumina einer und derselben Wassersäule nieht stetig zu- und abnehmen, sondern dass sie schon während der Dauer eines einzigen Monats beträchtlichen Schwankungen unterworfen sind. Dagegen ließen die Monatsmittel aus den Mes- sungen ein fast ganz kontinuierliches Ansteigen der Planktonmenge bis zum August, und von da an einen ebenso stetigen Rückgang der- selben bis zum März erkennen. Die nachstehende kleine Tabelle gibt Ausweis über den mittleren Planktongehalt einer Wassersäule von 40 m Höhe und 1 qm Quer- schnitt in den aufeinanderfolgenden Monaten des Jahres: Gr. Plöner See. Monat cem Mittlere Wassertemperatur 1894. Oktober 118 11,6° C November 99,7 8,28 Dezember 28 DuL 1895. Januar 21 1,92 Februar a 05640 März 13 055% April 43 3,9° Mai 173 9,7 Juni 118 19,3° Juli 306 17,22 August 509 484° September 90 16,4° In obiger Zusammenstellung tritt nur der Monat Mai mit einer abnorm großen Volumenziffer (173 eem) hervor; das scheint aber für den Gr. Plöner See die Regel zu sein und es erklärt sich diese That- sache aus der außerordentlichen Vermehrung einer Bacillariaceen-Art, welche im Frühjahr im Plöner Plankton dominiert. Auch schon in 804 Zacharias, Monatsmittel der Plankton- Volumina. früheren Jahren scheint der nämliche Monat große Volumina gezeitigt zu haben. C. Apstein, der 1892 und 1893 quantitative Studien am Plöner See betrieb, registriert z.B. für Anfang Mai des erstgenannten Jahres das ansehnliche Volumen von 197 cem, und für Ende Mai 162), woraus sich ein Monatsmittel von 179,5 ccm ergibt. Das in unserer Tabelle verzeichnete Quantum bleibt somit noch um 6,5 cem hinter dem von 1892 zurück. Im Uebrigen liefern aber meine neueren Mes- sungen einen Beleg dafür, dass die monatliche Durchschnittsproduktion an Plankton von März bis August immer zunimmt, um von da an in ähnlichem Verhältnis wieder herabzugehen. Für Anfang und Ende Juli 1892 teilt Apstein die Zahlen 152 und 424 mit. Das Mittel hieraus ist 2338 (gegen 306 für 1895). Für Anfang und Ende No- vember 1892 lauten die Volumenangaben Apstein’s 91 und 114, was im Mittel von 102,5 ergibt (gegen 99,7 für voriges Jahr). Außerdem liegen noch für Anfang und Ende des April 1893 Volumenmessungen desselben Autors vor, welche 61 und 33 cem bezüglich dieses Monats konstatieren. Dadurch bestimmt sich das Mittel zu 49,5 im Vergleich zu 43,0 in 1895. Diese Zahlen sind in ihrer Gegenüberstellung so überzeugend, dass man auf Grund derselben die These aufzustellen wagen darf: In den verschiedenen aufeinanderfolgenden Jahren stimmt die durchschnittliche Planktonproduktion eines Sees in den korrespon- dierenden Monaten, was deren Quantität anbelangt, fast vollständig überein. Die Abweichungen betragen jedenfalls nur wenige Prozente, wie durch folgenden Vergleich erwiesen wird: Mai 1892 (Apstein) —5479:5,. ccm { Mai 1895 (Zacharias) = 173,0 ccm | Differenz: 3,6%, nn es = a = | Differenz: 5,9], breiter imo Laeh), er am, \ ea ee = ocem Differenz: 139], Wenn man hierbei in Erwägung zieht, dass die Fänge, welche diesen Ermittelungen zu Grunde liegen, durch zwei völlig von einander unabhängige Beobachter und in drei verschiedenen Jahren gemacht worden sind, so muss der hohe Grad von Uebereinstimmung, den sie darbieten, überraschen. Die hervortretenden Differenzen, die überhaupt unbeträchtlich sind, wären vielleicht noch geringer, wenn den Ap- stein’schen Mittelzahlen nicht bloß 2, sondern 3 Volumenmessungen zu Grunde lägen, wie dies bei den von mir berechneten Monatsmitteln der Fall ist. Zunächst aber reichen die einander gegenübergestellten 1) Vergl. C. Apstein, Vergleich der Planktonproduktion in verschiedenen holstein. Seen. Festschrift für A. Weismann, 1894. Zacharias, Monatsmittel der Plankton - Volumina. 805 Angaben dazu hin, um es sehr wahrscheinlich, ja fast zur Gewissheit zu machen, dass die durchschnittliche Planktonzeugung eines Sees in den aufeinanderfolgenden Jahren für jeden einzelnen Monat nahezu die gleiche ist. Im Anschluss an die hier mitgeteilten Messungsergebnisse möchte ich auch noch einen merkwürdigen Umstand zur Erwähnung bringen, auf den ich immer wieder bei meinen Seenstudien aufmerksam ge- worden bin. Es ist dies das außerordentliche Ueberwiegen der pflanzlichen Organismen im Plankton über die tierischen. Hiernach sollte man annehmen, dass bei weitem mehr animalische Wesen als im Gr. Plöner See im Laufe des Jahres zur Entwicklung gelangen, thatsächlich darin zu existieren vermöchten; so z. B. viel mehr Crustaceen. Nahrung für dieselben in Gestalt von Bacillaria- ceen und andern Algen ist reichlich vorhanden, aber das Meiste davon geht einfach verloren, insofern ungezählte Milliarden dieser Mikro- phyten jedes Jahr auf den Grund sinken, ohne den Darm eines Ento- mostraken passiert zu haben. In der Theorie heißt es, dass das reich- liche Vorhandensein von Nahrung die erste und wichtigste Vorbedingung für eine lebhafte Bethätigung des Fortpflanzungstriebes sei. Aber wie steht es dann mit der Giltigkeit dieses biologischen Lehrsatzes im vorliegenden Falle? Weshalb vermehren sich die kleinen Cruster nicht über einen gewissen Bestand hinaus, wenn sie jahraus jahrein von einer derartigen Nahrungsfülle umgeben sind? Das sind Fragen, auf die es vorläufig keine Antwort gibt. Aber das, was wir sehen und beobachten können, berechtigt uns zu dem Urteil, dass der Natur- haushalt in den meisten großen Binnenseen ein verschwenderischer ist, insofern auch nicht annähernd ein Gleiehgewichtszustand zwischen der Jahresproduktion an pflanzlichen Wesen und derjenigen an tierischen Organismen besteht. Allerdings begegnen wir demselben Missverhältnis auch zu Lande. Der Riesenanteil der terrestrischen Flora fällt gleichfalls der Verwesung, nicht der Verdauung anheim. H. Simroth!) kommt deshalb bei seinen Erörterungen über die Nahrung der Landtiere zu der Reflexion, ob es wohl als möglich gedacht werden könne, dass irgend einmal der Zeitpunkt eintrete, wo jedes überflüssige (d.h. für die Fortpflanzung entbehrliche) Vegetationsprodukt in einen Tiermagen wandere. Dem gegenüber ließe sich nun auch wieder fragen, ob es überhaupt angäng- lich sei, die Natur naeh Analogie eines menschlichen Wirtschafts- betriebes zu betrachten und die Pflanzenwelt lediglich daraufhin anzu- - sehen, inwieweit ihr Ueberschuss zur Erzeugung von tierischer Sub- stanz Verwendung findet. 4) Die Entstehung der Landtiere, 1891, S. 450. 806 Guldberg. Morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen. Schon die Möglichkeit, dass wir die Sache bald von dieser, bald von jener Seite auffassen können, zeigt uns, dass hier ein Problem vor- liegt, welches unsere derzeitige wissenschaftliche Einsicht übersteigt. Es ist indessen von Wichtigkeit, auf solche ungelöste Fragen hinzu- weisen. [113] Ueber die morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen beim Menschen und bei den höheren Vertebraten. Von Prof. Dr. Gust. Guldberg in Christiania. (Vorgetragen als vorläufige Mitteilung in der biologischen Gesellschaft in Christiania am 30. März 1896, und nun mit kleinen Ergänzungen gedruckt.) Bei mehreren Naturforschern aus der ersten Hälfte dieses Jahr- hunderts, findet man eine wohlbegründete und korrekte Deutung der Symmetrie in dem Körperbau der lebenden Organismen, als Be- dingung einer schnellen und leichten Lokomotion. Bergmann und Leuckart sprechen sich so darüber aus: „Je schneller und leichter „die Bewegung sein sollte, desto strenger muss natürlich die Art der „gleichmäßigen Gewichtsverteilung berücksichtigt werden, desto aus- „geprägter die seitliche Symmetrie sein“. Hier meinen sie besonders die bilaterale Symmetrie, die wir bei einer Mehrzahl der großen Abteilungen des Tierreiches finden. Bei den Tierformen mit ausgeprägtem asymmetrischen Körper- bau ist wie bekannt die Lokomotionsschnelligkeit auch nicht so groß, z. B. bei den Schnecken und Schollen. Im Großen und Ganzen darf man jedenfalls davon ausgehen, dass die Symmetrie des Körperbaues und besonders diejenige der Lokomotionsorgane in einem speziellen Verhältnis zu der Lokomotion steht, wie dies auch E. Weber!) zu meinen scheint. Dieses schließt selbstverständlich nicht aus, dass die Symmetrie noch nebenbei eine andere Bedeutung haben kann. Wenn wir nun finden, dass bei den typisch bilateral-symmetrischen Tieren mit regelrecht symmetrischen Formen kleine, anscheinend kaum merkbare Abweichungen vorkommen, so dass innerhalb der großen und ganzen Symmetrie im Körperbaue und speziell in den Gliedern sich kleine Assymmetrien vorfinden, so kann man sich jedenfalls denken, dass diese eine gewisse Bedeutung für die Lokomotion haben, so dass diese, wenn nicht die Richtung der Bewegung durch die Sinne gelenkt wird, bis zu einem gewissen Grade gebunden wird. Diese Annahme wird auch durch die Thatsachen gestützt, die hier vorgeführt werden sollen. Wie schon in der vorigen Nummer in dieser Zeitschrift angedeutet wurde, veranlassten eine Reihe interessanter Beobachtungen aus dem 1) Eduard Weber, Ueber die Gewichtsverhältnisse des Menschen ete. in: Verh. d. kgl. sächs. Gesellsch. d. Wiss., Math. Phys. Kl., 1849, II, 8. 34. Guldberg, Morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen. 807 Jagdleben, von meinem Bruder, Direktor F. OÖ. Guldberg, mich dazu, Untersuchungen über die Asymmetrie der Glieder bei dem Menschen und den höheren Tieren vorzunehmen. Wir werden nun in dem Folgenden sehen, wie weit wir positive Resultate durch diese Unter- suchungen erlangen und ob diese eventuell einige Bedeutung für die Lokomotion haben. Die späteren detaillierten Untersuchungen hierüber werden in kurzer Zeit in einer besonderen Arbeit erscheinen. Die Anatomen sind lange damit bekannt gewesen, dass bei dem Menschen sich mehr oder weniger deutliche Abweichungen zwischen der rechten und der linken Seite vorfinden, hinsichtlich der Größe und Maße der Knochen. Wir können nennen: Malgaigne!), Hyrtl?), Harting?), Arnold®), Bischoff?) und Krause®). In der letzteren Zeit findet man wichtige Beiträge von Garson’), Theile®), Gaupp?°), Rollet!P), Manouvrier!'), Matiegka!?), sowie besonders von Geh.- Rat v. Hasse und Dehner'®?). Diese Untersuchungen sind teils Skelettmessungen, teils Wäg- ungen von Knochen, teils Messungen an Lebenden. Die Herren Hasse und Dehner haben Messungen der Glieder bei über 5000 militairen Mannschaften geliefert. Wertvolle Wägungen der menschlichen Muskulatur findet man in Theile’s gründlichen Unter- suchungen. Zu diesem großen Material von Einzelnuntersuchungen über den Menschen habe ich selbst nur Gelegenheit gehabt, eine kleinere Untersuchungs-Reihe von Messungen und teilweise Wägungen des menschlichen Extremitätenskelettes an 15 Skeletten hinzuzufügen, welche wesentlich das früher gefundene konstatieren. Sowohl die 4) Traite d’anatomie chirurgicale ete. Paris 1838, t. I. 3) Handbuch der topogr. Anatomie, 6. Aufl., Wien 1887, Bd. I. 3) Ueber eine sich durch Vererbung fortpflanzende Asymmetrie etc. Jenaische Zeitschr., Bd. V. 4) Handbuch der Anatomie des Menschen. Freiburg 1849, Bd. I. 5) Einige Gewicht- und Trockenbestimmungen der Organe des menschlichen Körpers. in: Zeitschr. f. rat. Mediz., 1863, Bd. XX. 6) Handbuch der menschl. Anatomie, 1879, Bd. II. 7) Inequalites in length of the lower limbs. in: Journal of anat. et physiol., vol. XIII, p. 502. 8) Gewichtsbestimwungen zur Entwicklung des Muskelsystems etc. in: Acta Leopold. Car., Bd. 46. 9) Ueber die Maß- und Gewichtsdifferenz zwischen den Knochen der rechten und linken Extremitäten des Menschen. Inaug.-Dissert., Breslan 1889. 40) La Mensuration des os longs ete. Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol, Leipzig 1889. 11) Bull. Soci6te zool. de France, 1882, p. 131 —229. 12) Prager mediz. Wochenschr., XVIH. Jahrg., 1893, Nr. 47. 13) Unsere Truppen in körp. Beziehung. Archiv f. Anat. u. Entwicklungs- geschichte, 1893. 808 Guldberg, Morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen. osteometrischen Messungen sowie die Untersuchungen an Lebenden zeigen, wenn man die Resultate zusammenlegt, Folgendes: Osteometrische Messung. Oberextremitäten: 1. rechte Seite prädominiert in 78°/,, die linke Seite 10°/,, Gleichheit 12°],. Untersuchungen bei Lebenden: 2. rechte Seite prädominiert in 75°), die linke Seite 7°/,, Gleichheit 18°],. Osteometrische Messung. Unterextremitäten: 1. rechte Seite prädominiert in 29,5°/,, die linke Seite 50,5 °/,, Gleichheit 20 °],. Untersuchungen bei Lebenden: 2. rechte Seite prädominiert in 16°/,, die linke Seite 52°/,, Gleichheit 32°],. Hasse und Dehner fanden indessen bei den untersuchten leben- den Individuen 99°), Rechtshänder und 1°), Linkshänder. Von dynamometrischen Kraftmessungen der Hände und Unter- arme hat Herr Brigadearzt Arbo mir gütigst das Resultat der Unter- suchungen von 190 Mannschaften (Rekruten) mitgeteilt. Diese zeigten ein Prädominieren in der Kraft desrechten Armes bei 72,0°/, des linken Armes in 18,4°, und gleiche Stärke in 8,4°/.. Bei 21 Medizinern fand ich bei den Oberextremitäten rechtsseitig prädominierend: 80°, links- seitig prädominierend 10°, und Gleichheit beider Seiten 10°/,. Bei diesen wurde auch die Traktionskraft der Unterextremitäten in denselben Fällen untersucht und zeigten 38°), rechtsseitig prädominierend, 52,4°|, linksseitig prädominierend und Gleichheit bei 9,5°%. In diesen Fällen zeigtesich gekreuzte Asymmetrie inca. 40°: rechtsseitige Ueber- legenheit bei den Oberextremitäten und linksseitige Ueberlegenheit bei den Unterextremitäten. Nachdem man ein größeres Material von Untersuchungen der letzten Art gesammelt haben wird, werden wahrscheinlich größere Ueberein- stimmungen herauskommen. Das hier Gegebene zeigt inzwischen hin- länglich, wie allgemein diese, mit kleinen Werten variierende Asym- metrie ist, die sowohl morphologisch wie physiologisch nachgewiesen werden kann. Wir haben deutlich vor uns ein gesetzliches natur- gebundenes Verhältnis, welches außerdem durch Hasse’s ausge- zeichnete Untersuchungen, auf mehreren anatomischen Gebieten, in Betreff des Menschen angezeigt ist. Fragen wir nun, ob es solche im kleinen variierende Asymmetrien bei den höheren Tieren gibt, so lautet die Antwort verschieden. Die älteren Naturforscher meinten, dass dies der Fall wäre, während es in der neueren Zeit, besonders durch Gaupp’s Untersuchungen, be- stritten wird. Gaupp fand nämlich immer gleiche Längen der Ex- tremitätsknochen auf beiden Seiten, bei einer großen Menge Säugetiere und Vögel. Nur beim Känguruh und bei den anthropomorphen Affen Guldberg, Morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen. 809 konnten kleine Differenzen nachgewiesen werden. Bei den letzteren hat früher Manouvrier kleine Quantitätsdifferenzen, das Femur be- treffend, besprochen. Durch nähere Untersuchungen dieser Verhältnisse habe ich bis jetzt diese Untersuchungen teilweise bestätigen können, zum Teil bin ich aber zu andern Resultaten gekommen. Generell kann man sagen, dass es nicht möglich ist, an Knochen von kleinen Säugetieren, geschweige denn klei- neren Vögeln, einen Längenunterschied zu finden. In Betreff der Länge scheint vollständige Symmetrie zu herrschen. Dahingegen ist ein Gewichtsunterschied häufig bemerkbar. Bei vielen mittel- großen und bei den größeren Säugetieren habe ich dahin- gegen eineLängendifferenz von 1 bismehreren Millimetern deutlich nachweisen können. So ist eine kleine Quantitäts- asymmetrie nachweisbar beim Hunde, Fuchsen, Hasen, Pferde, Flusspferde, afrikanischen Büffel, bei einer Menge Cetaceen, selbst bei ihren Föten, sowohl bei den Vordergliedern wie bei den Schwanzflossen; beim Adler, beim Birkhahn (Tetrao magallus) findet man ebenfalls Differenzen; bei Mergus merganser fand ich gekreuzte Asymmetrie, indem die Knochen der rechten Vorderextremitäten mit 2!/, mm prädominierten, und die linken Hinterextremitäten mit 1 mm. Bei Anser brachyrhynchus waren die Extremitäten der rechten Seite prädominierend je mit 1'/,—1!/; mm. Bei anderen wieder war das Flügelskelett auf beiden Seiten gleich, z. B. bei Oygnus Bewickiü, während die Hinterglieder eine kleine Prädominenz auf der rechten Seite zeigten. Bei wieder anderen konnte nicht irgend eine Differenz im Skelette nachgewiesen werden. Was bedeutet nun dieses? Nichts, oder ist es nur zufällig? Selbst wennsich keine osteometrisch nachweisbare Differenz finden lässt, können wir doch das Vorhandensein einer Muskular-Asymmetrie nicht bestreiten, worüber ich neulich Erfahrungen in Bezug auf junge Hunde gemacht habe. Ferner scheint es a priori nicht unwahrscheinlich, dass wenn eine eventuelle morphologische Asymmetrie in den Lokomotions- organen eine Rolle spielen soll, sie in der physiologischen Funktion, nämlich im Gange, im Fliegen oder im Schwimmen nachgewiesen werden können muss. Wie bekannt wird der Gang oder der Lauf — resp. der Flug oder das Schwimmen — sehr schnell automatisch unter der Körper- entwicklung des Individuums. Die Richtung der Bewegung, unter der Voraussetzung, dass diese auf einer Fläche oder in einem Medium ohne Hindernisse vor sich geht, wird von und durch die muskulare Kraft bestimmt, da die beiden Körperhalbteile Lokomotionsorgane abgeben, und wenn diese gleich stark sind, so wird die Richtung gradlinig, wenn nicht das Tier durch 810 Guldberg, Morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen. den Einfluss der Sinne oder in Folge mechanischer Hindernisse die Richtung verändert. Sind dahingegen die Lokomotionsorgane des einen Körperhalbteils etwas, wenn auch nur ein wenig stärker, oder gibt dieser eine etwas kräftigere Muskelwirkung ab als der andere — sei sie begründet in der aktiven oder passiven Ueberlegenheit der Be- wegungsorgane der einen Seite — so muss die Bewegungslinie von der stärkeren nach der schwächeren Seite hin ab- weichen. Sind also die Extremitäten desrechten Körperhalbteils stärker als die des linken, so muss die Bewegungsrichtung nach links ab- weichen und zum Schlusse kommt das Tier nach seinem Ausgangs- punkte zurück, vorausgesetzt, dass die Kraftentfaltung die ganze Zeit gleich und gleichmäßig war. Steigt dahingegen die Kraftentfaltung unter der vorwärtsschreitenden Bewegung, so wird die Bewegungslinie eine Spirale, indem die stärkere Muskelaktion auf der einen Seite einen kleineren Zirkel hervorbringt als eine schwächere Muskelaktion. Man kann nun, im Großen und Ganzen davon ausgehen, dass morphologisch nachweisbare Quantitätsdifferenzen bei den Extremitäts- knochen und Muskeln der einen Seite von analogen Differenzen in der physiologischen Kraftabgabe begleitet sind; als Beispiel wird angeführt, dass die Knochen der rechten Oberextremität in der Länge in 78°, prä- dominieren, bei Lebenden prädominiert die rechte Oberextremität in 75° und in Kraft in 72°/, (die Abweichungen in den Zahlen beruhen sicherlich zum großen Teil darauf, dass der prozentuale Wert auf Basis ungleich großen Materials ausgerechnet ist). Mit anderen Worten: eine morphologische Asymmetrie wird in der Regel angenommen als von einer funktionellen Asymmetrie begleitet. Wie an einer anderen Stelle in dieser Zeitschrift angeführt, be- hauptet Direktor F.O. Guldberg, gestützt auf zahlreiche biologische Beobachtungen des freien Lebens der Tiere in der Natur, sowie durch eine Reihe physiologischer Versuche, die wir beide zusammen ausge- führt haben, dass eine Reihe höherer Tiere und der Mensch unter ge- wissen Verhältnissen eine Kreisbewegung ausführen, nämlich, wenn die Bewegung nicht durch die Sinne geleitet ist. Der betreffende Mensch oder das Tier kommt nämlich dann nach seinem Ausgangspunkte zurück. Diese Kreisbewegung ist jedoch etwas verschieden in Betreff auf Form und Ausdehnung, indem man zwischen einer biologischen Kreis- bewegung unterscheiden muss, die man bei freier Bewegung der Tiere draußen in der Natur beobachten kann, wenn aus einem oder dem anderen Grunde die Bewegung unbewusst geschieht und nicht von den Sinnen, oder weniger vollkommen durch die Sinne gelenkt wird (es waren diese Beobachtungen die den Direktor F. ©. 6. auf den Gedanken der Kreisbewegung hinleiteten), und eine physio- logische Kreisbewegung, die experimental durch temporäre Elimination der Sinne oder der wichtigsten leitenden Sinne nachge- Guldberg, Morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen. 811 wiesen werden kann; auf dieser letzteren beruht die biologische Kreis- bewegung. Um Missverständnissen und Vermischungen zu entgehen, muss hier vorausgeschickt werden, dass diese Zirkularbewegung etwas ganz verschiedenes ist von der den Physiologen bekannten „Manegebewegung“ die durch Läsionen der Pedunculi cerebelli experimental hervor- gerufen wird, oder wenn pathologische Affektionen gewisser Bahnen im Cerebrum und Cerebellum auftreten. Die Kreisbewegung nahm, F. O0. Guldberg a priori an, sollte auf einen asymmetrischen Bau in den Lokomotionsorganen oder im Orga- nismus im Allgemeinen zurückgeführt werden können. Bei unsren gemeinschaftlichen Arbeiten zur Untersuchung dieser Aufgabe, bei welchen die morphologischen Untersuchungen mir ganz zufielen, während wir zusammen die physiologischen Versuche aus- geführt haben, ist es uns mehr und mehr klar geworden, dass die Kreisbewegung auf einer funktionellen Asymmetrie in den Bewegungsorganen beruhen muss, welche in mehreren Fällen auch morphologisch nachgewiesen werden konnte. Die physiologischen Versuche zeigen, dass von Hunden und Ka- ninchen, deren Augen und Ohren bedeckt wurden, während beim Hunde gleichzeitig das Geruchsvermögen eliminiert oder jedenfalls durch stark riechende Stoffe herabgesetzt wurde, beim Schwimmen auf ruhigen Wasserflächen immer denselben Kreis von demselben Individuum be- schrieben wird. Lässt man Vögel — z. B. Tauben, Schwalben, Meisen — mit zugedeckten Augen und Ohren fliegen — unter absoluter Wind- stille — so sieht man immer, dass dasselbe Individuum in demselben Kreise fliegt, es sei zur Rechten oder zur Linken; der zur Linken schwimmende Hund liefert immer Kreise nach links; bei diesen müssen die Lokomotionsorgane der rechten Seite das Uebergewicht haben. Indem ich noch nicht die Details über die neulich vorgenommenen Untersuchungen mit jungen Hunden zu veröffentlichen wünsche, will ich hier nur Folgendes anführen: Auf der ruhigen Wasserfläche eines Binnensees mit flachem Boden wurde unter anderen mit 3 jungen Hunden experimentiert, von denen der eine 2Monate und die 2 anderen 4 Monate alt waren. Sie lieferten schöne und präeise physiologische Kreise, von 2—5 Meter im Diameter. Nach den Versuchen wurden sie, der eine nach dem anderen, getötet und jedes Tier wurde seciert und ihre Extremitätsmuskeln gewogen. 1. Der 2 Monate alte Hund, der Kreise nach links lieferte, zeigte muskulares Uebergewicht auf der rechten Seite, indem die Muskeln des Vordergliedes allerdings nur ein Uebergewicht von 0,05%, auf der rechten Seite hatte (0,10 g), während das rechte Hinterglied 812 Guldberg, Morphologische und funktionelle Asymmetrie der Gliedmaßen- ein muskulares Uebergewicht von 0,8°) (1,68 g) hattet). 2) Der 4 Monate alte Hund (2) lieferte eine Reihe Kreise nach Rechts. Hier zeigte sich ein muskulares Uebergewicht am linken Vorderbein von 0,8°, (2,64 g), während hier bei den Hinterbeinen eine kleine Prädominenz auf der rechten Seite von 0,05° (0,27 g) war. Das gesamte Uebergewicht wurde jedoch dadurch zusammengenommen nur unbedeutend verringert. Interessant ist es, dass man hier „gekreuzte muskulare Asymmetrie“ hat, welche Theile auch beim Menschen nachgewiesen hat. 3. Der andere 4 Monate alte Hund (5), lieferte Kreise nach rechts (von 4—5 Meter im Diameter), außerordentlich schöne und regelmäßige. Die morphologische Untersuchung seiner Muskeln zeigte ein ausgeprägtes einseitiges muskularesUeber- gewicht auf der linken Seite, nämlich bei den Vordergliedern 1,7°), (6,430 g) und bei den Hintergliedern 1,5°, (7,230 g). Es sei in Betreff auf die Untersuchung bemerkt, dass teils die einzelnen Muskeln, teils die Muskelgruppen gewogen wurden. Die Untersuchungen eines jeden Hundes erforderte 2 Tage lange strenge Arbeit. Kautelen wur- den benutzt um Wasserverluste der Muskulatur durch Verdampfen zu verhindern. Die Knochen wurden nachher frisch gemessen, zeigten aber keinen deutlichen Unterschied. Später sollen sie nach der Prä- paration sowohl gemessen wie gewogen werden. Aehnliche Unter- suchungen werde ich nach und nach mit verschiedenen Tierarten vor- nehmen lassen. Beim Menschen ist die Asymmetrie so allgemein bekannt, ebenso sind die Kreiswanderungen des Menschen, wenn er sich z.B. im Walde verirrt, eine von Arild’s Zeit her unzweifelhaft festgestellte Erfah- rung, dass weitere Beweise wohl kaum erforderlich erscheinen. Bei- spiele von Rudern im Kreise bei Nebel sind bekannt genug, ebenso Kreiswanderungen in finstern Wäldern. Bindet man einem Menschen die Augen zu und lässt ihn auf ebener Fläche gehen, z. B. auf einer mit neu gefallenen Schnee bedeckten Eisfläche, so sieht man bald Kreise bald Spiralen, die unter seiner Wanderung entstanden sind. Das schließliche Ergebnis kann dadurch konstatiert werden, dass man das Kräftverhältnis der Unterextremitäten durch den Dynamometer prüft. — Soll der Versuch inzwischen rein sein, so muss Windstille herrschen und kein Laut zu hören sein. Bei Blinden sind die anderen Sinne so geschärft, dass sie gleich dem einen oder anderen zur Leitung benutzen, wenn man nicht alle Kautelen anwendet. Ebenso kann Belastung der einen oder anderen Seite auf die Richtung Einfluss haben. Obgleich das bis jetzt untersuchte Material in Betreff auf die Tiere noch verhältnismäßig klein an Zahl ist, sind doch die gefundenen That- sachen insofern überzeugend, dass man von einer physiologischen 1) Beim Menschen variierte das gesamte Uebergewicht der einen Extremität von 10 pro Mille bis fünf Prozent (cf. Theile. ce.). Arthus, Nature des Enzymes. 813 Zirkularbewegung sprechen darf, die nicht identisch mit der durch Läsionen hervorgerufenen „Manegebewegung“ ist, und dass diese physiologische, normal vorkommende Zirkularbewegung in einem kausalen Verhältnis zur Asymmetrie der Lokomotions- organe steht. Wie generell diese Asymmetrie bei den bilateral- symmetrischen Tieren ist, lässt sich noch nicht sagen, jedenfalls ist sie viel mehr verbreitet, als man bis jetzt angenommen hat. [109] Im August 18%. M. Arthus, Nature des Einzymes. Paris 1896. Die Frage, worin die Wirkung der Fermente besteht, wird schon lange diskutiert, und die Zahl der Theorien, die zu ihrer Lösung auf- gestellt worden sind, ist ziemlich ansehnlich. Pasteur sah in den Gärungs- prozessen nur die Wirkung der lebenden Zelle. „Der chemische Vorgang der Gärung ist wesentlich an einen vitalen Vorgang geknüpft, denn die Gärung beginnt mit letzterem und sistiert mit ihm“. So formulierte Pasteur diese „vitalistische“ Theorie, der Liebig sodann seine „mecha- nistische“ gegenüberstellte. Diese besagte, dass bei der Gärung die Molekeln einer zerfallenden stickstoffhaltigen Substanz in Schwingungen geraten, und dass diese Schwingungen sich auf die gärungsfähige Masse fortpflanzen. Zwar griff Liebig mit Unrecht gleichzeitig Pasteur’s Versuche an, die bewiesen, dass die Zuckergärung an die Ernährung und Entwicklung der Hefeorganismen gebunden sei, aber die Aufstellung seiner neuen Theorie hatte doch zur Folge, dass man nun den Gärungsvorgang nicht mehr dem gewöhnlichen Protoplasmastoffwechsel gleichsetzte. Die molekulare Be- wegung, die Liebig annahm, brauchte ja nicht gerade durch den Zerfall von Materie angeregt zu werden, es ließ sich auch annehmen, dass sie von besonderen Organismen oder von besonderen Produkten derselben an- geregt wird. Denn jedenfalls musste nach den Pasteur’schen Versuchen anerkannt werden, dass die Gärungsvorgänge irgendwie verknüpft sind mit der Thätigkeit lebender Organismen; entweder können diese selbst, respek- tive ihre löslichen Produkte, Enzyme genannt, auf mechanische, physika- lische oder chemische Weise die Umsetzungen hervorrufen, oder aber es geht bei der Gärung nur eine besondere Form von Energie, die irgendwie zu lebender Materie in Beziehung steht, in eine andere Form über. In den meisten Fällen wurde die erste Annahme den Theorien zu Grunde gelegt, und es war nur die Erklärung, wie die Gärungsorganismen oder die Enzyme die Spaltungsvorgänge einleiteten, verschieden. Berzelius erklärte die Umsetzungsprozesse durch eine katalytische oder Kontaktwirkung der Gärungserreger. Den analogen Vorgang sah er in der Wirkung von Platinschwamm, der, ohne selbst eine Veränderung zu erleiden, beträchtliche molekulare Umlagerungen verursacht. Platin- schwamm, der Sauerstoff absorbiert enthält, bringt Wasserstoff zur Ent- zündung, bildet aus SO, SO,, zersetzt sauerstoffhaltiges. Wasser, Prozesse, die sonst ohne Weiteres nie zustande kommen. Bunsen und Hüfner meinten, dass die Fermente bei der Gärung dieselbe Rolle spielen, wie die Schwefelsäure bei der Aetherdarstellung, dass also analog den Gleichungen: 1. Alkohol — Schwefelsäure — Alkohol- 814 Arthus, Nature des Enzymes. schwefelsäure 4 Wasser; 2. Alkoholschwefelsäure + Alkohol — Aether + Schwefelsäure bei der Wirkung von Trypsin auf Eiweiß z. B. sich etwa folgender Vorgang abspiele: 1. Trypsin — Eiweiß — Eiweißtrypsin + x; 2. Eiweißtrypsin 4 Eiweiß — Albumosen und Pepton — Trypsin (Arthus). Naegeli nahm an, dass in den Enzymmolekeln fortwährend Schwing- ungen stattfinden, die sich dann anf die gärungsfähige Substanz fort- pflanzten und sie zur Spaltung brächten; also eine Theorie, die mit der Liebig’schen eine gewisse Aehnlichkeit hat. An sie knüpft dann die von de Jager an, welche zu der zweiten Gruppe von Theorien gehört. Denn de Jager geht soweit, zu behaupten, dass Fermente ebenso Imponderabilien seien wie Licht, Magnetismus, Elektrizität, dass die Enzyme nicht Materie, sondern Energie seien, dass also die Gärungsvorgänge in der Umwandlung einer ganz bestimmten Energie in chemische Energie beständen. An den genannten Theorien übt Arthus in einer neuen Arbeit Kritik, um dann schließlich an die von de Jager anzuknüpfen und für sie einzutreten. Die katalytischen Vorgänge mit denen, wie sie bei den Gärungs- prozessen vorkommen, zu identifizieren, hält Arthus für unmöglich. Ins- besondere der Vorgang der Wasserzerlegung durch Platinschwamm, in dem man ein Analogon für die Gärung sah, eignet sich dazu am wenigsten; denn diese Zerlegung ist ein Dissoziationsvorgang, mit dem die Spaltungen bei einer Gärung keine Aehnlichkeit haben. Der Vergleich mit einfachen chemischen Umlagerungen ist deshalb nichts weiter als ein Vergleich, weil bei der Ueberführung von Alkohol in Aether oder von Stärke in Traubenzucker durch Schwefelsäure ziemlich große Mengen der wirksamen Substanz Schwefelsäure nötig sind, Mengen, die in gar keinem Verhältnis stehen zu den Spuren von Enzymen, die genügen, um eine Gärung in Gang zu bringen. Um es aber wahrscheinlich zu machen, dass nicht einmal Spuren, sondern dass es gar keine bestimmten Körper sind, auf denen die Fermen- tationen beruhen, gibt Arthus eine Uebersicht über die Elementaranalysen der dargestellten Enzyme, deren Resultate so verschieden sind, dass ein Teil der Autoren sie für Eiweiß- oder eiweißähnliche Körper, ein anderer sie für Kohlehydrate erklärt und ein dritter Teil ihnen eine ganz be- sondere Stelle einräumen zu müssen glaubt. Und schließlich lasse sich meistens nachweisen, dass, wenn überhaupt, jedenfalls nur ein ganz kleiner Teil des dargestellten Körpers keine Verunreinigung sei. Wenn man also schon so weit sei, die Menge von Enzym in diesen Präparaten für fast imponderabel zu halten, so schlägt Arthus vor, noch einen Schritt weiter zu thun und überhaupt den Glauben an die Körperlichkeit der Enzyme fallen zu lassen und in ihnen nur eine besondere Energieform zu sehen. Zur Stützung der Hypothese gibt er für jede allgemeine Eigenschaft der Enzyme einen analogen Vorgang bei den Erscheinungen des Lichts, der Elektrizität, des Magnetismus und der Wärme an: Wie diese ver- mögen die Enzyme chemische Veränderungen hervorzurufen. Durch Wärme werden die Enzyme zerstört, wie der Magnetismus in Magnetnadeln. Enzyme lösen sich in Wasser und Glyzerin; einen analogen Vorgang findet er darin, dass Wärme in eine kalte Flüssigkeit übergehen, sie er- Hatschek u. Cori, Elementarkurs der Zootomie in 15 Vorlesungen. 815 wärmen, sich gleichsam in ihr lösen kann. Das gilt freilich für jede Flüssigkeit, während Enzyme sich in Betreff der Lösligkeit nicht gegen- über jeder Flüssigkeit gleich verhalten. Aber, wendet Arthus ein, ebenso wenig wie alle Körper Magnetismus lösen, zu Magneten werden können, ebenso wenig ist jede Flüssigkeit geeignet, Gärungsflüssigkeit zu werden. Flockige Niederschläge reißen das Ferment aus der Lösung mit nieder und können es nachträglich an eine fermentfreie Flüssigkeit wieder ab- geben; ebenso geht eine gewisse Wärmemenge in den Niederschlag über, wenn man irgend einen Körper aus einer warmen Lösung ausfällt und zwar verschieden viel je nach der Menge und der spezifischen Wärme des Niederschlages; der abgetrennte Niederschlag kann dann diese Wärme einer kalten Flüssigkeit mitteilen. Eine Flocke frischen Fibrins, in eine enzymhaltige Flüssigkeit gebracht, entzieht dieser das Enzym und kann, in eine andere enzymfreie übertragen, diese zu einem sehr wirksamen Gärungserreger machen. Für diese Erscheinung führt Arthus als Ana- logon an, dass, wenn man Zinksulfat dem Licht aussetzt, es scheinbar die Lichtenergie absorbiert und darauf ins Dunkle gebracht, das Licht wieder ausstrahlt. Endlich bringt Arthus auch das Entstehen von Enzymen aus Proenzymen in Beziehung zu anderen energetischen Veränderungen; denn ebenso wie chemische Reaktionen die Ursache für Wärme-, Licht- und Elektrizitätserscheinungen sind, und wie diese dann wieder zu che- mischen Umsetzungen führen, so kann durch chemische Reaktion ein Enzym entstehen, das dann die molekularen Aenderungen in der Gärungs- flüssigkeit herbeiführt. Unter Zymolyse versteht Arthus die Zerstörung von Fermenten, unter Zymodynamogenie die Erhöhung ihrer Wirksamkeit durch besondere Körper; der Gegensatz dieser ist die Zymofrenation und Zymoinhibition, d. h. Schwächung oder Aufhebung der Wirksamkeit, ohne dass die Fer- mente dabei zu Grunde gehen. Auch für diese Erscheinungen führt Arthus Parallelen aus dem Gebiete der Physik und Chemie an. Der Zymolyse entspricht z. B. das Verlorengehen des Magnetismus, wenn man einen Magnetstab in Salzsäure löst, der Zymodynamogenie und Zymofrenation die Aenderung der chemischen Wirksamkeit eines elektrischen Stromes, wenn man einen Widerstand im Stromkreis aus- oder einschaltet. Und zum Schluss bemerkt Arthus, dass auch darin keine Besonderheit in den Eigenschaften mancher Fermente zu finden sei, dass sie nur in Gegen- wart bestimmter Körper aktionsfähig seien, wie z. B. Pepsin und Salz- säure, Fibrinferment und Caleium zusammengehörten; denn auch der Magnetismus sei an Eisen und Stahl gebunden. Arthus schließt mit den Worten: „Nous proposons donc de consi- derer les enzymes non comme des substances mat£rielles, mais comme des proprietes de substances mat£rielles“. R. H. [111] Elementarkurs der Zootomie in fünfzehn Vorlesungen von B. Hatschek, o. ö, Prof. der Zoologie an der deutschen Universität zu Prag und Dr. €. J. Cori, Privatdozenten für Zoologie an der deutschen Universität zu Prag, Mit 18 Tafeln und 4 Figuren in Text. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1896. Dass ein erfolgreicher Unterricht in der Zoologie nur erteilt werden kann, wenn mit den theoretischen Vorlesungen praktische Uebungen im Laboratorium 816 Rawitz, Leitfaden für histologische Untersuehungen. verbunden werden, ist jetzt eine allgemein anerkannte Thatsache, der man durch Einrichtung von Uebungskursen in den zoologischen Instituten Rechnung getragen hat; wie man aber in einem für Anfänger berechneten Kursus das umfangreiche Pensum bewältigen und aus dem reichen Material eine zweck- mäßige Auswahl treffen soll, darüber sind die Ansichten geteilt Besonders in den Laboratorien, wo die praktischen Uebungen für Mediziner nicht von denen für Schulamtskandidaten getrennt sind, kommt man leicht in Verlegen- heit, wenn man den verschiedenartigen Anforderungen gerecht werden, aber dabei doch verhindern will, dass die Präparation aus Mangel an Zeit hastig und oberflächlich vorgenommen und der didaktische Erfolg dadurch in Frage gestellt. Die Verfasser des Elementarkurs haben sich aus diesem Grunde auf eine geringe Anzahl von Tierformen beschränkt, diese aber gründlich und eingehend besprochen. Es sind nur leicht zu beschaffende Vertreter der ein- heimischen Fauna gewählt worden: Salamander, Frosch, Teichmuschel, Wein- bergschnecke, Krebs, Kieferfuß, Küchenschabe, Schwimmkäfer, Regenwurm und Blutegel. Der in 15 einzelne Vorlesungen gegliederte Text vereinigt bei der Beschreibung jedes Tieres geschickt eine allgemeine, orientierende Einleitung mit einer sorgfältigen Anweisung zur Präparation. Ein besonderer Vorzug des Werkchens sind die zahlreichen sehr gut ausgeführten Abbildungen, die auch für das ungeschulte Auge des Anfängers alle Einzelheiten übersichtlich, klar und leicht verständlich zur Darstellung bringen. [99] Voigt (Bonn). Bernhard Rawitz, Leitfaden für histiologische Unter- suchungen. Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage. Jena 1895. Der nach kurzer Zeit in 2. Auflage erschienene Leitfaden behandelt die bei Anatomen und Zoologen gebräuchlichen Methoden. Nur an einzelnen Stellen, aber ausführlicher im Kapitel Nervensystem, werden die speziell in der Patho- logie üblichen Methoden berücksichtigt. Das Buch wird durch viele auf die kleinen Kunstgriffe bezüglichen Angaben dem Anfänger bei selbständigen Arbeiten sehr nützlich sein. Andererseits bietet es dem Geübten auch genug des Interessanten, da Verf. an vielen älteren Methoden Kritik übt und eine Anzahl eigener Methoden empfiehlt. Unter letzteren, über die dem Ref. ein Urteil nicht zusteht, legt er besonderen Wert auf die „adjektive Verwendung der Anilinfarben*, welche er zur Darstellung der achromatischen Zellbestand- teile als die geeignetste erklärt. In der Einteilung des Buches überwiegt bei weitem der allgemeine Teil, was bei einem Buch, das zu selbständigen Untersuchungen anleiten will, gewiss angemessen ist. Im speziellen Teil sind nur die Modifikationen und Kombi- nationen von Vorbehandlung und Färbung nachgetragen, die für ganz besondere Zwecke erprobt sind. Daher sind diese Kapitel von sehr ungleichem Umfang und Inhalt. Aber auch in dem allgemeinen Teil scheint Ref. die Behandlung etwas ungleich zu sein. Während Verf. z. B. die Fixierungsflüssigkeiten mit großer Vollständigkeit anführt und begutachtet, scheinen in dem Kapitel über Färbemethoden manche bewährte übergangen zu sein, um auch den kleinen Ab- arten jener Raum zu schaffen, für welche Verf. sich besonders interessiert. Aber wohl gerade infolge dieser ungleichen Disposition wird der Leitfaden sowohl Anfängern als erfahrenen Histiologen etwas bieten. Werner Rosenthal. