2. k ie een Se Be EN EEE ET Si Ser ne , erg un m R B Pisa ae 2 r Er HER 5 a j z P m re ern te rest, en ae, u nenn en net . e ga EN ne . a an ae ee ENTE FT masse » " e & BEE RETTET EN LP TITAN" ui TER ne ‚ a = u — a “ ru nr ET. u. Br en m e: ne a 4? g- BUT 3, er ’ ee _ nee - er e . = m a kr ” Ze TE Q “ ee 3 RE GB 7 EEE Ge A. nn ng MARINE BIOLOGIGAL LABORATORY, Received Accession No. Given by Place, *,* No book or pamphlet is to be removed from the hab- oratory without the permission of the Trustees. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Professor in Erlangen Professor in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Srebzehhnter Band 1897. Mit 186 Abbildungen, Leipzig. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold). 1897. K. b. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Junge & Sohn) in Erlangen. Inhaltsübersicht des siebzehnten Bandes. O = Original, R = Referat. Seite Bokorny, Ueber die organische Ernährung grüner Pflanzen und ihre Be- deutung in der Natur OÖ . . Kal. ‚Zus Thilo, Die Umbildungen in den Gliedmaken de Fische R TAB: 20 Margherita Traube-Mengarini, ÖOsservazione ed esperienze Sn permeabilitä della pele R .... Sue nr er k) apmapler ad Gautier, Die Chemie der lebenden Zelle R See uliinn 5x banal Preisausschreiben des internationalen zoologischen Rohe nein NE LEE. Bryhn, Beobachtungen über das Ausstreuen der en bei den Splach- naceen O., . EST. Wallengren, Zur Kos nz Calnar Meichadina 0. Zal ASLER 55 Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Manko: ö 65 Rosenthal, Emil du Bois-Reymond O0. . . 2. 2 20.000. . 8 Keller, Biologische Studien 0. . . RERER RS: Lebedinsky, Zur ErEls eprfehichte = nennen ö BE NEE Tan Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie R . 124 Klebs, Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen R 129 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie O0. . . . 142 Frenzel, Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas O0... . . 147 v. Erlanger, Beobachtungen über die Befruchtung und ersten zwei Tei- lungen An den lebenden Eiern kleiner Nematoden O0. . . . 1452, 339 Brandt, Ueber die sogenannten Hundemenschen, beziehungsweise über Hypertrichosis universalis O_ . ü 161 Gräfin M. von Linden, Die Artbildung mi Verwandtschaft hai don Schmetterlingen a G=BH. Th. Eimer) BR... ,.,... A Swen 22% 218 Frenzel, Zur Planktonmethodik O0 . . ol naltamsiEz Pay NIE Matzdorff, Die deutsche Seefischerei auf der Besliner Gewerbe - Aus- stellung O . ... N Henneguy, Lecons sur 1a ee morphologi er en zöiktaklon, R ie 205 Das-»Tierreich ,.-......- 17213206 Schröter, Die ers unserer ideim. (das Phiytoplankton) R 675 4209 Schreiber, Ueber die physiologischen Bedingungen der endogenen Sporen- bildung bei Bacillus anthracis, subtilis und tumescens R... . . 212 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines) O . 2x. ... 2 IV Inhaltsübersicht. Seite Brandes, Nachträgliche Bemerkung zu meiner Notiz über Entwicklung von Ascaris lumbricoides . . . . 239 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pa nloeie nt: -biologiei 241 Rimsky-Korsakow, Ueber ein neues holotriches Infusorium Dinophrya cylindrica n.sPp.0 .... 257 Nusbaum u. Rakowski, Ein Bet zur naResen mn de A tomie des Rückengefäßes und des sog. Herzkörpers bei den Enchy- traeiden Oase li Emery, Neuere Dsechuneen Aiher aaa eher. der een R OT Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane O . . ey; Baer, Zur physiologischen Bedeutung der Lnftsäcke De Vögeln R era RE Lauterborn, Untersuchungen über Bau, Kernteilung und Bewegung der Diatomeen R . . ıewätgeriggl 286 Apäthy, Die Mikrotscheik Ai en ee Eine kritische Darstellung der mikroskopischen Untersuchungsmethoden R. . . . 288 Müller, Die Ortsbewegung der Baeillariaceen O0. . 2 2 2 2.2.2... .291 Dallinger, Untersuchungen an Biflagellaten O . . . 2 2.2.2......805 Ammon, Der Abänderungsspielraum R. . read Chun, Be Biologische Studien über blagieche Orenären R 3 0) Przesmycki, Ueber die intra-vitale Färbung des Kerns und des Proto- Plasmaaı 0 >. 00... RA RE EEE 333 Eismond, Zur Kenntnis ie: "Zus chenkönpbree O0 VD AREA ER Brandes, Zur Begattung der Dekapoden 0. . . 2 2 22 nen. 346 Möller, Protobasidiomyceten R . .. 351 Birge, The Vertical Distribution of the. ae B ialbe Mendota O .. . 31 Thaxter, Contribution waren a Meimeapk of ih Taboatiöniac6hb R 375 Tornier, Die Kriechtiere Deutsch-Ostafrikas R . . Ä 376 Henking, Die deutsche Seefischerei auf der Berliner Gowenle- Russel lung&.O., 0.090 . 381 Fol, Lehrbuch der vetelelöheiden: ikrüskopidohen Audtoni nik Ein- schluss der vergleichenden Histologie und Histogenie RR... . 383 Schultze, Grundriss der ah des Menschen und der Säugetiere R . . Sr eh RE a BEL CESERIEBRIE Baldwin, Organische Selektion o 3,0% 385 Wierzejski, Ueber die Entwicklung ar Mesohleram hei Physd fonti- nal" LO Nr . 388 Gardner, Zur Frage der die ee dos elasıkohen Gowebis 0 394 Bütschli, Weitere Ausführungen über den Bau der Cyanophyceen und Bakterien R . ; RAD Haeckel, Systematische Bhrioeens der wirbellasen Tiere R REN IE 6 Born, Ueber Verwachsungsversuche mit Amphibienlarven R . ... 43 Petri, Das Mikroskop. Von seinen Anfängen bis zur jetzigen Vervoll- kommnung für alle Freunde dieses Instrumentes R . » . . 2... 45 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. . . 416 Bokorny, Grenze der wirksamen Verdünnung von Nährstoffen bei Alakı und: Pilzen Oyaı..%) RUE Car, Ueber den Mechanismus er Iıbkoiotien au braten ö wird. 426 v. Lendenfeld, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke R . . 439 FE EEE Inhaltsübersicht. V Seite Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien O a ELCH AA v. Lendenfeld, Die Nesselzellen der Onidaria O . . 2. 2... 465, 513 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde O 485, 530, 605, 640, 664 Hensen, Bemerkungen zur „Planktonmethodik* O { 510 Escherich, Einiges über die N En der Insekten nach ihren Funktionswechsel O0... 542 Detmer, Botanische Wanderungen in ea in : 544 Keller, Das Schweizersbild, eine Be aus palänlithiächer Ba neolithischer Zeit R .... ER iR 545 Spuler, A. Weismann’s neue Veraneieh zum eo Ro Nierie de Schmetterlinge R 559 Fürbringer, Daterichung6n zur rorphaldgte uni Sy kenatik br Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane R 573, 846, 893 Prowazek, Theoretische Betrachtung über die primitive Ortsbewegung 0 587 Hertwig, Berichtigung ‚einer mich betreffenden Bemerkung von Prof. Bärturth»......v, Be 591 Schröter u. Kirchner, Die en das one R 593 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? R 599 rilasilehe Arbeiten über Osmose und Dissoziation R E . 620 Nusbaum u. Schreiber, Beitrag zur Kenntnis des per Sr horcheil Be systems bei den Ortalneeen 0 625 Noll, Ueber Möglichkeit und Zwockmägiekeit e. An scht früherblühen- der Reben O 39 650 69. Versammlung deutscher Näturfdrscher ne Mersie in Feeaunsch weis 654 Hoernes, Die Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur O 69% Schultze, Grundriss der ee des Menschen und der Gb Tl BE Hs Rene: 687 v. Wasielewski, Shoroerendb, ein "Leitfaden für We Tierärzte und Zoologen R .... RE GEN Häcker, Ueber weitere Vebereseengen ewischen a ae vorgängen der Tiere und Pflanzen O . a N man OS ZZ Friedenthal, Die Funktion der weißen Blutkörperchen 10) 705 Haacke, Grundriss der Entwicklungsmechanik R. . . ... 13 v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung O . EHER 745 Rywosch, Ueber das Pigment und die Entstehung desselben bei ee Tardigraden O ö 753 Stieda, Ueber die Hönielogie der a und Hecken. Oiredinben o 756 Hertwig u. Roux, Entwicklungsmechanik R x 769 Duncker, Korrelationsstudien an den Strahlzahlen eier Eionsan von Acerina cernua L. . Na 20 9, TOD REN Schiemenz, Hat das Ur- "ind (Bos rin Bu) noch in histori- scher Zeit gelebt? R > 794 Wasmann, Karl Ernst v. Baer Sr seine Weltihschenune R 799 Handbuch der Anatomie des Menschen : £ 800 Frenzel, Neue oder wenig bekannte ARD oRteN 0 & 802 Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta O . 808 Zoologische Lehrbücher R . . . u er ee U; 831 Schlater, Zur Biologie der Baklerrin ) SS rs 833 VI Inhaltsübersicht. Seite Zacharias (London), Die Phylogenie der Kopfschilder bei den Boiden R 858 Lindner, Zur Kenntnis der in den pontinischen Sümpfen hausenden Protozoön OÖ >...) Stier A. en. re ee Prowazek, Amöbenstudien O0 . . 2... 878 Kopsch, Ueber die Ei- Ablage von Sceyllium eimenla in dem Advarrım der zoologischen Station zu Rovigno O . . . 2 2 2 22.20.20... 885 Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellsehaften: # 1. Wiesner, Zur Physiologie von Taeniophyllum Zollingerr . . . . . 239 2. Solger, Ganglienzellen des Lobus electricus von Torpedo . . . 512 3. v. Wettstein, Ueber ein subfossiles Vorkommen von Trapa Me IAsBöhmen 2. RT ie 1 re ee Berichtigung. Seite 792 Zeile 14 v. o. (erste Gleichung) = (v) 3 (z) im en stattr = lies v = Biologisches Gentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. 1. Januar 1897. Nr. L Inhalt: Bokorny, Ueber die organische Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeu- tung in der Natur. — Thilo, Die Umbildungen in den Gliedmaßen der Fische. — Margherita Traube-Mengarini, Osservationi ed esperienze sulla permeabilitä della pelle. — Gautier, Die Chemie der lebenden Zelle. — Preis- ausschreiben des internationalen zoologischen Kongresses. Ueber die organische Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Von Dr. Th. Bokorny. Wiewohl die organische Ernährung grüner Pflanzen längere Zeit geleugnet wurde, unterliegt es gegenwärtig keinem Zweifel mehr, dass eine solche möglich ist. Die organische Ernährung ist nach dem gegen- wärtigen Stand unserer Kenntnisse keine ausschließlich den Pilzen und Parasiten zukommende Ernährungsweise, sondern auch bei grünen Pflanzen weit verbreitet. In der That müsste es auch schwer begreif- lich erscheinen, wenn der Organismus, welcher die wunderbare Leistung der Kohlensäureassimilation zu vollbringen vermag, nicht die leichtere Arbeit der Assimilation organischer Stoffe verrichten könnte. Zwischen Kohlensäure und Zucker (CO, und C,H,,0,) ist ein größerer Abstand als zwischen Glyzerin und Zucker (C,H,O, und 0,H,,0,). Warum sollte in grünen Pflanzenzellen nicht auch aus Glyzerin Kohlehydrat gebildet werden können? Nieht wenige organische Substanzen können den grünen Pflanzen nachweislich als Kohlenstoff-, manche auch als Stickstoffnahrung dienen; so z. B. Essigsäure, Weinsäure, Asparaginsäure, Methylalkohol, Form- aldehyd (als formaldehydschwefligsaures Natron), Glykol, Glyzerin, verschiedene Zuckerarten, Amidokörper ete. Einfache und komplizierte Substanzen, Alkohole, Säuren, Stoffe aus den verschiedensten Körper- klassen der organischen Chemie haben sich als brauchbar erwiesen. XVIL 1 9 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. I. Auf Ernährungskraft geprüfte Stoffe; Beziehungen der chemischen Konstitution zur Nährkraft. Da die grünen Pflanzen hinsichtlich der organischen Ernährbarkeit an die Pilze erinnern, so ist es vielleicht angezeigt, hier einige all- gemeine Sätze zu erwähnen, die v. Naegeli!) in Gemeinschaft mit O0. Loew über den Ernährungschemismus der niederen Pilze auf- gestellt hat. „Was die Quellen des Kohlenstoffs betrifft, so kann derselbe aus einer großen Menge von organischen Verbindungen aufgenommen werden“. „Versuchen wir den allgemeinen Charakter der assimilier- baren Kohlenstoffverbindungen festzustellen, so besteht die Bedingung wohl darin, dass sie die Gruppe CH, oder bloß CH enthalten. Viel- leicht ist aber die Beschränkung beizufügen, dass die letztere Gruppe CH nur dann ernährt, wenn 2 oder mehrere C-Atome, an welchen H hängt, unmittelbar mit einander verbunden sind. Es ernährt nämlich einerseits Methylamin andrerseits Benzoesäure sicher, während Ameisen- säure und Methylalkohol (letzteres hat sich inzwischen als unrichtig herausgestellt, B.) nicht assimiliert werden, was indessen auch auf Rechnung ihrer antiseptischen Eigenschaften in Verbindung mit der ziemlich schweren Zersetzbarkeit kommen kann. Dagegen kann der Kohlenstoff nicht assimiliert werden, wenn er unmittelbar nicht mit H sondern nur mit andern Elementen zusammenhängt, wie dies in der Cyangruppe, ferner beim Harnstoff?) und der Oxalsäure nebst deren Abkömmlingen der Fall ist“. Aus den Versuchen ergibt sich, „dass unter übrigens gleichen Um- ständen Verbindungen mit 1 C-Atom am schwierigsten (Methylamin) oder gar nicht (Ameisensäure, Chloral) assimiliert werden, dass mit der steigenden Anzahl der unmittelbar zusammenhängenden C- Atome die Assimilation besser von Statten geht (Leuein mit 6 © ernährt besser als Asparagin mit 4 C), dass es ferner günstiger ist, wenn an den C-Atomen nicht bloß H-Atome sondern aueh O oder OH befestigt sind (die Gruppe CH,-OH verhält sich unter übrigens gleichen Umständen günstiger als CH,, ebenso CH,—COH günstiger als CH,--CH,), und dass Verbindungen mit mehreren C-Atomen oder C-Gruppen, die durch N oder O verbunden sind, nicht besser ernähren als solche, in denen die Gruppe nur einmal vorhanden ist (Trimathylamin nicht besser als Methylamin). „Außer der chemischen Konstitution der Nährverbindung spielt aber jedenfalls noch ein anderer Umstand eine wesentliche Rolle bei der Assimilation. Die lebende Zelle wird unter übrigens gleichen Umständen diejenigen Substanzen am leichtesten zur Ernährung be- 9 1) Sitzungsber. d. Münchner Akad. d. Wissensch., math.-phys. Klasse, 1879, S. 282 ff. Ernährungschemismus der niederen Pilze. 2) Der Harnstoff wirkt auf manche Algen ernährend; siehe weiter unten, -Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 3 nutzen, für deren Assimilation sie die geringste Kraft aufwenden muss, — also diejenigen Substanzen, die von verschiedenen chemischen Mitteln am ehesten angegriffen und umgesetzt wurden. Doch ist natürlich nur ganz im Allgemeinen ein Vergleich möglich, da ja die chemischen Ver- bindungen zu den verschiedenen Arten der Zersetzung sich nicht gleich verhalten, und da die Assimilation nichts anderes ist als eine besondere Art der Zersetzung, die mit den übrigen Zersetzungen bis zu einer bestimmten Grenze übereinstimmt, während sie im Einzelnen sich im Gegensatz zu ihnen befindet“. v. Naegeli ordnet die Kohlenstoffquellen nach dem Grade ihres Nährwertes in folgende Reihe: 1. Die Zuckerarten. 2. Mannit; Glyzerin; die Kohlenstoffgruppe im Leuein. 3. Weinsäure; Zitronensäure; Bern- steinsäure; die Kohlenstoffgruppe im Asparagin. 4. Essigsäure; Aethyl- alkohol; Chinasäure. 5. Benzoösäure; Salieylsäure; die Kohlenstoff- gruppe im Propylamin. 6. Die Kohlenstoffgruppe im Methylamin; Phenol. Doch hat diese Stufenreihe nur bedingte Giltigkeit. Vor einigen Jahren hat auch OÖ. Loew seine neueren Erfahrungen über Ernährungschemismus der Pilze in einem Aufsatze zusammen- gestellt!), aus dem hier einige Sätze Erwähnung finden müssen. Er sagt unter Anderem Folgendes: „Unter allen Organismen sind bekanntlich die Bakterien durch besondere Intensität chemischer Ak- tivität ausgezeichnet. Reduktionen und Oxydationen, Zersetzungen und Synthesen werden in staunenswertem Umfang ausgeführt. Zahlreiche organische Materien werden unter Atomverschiebungen mit Leichtig- keit gespalten und zu Komplexen von festerem chemischem Gefüge umgeändert. Und inmitten dieses Vernichtungskampfes gegen leicht zeısetzbare Moleküle bauen diese Organismen den denkbar labilsten organischen Körper, das aktive Eiweiß, auf und fabrizieren sich daraus ihr lebendes Protoplasma mit einer ebenso staunenswerten Schnellig- keit! Wo, möchte man fragen, hört denn hier die Zerspaltung auf und fängt die synthetische Arbeit, der Aufbau der lebendigen Materie, an?“ „Was die ernährenden Stoffe betrifft, so lassen sich mit Bezug auf die Förderung des Pilzwachstums folgende allgemeine Gesichtspunkte aufstellen: 1. Hydroxylierte Säuren sind besser als die entsprechenden nicht hydroxylierten, z. B. Milchsäure besser als Propionsäure. 2. Mehrwertige Alkohole sind besser als die entsprechenden ein- wertigen, z. B. Glyzerin besser als Propylalkohol. 3. Der Nährwert der Fettsäuren und der einwertigen Alkohole der Fettreihe nimmt mit steigender Anzahl der Kohlenstoffatome ab; z. B. Essigsäure ist besser als Buttersäure, und Methylalkohol besser als Amylalkohol. 4) Die chemischen Verhältnisse des Bakterienlebens. Centralbl. f. Bak- teriologie u. Parasitenkunde, IX. Bd., 1891. a 4 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 4. Eintritt von Aldehyd- und Ketongruppen erhöhen die Nähr- fähigkeit; z. B. Glukose oder Fruktose sind besser als Mannit, Acet- essigester besser als Essigester. Bei gesteigerter Labilität der Aldehyd- gruppe kann jedoch Giftwirkung eintreten. „Was die Stickstoffquellen für diese Pilze anbelangt, so können bekanntlich nicht nur Ammoniaksalze und Nitrate verwendet werden, sondern auch mannigfache organische Stickstoffverbindungen, wie Amido- säuren, Säureamide, Amine, wahrscheinlich auch Nitrite und manche Nitroso- und Nitroverbindungen. Wir dürfen wohl schließen, dass aus allen den verschiedenen organischen Stickstoffverbindungen zuerst Am- moniak gebildet wird, ehe die Eiweißsynthese beginnen kann. Würden die verschiedenen Amidosäuren, Amine etc. als solche verwendet, so müssten schließlich verschiedene Eiweißkörper und damit ein verschieden funktionierendes Protoplasma entstehen. Aber wir müssen diese Idee ebenso zurückweisen, wie die eines bekannten Chemikers, welcher meinte, aus verschiedenen Zuckerarten müssten verschiedene Proto- plasmakörper und damit neue Arten von Organismen entstehen“. Teilweise von solchen Gesichtspunkten, wie sie in den Arbeiten von Naegeli und Loew festgehalten sind, ausgehend, wurden die Versuchsstoffe gewählt, teils auch mit Rücksicht auf die praktische Frage des Verbrauches organischer Stoffe in den natürlichen Gewässern und im Ackerboden. Die Stoffe, welche für Pilzernährung besonders günstig erscheinen, erwecken wohl auch hinsichtlich der organischen Ernährung grüner Pflanzen von vornherein einige Hoffnung. Pepton ist ein ausgezeichneter Nährstoff für Pilze, vielleicht auch für Algen; desgleichen Asparagin, Zucker, Glyzerin, verschiedene organische Säuren wie Weinsäure, Aepfelsäure u. s. w. Ein nicht un- wichtiger Punkt hiebei ist freilich immer das Eindringen der betreffen- den Stoffe in das lebende Protoplasma der grünen Pflanzen; dasselbe ist von einem schwer durchdringlichen Häutchen, der äußeren Plasma- haut umgeben, welche Hindernisse bereitet. Doch ist diese Schwierig- keit wohl überschätzt worden, indem die Versuche über Durchlässig- keit des Plasmas mit Lösungen (z.B. 10proz. Zucker) angestellt wurden, welche wahrscheinlich eine physikalische Veränderung dieses Häutehens herbeiführen; die dabei erhaltenen Resultate sind an Zellen von ab- normer Beschaffenheit erzielt worden. Thatsächlich dringen viele organische Stoffe und auch anorganische mit Leichtigkeit ein, wenn sie in Q.lprozentigen Lösungen dargeboten werden; die Zellen ernähren sich sichtlich davon. Bei fast keinem der Stoffe, bei welchen es von vornherein wahrscheinlich erscheint, dass er ein Nährstoff sei, ist mir bis jetzt die Ernährung missglückt, woraus doch ganz sicher hervorgeht, dass sie eindringen. Direkt wahr- nehmbar ist freilich das Eindringen in die lebende Zelle nur bei Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 5 wenigen Stoffen, nämlich bei solchen die eine Reaktion hervorrufen, ohne zu töten; mit dem Absterben der Zellen ändert sich die Permea- bilität des Plasmas, nun dringen alle gelösten Stoffe mit Leichtigkeit hinein und heraus. So kann man mit organischen und anorganischen Basen, wie Coffein, Antipyrin, Ammoniak u. s. w., sehr verdünnte Auf- lösungen (0.05 bis 0.01°/,) herstellen, welche in der Zelle Reaktionen hervorrufen, ohne sie sogleich abzutöten; es tritt Ballung des Zellinhaltes (Aggregation) ein oder auch eine leichte Farbenveränderung, wenn der Zellsaft gefärbt ist. Binnen wenigen Minuten wird die Reaktion im Zellinnern sichtbar. Da das in die Flüsse geleitete Sielwasser hauptsächlich Fäulnis- produkte enthält, war es von besonderem Interesse, diese auf Ernäh- rungsfähigkeit zu prüfen. Bei der Fäulnis (Eiweißzersetzung durch Spaltpilze) bilden sich bekanntlich eine große Anzahl von Zersetzungsprodukten, anorganische Stoffe, flüchtige fette Säuren, Amidokörper, aromatische Stoffe. Als gewöhnliche Fäulnisprodukte werden angegeben: Ammoniak, Kohlen- säure, Schwefelwasserstoff, Wasserstoff, Schwefelsäure, Essigsäure, Buttersäure, Baldriansäure, Leuein, Tyrosin, Glyeocoll, Indol, Seatol, Scatolkarbonsäure, Hydrozimmtsäure, Phenylessigsäure, Phenol u. s. w. Was die Quantitäten anbe- langt, so fand Nencki, dass käufliches Eieralbumin bei Stägiger Fäulnis 11°, Ammon, 35.65°, Buttersäure, 3.35%, Leuein, 5.37°/, Kohlensäure bildet. Leim lieferte bei 4tägiger Fäulnis 9.48%, Am- moniak, 24.2°/, flüchtige Fettsäuren (Essigsäure, Buttersäure, Baldrian- säure) 12.2°/, Glycocoll 19.4°/, Leimpepton, 6.45°, Kohlensäure; je länger die Zersetzung dauerte, desto mehr überwog die Essigsäure. Die bei der Eiweißgärung (Fäulnis) entstehenden organischen Stoffe sind vom Verf. zum Gegenstand von Untersuchungen hinsicht- lich ihrer Nährkraft bei grünen Pflanzen gemacht worden. Andere Stoffe wie Glyzerin, Zuckerarten, sind schon früher von verschiedenen Autoren auf ihre Brauchbarkeit zur Ernährung der Chlorophylipflanzen versucht worden: In Nachfolgendem soll eine tabellarische Uebersicht der bei grünen Pflanzen bis jetzt versuchten organischen Substanzen, ihrer Brauchbarkeit ete. gegeben werden. Name Chemische Formel | Brauchbarkeit Autor Publikationsort _ der Substanz R u WE h | 1 ER Methylalkohol [CH,.OH Spirogyrenbil-‚Bokorny Studien u. Ex- den in 0,1 proz. per, üb. chem. Lösung Stärke. Vorgänge der Die Trocken- Assim. Hab. substanz ver- Schr. Erlangen mehrt sich bin- > 1888. nen 20 Tagen aufs Doppelte. 6 DBokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Name der Substanz Chemische Formel | Brauchbarkeit Formaldehyd, |CH, O als Formalde- hydschwefl.Na- tron angewandt Glycol thylen-) Glycerin Methylal Paraldehyd Acetessigester OH (Ae-/CH,OH.CH,OH CH,0OH.CHOH.CH, (C,H,O), CH,.CO.CH,.CO,. Aal 5 Autor [Publikationsort Spirogyren undBokorny Zygnemen bil- den Stärke. Spirogyren bil--Bokorny den Stärke. Blätter von (a-]A. Meyer calia (Compo- site) bilden im DunkelnStärke. Kartoffeltriebe |E. Laurent ebenfalls. Lemna(Wasser-|Bokorny linse, eine Blü- tenpflanze) er- nährt sich da- von und ver- mehrt die Tro- ckensubstanz bis auf’s Dop- pelte binnen einigen Wochen. Des- gl. Cladophora dilse auch im Dunkeln). Phaseolus mul- tiflorus scheint sich davon zu ernähren. Spirogyren blei- ben in Methy- lallösung bei Liehtabschluss 3 Wochen lang lebendig, wäh- rend die Con- trolalgen ab- sterben. Bei Vaucheria trei- ben die Schläu- che im Dunkeln zahlreiche neue Auszweig- ungen. Landw. Jahrb. 1892, 459. Studien u. Ex- per. üb. chem. Vorgänge der Assim. Hab. Schr., Erlangen 1888. Bot. Ztg. 1885 p. 416 ff. Surla formation d’amidon dans les plantes (Brüssel 1888). Landw. Vers.- St. 1889. Loew und hj ourn. f. pr. Ch. Bokorny Spirogyren bil--Bokorny den daraus Stärke. sehr giftig fürrBokorny Algen. ernährt Spiro |Bokorny gyra. 1887, 8. 280. Hab. Schr. Er- langen 1888, Stud.u.Exp.... Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2. Chemische Ztg. 1894, Nr. 2, eree Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 7 Brauchbarkeit Autor Publikationsort der zane: Rn Chemische Formel Essigsäure CH,.C0,H Propionsäure |CH,.CH,.CO,H Milchsäure |CH,CHOH.CO,H 0,1°/, mitKalk- wasser neutral. Buttersäure |CH,.CH,.CH,.00,H 0,1°/, mit Kalk- wasser neutr. Bernsteinsäure, |CO,H.CH,.CH,. 04, mit Kalk- C0,H wasser neutr. Baldriansäure, ((CH,),.CH.CH,. 0,1°], mit Kalk- CO,H wasser neutr. Propylalkohol, |CH,.CH,.CH,OH 0,2%], Isopropylalko- \(CH,),.CHOH hol 0,2°/, Butylalkohol @H.CH,CH:.. CH,0H Isoputylalkohol|C,H, .CH, OH Trimethylearbi- (CH).- C(OH) nol (CH,),.CH.CH,. CH,OH Aethylalkohol |CH,.CH,OH sialkahai Phenol 0,05°/, |C,H,-OH bewirkt in Spi-Bokorny rogyren Stärke- ansatz, Diato- meen bildenFett in (neutralisier- ter) Essigsäure- lösung. ernährt AlgenBokorny (aber schlecht). Spirogyra wird > ernährt u. setzt Stärke an. Spirogyren blei- ” ben 3 Tage le- bendigu. setzen etw. Stärke an. Sp. bild. Stärke Bokorny u. nehmen schö- nes an; Diatomeen bilden Fett. Nach 3tägigem|Bokorny Aufenth. sahen Spir. gutaus u. zeigten etwas Stärkeansatz; Diatomeen setz- ten Fettropfen an. Algen keine Stärke an, bleiben aber län- gere Zeit unge- geschädigt. korny setzen]Bokorny ” Bokorny „ ” „ ” „ ” „ ” Resultatmit Al- hs gen zweifelhaft. Spirogyren 3 setzen in der Lsg. binnen 5 Tagen Stärke an, während die Kontrolalgen schlechtes Aus- sehen besitzen u. keine Stärke zeigen. Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2. Chemiker Zitg. 1894, Nr. 2. Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2 Aussehen!Loew u. Bo- |Journ. f.pr. Ch. 1887, S. 278. Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2, Landw. Vers.- St.1889.Welche Stoffe können außer der Koh- lensäure zur Stärkebildung dienen? Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2. 8 DBokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Namen der Substanz. Chemische Formel Brauchbarkeit Autor Publikationsort Asparagin- säure, 0,1°/, mit Kalkw. neutr. CO,H Zitronensäure, \0,H,(OH)(CO,H), 0,1°/, mit Kalk. wasser neutr. wein-CO,H.CHOH. Saures, saures Caleium,) CHOH.CO,H 0,171, (als Calciumsalz) Weinsäure als a Ammonsalz Aepfelsäure [CO,H.CH,.CHOH. CO,H Caleium bima-,00,H.CH,.CHOH. lat, 0,1%), mit K,HPO, neutr. CO,H (frei) | €0.CH='CH Phenylessig- |C,H,.CH,.C0,H säure 0,1°/,, mit Kalkw. neutr. Hydrozimmt- |CH,.CH,.CH,.C0,H säure 0,1°/, mit Kalkw. neutr. Hexamethy- |(CH,),N, lenamin (spaltet sich leicht in Formaldehyd u. Ammoniak) Urethan NH, e=/O Glycocoll 0,1°/,\CH,(NH,).CO,H mit Kalkwasser neutr. Trimethylamin \(CH,),N 0,05°/, mit Schwefelsäure neutr, CO,H CHNH,.CH,,. (als Calciumsalz) Cumalinsäure |O.CH = C.COOH Spirog. setzen]Bokorny binnen 2 Tagen i Stärke an. Im _ Dunkeln\"o® w u. Bo-/Journ. f. pr. Ch. wird durch Asp. korny 1887, S. 278. das Verhungern d. Algen hintan- gehalten. Algen bildenBokorny binnen 3 Tagen Stärke. Spirogyren setzen binnen 2 Tagen Stärke an. Algen etc. bil-Hartleb Inaug. Diss. Er- den Stärke. langen 1893. In freier Säure Loew u. Bo-|Journ.f. pr. Ch. von 0,1°/, ster- korny 1887, S. 278. ben Algen bin- nen 24 Stunden ab; 0,01°/, wird ertragen. Spirogyren bil-Bokorny den in 3 Tagen Stärke. 0,1°/, tödtet Al--Loew u. Bo-|Journ. f. pr. Ch. Chemiker Zteg. 1894, Nr. 2. Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2. Chemiker Zteg. Bokorny 1894, Nr. 2. Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2. gen, 0,01°/, wird korny 1887, S. 298. ertragen. ‚ Algen sterben'Bokorny Chemiker Ztg. darin ab. 1894, Nr. 2. » Bokorny Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2. In 0,1°/, Lsg.|Loew u. Bo-|Journ f.pr.Ch. blieben Algen korny 1887, S. 278. im Dunkeln länger amLeben als bei einem Kontrolversuch ohne diese Sub- stanz. Algen nehmen’ Loew u. Bo-|Journ. f. pr. Ch. in 0,2%), eg. korny 1887, 8. 278. binnen 4 Wo- chen nicht den geringsten Schaden. Spirogyren bil-Bokorny den binnen 3 Tagen Stärke. Spir. bleiben ge- Bokorny sund, erst nach 8 Tagen tritt Stärke auf. Chemiker Ztg. 1894, Nr. 2. Chemiker Zteg. 1894, Nr. 2. Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 9 Name der Subssanz. Tyrosin 0,1%, Leucin 0,1%, |CH,(CH,),.CH(NH,3). CO,H Harnstoff Guanidin Hydantoin a, Kreatin Sulfoharnstoff 0,27, Asparagin Pepton Indol 0,05°|, Skatol Methyloxychi- nizin Anilin Pyridin Antipyrin Chemische Formel Brauchbarkeit | Autor C,H,(OH).CH,,. CH(NH,).CO.H NH-CO | 00 | NH-CH, Nu, eS (NH) | N(CH,) - CH, — COOH _NH, 0=8 NH, CO0,H.CH(NH,).CH,. CO(NH,). C,H,N C,H,(CH,)NH C,H,:NH, CGH,N C, ‚H.N,O Publikationsort Chemiker Ztg. Spir. setzen inBokorny 1894, Nr. 2. 2 Tagen Stärke an, stark ausge- hungerte Zellen erholen sich. Spirogyren bil--Bokorny Chemiker Ztg. den Stärke. 1894, Nr. 2. In 0,2%), Lsg. a ” kränkeln Algen, in 0,05°/, bilden Spirpgyren Stärke, Diato- meen Fett. Algen sterbenLoew u. Bo-|Journ. f.pr. Ch. unter Granula- korny 1887, S. 287. tionserschei- nungen nach einigen Stunden ab. Binnen 5 Tagen|Loew u. Bo-|Journ.f. pr. Ch. Massenzu- korny 1887, S. 287. nahmed. Algen. Loew u. Bo-|Journ. f.pr.Ch. korny 1887, S. 287. Algen nach 5|Loew u. Bo-|Journ.f. pr. Ch. Tagen meist korny 1887, S. 287. dem Tode nahe. Maispfl. ge-Bässler Landw. Vers.- deihen in einer St33,723% Lösung besser, wenn der Stick- stoff in Form von Asparagin gereicht wird statt KNO,. Be- deutendere Stickstoffver- mehrung. Spirogyren ge-Bokorny Chemiker Ztg. deihen u. setzen 1894, Nr. 2. Stärke an. Gift für Spiro- er gyren. ” bewirkt Granu- Loew u. Bo-J ourn.f.pr. Ch. lation. korny 1887, 8. 281. 40 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Name der Substanz. Chemische Formel Brauchbarkeit | Autor Publikationsort Chinasäure (OH),C,H,.COOH 0,1°/, frei Cyanhydrin des CH OH Methylens, 0,01 ZEN bis 1°], Pikrinsaures |C,H,(OH)(NO,), (als|Algen bleibenLoew u. Kali, 0,05°/, Kaliumsalz) Nitranilsaures |[C.H.,O,, Kali Rohrzucker Laevulose 10°/,|C,H,,0, = CH,(OH). (CH .ÖH), ‚co. CH,0OH Dextrose C,H .0, =CH,(OH). (CHOH),.CHO Milchzucker @.H,.0, 5.0 Maltose C.H ,‚0,, + H,0 Inosit le, H50; | stoffring) Raffinose C,H30,+5H,0 (mit Kohlen-|keine Spirogyrenster--Loew u. ben darin ab) korny unter Bleich- ung; auch in 0,01°/, Lösung sterben sie, Spirog. erleiden! L,oew u. Störungen im| korn y Chlorophyll- band. bei Lichtzutritt am Leben, im Dunkeln ver- hungern sie. korny „ „ Vaucheria bil- r det auf 20°, Lösung etwas Stärke. Feuerbohnen |Böhm bilden auf 20°/, Lsg. Stärke. VieleBlätterbil-/A. Meyer den Stärke. Kartoffel- sprosse bilden Stärke. Zugnemableibt,‚Klebs im Dunkeln 6 Mon. lebendig auf 10°, Lsg. Fast alle unter-|A. suchten Blätter bilden Stärke; desgl. ausge-|E, hungerte Kar- toffeltriebe. Fast alle ge-|A. prüften Blätter bilden Stärke (aber nicht so leicht wie aus Laevulose). KartoffeltriebelE. bilden Stärke. Blätter bilden/A. keine Stärke. Kartoffeltriebe |[E. bilden Stärke. Dahlıa varia-|A. bilis bildet reichl. Stärke. Stärke-|A. bildung. keine Stärke-A. bildung. E. Laurent Meyer Laurent Meyer Laurent Meyer Laurent Meyer Meyer Meyer Bo-|Journ. f.pr. Ch. 1887, 8. 281. Bo-|Journ. f. pr. Ch. 1887, 8. 290. Bot. Ztg. 1883. Bot. Ztg. 1885. Surlaformation d’amidon, Brüs- sel 1888. Ber. d. d. b.G. 5, 186. Bot. Ztg. 1885, S. 416 ff. Surlaformation d’amidon, Brüs- sel 1888. Bot. Ztg. 1885. =} B.P 3 u rg f) » & ® 2 » Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 11 d hr Chemische Formel | Brauchbarkeit Autor Publikationsort Mamnit C,H,(OH), = Entstärkte |A. Meyer 2.2 0: CH,OH.(CHOH),.|Oleaceenblätter CH,OH bilden Stärke. KartoffeltriebeE. Laurent ja. a. OÖ bilden Stärke. Duleit C,H,(OH), Blättervon Zvo-|A. Meyer 2.2 0 nymus bilden Stärke. Kartoffeltriebe)E. Laurent Ja. a. O. bilden Stärke. Erythrit CH,OH.(CHOH),. [Keine Stärke-|A. Meyer a. a. O. CH,OH bildung. Desgl. E. Laurent a. a. ©. Leeithin _ 0.C,,H,,0 [wird von Pflan-|J. Stoklaser|Ak. der Wiss. C,H.—0.C,,H,,0O |zen assimiliert. Wien, 20. Juni Fi): 189. Von den in vorstehender Tabelle als brauchbar aufgeführten Sub- stanzen können viele nur bei Liehtzutritt verbraucht werden; bei allen ist Lichteinfluss vorteilhaft. Selbst die dem Stärkemehl chemisch so nahestehenden Zuckerarten, wie Rohrzucker und Traubenzucker, dienen viel leichter zur Nahrung, wenn das Licht Zutritt hat. So habe ich mich oft vergeblich bemüht, bei Spirogyren, Zygnemen, Conferven und andere Algen Stärkeansatz durch Zuckerzufuhr im Dunkeln herbeizu- führen; bei Lichtzutritt fand aber die Stärkebildung leicht statt. Kar- toffelpflanzen allerdings setzen auch im Dunkeln leicht Stärke an, wie E. Laurent nachwies; sie bilden sogar aus Glyzerin im Dunkeln bald Stärke. Freilich darf aus dem Unterbleiben des Stärkeansatzes nicht ge- schlossen werden, dass die betreffende Substanz nicht ernährt. Denn Stärkeansatz kommt nur dann zu Stande, wenn Kohlehydrat im Ueber- schuss gebildet wird; dieser Ueberschuss wird von verschiedenen Pflanzen- arten verschieden leicht als Stärke abgelagert. Manche bilden leicht Stärke, manche schwieriger. Spirogyren z. B. setzen ziemlich leicht Stärke an, desgleichen und noch mehr Kartoffelpflanzen. Manche Liliaceen können oft einen ziemlich großen Ueberschuss von Kohle- hydrat in sich haben, ohne Stärke abzulagern. Dessen muss man natürlich bei Versuchen über organische Ernährung grüner Pflanzen immer gedenken. Oft wird zunächst nur das makroskopische Aus- sehen der Pflanze einen ernährenden Einfluss des dargebotenen Stoffes erkennen lassen. Eine Bestimmung der Abnahme organischer Substanz in der Nährlösung-kann dann sicheren Aufschluss gewähren. Von großer Bedeutung ist auch die Konzentration der Nährlösung und die Schädlichkeit oder Unschädlichkeit derselben, welch letztere ja auch zum Teil von der Konzentration abhängt. » 42 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Freie Säuren wirken immer schädlich auf das Plasma ein; die saure Reaktion eines Stoffes ist überhaupt fast immer zugleich ein Zeichen auch für nachteilige physiologische Wirkung, weshalb man bei Versuchen über die Nährkraft von chemischen Substanzen immer zunächst auf diesen Punkt Acht haben und eventuell die saure Reak- tion durch Basen beseitigen muss. Freilich zeigen die Organismen eine sehr verschiedene Resistenz gegen Säuren; so können manche Schimmelpilze eine 1proz. Phosphor- säure ertragen, während die meisten Bakterienarten sowie die Algen und Infusorien sehr empfindlich dagegen sind. Milzbrandbaeillen aller- dings ertragen eine 1proz. Salzsäure 48 Stunden lang. Organische Säuren werden im Allgemeinen leichter ertragen als Mineralsäuren; das Essigälchen ist sogar gegen 4proz. Essigsäure resistent. Essigsäure (CH,.COOH), ist in neutralisierter Q,1proz. Auf- lösung für Oladophora, Vaucheria, Diatomeen, Infusorien, Würmer ete. nach meiner Untersuchung gar nicht schädlich. Nach 48stündigem Aufenthalt in der Lösung waren die genannten Organismen noch völlig intakt; auch nach weiteren 2 Tagen, in der Lösung verbracht, zeigte sich an denselben keine bemerkbare Minderung der Lebensfähigkeit; die Lösung wirkte vielmehr ernährend. Gegen Ameisensäure (H.COOH) sind nach O. Loew (Gift- wirkungen S.33) niedere Organismen sehr empfindlich, wahrscheinlich wegen ihrer Aldehydnatur. Die Fäulnis der Gelatine wird verhindert durch 0,25°/, und die Entwicklung mancher pathogener Bakterien soll schon durch 0,06proz. Ameisensäure verhindert werden. Nach meinen eigenen Versuchen wirkt schon 0,07 prozentige freie Ameisensäure (Neu- tralisation ist hier überflüssig wegen der starken Verdünnung) auf Algen binnen 3 Tagen giftig; Cladophora und Vaucheria waren nach Stägigem Aufenthalt in der Lösung abgestorben. Conferva freilich blieb am Leben, desgleichen viele Infusorien und Diatomeen. Eine ernährende Einwirkung konnte nicht beobachtet werden. Propionsäure (C,H,.COOH) scheint, neutralisiert, nicht erheb- lich sehädlich für niedere Pflanzen und Tiere zu sein. In einer 0,1 pro- zentigen mit Kali neutralisierten Lösung dieser Säure blieben Algen und niedere Tiere 18 Stunden lang am Leben; die Algen assimilierten lebhaft und schwammen von Sauerstoffbläschen getragen obenauf. Sogar nach 48 Stunden waren die meisten Algenfäden noch am Leben (Vaucheria und Cladophora großenteils noch), sie assimilierten noch, und die den Fäden aufsitzenden Vorticellen zeigten lebhafte Beweg- lichkeit. Nach weiteren 2 Tagen war ebenfalls noch alles am Leben, doch schien die Assimilationskraft abgeschwächt oder geschwunden zu sein, die Algen befanden sich trotz guten Lichtes am Boden des Glases, während die Algen des gleichzeitig aufgestellten Essigsäure- Versuches noch lebhaft assimilierten. Nährstoff ist (nach meinen “ Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natnr. 15 früheren Versuchen, Chem. Ztg., 1894, Nr. 2) die Propionsäure nur in geringem Grade. In 0,1prozentiger Lösung von Gärungs-Milchsäure CH,.CH(OH). CO,H, welche mit Kalkwasser neutralisiert und mit etwas Monokalium- phosphat versetzt war, zeigte sich binnen 2 Tagen beträchtlich Stärke- ansatz in allen Fäden der eingesetzten Spirogyren, trotz völligem Kohlensäureausschluss. Die Versuchs-Algen waren von schönstem An- sehen und bekundeten damit schon die ernährende Kraft des milch- sauren Kalkes. Versuche mit Buttersäure, CH,.CH,.CH,.C0,H, ergaben, dass in O,1proz. Auflösung Spirogyren 3 Tage lang am Leben blieben und dann erheblichen Stärkeansatz zeigen. Bernsteinsäure, CO,H.CH,.CH,.CO,H, in Q,lprozentiger neu- traler Lösung ist ein guter Nährstoff für Algen. Ja sogar aus Bal- driansäure, (CH,),.CH.CH,.COH, scheint Spirogyra etwas Stärke bilden zu können, wenn dieselbe in O,lprozentiger mit Kalkwasser neutralisierter Lösung dargeboten wird; die Alge (Spir. nitida) hatte nach 3 Tagen gutes Aussehen und zeigte etwas Stärkeansatz (Verf., Chem. Ztg., 1894, Nr. 2). Asparaginsäure, COOH.CH,.CH(NH,).COOH, wurde schon vor mehreren Jahren von O. Loew als Nährstoff erkannt (Journ. f. prakt. Chemie, 1887). Meine eigenen Versuche ergaben, dass Spirogyren in 0,1 prozentiger mit Kalkwasser neutralisierter Lösung von Asparagin- säure binnen 2 Tagen erheblich Stärke ansetzen. In 0,1 prozentiger mit Kalkwasser neutralisierter Lösung von Zitronensäure, CH,.CO,H, bildeten Spirogyren binnen 3 Tagen sehr C(OH).CO,H CH,.C0,H erhebliche Stärkemengen, wie die mikrochemische Reaktion mit Jod- kaliumlösung ergab; sogar nach 10tägigem Aufenthalt in der Lösung waren noch sämtliche Spirogyren am Leben, trotz völligem Ausschluss der Kohlensäure. Weinsäure, C0,H.CHOH.CHOH.CO;H, wurde als Caleiumbitartrat in O,lprozentiger Lösung angewendet und dazu noch mit etwas Di- kaliumphosphat bis zur neutralen Lösung versetzt. Binnen 2 Tagen setzten Spirogyren in dieser Lösung bei Kohlensäureausschluss Stärke an. In 0,1 prozentiger, mit Dikaliumphosphat neutralisierter Lösung CH,CO,H von Caleiumbimalat (Aepfelsäue = | ) gediehen f CH(OH).CO,H ausgehungerte Spirogyren sehr gut beiKohlensäure-Ausschluss, während die Algen eines Kontrolversuches (mit Wasser allein) zu Grunde gingen. Nach 3 Tagen zeigte sich in den Fäden des ersteren Versuches sehr * 44 Bokorny, Ermährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. viel Stärke, sie hatten unter den Mikroskop gutes normales Aussehen; die Fäden des Kontrolversuches zeigten keine Stärke. Dass Oxalsäure (neutralisiert) etwas giftig ist für Algen und Infusorien und nicht ernährt, hat O. Loew beobachtet. „Infusorien, Flagellaten und Diatomeen findet man nach 15stündigem Aufenthalt in einer 0,5proz. Lösung von neutralem oxalsaurem Kali oder Natron tot, dagegen in weinsaurem Kali oder Natron noch lebend“. Bei 0,2proz. Oxalat lebten nach 24 Stunden noch einige Vorticellen nnd Euglenen, und bei 0,1°/, schien die Giftwirkung fast verschwunden zu sein, denn Vorticellen, Paramaecien, Euglenen und Diatomeen waren nach 3 Tagen noch in lebhafter Bewegung“. „Fadenalgen, wie Zygnema, Mongeotia, Vaucheria, Sphaeroplea, Cladophora, Oedogonium, sterben binnen 24 Stunden unter Verquellung der Chlorophylikörper in einer 0,5proz. Lösung von neutralem oxalsaurem Kali ab“. In einer Q,1proz. Lösung sterben manche Spirogyren erst nach 8—10 Tagen ab. Freie Oxalsäure aber ist sehr giftig; 0,0001, wirkt noch (0. Loew, Giftw., 8.121). Benzoäsäure (C,H,.COOH) ist schädlich für Algen und Infu- sorien. In einer Q,1proz. Lösung der Säure (diese wurde "zuerst in Alkohol gelöst und die alkoholische Lösung in Wasser gegossen), sterben Vaucherien, Conferven, Cladophoren, Infusorien binnen 24 Stunden ab. Eine ernährende Wirkung ist also ausgeschlossen. Nach dem Neutralisieren mit Kali erwies sich die Lösung auch noch als schädlich. Nach 12stündigem Aufentalt in derselben waren schon viele Algen, Conferven und Cladophoren abgestorben; lebende Tiere bemerkte ich nicht mehr; die noch lebenden Algen assimilierten nicht mehr. Immerhin ist die schädliche Wirkung der neutralisierten Säure nicht so groß wie die der freien Säure. Auch Alkohole können von grünen Pflanzen als Nährstoffe ver- wendet werden. Sie müssen nur in der richtigen Konzentration an- gewandt werden, so dass sie nicht giftig wirken. Methylalkohol, CH,.OH, ist in O,1proz. Lösung ein Nährstoff für Algen. Entstärkte Spirogyren setzen darin (auch bei Kohlensäure- ausschluss) Stärke an, vorausgesetzt, dass dem Lichte der Zutritt ge- stattet wird. Infusorien ertragen eine 1proz. Lösung längere Zeit, manche Arten sogar mehrere Tage. Isopropylalkohol, Butylalkohol [CH,.CH,.CH,.CH,(OH)], Isobutylalkohol, Trimethylkarbinol [(CH,),.COH], werden in 0,2proz. Lösungen von Spirogyren längere Zeit ohne Schaden ertragen; Stärkeansatz aber konnte ich nicht beobachten. Interessant dürfte hier ein Vergleich mit dem physiologischen Ver- halten mehrwertiger Alkohole sein. Aethylalkohol ist ein schwachesGift, der entsprechende 2wertige Alkohol Aethylenglykol, CH;OH.CH;OH, ein guter Nährstoff für Algen; Propylalkohol (siehe unten) ist ebenfalls PER Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen uud ihre Bedeutung in der Natur. 15 ein schwaches Gift, während der entsprechende 3 wertige Alkohol, das Glyzerin, CH,OH.CHON.CH;OH, eine hervorragend gute Kohlenstoff- quelle für Algen und höhere Pflanzen ist. Durch den Eintritt von Hydroxylgruppen scheint die Giftigkeit abzunehmen und einer ernäh- renden Eigenschaft Platz zu machen. Dass Kohlehydrate den grünen Pflanzen als Nahrung dienen können, ist von verschiedenen Forschern vor längerer Zeit konstatiert worden. E. Laurent!) wies das insbesondere an Kartofielpflanzen nach, A. Meyer?) an Blättern vieler Blütenpflanzen. Legt man Blattabschnitte von völlig entstärkten Blättern auf 5 bis 20°, Zuckerlösungen oder stellt man im Dunkeln erwachsene stärke- freie Kartoffeltriebe in solehe Lösungen, so bilden dieselben — auch bei Lichtabschluss — binnen kurzer Zeit Stärke. Eine vorausgehende Zerspaltung des Zuckermoleküls in Kohlensäure und Wasser und ein darauffolgender Wiederaufbau zu Stärke ist hier nicht anzunehmen, weil ja bei Dunkelheit keine Kohlensäureassimilation möglich ist. Die Zuckermoleküle müssen wohl als solche zur Stärkebildung dienen, was ja auch nach ihrer chemischen Konstitution wohl denkbar ist. Manche Zuckerarten können übrigens nach genannten Forschern nicht zur Stärkebildung dienen. Die Ernährung mit löslichen Kohlehydraten geht sicher auch nor- maler Weise in den Pflanzen vor. Denn die Stärke ist als solche nicht transportabel von Zelle zu Zelle; sie wird zuerst in lösliche Kohle- hydrate, Zuckerstoffe, umgewandelt und in dieser Form transportiert. Die von den stärkehaltigen Reservebehältern aus ernährten Pflanzen- teile erhalten das Kohlehydrat demnach als Zucker und in der Zelle wird der Zuckerstoff wieder in Stärke oder in Cellulose ete. umgesetzt. Von besonderm Interesse ist auch die künstliche Ernährung grüner Pflanzen mit Amidokörpern, wie Asparagin, Leuein, Tyrosin, Glycocoll ete., weil diese Stoffe bei der Fäulnis aus den Eiweißstoffen gebildet werden und somit den grünen Pflanzen in der freien Natur oft dargeboten werden. Urethan (Aethylurethan, Be ist in O,lproz. Auf- lösung ein guter Nährstoff für Algen und dient sowohl als Kohlenstofi- wie auch als Stickstofiquelle; nach 3 Wochen zeigte sich gutes Ge- deihen und Ansammlung von aktivem Albumin (Chem. Ztg., 1896, Nr. 7). In Glyeoecoll (CH;,(NH;).CO,H) von 0,1°, gedeiht Spirogyra und andere Algen ebenfalls vortrefflich; dasselbe dient als Stickstoff- und Kohlenstoffquelle (Ebenda Nr. 7). Versuche mit Aethylamin, C,H,.NH,, ergaben, obwohl die 0,1 proz. Lösung mit Schwefelsäure genau neutralisiert worden war, ungünstiges 4) Sur la formation d’amidon. Brüssel 1888. 2) Bot. Zeituug, 1885. 16 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen nnd ihre Bedeutung in der Natur. Resultat; die Algen starben meist ab, nur bei einem Versuche blieben die Spirogyren 4 Wochen am Leben. In O,1proz. Lösung von Trimethylamin, N(CH,),, mit H,SO, neutralisiert, blieb Spirogyra communis 4 Wochen lang am Leben. Hydroxylamin ist für Algen ein sehr starkes Gift; denn schon die Verdünnung 1:100000 ist hier schädlich, ja sogar tötlich. Nur die allerschärfsten Gifte wirken noch bei dieser Verdünnung. Es kann also nicht zur Ernährung dienen. „Ohne Zweifel (0. Loew, a.a.O. 8.525) greift es direkt in jene die Lebensbewegung bedingende Atomgruppierung des lebendigen Ei- weißes ein. Arsenverbindungen, Blausäure, Strychnin sind durchaus keine allgemeinen Gifte. Arsensaures Kali ist kein Gift für Algen, Pilze und Infusorien, Blausäure keines für Hefe und auch anderes Pflanzenprotoplasma, Stryehnin keines für Schimmel. Das neuerdings als Gift erkannte Neurin ist nur ein solches für höhere Tiere, es ist keines für niedere Pilze, auf einer Lösung von weinsaurem Neurin entwickelt sich die üppigste Schimmel - Vegetation“. „Was das Hydroxylamin betrifft, so besteht wohl kein Zweifel darüber, dass es ein Gift in des Wortes allgemeinster Bedeutung ist“. Um zu beweisen, dass Asparagin im Dunkeln leicht in Eiweiß verwandelt wird, wenn den Pflanzen nur genügende passende Kohlen- stoffnahrung zugeführt wird, stellten O. Loew und Y. Kinoshita (Bull. Coll. of Agrie. Tokio, Vol. II, p. 196 ff.) mit etiolierten asparagin- reichen Keimlingen von Sojabohnen von 20—27 em Länge folgende Versuche an. Die Keimlinge wurden zuerst, um weiteres Zuströmen von stiekstoffhaltigen Material zu verhindern, ihrer Cotyledonen beraubt (diese wurden an der Basis abgeschnitten) und in je 1proz. Lösungen von Methylalkohol resp. Glyzerin gesetzt, denen !/,, Volum gesättigte Gypslösung zugesetzt war. Jeden 7. bis 8. Tag wurden die Pflanzen nach dem Eintauchen in pures Wasser auf einen Tag in eine Mineral- salzlösung gesetzt, welche 0.5 p. m. Mono- und Dikaliumphosphat und Magnesiumsulfat enthielt. Diese Behandlung mit getrennten Lösungen hatte den Zweck, die äußerst schädliche Bakterienentwicklung zu ver- hindern; trotzdem zeigte sich mehrmals Trübung, worauf sofortige Erneuerung der Lösung stattfand. Nach 27tägigem Aufenthalt im Dunkeln ergab sich folgendes: Der Stengel oberhalb der Cotyledonen- basis maß bei den Kontrolpflanzen 4-14 em, bei den Methylalkohol- pflanzen 8—19 em, bei den Glyzerinpflanzen 11—19 em. Die Blätter der Glyzerinpflanzen waren meist etwas größer als die der Methyl- alkoholpflanzen, das wässerige Extrakt in beiden Fällen ließ beim Kochen mit etwas Salpetersäure gelöstes Eiweiß erkennen, was bei den Kontrolpflanzen in reinem Wasser nicht der Fall war. Die Glyzerin- pflanzen enthielten auch reduzierenden Zucker. Die mikrochemischen Beobachtungen ergaben einen großen Unterschied in den Asparagin- Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 17 mengen, welche am geringsten bei den Glyzerinpflanzen waren. Die quantitativ chemische Untersuchung ergab bei den Glyzerinpflanzen fast um die Hälfte weniger Asparagin. Das Asparagin kann also wohl zur Eiweißbildung dienen; auch im Dunkeln kann das geschehen und auch die Wurzeln, nicht bloß die Blätter, wie mehrfach behauptet wird, sind dazu befähigt. Nach Bässler (landw. Vers.-Stat. 33, 23) gedeihen Maispflanzen in einer Lösung besser, wenn der Stickstoff in Form von Asparagin gereicht wird statt Kaliumsalpeter. Es tritt auch eine bedeutendere Stickstoffvermehrung ein. Dass Spirogyren Stärke ansetzen, wenn sie in eine Q,1 prozentige Auflösung von Tyrosin oder Leucin (bei Kohlensäure - Ausschluss und Lichtzutritt) verbracht werden, hat Verf. schon vor einiger Zeit mitgeteilt. Der Stärkeansatz beweist, dass Tyrosin und Leuein den genannten Algen als Kohlenstoffquelle dienen können. Wahrscheinlich sind sie zugleich auch Stickstoffnahrung; denn von dem Asparagin ist bereits nachgewiesen, dass dasselbe den Maispflanzen als Stickstoff- quelle dienen könne. Sogar eine Harnstofflösung, wenn dieselbe in genügender Ver- dünnung (0.05°,) angewandt wird, gewährt den Algen Kohlenstoft- ernährung, wie Verfasser früher mitgeteilt hat (Chem. Zeitg., 1894, Nr. 2). Glyeocoll muss, um ernähren zu können, zuerst mit Kalkwasser oder dergleichen neutralisiert werden, weil es eine saure Reaktion besitzt. In O,1proz. Lösung bilden Spirogyren binnen 3 Tagen deut- lich Stärke — bei Lichtzutritt und Kohlensäureausschluss. Der Kohlen- säureausschluss wurde durch Aufstellen des Versuches unter der Kali- glocke herbeigeführt; ein Kontrolversuch, der ebenfalls unter der Kali- glocke stand, ließ erkennen, dass die Kohlensäure wirklich keinen Zutritt hatte und also ihr die Stärkebildung nicht zugeschrieben wer- den konnte. In Pepton-Lösung setzen Algen binnen kurzer Zeit Stärke an, ein Zeichen, dass das Pepton in die Zellen eindringt und dort er- nährend wirkt. II. Die organische Ernährung grüner Pflanzen in quanti- tativer Beziehung. Nachdem es also keinen Zweifel unterliegt, dass viele organische Substanzen den grünen Pflanzen zur Nahrung dienen können, mögen hier einige Bemerkuägen Platz finden über die Ausgiebigkeit dieser Ernährung. Quantitative Versuche hierüber sind leider bis jetzt wenige angestellt worden; diese wenigen Versuche sollen hier zum Ausgangspunkte der Erörterung dienen. XVII, 2 48 Bokorny, Ermährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Formaldehydschwefligsaures Natron!) (oder oxymethyl- sulfonsaures Natron genannt) ist eine Substanz, welche schon beim Kochen mit Wasser Formaldehyd abspaltet: OHR | CH< go... — CO + HSO;Na. Der freiwerdende Formaldehyd kann von der Pflanze zur Stärkebildung verwendet werden; die Spaltung der Verbindung scheint in manchen Pflanzen z. B. Spirogyren ziemlich leicht zu erfolgen. Ich stellte mir also eine Q,1proz. Lösung der Substanz her?) und bestimmte sogleich das Reduktionsvermögen gegen Permanganatlösung. Nach 10 Tage dauerndem Aufenthalt der Algen wurde dasselbe wieder gemessen und aus der bedeutenden Abnahme berechnet, dass der Ge- halt der Lösung an formaldehydschwefligsaurem Natron binnen 10 Tagen durch die Vegetationsthätigkeit von 10 g Spirogyren von 240 mg auf 125 mg zurückgegangen war. Bei einem zweiten Versuche hatte eine Abnahme von 231,5 mg auf 134,4, bei einem dritten Versuche von 231.3 mg auf 156,2 stattgefunden. 10 g& Spirogyren (feucht gewogen) hatten also binnen 10 Tagen verbraucht bei Versuch 1, 115 mg formaldehydschwefligsaures Natron, bei Versuch 2, 96,9 mg, bei Versuch 3, 75,1 mg dieses Salzes. Um den Einwand zu beseitigen, dass möglicherweise eine bloße Selbstoxydation des Salzes, durch den Luftzutritt hervorgerufen, jene Abnahme wenigstens teilweise bedinge, wurde eine Probe mit 0,1, formaldehydschwefligsaurem Natron — 0,05°/, Dikaliumphosphat ohne Algenzusatz in der eben beschriebenen Weise aufgestellt. Es zeigte sich, dass binnen 7 Tagen keine Abnahme des Reduktionsvermögens eintrat. Jene Verminderung des Reduktionsvermögens bei den vorher be- schriebenen Versuchen 1, 2 und 3 ist also auf Rechnung der Algen- vegetation zu setzen. Die Algen verbrauchten das formaldehydschweflig- saure Natron — wahrscheinlich größtenteils zu ihrer Ernährung, indem sie aus dem einen Bestandteil des Salzes (CH,0) Kohlehydrat bildeten. Pilze traten in den sämtlichen Nährflüssigkeiten nicht auf; sie konnten also nicht zum Verbrauch der organischen Substanz beitragen. Gerade in dieser Hinsicht ist formaldehydschwefligsaures Natron be- sonders günstig zu derartigen Versuchen, da hier die so gern sich einstellenden Pilze fern bleiben und also das Versuchsresultat ein- deutig ist. Ganz ähnliche Versuche wurden auch mit Glyzerin angestellt; nur wurde statt des Dikaliumphosphates Monokaliumphosphat angewendet. 4) Siehe auch Pett. Archiv für Hygiene, 1892, S. 203. 2) Etwas Dikaliumphosphat wurde auch zugesetzt, weil das bei der Spal- tung frei werdende saure schwetligsaure Natron den Pflanzen schaden konnte. Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 19 Es wurde eine Lösung hergestellt, welche 5 Tropfen Glyzerin auf 250ce Wasser enthielt und außerdem 0,05°, Monokaliumphosphat und 0,05°, Chlorkalium. Die Lösung wurde wieder mit 10 g Spirogyra nitida beschickt und 24 Stunden stehen gelassen. Hierauf wurde mit Permanganat titriert. Die Algen gediehen sehr gut in der Lösung und häuften Stärke in den Chlorophylibändern an, wie verschiedene Male herausgenommene Proben zeigten. Nach 10 Tagen wurde das Reduktionsvermögen der Flüssigkeit abermals festgestellt; es hatte bedeutend abgenommen, nämlich um 66,2°%,. Die Algen hatten also einen großen Teil des Glyzerins binnen 10 Tagen verbraucht. Bei einem zweiten ähnlichen Versuch ging der Gehalt an redu- zierender Substanz (Glyzerin) binnen 5 Tagen um 25,4°/, zurück; ohne Algen (im Kontrolversuch) fand eine Abnahme der organischen Substanz nicht statt. Die Rechnung ergab, dass 10 g Spirogyra nitida (feucht gewogen) in ersterem Falle binnen 10 Tagen 168 mg Glyzerin, in letzterem binnen 5 Tagen 66,4 mg desselben verbrauchten. Nehmen wir an, dass in 10 g feucht gewogenen Spirogyren 1 g Trockensubstanz enthalten sei, so ergibt sich, dass auf 1g Trocken- substanz binnen 10 Tagen 168 mg Glyzerin und binnen 5 Tagen 66,4 mg Gl. verbraucht werden; bei formaldehyd- schwefligsaurem Natron binnen 10 Tagen 115 mg, oder (Vers. 2) 96,9 mg, oder (Vers. 3) 75,1 mg dieses Salzes. Der Verbrauch des Glyzerins ist etwas stärker, vielleicht deswegen, weil das formaldehydschwefligsaure Natron erst gespalten werden muss, um zum Aufbau der Kohlehydrate ete. verwendet zu werden. Wahrscheinlich ist die organische Ernährung grüner Pflanzen im Freien überhaupt eine lebhaftere als bei Laboratoriumversuchen, weil die vorhandenen Lichtmengen größer sind und die gesamten Verhält- nisse sich günstiger gestalten; die Stagnation des Wassers bei Ernäh- rungsversuchen wie den vorhin beschriebenen wirkt gewiss nicht günstig. Immerhin können die vorhin erhaltenen Zahlen als Grundlage dienen für eine Berechnung der Ausgiebigkeit organischer Ernährung von grünen Pflanzen. Nach jenen Zahlen würden etwa 100 Tage ver- streichen, bis die grüne Pflanze ebensoviel Glyzerin oder formaldehyd- schwefligsaures Natron verbraucht als ihre Trockensubstanz beträgt. Ferner lässt sich ausrechnen, dass 100 Kilogramm grüne Pflanzen (feucht gewogen) binnen 1 Tage etwa 100 Gramm organische Nahrung (wie Glyzerin) verbrauchen. Vergleicht man damit die organische Ernährung der Pilze, so zeigt sich allerdings auf den ersten Blick, dass grüne Pflanzen nicht entfernt soviel organische Substanz verbrauchen (bei gleichem Gewicht 2# 30 Thilo, Umbildüngen an den Gliedmaßen der Fische. und in gleicher Zeit) wie die Pilze. Immerhin aber kommt die orga- nische Ernährung der Chlorophylipflanzen in Betracht, und ist dieselbe im Freien wahrscheinlich stärker als bei Zimmerbeleuchtung. Die Pilze sind sehr große Meister in der Verwendung organischer Nahrung; so kann Bierhefe!), wenn sie mit Zucker und weinsaurem Ammoniak ernährt wird, im Brütkasten während 3 Tagen ihr Gewicht aufs 12fache vermehren. (Zweites Stück folgt.) Die Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische?) (Autoreferat). Die Gliedmaßen zeigen bei den Fischen größere Verschiedenheiten als bei vielen anderen Tierarten, da sie den verschiedenartigsten Zwecken dienen müssen. Die Fische benutzen ihre Flossen keineswegs ausschließlich zum Schwimmen, sondern häufig sind sie gezwungen, mit Hilfe der Flossen sich zwischen Schilf und Schlingpflanzen hindurch zu arbeiten oder am Boden der Gewässer vorwärts zu schieben. Bei einer Fischart, dem Knurrhahne (Trigla), sind sogar zu diesem Zwecke die drei vorderen Strahlen von dem übrigen Teile der Brustflosse abgetrennt und so gestaltet, dass sie ihrer Form nach an die Beine einer Spinne er- innern. Man kann es oft in Aquarien beobachten, wie der Knurr- hahn mit diesen beinartigen Flossenstrahlen am Boden seines Behälters dahinkriecht. In ähnlicher Weise benutzt wohl auch unser Seescorpion (Cottus scorpio) die drei stacheligen Strahlen seiner Bauchflossen, die ja zum Schwimmen ganz ungeeignet sind. Die Fischer der baltischen Badeorte nennen diese Strahlen geradezu „die Beine des Fisches“. Man braucht sie nur nach dem Seebullen (juhras bullis) zu fragen, so zeigen sie ihn auf seinen „Beinen“ stehend gern als eine Besonderheit des Strandes. Einige brasilianische Welse verlassen ihre Teiche, wenn diese austrocknen, und wandern meilenweit über trockenes Land, auf die Stacheln ihrer Brustflossen gestützt, nach anderen wasserhaltigen Becken. Sie erreichen hierbei die Geschwindigkeit eines gemächlich dahinschreitenden Mannes. Der Schlammspringer (Periophthalmus Kölreutheri) in Loango huscht eidechsenartig mit seinen breiten Brustflossen am Meeresufer und an Bäumen so geschwind dahin, dass er schwer zu fangen ist. 1) Nägeli u. Loew, Ernährungschem. d. nied. Pilze. Sitzungsber. der math.-phys. Kl., München, 5. Juli 1879, S. 307. 2) Morphol. Jahrb., XXIV, 2. Leipzig. Engelmann. 1896. Thilo, Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische. 2 Doch nicht allein zu Wasser und zu Land, auch durch die Luft be- wegen sich einige Fische mit Hilfe ihrer Flossen. Die sogenannten fliegenden Fische schnellen aus dem Meere empor und schießen bis tausend Fuß weit durch die Luft, indem sie ihre großen Brustflossen gleich Fallschirmen ausspannen. Aber die Flossen sind nich bloß Be- wegungsorgane, sie werden auch oft von den Fischen zum dauernden Festhalten an den verschiedenartigsten Gegenständen benutzt. Der Schlammspringer klammert sich mit seinen breiten Brustflossen an die Zweige der erkletterten Bäume und ist im stande, durch die Kraft der Brustmuskeln seine Körperlast zu tragen. Da aber häufig die Muskelkraft nicht ausreichen würde, um im reissenden Strome oder in der brandenden Flut dauernd einen Fisch in der eingenommenen Stellung zu erhalten, so findet man bisweilen die Flossen zu Haft- scheiben umgewandelt, welche den Fisch befähigen, nach Art eines Schröpfkopfes dauernd an Schiffen, Steinen und anderen Gegen- ständen zu haften. Ich erinnere nur an den Schiffshalter (Echeneis remora). Einige Welse Indiens besitzen derartige Haftscheiben als Haut- falten am Bauche, unabhängig von den Flossen entwickelt. Bei diesen Welsen wird die Thätigkeit der Haftscheiben von den kräftigen Stacheln der Brustflossen unterstützt, mit denen sie sich zwischen den Steinen der reissenden Gebirgsströme feststellen. Auch das Einhorn (Monacanthus), ein Fisch des Roten Meeres, benutzt seinen Rückenstachel in ähnlicher Weise. Die Hauptbestimmung der Stacheln wird aber wohl die von Schutzorganen sein. Hierfür spricht schon der Umstand, dass es Fisch- stacheln gibt, die genau nach Art der Giftzähne von Schlangen mit Giftdrüsen und Giftröhren versehen sind. Auch kann man es häufig beobachten, wie viele Fische ihre Stacheln beim Herannahen einer Gefahr aufrichten, z. B. unsere Stichlinge, wenn an die Wände ihrer Behälter geklopft wird. Die Stacheln der Fische haben wohl schon frühzeitig die Auf- merksamkeit des Menschen auf sich gelenkt. Viele wilde Völker be- nutzen sie als Pfeilspitzen. Auch auf alten ägyptischen Wandgemälden findet man Fische dargestellt, die mit aufgerichteten Stacheln unter anderen Fischen einherschwimmen (Deir-el-Bachri, in Theben). Oviedo und Las Casas, die bekanntlich zu Anfang des 16. Jahr- hunderts lebten und Amerika zur Zeit seiner Entdeckung beschrieben, berichten über ein kleines spannenlanges Fischehen, von den Spaniern Reverso genannt, welehes mit seinen aufgerichteten Rückenstacheln die größten Fische so erfolgreich angreift, dass die Indianer Cubas und Espanolas es zum Fischfang benutzen, indem sie es an einer dünnen, aber starken Schnur, die am Ende einen Schwimmer trägt ins Meer lassen. 39 Thilo, Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische. Obgleich uns diese Erzählung nicht sehr glaubwürdig erscheint, so wäre es doch nicht undenkbar, dass ein kleiner, mit Giftstacheln bewafineter Fisch, z.B. T’halassophryne, welcher in der That in jenen Gegenden lebt, größere Fische angreift und tötet. In der neueren Zeit sind von den verschiedensten Beobachtern Kämpfe geschildert, in denen ein Fisch den anderen mit seinem Stachel durchbohrt und tötet. Bei Lütken findet sich hierüber folgende Angabe: „Ein Bra- silianer hat Dr. Lund erzählt, dass er einmal sah, wie ein kleiner Wels seinen Bruststachel in den Körper eines viel größeren Fisches stieß. Der Fisch machte einen Sprung aus dem Wasser, geriet auf das Trockene und wurde zugleich mit dem Wels gefangen, der fest an ihm hing. Es handelt sich wohl in solchen Fällen teils um die Kämpfe wer- bender Männchen unter einander, teils um Kämpfe, welche die Männ- chen zu bestehen haben, wenn sie die im Neste befindlichen Jungen bewachen. Diese „Brutpflege“ kann man häufig an unserem Stich- lingen im Mai und Juni beobachten. Da der Fisch während einer solchen Wache seine Waffen, die Stacheln, oft lange Zeit hindurch ununterbrochen aufgerichtet zu er- halten hat, so müssen die Stachelmuskeln nicht selten so sehr er- müden, dass der Fisch seine Waffen sinken läßt und nun seinen vielen Feinden gegenüber vollständig schutzlos ist. Es war mir z. B. ganz undenkbar, dass ein Stichling seine Stacheln stundenlang mit seinen Muskeln aufrecht erhalten kann. Ich vermutete daher, dass gewisse Anordnungen und Vorrichtungen den Muskeln das Aufrechthalten der Stacheln erleichtern. Zahlreiche Untersuchungen, die ich hierüber an den verschiedensten Fischarten anstellte, bestätig- ten meine Vermutung. Zunächst erkannte ich, dass gewisse auffallende Stellungen der Flossenstrahlen, die bisher nicht recht verständlich waren, den Zweck haben, das Aufrechterhalten der Strahlen zu erleichtern. Richtet man z. B. die Rückenflosse eines Barsches auf, so bemerkt man, dass die vordersten Strahlen derselben stark nach vorn geneigt sind, offenbar weil es den Muskeln leichter ist, einen schräg nach vorn gerichteten Stachel gegen den Druck des Wassers beim Schwimmen zu erhalten, als einen senkrecht stehenden. Auch die Masten der Schiffe sind ja hauptsächlich nur deshalb nach hinten gerichtet, da- mit den Tauen das Halten der Masten erleichtert wird, wenn das Schiff vor dem Winde segelt. Jedenfalls haben die Barsche einen recht sicheren Schutz in ihren stacheligen Flossenstrahlen. Erfahrene Angler schneiden dem Barsch die Rückenflosse ab, bevor sie ihn als Köder an die Hechtangel legen. Thilo, Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische. 23 Da viele stacheltragende Fische Nester bauen und dieselben be- wachen, so vermutete ich auch von den Barschen Aehnliches. Ich konnte jedoch keine Angaben in der Litteratur hierüber auffinden und wandte mich daher mit einer Anfrage an den Leiter der Fischzüchte- reien des Fürsten Schwarzenberg in Wittingau (Böhmen), an Herrn Josef Susta. Dieser war so freundlich, mir folgende Antwort zu erteilen: „Zu Ihrer Bemerkung, dass stacheltragende Fische eine Brutpflege haben, kann ich mitteilen, dass auch der Barsch und der Zander ihre Brut, wie der Vogel seine Jungen im Neste pflegen. Deswegen habe ich auch die Leichgruben, welche die Zander mit dem Schwanze schlagen, Nester genannt. Wie erbittert setzen sie sich zur Wehr, wenn ein anderes Tier oder die Menschenhand in ihre Nähe kommt.“ Wenn man bedenkt, wie scheu sonst diese Fische vor der Menschen- hand fliehen, so will diese Beobachtung viel bedeuten. So sehr die Neigung der Strahlen nach vorn, das Aufrechterhalten der Flossen erleichtert, so gering erscheint doch diese Erleichterung gegenüber gewissen Sperrvorrichtungen, welche den Fisch befähigen, vollständig ohne Muskelthätigkeit seine Stacheln aufrecht zu erhalten. Beim Einhorn findet sich eine solche Sperrvorrichtung, ein kleiner keilförmiger Knochen, der von dem Fische hinter den Gelenkkopf des aufgerichteten Stachels geschoben wird. Den arabischen Fischerknaben ist diese Sperrvorrichtung wohl be- kannt, sie haben es oft erfahren, dass sie das Einhorn nur dann aus seinem Felsloch ziehen können, wenn sie einen kleinen Flossenstrahl, hinter dem großen Rückenstachel, niederdrücken und so den großen Stachel umlegen. An den zahlreichen Arten des Einhornes und Balistes findet man Uebergangsformen, welche beweisen, dass dieser kleine „Sperrknochen“ nichts anderes ist als das Gelenkende eines rückgebildeten zweiten Flossenstachels. An diesem Sperrgelenke der Balistinen wird also das Feststellen des Stachels dadurch bewirkt, dass zwischen zwei Gelenkteile ein dritter Teil nach Art einer „Sperrklinke“ geschoben wird. Noch bemerkenswerter erscheint eine Reihe von Sperrvorrichtungen, welche ohne Sperrklinke die Feststellung von Stacheln bewirkt. Bei ihnen kommt die Sperrung durch Reibungswiderstände zu stande. Be- sonders deutlich tritt dieses an vielen Welsen hervor und auch an unserm Stichling (Gasterosteus), der einen sehr sicheren Schutz an seinen feststellbaren- Stacheln besitzt. Obgleich er so klein ist, verschont ihn doch der gefräßige Hecht wegen seiner feststellbaren Stacheln, während er den großen Karpfen trotz seiner scharfen, gezähnelten Stacheln ganz ungestraft verschlingt. 94 Thilo, Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische. Wären die Stacheln der Karpfen mit solchen Sperrvorrichtungen ver- sehen, wie die Stacheln der Stichlinge, so würde der Hecht im Karpfen- teich kein sehr angenehmes Leben haben. Die Betrachtung der Lebensverhältnisse des Stichlings weisen darauf hin, wie sehr er seiner Stacheln bedarf. Freilich der Barsch und der Hecht büßen es oft mit dem Leben, wenn sie einen Stichling verschlingen; der Lachs und Dorsch jedoch verschlingen ihn ohne Schaden. Die größte Gefahr jedoch droht ihm von den Müttern seiner Kinder. Stets bemüht, ihre eigenen Kinder zu verschlingen, stürmen sie vereint unablässig auf das Nest los, in dem sie der sorgsame Vater bewacht, und nur zu häufig unterliegt dieser den Folgen seiner Viel- weiberei. Um diesen vielseitigen Angriffen zu begegnen, sind aber auch die Stacheln der Stichlinge mit Gelenkvorrichtungen versehen, die einen sehr ausgiebigen Gebrauch derselben ermöglichen. Blitzartig schnell richtet ein Stichling seine Stacheln auf, wenn er gereizt wird, und stunden- lang kann er sie ohne die geringste Muskelanstrengung aufrecht er- halten. Hiervon überzeugt man sich leicht, wenn man die aufgerichte- ten Stacheln eines getöteten Stichlings niederzulegen versucht. Drückt man gegen die Spitze des Stachels, so gelingt es nicht, ihn niederzulegen, drückt man dagegen mit der Spitze einer Nadel genau auf einen bestimmten Punkt vorn an seinem Gelenkende, so kann man ihn ohne Schwierigkeiten niederlegen. Diese überraschende Thatsache wird erst verständlich, wenn man das Gelenk des Stachels genauer betrachtet und seine Hemmvorrichtung mit denen anderer Fischarten vergleicht. Es gibt deren sehr verschiedenartige, und einige von ihnen sind so schwer zu lösen, dass ich in einigen größeren Mu- seen oft kleine Fische in sehr großen Behältern fand, weil man nicht im stande gewesen war, durch Niederlegen ihrer Stacheln ihnen Ein- gang in Glasgefäße zu verschaffen, die ihrer Größe entsprachen. Es gelang mir, alle vorgelegten Stacheln niederzulegen, nur an einer japanischen Fischart scheiterte meine Kunst. Ich konnte es aber dafür anatomisch nachweisen, warum der Fisch allein im stande ist, mit Hilfe seiner Muskeln diesen Stachel niederzulegen. Leider kann ich hier nicht weiter auf alle diese höchst bemerkens- werten Vorrichtungen eingehen, an denen man oft die schwierigsten mechanischen Probleme in so einfacher Weise gelöst findet, dass man anfangs oft gar nicht recht an diese Lösung glauben will. Ich muss hier schon auf eine Beschreibung derselben verzichten, weil ich nur mit Hilfe meiner künstlichen Nachbildungen !) dieser Gelenke und durch Vorlegung der Gelenke selbst mich verständlich machen kann. Die 4) Diese Nachbildungen sind in Handlungen für Lehrmittel zn einem ge- ringen Preise käuflich. Thilo, Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische, 95 Stacheln, an denen diese Gelenke sitzen, bilden meist den vordersten vergrößerten Strahl einer Flosse. Häufig sind die übrigen Strahlen hinter diesem vergrößerten Strahle sehr bedeutend geschwunden, ja manchmal fehlen sie vollständig, so dass der Stachel ganz vereinzelt dasteht. In solchen Fällen ist die Hemmvorrichtung am Gelenke des Stachels in besonders hohem Grade entwickelt, z. B. beim obener- wähnten Stichlinge. Auch die knöchernen Träger eines solchen Stachels zeigen eine bedeutend größere Festigkeit als die schlanken Flossenträger. Durch Anbildung knöcherner Stützen und Streben sind Knochengerüste ent- standen, an deren Material und Stützung selbst anspruchsvolle Inge- nieure wenig aussetzen würden. Dieselbe Entstehung fester Knochengerüste aus schlanken, halb verknöcherten Stäben und Platten kann man auch an den Trägern jener Stachelbildungen beobachten, die nicht aus Flossen hervorgehen, z. B. an den Stacheln der Kiemendeckel des Flughahns (Dactylopterus volitans). Auch an diesen auffallend langen, spitzen Stacheln bemerkt man Vorriehtungen, die das Aufreehterhalten derselben dem Fische erleich- tern. Die Gelenkköpfe der Stacheln sind von entsprechenden knöcher- nen Hohlkörpern umschlossen, so dass bei den Bewegungen des Stachels Einklemmungen entstehen, wenn der Stachel nieht genau in seiner Drehebene geführt wird. Der Fisch kann die Reibungswiderstände, welche mit diesen Einklemmungen einhergehen, beliebig steigern, wenn er den Stachel feststellen will, und abschwächen zum Niederlegen des Stachels. Am getöteten Fische ist man im stande, diese Reibungswider- stände willkürlich hervorzurufen und zugleich Reibungsgeräusche zu erzeugen, die weithin hörbar sind und an das Zirpen der Heuschrecken erinnern. Wir sehen also, dass die Gliedmaßen der Fische auch als Laut- organe dienen können. Von mehreren zuverläßigen Forschern wird sogar angegeben, dass zahlreiche Fische durch Erzeugung von Lauten sich mit einander verständigen können. Der Däne Sörensen bezeich- net diese Laute geradezu als Signale der Fische unter einander. Wie der Gesang der Vögel zur Zeit ihrer Werbung lauter ertönt als sonst, so sollen auch die Fische zur Laichzeit ganz außergewöhn- lich laut mit ihren Stacheln knarren. Sie prangen dann in den grellsten Farben. Der Zoologe sagt: „Sie ziehen ihr „Hochzeits- kleid“ an“. Ich erinnere hier nur an die im Mai und Juni sehr auffallend ge- färbten Männchen unserer Stichlinge, welche bei den Straßenjungen den schönen Namen „Könige der Stichlinge“ führen. Auch die Kampfsucht der Fische ist zur Laichzeit im höchsten Grade gesteigert. Wütend fahren sie mit ihren Zähnen und Stacheln auf einander los. 965 Thilo, Umbildungen in den Gliedmaßen der Fische. Daher gilt also auch von den Gliedmaßen der Fische, was ein englischer Forscher von den Insekten sagt: „Ihre Gliedmaßen zeigen Bildungen, welche ein Männchen befähigen, das andere beim Werben zu besiegen, durch ihre Kraft, Kampfsucht, Zierraten oder Musik!“ Als Zierraten dienen den Fischen bei der Werbung nicht bloß ihre Färbungen, sondern auch gewisse fadenförmige und gelappte An- hänge der Flossen, die nach einigen Forschern bei vielen Männchen mehr ausgebildet sind als bei den Weibchen. Diese höchst seltsamen Flossenbildungen sind an unseren einheimischen Fischen kaum wahr- nehmbar. Ein Blick jedoch in Brehms Tierleben oder auf jene Abbildungen der Tiefseefische, welche man ja häufig in allen illu- strierten Zeitschriften findet, zeigen die abenteuerlichsten Formen der- selben. Im Gegensatze zu diesen höchst auffallend vergrößerten Flossen finden wir an einigen Fischarten einzelne Flossen fast ganz ge- schwunden. Am Einhorn z. B. sind die Bauchstacheln beider Seiten mit ein- ander verwachsen und zu einem kleinen rauhen Höcker zusammen- geschrumpft, den man gar nicht als Nachbleibsel einer Flosse betrach- ten würde, wenn nicht der Fisch mit seinen Muskeln denselben hin und her bewegen könnte. Diese geschrumpften Stacheln sitzen aber an einem sehr bedeu- tend vergrößerten Träger, welcher einen langen, leicht gekrümmten Knochen bildend, die Bauchhöhle von unten her umschließt. Das Ein- horn kann ihn hin und her bewegen wie den Hebel eines Blasebalges und so durch Erweiterung seiner Bauchhöhle den Magen zu einem Luftsacke aufblähen, den es zur Atmung benutzt. Diese bisher unbekannte Thatsache konnte ich durch Einblasungen von Luft in den Rachen des Einhorns feststellen. Ich erkannte hiebei, dass am Einhorn die Bildung jenes Luftsackes beginnt, der bei nahen Verwandten des Einhornes, den Kugelfischen, jedem Beschauer so sehr auffällt. Wir sehen also, dass unter geeigneten Bedingungen aus Stachel- trägern Vorrichtungen entstehen können, die der Atmung dienen. Ich hoffe, der Leser wird nach den obigen Darlegungen zugeben, dass die Gliedmaßen bei den Fischen größere Verschiedenheiten zeigen, als bei vielen anderen Tierarten. Die Fische können also mit ihren Flossen schwimmen, kriechen, stehen, weite Wanderungen zu Lande unternehmen, laufen, auf Bäume klettern, fliegen und dauernd sich „mit klammernden Organen“ an die verschiedensten Gegenstände halten. Sie können mit ihren totbringenden Stacheln selbst größere Feinde fernhalten. Sie können aber auch an ihren Stacheln das Strenge mit dem Zarten vereinen. Sie erzeugen mit den Gelenken ihrer Stacheln Thilo, Umbildung an den Gliedmaßen der Fische. 27 weithin hörbare Laute, durch welehe Männchen und Weibchen einan- der locken. Es gibt Fische, deren Gliedmaßen den größten Teil der erwähnten Fähigkeiten besitzen, während nahe Verwandte derselben sozusagen nichts gekriegt haben. Es kann z. B. auffallen, dass man an einigen Arten sehr bedeu- tend entwickelte Stacheln findet, während Glieder derselben Familie vollständig weiche Flossen ohne Stacheln zeigen. Auffallen kann es, wenn die Stacheln bei einigen Fischen in der frühesten Jugend sehr groß sind und im mittleren Lebensalter oft fast ganz schwinden. Das zeigt sich an vielen Oceanfischen, die der berühmte dänische Forscher Lütken beschrieben hat. Es zeigt sich, wenn auch in geringerem Grade, an dem oben- erwähnten Flughahn (Dactylopterus). Bei diesem sind in der frühesten Jugend die Stacheln der Kiemendeckel fast halb so lang wie der ganze Fisch. Am erwachsenen Flughahn beträgt dagegen die Länge eines Kiemendeckelstachels kaum !/, der Gesamtlänge des Fisches. Zahlreiche Beobachtungen haben uns gelehrt, dass Körperteile, die nicht gebraucht und geübt werden, sich allmählich verkleinern und schließlich sogar ganz eingehen. So findet man bei Fischen, die in dunkeln Höhlen leben, die Augen geschwunden. Bei Eidechsen, die ihre Beine wenig benutzen und hauptsächlich durch Schlangenwindungen sich vorwärts bewegen, z. B. bei der Blindschleiche, sind nur noch Spuren von Beinen vor- handen. Daher ist wohl auch anzunehmen, dass die Stacheln des Flug- hahnes sich verkleinern, weil dieser seine ererbten Stacheln nur wenig benutzt; denn überall auf der Welt gilt das Goethe’sche Wort: „Was Du ererbt von deinen Vätern hast, „Erwirb es, um es zu besitzen“. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen an den Flossen und Stacheln der Fische lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Die Stacheln der Fische sind: a) Gehwerkzeuge, b) Stützvorrichtungen, c) Waffen, d) Lautorgane. 2. Bei der Umbildung von Flossen in Stacheln traten an „den Gelenken und Trägern derselben Aenderungen ein, die a) eine festere Stützung bewirken, b) das Aufrechterhalten der Stacheln erleichtern. a) Die festere Stützung wird durch Verwachsungen, Ver- knöcherungen und Richtungsänderung der Stützen bewirkt. Sie besteht also in einer Aenderung des Stoffes und der 98 Thilo, Umbildung an den Gliedmaßen der Fische. Stützungsverhältnisse, die nach statischen Gesetzen erfolgen. b) Die Erleichterung des Aufrechterhaltens der Stacheln wird durch Umbildungen der Gelenkflächen und Anbildungen von Knochenfortsätzen geschaffen, die den Gesetzen der Mechanik entsprechen. 3. Diese Umbildungen von Flossen in Stacheln zeigen folgende Fischarten: a) Karpfen, Karausche, Brachs, Schleie, Barben. b) Die Welsarten (Synodontis, Arius, Bagrus?). c) Die Barscharten (Percu, Acerina, Amphacanthus). d) Stichlinge (Gasterosteus). e) Triacantus (Acanthopleurus serratus, Triacanthus). 4. Die Rückbildung von Stacheln zeigen: a) Balistes, Monacanthus. b) Chorinemus. c) Ramphosus, Centriscus, Amphisile. d) Calamostoma, Acanthurus, Naseus. e) Die Welsarten (Schilbe, Silurus glanis, Silurus asotus, Malapterurus electricus. 5) An den Plectognathen findet man a) Umbildungen von Flossen zu Stacheln (Acantopleurus, Triacanthus, Balistes). b) von Stachelträgern zu Vorrichtungen die der Atmung dienen (Balistes, Monacanthus, Triodon). 6. Die erweiterte Speiseröhre der Gymnodonten kann, vergleichend anatomisch, als eine unentwickelte Schwimmblase betrachtet werden. Sie ermöglicht die Aufnahme von Sauerstoff durch die Kiemen. 7. Die Verwachsung der oberen Schlundknochen und Kiemen- spalten bei den Pleetognathen, Welsen, Cobitis erleichtern das Auf- nehmen von Luft in den Darmkanal. 8. Alle diese Umbildungen finden ihre Erklärung bei Betrachtung der Lebensbedingungen der Fische und bei Berücksichtigung der sta- tischen und mechanischen Verhältnisse ihrer Gliedmaßen. 9. Der Begriff der Abstammung und Vererbung wurde in dieser Arbeit absichtlich weniger in den Vordergrund gestellt, als es im Allgemeinen zu geschehen pflegt. Es wurde sogar an einigen Stellen darauf hingewiesen, dass nahe Verwandte große Verschiedenheiten der Formen und Leistungen ihrer Gliedmaßen zeigen können. Man ver- gleiche z. B. nur die verschiedenen Welsarten mit einander. Es sollte ja gerade in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, wie sehr die Form der Gliedmaßen von ihrem Gebrauch abhängt, wie sehr ererbte Eigenschaften unter wechselnden Lebensbedingungen sich ändern können. Margherita Traube-Mengarini, Durchgängkeit der Haut. 239 Gerade an den Gliedmaßen tritt es besonders deutlich hervor, dass ererbte Formen und Eigenschaften nur bei ausreichendem Gebrauche, ausreichender Uebung zur Entwickelung gelangen, und dass sogar entwickelte, ererbte Fähigkeiten verloren gehen, wenn ihr Gebrauch aufhört. Z. B. die Gliedmaßen von Eidechsen, die ihre Beine wenig benutzen und sich durch Schlangenwindungen vorwärts bewegen, fin- den wir verkleinert, ja oft sogar ganz geschwunden. Wir erkennen so, dass alle Tiere ihre ererbten Formen und Leistungen nur dann ausbilden und erhalten, wenn sie dieselben durch ununterbrochenen Gebrauch immer wieder erwerben. [4] Dr. med. Otto Thilo (Riga). Margherita Traube-Mengarini, Össervazioni ed esperienze sulla permeabilitä della pelle. Rend. Accad. dei Lincei. Classe d. scienze fie. ete.. Vol. V. 1. Sem. Serie5. fasc. 1. Rom. 5. Jan. 1896. Die Verf., über deren frühere Untersuchungen über die Permeabilität der Haut im 13. Bd. dieser Zeitschrift, S. 30, berichtet ist, stellt in ihrer neuen Mitteilung verschiedene Beobachtungen über dasselbe Thema zu- sammen. Zunächst weist sie darauf hin, dass eine wirkliche osmotische Permeabilität der lebenden Haut, wie sie im Experiment an der toten nach- gewiesen ist, schon deshalb nicht bestehen kann, weil dann z. B. alle im Süßwasser lebenden Tiere aufschwellen, alle im Meere lebenden zusammen- schrumpfen müssten. Doch gibt es Tiere, die eine solche permeable Hülle haben, nämlich Parasiten, die in einer Lösung von immer gleichem osmo- tischem Druck leben. An einem solchen, dem in der Kloake des Frosches parasitierenden Infusor Opalina hat Verf. die Beobachtung gemacht, dass es sich leicht und vollständig im Leben mit Eosin durchtränkt, wenn man es in eine eosinhaltige, ihm zusagende Flüssigkeit bringt. Es ist dementsprechend höchst empfindlich gegen jede Konzentrationsänderung der es umgebenden Lösung. Alle anderen Infusorien und Amöben, sind dagegen wie schon bekannt von einer impermeablen Schicht umgeben. Nur an der Mundöffnung derselben kann ÖOsmose stattfinden und dem- entsprechend färben sich, wenn man ein solches Infusor in eine Eosin- lösung bringt, zunächst nur die Nahrungsvakuolen. Verf. beobachtete einige Ausnahmen von dieser Regel, z. B. dass sich der starre Stiel der Vorticellen färbt, während der kontraktile immer ungefärbt bleibt. Sie hält den starren Stiel und ähnliche sich färbende Oberflächengebilde für halbtote, aus dem Stoffwechsel ausgeschaltete Teile. Ganz entsprechend findet bei Metazoen nur im Darmtraktus Osmose statt, an der Haut gar nicht. Frösche, die man ganz in gefärbtes Wasser setzt, sodass sie es.auch verschlucken, färben sich langsam durch und durch; setzt man sie aber so hinein, dass das Maul außen bleibt, so färbt sich nur die oberste Epithelschicht. Diese ist vollständig, wie Fließpapier, durchdringbar. Die tieferen Schichten aber sind vollständig uudurchdring- lich wie Kautschuk, falls nicht unter hohem Druck Substanzen hinein- 30 Gautier, Die Chemie der lebenden Zelle. gepresst werden (Quecksilber) oder die eindringenden Substanzen zunächst mit diesen Schichten sich chemisch verbinden (Jod). Diese Undurchdringlichkeit der normalen Haut ändert sich freilich unter sehr abnormen, schädlichen Einflüssen. So verlieren Frösche, die man in 5proz. Kochsalzlösung setzt, bedeutend an Gewicht, indem Wasser aus ihnen nach den Gesetzen der Osmose hinausdiffundiert. Unter solchen Bedingungen wurde also die Haut unvollständig permeabel. Analog müssten auch Menschen in Mineralbädern etwas Wasser aus der Haut verlieren, und dieser Wasserverlust könnte auf die Hautzirkulation und dadurch auf den Gesamtorganismus zurückwirken. [7] Werner Rosenthal. Armand Gautier, Die Chemie der lebenden Zelle. Autorisierte Uebersetzung. 8. 130 Stn. 11 Abbildungen. Wien, Hartlebens Verlag, 1897. Das Buch, das uns in deutscher Uebersetzung vorliegt, gibt in ganz kurzer und sehr übersichtlicher Darstellung ein Bild, wie man sich die Entstehung der verschiedenen Sekretions- und Exkretionsstoffe eines Organismus, speziell des Elementarorganismus der Zelle zu denken hat. Gautier stellt als die für den Chemismus der Zelle wesentlichen Bestandteile die Granula dar, von denen jedes gewissermaßen ein besonderes Organ repräsentiere. Wenigstens ist bereits nachgewiesen, dass die Produktion von Chlorophyll, Stärke oder Hämoglobin an ganz bestimmte Granula gebunden sein kann. Die einzelnen Granula muss man sich dann wieder zusammengesetzt denken aus verschie- denen Eiweißmolekeln, und jedes Radikal einer Eiweißmolekel entspräche einem Unterorgan; bei der Kompliziertheit der Molekel kann man sich so leicht die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Zellstoffwechselprozesse erklären. Der leitende Gedanke in dem Buche, den der Verfasser immer und immer wieder hervorhebt, ist der, dass das eigentliche Zellleben, die ursprünglichen Synthesen und Spaltungen, in Reduktions- und Hydratationsprozessen bestehen, dass die früher wegen ihrer Augenfälligkeit stets besonders in den Vorder- grund gestellte Oxydation aber erst sekundär eingreife und in ihren Wirkungen viel einförmiger sich gestalte. Diesen Gedanken hat Gautier sehr ausführ- lich und sehr fesselnd in einem Vortrag behandelt, der schon 1894 in diesem Blatte veröffentlicht ist, und auf den wir verweisen, In dem vorliegenden Werk wiederholt Gautier aber nicht bloß die Be- gründung für seine Ansicht, sondern er gibt auch ein Bild der Entstehung der einzelnen Stoffwechselprodukte auf dem Wege der Reduktion und Hydratation, das er besonders mit Hilfe der Schützenberger’schen hypothetischen Eiweiß- molekel, deren Formel wir hier verkürzt wiedergeben, sehr anschaulich gestaltet. (Siehe nächste Seite.) Die wesentlichen Spaltungsprodukte des Eiweißes sind nun: 1. diejenigen, die noch den Eiweißcharakter gewahrt haben, wie die Peptone, nur eine nachweislich viel kleinere Molekel haben und vielleicht bloß durch hydro- lytische Spaltung aus eigentlichem Eiweiß entstehen. Dazu gehören weiter die Diastasen, Toxalbumine, Impfstoffe und ein Teil der Pigmente, 2. die Amidokörper, wie Leuein, Tyrosin, Glykokoll und Lysin (siehe Gruppe 2 und 5 der Formel: C,H, —NH,— COOH und C,H, — NH, — COOH). Gautier, Die Chemie der lebenden Zelle. 31 1 2 3 4 | No —— CH, CO - C,H, — NH--C,H,—NH—CH< N< COOH 7 70-CH—NH-GH—N —CH,—CH,—CO co NT ee eig _ N 5 6 H N< C0 — C,H, — CH—NH— CH, — CH — NH — CH, — COOH A Wie aus einem solchen besonders komplizierten Amidokörper durch einfache Hydratation z. B. die Entstehung von Kohlehydraten zu stande kommen kann, erläutert Gautier am Chondromucoid, das aus dem mit verdünnten Alkalien behandelten Knorpel in Lösung geht. Durch immer wieder erfolgende hydro- lytische Spaltung entsteht aus ihm zuerst Chondroitsäure; diese spaltet sich in Chondroitin und Schwefelsäure, das Chondroitin zerfällt zu Chondrosin und Essigsäure, und aus Chondrosin wird schließlich Glykuronsäure und Glykosamin, beide den Kohlehydraten ganz nahe verwandte Körper. 3. organische Basen, diejenigen Verbindungen, aus deren Existenz Gautier zuerst auf das Vor- kommen von Reduktionsprozessen im tierischen Körper schloss. Die Entsteh- ung aus Eiweiß durch einfache Hydratation ist in Gruppe 3 und 6 ersichtlich [C,HB,— NH, — OH und G,H,— NH—C,H,— OH + CO,]; Sehützenberger bekam auch wirklich bei der Behandlung von Eiweiß mit Barytwasser bei 200° Stoffe, wie #-Glykoproteine und Hydroproteinsäuren, aus denen sich sehr starke Basen, z. B. Tetramethylenamin, abspalten ließen. Gautier teilt die Basen in Neurin-, Kreatin- und Xanthin-Leukomaine, in unbestimmte Leukomaine, wie Protamin und Spermin, und rechnet endlich hierher auch die Ptomaine. 4.die Ureide, Verbindungen, die das Harnstoffradikal enthalten [siehe Gruppe: CO (NH,).], 5. Kohlehydrate, deren Entstehung aus Eiweiß Gautier z. B. für Glykogen und Inosit als nachgewiesen ansieht, 6. Fette und 7. Körper der aromatischen Reihe, wie Tyrosin, Hippursäure, Indol, Scatol. Diese Spaltungsprodukte werden nun teils unverändert ausgeschieden, teils greift sie jetzt der Sauerstoff an und verwandelt ihre potentielle Energie in kinetische. So entsteht der Harnstoff teilweise erst durch Oxydation von Ureiden, wie der Harnsäure; die Kohlehydrate werden einesteils direkt oxy- diert, zum andern Teil werden sie im Muskel in Milchsäure, Kohlensäure und Alkohol übergeführt, und zum dritten Teil werden sie durch eine Art Gärung unter CO,- und H,0-Abspaltung in Fett verwandelt. Das Fett wird dann end- lieh nach Verseifung im Blute verbrannt, zum Teil aber auch unverändert durch die Haut ausgeschieden. Der Genuss dieser übersichtlichen Darstellung wird leider außerordentlich beeinträchtigt durch die mehr wie liederliche deutsche Uebersetzung. Von dem keineswegs stets einwandsfreien deutschen Satzbau wollen wir gar nicht reden. Aber um die Berechtigung unserer Ansicht, dass die Uebersetzung ganz verständnislos angefertigt ist, zu erhärten, wollen wir nur einige gröbere Verstöße zitieren; S. 57 und 58: Ammoniumearbonat statt carbaminsaures Ammonium; S. 61: Glykokollsäure statt Glykocholsäure; $. 65: Mesenterial- 39 Preisausschreiben des internationalen zoologischen Kongresses. ganglien statt Mesenterialdrüsen; S.87: alkoholinisiertes Wasser; S.124: tauchen wir eine Nadel in einen lebenden Muskel. Außerdem sind zahllose Druckfehler ° vorhanden: Pyrosin statt Tyrosin; Manin statt Alanin; Quinolein statt Chino- lin ete,, und die Formeln sind ebenso oft falsch wie richtig gedruckt (statt N steht z. B. in der Hauptformel W). Wer das sehr empfehlenswerte Buch lesen will, wird wohl besser thun, zur französischen Ausgabe zu greifen. [9] R. I. Preisausschreiben des internationalen zoologischen Kongresses. Bei der vierten Vereinigung des internationalen zoologischen Kongresses, welche im September 1898 unter dem Vorsitz von Sir William Flower, R.S. zu Cambridge (England) stattfinden wird, soll über 1. den Preis 8. M. des Ozaren Alexander III 2. den Preis S. M. des Ozaren Nicolaus Il Entscheidung getroffen werden. Das permanente Komite des Kongresses schreibt hierfür folgende Preis- aufgaben aus: Für den ersten Preis: Eine Studie über die Wiederkäuer Centralasiens vom zoologischen und geographischen Standpunkt. Für den zweiten Preis: Anatomische und zoologische Monographie einer Gruppe mariner Invertebraten. Die einzureichenden Arbeiten, Manuskripte oder seit dem September 1895 gedruckte Abhandlungen, müssen in französischer Sprache geschrieben sein und vor dem 1. Mai 1898 an den Präsidenten des Komite’s eingesendet werden. Zugelassen zur Bewerbung sind alle Zoologen mit Ausnahme derer, welche dem Lande angehören, in welchem die nächste Vereinigung des Kongresses stattfinden wird. Ausgeschlossen sind also diesmal Naturforscher aus Grofsbritannien und Irland, nicht aber aus den überseeisehen englischen Kolonien (Indien, Australien, Canada ete.). Die Preise bestehen, nach Wahl der Preisträger, aus einer Geldsumme oder einer Denkmünze von gleichem Wert. Die Prüfung der eingelaufenen Arbeiten wird erfolgen durch eine Kom- mission bestehend aus den Herren A. Milne-Edwards (Paris), Präsident; R. Blanchard (Paris), Sekretär, Sir William Flower (London); F. A. Jentink (Leyden); R. B. Sharpe (London); Th. Studer (Bern) und N. Zo- graf (Moskau). Um die Arbeit der Kommission zu erleichtern wird gebeten von gedruckten Werken mehrere Exemplare einzusenden. Die Namen der Preisgekrönten werden in feierlicher Sitzung proklamiert werden; die Auslieferung der Preise wird durch die „Gesellschaft der Freunde der Naturwissenschaften“ zu Moskau, welehe die Fonds verwaltet, erfolgen. Der Sitz des permanenten Komite’s des Kongresses ist zu Paris, 7 Rue des Grands- Augustins. Dr. Raphael Blanchard, General - Sekretär. k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Üentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der FRebe in er 24 None von je 2—4 Boden "bilden einen Band. Preis = Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle nn und Postanstalten. XVI. Band. 15. Januar 1897. Nr. 2. Inhalt: Bokorny, Ueber die organische Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeu- tung in der Natur (2. Stück). — Bryhn, Beobachtungen über das Ausstreuen der Sporen bei den Splachnaceen. — Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Trichodina. — Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. Ueber die organische Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Von Dr. Th. Bokorny. (Zweites Stück.) II. Bedeutung der organischen Ernährung grüner Pflanzen für diese selbst und für die übrige Natur. Es ist zweifellos erwiesen, dass Pflanzen, die mit Chlorophyllfarb- stoff ausgerüstet sind, aus Kohlensäure ihren Kohlenstoffbedarf aus- schließlich decken können; denn solche Pflanzen gedeihen auch auf einem Nährboden oder in einer Nährflüssigkeit, welche keine Spur von organischer Substanz enthält. Nichtsdestoweniger darf angenommen werd:n, dass von außen zugeführte organische Nahrung vorteilhaft ist. Dafür spricht der Augenschein und die physiologische Ueberlegung. Ich konnte bei meinen Versuchen über organische Ernährung von Wasserpflanzen oft beobachten, dass die Pflanzen sich schöner ent- wickelten als bei bloßer Kohlensäurenahrung. Nur müssen die Spalt- pilze fern gehalten werden, die sich so gerne in Lösungen organischer Stoffe einfinden; sie schädigen die grünen Pflanzen, indem sie ihnen die Nahrung und den Sauerstoff wegnehmen und giftige Stoffe pro- duzieren. : Auch die mikroskopische Untersuchung lehrt, dass organische Nähr- flüssigkeiten gute Wirkung ausüben; in den Zellen kommt mehr Stärke zur Ablagerung als bei bloßer Köhlensäurenahrung. XVII. 3 34 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Dass auch der Stickstoff, in Form organischer Verbindungen dar- geboten (z. B. als Amidokörper) günstig wirkt, wurde schon oben her- vorgehoben. Kulturen von Mais gedeihen nach Bässler besser, wenn ihnen der Stickstoff in Form von Asparagin dargeboten wird als ın Form von Nitrat. Weil organische Nahrung günstig wirkt, sehen wir auch oft Pfützen mit viel organischer Substanz ungewöhnlich stark mit Wasserpflanzen besetzt. Diese vermehren sich hier viel stärker als in reinem Wasser. Viele Zellen im Körper einer chlorophyliführenden Pflanze sind zeitlebens auf organische Ernährung angewiesen; nämlich alle jene Zellen, welche in Folge Chlorophylimangels die Kohlensäure nicht zu assimilieren vermögen. Aus solehen Zellen besteht der Stamm zum großen Teil, die Wurzel ausschließlich, ebenso die Staubgefäße, Samen- knospen, Samen ete. Solehen Organen muss von den Blättern oder von keservestoffbehältern aus organische Nahrung zugeführt werden, damit sie wachsen und atmen können. Die Zufuhr geschieht in Form von Zucker, Asparagin und andern Amidokörpern; aus diesen Substanzen müssen die chlorophyllilosen Zellen einer grünen Pflanze ihre Cellulose, Stärke, Eiweißstoffe aufbauen. Der Vorgang der organischen Ernährung findet also normaler Weise innerhalb des Körpers der Chlorophylipflanze statt, auch wenn gar keine organische Nahrung von außen dargeboten wird. Die in der Pflanze setbst gebildeten wasserlöslichen organischen Stoffe, wie Asparagin, Traubenzucker, Rohrzucker vielleicht auch organische Säuren, dienen hier zur Nahrung. Werden dieselben Stoffe oder andere kohlenstofthaltige nährfähige Substanzen von außen zugeführt, so finden diese natürlich auch Ver- wendung, sofern sie nur in die Pflanze einzudringen vermögen. Denn es ist gar nicht einzusehen, warum die schwierige Synthese aus Kohlen- säure gelingen soll und die aus organischen Verbindungen nicht. Die Kohlensäure muss erst reduziert werden zu dem Stoffe CH;O und dieser erst kann durch einen Kondensationsvorgang zu Kohlehydrat werden. Die Reduktion der Kohlensäure aber ist eine so schwierige chemische Arbeit, dass die Pflanze nur mit Hilfe des Lichtes sie ver- richten kann. Wie oben ausgeführt ist von mehreren organischen Substanzen erwiesen, dass dieselben zur künstlichen organischen Ernährung grüner Pflanzen dienen können. Auch in der Natur kommt eine Ernährung durch von außen zu- geführte organische Stoffe sicherlich oft zu Stande. Wenn in einer Wasservegetation, z.B. in der Decke von Wasserlinsen (Lemna), welche sich oft auf Gräben und Weihern bildet, ein Teil der Pflanzen abstirbt, so gelangt durch Austritt von organischen Stoffen aus den abgestorbenen Zellen organische Nahrung in das Wasser; zweifellos kommt dieselbe Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 35 den noch lebenden ZLemna-Pflänzchen zu gute. Aehnlich verhält es sich mit den mannigfaltigen Algenvegetationen, die unsere süßen Ge- wässer besiedeln; an der einen Stelle und in der einen Algenart stellt sich ein allmähliches Absterben ein, indem die Ernährungsbedingungen hier ungünstig geworden sind; andere Arten kommen desto kräftiger auf und machen sich die aus dem absterbenden Pflanzen herausdiffun- dierende organische Nahrung zu Nutzen. Auch abgestorbene Wasser- tiere werden hier ihren Beitrag leisten. Manche Algen, wie die Vaucherien, scheinen sogar beständig organisch ernährt zu werden; denn man findet nie einen Vaucheria- Rasen, der nicht im Innern zahlreiche abgestorbene Tiere: Würmer, Asseln u. dergl. enthält. Die Vaucheria-Fäden umspinnen offenbar die Tierleiche und ernähren sich von ihr. So verhält es sich jedenfalls auch mit den Wiesen- und Acker- pflanzen. Wie mannigfache Pflanzen- und Tierreste, abgestorbene Wurzeln, Rhizome, Insekten etc. stecken in der Erde und durchtränken dieselbe mit organischen Stoffen! Viele derselben werden freilich so- fort von Bakterien und Schimmelpilzen erfasst und verarbeitet werden. Ein anderer Teil aber bleibt den grünen Pflanzen vorbehalten und dient zu deren Ernährung. Man darf sich offenbar die Kohlenstoff-Ernährung grüner Pflanzen nicht mehr so einseitig vorstellen, wie es früher der Fall war. Nicht nur die Kohlensäure liefert den Chlorophylipflanzen Kohlenstoff, son- dern es beteiligen sich hieran zahlreiche Kohlenstoffverbindungen, organische Stoffe aller Art. Auch den Stickstoff beziehen die grünen Pflanzen zum Teil aus organischen Verbindungen. Beide Ernährungs- weisen die unorganische und organische gehen beständig neben einander her; in welchem Grade die letztere neben der ersteren eine Rolle spielt, hängt von den Umständen ab. Ausnahmsweise können grüne Pflanzen sogar ausschließlich von organischer Nahrung leben, wie meine oft Wochen andauernden bei Kohlensäureausschluss angestellten Versuche zeigen. Nach Klebs kann man Zygnemaceen sogar ein halbes Jahr lang bei Rohrzucker- nahrung im Dunkeln, also bei völligem Ausschluss der Kohlensäure- ernährung, lebendig erhalten. Die organische Ernährung kann auch bei Ausschluss von Licht vor sich gehen, wenn auch das Licht nicht gleichgiltig für das Zu- standekommen derselben ist. Hieraus geht von neuem die Nützlich- keit der organischen Nahrung hervor; sie kann von grünen Pflanzen auch verwendet werden, wenn die hereingebrochene Nacht eine Kohlen- säureassimilation unmöglich macht oder wenn dieselbe durch schlechtes Tageslicht nur in geringem Maße vor sich geht. Man ersieht, dass die Fähigkeit organische Stoffe zu verwenden, den grünen Pflanzen manchen Vorteil darbietet. 36 Bokorny, Erpährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Eine nicht unwichtige Rolle spielen die grünen Pflanzen auch bei dem merkwürdigen Vorgange der „Selbstreinigung der Flüsse“. Die Selbstreinigung der Flüsse ist eine seit Jahrzehnten fest- stehende Thatsache. Durch v. Pettenkofer und seine Schüler wurde dieselbe bezüglich der Isar wiederholt konstatiert. Im Winter 1890 ergab die Untersuchung des Isarwassers einige Stunden unterhalb München 1,64 mg Sauerstoffverbrauch im Liter bei Titration mit über- mangansaurem Kalium, oberhalb Münchens 1,37 mg. Der Gehalt an organischer Substanz war also nach Eintritt der Abwasser Münchens fast ebenso gering wie vorher. Aehnlich ist es nach Hulwa mit der Oder ober- und unterhalb Breslaus. Die Seine, der Tiber, die Elbe sind ebenfalls Beispiele für die Selbstreinigung der Flüsse. Hierbei handelt es sich zum Teil um gelöste organische Stoffe, welche durch die Lebensthätigkeit von Organismen, Bakterien, Diato- meen, Chlorophyllophyeeen und andern Algen, Blütenpflanzen, viel- leicht auch von niederen Tieren wie Infusorien aus dem Wasser ent- fernt werden; die organischen Stoffe werden in der Zelle entweder veratmet (oxydiert) oder zum Aufbau von Pflanzensubstanz wie Stärke, Fett, Cellulose, Eiweiß etc. verwendet. In Vorstehendem wurde gezeigt, dass nicht bloß Pilze sondern . auch chlorophyliführende Pflanzen im Stande sind, organische Ver- bindungen zu verwenden, sich davon zu ernähren. Speziell von den Fäulnisprodukten, also denjenigen Stoffen, um die es sich bei der Selbstreinigung der Flüsse hauptsächlich handelt, konnte Verf. nach- weisen, dass sie Verwendung finden. Es sind das: Milchsäure, Glyco- coll, Essigsäure, Leucin, Tyrosin etc. Auch der Harnstoff, das stick- stoffhaltige organische Exkret der höheren Tiere, kann zur Ernährung grüner Pflanzen dienen. Der Verbrauch der organischen Stoffe durch die Pflanzenvegetation kann auf dreierlei Weise nachgewiesen werden: 1. Durch Konstatierung des Stärkeansatzes in den Zellen. 2. Durch Bestimmung der Trocken- substanzzunahme in den Pflanzen. 3. Durch titrimetrische Messung der Abnahme der organischen Substanz in der Nährflüssigkeit. Alle 3 Methoden wurden vom Verf. bei verschiedenen Substanzen probiert und führten zu demselben Resultate, nämlich dass die organische Sub- stanz der Nährflüssigkeit verbraucht wird. Nun wird von mancher Seite behauptet, dass im Flusse selbst meist keine Chlorophylipflanzen enthalten seien. Nach Schenk!) soll das fließende Wasser des Rheinstromes keine stationären Algen enthalten, sondern nur „die Formation der zahl- losen mikroskopischen Wasserbakterien“. Der größte Teil des Rhein- 1) Ueber die Bedeutung der Rheinvegetation für die Selbstreinigung des Rheines. Centralbl. f, Gesundheitspflege, 1893. Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 37 bettes von der Mitte bis zur Uferzone soll fast vegetationslos sein; nur eine einzige kleine Alge, die zu den Florideen gehörige Chantransia chalybaea Fr. fand sich an tieferen Standorten bei ungefähr 4m Tiefe, „dürfte aber in der Mitte des Stromes fehlen“; ferner waren dort Diatomeen an den Steinen festgewachsen. Die „Hauptmasse der Algen- vegetation“ ist auf eine schmale Uferzone beschränkt. Die langen Uferstrecken des Rheines, welche von Steinmauern eingefasst sind, sind von einer dünnen Algenschicht überzogen, bestehend aus Oscillaria membranacea und Diatomeen; ferner kommt dort allgemein Oladophora glomerata vor. Kiesige flache Geröllufer haben auf den Steinen Schwamm- überzüge von Diatomeen, auch wohl Oseillarien tragen sie, an größeren Steinen finden sich auch Cladophora-Räschen. Sandige Uferstrecken sollen vegetationslos sein bis auf größere festliegende Steine, die Algen- überzüge zeigen. „Besondere Standortsbedingungen sind bei größeren Uferstädten unterhalb der einmündenden Abwassersielen gegeben. Das stark verunreinigte Wasser ist hier die Bedingung für die massenhafte Ansiedlung der Fadenspaltpilze, vor Allem Beggiatoa alba, in geringerer Masse Cladothrix dichotoma, zu denen im Winter auch die Saprolegnien Septemitus lacteus Ag. hinzukommen kann. Die Beggiatoen bilden je nach der Menge des einfließenden Schmutzwassers mehr oder weniger weit flussabwärts sich hinziehende schleimige Ueberzüge am Ufergrund, in einer mehrere Meter breiten Zone und einige Meter tief hinabgehend, um dann allmählich aufzuhören. Die übrige Algenvegetation bleibt an solchen Orten außerdem bestehen, Cladophora glomerata aber ent- schieden in kümmerlicher Entwieklung, da die verzweigten Büschel sich dieht mit Fadenbakterien, Schlammpartikelchen, Diatomeen ver- filzen. Ulothrixe und Stigeoclonium (Algen) gedeihen ganz gut an solehen Orten. Mitten in der schleimigen Fadenbakterienmasse leben von Algen nur Diatomeen, meistens Arten von zugespitzten oder lang- gestreckten Formen, Synedra oxyrhynchus und Nitzschia acicularis z. B. in großer Masse. Was die assimilierenden Algen anbelangt, so kann H. Schenk „nicht der Ansicht M. v. Pettenkofer’s beistimmen, dass sie eine bedeutende Rolle spielen“. Dass die Wasserbakterien, die im Flusse selbst und die des Fluss- randes, Anteil an der Befreiung des Flusses von gelöster organischer Substanz haben, braucht nicht bewiesen zu en desgleichen, dass die Bakterien die wichtigste Rolle spielen, solange der Gehalt des Wassers an organischer Substauz ein sehr hoher ist; erst wenn dieser unter eine gewisse Grenze gesunken ist, können Algen wachsen. en denjenigen Konzentrationen, bei welehen ausschließlich Pilze oder ausschließlich Algen im verunreinigten Flusse wachsen, liegt eine solche, welche Wasserbakterien, besonders Beggiatoen und Algen nebeneinander aufkommen lässt. So konnten Pfeifer und 38 Bokorny, Emährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Eisenlohr!) in der Isar Beggiatoen-Rasen in größerer Ausdehnung von München bis Garching (etwa 14,5 km unterhalb München) auf- finden; von da an nicht mehr, sondern nur Algen. Ausschließliche Pilzvegetation trifft man nur bis einige hundert Schritte unterhalb der Sielenmündung; dann stellen sich bereits Algen ein neben Pilzen. Dass die festsitzende Pflanzenvegetation in erster Linie am Rande der Flüsse auftritt, ist wohl begreiflich; denn im Innern des Flusses fehlt es oft an der den Pflanzen nötigen Ansatzstelle und manchmal auch an Licht (bei größerer Tiefe und Trübung des Flusswassers). Am Boden des Flusses können sich keine Pflanzen ansiedeln, wenn derselbe bewegiich (sandig) ist. Finden sich in demselben große un- bewegliche Steine und ist die Tiefe und Trübung des Wassers nicht so groß, dass das Licht keinen Zutritt hat, so können sich Vaucherien, Cladophoren u. dergl. ansiedeln, auch bei raschem Laufe; denn die Vaucherien werden oft in reißendem Mühlwasser angetroffen. Uebrigens enthält das Flusswasser wohl immer auch Pflanzen- organismen, wie Diatomeen, schwebend. Ein Versuch, von O. Loew und Verf. vor einigen Jahren angestellt, zeigte, dass in der Isar, weit vom Ufer entfernt, freischwimmende Diatomeen im ziemlicher Anzahl sich vorfinden. Man stellt die Anwesenheit derselben am besten in der Weise fest, dass man einige Liter Wasser an einem vom Ufer weit entfernten Stelle schöpft und dann die Organismen durch Zusatz eines Giftes (Chloroform, Salzsäure u. dgl.) tötet. Nach 24stündigen Stehen haben sich die abgestorbenen Diatomeen zu Boden gesetzt. Nun hebt man das obere Wasser vorsichtig ab, nimmt dann von dem Rück- stand !/, kem Wasser heraus und zählt die Diatomeen unter dem Mikroskop; das wiederholt man mehrmals. Ist der Fluss tief und läuft er in sandigem Bett, so werden wohl die im Wasser schwebenden Diatomeen die einzigen chlorophyllführen- den Bewohner der Flussmitte sein. Bei seichtem Wasser und festem Boden aber finden sich zahlreiche festgewachsene Wasserpflanzen ein, wie auch der Rand der Flüsse immer mit solchen besetzt ist. Langsam fließende oder fast stillstehende Wasser lassen natürlich eine andersartige Vegetation aufkommen als raschlaufende. Blütenpflanzen sollen nach K. Schenk im Rheinstrome bei Bonn und Köln so gut wie vollständig fehlen, weil sie in Folge der starken Strömung in dem beweglichen Substrat des Uferbodens weder keimen noch aus angeschwemmten Sprossen sich anwurzeln können; während sie in den Nebenflüssen des Rheines, z. B. Sieg und Ahr, oft in großen flutenden Polstern vegetieren (Batrachium, Potamogeton, Callitriche, Myriophyllum). Vereinzelt sah er kümmerliche Exemplare - 4) Zur Frage der Selbstreinigung der Flüsse. Archiv f. Hygiene, Bd. XIV, 1892, S. 90. Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 39 von Potamogeton pectinatus am Bonner Ufer angeschwemmt und an- gewurzelt. Nur in den gegen den Strom abgeschlossenen Wasser- becken des Ufers, in den Häfen, fand er mancherlei submerse und schwimmende Gewächse vor, im Hafen von St. Kunibert Potamogeton erispus. Für den Rhein scheinen also phanerogame Wasserpflanzen nur geringe Bedeutung zu haben. Dasselbe ist auch bei der Isar der Fall, soweit die Beobachtungen des Verfassers reichen. In den Nebenflüssen des Rheines hingegen treten sie, wie oben erwähnt in großen flutenden Polstern auf; desgleichen im Main und in den Nebenflüssen desselben (Regnitz), ferner in zahllosen Bächen und kleinen Flüssen. Von festsitzenden Algen kommt in raschfließenden Gewässern oft Hydrurus vor. v. Pettenkofer!) berichtet darüber Folgendes: „Von Flussbauten an der Isar kamen nur Exemplare einer Gallertalge als vermeintliches Zeichen der Flussverunreinigung unter der Bezeich- nung Würmer vor. Prof. Dr. Radlkofer fand aber, dass die Würmer nur eine Algenart, Hydrurus (Wasserschweif) und zwar Hydrurus penicillatus Agardt waren. Von dieser Art, wie von den Arten dieser Gattung überhaupt, welche alle einen widrigen Geruch besitzen und von manchen Autoren alle nur als Formen einer einzigen Art unter dem Namen Hydrurus fovetidus Vaucher zusammengefasst werden, wird angegeben, dass sie Bewohner der schnellfließenden Bäche und Flüsse, namentlich der Gebirgsbäche sind. Sehr häufige Süßwasserbewohner sind ferner die allbekannten Armleuchtergewächse, Characeen, welche die höchste Stufe unter den Algen eiunehmen; sie bilden oft ausgedehnte untergetauchte Wiesen in unsern Gewässern. Von den Chlorophyceen sind Cladophora (in zahlreichen Arten), Vaucheria, Ulothrix, Oedogonium ete. sehr verbreitet. Vaucheria tritt in unsern fließenden Gewässern sehr häufig auf, manche Arten in reißendem Wasser; sie besteht aus grünen Schläuchen, die in der Regel reich verzweigt und nicht gegliedert sind; botanisch ist sie insofern interessant, als sie eine der ersten Algen war, an denen Sexualität aufgefunden wurde. Auch in der Isar kommt sie vor; O. Loew und Verf. fanden sie vergesellschaftet mit Oladophora am Rand des Fußes, auf den Randsteinen festgewachsen, wenige hundert Schritte unterhalb des Einflusses der Siele. Vaucheria-Rasen zeigen in der hegel Tier- kadaver, Asseln, Würmer ete. in großer Zahl eingeschlossen, wodurch eine organische Ernährung wahrscheinlich wird; sie ist vielleicht ebenso tierverzehrend, wie dies von den insektivoren Phanerogamen, Drosera, 4) Arch. d. Hygiene, 1892, $. 271, Zur Selbstreinigung der Flüsse. 40 PBokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Aldrovanda, Sarracenia, Nepenthes u. a. allgemein angenommen wird (0. Loew). Aus der Gruppe der Florideen ist hier zu erwähnen dıe Chan- transia chalybacea Fr., welche Schenck oberhalb Köln in einer Ent- fernung von ca. 10 m vom Ufer in einer Tiefe von ca. 4 m im Rhein beobachtete. Sie bildet kleine, mehrere Millimeter im Durchmesser haltende blaugrüne Räschen, die zerstreut auf den Bodensteinen sitzen. Batrachospermum ist eine nur selten auftretende Süßwasserfloridee. Unter den Conjugaten sind Spirogyra und Zygnema bekannte Bewohner des süßen (stehenden oder langsam fließenden) Wassers. Sie haben viel zu Versuchen über organische Ernährung gedient. Euglenen, welche halb Infusorium und halb Alge sind, gehören zu den allerverbreitetsten Süßwasserbewohnern der Erde; in jedem Sumpf, fast in jeder Wasseransammlung, die einige Tage auf den Straßen steht, finden sich Arten und meist in außerordentlicher Individuenzahl. Die Eu- glenen sindin ihrem Leben auch an keine Jahreszeit gebunden, sondern vegetieren in gleicher Weise in allen. Während bei zahlreichen Organis- men, besonders pflanzlichen, der Entwieklungsgang in einem bestimmten Rhythmus abwechselnder Lebensthätigkeit und Ruhe verläuft, dem innere Ursachen zu Grunde liegen, besitzen die Euglenen keinen Ruhe- zustand, der für ihren Lebensgang notwendig wäre; nur äußere Be- dingungen gebieten ab und zu Ruhe und bringen das Leben wieder in Fluss (Klebs). Die Euglenen können bei Lichtabschluss nach Klebs Wochen lang in fauligem Wasser leben, wobei sie sich organisch ernähren. Unter den Diatomeen befinden sich ebenfalls zahlreiche Be- wohner des Süßwassers, wie Navicula ceryptocephala (in der Isar), N. cuspidata, N. amphisbaena, Nitschia, Diatoma, Synedra, Cymbella ete. Sie beteiligen sich wahrscheinlich lebhaft an der Reinigung der Flüsse von gelöster organischer Substanz; manche, wie Nitzschia acicularis Sm. kommt sogar gerne an stark verunreinigten Wasserstellen neben den Pilzen (Beggiatoa etc.) vor. Auch Oseillariaeceen (Spaltalgen) mögen das ihrige zur Ver- tilgung organischer Verunreinigung beitragen. Sie bilden schwimmende Rasen, die aus unverzweigten dieht gegliederten Fäden bestehen, und haben entweder blaugrüne oder schwarze Farbe. Jeder Rasen um- schließt Schlamm, wie man beim Herausnehmen aus dem Wasser so- fort bemerkt. Unter dem Mikroskop zeigen die Fäden, namentlich bei entsprechend höherer Temperatur, regelmäßige ruckweise oder pendelartige schwingende Bewegungen. Am Rheinufer fand H. Schenk besonders Oscillaria membranacea Kg. vor. Während des ganzen Jahres zeigt sie sich überall verbreitet auf allen festliegenden Ufersteinen. Genannte Wasserpflanzen sind wohl alle im Stande, organische Nahrung zu verarbeiten, und werden dies in ausgiebigem Maße thun, Bokorny, Ernährnng grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 41 wenn sie größere Ansiedlungen bilden. v. Pettenkofer schreibt hierüber‘): „In der Isar oberhalb und unterhalb München schwimmen überall solche Pflanzen, wie Diatomeen, Spirogyren, Oseillarien, Zyg- nemen, Euglenen etc. oder sitzen an Steinen und Wurzeln im Flusse fest, über welche das Wasser strömt. Ich sah Anfangs März d. J. 40 km oberhalb München, in Tölz, im Flusse an beiden Ufern große grüne Strecken, wie eine von der Schleimalge Hydrurus auf dem Grunde gebildete Wiese, während die Isar an diesem Tage krystallhell darüber floss. Dieselben Algen finden sich auch von München bis 33 km flussabwärts in Freising, und finden sich ebenso im Lech und in der Wertach ober- und unterhalb Augsburg in reichlicher Menge“. „leh bin überzeugt, dass die thatsächlich bestehende Selbstreinigung der Flüsse, die allerdings durch bloße Sedimentierung der suspen- dierten Teile und durch Oxydation der organischen Stoffe durch den im Wasser absorbierten Sauerstoff bisher nur sehr unvollständig er- klärt werden konnte, zum größten Teil auf dem vegetativen Leben im Wasser beruht, geradeso wie die Vegetation auf dem Lande einen verunreinigten Boden, einen gedüngten Acker zu reinigen vermag“?). Die Verunreinigung der Flüsse wird meist weder zu groß noch zu gering sein, um durch Pflanzenvegetation zu verschwinden. Denn in Lösungen, welche 0,1°/, organische Stoffe enthalten, gedeihen Wasser- pflanzen sehr gut. Die Verunreinigung der Isar z. B. beträgt aber beim niedrigsten Wasserstand nur 0,0006°,, was eine erstaunliche Verdünnung der Nährstoffe ist. Loew führt Thatsachen an, dass aber auch bei erstaunlich großen Verdünnungen noch Nährstoffe von den Algen aufgenommen werden. Die im Flusswasser kaum nachweisbaren Spuren von Phosphaten findet man reichlich in ihrer Asche, und den Jod- und Bromgehalt des Meer- wassers hat man auch erst entdeckt, als man die Asche der Meeres- algen untersuchte, in welcher sich die Spuren von Jod- und Bromsalzen, welche das Meerwasser enthält, so sehr anhäufen. Dass selbst bei sehr großer Verdünnung organische Stoffe von den lebenden Algenzellen aufgenommen werden, zeigen die Versuche von Pfeffer, welcher fand, dass Methylenblau noch in einer Verdünnung von 0,001°), von Algen und andern Pflanzenteilen absorbiert wird, wobei sich blau gefärbte, oft krystallisierte Ausscheidungen im Zell- safte bilden®). Die Grenze der Verdünnung für die Absorption ist überhanpt noch nicht festgestellt. Man darf also annehmen, dass die Wasserpflanzen bei der „Selbst- reinigung“ der Flüsse einen Anteil haben, indem sie die gelösten 4) Archiv d. Hygiene, Bd. XII, S.270. 2) Ebenda S. 269. 3) Bot. Zeitung, 1886, Nr. 6. 42 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. organischen Substanzen (Fäulnisprodukte und andere) in sich auf- nehmen und im Ernährungsprozess verarbeiten. Man hat früher und jetzt versucht, andere Ursachen für die Selbst- reinigung der Flüsse zu finden. So hat man vermutet, die Bewegung des Wassers werde die Reinigung vollziehen helfen, und Versuche, die in München unter Pettenkofer’s!) Leitung angestellt wurden, schienen diese Ver- mutung zu rechtfertigen. Pettenkofer setzte Sielwasser in einer kreisförmigen Blechrinne, deren Boden mit Sand bedeckt war, in Drehung. Der Keimgehalt dieses Sielwassers wurde nach verschie- denen Zeiten wiederholt bestimmt und es ergab sich eine Abnahme der Keime nach 60 Stunden auf 0,25°, der ursprünglichen Menge. Aber spätere Versuche von Sehmidt?), durch Sehütteln pathogene Keime anzutöten, hatten keinen Erfolg, und beim obigen Versuch von Pettenkofer fand ein gleichzeitiges Sedimentieren an den Wänden der Blechrinne durch Centrifugalkraft statt, derselbe kann daher gleich- falls nichts für die bakterientötende Wirkung des bewegten Wassers beweisen. Hingegen hat man in dem Sonnenlichte einen wirklichen Feind des Bakterienlebens gefunden. Nach den Versuchen mehrerer Forscher besitzt das Licht bakterientötende Kraft; das wurde bei ver- schiedenen Bakterienarten konstatiert. Die Reinigung von gelöster organischer Substanz hat man zum Teil auch auf den im Wasser gelösten Sauerstoff geschoben; aber wohl mit Unrecht; denn die hier in Betracht kommenden organischen Stoffe werden meist von gewöhnlichem Sauerstoff gar nicht angegriffen; z. B. Essigsäure, Glyzerin, Zucker, Glycocoll. Ich habe O,1prozentige Lösungen solcher Stoffe Wochen lang bei reichlichem Luftzutritte stehen lassen, ohne dass ein Verbrauch derselben zu konstatieren war. Nur wenn lebende Organismen, Bakterien, Schimmelpilze, oder Algen und andere grüne Pflanzen hineingelangen, wird die organische Substanz verbraucht. Die Bakterien eignen sich zum Verbrauche derselben be- sonders dann, wenn hohe Konzentrationen obwalten, wie beim Einfluss der Siele in den Fiuss; hier treten nur Pilze auf, keine grünen Pflanzen. Ist die Verdünnung eine starke, 0,1°/, oder weniger, so können auch grüne Pflanzen auftreten und an dem Verbrauch der organischen Stoffe sich beteiligen. Nur wenige organische Stoffe werden von grünen Pflanzen in erheblicher Konzentration, etwa in 1 prozentiger und stär- kerer Lösung ertragen und verwertet; Zuckerlösungen dürfen sogar in 5—10prozentiger Lösung zur Einwirkung gelangen; sie werden in den chlorophyliführenden Zellen verarbeitet, es wird Stärke gebildet. Gerade bei sehr hohen Verdünnungen der organischen Substanz aber, wie sie bei der Flussverunreinigung durch Einleiten des Siel- 1) Deutsche mediz. Wochenschrift, 1891, Nr. 47. 2) Arch. f. Hyg., Bd. 13. Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 43 wassers oft herbeigeführt werden (starke Konzentration herrscht nur an der Einflussstelle selbst), erscheinen die grünen Wasserbewohner, Algen und Blütenpflanzen, besonders geeignet, in den Reinigungs- prozess einzugreifen. Die grünen Pflanzen sind nicht wie die Pilze auf reichliche Zufuhr organischer Substanz angewiesen; sie können ihren Kohlenstoffbedarf auch dureh Kohlensäureassimilation decken, sie verarbeiten organische Nahrung nur sozusagen nebenbei, wenn sie ihnen dargeboten wird; sie verfallen nicht dem Hungertode, wenn die organische Nahrung ausbleibt oder durch reichlich gefallenen Regen zu stark verdünnt wird, um ausgiebig ernähren zu können. In der grünen Wasservegetation erblicken wir also einen langsamen aber sicheren Verzehrer der organischen Abfallstoffe, die in den Fluss ge- langen. Die Bakterien haben bei der Selbstreinigung der Flüsse haupt- sächlich die Aufgabe, die suspendierten organischen Teile, Fragmente tierischen oder pflanzlichen Ursprunges, in Lösung zubringen, was auch jüngst wieder von H. Jaeger!) hervorgehoben wurde. „Wir werden nach meiner Ansicht nicht fehlgehen, wenn wir den Bakterien haupt- sächlich die Thätigkeit zuschreiben, dass sie suspendierte organische Stoffe angreifen und zunächst in Lösung bringen. Dafür spricht nament- lich die schon erwähnte Thatsache, dass sie mit den suspendierten Stoffen niedersinken. Aber gerade wie auf einem gedüngten Acker das durch die Bakterien eingeleitete Ausfaulen ohne nennenswerte Geruchsbelästigung von Statten geht, so vollbringen auch die Bakterien im Fluss diese Aufgabe in diskreter Weise, wenn nicht die zu bewäl- tigenden Stoffe eine maßlose Menge erreichen“. „Die Bakterien vermögen die Prozesse der Selbstreinigung nur anzubahnen, nicht zu vollenden. Die weitere Lösung des Rätsels zu finden, dazu hat nun wiederum Pettenkofer den richtigen Weg ge- wiesen, indem er schon im Jahre 1891 auf einen Vorgang hinwies, der die Selbstreinigungsvorgänge im Kleinen illustriert“. „Bekanntlich kann man bei Aquarien die Beobachtung machen, dass es durchaus nicht notwendig ist, das Wasser häufig oder in dauerndem Wechsel durch frisches zu ersetzen, sondern dass es genügt, wenn man konstant einen Luftstrom durch das Wasser hindurchleitet: obgleich die Tiere ihre Exkremente in das Wasser entleeren, obgleich ihnen ihr Futter hineingeworfen wird, bleibt das Wasser Monate lang klar und geruchlos. Eine Verdünnung des mehr und mehr Unreinig- keiten aufnehmenden Wassers findet nicht statt, auch bleibt der Boden des Aquariums rein, es setzt sich kein Schlamm auf demselben ab. Wir haben hier also eine Selbstreinigung in sehr vollkommener Art 4) Naturwissenschaftliches und Sanitäres über Flussverunreinigung und Selbstreinigung unserer Gewässer. Württ. mediz. Korr.-Blatt, 1896. 44 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. vor uns, denn offenbar verschwinden die unreinen faulfähigen Stoffe aus dem Wasser. Wird keine Luft mehr zugeführt, dann trübt sich bald das Wasser durch Entwicklung von Bakterien und es kommt zu wahrnehmbarer Fäulnis in demselben. So war es denn klar, dass die gewaltige Kraft des Alles-Zerstörers und Alles-Belebers, des Sauer- stoffes, für das Zustandekommen auch dieses Riesenreinigungswerkes wesentlich mit in Anspruch genommen ist. Der Gedanke lag ja sehr nahe und ist auch keineswegs neu: er taucht schon bei Plinius auf, und die englische Kommission for preventing the pollution of rivers, welche ihren Bericht 1869 abgegeben hat, war dieser Frage experi- mentell und mittels Beobachtung an Flussläufen näher getreten: es wurden Sielwasser in verschiedenem Verhältnis mit Reinwasser ver- setzt, bei starkem Luftzutritt heftig bewegt und sodann bestimmt, wie viel an gelöstem Sauerstoff verschwand, aber das Resultat war merk- würdigerweise kein befriedigendes, die Oxydation der organischen Sub- stanz ging äußerst langsam von statten. Auch die Beobachtungen an den Flüssen fielen häufig den erwarteten Ergebnissen direkt zu wider- laufend aus: man fand in flachen Gewässern, wo die Wassermenge ausgiebige Berührung mit Luftsauerstoff haben musste, häufig nur geringe selbstreinigende Kraft, dagegen in tiefen engen Flussbetten ein rasches Verschwinden der organischen Substanzen. Dieser Misserfolg der Experimente und Beobachtungen der eng- lischen Kommission wird uns jetzt verständlich; die Kommission hatte die biologischen Verhältnisse außer Acht gelassen und es ist das Ver- dienst Pettenkofer’s und seiner Schüler, des Rätsels Lösung ge- fanden zu haben: Dass die Selbstreinigung von statten gehe, dazu be- darf es der Mitwirkung der gesamten Flora und Fauna des Wassers und je reicher und mannigfaltiger die Formen um so größer — ceteris paribus — die selbstreinigende Kraft“. „Auf die reichliche Zuführung organischer Substanz muss die Natur veranlasst werden durch erhöhte Produktion organischer Gebilde zu antworten; wie es bei der Düngung der Felder gelingt, durch reich- liche Zuführung organischer Substanzen den Boden anzuregen zu ge- steigerter Produktion, so muss auch die selbstreinigende Kraft der Flüsse einer Erhaltung ja Steigerung fähig sein durch Ueberwachung und Pflege ihrer gesamten biologischen Vorgänge, des Verhältnisses ihrer durch die Bakterien eingeleiteteu regressiven Stoffmetamorphose zur progressiven von den Chlorophylipflanzen unterhaltenen“. Die Bedeutung der organischen Ernährung grüner Pflanzen im Haushalte der Natur darf nicht unterschätzt werden, wie sich aus Vorstehendem ergibt. Fürs erste gedeiht die Pflanze selbst durch Zufuhr organischer Nahrung; dann wird die ganze Umgebung der grünen Pflanzen durch ihre organische Ernährung mächtig beeinflusst. In der Ackererde ver- Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 45 mindert sich hiedurch die organische Substanz, auch die Produkte der Fäulnis, wie Essigsäure, Glycocoll, werden so wieder in den Pflanzen- organismus übergeführt und damit aus dem Boden entfernt. Die Flüsse endlich erfahren durch die grüne Pflanzenvegetation eine stete Rei- nigung, welche darauf hinzielt, dass die organischen Stoffe sich nicht zu sehr im Wasser anhäufen können. IV. Ueber die chemischen Vorgänge bei der organischen Ernährung grüner Pflanzen. Bei der Kohlensäureernährung findet nach A. v. Baeyer zunächst eine Reduktion des Stoffes H,CO, zu H,CO statt; es wird Formaldehyd gebildet, welcher sich zu Zuckermolekülen kondensiert; beides geschieht unter dem Einfluss des lebenden chlorophylihaltigen Protoplasmas und des Lichtes, in toten Zellen und bei Abwesenheit von Licht kann die Synthese nicht stattfinden. Die Pilze sind nicht fähig Kohlensäure zu assimilieren, weil ihnen das Chlorophyll mangelt. Verf. hat sieh früher !) bemüht, auf experimentellem Wege einen Beweis für die Richtigkeit der Baeyer’schen Hypothese aufzufinden, indem er Formaldehyd und formaldehydabspaltende Substanzen den grünen Pflanzen zur Ernährung darbot. Freier Formaldehyd erwies sich als sehr giftig und darum unbrauchbar; schon Lösungen von 1:20000 sind tötlich für die Pflanzenzellen. Methylal und formaldehyd- schwefligsaures Natron aber, beides Substanzen, aus denen sich leicht Formaldehyd abspalten lässt, erwiesen sich als Nährsubstanzen, aus denen Algen leicht Stärke bilden; damit war der Nachweis geliefert, dass grüne Pflanzen den Formaldehyd in Kohlehydrat umwandeln. Für den andern Teil der Theorie, wonach Kohlensäure in CH,O ver- wandelt wird unter dem Einfluss von Zelle, Licht und Chlorophyll, konnte ein experimenteller Beweis bis jetzt nicht erbracht werden. Da die grünen Pflanzen eine so große Gewandtheit in der Kohlen- säureassimilation besitzen (1 qm Blattfläche assimiliert in 10 Std. 3-5 8 Tr.S.) da ferner den lebenden Zellen eine große Oxydationskraft zukommt, so liegt der Gedanke nahe, dass die oben als ernähernd aufgeführten organischen Substanzen zuerst zu Kohlensäure oxydiert oder dass aus ihnen (z. B. bei den organischen Säuren) Kohlensäure abgespalten wird, welche dann wie bei dem gewöhnlichen Assimilationsprozess zum weiteren Aufbau von Kohlehydraten dient. Es würde damit die organische Ernährung in die Bahnen geleitet, welche von der grünen Pflanze ;bei der ihnen so geläufigen Kohlensäureernährung eingeschlagen werden. Gegen diese Annahme lassen sich aber folgende Einwände erheben: Fürs erste fehlt bis jetzt der Nachweis, dass eine solche weitgehende 1) Der chem. Vorgang bei der Kohlensäureassimilat. Habil. Schr., Er- langen 1888, und diese Zeitschrift, Bd. XII, S. 481. 46 Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. Oxydation oder Zerspaltung vor sich geht. Zweitens ist es unerlaubt, ohne direkten Beweis anzunehmen, dass die Pflanzenzelle auf Umwegen ihr Ziel erreicht. Warum soll dieselbe das Weinsäure-Molekül, COOH— CHOH— CHOH— COOH, zuerst zu Kohlensäure oxydieren, nachdem die zur Synthese brauchbare Atomgruppe CHOH schon zweimal im Molekül enthalten ist? Die beiden Endgruppen COOH mögen ja viel- leicht zu CO, werden und dann dem gewöhnlichen Assimilationsprozess unterliegen. Ferner ist von manchen organischen Stoffen, wie dem Glyzerin und Zucker, erwiesen, dass dieselben auch bei Lichtabschluss in Stärke verwandelt werden können; im Dunkeln kann aber die Kohlensäure bekanntlich nicht assimiliert werden. Auch die Pilze ernähren sich ja von organischen Stoffen, wiewohl sie die Kohlensäure nicht zu assimilieren vermögen. Wenn es sich aber nicht.so verhält, dass die organischen Sub- stanzen zuerst zu Kohlensäure oxydiert werden, welche dann der Assimilation dient, so entsteht weiterhin die Frage, wie denn sonst so verschiedenartige Verbindungen wie die oben aufgeführten aile zu ein und demselben Endprodukt Stärke umgewandelt werden. Diese Frage fällt aber zusammen mit der Frage der Pilzernährung. Die Pilze verstehen es ja, organische Verbindungen der verschiedensten Art in diejenigen Stoffe zu verwandeln, welche zum Aufbau ihres Protoplasmaleibes und ihrer Zellwand dienen. Wie fangen es die Pilze an? O0. Loew weist in seinem Aufsatz über die chemischen Fähig- keiten der Bakterien!) auf 3 Substanzen hin, welche ohne Gifte zu sein, nicht zur Ernährung der Pilze dienen können, nämlich 1. das Glyoxal, 2. das Tetramethylglykol, 3. das Aethylendiamin. Nach 2 Wochen erwiesen sich die Lösungen dieser 3 Stoffe als völlig klar und frei von Bakterien. Er knüpft daran folgende Erörterungen: „Offenbar müssen bei der Eiweißbildung aus verschiedenem Material zunächst bestimmte Atoıngruppen durch oxydative und spaltende Thätig- keit (in einzelnen Fällen auch durch oxydierende Vorgänge) herge- stellt werden, ehe die Eiweißbildung beginnen kann. Diese Vorgänge können nun durch verschiedene Umstände erschwert werden, einmal durch große Festigkeit des Moleküls, wie beim Pyridin, dann durch geringe Oxydierbarkeit, wie beim Tetramethylglykol, ferner durch be- stimmte Atomstellungen wie beim Glyoxal. Bei letzterem Körper finden wir gewiss eine leichte Oxydier- und Spaltbarkeit und doch ist er nicht von Bakterien zu verwenden. Nach der von mir aufgestellten Theorie ist diejenige Atomgruppierung, welche bei der Eiweißbildung zuerst hergestellt werden muss, der Formaldehyd, resp. die damit isomere Gruppe CHOH. Ich folgere weiter, dass solche Stoffe, bei denen die 1) Centralbl. f. Bakt. u. Paras.-Kunde, 1892, Nr. 11/12. Bokorny, Ernährung grüner Pflanzen und ihre Bedeutung in der Natur. 47 Bildung dieser Gruppe auf große Schwierigkeiten stößt, auch keine Nährstoffe sind. Diese Schwierigkeiten hängen mit der Konstitution und Molekulargröße zusammen; sie wachsen z. B. mit der Anhäufung der Methylgruppen an Stelle von Wasserstoflatomen, wie ein Vergleich von Methylamin mit Trimethylamin erkennen lässt: N—H N—-CH, CH, CH, Methylamin. Trimethylamin. Das letztere ist eine weit schlechtere Kohlenstoffquelle als ersteres, wie mir Versuche mit neutralen phosphorsauren Salzen ergaben, die in derselben Weise wie oben zur Verwendung kamen“. Naegeli glaubt!), dass jene in dem ersten Assimilationsprodukt der Pilze enthaltene Atomgruppe „aus 2 oder eher 3 unmittelbar mit einander in einer Kette zusammenhängenden Kohlenstoffatomen bestehen muss, an denen unmittelbar sowohl Wasserstofi- als Sauerstoff- Atome befestigt sind, und dass durch Verdoppelung daraus zunächst eine 6 Kohlenstoffatome enthaltende Gruppe sich bildet. Findet dies wirk- lich statt, so begreifen wir die aus den Versuchen sich ergebenden Resultate, dass unter übrigens gleichen Umständen Verbindungen mit 1 C-Atom am schwierigsten (Methylamin) oder gar nicht (Ameisen- säure, Chloral) assimiliert werden, dass mit der steigenden Zahl der unmittelbar zusammenhängenden C-Atome die Assimilation besser von statten geht (Leuein mit 6 C ernährt besser als Asparagin mit 4 0)“. „Auf die Konstitution der in dem ersten Assimilationsprodukt enthal- tenen Atomgruppe lässt sich aus der Beschaffenheit der nährenden Verbindungen kein Schluss ziehen, weil in den letzteren die entschei- dende Gruppe offenbar ungleich konstituiert ist und weil deshalb Wanderungen der an der Kohlenstoffkette hängenden H- und O-Atome bei der Assimilation angenommen werden müssen“. Beide Anschauungen stimmen darin überein, dass sie eine einheit- liche Atomgruppe annehmen, welche bei jeder Assimilation organischer Kohlenstoffnahrung zuerst gebildet und dann zu den komplizierten Verbindungen des Pflanzenkörpers aufgebaut wird. Dass die so ‚verschiedenartigen zur organischen Ernährung me lichen Stoffe nicht als solche zum Aufbau dienen können, liegt auf der Hand; es müssten dann ja verschiedene Produkte entstehen, was bekanntlich nicht der Fall ist. Der Pilz und die grüne Pflanze baut immer dieselben Stoffe auf, immer dieselben Eiweißstoffe und Kohle- hydrate, wie auch immer die dargebotenen organischen Verbindungen beschaffen sein mögen. Gewiss ist keine Täuschung größer, wie wenn Jemand glaubt, dass man die Pflanzen durch Zufuhr verschiedenen 4) Ernährung der niederen Pilze. Sitzungsber. der math.-phys. Klasse, München, 5. Juli 1879. 48 Bryhn, Ausstreuen der Sporen bei den Splachnaceen. organischen Materials zwingen könne, andere Eiweißstoffe oder Kohle- hydrate zu bilden, als sie normaler Weise produzieren. Die Assimi- lation ist in feste unverrückbare Bahnen geleitet seit undenkbaren Zeiten und wird nie zu etwas anderem führen, als was in dem Proto- plasma der Pflanzenarten auf bis jetzt unbekannte Weise vorgezeich- net ist. Da die Loew’sche Hypothese als die einfachste erscheint, dürfen wir wohl vorläufig von derselben ausgehen bei der Betrachtung des chemischen Verlaufes der Assimilationsthätigkeit. Es wird aus allen organischen Substanzen, die als Kohlenstoffnahrung dienen, die Atom- gruppe CH,O gebildet (durch Spaltung, Oxydation, Reduktion), welche dann entweder unter Mitwirkung von Ammoniak zu Eiweißstoffen auf- gebaut oder für sich zur Kohlehydratbildung verwendet wird. Möglich ist es auch, dass zuerst Eiweißstoffe gebildet werden und aus diesen durch Abspaltung Kohlehydrat entsteht. Es ist das noch eine offene Frage, die weiterer wissenschaftlicher Prüfung bedarf. [1] Beobachtnngen über das Ausstreuen der Sporen bei den Splachnaceen. Von N. Bryhn. Vortrag, gehalten in der biolog. Gesellschaft zu Christiania, 1. Oktober 1896. Unter den Moosfamilien gehören die Splachnaceen und von diesen speziell die Gruppe Splachneae, mit den beiden Gattungen Tetraplodon und Splachnum, ohne Zweifel zu unseren meist interes- santen Moosen, auf Grund ihres eigentümlichen Aussehen und ihrer Lebensart. Die Gruppe Splachneae zeichnet sich unter den gipfelfrüchtigen Laubmoosen dadurch aus, dass ihre Theca („Kapsel“) mit einen Ansatz versehen ist, eine mehr oder minder starke Anschwellung am oberen Ende der Seta (der „Kapselstiel“, Fig. 1d), die sogenannte Hypophyse (der „Ansatz“, Fig. 1c), die dicker ist als die eigentliche Kapsel (die „Urne“, Fig. 15) und eine von dieser verschiedene Farbe hat. Ferner zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie auf Exkrementen und verfaulten animalischen (selten auf vegetabilischen) Ueberresten wachsen. Bei der Gattung Tetraplodon haben sämtliche Arten schwarzbraune, birnförmige oder länglich eiförmige Hypophyse, etwas dieker als die Urne. Unsere mehr bekannten Arten sind: Tetraplodon angustatus, T. mnioides und T. Wormskjoldii. Die beiden ersten sind subarktische Arten, die man über den größten Teil des Landes verbreitet findet, bis zu einer Höhe von wenigstens 1500 Meter über dem Meere hinauf. Sie kommen in großer Menge in den höher belegenen Wäldern der öst- Bryhn, Ausstrenen der Sporen bei den Splachnaceen. 49 lichen Teile des Landesvor, und wachsen auf Exkrementen vom Fuchs, Elen- und Rentiere und anderen Tieren oder auf den Cadavern von Tieren, sehr selten auf verfaulten, in Kreuz und Quere von Pilze durch- webten Baumwurzeln. Das arktische Tetraplodon Wormskjoldii ist ausschließlich Hoch- gebirgspflanze. Es findet sich auf tiefen Mooren und kaum unter einer Höhe von 600 Meter. Es ist sehr selten in den südlichen Gebirgen, weniger selten in den nördlichen Gebirgen. Es wächst beinahe aus- schließlich auf Lemmingleichen. Kıe, 1. P ä Bei der Gattung Splachnum ist die Hypophyse sehr verschieden, sowohl in Betreff auf die Form, Farbe und Größe. Unsere gewöhnlichste Art, das subarktische Splachnum sphaericum, hat sehwarzrote breit eirunde Hypophyse, etwas dieker als die Urne. XV. 4 50 Bryhn, Ausstreuen der Sporen bei den Splachnaceen. Man findet es hier und da über das ganze Land, auf Mooren und in Nadelwäldern und in einer Höhe von mindestens 1900 Meter, in der hegel auf Exkremente vom Elen, Rentiere, Rindern und anderen grasfressenden Tieren, sehr selten auf verfaulten von Pilzmycelien durchwebten En Dan und Stubben. Splachnum ampullaceum, das eine große, Ben aufge- blasen birnförmige Hypophyse hat (Fig. 2), ist eine Unterlandspflanze (boreal) und sehr selten in den nördlichen Gebirgen. Es wächst aus- schließlich auf Exkrementen, speziell der Rinder. Das subarktische Splachnum vasculosum hat eine schwarzrote, aufgeblasen kugelförmige Hypophyse, mehrere Mal dieker als die Urne. Es wächst auf nassen Mooren, auf Exkrementen der Schafe und anderer grasfressender Tiere. Es gedeihet am besten in subalpinen Gegenden und geht bis zu einer Höhe von wenigstens 1200 Meter hinauf. Splachnum luteum und Sp. rubrum sind zwei seltene arktische Arten, mit großer schirmförmiger Hypophyse. Diese gedeihen in Nor- wegen am besten in den höher gelegenen östlichen Nadelwäldern. Man findet sie häufig in den Mooren und immer auf Exkrementen von grasfressenden Tieren, speziell der Rinder, wachsend. Splachnum luteum hat eine gelbe und Sp. rubrum eine purpurfarbige, metallisch glänzende Hypophyse. — Wir haben folglich eine ganze Reihe, mehr oder weniger allgemein bekannter Moose, die alle auf verfaulten organischen Reste wachsen und diese Reste sind nicht ein zufälliges Substrat, sie sind eine Lebens- bedingung für diese Pflanzen. Dieses schließe ich erstlich daraus, dass ich niemals in der Natur ein Splachnum oder ein Tetraplodon unter anderen Bedingungen ge- sehen habe, und ich habe Splachnaceen in vielen Jahren gesammelt und jede einzelne dieser Arten viele Male gesehen. Demnächst ziehe ich diesen Schluss aus Versuchen, die ich mit der Aussaat von Sporen gemacht habe. Viele Male habe ich zu ver- schiedenen Zeiten Sporen verschiedener Arten auf Boden verschiedener Art ausgesäet, im Uebrigen aber unter denselben Bedingungen, unter welchen jede Art in der Natur am besten gedeiht. Das Resultat ist immer dasselbe geblieben, nicht eine einzige Spore hat gekeimt. Ebenso hat ein jeder Versuch mit der Aussaat von Sporen auf altem Mist dasselbe Resultat gegeben. Endlich habe ich, die mehrjährigen Arten betreffend, beobachtet, dass das Gedeihen der Pflanze davon abhängt, wie weit mehr oder weniger deutliche organische Reste in dem Häufchen vorhanden waren. Z. B. habe ich manches Mal in Betreff auf Tetraplodon Wormskjoldii gesehen, dass das ganze Polster- chen üppig war, so lange man im Boden des Häufchens deutliche Lemmingreste finden konnte, wenn aber die Reste des Cadavers nicht mehr deutlich sind, so gedeihet auch die Pflanze nieht mehr, das Bryhn, Ausstreuen der Sporen bei den Splachnaceen. 