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI: Band. 1. Dezember 1896. Nr. ze Inhalt: Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. — Brandes, Ueber den ver- meintlichen Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. — Brandes, Die Entwicklung von Ascaris lumbricoides. — Neue Arbeiten über Blutgerinnung. — Sehmeil, Deutschlands freilebende Süßwasser - Cope- poden. — Knauthe, Fortpflanzung des Aales, — Bauer, Ueber das Ver- hältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogeleiern. Entwicklungsmechanische Untersuchungen!). Von Wilhelm Haacke. Ill. Ueber einen Fall gemeinsamen Auftretens verschie- dener Missbildungen und deren Abhängigkeit von der körperlichen Lage. Zugleich ein Beitrag zur Teratologie der Gattung Salix. (Mit 8 Textfiguren.) Ueber der „Schweizerhöhe“ auf dem Tatzend bei Jena erhebt sich eine Art ausKalkstein zusammengetragener kleiner künstlicher Ruine, der sogenannte Malakoff, an dessen von Jena abgewandter Seite zwei mehr oder weniger strauchförmige Weidenbäume (Salix caprea) stehen. Der eine davon, und zwar der nach der Seite des Kriegerdenkmals auf dem Forst hin stehende, fiel mir im Frühjahr 1595 dadurch auf, dass er an einer Anzahl von Zweigen anstatt einzelner Kätzchen vielfach Gruppen von deren zwei oder drei trug. Da ich die Bemerkung machte, dass die Spitzen an den meisten der betreffenden Zweige abgebrochen waren, was nicht zu verwechseln ist mit dem bekanntlich die Weiden auszeichnenden Absterben der Endknospen der Zweige, kam ich auf die Vermutung, dass die Bildung solcher Gruppen von Kätzchen die Folge des Abbrechens der Zweigspitzen sein möchte, und schnitt später im Sommer den größten Teil der jungen seitdem entstandenen Zweige an der Spitze ab, um zu sehen ob diese abgestutzten Zweige im nächsten Frühjahr wieder Zweier- und Dreiergruppen von Kätzchen 1) In der zweiten dieser Untersuchungen (Biol. Centralblatt, XVI, Nr. 17 hat der Haupttitel aus Versehen die Form „Entwicklungsmechanische Studien“ erhalten. XVl. 52 sis Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. anstatt einfacher Kätzchen tragen würden. Am 18. April 1896 suchte ich den Weidenbaum wieder auf und fand in der That, dass eine eroße Anzahl der abgestutzten Zweige wieder Kätzchengruppen trug. Indessen einzelne Zweige, deren Spitzen nicht abgeschnitten oder ab- gebrochen waren, trugen gleichfalls solehe Gruppen, und die Anzahl der Zweige war nieht groß genug, um einen sicheren Schluss auf einen Zusammenhang zwischen dem Abschneiden der Zweigspitzen und der Gruppenbildung zu gestatten. Doch sah ich in diesem Frühjahr noch viel deutlicher als im vorhergehenden, dass der Baum in seinem unteren Teile außerordentlich stark mitgenommen war. Auch die älteren Zweige waren sämtlich stark verstümmelt und imwendig zum Teil faul, während die oberen Zweige des Baumes unbeschädigt waren. Unter den oberen Zweigen verstehe ich die, die von einem Manne von durchschnittlicher Größe nicht mehr bequem mit ausgestrecktem Arm erreicht werden können. Da die leicht zu erlangenden Zweige sämtlich stark verstümmelt waren, so ist wohl der Schluss gestattet, dass der Baum durch Menschenhände geschädigt worden ist. Der Malakoff wird nämlich von Spaziergängern viel aufgesucht, und Weiden- kätzehen sind bekanntlich im Frühjahr sehr begehrt, insbesondere so schöne große, wie die von Salix caprea. Der Umstand, dass die Gruppen von Kätzchen gerade so weit gingen, wie die Zweige leicht erreichbar und stark beschädigt sind, gestattet wohl die Vermutung, dass die Bildung dieser Gruppen in der That in Zusammenhang steht mit der schon früher und wahrscheinlich eine lange Reihe von Jahren hindurch vorgenommenen Verstümmelung der unteren Teile des Baums. Ist es doch durch die Untersuchungen von Freiherrn von Ettingshausen und KraSan bekannt, dass an Eichen und Buchen infolge von Frost und Insektenfraß Sommertriebe mit abnormen Blattformen entstehen. Die Anzahl der untern Zweige mit Gruppen von Kätzchen bleibt nicht weit hinter der mit einfachen Kätzehen zurück. Am 20. April 1896 schnitt ich fast sämtliche Zweige mit mehr als einem Kätzchen ab; es waren im ganzen 37, darunter 15 mit Kätzchengruppen, und unter diesen 13 mit mehr als einer Gruppe. Die hohe Zahl der Zweige mit mehr als einer Kätzehengruppe unter denen, die überhaupt eine oder mehrere Gruppen aufweisen, lässt darauf schließen, dass ein Zusammen- hang zwischen den einzelnen Teilen eines Zweiges besteht, wenigstens insofern, als sie nach einer Richtung hin abzuändern neigen. Ander- seits besteht, wie wir gesehen haben, kein derartiger Zusammenhang zwischen den unteren und den oberen Zweigen des Baumes, denn an den oberen findet keine oder nur eine ganz geringfügige Bildung von Kätzehengruppen statt, während sie am untern sehr ergiebig ist, und dies dürfte, wie gesagt, mit der starken Beschädigung des unteren Teiles des Baumes zusammenhängen. Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. s19 Wie dem auch sei, dass der untere Teil des Baumes in seiner Konstitution verändert worden ist, geht noch aus einem anderen Um- stande hervor. Der Baum ist nämlich ein weiblicher; wenigstens trägt der obere mehr oder minder unbeschädigte Teil nur weibliche Kätzchen oder höchstens solche, in denen sich vereinzelte männliche oder zwischen männlichen und weiblichen mehr oder weniger in der Mitte stehende Blüten befinden. Dagegen trug der untere beschädigte Teil zahlreiche mehr oder minder männliche oder zwischen männlichen und weib- lichen in der Mitte stehende Kätzchen. Obwohl es eine bekannte Thatsache ist, dass bei Weiden, die eigentlich diöeisch sind, gelegent- lich Zwischenformen zwischen männlichen und weiblichen Kätzchen, beziehungsweise Blüten, vorkommen, so ist es doch für die Zwecke dieses Aufsatzes notwendig, dass ich zunächst die von mir beobach- teten Blütenformen an der Hand der beigegebenen von-mir nach der Natur gezeichneten Abbildungen beschreibe. & 7 7. Figur 1 stellt eine weibliche Blüte mit ihrer Deekschuppe, welch letztere an der Behaarung erkenntlich ist, und einer kleineren Honig absondernden Schuppe dar. Der Fruchtknoten ist zweiteilig und hat einen Stiel, der etwa eben so lang ist wie der eigentliche Körper des Fruchtknotens. Die Narbe ist zweimalzweiteilig. In Figur 2 ist eine Blüte dargestellt, die sich nach der Richtung der männlichen Blüten hin verändert hat. Der Stiel ist länger, der Fruchtknoten aber kleiner, die Zweimalzweiteilung der Narbe undeut- lich geworden. Dagegen weichen die beiden Hälften des Fruchtknotens an der Spitze auseinander. Figur 3 stellt eine Blüte dar, bei der das Auseinanderweichen der beiden Fruchtknotenhälften noch weiter gediehen ist. Der Stiel ist noch etwas länger und der Fruchtknoten noch etwas kleiner als bei der in Figur 2 abgebildeten Blüte. Außerdem ist der Fruchtknoten an dem Spalt gelb und gleicht dadurch den Antheren der männlichen Blüte, was durch die feine Punktierung angedeutet ist. In Figur 4 sehen wir die beiden Hälften des Fruchtknotens noch weiter auseinander getreten, und die gelbe Oberfläche hat eine größere Ausdehnung erreicht als bei der Blüte in Figur 3. 52* s20 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. Noch mehr ist dies bei der Blüte, die in Figur 5a von vorn, in Fig. 5b von hinten dargestellt ist, der Fall. Indessen weichen die beiden ursprünglichen Fruchtknotenhälften hier nieht auseinander. Man sieht aber deutlich, dass sich jede zu einer Anthere umgebildet hat. Jede dieser beiden miteinander verschmolzenen Antheren besteht aus zwei Pollensäcken. Bei der Blüte, die in Figur 6 dargestellt ist, sind die beiden Antheren vollständig getrennt, haben aber noch einen gemeinsamen Stiel. Wir haben hier also zwei wirkliche Staubgefäße auf gemein- samem Stiel. Dieser Form entspricht eine gleichfalls von mir beobach- tete aber nieht abgebildete andere Form, bei der der Fruchtknoten bis zum Ansatz des Stieles hin geteilt, aber nicht antherenartig ist. Figur 7 stellt eine Blüte dar, in der die beiden Antheren schon besondere Stiele haben, die sich aber zu einem gemeinsamen Stiele vereinigen. In Figur 8 endlich ist eine normale männliche Blüte mit ihren beiden vollständig voneinander getrennten Staubgefäßen abgebildet. Unsere Figurenreihe zeigt, dass jedes Staubgefäß einer Hälfte des, weiblichen Organs entspricht, dass es ihr homolog ist. Die Anzahl der Kätzchen an den von mir abgeschnittenen Zweigen betrug im ganzen 261. Darunter waren 14 verkümmert, so dass noch 247 Kätzchen, deren Blütenformen zu erkennen waren, übrig blieben. Unter diesen waren 27 Stück oder 10°, der Kätzehen mehr oder minder rein männlich, wenn auch einige davon vereinzelte Blüten hatten, die nach der Richtung der weiblichen Blüten hin ausgebildet waren, aber den Gesamthabitus der Kätzchen nicht wesentlich alterierten. 61 Kätzchen oder 28°, waren mehr oder minder rein weiblich; 19 Kätzchen oder 7°), hatten Blüten, die Zwischenformen zwischen männlichen und weiblichen Blüten darstellten, und 140 Kätzen oder 55°, zeigten eine Mischung von mehr oder minder männlichen und mehr oder minder weiblichen oder auch von normalen männlichen oder weiblichen Blüten mit Zwischenformen; solche Kätzchen will ich Mischkätzchen im Gegen- satz zu den Zwitterkätzchen der vorigen Gruppe nennen. Unter der Gesamtzahl von 247 Kätzchen gehörten 125 Kätzchen in Zweier- oder Dreiergruppen hinein, und 122 waren Einzelkätzchen. Unter den Kätzchen, die in Zweier- oder Dreiergruppen hinein ge- hörten, unter den Gruppenkätzchen, wie ich sie nennen will, zu denen auch solche gerechnet wurden, die zwar allein standen aber abgefallene oder nicht zur Entwicklung gekommene Nachbarkätzchen gehabt hatten, sind die Mittei- oder Hauptkätzchen von den Seiten- oder Neben- kätzchen zu unterscheiden. Jede Dreiergruppe besteht nämlich aus einem großen mittleren und zwei kleineren seitlichen Kätzchen, während jede Zweiergruppe aus einem Haupt- und einem seitlich daran sitzen- den Nebenkätzchen, das erheblich klemer als das Hauptkätzehen ist, Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. s21 besteht. Auch wo eine Gruppe unvollständig und nur ein Kätzchen vorhanden war, konnte doch in jedem Falle festgestellt werden, ob dies ein Haupt- oder ein Nebenkätzehen, und im letzteren Falle, ob es ein linkes oder ein rechtes war. Ich notierte nun den Charakter der Kätzchen für jedes einzelne, wobei ich zwischen Haupt- und rechtem und linkem Nebenkätzehen unterschied. Es waren unter den 125 aus /Zweier- oder Dreiergruppen stammenden Kätzen 48 Hauptkätzchen, 34 linke und 43 rechte Nebenkätzchen vorhanden. Unter den 48 Haupt- kätzchen waren 2 Stück oder 4°), mehr oder weniger rein männlich, 24 Stück oder 50°, mehr oder weniger rein weiblich, 3 Stück oder 6°, bestanden aus Blüten, die Zwischenformen darstellten, und 19 Stück oder 40°), waren Mischkätzehen. Unter den 34 linksseitigen Neben- kätzchen waren O Stück oder 0°, männlich, 7 Stück oder 20°), weib- lich, 5 Stück oder 15°, aus Zwischenformen zusammengesetzt, und 22 Stück oder 65 /, Mischkätzeben. Unter den 43 rechtsseitigen Kätzchen waren O0 Stück oder O°%, männlich, 8 Stück oder 19°/, weiblich, S Stück oder 19°, aus Zwischenformen zusammengesetzt, und 27 Stück oder 62°), Mischkätzehen. Vergleichen wir diese drei Zahlenreihen miteinander, so fällt uns namentlich eins auf, nämtich die weitgehende Uebereinstimmung zwischen der Reihe für die linksseitigen und derjenigen für die rechts- seitigen Nebenkätzchen, wie sie folgende Zusammenstellung zeigt: d = ee et Linksseitige Nebenkätzchen: 0%, 20°, 152, 65%, Rechtsseitige Nebenkätzchen: 0°, 197 19%, 62% Hieraus ergibt sich, dass sich die linksseitigen Nebenkätzchen im wesentlichen ebenso verhalten, wie die rechtsseitigen, und das beruht darauf, dass zwei zu einer Gruppe gehörige Nebenkätzchen mit nur ganz geringfügigen Ausnahmen im wesentlichen dieselben Charaktere zeigen. Die Reihe für die Mittelkätzchen war dagegen: g 7 ei Ge 49, 50°, 6% 40°, Sie unterscheidet sich von den beiden Reihen der Nebenkätzchen zwar durch die Anwesenheit von männlichen Kätzchen, deren Anzahl aber so gering ist, dass wir kein besonderes Gewicht darauf legen dürfen, besonders aber durch den großen Prozentsatz der weiblichen, den kleinen der Zwitterkätzehen und den, verglichen mit dem bei den Neben- kätzchen, verhältnismäßig geringen Prozentsatz der Mischkätzehen. Das heißt mit anderen Worten: Die Hauptkätzchen bestehen häufiger aus den für unsern Baum normalen weiblichen Blüten, als die Neben- kätzchen. Dieses Verhalten ist von nieht geringen Interesse; denn die Haupt- kätzehen haben eine günstigere Stellung zum Zweig, als die Neben- kätzchen, was auch aus ihrer viel bedeutenderen Größe hervorgeht. Sie können, wenn wir uns so ausdrücken, dürfen, die eine unserem 899 Haacke, Entwieklungsmechanische Untersuchungen. Baume im großen und ganzen zukommende der beiden Gleichgewichts- lagen, die die Kätzchen in Bezug auf ihre Blütenform einnehmen können, nämlich die beiden Gleichgewichtslagen der männlichen und der weiblichen Blüte, eher erreichen, als die ungünstig gestellten Nebenkätzchen, die deshalb einen größeren Prozentsatz von Zwitter- und Mischkätzehen aufweisen. Die Nebenkätzchen stellen gewisser- maßen loca minoris resistentiae dar. An ihnen machen sich schädigende Einflüsse, leiehter geltend; deshalb weisen die Blüten hier eine stärkere Gleichgewichtsstörung auf, die sich m der großen Anzahl von Misch- kätzehen und von Kätzchen mit Zwischenformen kundgibt. Mit den Zahlen, die aus den zu Zweier- oder Dreiergruppen ge- hörigen Kätzehen gewonnen sind, wollen wir nun die, die ich über die 122 Einzelkätzchen erhalten habe, vergleichen. Es waren darunter 25 Stück oder 21%, mehr oder weniger rein männliche Kätzehen, 22 Stück oder 18°/, mehr oder weniger rein weibliche, 3 Stück oder 20%), waren aus Zwischenformen zusammengesetzt und, 72 Stück oder . 59°), waren Misehkätzchen. Unsere Resultate sind in folgender Tabelle vereinigt: Hauptkätzchen oe 20%, 1F Dj 65 0), Nebenkätzehen 210, 0180], 2200 599],. °) le 1906319075 62° | Einzelkätzchen [2 Hierbei fällt uns in der letzten Horizontalreihe, nämlich in der der Einzelkätzchen, der hohe Prozentsatz der männlichen Kätzchen und der, verglichen mit dem der Hauptkätzchen der Kätzchengruppen, ches hohe Prozentsatz der Mischkätzchen auf, woraus wohl zu schließen ist, dass die Einzelkätzchen leichter die normale weibliche Gleichgewichtslage verlassen als die Hauptkätzchen der Kätzehen- sruppen, die besser ernährt sein dürften als sie. Der untere Teil unseres Weidenbaumes produziert, vielleicht infolge der jahrelang er- littenen Verstümmelungen, anstatt weiblicher Kätzchen vielfach männ- liche, Zwitter- und Mischkätzehen. Trotzdem gelingt es ihm an be- sonders günstig gestellten Kätzchen, weibliche Blüten zu produzieren. Besonders günstig gestellt dürften aber die Hauptkätzchen an den- jenigen Zweigen sein, die Kätzchengruppen produzieren. Wenn näm- lieh auch die Bildung von Kätzchengruppen auf veränderte Gleich- sewichtsverhältnisse deutet, so sind Zweige, an denen sich Kätzehen- sruppen befinden, doch als die am günstigsten gestellten zu betrachten, weil die Bildung von Kätzehengruppen anstatt Einzelkätzchen auf be- sonders gute Ernährung schließen lässt. Deshalb wird hier der höchste Prozentsatz weiblicher Kätzchen, deren Bildung ja in dem Geschlecht des Baumes liegt, erreicht, während die Einzelkätzchen am unteren Jar Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. 523 Teil des Baumes es nicht so leicht zur Bildung weiblicher Blüten bringen. Wir haben zwar zu den Einzelkätzchen auch diejenigen gestellt, die sich an Zweigen mit Kätzchengruppen als Einzelkätzchen befinden und nicht zu verwechseln sind mit Kätzchen aus Gruppen, von denen nur ein Kätzchen übrig geblieben ist. Allein die große Mehrzahl der Zweige mit Kätzchengruppen weist immer mehr als eine Gruppe auf, oft deren viele. In den Kätzchengruppen sind nun, wie wir gesehen haben, die Hauptkätzchen am günstigsten gestellt. Deshalb sind nur wenige von ihnen zu männlichen, und nicht besonders viele zu Zwitter- und Misch- kätzchen umgebildet; vielmehr behalten viele Hauptkätzehen die nor- male Gleichgewichtslage bei, weshalb die Anzahl der weiblichen Kätzchen einen so hohen Prozentsatz unter den Hauptkätzcehen einnimmt, und die der Miseh- und Zwitterkätzchen erheblich geringer ist, als bei den Nebenkätzchen. Uebrigens habe ich gefunden, dass unter den Misch- und Zwitter- kätzchen eine ganz überwiegende Mehrzahl eine starke Annäherung an die Charaktere weiblicher Kätzchen zeigt. Unter den 84 Kätzchen, die entweder Mischkätzchen sind oder aus Zwischenformen bestehen, haben nicht weniger als S3 einen vorwiegend weiblichen Charakter. Worauf dies zurückzuführen ist, weiß ıch nicht. Jedenfalls handelt es sich bei unserem Weidenbaum um Missbildungen, die einen gemein- samen Mutterboden haben, den Mutterboden der in ihrer Konstitution veränderten Weide. Diese Missbildungen sind, wie wir gesehen haben, an manchen Kätzchen stärker als an anderen und fehlen auch an manchen, was auf die mehr oder minder günstige Stellung der Kätzchen an der Pflanze zurückzuführen ist. Es haben aber auch die Blüten an den einzelnen Kätzchen eine mehr oder minder günstige Stellung, wie aus folgender Thatsache hervorgeht. Die 19 Kätzchen, deren sämtliche oder wenigstens nahezu sämtliche Blüten Zwischenformen zwischen männlichen und weiblichen Blüten darstellten, trugen in ihren einzelnen Regionen durchweg den- selben Charakter, dagegen waren unter den 140 Mischkätzehen 137, deren Spitze einen vorwiegend männlichen Charakter trug, während der übrige, und zwar der bei weitem größte Teil, mehr weiblich war. Der weibliche Teil dieser Kätzehen näherte sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle der normalen Form oder war überhaupt normal. Nun dürfte aber die Spitze des Kätzehens ungünstiger gestellt sein, als der übrige Teil. Bei Weiden sterben nämlich, wie schon oben bemerkt, immer die Endknospen der Zweige ab, und da die Kätzchen, an deren Stelle sich auch Knospen von neuen Trieben befinden können, Homologa von Trieben sind, so dürfen wir wohl annehmen, dass sie auch darin den beblätterten Trieben gleichen, dass sie an ihren Spitzen nicht so günstige Ernährungsverhältnisse haben, wie an den übrigen 894 Haacke, Entwicklungsmechanische Untersuchungen. Teilen. Aus diesem Grunde sind die Spitzen eher aus der weiblichen Gleiehgewichtslage herauszubringen, als die übrigen Teile, weshalb wir an ihnen entweder männliche Blüten finden oder doch wenigstens Blüten, die sich von dem Charakter der weiblichen Blüten entfernen. Auch in den Fällen, wo das Kätzchen keine oder nur vereinzelte nor- male weibliche Blüten trägt, zeigt die Spitze eine stärkere Annäherung an den männlichen Charakter, als der übrige Teil. In den Fällen von Mischkätzchen kommt der größte Prozentsatz den aus mehr oder weniger rein männlichen, gemischt mit mehr oder weniger rein weib- lichen, Blüten bestehenden Kätzchen zu. Unter den 140 Mischkätzchen waren 58, bei denen dies der Fall war. Bei 38 war die Spitze mehr oder weniger rein männlich, während der übrige Teil Blüten, die Zwischenformen zwischen männlichen und weiblichen darstellten, trug. Bei 17 trug die Spitze solche Zwischenformen, während der übrige Teil mehr oder weniger rein weiblich war, und 27 bestanden zum allergrößten Teile aus Zwischenformen. Wir können also unsere Ergebnisse dahin zusammenfassen, dass Hauptkätzchen von Kätzehengruppen schwerer den weiblichen Charakter aufgeben als Nebenkätzchen von Kätzchengruppen und als Einzel- kätzchen, dass die Spitze der Kätzchen diesen Charakter leichter ver- lässt als der übrige Teil, und dass beides auf Besonderheiten der Lage in Bezug auf die Nahrungszufuhr zurückzuführen sein dürfte. Meine Mitteilungen haben indessen nur den Zweck, auf die Wich- tigkeit von eingehenden Untersuchungen über das Thema dieses Auf- satzes hinzuweisen, und zwar nicht bloß an Salix, sondern an allen geeigneten Organismen, ob es nun Tiere oder Pflanzen sind. Botanik und Zoologie haben sich bereits lange genug auf getrennten Wegen sekräftigt, um eine gegenseitige Annäherung zu gestatten. Die Ent- wicklungsmechanik kann einer solchen gemeinsamen Arbeit nicht ent- behren, und wer sich, sei es als Zoologe, sei es als Botaniker, mit ihr beschäftigt, wird, wie es bei mir der Fall ist, oft in die Lage kommen, eine Exkursion auf das Gebiet der Schwesterwissenschaft zu machen. Das wird um so größeren Nutzen bringen, als die großen Fragen der Entwicklungslehre nur durch gemeinsame Arbeit gelöst werden können. Auf eine Frage von allgemeiner Bedeutung, deren Lösung hoffentlich durch meine Mitteilungen gefördert worden ist, möchte ich zum Schluss noch hinweisen. Das ist die Frage, ob die organische Formbildung eine zufällige ist oder nicht. Für mich selbst ist diese Frage zwar längst entschieden. Wer dagegen noch immer daran zweifelt, dass die orga- nische Formbildung keine zufällige ist, dass jeder Organismus und jeder Teil eines Organismus auf bestimmte Anstöße von außen in ganz bestimmter Weise reagieren muss, der wird aus meinen Mitteilungen immerhin ersehen können, dass es sich doch nicht überall um rein Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. 595 zufällige Formbildung handeln kann. Unser abnormer Weidenbaum hat uns gezeigt, dass bestimmte Formen vorwiegend an bestimmten Stellen auftreten. Dass aber hierbei keine so große Regelmäßigkeit zu beobachten ist, wie sonst, wie etwa in dem früher von mir mit- geteilten Falle von Tanacetum corymbosum (Biol. Centralalatt, XVI, Nr. 13 ff.), liegt jedenfalls daran, dass der Weidenbaum infolge der unregelmäßigen und planlosen Gefügeerschütterungen, die er erlitten hat, auch zu einer großen Unregelmäßigkeit in der Gefügefestigkeit seiner einzelnen Regionen gelangt ist. Indessen ist doch insofern annähernd normales Verhalten zu konstatieren, als der obere, den Schädigungen unzugängliche Teil des Baumes durchweg normale weib- liche Kätzchen trägt. Ich konnte nur zwei kleine Aeste von diesem Teil erlangen. Einer trug neben 16 normalen weiblichen Kätzchen 6 mit männlicher Spitze, 1 Kätzchen, dessen Spitze Blüten der Form 2 unserer Abbildungen trug, während seine übrigen Blüten normal waren, 1 verkümmertes Kätzchen mit Blüten von der in Figur 2 dargestellten Form, und 1 anderes verkümmertes Kätzchen, bei dem einige wenige Blüten dieser Form unter den übrigen zerstreut waren. Ein anderer Ast, der gleich dem vorigen verzweigt war, hatte 21 normale weib- liche Kätzchen und 1 mit männlicher Spitze. Diese beiden Aeste dürften vielleicht einigermaßen den Charakter des oberen Teils des Baumes repräsentieren. Dem Auge erscheint dieser Teil als rein weib- lich, indessen hat auch er, wie unsere beiden Aeste uns zeigen, Er- schütterungen seines Gefüges erlitten, aber nur geringe. % Ueber den vermeintlichen Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens!). Von Dr. G. Brandes, Privatdozenten für Zoologie in Halle a.|S. Mit 7 Figuren. Die in den folgenden Blättern mitgeteilten Ergebnisse zoologischer Studien sind nieht positiver sondern negativer Art: ich gedenke nachzuweisen, dass Ansichten, die seit langer Zeit eine allgemeine Ver- breitung gefunden haben, weil sie auf gut verbürgte Thatsachen gestützt schienen, völlig unhaltbar sind, da das zu ihren Gunsten ins Feld geführte Beweismaterial sich bei gründlicher Quellenforschung als in jeder Hinsieht nichtssagend entpuppt hat. Derartige Nach- 1) Ich habe diesen Gegenstand schon in der Julinummer der Leopoldina behandelt; da ich aber seitdem noch einige weitere litterarische Irrtümer in Betreff der Anpassung des Individuums aufgefunden habe und da ich außerdem der Ueberzeugung bin, dass die hier angeregte Frage weitere Kreise interes- sieren wird, so glaube ich, dass eine nochmalige Veröffentlichung in erweiterter Form nicht unangebracht ist, 89 Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. prüfungen sollten bei der Fülle der interessanten, aber vielfach über- raschenden Thatsachen, welche die Lebensweise der Tiere berühren, in viel höherem Maße an der Tagesordnung sein, aber unsere moderne Zoologie wandelt andere Bahnen, sie beschäftigt sich nur noch in den seltensten Fällen mit dem lebenden Gesamtorganismus. Erfreulich sind ja allerdings die Erfahrungen nicht, die man bei solehen Unter- suchungen macht: man wird gegen alles skeptisch, wenn man sich nicht einmal mehr auf Männer von allgemein anerkanntem Ruf ver- lassen kann — aber man hat andererseits auch die Genugthuung, durch das Ausmerzen falscher Ansichten, auf die möglicherweise weit- tragende Schlüsse aufgebaut sind, der Wissenschaft einen wirklichen Dienst zu leisten. Die Frage, mit der ich mich eingehend beschäftigt habe, lautet: „hat die Art der Nahrung wirklich einen direkten Einfluss auf die Struktur des Vogelmagens, wie das von den verschiedensten Seiten be- hauptet wird?“ Es ist das eine Frage, deren Beantwortung für unsere Ansichten von der Entstehung der Arten — wie Jeder zugeben wird — von großer Bedeutung ist. Der verstorbene Semper schreibt in seinem vielgelesenen, reiz- vollen Werke „Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere“ folgen- des!): „Besser angestellt sind einige Experimente, welche beweisen, dass durch direkten Einfluss der Nahrung gewisse Strukturverhältnisse der Tiere vollständig verändert werden können. Der englische Anatom Hunter fütterte absichtlich eine Seemöve (Larus tridactylus) ein ganzes Jahr lang mit Körnern; und es gelang ihm auf diese Weise die ursprünglich weiche innere Magenhaut ihres auf Fischnahrung ein- gerichteten Magens so vollständig zu erhärten, dass sie in ihrem Aus- sehen und Struktur der harten sogenannten Hornhaut des Körner- magens einer Taube glich. Dr. Edmondstone versichert uns, dass dieses Experiment alljährlich von der Natur ausgeführt wird; die Heringsmöve | Larus tridactylus]?) der Shetlandsinseln ändert die Struktur ihres Magens alljährlich zweimal, je nachdem sie sich im Sommer an Getreidekörner, im Winter an Fische zu gewöhnen hat; dieselbe Möve hat dann thatsächlich im Sommer den Magen eines Körnerfressers, im Winter den eines fleischfressenden Raubvogels. Derselbe Naturforscher hat die gleiche Veränderungsfähigkeit der Struktur des Magens bei den Raben beobachtet; Menetries gibt das Gleiche für eine Eule (Strix grallaria) an. wa A) Internationale wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 39. Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere von Karl Semper, Professor an der Univer- sität Würzburg Mit 106 Abbildungen in Holzschnitt und 2 lithographischen Karten. Erster Teil Leipzig. F. A. Brockhaus. 1880. Seite 33. 2) Bei uns pflegt man Larus canus als Heringsmöve zu bezeichnen, in England dagegen für gewöhnlich Larus argentatus, unsere Silbermöve, zuweilen aber auch Larus tridactylus. Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. 827 Diese Experimente reichen aus zum Nachweise, dass der Magen eines fleischfressenden Vogels (Eule, Möve, Rabe) in den eines Körner- fressers umgewandelt wird, wenn ihm die hierzu notwendige Nahrung während längerer Zeit gereicht wird. Es liegt selbstverständlich nahe, zu fragen, ob denn auch das Umgekehrte stattfinden könne, d. h. ob der Körnermagen in den weichhäutigen Magen eines Fleischfressers umgewandelt werden könne. Die Experimente des Dr. Holmgren beweisen in der That, dass bei Tauben, wenn hinreichend lange mit Fleisch gefüttert, allmählich der Körnermagen in einen echten Raub- vogelmagen (sie!) umgewandelt wird. Es war mir nicht möglich, eine größere Zahl wirklich glaub- würdiger oder experimentell festgestellter Angaben!) zu sammeln, und ich glaube, dass ich nicht viele wirklich wichtige und benutzbare Mitteilungen dieser Art übersehen habe“. Außerdem führt Semper in einer Anmerkung (S. 254) des wei- teren aus, wie eine solche Umwandlung zu denken ist, und zwar ge- schieht dies in einer Weise, dass jeder Leser meinen muss, die ge- schilderten Vorgänge seien bis ins einzelne gewissenhaft verfolgt. Es möge auch dieser Passus hier folgen. „Der Strukturwechsel, welcher dabei im Magen der Tauben und Möven vor sich geht, als Folge des ihn bedingenden Funktionswechsels, besteht in Folgendem. Der Magen der von Fleisch sich nährenden Vögel hat eine verhältnismäßig schwach entwickelte Muskulatur und weiche Schleimhaut, welche sich in langen Schläuchen in die um- gebenden Magenhäute einsenkt; diese Schläuche sind die den Magen- saft absondernden Drüsen. Bei den körnerfressenden Vögeln ist die Muskulatur des Magens ungemein kräftig entwickelt; statt der weichen Schleimhaut bedeckt eine dieke braune Haut die Iunenfläche des größten Teils des Magens, während der kleinere vordere Abschnitt dieselbe weiche Haut und Drüsenschicht aufweist, wie sie überall im Raubvogelmagen vorkommt. Jene braune Haut des Körnermagens der Taube ist sehr fest; sie senkt sich mit langen feinen Fäserchen in die Höhlungen von Schläuchen ein, welche senkrecht in die Muskel- haut des Magens hineintreten. Wenn nun durch Fleischnahrung der Taubenmagen hinreichend lange beeinflusst wurde, so zieht sich jene braune Haut (eine sogenannte Öntieula) ganz aus den Schläuchen heraus und wird ausgestoßen; diese scheiden nun keine feste Substanz mehr, sondern nur noch eine Flüssigkeit aus und werden somit zu echten Drüsen. Es wäre interessant zu untersuchen, ob das von diesen nun im Körnermagen produzierte Sekret auch chemisch auf seine ver- dauenden Eigenschaften dem Verdauungssaft im Raubvogelmagen gleich- zustellen wäre. Umgekehrt soll bei den Möven, welche an Körner- nahrung gewöhnt werden, das sonst flüssig aus den Drüsenöffnungen 1) Die Sperrung rührt von mir her. SYS Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. des Magens ausfließende Sekret erstarren und eine mehr oder minder dieke feste Haut im Innern des Magens bilden“. Mir stiegen von Anfang an Zweifel an der Richtigkeit der von Semper mitgeteilten Thatsachen auf, und ich bemühte mich schon vor Jahren, die betreffenden Originalmitteilungen der Gewährsmänner aufzufinden, aber ohne Erfolg: in den mir zugänglichen bibliographi- schen Werken (Seientifie papers und Bibliotheca zoologica) waren auf diesen Gegenstand bezügliche Abhandlungen der genannten Autoren nicht angegeben!). Ich versuchte daher vorläufig einmal, die angestellten Experimente zu wiederholen. Eine junge Nesttaube wurde isoliert und 7 Monate lang nur mit rohem Fleisch gefüttert, auch wurde ihr nieht die Mög- lichkeit geboten, Sand und Steinchen zu verschlucken. In ihren Aeußeren, vor allem in Schnabel- und Zehenbildung zeigte sie keinerlei auffallende Abweichungen, ihr Benehmen dagegen war eigentümlich zu nennen: sobald man nämlich an den Käfig herantrat und ihr den Finger entgegenhielt, biss sie kräftig hinein und versuchte ihn hinunter- zuwürgen. Als ich das Tier dann tötete, fand ieh einen typischen Muskelmagen, der allerdings völlig leer war. Es scheint mir, als ob das Fleisch überhaupt nicht bis in den Muskelmagen gelangt, sondern schon im Drüsenmagen völlig aufgelöst und von dort aus als Speise- brei direkt in den Dünndarm hineingepresst wird. In Figur 1 habe Fig. 1. Fig. 2. Fig.1. Querschnitt des Muskelmagens einer 7 Monate lang mit Fleisch gefütterten Haus- taube. Fig. 2. Querschnitt eines Falkenmagens. 5 —= Sehnenspiegel. ich den Querschnitt dureh den Muskelmagen dargestellt, der deutlich die beinahe ein Millimeter dieke Outicula zeigt, die sich sehr hart anfühlte und auf das innigste mit der darunter liegenden weiblichen Drüsenschichte verbunden war, ebenso sieht man, dass die beiden Muskelbäuche außerordentlich kräftig entwickelt sind und keine Spur 1) Es ist gar nicht genug zu rügen, dass bei so wichtigen Thatsachen die Quellenangabe unterblieben ist. In einem populären Werke sollte man sich ja auf das Mitgeteilte unbedingt verlassen können, also keine Litteraturnach- weise nötig haben, aber wenn Thatsachen, die von vornherein verständlich sind, mit dem Quellennachweis belegt werden (cf. z. B. Anm. 5 auf S. 252), so verdienten es in viel höherem Maße solche, die Jedermann in Erstaunen versetzen. Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. 829 von Degeneration verraten. Wie em „wahrer Raubvogelmagen“, in den nach Semper’s Darstellung der Taubenmagen durch Fleisch- fütterung umgewandelt worden ist, aussieht, möge die Figur 2 erläu- tern, in der ich den Querschnitt eines Falkenmagens abgebildet habe: man bemerkt auch hier eine Cutieula, die aber weich und viel dünner ist, eine Drüsenschichte und eine dünne Muskelschichte, die wie beim Muskelmagen vom Sehnenspiegel aus entspringt. Dieses negative Resultat, das ich gar nicht anders erwartet hatte, ließ mich nun aber doch wünschen, unter allen Umständen die Holm- sren’schen Originalabhandlungen einzusehen, zumal ein negatives Ergebnis einem positiven gegenüber niemals Beweiskraft beanspruchen kann. Professor Tyeho Tullberg in Upsala war so liebenswürdig, mir auf meine Bitte hin, zwei Sonderabdrücke von Arbeiten zu senden, in denen Holmgren die Ergebnisse seiner Experimente mitteilt. Sie sind beide sehr versteckt in den Verhandlungen des Aerztevereins von Upsala erschienen, sodass man sich nieht wundern kann, wenn unsere Bibliographien die Titel nicht enthalten !). Zu meinem größten Erstaunen fand ich aber in keiner der beiden Holmgren’schen Arbeiten derartige Behauptungen, wie sie Semper zu reproduzieren ‚vorgibt, im Gegenteil: die Resultate der Holmgren’schen Experimente decken sich im großen und ganzen mit den meinigen. Allerdings muss ich zugeben, dass der Schwedische Physiologe die Vermutung ausspricht, der Taubenmagen sei durch geeignete Versuchsanordnung und lange genug fortgesetzte Fütterung wirklich in einen Magen, der dem eines wahren Raubvogels gleicht, umzuwandeln, aber er sagt ausdrücklich, dass seine Versuche keine Beweiskraft in dieser Hinsicht beanspruchen könnten. Er fütterte nämlich zuerst eine Anzahl von Tauben nur mit Fibrin, und dabei stellte es sich heraus, dass schon nach 6—8 Tagen der Muskelmagen an Dicke und Festigkeit merkbar verloren hatte, aber Holmgren fügt selber hinzu, dass dies vielleicht die Folge der stets bei der Fibrinfütterung auftretenden allgemeinen Abmagerung sein möchte. In seiner zweiten Mitteilung berichtet Holmgren über die Resul- tate einer anderen Versuchsreihe. Er fütterte sechs völlig ausgewachsene Tauben mehrere Jahre lang nur mit Fleisch. Die Tiere zeichneten sich in Folge der veränderten Lebensweise durch stärkere Entwicklung der Krallen und des Schnabels aus, besonders charakteristisch war es, dass die Spitze des Oberschnabels wie beim Raubvogel sich nach unten krümmte. Die Tauben legten auch ganz normaler Weise Bier und brüteten, als aber nach 3 Wochen die Jungen nicht auskrochen, - 4) Frithiof Holmgren, 1. Physiologiska undersökningar öfver dufvans magar. Aftryck ur Upsala Läkare-förenings Förhandlingar. Upsala 1867. 2, Om köttätande dufvor. Ebenda, mit 1 Taf. 1872. 530 Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. verließen sie das Nest, sodass die Frage nach der Erbliehkeit der ab- geänderten Charaktere nieht entschieden werden konnte. Ich glaube nicht, dass man bei den Jungen, die vielleicht mittels der Brutmaschine aus Eiern solcher Fleischtauben zu erzielen sind, diese von den Eltern erworbenen epidermoidalen Variationen antreffen wird. Das Wachs- tum solcher Bildungen ist zu sehr abhängig von der rein mechanischen Berührung mit der Außenwelt. Ich erinnere nur an die Veränderlich- keit des Häherschnabels, der nach O. Kleinschmidt im Frühjahr und Sommer gerade und im Herbst und Winter gebogen ist, ein Um- stand, der durch die Verschiedenheit der Nahrung in den verschiedenen Jahreszeiten ohne weiteres seine Erklärung findet. Als nach zwei Jahren eine der Tauben starb, fand Holmgren einen durchaus typischen Taubenmagen, nur war der Querdurchmesser geringer und auch die Muskelbäuche dünner als bei Körnertauben. Jedoch findet diese Degeneration auf die einfachste Art ihre Erklärung; ein 2 Centimeter langer Glassplitter hatte die Muskelwandung durch- bohrt, wie man auf der von mir in Figur 3 reproduzierten Abbildung deutlich wshrnehmen kann. Vielleicht hat dieser Glassplitter auch den "Tod des Tieres herbeigeführt. Fig. 3. Querschnitt durch den Muskel- magen einer 2 Jahre lang mit Fleisch ge- fütterten Taube. Durchbohrt von einem Glassplitter. (Nach Holmgren.) Fig. 4. Querschnitt durch den Magen einer Jugendlichen Silbermöve. © = Cutieula; D = Drüsenschicht; 5 = Sehnenspiegel. Jedenfalls — das wird mir Jeder zugeben — können und dürfen wir nach diesen Resultaten nicht von einem gelungenen Experiment der Umwandlung eines K.örnerfresser-Magens in einen Raubvogelmagen sprechen. Holmgren wird mit den übriggebliebenen Tauben auch später kaum bessere Erfolge erzielt haben, sonst hätte man wohl davon gelesen, auch würde er es nicht unterlassen haben, Herrn Prof. Tull- berg den betreffenden Seperatabdruck für mich einzuhändigen. Inzwischen hatte ich mich bemüht, die Versuche auch auf Möven auszudehnen. Herr Dr. Heck, Direktor des Berliner zoolog. Gartens, war so liebenswürdig, auf meine Veranlassung hin, eine jugendliche Silbermöve (Larus argentatus) mit Körnern füttern zu lassen. Nach- dem das Tier zuerst nur Fische und ähnliches bekommen hatte, erhielt es zehn Tage lang eine Mischnahrung, dann acht Tage hindurch nur °) Kartoffeln und endlich nur Körner. Der betreffende Wärter meldet Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. 831 aber, dass er die Möve nie fressend beobachtet hat und dass sie von Tage zu Tage matter wurde und am 12. Tage starb. Um so über- raschter war ich, bei der Sektion durchaus nicht den Typus eines Raubvogelmagens vorzufinden, sondern viel eher den Typus eines Muskelmagens. Wie in Figur 4 zu ersehen ist, finden sich zwei kräftig entwickelte Muskelbäuche und eine dicke Cutieula. Danach konnte man annehmen, dass der Mövenmagen in weitgehender Weise variiert ohne dass eine so otfenliegende Veranlassung wie die eines Nah- rungswechsels vorhanden zu sein braucht, ja ohne dass die in unserem Falle für das Körnerfressen geschiekte Variation von dem Tiere aus- genutzt zu werden braucht. Aber die bei den Holmgren’schen Mit- teilungen gemachten Erfahrungen ließen mich doch wünschen, in den Originalen nachzusehen, was denn eigentlich von Hunter, Edmond- stone und Menetries festgestellt wurde. Als ich in den gesammelten Werken Hunter’s keine hierauf zu beziehende Bemerkung fand, kam ich auf den Gedanken, in den Schriften von Everard Home, der bekanntlich im Verdacht steht, die hinterlassenen Papiere Hunter’s ausgeplündert und dann verbrannt zu haben, Nachforschungen anzu- stellen. Und richtig: in den Vorlesungen über vergleichende Anatomie!), in dem Kapitel über die Verdauungsorgane der Vögel, findet sich das Hunter’sche Experiment erwähnt. Home spricht zuerst ganz im allgemeinen von den Unterschieden des Sack- und Muskelmagens und behauptet dann, dass die Muskelbäuche beim Sackmagen so dünn seien, dass man sie nur bei der aufmerksamsten Untersuchung nach- weisen könne, dass sie aber durch Körnerfütterung so dick würden, dass man sie für Muskeln eines Magens von Körnernfressern halten könnte. „This admirable provision of nature“, fährt er dann fort, „is illustrated by a preparation of the stomach of a sea-gull, which had been kept by Mr. Hunter for a year, living, eontrary to its nature, upon grain; the strenght acquired by the muscle is very great, when compared with what it was in its natural state while living upon fish, as may be seen by examining the preparation opposed to it“. Später habe ich dann auch die Quelle gefunden, aus der ailem Anschein nach Semper geschöpft hat. Darwin sagt in dem zweiten Bande von seinem Werke über „das Variieren der Tiere und Pflanzen“ ?) folgendes: „Die Schleimhaut, welche den Magen auskleidet, steht im kontinuierlichen Zusammenhang mit der äußeren Haut des Körpers; es ist daher nicht überraschend, dass ihre Textur durch die Natur der Nahrung affıziert wird; aber es folgen noch andere und interessantere 1) Sir Everard Home, Lectures on comparative Anatomy; in which are explained the preparations in the Hunterian Collection. Illustrated by engravings. In two volumes. London 1814. Vol. I, p. 271. 2) Ch. Darwin’s gesammelte Werke. Aus dem Englischen übersetzt von J. Vietor Carus, 4. Band, Stuttgart, 1878, S. 322. 832 Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. Veränderungen. Hunter beobachtete schon vor langer Zeit, dass die Muskelhaut des Magens einer Möve (Larus tridaectylus), welche ein Jahr lang hauptsächlieh mit Korn gefüttert wurde, verdickt war, und Dr. Edmondstone zufolge tritt eine ähnliche Veränderung periodisch auf den Shetland-Inseln im Magen des Larus argentatus ein, welcher im Frühling die Kornfelder besucht und von Samen lebt. Derselbe sorgfältige Beobachter hat eine bedeutende Veränderung im Magen eines Raben beobachtet, der lange mit vegetabilischer Nahrung ge- füttert worden war. Bei einer ähnlich behandelten Eule (Strix gral- /aria) war, wie Menetries angibt, die Form des Magens verändert; die innere Haut war lederartig, und die Leber hatte an Größe zuge- nommen. Ob aber diese Modifikationen in den Verdauungsorganen im Laufe der Generationen vererbt werden, ist nicht bekannt“. Darwin verabsäumt auch nicht seine Gewährsmänner zu zitieren, aber wir werden sehen, dass die in Betracht kommenden Stellen nichts weniger als einwandsfrei genannt werden können. Die Hunter’sche Beobachtung kennt Darwin nicht aus Home’s „Leetures“, sondern aus den von Richard Owen erst im Jahre 1861 herausgegebenen „Essays and Observations on Natural History ete.“, einem Werke, das die hinterlassenen Schriften Hunter’s, enthält. Hunter schreibt dort bei der Besprechung von Larus tridactylus „Ihe muscles of the stomach are not very strong nor very red, as in grani- vorous birds“ und in einer Anmerkung dazu, die meines Erachtens von dem Herausgeber herrührt, heißt es „Hunt. Prep. Phys. Series, Nr. 523, showing the thikening of the muscular coat in a gull which had been fed for a year chiefly upon grain“. Edmondstone’sBeobachtungfindetsichinMacgillivray’s großem Vögelwerk !) als briefliche Mitteilung, und enthält ebenfalls nur wenig positives. Nachdem er über den Futterwechsel von. Larus argentatus gesprochen hat, fährt er fort: „The change of food seems to produce a change of structure in the stomach, which is then like the gizzard of poultiy. A similar change I have seen produced on the stomach of a tame kaven, long fed on vegetable food, and this may lead to the opinion that structure is not, at least of the soft parts, an unerring on undeviating specific character“. Und endlich schreibt Menetries?): „In Brasilien hielt ich eine Strie grallaria, die ein halber Tagvogel ist, zum Fang der kleinen Vögel; anfangs gab ich ihr Rindfleisch, als mir dieses mangelte, ge- dörrtes Fleisch, das sie anfangs nicht eher wollte, als bis sie der Hunger zwang; endlich hatte ich selbst nichts mehr als Bohnen und 1) Macegillivray, A History of British Water Birds, London 1852 Vol.II, p. 550 (auch als Vol. V der History of British Birds. New Edition). 2) Me&netri6s, Ueber Brehm’s neue Vogelarten. Isis 1832. p. 143. Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. 35 Mandioccamehl, woran sich zuletzt auch meine Eule gewöhnte. Nur zum Fressen von Früchten konnte ich sie nicht bringen. Ich war dann begierig, zu untersuchen, was für einen Einfluss dieses auf ihren innern Bau gehabt haben mochte. Der Magen, ein länglicher Sack, hatte sich verengert und näherte sich der Form der Körnerfressenden; die innere Haut war mehr leder- artig und es hatten sieh Blättehen gebildet, zwar klein, die aber sicherlich nur von der veränderten Lebensart herkamen. Es sonderte sich mehr Galle ab, als bei den fleischfressenden Tieren, auch war die Leber viel größer“ Das sind also die den Behauptungen Semper’s zu erunde liegenden Thatsachen! Jeder Leser wird mir ohne weiteres zugeben, dass es nicht erlaubt ist, daraufhin von gelungenen und beweisenden Experi- menten zu sprechen, in noch höherem Maße wird er zu dieser Ueber- zeugung kommen, wenn wir die beobachteten Fälle etwas eingehender besprechen. John Hunter, allem Anscheine nach der erste, der derartige Fütterungsversuche unternahm, hat das Präparat eines Mövenmagens hinterlassen, der eine stärkere Muskulatur zeigen soll, als die übrigen Mövenmagen, und dieser Magen stammte von einem Tiere, das ein Jahr lang mit Körnern gefüttert war. Hunter selbst hat sich, soviel ich habe sehen können, nirgends über diesen Fall ausgesprochen, es müsste denn sein, dass Home’s oben herangezogene Notiz auf Hunter’s hinterlassene Manuskripte zurückzuführen ist. Sehen wir uns nun aber nach einer exakten Methode um, mittels der die Unterschiede in der Dieke der Muskulatur gemessen wären, so finden wir nichts derartiges, sondern im Gegenteil nur höchst unbe stimmte Angaben. Richard Owen!), der die Hunter’sche Prä- paratensammlung genau gekannt hat, ist der einzige, der ein bestimmtes Maß angibt, er behauptet, die Magen-Muskulatur der mit Körnern ge- fütterten Möve sei mehr als doppelt so dick, als die normaler Tiere. Aber dem ist entgegenzuhalten, dass gar keine Angaben über die Art und Weise, wie die Dieke der Muskeln zur Anschauung gebracht ist, gemacht worden sind; wir wissen nicht, ob gleichgerichtete Quer- schnitte, die meines Erachtens allein brauchbar sind, oder Längsschnitte oder gar nur einfach der Länge nach geöffnete Mägen mit einander verglichen wurden; es ist auch nicht gesagt, ob die Tiere alle aus- gewachsen waren und sämtlich ein und derselben Art angehörten. Aber wenn das auch alles der Fall ist, so muss ich derartigen An- gaben doch jede Beweiskraft absprechen. Wir haben schon gesehen, dass auch Möven, die sieh von Fischen und nicht von Körnern genährt haben, ja die sogar eine Abneigung gegen Körner zeigen, eine kräftig entwickelte Magenmuskulatur besitzen können (siehe Figur 4). F 7 Todd’s Cyelopaed., Vol. I, p. 184. VE 53 834 Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. Um weiteres Material zur Beurteilung dieser Variabilität zu er- halten, ließ ich mir durch die biologische Anstalt auf Helgoland einige Silbermöven (Larus argentatus) schicken. Ich bekam vier stattliche, ausgefärbte, also mindestens 3 Jahre alte Tiere, deren Magen ich mit Alkohol ausspritzte und in Alkohol härtete. Schon bei der Heraus- nahme der Mägen konnte ich bemerken, dass zwei von ihnen durch eine stärkere Ausbildung der Muskelwülste sich auszeichneten. Ich bilde in Figur 5—7 die in gleicher Höhe geführten Querschnitte durch drei dieser Mägen ab, welche zur Genüge die Variation in der Aus- bildung dieser Muskelbäuche darthun. Wenn wir also das Hunter ’sche Experiment wiederholen und bewieskräftig gestatten wollen, so Fig. 5. Fig. 7. Fig. 5, 6 u. 7. Querschnitte durch den Magen von 3 verschiedenen Individuen der ausgewachsenen Silbermöve. © = Cutieula; D = Drüsenschicht; $S —= Sehnenspiegel. müssen wir vor allem durch Untersuchung einer großen Reihe von normalen Individuen derselben Art das Maximum der Dieke der Magen- muskeln feststellen. Wenn wir dann nach längerer Körnerfütterung einen Mövenmagen finden, dessen Muskelwülste nennenswert dicker sind, und wenn dasselbe Resultat wiederholt erzielt wird — erst dann kann von einer Beeinflussung der Struktur des Magens durch ver- änderte Ernährung die Rede sein. Für die Mitteilungen Edmondstone’s gilt etwa das gleiche: auch ihm lag keine richtige Versuchsreihe vor, er hat allem Anschein nach nur gelegentlich gesehen, dass der Magen einer im Sommer auf dem Kornfelde!) geschossenen Möve eine stark entwickelte Muskulatur be- saß, wie er sie bei den fischfressenden Möven nicht erwartet hatte. Der zweite von Edmondstone mitgeteilte Fall ist ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit auf anatomische Unkenntnis zurückzuführen: die Corviden sind omnivore Tiere und sämtliche Arten, deren Anatomie 1) Mir scheint es nicht genauer untersucht zu sein, ob die auf die Korn- felder ziehenden Möven wirklich Körner fressen; sie könnten dort auch den Insekten oder Schnecken nachstellen. Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. 835 ich habe untersuchen können, besitzen keinen Raubvogelmagen, sondern einen typischen Muskelmagen. Auch Corvus corax!), dessen Zerglie- derung ich noch nicht vornehmen konnte, wird sich in dieser Hin- sicht wohl kaum anders verhalten ?). Maegillivray, in dessen Werk die briefliche Mitteilung Ed- mondstone’s zum Abdruck gelangt ist, fügt ebenfalls hinzu, dass der Magen bei allen Möven zu jeder Jahreszeit muskulös ist, findet allerdings nichts wunderbares dabei, wenn dieser Muskelmagen durch Körnernahrung eine Verdickung erfährt. Er gibt ferner an, auch bei einer Schnee-Eule einmal eine bedeutende Verdickung der Magen- muskulatur beobachtet zu haben und vermutet, dass hierbei eine ähn- liche Ursache vorgelegen hat. Schließlich bleibt nur noch der von Mönetries beobachtete Fall! Er betrifft ebenfalls eine Eule und beruht auch nur auf einem Experi- mente mit einem einzigen Tiere. Schon aus diesem Grunde kann man ihm keine Beweiskraft zuerkennen, aber die Beschreibung des Magens ist auch gar nicht so gehalten, dass man an ein Experiment mit posi- 1) Im Original heißt es nur „a tame Raven“; da der Engländer unseren Kolkraben „raven“ zu nennen pflegt und auf den nordischen Shetlandsinseln andere Arten auch kaum vorkommen dürften, so glaube ich die Mitteilung auf diese Art beziehen zu müssen. 2) Nach Fertigstellung des Aufsatzes finde ich noch eine Bestätigung dieser Ansicht und zwar bei Semper. Am Schlusse des 2. Bandes macht er nämlich noch nachträglich einige Bemerkungen zum 1. Bande. So sagt er auf Seite 278 folgendes: „Es könnte nach dem im Text gesagten scheinen, als ob Fleischmagen und Körnermagen zwei Magenformen wären, welche ausnahmslos und genau der doppelten Nahrungsweise der Vögel entsprächen, sodass also‘ jener erste immer bei den Vögeln, die sich von Tieren nähren, gefunden würde, der zweite aber nur bei Körnerfressern. Das wäre indessen eine völlig falsche Annahme, denn es gibt ziemlich viele Fleischfresser unter den Vögeln, deren Magen (d. h. der sogenannte Muskelmagen) genau die Struktur wie der einer Taube oder eines Huhns hat. Podiceps minor nährt sich von Fischen, Würmern und Weichtieren des Wassers, (orwus corniz und corax von Insekten, Vögeln und kleinen Säugetieren, der Kiebitz von weichen Wasser- tieren und der Eisvogel von Fischen; bei allen hat der Muskelmagen eine ebenso dieke Muskelschicht wie bei der Taube, und die innere Haut ist eine braune, harte, sogenannte Pseudo -Cuticula, wie sie bei den Körnernfressern regelmäßig vorkommt. Auch bei den echten Raubvögeln kommt mitunter, so bei den eben flügge gewordenen Thurmfalken (Falco tinnunculus) eine, aller- dings nicht sehr stark entwickelte, Pseudo -Cutieula vor. Bei diesen Vögeln scheint also die Fleischnahrung nicht so rasch, wie bei den [Möven oder] Tauben, den Körnermagen in einen Fleischmagen umwandeln zn können oder überhaupt gar keinen Einfluss zu haben“. Die eckige Klammer ist von mir aus leicht ersichtlichen Gründen eingefügt worden. — Die Behauptung, dass auch der Magen unseres Eisvogels starke Muskelwülste besitzt, kann ich nach genauer Untersuchung mehrerer Kadaver als unrichtig bezeichnen. Das S36 Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. tivem Resultat zu denken genötigt ist. Der Beobachter gibt leider nicht an, ob das Tier eines natürlichen Todes gestorben ist, die Um- stände scheinen mir aber darauf hinzuweisen, sodass man in diesem Falle vielleicht an eine Magenkrankheit denken könnte. Nach Milne Edwards!) hat Hunter nicht nur bei einer Möve, sondern auch bei einem Falken durch Körnerfütterung eine Verdiekung der Magenmuskeln erzielt. Da der Magen aller Falken- Arten eine außerordentlich schwach entwickelte Muskulatur besitzt, so wäre es von höchstem Interesse, wenn dieser Mitteilung etwas That- sächliches zu Grunde liegen würde. Die von Milne Edwards als Belegstelle zitierte Seite aus den gesamten Werken Hunter’s?), er- wähnt aber nur das Experiment mit der Möve. Auch diese Stelle scheint nicht direkt von Hunter zu stammen, da sie enthalten ist in der Beschreibung der Präparate des Hunter’schen Museum, die, soviel ich weiß, erst nach seinem Tode veranstaltet wurde. — Ich hoffe, durch diese eingehenden Erörterungen auch den ein- sefleischtesten Lamarckianer von der Unzulänglichkeit sämtlicher bis- her bekannt gewordenen Beobachtungen von Magenänderung überzeugt zu haben. Aber man wird nun fragen, ob denn eine Verstärkung der vor- handenen Muskelschichten der Magenwandung durch Mehrgebrauch theoretisch nieht gefordert werden müsse, da wir doch sehen, dass andere Muskeln, z. B. die unserer Extremitäten, durch regelmäßige Uebung ganz bedeutend an Umfang zunehmen. Ich glaube, dass bei dem Magen die Verhältnisse doch etwas anders liegen, besonders muss man im Auge behalten, dass wir keinen Grund haben, anzunehmen, der Muskelmagen oder der Sackmagen würde durch irgend welche Nahrungsänderung zu einer verminderten oder gesteigerten peristal- tischen Bewegung veranlasst werden. Es leistet also vielleicht jeder Magen -— mag er mit diesen oder jenen Substanzen gefüllt sein — stets die gleiche, gewohnte Arbeit, eine Abnahme oder eine Zunahme der diese Arbeit besorgenden Muskulatur ist dann natürlich nicht zu erwarten. Auch wenn z. B. das Fleisch, welches die Tauben fressen, gar nicht in den Muskelmagen hinabgelangt, sondern nur als dünner Speisebrei diesen Teil passiert, können die Reibeplatten trotzdem in unaufhörlicher Bewegung sein, wodurch einem Schwund der eigent- lich unnötig gewordenen Muskeln entgegengearbeitet wird. 1) Milne Edwards, Lecons sur la physiologie et l’anatomie compar&e de l’homme et des animaux, Tome VI, Paris 1860, p. 300. 2) Hunter, Oeuvres completes, traduites par Richelot, Paris 1839, Tome I, p. 184. — Für die Abschrift des betreffenden Abschnittes aus der französischen Ausgabe bin ich Herın Professor Raphael Blanchard zu großem Dank verpflichtet, dem ich auch an dieser Stelle geziemenden Aus- druck gebe. Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens 837 Ich darf aber nicht unterlassen, schließlich auch noch auf einige Beobachtungen hinzuweisen, welche geeignet sind, die von Semper ausgesprochenen Vermutungen über den Vorgang der Magenänderung in gewisser Hinsicht zu stützen. Es ist nämlich mehrfach beobachtet, dass in der Gefangenschaft gehaltene Vögel die Cutieula des Magens ausgestoßen haben. Der erste dieser Fälle stammt schon aus dem vorigen Jahrhundert. Gottlieb Tobias Wilhelm berichtet in seinen „Unterhaltungen aus der Naturgeschichte“!) von einem Rosenstaar, Merula rosea, der im Juni verwundet und gefangen wurde, im Oktober mauserte und gleich darauf die innere Magenhaut ausstieß. Die Nahrung be- stand aus Gerstenmehl und Milch, gelegentlich auch aus Insekten. Irgend welche Beeinflussung auf das Wohlbefinden des Tieres wurde weder vor noch nach der Ausstoßung bemerkt. In einem zweiten Falle handelt es sich um eine Misteldrossel (Turdus viscivorus), die als Junges im Frühjahr gefangen und ınit zartem Brei gefüttert wurde, sie stieß ebenfalls im Herbst, im November, die Cuticula des Magens aus. Auch hier wurde kein Unwohlsein vor oder nachher beobachtet ?). Später werden noch einige derartige Magenhäutungen gemeldet, so fand sich im Bauer eines ganz gesunden Staaren eine noch mit unverdauten Ameisenresten angefüllte Magencutieula; ein Käuzchen (Strix noctua) stieß die innere Magenhaut unter genau denselben Be- wegungen wie das Gewölle aus und fraß unmittelbar darauf eine Maus?). Keiner dieser Fälle ist leider genauer verfolgt: ich vermute aber, dass, wenn gleich nach dem Ausstoßen der Magenhaut die Tiere ge- tötet und untersucht worden wären, man im Magen eine normal ent- wiekelte Cutieula vorgefunden haben würde. Man kann sich vorstellen, dass durch irgendwelche Umstände der Kontakt der Cutieulardrüsen und besonders ihres Sekretes mit den unteren, jüngst gebildeten Schichten der Cutieula eine zeitlang verloren gegangen ist, dann muss oder dann kann das im späteren Verlauf abgesonderte Sekret zu einer neuen — unter der alten liegenden — Cutieula werden, die schließlich die Ausstoßung der gelockerten alten Magenhaut veranlasst. Endlich mag auch der krankhaften Veränderung des Magens der Mastgänse Erwähnung gethan werden! Man hat beobachtet, dass die genudelten Gänse (d. s. Tiere, denen eine besonders präparierte Nah- rung, die sogenannten Nudeln, in übergroßer Menge eingequält wurden) im Bau der inneren Organe mancherlei Abweichungen zeigen, vor 4) Augsburg 1795, II. Teil, S. 245 ff. Siehe: „Der zool. Garten“, XIV. Jahrg., 1873, 8. 226. 2) Siehe: „Der zool. Garten“, VI. Jahrg., 1865, S. 396. 3) Siehe: „Der zool. Garten“, X. Jahrgang, 1869, 5.189. 858 Brandes, Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. allem die stark vergrößerte Leber ist allgemein bekannt, aber auch der Magen fällt sofort ins Auge, die Wände sind gewaltig ausgeweitet, die Muskulatur schwächer und die Cutieula weicher. Dass derartige Fälle aber rein pathologischer Natur sind, liegt auf der Hand, zur Stütze Lamarck’scher Ansichten lassen sie sich nicht heranziehen. Fassen wir in aller Kürze das Resultat des Vorstehenden zusammen, so kommen wir zu dem Schlusse, dass bisher auch nieht der ge- ringste Beweis für die Umwandlung eines Muskelmagens in einen Sackmagen und umgekehrt erbracht ist, und dass es überhaupt höchst unwahrscheinlich ist, derartige außerordentlich bedeutende!) Umänderungen jemals durch Fütterung zu erreichen. Also: ein bisher allgemein anerkannter Satz, den man durch einwandsfreie Experimente bewiesen glaubte, ist nicht nur nicht bewiesen, sondern vielleicht gänzlich un- richtig. Derartige Eigenschaften, wie sie sich im Bau des Magens aussprechen, werden meines Erachtens nicht durchAnpassung während derDauer des Lebens erworben, sondern sind lediglich das Resultat einer Auslese des für diese oder jene Lebensweise Bestgeeigneten im Kampfe ums Dasein. In gleicher Weise lassen sich die gewichtigsten Bedenken gegen eine ganze heihe von ähnlichen „Thatsachen“ ins Feld führen, so wird nach dem Vorstehenden Niemand zweifeln, dass auch der Be- hauptung, der Darm der Fleischfresser würde durch Darreichung von pflanzlicher Nahrung verlängert, auf unzuverlässige Experimente zu- rückzuführen ist. Auch die interessante Umwandlung von Branchipus in Artemia ist erst von einem Forscher nachgewiesen worden. Mir scheint es höchst wichtig, das Experiment zu wiederholen, zumal da auch im Falle der Bestätigung noch manche interessante Einzelheit im Gange der Umwandlung festzustellen sein würde ?). Wir sollten also skeptischer werden, nicht alles Heil in der Auf- deekung neuer Thatsachen suchen, sondern aufs gründlichste nach- prüfen, was andere entdeckt haben wollen, zumal wenn dieses geeignet ist, unsere allgemeinen Anschauungen über die Entstehung der Orga- nismen zu bestimmen. [90] 1) Semper nennt diese Veränderungen in der Struktur des Vogelmagens „nur äußerst unbedeutend“. |]. c. S. 84. 2) Eine Mitteilung von Grochowski (Verh. d. k. k. zool. bot. Ges. Wien, Bd. 45, 1895) über eine im Süßwasser lebende Species von Artemia widerlegt Jedenfalls die Verallgemeinerungen Schmankewitsch’s. 3] Brandes, Die Entwicklung von Ascaris lumbricoides. s39 Die Entwicklung von Ascaris lumbricoides. Von Dr. G@. Brandes, Privatdozent der Zoologie zu Halle a./S. Liest man in den neuesten zoologischen Lehrbüchern von Claus, Hertwig, Hatschek, Kennel und anderen über Ascaris lumbri- coides, dem verbreitetsten menschlichen Parasiten, nach, so findet man überall die Angabe, dass die Art der Entwicklung — ob direkt oder mit Zwischenwirt — noch nicht mit Bestimmtheit ermittelt sei. Die meisten stellen die Entwicklung in einem bisher noch unbekannten Zwischenwirte als das wahrscheinlichste hin; veremzelt findet sich sogar die ganz befremdliche Angabe, dass Julus guttulatus das Larven- stadium beherberge. Diese letzte Ansicht beruht auf einer Vermutung, die v. Linstow!) vor mehreren Jahren rein theoretisch zu begründen versuchte. Unter solchen Umständen kann man sich nicht wundern, wenn auch die große Mehrzahl der medizinischen Lehrbücher einen ähnlichen Standpunkt einnimmt?). In Wirklichkeit ist aber bereits seit einer Reihe von Jahren durch einwandsfreie Experimente der Beweis erbracht, dass bei der Entwicklung dieses Parasiten ein Zwischenwirt nicht im Spiele ist, sondern dass die Infektion durch den gelegentlichen Genuss embryonen- haltiger Eier erfolgt. Schon im Jahre 1881 berichtet Grassi, der bekannte italienische Helminthologe, über eine erfolgreiche Infektion. Am 10. Okt. 1878 entnahm er einer Leiche etwas Kot mit sehr zahlreichen Ascaris-Eiern, den er im weiteren Verlaufe etwas feucht hielt, ohne ihn jedoch direkt unter Wasser aufzubewahren. Bei diesem Verfahren behielten die Eier, in denen sich der Embryo bald entwickelte, auffallender Weise ihre äußere braune, höckerige Schale, die im Wasser nach kurzer Zeit verloren geht. Von diesen Eiern verschluckte nun Grassi am 20. Juli 1879 etwa hundert Stück und schon am 21. August fand er in seinem Kote Spulwurmeier. Diese Experimente, die freilich nieht ganz einwandsfrei sind, da Grassi es versäumt hatte, vorher eine anthelminthische Kur durch- zumachen, sind in Deutschland so gut wie gar nicht bekannt geworden. Sie waren nämlich mitgeteilt in der bei uns wenig gelesenen Gazetta degli Ospidali, anno II, Nr. 10, 1881. So kam es, dass Lutz?) im Jahre 1887 in einem größeren Artikel die Wahrscheinlichkeit einer direkten Entwicklung auf Grund theoretischer Erwägungen erörterte. Leuekart ließ dieser Abhandlung eine Nachschrift folgen, in der er betonte, dass er schon seit geraumer Zeit die gleiche Auffassung 1) Centralblatt f. Bakt. u. Parasitenk., I, 1887, Nr. 2, S. 49. 2) Völlig richtige Angaben finden sich, soweit ich gesehen habe, nur in Lenhartz, Mikroskopie u. Chemie am Krankenbett. Berlin, Springer, 1895, 2. Aufl. 3) Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk., Bd. I, 1887, 8. 131. s40 Brandes, Die Entwicklung von Ascaris lumbricoides. vertrete und dass er den erfolglosen Versuchen, die ihn vor Jahren sehr gegen seine Ueberzeugung verleitet hätten eine indirekte Entwick- lung als wahrscheinlich hinzustellen, nicht mehr den gleichen Wert beimessen könne, da vielleicht irgend welche unbekannte Bedingungen bei seinen Versuchen nicht realisiert wären. Kurze Zeit darauf konnte Lutz die interessante Mitteilung?) machen, dass die äußere höckerige Schale des Ascaris-Eies, die so- genannte Eiweißschale, bei den zu verschluckenden Eiern noch vor- handen sein muss, wenn das Experiment glücken soll, da diese äußere Hülle den Inhalt des Eies vor der Einwirkung der scharfen Magen- säfte schütze. Für diese Behauptung konnte er auch einen sicheren, experimentellen Beweis führen, indem er embryonenhaltige Eier mit ihrer Eiweißschale in ein kleines Säckchen verschloss und dieses dann verschluckte. Nachdem das Säckchen den Verdauungstraktus passiert hatte, zeigte es in seinem Inneren freie Embryonen und die typischen, höckerigen leeren Außenhüllen. Hiermit war konstatiert, dass die Schalen von den Verdauungssäften nicht angegriffen werden, dass viel- mehr die Embryonen zur geeigneten Zeit die Eischale selbständig durchbohren. Hiermit hatten auch die bisherigen, sich mehrfach wider- sprechenden Angaben über die Entwicklung von Ascaris lumbricoides ihre Erklärung gefunden. Davaine?), der erfolgreiche Fütterungs- versuche gemacht haben will, steht gerechtfertigt da, da er seinen Abbilddungen nach Eier mit äußerer Hülle verfüttert hat. Weitere Experimente waren eigentlich überflüssig, aber sie sind trotzdem von verschiedenen Seiten angestellt. So ließ Lutz?) eine 32 Jahre alte Person, die seit 26 Jahren absolut frei von Ascariden war, am 4., 5., 6., 7., 19., 23., 25., 27. Januar jedesmal ungefähr ein Dutzend Eier verschlueken, von denen aber nur etwa ein Drittel ent- wickelte Embryonen enthielt. Da sich bei der Person unangenehme Abdominalbeschwerden einstellten, musste Lutz sieh schon am 1. Fe- bruar entschließen eine anthelminthische Kur einzuleiten. Diese förderte erst 7 Stück 12 mm lange und dann noch 35 Stück 5'/, bis 13 mm lange Ascaris lumbricoides mit bereits deutlich zu erkennenden Ge- schlechtsorganen, die aber noch keine reifen Geschlechtsstoffe ent hielten, zu Tage. Später sind dann auch von Epstein*) sehr vorsichtige, positive 4) Centralbl. f. Bakt. u Parasitenk., III. Bd., 1888, S. 264. 2) Davaine, Traite des Entozoaires et des Maladies vermineuses de ’homme et des animaux domestiques. Paris, 1877. 3) Centralbl. f. Bakt u. Parasitenk., 1888, III. Bd., S. 425. 4) Epstein, Ueber die Uebertragung des menschlichen Spulwurms (Ascaris iumbricoides), eine klinisch- experimentelle Untersuchung. Nach einem am 21. September 1891 in der Naturforscher -Versammlung zu Halle gehaltenen Vortrage. Jahrbuch für Kinderheilkunde und pbysische Erziehung, XXXIII, 3. Heft, 1892. Neue Arbeiten über Blutgerinnung. 841 Experimente angestellt worden. Er legte am 28. Januar 1890 eine zahlreiche Exemplare von Ascaris /umbricoides enthaltende Kotkultur an, von der er ein etwa linsengroßes Stückehen drei Kindern einer Klinik verabreichte. Die Faeces von zweien der infizierten Kinder wurden bis zum 12. April einer regelmäßigen Untersuchung unter- worfen, wiesen aber keine Spur von Eiern auf. Als dann am 24. April wieder eine Untersuchung vorgenommen wurde, fanden sich bei beiden Kindern eine große Menge von Ascaris-Eiern. Bei dem einen Kinde wurde sofort eine anthelminthische Kur eingeleitet, indem ihm am 25. April, am 23. Mai und am 8. Juni Santonin 0,1 Ol. Riemi 25 gereicht wurde; es gingen 16 2 und 6 5 Spulwürmer ab. Bei dem anderen Kinde begann die analoge Kur erst am 25. Mai. Bis zum 18. September gingen 41 2 und 38 d ab. Bei dem dritten Kinde konnte die regelmäßige Untersuchung der Faeces nur bis zum 28. März fortgesetzt werden, da es aus der Klinik entlassen wurde. Jedoch fanden sich am 20. Juni in den Faeces des Kindes eine große Menge Ascaris-Eier, sodass auch hier eine gelungene Infektion mit Sicherheit angenommen werden kann. Die Kinder zeigten sich im allgemeinen munter; nur das eime schwächliche, welches im Alter von 4'/, Jahren stand, hatte unter dyspeptischen Beschwerden und hartnäckigem Darm- katarırh zu leiden. Zwei weitere Uebertragungsversuche hatten ein negatives Resultat, wahrscheinlich weil die Kultur einmal ausge- trocknet war. Aus den Epstein’schen Versuchen lassen sich außerdem noch einige Daten über die Zeit, welche die Entwicklung des Ascaris-Embryo bis zum reifen Geschlechtstier beansprucht, entnehmen. Geschlechts- reife Weibehen brauchen zu ihrer Ausbildung 10 bis 12 Wochen; sie erreichen nach Ablauf dieser Zeit eine Länge von 20 bis 23 em, wäh- rend die Männchen nach derselben Zeit nur eine Größe von 13 bis 15cm aufweisen können. Ich glaubte, auf diese helminthologischen Thatsachen, die bei der ungeheuren Verbreitung des menschlichen Spulwurms ein allgemeineres Interesse beanspruchen, an dieser Stelle hinweisen zu sollen, weil es den Anschein hat, als ob die Lutz’schen Abhandlungen im Central- blatt für Bakteriologie und Parasitenkunde von den Meistbeteiligten, von den Zoologen vielfach übersehen sind; die Verfasser der medizi- nischen Lehrbücher werden aber in den wenigsten Fällen auf die Originalarbeiten zurückgreifen, sondern naturgemäß die zoologischeu Lehrbücher zu Rate ziehen. [114] Neue Arbeiten über Blutgerinnung. Für die Gerinnung des Blutes ist von Arthus und Pages!) die Theorie aufgestellt worden, dass unter Einwirkung des Fibrinfermentes 1) Archives de physiologie, 1890, Heft 5, 8. 739. 842 Neue Arbeiten über Blutgerinnung. das Fibrinogen gespalten wird, und dass das eine Spaltungsprodukt sich alsdann mit dem im Blut enthaltenen Caleium verbindet und als Fibrin ausfällt. Ist die T’'heorie richtig, so muss 1. die Menge des entstehenden Fibrinogenspaltungsproduktes geringer sein als die vorhandene Fibrinogen- menge, 2. muss Entkalkung des Blutes die Gerinnung verhindern und 3. muss die Menge des entstandenen Fibrins proportional sein der Menge des vorhandenen Caleiums. Was die erste Forderung anlangt, so hat Hammarsten zuerst nach- gewiesen, dass, wenn man eine Fibrinogenlösung durch Zusatz von Fibrin- ferment oder von Blutserum zur Gerinnung bringt, einmal ein bei 64° koagnlierendes Globulin, das aus der Spaltung des Fibrinogens resultiert, in Lösung bleibt, und dass ferner weniger Fibrin entsteht als Fibrinogen vorhanden ist. Aber die ausgefallene Fibrinmenge variierte außerordent- lich stark, und die Bedingungen für die Gerinnung wichen erheblich von denen ab, unter denen sie gewöhnlich im Blut zustande kommt. Arthus!) selbst gibt deshalb ein anderes Verfahren an, das den normalen Verhält- nissen mehr Rechnung trägt. Er lässt Blut direkt in eine 1 prozentige Natriumoxalatlösung fließen: die Blutkörperchen setzen sich daun innerhalb vier Stunden ab, das Plasma wird abfiltriert. Eine Portion desselben wird auf 56° erwärmt; dadurch spaltet sich das Fibrinogen in eine Kompo- nente, die bei 56° gerinnt, also ausfällt, die zweite erst bei 64° koagu- lierende Komponente bleibt in Lösung. Eine zweite Portion des Plasmas wird mit kalt gesättigter Caleiumsulfatlösung versetzt, das Fibrin fällt aus. Die Niederschläge beider Portionen werden abfiltriert und gewogen. Der Niederschlag der ersten Portion überwiegt dann stets den der zweiten. Das ist um so beweisender für die behauptete Abspaltung des Fibrins aus dem Fibrinogen, als erstens schon ein Teil des Fibrinogens mehr wiegt als das aus dem gesamten Fibrinogen entstandene Fibrin, und als zweitens nicht bloß das reine Spaltungsprodukt des Fibrinogens gewogen wird, sondern dessen Oaleiumverbindung Fibrin. Zu anderen Resultaten ist Hayem?) bei der Untersuchung von Lymphe und Transudaten gelangt. Er bekam manchmal durch Zusatz von Blutserum Gerinnung, aber keine Fibrinogenfällung beim Erwärmen auf 56° Die Gerinnung blieb aber aus, wenn vor dem Zusatz des Serums auf 56° erwärmt worden war. Arthus schließt daraus, dass eine andere Art Fibrinogen hierbei sich in der Lösung befand, deren Menge sich nieht bestimmen ließe. In anderen Versuchen bekam Hayem mehr Fibrin als das bei 56° entstandene Fibrinogengerinnsel betrug, also gerade das entgegengesetzte Resultat als Arthus. Arthus glaubt aber auch dies in Uebereinstimmung mit seinen Versuchen bringen zu können, wenn er annimmt, dass erstens ein Fibrinogen mit anwesend sein konnte, das bei 56° keine Fällung gibt, und dass zweitens die Fibrinogenkomponente, die bei 56° fällt, im Vergleich zu der, die in Lösung blieb, sehr klein war, (Solche Variationen kommen nach Hammarsten Angaben wenigstens bei reinen Fibrinogenlösungen vor und sind abhängig vom Fibrinogen- und vom Salzgehalt derselben.) 1) Ebenda 1894, Heft 3, S. 552. 2) Comptes rendus de la Soc. de biologie, 21. April, 1894. @] 2 Neue Arbeiten über Blutgerinrung. 45 = Der zweiten Anforderung an die Theorie hat Arthus selbst Genüge geleistet, indem er nachwies, dass Zusatz von Natriumoxalat die Gerinnung hindert, und dass darauf Zusatz von Caleiumehlorid im Ueberschuss sofort die Gerinnung herbeiführt. Nun ist ihn aber darauf von Alexander Schmidt!) entgegnet worden, dass der Grund für die Aufhebung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes durch Zusatz von Oxalat nicht die Aus- füllung des Caleium, sondern die Anwesenheit der Oxalsäure sei. Denn entferne man das überschüssige Oxalat durch Dialyse aus dem Blute und setze darauf diesem das bei der Dialyse mit verloren gegangene Chlor- natrium, das die Blutglobuline in Lösung hält, wieder zu, so träte nun Gerinnung ein. Gegen diesen Einwand richtet sich eine neue Arbeit von Arthus?). In deren erstem Teil führt er den experimentellen Nach- weis, dass alle Säuren, welche unlösliche Caleiumsalze geben, schon in kleinen Quantitäten als Natriumsalze zugesetzt, die Gerinnung verhindern, unabhängig von dem Grad der Verdünnung des Blutes mit Wasser, wäh- rend Natriumchlorid z. B. nur bei bestimmter Konzentration denselben Einfluss hat, ihn aber durch Verdünnung mit Wasser verliert. In einer zweiten Reihe von Versuchen bringt er sodann das Blut zur Koagulation trotz Oxalsäureanwesenheit. Dazu gelangt er auf folgendem Wege: Setzt man zu oxaliertem Blut Oalcium oder Strontium, so erhält man Koagu- lation, nach Arthus’ Ansicht infolge des Caleium- oder Strontiumüber- schusses über die Oxalsäure, nach Schmidt infolge der Ausfüllung des Oxalats; setzt man Magnesium oder Barium zu, so bleibt die Koagulation aus, nach Arthus, weil Magnesium und Barium keine Fibrinbilder sind, nach Schmidt, weil Magnesium und Barium keine unlösliche Salze mit Oxalsäure geben. Setzt man nun aber zu der Masnesiummischung nur eine Spur Oalcium, so erfolgt Gerinnung, obgleich noch Magnesiumoxalat in Lösung bleibt. Dagegen könnte man (nach Arthus) allenfalls ein- wenden, dass Magnesiumoxalat weniger befähigt sei, die Koagulation zu hindern, als Alkalioxalat, und dass die Spur Caleium diese geringe Fähig- keit aufgehoben habe: dann müsste sämtliches Fibrin ausfallen. Das ge- schieht aber nicht, sondern die Fibrinmenge steigt mit dem weiteren lang- samen Zusatz von Caleium. Arthus führt den Beweis auch noch auf dem zweiten Wege, der von Schmidt selbst angegeben worden ist. Er befreit das oxalierte Blut vom ÖOxalsäureüberschuss durch Dialyse mit destilliertem Wasser und löst dann die dabei ausfallenden Globuline durch Zusatz von Natriumchlorid wieder auf. Während Schmidt, wie gesagt, hierbei Gerinnung eintreten sah, beobachtet Arthus diese -stets erst nach Zufügung eines Kalksalzes. Er glaubt den Widerspruch nur dadurch erklären zu können, dass das von Schmidt angewandte Chlornatrium kalkhaltig gewesen sei. Dass Arthus auch der dritten Anforderung an seine Theorie gerecht wird, ist eben schon kurz berührt. Das oxalierte Plasma wird mit Magnesiumchloridlösung versetzt und dann ein Caleiumsalz in geringen steigenden Mengen zugesetzt. Es nimmt alsdann auch die Menge des Fibrins zu, aber nicht in demselben Verhältnis als mehr Calcium zugefügt 1) Weitere Beiträge zur Blutlehre. Wiesbaden 1895. Erst nach des Autors Tod herausgegeben. 2) Archives de physiologie, 1896, Heft 1, S. 47. 