51 Ja ganze Polsterchen bekommt ein kränkliches Aussehen und die Pflanze kann nicht länger, den anderen Moosen gegenüber, Stand halten, die von der Peripherie des Häufchens eindringen und nach und nach den Platz erobern. Diese Pflanzen müssen ohne Zweifel als Saprophyten angesehen werden und dieses vermutlich begründet in der Aufnahme des Stick- stoffes, denn sie sind ganz hinauf in die Hypophyse reichlich mit assi- milierendem, chlorophyllführendem Gewebe versehen. Splachnum lebt als Saprophyt auf Exkrementen und ist in der hegel einjährig: Die Sporen keimen das erste Jahr und die Pflanze blüht und entwickelt die Frucht (Kapsel) das zweite Jahr, jedenfalls nur ein Mal im Leben, wonach sie vollständig verwelkt und ver- schwindet. Dies ist eine natürliche Folge der Beschaffenheit des Sub- strats, denn nach Verlauf von ein paar Jahren wird niehts nennenswertes zurückgeblieben sein von einem Kuhfladen oder anderen Exkrementen. Tetraplodon lebt als Saprophyt auf Cadavern, ist mehrjährig, ent- wickelt Seitentriebe und setzt Frucht an Jahr für Jahr. Hier liegt nicht im Substrate ein Hindernis für ein höheres Lebensalter, denu eine Lemmingleiche oder ein anderer Cadaver wird, wenn er beständig mit kaltem Wasser durchfeuchtet ist, in mehreren Jahren nicht vollständig verwesen. Alle diese Pflanzen sind verhältnismäßig selten, jedenfalls mehrere. Es gibt norwegische Bryologen, die niemals Gelegenheit gehabt haben z. B. ein Splachnum rubrum oder Tetraplodon Wormskjoldii in der Natur zu sehen. Es sind auch nicht überall Exkremente oder Cadaver in unseren Wäldern und auf unseren Mooren umher gestreut. Es hat mich deshalb in längerer Zeit interessiert, dahinter zu kommen, auf welche Art die Sporen der Moose umher zerstreut werden nach den Stellen, wo sie das bestimmte, für die Pflanze notwendige Substrat finden. Einmal sah ich, dass eine Kuh ein Häufehen Splachnum rubrum fraß und wiederholte Male habe ich beobachtet, dass Schafe mit Be- gierigkeit Splachnum vasculosum fressen. Ich dachte mir einmal die Möglichkeit, dass Sp/achnum-Sporen in Aehnlichkeit mit einzelnen Pilzsporen erst den Darmkanal des Tieres passieren müssen, ehe sie keimen und dass sie von dem Tiere, mit Exkrementen vermischt, ausgesäetwerden. Um nun dahinter zu kommen, wie es sich damit verhält, habe ich einige Mal, unter den notwendigen Kauteln, Kühe mit Splachnum gefüttert, der Versuch hat aber jedes Mal ein negatives Resultat gegeben. — So war es einmal in vorigen Sommer um St. Johannis, ich saß an einem reizenden sonnigen Tage und ergötzte mich in der Beschau- ung eines großen prächtigen Polsters des Splachnum rubrum. Und ergötzen muss man sich, denn ein solches Polster, auf das die Sonnen- 4* 59 3ryhn, Ausstrenen der Sporen bei den Splachnaceen. strahlen durch die Fiehtenzweige hernieder fallen, ist wahrlich wert zu schauen. Die Fliegen und Mücken plagten mich tüchtig. Da be- merkte ich, dass auch das Splachnum-Polsterchen die Aufmerksamkeit der Fliegen in Anspruch nalım. Ein Schwarm von Fliegen, sowohl Fliegen mit den gewöhnlichen Habitus der gemeinen Stubenfliege, sowie Dungfliegen und Schmeiss- fliegen umschwärmten das Polster, und wetteiferten förmlich darin sich auf dasselbe niederzulassen und auf den schaukelnden Hypophysen herumzukriechen. Ich beobachtete im Laufe einer halben Stunde mehr als 50 Besuche von Fliegen auf demselben Polster. Einige dieser Fliegen wurden gefangen und untersucht, sie waren sämtlich mit einem gelben Pulver eingepudert, das sich bei späterer mikroskopischer Untersuchung als aus Splachnum- Sporen bestehend erwies. Die Fliegen waren entweder gleichmäßig auf der ganzen Unter- seite entlang gepudert, oder hatten einen großen Klumpen von Sporen auf dem Thorax. | Weiter wurde observiert, dass die Fliegen von dem Splachnum- Polster gleieh nach einem, in der Nähe sich befindenden, ganz frischen Kuhfladen (von demselben oder den vergangenen Tage) hinflogen und sich hier niederließen und auf demselben herumwühlten. Wie bekannt lesen die Fliegen ihre Eier in frische Exkremente. — Diese meine hierdurch erweckte Vermutung, dass es die Fliegen seien, die die Aussaat der Sporen dieser Pflanzen besorgen, hat sich später bestätigt. Mehrmals später habe ich dasselbe beobachtet in Betreff auf verschiedene Arten, sowohl in der Gattung Splachnum wie in der Gattung Tetraplodon. Es ist nur der Unterschied, dass Tetra- plodon beinahe ausschließlich Besuch von Schmeissfliegen bekommt, die gerade, wie bekannt, es lieben, ihre Eier und Maden in Cadaver (Fleisch) zu legen und also zu gleicher Zeit die Tetraplodon - Sporen aussäen, während andere Fliegen es übernommen haben, die Splachnum- Sporen in Exkremente auszusäen, indem sie zur selben Zeit ihre Eier legen. Nachdem ich nun von den Fliegen gelernt hatte, in ganz frische Exkremente zu säen, habe auch ich die Sporen von Splachnum rubrum zum keimen gebracht. — Betrachten wir nun ein Splachnum etwas genauer, speziell wenn wir es einige Zeit in der Natur observieren, so werden wir darüber erstaunen, wie zweckmäßig die Pflanze in der bestimmten Hinsieht ausgesteuert ist, das Ausstreuen der Sporen durch die Fliegen zu er- leichtern. Wir werden da finden, dass die Pflanzen in dichten Polstern zu- sammengedrängt wachsen, die ziemlich groß sind (von einem Diameter bis auf 25 Centimeter) und in weiter Entfernung leuchten. Wir werden finden, dass die Seta ungewöhnlich lang ist (bis zu 20 Centimeter) Bryhn, Ausstreuen der Sporen bei den Splachnaceen, 55 und dass sie auch nach der Sporenreife wächst. Weiter werden wir finden, dass die Hypophyse erst gegen die Zeit der Sporenreife die charakteristische strahlende Farbe bekommt, und dass die Hypophyse ebenfalls fortfährt mit dem Wachsen, selbst nach der Sporenreife. Die Pflanze wird also höher und mehr in die Augen fallend, je länger sie lebt. Bei der Urne ist zu bemerken, dass diese mit den Peristomzähnen sehr hygroskopisch ist und dass ihre Columella (Centralstütze) auf dem obersten Ende eine beinahe scheibenförmige Erweiterung hat (Fig. 2a). Wenn die Theca (die Kapsel) vollständig reif ist und ihr Deckel (Fig. 1a) abgefallen ist, werden wir, im Falle hinreiehender trockener Witterung, binnen kurzer Zeit folgende Veränderungen ob- servieren können: Die Peristomzähne, die dicht beisammen wie ein Dach über den Eingang zum Innern der Urne liegen (Fig. 3«@), werden sich aufrichten und sich ziemlich schnell hinaus über den Rand der Urne zurückbiegen (Fig. 25 und Fig. 4c), die Urne wird einschrumpfen und sich in allen Dimensionen vermindern, während die Columella durch Streckung in die Länge wächst (Fig. 2,3 und Fig. 45). Hierunter werden die Sporen aufwärts längs der Columella, hinauf unter den obersten scheibenförmigen Teil derselben gepresst. Nun entdecken wir eine Eigentümlichkeit bei diesen Sporen; sie sind nicht trocken und stöberig wie die Sporen der Moose im Allgemeinen, sie sind im Vergleich mit anderen Moossporen kleberig und bleiben in großen Klumpen zwischen der Columella und den zurückgebogenen Peristom- zähnen hängen, teilweise auch über diese hinaus (Fig. 4a). Und nun können die Fliegen kommen. Wird die Luft f&ucht, schwillt die Urne wieder an, streckt sich in ihre alte Länge aus und die Sporen werden wieder in der Urne verwahrt, während die Peristomzähne sich aufs Neue, wie ein Deckel, über das Ganze legen (Fig. 3). Hierdurch ist die Pflanze dagegeu 54 Bryhn, Ausstreuen der Sporen bei den Splachnaceen. gesichert, dass Regen oder Thau die Sporen nutzlos wegspülen und dagegen gesichert, dass die Sporen vielleicht, unter Einwirkung der Feuchtigkeit, anfangen könnten an der Stelle zu keimen. Sie ver- wahrt ihre Sporen bis zum nächsten Tage mit Sonnenschein und Fliegen, die wie bekannt in Regenwetter nicht besonders aufgelegt sind herum- zuschwärmen. Bei Teiraplodon findet man einigermaßen entsprechende Verhält- nisse. Hier ist der Unterschied, dass allerdings hier die Hypophyse in Größe nach der Sporenreife zunimmt, aber nicht die Seta. Die Columella ist hier von den festsitzenden, abgebrochenen Spitzen der Peristomzähne gekrönt und ragt nieht über den Rand der Urne hervor. Die Seta ist weniger lang und öfters viel dieker und steifer, so dass sie mit Leichtigkeit ein so großes Tier wie eine Schmeissfliege tragen kann, was eine Sylachnum-Seta kaum immer kann. — Tetraplodon hat minder strahlende Farben als Splachnum, ist aber doch genügend in die Augen fallend mit den diehtsitzenden dunkeln Kapseln auf einem frisch grünen zuckerhutförmigen Polster, das Jahr für Jahr höher und spitzer wird. Es hat außerdem als mehrjährig bessere Aussicht dazu, einmal seine Sporen gut anbringen zu können. — Der Vollständigkeit halber, werde ich die Gattung Tayloria_ er- wähnen, die zu einer anderen Gruppe in der Familie der Splachnaceen gerechnet wird. Bei dieser findet man keine Hypophyse, dahingegen ist die Theca mit einen langen dunkelgefärbten Hals versehen. Die langen Peristomzähne sind im feuchten Zustande spiralförmig in die Urne niedergerollt, wenn sie sich im trockenen Wetter emporrichten und hinaus über den Rand der Urne beugen, wird ein Klumpen Sporen an jedem Zahn festhängen. Tayloria tenwis ist unsere mindest seltene Art, sie kommt hier und dort mit Arten von Splachnum oder Tetraplodon zusammen vor, oder auch in eigenen Häufchen, ganz unter denselben Verhältnissen wie ein Splachnum oder ein Tetraplodon. Jedenfalls bei dieser Art geht das Ausstreuen der Sporen durch Fliegen vor sich. — Bis hier erscheint mir Alles unzweifelhaft. Dahingegen steht die Absicht der Fliegen mit ihren Besuch bei den Splachnaceen nicht klar vor mir. Bei diesen Moosen findet sich weder süßer Saft oder etwas anderes für sie Genießbares. Möglich ist es, dass ein solches schönes Splachnum-Polster als Spielplatz für Fliegen dienen kann. Nieht unwahrscheinlich ist es, dass die hohen Tetraplodon-Polster den Fliegen tals Stationen unter dem Fluge dienen. — Am meisten wahrscheinlich ist es, dass die Fliegen sich von den strahlenden Farben narren lassen und annehmen, das Moospolster sei eine Sammlung honigführender Blumen, oder vielleicht am liebsten für einen der großen Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Trichodina. 55 Hutpilze, unter welehen man Arten mit einigermaßen entsprechenden, wenn auch weniger strahlenden Farben findet. Ein Sp/achnum-Polster erinnert auch in der Entfernung, als Ganzes betrachtet, in Bezug auf die Form etwas an einen der großen Hut- pilze, die bei den Fliegen sehr beliebt sind. Ein paar Mal habe ich eine Ameise inwendig in der Hypophyse eines Splachnum vasculosum angetroffen. Diese sind ohne Zweifel auf Honigraub aus gewesen, sie haben ein Loch gebissen, sind hineingekrochen und ließen sich narren. Und der, welcher eine Ameise zum Narren machen kann, kann es gewiss mit Leichtigkeit mit einer Fliege thun. — Schließlich möchte ich daran erinnern, dass dieses in biologischer Beziehung interessante Abhängigkeitsverhältnis, in welchem diese hier besprochenen Moose zu den Fliegen stehen, vollständig analog ist mit dem so wohl bekannten Abhängigkeitsverhältnis, in welchem die große Schaar der entomophilen Blütenpflanzen zu den Insekten steht. Eben so sicher, wie die entomophilen Blütengewächse ohne Insekten bald verschwinden würden, eben so sicher würden, ohne Fliegen, die Tage dieser Splachnaceen bald gezählt sein. [3] Zur Kenntnis der Gattung Trichodina Ehrbe. Von Hans Wallengren in Lund. - Während der letzten Jahre habe ich bei meinen Studien über eiliate Infusorien oft den auf verschiedenen Süßwasserfischen parasitisch lebenden Repräsentanten dieser Gattung Aufmerksamkeit gewidmet. Jetzt liegt eine genauere Untersuchung der Form vor, die ich wenig- stens bis weiter als mit der von Ehrenberg!) u. a. beschriebenen Tr. pediculus der Hydra identisch auffassen will. Gleichzeitig mit meinen Untersuchungen über diese Form habe ich auch Tr. mitra v. Siebold ?) beobachtet, die zahlreich auf Planaria lugubris auftritt; ich habe da auch die von Claparede und Lachmann?) erst be- obachtete Tr. Steinii gefunden. Da es aber wohl noch ein Paar Monate danern mag, ehe ich in Verbindung mit meinen Studien über eiliate Infusorien III diese Untersuchungen veröffentlichen werde, finde ich zweckmäßig in größter Kürze eine vorläufige Mitteilung zu machen. Trichodina pediculus Ehrenberg. Die Körperform und Organisation dieser Form im Allgemeinen ist hauptsächlich dureh H. James-Clark’s*) genaue Untersuchung be- kannt. Ihr Haftapparat und besonders die Konstruktion des Ringes 4) Die Infusionstierchen als vollkommene Organismen. Leipzig 1889. 2) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. Il, 1850. 3) Etudes sur les Infusoires et les Rhizopodes. Geneve et Bale, 1868. 4) Ann. a. Mag. of Nat. Hist., 3 S., 17, 1866, P. 401. 56 Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Tröchodina. sind außerdem von A. Zvennerstedt!) untersucht. Die von James- Clark untersuchte Form stammte von Hydra, während Zvennerstedt und jetzt ich auf Süßwasserfischen lebende Formen untersuchten. Auf Gastrateus punzitius kommt Tr. pedieulus sehr häufig vor, besonders an den Brustflossen. Seltener tritt sie auf Gastr. aculeatus und Ca- rassius vulgaris, sehr selten auf Phocinus aphya auf. Während dieser Parasit, wie es scheint, nur selten auf den äußeren Körperteilen der letztgenannten Fische auftritt, findet man denselben fast immer zahl- reich an den Kiemen und in der Kiemhöhle. Auch bei Gast. punzitius tritt er dort auf. Auf Hydra habe ich diesen Parasit nie beobachtet. James-Clark?) gibt an, dass bei Tr. pediculus die ganze Körper- fläche mit feinen Borsten bekleidet sein sollte und auf seinen Zeich- nungen tritt dieses auch ganz deutlich hervor. Ich habe aber nach genauer Untersuchung zum Trotz niemals ein solches Borstenkleid finden können, und deshalb kann ich bestimmt behaupten, dass jeden- falls die Form, die ich zu untersuchen Gelegenheit gehabt, nackt ist. Es ist hauptsächlich in Folge dieses Verhältnisses, und weil ich, wie erwähnt, nie Gelegenheit gehabt, Tr. pediculus von Hydra zu unter- suchen, dass bei mir der Verdacht entstanden, dass vielleicht die von James-Clark beschriebene Form eine andere als die hier von mir untersuchte sein könnte. Die erste sollte solchenfalls die typische Tr. pedieulus sein. Fig: Peristomfeld — EV. von ee ll Trichodina Steinit. 1 EM N: -- PA. Die peristomalen Bildungen betreffend, beobachteten schon Cla- par&de und Lachmann, dass die adorale Zone mit derjenigen der Vorticellen übereinstimmend ist und folglich eine Spirale nach rechts 1) Lunds Univ. Arstkr., Tom. VI. 2). c. Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Trichodina. 57 bildet. Spätere Verfasser beschrieben dieselbe außerdem als aus einer einfachen Cilienreihe gebildet. Durch meine Untersuchungen ist jedoch erwiesen, dass diese Zone aus zwei verschiedenen Reihen von Wimper- gebilden zusammengesetzt ist (Fig. 1). Die äußere Reihe sitzt un- mittelbar innerhalb der Peristomalkante, die andere in kurzer Ent- fernung innerhalb der ersten. Die Wimpergebilde der Peristomalzone scheinen gleich lang zu sein, sie nehmen aber, wenn sie in Bewegung sind, verschiedene Lagen ein, und sind deshalb auch dann sehr leicht zu unterscheiden. Die äußeren sind nämlich schräg nach außen ge- richtet, während die inneren gewöhnlich entweder weniger grade auf- gerichtet stehen oder sich etwas gegen das Peristomfeld hineinbiegen. Bei ruhendem Zustand liegen sie meistens beide peristomal eingebogen. Zuweilen habe ich jedoch bemerkt, dass, auch wenn diese Bildungen in Ruhe sind, doch die Wimpergebilde der äußeren Zone grade auf- gerichtet gehalten werden. Wenn man Tr. pediculus vom Peristomfelde aus betrachtet, scheint bekanntlich die kontraktile Vakuole links vom Oesophagus, dem dor- salen Rand des Feldes etwas genähert zu liegen (Fig. 1 ©. V.). Wie und wohin sie bei der Systole ihren Inhalt entleert, darüber haben bisherige Verfasser keine Angabe geliefert. Sie mündet durch einen feinen Kanal oder Reservoir, der gleich links vom Vestibulum liegt und an der linken Seite innerhalb der Oeffnung in die Vestibularhöhlung einmündet. Bei der Systole der Vakuole erweitert sich dieses Reservoir stark in seinem hinterem Teil und nimmt eine sackähnliche Form an. In dasselbe Reservoir ent- leeren sich auch die Exkremente. Bei 77. Steinii habe ich wiederholt einen feinen Kanal beobachtet, der vom Boden des Reservoirs an der rechten Seite zur Zentralaxe des Körpers verläuft; durch diesen werden die Exkremente entfernt. Diese passieren schnell den oberen weiteren Teil des Reservoirs, bleiben aber im unteren schmäleren stecken, bis sie bei der Systole von der Flüssigkeit der Vakuole ausgespült werden. Ihr Eindringen in die Vestibularhöhlung wird durch die Wimpergebilde verhindert, die sich vor der Mündung des Reservoirs befinden. Das betreffende Reservoir ist also am nächsten mit einer Cloake zu ver- gleichen. James-Olark hat bei Tr. pediculus die Analöffnung zur entgegengesetzten Seite des Vestibulums verlegt. Sie liegt jedoch bei dieser Art am selben Orte wie bei Tr. Steinöi, welche letztere in Fig. 1 veranschaulicht ist. Das Organ, das sich jedoch bei Tr. pediculus die meiste Aufmerk- samkeit zugezogen, ist der zierlich gebaute Haftapparat. Unsere Kenntnis des Baues dieses Organs gründet sich hauptsächlich auf die Untersuchungen James-Clark’s!) und Zvennerstedt’s!), 4.1. ce. 5 Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Trichodina. Unmittelbar innerhalb der Kante des Saugnapfes sitzt ein Kranz von ziemlich langen Cilien oder vielleicht richtiger Cirren, die in einiger Entfernung von einander befestigt sind und die, wenn das Tier ruht, den Seiten des Körpers anliegen (Fig. 2 C.). Diese Bil- dungen sind von früheren Verfassern gänzlich übersehen worden nud Bütschli hat die Gattung Trichodina von der Gattung Cyelochaeta Jacks. abgesondert, weil letztere Gattung solche Cirren besitzt, wäh- rend dieselben bei ersterer fehlen sollten. Es ist jedoch einleuchtend, dass dieser Cirrenkranz bei Tr. pediculus der entsprechenden Bildung bei Oyelochaeta vollkommen homolog ist. Sie sind zwar bei ersterer ziemlich schwach entwickelt im Vergleich mit denen bei Cyelochaeta Spongillae Jacks., sie sind aber doch ganz deutlich zu unterscheiden. Fig. 2. Eine Partie des Haftapparats von Tr. pedieulus, von unten gesehen. Gleich innerhalb dieses Cirrenkranzes sitzt das von Dujardin!) zuerst beobachtete Gebilde, welches dieser Verfasser wie auch Stein?), James-Ölark?)u.a. als einen Kranz von freien Cilien angesehen haben (Fig.2, M.). Siebold?®) und Fabre-Domergue?) erklären es für eine undulierende fein gestreifte Membran. Bei Tr. Steinii und Tr. mitra habe ich deutlich gesehen, dass es weder das eine noch das andere ist, sondern ein Kranz von langen Membranellen, welche sehr nahe aneinander sitzen. Diese Membranellen sind fein gestreift. Es ist wohl am wahrscheinlichsten, dass auch bei Tr. pedieulus dieses Gebilde von demselben Bau ist. Den konkaven Saugnapfboden bedeckt eine verdiekte Pellicula, die peripherisch, aber innerhalb der Basis der undulierenden Membran, eine recht dieke aber dennoch sehr biegsame, grob gestreifte Membran, ein Ringband. bildet. Diese Bildung wurde zuerst von Stein) beobachtet. Bei genauerer Untersuchung stellt es sich heraus, dass die Streifung des Ringbandes davon abhängt, dass 1) Histoire natur. des Zoophytes, Infusoireg etc., Paris 1841, p. 527. 2), 3) Journal de l’Anatomie et de la Physiol., 1888. 4) 1. ec. Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Tröchodina. 59 es aus neben einander laufenden und mit einander vereinten Leisten zusammengesetzt ist (Fig. 2, Rd.). Diese sind in ihren peripherischen Teilen fester mit einander verkittet und auswärts etwas verdickt, während sie nach innen abnehmen und schmäler werden. Sie durch- setzen nicht den Ring, der im Basalteil des Ringbandes liegt, sondern biegen sich oral um denselben um und endigen an dessen innerer Kante. Interannuläre Streifen sind also nicht vorhanden. James-Clark gibt an, dass die rückwärts gekehrte Fläche des Ringbandes feiner gestreift sein soll als die entgegengesetzte. Jedoch zeigt sich keine größere Verschiedenheit in der Streifung, oder wenigstens nieht in solcher Weise, wie James-Clark angegeben. Ich habe aber ge- funden, dass zu dem Ringband ein anderes Gebilde 'gehört, das von früheren Forschern übersehen wurde; durch dieses wird das Ringband auf seiner oralen Fläche sehr fein gestreift. Untersucht man nämlich diese grob gestreifte Membran, die bis jetzt den Namen „Ringband“ führt, bei stärkerer Vergrößerung und, wonn sich das Tier in passender Lage befindet, so wird man finden, dass sich das Ringband in einen sehr feinen schmalen Saum fortsetzt (Fig. 2, Rb.), der sich über die Basis der undulierenden Membran er- streekt. Die feine Streifung dieses Saumes setzt sich auf der gegen das Peristom kehrenden Seite des grobgestreiften inneren Teiles des Ringbandes fest. ‘In der Basis des Ringbandes und im Inneren desselben liegt der zierlich gebaute Ring, den schon Ehrenberg, Dujardin und Stein beobachtet. Das Ringband kann, wie James-Clark!) und Zven- nerstedt!) angaben, von seinem Zusammenhang mit dem Ringe ge- löst werden. Den komplizierten Bau, den James-Clark beschreibt und abbildet, habe ich nieht finden können. Nähere Uebereinstimmung zeigt Zvennerstedt’s Darstellung dieser Bildung mit den von mir beobachteten Verhältnissen. Der Ring ist nämlich aus in einander steekenden durch eine dünne strukturlose Substanz unter einander zusammengekitteten Düten-förmigen Stücken zusammengesetzt, deren nach außen und innen kehrende Kanten stark zurückgebogen sind und dadurch die winkelförmigen äußeren und inneren Haken bilden (Fig. 2, R). Diese Konstituenten des Ringes sind fester differenzierte Partien des Ringbandes oder richtiger der den Boden des Saugnapfes bedeckenden Pellieula, so wie sie auch Bütschli?) aufgefasst hat. Bei Vitalfärbung mit Fuchsin zeigt sich das die nach außen und innen gerichteten Haken nicht spitz- sondern eher blattförmig abgerundet sind (Fig. 2, R). Wie James-Clark zu den in seiner gewissenhaften Abhandlung geschilderten Resuktaten in Bezug auf den Bau des Ringes gekommen Ylee- 2) Bronn’s Klass. u. Ordn., 8. 1217. 60 wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Zrichodina. sein kann, ist mir in der That ganz unerklärlieh. Zvennerstedt hat die äußeren Seiten der Düten abgebildet, die bei tieferer Ein- stellung des Mikroskopes sehr deutlich hervortreten. Das Verhalten des Haftapparates bei der Teilung hat früher nur Stein!) untersucht, er liefert aber darüber nur sehr unvollständige und zum Teil auch fehlerhafte Angaben. Fig. 3. Fig. 3. Haftapparat der Tr. pediculus bei eintretender Teilung von unten ge- sehen. Die Peristomzone ist durch eine punktierte Linie bezeichnet. Fig. 4. Dieselbe Partie in einem späteren Teilungsstadium. Die erste Veränderung im Haftapparat, die eine eintretende Tei- lung anzeigt, ist die Anlegung eines stärker lichtbreehenden und wie es scheint, soliden ringförmigen Bandes, gleich innerhalb der Kante des grobstriierten Teiles des Ringbandes (Fig. 5). Zugleich entfernen sich an zwei einander gegenüberliegenden Punkten des Ringbandes die Leisten von einander und es entsteht eine spaltförmige Oeffnung. Diese beiden Oeffnungen liegen in der Teilungsebene und strecken sich so- wohl nach außen im Saum wie nach innen in den Boden des Saug- napfes. Wenn sie nun den Ring erreichen, ziehen sich die Düten, die zunächst an beiden Seiten dieser Spalten liegen an einander und der king teilt sich also in zwei verschiedene Hälften (Fig. 4). Bei ihrem Entstehen im Ringbande teilten die spaltförmigen Oeffnungen auch das soeben angelegte ringförmige Band in zwei Hälften (Fig. 4). Wenn die Teilung des Ringbandes bis zu diesem Punkt fortgeschritten, fängt auch der ganze Saugnapf an sich abzuschnüren. Zugleich fangen auch die freien Enden jeder Hälfte des Ringes an sich einander zu nähern und während die Teilung weiter fortschreitet, schließen sich endlich die Ringhälften, so dass zwei Ringe entstehen. Auch aus dem äußeren soliden Ringe werden hierbei zwei. 1) Organismus der Infusionstiere 11,:8..128. Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Trichodina. 61 Während des jetzt geschilderten Vorganges sind in dem soliden Bande an der Kante des Ringbandes durchgreifende Veränderungen eingetreten. Schwach gebogene stabförmige Gebilde haben sich näm- lich in demselben differenziert (Fig. 4). Dieser äußere Ring zeigt auf diesem Stadium ein Aussehen, das sehr an den Ring der Tr. mitra Siebold und Leiotrocha Fabre-Domergue erinnert. Bei weiter fortgeschrittener Teilung treten diese Konstituenten des Ringes noch deutlicher hervor. Auf diesem Leiotrocha-Stadium, wenn ich mich so ausdrücken darf, bleibt dieser äußere Ring stehen, bis die Teilung ganz durchgeführt ist. Der neu angelegte Ring entwickelt sich, nachdem sich die beiden Schwestertiere von einander gelöst, zu einem Ring von demselben Bau, wie ich ihn schon bei dem entwickelten Individuum geschildert. Die Konstituenten des „Leiotrocha-Ringes“ nehmen an ihren Enden durch weitere Differenzierung im Ringband eine schwach gebogene Form an und treten in ihren inneren Teilen deutlicher begrenzt hervor. An ihrem gegen das Zentrum kehrenden Ende wird ein winkelig ab- stehender Teil angelegt. Auf diesem Entwicklungsstadium scheint der. Ring also aus V-förmig gebogenen Stücken zusammengesetzt, deren äußere Schenkel am freien Ende ein wenig nach außen gebogen sind. Dann wird die radiär nach innen verlaufende Partie am inneren Schenkel des Winkels angelegt. Schließlich gehen diese Winkelhaken in Düten -förmige Gebilde über. Auf diesem Stadium besitzt also Trichodina zwei konzentrische Ringe. Solche Individuen wurden früher von Stein!) beobachtet. Er fasst sie jedoch als eine besondere von Tr. pediculus verschiedene Form auf, welche er Tr. diplodiscus nennt. Auch Fabre-Domergue?) hat solche Individuen mit zwei Ringen bei Anhymenia Steinii Clap. und Lochn. beobachtet. Das Individuum bleibt jedoch nur eine kürzere Zeit auf diesem Diplodiscus-Stadium stehen, denn bald tritt eine Resorption des inneren alten Ringes ein. Die Rückbildung desselben verläuft in einer der Anlegung ungefähr entgegengesetzten Ordnung. Nachdem die Düten zum größten Teil resorbiert worden sind, bleiben von ihnen nur die innern Wände als stabförmige Körper zurück, die mehr oder weniger ohne Ordnung innerhalb des jetzt vollkommen fertig ausgebildeten neuen Ringes liegen. Auch diese letzten Reste des einst so zierlich gebauten einheitlichen Ringes verschwinden jedoch binnen kurzer Zeit und aus dem Diplodiscus-Stadium entsteht wieder ein Individuum mit nur einem Ringe. In Zusammenhang mit der soeben dargestellten Neubildung und Resorption des Ringes steht auch ein Wachsen des Ringbandes und B 1) Organismus der Infusionstiere, 1122 9.2.28. D) 2 l.2e: 62 Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Trichodina. eine Anlegung neuer Leisten zwischen den früher befindlichen. Wäh- rend das Ringband an seiner äußeren freien Kante im Wachsen be- griffen ist, werden gleichzeitig die Teile der Streifen resorbiert, die innerhalb des neuangelegten Ringes liegen; ein intraannulärer Streifen existiert deshalb bei Tr. pediculus nicht. Wahrscheinlich werden auch Teile der undulierenden Membran neu angelegt und neue Cirren ent- stehen wohl auch zwischen den alten. Bei Tr. pediculus findet also während und nach der Horlsinke eine Neubildung der verschiedenen Teile des Saugnapfes statt. Diese Er- neuerung entspricht offenbar der Neubildung von Cirren, die bei ge- wissen hypotrichen Infusorien bekannt ist. Ich will jedoch hier nicht weiter auf die diese Frage berührenden Verhältnisse eingehen, sondern weise in Bezug sowohl auf diese wie andere Tr. pedieu/us betreffende Fragen auf meine bald erscheinenden weitläufigeren Arbeit hin. Wie bereits erwähnt, tritt diese Form sowohl an äußeren Teilen des Körpers wie in der Kiemenhöhle der genannten Süßwasserfische auf. Die an den Flossen und der Haut auftretenden Individuen sind meistens ungefähr gleich groß. Nur selten trifft man da sehr kleine Individuen. An den Kiemen dagegen ist Tr. pediculus meistens sehr klein, oft nur halb so groß als die erstgenannten Individuen oder noch kleiner. Zwischen diesen kleinen Individuen finden sich aber nicht selten größere und zuweilen sehr große, die an der äußeren Körperfläche auftretenden an Größe bedeutend übertreffen. Eine andere Verschieden- heit zwischen den in der Kiemenhöhle und den an der Körperfläche lebenden Trichodina-Formen scheint wieder darin zu liegen, dass bei jenen die zentral gerichteten Haken des Ringes länger, schmäler und spitzer sind als bei diesen. Ob hier zwei verschiedene Arten oder möglicherweise nur zwei verschiedene Formen derselben Art vorliegen oder in welchem Ver- hältnis sie sonst zu einander stehen mögen, ist eine Frage, auf die ich mich hier nicht weiter einlassen will. Trichodina mitra v. Siebold. Diese eigentümliche Zrichodina-Form, die von v. Siebold!) zuerst beobachtet wurde, habe ich auf Planaria lugubris in großer Anzahl gefunden. Stein, Claparede und Lachmann sowie auch Fabre- Domergue haben früher Tr. mitra untersucht, keiner dieser Verf. hat Beer die Art einem genaueren Studium unterworfen. Auch gibt es in der Litteratur keine gute Abbildung dieser Form. In der allgemeinen Körperform und Bewegungsweise erinnert Tr. mitra in verschiedenen Beziehungen an Lignophora ?), in ihrer Organi- 1) Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, S. 12 2) H. Wallengren, Studier öfver eiliata Infusorier, I. Acta Reg. Soc. Physiogr., Lund, T. V, 1894. Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Tröchodina. 63 sation zeigt sie aber entschieden ihre nahe Verwandtschaft mit Tr. pediculus. Wie bei Ligno;hora kann man auch hier drei Teile des Körpers unterscheiden, den Peristomteil, und den Fuß oder Saugnapf, der durch einen schmäleren Teil, den Stiel, mit jenem vereint ist. Wenn Tr, mitra in ihrer ganzen Länge ausgestreckt ist, verlängert sich der mittlere Körperteil, der Stiel, wie ich ihn nennen will, bedeutend, und das Peristom wird in die Länge gezogen und nimmt eine orale Form an. Die Peristomscheibe wird dann meistens mehr oder weniger schräge gehalten, die aborale Kante geneigt, so dass das Peristomfeld einen Winkel gegen den Saugnapf bildet. Der ganze obere Teil des Körpers neigt außerdem stark nach der oralen Seite über und Peristom und Stiel nehmen eine halb liegende Stellung an. Selten und dann nur für kürzere Zeit wird der Körper grade auf, im rechten Winkel gegen die Körperfläche des Wirtes gehalten. Der ganze Körper ist sehr kontraktil und beim Zusammenziehen wird der Stiel stark verkürzt, so dass das Peristom sich dem Saug- napf nähert und das ganze Tier eine mehr abgeplattete Form annimmt, die an Tr. pediculus erinnert. Das Peristomfeld wird dadurch ver- kleinert, dass der orale Teil nach innen gebogen wird und das ganze Peristom eine runde Form annimmt. Bei der Kontraktion des Tieres bilden sieh an der Körperfläche tiefe Furchen und Falten. Auch wenn Tr. mitra vollkommen ausgestreckt ist, treten solche, aber weniger markiert, hervor. Fig. 5. Peristomfeld von Tr. mitra, in kontrahiertem Zustande, RR ame von oben gesehen. In Bezug auf die Bildung des Peristoms verhält sich diese Form in verschiedenen Punkten von der bereits behandelten abweichend (Fig.5). Der aborale Teil der Peristomalzone ist nämlich bei Tr. mitra weit stärker eingerollt als bei Tr. pediculus. Weiter ist dieser Teil der Spirale auf einer beträchtlich erhöhten Partie des Peristomfeldes ge- legen. Zwischen dieser und dem adoralen Teil der Zone „entsteht in 64 Wallengren, Zur Kenntnis der Gattung Trichodina. Folge dessen eine tiefe Rinne, die in die Vestibularmündung hinein- führt. Die Kante des Peristomfeldes ist zu einem membranähnlichen Saum verdünnt, und innerhalb derselben liegt die peristonale Zone (Pl 5, Pk). Diese besteht wie bei Tr. pedieulus aus zwei Reihen von Wimpergebilden. Die adorale Zone setzt sich durch die Vestibularmündung in das Vestibulum und den Oesophagus hinunter fort, in solcher Weise, dass die innere Cilienreihe der rechten oder inneren Wand folgt, während dagegen die äußere Reihe sich der äußeren linken Wand des Vesti- bulums und Oesophagus entlang, fortsetzt. Im Oesophagus sind die Cilien sehr fein, sie setzen sich aber fort so weit, wie ich der Oeso- phagealröhre habe folgen können. Die Drehung der Peristomalzone ist von Fabre-Domergue!) falsch gezeichnet. Nach der erwähnten Figur zu urteilen, sollte die Zone nach links gedreht sein, wie es bei Lignophora in der That ist, sie ist aber bei Tr. mitra ebenso wie bei der vorher erwähnten Art nach rechts gedreht, wie auch Fabre-Domergue in seiner Beschrei- bung der betreffenden Form richtig bemerkt. Die kontraktile Vakuole nimmt dieselbe Lage ein wie bei Tr. pedieulus und entleert sich in gleicher Weise. Fig. 6. M. Fig. 6. Partie des Haftapparates von Tr. mitra von unten gesehen. Die Buchstaben bezeichnen auf sämtlichen Figuren: v — Vestibularmündung; Pk = Peristomkante; ak —= Reservoir; cew = kon- traktile Vakuole; A = Anus; (v —= Exkremente, von einer Vakuole umgeben; C = Cirten; um = undulierende Membran; Rb = Ringband; R = Ring. Der Bau des Saugnapfes stimmt in den Hauptzügen mit der ent- sprechenden Bildung bei der besprochenen Art überein. Die periphe- 1) 1. e. Jaf. IX, Fig. V. | | | | | Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 65 rische Kante des Saugnapfes ist etwas verdiekt und unmittelbar inner- halb derselben an der unteren Seite des Saugnapfes sitzt ein Kranz von ziemlich langen Cirren, welche während der Ruhe gegen die obere Seite des Saugnapfes aufgerichtet stehen (Fig. 6, C). Innerhalb des Cirrenkranzes folgt die quergestreifte undulierende Membran (Fig. 6, M). Am Ringbande kann man dieselben Teile unterscheiden wie bei Tr. pediculus (Fig. 6, R). Die Streifung des Ringbandes setzt sich jedoch recht weit über den Ring hinein fort, ohne doch das Zentrum des Saugnapfes zu erreichen. Der Ring ist bekanntlich von einfacherem Bau als bei 7r. pedi- culus und die äußeren und inneren Haken fehlen, wie schon Stein!) bemerkt. Bei Tr. mitra besteht er nur aus einfacheren schwach ge- bogenen Stücken, die in einen schräg abgestutzten Ende etwas aus- gehöhlt, im anderen zugespitzt sind (Fig. 6, £&). Diese sind dann so zusammengefügt, dass das schmale Ende des einen Stückes in das ausgehöhlte Ende des hinter demselben liegenden Stückes eingesteckt ist. Die Konstituenten des Ringes sind also auch hier gewissermaßen dütenförmig. Bei der Teilung verhalten sich die Gebilde des Saugnapfes in der Hauptsache wie bei Tr. pediculus. In gewissen Punkten zeigen sich doch bemerkenswerte?Abweichungen. So trifft die Anlegung des neuen Ringes bei Tr. mitra bedeutend später ein, und die Ausbildung des- selben wie auch die Rückbildung des alten Ringes verläuft viel schneller als bei der entgegengesetzten Art. Diese Verhältnisse stehen ohne Zweifel mit dem verhältnismäßig einfachen Bau des Ringes bei Tr. mitra im Zusammenhang. Ich will mich jedoch hier nicht auf eine genauere Darstellung dieses Entwick- lungsganges einlassen. Auch bei der Teilung des Peristomes begegnen uns interessante Verhältnisse; ich muss aber in Bezug auf diese zu meiner später er- scheinenden Arbeit hinweisen. Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. Von C. Schenkling. Die Behauptung, dass Vögel, ohne zu mausern, die Farbe ihres Gefieders verändern, sogar die Annahme, dass eine Farbe durch eine andere, von ihr ganz verschiedene, ersetzt werden könne, ist in der ornithologischen Litteratur oft und schon vor langer Zeit niedergelegt worden. Allerdings gab es Ornithologen, welche diesem Satze wider- sprachen und ihn als einen auf bloßem Glauben beruhenden, der nur unzureichend, oder besser gar nicht bewiesen werden könne, hinstellten. Diesen ist neuerdings der Amerikaner J. A. Allen beigetreten. In Aycl «6 XVIT. r 66 Sehenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. einer vor kurzer Zeit erschienenen Mitteilung: Alleged Changes of Color in the Feathers of Birds, New-York 1896, leugnet er die Mög- lichkeit einer Verfärbung der Vogelfeder, und die Ansicht dieses be- rühmten Ornithologen, dass nur durch Mauser Farbenveränderungen im Kleide der Vögel möglich wären, abgesehen von gewissen Um- färbungen, welche durch Abnutzung der Federränder entständen, hat berechtigtes Aufsehen sowohl in amerikanischen als englischen wissen- schaftlichen Kreisen erregt. In der British Ornithologists Union ist eine große Debatte über diese Frage gewesen, und fast alle englischen Vogelkenner haben sich für Allens Hypothese ausgesprochen. Nur Ernst Hartert, der Direktor des Tring-Museums, welches bekannt- lieh dem Honorable Walther Rothschild gehört, hatte seine ab- weichende Meinung damals zur Geltung gebracht. — In seiner Mit- teilung gedenkt Allen aller bedeutenderen Abhandlungen, die über diesen Gegenstand erschienen sind und gibt auszugsweise die Ansicht ihrer Autoren. In der Edinburgher Eneyelopaedia vom Jahre 1817 stellte John Fleming zuerst den Satz auf, dass die Farben im Fell der Säuger und im Gefieder der Vögel mit der Jahreszeit wechselten und zwar unabhängig von dem Vorgange des Werfens und Mauserns. Er kennt drei „Naturgesetze“, nach welchen sich dieser Vorgang abspielt: 1. im Frühjahr wandelt sich die helle Farbe des Vogelgefieders in eine dunkle um, während im Herbste der umgekehrte Fall eintritt; 2. der Farben- wechsel wird durch die Wärmegrade bedingt; 3. die Veränderung trägt dazu bei, die Körperwärme der Vögel zu regulieren. Eine Umarbeitung und Erweiterung dieser Arbeit widmete 1820 Jameson einen Beitrag („On the Changes of Colour in the Feathers of Birds, independent of Moulting“, Edinb. Phil. Journ.). Im selben Sinne, und fast gleichzeitig erschien über dasselbe Thema eine Arbeit von W. Whitear, der Fleming’s Ansicht gleichfalls beitrat und Belege dafür erbrachte, die auf eigener Beobachtung beruhten. Wie allgemein man sich damals mit dieser Frage beschäftigte, beweist eine 1830 von George Ord erschienene Arbeit „Some Observations on the Moulting of Birds“, Trans. Amer. Phil. Soc. In derselben sucht er Temminck’s Ansicht, über eine zweimalige Mauser der Vögel, da- durch zu widerlegen, dass er auf den Umstand hinweist, dass sich die Vögel beim Anlegen des Hochzeitskleides des besten Wohlbefindens erfreuten, während sie sich bei der im Herbst stattfindenden Mauser mindestens unmutig fühlten. Im übrigen pfliehtet er den Ansichten Fleming’s, Ord’s u. s. w. bei. 1835 veröffentlichte der englische Ornitholog William Yarrell in der Trans. Zool. Soc. London eine Abhandlung über denselben Gegenstand (Observations on the Laws which appear to influence the Assumption and Changes of Plumage in Birds), welehe durch ihre Sehenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 67 gewissermaßen wissenschaftliche Seite durchaus anerkannt und oftmals zitiert wurde als unbedingter Beweis des Farbenwechsels in den Federn ohne Mauser. Von den drei Wegen, auf welchen sich nach diesem Autor der Farbenwechsel vollziehen kann, kommt hier nur der eine in Betracht, dass die Feder sich von selbst verändert. Yarrell gibt selbst zu, dass es schwer zu verstehen sei, wie sich eine Umänderung so beständig in den Geweben der Feder vollziehen kann, wo nicht gezeigt werden kann, dass ein Gefäßreichtum besteht, sogar dann nicht, wenn ein Teil der Feder wächst. Als Ergebnis eigener Untersuchungen sagt er: „Verschiedene Vögel, die im April untersucht worden waren, veränderten die Farbe an einigen Stellen ihres Gefieders, von der, welche sie gewöhnlich im Winter hatten, in eine, die sie in der Brut- zeit haben. Viele der alten Federn, die die Vögel während der vorher gehenden Herbstmauser bekommen hatten, behielten ihre Farben; andere veränderten sich und nahmen die ihnen eigentümlichen Farben der Brutzeit an mit genau denselben Farbentönen und Zeiehnungen“. Zu den beobachteten Vögeln gehörten u. a. verschiedene Goldregenpfeifer, Von diesen sagt Yarrell: „Auf der Brust verschiedener Regenpfeifer waren die Federn ganz weiß (welche Farbe ihNen im Winter bekannt- lich eigen ist); einige waren ganz schwarz (welche Farbe im Pracht- kleide auftritt), und noch andere waren weiß und schwarz gefärbt, wonach es scheint, dass dieselbe Ursache, die den neuen Federn ihre neue Farbe verleiht, auch teilweise oder gänzlich die Farbe der alten Federn ändern kann“. Bei Aufstellung dieses Beweises für seine An- nahme war es Yarrell wahrscheinlich gänzlich unbekannt, dass im Prachtgefieder des Goldregenpfeifers die Federn zu beiden Seiten der Brust teils weiß, teils schwarz sind, was bedingt wird durch die Stellung der Federn und der pterylae und nicht als eine teilweise Ver- färbung der Feder aufzufassen ist. Weitere schriftlich niedergelegte Beobachtungen über diesen Punkt aus jener Zeit verdanken wir James Hunt, einem Aufseher des zoologischen Gartens im Regent-Park. Seine erste Beobachtung er- streckte sich auf Limora melanura Liesl. An ihr wurde der Farben- wechsel vom 24. Februar bis 29. April beobachtet, wie, ist nicht ge- sagt, sondern nur betont, dass der Wechsel lediglich in der Verände- rung der Farbe bestehe und mit der Mauser nichts zu thun habe. Heute wissen wir aber, dass die schwarzgeschwänzte Uferschwalbe in die Gruppe der Vögel gehört, die durch eine vollständige Frühlings- mauser ihr Prachtkleid erhält. Am Kampfstrandläufer will Hunt beobachtet haben, dass Kopf- und Halsgefieder durch eine Frühlings- mauser erneuert wird, während die Federn des übrigen Körpers nicht verloren gehen. Nach neueren Beobachtungen mausert aber auch diese Art am ganzen Körper. Auch bei der Heringsmöve soll das Mausern den Farbenwechsel nicht befördern, wiewohl Hunt für diese Dr 608 Schenkling, MutmaBßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. Form eine Frühlingsmauser eingesteht. Am ausführlichsten stellt der Beobachter den Farbenwechsel an Larus ridibundus Linn. dar. Am 11. März begannen die weißen Kopffedern sich in schwarze umzu- färben; eine Mauser war nicht eingetreten, denn der Vogel verlor keine einzige Feder. Binnen 5 Tagen war die Umfärbung des Gefieders beendet und der Vogel trug seine rußbraune Kappe. Da nun aber die Sterninae und Larinae als solche Vögel bekannt sind, die eine Früh- jahrsmauser durchzumachen haben und alle Federn mit Ausnahme der Flugfedern verlieren, wird Hunt bei seinen Beobachtungen nicht systematisch vorgegangen sein, sondern nur die Eindrücke wieder- gegeben haben, die gewisseVorgänge bei seinen dienstlichen Rundgängen durch den Garten auf ihn machten. Im übrigen sind ja, nach der ornithologischen Litteratur, in der Mauser stehende Mövenarten in ver- schiedenen Museen aufgestellt. Die bereits erwähnte Abhandlung Yarrell’s über einen Farben- wechsel der Federn ohne Mauser wurde als ein klassisches Werk be- trachtet, wofür die häufige Zitation einiger Stellen daraus das beste Zeugnis ist. Auch Howard Saunder’s, der 1884 „Yarrell’s British Birds“ erscheinen ließ, nimmt ohne Bedenken Yarrell’s Ansicht als die richtige an und wiederholt die Mitteilungen seines Gewährsmannes über den Goldregenpfeifer ohne irgend welche Andeutung auf eine etwaige Irrung jenes. So sagt er: „Einige neue Federn, die im Früh- jahr wachsen, sind schwarz; während sich die meisten weißen Winter- federn in schwarze verwandeln, sind einige von verschiedener Größe unter ihnen, die weiß bleiben und einen schwarzen Rand erhalten. Die färbende Absonderung ist also von gleichem Einfluss auf die alten und neuen Federn. Den ersten wirklich wichtigen Beitrag zu dem Thema lieferte 1837 der bekannte englische Naturforscher Edward Blyth (On the Re- conciliation of certain apparent Diserepancies observable in the Mode in which the seasonal and progressive Changes of Colour are affeeted in the Fur of Mammalians and Feathers of Birds; with varions Ob- servations on Moulting, Charleiworth’s Mag. Nat. Hist. I). Trotz- dem ihm wohlbekannt war, dass viele Vögel ihr Prachtkleid durch die Mauser erhalten, behauptet er doch, dass sich auch alte Federn in ihrer Farbe verändern können, wahrscheinlich weil er die That- sache außer acht ließ, dass sich bei vielen jungen Vögeln nach der Frühjahrsmauser Zeichen des Alterskleides geltend machen. So sagt er z.B.: „Ich hatte früher die interessante Thatsache beobachtet, dass an demselben Exemplar eine Menge neue Federn heranwuchsen und zwar gleichzeitig mit dem Farbenwechsel, und da ich aus eigener Beobachtung weiß, dass viele Arten ihre zeitweise Veränderung aus- schließlich auf die eine oder andere Weise erhalten, so war es mit- unter schwer zu bestimmen, zu welcher Klasse man solche Arten Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 69 rechnen sollte. Ein Goldregenpfeifer z. B., den ich augenblicklich vor mir habe, mausert überall und erneut sein oberes und unteres Gefieder, während auch die meisten der alten losen Federn an den unteren Teilen sich mehr oder weniger aus weißen in schwarze verwandeln und die Farbentöne der neuwachsenden Federn angenommen haben“. Und weiter: „Bei den Enten muss man beachten, dass von ihnen ge- wöhnlich angenommen wird, ein Farbenwechsel der Feder ist die durch Mauser entstandene Reife des Gefieders, und die früher bestrittene Thatsache, dass die Absonderungen, welche die wachsenden Federn färben, auch die sich erneuernden Federn farblich beeinflussen — wahr- scheinlich mit Bezug auf die Nahrung, denn ein schlecht genährter und kranker Vogel verliert den Glanz seines Gefieders — ist somit beweiskräftig festgestellt; eine Zirkulation muss also in der Feder stattfinden und zwar so lange sie festsitzt, so dass die Hypothese, welche der Mauser der Vögel dieselben Ursachen zuschreibt wie irrtüm- lich dem Fallen des Blattes, durch derartige Beweise nicht aufgestellt werden kann“. Indem also Blyth behauptet, dass der Farbenwechsel dadurch entstehe, dass sich während der Frühjahrsmauser die bewusste Absonderung nieht nur in die sich neubildende Feder ergießt, sondern sich auch den sie umgebenden alten Federn mitteilt, geht er weiter als die deutschen und französischen Ornithologen seiner Zeit, welche behaupteten, dass die alten Federn im Frühjahr frisch werden und sich neu färben, um das Prachtgewand zu bilden. 1839 veröffentlichte der amerikanische Naturforscher Bachman einen bemerkenswerten Artikel über das Thema (Observations on the Changes of Colour in Birds and Mammals, Trans. Am. Phil. Soe.). Es war eine Erwiderung an Fleming, Yarrell und Ord. Während er eine Möglichkeit des Farbenwechsels bei der Feder nicht leugnet, sagt er doch: „Wenn die Vogelfedern, die lange im Wachstum stehen geblieben sind, fähig sind, eine neue Menge von Säften aufzunehmen und entgegengesetzte Farben anzunehmen, muss dies nach einem neuen, bisher noch nicht entdeekten Naturgesetz geschehen“. In seiner Ab- handlung bringt er die Ergebnisse von einer Reihe schätzenswerter Beobachtungen, die er an Käfigvögeln machte. Aus seinen Aufzeich- nungen geht hervor, dass die meisten der Sperlingsvögel, auch Möven, Enten, Regenpfeifer und Strandläufer einer Frühlingsmauser unter- worfen sind. Ihm scheint auch, dass die Pirole, Goldammer u. a. Gattungen zur Zeit der Mauser im Käfig Farbenveränderungen erleiden. Auch die Schriftsteller der letzten Hälfte des Jahrhunderts be- haupteten einen Farbenwechsel unabhängig von der Mauser. Zu ihnen gehört Gloger, der Audubon als den ersten Bekenner der in Rede stehenden Ansicht hinstellt und im 4. Bande seiner „Ornithologischen Biographien“ Audubon’s begründenden Satz zitiert: „Seitdem ich anfange, die Gewohnheiten der Möve zu studieren, und die Verfärbung ‘0 Sehenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. ihres Gefieders beobachte, sei es beim Herannahen der Lockzeit oder des Herbstes, habe ich gedacht, dass die dunkle Färbung ihrer Haube zuerst an den dunklen Spitzen ihrer Federn lag, dann allmählich von weiß in schwarz oder braun überging, ohne eine thatsächliche Er- neuerung der Feder selbst, wie es bei einigen Arten der Landvögel geschieht“. Auch andere Zitate von Audubon, die Gloger anführt, lassen erkennen, dass Audubon an einem Farbenwechsel ohne Mauser festhält. Da aber sein Werk nicht veröffentlicht worden ist, soll es dahin gestellt bleiben, ob Gloger die Umfärbung in Audubon’s Sinne abhandelte. Obwohl Yarrell’s und Blyth’s Schriften in den Jahren 1852—56 in der „Naumannia“ und im „Journal für Ornithologie“ veröffentlieht wurden, scheinen sich doch nicht die rechte Verbreitung gefunden zu haben. Da wurde die Theorie in neue Bahnen gelenkt durch Her- mann Schlegel’s „Sendschreiben an die am 6. Julius 1852 zu Alten- burg versammelten Naturforscher“, Naumannia, II. Heft. Schlegel beanspruchte die Priorität auf die Annahme, dass bei vielen Vögeln die deutliche Färbung des Prachtgefieders durch das Abfallen der Spitzen an dem Winterkleide entstehe. Unter anderem betont er aus- drücklich, dass, nachdem die Federn die völlige Reife erreicht hätten, sie nach einer gewissen Latenzzeit durch frische Zuführung von Säften erneuert würden. Durch Neubildung von kleinen Flaumfedern würden selbst die zerschlissenen Spitzen wieder hergestellt. Ebenso wie zur Paarungszeit nackte Teile am Vogelkörper, auch Schnabel und Füße durch Farbenzufluss lebhafter gefärbt werden, entsteht das Prachtkleid des Vogels nicht durch Mauser, sondern einzig und allein durch frische Säftezufuhr. So führt Schlegel z.B. vom Sacrorhamphus papa, dem Königsgeier, aus: Wie bekannt ist der junge Vogel graubraunschwarz, In diesen Gattungen entstehen die wundervollen graugelben und die anderen Farben des alten Vogels durch die Umfärbung ohne Mauser. Zu dieser Zeit erscheinen auch die hellen Farben auf den nackten Teilen“. Zu fernerem Beweise seiner Behauptung zieht Schlegel die Gattung Icterus heran. 1. icterocephalus ist als junger Vogel gelbgrau und gelbhalsig, beim alten Vogel färbt sich das Gelbgrau in ein schönes Schwarz um. Der schwarze Kopf und Rücken des /ect. balti- more ist einzig und allein durch Umfärbung der Federn an ihren Spitzen entstanden. Ebenso verhält es sich bei Jet. sparius, der jung auf dem Rücken grün und an der Unterseite gelblich aussieht, später aber am Bauche, an der Schulter und auf dem Rücken schwarz und rotbraun erscheint, welcher Farbenwechsel mit schwarz unter den Halsfedern begonnen hat, sich in rotbraun umwandelte und in dieser Nuance den übrigen Teil überzog. Bei Coereda kann gleichfalls am Jungen Vogel ein Farbenwechsel ohne Mauserung beobachtet werden, Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 71 indem sich sein grauschimmerndes Kleid in das schöne blau und schwarze des alten Vogels umwandelt. Diese und viele andere von Schlegel gewählten Beispiele können aber als beweiskräftig für einen Farbenwechsel ohne Mauser keineswegs angesehen werden, denn er beobachtete Vögel im Uebergangskleide. Auf dieses „Sendschreiben“ erschien kurze Zeit später eine Ant- wort von Dr. E. F. Homeyer (in der Naumannia), in welcher er zwar hervorhob, dass Schlegel’s Artikel „viel Wahres und Neues enthalte, dass er aber wichtige Gründe hätte, nicht alles zu glauben, was wahr und neu ist, da eben nicht alles Neue wahr sei“. Er be- leuchtet die von Schlegel aufgestellten zehn Gesetze (die sich auf Jahreszeit, Art und Weise, Zustände und Methoden der Mauser und Farbenveränderung ohne Mauser beziehen) der Reihe nach, verwirft einige und erkennt andere an. Für uns ist hier nur seine Stellung zur Umfärbung der Feder ohne Mauser von Interesse. Schlegel’s Behauptung, dass sich eine weiße Feder in eine schwarze umfärben könne, ist Homeyer durchaus unwahrscheinlich, da er diese Art der Farbenveränderung noch nicht beobachtet habe und auch nicht eher glaube, bis man dieselbe an irgend einer speziellen Gattung nachzu- weisen im stande sei. Nach Homeyer geht die Farbenveränderung der Feder durch Abnutzung ihrer Kanten und durch Einfluss des Lichtes und der Atmosphäre vor sich, wiewohl das Prachtkleid auch auf dem Wege der Frühlingsmauser erworben werden könne. Das „Nachwachsen“, d. i. die Wiedererneuerung der Feder nach ihrer Reife ist für Homeyer ein Nonsens, „ein Stillstand oder ein Absterben des Gefieders und ein später eintretendes Nachwachsen ist undenkbar und mit dem ganzen Wesen der Natur — wo es überall keinen Stillstand gibt — im grellsten Widerspruche*. Das „Journal für Ornithologie“ 1853 brachte von Dr. Gloger eine neue Arbeit „Zur Erklärung der Verfärbung des Gefieders“, in welcher er seine bereits früher ausgesprochene Ansicht von neuem darlegt und unter anderem ausführt, dass viele Vögel (wegen zu diesem Zwecke nicht geeigneter Nahrung) im Herbste nicht im stande seien, die Farbe des Gefieders zu vervollkommnen und dies im Laufe des Frühjahrs „durch neu eintretendes Zuströmen ernährender Säfte und färbender Stoffe“ nachholten. Dieser Zufluss bewirke auch die Wieder- herstellung der abgenutzten Federränder, sowie das Hervorbrechen neuer Federn. Derselbe Jahrgang des Journal brachte im Anschluss an Gloger’s Arbeit einen Aufsatz des Renthendorfer Pastors Brehm „Gegen Schlegel’s Meinung über die Verfärbung des Gefieders“, in welchem Homeyer’s Ansicht ergänzt und Schlegel’s Verfärbungstheorie auf das Entschiedenste angegriffen und als gänzlich grundlos hingestellt wird. Brehm macht darauf aufmerksam, dass wohl die meisten Vögel 72 Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. ihr Prachtkleid durch die Frühjahrsmauser erhalten und nicht, wie Schlegel meint, dadurch, dass alte Federn größer werden und ab- genutzte Kanten wieder wachsen. Zum Beweise seiner Behauptung zieht er eine Parallele zwischen Feder und Blatt. Ist das Blatt aus- gebildet, so kann weder seine Größe noch seine Gestalt durch Säfte- zufuhr verändert werden. Also kann sich auch durch bloßen Farben- wechsel ohne Mauser das Jugendkleid eines Vogels niemals in das Alterskleid verwandeln. Brehm stützt seine Behauptungen nicht auf Theorien, sondern auf eigene Beobachtungen, die er in Wald und Feld anstellte. In ausführlicher Weise legt er seine Ansicht dar in einer Arbeit „Zur Sippe der COyanecula und deren Mauser“, die 1854 im „Journ. für Ornithol.“ erschien. Wenn bei dieser Sippe, die im Februar und März in Afrika mausert, die neuen Federn zum Vorschein kommen, haben sie stumpfe Farben, die bedingt werden durch die grauen Rän- der der Federn. Erst wenn diese abgenutzt sind, tritt der Glanz und Schimmer des Prachtkleides zu Tage. Ebenso weist Brehm in einer zweiten Abhandlung „Verfärbung und Federwechsel der europäischen Seeschwalben“ nach, dass die einzelnen Stadien des Federwechsels (vom Nestkleid bis zum Alterskleid) einzig und allein durch Mauser und nie durch Verfärbung entstehen. Fast zu gleicher Zeit widersprechen Schlegel, A. Hessler in seiner Abhandlung „Federwechsel und Farbenänderung bei tropischen und subtropischen Finken-Arten“ und Böck in „die Mauser von Pla- typus niger (Oidemia nigra), welch beide Arbeiten im Journal für Ornithologie 1854 erschienen. 1892 veröffentlichte Gätke in seiner Schrift: „Die Vogelwarte Helgolands“, „Einige Beobachtungen über Farbenwechsel durch Um- färbung ohne Mauser“. Obwohl Gätke im allgemeinen Schlegel’s Abhandlung lobt, weicht er doch in vielen seinen Annahmen von ihm ab und betrachtet es als unbegreiflich, wie Schlegel annehmen kann, dass der Farbenwechsel mancher Vögel, z. B. des Schneefinken, durch Verfärben anstatt durch Abtragen der Federkanten entstehe. Farben- wechsel ohne Mauser kommt nach Gätke nur ausnahmsweise vor. So habe er z. B. unter Hunderten von Motacilla lugubris nicht ein Exemplar gefunden, bei dem Farbenwechsel ohne Mauser stattgefunden hätte. Nach Gätke’s Meinung gibt es nicht nur einen Wechsel in den Farben, sondern auch in den Geweben und Formen. Viele der Rückenfedern werden weicher, schwächer und seidenartig glänzend und die Federn werden auch wieder ganzrandig, d. h. die Feder- strahlen, von welchen die Spitzen mehr oder weniger abgenutzt sind, werden wieder ausgeglichen: so, dass die Spitzen aller Strahlen wieder eine regelmäßige, ununterbrochene Rundung der Federspitze bilden, ähnlich, wie die im Herbste neu gewachsenen Federn sie zeigen. Schlegel’s Bezeiehnung „Nachwachsen“ acceptiert Gätke indess Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 75 nicht. Er glaubt auch, „dass die Vervollkommnung der Feder gerade auf entgegengesetztem Wege bewirkt wird; nämlich dadurch, dass in solchen Fällen, wo außer der Farbe auch die Textur verändert wird, die einzelnen Federstrahlen einer Art Schälung unterliegen, durch welche sie eines Teiles schwächer oder dünner werden und das mehr seidenartige Ansehen erhalten, während anderen Teiles durch Ent- fernen der äußeren, die Färbung des Winterkleides gebenden Haut oder Schale die, schon seit Vollendung der Herbstmauser fertig darunter verhüllt gelegene Färbung des Sommerkleides sichtbar wird“. Zu- gleich ist er der Meinung, dass der Wechsel auf sehr verschiedene Weise vor sich gehe, verschieden bei den Gattungen, den Geschlechtern, an den Körperteilen u. s. w. So erhält z. B. der Goldregenpfeifer sein Prachtkleid teils durch die Mauser (Brust- und Rückenfedern), teils durch bloßes Verfärben (Halsfedern); Larus minutus aber ledig- lich durch Umfärbung. Am besten lassen wir ihn über den letzten Fall selbst sprechen: der im Winter weiß und hellgrau gefärbte Kopf verwandelt sich durch Umfärben, ohne Mauser, in den reinschwarzen des Sommerkleides. Die Umfärbung beginnt schon im Januar, und zwar an den, bereits grau gefärbten Federn des Hinterkopfes zuerst. Dieselben verdunkeln sich, gleichzeitig fortschreitend, nach und nach alle; sie werden zuerst schwarzgrau, an den Schäften am dunkelsten, und späterhin rein schwarz. Von dem grauen Scheitel erstreckt sich das Dunkelwerden zu gleicher Zeit auf den weißen Vorderkopf. Zer- streute Federn desselben werden anfangs nur an der Spitzenhälfte des Schaftes schwärzlich. Von hier ausgehend, färbt sich die vordere Federhälfte erst grau; dieses Kolorit verdunkelt sich nach und nach und wird dann völlig schwarz; am spätesten an den Seitenrändern der Federn. — Ganz anders geht aber die Umfärbung der rein weißen Federn an der Unterseite des Kopfes und der Kehle vor sich. An diesen Teilen tritt nämlich sogleich, ohne einen Uebergang durch Grau, die rein schwarze Farbe auf: und zwar an den Spitzen der Federn zuerst, als ganz feiner Saum. Dieser geht bald in ein halbmondförmiges Endfleckehen über, welches, sich wurzelwärts vergrößernd, nach und nach die ganze Feder mit Schwarz bedeckt“. Gätke’s Aufsatz blieb nicht unberücksichtigt; er wurde ebenso heftig befehdet wie seiner Zeit Schlegel’s Arbeit. Insbesondere geschah dies durch E. von Homeyer im Journ. f. Ornithol., 1855: „Ein ferneres Wort über das Ausfärben“. Derselbe Band enthält noch eine zweite diesbezügliche Arbeit von W. Mewes: „Ueber die Farbenveränderung der Vögel durch und ohne Mauser“, aus der wir hier einige Punkte herausgreifen wollen. Der Verfasser unterscheidet: a)-eine einfache Herbstmauser, durch welche Flügel-, Schwanz- und Deckfedern erneuert werden; b) eine doppelte oder Frühlingsmauser, die sich entweder nur auf Kopf- und Halsfedern, 74 Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. oder auch auf sämtliche Deckfedern, die letzten vier Flügelfedern und die zwei mittelsten Schwanzfedern erstreckt; ec) eine Sommermauser, die nach der Paarung eintritt, welche wiederum eine vollkommene, wodurch die Geschlechter ein mehr oder minder gleiches Gewand an- nehmen (wie bei den Enten) und eine teilweise (wie bei den Wald- hühnern) sein kann, bei welcher namentlich die Befiederung des Kopfes und Halses mausert; d) eine dreidoppelte Mauserung, d. h. eine Früh- jahrs-, Sommer- und Herbstmauser, die dann gleichfalls eine totale, wie bei Zagopus und eine partielle, wie bei Podiceps, sein kann. Neben dem Wechsel des Gefieders und dem Wachstum neuer Federn durch die Mauser kennt Mewes ferner eine Verfärbung des Gefieders hervor- gerufen durch Abnutzung der Federkanten. Im Jahre 1856 veröffentlichte Weinland im Journ. f. Ornithol. zwei kurze Abhandlungen über den Farbenwechsel der Federn ohne Mauserung. Sie sind nur von historischem Werte, da sie einige originelle Ideen enthalten, welchen man später Wert beilegte. Auf Schlegel’s Ansicht fußend, behandelt der Verfasser die Frage: Wie kann eine Feder ihre Farbe wechseln, wenn ihre Blutgefäße trocken und ihre Nerven tot sind, wie es bei jeder Feder der Fall ist, die vollkommen ausgewachsen ist?* Er weist auf das Bleichen der Vögel in Museen hin und auf die Thatsache, dass Mergus merganser bald nach dem Tode die prächtig- gelbrote Unterseite verliert. Bei mikroskopischer Untersuchung einer Brustfeder dieses Vogels fand er „alle pinnulae in Flocken mit lacumes einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt, welche eine rötliche Substanz zu sein schien“. Nach einigen Wochen, während weleher die Federn der Luft ausgesetzt waren, fand er anstatt der rötlichen lacumes Luftbläschen, welche bekanntlich eine weiße Farbe hervorbringen. Die Verdunstung der rötlichen Flüssigkeit und ihr Er- satz durch Luftbläschen bedingte also die Umfärbung. Einen Farben- wechsel durch Abnutzung der Federn verwirft er als „unphysiologisch“. Um nicht nur seine Ansicht über die Erlangung des Prachtkleides der Vögel zu motivieren, sondern auch den Wechsel zur weißen Farbe, der im Winter bei vielen nördlichen Säugetieren und Vögeln eintritt und das Verfärben des menschlichen Haares in Weiß zu zeigen, stellt er folgende Hypothese auf: Wenn diese Flüssigkeit eine ölige Substanz ist, wie man vermuten kann, so wird physiologisch zugegeben werden müssen, dass sie vom Organismus versorgt werden kaun, indem das Gewebe sie aufsaugt und durch gewisse Nerven, die durch die Haut führen, leitet, sogar wenn die Gefäße und der Nerv der Feder aus- getrocknet sein sollten, denn Fett durchzieht alle Gewebe ohne Wider- stand, selbst das Horn. Somit kann die farbige feite Substanz während der Erneuerung, die die nächste Jahreszeit für jeden Organismus bringt, in die Feder fließen, und dann wieder kann aus mancherlei Gründen dasselbe färbende Fett aufhören den Organismus zu versorgen. Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 75 Im Jahre 1863 veröffentlichte N. Severtzof einen Aufsatz, von dessen Titel „Mikroskopische Untersuchungen über die Verfärbung der Federn zum Hochzeitskleide bei einigen Vögeln, nebst Betrachtungen über das Verhältnis derselben zur Mauser“ man erwarten durfte, dass er wichtige Mitteilungen enthielte. Die Arbeit brachte aber nur be- kannte Thatsachen. Schlegel bezeichnet er als den „Entdecker der Verfärbung“ und kennt vor ihm niemand, der zur Lösung der Frage mit dem Mikroskop gearbeitet hätte. Seine Behauptungen über wirk- liche Umfärbung stützen sich auf Untersuchungen an Vanellus gregarius (Chettussia gregaria), die ihm in den verschiedensten Uebergängen vom Winter- zum Prachtkleide vorlagen. Er sagt: Ich untersuchte dieselben unter dem Mikroskop: es ergab sich, dass die Verfärbung wirklich stattfindet, dass aber in der Feder selbst kein Lebens-, son- dern ein rein physikalischer Prozess vor sich geht, der also auch an der abgestorbenen Feder möglich ist, so lange sie an der Haut haftet (was jedoch nicht unbedingt nötig ist). Severtzof unterscheidet drei Arten von Verfärbungen, denen derselbe physische Prozess zu Grunde liegt: a) normale Frühlingsverfärbung der lebenden Vögel; b) anomale Sommerverfärbung derselben; ce) Verfärbung der toten Bälge. Er nimmt die Existenz einer Flüssigkeit an, die vom Körper aus in die Feder eindringt. Dieses Pigment ist nach ihm eine Abscheidung des Blutes, die sich an irgend einer Stelle im Gewebe des Körpers an- sammelt, endosmotisch durch die Federbasis steigt und nach den Ge- setzen der Kapillarität, zwischen den Wänden der Federröhre und der Medulla nach oben dringt. Pigmentausschwitzungen an den Spitzen der abgeriebenen Barbillen und verstoßenen Federbärte, dieSevertzof mikroskopisch beobachtete, sind ihm Beweise für die Richtigkeit seiner Erklärung und diese Ausschwitzungen sind es auch, welche die ver- färbte Feder dem Auge wieder frisch erscheinen lassen. Die Flüssig- keit troeknet im Gefieder des Leibes nach und nach schichtweise auf der inneren Seite der Zellenwände; aber es sind viele Schichten nötig, um jede Zelle, also auch die ganze Feder, vollständig zu färben. Auch ist das schichtweise Trocknen der färbenden Flüssigkeit in den Zellen der Unterleibsfedern nicht als vollständiges Trocknen zu verstehen, sondern als Konzentration durch Verdampfen etwa bis zur Konsistenz einer gesättigten Gummilösung. Vollständig trocknet die Feder im Frühjahr erst nach geschlossenem Verfärbungsprozesse. Die Verfär- bung der Feder ist eine rein physikalische, keine Lebenserscheinung, dieselbe Erscheinung, welche, nur in stärkerem Grade, auch bei der eigentlichen Mauser vorkommt. Bei einem schwächeren Saftzuflusse findet Abscheidung von Pigment statt, welches wohl im Blutplasma aufgelöst war und.in der beschriebenen Weise in die schon vorhan- denen Federn dringt. Bei einem stärkeren Saftzuflusse ist Neubildung von Federn bedingt, welche die alten verdrängen oder zwischen ihnen 7b Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. wachsen (Halskrausen des Kampfhahns und der Kragentrappe). Se- vertzof gibt zu, die teil- und fleckenweise Färbung einer Feder nicht erklären zu können, vermutet aber die Entstehung der verschiedenen Mauserungen im Ausbleichen und Abnutzen der Federn, sowie in der baulichen Verschiedenheit ihrer Teile. Im Jahre 1866 veröffentlichte Viktor Fatio eine bedeutende Ab- handlung über die Verfärbung und den Bau der Feder (Des diverses modifications dans les Forms et la Coloration des Plumes, Me&m. de la Soc. de Phys. et d’Hist. Nat. de Geneve). Betreffs des Farben- wechsels ohne Mauser sagt er, dass die Feder bei Vollendung ihres Wachstums auch alle färbende Materie vom Körper aus empfangen hat. Die Absonderung verschwindet nach und nach und die abson- dernden Gefäße zerfallen. Der untere umbilicus ist durch einen Deckel verschlossen und das Mark, das das Leben der Feder ausmachte, trocknet ein. Die Feder befindet sich in einem scheinbar toten Zu- stande. Aeußere Einflüsse machen ihr Recht auf das tote Gebilde geltend, zerstören es immer mehr, bis es schließlich durch eine nach- wachsende Feder abgeworfen wird. Trotz dieser richtigen Darstellung spricht Fatio im Anschluss daran von einem „beständigen Farben- wechsel in der reifen Feder“ und weist dies an Larus rudibundus in Yarrell’s Weise nach. Da, nach Fatio, Schlegel eine bloße Hypothese aufstellt, wenn er die Verfärbung zur Brutzeit als auf Zu- fuhr von Blut und Pigment beruhend, also auf Erneuerung des Lebens basierend, hinstellt, so weicht er allerdings von ihm völlig ab. Aber Fatio scheint auch nur eine ähnliche Hypothese über den mutmaß- lichen Farbenwechsel aufzustellen. Er glaubt fest an eine Umfärbung und auch daran, dass die gewissermaßen toten Organe unfähig sind, nach eingetretener Reife etwas von dem Körper zu empfangen. Ex- perimente mit in Fett getauchte Federn ließen Fatio auch zu der Ansicht neigen, dass das in den Zellen enthaltene Fett aus diesen träte und auflösend auf das Pigment wirke. Weinland’s Hypothese indess, dass ein farbiges Fett die Federn färbe, verwirft er, sowie auch Severtzof’s Annahme, dass ein fremder Stoff „’ozon“ dieselben durchdringe, das in ihnen enthaltene Pigment auflöse und dieses auf dem Wege der Endosmose in alle Teile der Federn steige. Ziehen wir nun eine Schlussfolgerung aus seinen Ansichten, so ergeben sich folgende Sätze: die Feder färbt sich; ihre Farbe wechselt oder wird erhöht durch mancherlei Einflüsse, sei es durch allmählich aufgesaugte und verdampfte Flüssigkeit, als wirkende und vorbereitende Kraft, sei es durch Temperatur und Licht, als wirkende Kräfte. Die Feuchtig- keit spielt eine niedrigere Rolle. Die Hauptsache bleibt ihm das Körper- fett, das auf irgend einem Wege (innerlich oder äußerlich) das Pigment auflöst, so dass, hypothetisch wenigstens, die färbende Materie immer in Auflösung begriffen, im stande ist sich zu ergießen, einzudringen Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 77 und zu färben. Seit Fatio’s Schrift ist wenig Neues über die Sache veröffentlicht worden. Schlegel’s, Gloger’s und Gätke’s Theorien wurden wohl als nicht richtig anerkannt, haben aber trotzdem An- klang bei vielen jetzigen Schriftstellern gefunden. 1893 erschien von Mr. Charles A. Keeler eine Schrift, in der er das Vorhandensein von Pigment und dessen freie Bewegung in der alten Feder durch Beispiele beleuchtet (Evolution of the Colors of North American Land Birds, San Franeiseco 1893). Er nimmt an, dass das Pigment durch die verschiedenen Teile der Feder geht, „dort am schnellsten und weitesten, wo es auf seiner Bahn den wenigsten Wider- stand trifft, und sich da in Massen ansammelnd, wo der Widerstand am größten ist“, d. h. mit anderen Worten, dass die Feder wächst, sich färbt und auch möglicherweise sich verfärbt durch Zufluss von Pigment — ohne Mauser. Nicht viel anders stellt Headley die Sache dar, wenn er in seinem „The Structure and Life of Birds, London 1895“ ausführt: „Eine viel bemerkenswertere Ursache des Farbenwechsels, als das Abwerfen der Federspitzen, ist der Zufluss von frisch färbender Materie. Dieses geschieht, wenn die schwarzköpfige Möve ihren Frühlingsputz anlegt, wobei nach Gätke (!) die Farbe zuerst an den Spitzen der Feder erscheint und sich dann allmählich ausdehnt, bis alles verfärbt ist, im Winter ist die Brust des Dunlin fast weiß, im Frühling wird sie schwarz, das Pigment hat eben seinen Weg zu jedem Teile der Feder durch noch nicht entdeckte Kanäle gefunden“. Nach Sharpe ändert sich das gestreifte Gefieder des jungen Sperlingsreihers (Accipiter nisus) in das einfache Gefieder des erwach- senen Vogels durch einen allmählichen Wechsel in der Markierung der Feder infolge einer wirklichen Mauser um. Auch junge Trauerbach- stelzen sollen nach ihm ihr erstes Frühlingskleid durch eine Mauser bekommen, während alte Vögel derselben Gattung im Frühlinge nicht mausern, sondern die schwarzen Hals- und Rückenfedern allmählich erhalten — ohne jeglichen Verlust. Wiewohl dasselbe auch von anderen Motacilla- Arten behauptet wird, schreibt Meves diesen Vögeln das Prachtkleid durch Frühlingsmauser zu. Oglivie-Grant behauptet von Lagopus scoticus „die Sommer- flankenfedern entstehen auf zweifache Art, entweder durch einen all- mählichen Wechsel und Umänderung des Pigments der Herbstfedern oder durch die Mauser. Während bei einigen Vögeln der ganze Wechsel in den Flankenfedern durch einen Wechsel des Musters in dem alten Herbstkleide hervorgerufen wird, entsteht er bei anderen durch gänz- liche Mauserung, bei noch anderen durch beide Vorgänge zugleich. Bei dem genannten Vogel können die ersten Anzeichen des kommen- den Wechsels zu Anfang November beobachtet werden, zu welcher Zeit viele der Flankenfedern einen unregelmäßigen Streifen oder Fleck 78 Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. erhalten. Ist indes nur die Hälfte der Flankenfedern verändert, so ist anzunehmen, dass nur eine Aenderung des Musters stattfindet. Das Gelb breitet sich nach und nach am Schafte weiter aus und verteilt sich in Flocken, welche sich allmählich gegen die Ränder des Ge- wandes hin ausdehnen, um dann die unregelmäßigen gelben Streifen zu bilden. Währenddes werden die Zwischenräume schwarz und die fuchsroten Federn des Herbstes sterben ab. Die Frage: Warum er- langen manche Vögel ihr Prachtkleid durch die Mauser und andere durch den weniger angreifenden Prozess des Umfärbens? beantwortet der Forscher dahin, dass erstere kräftige Exemplare, die anderen schwächliche Tiere sind. — Rücksichtlich des Baues und des Wachstums der Feder, wie auch der Natur und Eigenschaften des Pigments konnten solche Annahmen nicht gut weitere Anhänger finden. Jeder Ornitholog weiß, dass die Vögel Jahre dazu gebrauchen, um ihr vollkommenes Gefieder zu erlangen, zumal, wenn dieses ver- schiedene und unregelmäßige Muster in der Zeichnung aufweist. Ge- lingt es aber, von einer Art eine gute Serie zusammenzustellen, d. h. fast jede denkbare Stufe des betreffenden Vogels zu erhalten, so kann man an den Exemplaren eine fortwährende Veränderung der Farbe wie auch der Zeichnung durch Umfärbung ohne Mauser scheinbar be- weisen. Mit anderen Worten, eine vorhandene Mauser wirkt durchaus nicht bei allen Vögeln gleichartig, sondern bringt im Wechsel einige bedeutend weiter vorwärts als andere. Auch kann es vorkommen, namentlich bei unregelmäßigen Mustern und Farbenzeichnungen, dass man an ein und demselben Individuum Federn findet, welche in ihren Zeichnungen noch Phasen von verschiedenen bestimmten oder eigen- artigen Mauserungen aufweisen. Und ein solches Uebergangsstadium war es ohne Zweifel, welches Schlegel vor sich hatte, als er vor einem halben Jahrhundert die Erklärung abgab, dass alle Vögel ihr Prachtgewand durch Umfärbung ohne Mauser erhielten, auf welcher dann Fatio und Severtzof ihre Theorien aufbauten. Bedauerlicher Weise werden mausernde Vögel von Museen wie Privatsammlern als wertlos betrachtet und nur solche in gutem Ge- fieder begehrt, wiewohl jene oft weit lehrreicher als diese sind. Wenn man sich nun eine gute Serie mausernder Exemplare vornimmt, von denen man vermutet und die das Aussehen haben, dass bei ihnen der Farbenwechsel ohne Mauserung vor sich geht, so wird man finden, dass die teilweise und scheinbar gefärbten Federn ihr späteres Aus- sehen bereits haben, wenn sie aus der Scheide, in der sie sich bilden herauskommen und diese (täuschenden) Federn ihr eigenartiges Aus- sehen nicht durch einen späteren (und unbegreiflichen) Wechsel oder durch die Art der färbenden Materie erhalten. Wie schon gezeigt und wie vielen Ornithologen bekannt, wechseln Schenkling, Mutmaßlicher Farbenwechsel der Vogelfeder ohne Mauser. 79 viele Vögeln die Farbe oft ohne Mauser; aber ebenso wohlbekannt ist es, dass dieser auffallende Farbenwechsel vom Winter- zum Pracht- kleid nicht einer Zunahme des Pigments zuzuschreiben ist, sondern einfach einer allmähliehen Abnutzung der hellfarbigen Federkanten, wodurch die schon vorhandenen Farben des Prachtgewandes einfach bloßgelegt werden. Mit diesem Vorgange ist das Verbleichen der Farben an einigen Teilen mehr oder weniger verbunden. Beweise hierfür liefern Pleetrophenax nivalis und Dolichonyx oryzivorus. In weniger auffallender ‚Weise ist der Wechsel beinahe an allen einmal mausernden Vögeln zu beobachten und bei vielen, die eine zweite oder Frühlingsmauser durchmachen, wenn die Federn ihres neuen Gewandes zu Anfang mehr oder minder befranst und oberflächlich aschgrau, gelb, olivenfarben angehaucht sind. Diese Fransen verschwinden bei dem doppelten Prozess der Abnutzung und des Verfärbens schneller oder langsamer. Ein sichtbarer Wechsel mit weniger Verlust derselben wird dureh Witterungseinfluss erzeugt; dann tritt gewöhnlich ein Aus- bleichen der Farben ein, in einzelnen Fällen werden sie aber auch intensiver, wie z. B. Braun, das sich in Graubraun und Rotbraun ver- wandelt. Neben der Abnutzung der Feder mögen wohl auch chemische Einflüsse auf die bloßgelegte Feder einwirken. In solchen Fällen findet indessen keine Zuführung von Pigment statt, keine Abänderung des Musters, keine „Neuschmückung“ und keine Verwandlung weißer Federn in schwarze — es ist einfach ein leichter Wechsel der Tonfarbe. Es ist höchst beachtenswert, dass, soviele Autoren über den Farben- wechsel der Vogelfeder geschrieben haben, soviele Theorien aufgestellt worden sind. In verschiedenen Fällen ist angenommen, dass das Fett des Kör- pers das Beförderungsmittel der färbenden Materie ist, die entweder durch Aufsaugen oder Kapillarität oder sonstige unbekannte Prozesse in den Körper der Feder fließt. In einem Falle (Fatio) ist das Körperfett kein Beförderungsmittel für das Pigment, sondern nur ein auflösendes für die Pigmentkörperchen. In einem andern Falle (Severtzof) fließt eine Absonderung — kein Fett — von dem Körper in die Feder und verbreitet sich durch Endosmose in ihre entferntesten Zellen, in dem sie das Pigment, das sie mit sich führt, in Lagern absetzt, bis die Feder schließlich gefärbt ist. Wie die mutmaßliche Absonderung, welche mechanisch (nicht physiologisch) als färbendes Mittel wirkt und mit dem Pigment be- haftet wird, versucht niemand zu erklären. Jedoch gestehen einige der Theoretiker ein, dass es ihnen ganz unerklärlich ist, wie sich das Pigment durch den einfachen physischen oder mechanischen Prozess so ablagern könne, dass es farbige Muster auf den verschiedenen Federn hervorbringt. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Im Jahre 1896 sind erschienen: Herausgegeben von Abhandlungen, Paläontologische. ED.“ wa E. Kayser. Neue Folge. Dritter Band. (Der ganzen Reihe siebenter Band.) Heft 2. Koken, E., Die Reptilien des norddeutschen Wealden. Nachtrag. Mit 4 Tafeln und 1 Textfigur. Preis: 9 Mark. — Neue Folge. Zweiter Band. (Der ganzen Reihe sechster Band.) Heft 6. Futte- rer, K., Ueber einige Versteinerungen aus der Kreideformation der Karnischen Voralpen. Mit 7 Tafeln und 2 Textfiguren. Preis: 12 Mark. Assmann, Dr. Richard, Professor in Berlin, Das Klima. Mit 1 Abbil- Dr. ©., Arzt in Königsberg""n Pr, Schellong, s dung. — Akklimatisation und Tropen- hygiene. In einem Bande. Preis: 2 Mark 5U Pf. Bear John, D. Se., University Leeturer in Comparative Embryology ’» and in Vertebrate Zoology, Edinburgh, ®n certain pro- blems of Vertebrate Embryology. Preis: 2 Mark. Edelmann Dr. R., Direktor der städtischen Fleischbeschau, Docent 9 für Fleischbeschau an der Königl. tierärztl. Hochschule zu Dresden, Fleischbeschau. Preis: 4 Mark. Fodor Josef von, Professor der Hygiene a. d. Kgl. Ung. Universität » zu Budapest, Mitglied der Ung. Akademie der Wissenschaften, L. L. Dr. (hon. ce.) der Universität zu Cambridge ete.., Hygiene des Bodens. Mit besonderer Rücksicht auf Epidemiologie und Bauwesen. Mit 23 Abbildungen und 2 Curventafeln. Preis: 4 Mk. 50 Pf. Frenke Dr. Ferdinand, Professor am Königl. Gymnasium zu » Göttingen, Anatomische Wandtafeln für den naturwissenschaftlichen Unterricht an höheren Lehranstalten. Acht Tafeln in grösstem Landkarten-Imperial- format. 112/128 cm. Mit erläuterndem Text. Tafel 1/2; 3 Blatt. (I. Frontabschnitt des Brustkorbes, obere Bauchorgane, Zwerchfell. — II. Vorderansicht der Lungen im Zustande der Einatmung, Kehlkopf, Luftröhre und Schilddrüse.) Preis & Tafel: 5 Mark; do. aufgezogen: a 10 Mark. Handbuch der Anatomie des Menschen 5; herausgegeben von Prof. Dr. Karl von Bardeleben in Jena. Lieferung 1: Skeletiehre. Abteilung I. Allgemeines. Wirbelsäule. Thorax. Von Prof. Dr. J. Disse in Marburg. Mit 69 Abbildungen (Originalholzschnitten) im Text. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: 3 Mk., Einzelpreis: 4 Mk. Lieferung 2: Harn- und Geschlechtsorgane. Abteilung I. Die weib- lichen Geschlechtsorgane. Von Dr. W. Nagel, Privatdozent an der Universität, erster Assistent der geburtshilfl. gynaekolog. Klinik der Charit6 in Berlin. Mit 70 teilweise farbigen Originalholzschnitten. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: 5,50 Mk., Einzelpreis: 7 Mk. Lieferung 3: Skeletlehre. Abteilung II. Kopf. Von Prof. Dr. F. Graf Spee in Kiel. Mit 102 teilweise farbigen Originalholzschnitten im Text. Preis für Abnehmer des ganzen Werkes: 9Mk.. Einzelpreis: 11,50Mk. Biologisches Centralblatt, unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. rer Nr. 3. Inhalt: Rosenthal, Emil du Bois-Reymond. — Keller, Biologische Studien. — Lebedinsky, Zur Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. — Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie., Emil du Bois-Reymond. Geb. 7. Nov. 1818. Gest. 26. Dezember 1896, (Rede, gesprochen in der gemeinschaftlichen Sitzung der physikalischen und der physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 22. Januar 1897.) Von J. Rosenthal. Die Bedeutung eines hervorragenden Mannes zu würdigen und ihr, wenn auch mit Liebe, so doch mit strenger Unparteilichkeit in dem Rahmen eines kurzen Vortrages gerecht zu werden, ist sicherlich eine schwere Aufgabe. Sie wird noch erschwert, wenn es sich um einen Mann handelt, welcher in verschiedenen Gebieten Großes geleistet hat, wie schon die Stellung beweist, die er als langjähriger Sekretar der Akademie, als Präsident und Ehrenpräsident der physikalischen, als Vorsitzender der physiologischen Gesellschaft während der ganzen Dauer ihres Bestehens eingenommen hat. Sie wird vollends schwierig, wenn sich ganz von selbst die Erinnerung aufdrängt an die Meister- schaft, mit welcher der Verstorbene Lebensbilder zu entwickeln ver- stand, denen gegenüber zweifelhaft bleibt, was man mehr bewundern soll: die außerordentliche Gelehrsamkeit, das verständnisvolle Eindringen in die verschiedenartigsten Gebiete des Wissens, oder den Schwung der Gedanken und der Sprache, die er zu handhaben verstand wie ein geschickter Experimentator seine wissenschaftlichen Apparate, mit Hilfe derer er vor den Augen seiner Zuhörer die verwickeltsten Natur- vorgänge wiedererstehen lässt; oder endlich das liebevolle Versenken in die feinsten Regangen der Geistesthätigkeit seiner Helden, gleich als hätte er alle Regungen ihrer Seele miterlebt und mitempfunden. XVII, 6 82 Emil du Bois- Reymond. Denn du Bois-Reymond war nicht nur ein großer Physiker und Physiologe, er war auch ein echter Historiker. Ich denke, wenn ich ihn so nenne, nicht in erster Linie an die musterhaften Beiträge zur Geschichte spezieller Zweige der Wissenschaft, welche er der Darstellung seiner eignen Untersuchungen einverleibt hat, sondern vielmehr an jene formvollendeten Schilderungen, die er in Form von Reden von vergangenen Zeiten gab, von Menschen und ihren Bestrebungen, von dem ersten Entstehen und der allmählichen Entwieklung der Ideen, von seinen Beiträgen zur Kulturgeschichte, deren selbständigen Wert neben dem, was man sonst schlechtweg als „Geschichte“ zu bezeichnen pflegt, er selbst so schön und treffend hervorgehoben hat }). In seinem Geiste lebte die Vergangenheit, in seiner Darstellung wurde sie wieder lebendig auch für uns andre, mochte er uns ein- führen in die Gedankengänge der alten Naturforscher und Philosophen oder in die Gesellschaft jener Männer aus der Zeit der Aufklärung oder in die von ihm besonders geliebte Tafelrunde des großen Friedrich. Wie in den Schöpfungen des ihm eng befreundeten großen Altmeisters des Griffels und der Palette jene Gestalten unserm Auge wieder- erstanden sind, so hören wir in du Bois’ Schilderungen ihre geist- vollen Gespräche, vernehmen ihr feines oder auch sarkastisches Lächeln, lernen von ihnen erhabene Gedanken oder beobachten ihre kleinen Schwächen mit dem milden Auge des Menschenfreundes, der auch in den Fehlern noch die gute Seite eines Jeden zu finden weiß. Man hat mit Recht behauptet, die Geschichte könne nur von reiferen Männern riehtig gewürdigt werden. Das gilt, mehr noch als von der äußeren Geschichte der Völker, Staatsmänner und Feldherren, von der Geschichte der Wissenschaften. Darum halte ich es auch für übertrieben, wenn so oft der unhistorische Sinn unsrer studierenden Jugend beklagt, wenn getadeit wird, dass Vorlesungen über Ge- schichte der Medizin so selten gehalten oder, wenn gehalten, nicht gehört werden. Wer in die Wissenschaft selbst erst eingeführt werden soll, für den wird eine ehronologische Aufzählung der im Laufe der Zeiten sich ablösenden Lehrmeinungen oder der einzelnen Entdeekungen taubes Gestein und darum langweilig sein. Anders aber, wenn, wie es du Bois empfohlen hat, der Lehrvortrag eines jeden Faches selbst von historischem Geist getragen und an der Hand der Geschichte die Wissenschaft, wie sie jetzt ist, gleichsam wie aus ihren Bausteinen aufgebaut wird. Gerade in den induktiven Wissenschaften ist der historische Gang vielfach auch der einer natürlichen und logischen Entwicklung. Versteht es der Lehrer, in diesem Sinne vorzutragen, so wird er nicht nur seine Zuhörer fesseln, er wird auch in ihnen den Sinn und das Verständnis für die geschichtliche Betrachtung wecken. 4) Kulturgeschiehte und Naturwissenschaft. Reden I, S. 240. Emil du Bois-Reymond. 83 Solehen Bestrebungen kommt zu statten, dass die Methoden der Forschung in den induktiven Wissenschaften und in der Geschichte nicht so verschiedenartig sind, als wohl vielfach geglaubt wird. Und damit erklärt sich auch, wie in einem Manne von der Art du Bois- Reymond’s die Begabung für diese beiden, sonst getrennten Gebiete vereinigt sein und herrliche Früchte zeitigen konnte. Freilich genügt für eine solehe Geschichte der Wissenschaften nicht die trockene An- einanderreihung von Daten und Ereignissen; es genügt nicht, dass der sehr gelehrte Historiker Hunderte von alten Folianten durchgelesen und exeerpiert hat; nein, wir wollen erfahren, wieeskam, dass Lehrmeinungen entstanden und wieder vergangen, von anderen sogenannten Systemen, abgelöst worden sind. Zu solcher Geschichtsdarstellung bedarf es eines weiten Blicks. Die Meihode der Einzelforsehung dagegen ist nicht so sehr verschieden von der in den sogenannten induktiven Wissen- schaften. In beiden Fällen handelt es sich zunächst darum, That- sachen festzustellen, die Zeugnisse für dieselben auf ihre Zuverlässig- keit zu prüfen, um schließlich zur Wahrheit oder, wo diese nicht zu finden ist, zur größten Wahrscheinlichkeit zu gelangen. Ob die That- sachen durch Beobachtung und Versuch, oder ob_sie durch kritische Prüfung der Zeugnisse aus Archiven oder aus andern Berichten der Zeitgenossen gewonnen werden, ist für die wissenschaftliche Verwertung von verhältnismäßig untergeordneter Bedeutung. Diese nimmt erst nach Sicherung der thatsächlichen Unterlagen ihren Anfang. Es könnte nach dem Gesagten auffallend erscheinen, warum du Bois-Reymond bei seinem Uebergang von der Theologie zur Natur- wissenschaft nicht von der Geologie, mit der er sich zuerst beschäf- tigte, dauernd gefesselt wurde, da doch die Geologie an sich schon eine historische Wissenschaft ist, mehr als mancher andre Zweig der Naturwissenschaft. Die Erklärung liegt nahe. Als du Bois am Ende der 30er Jahre seine geologischen Studien begann, hatte die Geologie die ihr gemäße Form historischer Forschung noch nicht ge- funden. Das thatsächliche Material war noch zu gering; statt aber geduldig die Feststellung der Thatsachen anzustreben und abzuwarten, bis dies gelungen, suchte man die klaffenden Lücken durch kühne Hypothesen zu überbrücken und, dem Geist der damals noch mäch- tigen Naturphilosophie entsprechend, aus willkürlich ersonnenen Theorien die fehlenden Thatsachen zu konstruieren. Das konnte einen wahrhaft historisch veranlagten Geist nicht fesseln. Ich bin zu dieser Auf- fassung durch Aeußerungen aus du Bois-Reymond’s Munde gelangt, welche er gelegentlich eines Gespräches über die Vorlesungen des Dichters und Naturphilosophen Steffen’s machte. In anderen Zweigen der Naturwissenschaft, die gleichfalls ihrer Natur nach historisch sind, z. B. in der Phylogenie, spukt jenes Bestreben auch heute noch. Hat es doch sogar in der eigentlichen Geschichte selbst sein Wesen ge- 6® 84 Emil du Bois- Reymond. trieben, wovon uns Buckle in seiner Geschichte der Civilisation er- götzliche Beispiele mitteilt. Wie dem auch sei, wir können es nur als einen Gewinn für die Wissenschaft ansehen, dass du Bois schließlich bei der Medizin an- langte und auf diesem Wege der große Physiker und Physiologe wurde, als welchen wir ihn heute feiern. Seit dem Jahre 1841, wo ihm sein Lehrer Johannes Müller Mateucei’s „Essai sur les ph&nomenes eleetriques des animaux“ in die Hand gab, bis zn seinem Lebensende hat er im Dienste dieser Wissenschaften gearbeitet. Und wenn auch sein großes Werk über tierische Elektrizität unvollendet geblieben ist, was er in dem langen Zeitraume von mehr als fünfzig Jahren ge- leistet hat, wird von dauerndem Werte für sie bleiben. Unter Johannes Müller hatte die Physiologie eine reiche Ent- wicklung erlangt. Noch war ihre Trennung von der vergleichenden Anatomie nicht vollzogen; aber auch die rein morphologischen Unter- suchungen, indem sie unsre Kenntnis von den verschiedenen, in der Tierreihe vorliegenden Organisationen erweiterien, bahnten besseres Verständnis der Lebensvorgänge an. Daneben wurde die von Harvey (1619) begründete experimentelle Physiologie durch Johannes Müller selbst, durch die Gebrüder Weber, durch Magendie u. a. eifrig gepflegt. Neben der fortschreitenden Erkenntnis des feineren Baus der Gewebe wurden die Errungenschaften der Physik und Chemie für das Verständnis des Kreislaufs, der Atmung, der Verdauung, der Sinnes- thätigkeiten nutzbar gemacht. Aber die Verbindung mit Chemie und Physik blieb eine lockere. Gerade das, was der Physiologie am wich- tigsten gewesen wäre, war zum großen Teil den Physikern und Che- mikern selbst noch unbekannt. Diese hatten genug zu thun, um die ihnen näher liegenden Aufgaben zu lösen. Von der Physiologie wussten sie, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, in der Regel so wenig, dass sie sich daran gewöhnt hatten anzunehmen, die Gesetze, welche sie erforschten, hätten in den lebenden Wesen keine Geltung. Justus Liebig, der es als einer der ersten unternahm, mit der Fackel der Chemie das dunkle Getriebe des Tier- und Pflanzenlebens aufzuhellen, war doch selbst von jener Ueberzeugung so durchdrungen, dass er den chemischen Wirkungen, bei aller Wichtigkeit, die er für sie zur Aufklärung einzelner Vorgänge in Anspruch nahm, nur eine sekundäre Rolle, gleichsam unter Oberaufsicht der „Lebenskraft“ zu- schrieb. Trotz aller Förderung, welche die Physiologie diesem großen Chemiker verdankt, war sein Wirken doch wegen der Willkür, mit der er über noch nicht genügend erforschte Fragen der Physiologie urteilte, häufig ein verderbliches, so dass die von du Bois herrührende Bezeichnung Liebig’s als „Geißel Gottes, welche in unseren Tagen über die Physiologen verhängt wurde“ !), derSachlage vollkommen entsprach. 4) Untersuchungen über tierische Elektrizität, Bd. I, Vorrede $. XXVII. Emil du Bois - Reymond. 55 Johannes Müller’s großes Ansehen zog junge Männer von Be- gabung naturgemäß in seine Nähe. Nach Schwann und Henle traten fast gleichzeitig Ernst Brücke, Emil du Bois-Reymond, Hermann Helmholtz in diesen Kreis, jene drei, welche mit dem aus andrer Schule entsprossenen Carl Ludwig für mehr als ein Menschen- alter die Führer der deutschen Physiologen, die Begründer der neuen Physiologie überhaupt werden sollten. Was jene drei auszeichnete, das war ihre damals noch ungewöhnliche gründliche Vorbildung in der Physik. Man kann sie obne weiteres als in beiden Wissenschaften gleich heimisch bezeichnen. So kam es, dass die Mediziner Helm- holtz und du Bois-Reymond (Brücke hatte kurz vorher Berlin verlassen) mit anderen Teilnehmern des Magnus’schen Colloquiums die Begründer der physikalischen Gesellschaft wurden. Für die Physio- logie aber entstand aus dieser Vereinigung eine neue Richtung. Die physikalische Physiologie, deren anerkanntes Haupt sehr bald du Bois- Reymond wurde, hat neue Wege erschlossen. Wenn sie neuer- dings wieder etwas in den Hintergrund tritt, so bauen doch die heutigen Physiologen auf dem Grunde, der durch jene Männer urbar gemacht war, arbeiten mit Apparaten, die sie erfunden, und kein Physiologe wird heute seiner Wissenschaft gerecht werden, wenn er nicht jenes Geistes, der Helmholtz und du Bois-Reymond beseelte, einen Hauch ver- spürt hat. ‚Bei dem Studium der physikalischen und chemischen Erscheinungen an Lebewesen stößt der Forscher nicht selten auf Lücken in den Grunddisziplinen; er muss versuchen sie auszufüllen. Auf diese Weise haben Physik und Chemie manche Anregung und Erweiterung erfahren; so, um nur einiges zu erwähnen, in der Hydrodynamik, in der Lehre von der Diffusion. Besonders fruchtbar aber wurden du Bois- Reymond’s elektrische Arbeiten. Das von ihm konstruierte Induk- torium, bei welchem er den Neeff’schen oder Wagner’schen Hammer in sinnreicher Weise verwendete, kann kein Physiologe heute entbehren und wir finden es in den Händen eines jeden Arztes. Aus ihm haben sich aber auch die mächtigen Induktorien entwickelt, welche zur Er- zeugung der Röntgenstrahlen dienen; Physiologen wie Physiker be- dienen sich des du Bois’schen Schlüssels, der von ihm zu einem praktischen Werkzeug umgeformten Pohl’schen Wippe. Dem No- bili’schen Multiplikator hat er eine vor ihm nicht geahnte Empfind- lichkeit gegeben, die Theorie der astatischen Nadelpaare hat er ent- wickelt. Als er statt des Multiplikators die Wiedemann’sche Bussole mit Spiegelablesung zu benutzen begann, unterwarf er die Schwing- ungen der Magnete unter dem Einfluss der Astasierung durch den Hauy’schen Stab und der Dämpfung einer genauen Untersuchung und stellte die Bedingungen der aperiodischen Bewegung schwingender Magnete fest. Er maß und berechnete den zeitlichen Verlauf der indu- 86 Emil du Bois-Reymond. zierenden und induzierten Ströme bei Induktorien und im Telephon. Die Poggendorff’sche Methode der Messung elektromotorischer Kräfte ver- besserte er so, dass sie nicht bloß bequemer, sondern auch sicherer und genauer wurde. Seine Untersuchungen über Flüssigkeitsketten, über innere Polarisation poröser, mit Flüssigkeiten getränkter Leiter, über Polari- sation der Elektroden und unpolarisierbare Kombinationen von Metallen und Salzlösungen, über elektrische Endosmose und die kataphorischen Wirkungen des Stroms, die elektrische Fortführung in Flüssigkeiten suspendierter Pulver, über die Ströme beim Schütteln und Drücken der Blektroden u. s. w. sind durch das praktische Bedürfnis hervor- gerufen, bei seinen physiologischen Untersuchungen hervorgetretene Erscheinungen aufzuklären, sie sind aber auch der reinen Physik zu gute gekommen. Doch auch ohne solchen Anlass hat er physikalische Fragen behandelt, so die Nobili’schen Ringe und die Thermoströme in Krystallen. Neben der Elektrizitätslehre interessierte du Bois ganz besonders die Lehre von der Diffusion, welche gleichfalls vielfach von Physio- logen bearbeitet wurde, da sie auf wichtige Lebensvorgänge Licht zu werfen versprach. Eigene Untersuchungen hat er in diesem Gebiete nicht veröffentlicht. Nur in den Fortschritten der Physik berichtete er bis zu Anfang der sechziger Jahre kritisch und hie und da eigene Beobachtungen einflechtend über die einschlägigen Untersuchungen sowie über Elektrophysiologie. Dann übernahm ich auf seinen Wunsch das Referat, gab es aber auf, als mit der weiteren Entwicklung die den Physikern und den Physiologen gemeinsamen Gesichtspunkte in Folge der Zersplitterung in Einzelarbeit immer spärlicher wurden. Heute hat die Diffusionslehre in Folge des Anstoßes von Seiten der physikalischen Chemie erneute Bedeutung erlangt und wird wiederum von Physiologen eifrig betrieben. Obgleich du Bois, soviel ich sehen kann, die Mathematik nicht selbständig gefördert hat, beherrschte er sie doch so weit, dass er in seinen physikalischen Arbeiten überall da, wo es die Natur der Unter- suchung zuließ, die experimentelle Forschung durch den mathematischen Kalkül vervollständigen und zum theoretischen Abschluss bringen konnte. Aber auch da, wo dies nach der Sachlage unthunlich war, bediente er sich gern der mathematischen Ausdrucksweise. Man kann ja in vielen Fällen auch dann, wenn die quantitative Untersuchung zur Aufstellung einer Gleiehung nicht ausreicht, die Beziehungen zwischen Größen- reihen unter dem Bilde der mathematischen Funktion darstellen. Diese, der analytischen Geometrie entlehnte Betrachtungsweise in der Physiologie einzubürgern, war sein stetes Bestreben. Sicher wird dadurch die Anschaulichkeit nicht selten gewinnen. Mit welchen Ein- schränkungen das Verfahren bei den meist ungenügenden Daten in Emil du Bois - Reymond. 87 der Physiologie verwendbar ist, hat er selbst klar dargelegt!); trotzdem hat er nicht verhindern können, dass von mancher Seite Missbrauch da- mit getrieben wurde. Den größten Nutzen hat es der Physiologie indirekt geleistet, indem es die Einbürgerung der graphischen Methoden begünstigt und dadurch zur Aufklärung verwickelter Vorgänge bei- getragen hat. Ich komme jetzt zur eigentlichen Lebensarbeit duBois-Keymond’s, der Untersuchung der elektromotorischen Erscheinungen tierischer Ge- webe. Sie begann 1841; 1843 wurden die wesentlichsten Ergebnisse in einer Reihe von Leitsätzen in Poggendorff’s Annalen veröffentlicht, dann in seinem großen Werke „Untersuchungen über tierische Elek- trizität“ mit allen historischen Exkursen, Beschreibnng von Apparaten, Versuchsanordnungen, physikalischen Erläuterungen u. s. w. dar- gestellt ?).. Das Hauptergebnis dieser Untersuchungen lässt sich in folgende Sätze zusammenfassen: Von allen in den tierischen Organen vorkommenden Geweben sind die Muskeln und Nerven allein im Stande, selbständig elektromotorisch zu wirken; sie thun dies nur, so lange sie ihre Lebenseigenschaften bewahren. Abgestorbene Nerven und Muskeln sind wie alle anderen Gewebe unwirksam. Bei der Thätigkeit, welche in den Muskeln durch die Kontraktion, bei den Nerven durch die äußerlich nieht sichtbare Erregung, die aber auf andre Organe übertragen werden kann, er- kennbar ist, erleiden jene von ihnen ausgehenden elektromotorischen Kräfte Veränderungen, die negative Schwankung, wie sie du Bois- Reymond nannte. Der Schlag des elektrischen Organs muss als eine dieser negativen Schwankung analoge Erscheinung angesehen werden. An den Nerven entdeckte du Bois außerdem noch eine Veränderung der elektrischen Spannungen unter dem Einfluss eines durch einen Teil des Nerven geleiteten konstanten Stroms. An der Seite der Anode nehmen die Spannungen zu, an der Seite der Kathode ab und zwar in einem mit der Entfernung von den Elektroden regelmäßig abnehmenden Maße. Diesen sogenannten elektrotonischen Aenderungen der Spannung entsprechen, wie Herr Pflüger später gefunden hat, Aen- derungen der Erregbarkeit, welche an der Anodenseite herabgesetzt, an der Kathodenseite erhöht ist und zwar gleichfalls in regelmäßig mit der Entfernung von den Elektroden abnehmendem Maße. Man kann sich heutzutage kaum eine Vorstellung von den Schwierig- keiten machen, welche zur Feststellung dieser Sätze überwunden werden 1) Untersuchungen über tierische Elektrizität. Vorrede, Bd.]I, S. XXVI. 2) Der erste Band erschien 1848, der erste Teil des 2. Bandes 1849, der 2. Teil Bogen 1—24, 1864; Bogen 24— 37, größtenteils schon lange vorher gedruckt, wurden 1884 ausgegeben. Berlin bei &. Reimer. Einzelne Abhand- lungen in den Monatsberichten der k. preuß. Akademie uud im Archiv für Anatomie und Physiologie in den Jahren 1856—1890, gesammelt in 2 Bänden 1875 und 1877, Leipzig bei Veit & Co. 88 Emil du Bois - Reymond. mussten. Um die Verbindung der zu untersuchenden tierischen Teile, welche elektrisch als feuchte, von Elektrolyten durchtränkte Leiter anzusehen sind, mit den metallischen Enden des zum Nachweis der Ströme dienenden Multiplikators herzustellen, ohne dass an diesen Enden, also außerhalb der tierischen Teile elektromotorische Kräfte auftraten, bedurfte es langwieriger Vorbereitungen. War dies gelungen, so hatte man mit der Polarisation zu kämpfen, welche die mühsam errungene Gleichartigkeit der Multiplikatorenden oft wieder aufhob. Als im J. 1859 die Einführung der gleichartigen und unpolarisierbaren Kombination: amalgamiertes Zink und Zinksulfat!) in die Technik der elektrophysiologischen Versuche erfolgte, deren Anwendung es heute dem Schüler gestattet, nach kurzer Anweisung die Hauptversuche selbst- ständig nachzumachen, war die größte Arbeit längst gethan. Zur Untersuchung der Nervenströme reichten die damals vorhandenen Mul- tiplikatoren nicht aus; du Bois-Reymond musste sich einen Multi- plikator von genügender Empfindlichkeit erst herstellen, seine Eigen- heiten studieren, die Ablenkung durch die Drahtmassen kompensieren. Um Nerven und Muskeln zu reizen und die Reizstärke abstufen zu können, musste das Induktorium mit verschiebbarer sekundärer Rolle (Sehlitteninduktorium) hergestellt werden. Alle diese Schwierigkeiten überwand du Bois nicht etwa spielend. Schritt für Sehritt drang er ein in das von ihm zu bebauende Gebiet, dem Pionier vergleichbar, der mit Axt und Feuerbrand dem Urwald in harter Arbeit den Boden abringt, auf dem er seinen Samen aussäen will. Ich habe oben gesagt, dass Muskeln und Nerven elektromotorisch wirken. Aber die Muskeln sind großen Teils unregelmäßig gebaut; nur wenige bestehen aus einander parallelen, von einem Ende des Muskels zum anderen reichenden Fasern. Schneidet man aus einem solchen ein beliebiges Stück heraus, das durch zwei parallele, zu der Faserrichtung senkrechte Schnitte begrenzt ist, so erhält man ein Gebilde, dessen Längsschnittflächen positiv sind gegen die Querschnitte; an den Längsschnitten ist die Mitte (der elektromotorische Aequator) am positivsten, an den Querschnitten der Mittelpunkt am negativsten. Zerschneidet man ein solches Muskelstück in kleinere Stücke, so ver- hält sich jedes Stück genau so wie früher das ganze, ähnlich wie sich Bruchstücke eines Magnetstabes als ganze Magnete verhalten, jedes mit einem Nord- und Südpol und einer Zone schwächster Wirkung, dem magnetischen Aequator. Aehnliche Verhältnisse zeigen sich an Nerven, deren Fasern in den Nervenstämmen stets einander parallel liegen. Legt man die Querschnitte an den Muskeln schief an, so dass sie mit der Richtung der Fasern einen nichtrechten Winkel bilden, so ergeben sich Verschiebungen der Spannungsverteilung: die stumpfen Ecken werden an den Längsschnitten positiver, an den Querschnitten 1) Monatsber. d. Akad., 1859, S. 443. Emil du Bois-Reymond. 89 weniger negativ, die spitzen Ecken an den Längsschnitten weniger positiv, an den Querschnitten stärker negativ. Diese Verhältnisse ge- statten, die Erscheinungen an unregelmäßig gebauten Muskeln zu deuten. Die erwähnte Aehnliehkeit des elektromotorischen Verhaltens der tierischen Teile mit den Magneten veranlasste du Bois zur Aufstellung einer Hypothese, welche der allgemein anerkannten Ampere’schen von der Konstitution der Magnete nachgebildet ist. Muskeln und Nerven bestehen nach ihr aus regelmäßig angeordneten Teilchen, den peripolar negativen Molekeln, welche dem Längsschnitt eine positive Mittel- oder Aequatorialzone, den Querschnitten negative End- oder Polarzonen zuwenden. Bei der Thätigkeit der Muskeln und Nerven und im Elektro- tonus sollen diese Molekeln Lageveränderungen der Art erfahren, dass daraus die beobachteten Aenderungen der Spannung folgen. Es ist bemerkenswert, dass die neueren Entdeekungen über den Bau der Muskelfasern sich mit der du Bois’schen Vorstellung sehr gut vereinigen lassen. Man kann nämlich die kleinsten Teilchen, durch deren elektrische Potentialdifferenzen die Erscheinungen an ganzen Muskeln oder beliebigen Stücken derselben erklärt werden sollen, sehr wohl mit dem zusammenstellen, was dieHistiologen „Muskel- kästchen“ genannt haben. Nur tbut man gut, die irreleitende Be- zeichnung „Molekeln“ fallen zu lassen und lieber von „Muskelelementen“ zu sprechen oder einen ähnlichen unverfänglichen Ausdruck zu ge- brauchen !). Für den Nerven freilich ist ein analoger Parallelismus zwischen Strukturelementen und hypothetischen Trägern der elek- trischen Spannungen nicht so deutlich nachgewiesen. Außerdem ıst zu erwähnen, dass, wie Helmholtz gezeigt hat, die Spannungsverteilung an der Oberfläche eines nach du Bois- Reymond’s Hypothese mit elektromotorischen Kräften erfüllten Leiters den thatsächlich vorhandenen Spannungen entspricht ?). Ich musste diese Auseinandersetzung vorausschicken, um klar zu machen, welche Bedeutung wir der seit dem Jahre 1867 zunächst von Herrn L. Hermann begonnenen Bekämpfung der du Bois-Rey- mond’schen Lehren zuzuschreiben haben. Nach Herrn Hermann sind die beschriebenen, von du Bois be- obachteten Erscheinungen an den Muskeln und Nerven nicht, wie jener angenommen hatte, bedingt durch elektromotorische Kräfte im Innern des Muskels oder Nerven, sondern sie entstehen erst durch die An- 4) Vergl. Rosenthal, Allgemeine Physiologie der Muskeln und Nerven. Leipzig 1877, S. 222 ff. 2) Helmholtz, Poggendorff’s Annalen, Bd. 89, S. 211 fi.; Rosen- thal, a. a. 0. 8.228:. Für das elektrische Organ hat Kirchhof eine mathe- matische Ableitung gegeben. du Bois-Reymond, Gesammelte Abhand- lungen, Bd. II, S. 637. 90 Emil du Bois - Reymond. legung der Querschnitte. An den Schnitten sterbe die lebende Substanz äußerst schnell bis auf eine gewisse Entfernung hin ab und diese ab- gestorbene Schicht verhalte sich negativ gegen die lebende. Es lässt sich nicht leugnen, dass man sich die Sache so vorstellen kann; aber daraus folgt noch nicht, dass man sie sich auch so vor- stellen muss, dass jede andre Vorstellung, welche den Thatsachen gleichfalls gerecht wird, falsch sei. Allerdings hat du Bois selbst nachgewiesen, dass die Muskelsubstanz, welche während des Lebens neutral oder zuweilen schwach alkalisch reagiert, beim Absterben sauer wird, und ebenso muss zugegeben werden, dass das Absterben an der Schnittstelle rasch eintritt. Aber nieht bewiesen ist, dass zwischen lebender und abgestorbener Muskelsubstanz eine elektromo- torische Wirkung bestehe, welche der Größe und dem Vorzeichen nach derjenigen zwischen Längs- und Querschnitt des Muskels gleich ist. Das wird vielmehr von Herrn Hermann als selbstverständlich voraus- gesetzt. Für den Nerven fehlt es ferner an einer der Säuerung der Muskelsubstanz analogen Erfahrung. Beide Hypothesen stehen sich also zunächst höchstens gleichwertig gegenüber und erst die Be- trachtung der übrigen Thatsachen kann zu gunsten der einen oder der anderen den Ausschlag zeben. Hierfür soll nach der Ansicht vieler heutiger Physiologen ent- scheidend sein die sogenannte „Präexistenzfrage“, d. h. die Frage ob an einem unversehrten lebenden Muskel überhaupt Potentialdifferenzen nachweisbar sind. Nach den ersten Angaben du Bois-Reymond’s sollten die so- genannten natürlichen Querschnitte eines Muskels, d.h. die vom Sehnen- gewebe überzogenen Enden der Muskelfasern gleichfalls negativ gegen den Längsschnitt sein. Als er dann später fand, dass natürliche Quer- schnitte weniger oder zuweilen gar nicht negativ sind, stellte er die Lehre von der parelektronomischen Schicht oder parelektronomischen Strecke auf, d.h.ernahm an, dassandennatürlichen Faserenden die Anordnung der elektromotorisch wirksamen Teilchen eine andre sei als in den anderen Teilen der Faser. Von Herrn Hermann wird die Präexistenz des Muskelstroms schlechtweg geleugnet. Findet man bei noch so sorg- fältiger Präparation an einem vollkommen unversehrten Muskel den Querschnitt negativ, dann behauptet er, dass trotz aller Vorsicht den- noch etwas von dem Hautsekret an denselben gekommen sei, und es wird schwer sein, das Gegenteil zu beweisen. Wird aber keine Po- tentialdifferenz gefunden, dann erklärt er das für den normalen Zustand was wiederum nicht widerlegt werden kann. Wir werden daher gut thun, die Präexistenzfrage als unentschieden anzusehen. Ja wir können sogar so weit gehen, mit Herrn Hermann anzunehmen, ein normaler Muskel sei wirklich |stromlos; was würde daraus für die du Bois’sche Auffassung folgen ? Emil du Bois - Reymond. 91 Wenn die Muskelelemente in der Weise, wie du Bois annahm, Träger elektrischer Potentialdifferenzen sind, so lässt sich nach dem von Helmholtz entwickelten Prinzip der elektromotorischen Oberfläche die Verteilung der Spannungen an der Oberfläche berechnen. Ist der unversehrte Muskel stromlos, d. h. haben alle Punkte der Oberfläche gleiches Potential, dann muss man eine solche Aenderung in der Grund- annabme machen, dass auch dieser Forderung genügt wird. Das leistet du Bois-Reymond’s Annahme von der parelektronomischen Sehieht. Sie ist also theoretisch durchaus zulässig. Wem diese Betrachtungsweise nicht anschaulich genug erscheint, der wird vielleicht durch den Vergleich mit den Magneten den Sinn derselben leichter erfassen. Man denke sich einen Faraday’schen geschlossenen Ringmagneten, ein sogenanntes Toroid, wie man jetzt sagt. Ein solches Toroid zeigt nach außen keinerlei magnetische Wirkungen. Schneidet man aber aus demselben einen Sektor heraus, so werden dieser sowohl wie der Rest sich als Magnete erweisen, jeder Teil wird einen Nordpol und einen Südpol haben. Angenommen, die ersten Magnete, welche den Physikern zu Händen gekommen, wären solche Ringmagnete gewesen. Hätte nicht ein fin- diger Kopf auf den Gedanken geraten können, der nach dem Abfeilen eines Stücks auftretende Magnetismus wäre erst durch dieses Abfeilen entstanden. Er hätte gewiss auch irgend eine scharfsinnige Hypothese ersinnen können, um das Auftreten anziehender und abstoßender Wirkungen, die vorher nicht dawaren,. zu erklären. So aber hat der historische Gang der Erfahrung, welche uns erst mit natürlichen und künstlichen Magneten und ihren Eigenschaften, dann mit den Erscheinungen der magnetischen Induktion, dem Elektro- magnetismus u. 8. w. bekannt machte, die Physiker zu der Auffassung geführt, dass ein jeder Magnet aus einer großen Zahl kleinster Magnete bestehe, ja dass solche schon im unmagnetischen Eisen existieren, nur nicht regelmäßig geordnet; und diese Auffassung hat selbst gegenüber der von Faraday herrührenden, jetzt erst zum Durchbruch kommen- den Auffassung von den Kraftlinien Stand gehalten. Die Veränderungen, welche bei der Thätigkeit in Muskeln und Nerven entstehen, hat du Bois-Reymond als „negative Schwankung“ bezeich- net, was zunächst nur besagt, dass sie entgegengesetzes Vorzeichen haben, wie die gewöhnlich von ihm beobachteten Ströme zwischen Längs- und (Querschnitt. Ein wesentlicher Fortschritt in der Kenntnis derselben nach du Bois-Reymond’s grundlegender Arbeit wurde von Herrn Bernstein angebahnt!), welcher zeigte, dass bei lokaler Reizung von Muskel- oder Nervenfasern gleichzeitig mit dem Erregungsvorgang 1) J. Bernstein, Monatsber. d. pr. Akad., 1867, S. 444 und: Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem. Heidelberg 1871. 92 Emil du Bois - Reymond. und mit gleicher Geschwindigkeit eine elektrische Veränderung sich fort- pflanzt der Art, dass die erregte Stelle negativ wird gegen jede zurück- liegende oder folgende ruhende Stelle. Herr Hermann hat hierzu noch die Hypothese gefügt, dass bei Erregung des Muskels vom Nerven aus analoge negative Wellen von der Nerveneintrittsstelle aus nach den Enden der Muskelfasern hinlaufen. Er nennt die bei der Thätigkeit auf- tretenden Aenderungen der Potentialverteilung „Aktionströme“. Der Name ist zweckmäßig. Für unsre Auffassung ist es aber ohne Belang, ob die neu auftretende Wirkung sich zu einem Strom algebraisch hinzuaddiert, dessen Intensität einen positiven ‚Wert hat oder den Wert Null. Diese Veränderungen lassen sich, wenn man von der Hypothese du Bois-Reymond’s ausgeht, leicht durch Lageänderungen der „Molekeln“ anschaulich machen. Herr Hermann aber nimmt an, dass in den erregten Teilchen chemische Umänderungen Platz greifen, Zer- setzungen oder Spaltungen einer hypothetischen Substanz, analog den Zersetzungen oder Spaltungen beim Absterben; durch diese werde die erregte Stelle negativ. Unmittelbar darauf aber finde die Wieder- herstellung der ursprünglichen Substanzen statt und damit höre die Potentialdifferenz auf!). Man kann die Vorstellung du Bois-Reymonds eine mechanische oder physikalische nennen und im Gegensatz dazu die des Herrn Hermann eine chemische. Es giebt, wenn ich so sagen darf, physi- kalische und chemische Köpfe. In der Vorstellung der einen stellt sich alles, worüber sie nachdenken, unter dem Bilde von Bewegungen oder l.ageveränderungen von Molekeln dar, bei den andern unter dem Bilde chemischer Vorgänge. Ich vermute, dass entscheidend dafür, welche Art von Vorstellungen den Vorrang gewinnen, die ersten und darum auch festesten Associationen sind, welche sich beim Nachdenken über wissenschaftliche Probleme gebildet haben. Solche feste Asso- eiationen werden schließlich zu einer fast unwiderstehlichen Macht, welche anderen Vorstellungen den Eintritt in den Ideenkreis ganz und gar verwehrt. Mir will jedoch scheinen, dass auch chemische Gesichtspunkte uns abhalten sollten, die Hermann’sche Auffasssung für eine glückliche zu halten. Ein tetanisch eontrahierter Muskel, der äußerlich keinerlei Gestaltveränderung aufweist, lässt einen Ton hören und zeigt dadurch an, dass in seinem Innern Bewegungen stattfinden. Bei willkürlich zusammengezogenen Muskeln entspricht der Ton 32—36 Schwingungen in der Sekunde. Helmholtz hat es sehr wahrscheinlich gemacht, I) In seiner neueren Darstellung (Handbuch der Physiol., Bd. I, 1, S. 205 ff.) gibt Herr Hermann diese seine Erklärung zwar in weniger bestimmter Weise wieder als in seinen ersten Publikationen; dass er sie aber noch für zutreffend hält, geht aus seinen Erörterungen über die Theorie der Kontraktion hervor (S. 250 ff.). Emil du Bois -Reymond. 93 dass das, was wir hören, der erste Oberton ist, dass also eigentlich 16—18 Schwingungen in der Sekunde statthaben. Wenn man aber einen Muskel von seinem Nerven aus durch schnell aufeinander folgende Induktionsströme reizt, dann entspricht die Tonhöhe genau der Anzahl der Reize. Man kann so leicht 500—600 Schwingungen in der Sekunde erzeugen. Und jeder dieser molekularen Bewegungen entspricht eine elektrische Sehwankung. Die Magnetnadel zwar kann diesen schnellen Schwankungen nicht folgen. Leitet man aber die Muskelströme durch den Nerven eines zweiten Muskels, so verfällt dieser in sekundären Tetanus. Ist es nun, frage ich, leicht, sich vorzustellen, dass Spaltungen und Synthesen in den chemischen Bestandteilen des Muskels mit diesen Gesehwindigkeiten sich vollziehen? Demgegenüber scheint mir die Vorstellung bewegter Molekeln, welche uns von den Erschei- nungen des Magnetismus her geläufig ist, den Vorzug zu verdienen. Auch du Bois-Reymond’s Lehre vom Elektrotonus der Nerven lässt Herr Hermann nicht gelten. Nach ihm sind die betreffenden Erscheinungen nur Folgen der Polarisation eines von elektrolytisch leitender Masse umgebenen „Kernleiters“. Ob unter letzterem der Axen- zylinder oder der ganze Inhalt der Nervenfaser zu verstehen sei, lässt er unentschieden, neigt aber mehr zu letzterer Ansicht. In diesem Falle wäre die elektrolytisch leitende Hülle durch das Neurilemma, im ersteren durch die Markscheide gegeben. Einen Versuch, aus dieser Auffassung des Elektrotonus die mit demselben verbundenen, von Herrn Pflüger entdeckten Veränderungen der Erregbarkeit abzu- leiten, hat er nicht gemacht. Ebensowenig hat er bewiesen, dass zwischen den in der Nervenfaser vorhandenen Substanzen Polarisation von der Stärke, wie sie zur Erklärung der Erscheinungen erforderlich wäre, auftritt. Aus dem Gesagten geht wohl unwiderleglich hervor, dass an den thatsächlichen Feststellungen du Bois-Reymond’s so gut wie nichts geändert ist und dass sich der ganze Streit nur um die hypothetischen Vorstellungen dreht. Alles Hypothetische ist aber nur ein Gleichnis. Hypothesen sind Formeln, durch welche eine Summe von Einzelthat- sachen, in einen kurzen Satz zusammengefasst, dargestellt werden kann. Lassen sich aus dem Satz wie aus dem Major in einem guten Syllogis- mus durch Deduktion Schlußfolgerungen ableiten, welche mit der Er- fahrung übereinstimmen, dann ist die Hypothese gut. Müssen aber immer neue Hilfshypothesen gemacht werden, um jede Einzelerscheinung zu deuten, dann ist der Zweck der wissenschaftlichen Betrachtung, den Zusammenhang der Einzelthatsachen unter einander klar zu legen, nicht erreicht. Solche Hypothesen sind daher für den Fortschritt der Wissenschaft von geringem oder keinem Wert. Mit seinem großen Werke waren du Bois-Reymond’s Arbeiten über die elektromotorischen Wirkungen der tierischen Gewebe abge- 94 Emil du Bois- Reymond. schlossen. Die Nachträge zu demselben, deren letzter 1890 erschien, betreffen nur einzelne Fragen und ändern an dem Ganzen nichts Wesent- liches. Dagegen beschäftigte ihn während dieser Zeit fortwährend das Problem der elektrischen Fische. Selbstverständlich mussten diese merkwürdigen Tiere, deren gewaltige Wirkungen über die elektrische Natur derselben keinen Zweifel zulässt, ihn mächtig anziehen. Im J. 1857 gelang es ihm zum ersten Male, lebende elektrische Fische (Malopterurus electrieus aus Süd- Afrika) in Berlin untersuchen zu können. Später erhielt er auch lebende Torpeden. Zum Studium der elektrischen Gymnoten wurde auf sein Betreiben der leider kurz nach der Rückkehr auf einer Berg- fahrt verunglückte Dr. Carl Sachs aus Mitteln der Humboldtstiftung von der kgl. preussischen Akademie der Wissenschaften ausgesandt. Einen schönen Nachruf hat du Bois-Reymond diesem seinem be- gabten Schüler gewidmet!), das Ergebnis seiner Versuche hat er nach den hinterlassenen Tagebuchaufzeichnungen bearbeitet und nebst zwei anatomischen Abhandlungen des Herrn Fritsch über Gehirn und Rückenmark und über das elektrische Organ des Gymnotus als be- sonderes Buch herausgegeben?). Aus den anatomischen Arbeiten von Bilharz, Boll, M. Schultze,BabuchinundFritsch geht hervor, dass die elektrischen Organe sozusagen umgewandelte Muskeln sind. Hieraus und aus den physiologischen Versuchen hat duBois-Reymond den Schluss gezogen, dass auch in elektrischer Beziehung die soge- nannten elektrischen Platten, welche als Grundelement der elektrischen Organe anzusehen sind, den Muskeln ähnlich wirken und wie diese durch den Nerven zur Thätigkeit angeregt werden; der veränderten Struktur ist es zuzuschreiben, dass diese Thätigkeit nicht als Kontrak- tion sondern durch den elektrischen Schlag sieh äußert. Allgemein ist die Ansicht verbreitet, dass du Bois-Reymond in den von ihm festgestellten elektromotorischen Erscheinungen an Muskeln und Nerven eine für die Erklärung ihrer Thätigkeit hochwichtige Eigen- schaft, gleichsam das Geheimnis der Muskel- und Nervenwirksamkeit selbst gefunden zu haben glaubte. Und in der 1848 geschriebenen Vorrede zu seinen Untersuchungen sprieht er sich auch ziemlich zu- versichtlich in diesem Sinne aus?). Diese Zuversicht war nach seinen damaligen Erfolgen nur zu erklärlich. Nachdem Hausen in einem 1744 (ein Jahr nach seinem Tode) erschienenen Werke zuerst die An- sicht ausgesprochen hatte, dass alle sogenannten Naturkräfte auf ein und dasselbe „Fluidum“ zurückgeführt werden könnten, als welches er die Elektrizität ansah und dass dieses auch den „Spiritus animales“ 4) Deutsche Rundschau, Bd. XVII, 8. 390. — Auch abgedruckt in den „Reden“, 2. Folge, 8. 384 und im Eingang zu dem Buch: Dr. Carl Sachs, Untersuchungen am Zitteraal, Leipzig, Veit & Co., 1881. 2) S. die vorige Note. 3) Untersuchungen, Bd.I, S. XV. Emil du Bois- Reymond. 95 der Nerven zu grunde liege, nachdem Galvani 1791 und bald darauf Volta den Grund zu der neuen Elektrizitätslehre, aber auch zu der späteren Elektrophysiologie gelegt hatten, nachdem du Bois-Reymond selbst 1843, genau hundert Jahre nach Hausen, Ströme in Muskeln und Nerven und ihre Veränderungen bei der Thätigkeit mit exakten Methoden gemäß dem Standpunkte der damaligen physikalischen Kenntnisse nachgewiesen hatte, lag es wobl nahe, die enge Zusammen- gehörigkeit beider oder gar ihre Identität anzunehmen. Aber schon im Jahre 1849, in dem Werke selbst!), spricht er sich viel vorsichtiger aus: „Es wird danach gerechtfertigt erscheinen“, sagt er dort, „wenn wir die negative Schwankung fortan als das äußere Anzeichen der inneren Bewegungen im Nerven betrachten, aus welchen sich jener Vorgang zusammensetzt, gerade wie wir die negative Schwankung des Muskeistromes als das Merkmal der inneren Bewegungen im Muskel betrachten, welche die Zusammenziehung zur Folge haben“. In dieser Fassung kann der Satz auch heute noch als richtiger Ausdruck der uns bekannten Thatsachen gelten. Zwar haben manche jüngere Physiologen die elektrischen Erscheinungen der Muskeln und Nerven als etwas Aceidentelles hinstellen wollen, indem sie die Er- zeugung elektrischer Potentialdifferenzen, ohne genügende thatsächliche Grundlagen, als eine allgemeine Eigenschaft aller lebenden Substanz- ansehen?). Dem ist aber nicht so. Außer Muskeln, Nerven und den elektrischen Organen der Fische zeigt nur noch ein Gewebe regel- mäßige elektrische Erscheinungen, das Drüsengewebe. Wegen des unregelmäßigen Baues der meisten Drüsen hat aber an allen Punkten ihrer Oberfläche das Potential entweder gleiche Werte oder die Differenzen sind ganz unregelmäßig. Wo aber sogenannte einfache Drüsen in regelmäßiger Anordnung neben einander stehen, ist die Ge- setzmäßigkeit ihrer Wirkungsweise nachweisbar?). Es ist aber gewiss bemerkenswert, dass wie die Muskeln und die elektrischen Organe der Zitterfische auch die Drüsen unter dem Einflusse der Nerven stehen und dass sie wie jene durch Reizung ihrer Nerven zur Thätigkeit an- geregt werden. In den Muskeln zeigt sich die Thätigkeit als Kontraktion, in den elektrischen Organen als elektrischer Schlag, in den Drüsen als Sekretion. Aber die Erregung ist überall, in den Nerven wie in den von den Nerven aus erregbaren Organen, mit elektrischen Schwankungen verbunden. Wir haben also allen Grund, diese elektrischen Schwankungen als eine konstante und darum auch wohl wesentliche Begleiterscheinung 4) Untersuchungen, Bd. II, Abteil. 1 (1849), S. 563. 2) Die an Pflanzen (Dionaea u. a.) nachgewiesenen elektrischen Erschei- nungen haben eine ganz andre Bedeutung. 3) So in der Haut der Amphibien, wo schon du Bois auf sie aufmerksaın wurde, sowie in den Drüsen der Schleimhäute. Vergl. J. Rosenthal, Arch, f, Anat, u. Physiol., 1865, S. 301. 96 Emil du Bois- Reymond. dessen anzusehen, was wir bei allen diesen Organen als spezifische Erregbarkeit oder Reizbarkeit kennen, und was physikalisch als Aus- lösung potentieller Energie bezeichnet werden kann. Als du Bois-Reymond im J. 1858 den Lehrstuhl Johannes Müller’s bestieg, war seine wissenschaftliche Hauptarbeit im wesent- lichen abgeschlossen. Neben der Ergänzung und Vervollständigung derselben beschäftigte ihn jetzt die Bereicherung des physiologischen Instrumentariums mit neuen Vorrichtungen und Versuchsweisen und die Ausgestaltung des physiologischen Unterrichts mit Unterrichtsmitteln. Viele Demonstrationsversuche, welche jetzt Gemeingut aller Lehrer der Physiologie sind, wurden damals ausgearbeitet und sorgfältig geprüft). Daneben entfaltete er eine rege Thätigkeit in der Ausbildung jüngerer Forscher. Aus den Ländern Europas sowie aus Amerika strömten Jünger herbei, von denen viele jezt auf Lehrstühlen wirken. Nur das physiologische Institut in Leipzig unter Ludwig’s Leitung konnte sich einer gleichen Anziehungskraft rühmen; aber dieses Institut war mit einem damals noch ungewöhnlichen Aufwand von Mitteln neu ein- gerichtet, während du Bois-Reymond’s Laboratorium aus zwei kleinen Zimmern uud einem schmalen Gange im obersten Stock des Universitätsgebäudes bestand. Als dann endlich das großartige Institut nach du Bois-Reymond’s eigensten Plänen entstand, in welchem wir heute versammelt sind, konnte er, auf die Erfahrungen jahrelanger erfolgreicher Lehrthätigkeit gestützt, in ihm das Ideal seines Lebens verwirklicht sehen, der physiologischen Forschung und Lehre eine Stätte zu bereiten, in welcher alle Zweige dieser ausgedehnten Wissen- schaft gleichmäßig eine würdige Vertretung finden. Was du Bois-Reymond seinen Schülern bieten konnte, war vor allem die Unterweisung in der exakten Arbeit, in der Benutzung und Verwertung der Hilfsmittel der verwandten Wissenschaften, namentlich der Physik, in der geschickten Verwendung der gegebenen, in der sinnreichen Erfindung neuer und zweckentsprechender Apparate. Auf ihn passt, was Benjamin Franklin gesagt hat, dass Niemand ein Physiker werden könne, der nicht im Notfalle mit der Säge zu bohren oder mit dem Bohrer zu sägen im stande wäre. Wie er selbst als junger Mann sich seine Apparate aus Glasplatten und Stäben, Kork und Siegelack gefertigt, wie er seinen ersten großen Multiplikator für den Nervenstrom sich selbst gewickelt hatte, so lernte man von ihm sich seine Vorrichtungen mit geringen Hilfsmitteln her- stellen und dennoch gute Untersuchungen machen. Waren die Apparate aber erprobt, dann liebte er es, sie zum Gebrauch Aller auf das Beste und mit einer gewissen Eleganz ausführen zu lassen, worin ihn sein 4) Die Apparate sind zum Tell beschrieben in der Abhandlung „Beschrei- bung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen zu elektrophysiologischen Zwecken“. Abhandl. d. k. preuß. Akad., 1862; Gesammelte Abhandl., I, 145, Emil du Bois- Reymond. 97 stets hilfsbereiter Freund Halske und der vortreffliche Sauerwald, den wohl noch manche der Anwesenden gekannt haben, wirksam unter- stützten. In den zwanzig letzten Jahren seines Lebens war du Bois- Reymond’s Arbeit fast ausschließlich von seinen Geschäften als be- ständiger Sekretar der Akademie der Wissenschaften und von seinen Amtspfliehten in Anspruch genommen. Daneben aber laufen seine Bestrebungen zur Ausbreitung naturwissentschaftlicher Erkenntnis auch außerhalb seines engeren Zuhörerkreises. Diese Bestrebungen haben ihn berühmt gemacht auch in solchen Kreisen, welche von seinen eigentlichen wissenschaftlichen Leistungen kaum etwas wissen; sie haben ihm viel Ruhm und Lob, aber auch viel Widerspruch und An- feindungen. zugezogen. ’ Zum Thema seiner akademischen Reden!) wählte er neben jenen historischen und literarischen Studien, von denen schon im Eingange die Rede war, gelegentlich auch allgemeine naturwissenschaftliche und philosophische Fragen. Er war ein eifriger Verfechter der Darwin'- schen Lehre, zu deren Ausbreitung und Begründung er auch in seinen öffentlichen Vorlesungen „über physische Anthropologie“ und „über einige neuere Fortschritte der Naturwissenschaften“ beigetragen hat. In der Philosophie vertrat er einen geläuterten Materialismus, der freilieh weit entfernt war von jenem seichten und groben Materialismus der fünf- ziger Jahre, dessen Vertreter in ihrer Unkenntnis über manche Schwie- rigkeiten des Problems sich mit leeren Redensarten hinwegsetzten, ohne das Hohle und Leere ihrer Phrasen zu merken. Durchdrungen von der Ueberzeugung, dass alle Naturvorgänge nur erkannt werden vermöge der uns durch die Sinne zugeführten Empfindungen, sah er in der mechanischen Auffassung jener Vorgänge unter dem Bilde von Bewegungen materieller Atome die einzig mögliche Art der wissen- schaftlichen Erkenntnis. Um so nachdrücklicher wies er auf die Grenze dieser Erkenntnis hin, da wie er ausführlich darlegte, die Vorstellung von Bewegungen materieller Teilchen niemals darüber Aufschluss gibt, wie aus diesen Bewegungen Empfindung und Bewusst- sein entstehen könne. Wie man auch zu diesen höchsten Fragen, welche den menschlichen Geist seit Jahrtausenden bewegen, sich stellen mag, niemand wird leugnen, dass du Bois Reymond redlich bemüht war, die Anschauungen, zu denen er als der Frucht seiner langen und tiefen Studien gelangt war, nach gewissenhafter Prüfung mit tapferem Freimut auszusprechen und dass er sie mit logischer Schärfe und mit einer gerade in der Diskussion solcher Fragen seltenen Beredsamkeit vorgetragen und verteidigt hat. 4) Sie sind nebst-einigen außerhalb der Akademie gehaltenen gesammelt erschienen unter dem Fitel: Reden von Emil du Bois-Reymond bei ‘Veit & Co. in Leipzig, 1. Folge 1886, 2. Folge 1837. XV. ’ 98 Emil du Bois -Reymond. Unwillkürlich drängt sich bei Erwähnung dieser Schriften die Erinnerung an jene erste, allgemeine Fragen der Lebenslehre betreffende Abhandlung „über die Lebenskraft“ auf, welche du Bois-Reymond der Vorrede zu seinen „Untersuchungen über tierische Elektrizität“ einverleibt hat!). Und wahrlich, der Glanz, welchen größere Lebenser- fahrung, vertiefte Studien, umfassendere Kenntnis der Literatur, geläuter- ter Styl den Schriften des reiferen Mannesalters verleihen, vermögen nicht das helle Licht zu verdunkeln, das von jener Arbeit ausgeht. Getragen von dem Bewusstsein, eine große Sache zu vertreten, kämpft der Verfasser mit feurigem Schwung und glühender Begeisterung für die von ihm erkannte Wahrheit gegen die damals trotz vereinzelter Angriffe noch unerschüttert herrschende Lehre. Und eben dadurch erklärt sich auch sein großer und durchschlagender Erfolg. Wie Karl der Große die Irmensäule stürzte, so sank unter den wuchtigen Hammerschlägen der du Bois’schen Kritik jener Götze der Lebenskraft und eine geläuterte, wissenschaftliche Auffassung konnte ihren Einzug halten in den Gedankenkreis der Physiologen. Ein glückliches Zusammentreffen günstiger Umstände hatte gerade zu rechter Zeit auch in der Entdeckung des Gesetzes von der Un- veränderlichkeit des Energievorrats die Richtsschnur finden lassen, welche in der heutigen Physiologie allen Betrachtungen über Lebens- vorgänge eine Stetigkeit verleiht, an der es damals noch fehlte?). Ein zweiter glücklicher Umstand war es, dass zu gleicher Zeit durch Herrn Virchow der Grund zu einer neuen wissenschaftlichen Patho- logie gelegt wurde, welche auch die Mediziner den neuen Anschau- ungen zugänglicher machte. Darum zweifle ich nicht, dass die neue Regung vitalistischer Anschauungen, gegen welche auch du Bois- Reymond wieder Stellung genommen hat?) bald wieder verschwun- den sein wird. du Bois-Reymond war ein ausgezeichneter Schriftsteller. Seine Sehriften gehören zu dem Besten, was in deutscher Prosa geschrieben worden ist. Auch sein mündlicher Vortrag war stets sehr gewählt in Ausdrucksweise und Satzbau. Letzterer erinnert, wenigstens in den Schriften der früheren Jahre, daran, dass Französisch die Sprache seines elterlichen Hauses war, dass er an den glänzenden Schriftstellern jenes Landes sich ebensosehr gebildet hatte wie an deutschen Mustern. Französisch war auch seine Vorliebe für einen gewissen Prunk der Sprache, für das, was die Franzosen „des grands mo{is“ nennen, für 1) Untersuchungen, Bd. I, Ss. XXXIV—L; abgedruckt in den Reden, 2. Folge, S. 8 ft. 2) Vergl. hierüber meinen Vortrag über Lavoisier. Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte. Versammlung zu Bremen. Leipzig 1890, $S. 113; Biolog. Centralbl., 1890, S. 525. 3) Sitzungsber, d. k. pr .Akad., 1894. — Deutsche Rundschau, Bd. LXXXI, S. 384. Keller, Biologische Studien. 09 glänzende Bilder ‘und geistreiche Antithesen. Das trat selbst in der gewöhnlichen Unterhaltung hervor, in der er oft durch Wendungen überraschte, von denen es zweifelhaft bleiben musste, ob sie geistreiche Eingebungen des Augenblicks waren oder glücklich ängewande Bei- spiele seines erstaunlichen Gedächtnisses. Und dieser Kelte, in dessen Adern wohl kaum ein Tropfen germanischen Blutes rann, der von französischer Bildung durchtränkt, französische Litteratur und Kultur auf das höchste sehätzte, war doch ein echter deutscher Patriot, der flammende Worte fand, wenn es galt, fremde Ungebühr abzuwehren, der deutsches Wesen gegenüber fremdem mit liebevoller Sorgfalt psychologisch zu ergründen suchte. Das sollte denen zu denken geben, welche Rasseneigenschaften einen ungebühr- lichen Einfluss auf das Denken, Empfinden und Handeln moderner Kulturmenschen zuschreiben. Aber seine Liebe zu Deutschland hinderten ihn nicht ‚Schatten zu erkennen und Warnungsrufe zu erheben, wo er es für nötig fand. Sein Patriotismus war echt, gerade weil er frei blieb von Selbstbespiegelung und schmeichelnder Verherrlichung der Fehler seines Volkes auf Kosten andrer. 4 Jetzt ist der beredte Mund verstummt, der so oft große und schöne Worte gesprochen. Mit ihm ist dahingegangen der letzte derer, welche um die Mitte unseres Jahrhunderts der experimentellen Naturwissen- schaft neue Bahnen eröffneten. Einsamer und einsamer wurde es um ihn, aber noch hielt er sich aufrecht, einem knorrigen Eichbaum ver- gleichbar, der den Stürmen trotzt. Nun, da auch er gefallen, wie kurz vor ihm alle, die seinem Herzen nahe standen und zu denen wir mit bewundernder Ehrfurcht aufsahen, der feinsinnige Brücke, der geniale Helmholtz, der erfindungsreiche Siemens und so viele andere, beschleicht tiefe Wehmut unser Herz. Denn ach! wir werden niemals Ihresgleichen sehn. Biologische Studien. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. I. ee dieAnpassungsfähigkeit phanerogamischer Land- pflanzen an das Leben im Wasser. Die vergleichende Anatomie der Hydrophyten d. h. der normal im Wasser, sei es als untergetauchte Wassergewächse, sei es als Schwimmpflanzen lebenden Phanerogamen, lässt eine Reihe von Ueber- einstimmungen im Bau erkennen, die von der systematischen Stellung durchaus unabhängig sind. Man geht also wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dass in diesen teils morphologischen, teils anatomischen Uebereinstimmungen. der Repräsentanten verschiedener Familien oder Ordnungen die Anpassung an ihr gemeinsames Lebenselement, an das Wasser, zum Ausdruck kommt. Die Summe dieser Anpassungserschei- mi ‘ 100 Keller, Biologische Studien. nungen bildet den Charakter einer Wasserpflanze. Als Kennmale der Hydrophyten sind wesentlich folgende anatomische und morphologische Eigenschaften aufzufassen. a) Wurzel. Bei den Wasserpflanzen scheint der Transpirations- strom, welcher bei den Landpflanzen das Wasser und die Nährsalze aus dem Boden den Blättern zuführt, nach den neueren Untersuchungen von Hochreutiner (1.) allerdings nicht in dem Maße durch die Diffusion ersetzt zu werden, wie man namentlich unter dem Einfluss der grundlegenden Arbeiten Schenk’s (2. 