844 Neue Arbeiten über Blutgerinnung. wird, vielleicht, weil ein Teil des Caleium sich doch mit der überschüssigen an Magnesium gebundenen Oxalsäure umsetzt. Schließlich geben mehrere Arbeiten von Arthus auch über die Natur des Produktes der Gerinnung, des Fibrins, Aufschluss. Die Ansichten darüber, in welche Gruppe der Eiweißkörper das Fibrin nach seinen Reaktionen einzureilen sei, sind bei den Autoren sehr geteilt; Arthus!) schließt sich der Gautier’s an, der es zu den Globulinen zählt. Mit diesen hat es die Eigenschaften gemein, dass es aus Lösungen von ver- dünnten Neutralsalzen, z. B. aus einer 1 prozentigen Lösung von Fluor- natrium?), gefällt wird 1. durch Dialyse, 2. durch Verdünnung mit Wasser, 3. durch konzentrierte Magnesiumsulfatlösung, 4. durch Salpetersäure und 5. durch Erhitzen. Nur in Iprozentiger Kochsalzung ist es verhältnis- mäßig schwer löslich, viel schwerer als z. B. Fibrinogen, Serumglobulin oder Myosin. Wenn man aber Fibrinogen nach der Ausfälluug mit kon- zentrierter Kochsalzlösung längere Zeit in der Lösung liegen lässt, so wird es der Art modifiziert, dass es sich dann auch kaum noch in 1proz. Kochsalzlösung auflöst ?). Wenn man Fibrin auf verschiedene Weise ausfällt, so kann man will- kürlich die Form des Niederschlages variieren und mit der Form auch einzelne Eigenschaften desselben *). Lässt man oxaliertes, filtriertes Plasma durch Zusatz von Calcium gerinnen, so scheidet sich das Fibrin, wenn man die Gerinnung bei vollkommener Ruhe vor sich gehen lässt, als eine gelatinöse zusammenhängende Masse aus; schlägt man diese, so bilden sich transparente, perlmutterglänzende Blätter. Ruft man die Gerinnung in mit Wasser verdünntem Plasma hervor, so entsteht ein leichter schweben- der Nebel, wenn man die Temperatur auf 40° erhält, bei 15° aber ein sich absetzender Niederschlag aus feinen Flocken. Schlägt man endlich das Plasma bei Eintritt der Gerinnung, so fällt zwar auch das Fibrin flockig aus, die Flocken legen sich aber zu den bekannten, ziemlich kon- sistenten Fäden zusammen: nur wenn das Plasma vorher mit Wasser ver- dünnt war und bei 15° geschlagen wird, fallen auch dann Flocken aus, die aber keine Fäden bilden. Kühne hat nun gezeigt, dass das Faser- fibrin sich nur langsam und unter Aufquellen in verdünnten Säuren löst, während die Flocken das gleich und ohne Weiteres thun. Die verschiedenen Formen von Niederschlägen kann man auch beim Fibrinogen erhalten. Das Fibrinogen ist überhaupt dem Fibrin sehr ähn- lich. Erwärmt man eine Lösung von Fibrin in 1 prozentiger Fluornatrium- lösung, so erfolgt wie beim Fibrinogen eine Koagulation bei 54° und eine zweite beim weiteren Erwärmen auf 640°—-76°. Es fallen also zwei ver- schiedene Körper aus. Entweder sind diese nun in der Lösung präformiert, oder sie entstehen durch Spaltung infolge der Erwärmung. Das Letzte ist das wahrscheinlichere; denn das Verhältnis zwischen dem bei 56° und 1) Archives de physiologie, 1893, Heft 2, 8. 392. 2) Diese Lösung bietet den Vorteil, dass die Wirkung von geformten Fermenten, also jede Fäulnis ausgeschlossen wird, während die Enzyme in ihrer Thätigkeit gänzlich unbeeinträchtigt bleiben. (Arthus u. Huber, Arch. de Physiologie, 1893, Heft 4, S. 651.) 3) Arthus, Theses pour obtenir le grade de docteur &s sciences physi- ques. Paris 1893. 4) Ebenda. Schmeil, Deutschlands freilebende Süßwasser - Copepoden. S45 dem bei 64° entstehenden Niederschlag schwankt je nach dem Salz- und Fibringehalt der Lösung. Erwärmt man durch Schlagen von Blut erhal- tenes Fibrin erst auf 56°, so löst sich nun in I proz. Fluornatriumlösung nur ein Teil auf, und dieser koaguliert bei 64°; erwärmt man aber vorher auf 75°, so löst sich überhaupt nichts mehr. Ebenso verhält sich ja Fibrinogen; nur darin unterscheidet es sich vom Fibrin, dass das nach der Erwärmung auf 56° in Lösung bleibende Globulin bei diesem durch konzentrierte Kochsalzung nur teilweise, bei jenen aber total ausgefällt wird. RO] Dr. Otto Schmeil, Deutschlands freilebende Süßwasser- Copepoden. III. Teil: Centropagidae. Mit 12 Tafeln und 3 Figuren im Text. Stuttgart, Verlag von Erwin Nägele, 1896. Die vorliegende umfassende Arbeit ist als das 21. Heft der von Leuckart und Chun herausgegebenen Bibliotheca Zoologica erschienen. Sie bildet den 3. Teil einer systematischen Beschreibung der Süßwasser- Copepoden (mit Ausschluss der parasitischen Formen), deren Publikation Dr. Schmeil 1892 begonnen und in dem kurzen Zeitraume von 4 Jahren zu Ende geführt hat. Es ist ein in jedem Betracht hervorragendes Werk, das nun vollendet vor uns liegt — ein Buch, dessen klarer, nie miss- zuverstehender Text in Verbindung mit einer großen Anzahl sehr genauer Abbildungen die Speciesbestimmung außerordentlich erleichtert, sodass das- selbe als ein klassischer Führer durch die Mannigfaltigkeit der einhei- mischen Copepoden-Fauna betrachtet werden darf. Schmeil behandelt in dem hier zu besprechenden 3. Teil die Gat- tungen Diaptomus, Heterocope und Burytemora, welche bisher als Glieder der Calaniden-Familie, wie sie von Dana und Claus aufgestellt worden ist, galten. Giesbrecht, der das System der Copepoden reformiert hat, rechnet die obigen 3 Genera zu der umfassenderen Familie der Centropagiden und zwar zu derjenigen Unterabteilung derselben, die er Temorinae nennt. Schmeil bemerkt aber hierzu, dass die Unterschiede zwischen dieser Subfamilie und den deutschen Oentropagiden - Gattungen zahlreich genug seien, um eine Absonderung der letzteren von den Temorinae zu motivieren. Eventuell wird von Schmeil für diese neue Unterfamilie die Bezeichnung Diaptominae in Vorschlag gebracht. Die 3 dazu zählenden Genera werden von unserem Autor wie folgt charakterisiert: Gen. Diaptomus: Furkaläste kurz, höchstens dreimal so lang als breit; Innenast des ersten Schwimmfusspaares zweigliederig; Innenäste der übrigen Paare dreigliederig. Gen. Heterocope: Furkaläste kurz, höchstens doppelt so lang als breit; Innenäste aller Schwimmfußpaare eingliederig. Gen. Eurytemora: Furkaläste lang, wenigstens drei und einhalb mal so lang als breit; Innenast des ersten Paares eingliederig; Innenäste der übrigen Paare zweigliederig. Bei den deutschen Diaptomus-Arten haben wir es nach Schmeil mit drei wohl von einander unterscheidbaren Gruppen zu thun, die sich S46 Schmeil, Deutschlands freilebende Süßwasser - Copepoden. an Diapt. castor, D. salinus und D. ceoeruleus als Hauptformen anschließen. Es sind das I. Die castor-Gruppe mit D. castor Jur. und D. superbus Schmeil. Il. Die salinus-Gruppe mit D. salinus v. Daday und D. wierzejskü Richard. III. Die coeruleus- Gruppe mit a) D. coeruleus Fischer; D. Zachariasi Poppe; DB D. gracilis Sars; D. graeiloides Lilljeborg; (D. guernei Imhof). Es ist das erste Mal, dass eine derartige Gruppierung der Diaptomus- Arten unternommen wird, aber die Berechtigung dazu erhellt aus den eingehenden Vergleichen, die Dr. Schmeil auf S. 30 u. 31 seiner Arbeit vornimmt. Danach ergibt sich ganz ungezwungen eine Anzahl verwandt- schaftlicher Beziehungen zwischen den verschiedenen Species eines T’ypus, wodurch eine bessere Uebersicht über die ganze Gattung gewonnen wird. Auf S. 35—75 folgt dann die nähere Charakteristik der einzelnen Gruppen und der sie bildenden Arten. Weiterhin (S. 78—99) beschäftigt sich Dr. Schmeil mit dem Genus Heterocope und beschreibt die 3 für Deutschland bekannten Species des- selben: H. saltens Lilljeb. (Chiemsee), H. weismanni Imhof (Bodensee) und H. appendieulata (Plöner, Schweriner, Müritz - See). Der Schlussteil (8. 100—-125) ist der Gattung Purytemora gewidmet, von welcher bei uns im Süßwasser ebenfalls nur 3 Arten vorkommen: Eu. lacinulata (mord- und mitteldeutsche Seen), Eu. affinis (Unterelbe, Ems, Weser) und Ku. lacustris (holsteinische Seen, Müritzsee). Dem stattlichen Hefte ist auch ein sehr umfangreiches Litteratur- verzeichnis (über 150 Autoren berücksichtigend) beigegeben, in das noch die allerneuesten Publikationen, soweit dies irgend möglich war, mit auf- genommen worden sind. Dieselbe uneingeschränkte Anerkennung, welche wir dem vorliegenden III. Teile gezollt haben, können wir auch auf die vorher erschienenen beiden Hefte über Harpactieiden (1893) und Cyelopiden (1892) er- strecken. Jede dieser umfangreichen Monographien legt Zeugnis ab von dem Fleiße, den en Kenntnissen und der ER HE ihres Verfassers, der auf dem betreffenden Forschungsgebiete schon mit seiner Doktordissertation sich hervorgethan hat. Wir verdanken Schmeil auch die Auffindung einer ganzen Reihe von Copepoden-Species, die bisher nur aus Gewässern des Auslandes be- kannt waren; es sind deren nicht weniger als ein Dutzend. Während überhaupt 1863 im Ganzen nur 14 deutsche Copepodenarten aufgeführt werden konnten, beträgt deren Anzahl jetzt 49, nämlich 26 Cyelopiden, 10 Harpactieiden und 13 Calaniden. Auf 8. 10 u. 11 des 1. Teiles seiner Gesamtmonographie gibt Schmeil ein ausführliches Verzeichnis derselben, welches natürlich noch nicht als definitiv betrachtet werden kann, weil Deutschland erst zum kleinsten Teile hinsichtlich seiner Crustaceenfauna erforscht ist. [104] Biolog. Station. Dr. Otto Zacharias (Plön). Knauthe, Fortpflanzung des Aales. 847 Fortpflanzung des Aales. Im Anschluss an die hochinteressanten Ausführungen von Othm. Em. Imhof in Nr.11 S. 431 des Biologischen Centralblattes bemerke ich Folgendes: Nun beginnt es doch endlich auch in der Aalfrage zu dämmern und nunmehr zeigt es sich eben wieder einmal eklatant, dass diejenigen Leute, welche ständig mit der Natur in Berührung sind, in diesem Falle also die alten praktischen Fischer, auch am besten in deren Buche zu lesen verstehen. Als auf dem Fischereitage in Breslau, am 24. August 1894, der Konsulent der k. dänischen Regierung Arthur Feddersen in Kopenhagen mit der Behauptung vor die Oeffentlichkeit trat, dass ebenso wie der Lachs in verschiedenen Becken Schwedens auch der Aal im Norden teilweise zum vollständigen Süßwasser- bewohner geworden sei und zwei getrennte Arten die breitschnauzige als stabile, laichfähige Süßwasser-, die spitzköpfige als Wanderform aufstellte?), da wurde er namentlich von Dr. von Brunn (Hamburg) heftig angegriffen, der sowohl das Laichen des Aales im Binnenlande als auch die stabile Süß- wasserform nicht gelten lassen wollte ?2), nun werden die Herren ihm bald recht geben missen. — Aber nicht nur die tiei/en Alpenseen werden das Privilegium als Laichstätten des Aales haben, sondern er wird überall da zur Fortpflanzung schreiten, wo sich ihm günstige Gelegenheit dazu bietet und jedenfalls viel eher noch in unseren Flachlandbecken als auf Gebirgsuntergrunde. Wir haben hier in der Mark zunächst die allerschönsten typischen Süßwasserformen unseres Fisches — ich erinnere bloß an den quappenartigen Aal des Sternberger- den des Falkenhagener-Sees u. s. w. — und zwar nicht nur in abgeschlossenen Becken, sondern auch in solchen mit starkem Zu- und Abfluss, wie denen bei Rheinsberg, in letzteren allerdings neben der Wanderform. In solchen Becken findet sieh unser Fisch in allen Stadien, ohne dass Mont&e-Einsetzungen stattgefunden haben, darunter immer g in allen Größen und er nimmt auch trotzaller Nachstellungen absolut nicht ab. Eigentümlich ist ferner der Umstand, dass der Aal gegen Ende Mai und Anfang Juni hier zu Lande sehr gut „läuft* d. h. sehr rege ist und gut in die Reusen geht, was nach Analogie aller anderen Fische nur aufs Laichgeschäft schließen lässt, denn alle unsere Fische-pflegen bekanntlich dann am meisten in Bewegung zu sein, wenn die Fortpflanzungsperiode anhebt. Ganz besonders gibt jedoch folgende Beobachtung durchaus zuverlässiger Leute in dem A. Hübner in Thalmühle bei Frankfurt a./O. gehörigen Köllnitzsee zum Nachdenken Anlass. Der Abfluss dieses Bassins ist durch eine Mühle ver- sperrt, über die der Aal von jeher nicht hinaufkommen konnte. In diesem See waren früher nur wenig Aale, es wurden aber Mengen von Setzlingen und mit diesen gar viele Männchen eingeworfen, denn die Lauenbrucher Setzlinge haben ja bis SO und mehr Prozent 5 *). In der dunkelen Nacht vom 23. bis 1) „Zeitschrift für Fischerei und deren Hilfswissenschaften“. Charlotten- burg, Ad. Gertz, 1895, Nr. 3 u. 4, 8. 156 ff. und S. 167 mit Figuren. Ueber das Laichen des Aales im Süßwasser. cf. auch Gerh. von Yhlen, „Wird das Fischereigewerbe in befriedigender Weise betrieben?“ Gothenburg 1869, S9E.u..8..m, 2) „Zeitschrift für Fischerei“, 1895, Nr.3 u. 4, S. 164/166. 3) „Allgemeine Fischerei- Zeitung“. München 1894. Id. Sas Bauer, Vogeleier. 24. Juni 1894 hörten nun auf dem See beschäftigte Leute ein eigenartiges Plätschern wie wenn Bleie laichen, sie ruderten hin und bemerkten mit Er- staunen, dass es an dieser Stelle von größeren Aalen nur so wimmelte. Schnell wurde das Netz ausgeworfen und, obwohl das Zuggaın unklar wurde, weil beim Auswerfen der Unterreep sich über den Oberreep hängte, wurden doch noch auf einen Zug über 400 Pfund Aale gefangen, ein kolossales Resultat, während Mengen dieht gedrängt zwischen den Booten sich durchschlängelten oder richtiger durchzwängten. Ob sich unter diesen 4 Zentnern Männchen befanden, ist leider nicht konstatiert worden und ebenso ist diese Beobachtung bisher verschwiegen worden, weil man sich vor den Gelehrten .. . mit Recht fürchtete. Ein Pendant dazu sah übrigens Herr Großfischer Ernst Mahn- kopf in Spandau in seiner Jugend an der alten Oranienburger Freiarche an einem schönen Junitage. Auch dort waren so mächtige Scharen von Aalen auf einem Knäuel beieinander, wie Herr Mahnkopf sie später nicht mehr gesehen hat und auch sie plätscherten mit ihren Schwänzen wie nur laichende Fische das thun. Unserer Meinung nach wäre die Aalfrage spielend zu lösen, wenn es die Wissenschaft nicht verschmähen möchte mit der Praxis Hand in Hand zu arbeiten und sich von den Praktikern das Material zu Untersuchungen liefern zu lassen. Kleine aber immerhin anständige Prämien würden dabei Wunder wirken!). Spandau, 11. Juni 1896. Karl Knauthe. [72] Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogeleiern. (Fortsetzung; vergl. Bd. XVI S. 523.) Ein verlegtes Ei der Roemertaube (Columba Romana) hatte am 11. Sep- tember a. e. das Gewicht von 24,417 g. 5 Minuten gekocht 23,97 g. Ohne Dotter 19,003 g. Ohne Eiweiß, nur Schaale 3,355 g. Daraus berechnet sich für Dotter 4,967 g, Eiweiß 15,648 g, Schaale 3,355 g. Das Taubenei enthält mithin: 20,72°|, Dotter, 65,29 °/, Eiweiß, 13,99], Schaale. Dr. R. W. Bauer (Leipzig). [105] 1) Uebrigens erinnere ich mich in der „Deutschen Fischerei - Zeitung“ Stettin gelesen zu haben, dass ein Herr aus Sachsen in einem völlig abge- schlossenen mit Aalen besetzten See Montee beobachtete. Er bot diese den Fachgelehrten zur Untersuchung an, leider vergeblich. Man hat seine Beobach- tung einfach ignoriert. DV: Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipzig; Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München en herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Inhalt: Schulze, Zellmembran, Pellicula, Cutieula und Crusta,. — Heymons, Ueber die abdominalen Körperanhänge der Insekten. — Eismond, Anwendung von Mikrophotographie zur Anfertigung genauer Abbildungen. — Rauber, Die Regeneration der Krystalle. — Aus den Verhandlungen gelehrter Ge- sellschaften: Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien: 1. v. Wett- stein, Die europäischen Arten der Gattung Gentiana aus der Sektion YUndo- tricha Froel. und ihr entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang; 2. Molisch, Die Ernährung der Algen. Zellmembran, Pellicula, Cuticula und CUrusta. Von Franz Eilhard Schulze'). Der Begriff der Zellmembran, ursprünglich von der häutigen Cellulosehülle der Pflanzenzellen entnommen, ist in der tierischen Histiologie auf mancherlei verschiedenartige Hüllen- und Rinden- bildungen angewandt worden, welche sich bei einzelnen Zellformen an der Oberfläche des plasmatischen Zellenleibes im lebenden oder abgestorbenen Zustande wahrnehmen lassen. Solange die „Membran“ in dem für alle Lebewesen giltigen Zellen- schema noch eine präponderierende oder doch mindestens wesentliche Rolle spielte, musste das Bestreben der Untersucher darauf gerichtet sein, diese überall als zweifellos vorhanden vorausgesetzte häutige Hülle in jedem einzelnen Falle zu erkennen und nachzuweisen. Ließ sich dieselbe nicht direkt und ohne weiteres wahrnehmen, so wurde wohl die Schwierigkeit der Untersuchung als Grund des mangelnden Nachweises angenommen. „Bei vielen Zellen“, sagt Schwann in seinem für die ganze tierische Histiologie grundleglichen Buche?), „ist 4) Abdruck aus den Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft auf der zehnten Versammlung in Berlin vom 19.—22. April 1896. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Auf Wunsch des Herrn Verfassers mitgeteilt. 2) Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Stıuktur und dem Wachstume der Tiere und Pflanzen, 1839, S. 43. VI 54 350 Schulze, Zellmembran, Pellieula, Cutieula und Crusta die besondere Zellenmembran unzweifelhaft, bei den meisten ist sie mehr oder weniger deutlich. Unter diesen Umständen ist wohl der Schluss erlaubt, dass auch bei den Kugeln, wo keine Zellmembran zu erkennen ist, der in seiner Form und Lage charakteristische Kern aber sich findet, eine Zellenmembran vorhanden ist“. Oft war man zufrieden, wenn sich eine Membran nach Einwirkung bestimmter Reagentien erkennen ließ, wie z. B. nach Schwann bei den polyedrischen Zellen des Horngewebes der Schweinsfötusklauen. „Hier lässt sich“, so sagt er l. e. S. 92, „im frischen Zustande nicht unterscheiden, ob jede Zelle ihre besondere Wand hat“. Nach längerem Liegen in starkem Weingeiste ist jedoch „die eigentümliche Wand der sich leicht von einander trennenden Hornzellen deutlich unterscheidbar“. Unter diesen Umständen konnte es nicht ausbleiben, dass für ge- wisse Zellformen die Frage nach dem Vorhandensein einer Membran Gegenstand des Streites werden musste; und es ist begreiflich, dass, nachdem dieser Streit in den meisten Fällen!) zu der Erkenntnis ge- führt hatte, dass eine distinkte Membran an der Oberfläche vieler tierischer Zellen fehlt, nun eine Reaktion in dem Sinne eintreten konnte, dass die Membran bei tierischen Zellen als überhaupt nur selten vorkommend und daher auch nur als ein ganz unwesentlicher und unwichtiger Bestandteil der (tierischen) Zeile anzusehen sei. Die Auffassung, welche, wie Waldeyer noch jüngst in einer vortrefflichen „Zusammenstellung der neueren Ansichten über den Bau und das Wesen der Zelle“ ?) überzeugend nachgewiesen hat, augenblicklich die herrschende ist, macht es verständlich, dass in letzter Zeit wenig ein- sehende Untersuchungen über die tierische Zellmembran und ihre Modifikationen angestellt wurden und eine gewisse Unsicherheit darüber besteht, was man überhaupt bei tierischen Zellen Zellmembran nennen soll, und in welchem Sinne verwandte Bezeichnungen, wie Pellieula, Cutieula ete. zu verstehen, beziehungsweise anzuwenden sind. Bevor ich in die Erörterung dieser Fragen näher eingehe, möchte ich die Notwendigkeit einer prinzipiellen Entscheidung darüber betonen, ob es sich hier um rein morphologische d. h. ausschließlich auf Form und Lage bezügliche Begriffe handeln soll, oder ob auch die Art und Weise der Bildung dieser an der Oberfläche des Plasmakörpers wahrnehmbaren festeren Rindenbildungen, vielleicht auch innere Struktur derselben, selbst die chemische Konstitution in Betracht zu ziehen ist. In letzterer Hinsicht kann ich wohl auf allseitige Zustimmung rechnen, wenn ich annehme, dass weder die chemische Natur, noch die Strukturverhältnisse der Rindenlage für derartige allgemein histio- 4) So z.B. bei der Kontroverse zwischen Reichert und Max Schultze über die Abgrenzung des Weichkörpers der Foraminiferen. 2) Deutsche mediz. Wochenschrift, 1895, Nr. 43 u. ff. Schulze, Zellmembran, Pellieula, Cutieula und Crusta. 851 logische Begriffe und Bezeichnungen in Betracht kommen dürfen. Ob eine Grenzschicht aus Albumin, Chitin, Keratin, Cellulose oder irgend einer anderen festeren organischen Substanz resp. Verbindungen solcher besteht, würde demnach für unsere Frage gleichgiltig sein. Ebenso wenig können unorganische Substanzen wie Kieselsäure, Kalksalze und dergleichen einen Unterschied bedingen, zumal da sie hier ja aus- nahmlos in Verbindung mit einer organischen Grundlage auftreten. Auch die Struktur scheint für diese Begriffsbestimmungen unwesentlich zu sein. Ob eine Zellhülle homogen, lamellös geschichtet oder radiär durchbohrt ist, ob sie aus einem Balkennetz, einem Balkengerüst oder aus Waben besteht, ob differente Formelemente dieser oder jener Art eingelagert sind oder nicht, kann hier schwerlich in Betracht kommen. Anders steht es hier mit der Frage nach dem Unterschiede in der Festigkeit einer Rindenschicht gegenüber dem übrigen Plasma des Zellenleibes. Dabei ist natürlich zunächst ganz abzusehen von jenem „physi- kalischen Oberflächenhäutchen“, welches an der Oberfläche jeder in dünnerer Flüssigkeit freiliegenden Plasmamasse als eine dichtere Grenz- schicht vorhanden ist und zuweilen auch wohl nach Art einer Zell- membran wirken und optisch sich darstellen kann, ohne jedoch im engeren Sinne diesen Namen wirklich zu verdienen, da es ja nie als feste Masse für sich besteht. Auch wird man schwerlich solche differente Grenzlage als Zell- membran bezeichnen dürfen, welche in sich so wenig Konsistenz und Festigkeit haben, dass sie sich nicht als zusammenhängendes Häutchen abheben oder abziehen lassen könnten, wie etwa eine Schleimhülle oder derbere Grenzlage eines halbflüssigen in sich beweglichen Plasmas, welche sich z. B. bei manchen Amöben findet und hier als Ektoplasma von dem dünnflüssigeren Endoplasma unterschieden ist. Besonders wichtig aber erscheint ein Umstand, auf welchen zwar schon wiederholt, so z.B. durch Leydig, die Aufmerksamkeit gelenkt ist, ohne dass er jedoch bis jetzt hinlänglich allgemeine Beachtung ge- funden hätte, ich meine die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen einer nach innen gegen den weichen Plasmakörper mehr oder minder scharf abgegrenzten festeren Grenzschicht und einer ganz allmählich ohne erkennbare Grenze in die weiche Plasmamasse tbergehenden Rindenmasse. Nur das Erstere kann doch wohl auf die Bezeichnung Zellmembran (entsprechend unserem deutschen Worte „Haut“ oder „Häutehen“) Anspruch machen, für andersartige Bildungen wird man eben auch andere Bezeichnungen wählen müssen. So ließe sich z. B. die derbe hyaline Rindenmasse der in Verhornung begriffenen Epithel- zellen, wie z. B. unserer verhornenden Oberhautzellen, der Lippen- epithelzellen der Störe, der Zellen, welche die Stiftzähnchen oder Hornkiefer der Batrachierlarven bilden, und der von Schwann gerade H4* RR 52 Schulze, Zellmembran, Pellieula, Cutieula und Crusta. als Paradigma der Zellmembran besonders hervorgehobenen Zellen der Hornmasse embryonaler Schweineklauen u. dergl., die hyaline Rinden- masse, welche sich nicht scharf von dem in der Umgebung des Kernes noch mehr oder weniger reichlich vorhandenen und in allmäh- licher Umwandlung begriffenen Plasmakörper der Zelle abgrenzt, son- dern ganz allmählich in diesen selbst übergeht, und ähnliche Bildungen der Art zweckmäßig mit dem Worte „Crusta, Kruste“, entsprechend der nach innen nicht scharf abgesetzten Brotkruste oder Käserinde bezeichnen, welches ich für diese Fälle vorzuschlagen mir erlaube. Ferner erhebt sich die Frage, ob man nur die den ganzen Zell- körper vollständig umhüllende oder auch eine nur einseitig entwickelte Decke als Zellmembran bezeichnen soll. Für die letztere Bildung, wie sie ja an der frei vorliegenden Endfläche so vieler Zellen besteht, ist seit lange die Bezeichnung Cuticula üblich und auch wohl überall in der tierischen Histiologie auch jetzt noch in schulmäßigem Gebrauche. So lehrt z. B. ©. Hertwig in seinen Grundzügen der allgemeinen Anatomie, Physiologie. — Die Zelle und die Gewebe, 1893, S. 139: „Cutieulargebilde sind hautartige Absonderungen, mit welchen sich eine Zelle anstatt allseitig nur einseitig an ihrer nach außen gekehrten Oberfläche bedeckt. Im Tierreiche sind häufig die Zellen, welche die Oberfläche des Körpers einnehmen oder die Innenfläche des Darnikanals auskleiden, mit einer Cuticula versehen“. Im Gegensatze zu dieser Begriffsbestimmung von Cutienla als eines einseitigen membranösen oder häutigen Grenzgebildes der Zelle ist für eine den Plasmakörper allseitig umschließende membranöse Hülle auch hin und wieder die, wie mir scheint, recht glücklich gewählte Bezeichnung Pellieula angewandt, so z.B. bei Infusorien, Bakterien und tierischen Eizellen. Demnach würde also jede den Plasmakörper der Zelle deckende und selbst von dem Plasmakörper deutlich abgesetzte häutige Schicht, insofern sie zur Zelle gehört, als Zellmembran zu bezeichnen sein. Ist dieselbe allseitig ausgebildet, so dass sie den Plasmakörper voll- ständig umschließt, so kann man sie Pellicula nennen, ist sie nur einseitig ausgebildet, so heißt sie Cuticula. Setzt sich dagegen die festere Grenzschicht nicht deutlich von dem Plasmakörper ab, sondern geht allmählich in denselben über, so heißt sie Crusta. Bei diesen rein morphologischen Begriffsdefinitionen und entsprechen- den Bezeichnungen ist nun, wie man sieht, die Art und Weise der Entstehung solcher festeren Grenzschichten oder Hüllen nicht in Betracht gezogen, ebenso auch die an sich ja gewiss sehr wichtige Frage absichtlich außer Acht gelassen, ob eine solche Rindenschicht durch Absonderung resp. Ausscheidung oder durch Verwand- lung der äußerstenPlasmalage entstanden ist. Im ersteren Falle Schulze, Zellmembran, Pellieula, Cutieula und Crusta. 353 könnte auch noch die Alternative in Betracht kommen, ob die abge- sonderte Masse ähnlich wie ein Drüsensekret über die freie, äußere Grenzfläche der betreffenden Zelle hinaus nach außen oder aber an Stelle der äußersten Plasmalage sich in der Art ablagert, wie etwa die aus emporgestiegenen Fettkügelchen eines ruhig stehenden Milch- quantums gebildete Rahmschicht oder Fetthaut. Im zweiten Falle da- gegen d. h. bei der Verwandlung der äußersten Schicht zu einer differenten festeren Haut wäre dieser Verwandlungsprozess selbst genau zu charakterisieren. Es könnte sich dabei nämlich entweder um eine ganz lokale physikalische oder chemische Veränderung handeln, wie etwa die äußerste Wasserschicht durch Gefrieren zu einer Eisrinde sich umwandelt oder an der Oberfläche eines Leimtropfens in Gerb- säurelösung eine feste Niederschlagsmembran entsteht; oder aber es könnten gewisse im Innern des Plasmakörpers, etwa in der Nähe des Kernes, entstandene Molekel eines bestimmten Stoffwechselproduktes zur Oberfläche gelangen, sich hier mit anderen schon an der Ober- fläche selbst gelegenen chemisch vereinigen und dadurch zur Bildung einer festeren Rindenschicht Veranlassung geben. Endlieh könnten mannigfache Kombinationen dieser verschiedenen Vorgänge vorkommen. Da wir nun von allen diesen an sich möglichen Entstehungsweisen einer tierischen Zellmembran bisher wenig oder gar nichts mit Sicher- heit wissen oder gar im einzelnen Falle haben feststellen können, so möchte es wohl einstweilen sehr schwer, ja geradezu unmöglich sein, mit Bestimmtheit zu entscheiden, ob eine in Betracht gezogene Mem- bran durch Ausscheidung von Seiten des Zellplasmas oder durch Ver- wandlung seiner Rindenschicht entstanden ist. Trotzdem ist gerade dieses Kriterium von Einigen für die prin- zipielle Unterscheidung echter Zellmembran und Cuticula in dem Sinne empfohlen worden, dass man nur für die durch Verwandlung der Plasmarindenschicht entstandene Hülle die Bezeichnung „Zell- membran“ anzuwenden, für jede durch Ausscheidung über die Ober- fläche des Zellkörpers hinaus entstandene häutige Lage aber den Ausdruck Cuticula zu gebrauchen habe. So sagt z. B. Leydig in seinem Buche „Zelle und Gewebe“, 1885, S. 12, in dem er auf mehrere frühere Publikationen der Jahre 64, 67 und 76 verweist: „Auf Grund fortgesetzter Studien über das Auftreten einer Zellhülle unterschied ich später neben der Zellmembran, welche durch Erhärtung der Rinden- substanz des Protoplasmas zu Wege kommt, noch eine andere Um- grenzung, die ich Cuticula nannte. Der Charakter derselben sei, dass sie einer Substanz den Ursprung verdanke, welche, vom Zellenleibe abgeschieden, über die Grenze des Protoplasmas hinaus erfolge“. Frei- lich räumt Leydig auf der folgenden Seite (l. ec. S. 13) selbst ein, dass es Uebergänge gibt zwischen der Zellmembran, welche durch „Erhärtung der Rindenschicht des Protoplasmas entsteht, und jener, 854 Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. welche unter den Begriff der Cuticularbildung fällt, sei es dass sie als abgeschiedene Substanz rings um die Zelle oder nur an einem Teil des Zellkörpers hautartig auftritt“. Dieser Leydig’schen Begriffsdefinition von Zellmembran und Cuti- cula stimmt neuerdings Waldeyer in dem schon erwähnten Aufsatze: „Die neueren Ansichten über den Bau und das Wesen der Zelle“ in der Deutschen mediz. Wochenschrift, 1895, Nr.43 u. ff. bei und ver- neint sogar prinzipiell jeden Uebergang zwischen beiden Begriffen, indem er meint, „dass ein Ausscheidungsprozess immer gründlich ver- schieden sei von einem einfachen Verdichtungs- oder Erhärtungs- oder sonstigen Differenzierungsprozesse einer äußeren Protoplasmaschicht gegen den Rest desselben. Freilich gibt Waldeyer andererseits ebenso wie Leydig zu, „dass man in vielen Fällen praktisch nicht wird unterscheiden können, ob eine besondere differenzierte (verhärtete oder verdichtete) Protoplasmaschicht in einem gegebenen Falle vor- liege“. Dem gegenüber haben viele andere Forscher den Begriff: „Cuti- cula“ in einem anderen und zwar rein morphologischen Sinn gefasst, indem sie darunter eine hautartige Ablagerung verstanden, welche nicht allseitig den Plasmakörper der Zelle umgibt, sondern „nur einseitig, an ihrer nach außen gekehrten Oberfläche bedeckt“ (0. Hertwig, Die Zelle und die Gewebe, 1893, S. 139). So sagt Bergh in seinen „Vorlesungen über die Zelle ete.“, 1894, S. 66: „Eine einseitige Membranbildung, die über die freie Fläche von Epithel- zellen ausgeschieden ist, wird als Cuticula bezeichnet“. Indem ich mich dieser letzteren Deutung des Wortes Cuticula anschließe, erlaube ich mir zur Gewinnung einer einheitlichen und ein- deutigen Nomenklatur kurz folgende Begrifisbestimmungen für die in der Ueberschrift dieses Aufsatzes genannten Bezeichnungen vorzuschlagen und zur allgemeinen Annahme dringend zu empfehlen: Unter Zellmembran ist jede in sich zusammenhängende häutige Grenzschicht einer Zelle zu verstehen, welche deutlich von dem Plasma- körper abgesetzt ist. Umschließt die Membran den Zellkörper allseitig, so heißt sie Pellieula; liegt sie demselben an der freien Fläche ein- seitig an, so heißt sie Cuticula. Unter Crusta versteht man eine derbere Grenzschicht der Zelle, welche allmählich in den weichen Plasmakörper übergeht. Ueber die abdominalen Körperanhänge der Insekten. Von Dr. Richard Heymons in Berlin. Obwohl: ch in einer ausführlichen Arbeit meinen Standpunkt be- treffs der Deutung der Abdominalanhänge bei Insekten bereits dar- Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. 855 gelegt und eingehend begründet habe!), so halte ich es doch für an- gebracht, in dieser Hinsicht noch einmal das Wort zu ergreifen, denn erstens sind mit dem hier zu besprechenden Gegenstande Fragen ver- knüpft, die vielleicht ein allgemeineres Interesse beanspruchen dürfen, und zweitens sind gerade neuerdings wieder andere, meinen Anschau- ungen widersprechende Mitteilungen über die Abdominalanhänge der Insekten veröffentlicht worden. Zum besseren Verständnisse des Sach- verhaltes schicke ich folgendes voraus. Am Hinterleibe zahlreicher weiblicher Insekten (Orthopteren, Rhyn- choten, Hymenopteren u. a.) kommen Legebohrer resp. Legestachel vor, von denen der bekannte Bienenstachel ja auch nur eine besondere Modifikation darstellt. Die Legeapparate werden in der Regel aus 6 Fortsätzen oder Gonapophysen (Ovipositoren) zusammengesetzt. Auch bei männlichen Insekten treffen wir häufig zu den Seiten der Ge- schlechtsöffnung 2 ähnlich gestaltete Fortsätze an, die man wohl als Parameren bezeichnet hat. Die Frage handelt sich nun darum, ob derartige Geschlechts- anhänge als Abdominalextremitäten anzusehen sind, ob man in ihnen mithin ehemalige zur Lokomotion dienende Gliedmaßen von früheren myriopodenähnlichen d. h. polypoden Stammformen erblicken darf, oder ob die Geschlechtsanhänge der Insekten lediglich als einfache, später entstandene Hautwucherungen aufzufassen sind. Die erstere Meinung hat Verhoeff in einem kürzlich erschienenen Aufsatze ?) ausgesprochen, letztere Ansicht wurde von mir vertreten. Die richtige Beurteilung der Gonapophysen ist nun dadurch ein wenig erschwert, dass am Hinterleibe niederer Insekten außer den Genital- fortsätzen auch noch griffelartige Zapfen, die sog. Styli, vorkommen können, die nach Verhoeff dann sekundäre Anhängsel der Beine resp. der Gonapophysen darstellen sollen. Wenn ich die Gonapophysen auf einfache zapfenförmige Erhebungen der Hypodermis zurückgeführt habe, so gründet sich diese Ansicht vor allem auf entwicklungsgeschichtliche Befunde, welche die Untersuchung zahlreicher Insekten ergeben hat. Ich bemerke, dass gerade die Ent- wicklungsgeschichte geeignet ist, in derartigen fraglichen Fällen viel- fach einen Aufschluss zu gewähren, weil bei Insektenembryonen sehr häufig noch an den Abdominalsegmenten deutliche Gliedmaßenanlagen auftreten. Diese Gliedmaßenanlagen liefern nun aber, wie ich gezeigt habe, niemals die Gonapophysen; sie gehen vielmehr zu Grunde, und erst viel später und unabhängig von ihnen kommen die Geschlechts- 4) HeymonsR., Zur Morphologie der Abdominalanhänge bei den Insekten. Morpholog. Jahrbuch, Bd. 24, Heft 1, 1896. 2) VerhoeffC., Zur Morphologie der Segmentalanhänge bei Insekten und Myriopoden. Zool. Anzeiger, Nr. 511 u. 512, 1896. 856 Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. anhänge zum Vorschein, die bei den Insekten als einfache Hypodermis- wucherungen angelegt werden. Mit der Hypothese, zu der nun Verhoeff neuerdings seine Zu- flucht zu nehmen scheint, dass etwa eine latente Anlage von der embryonalen Extremitätenanlage zurückgeblieben sein möchte, lässt sich meiner Ansicht nach nichts ausrichten. Denn erstens ist, wie ich nachweisen konnte, in vielen Fällen selbst beim besten Willen gar keine Beziehung zwischen Gonapophyse und embryonaler Extremität ausfindig zu machen (Gonapophysen entstehen selbst dann, wenn Ab- dominalgliedmaßen fehlen), und zweitens ist es wohl an und für sich schon etwas bedenklich mit den fraglichen „latenten“ Gebilden, die sich unserer Kenntnisnahme so gänzlich entziehen, etwas erklären zu wollen. In dem vorliegenden Falle scheint mir aber zu einem derartigen gewagten Erklärungsversuch überhaupt gar keine Veranlassung vor- zuliegen. Ich finde es sehr wohl verständlich, dass bei Insekten im Umkreise der Geschlechtsöffnungen seiner Zeit Hautpapillen und Fort- sätze entstehen konnten, die sich allmählich vergrößerten, beim Fort- pflanzungsgeschäft von Nutzen wurden und sich dann zu den Lege- apparaten und Kopulationsanhängen umgestaltet haben, wie wir sie bei den jetzigen Insekten antreffen. Die Fähigkeit der Insekten und aller Arthropoden überhaupt, Hautpapillen und Fortsätze zu produzieren, ist ja bekannter Weise eine außerordentlich große. Ich erinnere daran, dass solche Anhänge dann in sehr vielen Fällen gerade eine Förderung der Respiration oder eine Erleichterung des Fortpflanzungsgeschäftes zu bezwecken pflegen. Als Beispiele für die letztere Erscheinung seien genannt die Haltezangen männlicher Ephemeriden, die man verständigerweise meines Wissens bisher auch noch niemals von Myriopodenbeinen abzuleiten versuchte. In ähnlicher Weise finden wir bei männlichen Libellen außer den üblichen Gonapophysen des neunten Segmentes auch an der Basis des Hinterleibes, am zweiten Segmente, noch besondere Begattungs- anhänge vor. Ich glaube, dass es nicht erst des Hinweises auf die Entwicklung der betreffenden Anhänge bedarf (sie werden bei Aeschna als Hautverdickungen angelegt, die erst kurz vor der Metamorphose auftreten), um zu verstehen, dass es sich bei den Kopulationsapparaten der Libellen lediglich um besondere, der eigenartigen Lebensweise dieser Tiere angepasste, Einriehtungen handelt, nicht aber um Ueber- bleibsel von Beinen einer polypoden Urform. Die hier für die Kopulationsanhänge der Libellen!) im besonderen gegebenen Erklärungen, gelten nun meiner Ansicht nach für die Ge- 1) Auch die Gonaphysen weiblicher Libellen, auf welche Verhoeff zur Stütze seiner Theorie sich besonders berufen hat, haben ontogenetisch gar nichts mit Gliedmaßen zu thun. Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. 857 schlechtsanhänge der Insekten im allgemeinen. Diese Auffassung ist es, die aber gerade neuerdings von Verhoeff lebhaft bekämpft und sogar mit Bestimmtheit für „sicher falsch“ erklärt wurde, denn er habe nachgewiesen, dass die Parameren vieler Käfer „nieht nur als Extremitäten angesehen werden müssen, sondern ihrem anatomischen Baue nach thatsächlich solche sind“. Sehen wir davon ab, dass sich mit derartigen kategorischen Be- hauptungen wohl in Fragen relativ wenig ausrichten lässt, die der Diskussion von jeher ein weites Feld geboten haben, so bemerke ich, dass ich den Nachweis, richtiger die ziemlich willkürliche Deutung, die Verhoeff den Parameren männlicher Käfer gegeben hat, keineswegs als zutreffend anerkennen kann. Die hervorgehobenen Gründe, unter denen die Zusammensetzung der Parameren einzelner Insekten aus 2 Gliedern als besonders wichtig dargestellt wird, sind als beweiskräftig jedenfalls nicht anzusehen. Ich kann die Ansicht auch nicht unterdrücken, dass Verhoeff hierbei den Wert einer Gliederung an und für sich überschätzt hat. Eine Gliederung vermag auch an Anhängen hervorzutreten, die sicher keinerlei Beziehung zu paarigen Extremitäten besitzen, sondern unpaar sind. Ich verweise hier auf den medianen Schwanzfaden der Ephe- meridenlarven, auf die mittlere Schwanzborste von Lepisma und Ma- chilis, Gebilde, die nur eine verlängerte (11.) Rückenplatte des Ab- domens darstellen und doch ungemein reich gegliedert sind. Dass schließlich in das gegen das Körperinnere frei geöffnete Grundglied dann auch einmal ein Muskel eindringen kann, ist selbstverständlich. Eine Gliederung oder Segmentierung pflegt überhaupt im Tierreiche sich überall dort zu zeigen, wo ein Körper oder ein Körperanhang eine gewisse Länge erlangt hat und dabei doch seine Beweglichkeit bewahren soll!). Auch die langgestreckten Gonapophysen weiblicher Insekten, bei denen Verhoeff, wie er meint besonders hervorheben 4) Wie leicht übrigens eine Gliederung bei Hautfortsätzen einzutreten vermag, dürften gewisse Fälle zeigen, in denen außergewöhnlicher Weise an normal ungegliederten Anhängen eine Segmentierung eingetreten war. Ein bemerkenswertes Beispiel in dieser Hinsicht ist mir vor einiger Zeit von dem Privatdozenten Dr. Hesse (Tübingen) mitgeteilt und zur Veröffentlichung freundlichst überlassen worden. Bei einer sehr jungen, aus dem Ei gezüchteten Larve von Phryganea grandis zeigte sich eine der gewöhnlich einfach faden- förmigen Tracheenkiemen deutlich gegliedert, ähnlich wie dies für die Kiemen- anhänge der Sialis-Larven die Regel darstellt. — Die interessante Beobachtung ist im Tübinger zool. Institute von Gräfin M. Linden ausgeführt worden. — Sicherlich dürfte es sich im vorliegenden Falle nicht um Atavismus, sondern um eine Art Neuerwerbung, soweit sich von einer solchen sprechen lässt, handeln, gerade wie die Gliederung der Sialidenkiemen auch nicht als von den polypoden Vorfahren ererbt anzusehen ist. 5 Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. [0 6) zu sollen, eine Gliederung nicht hat entdecken können, würden sicher- lich eine solche schon längst erlitten haben, wenn nicht Starrheit und Festigkeit bei den Legebohrern gerade die Hauptsache wäre, die dann durch eine stärkere Chitinisierung erzielt worden ist. Ich habe ge- glaubt, diese eigentlich ziemlich leicht verständlichen Verhältnisse hier noch einmal beleuchten zu sollen, weil, wie angedeutet, neuere Forscher trotz Formenkenntnis in dieser Hinsicht noch immer Schwierigkeiten erblicken können. Bei den Insekten ist das Verhalten nun ein derartiges, dass gerade innerhalb der niederen Gruppen (Thysanuren, Orthopteren) die Gona- pophysen bei beiden Geschlechtern ausnahmslos einfach bleiben. Gerade hier, wo offenbar primitivere und ursprünglichere Verhältnisse noch zu Tage treten, haben nun die bisherigen ontogenetischen Untersuchungen das Resultat geliefert, dass eine Beziehung der Geschlechtsanhänge zu Extremitäten nicht vorhanden ist. Man wird darauf hin gewiss mit ziemlicher Sicherheit den Schluss ziehen dürfen, dass auch bei höheren Insektengruppen, z. B. Käfern, die Gonapophysen ebenfalls keine andere morphologische Bedeutung besitzen. Dass der bei vielen männlichen Insekten vorkommende Penis nur eine Hautausstülpung darstellt, wird allseitig anerkannt und sein Ur- sprung aus einer medianen Hautpapille ist sogar schon von Haase!) bei niederen Formen ausdrücklich festgestellt worden. Wir werden aber Verhoeff nicht beipflichten können, wenn er nun neuerdings den Insektenpenis in einen prinzipiellen morphologischen Gegensatz zu den in seiner Umgebung befindlichen accessorischen Chitinstücken stellen will?). Ein solcher Gegensatz ist von vorneherein um so un- wahrscheinlicher, als es sich sowohl in dem einen wie in dem anderen Falle nur um besondere die Kopulation erleichternde Einrichtungen handelt. Ein sicherer ontogenetischer Nachweis, dass die Gona- pophysen der Insekten aus Extremitäten hervorgegangen sind, ist bisher überhaupt noch in keinem einzigen Falle erbracht worden, und ehe dies nicht geschehen, halte ich es für bedenklich, zu Gunsten einer solehen Abstammung phylogenetische Spekulationen anzustellen. Verhoeff ist zu seiner gegenteiligen Anschauung nun besonders dadurch veranlasst worden, dass sich an den Genitalsegmenten der Thysanuren außer den Geschlechtsanhängen die schon erwähnten Styli vorfinden. Haben die letzteren, wie Verhoeff meint, mit den Extremi- 1) Haase E., Die Abdominalanhänge der Insekten mit Berücksichtigung der Myriopoden. Morpholog. Jahrbuch, Bd. 15, 1889. 2) Die Meinung des genannten Autors, es wäre sein Standpunkt in dieser Frage von mir nicht richtig anerkannt worden, ist eine durchaus irrige. Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. 859 täten nichts zu thun, so muss dies, wie er von seinem Standpunkt aus folgerichtig schließt, also wohl bei den ersteren der Fall sein. In meiner zitierten Arbeit habe ich zwar den in dieser Hinsicht gezogenen Schluss bereits für einen irrtümlichen erklärt, halte es aber doch zur besseren Klärung der Sachlage noch für erforderlich, gewisse niedere Insekten- grupppen zum Vergleich heranzuziehen. Wäre die von mir bekämpfte Ansicht richtig, und wären die Gona- pophysen wirklich einmal aus Extremitäten hervorgegangen, so würde man wohl erwarten können, irgendwo bei einem der zahlreichen nie- deren Insekten und Myriopoden Uebergänge von Gangbeinen zu Gona- pophysen anzutreffen. Das ist aber nicht der Fall. Einfach organisierte Myriopoden wie die Symphylen und Pselaphognathen besitzen gar keine Geschlechtsanhänge und diese Eigenschaft wird allgemein als ein pri- märer Zug dieser Formen anerkannt. Wenn wir uns nun die unbe- kannten polypoden Vorläufer der Insekten vorstellen, so wird man wohl zweifellos am besten thun, auch ihnen den Besitz derartiger ursprünglicher Eigenschaften beizulegen d. h. im vorliegenden Falle also anzunehmen, dass sie ebenfalls noch keine Kopulationsfüße be- sessen haben. Gehen wir jetzt zu denjenigen Insekten über, die nach allen bis- herigen Erfahrungen, ihrem Bau, ihrer Organisation u. s. w. noch ein- stimmig als die einfachsten und niedrigsten Formen angesehen werden, so kommen wir zu Tieren wie Campodea und Japyx. Am Abdomen mit Ausnahme des ersten Segmentes sind die Beine bei diesen Hexa- poden bereits rückgebildet und fehlen an dem kritischen Genital- segmente sogar vollkommen. Eine Umwandlung von Lokomo- tionsorganenzu Genitalanhängen hat demnach nicht statt- gefunden. Auch die einfach organisierten Collembolen besitzen noch keine Spur von Gonapophysen, während im Umkreis der Genitalöffnung von Japy& wenigstens schon kleine Hautpapillen sitzen. Während nun den genannten niedersten Insekten eigentliche Gonapo- physen noch durchweg fehlen, so sind doch gerade die Campodeiden und Japygiden ausnahmslos in dem Besitze von Styli, und ich glaube, diese Thatsache wird, wenn sie auch noch nicht allein entscheidend ist, doch wenigstens unbedingt als ein Hinweis darauf gelten können, dass, wie ich bereits bei früherer Gelegenheit hervorgehoben, die Styli im Gegensatze zu den Gonapophysen die ursprünglicheren Gebilde sind. Gonapophysen kommen in der Reihe der Insekten zum ersten Male bei den Thysanuren zum Vorschein, bei Formen, die in ihrer ganzen inneren Organisation und auch in ihrer Entwicklung, wie ich demnächst zu zeigen hoffe, den genuinen Orthopteren überaus nahe stehen. Aber selbst bei den Thysanuren, bei den weiblichen Individuen von Lepisma und Machilis sind die Gonapophysen im Gegensatze zu 360 Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. höheren Insekten insofern noch unvollkommen entwickelt, als sie nicht in der allgemein typischen Sechszahl, sondern nur erst in Vierzahl ausgebildet sind. Zu ihrer Seite stehen noch im neunten Segmente die bereits erwähnten Styli. Erst bei den flügeltragenden Insekten treten die Gonapophysen in ihrer charakteristischen Weise auf. Durch ein weiteres Paar von Hautwucherungen (laterale Gonapophysen) werden im 9. Segmente nämlich die Styli ersetzt und verschwinden, wie sich bei der Entwick- lung von Periplaneta und Decticus noch direkt beobachten lässt. Da dieser Ersatz nur bei den Legeapparaten weiblicher Insekten sich voll- zieht, so erklärt sich die bekannte Erscheinung, dass männliche Örthopteren meist noch dauernd im Besitze von Styli bleiben, mithin von primitiven Charakteren, die dem Weibchen eben in Folge der Aus- bildung ihrer komplizierten Legeröhre schon frühzeitiger verloren gingen. Ziehtman einen Schluss aus den hier mitgeteilten, übrigens ausnahms- los bereits bekannten Thatsachen, so ergibt sich eine nahezu vollständige Uebereinstimmung zwischen den Ergebnissen der vergleichenden Ana- tomie (Morphologie) und den oben genannten ontogenetischen Befunden. Wenn letztere zeigen, dass im Laufe der Entwicklung gegenwärtig die Geschlechtsanhänge niemals aus Bein- anlagen hervorgehen, so lehrt eine Betrachtung der aus- gebildeten niederen Tracheaten, dass ebenfalls kein An- zeichen auf eine frühere Abstammung der Gonapophysen von Abdominalbeinen hindeutet. Diese wohl eigentlich ziemlich nahe liegenden Erwägungen sind von Verhoeff nicht berücksichtigt worden. Er sucht vielmehr die Gonapophysen von „ehemaligen Lokomotionsanhängen“ abzuleiten und glaubt das Vorhandensein eines doppelten Gonapophysenpaares mit einer später eingetretenen Zweiästigkeit der betreffenden hypothetischen Abdominalbeine erklären zu können. Im Hinblick auf die geschilderten Verhältnisse bei Machilis deutet er nämlich bei höheren Insekten die lateralen Gonapophysen des neunten Segmentes als die Hüftstücke oder coxae, die medialen als die Summe der übrigen Extremitätenglieder eines Beines und meint, man hätte sich nur vorzustellen, dass im Laufe der Zeit die coxen „sich deekplattenartig vorstülpten und die übrigen Extremitätenglieder, die sich mehr und mehr im Dienste der Fortpflanzung ummodelten, schützend be deckten“. Damit würde also aus einem einzelnen Bein ein Paar von Gonapophysen geworden sein! Das Gewagte dieser Hypothese liegt wohl auf der Hand, und ich glaube eine eingehende Kritik mir denn auch hier ersparen zu können. Bemerken muss ich jedoch, dass der von Verhoeff ausgesprochene Gedanke (Ableitung der Gonapophysen von Thysanurenbeinen) auch Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. 861 nicht ganz neu ist, sondern im wesentlichen bereits von Grassi!) erwogen wurde — allerdings um als unhaltbar wieder fallen gelassen zu werden. Das Urteil des italienischen Forschers, dem wir die erschöpfendsten Untersuchungen über die gerade für Beurteilung der vorliegenden Frage sehr wichtigen Thysanuren zu verdanken haben, lasse ich hier wört- lich folgen: „Tenendo presenti appena le gonapofisi delle Lepismide e di Machilis, & faeile lasciarsi indurre a considerarle come arte tras- formati e a farle derivare da esagerata biforcazione delle zampe che esistevano una volta all’ addome degli insetti. Ciö non viene pero confortato ne da Campodea, ne da Japyx. Aggiungasi che nel loro sviluppo queste gonapofisi non hanno aleun rapporto colle pseudo- zampe, le quali si possono trovare anche sui segmenti ottavo e nono (es. Nicoletia)“. An anderer Stelle sagt er: „Anche lo studio dei maschi dei tisa- nuri ci fa escludere la possibilita di omologhizzare le appendiei sessuali esterne colle zampe“. In diese fehlerhafte Deutung, auf die also schon vor Jahren von Grassi aufmerksam gemacht und gewarnt wurde, ist jetzt Verhoeff verfallen. In allzu einseitiger Verwertung der Verhältnisse bei Machilis und unter Missachtung der neueren entwick- lungsgeschichtlichen Ergebnisse gelangt der genannte Autor zur Aufstellung seiner Theorie. Grassi hat auf Grund ausgedehnter Forschungen die Styli der Insekten direkt als „pseudozampe“ bezeichnet, und ich glaube, dass man ihm hierin im wesentlichen auch beipflichten kann. Wenngleich spätere Untersuchungen an den entwicklungsgeschichtlich bisher un- genügend studierten apterygogenen Insekten noch weitere Aufschlüsse über die Styli geben müssen, so habe ich gleichfalls die Ansicht stets vertreten, dass auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen die Styli als Ueberreste ehemals am Abdomen vorhanden gewesener Extremitäten zu deuten sind. Der verdienstvolle französische Forscher Peytoureau?) hat sich auf einen ganz ähnlichen Standpunkt gestellt. Die Ontogenie lehrt, dass der Stylus bei den Insekten aus einer Extremitätenanlage hervorgeht, und zwar geschieht dies bei den Orthop- teren schon während des Embryonallebens, bei Lepisma saccharina, bei T’hermobia erst nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei. In allen bis- her untersuchten Fällen hat sich ergeben, dass die Beziehung zwischen dem Stylus und der Gliedmaßenanlage eine derartige ist, dass der 1) Grassi B., I progenitori dei Miriapodi e degli Insetti. R. Acad. Line., 1888. 2) Peytoureau A., Contribution & l’&tude de la Morphologie de l’armure genitale des Insectes. Paris 1895. 869 Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. erstere eine unmittelbare Verlängerung oder einen Auswuchs der Ex- tremitätenanlage darstellt. In rein anatomischer Hinsicht hat man dementsprechend den Stylus nur als eine Hautausstülpung zu betrachten. Indessen fällt dieser Umstand für die morphologische Betrachtungs- weise deswegen nicht sehr ins Gewicht, weil auch die Geißeln an den Antennen vieler Insekten, weil auch die am Hinterleibsende sitzenden Cerei im wesentlichen nur Hautausstülpungen repräsentieren, ohne dass man doch an der Extremitätennatur der letzteren Anhänge noch zu zweifeln pflegt. Man kann somit den als Extremitäten anerkannten Cerei die Styli als homodynam (nicht homolog, wie Verhoeff mit Recht hervorhebt) betrachten. Selbstverständlich wird man gut thun, die Styli nun nicht ohne weiteres als typische Extremitäten gelten zu lassen, man kann sie aber, wie ich es seiner Zeit schon that, als Ueberbleibsel oder Rudi- mente von solchen auffassen, was von Grassi mit der Bezeichnung pseudozampe ebenfalls ausgedrückt wurde. In die Rubrik derartiger Abdominalanhänge gehören ferner, wie ich kürzlich!) nachweisen konnte, die Tracheenkiemen der Larven von Ephemera und Sialis, welche ontogenetisch sich gleichfalls auf Extremitätenanlagen zurückführen lassen. Alle die hier genannten Abdominalanhänge stimmen jedenfalls in der Hinsicht überein, dass sie die früher bei den Vorfahren vor- handen gewesenen, jetzt aber verloren gegangenen, Extremitäten ver- treten. Wie seiner Zeit einmal die Rückbildung der Abdominalextremitäten bei den Insekten vor sich gegangen, entzieht sich naturgemäß unserer Kenntnis. Es ist aber wohl anzunehmen, dass die Abdominalextremi- täten nicht mit einem Male verschwanden, sondern dass sie anfangs durch einfache Hypodermiserhebungen ersetzt wurden, die an ihre Stelle traten, dass in manchen Fällen vielleicht die rudimentären Extremi- tätenstummel sich selbst direkt in solche Hypodermisfortsätze umge- stalteten. Da die abdominalen Hypodermisfortsätze natürlich aber auch noch geeignet waren, dem Tiere einen Vorteil zu verschaffen, so passten sie sich wieder speziellen Funktionen an und haben sich heutzutage noch bei einigen Formen, allerdings nur bei niederen Insekten, als Styli, als Atmungsorgane etc. erhalten. Wenn ich die Styli in diesem Sinne als Ueberreste oder Rudimente ehemaliger abdominaler Extremitäten gedeutet habe und auch jetzt noch an dieser Deutung festhalte, so geschieht dies also besonders im Hinblick auf die bisherigen ontogenetischen Resultate und zugleich in 4) Heymons R., Ueber die Fortpflanzung und Entwicklungsgeschichte der Ephemera vulgata L. Sitzungsber. d. Ges. Nat. Fr. Berlin, 1896. Heymons, Abdominalanhänge bei Insekten. 363 Berücksichtignng auf ihr allgemein verbreitetes Vorkommen gerade bei den niedersten Insektenrepräsentanten. Die Schwierigkeit, die Verhoeff im Anschluss an Haase!) darin erblickt und welche es gerade war, die in erster Linie ihn zu seinen irrtümlichen Folgerungen verleitete, dass nämlich gewisse griffelartige Anhänge auch an Thoraxbeinen von Machilis vorkommen und wieder sekundäre Anhänge der letzteren darstellen, vermag ich als solche nicht anzuerkennen. Es ist leicht einzusehen, dass den Styli ent- sprechend gestaltete Hypodermisfortsätze gelegentlich sehr wohl an anderen Körperstellen zur Entwicklung gelangen können. Aus dem Gesagten geht zur Genüge hervor, dass sich eine absolut scharfe Grenze zwischen Hypodermisfortsatz und Extremität überhaupt niemals wird ziehen lassen. Es ist dies eine Thatsache, die nicht über- raschen darf. Sobald unsere Kenntnisse eine gewisse Erweiterung er- langt haben, pflegt es sich ja in der Wissenschaft sehr häufig zu zeigen, dass die Grenzen, die unseren durch Worte formulierten Be- griffen zu Grunde liegen, zu eng sind. Die Natur bindet sich nicht an menschliche Einteilungen. So sehen wir denn auch am Insekten- körper beinahe alle Uebergänge von wohl entwickelten Extremitäten, wie den Thoraxbeinen, zu minder entwickelten (Antennen, Sialis-Kiemen, Cerei) bis zu solchen hin, die eigentlich nur noch den Wert von Haut- ausstülpungen (Styli, Tracheenkiemen von Ephemera) besitzen. Diese Anhänge lassen sich aber gleichwohl in letzter Instanz voraussichtlich alle auf eine einheitliche Ausgangs- und Grundform, nämlich auf die früher an sämtlichen Körpersegmenten und somit auch am Abdomen vorhanden gewesenen Extremitäten zurückführen. Hier- durch treten die Gliedmaßenderivate in einen, im Laufe der Zeit sich freilich immer mehr und mehr verwischenden, Gegensatz zu anderen phyletisch jüngeren hypodermalen Anhängen und Auswüchsen des Insektenabdomens. Dass die Cerei, die Styli u. s. w. noch letzte Wahrzeichen ehe- maliger am Hinterleibe vorhandener Gangbeine und somit Anklänge an frühere myriopodenähnliche Stammformen sind, darf, wie ich hoffe, nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen wohl ziemlich als gesichert gelten. Dies Resultat ließ sich freilich erst nach langwierigen anato- mischen und ontogenetischen Untersuchungen erlangen, über die man sich nicht hinwegsetzen darf. Denn nur unter gleichzeitiger Berück- 1) Die Differenz zwischen Haase und Grassi, ob die Styli Hautwuche- rungen oder Rudimentärbeine seien, erklärt sich damit, dass ersterer die Sach- lage vorzugsweise vom anatomischen, letzterer vom vergleichenden und phylo- genetischen Standpunkte betrachtete. In gewissem Sinne haben beide Recht: Die Styli sind Hautfortsätze, die an die Stelle der eigentlichen Extremitäten getreten sind. Nicht zutreffend ist es aber, wenn Haase erklärt, dass die Styli der Insekten den Beinen nicht einmal homostich wären, 864 Eismond, Mikrophotographie zur Anfertigung genauer Abbildungen. sichtigung beider Gebiete werden wir unser Ziel erreichen können, welches nicht in einer einseitigen Beschreibung der Morphologie aus- gebildeter Insekten, sondern in einem richtigen Verständnis für ihren Körperbau und ihr ganzes Wesen besteht. [102] Berlin im September 1896. | Anwendung von Mikrophotographie zur Anfertigung genauer Abbildungen. Von Joseph Eismond. (Aus dem zootomischen Institut der Universität Warschau.) Anfertigung einer Handzeiehnung, die sowohl feinere Details, als auch das Gesamtbild und den Charakter selbst eines histologischen Präparats wiedergeben könnte, bietet bekanntlich viele Schwierigkeiten dar, insbesondere in den Fällen, wo einer im Zeichnen wenig Uebung hat. Unter diesen Umständen nimmt Anwendung von Mikrophoto- graphie in neuester Zeit immer mehr an allgemeiner Verbreitung zu, umsomehr, als es sich noch um etwas anderes handelt. Eine durch Liehtdruck reproduzierte photographische Aufnahme ist immer ein Dokument, indessen sieht man öfters verschiedenen morphologischen Arbeiten Abbidungen beigelegt, welche sehr wenig an betreffende Prä- parate erinnern. Photographische Aufnahmen ihrerseits sind leider nicht in allen Fällen zu benutzen. Währenddem Präparate, deren Strukturbilder selbst ganz klar hervortreten, indem man dabei hauptsächlich das Gesamtbild naturgetreu kopiert haben will, direkt mit aller Bequem- lichkeit nach photographischen Aufnahmen abgebildet werden können, treten dagegen ernste Schwierigkeiten in den Weg, wenn man in der- selben Weise auch feinere Strukturverhältnisse irgend eines kompli- ziert gebauten Gewebes oder Organs (z. B. der Milz) ganz klar wieder- geben will. Die Vorteile der Photographie werden noch geringfügiger, falls man die feinere Struktur der Zelle selber so maschinenweise unserem Verständnis näher zu bringen sich bemüht. Wenn wir aber ein Präparat haben, wo verschiedene Strukturelemente lediglich durch mehrfach kombinierte Färbung präzisiert worden sind, so gibt uns dafür die Photographie gar keinen Gewinn. Mit Rücksicht auf solche Uebel- stände sind häufig verschiedene Autoren gezwungen, ihren Arbeiten neben photographischen Reproduktionen die üblichen halbschematischen Handzeichnungen beizulegen. Es ist also klar, dass die Handzeichung zur Zeit noch nicht zu ersetzen ist. Ich möchte hier ein Paar Worte über ein Verfahren mitteilen, welches meines Erachtens einen sehr guten Dienst leisten kann und, wenn ich mich nicht irre, bisher noch zu keiner Anwendung kam. Auf Rauber, Die Regeneration der Krystalle. 865 Anregung von Seiten des Herrn Prof. Mitrophanow, versuchte ich im vorigen Jahre photographische Aufnahmen von histologischen Prä- paraten als ein Mittel zur Anfertigung genauer Abbildungen anzu- wenden, um das missliche Zeichnen mit Hilfe der Camera lucida ver- meiden zu können. Nach Versuchen mit Aufnahmen von verschiedenen Präparaten überzeugte ich mich, dass dieses Verfahren sehr bequem ist und deshalb einer Beachtung verdient. Die Prozedur selbst besteht darin, dass man vom Negativ eine schwache Kopie auf irgend einem Mattpapier (am besten Platinpapier) herstellt und dann dieselbe mittels Tinte, Bleifeder oder in irgend einer anderen Weise vervollkommnet; dabei können, falls es unentbehrlich ist, freilich auch verschiedene Strukturelemente, durch kombinierte Färbung am Präparate präzisiert, durch entsprechende Farbstoffe koloriert werden. Durch ein solches Verfahren, welches sonst nichts neues ist, weil eine analoge Prozedur in der Kunstmalerei bereits seit langer Zeit zur Anwendung gebracht wird, kann man sehr schöne und zugleich ganz genaue Abbildungen herstellen, ohne viele Mühe darauf zu wenden. Es sei noch bemerkt, dass zu diesem Zwecke auch schlecht hergestellte Negative mit benutzt werden können. — [103] A. Rauber, Die Regeneration der Krystalle. Geleitet von dem Gedanken, dass die Entwicklung der Lebewesen vielfache Analogien mit derjenigen der Krystalle darbietet, glaubte Herr Rauber, dass ein genaueres Studium der letzteren auch von biologischen Gesichtspunkten aus Interesse gewähren werde. Er hat deshalb eine große Anzahl von Versuchen angestellt über die Regeneration von „Krystall- torsen“, der „Supplementkörper“ (Pyramide, Kante und Platte), künstlich aus Alaun hergestellter geometrischer Körper und hohler Flächen, über den Einfluss der Bewegung des Krystalls oder der Mutterlauge, des Luft- drucks, der Schwere, der Temperatur. Die Beschreibung der Versuche hat er in 2 Heften veröffentlicht!). Da ein Auszug schwer verständlich sein würde, so drucken wir hier auf Wunsch des Herrn Verfassers die Ergebnisse seiner Versuche ab, wie er sie selbst am Schlusse des zweiten Heftes zusammengestellt hat: „Für das normale Wachstum und die Regeneration von Kıystallen ist Ruhe der Mutterlauge oder des Krystalles, welche als dazu erforder- lich betrachtet zu werden pflegt, keine notwendige Bedingung. Im Gegen- teil vollzieht sich das Wachstum uud die Regeneration bei Bewegung der Mutterlauge oder des Krystalles nicht allein in normalen Formen, sondern kann sogar beschleunigt werden. So regenerierten sich in mit 4) Die Regeneration der Krystalle. Erste Untersuchungsreihe, Leipzig, Eduard Besold, 1895; zweite Untersuchungsreihe, ebenda 1896; Mit zahlreichen Textabbildungen. &Vl. 55 866 Rauber, Die Regeneration der Krystalle. Mutterlauge gefüllten Glasgefäßen aufgehängte Kugeln und Zylindern aus Alaun rasch und regelmäßig, wenn sie heftig in der Mutterlauge oder Regenerationsflüssigkeit geschüttelt wurden. Wie groß die Geschwindig- keit der strömenden Flüssigkeit oder des Krystalles sein könne, um normale Apposition überhaupt noch zuzulassen, wurde durch einen Apparat zu messen versucht, welcher eben dadurch auch die Größe der Appositions- kraft des Krystalles bestimmen sollte. Selbst eine Geschwindigkeit von 5 m in der Sekunde reichte bei Alaunkugeln und Alaunkrystallen nicht aus, um die Apposition zu verhindern. Der messende Apparat, welcher Wachstumsverhinderer (Phyokolyt), oder Rennbahn für Krystalle (Krystallodrom) genannt werden kann, fand zunächst nur für Alaun Ver- wendung. Eine Verbesserung seiner Konstruktion würde gegenüber dem verwendeten Holz- und Glasmodelle dadurch gegeben sein, dass die rotierende Scheibe, welche die Krystalleinsätze in verschiedenen Entfernungen von der Axe trägt, aus Glas hergestellt wird, welches für die meisten Sub- stanzen sich eignet, oder aus Metallen, die sich zur Mutterlauge neutral verhalten. Bei einer künftigen Ausdehnung der Versuche auf verschiedene Stoffe wird es sich zeigen, ob sie sich alle im Krystallodrom ebenso ver- halten wie der Alaun, oder ob ihre Appositionskraft größer oder kleiner ist. Geht man dem Grunde nach, welcher die auffällige Widerstandskraft des Alauns gegen Bewegung zu erklären vermöchte, so wird man schließ- lich auch die Möglichkeit in das Auge zu fassen haben, dass die den Krystall unmittelbar benetzende feine Schicht der Mutterlauge, welche benetzende oder adhäsive Schicht genannt werden mag, an der Bewegung gar nicht teilnimmt, sondern als ruhend betrachtet werden muss. Dann könnten jenseits der Adhäsivschicht die ungeheuersten Ge- schwindigkeiten stattfinden, der Kıystall aber fände nichts destoweniger Gelegenheit, in aller Stille weiter zu wachsen. Denn gleich nach ge- schehener Apposition der ersten Adhäsivschicht folgt eine zweite u. s. f.; und es wäre dann ein Trugschluss, von der Geschwindigkeit der rotierenden Mutterlauge oder des Krystalles auf seine Appositionskraft schließen zu wollen. Bei einer Rotation kugelförmiger, zylindrischer und kegelförmiger Körper um ihre Axe werden keine Abschleifungserscheinungen eintreten können, auch wenn die Schnelligkeit der Rotation noch so sehr sich steigert, so lange, als jene Körper die ursprüngliche Form bewahren. Ob die Erklärung durch Annahme einer ruhenden Adhäsivschicht der bewegten Flüssigkeit oder des bewegten Krystalles eine zutreffende wird genannt werden können, oder nicht, dafür werden gerade künftige Ver- suche mit anderen Körpern einen Fingerzeig geben. Verhalten sich alle Körper im Krystallodrom gleich dem Alaun, so würde dieser Umstand, da man nicht gleiche Appositionskraft für alle Körper annehmen kann, für die Richtigkeit der letzten Erklärung sehr in die Wagschale fallen. Verminderung und Aufhebung des Atmosphärendruckes hat auf den Ablauf der Regeneration und des Kıystallwachstums (des Alauns) keinen Einfluss *). 1) Es seien Parallelversuche an lebenden Froschembryonen (Rana fusca), die sich (mit einer einzigen Ausnahme) sämtlich auf der Stufe der Rauber, Die Regeneration der Krystalle. 867 Vermehrung des Atmosphärendruckes, so weit sie in den Versuchen Anwendung fand (4!/, Atmosphären), bleibt gegenüber der Krystallisation (des Alauns) ebenfalls unwirksam. Es wird sich bei ferneren Versuchen zeigen, bis zu welchen Druckgrößen hinauf dieser Satz Geltung hat. Die Schwerkraft ist auf die Vorgänge bei der Regeneration und dem Krystallwachstum ohne Einfluss. Krystallwachstum und Regeneration des Alauns findet statt bis hart an die Frostgrenze der Lösung. In der Nähe der Frostgrenze tritt nicht allein Verzögerung des Wachstums ein, sondern auch Verkümmerung. Wie weit an der verzögernden Wirkung der Kälte die Kälte selbst, und wie weit die verminderte Konzentration der Lösung beteiligt ist, lässt sich vom Alaun nicht bestimmen. Bei Temperatursenkungen heißer konzentrierter Alaunlösungen erfährt das Wachstum und die Regeneration des Alauns sehr bedeutende Steige- rungen der Geschwindigkeit. Gastrula mit halbmondförmigem Prostoma befanden, hier erwähnt. Sie wurden im Anschlusse an früher von mir gemachte Versuche ähnlicher Art, die jedoch mit ®/, Atmosphären gearbeitet hatten, der Vergleichung mit den Alaunkugeln wegen angestellt. a) Eine Portion Froschlaich mit ca. 50 Embryonen der Gastrulastufe wurde in einem Gefäße mit genügender Menge Wasser zwei Tage hindurch der vollen Wirkung der Luftpumpe ausgesetzt und darauf, nach lang- samer Zufuhr der Luft, sich selbst überlassen. Es ergab sich, dass sämtliche Embryonen sich nicht weiter entwickelten, sondern auf der Stufe der Einstellung in die Luftpumpe abgestorben waren; b) eine Portion Froschlaich, ebenfalls der Gastrulastufe angehörig, ward derselben Wirkung, wie im voriger Versuche, einen Tag hindurch aus- gesetzt. Das Ergebnis ist genau das gleiche; c) eine Portion Froschlaich, der Gastrulastufe angehörig, ward eine Viertel- stunde hindurch der vollen Wirkung der Luftpumpe ausgesetzt. Der Versuch führte zu dem gleichen Ergebnis; d) eine Portion Froschlaich, der Gastrulastufe angehörig, ward fünf Minuten hindurch der vollen Wirkung der Luftpumpe ausgesetzt Das Ergebnis ist dasselbe wie zuvor; eine Portion Froschlaich, der Gastrulastufe angehörig, und einige frei schwimmende Froschlarven wurden einem Augenblickversuche unterworfen, d.h. die Luft wurde rasch aus dem Luftraume des Recipienten, innerhalb dessen die Froschembryonen sich befanden, völlig ausgepumpt und so- gleich wieder mäßig rasch zugelassen. Die jungen Embryonen ent- wickelten sich auch hier nicht weiter, sondern waren auf der Einstellungs- stufe abgestorben. Von den frei schwimmenden Larven gingen ebenfalls die meisten während des Versuches zu Grunde, einige aber kamen durch, schwammen umher und entwickelten sich weiter. Alle Froschembryonen zeichnen sich bei genauer Besichtigung nach den Versuchen dadurch äußerlich aus, dass der Ecker’sche Propf als ein mehr oder weniger langer weißer Fortsatz aus dem Prostoma hinausgetrieben er- scheint. e —_ 55 ® 868 Rauber, Die Regeneration der Krystalle. Was die Umbildung künstlicher Alaunkörper in ihrer Mutter- lauge oder in einer isomorphen Regenerationsflüssigkeit betrifft, so ergibt sich, dass Alaunkugeln, mögen sie in beliebiger Orientierung aus einem Krystalle oder aus einem homogenen Alaunblocke geschnitten worden sein, bei ihrer Regeneration immer den gleichen Weg einschlagen und sich zunächst in einen 26 flächigen Oktaederembryo umgestalten. Aus diesem geht schließlich ein normales Oktaeder hervor. Die Umbildung einer abgeplatteten Kugel aus Alaun, welche zum Stammkrystalle so orientiert ist, dass ein abgeplattes Polfeld eine natürliche Oktaederfläche tangiert, geschieht ganz nach dem Modus der reinen Kugel und entwickelt 26 Flächen wie diese. Der Unterschied besteht wesentlich nur darin, dass auf den beiden platten Polflächen je eine größere Oktaederfläche sich ausbildet, als auf der übrigen Kugel- oberfläche. Alle übrigen besonderen Merkmale dieses Oktaederembryo sind von genannten Veränderung abhängig. Anders bei jener abgeplatteten Kugel, deren Aequator mit einem Punkte eine Oktaederfläche tangiert. Zwar werden auch hier die typischen 26 Kugelflächen ausgebildet, aber die beiden platten Felder tragen je zwei Oktaederflächen und auch die äquatoriale Zone liefert vier Oktaeder- flächen. Die Verteilung der Flächen ist also eine andere, wie im vorigen Falle. Von der Umbildung des Ellipsoides wurden folgende Ausgangs- formen untersucht: a) mit einem spitzen Pole eine Oktaederfläche tangierend; b) mit dem Aequator eine Oktaederfläche tangierend; ce) mit einem spitzen Pole eine Oktaederkante tangierend; d) mit beiden spitzen Polen je eine, mit dem Aequator eine dritte Oktaederfläche tangierend; e) mit der langen Axe zu einer Oktaederkante senkrecht gestellt, mit der langen Seitenfläche eine benachbarte Oktaederfläche tangierend; f) mit dem spitzen Pole eine Oktaederecke tangierend; g) abgeplattetes Ellipsoid; h) Ellipsoide ohne (beabsichtigte) Orientierung. Für die Beurteilung der verschiedenen Umbildungen ist wiederum das Verhalten der Kugel grundlegend. Eine natürliche Fläche, Kante, Ecke, zu welcher das Ellipsoid orientiert war, wird bei der Regeneration wieder erzeugt (wie es natürlich auch bei der Kugel der Fall ist). Der Unterschied gegenüber der Regeneration der Kugel besteht in dem Auf- treten von Dehnungsflächen, deren Besonderheiten durch die ver- schiedenen Möglichkeiten bedingt sind, ein Oktaeder symmetrisch zu halbieren (rektanguläre, diagonale oder äquatoriale, hexagonale Halbierung). Im ganzen tritt die Regeneration des Ellipsoides also unter dem Bilde eines Kugelzylinders auf, d. i. eines zylindrischen Mittelstückes, welches von zwei Halbkugeln gekrönt wird. Die bikonvexe Linse schließt sich, so fremdartig auch das äußere Bild erscheinen mag, in ihrer regenerativen Umbildung dennoch ganz an die Kugel an. Abgesehen von den Proportionen der einzelnen Teile gibt nämlich die in der Umbildung begriffene Linse bei genauerer Betrachtung Rauber, Die Regeneration der Krystalle. 869 ganz die Verhältnisse eines in der Axe zweier gegenüberliegender Ok- taederflächen zur Linsenform zusammengepressten Kugelembryo wieder. Ohne vorherige Kenntnis der Umbildung der Kugel freilich dürfte es unmöglich sein, zum Ziele zu kommen. Doch vielleicht könnten geo- metrische Konstruktionen und die Kenntnis der allgemeinen krystallo- graphischen Gesetze bis zu einem gewissen Grade noch Aussicht haben. Es gelangten folgende Orientierungen zur Untersuchung: 1. Orientierung einer Konvexität zu einer Oktaederfläche; 2. Orientierung des Linsenäquators zu einer Oktaederfläche; 3. Orientierung einer Konvexität zu einer OÖktaederkante; 4. Orientierung einer Konvexität zu einer Oktaederecke. In allen Fällen gelangte die jedesmalige Orientierungsform (Fläche, Kante, Ecke) zur regenerativen Ausbildung in den durch die künstliche Unterlage bedingten Grenzen. Am auffallendsten sind die Eigentümlich- keiten der Umbildung bei der Orientierung von Nr. 1 (einer Konvexität zu einer Oktaederfläche). Dies wird veranlasst durch die Entstehung von drei riesigen Dodekaederflächen im Umkreise einer oktaedrischen Zentralfläche, welche mit ebenfalls großen drei haxaedrischen Flächen abwechseln, je auf einer konvexen Fläche der Linse. Die Oktaederflächen sind folgendermaßen verteilt: Jede Konvexität liefert eine große, zentral gelegene Oktaederfläche, während in der Gegend des Linsenäquators zu- sammen sechs zwerghafte Oktaederflächen sich anlegen. Im ganzen aber sind, wie bei dem Kugelembryo, während einer gewissen Zeitdauer 26 Flächen zu zählen. Nachträglich gelangte eine plankonvexe Linse, deren ebene Fläche einer natürlichen Oktaederfläche angehörte, zur regenerativen Untersuchung. Durchmesser des Aequators 12 mm, polarer Radius 2 mm. Bei der Re- generation gestaltete sich die ebene Kreisfläche zu einer dreiseitigen Ok- taederfläche um, deren Ecken jedoch von langen Dehnungskanten ein- genommen werden. Die Oktaederfläche ist folglich in Wirklichkeit sechs- seitig. Von diesen sechs Seiten gehen sechs kleine seitlich gelegene ÖOktaederflächen ab. Im ganzen sind jetzt also schon sieben Oktaeder- flächen vorhanden. Die achte aber liegt der ersten entgegengesetzt, ist ihr parallel, etwas weniger groß als die erste, aus dem zentralen Gebiete der Konvexität hervorgegangen. Sie ist noch unfertig. In der Gegend ihrer drei späteren Ecken liegen ansehnliche Hexaederflächen. Bezüglich der Umbildung der ebenen Kreisfläche siehe Zylinder. Zylinder, deren Endflächen senkrecht zur Zylinderaxe stehen und zugleich natürlichen Oktaederfläichen angehören oder ihnen entsprechen, wandeln diese Endflächen zu dreiseitigen Oktaederflächen um, die jedoch durch die Anlage von drei großen Haexaederflächen sechsseitig er- scheinen. Statt der Hexaederflächen können auch entsprechende Kanten zur Ausbildung kommen. An dem in der angegebenen Weise orientierten Zylinder sind bis jetzt also zwei Oktaederflächen zur Anlage gekommen. Die noch fehlenden sechs Oktaederflächen bilden sich sämtlich an der Mantelfläche des Zylinders aus, sei dieser niedrig, selbst bis zur Dicke einer Krystalllamelle herabgehend, oder so hoch man will. Und zwar bilden sich drei von ihnen vom oberen, die drei übrigen vom unteren 870 Rauber, Die Regeneration der Krystalle, Ende des Zylinders aus. Bei niedrigen Zylindern sind die am gesetz- lichen Orte auftretenden Hexaeder- und Dodekaederflächen klein, wenn auch langgestreckt. Bei hohen Zylindern dagegen bilden die als Zick- zackbänder sich anlegenden riesigen Dodekaederflächen des Zylindermantels eine ebenso schöne als auffallende Erscheinung. Es sind durch Leisten- scharen ausgezeichnete Wucherbilder, welche auf die seitlichen sechs Ok- taederflächen und auf die an den Enden angelegten sechs Hexaederflächen übergreifen und diese zwölf Flächen nach und nach vergrößern, während sie selbst an Breitenausdehnung abnehmen. Der Lage und Richtung nach sind diese Wucherfelder als unreife Dodekaederflächen zu bezeichnen, obwohl sie Teile von oktaedrischen und hexaedrischen Flächen in sich einschließen. Die Erklärung der sonderbaren Erscheinung der Ziekzackbänder ergibt sich leicht, wenn wir die Verhältnisse des Kugelembryo mit dem Zylinder- embryo der angegebenen Orientierung vergleichen. Man kommt bei dieser Vergleichung ohne weiteres dazu, in dem in Umbildung begriffenen Zylinder einen ausgezogenen, gedehnten Kugelembryo zu erblicken, freilich einen solchen von hexagonaler Halbierung des Kugelembryo, oder des un- reifen, aus der Kugel sich bildenden Oktaeders. Von Dodekaederflächen kommen dabei nur diejenigen zur Ausbildung, welche dem Zylinder- mantel zugehören, im ganzen sechs, die das Ziekzackband ausmachen. Die sechs oktaedrischen Kanten der beiden Endflächen dagegen bringen keine Dodekaederflächen hervor. Durch die Kenntnis des natürlichen Verfahrens ist man in den Stand gesetzt, für jeden noch so langen Zy- linder, dessen Endflächen zu entgegengesetzten Oktaederflächen des Stamm- krystalles (d. h. also zu oktaedrischen Parallelflächen) orientiert sind, die Form seiner Umbildung voraus zu bestimmen. Von künstlichen Zylindern wurden außerdem noch folgende Orien- tierungen auf das regenerative Verhalten geprüft: 2. Zylinder, dessen Endflächen mit beiden gegenüberliegenden Oktaederflächen derselben Pyramide zusammenfallen, während seine Mantelfläche die zwischenliegende Oktaederfläche tangiert; 3. Zylinder, dessen Mantelfläche eine natürliche Oktaederfläche tangiert, während eine Endfläche mit der benachbarten Oktaeder- fläche der gleichen Pyramide zusammenfällt, die tangierende Mantelfläche des Zylinders aber senkrecht auf der die beiden Oktaederflächen scheidenden natürlichen Kante steht; 4. Zylinder mit zwei natürlichen Endflächen, welche einander gegenüberliegenden Oktaederflächen der gleichen Pyramide an- gehören, während der Zylindermantel die Spitze der Pyramide kreuzt; 5. Zylinder mit zwei natürlichen Endflächen, parallel der Basis einer Oktaederpyramide so geschnitten, dass seine Längsmitte von einer Oktaederkante der Richtung nach gekreuzt wird; 6. Zylinder, welche sich von einer natürlichen Oktaederkante zur entgegengesetzten natürlichen Oktaederkante erstrecken; 7. Zylinder, welche sich von einer natürlichen Oktaederecke zur entgegengesetzten Oktaederecke erstrecken; Rauber, Die Regeneration der Krystalle. 