3.) anzunehmen gewohnt war. Wenn wir dennoch thatsächliceh beobachten, dass das Wurzel- werk der Hydrophyten mehr oder weniger stark rückgebildet ist, in einer Reihe von Fällen selbst fehlt (z. B. bei Aldrovanda), so hängt dieses wohl damit zusammen, dass das Wasserabsorptionsorgan nicht mehr die bedeutenden Mengen des Transpirationswassers aufzunehmen hat wie bei einer Landpflanze, sondern wesentlich nur das Konstitu- tionswasser, d. h. das gleich den Nährstoffen zum Aufbau des Pflanzen- körpers dienende Wasser. Außer seiner schwachen Entwicklung ist das Wurzelwerk der Hydrophyten dadurch charakterisiert, dass die Wurzelhaare, die spezifischen Absorptionsorgane fehlen oder doch stark reduziert sind. Die Wasserpflanzen besitzen ferner sehr oft in unver- zweigten langen, aus den Knoten hervorbrechenden Adventivwurzeln Organe, denen in höherem Maße die Bedeutung eines Haftorganes, als eines Ernährungsorganes zukommt. In anatomischer Beziehung ist die Wurzel submerser Pflanzen da- durch gekennzeichnet, dass im Parenchym in mehr oder weniger be- deutendem Umfang luftführende Intercellularräume entstehen, die von der Schutzscheide nach außen an Größe zunehmen. Der axilläre Leitstrang enthält nur wenige Gefäße. b) Stengel. Er ist meist langgestreckt, dünn und biegsam, schwim- mend oder flutend, reichlich verzweigt. Die Internodien sind wohl in Folge der schwächeren Beleuchtung langgestreckt. Die Leitbündel nehmen meist eine zentrale Lage an. Die die Bündel zusammensetzen- den Elemente, vorab das Xylem, sind mehr oder weniger stark redu- ziert. In dem Maße, als die Leitbündel zu einem zentralen Leitbündel vereinigt erscheinen, beobachten wir das Schwinden des Markes. Das Rindenparenchym ist im Verhältnis zum Leitbündelsystem sehr stark entwickelt, aus zartwandigen Zellen gı bildet. In ihm ent- wickelt sich ein umfangreiches Durchlüftungssystem. Das Hautgewebe ist von dem unmittelbar darunterliegenden Paren- chym wenig verschieden, etwas kleinzelliger, ehlorophylihaltig; Spalt- öffnungen fehlen; die Cutieula ist dünn. c) Laubblatt. Die Gesamtheit der assimilierenden Fläche ist bei den Hydrophyten sehr geteilt im Gegensatz zu den oftmals durch große Blätter ausgezeichneten Schwimmpflanzen. Das Blatt ist durch große Keller, Biologische Studien. 101 Zartheit ausgezeichnet, aus wenigen Parenchymzellschichten aufgebaut. Die Pallisadenzellen, die dem direkten Licht angepassten Assimilations- zellen, haben mehr isodiametrische Form angenommen, d.h. sie nähern sich der Gestalt der für diffuses Licht angepassten Assimilationszellen, den Zellen des Schwammparenchyms. Dieses besitzt nicht mehr die für dasselbe charakteristischen großen Intercellulargänge, sondern stellt ein geschlossenes Gewebe dar. Der dorsoventrale Bau geht mehr oder weniger vollständig verloren und wird zum isolateralen. Die Epidermis ist chlorophyllhaltig, frei von Spaltöffnungen, die Cutieula nur als zartes, dünnes Häutchen vorhanden. Von oben be- trachtet erscheinen die Epidermiszellen submerser Blätter quadratisch oder ungefähr rechteckig, nicht wellig. Die Gefäße sind stark reduziert. Haarbildungen fehlen zumeist. — Außer den typischen Hydrophyten gibt es eine Reihe von Pflanzen, die typisch terrestrische Pflanzen sind, aber unter Verhältnissen leben, die gelegentlich einzelne Individuen zu aceidentellen Hydrophyten werden lassen. Eine Reihe von Arten unserer Sumpfflora, der Ufer- pflanzen unserer Bäche und Gräben, treffen wir ab und zu als echte Wasserpflanzen, als submerse Hydrophyten. Sie sind zum Teil schon Gegenstand morphologisch -anatomischer Untersuchung gewesen, weil sie sich zu einer Kontrolle des umgestaltenden Einflusses des Wassers auf den Bau der Pflanze besonders zu eignen schienen. So hat Co- stantin (4.) einen Einblick in den umändernden Einfluss des Wasser- lebens unter anderem auch durch das Studium künstlich submers ge- machter Pflanzen zu gewinnen gesucht, wobei er sich indessen auf die Anatomie des Stengels beschränkte. Uns leiteten in den nachfolgenden Untersuchungen wesentlich zwei Gesichtspunkte: 1. Ist der Grad der Variabilität bei verschiedenen Arten ver- schieden? 2. Wird die Größe der Anpassungsfähigkeit an das Wasserleben durch die normalen Standortsverhältnisse einer Pflanze bedingt ? 1. Mentha aquatica L. Typisch findet sich die Wasserminze überall an Gräben und Bächen. Vom Ufer rückt sie nieht selten ins Wasser vor und wird gelegentlich zur echten untergetauchten Wasserpflanze. Die nachfolgenden Angaben stützen sich auf Beobachtungen an flutenden Individuen aus einem Bache bei Sennhof in der Nähe von Winterthur. Das Wasser bewegt sich in demselben mit einer Geschwindigkeit von !/;--!/; m pro Sekunde. Der Stengel ist .niederliegend; die unteren Teile desselben bilden ein im Boden versenktes Rhizom mit kurzen Internodien,. an dessen Knoten lange, fadenförmige, etwas verzweigte Wurzeln entspringen. 102 Keller, Biologische Studien. Von dem außer der Erde befindlichen Stengelteil gehen fast bis zu den obersten Internodien von den Knoten paarweise einfache lange Wurzelfasern mit den Blattpaaren alternierend ab. Durch sie wird der Stengel im Boden verankert, so dass nur der vordere Teil des Stengels frei im Wasser flutet. Die Blätter sind eiförmig, etwa 1'/, mal so lang als breit, gleich dem Stengel, im Gegensatz zu der typischen Form der Art völlig unbehaart. | : Vergleichen wir zunächst den Bau des Blattes der submersen Form mit dem der außerhalb des Wassers wachsenden. Der Blattstiel ist an Individuen, die außerhalb des Wassers wuchsen, tiefrinnig. In der Bucht der Rinne kommt ein Collenchym- gewebe zur Ausbildung, dass sich bis in die Nähe der beiden medianen Gefäßbündel erstreckt. Es bildet sich so längs der Blattstielrinne ein kräf- tiger collenehymatischer Festigungsstrang von ovalem Querschnitt. Sein längerer Durchmesser beträgt ca. '/; mm, der kürzere '/, mm. Die Cutieula der Epidermis ist kräftig, durchschnittlich 0,006 mm. Aus den Oberhautzellen gehen zahlreiche Haare ab. Unter den klein- lumigen Oberhautzellen liegt eine Zellreihe, welche den Oberhautzellen, sowohl bezüglich der Größe, als auch der dickeren Zellwände ent- spricht. Das übrige Rindengewebe ist ein dünnwandiges, parenchy- matisches Gewebe, dessen Zellen einen Durchmesser von 0,025—0,08 mm besitzen. Zwei collenehymatische Stränge verlaufen ferner unterhalb der Gefäßbündel der Seitenwände der Rinne, die im Querschnitt un- Fig. dla Fig. 2. Fig. 1. Mentha aquatica (Landform). Querschnitt durch den Blattstiel. 1 = Mediane Gefäßbündel. Fig. 2. Mentha aquatica (Landform). Teil eines medianen Gefäßbündels aus dem Blattstiel. Vergr. 350. 1 = Schutzscheide; 2 = Phloem; 3 = Gefäßreihe. Keller, Biologische Studien. 103 gefähr kreisförmig sind und einen Durchmesser von etwa 0,18 mm haben. Das Gefäßbündelsystem ist durch 4 Gefäßbündel repräsentiert, 2 kleinere, seitliche und 2 größere mediane, deren Gesamtumriss halb- mondförmig ist (Fig. 1). Jedes dieser medianen Gefäßbündel enthält die Gefäße in 17—18 Reihen, in denen die Gefäße meist zu 5—6 an- geordnet sind. Die 3 mittleren sind im allgemeinen die größten. Ihr Durchmesser beträgt 0,02—0,023 mm (Fig. 2). Fig! 3. Fig. 3. Mentha aquatica (Wasserform). Querschnitt durch den£Blattstiel. 1 = Medianes Gefäßbündel. Fig. 4. Mentha aquatica (Wasserform). Vergr. 350. Submerser Blattstiel. Mittleres Drittel des medianen Gefäßbündels, 1 — Gefäßbündelscheide; 2 = Gefäße. Der Blattstiel der submersen Form ist weniger tiefrinnig (Fig. 3). Das mediane collenehymatische Gewebe fehlt. Der Querdurchmesser der seitlichen Festigungsstränge beträgt 0,114 mm. Die Cutieula hat eine Dieke von 0,0029 mm. Das Gefäßbündelsystem ist durch 3 Ge- fäßbündel repräsentiert, nämlich durch die 2 seitlichen, deren Durch- messer nur ca. ?/,—!, so groß ist, wie an der Landform und durch ein medianes. Der Umfang dieses letzteren kommt ungefähr dem eines einzelnen medianen Gefäßbündels der Landform gleich. Auch in ihm sind die Gefäße reihenweise angeordnet (Fig. 4). Lassen sich in der ganzen Fläche 20—24 Reihen unterscheiden, so beobachten wir doch nur in sechs Reihen größere Gefäße, deren Durchmesser mit 0,009 —0,012 mm erheblich hinter dem der großen Gefäße aus dem Blattstiel der Landform zurückbleibt. Wenn also schon in diesen Ver- hältnissen in unzweideutiger Weise die Anpassung an den durch das Wasserleben bedingten veränderten Gebrauch zum Ausdruck kommt, 104 Keller, Biologische Studien. so wird diese Anpassung ganz augenfällig, wenn wir der Zahl der größern Gefäße der medianen Bündel der Landform jene der submersen geeenüberstellen. Dort beträgt sie ea. 160, hier ca. 15; dort beträgt ihr Gesamtdurchmesser ca. 4 mm, hier 0,15 mm. Die Spreite wird durch dus Wasserleben sowohl im Bau der Epidermis, als des Mesophylis verändert. Die Epidermis der Oberseite besteht bei der submersen Form aus viel größeren, jedoch aueh chloro- phylilosen Zellen als bei der Landform. Die Cutieula ist 0,0029 mm dick, d.h. ungefähr halb so stark wie bei der Landform. In höherem Maße noch als die Dieke dürfte bei der submersen Form die Cutieu- larisierung der Außenwand verringert sein, wie wir aus den Transpira- tionsversuchen schließen. a) Transpirationsverluste eines Blattes der terrestrischen Form. Temperatur während des Versuches 14,5—16°. Feuchtigkeit 70—80°,. (Gewichtsverlust er Tr ine heben. 115 0,275 8 15 0,252 „ 0,03 ® 8,3%, 10,2], 215 0230, 0,040 WM ITS, 245 OR O0 24,1 , BE 0Dıı Tees er aaa, 28,6 „ 345 0,200 OT 333 „ 430 0.1807, 7.0086 a aA 6 a 491, 9 Da On ze 64,3 ; Trockengewicht 0,051 g. b) Transpirationsverluste eines Blattes der submersen Form. Temperatur und Feuchtigkeit wie bei a. 120 0,089 8 150 0.065 „» 004 2 26,9% 30,891, 920 0,0465.) 0 RT, 545 „ 248 Ger ler 731‘ z18 0.025 „ 00655, 735, 4 350 0.0207 , 0,069, Te, 885 „ 433 6.019 GOTT Zlngeie., 89,7 „ 6° 0,018 ) 0,071 ” 79,7 )) 3, 95 0,017 PRDLong 7a RE a 92,3 „ Trockengewicht 0,011 g. Von der Fläche gesehen erscheint die Epidermis der beiden Formen wellig (Fig. 7, 8, 9). An der submersen Form macht sich indessen die Tendenz zur Streekung der Epidermiszellen geltend, ohne dass allerdings die meist rechteckige Form der Epidermiszellen echter Eydree phyten erreicht würde. re Keller, Biologische Studien. 105 Nach de Bary (5) soll de Candolle den submersen Blättern der Mentha-Arten die Spaltöffnungen abgesprochen haben, eine An- gabe, der schon Rudolphi entgegentrat. An M. aquatica kommen thatsächlich auch den submersen Blättern Spaltöffnungen zu, nach einer approximativen Schätzung allerdings nur etwa !/,—!/, mal so viele wie den Blättern der Landform. Sie sind tief im die Epi- dermis eingesenkt, so dass das Grübchen, das auch an den Blättern der Landform nicht fehlt, an den submersen Blättern fast doppelt so tief ist wie an der Landform. Leicht wird in diesem tiefen Grübchen an den Wänden durch Adhäsion ein ausgeschiedenes Gasbläschen Fig. 5. Mentha aquatica (Submerse Form). Blattquerschnitt. 1 = Cutieula; 2 = Pallisadenzellen; 3 = Schwammparenchym. Fig. 6. Mentha aquatica (Landform). Blattquerschnitt. 1 = (Cutieula; 2 — Pallisadenzellen; 3 = Schwammparenchym. Fig. 7. Mentha aqueatica. Epidermis. -Flächenansicht. (Landform). Verg. 350. Fig. 5 Mentha aquatica. Blattepidermis. Flächenansicht. (Submerse Form). Vergr. 350. 106 Keller, Biologische Studien. lange haften können. Dadurch mag einer Verstopfung der Spalt- öffnungen und der kleinen Atemhöhlen durch Wasser vorgebeugt werden. Das Blatt der Landform (Fig. 6) ist durch einen dorsoventralen Bau ausgezeichnet. An unseren Präparaten beobachten wir unter der Epidermis der Oberseite eine Pallisadenzellreihe, deren Zellen bei einer Länge von 0,06—0,065 mm und einer Breite von 0,01—0,015 mm ziem- lich die Hälfte des Mesophylis ausmachen. An sie schließt sich ein aus ovalen Zellen gebildetes lockeres Schwammparenchym an. Das Blatt der submersen Form hat zwar den für typische Wasser- pflanzen so charakteristischen isolateralen Bau noch nicht/erreicht, nähert sich aber demselben außerordentlich. An Stelle der langgestreckten Pallisadenzellen beobachten wir unter der Oberhaut der Oberseite eine im Blattquerschnitt aus fast quadratischen Zellen gebildete Zellreihe, welche nur ca. !/, des Blattquerschnittes einnimmt. An sie reiht sich das aus großen rundlich-polyedrischen Zellen gebildete Schwamm- parenchym zwar nicht in lückenloser Vereinigung seiner Zellen, aber doch ohne die großen Intercellularräume der Blätter der Landform an. Fig. 9. Mentha aquatica (Submerse Form). Epidermis der Blattunterseite. Vergr. 350. Fig. 10. Mentha aquatica (Landform). Partie des Xylems der Stengel. Vergr. 350. 2 = Gefäße; 2 = Markzellen. Keller, Biologische Studien. 107 Durch die bedentende Verkürzung und Verbreiterung - der Pallisaden- zellen einerseits und durch die etwelche Vergrößerung der Schwamm- parenchymzellen anderseits, wird ein Blatt erzeugt, das annähernd isolateral gebaut ist. Die Umwandlung, welche das Wasserleben auf den Bau des Stengels ausübt, hat schon Costantin (4) beschrieben. Wir können uns deshalb, da unsere Beobachtungen im wesentlichen #ur eine Be- stätigung- seiner Angaben sind, kurz fassen. Das Rindengewebe der auf trockenem Boden gewachsenen Form der Mentha aquatica zeigt hin und wieder kleine Lücken. Am unteren Stengelteil sind — Co- stantin macht hierauf nicht aufmerksam — oftmals zahlreiche skleren- chymatische Zellen den dünnwandigen Rindenparenchymzellen ein- gestreut. An den Kanten ist ein collenehymatisches Gewebe und diesen gegenüber liegt das Gefäßbündelsystem. In jedem der 4 Ge- fäßbündel liegen die größeren Gefäße in 16—18 radiär verlaufenden Reihen, deren jede meist 5 größere Gefäße enthält (Fig. 10), von denen 3 durch besondere Größe ausgezeichnet sind. Ihr Durchmesser bewegt sich zwischen 0,029—0,036 mm. Auf dem Stengelquerschnitt sind dem- nach 180—210 große Gefäße. Fig. 11. Fig. 12. Fig. 11. Mentha aquatica. Stengelquerschnitt der submersen Form. 1 = Collenchym; 2 = Rindenparenehym mit den Lücken; 3 = Gefäßbündel; #— Mark: Fig. 12. Mentha aquatica (Stengel). Stelle der größten Gefäße im Xylem der submersen Form. 1 = Gefäße; 2 = Markzellen. Das Mark ist nicht ein geschlossenes Gewebe, sondern umschließt eine größere Centralhöhle. Diese Verhältnisse sind an der submersen Form in folgender Weise variiert (Fig. 11). Die Lücken im Rindengewebe sind etwas häufiger 10S Keller, Biologische Studien. und viel größer. Während auf einer der Größe des Stengelquerschnittes von Fig. 11 entsprechenden Fläche der Landform 7 Rindenlücken zu zählen waren, also wenig mehr als die Hälfte der Lücken, der sub- mersen Form, kam die größte nur der kleineren unterhalb des Col- lenchyms gleich. Der den Kanten nach verlaufende Collenchymstrang fehlt an der submersen Form nicht, sein Querschnitt ist aber nur ca. ?2/, so groß, wie an der Landform. Sklerenchymatische Einlagerungen beobachtete ich nicht. Ebenso fehlt eine dem Mark eingelagerte Centralhöhle. Die Gefäße sind wieder in radiären Reihen angeordnet. Ihre Zahl ist in jedem Bündel auf 10—12 reduziert (Fig. 12). In jeder Reihe sind nur 2 größere Gefäße, deren Durchmesser 0,02—0,025 mm beträgt. Ein Unterschied besteht zwischen der Landform und der submersen in dem Verhältnis der 3 Gewebesysteme des Stengels, der Rinde, dem Gefäßbündelsystem und dem Mark. Nenne ich den Durchmesser des Markes 1, so kommt dem Gefäßbündelsystem der Landform die Breite 1, an der submersen Form die Breite 0,5 zu, der Rinde 0,8. Das Wasser- leben führte also eine bedeutende Verringerung der Ausdehnung des Gefäßbündelsystems herbei, ein Umstand, der wesentlich durch die starke Reduktion der Leitungselemente bedingt wird. So viele Anklänge unsere submerse Form der Mentha aquatica an die Organisation der echten Hydrophyten zeigt, in einem Punkte besteht ein wesentlicher Unterschied, in der Anordnung des Gefäß- bündelsystems der Stengel. Wenn die Leitbündel der Hydrophyten im Stengel in der Regel eine zentrale Lage einnehmen, so ist hierin zweifellos eine mechanische Wirkung des Zuges zu !sehen. Die Zug- festigkeit wird durch die zentrale Lage der Festigungselemente be- stimmt. Ihrer Verschiebung folgen die ihnen angelagerten Leitungs- elemente. So groß die Anpassungsfähigkeit unserer submersen Form an das Wasserleben ist, die Macht der Vererbung wirkte gerade in diesem wichtigen Punkte der Lagerung des Gefäßbündelsystems stärker als die Anpassung. In stehenden Gewässern ist die zentrale Ver- schiebung der Gefäßbündel keine Forderung der Festigung der Axe. Sie darf hier, ohne dass die Pflanze geschädigt wäre, strebefest ge- baut sein. In fließendem Wasser aber sichert sich unsere submerse Form dadurch in hohem Maße gegen die Gefahr des Zerreißens, dass sie sich sozusagen von Internodium zu Internodium verankert, bis sich schließlich der negativ geotropische Stengel aufwärts krümmt und mit seinem freien Ende flutend wird. 2. Serofularia Neesii Wirtg. An einem oberwärts bereits abgestorbenen Stengel dieser Art be- obachtete ich in einem Riedgraben bei Wiesendangen (Winterthur) zwei submerse Blattbüschel, die aus Adventivknospen als sehr stark Keller, Biologische Studien. 109 verkürzte Triebe zur Entwicklung gekommen waren. Sie gestatteten mir den Einfluss des Wasserlebens wenigstens auf die Blätter der Pflanze zu prüfen, die bei uns hin und wieder an Gräben getroffen wird. Völlig submerse Individuen sah ich bisher nie. Bei dem kräf- tigen Wuchs der Pflanze und ihrer relativ bedeutenden Größe ist trotz ihres Standortes das submerse Vorkommen wenig wahrscheinlich. In erster Linie mag das Verhalten der Blätter der’ Landform und der submersen zur Transpiration geprüft werden. Die Versuche er- gaben zwischen beiden Differenzen. War zwar auch, wie bei Mentha aquatica, der größte Wasserverlust auf die ersten Versuchsstunden zu- sammengedrängt, so bestätigten die Ergebnisse der Transpirations- versuche doch in Uebereinstimmung mit M. aguatica die theoretische Voraussetzung, dass das dem Wasser entnommene Blatt der submersen Pflanze viel erheblicher unter dem Wasserverlust leidet, als das Blatt der Landpflanze. Ich stelle im nachfolgenden eine Versuchsserie zusammen: a) Transpirationsverlust eines Blattes der Landform. Temperatur während des Versuches: 14—16°. Feuchtigkeit: 71,5—82°|,. (Gewichtsverlust Y . ; — . B. No. Gatten ME Anne. 125 0,182 & By MIOR,, 0,013 g 7,1491, 923 0,157 „ 0,025 „ Be, 253 0.147; 0,085 „ 190.2% 320 O2, .. 0,0487 264 „ 350 0,133 „ 0,049, 26,9 , 432 0,126 , 0,056 „ 308 „ 69 0.43%, 0,069 , 37,9 „ 97 0007 ;, 0,091 „ HR b) Transpirationsverlust eines Blattes der submersen Triebe. ‚130 0,225 „ 155 0,201. 0,024 „ 10,66 „ 225 0,172 ', 0,053 „ 235 „ 955 0,150 „ 0,075 „ 333 „ = 0,1315 „ 0,0985 „ 4,5, 356 E15 0,110 „ ABi8:HT , 47 0,098, 0,127 ” 56,4 ” 610 005 0,150 „ 66,6 „ g12 0,847 „ 0.173085 29,1 Diesem verschiedenen Verhalten beider Blätter entspricht die Ver- schiedenheit der Cutieula der Epidermiszellen. Sie hat bei den Blättern vom trockenen Standort eine Dieke von 0,0051 mm, an den submersen 110 Keller, Biologische Studien. Blättern von 0,0023 mm. Im übrigen sind die Epidermiszellen der beiden Formen kaum von einander verschieden. Vor allem beobachten wir auch an den submersen Blättern, oben und unten von der Fläche ge- sehen, fast kreisrunde Schließzellen mit Spaltöffnung. Im Gesichts- felde (Okular 2, Objektiv D, Zeiss) liegen in der Epidermis der Ober- seite 2—3 Spaltöffnungen, auf der Unterseite 15—17. Von der Fläche gesehen sind die Epidermiszellen wellig, allseitig gleich (Fig. 13). Auf den Querschnitt durch das Blatt der typischen Pflanze (Fig. 15) beobachten wir zwei Pallisadenzellreihen. Die der Epidermis anliegende besteht aus Zellen, die 0,07 mm lang sind, die Länge der Zellen der 2. Reihe beträgt im Mittel 0,05 mm. Daran schließt sich ein sehr lückenreiches Schwammparenchym. Fig. 13. 1 = Schließzelle mit der Spaltöffnung. Fig. 14. Serofularia Neesii (Submers). Blattquerschnitt. Vergr. 350. 1 = Cutienla; 2 = Epidermis; 3 = äußere nnd 4 = innere Pallisadenreihe; 5 = Schwammparenchym. Das submerse Blatt (Fig. 14) zeigt in ausgesprochener Weise den dorsoventralen Bau des typischen Blattes. Unter der Epidermis liegen 2 Pallisadenzellreihen, von denen die äußere etwas gestrecktere Zellen besitzt, als die innere. Sie haben eine Länge von 6,04 mm, die der 2. Reihe von 0,03 mm. Das sich anschließende Schwammparenchym ist etwas weniger lückenreich als am typischen Blatt. In der Umwand- lung des dorsoventralen zu dem für die Hydrophyten charakteristischen isolateralen Bau ist also nur ein sehr kleiner Schritt gethan. Er be- Keller, Biologische Studien. 111 steht in der Verkürzung des äußeren Pallisadengewebes und der diehteren Lagerung der Zellen des Schwammparenchyms. « Diese leichte Abänderung unter dem Einfluss des Wasserlebens vermochte aber doch dem submersen Blatt den Charakter eines Geophytenblattes nicht zu nehmen. 3. Glechoma hederacea L. An einem Torfgraben im Wiesendanger-Ried beobachtete ich etwa die Hälfte des langen kriechenden Stengels dieser Art unter dem Wasser. An jedem Knoten gingen, was wir übrigens auch an dem auf dem Festen wachsenden Stengel beobachten, eine Reihe von Wurzeln ab. Die Blätter zeigten unter dem Wasser eine analoge Entwicklung, so weit das äußerlich zum Ausdruck kam, wie die außerhalb des Wassers ent- standenen. Vor allem war die Trichombildung nicht unterdrückt, wenn sie auch etwas spärlicher sein mochte. Diese Beobachtung machte wahrscheinlich, dass auch in den anatomischen Merkmalen des Blattes der Einfluss des Wasserlebens sich voraussichtlich nur in unbedeuten- dem Maße geltend machen würde. Fig. 15. Fig. 15. Serofularia Neesii (Landform). Blattquerschnitt. Vergr. 350. 1 — Cutieula; 2 — Epidermis; 3 = äußere und 4 = innere Pallisadenzellen ; 5 — Schwammparenchym. Fig. 16. Glechoma hederacea (Submers). Blattquerschnitt. 1 = Trichom; 2 = Pallisadenzellen; 3 = Schwammparenchym. Blatt (Fig. 16). Auf dem Querschnitte durch den Blattstiel be- obachten wir folgende anatomische Verhältnisse. Die Epidermis be- 112 Keller, Biologische Studien, sitzt an der Landform eine im Mittel 0,009 mm dicke Cutieula, an den dem submersen Teil der Pflanze entnommenen Blattstielen dagegen hat sie eine mittlere Dieke von 0,005 mm. Unter der Epidermis liegen 2—3 Zellreihen eines subepidermalen Gewebes, das von dem darauf- folgenden Rindenparenchym durch diekere Wände und kleinere Lumina ausgezeichnet ist, das aber an den auf dem trockenen gewachsenen Blättern kaum anders entwickelt ist als an den submersen Blättern. Das Rindenparenchym der submersen Blätter ist im allgemeinen aus etwas größeren Zellen zusammengesetzt als bei den übrigen Blättern. Hier ist der Querdurchmesser der größten Parenchymzellen 0,05 mm, dort 0,06mm. Der Typus des Gefäßbündelsystems entspricht im Wesent- liehen dem in Fig. 1 u. 3 für Mentha aquatica dargestellten, mit dem Unterschiede jedoch, dass auch an den auf dem Trockenen gewach- senen Blättern nur ein medianes Gefäßbündel vorkommt. Es ist das- selbe nicht ganz doppelt so groß, wie an den submersen Blättern. Die Gefäße sind radiär angeordnet und zwar sind an den terrestrischen Blättern 12 Reihen mit durchschnittlich 25 größern und 35—45 klei- nerenGefäßen. Der Querdurchmesser der ersteren beträgt 0,01—0,015 mm, der letzteren 0,005 und weniger. An den submersen Blättern be- obachten wir im medianen Gefäßbündel 10 radiäre Gefäßreihen. Sie enthalten 15—17 größere und bis 30 kleinere Gefäße. Der Durch- messer jener beträgt indessen nur 0,01—0,0075 mm, an den kleineren ist er unter 0,005 mm. Der Bau der Lumina ist dorsoventral. Unter der Epidermis, deren Cuticula 0,0033 mm beträgt, liegt eine aus verkürzten Pallisadenzellen gebildete Zellreihe. An den Blättern dieses Individuums, die außer- halb des Wassers wuchsen, sind aber die Pallisadenzellen ebenfalls auffällig verkürzt. Wir dürfen also im vorliegenden Fall ihre Form nicht auf das Wasserleben zurückführen. Dieses vermochte nur insofern einen Einfluss auf die Gestaltung des Mesophylis geltend zu machen als es an der submersen Form das Schwammparenehym zu einem kompakteren Gewebe werden ließ. Stengel. Die anatomischen Verhältnisse des Stengels gleichen vielfach denen der Mentha aquatica. Längs der Kanten verlaufen collenchymatische Festigungsstränge, denen die 4 Gefäßbündel gegen- über liegen. Der Einfluss der submersen Lebensweise kommt in erster Linie in dem ungleichen Verhältnis der Gewebepartien -zum Ausdruck. Auf einem Radius, der von der Kante zum Centrum der Axe verläuft kommen 9 Teile auf das Collenchym, 19 Teile auf das Rindenparen- chym, 3 Teile auf das Phloem, 10 Teile auf das Xylem und 19 Teile auf das Mark. Der größte Teil desselben, nämlich 15 Teile, fällt auf die von den parenchymatischen Markzellen umschlossene Centralhöhle. An Präparaten submerser Stengelteile waren folgende relative Größen- teile zu beobachten: Collenchym 9 Teile, Rindenparenchym 22,5 Teile, Lebedinsky, Entwieklungsgöschichte der Nemertinen. 113 Phloem 3 Teile, Xylem 6,5 Teile, Mark 13 Teile. Dem Mark fehlt die zentrale Höhle. Die durch den Standort bedingten Größenverhält- nisse sind also folgende: Stengel außerhalb des Wassers im Wasser EL NT ee 3 169), Rindenparenchym . . . . 31,6 | Eu 42 „ | ” ER er nn 0 5% R mo Aylem . . EBESTRE.S 16,6 "\ ab 12 "| Eis Mark (inel. Centralhöhle) . 31,6, 24 „ Bedeutende Vermehrung der Rinde einerseits, Verminderung der leitenden Elemente des Gefäßbündelsystems andrerseits, erscheinen also als die wesentlichsten Folgen der submersen Lebensweise. In der That sehen wir denn auch wieder eine starke Reduktion der Gefäße, wie die nachfolgende Gegenüberstellung lehrt. Gefäßbündel außerhalb des Wassers im Wasser Zahl der radiären Reihen . . . 8-10 7 Größere Gefäße pro Reihe . . . 2-5 1—3 Durchmesser der größeren Gefäße 0,017—0,0229 mm 0,0023—0,0011 mm. (Zweites Stück folgt.) Zur Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. Von J. Lebedinsky, Privatdozent an der Universität in Odessa. In der vorigen Notiz!) habe ich die Entwicklung von Drepano- phorus spectabilis (Quatrf.) mitgeteilt. Nun beabsichtige ich die Entwicklung von Tetrastemma vermiculus (Quatrf.) zu behandeln. Das Ei dieser Metanemertine ist außerordentlich klein, wenig durchsichtig und kugelig. Das frisch abgelegte unreife Ei ist von zwei Hüllen bekleidet. Die innere — die Dottermembran — ist sehr zart und liegt der Eioberfläche dicht an. Die äußere — das Chorion — ist derb und steht von der Eiperipherie weit ab. Ihr ringförmiger Hohlraum ist von einer Flüssigkeit ausgefüllt, die unter der Einwir- kung von Reagentien gerinnt. Auf den Schnitten zeigt das unreife Ei ein großes ovales Keimbläschen, das etwas exzentrisch liegt. Das Keimbläschen hat eine klar konturierte Hülle; das Achromatin stellt ein feines Netz dar und das Chromatin bietet mehrere Kerne und Bläschen dar, die der inneren Fläche der Hülle dicht anliegen; nur wenige von ihnen liegen im Innern des Keimbläschens. Das abgelegte Ei geht den Reifungsprozess durch. Dasselbe teilt zwei Richtungskörperchen ab. Die erste Richtungsspindel ist im Ver- gleich mit dem Keimbläschen sehr klein. Dieselbe zeigt vier doppelte 4) Biolog. Centralblatt, Bd. XVI, Nr. 15, 1. August 1896. VII: 0) 144 Lebedinsky, Entwieklungsgeschichte der Nemertinen. in der Aequatorialebene liegende Chromosomen und steht senkrecht zur Eioberfläche. Das innere Ende der Spindel ist mit einem hellen Hofe umgeben. Die Abteilung des zweiten Richtungskörperchens habe ich nicht beobachtet. Der weibliche Pronukleus, der zwei kleine Chromo- somen enthält, rückt von der Eiperipherie nach innen. An der gegen- überliegenden Seite des Eies dringt ins Ei ein Spermatozoon hinein. Dasselbe stellt einen kleinen kugeligen Körper dar, der mit einem hellen Hofe umgeben ist. Das Zusammentreffen beider Pronuklei und ihre beiderseitigen Verhältnisse — Verschmelzung oder Individualität der Pronuklei — konnte ich nicht beobachten. Das befruchtete Ei segmentiert sich. Durch die zwei ersten meridionalen und zueinander senkrecht stehenden Furchen zerfällt das Ei in vier gleichgroße Blastomeren. Diese begrenzen eine röhrenförmige Segmentationshöhle, die sich oben und unten öffnet. Die dritte äquatoriale Furche teilt das Ei auf zwei ungleiche Hälften: die obere kleinere besteht aus vier kleinen und die untere größere aus vier großen Blastomeren. Diese Differenz zwischen den beiden Hälften bleibt auch während der weite- ren Eifurchung. Die junge aus 32 Furchungszellen bestehende Bla- stula ist kugelig und bipolar. Die Zellen des obern Pols sind kubisch und kleiner als die zylin- drischen Zellen des unteren Pols. Eine solche Blastula segmentiert sich weiter und wandelt sich in eine bilateralsymmetrische um. Die- selbe ist länglichoval; in dem oberen Pole befindet sich nun eine große rundliche, exzentrisch und nahe dem Vorderende liegende Zelle, die immer eine gute kariokinetische Spindel enthält. Diese vordere Zelle hal- biert sich und so bilden sich zwei große runde Zellen mit guten Spin- deln. Beide Zellen liegen so locker bei einander, dass die Richtungs- körperchen zwischen ihnen in die Segmentationshöhle passieren können. In dem unteren Pol der Blastula liegt auch eine große rundliche dem Hinterende der Blastula genäherte Zelle. Diese hintere große rundliche Zelle halbiert sich kariokinetisch und so bilden sich zwei große runde Zellen, die immer gute Spindeln enthalten. Die länglichovale Blastula besitzt nun eine vollkommene bilaterale Symmetrie: Der Sagittal- schnitt fällt zwischen die großen runden Zellen des vorderen sowie des hinteren Paares und halbiert die Blastula. Jede Hälfte enthält eine große runde Zelle des oberen und eine große runde Zelle des unteren Poles. Die Dorsalseite der Blastula ist etwas gewölbt und be- steht aus kubischen, die flache Ventralseite aus hohen Zellen. Die zwei runden Zellen des Vorderendes (resp. obern Poles) hal- bieren sich und so bilden sich vier große runde Zellen, die alle gute Spindeln enthalten. Die vier großen runden Zellen vermehren sich, indem sich von ihnen die kleinen ganz kugeligen Zellen abknospen. Diese sind aneinander gepresst und bilden eine Platte, die von den großen runden Zellen umgeben ist und die erste Anlage der Kopfdrüse darstellt. Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 415 Zwei große runde Zellen des Hinterendes (resp. unteren Poles) der Blastula halbieren sich auch und geben vier große runde Zellen, die vortreffliche Spindeln enthalten. Zwischen ihnen schalten sich einige der angrenzenden Zellen ein, die sowohl beide Paare als auch die Zellen jedes Paares von einander trennen. Die Zahl der sich ein- schaltenden Zellen vergrößert sich und es bildet sich ein Feld von hohen flaschenförmigen Zellen — das Entodermfeld —, das vier große runde Zelien markieren, indem ein Paar dorsal und ein anderes ventral vom Entodermfeld gelagert ist. Das Entodermfeld fängt an sich einzustülpen; es stülpt sich zu- erst der vordere Rand des Entodermfeldes ein: einige Zellen ver- längern sich stark, indem sie kolbenförmig werden und sich etwas einsenken. Die sich einsenkenden Zellen ziehen andere Zellen des Entodermfeldes mit sich hinein. Mit der immer vorschreitenden Ein- stülpung des Entodermfeldes nähern sich die beiden Paare der großen runden Zellen einander, aber sie liegen noch im Ektoderm. Ist die Einstülpung des Entodermfeldes zum Ende gebracht, so hat die junge Gastrula folgende Einrichtung: dieselbe ist länglichoval; dorsal von ihrem Vorderende liegt die von den großen runden Zellen umgebene Anlage der Kopfdrüse; ventral vor dem Hinterende liegt der Blasto- porus; das eingestülpte Entodermfeld stellt einen birnenförmigen Sack mit kleiner Gastralhöhle dar; beide Paare der hinteren großen runden Zellen sind jetzt eingestülpt, eines liegt vor und das andere hinter dem Blastoporus gerade im Umschlagrande des letzten zwischen Ento- und Ektoderm. Nun hat der Embryo alle drei Keimblätter, da die zwei Paar großen runden Zellen die Mutterzellen des Mesoderms sind. Der Embryo ist mit Wimpern bedeckt, die schwach flimmern. Bei einem solehen Embryo legen sich die Organe an. Die Kopfgrube legt sich in der Spitze des Vorderendes des Körpers an. Dieselbe stellt eine Platte aus hohen flaschenförmigen Zellen dar, welche fächerartig angeordnet sind; die äußeren Enden sind etwas an- einander gepresst, die inneren sind breit. Der große runde Kern liegt in der Mitte der Zelle. Alle Kerne bilden zusammen einen Bogen, dessen Convexität in die Segmentationshöhle schaut. Dorsal von der Kopfgrube liegt die Kopfdrüse; sie stellt das erste Organ dar, das sich bei dem Embryo anlegt und erscheint sehr früh: Die kleinen runden Zellen, die sich von den vorderen größeren runden Zellen durch Knos- pung abgeschnürt haben, bilden ein kleines Feld, das von den großen runden Zellen umgeben ist und die erste Anlage der Kopfdrüse darstellt. Ventral von der Kopfgrube legt sich der Rüssel an. Seine erste Anlage erscheint als eine Platte aus sehr verlängerten flaschenförmigen Zellen. Die zentral*liegenden Zellen senken sich ein wenig und ihnen entspricht von außen eine schwache Einsenkung. Die Kerne der Platte sind bogenartig angeordnet. Oben und unter der Rüsselplatte liegt g* 116 Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. je eine große runde Zelle, die die Platte von den umgebenden kubi- schen Zellen scharf abgrenzt. Der weiter entwickelte Embryo ist mit zarten Wimpern bedeckt und übt schwache Rotationsbewegungen aus. Seine Gestalt ist mehr verlängert. Die Ränder des Blastoporus sind genähert und der Blastoporus stellt eine kleine im hinteren Drittel des Körpers liegende Oeffnung dar, die in eine birnfömige Gastralhöhle führt. Die letzte ist von großen flaschenförmigen Entodermzellen be- grenzt, die dieselbe radiär und einreihig umlagern. Die Entoderm- zellen vermehren sich kariokinetisch. Die großen runden Zellen resp. die Mutterzellen des Mesoderms sind nun aus dem Umschlagrande des Blastoporus emigriert und liegen in der Segmentationshöhle vom Blastoporus etwas entfernt; jedes Paar aber behält ihre symmetrische Lage zur Sagittalebene. Alle beide Paare der Zellen enthalten vortreffliche Spindeln. Das hintere Paar hat schon einige Zellen abgeteilt; diese sind klein, linsenförmig und enthalten einen kleinen sich stark färbenden Kern. Dieselben bilden eine kurze Reihe, die den sogenannten Mesodermstreifen darstellt. Nun hat der Embryo alle drei Keimblätter vollkommen. differen- ziert nicht nur der Lage nach zu einander, sondern auch dem histo- logischen Charakter nach, der bestimmt ausgesprochen ist. Was die anderen Organe betrifft, so sind die vorhandenen weiter entwickelt und die neuen legen sich an. Die Kopfgrube hat jetzt eine kleine Einsenkung, besitzt die vordere Spitze des Körpers und ragt über die Kopfdrüse und die Rüsselanlage vor. Die Kopfdrüse repräsentiert eine ziemlich umfangreiche Platte; ihre zentralliegenden Zellen stülpen sich etwas ein und eine flache Einsenkung entspricht ihnen von außen. Die Platte ist von den runden Zellen begrenzt, welche Spindeln enthalten. Die äußeren Enden der Zellen der Platte sind blass und die Platte sieht weißlich aus. Die Zellen der Rüsselanlage haben sich vermehrt, die zentral- liegenden sind eingestülpt und der Rüssel hat nun eine kleine Höhle. Oben und unter der Rüsseleinstülpung und unter dem Umschlagrande der letzteren liegen je eine große runde Zelle, deren jede eine gute Spindel enthält. Etwas ventralvon der Rüsseleinstülpung im ersten Drittel des Körpers legt sich medial der Oesophagus an. Seine erste Anlage besteht aus 4—6 (auf den Schnitten nur zwei) kolbenförmigen Zellen, die in die Segmentationshöhle sehr stark vorragen. Die äußeren Enden der Zellen sind verjüngt und zwischen den Ektodermzellen eingeklemmt; die inne- ren kolbenförmig aufgeblasenen, enthalten den Kern und richten sich zur vorderen Oberfläche des Entodermsackes. In der Region der Oesophagusanlage rechts und links von der Medialventrallinie verdickt sich das Ektoderm. Die Zellen dieser paa- rigen Verdiekung sind hochzylindrisch und ragen fächerartig in die Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 447 Segmentationshöhle vor. Das sind die Anlagen der Ventralganglien. In der Region der Kopfdrüse befinden sich zwei andere Ektodermver- diekungen, die symmetrisch zur medialen Dorsallinie liegen. Das sind die Anlagen der Dorsalganglien. Jeder Ganglionanlage entspricht von außen eine flache Einsenkung. Der sich schnell drehende Embryo zerreisst die Eihüllen und wird frei. Der frisch ausgeschlüpfte Embryo schwimmt schnell nach vorwärts und dreht sich dabei um seine Längsaxe. Der Embryo ist verlängert, sein Hinterende ist etwas verjüngt, das vordere dagegen ist verbreitert und trägt einen Schopf langer mit einander verklebter und verwickelter Cilien. Bei einem solchen Embryo sind die inneren Organe noch weiter entwickelt. Der Blastoporus ist beinahe in der Mitte des Körpers gelagert. Derselbe führt in ein feines Röhrchen, das aus wenigen flaschenförmigen Entodermzellen besteht. Das äußere Ende des Röhrchens ist zwischen den charakteristischen Ektoderm- zellen eingeklemmt; das Röhrchen geht in den Entodermsack über. Der letztere besitzt nun eine ziemlich geräumige Gastralhöhle, die von einer Reihe Zellen begrenzt ist. Diese sind kubisch und mit Cilien bedeckt. Der Entodermsack richtet sich vom Blastoporus nach vorne und dorsalwärts. Die Mutterzellen des Mesoderms, die ihre Lage paarweise vor und hinter dem Blastoporus behalten, haben mehrere Zellen abgeteilt, welehe die Mesodermstreifen, bilden. Der hintere resp. dorsale Meso- dermstreifen, der von den zwei hinteren Mutterzellen des Mesoderms ausgeht, hat sich schon auf das splanchnische und das somatische Blatt differenziert. Die Zellen jedes Blattes sind mit einander locker verbunden, das spaltenförmige-Cölom ist klar ausgesprochen. Der vor- dere resp. ventrale Mesodermstreifen besteht nur aus einer Reihe der Zellen, die sich auf der vorderen Oberfläche des Entodermsackes ver- breiten, um dem gegenüber wachsenden Dorsalmesodermstreifen zu begegnen. Also entwickelt sich der hintere (dorsale) Mesodermstreifen etwas schneller als der vordere (ventrale). Die Kopfgrube nimmt — wie früher — die Spitze des Vorder- endes ein. Sie hat jetzt das Maximum ihrer Entwicklung und Aus- bildung erreicht: sie besteht aus langen flaschenförmigen Zellen, die eine deutlich ausgesprochene birnförmige Höhle radiär umlagern. Die äußeren Enden der Zellen sind mit langen zarten Cilien bewim- pert, die alle zusammen einen starken Wimperschopf bilden. Die inneren Enden der Zellen sind flaschenförmig und enthalten einen großen Kern. Die Kopfdrüse ist nun stark eingestülpt. Die Einstülpung ist ebenso stark wie diejenige des Rüssels und unterscheidet sich nur der Gestalt nach: Sie ist birnförmig und von feinen kubischen radiär zur Drüsenhöhle stehenden Zellen begrenzt, zwischen denen die kleinen 118 Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. rundlichen Zellen ins Auge fallen. Die Zellen der Kopfdrüse ver- mehren sich lebhaft und die kleinen runden Zellen, aneinander gepresst, bilden die geldrollenähnlichen Säulchen. Der Rüssel ist auch stark eingestülpt; seine geräumige Höhle ist mit tüchtigen flaschenförmigen, in einer Reihe stehenden Zellen be- grenzt. Die Rüsseleinstülpung verlängert sich der Ventralseite parallel, die Rüsselöffnung liegt streng ventral. Die zwei runden Zellen, die je eine dorsal und ventral von der Rüsseleinstülpung liegen, haben einige Zellen abgeteilt, die die Mesodermstreifen des Rüssels bilden. Der Oesophagus ist präzis ausgebildet: die flaschenförmigen Zellen sind stark verlängert, ihre inneren Enden gehen bogenartig ineinander und zwischen den Zellen befindet sich eine klare Höhle. Der birnen- förmige Oesophagus krümmt sich m der Richtung zum Entodermsack. Die Ventral- sowie die Dorsalganglien stellen stark verdiekte paarige Platten dar, die aus einer Reihe hoher Zellen bestehen. Die Ventral- ganglienanlagen bilden eine deutliche Einstülpung; am Rande jeder Einstülpung liegt je eine rundliche Zelle, die eine gute Spindel enthält. Den Dorsalganglienanlagen entspricht von außen eine flache Einsenkung. Die Dorsalganglien sind stärker als die Ventralganglien. Nun legen sich auch die Längsstämme an. Sie stellen zwei late- rale Ektodermleisten dar, deren Hinterende stärker verdickt ist. In dem Hinterende des Embryos sind die Ektodermzellen sehr verlängert und flaschenförmig geworden. Diese Gruppe der verlängerten Ekto- dermzellen stellt die Anlage des Rektums dar. Die zentral liegenden Zellen stülpen sich etwas ein und so kommt es zur Ausbildung einer kleinen Höhle mitten in der Zellgruppe. Das Ektoderm hat sich histologisch deutlicher ausgebildet, die Ektodermzelle ist charakteristisch: nach außen ist sie sehr breit, nach innen verschmälert sie sich und schickt einen Fortsatz aus; das Zell- plasma ist vakuolisiert und enthält einen bläschenförmigen Kern, der sich in den Fortsatz der Zelle stiftartig ausbaucht. Bei dem Embryo, drei Stunden nach dem Ausschlüpfen, sind die Organe weiter entwickelt. Das Entoderm ist mehrschichtig geworden und die Gastralhöhle ist etwas verstümmelt. Der Blastoporus ist dem Hinterende wiederum genähert; das Entodermröhrehen, das vom Blasto- porus zum Entodermsack führt, ist einreihig geblieben. Das Mesoderm ist vollständig in ein splanchnisches und ein soma- tisches Blatt differenziert. Das erste liegt in dem Entodermsack; jedes besteht aus einer Reihe länglichovaler Zellen und zwischen beiden existiert ein spaltförmiges Cölom. Die Kopfgrube besteht aus flaschenförmigen Zellen; ihr Plasma ist vakuolisiert, die Zellen selbst sind kleiner und die Cilien kürzer: von nun an fängt die Kopfgrube an, sich zu verkleinern. Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 119 Die Kopfdrüse ist stark eingestülpt; einige Zellen haben einen deutlich ausgesprochenen drüsigen Charakter: sie sind aufgeblasen, ihr Plasma ist blass und ihr kleiner Kern färbt sich sehr stark. Solche drüsigen Zellen befinden sich hauptsächlich in der Dorsalwand der Kopfdrüse; sie liegen locker aneinander. Der Rüssel ist mehr verlängert. Seine Dorsalwand besteht aus zylindrischen Zellen, die pallisadenartig und senkrecht zur Rüsselshöhle stehen; zwischen ihnen sind die flaschenförmigen Zellen regelmäßig eingeklemmt, die die einzelligen Drüsen des Rüssels bilden. Die Ven- tralwand des Rüssels behält den früheren primitiven Charakter: sie besteht aus flaschenförmigen und radiär zur Rüsselhöhle angeordneten Zellen. Das innere Ende des Rüssels ist etwas aufgeblasen und in zwei Schenkel verzweigt. Der obere von ihnen richtet sich zur Dor- salseite über das Entoderm, der ventrale Schenkel verläuft ventralwärts. Die paarigen Ektodermverdickungen, die die Anlagen der Ventral- sowie der Dorsalganglien repräsentieren, haben einige Zellen schon abgeteilt. Diese liegen unter der Verdickung, sind rundlich und ent- halten einen großen runden Kern. Die Längsleisten haben auch wenige Zellen im vorderen Ende abgeteilt und diese stehen mit den Zellen des Ventralganglion in einer engen Verbindung. Der Oesophagus stellt ein ziemlich starkes Rohr dar, das sich dem Entodermsack anschließt und sich etwas krümmt. Er kommuniziert mit dem Entodermsack noch nicht. Das Ektoderm hat sich weiter differenziert: die charakteristischen Ektodermzellen haben durch Längsteilung einige Zellen abgeteilt, welche in situ liegen bleiben: die einen sind drüsig, die anderen sensibel. Also besteht das Ektoderm von nun an aus dreierlei Art von Zellen. Der Embryo, der 28 Stunden alt ist, hat neue Veränderungen er- litten. Der Blastoporus ist vom Hinterende etwas abgerückt und stark verengert. Das von ihm abgehende Entodermröhrchen ist sehr dünn und ziemlich lang und geht plötzlich in den Entodermsack über. Der letztere ist mehrschichtig; die Gastralhöhle ist mit den Entodermzellen unregel- mäßig ausgefüllt; aber die oberflächliche Wand des Entodermsackes behält die einreihige epitheliale Anordnung der Zellen. Die Entoderm- zellen sind vakuolisiert und färben sich sehr schwach. Der Entoderm- sack bildet eine Auszaekung in der Richiung zum Rektum. Der Oesophagus, der ein schlankes verlängertes Röhrehen dar- stellt, richtet sich zum Vorderende des Entodermsackes; die Grenze zwischen beiden ist scharf markiert. Der Oesophagus öffnet sich nun in den Entodermsack, indem das abgerundete Vorderende des letztern keinen Fortsatz bildet. Der Mund liegt” medial zwischen den Ven- tralganglien. Das Rektum bildet eine deutliche Einstülpung, die sich zur Aus- zackung des Hinterendes des Entoderms richtet. 120 Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. Der ventrale Schenkel des Rüssels ist mehr verlängert, aber er erreicht den Oesophagus noch nicht. Der dorsale Schenkel richtet sich zur Dorsalseite des Embryos über die vordere Oberfläche des Entodermsackes. Die Mesodermstreifen des Rüssels sind mehr ver- längert, und jeder bildet einen mesodermalen Sack mit einer spalten- förmigen Höhle. Die Kopfgrube ist noch mehr verkleinert. Die Kopf- drüse ist dagegen vorgeschritten: Die Einstülpung ist stärker und die drüsigen Zellen sind in der Zahl vergrößert, einige von ihnen sind schon in die Höhle der Drüse geraten. Die Ventral- sowie die Dorsalganglien sind vom Ektoderm abge- sondert, das hier stark verdickt bleibt. Die Ventralganglien sind durch die Ventralkommissur miteinander verbunden, welche als selbstän- dige quere Ektodermverdiekung erscheint. Die Ventralganglien sind ebenso groß wie die Dorsalganglien. Die Ventralleisten, sowie die Dorsalleisten, reichen bis in das Hinterende des Körpers hinein. Im Hinterende stehen die Ektodermleisten noch mit dem Ektoderm in Verbindung. Die Embryonen, welche ungefähr 2 Tage alt sind, kriechen auf dem Boden des Gefäßes umher. Sind sie beunruhigt, so fangen sie an zu schwimmen, indem sie zur Oberfläche aufsteigen. Ein solcher Embryo zeigt auf den Schnitten neue Veränderungen. Der Entoderm- sack hat seine vorläufige Mehrschichtigkeit verloren. Die Entoderm- zellen sind stark vakuolisiert und bilden ein gutes einreihiges Epithel. Die Zellen enthalten die kleinen Dotterkugeln. Die Kopfgrube ist sehr klein: man muss nach derselben aufmerk- sam suchen, um sie nicht zu vermissen. Die Kopfdrüse dagegen stellt eine tüchtige Einstülpung dar, die durch eine ziemlich große runde Oeffnung nach außen kommuniziert. Die Oeffnung führt zuerst in ein kurzes Kanälchen ınd durch dieses in die geräumige Höhle der Drüse selbst. Die Zellen der Drüse sind aufgeblasen, die inneren von ihnen stehen locker bei einander und mehrere sind sehon in die Höhle emigriert. Die Kopfdrüse liegt dem Rüssel auf und drückt ihn zur Ventralseite herab. Der Rüssel stellt ein schlankes Röhrchen dar, das bis in die zweite Hälfte des Körpers reicht. Das Mesoderm des Rüssels zeigt zwei Blätter: das splanchnische, das zum Epithelrohr des Rüssels gewendet ist, und das somatische. Die beiden Mesodermsäcke vereinigen sich hinter dem Rüssel noch nicht. Der Oesophagus ist vom Ektoderm abgeschnürt; von seinem distalen (äußeren) Ende bleibt eine blinde Einstülpung, die mit Cilien bewimpert ist und wahrscheinlich als ein Sinnesorgan unbekannter Natur funk- tioniert. Der abgeschnürte Oesophagus verbindet sich jetzt mit dem sekundären Stomodäum, das sich als Ventralschenkel des Rüssels bildet. Also öffnet sich nun der Rüssel und der Oesophagus in die vordere Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 124 aufgeblasene Abteilung der Rüsseleinstülpung, die das sogenannte Rhynchodäum darstellt. Der Embryo, der ungefähr vier Tage alt ist, hat die verlängert ovale Gestalt; das Vorderende ist schmäler, als das aufgeblasene Hinterende. Das Entodermröhrehen, das vom Blastoporus abgeht, ist sehr dünn und erweitert sich nur bei der Mündung in den Entodermsack etwas. Der letztere ist birmförmig: seine hintere Aussackung liegt dem Ektoderm an. Das Entoderm ist stark vakuolisiert und erscheint dunkel. Der Embryo hat vier Augen, die paarweise qnadrangulär angeordnet sind. Der Körper ist mit Cilien dicht bewimpert und aus der Kopfgrube ragt der stark verkümmerte Wimperschopf hervor. Die Schnitte durch einen solchen Embryo zeigen folgendes: Die stark vakuolisierten Entodermzellen enthalten Dotterkugeln. Der Blastoporus stellt eine winzige Oeffnung dar und kommuniziert mit dem Entoderm- sack durch das Entodermröhrchen, das sich (vom Entodermsack) schräg nach vorne richtet. Der Oesophagus stellt ein schlankes geradliniges Röhrchen dar, das sich ohne Krümmungen gerade zum Rhynehodäum richtet. Der Rest von dem primären Stomodäum existiert noch, aber er ist ziemlich atrophiert. Die Kopfdrüse ist kolossal, sie nimmt den ganzen Vorderteil des Körpers ein und presst den Rüssel zur Ventralseite; ihre Höhle ist obliteriert und mit den charakteristischen Zellen ausgefüllt; die Drüse sieht schwammartig aus und umhüllt die Kopfgrube. Der Rüssel ver- längert sich bis in das hintere Drittel des Körpers und ist von zwei Mesodermsäcken umgeben, die sich am Hinterende des Rüssels mit- einander nicht berühren. Auf einigen Schnitten besitzt jeder Meso- dermsack im Hinterende je eine große runde Zelle, die gerade im Umschlage des Parietalblattes in das Visceraiblatt liegt. Das Nervensystem hat sich auf die Punktsubstanz und die Ganglien- zellen vollständig differenziert. Bei dem Embryo, der 5 Tage alt isi, schließt sich der Blastoporus; das abgeschnürte Entodermröhrchen richtet sich nach vorne und bildet den sogenannten Blinddarm. Die Kopfdrüse ist umfangreich und zeigt zwei Abteilungen: eine dorsale größere und eine andere ventrale kleinere, zwischen beiden liegt eine doppelte Scheidewand. Das vordere sowie das hintere Ende der Kopfdrüse ist einfach. Nach außen öffnet sich die Kopfdrüse mit einer ziemlich großen gut konturierten Oeffnung. Das Nervensystem ist ganz fertig wie bei dem erwachsenen Tier. Das Mesoderm des Rüssels zeigt das splanchnische Blatt, das dein Ektodermrohr des Rüssels dicht anliegt, und das somatische Blatt, das das Rhynchocölom begrenzt. Das Mesoderm des Körpers stellt auch zwei Blätter: das splanchnische schmiegt sich an den Verdauungs- kanal, das somatische liegt unter dem Ektoderm. Beide Blätter be- 122 Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. stehen aus sehr kleinen linsenförmigen Zellen und begrenzen ein gut ausgesprochenes spaltförmiges Cölom. Zum Schlusse wollen wir die mitgeteilten Beobachtungen kurz resümieren: 1. Das winzige Ei von Tetrastemma vermiculus (Quatrf.) ist kugelig und mit zwei Hüllen bekleidet. Das reifende Ei enthält in der ersten Richtungspindel vier doppelte Chromosomen; das erste Rich- tungskörperchen enthält vier und das zweite zwei Chromosomen. Das Spermatozoid dringt in das Ei schon während der Abteilung des ersten Riehtungskörperchen ein. Die Richtungskörperchen geraten gewöhn- lich in die Segmentationshöhle. 2. Die Eifurchung ist total adäqual. Die junge Blastula ist kugelig und bipolar. Dieselbe wird länglich oval und enthält im Vorder- sowie im ılinterende je eine große rundliche Zelle. Die vordere große rund- liche Zelle teilt sich in zwei, diese halbieren sich wiederum und so bilden sich vier große runde Zellen, welche vortreftliche Spindeln ent- halten und aus den kleine rundliche Zellen durch Knospung entstehen. Die hintere große rundliche Zelle teilt sich ebenso inzwei, die sich karyoki- netisch halbierend, vier große runde Zellen geben, die gute Spindeln ent- halten. Zwischen die vier Zellen schalten sich einige umgebende Zellen ein und so bildet sich das Entodermfeld, am vorderen und hinteren Rande desselben liegen paarweise die großen runden Zellen mit guten Spindeln. 3. Das Entodermfeld stülpt sich ein und bildet einen Entoderm- sack. Die kleine Gastralhöhle wird später ziemlich geräumig und ihr einreihiges Epithel ist mit Cilien bekleidet. Das einreihige Darm- epithel wird vorläufig mehrschichtig und die Gastralhöhle stark ver- kümmert. Später wird es wiederum einschichtig und begrenzt die kleine Darm- resp. Gastralhöhle. Der Entodermsack, der mit dem Blastoporus durch ein Entodermröhrehen kommuniziert, stößt an den Oesophagus und kommuniziert mit diesem. Nach hinten bildet derselbe eine Aussackung, die mit dem Rektum verschmilzt. Der Blastoporus schließt sich und das abgeschnürte Entodermröhrchen bildet den so- genannten Blinddarm. 4. Der Oesophagus legt sich als Gruppe von 4—6 sehr verlängerten Zellen an; zwischen diesen bildet sich eine Höhle und so bekommt man einen Beutel, der sich zum Entodermsack richtet. 5. Das Rektum legt sich als eine Gruppe außerordentlich ver- längerter flaschenförmiger Zellen an; die zentralliegenden Zellen senken sich ein und so bildet sich ein Röhrchen, das sich zur Aussackung des Entoderms richtet. 6. Das Mesoderm bildet sich aus vier Mesodermmutterzellen, die vor und hinter dem Blastoporus paarweise liegen. Das vordere Paar bildet durch karyokinetische Teilung den vorderen, und das hintere Paar der Zellen bringt ebenso durch karyokinetische Lebedinsky, Entwicklungsgeschichte der Nemertinen. 123 Teilung den hinteren Mesodermstreifen zur Ausbildung. Die Mesoderm- streifen verwachsen mit einander, und differenzieren sich zu dem splanchnischen und dem somatischen Blatt, die ein gutausgesprochenes Cölom begrenzen. 7. Das Mesoderm des Rüssels entwickelt sich aus zwei großen runden Zellen, die je eine vor und hinter der Rüsseleinstülpung liegen und immer gute Spindeln enthalten. Jede Zelle bildet durch karyo- kinetische Teilung einen Mesodermstreifen, der sich zu einem splanch- nischen und einem somatischen Blatt differenziert; zwischen beiden befindet sich das Rhynchodäum. Die zwei großen runden Zellen können in der Wand der Rüsseleinstülpung liegen und von hier die kleinen Zellen nach hinten abteilen. 8. Die Kopfgrube legt sich als eine fächerartige Platte aus flaschen- förmigen Ektodermzellen an; die zentralliegenden Zellen senken sich ein und so bildet sich eine kleine Höhle. Bei dem gerade ausgeschlüpften Embryo erreicht die Kopfgrube das Maximum ihrer Entwicklung: ihre großen Zellen sind mit langen Cilien bedeckt, die zusammen einen starken Schopf bilden. Von selbst fängt die Kopfgrube an gradatim zu verkümmern und wird zuletzt ganz winzig und von der Kopf- drüse umgeben. 9. Die Kopfdrüse legt sich sehr früh an. Die kleinen von vier großen runden durch Knospung gebildeten Zellen stellen die erste Anlage der Kopfdrüse dar. Dieselben bilden e'ne Platte, die von großen runden Zellen umgeben ist. Die Platte stülpt sich ein, ihre Zellen werden blasenförmig, die Drüse selbst wird umfangreich. Durch eine beider- seitige Längsfalte teilt sich die Kopfdrüse in eine dorsale und eine ventrale Abteilung; im Vorder- sowie im Hinterende bleibt die Kopf- drüse ungeteilt. Einige von den Zellen der Drüse emigrieren in die Höhle und dieselbe bekommt ein schwammartiges Aussehen. Sie um- hüllt die Kopfgrube und öffnet sich mit einem gut konturierten Loch. 10. Der Rüssel legt sich ventral von der Kopfgrube an. Die erste Rüsselanlage stellt eine Platte aus hohen Ektodermzellen dar. Die zentral liegenden Zellen stülpen sich ein. Die Wand der Rüsseleinstülpung besteht aus einer Reihe von Zellen. Die vorgeschrittene Rüsselein- stülpung bildet zwei Schenkel: der dorsale stellt den Rüssel selbst dar und der ventrale repräsentiert das sekundäre Stomodäum. Der Rest der Rüsseleinstülpung bildet das Rhynchodäum. 11. Die Ventralganglien legen sich als zwei Ektodermverdickungen in der Region des Mundes an. Jede Verdieckung stülpt sich ein und enthält eine rundliche Zelle, die immer eine Spindel enthält. Die Längs- stämme legen sich als zwei lateral verdiekte Ektodermleisten an. Jede Leiste ‚bildet im Hinterende eine Aufschwellung. Ob die Ektoderm- resp. Neuralleiste mit dem entsprechenden Ventralganglion von Anfang an in Verbindung, oder ob diese Verbindung sekundär ist — konnte ich 194 Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie. nicht mit Sicherheit ermitteln. Die Dorsalganglien legen sich selb- ständig und unabhängig von den Ventralganglien an. Sie stellen zwei starke Ektodermverdickungen dar, die dorsallateral in der Gegend der Kopfdrüse liegen. Jede Verdiekung setzt sich nach hinten fort und so bilden sich zwei dorsale Ektoderm- resp. Neuralleisten. Die Dorsalleisten verlängern sich nach hinten ebenso weit wie die Ventral- leisten. Später hören die Dorsalleisten auf sich zu verlängern und bleiben nur als Ganglien stehen; die Ventralleisten bringen durch Ver- längerung die Längsstämme zur Ausbildung. 12. Die Cerebralorgane bilden sich als zwei Einstülpungen des Ektoderms zwischen dem dorsalen und ventralen Ganglion. Johannes Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie. Jena. Gust. Fischer. 189. (8°, VI u. 150). Unbehaun will das Selektionsprinzip auf mathematische Formeln zurückführen, d. h. er will dieses Prinzip wissenschaftlich exakt be- handeln, was bis jetzt — wie das erste, historisch-kritische Kapitel behauptet — nicht der Fall gewesen. Eine derartige Untersuchung braucht sich nicht mit der Descendenztheorie zu befassen, kann sich vielmehr auf den Vorgang der Vervollkommnung durch Auslese beschränken. Das Ergebnis dieser Untersuchung bildet eine abstrakte, rein deduktiv gewonnene Theorie, für welche konkrete Voraussetzungen existieren müssen. Das Wesen der Selektion liegt in der Erhaltung und Vernichtung existierender oder erst der Zukunft angehörender, also aktueller oder virtueller Gebilde. Da die spezielle Natur dieser Gebilde ganz gleichgiltig ist, so besteht die Aufgabe des Selektionstheoretikers darin, ohne jede Induktion das Schicksal einer Gebildengruppe von verschiedener Dauer eindeutig zu bestimmen. Im einfachsten Falle wird es sich um ein System handeln, welches durch keine Neubildungen ergänzt wird. Fällt ein Teil der Gebilde, z. B. sämtliche Gebilde mit der Eigenschaft „x“ der Vernichtung an- heim, dann ändert sich auch der Charakter des betrachteten Systems. Das System wird ärmer um die Eigenschaft x. Wollte man daher sus Ueberbleibseln auf die Vergangenheit richtig schließen, so müsste man das Fehlende ergänzen, das Vernichtete wieder erschaffen. Außerhalb der historischen Schöpfungslehre, haben wir gewöhn- lieh mit Systemen zu thun, in denen Verniehtungen durch Neubildungen ersetzt werden. Die Elemente solcher Systeme treten bald zu Aggre- gaten zusammen, bald trennen sie sich wieder. Für diese Integration und Disgregation der Elemente sind Gesetze zu finden, die unwandel- bar giltig bleiben, ob es sich um Atome, ob es sich um Welten oder Systeme von Welten handelt. Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie. 195 Die Selektionsvorgänge in einem Systeme sind, je nach der Be- ziehung zu den zusammensetzenden Elementen, äußerlich oder inner- lich. Aeußere Selektion findet zwischen den Aggregaten von Gebilden statt, innere zwischen den Gebilden eines Aggregates; eine derartige innere Selektion wird zu einer äußeren in Bezug auf die Bestandteile, welche die Einheit jedes einzelnen Gebildes ausmachen. Hier möchte ich hinweisen auf den Roux’schen Kampf der Organe im Organismus, der Zellen im Organe, letzter Lebenseinheiten in der Zelle. Nehmen wir an, ein System entstehe in dieser Weise, dass m einer Zeiteinheit n Elemente gebildet werden von einer Dauerr. Nach der ersten Zeiteinheit wird N, die Gesamtzahl der Elementen betragen; nach t, N =ın nach tz Ns: der Numerus der Gebilde ist somit eine Funktion der Zeit. Ist die Zahl der Vernichtungen in jeder Zeiteinheit ebenfalls gleich n, dann ist N eine Konstante. Von zwei Systemen ist dasjenige reicher an gleichzeitig bestehen- den Gebilden (wir könnten sagen: individuenreicher), dessen Gebilde dauerhafter sind, d. h. je größer das z ist; also NsSN: Sense er Da aber das Verhältnis der Zahl der einen länger dauernden Zustand betreffenden Zeiteinheiten zu den Zeiteinheiten für kürzere Zustände stets größer ist, als das Verhältnis der Zahl der längeren Zustände zu der Zahl der kürzeren, und größer ist als das Zahlenverhältnis der ent- stehenden Beziehungen von längerer oder kürzerer Dauer, so muss auch eine Selektion unter den Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Objekten stattfinden. Wenn T die Zahl der Zeiteinheiten bedeutet, während deren ein Zustand von bestimmter Art anzutreffen ist, dann a en a u, —), n, % si, Jede Vergrößerung der Zahl dauer- %.'n hafterer Gebilde vergrößert auch die Gebildenzahl des Systems. _ Gleich- zeitig gelangen wir zu einem weiteren Gesetze: Unter n Gebilden von verschiedener Dauer, bleiben die dauerhafteren stets in Mehrzahl. Die Auslese kann unabhängig von der Beschaffenheit der Gebilde vor sich gehen (Elementarkalamitäten u. dergl.), oder von gewissen Eigenschaften der Gebilde abhängen und dann züchtenden Wert be- sitzen. Es gibt Selektion, Einflüsse und Vernichtungen mit züchtendem Werte und ohne denselben. Der Züchtungskoäffizient wird durch das Verhältnis der züchtenden Vernichtungen zu sämtlichen Vernich- tungen bestimmt: wächst er, dann wächst auch die Differenz zwischen der Zahl aktueller (d. i. bereits existierender) dauerhafterer Gebilde und weil 7,>r,, folglich 126 Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie. und der Zahl neuentstehender dauerhafterer Gebilde. Ist ein erhal- tendes Verhältnis zwischen Objekt und Umgebung hergestellt, dann spricht man von Anpassung!); sie wird hergestellt mit oder ohne Auslese, kann das Gebilde oder die Umgebung oder beide zugleich betreffen. Komplizierte Existenzfähigkeit der Gebilde bewundern wir als Zweckmäßigkeit; diese ist absolut, wenn sie das Gebilde selbst, relativ, wenn sie ein anderes Gebilde existenzfähig macht (z. B. Hyme- nopteren für Phanerogamen). Die Auslese kann endlich, wie oben erwähnt, unter potenziellen Bildungen herrschen und sie existiert in der That, insofern nur ein Bruchteil von Keimen zur Entwicklung ge- langt. Entwicklung aus Keimen bildet lediglich einen Spezialfall der Selektion. Nachdem wir im zeitlichen Zustande eines Objektes eine Funktion der Zeit kennen gelernt haben, so erhalten wir für N Objekte in der Zeit t durch Integration entsprechender Differentialgleichungen die fan. & en Formel N (t) = const. e ‚ wobei E die Funktion der Ent- stehungen, q (t) den Vermehrungskoöffizienten und dt das Zeitdifferential bedeutet. Dureh bestimmte Begrenzung des Integrals erhalten wir t a). dt ) N Ö t). dt Is (to) "ald.dt J® wobei t, und N, konstante Werte besitzen. An der Hand dieser Formel lassen sich verschiedene Spezialfälle, die aus verschiedenem Verhalten des Entstehungs- und Vernichtungsko£ffizienten resultieren, mit mathe- matischer Genauigkeit darstellen. In dem Spezialfalle, wo Bildungen aus neuen Keimen von einander und von den alten abweichen, wenn also Selektion durch Variation kombiniert wird, dann führt sie zu verschiedenen sekundären Variationen. Die einzelnen Fälle bestimmt das Verhältnis der 3 Größen: einer konservativen Tendenz, einer variierenden Tendenz und der züchtend wirksamen Auslese; der Verf. spricht von einer fortschreitenden Selektion dann, wo sich die progressive Tendenz, d. i. die Anpassung in ein variierendes und ein selegierendes Prinzip auflöst. Dass in solchem Falle ein unbe- grenzter Fortschritt der Elemente gesichert ist, ist mathe- matisch leicht zu beweisen. Alles das gilt selbstverständlich ebensogut für materielle als für geistige Gegenstände. Allerdings ist die Aus- lese, die im Bereiche des Geistes in Wirkung tritt — wie bei künst- lieher Zucht — planmäßig. I 1) Herbert S pe ncer definiert die Anpassung als einen Gleichgewichts- zustand. Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie. 497 Mittels der erkannten Gesetze können wir zuvörderst die Be- ziehungen in der anorganischen Natur, auf dem Gebiete der Mineralogie, Chemie, Astronomie, mathematisch ausdrücken, also „messen“. Hier wendet sich Verf. mit Recht gegen Carl du Prel, welcher Darwin’s Lehre auf den Himmel zu verpflanzen suchte, und hält ihm den Ein- wand entgegen, dass die Auslese als solche nie aus dem Chaos Zweck- mäßigkeit, so viel wie Existenzfähigkeit, zu produzieren vermöchte; eine Dauerhaftigkeit der Gebilde müsse vielmehr schon segeben sein, da nicht die Dauerhaftigkeit an sich, sondern die längere Erhaltung der Neugebilde in der Selektion Erklärung finde. Im Bereiche der organischen Natur konstatieren wir eine äußere fortschreitende Auslese zunächst in der Entwicklung von Pflanzen und tierischen Formen; Darwin und Haeckel sind Haupterforscher der- selben. Innere Selektion herrscht hingegen in einzelnen Organismen, deren zweckmäßige Anpassung sie bedingt. Ein Individuum stellt uns ein System von Gebilden vor und weist jene drei Faktoren auf, die zur fortschreitenden Vervollkommnung unerlässlich sind. Der erste derselben, die konservative Tendenz, kommt in der Verwandlung des aufgenommenen Nahrungsmateriales in die vererbliche Form der Molekel zum Ausdruck, variierende Tendenz liegt in der Differenz zwischen den elterlichen und den produzierten Molekeln, und den beiden Prä- missen des Selektionsprinzipes, der Vernichtung und Neubildung, ent- sprieht der Stoffverbrauch und Assimilation. Auf der höheren Stufe ist das Leben der Zelle als Einheit in demselben Sinne analysierbar; Vererbung unter Zellen, Verschiedenheit der Tochterzelle von der Mutterzelle, Zellteilung und Degeneration — dies sind die einschlägigen Momente. Die genannten drei Faktoren ermöglichen einen Fortschritt auch auf geistigem Gebiete. Aeußere psychische Selektion wurde nament- lich von Darwin und Spencer mehrfach untersucht und präzisiert. Im psychischen Leben des Individuums lässt sich aber eine innere Auslese nachweisen, die man mit dem Kampfe der Teile im Organismus, beziehungsweise ihrer gleichmäßigen Anpassung, analogisieren kann. Aus der Thatsache, dass eine doppelte (äußere und innere) phy- sische und eine doppelte psychische Selektion gleichzeitig wirkt, geht hervor, dass diese Selektionen in Beziehungen zu einander treten müssen und eine potenzierende, summierte Wirkung ausüben. Dieses verwickelte, in allen seinen Einzelheiten kaum entwirrbare Zusammen- spiel fortschreitender Selektionen hat die Gesamtkultur der Erdbewohner, den beständigen Fortschritt der Menschheit zur Folge. Durch Selek- tion wird der Selbsterhaltungstrieb des Einzelwesens gezüchtet, Instinkte des Familienlebens, Altruismus, Sitten, Bräuche, Staats- und Gesell- schafts-Ceremonien. Das ganze häusliche, soziale und politische Leben des heutigen Menschen hat seinen Ursprung in der Auslese. Je höher 128 Unbehaun, Versuch einer philosophischen Selektionstheorie. die erreichte Stufe der kulturellen Entwicklung, desto häufiger und ausgiebiger tritt eine planmäßige Selektion an Stelle der planlosen. Der Bau der Maschinen, Werkzeuge des Arbeiters und Instrumente des Gelehrten, alle Erzeugn'sse der menschlichen Hand und des mensch- liehen Geis‘es werden durch Auslese vervollkommnet. Ihr sind sogar potenzielle Einrichtungen unterworfen, indem die einzelnen möglichen Formen nicht sämtlich in Erscheinung treten und durchprobiert werden, sondern nach bedächtiger, freier Entscheidung des Produzenten ausgewählt und ausgeführt werden. Dasselbe Prinzip bestätigt sich in der Aus- bildung der Sprachen und in der Ausrottung der einen durch andere. Fortschreitende Selektion beherrscht das Gefühlsleben der Lebewelt. Sie hat die Furcht und die Hoffnung zu mächtigsten Triebfedern des Handelns herangezüchtet. Ihr ist das Schicksal der Religionen und philosophischer Weltanschauungen unterworfen, ihr dieLitteratur, schöne Kunst und Forschung. Von dem Geleisteten gelangt nur ein kleiner Prozentsatz an die Nachwelt. Das Veraltete wird ausgeschieden, das Bewährte modifiziert. Dasjenige überlebt den Urheber, was Gemüt und Handlungsweise der Mitwelt am stärksten beeinflusst, mag es formale und materielle Wahrheit bedeuten oder nicht. Das konser- ative Element, die variierende Tendenz und das auslesende Prinzip, diese Dreieinigkeit ist überall anzutreffen. Diese, von keinem Geringeren als Ernst Haeckel gewisser- maßen sanktionierte Schrift, ist nicht frei von formalen (logischen, z. B. S. 39) und einschlägigen Irrtümern. Sogar die grundlegende Prämisse der Ausführungen Unbehaun’s ist sehr wahrscheinlich falsch, dass nämlich das durch Selektion Gezüchtete, das Passendste gleichbedeutend mit dem Dauerhaftesten sei, während doch das Hauptmittel der Natur, um viel Leben zu haben, gerade der Tod ist. Als meritorischer Mangel mag z. B. der Umstand angeführt werden, dass einem speziell über Auslese schreibenden Autor so wichtige Mo- mente, wie die von G. Romanes (eigentlich von Catchpool) entdeckte physiologische oder Syme’s topische Selektion oder die kumulative Segregation J. T. Guliek’s völlig entgangen sind. Der deduktive Entwurf selbst, der trotz aller Versicherungen seines Schöpfers zweifellos auf induktivem Wege entwickelt wurde, arbeitet mit Mannigfaltigkeiten, ohne uns die geringste Aufklärung über den Ursprung der Keimesvariation zu bieten, wäre also im Großen und Ganzen dem Versuche vergleichbar, die mathematische Wahrheit des Einmaleins auf biologischem Gebiete zu prüfen. Doch sind die beregten Gegenstände nachdenksam genug, um auch hier wiedergegeben zu werden; die anziehende Darstellungsweise des Verfassers ist, von einer gewissen Breite abgesehen, schlicht und klar, und sein kleines Buch bringt uns eine Gabe, die immer willkommener, weil seltener wird, — ursprüngliche Gedanken. [12] T. Garbowski (Wien). Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt, unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. Februar 1897. Nr. 4. Inhalt: Klebs, Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. — Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. — Frenzel, Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas. — v. Erlanger, Be- obachtungen über die Befruchtung und ersten zwei Teilungen an den lebenden Eiern kleiner Nematoden. Dr. G. Klebs, Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen, Jena. Verlag von Gustav Fischer. 1896. Die Zeit, welche die Naturkräfte der Messung und Berechnung unterworfen hat, welche an die Stelle scholastischer Spitzfindigkeiten Definitionen gesetzt hat, die durch Messer und Lupe der Natur ab- gelauscht wurden, hat sich auch erkühnt von einem Aöyog rjs gvasng zu sprechen, den Ausdruck „Leben“ verstehen zu lernen. Wenn das erste Ziel der Physiologie darin besteht, das Wesen des Lebensprozesses zu durchschauen, dann begreife ich, dass auch heute noch viele wahr- heitsliebende Forscher vor einer unbekannten Lebenskraft den Hut lüften und sich mit dem im Mittelalter so oft gebrauchten „non licet“ von diesem Wissensgebiet abwenden. Wer aber als die erste Aufgabe der Physiologie das Studium der Abhängigkeit zwischen den Lebens- funktionen und den bekannten physikalischen und chemischen Kräften betrachtet, der muss zur Ueberzeugung kommen, dass die Physiologie der Ernährung, des Wachstums und der Reizbarkeit keine leeren Worte sind. Dass es auch eine Physiologie der Fortpflanzung gebe, davon waren selbst diejenigen nicht überzeugt, welche unter diesem falschen Titel bloß eine Beschreibung des Fortpflanzungsvorganges anführten. Ueberall in der botanischen Litteratur zerstreut findet man die Bemerkungen, dass diese oder jene Erscheinungen im Fortpflanzungs- leben von „gewissen Bedingungen“ abhängen. Weiter als bis zu diesem allgemeinen, unbewiesenen und nichtssagenden Ausdrucke kam man XVII ie) 130 Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. nicht. Klebs gebührt das Verdienst, zum erstenmal greifbare Fragen gestellt und diese durch das Experiment, diese schätzbarste Waffe der Wissenschaft, beantwortet zu haben. Die Antworten sind der Art, dass dnrch Klebs nun auch eine Physiologie der Fortpflanzung geschaffen wurde. Ist die Zelle das Laboratorium, wo sich die verwickelten Prozesse der Fortpflanzung abspielen, dann sind die Objekte des beginnenden physiologischen Versuches gegeben, es sind die niedern Organismen, die Protobionten, deren Protoplasmakörper während seiner Lebens- funktionen von dem bewaffneten Auge beobachtet werden kann. Als Versuchsobjekte wählte Klebs die Algen und Pilze und zwar von den ersten 15, von den letztern 2 Gattungen. Bei allen Untersuchungen war die Frage gestellt: von welchen äußern Bedingungen sind die Fortpflanzungsprozesse der zu studierenden Algen- oder Pilzspecies abhängig? Konnte die Frage beantwortet werden, dann hatte man ein Mittel an der Hand, zur beliebigen Zeit die betreffende Pflanze zu dieser oder jener Fortpflanzungsweise zu zwingen. Den einzigen Weg zu diesem Ziele erkannte Klebs in der Reinkultur, einer Methode, die er mit Recht auch dem Systematiker warm ans Herz legt. Die Algensystematik wäre in der That viel weiter fortgeschritten, hätte auch da die Reinkultur den Systematiker geleitet, wie sie es in der Pilzkunde schon längst thut. Als Nährlösung für Algenreinkulturen benützt Klebs diejenige von Knop: 4 Teile salpeters. Kalk, 1 Teil schwefelsaure Magnesia, 1 Teil salpetersaures Kali und 1 Teil phos- phorsaures Kali. Von dem gesammelten Algenmaterial setzt man eine kleine Partie in eine 0,2—0,4proz. Nährlösung, wo sich nun ver- schiedene Species entwickeln werden. Von dieser Kultur sucht man mit der Lupe die gewünschte Species heraus und setzt diese in neue Lösung. Auch da werden sich wahrscheinlich wieder verschiedene Arten entwickeln, aus denen man die gewünschte herausgreift und in eine neue Nährlösung bringt, bis man eine Reinkultur erhält. Ich werde bei der Besprechung der Resultate, welche die Klebs’schen Versuche hervorbrachten, dem Lehrgange des mir vorliegenden Werkes folgen und die untersuchten Species der Reihenfolge noch besprechen. A. Algen. 1. Vaucheria war schon der Gegenstand früherer Arbeiten (1890 und 1892); erst die neuern Untersuchungen lieferten aber das Material zu der 130 Seiten starken, musterhaften Abhandlung. Die dunkelgrünen Vaucheria-Watten, Bewohner von Tümpeln, Gräben, Bach- betten, Brunnentrögen, feuchtem Lehmboden, sind vielverzweigte, ein- zellige Fäden mit zahlreichen Zellkernen und vielen kleinen Chromato- phoren. Ihre Fortpflanzung findet durch Zoosporenbildung und auf geschlechtlichem Wege statt und zwar in so klarer und anschaulicher Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 131 Weise, dass diese Alge eine der geeignetsten Demonstrationspflanzen ist, um das Wesen der beiden Fortpflanzungsweisen dem Schüler zu veranschaulichen. Wenn die Pflanze zur Zoosporenbildung über- geht, so sammelt sich am Ende eines Fadens dichtes Protoplasma mit zahlreichen Chromatophoren und Zellkernen an und wird durch eine Querwand von den übrigen abgetrennt. Es entsteht an dem Vorder- teile des Sporangiums ein Loch; eine mit Wimpern bedeekte Zoospore wird herausgeboren, schwärmt einige Minuten umher, verliert dann das Wimperkleid und dadurch die Bewegung. Von einer Membran umgeben setzt sie sich dann fest und keimt sofort aus. Geht die Alge zur geschlechtlichen Fortpflanzung über, so entsteht an einer be- liebigen Stelle eines Vaucheria-Fadens ein schraubenförmig aufgewun- denes Antheridium neben einem eiförmigen Oogonium. Die Befruch- tungsvorgänge setze ich als bekannt voraus. Klebs stellte seine Versuche hauptsächlich mit der Sammelspecies Vaucheria sessilis an, welche er in die 3 Species: repens, sessilis und elavata gliedert. Ihre Charakterisierung lautet kurz: V. repens bildet auf feuchtem Boden grüne Ueberzüge, deren Fäden 36 « Durchmesser halten und zylin- drische Sporangien aufweisen. Die Zoosporenkeimlinge bilden keine Rhizoiden: 1 Antheridium neben 1 Oogonium; letzteres schief eiförmig mit kurzem, dem Faden parallelem Schnabel. V. sessilis misst 50 u und tritt als lockere, freischwimmende Fadenmassen in Tümpeln und Teichen auf. Sporangien kugelig angeschwollen. Keimlinge mit ein- fachen Rhizoiden. 1 Antheridium zwischen zwei Oogonien mit schief gerichtetem Schnabel. V. clavata tritt als kurzgeschorene, weiche Polster in Bächen und Flüssen festsitzend auf, hat 75 « Durchmesser, keulenförmige Sporangien und Keimlinge mit stark verzweigten Rhi- zoiden. Oogonien schlank eiförmig mit vertikalem Schnabel. — In musterhafter Weise hat Klebs alle äußern Bedingungen in ihrem Einflusse auf die obgenannten Fortpflanzungsprozesse studiert und zwar: 1. Einfluss der Ernährung. 2. Einfluss der Feuchtigkeit. 3. Einfluss der Strahlenarten und der Intensität der Lichtes. 4. Ein- fluss der Temperatur. 5. Einfluss der chemischen Beschaffenheit des Mediums: a) anorganische Verbindungen; b) organische Verbindungen; c) osmotischer Wert der Verbindungen; d) Säure und alkalische Reak- tionen. Diese Untersuchungen lehrten mit überraschender Klarheit, dass durch äußere Einflüsse die Zoosporenbildung jederzeit hervorgerufen werden kann. Mit absoluter Sicherheit, gesundes Material vorausgesetzt, erhält man Zoosporen: 1. beim Uebergang einer Luft- kultur in Wasser; 2. beim Uebergang aus dem Licht ins Dunkle; 3. beim Uebergang aus Nährlösung in Wasser; 4. beim Uebergang aus strö- mendem in stehendes Wasser. In feuchter Luft beobachtete er niemals Zoosporenbildung. Hohe Temperatur und der Uebergang aus Wasser in Nährlösung wirken ebenfalls hemmend auf die Zoosporenbildung. 9% 139 Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. Mit einer Reihe von Farblösungen wurde der Einfluss der verschie- denen Lichtstrahlen studiert, wobei es sich zeigte, dass eine Vermin- derung der gelbroten Strahlen zoosporen- erregend wirkt. Klebs wandte dann sein Augenmerk auf den Einfluss der Lichtintensität. In einem Dunkelzimmer wurden die Kulturen in Entfernungen von 25, 30, 35, 40 ete. bis 150 cm von einem Auerbrenner aufgestellt. V. clavata, die an sonnigen Stellen wächst, bildet schon bei 25 em Entfernung Zoosporen, bei 40 em erzeugt sie dieselben in Menge. V. repens wird bei 25 cm Entfernung im Zoosporenbildungsprozesse gehemmt, während 50 cm Entfernung zoosporen-erregend wirken. Diese Species zeigt die Eigentümlichkeit, dass sie bei dieser Lichtintensität in einen indiffe- renten Zustand übergeht, wobei selbst Verdunkelung keine Zoosporen mehr hervorruft. Dieser Zustand wird durch eine schwache Nährsalz- lösung noch begünstigt. Mit diesen Mitteln kann man V. repens jahre- lang rein nur vegetativ erhalten. Soll eine solche Kultur wieder zur Zoosporenbildung befähigt werden, so muss man dieselbe, wenn mög- lich mit Wasserwechsel verbunden, eine Spanne Zeit dem Lichte aus- setzen. Spielt wohl bei dem gesamten Prozesse die Kohlensäure- Assimilation eine Rolle? Klebs beantwortet diese Frage auch mit Experimenten, aus denen hervorgeht, dass mangelnde Assimilation nicht Zoosporen-erregend wirkt. Versuche mit verdünnter Luft be- wiesen, dass bei 3 mm Quecksilberdruck Wachstum möglich ist, wäh- rend erst bei 30 mm die Zoosporen entleert werden. Der Sauerstoff übt keine besondere Reizwirkung auf die Zoosporenbildung aus. Interes- sant ist der Einfluss, den ein Uebergang aus fließendem in stehendes Wasser ausübt, der mit absoluter Sicherheit Zoosporen hervorruft. Fließendes Wasser zeichnet sich aus: 1. durch eine gleichmäßige und niedere Temperatur; 2. durch beständigen Zufluss frischer Luft und Nährsalzen; 3. durch mechanische Reibung; 4. durch rasches Wegschaffen organischer Ausscheidungen. Nicht einem einzelnen dieser vier Punkte, sondern allen insgesamt muss man die Hemmung der Zoosporenbildung zuschreiben, vielleicht gerade des wachstumsbefördernden Einflusses wegen. Bei V. geminata, racemosa und uncinata beobachtete Klebs auch die von Wille be- zeichneten Aplanosporen, welche ähnlich den Zoosporen am Ende der Fäden entstehen, aber sich schon innerhalb der Mutterzelle mit einer Membran umgeben. Diese Aplanosporen fand Klebs bei V. geminate, wenn der Algenrasen auf einen Porzellanteller relativ trockener Luft ausgesetzt wird, ebenso bei ältern Kulturen in beschränkten Wasser- mengen und bei Kulturen in Zucker- und Maltoselösung. — Der Grundversuch mit V. repens, welcher die Abhängigkeit der seschlechtlichen Fortpflanzung von äußern Einflüssen studierte, ergab ebenso überraschende Resultate, indem mit großer Sicherheit die Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 133 Geschlechtsorgane hervorgerufen werden konnten, wenn Kulturen in 2—4proz. Rohrzuckerlösung einer hellen Beleuchtung ausgesetzt wur- den. Eine Reihe von Versuchen ergab, dass eine kräftige Ernährung vorbereitend wirke und das Licht nur den auslösenden Reiz bilde. Nicht bestimmten Lichtstrahlen sondern der Intensität des Lichtes ist hiebei die Hauptbedeutung beizumessen. Strömendes Wasser hemmt auch die Geschlechtsbildung. Eine hübsche Beobachtung in der freien Natur bestätigte die vielen Experimente. Klebs fand nämlich V. gemi- nata an kleinen Wasserfällen im Basler Jura völlig steril, wo sie vom Wasser überspült waren, geschlechtsreif dagegen in klemen Höhlungen, wo das Wasser gar nicht hinkommt. Die Beobachtung, dass die Antheridienanlagen vor den Oogonien auftreten, veranlasste die Frage, ob es möglich sei, die Oogonien zu unterdrücken. Durch niedern Luft- druck und höhere Temperatur konnte bejahend geantwortet werden, indem die Oogonien stark unterdrückt, dagegen zahlreiche Antheridien ausgebildet wurden. 2. Hydrodictyon, diese netzförmigen Zellfamilien wurden schon 1888 und 1889 von Klebs auf ihre Fortpflanzung hin untersucht, durch welche Studien er zu dem Schlusse gelangte, dass zwischen der Zoosporenbildung und der geschlechtlichen Fortpflanzung kein regel- mäßiger Wechsel existiere, sondern dass diese beiden Prozesse von äußern Bedingungen abhängen. Bei der Zoosporenbildung zerfällt der ganze Wandbeleg der Zelle in eine Menge zweiwimperiger Zoosporen, die sich innerhalb der Mutterzelle zu einem jungen Netze vereinigen. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung verlassen die noch zahlreichern zweiwimperigen Gameten die Mutterzelle, kopulieren und erzeugen eine Zygote. Letztere bilden vier Zoosporen, aus welchen polyedrische Zellen, die Bildungsherde neuer Netze, hervorgehen. Was diese Alge besonders interessant macht, das ist der Umstand, dass ein und dieselbe Zelle je nach den äußern Bedingungen entweder Zoosporen oder Gameten erzeugt. Zoosporen erregend sollen wirken: Uebergang aus dem Aquarium in stehendes Wasser, ohne Unterschied der Beleuchtung; Uebergang von der Dunkelheit an das Licht in schwachem Grade; Uebergang aus beleuchteter Nährlösung in Wasser und Dunkelheit (bleiben vegetativ) und dann ans Licht. Rohrzuckerlösung von 1—4°/, wirkt wie Wasser, während Maltose und in schwachem Grade auch Duleitlösung zoosporenerregend wirken. In feuchter Luft beobachtete Klebs nie Zoosporenbildung. Die drei gebräuchlichen Temperaturpunkte bestimmte er für die Zoosporenbildung, wie folgt: Minimum 8° C, Optimum 20—28° und Maximum 33°. Wie für die Zoosporenbildung eine gewisse Minimallänge der Zelle notwendig ist (0,2 mm), so kann auch die Gametenbildung erst eintreten, wenn die Zellen eine gewisse Länge (0,03 mm) überschritten haben. Die jüngsten Zellen sind von der Gametenbildung bevorzugt; die mittlern können beide Fort- 134 Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. pflanzungsarten aufweisen, während die ältern Zellen für die Zoosporen- bildung geeigneter erscheinen. Als Gameten-erregende Mittel sollen wirken: Kultur in wenig Wasser bei heller Beleuchtung, Rohrzucker in verschiedenen Konzentrationen (0,5—15°/,), Traubenzucker, Milch- zucker, Glyzerin, Erythrit. Nur ist bei all diesen Versuchen zu be- denken, dass durch die Standortsverhältnisse ete. der Protoplasma- körper einer Zelle eine gewisse Stimmung für diese oder jene Fortpflanzungsart erhalten kann, welche Stimmung zuerst verändert werden muss, bevor die gegenteilige Fortpflanzung eintritt. Sehr lehr- reich sind in dieser Beziehung die Experimente mit Maltose: . Zellen mit entschiedener Neigung zur Zoosporenbildung erzeugen in Maltose Zoosporen bei heller Beleuchtung, oft auch bei schwachem Lichte und im Dunkeln bei hoher Temperatur. Zellen mit entschiedener Neigung zur Gametenbildung erzeugen in Maltose Gameten bei heller Beleuch- tung, wie im Dunkeln, während in Zellen mit schwacher Neigung zur Zoosporenbildung in hellem Lichte Zoosporen, im Dunkeln Gameten entstehen. Die für Gametenfortpflanzung ungünstigen anorganischen Nährsalze benützte Klebs nicht nur, um die Gametenstimmung einer Zelle zu Gunsten der Zoosporen umzuändern, sondern verhinderte durch Uebertragen gametenbildender Fäden in 1—2proz. Nährlösung auch die Kopulation der Gameten, erzeugte also Parthenosporen. 3. Protosiphon Klebs und Botrydium Wallroth. Der große Formenreichtum von Botrydium granulatum war der Grund, warum Klebs auch diese Species in den Kreis seiner Experimente hineinzog. Diese beweisen ihm, dass die zahlreichen Formen dieser Alge zwei verschiedenen Gattungen angehören, von denen er die eine als Protosiphon (Protococcus botryoides Kützing) und die andere Botrydium nennt. Protosiphon charakterisiert er kurz folgendermaßen: „Zelle anfangs kugelig, später schlauchförmig und bei vollster Ent- wicklung botrydiumartig, aus einem grünen, kugeligen, oberirdischen Teil und einem langen, meist unverzweigten, farblosen Wurzelteil be- stehend; Maximallänge 1,2—1,4 mm. Ausgebildete Zellen mit wand- ständiger, netzförmig durchbrochener Chlorophylischieht nebst Amylon- kernen und Stromastärke; zahlreiche Zellkerne im ganzen Plasma ver- teilt; eine große Zellsaftvakuole in der Mitte“. Jede Zelle ist teilungs- fähig; die äußeren Bedingungen. des Teilungsprozesses konnten jedoch nicht gefunden werden. „Unter stark wachstumshemmenden Bedingungen: Austrocknen, stark wasserentziehende Salzlösungen, direkte Sonnen- wirkung tritt Zerfall des Protoplasten in eine bis viele ruhende Sporen ein, die im Licht sich rot färben und Trockenheit aushalten“. Bringt man eine Zelle aus einer 1proz. Nährlösung in einen hängenden Wassertropfen, so kann man die Schwärmerbildung beobachten. Was weitere Bedingungen der Schwärmerbildung anbetrifft, so hebt Klebs folgende drei Fälle aus einander: a) Vegetative, an feuchter Luft ge- Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 135 wachsene Zellen bilden Schwärmer, wenn sie ins Wasser gebracht werden. b) Sporen, in Nährlösung gezogen, werden durch Wasser zur Schwärmerbildung gereizt. ce) Vegetative Zellen, welche in Nähr- lösungen gewachsen sind, verlangen zur Schwärmerbildung nicht nur Wasser sondern Verdunkelung. Es sind also auch hier, wie bei Hydro- dietyon, die Stimmungsverhältnisse in Rücksicht zu ziehen. Verfolgt man die zweiwimperigen, mit Augenfleek und pulsatilen Vakuolen aus- gerüsteten Gameten, so sieht man, wie dieselben auf einander los- stürzen, an ihren Spitzen kopulieren und dann der ganzen Länge nach verschmelzen; es entsteht eine sternförmige Zygote. Nährsalzlösungen und Dunkelheit oder eine Temperatur von 25—27° C vermögen die Kopulation zu verhindern; es entstehen glatte Parthenosporen, welche im Gegensatz zu den Zygoten sofort zu keimen vermögen. Botrydium unterscheidet sich schon morphologisch von Protosiphon, indem die grüne oberirdische Blase eine vielfach verzweigte Wurzel besitzt. Das Chlorophyll besteht aus vereinzelten Körpern. Die Pyri- noide sind stärkelos. Die Fortpflanzung ist nur noch eine ungeschlecht- liehe. — Von besonderem Interesse ist diese Abhandlung noch durch die energische Stellung, welehe Klebs gegen den Polymorphismus einnimmt. Mit Recht wendet er sich gegen die bisherige Methode der Algologie, welche oft als einziges Hilfsmittel zur Speciesunterscheidung das Mikrometer gebrauchte. Dankbar muss die Systematik Klebs sein, dass er so nachdrucksvoll den Algologen hinweist auf die Rein- kultur, auf die direkte Beobachtung und auf das Studium des Ein- flusses äußerer Bedingungen. Freilich wird dann manche Algenspecies ihres unerklärten Nimbus des Polymorphismus beraubt und für viele die bisher geleugnete Konstanz der Art innerhalb gewisser Grenzen wieder hergestellt werden. 4. Die Konjugaten mussten den Physiologen reizen, auch ihren charakteristischen Fortpflanzungsprozess, der seit Vaucher’ s Ent- deckung (1803) oft beschrieben wurde und z. B. als Kopulation der Gattung Spirogyra jedem Anfänger bekannt ist, auch in seiner Ab- hängigkeit von äußern Bedingungen zu studieren. Große Schwierig- keiten machten sich aber bemerkbar, da die größern Spirogyra- Arten nur schlechte Kulturobjekte sind. Klebs experimentierte mit Spirogyra inflata, varians, longata, communis, catenaeformis, arcta und Weberi. Die Kopulation konnte herbeigeführt werden durch 2—-4proz. Rohr- zucker oder geringe Wassermengen bei grellem Sonnenlichte. Auch unter den Spirogyra-Arten fand er geeignete Objekte (inflata und varians), um die Parthenosporen hervorzurufen. Sp. inflata ging in 4proz. Rohrzucker zur normalen Konjugation über. Wurden die Fäden vor der Vereinigung der Protoplasten in 6proz. Rohrzuckerlösung ge- bracht, so zog sich der Inhalt der Geschlechtszellen zurück und er- zeugte eine keimfähige Parthenospore. Wasserkulturen von Sp. mira- 136 Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen bilis bildeten bei heller Beleuchtung die von Hassall schon be- schriebenen ungeschlechtlichen Sporen, die wie Zygoten keimen. Ex- perimente mit Desmidiaceen erweckten auch hier die Ueberzeugung, dass ihre Teilung, wie die Kopulation von äußern Bedingungen ab- hängig sind, wenn auch letztere nicht festgestellt werden konnten. Schwach wasserentziehende Mittel zu Kulturen mit beginnender Kon- jugation zugesetzt, erzwangen Parthenosporenbildung. 5. Oedogonium, diese artenreiche Gattung wurde in den beiden Species Oed. diplandrum Juranyi und Oed. diplandrum Kützing untersucht. Oedogonium pflanzt sich außer durch Teilung noch durch Zoosporen und auf geschlechtlichem Wege fort. In jeder Zelle ent- steht eine einzige Zoospore. Dieselbe hat am Vorderende einen Wimper- kranz und ist mit einer Hüllblase umgeben, welche Klebs als Aus- scheidungsprodukt der Zoosporen betrachtet. Wird Oed. diplandrum aus einer niedern in höhere Temperatur gebracht, so erfolgt lebhafte Zoosporenbildung, nur muss die Ausgangstemperatur unter 10°C liegen. Auch der Uebergang von fließendem in stehendes Wasser ruft Zoosporen hervor, selbst wenn dieser Wechsel mit einer Temperaturerniedrigung verbunden ist. Rohrzucker verlängert die Zoosporenbildung und zwar erfolgt die Anlage noch bei 20%, und die Entleerung bei 12°,. Die Nährsalze wirken auf diesen Prozess hemmend ein. Bei Oed. capillare wirkt eine 4—1Oproz. Rohrzuckerlösung auf die Zoosporen fördernd. Bei Kulturen, in denen viele Reservestoffe aufgespeichert sind, können schwache Nährsalzlösungen unter Einwirkung des Lichtes Zoosporen hervorrufen. Während bei Oed. diplandrum das Licht einen geringen Einfluss auf diese Fortpflanzungsweise ausübt, spielt es bei Oed. capil- lare eine große Rolle. Schon eine Schwächung der Lichtintensität vermag Zoosporenbildung zu erregen, bei Dunkelheit tritt sie mit großer Sicherheit ein. Die Geschlechtsorgane erscheinen beim Ueber- gang aus fließendem in stehendes Wasser, wobei stets Licht mitwirken muss. Oed. capillare fand Klebs in Basel stets nur als männliche Fäden. Aber auch diese konnte er entweder steril erhalten oder durch begrenzte Wassermengen, relativ geringen Gehalt an Nährsalzen und durch Licht zur Androsporenbildung zwingen oder aber in der Dunkelheit Zoosporen entstehen lassen. Es gilt auch bei dieser Species, wie bei Oed. diplandrum, der Satz, dass der Fortpflanzungscharakter eines Oedogonium-Fadens nicht zum voraus gegeben, sondern ganz von äußern Bedingungen abhängig ist. 6. Ulothrix zonata, diese formenreiche Alge fließender Gewässer, wurde trotz der schwierigen Reinkulturen dennoch zu wichtigen Ver- suchsresultaten geführt. Der Nimbus des Generationswechsels wurde ihr genommen und ihre Fortpflanzungszellen in den drei Gruppen: Zoosporen, Mikrozoosporen und Gameten von äußern Bedingungen ab- hängig erkannt, wenn auch letztere für die Mikrozoosporen und Gameten Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 131 noch nicht klar erkannt sind. Die Zoosporen erscheinen beim Ueber- gang aus Nährlösung in Wasser und aus fließendem in stehendes Wasser. Die Fortpflanzungszellen selber charakterisiert er folgender- maßen: „li. Zoosporen mit 4 Wimpern, einem. Augenfleck am vordern Teil des Körpers; etwas platt gedrückt, innerhalb 24 Stunden bei Tem- peraturen von 0°—24° C zur Ruhe kommend und gleich keimend. Länge = 10—15 u. Breite = 9—12 u. 2. Mikrozoosporen mit 4 oder 2 Wimpern, einem Augenfleck im mittleren Teil der Körpers, schlank eiförmig, bei Temperaturen über 10° meist zu Grunde gehend, bei solchen unter 10° 2—6 Tage beweg- lich, dann zur Ruhe kommend und langsam keimend. Länge — 7—12 u. Breite = 5,5—8 u. 3. Gameten mit 2 Wimpern, einem Augenfleck im mittleren Teil des Körpers, rundlich bis eiförmig, gleich nach dem Austreten zu zweien kopulierend, doch fähig ohne Kopulation zur Ruhe zu kommen Dauerzellen zu bilden (Parthenosporen). Länge = 5—8 u. Breite = 45,5 u“. 7. Hormidium nitens Meneghini und flaccidum (Kg.) Braun zeigten außer der Zoosporenbildung noch die Fortpflanzung durch Spaltung und Dauersporen. Bei nitens erhält man die Spaltung stets, wenn die Nährsalze entzogen werden oder bei mangelnder Feuch- tigkeit. Sehr instruktiv war dabei eine Agar-Agarkultur, welche ohne Nährsalze Fäden mit lebhafter Spaltung, mit Nährsalzen dagegen monatelanges Wachstum ohne Spaltung zeigte. Uebereinstimmend mit den höhern grünen Pflanzen hat Hormidium zur vegetativen Entwick- lung die Elemente N, P und Mg in großen Mengen, K, Ca, S und Fe nur in geringen Mengen nötig. Das Fehlen der Elemente der ersten Reihe hat das Eintreten des Spaltungsprozesses zur Folge. Zum Studium der Zoosporenbildung eignete sich Hormidium flaceidum aus- gezeichnet. Die Bedingungen ihrer Entstehung sind: Uebertragung aus Nährlösung in Wasser, aus feuchter Luft in Wasser, aus Licht ins Dunkle. Beim Eintrocknen der Kulturen entstehen Dauersporen. 8. Conferva. Klebs untersuchte eine Species, welche von Wille als identisch mit seiner bombyeina 8 minor bezeichnet als selbständige Art Conferva minor aufgefasst wird. Besonderes Interesse bietet diese Alge durch ihr Verhalten gegenüber organischen Substanzen. Klebs unterscheidet folgende vier Gruppen: I. Substanzen, welche die Zoosporenbildung in hohem Maße er- regen: 1. Inulin, 2. Amygdalin, 3. Aesculin, 4. Salicin, 5. Maltose, 6. Raffinose, 7. Sorbit. II. Substanzen, welche wie Wasser wirken, in denen beim Ueber- gang von Licht in Dunkelheit Zoosporen entstehen: 1. Erythrit, 138 Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 2. Arabinose, 3. Mannit, 4. Duleit, 5. Traubenzucker, 6. Fruchtzucker, 7. Rohrzucker, 8. Milchzucker, 9. Dextrin, 10. Lichenin. | III. Stoffe, welche auf den Zoosporenbildungsprozess hemmend einwirken, ohne das Leben der Alge zu gefährden: 1. Glyzerin,. 2. Iso- duleit, 3. Galactose, 4. Sorbin, 5. Glycogen, 6. Quereit, 7. Inosit, 8. Harnstoff, 9. Glyeocoll, 10. Asparagin, 11. weinsaures Kali, 12. milch- saures Eisenoxydul, 13. Arbutin, 14. Saponin, 15. Coniferin, 16. Coffein. IV. Substanzen, in welchen Conferva bald abstirbt: 1. Convalla- marin, 2. Glyeirrhizinum amoniacale, 3. Quereitrin, 4. Phloridzin, 5. Cu- marin, 6. Vanillin, 7. Tannin, 8. Orein, 9. Pepton. 9. Bumilleria. Von dieser Gattung untersuchte Klebs die Species: sieula und exilis Klebs. Sie pflanzen sich fort: 1. durch Spaltung, 2. durch Zoosporen und 3. durch Dauersporen. Die Spal- tung ist homolog derjenigen von Hormidium und tritt bei Trockenheit ein. Als Bedingungen der Zoosporenbildung werden erwähnt: der Uebergang von feuchter Luft oder von Nährsalzen in Wasser. Hiebei zeigte sich auch ein äußerst vorteihafter Einfluss von niedern Tem- peraturen. Das Optimum liegt bei 3—4° C. Lichtmangel befördert, helles Licht hemmt die Zoosporenbildung. Auch 2 Gattungen der Chaetophoreen werden besprochen, und zwar: 10. Stigeoclonium (tenue Kg.) und 11. Draparnaldia (glomerata). Erstere Species war ein Vor- zügliches Objekt, den Polymorphismus mit dem richtigen Lichte zu beleuchten. Bei heller Beleuchtung entstehen im Brunnen oder auf Agar-Agar mit 0,2proz. Nährlösung lange Fäden, bei welchen auf Strecken von mehreren hundert Zellen keine Seitenzweige auftreten, während in einer Iproz. Nährlösung in einer feuchten Kammer bei- nahe jede Zelle in einen Zweig auswächst. In strömendem Wasser bildet St. tenue keine Haare, während in fließendem Wasser eine so reiche Haarbildung auftritt, als ob man St. longipillus vor sich hätte. Auch bei Aphanochaete repens und Braunii entstehen in Wasser Haare, während sie durch Nährlösungen gehemmt werden. Von einem Pal- mellenzustand war nichts zu bemerken. Es ist ein großes Verdienst von Klebs, an Stelle unbekannter Ursachen des sog. Polymorphismus gut definierbare Begriffe gebracht und den Ausdruck „Polymorphismus“ in seine scharf umschriebenen Sehranken gewiesen zu haben. 12. Chlamydomonas. Als Vertreter der Volvocineen studierte Klebs die von ihm neu benannte Chlamydomonas media, welche der Ch. parietaria Dill und Ch. Ehrenbergii Garoschankin nahe steht. Die Reinkultur stellte er in 0,2proz. Nährlösung her. Am lebhaftesten geht der Teilungsprozess im Lichte, in Nährlösung und bei einer Tem- peratur von 15° vor sich. Während in Nährlösungen, selbst in 0,05°,, die Gametenbildung vollständig unterbleibt, so erfolgt dieselbe‘ sicher, wenn eine Nährsalzkultur in reinem Wasser bei hellem Lichte einer Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 139 Temperatur von 15° C ausgesetzt wird. Die Eigenschaft der Nähr- salze kann man auch verwenden, um die Gameten in vegetative Zellen umzuwandeln. 13. Hydrurus. Den Schluss des ersten Teiles bildet die Be- sprechung dieses Flagellaten ähnlichen Organismus. Seine Zoosporen- bildung tritt mit großer Sicherheit ein, wenn man Hydrurus in eine kleine Wassermenge in die Zimmertemperatur von 9—10° bringt. B. Pilze. In diesem zweiten Abschnitte behandelt Klebs die beiden be- kannten Pilzspecies: Eurotium repens de Bary und Mucor racemosus Fresenius und zeigt auch da, welche Fragen sich der Mycologe in der Physiologie der Pilzfortpflanzung zu stellen hat. Eurotium repens. 1."Conidienbildung. Klebs prüfte die Abhängigkeit der Conidienbildung von der Quan- tität und der Qualität der Nahrung und fand, dass die Quantität wohl die Menge nicht aber das Auftreten der Conidien beeinflusse. Ganz verschieden wirkt dagegen die Qualität der Nahrung. Reines Wasser, unorganische Salze und reines Pepton verhindern die Keimung. Sehr interessant ist die Klebs’sche Anschauungsweise, die er über die Beobachtung entwickelt, dass die Conidien nur in Luft entstehen und durch den Flüssigkeitsgrad des Nährmediums derart beeinflusst werden, dass flüssige Nährböden auf die Conidienbildung hindernd einwirken. Alle Versuche beweisen, dass reichliche Wassermengen einen conidien- hemmenden Einfluss ausüben. Lösungen von Traubenzucker, Rohr- zucker und Glyzerin ergeben bei höhern Konzentrationen normale Conidienträger, während bei niederm Prozentsatze die nämlichen Er- scheinungen eintreten wie bei zu reichlicher Wasserzufuhr, obschon genügende Nahrungsstoffe zur Verfügung stehen. Fügt man zu Nähr- lösungen, welche an und für sich keine Conidien bilden lassen, Natron- salpeter oder Kochsalz, so tritt Conidienbildung ein. Klebs giebt dazu folgende Erklärung: Der Zellsaft von Eurotium repens hat einen ziemlich hohen osmotischen Druck. Sinkt er außen, so muss er auch innen abnehmen, kann es nur bis auf einen gewissen Grad, von wo die Zelle dann zu viel Wasser aufnimmt und dadurch die Conidien- bildung gehemmt wird. Wenn es wahr ist, dass Temperaturerniedrigung die Wasseraufnahme erschwert, Temperaturerhöhung dieselbe begünstigt, so müssen bei niederer Temperatur die Conidien befördert, bei höherer dagegen gehemmt werden. Die Experimente bestätigen diese Voraus- setzungen. Die waässerentziehende Kraft der Umgebung ist nicht die einzige Bedingung der Conidienbildung, sondern dazu treten noch die Luft und die Transpiration. 140 Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 2. Perithecienbildung. Dieselbe ist unabhängig von der Quantität und der Qualität der Nahrung. Flüssigkeiten verhindern auch die Perithecienbildung. Was ihre Abhängigkeit von dem Konzentrationsgrade der Nährlösung be- trifft, so liegen die obere, wie untere Grenze bedeutend tiefer als bei der Conidienbildung. So zeigte eine 20proz. Traubenzuckerlösung sehr viele Perithecien und sehr wenig Conidien, eine 90proz. Lösung dagegen keine Perithecien und viele Conidien. Dieses verschiedene Verhalten der Conidien- und Peritheeienfortpflanzung gegenüber äußern Bedingungen berechtigen Klebs, die erstere Fortpflanzungsweise mit der ungeschlechtlichen der Algen, die zweite mit der geschlechtlichen zu vergleichen. Mucor racemosus. Klebs bespricht folgende Punkte: 1. Sporangienträger. Die Temperaturpunkte bestimmte er: Minimum 4° C. Optimum 20—25° Maximum 34° C. Auch die Sporangienträger werden nur in der Luft angelegt. Bei niederem Luftdrucke beobachtete er: a) eymöse Verzweigungen, b) Aussprossen der Sporangienanlagen, c) Columella und Sporen. Die chemische Beschaffenheit der Nahrung ist von ge- ringem Einfluss. Die Konzentration wirkt auf die Länge und die Ver- zweigung der Sporangienträger ein. Hohe Temperatur wirkt wie starke Konzentration. 2. Schlauchförmiges Mycel. Dasselbe zeigt eine verschiedene Ausbildung je nach der chemi- schen Beschaffenheit des Nährbodens. Man kann die beiden Typen _ unterscheiden: a) spitzendendes Peptonmycel und b) Zuckermycel mit dichtem Inhalt und stumpfen Enden. 3. Septiertes Mycel. Unter diesem Titel versteht man Bildungen, welche von Brefeld als Oidium-artige Gebilde aufgefasst werden. Klebs kommt zu fol- genden Resultaten: „l. Verzweigte Pilzhyphen, die durch lebhafte Querwandbildung bald lang-, bald kurzzellig werden und hie und da unregelmäßige An- schwellungen zeigen. Diese Form tritt in konzentrierten Lösungen von Traubenzucker (50--60°,) auf, ferner auch in Rohrzucker = (60—70°],), Glyzerin — (25—30/,), Kali- und Natronsalpeter — (10°/,) Lösungen bei Zusatz von etwas Pflaumensaft. 2. Einzelne, riesig angeschwollene Zellen oder Gruppen von solchen Riesenzellen. Besonders zeigt sich diese Mycelform in einer 3proz. Zitronensäurelösung bei Zusatz von etwas Pflaumensaft. Klebs, Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. 141 3. Verzweigte und stark septierte Pilzhyphen, deren Zellen meist kugelförmig angeschwollen sind. Diese Mycelform beobachtet man in 1—2proz. Zitronensäurelösungen mit etwas Pflaumensaft. 4. Verzweigte Pilzhyphen in verschiedenem Grade septiert und angeschwollen, hie und da einzelne Zellen oder kurze Fadenstücke abspaltend. Diese Mycelform erscheint in gärungsfähigen Fruchtsäften oder Zuckerlösungen bei allmählich eintretendem Mangel an Sauerstoff. 5. Hefeartig sprossende, einzelne Zellen oder mehrzellige Faden- stücke bei längerer Dauer der Gärung, infolge stärkerer Hemmung des Längenwachstums“. 4. Gemmenbildung. Klebs fasst die Gemmen als eigene Fruchthyphen auf, die unter eigenen Bedingungen entstehen. Er wies sie in Traubenzucker, Rohr- zucker, Milchzucker, Maltose, Inulin, Dextrin, Glyzerin, Asparagin, Harnstoff, Aesculin, Saliein nach. Günstig wirkt eine Temperatur von 28—30° C, ungünstig wirken Gärung, Pepton, sowie das reichliche Auftreten der Sporangien. Ueberblicken wir kurz den Inhalt dieses wichtigen Werkes, so müssen wir erkennen, dass Klebs den Weg zeigt, wie man zu einer Physiologie der Fortpflanzung kommt. Die Versuche enthalten eine solehe Unmenge von Gesichtspunkten, eine solche Gedankenfülle, dass vorliegendes Referat nur die wichtigsten Punkte andeuten konnte. Man ahnte, ja man wusste es schon lange, dass die Fortpflanzung auch von den von außen wirkenden Einflüssen in Abhängigkeit stehe. Diese allgemeine Phrase war auch alles. Klebs hat an ihre Stelle etwas Greifbares, das Experiment gesetzt, und zwar ein Experiment in hundertfachen Variationen und in systematischer Klarheit und Plan- mäßigkeit. Ich habe mit Absicht alle allgemeinen Gesichtspunkte weg- gelassen, in der Hoffnung, der allgemeine Teil des ganzen Werkes: „Ueber die Fortpflanzungs- Physiologie der niedern Organismen, der Protobionten“ werde nicht zu lange auf sich warten lassen. Eine Frage wird jedem auf den Lippen liegen, der das Klebs’sche Buch zur Hand nimmt, die Frage: Sind die äußern Bedingungen bloße Reize, welche den betreffenden Fortpflanzungsprozess auslösen oder sind sie die eigentlichen Ursachen der betreffenden Lebenserscheinung? Ich glaube, die Klebs’schen Experimente sind sprechend genug dafür, dass die äußern Einflüsse auf die Struktur des lebenden Zellenleibes einen direkten Einfluss ausüben, dass sie dieselbe verändern. Ist es nicht natürlich, anzunehmen, dass Veränderungen des Zellleibes auch andere Arbeitsleistungen ausführen? Klebs spricht an verschiedenen Stellen von den tiefern Eingriffen z. B. der Nährlösungen, des Lichtes, der Konzentration ete. auf die Zusammensetzung des Protoplasten, das ist wahre Physiologie. Als besonders günstige Eigenschaft des vorliegen- 142 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. den Werkes erwähne ich die ernste und vorurteilsfreie Behandlung der Litteratur, welche seine behandelten Species betrifft, sowie die vorzüglichen Holzschnitte und die lithographierten Tafeln. Nicht un- erwähnt lasse ich auch die praktische Bedeutung des Werkes, welches dem Dozenten Anhaltspunkte an die Hand giebt, die wichtigsten Fort- pflanzungsarten mit Leichtigkeit demonstrieren zu können. Unerläss- lich ist dieses Werk dem Physiologen, der neue Beiträge zur Physio- logie der Fortpflanzung leisten will. Algenkunde und Myeologie sind durch Klebs auf neue Bahnen geleitet worden. Mögen neue Arbeiter auch dieses Laboratorium betreten und an dem neuen Gebäude weiter- bauen helfen. [25] H. Bachmann (Luzern) Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Von Prof. C. Emery in Bologna. (Fortsetzung von Bd. XVI S. 344.) IX. Variationsrichtungen und Germinalselektion, Als ich am 16. September 1895 in Leiden dem Vortrag Weis- mann’s über Germinalselektion beiwohnte, war es mir, als käme ein neues Licht auf, allerlei bisher dunkel gebliebenes zu beleuchten und deutlich zu machen. Die Tragweite der neuen Hypothese schien mir eine noch größere als die ihr vom Vortragenden zugemessene zu sein. — „Ihre Germinalselektion“, sagte ich Herrn Weismann, „reicht viel weiter als Sie uns gesagt haben; sie braucht nicht erst von der Personalselektion abgeleitet zu werden, sondern sie kann auch allein zur Bildung von Variationen führen“. Bevor ich aber etwas niederschrieb, wollte ich warten, bis ich Weismann’s Vortrag gedruckt vor mir hätte, und inzwischen waren ‚auch die „Neuen Gedanken zur Vererbungsfrage“ erschienen, in welcher Schrift bereits der gleiche Gegenstand behandelt wurde. Der Keim der neuen Theorie lässt sich auch noch weiter in den früheren Werken Weismann’s verfolgen. Eine wesentliche Aenderung der Anschauungen des Verfassers, welche sich in den zwei zuletzt erschienenen Schriften kundgibt, ist die Anerkennung der Existenz von Variationsriehtungen (etwa der Onthogenese Eimer’s entsprechend), welche von manchen anderen und auch von mir postuliert, aber von Weismann zurückgewiesen wurden; ganz neu ist der Versuch, diese Variationsrichtungen durch das Selektionsprinzip zu erklären. Es war dies eine plötzliche Wen- dung in Weismann’s Anschauungen; darum ist es nicht zu ver- wundern, dass er, wegen seiner alten Vorliebe für die Dar win’sche Personalselektion, letzterer im gesamten Hypothesenbau eine zu sehr Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie, 443 vorragende Stellung einräumte!). Dass dem so ist, will ich nun ver- suchen, nachzuweiseu. Denken wir uns, dass im Flügel eines Schmetterlings ein neuer, z. B. schwarzer Fleck entstanden sei. Diese Erscheinung war die Folge der Bildung schwarz bestimmender Teilchen in den zu jenem Abschnitt des Flügels gehörigen Bestandteilen (Determinanten) des Keimes. — In den folgenden Generationen mag der neue Fleck ent- weder a) verschwinden, oder dagegen 5b) zunehmen und zuletzt zu einer auffallenden Modifikation der Flügelzeichnung führen. Im Fall a ist das schwarzbildende neue Keimelement im Kampf gegen atavische Keimbestandteile erlegen; im Fall 5 hat es gesiegt und sein Gebiet auf der Flügelfläche nach und nach ausgedehnt. Es wäre in einem solchen Fall eine Variationsrichtung entstanden und zwar ohne jede Beteiligung von Personalselektion. Um die Ent- stehung einer solchen Variationsrichtung zu ermöglichen ist nur eines notwendig: dass der erste Träger des neuen Fleckes denselben an seine Nachkommen überliefert habe, was von allerlei inneren und äußeren Umständen abhängig sein mag, durch Isolierung wohl am meisten begünstigt werden dürfte. Solange die neue Variation sehr gering bleibt, dürfen wir an- nehmen, dass sie für die Existenz ihres Trägers indifferent ist. Selek- tionswert kann sie ja nur bei einer gewissen Größe erreichen. Dann wird sie, wenn schädlich, in Folge des Eingreifens von Personalselek- tion, zur Vernichtung der entstandenen Variation und der angebahnten Variationsrichtung führen, wenn nützlich, die stärkere Vermehrnng der neuen Varietät und den Fortschritt der Variation in der angebahnten Richtung bewirken. Die Personalselektion kann nur auf bereits angebahnte Variationsrichtungen einwirken; die Gründung derselben entgeht ihrem Einfluss. Wir können aber auch annehmen, dass die neue Variation, selbst wenn sie für unsere Sinne auffallend geworden ist, dennoch für das Gedeihen ihrer Träger indifferent bleibe. In diesem Fall mag sie, in Folge von Ereignissen, welche sich im Keim und im wachsenden Keim- plasma abspielen, vor- und zurückschreiten, sich verzweigen oder sta- tionär bleiben, ohne dass die Personalselektion daran teil zu nehmen habe. Es ist also möglich, dass neue Formen einzig und allein durch Keimauslese, ohne Teilnahme der Personen- auslese entstehen. 4) Es ist auch nicht zu verwundern, dass die Gegner Weismann’s diese Bekchrung des verdienten Theoretikers höhnisch besprechen, während sie dabei den Wert der neuen Hypothese herabzusetzen suchen. Im _erbitterten 'Ton gewisser polemischer Schriften leuchtet unverkennbar Aerger und Neid ihrer Verfasser gegen den glücklicheren und besser begabten Denker durch, 144 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie, Es ist noch ein dritter Fall denkbar. Eine neue Eigenschaft könnte, als sie entstand, nützlich gewesen sein und deswegen von der Personenauslese bevorzugt, aber beim Ueberschreiten eines Optimum schädlich werden. Wenn die betreffende Species oder Varietät sonst durch andere nützliche Eigenschaften bevorzugt ist, so wird sie das Todesurteil der Personenauslese noch eine zeitlang nicht zu fürchten haben, und die angebahnte schädlich gewordene Variation wird in ihr, von der Keimauslese unterhalten, immer weiter fortschreiten. Aber es mag ein Moment kommen, wo nützliche und schädliche Eigen- schaften im Gleichgewicht stehen und bald letztere überwiegen. — Daraus ergibt sich die Möglichkeit eines Konfliktes zwischen Germinal- und Personal-Selektion, indem die Resultate der ersteren den Organismus im Laufe der Generationen zu unvermeidlichem Verderben führen können. Ich bin überzeugt, dass das Aussterben vieler Organismen im Laufe der geologischen Perioden durch derartige Verhältnisse zu Stande gekommen ist. Veränderung einzelner Determinanten oder Determinantengruppen im Keime geben Veranlassung zur Variation und zugleich zur Germinal- selektion. Die Keimauslese bestimmt also (zugleich mit verschiedenen äußeren Verhältnissen) das Erlöschen oder das Fortschreiten der an- gefangenen Variation; sie bestimmt Variationsriehtungen, welche, wenn sie nicht zeitig gehemmt werden, grenzlos weiter vor sich gehen können und, wenn schädlich, zum Untergang ihrer Träger führen. Erst dann tritt die Darwin’sche Selektion, d. h. die Personen- auslese ein. Sie steht über den anderen Faktoren der Speciesbildung als höchstes Gericht, das Gute bevorzugend, das Schlechte vernich- tend; sie hat aber weder das Gute noch das Schlechte geschaffen. — Ich glaube also das richtige ausgesprochen zu haben, als ich von dieser damals allein in Frage stehenden Art der Selektion schrieb, sie sei „ein hochbedeutender Faktor der Evolution, welcher in der Bestimmung der Variationsriehtungen die höchste Rolle spielt; sie ist aber bei weitem nicht der einzige und vielleicht sogar nicht der wirksamste“t). — Von der Germinalselektion hatte ich damals keine Ahnung; jener Satz war also gegen die Allmacht der Naturzüchtung im damaligen Begriff von Personalauslese gerichtet; in diesem Sinn widerspricht er den neuesten Anschauungen Weis- mann’s nicht ?). Damit will ich aber nicht sagen, dass ich mich der neuen Rich- tung Weismann’s ohne Rückhalt anschließe. Ich will hier aus seiner letzten Arbeit zwei Aphorismen hervorheben, die ich überhaupt nicht unterschreiben möchte: 4) Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie: diese Zeitschrift, Bd. XIII, S. 397. 2) Vergl. Weismann, Ueber Germinal-Selektion, 1896, I. Anhang, S. 66. Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 145 (8.61): „Alles ist zweckmäßig in der lebenden Natur“. (5.18): „Es muss... niemals an den passenden Varia- tionen an der passenden Stelle gefehlt haben“. Beides ist für mich unbewiesen, ja, wie ich glaube, nieht richtig. Zum ersteren Satz wird Weismann dadurch geführt, dass er sich die Personalselektion noch zu sehr überall wirksam vorstellt. Wird aber angenommen, dass Variationsrichtungen durch alleinige Wirkung der Germinalselektion angebahnt werden können, so ist eine notwendige Folge davon, dass die dadurch erzeugten Veränderungen der Organismen auch indifferent sein können; also weder zweck- mäßig noch zweckwidrig. Ich bin fest überzeugt, dass sehr viele spezifische Merkmale der Pflanzen- und Tierarten ihrem Träger über- haupt keinen Nutzen bringen; dass z. B. es einer Coceinelle weder nutzt noch schadet, dass sie 2 oder 7 oder 22 schwarze Punkte auf rotem oder gelbem Grund trage; einem Lamellicornier-Männchen, das auf seinem Rücken und Kopf so und so viele oder so und so gestaltete Höcker und Hörner gewachsen sind; einem Papibio von der Podalirius- Gruppe, dass die schwarzen Streifen auf seinen Flügeln mehr oder weniger Raum einnehmen als der helle Grund. Diese und eine Menge anderer Eigenschaften liegen außerhalb des Gebietes der Personen- auslese und sind entweder durch Einwirkung äußerer Momente (Klima u. dergl.) auf das werdende Lebewesen, oder durch Germinalselektion allein entstanden. Von einer erwiesenen Zweckmäßigkeit derselben kann nicht die Rede sein. Gegen den zweiten Satz spricht die Paläontologie durch den Nachweis, dass ganze artenreiche Sippen des Tierreiches rasch und ohne irgendwelche modifizierte Nachkommen zu hinterlassen, aus- sterben. Es sterben nicht nur Arten, sondern Gattungen, Familien, ja ganze Ordnungen nach längerer oder kürzerer Blütezeit aus. Es schwanden z. B. viele Gruppen der Ungulaten des Eocäns in Folge der Veränderungen in der Flora aus der ganzen Welt. Das Auftreten der Gräser war ihnen fatal, denn sie konnten das neue Futter nicht kauen; es waren in ihrem Gebiss die passenden Variationen, die sie dazu befähigen konnten, im passenden Moment nicht da. Aber es waren bei jenen Tieren zwei Variationsrichtungen angebahnt, welche durch die vernichtende Personenauslese nicht gehemmt werden konnten: einerseits die progressive Zunahme der Körpergröße; andererseits die einseitige Differenzierung und Zahlbeschränkung des Gebisses. Jene Tiere hatten sich (um einen Ausdruck Kükenthal’s zu gebrauchen) „in eine Sackgasse verrannt“ und konnten nieht mehr gerettet werden. Aber vielleieht-.hätten sich manche auch ohne die Veränderung des Futters nicht gerettet! Die fortschreitende Variation auf be- stimmter Bahn hatte sie zur exzessiven Ausbildung von Eigenschaften, welche am Ende schädlich wurden, geführt; sie mussten deswegen im XV. 10 146 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Kampf ums Dasein gegen auf besserer Bahn variierende Formen unter- liegen. Die zur Rettung nötigen passenden Variationen fehlten; sie waren ja unmöglich, denn die Germinalselektion arbeitete zu Gunsten bestimmter Keimelemente gegen das Interesse des Gesamt- organismus und führte durch unpassende Variationen zu un- zweckmäßigen Organisationsverhältnissen. Sind wir im Laufe der Zeit zur Erkenntnis gekommen, dass die Naturzüchtung im alten Sinn, d. h. die Personalselektion, wie jetzt Weismann selbst zugeben muss, nicht allmächtig ist und, dass sie, wie ich annehme, nicht überall einwirkt, weil sich Vieles ihrem Ein- fluss entzieht, so bleibt noch festzustellen, ob das Selektionsprinzip überhaupt in der ihm jetzt von Weismann gegebenen Form von Germinal-, Histonal- und Personalselektion sich der Allmacht rühmen kann. Ursprünglich muss jede blastogene Veränderung eines Lebewesens von äußeren Einflüssen abhängen, welche auf den Gesamtorganismus der Eltern und mittelbar auf das Keimplasma eingewirkt haben. Treffen solche Einwirkungen von allen homologen Determinanten nur einen Teil, so wird zwischen den veränderten und unveränderten Kampf und Germinalauslese stattfinden. Nimmt man aber an, dass alle einander homologe Keimelemente zugleich verändert werden können, so ist da- durch, ohne weiteres, eine Variation entstanden. Wirkt das gleiche Moment auf mehrere Generationen fort, so mag eine progressive Varia- tion gebildet werden, ohne dass Germinalselektion stattgefunden habe. Sie wird erst weiter, je nachdem sie dem Individuum nützt oder schadet, von der Personalselektion bevorzugt oder vernichtet werden. Aber wir können uns auch denken, dass eine solche Variation indif- ferent bleibe, d. h. außer dem Bereich der Personenauslese liege. In letzterem Fall könnte eine Eigenschaft eines Organismus ohne irgend- welche Beteiligung des Selektions-Prinzipes entstanden sein. — Ich spreche hier nur von logischer Möglichkeit, aber ich bin geneigt, anzunehmen, dass viele sog. klimatische Varietäten in der That manche ihrer Eigenschaften dem Einfluss der Existenzbedineungen allein auf das Keimplasma verdanken. Durch seine neue Hypothese der Keimauslese hat Weismann den Bereich des Selektionsprinzips sehr wesentlich erweitert, indem er dadurch eine Erklärung dunkler innerer Vorgänge der Organismen gegeben hat. Ob aber das ganze Problem der Speeiesbildung dadurch gelöst ist, möchte ich nach wie vor dahingestellt lassen und doch dem unbekannten Gott, oder richtiger den unbekannten Gottheiten der natür- Jichen Schöpfung einen bescheidenen Altar bauen. Die Wirkung äußerer Einflüsse auf den Organismus ist dem Experiment zugänglich. Was sich aus gut geführten derartigen Versuchen ergeben mag, wird die Zukunft lehren. [10] Frenzel, Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas. 147 Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas. Von Prof. Joh. Frenzel, Biol. Station, Friedrichshagen. Nachdem E. Korschelt vor einigen Jahren!) nachgewiesen, dass Dreissensia polymorpha Pallas eine Entwicklung durch freischwär- mende, mit einem Velum versehene Larven durchmacht, ist das Interesse, welches man, von jeher für diese eigentümliche Muschel hegte, von neuem rege geworden. Bei der Diskussion über den vorliegenden Gegenstand erwähnte E. v. Martens ferner eine Beobachtung Ross- mässler’s, „nach welcher die Dreissensien eine gewisse Beweglichkeit behalten, indem sie sich von ihrer Unterlage loslösen und sich eine größere oder kleinere Strecke davon wieder anzuheften vermögen“. Ebenso hatte schon Reichel?) früher eine Beobachtung mitgeteilt, „wonach die Dreissensien sich im Winter aus den seichteren Ufergegenden der Gewässer mehr in die Tiefe zurückziehen sollen, woraus Korschelt den Schluss zog: „Es müsste dann also der Byssus, mit dem sie fest- geheftet sind, abgestoßen werden“. Es fiel Korschelt dabei jedoch auf, „dass die Dreissensien immer klumpenweise angetroffen werden“, woraus er weiter schließen durfte, dass sie „sich also nach der früher erfolgten Trennung wieder vereinigen mussten“. Auch W. Weltner?) konnte bald darauf bestätigen, dass „die Muscheln einer Ortsverände- rung fähig sind“, und hebt eine zweite Mitteilung Reichel’s *) hervor, wonach „Dreissensia unter Abstoßung ihres Byssus den Ort verändern kann, und dass die älteren Muscheln sogar regelmäßige Wanderungen ausführen“. Bei dem vorliegenden Gegenstande interessierte mich nun be- sonders die Frage, ob die Dreissensien wirklich zum Winter in die Tiefe wandern und auf welche Weise sie dies anstellen. 'Thatsächlich werden Dreissensienkolonien ja auch in größeren Tiefen angetroffen; so berichtet Weltner (l. e.), dass er sie im Tegeler See noch in einer Tiefe von 12 m angetroffen, und ebenso fand ich sie im Müggel- see an einzelnen Stellen noch in dessen größter Tiefe, nämlich bei Sm. Gelegentlich der Eisfischerei, also im Winter, werden ferner durch das große Zugnetz, die Wade, erhebliche Mengen von Dreissensia-Klumpen aus der Tiefe heraufbefördert; doch scheinen sie dann meist am sug. schwarzen Schaar zu sitzen, also nicht in den tiefsten Stellen, sondern am Uebergang vom flachen Ufer zu der eigentlichen Sohle. Sonst aber d. h. zur Sommerszeit findet man sie gewöhnlich und in größten 1) E. Korschelt, Ueber die Entwicklung von Dreissensia polymorpha Pallas, in: Sitzungsber. d. Gesellsch. naturf. Freunde, Berlin 1891, 8. 131 ff. 2) Zool. Anzeiger, 1837, S. 488 ff. 3) W. Weltner, Zur Entwicklung von Dreissensia. Zool. Anzeig., 1891. Nr.1379; 4) Zool. Beiträge von A. Schneider, 1890, II. Bd. 107 148 Frenzel, Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas. Mengen auf dem sog. weißen Schaar!), also auf flachen Stellen, sei es auf weißem Sande, sei es auf Modder, sowohl auf kahlen Stellen, wie auch zwischen Wasserpflanzen. So sind sie auf der sandigen flachen Region von dem Gelände der Biologischen Station hierselbst außerordentlich häufig. Bereits im Winter 1894/95 war mir aufgefallen, dass auf dieser soeben genannten Region unter dem Eis so außerordentlich wenig Kolonien der „Schafklauenmuschel“, wie die Dreissensia wohl auch genannt wird?) — wir nennen sie hier der Kürze halber „Dreieck- muschel“ anzutreffen waren, an Stellen, wo sie während des Som- mers nie vermisst wurden. Auch konnten sie keineswegs einfach ab- gestorben sein, denn dann hätte man doch noch leere, zu Klumpen vereinigte Schalen finden müssen; aber auch diese waren äußerst spär- lich. Da an dem gleichen Orte ferner — zur Sommerszeit — viel Unioniden hausen, und da diese gewöhnlich mit einer Dreissensien- kolonie besetzt sind, so glaubte ich mir die Sache so erklären zu können, dass die Unioniden bei ihrer Wanderung ihre Miether mit- schleppten. Im darauffolgenden Sommer wurde indessen festgestellt, dass die überwiegende Mehrzahl der Kolonien nicht auf Unio saßen, sondern vielmehr zumeist auf Steinen und anderen leblosen Gegen- ständen, und damit musste die obige Erklärung fallen, um so mehr, als im Winter 1895/96, etwa im Februar, fast gar keine Dreiecksmuscheln auf der weißen Schaar angetroffen wurden. Diese waren mithin thatsäch- lich größtenteils verschwunden. Mit Beginn dieses Winters (1896/97) nahm ich jedoch diese Frage wieder auf, zumal mir die zuerst zitierte Er- klärung, dass sich die Muscheln behufs Wanderung in die Tiefe von ihrer Unterlage loslösen sollten, nicht genügend geklärt schien. Zwar ist es richtig und kann jederzeit leicht demonstriert werden, dass sich von Kolonien, die in Aquarien oder sonstige kleine Behälter gesetzt werden, oft eine Anzahl von Exemplaren loslösen. Dies sind indessen immer die kleineren, während die größeren bei ein- tretender Fäulnis eher absterben, als dass sie jenes thun. So wurden die größten der abgelösten Muscheln mit einer Länge von 7 bis 12 mm bestimmt, während die Größe der festsitzenden etwa 22 bis 25 mm ausmacht, wobei bemerkt sein möge, dass die Dreissensien des Müggel- sees keine erhebliche Größe erreichen und hierin z. B. hinter denen des Tegeler Sees zurückstehen. Würde mithin in der Natur das- selbe stattfinden wie im Aquarium, so müssten auf den Kolonien die größeren Muscheln zurückbleiben, und dies ist thatsächlich nicht der Fall; denn wenn man zur Winterszeit noch Kolonien an- trifft, so bestehen diese stets aus Individuen verschiedener Größe. 1) Man hört bald „Der Schaar“, bald „Die Schaar“ sagen. 2) E. Friedel, Ueber die Ursache der Verunreinigung des Berliner Lei- tungswassers im Nov. 1895, in: „Brandenburgia*. Monatsblatt d. Gesellschaft f. Heimatkunde der Provinz Brandenburg, Nr. 12, März 1896, 8. 375 ff, Frenzel, Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas, 149 Nun hatte ich im vorhergehenden Sommer (1895) gelegentlich eine Beobachtung gemacht, über die ich damals hinwegging, die mir in- dessen nachträglich wieder in Erinnerung kam. Beim Sammeln von Unioniden ete. wurden nämlich vor dem Gelände der Biolog. Station eine größere Anzahl von Dreissensienklumpen aufgenommen, um zu sehen, ob sie auf einer Muschel oder einem andern Gegenstand (Stein) aufsaßen. Dabei wurden die letzteren achtlos wieder fortgeworfen und fielen vielfach so auf den Sandgrund, dass der zum Festheften dienende Gegenstand, z. B. der Stein oft nach oben gewendet war, während er sonst natürlich stets die unterste Stelle der Kolonie be- zeichnet. Als nun nach einigen Tagen eine Wiederholung obiger Suche vorgenommen wurde, ergab sich, dass alle Kolonien wieder ihre richtigeLage, also mit dem Stein nach unten angenommen hatten. Gelegentlich glaubte ich auch die Beobachtung gemacht zu haben, dass in Aquarien gesetzte Kolonien innerhalb dieser ihre Lage und ihren Ort veränderten, eine Beobachtung, die mir zwar von Aquarienliebhabern bestätigt wurde, die indessen immerhin auf Täuschung beruhen konnte, da die Kolonien möglicherweise auf einer lebenden Unio sitzen konnten, welche nun ihrerseits die Bewegung ausgeführt hätte. Vor einiger Zeit jedoch legte ich einen auf einem Steinchen angewachsenen Klumpen von Dreiecksmuscheln in ein Glas mit Wasser und war nicht wenig erstaunt, als sich dieser Klumpen am nächsten Tage umgedreht erwies. Um aber jeden Irrtum auszuschließen, stellte ich daraufhin einige Versuche an. Es wurde zu diesem Zweck erstens eine solche Kolonie in eine Glasschale gelegt und zwar mit genauer Bezeichnung ihrer Lage. Schon nach Verlauf von ca. 1 bis 2 Stunden zeigte sich die ganze Kolonie um eine Kleinigkeit ver- schoben, und am andern Tage, also nach 20 Stunden, betrug die Ver- schiebung ca.5 cm, derart, dass man den ursprünglich eingenommenen Ort noch genau an seinen Umrissen erkennen konnte. Wird nämlich ein soleher Muschelklumpen sogar in klares Wasser gelegt, so ent- stehen doch bald durch die Atembewegungen der Tiere Wirbel, welche den auf und zwischen den Muscheln liegenden Detritus, Schlamm ete, aufrühren, der sich dann zu Boden senkt und diesen ziemlich gleich- mäßig bedeckt. Nur die von dem Klumpen selbst eingenommene Stelle bleibt selbstverständlich frei, und, wenn jetzt der Klumpen sich ver- schiebt, so ist diese Stelle heller d. h. weniger von Detritus bedeckt. Diese Versuche ergaben mithin, dass sich die Dreissensien- kolonien in ihrer Gesamtheit fortbewegen können, ohne dass es also erforderlich ist, dass sich zu diesem Zweck die einzelnen Individuen loslösen. In einer zweiten Reihe von Versuchen wurden ferner die Klumpen umgekehrt hingelegt, also mit dem Stein nach oben, und auch hier ergab sich schon nach kurzer Zeit, nach ea. 1 Stunde, eine ganz erhebliche Lageveränderung und eine derartige Drehung, dass der 150 Frenzel, Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas. Stein schon eine völlig seitliche Lage eingenommen hatte. Eine voll- ständige Umdrehung in die ursprüngliche Lage trat allerdings nicht in allen Fällen ein; doch mochten hieran die unnatürlichen Verhält- nisse, der Stillstand des Wassers, die Glätte des Glasbodens ete. Schuld sein. Es geht indessen auch aus diesen Versuchen zur Genüge hervor, dass die Dreissensienkolonien immer das Bestreben haben, ihre natür- liehe und ursprüngliche Lage, also den als Substrat dienenden Gegen- stand nach unten gekehrt, wieder einzunehmen, wenn sie in dieser Lage gestört worden sind, und darin findet mithin meine oben er- wähnte Beobachtung (an den fortgeworfenen Klumpen) ihre Bestätigung. Tritt nun zur Winterszeit ein Verschwinden der Dreissensienkolonien aus den flacheren Regionen ein, so muss dies mithin als eine Wan- derung bezeichnet werden. Diese Wanderung aber dürfte sich nicht in der Weise vollziehen, dass sich die einzelnen Muscheln, ob groß, ob klein, ablösen, sondern sie findet ihre genügende Erklärung in dem Umstande, dass die Kolonien als solche zu wandern im Stande sind. Ja mir scheint, dass nicht einmal beide Erklärungen neben einander bestehen können. Es müsste dann in der That auffallen, wie es ja auch Korschelt auffiel, dass die Muscheln immer klumpenweise, auch im Winter, angetroffen werden. Man müsste dann doch z. B. gelegentlich der Eisfischerei auch vereinzelte Exemplare in einiger Menge sehen, und dies ist keineswegs der Fall. Um dies aber noch sorgfältiger zu ermitteln, stellte ich neuerdings, gelegentlich des so früh eingetretenen Frostes in diesem Herbst (1896), weitere Beobach- tungen an. Als das Eis gerade stark genug war, um einen leichten Mann zu tragen — wir benutzten hierzu mit Vorteil einen leichten Stoßsehlitten mit langen Kufen, einen sog. Rennwolf — wurden Löcher ins Eis geschlagen und Dreiecksmuscheln gesucht. Solche fanden sich noch (Anfang Dezember), aber spärlich, und jedenfalls viel spär- licher als im Sommer und Frühherbst; sie waren außerdem alle in Klumpen vereimigt, und einzelne lebende Tiere wurden nicht gefunden, weder große noch kleinere. Als dann nach ca. 3 Tagen — der Frost hatte seinen diesmaligen Höhepunkt erreicht — wieder eine Suche stattfand, waren die Kolonien allem Anschein nach wieder seltener geworden, und es ist zu erwarten, dass sie wie früher, so auch in diesem Winter mit zunehmender Kälte, noch mehr von den flacheren Stellen verschwinden und nach der Tiefe gehen werden. Es möchte mithin auch aus diesen Beobachtungen hervorgehen, dass die Dreissensienklumpen als solche wandern, und dass eine andereErklärung, in diesen Fällen wenigstens, ausgeschlossen ist. Außerdem aber zeigt sich, dass die Wanderung nicht schon früh- zeitig vollendet wird, sondern dass sie nach und nach, mit fortschrei- tender Kälte eintritt, wie ja auch ohne Zweifel die Fortbewegungs- geschwindigkeit eine sehr geringe ist. Das Wandern der Dreiecksmuscheln in tiefere Regionen mag auch 4 . Frenzel, Biologisches über Dreissensia polymorpha Pallas., 151 noch in anderer Beziehung von biologischem Interesse sein. Die Kolo- nien dienen nämlich einer ganzen Gruppe von Organismen als Wohnung und Aufenthalt, und diese Organismen gelangen gleichfalls in die Tiefe. So fand ich mitten im Winter, mit den Muscheln vereint, eine Anzahl lebender Tiere, so Insektenlarven, Asseln, Gammarus, Würmer (Egel ete.), ferner Algen, unter denen Bacillariaceen vorherrschten, ete. Gleich- zeitig ziehen sich aber noch andere Tiere in die Tiefe, so vor allem die Fische, und wenn man bisher geneigt war, anzunehmen, dass diese insgesamt während des Winters nicht fressen, so ist dies keineswegs so genau zu nehmen, denn völlig leer ist ihr Magen selten und oft genug kann man frisch aufgenommene Nahrung darin konstatieren. Hier mögen nun die Dreissensienkolonien mit ihren Bewohnern in Frage kommen; doch sei dies an diesem Orte eben nur leicht berührt, denn eine genauere Feststellung dieses Punktes steht noch aus. Die Mechanik der Fortbewegung der Dreissensienkolonien bedarf zum Schluss noch einer kurzen Erörterung. Wie bekannt!), besitzen die noch sehr jungen Individuen, einen umfangreich entwickelten Fuß, der später im Wachstum zurückbleibt und eine stummelförmige Gestalt — beim ausgewachsenen Tiere — annimmt. Es ist ferner bereits weiter oben erwähnt worden, dass die Muscheln, solange sie wenigstens noch nicht ganz ausgewachsen sind, also in einer Größe von ca. 7 bis 12 mm (bei Exemplaren des Müggelsees!) eine gewisse freie Beweg- lichkeit behalten, insofern nämlich, als sie sich abzutrennen vermögen und mit Hilfe ihres immer noch vorhandenen Fußes wandern. Dies geschieht, wie Korschelt an ganz jungen Tierchen nachgewiesen, dadurch, dass der Fuß „sich mit dem Ende fixiert, worauf er kon- trahiert und der Körper nachgezogen wird“. Das Gleiche habe ich nun auch an etwas größeren Muscheln beobachtet, wo freilich die Geschwin- digkeit eine so langsame ist, dass sie mit dem Auge nicht unmittelbar verfolgt werden kann. Es lässt sich indessen feststellen, dass sich die Muscheln in einer gewissen Zeit eine gewisse Strecke fortbewegen, und zwar mit dem Fuße voran. Außerdem scheint aber auch noch eine umgekehrte Bewegung stattzufinden, dergestalt also, dass sich diese Muscheln mit dem nach hinten — im Sinne der Bewegung — gerichteten Fuße weiterschieben. Wie es ferner scheint, wird dann noch eine andere Art der Bewegung ausgeführt, und zwar mit Hilfe der Schalen; jedenfalls aber möchte es klar sein, dass die noch nicht völlig ausgewachsenen Dreiecksmuscheln, einer StoS- und Zugebewegung fähig sind. Betrachtet man nun eine Dreissensienkolonie, so sieht man, dass diese nicht etwa aus gleich- artigen Individuen zusammengesetzt ist, sondern aus solchen der verschiedensten Größe, aus älteren und jüngeren. Ebenso wie nun diese letzteren sich als Einzeltiere zu bewegen vermögen, so muss ihnen eine ähnliche Bewegungsfähigkeit auch zukommen, 4) E. Korscheltl. e. 8. 144. 