871 8. Zylinder, dessen Mantelfläche eine Oktaederfläche in der Rich- tung gegen eine Ecke tangiert und jene Oktaederfläche in zwei gleiche Dreiecke zerlegt: 9. Zylinder, welcher mit seiner Mantelfläche eine Oktaederfläche parallel einer Kante tangiert; 10. Zylinder, welcher mit seiner Mantelfläche eine Oktaederfläche tangiert und in seiner Richtung schräg zu einer Öktaeder- kante zieht: 11. Zylinder, welcher mit seiner Mantelfläche der Länge ‘nach zwei Nachbarflächen tangiert und von der zugehörigen Kante in zwei Längshälften geteilt wird; 12. Zylinder, dessen eine Endfläche einer breiten Dodekaeder- fläche angehört. In allen diesen Fällen regenerierten sich Flächen, Kanten, Ecken des Sammelkrystalles wieder, modifiziert durch die Form des künstlichen Körpers und entsprechend den Gesetzen der Symmetrie. Im allgemeinen erfährt der Zylindermantel eine anfängliche Gliederung in acht der Länge nach ziehende Felder, wobei in den verschiedenen Fällen sich Besonder- heiten bemerklich machen. Eine natürliche Dodekaederfläche wirkt bei der Regeneration gleich einer Oktaederkante. Bei der Krystallisation einer Chromalaunlösung wirkte der Rand des Gefäßbodens formbestimmend auf die Ausbildung der Krystalle ein, insofern letztere sich wie Abgüsse des Bodens verhielten, ohne Störung der Struktur zu erleiden. Bei der Regeneration nämlich erfolgte genaue symmetrische Ausgestaltung der Abgußkrystalle. Bringt man einen Krystall in Le, und deckt ihn teilweise mit neutralen Flächen, so wird hiernach bei dem kommenden Wachstum ein Abguß jener Flächen am Krystalle sich ausbilden können. Vom Würfel wurden folgende Orientierungen geprüft: Orientierung einer Würfelfläche auf eine Oktaederfläche; Orientierung einer Würfelfläche auf eine Öktaederecke: Orientierung einer Würfelfläche auf eine Oktaederkante; Orientierung einer Würfelecke auf eine Oktaederfläche; Orientierung einer Würfelkante auf eine Oktaederfläche; . Verschobener Würfel mit zwei oktaedrischen Flächen. Von an aus diesen Versuchen gewonnenen Ergebnissen bieten die von Nr. 3, 4, 5 und 6 ein besonderes Interesse. Hat man (Nr. 3) bei der Aellane eines künstlichen Alaunwürfels der einen seiner En Flächen das natarlıche Dach gelassen, welches die zur Orientierung dienende Oktaederkante enthält, und sodann auf der entgegengesetzten: Seite ein gleiches, dem ersteren paralleles Dach künstlich hergestellt, so wird dieses künstliche Dach bei der Regeneration ohne weiteres angenommen, so dass diese beiden sich nun in Glanz und Form zum verwechseln ähn- lich sehen. Vier oktaedrische Flächen sind an dem künstlichen Würfel jetzt schon vorhanden; sie werden randwärts zu wirklichen Oktaederflächen umgestaltet. Die vier noch fehlenden Oktaederflächen werden aus den nur noch in der Zahl von zwei vorhandenen künstlichen Würfelflächen dadurch geliefert, dass jede der beiden künstlichen Würfelflächen durch Sapwwn 872 Rauber, Die Regeneration der Kıystalle. ein anfänglich breites, diagonal verlaufendes Dodekaederfeld in zwei ok- taedrische Flächen geschieden und umgeformt wird. Hiermit sind alle wesentlichen Vorgänge der Umbildung eines solchen Würfels in ein Oktaeder eingeleitet. Hatte man zuvor das natürliche Dach entfernt und zu einer Würfelfläche umgestaltet, so wird das natürliche Dach bei der Regeneration wieder erzeugt. Bei der Orientierung Nr. 4 gelingt es unter Erfüllung einer be- stimmten Bedingung vollkommen, durch die nachfolgende Regeneration sämtliche Ecken des Würfels allmählich in Oktaederflächen überzu- führen, zuerst also die schöne Zwischenform eines Kubo-Oktaeders und endlich ein reguläres Oktaeder zu erzeugen. Man kann verschobene Würfel von einer Orientierung herstellen (Nr. 6), die es ermöglicht, alle sechs Würfelflächen bei der Regeneration angenommen zu sehen. Doch verrät sich der oktaedrische Bauplan des benutzten Kali- und Chromalauns immer wieder dadurch, dass an den äußersten Spitzen des langgestreckten xenomorphen Gebildes je eine kleine Zwergfläche von oktaedrischem Gepräge zur Anlage kommt. Parallelepipedon. 1. Orientierung einer Endfläche zu einer natürlichen Oktaeder- fläche; 2. Orientierung einer Langfläche zu einer Oktaederfläche parallel einer basalen Pyramidenkante; 3. Orientierung einer Langfläche zu einer Oktaederfläche senk- recht zur Pyramidenbasis; 4. Orientierung einer Längskante zu einer Oktaederfläche. Am interessantesten ist die Umbildung von Nr. 1. Sie schließt sich nämlich ganz an die eigentümliche Formenreihe an, welche der ebenso orientierte Zylinder bei seiner Umbildung wahrnehmen lässt. Ebenso verhält es sich mit der Umbildung des dreiseitigen Prisma von gleichseitigem Querschnitte und von gleicher Orientierung wie Nr. 1. Kegel. 1. Orientierung der Kegelspitze zu einer natürlichen Oktaederecke; 2. Orientierung der Kegelbasis zu einer natürlichen Oktaederecke; 3. Orientierung der Mantelfläche des Kegels zu einer Oktaeder- fläche; 4, Kegel, dessen Basis einer natürlichen Oktaederfläche angehört; 5. Doppelkegel, dessen eine Spitze einer natürlichen Oktaeder- fläche angehört; 6. Doppelkegel, dessen beide Spitzen natürlichen Oktaederflächen angehören ; r 7. Kegel, dessen Basis auf eine Oktaederkante orientiert ist; 8. Spindel, deren Aequator einer Oktaederkante parallel verläuft; 9. Orientierung einer Kegelspitze auf eine Oktaederkante; 10. Kegel, dessen Basis zu einer Oktaederfläche, dessen Spitze zu einer Ecke. des Stammkrystalles orientiert ist. Bei der 1. und 2. Orientierung geht aus der Kegelspitze und aus der Kegelbasis je eine Oktaederecke hervor; die Mantelflächen entwickeln Rauber, Die Regeneration der Kıystalle, 373 gewaltige Hexaeder- und Dodekaederflächen. In einem Falle jedoch er- zeugte die Spitze und die Basis des künstlichen Kegels dieser Orientierung nicht je eine Oktaederecke, sondern eine Oktaederkante, gleichsam als wäre die künstliche Spitze und Basis des Kegels auf eine Oktaederkante orientiert gewesen. Senkrechte Orientierung einer künstlichen Kegelspitze auf eine Oktaederkante hinwiederum (Nr. 9) ließ bei der Regeneration eine Oktaederecke hervorgehen. Tangiert die Mantelfläche eines Kegels eine Oktaederfläche, so ent- wickelt sich im Berührungsgebiete eine große Oktaederfläche; die zuge- hörige Parallelfläche liegt an einem Punkte der Kegelbasis und ist anfangs minimal, um sodann anzuwachsen. Je nach der Orientierung der Spitze eines solchen Kegels treten weitere Verschiedenheiten in der Umbildung zu Tage. Kegel, deren Basis oder Spitze einer natürlichen Oktaederfläche an- gehört oder ihr entspricht, lassen aus der Basis und aus der Spitze je eine Oktaederfläche hervorgehen. An diese beiden Oktaederflächen schließen sich drei basale und drei apikale Oktaederflächen an, die aus der Mantel- fläche des Kegels hervorgehen, und große hexaedrische Wucherfelder zwischen sich fassen. Doppelkegel der gleichen Orientierung verhalten sich wie zwei einfache, die an ihren Basen zusammenhängen, wobei jedoch die seitlichen Oktaeder- und Hexaederflächen beider Kegel alternierend gestellt und 60° gegen einander verschoben sind. Orientierung der Basis eines Kegels zu einer Oktaederkante (Nr. 7) lässt an der Basis und an der Spitze des Kegels eine ee hervorgehen, während die Mantelfläche vier Ghlaedrische Flächen erzeugt. Eine künstliche Spindel (Nr. 8), deren Aequator einer ee kante parallel ist, erzeugt bei der Regeneration mit ihrem Aequator lauter basale Kanten einer oktaedrischen Doppelpyramide, oder zunächst die entsprechenden Dodekaeder- und Hexaederflächen. Die Spitzenteile der Spindel dagegen liefern die beiden Oktaederpyramiden selbst. Ein Kegel, dessen Basis einer Oktaederkante entspricht, lässt an der Spitze eine der Basis parallele Oktaederfläche hervorgehen, obwohl die Spitze eine stark exzentrische Lage ist. Pyramide. 1. Niedrige dreiseitige Pyramide mit gleichseitiger Basis, welche einer Oktaederfläche angehört. Basis und Spitze erzeugen bei der Regeneration je eine Oktaederfläche; hierzu gesellen sich drei basale und drei apikale Oktaederflächen, die aus den drei Seitenflächen der Pyramide hervorgehen. 2. Hohe dreiseitige Pyramide, deren gleichseitige Basis einer Spalt- fläche entspricht. Bei der Regeneration funktioniert die Spalt- fläche gleich einer natürlichen Oktaederfläche. Wie im vorigen Falle liefert die Basis und die Spitze der Pyramide je eine Oktaederfläche; die der Spitze ist längere Zeit nur klein; im übrigen ergeben sich gegenüber der niedrigen Pyramide von gleicher Orientierung keine wesentlichen Unterschiede. Die sechs seitlichen Oktaederflächen können aus der Gegend der seitlichen Kanten oder aus der Gegend der seitlichen Flächen 574 Rauber, Die Regeneration der Krystalle. der künstlichen Pyramide hervorgehen, je nach der seitlichen Orientierung der Pyramide zum Stammkrystalle. 3. Hohe dreiseitige Pyramide mit einer natürlichen Seitenfläche. Um die Art der Umbildung einzusehen, braucht man nur die natürliche Seitenfläche als Basis der Pyramide zu betrachten; dann schließt sich dieser Fall ohne weiteres an die vorher- gehenden an. 4. Künstliche vierseitige Doppelpyramide, deren eine Kante einer natürlichen Oktaederfläche angehört. An Stelle dieser Kante legt sich bei der Regeneration eine ÖOktaederfläche an und es entwickelt sich die zugehörige Parallelfläche. Jene gehört der oberen, diese der unteren Pyramide des werdenden OÖktaeders an. Die noch vorhandenen sechs freien Flächen werden zu Öktaederfläichen umgewandelt. 5. Hohe vierseitige Pyramide, deren Basis einer natürlichen Ok- taederfläche angehört. Die Umbildung vollzieht sich in der Form des Tetra-Oktaeders. Die Basis gestaltet sich zu einer großen, die Spitze zu einer anfänglich zwerghaften Oktaeder- fläche um. Die Seitenflächen der Pyramide liefern drei basale und drei apikale Oktaederflächen. 6. Orientierung einer mit zwei natürlichen Flächen versehenen vierzeitigen Doppelpyramide auf eine natürliche Oktaederkante des Stammkrystalles. Die an Stelle der natürlichen Kante liegende künstliche Spitze der Pyramide wird mit den vor- handenen sechs künstlichen Flächen bei der Regeneration als Oktaederecke und Oktaederflächen angenommen. Wird irgend eine der acht Kanten des Alaunoktaeders ihrer ganzen Länge nach bis auf das Aeußerste künstlich und ebenflächig zugeschärft, sei es von einer oder von beiden sie einschließenden Oktaederflächen aus, und wird der so erhaltene dünne Keil, dessen Schneide der ursprüng- lichen Kante entspricht, der Regeneration übergeben, so wandelt sich die Schneide des Keiles wieder in die ursprüngliche Kante zurück; deren normaler Flächenwinkel wird also wieder hergestellt. Wird irgend eine der sechs Ecken des Alaunoktaeders, mögen sie eine wirkliche Ecke oder durch eine Hexaederfläche vertreten sein, künst- lich und ebenflächig, von einer oder von zwei gegenüberliegenden und die Ecke begrenzenden Oktaederflächen aus, auf das Aeußerste zugeschärft und der so erhaltene Keil der Regeneration übergeben, so wird der normale Flächenwinkel der Ecke wieder hergestellt. Hieraus ergibt sich, dass es nicht gleichgiltig ist für den Betrag des Flächenwinkels, ob von einer Kante oder von einer Ecke aus der zu untersuchende Keil zugeschärft wurde. Das Ergebnis der Regeneration gibt darauf die bestimmte Antwort. Hierdurch wird ein Satz modifiziert, welcher in der I. Untersuchungsreihe Seite 29 aufgestellt worden ist. Natürliche Flächen werden durch die Regeneration wieder erzeugt, mögen sie auch an einem künstlichen Alaunkörper in irgend welche Form gebracht, d. h. z. B. zu einer Spitze oder zu einem Punkte gestaltet worden sein (s. Kegel, Pyramide, Kugel). Rauber, Die Regeneration der Krystalle. sn Auch Kanten und Ecken werden unter den soeben namhaft gemachten Bedingungen bei der Regeneration wieder erzeugt; doch kann die Kante durch eine Ecke, die Ecke durch eine Kante vertreten werden. Ecken und Kanten stehen sich einander also viel näher als beide und Flächen von Krystallen. Mag man der Regenerationsflüssigkeit künstliche Formen anbieten, welche man will, niemals verlassen die verwendeten Alauna bei ihrer Regeneration die oktaedrische Grundform, so lange sie ihrer Freiheit überlassen sind. Es ist sehr wohl möglich, mit der Kenntnis der krystallographischen Gesetze die Frage der regenerativen Umbildung irgend welcher künstlicher Alaunkörper auf rein geometrischem Wege den Grundzügen nach zu lösen, nachdem man einmal die Gesetze der Regeneration kennen gelernt hat. Niemand aber konnte vom rein theoretischen Standpunkte aus voraussagen, dass die künstliche Kugel aus Alaun bei der Regeneration 26 Flächen entwickeln werde. Auch war es theoretisch nicht sicher, dass bei der Regeneration der Kugel etwa nur acht Flächen sich entwickeln würden. Künstliche Kugeln aus Salpeter lassen bei der Regeneration ein Salpeterprisma hervorgehen (rhombisches System). Von den Ben, welche durch die Untersuchung der Regeneration des Alauns gewonnen worden sind, lassen sich zwar Ba die regenerativen Vorgänge bei anderen Kyalalligemen weitgehende ta aufstellen. Ecken, Kanten, Flächen werden sich bei diesen im allgemeinen an die Regenerationserscheinungen des Alauns anschließen. Aber im einzelnen bleibt doch ein großer Spielraum offen. Zur Sicherstellung wird es daher unumgänglich sein, jeden besonderen Krystall auf seine Regeneration zu untersuchen, eine große Aufgabe, bei deren Erledigung auch die Unter- sucbung der Umbildung künstlicher Formen nicht wird fehlen dürfen. Erst dann, und es wird Jahrzehnte dauern, bis die Aufgabe von vielen Forschern erfüllt sein kann, lässt sich das ganze Gebiet der Krystall- Regeneration überblicken und die Kenntnis der Krystalle selbst als eine vervollständigte bezeichnen. So lange bei jedem Krystalle diese Aufgabe noch nicht erfüllt ist, ist eine Lücke in seiner Kenntnis vorhanden. Man kann über die Regeneration der Krystalle nicht Erwägungen anstellen, ohne auch zu Fragen allgemeiner Art geführt zu werden. Am nächsten liegt die Vergleichung mit der Regeneration auf dem Gebiete der Pflanzen und der Tiere. Dem hierüber in der I. Untersuchungsreihe S. 66 gesagten ist hier nichts hinzuzufügen. Künstliche Kugeln, Ellipsoide und bikonvexe Linsen aus Alaun erinnern in ihrer Form so sehr an viele Eier, Keime, Fortpflanzungskörper aus dem Tier- und Pflanzenreiche, dass schon aus diesem äußerlichen Grunde Veranlassung geboten wird, die Entwicklung jener mineralischen Körper mit der Entwicklung der organischen Keime in Vergleichung zu bringen. Auch hierüber ist in den Sehe cpeenn der I. a: bereits die Rede gewesen (S. 79), Dass Kinder den Eltern ähnlich sich gestalten, allgemeiner gesagt, dass der Nachkomme dem Vorfahren ähnlich sich ausbildet, hat, wie dort bemerkt worden ist, die gleiche allgemeine Grundlage, wie die Erscheinung, dass aus einem Alaunei ein Alaunoktaeder hervorgeht. Die allgemeine Grundlage ist darin enthalten, dass die bei- 876 Rauber, Die Regeneration der Krystalle. derlei anorganischen und organisierten Gebilde je stofflich und struk- turell miteinander zusammenhängen. Eine Mutterlauge zwar ist noch kein Ei. Jene ist eine Lösung, nicht aber das Ei. Das „physikalische Molekül“ einer Mutterlauge ist zwar wahrscheinlich keine höhere, durch Verbindung von Molekülen entstandene Einheit, als das „chemische Molekül“ des betreffenden Gases. Aber wenn in der Mutterlauge der erste Krystallisationskern auftritt, so sind dessen „Krystallmoleküle“ jedenfalls zusammengesetzter als das physikalische Molekül der Flüssigkeit. Aus einer labilen ist eine verwickelte feste Struktur geworden, wie sie in jedem Krystalle sich ausprägt. Auch im Ei ist eine oder sind mehrere Strukturen befestigter Art vorhanden. Wenn das Beispiel der Krystalle zeigt, wie aus einer labilen, flüssigen Struktur ohne Stoffänderung eine feste Struktur sich ausbilden kann, so lässt sich dies Beispiel sehr wohl verwerten für die Vorstellung der Möglichkeit, wie aus einer organischen Lösung nicht bloß organische Krystalle, sondern selbst einfachste Organismen hervorgehen können. Und wenn ein Ei mit befestigter Struktur auch nieht unmittelbar mit der Mutterlauge verglichen werden kann, so kann es doch sehr wohl verglichen werden mit dem aus der Mutterlauge hervorgegangenen Krystallisationskerne und mit einem künstlich aus dem Krystalle geschnittenen eiförmigen Körper, weniger seiner äußeren Form wegen, als der Struktur und des Stoffes wegen: der stoffliche und strukturelle Zusammenhang ermöglicht die Vergleichung in erster Linie. Ein Froschei entwickelt sich dadurch zur Endform des Frosches, dass es in viele einzelne Teile (Zellen) sich zerlegt, nach Richtungen, die den drei Richtungen des Raumes entsprechen; dass diese Zellen wachsen und durch damit in Verbindung stehende Substanzverschiebungen die End- form schließlich herbeiführen. Ein Krystallkeim aber, oder, um bei dem konkreten Falle zu bleiben, ein Alaunei, entwickelt sich dadurch zum fertigen Krystalle und Oktaeder, dass, im Zusammenhange mit der Struktur des Alaunes und der Alaunmutterlauge, eine durch sie bestimmte Apposition desselben Materials erfolgt. Ein stofflicher und struktureller Zusammen- hang besteht also zwischen Mutter und Kind, wie zwischen dem Alaunei und dem fertigen Oktaeder, indem auch jenes, das Alaunei, einem Alaun- krystalle entstammt. Auf die in dem Froschei auftretenden Substanz- Differenzierungen, die etwas besonderes darstellen, braucht hier kein Gewicht gelegt zu werden. Von einer solchen Differenzierung bleiben auch beim Frosche vor allem ausgeschlossen die Germinalteile, als Keime der künftigen Generation. Kurz, das spätere Wesen ist in seinem Keime strukturell und stofflich bei den Anorganismen und Organismen vorgebildet. Noch auf eine andere Eigenschaft des Alauneies möchte ich bei dieser Gelegenheit hinzuweisen nicht unterlassen, da sie in enger Beziehung steht zu vielfach in den letzten Jahren untersuchten ähnlichen Erschei- nungen am Ei der Tiere. Zerlest man ein Alaunei in zwei oder in noch so viele einzelne Teile (Furchungskugeln des tierischen Eies), rundet sie ab und bringst sie in die Regenerationsflüssigkeit, so gehen aus den ein- zelnen Teilen niemals halbe u. s. w. Oktaederembryonen hervor, sondern unter allen Umständen ganze, mit allen typischen 26 Flächen versehene, Rauber, Die Regeneration der Krystalle. 3577 aber von kleineren Durchmessern; aus ihnen wachsen sodann lauter fertige Öktaeder heran. Dieses Ergebnis findet darin seine Begründung, dass in jedem einzelnen Teile die stoffliche Beschaffenheit und die physikalische Struktur des Alauns ganz und gar enthalten ist. Nicht allein zur weiteren Vervollkommnung der Lehre der individuellen Entwicklungsgeschichte und zur Klärung der in neuester Zeit vielfach er- örterten Fragen der Epigenese und Evolution erweist sich das Steinreich unerwarteterweise nützlich, sondern auch auf die Lehre der Abstammung der Organismen, die Phylogenie, wirft es ein eigentümliches Licht, das zur weiteren Aufhellung jener Lehre beizutragen geeignet ist. Man unterscheidet bekanntlich sieben Krystallsysteme, das trikline, monokline, rhombische, trigonale, tetragonale, hexagonale und kubische. Diese sieben Systeme aber bestehen aus 32 Symmetrieklassen. Von ihnen gehören zwei Klassen dem triklinen, drei dem moneklinen, drei dem rhombischen, sieben dem trigonalen, sieben dem tetragonalen, fünf dem hexagonalen und fünf dem kubischen Krystallsysteme an. Künstliche Kugeln aus Krystallen von Phosphor, Silicium, Eisen, Kupfer, Blei, Quecksilber, Gold, Platin, Bleisulphid, Fluorcaleium, Kalium- platinchlorid, Eisenoxydoxydul u. s. w. werden bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu einer Form sich entwickeln, welche der 32. Symmetrieklasse (hexakisoktaedrische Klasse) angehört. Künstliche Kugeln aus Diamant, Zinkblende, Fahlerz, Boracit, oxal- saurem Aluminium-Natrium-Kalium u. s. w. werden unter den geeigneten Bedingungen bei der Regeneration zu einer Endform sich umbilden, welche der 31. Symmetrieklasse (hexakistetraedrische Klasse) angehört. Künstliche Kugeln aus Zinnjodid, Pyrit, Kobaltin, Smaltin werden wie die Alaune bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu Formen heranwachsen, welche der 30. Symmetrieklasse (diakisdodeka- edrische Klasse) angehören. Künstliche Kugeln aus Krystallen von Kupferoxydul, Chlorammonium, Chlorkalium, Chlornatrium, Chlorsilber werden bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu Formen sich ausbilden, welche der 29. Sym- metrieklasse (pentagonikositetraedrische Klasse) angehören. Künstliche Kugeln aus Krystalleu von Barymnitrat, Strontiumnitrat, Bleinitrat, Natriumchlorat, Natriumbromat, essigssaurem Uranylnatrium, Natriumsulfantimoniat u. s. w. werden bei der Regeneration unter den geeigneten Bedingungen zu Formen sich gestalten, welche der 28. Sym- metrieklasse (tetraedrisch -pentagondodekaedrische Klasse) angehören. Alle die genannten Beispiele gehören ausschließlich den fünf Sym- metrieklassen eines einzigen, des VII. Kıystallsystemes an. In derselben Weise würden zahlreiche Beispiele aus den übrigen 27 Symmetrieklassen anzuführen sein !). Die Ausgangsform von künstlichen Kugeln ist aus dem Grunde gewählt, weil sie die einfachste Ausgangsform ist und am leichtesten die Entwicklungsstufen zur Endform erkennen lassen wird. 4) Vergl. solche in P. Groth, Lehrbuch der physikalischen Kıystallo- graphie, 1895, S. 333—521. 878 Rauber, Die Regeneration der Krystalle. Die Nutzanwendung, die aus diesen Vorlagen gemacht werden kann, ergibt sich leicht. Niemand wird zu der Annahme hinneigen, alle die vielen verschie- denen Krystallformen seien durch reale Umwandlung aus einer einzigen Grundform, also aus Transformation hervorgegangen; sondern man ist versichert, jede von ihnen sei selbständig in ihrer Struktur und in ihrer Form, wie es durch die jedesmalige chemische Beschaffenheit des Gegen- standes bedingt wird. Hat man ein Recht, denselben Gedankengang auf die organischen Reiche zu übertragen? Er würde dahin auszusprechen sein, dass viel- leicht in derselben Weise, wie die künstlichen Kugeln jener Stoffe unab- hängig von einander zu ihren zugehörigen krystallinischen Endformen sich entwickeln, alle organischen Keime, mögen sie nun dem Pflanzenreiche oder dem Tierreiche angehören, ebenfalls unabhängig voneinander zu den bezüglichen Endformen der fertigen Pflanzen und Tiere sich ausgestalteten. Der Zwang zur Ausgestaltuug läge in allen Fällen in der Beschaffenheit der Ausgangsformen und ist von deren chemisch-physikalischen Eigen- tümlichkeiten abhängig. Auch im Pflanzen- und Tierreiche gibt es ver- schiedene Axensysteme, durch welche die einzelnen Gestalten teils mit- einander übereinstimmen, teils voneinander abweichen. Die verschiedenen Gestalten des Pflanzen- und Tierreiches weichen ferner voneinander ab durch ihre Form, durch ihre Organisation, Entwicklungsart; die stoff- liche Grundlage ist bei den verschiedensten Gestalten nahe verwandt, besonders im Anfange, während späterhin sehr bedeutende Differenzierungen auftreten können; wenn auch verwandt, so ist die stoffliche Grundlage der verschiedenen Pflanzen und Tiere doch keineswegs identisch. Bis zu diesem Punkte liegen für die Durchführung der Vergleichung anscheinend keine erheblichen Schwierigkeiten vor. Und doch erreichen sie sofort eine unüberwindliche Höhe, wenn wir den Versuch z. B. bei der Klasse der Säugetiere zu Ende führen. Das Säugetierei kann sich nur innerhalb einer bereits vorhandenen Mutter entwickeln. Die Mutter, deren Existenz erklärt werden soll, wird also durch jenen Versuch bereits als vorhanden vorausgesetzt. Denn jener Versuch stellt die Keime als das Frühere, die fertigen Gestalten als das Spätere auf. In Wirklichkeit ist aber bei den Säugetieren die Endform notwendig das Frühere, der Keim das Spätere. Schon dieser Widerspruch ist so schwerer Art, dass es nicht mehr erforderlich ist, nach anderen, ferner liegenden Einwendungen zu suchen. Man erkennt, es zerschellt an dieser Klippe die Hypothese des selbständigen, natürlichen Ursprunges der lebenden Wesen, welche auf Grundlage der Vergleichung mit der anorganischen Natur bis zu einem gewissen Grade einleuchtend erschien. Am Schlusse meiner Darlegungen angelangt, kann ich nicht umhin, den Wunsch auszusprechen, es möchten an der weiteren Erforschung des Gebietes der Regeneration der Krystalle, sei es nun noch an der Alaun- reihe, oder vor allem an den vielen noch unbearbeiteten anderen Krystallen, deren Durchforschung dringend not thut, nicht allein Mineralogen und Chemiker, sondern auch Biologen sich beteiligen. Man darf die Kluft zwischen dem Reiche der Anorganismen und dem der Organismen sich Wettstein, Die europäischen Arten der Gattung Gentiana. 879 nicht so groß vorstellen, wie zwischen Himmel und Hölle, wo ein Ueber- treten von dem einen in das andere Reich unter allen Umständen unter- sagt ist. Die Regeneration der Krystalle, für sich allein schon ein interes- santer Abschnitt der allgemeinen und speziellen Krystallographie, gewinnt, wie obige Ausführungen zeigen, durch die unmittelbare Beziehung zur Regeneration und Entwicklungsgeschichte der beiden organischen Reiche doch noch in sehr hohem Grade an Bedeutung, um so mehr, wenn man von dem Ringen Kunde hat, in welchem gegenwärtig die Geister um gewisse allgemeine Verhältnisse der Entwicklungsgeschichte begriffen sind. Möchten daher die früheren Versäumnisse, die einer mehr als halbhundert- jährigen Ruhe entsprechen, nunmehr von einem um so regeren Eifer nach- geholt werden. Ohne Zweifel werden noch viele schöne Ergebnisse den Fleiß des eifrigen Forschers belohnen“ }). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 8. Oktober 1896. Das ce. M. Herr Prof. R. v. Wettstein übersendet eine Abhandlung, betitelt: „Die europäischen Arten der Gattung Gentiana aus der Sektion Endotricha Froel. und ihr entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang“. Der Verfasser hat sich zur Aufgabe gestellt, durch monographische Unter- suchungen solcher Pflanzengruppen, welche in der Gegenwart reiche Ausglie- derung von Arten zeigen, daher Neubildung von Arten in jüngster Zeit an- nehmen lassen, einerseits die Beantwortung der Frage nach der Entstehung der Arten in induktiver Weise zu fördern, andrerseits dnrch Verwertung der sich hiebei ergebenden Erkenntnisse zu endgiltigen Resultaten bezüglich der Systematik solcher Formenkreise zu gelangen. Zunächst gelangten die ein- schlägigen Untersuchungen über die Gattung Euphrasia zu einem Abschlusse?) ; an diese schließen sich nun die vorliegenden an. Sie betreffen jene Sektion der Gattung Gentiana, welche nach Froelich Endotricha, nach Grisebach Amarella genannt wird. Die eingehende Untersuchung konstatierte für Europa 22 Arten und 5 Hybride, an die sich in Asien und Amerika noch weitere 14 Arten anschließen. Der morphologische Vergleich, die Untersuchung der Verbreitungsverhältnisse der einzelnen Arten, sowie endlich der Kulturversuch ließen zu einer mit allen Thatsachen im Einklange stehenden Vorstellung von den phylogenetischen Beziehungen der Arten gelangen, welche auch in der 1) Schon in der I. Untersuchungsreihe habe ich darauf aufmerksam ge- macht, dass das Studium der regenerativen Erscheinungen im Pflanzen- und Tierreiche sehr weit vorgeschritten ist. Ich verweise hier auf die Berichte von Dietrich Barfurth in Merkel und Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. IV, 1894, 1. Kapitel: Regeneration und Involution. — 2) Monographie der Gattung Euphrasia. Leipzig (Engelmann), 1896. 880 Molisch, Die Ernährung der Algen. Aufstellung eines entwicklungsgeschichtlichen Systemes zum Ausdrucke kam. Was die Artbildung anbelangt, so wurden als die nächsten Ursachen bei der in Rede stehenden Artengruppe Hybridisation, „direkte An- passung“ an Gebiete mit verschiedenen Existenzbedingungen und Saison- dimorphismus erkannt. Das ce. M. Herr Prof. Hans Molisch übersendet eine Arbeit unter dem Titel: „Die Ernährung der Algen“ (Süßwasseralgen, II. Abhandlung). Die Resultate der Arbeit lauten: 1. Die Reaktion einer Algennährlösung soll in der Regel eine sehr schwach alkalische sein. Es gibt zwar auch Algen, welehe entweder in neutraler oder schwach saurer Nährflüssigkeit fortkommen (Stichococceus, Protococcus), doch sagt auch diesen eine schwach alkalische Nährlösung zu. 2. Die untersuchten Algen entwickelten sich nur rasch und reichlich bei Gegenwart von Kaliumverbindungen. Das Kalium konnte hier durch die nächst verwandten Elemente Natrium, Rubidium, Caesium und Lithium nicht ersetzt werden 3. Die Angabe N. Bouilhac’s, derzufolge Arsenate die Phosphate bei der Ernährung von Algen ersetzen können, hat sich bei der Nachuntersuchung mit dem von dem genannten Forscher verwendeten Algenmaterial als unrichtig herausgestellt. Arsenate können jedoch von Algen in erstaunlichen Mengen (2°/,) vertragen werden, hingegen nicht Arsenite. 4. Von Zeit zu Zeit taucht in der Litteratur immer wieder die Behauptung auf, dass irgend ein Nährelement durch ein nahe verwandtes ersetzt werden könne. Derartige Behauptungen haben sich wenigstens bisher bei kritischer, auf genauen Untersuchungen beruhender Prüfung als unberechtigt erwiesen. Erst vor Kurzem konnte ich den Nachweis erbringen, dass das Magnesium für Pilze (entgegen der Ansicht von Nägeli) und für Algen unentbehrlich ist, und dass von einem Ersatz dieses Elementes etwa durch Caleium bei Pilzen nicht die Rede sein kann. Ferner konnte jüngst W. Benecke zeigen, dass die von Wehmer behauptete Vertretbarkeit von Kaliumsalzen durch Natrium- salze bei Pilzen nicht besteht. Meine vorliegende Arbeit erbringt den Beweis, dass Kalium und Phosphor für die untersuchten Algen unerlässlich sind und ihre nächsten Verwandten nicht für sie einspringen können. Alle hieher gehörigen Erfahrungen überschauend, leugne ich zwar nicht die Möglichkeit, dass bei der Eınährung der Pflanze manche Elemente durch nahe verwandte teilweise ersetzt werden können, ja ich konnte sogar jüngst darthun, dass bei gewissen Algen und bei höheren Phanerogamen Strontium- verbindungen Caleiumverbindungen eine Zeit lang vertreten können, aber ich halte es nach derzeitigen Stand unseres Wissens für höchst unwahrschein- lich, dass ein Nährelement der Pflanze durch ein nahe verwandtes vollends ersetzt zu werden vermag. 5. Zahlreiche durchgeführte Versuchsweisen bestätigen neuerdings die von mir aufgefundene Thatsache, dass der Kalk für gewisse Algen unnötig ist, ebenso wie für die von mir seinerzeit darauf untersuchten Pilze. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namen -Reeister. Aeppli 559. Agassiz 247, 249, 250. Ahlborn 587. Alix 501. Allan Hume 216, 276. Altmann 691, 694, Altuchoff 323. Altum 211, 212. Anutschin 153, 701. Apathy 391. Apstein 65, 715, 804. Arbo 808. Arild 812. Aristides von Caradja 518. Aristoteles 561. Arnold 595, 600, 605, 807. Arnstein 452. Arthus 813 fg, 841 fg. Askenasy 567 fg. Asper 61. Auerbach 180. Auvard 127. Baer 316, 741, 775. Baird 508. Baker 19. Baldamus 181 fg., 209 fg., 269 fg., 374 fg., 395 fg. Balfour 237. Ballowitz 180. v. Bambeke 98. ZWI, Bamberger 559. v. Bardeleben 443, 445, 656. 433, 436, Barfurth 80, 283, 879. Barrois 417, 578, 683. de Bary 631. Basch 109. Bataillon 424. Bateson 256. Bauer 528, 848. Baume 288 fg. Beckstein 206. Beddard 253, 386. Beer 58, 59. Behrens 145. Beil 452. Below 655. Benda 425, 426. Benecke 411, 880. Beneden, van 27. Benedikt 512, 314, 331, 574, 5.43, Benham 388, 391. Bergmann 806. v. Bergmann 655. v. Berlepsch 816 f. Bertillon 663. Bertkau 750. Berzelius 813. Beyerinck 721. Binz 784. Birukoff 79. 326, Bischoff 75, 317, 318, 807. Blanchard 265. Blasius 272, 383, 638. Blochmann 154, 266. Blum 656. Blyth 191, 219, 501. Bogdanow 153. Böhm 564, 566. du Bois-Reymond 353, 356, 364, 366. Bolk 435 tg. Bonaparte, Lucian 404, 501 fg. Bonnet 281, 420, 433, 452. Bonnier 418. Borelli 558. v. d. Borne 411 fg. Bornet 139, 713. Bouchat 326. Bouilhac 880. Boulenger 680. Bourgeois 559. Boveri 28, 30, 75. Brady 245, 253. Braem 237, 238. Brandes 825, 839. Brandt 43, 501 fg. Brass 618. Braun 227. Brehm 206, 334, 411, 501 fg. Brehm, Chr. L. 642 f£. Brennecke 624. 56 882 Brennsohn 699. Brisson 501 fg. Broca 165, 166, 326. Brockmann 716. Brockmeier 716. Brongniart, Ch.u.Henry 48. Bronn 47. Brook 247. Broussonet 411, 414. Brown 326. v. Brunn 847. Buchanin White 254. Buchenau 656. Buchner 655. Bunge 19, 366, 367. Bunsen 719, 813. Burda 414. Busk 255. Busley 624. Butkewitsch 659. Bürger 578. Bütschli 100, 548, 578. 178, 1,281, Cajal 462 fg. Calori 440. Camper 336. de Candolle, P. 563. Capus 565. Carnoy 427. Carpenter 245, 249. Carus 450, 503, 831. Castle 415. Castracane 244. Chabry 293. Charusin 154. Chaves 687. Chun 54, 845. Claparede 391, Claus 253, 839, 845. Coaz 433. Cockerell 42. Cohn 297, 300. Colin 667. Cones 503, 507, 508. Cook 120. Cope 497. Copernieus 11. Cori 815. Cornay 473. Corre 317. Correns 728 fg. Cowens 31. Cramer 60. Crampton 59. Cred& 127. Cuvier 501 fg. Dahl 587. Dames 498. Dana 204, 845. Dangeard 29. Danilow 154. Darwin 3,-153, 187 t., 279, 297, 355, 380, 405, 417, 450, 452, 461, 518, 557, 589, 728, 752, 797£., 831 f. Dauleton 383. Davaine 840. Davenport 415. Dawkins 6. Debierre 309 fg., 577. Dehner 807 f. Delage 231 fg. Delage Yves 239. Delboeuf 119, 179 f£. Delpino 417. Dendy 240. Deniker 160. Descartes 117. Des Murs 501 fg. Despretz 411. De-Toni 656. Dewitz 53, 110, 177. Diebold 154, 701 fg. Dieck 578. Dixon 569. Dodel-Port 417. Doederlein 35. Dollo 498. Draper 6. Dreser 656. Dreyer 84, 304, 356, 357, 364, 366. Driesch 72, 73, 353, 426, 556, 626, 734. Drosier 775. Alphabetisches Namenregister. Dubois 752. Dufour 559, 567. Dutrochet 563. Duvernoy 103. Dybowski 2, 74, 379, 380, 398. Eberth 302. Edinger 655. Edmondstone 826, 831 fg. Ehrlich 31, 799. Eimer 189, 406, 518. Eisen 390. Eisler 433. Eismond 864. Elsberg 769. Emery 122, 344. Emme 699. Emmerling 758. Endlich 102. Engelmann 97, 555, 752. Epstein 840 f. Ercolani 347, 348. Erkert 175, 702 fg. v. Erlanger 122, 579. Erman 156, 159. Errera 417. Escherich 101, 102. Ettinghausen 318. Eustache 127. Exner 449. Eyton 501 fg. Faller 571. Fallot 572. Feddersen 847. Feldhusen 210. Ferri 307. Ferrier 326, 341, 573. Fickert 518. Fiedler 233. Figdor 719. Filhol 501. Fischer, Bernh. 624. Fitzinger 501 fg. Flechsig 655. Fleischmann 208. Flemming 420, 423. Alphabetisches Namenregister. Flesch 571 fg., 656. Florinsky 154. Flower 284. Forbes 258, 475, 501 fg. Forel 125. Fraenkel 624. Frank 713, 721, 755. Frankland 303. Frenzel 64, 107 fg. v. Frey 453. Friedländer 197. Frisch 374. Frith 276. Fritsch 62. Fritzsche 643, 645. Froehlich 879. Fürbringer 404, 405, 437, 440, 472, 497. Fürst 127. Fusari 571, 573. Gadow 474, 501, 503. v. Gagern 16. Galilei 5. Gall 315. Galton 281. Garbowsky 304, 365, 368. Garcke 481. Garrod 472, 475, 501 fg. Garson 807. Gaupp 807 f. Gauss 319. Gautier 844. Gegenbaur 392, 434, 437, 448. Geiser 559. Geoffroy St. Hilaire 501. Georgi 156, 159. Gervais 501 fg. Gevaert 417. Giacomini 318, 329, 330, 339% 51.9724 Gibson 182. Giesbrecht 845. Giessler 623. Giltschenko 154, 175, 660, 666, 695 fg. Gjoki& 718. Glück 605. v. Göbel 210, 227, 272. Godlewsky 565 fg. Goette 232. Goeze 261, 262. Golgi 462 fg, 799. v. Gonsenbach 275. Goodrich 392. Goulet 220. Graber 419. Gradenico 315. v. Graff 38. Grassi 839, 861 fg. Gray 501 fg. Greshoff 759 fg. Grisebach 151, 152, 879. Grobben 180 Grochowski 838 Groth 877. Groves 602. Grube 154. Gruber 440. Grunach 212. de Guerne 683. Guignard 142, 143, 144, 148. Guldberg, F. 0. 779, 806. Guldberg, G. A. 779 fg. Günther 257. Haacke 177, 181, 209, 267, 374, 392, 481, 529, 589, 625, 637,734, 739 fg., 817. Haase 858, 863. Haberlandt 759 fg. Häcker 178. Haeckel 66, 246 fg, 279, 280, 498, 709, 769. Hales 562 £. Haller 734. Halliburton 40, Hamilton 219, Gibson 182. Hammarsten 842. Hanot 326, 331, 571, 573. Hansen 567. Hansteen 81. Hanstein 526. Hane Blasius 228. Hartert 181, 227, 398. Hartig 565 f. Harting 807. 383 Hartlaub 503, 508. v. Hasse 807 fg. Hatschek 815, 839. Hauser 302 fg. Hayem 842. Heck 830. Heckel 416. Hegel 355. Hegler 132. Heidenhain 694. Heidenheim 422. Heinricher 13. Heldt 597, 599, 601. Hellwald 156, 159. Helm 383, 480, 511, 638. v. Helmholtz 60, 457. v. Helmont 561. Hemsley 244. Henke 645. Hensch 571. Hensel 284, 29. Hensen 43, 125. Herberger 599. Herbst 177, 360. Herdmann 256, 257. Hering 37, 50. Herrguth 413. Herringham 441. Hertwig 177, 248, 368, 579; 626, 734, 741, 769, 839, 852, 854. Herzen 656. Hess 59, 60, 176. Hesse 371,599 fg., 745,857. Hessling 616, 621. Heuglin 190. Hewitson 219. Heyer, Fr. 515. Heymons 854, 862. Hintz 212. His 98, 655. Hochsinger 127. Hock 253. Hoerners 498, 505. Hofer 178. Hoffmann 578, 598. Hoffmeister 752. Hofmeister 563. Home 409, 831, 833. Holl 435. 56* 884 Holmgren 827 fg. Hooker 3. Horak 414. Huber 136. Hubrecht 252, 578. Hüfner 112, 813. Huitfeld- Haas 125. Humphry 433. Hunter 826, 831 fg. Huppert 750. Huschke 702. Huxley 1, 113, 245, 472, 473,190 7fe:, 927. Hugghens 31. Hyrtl 807. de Jager 814. Jäger, G. 538, 589, 637. Jamin 569. Janosik 424. Janse 567. Jelissejew 168. Jenner 19. Jerri 575. Ihering 170. Illiger 501, 502, 507. Imhof 431, 683, 847. Jobert 452, 453. Johannessen 127. Johne 617. Johnston 391. Jolles 656. Joly 569. Jürgens 624 Iwanowski 154, 160, 163. Kabnitz 268. Kafka 62. Kaiser 44, 656. Kant 361. Karamsin 695. Kaup 501, 503, 507. Keller: 412; 74; 1435:528, 2213.753, 185: Kennel 745, 839. Kerlen 415. Kerner 151, 152, 788, 790. Kirchhoff 365. Kionka 124. Kirkaldi 588. Klebahn 132, 133, 145, 717. Klebs 178. Kleinschmidt 830. Klie 302. Knaggs 517. Knauthe 411, 848, 717. Kner 416. Kny 787. Knop 601, 602. Kobelt 656. Kobert 598 fg. Koch 297, 383, 597. Koehler 424. Koenig 36, 50. Kogevnikow 657. Koken 291. Kolenati 383. Kölliker 197 fg., 247, 284, 559. Kollmann 284, 295. König, W. 656. Könike 716. Kopernicki 699, 703. Korschelt 178. Kossowitsch 721 fg. Kowalewsky 234, 295, 424, Kraemer 656. Kramer 757. Krasan 818. Krasser 719. Krassnow 699, 703 Kraus 761, 792. Krause 112, 440, 448, 794, 807. Kresling 340. Krieghoff 205. v. Kries 50. Krüger 210. Kuhlmann 656. Kühne 37, 112, 844. Kükenthal 284, 296, 586, 637, 674. v. Kupfer 98. Kutter 229, 382. Lacaze - Duthiers 44. Lamark 278. Landois 515. Alphabetisches Namenregister. Lang 525. Langley 778. Lankester 247. Latham 508. Laurer 390. Lauterborn 132. Lavdowsky 99. Layard 404. Leach 422, 547. Lebedinsky 577. Leche 283. de Lemark 689. Lemaut 501, 503. Lemmermann 717. v. Lendenfeld 241, 371, 774 Lenhartz 839. Lepsius 655. Letellier 44. Leuckart 54, 59, 611 fg., 806, 839. Levaillant 217, 220, 383. Leydig 61, 101, 851 fg. L’Herminier 501, 503, 508. Liebe 206, 647. Liebig 319, 813 f. Liebmann 364. Lilford 275, 402. Lilienthal 599. Lilljeborg 508. Lindau 712. Linden 857. Lindner 610. Link 375, 595. Linne 507. Linsbauer 719. v. Linstow 839. Littauer 699. Löb 77. Lo Bianco 112. Lombroso 305, 571. Lorenz 432. Lotze 365. Loven 249. Lubbock 417. Lugaro 464. Lühe 262. Lukjanoff 694. Lutz 839 £. Lyell 3. 