452 v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. wenn sie festgewachsen sind. Damit ließe sich mithin das Wandern eines ganzen Dreissensienklumpens ausreichend erklären, und die direkte Beobachtung steht nicht im Widerspruch hierzu. Man kann nämlich sehen, wie die größten Muscheln geschlossen bleiben, während die kleinern klaffen und die Schalen auf und zu klappen, eine Erscheinung, die besonders dann deutlich wird, wenn man den ganzen Klumpen auf den Rücken gelegt hatte, worauf eine lebhafte Reak- tion eintritt. Merkwürdig muss bei allem dem freilich die Ueberein- stimmung in der Anordnung der Bewegungen sein. Aber vielleicht ist diese Uebereinstimmung auch nur eine scheinbare; vielleicht sind die kleineren Muscheln, die sich, im Aquarienversuch wenigstens, los- lösen, ich möchte sagen widerspenstig und wollen nicht wie die andern, so dass man sich vorstellten könnte, sie reißen sich, im Be- streben sich nach entgegengesetzter Richtung zu bewegen, von den übrigen los. Davon abgesehen aber herrscht ohne Zweifel doch eine bestimmte, allen Gliedern der Kolonie innewohnende Absicht vor, den Ort zu verändern, und zwar nach einer bestimmten Richtung, oder wenn die Kolonie in ihrem Gleichgewicht gestört war, um die ursprüngliche Lage wieder einzunehmen. Die durch reinen Zufall zu einem gemeinsamen Ganzen zusammengeführten Dreis- sensien haben mithin auch einen gemeinsamen Willen — etwa nur mit obiger Ausnahme — und handeln wie ein einzelnes Individuum. [18] Beobachtungen über die Befruchtung und ersten zwei Tei- lungen an den lebenden Eiern kleiner Nematoden. Von R. v. Erlanger. (Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg.) Die bereits 1873 von Bütschli und 1874 von Auersbach im Leben untersuchten Eier kleiner Nematoden, sind erst vor kurzem wie- der der Gegenstand eines eingehenden Studiums an lebendem Material gewesen, doch hat Ziegler (95) gerade über die feineren Vorgänge bei der Befruchtung und den ersten zwei Teilungen nur weniges be- obachtet, was nicht schon früher von den beiden erwähnten Forschern festgestellt worden wäre. Es erschien mir daher wünschenswert, diese Vorgänge einer nochmaligen Prüfung zn unterziehen, und zwar unter stetem Vergleich mit dem, was an konserviertem Material für andere Nematodenarten ermittelt worden ist, und ich erlaube mir die erzielten Resultate hier ganz kurz mitzuteilen. Ich erhielt aus feuchter Erde, auf welcher ich in Stücke geschnit- tene Regenwürmer hatte verfaulen lassen, folgende vier Nematodenarten: 1. Diplogaster longicauda, 2. Rhabditis teres, 3. BRhabditis pellio, 4. Rhabditis dolichura. Diplogaster longicauda ist mit Jrhabditis nigrovenosa Ziegler’s hauptsächlichstes Objekt gewesen, an Rhabditis v. Erlanger, Befruehtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 153 teres hat er ebenfalls einige Beobachtungen angestellt, endlich hat ihm höchst wahrscheinlich auch Rh. dolichura, eine hermaphroditische Form, vorgelegen. Es ist auffallend, dass Ziegler gerade die ty- pische, im Regenwurm parasitierende Form, Rh. pellio, nicht erhalten hat. Um dieselbe mit Sicherheit in Reinkulturen zu züchten, ver- fuhr ich folgendermaßen. Ich betäubte einen möglichst großen Re- genwurm mit alkoholisirtem Wasser, schnitt ihn lebend dorsal der Länge nach auf, präparierte den Darm heraus, spülte die Leibeshöhle und die äußere Oberfläche sorgfältig ab und zerschnitt darauf denWurm der Quere nach in 4-6 Stücke. Die so erhaltenen ausgebreiteten Stücke wurden mit der Aussenseite auf ausgeglühte, mit destilliertem Wasser befeuchtete Gartenerde in eine sterilisierte Glasschale ge- legt und etwa eine Woche lang in der feuchten Kammer aufbewahrt. Nach einer Woche waren die Stücke vollständig verfault und bildeten einen übelriechenden Brei, in welchem zahllose Exemplare von Rh. pellio lebten, andere Nematodenarten fehlten gänzlich. Die herma- phroditische Form Rh. dolichura erhielt ich einmal in ziemlicher Menge nach dem gewöhnlichen Verfahren uud ich züchtete dann aus drei reifen Exemplaren in der Bütschli’schen indifferenten Flüssig- keit eine ungeheuere Menge von Individuen weiter. Auch konnte ich den Nachweis führen, dass diese Art sich hermaphroditisch fortpflanzt, indem ich Embryonen und unreife Tiere isolierte, welche sich dann einzeln zu geschlechtsreifen Weibehen, mit befruchteten Eiern und Embryonen entwickelten. In den Embryonen entstehen zuerst aus in- differenten Geschlechtszellen Spermatozoen, welche sich im Receptacu- lum seminis ansammeln und die später gebildeten Eier desselben Indi- viduums befruchten. Obgleich ich aus drei Exemplaren bereits hun- derte von Generationen gezüchtet habe, ist mir noch kein Männchen begegnet, auch konnte ich niemals gegenseitige Begattung beobachten. Ich benutzte hauptsächlich Ah. pellio und dolichura zu meiner Unter- suchung. Rh. teres und Diplogaster longicauda nur nebenbei. Die Spermatozoen von Diplogaster und Rh. dolichura sind wegen ihrer Kleinheit für die Untersuchung ungeeignet, diejenigen von Rh. pellio und teres dagegen verhältnismäßig groß und lassen manche in- teressante Verhältnisse erkennen. In der Ruhe und nach Abtötung sind diese Spermatozoen kugelrund, der etwas längliche Kern liegt stark exzentrisch, von einer kugeligen Anhäufung gröberer Körner umgeben, der Rest des Zellleibes ist im Leben glashell. Im Recepta- eulum seminis zeigen die Samenkörper meistens die spitzkugelförmige Gestalt der Spermatozoen von Ascaris megalocephala (kegelförmiger Typus), wieZiegler sie schon abgebildet hat, wobei der Kern, mit der ihn umgebenden Körnerschicht, den vorderen abgerundeten Teil ein- nimmt, welchem der glashelle kegelförmige Teil ansitzt. Lässt man die Spermatozoen durch Druck oder Zerschneiden: des Weibchens in in indifferente Flüssigkeit austreten, so zeigen sie sehr ausgesprochene 154 v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. amöboide Bewegungen des glashellen Teiles, während das vordere, runde, Kern und Körner führende Ende keine Pseudopodien entwickelt. Die Pseudopodien bilden sich aus breiten flachen Falten, welehe öfters den ganzen homogenen Teil des Samenkörpers durchsetzen, sich ver- ästeln und miteinander in Verbindung treten, während die freien Enden der Scheinfüsschen sehr energische, plötzliche Nickbewegungen ausführen können. Niemals sah ich die Körner in den homogenen Teil eintreten, wie dies Ziegler angibt und ich glaube, dass die von ihm abgebildeten Körnerzüge den von Pseudopodien gebildeten Längsfalten entsprechen. Die meisten Eier haben eine längliche Gestalt, mit großen, bläs- chenförmigen Keimbläschen, in welchem ein deutlicher Nucleolus zu beobachten ist, der eine bis mehrere Vacuolen enthält. Bei Rh. teres konnte ich im lebenden Keimbläsehen ein Liningerüst mit eingestreu- ten, sehr blassen Körnern erkennen, welche sich nach Abtötung und Färbung als Vierergruppen entpuppten. Kurz vor dem Durchtritt des Eies durch das Receptaeulum seminis verschwindet der Nucleolus. Den Durchgang des reifen Eies durch das Receptaculum und die Besamung konnte ich bis jetzt nur zweimal beobachten. Der Vorgang erfolgt so rasch und die Spermatozoen sind bei Rh. dolichurus so klein, dass ich nicht viel über diesen interessanten Punkt ermitteln konnte, doch sah ich, dass das Ei den ersten Samenkörper, dem es begegnet, fast augenblicklich in sich aufnimmt. Das Spermatozoon verschwindet in dem granulirtem Eiplasma und kommt erst nach einiger Zeit als männ- lieher Pronucleus!) wieder zum Vorschein. Ich bezeichne das Eiende, welches zuerst in das Receptaculum eindringt als den äußeren, das, nach dem Eintritt in den Uterus dem Receptaculum zugewendete Ende, als den inneren Pol. Die Riehtungskörperbildung erfolgt erst nach der Besamung am inneren Pol unter sehr ausgesprochenen Strömungen des Eiplasmas und amöboiden Bewegungen des inneren Poles. Es werden zwei Richtungskörper ausgestoßen, welche sich nieht mehr teilen und sehr lange unter der Eihaut nachweisbar bleiben, die sehr bald nach der Besamung vom Ei selbst gebildet wird. Am lebenden Ei konnte ich die Gestalt der sehr kleinen Richtungsspindeln nicht er- mitteln, an Präparaten zeigen dieselben leicht abgestumpfte Enden ohne Spur einer Polstrahlung. Gleich nach der Bildung des ersten Richtungskörpers tritt am äußeren Pol der männliche Vorkern als ein kleines Bläschen auf, welches vielleicht aus dem Konfluieren mehrerer kleineren Bläschen entsteht. Der weibliche Vorkern bildet sieh natür- lieh am entgegengesetzten inneren Pol und bleibt stets um etwa '/; kleiner als der männliche (Fig. 1). Der weibliche Vorkern rückt ziemlich rasch nach dem Bicentrum hin (Fig. 2 u. 13) und scheint durch die sehr energischen Strömungen 1) Ich benutze die Ausdrücke: „Pronucleus“ - „Vorkern“ nur der Bequem- lichkeit halber, ohne damit diesen Kernen die Natur von Halbkernen zuzu- erkennen, oder denselben ein besonderes Geschlecht zuzuschreiben. v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 155 Fig. 1. Fig. 2. Fig 3. Fig. 4. [2 des Eiplasmas bewegt zu werden. Diese Strömungen äußern sich hauptsächlich in der „inneren“ Hälfte des Eies, welches sehr ausge- sprochene amöboide Bewegungen ausführt, wobei sie die mannigfaltigsten Hervorwölbungen der Oberfläche verursachen und das Ei durch eine 156 .v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. Furche in zwei ungleiche Teile zerfallen lassen, von denen der. kleinere den weiblichen Vorkern enthält (Fig. 1, 2 u. 10). Der weibliche Pronueleus rückt dabei immer weiter gegen den Eimittelpunkt vor und in die größere Eihälfte hinein, während der männliche nahe unter der Oberfläche des äußeren Poles veıbleibt (Fig. 13). Bei Rh. pellio sieht man öfters auf diesem Stadium in der Nähe des männ- Vorkernes einen runden hellen Fleck auftreten (Fig. 13), welcher einer sogenannten Sphäre entspricht, dasselbe kann bei Ah. dolichura vor- kommen. Die Sphäre teilt sich bald und es entsteht zwischen den Tochter- sphären eine sogenannte Centralspindel (Fig. 14) (Rh. p.), die aber nur dann deutlich gesehen werden kann, wenn sie in einiger Entfer- nung vom männlichen Pronucleus sich befindet. Bei Rh. dolich. liegt die stark gekrünmte Centralspindel dem Pron. masc. eng an (Fig. 2) und kann dann nur in seitlicher Ansicht wahrgenommen werden. Bald nähert sich der weibliche Vorkern dem männlichen und legt sich ihm dieht an, wobei die beiden Kerne einander gegenseitig abplatten (Fig. 3, 10, 14). Lag die Centralspindel bei diesem Vorgang zwischen dem männlichen Vorkern und dem Eimittelpunkt, so gerät sie ganz von selbst zwischen die beiden Vorkerne; war dies dagegen nicht der Fall, so dreht sie sich allmählich so, dass sie in den nach der Ei- oberfläche gerichteten Spaltraum zwischen den Vorkernen hinein- schlüpft (Fig. 14 u. 15 Rh. p.) Die Bildung der Sphäre, ihre Teilung und die Entstehung der Centralspindel scheint von der Zeit abhängig’zu sein, welche der weib- liche Vorkern braucht, um den männlichen zu erreichen. Erfolgt diese Wanderung relativ langsam, so verläuft die Sache so, wie ich sie eben dargestellt habe, erfolgt sie relativ schnell, so tritt die Sphäre erst dann auf, wenn die beiden Vorkerne sieh aneinanderlegen und zwar am männlichen Pronueleus, scheinbar als ein knopfförmiger Vorsprung, (Fig. 10), rückt von der Kernoberfläche ab, teilt sich (Fig. 11) unter Bildung einer Centralspindel, welche wieder in den Spalt zwischen den beiden Vorkernen hineinschlüpft und sich ebenfalls senkrecht auf Verbindungsebene der Kernmittelpunkte einstellt. Bemerkenswert ist die Variabilität in der Gestalt der jungen Cen- tralspindel und ihre große Unabhängigkeit vom männlichen Vorkern, solange die Konjugation der Vorkerne und die Einstellung nieht er- folgt ist. Was den zweiten Punkt anlangt, so sah ich die Central- spindel einmal vor der Konjugation vom männlichen Vorkern sich entfernen und nahe an den weiblichen herantreten, nach der Kon- jugation erfolgte die Einstellung der Centralspindel in ganz normaler Weise. In Bezug auf den ersten Punkt muss hervorgehoben werden, dass die Gestalt der Centralspindel durch ihre Lagerungsbeziehungen zu den Vorkernen bedingt wird. Bildet sie sich frühzeitig und liegen die Sphären dem männlichen Vorkern dieht an, so schmiegt sich die Centralspindel der Kernoberfläche an und ist entsprechend gekrümmt, v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 157 liegen die Sphären in einiger Entfernung vom männlichen Vorkern, so ist die Centralspindelaxe eine gerade. Einmal war die Centralspindeleinstellung schon vollzogen, ehe die Pronuclei einander berührten. Diese lagen im Gesichtsfeld zufällig übereinander und ich konnte beobachten, wie die stark gekrümmte Centralspindel von den Centren zwischen die Vorkerne hineinzog und ihre Konvexität der Verbindungslinie der Kernmittelpunkte zuwandte, während gewöhnlich die Spindelaxe eine gerade oder nach außen konvex gekrümmte ist. Die ungeteilte Sphäre zeigt gar keine oder nur eine ganz schwache Strahlung, auch tritt diese erst ganz allmäh- lich um die Spindelpole resp. die Tochtersphären auf. Die konjugierten Vorkerne erscheinen als Bläschen, welche ein- ander an der Berührungsstelle gegenseitig stark abplatten (Fig. 3, 4, 10 u. 11) und zeigen je eine deutliche Membran oder Außenschieht und einen deutlichen Nucleolus. Das Chromatin der Kerne lässt sich nur durch Abtötung des Eies nachweisen und scheint dieselben Ver- änderungen durchzumachen, wie auf den entsprechenden Stadien des Eies von Ascaris megalocephala, d. h. das ursprünglich in Gestalt von Körnern auf das Netz resp. Wabenwerk von Linin verteilte Chromatin, sammelt sich schließlich zu sogenannten Chromosomen. Zwischen den beiden Vorkernen sind gewöhnlich einige Dotterkörner eingeklemmt, welche die Scheidewand recht deutlich machen und von denen die äußersten Centrosomen vortäuschen könnten. Bald rücken die beiden aneinandergelegten Pronuclei langsam unter gewissen Schwankungen und Drehungen nach dem Eimittelpunkt hin, wobei die Lagerungs- beziehungen der Vorkerne zueinander und die Einstellung der Central- spindel auf die Verbindungsebene der Vorkernmittelpunkte konstante bleiben. Diese Wanderung vollzieht sich unter langsamen Strömungen des gesamten Eiplasmas, wobei die Pseudofurche ganz verschwindet und das „innere“ kleinere Eisegment allmählich in das größere äußere hineinfließt, bis das Ei wieder eine annähernd ellipsoidische Gestalt angenommen hat und die Vorkerne mit der Centralspindel etwa die Mitte des Eies erreicht haben, dabei ist der „innere“ die Richtungs- körper führende Eipol stets etwas breiter als der entgegengesetzte äußere Pol. Während der Wanderung der Vorkerne nach dem Ei- mittelpunkt, oder wenn sie diesen erreicht haben, erfolgt die Einstel- lung der Centralspindel in die Längsaxe des Eies, ein Prozess den Ziegler mit dem Namen „Taxis“ belegt hat, und es tritt jetzt eine Pause in der Entwicklung ein. Nach der Pause beginnen die konjugierten Pronuclei sich in die Länge zu strecken, wobei jeder von ihnen noch eine deutliche Membran zeigt (Fig. 4). Bei stark gepressten Eiern kann man auf diesem Sta- dium öfters schon Andeutungen intranucleärer Spindelfasern wahr- nehmen und auch die sich anlegende Aequatorialplatte als eine dunkle Querlinie bemerken (Fig. 4). Gleichzeitig haben sich die Asteren oder 458 v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. Polstrahlungen bedeutend entwickelt. Bald strecken sich die konju- gierten Pronuclei noch mehr in die Länge und die Umrisse ihrer Membranen verschwinden zuerst an den Polen (Fig. 5), schließlich ganz (Fig.6) und somit ist die erste Furchungsspindel fertig. Es ge- lang mir durch Abtötung, Färben und Aufhellen der Eier auf den schon beschriebenen Stadien die Centralkörper in den Sphären und an den Spindelpolen nachzuweisen, wobei Öentralkörper und Sphären eine große Uebereinstimmung mit den entsprechenden Gebilden des Ascaris-Eies zeigen. Gelegentlich ereignete es sich, dass ein von mir kontinuierlich beobachtetes Ei abstarb; sofort traten dann die Centrosomen als rundliche Körper hervor, welche zuweilen Andeu- tungen einer feineren Struktur, d. h. einer Zusammensetzung aus mehreren Bläschen zeigten. An derartigen abgestorbenen Eiern treten auch die Chromosomen mit größter Deutlichkeit hervor, ohne. dass eine Färbung notwendig wäre. Auf das Stadium der fertigen ersten Furchungsspindel folgt wie- derum eine, wenn auch kurze Pause, worauf die Spindel ihre Gestalt verändert; ihre Breite nimmt im allgemeinen stark ab, wogegen ihre - Längsaxe scheinbar größer wird (Fig. 7). In Wirklichkeit sind aber die Mittelpunkte der Asteren (Sphären und Polstrahlung) nicht weiter auseinandergerückt, wie ich durch sorgfältige Messungen wiederholt festgestellt habe, jedoch erscheint die Längsaxe der Spindel deshalb länger, weil die hellen Höfe oder Sphären beträchtlich an Durch- messer zugenommen haben (vergl. Fig. 6 u. 7). Ferner bemerkt man im Aequator der Spindel eine rundliche Auftreibung (Fig. 7), welche, wie Präparate lehren, die geteilte Aequatorialplatte enthält, deren Hälften, die Tochterplatten, noch nicht sehr weit auseinandergewichen sind. Die Polstrahlung hat sehr beträchtlich zugenommen, wobei die Strahlen in bogenförmigen Linien, mit der Eioberfläche zugewendeter Konvexität verlaufen. Einzelne Strahlen lassen sich bis zu dem Aequator des Eies verfolgen. Oefters konnte ich auf diesem Stadium am lebenden Eie die Centrosomen in der Mitte der sogenannten Sphären, oder der hellen Höfe an den Spindelpolen beobachten (Fig.7). Wäh- rend die Spindel die eben beschriebenen Veränderungen in ihrer Ge- stalt erfährt, gerät das Eiplasma von neuem in sehr starke Strömungen, welche die Spindel in langsame pendelnde Bewegungen versetzen. Die Richtung der Strömungen ist von den Spindelpolen nach dem Aequator des Eies, und die Strömungen selbst erfolgen abwechselnd in dereinen und der anderen Eihälfte(Längshälfte). Nun tritt plötzlich auf der einen Seite des Aequators die erste Andeutung der Teilungsfurche auf, wobei deutlich beobachtet werden kann, wie die Strömung von den Spindelpolen nach dem Aequator verläuft in die Anlage der Furche einbiegt und nach dem Polen zurückkehrt. Derselbe Vorgang wieder- holt sich in der anderen Eihälfte und augenblicklich durehschneidet die erste Teilungsfurche den ganzen Eiäquator. Die beiden ersten v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 159 auf diese Weise gebildeten Furchungszellen sind ungleich groß und zwar liegt die größere am inneren, die kleinere am äußeren Eipol. Die größere führt also die Richtungskörper und entspricht dem stumpferen Eipol. Da die erste Furche im Aequator einschneidet ist es begreif- lich, dass an dem stumpfen Eipol die größere Zelle entstehen muss und dass die Ungleichwertigkeit der Teilung schon im voraus durch die Ungleichwertigkeit der Eipole bedingt wird. Auf allen Stadien der Entwicklung, welche ich bis jetzt beschrieben habe, konnte ich stets eine deutliche Alveolarschicht nachweisen, während der feinere Bau des Protoplasmas meistens durch die ein- gelagerten Dotterkörner verdeckt wird. Doch gelang es mir hier und da an günstigen Exemplaren, wo wenig Körner vorhanden waren, oder gewisse Partien des Eiplasmas verhältnismäßig davon frei waren, einen netzig-schaumigen Bau mit Sicherheit zu erkennen, wenn auch der Durchmesser der einzelnen Alveolen ein recht kleiner ist. Sehr prägnant tritt die Alveolarschicht in Gestalt der Carnoy’schen Zell- platte auf (Fig. 8), welche den aneinandergelagerten Alveolarschichten der beiden ersten Furchungszellen entspricht. Das Auseinanderweichen der Tochterkernanlagen erfolgt gleichzeitig mit der Bildung der ersten Furche, da die rundliche Anschwellung im Aequator der fertigen ersten Furchungsspindel (Fig. 7) durch die Furche in zwei helle rundliche Flecken zerlegt wird, die zunächst dicht beieinander auf den entgegen- gesetzten Seiten der Furche liegen, bald aber auseinanderweichen (Fig. 8) und bis zu der zugehörigen Sphäre wandern, welcher sie schließlich dieht anliegen (Fig. 9). Eine zeitlang bleiben die Tochter- kerne durch ein zylindrisches Bündel sogenannter Verbindungsfasern (Fig. 8) in Zusammenhang, bald aber verschwinden diese, die beiden Furchungszellen runden sich gegeneinander ab (Fig. 9) und es ent- steht zwischen ihnen ein kleiner Hohlraum (Fig. 9) welcher gewöhn- lich eine annähernd linsenförmige Gestalt hat und dem „corps lenti- eulaire“ van Beneden’s entspricht. Von der Konjugation der Pronuclei ab bis zu dem Moment, wo die erste Teilungsfurche auftritt, haben sowohl die sogenannten Sphären (helle Höfe, Centroplasmen) als auch die Polstrahlungen an Größe stets zugenommen. Man muss berücksichtigen, dass dabei die Pol- centren bis zum Stadium der fertigen schlanken Spindel immer weiter auseinandergerückt sind und den Eipolen sich genähert haben, ohne dass eine Verkürzung der sogenannten Polstrahlen stattgefunden hätte, im Gegenteil die Polstrahlen sind stetig länger geworden, im selben Maße als die Centroplasmen angewachsen sind, verlaufen aber nicht mehr gerade, sondern bogenförmig gekrümmt. Nach der ersten Tei- lung bilden sich die Polstrahlungen stetig zurück (Fig.8 u. 9), wobei die Strahlen wieder gerade erscheinen, doch gilt dasselbe vorerst nicht von den Centroplasmen, welche sich in jeder der beiden ersten Furchungszellen verschieden verhalten. Dasjenige der kleineren Zelle wird sehr bald, E77 160 v. Erlanger, Befruchtung und Miilnhgen an Eiern kleiner Nemateden. während die zugehörige Tochterkernanlage noch auf der Wanderung begriffen ist, länglich, dann hantelförmig, während dasjenige der größeren Zelle rundlich bleibt. In scheinbarem Widerspruch mit diesem Verhalten der Centroplasmen steht die Thatsache, dass bei sämtlichen von mir untersuchten Nematodenarten, mit Misnhee von Eh. teres, die größere Zelle sich vor der kleineren teilt. Ehe ich auf die Teilung der zwei ersten Furchungszellen zu sprechen komme, muss ich noch auf einige interessante Abweichungen vom typischen Verlauf, des schon besprochenen Entwicklungsvorganges aufmerksam machen. Die kichtungskörper bilden sich in der Regel in der Nähe des inneren Poles, doch habe ich ausnahmsweise be- obachten können, dass sie in der Nähe des Aequators ausgestoßen wurden, wobei das Ei statt in zwei Abschnitte sich einzuschnüren, wie das die Regel ist, drei Segmente ausbildete, wovon das mittlere den weiblichen Pronucleus enthielt. Das mittlere Segment verschwand wieder während der Konjugation der Pronuelei, während dasjenige am inneren Pole noch einige Zeit bestehen blieb und dann in das größere am äußeren Eipol gelegene hineinfloss. Eine weitere Ab- weichung von der Norm, welche schon von Bütschli (73) und neuer- dings wieder von Ziegler (95) beobachtet wurde, besteht darin, dass die konjugierten Pronuclei sich je nach dem entgegengesetzten Pol der Centralspindel verschieben und dass je ein Centroplasma mit dem benachbartem Pronucleus in engere Verbindung tritt. Beim Verschwinden der Vorkernmembranen gleicht sich die Verschiebung der Vorkerne wieder aus und die weitere Entwicklung verläuft ganz normal. Ich habe bereits hervorgehoben, dass der männliche Pronueleus vor dem weiblichen sich bildet und größer als derselbe ist, jedoch habe ich ausnahmsweise das umgekehrte Verhältnis konstatieren können. End- lich muss ich noch hervorheben, dass die ausgebildete erste Furehungs- spindel, infolge der Strömungen im Eiprotoplasma in den verschieden- sten Richtungen vorübergehend verbogen werden kann, sodass ihre sogenannten Fasern zuweilen wellig verlaufen. Dasselbe gilt von den Polstrahlungen, welche gelegentlich förmliche Wirbel bilden, wie sie Mark bei dem Limax-Ei abgebildet haben. Diese Befunde beweisen, dass die Spindel und ihre sogenannten Fasern, kein starres, resistentes Gebilde repräsentieren. Dieselben Deformationen an der Spindel und an den Polstrahlungen können auch durch äußere Ursachen hervor- gebracht werden. z. B. durch den Druck anliegender Eier oder durch die Bewegungen von Embryonen, welche die Eihülle gesprengt haben und sich zwischen den weniger entwickelten Eiern hindurchschlängeln. Das gesamte Eiplasma, inelusive Spindel und Polstrahlungen, ist stets plastisch und flüssig, doch zeichnet sich die Substanz der Spindel und der Asteren durch größere Zähflüssigkeit aus. [16] Heidelberg, 25. November 1896. (Schluss folgt.) Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVI. Band. 1. März 1897. Nr. 5. Inhalt: Brandt, Ueber die sogenannten Hundemenschen, beziehungsweise über Hyper- trichosis universalis. — Gräfin M. v. Linden, Die Artbildung und Ver- wandtschaft bei den Schmetterlingen. — Frenzel, Zur Planktonmethodik. — Matzdorff, Die deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung. — Henneguy, Lecons sur la cellule, morphologie et reproduction. — Das Tierreich. Ueber die sogenannten Hundemenschen, beziehungsweise über Hypertrichosis universalis. Von Dr. Alexander Brandt, o. Professor der Zoologie in Charkow, In früheren Aufsätzen!), welche der Existenz kausal- prädestinierter Entwieklungsrichtungen das Wort reden, wagte ich es die Viragines oder Mannweiber, vulgo bärtigen Frauen, als prophetische Individuen, als Pioniere auf einem — kommenden Generationen vorgezeichneten Entwicklungspfade zu betrachten. Diese Hypothese veranlasste einen geschätzten Kollegen Prof. J. v. Kennel?) zu einer Widerlegung. welche ich um so weniger unbeantwortet lassen möchte, als unsere Kontroverse mit dem großen, allgemein interessanten Problem der Phylogenie des Menschengeschlechts zusammenhängt. Das Thema von den Viragines bei dieser Gelegenheit nochmals aufnehmend, sah ich mich auch zu Studien über Hypertrichosis im Allgemeinen und über dis 1) Anatomisches und Allgemeines über die sog. Hahnenfedrigkeit und über anderweitige Geschlechtsanomalien bei Vögeln. Zeitschr. f. wiss. Zool., XLVIII, 1889, S.101—190. Ueber Variabilität der Tiere. Wien u. Leipzig. 1892. 8°. In Kommission bei K. F. Köhler (auch in: R. v. Dombrowski’s Allgem. Encyklop. der ges. Forst- u. Jagdwiss.). Ueber Variationsrichtungen im Tierreich. Sammlung gemeinverst. wiss. Vorträge von Virchow u. Holtzendorff, Heft 228, 1895. (Mehrfache sinn- entstellende Druckfehler.) 2) Studien über sexuellen Dimorphismus, Variation und verwandte Erschei- nungen. Schr. d. Naturf.-Ges. bei der Universität Jurjeff-Dorpat, IX, 1896. XVII, 1] 169 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. sogen. Hundemenschen im Besondern veranlasst. Diesen merkwürdigen Subjekten sei der gegenwärtige Artikel gewidmet; während ein zweiter, ihm auf dem Fuße folgender die Viragines besprechen soll. Die meisten der als Hunde-, Löwen-, Bären-, Affen- und Wald- menschen bekannt gewordenen Leutchen bereisten verschiedener Herren Länder um sich als wunderbare Naturspiele zur Schau stellen zu lassen. So kam es, dass Manche von ihnen an mehreren Orten von verschiedenen Beobachtern selbständig beschrieben und mithin nach- träglich in der teratologischen Statistik doppelt und dreifach registriert werden. M. Bartels!), welcher sich der Mühe unterzog, die betreffenden Fälle zu sammeln und kritisch in Tabellenform zusammenzustellen, brachte es bis zum Jahre 1884, für einen Zeitraum von drei Jahr- hunderten nur auf 24 — wie er annimmt — mehr oder weniger sicher konstatierte Nummern. Hierbei ist aber noch zu bemerken, dass der fleißige und verdiente Verfasser die Hypertrichosis universalis im wei- teren Sinne des Wortes nimmt. Bei alleiniger Berücksichtigung der uns hier zunächst interessierenden echten Hundemenschen, dürften aus seinen Verzeichnissen mit mehr oder weniger Zuversicht einige Fälle, so namentlich die Ende der fünfziger Jahre vielbesprochene Julia Pastrana nebst ihrem Söhnchen, zu streichen sein. Dasselbe gilt auch für die nach dem Jahre 1884 neu hinzugekommenen Fälle. Mögen nun auch hin und wieder echte Hundemenschen in der Ver- borgenheit ihr Leben gefristet, resp. ihre schmachvollen Haare stets sorgfältig mit dem Rasiermesser aus dem Gesichte entfernt haben, so wird man immerhin zugeben müssen, dass die Hundemenschen zu den überaus seltenen Monstra gehören. Hierzu kommt noch der Umstand, dass die Anomalie erblich und alle mit ihr behafteten Glieder ein und derselben Famlie auch als ein Vorkommnis, gewissermaßen als einziger Fall betrachtet werden können. Die große Seltenheit der Missbildung mag als genügende Ursache gelten, weshalb Hundemenschen bisher nur innerhalb der indoeuropäischen Rasse bekanut geworden. Die verabscheute Anomalie verschont in gleichem Maße weder das starke, noch das schöne Geschlecht. Keine Volksklasse ist vor ihr gesichert, auch nicht der hohe Adel, wie der zuerst durch v. Sie- bold wiederentdeckte bayerische Freiherr aus dem XVI. Jahrhundert beweist. Dieser Magnat ließ sich in Gemeinschaft mit seiner hübschen jungen Frau und zwei kleinen Sprösslingen in Oel verewigen. Er mochte mit den Jahren gelernt haben gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sein Geschick mit Humor zu tragen; denn sonst hätte er 4) Ueber abnorme Behaarung beim Menschen. Zeitschrift f. Ethnologie, VI, 1876, S. 110-129; XI, 1879, S. 145—194; XII, 1881, S. 213—233. — Ueber den Affenmenschen und Bärenmenschen (Vortrag), ibid. XVI, 1884, S. 106—113. Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. iiber Hypertrichosis universalis. 163 wohl dem Maler kaum gestattet seinen, gleichfalls haarigen, lieben Kleinen eine Eule in die Händehen zu geben, welche doch offenbar die Aehnlichkeit des haarigen Kleeblatts mit diesem unbeliebten Vogel veranschaulichen sollte. War es bloßer Zufall, dass gerade eine Eule und nicht ein Affenpinscher zur Illustrierung der Tierähnlichkeit ge- wählt wurde oder war etwa diese Hunderasse damals — wenigstens im Schlosse des Freiherrn — noch unbekannt? Aus eigener Anschauung kannte ich nur das Wunder „der Kostro- maschen Wälder“, den „Waldmenschen“ Adrian Jewtichjew und sein dreijähriges Söhnchen Fedor. Von einem unternehmenden Im- presario ausfindig gemacht, ließ sich der genannte russische Bauer dazu bereden das Rasiermesser bei Seite zu legen und aus seinem abnormen Haarwuchse und dem seines kleinen Sprösslings Kapital zu schlagen. So erschienen dann die beiden zu Anfang des J. 1873 auf ihrer Kunstreise zunächst in Petersburg. Ich besuchte sie wiederholent- lich, begnügte mich jedoch damit, die an ihnen gemachten Beobach- tungen Darwin brieflich mitzuteilen, dessen liebenswürdiges Ant- wortschreiben, wie erwartet, die phylogenetische Bedeutung der Phä- nomene hervorhebt. Einige Monate später gelangten die russischen Haarmenschen in die bewährten Hände von Virchow und wurden von ihm der Berliner medizinischen Gesellschaft vorgestellt. Das ganze Gesicht des Adrian, die Augenlider und Ohren nicht ausgenommen, war mit zottigen, feinen, seidenweichen, aschblonden Haaren bedeckt, deren Länge einige Centimeter betrug. Ein merk- licher. Unterschied in der Behaarung des Gesichtes nach Regionen war nicht vorhanden; ein Schnurr-, Backen- oder Kinnbart im gewöhnlichen Sinne, d.h. aus stärkeren und längeren Dauerhaaren bestehend, fehlten durchaus. Von der Stirn aus setzte sich die Behaarung ohne merk- liche Grenze auf das Schädeldach fort, woselbst das Haar, so viel mir erinnerlich, nicht viel stärker als im Gesichte gewesen sein mochte. Die Aehnlichkeit des Adrian mit einem Affenpinscher war in den Mo- menten besonders auffällig, wenn ihm die Haare wirr über die Augen herabfielen. Wurden sie, wie es die Portraits zu zeigen pflegen, gleich dem Schleier einer Eule, nach allen Seiten frisiert, so nahm sich unser Subjekt um Vieles menschlicher aus?). Wider Erwarten waren Rumpf und Extremitäten lange nicht so dicht behaart, wie der Kopf es ver- muten ließ, ja recht dicht behaarte Stellen wechselten daselbst mit nur spärlich behaarten ab. Die Beschaffenheit der Haare an Rumpf 1) Die russischen Haarmenschen. Berliner klin. Wochenschrift, X, 1873, Nr. 291, S. 337—339. 2) Adrian findet sich in zahlreichen, namentlich populären Zeitschriften ab- gebildet. Ein besonders gutes, den meisten Lesern wohl leicht zugängliches Portrait ist den Artikel „Hypertrichose“ von G. Behrend in Eulenburg’s Realencyklop. der ges. Heilkunde, Bd. X, beigegeben. Il 6 464 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. und Extremitäten war annähernd dieselbe, wie im Gesicht. Das Söhn- chen, der kleine Fedor, zeigte im Gesicht sowohl, als auch am übrigen Körper, weit spärlichere, und dabei noch hellere, fast farblose Haare. Auf dem Schädeldach waren sie merklich länger als im Gesicht, wovon auch die von Bartels (l. e. 1876, Taf. VII, Fig. 6) reproduzierte Abbildung Zeugnis ablegt. Der Kleine hatte es bis zu seinem dritten Lebensjahre nur auf die vier unteren Schneidezähne gebracht, während der Herr Papa über alle 16 Zähne im Unterkiefer, im Oberkiefer aber nur über einen einzigen, den linken Eckzahn, verfügte. Die mehr oder weniger verkrüppelten Zähne des Alten waren seiner Aussage nach sehr spät und unregelmäßig aufgetreten. Ueber das weitere Schicksal der russischen Haarmenschen erfahren wir, dass Adrian nach seiner Heimkehr dem Trunk erlegen, sein Söhnchen hingegen zu einem schönen Specimen eines Hundemenschen herangewachsen. Bartels!) sah ihn im Jahre 1884, als beinahe 14jährigen Knaben im Castan’schen Panopticum wieder und gab .als- dann von ihm eine sehr genaue Beschreibung, welcher ich einige Daten entnehme. Das dicht behaarte Gesicht erinnerte nunmehr in seiner Totalerscheinung an dasjenige eines Affenpinschers. Die Kopf- haare setzten sich in ununterbrochenem Zuge über die ganze Stirn fort und gingen unvermittelt in die langen Augenbrauen über. Sehr gut entwickelt, von 4cm Länge, ist die bei den echten Hundemenschen so gewöhnliche Haarlocke oberhalb der Nasenwurzel (Affenpinscher- locke). Von den Nasenflügeln entspringen schnurrbartartige 5 cm lange Haarlocken, welche man gleichfalls mit denjenigen der Affenpinscher vergleichen kann. Die Ohrmuschel ist nur auf ihrem oberen Rande von Haaren frei, ganz so, wie es von der Maphoon aus Laos be- richtet wird. Die Hinterseite der Ohrmuschel ist mit kurzen Haaren besetzt; die Vorderseite aber trägt in ihrer ganzen Ausdehnung dicht- stehende lange Haare, welche in der Gegend des äußern Gehörganges eine, auch sonst bei Hundemenschen vorkommende, Quaste von 12cm Länge bilden. Die Kopfhaare sind fein und weich im gewöhnlichen Sinne, während die Haare des Gesichtes als seidenweich bezeichnet werden müssen. Die Kopfhaare sind dunkelbraun, die Haare der Stirn, ebenso wie diejenigen des Nasenrückens und der Nasenflügel sind von hellrotbrauner Farbe, die Haare der Wangen und Öberlippe erscheinen mehr graubraun, die Behaarung des Untergesichtes ist von einem blassen Gelbgrau, mit einem entschiedenen Stich in Helllila. Es nimmt also vom Scheitel her bis zum Kinn die Pigmentierung der Haare stetig an Intensität ab. Am Rumpfe ist sie vollständig verschwunden. Fedor ist am ganzen Körper behaart, allerdings mit Ausnahme der 1) Ueber den Affenmenschen und den Bärenmenschen, Zeitschr. f. Ethnol,, XVI, 1884, S. 106—113. Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. 165 Vorderseite des Halses, der Innenseiten der Arme, der Hände und Füße. Trotz ihrer nicht unbedeutenden Länge und Dichtigkeit ist die Körperbehaarung von einer solchen Feinheit und Pigmentlosigkeit, dass sie sich kaum für das Auge markiert, sondern wie eine leichte Wolke den Körper zu decken scheint. Die große Genauigkeit, mit welcher Bartels die Diehtigkeit und Länge dieser Haare an den einzelnen Gegenden des Rumpfes und der Extremitäten bespricht, lässt mit Zuversicht voraussetzen, dass die von ihm unter anderem erwähnten Haare in der Achselhöhle und auf dem Mons Veneris sich in ihrer Beschaffenheit nicht von den übrigen unterscheiden; denn sonst hätte er es jedenfalls bemerkt. Ueber den Fortschritt in der Bezahnung des Knaben seit seiner ersten wissenschaftlichen Untersuchung im Alter von 3 Jahren belehrt uns Virchow während der Diskussion über den Bartels’schen Vortrag. Zu den vier Schneidezähnen des Unter- kiefers hatten sich noch die beiden Eckzähne des Oberkiefers, freilich in stark verkümmertem Zustande gesellt. Die übrigen Glieder der Hundemenschen-Sippschaft gleichen, ihren Portraits nach zu urteilen, den russischen wie ein Affenpinscher dem andern, gleichviel ob Mann, ob Weib, ob aus Deutschland oder Hinter- indien gebürtig. Die Portraits unterscheiden sich untereinander haupt- sächlich in der Frisur sowohl auf dem Scheitel, als namentlich auch im Umkreis der Augen. Ein thatsächlieher Unterschied liegt zum Teil in der Länge der Haare. Während diese nämlich auf Stirn und Wangen bei Allen eine gleiche, wohl durch ein zeitiges Ausfallen normierte Länge zeigen, finden wir sie an anderen Stellen des Kopfes wohl auch über das gewöhnliche Maß verlängert. So dürften beim Shwe-Maong, dem Stammvater ostasiatischer Hundemenschen, die Scheitelhaare bis an die Schultern gereicht haben und auch beim 3jährigen Fedor Jewtichjew waren sie bedeutend länger als im Ge- sicht. Die Abbildungen der Augsburgerin Barbara Ursler aus dem XVIH. Jahrhundert zeigen die Behaarung am Unterkieferbogen bart- artig bis zum Gürtel herab verlängert. Die auch anderen Exemplaren zukommenden, den äußeren Gehörgängen entquellenden Haarlocken waren bei diesem Frauenzimmer besonders lang. Variabel ist ferner der Ausbildungsgrad der Haare an Rumpf und Extremitäten Auch in der Stärke der Haare, sowie in ihrer Farbe dürften mehr oder weniger merkliche Abweichungen vorkommen. Wie gewisse andere Hautanomalien, die Ichthyosis z. B., so ist auch die uns hier interessierende Form der Ueberbehaarung, wie er- wähnt, erblich. Hierbei ergiebt sich die hoch wichtige Thatsache, dass die Repräsentanten der zweiten und dritten Generation meist nackt, beziehungsweise bloß mit abnorm behaarten Ohren zur Welt kamen und die sich hieran knüpfenden Hoffnungen der Eltern gewöhnlich — wenn auch nicht immer — erst nach wenigen Monaten, in einzelnen 166 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. Fällen jedoch noch viel später, selbst noch nach dem fünften Lebens- jahre vereitelt wurden (Bartels 1879, S. 181). Indem wir uns nunmehr der morphologischen Deutung der be- treffenden Anomalie zuwenden, haben wir zunächst die beiden wesent- lichsten einander gegenüber stehenden Ansichten hervorzuheben, von denen die eine die abnorme Behaarung als postembryonales, die andere als embryonales Flaumhaar deutet. Als Vertreter der erstgenannten Ansicht nenne ich Virchow, Bartels und Waldeyer'). Unter ihnen nimmt Virehow gewisser- maßen einen exceptionellen Standpunkt ein. Er betont nämlich den Umstand, dass bei den russischen Haarmenschen sowohl, als auch bei der Familie aus Ava (Hinterindien), bestehend aus Großvater, Tochter und Enkel, es sich um eine übermäßige Haarbildung handle, die im Wesentlichen auf ein ganz beschränktes Körpergebiet, das Gesicht und die angrenzenden Teile, beschränkt ist. In dies Gebiet fällt auch die mangelhafte Zahnbildung. Vergegenwärtigen wir uns nun, dass bei den „Waldmenschen“ die wesentlichen Veränderungen im Trigeminus- Gebiet liegen, dass die mangelhafte Entwicklung der Kiefer und Zähne in derselben Zone mit der excessiven Entwicklung der Haare an Stirn, Nase, Wangen und Ohren stattgefunden hat, so liegt es gewiss nahe hierfür eine neuristische Erklärung zu suchen. Diesem entgegen erinnert Bartels (1876, S. 126) mit vollem Rechte daran, dass außer dem Trigeminus-Gebiet noch andere Partien des Körpers der Hunde- menschen mehr oder weniger ähnlich behaart sind, abgesehen davon, dass wir keine Einsicht darin haben, warum sich der Einfluss des Trigeminus in dieser absonderlichen Weise äußert. Mag Virchow, trotz dieses Einwandes auch noch später (Zeitschr. f. Ethnol, XVI, 1884, S. 111) auf seine Trigeminustheorie zurückkommen, so erklärt er nichts desto weniger die „Edentatenform“ der Hypertrichose als ganz außerhalb des Rahmens der bekannten Dinge stehend. Die Deutung der Hundemenschen-Behaarung als stehengebliebene, weiter auswachsende Lanugo foetalis drängte sich mir sofort bei der ersten Bekanntschaft mit Adrian Jewtichjew auf und wurde nicht bloß dureh die äußeren Attribute seiner Haare hervorgerufen, sondern fand auch ihre Bestätigung in einem Vergleich ihrer mikroskopischen Textur mit der des Wollhaars eines Fötus, wobei sich eine vollständige Ueberein- stimmung herausstellte. Letztere äußerte sich namentlich in der Mark- losigkeit der Haare, einer negativen Eigentümlichkeit, welche aller- dings kein absolutes Unterscheidungsmerkmal darstellt, da auch die Flaumhaare des Erwachsenen zum größten Teil, ja auch viele mensch- liche Kopfhaare marklos sind (Waldeyer l. e., S.7). Anknüpfend an meine oben erwähnte briefliche Mitteilung deutet Darwin in den 1) Atlas der menschl. u. tier. Haare. Herausgeg. von J. Grimm. Lahr 1884. gr. fol. S. 105. Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis, 167 späteren Auflagen seines Buches!) die Behaarung der Hundemenschen als stehengebliebene Embryonalwolle. Derselben Ansicht huldigen ferner C. Th. v. Siebold?), Eceker?), Unna‘), Der Erstgenannte schließt sich auch der atavistischen Deutung der Anomalie an, indem er zu deren Bekräftigung auf die Arbeit von Eschricht über die menschliche Behaarung hinweist und ferner erwähnt, dass S. Trin- chese bei einem Fötus des Orang-Utan das ganze Gesicht, ebenso wie beim menschlichen Fötus mit regelmäßig geordnetem Wollhaar besetzt gefunden. Man ersieht hieraus, dass v. Siebold unsere affen- ähnlichen Vorfahren vorgeschwebt haben. Zu einer endgiltigen Beweisführung, dass die Behaarung der Hunde- menschen in der That Fötalflaum darstellt, gehörten allerdings ge- nauere embryologische Untersuchungen, wozu ein glücklicher Zufall einem Forscher die abortierte Frucht eines Hundemenschen-Weibes in die Hände spielen müsste. In Ermangelung vielleicht noch nicht so bald zu erwartender direkter Beweise dürfte übrigens auch die Summe des gegenwärtig Bekannten ziemlich sichere Anhaltspunkte geben. Mich anschiekend die Behaarung der Hundemenschen als embryonalen Flaum hinzustellen, möchte ich mich gegen den Verdacht verwahren, als betrachte ich jedes Härchen der Hundemenschen als ein primäres. Ich glaube vielmehr, dass ihre einzelnen Haare ohne den primitiven, embryonalen Charakter einzubüßen, sowohl im embryonalen, als auch im postembryonalen Leben einem allmählichen Wechsel unterliegen können. Ein solcher ist um so mehr vorauszusetzen, als sich hier- durch das Verbleiben der Haare im Gesicht der Hundemenschen un- gefähr in ein und derselben Länge erklären lässt. Das Haar der Hundemenschen als embryonale Lanugo deutend, beziehe ich dies auf jegliche ihrer Haarsorten, gleichviel ob sie uns entgegentritt als eine Art von Bart, als Haar in der Achselhöhle, auf dem Mons Veneris oder selbst als mehr oder weniger in seiner Stärke, Länge und Farbe differenziertes Haupthaar, denn auch das normalen Embryonen zukommende, vor oder nach der Geburt ausfallende Haupt- haar unterscheidet sich von der übrigen Lanugo. So besitzen denn diese Haarmenschen überhaupt kein Sekundär- oder Maturitätshaar, sondern einen allerwärts, mit Ausnahme des Scheitels, seidenweichen, blonden, hellblonden oder farblosen Embryonalflaum. Ueber das normale Wollhaar der Frucht verlautet, dass es am Ende des dritten oder im Anfange des vierten Monats in seinen ersten 4) The descent of man, 2 ed., London 1874, p. 19. 2) Die haarige Familie von Ambras. Arch. f. Anthropol., X, 1878, S. 253. 3) Ein neu aufgefundenes Bildnis eines sogen. Haarmenschen. Archiv f. Anthropol., XI, 1879, S. 176. 4) Die Anatomie der Haut. In Ziemssens Handb. d. speziellen Pathol. u. Therapie. 468 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. Anlagen aufzutreten beginnt, während die frühesten der Härchen meist gegen das Ende des fünften Monats durchbrechen; die volle Ausbildung des Wollhaars aber dem Ende des sechsten oder Anfang des siebenten Monats entspricht. Alsdann erscheint die ganze Frucht in ein zartes, zierliches Pelzchen von etwa 6,8 bis 13,5 mm Länge gehüllt. Es ist ferner bekannt, dass Wollhaare schon während des Fruchtlebens aus- fallen, im Schaafwasser schwimmen, von hier zum Teil in den Ver- dauungskanal gelangen und daher im Kindspech nachweisbar sind. Für unsere Zwecke ist es ziemlich gleichgiltig, ob ein nur geringer Teil oder ob die Gesamtheit der Wollhaare ausfällt, um sofort durch eine oder gar mehrere Generationen neuer ersetzt zu werden, oder ob gar der ganze Körper — wie Kölliker annimmt — noch nach der Geburt mit primären Wollhaar bedeckt ist, welches erst im ersten Lebensjahr durch bleibendes Wollhaar ersetzt wird. Dass Kinder, welche mit reichem Scheitelhaar zur Welt kommen, in der Regel bald zeitweilig kahlköpfig werden, dürfte allgemein bekannt sein. In an- betracht der Thatsache, dass rudimentäre Bildungen besonders variabel zu sein pflegen, scheinen mir die einander vielfach widersprechenden Befunde in Bezug auf den Haarwechsel bei der Frucht und den Neu- geborenen in der Natur der Sache zu liegen. Als für uns besonders wichtig sind folgende festbegründete Daten zu erachten. Das fötale Wollhaar wird zunächst auf den Augenbrauen, der Stirn, im Umkreis des Mundes angelegt und bricht daselbst auch zunächst her- vor. Von hier verbreitete es sich anfangs auf den ganzen übrigen Kopf, das Gesicht mit inbegriffen, und erst später allmählich auf den Rumpf und schließlich auch auf die Extremitäten. Der Kopf, am frühesten, ergiebigsten und längsten behaart, erscheint mithin zur Haarbildung mehr als der übrige Körper disponiert. Die sich hieraus ergebende Analogie des fötalen Wollhaars mit dem Pelz der Hunde- menschen ist, wie man leicht einsieht, eine ganz bedeutende und macht es unter anderem auch unnötig den Einfluss eines etwaig pathologisch affızierten Trigeminus zur Erklärung der vorzugsweisen Behaarung des Kopfes bei den Hundemenschen heranzuziehen. Die Ueberbehaarung dieser Monstra ist eine Hypertrichosis lanuginosa foetalis, eine Hemmungsbildung, welche auf einer Entwieklungsschwäche des Hautsystems beruht. Dasselbe hat nämlich gleichsam keine Kraft die embryonalen Haare auszustoßen und durch neue, an gewissen Stellen sich weiter differenzierende zu ersetzen: die ursprünglichen bleiben be- stehen, ähnlich dem Geweih eines durch Kastration geschwächten Hirsches, und wachsen weiter aus (wozu das Geweih aus naheliegen- den Gründen allerdings nicht befähigt ist). Bei den einzelnen Hunde- menschen sehen wir das Haarkleid je nach Alter und Individualität entweder hauptsächlich im Gesicht oder, in verschiedenem Grade, auch auf Rumpf und Extremitäten verbreitet, also entsprechend den ver- Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. 169 schiedenen Entwieklungsphasen der embryonalen Behaarung ge- hemmt!). Bartels hat gewiss recht, wenn er gegen Ecker geltend macht, dass die Uebereinstimmung der Hundemenschen mit dem Embryo in Bezug auf Anordnung der Haarwirbel und Haarströme kein Kri- terium für die Deutung der abnormen Haare als embryonale Lanugo abgiebt, da ja auch der normale Mensch in Bezug auf Wirbel und Ströme mit dem Embryo übereinstimmt. Dafür kann ich mich aber einem anderen, von Bartels (II p. 159) gleichfalls gegen Ecker erhobenen Einwand keineswegs anschließen. Er meint nämlich, es müsse sich bei einer Hemmungsbildung immer nur um angeborene Abnormitäten bandeln, während ja die Hypertrichosis universalis nicht immer an- geboren, sondern sich auch im Verlauf der sechs ersten Lebensjahre bei unbehaart geborenen Kindern entwickeln kann; die Lanugo foe- talis aber werde zum größten Teil schon vor der Geburt, spätestens aber innerhalb des ersten Lebensjahres abgeworfen. Nur wenige Bio- logen (darunter vermutlich Kennel I. e., S. 4) konnten sich dazu entschließen diesen Satz zu unterschreiben. Den Meisten gilt der ge- samte L=benspfad eines Individuums von der Eizelle bis zum natür- lichen Tode als kontinuirliche Kette kausal von einander abhängender morphologischer und physiologischer Veränderungen. Jegliche Ein- teilung des Lebens in Perioden ist künstlich und kann daher nur einen bedingungsweisen Wert besitzen; so die seit früher beliebte Dreiteilung in Evolution, Akme und Involution; so auch die Zweiteilung in eine embryonale und postembryonale Periode. Man denke nur daran in einem wie ungleichen Reifezustand die verschiedenen Repräsentauten selbst einer und derselben Klasse zur Welt kommen. Sogar in der Klasse der Säugetiere haben wir ovipare, embryopare (haarlos die Ge- bärmutter verlassende) und vivipare Repräsentanten. Von den Mam- malia vivipara kommen manche hilflos, mit noch verklebten Augen- lidern und Gehörgängen, nackt, mit schwachen Extremitäten zur Welt, ja das menschliche Kind kann zu spät und zu früh gegen die mittlere Norm, also verschiedengradig ausgebildet geboren werden, ohne dass dadurch seine Lebensfähigkeit und Weiterentwicklung wesentlich alte- riert würden. Nimmt die Entwieklung das ganze Leben hindurch ihren kontinuirlichen Fortgang, so kann sie auch zu jedem Zeitpunkt partiell gehemmt werden und zu Hemmungsbildungen Veranlassung geben. Die embryonale und postembryonale Entwicklung resp. Ausbil- dung der Organe im Einzelnen durchgehend, überzeugen wir uns leicht davon, dass sie sich keineswegs mit der Genauigkeit eines Chrono- meters abspielt, sondern vielmehr in ihrem Tempo individuellen 4) Wenn beim 14jährigen Fedor Jewtichjew Fuß- und Handrücken haarlos waren, so entspricht dies der Thatsache, dass hier beim Embryo die Behaarung am spätesten (im 7. Monate) auftritt. 170 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. Schwankungen unterworfen ist. Je weiter wir ins embryologische Detail eindringen werden, desto mehr dürften sich deutlich nachweisbare in- dividuelle Variationen im Entwieklungstempo häufen, namentlich wenn wir noch gewisse pathologische und subpathologische Momente, wie eine lokal oder universal erhöhte oder abgeschwächte Ernährung z. B., mit in Anschlag bringen. Auf ähnliche subpathologische Weise können bald früher, bald später unter anderem auch Bildungs- hemmungen und Hemmnngsbildungen, wie die Ueberbehaarung der Hundemenschen‘, entstehen. Es ist nicht einzusehen, warum ein ge- wisser trophischer Schwächezustand der Haut die ersten Anlagen des fötalen Wollhaares und den Durchbruch derselben nicht für Wochen, Monate, ja für ganze Jahre hintan halten sollte, wofür die Zahnlehre so hübsche Parallelen liefert. So bleibt dann, unabhängig vom Zeit- punkt des Auftretens der Hundemenschen-Ueberbehaarung, der oben für sie vorgeschlagene Terminus Hypertrichosis lanuginosa foetalis rechtskräftig bestehen. Als Hemmungsbildung kommt der betreffenden Form von Ueber- behaarung eine phylogenetische Bedeutung zu. Nach dem bisher Mit- geteilten könnte man vielleicht mit früheren Autoren geneigt sein an- zunehmen, die Hundemenschen wiesen uns auf die näheren, jüngeren, also anthropoiden Vorfahren des Menschengeschlechts hin. Dieser Auffassung sehe ich mich genötigt entgegenzutreten. Um sich davon zu überzeugen, dass hier in der That die Sachen anders liegen, als dies sonst angenommen wird, genügt es, sich über das Auftreten der Haare beim Embryo der vierfüssigen Säugetiere zu orientierent). Wir ersehen daraus, dass bei den verschiedenartigsten bisher darauf untersuchten Säugetieren die fötalen Haare sich wie beim Menschen zunächst im Gesicht, im Umkreis des Mundes, der Augen, auf der Stirn anlegen und durchbrechen, so dass auch hier zunächst der Kopf sein erstes, provisorisches fötales Haarkleid erhält, welches später sich auch auf den übrigen Körper ausdehnt. Man unter- scheidet auch beim Säugetier als Milchhaare die wollähnliche, meist anders als die sie später deplaeierende gefärbte Haardecke der Neu- geborenen. Hieraus dürfte der Schluss gestattet sein, dass unser eigenes embryonales Wollhaar keineswegs auf den Pelz anthropoider Voreltern, ja nicht einmal auf den bleibenden der recenten Säugetiere überhaupt, sondern auf den der Ursäuger, Promammalien zurückgeht, welche — so können wir es uns etwa vorstellen — ihren Haarwuchs zunächst zum Schutz der Sinnesorgane und des Gehirns erhielten. 4) Ich benutzte namentlich: Reissner E. Beiträge zur Kenntniss der Haare des Menschen und der Säugethiere. Breslau 1854. 8. Götte A., Zur Morphologie der Haare. Arch. f. mikr. Anat., IV, 1868. Feiertag J., Ueber die Bildung der Haare. Dorpat 1875. Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. 171 Hiermit in Einklang stände dann ein Rückschluss auf die Hunde- menschen als Träger einer wenn auch überbildeten, so doch phylo- genetisch überaus alten, vonden Promammalien überkommenenBehaarung. Wenn wir, wie dies weiter oben geschah, als ätiologisches Mo- ment der Hypertrichosis lanuginosa embryonalis oder — wie wir nun- mehr als Synonynı hinzufügen können — promammalica einen for- mativen Schwächezustand der Haut annehmen, so gewinnen wir zu- nächst ein Beispiel mehr in der Reihe pathologischer Variationen !). Ferner bahnen wir uns den Weg zu einer Erklärung der so befrem- dend scheinenden mangelhaften Zahnbildung der Hundemenschen. Die- selbe gilt immer noch für nicht genügend aufgeklärt und fesselt in hohem Grade das Interesse der Fachmänner, wie aus folgendem her- vorgeht. So bezeichnet Virchow die bei geographisch weit aus- einanderliegenden Fällen zu beobachtende, und daher nicht etwa auf einem zufälligen Zusammentreffen beruhende Kombination von Hyper- trichose mit Zahnlosigkeit als Problem von höchstem Interesse, zu dessen Lösung er, wie wir sahen, zum Einfluss des Trigeminus seine Zuflucht nahm. Bartels meint, es sei schwer einzusehen, wie diese beiden Anomalien mit einander in Zusammenhang zu bringen sind. Eine Zeit lang hegte er die Hoffnung, die Zahnformeln der Haar- menschen auf solche von Säugetieren mit unvollständigem Gebiss zu- rückzuführen, hat aber diese schöne Hoffnung zu Grabe tragen müssen (1876, S. 124). In der That, wie aus seiner tabellarischen Zusammen- stellung ersichtlich, kann von einer bestimmten Zahnformel der Hunde- menschen gar keine Rede sein, da bei ihnen bald diese, bald jene oberen oder unteren, rechten oder linken Zähne vorhanden sind; wobei vielleicht eine größere Konstanz nur allenfalls den ‘unteren Schneide- zähnen zukommen mag. Unser speziellster Kenner der Hypertrichose kommt ferner auf die Korrelation zwischen Haaren und Zähnen zu sprechen, von welcher schon Darwin(Variieren derTiere und Pflanzen. Gesamm. Werke IV, S. 351) berichtet, welche sich aber bald in einem gleichen, bald in einem umgekehrten Ausbildungsgrade beiderlei Ge- bilde äußert. Bei dieser Gelegenheit erinnert Bartels unter anderem daran, dass Yarrell (Proceed. Zool. Soc.1833, S. 113) bei haarlosen Hunderassen eine mangelhafte Entwicklung der Zähne nachgewiesen. Was er ferner über eine graduelle Verschiedenheit in der Behaarung südafrikanischer Elephantenrassen in Erfahrung gebracht, welche Ver- schiedenheit in geradem Verhältnis zur Ausbildung der Stoßzähne stehen soll, so scheint es mir, wenn auch etwas vage, so doch jeden- falls beachtenswert. Bartels selbst äußert hierbei: „so interessant auch alle diese Fatta sind, so führen sie uns doch leider dem Ver- ständnis der Hypertrichosis universalis bis jetzt noch nicht näher. 1) Ueber die Stellung derselben verweise ich auf meine Klassifikation der Variationen im oben zitierten Schriftchen „Ueber Variabilität“. 472 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. Trotzdem verdienen wohl diese Zustände als Bausteine künftiger Forschung zu allgemeiner Kenntnis gebracht zu werden“. Die von mir oben versuchte ätiologische Deutung der Hunde- menschen scheint mit einem Schlage deren mangelhafte Zahnbildung dem Verständnis zugänglich zu machen, und zwar sobald wir gleich- zeitig in Erwägung ziehen, dass die Schleimhaut der Mundbucht ge- netisch eine Fortsetzung des äußeren Integumentes darstellt. Haare und Zähne verdanken in gleichem Maße ihren epithelialen Anteil dem Eetoderm, ihren bindegewebigen dem parietalen Blatt des Mesoderms. Ihre gegenseitige Verwandtschaft lässt sich noch weiter anatomisch und entwickelungsgeschiehtlich verteidigen. Der ganze epitheliale Anteil des Haares (Knopf, Wurzel und Schaft einerseits und äußere Wurzel- scheide andererseits) dürfte nämlich dem Schmelzorgan mit seinen De- rivaten entsprechen !); während vom bindegewebigen Anteil des Haares die Papille sieh der Pulpa dentis nebst ihrer zu Elfenbein ver- knöchernden peripheren Schicht, der Haarbalg hingegen dem Zahn- säckchen nebst zugehörigem Cementsockel als homolog betrachten lässt; so dass ein Haar gewissermaßen einen nicht versteinernden und nicht verknöchernden Zahn mit unbegrenztem Wachstum darstellt. Eine solche Homologisierung der Haare und Zähne scheint mir näher zu liegen als die von Maurer?) neuerdings gemachte Annahme, es stellten die Nervenhügel der Ichthyopsiden die Urform der Haare dar, ein Einwand, welcher eine gleichzeitige, entferntere Homologie der Ner- venhügel mit den Haaren nicht ausschließt. Mögen nun Haare und Zähne homologe Gebilde darstellen oder nicht, gleichviel, sie entsprossen ein und demselben Mutterboden, und zwar zunächst dem äußeren Integu- ment (Hase). Von hier aus gelangten die Zähne in die Mundbucht, in welcher sie sich schließlich auf die Kieferbögen beschränkten. Wenn die Haare ihrerseits nur ganz ausnahmsweise sich in die Mundhöhle fortsetzen (Hase), so mag dies in ihrem späten phylogenetischen Auf- treten ihren Grund haben. Ein und demselben Boden entsprossen, missen Haare und Zähne leicht durch eine Störung in der Entwick- lung- und Lebensenergie desselben alteriert werden können. Mag die Ueberbehaarung der Hundemenschen noch so lang und dicht erscheinen, so stellt sie im Grunde genommen doch nur eine Pseudohypertrichose oderHypotrichose?) dar. Nichts natürlicher, als dass ein Organ, welches 1) Man vergegenwärtige sich einen Zahn während seiner ersten Entwicklung, als offene, kanalartige Einstülpung, von welcher sich noch keiu Schmelz- organ abschnürt. An einer solchen offenen Zahnanlage tritt die Homologie der unteren Teile der äußeren Wurzelscheide mit dem Schmelzober- häutchen und die des Schmelzes mit dem übrigen epithelialen Anteil des Haares deutlicher hervor. 2) Die Epidermis und ihre Abkömmlinge. Leipzig 1895. 3) Ich beabsichtige keineswegs hiermit diesen Ausdruck als etwaigen Terminus zur Bezeichnung der in Rede stehenden Anomalie in Vorschlag: zu Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. 173 nicht die Kraft hat das embryonale Wollhaar auszustoßen und durch eine neue, stärkere Generation von Haaren zu ersetzen, auch die ur- sprünglich wohl normal angelegten Zähne nur teilweise, und dabei spät und im mehr oder weniger verkrüppelten Zustande, auswachsen, resp. durchbrechen lässt. Individuen mit stehen gebliebenem Promam- malhaar und nackte Hunde'!), welche dieses Haar zwar ausgestoßen, aber nicht durch neues zu ersetzen im Stande waren, gehören, trotz ihres so verschiedenen Habitus, in ein und dieselbe Kategorie, sind von einander nur graduell verschieden; daher auch das diesen und jenen zukommende mangelhaft entwickelte Gebiss. Hier wie dort bewahrt die Korrelation zwischen Haaren und Zähnen ihr gerades Verhältnis. Bei dieser Gelegenheit erscheint es recht verführerisch, einen Aus- blick auf die Säugetiere mit reduziertem Pelz und reduzierten Zähnen zu thun. Die nackten, nur mit embryonalen Tasthaaren versehenen und dabei monophyodonten Wale mit ihren vereinfachten (Denticeti) oder nur in der Fötalperiode vorhandenen Zähnen (Mysticeti) können hierzu besonders ermutigen. Auch die Sirenien, namentlich die nur in der ersten Jugend bezahnte Nordische Seekuh (Ahytina Stelleri), möchten sich hier vordrängen. Nichtsdestoweniger drohen sie uns auf einen schlüpfrigen Boden zu locken, auf dem uns beson- ders warnend die Edentaten entgegentreten, deren monophyodontes, zum Teil obsoletes Gebiss bei den einen Formen mit einer nackten, bei den andern mit einer dicht bepelzten Hautdecke kombiniert ist. Hier wären zum mindesten nähere Angaben über die Entwickelung und den Wechsel der Haare vonnöten. Auf einen Umstand möchte ich die geschätzten Kollegen, insbe- sondere die auf dem Gebiete der Tierzucht erfahrenen aufmerksam machen. Ist nämlich, meiner Vermutung gemäß, das Haar der Hunde- menschen Promammalhaar, so müssen entsprechende, am wollähn- liehen Pelz und mangelhaftem Gebiss erkennbare Monstra auch bei Tieren — gleichfalls als große Seltenheit — vorkommen. Allerdings lässt sich schon a priori voraussetzen, dass solche Monstra bei den ja ohnehin in einem Haarkleid einhergehenden Vierfüßlern nur allzuleicht übersehen werden könnten. Ich nahm mir die Freiheit, einen der Tiermedizin so nahe stehenden werten Kollegen Prof. M. Sussdorf bringen, und dies um so weniger, als er bereits von Bonnet vergeben wurde, welcher ihn auf eine angeborene Atrichie mit nicht zum Durchbruch gekommenen Haaranlagen (bei einer Ziege) anwendet. (Ueber angeborene Anomalien der Behaarung. Münchener Korr.-Bl. f. Anthropol., XXI, Nr.8, S.68; von mir nach einem Referat zitiert.) Will man übrigens neue Termini erfinden, so könnte man auch die Bezeichnung Trichostasis primitiva s. promammalica in Vorschlag bringen. 1) Gelegentlich "kommen auch haarlose Menschen vor. N. Mikluchor Maclay, Haarlose Australier. Zeitschr. f. Ethnol., XIII, 1881, S. (143), Taf. V. Soeben berichtet mir einer von meinen medizinischen Zuhörern über einen ihm wohlbekannten russischen Bauern mit absoluter angeborener Atrichie, 474 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. in dieser Angelegenheit in Kontribution zu setzen. In liebenswürdiger Weise teilt mir derselbe mit, er hätte die ihnen zugänglichen deutschen Veterinärlitteratur - Verzeichnisse und die vorliegende einschlägige Litteratur auf das Vorkommen der Hypertrichose durchgesehen. „Ich kenne — so fährt er fort — 1. keine Arbeit, welche sich mit der Hy- pertrichose der Tiere beschäftigt; 2. finde ich nirgends eine solche; 3. enthalten zwar einzelne Arbeiten über Hypotrichose oder Alo- pecie, so z. B. Bonnet’s Hypotrichosis congenita universalis in den „Anatomischen Heften“ von Merkel und Bonnet 1892 gelegentlich den Namen Hypertrichosis — aber ein Fall derselben ist nirgends beschrieben oder nur notiert. Ich vermute deshalb, dass, wie sie selbst auch glauben, das Vorkommen der H. entweder ein sehr seltenes bei Tieren ist oder, dass sie gern übersehen wird“. — All diesem möcht ich noch fernere Erwägungen hinzufügen. Je reicher die Behaarung einer Tierart, um so weniger dürfte die Letztere zu einer atavistischen Anomalie so alten Datums geneigt sein. Da die Nacktheit der Haut von einer abgeschwächten formativen Thätigkeit zeugt, so ist eine Hypertrichosis lanuginosa foetalis, resp. Persistenz der Milchhaare, am ehesten bei normal nackten Säugetieren zu erwarten. Unter diesen wären, als am leichtesten zugänglich, die entsprechenden Haustierrassen zu berücksichtigen. Eine mangelhafte Ausbildung des Zahnsystems diente hierbei als Kriterium. Da nun aber ein Tier mit mangelhaften Gebiss dem Hungertode geweiht ist, es sei denn, dass der Mensch es künst- lich ernährt, so verstehe sich ein Uebersehen der Hypertrichosis lanu- ginosa promammalica beim Vierfüßler fast von selbst. Beim Hunde dürfte sie noch am ehesten Gelegenheit zu ihrer Ausbildung finden. Je näher eine zurückgelegte phyletische Entwicklungsetappe, desto häufiger pflegt sie atavistisch aufzutreten. Zählen die bisher beschrie- benen Hundemenschen als Fälle einer Hypertrichosis promammalica, nur nach wenigen Individuen, so müssen die Repräsentanten einer H. mammalica, resp. anthropoidea, nach Tausenden zählen. In diesem, und nur in diesem Sinne, d. h. von den Hundemenschen absehend, unterschreibe ich gern folgenden Passus von Waldeyer (8. 106): „ich bin überzeugt, dass man aus den Männern der europäischen, stärker behaarten Völkerschaften leicht eine Anzahl würde auswählen können, die in ihrer Behaarung eine fortlaufende Reihe vom gewöhn- lichen Verhalten bis zum ausgesprochenen Haarmenschen bilden wür- den, auch die Gesichtsbehaarung nicht ausgenommen“. Auf die Frage Waldeyer’s, weshalb wir Alle, die wir doch im Grunde vollständig behaarte Säugetiere sind, es für den größten Teil des Körpers nicht zu einer stark entwickelten Behaarung bringen, mit andern Worten, weshalb wir nicht alle Haarmenschen sind, möchte ich erwidern, dass wir es zumeist in mehr oder weniger ausgesprochenem Grade in der That auch sind, besonders wir Männer, wenn uns — wie dies Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. 175 bei Frauen seltener — im späteren Alter ein stärkerer Haarwuchs an Rumpf und Extremitäten beschieden wird. Wenn wir diese thero- morphe Zugabe so spät erhalten, so ist dies eben nur ein Zeichen einer beim Genus Homo abgeschwächten und verlangsamten produk- tiven Hautthätigkeit. Diese tritt in ihre Rechte erst nachdem sämt- liche Ausgaben für Wachstum und Ausbildung der wesentlichen Or- gane bestritten. In der Speziallitteratur finden sich massenhafte Fälle einer pelz- artigen Behaarung des Menschen registriert. Von diesen gehören über- aus viele in die uns hier nicht direkt angehende Kategorie der haa- rigen Muttermale (Naevi pilosi s. hirsuti), deren pathologische Natur sich in einer abnormen Verdiekung und stärkeren Vascularisiernng der Haut ausdrückt. Andere Fälle zeigen meist kleine und vereinzelte, bis- weilen jedoch sehr zahlreiche oder ausgebreitete, stets begrenzte über- behaarte Stellen und bedingen die sogen Hypertrichosis eircumscripta, welche die normale Beschaffenheit der Haut und den normalen Haar- strich bewahren. Von dieser Form nur graduell verschieden erscheint die Hypertrichosis universalis mit steiferem, verschiedenartig, nament- lich auch dunkel pigmentiertem Haare, eine Form, welche bisher nicht genügend streng von der Kategorie der Hundemenschen getrennt wurde. Ihr schließen sich mehr oder weniger ansgesprochen manche besonders haarige Menschenstämme, sowie auch gewisse, als Phäno- mene berühmte Subjekte an. Unter den letzteren nenne ich den vor nicht langem unter dem wahrscheinlich erdichteten NamenRam-a-Samy zur Schau gestellten, vermutlich der europäischen Rasse angehörigen blödsinnigen Mann (Zeitschr. f. Ethnol. XXVI. 1894, S. [434]), ferner die Siamesin Krao, die Deutsche LinaNeumann und die so viel ge- nannte MexikanerinJuliaPastrana nebst ihrem neugebornen Söhnchen. Zunächst über die Krao!), wie sie uns Bartels als etwa Sjäh- riges Kind vorführt. „Ihre Haare am Kopfe sowohl, als auch im Ge- sicht und am Körper, sind von dunkel-schwarzer Farbe und von derber Konsistenz. Die Haare der Stirn sind geschoren. Von den lateralen Partien der Wangen hängen lange Haarquasten herunter von ungefähr 12cm Länge. Das übrige Gesicht ist vollständig mit kurzen, nicht sehr dicht stehenden Haaren besetzt, welche ebenso, wie die Haare über den obersten Brustwirbeln und an den Armen und den Unterschenkeln, dem Körper glatt aufliegen.“ Dieser Beschreibung fügt Virchow hinzu: „die Mundbildung tritt stärker vor wie bei der Pastrana, was nicht blos durch die vollenLippen, sondern noch mehr durch einen ausgemachten alveolaren Prognathismus bedingt wird; die Zähne des-Oberkiefers sind stark abgenutzt aber zahlreich und so unregelmäßig gedrängt, dass sie den 4) Bartels Il. c. Ueber den Affenmenschen ete. Ranke J., Der Mensch, IH. Aufl., Leipzig 1894, Bd, II, S. 378, mit 2 Abb, 476 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. Eindruck einer doppelten Zahnreihe machen. Wenn ihr Gesicht trotzdem stark behaart ist, so geht daraus hervor, dass Zahn- losigkeit und Hypertrichose in keinem notwendigen Zusammenhange zu einander stehen“. Von pithekoiden somatischen oder intellektuellen Merkmalen bot Krao keine Spur; daher eitel Humbug sie als bisher vermißtes Bindeglied zwischen Mensch und Affen hinzustellen. Neuere Beschreibungen und Abbildungen der unterdessen zur Jungfrau heran- gewachsenen Siamesin finden sich mehrfach in populären Zeitschriften. Sie zeugen von einem üppigen, bis unter die Kniee reichendem Haupt- haar und von einem ganz kurzen, glatt anliegenden Bartwuchs, welcher die Unterkieferregion, das Kinn, die Oberlippe und die untere Partie der Wangen bis etwa zum unteren Rand der Jochbeine bedeckt. Eine Altersgenossin der Krao, die kleine Lina Neumann!) aus der leipziger Gegend, wetteifert mit ihr in einer säugetierähn- lichen, im besonderen vielleicht pitheeanthropoiden Behaarung, wobei aber von sonstigen pithecoiden Merkmalen gleichfalls nicht im entfern- testen die Rede sein kann. Die abnorme Behaarung der Neumann war be- reits in den ersten Wochen nach der Geburt deutlicher hervorgetreten. Beim sechsjährigen Kinde erreichte sie eineLänge, je nach den Körper- regionen, von 1 bis 3 cm. Die Haare werden als braun, gerade und in verschiedenemGrade weich, doch nicht seidenweich ge- schildert. Indem Fürst die Neumann den echten Haarmenschen an- reiht, macht er als Ausnahmestellung auf die auch bei der Pastrana in ähnlicher Weise beobachtete, durch Kieferhypertrophie bedingte wulstige Mundform aufmerksam. Die Milchzähne sind vollzählig und bloß durch Vergrößerung des Alveolarbogens, sowie durch das da- zwischen gewucherte Zahnfleisch auseinander gedrängt. Mit Ver- gnügen reproduziere ich die Schlussworte der Mitteilung. „Da der Kontakt der ersten Elemente der Hautgebilde mit Teilen des mitt- leren Keimblattes in der ersten embryonalen Anlage ein sehr inniger ist, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn irgend ein Reiz beide gleichzeitig trifft und zu erhöhter Wachstumsenergie anregt. Ist aber gleichzeitig an irgend welcher Stelle überschüssiges Bildungsmaterial vorhanden, so sind teils die Ursache, teils das Material einer Hyper- plasie gegeben. Die reinen Zahndefekte bei Hypertrichose sind Er- scheinungen, die sich in einer und derselben Keimschicht, dem Haut- blatt, abspielen und die wohl am zwanglosesten dadurch zu erklären sind, dass man sich die Verkümmerung der Zahnanlagen durch über- mäßige Wachstumsenergie und Anlage der Haargebilde entstanden denkt“. Wir können in diesem Passus den Versuch zu einer embryo- 4) Fürst L., Hypertrichosis universalis mit Hypertrophie der Kiefer- Alveolarränder. Archiv f. pathol. Anat., Bd. 96, 1884, S. 357—363, Taf. XIV, Fig.2—4 und XV, Fig. 1. Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. 177 logischen Erklärung des Zusammenhangs der Zahnanomalien mit der Hypertrichose erblicken. Die namentlich Ende der fünfziger Jahre so viel genannte Mexi- canerin, vermutlich Mulattin, Julia Pastrana, schließt sich wohl am besten der Krao und Neumann an. Wenn ich sie bisher (l.c. Hahnen- fedrigkeit und Variationsrichtungen) ohne weiteres als Beispiel einer echten Virago anführte, so muss ich dies jetzt zurücknehmen oder wenigstens modifizieren, denn außer dem, wie es scheint ziemlich spär- lichen, etwa nur fingerlangen Kinn- und Backenbart, bei schwach ent- wickeltem Schnurrbart und ungewöhnlich langen und reichlichen Haaren am Oberkörper besaß das Frauenzimmer eine dicht behaarte Stirn, sowie vereinzelte Haare auf dem übrigen Gesicht. Als einfache Virago hätte sie auch schwerlich einen Knaben zur Welt gebracht, welcher, wie die Mama eine Stirn mit steifen, pechschwarzen Haaren und ein dem ihrigen ähnlich, wenn auch weniger reichlich behaartes Gesicht besitzt!). Die behaarte Stirn und der kurze Kieferbehang der Pa- strana haben etwas Affenähnliches ; so erinnert namentlich die behaarte Stirn an den jungen Gorilla und Schimpanese. Einige Skrupel verur- sachte das Gebiss der Pastrana. Laut Darwin (Variieren ete.) soll der londoner Zahnarzt Dr. Purland in beiden Kiefern je eine un- regelmäßige doppelte Reihe von Zähnen gefunden und in Gips abge- gossen haben; Bartels (I, S. 126) hingegen hält sich an einen Artikel der „Gartenlaube“ (1857), woselbst es heißt, es fehlen der Pastrana nur die Eckzähne und die Schneidezähne im Oberkiefer, während die Backenzähne und sämtliche Zähne des Unterkiefers normal sind. Mein Vater J. F. Brandt?), welcher Gelegenheit hatte im anatomischen Kabinet der Moskauer Universität den frischen, soeben balsamierten (nicht ausgestopften — wie Bartels meint) Leichnam der Pastrana zu besichtigen, erwähnt bloß den Verlust der Vorderzähne, welcher gleich den krankhaften Auswüchsen der Innenfläche der Lippen, des Zahnfleisches und der Zunge ?), „wie man in Moskau ermittelte, von einem früheren, heftigen skorbutischen Leiden herrührten“. Eine an- dere, später in Moskau lautgewordene Diagnose weist auf eine als 1) Ueber die Behaarung des 36 Stunden alten Knäbleins vergleiche man Bartels (II, S.180). 2) Erster Bericht d. südruss. zoolog.-paläont. Exped. Bull. de l’Acad. de St. Pet., II, 1860, p. 501. 3) Auf einer von N. Manssurow veröffentlichten photographischen Auf- nahme der Leiche quillt die Zunge förmlich zwischen den gedunsenen Lippen hervor (vielleicht zum Teil durch eine forcierte Injektion der Gefäße). Mans- surow bringt auch die Photographie des Söhnchens der Pastrana. Die von ihm ferner veröffentlichte Photographie einer mit Polytrichiasis behafteten lebenden Dame, welche gleichfalls die Unterschrift „Julia Pastrana“ trägt, hat mit dieser keine Aehnlichkeit (N. Manssurow, Klinitscheski sbornik. Mos- kau, I, 1887 u. IV 1889). XVII. 12 1478 Brandt, Ueber sog. Hundemenschen, bezw. tiber Hypertrichosis universalis. Epulis bekannte schwammige Bindegewebswucherung der Mundteile hin. E. Magitot!), welcher Gelegenheit hatte, in London die Kiefer- abgüsse der Pastrana zu sehen, erklärt Darwin als ungenau be- richtet; eine doppelte Zahnreihe hätte nicht bestanden, vielmehr sei die Zahl der Zähne keine über-, sondern eine unternormale gewesen. Sollte irgend eines der Subjekte, welche die marktschreiende Re- klame zum bisher fehlenden Bindeglied, ja gar zum Bastard zwischen Mensch und Affen gestempelt, thatsächlich atavistische, pithecoide Merkmale an sich tragen, so dürfte dies noch am ehesten die Pastrana sein. Die niedrige, fliehende Stirn, das zurückgetretene Kinn möchten zu einer Untersuchung ihres Schädels herausfordern. Noch vor Kurzem bildete die Mumie der Pastrana eine Zierde des Präuscher’schen Mu- seums (Bartels) und wird sich wohl unschwer auskundschaften lassen. Bei den heutigen Konservierungsflüssigkeiten könnte der Kopf der Mumie ganz gefahrlos aufgeweicht, der Schädel herausgenommen und durch einen künstlichen ersetzt werden. Besitzer und Wissenschaft würden dadurch um ein interessantes Objekt reicher. Wenn man in Erwägung zieht, dass Hemmungsbildungen beim Menschen phyletisch überaus alten Datums sein können, so z. B. gelegentlich das Herz, ja das Hirn mehr oder weniger den Typus einer niederen Wirbeltier- klasse an sich trägt, und wenn man weiter den Variationsursachen keine Grenzen vorschreibt und auch den durch pathologische Prozesse (intrauterine Entzündungen) hervorgerufenen Anomalieen in den ent- sprechenden Fällen eine atavistische Bedeutung gerechterweise vindi- ziert, so wird man zugeben, dass auch Merkmale des Pithecantropus gelegentlich wieder auftauchen könnten. Wir brauchen dabei nicht gerade an die Vogt’schen Affenmenschen zu denken. Wenn ich mich hier bei der Pastrana über die Gebühr lange aufgehalten, so geschah es, weil ihre Deutung mir noch in diesem Augenblick Kopfzerbrechen verursacht. Im gegenwärtigen Aufsatz versuchte ich es, die den Hunde- menschen zukommende Hypertrichose als ganz bestimmte, isoliert da- stehende Form hinzustellen. Hieraus darf übrigens nicht gefolgert werden, als hielte ich Uebergänge von dieser Form zu der normalen Behaarung und zu einer affenähnlichen Ueberbehaarung in jeglichem Sinne für unmöglich. Im Gegenteil, ich lasse solche Übergänge gelten, allerdings jedoch nur in dem Sinne von Mischformen. Hierher ge- hören zunächst die Fälle eines lokalen oder allgemeinen übermäßig langen Stehenbleibens und Auswachsens des fötalen Flaumhaares beim Neugeborenen. Es scheint dies kein besonders seltenes Vorkommnis zu sein und hatte ich selbst Gelegenheit, einen Knaben zu beobachten, dessen rechte Ohrmuschel bei der Geburt mit abnorm verlängertem 1) Nachr. d. k. Gesellsch. von Freunden der Naturforschung, Bd. XLIX, Lief. I, S.118, Moskau 1886 (Russisch). Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 179 blondem Flaumhaar (bei schwärzlichem Scheitelhaar) besetzt war: im Laufe von einigen Wochen fielen die Haare allmählich aus. (Am übrigen Körper mußte das embryonale Flaumhaar schon vor der Ge- burt gewechselt worden sein.) In der ehemals so berühmten, von Peter dem Großen begründeten Sammlung menschlicher Missge- burten befindet sich ein neugeborenes Kind, welches am ganzen Körper langes, feines Wollhaar trägt, das als größte Länge, — wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht — etwa 3 em, im Gesicht erreicht. Hätte das Kind, wenn es amı Leben geblieben, seine Wollhaare über kurz oder lang verloren oder wäre es mit der Zeit zu einem richtigen Hundemenschen herangewachsen ? Wie dem auch sei, man wird in einem temporär sein fötales Wollhaar behaltenden Individuum einen Uebergang zu einem Hundemenschen anerkennen dürfen. Ferner wird es bei normal sowohl als auch tierähnlich behaarten Menschen vor- kommen können, daß einzelne mit einem geschwächten formativen Vermögen ausgestattete Hautabschnitte zeitlebens nur embryonales Wollhaar erzeugen. Desgleichen wären auch bei Hundemenschen Hautinseln mit normaler oder pithecoider Haarproduktion denkbar. In diesem Sinne halte auch ich partielle Uebergänge von den normalen zu den Hundemenschen und von diesen zu den übrigen Haarmenschen et vice versa für möglich. Nach bloßen Beschreibungen wage ich übrigens nicht, scheinbar hierher gehörige Fälle von Uebergängen der einen Form der Hypertrichose in die andere aus der Litteratur nam- haft zu machen. Durch derartige Mischformen würde der Gegensatz zwischen beiden atavistischen Formen der Hypertrichose, der älteren und der jüngeren, von welchen die erstere auf einer unter-, die letz- tere auf einer übernormalen formativen Hautthätigkeit beruht, na- türlich nicht aufgehoben. [21] Die Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. Nach 6. H. Th. Eimer. Von Dr. Gräfin M. von Linden, Z. Z. stellvertretender Assistent am zoologischen Institut der Universität Halle, Im Gegensatz zu der verbreiteten, auf die Darwin’schen Lehren sich stützenden Anschauung, dass der Kampf ums Dasein unter den Lebewesen zu einer natürlichen Zuchtwahl führe, welche die einer Art vorteilhaften Abänderungen in das Leben ruft, stehen die Ansichten über Artbildung, welche Eimer auf Grund umfassender Studien nament- lich an der Tierzeichnung gewonnen und schon in einer im Jahre 1885 auf der 28. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Straßburg!) gemächten Mitteilung kurz erwähnt, im Jahre 1888 4) Eimer, Mitteilungen über die Zeichnung der Säugetiere, Schmetter- linge und Mollusken. Tageblatt der 28. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Straßburg i./E., 1885, S. 408. De 480 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Scehmetterlingen, hingegen in seiner „Entstehung der Arten“!) eingehender aus- geführt hat. Da den Eimer’schen Theorien anfangs wenig Beachtung ge- schenkt wurde und die Vertreter der Nützlichkeitslehre in ihren Arbeiten vielfach nicht einmal von den Thatsachen, welche Eimer zu Gunsten seiner Ansichten anführen konnte, Notiz nahmen, so sah sich dieser veranlasst, bei Gelegenheit des internationalen Zoologenkongresses in Leyden seine Theorien in einem längeren Vortrag nochmals ausführ- lich darzulegen ?). Dieser Vortrag ist eine weitere Ausführung der Straßburger Rede und bildet gleichzeitig eine Antwort auf die Rede Weismann’s?), der ebenfalls in Leyden einige Tage früher, wenn auch ohne sich direkt auf Eimer zu beziehen, dessen Lehre vom „Organischen Wachsen“ bekämpfte, indem er eine bestimmt ge- richtete Entwicklung wohl nicht leugnet, aber durch „Germinal- selektion“ zu erklären sucht. Eine von C. S.Minot in diesem Jahre in der Zeitschrift Seience erschienene Kritik über den zweiten Teil der Eimer’schen „Art- bildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen“ zeigt jedoch, wie sehr die Eimer’schen Theorien noch immer miss- verstanden und zu Schlüssen verwertet werden, zu welchen sie in keiner Weise berechtigen. Der Grund, warum Minot*) vielfach zu vollkommen unrichtigen Urteilen kommt, ist wohl darin zu suchen, dass er die früheren Arbeiten Eimer’s über Tierzeichnung und auch den Inhalt des zweiten Teiles der „Schmetterlinge“ nur teilweise kannte. Es ist jedoch ausge- schlossen, sich ein richtiges Urteil über die Eimer’schen Theorien zu verschaffen, ohne die älteren Arbeiten des Autors über Tierzeichnung zu kennen und auch den systematischen Teil der „Schmetterlinge“ durch- gearbeitet zu haben. Schon seine ersten Studien über das „Variieren der Mauer- eidechse“5), in welchen Eimer den Fragen der Entwicklungslehre 4) Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererben erworbener Eigen- schaften nach den Gesetzen organischen Wachsens, I. Teil, Jena 1888. 2) Ueber bestimmt gerichtete Entwicklung (Orthogenesis) und über Ohn- macht der Darwin’schen Zuchtwahl bei der Artbildung. Vortrag, gehalten am 19. September 1895 zu Leyden. Compte-Rendu des Seances du 3me Con- grös international de Zoologie, Leyde 16—21 Septembre 1895, Leyden, E. J. Brill, 1896. 3) Ueber Germinalselektion, eine Quelle bestimmt gerichteter Variation ; ebenda und Jena, G. Fischer, 1896. 4) C.S.Minot, Eimer’s evolution of butterflies. Science, Vol.III, Nr.53, January 3, 1896. 5) Eimer, Zoologische Studien auf Capri II Zacerta muralis coerulea, ein Beitrag zur Darwin’schen Lehre, Leipzig, Engelmann, 1874. Unter- suchungen über das Variieren der Mauereidechse, ein Beitrag zur 'Theorie von Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 181 näher trat, führten ihn zu dem Schlusse, dass die Zweckmäßigkeit bei der Entwicklung morphologischer Eigenschaften keineswegs eine so hervorragende Rolle spiele, wie sie ihr von Darwin und noch mehr von dessen Nachfolgern zugeschrieben wurde. Er erkannte, dass, neben den nützlichen, zahlreiche indifferente Eigenschaften zur Entfaltung kommen, und dass auch für die nützlichen der Nutzen nicht Ursache ihres Zustandekommens sein kann, sondern, dass er höchstens, nach- dem die Eigenschaften schon so weit entwickelt sind, dass sie sich für das Fortkommen des Individuums zweckdienlich zeigen, deren Steigerung und Erhaltung bewirkt. Für diese Behauptung sowie für die übrigen in der Entstehung der Arten niedergelegten Theorien bringt Eimer in der erwähnten „Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetter- lingen“!) weitere Beweise. Außerdem macht es sich der Verfasser in dem genannten Werk zur Aufgabe, eine Grundlage zu schaffen für eine auf wirklicher Blutsverwandtschaft beruhende Systematik der Schmetterlinge. Zu diesem Zweck bedurfte es in erster Linie einer genauen Kenntnis der Eigenschaften der Arten, Abarten und Varietäten. Obwohl anzunehmen war, dass wie bei anderen Tiergruppen die phylo- genetischen Beziehungen der Formen in der Entwicklungsrichtung ihrer Zeichnung zum Ausdruck kommen würde, so war es doch notwendig, um die Richtigkeit der auf dem bezeichneten Weg gewonnenen Ergeb- nisse zu prüfen, den übrigen morphologischen Eigenschaften und dem geographischen Zusammenhang der Formen besondere Berücksichtigung zu Teil werden zu lassen. Grundlegend für die Eimer’schen Theorien über Artbildung ist seine in der „Entstehung der Arten“ entwickelte Lehre, dass allein die gegebene Konstitution (physikalisch-chemische Zu- sammensetzung) eines Körpers unter der Einwirkung äußerer Einflüsse zu Umbildungen in dem Organismus führen kann, zu Umbildungen, welche nach wenigen bestimmten Rich- tungen verlaufen und uns als die Merkmale neuer Varietäten bezw. Arten erscheinen. Da sich aber die neuen Eigenschaften mit der Zeit befestigen und eine Aenderung in der Konstitution des ganzen Tieres nach sich ziehen, so wird unter dem weiteren Einfluss äußerer Verhältnisse eine Kette gebildet von Formen, deren jede folgende von der vorhergehenden in der Erscheinung verschieden, in der Entstehung aber von ihr abhängig ist. Diese Formenreihe ist das Ergebnis des „organischen Wachsens“. Das organische Wachsen beruht indessen im Gegensatz zur Nägeli’schen Vorstellung nieht immer auf einer der Entwicklung aus konstitutionellen Ursachen. Archiv f. Naturgeschichte (u. selbständig) Berlin, Nicolai, 1881. 4) Eimer, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen, I. u. II. Teil, Jena 1889 u. 189. 1823 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. Vervollkommnung, es kann auch eine Vereinfachung und Rück- bildung der Organismen herbeiführen. Wie aus der geographischen Verbreitung der Falter hervorgeht und wie auch die Ergebnisse der künstlichen Zucht von Schmetter- lingen in Wärme und Kälte beweisen, machen sich derartige auf physiologischem Weg erzielte Abänderungen hier hauptsächlich in der Zeichnung der Tiere geltend. Dass die Abänderungen im Zeich- nungsmuster sich vererben, geht auf das Deutlichste aus den Ver- suchen hervor, welche Weismann mit Polyommatus phlaeas ange- stellt hat. Weismann beobachtete, dass die Vertreter der südlichen Form dieses Falters, wenn sie sich in unserm kälteren Klima zum Schmet- terling entwickeln, nur zum Teil die hellere Färbung der hier heimischen Varietät annehmen. Ein Teil behielt stets die elterlichen Eigenschaften bei. Wenn wir aus den Arbeiten Eimer’s!) über die Entwicklung der Zeichnung an Eidechsen, Vögeln und Säugetieren, aus denen Hyatt’s?) und Würtenberger’s?) über die Umbildung der Ammoniten-Schalen, aus den Untersuchungen Simroth’s*) über die Zeichnung der Nacktschnecken, aus meinen eigenen über Entwick- lung derZeichnungundSkulptur an denGehäuseschnecken desMeeres?) und endlich aus denen vonR.Diez ®) über die Skulptur der Flügeldecken bei der Gattung Carabus ersehen, wie alle Umbildungen nach wenig bestimmten Richtungen erfolgen, so liegt die Annahme nahe, dass auch die Zeichnungscharaktere auf den Flügeln der Schmetterlinge bestimmte Bahnen einschlagen. Diese Annahme wird zur Gewissheit, wenn wir die systematischen Ausführungen in 4) Eimer: a)Die Zeichnung der Vögel und Säugetiere. Vortrag, ge- halten auf der Versammlung des Vereins für vaterländ. Naturkunde in Württemberg zu Nagold 1882 in: Württemb. naturwissensch. Jahresheft, 1883. b) Ueber die Zeichnung der Tiere. in: Zool. Anzeiger, 1882, 1883, 1884 und in der Zeitschrift „Humboldt“ 1885—1888,. 2)HyattA.: a) Genesis of the Arietidae. Smithsonian Contributions to knowledge, 1889. b) Phylogeny of an acquired characteristic. Proceedings of the American philosophical Society, Vol. XXXII, Nr. 143, 1895. 3) Würtenberger, Studien über die Stammesgeschichte der Ammoniten. Ein geologischer Beweis für die Darwin’sche Theorie. Leipzig 1880. 4) Simroth, Versuch einer Naturgeschichte der deutschen Nacktschnecken und ihrer europäischen Verwandten. Zeitschr. t. wissensch. Zoolog., Bd. XLII. 5) Gräfin v. Linden, Die Entwicklung der Skulptur und der Zeichnung bei den Gehäuseschnecken des Meeres. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie, LXI. Bd. 6) R. Diez, Untersuchungen über die Skulptur der Flügeldecken bei der Gattung Carabus. Tübinger zool. Arbeiten II, 4. Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 183 Eimer’s „Schmetterlingen“ verfolgen und an derHand der Tafeln sehen, wie sowohl die Zeichnung der Segelfalter als die der Schwalben- schwänze, so verschieden die einzelnen Formen auch erscheinen mögen, auf ein gemeinsames Schema zurückzuführen ist, welches im Papilio Podalirius seinen einfachsten Ausdruck findet. Dieser Grundriss der Papilio-Zeiehnung besteht aus elf Binden, die in bestimmter Lage, parallel der Körperaxe über die Flügelfläche verlaufen, als Längsbinden bezeichnet werden und in fester Beziehung zu gewissen Adern des Flügels stehen. Wenn nun diese elf Binden durch seitliches Ver- schmelzen sich vermindern, sich verschmälern bezw. verkürzen und in einzelne Flecke auflösen, wenn sie durch Dunkelfärbung der sie verbindenden Queradern eine Querzeichnung darstellen, entstehen neue Formen, welche am Anfang einer Entwicklungsreihe wenig, am End- punkt derselben bedeutend von der Ausgangsform abweichen. Der Umstand nun, dass die neuen Eigenschaften in der Zeiehnung meist ganz allmählich auftreten, macht die Annahme, dass der Nutzen die Entwieklungsriehtungen beeinflusse, sehr unwahrscheinlich. Be- weisend für bestimmt gerichtete Entwicklung ist ferner die Erscheinung der Homeogenesis. Es wird nämlich beobachtet, dass auf geogra- phisch vollkommen getrennten Gebieten Falter verschiedener Gruppen Umbildungen in ihrer Zeichnung, häufig auch in der Flügelform er- fahren, welehe unter sich vollkommen ähnlich sind, ohne dass die beiden Entwieklungsreihen verwandtschaftliche Beziehungen hätten. Solche Schmetterlinge, welche durch unabhängige Entwicklung ent- standen sind, und oft geradezu für mimetische Formen gehalten werden können (Pseudomimiery), finden wir unter den Schwalbenschwänzen im nordamerikanischen Turnus und dem südeuropäischen bezw. klein- asiatischen Alexzanor; unter den Seglern im südamerikanischen Agesilaus- Protesilaus und dem europäischen Podalirius und endlich im indischen Anthipates. Selbstverständlich ändern die Vertreter der verschiedenen Gruppen nicht alle in derselben Weise ab. Dadurch, dass in dieser Gruppe z. B. eine Binde schwindet, welche in einer andern besonders kräftig auftritt, dass Hinter- und Vorderflügel, Ober- und Unterseite nicht immer im gleichen Maße Veränderungen erfahren (Heterepistasie — verschiedenstufige Entwieklung) und dureh Korrelation häufig mit der Veränderung einer Eigenschaft noch andere zugleich auftreten, be- obachten wir neben der Gesetzmäßigkeit im Entstehen eine große Mannigfaltigkeit der Formen. Für das Zustandekommen verschiedener Entwicklungs- richtungen ist die geographische Verbreitung der Arten von großer Bedeutung, jedoch weniger in dem Sinne der räumlichen Trennung an sich, wie es M. Wagner für die Artbildung beansprucht, sondern hauptsächlich dadurch, dass andere klimatische und Ernährungsver- 484 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen, hältnisse auf die Organismen einwirken und abweichende Entwicklungs- reihen bedingen. Besonders an Inselfaunen lässt sich diese Be- obachtung machen, und wir können dann allerdings den Eindruck erhalten, als ob nur die räumliche Trennung Ursache des Zustande- kommens der eigentümlichen Formen sei. Als Beispiel führt Eimer den zu den Segelfaltern gehörenden Papilio Celadon auf Cuba und Sinon an, der besonders auf Sinon durch Bestehenbleiben und Ver- schmelzen von Binden auf den Vorderflügeln eine eigentümliche Ent- wieklungsriehtung äußert. Dieser Vorgang wird natürlich auch da- durch noch begünstigt, dass die Inselbewohner in der geschlechtlichen Mischung beschränkt sind. Wie groß der Einfluss des Klimas, speziell der Temperatur, auf die Gestaltung der Schmetterlinge ist, zeigen auch’ schon die bei uns heimischen horadimorphen Formen z. B. Vanessa levana und prorsa, Pieris Bryoniae und Napi u. a. Von Dorfmeister!), Weis- mann?), Merrifield ?) und Standfuss*) wurde nachgewiesen, dass die bewirkende Ursache dieser dimorphen Formen in den verschie- denen Wärmegraden zu suchen sei, welche während der Puppenruhe auf den Schmetterling einwirken, und dass die auf künstlichem und natürlichem Wege erzogenen Sommer- oder Winter- formen stets die Eigenschaften besitzen, welche den aus- schließlich in warmen oder kalten Klimaten vorkommen- den Abarten derselben Falter eigen, bezw. für dieselben. kennzeichnend sind. Wichtig ist ferner, dass aus diesen Ver- suchen deutlich hervorgeht, dass gleiche äußere Einflüsse nur bei gleichartiger Konstitution des tierischen Organismus ana- loge Wirkungen hervorbringen. Bedeutendere Aenderungen ursprünglicher Entwicklungsrichtungen, als sie in Verbindung mit räumlicher Trennung auf Grund äußerer Verhältnisse erfolgen, treten häufig inmitten des Verbreitungsgebietes irgend einer Art auf und führen entweder allmählich oder plötzlich (Halmatogenesis) zur Entstehung neuer Arten. Ein solches Bei- spiel giebt unter den Seglern Papilio Telesilaus. Dieser Falter fliegt inmitten der Stammform, mischt sich indessen nicht mehr mit ihr und 9 6. Dorfmeister, Ueber die Einwirkung verschiedener, während der Entwicklungsperioden angewendeter Wärmegrade auf die Färbung und Zeich- nung der Schmetterlinge. Mitteilungen des naturw. Vereins f. Steiermark, 1864. 2) A. Weismann, Studien zur Descendenztheorie I. Ueber den Saison- dimorphismus der Schmetterlinge, 1875. 3) F. Merrifield, Transact. of the entomolog. soc. of London 1893, 1894. 4) Dr. M. Standfuss, a) Ueber die Gründe der Variation und Aberration des Falterstadiums bei den Schmetterlingen mit Ausblicken auf die Entstehung der Arten. Leipzig 1894. Druck von Frankenstein und Wagner. Sonderabzug aus der Insektenbörse, Nr. 22, 1894. b) Handbuch für Sammler der europäischen Großschmetterlinge. Zürich 1891. Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 185 zeichnet sich durch große Beständigkeit in seiner Zeichnung aus. Größer ist die Zahl der Belege, welche für die Schwalbenschwänze ge- funden werden können. Mitten im Verbreitungsbezirk des Machaon, hat sich in der Asterias-Gruppe eine neue Entwicklungsreihe gebildet, die sich durch Schwarzfärbung auszeichnet. Merkwürdiger Weise gehen die Abänderungen hier gewöhnlich vom Weibehen aus, so dass, während wir sonst eine männliche Präponderanz beobachten, in diesen Fällen eine weibliche Präponderanz zu bestehen scheint. Als Beispiele wird der dem Machaon nahestehende Papilio Bairdii Edw., P. Asterioides Reak. und Palamedes angeführt. In der Turnus-Gruppe bildet die neben Papilio Turnus auftauchende aberrante weibliche Form Turnus Glaucus einen solchen Fall. Es sei hier schon erwähnt, dass Minot mit der Erklärung des Pap. Turnus var. Glaucus durch Halmotogenesis keineswegs einverstanden ist. Er glaubt an die Möglichkeit, dass zwischen dem normalen und aberativen Turnus- Weibehen früher vermittelnde Uebergänge bestanden hätten. Dass eine hochentwickelte Form wie P. Turnus var. Glaucus nicht von vorneherein fertig ausgebildet ist, sondern innerhalb der Puppenhiille mehrere Zeichnungsstufen durchlaufen muss, bis sie in ihrer heutigen Gestalt die Puppenhülle verlässt, erscheint mir selbstverändlich. Im Vergleich aber zum Unterschied, der zwischen der Varietät einer an- dern Art von ihrer Stammform besteht, bleibt die Kluft zwischen Turnus und var. Glaucus so groß, dass die Varietät uns heute als sprungweis entstanden erscheinen muss, einerlei, ob sie im Puppen- stadium oder in der Phylogenie vorübergehend durch Uebergänge mit der Normalform verbunden war. Die Ursache für diese merkwürdige Erscheinung ist wohl in dem Zustand der Geschlechtszellen und darin zu finden, dass in den betreffenden Fällen der weibliche Organismus empfänglicher für äußere Reize war als der männliche. Jedenfalls spielt bei der sprungweisen Entwicklung die Korrelation eine große Rolle, es können korrelativ, d. h. mit der Entwicklung einer Eigen- schaft gleichzeitig, mehrere andere abändern und auf diese Weise ganz neue Muster entstehen (kaleidoskopische Umbildung). Die Ent- stehung neuer Arten durch sprungweise Umbildung bleibt indessen immer nur Ausnahme, die Regel ist die allmähliche Umbildung durch bestimmt gerichtetes Abändern. Selbstverständlich werden immer die empfänglicheren Organismen einer Art zuerst durch äußere Ein- wirkungen, wie Klima und Nahrung, beeinflusst werden. Es werden an diesen mit der Zeit Abartungen entstehen, die mitten im Verbrei- tungsbezirk der Stammform zur Bildung neuer Arten führen. Sobald die neue, nach Möglichkeit umgebildete Form sich unter denselben Einflüssen nicht mehr weiter verändert, so tritt Entwicklungsstill- stand (Genepistase) ein und damit die Abtrennung der Art von der Stammform. 186 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. Ueberall ist die Genepistase — das Stehenbleiben auf einer bestimmten Entwieklungsstufe — für die Artbildung maßgebend. Die Arten sind nichts anderes als in der Entwicklung früher oder später stehen gebliebene Glieder der Organismen- kette. Entwieklungsstillstand kann eintreten, wenn verändernde Ursachen einzuwirken aufhören. So können z. B. relativ be- ständig unveränderte klimatische Einwirkungen die Eigenschaften festigen und Genepistase bedingen. In derselben Weise kann die An- nahme anderer Nahrung durch die Raupe wirken, und wir ersehen hieraus, dass auch der Entwicklungsstillstand der Ausdruck physio- logischer Arbeit ist. Tritt ein Entwieklungsstillstand in der Ontogenie einesIndividuumsauf, so erscheintRückschlag- Atavismus. Häufig bezieht sich ein solches Beharren nur auf eine oder wenige Eigenschaften, analog der Heterepistase in der Phylo- genie. Genepistase und Atavismus, Heterepistase und heterepista- tischer persönlicher Rückschlag beweisen, dass in der phylogenetischen wie in der ontogenetischen Entwicklung nicht nur dieselben Erschei- nungen wiederkehren, sondern dass in beiden Entwicklungsformen, auch ähnliche Gesetze herrschen. Die Trennung der Organismenkette in Arten kann indessen auch noch auf anderem Wege erfolgen. Häufig erleidet der Organismus mit dem Auftreten äußerlich sichtbarer Eigenschaften auch Verände- rungen an Same und Ei, welche eine Befruchtung zwischen der neuentstandenen Form und der Stammform unmög- lich machen. Same und Ei können korrelativ derart beeinflusst werden, dass sie entweder durch morphologische oder durch physi- kalisch-ehemische Veränderungen die erfolgreiche Begattung zwischen neuer Form und Stammform verhindern. Kyesamechanie — Unmög- lichkeit der Befruchtung — kann aber auch dann eintreten, wenn die Geschlechtsprodukte einzelner Tiere einer Art zu verschiedener Zeit reif werden. In beiden Fällen führt dieser Vorgang zur Scheidung der Formenreihe in Arten. Wenn wir das Vorhergehende zusammenfassen, so ergiebt sich daraus, dass dieselben Einflüsse, welche bei ihrem ersten Einwirken anscheinend zufällige Veränderungen am Organismus hervorrufen, im Laufe der Zeit eine Gliederung der Organismenkette und dadurch die Abtrennung neuer Arten bedingen. Ein zufälliges Ab- ändern ist dabei ausgeschlossen, weil das Werden, das Stehenbleiben und die Rückbildung von Arten bestimmten Gesetzen unterworfen ist, die den Ausdruck physiologischer Notwendigkeit bilden und die sich, wie ich im Folgenden eingehender zu zeigen versuchen werde, in der Zeichnung der Schmetterlinge ebenso deutlich zu erkennen geben wie in der Zeichnung und den morphologischen Eigenschaften anderer Tiere. Die natürliche Zuchtwahl behält ihre Bedeutung für die Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 187 Erhaltung von Eigenschaften, die für die Art bereits nützlich geworden sind, für deren Entstehung giebt sie keine Erklärung. Die eben aufgeführten, schon im ersten Teil der Schmetterlinge in ihren Grundzügen enthaltenen Sätzehaben von Seiten Erieh Haases!) Einwürfe erfahren, gegen welche Eimer im zweiten Teil seines Werkes Verwahrung einlegt. Die Ausstellungen Haases, welche in seinen „Untersuchungen über Mimiery auf@Grundlage eines natür- lichen Systems der Papilioniden“ veröffentlicht sind, beziehen sich teils auf rein konventionelle Fragen — Bezeichnung der Streifen, berühren aber auch grundlegende Anschauungen. Es würde zu weit führen, wenn ich auf die Einwürfe Haases, welche sich darauf be- ziehen, ob die Streifen auf den Flügeln von Podalirius als Längs- oder Querstreifen anzusehen seien, ob diese Streifen von innen nach außen oder von außen nach innen gezählt werden sollten und auf die Moti- vierung der gewählten Bezeichnungen durch Eimer eingehen wollte. Wichtiger ist es, die sachlichen Ausstellungen Haases zu berück- sichtigen. Haase?) behauptet, Eimer habe bei Zusammenstellung seiner Gruppen das Geäder unberücksichtigt gelassen, während gerade das Verhalten der Adern für den Zusammenhang der Arten maßgebend sei. Würde nun das Flügelgeäder der Insekten als Artkennzeichen in Wirklichkeit eine so hervorragende Rolle spielen, so dürfte es doch gewiss in der Systematik der Trichopteren längst den Vorzug erlangt haben vor den oft schwer zu übersehenden Verhältnissen der Hinter- leibsanhänge und den leicht zerstörbaren Spornen der Tibia. Allein nach den Untersuchungen Fiekert’s hat es sich herausgestellt, dass auch bei den Schmetterlingen keineswegs sämtliche Adern für die verwandtschaftlichen Beziehungen zu verwerten sind. Die Aderung der Flügel wurde von Eimer berücksichtigt, insoweit dieselbe verwert- bar schien, wenn aber auf Grund ihrer Verhältnisse zwischen ein- zelnen Gruppen verwandtschaftliche Beziehungen vorgetäuscht wurden, welche geographisch unmöglich schienen, so hatte Eimer wohl recht, den sichereren Weg einzuschlagen, der ihm durch die Zeichnung gewiesen wurde. Im zweiten Teil seiner Arbeit unterstützt Haase die Ansicht, dass die Erscheinungen der Mimiery Produkte der natürlichen Aus- 1) Vergl. Eimer, Zoologische Studien auf Capri. II. Lacerta muralis coerulea. Leipzig, Engelmann, 1874, S. 45. — Zool. Unters. mit bes Berück- sichtigung d. Biologie, I. Ueb. Bau u. Bewegung der Samenfäden, Würzb. 1374, S.42 u Würzb. Verh. 1874; Variieren der Mauereidechse, 1881, S. 257; Ent- stehung der Arten, I, S.45. Ferner: Romanes, Journal of the Linnean Society. Zoology, London 1886. 2) Haase, Untersuchungen über die Mimiery auf Grundlage eines natür- lichen Systems der Papilioniden, Kassel 1891, I. Teil: Entwurf eines natürlichen Systems der Papilioniden. 188 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. lese seien. Angenommen, die Aehnlichkeit verschiedener Arten, die Haase als Mimiery bezeichnet, beruhten wirklich auf natürlicher Aus- lese, so ist damit noch nicht bewiesen, dass die allmähliche Umbildung der Arten, welche Haase in seinem „natürlichen System der Papilioniden“ beschreibt, ebenfalls angepasste Formen ergiebt. Viel wahrscheinlicher erscheint es Eimer, dass die sog. Mimiery auf Grund bestimmter unabhängiger Entwicklungsgleichheit zu stande kommen, welche ja sehr häufig bei verschiedenen Arten, die in denselben Gebiet leben, beobachtet werden. Vielleicht werden solehe gleichartige Entwicklungsrichtungen gerade dadurch begünstigt, dass die Tiere denselben äußeren Lebensbedingungen unterworfen sind. Für diese Auffassung spricht auch der Umstand, dass ebensogut mimetische Formen entstehen, die weit von einander entfernt sind, wo also von einer nützlichen Anpassung nicht die Rede sein kann (Pseudo- mimiery). (Phyciodes Leucodessna Feld. aus Südamerika gleicht der Neptis kikideli Boist aus Madagaskar. Ph. amazonica Bates vom Amazonen- strom zeigt den Typus der dort nicht vorkommenden Melitaeen ete.). Oft sind auch Falter in der Zeichnung einander ähnlich, in der Größe aber sehr verschieden. (Phyeiodes Langsdorfi Godt. aus Brasilien und der mit ihr vorkommende Heliconius Besckei.) Von Wichtigkeit ist es, dass Hahnel!), der Gelegenheit hatte an Ort und Stelle Beobachtungen über Mimiery anzustellen, vollkommen unabhängig zu Ansichten über Bildung mimetischer Formen und Art- bildung überhaupt gelangte, welche mit den Eimer’schen auffallend übereinstimmen. Nachdem ich im Vorhergehenden bestrebt war, in Kürze den In- halt des auf allgemeine Fragen bezüglichen Teiles der Eimer’schen Schmetterlinge wiederzugeben, bleibt mir noch die Aufgabe, darauf einzugehen, in welcher Weise sich die Entwicklungsrichtungen in der Zeiehnung der Segelfalter und Schwalbenschwänze zu erkennen geben und wie sich das verwandtschaftliche System gestaltet, welches auf Grund jener Entwicklungsrichtungen unter Bezugnahme auf sonstige morphologische Eigenschaften und auf die geographische Verbreitung der Schmetterlinge aufgebaut wurde. Entwicklungsriehtungen der Zeichnung innerhalb der vier Gruppen der Segelfalter. Die Umbildung der Zeichnung erfolgt bei Segelfaltern und Schwalben- schwänzen auf ganzähnliche Weise. Diehauptsächlichsten Veränderungen, welche dabei vor sich gehen, habe ich schon anfangs erwähnt, auch 4) Dr. P. Hahnel, Entomologische Erinnerungen aus Südamerika, in: Deutsche entomol. Zeitschr. herausgegeb. v. d. Gesellsch. Iris zu Dresden u. s. w. Jahrgang 1890. Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 189 dass der Ausgangspunkt für beide Stämme durch das Zeichnungs- schema des Papilio Podalirius gebildet wird. Diese Grundzeichnung erfährt schon innerhalb der vier für die Segelfalter aufgestellten Gruppen mannigfache Veränderungen. Die ursprünglichsten Eigenschaf- ten bewahrt die erste, die Podalirius-Gruppe, deren Vertreter der asiatisch-europäischen und amerikanischen Fauna angehören. Während Papilio Podalirius L., seiner einheimischen Verbreitung halber, als Aus- gangspunkt gewählt wurde, zeigen Alebion Gray, @lycerion Gray und Paphus Nie&ville in mancher Beziehung, aber ohne dass sie als direkte Stammform für Podalirius anzusehen wären, noch ursprüng- lichere Verhältnisse. Die Binden auf den Vorderflügeln sind z. B. bei Alebion noch länger und verschiedene Binden (II, III; V, VI; der Vorderflügel und die Wurzelbinden der Hinterflügel), welche bei der Sommer- bezw. südlichen Form von Podalirius bereits ganz ver- schmolzen sind, noch deutlich getrennt. Bei Papilio Glycerion und noch mehr bei Podalirius beginnen die Binden des Vorderflügels sich von hinten nach vorne zu verkürzen, eine Entwieklungsrichtung, die sich, wie ein Blick auf Tafel I zeigt, bei den amerikanischen Formen noch mehr ausbildet, und zuletzt zur vollkommenen Reduktion gewisser Binden führen kann (P, Epidaus Doubl. und P. Bellerophon Dalm.). Reste dieser geschwundenen Binden finden sich häufig noch am Vorder- rand der Flügel durch einen Fleck bezeichnet. Alle Binden schwinden zuerst auf der Oberseite beider Flügelpaare, so wird die Oberseite der Hinterflügel bei einigen Formen zeichnungslos. Auf der Unter- seite bleiben stets die Randbinden und die Wurzelbinden IX und X bestehen. Auf der Oberseite der Vorderflügel erhalten sich am zähesten Binde IX, I IH; V VI; und XI. Größte Neigung zum Verschwinden zeigen überall die Binden IV und VII des Vorderflügels. Neben dem Kürzerwerden und Schwinden der Binden ist ihr Bestreben breiter zu werden und gegenseitig zu verschmelzen, von Bedeutung für das Abändern der Zeichnung. Auch hierin ver- halten sich die einzelnen Binden sehr. abweichend. Sehr früh ver- binden sich z. B. auf den Vorderflügeln V VI und II III. Meistens tritt hierauf Verschmälerung und endlich Verlust der von II bezw. von VI gebildeten Teilbinde ein. Bei Papilio Agesilaus Boisd. lässt sich dieser Vorgang an Individuen derselben Art verfolgen, ebenso das allmähliche Schwinden der Binde VII auf den Vorderflügeln und das der Binden X und IX auf den Hinterflügeln. Bei Papilio Protesi- laus L., P. Telesilaus Feld, Epidaus Doubl. Hew. und Belerophon Dalm. beobachten wir, dass auch eine Neigung der Binden V VI besteht, sich mit IH zu vereinigen. Die Randbinden der Hinterflügel haben überall die Tendenz, eine zackige Zeichnung zu bilden, so dass von der Grundfärbung nur noch halbmondförmige Flecke frei bleiben. Den Anfang hiervon beobachten wir bei Alebion und Glycerion, den 490 Frenzel, Zur Planktonmethodik. Höhepunkt erreicht diese Erscheinung bei Podalirius L. und Protesi- laus Telesilaus Feld, wo noch Blaufärbung hinzutritt. Das Verhalten bei Epidaus Doubl. Hew., Agestes Westw. weist darauf hin, dass sich die Zackenzeichnung später wieder vereinfacht. Bemerkenswert ist, dass bei letzterem nur noch dieselben drei halbmondför- migen Zeichnungen vorhanden sind, welche bei Alebion und @ly- cerion die Entstehung dieser Zeichnung andeuten. Einen solchen Fort- schritt mit nachfolgendem Rückschritt zeigt auch die Prachtbinde in ihrer Entwicklung. Dieselbe verläuft beim Segelfalter auf der Unter- seite der Hinterflügel, sie besteht aus einem gelben, von zwei schwarzen Streifen begrenztem Bande und endigt am Hinterrande des Flügels in der sehr veränderten Afterzeichnung. Die erste Andeutung der Prachtbinde finden wir bei Alebion, indem nach außen von der ursprünglich einfachen schwarzen Begrenzungs- binde ein länglich gelber Fleck auftritt, der von dieser durch einen weißen Streif getrennt ist, nach dem Außenrand des Flügels hingegen schwarz begrenzt erscheint. Bei @lycerion ist diese schwarz-weiß-gelb- schwarze Zeichnung zu einer nach hinten verlaufenden Binde ausge- bildet, welche in die Afterzeichnung umbiegt. Die Afterzeichnung ist hiernach nichts anderes als die Fortsetzung der Prachtbinde. Sie schnürt sich jedoch bei weiter entwickelten Formen von ihr ab und bildet sich oft zu prächtigen Augenflecken um. Bei den süd- amerikanischen bezw. mittelamerikanischen Faltern Protesilaus Telesi- laus Feld, Epidaus Doubl. Hew. befindet sich die Afterzeiehnung noch in einem sehr ursprünglichen Zustand. Bei unserm Podalirius ist sie dagegen hoch entwickelt. Prachtbinde und Afterzeichnung schwinden jedoch schon in der folgenden Gruppe zum Teil vollkommen. (Schluss folgt.) Zur Planktonmethodik. Von Prof. Joh. Frenzel, Biol. Station, Friedrichshagen. I. Die Planktonpumpe. Es ist, wie bekannt, das Verdienst des großen Johannes Müller, ein Netz konstruiert zu haben, mit Hilfe dessen man im Stande ist, der im Wasser schwebenden kleinen Organismen habhaft zu werden. In neuerer Zeit hat nun Viktor Hensen dieses Netz erheblich ver- vollkommnet und zu seinem Planktonnetz umgestaltet, von dem zwei Formen in Gebrauch sind, nämlich das qualitative und das quantitative Netz. Das letztere, dem wir uns besonders zuwen- den, wird, wenn es sicher funktionieren soll, in der Weise benutzt, dass man es bis zu einer bestimmten Tiefe hinablässt und durch lang- sames Aufziehen die darüber befindliche Wassersäule filtrieren lässt. Man kann auf diese Weise das filtrierte Wasserquantum berechnen Frenzel, Zur Planktonmethodik. 191 und danach die Quantität des darin enthaltenen Plankton. Wenn nun aber das Gewässer zu irgend einer Zeit sehr arm an Lebewesen und wenn außerdem die Tiefe eine äußerst geringe, nur wenige Meter erreichende ist, so lässt uns das soeben angegebene Verfahren ent- weder ganz im Stich, oder man muss es in der Weise ändern, dass man anstatt eines Vertikalzuges einen Horizontalzug ausführt, etwa derart, dass man das Netz eine bestimmte Strecke mittels eines Botes schleppt. Auch dann ist es möglich, wenn die horizontal durch- fischte Wassersäule genau berechnet werden kann, die Quantität des Plankton zu bestimmen. Leider liegen hier indessen eine Reihe von Umständen vor, welche jene Berechnung sehr viel schwieriger und unsicherer machen, als dies bei dem Vertikalfang der Fall ist, so dass dieser immer den Vorzug verdienen wird, d. h. dann, wenn er über- haupt mit Erfolg angewendet werden kann. Das Letztere ist nun aber, wie gesagt, nicht immer möglich. So versuchte ich während des Winters vom Eise aus Vertikalzüge im Müggelsee zu machen. Da dieser indessen nur ca. 7 m tief ist, so war der Erfolg ein völlig negativer, und das Netz erwies sich so gut wie ganz leer. Es wurde der Versuch sodann auch in der Weise abgeändert, dass das Netz mehrere Male hintereinander bis zum Boden gesenkt und dann ge- hoben wurde, doch blieb auch hier der Erfolg aus, aus Gründen, die weiter unten angegeben werden sollen. Da ferner bis jetzt kein Ver- fahren existiert, um unter dem Eise horizontal zu fischen, so konnte auch nicht zu dem Aushilfsmittel des Horizontalfanges gegriffen werden, und ich sah mich in die Notwendigkeit versetzt, die gebräuchlichen Methoden des Planktonfischens zu verlassen. Nun sind aber gerade die hydrobiologischen Verhältnisse zur Winterszeit, wenn die Ober- fläche unserer Gewässer zu Eis erstarrt ist, noch so wenig eingehend erforscht, namentlich soweit es sich um flache Gewässer handelt, dass es sich verlohnen musste, immer wieder neue Versuche anzu- stellen. Zunächst that ich dies in der Weise, dass ich vom Eise aus eine größere Quantität Wasser mit dem Eimer schöpfen und durch das Hensen’sche Netz gießen ließ. Allein es ist bekannt, dass es ganz. unmöglich ist, mittels eines Eimers aus der Tiefe Wasser herauf- zufördern, da sich der Eimer bereits beim Eintauchen mit Wasser füllt, welches zu verdrängen, etwa durch Auf- und Abbewegen des Eimers in der Tiefe, innerhalb kurzer Zeit nicht gelingt, wovon ich mich übrigens noch durch besondere Versuche überzeugte. Es wurden näm- lich zu diesem Zweck Eimer, gefüllt mit einer gefärbten Flüssigkeit hinabgelassen, einige Male auf- und niederbewegt und dann herauf- gezogen. Allemal erwies sich indessen der Inhalt immer noch gefärbt, wenngleich auch vielleicht weniger intensiv. Auch sonst zeigte sich dieses ganze Verfahren wenig befriedigend, insofern als jedesmal nur eine geringe Wassermenge — ca. 15 1 — filtriert wird, so dass viele 199 Frenzel, Zur Planktonmethodik. Eimer voll Wasser heraufgeholt werden müssten, um ein nennenswertes Quantum von Plankton zu erhalten. Aus diesen Gründen glaubte ich auch davon absehen zu dürfen, ein besonderes Schöpfgefäß zu Kon- struieren, dass sich in der Tiefe füllt — etwa nach Art der Meyer’- schen Flasche oder dergleichen — und ging nun zu einer Reihe von anderen Versuchen über, die dann auch ein zufriedenstellendes Resultat ergaben. Ehe ich indessen dazu übergehe, sei erwähnt, dass außer- dem noch Versuche auf den Filtern der hiesigen städtischen Wasser- werke Berlins angestellt wurden, über die bei anderer Gelegenheit berichtet werden soll. Hier wird das Wasser aus dem See mittels Pumpen gesaugt und zu den Sandfiltern übergeführt, wo täglich — wenigstens während des Winters — eine Wassersäule von ca. 1m Höhe filtriert wird. Diese Filtergeschwindigkeit ist leider eine so geringe, dass sie nicht ausreicht, um innerhalb kurzer Zeit einen Versuch zu ermöglichen. Ebenso sind die Einrichtungen auf den Wasserwerken, nach dem, was mir darüber mitgeteilt wurde, nicht derartige, um einen unmittelbaren Anschluss an ein Rohwasser führen- des Rohr zu gestatten, so dass also von Versuchen in dieser Richtung abgesehen werden musste. Dagegen musste der Gedanke nahe liegen, mittels einer Handpumpe direkt Wasser aus einer geeigneten Tiefe des Sees zu entnehmen, um es zu filtrieren. Ja, dieser Gedanke erschien so einfach und natürlich, dass ich mich fragte, welche Gründe wohl vorliegen könnten, dass derselbe nicht schon von anderer Seite ver- wirklicht worden ist !). Offenbar aber können diese Gründe nur in dem Umstande gesucht werden, dass bisher entweder nur in tiefen Gewässern oder bei offenem Wasser Plankton gefischt wurde, so dass also kein Bedürfnis vorlag, von den eingeführten Methoden abzugehen. Gesprächsweise wurde freilich ein Einwand gegen das Pumpverfahren erhoben, der nicht unbeachtet bleiben möge. Wird nämlich ein Sauge- schlauch bis zu einer bestimmten Tiefe geführt, und wird nun ge- pumpt, also Wasser entzogen, so muss solches aus der Nachbarschaft nachströmen. Es wird dann nicht mehr Wasser von einer bestimmten Stelle, auf die es gerade ankommt, entnommen, sondern aus einem gewissen Umkreis, aus einer Sphäre von unbekanntem Radius. Es möchte nun die Befürchtung nahe liegen, es sei dieser letztere so groß, dass jede Kontrole, jede genaue Bestimmung aufhöre, so dass man nur sagen könne, man habe eben Wasser gepumpt. Allein diese 1) Viktor Hensen hat freilich, wie aus seinem Bericht (Ueber die Be- stimmung des Planktons oder des im Meere treibenden Materials etc. V. Ber. d. Kommiss. z. wissensch. Unters. d. Deutsch. Meere, 1887) hervorgeht, mittels der Dampfpumpe Wasser an Deck geleitet und filtriert, hielt aber mit Recht wenig von diesem Verfahren, da die dabei erreichte Tiefe doch eine minimale ist. Anderseits erkennt Hensen jedoch an, dass das Pumpverfahren die ge- nauesten Resultate ergeben muss. nn nn Frenzel, Zur Planktonmethodik. 193 Befürchtung erweist sich als zum mindesten stark übertrieben. Es sei zunächst daran erinnert, dass Wassertechniker ganz allgemein von der Anschauung ausgehen, dass sie, z. B. bei einer Brunnenanlage, das Wasser von der Stelle entnehmen, wo das Saugerohr endigt. Allerdings muss ja Wasser zuströmen, aber dies kann immer nur der nächsten Nachbarschaft angehören, vorausgesetzt natürlich, dass nicht ganz kolossale Wassermengen gefördert werden. Dies findet aber, wie noch weiter unten ausgeführt wird, bei unseren Versuchen nicht statt. Wenn es außerdem darauf ankommt, den Planktongehalt einer bestimmten Stelle zu ermitteln, so muss diese doch einen ge- wissen Raum einnehmen, den wir uns als Kugel vorstellen können, deren Mittelpunkt am Ende des Saugeschlauches (Saugekorb) liegt. Dann aber entnehmen wir das Wasser nicht genau aus der Tiefe, bis zu welcher der Saugekorb gerade reicht, sondern auch etwas unter- halb und oberhalb desselben. Wieviel dieses „etwas“ im einzelnen Falle beträgt, mag freilich sehr schwer zu berechnen sein. Keines- wegs aber beträgt es bei den geringen Wassermengen, die hier in Betracht kommen, mehr als höchstens einige Centimeter oder allenfalls Deeimeter, eine Ansicht, die mit der hervorragenden Wassertechniker — ich nenne nur den Oberingenieur a. D. Oesten (Berlin) und den In- genieur der hiesigen Wasserwerke, Anklamm — völlig übereinstimmt, und die auch durch Versuche, die ich daraufhin anstellte, bekräftigt wird. Nun werden aber Planktonmessungen, z. B. beim Vertikalfang, gewöhnlich nur von Meter zu Meter, oder allenfalls von Halbmeter zu Halbmeter vorgenommen, so dass es also einleuchten muss, dass die Pumpe mindestens ebenso genau, wenn nicht genauer arbeitet, als das sogen. Vertikalnetz, eine Behauptung, die noch weiter unten zur Er- örterung kommt. Die Pumpversuche, um nun zu diesen im Besonderen überzugehen, wurden in verschiedener Weise ausgeführt. Aus naheliegenden Gründen musste hierbei mit den einfachsten Vorrichtungen angefangen werden, um erst dann, wenn diese versagten, zu komplizierteren und vollkom- meneren überzugehen. So erwies es sich nach mehreren vergeblichen Versuchen unerlässlich, als Saugeschlauch einen Spiral-Gımmi- schlauch zu verwenden, da ein gewöhnlicher Gummi- (spritz-) schlauch, der sehr viel billiger ist, beim Pumpen kollabierte und dann zu wenig Wasser durchließ. Auf Anraten von Sachverständigen wurden ferner nur Kolbenpumpen verwendet. Diese Pumpen sind einerseits die billigsten, haben aber den Nachteil, ein recht großes Gewicht zu haben, was bei anderen z. B. bei Flügelpumpen, nicht der Fall ist. Sind diese letzteren auch’ sonst sehr viel handlicher als jene, so fällt bei ihnen doch als großer, ausschlaggebender Nachteil ins Gewicht, dass sie nicht so exakt arbeiten und das geförderte Wasserquantum nicht mit hinreichender Genauigkeit berechnen lassen, und dies muss doch als XVII, 13 194 Frenzel, Zur Planktonmethodik. eine der ersten Bedingungen für unseren Zweck gelten. In der That kann man auch bei Kolbensaugpumpen deren Leistungsfähigkeit aus Kolbendurchmesser und Kolbenhub berechnen, und außerdem lässt sich, wenn man die Anzahl der zulässigen Kolbenhübe beim Handbetrieb zu 45 pro Minute als feststehend annimmt — dies ist allgemein gebräuch- lich — auch rein empirisch das Förderquantum genau ermitteln, indem man dieses einfach innerhalb einer bestimmten Zeiteinheit, z. B. einer Minute, abmisst. Die theoretische Saughöhe beträgt, wie bekannt, ca. 10 m. Da dieselbe jedoch durch den sog. schädlichen Raum, so- wie durch kleine Undichtigkeiten, welche durch den Gebrauch an Kolben und Ventilen entstehen können, nachteilig beeinflusst wird, so nimmt man in der Praxis als Maximalsaughöhe 6—7 m vom Wasser spiegel aus an. Nun liegt es gar nicht in unserer Absicht, das Wasser so hoch zu saugen, sondern nur so hoch etwa, wie der Aus- lauf der Pumpe sich über dem Wasserspiegel befindet, also höchstens nur 1 m oder wenig mehr. Infolge dessen ist die Pumpe auch im Stande mehr zu leisten, als wenn sie bis zur Maximalhöhe fördern soll, und infolge dessen erreicht das empirisch festgestellte Förder- quantum auch nahezu die aus Kolbendurchmesser und Hub berechnete Leistungsfähigkeit, wie sie von den Lieferanten zumeist angegeben wird. Immerhin aber erscheint es unerlässlich, bei Anschaffung einer Pumpe deren Förderquantum durch besondere Versuche festzustellen. Bei strenger Kälte kann es sich leicht ereignen, dass die Pumpe einfriert, genauer gesagt, dass das Ventil im Kolben resp. das Klappenventil anfriert. Dies kann namentlich dann geschehen, wenn mehrmals gepumpt wird und zwischendurch Pausen gemacht werden. Man kann sich nun dadurch helfen, dass man die Pumpe zunächst in völlig trockenem Zustande mitnimmt, so dass die Ventile während des Transportes nicht frieren können. Außerdem kann man zwischen den einzelnen Versuchen weiterpumpen lassen, so dass fortwährend Wasser läuft. Bequemer ist es indessen, einen Kessel mit heißem Wasser mitzuführen, dessen Wirksamkeit außerdem noch durch Zusatz von Salz bedeutend erhöht wird. Dieses Wasser gieße man einfach von oben auf den Kolben und pumpe ab, bis reines Wasser fließt. Es ist, da man sich auf so bequeme Weise helfen kann, gar nicht erforder- lich, kompliziertere Pumpen, z. B. solche mit Kegel- oder Kugel- ventilen anzuwenden, und auch diese gewähren keine Garantie gegen das Einfrieren. Aus den soeben angeführten Gründen beschränkte ich mich darauf, die einfachste und gleichzeitig billigste Pumpe anzuwenden. Es sei jedoch noch ein Wort über deren Größe gesagt. Wie bekannt ist das Plankton, an dies sei zunächst gedacht, im Winter sehr viel spär- liches als im Sommer. Aus diesem Grunde darf das zu filtrierende Wasserquantum nieht zu gering sein, namentlich dann, wenn man sich Frenzel, Zur Planktonmethodik. 195 auf einige Meter Wassertiefe beschränkt. Man sollte daher nicht unter 0,5 cbm = 500 1 gehen. Anderseits würde es ja von Vorteil sein, noch mehr Wasser zu pumpen, und zwar mittels einer möglichst großen Pumpe. Meine Versuche zeigten mir jedoch, dass man sich hier inner- halb gewisser Grenzen halten muss. Wird nämlich eine Pumpe von hoher Leistungsfähigkeit angewendet, so ist deren Saugkraft eine so große, dass das Wasser auch aus größerer Ferne herangesaugt wird, so dass mithin der wichtigste Vorteil, den das Pumpen dem Fischen gegenüber gewähren soll, verloren geht. So fand ich, dass bei einer Pumpe .von 100 1 Förderquantum pro Minute noch in einer Entfernung von 0,5 m unter dem Saugekorb gesaugt wurde; denn als sich der Saugekorb 0,5 m über dem Seeboden befand, wurden noch Sand- teilchen ete. von diesem her mitgerissen. Die Menge derselben betrug zwar nur ca. 1 g auf 1 cbm = 1000 k Wasser, also nur den mil- lionsten Teil oder 0,0001 °/,, ergab also einen äußerst kleinen Fehler. Immerhin aber erschien mir dieser Fehler noch zu groß, da sich in dem filtrierenden Eimer nicht ein einziges Sandkorn hätte finden müssen. Außerdem erscheint es aus gewissen Gründen erforderlich, möglichst dicht bis auf den Boden der Gewässer gehen zu können, ohne doch etwas anderes als Plankton zu sammeln, nämlich bis auf 0,25 m, und dieses Umstandes wegen ist es ratsamer, eine kleinere Pumpe anzuwenden, nämlich eine solche, welche ca. 50 bis 60 I pro Minute fördert. Will man dann mittels dieser ein größeres Wasserquantum filtrieren, so muss man eben längere Zeit pumpen; im Allgemeinen genügt indessen, nebenbei gesagt, 0,5 cbm Wasser für je einen Versuch. Die bekannte Pumpenfabrik W. Garvens, Kommanditgesellschaft (Hannover, Fabrikstraße; Hauptfiliale in Berlin W, Kanonierstraße 1) liefert Pumpen, die für den gedachten Zweck sehr gut geeignet sind. Nach Versuchen mit verschiedenen Modellen erschien mir Nr. 19 des Katalogs Nr. 14 der gedachten Firma am zweckmäßigsten zu sein, ein Modell, welches nach Angabe des Katalogs 55 1 pro Minute fördert. Das Instrument, welches sich in meinen Händen befindet, liefert fast genau 50 1 pro Minute bei 45 Hub, also gerade das gewünschte Quan- tum, Soll mithin 0,5 cbm Wasser filtriert werden, so wird 10 Minuten lang gleichmäßig gepumpt. Die genannte Firma fertigt ferner „trans- portable Saugpumpen auf Dreifuß“ an, die gerade für Versuche vom Eise aus vorzüglich gut geeignet sind, da sie mit einem passenden Spiralsaugeschlauch geliefert werden. Es kommt hier Nr. 19 A des Katalogs Nr. 14, S.92, in Betracht. Diese Pumpe kostet mit Gestell etc. 45 Mark. Gute Saugeschläuche liefert ferner die Gummiwaarenfabrik Carl Schwanitz; Berlin N, Müllerstr. 1795 zum Preise von 3—4 M. pro laufenden Meter bei 38 cm (= 1!/, Zoll) liehter Weite. — Nachdem ein Loch in das Eis geschlagen, die Tiefe ausgelothet und der Saugeschlauch bis zu der gewünschten Tiefe hinabgelassen, 13* 196 Frenzel, Zur Planktonmethodik. kann das Pumpen beginnen, wobei zu beachten ist, dass man Schlauch und Pumpe erst mittels Durchpumpens von Wasser reinigen muss. Als filtrierenden Apparat verwandte ich teils das sogenannte mittlere Hensen’sche quantitative Planktonnetz, zumeist aber das kleine, da dieses völlig genügt und bequemer zu handhaben ist. Bei Frostwetter kann nun ferner die Gefahr eintreten, dass das Netz vor oder nach dem Versuch gefriert, was nicht nur unbequem ist, sondern auch den zarten Seidenstoff schädigt. Diesem Uebelstande wurde in der Weise abgeholfen, dass das Netz während des Versuches in eine mit Wasser angefüllte Tonne gesenkt wurde, aus welcher sodann soviel Wasser abfloss, wie zugepumpt wurde. War schließlich der Versuch beendigt, so wurde die Tonne entleert, wobei das Netz gleichzeitig Zeit fand, leer zu laufen, ohne mit der äußeren Luft in Berührung zu kommen und schnell zu gefrieren. Es wurde dann auch nicht mit Wasser abgespritzt, sondern mit Spiritus, wodurch gleichfalls das Ge- frieren vermieden wurde. Bei dieser Gelegenheit sei auf einen Uebelstand hingewiesen, der, wie mir scheint, sich überhaupt auf die gesamte Planktonfischerei be- zieht. Wird nämlich ein neues oder noch wenig gebrauchtes Netz zum Filtrieren des gepumpten Wassers benutzt, so filtriert es ganz vorzüglich. Man kann dann selbst durch das kleine quantitative Netz, unbedenklich 1001 und mehr pro Minute laufen lassen, jedoch nur dann, wenn nicht viel Plankton, oder allgemeiner gesagt, Schweb- und Senk- stoffe im Wasser enthalten sind. Ist dies letztere aber der Fall, nament- lich wenn reichlich Diatomeen vorhanden sind, so verstopfen sich die feinen Poren des Netzes sehr schnell und die Filtergeschwindigkeit nimmt in demselben Maße ab. Lässt man nun das Wasser mittels einer Pumpe in das Netz, so kann man jeden derartigen Fehler genau beobachten; man kann dann das Zupumpen zeitweilig unterbrechen oder das Netz durch Schütteln ete. wieder hinreichend reinigen. Anders ist es dagegen, wenn man mit dem Netz im Gewässer fischt, denn hier hört jede direkte Beobachtung und somit jede Kontrole auf. Nun hat zwar Hensen im Hinblick auf diesen Uebelstand schon Maß- nahmen dagegen getroffen, insofern als er bei seinem „quantitativen“ Netz den Eingang verengerte, so dass also weniger Wasser zu fil- trieren ist. Immerhin ist damit jedoch der Uebelstand des Verstopfens der Poren im Seidenstoff nicht aus der Welt geschafft. Dazu kommt nun ferner noch etwas Zweites hinzu. Wie gesagt, filtriert ein neues Netz vorzüglich. Je länger dieses indessen im Gebrauch ist, um so mehr verstopfen sich seine Poren, selbst dann, wenn der Seidenstoff jedesmal gut gereinigt wird. So besitze ich ein derartiges Netz, welches mit der Zeit so undurchlässig geworden ist, dass es kaum noch 50 I pro Minute filtriert. Würde ich nun mit diesem Netz einen Vertikalzug in 50 m Tiefe machen, würde ich ferner den Querschnitt Frenzel, Zur Planktonmethodik. 197 der Eingangsöffnung zu 1 qdm annehmen, so müsste ich mehr als eine Minute anwenden, um das Netz heraufzuziehen, da ich sonst nicht die Gewissheit hätte, wirklich die ganze Wassersäule von 500 x 1=5001 filtriert zu haben. Im Allgemeinen zieht man nun ein solches Netz vorschriftmäßig zwar „langsam“ auf, aber ich möchte fast bezweifein, dass mau sich immer genügend Zeit dabei lässt. Ferner sollte man von Zeit zu Zeit die Filtrierfähigkeit eines derartigen Netzes sorgfältig prüfen, und dazu ist wieder die oben beschriebene Pumpe vorzüglich am Platze, denn sie zeigt uns mit absoluter Sicherheit, wieviel ein Netz zu filtrieren im Stande ist, wenn es sich sowohl durch wieder- holten Gebrauch wie auch während des Fischens verstopft. Ja, ich möchte soweit gehen zu behaupten, dasseinnichtvor dem Fischen geprüftes Netz keine Gewähr leistet, dass es thatsächlich die durchfischte Wassersäule filtriert hat und dass somit die abgeleiteten Angaben hinsichtlich der Quantität des Plankton keine Gewähr der Richtigkeit haben können. - Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich die Ansicht ausspreche, dass in dem oben angeführten Pumpverfahren die soeben angegebenen Fehlerquellen völlig vermieden werden können. Ich würde daher keinen Anstand nehmen, dies Verfahren auch dann zu empfehlen, wenn es sich um Planktonbestimmungen in größeren Tiefen sowie um solche zu einer anderen Jahreszeit handelt, also dann, wenn offenes Wasser ist; denn ebensogut wie vom Eise kann man ja auch vom Boote aus pumpen. Hinsichtlich der größeren Tiefen kommt freilich ein Uebelstand als recht hinderlich in Betracht, nämlich der der hohen Kosten, die die Anschaffung eines Spiralgummischlauches verursacht. Würde dieser doch bei 100 m Länge einige Hundert Mark kosten. Immerhin aber könnte man getrost bis etwa 20 m Tiefe gehen, da die hierbei entstehenden Kosten durch die auf der Hand liegenden Vorteile des Verfahrens reichlich aufgewogen werden. Vergleichende Versuche würden dann auch am besten entscheiden lassen, ob das Filtrieren des gepumpten Wassers thatsächlich und unter allen Um- ständen mehr leistet, als das Filtrieren einer entsprechenden Wasser- säule mittels des Vertikal- oder gar Horizontalzuges. Da der Sauge- schlauch ferner beliebig tief eingesenkt werden kann, so würde man in jeder zwischenliegenden Tiefe ohne weiteres den Planktongehalt ermitteln können, ohne, wie mit dem Vertikalnetz Stufenfänge aus- führen und diese unter sich vergleichen zu müssen. Es könnte mithin das ganze Mess- und Zählverfahren erheblich abgekürzt werden. Die Planktonpumpe, wie ich sie der Kürze halber nennen möchte, mag nun auch noch anderen Zwecken dienstbar gemacht werden. So möchte sie namentlich in sehr flachen Gewässern gute Dienste thun, die ein eigentliches Plankton gar nicht aufweisen, da 198 Frenzel, Zur Planktonmethodik. ihre Sohle mit Pflanzen besetzt ist, die eine eigene Fauna beherbergen. Dies sind z. B. Fisch- resp. Karpfenteiche, die selten mehr als 1 bis 2 m Tiefe haben. Hier sind ja Vertikalzüge kaum noch recht an- wendbar, namentlich wenn die Pflanzen üppig wuchern, und Hori- zontalzüge können doch kaum ein irgendwie genaues Resultat er- geben, zum Teil auch schon des Pflanzenwuchses wegen. Eine Pumpe aber würde, wenn man deren Saugkorb noch mit einem Drahtschutz gegen das Ansaugen von Pflanzenteilen ete. umgiebt, sehr viel besser im Stande sein, uns über den Gehalt des Teichwassers an Organismen aufzuklären, und wir würden dann eher in die Lage kommen, eine Bonitierung von Teichen ete. zu begründen, als dies mit den bisherigen Hilfsmitteln möglich war. Gerade wie weiterhin die Planktonpumpe dazu dienen kann, die Organismenwelt in sehr flachen Gewässern zu sammeln, so ist sie in derselben Weise auch anwendbar, um die flachen Stellen unserer Ge- wässer überhaupt, also die sogen. Uferzone und die der Schaar einer genaueren Untersuchung zugänglich zu machen. Dies erscheint nament- lich für den Winter sehr wichtig, wo es nicht angeht mit dem Netz oder Käscher zu sammeln. Aber auch bei offenem Wasser wird es zweckmäßig sein vom Boote aus, das langsam vorwärts bewegt wird, mittels der Pumpe die am Boden oder zwischen den Pflanzen sitzenden Organismen heraufzubefördern, soweit sie der Saugekraft nicht wider- stehen können, also diejenigen, welche dem Fang mit dem Käscher leicht entgehen. Endlich ist es möglich, sowohl vom Eise aus wie auch bei offenem Wasser aus der Tiefe, wenn diese eine gewisse Grenze nicht überschreitet, Material heraufzubefördern, also ähnlich so, wie dies eine Dredge thut, die bekanntlich vom Eise aus kaum angewendet werden kann. Die Planktonpumpe kann mithin auch als teilweiser Ersatz dieses letzteren Apparates angesehen werden. Der Naturforscher, der gewöhnt ist, mit seinen oft so komplizierten Apparaten in die größten Tiefen der Ozeane hinabzugreifen, hat viel- leieht nur ein mitleidiges Lächeln für unsere bescheidenen Binnen- gewässer, namentlich wenn deren Tiefen so minimale bleiben. Ja selbst der Süßwasserbiologe sucht sich für seine Erforschungen immer noch die tiefsten der Landseen aus; und er hatte bisher auch insofern allen Anlass dazu, weil eben die gebräuchlichen und bewährten Unter- suchungsmethoden für die flachen Gewässer nicht ausreichten. Mit der Planktonpumpe hoffe ich somit eine Lücke ausgefüllt zu haben, die sich in einem Zweige der Süßwasserbiologie schmerzlich fühlbar machte, welcher verdiente mehr als bisher beachtet zu werden. [34] Matzdorff, Deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe - Ausstellung. 199 Die deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe- Ausstellung. Von C. Matzdorff. Zu den: mannigfachen Sehenswürdigkeiten auf biologischem Ge- biete, wie sie die vorjährige Gewerbe-Ausstellung zu Berlin in ihren Abteilungen für Gartenbau und für Unterricht und wie sie nicht min- der die angeschlossene Kolonial-Ausstellung bot, gesellte sich und nahm für die allgemeine Besucherwelt und Fachleute einen der ersten Plätze ein die Fischerei-Ausstellung. Jene sah sich vor allem infolge ihrer zumal bei dem Berliner seit alter Zeit her bekannten Vorliebe für das Wasser sowie durch die Fischkosthalle, die der Be- lehrung durchs Auge eine fernere durch die Zunge folgen zu lassen gestattete, hierher gezogen, der Naturkundige sah hier in meist treff- lich belehrender Weise das zur Schau gestellt, was von unserem Wissen über die Welt der deutschen Fische und ihrer Mitbewohner in nassem Reiche in Darstellungen irgend welcher Art anschaulich gemacht werden konnte. In der Abteilung für Süßwasserfischerei traten historische und technische Gesichtspunkte in den Vordergrund. So möge der Sonder- Ausstellung des märkischen Provinzial-Museums (Geheimrat Friedel) gedacht werden, die in dem „Verzeichniß der ausgestellten Gegenstände mit erläuterndem Text“ von einer monographischen Ab- handlung über die brandenburgische Fischerei begleitet wurde, die außer historischen Daten ein Verzeichnis der märkischen Fische und vielerlei für die Lebensart dieser Fische bedeutungsvolle Notizen bot. Bemerkenswert waren in der Untergruppe „Binnenfischerei“ selbst die wissenschaftlichen Darbietungen der biologischen Station am Müggel- see (Prof. Frenzel), der teichwirtschaftlichen Station Trachenberg (Dr. Walter), der bayerischen Landes-Fischerei-Vereines u.e.a. Aus- steller, die einzelne Präparate oder Darstellungen, so namentlich auch von Fischfeinden der mannigfachsten Art, gebracht hatten. Leider war es aber hier nicht zu einer zusammenfassenden und unter all- gemeine Gesichtspunkte vereinigenden Ausstellung gekommen, wie sie die unten geschilderte Seefischerei veranstaltet hatte. Diese zweite Untergruppe war schon in auffallendem Maße reicher beschickt. Sie war aber auch dadurch im Vorteil, dass ihr von Prof. Henking ausgearbeitetes Ausstellungs-Verzeichnis nicht allein ein solches, sondern in allen und nicht zum mindesten in den wissen- schaftlich interessanten Abschnitten mit Erläuterungen versehen war, die dasselbe zu einem belehrenden Nachschlagebüchlein über die deutsche Seefischerei gestaltet haben. Nachträglich hat sich der Ge- nannte noch der Mühe unterzogen, für diese Abteilung des Fischerei- Kataloges ein Sachregister auszuarbeiten, das auf 34 Spalten aus- 300 Matzdorfi, Deutsche Seefischerei aut der Berliner Gewerbe - Ausstellung. führlich den Inhalt des 97 Seiten starken Textes angiebt und dessen Brauchbarkeit und Handlichkeit wesentlich erhöht. Der Besucher, der wohl nur in wenigen Fällen über die Anwendung sämtlicher der Technik des Fanges und der Verwertung dienenden Ausstellungs- Objekte Bescheid wußte, fand in dem Katalog zweckentsprechende Erläuterungen ihres Gebrauches und Erklärungen ihrer Namen, und diesen musste auch der Biologe, der 'nicht häufig Gelegenheit gehabt hatte, an verschiedenen Oertlichkeiten unserer Meere sich an der See- fischerei irgend welcher Art zu beteiligen, der aber trotzdem, wenn er nicht sein Forschungsgebiet auf Landpflanzen und -tiere beschränkt hat, der Technik des Fischens näher getreten sein wird, Interesse ab- gewinnen. Hier war eine erstaunliche Fülle von in natura oder in Modellen ausgestellten Fangvorrichtungen aller Art, vom großen Dampfer mit ungeheuren Netzen bis zum kleinen Handkätscher, aus- gestellt, denen sich ganze Fangdarstellungen (wir erinnern uns z. B. des Wintergarnfischens unter dem Eise auf dem Kurischen Haff) an- schlossen. Die wissenschaftliche Abteilung wies außer Apparaten zur Erforschung der Meere, unter denen natürlich Bestecke für den Plank- tonfang nicht fehlten, und der einschlägigen Litteratur Modelle und Pläne deutscher Häfen auf, die das Ministerium für öffentliche Ar- beiten, manche Vereine und Private dargeboten hatten, sowie die sehr instruktiven graphischen und plastischen Darstellungen zur Fischereistatistik des deutschen Seefischerei-Vereins. Hier fand man neben der Karte der Nordsee-Fischerei-Gründe (1:800000) Modelle über Einfuhr und Fang des Salzherings 1894, solche über die Produktion desselben in England, Holland, Norwegen und Deutschland 1894 (in dieser Reihenfolge dem Umfange nach abnehmend) undüber die Ge- samt-See- und Küstenfischerei in England, Frankreich, Norwegen, Deutschland und Dänemark 1894. Es ließ sich ferner aus vergleichen- den graphischen Darstellungen das ungemeine Wachstum der deutschen Fischerei im allgemeinen (1889—1894) und der großen Heringsfischerei in der Nordsee im besonderen (1872—1895), für die allein 1895 drei neue Gesellschaften eingetreten sind, ersehen. Aehnlich war ein An- steigen des Raumgehaltes der deutschen Nordseefischereifahrzeuge, des Umfanges der Fischverkäufe und der Zahl der beschäftigten Fischer deutlich erkennbar. Andere Tabellen zeigten den Gehalt an Proteinen in Schellfisch- und Rindfleisch sowie Fett- und Proteingehalt im Fischfleisch. Während noch 1870 die Hochseefischerei auf Hering nur von Emden aus mit wenigen Loggern und der Frischfischfang nur mit einigen Ewern von der Unterelbe aus betrieben wurde, im übrigen unwesentliche Küstenfischerei herrschte, besitzt unser Vaterland jetzt in der Nordsee an 100 Fischdampfer, die bis Irland gehen, und am 1. November wurde zu Geestemünde, von wo aus 1885 der erste Fisch- Matzdorff, Deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe - Ausstellung. 201 dampfer in See ging, ein neuer großer Hochseefischereihafen anf einem Gelände von c.45ha eröffnet, an dessen 450 m langer Halle 15 Dampfer zu gleicher Zeit löschen können. Von einzelnen ausgestellten Naturobjekten seien ein 3!/,m langer weiblicher ausgestopfter Stör sowie das prächtige Kopfskelett eines grönländischen Wales (Balaena mysticetus) mit vollständigem Barten- wuchs (Firma Mann Isaac) erwähnt. Den Mitte!punkt der wissen- schaftlichen Ausstellung bildete aber eine biologische Kollektiv- Sammlung, die der deutsche Seefischerei-Verein (Henking), die biologische Station auf Helgoland (Heincke), die zoologische Samm- lung des berliner Museums für Naturkunde (Möbius), das naturhisto- rische Museum in Kiel (Kräpelin) und die zoologischen Mu- seen in Hamburg (Brandt), Lübeck (Lenz), Rostock (Blochmann), Greifswald (Müller) und Königsberg (Braun) zusammengestellt hatten. Die Erläuterungen, die diese von Prof. Heincke geordnete Ausstellung in dem Katalog erfahren hat, gingen aus der Feder des genannten sowie Prof. Henkings hervor. Unterstützt wurde dieselbe durch eine Anzahl plastischer nach einem neueren Verfahren herge- stellter Fischdarstellungen der Firma Pellegrini in Chemnitz, die, nach frischen Exemplaren geformt und gemalt, treffliches leisteten. Der eine Abschnitt dieser Sammlung führte in 7 Schränken sämt- liche 81 Nutzfische der deutschen Meere in systematischer Reihenfolge vor. Es waren die folgenden: Petromyzon flwviatilis L. und marinus L., Lamna cornubica Gmelin, Acanthias vulgaris Risso mit Jungen verschiedener Altersstufen, Scyllium canicula C u v., Raja batisL., elavataL., radiata Donovan, fullonicaL., Trygon pastinacaL., * Acı- penser sturio L., *Anguilla vulgaris Flem., Conger vulgaris Cuv., Salmo salar L., trutta L., Coregonus oxyrhynchus L., lavaretus L., Os- merus eperlanus L. mit Entwiekelungsstadien und Nahrung, * Clupea harengusL., *sprattus L., alosa L., Engraulis encrasicholus L., Jeueis- cus idus L., Abramis ballerus L. und vimba L., Pelerus cultratus L., Ammodytus lanceolatus Lesanv. und tobiunusL., Belone vulgarisFlem., Spinachia vulgaris Flem., Gasterosteus aculeatusL. und pungitius L., mit Nestern, Mugilchelo Cuv., Zoarces viviparusL., Anarrhichas lupus L., Oye- lopterus lumpus L., Liparis vulgaris Flem. und MontuguDonovan, Go- bius nigerL., RuthensparriEuphr., minutus Gmelin, Aippoglossus vul- garis Flem., Hippoglossoides limandoides Bloch, *Rhombus maximusL., * JaevisRondelet, Pleuronectes microcephalus Donovan, cynoglossusL., * imanda L., * platessaL., * flesusL., * Solea vulgaris Quensell, *Gadus morrhua Gthr., *aeglefinus L., merlangus L., minutus L., virens L. und pollachius L., Merluccius vulgaris L., Lota molva L., Motella mu- stelaL., cimbria L. und trieirrata Bloch, Raniceps ranians L., Trigla gununardusL., hirundo Bloch, Cottus scorpius L., bubalisEuphr. und quadricornis L., Lophius piscatorius L., Trachinus draco L., Scomber 202 Matzdorff, Deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe - Ausstellung. scomberL., Thynnus vulgaris Cuv., Caran& trachurus L., Zeus faberL., mit Jungen, Xiphias gladius L., Sciaena aquila Risso, Mullus bar- batus L., Pagellus centrodontus de la Roche, Labrax lupus Cuv., Acerina cernua L. und Perca fluviatilis L. Der interessantere zweite Abschnitt zeigte in 13 Schränken „bio - logische Zusammenstellungen zur Erläuterung der verschie- denen Abarten, des inneren Baues, der Fortpflanzung, der Entwicke- lung und der Ernährungsweise der für die Seefischerei wichtigsten Fische, Krebstiere und Weichtiere der Nord und Ostsee“. Die jede Tierart betreffenden Präparate und Abbildungen waren so zusammen geordnet, dass der Besucher unter Zuhilfenahme des Textes im Kata- loge ein überraschend übersichtliches Bild vom Bau nnd Leben des betreffenden Tieres gewinnen konnte. Es war derselbe Grundsatz, den Geheimrat Möbius in der Schausammlung des berliner zoolo- gischen Museums durchführt. Wir werden uns gestatten, die Ergeb- nisse nach einigen allgemeinen Gesichtspunkten zusammenzustellen. Von Fischen waren hier die oben mit einem Stern bezeichneten be- handelt. Außer gut im ganzen aufbewahrten Exemplaren war die Anatomie und Histologie in Präparaten, sowie in gedruckten und mit der Hand gefertigten Abbildungen vertreten. Vom Aal sah man u. a. das Kopfskelett beider Brunn’schen Formen mit Röntgenstrahlen aufgenommen. Bei dem Stör fanden sich außer Skeletten Präparate der reifen vollen und der abgelaichten Geschlechtsorgane und ihrer Inhalte, sowie die Schwimmblase. Für die Scholle waren u. a. die Schlundknochen besonders präpariert. Natürlich fehlten bei keiner Art Situspräparate. Sehr ausführlich war die Entwickelung berück- sichtigt. Die Eier des Herings sah man angeklebt an Pflanzen, die des Störs im Eierstock und abgelegt, desgleichen Flundereier. Larven und Brut der verschiedensten Altersstufen waren in reicher Zahl und vor- trefflicher Aufstellung (die Tiere erschienen in völlig freier, natürlicher Haltung) vom Hering und Sprott vorhanden. Von Plattfischen fehlten symmetrische Junge nicht. Die Wanderung des Auges war nach Benecke’s Darstellung vorgeführt. Ganze Reihen von Altersstufen fanden sich beim Aal, Stör, Hering und Sprott. Um den Wohnort der Fische zu zeigen, waren vor allem allein sieben Plattfischformen in flachen Kästen auf dem natürlichen Grunde liegend in ausgezeichnet erhaltenen Färbungen aufgestellt; auch Jugendzustände verschiedenen Alters der Flunder wurden in ähnlicher Weise vorgeführt. Weiter sah man eine Probe des Kabliaugrundes der Jütland-Bank mit seinen Steinen, Muscheln und Röhrenwürmern, der sich Grundproben der Wohnstätten des Dorsches und Schellfisches anschlossen. Reichlich waren Darstellungen der Nahrung unserer Fische. Einmal fanden sich überall Präparate der Mageninhalte in toto, die z. B. für die Matzdorff, Deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe- Ausstellung. 203 Gadus-Arten schon eine makroskopische Analyse gestatteten. Sodann waren die wichtigsten Nährtiere auch in gut erhaltenen Exemplaren gesondert beigegeben. Hierher gehören Lanice conchilega Malmg. und Arenicola marina für den Stör, Hyperia, Mysis, Phyllo- und Cope- poden für den Hering, Galatea Hippolyte, Brachyuren, Mactra, Aphro- dite, aber auch Plattfische für den Dorsch, Ophioglypha albida Lym. und lacertosa Lym., Amphiura filiformis Forb., Echinocyamus pusil- lus Gray, Echinocardium cordatum Gray, Portunus holsatus Fab., Corystes Cassivelaunus Leach, Galatea intermedia Lilljeb., Gebia deltura Leach, Crangon Allmani Kinah., Nika edulis Risso, Dia- stylis Rathkei Kr. sowie zahlreiche Muscheln (Scrodicularia, Tellina, Cyprina, Nucula, Mactra, Venus, Montacuta, Corbula u. a.) für den Schellfisch, Diastylis Rathkei Kr. und lucifer Kr., Oultellus pellucidus Pennant, Cylichna cylindracea Penn., Syndesmia prismatica Mon- tagu für die Seezunge, Muscheln für die Scholle. Ein Exemplar des letztgenannten Fisches zeigte, mit Röntgenstrahlen photographiert, Nucula nitida Sowerby im Magen. Schließlich mögen hier auch 12 Planktonfänge aus Kiel Erwähnung finden, die sowohl unsortiertes als gesondertes Diatomeen-, Dinoflagellaten- und Copepoden-Material aufwiesen. Das Gebiet der Pathologie vertraten zunächst Schmarotzer, Lernaea von Dorschkiemen und Caligus von dessen Haut. Ferner war verfetteter Rogen des Störes ausgestellt. In das Gebiet der Varia- tionen und Monstrositäten gehören die wellig gekrümmten Aale aus der Unterelbe, deren einige 3—4, ein anderer sogar 7 Biegungen der Wirbelsäule aufwies. Dorsche haben zuweilen missgebildete Köpfe, „Mops- köpfe“. Vom Stör war ein Zwitterorgan mit vieler Milch und wenig Rogen vorhanden, von der Scholle und der Flunder je ein linksäugiges Exemplar. Auch die „Rhombusform“form der Scholle gehört hierher. Farbenvarietäten kamen beim Aal (Goldaale) sowie mannigfach bei den mit beweglichen Chromatophoren versehenen Plattfischen vor. Einem beiderseits gefärbten Exemplare der Flunder schlossen sich verschie- dene Schollen an. Ein Albino besaß einen dunklen Kopf und dunkle Flossen, ein rotgelbes Exemplar hatte einen bräunlichen Saum mit wenigen großen dunklen Flecken, ein drittes war in der Mitte hell, seitlich dunkel, oder der Kopf war hell, der Rand gefleckt; auch die Unterseite war gelegentlich dunkel gefärbt. Die Systematik des Aales, von dem v. Brunn den kleinäugigen, breitköpfigen grünen, Reusen- oder Treibaal (80°/, Männchen) und den großäugigen, spitzköpfigen Penkaal (meist Weibchen) unterscheidet, war für diese beiden Formen ausführlich erläutert (s. auch oben). Auf den Fang der Fische, bezw. anf ihre Nahrung, bezogen sich die ausgestellten Köder, so für den Kabliau Fischstücke, Krebse und Würmer, für den Schellfisch Ammo- dytes tobianus L., Echiurus Pallasii und Arenicola marina. Die Ver- wertung des Störrogens fand gleichfalls ihren Platz. 204 Matzdorff, Deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe - Ausstellung. Von Krebsen waren der Hummer, Homarus vulgaris M. Edw., ein Verwandter, Nephrops norvegicus Leach, die sog. Krabben Orangon vulgaris L. und Palaemon squilla L., wie die Taschenkrebse Cancer pagurus L. und Carcinus maenas Leach berücksichtigt. Außer ana- tomischen Präparaten fanden sich beim Hummer Entwickelungsstufen, abgeworfene Panzer, Mageninhalte, Exemplare mit regenerierten Schee- ren. Zwei 20—30 Jahre alte Individuen hatte die helgoländer Station ausgestellt, deren Panzer eine ungemein reiche wandelnde Biocönose mit Cirrhipedien, Würmern, Bryozoen, Hydroidpolypen, Schwämmen, Pflanzen u. a. m. bedeckte. Von Crangon waren 3- bis 4jährige Weibehen, die 76mm lang waren, ausgestellt, ferner zahlreiche Ent- wickelungsstufen, Häutungen und abgeworfene Panzer, sowie Farben- varietäten. Auch dieses Tier zeigt ja einen auf dem Spiel von Chro- matophoren beruhenden Färbungswechsel. Als Nahrung dienen ihm Heringslarven, Mysis vulgaris T'homs., Corophium longicorne Lat., Podopsis Slabberi van Bened. Uebrigens fanden neben ihren Klassen- genossen einige weitere Arten, darunter auch Limnoria lignorum White ihren Platz. Unter den Mollusken stand natürlich die Auster voran. In sehr ergiebiger Weise waren ihre Anatomie, ihre Entwickelung und ihr Vorkommen zur Darstellung gebracht worden. Außer dem umfang- reichen, dem berliner Museum entstammenden Trockenpräparat einer „Austernbank“ mit ihrer Biocönose, wie sie von Möbius dargestellt worden ist, fanden sich hier einige ausgezeichnete in Flüssigkeit konservierte Miniaturbänke, die ähnlich wie ein beim Dorsch auf- gestelltes Präparat, Tiergruppen in ihrem natürlichen Beisammen- wohnen und in vortrefflicher Form- und Farbeerhaltung zeigten. So sieht man einmal Gobius minutus L., Cottus scorpius L., Syng- nathus acus L. und Stenorhynchus phalangium Penn. bei einan- der. In einem andern Präparat sind Austern von COliona bewohnt, auf ihnen sitzen Hydractinia echinata Flem., Alcyonium digitatum L., Eudendrium ramosum Pall., Balanus crenatus Brug. Oder es wohnen mit Austern im bunten Gemisch Würmer, Actinien, Bryozoen, Schwämme und Cirrhipedien zusammen. In Einzelpräparaten waren die Tiere der Austernbänke, namentlich auch die Epizoen der Schalen selbst, zusammengestellt, unter ihnen die häufigen Balanus, Dreikantenwümer, Hydrallmania, Bryozoen, sowie die Austernfeinde, die Seesterne. Ameri- kanische Austern, Ostrea virginianaLam. und borealisLam., aus New Haven, skandinavische aus Espevig und Selö bei Tysnaes und neapo- litanische (mit dem Feinde Asterias glacialis) finden sich zum Ver- gleiche. Reisig und Rindenstücke dienen zum Auffangen der schwär- menden Brut. — Neben der Auster waren in, wenn auch natürlich geringerem, Umfange die Miesmuschel, Mytilus edulis L., die Herz- muschel, Cardium edule L., die Sandmuschel, Mya arenaria L., Henneguy, Die Zelle. 205 zur Stelle. Cardium wie die Schnecken Buecinum undatum L. und Litorina litorea L. und Buccinum waren u. a. ausgestreckt und krie- chend präpariert. Von den übrigen Evertebraten fanden der essbare Echinus escu- lentus L., Seesterne mit regenerierten Armen (aus New Haven), ferner Korallen und ihre jin Neapel betriebene Industrie, die sich auch mit Cassis madagascariensis befasst, und schließlich der Sandpier, Areni- cola piscatorum L., ihren Platz in dieser Abteilung. Von dem letzt- genannten war ein Präparat, das seine Wohnröhre im Sande und den auf- geworfenen Kothügel imLängsschnitt zeigte, besonderer Beachtung würdig. Die Technik der ausgestellten Objekte war so mannigfach, wie es heute nur möglich ist. Vor allem war in der Auswahl konservie- render Flüssigkeiten vortreffliches geleistet, und die Fische des Herrn Dr. Hoffbauer in Helgoland sowie die (bei der Auster genannten) Biocönosen der Herren Bullemer in Berlin ließen an farben- und for- mengemäßer Konservierung nichts zu wünschen übrig. Vervollständigt wurde die makroskopische Ausstellung durch mehrere mikroskopische Präparate von Fisch- und Krebslarven, Copepoden u. dgl., die an drehbaren Stativen Winkel in Göttingen geliefert hatte. Wenn der Katalog von der geschilderten Kollektiv-Ausstellung sagt: „Die Sammlung soll mustergiltig sein, sowohl in Bezug auf Konservierung und Aufstellung der Objekte nach den nenesten Me- thoden, als auch als Anschauungsmittel zur Belehrung über die Natur- geschichte der nutzbaren Seetiere“, so sind wir der Ansicht, dass die Absicht der Aussteller erreicht ist. [11] L. Felix Henneguy, Lecons sur la cellule, morphologie et reproduction. Recueillies par Fabre-Domergue, revues par le professeur H. Paris, Georges Carre, 1896, groß 8°, 541 Seiten, 362 Figuren im Text. Dieses Werk ist aus Vorlesungen hervorgegangen, die im Winter 1893/94 am Institut de France gehalten wurden. Es hat dadurch einen eigenartigen Charakter bekommen, der sich aus dem Schlusssatze der letzten, 31. Vorlesung, erklärt: „Ich habe Sie in diesen Vorlesungen auf die zahlreichen Lücken hingewiesen, die unsere Kenntnis von der Zelle noch zeigt. Ich werde mich glücklich schätzen, sollte ich in Ihnen den Wunsch erregt haben, durch eigene Untersuchungen zu ihrer Ausfüllung beizutragen. Denn das soll der eigentliche Zweck des Unterrichtes an unserm Institute sein“. Vorlesungen mit diesem Zweck werden in Deutsch- land selten gehalten;‘ und dadurch erklärt sich auch der wesentliche Unter- schied der sich zwischen Henneguy’s Vorlesungen und O. Hertwig’s vortrefflichem, früher in dieser Zeitschrift angezeigtem Werk „Die Zelle“ ergiebt, das ebenfalls aus Vorlesungen hervorgegangen ist. Henneguy behandelt auf fast doppeltem Raum ein etwas enger gefasstes Thema. Die eigentliche Physiologie der Zelle tritt, wie schon der Titel andeutet, mehr in den Hintergrund; der Zellteilung ist ein breiterer, der Fortpflanzung 206 Das Tierreich. der höheren Tiere und Pflanzen und den Vererbungstheorien nur ein kleinerer Raum zugeteilt. Verf. will angehende Forscher nicht nur in die neuesten Anschau- ungen ihrer Wissenschaft einführen, sondern ihnen auch das ganze that- sächliche Material, kritisch geordnet, vorführen. Die persönliche Form der Vorlesung und eine große Kunst der Darstellung verbundeu mit einem einfachen klaren Stil, ermöglichen ihm, das zu thun, ohne den Leser zu ermüden. Eine außerordentliche Belesenheit, vor allem auch in der deutschen Litteratur, und eigene Untersuchungen befähigen ihn dazu. Die Darstellung folgt in allen einzelnen Teilen immer dem zeitlichen Fortschritt der Forschung; alle Autoren werden dabei mit der Jahreszahl ihrer Ver- öffentlichung genannt. Eine nahezu 1600 Titel umfassende, nach den Autoren alphabetisch geordnete und durch einen Nachtrag bis auf die Zeit des Druckes ergänzte Bibliographie ermöglichen es dem Interessenten, mit geringer Mühe die Publikation zu finden, auf die sich das betreffende Zitat bezieht, ohne dass der Text durch Anmerkungen störend unter- brochen oder der Umfang des Buches durch die oft vielfache Zitation des- selben Werkes vergrößert wird. Neue Thatsachen werden in den Vorlesungen nur sehr wenige mit- geteilt. Mehr als sonst üblich wird berücksichtigt, wenn Verf. auffallende Beobachtungen anderer Forscher bestätigen oder gelegentlich auch nicht bestätigen konnte; aber das ergiebt sich aus dem Charakter der Vorlesung und verleiht der Darstellung besonderen Reiz. Mit scharfer Kritik geht Verf. allen Spekulationen zu leibe; er betont mehrfach den hohen Wert der fruchtbaren Hypothese, aber er sucht unerbittlich alle bloßen Folgerungen von den häufig nur spärlichen 'Thatsachen, auf denen sie beruhen, zu trennen. Seinen Zweck, eine zugleich umfassende und eingehende Darstellung unseres jetzigen Wissens von der Zelle und seiner Eutwicklung in den letzten hundert Jahren zu geben, hat der Verf. erreicht. Ein solcher Ueberblick ist aber nicht nur für Anfänger in zytologischer Forschung, zu welchen der Verf. gesprochen hat, sondern auch für jeden Forscher nützlich oder vielmehr notwendig, der sich mit irgend einem Zellenleben berührenden Wissenszweig beschäftigt, für alle Biologen und Mediziner, die nicht in der Lage sind, durch Studium der so überaus zahlreichen Originalarbeiten sich ihr Urteil zu bilden, Und deshalb wünschen wir den „Vorlesungen“ auch in Deutschland recht viele Leser. W. [32] Das Tierreich. Eine Zusammenstellung und Kennzeichnung der rezenten Tierformen. Heraus- gegeben von der deutschen zoologischen Gesellschaft. Generalredakteur: Franz Eilhard Schulze. Verlag von R. Friedländer & Sohn. Berlin NW. Seit Linn&’s Systema naturae ist nicht wieder der Versuch gemacht worden, sämtliche lebende Tierformen in einem Werke systematisch zu be- handeln. Die Zahl der bekannten Arten ist jedoch seitdem ins Riesenhafte gewachsen, so dass das Bedürfnis nach einer umfassenden Uebersicht dringlich geworden ist. Die deutsche zoologische Gesellschaft beabsichtigt daher, durch Aufführung und Kennzeichnung aller bisher erkennbar beschrie- benen, lebenden und in historischer Zeit ausgestorbenen Arten und ihrer systematischen Gruppen eine einheitliche Darstellung des Tierreiches zu geben, welche als Grundlage und Ausgangspunkt aller künftigen Systematik dienen soll, Das Tierreich. 207 Um die Bewältigung des gewaltigen Stoffes in absehbarer Zeit zu ermög- lichen, ist eine Verteilung der Arbeit auf eine große Zahl von Teilnehmern in Aussicht genommen. Die wissenschaftliche Leitung des Unternehmens liegt in den Händen eines Generalredakteurs, des Herrn Geh. Reg.-Rat Professor Dr. F. E. Schulze in Berlin, und einer Anzahl Redakteure für die Hauptabteilungen des Tier- reiches. Dem Generalredakteure steht ein Redaktions- Ausschuss zur Seite, der aus dem jeweiligen Vorsitzenden der deutschen zoologischen Gesellschaft und dem Herrn Geh. Reg.-Rat Professor Dr. K. Möbius in Berlin besteht. Hinsichtlich der Ausführung des Werkes sei bemerkt, dass außer den sicheren auch die ungenügend beschriebenen und zweifelhaften Arten sowie die Unterarten und Varietäten, ferner wichtige Entwieklungsstufen, abweichende Generationen und besonders merkwürdige biologische Verhältnisse Berück- sichtigung finden sollen. Die geographische Verbreitung wird bei jeder Art angegeben werden, ebenso die wichtigste Litteratur und sämtliche synonyme Benennungen, damit das abgeschlossene Werk über jeden seit Einführung der binären Nomenklatur gebrauchten systematischen Namen Auskunft zu geben vermag. Zur Erleichterung des Ueberblickes dienen systematische Uebersichten, dem praktischen Bedürfnisse zahlreiche Bestimmungsschlüssel. Jede in sich abgeschlossene Abteilung wird eine Liste der angewandten Abkürzungen, einen systematischen Index und ein vollständiges alphabetisches Register enthalten. Nach Abschluss einer jeden in mehreren Abteilungen bearbeiteten Gruppe er- scheint ein Index und ein Register für die ganze Gruppe, am Schlusse des Werkes ein General-Index und ein General - Register. Als Abteilungs- Redakteure wurden gewonnen: Prof. F. Blochmann in Rostock (Brachiopoda). — Prof. 0. Boettger in Frankfurt a. M. (Batrachia s. Amphibia, Reptilia). — Prof. M. Braun in Königsberg i. Pr. (Platyhelminthes). — Hofrat Prof. 0. Bütschli in Heidelberg (Protozoa). — Prof. C. Chun in Breslau (Cnidaria, Ctenophora). — Prof. F. Dahl in Kiel (Arachnor- dea). — Prof. C. W. von Dalla Torre in Innsbruck (Hymenoptera). — Prof. L. Doederlein in Straßburg i. E. (Mammalia). — Geh. Reg.-Rat Prof. E. Ehlers in Göttingen (Bryozoa). — Dr. W. Giesbrecht in Neapel (Crustacea). — Mag. pharm. A. Handlirsch in Wien (Rhynchota, Neuroptera). — Dr. W. Kobelt. in Schwanheim (Mollusca). — Kustos H. ]J. Kolbe in Berlin (Coleoptera). — Dr. H. Krauss in Tübingen (Orthoptera). — Direktor Prof. R. Latzel in Klagenfurt (Myriopoda). — Schulrat Prof. J. Mik in Wien (Diptera). — Dr. 6. Pfeffer in Hamburg (Pisces). — Prof. A. Reichenow in Berlin (Aves). — Geh. Reg.-Rat Prof. F. E. Schulze in Berlin (Porifera). — Direktor Dr. A. Seitz in Frankfurt a. M. (Lepidoptera). — Prof. J. W. Spengel in Gießen (Vermes exel. Platyhel- minthes, Tunicata). Von Gruppen - Bearbeitern können jetzt schon genannt werden: Grf. H. v. Berlepsch -auf Schloss Berlepsch (Icteridae, Tanagridae, Dentrocolap- tidae, Tyrannidae). Prof. R. Blanchard in Paris (Hirudinea). Prof. F. Blochmann in-‚Rostock i. M. (Brachiopoda), Prof. 0, Boettger in Frankfurt a. M. (Amphibia, Reptilia). Prof. K. Brandt in Kiel (Radiolaria). Prof. M. Braun in Königsberg i. P. (Cestodes, Trematodes). G. Budde-Lund in Kopenhagen (Isopoda p. P.). 208 Das Tierreich. Dr. 0. Bürger in Göttingen (Nemertinea). Prof. 6. Canestrini in Padua (Acarina p. P.) Dr. E. Canu in Boulogne-sur-Mer (Copepoda p. ».) Prof. C. Chun in Breslau (Siphonophora, Otenophora). Prof. C. W. v. Dalla Torre in Innsbruck (Oynipidae). Geh. Reg.-Rat Prof. E. Ehlers in Göttingen (Bryozoa p. p.) Prof. C. Emery in Bologna (Formiecidae). H. Friese in Innsbruck (Apidae). Prof. A. Giard in Paris (Isopoda p. P.). Dr. W. Giesbrecht in Neapel (Copepoda pP, P.). Prof L. v. Graff in Graz (Turbellaria, Myzostomida). E. Hartert in Tring (Podargidae, Caprimulgidae, Micro- podidae, Trochilidae). Dr. W. Kobelt in Schwanheim (Gastropoda p. p.). Kustos H. J. Kolbe in Berlin (Cieindelidae). Pastor F. W. Konow in Teschendorf i. M. (Tenthredinidae). Dir. Prof. K. Kraepelin in Hamburg (Scorpionida, Pedipalpi, Solifugae). Prof. P. Kramer in Magdeburg (Acarina p. P.). Dr. R. Lauterborn in Ludwigshafen a. Rh. (Infusoria cikiata). Prof. R. v. Lendenfeld in Czernowitz (Porifera p. 2.). Dir. H. Lenz in Lübeck (Territelariae, Decapoda p. p.). Dr. H. Lohmann in Kiel (Acarina p. P.). A. D. Michael in London (Oribatidae). Dr. W. Michaelsen in Hamburg (Oligochoeta). Prof. A. Nalepa in Wien (Phitoptidae). W. R. Ogilvie-Grant in London (Phasianidae). Dr. A.E.Ortmann in Pinceton, U. S. America (Decapoda p. 2.). Dr. 6. Pfeffer in Hamburg (Deeapoda p. P.). Dir. @. R. Piersing in Großzschocher (Hydrachnidae). Dr. L. Plate in Berlin (Tardigrada). Prof. A. Reichenow in Berlin (Sturnidae, Ploceide, Psittacidae). Dr. R. Rhumbler in Göttingen (Sarcodina reticulosa). Dr. J. Richard in Paris (Cladocera). L. W. de Rothschild in Tring (Paradiseidae). Dr. F. Schaudinn in Berlin (Sarcodina lobosa et filosa, Heliozoa). Rektor Dr. 0. Schmeil in Magdeburg (Copepoda ». P.). Dr. 0. Schmiedeknecht in Blankenburg (Ichneumonidae, Braconidae, Chal- cididae, Proctotrupidae). Geh. Reg.-Rat Prof. F. E. Schulze in Berlin (Hexactinellida). Dr. R. B. Sharpe in London (Vulturidae, Falconidae, Strigidae). Prof. J. W. Spengel in Gießen (Gephyrea, Enteropnensta). Rev. T. R. R. Stebbing in Tunbridge Wells (Amphipoda, Cumacea). Dr. H. Uzel in Königgrätz (Thysanoptera). Dr. W. Weltner in Berlin (Cirripedia). Prof. C. Zelinka in Graz (Rotatoria, Gastrotricha, Echinoderida). Als Probelieferung wurde die kleine Gruppe der Heliozoa von Dr. Fritz Schaudinn fertig gestellt; dieselbe wird auf Verlangen von der Verlagshand- lung jedem Interessenten zugesandt. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Üentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von ® Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII Band. 15. März 1897, Nr 6 Inhalt: Sehröter, Die Schwebeflora unserer Seen (das Phytoplankton). — Schreiber, Ueber die physiologischen Bedingungen der endogenen Sporenbildung bei Baeillus anthracis, subtilis und tumescens. — Gräfin M. v. Linden, Die Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen (Schluss). — Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). — Brandes, Nachträgliche Be- merkung zu meiner Notiz über die Entwicklung von Ascaris lumbricoides. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Wiesner, Zur Physiologie von Taeniophyllum Zollingert. | Dr. ©. Schröter, Die Schwebeflora unserer Seen (das Phyto- plankton). Neujahrsblatt der naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 1897. Wer auch nur einmal in das Leben der Mikroorganismen unserer Seen hineingeschaut hat, der bleibt gefangen von den ungeahnten Reizen, welche die Biologie der Süßwasserseen eröffnet — der bewundert die neue Lebensbühne, deren Vorhang sich gelüftet uud deren Vorführungen er studiert. Schröter tritt in den Kreis der Seeforscher nicht nur mit Be- geisterung sondern mit einer wohlgeübten Beobachtungsgabe, welche allein im Stande ist, so viele voreilige Schlüsse richtig zu stellen oder sogar ganz aufzuheben. Dass bisher viele Resultate voreilig als festbegründet angegeben wurden, das bezweifelt niemand, der sich auch nur einigermaßen mit See- studien befasst hat, und die Arbeit von Schröter beweist es zur Genüge. Der erste Teil des Neujahrsblattes macht mit verschiedenen Begriffen des Seestudiums bekannt. See, Teich und Sumpf unterscheidet Schröter durch die Vegetation. Die Sumpfpflanzen ragen mit den Vegetations- organen über die Wasseroberfläche empor, während bei den Wasserpflanzen diese Organe fehlen. Wo nur die erstern wachsen, das nennen wirSumpf. Dem Teiche fehlen „rein submerse“ Wasserpflanzen, ihm sind nur die „sub- mersen mit Schwimmblättern“ und die „submersen mit emersen Blüten“ eigen. Nach einer hübschen übersichtlichen Darstellung der „Lebensbezirke“, der Ufergestaltung und Vegetationsverhältnisse eines Sees teilt er die Seeflora in: 1. das Phyto-Benthos oder die Bodenflora, 2. das Pleuston oder Schwimmflora und 3. das Phyto-Plankton oder die Schwebeflora. SV, 14 2410 Schröter, Die Schwebeflora unserer Seen (das Phytoplankton),.» Das Phyto-Plankton scheidet er in: das eu-Jimnetische, das bentho-limnetische, das tycho-limnetische, das passive Plaukton, das Pseudoplankton und das parasitäre Plankton. Für „Planktonorganismus“ schlägt er die kurze Bezeichnung „Planktont“ vor. Für das Verständnis der „Nährstoffmehrer und Nährstoffzehrer im Plankton“ giebt Schröter folgende Uebersicht: A. Chlorophyllhaltige Organismen: a) Rein autotroph (holophytisch), Diatomaceen. Meiste (?) Chlorophyceen, Chrysomonadinen. Meiste (?) Chlamydomonadinen, Anthophyten. b) Gemischte Ernährung, a) autotroph und saprophytisch. Spirogyra, Zygnema (tycholimnetisch), Cyanophyceen. Einige gelbe Flagellaten (Ochromonas), Chlorophyllhaltige Infusorien. ß) Autotroph und animalisch. COhromulina. B. Chlorophylllose Organismen: a) Autotroph. Nitrifizierende Bakterien im Plankton nicht nach- gewiesen, b) Rein heterotroph. a) Saprophytisch. Pilze und Bakterien. ß) Animalisch. Farblose Peridineen. Chlorophylifreie "Tiere. Von den Bestandteilen des Planktons fanden sich im Zürichsee: 1. Die Bakterien. Eine Tabelle stellt verschiedene bakteriologische Seeuntersuchungen zusammen mit folgenden Resultaten: a) Offenes Seewasser zeigt nicht zu nahe am Ufer und am Grunde eine geringe Zahl von Keimen. b) Grundschlamm ist reich an Bakterien. e) Die Einwirkung der Tiefe lässt kein allgemein giltiges Gesetz erkennen. d) Das Monatsmaximum fällt in die Zeit der Schneeschmelze. e) Beziehungen der Bakterien zum übrigen Plankton sind noch nicht erkannt. 2. Spaltalgen. a) Olathrocystis aeruginosa war im Herbste 1896 als stark entwickelte Wasserblüte auf den Zürichsee beobachtet. b) Anabaena flos aquae im August und in der 2. Hälfte des Oktober 1886 im Zürichsee in Menge gefunden (Heuscher). c) Coelosphaerium Kützingianum im Oktober und No- vember im Zürichsee spärlich, Schröter, Die Schwebeflora unserer Seen (das Phytoplankton),. 211 3. Peridineen. a) Ceratium hirundinella, das ganze Jahr im Plankton des Zürichsees. Schröter macht auf die große Varia- bilität dieser Alge aufmerksam. b) Peridinium einctum im Zürichsee vom August bis November 1896. ce) Glenodinium pusillum. 4, Diatomaceen. a) Asterionella gracillima, bei welcher Lokalrassen kon- statiert wurden. b) Fragelaria erotonenstis mit verschiedenen Varianten. c) Cyelotellen, von denen Oyclotella comta var. quadri- Junceta Schröter den Zürichsee ziert. d) Melosiren. e) Synedra delicatissima, das ganze Jahr hindurch. f) Tabellaria fenestrata var. asterionelloides, im Zürich- see im Jahre 1896 in außerordentlicher Menge auf- tretend, ein Vorkommnis, welches das Zürichseeplankton so interessant macht. Auf dieser Diatomee fand er eine Chytridiacee, die er als Phlyctidium Tabellariae nov. spec. beschreibt. 5. Grünalgen. a) Botryococcus Braunii. b) Pandorina Morum, im Zürichsee vom März bis No- vember. c) Volvox, von Heuscher einmal im Zürichsee beobachtet. Er beschreibt auch die neue Varietät (oelastrum cambricum Archer var. elegans Schroeter vom Lago di Muzzano, sowie eine Grünalge aus der Familie der Palmellaceen, die im Zürichsee auftrat und die bisher noch nicht bestimmt werden konnte. Der letzte Teil behandelt die Verbreitungsverhältnisse der Plankton- organismen. Hier bespricht Schröter das Auftreten von Lokalrassen, die qualitative Verschiedenheit verschiedener Teile eines und desselben Sees, die Formveränderung der Individuen im Laufe des Jahres und die quantitative Zusammensetzung des Planktons. „Saisonpolymorphismus“, „Saisonrassenbildung“, und wie noch viele andere unverstandene Punkte der Biologie von Süßwasserorganismen heißen mögen, machen die Rein- kultur auch für dieses Gebiet absolut notwendig; sie allein wird viele Fragen entscheiden können. Eine vergleichsweise Zusammenstellung der Planktonzusammensetzung verschiedener Seen zu derselben Zeit ergab als Resultat, dass jeder See seine charakteristische Planktonflora aufwies. Den Schluss bildet das Kapitel über die Anpassungserscheinungen des Phytoplankton. Eine hübsche Tafel giebt 92 Figuren der Planktonten, von denen die meisten Originalzeichnungen Schröter’s sind. — Das Neujahrsblatt der naturforschenden Gesellschaft in Zürich soll populär und doch wissen- schaftlich sein. Beiden Anforderungen ist Schröter gerecht geworden. Ich hoffe nur, dass dies als erste Mitteilungen über die Planktonstudien im Zürichsee aufzufassen sind und Schröter in einer späteren Arbeit die 14* 249 Schreiber, Sporenbildung bei Bacillus anthracis, subtilis und tumescens. Resultate seiner fortgesetzten Studien veröffentliche. Es fehlt noch so vieles in der Lebensgeschichte der einzelnen Planktonten, dass es nur zu begrüßen ist, wenn die Reihe der Planktologen sich vergrößert. Hans Bachmann (Luzern). NB. Ergänzungsweise sei noch beigefügt, dass auch der Vierwaldstätter- see einer systematischen Beobachtung unterworfen ist. [30] Oswald Schreiber, Ueber die physiologischen Bedingungen der endogenen Sporenbildung bei Bacillus anthracis, subtilis und fumescens. Inaug.-Dissertat. Jena. Gustav Fischer. 1896. S. 34. Unter Leitung von Prof. Klebs in Basel wurde dieser Beitrag zur Physiologie der Protobionten geleistet. Im ersten Teil bespricht der Ver- fasser allgemeine morphologische und physiologische Eigentümlichkeiten, wobei die äußerst umfangreiche Litteratur recht gut berücksichtigt wird. Die Experimente werden im zweiten Teil behandelt und zwar nach folgen- den Punkten: 1. Einfluss der Nahrung. Von Nährstoffen mit unbestimmter chemischer Zusammensetzung erwiesen sich neutrales Pflaumendekokt als ungünstig, neutraler Heuauszug und neutrale 1proz. Liebig’s Fleisch- extraktlösung als mittelmäßig und 1proz. Liebig’s Fleischextraktlösung mit 1proz. Agar, ferner Kartoffeln als sehr günstig. Andere Versuche wurden mit Nährmedien von ganz bestimmter chemischer Zusammensetzung ausgeführt. N, C, H, O, K, Mg, P, S sind unbedingt notwendig. Bacillus subtilis kann außer Pepton noch Asparagin und weinsaures Ammoniak verarbeiten, B. anthracis und tumescens sind es nicht im Stande. Als Ausgangsmedium benützte er eine filtrierte, neutrale Lösung von 1 proz. Pepton, 0,1 proz. Kalium phosphorieum und 0,05 proz. Magnesium sulphuri- cum. Es wird dann das Verhalten der drei Baeillusspecies gegenüber Pepton, Traubenzucker, Maltose, Glyzerin, Kalium phosphoriecum, Kalium nitricum, Magnesium sulfuricum, Natrium chloratum behandelt, wobei auch auf die verschiedene Konzentration Rücksicht genommen wurde. Eine geringe alkalische Reaktion befördert das Wachstum. Aber auch saure Reaktionen vermögen diese Bakterien nicht völlig zu unterdrücken. 2. Einfluss des Lichtes. Direkte Sonnenstrahlen hemmen die Entwicklung. 3. Einfluss der Temperatur. Optimum für Baecillus anthracıs 34°C, für Baeillus subtilis und tumescens 30° C. 4. Einfluss des Sauerstoffes. Freier Sauerstoff ist eine spezi- fische Bedingung der Entwicklung dieser Bakterien. 5. Die Beziehungen des Wachstums zur Sporenbildung. Alle Momente, welche das Wachstum hemmen, befördern die Sporen- bildung. Solche sind: Natrium carbonicum, Magnesium sulphuricum, Natrium chloratum, destilliertes Wasser, Kalium phosphoricum, Kalium nitrieum, Glyzerin. Vorausgesetzt ist natürlich eine vorangehende ge- nügende Ernährung. Wachstumsbefördernde Substanzen hindern die Sporen- bildung. Nach des Verfassers Versuchen ist weder ein bestimmtes Alter Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 913 des Individuums, noch eine gewisse Zahl von Generationen zur Sporen- bildung notwendig. — Dieser erste Versuch, auch die Bakterien in den Gesichtskreis der Klebs’schen Schule hineinzuziehen, hat sich bewährt und wird hoffentlich nicht ohne Anregung zu neuen Studien bleiben. Hans Bachmann (Luzern). [29] Die Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. Nach @. H. Th. Eimer. Von Dr. Gräfin M. von Linden, Z. Z. stellvertretender Assistent am zoologischen Institut der Universität Halle, (Schluss.) Was die Gesamtfärbung und die Gestalt der der Podalirius-Gruppe angehörenden Schmetterlinge betrifft, so finden wir die Neigung zur Umbildung der gelben Gesamtfärbung der Flügel in einen grünlichen Ton. Die Grünfärbung beginnt an den Flügelwinkeln und zeigt sich besonders häufig bei den amerikanischen Formen, wo auch die Flügel die Neigung haben, glashell zu werden. Ferner wird das ursprüng- liche Gelb der Afterflecke und der Prachtbinde in Rot verwandelt. Bemerkenswert ist es ferner, dass an denselben Stellen, wo sich bei der asiatisch-europäisch-afrikanischen Linie blaue Färbung ausgebildet hat, solehe auch bei Amerikanern auftritt (Protesilaus, Telesilaus). Auch für die Länge der Schwänze besteht eine bestimmte Entwick- lungsrichtung. Während dieselben innerhalb der Podalirius-Gruppe länger werden, bilden sie sich bei höher stehenden Papilio- niden fast bis zu völligem Schwinden zurück. Beweisend für die Richtigkeit der auf Grund der Zeichnungs- abänderungen abgeleiteten verwandtschaftlichen Beziehungen der Segelfalter ist die Thatsache, dass dieselben Umbildungen der Zeichnungselemente, welche die typischen Eigenschaften der Arten bilden, in ihren Anfängen für die Unterscheidung der Abarten maß- gebend sind und sich zu allererst innerhalb der Stammform als indi- viduelle Untersehiede geltend machen. So werden z. B. die Flügel des Papilio- Podalirius- Podalirius Eimer durch Fütterung der Raupe mit Kultur- und Gartenpflanzen (übrigens auch bei Aufzucht der Puppe in großer Wärme) fast durchsichtig und schuppenlos, dieselbe Erscheinung, welche bei den meisten südamerikanischen Glie- dern der Podalirius- Gruppe (Agesilaus, Protesilaus und Epidaus) zu beobachten ist Bei dem algerischen Podalirius Lotteri Aust. ver- wandelt sich der-orangegelbe Teil der Prachtbinde in rotgelb, gleichzeitig werden die Schwänze länger, die Binden IX und X des Hinterflügels verkürzen sich, ebenso der Stiel der Gabelzelle, lauter Eigenschaften, die in erhöhtem Maß die Wüstenform Podalirius virgatus kennzeichnen und bei den Amerikanern zu Artmerkmalen werden. 914 Cräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. Auch die grünliche Färbung, welche bei weiter fortgeschrittenen Podalirius-Arten herrschend wird, zeigt sich schon in ihren Anfängen bei unserm Segelfalter, und zwar macht sie sich bei Faltern; die von Bonn stammen, besonders bemerkbar. Nicht selten finden sich bei Podalirius- Podalirius die Queradern im Vorderflügel zwischen Binde I und II III schwarz gefärbt, so dass dadurch eine Verbindung zwischen den beiden Binden hergestellt ist. Zuweilen wird dabei der äußere Rand der Binden II III dadurch gezackt, dass derselbe sich je mit einer Spitze in die Queradern des Zwischenraumes hineinzieht. Diese Zacken können sieh bis zur äußeren Binde hinziehen, während diese im entgegengesetzten Sinn gezackt ist. So beginnt sich das Band zwischen Binde I und II III in kleine halbmondförmige Flecke aufzulösen, eine Entwicklungsriehtung, welche, wie wir sehen werden, in den anderen Gruppen der Papilioniden verbreitet und besonders für die Machaon-Gruppe charakteristisch ist. Von diesen Thatsachen ausgehend gelangt Eimer zu Abstammungs- beziehungen, welche die Arten Alebion Paphus und Glycerion den Stammeltern der übrigen Glieder der Podalirius-Gruppe am nächsten stellen. Mit diesen drei Vertretern scheint Podalirius einen gemeinsamen Ursprung zu haben. Am nächsten verwandt mit den noch sehr ursprünglichen Formen, ohne jedoch dabei einen unmittelbaren Zusammenhang mit den jetzt lebenden zu postulieren, sind die amerikanischen Arten Agesilaus, Protesilaus, Epidaus, während Bellerophon und Ägestes als die weitest fortgeschrittenen Formen des amerika- nischen bezw. des europäischen Zweiges zu betrachten sind. Wahrscheinlich ist die Heimat der Segler in Asien zu suchen. Die ganze Entwicklung der Formen weist darauf hin, dass von hier aus sich eine Linie nach Europa und von da nach Nordafrika und Kleinasien, eine andere von Asien nach Amerika ver- breitet hat. » Die Glieder der zweiten der Antiphates-Gruppe, gehören allein Ostindien an und schlagen in der Entwicklung ihrer Zeichnung zwei Richtungen ein, deren beide von der durch Epaminondas Oberth. dargestellten Grundform ausgehen und einerseits in Euphrates- Antiphates, andererseits in Androcles Dorcus auslaufen. Die Wege, welche die Zeiehnung verfolgt, um zu Mustern zu führen, wie sie in der Antiphates-Gruppe auftreten, sind größtenteils schon in der Podalirius-Gruppe vorgezeichnet. Die Neigung zu grünlicher Färbung, das Schwinden der Binden von hinten nach vorne mit Ausnahme der Rand- binden, die Verschmelzung von Binde II III und V VI, das Bestreben von Binde I sich mit II III und der letzteren sich mit V VI zu vereinigen, sind Entwieklungsrichtungen, welche für beide Reihen dieser Gruppe gleich wichtig werden. Auch das Verhalten des Prachtwinkels, der sich von hinten auflöst, wird schon bei einzelnen Papilionen der ersten Gruppe beobachtet (Epidaus Doubl, Her. Neosilaus Hoffer.) gewinnt aber hier noch größere Bedeutung. Dasselbe gilt für die in der Antiphates-Gruppe herrschend werdende Eigen- schaft der Binden, sich zu verbreitern. Neu ist für einzelne Arten das Verhalten der Randbinden im Hinter- flügel, die sich in Bruchstücke und Flecke auflösen und teilweise zu schwin- den scheinen, während bei der Reihe Epaminondas-Euphrates- Antiphates eine Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen, 245 neue breite Querbinde gebildet wird, die bei Zuphrates Feld zu vollem Aus- druck kommt —. Eine weitere Vereinfachung der Zeichnung, welche bei den Vertretern der Antiphates-Gruppe zu beobachten ist, äußert sich neben der Verkürzung und dem Zusammenfließen von bestimmten Binden auch darin, dass sich Pracht- querbinde und Afteraugenfleck bis auf Spuren zurückbilden. Das- selbe gilt für die blauen Halbmondflecke des Seitenrandes der Hinterflügel. Wie bei der Podalirius-Gruppe so hat Eimer auch bei den Antiphates beo- bachtet, dass die Abänderungen erst am Einzeltiere auftreten und, indem sie immer beständiger werden, schließlich zu Abart und Art führen. Die Antiphates-Gruppe schließt sich nicht unmittelbar an die Poda- lirius-Gruppe an. Als Ausgangspunkt dieser Gruppe muss eine Art angesehen werden, welche mit Epaminondas, der einfachsten Form, soweit übereinstimmt, dass eine Fortsetzung der Binden IX, X und I, II, III, bis zum Hinterrande der Vorderflügel bestanden hat. Binde VII und VIII war bei dieser Grund- form noch erhalten, V, VI ziemlich weit von II, III entfernt. Die breite Rand- binde der Hinterflügel war im Beginn ihrer Bildung begriffen, während die ursprünglichen zwei Randbinden noch im Zusammenhang standen. Auf der Unterseite der Hinterflügel war wohl eine schwarz-rot-schwarze Binde erhalten. Daraus entwickelte sich, dadurch, dass sich die Binden an der Oberseite ver- kürzten oder schwanden und die neue breite Randbinde der Hinterflügel sich in Stücke oder Flecke trennte, das Rot der Prachtbinde schwand und ihr äußerer Schenkel in Flecke zerfiel, die Epaminondas-, Euphrates-, Antiphates- Reihe, während bei Epaminondas, Androcles, Dorcus Binde I, II, II und V, VI der Vorderflügel zuerst hinten, dann ganz verschmolz und VII und VIII ver- loren gingen. Auch die Leosthenes-Anticrates- Ajax-Gruppe bringt in den Entwicklungs- richtungen der Zeichnung ihrer Vertreter in der Hauptsache eine Wieder- holung desjenigen, was wir bei den beiden vorhergehenden Gruppen erwähnt haben. Ein Blick auf die Tafel zeigt, dass die wesentlichen Unterschiede in der Zeichnung beider Gruppen dadurch hervorgebracht werden, dass bei Leos- thenes-Anticrates-Ajax das zurRegel wird, was bei den vorhergehen- den Formen noch Ausnahme war. Die Vertreter der Anticrates-Gruppe zeichnen sich durch großen Pigment- reichtum aus, vorzüglich die Reihe Epaminondas, Androcles, Dorcus, daher finden wir neben der Neigung der Binden, noch immer kürzer zu werden, das Bestreben derselben, sich zu verbreitern und zu verschmelzen. Binden II, III sind z.B. bei fast sämtlichen Gliedern der Gruppe fest verschmolzen. Der Zwischenraum von I und II, III ist so schmal, dass vielfach auch hier schon eine Vereinigung dieser Binden angedeutet ist. Bei einzelnen Arten wird das die Binden trennende Band dadurch, daß auf den Adern namentlich an der Flügelspitze dunkle Schuppen erscheinen, zuerst in elliptische, später in sichel- förmige Flecke zerlegt. Man muss übrigens auch hier auf Grund einzelner Zeichnungsmerkmale zwei Untergruppen unterscheiden: die. indo-austra- lische und die amerikanische. Nur bei der ersten besteht z. B. die Neigung der Prachtbinde, sich in Flecke aufzulösen, was übrigens in ganz der- selben Weise vor sich geht wie bei der Antiphates-Gruppe. Außerdem erreicht hier die Reduction des Afteraugenflecks einen größeren Umfang als bei den Amerikanern. 216 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. .. Bei den letzteren ist es dagegen eigentümlich, dass sich die Prachtbinde in der Weise zurückbildet, dass zuerst das Schwarz, dann das Rot von hinten nach vorne schwindet. Auch die Neigung der Binden der Vorderflügel, mit- einander zu verschmelzen, geht bei den Amerikanern weiter als bei den Indo-Anstraliern, indem bisweilen sogar Binde VII und VI mit den Randbinden in Zusammenhang tritt. Wichtig für beide Untergruppen ist die Eigentümlichkeit, welche weder bei Podalirius noch bei Antiphates beobachtet wurde, dass die dunkeln Schuppen der Zeichnung nicht schwarz sondern mehr oder weniger dunkelbraun er- scheinen und sehr oftKupferglanz tragen. Auf der Unterseite der Flügel zeichnet sich die Grundfarbe meist durch Atlasglanz aus. In Bezug auf die Abstammung der Leosthenes - Anticrates - Ajax - Gruppe kommt Eimer zu dem Schluss, dass sowohl die Indoaustralier als auch die Amerikaner ihren Ausgangspunkt von einer Podalirius-ähnlichen Form genommen haben. Dieser Form am nächsten stehen unter den Ameri- kanern AjaxL. unter den Indoaustraliern Leosthenes Doub]. Der letztere hat wie Podalirius Binde VII verloren, außerdem noch Binde VI und gleicht in dieser Beziehung und auch im übrigen am meistem dem Papilio Agesilaus. Er bildet jedoch nicht dieStammform der Indoaustralier, sondern hat sich wohl früher von ihr abgezweigt. Dagegen, dass Anticrates, Aristeus C ram., Hermocrates Feld, Aristeoides Eimer und Nomius Esp. unmittelbar von einer Epaminondas Oberth. ähnlichen Form abstammen, spricht der Grad der Erhaltung der Prachtbinde bei den zuerst genannten Faltern. Es ist wahr- scheinlicher, dass Epaminondas Oberth. wie Antierates Doubl. von einer gemeinsamen Form abstammen, deren Ausgangspunkt eben eine Podalirius- ähnliche Form ist. Von derselben Stammform sind auch die Amerikaner abzuleiten, von denen ihr Ajax L. und Xanticles am nächsten stehen. Auch hier stehen die geographischen Beziehungen der Formen in Uebereinstimmung mit denjenigen, welche sich aus der Zeichnung ableiten lassen. Unter den Indo-Australiern verbreitet sich die Hauptform Anti- crates von Nordindien bis nach Australien, wo sich der verwandte Leosthenes findet, die übrigen Glieder der Untergruppe leben in Indien und auf den in- dischen Inseln. Die Amerikaner reichen von Nordamerika bis Venezuela, der nördlichste, Ajax L., wird in Panama durch Xanticles und in Venezuela durch Arcesilaus Luce. ersetzt. Eine besondere Entwicklung erfuhren, wie schon früher erwähnt, Celadon Luc. auf Cuba und Sinon auf Jamaica. Die vierte, die Ajax - Policenes - Gruppe umfaßt eine Reihe von Arten, welche auf der innerhalb der Segelfalter höchsten Entwicklungsstufe ange- kommen sind. Die Grundfarbe ist vorherrschend grün geworden, während die Zeichnung im Allgemeinen eine viel größere Fläche des Flügels einnimmt, als es für alle vorhergehenden Gruppen der Fall war, wo immer nur einzelne be- sonders begünstigte Arten diese Eigentümlichkeit zeigten. Diese Ausbreitung der Zeichnung auf Kosten der Grundfarben rührt ein- mal daher, dass sich die Binden verbreitern, und zweitens, dass die Adern ebenfalls in größerer Ausdehnung, als es bisher zu beobachten war, dunkle Schuppen tragen. So kommt eine Querzeichnung der Flügel zu Stande, wie sie andeutungsweise bei Abarten des Podalirius auf der Flügelspitze zu erkennen war. Die Verbreiterung der Binden bedingt aber gleichzeitig verschiedene Bindenverschmelzungen, z. B. I, IT und IV, und ist bei Rhesus Boisd. besonders vollkommen. Bis auf einen kleinen Zwischenraum vereinigen sich auch die Binden: Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 217 V, VI mit II, III, IV. Ferner zeigen bei allen Arten die Binden VIII, IX und I, II, III die Neigung, sich nach hinten zu vereinigen. Bei Colonna Ward. ist das Ueberhandnehmen der Zeichnung soweit fortgeschritten, dass die Grund- farbe nur noch in Gestalt weniger Flecke vorhanden ist und die Zeichnung namentlich auf dem Hinterflügel die ganze Fläche bedeckt, so dass sogar die roten Afteraugenflecke schwinden. Auch hier ein Streben nach Verein- fachung. Auf der Unterseite der Flügel kommt besonders bei Antheus Cram., Co- lonna Ward. und Policenes Cram. eine Fleckenzeichnung vor, die sich zu Querstreifung und schließlich zu Einfarbigkeit umbildet. Die Oberseite geht auch hier in ihren Veränderungen der Unterseite voran. Die beiden Entwick- lungsreihen, in welche diese Gruppe zerfällt, unterscheiden sich vorzüglich darin, dass es bei Ajax L., Philolaus Boisd. wohl zu einer Verbreiterung der Bin- den, jedoch zu keiner Fleckenzeichnung oder Querstreifung kommt wie bei Policenes Cram. und Colonna Ward. Was die verwandtscehaftlichen Beziehungen der Arten diescr Gruppe betriiitt, so ist es wahrscheinlich, dass Philolaus Boisd., der die ursprünglichste Form der Reihe darstellt, trotzdem dass er Eigen- schaften, die in der Entwicklungsriehtung Ajax - Walshiü Edw.- Marcellus Edw. (Sommerform von Ajax L.) liegen zu weiterer Ausbildung bringt, von einer ursprünglicheren Form als Ajax selbst abstammt. Rhesus Boisd. scheint unmittelbar mit Ajax L. verwandt, dem widerspricht indessen die Hei- mat des Rhesus Boisd., Celebes. Möglicherweise. ist er von einer Leosthenes Doubl., Hermoerates Feld., Nomius Esp. oder Aritheus Cram. älnlichen Form abzuleiten und bildet eine Parallelform zu den Amerikanern. Leichter ist es, die afrikanischen Arten der Ajax-Policenes-Gruppe zu den amerikanischen in Beziehung zu bringen. So muss wohl der westafrika- nische Policenes von einer Philolaus-ähnlichen Form abgeleitet werden und von ihm wieder Antheus Evombaroides und der Madagassische Evombar. Bei Colonna ist es zweifelhaft, ob er von einer Policenes oder Philolaus ähnlichen Form abstamme. Fasst man seine Verbreitung und seine Beziehung zu ver- wandten Formen ins Auge, so läßt sich annehmen, dass Colonna und der ihm nah stehende Parthaon nicht von Policenes sondern von einer ihm gemeinsamen Urform entspringe, welche ihrerseits auf eine Philolaus -ähnliche Form zu- rück führt. Mit der Ajax Policenes-Gruppe schließt die Reihe der Segelfalter ab. Wenn auch der Zusammenhang mit der einfachen Podalirius-Zeiehnung bis zu- letzt immer noch zu erkennen ist, so sehen wir doch, dass sich die Falter mehr und mehr von ihrer Stammform entfernen und schließlich ein Aussehen gewinnen, welches lebhaft an das der Schwalbenschwänze erinnert. Entwicklungsrichtungen der Zeichnung innerhalb der drei Gruppen der Schwalbenschwänze. Die ursprünglichsten Schwalbenschwänze sind gegenüber den ursprünglichsten Seglern weit vorgeschritten. Der Stamm- form der Schwalbenschwänze am nächsten steht Eurymedon Boisd., er gleicht unter den Seglern am meisten dem Leosthenes Doubl., Nomius Esp. und Aristeus Cram., lauter Vertreter der dritten Gruppe. Da er jedoch in keinem unmittelbaren verwandtschaftlichen Verhältnis 2148 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. mit diesen Faltern steht, so beweist seine Zeichnung, wie auf dem Weg unabhängiger Entwicklungsgleichheit vollkommen ähnliche Ent- wicklungsrichtungen eingeschlagen werden. Angedeutete Trennungs- linien von Binden, die im Verschmelzen begriffen sind (zwischen II, III) auf Vorder- und Hinterflügel, Ueberreste von Zeichnungselementen, von Bindenverlängerungen nach dem Hinterrand, welche für die Podalirius- Gruppe charakteristisch waren und auch bei den den Schwalben- schwänzen zunächst stehenden Formen noch zu sehen sind, lassen auf das deutlichste erkennen, dass es sich beim Zustandekommen der Eurymedon-Zeichnung um dieselben Vorgänge handelt wie bei der Umbildung der Seglerzeichnung. Es erstrecken sich die Ver- wachsungen und Bindenverbreiterungen bei beiden Gruppen im wesent- liehen auf die gleichen Binden. Eine neue Eigenschaft und damit der Beginn einer neuen Entwicklungsrichtung zeigt Eurymedon in der schwarzen Umgrenzung der Mittelzelle auf den Hinterflügeln. Diese Umgrenzung der Mittelzelle ist in der ganzen Reihe der Schwalben- schwänze zu verfolgen und wird, indem sie oben und unten schwindet, in der Mitte aber bestehen bleibt, zu einer kennzeichnenden C-Zeich- nung oder bildet einen schwarzen Strich im Binnenraum der Hinter- flügel (vergl. Turnus und Machaon). Ein ähnliche Umgrenzung des äußeren Randes der Mittelzelle beobachtet man bei Protesilaus auf der Unterseite der Flügel in roter Farbe. Papilio Eurymedon L. ist ein Glied der Turnus-Gruppe, welche mit Ausnahme des ziemlich abweichenden Papilio Alexanor Esp. aus Südeuropa und Kleinasien über Nordamerika verbreitet ist. Er hat, wie schon erwähnt, die ursprünglichsten Eigenschaften unter den Ver- tretern dieser Gruppe. Nur in Bezug auf die an der Oberseite der Vorderflügel schon vollzogene Verschmelzung der Binden II, III ist er weiter entwickelt als die übrigen (Heterepistasie). Auf der Flügel- unterseite ist dagegen die Trennung der Binde noch deutlich. Im allgemeinen lässt sich bei den Turnus-Arten wie auch bei den meisten Seglern eine Verbreiterung der Randbinden des Hinterflügels beobachten. Charakteristisch für die Gruppe ist die Vereinigung der Binden IX und X, XI am inneren Rand der Hinterflügel, so dass auf Ober- und Unterseite eine W-Zeichnung entsteht. Bei den Segel- faltern verbinden sich dagegen nur die Binden IX und X, wodurch eine O-Zeichnung zu stande kommt. Sowohl bei Turnus als auch bei Machaon und den meisten Asterias unter den Schwalbenschwänzen verbinden sich am Vorderrand der Vorderflüigel die Binden II, III und IV in querer Richtung. Die eigentümliche Gestaltung des Ver- bindungsstranges bedingt eine Ankerzeichnung. Ein Zeichnungs- charakter, der bei den Seglern in der Antiphates- Gruppe zum ersten Mal auftritt und sich in der Anhäufung orangefarbener Schuppen in den hinteren Zellen der Hinterflügel geltend macht und zwar vor der Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 219 innern schwarzen Umgrenzung der Randbinden, kommt beim Männchen von Papilio Turnus L. wieder zum Ausdruck. Diese Flecke befinden sich zuerst nur auf der Unterseite der Hinterflügel und spielen bei der Machaon- und besonders bei der Asterias-Gruppe eine große Rolle. Bei höheren Formen erscheinen diese Flecke auch auf der Oberseite der Flügel (Hellanichus Hew., Calverleyi Grote, Zolicaon Boisd.). Diese Flecke sind zuerst gelb und werden später orangerot, erleiden damit dieselben Veränderungen wie der Afteraugenfleck und die Prachtbinde bei den Seglern. In dem Afteraugenfleck tritt beim Männchen von Papilio Daunus Boisd. ein schwarzer Punkt auf, eine Eigentümlichkeit, welche bei mehreren Machaon-Formen vorkommt und für Asterias charakteristisch wird. Wie bei den höheren Segel- faltern so bildet sich auch schon bei den Gliedern der Turnus-Gruppe in verschiedenem Grade dunkle Beschuppung auf den Queradern der Vorderflügel aus, zuerst an der Spitze, später auch im Bereiche der Mittelzelle. Eine merkwürdige theoretisch hochwichtige Umbildung findet sich in der Abart des weiblichen Papilio Turnus var. Glaucus L. Ihrem ganzen Aussehen nach steht die Form näher der Asterias- als der Turnus-Gruppe. Da sie jedoch in Nordamerika neben den normalen Weibehen aus bis jetzt unbekannten Ursachen plötzlich entstanden ist, d. h. ohne dass sie mit der Grundform durch Uebergänge verbunden wäre, so kann hier nur eine sprungweise Entwicklung angenommen werden (Halmatogenesis). | In ihrer Zeichnung steht diese interessante Form zwischen Papilio Asterias Cram. und Papilio Troilus L. Die Grundfärbung ist bei ihr nur noch in gelben und roten Flecken zwischen den verschmolzenen Binden sichtbar, sonst ist der Falter mit Ausnahme der gelben Rand- kerben, des Afteraugenflecks und endlich der blauen Flecke der inneren Binde, oben mattschwarz. Unten ist er heller graubräunlich, hier treten aber die schwarzen Zeichnungen des gewöhnlichen Turnus deut- lich hervor, wie auch auf der Oberseite der Vorderflügel der Außen- rand der Mittelzelle schwarz, in der Mitte als Fleck erscheint. Unten sind die äußeren Randflecke wie bei Gliedern der Asterias-Gruppe teilweise orangerot gefärbt, und wie dort erscheinen außerdem orange- rote Flecke im hinteren Flügelwinkel in einzelnen Zellen vor der inneren Umgrenzung der blauen Randbinde. In der zweiten, der Machaon-Gruppe, beobachten wir wie bei der Ajax Policenes-Gruppe der Segelfalter, dass die Längs- streifung in Fleekung übergeht. Die Binden innerhalb der Mittelzelle überschreiten die Medianader nicht mehr, Binden IX, X, XI auf dem Vorderflügel und X, XI auf dem Hinterflügel sind in einem großen Flügelwinkelfleck verschmolzen. Dieser Fleck hat die Neigung, sich immer mehr nach dem Binnenraum des Flügels zu verbreitern, 290 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen, wie wir aus dem Vergleich des Machaon aestivus Eimer mit Papilio Machaon Hippokrates Felder aus Japan ersehen können. Außerdem verbreitern sich, wie bei den Seglern schon beobachtet worden ist, die Randbinden auf Vorder- und Hinterflügel. Dadurch, dass auch die Adern der Flügel ausgiebiger schwarz bestäubt werden, entsteht auf Vorder- und Hinterflügel eine mehr oder weniger deutliche quer- gerichtete Zeichnung. Besonders auffällig wird dieselbe bei AuthusL. und Authulus Brem. Die bei Turnus in ihren Anfängen aufgetretene C- und Ankerzeichnung ist bei Machaon noch verstärkt, dasselbe gilt von dem dunkeln Fleck im Afterauge des Hinterflügels. Als neue Eigenschaft erscheint in der Gabelzelle hinter der Ankerzeichnung oberseits ein schwarzer Punkt oder Fleck zuweilen mit hellerer Mitte, der „Gabelzellenfleck“. Er bildet ein Artkennzeichen für sämt- liche Glieder der Machaon-Gruppe. Zuweilen erscheint an seiner Stelle bei Abartungen in der ersten Seitenrandzelle ein kleiner Punkt, der „Seitenrandzellenfleck“. Das Vordringen der Zeichnung auf Kosten der Grundfarbe erreicht bei den Schwalbensehwänzen seinen Höhepunkt in der Asterias- Gruppe. Der hier fast allgemein verbreitete Melanismus lässt sich auf die schon bei Machaon begonnene Verbreiterung des’ Flügelwinkelflecks und der Randbinden zurückführen und innerhalb der Gruppe in dem verschiedensten Grade verfolgen, es bleiben schließlich nur noch wenige in bestimmten Flügelzellen liegende Flecke der Grundfarbe zurück. Der Machaon-Charakter, den manche Glieder der Asterias- Gruppe verraten, drückt sich am schönsten im Papilio Bairdii Edw. aus, allein Turnus var. Glaucus, der dem P. Asterias und Troilus so nahe steht, legt die Vermutung nahe, ob nicht diese Arten auf Turnus statt auf Machaon zurückzuführen seien. Vielleicht liegen auch hier Aeußerungen unabhängiger Entwicklungsgleichheit vor. Bemerkenswert ist, dass die Schwarzfärbung sowohl bei Turnus Glaucus als bei P. Bairdi vom Weibehen ausgeht und dass auch das letztere bei seiner Entwicklung mehrere Stufen überspringt. Die Ankerzeiechnung ist noch bei verschiedenen Asterias-Arten vorhanden. Der Augenkern hat, wie ich schon früher erwähnte, hier seine vollkommenste Ausbildung erreicht und bildet sich bei dem Männchen von P. Calverleyi Grote, wieder zurück. Ich habe schon erwähnt, dass die Turnus-Gruppe als die Stamm- gruppe der Schwalbenschwänze zu betrachten sei. Durch Papilio Eurymedon zeigt sie Verbindungen mit den Segelfaltern, andererseits hängt sie mit der Machaon-Gruppe zusammen und scheint durch Turnus Glaucus selbst zu Asterias Beziehungen zu haben. Die Arten der Machaon - Gruppe erstrecken sich über Nordamerika einer- seits, Europa und Nordafrika, Kleinasien, Nordindien und Japan andererseits. Eine etwas abweichende Grenzform ist Xuthus L. und Xuthulus Brem. vom Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 291 Amurgebiet. Die Glieder der Asterias-Gruppe sind Nordamerikaner, nur einige Arten, wie P. Asterioides Reak. erstrecken sich bis nach Mexiko, andere, wie P. Amerikus Koll. und Hellanichus Hew. leben in Südamerika. Auch sie stehen in morphologischer und wohl auch in phylogenetischer Verbindung mit den Machaon und durch Turnus Glaucus in morphologischer Beziehung mit den Turnus. Da aber auch die beiden ersten Gruppen mit einander gemeinschaftliche Beziehungen haben, so ist neben dem geographi- schen auch ein morphologischer und wahrscheinlich auch ein phylogenetischer Zusammenhang zwischen den drei Gruppen anzunehmen. Ich habe am Anfang dieses Aufsatzes gesagt, dass sich Eimer in den beiden Teilen der „Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen“ eine doppelte Aufgabe gestellt habe: ein- mal sollte das Werk neues Beweismaterial für die schon früher abgeleiteten Theorien enthalten und zweitens eine Grundlage abgeben für eine auf Blutsverwandtschaft be- ruhende Gruppierung der Papilioniden. Wird nun das Werk diesem doppelten Zwecke gerecht? Ich glaube, dass ich meine auf Grund eingehenden Studiums der Eimer’schen Ausführungen gewonnene Ansicht am besten zum Ausdruck bringe, wenn ich die Antwort Minot’s auf vorstehende Frage bespreche. Demjenigen, der die Arbeit noch frisch in der Erinnerung hat, macht das Urteil Minot’s, dass die Gruppen allein auf Grund der Zeichnungsmerkmale und der geogra- phischen Verbreitung zusammengestellt seien, einen eigentümlichen Ein- druck, da doch in den einzelnen Diagnosen auch andere morpho- logische Merkmale aufgeführt werden. Dessen ungeachtet erkennt Minot an, dass die Gruppen natürlich und die gegebene Beziehung der einzelnen Arten im Ganzen richtig seien. „Der Rest des Buches jedoch“, sagt Minot weiter, „besteht aus einer Erklärung der Thatsachen und diese Erklä- rungen können nicht anders genannt werden als eine Reihe unbewiesener Annahmen und Hypothesen“- Danach hätte somit das Eimer’sche Werk seinen ersten Zweck erfüllt, den zweiten aber gründlich verfehlt. Wir wissen nun, dass Eimer bei Behandlung der Schmetterlinge von Gesetzen ausging, welche sich an andern Tiergruppen als rich- tig erwiesen hatten. Die systematische Anordnung der Schmetterlinge ist nichts anderes als der Ausdruck dieser auf die Schmetter- linge allerdingshypothetisch angewandtenGesetze. Meiner Ansicht nach ist es ein Widerspruch, wenn man sich mit einem auf bestimmte Gesetze gegründeten System einverstanden erklärt und auf der andern Seite behauptet, die Richtigkeit dieser Gesetze müsse erst bewiesen werden. Liegt nicht eben schon in dem von Minot zugestandenen natürlichem Zusammenhang der Arten Beweis genug für die Richtigkeit der Theorien, welche bei 9929 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. der Zusammenstellung Voraussetzung waren? Minot verlangt einen Beweis für die Giltigkeit des Zeichnungsgesetzes. Für andere Tier- gruppen ist ein solcher von Eimer u. a. gegeben worden und für die Schmetterlinge führt Minot den Beweis selbst, indem er die Gruppen natürliche nennt, in welchen sich längs- gestreifte Formen zu fleekigen bezw. zu quergestreiften und einfarbigen umbilden. Ist die Richtigkeit der von Eimer angenommenen Beziehungen der Arten bewiesen oder anerkannt, so ist nach meiner Meinung alles bewiesen und anerkannt. Ich glaube jedoch, dass hierfür die Beobachtung und Beschreibung der Arten, ihr individuelles Abändern, ihre Abartungen, welehe ent- weder unter dem Einfluss des Klimas oder künstlicher Bedingungen erzielt werden, so wie sie in dem Eimer’schen Werk behandelt sind, die allerbeste Stütze ist. Auch Darwin, dessen Autorität Minot anerkennt, ist einen ganz ähnlichen Weg gegangen, um die genetischen Beziehungen zwischen der Columba livia und unsern zahmen Taubenrassen festzustellen. Gerade der Umstand, dass bei unsern Tauben häufig Teile der Zeichnung der Columba livia wieder- kehren, war ihm Beweis für deren Zusammengehörigkeit, obwohl in der Bildung des Schädels, fleischiger Anhänge am Kopf ete. große Unterschiede bestehen. Wenn Minot endlich behauptet, die in den Schmetterlingen aufgestellten Theorien bestünden nicht aus einer Reihe von Thatsachen, sondern wären im Gegenteil eine Sammlung willkür- licher Behauptungen, so möchte ich dagegen sagen, dass viel eher die Fülle der als Beweismaterial zusammengestellten Thatsachen zu groß ist, um ohne Mühe gelesen nnd gewürdigt zu werden. Innerhalb der übrigen Tiergruppen, deren Zeichnung eingehenderen Studien unterworfen wurde, bildete die ontogenetische Entwick- lung derselben einen wertvollen Prüfstein für die Richtigkeit der für die Phylogenie abgeleiteten Zeichnungsgesetze. Sollte sich nun während der Puppenruhe auf dem Schmetterlingsflügel nicht vielleicht eine ähnliche Folge von Zeichnungsmustern beobachten lassen, welche zu phylogenetischen Schlüssen verwertbar würde oder solche bestä- tigen könnte? Schäffer!) war schon vor Jahren mit der Lösung dieser Frage beschäftigt gewesen, ohne jedoch seine Erwartungen voll- kommen befriedigt zu sehen. Größere Bedeutung haben die Unter- suchungen van Bemmelen’s?), der bei Vanessen auf einer be- stimmten Stufe ihrer Puppen-Entwicklung vorübergehende Zeichnungs- merkmale fand, welche zu einer gewissen Zeit allen Vanessen eigen sind und deren gemeinsamen Ursprung verraten. Auch ich bin durch 4) Schäffer, Zoologische Jahrbücher, 3. Bd., 4. Heft. 2) van Bemmelen, Ueber die Entwicklung der Farben und Adern auf den Schmetterlingsflügeln. Tijdschrift der Nederlandsche Dierkundige Vereniging, 2. Serie, Deel II, Aplevering 4. Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 293 meine Untersuchungen an verschiedenen Schmetterlingen, von denen hier nur die von Papilio Podalirius und Machaon erwähnt werden sollen, zu der Ansicht gekommen, dass die Zeichnung des Schmetterlings keineswegs, wie Nrech!) z. B. behauptet gleich von Anfang an in voller Schärfe auftritt und konstant bleibt, ich habe vielmehr bei den beiden genannten Formen beobachtet, dass die Zeichnung ganz ähnliche Wandlungen innerhalb der Puppe durchmachen muss wie sie Eimer für ihre Phylogenie beschrieben hat. Die ersten Anfänge einer Zeichnung beobachtet man auf dem Flügel der Wintergeneration von Papilio Podalirius ungefähr 5 Tage vor dem Ausschlüpfen des Falters, auch wenn sich die Puppen im warmen Zimmer befinden, vollzieht sich die Entwicklung niemals schneller. Beide Flügelpaare sind zu diesem Zeitpunkt gleichmäßig gelbrot gefärbt. Der Hinterflügel wird zuerst differenziert, indem ein gelber Punkt an Stelle des späteren Afteraugenflecks auftritt. In Bezug auf Entwicklung der schwarzen Zeichnung schreitet — im An- fang wenigstens — der Hinterflügel dem Vorderflügel nicht voran. Im Vorderflügel sind zuerst die Begrenzungsbinden der Disco- cellularadern sichtbar und zwar soweit dieselben im Bereich der Mittelzelle liegen. Es folgen die Binden VIII, IX, III, I, II. Die mittleren Teile der Binden erscheinen früher ausgefärbt als die End- stücke, die hinteren Teile früher als die vorderen. Die später ver- schmolzenen Binden V VI, II III sind getrennt angelegt, auch die Binde I macht den Eindruck, aus zwei ursprünglich getrennten Binden entstanden zu sein. Dies beweist, dass die Zeichnung unseres Podalirius, besonders wie sie sich in der Sommerform, bezw. auf den Flügeln in künstlicher Wärme gezogener Falter darstellt, in der That durch Verschmelzung bestimmter Binden allmählich ent- standen ist; dasselbe gilt für die dunkeln Binden des Hinter- flügels. Die Randbinden erscheinen auf dem Vorder- und Hinter- flügel gleichzeitig. Später treten auf letzterem die Begrenzungen der Prachtbinde und die Wurzelbinden auf. Es sei hier bemerkt, dass durch den zackigen Verlauf der Randbinden zuerst zwei halbmond- förmige Flecke von der Grundfarbe des Flügels an derselben Stelle gebildet werden, wo Eimer bei Alebion und Glycerion die Entstehung dieser Zeichnung beobachtet hat. Die das Prachtband nach innen be- grenzende dunkle Binde legt sich zuweilen etwas früher an als die äußere, bleibt aber auch häufig in der Entwicklung zurück, so dass dann die äußere Binde mehr zur Geltung kommt. Der gelbe Teil der Prachtbinde, welcher bald nach Bildung des Afterfleckes sichtbar wird, erfährt ebenso wie der Afterfleck verschiedene Um- 4) Nrech, Beobachtungen über die verschiedenen Schuppenfarben und die zeitliche Succession ihres Auftretens (Farbenfelderung) auf den Puppenflügel- chen von Vanessa urticae u. Go. Zoologischer Anzeiger, Nr. 380, 1891. 994 Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. gestaltungen. Zuerst legt sich der gelbe Teil des Afterflecks und der Prachtbinde, letzterer als einfacher, länglich gestalteter Fleck am Vorderrand des Hinterflügels an. Der letztere verwandelt sich in einem späteren Stadium in ein bis zum Afterfleck reichendes Band. Die fortlaufende Verbindung wird jedoch später dadurch unterbrochen, dass die dunkeln Grenzstreifen breiter werden und die gelben Schuppen stellenweise verdecken. Trotzdem dass auf dem Hinterflügel die schwarzen Binden gleichzeitig und verhältnis- mäßig spät auftreten, ist er früher ausgefärbt als der Vorderflügel und macht in seiner Entwicklung größere Veränderungen durch als ersterer. Er zeigt überhaupt mehr eine fleckige als eine strieh- förmige Zeichnungsanlage. Auch dadurch, dass ein Verschmelzen der Binden im Hinterflügel in größerem Umfang stattfindet als im Vorder- flügel, erscheint die Zeichnung desselben mehr fortgeschritten. Ver- schiedene dieser Eigentümlichkeiten mögen auf die abgeänderte Gestalt der Hinterflügel zurückzuführen sein, immerhin rechtfertigt dieses Ver- halten die Annahme einer postero-anterioren Entwicklung. Auch im übrigen werden die von Eimer auf phylogenetischem Weg gewonnenen Zeichnungsgesetze und die darauf gegründeten Schlüsse bestätigt. Der fertigen Podalirius- Zeichnung geht eine mehrstreifige Form, wie sie phylogenetisch in Alebion, Glycerion und Paphus ge- geben ist, voraus. Zn dieser Zeit hat der gelbe Teil der Pracht- binde auf dem Hinterflügel eine Ausdehnung wie sie bei @/ycerion bleibend gegeben ist. Die Entwicklung der Flügel in der Puppe von Papilio Machaon zeigt, dass bier eine phylogenetisch viel höher stehende Form vorliegt als in Papilio Podalirius. Viele Anfangsstufen der Ent- wicklung sind schon ausgefallen, und ehe noch dunkle Schuppen auf dem Puppenflügel auftreten, beobachten wir eine Musterung des Flügels, welche dadurch zu stande kommt, dass an manchen Stellen die Schuppen der Grundfarbe dichter stehen und dunkler gelbe Flecke erzeugen, als an andern. Diese Musterung des Flügels entspricht nahezu ganz der Zeichnung des fertigen Falters. Die Zeichnungs- anlage von P. Machaon ist somit von Anfang an eine viel bestimm- tere als bei Podalirius und ist mehr fleckig als striehförmig. Die Binden in der Mittelzelle des Vorderflügels, welche bei Podalirius zu allererst auftreten und sich längere Zeit hindurch, was Ton und Ausdehnung betrifft, an erster Stelle behaupten, sind bei Machaon ent- schieden zurückgebildet. Unter den günstigsten Bedingungen für Entwicklung stehen bei Machaon die Seitenrand- und Wurzel- binden. Obwohl durch die erste Flügelmusterung bei Machaon eine Verschmelzung gewisser Binden schon angedeutet ist, so unterscheidet sich der Falter insofern nicht von Podalirius als die dunkeln Schuppen Gräfin v. Linden, Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen. 225 stets zuerst die Grenzen der Bänder und Flecken deutlich hervor- treten lassen. Auch bei Machaon sind die hinteren Bindenteile früher ausgefärbt als die vorderen. Was die Aufeinanderfolge der Farben bei beiden Faltern betrifft, so finden wir zuerst Gelb, dann Orange, Purpur und endlich Schwarz. Auch bei Machaon ist die rotgelbe Binde eine zeitlang durch ge- trennt stehende Flecke, später durch ein fortlaufendes Band bezeichnet, was erst sekundär durch das Auftreten dunkler Beschuppung unter- brochen und in seiner Ausdehnung reduziert wird. Die Entstehung des Bandes aus mehreren auf die verschiedenen Felder verteilten Flecken giebt eine Erklärnng für die Art und Weise, wie sich die Binde bei den verschiedenen Endformen der Segelfalter und Schwalbenschwänze zurückbildet: Beide Vorgänge beruhen offenbar auf ähnlichen physio- logischen Ursachen. Eine Beschuppung der Flügelrippen oder Adern wird sowohl bei Podalirius als bei Machaon in den letzten Stadien der Puppen- ruhe beobachtet, erreicht aber bei Machaon eine viel größere Aus- dehnung als bei Podalirius. Es scheint mir von Interesse, noch besonders darauf zu verweisen, wie bei der Puppenentwicklung von Machaon verschiedene Eigen- schaften in dessen Flügelzeichnung auftreten, die sich in der Phylo- genie bei den Vertretern der Turnus-Gruppe wiederfinden. Die Bin- den II III sind z. B. bei den Turnus noch nicht fest verschmolzen, es besteht in der Mitte dieses Bindenkomplexes eine Trennungslinie, die, wie bei der Machaon-Puppe, besonders an der Flügelspitze verbreitert ist. Auch die Binden IX, X, XI verlaufen bei Machaon kurze Zeit, bei den Turnus beständig getrennt. Die rotgelbe Fleckenbinde auf der Unterseite des Hinterflügels ist noch ziemlich zusammenhängend, beim Weibchen ist dieselbe gelblicher, also ursprünglicher gefärbt als beim Männchen. In der Machaon-Gruppe erfährt diese Binde eine Reduktion und wird dunkler rotgelb. Denselben Veränderungen unter- liegt diese Binde in der Puppenentwicklung von Machaon. Der Vorder- rand des Flügels trägt, wie die noch nicht ausgefärbte Machaon-Puppe, wenig dunkle Beschuppung, und die Flügelrippen sind nur selten dunkel gefärbt. Die Fleckenreihe, welche die Binden I und II III trennt, ist bei den Turnus-Arten viel breiter als bei den Angehörigen der Machaon- Gruppe und entspricht darin der Zeichnung eines ziemlich jungen Puppenflügels. Selbst die Gestaltsveränderungen, welche diese Flecke in der Phylogenie erleiden, bis sie ihre endgiltige Form erlangt haben, bilden eine Parallele zu den Umwandlungen, welche die Flecke in der Turnus-Machaon-Gruppe durchmachen, zuerst sind dieselben viereckig, dann kreisrund, endlich halbmondförmig. Den Vertretern der Turnus- Gruppe fehlt ferner die schwarze Umrahmung der Mittelzelle im Hinterflügel, welche, wie Eimer beschreibt, bei Machaon Sphyrus Hübn. XVII, 15 DD 26 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). als neue Eigenschaft auftritt. In der Puppenentwicklung von Machaon finden wir den Anfang dieser neuen Zeichnung auch erst gegen den Schluss der Puppenruhe. Der junge Machaon-Flügel besitzt demnach eine Reihe von Eigenschaften, die für die Turnus-Gruppe bezeichnend sind und giebt somit in seiner ontogenetischen Entwicklung ebenso wie der Segelfalter ein getreues Bild der Umwandlungen, welche in der Stammesgeschichte der Arten ihren bleibenden Ausdruck finden. Es wäre von großem Interesse, wenn derartige Untersuchungen über die Entwieklung der Zeichnung auf dem Puppenflügel auch bei den amerikanischen Papilio-Formen ausgeführt würden, um zu sehen, ob auch hier die nach Minot’s Ansicht „haltlosen Eimer’schen Spekulationen“ das Richtige getroffen haben. „If Prof. Eimer’s claims are correet“, sagt Minot, „his researches mark one of the great epochs of biologieal discovery“. Wir haben gesehen, dass Minot diese Bedingung als nicht erfüllt betrachtet. Allein mit welchem Recht? Es wurde in den Schmetterlingen gezeigt, dass eine große Zahl von Veränderungen am Einzeltier durch die Einwirkung äußerer Einflüsse entstehen, dass diese Variationen denen in der Natur be- obachteten gleich sind und wie diese bestimmte Richtungen einschlagen. Der Versuch bestätigt ferner, dass sich die durch organisches Wachsen entstandenen Abänderungen auf die Nachkommen vererben, und die Untersuchung ergiebt, dass die verschiedenen Stufen der Abänderung, welche in der Phylogenie als Artmerkmale erhalten sind, in der Onto- genie vorübergehend wiederkehren. Hypothesen, die wie die Eimer’- schen in den Ergebnissen der Biogenese und im Experiment ihre Stütze finden, dürfen, meiner Ansicht nach, mit Recht den Anspruch auf Beachtung erheben, selbst wenn sie zu Theorieen führen, welche mit den heute meist vertretenen im Widerspruch stehen. [19] Ueber den Bart der Mannweiber [Viragines|'). Von Dr. Alexander Brandt, o. Professor der Zoologie in Charkow. Weiber mit männlichem Haarwuchs an beiden Kieferbögen haben schon zu allen historischen Zeiten die Aufmerksamkeit ihrer Mitbürger auf sich gezogen; um so mehr, als sie keineswegs eine besonders seltene Anomalie darbieten. In der That ließe sich wohl schwerlich ein Zeitpunkt?) ausfindig machen, in welchem nicht mehrere bärtige 4) Als Fortsetzung zu dem Aufsatz „Ueber die sogen. Hundemenschen,*“ Diese Zeitschr. Bd. XVII Nr. 5. — Wie ich während der Korrektur entdecke, ist mir im vorhergehenden Aufsatz ein neuer hübscher Fall eines Hundemenschen entschlüpft und zwar der Löwenknabe StefanBibrowski aus der Warschauer Umgegend, 4!/, J. alt. Fr.L. Neugebauer, Kilka slöw o mezkiem owlosienin u kobiet ete. Warszawa, 1897 (aus Gazeta Lekarska), S.6, mit 2 Abbildungen. 2) Interessante historische Daten findet man bei M. Bartels, Einiges Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). 3237 Frauenzimmer sich als „noch nie dagewesene“ Phänomene zur Schau stellten. Auch für den gegenwärtigen Zeitpunkt z.B. können gleich in einem Atemzuge mehrere genannt werden, so die in vielen Zeitschriften abgebildete Amerikanerin Annie Jones, so eine Catalonierin, deren Namen mir nicht gegenwärtig, so eine PolinMarie Nekrassow, deren Beschreibung ich jüngst veröffentlichte!). Außer den genannten ziehen gewisslich noch so manche Andere von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, während vielleicht eine noch größere Zahl ihre lästige Anomalie mit- telst Rasiermesser, chemischer und anderweitiger Depilatoren zu ver- bergen oder auszumerzen weiß. Auch sind Fälle bekannt, in denen Viragines, ihr Geschlecht verleugnend, männliche Professionen, die militärische nicht ausgenommen, ergriffen. In einer Zeit, in welcher Alles, was ehemals als bloßes Kuriosum oder Spiel der Natur bezeichnet wurde, zu einer wissenschaftlichen Beur- teilung herausfordert, fesselt der Weiberbart mit Recht die Aufmerk- samkeit der Forscher, welche wohl sämtlich geneigt sein dürften, die- ser Anomalie eine phylogenetische Bedeutung zuzumessen. Ob Letz- tere in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegt, ist diejenige Frage, welche hier erörtert werden soll und zwar im Zusammenhang mit der ihr so nahe stehenden allgemeineren Frage über den Ursprung und die Zukunft der menschlichen Behaarung überhaupt. Darwin?) ist der Ansicht, dass die Männchen der Affen ete. „zuerst ihre Bärte durch geschlechtliche Zuchtwahl als Zieraten er- hielten und in den meisten Fällen in gleichem oder nahezu gleichem Grade ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts überlieferten. Wir wissen durch Eschricht, dass beim Menschen sowohl der weibliche, als auch der männliche Fötus im Gesichte mit vielen Haaren versehen ist, besonders rings um den Mund, und dies deutet darauf hin, dass wir von einem Urerzeuger abstammen, dessen beide Geschlechter mit Bärten versehen waren. Es scheint daher auf den ersten Blick wahrscheinlich zu sein, dass der Mann seinen Bart von einer sehr frühen Periode her behalten hat, während die Frau ihren Bart zu der nämlichen Zeit verloren hat, als ihr Körper beinahe vollständig von Haaren entblößt wurde“ (II, S. 333). ... Es liegt eine geringere Unwahrscheinlichkeit darin, dass die Männer der mit Bärten versehenen Rassen ihre Bärte von Urzeiten her behalten haben, als in Bezug auf die Haare am Körper ; denn bei denjenigen Quadrumanen, bei welchen die Männchen einen größeren Bart haben als die Weibchen, ist der- selbe vollständig nur zur Geschlechtsreife entwickelt und es können über den Weiberbart in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung. Zeitschr. f. Ethnol., XIII, 1881, S. 255—280. 4) Eine Virago. Archiv f, pathol. Anatomie, 146. Bd., 1896, S. 532. (Auf S. 540, 2.7 lese man Flaumhaar statt Frauenhaar.) 2) Die Abstammung des Menschen. Deutsch v. Carus. Stuttgart 1871, I S.129, 180; II S. 330—336, 15: 998 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). nur die späteren Entwieklungsstufen ausschließlich auf die Menschheit überliefert worden sein. Wir würden das erblicken, was wirklich der Fall ist, nämlich dass unsere männlichen Kinder, ehe sie zur Geschlechtsreife gelangen, ebenso der Bärte entbehren, wie un- sere weiblichen Kinder. Auf der anderen Seite deutet die große Va- riabilität des Bartes innerhalb der Grenzen einer und derselben Rasse und bei verschiedenen Rassen darauf hin, dass Rückschlag in Thätigkeit getreten ist. Wie sich indessen die Sache verhalten mag, wir dürfen die Rolle nicht übersehen, welche die geschlechtliche Zuceht- wahl während späterer Zeiten gespielt haben kann, denn wir wissen, dass bei Wilden die Männer der bartlosen Rassen sich unend- liche Mühe geben, jedes einzelne Haar aus ihrem Gesichte als etwas Widerwärtiges auszureissen, während die Männer der bebärteten Rassen den größten Stolz in ihren Bart setzen. Ohne Zweifel nehmen die Frauen an diesen Gefühlen Teil, und wenn dies der Fall ist, so kann geschlechtliche Zuchtwahl kaum anders, als auch etwas im Ver- laufe der späteren Zeiten bewirkt haben“. Die von Darwin selbst betonte „äußerst verwiekelte Natur des Gegenstandes“ mag seine nicht ganz klare Darstellungsweise rechtfertigen. Ein Vergleich von Bd. I, S.180 und Bd. II, S.337 dürfte der Annahme von zweierlei Vorfahren das Wort reden: nämlich ältester, in beiden Geschlechtern bebärteter Urerzeuger und jüngerer, affenähnlicher, welche letztere im männlichen Geschlecht den unterdessen verloren gegangenen Bart von neuem er- hielten und ihn auf den Menschen erblieh übertrugen. Mit dieser Deu- tung lässt sich allerdings schwer vereinbaren, was Darwin Bd. I, S.21 sagt, nämlich, dass wir die wolligeBedeckung des menschlichen Fötus für den rudimentären Repräsentanten des ersten bleibenden Haarkleides bei denjenigen Säugetieren ansehen müssen, welche be- haart geboren werden. Die Vorstellung, welche ich mir von der Bedeutung der Viragines gemacht, dürfte mit diesen Ideen Darwins nicht im Widerspruch stehen, vorausgesetzt, dass ich dieselben nicht mißverstanden. Meine Vorstellung ergänzt diese Idee bloß dahin, dass sie die Ausbildung des rezenten menschlichen Bartes für noch nicht abgeschlossen erachtet und namentlich seine weitere Uebertragung auch auf das weibliche Geschlecht zu behaupten versucht. Im allgemeinen Teil einer Arbeit über männlich befiederte Vögel!) zog ich auch die Viragines als Beispiel der Arrhenoidie, der Männchenähnlichkeit heran. Wir können — so drückte ich mich daselbst aus — im Großen und Ganzen für die Summe der tierischen Wesen ein Streben nach Schmuck und Waffen annehmen, welches seit undenklichen Zeiten gewirkt und. wohl noch zu wirken fortfährt. Dieses Streben äußert sich in beiden Ge- ; 4) Anatomisches und Allgemeines über die sogen. Hahnenfedrigkeit etc. Zeitschr. f. wiss. Zool, XLVII, 1889, S. 101. Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). 229 67 schlechtern in ungleichem Grade, beim Männchen stärker, beim Weib- chen schwächer. Bei verhältnismäßig wenigen Vogelarten haben es Männchen und Weibchen zur gleichen Pracht des Gefieders gebracht; häufiger ist dasselbe beim Weibchen weniger leuchtend oder selbst unansehnlich, mit dem infantilen übereinstimmend. Bei den Säuge- tieren sind es abermals die Männchen, welche in ihrem Streben nach Differenzierung der äußeren Merkmale, bei der Ausbildung von Ge- weihen, verlängerten Zähnen, Langhaaren (Bart, Mähne) voraneilen. Dass die Weibehen ihnen überhaupt nachfolgen, wird durch diejenigen Arten bewiesen, bei welchen der sonst als männlich geltende Schmuck auch beim Weibchen auftritt, sei es als Norm, sei es als Anomalie (hahnenfedrige Vogelweibehen, Viragines). In einer späteren Publi- kation!), welche den Versuch zu einer übersichtlichen Klassifikation der Variationsformen nach ihren Ursachen enthält, brachte ich die arrhenoiden Weibehen in der Kategorie der prophetischen Varia- tionen unter, d. h. solcher, welche gemäß einer deutlich erkennbaren allgemeinen Entwicklungsrichtung dazu bestimmt zu sein scheinen, in mehr oder weniger ferner Zukunft normale Merkmale der betrefien- den Art darzustellen. Beide soeben zitierten Publikationen gaben den Stoff zu einem populären Vortrage, in welchen ich im selben Sinne auf. die Mannweiber zu sprechen komme. Nur von diesem Vortrage mit seiner naturgemäß bloß kursorischen Argumentation nahm J.v.Kennel?) Notiz zu kritischen Bemerkungen, deren Widerlegung im gegenwär- tigen Aufsatz versucht werden soll. Kennel (8.4) erklärt sich gegen die Auffassung, dass der Bart des Mannes ein nur bei diesem zur Ausbil- dung gebrachter sexueller Schmuck, dass die bärtigen Mannweiber drophetische Individuen, resp. Pionniere auf einem kommenden Genera- tionen vorgezeichneten Entwicklungspfade seien. Mein Fehler liege im Zurückgehen auf den kindlichen Typus, in der Schlussfolgerung: „weil das menschliche Kind schwach behaart ist, so ist die stärkere Behaarung eine sekundäre Eigenschaft, in Bezug auf welche der Mann dem Weibe in dieser Entwieklungsrichtung vorausgeeilt, und dieses kommt ihm langsam nach“. Nicht der kindliche, sondern der embryo- nale ist derVorfahrentypus. „Würde in den kindlichen Eigenschaften die letzte Etappe der Stammesentwicklung repräsentiert, so müsste man daraus schließen, dass die unmittelbaren Vorfahren des Menschenge- schlechts nieht nur so gut wie haarlos, sondern auch zahnlos gewesen seien, und der fünfte Backenzahn (Weisheitszahn) so wie die Anlage eines sechsten, nie zum Durchbruch kommenden, müsste man dann für 4) Ueber Variabilität der Tiere. Wien u. Leipzig. 8. 1892. 26 Seiten. In Kommission bei K. F. Köhler. 2) Studien über sexuellen Dimorphismus, Variation und verwandte Er- scheinungen. Sehr. d. Naturforscher-Ges. bei der Universität Jurjefi- Dorpat, IX, 1896. 230 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). allmählich entstehende, sich immer mehr befestigende, nicht aber ru- dimentäre Gebilde erklären. Daran denkt aber Niemand. Nicht das geborene Kind, sondern das mit Lanugo bedeckte ungeborene steht den Ahnenformen in Bezug auf Behaarung näher, und zeigt gerade dadurch, dass der Mensch sekundär eine früher starke Allgemein- behaarung verloren hat... Auffallend kann es nur sein, dass sich an einzelnen Körperstellen ..... gerade an Orten, wo Säugetiere sonst schwach behaart sind, diese Integumentgebilde erhalten haben und sogar anscheinend in verstärktem Maße zur Entwicklung kamen... Es wäre möglich, dass bei dem allgemeinen Haarschwund im Stamme desMenschen gerade den hartnäckiger sich erhaltenden, stärkeren und fester eingewurzelten Haaren mit größeren Papillen der gewonnene Ueberschuss zu Gute kam und diese in Folge dessen sogar eine stär- kere Ausbildung erlangen konnten. Jedenfalls kommen wir zu dem... Resultat, .... dass der Mann in Bezug auf Behaarung der Stammform noch näher steht und deswegen die atavistische Behaarung vieler Körperregionen bei ihm leichter und öfter noch auftritt, während sich das Weib durch viel weiter gehende Degeneration der Integument- bildungen in höherem Maße von diesem Typus entfernt hat. Die ge- legentlich vorkommenden bärtigen und stark behaarten Weiber sind dann ebenfalls als Rückschlagserscheinungen aufzufassen, so wie auch die Haarmenschen, nicht aber als solche, die in ihrer normalen Weiterentwicklung gleichsam der Jetztzeit vorausgeeilt sind und zeigen, wie das Weib später sein wird!“ (8. 7.) Die oben gegebenen Auszüge aus Darwin und Kennel zeugen, wenn ich nicht irre, von einer etwas unklaren, schwankenden Vor- stellung über die phylogenetische Deutung des menschlichen fötalen Flaumhaares. Zur eigenen Belehrung stellte ich daher die Studien an, welche im vorhergehenden Artikel über die sog. Hundemenschen ihren Ausdruck gefunden. Daselbst hoffe ich mit genügender Beweiskraft dargelegt zu haben, dass das von Eschricht u. A. für den mensch- lichen Fötus beschriebene Wollhaar, welches auch den Vierfüßlern tem- porär zukommt, keineswegs deren bleibendem Haarkleid entsprechen kann und vielmehr ein bereits von den Ursäugern erlangtes Erbstück darstellt; während dem bleibenden Haarkleid der vierfüßigen Säuge- tiere die uns Menschen zukommende postembryonale, größtenteils sehr feine und seltene Behaarung entspricht. Von einer Deutung un- seres Bartes als Ueberbleibsel des embryonalen Kieferbehanges kann erst vollends keine Rede sein, da letzterer ja schwindet und erst in den Pubertätsjahren durch einen neuen ersetzt wird. (Er verbleibt nur bei den Haarmenschen, bei welchen er aber keineswegs aus Pubertäts- haar, sondern aus überbildeten fötalen Wollhaar besteht). Darwin — und mit ihm auch Haeckel!) — sind geneigt anzu- 1) Anthropogenie, IV. Aufl., Leipzig 1891, Bd. IL, 8. 636. Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). 231 nehmen, „dass der Mensch oder vielmehr ursprünglich die Frau ihr Haarkleid zu ornamentalen Zwecken verlor... Wir wissen, dass die Gesichter mehrerer Species von Affen und große Flächen am hin- tern Teile des Körpers bei anderen Spezies von Haaren entblößt wor- den sind; und dies können wir getrost geschlechtlicher Zuchtwahl zu- schreiben, denn diese Flächen sind lebhaft gefärbt... Das Haar scheint in diesen Fällen... entfernt worden zu sein... . damit die Farbe der Haut vollständig entfaltet werden konnte“ (I, S.129). Nun ergeht sich aber der Geschmack der gegenwärtigen, auch wilden Völker in solehen Extremen, dass Spekulationen über den Geschmack unserer vierhändigen Ahnen uns doch etwas gewagt erscheinen dürf- ten. Zudem lässt die Analogie der nackten menschlichen Haut mit den lebhaft gefärbten Hautstellen mancher Affen Einiges zu wünschen übrig; denn außer den bei hellhäutigen Rassen hervortretenden roten Wangen entbehrt die menschliche Haut lebhaft gefärbter Stellen, welehe sich auch während der Ontogenese nicht nachweisen lassen. Hierzu kommt noch, dass die lebhaft gefärbten, mehr oder weniger schwielig verdiekten Hautpartien der Affen thatsächlich nackt sind, während unsere eigene Haut, mit alleiniger Ausnahme der Hand- flächen, Sohlen und des männlichen Gliedes, wenn auch meist rudi- mentär, so doch behaart ist. Die Denudation war für unsere pithe- coiden Vorfahren mutmaßlich eine zu große Einbuße, welche sie den schädlichen atmosphärischen Einflüssen, wie brennende Sonnenstrahlen, Kälte und Nässe aussetzte, als dass sie von denselben durch Zucht- wahl hätte angestrebt werden können. Eine entgegengesetzte Zucht- richtung wäre an sich wahrscheinlicher. Was nun aber die ge- sehlechtliehe Zuchtwahl anbetrifft, so möchte ein schlechter als die Uebrigen durch Haare geschützter Geselle eher die Missachtung als die Begierde ihm überlegener Gefährten herausgefordert haben. Ich halte es daher für wahrscheinlicher, dass das Rudimentärwerden des menschlichen Haarkleides durch eine unabwendbare innere, im Organismus selbst liegende Ursache, etwa als korrelative Abänderung, hervorgerufen wurdet). Diese äußerte sich in einer Depression der formativen Hautthätigkeit. In der That sehen wir die Letztere quan- titativ und zeitlich herabgestimmt; wobei die kleinen Flaumhaare erst im späteren Alter die Kraft finden können weiter auszuwachsen, und dabei nicht einmal allerwärts, sondern meist nur an einzelnen Körperpartien und vorzüglich nur bei Männern. Ausnahmefälle, welche in einer Maturitäts- (d. h. postembryonalen) Hypertrichose bestehen, zeugen von einer gelegentlich sich früh restituierenden ursprüng- 4) Vielleicht war dies die größere Stoffausgabe für ein sich übermäßig ausbildendes, gleichfalls ektodermales Organ, das Gehirn, welche neben andern Gebilden (wie z. B. die Spitze des Blinddarms) auch die Haardecke zum Opfer fiel. 939 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). liehen Produktivität der Haut. Bei der allgemeinen Denudation der Hautdecke unserer Vorfahren mussten ganz naturgemäß solche Stellen geschont werden, wo den Haaren eine spezielle physiologische Auf- gabe zukommt; so auf dem den diversen atmosphärischen Einflüssen beim aufrechten Gang zunächst ausgesetzten Scheitel, so in der Achsel- höhle und auf dem Mons Veneris, wo die Haare als Walzen zur Ver- minderung der Friktion dienen!). Nur die sonst so hartnäckigen, weil funktionell wichtigen Tasthaare, welche selbst bei den sonst so schwach behaarten Robben vortrefflich ausgebildet, ja sogar bei den Embryonen der Wale noch rudimentär auftreten, unterlagen hingegen bei den Ur- menschen dem Kampf der Teile im Organismus wohl deshalb, weil für sie Aequivalente in den Fingerspitzen geschaffen wurden. So sehen wir denn die Tasthaare beim Menschen nur ausnahmsweise atavistisch auftreten. Ich nehme hier Bezug auf folgende Worte Darwin’s: „Mr. Paget teilt mir mit, dass Personen, welche zu einer und derselben Familie gehören, oft in ihren Augenbrauen einzelne wenige Haare viel länger als die übrigen haben, so dass diese unbedeutende Eigentümlichkeit vererbt zu werden scheint. Diese Haare repräsen- tieren offenbar die Tasthaare, welche von vielen der niederen Tiere als Tastorgane gebraucht werden“ (l. e. I, S. 20). Ferner denke ich hier auch an folgende von Bartels?) am 14jährigen Hundemenschen Fedor Jewtichjew gemachte Beobachtung. „Sehr eigentümlich sind zwei dicht beisammenstehende, in Schlangenlinien verlaufende Haare, welche von glänzend schwarzer Farbe und von der Konsistenz der Pferdehaare sind. Sie sind also dieker und dunkler als die Kopfhaare des Knaben. Sie entspringen am rechten unteren Augenlide zwischen den feinen Haaren, ohne dass die Hautstelle, welche sie trägt, irgend- wie verdickt oder gefärbt erschiene*“. Vom Pseudo-Bart des Fötus und dem des Hundemenschen, ferner von dem gewisser monströs frühreifer Individuen absehend, müssen wir hier nochmals das späte, mit der geschlechtlichen Maturität des Mannes verknüpfte Auftreten des Bartes betonen. Schon dieses stempelt ihn zu einem sekundären Geschlechtsmerkmal. Wäre der menschliche Bart ein Ueberbleibsel aus einer früheren Epoche, ein auf dem Aus- sterbeetat befindliches Gebilde, so würde er vermutlich früher auf- treten, auch würde er sich nicht so bedeutend differenzieren, wie es in Wirklichkeit der Fall ist. Sollten daher die Pithecanthropiden es schon zu einer Art von Bart gebracht haben, so dürfte derselbe noch lange nicht eine solche Ueppigkeit wie bei den gegenwärtigen stark bebärteten Rassen erlangt haben, dabei aber, wie beim Menschen, sich erst mit dem Eintritt der Geschlechtsreife des Männchens eingestellt 1) S. Exner, Die Funktion der menschlichen Haare. Biolog. Centralbl., XVI, 1896, S. 449. 2) Ueber den Affenmenschen und den Bärenmenschen. Zeitschr. f. Ethnol., XVI, 1884, S. 108. Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). 233 haben. Wäre dem Letzteren nicht so gewesen, so müsste sieh der heutige Bart, wie soeben angedeutet, schon in der Kindheit, wenn nicht gar bereits im späteren Embryonalleben zeigen. Der Beschaffenheit der ihn bildenden Haare nach ist der mensch- liche Bart nicht ohne Weiteres mit dem der Affen und einiger anderer Säugetiere als übereinstimmend zu betrachten. Er gehört vielmehr in die bei Säugetieren wenig verbreitete Kategorie der stärkeren Lang- oder Dauerhaare, wie Mähne und Schweif des Pferdes. Dauerhaare sind keinem periodischen, sondern einem nur gelegentlichen Wechsel unterworfen, zeichnen sich somit durch ein „unbegrenztes“ Wachs- tum aus und erreichen daher gelegentlich eine überaus bedeu- tende Länge. Den Bart, wie ihn die Sage dem Kaiser Friedrich Barbarossa auf dem Kiffhäuser zuschreibt, fand man bei einem Zimmermann übertroffen, bei welchem der Bart eine Länge von 9 Fuß besaß, so dass er bis an die Erde und wieder zurück bis zur Mitte des Körpers reichte!). Gar über zwei Körperlängen (2,5 m) maß der Bart des 63jähr. L.Goulen?). Nicht übel ist auch der 1,70 m lange, bis an die Erde reichende Bart des 42 Jahre alten Herrn Büllers- bach?), doch könnte er möglicherweise bei manchen unter uns, wenn wir unsere Bärte nicht ab und zu stutzten, seine Konkurrenten finden. Das Haar lässt sich allerdings gewissermaßen als tote Masse, analog einem zelligen Drüsensekret ansehen, doch bildet es nichts destoweniger im Grunde ein streng geformtes Organ, welches in seiner Anlage und seinem Wachstum eine nieht unbedeutende Analogie mit einem Zahne zeigt. Wollen wir die einem häufigen Wechsel unter- worfenen kurzen Säugetierhaare den Haut- und Kieferzähnen der polyphyodonten Wirbeltiere vergleichen, so dürfen wir wohl die Dauer- haare den bei gewissen Säugetieren vorkommenden Zähnen mit un- begrenztem Wachstum zur Seite stellen, wie den Stoßzähnen der Ele- phanten, den Schneidezähnen der Nager, den Hauern der Schweine, den oberen Eekzähnen des Walrosses. Wie zwischen den beiden Ka- tegorien von Zähnen, so bestehen auch zwischen denen der Haare zahlreiche Uebergänge. Wurzellos bleibt ein Zahn mit unbegrenztem Wachstum beständig jung und lebensfrisch, mag er am freien Ende auch noch so abgenutzt sein. Aehnlich steht es auch mit den lang auswachsenden Haaren, welche ihre Langlebigkeit nicht allein einer geschwächten Produktion von Ersatzhaaren*), sondern auch einer be- 1) Eble B., Die Lehre von den Haaren in der gesamten organischen Natur. Wien 1831. 8. Bd. II. S. 36. 2) Illustrierte Zeitung, 1889, S. 140. 3) Virchow R., Mann mit Riesenbart. Zeitschr. f. Ethnol, XXIII, 189i, S. (261). 4) Haacke W., Lange Krallen und Haare als Erzeugnisse der Rück- bildung durch Nichtgebrauch. Biol. Centralbl., XV, 1895, S. 238. 934 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). sonderen Lebensenergie der Papillen verdanken und mithin einer physiologisch und morphologisch höheren Ordnung angehören. Ein so ausgeprägtes zur Ueberbildung hinneigendes Dauerhaar, wie es der Mensch in seinem Bart, besitzt wohl kaum noch ein anderes Säugetier, das Pferd!) und den männlichen Löwen nicht ausgenommen. Als atavistische, nur noch beim Manne auftretende Gebilde, würden die menschlichen Barthaare wohl kaum so excellieren können, wie es thatsächlich der Fall ist. Aus welchen Ursachen dies geschieht, könnte vorläufig nur hypothetisch erörtert werden, wovon ich hier in größerem Maßstabe Abstand nehme. Wenige Worte seien mir dennoch gestattet. Wenn Kennel (S. 6) den verstärkten Bartwuchs des Menschen als eine kompensatorische Weiterbildung stärkerer und fester eingewurzelter Haare auf Kosten des sonst zurückgegangenen Haarkleides bezeichnet, so lässt sich dies ganz gut verteidigen. Man denke hierbei an die nur kurz behaarten aber mit um so mehr entwickelten Fühlhaaren ausgestatteten Robben, man denke an unsere Kahlköpfe, bei denen die ganze Wachstumsenergie der Kopfhaare in den Bart geflüchtet zu sein scheint. Man kann aber aus diesen Thatsachen auch neue Beweise für die Unabhängigkeit der Barthaare von der übrigen Behaarung und für ihre Tendenz zur weiteren Fortbildung, und mithin auch gegen ihre rudimentäre, atavistische Bedeutung, schöpfen. Aus dem ungleichen Entwicklungsgrade, welchen der Bartwuchs bei verschiedenen Völkerschaften und Rassen darbietet, lassen sich für die uns interessierende Frage keine direkten Aufschlüsse gewinnen; denn variabel pflegen sowohl neuerworbene, und somit noch nicht hinlänglich fixierte, als auch nicht mehr genügend fixierte, in Rück- schritt begriffene Organe zu sein. Zu den stark bebärteten Völker- schaften gehören solche Extreme, wie einerseits die Papuas und Austra- lier, andererseits die Europäer, während zu den schwach behaarten z. B. die Hottentotten, Nigritier, Urbewohner von Amerika, Malaien, Mongolen ete. rechnen. Hieraus lässt sich kein Vers machen. Nur eine Erwägung mag bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck gelangen, nämlich die, dass der Bart als im Verschwinden begriffenes Gebilde bei niedrig stehenden Rassen, namentlich in früheren Lebensperioden am besten ausgebildet sein müsste, was aber nicht der Fall ist. Dem oben Ausgeführten gemäß neige ich entschieden zur Ansicht, dass der menschliche Bart ein progressierendes, sekundäres Geschlechts- merkmal des Menschen darstellt, in dessen Besitz viele Völker nicht oder noch nicht getreten. Die Entstehung der sexuellen Verschiedenheit der menschlichen Behaarung bedarf — wie auch einer der tüchtigsten Gewährsmänner, 4) Die Abbildung eines Pferdes mit langen schleppenartigen Schweif brachte vor nicht langer Zeit der von Deyrolle herausgegebene „Naturliste“. 2) Atlas der menschl. und tier. Haare. Lahr 1884. fol. S. 106. Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). 335 Waldeyer, betont — noch einer Erklärung, „da was bisher über diese Dinge vorgebracht ist, auch das von Darwin Gesagte nicht ausgenommen, nicht befriedigt“. Wenn übrigens Waldeyer, nach dem Vorgange von Unna, hierbei den besten Aufschluss von einem eingehenden Studium des fötalen Haarkleides und Haarwuchses er- wartet, so kann ich diese Hoffnung nach dem im gegenwärtigen und vorhergehenden Aufsatze Vorgebrachten nicht teilen, muss vielmehr selbst das infantile Alter inbezug auf die Behaarung als noch in- different betrachten. Auch die Aeußerung von Waldeyer, die sexuelle Verschiedenheit in der Behaarung sei bei keinem Geschöpfe so aus- geprägt, wie beim Menschen, dürfte vielleicht nicht ausnahmslos zu- treffen; wie einzelne nur im männlichen Geschlecht stark bemähnte Vierfüßler zeigen, so in erster Linie der Löwe, welchem außer einer Mähne noch eine Schwanzquaste zukommt. Die sexuellen Verschiedenheiten in der Behaarung des Menschen wer- den gern überschätzt. Mit Recht schreibt G. Behrend: „Der Frauenbart ist ein keineswegs so seltenes Vorkommnis, als man allgemein anzu- nehmen pflegt, er wird nur deshalb so selten beobachtet, weil die Trägerinnen dieser Anomalie dieselbe nicht zur Schau tragen, sondern im stillen Kämmerlein und streng abgeschlossen von jedem spähenden Auge jedes Härchen, sobald es die Oberfläche der Haut überragt, sofort entfernen, ja ich persönlich kenne eine Anzahl von Damen, die sich im eigenen Gesicht alltäglich im Gebrauch des Rasiermessers üben, und schon manche Schöne stand wegen dieser Deformität in meiner Behandlung“. Man sehe sich nur unsere junge Damenwelt in Gesell- schaften und öffentlichen Versammlungen genauer an, und man wird sich leicht davon überzeugen, dass sehr viele von ihnen, mindestens 10°/,, sollte ich meinen, vielleicht auch bedeutend mehr, ein Schnurr- bärtchen besitzen. In den meisten Fällen ist es allerdings nur kurz und flaumartig, und daher, namentlich bei Blondinen und helleren Brunetten, wenig auffällig. Nicht selten wird man entdecken, dass daran gerupft und geschoren worden. Nun kommen die älteren Frauen hinzu, welche noch mehr zur Bartbildung, namentlich nach dem Climax, hinneigen. Bei diesen pflegen die betreffenden Haare länger und dicker, selbst borstenartig wie in stärkeren männlichen Bärten zu werden, und nicht bloß als Schnurr-, sondern auch als Kinn- und Backenbart aufzutreten. Zu den überaus zahlreichen bekannten und auch Jedermann dureh eigene Beobachtung zugänglichen Fällen dieser Art möchte ich noch einen hübschen hinzufügen. Bei einem sehr be- kannten, kürzlich verstorbenen moskauer Kinderarzt Dr. P. sah ich das künstlerisch lebensgroß in Oel ausgeführte Bildnis seiner alten Mutter, einer schönen, würdevollen Matrone, deren Oberlippe und Kinn 4) Hypertrichosis. In: A. Eulenburg’s Real-Enceyclopädie der ges. Heilkunde, 1887, X. 236 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). einen dichten, aus grauen, einige Centimeter langen Haaren bestehenden Schnurr- und Kinnbart trugen. Von all solehen Fällen ließe sich wohl eine kontinuierliche Reihe von Uebergängen zu ausgesprochenen Viragines aufstellen. Die beim Weibe vorkommenden verschiedenen Gradationen vom Nullbart mit seinen nur unter der Lupe sichtbaren gewöhnlichen Flaum- härchen bis zu einem prächtig nach männlichem Typus ausgebildeten lassen, an und für sich betrachtet, zwei einander diametral entgegen- stehende Ansichten aufkommen. Der einen nach beruhte die Varia- bilität des Weiberbartes auf Rückschlagserscheinungen, resp. auf der Variabilität einer noch nicht völlig erloschenen Bildung, der anderen nach auf einer noch im Entstehen befindlichen Aecquisition desselben. Wir hätten hier dieselbe Alternative, welche weiter oben bei Gelegen- heit der Rassenunterschiede des männlichen Bartes betont wurde. Zu welcher von den beiden Ansichten ich hinneige, ist dem Leser bereits bekannt. Um die erstere, von mir bekämpfte Ansicht zu verteidigen, musste man sich zunächst nach einem ontogenetischen Beweise dafür um- sehen, dass die näheren, weiblichen Vorfahren des Menschen Bärte besaßen. Ein solcher Beweis ist, wie wir sahen, nicht einmal für die männlichen zu erbringen. Ist aber der männliche Bart ein später und dabei als Sexualschmuck progressierender Erwerb, so dürfte ihn das Weib jedenfalls nicht früher als der Mann erlangt haben. Hieraus folgt, dass man bei der Beurteilung unserer Frage sich mit größerer Zuversicht, als es bisher geschah, dem Ariadnefaden des biogenetischen Grundgesetzes anvertrauen darf. Was uns dieses hier diktiert, schreiben wir getrost in der natürlichen chronologischen Reihenfolge nieder — uud erhalten ein richtiges, unverfälschtes Bild. Mag man bei diesen Betrachtungen weiter ausholen und mit den dem Menschen und den Quadrupeden gemeinsamen Urformen, den Promammalien beginnen, so könnte man allerdings sagen, die Ahnen des Menschen wären in beiden Geschlechtern bebärtet gewesen. Ihr Quasibart tritt aber ontogenetisch als vorübergehendes (nur bei den Hundemenschen als bleibendes) Ge- bilde auf. Dann kommt eine jahrelang andauernde bartlose Periode, welche erst mit der Pubertät ihr Ende erreicht. In diesem Lebens- alter beginnt bei manchen Völkerschaften, und zwar nur beim Manne, ein Kieferbehang zu sprossen, welcher an Länge und Ueppigkeit im Tierreich seines Gleichen sucht. Die Summe dieser Thatsachen stempelt den menschlichen Bart zu einem spezifischen, ausgesprochen sekundären männlichen Geschlechtscharakter, resp. Sexualschmuck. Weibliche Individuen, denen ebenfalls ein mehr oder weniger angedeuteter oder selbst gut ausgebildeter Bart sprosst, gehören in die Kategorie arrhe- noider Weibchen, gleich den hahnenfedrigen Vogelweibehen, gleich den ein Geweih aufsetzenden Hirschkühen. Genau in derselben Weise, wie Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). 237 bei arrhenoiden Vierfüßlern und Vögeln, tritt auch das menschliche Weib am häufigsten mit dem Erlöschen der Geschlechtsthätigkeit in den Besitz der dem Manne zukommenden Charaktere und zudem meist in nur unvollkommenem Grade. Der auf einer früheren Entwicklungs- stufe zum Abschluss kommende weibliche Organismus ist nicht im Stande alle der Species zugewiesenen Merkmale zu erringen, es sei denn, dass sich beim Wegfall der Ausgaben für die Geschlechtsthätig- keit ein Ueberschuss an Bildungsmaterial und Bildungsenergie einstellt. Gewisse an und für sich kräftiger, entwieklungsfähiger angelegte, sonst normale Weibchen können es aber bereits im kräftigen Alter, ja schon in der Jugend, zu arrhenoiden Merkmalen bringen!). Beim Menschen heißt man solche Weibchen, falls sie die sekundären männlichen Merk- male in ausgesprochener Weise erringen, Viragines. Ist der männ- liche Bart, so erwägen wir weiter, ein progressierendes, relativ erst unlängst, ja von manchen Völkerschaften so gut wie noch garnicht erworbenes Gebilde, so muss dies auch für den weiblichen Bart Gel- tung haben. Da ferner der weibliche Bart für gewöhnlich später als der männliche auftritt, so gestattet der Wortlaut des biogenetischen Grundgesetzes hieraus den Schluss, dass er beim Weibe auch phylo- genetisch jüngeren Datums sein dürfte. Das bei den Vögeln so aus- gesprochene Streben des Weibchens es dem Männchen in Schmuck und Waffen gleichzuthun, findet sein Analogon auch beim Menschen inbezug auf den haarigen Kieferbehang. Sind daher arrhenoide Säuge- tier- und Vogelweibchen prophetische Individuen, so werden es auch die menschlichen Viragines sein. Unserem schönen Geschlecht, welches trotz seiner Gleichheits- bestrebungen den männlichen Bart bewundert, den eigenen verab- scheut, bleibt der Trost, dass die Zahl der schwach und stark be- barteten Frauen nur ganz allmählich und unmerklich im Verlaufe von Jahrtausenden zunehmen dürfte. Ueber ihren künftigen Vollbart mögen sie sich ebenso wenig Gedanken machen wie über den Untergang der Welt. Unterdessen bleibt es unseren ingeheim bebärten Damen nach wie vor frei gestellt, mittels Rasiermesser, Elektrolyse und Cosmetica ihre Haut von den unliebsamen Auswüchsen zu säubern. Mit der Zeit aber kommt man vielleicht zur Einsicht, dass ein männlicher Bart eine Frau weniger verunstaltet als z. B. ein durch ein Schnürleib defor- mierter Brustkorb. Geschmack und Ansichten ändern sich ja nach Zeit und Ort. Die Ainomädehen von Japan lassen sich um den Mund herum und von hier in einem Strich fast bis zu den Ohren mit Russ tätowieren?) und erhalten dadurch eine Art Schnurrbart. Ob sich nicht in dieser Verzierung ein Bestreben der Weiber kundgiebt den i 4) Dasselbe gilt, selbstredend auch für die zum Hermaphroditismus hin- neigenden. 2) J. Batchelor, The Ainu of Japan. London 1892. 8. 34. 238 Brandt, Ueber den Bart der Mannweiber (Viragines). Männern ähnlich zu werden? Die überreiche Behaarung der Aino- männer und ihre dominierende Stellung den Weibern gegenüber, mag letztere veranlasst haben, das stärkere Geschlecht zu imitieren. Noch ein Trost bleibt der nicht bebärbeten (wie großen?) Ma- jorität unserer Frauen: es könnte sich nämlich in meiner Argumentation ein Fehler eingeschlichen haben, der das Ergebnis null und nichtig macht. Es wäre von einem Verfasser vermessen sich über dergleichen erhaben zu wähnen; doch nur das Eine möchte ich mich unterfangen zu behaupten, nämlich dass der Fehler nicht da liegt, wo ihn Kennel sucht. Phylogenetischen Schlüssen auf ontogenetischer Grundlage drohen allerdings an allen Ecken und Enden offenbare und verborgene Klippen, welche auf einer nur allzuleicht vorkommenden Deutung von caeno- genetischen Merkmalen als palingenetische beruhen. Das von Haeckel so schön ausgebaute biogenetische Grundgesetz — vielleicht bezeich- nender die onto-phylogenetische Parallele — will mit großer Vor- und Umsicht angewandt sein; doch ihre Anwendbarkeit auch auf die post- ' embryonale Lebensperiode darf schlechterdings nicht bezweifelt werden. Auf die sonst wohl allgemein anerkannte Künstlichkeit der Einteilung des Lebenszyklus in eine embryonale und postembryonale Periode kam ich bereits im vorhergehenden Artikel zu sprechen. Wer behaupten will, das Kind wäre phylogenetisch nicht maßgebend, muss zunächst die gerade am Kinde so prägnante Aeußerung des biogenetischen Grundgesetzes in atavistischen, in Rückschlagserscheinungen leugnen), so z.B. die so häufig in Scene tretende Aehnlichkeit der Gesichtszüge eines Kindes anfangs mit den großelterlichen und dann den elterlichen, aus welchen sich erst später die rein individuellen Züge herausarbeiten. Um zu illustrieren, das Kind wäre für die Phylogenie nicht maßgebend, weist mein Opponent auf dessen Zahnlosigkeit hin, welche konsequenter- weise dahin führen könnte, die unmittelbaren Vorfahren des Menschen für zahnlos zu erklären. Ganz recht, wir würden dies auch ohne Bedenken thun, wenn das Kind nicht thatsächlich seit einer frühen Embryonalperiode fürs ganze Leben mit Zahnanlagen versehen wäre und also auch bezahnt zur Welt käme. Seine gegen die der niederen Wirbeltiere numerisch reduzierten, qualitativ komplizierten und ver- vollkommneten Zähne brauchen zu imer vollen Ausbildung am proxi- malen Ende, und mithin auch zu ihrem Durchbruch, namentlich beim Menschen, recht viel Zeit. Eine solche langsame definitive Ausbildung des Gebisses, eines Produktes der zur äußeren Haut gehörigen Mund- schleimhaut, stimmt ja besonders gut mit der unterdrückten, teils nur verlangsamten Ausbildung des Haarkleides überein und entscheidet nicht im geringsten über die Verwendbarkeit oder Nichtverwendbar- keit postembryonal auftretender Eigenschaften. 1) Ueber den Atavismus als Spezialfall des biogenetischen Grundgesetzes s. den Artikel „Ueber Variabilität“ 1. ce. $. 20. Wiesner, Zur Physiologie von Taeniophyllum Zollinger:. 239 Ich wage kaum zu hoffen, dass meine Auseinandersetzungen Kennel befriedigen und überzeugen werden; geht er doch so weit, Schmuck und Waffen männlicher und hahnenfedriger weiblicher Vögel, ja das Geweih der männlichen Hirsche, für Rückschlagsbildungen zu erklären. Ueber alle diese männlichen Vorzüge hätten ehemals beide Geschlechter ohne Ausnahme verfügt; die Männchen hätten sie be- halten, während die Weibchen bis auf den kindlichen Typus zurück- gegangen seien. Wo wären denn aber hierzu die Belege, namentlich aus der embryonalen, für den Verfasser allein phylogenetisch maß- gebenden Entwicklungsperiode? Ich müsste gar zu weit ausholen, um hier das zu widerlegen, was übrigens wohl auch sonst schwerlich auf Beistimmung rechnen kann. Ueber das Geweih der Hirsche, nament- lich das des Rentiers, in phylogenetischer Beziehung habe ich übrigens einen kleinen Aufsatz in Arbeit, in welchem auch die Kennel’sche Hypothese berücksichtigt werden soll. Im übrigen nimmt der allge- meine Teil meiner, wie erwähnt, von Kennel nicht zitierten Abhand- lung über die Hahnenfedrigkeit. bereits die Einwände vorweg, welche ich gegen ihn ins Feld führen könnte. Daselbst sind die Erscheinungen des sexuellen Dimorphismus in ihrer Beziehung zur Männchenähnlichkeit, Weibehenähnlichkeit und Kindesähnlichkeit (Arrhenoidie, Thelyidie und Paedidie) nach Beispielen aus verschiedenen Tierklassen auf möglichst breiter Basis besprochen. Nachträgliche Bemerkung zu meiner Notiz über die Ent- wicklung von Ascaris lumbricoides. Biol. Centralblatt, Bd. XVI, Nr. 23. Da ich höre, dass mein kleiner Aufsatz über die Entwicklung von Ascaris lumbricoides missverstanden worden ist, so erkläre ich ausdrücklich, dass mein darin ausgesprochener Vorwurf nur gegen die allgemeinen zoologischen und medi- zinischen Lehrbücher, nicht gegen die parasitischen Specialwerke gerichtet war. Auch füge ieh noch hinzu, dass sich möglicherweise in dem einen oder anderen allgemeinen Lehrbuche eine richtige Darstellung findet, die mir entgangen ist. Napoli, Staz. zool. im Febr. 1897. Dr. @. Brandes. [35] Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 11. Februar 1897. Das w. M. Herr Hofrat Prof. Wiesner überreicht den sechsten Teil seiner „Pflanzenphysiologischen Mitteilungen aus Buitenzorg“, betitelt: „Zur Physiologie von Taeniophyllum Zollingeri“, Die Hauptergebaisse dieser Abhandlung lauten: 4. Die Luftwurzeln von Taeniophyllum Zollingeri, bekanntlich die fast aus- schließlichen Vegetationsorgane dieser epiphytischen Orchidee Javas, haben ein außerordentlich langsames Wachstum. Unter günstigsten Verhältnissen beträgt die tägliche Längenzunahme bloß 0'283 mm, welche sich zu stärksten, 340 Wiesner, Zur Physiologie von Taeniophylium Zollingeri. von G. Kraus ermittelten Längenwachstum des Bambusrohres wie 1: 2021 verhält. Die Organe der Tropengewächse sind also nicht stets durch ein außer- ordentlich starkes Wachstum ausgezeichnet. Die Wachstumsintensität mancher pbanerogamer 'Iropengewächse kann auch sehr gering sein, vielleicht geringer als bei Organen phanerogamer Pflanzen aller anderen Vegetationsgebiete. Diese merkwürdige Erscheinung hat ihren Grund in den überaus günstigen und ununterbrochen vorhandenen Vegetationsbedingungen des feucht-heißen Tropenklimas, welche einerseits das Wachstum außerordentlich begünstigen, anderseits ein Ueberwuchern der Holzgewächse mit Epiphyten in einem Maße zulassen, welches in anderen Klimaten nicht möglich wäre: Diese Wucherung der Epiphyten kann aber zu starken Reduktionen der Organe und zu starker Einschränkung des Wachstums führen, zur Entstehung von räumlich ungemein eingeschränkten Organismen, welche aber in Folge hoher Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit selbst bei sehr geringem Lichtgenuss zähe auszudauern befähigt sein können. 2. Diese Luftwurzeln von Taeniophyllum Zollingeri breiten sich in der Regel auf der Rinde der Hauptstämme der Bäume strahlenförmig aus, also angenähert in einer vertikalen Fläche. Sie lassen keinerlei geotropische Krümmungsfähigkeit erkennen. Es scheint, dass diese Wurzeln in Folge ihrer gewohnheitsmäßigen vertikalen Lage alle geotropischen Eignungen verloren haben. 3. Nach den bisher angestellten Beobachtungen sind diese Luftwurzeln negativ heliotropisch und hyponastisch. Diese beiden antagonistischen Nu- tationsformen regulieren — von schwachen, hin und wieder auftretenden late- ralen Krümmungen abgesehen — alle Wachstumsbewegungen, welche diese Wurzeln zu erkennen geben. Durch das Zusammenwirken von negativem Heliotropismus und Hyponastie sind diese Wurzeln auch befähigt, auf hori- zontaler Fläche sich auszubreiten, was jedoch nur selten der Fall ist. Durch die gewöhnlich auftretende Kombination von Heliotropismus und Geotropismus wäre es den Luftwurzeln von Zaeniophyllum Zollingeri nicht möglich, sowohl auf vertikalen, als auf horizontalen Flächen sich radiär auszubreiten. 4. Nach den bisher angestellten Beobachtungen wachsen die Wurzeln dieser Epiphyten nur im Lichte. War im Versuche ein Teil der Wurzelrosette be- leuchtet, der andere verdunkelt, so konnte nur an den dem Lichte ausgesetzt gewesenen Wurzeln Wachstum nachgewiesen werden. Es erscheint deshalb für das Wachstum dieser Luftwurzeln direkte Kohlensäureassimilation erforder- lich zu sein. Es ist bisher keine Wurzel und, soweit dem Verfasser bekannt, vom hypo- kotylen Stengelglied der Mistel (Viscum album) abgesehen, kein Pflanzenorgan aufgefunden worden, welches im Dunkeln sein Wachstum vollkommen einstellen würde. Das genannte Organ der Mistel wächst übrigens, wie der Verfasser nachgewiesen hat, in späteren Entwicklungsstadien auch im Finstern. 5. Von einem bestimmten Minimum der Lichtintensität an (L = Licht- genuss, d. i. das Verhältnis des empfangenen Lichtes zum gesamten Tages- lichte !/,,) steigert sich das Längenwachstum der genannten Luftwurzeln bis zu einem Optimum (Z im Mittel = '/,), um mit weitersteigender Lichtintensität bei einem Lichtmaximum (Z im Mittel = !/,.,) zu erlöschen. [45] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. Nr. 7. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie (4. Stück). — Rimsky-Korsakow, Ueber ein neues holotriches Infusorium Dinophrya ceylindrica n. sp. — Nusbaum und Rakowski, Ein Beitrag zur näheren Kenntnis der Anatomie des Rückengefäßes und des sog. Herz- körpers bei den Enchytraeiden. — Emery, Neuere Untersuchungen über das Leben der Wespen. — Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. — Baer, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke bei Vögeln. — Lauterborn, Unter- suchungen über Bau, Kernteilung und Bewegung der Diatomeen. — Apäthy, Die Mikrotechnik der tierischen Morphologie. Eine kritische Darstellung der mikroskopischen Untersuchungsmethoden. 1. April 189. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Viertes Stück. — Fortsetzung von Bd. XVI S. 795.) Unsere Kenntnisse über das Zellenleben bereichert Zacharias in bemerkenswerter Weise, indem er zu bestimmen sucht, ob ein Be- stehen vonBeziehungenzwischen etwaigen Veränderungen in der Beschaffenheit des Kernes wachsender Zellen und dem Zellenwachstum nachweisbar ist. An den Kernen wachsender Zellen sind schon vor Jahren be- stimmte Veränderungen, namentlich Vergrößerung der Kerne und ihrer Nucleolen beobachtet worden, der nachher wieder eine Volumenver- ringerung folgte. Kern und Nucleolen sind ihrem Verhalten nach insofern verschieden, als die Zunahme, nicht minder aber auch die Abnahme der Nueleolen sich schneller vollziehen, als die bezüglichen Gestalts- veränderungen des Kerns. Die Volumenzunahme des Kerns wurde von Sehwarz auf die Vermehrung der Gerüst- und Zwischensubstanz zurückgeführt, während das Chromatin anfangs unverändert bleibt, später abnimmt. Aus dem zahlreichen Detail der Untersuchungen von Zacharias mögen folgende Beispiele der Veränderungen der Kerne wachsender Zellen ausgewählt werden. Die Zellkerne von Cucurbita Pepo zeigen XVII 16 242 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. bei der Untersuchung in Alkohol eine gerüstartige Grundmasse, welcher ein Nucleolus und eine Anzahl kleinerer Nebennucleolen eingebettet sind. Die größeren Nebennucleolen größerer Kerne schienen zum Teil durch Fortsätze in das Gerüst überzugehen. Chemischen Reaktionen gegenüber verhalten sich diese Nebennucleolen gleich wie nuclein- haltige Körper. In jungen Kernen des Wurzelvegetationspunktes und des Stammecambiums sind die Nucleinkörper außerordentlich Klein. Mit dem Wachstum der Zellen vergrößern sich die Kerne, wobei Nucleolen, Nucleinkörper und Gerüst an Masse zunimmt. In den Kernen der Siebröhren und Gefäßglieder beobachten wir, sobald sie eine gewisse Größe erreicht haben, eine Abnahme der Masse des Nucleolus. In ersteren findet sie sehr rasch in dem Stadium der Siebröhrenentwicklung statt, welehes dem Stadium mit isoliert im Wandbeleg des jungen Siebröhrengliedes auftretenden Schleimtropfen nachfolgt. Das Gerüste, d. h. die durch den Alkohol fixierte Kern- masse abzüglich der Nucleolen und Nucleinkörper, erscheint zur Zeit der Schleimtropfenbildung substanzärmer als in früheren Stadien. In den wachsenden Gefäßgliedern erfahren die Kerne ebenfalls eine be- trächtliche Vermehrung der Nucleolarmasse. Der Zellkern ist wie auch das Protoplasma in den Gefäßgliedern bis zur Ausbildung der Wandverdickung vorhanden. Im keimenden Samen von Ricinus kann sich das Volumen des Kernes um das Dreifache vergrößern, während der Durchmesser des Nucleus um das Zwei- und Dreifache zunimmt. Diese Gestaltsver- änderung vollzieht sich während der Auflösung der Reservestoffe. Die Vergrößerung des Nucleolus ist nicht auf eine Vermehrung des Wasser- gehaltes zurückzuführen, sondern beruht auf einer Substanzzunahme. Im keimenden Samen von Pinus Larix sind nach Peters die Kerne und besonders die Nucleolen der Endospermzellen größer als im ruhen- den. Zacharias konnte nicht sowohl eine Größenverschiedenheit als eine Formverschiedenheit konstatieren, indem die Endospermkerne ruhender Samen von sehr unregelmäßiger eckiger Gestalt sind, während sie im keimenden Samen mehr abgerundet erscheinen. Eine allgemeine Vergrößerung der Nucleolen konnte ebenfalls nicht nachgewiesen wer- den. Dagegen sind einige Differenzen im innern Bau der Kerne der ruhenden und der keimenden Samen zu beobachten, indem die letz- teren ein Gerüste enthalten, in welchem sich kleine Kügelchen, wahr- scheinlich Nucleinkörper befinden, während erstere homogen, struktur- los erscheinen. In Mais- und Hyazinthensamen zog die Keimung keine Veränderung nach sich. Es liegt nahe, dieses verschiedene Verhalten der Kerne auf das ungleiche Verhalten des Endosperms während der Keimung zurückzuführen. Beobachtet man doch, dass das Endosperm von kieinus bei der Keimung beträchtlich heranwächst, während es beim Mais und der Hyazinthe kein Wachstum erkennen lässt. Die Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 243 Vergrößerung des Endospernms ist einer Vergrößerung der Zellen, sowie der Ausbildung von Intercellularräumen zuzuschreiben. Zugleich be- obachtet man, dass die Zellwände an Dicke zunehmen. Aehnlich ist das Endospermwachstum bei der Lärche. In vielen Fällen können die Endospermkerne in den ruhenden Samen (Carex, Sparganium, Typha) vollständig zu Grunde gehen, in anderen Fällen ist trotz ihres Vor- handenseins im reifen Endosperm kein Wachstum während der Kei- mung zu beobachten. „Da also einerseits die Auflösung der Reserve- stoffe ohne Kern vor sich gehen kann und anderseits wenn ein Kern vorhanden ist, an diesem durch den Auflösungsvorgang der Reserve- stoffe an sich noch keine nachweisbaren Veränderungen herbeigeführt zu werden brauchen, so liegt die Vermutung nahe, dass die starke Vergrößerung der Kerne, das Wachstum der Nucleolen bei Fticinus nicht mit der Auflösung der Reservestoffe in Verbindung steht, sondern mit dem erheblichen Wachstum, durch welches sich das Endosperm von kicinus während der Keimung vor dem Endosperm von Zea und Hyaecinthus auszeichnet“. Zur Vergleichung der Kernveränderungen in Zellen, welche sich hinsichtlich ihres Wachstums verschieden verhalten, eignen sich die Epidermen der Blätter von Galanthus nivalis und Hyaneinthus orientalis. Die Kerne der kleinen Spaltöffnungsmutterzellen ersterer Art besitzen kleinere Nucleolen als die Kerne der stärker herangewachsenen Schwesterzellen. Messungen ergeben, dass das Volumen des Nucleus der wachsenden Zellen zunächst wächst, dann stationär bleibt, während die Zelle fortwächst, um schließlich wieder abzunehmen. Aus all den mitgeteilten Beobachtungen, die uns natürlich einen kleinen Teil des gesamten Materiales aus der Abhandlung von Zacharias darstellen, geht hervor, dass in den Kernen wach- sender Zellen bestimmte Veränderungen sehr gewöhnlich auftreten und zwar namentlich Vergrößerung der Kerne und Massenzunahme der Nucleolen in den ersten Stadien des Zellenwachstums, wobei es den Anschein gewinnt, als ob mit der Vergrößerung der Kerne eine prozentische Abnahme des Nucleingehaltes verbunden sei. — Untersuchungen über den Lichtgenuss der Pflanzen mit Rücksicht auf die Vegetation von Wien, Cairo und Buitenzorg bilden Wiesner’s 2. Abhandlung aus dem Gebiete der Photometrie !). Sie verfolgt den Zweck auf Grund messender Ver- suche den faktischen Lichtgenuss der Pflanzen zu ermitteln. Es gibt wohl kaum eine Pflanze, deren oberirdische Vegetations- organe das gesamte Tageslicht uneingeschränkt genießen. Durch die Ausbildung der Vegetationsorgane wird notwendig eine Schwächung 4) In Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, Bd. CIV. In: 944 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. des Lichtgenusses bedingt, oft auch der Zutritt nur in einer bestimmten Riehtung ermöglicht. Standortsverhältnisse bedingen ferner, dass in vielen Fällen nicht nur auffallendes, sondern auch reflektiertes Licht, das als Unterlicht wirkt, eine nicht unwichtige Rolle im Belichtungs- prozess einer Pflanze spielt. Kann doch dieses Unterlicht bis ı/, des Oberlichtes betragen. So vermag das Unterlicht, zumal wenn das Oberlicht stark geschwächt ist, eine Orientierung der Organe herbei- zuführen. Verf. führt unter anderem folgendes Beispiel an. Lyeium barbarum lässt an geneigten Aesten die Sprosse bloß an der Oberseite zur Entwicklung kommen, die der Unterseite werden unterdrückt. Es ist also epitropisch. Im tiefen Schatten einer Lycium-Laube beobachtet man aber, dass die Pflanze autotrop wird, d. h. sowohl die oberen Sprosse als die unterseits sich entwickelnden wachsen in der ursprüng- lichen Richtung, die obern aufwärts, die seitlichen nach der ent- sprechenden Richtung, die untern nach unten. Die Epitropie des Lycium-Sprosses ist also ein in der Ontogenese durch das Licht be- stimmtes Verhältnis, das durch veränderte Beleuchtungsverhältnisse abgeändert werden kann. Die Lichtlage der Blätter kann ebenfalls durch das Unterlicht bestimmt werden. In einem Falle, in welchem das Oberlicht !/;, des Tageslichtes betrug, während das Unterlicht dieser stark beschatteten Teile eine Stärke von !/,,, hatte, entwickel- ten sich die unteren Sprosse und erzeugten tief ergrünte Blätter. So- wohl an den vertikal nach unten wachsenden Sprossen als auch an jenen, die etwa unter einem Winkel von 30° wuchsen, waren alle morphologischen Oberseiten der Blätter nach unten gerichtet. Experi- mentelle Untersuchungen ergaben indessen, dass eine viel höhere Lichtintensität nötig ist, um ein Blatt aus der normalen Lage in die nach dem Unterlicht orientierte zu bringen, als um eine neue fixe Lichtlage durch Ober-, Vorder- oder Seitenlicht herbeizuführen. Eine Pflanze oder ein Pflanzenteil kann direktem und diffusem Lichte ausgesetzt sein. Wie verhalten sich die Pflanzen diesem Lichte gegenüber? Verf. macht unter anderem darauf aufmerksam, dass es viele Pflanzen gibt, die allen stärkeren Wirkungen des Sonnenlichtes auszuweichen streben. Robinia Pseudacacia z. B. stellt sehr bald ihre Blättchen so, dass sie in der Richtung der einfallenden Sonnenstrahlen liegen. Die Bewegung zu dieser Einstellung beginnt im Sommer, wenn die Liehtintensität etwa ein Drittel der maximalen Intensität des Ge- samtlichtes erreicht hat; die Einstellung ist vollendet, wenn die Inten- sität ungefähr ?/, der maximalen Lichtstärke erreicht hat. Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen schließt Wiesner, dass das diffuse Lieht für die Gewächse viel wichtiger ist, als das direkte Sonnen- licht, welches eben nur abgeschwächt und nur indirekt, nämlich durch Umsatz in diffuses Licht, sowohl für Bäume und Sträucher wie für die auf schattigen Standort angewiesenen Pflanzen zur Geltung kommt. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 245 Bezüglich des Liehtgenusses einiger krautartiger, staudenartiger und epiphytischer Gewächse macht Wiesner folgende Angaben: 1. Wüstenpflanzen, wie z. B. Reaumurea hirtella, Heliotropium luteum ete. befinden sich im stärksten Lichtgenuss. Kein Teil ihrer Vegetationsorgane beeinträchtigt den anderen im Lichtgenuss. Unein- geschränkter Liehtwirkung ausgesetzt vermögen sie gleich den im tiefsten Schatten stehenden nur ein Minimum organischer Substanz zu erzeugen. Der uneingeschränkte Genuss des Sonnenlichtes bietet ihnen also keinen Vorteil. 2. Hepactica triloba blüht im April, wenn die Intensität des ein- wirkenden Lichtes 0,555 bis 0,166 beträgt, der Lichtgenuss also !/ 5 —/s des gesamten Lichtes beträgt. Vergleicht man die Standorte der Hepatica triloba in Buchen- und in Föhrenwäldern, dann beobachtet man, dass in ersteren das Leberblümchen selbst an Stellen vorkommt, an denen nur !/,, des Tageslichtes wirksam ist, während im Föhren- wald ein Minimum !/, an den Standorten der A. triloba beobachtet wird. Der Grund dieses ungleichen Verhaltens ist darin zu suchen, dass diese verminderte Lichtstärke im Buchenwald beim Beginn der Entwicklung des H. triloba noch nicht da war. Die Blattentwieklung des Leberblümehens fand zu einer Zeit statt in der der Buchenwald noch wenig belaubt war, die Lichtintensität !/;—!/; betrug. Ist diese Belichtung zur Entwicklung der Blätter des Leberblümchens nötig, so genügt zur Erhaltung der einmal entwickelten Blätter eine viel ge- ringere Lichtstärke. Der Einfluss der verschiedenen Lichtintensitäten auf die Laub- entwicklung kommt in folgender Tabelle zum Ausdruck. Licht- Größe des Blatt- Länge Breite genuss stieles der Spreite 1 29 mm 153 mm 29 mm "ls 108 „ 3 60 "le 100 „ 34 ” 55 „ !/,, sichtlich überverlängert Spreite reduziert le 145 mm 22 mm ER, (blassgrün) Im Dunkeln 174 mm 11 mm 17 mm (ehlorophylllos) Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass der faktische Liehtgenuss der Blätter von Hepatica triloba dem optimalen Lichtbedürfnis dieser Pflanze entspricht. Die Liehtverhältnisse der Flechten ergeben, dass bei vielen Arten das Gedeihen einen starken Lichtgenuss zur Voraussetzung hat. 246 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Art Günstigste Entwicklung. Beginnende Verkümmerung. Verrucaria caleiseda . . . . 1-J!l; alis Xanthoria parietna . ... 1 Uzo Sorriuda >. na er go Innnyseiartenella‘, : y.: une. „80 1g Endocarpon miniatum . . . Ms—!lg Yo Diesen lichtsuchenden Flechten stehen nun wieder andere gegen- über, die stärkeres Licht meiden. Parmelia saxatilis beobachtete Verf. an Baumstämmen bei !/,—!/;;, wobei das Optimum des Lichtgenusses bei !/,—!,, liegt. Bezüglich der tropischen Orchideen erwähnt Verf. eine Reihe von Fällen, in denen auch bei einem sehr geschwächten Lichte eine normale Entwicklung statthat, während bei anderen ein stärkeres Lichtbedürfnis vorhanden ist. Für Taeniophyllum Zollingerii macht Wiesner folgende Angaben. Grenzen der Entwicklung zwischen !/,—!/;, des einfallenden Lichtes. Ueppigste Entwicklung n 1.—!g Verkümmerung wegen zu geringer Lichtintensität '/;, ” » hoher ” ; h—! I; ” Blüten wurden beobachtet bei !/,—!],. Die am tiefsten in den Schatten des tropischen Waldes dringende krautige, nicht epiphytische Pflanze, die Wiesner beobachtete, eine Rubiacee (Geophila reniformis), blüte noch bei ?/,,, blütenlos fand sie sich bis nahezu !/joo- Der Liehtgenuss der Bäume und Sträucher ändert sich mit dem Alter der Pflanze bis zu einer bestimmten Grenze. Es ist ja selbst- verständlich, dass im jugendlichen Zustand diese Pflanzen mehr Licht genießen als in den späteren Stadien der Belaubung. Wiesner kam bei seinen Untersuchungen zu folgenden allgemeinen Ergebnissen. 1. Die Lichtintensität in der Krone armlaubiger Bäume geht nahezu parallel mit der Intensität des gesamten Tageslichtes. 2. Holzgewächse, deren Blätter bei Annahme der fixen Lichtlage sich nach dem Oberlichte richten, also vorwiegend die horizontale Lage einnehmen, weisen im Vergleich zum gesamten Tageslicht ein Mittagsminimum auf. 3. Holzgewächse, deren Blätter dem intensivsten Lichte ausweichen, können im Vergleich zum gesamten Tageslicht ein Mittagsmaximum erreichen. 4. Armlaubige Holzgewächse, welche einen Teil ihrer Blätter nach dem Vorderlicht, den anderen nach dem Oberlicht orientieren, weisen zwei Maxima des inneren Lichtes im Laufe eines Tages auf; das eine fällt in die Vormittags-, das andere in die Nachmittagsstunden; abge- schwächt treten diese Maxima auch bei dichter belaubten Holz- gewächsen ein. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 947 5. Da in unseren Gebieten mit der Zeit der stärksten Belaubung auch das intensivste Sonnenlicht zusammenfällt, wird im Sommer die Differenz zwischen dem herrschenden Lichte und dem Lichtgenuss be- sonders groß sein. Im allgemeinen ist die Intensität des in der Baum- krone herrschenden Lichtes im Vergleich zum genannten Lichte um so geringer, je größer die Stärke des äußeren Lichtes ist. Aus den zahlreichen Angaben Wiesner’s über den Lichtgenuss einheimischer Bäume und Sträucher mögen einige Beispiele ausgewählt werden. Die Zahlen bedeuten die geringste Mittags (Wien; Mitte Mai bis Mitte Juli) sich einstellende innere Lichtintensität. Fagus silvatica . Geschlossener Bestand Acer campestre . Nys Freistehender Baum Fopülus:alba ., . .ıs 2 a Detula alba .. 