398, 399, Alphabetisches Namenregister. Maas, Otto 231, 232, 239. Maegillivray 832, 835. Mac Leod 418. Magnus 635. Mahnkopf 848. Majer 699. Malgaigne 807. Malijew 154, 166, 670. Malpighi 561 fg. Manouvrier 309 fg., 809. Mark 678. Marschall Ward 303. Marsh 497 fg. Martin 676 Matiegka 807 Maupas- 178 £. Maurer 451. Mayer 678 fg. Mayer, A. 784. Mayer, Alf. Goldsborough 678 f. Mazejewski 160. Meguin 265. Meinert 52, 110. Mendelejeft 738, 773. Men6tries 826, 832, 835. Mereschkowsky 180. Meril 189. Merkel 624. v. Merkel 281, 420, 433. Merrifield 519. Metschnikow 160, 231, 252. Meves 420, 425 Meyer 638. Michael 597. Michaelsen 389, 390. Middendorf 267. Miers 252. Miescher 610, 616. Milne Edwards 501, 507, 836. Minchin 237. Mingazzini 309, 316, 326, 329, 335, 372. Minot 178, 734. v. Mises 452, 453. Mitrophanow 865. Möbius 129, 561, 537. Mohl 731. Moleschott 451. Molisch 880. Möller 176. Mondio 571 fg. Morgenstern 656. Moritz 406 fg. Moseley 204, 244, 245, 241, 248, 254, 258. Müggenburg 41. Müllenhoff 778. Müller 189 £. Müller, Ad. 411. Müller, Karl 411. Müller, H. 417. Müller, E. G. ©. 731. Munk 112. Murray 241, 258. Nagel 51, 54, 103, 752. Nägeli 297, 300, 417, 569, 721, 814, 880. Nall 528. Nasion 704. Nathusius 816. Naumann 185, 274, 402, 641. Naumann, J. F. 185, 195, 205, 209, 226. Nelson 247. Newton 195, 498. 501 fg., 816. Newton, J. 5, 773, 800. Nicholson 498. Nicolas 425. Nitzsch 472, 475, 501 fg. Nocht 624. Nöldeke 232, 236 fg., 239. Noll 411, 654, 718. Nussbaum, M. 71, 113, 281. Nuttal 123. Oellacher 424. Oltmanns 140, 145, 724 f. Opel 184. Oppel 406. Orschanski 312, 317. Ortmann 203 fg. Osborn 284. Osterwald 304. Owen’, 281, 501 fg., 832 f. 146, 835 Pages 841. Parker 258, 472, 476. Parker, C. W. 501 fg. Parker, J. 526. Parrot 772. Pässlers 645. Pasteur 123, 297, 813. Pavesis 715. Pawlowski 312. Pennington 178, 180. Perenyi 180. Perrier 387. Perty 556. Peschel 702. Peytoreau 861. Pfeffer 88, 97,590, 725, 793. Pfeiffer 617 f. Pflüger 50, 58, 72, 279. Philipps 190. Pintner, Th. 258. Plate 123, 549 fg. Plateau 58, 417. Poirault 24. Pojarkow 160. Polejaeff 246, 247. Ponta 326. Pope 406. Popoff 462. Porotow 660. Potter 276. Pouchet 293. Poulton 50, 467. Pourtales 249. Praussnitz 656. v. Preen 226, 227, 398- Pringsheim 135. Purkinje 462 fg. v. Quenstedt 102. Raciborski 24, 726, Radde 267. Raffael 426. Rainey 610. Rammon y Cajal 462 f. Ramsay 180, 190, 195, 213, 216, 220, 382: Ranke 309, 312. Ranvier 200. Ratzeburg 514. 886 vom Rath 421, 422, 425. Rauber 280, 865. Rawitz 816. Rayleigh 778. Rees 718. Regel 205. Reichenbach 501 fg., 644. Reichenow 222, 276, 392, 404, 501 fg. Reichert 850. Reighard 65. Rein 656. Reinhard 420. Remak 420. Requerel 48. Retzius 464. Rey 182 fg., 209 fg., 222, 223 1g,) 269. 1f8.4,4275; 277, 374 tg., 395 fg. Richter 326. Ridley 246. Rieger 676. Rindfleisch 366, 367. Risso 257. Ritter 38, 39. 156. Ritzema-Bos24, 75, 97,178. Rochleder 597, 599, 601. Rodet 296. Romanes 120, 734. Römer 622. Romiti 571. Rompel 553. Roneoroni 316, 571. Rosa 390. Roseoe 719 f. Röse 284, 288, 291, 293, 295. Rosen 29. Rosenberg 349. Rosenthal, J. 752. Rosenthal, Werner 302, 816. Rosenblatt 623. Rossi 314. Roux 72, 73, 84, 277,299, 353 fg., 370, 556,:768.f. Rowley 401. Rüdinger 326. Rudio 559. Rudolf v. Oestreich 605. Ruge 296, 438. v. Rühl 127. Rütimeyer 284. Ryder 178, 180, 284. Rywosch 123. Sachs 150, 281, 563 fg., 793. Salertz 286. Sala 427 fg. Salensky 578. Salkowsky 602. Samassa 368. Sappey 775. Sappin - Trouffy 29. Sarasin 677. Sars 124, 248, 253. Saunders 276, 398. Schach 645. Schaper 465. Schein 449. Scheit 570. N Schendrinowski 660 fg. Scehendrikowskj 154. Schenk 654, 718, Schimkewitsch 177. Schimper 176, 654, 718, 12,98} Scehlater, Gustav 689, 732, 165, 795: v. Schlechenthal 601. Schlegel 503, 507, 508. Schlosser 284, 295. Schmankewitsch 838. Schmarda 204. Schmeil 845. Schmidt 295, 703 fg. Schmidt, Alexander 843. Schmidt, Moritz 655. Schmitz 24. Schött 594. Schreiber 101. Schröder 467. Schröter 559. Schrötter-Kristelli 38. Schulze, F. E. 200, 231, 246, 247, 849. Schultze, Max 850. Schultze, Oskar 72, 78. Schunk 602. Schüttauf 677. Alphabetisches Namenregister. Schwalbe 447, 453. Schwann 849 fg. Schwarz 50, 602. Schwendener 567 f., 609. Scelater 501 fg. Seeley 498, 505, 506. Seidensacher 398. Seitz 587, 656. Selenka 180. Seligo 64, 411, 412. de Selys Longehamps 501 fg. Semon 408. Semper 678, 826 fg. Senckenberg 181, 586, 674. Sernoff 305, 571 fg. Sevön 229. Sharpe 502, 508. Siebold 19, 414, 415. Siloa 318. Simroth 33, 41, 43, 47, 805. Smith 126, 127. Snegireff 702. Sograf 153, 154. Sollas 246. Solowjew 695. Spallazani 80. Spence Bate 252. Spencer Herbert 278, 351, 733, 769. Speyer, A. 514. Speyer, O0. 514. Spiess 624. Sprengel 417, 607. Spuler 678. Ssanang-Ssezen 156 Standfuss 466, 511. Stahl 785 fg. Stein 551, 555. Stelling 719 f£. Stenhouse 599 fg. Sternberg 183, 405. Stieda 175, 435, 437, 674, 708. Stift, A. 240. Stole 388. Strassburger 29, 137, 141, 142, 143, 148, 567 fg., 654, 718. zur Strassen 426. 279, 560, Alphabetisches Namenregister. Strieker 98. Strodtmann 715. Studer 247, 501. Sundevall 501 fg. Susta 61, 62, 414, 415. Swainson 501 fg. Taine 307, Talko-Hrinzewitsch 701fg. Tarenetzky 154, 155, 167, 661. Tarnier 127. Taschenberg 594. Tatem 553. Tatischtochew 69. Taylor 398. Tegami 317. Temminck 501, 508. Tenchini 309, 326. Ten-Kate 312. Theel 251. Thiele 185, 192, 212, 375. Thiem 624. Thienemann 210, 213, 217, 226, 202. Thierfelder 123. Thilenius 447. Thilo 656. Thomas 284. Thomson William 767. Thomson Wyville 249. Thuret 139. Tichomiroft 177. Tiebe 420. Titler 268. Tobias 645, 647. Todd 833. Tomes 284. Topinard 159, 160, 166, 173, 315, 066, 670, 702. Trembley 75, 76. Treub 754 fg. Tristram 217, 399. Tschermak 766 fg. Tstehuganow 154. v. Tubeuf 635. Tullberg 595, 829 f. Tyndall 457. Uechteritz 642. Vaillant 385, 391. Valenti 571 fg. Varoglia 318, 573. Vejdovsky 385, 391, 392. Verhoeff 855 fg. Verreaux 190. Verreaux, Edouard 403. Verreaux, Jules 403. Verworn 655, 692, 752, 768 f. Vesque 565, 568. Virchow 617, 621. Vöchting 77. Vogt 98. Voigt 208, 386, 392, 750, 152, 816; de Vries 546, 626. Waeber 154. Wagener 265. Wagner 204, 702. v. Wagner 368 fg. Wagner, Moritz 394. Wagner, Woldemar 118. Waldeyer 284, 656, 850, 854. Waldhauer 154. Wallace 204, 501 fg., 589, 594,165. 679. Wallengreen 547. Walter 66, 211, 275, 375, 398. Walther 204. Waters 255. Watson 258, 501. Weber, E. 806. Weber, M. 591 f£. Weisbach 309, 312, 702 Weigert 655. Weinberg 305. Weinland 175. 887 Weismann 149, 181, 278, 280, 346, 350, 351, 369, 522, 625.8., 692,732 T8-, 768, 795 fg. Welker 702. Weltner 65. Werner 683. Westermaier 566. Wetterberg 193. v. Wettstein 879. Whaston Jones 2. White 254. Wiedemann 50, 457. Wiedersheim 498. Wiener 50, 524. Wiesner 239, 240, 718fg., 769. Wilde 600 £. Wilder 448. Wilhelm, G. T. 837. Wille 124, 126, 146. Willig 571. Willigk 326. Willyk 573. Wilson 72, 73, 405. Wilson,..H.: V.0,232 Ag, 239, 626. Winge 284. Winkel 127. Wolf, C. F. 734. Wolff 355, 359, 562. Wolff, Casp. Friedr. 369. Woronin 631. Wright 247. Wyiville Thomson 249. Wyınbow 172. Wyschogrod 167, 660. Zabeck 270. Zacharias 30, 60, 411, 560, 714 fg., 803, 846. Ziegler 421. v. Ziemssen 655. Zopf 297, 593. Zschokke 718. Zukal 6095. Zvennerstedt 547. Alphabetisches Sachregister. As Aal, Fortpflanzung in einem Alpen- see 431, in Süßwasser 847. Abdominale Körperanhänge der In- sekten 854. Abramis brama 414, 714, blicca 717. Acanthis cannabina 223, linaria 223. Acanthiza pusilla 383. Acanthococeus acieuliformis 126. Acanthodriliden 386, 390. Acanthodrilus 388. Acarinen 593. Accentor collaris 224, modularis 223. Aceipitres 478, 498, 499. Accommodation des Fischauges 58, des Vogelauges 59. Acentropus 747. Acephalen 752. Acerina cernua 412. Aceste 250. Acetabularia 137, 144. Achromatische Kerne 423 fg. Achromatische Substanzen, Anteil ders. am karyokinetischen Prozess 694. Acidalia calcarea 602, 604, confinaria 602, 604, submulata 602, 604. Aconitum septentrionale 85. Acrocephalus aquaticus 223, arundina- ceus 223, palustris 223, schoenobae- nus 223. Acrocladia 588. Acrocoracoidae 480, 497. Acroperus 64. Actinien 248. Actinodura egertoni 223. Actinurus neptunius 684. Adler 809. Adonis 543. Aecidiosporen der Uredineen 25. Aecidium Leucanthemi 26, leucospermum 26, punctatum 655, Thalictri 26. Aegiceras majus 759, 161. Aelosoma 387, 388, 390, 391. Aerope 250. Aeschna 55, 856. Aesculapschlange 207. Aether 784. Affentheorie Huxley’s 9. Agabus Godmanni 685. Agaricus 527. Agelena brunae 120, labyrinthica 120. Aylia tau 748. Aglyphae 681 fg. Agrikulturchemie, Lehrbuch der 784. Agrion 55. Agroeca Haglundi 119 fg. Agrostis vulgaris 82. Aira caespitosa 82, flexuosa 82, 83. Akademie der Wissenschaften, kaiser- liche in Wien, Verhandlungen der 239, 718. Alar-Burjäten 660. Alauda arvensis 223, brachydactyla 223, isabellina 223. Alaunkrystalle, 865 fg. Albinismus 516. Regeneration der Sachregister. Alburnus 63, lucidus 63. Alca impennis 502, 505. Alcariae 502. Alchemilla vulgaris 83. Alcidae 501 fg. Aleciopiden 38. Aleyonarien 247. Alceyonium 588. Alectorolophus minor 83. Alfuren von Halmahera 674. Algen 130 fe, 244, 715,18.,:>721. 1g., Assimilation von freiem Stickstoff durch A. 721fg., Ernährung der 880, pelagische 244, roten Schnees 42, Zusammenleben mit Schnecken 721fg. Alipennes 501. Allolobophora complanata 389. Alloplasie 625. Alnus glutinosa 788. Alona 64, affınis 684, Barroisi 683, 684, costata 683, 684, testudinaria 684, tuberculata 684. Alopecurus geniculatus 83. Alpenbraunelle 224 fg. Alpenmauerläufer 648. Alpenpieper 194. Alpensalamander 208 Alytes obstetricans 208 Ameisenlöwe-Larve 109 fg. Amitotische Teilung der Zellen 420, Uebergang in mitotische T. 495. Ammer, gelbbäuchiger 224. Amoeba 125, 526, coli 610. Amphibia 686 fg, 711. Amphidasis aberratio 522, betularis 522. Amphilectus challengeri 247. Amphilina 260. Amphineuren 255 Amphitretus 255. Amphioxus lanceolatus 407, 626, 710fg., TR. Amphipoda 683 fg. Amphiporide 252. Amphiura 250. Amplicephalidae 681. Amsel 222 fg. Amygdalin 754. Anabaena circinalis 126. Anachaeta 391. doubledayaria 889 Analogie der Keimschichten 238. Anaptychia speciosa 600 fg. Anas domestica 528, strepera 653. Ancistrodon 682. Anemona nemorosa 545, 625, ranun- culoides 545, 635. Angiospermen 144. Anguis fragilis 207, 285. Anguilla vulgaris 686. Anilinfarben 816. Aniloera mediterranea 422. Anlagesubstanz, Multiplikation der 426. Anneliden 197, 252. Anoplocephala perfoliata 261, 262. Anoporus 253. Anurosorex 285. Anpassungscharaktere 360. Anpassungshöhe 359. Anpassung 43, 278, 300, 359 fg., 523, 752, 880, funktionelle 278. Anser brachyrhynchus 809. Anseres 501 fg. Anseriformes 501 fg. Anthemis arvensis 542 fg., tinctoria 540. Anthoxanthin 38. Anthoxanthum odoratum 82. Anthropoiden, vergleichende Anatomie des Schädels und Gehirns 7. Anthropologie der Burjäten 154, 660, der Kabardiner 167, der Kosaken 695, des Verbrechers 305, 571. Anthropologische Arbeiten in Russ- land 154, 660. Anthropomorphismus 118 Anthus agilis 221, 2.3, campestris 223, cervinus 223, jerdoni 223, pratensis 223, richardi 223, rupestris 223, spi- polelta 223, trivialis 223. Antipatharia 248. Antipathes 588. Anurea aculeata 126, 684, brevispina 684, cochearis 126, longispina 126. Anurophus laricus 604. Appendicaria 740. Apatornis 508, celer 498. 49. Apatornithidae 497. Aphaneura 391. Aphanochaete 136 fg., repens 136 Aplysioidea 255. Aptenodytidae 500. 8I0 Araceen 761, 786. Arachnoidea 685, 688. Arbaeciden 250. Arcella 717, dentata 684, vulgaris 125, 684. Archaeopterygidae 498. Archaeopteryx 478, 498. Archicrania 709, 711. Archigonie 67. Architherien 711. Arctia fasciata 513. Ardea 499. Areturus 253. Argulus foliaeeus 685. Argynnis 748, aglaja 519. Argyroneta 121. Arion hortensis 785. Arrenurus emarginator 685, 716, cerenatus 716. Artbildung, Einfluss der Hybridation auf die 471. Arteigenschaften, Erhaltung der 750. Artemia 838. Artemisia vulgaris 467. Arten, Entstehung der 406, 877. Arthemis arvensis 542 fg. Arthropoeen 685 fg., 752, tracheate 254. Artiodactyla 206. Arum 786, italicum 764. Ascaris, Riesenembryonen 426, var. bivalens 427 fg., Ei von 74, lumbri- coides, Entwicklung 839, megalo- cephala 27, 427 fg., var. univalens AU HART TE: Ascoidien 610. Ascomyceten 131. Ascophyllum 140. Aspirotricha 251, 555. Asplanchna Imhofi 683, 684. Assimilation des freien Stickstoffs durch Algen 721, morphologische 233. Asteroiden 250. Astragalus alpinus 83. Asymmetrie, funktionelle 780, 306, der Gliedmaßen beim Menschen und höheren Vertebraten 806. Atavismus 13,306 fg., 344, 520, 572, 857. Atavistische Charaktere der Verbrecher 306 fg., 572 fg., Formen, künstlich erzeugte 520. battifer Sachregister. 2 Athene passerina 643. Atmungsorgane der Vögel 741. Atollidae 248. Atractaspis 682. Atranorsäure 595 fg. Atrium bei Oligochaeten 388. Auge 37 fg., 58, 253 fg., der Isopoden 253, der Tiefseegastropoden 254. Augenfleck einzelliger Lebewesen 37, der Borstenwürmer 38, der Strudel- würmer 37. Augenlose Tiere, Lichtsinn der 752. Aurelia aurita 489. Autokineonten 279. Automerizonten 279. Auxosporen 132 fg. Avena pubescens 8. Aventia flexula (fleruliaria) 600, 604. Avicenna officinalis 759. Azemiops 682. Azoren, Binnengewässerfauna der 683. B. Bachstelze 193, 194, 375, 396fg., graue 223, weiße 212 fg., 223, 396. Bacillus anthracis 298 fg, aborescens 303, Eberth’scher 302. Bacillariaceen 66, 715, 805, Bedeutung als Nahrung der kleinen Kruster 66. Bacterium coli 299 fg., 302. Bactris speciosa 763. Bakterien 123, 526, 722 fg., 751, Fehlen derselben im Verdauungskanal 123, Variabilität 297, 302. Bakteriopurpurin 39. Balaenoptera 285. Balanoglossus 256, 710. Bambusrohr, Längenwachstum des 792 Baptornis 510. Bär 206. Barbatinsäure 602 fg. Barben 411. Barsch 63. Basichromatin 694. Basidien der Uredineen 27. Basidiomyceten 131. Bast 755. Bastarde der Falter 468 fg., der Weiß- fische 717. Sachregister. Bathoris 255. Bathybius 245. Bathyerinus 249. Bathytenthis 255. Batrachia 680, Larve der 851. Bauinstinkt der Bienen 657, der Spin- nen 118. Baumkuckucke 181 fg. Baumläufer 223 fg. Baumpieper 214 fg., 375. Befruchtung 29, 129, 177, 417, 693, Bedeutung der Bienen für die Befr. der Blüten 417 fg., bei Uredineen 29. Begattungsanhänge der Libellen 856. Begonia rex 791. Begonien 785 fg. Beifuss 467. Bellis perennis 725. Beobachtungsstationen, sche 638. Bergfink 215, 224, 398, 651. Berglaubsänger 212 fg. Bergungsmal 196. Beta vulgaris 785. Bewegungen, tierische 779. Bewegungsorgane 472, 497, asymme- trischer Bau der 779, der Insekten 859 fg. Biatora lucida 607. Biber 206. Bibio 41. Biene 657, Bauinstinkt der 657, Kampf der Mutterbienen 660, Stachel der 855. Bifaxariadae 256. Bingelkraut 515. Binsenrohrsänger 223. Binuclearia tatrana 126. Biogenen 692, 768. Biogenetisches Grundgesetz 350. Biologie, Huxley’s pädagogische und philosophische Ansichten 113, der Pflanzen 721, 753, 785, Studium der 114, Vereinfachung der Nomenclatur 526, Vorlesungen über 526. Biologische Station (Plön) 560, 714. Biomechanik 773, 800. Biophoren 692, 768. Birkenzeisig 224. Birkhahn 809. Biston alpinus 515. ornithologi- 891 Bitterling 415. Bläschenförmige Kerne 424 fg. Blatta orientalis 109. Blattrot 786 fg. Blaublindheit 36, 50. Blauelster 194, 275, 398. Blaukehlchen 224, 396 fg., rotsterniges 224. Blaumeise 224. Blaurake 646. Blühen, Dauer des 724. Blumen, Mittel zur Anlockung der In- sekten 417. Blutegel 752. Blüten der Anemone nemorosa 625 fg., der Campanulaceen 481 fg., der Com- positen 481 fg., 528 fg-, Schutzvor- richtungen der 726 fg. Blütengelb 38. Blütenknospen, Anpassungsformen und Schutzvorrichtungen 726 fg. Blütenpflanzen, geschlechtliche Fort- pflanzung der 152. Blütenstaub der Runkelrübe, chemische Zusammensetzung 240. Blütenwärme bei Cycadeen, Palmen und Araceen 761. Blutgerinnung 841. Blutkörperchen, Vereinigung der Nu- cleoide 99. Boarmia consortaria 513, glabraria 600, 604, lichenaria 600 fg, roboraria 513, veduaria 601, 604. Boidae 681. Boinae 681. Boletobia fuliginaria 600, 604. Boltenia 257. Bombinator igneus 94, 97, 208. Bombus terrestris 418, hortorum 418, muscorum 418. Bombyciden 748. Bombyax catax 515, var. arbusculae 515 rimicola 515. Borneo, ForschungsreiseK ükenthal’s nach 586, 674. Borstenwürmer 38. Bosmia longispina 126. Bosmina coregoni 63. Botanik, Lehrbuch der 654, 718. Bothridien 259 fg. 892 Botrycoceus Braunii 126, 717. Brachionus amphiceros 684, Ühavesi 683, 684, pala 684, rubens 684. Brachiopoden 255. Erachpieper 224, 375. Brachyotus palustris 646. Brachypteri 501. Brachyuren 252. Bradypus 285. Branchiobdella 391, 392. Branchipus 838. Braunstärling 405. Brissina 250. Briza media 82. Bromeliaceen 727. Bronzekuckuck 184, 195, 382, austra- lischer 190, 210 fg. Bruguiera eriopetala 759. 761. Brustkorb der Vögel 743. Brutparasitismus 181, 209, 374, 392. Brutpflege 183 fg. Brutvögel, seltene Sachsen 638. Bryophila algae 600, ereptricula 600, 602, glandifera 600, raptr'cula 602, receptricula 602, troglodyta 602. Bryopsis 137. Bryozoen 255, 688, 717. Bubo maximus 645. Buchfink 215, 224 fg. Budytes flavus 223, rayi 223, campestris 223, viridis 223. Büffel, afrikanischer 809. Bulbochaete 126. Bulloidae 255. Burjäten, Anthropologie der 154, 660. Buschkuckuck 392. im Königreich Ü. Cacangelus dieruroides 220. Cacomantis flabelliformis 220, 383. Caeoma aegopodiü 2%. Calcarius lapponicus 224. Calligena rosea 600. Callimorpha dominula 470, var. per- sona 410, Calliobothrien 260 Callosamia promethea 679. Calyptraea chinensis 46. Sachregister. Campanula 241, glomerata 481 fg. 545 fg., rapuneuloides 481. Campanulaceen 481, 528. Campodea 859. Camptocercus 65. Canis familiaris 285. Canthocamptus horridus 685. Capocvogel 333. Capsa fragilis 752. Carabus 647. Carassius auratus 424, var. 416, vulgaris 416. Cardita 752. Cardium 752. Carduelis carduelis 274. Carinatae 497. Carinella annulata 578. Carnivora 206, 285. Carotin 38. Carum Carvi 83. Catocarpus alpicolus 607. Caulerpa 527, prolifera 130. Causus 682. Cecomorphae 503, 507. CGelebes, Fauna von 591. Centaureen 467. Centralnervensystem der Nemertinen 583. Centrarchus aeneus 412. Centrioli Boveri A422. Centropagidae 845. Centropyzis aculeata 684. Centrosphaeren, Beteiligung beim Be- fruchtungsvorgang 142 fg. Centrosomen 149 fg., 422, 739, Anteil an der Karyokinese 694. Cephalodiscus 256. Cephalopoden 255, Giftwirkung und verdauende Wirkung des Speichels 112. Cephalosiphon limnt-s 684. Cephalothrix bioculata 518 fg. Ceratodus 258. Jeratium Hirudinella 126, 684. Ceratodus 711. Ceratogamia longifolia 761 fg. Certhia familiaris 223 fg. Cetacca 285, 409, 809. Cetraria islandica 602, pinastri 597 fg. Cetrarsäure 601 fg. humilis Sachregister. Cettia sericea 223. Chaetopeltis minor 136. Chaetophoraceen 137. Challenger - Expedition 241 fg. Chamaeleon 680 Characeen 125, 137. Charadruformes 503. Chemische Eigenschaften, spezifische der einzelnen Tierarten 750. Chemotaxis 96. Chemotropismus 95, 99. Chilodochona n. g. 547, 553, miero- chilus n. sp. 551, 553, Zvennerstedti n. sp. 547, 553. Chilodochonina 553. Chinesen 666. Chiroptera 206, 285. Chiromis 292. Chironomus - Larven 63. Chitinstoffe 41. Chladimonas Stein 126. Chlorella vulgaris 721. Chloris chloris 224. Chlorophan 37. Chlorophyceae 126, 140. Chlorophyll 39, 789. Chlorophyligelb 38. Choleravibrionen 302. Cholesterin 40. Chonotrichida 532. Chromatin 423, 424, 693 fg., 739, 801, -Cytoblasten 739, 771, 801, Entwick- lung des 424 fg. Chromatinmangel, Ursache amitotischer Zellteilung 423. Chromophane 37. Chromosomen 26 fg., 148 fg., 693, Re- duktion bei Befruchtung 148 fg., Träger der Vererbung 149. Chroococcus turgidus 126. Chroococceaceenseen 715. Ohrysanthemum 485, leucanthemum 542, 543, 546, segetum 546, 547. Chrysopa 109. Chrysophyll 38. Chrysophysein 597 fg. Chthalmus challengeri 253. Chydorus 64, -Seen 715, sphaericus 65, 685. Ciconia 499. 895 Cidariden 588. Ciliarmuskel der Vögel 59. Cilien des Menschen 453. Cilioflagellata 126. Cirripeden 253. Cladina rangi ferina 601, silvatica 601. Cladocera 683 fg. Cladodactyla cerocea 251. Uladonia rangiferina 84, 603. Cladoninsäure 601. Clangula glaucion 653. Clathria 235. Clausilia 600, 605. Clavellinidae 257. Clitellum der Oligochaeten 390. Closterium 133, setaceum 126. Clubiona 121. Cobitis fossilis 407. Cobra 786. Cocecinellen 40. Coceothraustes coccothraustes 224. Coccygus 182 fg., 217 fg., 376. Coceystes glandarius 194, 219, jacobi- nus 219. Codonella lacustris 125. Coelastrum sphaericum 126. Coelentera enidaria 247. Coelenterata 684, 688. Coelopturus 250. Coelosphaerium Naegelianum 126, Coleochaete pulvinata 136 fg. Coleoptera 683 fg. Coleosporium Campanulae 24, 26, Eu- phrasiae 26, Senecionis 26, Sonchi.26. Collembolen 859. Colossendeis gigas 254, leptorhynchus 253. Coluber aeseulapei 207. Colubrinae 681. Colubridae 681 fg. Columba oenas 224, palumbus 224. Colymbetes 109. Colymbidae 501 fg. Colymbo-Podicipidae 500, 501, 503 fg. Colymbus fluviatilus 224. Compositen 481, 528. Compsoynathidae 498. Conchiolin 41, Condylostoma poteus 684. americanus 189, 894 Condylura cristata 285. Coniferen 144. Conus emaciacus Indie. 45, festivus Indie. 45, flavidus Indie 45, glans Indie. 45, lividus Indie. 45, maltza- nianus Tahiti 45, purpurescens Pa- nama 45, rattus Indie. 45, tulipa Indie. 45. Copepoda 688, Deutschlands 845. Copsychus saularis 222. Coracius garrula 646. Corallimorphideen 248. Corixa atomaria 683, 685. Coregonus albula 61. Coronella laevis 207. Corvus corax 398, 835, cornix 398, splendens 276, 835. Corylus avellana 788. Cosmarium 133. Cotylorhiza 371 18. Couveuse 126. Craspepoden 248. Crataegus oxycantha 126. Crenothrix Kühneana 126. Crinoiden 258. Criodilus lacuum 389. Crossopus foediens 285. Crotalinae 681. Crotalus 682. Crotophaga ani 186. Crotophagidae 186, 217. Crucigenia 126. Crusta 850. Crustaceen 61 fg., 66, 126, 197, 252, 588, 683 fg., 715, 805, Bedeutung für die Fischernährung 62 fg. Cryptodriliden 386. Cuculus canorusA81fg., 209fg., 267 fg., 375fg., 393fg., canorinus268, clamosus 220, gabonensis 221, indicus 221, 268, 382, capensis 383. Cucumarien 251. Culeolus 256, 257. Culex 104. Cumaceen 252. Cuticula 850. Cutleriaceen 138 fg. Oyanea annaskala 373. Oyanocitha cristata 189. Cyanophyceen 132. Sachregister. Cyanophile Granula 694. Cyanopolius cooki 194, 275, 398. Cyanwasserstoffsäure 753 fg. Uybister 109. Cycadeen 761. Cyelocoela 474. Cyelopiden 416, 846. Öyclops agilis 126. 683, Jimbriatus 683, oithonoides 63, 715, scutifer 126. Oyelostomata 711. Cyclotella 126. Oygnus Bewickii 809. Cylindrocapsa 138. Cylindrospermum 723. Cymbella 126. CUynonycteris aegyptiaca 285. Oynopithecus niger 591 fg. Cynthiodae 257. Cypraea exanthema 46. Oypridopsis villosa 683, 685, Chavesi 683, 685, vidua 685. Cyprinidae 407, 410 fg. Oyprinopsis auratus 685. Oyprinus carassius 410, var. typica 414, var. humilis 414, carpio 410, 686, rex-cyprinorum 686, speculum 686. Cypris bispinosa 685, elegans 683, 685, incongruens 685, Moniezi 683, 685, nitens 683, 685, obliqua 685, tessellata 685, trigonellus 685, virens 683, 685. Oystechinus wyvillei 249. Cytoblasten 691 fg., 737 fg., 768 fg., 801. Cystococcus 721 fg. Cytologie 693. Cytotropismns 282, der zellen 85 fg. Furchungs- D. Danais plexhippus 679. Daphnella brachyura 685, 686. Daphnia cucculata 126, obtusirostris 126, pennata 683 fg. Daphnien 416, 683 fg. Darmuntersuchung bei Karausche 416. Darmverdauung 406. Darwinismus 187, 354, 380, 405 fg., 539 fg., 557. Dasychyra 522, abietis 519, 524. Dasypeltis scabra 681. Sachregister. Davainea echinobothria 265. Decapoden 203, 252. Decticus 860. Degeneration nutzloser Organe 746. Degenerationsmerkmale der Verbrecher 311-418, 572 Tg: Dendroeitta rufa 219. Dentalien 47. Dero palpigera 684. Descendenzhypothese, einstämmige393. Descendenztheorie 311, 344, 354 fg., 393, 466, Verwertung von That- sachen aus der Bakteriologie als Beweis für die 301. Desmidiaceen 133. Desmodus rufus 285. Desor’sche Larve 577. Determinanten 625, 733 fg. Diaptomus 845, castor 846, coerulus 846, gracilis 846, graciloides &46, guernei 816, hamatus 126, salinus 846, serricornis 685 fg., wierzejskii 846, Zachariasi 846. Diatoma 126, tenue var. elongatum 714. Diatomaceae 126, 132, 243. Dibranchiata 255. Dichromaten 36. Dickfuß 653. Dierurus macrocercus 220. Dictyoteen 139 Didelphis marsupialis 285. Differenzierung, Prinzipien der 527, der Zellen 71. Difflugia acuminata 684, coronata 125, constricta 684, pyriformis 684. Dimerie, Vererbbarkeit der 24. Dimorphismus 518, sexueller beiSchmet- terlingen 745. Dina Blaisei 683, 685. Dinobryon sertullaria 684, -Seen 715. Dinoflagellata 684, 688. Diphtheriebaeillus 301. Diphyodonten 234. Diphyodontismus 295. Dipneusten 711. Dipnoer 407. Dipsadomorphinae 682. Dipsas rhinopoma 682. Distiva semperi 682. Doliolidae 256. 395 Dolium 44, perdix 45. Doppeleier kleiner Vögel 210. Doridien 255. Dorngrasmücke 215 fg., 223, 396. Dorylaimus stagnalis 684. Drassidae 121. Dreissenia polymorpha 715. Drepanophorus spectabilis 578 fg. Dromaeus 498. Dromatherium 297, 711. Drosera rotundifolia 728 fg. Drosselrohrsänger 217, 222, 396. Drüsenmagen 408. Duft der Blumen, Anziehungs - Mittel für Insekten 417. Dugong 591. Durchschnittsanpassung 229. Dytiscus, Ernährungsweise 103 fg., marginalis-Larven 51, 103, Speichel, eiweißverdauende Wirkung 103, Gift- wirkung 56. E. Ebalia turnefacta 547. Echeinobothrien 260. Echidna 408. Echinocotyle 265. Echinocrepis 250. Echinodermen 248, 588. Echinoiden 249. Echinothuriden 250. Ecteinascidia 257. Ectocarpus siliculosus 135, 138. dentata 285, 409. Ei von Ascaris 426, doppelwertige 210, 431, des Kuckucks 181 fg., 209 fg., 392 fg., der Kuckuckspfleger 181, 209, Beeinflussung der Entwick- lung durch äußere Bedingungen 71, der Nemertinen 578 fg., Rieseneier 431, des Seeigels 426, Struktur des 358 fg., Vereinigung mehrerer zu einem Ganzen 426, der Vögel 528, 848. Eichelhäher 224 fg. Eidechsen 680, Exkremente der 101. Eiersäcke der Oligochaeten 387. Eigentemperatur der Süßwasserfische 410. Eikleidmale 396 fg. 896 Einschachtelungstheorie 734. Eiweiß, Verhältnis zu Dotter und Schaale im Ei 528, 848. Eiweißkörper 751. Eiweißmolekel 766, phylogenetische Entwicklung der 69. Eiweißverdauung, extraorale, bei der Dytiscus-Larve 51, 103, bei anderen Gliedertieren 109. Ektoplasma 851. Elachistodon westermanni 681. Elachistodontinae 682. Elapinae 682. Elaps 682. Elasipoda 251. EBleagnus 125. Eledonella 255. Elektrizität der Haare 457. Elster 224, 399. Elritzen 414. Ehnberiza aureola 224, calandra 224, eirlus 224, eitrinella 224, hortulana 224, 651, lacustris 63, schoeniclus 223. Embryologie, experimentelle 772. Embryonale Entwicklung 281. Empfindlichkeit der Haare 453. Emys europaea 207. Enaliornithidae 500, 505, 510. Encephalometer 352. Enchytraeiden 388, 391. Enchytraeus röbii 389. Endospermkerne, Verschmelzung der 29. Endotricha 819. Enteropneusten 710. Entomobrya aborea 604, corticalis 604, marginata 604, rivalis 604. Entomostraken 715, Anteil derselben an der Fischernährung 62. Entwicklung 8, 231, 358, 368, 528, 741, 795 fg., des Eies, Beeinflussung durch äußere Bedingungen 71, embryonale 281, epigenetische 625, der Nemer- tinen 578, regulatorische s. regenera- tive 283. Entwicklungsfähigkeit doppelwertiger Eier 431. Entwieklungsmosaik 283. Entwieklungsmechanik 277, 481, 528, 557, 625, 817. Entwicklungsreize 796 fg. Sachregister. Entwicklungstendenz 745. Enzyme 813. Eohippus 11. Epeira triaranea 120. Ephemera vulgata 862. Ephemeriden, Haltezange der 856 fg. Epigenese 283, 368, 539 fg., 625, 732 1g., 797, 876. Epiphloeoden 712. Epiphyten 727. Epithelzellen, verhornende 851. Equus 11. Erblichkeit der Eikleidmale 397. Erbsenknöllchenbakterien 722. Eretes stieticus 685. Eretopodes 508. Ericulus setosus 285. Erinaceidae 287 fg. Erinaceus europaeus 285. Erithacus suecicus 398. Ernährung der Karausche 416. Ernährungswechsel 68. Ero 122. Erythacus eyaneculus 222, luscinia 222, philomela 222, phoenicurus 222, rube- culus 222, suecicus 222, 398, titis 222. Erythrophyli 38, 786 fg. Erythropus vespertinus 64. Esperella 233 fg. Esperia 232 fg. Ethusa challengeri 252. Euastrum binale 126, verrucosum 126. Euchlanis deflexa 684, macrura 684. Eudorina elegans 126. Eudriliden 386. Eudrilus 388. Eudynamis nigra 190, 216, 218, tai- tiensis 383. Eudytidae 506. Euglena 526, spirogyra 684, viridis 684. Euglypha alveolata 684. Eulimen 588. Ewuornithes 497, 499, Eupithecia absinthiata 466. Eupolia curta 578, delineata 578. Eupoliiden 578. Eurycereus lamellatus 126. Eurytemora 845, lacustris 63. Evernia furfuracea 601, prunastri 601. elegans 126, Sachregister. Everninsäure 601 fg. Evernsäure 598 fg. Evolution 368, 383, 876. Extremitäten, Homologie der 433. ur- sprüngliche Funktion der kranialen und kaudalen 433, rudimentäre uud embryonale am Abdomen der In- sekten 855 fg. Familie 479. Falco peregrinus 642, tinnunculus 835. Falke, Magen des 829 fg. Falter 466 fg., 511 fg. Farbe, Beeinflussung der F. durch die Temperatur bei lebenden Organismen 523, der Blumen, als Anziehungs- mittel für Insekten 417, 4:9, bunte der Laubblätter 485, einfache F. im Tierreich 33, physiologische F. 41, F. vorzeitig entwickelter Falter 512, der Tiere 589. Farbenanpassung von Raupen 466. Farbenblindheit 36, 176. Farbenphotographie der Organismen durch Körperfarben 50, 525. Farbensinn der Tiere 589. Farbenwechsel 516. Farbenwirkung, psychische, auf blinde Tiere 48. Farbmal 196, 210. Farbstoffe in der Haut, Bedeutungder40. Farne 142 fg. Fasan 405. Fauna, Herkunft der jetzigen F. 589, 637, der Meerestiefe 245. Feldlerchen 214 fg., 224. Feldsperling 224 fg. Felis domestica 285. Fermente 813 fg. Festuca ovina 82, rubra 82, 83. Fettverdauung bei saugenden Raub- insekten 111. Feuerwanzen 40 Fibrin 842. Fibrinferment 841. Fibrinogen 842. Ficaria ranuncoloides 789. Fichtenspinner 514. XVlI. 897 Fink 194. Fische 61, 407, 410, 686, 717,780, Accom- modation des Auges der 58, F. der Azoren 686, der Challenger - Expe- dition 257, des malayischen Archi- pels 591, Ternates 589, fliegende 587. Fischadler 643. Fischotter 206 Fischteiche, Bonitierung der 66. Fissurellidae 255. Fitislaubsänger 222. Fitislaubvogel 405. Flacherie 513. Flacurtiaceae 753. Flagellata 684, 658. Flechten 130, 712. Flechtenchrysophansäure 597 fg. Flechtensäuren 593. Fledermaus, frühfliegende 383. Iletscherodrilus 389. Fliegende Tiere, Lufträume der 774. Fliegenschnäpper 224 fg. Florfliegenlarve 109. Florideen 42, 139 fg. Flötenvogel 219. Flug 774 fg. Flugkreise 780. Flusspferd 809. Flussrohrsänger 222. Foraminiferen 245. Formmal 197. Fortpflanzung, Beeinflussung der F. durch außere Bedingungen bei Po- Iypen und Blattläusen 77, geschlecht- liche im Pflanzenreich 129, unge- schlechtliche 130 fg. Fragillaria 126. Fraßzeit der Raupen 512. Fresskeimchen 538. Fringilla coelebs 224, montifringilla 224, 651, nivalis 224. Fritillaria 147. Frosch, Embryo des 866, Ischiadieus des 199. Froschlurche 680. Fucaceen 138 fg. Fuchs 809. Fucus serratus 138, versieulosus 145. Fulica 508. Fulicariae 508 fg. 87 898 Fuligula eristata 654. Fumea betulina 601, sepium 600. Fungi 126. Fungilli 68. Fungulus 257. Furchungszellen, Cytotropismus der 84 fg., Pseudopodienbildung 90, Spezifikation der 283, Verhalten ge- trennter F. in Eiweiß 86 fg., in Kochsalzlösung 93. 6. Gabeldrongo, langschwänziger 220. Galerita arborea 223, eristata 223, Pu- lex 63. Galerites 250. Galeopithecus 293. Galeoseoptes carolinensis 189. Galleria mellonella 678. Gamariden 252, 717. Gammarus 63, de Guernei 683, 685. Ganoiden 407. Garrulus 399, glandarius 224. Gartenammer 215 fg., 224 fg., 651. Gartengrasmücke 215 fg., 223 fg., 297, 396. Gartenrotschwänzchen 195, 222,:315, 396. Gartensänger 214 fg., 222 fg. Gartenspötter, kurzflügliger 222. Gärung 813 fg. Gasparrinia elegans 595 fg., dec ipiens 607. Gastraeaden 710. Gastropoda 254, 686 fg., 752. Gastrotrichen 710. Gebiss 283, der ältesten fossilen Säuge- tiere 711, der Schlangen 681.; Geburtshelferkröte 208. Gehirn, psychosensorische Centren der Rinde 341, der Anthropoiden und des Menschen 7, des Verbrechers 306 fg., 571 fg. Gemmarien 741. Gemmen 740. Gemmula 233. Gemmulen 797. Genealogie, Bedeutung des systems für die 284. 210 fg., Zahn- Sachregister. Generalpolarisation 282. Generationswechsel, im Pflanzenreich 142. Genitalpapillen der Oligochaeten 390. Gephyreen 588. Georginen, Blüten 418 fg. Geoseolieiden 386, 387, 388. Geophilus 752. Germinal-Selektion 637. Gerinnung des Blutes 841. Geruchsinn 54. Geschlechter, Zahlenverhältnis 515. Geschlechtscharaktere, sekundäre 450 fg. Geschlechtsorgane, der Blütenpflanzen 726, der Insekten 855 fg., der Oligo- chaeten 387. Geschlechtszellen 797 fg., Unabhängig- keit der 733. Geschmackssinn 54. Geschwisterkerne 24. Gesellschaft, schweizerische natur- forschende, 79. Versammlung 559. Gesellschaftsbrüter 186, 405. Gesetz, teleologisches 279. Gesichtskelett, des Verbrechers 306 fg., Bedeutung für die Schädelphysiogno- mie 336, Merkmal für die Höhe der Organisation einer Rasse 337. Gesichtssinn 54. Gestalt der Georginenblüten, unter- geordnete Rolle bei Anlockung der Insekten 419. Gesundheitspflege, öffentliche, 21. Ver- sammlung des deutschen Vereins für 624. Geweih des Riesenhirsches 746. Giebel 416. Gifte, verschiedenes Verhalten der Organismen gegen die 751. Gimpel, sibirischer 224, 274, 379 fg., großer 224. Girlitz 224. Glanzkuckuck 401. Glauconidae 681. Gliedmaßen des Menschen und der höheren Vertebraten, Asymmetrie der 806. Gliotrichia 715, echinulata 714. Gnathostomata 292. Sachregister. Gnophus mucidaria 602, pullata 602. Gobio fiwviatilis 411. Goldammer 215 fg., 224. Goldhähnchen 273, feuerköpfiges 222, gelbköpfiges 222. Goldrute 467. Golgische Zellen 463. Gomphonema 126. (Gonaden der ÖOligochaeten 387. Gonapophysen der Insekten 855 fg. Gongylus ocellatus 101. Gordiodrilus 388. Grallae 508. Granula 692, 798. Grasnelke 467. Grauammer 215 fg. 224. Grebenkow-Kosaken 69. Großschmetterlinge, paläarktische 466, sit. Größenmal 196. Grundform 517. Gründlinge 414. Grünling 224. Grünspecht 224. Gryllotalpa vulgaris 647. Grystes nigricans 412, salmonoides 412. Guckel, schwarzer 190, 216, 219, 402. Guivillea 254. Gymnosomata 255. Gymnozyga moniliformis 126. Gymnura 237. Gyrinus atlanticus 685. H. Haar, Behaarung der Ahnen des Menschengeschlechts450, Behaarung des menschlichen Embryo 450, Ent- haarung durch Zuchtwahl bedingt 456, Funktionen des menschlichen H. 449. Haematococcus 526. Haftscheiben 259 fg. Häher 399, 830. Häherkuckuckuck 194, 399 fg. Haidelerche 224. Halbembryonen 283. Halbkern der Uredineen 28. Halicore dugong 591. Haliotidae 255. 399 Halobates 254. Halophyten 729. Hämatomsäure 601 fg. Hänfling 224. Harnsäure 751. Harnstoff 751. Harpacticiden 846. Hase 78!, 809. Haubenlerche 224. Hausratte 207. Hausrotschwänzchen 213, 222 fg. Haussperling 224 fg. Hecht 412, 415. Heckenbraunelle 211, 223, 396. Heimatsliebe, Gesetz der 783. Heliochona sessilis 549 fg., 553, Scheu- tenii 553. Heliopora 247. Heliozoen TAT. Helix ericetorum 606 fg., hortensis 606 fg., 785, nemoralis 606 fg., po- matia 606 fg., 752. Helminthen 710. Hemerobius 109. Hemicentites 295. Hemichordata 256. Hemiptera 685, 688. Hemipteren, pelagische 254. Hepatica nobilis 544, triloba 544, 789. Hepialtus hetlanticus 517, var. humili 517, humuli var. hetlandica 517. Hermaphroditismus der Mollusken 254. Herodii 498, 510. Hesperornithes 497 fg. Hesperornithidae 478, 500. Heterocope 845, appendiculata 846, saltens 846, weismanni 846. Heterodonten 284. Heteromita 526. Heteronemertinen 578. Heteropleuron cultellum 588. Heteropolie 234. Heteroscens pallidus 190, 196, 220, 382. Heterura sylvana 223. Heubaecillus 302. Heuschreckensänger 222 fg. Hexapogon 19. Hexatinelliden 246. Hierococey& fugax 220, varıus 196. Himanthallia 140. 