1% “ + Corylus Avellana }]; Strauch zur Blütezeit. Der Lichtgenuss der Pflanze bedingt die Zusammensetzung des Unterholzes. Jedes Holzgewächs kann als Unterholz auftreten, wenn nur sein Lichtbedürfnis geringer ist als das der überschattenden Bäume. So beobachtete Wiesner z. B. im Schatten von Carpinus betulus bei '/;g des einfallenden Lichtes folgende Gewächse als Unterholz: Fagus silvatica, Carpinus betulus, Acer campestre, Ulmus campestris, Cornus sanguinea, während Sambucus nigra, Evonymus europaeus und E. verru- cosus im Absterben begriffen waren. — In tropischen Gegenden werden gewisse Bäume zum Schutze von Kaffee- und anderen Kulturen als Schattenbäume benutzt. Messungen im Monate Januar ergaben folgende Resultate: Albizzia moluccana . ..,. Uası Üedxela serrulosa.. og Re ısü rar rates Sana lan Pithecolobium Saman . . . U 432° Ueber die Regelung der Laubsprossbildung durch die Beleuchtung spricht sich Wiesner in folgender Weise aus. Es wurde bereits betont, dass von einem bestimmten Entwicklungs- zustand eines Holzgewächses an das in die Laubmassen einstrahlende Lieht auf ein stationäres Minimum sinkt. Dies ist nur möglich, wenn von einer bestimmten Mächtigkeit an jede Weiterentwicklung der Laub- sprosse aufhört oder eine Reduktion erfährt oder aber eine Vernich- tung alter Laubsprosse eintritt. Dass dies thatsächlich geschieht, ist eine längst bekannte Erscheinung. Es erfolgt bei Bäumen und Sträuchern eine „Reinigung“, indem der Hauptstamm in der Richtung von der Basis nach oben die Aeste in dem Maße abwirft, als der Schatten der Krone den unteren Aesten das Licht benimmt. Bäume mit aufrechtem Wuchs und aufrecht abgehenden Aesten, wie z. B. die Pyramiden- 948 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie- pappel können zeitlebens bis auf den Grund beästet und belaubt sein, weil der Lichtentzug durch deren Kronenschatten ganz minimal bleibt. Eine Vergleichung der Zahl der wirklich ausgebildeten Laub- sprosse mit der Zahl der Zweigordnungen, welche durch die Organi- sation möglich wären, zeigt in schlagendster Weise, in welchem Maße die Verminderung der Lichtintensität, die ein Baum genießt, die Ent- wicklung der Laubsprosse reduziert. Setzt man den Fall, dass an jedem Spross alljährlich nur ein System von Axillarsprossen gebildet wird, so müssten nach n Jahren n—1 Zweigordnungen da sein. Da- gegen beobachtet Wiesner an einer 100 jährigen Eiche statt der 99 theoretisch möglichen Zweigordnungen nur 5—6, an einer 5Ojährigen Platane statt 49 Zweigordnungen nur 7, an einem 10jährigen Birken- ast statt 9 nur 5 Verzweigungssysteme. Aehnlich verhalten sich auch die anderen unserer Bäume. Die maximale Zweigordnungszahl, die Wiesner bei Hainbuche, Eibe und Buche beobachtete, betrug 8. Eine klare Einsicht in die wirkliche gegenüber der möglichen Sprossentwicklung gibt die folgende Tabelle, deren Angaben sich auf die Buche beziehen. Zahl der Zweigordnungen Zahl der Sprosse. Alter beobachtet berechnetes Maximum beobachtet berechn. Maximum 3 Jahre 1 2 8 9 ASIR 2 3 20 27 Sage 3 4 43 81 Da 3 5 66 243 0 5 9 295 19683 In den Tropen ist die Verzweigung der Holzgewächse oft geringer als bei unseren einheimischen Bäumen. Während bei uns im Mittel (nach einer Liste von 18 einheimischen oder doch bei uns im Frei- land wachsenden Bäumen) 6 Zweigordnungen vorkommen, beobachtete man an 18 Bäumen aus einem subtropischen Gebiet (Aegypten) im Mittel nur 3 Zweigordnungen. In den Tropen ist es sehr gewöhnlich, dass die Zahl der Zweig- ordnungen O ist, d. h. der Stamm ist völlig unverzweigt. Wir erinnern an die tropischen Baumfarne, an Palmen. Bei andern kommen Zweig- ordnungen vor, doch auch an den größten Ficus-Arten, die beobachtet wurden, nie mehr als 5. Man beobachtet also, dass gegen die Tropen eine Abnahme der Zweigordnungen eintritt. Dass das Minimum der Verzweigung der Holzgewächse gerade in den Tropen zu finden ist, hängt wohl schon mit der außerordentlichen Großblätterigkeit dieser Gewächse zusammen. Je größer aber die Blätter sind, desto weniger wird die Verzweigung des Stammes möglich, desto weniger notwendig wird sie aber auch. Der spezifische Liehtgenuss einer Pflanze ist je nach Standort und Vegetationszeit veränderlich. Es ist nun zu prüfen, ob die Verschie- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 249 bung der Grenzwerte des Liehtgenusses für eine bestimmte Pflanze bei Aenderung der geographischen Breite, der Seehöhe und der Zeit inner- halb der Vegetationsperioden nur eine scheinbare ist. Wenn der spe- zifische Lichtgenuss in einem Falle z. B. für den März als '!,, für Juni *!/, angegeben wird, so ist von vorneherein nicht ausgeschlossen, dass diese Werte, welche das Verhältnis zum einfallenden Lichte aus- drücken, absolute genommen, gleich sind. Wenn z. B. für Taraxacum officinale die untere Grenze des spezifischen Lichtgenusses im April !/, beträgt, im Mai-Juni !/,,, dann sind dies so bedeutende Unterschiede, dass man nicht annehmen kann, es seien die absoluten Intensitäts- werte in den verschiedenen Beobachtungszeiten gleich. Es darf dem- nach die Lichtintensität nicht als allein maßgebender Faktor des Liehtbedarfs der Pflanze angesehen werden. Ist also vielleicht der Lichtbedarf einer Pflanze von einer be- stimmten Liehtmenge abhängig? Die Bestimmung dieser Liehtsummen beruht auf folgender Methode (nach Roscoe). In ein Koordinaten- system trägt man Zeit ein und beobachtete Intensität. Der Gang der Intensität wird alsdann durch eine Kurve dargestellt. Die von der Abseisse (Zeit) und der Intensitätskurve umschlossene Fläche ist dann das Maß der Lichtmenge, die Lichtsumme; welche als Bruchteil einer Rechtecksfläche berechnet wird, deren Basis = 24 (Stunden), deren Höhe — 1 (Intensität) angenommen wird und die man — 1000 setzt. Der oben angegebene Lichtgenuss von Taraxacum offieinale (für April !/,, für Mai-Juni !/,,) entspricht nun durchaus nicht gleichen Liehtsummen. Für den April ist die Tageslichtsumme 86,6, für Mai- Juni 48. Wie diese Beobachtung so lehren auch viele andere, dass eine und dieselbe Pflanze in verschiedenen Abschnitten der Vegetations- periode verschiedene Lichtsummen erhält, gleich wie sie in diesen verschiedenen Zeitabschnitten ungleichen Lichtintensitäten ausgesetzt ist. Um die Frage der Beziehungen zwischen Lichtgenuss und Tem- peratur zu beantworten, mögen folgende Beobachtungen Wiesner’s erwähnt werden. Im Hügelland entwickelte sich eine Corydalis cava unter dem spezifischen Liehtgenuss von !/,—'/,; in der subalpinen Region war sie frei exponiert eines Lichtgenusses von !/,,, teilhaftig. Richtete sich der Lichtgenuss nur nach der Lichtstärke, dann hätte sie in der subalpinen Region, wo sie doppelt so starker Intensität aus- gesetzt war, eine gedecktere Lage aufsuchen müssen. Dass sich die Pflanze stärkerer Beleuchtung aussetzt, hat nach Wiesner seine Ur- sache in dem relativ kalten Standort. Sie sucht die stärkere Beleuch- tung auf, damit ihre Organe durch das Licht jene Wärme empfangen, welche zu ihrem Gedeihen erforderlich ist, die ihr aber von jenen Medien, in denen sie ihre Organe ausbreitet, nicht in ausreichendem Maße geliefert wird. 250 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Aehnlich beobachten wir, dass eine Pflanze beim Uebergang aus der subtropischen in die gemäßigte Zone durch Vermehrung der Licht- intensität ersetzt, was ihr an Wärme abgeht. So war anfangs März der Minimalwert des Lichtgenusses von Poa annua in Wien !/,, in Cairo !,,- Es ergeben diese Beobachtungen, dass mit zunehmender geogra- phischer Breite und Seehöhe das Lichtbedürfnis der Pflanze wächst. Da aber das Lichtbedürfnis einer Pflanze um so mehr sinkt, je wärmer die Periode ist, in welcher sie lebt oder blüht, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass mit der Abnahme der Temperatur der Medien, in welchen die Pflanze sich ausbreitet, ihr Liehtbedürfnis steigt. — Die Untersuchungen über eine Methode, die Intensität verschiedener Riechstoffe zahlenmäßig zu messen, um Intensitäten verschiedener riechender Körper unter ver- schiedenen Bedingungen mit einander vergleichen zu können, hat Mesnard schon vor einigen Jahren in befriedigender Weise gefördert. Heute liegen Versuchsergebnisse vor, die von all- gemeiner Bedeutung sind). Der Apparat, in welchem Terpentinessenz als Maßessenz gewählt ist, hat folgende Einrichtung. In einem prismatischen Kasten, der nicht verschließbar ist, befinden sich neben einander zwei Trommeln, die um ihre Axe drehbar sind. Mit dem einen Axenende steht eine außen am Kasten angebrachte Kurbel in Verbindung, mit dem anderen eine gradierte Scheibe, welche sich längs eines gradierten Lineales befindet. Diese Maßapparate gestatten die Bestimmung der Touren- zahl der Trommel und damit das Messen der auf ihnen aufgewundenen Fäden. Außen am Apparat befindet sich ein kleines zweifächeriges Käst- chen. In jedem befindet sich ein kleiner Flaschenzug, der das Auf- und Abrollen eines Fadens gestattet. Das Kästchen enthält zugleich den Riechstoff und zwar in der einen Abteilung die als Maß dienende Terpentinessenzlösung, in der anderen den zu untersuchenden. Die Fäden werden bis zur Sättigung mit diesen Riechstoffen durchtränkt. Durch eine kleine Oeffnung können sie in den Kasten mit den beiden Trommeln gehen und durch Drehung der Kurbeln jeder für sich auf einer Trommel aufgerollt werden. So wird es möglich eine be- liebige Länge von jedem Faden in den Kasten zu bringen und nach Bedarf die Fäden auch wieder so abzurollen, dass sie im äußeren Kästehen aufs neue mit dem Riechstoff imprägniert werden. Der Länge des imprägnierten Fadens, der auf der Trommel aufgewunden wird, entspricht natürlich die Menge des in den Kasten eingeführten 1) Mesnard, Action de la Lumiere et de quelques agents exterieurs sur le degagement des Odeurs in Revue generale de Botanique, Nr. 88 u. 89, 1896. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 251 Riechstoffes. Es wird also ein Längenmaß zu einem Maß der Intensität des Riechstoffes werden. Am Deckel des Apparates befindet sich ein Conus, dessen Aus- schnitt der Form der Nase entspricht. Den im Innern vorhandenen Geruch kann der Experimentator durch diesen Conus wahrnehmen, sobald ein Ventil geöffnet wird, durch welches vorher der Raum dicht abgeschlossen war. Handelt es sich nun darum das Intensitätsmaß eines Riechstoffes zu bestimmen, dann wird dessen Intensität mit derjenigen von Terpentin- essenz verglichen. Es wird der eine der beiden Fäden mit dem zu prüfenden Riechstoff durchtränkt, der andere mit der Terpentinessenz. Man untersucht alsdann, welche Länge dieses die Maßessenz tragenden Fadens nötig ist um auf der Riechhaut eine Geruchsempfindung aus- zulösen, die derjenigen entspricht, welche durch eine bestimmte Länge des mit der zu bestimmenden Substanz durchtränkten Fadens be- wirkt wird. Um die unvermeidlichen Fehlerquellen auf ein Minimum zu redu- zieren, ist natürlich notwendig, die Mittel einer Reihe rasch aufeinander folgender Versuche zu bestimmen. Verf. untersucht zunächst den Einfluss des Lichtes, des Sauer- stoffes, der Wärme und der Feuchtigkeit auf natürlichen Moschus. Von einer alkoholischen Moschuslösung, die pro Liter 8 g Moschus enthält, werden gleiche Menge in verschiedene Fläschchen gebracht. Die eine Hälfte wird im Dunkeln gehalten, die andere am Licht. In den einen Fläschchen befand sich außer dem Riechstoff gewöhnliche Luft, in den anderen reiner Sauerstoff, in den dritten reiner Stickstoff. Das Versuchsergebnis ist in folgender Tabelle zusammengestellt: Ver- Luft Sauerstoff Stickstoff suchszeit Licht Dunkel Licht Dunkel Licht Dunkel De: ®728.cm 28 cm 28 cm 28 cm 28 cm 28 cm 1 a 1a DS oe), 21r2., 2 Ray FA GE I6IVE#.8.5. :31.:12,5°7, S.02> 39. 5; 3.001, 12.5.3 1: VIE 2 3 &b, & 9:6; DR. 12.5 IG-VII56,3 TO, Du 6,8, j6 =; 1 DE Ader 4a 4,5 0:5 14,25 SEVEN: -, ODE D2% Jup. % Orr: 12 Aus der ersten Columne erkennen wir, dass die Zerstörung des Riechstoffes am Lichte schneller vor sich geht als im Dunkeln. Nennen wir die ursprüngliche Intensität 1, so ist sie nach Verlauf eines Monates im Dunkeln 0,45, am Lichte dagegen nur 0,3; am Ende des 2. Mo- nates im Dunkel 6,38, am Lichte 0,27. Viel ausgesprochener erscheint die Lichtwirkung dort, wo die gleichzeitige Wirkung des Sauerstoffes ausgeschlossen ist. Während nach 14 Tagen im Dunkeln die Geruchs- stärke kaum vermindert ist, beträgt sie am Lichte nur mehr 0,6. 252 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Die Tabelle lässt den Einfluss des Sauerstoffes deutlich dann er- kennen, wenn es sich nur um kürzere Zeiträume handelt. Nach Ver- lauf von 14 Tagen ist im reinen Sauerstoff und am Licht die Geruchs- intensität größer als im Stickstoff und in der Luft, d. h. der zerstören- den Wirkung des Lichtes arbeitet der Sauerstoff zunächst entgegen. Er wirkt als Geruchserreger, d. h. seine oxydierende also zerstörende Thätigkeit erweckt, wenigstens während einer bestimmten Zeit, in uns die Vorstellung einer Vermehrung der Intensität des Geruches. Verf. vergleicht alsdann Extrakte des künstlichen Moschus mit natürlichen und zwar bei verschiedenen Beleuchtungs-, Temperatur- und Feuchtigkeitsgraden. In den nachstehenden Tabellen kommt die graphische Darstellung des Verf. zum Ausdruck. 1. Künstlieher Moschus. In trockener Luft In feuchter Luft 19° = 0 0 o 7 9 37 Licht Dunkel Licht Dunkel Licht Dunkel Licht Dunkel Anfang 10cm 10cm 10cm 10cm 10cm 10cm 10cm 10cm Woche 2,852. „5... 10.103.288, Zuges le Ban OT 4.5. 10,0:8 ee 21, „ 12,5 TER 217 172 43 REITEN 5 Dia u NER TEN SORT 1 3 A er OB td, Bar Alan 28,00 a 2 Ga tel da 0A EI IR TaED ER "N: TRRSEEN O1 SIR RER Bretter Bin ps Beten ride 0 38 a 0 2. Natürlicher Moschus. Anfang 13cm "’]3cm 13cm‘ 13 em“ I3cm 13cm 13 em 13:0 Aochei, elle Aare 02 9 .62 Se 2 DR ao ro De Kea Se Fa > ee! 3,8 aA Ber 52 2 ER ea A Deo Done) a eo oe a ee Ve ee oe ee er ee 1 0.27 "neo Diese beiden Tabellen zeigen uns, dass der zerstörende Einfluss des Lichtes sich durchaus nicht unter allen Umständen und in gleicher Weise geltend macht, dass vielmehr die Wirkung des Lichtes sehr wesentlich von den begleitenden Umständen, der Wärme und Feuchtig- keit, abhängig ist. In einer Versuchsreihe, die Verf. mit Citronenessenz anstellte, kommt der zerstörende Einfluss des Lichtes einerseits und der er- regende des Sauerstoffes anderseits wieder deutlicher zum Ausdruck. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 953 Reine Luft Reiner Sauerstoff Licht Dunkel Licht Dunkel Beginn 85 cm 85 cm 85 cm 85 cm 14 Tage später 36 „ 50 „ I „ 50 „ 15 Tage rar KaPE Dr AU, 4 „ 4 Wochen „ &; 3 19 5; 14 „ 3 Wochen „ 0, or» 107 Se Aehnlich wirkt das Licht auf Rosenessenz. Am Lichte und in gewöhnlicher Luft ist die ursprüngliche Geruchsintensität nach Verlauf eines Monates auf ca. !/,, im Dunkeln nur auf fast !/, verringert. Nach 2 Monaten ist sie im Dunkeln noch doppelt so stark wie am Licht. Verf. bestimmte im weitern den Einfluss physikalischer Bedingungen auf den Duft abgeschnittener Blumen. Als erstes Versuchsobjekt diente Convallaria majalis in vier Versuchsreihen, nämlich a) Pflanzen im Wasser und ein Teil davon dem Lichte ausgesetzt, ein anderer Teil im Dunkeln gehalten und b) Pflanzen in feuchtem Moose stehend, wieder ein Teil im Dunkeln, ein anderer am Licht. Die Beobachtungen fanden je am Morgen und Abend statt. Die Ergebnisse, die Verf. in graphischer Darstellung wiedergibt, lassen sich in folgender Tabelle zusammenfassen. Convallaria majalis. Pflanzen im Wasser Pflanzen in feuchtem Moos Dunkel Licht Dunkel Licht Abend 11 10 10 hi Morgen 17 12,5 ) 10 Abend 18,3 10 10,2 10,8 Morgen 22,5 11,5 11,5 8,8 Abend 19 te) 41.3 6 Morgen 17,3 8,1 12,3 4,5 Abend 17,8 9 12,8 55 Morgen 13 7 9,8 3,8 Abend 12 5 2 1,5 Morgen 10 2 7 — Die dem Lichte ausgesetzten Maiglöckchen haben also einen viel stärkeren Geruch als die verdunkelten. Ebenso zeigt sich der bedeu- tende Einfluss der Turgescenz auf die Geruchsentwicklung der Mai- glöckchen. Den Tabellen, die uns den Einfluss des Sauerstoffes auf die Ge- ruchsentwicklung ausdrücken, entnehmen wir folgendes. Die dem Lichte ausgesetzten oder verdunkelten Pflanzen verringern im reinen Sauerstoff die Intensität ihres Duftes viel schneller als an der Luft und hier anfänglich schneller als im reinen Stickstoff. Als 2. Versuchspflanze diente dem Verf. die Nelke. Die große Differenz der Duftabgabe im Dunkeln und im Lichte, die sich für das Maiglöckchen nachweisen ließ, ist vielleicht eine Folge der normalen 954 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Standortsverhältnisse der Convallaria. Sie ist eine Pflanze schattiger, feuchter Orte und deshalb vielleicht durch eine besondere Empfind- lichkeit gegenüber dem Lichte ausgezeichnet. Die Nelke hingegen ist eine Pflanze trockener, der Sonnenbelichtung ausgesetzter Standorte. Wir geben im Nachfolgenden die Versuchsergebnisse wieder. Nelke. Pflanzen im Wasser Pflanzen in feuchtem Moos Dunkel Licht Dunkel Licht Morgen 18 18 18 18 Abend 14 24 17,9 18,2 Morgen 12 17 17 15 Abend 12 25 14 23 Morgen 11 18 13,5 14 Abend 10 21 114 16 Morgen 8 12 10 13,8 Abend 6 13,9 0 7,8 Morgen 0 5 — 5 Diesen Versuchsergebnissen nach verhalten sich in der That die Riechstoffe der Nelke dem Lichte gegenüber anders als der Duft der Maiglöckehen. Durch die Belichtung wird die Intensität des Duftes gesteigert. Der Einfluss der Temperatur auf die Intensität kommt in der folgenden Tabelle zum Ausdruck. Einfluss der Temperatur auf die Intensität des Duftes abgeschnittener Nelken. 6° 0 980 Licht Dunkel Licht . Dunkel Licht Dunkel Morgen 12 12 12 12 12 12 Abend 135 11,5 14 12,3 13,2 10 Morgen 15 12 17,2 10 14 10,5 Abend 4,5 5 4,5 4,5 5 4,5 Mittlere Temperaturen steigern also die Duftintensität. Der Einfluss des Sauerstoffs in Verbindung mit dem Lichte führt zu einer Steigerung der Duftintensität; im Dunkeln macht sich ein Einfluss desselben nicht bemerkbar. Dass aber der in obiger Tabelle ausgedrückte Wärmeeinfluss ebenso wenig verallgemeinert werden darf, wie die Lichtwirkung lehrten die Versuche mit abgeschnittenen Rosen. Einfluss der Temperatur auf die Intensität des Duftes abgeschnittener Rosen. 6° 19° 25° Licht Dunkel Licht Dunkel Licht Dunkel Morgen 8,5 8,5 10 — 10 8 Abend 14 13 13 — 12,8 9,2 Morgen 20 17,8 14 — 12 11,2 Abend 14 11,5 12,3 — 11,4 13,8 Morgen 15,9 10 4,5 — Fr 11,6 Abend 10 4 _ — — = Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 955 Man beobachtet also zunächst, dass hier durch niedere Tempera- turen die Intensität des Duftes gesteigert wird und zwar mit dem Lichte kombiniert in höherem Maße, als wenn die niedere Temperatur auf die verdunkelte Pflanze einwirkt. Bei hohen Temperaturen be- obachtet man aber, dass im Dunkeln die Intensität des Duftes ge- steigert wird. Verf. prüfte auch das Verhalten nicht abgeschnittener Blumen. Frisch aufgeblüte Rosen bildeten ein erstes Versuchsobjekt. Die In- tensität des Duftes, den sie ausströmten, war am Morgen stets stärker als am Abend. Ein belichtetes Versuchsobjekt ergab Morgen 140 cm 150 150 6 Abend 100 cm 100 20 2 Ein verdunkeltes Versuchsobjekt zeigte folgende Intensität Morgen — 95 80 70 60 35 Mittag — 120 95 75 70 20 Abend 20 88 55 45 25 2 Die Analogie des Verhaltens der belichteten und verdunkelten Pflanzen, die nur quantitative Verschiedenheiten aufweisen, scheint darzuthun, dass die Periodizität der Steigerung und Verminderung nieht eine Liehtwirkung sein kann. Dass die Temperatur diese Periode bestimmte, ist ebenfalls nicht anzunehmen. Die Intensitätsmaxima sind nämlich jeweilen am Mittag zu beobachten, also zur Zeit der hohen Temperaturen. Nun lehrten aber, wie oben erwähnt, die Versuche an abgeschnittenen Rosen, dass niedere Temperaturen dufterregend wirken. Verfasser hält deshalb dafür, dass die Pflanze während des Vormittags bis ca. 2 Uhr Nachmittags die Reserven an Duft abgibt, welche sie während der Nacht sammelt. Eine andere Versuchsreihe hatte Heliotrop zum Gegenstand, welcher im Vergleich zu den Rosen den Vorteil größerer Dauer der Blüte hat. Vom gleichen Stock wurde ein Zweig in diffusem Lichte, der andere im Dunkeln gehalten. Die Ergebnisse waren folgende. Im Dunkeln Am Lichte Abend: . 700 2.222 W2230 Morgen 50| . . . 15 ie Abend: AU. zur 225 Morgen‘; 853) .- -— . Mittag 140) . . . 80 Abend. 1100... ......09 Morgen 78) . . . 25 Mittag 30257 u $3h2lD Abend 89 . . . 40 Morgen 20)... ..7 20 Mittar FA2H RRENE un un 956 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Im Dunkeln Am Lichte Morgen 35]. «u. 12 Mittag 25,02 20720 Abendil: 2091 nina zayn25 Morgen! UT 1O Auch hier kommt also eine Intensitätsperiode zum Ausdruck, so zwar, dass die Intensität des Duftes am Abend stärker ist als am Morgen, ja nicht selten zu dieser Zeit ihr Maximum erreicht. Unsere Tabelle lehrt uns im weiteren, dass die’ Dunkelheit der Duftabgabe günstiger ist, als die Belichtung, wie sie durch das zer- streute Tageslicht geboten ist. Der osmotische Druck der Gewebe übt auf den Gang der Duft- intensitätskurve einen wichtigen Einfluss aus. Seine Verminderung führt zu einer Verminderung der Intensität des Duftes. Damit hängt wohl der wesentlich veränderte Verlauf der Intensitätskurve zusammen, wenn die Blüten der Versuchspflanze dem direkten Sonnenlichte aus- gesetzt sind. Alsdann beobachtet man Morgen 50 39 12 10 10 Abend 28 10 4 A 1 Die Maxima fallen entweder mit den Intensitäten des Morgens zusammen (am 3., 4. und 5. Tag) oder folgen unmittelbar auf die Intensität des Morgens (am Tag) und nur am 1. Tag ist das Maximum ca. 2 Uhr Mittags. Besondere Umstände können bisweilen zu einer starken Vermehrung der Intensität des Duftes führen. Verf. erwähnt eine Beobachtung, die er an Basilikum (Ocimum Basilicum) machen konnte. Am Abend und am frühen Morgen konnte durch Berührung der Oberseite der Blätter eine plötzliche bedeutende Steigerung des Geruches erzielt werden. Wurde die Unterseite berührt, dann gelang der Versuch nur sehr unvollkommen. Nach dem Verf. ist der Riechstoff hauptsächlich in der Epidermis und im Palissadengewebe der Oberseite des Blattes lokalisiert. Die Oberfläche zeigt da und dort Vertiefungen, in deren Mitte sich ein kleines Drüsenhaar befindet, dessen Köpfchen die Essenz einschließt. Die Berührung der Hand kann also keine Zellen ver- letzen, die den Riechstoff enthalten. Deshalb hält Verf. dafür, dass die Vermehrung der Intensität des Geruches auf eine Zusammenziehung der Zellen der Gewebe der Oberseite der Blätter zurückzuführen sei. Aehnlich wirkt auch eine plötzliche starke Belichtung. Es mögen hier die Ergebnisse von Versuchen an Polyanthes tuberosa erwähnt werden. Die eine Versuchspflanze wurde verdunkelt und in einem gegebenen Moment plötzlich dem direkten Sonnenlichte ausgesetzt, die Kontrol- pflanze war von Anfang an der Sonnenbestrahlung ausgesetzt. Rimsky-Korsakow, Ueber Dinophrya eylindrica n. Sp. 25 [I Polyanthes tuberosa. Zeit Im Dunkeln am Lichte 95 18 em 15 cm Plötzliche Belichtung 9g10 e5 14,5 yı 29 14,5 9.0 43 — 428 33 15 922 18 15 10 17,5 16 2 19 15 Fassen wir die wesentlichsten Versuchsergebnisse noch einmal zusammen. In höherem Maße als der Sauerstoff bewirkt das Licht die Um- wandlung und Zerstörung riechender Stoffe. Stets aber ist die Licht- wirkung viel schneller, als die Wirkung des Sauerstoffs. Es wirkt teils als chemische Kraft, die befähigt ist, die Energie aller Umwand- lungen zu erhöhen, welche die riechenden Körper zu durchlaufen haben vom Momente ihrer Entstehung an bis zum Moment ihrer vollständigen Zersetzung, teils mechanisch. Die Intensität des Geruches einer Pflanze hängt vom Gleiehgewichtszustand ab, welcher in jeder Tagesstunde entsteht zwischen dem Wasserdruck der Zellen, der bestrebt ist, die in der Epidermis befindlichen Essenzen nach außen zu befördern, und der Liehtwirkung, die dieser Turgescenz entgegenarbeitet. Wegen der beständigen entgegengesetzten Wirkung zwischen Licht und osmotischer Kraft ist es notwendig, dass in allen Fällen diese zwei Kräfte sich in gleichem Verhältnis modifizieren. [13] Ueber ein neues holotriches Infusorium Dinophrya cylindrica n. Sp. Von M. Rimsky-Korsakow, Assistent am zootomischen Institut der kais. Universität zu St. Petersburg. In einem Wasserbehälter des zootomischen Instituts der Universität fand sich ein Infusorium aus der Gattung Dinophrya Bütschli; da es sich von der einzigen bisher bekannten Dinophrya-Art, D. Lieberkühni Bütschli schon der äußeren Gestalt nach unterschied, so wurde es einer eingehenderen Untersuchung unterzogen. — Es wurden lebende, sowie fixierte und gefärbte Tiere untersucht; als Fixierungsmittel wurden 1proz. Osmiumsäure und 40proz. Formalin angewandt, wobei beim letzteren Mittel die äußere Form des Infusoriums sich ziemlich gut erhält und eine nachherige Färbung des Kerns mit Alaunkarmin gestattet. Die äußere Form des Tieres stellt einen Zylinder dar, welcher nach vorne einen abgestumpften Mundkegel bildet und nach hinten XV. 17 58 Rimsky-Korsakow, Ueber Dinophrya eylindrica n. Sp. nur ganz wenig erweitert ist; das Hinterende des Tieres läuft in einen kurzen zugespitzten Fortsatz aus. Die Gestalt des Körpers ist ziem- lich beständig. Die Länge beträgt 0,04—0,05 mm, bei einer Breite von 0,014—0,019 mm. Bedeutung der Buchstaben. o — Mund, oe = Schlund, st = Stäbchenapparat, N = Makronukleus, » — Mikronukleus, nv = Nahrungsvakuolen, cv = kontraktile Vakuole. Vergrößerung circa 1000 mal. An der Basis des Kegels befindet sich eine kleine Erhöhung in der Gestalt einer rings um den Körper hinziehenden Walze, auf der ein Kranz von verhältnismäßig ziemlich langen (0,0095 mm), feinen, dicht neben einander stehenden Cilien befestigt ist; der Kegel selbst ist unbewimpert. Der übrige Körper ist von etwas kürzeren (0,0076 mm langen) Cilien bedeckt, die in 16 vom Hinterende bis zum Mundkegel verlaufenden Längsreihen angeordnet und auf kleinen Papillen be- festigt sind. Auf jeden Längsstreifen kommen etwa 20—22 Cilien. Die Mundöffnung (0) befindet sich an der Spitze des Mundkegels und führt in einen Schlund (oe), dessen Wandungen von der Innen- seite ein gut ausgebildeter Stäbchenapparat anliegt. Der letztere be- steht aus eirca 15 (0,004--0,006 mm langen) feinen Stäbehen (st), die beim fixierten Tiere oft etwa um die Hälfte ihrer Länge aus der Mundöffnung hervorgestülpt werden. Ob diese Erscheinung auch im lebenden Zustande stattfindet, konnte ich leider nicht feststellen. Das Ektoplasma ist anscheinend homogen; das sogenannte Cortical- plasma ist nur am hintersten Körperende und im Mundkegel entwickelt. Der ganze übrige Körper wird vom körnigen Entoplasma ausgefüllt und enthält viele Nahrungsvakuolen (nv) von verschiedener Größe. Die kontraktile Vakuole (cv) liegt in der Nähe des zugespitzten Hinterendes des Körpers. Der Makronukleus (N) liegt in der Körper- mitte und ist schwach hufeisenförmig; er besitzt eine kleine Ausbuch- tung, in welcher stets ein kleiner kugeliger Mikronukleus (n) vor- handen ist. Der Makronukleus ist von einer körnig-netzigen Struktur und von einer deutlichen Kernmembran umgeben. Beim ziemlich raschen Vorwärtsschwimmen dreht sich das Tier fortwährend um seine Längsaxe; zuweilen bewegt es sich auf eine Rimsky - Korsakow, Ueber Dinophrya eylindrica n. sp. 259 kurze Strecke rückwärts, wobei die Cilien des Wimperkranzes an der Basis des Mundkegels nach vorne umgeschlagen werden. D. eylindrica wurde, wie gesagt, in einem Wasserbehälter zu- fällig aufgefunden; es war dort die erste Zeit in ziemlich großer An- zahl ausschließlich auf der Oberfläche des Wassers anzutreffen; bald aber nahm die Zahl der Individuen ab und nach wenigen Tagen ver- schwand das Tier gänzlich. Die Zugehörigkeit des eben beschriebenen Infusoriums zu der Gattung Dinophrya scheint keinem Zweifel zu unterliegen, da die Lage des Mundes, die allgemeine Körpergestalt, die Bewimperungs- verhältnisse der Beschreibung der Gattung Dinophrya, die von Bütschli bei ihrer Errichtung!) gegeben wurde, vollkommen entsprechen. Bis jetzt war aus dieser Gattung nur eine einzige Art — D. Lieber- kühni bekannt, wie es von Schewiakoff in seiner Monographie der Infusoria aspirotricha?) angegeben wird. Eine eingehende Beschrei- bung von D. Lieberkühni gab Schewiakoff schon früher in seinen „Beiträgen zur Kenntnis der holotrichen Ciliaten“?), in welchen er es für dieselbe Form erklärte, welehe von Lieberkühn beobachtet und abgebildet wurde (Bütschli gründete nämlich die Gattung auf die unedierte Abbildung Lieberkühn’s); da nun aber zwischen den beiden Formen nicht unbedeutender Unterschied besteht und da D. cy- lindrica mihi wahrscheinlich diejenige Art ist, welche von Lieber- kühn gesehen wurde (vergl. Bütschli’s Abbildung in Protozoa 1. e. Taf. 57 Fig. 7), so wären demnach zwei Arten der Gattung Dinophrya zu unterscheiden: 1. D. Lieberkühni Bütschli, von Bütschli und Schewiakoff beobachtet (und vom letzteren genau beschrieben |. e.) und 2. D. cylindrica mihi, welche von Lieberkühn entdeckt und abgebildet, ferner wahrscheinlich auch von Eberhardt*) unter dem Namen Siagonophorus euglenoides und S. loricatus kurz beschrieben und jetzt von mir eingehender untersucht. Somit beziehen sich die Worte Bütschli’s (l. e.) „neuerdings von mir und Schewiakoff untersuchte Form“ nicht auf Lieber- kühn’s Form, sondern auf die andere Art — D. Lieberkühnt. Was den Unterschied zwischen den beiden Arten betrifft, so be- steht er erstens in der äußeren Körperform: D. Lieberkühn: hat eine keulen- resp. birnförmige Gestalt, die nach hinten allmählieh verengt ist und in ein mehr oder weniger spitzes Hinterende ausläuft (vergl. 1) Bronn’s Klassen u. Ordn. des Tierreichs, Protozoa, Bd. III, S. 1682, Taf. 57, Fig. 7. 2) M&m. de l’Acad. Imp. des Sciences St. P&tersbourg, VIII. Ser., Cl. Phy- sico -Mathem., V. IV, Nr. 1, 1896 (russisch), p. 176—178, Taf. II, Fig. 38. 3) Bibliotheca zoologica, Heft 5, 1889, p. 17—19, Taf. II, Fig. 22—26. 4) Infusorienforschung. Osterprogramm der Realschule zu Koburg, 1858, und Zweite Abhandlung über Infusorienwelt. Programm der Realschule zu Koburg, 1862. ber 960 Nusbaum u. Rakowski, Anatomie des Rückengefäßes und sog. Herzkörpers. die Abbildungen in den oben genannten Arbeiten Schewiakoff’s); die Körperform des Infusoriums auf der Abbildung Lieberkühn’s (vergl. Bütsehli’s Abbildung) entspricht ziemlich genau derjenigen von D. cylindrica. Zweitens besitzt D. Lieberkühni 20 (nicht 16) Längsreihen von Cilien, wobei auf jeder Reihe 16—18 (nicht 20—22) Cilien zukommen. Drittens ist der Kern von D. Lieberkühni im Gegen- satz zu D. cylindrica kugelig. In Bezug auf die systematische Stellung der Gattung Dinophrya schließe ich mich der Ansicht Schewiakoff’s an, welcher dieselbe in die Familie Oyelodinina Stein unterbrachte und mit den übrigen Gat- tungen dieser Familie d.h. Didinium und Mesodinium verglich, nicht aber derjenigen Bütschli’s, welcher diese Gattung in die Familie Holophryina einreihte. In der Familie Cyclodinina ist die Tendenz zur Reduktion der Bewimperung nicht zu verkennen, was bei Holophryina (mit Aus- nahme der Gattung Urotricha) nicht der Fall ist. Dinophrya stellt die erste Stufe einer solchen Reduktion dar: bei dieser Gattung ist nur am Vorderende des Körpers (Mundkegel) die Bewimperung ver- loren gegangen, der übrige Teil des Tieres besitzt noch, wenn auch spärlich verteilte, Cilien. Bei den 2 übrigen Gattungen dagegen er- halten sich die Cilien nur in der Form von 1 oder 2 Wimperkränzen. Phylogenetisch könnten wohl, wie es Schewiakoff annimmt, die Oyclodinina aus den Holophryina entstanden sein. Zum Schlusse sei es mir gestattet Herrn Professor W. T. Schewia- koff, unter dessen Leitung die Arbeit ausgeführt wurde, meinen innigsten Dank auszusprechen. [26] Dezember 1896. Ein Beitrag zur näheren Kenntnis der Anatomie des RKücken- gefäßes und des sog. Herzkörpers bei den Enchytraeiden. (Aus dem vergleichend-anatom. Institute der k. k. Univ. Lemberg.) Von Prof. Dr. Jözef Nusbaum und Jan Rakowski stud. phil. Im Jahre 1887 entdeckte Dr. W. Michaelsen („Enehytraeiden- Studien“ in Archiv f. mikroskopische Anatomie, Bd. XXX) eine be- sondere Bildung im Inneren des Rückengefäßes mancher Enehytraeiden und namentlich beim Genus Mesenchytraeus. Man hat diese Bildung mit dem Herzkörper mancher Polychaeten, wie Terebellides Strömii, Pectinaria belgica u. s. w. homologisiert. In der ventralen Medianlinie, fest an die Innenseite der Gefäß- wand anliegend, zieht sich der Herzkörper, nach Michaelsen, durch das ganze Rückengefäß hin und „besteht aus verschieden großen Zellen mit deutlichen Zellwänden und Zellkernen und feiner Protoplasma- Granulation. Bei Mesenchytraeus mirabilis und M. primaevus ist er dick, mit unregelmäßigen, oft starken Anschwellungen, im Querschnitt Nusbaum u. Rakowski, Anatomie des Rückengefäßes und sog. Herzkörpers. 261 vielzellig., Bei M. faleiformis, M. Beumeri und M. flavidus ist er dünner, fast glatt, mit nur schwachen Anschwellungen und zeigt im Querschnitt nur wenige Zellen“. Einen solehen Herzkörper hat Michaelsen später nur noch beim Stercutus gefunden und seitdem ist der Herzkörper als eine Bildung sui generis von allen Forschern angesehen worden. Michaelsen bemühte sich, diese Bildung mit gewissen Organen bei anderen Enchytraeiden zu homologisieren. „Der Herzkörper (des Mesenchytraeus) — sagt er — muss wohl als Ein- wucherung des Darmepithels in das Rückengefäß, und deshalb als homolog gewissen Organen bei anderen Enchytraeiden z. B. den Darm- divertikeln der Buchholzien angesehen werden“. Aber gegen diese Annahme Michaelsen’s sprechen folgende wichtige Thatsachen: 1. Der ganz differente Bau des Herzkörpers und der Darmdivertikeln, 2. die Thatsache, dass die epitheliale Darmwand von dem mit dem Rücken- sefäße kommunizierenden Darmblutsinus durch eine Lage Endothel- zellen überall abgegrenzt ist (Hesse, Nusbaum, Ude) und 3. der Mangel eines jeden Zusammenhanges des Herzkörpers mit der Darm- wand. Im Jahre 1895 hat einer von uns (J. Nusbaum, „Zur Anatomie und Systematik der Enchytraeiden“, Biolog. Centralblatt) darauf hin- gewiesen, dass mit der Wand des hückengefäßes kernhaltige Zellen zusammenhängen, die viele gelbliche und braunliche Körnehen im Plasma enthalten, ins Innere des Gefäßlumens mehr oder weniger hineinragen und auch mittels ihrer Ausläufer Netze bilden können. Der Verfasser war der Ansicht, dass diese Zellen als Homologa der Blutkörperchen anzusehen sind, von welchen sie sich in erster Linie dadurch unterscheiden, dass sie mit der Gefäßwand zusammenFängen. Bei kleinen, durehsichtigen Enchytraeiden-Arten hat der Verfasser be- obachtet, dass in Folge des Stromes der Flüssigkeit im Inneren des Gefäßes die genannten Zellen eine Art pendelnde Bewegung ausführen. Der Verfasser hat sehon damals folgende Vermutung ausgesprochen: „Es scheint mir wahrscheinlich, dass der sog. Herzkörper der Mesenchy- traeiden eine Bildung von demselben morphologischen Werte ist, wie die genannten Zellen“. Michaelsen und Ude haben auch Endothelzellen im Rücken- gefäße gesehen, aber weder Zellennetze im Lumen des Gefäßes be- obachtet, noch einen irgendwelchen morphologischen Zusammenhang der Zellen mit dem sog. Herzkörper vermutet. H. Ude, der verdienstvolle Kenner der Enchytraeiden, in seiner Arbeit „Beiträge zur Kenntnis der Enchytraeiden und Lumbrieiden“ (Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. LXI, 1, 1895) hat bei den Echy- traeiden Bryodrilus ehlersi Ude Endothelzellen im Rückengefäße be- obachtet und sagt daneben: „An einzelnen Stellen findet man weiterhin, dass von der Wandung des Rückengefäßes in das Lumen hineinragende 262 Nusbaum u. Rakowski, Anatomie des Rückengefäßes und sog. Herzkörpers. Zellen hervorspringen, an denen Nusbaum im lebenden Tiere eine Art pendelnde Bewegung beobachtet hat... . Es scheint mir sicher, dass sie (d. i. diese Zellen) nichts Anderes als weit in das Lumen hervorspringende Endothelzellen sind. Einmal spricht dafür, dass sich diese Zellen mit Karmin gerade so färben, wie die eigentlichen Endothel- zellen und außerdem kann man stets zwischen den niedrigsten Endothel- zellen und den am weitesten in das Rückengefäß hineinragenden Zellen alle möglichen Zwischenstufen beobachten“. Neue Untersuchungen, die wir gemeinschaftlich durchgeführt haben, überzeugen uns aber, dass die obige Vermutung Ude’s nicht richtig ist, und namentlich, dass die Zellen im Innern des Rückengefäßes ganz spezielle, vom Endothel unabhängige Bildungen darstellen und dass sie eben dem Herzkörper homolog sind. Außerdem haben wir in dem Baue der Rückengefäßwandung einige neue nicht uninteressante Eigentümlichkeiten gefunden. Wir haben die großen Fridericia- Arten: Fr. Ratzelü, Fr. striata und den Mesenchytraeus setosus näher untersucht. Vor Allem müssen wir bemerken, dass, da im Darmkanale der Enehytraeiden gewöhnlich viele Erdpartikelchen sich finden, was das Erhalten von ununterbrochenen Schnittserien in hohem Grade erschwert, folgendes Verfahren als sehr zweckmäßig sich erwies. Wir haben eine Anzahl von Exemplaren ausgewählt und sie einige Tage in einem Ge- fäße zwischen modernen Blättern gehalten, die vorher sehr präeis mit Wasser abgespült wurden. Nach einigen Tagen war der Darmkanal ganz von Erdpartikelchen frei. Die Würmchen haben wir dann auf Korkplättehen ausgezogen, mit Igelstacheln an beiden Enden befestigt (um das immer bei der Fixierung eintretende Zusammenrollen zu ver- hindern), in heißer Sublimatlösung fixiert und nachher in immer stär- kerem Alkohol gehärtet u. s. w. Bei den großen Fridericia-Arten haben wir vor Allem konstatiert, dass in dem Rückengefäße, das bekanntlich an seinem hinteren Ende in den, den Darmkanal umgebenden und von Endothelzellen begrenzten Blutsinus sich öffnet, zwei Abteilungen zu unterscheiden sind nämlich: in der vorderen Abteilung ist das Rückengefäß ganz von der Darmwand getrennt. Es besitzt hier eine äußere Peritonealzellenschicht, seine eigene, nicht mit der Darmwand zusammenhängende, zirkuläre Muskel- schicht und Endothel. In der hinteren, etwa die Hälfte ausmachenden Abteilung des Rückengefäßes geht nicht nur die Peritonealzellenschicht des Gefäßes, sondern auch die Muskulatur desselben kontinuierlich in die des Darmes über. Die zirkuläre Muskelfaserschicht beider Or- gane hat hier nämlich auf Querschnitten die Gestalt der Umrisse einer Sanduhr, wobei jedoch der untere den Darm umgebende Teil umfang- reicher als der obere, d. h. dem Rückengefäße angehörende ist (Fig. 1). Nusbaum u. Rakowski, Anatomie des Rückengefäßes und sog. Herzkörper. 2653 Fig. 1. A u. B = Querschnitte durch die hintere Hälfte des Rückengefäßes von Fridericia Ratzelü. A = Aus der vorderen Gegend der hinteren Hälfte; B = aus der Endgegend der hinteren Hälfte; C u. D = Querschnitte durch das Rückengefäß von Mesenchytraeus setosus; p = Peritonealzellen; e = Endothel; e. m. — eireuläre Muskelfaserschicht; I. m. = longitudinale Muskeltasern ; d. e. = Darmepithel; d. z. — Drüsenzellen; in C.u. D = Herzkörper; b. s. = Blutsinus;; e.b. — Endothel des Blutsinus. Oe. 4; Syst. hom. Imm. !/,, Reichert. 264 Nusbaum u. Rakowski, Anatomie des Rückengefäßes und sog. Herzkörpers. In der hinteren Hälfte des Rückengefäßes ist also das Lumen desselben in der Gegend der Medianebene des Körpers einzig und allein durch das Endothel von dem seinerseits mit Endothel ausgeklei- deten Blutsinus getrennt, während die Muskulatur des Gefäßes ununter- brochen in die des Darmes übergeht. Während in dem vorderen Teile des Rückengefäßes nur die zirku- läre Muskelfaserschicht existiert, finden sich überdies in dem hinteren Teile desselben nach außen von der zirkulären Muskelfaserschicht auch einzelne longitudinale Muskelfasern, die ganz ähnlich aussehen wie die longitudinalen Muskelfasern des Darmes; sie sind aber am RKückengefäße in viel spärlicher Anzahl vorhanden als am Darme. Sehr oft ist die zirkuläre Muskelfaserschicht vielfach gefaltet; in diesen Fällen kann man die außerordentlich zarte Endothelwand sehr gut beobachten (Fig. 1, A). Von außen ist die Muskulatur des Gefäßes, wie bekannt, von den großen Peritonealzellen umgeben, die in die- jenigen des Darmes übergehen. Den kontinuierlichen Uebergang der Muskulatur des Gefäßes in die des Darmes und das Vorhandensein der longitudinalen Fasern außer den zirkulären kann man besonders gut in dem hinteren, herz- artig angeschwollenen Teile des Rückengefäßes auf Querschnitten be- obachten. Noch weiter nach hinten geht das Endothel des Rücken- gefäßes ununterbrochen in das den Darmblutsinus auskleidende Endo- thel über. Was nun das Endothel des Rückengefäßes anbetrifft, so ist das- selbe sehr platt; seine Zellen sind mit länglich ovalen Kernen ver- sehen. Die Zahl der Endothelzellen ist auf Querschnitten durch das kückengefäß sehr gering; an den meisten Querschnitten haben wir nur eine oder zwei Endothelzellen angetroffen, aber immer haben wir ein außerordentlich dünnes, von diesen Zellen ausgehendes Häutchen gesehen, welches das ganze Lumen des Gefäßes begrenzt und der zirkulären Muskulatur von innen anliegt (Fig. 1, A). Außer den Endothelzellen finden wir an der Innenfläche des ganzen kückengefäßes noch eine andere Art Zellen, von einem ganz eigen- tümlichen Charakter und namentlich: saftige Zellen, die reich an Plasma sind und außerdem sehr viele, dicht angehäufte, größere und kleinere, gelbliche bis bräunliche Sekretkörnchen enthalten. Von diesen letzteren finden wir keine Spur in den eigentlichen, sehr platten Endothel- zellen. Diese gelblich-bräunlichen Zellen sind gewöhnlich mittels kurzer Stiele mit der Endothelwand verbunden. Die nach Innen des Gefäßlumens zugekehrten Enden dieser Zellen sind gewöhnlich breiter und kugel- förmig angeschwollen. Manche Zellen besitzen aber keine Stiele und sind mehr oder weniger abgerundet; es existieren alle möglichen Ueber- gänge zwischen den gestielten und stiellosen Zellen. Bei den von uns Nusbaum u. Rakowski, Anatomie des Rückengefäßes und sog. Herzkörpers. 265 untersuchten Formen haben wir aber keinen Uebergang dieser Zellen in die des Endothels beobachtet und wir betrachten deshalb die- selben für ganz spezielle, von den Endothelzellen sich durch ihren Habitus und Bau sehr unterscheidende Bildungen. Im hinteren, herzartig angeschwollenen Teile des Rückengefäßes sind die genannten Zellen mehr oder weniger gestreckt und polygonal, bilden verschiedenartige, dünne Ausläufer, dringen tief ins Innere. des Gefäßes ein, sind größtenteils mittels feiner Fasern mit der Endothel- wand verbunden und verbinden sich netzartig miteinander, so dass sie zur Bildung feiner und zarter Netze beitragen (Fig. 1, B). In den Fäden dieser Netze sind dieselben Körnchen vorhanden, wie im Plasma- leibe der Zellen. Von den abgerundeten oder gestielten bis zu den gestreckten und verästelten Zellen kann man alle Uebergänge finden. Es steht somit fest, dass die genannten Zellen der Friderieien Bildungen darstellen, die ganz unabhängig von den Endothelzellen sind. Nun haben wir aber gefunden, dass sie ganz denselben Cha- rakter haben, wie die Zellen des Herzkörpers bei der Gattung Mesenchy- traeus. Beim Mesenchytraeus setosus haben wir auch gefunden, dass die Endothelzellen des Rückengefäßes sehr abgeplattet sind, in ein dünnes, das Gefäß auskleidendes Häutchen übergehen und der gelblich- bräunlichen Körnchen entbehren, während die Zellen des Herzkörpers viele soleher Körnchen enthalten; dieselben sind jedoch feiner als in den gelblich-bräunlichen Zellen anderer Enchytraeiden. Weiter haben wir gefunden — und das ist besonders wichtig — dass die Zellen des Herzkörpers hie und da mittels feiner Ausläufer sich verbinden, also auch eine Art Zellennetz bilden (Fig. 1, C. u. D. — d. z.). An ver- schiedenen Teilen des Rückengefäßes ist die Zahl der den Herzkörper ausmachenden Zellen verschieden; an manchen Quersehnitten vier, an anderen sechs bis acht u.s.w. An manchen Querschnitten beträgt die Zahl der Zellen nur zwei oder drei, dieselben sind von einander ent- fernt, mittels Ausläufer verbunden und mit der Endothelwand mittels enger Stiele verbunden, ganz ähnlich wie die oben beschriebenen Zellen im Rückengefäße der Friderieien und anderer Enchytraeiden. Aus dem oben gesagten geht ohne Zweifel hervor, dass der Herz- körper nicht eine spezielle, nur dem Mesenchytraeus (und Stercutus) unter den Oligochaeten zukommende Bildung ist. Bei allen Enchy- traeiden existieren im Rückengefäße außer den Endothelzellen noch besondere körnchenreiche Zellen, die beim Mesenchytraeus in der ganzen Länge des Gefäßes mehr oder weniger gleichmäßig entwickelt sind, größtenteils zusammengehäuft liegen und einen striekförmigen zel- ligen Körper bilden. Was bedeuten nun alle diese Bildungen bei den Enchytraeiden ? Schon einmal hat einer von uns sie als Bildungen, die den Blut- körperchen anderer Würmer homolog sind, betrachtet. Morphologisch 266 Nusbaum u. Rakowski, Anatomie des Rückengefäßes und sog. Herzkörpers. entsprechen sie möglicherweise zum Teil den Blutkörperchen, denn sie sind ja Zellen im Inneren der Gefäße, die unabhängig vom Endothel sind. Sie unterscheiden sich aber von typischen Blutkörperchen erstens dadurch, dass sie mit den Wänden der Gefäße zusammenhängen und zweitens, dass sie zu Drüsenzellen umgestaltet sind, denn sie enthalten sehr viele, charakteristische, gelbliche bis bräunliche Sekretkörnchen. Am wahrscheinlichsten entsprechen sie also den sog. Blutdrüsen, die E. Perrier in den Gefäßen von Pontodrilus beschrieben hat und welche G. Eisen (Memoirs of the California Academy of Seiences, Vol. II, Nr. 4, Pacific coast Oligochaeta, 1895) bei Pontodrilus Michael- sen: in den Kapillargefäßen der Speicheldrüsen und Septaldrüsen ge- sehen hat. Sie sind auch denjenigen „granulahaltigen“ Zellen des Phreo- drilus homolog, die nach Beddard im Inneren des gewundenen Ge- fäßes sich finden, das im 12. oder 13. Segmente das Rückengefäß mit dem Ventralgefäße verbindet (Frank Evers Beddard, A Monograph of the Order of Oligochaeta, 1895). Sie entsprechen weiter den großen Chloragogenzellen, die nach Clapar£de die blindgeschlossenen, meta- mer gelegenen Divertikel des Rückengefäßes beim Lumbriculus aus- füllen. In allen diesen Fällen haben wir es mit Drüsenzellen zu thun, die sehr reieh an Granula (gewöhnlich Granula von gelblicher oder bräunlicher Farbe) sind und die mit der Endothelwand an verschiedenen Stellen desGefäßsystems zusammenhängen. Dass die Blutdrüsen der verschiedenen Oligochaeten dem Herzkörper im Rückengefäße bei Mesenchytraeus entsprechen, hat auch Eisen (. e.) bemerkt, indem er sagt: „Im some of the larger blood -vessels in the salivary gland the blood gland takes the form of a „herzkörper“ und weiter: „The blood glands beseribed by Clapare&de, Lankester and others .... are probably of a similar construction, and judging from the figure given by Michaelsen of the „herzkörper“ in Enchy- fraeus (es sollte wahrscheinlich Mesenchytraeus sein), we may conclude that it, too, is identical with the blood gland in Pontadrilus“. Unsere oben dargelegten Beobachtungen, aus welchen hervorgeht, dass der Herzkörper des Mesenchytraeus (und des Stercutus) von den Blutdrüsenzellen aller anderen Enchytraeiden ableitbar und ihnen ganz streng homolog ist, und dann die sehr ähnliche histologische Beschaffen- heit aller dieser Bildungen sowie die ähnliche Lage (im Inneren der Gefäße, im Zusammenhange mit Endothelium) derselben überzeugen uns, dass wir in allen genannten Fällen Bildungen vom ganz gleichen morphologischen Werte vor uns haben. Ihre physiologische Rolle bleibt jedoch bis jetzt im Dunkel. [28] Emery, Neuere Untersuchungen über das Leben des Wespen. 267 Neuere Untersuchungen über das Leben der Wespen. [1] Marchal P., La reproduction et l’&volution des Guepes sociales in: Arch. Zool. exper. (?) Tom. 4, 100 pg., 1896. [2] Derselbe, Observations sur les Polistes in: Bull. Soc. Zool. France, Tome 21, p. 15-21, 1896. [3] Janet Ch., Etudes sur les Fourmis, les Gu&pes et les Abeilles, IX. Sur Vespa erabro L.; histoire d’un nid depuis son origine in: M&m. Soc. Zool. France, 'Tome 8, 140 pg., 189. [4] Derselbe, Etudes etc, X. Sur V. media, V. silvestris et V. saxonica in: Mem. Soc. acad. Oise, Tome 16, 23—58 pg., 189. ld] Derselbe, Etudes ete., XI. Sur Vespa germanica et V. vulgaris. Limoges 1895. 26 pg. [6] Ihering H. von, Zur Biologie der sozialen Wespen Brasiliens in: Zool. Anzeiger, 19. Bd., N. 516, S. 449—453, 1896. Das in letzten Jahren reger gewordene Interesse für biologische Forschung hat zu einer Anzahl neuer Arbeiten über das Leben der sozialen Wespen Veranlassung gegeben, deren allgemeine Ergebnisse hier besprochen werden sollen. Marchal [1] hat an mehreren Arten der Gattung Vespa die Er- scheinungen der Fortpflanzung untersucht. Jedes Wespennest wird bekanntlich von einem im Spätsommer geborenen und befruchteten Weibchen begründet, welches als Imago überwintert hat und im Früh- ling zu bauen beginnt. Eine zeitlang ist jenes Weibchen das einzige am Nest wirkende Individuum. Nach und nach erscheinen die ersten kümmerlich ernährten Arbeiterinnen, welche der Mutter helfen und reichlicheres Futter heimtragen. Die Larvenbevölkerung des Nestes ist vorübergehend gegen die Zahl der Imagines überwiegend, bis später beide Zahlen sich ausgleichen und sogar das Verhältnis umgekehrt wird, als zur Blütezeit der Gesellschaft die Bevölkerung eines Nestes die Zahl von 80000 bis 100000 Individuen erreichen kann. Sobald die ersten Arbeiterinnen im Stande sind, das Nest zu verproviantieren, geht die Mutter immer weniger aus und bleibt am Ende ständig im Neste: ihre Flügel bekommen an der Spitze Verletzungen und an ihrem Leib erscheinen braune Abnutzungsflecken. Die Männchen erscheinen als Larven zuerst gegen Mitte August; das Geschlecht der männlichen Larven lässt sich leicht an den am Rücken als dunkler paariger Fleck durchscheinenden Hodenanlagen erkennen. Zu gleicher Zeit werden in den Nestern der unterirdisch lebenden Arten (V. germanica und V. vulgaris) größere Zellen gebaut, welche zur Erziehung der echten Weibchen (Königinnen) bestimmt sind. Die untersten Waben, welche die zuletzt gebauten sind, werden ausschließlich aus solchen Zellen zusammengesetzt; manchmal besteht eine höher liegende Wabe aus zweierlei Zellen, wobei die größeren den Rand einnehmen, also später als die kleineren zentralen entstanden sind. Anfangs findet man in den großen Zellen sowohl männliche als 268 Emery, Neuere Untersuchungen über das Leben der Wespen. weibliche Larven; später werden die Männchen nur in kleineren Zellen (Arbeiterzellen) gezüchtet, die großen werden nur noch für Weibchen gebraucht. Das Ausschlüpfen der Männchen steigt sehr rasch an und erreicht Anfang September sein Maximum, um dann allmählich abzu- nehmen. Diese und die weiter zu referierenden Beobachtungen be- ziehen sich hauptsächlich auf V. germanica. Da dieMännchen aus unbefruchteten, parthenogenetischen Eiern ent- stehen, und da solche Eier auch von sog. Arbeiterinnen produziert werden können, so tritt die Frage auf ob und inwiefern solche eierlegende Arbeiterinnen sich an die Erzeugung der männlichen Wespen beteiligen. Bis Ende Juli konnte in normalen Nestern von V. germanica kein reifes Ei in den Ovarien von Arbeiterinnen gefunden werden. Mitte August sind solehe vorhanden, aber in geringer Zahl und bei wenigen Individuen: in einem Falle traf Verf. unter 88 Arbeiterinnen 6 mit reifen oder halbreifen Eiern, deren Zahl aber meist eine sehr geringe war (je 2-3). Da aber zu jener Zeit die Bevölkerung des Nestes eine sehr große ist, so kann die Eierablage von Seiten der Arbeiterinnen eine beträchtliche sein. Im September waren wieder keine frucht- baren Arbeiterinnen mehr zu finden. Da aber junge männliche Larven auch später in großer Zahl erzeugt werden, so muss man daraus schließen, dass Arbeiterinnen und Königin sich zugleich an der Er- zeugung der Männchen beteiligen. Die Verhältnisse gestalten sich ganz verschieden, sobald die Kö- nigin im Neste fehlt oder aufgehört bat Eier zu legen. Dann steigt die Fruchtbarkeit der Arbeiterinnen sehr beträchtlich: es kann sogar ein Drittel der ganzen Bevölkerung sich an die Eierproduktion betei- ligen; die Zahl der Eier kann so groß werden, dass in jeder Zelle mehrere Eier, ja sogar Eier außerhalb der Zellen gelegt werden. In solchen Nestern legen die Arbeiterinnen in jeder Jahreszeit Eier, also auch im Frühsommer und im Herbst, d. h. zu Zeiten, wo normale Nester keine fruchtbare Arbeiterin enthalten. Es wurden auch künstliche Nester angelegt, deren Bevölkerung nur aus Arbeitern bestand. Stets wurden nach kurzer Zeit frische Eier gelegt, vorausgesetzt, dass Junge Arbeiterinnen vorhanden waren. Bei Mangel einer rechten Königin werden die jüngeren Arbeiterinnen fruchtbar und erzeugen eine reichliche partheno- genetische, daher rein männliche Nachkommenschaft. Die Ursache dieser anormalen Fruchtbarkeit liegt darin, dass wenn die Königin nieht da ist oder sonst aufgehört hat, Eier zu legen, die Zahl der zu ernährenden Larven bald geringer wird; die Arbei- terinnen können dann einen größeren Teil der Nahrung die sie heim- bringen und meist an die Larven verfüttern für sich selbst benutzen. Die Folge der reichlicheren Ernährung ist für Jüngere Arbeiterinnen die Ausbildung der sonst verkümmernden Emery, Neuere Untersuchungen über das Leben der Wespen. 369 Ovarien; bei älteren Arbeiterinnen sind diese Organe jeder Funktion unfähig geworden. Ebenfalls auf reichlichere Ernährung ist die in der Blütezeit des Wespennestes auftretende zeitweise und geringe Fruchtbarkeit einiger Arbeiterinnen normaler Nester zurückzuführen; zu jener Zeit erreicht das Verhältnis der Zahl der Arbeiterinnen zu der der Larven sein Maximum; demgemäß ist zugleich das Verhältnis der Nabrungszufuhr zur Bevölkerung des Nestes ein möglichst großes. Die Vergleichung der unterirdisch nistenden Wespenarten (V. ger- manica und vulgaris) mit jenen, welche ihre Nester in der freien Luft bauen, zeigt, dass bei letzteren der Nestbau wie der Grad der Dif- ferenzierung zwischen Arbeiterinnen und vollkommenen Weibchen nicht so weit gediehen sind wie bei den ersteren. Es werden zur Erziehung der Königinnen keine besonderen Zellen gegründet, sondern nur ge- wöhnliche Zellen dadurch vergrößert, dass sie trichterartig verlängert werden; es geschieht dieses besonders leicht, weil der Grundplan der Waben nicht flach ist, sondern mehr oder weniger gewölbt oder die Randzellen schief gestellt sind. Durch diese Bauart bilden solche Nester einen Uebergang zur viel primitiveren Struktur der Nester von Polistes. Die Differenzierung der weiblichen Wespen in Arbei- terinnen und Königinnen wird, wie die Untersuchung des Magen- inhaltes der Larven lehrt, einzig und allein dureh Quantität der Nahrung bedingt; dementsprechend sind die morphologischen Unterschiede beider Stände sehr geringe, ja kaum andere als die der Körpergröße und der verschiedenen Entwicklung der Geschlechtsorgane. Die Ovarien sind reduziert oder rudimentär; ob die Arbeiterinnen be- gatiungsfähig sind kann nicht festgestellt werden, denn die Männchen kümmern sich nieht um dieselben. —- Verfasser nimmt an, dass, im Laufe der Generationen, durch den Einfluss der gesamten Verhältnisse, unter welchen die Entwicklung der Wespenkolonien stattfindet, das Keimplasma seine Eigenschaften verändert hat und fähig geworden ist zweierlei Weibchen zu erzeugen, je nach Menge und Art der einge- nommenen Nahrung. Die Ausbildung dieser veränderten Beschaffen- heit des Keimplasma, der differenten Erziehungsweise von Arbeiterinnen und Königinnen und des damit verbundenen Dimorphismus des weib- lichen Geschlechts schritten mit einander vorwärts. So entstanden am Ende die höchsten Grade des Dimorphismus, wie sie z. B. bei Apis bestehen; hier kommen bekanntlich nicht nur quantitative, sondern zugleich qualitative Unterschiede der Nahrung im Spiel und dem- entsprechend auffallende morphologische und biologische Differenzen zwischen Arbeiterinnen und Königinnen. Im Wesentlichen ist diese Auffassung nicht verschieden von jener, welche ich bereits früher in dieser Zeitschrift!) ausgesprochen habe. 1) Die Entstehung und Ausbildung des Arbeiterstandes bei den Ameisen in: Biolog. Centralbl., XIV. Bd., S. 53 ff., 1894. 270 Emery, Neuere Untersuchungen über das Leben der Wespen. Ich nahm an, der Arbeiterstand sei dadurch gebildet worden, dass das Kleimplasma der sozialen Insekten auf verschiedene Nahrung durch Erzeugung verschieden gebauter Individuen reagiere. Während ich aber mit Weismann annehme, dass das Keimplasma aus verschieden- artigen, die Eigenschaften des Organismus bestimmenden Teilchen be- steht, leugnet Marchal die Existenz solcher Teilchen im Keimplasma. Ueber die Momente, welchen das Keimplasma die Entstehung der zur Arbeiterbildung nötigen Eigenschaften verdankt und welche Marchal in die während vieler Generationen fortwirkenden Ernährungsverhält- nisse verlegt, hatte ich mich damals nicht ausgesprochen und halte auch jetzt jede Annahme bestimmter Ursachen für unbegründet. In einer anderen Arbeit beschäftigt sich Marchal [2] mit der Biologie von Polistes. Es wird festgestellt, dass die erste Zelle, welehe gebaut wird nicht prismatisch sondern zylindrisch ist (ich kann das durch eigene Beobachtung bestätigen) und erst die später an die- selbe gebauten Zellen nach und nach die polygonale Form bekommen. Es ist bereits früher vermutet worden, dass die europäische Polistes- Art in ihren Waben Honig halten möge, wie es für amerikanische Arten bestimmt der Fall ist. In einer Anzahl Nester von P. gallicus var. diadema aus Südfrankreich, welche Verf. Ende April erhielt, fand er thatsächlich einige Tropfen Honig: dieselben lagen in Zellen, welche bereits Eier enthielten. Die Nester waren noch klein und bestanden aus 25—59 Zellen (meistens mehr als 30). Der Honig war also offen- bar von der noch einsam lebenden Mutter gesammelt worden. Auf einigen Nestern wurden mehrere Wespen gefunden, was darauf zu deuten scheint, dass mehrere Weibchen sich an der Gründung eines Nestes beteiligen mögen. Janet |3] beobachtete am 15. Mai 1894 die Gründung eines Nestes von Vespa crabro. Die Mutter wurde bemerkt, als sie erst den Stiel des Nestes gebaut hatte, welcher nach 9 Tagen bereits acht Zellen trug; zugleich war auch die Anlage einer Kartonhülle in Form eines Schirmes da. Schritt für Schritt verfolgte Verf. das Anwachsen des Baues, das Ausschlüpfen der ersten Arbeiterinnen und ihre Beteiligung an das gesellige Leben. Nach 41 Tagen war eine vollständige birn- förmige Hülle mit unterem Flugloch vorhanden und die noch einzige Wabe bestand aus 26 Zellen; nur eine Zelle (die erste) war zuge- sponnen, die übrigen waren noch offen und enthielten Eier oder Larven. Die erste Arbeiterin schlüpfte am 9. Juli, nach 56 Tagen aus. Bis dahin hatte die Mutter allein die ganze Arbeit am Nest und die Füt- terung der Larven besorgt, machte dabei unzählige Ausflüge und brachte die meist kurzen Ruhezeiten dazwischen um den Stiel der Wabe unter der Hülle kreisförmig gebogen zu. Bald wurde aber die Entwicklung des Nestes keine normale mehr, denn es wurde vom Be- obachter öfter gestört, Larven herausgenommen, der Bau verletzt u. dgl. Emery, Neuere Untersuchungen über das Leben der Wespen. 974 Es sei hier hervorgehoben, dass die Hornissen die Zerstörung selbst großer Stücke der Nesthülle kaum bemerken, während sie dagegen bei jeder geringen Verletzung der Waben sehr aufgeregt werden und dieselbe auch dann erkennen, wenn sie während ihrer Abwesenheit geschah. Die erste von der Mutter gebaute Hülle wurde bald zu eng, sie wurde dann von den Arbeiterinnen zerstört und eine neue gebaut, welche, wenn die Waben weiter gewachsen waren, wiederum durch eine dritte ersetzt werden musste. Die Nesthülle scheint hauptsäch- lieh dazu zu dienen, die Wärme im Nest zu erhalten. Die Temperatur ist nämlich im Nest immer ınehrere Grade höher als außerhalb des- selben; denn eine gewisse Wärme ist für die Entwicklung der Eier notwendig und eine auch vorübergehende Erkältung genügt, um sie abzutöten. Wenn im Herbst die Temperatur sinkt, werden der bis dahin einfachen Nesthülle gewölbte Schuppen in mehreren Schichten auf- gesetzt; derart wird dieselbe von unregelmäßigen Lufträumen umgeben, welche zur Erhaltung der inneren Wärme wesentlich beitragen. Nur selten fehlt die Kartonhülle an Hornissennestern ganz, was eigentlich wegen Raummangel geschieht; ein solcher Fall wurde an einem Nest beobachtet, welches in einer engen Höhlung eines Baum- stammes sich befand. An einem anderen Nest, welches unter einem Dach in dem von zwei Mauern gebildeten Winkel aufgehängt war, berührten die Waben fast die Mauern und waren an dieselben befestigt; die Kartonhülle bedeckte nur die freie Seite des Nestes. Zweifellos waren aber diese Zustände erst sekundäre und die Nester dürften, als sie kleiner waren, ihre vollständige Hülle besessen haben, welche, um Raum zu schaffen, später zerstört wurde. In seinen weiteren Schriften |4, 5] schildert Janet die Bauten der übrigen einheimischen Vespa-Arten. — Die Nester von V. media und silvestris sind kleiner als die der anderen Arten: sie bestehen aus weichem Papier und sind meist an Bäumen frei aufgehängt. Ihre Umhüllung besteht aus mehreren konzentrischen Papierwänden, welche nach einander von innen nach außen gebaut und in derselben Reihen- folge zerstört werden, als die wachsenden Waben einen größeren Raum erfordern. Das von diesen Wespen sowie von V. germanica produ- zierte Papier wird aus Holzfasern gebildet, welche sie mit ihren Mandibeln von etwas verwittertem aber noch festem Holz abkratzen. Dagegen brauchen V. vulgaris und V. crabro zu ihrem brüchigen diekeren Karton faules Holz. Bei V. media konnte Verf. die Bildung eines Streifens am, Rand der Nesthülle genau unter der Lupe ver- folgen. Die Wespe hält den Ballen von gekautem Holzteig zwischen Oberkiefer und Unterlippe und presst ihn derart, dass der Teig zwischen beiden Mandibeln hervorquillt. Die Wespe hält sich so, dass die sagittale Fläche ihres Kopfes mit der zu verlängernden Papierwand 372 Emery, Neuere Untersuchungen über das Leben der Wespen. zusammenfällt. DieMandibeln quetschen den zwischen ihnen befindlichen Teig und befestigen ihn an den schon vorhandenen Teil des Baues; die Wespe schreitet langsam rückwärts und presst weiteren Teig zwischen die Mandibeln heraus, welche denselben in gleicher Weise verarbeiten. So baut sie einen schmalen Streifen, dessen Basis ebenso dünn ist wie das Papier, dessen Rand es fortsetzt, während der freie Rand des Streifens wulstig verdickt ist. Ist der Teigballen erschöpft, so kehrt die Wespe an die Stelle, wo sie begonnen hatte, zurück und verarbeitet den Randwulst mit den Mandibeln in seiner ganzen Länge, wodurch der neue Streifen dünner und breiter wird, aber am Rand immer noch etwas verdickt bleibt. Nachdem diese Operation noch einmal wiederholt worden ist, ist der neue Papierstreifen fertig, überall gleich diek und etwa drei Mal so breit, wie er zuerst ange- legt wurde. Die drei Schriften Janet’s enthalten viele Beobachtungen über Einzelheiten des Lebens der Wespen, ihre Nahrung, Larvenentwick- lung, Verpuppung ete. — Parasiten sind auch mehrfach beobachtet worden. Unter dem Nest der unterirdischen Wespen finden sich immer in großer Anzahl, neben kleinen Nematoden, die Maden einer Fliege (Acanthiptera inanis), welche sich von allerlei Abfällen des Wespen- volkes ernähren. Ebenso lebten unter den Hornissennestern zwei Arten von Fliegenlarven, wovon eine mit Dornen besetzt ist und einer Art Anthomya gehört; Volucella, deren Maden die Larven des Wespen auf- fressen, spaziert, wie Marchal berichtet, ganz ungestört im Nest herum und wird wohl in Folge ihres ruhigen Benehmens geduldet. Dagegen wird der Staphylinide Velleius von den Hornissen angegriffen; er wird aber sofort frei gelassen, wenn er seine Hinterleibsspitze er- hebt und wahrscheinlich daraus einen riechenden Stoff hervorquellen lässt, gerade wie manche myrmekophile Staphyliniden unter ähnlichen Umständen thun. Unter den Beobachtungen über Wespenlarven ist der Nachweis besonders interessant, dass solche Larven (V. vulgaris) nicht nur auf Erschütterungen, sondern auch auf Töne, welche ihnen nur durch die Luft übertragen werden (schlagen an eine in der Hand gehaltenen Glasglocke) reagieren. Man muss also annehmen, dass sie hören. Hornissen-Larven lassen, wenn sie etwas unsanft berührt werden, einen Tropfen Flüssigkeit aus ihrem Mund hervorquellen; die Wespen pflegen diese Ausscheidung hervorzurufen und saugen die Flüssigkeit dann gierig ab. Geschieht letzteres nicht, so nimmt die Larve den Tropfen bald wieder ein. Verf. hat den natürlichen Tod der Wespen (besonders V. erabro) mehrfach beobachtet und beschrieben: er ist die Folge einer allmäh- lieh fortschreitenden Lähmung, ähnlich wie Lubbock von Polistes beschrieben hat. Die Königin des von seinem Anfang aus beobachteten Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. 373 Hornissennestes starb am 1. Oktober, die letzte Arbeiterin am 14. No- vember, also genau ein halbes Jahr nach der Gründung des Baues. Nach v. Ihering’s [6] Beobachtungen bilden in Brasilien viele Vespiden Staaten, welche mit der kälteren Jahreszeit nicht aussterben. — In S. Paulo vegetieren die Kolonien von Polistes versicolor bis in den Winter hinein. Die Gesellschaften dieser Wespe sind aber ebenso wie die aller anderen, welche ähnliche unbedeckte Waben bauen, einjährige Staaten. So verhalten sich die Arten der Gattungen Polistes, Mischo- cytharus und gewisse Polybia (Verf. schlägt für dieselben ein Genus Pseudopolybia vor). — Dagegen sind die Staaten der geschlossene Nester bauenden Gattungen Polybia, Apoica, Tatua, Synoeca, Char- tergus, Nectarinia perennierende. Sie vermehren sich nicht durch ein- zelne nestbegründende Weibchen, sondern durch Schwärme nach Art unserer Biene. Solche Schwärme wurden mehrfach beobachtet: sie bilden, wenn sie sich an einem Baumast niederlassen, eine faustgroße dichte Kugel; manchmal wechseln sie mehrfach ihren Sitz, bevor sie sich zum Nestbau machen. Dieser geht dann sehr rasch vor sich und man kann ganz reine junge Nester bekommen mit mehreren Waben, in welchen aber noch kein einziges Ei gelegt wurde. Da vom Leben exotischer Wespen kaum etwas bekannt ist, so lässt sich keine Ver- gleichung mit den in anderen Regionen der Tropen lebenden Arten und Gattungen ausführen. Bei Polybia scutellaris wurde ebenso wie bei Nectarinia reichliche Honigablage in den Waben beobachtet. Nach Verf. muss die sowohl anatomisch (große Zahl der Hoden- schläuche) wie biologisch von allen anderen Vespiden abweichende Gattung Vespa einen besonderen Abschnitt der ganzen Gruppe bilden. Ihre Lebensweise, die bis jetzt allein gründlich untersucht wurde, darf keineswegs als Paradigma für das Leben der übrigen Wespen gelten. C. Emery (Bologna). [23] Zur Funktion der Seitenorgane. Eine Beobachtung an chinesischen Zierfischen. Von Dr. Hermann Stahr, Assistent am Anatomischen Institut zu Breslau. Mit der Deutung der Funktion von Sinnesorganen, welche uns selbst als solehe — oder als Analoga — abgehen, betreten wir eines der schwierigsten Gebiete menschlichen Denkens und Forschens. Denn es tritt hier naturgemäß mit seiner überwältigenden Macht der anthro- pozentrische Standpunkt hindernd entgegen als die Subjektivität unserer Begriffe, unserer Vorstellungen, unseres ganzen Denkens. Deshalb müssen denn auch Vermutungen über diese Dinge nur einen sehr be- dingten Wert haben und Phantasien gleichkommen, die sich nicht zu XV. 18 974 Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. der Schärfe bleibender Gestalten verdichten. Diese Unsicherheit muss zunehmen, je weiter jene Wesen, die sich unserer Betrachtung unter- ziehen wollen, in ihrer phylogenetischen Stellung von uns entfernt sind, und es scheint auf den ersten Blick, als ob sie besonders hoch- gradig werden müsste, wenn ihr Leben unter durchaus anderen Be- dingungen steht, wie das unsrige. Indessen das ist grade nicht der Fall. Nach der Erkenntnis der Wirkungen der funktionellen Anpassung, der zweckmäßigen Einrichtungen organisierter Wesen werden uns derart fremde Bedingungen Anhaltspunkte bieten, aus denen viele fremdartige Einrichtungen erklärt werden können. So wird bei Wassertieren im speziellen Falle vor allem zur Er- klärung von Einrichtungen, die bei Lufttieren nicht vorhanden sind, das Medium Wasser heranzuziehen sein. Das ist denn auch von den anatomischen Forschern über die Seitenorgane geschehen und hat be- treffs ihrer Wirkungsweise bereits zu sehr exakten Vorstellungen ge- führt. Nichtsdestoweniger wird jedem — sei es zur Klärung oder auch nur zur Befestigung des vorhandenen Wissens — auch der winzigste Beitrag aus dem Leben der Tiere, welcher einiges Licht bringt, wert- voll genug erscheinen — wenn er sich anders der Schwierigkeit dieser Fragen bewusst bleibt. Grade nun betreffs der Fischklassen sind unsre Kenntnisse aus leicht begreiflichen Gründen sehr lückenhafte, auch über diejenigen Arten, die in der Gefangenschaft gedeihen. Brehm, der klassische Darsteller des Tierlebens, bedauert denn auch, zu Beginn des Bandes „Fische“, wie gering die Ausbeute an Beobachtungen ist bei dem ge- waltigen Formenreichtum der Klasse. Diese Erwägungen und dann die anatomischen Untersuchungen des Gegenstandes, von denen weiter unten die Rede sein wird, haben mich bewogen, diese Zeilen einem größeren Leserkreise mitzuteilen. Im Laufe der letzten zwei Jahre, zum ersten Male im Sommer 1895, hatte ich Gelegenheit ein Pärchen von Polyacanthus (Macropus) viri- diauratus in meinem Zimmeraquarium zu beobachten. Dieser Fisch ist in seiner vorliegenden, in mehreren Spielarten!) auftretenden Ge- stalt, ein Erzeugnis alter chinesischer Züchtung. Erst vor etwa zwanzig Jahren nach Europa verpflanzt, ist er bei Liebhabern schnell heimisch geworden, und mit Recht, denn es wird kein Tierfreund sein in viel- facher Beziehung fesselndes Thun und Treiben unbefriedigt beobachten: 1) Siehe hierüber M. N. Joly, Etudes sur les moers etc. d’un petit poisson chinois du genre Macropode. Memoires de l’Acad. des Sciences, 7me Ser., Tome V, p. 8 (des Separat- Abdruckes). Garbonnier, Trois m&moires ete., Paris 1872 und an anderen Orten. — Eine ganze Reihe von Separatis verdanke ich dem Direktor des hiesigen zool. Institutes, Herrn Prof. Chun, welcher die große Liebenswürdigkeit hatte, mir dieselben, als er meinen Aufsatz gelesen, aus seiner Bibliothek zur Ver- fügung zu stellen, Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. 275 seine ruhigen und geschickten Bewegungen, die besonnene Wahl des Futters, das leichte Gelingen einer sehr weit gehenden Zähmung sind bei seinen Freunden allbekannt und lassen ihn weit intelligenter wie manchen seiner Stammesgenossen — z. B. die Karpfenarten und ihre Verwandten!) — erscheinen; jedenfalls ist die Schärfe seiner Sinne hervorragend. Hierzu kommt, dass er — von Sumpffischen abstam- mend und im Besitze eines besonderen Kiemenhilfsapparates ?) — ohne Schaden den Aufenthalt an der Luft eine Zeit lang verträgt und dass er sich bei reichlicher Fütterung und unter sonst sachgemäßer Pflege in altem, wenig Sauerstoff-haltigem Wasser sehr wohl befindet?); vor allem aber, er schreitet in der Gefangenschaft sehr leicht zur Laichung, eine Eigenschaft, die er meines Wissens nur mit dem Stichling teilt®). Bevor es nun zur Begattung und Laichung kommt, werden von beiden Teilen sogenannte Liebesspiele?) ausgeführt, auf deren erste Phase 4) Ich denke hier vor allem an die allerdings abenteuerlichen, aber nichts weniger wie schönen oder eleganten Zuchtprodukte des Goldfisches: die Teleos- kopfische und Schleierschwänze. Sie bieten mit ihren tölpelhaften Bewegungen weit weniger interessante Züge und schreiten viel seltener zur Fortpflanzung. Dazu sind auch umständliche Vorrichtungen nötig. 2) S. Joly und Carbonnierl. ce. '3) Dieser Umstand lässt einen besonderen Durchlüftungsapparat entbehr- lich, ja nicht einmal ratsam erscheinen, da der Fisch sich in altem, sumpfigem Wasser besonders wohl zu fühlen scheint. Man braucht nur viele Pflanzen, besonders untergetauchte Arten, Licht und eine Zimmertemperatur die nicht unter 12° C hinabgeht. So erhielt ich meine Exemplare in viele Monate altem Wasser und zwar in einem Becken, welches nur 8—10 Liter fasste. 4) Brehm’s Tierleben, II. Aufl, Bd. VIII, S. 84 ff.; Ch. Darwin, Ge- schlechtliche Zuchtwahl in ges. Werke (Carus), 1875, Stuttgart, Bd. II, S. 2 u. S. 12 ff. 5) Von ausgeprägten Liebesspielen bei Fischen finden sich zahlreiche Bei- spiele; ich möchte hier nur auf die der Meer-bewohnenden Labroiden und Ju- liden hinweisen. Bei manchen Arten (ÜUrenilabrus pavo) kommt es ebenfalls zu einem Paarungsspiele, bei dem das Männchen in prachtvollem Hochzeits- kleide das Weibchen mit zitternden Bewegungen der Flossen, besonders des Sehwanzes begleitet und umspielt. (Persönliche Mitteilung von Dr. Schmidt- lein in Leipzig.) Auf die anderen Phasen der Liebesspiele, auf das auch sonst so ver- breitete Jagen und Treiben, und auf das gegenseitige Erfassen mit den scharfen Kiefern und sich Umherzerren, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Letzteres, wobei es zu umfangreichen, jedenfalls schmerzhaften, Verletzungen zu kommen pflegt, hat gleichfalls bei anderen Gattungen seine Analoga. So sagt R. Schmidtlein („Beobachtungen über die Lebensweise einiger Seetiere innerhalb der Aquarien der zoolog. Station“. Abdruck aus den Mitt. der zool. Station zu Neapel, 1878, HeftI): „Die Paarung der Seyllien (Selachier) gleicht wie bei Octopus mehr einem Kampfe als einem Liebesspiele. Das Weibchen wird vom Männchen mit den Zähnen an der Brustflosse ergriffen und nun rollen und balgen sie sich auf dem Sande herum wie im erbitterten Zweikampf“, 198 276 Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. ich die Aufmerksamkeit lenken möchte; und hier hebe ich wiederum besonders hervor: Die Werbungen des Männchens!). Meine Beobach- tungen konnte ich wiederholt und in aller Ruhe anstellen uud zwar an mehreren, verschiedenen Bezugsquellen entstammenden Paaren. Die Spiele finden zur Mittagszeit statt, wenn die Sonnenstrahlen das Becken treffen, stundenlang, und wiederholen sich eine Reihe von Tagen. Bei einem zweiten, im vorigen Frühjahr beobachteten Pärchen dauerten sie wochenlang an. Die Tendenz, die hierbei vor allem in Betracht kommt, ist, wie das Wort Werbung sagt, bekannt und aus- gemacht: es ist die Absicht des hauptsächlich aktiv beteiligten Männ- chens das mehr passive Weibehen zu erregen. Dies geht auch aus der Aufführung bei Darwin hervor. Indess ist als empfangender Sinnesapparat lediglich !das Auge aufgefasst worden, was einer Be- richtigung bedarf. Allerdings steigern sich ja, wenn diese Spiele an- heben, die schon während der ganzen Geschlechtsperiode lebhafteren schönen Farben — vor allem die goldroten Querbänder auf goldig grünen Grunde — zur höchsten Intensität, und während das Weibchen seine unpaaren Flossenräume mehr anlegt und sich im Wasser treiben lässt ?), werden dieselben beim Männchen, welcher stärker entwickelte besitzt, maximal gespreizt: Eine in der Tierreihe häufige Erscheinung, dass das Männchen sein Hochzeitskleid vorführt, mit demselben „para- diert“, wie das ja von den mit schönen Federschmuck gezierten Vogel- arten allgemein bekannt sein dürfte. Offenbar zeigt sich das Männchen in seinem schönsten Lichte dem Auge des Weibehens. Hiermit ist aber bei unserer Art das Gebaren nicht erschöpft: das Männchen vollführt zugleich mit großer Vehemenz ruckförmige Bewegungen, welche auf das Weibchen gerichtet sind, indem es auf dieses losstürmt und dann plötzlich, die kräftigen Brustflossen weit ausspreizend, still hält, ohne das Weibehen etwa zu berühren oder dasselbe auch nur zu streifen. Diese eigenartigen Bewegungen haben häufig etwas Regelmäßiges und kombinieren sich mit einem auf jeden Ruck nach vorwärts folgen- den Zittern in der Art, dass oft ein gewisser Rythmus nicht zu ver- kennen ist. Diese Bewegungen können meiner Ansicht nach von einem aufmerksamen Beobachter nicht übersehen werden. Mit aller Bestimmt- heit aber muss die Ansicht zurückgewiesen werden, dass es sich hier Ganz ähnlich gestaltet sich das Gebaren unserer Makropoden. Könnte diese Erscheinung vielleicht als ein Uebergang dazu aufgefasst werden, dass das Männchen oft das Weibchen tötet? Ich möchte annehmen, dass der mit dem Geschlechtstriieb so eng verknüpfte Trieb zum Kampf mit rivalisierenden Männchen in dieser verkehrten Richtung seinen Weg sucht. 4) Darwin. e.S. 12. 2) Carbonnier, Bullet. Soc. d’Arch., Paris 1869 u. 1870: „— par l’etalage de leurs vives couleurs ils semblaient chercher & attirer l’attention des femelles; lesquelles ne paraissaient indifferentes & ce manege, elles nageaient avec une molle lenteur vers les mäles et semblaient se complaire dans leur voisinage*“. Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. 977 um einen Ausdruck der Unruhe und Aufregung des liebestollen Männ- chens handeln soll. ‘Somit haben Carbonnier undBenecke!) in ihren Schilderungen dies Moment wohl gestreift, aber keine richtige Erklärung beigebracht. Von Wichtigkeit erscheint es, wenn man das sonstige Benehmen des Männchens zum Vergleich heranzieht. Hierdurch wird es gelingen auf das Typische grade dieser, soeben beschriebenen Bewegungen auf- merksam zu werden. Mir ist es nämlich nie geglückt, außerhalb der Laichperiode — oder auch während derselben, wenn ich mir das Männchen separiert hatte — derartiges wahrzunehmen, trotzdem ich es darauf anlegte. Die große Gefräßigkeit unserer, zu den Räubern gehörenden, Art gewährt leicht die Möglichkeit Affekte hervorzurufen und durch Vorhalten und Entziehen von Leckerbissen Unruhe, Wut, Gier, Enttäuschung zu erregen. Bei keinem meiner Exemplare konnte ich dureh diese Eingriffe ähnliche Bewegungen hervorrufen. Ferner bietet das Betragen des Weibchens, welches sonst — d. h. wenn man die angenommene Tendenz nicht gelten lässt — unverständ- lich bleibt, einen Fingerzeig: Die oben hervorgehobene Passivität bei dieser Phase des Liebesspieles ist nämlich keine ununterbrochene; bis- weilen beteiligt es sich, die Liebkosungen erwiedernd, eine Zeit lang mit Lebhaftigkeit, um sich aber bald wieder gleichsam empfangend dahingleiten zu lassen. Diese beiden Punkte kommen zur Deutung des eigentlichen Charak- ters der Bewegungen wesentlich in Betracht, und ich meine, wir müssen bei der Werbung ein zweites Moment — parallel und gleichzeitig — neben der Einwirkung auf das Auge durch Farbenpracht und Flossen- spreitzen, annehmen, nämlich die Erregung eines dem Tastsinne ver- wandten Empfangsapparates. Ich sehe also in diesem zweiten Moment dieselbe zweckvolle Bezugnahme auf einen anderen Sinnesapparat, dieselbe Tendenz, das Gefallen des Weibehens und die Geschlechtslust zu erregen. Wenn wir auf diese Weise einen vom Männchen 'aus- gehenden Reiz annehmen, so muss auf der andern Seite für diese gewissermaßen indirekte Berührung durch den Wasserdruck und an- streifende Wellen ein zarter Gefühlsapparat beim Weibchen vorhanden sein. Es erhält auf diese Weise auch Mitteilung von den kraftvollen Bewegungen des Männchens, was jedenfalls für die Art einen Vorteil darstellen muss. Beispiele aber dafür, dass Sinnesorgane in das Ge- schlechtsleben einbezogen werden, lassen sich ja, wenn wir die Tier- reihen überschauen, für jedes einzelne Sinnesorgan leicht heranziehen. Bei Makropoden finden sich nun Tastapparate nur an den Lippen und ihren Anhanggebilden?); ich nahm deshalb an, dass die Fische 4) Benecke’s Beschreibung siehe Brehm’s Tierleben 1. e. S. 148—150. 2) Bei dem nahe verwandten Regenbogenfisch meint P. Carbonnier (Paris 1876: „Nidification du poisson arc-en-ciel de l’Inde“) die langen Flossen- 278 Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. auf der übrigen Körperhaut eine sehr fein ausgebildete Sensibilität für Wasserdruck und -Bewegungen haben müssten und erklärte mir auf diese Weise die zweckvollen Wellen-erregenden Stöße des Männchens. Ich hätte aber diese Auffassung nicht für wert gehalten, den Gegenstand einer Mitteilung zu bilden, wäre mir nicht, nachdem meine Makropoden, wie mir aus Berlin mitgeteilt wird, bereits anscheinend einem bösartigen Ektoparasiten zum Opfer gefallen sind, die Arbeit von F. E. Schulze!) in die Hände gekommen. Einem ganz anderen Gedankengange folgend, nämlich beim Studium der anatomischen Ein- richtung niederer Sinnesorgane, stieß ich auf diese, auch für die vor- liegende Frage wiehtige Arbeit. Hier beschreibt der Verfasser den histologischen Bau der „Nervenhügel“ in der Seitenlinie der Fische und geht dann dazu über, ein sehr präcises Bild ihrer wahrschein- lichen Wirksamkeit zu geben. Aber er geht nicht nur deduzierend vom histologischen Baue aus, sondern das Leben der Fische wird nach eigner Erfahrung zur Klärung der Frage herangezogen: Nach ihm findet bei den meisten Fischen, bestimmte Arten natürlich ausgenom-. men, für gewöhnlich keine Berührung mit der Körperoberfläche statt, was jeder bestätigen kann, der sich Fische gehalten hat. Jede Be- rührung wird geradezu gemieden. Neben dieser Thatsache wird be- sonders Gewicht darauf gelegt, dass es nur im Wasser lebende Tiere sind, denen diese Organe zukommen. So kommt er zu dem Schluss, dass die Seitenorgane „speziell für den Wasseraufenthalt eingerichtete Sinnesapparate darstellen, geeignet zur Wahrnehmung von Massen- bewegungen des Wassers gegen den Fischkörper oder dieses gegen die umgebende Flüssigkeit, sowie von groben durch das Wasser fort- geleiteten Stoßwellen mit längerer Schwingungsdauer, als sie den das Gehörorgan affizierenden Wellen zukommt. Dann geht Verfasser noch auf die Bedeutung eines solchen eigentümlichen Tastapparates weiter ein, indem er auf die mannigfachen Gelegenheiten hinweist, bei welchen er in Wirksamkeit tritt. Und hier ist es, wo meine Beobachtung und die oben gegebene Deutung ihre Stelle findet: Neben der Fähigkeit sich von seiner eigenen Lageveränderung, von der Nähe fester Gegen- stände, der Wasseroberfläche, der Wassertiefe, und dem Vorbeifließen von Strömungen unterrichten zu können, weist er auf die Wichtigkeit hin, die es haben muss „wenn auch wellenförmig sich fortpflanzende stoßartige Bewegungen auf größere Entfernungen hin zur Wahrnehmung gelangen, wenn z. B. ein Fisch von den stoßartigen Bewegungen eines filamente als Tastorgane in Anspruch nehmen zu können. Es heißt daselbst S. 6: diese scheinen zu sein „de vrais conducteurs sympathiques, qui transmet- tent les sensations d’un poisson & l’autre*. 1) Franz Eilhard Schulze, „Ueber die Sinnesorgane der Seitenlinie bei Fischen und Amphibienlarven. Arch. f. mikrosk. Anatomie, 1870, Bd. VI, S. 62 ff. Ueber die Funktion S. 30—86 (mit 3 Tafeln). Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. 279 anderen, von deren Richtung, quantitativen und qualitativen Eigentüm- lichkeit Kunde erhält“. Als ich diesen Passus las, konnte es für mich keinem Zweifel mehr unterliegen, dass meine Beobachtung an Macropus sich auf diese Sinnes- organe bezieht. Ich hatte diese hier abgeleiteten Dinge in einem ein- zelnen Falle ihrer Anwendung gesehen. Diese von mir gesehene Korrespondenz zweier Individuen mit Hilfe des Sinnesapparates der Seitenlinie bildet auch wiederum eine Bestätigung für die Richtigkeit der scharfsinnigen Deduktionen des verdienten Forschers. Andererseits ist es klar, dass ich in bezug auf die zu Grunde liegenden anatomischen Einriehtungen geirrt hatte, da ich sensible Nervenendigungen in weiter Verbreitung voraussetzte, welche die Empfindung vermitteln sollten; von einem sensorischen Apparate, der hier vorhanden ist, wusste ich nichts. Nach alledem stellen aber diese Sinnesorgane den von mir postulierten Empfangsapparat dar. Auf den interessanten histologischen Bau der Seitenorgane einzu- gehen, habe ich keine Veranlassung, da ich eigne Untersuchungen nicht aufzuweisen habe. Wem das Archiv für mikrosk. Anatomie nicht zugänglich ist, der findet diese Dinge in den weit verbreiteten Lehr- büchern der Zoologie und vergleichenden Anatomie !), beschrieben und abgebildet. Nur darauf möchte ich doch nicht unterlassen hinzuweisen, dass neuere Untersuchungen ?) auch hier dasselbe Verhältnis zwischen Nervenenden und „Sinneszellen“ nachgewiesen haben, wie ein solches jetzt in den Geschmacksknospen, bei den Hörzellen und den Sinnes- zellen der Netzhaut angenommen wird, nämlich eine Kontiguität der Elemente, keine Kontinuität, wie man früher gesehen zu haben meinte). Schulze schließt seine Arbeit mit dem Hinweis, dass die experi- mentell- physiologische Forschung „diese Auffassung, welche aus der Betrachtung der anatomischen Verhältnisse sich aufdrängt“ weiter 1) Mir liegen im Augenblicke vor: Robert Wiedersheim, Grundriss der vergl. Anatomie der Wirbeltiere, Jena 1888, II. Aufl., S. 191—194 (mit Abbildungen). C. Claus, Lehrbuch der Zoologie, V. Aufl, 1891, 8. 742 —743. C. Gegenbaur, Grundriss der vergl. Anatomie, Leipzig 1874, S. 546 (nur erwähnt). 2) G. Retzius, Biologische Untersuchungen, N. F., IV, 1892. 3) Von neneren Arbeiten über Anatomie und Entwicklung der Seitenlinien sind vor allem zu nennen: Edward Ph. Allis jr., The Anatomy and Development of the Lateral Line System in Amia Calva, Journ. of Morphol., Vol. II, Nr. 3, Boston 1889 (mit Litteraturangabe). W. E. Ritter, On the eyes, the integumentary sense papillae ete., Cam- bridge U. S. A. 1893 (mit Litteraturverzeichnis). A. Goggs, Les vesicules de Savi et les organes de la ligne ‚laterale chez les torpilles Arch. ital. d. Biol., Turin 1891. 280 Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. prüfen und ergänzen möchte. Es ist aber klar ersichtlich, dass sich dieser Forderung ungeheure technische Schwierigkeiten entgegenstellen, die sich bei der Aufstellung einer Versuchsanordnung ergeben. Deshalb ist es denn auch ein frommer Wunsch '!) geblieben, dass sich jemand 1) Dies ist nicht ganz richtig, denn in den letztvergangenen Jahren haben sich zwei Forscher an die Lösung dieser Frage durch das Experiment gemacht Der erste ist W. Nagel, welcher in seiner schönen Arbeit (Bibliotheca Zoo- logiea, Bd. VII, p. 191, 1894—1896) auf die Seitenorgane zu sprechen kommt. Er durchschnitt den N. lateralis und erhielt folgendes Ergebnis: Bei einseitiger Zerstörung „zuweilen leichte Störungen der Orientierung im Raume und der Koordination der Bewegungen“ (Schuppfisch). Irgend welche weiter- gehende Schwimmstörungen traten in anderen Fällen nicht ein, auch nicht nach beiderseitiger (Barbus fluviatilis) erfolgreicher Durchschneidung. (Sektion des völlig gesunden Tieres am 50. Tage nach der Operation stellte dies fest.) Diese Angaben stehen einigermaßen in Widerspruch mit denen des zweiten Experimentators, Jules Richard (Sur les fonctions de la ligne laterale du eyprin dore. Compt. rend. d. seane.: d. l. Soc. d. Biol, 1er fevr. 1896). Es wurden hier die Seitenlinien mit dem Galvanokauter, 'Thermokauter oder Argentum-Stift gebrannt und das Gebaren der totkranken Fische — sie starben sämtlich nach einiger Zeit, wenn auch einer noch 28 Tage am Leben blieb — für eine Folge der Eliminierung der Seitenorgane gehalten. Es fehlen bei Richard vor allem Kontrolversuche, es hätte nachgewiesen werden müssen, in welcher Hinsicht sich das Verhalten der Versuchstiere gegenüber anderen sterbenden Fischen, vor Hunger erschöpften oder anderweitig verletzten, aus- zeichnet. „Ces experiences, schließt Richard, montrent une relation bien nette entre la ligne laterale et les fonetions de la vessie natatoire. On peut, je pense, les expliquer en admettant avec d’autres, que la ligne laterale est le point de depart sensitif du reflexe qui amene les variations de quantit& du gaz de la vessie pour permettre & l’animal de se maintenir. — — — Si le point de de&part sensitif est detruit, l’animal ne modifie plus la quantit& de gaz et si celle-ci est ä ce moment trop petite ou trop grande le poisson tombe au fond ou est au contraire entraine ä la surface, involontairement. — — —* Der Forscher hätte, wie gesagt, das Besondere hervorheben müssen, worin sich Tiere mit zerstörter Seitenlinie von solchen unterscheiden, die auf andre Weise geschädigt sind. Ich kann hier eine Stelle aus Schmidtlein’s Be- obachtungen an Fischen dagegen stellen. Folgendes sind die Symptome, unter denen ein sich schlecht gefangen haltender Haifisch (Mustelus laevis) verendete: „Zunehmende Unsicherheit der Bewegungen, öfteres Zubodenfallen und schweres krampfhaftes Atmen, unruhiges Umhertanzen in senkrechter Haltung mit der Schnauze über dem Wasserspiegel sind die Symptome des herannahenden Todes“. (Wahrscheinlich sind es nach Schmidtlein Hautwunden, welchen die Tiere erliegen, übrigens auch innerhalb 14 Tagen.) Den Selachiern fehlt aber eine Schwimmblase überhaupt, weshalb Richard’s Auffassung — selbst bei andersartigem Experimentieren — abzuweisen ist (mündlicher Hinweis des Herrn Prof. Chun). Dass unter anderem bei Fischen mit Schwimmblasen dieses Organ mit den Seitenlinien in Connex steht, ist ja a priori anznnehmen. Stahr, Zur Funktion der Seitenorgane. 281 von der physiologischen Seite her mit der Sache beschäftigen sollte, so dankbar auch die Aufgabe in bezug auf das Resultat erscheinen mag. Ebenso hat schon Leydig!) sich in diesem Sinne geäußert. Er ist es, dem wir die Entdeckung verdanken, dass es sich in den so- genannten „Schleimkanälen“ der Fische um Sinneswerkzeuge handelt, für die dieser Forscher einen sechsten Sinn in Anspruch nehmen wollte. Als Organe eines solchen wirft er noch die becherförmigen Gebilde (Nr. 5) Schwalbe’s Schmeckbecher analog gebauten] mit jenen von F. E. Schulze näher untersuchten, durch Gallertröhren ausge- zeichneten (Nr. 2) zusammen. Betreffs der Qualität der Empfindung für den sechsten Sinn herrsche, wie er meint, nach seinen letzten Untersuchungen „dasselbe Dunkel wie früher“. Zu vermuten sei allerdings, dass dieser Sinn vorzugs- weise für den Aufenthalt im Wasser berechnet sei und dass er sich am nächsten dem Tastsinn anschließe. Dann spricht er wieder von der Möglichkeit, dass chemische Einrichtungen perzipiert würden, — wofür wir eben mit den meisten Forschern die knospenförmigen Ge- bilde in Anspruch nehmen wollen. Diese Auffassungen berührt Leydig aber nur sehr beiläufig und überlässt anderen diese noch sehr schwanke Frage, indem er wiederholt, was er schon früher ausgesprochen, nämlich den Wunsch: „es möchten doch die fraglichen Organe auch den Anteil eines Physiologen, welcher in feinerer Art zu experimen- tieren versteht, erregen, so dass wir jener Seite eine Aufklärung über die Qualität des Sinnes zu verdanken bald die Veranlassung hätten“. In diesen Worten liegt aber neben dem Wunsche diese Frage von einem anderen Ausgange aus, als dem morphologischer Unter- suchung, beleuchtet zu sehen, das Zugeständnis, dass er selbst nicht absehen konnte, wie man hier experimentell anzugreifen habe. Daran hat jedenfalls keiner gedacht, dass man von den Fischen selbst, durch bloßes Zusehen, ohne ein Variieren irgendwelcher Be- dingungen eine Antwort erhalten könnte. Um die beschriebenen Be- wegungen aber in ihrer Eigenart zu beobachten, gilt es grade, die Tiere möglichst in Ruhe zu lassen, sie ohne jeden Eingriff, unter den natürlichsten Bedingungen mit sich selbst beschäftigt, anzutreffen. Es ist meine Absicht gewesen, in diesen Zeilen gewisse sehr auf- fällige und bisher in ihrem Wesen unerklärte Lebensäußerungen bei Fischen auf die Funktion der Nervenhügel der Seitenorgane zu be- ziehen. So zwingend mir dieser Schluss erscheint, so zweifle ich nicht, dass manchen meine Darstellung wenig befriedigen und dass er meine Deutung willkürlich finden könnte. Dies möchte aber nur der- jenige sein, welcher das Treiben der besprochenen Art in seiner Präg- nanz noch nicht wahrgenommen hat. 1) „Ueber das Organ eines sechsten Sinnes“. Dresden 1868. 282 Baer, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke bei Vögeln. Interessant wäre es natürlich, wollten nun, nachdem sich mir zu- fällig eine derartige Erscheinung geboten, Forscher, die z. B. Fisch- zucht treibenden Anstalten oder Aquarien näher stehen, das Leben auch anderer Arten in der bestimmten Richtung während und außer- halb der Paarungszeit beobachten und nachsehen, ob analoge Be- ziehungen vorkommen. [33] Breslau, den 16. Dezember 1896. Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke bei Vögeln. Scheinbar angeregt durch meine Dissertation „Beiträge zur Ana- tomie und Physiologie der Atemwerkzeuge bei Vögeln“ hat v. Lenden- feld in Bd. XVI Nr. 21 dieser Zeitschrift eine Arbeit über die physio- logische Bedeutung der Lufträume bei den fliegenden Tieren veröffent- licht, worin er in Erwägung zieht, ob die Lufträume der Vögel und Insekten 1. ausschließliche accessorische Atmungsorgane oder Atmungs- hilfsorgane, 2. ausschließliche Bewegungs- (Gleichgewichtserhaltungs- oder das spezifische Gewicht regulierende) Organe seien oder ob sie 3. beide Funktionen zugleich verrichten. Dabei kommt er zu einem Schlusse, welcher von der von mir vertretenen Anschauung wesentlich abweicht, dass nämlich die Luftsäcke namentlich bei den Vögeln die Atmungsthätigkeit zwar einigermaßen unterstützen, dass aber deren „Hauptzweck doch ein mechanischer, das spezifische Gewicht des ganzen Tieres herabsetzender, das spezifische Gewicht und die Größe seiner Teile sowie die Lage des Schwerpunktes regulierender“ sei. Ganz abgesehen davon, dass es bis jetzt keinem einzigen von den Vielen, die sich mit der physiologischen Bedeutung der Luftsäcke be- fasst haben, und mir zu allerletzt eingefallen ist, dieselben ausschließ- lich als Atmungsorgane anzusprechen, was aus Abs. 1 S. 76 meiner Dissertation klar hervorgehen dürfte!), — ist nach meiner Ansicht eine derartige Abstufung bezüglich der Wichtigkeit der verschiedenen Funktionen eines Organs durchaus unwissenschaftlich gedacht. Denn angenommen zunächst die Ansichten Lendenfeld’s wären richtig — so wären dennoch die Luftsäcke ebenso unentbehrlich für die normale Atmung wie für das Fliegen notwendig. Mit gleichem Rechte könnte man ja auch die Frage aufwerfen, ob die Harnröhre der männlichen Säuger wichtiger sei, für die Aus- fuhr der Produkte der Harnorgane oder der Geschlechtsorgane! Nun ist aber die das spezifische Gewicht herabsetzende Wirkung der Luftsäcke eine längst abgethane Sache. Es wird allgemein an- erkannt, dass durch die Anwesenheit der Luftsäcke im Vogelkörper 1) Ich sagte dort: „Ueber die Bedeutung des pneumatischen Apparates für die Verminderung des Gesamtgewichtes und dessen sonstige Beziehungen zur Flugbewegung etc. ist kaum etwas Neues zu sagen“. Baer, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke bei Vögeln. 285 dessen äußere Oberfläche eine Vergrößerung erfährt ohne entsprechend an Gewicht zuzunehmen; auch ist der Inhalt der Luftsäcke höher temperiert und folglich leichter als die Außenluft. Aber diese Gewichts- verminderung ist eine geringe und die Flugfähigkeit ist davon sicher- lich unabhängig. Denn wie sollte man sich — um zu einem alten Beispiele zu greifen — diese Wirkung der Luftsäcke vorstellen, bei einem Sperling, der sich den Kropf mit Körnern gefüllt hat oder gar bei einem Adler der ein Lamm in die Lüfte emporträgt, das schwerer ist als er selbst? Was aber die Unterstützung der Gleichgewichtserhaltung (Ver- lagerung des Schwerpunktes) durch Veränderung der Füllungsgrade der verschiedenen Luftsäcke während des Schwebens betrifft, worauf v. Lendenfeld das Hauptgewicht legt, so hat genannter Forscher zu- nächst ganz außer Acht gelassen, dass für diesen Fall — wie ich dies zuerst gethan habe — angenommen werden müsste, dass während des Fluges eigentliche Atembewegungen gar nicht ausgeführt werden sondern der Brustkorb inspiratorisch festgestellt bleibt. Denn da eine regelmäßige Atmung, wie wir sie am ruhenden Vogel beobachten ohne fortwährende Verengerung und Erweiterung der Luftsäcke schlechter- dings unmöglich ist, so müsste — wollte man die v. Lendenfeld’sche Ansicht gelten lassen — der schwebende Vogel mit jedem Atemzuge seine Stellung ändern. Allein selbst unter dieser Voraussetzung haben die Annahmen v. Lendenfeld’s kaum eine Berechtigung. Es ist zu- nächst mehr als unwahrscheinlich, dass der schwebende oder fliegende Vogel im Stande ist durch Kontraktion seiner Körpermuskeln die Luft- säcke einzeln zusammenzuziehen oder auszudehnen. Der Vogel kann alle Luftsäcke gleichzeitig erweitern oder zusammenziehen, hat es aber nicht in seiner Gewalt, die Luft aus einem Luftsack in einen andern hineinzupressen, jenen zu verkleinern, diesen aufzublähen. Geradezu undenkbar wäre eine derartige Verschiebung der Luft aus Luftsäcken der rechten Körperhälfte nach den der linken oder um- gekehrt. Außerdem würde diese willkürliche Zusammenziehung der Körper- muskulatur nur mit unverhältnismäßig hohem Kraftaufwand erreicht und der Effekt wäre ein äußerst minimaler. Die geringste Aenderung der Kopf- bezüglich Hals- und Schwanzhaltung oder der Flügelstel- lung — und die gleiche Wirkung ist leichter und rascher hervorge- bracht, besonders wenn es sich um richtige Ausnützung der Windkraft handelt. Luftsäcke des Kopfes, von denen v. Lendenfeld spricht, giebt es nicht; es giebt hier wohl lufthaltige Knochen, allein diese stellen durchaus nichts dem Vogel allein zukommendes dar, sind vielmehr vollkommen identisch mit den Luft enthaltenden Knochen (Nasen- nebenhöhlen u. s. w.) der Säuger, wenn auch bei Vögeln viel voll- 984 Baer, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke bei Vögeln. mw kommener. Stärker als z. B. beim Condor sind sie übrigens bei Eulen ausgebildet. Um nun zur Bedeutung der Luftsäcke für die Atmung — nach v. Lendenfeld deren Nebenfunktion — überzugehen, so vertrete ich die Ansicht, dass die Luftsäcke den mechanischen Teil der Atmung d. h. die Ventilation des äußerst blutreichen, an sich aber kaum einer Volumsveränderung fähigen Lungengewebes besorgen und zwar in aus- gezeichneter Weise, indem sie sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausatmung große Menge verhältnismäßig sauerstoffreicher Luft an den Lungenkapillaren vorbeijagen. Hiegegen wendet v. Lendenfeld ein, dass „die anatomischen Verhältnisse nicht für die Richtigkeit meiner Auffassungen sprächen. Wenn das die einzige oder hauptsächliche Funktion der Luftsäcke wäre, so müsste man jedenfalls erwarten, Ein- richtungen anzutreffen, welche bewirkten, dass die ganze Luft der Luftsäcke oder doch der größte Teil derselben den eigentlich respira- torischen Teil des Atmungssystemes passierte“. Jedermann, der nun aber meine Abhandlung aufmerksam gelesen hat, wird mir darin beistimmen, dass die darin vertretene Atemtheorie auch anatomisch durchaus begründet ist. Gerade die im Verhältnis zu den Lungen außerordentliche Größe der Luftsäcke ist es, welche bedingt, dass auch bei der Ausatmung große sauerstoffreiche Luftmengen die Lungen passieren. Bei der ex- spiratorischen Verengerung der Luftsäcke werden große Luftquantitäten zunächst in den Hauptbronchus eingepresst, der seinerseits wieder siebartig durchlöchert ist von zahlreichen weiten (nicht „engen“ wie v. Lendenfeld meint) Bronchialabzweigungen der Lungen. In diese muss nun die unter hohem Drucke stehende Luft eindringen; dies wird ihr aber um so leichter als die Alveolarräume und Lungenpfeifen be- nachbarter Lungenteile häufig mit einander in offener Verbindung stehen, so dass die Luft überall frei durchstreichen kann. Vollkommen überflüssig sind unter diesen Umständen „Einrich- tungen, welche bewirkten, dass die ganze Luft der Luftsäcke“ ete, die Lungen passierten. Oder sollte man nicht auch erwarten, dass sich in der Säugerlunge (bezüglich dem Blute) Einrichtungen fänden, welche bewirkten, dass sämtlicher Sauerstoff der Atemluft aufgebraucht würde, während wir doch wissen, dass bloß etwa ein Fünftel desselben gebraucht wird? An dieser Stelle dürfen die neuerdings veröffentlichten Versuche von Siefert!) nicht unerwähnt bleiben, durch welche festgestellt wurde, dass Tauben auch nach Zerstörung sämtlicher erreichbarer Luftsäcke und des Zwerehfells weiter zu atmen im Stande sind. Hie- durch glaubt Siefert einwandsfrei bewiesen zu haben, dass „weder 1) Ueber die Atmung der Reptilien und Vögel von Ernst Siefert. Bonn 1896. Separat-Abdruck aus dem „Archiv f. d. ges. Physiologie“, Bd. 64. Baer, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke bei Vögeln. 285 die Luftsäcke noch das sog. Diaphragma“ nötig seien, um den Luft- wechsel in den Lungen zu unterhalten. Abgesehen von der Zerstörung des Zwerchfells habe ich die gleichen Versuche wie Siefert angestellt (bereits Ende 1894; meine Arbeit wurde im April 1895 abgeschlossen) und dabei auch wesentlich die gleichen Ergebnisse erreicht. Zugleich konnte ieh — nebenbei bemerkt — feststellen, dass dadurch (nach Vernähung der zur Opera- tion notwendigen Bauchwunde) das Flugvermögen meiner Versuchstiere nicht im Geringsten beeinflusst wurde. Allein auch diese Befunde entkräftigen meine Annahmen keines- wegs weil 1. alle Luftsäcke überhaupt nicht zerstört werden können und 2. die Zerstörung der erreichbaren Luftsäcke hochgradige Atemnot ja Erstickungsgefahr mit sich bringt. Siefert führt diese Atemnot auf den Ausfall der „abdominalen“ Exspirationsmuskeln zurück, eine Ansicht die um so weniger Berechtigung verdient, als ich beobachtet habe, dass schon die bloße Eröffnung eines Luftsackes bei vollkommen intakter Bauchdeeke oder die Anbohrung eines lufthaltigen Extremi- tätenknochens eine nicht unwesentliche Steigerung in der Zahl und Tiefe der Atemzüge bedingt, die wieder schwindet, sobald die künst- liche Oeffnung verschlossen wird. Gerade aus diesen Versuchen glaubte ich mieh (und glaube mich noch) berechtigt, Schlüsse auf die Unent- behrlichkeit der Luftsäcke für die normale Atmung zu ziehen. Man muss einen solchen Versuch mit angesehen haben, um sich einen Begriff davon machen zu können, wie dieses „Weiteratmen“ ge- schieht. In der dureh diese Manipulationen hervorgerufenen äußersten Atemnot wird der Thorax in einer Weise erweitert, wie dies eben bloß in der höchsten Dyspno@, nie aber bei normaler Atmung geschieht; dazu kommt, dass nun die Lungen außer durch die Trachea auch noch durch etwa 6 weite Oeffnungen Luft schöpfen. Ein derartiges Atmen ist aber durchaus pathologisch und kann uns über physiologische Vorgänge keinen oder nur beschränkten Aufschluss geben. Meines Erachtens sind die Luftsäcke der Vögel für die Durch- lüftung der Lungen, ganz besonders für den Atemmechanismus während des Fluges unentbehrlich, ohne dass ich deren anderweitige Bedeu- tung für den Vogel bestreiten will. In den vorstehenden Erörterungen habe ich die Lufträume der Insekten ganz außer Acht gelassen, denn wenn ich auch in meiner Dissertation auf gewissen Aehnlichkeiten zwischen den Luftsäcken der Vögel und dem Tracheensystem der Insekten aufmerksam gemacht habe, so betrachte ich beide doch als zwei grundverschiedene Ein- richtungen und würde mir nie einfallen lassen — wie dies v. Lenden- feld thut — Condor und Libelle in einer Klammer zu vereinigen. M. Baer (Tübingen). [31] 256 Lauterborn, Bau, Kermteilung und Bewegung der Diatomeen. R. Lauterborn, Untersuchungen über Bau, Kernteilung und Bewegung der Diatomeen. Leipzig (W. Engelmann). 1896. 165 S. mit 10 Taf. Preis 30 Mk. Ihrer Zierlichkeit und Formenschönheit wegen sind die Diatomeen seit langem beliebte Studienobjekte. Aber obgleich die äußere Skulptur der Schalen bis aufs genaueste untersucht worden ist, hat damit die Kenntnis vom inneren Bau dieser interessanten Pflanzen nicht Schritt ge- halten. So kommt es denn, dass wir über viele Einzelheiten der inneren Struktur noch wenig unterrichtet sind, ebenso wenig wie es zur Zeit mög- lich ist, eine endgiltige Erklärung zu geben, wie ihre Bewegung erfolgt. Wenn deshalb Lauterborn die Diatomeen zum Objekt seiner Stu- dien machte, so standen von vornherein hier allerlei Entdeckungen zu erwarten. Diese Hoffnungen erfüllt das vorliegende Buch. In ihm sind so vielerlei neue Beobachtungen und Gesichtspunkte enthalten, dass in der gegenwärtigen Besprechung nur wenige wichtigere Fakta hervorgehoben werden können. Obwohl es nur in der Absicht des Verf. lag, den Plasmaleib zu untersuchen, wurde er doch unwillkürlich auf Beobachtungen gedrängt, welche sich mit dem Kieselpanzer befassten. Für die Erklärung der Be- wegung ist der Bau der sogenannten Raphe wichtig. Verf. konnte sich nicht mit Sicherheit überzeugen, dass der Raphekanal bei Pinnularia nach innen mit einer Membran geschlossen ist. Die Riefen bei derselben Gattung sind mit Plasma erfüllte Kammerhöhlungen. Verf. vermutet, dass das auskleidende Plasma wie Klammern wirke, um die beiden Schalen- hälften zusammenzuhalten. Ein ausführliches Kapitel wird dem Protoplasma und seinen Ein- schlüssen gewidmet. Die Struktur des Plasmas ist wabig, häufig ordnen sich die Waben zu Längsreihen an, zwischen denen sehr feine Fäden die Querverbindungen herstellen. Bei größeren Formen kamen auch Fäden zur Beobachtung, die entweder fast einzeln liegen oder ein dichtes Flecht- werk bilden. Diese fädige Struktur tritt nur bei wenigen Fixierungs- mitteln hervor und verschwindet im Leben unter ungünstigen äußeren Verhältnissen sofort. Ueber die Form und Lage der Chromatophoren und Pyrenoide macht Verf. ebenfalls interessante Mitteilungen. An Inhalts- stoffen sind noch fettes Oel und die Bütschli’schen roten Körnchen zu erwähnen. Letztere stellen höchst eigentümliche Gebilde dar, die im übrigen Pflanzenreich vielleicht Analoga besitzen. Verf. möchte sie vor- läufig für Reservestoffe halten. Eine Reihe von Kapiteln sind dem Kern und seiner Struktur in ruhendem und im Teilungszustande gewidmet. Alle Diatomeen besitzen den Kern in der Einzahl; derselbe liegt stets so, dass mindestens 2 Haupt- symmetrieebenen der Schalen ihn schneiden. Der ruhende Kern besteht aus einem netzförmigen Gerüst von Linien, in dessen Knotenpunkten sich das Chromatin in Form kleiner Körnchen findet. Ein Centrosoma ist stets vorhanden und liegt bei Surirella in einer Einbuchtung des ruhen- den Kernes. Die Struktur des umgebenden Plasmas wird erst deutlich strahlig, wenn sich der Kern zur Teilung anschickt. Der Hauptschwer- punkt der Lauterborn’schen Untersuchungen liegt nun auf der Beobach- Lauterborn, Bau, Kernteilung und Bewegung der Diatomeen, 287 tung der Vorgänge, die sich bei der Kernteilung abspielen. Dieselben sind so eigenartig, dass die Untersuchungen dadurch ein Interesse ge- winnen, das weit über die Grenzen der Diatomeenkunde hinausreicht. Die einzelnen Phasen der Teilung bei Survrella calcarata sind in großen Zügen folgende. Es rückt das Centrosom aus der Kernbucht heraus und wird zum Mittelpunkt großer Plasmastrahlungen. Gleichzeitig tritt in der Umgebung des Centrosoms (durch Teilung oder Knospung aus ihm hervorgehend) als zuerst kleines blasses Kügelchen die Central- spindel auf. Dieses Kügelchen vergrößert sich und rückt an den Kern heran, der nun seinerseits Veränderungen zu zeigen beginnt. Es beginnt sich aus dem Gerüstwerk allmählich die Knäuelfigur zu bilden. Die Centralspindel verändert ihre Gestalt in außerordentlich verwickelter Weise. Das Plasma fließt mit dem Kern nach dem breiten Zellende hin ab, indem gleichzeitig die Umlagerung im Kerne weiter fortschreitet. Die Öentral- spindel hat indessen die Form eines niedrigen, sich vom Plasma sehr scharf absetzenden Cylinders angenommen. Das Knäuelwerk des Kernes segmentiert sich in schleifenförmige Abschnitte und das Centrosom ver- schwindet. Die Rolle der Centrosomen übernehmen 2 kleine kuglige An- sammlungen, welche sich an den Polen der Oentralspindel befinden. Es beginnt nun die Einwanderung der Centralspindel in den Kern und die Längsspaltung der Chromosomen. Wenn die Centralspindel sich in der Mitte des Kerns befindet, so ordnen sich allmählich die Chromosomen im Aequator der Spindel an. Es erfolgt dann das Auftreten der äquatorischen Trennungslinie und das Wandern der Chromosomen nach dem Polen der Spindel. Wenn dann die Trennung der Kernspindel vor sich gegangen ist, rücken die Toochterkerne auseinander und beginnen sich zu rekon- struieren. Auf diese Vorgänge, sowie auf die Veränderungen, welche während der Teilung im Plasma vor sich gehen, sei hier nur hingewiesen. Merkwürdig ist vor allen Dingen die Bildung der Centralspindel aus dem Centrosom, ihr Einwandern in den Kern und die Bildung neuer Centro- somen an ihren Polen. Verf. vergleicht diese bemerkenswerten Vorgänge mit analogen aus dem Tierreich. Endlich geht Verf. ausführlich auf die Diskussion der Bewegungs- erscheinungen ein. Hier werden folgende Beobachtungen mitgeteilt resp. ergänzt. Pinnularia zeigt sich in Tuscheemulsion von einem hellen Gallerthof umgeben. Die kleinen Tuschekörnchen werden nun in der Richtung der Raphe auf den Schalenseiten verschoben, wobei sie eine ganz bestimmte Bahn beschrieben (siehe die Figuren der Taf. X). Nach dem hinteren Ende der Zelle schleppt ein Gallertfaden nach, wie sich an der Anhäufung der Tuschekörnchen erkennen lässt. Mit Hilfe dieses Gallertfadens wird nun die Bewegung so erklärt, dass durch das ruck- weise Hervorstoßen desselben die Zelle eine Bewegung nach vorn erhalte. O. Müller dagegen erklärt das Zustandekommen der Bewegung ausschließ- lich aus Plasmaströmen, die in der Richtung der Raphe in höchst eigen- artiger Weise verlaufen sollen. Verf. diskutiert seine und die Müller’sche Anschauung ausführlich. Eine definitive Entscheidung, welche von beiden Theorien der Wahrheit entspricht, ist nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse unmöglich zu geben. Verf. spricht auch am Schlusse des- halb die Hoffnung aus, dass die entscheidenden Untersuchungen bald folgen möchten, 385 Apäthy, Die Mikrotechnik der tierischen Morphologie. Wenn es auch nur möglich war, in groben Zügen den Inhalt des sehr fesselnd und interessant geschriebenen Buches zu zeichnen, so sei hier ausdrücklich auch auf die Tafeln hingewiesen. Dieselben zeigen in vorzüglicher lithographischer Wiedergabe eine ungeheure Menge von Einzel- heiten. Grade weil die einzelnen Vorgänge sich so schwer in Worten ausdrücken lassen, war eine große Menge von Figuren erforderlich. Jeden- falls wird die Arbeit für spätere Forschungen außerordentlich anregend und befruchtend wirken. Lindau (Berlin). [51] St. Apäthy, Die Mikrotechnik der tierischen Morphologie. Eine kritische Darstellung der mikroskopischen Unter- suchungsmethoden. Erste Abteilung. 8. 320 Stn. 40 Abb. Braunschweig. Harald Bruhn. 1896. Das vorliegende Werk, dessen erste Abteilung bisher im Buchhandel er- schienen ist, giebt eine kritische Uebersicht über die heute gebräuchliche Mikrotechnik, und zugleich einen historischen Ueberblick über die allmähliche Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden und deren Wichtigkeit für die bisher erlangten Forschungsresultate. Mit Recht hebt der Verfasser hervor, dass heute, wo unsere Mikroskope fast die volle theoretisch mögliche Leistungs- fähigkeit erlangt haben, ein weiterer Fortschritt nur von der Verbesserung unserer Untersuchungsmethoden zu erhoffen sei. Das Werk ist nicht nur für den Zoologen, Histologen und Embryologen bestimmt, sondern jeder, der sich mit biologischen Problemen beschäftigt, wird darin praktische Winke finden, wie er sein Material am vorteilhaftesten ausnutzen kann. Doch vermisst Referent in der ersten Abteilung eine Erwähnung der mikrochemischen Untersuchungs- methoden, deren Vervollkommnung ein dringendes Bedürfnis für die weitere Vermehrung unserer Kenntnis ist. Sehr ausführlich behandelt der Verfasser das schwierige Kapitel der besten Ausnützung der Beleuchtungsapparate, doch dürfte sich für die Sichtbarmachung der feinsten Strukturen (z. B. Waben- strukturen) die Untersuchung in schwach brechenden Medien mit enger Blende, wie sie Bütschli so angelegentlich empfiehlt, besser eignen, als die vom Verfasser vorgeschlagene Untersuchung in stark brechenden Medien bei voller Oeffnung des Beleuchtungsapparates, da ja eine so feine Zeichnung durch Irradiation der Strahlen auf der Netzhaut bei großer Helligkeit des Gesichts- feldes am ehesten sich der Wahrnehmung entziehen wird. Vor allem warnt der Verfasser vor dem Schematismus, der nur nach einer Normalmethode arbeitet, und betont, dass stets eine Kontrole der auf eine Weise gefundenen Resultate stattfinden muss. Die große Zahl der in diesem Buche zum ersten Mal zusammengestellten Kunstgriffe bei der Bearbeitung mikroskopischen Materiales empfiehlt das Werk nicht nur dem Anfänger, sondern jedem, der dem Zusammensuchen des in den einzelnen Fachzeitschriften verstreuten Materiales nicht seine Zeit unnütz opfern will. Hans Friedenthal [48] Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xVIL Band. 15. April 1897. Nr. 8. Inhalt: Müller, Die Ortsbewegung der Bacillariaceen. — Dallinger, Untersuchungen an Biflagellaten. — Ammon, Der Abänderungsspielraum. — Chun, Atlantis, Biologische Studien über pelagische Organismen. Die Ortsbewegung der Bacillariaceen. Von Otto Müller }). R. Lauterborn widmet in seiner soeben, Ende Dezember 1896 erschienenen Arbeit?) einen besonderen Abschnitt der Bewegung, in welchem er meine Arbeiten über denselben Gegenstand einer ausführ- lichen Kritik unterzieht. Zu meinem lebhaften Bedauern verlässt R. Lauterborn dabei an manchen Stellen den Boden ruhiger, sach- licher Erörterung, auf welchem sich unsere Kontroverse über diese interessanten und verwickelten Vorgänge bisher bewegt hatte. Eine wissenschaftliche Diskussion auf das persönliche Gebiet hinüberzuspielen, bringt, meines Erachtens, der Sache keinen Vorteil; ich werde ihm daher auf diesem Wege nur soweit folgen, als zur Zurückweisung per- sönlicher Angriffe durchaus notwendig erscheint. Dagegen sehe ich mich durch die neueste Lauterborn’sche Darstellung veranlasst, unsern beiderseitigen Anteil an dieser Frage ein für alle Mal festzu- stellen und scharf auseinanderzuhalten, sowie mehrfache wesentliche Irrtümer Lauterborn’s, den Sinn meiner Auffassung und den Inhalt meiner Aussprüche betreffend, zu berichtigen. Der weitaus wichtigste Punkt, um den sieh unsere Kontroverse über die Ortsbewegung bisher gedreht hat, war die Frage: 4) Auf besonderen Wunsch des Herrn Verfassers bringen wir diese Ab- handlung zum Abdruck, obgleich dieselbe, wie auch die früheren über den- selben Gegenstand, schon in den Berichten der deutschen botanischen Gesell- schaft erschienen ist. Die Redaktion, 2) Untersuchungen über Bau, Kernteilung, Bewegung der Diatomeen. Leipzig 1896. XVII, 19 290 Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. erfolgt die Ortsbewegung durch Ströme einer zäh- flüssigen Substanz, welche aus der Raphe auf die äußere Zellwand hervortreten und vom vorderen Polausgehend, centralwärtsfließen, nach O. Müller? oder aber erfolgt dieselbe durch zwei flüssige Fäden, welche aus den vorderen Centralknotenöffnungen hervor- schießen, nach R. Lauterborn? So allein kann die Frage gestellt werden, denn ich betone, dass der Bewegungsmechanismus in jedem dieser beiden Fälle ein von Grund aus verschiedener ist, ja, dass einer den anderen ausschließt. In erster Linie war daher festzustellen, welcher von diesen beiden Mechanismen in der Wirklichkeit vorhanden ist und die lokomotorische Wirkung zu leisten vermag und es ist in Hinsicht dieser Wirkung durchaus nebensächlich, ob die Ströme und die Fäden aus Protoplasma oder aus einer schleimigen Gallerte bestehen; letztere Frage hat nur insoweit eine mechanische Bedeutung, als die Reibungscoeffieienten beider Substanzen vermutlich verschieden sind, im übrigen ist sie biologischer Natur. Um diese Frage vorläufig offen zu halten, nenne ich diese, die Ortsbewegung nach meiner Auffassung zunächst veran- lassenden Ströme: primäre Rhapheströme. Nach dieser ersten und wichtigsten Frage: Ströme oder Fäden? werde ich dann die zweite, Plasma oder Gallerte? erörtern. Nachdem Max Schultze 1865 die Vermutung ausgesprochen hatte, dass die Rhaphe die Zellwand durchbricht und das aus ihr hervortretende Plasma die Zelle zu Kriechbewegungen befähigt !), habe ich das mechanische Prinzip der hervortretenden Rhapheströme zuerst 1889 in meiner Arbeit „Durchbrechungen der Zellwand in ihren Be- ziehungen zur Ortsbewegung“?) aufgestellt. Darin beschrieb ich u. a. den Bau der Rhaphe, die Anordnung ihrer Spalten in je zwei, von den Polen zum Centralknoten gerichteten, kapillaren Strombahnen auf jeder Schale, welche in direkte Kommunikation mit Durchbrechungen der Endknoten treten. Ich wies nach, dass das Plasma unter einem hohen Turgordruck steht. In das kapillare System der Rhaphe mit beschleu- nigender Kraft hineingepresst, wird in diesem durch den Widerstand molekularer Kräfte ein Ausgleich der Druckdifferenz zwischen Zell- innern und Rhaphe erzielt, und die aktive Bewegung des Plasmas kann innerhalb der vorgeschriebenen Bahnen regelmäßig von Statten gehen. — In dieser Arbeit sind bereits die mechanischen Eigenschaften der hieraus gefolgerten Bewegungsmaschine und die wesentlichen Grundlagen meiner Bewegungstheorie festgelegt. Mit Bezug auf die Rhapheströme sagte ich, S. 176: 4) Die Bewegung der Diatomeen. Archiv f. mikr. Anat., Bd.I, S. 376. 2) Ber. der deutschen bot. Gesellsch., Bd. VII, S. 169 ff. ‚Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen, 291 „Die Ortsbewegung ist nach meiner Auffassung die Wirkung der an der Oberfläche (der Ströme) zur Geltung kommenden motorischen Kräfte und die Resultante dieser Kräfte ist ihre (der Ortsbewegung) Richtung“. Im Jahre 1896 fügte ich noch einige Ergänzungen hinzu, vorzugs- weise die eigentümliche Propellereinrichtung der Maschine be- treffend, welche den Strom zwingt in Schraubenlinien zu fließen). März 1892, ging von O. Bütschli und R. Lauterborn eine völlig andere Lehre aus?). Diese Autoren brachten Pinnularia nobilis in konzentrierte Tusche- emulsion und beobachteten danach centralwärts gerichtete „Körnchen- strömungen“ in der Nähe der jeweilig vorderen Rhaphebahnen, welche die Tuschekörnchen dem „Knotenpunkte“ der Rhaphe zu- führten. Dort sammelten sie sich zu einem Klümpchen und aus diesem, bezw. dem Knotenpunkte, schoss ruckweise je ein Faden hervor, an dem Tuschekörnchen energisch anklebten. Bütschli und Lauterborn folgerten aus diesen Beobach- tungen, dass „das raketenartige Vorschießen der Fäden auch ohne Befestigung ihrer Enden wohl genüge, um mittels des Rückstoßes an dem umgebenden Wasser, das ruckende Vorwärtsschreiten der Diatomee zu er- klären“. Ferner dass „die Ursache der Diatomeenbewegung demnach auf eine sehr reichliche Erzeugung klebriger Gallerte zurückzuführen sei, welche an den Knotenpunkten der Rhaphe in Gestalt feiner Fäden und mit einer gewissen Kraft hervorschießt“. Ueber eine etwaige mechanische Bedeutung der Körnchen- ströme sagt ihr Bericht nichts aus, die Fäden allein werden als Bewegungsmechanismus in Anspruch genommen. Die Fäden wurden bisher nur bei den großen Pinnularien, major, nobilis, viridis be- obachtet. R. Lauterborn stellte weitere Mitteilungen über diese wichtigen Beobachtungen, welche ich, soweit die Erscheinungen an sich in Betracht kommen, bestätigen konnte, in Aussicht. Nachdem diese Mitteilungen aber nach 1?/, Jahren, Dezember 1893, noch nicht er- schienen waren, veröffentlichte ich meine, in mehreren Beziehungen ergänzenden Beobachtungen und meine abweichende Deutung der 4) Ortsbewegung IV. Mechanik S. 114. Ber, der deutsch. bot. Gesellsch., Bd. ZIV, 814 &ı 2) Verhandl. des naturw. med. Vereins zu Heidelberg, N. F., Bd. IV, März 1892. 19* 999 Müller, Ortsbewegung der Baeillariaceen. Erscheinungen, zu der ich inzwischen gelangt war!). Der Ansicht Bütschli und Lauterborn’s entgegen, legte ich bezüglich der Orts- bewegung das Gewicht auf die Körnehenströme, von denen ich annahm, sie seien durch die primären Rhapheströme sekundär her- vorgerufen. Die Körnchenströme betrachtete ich als eine neue Be- stätigung der Realität der primären Rhapheströme, welche die Orts- bewegung verursachen und deren Vorhandensein bisher nur durch die Verschiebung der an ihnen haftenden Fremdkörper erkannt werden konnte. Ich stellte ferner die halbmondförmige Polspalte der End- knoten als den Ausgang, und die vordere Centralknotenöffnung als den extracellularen Endpunkt der Ströme fest. Den Fäden da- gegen konnte ich einen Anteil an der Bewegung nicht beimessen, vielmehr erklärte ich ihr Zustandekommen durch eine Stauung beim Rückfließen der Rhapheströme in die vordere Centralknotenöffnung. Der Faden schoss nicht aus der Oefinung hervor, sondern im Gegen- teil, er wurde, so oft und so lange der rückfließende und nachrückende Strom an der Umbiegungskante der Oeffnung staute, passiv abgeschoben. Damit erklärte ich auch später?) das zeitweise und länger anhaltende Fehlen des Fadens trotz fortgesetzter Bewegung der Zelle, welches nicht erklärt werden kann, wenn der Faden die Ursache der Be- wegung ist. Ein schärferer Gegensatz in der Auffassung der mechanischen Einrichtungen, als er hier zu Tage trat, ist kaum denkbar. Lauterborn veröffentlichte denn auch bereits März 1394 eine Erwiderung ?). In dieser erklärte er 8. 77: „Eine Maschine, konstruiert auf Grund der von Müller voraus- gesetzten mechanischen Prinzipien, und ausgestattet mit ähn- lichen schwachen Strömungen einer schleimigen Substanz längs einer der Rhaphe entsprechenden Linie, würde nach unserem Dafürhalten schwerlich im Stande sein, den der Fortbewegung entgegenstehenden Widerstand des Wassers zu überwinden. Wenigstens bedarf es auch zu einer mäßigen Fortbewegung im Wasser bei den uns bekannten Organismen und Maschinen, deren Fertbewegungswerkzeuge durch den Widerstand am um- gebenden Medium wirksam werden, mechanisch viel besser und wirksamer konstruierter Vorrichtungen“. Ferner S. 78 zum Schluss: „Mir kam es in dieser Arbeit lediglich darauf an, in möglichster Kürze unsere aus der Untersuchung der obengenannten Pinnularia- Arten resultierende Auffassung der Diatomeen-Bewegung gegen 1) Ortsbewegung I. Ber. der deutsch. bot. Ges. Bd. XI, S. 571 ft. 2) Ortsbewegung II. Ber. der deutsch. bot. Ges., Bd. XII, S. 141. 3) Zur Frage nach der Ortsbewegung der Diatomeen. Ber. der deutsch. bot. Gesellsch., Bd. XII, 8. 73 ff. Miller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. 993 die von Herrn Müller erhobenen Einwände zu verteidigen; eine eingehendere Begründung derselben werde ich, unter Bei- gabe mehrerer Abbildungen, in meiner größeren Arbeit folgen - lassen, mit deren Vollendung ich gegenwärtig beschäftigt bin“. Das mechanische Prinzip, welches ich bei der Konstruktion meiner Maschine vorausgesetzt habe, ist nun kein anderes, als das Prinzip der Rhapheströme, welche durch überaus komplizierte und sinn- reiche Einrichtungen gezwungen werden, schraubenförmig in bestimmter Richtung zu fließen. Lauterborn zieht also die Leistungsfähigkeit einer auf Grund dieses Prinzips aufgebauten Maschine in Zweifel. Ihr gegenüber betrachtet er die Fäden als mechanisch viel besser und wirksamer konstruierte Vorrichtungen, die er in dem Schlusssatze als Ursache der Diatomeenbewegung aufrecht hält, indem er eine ein- gehende Begründung in Aussicht stellt. Nach dieser Lauterborn’schen Entgegnung sind von mir noch drei die Ortsbewegung betreftende Arbeiten veröffentlicht worden. In der ersten!), Mai 1894, habe ich, S. 141, Beobachtungen mit- geteilt, welche die Abhängigkeit des Fadens von dem vorderen Körnchenstrom betreffen. Wenn die Zelle aus der Ruhe in Bewegung übergeht, erscheint zuerst der Körnchenstrom und nachher der Faden. Diese Beobachtung stellte die Selbständigkeit des Fadens, welche, nach meinem Dafürhalten, eine notwendige Voraussetzung der Lauterborn’schen Auffassung ist, in Frage. Ich suchte zu zeigen inwiefern die Abhängigkeit des Fadens die Gründe vermehre, welche gegen dessen Hervorschießen aus der vorderen Centralknoten- öffnung sprechen, auf welches die Lauterborn’sche Annahme in erster Linie sich stützte. Im Verlaufe meiner ferneren Untersuchungen drängten sich mir dann immer größere Zweifel an der Realität der, sei es aus Plasma oder aus Gallerte gebildeten, Fäden auf, und ich gelangte zu der An- sicht, dass die in Tuscheemulsion erscheinenden Fäden wahrscheinlich nur aus Tuschekörnchen bestehen, welche sich aneinanderreihen und mit einander verkleben, dass daher ohne Körnchen ein Faden überhaupt nicht gebildet werde. Auf die Gründe, welche mich dazu veranlassten, werde ich nachher eingehen. Diese Zweifel sprach ich Januar 1896 in meiner Arbeit Ortsbewegung IIL?) aus. Inzwischen war in P. Hauptfleisch ein neuer Gegner meiner Bewegungstheorie erstanden, der sich dem Widerspruch Lauterborn’s insoweit anschloss, als auch er meine Maschine für leistungsunfähig er- klärte °). . 4) Ortsbewegung II. Ber. der deutsch. bot. Gesellsch., Bd. XII, S. 136 ff. 2) Ber. der deutsch. bot. Gesellsch., Bd. XIV, S. 63 ff. 3) Die Ortsbewegung der Bacillariaceen. Mitth. des naturw. Vereins für Neu-Vorpommern und Rügen. 27. Jahrg., 1895. 294 Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. Infolge dessen entschloss ich mich zu dem schwierigen und nicht unbedenklichen Versuch, die Mechanik der Ortsbewegung auf eine rechnerische Basis zu stellen!). Ich selbst habe mich, S. 116, darüber ausgesprochen, innerhalb welcher Grenzen ich die Lösung dieser Auf- gabe für möglich halte. Meine Messungen und Berechnungen haben die Leistungsfähig- keit meiner Maschine über jeden Zweifel gestellt; sie führten aber noch zu anderen, überraschenderen Resultaten. Die Rechnung ergab, dass eine überaus geringe Geschwindigkeit der Rhaphe- ströme genügt, um die Ortsbewegung zu bewirken. Zwei Faktoren der Reehnung, die Reibungscoeffieienten der Zell- wand und der Stromsubstanz, sind unbekannt. Ich ging aber von der, meines Erachtens notwendigen, Voraussetzung aus, dass die Zelle mit einer Wasserhaut umgeben ist, die derselben unmittelbar anliegende Wasserschicht daher nieht mit der Zellhaut in Friktion tritt, sondern dass bei der Bewegung zwei Wasserschichten aneinander reiben. Der Reibungscoefficient ist dann gleich dem bekannten der inneren Reibung des Wassers. Ich setzte alsdann auch den unbekannten Reibungscoeffieienten der Stromsubstanz zunächst gleich dem der inneren Reibung des Wassers, mit anderen Worten, ich nahm vorerst an, die Substanz der Rhapheströme wäre Wasser, in welchem Falle die Maximalgeschwindigkeit der Strombänder beansprucht würde, um die Zelle zu verschieben. Unter dieser Voraussetzung berechnet sich die Maximalgeschwindigkeit der Rhapheströme bei Pinnularia viridis auf nur 21 « in der Sekunde oder das 3fache derjenigen Geschwindig- keit, welche sie der Zelle erteilen, die einen Weg von 7 « in der Sekunde zurücklegt. — Die Rhapheströme bestehen nun aber zweifellos nicht aus Wasser, sondern aus einer ungleich zäheren klebrigen Substanz, welche sicher einen sehr viel größeren Reibungscoeffi- cienten besitzt und deshalb ist die thatsächlich erforderte Geschwindig- keit eine geringere. Aus den, Ortsbewegung IV, S.123, angeführten Gründen müssen die Strombänder, um die Zelle mit der gemessenen Ge- schwindigkeit v = 7u zu verschieben, etwa die Geschwindigkeit 1,5 v erreichen. Daraus berechnet sich dann der Reibungscoeffieient der Stromsubstanz auf 0,11; dieser wäre etwa 7mal größer, als der des Wassers, ein Ergebnis, welches, bei der Viscosität des Plasma, der Wahrscheinlichkeit durchaus nicht widerspricht. Eine zweite wichtige Beziehung fand ich darin, dass die Ober- flächen der Zelle zu den Oberflächen der Rhapheströme und zu der beobachteten Geschwindigkeit in einem mathematischen Verhältnis stehen. — Diese Ergebnisse der Rechnung scheinen mir meine Be- wegungstheorie wesentlich zu unterstützen, wenigstens tritt nirgend 4) Ortsbewegung IV, Mechanik. Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., Bd. XIV, S. 111 ft. Müller, Ortsbewegung der Baeillariaceen. 995 eine Unwahrscheinlichkeit oder ein Widerspruch mit den bekannten und beobachteten Thatsachen hervor. — Wie ich bereits Ortsbewegung IV, S. 117 bemerkte, beziehen sich meine Rechnungen auf gallertfreie, in meinen Kulturen lebende Individuen. Bei Abscheidung einer lockeren Schleim- oder Gallertschicht greifen etwas veränderte Verhältnisse Platz, da die reibende Fläche an die Peripherie der Gallertschicht verlegt wird und der Reibungscoefficient sich ändert. Letzterer Um- stand aber wird vielleicht durch die Vergrößerung der reibenden Flächen teilweise ausgeglichen. So war die Sachlage bis zum Erscheinen der jüngsten Lauter- born’schen Arbeit), in der die Begründung seiner abweichenden Be- wegungstheorie in Aussicht gestellt war. In dieser Arbeit findet sich S. 124 der folgende Satz, den Lauter- born durch gesperrte Schrift auszeichnet: „Wenn vom Zellinnern aus eine klebrige Substanz mit großer Gewalt in die nach außen offene Rhaphe hineingetrieben wird und in dieser dann mit einer gewissen Geschwindigkeit nach einer bestimmten Richtung dahinströmt, so dürfte die von der stömenden Substanz an ihrer Berührungsfläche mit dem um- gebenden Wasser entfaltete lebendige Kraft genügen, um den Reibungswiderstand des umgebenden Wassers zu überwinden und die ganze Zelle nach der Richtung hin fortzubewegen, welche derjenigen der in der Rhaphe vorherrschenden Strömung gerade entgegengesetzt ist“. Ich brauche kaum auf den vollkommenen Widerspruch dieses Satzes mit Sinn und Wortlaut des vorher S.292 eitierten Lauterborn schen Satzes von 1894 hinzudeuten; genau das, was der zweite aussagt, hat vorher der erste bestritten! Da nun Lauterborn weder den ersten ‚Satz zurückzieht, noch dem zweiten Satze hinzufügt, dass er nun- mehr das von mir 1889 aufgestellte und inzwischen weiter ausgebaute und begründete Prinzip der Rhapheströme, welches er bis dahin bekämpfte, de facto anerkennt, so stellte ich dies hiermit ausdrücklich fest; denn dieser Satz ist der Angelpunkt meiner Bewegungstheorie! Der einzige Unterschied zwischen meinem Mechanismus und dem- jenigen, den er neuestens als leistungsfähig anerkennt, besteht darin, dass nach meiner Ansicht die primären Rhapheströme aus der Rhaphe hervortreten und rechts und links von derselben ersichtlich in der Breite der sekundär erzeugten Körnchenströme auf der Zellwand' gleiten, nach Lauterborn dagegen das Hervor- treten unterbleibt. Dieser Unterschied spricht nicht zu Gunsten Lau- terborn’s, denn er reduziert die Berührungsfläche auf ein Minimum, 1) Bau, Kernteilung, Bewegung der Diatomeen. 296 Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. u Es leuchtet aber ein, dass die Ströme nur insoweit eine lokomotorische Wirkung ausüben können, als ihre Oberflächen mit dem umgeben- den Medium unmittelbar in Berührung treten. Die minimale Be- rührungsfläche jedoch, welche die nach Lauterborn allein in Be- tracht kommende, unermessbar dünne Kante des Stromes an der nach außen offenen Rhaphegrenze bietet, würde den Reibungswider- stand nur dann zu überwinden vermögen, wenn die Geschwindigkeit der Ströme eine sehr viel größere ist, als dies, nach Maßgabe der Geschwindigkeit der an der Rhaphe unmittelbar gleitenden Fremd- körper und der vorderen Körnehenströme, anzunehmen gestattet ist. Hinsichtlich der großen Pinnularien, major, nobilis, viridis, lässt Lauterborn auch diesen Unterschied fallen; er sagt S. 121, dass der in der Rhaphe centralwärts sich bewegende Strom „noch ein Stück weit über dieselbe seitlich hervortritt“, und damit würde er dann meiner Auffassung von der Anordnung und Wirkung der Strombänder in allen wesentlichen Punkten zugestimmt haben. Auch in Hinsicht des mechanischen Effekts der zuweilen beobachteten entgegengesetzt gerichteten Ströme auf gegenüber liegenden Strombahnen, spricht La u- terborn S. 127 nichts anderes aus, als was ich bereits 1889 in meiner Arbeit (Durchbrechungen, S. 177) im weiteren Umfange er- läutert habe. Während Lauterborn bis dahin die Fäden als den wirksameren Mechanismus und als Ursache der Bewegung bezeichnete, stellt er jetzt die Rhapheströme in den Vordergrund und überlässt den Fäden nur noch eine untergeordnete Beteiligung an der Ortsbewegung. „Dass daneben (neben den Strömen), sagt er S. 124, auch noch eine Fortbewegung mittels einer Art von Rückstoß, wie sie von den Diatomeen besonders für Pinnularia wahrscheinlich zu machen ge- sucht wurde, sehr wohl möglich ist, geht daraus hervor, dass ein bis zu einem gewissen Grade übereinstimmendes Prinzip sogar in der Nautik zur Fortbewegung großer Schiffe Anwendung gefunden hat“. Lauterborn erklärt sodann nach Ruthven dasPrinzip der „hydrau- lischen Reaktion“ oder des „Wasserpralls“. Ich habe niemals in Zweifel gezogen, dass die Fäden, wenn sie vorhanden wären und aus der Centralknotenöffnung hervorschießen, mechanische Arbeit leisten; vielmehr habe ich dies, Ortbewegung II, S. 137, ausdrücklich mit den Worten anerkannt, dass der Faden, die gegebene Geschwindigkeit selbstverständlich vorausgesetzt, „lediglich nach Maßgabe seines Querschnitts zur Wirkung käme“. Aber ich glaube allerdings, dass Lauterborn über die Größe dieser Arbeit sich einer Täuschung hingiebt, weil er nieht berücksichtigt, was Ruthven als Bedingung vorausschickt, nämlich „einen dauernden Strom von großer Geschwindigkeit und entsprechender Mächtigkeit“. Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. 997 Um darüber eine Vorstellung zu gewinnen ist die Kenntnis der Geschwindigkeit des Fadens erforderlich. Nach Lauterborn soll derselbe raketenartig hervorschießen, was auf eine erhebliche Ge- schwindigkeit hindeutet. Ich dagegen habe niemals eine Faden- geschwindigkeit beobachtet, welche größer zu schätzen wäre, als die sehr mäßige Geschwindigkeit der Körnehenströme oder der an der Rhaphe gleitenden Fremdkörper; dies ist schon eine notwendige Folge der Abhängigkeit des Fadens vom vorderen Körnchenstrom. Pinnularia viridis hat eine Eigen-Geschwindigkeit von 7 « in der Sekunde, die Geschwindigkeit ihrer Rhapheströme beträgt alsdann, wie vorher er- örtert, das 1,5fache, also 10,5 „, und dieselbe Geschwiudigkeit be- sitzen, nach meinen Beobachtungen, auch die Fäden. In meiner Arbeit Durchbrechungen, S. 145, gab ich den Durchmesser des Centralknoten- kanals zu 0,3—0,4 „u an. Wenn der Faden aus dem Kanal hervor- schießt, könnte sein Durchmesser jedenfalls nicht größer als 0,4 u sein und der Querschnitt wäre dann 0,126 q «. Die Arbeit aus dem hydraulischen Druck oder Stoß (Ortsbewegung IV, S. 125) be- rechnet sich unter diesen Voraussetzungen nach der Formel P a Han SF 2 worin v» die Fadengescehwindigkeit, g die Schwerkraft, F' den Quer- schnitt und y das spezifische Gewicht des Wassers bezeichnet, während & eine. Erfahrungszahl bedeutet, welche von der relativen Länge Fr abhängt. Diese nach den von Weisbach gegebenen Werten zu 2 an- genommen, ergiebt als Arbeitsleistung eines Fadens P. v — 14,829 0 us, als diejenige zweier Fäden also etwa 306 us. — Der Reibungswider- stand, den eine Pinnularia viridis von 153,21 « Länge zu überwinden hat, erfordert aber eine Arbeitsleistung von 56285 d u s (OrtsbewegungIV, S.120). Die Fäden würden also, bei einer Geschwindigkeit von 10,5 « in der Sekunde, von den erforderlichen 56285 Arbeitseinheiten deren 30 übernehmen! — Sollten aber die beiden Fäden die ganze Arbeit leisten, so bedingte dies eine Geschwindigkeit 3 = 02 g 2.27 worin a = 56285 gesetzt wird; d. h. die Fäden würden mit einer Ge- schwindigkeit von 130 w in der Sekunde hervorschießen, also die 18,5 fache Geschwindigkeit der Zelle besitzen müssen, während die Rhapheströme nur die 1,5fache Geschwindigkeit zu erreichen brauchen! Dabei wurde die dem Stoß entgegen gerichtete Reibung des Fadens nicht berücksichtigt und die sehr zweifelhafte Steifheit desselben vor- ausgesetzt. — Hiernach schlage ich die Fadenwirkung, alles in allem, 298 Müller, Ortsbewegung der Baecillariaceen, gleich Null an, immer vorausgesetzt, dass die Fäden überhaupt vor- handen sind, was ich außerdem bezweifle. Auch die Ausführungen Lauterborn’s S. 126, 126, worin er den Vergleich des Ruthven’schen Reaktionsschiffes mit dem Bewegungs- mechanismus der Diatomeen noch weiter ausdehnt, halte ich für un- zutreffend. Der aus einer Röhre hervorschießende Flüssigkeitsfaden ist ein völlig anderer Mechanismus, als der in einer offenen Rinne gleitende Strom und meine Maschine, die Lauterborn übrigens auch auf S. 125 meinen Angaben gemäß annimmt, hat mit dem Ruthven’schen Reaktionsschiffe nicht das geringste gemein. Meine Untersuchungen über den Turgordruck jedoch hat er missverstanden, wenn er sie dafür anführt, dass dieser den Strom in der offenen Rhaphe „mit großer Intensität nach einer bestimmten Richtung“ ver- schiebt. Einmal ist die Intensität, wie vorher gezeigt, nur eine sehr geringe, und zweitens habe ich im Gegenteil ausdrücklich ausge- sprochen, dass der hohe Turgordruck, der das Plasma in die Rhaphe hineinpresst, durch den Widerstand molekularer Kräfte in diesem kapillaren System aufgehoben wird, so dass die Bewegung des lebenden Plasmas, nach meiner Auffassung, eine aktive ist. Wenn aber Lauterborn trotzdem daran festhalten will, dass der Strom in der offenen Rhaphe durch den Turgordruck verschoben wird, so kann er doch nicht gleichzeitig sein Hervortreten in Abrede stellen; der Strom muss nach der offenen Seite ausweichen, sobald er unter Druck steht! Besteht nun der Strom aus einer leblosen Substanz, Gallerte oder Schleim, wie Lauterborn behauptet, so ist sein Hervortreten aus der Rhaphe schon die natürliche Folge des zur Verschiebung der leblosen Substanz notwendigen Druckes! Nachdem ich gezeigt, wie weit Lauterborn in seiner jüngsten Arbeit mit Bezug auf die mechanische Frage meinem Standpunkte sich genähert hat, gehe ich zu der zweiten Frage: „Plasma oder Gallerte“ über. Eine Gallerthülle im Sinne Bütschli undLauterborn’s, d.h. eine ständige plastische Hülle oder Scheide habe ich in meiner Arbeit Ortsbewegung I bestritten. Indessen überzeugte ich mit bald, dass die grossen Pinnularien major, nobilis viridis, während der Bewegung in der That einen lockeren gallertartigen Schleim absondern. Aber nicht erst meine 1896 erschienene Arbeit, Ortsbewegung III, lieferte den „Beweis, dass ich meine Ansichten über diesen Punkt erfreulicher- weise bedeutend modifiziert habe“, wie Lauterborn p. 135 bemerkt. Dieser Nachweis Lauterborn’s war nicht erforderlich, denn ich selbst habe sogleich nach seiner Entgegnung, Mai 1894, offen und loyal ausgesprochen, in wie weit ich meine früher geäußerte Ansicht zu modifizieren habe. Ich sagte, Ortsbewegung II, p. 139: Müller, Ortsbewegung der Baeillariaceen. 299 7 „Nach diesen Beobachtungen muss ich zugeben, dass die Schleim- bildung lebhaft sich bewegender Pinnularien, entsprechend der Bütschli- Lauterborn’schen Beobachtung in größerem Umfange stattfindet als ich annahm, dass dieselben einen lockeren Schleim abscheiden, der die Zelle vollständig einschließen kann; sie thun dies aber nur während der Bewegung.“ Letzteres bestreitet Lauterborn; ich halte indess meine, Orts- bewegung II p. 138, eingehend beschriebenen Beobachtungen ihrem ganzen Umfange nach aufrecht. Die genannten großen Pinnularien lassen zeitweise, insbesondere nach längerer Ruhe, keine Spur, einer Schleim- oder Gallerthülle erkennen, ohne dadurch die Fähig- keit der Ortsbewegung zu verlieren. Dieser Umstand hatte mich dazu geführt, die Hülle anfänglich zu bestreiten. Zwingt man dann solche gallertfreie Individuen durch Luftzufuhr und intensive Belichtung zur Bewegung, so erscheint, je länger, je mehr, eine hyaline Schleim- oder Gallertschicht, zuerst an den Polen als Kappen, später auch über andere Teile der Rhaphe und endlich entsteht eine mehr oder weniger vollständige Hülle. Diese Beobachtungen sind durchaus gesichert und ich habe solche Individuen auf Tafel III und IV meiner Arbeit, Orts- bewegung III, abgebildet. Auch P. Hauptfleisch!) und neuerdings H. Klebahn?) bestätigen, dass die Hülle keineswegs immer eine voll- ständige ist. Bei anderen als den genannten drei großen Pinnularien und, nach Klebahn bei Rhopalodia gibba, nach Hauptfleisch auch bei einigen Nitzschien, nach Lauterborn bei Cymbella cuspidata sind entsprechende Gallertbildungen bisher überhaupt nicht be- obachtet worden. Ich habe sodann einen wesentlichen Irrtum Lauterborn’s zu berichtigen. An verschiedenen Stellen, insbesondere aber p. 120, 121, bekämpft Lauterborn sehr energisch eine Ansicht als die meine, die ich niemals gehabt, niemals geäußert habe. Ich soll die als vorderer Körnchenstrom bezeichnete lockere hyaline Hüllschicht, in ihrer ganzen Breitenausdehnung für Plasma erklärt haben. In diesem Irrtum befangen, bemerkt Lauterborn dann, Müller beweist damit, „dass er sich selbst wohl nie die Mühe genommen hat, das strömende Plasma eines Rhizopoden zu betrachten und dass ihm auch die Litteratur über Protoplasma der letzten 30 Jahre ziemlich verschlossen geblieben ist“. — Ich überlasse diesen „Beweis“ Lauter- born’s getrost der Beurteilung meiner Leser, aber ich kann Lauter- born nicht den Vorwurf ersparen, dass er sich eine solche Kritik gestattet, obgleich er meine Arbeiten doch gelesen haben muss. Meine Arbeit Ortsbewegung II, ist fast ausschließlich dem Nachweise ge- 1.0487. 2) Auxosporenbildung, I. Jahrb. f. wissensch. Botanik, XXIX, 8. 621. 300 Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. widmet, dass der bei den genannten großen Pinnularien auftretende vordere Körnchenstrom aus zwei Schichten besteht, einer in unmittel- barer Nähe der Rhaphe fliessenden klebrigen mit aktueller Energie ausgestatteten Plasma-Schicht und einer zweiten, nicht oder weniger klebrigen Schleim- oder Gallert-Schicht. Ich führte p. 142 aus, „dass die mit aktueller Energie ausgestattete Schicht des Stromes durch die Centralknotenöffnung zurück fließt“, während „der ausgeschiedene Schleim sich alsdann nach Maßgabe seiner Menge auf den Zellwandflächen verteilt, die er zeitweise vollständig über- ziehen kann“ und erklärte es für „wahrscheinlich, daß die zurückflies- sende Schicht des Stromes Protoplasma ist“. Ich hob ferner p. 138 ausdrücklich hervor: „die Tuschekörnchen laufen im Abstande von der Zellwand an der Peripherie der Schleimschicht“ und „die relativ sehr viel größeren und schwereren Karminkörner dringen in die Schleimschicht ein... treten dann ihrerseits teilweise in unmittel- baren Kontakt mit der Rhaphe und gleiten daselbst fort“. Mit welchem Rechte, frage ich, sagt da Lauterborn unter Hin- weis auf diese Beobachtungen u. a. p. 120: „weiterhin auch der von Müller beobachtete Umstand, dass nur kleine Tuschekörnchen am Rande des Stromes dahingleiten, größere Tuschebrocken oder Karmin- körner in die lockere hyaline Masse einsinken und dann in unmitel- barer Nähe der Rhaphe der Zellmitte zugeführt werden, lässt sich doch mit den Eigenschaften eines Plasmastromes nicht in Einklang bringen“. — Lauterborn bespricht sogar p. 135 meine Struktur- bilder dieser Schleim- oder Gallertschicht, Ortsbewegung III, Tab. HI, Fig. 11—21 und dennoch verfiel er in den schweren Irrtum, dass ich diese hyaline Hüllschicht, die ich stets als Schleim- oder Gallertschieht bezeichnet und über deren Entstehung ich mich ebenso unzweideutig geäußert habe!), für Plasma halte. Hieran knüpft er dann seine lange, mit unerfreulichen persönlichen Seitenblicken aus- gestattete, abfällige Kritik. In Bezug auf die Plasmaschicht bemerke ich noch, was ich als selbstverständlich nicht besonders erwähnt habe, dass die- selbe nur eine minimale Dieke besitzen, jedenfalls nicht dieker sein kann, als das kapillare Lumen der Rhaphespalte, aus der sie hervor- tritt. Das geht auch schon aus dem wiederholt hervorgehobenen Um- 4) Ich sagte Ortsbewegung, III, S. 62: „Nach meinen Beobachtungen ent- steht die Gallerte in Tröpfehenform; sie scheidet sich ab, sobald das Plasma mit dem Wasser in Berührung kommt, zunächst also, wenn es aus der Pol- spalte hervortritt; die Tröpfchen fließen zusammen und bilden über dem Plasma-Strom eine zusammenhängende Schicht (Fig. 13); so entsteht die Gallertkappe an den Polen. Scheidet nun der zufließende und fortschreitende Plasmastrom immer neue Gallerte in Tropfen ab, die zusammenfließen, so ent- steht, bei lebhafter Bewegung, durch Abfließen der Gallerte auf benachbarte Flächenteile, eine mehr oder weniger vollständige Hülle“. Müller, Ortsbewegung der Baeillariaceen. 301 stande hervor, dass die andieser Schicht haftenden gröberen Fremd- körper in unmittelbarer Nähe der Rhaphe verschoben werden, also in keinem wahrnehmbaren Abstande über derselben. Die Gründe, welche mich veranlassen, den in der Raphe fliessen- den und aus ihr hervortretenden, jedenfalls sehr dünnen Strom für Protoplasma zu halten, habe ich an verschiedenen Stellen meiner Arbeiten ausgeführt. Besonderes Gewicht legte ich auf das Zurück- fließen dieses Stromes, oder, falls derselbe Gallerte ausgeschieden hat, der mit aktueller Energie ausgestatteten Schicht desselben, mit der die gröberen Fremdkörper verschoben werden, und ich bemerkte, dass das Zurückfließen von Schleim oder Gallerte von vornherein sehr un- wahrscheinlich ist. — Auch die komplizierte und sinnreiche Ausgestal- tung der Rhaphe deutet darauf hin, dass sie wesentlichere Bestand- teile des primordialen Zellleibes zu befördern bestimmt ist (Orts- bewegung II, S. 140). — Die Ausgleichung der Druckdifferenz zwischen Zellinnern und Rhaphe in Folge deren Kapillarität, ist ein notwendiges Postulat, da anderenfalls der Inhalt herausgepresst würde (Durch- brechungen, S. 175). Wenn aber der Strom in der Rhaphe nicht durch einseitigen Druck verschoben wird, so muß lebende Substanz in der Rhaphe fließen. Endlich habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass auch festsitzende !) oder im Fadenverbande lebende Bacillarien vielfach eine Rhaphe besitzen, dass also die Rhaphe ‚nicht allein, vielleicht nicht einmal in erster Linie, die Ortsbewegung vermittelt, sondern noch eine andere wichtige Funktion ausüben muss, als welche ich die Atmung vermutete. Auch in diesem Falle müsste lebendesPlasma mit dem umgebenden Medium in Wechselwirkung treten (Durchbrechungen 8.178). Das sind freilich keine Beweise, aber es sind wohlerwogene Gründe, denenLauterborn bisher keine gleichwertigen oder gar besseren ent- gegengesetzt hat, welche für die Gallertnatur des in der Rhaphe fließenden Stromes sprechen; denn dass Lauterborn an der Substanz in der Kanalrhaphe der Surirellen keine wabige Struktur er- kennen kann, und die Thatsache, dass bei den Bacillarien gelegent- lich auch Gallert- oder Schleimbildungen vorkommen und bei Desmi- diaceen und Osecillarien Bewegungserscheinungen anderer Natur durch Gallertabscheidung hervorgerufen werden, genügt keineswegs, um die Lauterborn’sche Behauptung zu stützen. Das Zurückfließen des Stromes wird von Lauterborn S.122 bezweifelt; ich habe dasselbe meines Erachtens durch die, Orts- bewegung II, S. 142, erörterten Gründe erwiesen, abgesehen davon, dass es schon aus dem Bau der Rhaphe selbst notwendig gefolgert 1) Die Cocceoneiden z. B. haben eine Rhaphe auf der freien, mit dem Wasser in Berührung stehenden Schale; die Schale dagegen, mit der sie anderen Körpern aufsitzen, hat keine Rhaphe, 309 Müller, Ortsbewegung der Baeillariaceen. werden muss. Der Einwand Lauterborn’s, dass der Strom, wenn er wirklich in das Innere zurücktreten sollte, schon vor der Central- knotenöffnung die Oberfläche der Zelle verlassen könnte, da die Rhaphe nach dem Zellinnern nicht abgeschlossen ist, wird durch den Augenschein widerlegt. Selbst wenn der Strom es könnte, so thut er es doch nicht! Niemals werden die Körnchen an einen anderen Punkt geführt, als genau zur Centralknotenöffnung. Das gilt auch für diejenigen Baecillarien, und diese sind die große Mehrzahl, bei denen die Bildung einer Schleim- oder Gallertschicht nicht nach- weisbar ist, bei denen die Körnehen nicht in einem, der Schleimschicht entsprechenden, Abstande von der Rhaphe, sondern unmittelbar an dieser, von der Plasmaschicht verschoben werden. Träte der Strom, bevor er die Centralknotenöffnung erreicht hat, in das Innere zurück, so müssten die Körnchen sich auch an dieser Stelle ansammeln. Die Beobachtung ergiebt aber ausnahmslos, dass die Körnchen bis zur Oeff- nung selbst geführt werden, und erst durch den Eintritt des zurück- fließenden Stromes in den Centralknotenkanal werden sie abgestreift und bilden das Wölkchen. Endlich aber stelle ich die Frage, was wird denn aus dem Strom bei diesen gallertfreien Bacillarien? Lauterborn bezweifelt 5.123 das Hervortreten aus der Rhaphe, aber er bezweifelt S. 122 auch dasZurückfließen. Wohin kann der Strom dann fließen, wie kann überhaupt noch ein Strom zu Stande kommen? Diese gallertfreien Bacillarien führen zu der Frage von der Sicht- barkeit des Stromes über. Ich habe gesagt, dass auch bei ihnen ein vorderer Körnehenstrom vorhanden ist, und ich füge hinzu, dass dieser Strom auch bei ihnen rechts und linksvon derRhaphe in einer erheblichen Breite fließt. Diese Thatsachen habe ich bei Stau- roneis Phoenicenteron, woselbst die Breite des Stromes 3,74 beträgt (Ortsbewegung IV, 5.121), sowie bei Navicula ambigua, in zahlreichen Fällen feststellen können. — Wenn man aber diese Bacillarien nicht in Tuscheemulsion, sondern einfach in Wasser untersucht, so ist, auch mit den besten Apochromaten, wie Lauterborn S. 123 mit Recht bemerkt, nichts von dem Strome, weder innerhalb noch außerhalb der Rhaphe zu sehen. Den Schluss aber, den er daraus zieht, dass ein Strom außerhalb nicht vorhanden ist, während er ihn doch inner- halb gelten lässt, bestreite ich, denn welche andere Kraft setzt die Körnchen rechts und links außerhalb der Rhaphe in Bewegung, wenn es nicht die Energie des hervortretenden Stromes thut? Die Un- sichtbarkeit desselben aber ist, bei der minimalen Dünne desselben, durchaus begreiflich; eine sehr dünne und vielleicht hyaline Plasma- schicht, welche auf einer stark lichtbrechenden Oberfläche gleitet und auf die man in der Schalenlage rechtwinklig zur Fläche, in der Gürtelbandlage aber, bei tiefer Einstellung auf die Körpermitte, durch Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. 303 die Zerstreuungsbilder der darüber liegenden Längskante hindurch, blickt, kann sich der optischen Wahrnehmung wohl entziehen. Fär- bungen führen nieht zum Ziele, weil durch sie auch das Innenplasma und die Chromotophoren gleichzeitig gefärbt werden. Was nun die Fäden betrifft, so habe ich einen zweiten wesent- liehen Irrtum Lauterborn’s zu berichtigen. Lauterborn fragt S. 135: „Und ist ein nicht materieller Faden überhaupt denkbar, der sich mit Sublimat in situ auf dem Objektträger fixieren lässt und dessen anhaftende Tuschekörnchen bei vorsichtigem Auswachsen nicht fortgeschwemmt werden? Wie kann ein nicht materieller Faden, ein bloßer „Körnchenstreifen in demselben Sinne wie ein Rauchstreif“ durch die Bewegung der fortgleitenden Diatomee hin- und hergezerrt werden... .* Wer dieseFragen liest, ohne den Wortlaut meiner Arbeit zu kennen, der muss in der That glauben, dass ich ein Unding behauptet hätte. Ich sagte aber Ortsbewegung III, S. 62: „Hier werden die Körnchen durch die anhängenden Gallertteilchen, bezw. durch minimale Plasmateilchen, sofern keine Gallerte gebildet wird, Fig. 24 und 26 rechte Seite, mit einander verklebt... Auf diese Weise muss aus den, durch den Körnchenstrom zugeführten Körnchen ein Faden abgeschoben werden... Ich halte es jetzt für sehr zweifelhaft, ob überhaupt ein materieller Faden, sei es aus Plasma, sei es aus Gallerte gebildet wird, an welchem die Körn- chen ankleben“.... Deutlicher als dies hier geschehen kann man nicht aussprechen, dass die Körnchen bei der Aneinanderreihung zu einem Faden durch zurückbleibende Gallert- oder Plasmateilchen verklebt werden; ein solcher, aus aneinandergeklebten Körnchen bestehender Streifen aber, lässt sich selbstverständlich fixieren, hin- und herzerren u.s.w. Um den physikalischen Vorgang bei der Fadenbildung zu veranschaulichen, habe ich dann noch weiter ausgeführt, dass sogar dann, wenn die Körnchen nicht verklebt würden, notwendig ein aus Körnchen be- stehender Streifen gleich einem Rauchstreifen abgeschoben werden müsste. Den Unterschied zwischen einem lediglich aus verklebten Tuschekörnchen bestehenden Faden und einem materiellen Gallertfaden, an dem die Körnchen ankleben, hat Lauterborn nicht erfasst. — Seine weitere Unterstellung, als habe ich von der Existenz eines „nicht materiellen Faden“ gesprochen, muss ich nachdrücklich zurückweisen, das wäre ein Faden aus der vierten Dimension! Bei meinen Untersuchungen über die Gallertbildungen, Orts- bewegung III, S. 60, habe ich umfangreiche Versuche über Quellung und Färbung dieser Bildungen angestellt. Es gelang mir nicht nur 304 Müller, Ortsbewegung der Bacillariaceen. stärkere Schleim- oder Gallertschichten zur Quellung zu veranlassen und zu färben, sondern auch die zartesten Gallertbegrenzungen und die feinsten Fadenverzweigungen an dem jeweilig hinteren Pole der Pinnularien zurWahrnehmung zu bringen, wie sie mitunter vorkommen und dann wahrscheinlich durch das Nachschleppen in die Schleim- schicht geratener größerer Fremdkörper ausgezogen werden. (Orts- bewegung III, Fig. 17 und 18). Niemals aber habe ich die ge- ringste Spur von jenen, am Centralknoten entspringenden, Lauter- born ’schen Fäden wahrnehmen können. Wären jene Fäden wirklich vorhanden, so müssten sie ebenso quellbar und färbbar sein wie die Gallerte, aus der sie stammen sollen und wie es die zarten Faden- büschel an den Polen thatsächlich sind. So lange es daher nicht ge- lingt die Lauterborn’schen Fäden im gewöhnlichen Wasser ohne Emulsion durch Quellung nachzuweisen und zu färben, muß ich deren Realität bezweifeln und jene allein in Tuscheemulsion erscheinenden Fäden für Körnchenstreifen halten, deren Bildung sich durch das Ab- streifen über der Centralknotenöffnung befriedigend erklären lässt. Noch gegen andere Punkte der Lauterborn’schen Arbeit würde ich Einspruch erheben müssen, wenn der Raum dies zuließe. Ich möchte aber diese Entgegnung nicht schließen, ohne anzuerkennen, daß Lauterborn im Recht ist, wenn er S. 133 sagt, dass er die Rhaphe der Surirellen früher beschrieben und abgebildet hat, als ich. Ob richtiger, wie er hinzufügt, ist fraglich, da er wahrscheinlich eine andere Art beobachtet hat. Als ich die Rhaphe der Epithemien und von Nitzschia sigmoidea fand!), und auch die dem-Kiele der Nitzschien vergleichbaren Flügel der Surirellen (Surirella robusta und spiralis) untersuchte, war mir entfallen, dass Lauterborn bereits 3 Jahre früher den Spalt bei einer ungenannten Swrirella aufgefunden hatte. Ich bedaure daher ihn nicht ausdrücklich genannt zu haben, aber ich bedaure ebenfalls, daß Lauterborn, nach der Form seines Monitums, dabei eine Absicht vermutet. — Wenn er dagegen S. 134, auch die Bestätigung der Flögel’schen Riefenkammern für sich in Anspruch nimmt und mir vorwirft, ihn auch hier übergangen zu haben, so be- findet er sich im Irrtum. Die von Flögel aufgefundene Struktur der Riefenkammern habe ich 1889, 4 Jahre früher als er, auf Grund eingehender Untersuchungen bestätigt?); wenn ich mich darauf „be- schränkt habe, Flögel beizupflichten“, so that ich dies, weil die Rhaphe der Pinnularien der Gegenstand dieser Arbeit war und ich daher keine Veranlassung hatte, auf die anderweitigen Strukturver- hältnisse näher einzugehen ; den subtilen Unterschied, den Lauter- 1) Ortsbewegung, III, S.56; Rhopalodia S.55 und Tab. II, Fig. 22. 2) Durchbrechungen S. 169. Dallinger, Drysdale’s u. Dallinger’s Untersuchungen an Biflagellaten. 305 born zwisehen „beipflichten und „bestätigen“ macht, kann ich nicht als berechtigt anerkennen. Die vorstehend erörterten Fragen habe ich eingehender behandeln müssen, weil den Zoologen meine Arbeiten über die Ortsbewegung der Bacillariaceen kaum bekannt sein dürften. Das Lauterborn’sche Werk dagegen, dessen vorwiegender Inhalt, die Kernteilung der Dia- tomeen, sicherlich das größeste Interesse verdient, den Vorteil hat, unter der stolzen Flagge des Heidelberger Zoologischen Instituts zu segeln. In meinen Arbeiten über die Ortsbewegung sind nach und nach eine größere Zahl von Einzelbeobachtungen und Schlußfolgerungen mitgeteilt worden. Neue Untersuchungen werden vielleicht manche 'der- selben als irrig erweisen oder modifizieren. Jede begründete Be- riehtigung, die einen tieferen Einblick in das Wesen der Ortsbewegung gewährt, wird willkommen sein. Immer aber wird billigerweise vorausgesetzt werden müssen, dass, wer fremde Arbeiten mit ver- meintlich überlegener Sachkenntnis aburteilen will, sie zuvor nach Sinn und Wortlaut aufmerksam prüfe und dass dabei der Anteil nicht verkümmert werde, den andere an der Lösung solcher Fragen zu be- anspruchen haben. [43] Untersuchungen an Biflagellaten?). Ingleside Lee, London S. E., June 30, 1896. nr ER arts I am unfortunately not in a- state of health suffieiently vigorous to give myself to an exhaustive critieism of the interesting monograph Die Polytomeen by Raoul France inPringsheim’s Jahrbücher, vol. 26, 1894, p. 295 et seq., which would, in other eircumstances, have been no serious tax upon me. The ground on which Bütsechli first and France lately have attacked the researches of the late Dr. Drysdale and myself has always been the assumption that our biflagellate organism was identical with Polytoma uvella Ehr. and that if our observations on this orga- nism were inconsistent with those of other observers on Polytoma uvella, the whole of our results were diseredited in consequence. As it-is, I should like you to remember that whilst we gave ourselves jointly and persistently to the study of the phenomena of the life-histories of a given group of septie organisms, we saw very early in our work so much that was complex that we avoided all attempts not only at classification, but even at nomenclature: and to I) Auf Wunsch des Herm Prof. Hartog bringen wir den an ihn gerich- teten Brief des Herrn Dallinger über seine in Gemeinschaft mit Herrm Drysdale ausgeführten Untersuchungen zum Abdruck. Die Red. XVII. 20 306 .Dallinger, Drysdale’s u. Dallinger’s Untersuchungen an Biflagellaten. this hour I am in no way involved in this matter. I have never pro- fessed to adopt, or to critieise when adopted, any designations of the seven septie organisms on which the work was done. Nor can I of necessity recognize any assumed identity now. One thing for example peeuliar to the „biflagellate“ form with which France assumes he is dealing, was, and still is, the comparative diffieulty with which it is obtained. In our monograph of its life-history (read in 1874) we make the following remarks viz „Prolonged work with infusions has led us to make observations concerning them which, although without explanation ... .. seem to us of suffieient importance for note. Our first maceration was a cod’s head; it was freely exposed to the air, but exeluded from the light. For two months nothing at all remar- kable presented itself. Abundance of Bacteria termo and B. lineola and amoebae were found. But at the exspiration of the twelfth week the form to be described (the „biflagellate“) appeared — survived for three months and two weeks to the almost complete exelusion even- tually of other forms — and then was supplanted by other monads, some of which have been described by us in former papers. „This maceration was made from ordinary water supplied by the company on the Cheshire side of the Mersey. The same year, in the same place another cod’s head, and the head of a salmon were ma- cerated in separate vessels. It was later in the year and the produe- tion of vital forms was slower; yet in the course of four months the same phenomena as those described above took place; the only dif- ference being that the form that we are about to describe (the „bi- flagellate*) did not persist so long“. „In the autumn of the same year another cod’s head maceration was made in Liverpool from the ordinary water supplied to the town. This up to the spring of the following year showed no trace of the form in question .... while a maceration ..... made in april 1873 under the same eircumstances . ... . was found in april 1874 to swarm with the peeuliar form in question“. It must be remembered that our work was not casual or transi- tory, but persistent, extending without break over years; and even when we had completed our study of a given form, in persueing the study of others akin to it, we were constantly seeing the former- in its various stages again, and so through a long period were provided with opportunities for the revision of our previous work. Moreover during our many years of joint work in the study of these organisms we followed a definite, and as we-believed then, and still believe, an essential method, from which we never deviated. 1. We persued independent observations, mostly in the same room, and with preeisely similar instruments, on the same organism from the same maceration; and for this purpose my colleague lived with Dallinger, Drysdale’s u. Dallinger’s Untersuchungen an Biflagellaten. 307 me for many months in each year, or else arranged a residence elose by for himself and family. By this means we came independently upon such phenomena as presented themselves, and either was able to confirm the observation of the other. 2. Our (to us) most important determination was to observe the entire series of eyelie changes in each organism in the living form only; in no ease under any circumstances to rely on post mortem evidence, or make deductions from dried „prepared“ or stained speci- mens. This resolution was formed after nearly twelve months of careful experiment and comparison. Many of the organisms were not more than the 1—4000th of an inch in length, and in every speck of the ripe maceration presented themselves in such great numbers, that, apart altogether from shrinkage and distoıtion, wholly ehanging the relation and aspect of delicate phenomena, the aggregation was so constant in drying as to make (to us) reliable results impossible. The eonsequence was that no part of our work was done, and no one of our ceonelusions was drawn from dead or „prepared“ specimens. 3. Nothing was ever admitted by us jointly, as established, which had not been seen by both; first independently, and then together: and this applied not only to the eycelie changes themselves, but to their sequence in each of the organisms; and then drawings were made which were never approved until they were satisfaetory to both. 4. To the ‘matter of measurements we attached much importance, as our experience had taught us this might almost be considered of speeifie importance. Hence for each of the seven forms studied we made alternately in the eourse of our-studies fifty measurements each (at different times). 5. We did not allow ourselves to be satisfied with discontinuous observations so far as the final results were concerned. The hinderences were of eourse many. At times certain morphological features pre- sented themselves persistenily for many days; these were possibly followed by others equally persistent; but our principle was never to infer a eonnection between even consecutive phenomena: but to ae- tually observe the sequences of development from beginning to end. This was only possible with some such „eontinuous growing stage“ as we devised and used; and it was this that made the work so pro- longed, and made two observers indispensible. 6. From the dates of the earlier papers it will of course be well known that the observations were made with achromatie objeet-glasses. They were however of the very highest quality, and were designated the 1—12 th, 1—16 th, 1—25 th, 1—35 th and 1—50 th. Those who have cared to follow my work for the last twenty years, will know that I was amongst the earliest to point out, and endeavour to have 20 * 5308 Dallinger, Drysdale’s u. Dallinger’s Untersuchungen an Biflagellaten. corrected the essential defecets of these lenses. Their power was always too great for their numerical aperture. But this could only be got over in one way, viz the employment of a homogeneous medium which would make large numerical aperture possible; and the use of some new „optical metal“ or glass which should have higher refraetive and dispersive indices. At the suggestion of Mr. Ware Stephenson Prof. Abbe gave a practical form to a homogeneous system of lenses, enormously benefitting mieroscopy; and by the combined work know- ledge and ingenuity of Prof. Abbe, Dr. Schott and others new optical media were made, which gave a new value to and formed an epoch in the manufaeture and use of the modern microscopes. How deeply we entered into and appreciated these optical improvements as aids to investigation it is enough for me to appeal to the Proc. of the Royal Mieroscopical Society, or to my edition of the late W. B. Car- penter’s „The „Revelations of the Mieroscope“ to establish. For „eritical images“ and final certainty on any delicate question of the nature of a miecroscopical image these apochromatie lenses of Abbe are indispensible. | Nevertheless, not only before, but after the introduction of these, the over-amplification of the series of achromatie lenses I have des- eribed above was equally indispensible. The minute organisms studied, always in an active state, could never have had the details of their life-cycles made ont with immersion lenses of any kind — water or oil. We required great enlargement; but with dry lenses; for in following the constantly moving organism, so as to keep it conti- nuously in sight, we were obliged to keep the mechanical stage in constant action, not only in rectangular but in diagonal movement; of which the beautiful stage of Powell and Lealand has for nearly half a century allowed. But by such necessary motion with the delicate „continuous gro- wing stage“ employed in our work, it becomes clear to the practical -worker, that at length, in spite of any amount of care, the water employed for „immersion“ between the front lens and the cover-glass would ultemately pass the edge and mingle with the fluid in which the living organism was being studied; and so destroy the observation. This would be still more inevitable if the immersion fluid were oil. Clearly then dry objeet-glasses with great magnifying power, illuminated by a suitable eondenser were essential to our method, and even to-day must be employed on such observations. But this by no means prevented the use of the new apochromatie objeetives; they became a valuable suppliment, and admirable mode of testing the work we had hitherto done: and after the homogeneous objeetives were introduced, and again after the apochromatie objeet- glasses were in our hands, we went over every important point — not Dallinger, Drysdale’s u. Dallinger’s Untersuchungen an Biflagellaten. 309 of course conseeutively as with the dry lenses — but in isolated detail and confirmed our preceeding work making new drawings. | We found the enlarged numerical aperture, and the correetion of the speetra not correeted by the achromatie objeetive-glasses of inestimable value; but we found that the use of a suitable eondenser with N. A from 1'0 to 1:5 absolutely indispensible for the best results. It will thus be seen that the details of the work in question, and eonsequently the details of the life-eyele of this „biflagellate“ form have been gone over several times since they were first done, and with lenses and entire optical systems wholly different from those employed at the beginning. As I have practically followed the improvements in the optical apparatus of the mieroscope for thirty years, and have during all that time cooperated with some of the best manipulators in the world, I naturally attach importance to apparatus, and method. Moreover I find myself greatly doubting whether the „moist chamber“ employed by France would in my hands have been satisfactory for doing the above work. But its use is probably made more effieient by the statement of France on p. 297 viz that „all the researches here pre- sented were carried out... .. . partly and indeed mostly on living material, partly however also on preserved and stained material“. This of course leaves us in doubt as to how far essential points were inferred, not only as phenomena, but as sequences from post mortem and stained specimens; but even more, it leaves us in doubt as to how far the absence of certain phenomena, which in my experimental experience, would be most certainly absent from, or indiscoverable in „preserved and stained material“ of the „biflagellate* monad, is to be attributed to the use of such material. .. That there are many biologieal subjeets and even very minute biologieal subjeets that will tolerate the process of drying without much prejudiee to the discovery of accurate results I do not for an instant doubt; but this does not apply to the septie organisms. Myself and colleague obtained the strongest evidence asI have already hinted, from experience and experiment, that errors, negative and positive, are inevitable to a study of these minute forms in any way dependent on drying and staining. But I venture to think that the errors resul- ting from its employment are rather multiplied than diminished when the work of observation on the life development of such forms is done parilyir Hı%- & on living material, partly..... on preserved and stained material“. Observations up to a certain limit on the life-eyeles of even the minutest of these and similar organisms are not really diffieult, if we possess two or three good microscopes, with lenses of the best correc- tions worked with a suitable condenser, and a well constructed piece 310 Dallinger, Drysdale’s u. Dallinger’s Untersuchungen an Biflagellaten. of apparatus for keeping the organisms alive continuously under elose observation; and the combination of these things is by no means rare. But the diffieulty begins when we have to follow the organisms into the more obseure, and relatively less common phases of their life- cyeles, always supposing that our observations are made upon the living and active organism. It becomes a task impossible, in my judgement, save to joint observation. Over and over again given observations fail from many causes, and there is no way open but to begin again. You may have noted that we expressed this opinion many years ago; its importance was indeed stated in our very first paper!); where the need of continuous observation is enforced by an example. Now in the accompanying rough sketch taken from my folio, A represents what we called a „eercomonad“ in the earliest condition prior to the act of fusion. B represents the same organism when the act of fusion (of two) is almost complete. Let it be supposed that we obtain material from a macera- ‘tion containing this organism in great abundance, and in some approved way dry on a slide a lesser or larger group of these forms, and then stain them. The process of shrinkage and distor- tion, and the inevitable changes will make it diffieult indeed to discover that they are not alike, that a whole series of changes has oceurred in B, which have never existed in A, and that they are morphologically and physiologically entirely different. But by following A into fusion with another (never a matter that can be done without diffieulty and enduring patience) and seeing the blending forms reach the condition ofB, we become provided with unmistakable evidence. Again in the 1378 paper in the Proceedings of the Royal Society „On the life-history of a minute septic organism“, we are provided with another instance. In the sketeh C represents a state of fission: but D gives a drawing of a condition of fusion in the same organism. The manner in which the intermediate stages took place would never have been (in our hands) discovered by means of dried and stained 4) Monthly Microse. Journ., Vol. X, p. 55. Ammon, Der Abänderungsspielraum. 311 specimens and this affırmation is made, not empirically but after ex- periment and endeavour. ‚There are details that must have been lost by the death, drying and staining of the specimens, while the delicate flow of sequences must have been lost. I daresay you may have noted that in my later papers I have shown that the delicate use of a staining agent is.possible upon the living form; it inereases the death rate on the stage but it makes some observations on the living organism easier. I venture then with deference to question whether the methods employed by France are a fair test of the work done so long ago on the „biflagellate“ monad. May I not venture to ask you to con- sider what appears to me to be the impossibility of finding on a dried and stained speeimen the spore-condition — that is to say the burst sae — shown in plates XXIV, XXVI, XLI, LXXXV and CIV, amongst others of our joint papers. France is quite right when he says that such observations are not (by his method) or are only with great diffieulty within the reach of our optical expedients. Even under the very best conditions such apparatus must be of the very highest quality, and employed by those who by long experienee know how to use them in such a way as to bring into operation their finest and most perfeetly correeted endowments. Of the aceuraey of the joint observations of myself and colleague upon the organism we have simply for the sake of our own conveni- enee called the „biflagellate“ I have not the remotest doubt. They were not only made with great care and patience at the first, but they have been more than once repeated and eonfirmed. But whether it is identieal with the Polytoma of France&’s paper I do not venture to deeide. I do however, with all deference question the eompetence and suitability of his methods as modes of eritieism of the joint work of Dr. Drysdale and myself. [37] Very sincerely yours W. H. Dallinger. Otto Ammon, Der Abänderungsspielraum. Ein Beitrag zur Theorie der natürlichen Auslese. Sonderabdruck aus: Natur- wissensch. Wochenschrift. Berlin. F. Dimmler. 1896. Wer die Wirksamkeit des Selektionsprinzips auf die Umbildung der Organismen anerkennt, muss zugleich zugeben, dass Abänderungen, welche einen bestimmten Grad nicht überschreiten, für das Gedeihen eines Lebewesens indifferent bleiben und deswegen von der Selektion nicht beeinflusst werden. Es muss also einen „Abänderungsspiel- raum“ geben, innerhalb dessen Grenzen die Variation frei bleibt. Werden nun die gemessenen Größen eines variablen Gegenstandes und die Frequenzzahl jeder dieser Größen in ein Koordinaten -System ein- getragen, so dass die Abseissen den Größen, die Ordinaten der Frequenz- zahl entspricht, dann ergibt sich daraus eine Kurve. 312 Ammon, Der Abänderungsspielraum. Die Erfahrung lehrt, dass statistisch gesammelte Werte messbarer Variationen sowohl materieller Art (wie z. B. der Körpergröße) als auch geistiger Fähigkeiten (wie Galton gezeigt hat, die Prüfungs- noten in den berühmten mathematischen Prüfungen der Universität Cambridge) auf Papier übertragen eine Kurve ergeben, welche der Gauss’schen Wahrscheinlichkeitsformel entspricht. Diese Formel lautet bekamntlich: Mix: Y e Yare wobei x den Betrag der Abweichung vom Mittel bezeichnet; y die Häufigkeit des Vorkommens (Wahrscheinlichkeit) jeder Abweichung; Y die Häufigkeit des mittleren Wertes; % den sog. Präcissionskoeffi- cienten, welcher bestimmt, ob die Häufigkeit mit der Abweichung vom Mittel rascher oder langsamer abnimmt; e die Basis der natürlichen Logarithmen. Y und A sind Konstanten, welche für die einzelnen Fälle verschiedene Werte bekommen. Fig.,1. Fig. 2. Fig. 1. Die Gauss’sche Wahrscheinlichkeits - Kurve. Fig. 2. Wahrscheinlichkeitskurven, links für verschiedene Werte der Kon- stanten Y, rechts für verschiedene Werte des Koe£fficienten A. Die Kurve hat ihren Scheitel auf der Ordinatenaxe, steigt beider- seits ab und verläuft zur Abscissenaxe asymptotisch. Der Scheitel der Kurve erhöht sich mit dem Wachsen von Y; deren Scheitelkrümmung wird mit dem Steigen von Ak schärfer, d. h. die Ordinaten werden für eine gegebene Abseisse kleiner. Die praktisch-konstruierten Kurven beobachteter Variationen weichen von der nach der Formel gezeichneten dadurch ab, dass sie nicht asymptotisch zur Abscissenaxe verlaufen, sondern dieselbe unter spitzem Winkel erreichen. Das zwischen beiden Enden der Kurve begriffene Stick der Abseissenaxe entspricht dem Abänderungsspielraum. — In der Praxis ist es auch vorteilhaft, den Mittelwert nicht auf die Ordi- natenaxe zu verlegen, sondern rechts von derselben, so dass die auf die Abseissenaxe zu übertragenden Größen vom Nullpunkt aus nach Ammon, Der Abänderungsspielraum. 313 Fig. 3. Häufigkeitskurve für eine lie: begrenzte Zahl beobachteter Einzel- Dur fälle. U = untere Grenze; O0 = obere Grenze; UO.—= Abänderungsspiel- raum; PU —= minimaler Wert des variablen Gegenstandes; PM = mitt- lerer; PO = maximaler Wert des- selben M, H, D bezeichnen den mittleren Wert, die größte Häufig- keit und die Ordinate, welche die Kurve halbiert; alle drei fallen an einer symmetrischen Kurve zusammen. M HA 2 Rechts gemessen werden. Derart ist es nicht nötig, den Mittelwert voraus zu bestimmen. Es ist gleichgiltig, ob wirkliche Häufigkeits- zahlen oder prozentuale benutzt werden. Letztere haben den Vorteil, dass die daraus gewonnenen Kurven unter einander bequemer ver- glichen werden können, weil das von ihnen umgrenzte Areal immer den gleichen Wert hat, d. h. — 100. “ Fig. 4. Fig. 4. Asyımmetrische Häufigkeits- kurve. Buchstaben wie auf Fig. 3. H, D M bezeichnen hier verschie- dene Punkte. Gewöhnlich gestaltet sich die Kurve symmetrisch, aber nicht immer: so ‘bildet die von Verf. gezeichnete Einkommenkurve eine nach der Maximumseite weiter ausgezogene Spitze. So wird sich auch jede Kurve gestalten, wo z. B. die Fruchtbarkeit mit x sich ändert oder wo irgendwelche Selektionsvorgänge mehr auf das eine als auf das andere Extrem der Variation eingreifen. In einer symmetrischen Häufig- keitskurve trifft die Ordinate, welche dem Mittelwert entspricht, mit der der größten Häufigkeit zusammen und teilt zugleich die Fläche in gleiche Hälften. Bei asymmetrischer Kurve sind die Ordinate des Mittelwertes, die der größten Häufigkeit und die, welche das Areal der Kurve halbiert, drei verschiedene Linien. Von dieser theoretischen Basis ausgehend, behandelt nun Verf. gleichfalls theoretisch den Einfluss der Vererbung und des Atavismus, sowohl bei ein- wie bei zweigeschlechtlicher Zeugung, auf die Häufig- keitskurven der Charaktere der Kinder. — Eine besondere Berück- sichtigung verdienen die Folgen von Veränderung der Lebensbedingungen. Durch dieselben kann der Abänderungsspielraum erweitert werden, indem die Naturauslese die über dessen Grenzen hinausreichenden extremen Variationen nicht mehr ausmerzt, sondern bestehen lässt. 314 Ammon, Der Abänderungsspielraum. Eig: 5, vr = nen Fig. 5. Umgestaltungen | der Häufigkeitskurve Eh [A \ i bei Vorrücken der AN! unteren und oberen ae . La 43} Grenze und endlichem A : - Stillstand derselben. nn nn - meet - . Peer 2 = = 2 u Entgegengesetzt, mag die strenger gewordene Selektion in den Ab- änderungsspielraum eingreifen und denselben enger beschränken, oder auch nur einseitig eingreifen, während auf der entgegengesetzten Seite über die früheren Grenzen hinausreichende Variationen bestehen und sich vermehren dürfen. Ein derartiges einseitiges Eingreifen der Selek- tion muss zunächst das Unsymmetrisch-werden der Kurve auf den folgenden Generationen bedingen. Lässt zugleich die Selektion an der entgegengesetzten Grenze nach, so wird die Kurve ihre Lage auf der Abseissenaxe verändern. Ist aber am Ende wieder Stillstand der Spielraumgrenze eingetreten, so wird die Kurve wieder allmählich ihre symmetrische Form bekommen. Das Symmetrisch-werden der Häufig- keitskurve, verbunden mit Erhöhung ihres Scheitels, ist der Ausdruck der Ausarbeitung eines mittleren Typus, welcher, von beiden Extremen gleich entfernt, die vorteilhaftesten Existenzbedingungen besitzt. Die Gestalt der nach der Gesamtheit der Einzelzahlen konstruierten Kurven gibt also Aufschluss über den stehenden oder vor- resp. rück- schreitenden Zustand bestimmter Verhältnisse jeder Art. Für die theoretische Diskussion aller möglichen Fälle verweisen wir auf die Originalarbeit. Eine praktische Anwendung hat die Methode bis jetzt nur auf anthropologische und soziologische Verhältnisse gefunden. Gerade hier ist sie von besonderer Wichtigkeit, denn im Socialleben gestalten sich die Selektionsverhältnisse am kompliziertesten, indem außer den durch die Verhältnisse der Körperteile zu einander (Intral- kampf ums Dasein) und des Individuums zur Außenwelt (Extralkampf ums Dasein), noch die socialen Beziehungen des Individuums zu seinem Stamm (Socialkampf ums Dasein) eingreifen. Der Abänderungsspiel- raum ist hier von sehr großer Bedeutung, denn er erlaubt die Varia- tionen, von welehen ausgehend das Individuum sich an die mannig- fachen Verhältnisse des geselligen Lebens anzupassen befähigt ist. GC. Emery (Bologna). [24] BT N Chun, Biologische Studien über pelagische Organismen. 315 C. Chun, Atlantis, Biologische Studien über pelagische Organismen. Sechstes Kapitel: Leuchtorgane und Facettenaugen. Ein Beitrag zur Theorie des Sehens in großen Meerestiefen. In: Biblotheca zoologica, Bd. VII, Heft 19, Lfg. 4, 1896, p. 193—260, Taf. XVI—XX, 8 Holzschn. In der äußerst anregenden Schrift sucht Chun, gestützt auf ein reiches Material morphologischer Beobachtungen, den Nachweis zu er- bringen, wie die Augen gewisser Crustaceen durch die allmähliche und schrittweise Anpassung an das Leben in schwach belichteten und endlich in lichtlosen Regionen sich umbildeten. Und nicht nur gelingt ihm die Feststellung der Thatsache in überraschendem Maße, dass der umformende Einfluss äußerer Existenzbedingungen an den Facettenaugen der Tiefseecrusta- ceen gewissermaßen abgelesen und abgemessen werden kann: die sorg- fältigen Studien werden zu einer wertvollen Stütze für die Anpassungs- theorie überhaupt und werfen gleichzeitig Streiflichter auf die Biologie der pelagischen und grundbewohnenden Tiefseetiere. Die bis jetzt nur unvollständig bekannten Leuchtorgane an den Stiel- augen der Euphausiden stellen konische Gebilde dar, die ihren Platz an der hinteren Außenfläche des Facettenanges finden. Sie sind umfasst von einem mächtigen, parabolischen Reflektor, dessen Pol durchbohrt ist, um dem aus einem Haufen von Ganglienzellen ent- springenden Leuchtnerven Durchtritt zu gestatten. Nach außen trägt der Reflektor einen Mantel vergänglichen, zinnoberroten Pigments. Distal gegen die Oberfläche hin, wird das Leuchtorgan durch ein System band- förmiger Lamellen mit eingestreuten Matrixzellen abgeschlossen. Als Füllung der Reflektorkuppel dienen deutlich begrenzte Zellen. Sie erzeugen wohl nach außen die Substanz des Reflektors selbst, nach innen dagegen eine eigentümliche zentral gelegene Bildung von komplizierter Struktur, den sogenannten Streifenkörper. Bei Huphausia wird der ganze Apparat durch quergestreifte, vom Stielmuskel abzweigende Fasern beweglich ge- macht, bei anderen Formen bleibt er unbeweglich. Das ganze Organ wird von einem Blutsinus umflossen. Außer den Leuchtapparaten der Stielaugen tragen die Euphausiden noch liehtspendende Organe an Thorax und Abdomen. Sie liegen paarig an der Basis des 2. und 7. Brustfußpaars und unpaarig, median, auf der Ventralfläche der vier ersten Abdominalsegmente. Von den Leuchtorganen der Stielaugen weichen sie wesentlich ab durch den Besitz eines diop- trischen Apparats in der Gestalt einer Linse, und durch ihre völlige Los- lösung von der Matrix des Chitinskeletts. Aeußerlich betrachtet erscheinen die nach demselben Typus aufgebauten Lichtspender von Thorax und Abdomen als kleine halbkugelige Vortreibungen der Chitinwandung. Ihre Lage ist so gewählt, dass von ihnen unterhalb, seitlich und rückwärts gelegene Gegenstände beleuchtet werden können, während das von den Organen der Stielaugen erzeugte Licht auf die mit den Thorakalfüßen gepakte Beute fällt. Unter allen Umständen, und das ist wichtig für die folgenden Erörterungen, werden die Dorsalfacetten des Schizopodenauges von dem Licht, das ihr Träger ausstrahlt, nicht getroffen. Gerade diese nicht beleuchteten Augenteile aber, bilden sich bei den pelagischen Tiefsee- erustaceen bedeutsam um. In beiden Geschlechtern zeigen die abdominalen und thorakalen 316 Chun, Biologische Studien über pelagische Organismen. Leuchtorgane denselben, an Linsenaugen sehr anklingenden Bau. Der oben beschriebene Reflektor, der Pigmentmantel uud das Lamellensystem kehren in etwas modifizierter Gestalt wieder; ebenso die polyedrischen Füllzellen und der Streifenkörper. Neu dagegen stellt sich ein, wie an- gedeutet wurde, eine homogene, sehr stark lichtbrechende Kugel- oder Bikonvexlinse. Modifiziert ist auch die Art der Innervierung. Der Nerv löst sich von dem entsprechenden Bauchganglion ab, umgreift, sich in zwei Aeste teilend, das Leuchtorgan und tritt von beiden Seiten her in dasselbe ein. Ein Ast des Nervs versorgt weiter noch die Extremität. Die thorakalen und abdominalen Leuchtorgane können ebenfalls durch eigene Muskeln gedreht werden; die Bewegung wird durch einen den Apparat umspülenden Blutsinus erleichtert. Von der Modalität der Lichterzeugung durch die beschriebenen Organe lässt sich Bestimmtes nicht melden: doch dürfte dieselbe durch Mittel er- reicht werden, welche von den bei Copepoden und Östracoden gebräuch- lichen abweichen. Kürzlich hat Giesbrecht den Beweis erbracht, dass die Liehtentwieklung vom sogenannten Streifenkörper ausgeht. Die Organe der Stielaugen scheinen stetig zu leuchten, während diejenigen von Thorax und Abdomen intermittierend aufblitzen. Den biologischen Zweck der lichtspendenden Apparate sucht Chun hauptsächlich in zwei Richtungen. Einmal ermöglichen sie ihrem Träger eine Orientierung in der Umgebung und erleichtern das Zusammentreten der Individuen zu Schwärmen — sie fehlen der blinden Bentheuphausia —, sodann dient ihr Lichtschein der Anloeckurg von Beute. Dass Leuchtorgane in letzterem Sinne wirken können, machen Experimente des Fürsten A. von Monaco mit in das Meer versenkten Glühlampen sehr wahrscheinlich. Im zweiten, größeren Abschnitt seiner Abhandlung wendet sich Chun zur Schilderung der Facettenaugen von in bedeutenden Tiefen schwebenden Schizopoden. Sie zeigen in auffallender Weise die von Form zu Form fortschreitende Tendenz, sich in zwei Bezirke, einen oberen und einen unteren, und endlich in zwei völlig getrennte Augen, ein „Frontauge“ und ein „Seitenauge* zu teilen. Während Euphausia pellucida noch ein einheitliches Kugelauge besitzt, beginnt sich das Sehorgan bei T’hy- sanoössa und Nematoscelis bereits in zwei Abschnitte zu gliedern, von denen der obere durch die vom Träger erzeugten Lichtstrahlen nicht ge- troffen wird. Vollkommen durchgeführt ist die Trennung in Front- und Seitenauge bei Stylocheiron, und von dieser Gattung besitzt wieder St. mastigophorum die morphologisch und physiologisch abnormsten Stiel- augen aller Arthropoden. Bei dieser Art erreichen die Augen in fertigem Zustand einen gewaltigen Umfang, etwa !/,— '/; der gesamten Körper- länge. Auch die Mysideen der größeren Wassertiefen erleiden die für 'Tiefseeeuphausiden geschilderten Umbildungen der Stielaugen. Der Prozess wird von ihnen sogar noch in einer Richtung weitergeführt, indem das Seitenauge von Form zu Form an Umfang mehr und mehr zu Gunsten des Frontauges einbüßt. Den Scehlussstein in dieser Reihe bildet Arachno- mysis, wo das Seitenauge ganz verschwunden ist, während sich das Front- auge mächtig ausgedehnt hat. Front- und Seitenauge sind durch eine Einschnürung und durch einen Pigmentmantel mehr oder weniger deutlich von einander getrennt. Die Corneafacetten laufen über die Einschnürung von einem Auge zum anderen -Chun, Biologische Studien über pelagische Organismen. 317 und weisen so auf den gemeinsamen Ursprung beider hin. Besonders ausgezeichnet wird das Frontauge durch seine stark vergrößerten Facetten- glieder; sie übertreffen bei St. mastigophorum diejenigen des Seiten- auges um das Drei- bis Vierfache. Die Randfacetten des Frontauges- sind auffällig zurückgebildet, es fehlen ihnen die Krystallkegel, während die zugehörigen Rhabdome in voller Entwicklung persistieren. Alle echten Tiefseeeuphausiden besitzen weder am Front- noch am Seitenauge Refina- pigment; bei den Mysideen tieferer Wasserschiehten dagegen treten teil- weise Retinapigmentzellen im Umkreis der Rhabdome auf. Die Zweiteilung des Auges steht mit dem Auftreten der Leuchtorgane in keiner ursächlichen Beziehung; denn sie wird auch bei nicht leuch- tenden Mysideen durchgeführt. Durch den relativ einfachen Bau der einzelnen Facettenglieder schließen sich die Schizopoden tieferer Wasserschichten enger an die Dekapoden an, als bisher angenommen wurde. Zu jedem Facettenglied fügen sich zu- sammen zwei Bildungszellen der Cornea, unter denen die vier Semper'- schen Zellen Clapar&de’s liegen, sodann sieben Retinulazellen, welche die vierteiligen Rhabdome mit den Axenfäden ausscheiden. Während in- dessen bei den Dekapoden alle vier Semper’schen Zellen als Krystall- zellen aufzufassen sind, werden bei den Schizopoden zwei von ihnen zu Füllzellen. Die beiden anderen bleiben Krystallzellen, d. h. Erzeuger der zweigeteilten Krystallkegel. Zu der für jedes Facettenglied feststehenden Summe von dreizehn Zellen kommen als interfacettäre Elemente noch je zwei Irispigmentzellen. So wird eine Grundzahl von fünfzehn Zellgebilden erreicht, welche für alle stieläugigen Krebse konstant sein dürfte. Chun wendet sich, gestützt auf seine Untersuchungen, gegen die durch Patten vorgetragene Ansicht über die Innervierung der Facetten- augen und schließt sich wesentlich den älteren Ausführungen von Gre- nacher an. Bei allen näher geprüften Formen wachsen die Augen wäh- rend des ganzen Lebens durch Anfügung neuer Facettenglieder weiter; am Rand von Front- und von Seitenauge bilden sich durch ektodermale Wucherung Knospungszonen. Die beim Wachstum beobachteten Vorgänge lassen sich mit den Angaben Claus über ähnliche Prozesse bei Brancht- pus vergleichen. Prinzipiell entspricht der Vergrößerungsprozess der Augen der Embryonalentwicklung des Sehorgans. Nach einer Besprechung der Topographie des Augenstiels, welche in Bezug auf die nervösen Öentren die von Grenacher festgestellten 'That- sachen bestätigt, legt sich Chun die wichtige Frage nach dem Sehvorgang im Auge der Tiefseeschizopoden vor. Die untersuchten Augen der Euphausiden und Mysideen erfüllen in vollendetem Maße alle von Exner in seiner klassischen Arbeit geforderten Bedingungen zur Darstellung eines „Superpositionsbildes“, das den Vorzug großer Lichtstärke besitzt. So dürfen speziell die Frontaugen von Ne- matoscehs mantis und diejenigen der Gattung Stylocheiron als der vollendetste Typus, von der Dunkelheit angepassten Gesichtsorganen be- zeichnet werden. Front- und Seitenauge sind übrigens in Bezug auf Funktion verschieden gestellt. Das Frontauge kann die Gegenstände nicht sehen, die vom Schein der Leuchtorgane seines Trägers getroffen werden. Es ist „tagblind“, unfähig in beleuchteten Räumen zu funktionieren. In der Dunkelheit erkennt es schattenhafte, verschwommene Umrisse und be- 318 Chun, Biologische Studien über pelagische Organismen. sitzt, wie sofort näher ausgeführt werden soll, in hohem Maße die Fähig- keit, sich bewegende Objekte zu unterscheiden. Das Seitenauge dagegen stellt nach Bau und Lage einen optischen Apparat dar, der auf die Er- zielung nicht verzerrter Detailbilder gerichtet ist. Arachnomysis, der das Seitenauge fehlt, kann somit feiner ausgeführte Bilder nicht wahr- nehmen. Auch in ihrer Pigmentierung dokumentieren sich die Facetten- augen der Tiefseeschizopoden als der Dunkelheit angemessene Sinnesorgane. Das Retinapigment der Öberflächenbewohner fällt für die Dunkeltiere als belanglos weg, und das Irispigment zeigt unveränderliche Dunkelstellung. Die Fähigkeit Pigmentumlagerungen und -wanderungen durchzuführen, geht den untersuchten Crustaceen tieferer Wasserschichten völlig ab. Nach den Entdeckungen Exner’s durfte für Tiefseeorganismen etwas anderes kaum erwartet werden. Eine gewisse Kompensation für den Verlust des Pigments bildet bei den in größerer Tiefe lebenden Schizopoden die für Wassertiere fast be- fremdlich starke Wölbung und der mehrschichtige Bau der Cornea, Nach Chun zielen diese Eigentümlichkeiten darauf ab, die seitlich einfallenden Strahlen zu sammeln und nutzbar zu machen. So wird die Bildung von Zerstreuungskreisen um die einzelnen Bildpunkte erleichtert und endlich die Fähigkeit erhöht, sich bewegende Gegenstände zu unterscheiden. Die Morphologie des Schizopodenauges entspricht den Verhältnissen der Vertikalverteilung der betreffenden Urustaceen; sie spiegelt getreulich die biologische Eigenart jeder einzelnen der untersuchten pelagischen Krebsformen wieder. Nach dem Bau des Auges lässt sich Wohnort und Lebensweise des Trägers bestimmen. Allmähliche Anpassungen an immer tiefere Meeresschichten verwan- delten das für die Oberfläche bestimmte Kugelauge der Flachwassermysideen und gewisser Euphausidengattungen schrittweise in ein zweigeteiltes Dunkel- auge. Durch diese Betrachtungen wird uns gleichzeitig Material zu phylo- genetischen Schlüssen über die Tiefseeschizopoden in die Hand gelegt. Ein analoger Prozess der Augenumbildung vollzog sich im Stamme der Sergestiden. Seine Vertreter sind hochpelagisch; einzelne bevorzugen die größeren Tiefen. Im allgemeinen nehmen ihre Augen Eiform an; gleichzeitig streckt sich der Augenstiel. Wenn auch eine deutliche 'Tren- nung in Front- und Seitenauge bei den Sergestiden unterbleibt, so erfährt doch auch hier die ‘nach vorn gerichtete Partie des Sehorgans eine auf- fallende Verlängerung ihrer Facettenglieder. Im speziellen Bau der Fa- cettenglieder lassen sich einige Abweichungen von den Schizopodenaugen nicht verkennen. Besonders sind Krystallkegel und Krystallzellen nicht scharf von einander zu trennen. Die Siebenzahl der Retinulazellen für jedes Facettenglied scheint beibehalten zu sein. Bedeutungsvoll ist die Thatsache, dass das Irispigment fehlt, das Retinapigment dagegen konstant vorkommt. So kann denn im nächsten Kapitel das „iridopigmentäre Auge“ der Tiefseeschizopoden dem „retinopigmentären Auge“ der Sergestiden gegen- übergestellt werden. Pigmentarmut ist für die Sehorgane der Tiefsee- vertreter beider Orustaceengruppen bezeichnend; die Pigmentverteilung aber verhält sich in beiden Fällen gerade entgegengesetzt. Ein Blick auf andere Crustaceengruppen ergiebt, dass das retino- pigmentäre Auge bei gewissen Amphipoden (Phronima) wiederkehrt. Gleichzeitig zeigt das Auge von Phronima die von den Schizopoden her A Chun, Biologische Studien über pelagische Organismen. 319 bekannte Teilung in Front- und Seitenauge. Von Phronima führt wieder eine lange Uebergangsreihe zum ungeteilten Auge mit verlängerten Dorsal- facetten, und endlich zum Kugelauge mit vollkommenem Ausgleich der Längeverschiedenheiten der Facettenglieder (manche Hyperiiden). Und wieder lässt die Augenstruktur auf die von den betreffenden Krebsformen bewohnte Wassertiefe zurickschließen. Eine besonders iuteressante Parallele zu den besprochenen marinen Urustaceen bilden in Bezug auf Augenstruktur die Uladoceren des süßen Wassers. Die an der Oberfläche lebenden, auf Pflanzenkost angewiesenen Daphniden besitzen ein ungeteiltes Kugelauge. Bei den tiefer vorkom- menden Polyphemiden, mit räuberischer Lebensweise, verlängern sich die dorsalen Facettenglieder, das Auge wird größer, retinopigmentäre Zustände treten allmählich ein. Durch die . Zwischenstufen von Leptodora und Polyphemus wird so das unpaare Stirnauge des nur Nachts an die Ober- fläche steigenden Bythotrephes vorbereitet. Von diesem unpaaren Gesichts- organ lehren Längsschnitte, dass es thatsächlich in zwei getrennte Augen, eine Frontauge und ein Ventralauge, zerfällt. Die Krystallkegel des Frontauges zeichnen sich durch bedeutende Länge aus; seine Rhabdome übertreffen nahezu dreifach diejenigen des ventralen Auges. Ueber Pytho- trephes hinaus geht Podon, wo das Ventralauge nur noch wenige Facetten zählt. Kvadne endlich bildet das vollkommenste Seitenstück zu Arachno- mysis, indem einzig das Frontauge erhalten bleibt. So zeigen vier verschiedene Urustaceengruppen, Oladoceren, Hyperiiden, Sergestiden und Schizopoden in sinnfälliger Weise ähnliche, konvergente Augenumbildung mit der Steigerung der Tiefenlage ihres Wohnorts. Ihre Oberflächenvertreter besitzen das einfache Kugelauge. In die Tiefen hinab- steigend stellen sich mehr und mehr die Charaktere der Dunkelaugen ein. Die dorsalen Facettenglieder verlängern sich; eine allmähliche Spaltung in Front- und Seitenauge findet statt; das Frontauge überflügelt das früher umfangreichere Seitenauge und besteht zuletzt allein weiter. Bald tritt auch Pigmentarmut ein, irido- oder retinopigmentäre Gesichtsapparate ent- stehen. So führt die Anpassung an immer größere und dunklere Tiefen positiv zur Entstehung feinster und monströsester Sehorgane. Negative Umbildungen der Augen finden sich bei den pelagisch in größerer Tiefe lebenden Crustaceen seltener, Es mag dies seine Erklärung wohl in dem Umstande finden, dass die betreffenden Krebse gelegentlich auch in besser durchleuchtete Wasserschichten, oder sogar an die Ober- fläche gelangen können. Die positiven Augenumformungen steigern sich mit zunehmender Tiefe, so dass die Ausbildung des optischen Apparats treu die biologische Eigen- art pelagischer Organismen wiederspiegelt und brauchbare Schlüsse über die Tiefenlage ihres gewöhnlichen Wohnorts gestattet. Damit stimmt auch die Thatsache, dass die Umbildung des Auges am weitesten getrieben ist bei den Schizopoden, welche die größten Tiefen aufsuchen, am wenigsten weit bei den Cladoceren, welche an das süße Wasser und seine relativ geringen Tiefen gebunden sind. Endlich darf nicht unbemerkt bleiben, dass die Augen der pelagischen Oberflächenbewohner primitivere Charaktere aufweisen, als die der Tiefe angepassten Sehapparate. So erscheint die Augenumbildung als ein Glied in der Kette morphologischer Umformungen, die im Laufe der Stammes- 30 Chun, Biologische Studien über pelagische Organismen. geschichte eintraten. Gleichzeitig ist der Schluss erlaubt, dass die Be- siedlung der tieferen Wasserschichten von der Oberfläche ausging. Auch die physiologische Seite der Frage verdient die vollste Beach- tung. Die pigmentarmen Augen mit verlängerten Facettengliedern bedeuten einen idealen Dunkel- oder 'Tiefseeapparat. Durch Verlängerung der Fa- cettenglieder wird die Möglichkeit gegeben, ein lichtstarkes Superpositions- bild zu entwerfen. Pigmentwanderung zur Abblendung greller Strahlen ist in der Tiefsee nicht nötig. So kann das Retinapigment fehlen und das Irispigment in konstanter Dunkelstellung bleiben. Solche Augen zeichnen die Tiefseeschizopoden aus. Weniger leistungsfähig sind’ die retinopigmentären Augen der Ser- gestiden, Hyperiiden und Polyphemiden, d. h. von Gruppen, welche im Ganzen der Oberfläche näher leben, als die Schizopoden. Sie arbeiten nicht durch Erzeugung eines Superpositionsbildes, sondern durch totale Reflexion. Das Bild fällt lichtschwächer aus. i Die Verlängerung der Facettenglieder verfolgt immer den Zweck, weite Zerstreuungskreise zu schaffen und dadurch die Erkennung beweg- licher Objekte zu erleichtern. Diesem Zweck dienen die Frontaugen, während die Seitenaugen mehr für die Spezialisierung der Bilder sorgen. Alle Träger von Frontaugen leben denn auch räuberisch; sie sind be- fähigt mit ihrem Gesichtsapparat die bewegliche Beute in Räumen zu erspähen, die dem gewöhnlichen Auge verschlossen bleiben. Für ihre räuberische Lebensweise spricht die ganze Ausrüstung mit Raubfüßen, mit gewaltigen Antennen, die Sinneshaare in üppiger Entwieklung tragen, mit Leuchtorganen zum Anlocken der Beute; dafür zeugt auch ihr Magen- bau und ihr Mageninhalt. Endlich stellt Chun den Augen pelagischer Tiefenbewohner, diejenigen der eigentlichen Grundbewohner entgegen. In Betracht fallen facettierte Stielaugen von Dekapoden und Schizopoden. Sie sind der großen Mehr- zahl nach iridopigmentär und schließen sich dadurch an die Gesichtsorgane gewisser pelagischer Tiefenbewohner an. Dagegen ergiebt sich ein scharfer Kontrast darin, dass kein Grundbewohner verlängerte Dorsalfacetten, oder gar eine Trennung von Front- uud Seitenauge besitzt. Die Kugelform des Auges wird im allgemeinen gewahrt. Im Ganzen weichen die Augen ‘der Grundbewohner von denjenigen der Oberflächenformen nur unbedeutend ab, wenn wir wenigstens von den verschiedenen Stadien der Verkümmerung der Gesichtsorgane absehen. Ein durchgreifender Unterschied liegt einzig in dem Mangel, oder in der Gegenwart des Retinapigments. Diese Aehnlichkeit in der Augenausbildung der Bodenbewohner der großen Tiefen und der Bodenformen des flachen Wassers dürfte sich wieder durch ähnliche Lebens-, und speziell Ernährungsweise der beider Gruppen erklären. Tiefseevertreter und Oberflächenformen nähren sich wahrschein- lich von Aas, oder überfallen doch große, leicht wahrnehmbare Beute. Die Krebse des Tiefseegrundes brauchen somit keinen Apparat, um Be- wegungen wahrzunehmen, wie er sich bei den pelagischen Raubkrebsen der 'Tiefsee in der Gestalt des abnormen Frontauges ausgebildet hat. So hat auch in diesem Falle wieder die Biologie dem Sinnesorgan den morphologischen Stempel aufgedrückt. F. Zschokke (Basel). [20] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der er in Erlangen. 2 Nummern von je 24 Ber bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchbandinee und Postanstalten. XVIL. Band. 1. Mai 1897. 9 Inhalt: Przesmycki, Ueber die intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. — Eismond, Zur Kenntnis des „Zwischenkörpers“. — v. Erlanger, Beobach- tungen über die Befruchtung und ersten zwei Teilungen an den lebenden Eiern kleiner Nematoden. — Brandes, Zur Begattung der Dekapoden. — Möller, Protobasidiomyceten. Ueber die intra-vitale Färbung des Kerns und des Proto- plasmas. Von Adam Marian Przesmycki. Aus dem zoologischen Institut München. Vorläufige Mitteilung. Die Wiehtigkeit der intra-vitalen Färbung für die biologischen Untersuchungen wird seit einigen Jahren durch von Zeit zu Zeit er- scheinende Angaben immer mehr bewiesen. Abgesehen von den Untersuchungen Ehrenberg’s, sind auch schon aus früheren Jahren die von Gerlach, Haeckel, Chrzonsch- tzewsky und Heidenhain wohl bekannt '). Von den später veröffentlichten Untersuchungen bis zu der letzten Zeit gruppiert sich der Hauptteil derselben um den Farbstoff! Methylen- blau, wo zum En zweier Zwecke angewendet wird: 4) Dr. Christian Gottf. Ehrenberg, Die Infusionstierchen als voll- kommene Organismen. Leipzig 1838. J. Gerlach, Ueber die Einwirkung von Farbstoff auf lebende Gewebe. Wiss. Mitt. der phys.-med. Soc. zu Erlangen, 1858. E. Haeckel, Phenomöne de localisation dans les tissus animaux. Journ. de l!’Anat. et de la Phys., 1875. Chrzonschtzewsky, Zur Anatomie und Physiologie der Nieren. Arch. f. mikr. Anat., Bd. X, 1875. Heidenhain, Versuche über den Vorgang der Harnabsonderung. Arch. f. ges. Physiologie des Menschen und der Tiere, Bd. IX, 1874. XVII, 21 399 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmäs. 1. Zur Untersuchung der Zellgranulationen !). 2. Zur anatomisch- physiologischen Untersuchung der Nerven?). Von den übrigen mit anderen Farbstoffen angestellten Unter- suchungen sind vor Allem die zahlreichsten und wichtigsten von A. Kowalewsky und auch die Arbeit von W. Pfeffer, dann von Brandt, Certes, Galeotti zu berücksichtigen). Ich sehe jetzt, vorläufig, von einer näheren Erörterung der oben erwähnten Untersuchungen ab und beschränke mich nur auf die kürzeste Zusammenfassung der aus diesen hervorgehenden wichtigsten Thatsachen und Angaben. Was die Färbungserscheinungen anbetrifft, welche im Protoplasma vorkommen, so möchte ich an folgende Thatsachen erinnern: 1) Ehrlich, Zur Geschichte der Granula, Farbenanalytische Unter- suchungen etc., 1891. S. Mitrophanow, Ueber Zellgranulationen. Biol. Centralblatt, Bd. IX, 1889, Nr. 17, 8.541. Derselbe, Etude sur Vorganisation des Baetöries. Intern. Monatsschrift f. Anat. u. Phys., Bd. X, Heft 11. M. Przesmycki, Ueber die Zellkörnchen bei den Protozoen. Biolog. Centralblatt, Bd. XIV, Nr. 17, 1894. 2) Ehrlich, Zur Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. Deutsche med. Wochenschrift, 1886, Nr. 4. Derselbe, Ueber die Methylenblaureaktion der lebenden Nervensubstanz. Biol. Centralblatt, Bd. VI, S. 214. C. Arnstein, Die Methylenblaufärbung als histologische Methode. Anat. Anz., Bd. 1,1887, >. 125.u. 591. Mayer, Die Methode der Methylenblaufärbung. Zeitschr. f. wiss. Mikr., Bd. VI, 8. 422. A. Bethe, Studien über das Centralnervensystem von (arcinas Maenas nebst Angaben über ein neues Verfahren der Methylenblaufixation. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 44, .S. 579, 1894. 3) A. Kowalewsky, Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Biol. Centralbl., Bd. IX, Nr.2 8.33, Nr.3 S.65, Nr. 4 8.127. Derselbe, Sur les glandes Iymphatiques des Nereides. C. r. 3-me Con- gres de Zoologie. Derselbe, Une nouvelle glande Iymphatique chez le Scorpion d’Europe. C. r. des s&eances de l’Acad. des sciences, T. 121, a. 1895, p. 101. Derselbe, Etudes biologique sur les clepsines. M&m. de l’Acad. Imper. de sciences de St. Petersbourg, 1897. W. Pfeffer, Ueber Aufnahme von Anilinfarben in lebende Zellen. (Ein Beitrag zur Mechanik des Stoffaustausches.) K. Brandt, Färbung lebender einzelliger Organismen. Biol. Centralbl,, Bd. L NET. Derselbe, Die koloniebildenden Radiolarien ete. Fauna u. Flora des Golfes von Neapel, 1885. Certes, Sur un procede de coloration des infusoires et des El&ments anatomiques, pendant la vie. Zool. Anz., Bd.IV, 1831, Nr. 81 u. 84. G. Galeotti, Ricerche sulla eolorabilitä delle cellule viventi. Zeitschr, f. wiss. Mikr., Bd. XI, p. 172. Pızesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 393 1. mit Hilfe der intra-vitalen Färbung kann man verschiedene distinkte Protoplasmateile für die nähere Untersuchung sichtbar machen; 2. durch die intra-vitale Färbung können anatomisch und beson- ders physiologisch verschiedene Zellen eines und desselben Ge- webes oder Organs nachgewiesen werden; 3. Zellen, Gewebe, Organe, welche morphologisch und physiologisch verschieden sind, zeigen verschiedene spezifische Beschaffenheit und somit — verschiedene Grade der chemischen Verwandt- schaft zu den verschiedenen Farbstoffen. Was die intra-vitale Kernfärbung anlangt, so könnte man aus den in einigen der eitierten Arbeiten befindlichen Angaben nicht die Schluss- folgerung ziehen, dass die Färbung des Kerns in den beschriebenen Fällen eine thatsächlich intra-vitale Färbung gewesen sei; im Gegen- teil, diesen Angaben nach könnte man eher annehmen — sie sei eine post- oder intra-mortale Erscheinung gewesen. Den ausschlaggebenden Thatsachen: der Kern färbe sich intrn-vitam, oder der Kern färbe sich, während die Zelle noch lange Zeit am Leben bleibt, begegnet man in den eitierten Arbeiten nicht. Die von mir unternommenen Untersuchungen bringen in der Rich- tung der intra-vitalen Färbung einen neuen Beitrag insofern, als sie einige neue, den bis jetzt existierenden Angaben nach, nicht bekannte Resultate zur Folge haben und dadurch auf eine vielseitigere Bedeu- tung der Methode der intra-vitalen Färbung hinweisen. Wegen der verschiedenen Wichtigkeit der Fragen, welche meine Untersuchungen berühren, nämlich: die Frage der Kernfärbung intra vitam, und die anderer Färbungserscheinungen im lebenden Organismus, finde ich es zweckmäßig, die Darstellung dieser Untersuchungen in zwei Teilen zu führen. Bevor ich aber dazu komme, möchte ich ein paar Worte über die von mir angewendete Methode und das Untersuchungsmaterial voraus- schicken. Die für die Untersuchungen angewendeten Farbstoffe waren: 1. Neutralrot — der von Ehrlieh!) zuerst in die biologische Technologie eingeführte Farbstoff; 3. Nilblau-Sulfat (Sulfat des Diäthylphenyl-p-ammonium-«-amido- naphtoxazins), entdeckt von Reissig, 18883; 3. Nilblau-Chlorhydrat (Chlorhydrat des Diäthylphenyl-p-ammo- niumbenzyl-«-amidonaphtoxazins), entdeckt von Julius, 1891; 4. der allgemein bekannte Farbstoff — Methylenblau; 5. dieselben vier Farbstoffe, aber nur von mir durch Einführung verschiedener organisch-chemischer Stoffe, welche auch als 7) Im Bericht vom „Verein für innere Medizin“ zu Berlin, 18. Dez. 1893. Münchener mediz. Wochenschrift, 1894, 8. 15. 394 Przesmycki, Intra-vitale Pärbung des Kerns und des Protoplasmas. Bestandteile des Kerns und des Protoplasmas bekannt sind, modifiziert. Näheres über die Arten dieser Modifizierungen und über chemische Eigenschaften aller in Anwendung gebrachten Farbstoffe, sowie über die Art der Anwendung dieser und einiger Fixierungsmittel für die intra vitam gefärbten Teile, wird in der ausführlichen Abhandlung berichtet. Hier sei als Methodisches folgendes erwähnt. Eine entsprechend verdünnte Lösung von diesen Farbstoffen wurde in bestimmten Quantitäten in ebenso bestimmte Portionen des die Unter- suchungstiere enthaltenden Wassers eingetröpfelt — solange, bis die gewünschte Färbung zu Tage getreten war. Als Untersuchungsmaterial dienten mir einige Vertreter der Pro- tozoa und der Metazoa: A. Protozoa. I. Ciliata. fam. Chilifera{Colpidium. [s ubordo: Aspirotricha Paramaecium fam. Paramaecina\ aurelia Ordo fam. Opalinina{Opalina ranarum. Tyichosto-ISubordo: Spirotricha, Seetio: Heterotricha. mata. KENSEmKo En Stentor coeruleus. Stentor viridis. fam. Flagiotomina{ Nictotherus coreliformis. ( fam. Bursarina |Balantidium!). II. Rhizopoda. Ordo: Heliozoa, Actinosphaerium Eich. B. Metazoa. I. Vermes. Klasse: Rotatoria, Gruppe Philodinida|Callidina symbiotica?). Klasse: Nemathelminthae, Ordn. Nematodae yynchme ale Klasse: Annelidae. Unterordn. Chaetopodae) ee Be. Unterordn. Hirudineae [tet II. Arthropoda. Crustacea. Unterkl. Entomostraca. Ordn. Copepoda. Unterordn. Eucopepoda{Cyelops. Ordn. Branchiopoda. Unterordn. Cladocera |Daphnia?). 1) Nach Bütschli’s System. Dr. H. G. Bronn’s Klassen u. Ordnungen des Tier-Reichs, I. Band. 0. Bütschli, Protozoa. 2) L. H. Plate, Die Rädertiere (Rotatoria). Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. Zacharias, Bd. I, 1891. 3) R. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie, 1895. Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 325 Eigene Beobachtungen. «) Ueber die Kernfärbung intra vitam. Diese Färbungserscheinung wurde erzielt bei einigen Vertretern der Ciliata und bei einem der Metazoa, nämlich: bei Collidina sym- biotica, durch Anwendung: 1. des Neutralrots!) und 2. desselben stark modifizierten Farbstoffs. Stentor. In einem Falle konnte man schon am 3. Tage, nach der Behand- lung mit Neutralrot, ziemlich stark rosa-gefärbte Kerne bei Stentor viridis und schwächer gefärbte bei Stentor coeruleus deutlich beobachten. Dabei zeigten die gefärbten Kerne in verschiedenen Individuen ver- schiedene Intensität der Färbung. Die Individuen besaßen, trotz der Färbung in den Kernen, eine vollkommen freie Bewegung und verrieten weder eine Schädigung im Protoplasma noch im Kern selbst. Der weiteren Experimente halber wurden die Tierchen mit gefärbten Kernen in derselben Kultur ohne neuen Zusatz des Farbstoffs belassen. Am folgenden Tage, ungefähr nach 25 Stunden, waren fast alle Stentoren, mit wenigen Ausnahmen, tot und stellten sich als rundliche Klumpen von farblosem und undurch- sichtigem Protoplasma dar. Von den am Leben erhaltenen Individuen des Stentor viridis sahen einige, äußerlich, noch ziemlich normal aus, die übrigen aber schon defiguriert und zwar in der Weise, dass das Protoplasma, bei sonst gut erhaltener Gestalt des Körpers, innerlich, in der Mitte desselben, sozusagen, zusammengeschoben erschien; der Kern aber blieb auf seiner früheren Stelle. Die zuletzt geschilderten Tierchen bewegten sich zwar ziemlich rasch, jedoch weniger selb- ständig, indem sie zugleich eine rotierende Bewegung um die Längs- axe ihres Körpers ausführten — eine Erscheinung, die den Stentoren, welche sich im normalen Zustande befinden, fremd ist. Diesen Zustand und nachträgliche Veränderungen bis zum Eintritt des Todes konnte man noch genauer an einigen Individuen verfolgen, welche am vorhergehenden Tage in ein Uhrgläschen abgesondert und zunächst im gleichen, Farbstoff enthaltenden Wasser, nachher aber in 4) Bis jetzt sind mir nur 2 Angaben über die Kernfärbung mit Neutralrot bekannt. Durch Dr. J. Ejsmond aus Warschau wurde mir freundlichst mit- geteilt, dass von Herrn Sosnowski in dem zootomischen Institut zu Warschau ein Fall der Kernfärbung bei Stylonychia mytilus beobachtet war, während das Tier sich noch normal bewegte. G. Galeotti giebt in seiner Arbeit (v. $. 322) kurze Erwähnung, dass er eine leichte Tingierung der Kerne in den Zellen des Flimmerepithels von Frosch beobachtet habe, während die Cilien sich noch bewegten. Diesen Fall der Kernfärbung, ebenso wie die mit den anderen Farbstoffen erzielten Fälle erklärt der Verfasser für eine post-mortale Erscheinung. 326 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. einem frischen weiter kultiviert waren. Die erwähnten nachträglichen Veränderungen bestanden darin, dass der Körper der Stentoren sich immer mehr einer Kugelgestalt näherte, wobei die Bewegung derselben sich nur auf eine Rotation um eine und dieselbe Stelle beschränkte. Die Defiguration im Protoplasma wurde immer bemerkbar. Kurz vor dem Tode des Individuums fing der Kern sich zu entfärben an und nach dem Tode kam eine völlige Entfärbung zum Vorschein. Die späteren Versuche wurden wegen des Mangels an Stentor viridis nur an Stentor coeruleus wiederholt und führten im Wesent- lichen, was die Art und den Verlauf des Färbungsprozesses anbetrifft, immer zu denselben Resultaten. Die Unterschiede ließen sich nur in der Geschwindigkeit des Verlaufs des Färbungsprozesses und der Lebensdauer der Individuen mit gefärbten Kernen konstatieren. Bei Stentor viridis trat die Färbung im Kern rascher ein, der Tod des Individuums aber bedeutend später als bei Stentor coeruleus. Während man die Zeitdauer des Lebens eines Individuums mit gefärbtem Kern und bei einem Zustand desselben, der normal zu sein schien, bei der ersteren Art auf einige Stunden berechnen konnte, beschränkte sie sich bei der letzteren nicht einmal auf eine Stunde. In beiden Fällen trat der Farbstoff im Kern der verschiedenen Individuen, ebenso wie die nachträgliche Veränderung des normalen Zustands der Zelle nicht zu gleicher Zeit und nicht in gleichem Grade zu Tage, was mit der individuellen Wiederstandsfähigkeit im Zusammen- hang stehen mag. Die Geschwindigkeit, mit welcher der Farbstoff in den Kern im Allgemeinen eindringt, hängt aber, scheinbar, in erster Linie von seinem Konzentrationsgrad und dann — von der individuellen Wiederstandsfähigkeit des Organismus ab. Man kann, sich auf die Beobachtungen intra vitam stützend, durchaus auf keine Veränderungen im gefärbten Kern hingewiesen werden. Zu demselben Resultate kommt man nach Durchmusterung der vergleichenden Präparate, welche auf genau dieselbe Weise von den Stentoren, einerseits, mit den intra vitam gefärbten Kernen und, andererseits, von den nicht gefärbten Individuen, durch Konservierung mit konzentrieriem Sublimat und nachträglicher Färbung mit Borax- karmin hergestellt wurden. In allen Fällen wurde die Entfärbung ebensowohl im Kern, als auch (der Zellgranulationen) im Protoplasma, welche schon während des Absterbens des Individuums beginnt, konstatiert. Bedeutend interessanter waren diejenigen Fälle der Kernfärbung, welche bei den parasitischen Infusorien beobachtet wurden — näm- lich insofern, als ihr Kern sich verhältnismäßig viel rascher, wie bei Stentor, nach dem Zusatz von Farbstoff, und bedeutend länger vor dem Tode des Individuums färbt. Außerdem, was besonders wichtig Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 397 ist, ließ sich bei einigen von diesen die Kernfärbung während der Zell- teilung verfolgen. Balantidium. In einem Versuch, wo die Balantidien, nachdem sie aus dem End- darm des Frosches entnommen waren, in frisches und den Farbstoff enthaltendes Leitungswasser gesetzt wurden, konnte man schon am folgenden Tage die Kernfärbung bemerken und die Individuen mit ge- färbten Kernen blieben längere Zeit, bis 24 Stunden, am Leben, ohne deutliche Abnormitäten zu zeigen. In einem anderen Versuch, wo die Tierchen in eine !/, prozentige und den Farbstoff (von derselben Quantität, wie in dem früheren Ver- such) enthaltende Kochsalzlösung gebracht waren, kam die Kernfärbung ebenso am folgenden Tage zum Vorschein, die Tierchen aber lebten noch länger — von 30 bis 40 Stunden in „scheinbar“ ganz normalem Zustand. In beiden Fällen färbte sieh der Kern stark Bordeaux-Rot, nur in dem ersteren Versuch zeigte die Farbe mehr einen Stich ins Blaue, in dem anderen mehr ins Orange. Der Kern stellte sich sonst homogen und stark lichtbrechend dar. Opalina ranarum. Bei den Versuchen, wo die Tierchen im frischen Leitungswasser kultiviert waren, kam die Erscheinung der Kernfärbung bedeutend schwächer zum Vorschein, als in den anderen, welche mit Kochsalz- lösung angestellt wurden. In dem ersteren Fall färbten sich die Kerne sehr schwach blass- rosa, nur kurz vor dem Tode trat eine etwas prägnantere Färbung ein, dabei aber waren die Tierchen schon meistenteils ganz unbeweg- lich und die Kerne stellten sich etwas defiguriert dar. In dem zweiten Fall wurde die Kernfärbung am folgenden Tage seit Anfang der Behandlung mit dem Farbstoff, in allen in der Kultur befindlichen Individuen sehr intensiv wahrnehmbar. In den kleineren Individuen trat sie etwas prägnanter als bei den großen zu Tage. An demselben Tage wurde bei vielen von diesen Individuen, sowohl den größeren, als auch den kleineren, während einiger Stunden, Zell: teilung verfolgt. Sie behielten dabei ihr gewöhnliches Aussehen und bewegten sich normal. Am nächstfolgenden Tage waren die Opalina schon meistenteils bewegungslos und manche von ihnen stark defiguriert. In den Versuchen beider Arten kam bei Opalina neben der stär- keren Rosa-Färbung der Kerne noch eine bedeutend schwächere blass- rosige Tingierung des Protoplasmas zum Vorschein. Nach dem Tode wurde bei Opalina ähnlich wie bei den Versuchen mit anderen Tierchen eine vollständige Entfärbung der Kerne und des 398 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. Protoplasmas beobachtet, aber der Prozess der Entfärbung schien hier langsamer vor sich zu gehen. Irgend eine deutliche Struktur konnte man in den gefärbten Kernen der Opalina nicht wahrnehmen. Nyetotherus cordiformis. In einem Falle, wo Nyetotherus cordiformis eine halbe Stunde, nachdem er aus dem Enddarm des Frosches entnommen und in frisches Leitungswasser von betreffendem Farbstoffgehalt gebracht war, wurde eine deutliche und intensive Färbung im Kern nach 2 Stunden 20 Min., in einem andern schon nach einer Stunde bemerkt. Indem das Protoplasma im Ganzen eine blass-rosige Färbung zeigte, trat dieselbe im Kern als dunkles Bordeaux-Rot hervor. Der Farbeton verriet einen schwachen Stich ins Blaue. Die Struktur des Protoplasmas und sein Zusammenhang mit dem Kern wurden viel deut- licher, als es in ungefärbtem Zustand der Fall gewesen wäre. Auf diese Weise gefärbte Individuen von Nyetotherus cordiformis beobachtete ich am 1. Tage des Verfahrens während 2 Stunden und hatte Gelegenheit zu konstatieren, dass die Tierchen weder im Proto- plasma, noch sonst in der Gestalt, noch endlich in der Freiheit der Bewegung eine deutlich wahrnehmbare Veränderung zeigten. Wohl wurden diese Veränderungen an denjenigen Individuen bemerkbar, welche längere Zeit unter einem recht starken Druck des Deckgläs- chens untersucht wurden, aber nur an diesen. Am folgenden Tage, nach 20 Stunden, seit dem Augenblick, wo die deutliche Kernfärbung im Nyetolherus cordiformis bemerkt wurde, blieb der größte Teil der Individuen lebendig und zeigte dieselbe Färbung wie am vorhergehenden Tage. Weder im Protoplasma noch im Kern konnte man eine deutlich wahrnehmbare Veränderung kon- statieren: sie waren in einem „scheinbar“ ganz normalen Zustande; nur die Bewegung der Individuen war geschwächt, was sich in einer schweren Arbeit der Cilien besonders gut kennzeichnete. Etwas anders fielen die Resultate der intravitalen Färbung bei denjenigen Individuen von Nyctotherus cordiformis aus, welche aus dem Rectum eines und desselben Frosches, wie die vor kurzem be- schriebenen, stammend, in eine !/;,prozentige Kochsalzlösung gebracht und auf dieselbe Weise, wie im ersteren Falle mit Neutralrot behandelt wurden. Der Färbungsprozess verlief in diesen Fällen langsamer — insofern, als die Kernfärbung erst am folgenden oder sogar am 3. Tage zum Vorschein kam, die Individuen aber lebten mit gefärbten Kernen und bei sonst gut erhaltenem Zustand der Zelle bedeutend länger. In einem Falle z. B., wo die Färbung im Kern erst am dritten Tage des Verfahrens bemerkt wurde, habe ich die Individuen mit gefärbten Kernen und in „scheinbar“ ganz normalem Zustand der Zelle während Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 329 4 Tagen beobachtet. Am 5. Tage, seit die Färbung im Kern verfolgt wurde, wurden die Nyctotherus cordiformis in eine frische Kochsalz- lösung hineingethan und kein Farbstoff mehr hinzugegeben. Bemerkens- wert ist, dass die Tierchen anfingen, sich sofort zu entfärben. In den neuen Bedingungen lebten sie noch 2 Tage. Am 1. Tage konnte man folgendes wahrnehmen: ein Teil der Individuen war tot und entfärbt; ein anderer verriet schon einen ab- normen Zustand des Zellkörpers; die übrigen dagegen stellten sich noch „scheinbar“ normal dar und bewegten sich auch ziemlich normal; die Individuen der beiden zuletzt genannten Kategorien waren nur etwas entfärbt, sowohl der Kern als auch das Protoplasma. Am 2. Tage waren alle Individuen fast vollständig entfärbt, sogar diejenigen, welche sich der letzten Kategorie von dem vorhergehenden Tage ähnlich darstellen. Am nächstfolgenden Tage war schon kein lebendes Individuum mehr wahrzunehmen. Der eklatanteste und wichtigste Fall der Kernfärbung bei Nycto- therus cordiformis wurde noch in einem anderen Versuch beobachtet. Die Tierchen waren zunächst in frisches Leitungswasser, ohne Zusatz von Kochsalzlösung oder Neutralrot, gebracht. Am folgenden Tage, als ich bemerkte, dass sie sich noch ganz normal verhielten und in den Teilungsprozess eintraten, that ich das Neutralrot hinzu. Nach 1 Stunde 40 Min. habe ich die Färbung der Kerne bemerkt. Man. hatte Gelegenheit bei einigen sich in verschieden weit vorge- schrittenen Teilungsstadien befindenden Individuen gefärbte Kerne zu beobachten und ferner während 2'/, Stunden den zwar langsam fort- schreitenden Teilungsvorgang zu verfolgen. Alle Individuen zeigten einen „scheinbar“ ganz normalen Zustand. Diejenigen Tierchen, welche sich in einem weit vorgeschrittenen Teilungsstadium befanden, bewegten sich vollkommen frei und normal; die Bewegung der anderen in früheren Teilungsstadien befindlichen Individuen war stark verlangsamt — Er- scheinungen, welche mit dem Teilungsprozess offenbar in Zusammen- hang stehen. Am folgenden Tage, d. h. am 2. der Färbung und am 3. Tage, nachdem die Tierchen aus dem Reetum des Frosches entnommen waren, war ihr Protoplasma stark defiguriert, die Bewegung sehr geschwächt und fast nur auf die Cilien beschränkt. Sie verrieten, im Allgemeinen, die Todessyptome. Der Teilungsprozess bei den am vorhergehenden Tage beobachteten Individuen war nicht zu Ende. In einigen Stunden wurden sämtliche Tierchen tot. Man könnte annehmen — der Farbstoff sei Schuld daran, dass die Nyctotherus cordiformis abstarben, ohne die Teilung vollbracht zu haben. Man darf aber andererseits nicht vergessen, dass diese Para- siten im frischen Wasser allein selten länger leben können und dass 350 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. es vielleicht, meiner Meinung nach sogar wahrscheinlich, andere un- günstige Bedingungen, welche dieses frische Wasser enthielten, die wahren Ursachen des Todes der beschriebenen Tierchen waren. Und diese Thatsache des Todes, bevor der Teilungsprozess zu Ende war, kann auf die Wichtigkeit der Beobachtung, dass man während einiger Stunden die gefärbten Kerne in verschieden weit vorgeschrittenen Tei- lungsstadien verfolgen konnte, keinen Einfluss haben: dieser Fall der Färbung des Kerns beweist, dass dieser den Farbstoff intra vitam auf- nehmen kann. Ich möchte hier noch ein paar Worte über die Art der Kern- färbung bei Nyetotherus cordiformis, im Allgemeinen, sowie den Unter- schied der Resultate, welcher bei Anwendung des frischen Leitungs- wassers und der Kochsalzlösung wahrnehmbar ist, hinzufügen. Bei den Versuchen beider Arten waren die toten Tiere vollständig entfärbt, und die Entfärbung fing schon während des Absterbens an. Bei den Versuchen beider Arten färbt sich der Kern intensiv bordeaux- rot, der Zellkörper verhältnismäßig schwach rosa. Bei den Versuchen mit frischem Wasser zeigte der Ton der Farbe mehr einen Stich ins Blaue, mit Kochsalzlösung dagegen — eher ins Orange. Der Unter- schied aber im Ganzen war sehr geringe. Die Hauptunterschiede in diesen Versuchen bestanden in etwas langsamer eintretender Aufnahme des Farbstoffs und in einer längeren Lebensdauer der gefärbten Indi- viduen in Kochsalzlösung, als im frischen Leitungswasser. Was die verlangsamte Farbstoffaufnahme betrifft, so kann sie auf zwei Arten interpretiert werden: 1. man kann vermuten — die offenbar giftige Einwirkung des frischen Leitungswassers auf die Parasiten sei durch Koch- salzlösung aufgehoben und die Wiederstandsfähigkeit der Or- ganismen gegen die Farbstoffeinwirkung sei dadurch länger erhalten; 2. man kann vermuten — die Eigenschaften des Farbstofis werden einigermaßen verändert, sobald er in die Kochsalzlösung kommt, und dadurch wird er durch die Organismen anders, wie in dem Versuch ohne Kochsalzlösung, aufgenommen. Callidina symbiotica bietet einige sehr interessante Erscheinungen der Kernfärbung. Was hier zuerst ins Auge fällt, sind die sämtlich dunkelrot ge- färbten Kerne der Hypodermiszellen und der Enddarmzellen. Dabei war das Protoplasma ebensowohl im „Zellsyneytium“ der Hypodermis, als auch in den Enddarmzellen vollkommen farblos. Auffallend ist die andere Erscheinung, welche ich einmal zu be- obachten Gelegenheit gehabt habe, nämlich — die Färbung riesiger Kerne in 2, sich in einem späteren Entwicklungsstadium befindenden E Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 331 Eiern, welche im Tier selbst lagen. Die Kerne waren sehr intensiv rosa-, schon fast rotgefärbt, die übrigen Teile der Eier dagegen sehr schwach rosa. Leider ist es mir nicht gelungen durch den zufällig eingetretenen Tod dieses Individuums und Mangel an mehreren solchen Stadien, den Entwicklungsprozess dieser Eier weiter zu verfolgen, um in diesem Falle beweisen zu können, dass die betreffenden Embryonen noch lebten. Mit Hilfe eines anderen Farbstoffs — des von mir stark modifi- zierten Neutralrots wurden noch andere Resultate bei demselben Tier erzielt. Erstens kamen dieselben Kerne der Hypodermiszellen noch günstiger zum Vorschein, indem sie bedeutend blasser, nichtsdesto- weniger aber intensiv gefärbt wurden und eine gewisse Zusammen- setzung erkennen ließen. Die Färbung in den Kernen der Enddarmzellen trat in diesem Falle auch viel deutlicher und ständiger hervor. Außerdem wurde ich durch die Anwendung dieses modifizierten Neutralrots auf weitere Bei- spiele der Kernfärbung bei Callidina symbiotica aufmerksam. Es traten noch zu Tage: 1., in dem größeren Teile der großen, oberflächlich gelegenen, polygonalen Zellen des Mitteldarms!) große, runde, blass rosa-gefärbte Kerne; 2. etwas kleinere und dunkler gefärbte — in der Fußdrüse. In den anderen Organen der Callidina, mit Ausnahme der Ge- schlechtsorgane, schien mir in diesem Falle die Kernfärbung auch vorhanden gewesen zu sein. Diese Beobachtung aber bedarf einer weiteren Bestätigung. In beiden Fällen der Färbung zeigten die Jungen, welche im Körper der Muttertiere wahrnehmbar waren, analoge Färbungs- erscheinungen. Den vorläufigen Beobachtungen nach scheinen die beiden Farb- stoffe den normalen weiteren Lebensverlauf der Callidina durchaus nicht zu stören. Bei diesem Tierchen hatte ich Gelegenheit, auch noch folgendes zu beobachten: in einem Falle konnte ich den Anfang des Entfärbungs- prozesses bei einem absterbenden?) Tier konstatieren; in einem anderen Versuch, wo die Tierchen aus der Farbstoffkultur in frisches reines Wasser übertragen waren, wurde am folgenden Tage eine bedeutend vorgeschrittene Entfärbung in lebenden Individuen wahrnehmbar. Diese beiden Beobachtungen bestätigen die schon so oft besprochene Er- scheinung der Entfärbung. 4) Nähere Beschreibung dieser Zellen — v. II. Teil dieser Mitteilung. 2) Der Tod war in diesem Falle durch sehr starken Druck des Deckgläs- chens herbeigeführt. 339 Przesmycki, Iutra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. Ich möchte hier noch kurz einige andere Versuche erwähnen, welche entgegengesetzte Resultate, als die bis jetzt beschriebenen, zur Folge haben. Bei Actinosphandium Eich., z. B. färbten sich die Kerne, sogar bei Anwendung des Neutralrots von einer sehr starken Konzentration, gar nicht und die Einwirkung des Farbstoffs verursachte einen sofort eintretenden Tod des Organismus, wenn dieser in der Farbstofflösung gelassen wurde. Beim sehr raschen Uebertragen der Tiere aus dieser Farbstofflösung in frisches, keinen Farbstoff mehr enthaltendes Wasser, erholten sich diese letzteren nach einer Zeit vollständig, die Kerne aber blieben ungefärbt. In den Versuchen mit Paramaecium aur. und Colpidium (Colpoda und nasutum) wurde wohl einige Male die Färbung der Kerne, bei sehr starken Konzentration des Farbstoffs, bemerkt; diese letztere aber trat immer nur bei einzelnen Individuen, einige Minuten vor dem Tode, zu Tage und war von gleichzeitig er- scheinenden starken Veränderungen im Körper und Kern begleitet. Diese Färbungserscheinung beobachtete ich nur bei den Versuchen, welche unter dem Deekgläschen ausgeführt wurden und bin geneigt zu glauben, dass sie nur bei den einzelnen, dureh einen allzu starken Druck dieses geschädigten Individuen zum Vorschein kam. Aus den soeben dargestellen Versuchen ergiebt sich: 1. dass in manchen Fällen (es kann sein — sogar sehr vielen) der Kern, sogar bei Anwendung des Farbstoffs von der stärksten Konzentration, welche den Tod der Zelle hervorruft, keinen Farb- stoff aufnimmt; 2. dass in manchen Fällen die Färbung des Kerns nur durch die Schädigung der Zelle und vielleicht auch des Kerns zu Stande kommt. Ich stelle das Beobachtete kurz zusammen: 1. Der Kern färbte sich, während die Zelle sich eine längere Zeit nachher — bis 5 Tage — in einem Zustand befand, den ich für einen ganz normalen Zustand zu erklären geneigt bin. 2. Die Zellen mit gefärbten Kernen konnten, wie z. B. bei Opalina ranarum, den ganzen Teilungsprozess durchmachen. 3. Der Kern selbst zeigte, nachdem er gefärbt worden war, keine Abnormitäten, was man am lebenden Tier äußerlich beobachten und auch aus den vergleichenden Präparaten wie bei Stentor coeruleus er- sehen konnte. 4. Die gefärbten Kerne konnten, wie bei Nyetotherus cordiformis, in verschiedenen Teilungsstadien beobachtet werden. 5. Die Kernfärbung trat in verschiedenen Zellen verschieden rasch, seit Anfang der Behandlung mit dem Farbstoff, und verschieden lange vor ihrem Tode zu Tage. Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 335 6. Die Kernfärbung kam auch gar nicht zum Vorschein, sogar bei Anwendung der stärksten Konzentration des Farbstoffs und dadurch hervorgerufenem Tode der Zelle, oder sie wurde nur bei deutlich sicht- barer Schädigung des Organismus wahrnehmbar. 7. Die Kerne innerhalb einer nnd derselben Art von Zellen nahmen den Farbstoff verschieden rasch auf. 8. In jedem Falle, mit Ausnahme von dem bei Callidina, wo die Zeit des Todeseintritts genau nieht wahrgenommen wurde, trat der Tod der Zelle, nachdem die Kernfärbung. stattgefunden hatte, in ver- schiedenen Zeiträumen ein. 9. Nach dem Tode der Zelle wurde der Kern nebst dem ganzen Zellkörper entfärbt und diese Erscheinung fing schon während des Absterbens der Zelle an. Diese Erscheinung wiederholte sich ständig, obwohl die Untersuchungstierchen in denselben Farbstoff enthaltenden Kulturen gelassen wurden. 10. Eine vollständige Entfärbung des Kerns und des Protoplasmas konnte auch an lebenden Zellen beobachtet werden, nachdem diese in frische, keinen Farbstoff mehr enthaltende Kulturen gebracht wurden. Diese Resultate meiner Untersuchungen veranlassen mich, ferner ihre eventuelle Bedeutung für die Frage .der intra-vitalen Färbung des Kerns etwas näher zu erörtern. Ich möchte zunächst hervorheben, dass die Beobachtungen: 1, 2, 3, 4, 9 und 10 — alle, 2, 4, 9 und 10 aber entscheidend dafür sprechen, dass der Kern in den von mir beschriebenen Fällen, ausgenommen die Versuche mit Paramaecium aur. und Colpidium, sich intra vitam färbte. Wenn der Kern sich intra oder post mortem färben würde, so könnte dann eine Zelle mit gefärbten Kernen, wie in dem Versuch mit Opalina ranarum, den Teilungsprozess nicht durchmachen, oder in diesen, wie in dem Versuch mit Nyetotherus cordiformis, nicht eintreten. Die unter 9 zusammengefasste Erscheinung der Entfärbung des Kerns und des Protaplasmas muss meiner Meinung nach auf Zustande- kommen gewisser neuer chemischer Reaktionen beruhen, welche im Kern und Protoplasma durch manche, von außen kommende Stoffe hervorgerufen werden. Und mit der ersten Minute des Todeseintritts wird offenbar, diesen Stoffen der Weg sowohl in das Protoplasma als auch in den Kern freigelegt! Ebenso ist es wahrscheinlich und mög- lich, dass mit dem Eintritt des Todes noch im Organismus selbst, in seinen Bestandteilen, resp. in seiner Konstitution eine Veränderung zu Stande kommt, ohne dass die von außen kommende Stoffe daran Teil nehmen. . Alle diese Umstände rufen offenbar die Aenderung der intra-vitalen spezifischen Beschaffenheit sowohl des Kerns als auch des Protoplasmas hervor und verursachen die Erscheinung der Entfärbung. Daraus folgt ferner, dass die intra- oder post-mortale spezifische Beschaffenheit des 334 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas, Kerns den Farbstoff zu binden nicht mehr im Stande ist und dass die Eigenschaft des Kerns den Farbstoff zu binden mit seiner intra-vitalen spezifischen Beschaffenheit im innigsten Zusammenhang steht. In demselben Sinn soll auch die unter 10 gefasste Erscheinung der Entfärbung gedeutet werden: sie spricht gleichfalls für die intra-vitale Beteiligung des Kerns bei dem Prozess der Aufnahme des Farbstoffs. Es fragt sich nun aber, ob der Farbstoff in allen Fällen, ganz abgesehen von den Fällen bei Paramaecium aur. und Colpidium, schädigend auf die Zelle, resp. den Kern einwirkte? Man könnte wohl, sich auf die unter 9 zusammengefasste Beob- achtung stützend, annehmen, dass der Farbstoff in allen diesen Fällen schädlich, nur in verschiedenen Graden einwirkte. Es ist aber auch eine andere, etwas weiter gehende Annahme vielleicht noch mehr be- rechtigt. Diese Frage wird man wohl entscheidend nur dann beantworten können, wenn es möglich sein wird, eine Beobachtung zur Hand haben, wo eine Zelle mit gefärbten Kern den Teilungsprozess oder ein Ei den Entwickelungsprozess vollbracht haben und nachher eine ent- sprechend längere Zeit am Leben bleiben. Eine Beobachtung in dieser Art bietet zwar der Fall mit Opalina ranarum, wo man Gelegenheit hatte zu konstatieren, dass die Individuen mit gefärbten Kernen den Teilungsprozess durchgemacht und nachher eine Zeit gelebt haben und wo man den schon am folgenden Tage eingetretenen Tod durch den Wechsel der Lebensbedingungen, etwa rechtfertigen könnte; aber gerade diese neue Lebensbedingungen, über deren eigentlichen Einfluss man zu wenig wissen kann, verursachen, dass der beschriebene Fall vorläufig für ungenügend maßgebend und beweiskräftig für die Lösung der Frage erklärt werden muss. Ich halte ihn aber für genügend maßgebend, um andererseits an- nehmen zu dürfen, dass in dem Falle mit Opalina der Farbstoff un- schädlich einwirkte, und ferner, dass es Fälle gebe, wo der Farbstoff weder auf den Kern noch auf das Protoplasma schädigend einwirke und zwar aus dem Grunde, dass hier der Farbstoff der spezifischen Beschaffenheit sowohl des Kerns als auch des Protoplasmas vollständig entsprochen und dadurch keine schädlichen Reaktionen hervorgerufen habe. Die unter 5 und 6 notierten Beobachtungen müssen, meiner Meinung nach, wieder durch die verschiedene spezifische Beschaffenheit des Kerns resp. verschiedene oder gar keine chemische Affinitäten dieses zu dem Farbstoff bei verschiedenen Arten der Zellen erklärt werden. Die unter 7 zusammengefasste Beobachtung mag mit der indi- viduellen Widerstandsfähigkeit im Zusammenhang stehen. Da man vorläufig noch nicht beweisen kann, inwiefern der Farb- stoff in der Reihe der geschilderten Beobachtungen schädlich oder un- Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmäs, 335 schädlich auf die Zelle im allgemeinen einwirkte, so kann man auch vorläufig mit Bestimmtheit nicht sagen, inwiefern der so oft besprochene „normale Zustand“ der Zelle wirklich normal war, obwohl ich diese Begriffsbestimmung für ganz berechtigt zu halten geneigt bin, da sich die Zelle in diesen Fällen kaum anders als in dem ungefärbten Zu- stand verhielt. Aus dem Grunde bezeichnete ich diesen Zustand der Zelle bei der Darstellung meiner Beobachtungen der Präzision halber als „scheinbar“ normal. Ich fasse meine Annahmen folgendermassen zusammen: I. Der Kern kann sich während des normalen und eine längere Zeit fortdauernden Lebens der Zelle färben. II. Der Kern kann sich während seines eigenen Lebens färben, was schon jetzt, den geschilderten Beobachtungen nach, als vollständig bewiesene Thatsache gelten soll. II. Die Färbung des Zellkerns intra vitam hängt offenbar von seiner spezifischen Beschaffenheit ab. Diese letztere bewirkt in einem Falle die Nichtaufnahme des Farbstoffs, ruft in einem anderen den Tod des Kerns hervor, indem in dem- selben manche giftige Reaktionen bei dem Zutritt des Farbstoffs entstehen (post- oder intra-mortale Färbung) in einem dritten Falle, endlich, bedingt sie die Farbstoffaufnahme intra vitam, wenn der Farb- stoff der spezifischen Beschaffenheit des Kerns entspricht. Ich vermute ferner — es werde sich wahrscheinlich um einige sozusagen „ideale Farbstofte* handeln, der Zahl der verschiedenen spezifischen Beschaffenheiten der Kerne entsprechend. Ich halte es auch für möglich, dass diese Zahl nicht allzu groß sein wird, indem es vielleicht mit der Zeit gelingen wird, die erwähnten ver- schiedenen spezifischen Beschaffenheiten in möglichst wenige Gruppen zu ordnen. Ebenso soll man die Färbung des Mikronukleus nicht für aus- geschlossen halten, wenn man auch bis jetzt dieselbe mittelst der an- gewendeten Farbstoffe nicht hat beobachten können: man soll die Möglichkeit der Färbung des Mikronukleus berücksichtigen, indem man sich an die Thatsache erinnert, dass der letztere wieder etwas anders als das Makronukleus beschaffen ist und annehmen, dass es sich hier wieder um einen anderen „idealen“, der spezifischen Beschaffenheit des Mikronukleus entsprechenden Farbstoff handeln würde. (Schluss folgt.) 336 Eismond, Zur Kenntnis des „Zwischenkörpers“. Zur Kenntnis des „Zwischenkörpers“. Von Joseph Eismond. (Aus dem zootomischeu Institut der Universität Warschau.) In neuester Zeit wird in der Litteratur mitunter eine eytologische Kleinigkeit hervorgehoben. Das ist eine die Teilung der tierischen Zelle öfters begleitende Erscheinung, die, soweit es aus Einzelbeobach- tungen hervorgeht, etwas Konstantes zu sein scheint und als solches, im Sinne der bisherigen Nomenklatur, als Zwischenkörperbildung zu unterscheiden ist. Dieselbe besteht darin, dass es an sich teilenden Mutterzellen, zumal im Stadium begriffen, wo diese bereits ziemlich tief eingeschnürt worden ist, entsprechend der Teilungsebene, zur Differenzierung einer Art Zwischenstücks kommt, welches sich gegen die beiden Tochterzellen in der Weise von Trennungsrain verhält. Als Flemming, unabhängig von Prenant, hierauf eben besondere Aufmerksamkeit hingelenkt hatte und diese Differenzierung mit Bildung der pflanzlichen „Zell- platte“ in Uebereinstimmung brachte, wurden derartige Verhältnisse alsbald von mehreren Seiten durch anderweitige Beobachtungen be- stätigt, und die diesbezügliche Kasuistik ist bisher durch so viele Einzel- befunde bereichert worden, dass irgend wiederholte Untersuchungen nieht mehr lebhaftes Interesse erwecken. Es gibt dennoch einen Punkt, der hier lebhaft hervorgehoben zu werden verdient. Während der „Zwischenkörper* bekanntlich ausschließlich an Gewebszellen nach- gewiesen wurde, wobei man nur jene strukturellen Veränderungen ins Auge fasste, die bei Teilung am Zellenleibe ablaufen, wurde indessen in der Litteratur schon in 1877 eine Beobachtung beschrieben, welche sich immer bei Erwägungen über das „Aequivalent“ der Zellplatte auf- drängt. Diese Beobachtung betrifft namentlich eine Bildung, die ebenso unter Teilungsprozessen auftritt und im wesentlichen nur insofern als etwas besonderes zu betrachten ist, dass sie dem „Zwischenkörper“ entgegen sich am Zellkern hervordifferenziert. Das ist die bekannte Beobachtung von R. Hertwig!) an Spirochona gemmipara St. In Mitte des bei Teilung hantelförmig eingeschnürten Makronukleus bildet sich bei dem genannten Wimperinfusorium, entsprechend der Teilungs- ebene, ein verdicktes, intensiv färbbares Zwischenstück aus, welches nun trotz der durch den Beobachter selbst damals angegebenen Deutung, auffallender Weise'an den „Zwischenkörper“ der Gewebszellen erinnert. Der soeben besprochene Befund, erst nach einem längeren Zeit- verlauf durch Flemming gelegentlich hervorgehoben, neuerdings aber durch wiederholte Untersuchungen Balbiani’s?) festgestellt, ist meines 4) R. Hertwig, Ueber den Bau und die Entwicklung der Spirochona gemmipara. Jenaische Zeitschr., Bd. XI, 1877. 2) Balbiani, Sur la structure et la division du noyau chez le Spirochona. Annales de mierographie. Juillet- Aoüt, 1895, p. 25—26. Eismond, Zur Kenntnis des „Zwischenkörpers“. 337 Erachtens in vielen Beziehungen bemerkenswert. Zunächst aber ver- dient derselbe deswegen näher betrachtet zu werden, dass man da- durch unwillkürlich veranlasst wird, bei Erwägungen über die mecha- nische Grundlage der Teilungsvorgänge, von Zwischenkörperbildung im allgemeineren Sinne zu reden und diese selbst etwa in kausalen Zusammenhang mit gewissen biomechanischen Verhält- nissen zubringen, die überhaupt für Teilung der lebenden Materie konstant sind und somit hoffentlich für Zell- sowie Kernteilungserscheinungen identisch sein müssen. Ferner scheint auch die Vermutung zulässig, dass die „Awischen- körper“, sobald sie an verschieden beschaffenen leben- digen Substraten — wie Kern und Zellleib — sich aus- bilden, wohl auch verschiedene stoffliche Beschaffen- heiten besitzen dürfen. So viel ich weiß, wurden dennoch Verhältnisse, denen der Spirochona- Kerne analog an Kernen anderer Objekte mit gleicher Präeision nicht erkannt. Was aber hier von besonderem Interesse ist, ist namentlich der Umstand, dass es bisher noch nieht konstatiert worden ist, ob die Zwischenkörperbildung irgendwo auch bei direkter Kernteilung statt- finde. Der letztere Punkt muss aus dem Grunde betont werden, weil die Kernteilung bei Spirochona sich gewissermaßen der Karyokinese nähert, was nun im Anschluss an die Befunde Flemming’s uns zur Zeit berechtigen könnte, der in Rede stehenden Erscheinung gewisse spezielle und dabei nur der echten Karyokinese eigen- tümliche Bedingungen zu Grunde zu legen. Gestützt auf Präparate von Herrn Stud. Kudelski, der im hiesigen Institute über Kernteilung an Infusorien arbeitet, möchte ich skizzen- haft einige Beobachtungen mitteilen, hoffend, dass wir dadurch etwas tieferen Einblick in die Natur des „Zwischenkörpers“ gewinnen. Die gleich zu besprechenden Befunde verdienen, in Erwägung der oben angedeuteten Punkte, umsomehr betont zu werden, da es sich hier um Zwischenkörperbildung bei Kernteilung handelt, welche sonst als echte Amitose angesehen werden könnte. Das Untersuchungsexemplar, XVII. 22 338 Eismond, Zur Kenntnis des „Zwischenkörpers*. ein Wimperinfusorium Glaucoma seintillans Ehrbg., durch die oben- stehende Figur wiedergegeben, wurde gelegentlich nebst anderen Wimperinfusorien unter dem Deckgläschen mit Chromessigsäure fixiert, dann durch Alaunkarmin gefärbt und zum Zweck der Herstellung feinerer Strukturverhältnisse in Canadabalsam eingeschlossen. Bei solcher Behandlung waren folgende Einzelheiten zu sehen. Rings um den Zellkörper verläuft eine zur Zeit noch schwierig erkennbare Ein- schnürungsfurche. Der entsprechend lässt sich aus Protoplasmastruk- turen die deutlich markierte Teilungsebene entziffern, was schon auf die Vorbereitung zur eben beginnenden Zerklüftung des gesamten Körpers des Infusoriums hinzudeuten scheint. Indessen sieht man den Kern- apparataufdem Stande stehen geblieben, wo der Makronukleus nach bereits vollzogener Teilung des Mikronukleus, noch hantelförmig eingeschnürt verharrt, wobei seine Teilungsebene mit der des Zellkörpers zusammen- trifft. Nunmehr fällt das Wichtigste ins Auge, nämlich das ver- diekte, durch Alaunkarmin intensiv gefärbte und homogen aussehende Zwischenstück, welches in Mitte der die Teilhälften des Mutter-Makro- nukleus brückenweise verbindenden Kommissur zu liegen kommt. Dabei stellt der gesamte Kern, wie dies überhaupt bei Protozoen vorkommt, einen gegen den Zellleib scharf abgesetzten Körper dar. Abgesehen von sonstigen Einzelheiten, die hoffentlich aus der Figur selbst ersichtlich sind, möchte ich beiläufig noch auf das Folgende aufmerksam machen. Der bisher für Kernteilungen angewandten Diagnose gemäß, sollten die Verhältnisse bei @/aucoma zur „Amitose“ gerechnet werden, wofür zunächst das Fehlen von fädigen Anord- nungen des Chromatins sprechen dürfte. Von diesem Gesichtspunkte aus geseben, scheint nun sehr auffällig der Umstand, dass der Kern dennoch keine direkte Einschnürung vorzeigt, wie solche zu erwarten wäre !). Verhältnisse, welche hier zu sehen sind, wenn sie an gemeine Mitosen auch nicht erinnern, deuten indessen aufs klarste auf gewisse innere Umlagerungen des Chromatins hin, denen wohl dieselben mecha- nischen Bedingungen zu grunde liegen, wie solche auch bei der Karyokinese denkbar sind. So, während die Endabschnitte der Hantel- figur kompakt angesammelte Chromatinmasse ausmacht, die hier so intensiv dem achromatischen Kernstroma eingelagert ist, dass dadurch das letztere sich nicht mehr erkennen lässt, scheint dementgegen die oben genannte Kommissur des Chromatins absolut zu entbehren; dabei sieht dieselbe genau so aus, als wenn sie bei seiner Ausbildung auf Kosten des achromatischen Kernstromas ausgesponnen wäre, wie dies eben bei echten Mitosen unter Form von „Verbindungsfasern“ zu 1) Für direkte Kernteilung muss man gewiss nur einen solchen Teilungs- akt halten, wo der Kern sich teilt, ohne dass seine strukturelle Konstitution dabei irgend Störungen erleidet. Derartige Teilung ist doch wirklich in vielen Fällen zu beobachten. v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 339 Stande kommt. Wenn man nun unter solchen Verhältnissen auch Zwischenkörperbildung konstatiert, so macht dies die Vermutung zu- lässig, dass hierbei dieselben biomeehanischen Ursachen wirksam waren, welche wir der typischen Mitose beimessen könnten, abgesehen natür- lich von jeglichen sekundären Erscheinungen, wodurch die letztere in Einzelfällen begleitet werden kann. Was doch zuletzt die Entstehungsweise selbst des Zwischenstückes an der besprochenen achromatischen Kernkommissur betrifft, so kann ich dafür keinen bestimmten Nachweis liefern, denn es war in auf- einanderfolgenden Momenten nicht zu verfolgen. Jedenfalls aber halte ich es für irrtümlich, wenn Jemand hier mit einem Ueberbleibsel von Chromatin thun zu haben glaubte. Noch weniger Wahrscheinlichkeit hätte aber meines Erachtens die Vermutung für sich, dass im dem gegebenen Fall gewisse besondere „Körnchen“ engagiert werden, wie solche eben, nach Auffassung mancher Autoren bei Mitose an „Central- spindelfasern“ auftreten sollen, um dann zum Aufbau des „Zwischen- körpers“ verwendet zu werden. Soweit meine eigenen Untersuchungen an Gewebezellen ausreichen, scheint vielmehr die Zwischenkörper- bildung vor Allem auf einer näher nicht zu bestimmenden biochemi- schen Metamorphose zu beruhen, der die sonst lebendige Gerüstsubstanz des Protoplasmas anheimfällt, sobald sie in der Teilungsebene ge- troffen wird. Dafür spricht doch die Bildung der pflanzlichen „Zell- platte“, welche letztere nur insofern etwas besonderes zu deuten hat, dass sie sich auf die Pflanzenzelle bezieht und dementsprechend nach- träglich zu einer eigentümlichen Spezifität gelangt, was man von vornherein annehmen muss). [42] Beobachtungen über die Befruchtung und ersten zwei Tei- lungen an deu lebenden Eiern kleiner Nematoden. vVon’R. v Erlanger. (Fortsetzung von Nr. 4 S. 152 d. Jahrg.) 1. Kerr Die im ersten Teile vorliegenden Aufsatzes mitgeteilten Beobach- tungen waren vorzugsweise an den Eiern von Rhabditis dolichura ge- macht worden, da diese Form in gewissen Hinsichten die günstigere von den beiden ist, welche mir in reichlicher Menge zu Gebote standen. Die erwachsenen Exemplare von Rh. dolichura sind nämlich relativ klein und dünn und enthalten verhältnismäßig wenig Eier, sodass man deren Entwicklung bequem im Körper des Muttertieres verfolgen und so feststellen kann, welcher Pol der innere, welcher der äußere ist. 1) Einstweilen gehe ich auf weitere Ausführungen nicht ein; ich hoffe dennoch binnen Kurzem die oben geäußerte Auffassung in einem besonderen Aufsatz näher auseinander setzen zu können. DDEZ 340 v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. Dagegen eignet sich die Art wenig zur Anfertigung von Präparaten, die zum Vergleich und zur Beurteilung des lebenden Materials von Wichtigkeit sind, weshalb ich meine Aufmerksamkeit seither mehr der Rhabditis pellio zugewendet habe. Hier lässt sich nach Fixierung mit Alkohol-Eisessig (andere Fixierungsflüssigkeiten dringen durch die sehr undurchlässige Eihaut schlecht durch), Färbung mit Anilinfarben- gemischen (Vesuvin-Jodgrün, Säurefuchsin-Malachitgrün) und Auf- hellung in verdünntem Glyzerin, die Gestalt der Richtungsspindeln, ihre ehromatischen Elemente, der Zerfall des Spermatozoons, das An- schwellen des Spermakerns zum sogenannten männlichen Vorkern, verdeutlichen. Der Zerfall des Kopfteiles des Spermatozoons und das Freiwerden der Deutoplasmakörner, welche sich im Eiplasma zer- streuen und auflösen, verläuft ähnlich, wie ich es für Ascar’s megalo- cephala beschrieben habe, mit dem Unterschied, dass das Spermatozoon längere Zeit hart unter der Oberfläche des äußeren Eipols verbleibt und erst der sog. männliche Pronueleus etwas nach dem Eimittelpunkt vordringt. Es gelang mir dagegen nicht das Schicksal des Homologons des Glanzkörpers hier festzustellen; sollte derselbe wie bei Ascaris megalocephala längere Zeit innerhalb des Eiplasmas als ein homogenes Kügelehen verbleiben, so wäre es schwer ihn nachzuweisen, da das Eiplasma eine wechselnde Anzahl größerer Dotterkugeln enthält, von denen das erwähnte Kügelchen sich nicht leieht unterscheiden ließe. Am lebenden Ei habe ich zwischen Ei und Eimembran nichts gefunden, was mit dem kugligen Glanzkörper identifiziert werden könnte, daher scheint mir noch das wahrscheinlichste zu sein, dass er, wie bei Ase. megalocephala öfters auch der Fall ist, im Eiprotoplasma aufgelöst und resorbiert wird. Bezüglich der Lage des Centralkörpers im Samen- körper und seines Freiwerdens bin ich auch zu keinem positiven Re- sultat gelangt, es wäre immerhin möglich, dass der Centralkörper im Kern der ruhenden Spermatide liegt und aus dem sog. männlichen Pronucleus heraustritt (vergl. Teil I Fig. 10). Am lebenden Ei RA. pellio ließen sich noch weitere interessante Details, die bei Rh. dolichura nicht zu ermitteln waren, beobachten, namentlich in Bezug auf das Verhalten der chromatischen Substanz bei der Mitose. Schon in den eben aneinandergelagerten Vorkernen kann man bei günstigen Eiern, natürlich bei sehr starker Vergrößerung (Zeiss homog. apochr. Immers. 2 mm Compens. Oe. 12 u. 18) und künstlicher Be- leuehtung (Auerbrenner mit Schusterkugel) die chromatischen Elemente als etwas stärker lichtbrechende Kügelchen erkennen, welche sich allmählich rosenkranzförmig hintereinander zu sog. Kernfäden an- ordnen. Nachdem die „Vorkerne“ sich stark gegenseitig abgeplattet haben, die Centroplasmen eingestellt sind und eine deutliche Strahlung entwickelt haben (vergl. Teil I Fig. 4 von Rh. dolichura), sammeln v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 341 sich die Chromatinschleifen im Aequator an, ohne vorerst eine wirk- liche Aequatorialplatte zu bilden, wobei beide Vorkerne ihre Indivi- dualität noch vollständig bewahren. Wenn jetzt die Kernmembranen an den Polen schwinden und die Scheidewand zwischen den Kernen undeutlich wird, ist eine wirkliche Aequatorialplatte ausgebildet (Fig.1), Fig. 1, Mer2. Fig. 3. ER welche in seitlicher Ansicht durch den noch sichtbaren Teil der Scheide- wand in zwei Teile gespalten ist, welche je von dem „männlichen“ und dem „weiblichen“ Vorkern stammen. Schon auf diesem Stadium war öfters bei Rh. pellio in der Mitte eines jeden Asters ein Central- körper zu sehen, aus welehem zuweilen Andeutungen einer feineren alveolären Struktur beobachtet werden konnten. Die einzelnen Chro- 249 v, Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 42 g ’ D matinkügelehen, welche die Kernschleifen zusammensetzen, machen keineswegs den Eindruck fester Körner, sehen vielmehr wie Bläschen aus, deren Inneres mit Flüssigkeit gefüllt ist. Sehr bald tritt an den Kernschleifen die Längsspaltung auf und sofort wird die Aequatorial- platte in zwei Tochterplatten zerlegt (Fig. 2), welche nach den ent- gegengesetzten Spindelpolen zu wandern anfangen. In dem Maße, wie die Tochterplatten auseinanderweichen, verändern dieselben auch ihre Gestalt; sie krümmen sich zu Kugelkalotten, deren Konvexität den Polen zugewendet ist. Nun vollzieht sich die Zellteilung ganz in der- selben Weise, wie ich es für Ph. dolichura geschildert habe und jede Tochterplatte stößt ganz auf das zugehörige Centroplasma, worauf die Rekonstruktion der Tochterkerne, in einer am lebenden Objekte bis jetzt nicht zu ermittelnden Weise erfolgt. Auf Präparaten zeigt sich, dass die Chromatinbläschen durch ein Liningerüst zusammen- gehalten werden, sodass jede Kernschleife aus aneinandergereihten Lininalveolen mit dazwischen liegenden Chromatinbläschen zu bestehen scheint. Durch Verschmelzung der Kernschleifen zu einem einheit- lichen, rasch sich aufblähenden Bläschen entstehen die Tochterkerne. Der Prozess des Auseinanderweichens der Tochterplatten, von dem Augenblick an, wo die Längsspaltung der Kernschleifen deutlich sicht- bar wird, bis zum Moment, wo die Tochterplatten fast auf die Centro- plasmen stoßen, dauerte im Durchschnitt 70 Sekunden, während die Zeit, welche von der Aneinanderlagerung der Keimkerne bis zur Durehschnürung des Eies (Auftreten der 1. Furche) verläuft, etwa SO Minuten in Anspruch nimmt. Ich muss besonders hervorheben, dass die Eier von Rh. pellio, an welchen ich die eben erwähnten Beobach- tungen machte, von der Konjugation der Vorkerne bis zur zweiten Teilung (Vierzellenstadium) kontinuierlich beobachtet wurden. Die Zeit von der Konjugation der „Vorkerne“, bis zum Auftreten der Furche in der kleineren der beiden Furchungszellen, beträgt durch- schnittlich zwei Stunden, bei einer Temperatur von 21°C. Wenn auch die betreffenden Eier stark gepresst waren, verlief ihre Entwicklung bis zum Ende der Beobachtung vollständig normal). Im Gegensatz zu dem Ei von Ascaris megalocephala, bei welchem die zwei ersten Furchungszellen, gleich nach der Durchschnürung der 1) Bezüglich der von mir benutzten Technik wäre zu erwähnen, dass die Eier von Rh. dolichura in einem Tropfen Bütschli’scher Eiweißlösung, die Eier von Rh. pellio in einem Tropfen 0,6 proz. Kochsalzlösung untersucht wur- den. Zwischen das mit Klebwachsfüßchen versehene Deckglas und den Objekt- träger wurde eine Glasfadenspirale gelegt (Glaswolle), in dessen Mitte das Objekt sich befand. In dieser Weise lässt sich der Druck regulieren und jederzeit wieder durch Zugabe von Flüssigkeit mittels einer feinen Pipette aufheben. Es muss dafür gesorgt werden, dass die Flüssigkeit stets bis zum Rande des Deckglases ausgebreitet bleibt. v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 343 Eizelle, mit einer kreisförmigen Fläche zusammenstoßen, deren Durch- messer etwa !/, des Durchmessers der größeren Tochterzelle misst, liegen die beiden Furchungszellen der zwei von mir untersuchten Rhabditis-Arten einander mit einer viel breiteren Fläche an und zwar gleich nach der Durehschnürung der Eizelle (Fig. 4). Die sogenannten Verbindungsfasern bleiben längere Zeit sichtbar (Fig. 4); öfters kommt der 1. Riehtungskörper in der Furche zwischen beiden Zellen zu liegen, während der 2. gewöhnlich in einer seichten Delle an der Oberfläche der größeren Furchungszelle verharrt, zuweilen löst sich der 1. Rich- tungskörper vom Keime ab und liegt frei zwischen diesem und der Eimembran. Zu dieser Zeit lässt sich die „Carnoy’sche Zellplatte*, oder nach eigener Auffassung die aneinandergelagerten Alveolar- schiehten der beiden einander gegenseitig abplattenden Furchungs- zellen, am besten beobachten; die Furche verläuft geradlinig. Die Centroplasmen der Tochterzellen flachen sich sehr bald nach der Tei- lung der Eizelle ab und werden hantelförmig ehe die Strahlung ganz rückgebildet ist (Fig. 4). Bei Rh. pellio fand ich die eigentümliche Erscheinung, welche mir bei Rh. dolichura auffiel, nämlich, dass das Centroplasma der kleineren Furchungszelle, welche sich bei beiden Formen nach der größeren teilt, zuerst hantelförmig wird, nicht be- stätigt. Die zwischen den Centroplasmen auftretenden extranueleären Centralspindeln schmiegen sich den bläschenförmigen Tochterkernen an (Fig. 5) und werden derartig ausgezogen, dass die sich verklei- nernden Centroplasmen allmählich an die entgegengesetzten Kernpole gelangen. Am lebenden Keim ließen sich auf diesen Stadien die Centralkörper nicht mehr wahrnehmen, wohl aber auf Totopräparaten. Im Gegensatz zum Ei von Ascaris megalocephala scheint sich die extranueleäre Oentralspindel bei der Wanderung der Centroplasmen schließlich zurückzubilden und die 2. Furchungsspiadeln stammen da- her zum allergrößten Teil, d. h. mit Ausnahme der äußersten Enden und der Polstrahlungen, ganz aus der Kernsubstanz. Meiner Ansicht nach rührt dieser Gegensatz daher, dass die Kernmembran bei Ah. pellio länger als bei Asec. megalocephala erhalten bleibt, dasselbe gilt auch von den Membranen der Keimkerne (Vorkerne). Es wurden zum Ver- gleich Totopräparate von RA. pellio herangezogen, welche zeigten, dass die gedrungenen zweiten Furchungsspindeln bereits in allen ihren Teilen fertig sind ehe die Kernmembran an den Polen undeutlich wird. Wie bei der 1. Furchungsspindel ist der Verlauf der sogenannten Spindelfasern ein ausgesprochen bogiger und sämtliche „Fasern“ im Bereiche der Aequatorialplatte, ja noch etwas darüber hinaus, gehen kontinuierlich von einem Pol zum anderen, zum mindesten muss ich mit Entschiedenheit auch hier, wie bei Asc. megalocephala bestreiten, dass die Spindel aus zwei mit der Basis aneinanderstoßenden Kegeln besteht. 344 v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. Während die Centroplasmen diese Veränderungen durchmachen, erleidet auch die Gestalt der beiden Furchungszellen in ihren gegen- seitigen Beziehungen gewisse Modifikationen. Gewöhnlich wird die Berührungslinie der größeren etwas ein-, die der kleineren etwas aus- gebuchtet (Fig. 5), zuweilen wird der Radius des Bogens recht klein und die Krümmung sehr ausgesprochen; gleichzeitig tritt ein kleiner, oft unregelmäßig gestalteter linsenförmiger Hohlraum zwischen den Furehungszellen in der früheren Spindelaxe auf. Ehe die Kerne sich zur Teilung anschieken und bevor die Polstrahlungen auftreten, wird die Furche wieder zu einer Geraden (Fig. 6), der Längsdurchmesser des ganzen Keimes streckt sich, wobei der Querdurchmesser entsprechend abnimmt und die Kerne, welche ihre eentrale Lage innerhalb beider Zellen beibehalten, wieder etwas auseinanderrücken. Die Spindeln beider Zellen liegen noch zueinander parallel (Fig. 6 polare Ansicht der Kerne, die Centroplasmen der oberen Pole sind durch punktierte Kreise angedeutet, die Polstrahlungen sind noch nicht aufgetreten). Die Kerne haben seit ihrer Rekonstruktion stetig an Größe zugenommen und jetzt macht sich zuweilen um sie herum eine Strahlung bemerk- bar, welche nichts mit den Spindelpolen zu thun hat, da sie nicht von diesen, sondern von der Kernperipherie ausgeht und besonders auf optischen Querschnitten durch die äquatoriale Gegend des Kernes her- vortritt. Aehnliches konnte ich gelegentlich auch an den konjugierten Keimkernen, ehe die Polstrahlung bemerkbar wird, konstatieren, wenn auch die Erscheinung am ungeteilten Ei nicht so deutlich ist, wie in den beiden ersten Furchungszellen. Diese Strahlung lässt sich, glaube ich, so erklären, dass der anschwellende Kern Flüssigkeit aus dem Cytoplasma anzieht und die Alveolen in der Richtung der Strömung sich zu Längsreihen anordnen. Sehr bald fängt die größere Zelle an amöboid zu werden, es treten wieder lebhafte Strömungen im Cyto- plasma auf und dieses bildet in der Gegend der Furche wulstförmige Pseudopodien, welche im optischen Längsschnitt henkelartig hervor- treten (Fig. 6). Aehnliches hat zur Strassen am lebenden Keime von Ascaris megalocephala beobachtet, mit dem Unterschied, dass die Wülste von beiden Furchungszellen gebildet werden, auf meinen Prä- paraten von Asc. magalocephala konnte ich bis jetzt die Wülste nicht finden, wahrscheinlich, weil sie bei der Abtötung eingezogen werden. Im Ganzen genommen sind bei den Rhabditis-Biern die amöboiden Be- wegungen der beiden ersten Furchungszellen nicht so auffallend, wie beim ungeteilten Ei vor und während der Bildung der Pseudofurche (vergl. Teil I S. 156), doch können, abgesehen von den Wülsten an der Furche, noch weitere, sehr stumpfe Pseudopodien an anderen Stellen der Zelloberfläche auftreten. Hat man einen Keim in der durch Fig. 6 veranschaulichten Lage vor sich, d. h. blickt man auf das Polende des zur gedrungenen Spindel ohne Polstrahlungen um- v. Erlanger, Befruchtung und Teilungen an Eiern kleiner Nematoden. 345 gewandelten Kernes, so kann man die interessante Beobachtung machen, wie der scharfe Kontur des äquatorialen Teiles, d. h. die Kernmembran, bei der allmählichen Streckung der Spindel plötzlich verschwindet und die scharfe kreisförmige Grenze sich in einen zackigen Umriss ver- wandelt. Gleich nach dem Auftreten der amöboiden Bewegungen beginnen die eigentlichen Polstrahlungen deutlich zu werden und es erfolgt die Einstellung der Spindeln beider Furchungszellen derart, dass, während bisher die Axen beider Spindeln parallel lagen, die Spindel der klei- neren Zelle sich allmählich senkrecht auf die der größeren Furchungs- zelle einstellt (Fig. 7). Das Verhältnis der Teilungsgeschwindigkeiten beider Zellen ist kein konstantes, wie ein Vergleich zwischen Fig. 7 und 8 lehrt (welche nicht von demselben Keim stammen), doch eilt die größere Zelle der kleineren stets etwas voraus, wie dies auch bei Asc. megalocephala gewöhnlich der Fall ist. In den beiden Furchungs- zellen, wie in der Eizelle gehen dem Auftreten der Furche pendelnde Bewegungen der Spindeln voraus. Auch hier strömt unterdessen das Protoplasma von den Polen nach der Furchenebene ab. Im allgemeinen stimmt der Verlauf der Teilung beider Furchungszellen ganz mit dem der Eizelle überein, wenn man davon absieht, dass hier zwei kopu- lierte Kerne, dort je ein einziger Kern vorhanden sind; im Grunde genommen ist dieser Gegensatz kein prinzipieller, weil im Ei die Spindel zum größten Teil aus beiden Kernen hervorgeht. Bezüglich der Einstellung der beiden Furchungsspindeln wäre noch zu bemerken, dass bei Rh. pellio die eingestellte Spindel der größeren Furchungs- zelle parallel zur 1. Furchungsebene liegt, während die eingestellte Spindel der kleineren darauf senkrecht steht (Fig. 8), jedoch ist diese Beziehung der beiden Spindeln zueinander nur eine vorübergehende, da während der Zellteilung die beiden Furchungszellen aufeinander herumgleiten (Fig. 9) und zwar so, dass nach der zweiten Teilung die Verbindungslinien der zueinander gehörigen Tochtercentroplasmen- mittelpunkte untereinander wieder parallel ziehen (Fig. 10). Die Gestalt der sich teilenden beiden ersten Furchungszellen erleidet bei dem Gleiten mannigfaltige Deformationen (Fig. 9), weil die nieht dehn- bare Eihaut die Zellen zwingt, sich einander gegenseitig anzupassen. Ueberhaupt gibt die Eihaut gewissermaßen eine Form für den sich entwiekelnden Keim ab, während die Gestalt der Eihaut selbst, durch diejenige des unbefruchteten Eies bedingt wird und sich nach der Zahl und der gegenseitigen Lagerung der Eier in dem Geschlechts- leiter richtet. Auch die Spindeln und spezieller die sogenannten Ver- bindungsfasern machen die erwähnten Deformationen mit, sodass sie öfters stark verbogen werden. Weiter habe ich die Furchung nicht verfolgt, weil dieser Vorgang bei den Nematoden und anderen Tieren in den letzten Jahren wieder- 346 Brandes, Zur Begattung der Dekapoden. holt der Gegenstand sehr eingehender Untersuchungen war und es mir hauptsächlich nur darauf ankam, die feineren Verhältnisse bei der Befruchtung und Teilung, soweit dieselben sich am lebenden Objekt ermitteln lassen würden, zu studieren. Ich beabsichtige auch nicht an diese kurze Mitteilung, welcher nur sehr einfache Figuren bei- gegeben werden konnten, theoretische Betrachtungen anzuknüpfen, sondern ziehe vor die Schlüsse, zu welchen ich gelangt bin, sofern ich sie noch nicht in anderen Aufsätzen auseinandergesetzt habe, auf- zusparen, bis ich die lebenden Eier anderer Formen mit denen der Nematoden verglichen habe. Bei derselben Gelegenheit soll dann die einschlägige Litteratur, die hier nur höchst dürftig berücksichtigt ist, eingehender besprochen werden. Heidelberg, den 26. Februar 1897. Zur Begattung der Dekapoden. Von Dr. @. Brandes, Privatdozenten für Zoologie in Halle a./S. Die Begattung derjenigen Dekapoden, die im männlichen Geschlecht einen Penis und im weiblichen ein Reeeptaculum seminis besitzen, ist bei einer Reihe von Arten von verschiedenen Seiten zuverlässig beobachtet, z.B. bei Dromia, Maja und Carecinus, dagegen wissen wir über diesen Vorgang bei den Makruren, die keinerlei Einrichtungen für eine innere Begattung aufweisen, nur sehr wenig. Die Begattung des Flusskrebses (Astacus oder den neuen Nomenclaturregeln nach Potamobius (!) Auvia- tilis) ist allerdings verschiedentlich beobachtet, aber in ihren Einzel- heiten leider nur wenig genau geschildert. Am ausführlichsten be- richtet darüber Chantran!), indem er sagt, dass das Männchen das Weibehen mittels seiner großen Scheere auf den Rücken wirft und dann den Inhalt seiner Vasa deferentia (Samen und Kittmasse) zuerst auf die äußeren Lamellen des Schwanzfächers ergießt, dann soll er das Weibchen unter sein Abdomen ziehen und seine Vasa deferentia zum zweiten Male entleeren und zwar so, dass die Samenmasse in die Umgebung der weiblichen Geschlechtsöffnungen gelangt. Das ist eigent- lich alles, was über die Begattung der Makruren bekannt geworden ist. Bei so geringer Kenntnis dieses Vorganges scheint mir jede ein- schlägige Beobachtung mitteilenswert, und es mögen daher die beiden von mir während des diesjährigen Winters in der hiesigen zoologischen Station studierten Fälle im Folgenden geschildert werden. Der erste Fall betrifft Galathea strigosa. Am 10. Dezember fand ich frühmorgens in meinen Aquarien ein Pärchen dieses prächtig ge- färbten Makruren in Copula. Das größere Männchen lag auf dem kücken und hatte mit der linken Scheere die linke Scheerenhand des Weibchens gefasst und hielt das Weibchen genau über sich. Als Hilfs- 4) Compt. rend,, Paris 1870, T.71, p.43 und 1872, T.74, p. 201. Brandes, Zur Begattung der Dekapoden. 347 organ funktionierte hierbei das nächste Fußpaar, mit dem der vordere Teil des weiblichen Tieres in der Höhe der Augen umarmt wurde. Die Schwanzfächer, die für gewöhnlich ganz auf die Bauchseite nieder- gelegt sind, standen senkrecht zur Längsaxe und waren gegeneinander gepresst, die rudimentären Abdominalfüßchen des Weibchens waren in fortwährender Bewegung. Die eigentliche Thätigkeit des Männchens bestand nun darin, dass es mit dem fünften Beinpaar, den sogenannten Putzpfoten, unaufhörlich Spermatophoren aus den Löffeln, den beiden ersten Abdominalfußpaaren entnahm und sie in der Nähe der weib- lichen Gesehlechtsöffnung anklebte. Die Löffel ihrerseits holten eben- falls ab und an neue Spermatophoren von der vor ihnen liegenden Geschlechtsöffnung. Nach einer Stunde etwa trennte sich das Pärchen, und ich stellte durch genaue Untersuchung fest, dass das Weibchen eine beträchtliche Menge von Spermatophoren besonders in der näheren Umgebung der Geschlechtsöffnung, aber auch an den Abdominalfüßen aufwies. Diese saßen in größeren Massen auf einem gemeinsamen dem Vas deferens entstammenden Schlitten, der direkt auf dem Panzer oder an größeren oder kleineren Borsten befestigt war. Leider entging mir die Ei- ablage des so befruchteten Weibehens; etwa 4 Wochen darauf fand ich plötzlich unter dem Schwanz dieses Tieres eine große Menge von Eiern. Der zweite Fall betrifft den bekannten Einsiedlerkrebs, Eupagurus Prideauxii. Im Januar und Februar sah ich wiederholt, dass zwei verschieden große Eupagurus zusammenhingen. Anfänglich meinte ich, das größere Individuum sei daran, dem kleineren den Garaus zu machen. Bald fiel es mir aber auf, dass das größere Tier stets mit der kleineren linken Scheere das andere festhielt und auch niemals die größere Scheere zu weiteren Attacken benutzte, das veranlasste mich, der Sache näher zu treten. Es stellte sich dann heraus, dass es stets Männchen und Weibehen war, die auf diese Weise zusammen- hingen. Das Männchen fasst mit der linken Scheere stets das Tarsalglied des rechten zweiten Fußes des @. Ich habe mindestens 20 Mal derartig kopulierte Pärchen in meinen Aquarien gesehen, auch einige Male be- obachtet, wie diese provisorische Copula für die Begattung benutzt wurde. Für gewöhnlich gebrauchte das Männchen in dieser Situation die größere rechte Scheere zur Fortbewegung, hier und da diente sie ihm auch, um ein in die Nähe kommendes anderes Männchen zu ver- treiben, ein paar Mal hatte ich aber auch das Glück :zu sehen, wie das Männchen mittels dieser Scheere das Weibchen umfasste und an sich heranzog, einmal sah ich sogar — leider saßen die Tiere etwas im Dunkeln — wie in dieser Stellung beide Individuen etwas aus der umhüllenden Adamsia herausragten und ihre beiden Paare von Putz- pfoten lebhaft gegeneinander bewegten, sodass sich vermuten lässt, 348 Brandes, Zur Begattung der Dekapoden, dass durch diese Putzpfotenkette die Spermatophoren von der männ- liehen Geschleehtsöffnung aus in die Nähe der Ausmündungen des Oviducts gelangen !). Diese Beobachtung scheint mir auch einiges Licht auf die häufig besprochene Asymmetrie der beiden Scheeren zu werfen, eine Eigen- tümlichkeit, die bei den Paguriden ganz besonders ausgeprägt ist. Die kleine Scheere, deren Muskulatur nur schwach entwickelt ist und deren Finger auch keine nennenswerte Bezahnung haben, ist sehr ge- eignet, das Weibchen in nächster Nähe des Männchens zu halten, und die kräftige rechte Scheere, die über das Weibchen hinausreicht, scheint wie gemacht, um einerseits als Waffe jeden Angriff auf eines der kopulierenden Individuen abzuwehren und um andererseits als Arm das Weibehen in die für das Ankleben der Spermatophoren geeignete Stellung zu bringen. Mit dieser Art der Copulation harmoniert auch die Umbildung der letzten beiden Thorakalfußpaare und die Verkümmerung resp. das Verschwinden der ersten Abdominalfußpaare aufs beste. Die Krebse dürfen ihre Schale nicht verlassen, wenn sie sieh nicht den größten Fährlichkeiten aussetzen wollen. Die Tiere müssten aber bei der Copulation ihre Abdomina einandern nähern, also aus den Schalen herauskommen, wenn sie ebenso organisiert wären, als beispielsweise Galathea oder Astacus, eine Verschiebung der bei der Begattung als Hilfsorgane fnnktionierenden Fußpaare nach vorne macht nun aber bei diesem Akte ein Verlassen der Schale unnötig. Ich glaube also nicht, dass die letzten Thorakalfüße in erster Linie zum Festhalten in dem Gehäuse dienen, wie verschiedentlich behauptet worden ist, sondern meine, dass sie die Funktion übernommen haben, die bei den meisten übrigen Makruren dem letzten Thorakalfußpaare und den beiden ersten Abdominalfußpaaren zukommen. Wenn wir die Bildung der Scheerenfüße bei den Dekapoden in Bausch und Bogen einer Betrachtung unterziehen, so sehen wir, dass in außerordentlich vielen Fällen in beiden Geschlechtern oder nur im männlichen die eine oder beide Scheeren besondere Eigentümliehkeiten zeigen, die wahrscheinlich sämtlich als Sexualcharaktere aufzufassen sind. Genauer beschrieben sind die einzelnen Scheerenfüße aller- dings noch nicht, wie ja überhaupt die eingehendere Beschreibung des äußeren Baues der größeren Krebse im Vergleich zu den aufs ge- naueste studierten mikroskopischen Formen sehr viel zu wünschen übrig lässt. Noch viel mehr im Argen liegen aber die biologischen Beobachtungen und es ist auch wenig Aussicht vorhanden, dass sich die Zoologen in nächster Zeit daran machen, derartige Studien in 1) Nachträglich kann ich hinzufügen, dass die Spermatophoren niemals an das © selber, sondern stets an die Innenwand des Schneckenhauses ge- klebt werden. Brandes, Zur Begattung der Dekapoden. 