817 900 Hircinia 233 fg. Hirudineen 717. Hirunda rustica 224. Histologische Untersuchungen, Leit- faden für 816. Hodenzellen, amitotische Teilung der 421, polymorphe des Salamander 425. Hohltaube 224 fg. Holothurien 250. Homalopsinae 682. Homo sapiens 285. Homodonten 234. Homodyname Körperteile 345. Homologie 344, der Extremitäten 433, der Keimblätter 238. Homomorphismns, sexueller 745. Homunculus 280. Honigfresser 382. Honigkuckucke 403. Honigweiser 403. Hornidium parietinum 126. Hornschwämme 247. Hornstoffe 41. Hund 809. Hungerkeimchen 538. Huyghen’sches Okular Nr. 3 31. Hyalodaphnia kahlbergensis 63, 715. Hyalosonien 694. Hyalotheca dissiliens 126, mucosa 126. Hybridation 470. Hybriden der Schmetterlinge 468 fg. Hybridismus 10, 126 fg., 470, 880. Hydra 527, fusca 684, Regenerations- vermögen 75. Hydrachnidae 685, 688, 716. Hydren 717. Hydractinia echinata 553. Hydrocorallinen 247. Hydrodietyeen 137. Hydroiden 588. Hydroidpolypen 248. Hydrometra 254. Hydrophiinae 632. Hydroporus de Guernei 683, 685. Hylomis 287. Hymenogastreen 176. Hymenopteren 855. Hiyocrinus 249. Hyperiodrilus 389. Hyphen, vegetative der Uredineen 26. Sachregister. Hypobranchialdrüse 44. Hypolais philomela 222, polyglotta 222. Hypophloeoden 712. Hypotherien 711. Janthiniden 43. Janthinin 44. Japetella 255. Japyx 859 fg. Jasione 484. Ichneumoniden 41. Ichtygonus 709. Ichtyornis 478. Ichtyornithes 497, 498. Ichthyornithidae 498. Ichtyosauren, Spiralklappe im Darm der 103. Id 734 fg. Idioplassonten 279. Iguana tuberculata 285. Ilysidae 681. Imagines 716. Impennes 501 fg. Indicator major 403, minor 403, spar- manni 403. Indicatoridae 403 fg. Indochinesen 666. Infektion, Steigerung der Prädispo- sition zu I. durch Inzucht 514. Infusoria 124, 547, 684, 688. Infusorien, neue 547. Insectivora 206, 285. Insekten 254, 685, 688, 774, 854fg., ab- dominale Körperanhänge der 854, Anlockung durch die Blumen 317fg., Bedeutung für die Befruchtung der Blumen 317fg., 765, Geschlechts- organe der 855 fg., rudimentäre Extremitäten der 855fg. Insektenlarven, Farbstoffe in der Haut der 40, Fettverdauung 111, Speichel, Giftwirkung 56, Speichel, eiweiss- lösende Wirkung 103. Inselfloren 244. Instinkt 118fg., 181fg., 209 fg., 267 fg., 374, 392, 657, 783. Intelligenz der Tiere 118fg. Intereytoblastische Snbstanz 692. Sachregister. Intraselektion 278. Inzestzucht 177. Inzucht 24, 5l4fg., Steigerung der Prä- disposition zur Infektion durch 514. Inzuchtversuche 24. Irideen, Blüten der 13 Iris der Fische 59. Iris pallida, abavia 13, germanica 13, florentina 13, falcifolia 19, Kaempferi 19. Isehiadieus, des Frosches 199. Isoplassonten 279, Isopoden 253. Isotoma cinerea 595 ft. Isotropie des Eies 72. Juniperus 144. Jynginae 404. K. Kabardiner, Anthropologie der 167, 660. Käfer 857. Kalksalze, Beeinflussung reizbarer Or- gane der Pflanzen durch 729, Schutz- vorrichtungen der Pflanzen gegen zu reichliche Aufnahme von 729 fg. Kalkschwämme 231 fg., 247. Kalmücken 163, 666. Kampf der ÖOrgankeimchen um die Nahrung 539, der Teile im Organis- mus 278. Kapkukuk 383. Karausche 413 fg. Karpfen 407, 411, 412 fg., Nahrung der 62. Karyokynese 25, 132, 149, Mechanismus der 179. Katzenvogel 189, 218. Kaukasus, Anthropologie des 695, 698. Kausalharmonie 358. Käuzchen 837. Keimblätter 237, Analogie der 238, Un- abhängigkeit von äusseren Be- dingungen 75. Keimplasma 150, 280, 344, 523, 796. Keimprotoplasma, 538. Keimschicht, 693 fg., 733 fg., Reservierung des Homologie der K. 238. 901 Kennmal 196. Kentrochona Nebaliae 553. Kerne 359, 693 fg., achromatische 424, bläschenförmige 424, Entwieklungs- phasen 424, konjugate 24, Kon- Jugation im Körper eines Metazoen- individuums 180, polymorphe, achro- matische 423 fg., runde 424, trophische Funktionen der 179, Uebergangs- formen 425, Verschmelzung der 29, 177. Kernbeisser 224. Kernteilung, konjugate 24. Kernverschmelzung in den Teleuto- sporen der Rostpilze 29, Kiemen der Mollusken 255. Kieselalgen, Bedeutung als Nahrung der kleinen Kruster 66. Kieselschwämme 231. Kinder, atrophische, Behandlung mit der Couveuse 126. Kinoplasma, Beteiligung beim Be- fruchtungsvorgang 143, Kirgisen 666. Kleiber 382. Kleidmale 196, 209 fg., 396 fg., Erb- lichkeit der Eikleidmale 397. Kleinhirnrinde, Histogenese der 462. Kleinrussen 695 fg. Klima, Einfluss auf die Arten 516, photochemisches von Wien, Buiten- zorg und Cairo 719, Kloakentiere 408, 410. Knochenfische 407, 422, der 422. Kohlmeise 223 fg. Kohlrabe 398, 647. Kompensationsokular 31. Komplementärfarben der Pigmente 43. Kompositionsharmonie 359. Kongress, internationaler in Moskau > Konjugaten 132 fg., 147. Konjugation der Zellen im Körper eines Metazoenindividuums 180. Kontrasterscheinungen 44 fg. Kopfindex 162. Koprolithen 101. Kopulationsvorgänge 129. Korallen 243, 588 fg. Entwicklung für Medizin 902 Korbzellen 464. Körnerzellen 464. Korrelationsmosaik 539. Kosaken 695, 698. Krähe, australische 219. Kräheneier 219. Krankbeiten der Raupen 512. Krebstiere, planktonische Verteilung derselben auf den Seen 64. Kreatismus 732. Kreisbewegung, biologische 780, 810, physiologische 813. Kreise, biologische 780. Kreiswanderungen 780. Kreuzotter 207. Kreuzung 396, 468, 522. Kreuzungsversuche 522. Krokodile 680. Krustenflechten 712. Kruster, Bedeutung der kleinen K. für die Ernährung der Fische 61, Nahrung der kleinen Kruster 66. Kuban-Kosaken 698. Kuckuck, Brutparasitismus 181, 209, 267, 374, 392, Eier des 181, 267, 374, 392, Pfleger der Kukukseier 1ö11tt., 209 ff., 267fg., 374, 392, Pfleger, Verzeichnis 195, Nahrung 155f., Bau der Ge- schlechtsorgane 184, Monogamie 185, Polyanärie 155, Polygamie 185, gelb- schnäbliger 217, indischer 221, lapp- ländischer 398, Mischrassen 395, nichtparasitischer 392. Kuhstaar, nordamerikanischer 404. Kuhstärlinge 404. Kuhstelzen 194, 196, 224 fg. Kuhvogel 405. Kupferglanzkukuk 217, Kynotus madagascariensis 389. Kynurensäure 751. L. Labridae 407. Lacerta agilis 101, 207, muralis 101, viridis 101, 207, vivipara 207, 285. Lachesis 682. Lactuca perennis 724. Lagenidium pygmaeum 126. Lamellibranchiaten 254, 255, 683 fg. Sachregister, Laminaria 527. Laminariaceen 132#f. Lamprococcyx lueidus 154, 190, 195, 382, chrysochlorus 190, 216, cupreus 247. Lanius 224, collurio 224, excubitor 224, minor 224, phoenicuroides 224, sena- tor 224, Laridae 49918. Laro-Limicolae 499 fg. Larus canus 826, argentatus 826 fg., tridactylus 826 fg. Larviformia 249. Lasiocampa ilicifolia 513, pini 512, populiformis 513, pruni 512, querci- folia 515, suberfolia 513, tremule- folia 513. Laterigradae 121. Latirus elegans 46, incarnatus 46. Laubblätter, bunte Farben der 485. Laurerscher Kanal 3%. Leben, Definition 279, Entstehung des ersten L. 279, erste Anfänge des organischen Lebens 738, Maschinen- theorie 353, 556, physikalisch- chemische Auffassung 233. Lebendige Substanz, definitiv letzte Struktureinheiten der 692, 765 fg., 798. Lebengesetzlichkeitslehre 357. Lebenskraft 368. Lecanora parella 602, thiodes 607. Legebohrer der Insekten 855. Legestachel der Insekten 859. Leinfink, nordischer 652, Hollbölls Leinf. 652. Leitungsbahnen in den Pflanzen 567 fg. Lembadion 556. Lemuravales 12. Leontodon autumnale 82. Lepidopteren 678. Lepisma sacharum 857. Lepra chlorina 608. Leptochiton benthus 255. Leptodora hyalina 69. Lestris 504. Leucocerca aureola 224, albicollis 224. Lewiscus cephalus 414, erythrophthalm 422, 424, 717, jaculus 424, macrolept- dopus 686, phoxinus 411, rutilus 62, 414. Sachreglster. Leydigia acanthocercoides 785. Libellen 857. Libellula 55. Lichenes 112. Licht, Einfluss auf das Oeffnen und Schliessen der Blüten und auf die Dauer des Blütens 724fg. Lichtsinn augenloser Thiere 752. Liehtempfindlichkeit 752. Lichtwirkung auf blinde Tiere 48. Lilium Martagon 143, 147. Lima hians 152. Limax maximus 34. Limetis sybilla 523. Limicolae 391, 478, 503 1g. Limnaea stagnalis 71T. Limnaeen 716f. Limnetische Tiere 715. Limnatis nilotica 685. Limnias cerptophylii 684. Linaria abnorum 652, holbölli 652. Linchia miliaris 588. Linse des Vogelauges 60. Linum usitatissimum 788. Lippfische 407. Lipochrome 39, 44. Lipocyan 39. Lipxantliin 38. Lithistiden 246. Lithiosia rubricollis 600 fg., quadra 600 tg., aureola 600, lutarella (luteola) 600 t., complana 600 Fg., lurideola (plumbella) 600, depressa (helveola) 600, yriseola 600, arideola 602. Lockmal 196. Locustella naevia 222, fluviatilis 222. Lokalformen 5l6fg., Entstehung von 513. Lokalinstinkt 783. Loligo 255. Loripes 752. Lotus corniculatus 82. Luchs 206. Lucioperca sandra 410, 412. Lueiscus rutilus 410, erythrophthalmus 410, cephalus 410, vulgaris 410, abramus 410. Lufträume fliegender Tiere 774. Lumb:ieiden 390. Lumbricomorpha 391. Lumbriculiden 387, 388. 903 Lumbricus 387, Eiseni 389, Lungen der Vögel 743. Lutein 40. Lycaena alexis 678. Lycaeniden 748. M. Maegillivraya 44. Machilis 857 fg. Macrobiotus macrony« 122 fg., Hufelandi 123, Oberhäus. 123. Macrodactyli 508. Mackenzi 769. Macrogamia 762, 765. Macrolepitoderen 604. Macropodidae 294. Macropoma 102. Macropus nalabatus 285. Macruren 252. Madenfresser 186, 217, 392 fg., 403, 405. Malachius 48. Malacobdela 392. Malayen 674. Malayischer Archipel, Fauna des 591, Malococercus 196, 221, canorus 219, Mammalia 711. Manegebewegung 780, 811. Magen, Funktionen des 406, Fehlen des bei Wirbeltieren 407, der Vögel, Einfluss der Ernährung auf den 825. Mangrovepflanzen, Viviparie der 759. Manistricuspis 285, Javanica 410. Marchantia 130, 141. Marine Tiergeographie 205 fg. Marupialia 285. Maschinenthorie des Lebens 355, 956. Mastgänse 837. Mastobranchus 199. Mastodon 296. Materialismus 117. Maus, Kreuzungsversuche 397. Mechanismus, d. Lebens 690 fg., 766 fg., 800fg., der Vererbung 690 fg., 765 fg., 195 fg. Medusen 248, Nervensystem u. Sinaes- organe der 371. Meer 203, Fauna 242fg., Temperatur 242, Meernadel 407. Meerwanzen 254. 579. 904 Megachile ericetorum 418. Megadrili 391. Megascoliciden 390. Meise 811. Melanine 41. Melanismus 516. Melicerta tubicularia 684. Meliphagidae 382. Melosira 126. Membram 850. Mensch, Asymmetrie der Gliedmassen 806, Haare des 449, Stammesent- wicklung des 712, Stellung in der Natur 7, Vergleichende Anatomie des Schädels u. Gehirns 7, thierische Abkunft des 8. Zahnsystem 255. Mercurialis annua 515. Mergus meganser 809. Merula rosea 837. Mesembryanthemum 727. Mesocarpus 133. Mesomyceten 151. Mesonermertinen 578. Meroplodon layardi 258. Mesostoma Ehrenbergü 38. Metacrimus 29. Metamerie des Mesoderns 710, Fehlen der bei einfachen Chordatieren 710. Metanemertinen 578. Metaphyten 68. Metasitismus 68. Metastruktur 768. Metazoen, amtotische Zellteilung bei 421, Meteronemertinen 578. Micellen 769. Micrasterias truncata 126. Microdon 296, 711. Microdrili 391. Microlepidopteren 604. Microscolex 388. Mierura fasciolata 578. Mieschersche Schläuche 610fg. Mikrocephalus der Verbrecher 576. Mikrophotographie 864. Mikrosomen 693, 798. Milan, schwarzbrauner 640. Milben 593. Milsenium tordigradum 123. Milwus ater 640. Sachregister. Mimikry 34, 405, 523. Mischrassen des Kukuks 395 fg. Mischtypen der Kukukseier 396 fg. Missbildungen 817. Misteldrossel 837. Mitose 25, 422, Entwicklung aus der amitotischen Teilung 425. Mitotische Zellteilung 422 fg. Mniophila corticaria (eremaria) 601. Moina azorica 683, 685. Molgulidae 25. Mollusca 254, 683 fg., 717. Molobrinae 404. Molukken, Forschungsreise Kükenthals 586, 674. Monactinelliden 246. Monaxonierlarve 233. Mönchsgrasmücke 21dfg., 222. Monere 280. Mongolen 163. Moniligastriden 391. Monismus 366. Monomorphismus primärer 518, sekun- därer 518. Monopara vivipara 578. Monophyodonten 284. Monophyodontismus 284, Monostroma 527. Monostyla lunaris 684. Monotremen 408, 410. Monticola saxatilis 222, 650. Moose 142 ff. Mormoninae 505. Morphologische Assimilation 283. Mosaikarbeit korrelative 481, 528. Mosaik-Entwicklung 283. Motacilla alba 223, lugens 223, mela- nope 223, sulphurea 223, 223, 398. Mougeotia 126, Ulceana 134. Möve 8261t. Mucor 527. Mutliplikation der Anlagesubstanz 426. Multituberculata 296. Mus rattus 207. Musca vomitoria 57. Muscardinen 513. Muscicapa atricupila 224, grisola 224, parva 649. Muskelmagen der Vögel 407. yarrelli Sachregister. Mustela lutreola 206. Mycetozoen 526. Myogale 287. Myopie, Entstehung der 176. Myremecobius fasciatus 285. Myriopoden 254. Myrmelon 109 fg. Myrsineen 761. Myxophyceae 126. N. Nachbilder 176. Nachtigall 222 fg. Nachtpfauenauge 468. Naclia anecilla 600 fg. Nährboden, Einfluss auf d. Wachstum der Bakterien 302. Nahrung der jungen Wildfische inBinnen- seen 60. Naiden 391. Naidium luteum 684. Naidomorphen 390. Nais elinguis 684. Nardus stricta 82. Narkotica 784. Nase der Cetaceen 591. Natatores 503, 508. Naturforschende Gesellschaft, schwei- zerische, 79. Versammlung 559. Naturwissenschaften, Studium der 114. Nawicula 126. Nebela collaris 6*4. Nebalien 252 Nebelkrähe 398. Necrophorus 647. Nemachylus barbatulus 411. Nemalion multifidum 146. Nemathelminthes 684. Nematodes 634, 688. Nemertinen 252, 392, 577, 684, 688, 710, Entwicklungsgeschichte der 577. Neo-Vitalismus 353, 364. Nephrocytium agardhianum 126. Nervenerregung 173. Nervenfasern, doppelte Kontur der 197 fg., Histogenese der 465, mark- haltige 197 fg. Nervenfasern, Histogenese 465. Nervensystem der Medusen 371. 905 Nestbau 118. Netzhaut, Function der 175 fg. Neunaugen 407. Neuntöter 215, 224. Neurochorde 197 Neurogliazellen, Histogenese der 465. Neuroptera planipennia megaloptera 109. Niederrhein. Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde 71. Niltava grandis 224, sundava 224. 375. Niphargus puteanus 685 fg. Nisus dussimieri 220. Nitella 527. Nonne 514, 522. Nordpolhypothese 589, 638. Nostoe 723. Notaspis pilosa 597. Notogaea 502. Notonecta glauca 685. Nucifraga caryeatactes 648. Nucleolen, Anteil ders. an der Karyo- kinese 694. Nudaria mundana 602. Nudibranchien 285. Nutzmal 196. Nyctale Teugmalmi 644. Nymphen 716. Nymphon grossipes 253. v. Oberflächenhäutehen, physikalische 851. Oberhautzellen, verhornende 851. Ochrolechia pollescens 602, tartarea 602. Octacnemus 256. Octopus 255, Gittwirkung und ver- dauende Wirkung des Speichels 112. Odontolcae 505. Odontoglossae 478. Odontornithes 494, 497. Odontotolcae 498. Odontotormae 498. Oedienemus 653. Oedogonium 126, 136 fg, Boseri 145. Oerstedia dorsalis 578 fg. Ohrmuschel der Verbrecher 574. Oleanderschwärmer 471. Oligochaeten 385. Oligophyodontie 294. 706 Oliva tessellata 45. Olivancillaria hiatula 45. Olivella biplicaria 45. Ontogenese 283, 732 fg. 856. Öntogenetische Zweckmässigkeit 359. Ontogenie 358. Oocystis solitaria 126. Oorhynchus 254. Oospora 126. Opalina 527. Ophiacantha 250. Ophiermus 250. Ophidia 680. Ophiocelus 250. Ophioplinthus 250. Ophiotrochus 250. ÖOphiurideen 250. ÖOpistobranchier 255. Opistoglyphae 618 fg. Orbitolites 245. Organdifferenzierung 625. Organe, Praeformation der OÖ. im Keime 625. ÖOrganisationshöhe 359. Örganisches, Wesen des 279. Oryyia 747. Oribatiden 595. Ornithorhynchus 408. Orpheussänger 215 fg. Orseillebereitung 602. Orthogenesis 189. ÖOrthoptern 593, 895 fg. Orygmatobothrien 260. Oscillaria 126. Osmerus 412. Ostracoda 258, 683 fg. Ostrea 752. Ötholithen 371. Otididae 503. Övidukte der Oligochaeten 387. Ovogenese 693. Oxalis acetosella 792. Öxalsäure 758. Oxychromatin 694. Oxytricha 527. BP. Paarung der Schmetterlinge 467, In- dividuen verschiedener Arten 470. Paladipneusta 711. Sachregister. Paelopatides 251. Palaearktische 466, 511. Palaeechinus 250. Palaeeudyptes 500, 502. Palaehatteria 711. Palaeocolymbus 505. Palmen 761. Palmipedes 501, 503. Fandion habaetus 643. Pandorina 135. Pangenesis 797. Pangium edule 753 fg. Panugo noctula 383. Papilio maacki 519, maacki var. raddei 519, machaon 519, 521. Papilionaceae 792. Parablast, Fähigkeit der Kerne des P. sich in Zellen zu entwickeln 425. Paramecium 527. Parameren der Insekten 855 fg. Parasiten 610 fg., 839. Parasitismus 182, Einfluss auf die Aus- bildung der Geschlechtsorgane 131. Parellsäure 602 fg. Parmelia tiliacea 598 fg., saxatılis 600 fg., caperota bu2 fg. Parnus luridus 685. Parridae 508. Parthenogenese 138. Parus major 223, coeruleus 224. Passer domesticus 224, montanus 224. Passeres 476. Passiflora yracilis 730. Pebrine 513, Vererbung der 468. Pectinura 250. Pedalion annelides 684, mirum 684, 686. £ Pedata 251. Pediastrum Boryanum 126. Pelagisches Sediment des grundes 243. Pelayonemertes 252. Pelagornis 505. Pelargo-Herodii 499. Pelecanoides 504. Pellicula 850. Pelvetia 140. Peniecilium 527. Pennatuliden 247. Grossschmetterlinge Meeres- Sachregister. Pentadactylus horridus 46, morula 46. Peptonephridien der Oligochaeten 386. Perameles nasuta 285. Perca fluviatilis 63, 410, 412. Perichaeta 388. Perichaetiden 386 fg. Peridermium Pini acicola 27, tabulatum 126, 684. Peridinium tabulatum 684. Perigonblätter der Ranunculaceen 544. Peripatus 254. Periphyllidae 248. Periplaneta 860. Peripolus 254. Peronosporeen 130. Peropteri 501, 503. Pertyllidae 248. Petrocinela superciliosa 383. Pfeilkukuk 190, 196, 220, australischer 382. Pferd 11, 809. Pflanzen, sensible 728 tg. Pflanzenleben, Beziehungen des P. zum photochemischen Klima 719. Pflanzenphysiologie und -biologie 721, 753, 785. Pflanzenschaedlinge, Raupen 514. Pflanzenseele, Phylogenie der 69. Pfropfbastard 126. Phacus longieaudatus 684. Phaeodarien 246. Phaeophyceen 139 fg. Phaeozoosporeen 139. Phalanger 591. Phalarocorax 499. Phalaropus 508. Pharmidien 723. Pharyngodictyon mirable 256. Phascolarctus cinereus 285. Phasmiden 48. Philanodendron macrophyllum 765, me- lanochrysum 765, pinnatifidum 763. Philodina roseola 684. Philosophie und Naturwissenschaft 116. Phleum alpinum 82 fg Phoca groenlandica 285. Phocaena communis 285. Pholas 752, dactylus 752. subgen. Flechten 713, 907 Phormosoma hoplacuntha 250. Phototechnisches Klima von Wien, Buitenzorg und Cairo 719. Phreocystes 388. Phreodrilus 389. Phreoryctiden 388, 391 Phronis 256. Phryganea grandis 857. Phycomyceten 68. Phycoxanthin 39. Phyllium 48 Phylloscopus bonelli 222, fuscatus 222, 380, rufus 222, 272, sibilator 222, trochilus 222. Phyllostoma hastatum 285. Phylloxanthin 38. Phylodina roseola 684. Phylogenese 690 fg. Phylogenetische Processe, des 363. Phylogenie 690, 795, der Protisten und Pflanzen 66, Prinzipien der generellen Ph. 66, systematische 709, der Ver- erbung 765, der Wirbeltiere 709. Physa acuta 686. Physcia aipolia 594 fg. Physcianin 599 fg. Physciol 599 fg. Physiko-chemischer Dogmatismus 365. Physiologie der Pflanzen 721, 753, 785. Physiologische Einheiten 769. Phytoplasma 68. Pica pica 224. Piei 476. Picus viridis 224. Picidae 404. Pieper rotkelchiger 223. Pieriden 748. Piesis rapae 418. Pigmente, Entwicklung der in der Reihenfolge des Speetrums 49, farbige der Zapfen der Retina 37, Fehlen der 517, sekundäre 41. Pilema pulmo 371. Pilzblumen, brasilianische 176. Pilze 130 ig. Pimpinella saxifraga 467. Pinasterinsäure 597, 607. Pinguieula alpina 729, grandiflora 729, vulgaris 729. Harmonie 908 Pinnatipedes 508, 509. Pisces 686 fg., 711. Pisidium Dabneyi 635 fg. Pithecanthropus erectus 712. Pitophora 130. Placentalia 712. Placodium saxicolum 602. Planaria polychroa 684. Plankton 30, 43, 66, 126, 714, des in- dischen Oceans 587, des Plöner Sees 803. Planktongastropoden 43, Fauna, Be- deutung für den Nahrungsgehalt von Seen 66. Planogameten 155. Plasmodomen 67, Plasmophagen 67 Plasomen 769. Plastidulen 769. Platurus 682. Platycoracoidae 480. Platyhelmintes 684. Pleomorphismus 298. Pleospidium chlorophanum 607. Pleurocoptes 553, Hydractiniae 553. Pleuronemina 556. Pleurotomarüdae 255. Pleuroxus nanus 685. Plöner See, biolog. Station 560. Plön 560, Forschungsberichte aus der biologischen Station 714. Plougeurs 503. Plumatella repens 685. Pluriformität 299. Plutellus 387. Pluviales 503. Poa alpina 83, pratensis 83. Podiceps minor 835. Podicipidae 502 fg. Poduriden 533 fg. Pollieipes polymerus 75. Polygonum viviparum 82. Polygordius 527. Polymorphe Kerne 423 fg., Uebergang in runde K. 424. Polyommatus phlaeas 678. Polyphyodontie 294. Polyplacophora 255. Polystomeen 3%. 685, Fossarinum Sachregister. Polytoreutes 388. Pontodrylus 388. Populus tremula 738. Portunus depurator 547. Postgeneration 282. Pottwal 591. Pourtalesien 249. Präformationstheorie 538 fg., 625 fg., 32 16% Präponderanz, männliche 41. Pratincola caprata 222, ferrea 222, hemprichi 222, indica 222, rubetra 222, rubicola 222. Primates 285. Prochordonia 710. Prochoriata 712. Prodidelphia 711. Proganoiden 711. Progressive Formen, künstlich erzeugte 520. Promachoerinus 249. Proreptilia 711. Prorhynchus 684, stagnalis 684. Proselachii 711. Prostata der Oligochaeten 388. Proteroglyphae 681 fg. Proteus 299, vulgaris 303. Protisten 67, 752. Protochordaten 257. Protococcus 880. Protomyxa 526. Protonemertinen 579. Protophyten 67. Protoplasma, Beteiligung beim Befruch- tungsvorgang 143, Rindenschicht des 853, Strukturlosigkeit 280. Protovertebrata 709. Protozoen 67, 684 fg., Zellteilung bei 421. Psammobia vespertina 52. Psammophis 682, sibilans 682, sihokari 682. Pselaphognaten 859. Pseudodimerie 23 fg. Pseudofecondation 29. Pseudopodien, protoplasmatische und paraplasmatische der Furchungs- zellen 90, Pseudopus Pallasii 101. Psilura 522. amitotische Sachregister. Psilurus monacha 514. Psittacidae 475. Psolus ephippifer 251. Psyche 749. Psyche opiformis 467, standfusii 467. Psychiden 467. Psychologie, botanische 69. Psychoropotidae 251. Psychosensorische Centren der Gehirn- rinde 341. Pterastrideen 250. Pterodina patina 684. Pteropoden 255. Pterylen 503. Ptilopteri 500. Puccinia cegopodü 26, gentianae 26, Magnusiana 26, Poarum 26, Swertziae 26, Thesii 26. Puppen der Schmetterlinge 511 fg. Purkinje’sche Zellen 462 fg. Purpuridenlarve 44. Purpurin 44. Purpurschnecke 44. Pyenogoniden 253. Pygopodes 501, 502, 503. Pyrethrum 485. Pyrosoma spinosum 256. Pyrosomidae 256. Pyrrhula pyrrhula 224. Pythoninae 681. R. Quadrula symmetrica 684. R. Rabe 827. Radiolarien 245. Rainey’sche Körper 610. Rallidae 509. Rana agilis 208, esculenta 94, 97, fusca 84 fg., 866, Perezi 686. Randkörper der Medusen 371. Ranken, Physiologie der 730 fg. Ranunculaceen 481, 528. Ranunculus acris 83. Raphiospora flavovirescens 607. Rassenwahl 380. Rassenzurückstossung 38. 909 Ratitae 480, 506. Raubvogelmagen 827 fg. Raubwürger 224 fg. Rauchschwalbe 224. Rauhfusskauz 644. Raupen 466 fg., 511 fg., 604. Receptacula ovorum 387, seminis 389. Refraktion des Fischauges 58. Regen, tropischer 239 fg. Regeneration der Krystalle 864, der Pflanzen und Tiere 875. Regenerationsvermögen, Abnahme mit steigeeder Entwicklung 80, des Eies 73, der Gewebszellen höherer Org. 75. höherer Tiere 78, der Pflanzen und nied. Tiere 74, 76, der Süss- wasserpolypen 75, der Zelle 74. Regenerative Entwicklung 783. Regenckuckuck 393. Regenwurm 391, 752. Regulatorische Entwicklung 283. Regulus regulus 222, ignicapillus 222. Reiherente 654. Reize, formative 360, morphologische 360, trophische Wirkung der funk- tionellen R. 278. Reizbewegungen der 728, 730. Reizmal 196. Reliktentheorie 715. Reptilien 680, Thüringens 207. Reservedeterminanten 626. Rhabdocoelida 38. Rhabdopleura 256. Rhachiodontinae 681. Rhantus punctatus 685. Rhaphidium 126. Rhizocarpon geographicum 607 fg. Rhizocarpsäure 607 fg. Rhizochilus antipathum 588. Rhizocrinus 248. Rhizophora 727. Rhizopoden 124, 684, 688. Rhizostoma ewvieri 371. Rhizotrogus solstitialis 57. Rhodalidae 248. Rhodeus amarus 415. Rhodocera rhamni 519, Rhodocrinidae 249. Rhodophan 37. Pflanzen 724, 910 Rhodophyll 42. Rhodopsin 36. Rhopalvieren 467, 748. Rhynchocephalen 680. Rhynchornithes 497. Rhynchoten 856 fg. Richtungskörperchen, Fehlen der bei pflanzlichen Eiern 141. Riechgrube 372. Rieseneier von Ascaris megalocephala 427, kleiner Vögel 210. Riesenembryonen bei Ascaris 426. Riesengebirge, Algen des 717. Riesenhirsch 746. Rindenflechten 712. Ringdrossel 222. Ringeltaube 224. Rinnenschnabel 219. Robben 258. Rodentia 206. Rohrammer 223. Rohrsänger 194. Rosenstaar 837. Rotatoria 126, 683 fg., 715. Rotfärbung des jungen Laubes 791. Rotfussfalke 641. Rotkelchen 194, 211 fg., 222, 375, 405. Rotschwänzchen 194, 212 fg. Rückschlag 13, 301, 545. Rudipennes 501. Rumex acetosa 84. Runkelrübe, chemische Zusammen- setzung des Blütenstaubes 240. Russen 695 fg. Rutieilla 523. S. Saccharomyces 526. Saisondimorphismus 519, 888. Salamandra atra 208. Salamander, Hodenzellen des 425. Salix 817, caprea 817 fg. Salmo alsaticus 412, fario 686, fontı- nalis 412, lacustris 686, lemanus 686, stomachicus 686, trutta 686. Salmoiden 412. Salpeterkrystalle 875. Salpidae 256. Salpina mucronata 684. Sachregister, Salvinia 8. Samenleiterdrüsen der Oligochaeten 388. Samensäcke der Oiigochaeten 337. Sängergrasmücke 223. Saprolegnieen 130. Saprolegnia monilifera 131. Saprophytische Lebensweise, Einfluss auf die Ausbildung der Geschlechts- organe 131. Sarcophytum 588. Satureja hortensis 788. Saturnia boisduvali 515, hybr, borne- manni 468, hybr. daubii 468, hybr. emiliae 468, hybr. hybrida 468, pa- vonia 468 fg, 515, pyri 468 fg., 515, spini 468, 515, hybr. standfussi 469. Säugetiere, Abstammung der 711, Ent- wicklung des Zahnsystems 283, Thü- ringens 205. Sauggrube 259 fg. Saugnapf 259 fg. Saureae 480, 497, 498. Sauropsidae 499. Saussurea alpina 83. Sazxicola aurita 222, morio 222, oenanthe 222, stapaziua 222. Scalops aquaticus 286. Sealpellum 253. Scapanus 237. Scaphoden 47. Scaptonyx 237. Scarus 588. Schädel, anthropologische Unter- suchungsmethoden 676, der Alfuren 676, der Anthropoiden und des Menschen 7, der Verbrecher 306 fg., 571 fg. Schädelindex 162. Schaltknochen 313. Schattenempfindlichkeit 752. Scheibenquallen 371. Schellenente 653. Schildamsel 219. Schilddrüse 47. Schildkröte 258. Schilfrohrsänger 214 fg., 223 fg. 396. Schimmelpilz 723. Schizomycetes 126. Schizopoden 252. Sachregister. Schlammpeitzger 407. Schlangen 680, Systematik der 680. Schlangenkatalog des britischen Mu- seums 680. Sehleichenlurche 680. Schleihen 411, 414. Sehlundring, rote Färbung des bei Chitoniden, Lemnaceen etc. 40 » chmetterlinge 466 fg., 511, 604, 678, 745, sexueller Dimorphismus der 745. Schnabeltiere 408. Scehnatterente 653 Schnecken 716 fg., schmarotzende 588, Zusammenleben mit Algen 717. Schnee, roter, Algen des 42. Schneefink 224. Schreckfarbe 41. Schreckmal 196. Schreikukuk 220. Schulmeinungen, Wertschätzung der aa, Schuppenbälge der Schmetterlinge 678. Scehutzfärbung 34, 43, 197. Schutzform 197. Schutzgrösse 197. Schutzkleidung 197. Schutzmale 181 fg., 209 fg., 267, 374. Sehutztracht 197. Schwalbe 811. Schwämme 231 fg., 246 fg. Schwammentwicklung 231 fg., Littera- turangaben 239. Schwanzfaden der Ephemeridenlarve 857. Schwanzlurche 681. Schwärmsporen 132 fg. Schweineklaue, Hornmasse der embryo- nalen 852. Schwimmkäferlarve 51, 103. Scolex 260 fg. Scolex polymorphus 261. Scolopax 504 Scythrops novae-hollandiae 219. Scytonema 126. Scytosiphon lomentarius 133. Sediment, pelogisches, des grundes 243. Seeigeleier 426. Seemöve 826. Meeres- 9314 Segmentalorgane der Oligochaeten 386. Segmentation, transversale, der Wirbel- tiere, Entstehung der 710. Sehgelb 36, 50. Sehpurpur 35, Mangel des, in der Fovea centralis 36, bei Tieren 36. Sehrot 36. Seidenkuhvogel 405. Selbstdifferenzierung der Eier 361. Selbsterhaltung 279. Selbstregulation 279. Selbstumwandlung 360. Selektion 279. Selenga-Burjäten 666. Sensible Pflanzen 728. Sepia 255. Septibranchier 254. Serinus serinus 181 fg. Serolis 253, neaera 253. Setina eborina 600, irro,ea 600, irro- rella 600, mesomella 600. Sialis 862 fg. Sicyos angulatus 730. Sida erystallina 126. Silpha 647. Simocephalus exspinosus 685. Singdrossel 222 fg. Sinnesorgane der Medusen 371. Sinusigera 44. Siphoneen 137 fg. Siphonophoren 248. Siredon pisciformis 285. Sirogonium 134. Sistrurus 682. Sitigrada 121. Sitta 382. Smilodon 746. Solanorubin 39. Solecurtus 752. Solidago virgaurea 467. Solorina crocea 606. Solorinsäure 606 fg. Sorex vulgaris 285. Soricidae 285. Spähvogel 403 fg., Brutparisitismus der 403 fg. Spalacotherium 297. Spanner 604. Spechte 404. Sparassus virescens 119, 12 Speichel, eiweissverdauernder bei In- sektenlarven 51, 103. Sperber 2. Sperbergrasmücke 215 fg., 223, 649. Siperchon brevirostris 685. Sperlingseule 643. Spermatien der Uredineen 27. Spermatogenese 693. Spermatophoren der Oligochaeten 390. Spezialisierung der Naturforscher 116. Spezialpolarisation 282. Spezifikation der Furchungszellen 283. Sphaerella pluvialis 126. Sphaeroplea 137 fg. Sphaerotilus natans 126. Spheniscomorphae 500. Sphenisidae 258, 500. Spilosoma mendica 518, mendica var rustica 518. Spinites socialis 276. Spinnen 110, Bauinstinkt der 118. Spirochona 549 fg., gemmipara 553. Spirographüs Spallanzanci 752. Spirogyra 126, 133, 147, 527, rivularis 124 fg. Spirula 255. Spongien 231 fg., 246 fg., 588, Ent- wicklung der 231 fg. Spongilla 232, 717. Spongillen 717. Sipongodes 248, 588. Sporen 130. Sporenammer 224. Sporenpieper 223. Sporidien der Uredineen 27. Springfrosch 208. Springschwanz 594. Sprosser 222, 396. Squamata 680. Stachel der Bienen 855. Stachelschnecke 44. Stammesgeschichte 181 fg. Stammesgeschichtliche Vorhut Nachhut 545. Staphylococcus aureus 301. Star 224 fg. Statice armeria 467. Staurastrum arctison 126, gracile 126, ophiura A126, paradoxum 126, teli- pherum 126, tricorne 126. >45, Sachregister. Steganopodes 478, 502, 508 fg. Steindrossel 650. Steinschmätzer 195, 210 fg., 222. Steinrötel 222 fg. Stephalidae 248. Stereocaulsäure 600 fg. Sternparenchym der Wasserpflanzen Al Stichococcus 723 fg. Stickstoffassimilation durch die Algen 721, der Pflanzen 758. Stieta pulmonaria 601. Stietinsäure 601 fg. Stomatopoden 232. Stoporella melanops 224. Strandflanzen 727. Strausskukuk 219, 398. Streblocerus serricaudatus 685 fg. Strudelwürmer 37. Strix grallaria 826 fg., noctua 837. Struktur 278, 357 fg. Struktureinheiten, definitiv letze der lebendigen Substanz 692, der Ver- erbungssubstanz 692. Struthio 476. Stuhlmannia 389. Sturnus vulgaris 224. Stützorgane 472, 497. Styela 257, bythia 257. Stylasteridae 247. Styli der Insekten 853 fg. Stylochona coronata 999. Stylodrilus 389. Stylonychia 527, mytilus 684. Submierocephalie des Verbrecherhirns 502. Succinia amphibia 606 fg. Suecissa pratensis 467. Suceulenten 729. Sucher-Okular mit Irisblende 30. Sumpfotter 206. Sumpfrohrkeule 646. Sumpfrohrsänger 212 fg., 223. Sumpfschildkröte 207. Süsswasseralgen 880. SüsswasserecepepodenDeutschlands 845. Sisswasserfische, Biologie der 410. Sutroa 389. Sycandra 231, 238. Syllaeibidae 247. Sachregister. Syllis 252. Sylvia 523, atricapilla 223, curruca 223, hortensis 223, melanocephala 223, nisoria 223, 649, orphaea 223, provincialis 223, sylvia 223. Symbiose 717. Symmetrie im Körperbau lebendiger Organismen 806. Symphylen 859. Synedra 126. Uvella 126. Syngeneticae 126. Syngnathus acus 407. Syntrichum anemones 631. Systematik 472 fg., 497. Hs Tabanus 104. Tabulatae 247. Taenien, Saugnäpfe der 260. Talaeporia pseudobombycella 601, 604. Tamandua tridactyla 285. Tanacetum corymbos um, 485 fg., 528 fg., 825. Tanne 144. Tannenheher 648. Tanzmaus 396. Tarantel 119 fg. Tarbophis savignyi 682, follax 682, qguentheri 682, iberus 682, obtusus 682, rhinopoma 682, vivax 632. Tardigraden 122. Tarentula opifex A121. Tastorgane, Bedeutung der mensch- lichen Haare als T. 452. Tastsinn 54. Tatusia hybrida 235, peba 285. Taube, Einfluss der Nahrung auf den Bau des Magens 811 fg. Täuschungsmal 19. Tedania 233 fg. Tedanione 233 fg. Teichkarausche 414. Teichrohrsänger 216 fg., 223. Teilbarkeit der Pflanzen und niederen Tiere 74, des Eies 72. Teju teguixin 291, Teleologie 283. 354 fg. Teleologisches Gesetz 279. Telestes agasizüi 95. XV 913 Teleutosporen, Bildung der bei den Uredineen 26. Temorina 845. Temperatur, Einfluss der, auf die Ent- wicklung von Schmetterlingsraupen und Puppen 512, Einfluss auf reiz- bare Organe der Pflanzen 728 fg., Erzeugung atavistischer oder pro- gressiver Formen durch extreme T. 520 fg., des Wassers, Verhalten der Eigenwärme der Fische gegen die 410. Temperaturregulierung durch die Haare 453. Tenebrio molitor 107, 111. Teratologie 635, 817. Terebratula wyvillei 255. Terek-Kosaken, Anthropologie Ethnologie der 695. Ternate, Littoralfauna von 588. Tetractinelliden 246. Tetrao magallus 809. Tetrastemma diadema 578 fg., mega- locephalum 578 fg., varicolor 578, ver- miculus 578 fg. Tetrarhynchenrüssel 258. Tetrarynchus attenuatus 265, grossus 265, megalocephalus 265, smaridium 265, tetrabothrium 259, viridis 265. Tetronerythrin 40. Thamnium alopecurum 125. Teufelsabbiss 467. Thalianthe dubia 731. Thamnolia vermicularıs 594. Thaumatocrinus 249. Thecosomata 255. Theridiidae 121. Thermobia 861. Thioschwefelsäure 751. Thladiante dubia 731. Thomisiden 120, 121. Thüringen, Brutvögel seltene in 206, Waldtiere 206, Wirbeltiere Thü- ringens 205 fg. Thyka 588. Thysanuren 858 fg. Tichodroma muraria 648. Tierfrass, Schutzmittel der Flechten gegen 59. Tiergeographie, marine 203 fg. 58 und 914 Tierwanderungen 783. Tillandsia usneoides 727. Tilopterideen 139. Tinamidae 508. Tyncha erisitis 415. Tonnenschnecke 44. Topoplasie 625. Torgouten 160, 163, 666. Toxocrinidae 249. Trachtmal 196. Trachyspora alchemillae 26. Tragopogon brevirostre 725. Transformation 301. Transpiration der Pflanzen 562, 785 fg., Sehutzvorrichtungen der Blütenknos- pen gegen die 726 fg. Trauerfliegenschnäpper 224. Triaenophorus 260. Triatra longiseta 126, 684. Trichochaeta 388. Trichostomata 555. Trichosurus vulpinus 285. Triehromaten 36. Trifolium pratense 82 fg. Trinkwasser, Gehalt an Organismen 125. Triton 44, 363. Trochosa singoriensis 119. Troglodytes troglodytes 223. Trollius europaeus 82. Tropenflanzen 727. Tropenregen 239. Tropidonotus natrix 207. Trutta fario 412, iridea 412, lacustris 686, variabilis 686. Trutzfarbe 41. Tubereula pubertatis 390. Tubifex 388, rivulorum 685. Tubifieiden 390. Tubinares 258, 478, 499, 502. Tubularia 64, 688. Tundrablaukehlchen 398. Tunicaten 256 fg., Nahe Verwandschaft der T. mit den Urwirbeltieren 710. Turbellaria 38, 684. Turdus 189, 222, 837. Turteltaube 224. Turtur Turtur 224. Typhlopidae 680. Typhusbaeillus 299, 302. Typische Organe 481, 528. Sachregister, Uhu 645. Ukrainer 698 fg. Ulothrichaceen 137. Ulothrix flaccida 126, zonata 135. Ulva 527. Ulvaceen 137. Umbella Thomsoni 248. Umfärbung 516. Umwandlungsprodukte, Stabilität der 360. Unio 752. Universitätsvorlesungen , Huxley’s über 115. Unke, rotbauchige 208. Uragus sibiricus 224, 274, 379 fg. Uredineen, Kerne der 24. Urüdae 502. Uriinae 505. Urinatores 501. Urio 507. Urolithen 101. Uromyces Pisi 26, Poae 26, Viciae 26. Uropeltidae 681. Uropsilus 287. Urothrichus 237. Ursache, Begriff 361. Uvschädeltiere 711. Urschleim 245. Urstruktur 361. Urwirbeltiere 710 fg., nahe Verwand- schaft der mit den Tunicaten 710. Urzeugung 67. Usnea barbata 602, 713. Usninsäure 597 fg. Ansichten V. Vanessa 467, 522, alnum 520, atalanta 418, 519 fg.. autussa 520, callirhoe 520, cardui 519 fg., erythromelas 520, milberti 520, levana 520, var. prorsa 523, polychlorus 520, Urticae 418, 519, urtieaevar.ichnusa 517, vulcanica 520, zanthomelas 520. Vampyrella 125. Variabilität 296, 302, der Bakterien 296, der Bakterienverbände 302. Variation, numerische typischer Organe 481, 528, von Pflanzenteilen unter Sachregister. dem Einfluss äusserer Bedingungen 77, progressive 546. Varietäten, Entstehung von 513. Vaucheria 137, 144, 147, 527. Venus 752. Verbrecher, geborener 305, 571. Verdauung bei Fehlen von Bakterien im Darm 123. Vereinigung mehrerer Eier 426. Vererbung 149, 280, 344, 689, 732, 734, 765, 795, Chromosomen als Traeger der 149, erworbener Eigenschaften 280, 734, rudimentär gewordener Organe 746, physiologisch-chemische Auffassung 750, Struktur der Ver- erbungssubstanz 694, 732 fg. Vererbungseigenschaften, Lokalisation der in der Zelle 693, Lokalisation in den Cytoblasten 694. Vermes 258 fg. 588, 683 fg., 752. Vermiculus 392. Verruca 253. Vertebraten 686 fg., 709, Asymmetrie der Gliedmassen der 80%. Vesperugo serotinus 285. Vieia crocca 82, sepium 82. Vinca minor 471, major 451. Vipera ammodytes 682, aspis, var. hugyi 682, Cotostii 682, lebetina 682, lebetina var. xanthima 682, russelii 682. Viperidae 681. Viperinae 681. Viscum album 718, artieulatum 718, orientale 718, Frucht und Samen von 716. Vitalismus 283, 353 fg. Vitalistik 357. Vitellorubin 40. Viviparie der Mangrovepflanzen 759. Vögel 181,638, 774, 780, Anatomie und Systematik der 472, 497, Atmungs- werkzeuge der 743, Auge, Accom- modation des 59, Eier der 528, 848, Magen der 407, 825, V. der Chal- lenger Expedition 258, Thüringens 258. Vormagen 408 fg. Vorticella 125; 527, mierostoma 610, monilata 555. Vorticellen, parasitische 610. Vulpinsäure 608. 915 W. Wachholderdrossel 222. Wachtel 405. Waldlaubsänger 212 fg., 222. Waldtiere, Aussterben der in Thü- ringen 206. Wale 591, 409, in tropischen Meeren. Wanderfalke 612. Wanzen, Farbstoffe der 40. Wärmeabsorption in den 785 fg. Warnmal 196. Wasserbewegung in den Pflanzen 561. Wasserblüte 717. Wasserinsekten 716. Wassermilben 716. Wasserpflanzen 727. Wasserpieper 223. Wasserschnecken 716. Wassertemperatur der Plöner Seen 717. Wasservögel 716. Weichschwanz 196, 219. Weiden in d. norwegischen Hoch- gebirgen 81. Weidenbäume 817 fg. Weidenlaubsänger 222. Weissfische 411, Bastarde der 717. Wendehälse 404. Wiesen in d. gebirgen 81. Wiesenpieper 224. Wiesenschmätzer 211 fg., braunkehliger 212 fg., 222, schwarzkehliger 222. Wildfische, Nahrung der 60. Wildkatze 206. Winterschlaf der Weissfische 411. Wirbelmolekel 767 fg. Wirbeltiere, Phylogenie der 709, feh- lende Glieder im Wirbeltierstamm Thüringens 205, 709. Wirbeltierembryonen, amitotische Zell- teilung in den 421 fg. Wolf 206. Wollustorgane der 390. Würger, rotköpfiger 215, 222, grauer 224. Würmer 258, 588, 683 fg., 752. 58* Blättern norwegischen Hoch- Acanthodriliden 916 Xanthin 38. Xanthophan 37. Xanthophyll 38. Xanthoria parietina 600. Xenopeltidae 631. Xenilla brevicauda 595, 601. 2. Zahnsystem der Säugetiere, Entwick- wicklung des 283. Zanardinia 140, collaris 138. Zanclostominae 392. Zapfen der Retina, farbige Pigmente der 37, farblose Kügelchen der 40, Zaunammer 224. Zaungrasmücke 215 fg., 223. Zaunkönig 216 fg., 223. Zeichnung der Kuckuckseier 196, vor- zeitig entwickelter Falter 511 fg. Zeichnungsmal 196, 210. Zelle 691 fg., 798, 850, Bedeutung des Kerns der 693, Lehre vom Leben der 693, Phylogenie der 692. Zellkern, Beteiligung des beim Be- fruchtungsvorgang 142. Zellteilung, additionelle 75, amitotische 420, differenzierende 75, karyokine- tische 25, 132, 149, 693, mitotische 422 fg. 693. Sachregister. Zellwanderung 89. Zellwandung 850. Ziermaus 396. Zirkularbewegung, physiologische 813, als tierische Grundbewegung 779. Zoantharia 247 Zoogeographie 517. Zoologie, Studium der 114, Lehrbuch der 208. Zooplasma 68. Zoothamnium 527. Zootomie, Elementarkurs der 815. Zooxanthellen 39, 246. Zuchtversuche an Raupen 511 fg. Zuchtwahl, künstliche 10, natürliche 152, 406,0450.Tg., 522 18....938, 1589, 6264.183,.11891796: Zweckmässigkeit, physiologische 358, ontogenetische 359, der Struktur und der feineren äusseren Form der Organe 278. Zwergfliegenfänger 649. Zwergsteissfuss 224. Zwitter 750. Zygnoma 125, 126, 133, 147. Zygosporen 132 fg. Zymodynamogenie 815. Zymofrenation 819. Zymyinhibition 815. Zymolyse 815. ie; he BR, Br u. en ° IBRARY | | | (e) B:: 2— | =) e Su: E | j = { 3 s 5 & > : ’ = - .. > en —_ B % N ®. & Be . \ j I Sn. 3 i er Fire BE P 5 ‚ R u er 2 r e e ? he „ ‚> r - > “Ic = ” > TE # g } r a Re me ER B ö n2 IR rn 0.3 Dei 3 Be he A anne rn na ne ne Ran mei REDE PL A SR RR EEE a RÄT EEE Rene .s u En a ne EL ee en — ne aa 1.100 21er ee ey EV NER RR LEEREN EVER VENEN en x | a ER rg. eg _ Lan n — — een Ar ee Tr