349 größerem Maßstabe zu beginnen, obwohl in unseren vorzüglich einge- richteten zoologischen Stationen die beste Gelegenheit dazu geboten wird: derartige systematisch angestellte Beobachtungen kosten vor allem eine außerordentliche Menge von Zeit, und die fehlt in unserer schnelllebigen Zeit dem Forscher leider nur allzuhäufig. So ist denn nur ganz wenig thatsächliehes über die Scheerenfübe publiziert. Paul Mayer!) beschreibt beim Männchen von Hetero- grapsus Lucasii an der Innenseite der Scheeren eine Schwiele, von der er vermutet, dass sie bei der Begattung irgendwelche Verwendung findet. Aleock?) hat eine Beobachtung gemacht, derzufolge das Männchen von Gelasimus annulipes seine ganz außerordentlich vergrößerte und lebhaft gefärbte Scheere dazu benutzt, einerseits das Weibchen zu locken, andererseits seine Rivalen zu bekämpfen. Eine geringere Asymmetrie der Scheeren ist bei einer ganzen Reihe von Formen bekannt geworden, am genauesten untersucht ist sie wohl beim Hummer (Homarus oder den neuen Nomenelaturregeln nach Astacus (!) vulgaris). Francis Hobart Herriek?) hat uns in seinem erst kürzlich erschienenen Werke über den amerikanischen Hummer eine Reihe vorzüglicher photographischer Abbildungen mitgeteilt, die diese Asymmetrie aufs beste zeigen. Er weist auch darauf hin (p. 143), dass es keine zufällige Variation sei, wenn beim einen Individuum die rechte Scheere, beim anderen die linke die größere sei: eine Beobach- tung an Alpheus-Brut lässt ihn schließen, dass sämtliche Individuen einer Brut die gleiche Asymmetrie aufweisen. Auch bei Galathea scheint mir eine gewisse Asymmetrie vorhanden zu sein, auf die meines Wissens noch nirgends hingewiesen ist. Ich finde an meinen Exemplaren von Galathea strigosa an der Innenseite des Klauengliedes, des sogenannten Daumens, zuweilen einen kräf- tıgen Zahn, der durch seinen hellen Schmelz aus den dunklen, die Schneide verdeckenden Borsten deutlich hervorleuchtet. Dieser Zahn kann an der linken oder an der rechten Scheere vorkommen, ja auch an beiden gleichzeitig, aber stets war er dann auf der einen Seite stärker entwickelt und hatte ein helleres Aussehen. Weitere Unter- suchungen an dieser Art und auch an anderen Formen müssen lehren, ob hier wirklich Eigentümlichkeiten im Scheerenbau vorliegen, die im Dienste der sexuellen Thätigkeit stehen. Zum Schlusse möchte ich noch die Frage streifen, auf welehe Weise die Spermatozoen mit den Eiern in direkte Berührung kommen und ins Ei eindringen. Wir wissen, dass bei allen denjenigen Formen, die einen Penis ‚haben, die Spermatozoen in den Oviduct eingeführt werden und oanekichtlich hier die Eier befruchten. G. Cano, dem 4) Careinologische Mitteilungen. Mitt. d. zool. Station zu Neapel, 1879, Bd.T,\p.'51: 2) Ann. Mag. N. H. (6) Vol. 10, p. 336 .u. 415. 3) The american Lobster. Washington 1895. 350 Brandes, Zur Begattung der Dekapoden. wir eine Reihe von interessanten Beobachtungen auf diesem Gebiete verdanken, hat auch in einem Falle die Spermatozoen in lebhafter Bewegung innerhalb des Oviducts resp. im Receptaculum seminis ge- sehen!), ein Umstand, der mir sehr wichtig zu sein scheint, da die Beweglichkeit der Dekapoden Spermatozoen außerdem nicht mit Sicher- heit festgestellt ist, und der dafür spricht, dass sich die Samenkörper in einem aktiveren Zustande befanden und vielleicht gerade im Begriffe waren, in die Eier einzudringen. Wie aber geht die Befruchtung der Bier bei denjenigen Weibchen vor sich, die den Samen in geschlossenen Spermatophoren in der Nähe der Geschlechtsöffnungen oder auf der Unterseite des Schwanzfächers mit sich herumtragen? Es giebt eine Reihe von einwandsfreien Be- obachtungen, die darauf schließen lassen, dass die Spermatophoren durch ein aus Drüsen der weiblichen Bauchseite stammendes Sekret während der Eiablage geöffnet werden. Schon von Chantran und Grobben wurden freie Spermatozoen bei Astacus zwischen den frisch abgelegten Eiern gefunden, ich habe eine Anzahl freier Samenkörper zwischen den verkümmerten Abdominalfüßen eines weiblichen Eupagurus Prid. beobachtet, der gerade mit der Eiablage begonnen hatte. Einer zu starken Verdünnung durch Meerwasser oder einer zu schnellen Fort- spülung wird dadurch gesteuert, dass das Sekret und die Spermatozoen in eine Art Kammer ergossen werden, welche das Abdomen durch starke Einwärtskrümmung regelmäßig zu bilden scheint. Schon Paul Mayer hat nun aber in seiner Arbeit über Kupa- gurus Prideauxii?) darauf hingewiesen, dass die Eier beim Verlassen des Oviducts eine aus Chitin bestehende, festere Schale besitzen, an der sich nirgends eine Mikropyle nachweisen lässt. Wie kommen nun die Spermatozoen durch diese Schale ins Ei? Wie besonders die- jenigen, welche wie die Astacus-Spermatozoen gar keinen spitzen Kopf- teil besitzen, sondern fast kugelrund und von beträchtlicher Größe sind? Ich vermute, dass diese Samenkörper ini Moment der Berührung eines unbefruchteten Eies noch eine Umwandlung durchmachen, die darin besteht, dass sich ein mehr oder weniger spitzer Teil des Vorder- endes der Spermien, der sogenannte Klöpfel, die „tigelle“ der franzö- sisch schreibenden Autoren, ausstülpt und so die Wandung des Eies, die im Moment der Eiablage vielleicht noch etwas nachgiebig ist, durchbohrt. Ich habe für diese Ansicht meine Gründe, die ich in einer größeren Abhandlung über Dekapoden-Spermatogenese nächstens auseinander setzen werde. [46] Napoli, Stazione zoologica, 21. Febr. 1897. 4) Sviluppo dei Dromeidei, Mem. estr. dal Vol. VI, Ser. 2a, Nr. 2, degli Atti della R. Acc. delle Sec. fie. e mat. di Napoli, 1893. 2) Zur Entwicklungsgeschichte der Dekapoden. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften, XI. Bd., 1877. Möller, Protobasidiomyceten, 351 A. Möller, Protobasidiomyceten. Botan. Mitteil. aus den Tropen herausgeg. von A. F. W. Schiwmper. Heft VIII. Jena 1895. G. Fischer. Schon in zwei vorhergehenden Veröffentlichungen hat uns der Verf. einen Teil der interessanten Resultate seiner Forschungen in Südbrasilien bekannt gegeben, in dem vorliegenden Bande versucht er uns die Ent- wieklung und den morphologischen Aufbau einer Pilzabteilung zu schildern, die durch Brefeld’s Untersuchungen zwar für unsere Zonen relativ gut bekannt war, von deren Formenmannigfaltigkeit in den Tropen man aber bisher keine Ahnung hatte. Bekanntlich hat Brefeld zuerst auf den fundamentalen Unterschied hingewiesen, der bei den Basidiomyceten in dem Vorhandensein geteilter und ungeteilter Basidien liegt. Die Pilze mit ersteren Fortpflanzungs- organen fasste er unter dem Namen Protobasidiomyceten zusammen, indem er gleichzeitig die Auricularieen mit horizontal geteilten und die "T'remel- linen mit über Kreuz geteilten Basidien unterschied. Von diesen grund- legenden Untersuchungen ausgehend teilt nun Möller die Formen des brasilianischen Urwaldes weiter ein und weist im einzelnen eine Differen- zierung der Fruchtkörper nach, wie wir sie bei den höheren Basidio- myceten mit ungeteilten Basidien bereits kennen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, soll hier nur der Gang der Differenzierung in großen Zügen betrachtet werden. Die Reihe der Auri- cularieen besitzt Basidien, welche durch 3 Horizontalwände in 4 über- einander stehende Zelleu geteilt werden, von denen jede eine Basidiospore produziert. Die niedrigst stehende Familie ist die der Auriculariaceen; die erste Gruppe die der Stypinelleen. Bei diesen ist noch kein be- stimmt differenzierter Fruchtkörper vorhanden, sondern die Basidien ent- stehen regellos an dem lockeren Hyphengeflecht. Stypinella bildet die Basidien als unmittelbare Fortsetzung der Mycelhyphen. Dagegen tritt bei Saccoblastia dadurch eine Komplizierung ein, dass die 'Tragzelle zuerst einen sackartigen Reservestoffbehälter bildet, der sich allmählich mit dem Fortschreiten der Ausbildung der Basidie leert. — Bei der zweiten Gruppe den Platygloeen, treten die Basidien bereits zu einem kompakten, nach Art der 'T'helephoreen gestalteten, glatten Hyımenium zusammen. Einen deutlichen Uebergang von den ungeordneten Basidien zum gleichmäßigen Hymenium zeigt Jola. Hier bilden die Fruchtkörper weiche Krusten von unbestimmter Gestalt, bei denen die Basidien noch nicht alle auf gleicher Höhe stehen. Dagegen besitzt Platygloea bereits ein völlig ausgebildetes Hymenium, wenn auch die Fruchtkörper noch nicht zu bestimmter Form d.fferenziert sind. — Die Auricularieen zeigen der vorigen Gruppe gegenüber eine höhere Stufe. Die Fruchtkörper stehen bereits von der Unterlage ab und bilden das Hymenium nur auf einer Seite aus. Dabei kann die Fläche des Hymeniums glatt oder wabig oder fast polyporeen- artig gestaltet sein. Hierzu gehört nur Awricularia mit der bekannten Art A. Auricula Judae, dem Judasohr. Die 2. Familte ist die der Uredinaceen, deren Organisation im Buche als bekannt vorausgesetzt wird. Sie unterscheidet sich durch die Einschiebung eines Chlamydosporenstadiums vor der Basidienbildung (An- deutung davon bei Saccoblastia) und durch den Reichtum an Neben- fruchtformen von den übrigen. Die 3. Familie bilden die Pilacraceen. Hier umkleiden die Ba- 359 Möller, Protobasidiomyeeten, sidien ein Köpfchen und sind selbst wieder durch sterile Fäden geschützt. Es begegnet uns hier also der angiocarpe Typus. Die beiden Gattungen Pilacrella und Pilacre sind durch Möller’s und Brefeld’s Untersuchungen jetzt ausreichend bekannt; letztere Gattung war es, die zuerst den morpho- logischen Wert der Basidie lehrte. An Prlacrella kannte Möller eben- falls mit wünschenswerter Deutlichkeit den Ursprung der Basidie aus der zugehörigen Conidienform nachweisen. Einen Uebergang zu der Reihe der Tremellinen bilden nun die Sirobasidiaceen. Während bei den Aurieulariaceen die Basidie in die Teilzellen durch Horizontalwände zerfiel, wird hier die Basidienzelle durch eine etwas schief stehende Wand in 2 Teilzellen zerlegt. Dabei bilden die Basidien Ketten, die acrogen eine Zeit lang immer neue Basidien ent- wickeln. Die einzige Gattung ist Szrobasidium. Die Reihe der Tremellinen zeichnet sich durch typisch über Kreuz in 4 Zellen geteilte Basidien aus. Bei der Familie der Tremellaceen ist der Gang der morphologischen Differenzierung der Fruchtkörper ein ganz ähnlicher wie bei den Aurieulariceen. Die Gruppe der Stypelleen entspricht den Stypinelleen mit noch nicht differenzierteun Hymenium (Gatt. Stypella). Die Exidiopsideen entsprechen den Platygloeen. Von den beiden Gattungen Heterochaete uud Exidiopsis umgreift die erstere nur diejenigen Formen, bei denen bisher die C,nidienbildung noch nicht beobachtet wurde; sie wird deshalb allmählich in Hiridiopsis ver- schwinden. Die Gruppe der T'remelleen entspricht ungefähr den Auri- cularieen. Die beiden Gattungen Tremella und Erxidia unterscheiden sich nur durch die zugehörigen Conidien, indem erstere Hefeconidien, letztere Häkcheneonidien besitzt. Zu einer höheren Ausbildung des Hy- meniums kommt es bei den Protopolyporeen mit der Gattung Proto- merulius. Diese zeigt ganz das Meruliushymenium nur mit den charak- teristischen 4teiligen Basidien. Endlich finden sich auch Formen, bei denen das Hymenium auf Stacheln sitzt, Protohydaeen mit Proto- hydnum und Tremellodon. Den angiocarpen Typus, entsprechend den Pilacraceen, repräsentiert endlich die Familie der Hyaloriaceen mit Hyaloria. Dieser kurze Ueberblick über den Aufbau der Gruppe der Proto- basidiomyceten dürfte gezeigt haben, dass sie in Bezug auf die Ausbildung der Fruchtkörper und Formenmannigfaltigkeit den Autobasidiomyceten eben- bürtig zur Seite steht. Spätere Forschungen werden sicher noch mehr Material nach dieser Richtung zu Tage fördern. Was das Buch nun ganz besonders anziehend macht, das ist neben der Klarheit der Darstellung die bis zum letzten Detail durchgeführte Untersuchung einzelner besonders interessanter Formen. Es sei auf die Darstellung von Prlacrella, Jola etc. verwiesen. Auf die Kultur der Nebenfruchtformen und ihre Verwertung für imorphologische Gesichtspunkte ist ganz besonders Mühe verwendet worden. Hier ist vieles neu, vieles bestätigt und erweitert die älteren Brefeld’- schen Untersuchungen. Hingewiesen sei endlich noch auf die Tafeln, von denen ein Teil die interessanten Formen in vorzüglicher photographischer Reproduktion zeigt, der andere dagegen die mikroskopischen Einzelheiten zur Darstellung bringt. Lindau (Berlin). [38] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Öentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Fire in ne 24 Nummern von n je 2—4 Bogen n bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVIl. "Band. 15. Mai 1897. Nr. 10. Inhalt: Przesmycki, Ueber die intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas (Schluss). — Frenzel, Zur Planktonmethodik. -- Birge, The Vertical Distri- bution of the Limnetie Crustacea of lake Mendota. — Thaxter, Contribution towards a Monograph of the Laboulbeniaceae. — Tornier, Die Kriechtiere Deutsch - Ostafrikas. — Henking, Die deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe- Ausstellung. — Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie mit Einschluss der vergleichenden Histologie und Histogenie, — Scehultze, Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Säugetiere. Heber die intra-vitale Färbung des Kerns und des Proto- plasmas. Von Adam Marıan Przesmycki. (Schluss.) ß) Ueber andere Färbungserscheinungen, welche durch die oben genannten Farbstoffe in einigen lebenden Organismen hervor- gerufen worden sind. Der Wichtigkeit dieser Färbungserscheinungen, ihrem Charakter und Vorkommen nach trenne ich sie in folgende drei Gruppen: I. Färbungserscheinungen, welche im Protoplasma der einzelligen Organismen zu Tage traten. II. Färbungserscheinungen, welche in den Metazoa zum Vorschein kamen. III. Gesondert werde ich die Färbungserscheinungen besprechen, welche zur Entdeekung neuer bis jetzt nicht bekannter Einzelheiten im Bau mancher Organismen führen. I. Gruppe. Diese Gruppe umfasst verschiedene Arten der Zellgranulationen, welche mittelst aller von mir angewendeten Farbstoffe auf ähnliche Weise dargestellt werden können. Auf genauere Beschreibung dieser Zellgranulationen ‚will ich jetzt nicht eingehen. Ich möchte hier nur erwähnen, dass sie denjenigen durchaus ähneln, welche ich schon früher mit Methylenblau bei den Ciliata erzielte?). 1) M. Przesmycki, Ueber die Zellkörnchen bei den Protozoen. Biolog. Centralbl., Bd. 14, Nr, 17. XVII 23 354 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. Ich beschränke mich vorläufig nur auf nähere Beschreibnng der Färbungserscheinungen bei Actinosphaerium Eich. Mittelst der in dem methodischen Teile genannten Farbstoffe lassen sich bei diesem Protozoon Protoplasmakörnchen, sowie deren Strömung, in gefärbtem Zustande während einiger Tage bedeutend deutlicher verfolgen und bei der elektrischen Projektion viel besser demonstrieren, als es in ungefärbtem Zustande überhaupt möglich wäre. Der Unterschied zwischen der Mark- und Rindensubstanz tritt, dank der Färbung der Protoplasmakörnchen, auch deutlich hervor. Die Protoplasmakörnchen stellen sich bei schwacher Vergrößerung), was die Größe und Färbung anbetrifft, ziemlich gleich dar. Bei stärkerer Vergrößerung?) dagegen konnte man folgendes unterscheiden: 1. dass die Protoplasmakörnchen der Größe nach verschieden sind, dass es 2 Arten derselben giebt, 2. dass sie, je nach der Größe, auch einen Unterschied in der Intensität der Farbe zeigten. Mit dem Neutralrot färbten sich die Protoplasmakörnchen intensiv rot, mit den blauen Farbstoffen — intensiv blau. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Proto- plasmakörnchen kommen auffallend prägnant nach der Behandlung des Actinosphaeriums mit einem modifizierten Neutralrot zum Vorschein. Es erscheinen in diesem Versuche eigentlich 3 Arten von Körnchen: 1. die größten; hauptsächlich ovale, blass-rosa gefärbten Körnchen; 2. bedeutend kleiner; hauptsächlich rundliche, dunkel-violett ge- färbte Körnchen; 3. die kleinsten; sehr kleine, feine Pünktchen, mit wenig deutlicher Färbung. Die beiden ersten Arten befanden sich in ziemlich lebhafter Be- wegung: sie durchströmten die Protoplasmawege. Die Arten der Bewegung waren bei den 2 ersteren Arten der Körnchen verschieden: während die ersteren sich immer in der Richtung nach vorne bewegten, ohne irgend eine andere Bewegung dabei auszuführen, übten die zweiten von Zeit zur Zeit eine vibratile Bewegung aus, welche sehr an die Bewegung mancher Bakterien erinnerte, außerdem bewegten sich die ersteren etwas langsamer, als die zweiten. Die Protoplasmakörnchen der 2. Art kamen auch zu 2 mit einander verbunden, was an ein Teilungsstadium anklingt. Dieses, sowie die Art der Bewegung ver- anlassen mich zu vermuten, dass es keine Protoplasmakörnchen, sondern wirkliche Bakterien waren, — eine Vermutung, welche der Umstand, 4) Objective: 4, 8a, Ocul. Nr.2, Reichert. 2) Semi-apochromat '/,, Oecul: Nr. 2, 4 und Kompensationsocular Nr. 12 Reichert. Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 355 dass in dem Glas, wo die Actinosphaerien kultiviert waren, sich Bakterien in großen Massen entwickelt haben, bestätigt. Dies bedarf aber noch weiterer Untersuchung. Das modifizierte Neutralrot erweist sich ehr für die Untersuchung des Actinosphaeriums Eich. bedeutend günstiger und zwar insofern, als: 1. die Protoplasmakörnchen mit allen ihren Unterschieden bedeu- tend deutlicher zum Vorschein kommen, 2. dieser Farbstoff die Tierchen weniger als die anderen Farb- stoffe zu schädigen scheint. Bemerkenswert ist auch die Einwirkung eines anderen modifi- zierten Neutralrots, der modifizierten blauen Farbstoffe und von diesen besonders des modifizierten Nilblau-Chlorhydrats. In diesen Farbstoffen bleiben die gefärbten Tiere bedeutend länger am Leben, als in den nicht modifizierten. Die ersteren also scheinen weniger schädlich zu sein, als die letzteren. Was das modifizierte Nilblau-Chlorhydrat anlangt, so ist seine eigentümliche Einwirkung besonders hervorzuheben, nämlich: die Tierchen vermehren sich darin, wenn man sie mit Nahrung versieht, anfangs lebhaft und nachher, nach Verlauf 10, 12 Tage, seit Anfang des Versuches, wenn man sie hungern läßt, eneystieren sie sich. Der Prozess der Enceystierung scheint hier ebenso wie in ungefärbtem Zustande zu verlaufen. Was die Färbung der Cysten betrifft, so bleibt die äußere Umhüllung der Cyste ganz farblos und durchsichtig, gefärbt erscheint nur der innere Teil. In jedem Versuch konnte man die Bildung der Tochtereysten wahr- nehmen. Il. Gruppe. Bei Metazoen dringen die Farbstoffe meistenteils zunächst in den Darm, differenzieren sich in demselben, dann in die Geschlechtsorgane. Das sind die Färbungserscheinungen, welche sich fast bei allen der Untersuchung unterworfenen Vertretern der Metazoa wiederholt haben. Außerdem treten noch bei verschiedenen Arten der untersuchten Tierchen verschiedene sporadische Färbungen in anderen Organen oder einzelnen Zellen zu Tage. Callidina symbiotica. Bei diesem Rotator tritt gewöhnlich nach Behandlung mit Neutralrot zunächst eine Färbung im Mitteldarm hervor; letzterer stellt sich uns in Gestalt eines kompakt-körnigen, breiten und kurzen, intensiv rot-ge- färbten Sehlauches dar. Ein modifiziertes Neutralrot giebt in diesem Falle bedeutend wichtigere Resultate, worauf ich in der letzten Gruppe der Färbungserscheinungen näher zu sprechen komme. Hier möchte ich nur erwähnen, dass man dank der Einwirkung dieses Farbstoffs den feineren Bau des Mitteldarms genauer kennen lernt, indem man 23* 356 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. die Struktnr der oberflächlich gelegenen Zellschicht deutlich wahr- nehmen kann. Bei Behandlung mit Neutralrot wurde ferner im Enddarm die dunkel-rote Färbung der Zellkerne und dann eine Färbung im Keim- stock, Eierstock und in den Eiern beobachtet. Was die Färbung der Geschlechtsorgane anbetrifit, so deuten die bis jetzt ausgeführten Untersuchungen nur auf eine Granula-Färbung hin. Die Färbung der Eikerne wurde schon in dem I. Teil besprochen. Beim Uebertragen in frisches farbloses Wasser entfärbten sich die gefärbten Teile bei Callidina allmählich. Cycelops. Bei Oyclops wurde die Färbung im Chylusdarm oder Magen |Claus')] und Enddarm besonders gut sichtbar. Ich glaube in beiden Teilen die zweierlei Zellelemente derselben: die „Leberzellen“ (Claus) und die „Harnzellen“ (Claus) mit den „Konkrementen“ (Claus) gefärbt in verschiedenen Uebergangstönen von den Farben der Farbstoffe zu anderen beobachtet zu haben. Im Ganzen bekam ich den Eindruck eines längsgestreckten, mit rundlichen, blasigen, mehr oder weniger durchsichtigen Elementen gefüllten Schlauchs, weleher mit Neutralrot eine ins Orange, mit Nilblau ins Violette übergehende Farbe annahm. Diese Veränderung der Farben würde auf eine alkalische Reaktion des Darmes bei Cyclops deuten. Die Beobachtung bedarf aber noch einer näberen Untersuchung. Was die Färbung der Geschlechtsorgane bei Cyclops anlangt, so konnte ich bis jetzt nur das Eindringen der Farbstoffe in die weib- lichen Geschlechtsorgane sicher konstätieren: ins Ovarium und in die Eiersäckehen. Das Neutralrot verursachte eine, ähnlich wie bei Dapıhnia, undurehsichtige, dunkle Bordeauxrot-Färbung im Ovarium und die- selbe, nur etwas heller, in den Eiersäckchen. Das Nilblau rief nur in den Eiersäckchen eine intensive blaue Färbung hervor. In beiden Fällen wurde von mir bei stärkerer Vergrößerung?) folgendes Bild beobachtet: nahe den Rändern der Eier kamen sehr kleine, feine, dagegen der Mitte des Eies zu gröbere, intensiv rot oder blau, mit manchen Uebergangstönen gefärbte Körnchen zum Vorschein. Bei Cyclops färbten sich außerdem noch, sowohl mit Neutralrot, als auch mit den blauen Farbstoffen große, nieht ganz regelmäßig ge- formte, meistens ovale Körper sehr intensiv rosa oder intensiv blau. Sie sahen homogen und stark lichtbrechend aus und fanden sich in ziemlich großen Abständen von einander unter der Cuticula flächen- haft zerstreut. Sehr ähnliche Körper kamen auch im Abdomen in 2 Reihen, zu 3 oder 4 jederseits angeordnet, zum Vorschein. Die zu- 1) C. Claus, Die freilebenden Copepoden. Leipzig 1863. 2) Objectiv: 8a, Ocul.: Nr.2, 4 Reichert, Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 357 letzt beschriebenen Körper aber schienen hier etwas tiefer als die ersteren zu liegen. Ich sehe noch vorläufig von der näheren Er- örterung der Bedeutung dieser Körper ab. Außer den beschriebenen Körpern zeigen sich noch bei längerer Einwirkung von Farbstoffen ganz kleine Körnchen in den Extremitäten und etwas größere an den Umbiegungsstellen derselben. Die ersteren stellten sich recht undurch- sichtig dar. Mit den blauen Farbstoffen färbten sie sich intensiv blau, mit Neutralrot intensiv rosa. Daphnia. Auffallend ist die Aenderung der Farbe im Darm der Daphnia. Oft schon am folgenden Tage des Färbungsprozesses, zuweilen aber später, konnte man die Beobachtung machen, dass in dem vorderen bedeutend größeren Teil des Darmes [Magendarm-Eylmann!)] die dort enthaltene Flüssigkeit mit Neutralrot ins Erdbeeren-Orange, mit den blauen Farbstoffen ins Malachit-Grüne gefärbt wird; in dem übrigen Teil des Darmes (Mastdarm-Eylmann) wird die Färbung differenziert und in gewissen Zelllagen in Form von Granulationen wahrnehmbar, wobei die eigentliche Farbe der angewendeten Farb- stoffe fast unverändert bleibt. Der einzige Unterschied kann vielleicht nur darin liegen, dass die Farbe derselben etwas abgeschwächt zum Vorschein kommt. Die Membran des Darmes zeigt zuweilen eine gelb- liche Färbung. ‘In den Geschlechtsorganen der Daphnia erscheint die Färbung zunächst in der Keimstätte, Ovar, Eierstock, dann im Brutraum in den Eiern und Embroynen. Anfangs erscheinen alle diese Organe kompakt und undurchsichtig, mit Neutralot dunkel-bordeaux, mit den blauen Farbstoffen dunkel-grün gefärbt. Erst nach Verlauf einer Zeit, zwar auch nicht immer, konnte ich eine Art weiterer Differenzierung beob- achten, indem diese Organe durchsichtiger wurden und eine gewisse Struktur zeigten. Es fragt sich, inwiefern waren die gefärbten Eier und Embryonen bei Daphnia und die Eier bei Cyclops lebendig ? Obwohl ich einigemal dieselben während 2, 3 Tage beobachtet habe und den äußeren Merkmalen nach sie für lebendig zu erklären geneigt wäre, behalte ich mir doch vor, eine Meinung darüber von mehr entscheidender Natur erst in der ausführlichen Abhandlung aus- sprechen zu dürfen. Von den anderen Färbungserscheinungen bei Daphnia sei zunächst die Färbung der -Schalendrüse erwähnt. Nach Behandlung sowohl mit Neutralrot, als auch mit den blauen Farbstoffen kamen in dieser recht zahlreiche, sich intensiv rot oder blau färbende Körnchen zum Vorschein; sonst erschien der Körper der Schalendrüse entweder nur 1) Ed. Eylmann, Beitrag zur Systematik der europäischen Daphniden. 358 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. schwach rosa gefärbt (Neutralrot) oder ganz farblos (die blauen Farb- stoffe). In den Extremitäten der Daphnia waren auch die schon bei Cyclops beschriebenen Körnchen wahrnehmbar. Bei Daphnia und Cyeclops wurde nach dem Tode die Entfärbung der intra vitam gefärbten Teile beobachtet. Diese Entfärbung wurde auch an lebenden Tierchen beobachtet, nachdem sie in frisches, Farb- stoffe nicht enthaltendes Wasser übergetragen waren. Hirudineen. Clepsine: Noch auffallender erscheint der Farbenwechsel im Darm bei Clepsine. Für diese Untersuchung brauchte ich sehr junge Individuen. Nach Behandlung eines Individuums mit Neutralrot zeigten schon am folgenden Tage verschiedene Teile des Darmes ganz verschiedene Färbungsverhältnisse. Im Pharynx |Leuckart!)]| tritt die Färbung am stärksten her- vor. Die Färbung besitzt hier einen stark purpurroten Ton. Im nächst anliegenden Teil des Darmes (Chylusmagen-Leucekart) er- scheint eine schwächere purpurrote (mit einem leichten Stich ins Blaue) Färbung; in dem weiteren Teile (Enddarm-Leuckart) mischt sich die ursprüngliche rote Farbe mit einem starken gelben Ton; schließ- lich im terminalen Endstück des Darmes (Mastdarm-Leucekart) kommt wieder die Färbung des Chylusmagens zum Vorschein. Diese Farben- wechsel deuten darauf, dass in verschiedenen Teilen des Darmes ver- schiedene chemische Reaktionen vorgehen; sie deuten ferner auf ver- schiedene spezifische Beschaffenheit und physiologische Funktion der Darmteile bei Clepsine. Die Reaktion des Enddarms kann sicher als eine alkalische be- zeichnet werden, weil nur Alkalien die eigentliche Farbe des Neutral- rots auf solche Weise ändern. Was die Reaktionen der anderen Teile betrifft, so bin ich geneigt, sie als saure Reaktionen zu betrachten. Um aber die Natur dieser Reaktionen sicher bestimmen zu können, bedarf man noch weiterer Experimente am Tier selbst. Aehnliche Verhältnisse im Darm der Olepsine sind neulich von A. Kowalewsky beschrieben. Sie wurden bei Clepsine complanata durch die Injektion mit „tournesol bleu“ hervorgerufen. Nach den Untersuchungen Kowalewsky’s werden der Chylus- magen und Mastdarm blass-rosa, der Enddarm blau gefärbt. Die Reaktion im Chylusmagen und Mastdarm bezeichnet dieser Forscher als eine saure, die des Enddarms als eine alkalische. Diese Ver- schiedenheit der Reaktionen erklärt Kowalewsky auf folgende Weise: „Cette differente r&action chimique des deux parties de l’intestin ou se passe la digestion et l’absorption des elements nutritifs nous 1) R. Leuckart, Die Parasiten des Menschen etc., Bd. I, Liefg. 5, 1894. Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 359 rapelle ee que nous voyons chez les mammiferes: dans l’estomaec nous avous une reaction acide, dans l’intestin une reaction alealine due aux diverses substances s6eretees par les parois de ces parties du canal intestinal ou par les glandes annexes“!). Nephelis. Bei dieser Art des Blutegels färbten sich neben dem Darm, in dem bis jetzt keine solche Differenzierung der Teile, wie bei Olepsine, beobachtet wurde, die bothryoiden Zellen stark bordeaux-rot und die Epidermiszellen; in diesen letzteren wurden die rot-gefärbten Granu- lationen sichtbar. Nach dem Tode oder beim Uebertragen in frisches, farbloses Wasser entfärbten sich die gefärbten Tiere allmählich. Chaetogaster. Aehnliche Verhältnisse, wie bei der Darmfärbung bei Clepsine, sind auch bei Chaetogaster, sowohl beim Ch. diaphanus, als auch beim Ch. diastrophus wahrzunehmen. Indem die in der vorderen Anschwellung des Magendarms be- findliche Flüssigkeit sich himbeeren-rot färbt und stark blaustichig wird, behält die hintere in ihren Bestandteilen die eigentliche Farbe des Neutralrots. Beim Ch. diastrophus habe ich auch Gelegenheit ge- habt, das Verschwinden dieser Färbung in der vorderen Anschwellung des. Magendarms zu konstatieren. Diese Erscheinung spricht aller- dings dafür, dass die betreffende Reaktion ihr Ende erreicht hatte; die Darmflüssigkeit wurde dann entweder sehr schwach -rosa (blau- stichig) gefärbt oder von Neuem vollkommen farblos. Im Bereiche der zweiten Anschwellung des Magendarms war immer die Färbung der Chloragendrüsen — der modifizierten Peritonealzellen (Vejdovsky)?) wahrzunehmen; sie waren intensiv rot gefärbt. Bei den beiden Arten des Chaetogasters tritt endlich das Neutral- rot in den Peritonealzellen und in den Epithelzellen der Haut auf. In den letzteren kamen feinere Granulationen zum Vorschein. Die gefärbten Teile in den Individuen des Chuetogasters entfärbten sich nach dem Tode und auch während ihres Lebens, nachdem sie in frisches, keinen Farbstoff enthaltendes Wasser übertragen waren. Schon aus diesen zwar nur vorläufig und deswegen ungenügend dargestellten Beobachtungen kann man ersehen, dass dieselben nicht nur die bis jetzt bekannten Angaben über die Wichtigkeit der intra- vitalen Färbung bestätigen, sondern vielmehr weiter gehen, indem sie 1) Al. Kowalewsky, Etudes biologique sur les Clepsines, p. 2. Me&m. de l’Academie Imper, des sciences de St. Petersbourg. 2) T. Vejdovsky, System und Morphologie der Oligochaeten, 1884, Prag. 360 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. auf eine vielseitigere Wirkung der von mir angewendeten Farbstoffe hinweisen. Diese Wirkung kann ebensowohl für die anatomisch-histo- logischen Untersuchungen mit Berücksichtigung der physiologischen Seite, als auch für die rein demonstrative Zwecke von großer Be- deutung sein. Ill. Gruppe. Wie es schon erwähnt wurde, bin ich durch die Färbungs- erscheinungen dieser Gruppe auf einige nicht bekannte histologische Einzelheiten im Körperbau mancher Tiere aufmerksam geworden, welche man mittelst anderer Methoden bis jetzt nicht sichtbar machen konnte. | I. Bei Chaetogaster diastrophus wird mit Neutralrot ein eigen- tümliches, die vordere Anschwellung des Magendarmes umgreifendes Netz zum Vorschein gebracht. Die Maschen dieses Netzes stellen poly- gonale Gestalten dar und ihre Grenzen kommen als kontinuierliche Reihen größerer und kleinerer, regelmäßig runder, intensiv violett ge- färbter Körnchen zum Vorschein. } Bei genauer Untersuchung!) konnte man Folgendes unterscheiden: 1. dass diese Körnchen nicht dicht aneinander stoßen, sondern dass es zwischen ihnen verschieden große freie Abstände giebt; 2. dass diese Reihen von Körnchen einigermaßen von 2 hyalinen Linien umgrenzt sind. Die Waben stellten sich hyalin und farblos oder gefärbt dar, wenn die Darmflüssigkeit gefärbt wurde, und enthielten größere rosa (Erd- ‚ beeren-rosa) gefärbte und bedeutend kleinere, ungefärbte Kügelchen. Die ersteren erinnerten an Fetttröpfchen. Die geschilderte Beobachtung ruft folgende Fragen hervor: 1. was könnten die körnig beschaffenen Maschen für eine morpho- logische Bedeutung haben ? 2. was für eine physiologische Rolle könnte diesen Körnchen zu- kommen und wodurch wird der Wechsel der Farbentöne in denselben verursacht? 3. was für Bedeutung könnte die Thatsache haben, dass nur die vordere Anschwellung des Magendarms ein solches Netz zeigt? Nicht alle von diesen Fragen lassen sich den bis jetzt ausge- führten Untersuchungen nach beantworten. Die körnig beschaffenen Maschen des Netzes halte ich für Grenzen riesiger platten Zellen des Darmepithels und demgemäß das ganze Netz für ein Komplex solcher Zellen. Diese Annahme unterstützt das Bild, welches man bei einem zuerst am Leben untersuchten Individuum von Ch. diastrophus nach Fixierung mit konzentriertem Sublimat und Färbung mit Boraxkarmin bekommen 1) Semi E apochromat !/», Ocul. Nr. 4, Compensationsocular 12, Reichert. Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 361 hat: man konnte dann das während des Lebens des Tieres sich färbende Netz nicht mehr bemerken, sondern man sah in großen Ab- ständen, entsprechend den Abständen zwischen den Mittelpunkten der Waben des Netzes gelegene, große, rundlich-ovale, nicht strukturlose Kerne. Diese Kerne stellen wahrscheinlich die Kerne der beschriebenen Zellen vor. Der Wechsel des Farbetons in den Körnchen der Maschen mag auf eine saure Reaktion derselben zurückgeführt werden. Das Vorhandensein des beschriebenen Netzes nur auf der vorderen Anschwellung des Magendarmes und somit die verschiedene anatomische Beschaffenheit der Darm-Abteilungen müssen offenbar mit verschiedenen Funktionen derselben im Zusammenhang stehen. II. Durch Anwendung des schon früher erwähnten modifizierten Neutralrots wird die eigentliche Beschaffenheit des Mitteldarms bei Callidina symbiotica sichtbar gemacht. Er stellt sich nieht mehr so kompakt und strukturlos, wie in den Versuchen mit Neutralrot, dar; man sieht vielmehr, dass seine wahrscheinlich nur sehr dünne Wand aus polygonalen Zellen besteht, welche von einander durch feine, schmale, lichte Zonen getrennt werden. Diese Zellen sind mit feinen intensiv rosa gefärbten Körnchen reichlich erfüllt und in den Mitten dieser Zellen, wo diese Körnchen spärlicher werden, bemerkt man einen großen, Nucleolus enthaltenden Kern. In einigen von diesen Zellen waren die Kerne während der Beobachtung schon blass-rosa gefärbt, obwohl das Tierchen noch vollständig normales Leben be- wahrte. II. Bei Trichina spiralis habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen, Herrn J. Graham, zweierlei neue Beobachtungen gemacht. Im Hoden der Männchen traten immer gewisse, rundlich gestaltete, intensiv blau (Nilblau-Sulfat) oder rot (Neutralrot) gefärbte Körnchen zu Tage. Im Uebrigen färbte sich der Hoden mit Nilblau-Sulfat gar nicht, mit Neutralrot schwach rosa. Noch interessanter ist die Färbung, welche in zwei am Ende des Zellkörpers der Trichina spiralis liegenden großen Zellen erscheint. Es sind die Zellen, welche nach Leuckart zu den übrigen Zeller des Zellkörpers zugerechnet sein sollen, welche aber in der letzten Zeit für andere Gebilde gehalten werden. Herr Graham hat die- selben auch, schon gemäß den von ihm mit Hilfe der anderen Methoden bekommenen Resultaten, für zwei von den übrigen Zellen des Zellkörpers ganz verschiedene Gebilde gehalten und war geneigt ihnen etwa einen drüsigen Charakter zuzuschreiben. Diese Annahme bestätigt die intravitale Färbung vorläufig inso- fern, als nur diese 2 Zellen sich färben, während der Zellkörper dabei farblos bleibt. Diese Zellen werden mit Neutralrot intensiv rot, mit Nilblau-Sulfat seltener gefärbt; wenn sie sich in dem letzteren 362 Przesmycki, Intra-vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. Falle färben, so geht dann die blaue Farbe in eine violette über. Der Struktur nach stellen diese Zellen in beiden Fällen der Färbung kompakte Körnchenhaufen dar. IV. Unter der hyalinen Cutieula der Rabdbditisform einer wahr- scheinlich parasitierenden Nematode, welche sich in stark verfaultem alten Wasser in großer Masse entwickelt hat, wurde eine über dem Darm flächenhaft gelegene, eigentümlich gestaltete, schwach rosa ge- färbte Schicht beobachtet. Sie machte den Eindruck einer Zellschicht, eines platten Epithels: sie bestand aus riesigen, verhältnismäßig poly- gonalen (hauptsächlich Rechteck) Zellen, welehe von einander durch feine und lichte Zonen abgetrennt und mit kleinen, runden, blass-rosa gefärbten und dicht aneinander liegenden Körnchen erfüllt waren; sonst war der Inhalt der Zellen farblos. Was die Bedeutung der beschriebenen Zell-Schieht anlangt, so ist es vorläufig möglich nur die Annahme zu stellen, es sei vielleicht die Epidermis der Nematoden, welche bei einem jungen Entwiekelungs- stadium leichter sichtbar werden kann. V. Ich möchte noch eine Färbungserscheinung erwähnen, welche ich bei einer jungen Nephelis (3 Monate 6 Tage) beobachtet habe. Nahe der Mitte des ganzen Körpers, wo der Chylusmagen an- fängt, kamen zwei birnenförmige Gebilde zum Vorschein. Mit den breiten Teilen waren sie den Seiten des Tieres zugewendet und diesen nahe angelagert, nach der Mitte des Körpers zu ver- schmälerten sie sich sehr stark und wurden schließlich unsichtbar. Sie waren schwach-rosa gefärbt und enthielten unregelmäßig zer- streute, intensiv rot gefärbte Körner von unbestimmten Gestalten. Etwas mehr nach dem Hinterende des Tieres ungefähr in °/, der ganzen Länge des Körpers, trat ein rosettenförmiges, scheinbar aus einigen lappigen Teilen zusammengesetztes, ähnlich blass- rosa ge- färbtes und ähnliche Einschlüsse enthaltendes Gebilde zu Tage. Durch den zufällig eingetretenen Tod des untersuchten Tieres und aus Mangel an anderem ähnlichen Material bin ich vorläufig ver- hindert, diese Gebilde weiter zu verfolgen. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber waren diese Gebilde die Anlagen der Geschlechtsorgane. Ich fasse die Resultate meiner Beobachtungen folgendermaßen zusammen: I. Verschiedene Tiere nehmen verschiedene Farbstoffe ver- schieden auf. II. Ein und dasselbe Tier nimmt einen und denselben Farbstoff verschieden auf, indem seine verschiedene Organe sich durch die Farb- stoffeinwirkung stark differenzieren lassen. III. Sogar Teile eines und desselben Organs können durch die Farbstoffeinwirkung differenziert werden. Przesmycki, Intra vitale Färbung des Kerns und des Protoplasmas. 363 IV. Die intra vitam gefärbten Teile der Organismen entfärben - sich, sobald der Tod eintritt, oder noch während des Lebens der Organismen, wenn sie in frisches, keinen Farbstoff enthaltendes Wasser gebracht werden. V. Durch die von mir angewendete Methode lassen sich mehrere Teile eines lebenden Organismus auf einmal färben. VI. Mittelst derselben Methode lassen sich neue, mit anderen Methoden nicht nachweisbare Einzelheiten im Bau der ausgewachsenen und sich erst entwickelnden Organismen zum Vorschein bringen. Diese zwei zuletzt genannten Thatsachen mit der aus dem ersten Teil meiner Mitteilung bekannten Thatsache, welche die Möglichkeit der Färbung des Kerns intra vitam beweist, bilden das Wichtigste der von mir angewendeten Methode und veranlassen mich, die- selbe als eine besonders geeignete für die histologisch- anatomischen und entwickelungsgeschichtlichen Unter- suchungen zu empfehlen. Diese Methode soll sich selbstverständlich auf die genannten vier Farbstoffe nicht beschränken. Es wäre in erster Linie zweckmäßig, dieselben mehreren chemischen Modifikationen zu unterwerfen und ver- schiedenerlei Farbstoffe zu kombinieren. Auf die wichtige Bedeutung der Modifizierungen konnte man schon durch die in dieser Mitteilung angeführten Resultate aufmerksam werden! Es mögen hier noch einige Worte über sozusagen rein biologische Beziehungen der lebenden Organismen zu den Farbstoffen hinzugefügt werden. Ich muss hier noch einmal die Frage, betreffend die schädliche Einwirkung der von mir angewendeten Farbstoffe auf lebende Organismen, berühren. Zunächst möchte ich hier als Thatsache vorausschicken, dass die von mir angewendeten Farbstoffe auf verschiedene Organismen durch- aus verschieden einwirkten. In einem und demselben Farbstoff lebten die einen Organismen bedeutend länger, als die anderen. In einem und demselben modifizierten Nilblau-Chlorhydrat ency- stierten sich die Actinosphaerien, die anderen Organismen gingen da- gegen, ähnlich wie in anderen Farbstoffen, früher oder später zu Grunde. In dem modifizierten Nilblau-Chlorhydrat eneystierten sich die Actinosphaerien ständig, in demselben nicht modifizierten Nilblau-Chlor- hydrat gingen sie, ähnlich wie in den übrigen Farbstoffen, naclı längerer oder kürzerer Zeit zu Grunde. Cyclops blieb in den Farbstofikulturen (besonders in den blauen Farbstoffen) monatelang am Leben, so dass ich in diesem Falle be- 364 Frenzel, Zur Planktonmethodik. haupten möchte, die larbstoffe übten auf Cyclops keine schädigende Einwirkung. Die zuletzt angeführten Beobachtungen veranlassen mich wiederum zur Aufstellung der Annahme: es gebe Fälle, wo die Farbstoffe ganz unschädlich für die lebenden Organismen seien, und zwar wird dies zutreffen, wenn die Farbstoffe der sozusagen „zusammengesetzten* spezifischen Beschaffenheit eines lebenden Organismus vollkommen ent- sprechen und demgemäß keine schädlichen Reaktionen im demselben hervorrufen. Nachtrag. Nachdem die vorliegende Arbeit schon abgesandt war, wurde ich auf einige Arbeiten aufmerksam, welche ebenfalls das Thema der intravitalen Färbung behandeln. Douglas Campbell!) ist es geglückt, lebende Kerne von Pflanzen- zellen zu färben und sogar Teilungen an ihnen zu beobachten. A. Danilewsky?) giebt an, dass er Aktinien, deren Zellkerne mit Methylenblau gefärbt waren, 32 Tage lang, und isolierte Zellen mit gefärbten Kernen 24 Stunden lang am Leben erhalten habe. Auf diese Arbeiten, sowie auf die Färbungsversuche von S. Mayer mit Violett B und Neutralrot?) werde ich in meiner ausführlichen Arbeit zurückkommen. [61] Zur Planktonmethodik. Von Prof. Joh. Frenzel, Bivl. Station, Friedrichshagen. U. Die Seidengaze. Wiewohl bereits seit Johannes Müller eifrig auf Plankton — oder wie man damals sagte „Auftrieb“ — gefahndet wurde, so war es doch, wie bekannt, Vietor Hensen*), welcher zuerst eine wohl- durchdachte und auf sorgfältigen Bereelınungen beruhende Methodik anwendete. Hensen ging hierbei von der Vorstellung aus, dass die Hauptquelle, ja vielleicht die einzige in Betracht zu ziehende Quelle der im Meere vorhandenen Nahrungsstoffe eben dieses Plankton sei, und er konstruierte, um die Menge dieser „Nahrungsstoffe* fest- zustellen, seine bekannten Apparate. Hierbei verwandte Hensen 1) Douglas Campbell, The staining of living nuclei. Untersuchungen aus dem botan. Institut zu 'Tübingen, Bd. II, 1886—1888. 2) A.Danilewsky, Biovchemische Untersuchungen am Meeresufer. Arbeiten aus dem physiolog.- chemischen Institut bei der Universität zu Charkow, 1891. 3) Sig. Mayer, Ueber die Wirkung von Farbstoffen: Violett B und Neutral- rot. Sitzungsberichte des deutschen naturwissenschaftlichen Vereins f. Böhmen. Lothos 1896. Nr. 2. 4) V. Hensen, Ueber die Bestimmung des Planktons oder des im Meere treibenden Materials an Pflanzen und Tieren ete. in: V. Bericht der Kommiss. zur wissenschaftl. Unters. d. deutsch. Meere ete., 1887. . Frenzel, Zur Planktonmethodik. 365 zur Herstellung der filtrierenden Flächen seiner Netze seit 1884 sog. Müllergaze oder seidenes Beuteltuch, nachdem übrigens schon vordem in den Zoologischen Stationen zu Neapel, Triest ete. dieser Stoff als der einzig brauchbare eingeführt worden war. Wie nun Hensen weiter ausführt, ist zuı genaueren Berechnung des Planktons eigentlich nur eine Methode wirklich brauchbar, soweit es sich wenigstens um größere Tiefen handelt, nämlich die der stufenweisen Vertikalfänge, und daraufhin richtete er sein sog. Vertikalnetz so ein, dass beim langsamen Aufziehen desselben durch die verengte Oefinung gerade so viel Wasser einströmte, wie filtriert werden konnte. Zu diesem Zwecke hatte Hensen ferner vorher die sog. Filtrationsgröße der Seidengaze auf Grund von eingehenden Versuchen festgestellt und den sog. Netzkoeffieienten berechnet. Ob- wohl nun Hensen sehr wohl erkannte, dass sich die Poren der Seiden- gaze während jeden Zuges verstopfen könnten (l. e. S. 3, 7, 12 ete.), so konnte dieser Fehler im Allgemeinen doch außer Acht gelassen werden. In der That überzeugte ich mich auch durch Versuche, über die an anderer Stelle berichtet wird, dass selbst bei einem sehr stark verstopfenden Plankton, soweit es sich eben nur um einen Vertikalzug handelt, resp. um eine diesem entsprechende Wassermenge, die Gefahr der Versperrung der Poren keine erheblich große ist. Hensen stellte indessen weiterhin fest, dass eine derartige Versperrung im Laufe der Zeit (1. e. S. 13), also nach wiederholtem Gebrauche eintreten könnte, und zwar zeigte sich ihm ein erheblicher Unterschied zwischen der Ost- und der Nordsee, dergestalt, dass dieselbe dort kaum nennens- wert, hier jedoch äußerst störend war. Vergleicht man hiermit ferner die Abbildung, welche Hensen auf Taf. I Fig. 7 von einem derartigen, viel gebrauchten, jedoch nicht verstopften Netzstück giebt, so muss man in der That davon überzeugt sein, dass es Fälle und Umstände giebt, in welchen der filtrierende Stoff rein und unverstopft bleibt, vorausgesetzt natürlich, dass er jedesmal «durch Abspülen gereinigt werde, wie Hensen dies ja angiebt. Anderseits aber darf nicht ver- gessen werden, dass ebensogut Fälle und Umstände eintreten können, in denen das gerade Gegenteil stattfindet, und man sollte daher diese Frage in jedem einzelnen Falle sorgfältig prüfen, da ihre Nichtbeachtung die schwersten Fehler und Irr- tümer nach sich zu ziehen im Stande ist. Man denke sich nur den Fall, dass irgendwo Vertikalzüge mit einem Netz gemacht werden, das in bemerkbarem Grade verstopft ist und daher gar nicht geeignet erscheint, die erforderliche Wassermenge zu filtrieren. Was nützen dann all die genauen und zeitraubenden Zählungen, Mes- sungen und Wägungen, die auf den fehlerhaften Fang folgen? Sie müssen doch, trotz. ihrer bewundernswerten Genauig- keit, ganz falsche Resultate ergeben. Ja, tritt nun der weitere Fall 366 . Frenzel, Zur Plantonmethodik. ein, dass vielleicht zwei von einander unabhängende Beobachter an derselben Lokalität, jeder aber mit einem übereinstimmend fehlerhaften Netze fischt, so mögen zwar ihre nachherigen Zählresultate ete. unter sich gut übereinstimmen, ohne indessen die Gewähr zu geben, dass sie absolut richtig seien. Dass die Gefahr der Netzverstopfung nicht nur in der Theorie schwebt, sondern praktisch zur Erscheinung tritt, hat ja schon Hensen, wie oben erwähnt, nachgewiesen. Wann und unter welchen Umständen sie vorhanden, das kann freilich nicht von vornherein be- stimmt, sondern muss in jedem einzelnen Falle empirisch festgestellt werden. Es lässt sich daher auch nicht von vornherein sagen, ob die Verstopfung eine häufigere Erscheinung ist, oder nur eine so sel-. tene, dass ihr eine praktische Bedeutung nicht zukomme. Auch dies kann, das liegt nahe, erst durch die Erfahrung festgestellt werden. Im Hinblick indessen auf die Erfahrungen, die mir bis jetzt zu Grunde liegen, möchte ich, wenigstens für das Süßwasser, behaupten, dass wir es hier mit einem allgemeineren Vorkommnis zu thun haben und dass, namentlich dort, wo das Wasser reich an „Detritus“ und Algen ist, die Verstopfung des Netzes nicht unbeachtet bleiben darf. So besitze ich ein kleines quantitatives Planktonnetz, welches nach häufigem Gebrauch in den Gewässern der Oberspree so verstopft wurde, dass es überhaupt kaum noch filtrierte, ein Fehler, auf den ich übrigens nur zufällig, gelegentlich meiner Pumpversuche, aufmerk- sam wurde, über die an anderer Stelle berichtet wurde!). Es erschien mir indessen nicht überflüssig, daraufhin einige Versuche anzustellen, die im Nachfolgenden kurz besprochen sein mögen. Wie bekannt filtriert ein Papierfilter erst dann exakt, wenn es angefeuchtet worden ist. Nimmt man nun ein Stückchen neue Seidengaze und bringt man darauf, indem man es frei hält, einige Tropfen Wasser, so wird man finden, dass in den meisten Fällen, nichts durch das Gewebe durchdringt. Aendere ich den Versuch nun in der Weise, dass ich die Gaze vorher erst anfeuchte, so wird zwar etwas Wasser durchdringen, aber immerhin selten das ganze Quantum und dann auch nicht in kürzester Zeit. Sobald ich indessen die Unterseite des trocknen oder besser angefeuchteten Gewebes berühre, z.B. mit dem Finger, so tritt an der berührten Stelle das Wasser mit Leichtig- keit hindurch. Denselben Versuch kann man ferner auch an einem Netz vornehmen resp. an dem mit Gaze bespannten Eimer. Es zeigt sich dabei noch, dass eine vorherige Anfeuchtung schon aus dem Grunde nicht sicher hilft, weil das Wasser an der Seidengaze nur un- vollkommen adhäriert, so dass diese also gar nicht wirklich „be- feuchtet“ wird. Bemerken möchte ich dabei, dass die Versuche, von 1) Vergl. Zur Planktonmethodik: I. Die Planktonpumpe. — Dieses Central- blatt, Bd. XVII, Nr. 5, 8. 101 fg. Frenzel, Zur Planktonmethodik. 367 denen ich spreche, an zweierlei Proben angestellt wurden und zwar an solchen, die von der Firma Wilhelm Landwehr in Berlin und der Firma Heidegger in Zürich herstammten. In ersterem Falle waren es die Nummern 18 u. 19, in letzterem Falle Nr.20. Es möchte nun möglich sein, dass sich die in Rede stehenden Stoffe je nach der Herkunft ete. verschieden verhalten. Dennoch aber mag es genügen, die Erzeugnisse der bekanntesten Fabriken geprüft zu haben, umsomehr, als es hier ja nur darauf ankommt, zu zeigen, dass derartige Fälle, wie die oben angegebenen, überhaupt eintreten können. Auch möchte ich bei der großen Gleichartigkeit dieser Gewebe bezweifeln, dass sie eine erhebliche Verschiedenheit hinsichtlich der Filtrationsfähigkeit aufweisen. Kehren wir nun zu dem oben besprochenen Versuche zurück, so erübrigt es noch zu erklären, woher es kommt, dass das Wasser an einer berührten Stelle der Gaze mit besonderer Leichtigkeit filtriert. Es ist dies ein Phänomen, welches sehr schön an dem sog. filtrieren- den Eimer Hensen’s gezeigt werden kann. Man halte diesen zu diesem Zweck mit geschlossenen Hahn unter eine Wasserleitung und lasse Wasser hineinfließen. Man wird dann, auch nach vorherigem Befeuchten von außen, sehen, dass das Wasser nur an einigen Stellen der Gaze ausströmt — mit Vorliebe an den Stellen, wo die Klemm- leisten aufgeschraubt sind —, während andere Teile völlig. undurch- lässig sind. Sobald dieselben indessen, wie schon oben erwähnt, mit dem Finger leicht überstrichen werden, entströmt ihnen sofort reich- liches Wasser, und zwar nicht nur momentan, sondern auch fortdauernd. Man kann sich nun vorstellen, dass die Adhäsionskraft zwischen Wasser und Seidengaze eine geringe und dass ferner die Kapillarkraft der Poren der Seide eine so große ist, dass diese den Druck des Wassers überwiegt. Berühre ich nun die Gaze von außen mit dem Finger, so macht sich die größere Adhäsionskraft zwischen Wasser und Finger geltend, die Kapillarkraft wird überwunden und dadurch der Weg durch die Pore geöffnet. Man wird mir nun einwenden, dass doch ein erheblicher Unter- schied bestünde zwischen einem Netz, das, wie oben, in der Luft frei- hänge und einem solchen, das ins Wasser gesenkt sei. Hier sei es, so wird man fortfahren, doch gewissermaßen von einem das Gewebe berührenden Körper, nämlich von Wasser umgeben, so dass es also innerhalb desselben vollkommen und tadellos filtrieren müsse. Allein, mir scheint, dass diese Argumentation nicht beweisend sei, wenig- stens so lange, als sie nicht durch Versuche unterstützt ist. Aus diesem Grunde dürfte es immer geraten erscheinen, ein neues oder wenig gebrauchtes Planktonnetz vor dem jedesmaligen Gebrauche nicht nur anzufeuchten, sondern auch zu reiben ete., resp. durch Winden die einzelnen Teile aneinanderzupressen, ähnlich so, wie die 368 Frenzel, Zur Planktonmethodik. Waschfrau ein Wäschestück auswindet. Die Gaze des filtrierenden Eimers kann man ferner noch mit dem Finger überstreichen. Es mag so aussehen, als wenn die oben ausgesprochene Befürch- tung, ein Gazenetz könnte möglicherweise nieht so gut filtrieren, wie es filtrieren sollte, stark übertrieben, und als wenn dann die soeben genannten Vorsichtsmaßregeln unnütz und überflüssig seien. Allein, nachdem schon Hensen nachgewiesen, dass jedes Gazegewebe dem durehdringenden Wasser einen gewissen Widerstand entgegensetze, sollte man jedenfalls Alles vermeiden, was geeignet wäre, diesen Widerstand noch zu vergrößern, im Hinblick namentlich darauf, dass es sich hier doch um sehr feine Untersuchungen handelt und dass die erforderliche Wassermenge wirklich filtriert sein muss, um die nach- folgenden Zählungen nicht zu illusorischen zu machen. Im Obigen wurde schlechtweg von Seidengaze gesprochen, und gemeint war damit neue resp. noch wenig gebrauchte Gaze. Wie ver- hält es sich nun aber mit soleher, die schon sehr häufig benutzt ist und infolge dessen verstopft sein kann? Schon äußerlich kann man das Letztere an der Färbung des Gewebes erkennen. Dies ist ja im frischen Zustande weiß resp. leicht gelblich. Je mehr sich das Gewebe nun versetzt, je mehr Fremdkörper also daran haften bleiben, um so schmutziger wird es und nimmt schließlich eine bräunlich-graue Farbe an. Sieht man mithin ein derartiges Netz im Gebrauch, voraus- gesetzt natürlich, es sei nicht bloß vom Hängen an der Luft verstaubt, so kann man es mit Sicherheit als „verstopft“ bezeichnen. Bringt man sodann ein Stückchen soleher Gaze unter das Mikroskop, so sieht man auch sofort, in welcher Weise die Versperrung der Poren bewirkt wird. Es ist nämlich nicht etwa Schlamm oder dergl. dem Gewebe aufgelagert — das Alles wird durch das gebräuchliche Abspülen leicht entfernt — sondern die Interstitien des Gewebes, in erster Linie die Poren selbst, dann aber auch die Spalten zwischen den ein- zelnen Seidenfäden enthalten kleine Fremdkörper. In dem vor- liegenden Falle, wo es sich um ein Netzstückchen ‚handelt, das haupt- sächlich im Müggelsee ete. verwendet worden war, bestehen diese Fremdkörper nicht etwa, wie man annehmen sollte, aus Diatomeen- schalen oder dergl., sondern aus undefinierbaren grünlich - bräunlichen kleinen Klümpchen, die man eben nur als „Detritus“ noch bezeichnen kann, und zwar als größtenteils pflanzlichen. Da das Müggelsee- plankton zu Zeiten außerordentlich reich an Diatomeen ist, so hatte ich diese resp. deren Schalen im Verdacht; dies ist indessen, wie ge- sagt, nicht der Fall. Außerdem enthält unser Plankton aber noch eine andere Beimischung in großer Menge, nämlich Detritus, der frei zwischen den Algen, Crustaceen ete. schwebt, eine Erscheinung, auf die an dieser Stelle nur hingedeutet werden kann, die aber ein hervorragendes Interesse beansprucht. Dieser Detritus also ist im Frenzel, Zur Planktonmethodik. 369 Stande, die Poren des Seidengewebes zu versperren, und da es ganz unwahrscheinlich ist, dass allein die Seen des Oberspreegebietes solchen Planktondetritus führen, und dass dieser nicht auch anderen Ge- wässern zukommen wird, so dürfte sich die gedachte Erscheinung auch an anderen Orten wiederholen. Handelt es sich um eine Netzgaze, die zwar schon häufig benutzt, stets aber durch Abspülen etc. „gereinigt“ worden ist, so kann man erkennen, dass die „Verstopfung“ der Poren immer nur eine teil- weise ist. Manche Poren sind dann noch ganz frei, andere zeigen nur einige Körnchen, die den Seidenfäden anhaften, und der Rest weist erst größere Partikel auf, die die Pore ganz oder teilweise ver- sperren. Wenn man nun einen derartig verstopften Stoff auf seine Filtrierfähigkeit prüft, so kann man von vornherein annehmen, dass er schlechter filtrieren wird, als ein nicht verstopfter. Zu diesem Zweck nahm ich einen „filtrierenden Eimer“, der nur 4- bis 5mal be- nutzt worden war. Zunächst wurde er ohne vorhergehende Befeuch- tung unter einen Wasserstrahl gebracht, und es zeigte sich, dass er fast gar kein Wasser durchließ. Auch nach dem Anfeuchten war das Verhältnis nur wenig besser, und erst nach dem Ueberstreichen mit dem Finger wurden die Poren passierbar, jedoch viel schlechter als bei neuem Gewebe. Dieser Versuch zeigte mithin, dass 1. schon eine geringe Benutzung ein Seidengazegewebe relativ undurchlässig machen kann, und dass 2. dies schon dann eintritt, wenn nur ein Teil der Poren versperrt ist, wobei man unter „Versperrung“ nicht ein vollkommenes Schließen der Poren, sondern nur ein Verengern ihres Lumens zu verstehen braucht. Es werden also die Poren ver- kleinert und damit würde, wie dies ja nach Hensen’s Versuchen zu erwarten ist, die Filtrationsgröße herabgesetzt, ein Umstand, auf den wir weiter unten noch einmal zurückkommen. Die Thatsache, dass die Seidengaze schon nach kurzem Gebrauch an Durchlässigkeit erheblich verlieren kann, muss uns stutzig machen. Einerseits werden wir uns dann fragen müssen, worauf schon weiter oben hingedeutet wurde, ob nicht häufig mit derartigen fehlerhaften Netzen gefischt wird, und welehe Mittel es anderseits giebt, diesen schwerwiegenden Fehler zu beseitigen. Das Erstere möge hier uner- örtert bleiben; ich möchte aber betonen, soweit wenigstens Süßwasser in Betracht kommt, dass ich glaube ein Recht zu haben, allen Angaben hinsichtlich der Planktonbestimmungen mit Mis- trauen gegenüberzutreten, die nicht gleichzeitig eine mögliche Verstopfung des Netzes in Betracht ziehen. Was nun ferner den zweiten Punkt anbetrifft, so würde es sich darum handeln, das Netz in der Weise zu reinigen, dass es wieder ge- brauchsfähig wird. Um dies zu erreichen, versuchte ich zunächst reines Wasser, in welchem das Netz tüchtig durchgespült wurde, XVII, 24 370 Frenzel, Zur Planktonmethodik. Allein es zeigte sich, dass hiermit kaum ein nennenswertes Resultat erzielt wurde. Man sieht nämlich sofort, dass auch jetzt noch die Poren der Gaze reichlich mit Fremdkörpern behaftet sind, und es geht daraus hervor, dass ein Abspülen der Netzwand nach jedesmaligem Gebrauch völlig unzureichend ist. Da man nun nicht ein immerhin kostspieliges Netz nach einigen wenigen Planktonzügen einfach kas- sieren kann — so üppig sind die biologischen Stationen oder dergl. nicht gestellt —, sondern das Netz doch so lange verwenden möchte, wie es nicht mürbe wird oder reisst, so versuchte ich es auf anderem Wege und fand schließlich, dass ein wiederholtes Abspülen in heißem Wasser und tüchtiges Ausdrücken (Wringen) eine ge- nügende Reinigung der Gaze bewirkt. Ein Versuch indessen, welcher mit einer derartig gereinigten Gaze angestellt wurde, bewies, dass sie wieder gut filtrierte, — fast so gut, wie neue. Es wurde dann ver- suchsweise ein stark verstopftes Gazestückchen längere Zeit — mehrere Stunden — in Wasser gekocht, aber, eine weitere Reinigung wurde nicht erzielt und der Rest der Fremdkörper war damit nicht zu be- seitigen, was übrigens, wie noch weiter unten gezeigt werden soll, kein Fehler ist. Zu meiner Freude erfuhr ich sodann von der Firma W. Landwehr, dass auch diese in einem solchen Falle heißes Wasser anwenden würde, womit, wie mir erscheint, diese Angelegenheit er- ledigt ist. Die mikroskopische Prüfung eines mit heißem Wasser behandelten Gazestückchen ergab, dass die einzelnen Seidenfäden bei dieser Pro- zedur etwas aufquellen und sich dadurch lockeren resp. aufdrehen. Manche der eingekeilten Fremdkörper mögen also schon dadurch zur Loslösung kommen, während andere wahrscheinlich durch das heiße Wasser gelöst resp. erweicht werden. Sei dies nun, wie es will, jeden- falls möchte ich nicht verfehlen, jedem, dessen Seidennetz durch Fremd- körper verstopft ist, den Rat zu erteilen, dasselbe vor jedes- maligem Gebrauch mittels heißen Wassers zu reinigen, was weiterhin auch dann zu empfehlen wäre, wenn eine solche Ver- stopfung zwar noch nicht festgestellt, aber doch zu befürchten ist. Dann wird man ohne Zweifel dem Vorwurf, man habe mit einem un- tauglichen Netze gefischt, am besten begegnen können. Ob und wie weit endlich das heiße Wasser schädigend auf die Seidenfaser ein- zuwirken im Stande ist, habe ich zwar noch nicht zu prüfen vermocht; von vornherein aber wird man derartiges annehmen können. Dennoch scheint mir, als wenn dies der geringere Fehler sei. Wie bereits bei früheren Gelegenheiten festgestellt wurde und wie Hensen bestätigt, ist selbst so feine Seidengaze wie Nr. 20 resp. 22 nicht im Stande, alle im Wasser vorhandenen Organismen resp. festen Körper zurückzuhalten, da die kleinsten z. B. sehr kleine Diatomeen, von Bakterien ganz zu schweigen, durchzuschlüpfen vermögen. Für Birge, Crustaceen des Mendota-Sees. 31 den Fall also, dass man eben alles Plankton gewinnen will, reicht mithin die Methode des Fischens mit dem Gazennetze nicht aus, wie dies ja bereits Hensen in seinem mehrfach. eitiertem Berichte aus- führt. Dann könnte nur noch die Pumpe in Anwendung kommen, wie ich dies an anderer Stelle dargelegt habe !), und Mikromembran- filter, nach Empfehlung von Hensen (l. ce.) resp. irgend ein an- deres gegen geformte Materie völlig undurchlässiges Filter. Für alle übrigen Zwecke jedoch, wo obige Bedingungen nicht gestellt werden, reichen die feineren Gazenummern aus. Sehr hinderlich steht einer allgemeineren Benutzung derselben jedoch ihr hoher Preis ent- gegen, wozu noch kommt, dass manche Geschäfte die feinsten Gewebe (Nr. 20 u. 22) gar nicht liefern. Selbst von Nr. 18, welches 66 Fäden pro em aufweist, kostet das qm allein Mk. 11,50 (Landwehr), und Nr. 19 mit 70 Fäden: 13 Mk. Nun bin ich zwar der Ansicht, dass diese letzteren beiden Nummern für gewöhnlich ausreichen werden, wie ja auch die mikroskopische Prüfung in der That kaum noch erheb- liche Unterschiede zwischen den einzelnen Nummern erkennen lassen. Dazu kommt aber noch ein weiterer günstiger Umstand, der gleichzeitig zeigt, wie manches Unglück doch auch manchen Nutzen im Gefolge haben kann. Wie nämlich oben besprochen wurde, wirken die im Plank- ton. verteilten Detrituspartikelchen verstopfend auf die Gaze, indem die Poren verengert werden. Ebenso wurde oben gezeigt, dass selbst heißes Wasser nieht im Stande ist, jene Partikelchen völlig zu verdrängen, so dass also immer noch eine gewisse Verengerung derPoren zu- rückbleibt. Diese ist nun gleichbedeutend einem feineren Gazegewebe, und man kann eben durch jene Verunreinigung eine Ver- besserung des Netzes erreichen, eine Meinung, von deren Richtig- keit man sich leicht durch einen Versuch überzeugen kann. So fand ich, dass ein in oben angegebener Weise behandeltes Netz erheblich mehr Plankton zurückhielt als ein neues, und ich halte ein Netz erst dann für völlig brauchbar, wenn es so verstopft ist, dass es in heißem Wasser konstant bleibt. Für gewisse Zwecke möchte ich sogar ein stark verstopftes, nicht gereinigtes Netz vor- ziehen, da dieses noch undurchlässiger ist. Dann freilich würde ich aber nur noch die Planktonpumpe anwenden, um wirklich das erforder- liche Wasserquantum zu filtrieren. [34] The Vertical Distribution of the Limnetie Crustacea of lake Mendota. i E. A! Birge, University of Wisconsin. In this journal, Vol. XV, Nr. 9, I published a brief account of the vertical distribution of the limnetie erustacea of lake Mendota during 4) Die Planktonpumpe |, c. S. 196 fg. 24* 312 Birge, Crustaceen des Mendota-Sees. July 1894. I there showed that there were about 50°, of the erusta- cea in the upper three metres of the lake; nearly 30°), between 3 and 6 metres; 15°, between 6 and 9 metres; 5°], between 9 and 12 metres; and less than 1°, between 12 metres and the bottom at 18 metres or in deeper parts of the lake at 22 metres. A complete account of the work was published in the 10th volume of the Transactions of the Wisconsin Academy of Sciences, Arts and Letters, p. 421—484. This study has been carried on since July 1894, with the design of determining the annual and vertical distribution of the limnetie erustacea, and the series of more than 400 observations was closed with the end of 1896. The results of the study of the annual distri- bution of the erustacea will be published in the fortheoming 11th volume of the Transactions of the Wis. Academy, but the full report of the vertical distribution must be further postponed in order to com- plete the investigation of some details. I therefore present a brief synopsis of the results thus far obtained, regarding vertical distribution. 1. The vertical distribution of the limnetic crustacea, in summer, is like that of Juli 1894, in all essential partieulars. 2. Soon after the formation of the transition stratum of tempera- ture („Sprungschicht“) about July 1, the erustacea in the lower water either die or migrate into the water above the transition stratum. This forms thereafter the lower limit of the erustacea, 95°], or more of the whole number present being found above it. This condition lasts as long as the transition stratum is found — until after the middle of September — and the erustacea follow the transition stratum as it gradually moves downward through the lake. It lies at a depth of about 9 meters in July when it becomes the lower limit of the erustacea, and lies at about 15 metres in September, when the autumnal gales cause it to disappear. 3. This limitation of the downward extension of the erustacea is not due, for most species, to the change in temperature oceurring at the transition stratum. The crustacea are exeluded from the deeper water by the aceumulation there of the products of the decomposition of the plankton. The exact nature of these substances is the chief point requiring further study. 4. In plankton-poor lakes the erustacea are found in and far below the transition stratum, though not always to the bottom of the lake. Certain species are found in the deeper water in greater abun- dance than near the surface. Diaphanosoma has not been found in numbers below the transition stratum and very probably never enters the cooler water. 5. The limitation of the erustacea is very abrupt. Ten times as many crustacea may be found in a single metre in and above the transition stratum as are contained in the whole 8 or 10 metres below Birge, Crustaceen des Mendota-Sees. 373 it. The larvae of Corethra are the only animals which pass freely up and down through the transition stratum of lake Mendota. 6. The effect of light is not traceable in lake Mendota deeper than 1—2 metres; within this limit it has a powerful influence on the distribution of the erustacea. During the day the upper metre or so is oecupied by swarms of young/erustacea, especially Diaptomus and Daphnia hyalina and D. retrocurva. In the case of Daphnia the adults are repelled by light while the young are attraeted or are indifferent. In Diaptomus, the young are more strongly attraeted by light than are the adults. On bright days therefore the young cerustacea can feed on Aphanizomenon and other small plants in the upper water without competition from the older animals. At night old ‚and young become mingled, but there is no general movement toward the surface. On celoudy days the adults rise toward the surface coming within about '/, metre of it. This rise comes immediately after the sun is obseured and an immediate descent follows the reappearance of the sun. 7. Gravity aids in causing the older and weaker adults to move toward the bottom and accumulate there. This fact is espe- cially noticeable in the old age of broods of Cyclops and Daphnia. Diaptomus does not show it. In winter, Cyclops is found in large numbers near the bottom, 50°], or more of the total catch being often found in the lower three metres. It is also found in very large num- bers near the bottom when the enormous spring broods are dying off in early summer. Daphnia shows the same tendeney to the bottom in late spring on the part of those individuals which have lived over winter and are near the end of life. The same thing oceurs in late October and early November when the summer broods are dying. Throughout the year the older animals are proportionally more nu- merous in the lower strata of the water. 8. In autumn the upper strata of the water are more densely populated than those below so long as reproduction is active. No species is distributed through the water with even approximate uni- formity until its reproduetive period is over and it has begun to deeline in numbers. In late fall and winter the erustacea are more uniformly distributed than at any other time, although even then the upper three metres contain much more than their exact share. Daphnia pulicaria alone shows a deeided tendeney to aggregate near the sur- face at this time, and Cyelops, as already said, is found in swarms at the bottom during winter. 9. In spring the young of each species of erustacea first appears near the surface. They move gradually downward as numbers in- erease and more room and food are needed. This downward movement continues during May, until the lower water is densely populated, chiefly by Cyclops. In June, as the lake warms, the bottom water 374 Birge, Crustaceen des Mendota-Sees. becomes uninhabitable; the erustacea die or withdraw and by July 10, the water below the transition stratum is practically without erustacea. ‘10. Daphnia pulex, var. pulicaria is found in summer in and just above the transition stratum, with a very few stragglers extending to the surface. The distribution of tle species becomes fairly uniform in October during the autumnal storms. The species has a marked reproductive period in late autumn, during and after which it moves upward so that in December 50°, or even 75°, are found in the upper three metres. Most of this number are in the upper metre; indeed when this speeies is abundant, it may be seen through the ice, erowded in dense swarms just below the ice. "This position near the surface it retains during the winter, differing in a striking way from D. hyalina, which is distributed with a fair degree of uni- formity. In spring the species descends as the lake warms, and in Juni 80°], or more are below the middle of the lake (9 metres), and occasionally as many as 60°], are found in the lower three metres (15—18). In late June the species begins to leave the bottom and during the first part of July it moves to the summer position at the transition stratum. In plankton-poor lakes the species probably oceupies the whole region below the transition stratum; this conclusion rests, however, on only two observatious. The summer position of this species is determined primarily by the temperature of the water. 11. Cyelops, Diaptomus, Daphnia hyalina, D. retrocurva, Diaphano- soma brachyurum and Chydorus sphaericus agree in general in their vertical distribution. There are, however, eonstant minor differences which appear when a series of observations is studied. These can not well be shown without taking too much space here. In general it may be said that Diaptom.s and Chydorus show the greatest ten- deney to aggregate in the upper strata of the water and that Cyelops shows the least of this tendeney, while the Daphnias are intermediate in this respect. 12. The forces affeeting the vertical distribution of the limnetie erustacea are numerous and their action is complex. The quantity and kind of food in any stratum of the water constitute a prime factor in determining its erustacean population. The distribution is also modified by light, temperature, gravity, wind, and the chemical con- dition of the water. These forces act in different ways on different species and also aet differently on the individuals of the same species at different ages; and in many cases have more effect than food on the vertieal distribution of the crustacea. 140] Madison, Wis., U. S. A., Jan. 14, 1897. Thaxter, Beitrag zu einer Monographie der Laboulbeniaceen, 375 R. Thaxter, Contribution towards a Monograph of the Laboulbeniaceae. (Mem. Americ. Acad. Boston 1896). Mit 26 Taf. Bekanntlich zeigen die niederen Pilze, namentlich die Oomyceten, in vielen Beziehungen Anklänge an die Algen. Das tritt nicht bloß in der äußeren Gestaltung zu Tage, sondern auch im Bau der Frukti- fikationsorgane. Ganz ohne Analogien im Pilzreich aber waren die Florideen. Eine so hoch entwickelte Organisation des Geschlechts- apparates zeigte keine Pilzgruppe. Wenn Stahl etwas Aehnliches für die Collemaceen nachweisen wollte, so haben doch neuere Unter- suchungen die Hinfälligkeit der Schlüsse aus den richtig beobachteten Thatsachen dargethan. Um so überraschender ist es, dass sich unter den höheren Pilzen doch eine Gruppe findet, welche in ihrem Bau so weit gehende Anklänge an die Florideen zeigt, dass Thaxter wohl Recht hat, wenn er hier vorläufig einen wirklichen Geschlechtsakt voraussetzt Es ist Thaxter’s Verdienst, dass er uns nicht bloß die systema- tische Gruppierung der interessanten Pilze vorgeführt, sondern uns auch die Organisation in allen Einzelheiten beleuchtet hat. Trotzdem die künstliche Kultur noch nieht gelungen ist, führt er von mehreren Arten lückenlos die Entwicklung von der keimenden Spore bis zur Askusreife vor. Obgleich die Zahl der Zellen eine verhältnismäßig beschränkte ist, ist ihre Anordnung im Raume doch eine so verwickelte, dass auf eine genauere Wiedergabe der interessanten Resultate ohne Figuren Verzicht geleistet werden muss. Da die Arbeit ohnehin eine Beachtung in den weitesten Kreisen finden wird, so sollen hier nur wenige Punkte berührt werden. Die L. sind Parasiten auf der Chitinhülle von Insekten, nament- lich Käfern. Die von ihnen befallenen Tiere gehen ausnahmslos zu Grunde. Dabei findet ein Eindringen in den Körper des Tieres nur höchst selten statt, sondern der Pilz sitzt nur mit einer derben ge- schwärzten Spitze fest und empfängt seine Nährstoffe durch Diffusion durch die Chitinhaut. Der Körper besteht aus 3 Teilen. Das Recep- taculum, der eigentliche Vegetationskörper, ist meist zwei- oder mehr- zellig, in letzterem Falle zeigen aber die Zellen eine so verschieden- artige Anordnung, dass dadurch leicht die Gattungen getrennt werden können. An diesem Receptaculum sitzen nun die Anhängsel, einfache oder verzweigte Zellfäden, welche bei den einzelnen Formen konstante Verhältnisse aufweisen. An diesen Anhängseln (oder doch wenigstens in Verbindung mit ihnen) entstehen die Antheridien, welche die Anthero- zoiden produzieren. Die Antheridien sind bücherförmige Behälter, welche endogen die Antherozoiden bilden und sie durch eine halsartig ausgezogene Oeffnung ausstoßen. Zusammengesetzte Antheridien ent- 376 Tornier, Kriechtiere Deutsch - Ostafrikas. stehen dadurch, dass mehrere solche Behälter ihre Antherozoiden erst in einen gemeinsamen Hohlraum entleeren, der ebenfalls nach außen mit einer halsartigen Zelle mündet. Bei wenigen Gattungen endlich entstehen die Antherozoiden exogen als Aussprossungen kleiner Zweige. Diese Bildung unterscheidet sich nicht von der der gewöhnlichen Conidien. Als 3. Teil des Pilzkörpers nun sind die Peritheeien zu nennen, die je nach der Art in Ein- oder Mehrzahl auftreten können. Das Perithecium besteht wie bei allen Ancomyceten aus einem Gehäuse und dem inneren Kern mit den Schläuchen. Die Zellen des Gehäuses zeigen eine konstante nach den Gattungen verschiedene’ Anordnung. Gewöhnlich sind 2 einfache Zellschichten vorhanden, von denen die oberen Zellen der inneren Schicht die Kanalzellen darstellen. Bei der Sporenreife werden die Askuswände und diese Kanalzellen aufgelöst und die frei im Peritheeiumhohlraum liegende Sporen treten durch die am Scheitel befindliche Oeffnung ins Freie. Die Entwicklung des Peritheeiums von der Primärzelle hat Thaxter für mehrere Arten vollständig aufgedeckt. Die Einzelheiten, wie die Zelle sich teilt und wie aus den einzelnen Teilzellen die Gehäusezellen entstehen, können hier nicht geschildert werden. Wenn das Perithecium empfängnisfähig ist, so sind die Primärzellen des Gehäuses bereits vorhanden und um- geben den unteren Teil des Carpogons. Dieses besteht aus einer inneren Zelle, der Ascogonzelle, einer mittleren, welche später vergeht und einer oberen, Triehophorzelle, die an ihrem Scheitel einen Fort- satz trägt, welcher dem Trichochyn der Florideen entspricht. Das Trichochyn kann einfach oder mehrzellig, verzweigt oder unverzweigt sein. Nachdem die Antherozoiden sich angesetzt haben, beginnt die Entwicklung der Ascogonzelle. Sie teilt sich in 3 Zellen, von denen die mittlere sich durch eine Vertikalwand wieder in 2 teilt. Diese beiden sind die Mutterzellen der Schläuche, welche reihenweise aus ihnen hervorsprossen. Bei der Schwierigkeit der Beobachtung ist grade der wichtigste Punkt, die Wanderung des Kerns des Antherozoids in die Ascogon- zelle, noch unentschieden geblieben. Hier hätten also spätere Unter- suchungen einzusetzen, um die Frage definitiv zur Entscheidung zu bringen, ob es sich bei den Laboulbeniaceen wirklich um einen den Florideen analogen Befruchtungsakt handelt. Das wird aber, da die Pilze auch bei uns vorkommen, wohl bald der Entscheidung näher gebracht werden. Lindau (Berlin). [36] Tornier, Die Kriechtiere Deutsch-Ostafrikas. Beiträge zur Systematik und Descendenzlehre. Berlin 1897. (Geograph. Verlagsbuchh. Dietrich Reimer). Das vorliegende große Werk über die Kriechtierfauna Deutsch- Ostafrikas ist nicht nur für den Systematiker von größtem Interesse, Tornier, Kriechtiere Deutsch - Ostafrikas. 317 sondern es ist auch, wie schon der Titel verrät, ein sehr beträchtlicher Teil einer descendenztheoretischen Frage, nämlich der nach der Entstehung der Zeichnung, oder, wie sich der Autor präeiser ausdrückt „Farblagerung“ bei einigen ostafrikanischen, äußerst variablen Reptilien (Lygodactylus pieturatus, Homalosoma lutrix) und Fröschen und weiterhin auf dieser Basis der Zeichnungsfrage überhaupt gewidmet. Sehon die einleitenden Bemerkungen über das Sammeln und Kon- servieren der Kriechtiere sind sehr beachtenswert, nicht nur für ost- afrikanische Verhältnisse passend, sondern allen Sammlern tropischer Rep- tilien ans Herz zu legen. Verf. dringt namentlich, um die Erkenntnis der Variabilitätsgrenzen der Arten und die sichere Charakterisierung der- selben zu fördern, mit Recht auf Beachtung folgender Punkte: 1. Man sammle möglichst viele Exemplare aller Arten, deren man habhaft werden kann, auch junge und halbwüchsige, namentlich wenn sie auch nur im Farbkleid von einander abweichen. 2. Man mache besonders Jagd auf Kriechtiere, die sich in Begattung befinden: „Was sich in Freiheit miteinander begattet, gehört zu einer Art. Daher werfen Tiere, welche in der Begattung gefangen werden, ein helles Licht auf viele, sehr schwierige Fragen der Systematik. Sie sind für den Zoologen von unschätzbarem Wert“. 3. Ferner achte man auf Junge, die aus einem Nest stammen etc.... Was den eigentlichen systematischen Teil anbelangt, in welchem alle bisher bekannten Arten der reichen Kriechtierfauna Deutsch - Ostafrikas mit genauer Fundortsangabe und vielen wertvollen Notizen (teils die Lebensweise betreffend und von den betreffenden Sammlern herrührend, teils systematischer Natur vom Verf.) aufgezählt sind, so ist hier nament- lich hervorzuheben: Die kritische Besprechung des Sternothaerus-Materials des Berliner Museums, aus der sich die Zusammengehörigkeit der beiden Arten St. sinuatus Smith und St. nigricans Donn. mit Sicherheit folgern lässt; die ausführliche Untersuchung Lygodactylus preturatus und seine Farbenvarietäten; der überzeugende Nachweis der Identität von Zonurus frenatus Pfeff. mit Z. tropidosternum Cope; die Bemerkungen über Varanus ocellatus Rüpp., Holaspis guentheri Gray, Mabuwia striata Ptrs, namentlich aber über Chamaeleon dilepis, bitaeniatus Fischer (nach des Verf. eingehender und überzeugender Darstellung — Oh. el- hoti Gthr. 4 bitaeniatus Fisch. —+ leikipiensis Stdchr. —+ höh- neli Stdchr.), und Oh. fischeri Reich.; ferner Homalosoma lutrix L., Rhagerrhis oxyrhynchus Rhdt., Rana bravana Ptrs, Hylambates aubryi und last not least die umfangreiche Bearbeitung der Gattung Rappva, welche allerdings kein positives Resultat hat, aber die trostlose Unzulänglichkeit der bisherigen Rappiensystematik enthüllt und eine höchst wertvolle Grundlage für spätere systematische Forschungen bildet. — Von den neuen Arten sei besonders der Krallenfrosch Xenopus boettgeri |(von Boulenger Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XVIII Nov. 96) zum Repräsentanten einer neuen Gattung der Zungenlosen: Hymenochirus erhoben] und die neue Blindwühlengattung und -art Boulengerula bou- lengeri hervorgehoben. Hemidactylus bocagit Tornier muss neu be- nannt werden, da eine Art dieses Namens bereits existiert (Blngr. Cat. Liz. I p. 125). 378 Tornier, Kriechtiere Deutsch - Ostafrikas. Der eigentliche Schwerpunkt der Arbeit liegt aber in der eingehenden Behandlung der Rappien-„Farbkleider“ und aus den daraus gezogenen Schlüssen über die Phylogenese der tierischen Farbkleider. Nach einer allgemeinen Einleitung, aus der wir die Abschnitte: 1. Ueber die Begriffe Farbe und Färbung, Farblage und Farbkleid. 2. Die hier in Betracht kommenden Gesetze der Optik. 3. Die Farben der tierischen Haut, hier nur dem Titel nach erwähnen wollen folgt 4. „Die Phylogenese der Farbkleider“. Verf. hebt zuerst die wichtigsten Resultate hervor, welche Eimer aus seinen Forschungen über die tierischen Farb- kleider gewonnen hat, schließt hieran eine Kritik der Arbeiten des Ref. über denselben Gegenstand, bespricht hierauf auch die Abhandlung Zen- neck’s urd kommt schließlich zur Auseinandersetzung der Ergebnisse seiner eigenen Untersuchungen. Ohne nun eine eingehende Widerlegung der Tornier’schen Zeich- nungslehre versuchen zu wollen, die den Umfange eines Referates bedeu- tend überschreiten würde, hofft Ref. trotzdem klar legen zu können, dass dieselbe nicht annehmbar ist und mit Thatsachen die unbestreitbar sind, im Widerspruch steht. Zuvor ist Ref. genötigt, einige Worte pro domo hier einzuflechten. Wenn der Autor meint, des Ref. Ansicht über die Phylogenese der tieri- schen Farbkleider sei durch die Hinfälligkeit der Annahme der Pigment- wanderung der Boden entzogen, so ist dies wohl zu weit gegangen; denn diese Angaben des Ref. lassen sich durchwegs mit der neueren Pigment- lehre zwanglos in Einklang bringen, wenn man statt „Auswanderung des Pigments“ (Aufhellung): „Kontraktion und schließliche Degeneration der Chromatophoren“:; für: „Einwanderung des Pigments“ (Verdunklung): „Vermehrung der Pigmentzellen und Expansion der Chromatophoren“ setzt. Ref. glaubt, durch diese Substitution lassen sich alle seine An- gaben durchaus verstehen, seine Anschauungen vertreten und beibehalten und der Autor scheint auf p. 128 Zeile 11 von oben noch selbst eine solche Substitution für möglich gehalten zu haben! Was nun die Ansicht des Autors über die Entstehung der Wirbel- tierfarbkleider aus dem Maximum der Pigmentierung, also aus dem Mela- nismus anbelangt, welche er am deutlichsten und für diese Ansicht selbst am verhängnisvollsten auf p. 131 in dem Satze ausspricht „der Mela- nismus, wo er auftritt, ist als Rückschlag auf die Stammfarbe der Art zu betrachten“, so ist diese Ansicht aus folgenden Gründen als unhaltbar zurückzuweisen. 1. Stützt er sich im Wesentlichen auf die totale Schwarzfärbung der freilebenden Amphibienlarven. Diese Stütze ist aber sehr gebrechlich, denn a) sind die Froschlarven, welche der Autor hier ausschließlich im Sinne haben kann, von keinerlei phylogenetischer Bedeutung, nicht einmal für die Anuren selbst; b) haben auch die Anuren selbst keinerlei phylogenetische Bedeutung, da sie entschieden als ein besonders differenzierter Seitenzweig des Wirbeltierstammbaumes aufzufassen sind; c) ist die Anzahl der Arten mit nicht oder sehr wenig pigmentierten Eiern schon in der deutschen Fauna eine sehr beträchtliche, näm- lich ein Drittel (Hyla, Alytes, Bombinator) gegen zwei Drittel Tornier, Kriechtiere Deutsch - Ostafrikas. 379 dunkelpigmentierter Formen (Rana, Bufo, Pelobates) und diese letzteren Arten sind gewiss nicht ursprünglichere Formen als die ersteren; d) kennen wir noch viel zu wenig Anuren-Eier und Kaulquappen im All- gemeinen, um zu wissen, wie das Verhältnis sich in dem ganzen Anurenreich gestalten würde; e) sind die Urodelen, welche phylogenetisch von wirklicher Bedeutung sind, der Annahme des Autors durchaus nicht günstig, denn soweit bekannt, sind die Eier undfreilebenden Larven durchwegs pigmentlos oder wenig pigmentiert, und erhalten ihre dunklere Färbung erst im weiteren Laufe der Entwicklung; nicht einmal die Larven der Salamandra maculosa sind schwarz und die Eier und Larven des doch so dunkel gefärbten Triton ceristatus sind überhaupt pigmentlos und die Larve erhält erst mit der Entwicklung der Vorderbeine Pigment (vier Fleekenreihen, wovon sich zuerst die dorsalen, dann auch die lateralen zu Längsstreifen vereinigen — also wieder ein schwerwiegender ontogenetischer Beweis gegen Eimer); f) sind die freilebenden Cyelostomenlarven (Ammocoetes) ebenfalls durchaus schwach pigmentiert, also auch bei einer dritten Gruppe freilebender Wirbeltierlarveu die T'hatsachen der Annahme des Verf. ungünstig; g) findet man unter den ganzen, als Ahnen der Wirbeltiere von den meisten in Anspruch genommenen Tierformen ganz abgesehen von den Tunicaten und Amphioxus, deren fehlende Pigmentierung ja durch pelagische oder verborgene Lebensweise erklärt werden kann, _ unter Cyclostomen, Selachiern und Ganoiden keine einzige melanische Form (wenigstens soweit dem Ref. bekannt ist!) 2) Ist der Melanismus, auch wo er bei höheren Wirbeltieren auftritt, von keiner phylogenetischen Bedeutung, denn: Unter den Reptilien ist der Melanismus eine Erscheinung, welche erst bei alten Exemplaren auftritt, während die Jungen die normale und typische Färbung und Zeichnung der Art besitzen (Vepera berus — deren Stammform | V. ursinii]|, nebenbei bemerkt, gerade niemals Melanismus er- kennen lässt, — Zamenis gemonensis, constrietor, Xenodon Neuwiedit, Coluber obsoletus, Lycophidium laterale, Tropidonotus natrix; Lygo- soma nigrum; smaragdinum; u. v. a.). Oder er ist konstant und wir finden auch schon die Jungen schwarz (bei Atractaspis, Acontias bur- tonii, Naia tripudians var. atra) und in diesen Fällen kann man aller- dings sagen, die Gattung, Art oder Varietät sei eine melanische, aber niemand würde deswegen auch nur zu behaupten wagen, die Viperiden, Seincoiden oder Colubriden wären ursprünglich melanische Formen ge- wesen [alles dies gilt auch von den anderen Wirbeltieren!!). Tornier 1) Auch bildet sich ontogenetisch immer die dunkle Zeichnung zuerst, während der übrige Körper noch gar nicht oder nur sehr wenig pigmentiert ist — nach Tornier müssten aber bei den jungen Reptilien aus ursprünglich totaler Schwanzfärbung die Zeichnung durch Verblassen der übrigen Körper- stellen sich hervorheben. Wo Jugendstadien wirklich schwarz gefärbt sind (bei Rana, Bufo, Pelobates, Hyla appendicutata, Algiroides), da tritt zuerst ein ganz gleichmäßiges Verblassen ein und dann erst bildet sich die dunkle Zeichnung auf dem heller gewordenen Grunde aus! 380 Tornier, Kriechtiere Deutsch - Ostafrikas. geht aber noch weiter und behauptet: Der Melanismus ist, wo er auftritt, als Rückschlag zur Stammfarbe der Art aufzufassen. Das heißt also: Jede Art ist ursprünglich schwarz gefärbt gewesen. Legen wir uns nun klar, was das bedeuten soll: ist jede Art ursprüng- lich schwarz gewesen, so ist die Zeichnung jeder Art selbständig ent- standen, die Homologie der Zeichnung bei verschiedenen Arten einer Gattung, einer Familie, Ordnung und vielleicht auch Klasse, auf welche zuerst hingewiesen zu haben ein großes, unbestreit- bares und noch immer nicht genügend gewürdigtes Verdienst Eimer’s trotz der Fehler in der weiteren Ausführung dieses Gedankens ist, und welche so evident ist, dass keinerlei weitere Untersuchung an diesen T'hatsachen selbst, sondern höchstens an dem Grade der Zulässigkeit solcher Homologisierungen etwas ändern können, würde durch diese Annahme vollständig in Frage gestellt werden. Wir hätten hier natürlich nur Analogien statt Homologien und wenn zwei verwandte Arten auch eine vollständig übereinstimmende Zeichnung haben, wie Simotes subearinatus und signatus; Lacerta muralis fusca, danfordı, laevis, brandtii,; so sind diese Zeiehnungen nicht homolog, denn sie sind ja nicht direkt von der gemeinsamen Stammform ererbt, sondern haben sich selbständig jedesmal aus der schwarzen Stammfarbe der Art ent- wickelt. | Der Autor kann entweder nicht ermessen haben, welche Folgen diese seine Annahme haben musste oder er hat sich an dieser Stelle nicht exakt genug ausgedrückt; den durch die Einführung der schwarzen Stammfarbe der Art hat er einen ähnlichen Fehler begangen, als wollte er sagen: Jede Säugetierart ist ursprünglich ein Reptil gewesen. Es ist höchstwahrscheinlich, dass der Stamm der Säugetiere von reptilienähn- lichen Vorfahren ausging; aber weder der Igel, noch der Tiger, noch der Seehund sind jemals Reptilien gewesen! Ebenso verhält es sich in unserem Falle. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Stammform der Selachier, der Urodelen, der Anuren, der Apoden, der Eidechsen, ver- schiedener Säugetierfamilien (in denen die Zeichnung mehrmals selbständig entstanden sein dürfte), vielleicht auch die der Schildkröten, einfarbig braun gefärbt war und der Ref. hat diese Ansicht in seinen eigenen Arbeiten mehrmals ausgesprochen; aber schon für die Stammform der Schlangen und Vögel gilt dies nicht mehr, die jedenfalls schon von ge- zeichneten, eidechsenähnlichen Vorfahren abstammen; um wieviel weniger von jeder einzelnen Art! Wir sehen also, dass Tornier ein Endstadium der Wirbeltierzeich- nung zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen genommen hat und es ist daher kein Wunder, dass er die Buchstaben, aus welchem man nach Eimer die Entwicklungsgesetze der Natur lesen kann, die Zeichnung, von hinten gelesen hat, ebenso wie Eimer das Buch der Natur von der Mitte begonnen hat. Es ist dem Ref. leicht gemacht, die Schwächen dieser falschen Lesarten darzulegen, während er seinerseits nicht fürchten muss, widerlegt zu werden, da er Thatsachen zu der einzig richtigen Lesung für sich hat. Die Fehler in der Tornier’schen wie in der Eimer’schen Theorie sind Einseitigkeit; weder die Lacerta muralis mit ihren Varietäten noch auch die Rappien in ihrer Mannigfaltigkeit, zu- sammen mit ZLygodactylus und Homalosoma sind genügend, um als Henking, Deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung. 381 Basis für die Erkenntnis der Zeichnung zu dienen. Die Rappienzeich- nungen lassen sich auch von der sechsstreifigen Zeichnung der Raniden (siehe Racophorus leucomystax und viele Rana-Arten) ohne Schwierig- keit und jedenfalls mit mehr Berechtigung als aus einer schwarzen Stamm- form ableiten; und wenn von den in Tornier’s hochinteressanter Rappien- tabelle abgebildeten Formen einmal einzelne sich zu wirklich distinkten Arten ausgebildet haben werden, so werden diese Arten gewiss nicht ursprünglich schwarz, sondern ursprünglich gefleckt, gestreift, retiku- liert u. s. w. sein, und wenn die ürsprüngliche Färbung der Arten ein- farbig schwarz ist, so kann sich eigentlich keine neue Art aus einer ge- zeichneten oder einfarbig hellen entwickeln, ohne gegen das Tornier’sche Gesetz zu verstoßen. Trotz dieser offenbaren Schwäche ist das Werk als ein wertvoller Beitrag zur Kenntnis der ostafrikanischen Kriechtierfaune höchst beach: tenswert und ein nachahmenswertes Beispiel, wie derartige Faunen für alle Gebiete der Zoologie fruchtbringend und an- regeud zu gestalten sind. Schließlich wäre noch zu bemerken, dass der Ref. nicht im stande war, in seinen eigenen Arbeiten das Experiment mit Salamandra atra, welches ihm vom Autor p. 127 zugeschrieben wird, erwähnt zu finden, da Ref., soweit er sich erinnern kann, ein solches nicht angestellt hat. Sollte , nicht etwa Acerina cernua oder Triton eristatus zu lesen sein? [39] Dr. Franz Werner (Wien). Die deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe- Ausstellung. Von H. Henking. In Nr. 5 des Biolog. Centralblattes (Bd. XVII, 1897) hat Herr C. Matzdorff eine Besprechung der wissenschaftlichen Abteilung der Seefischerei- Ausstellung in Berlin gegeben, welche von dem damals dort Gebotenen nicht nur ein gutes Bild giebt, sondern auch durch die der Ausstellung entnommenen biologischen Detailangaben gewiss Manchem willkommen sein wird. Nur Eines scheint mir in der Be- sprechung nicht scharf genug hervorzutreten, nämlich dass die Aus- stellung der wissenschaftlichen Objekte nicht eine bloße Augenweide für das Publikum sein und nicht nur eine Vorstellung der zufällig verfügbaren Spirituspräparate bilden sollte, sondern sie war von dem durchaus originellen Gedanken geleitet, gewissermaßen eine körperliche Repräsentation unserer Kenntnisse von den nutzbaren See- tieren und ihrer Biologie zur Anschauung zu bringen. Es hatten sich daher die Museen von Berlin, Hamburg, Kiel, Lübeck, Rostock, Greifs- wald und Königsberg mit der biologischen Anstalt auf Helgoland und dem Deutschen Seefischereiverein vereinigt, sie hatten besonders schöne und charakteristische Stücke ihrer Sammlung hergegeben und indem so von allen Seiten unter Vermeidung von Wiederholungen die er- gänzenden Stücke zusammenströmten, war thatsächlich eine Sammlung 389 Henking, Deutsche Seefischerei auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung. zustande gekommen, wie sie kein Museum der Welt besitzt. Dem Besucher der Berliner Ausstellung war somit Gelegenheit gegeben, etwas so vollständiges zu sehen, wie er es sonst nur haben kann, wenn er eine beträchtliche Zahl von Museen besucht und auf diesen Punkt hin eingehend studiert. Nunmehr sind die Objekte wieder weithin zerstreut, es ver- dient aber die Idee, welche sie zusammengeführt hatte, festgelegt und vielen Museen als ein Ziel für ihxe Sammelthätigkeit empfohlen zu werden. Die Gerechtigkeit erfordert es, dass bei dieser Gelegenheit aus- drücklich betont wird, dass diese Idee der wissenschaftlichen Ausstellung ausschließlich von HerrnProf. Dr. F.Heincke, Direktor der biolog. Anstalt auf Helgoland herrührt und in ihrer Ausführung im Einzelnen geleitet ist. Heincke hat die Ver- handlungen mit den einzelnen Museen geführt, hat die ergänzenden Stücke herbeigeschafft und man muss ihn vor der Eröffnung der Aus- stellung beobachtet haben, mit welcher Sorgsamkeit und in wie ge- schmackvoller Weise er es verstanden hat, die einzelnen Gegenstände eigenhändig zu gruppieren, um die Anziehungskraft zu verstehen, welche die Sammlung bis zur letzten Stunde auf die Besucher aus- geübt hat. Heinceke legte mit Recht besonderes Gewicht auf den gewissermaßen als zweites Ziel hinzustellenden Umstand, die Objekte nicht wie nach einer Schablone rein systematisch zu ordnen, sondern die zusammengehörenden Formen nach malerischen Ge- sichtspunkten zu gruppieren, sodass sie auch als Ganzes einen wohlgefälligen Eindruck machen. Ich bin der Ueberzeugung, dass Heincke bei gleichzeitiger Be- achtung eines solchen äußerlichen Momentes den Boden der wissen- schaftlichen Anforderungen niemals verlassen hat. Es braucht doch die Langweiligkeit nicht die unzertrennliche Genossin der Wissen- schaft zu sein, wenngleich es nicht ohne Begabung möglich ist, die Anmut an die Stelle der ersteren zu setzen. Besonders anzuerkennen war an den ausgestellten Sachen, wie bereits Matzdorff hervorhob, die meisterhafte Konservierung und vollendete Montierung der größten Zahl von Gegenständen. Hier verdient die königl. biologische Anstalt auf Helgo- land an erster Stelle genannt zu werden; an ihrer Ausstellung er- kannte man wiederum, dass ein klarer Grundgedanke bei Sammlung der Objekte die Richtschnur gebildet hatte; denn diese schönen Serien von Entwicklungsbildern, welche sie als durchaus neu vorgeführt hat, erfordern eine lange planmäßige Sammelarbeit und wenn hier Namen genannt werden, verdienen Herr Prof. Heincke und Herr Dr. Ehren- baum besondere Berücksichtigung; aber auch der vortreffliche Fisch- meister Lornsen und das ganze zum Konservieren angestellte Personal Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. 383 der Helgoländer biologischen Anstalt haben ein rühmliches Zeugnis ihrer Leistungsfähigkeit abgelegt. Denn gerade die Helgoländer Sachen zeichneten sich neben den wunderbar schönen Präparaten des Herrn Dr. M. von Brunn (Hamburger Museum) durch vortreffliche Konservierung aus, von den großen Plattfischen bis zu den Austern und Mitbewohnern der Austern- bänke, welche letztere unter der kunstfertigen Hand des Herrn Prä- parater Bullemer (Berliner Museum) nach Anweisung von Herrn Geheimrat Möbius zu den vielfach bewunderten Stillleben der Austern- bioeönose gruppiert waren. In der Ausstellung war der Grundsatz besonders zur Durchführung gekommen, möglichst die natürlichen Verhältnisse nachzuahmen. Die Fische z. B. sollten nach Möglichkeit nicht auf dem Kopfe oder Sehwanze stehend aufgestellt werden, sondern horizontal, wie sie schwimmen. Und ich glaube, dem Einwurfe, dass Derartiges, wie es in Berlin versucht sei, sich lediglich für eine Schausammlung für das große Publikum eigne, nicht aber für die erhabene Wissenschaft erforderlich sei, lässt sich leicht begegnen. Denn auch der ernste Forscher wird den oft so charakterischen Eindruck, den das Lebe- wesen in seiner natürlichen Haltung hervorbringt, nicht immer ent- behren mögen und er würde es gewiss nicht gerechtfertigt finden, wenn in einer Sammlung der größte Teil der Säugetiere, nicht auf den Füßen, sondern auf dem Kopfe stehend, aufbewahrt würde. H. Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Ana- tomie mit Einschluss der vergleichenden Histologie und Histogenie. 2. Lieferung: „Die Zelle“. Mit 136 Abbildungen. 3°. 24% S. Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann, 1896 Vier Jahre sind seit dem Tode von Prof. Hermann Fol verflossen. Im März 1892 schiffte er sich zu einer Forschungsreise nach Tunis und dem griechischen Archipel ein; seit der Zeit ist er verschollen. Die vorliegende zweite Lieferung seines Werkes war damals zum Druck bereit und ist nun vor kurzem unverändert herausgegeben worden, „trotz der sich darbietenden Schwierigkeit, dass mehrere wichtige Arbeiten seitdem erschienen waren“, wie M. Bedot im Vorwort sagt. Das Buch behandelt die Lehre von der tierischen Zelle im weitesten Sinn auf verhältn:smäßig kleinen Raum. Denn es sind auf gerade 200 Seiten sowohl die wesentlichsten Zellformen und Zelleigenschaften des gesamten Tierreiches, als auch die Produkte der Zellthätigkeit, die interzellulär abgelagerten wie die ausgeschiedenen, ‘durchgesprochen. Das Werk ist eingeteilt in vier Ab- schnitte: 1. Bau der ruhenden Zelle; 2. Teilung der Zelle; 3. Absonderungen und Erzeugnisse der Zelle; 4. innere Spezialisierungen der Zelle. Im ersten Abschnitt macht sich der im Vorwort angedeutete Mangel, dass wichtige neue Arbeiten unerwähnt bleiben, am meisten bemerkbar. Von den modernen Theorien 384 Schultze, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Säugetiere. über die Struktur des Protoplasmas, den Arbeiten von Bütschli, Alt- mann etc. findet sich in dem Werk z.B. noch nichts. Mit besonderem In- teresse liest man den zweiten Abschnitt, der gründlicher als die übrigen be- arbeitet ist, wohl weil in ihm der Verfasser viele eigene Beobachtungen im Text und Bild mitzuteilen Gelegenheit fand. Im dritten Abschnitt kommen dann die Drüsenabsonderungen, die intrazellulären Ablagerungen von Nähr- stoffen, die Erzeugung der verschiedenen Stützgewebe zur Abhandlung, im vierten endlich die Differenzierungen der Zelle zu besonderen Leistungen, also der Aufbau des Muskel- und Nervengewebes. Auch bei der Histologie des Nervengewebes konnten wieder unter Anderem manche neueren Entdeckungen keine Berücksichtigung finden. Das Werk ist reich mit Bildern ausgestattet und enthält hinter jedem Abschnitt ein Litteraturverzeichnis. R. H. [63] O. Schultze, Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Säugetiere. Erste Hälfte. Mit 151 Abbildungen und 6 Tafeln. 8°. 176 S. Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann, 1896. Dem Vorwort nach lag es in der Absicht des Verfassers, einen Grundriss der Entwicklungsgeschichte für den Arzt zu schreiben, nicht für den Anatomen und Embryologen. Der Verfasser hat darum fast Alles, was ins Kapitel der vergleichenden Entwicklungsgeschichte gehört, fortgelassen und sich im Wesent- lichen auf die Entwicklung des Menschen, und wo die Erkenntnis derselben noch nicht weit genug fortgeschritten ist, auf die der Säugetiere beschränkt. Es ist damit ein Werk geschaffen, das den Bedürfnissen des Mediziners besser angepasst ist, als das bei den bisherigen Lehrbüchern der Fall ist. Das Werk soll eine Neubearbeitung des Kölliker’schen Grundrisses der Entwicklungs- geschichte sein, von dem vor 10 Jahren die letzte Auflage erschien. Indessen kann man wohl kaum noch von einer Neubearbeitung sprechen, wenigstens ist in der vorliegenden 1. Hälfte des Werkes so gut wie Alles neu im Ver- gleich zu Kölliker’s Buch, was aber bei der Aufgabe, die der Ver- fasser sich stellte, nicht verwunderlich ist; denn gerade in der Entwicklungs- geschichte der Säugetiere ist in dem letzten Jahrzehnt sehr viel Neues zu Tage gefördert worden, und die neuesten Forschungen finden in dem Werk Berück- sichtigung. Die ersten 60 Seiten über die Entwicklung der Leibesformen sind geradezu klassisch "geschrieben, so klar und so kurz wie möglich; dazu giebt der Ver- fasser eine Reihe vortrefflicher Bilder, die einmal den Embryo im Ganzen in den verschiedenen Entwicklungsstadien und zweitens von jedem der abgebil- deten Stadien Serienschnitte darstellen. Das ist so außerordentlich übersicht- lich, wie in keinem der sonst verbreiteten Lehrbücher. Sehr eingehend be- handelt der Verfasser sodann die Embryonalhüllen in den verschiedenen Klassen der Säugetiere, vielleicht zu eingehend, denn zwei Drittel des Bandes füllt dies Kapitel. Auch hier ist der Text reich und ausgezeichnet illustriert. Der zweite Band soll die Organogenie umfassen. Wenn er dem ersten entsprechend ausfällt, so wird das Werk für jeden Mediziner höchst empfehlenswert sein. R. H. [64] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Oentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ae in Erlangen. 24 Nummern ı von n je 24 Bogen bilden ı einen , Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch ‚alle ‚Buchhandlungen und Postanstalten. XVIl. Band. 1. Juni 189. Nr. Mr. 1. Inhalt: Baldwin, Organische Selektion. — Wierzejski, Ueber die Entwieklung des Mesoderms bei Physa fontinalis. — Gardner, Zur Frage über die Histo- genese des elastischen Gewebes. — Bütschli, Weitere Ausführungen über den Bau der Cyanophyceen und Bakterien. — Haeckel, Systematische Phylogenie der wirbellosen Tiere. — Born, Ueber Verwachsungsversuche mit Amphibien« larven. — Petri, Das Mikroskop. Von seinen Anfängen bis zur jetzigen Ver- vollkommnung für alle Freunde dieses Instrumentes. — Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Organische Selektion. Von J. Mark Baldwin. (Uebersetzt von Dr. Arnold E. Ortmann.) In einigen neueren Publikationen!) ist eine Hypothese aufgestellt worden, die es zu ermöglichen scheint, zwischen den beiden rivali- sierenden Vererbungstheorien einen Mittelweg zu finden. Diese Hypo- these ist kurz die folgende. Wenn wir die Wirkung der Naturzüchtung, wie sie gewöhnlich aufgefasst wird, annehmen, und wenn wir ebenso annehmen, dass das Individuum durch Adaptation Modifikationen oder neue Charaktere er- wirbt, dann muss der letztere Vorgang auf den ersteren einen rich- tenden Einfluss ausüben, der ganz unabhängig ist von einer direkten Vererbung von erworbenen Modifikationen. Organismen nämlich, die in Folge adaptiver Modifikationen überleben, werden auf die nächste 4) J. Mark Baldwin, Bericht über die Diskussion vor der N. Y. Acad. Sei., Jan. 31, 1896, in: Science, March 20, 1896; ferner: Americ. Naturalist, June-July, 1896. — H. F. Osborn, Proc. N. Y. Acad. Sei., March 9, April 18, 1896. — C. Lloyd Morgan, Habit and Instinet (Oct. 1896, p. 307 ff.). Die vorstehende kurze Darstellung wurde unter Zurateziehen von Principal Morgan und Prof. Osborn entworfen. Beiden Herren bin ich für gewisse Andeutungen, deren Benutzung sie mir gestatteten, und die wörtlich dem Text einverleibt sind, zu Dank verpflichtet: hierher gehört u. a. der Vorschlag, diesen Artikel „Organische Selektion“ zu betiteln. Wenn indessen auch diese Mitwirkung der vorliegenden Mitteilung größeres Gewicht verleihen mag, so bin ich doch allein für die Publikation derselben verantwortlich. XVII 25 386 Baldwin, Organische Selektion. Generation irgendwelche „koinzidierenden Variationen“ (d.h. angeborne Variationen, die in derselben Richtung liegen, wie die adaptiven Modi- fikationen), die sie zufällig besitzen, übertragen, und somit wird eine weitere Variation in derselben Richtung ermöglicht. Alsdann wird in einer gegebenen Reihe von Generationen, deren Individuen in Folge des Einflusses dieser Modifikationen überleben, eine allmähliche aceumu- lative Entwicklung der koinzidierenden Variationen durch die Wirkung der Naturzüchtung eintreten, kurz: die adaptiven Modifikationen wirken als ein Schutzmittel, unter dem sich angeborne Variationen und ihre Korrelationen fortsetzen und entwickeln können. So erhält die Art die nötige Zeit, um durch koinzidierende Variation Charaktere zu ent- wickeln, die von den durch erworbene Modifikation erlangten nieht zu unterscheiden sind, und die Rassen-Entwicklung wird in diesen durch private und individuelle Adaptation angedeuteten Richtungen fort- schreiten. Es wird allerdings so erscheinen, als ob die Modifikationen direkt vererbt werden, in Wirklichkeit haben sie aber nur als die Beschützer der kongenitalen Variationen gewirkt. Es folgt hieraus, dass unter diesem schützenden Einfluss der Modi- fikationen die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von koinzidierenden Variationen mit jeder Generation stark vermehrt werden muss: denn das Mittel der kongenitalen Variationen wird sich nach den adaptiven Modifikationen hin verschieben, da unter der Wirkung der Natur- züchtung in den vorhergehenden Generationen diejenigen Variationen, die nicht koinzidierend sind, immer mehr verschwinden!). Ferner ist neuerdings nachgewiesen worden, dass es, unabhängig von der physischen Vererbung, unter den Tieren einen Prozess giebt, durch den eine Kontinuität der socialen Umgebung erreicht wird, sodass diese Organismen, die in einer socialen Gemeinschaft, wie z. B. in der Tierfamilie, geboren wurden, sich an die Gewohnheiten der Gemeinschaft accomodieren. Lloyd Morgan?), im Anschluss an Weismann und Hudson, hat den Ausdruck Tradition für das Ueberliefern von dem, was von den vorangehenden Generationen er- worben wurde, gebraucht, und ich habe die Phrase sociale Vererbung eingeführt ?) für die Accomodation der Individuen jeder Generation an die Umgebung, wodurch Kontinuität der Tradition erreicht wird. Es erscheint wünschenswert, eine bestimmte Terminologie aufzu- stellen, um die Diskussion dieser Probleme der organischen und geistigen Entwicklung zu erleichtern, und ich erlaube mir, hier die folgende vorzuschlagen. 1) Diese Seite ist ganz besonders von mir betont worden; vergl. Americ. Naturalist, June 1896, p. 447 ff. 2) Introduction to Comparative Psychology, p. 170, 210 und Habit and In- stinet, p. 103, 342. 3) J. Mark Baldwin, Mental Development in the Child and the Race, Jan. 1895, p. 364 und Science, Aug. 23, 1895. Baldwin, Organische Selektion. 387 Variation: Dieser Ausdruck sollte auf die „blastogene“ oder „an- geborne“ Variation beschränkt werden. Accomodation: Funktionelle Anpassung des Individuums an seine Umgebung. Der Ausdruck wird in diesem Sinne sehr häufig von den Psychologen, und in einem analogen Sinne von den Physiologen an- gewendet). Modifikation (Lloyd Morgan): Aenderung der Struktur oder Funktion, verursacht durch Accomodation. Sie umfasst die „ontoge- netische Variation“ (Osborn), d. h. alle Aenderungen, die von den während der Ontogenese wirkenden Ursachen herbeigeführt werden. Koinzidierende Variation (Lloyd Morgan): Variationen, die mit der Richtung der Modifikationen zusammenfallen oder ihr nahe kommen. Organische Selektion (Baldwin): Die Fortführung und Weiter- entwicklung von angebornen koinzidierenden Variationen in Folge von Accomodation. Orthoplasie (Baldwin): Der richtende oder bestimmende Einfluss der organischen Selektion bei der Entwicklung?). Orthoplastische Einflüsse (Baldwin): Alle Faktoren der Accomo- dation (Plastizität, Imitation, Intelligenz ete.), die durch organische Selektion dem Lauf der Entwicklung eine bestimmte Richtung geben. Tradition (Lloyd Morgan): Die Ueberlieferung von erworbenen Gewohnheiten von Generation zu Generation, unabhängig von physischer Vererbung. Sociale Vererbung (Baldwin): Der Vorgang, durch welchen Individuen jeder Generation den Traditions-Inhalt sich aneignen und in die Gewohnheiten und Gebräuche ihrer Art sich hineinfinden?). Princeton University, Princeton, New-Jersey, March 13, 1897. 1) Osborn glaubt, dass „individuelle Anpassung“ hierfür genügt: dieser Ausdruck hebt jedoch den Unterschied von „Accomodation“ und „Modifikation“ nicht genügend hervor. „Anpassung“ wird gewöhnlich in einem unbestimmten, allgemeinen Sinne gebraucht. 2) Man könnte Eimer’s „Orthogenesis“ adoptieren, wenn man diese von ihrer Verbindung mit der Hypothese der „orthogenen“ oder „bestimmt gerich- teten“ Variationen und der Gebrauchs-Vererbung freimachen könnte. Die Auf- fassung, die ich hier charakterisieren will, ist in gewissem Grade ein Substitut für diese Hypothesen. 3) Prof. Lloyd Morgan hält diesen Ausdruck für überflüssig. Es besitzt derselbe jedoch den Vorzug, dass er den populären Phrasen „sociale Erbschaft* und „sociale Ererbung“ entspricht. Auf der andern Seite erscheint „Tradition“ unzureichend: nach dem gewöhnlichen Gebrauch bezeichnet sie nämlich das, was überliefert wird, das Material, während wir bei den Tieren hauptsäch- lich mit den Erwerbungsvorgängen uns zu beschäftigen haben. „Sociale Vererbung“ lenkt ferner die Aufmerksamkeit auf die Verknüpfung der Genera- tionen unter einander. Ich glaube also, dass beide Ausdrücke hier am Platze sind. Betreffs einer weiteren Rechtfertigung der Ausdrücke „sociale Ver- erbung“ und „organische Selektion“ vgl. Amerie. Naturalist, July 1896, p. 552 ff. 25* 388 Wierzejski, Entwicklung des Mesoderms bei Physa fontinalis. Ueber die Entwicklung des Mesoderms bei Physa fontinalis L. Von Anton Wierzejski in Krakau. Nach sicher gestellten Angaben vieler Forscher, die sich mit der Embryologie der Gasteropoden befasst haben, geht bei diesen Tieren das ganze Mesoderm aus einer einzigen Zelle der sogenannten Ur- mesodermzelle hervor. Dieselbe entstammt einer von den 4 Makro- meren des 4-zelligen Stadiums und zwar ist es in der Regel die hintere linke, welche sich auf einem bestimmten Furchungsstadium, gewöhn- lich in der 6. oder 7. Generation als die unzweifelhafte Urmesoderm- zelle kundgiebt. Dieselbe teilt sich zunächst ungleich und giebt die kleinere Hälfte an das künftige Entoderm ab, hierauf teilt sie sich wieder längs der Medianebene in gleiche Teile, welche von nun an die bilaterale Anlage des Mesoderms repräsentieren. Aus letzterer entstehen im weiteren Verlaufe der Entwicklung die ebenfalls bilate- ralen Mesodermstreifen des Gastrulastadiums. Dieser einfache Modus der Mesodermbildung hat nach bisherigen Ergebnissen zu schließen eine weite Verbreitung in der Reihe nicht nur der Gasteropoden, sondern auch der Pteropoden und Lamellibranchiaten, darf somit mit Recht als typisch angesehen werden. Bekanntlich wurde er auch bei Anmneliden festgestellt. Es sind aber auch bereits mehrere Fälle beschrieben worden, in denen die Mesodermbildung von diesem als allgemein geltenden Typus mehr oder weniger abweicht. Einige derselben lassen sich wohl mit gutem Grunde auf denselben zurückführen, andere dagegen bieten dem Verständnis bedeutende Schwierigkeiten, falls man sie nicht einfach zurückweisen will. So namentlich diejenigen, in denen eine ektodermale Entstehung des mittleren Keimblattes behauptet worden ist (Sarassin, Bobretzky, Fol, Ziegler), und im noch höheren Maße diejenigen, in denen dasselbe einen doppelten Ursprung nehmen soll (z. B. nach Lillie bei Unio). Die Zahl solcher abweichender Angaben steigt mit dem Fortschritte unserer Forschung und insofern dieselben begründet sind, liefern sie den Beweis, dass die Mesodermfrage bei Mollusken keineswegs als endgiltig erledigt zu betrachten ist, wie man es aus diesbezüglichen Aeußerungen mancher Embryologen folgern möchte. Angesichts dessen dürften auch die nachfolgenden Angaben, betreffend Physa fontinalis einiges Interesse beanspruchen. Bei diesem Gasteropoden entstehen nämlich die bilateralen Meso- dermstreifen, ähnlich wie bei Unio (Lillie), aus doppelter Anlage 1. aus der Urmesodermzelle, 2. aus zwei bilateral liegenden Ektoderm- zellen. Bevor ich hier den Beweis dafür erbringe, will ich zunächst in Kürze auf den allgemeinen Charakter der Furchung bei diesem links- sewundenen Gasteropoden hinweisen. Es ist das Verdienst Cramp- Wierzejski, Entwicklung des Mesoderms bei Physa fontinalis. 389 ton’s!) zuerst gezeigt zu haben, dass bei der amerikanischen Physa heterostropha die Furchung anders verläuft als sonst bei rechtsgewun- denen Gasteropoden. Der Gegensatz giebt sich nämlich bei derselben bereits beim Uebergang vom 2-zelligen zum 4-zelligen Stadium in der Weise kund, dass die erste Spirale eine rechte ist, statt wie sonst eine linke und infolge dessen die beiden Furchungsebenen eine entgegen- gesetzte Lage bekommen. Auch in den folgenden Furchungsstadien bis zum 24-zelligen wiederholen sich Gegensätze in der Richtung der jedesmaligen Spirale. Dieselben Gegensätze habe ich auch bei der europäischen Physa (die mit der amerikanischen identisch sein mag?) festgestellt. An dieser Stelle interessiert uns vor allem die Lage der Urmesodermzelle D, welche nicht wie sonst hinten und links sondern hinten rechts zu liegen kommt. Es würde uns zu weit führen auf die einzelnen Erscheinungen der Furchung näher einzugehen, wir wollen dieselben somit nur insoferne berücksichtigen, als sie zum Verständ- nisse der Herkunft des Mesoderms unumgänglich notwendig sind. Was nun zunächst die Urmesodermzelle betrifft, so sind ihre Genese und ihr weiteres Schicksal bis zu späten Furchungsstadien wesentlich die- selben wie diejenigen anderer auf ihre Furchung genau untersuchten Gasteropoden. Auch bei Physa entstehen drei Generationen von Mikro- meren und durch weitere Vermehrung derselben kommt das 24-zellige Stadium zustande. Ist dasselbe erreicht, so tritt eine längere Ruhepause ein. Hierauf teilen sich die Zellen der Vierergruppe 6??), es ent- steht das 28-zellige Stadium (vom ungeteilten Ei bis zu diesem Stadium verfließen etwa 32 Stunden). Die Urmesodermzelle zeichnet sich auf diesem Stadium unter den 4 Makromeren des vegetativen Poles da- durch aus, dass sie nach außen stark vorgewölbt ist und in die Furchungs- höhle tief hineinragt. Sobald sich die Gruppe 6° zur Teilung vor- bereitet, bemerkt man auch in ihr die Ausbildung der Spindel. Die Teilung erfolgt aber in der Regel erst dann, wenn bereits 32 Zellen vorhanden sind und zwar schnürt sich von ihr etwas nach links eine kleine Entodermzelle gegen das Centrum des vegetativen Poles ab d 7? ( Kae a7: die Elemente des Mesoderms. Die nächste Teilung derselben findet erst auf dem Stadium von 44 Zellen statt. Diesmal aber wird die Urmesodermzelle in der Richtung der Medianebene halbiert und reprä- sentiert von nun an die bilaterale Anlage des Mesoderms. Auf dem Stadium von etwa 52 Zellen sieht man noch zwischen den beiden Descendenten den. ,‚Zwischenkörper, ihre Indices wären d ®?, d®*, mit Rücksicht darauf aber, dass beide in derselben Ebene liegen, haben ): Die Mutterzelle d”? enthält von nun an bloß 4) H. E. Crampton, Reversal of Cleavage in a Sinistral Gasteropod, Ann. N. I. Acad. Sc. VIII. 1894. 2) System nach Kofoid. 390 Wierzejski, Entwicklung des Mesoderms bei Physa fontinalis. die Ziffern 3 und 4, die sich auf die höhere und tiefere Lage der Furchungszellen beziehen, keine weitere Bedeutung; wir wollen der Einfachheit halber von nun an das paarige Urmesoderm mit M be- zeichnen und die nächsten Descendenten, insofern sie bedeutend kleiner sind mit m (Mesoderm-Mikromeren). Die Abschnürung solcher 2 Meso- derm-Mikromeren erfolgt etwa auf dem 62—64zelligen Stadium und zwar nach 48 Stunden), dieselbe kommt gewöhnlich nicht gleichzeitig zustande, sondern ein M läuft in der Ausbildung der Spindel dem an- deren voraus. Die Richtung derselben ist senkrecht vom vegetativen zum animalen Pol. Die beiden »r, welche der neunten Generation an- gehören, kommen vor die beiden M zu liegen (vom vegetativen Pol aus betrachtet). Die nächste Teilung der Makromeren findet auf be- deutend späteren Stadien statt. Die Spindeln treten in ihnen in ver- schiedenen Phasen auf, etwa zwischen dem 78- und 90-zelligen Stadium (nach Verlauf von ca. 50 Stunden). Das Resultat dieser neuen Teilung sind 2 Mesoderm-Makromeren M' M‘, welche der 10. Generation an- gehören; sie lagern sich in der Weise, dass die zwei zuerst gebildeten Mikromeren zu vorderst liegen in der Medianebene (vom vegetativen Pol aus betrachtet), hinter ihnen die 2 Makromeren M M und die anderen zwei M‘ M' sind nach rechts und links verschoben und gegen den animalen Pol gedrängt. In dieser gegenseitigen Stellung ver- bleiben diese 6 Mesoderm-Zellen bis zur nächsten Abschnürung von 4 Mikromeren. Dies geschieht beiläufig auf einem Stadium von 100 Zellen und zwar nicht gleichzeitig, sondern in kleinen Interalen, wobei es interessant ist, dass die 2 Urmesodermzellen M M ihre Tochterzellen gegen das Centrum, dagegen M‘ M‘, die dem animalen Pole näher liegen, schief nach außen abtrennen, demzufolge die beiden Paare m‘ m‘ in entgegengesetzte Lage kommen. Wir haben demnach bis zu diesem Augenblicke im Ganzen 10 Mesodermzellen, nämlich 4 Makromeren und 6 Mikromeren. Die Zahl der ersteren erhält sich unverändert bis zum Beginn der Einstülpung, dagegen kommen noch vor Eintritt der- selben 2 Mikromeren hinzu, die insofern es zu beurteilen möglich war, höchst wahrscheinlich sich von den beiden ventral gelegenen Urmeso- derm-Zellen abtrennen. Während der Einstülpung besteht das Ur- mesoderm aus 12 Zellen; die 4 Makromeren bilden ein Hufeisen mit kurzen Armen, an dessen Grunde die Mikromeren liegen. Die Kerne der letzteren zeichnen sich durch einen auffallenden Reichtum an Chromatin aus. Die weitere Vermehrung dieser Mesodermzellen ge- schieht erst auf dem Gastrulastadium und lässt sich nicht mehr genau verfolgen. Die Bestimmung der Descendenz der nachfolgenden Genera- tionen ist übrigens für die Frage nach der Herkunft des ganzen Meso- 1) Die Zeit, in welcher ein bestimmtes Stadium erreicht wird, ist für ver- schiedene Eier verschieden, desgleichen findet man oft Eier desselben Klumpens auf ungleicher Entwicklungsstufe. Wierzejski, Entwicklung des Mesoderms bei Physa fontinalis. 391 derms von untergeordneter Bedeutung. Wir wollen somit die Schil- derung der Entstehungsweise dieses primären Mesoderms, wie wir es nennen möchten, damit abschließen und wenden uns zur Be- antwortung der Frage wie der zweite Teil „das sekundäre Meso- derm“ entsteht? Die Anlage des letzteren lässt sich bis zum Stadium von 24 Zellen ganz genau zurückverfolgen. Die betreffenden 2 Zellen gehören der 6. Generation an oder nach anderer Bezeichnungsweise der 3. Generation von Ektomeren und zwar sind es die Zellen 5%? c$?, welche vom vegetativen Pol aus betrachtet, nach vorne und in den Winkeln vor den Entoderm- Makromeren liegen. Sie unterscheiden sich auf diesem Stadium von den 2 gegenüberliegenden Zellen derselben Generation d. i. «6? d %2 bloß in der Art der Teilung, welche auf das Stadium von 33 Furchungs- kugeln folgt. Alle 4 teilen sich nämlich zwar inäqual und in horizon- taler Richtung, aber während die Zellen a %? d °? ihre Tochterzellen nach dem vegetativen Pol zu abtrennen, trennen die Zellen 5 ®? e ©? dieselben nach dem animalen ab. Dieser verschiedene Teilungsmodus hat zur Folge, dass, während diese 4 Zellen vor der Teilung in der- selben Ebene lagen, nach der Teilung bloß 5°’ c” in derselben ver- bleiben, dagegen «’ d”’ nach dem animalen Pole zu verschoben werden. Erstere verbleiben mit den Entoderm-Makromeren in unmittelbarem Kontakt, letztere dagegen entfernen sich von der Urmesodermzelle, an deren Seiten sie rechts und links lagen, da an ihre Stelle jetzt ihre Tochterzellen kommen. Die uns interessierenden Zellen 57 u. c”’ verharren in der soeben eingenommenen Lage bis zu der Phase, in welcher sie die ersten Meso- dermzellen in die Furchungshöhle abtrennen, was ihr Aufsuchen in den dazwischen liegenden Stadien sehr erleichtert. Die erste Andeu- tung zu ihrer nächsten Vermehrung trifft man manchmal bereits auf dem Stadium von 46 Zellen, in der Regel aber erst auf demjenigen von über 52 Zellen. Ihre Spindeln liegen jetzt quer, die Teilungsebene liegt in radialer Richtung, die entstandenen 4 Tochterzellen sind einander gleich und man sieht zwischen je zweien den Zwischenkörper noch auf dem Stadium von etwa 62 Zellen. Diese 4 Descendenten von d und c gehören bereits der 8. Generation an. Inzwischen sind am vegetativen Pole bedeutende Veränderungen eingetreten: es haben die 3 Entoderm-Makromeren je eine kleine Zelle centralwärts an den vegetativen Pol abgetrennt und sie haben sich hierauf selbst in radialer Richtung äqual geteilt. Das Entoderm be- steht jetzt aus 10Zellen, da nämlich schon lange vorher eine von den 4 kleinen Polzellen von der Urmesodermzelle geliefert worden ist, Letztere hat sich auch inzwischen in medianer Richtung äqual geteilt. Die Zellen 55 ® und cc® liegen noch immer unmittelbar an das Entoderm angeschlossen. Ihre nächste Teilung findet bald auf dem Stadium von 392 Wierzejski, Entwicklung des Mesoderms bei Physa fontinalis. etwa 69 Zellen, bald aber erst auf demjenigen von etwa 75 Zellen statt, jetzt aber trennen sie in transversaler Richtung ganz kleine Tochterzellen ab, die sich unmittelbar an die Entodermzellen an- schließen. Ganz in derselben Weise erzeugen sie etwa auf dem Sta- dium von 78—80 Zellen wieder je eine Tochterzelle, die nur um ein weniges größer als die vorhergebildete ist und sich wieder an die letztere eng anschließt. Diese ihre neuen Derivate gehören bereits der 10. Generation an. Ueber das Schicksal dieser 8 kleinen und ganz flachen Zellen vermag ich derzeit noch keine bestimmte Angabe zu machen. Dafür lässt sich das weitere Verhalten ihrer 4 Mutterzellen ganz genau ver- folgen. Sie versinken immer tiefer zwischen das Ekto- und Entoderm und 2 derselben reichen in einer bestimmten Phase centralwärts bis an die Makromeren des Urmesoderms. Vom vegetativen Pol aus sieht man dazumal nur kleine Teile ihrer äußeren Oberfläche, da sie von oben von eigenen Tochterzellen und seitwärts von anderen Ektodermzellen überdacht werden. In einer sehr weit vorgerückten Phase, aber bevor noch die Einstülpung deutlich sichtbar: ist, teilen sie sich abermals der Quere nach, diesmal aber fast ganz äqual und ihre 4 Tochterzellen kommen jetzt ganz in die Furchungshöhle zu liegen. Wenn diese Teilung vollendet ist, zählt das Ei bereits über 100 Zellen und ist über 70 Stunden alt. Betrachtet man jetzt das betreffende Stadium vom vegetativen Pol aus im optischen Querschnitte, so erblickt man einen geschlossenen Kranz von 8 großen Mesodermzellen, von denen die 4 hinteren dem Urmesoderm, dagegen die 4 vorderen dem sekundären Mesoderm an- gehören. Nach Innen von den 4 ersteren liegen die von ihnen stam! menden Mikromeren, über die 4 letzteren schieben sich ein wenig ihre Mutterzellen, welche auch jetzt noch nieht ganz von Ektoderm über- deckt sind. Diese teilen sich abermals binnen Kurzem in derselben Weise wie vorher und liefern weitere 4 Descendenten zum sekundären Mesoderm, es kommt bald darauf die Reihe an die 4 Zellen der früheren Generation und wenn die Invagination bereits ziemlich weit fort- geschritten ist, besteht nunmehr das sekundäre Mesoderm aus 16 Zellen. Von nun an wird die Verfolgung der Deseendenz immer schwieriger, denn auch die 4 Zellen des Urmesoderms beginnen sich zu teilen und die Invagination macht in Folge der raschen Vermehrung der Ekto- dermzellen bedeutende Fortschritte. Es liegt aber auch nicht viel daran, die weitere Teilung genau zu verfolgen, interessanter wäre es Jedenfalls, das Verhältnis des aus zwei Quellen stammenden Mesoderms zu den künftigen Organen zu bestimmen, was leider bisher nicht eruiert werden konnte. Durch die obige Schilderung der Vorgänge der Furchung der Zellen 5 u. c vom 24zelligen Stadium an bis zur Gastrulation, glauben Wierzejski, Entwicklung des Mesoderms bei Physa fontinalis. 395 wir deren Anteil an der Zusammensetzung der Mesodermstreifen zur Genüge erwiesen zu haben. Freilich wäre die Sache viel klarer ge- wesen, wenn der Beweis an einer Reihe von Abbildungen durchgeführt worden wäre, was jedoch an dieser Stelle nicht möglich ist. Dies mag in einer ausführlicheren Arbeit über den Furchungsprozess bei Physa geschehen, welche demnächst erscheinen soll. Hier wollen wir nur nachdrücklich hervorheben, dass die oben angeführten Thatsachen Schritt für Schritt an einer ununterbrochenen Reihe von Präparaten festgestellt worden sind, somit keinem Zweifel unterliegen. Es erübrigt noch über die Natur der Zellen 5% und c® einige Worte hinzuzufügen. Sie wurden oben als Ektodermzellen bezeichnet auf Grund der üblichen Bezeichnung der Elemente, aus denen später die betreffenden Keimblätter hervorgehen. Mit Rücksicht auf ihr End- schieksal könnte man dieselben jedoch als vordere Mesodermzellen bezeichnen und da sie, wie wir bereits wissen, 3 Generationen von Ektodermzellen liefern, bevor sie in die Elemente der Mesodermstreifen aufgehen, so könnte man sie auch Ektomesoderm-Zellen nennen. Es mag aber hiezu bemerkt werden, dass es vorderhand nieht sicher ent- schieden werden konnte, ob namentlich ihre 8 kleinen Derivate, die bis zur Einstülpung mit dem Entoderm eng verbunden bleiben auch nicht mit demselben eingestülpt werden. Wäre dies der Fall, so ent- hielten diese Zellen die Elemente aller 3 Keimblätter in sich. Fassen wir die gewonnenen Resultate kurz zusammen, so ergiebt sich Folgendes: 1. Das Mesoderm von Physa fontinalis ist kein einheitliches Ge- bilde, denn es entstammt aus doppelter Anlage: aus der Urmesodermzelle und 2 Ektodermzellen. Erstere liefert den hinteren, letztere den vorderen Teil der Mesodermstreifen. 2. Die Urmesodermzelle enthält noch auf dem 24zelligen Stadium Elemente des Entoderms, sie liefert nämlich auf dem Stadium von 32 Zellen eine kleine Entodermzelle, worauf sie erst reines Mesoderm repräsentiert. Die 2 Ektodermzellen 5%-und c® differenzieren sich dagegen erst zum Schluss der Furchung in Mesodermzellen. 3. Das Mesoderm dieser Species ist demjenigen vieler anderer Gasteropoden nur zum Teil homolog. Es würde den Rahmen dieser kurzen Mitteilung überschreiten, wollten wir die verschiedenen Angaben über Mesodermbildung bei Mollusken zum Vergleich heranziehen. Dieselben sind übrigens in den neueren Arbeiten über den Furchungsprozess bei Gasteropoden bereits zur Genüge besprochen worden, so z. B. von Kofoid und Meisen- heimer in den betreffenden Arbeiten über Limax, vou Heymons über Umbrella mediterranea, von Jünniges über Paludina vivipara und von Lillie über Unio. Die Mehrzahl der von allgemeinen Typus 394 Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. der Mesodermbildung abweichender Angaben lautet übrigens zu un- bestimmt, als dass ein direkter Vergleich möglich wäre. Wir begnügen uns somit an dieser Stelle mit der Bemerkung, dass der Modus der Bildung eines Teiles des Mesoderms bei Physa, nämlich desjenigen aus der Urmesodermzelle, fast ganz derselbe ist, wie ihn Heymons!) für Umbrella eingehend dargestellt hat, dass ferner Physa in Bezug auf die doppelte Abstammung der Mesodermelemente sich merkwürdiger Weise an Unio anschließt. Bei dieser Muschel entsteht nämlich nach Lillie®) das Mesoderm aus doppelter Quelle und zwar aus der Ur- mesodermzelle D und aus der Ektodermzelle @?'?. Letztere giebt dem vom Verfasser als „larval mesoblast“ bezeichneten Teile des Mesoderms den Ursprung und obgleich dasselbe anfangs assymetrisch ist, so er- scheint es doch m den letzten Furchungsstadien bilateral und zwar nach Ansicht des Verfassers „apparently by active migration“. Die seitlieh-symmetrische Anordnung beider Anlagen des Mesoderms kommt bei Unio erst während der Einstülpung zu stande, während sie bei Physa bereits auf sehr frühen Furchungsstadien besteht, da bei letz- terer das sekundäre Mesoderm schon auf dem Stadium von 24 Zellen durch zwei bilaterale Ektodermzellen repräsentiert wird. [66] Krakau, den 30. April 1897. Zur Frage über die Histogenese des elastischen Gewebes. Von M. Gardner. (Aus dem histologischen Institute der kais. Universität zu Moskau.) Bezüglich der aufgestellten Frage, deren Geschichte bereits mehr als fünf Decennien zählt, hat bekanntlich die Wissenschaft ihr letztes Wort noch nicht sagen können. Trotz der großen Zahl von Unter- suchungen, die diesem Gegenstande gewidmet sind, beginnt auch jetzt jeder Aufsatz, der über die Histogenese des elastischen Gewebes handelt, mit dem üblichen Bekenntnis, nämlich, dass diese Frage nach wie vor eine Streitfrage bleibt und zwar eine Streitfrage, die sich nicht bloß auf etwaige Details, sondern grade auf das Wesen der Sache bezieht. Welchem Elemente soll die Hauptrolle im Prozesse der Bildung des elastischen Gewebes zugeschrieben werden? Es muss hier zwischen der Zelle und der Interzellularsubstanz entschieden werden; in der Beantwortung dieser prinzipiellen Frage machen sich bis zu den heu- tigen Tagen zwei gegenüberstehende Richtungen in der Histologie 1) Dr. R. Heymons, „Zur Entwicklungsgeschichte von Umbrella medi- terranea“. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 65. Bd. 2) T. R. Lillie, „The Embıyology of the Unionidae“. Jour. of Morph., Vol. X, Jan. 1895. Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. 39 geltend. Die Anhänger der einen Richtung!) schreiben die Bildung des elastischen Gewebes der Grundsubstanz zu, welche letztere hierbei verschiedene chemische resp. physikalischeModifikationen erleidet, indem sie entweder die leimgebende Substanz direkt in Elastin umwandelt, oder einfach ihr Aggregatzustand ändert, oder endlich aus ihrer eigenen Substanz Kügelehen bildet, die später in elastische Fasern zusammen- fließen (Ranvier). Die Anhänger der anderen Ansicht?) suchen das elastische Gewebe in genetischen Zusammenhang mit den Zellen zu bringen, wobei aber ihre Meinungen über den sich beim Bildungs- prozesse beteiligenden anatomischen Teil der Zelle, sowie über die Art und Weise der Beteiligung gänzlich differieren. In dieser Hinsicht waren verschiedene Meinungen ausgesprochen. Man stellte sich vor, dass die Zelle als Ganzes in eine elastische Faser sich umwandeln kann (Schwann, Hessling, Remak, Gerlach), anderseits glaubte man, dass das elastische Gewebe aus der Zellhülle, die eine zeitlang für einen unentbehrlichen anatomischen Teil jeder Zelle gehalten wurde, seinen Ursprung nimmt (Donders, Virchow), endlich fehlte es auch nicht an Behauptungen, nach welchen die Bil- dung des elastischen Gewebes auf dem Wege der gegenseitigen Zu- sammenlötung der Zellkerne beruhe [Henle 1841, Kölliker?°), Kilian, Meyer]. Auch in der neueren Zeit schreibt Kusskow den Zellkernen die Hauptrolle in diesem Prozesse zu, er betrachtet dieselben aber bloß als Matrix, aus welcher die Fasern auswachsen. Max Schultze und Hertwig legen das Hauptgewicht in dieser Frage auf die „for- mative Thätigkeit des Protoplasmas“, an deren Oberfläche die elastischen Fasern sich bilden. Deutschmann beobachtete im Protoplasma der Netzknorpelzellen eine Bildung von körniger Struktur, die später in Streifung in Form feiner Fäden überging, aus welchen letzteren die elastischen Fasern ihren Ursprung nahmen. Sudakewitsch sieht in diesem Prozesse eine Umwandlung des Protoplasmas in elastische Substanz, wobei seiner Ansicht nach auch dem Kerne eine aktive Be- teiligung bei diesem Prozesse zugeschrieben werden muss. Nach Poljakow steht die Bildung der elastischen Fasern in Beziehung zur Thätigkeit der von ihm genannten „Weberzellen“, deren Proto- plasmastroma und -kerne insgesamt in elastische Substanz sich um- wandeln, während die leimgebende Substanz aus der Interfilarmasse des Protoplasmas ihren Ursprung nimmt. Reinke und Loisel neigen zur Annahme einer direkten Transformation leimgebender resp. indif- 4) Gerber, H. Müller, Reichert, Leydig, Frey, Rabl-Rückhard, Ranvier, Kollm&nn, Grawitz u. a. 2) Sehwann, Donders, Virchow, Remak, Boll, Hertwig, Deutschmann, Sudakewitsch, Kusskow, Poljakow, Reinke, Loiselu. a. 3) Kölliker sprach sich später für die Bildung aus der Grundsubstanz aus. 396 Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. ferenter Fibrillen in elastische Substanz, wobei die Fibrillen sich vorher aus dem Zellprotoplasma bilden. Loisel beobachtete noch außerdem zwischen den sich bildenden leimgebenden Fibrillen sphärische Granu- lationen elastischer Natur, deren Bedeutung für die Bildung der elasti- schen Fasern er zur Zeit noch nicht mit Bestimmtheit anzugeben im Stande ist und behält sich vor bei e'ner späteren Gelegenheit auf die Sache näher einzugehen. Ich führe hier die Meinungen vieler anderer Autoren nicht an und gehe nieht auf die Einzelheiten in den Beobachtungen der Autoren ein, deren allgemeine Ansichten oben berücksichtigt sind, umsomehr als die Litteratur der betreffenden Frage schon mehrfach umfassend zusammengestellt wurde; anderseits würde eine eingehendere Dar- stellung des Gegenstandes mich weit über die beabsichtigten Rahmen meines kurzen Aufsatzes führen. Ich erlaubte mir durch obige Be- merkungen nur auf die Mannigfaltigkeit in den Ansichten der Autoren betreffs der Histogenese des elastischen Gewebes hinzuweisen. Aus dieser Mannigfaltigkeit der Ansichten geht schon die Notwendigkeit hervor, unsere Beobachtungen auf dem Gebiete der Histogenese des elastischen Gewebes fortzusetzen und zu mehren, umsomehr als mit dieser rein histologischen Frage eine andere in biologischer Hinsicht prinzipiell wichtige Frage — über die Rolle und die Bedeutung im tierischen Organismus der sogenannten Zwischensubstanzen eng ver- knüpft ist. Ich ging auf den Vorschlag des hochverehrten Prof. J. F.Ogneff, dem ich hier meinen herzlichen Dank ausspreche, ein, und übernahm die Aufgabe, der aufgestellten Frage näher zu treten. Obwohl die von mir gesammelten Beobachtungen sich nicht auf verschiedene Tiere und verschiedenartige Objekte erstrecken, glaube ich dennoch hoffen zu dürfen, dass sie einige bestimmte Angaben in die Summe derjenigen Untersuchungen hineinbringen können, die dermaleinst als Basis zur endgiltigen Lösung der Frage über die Histogenese des elastischen Gewebes gelten werden. Als Ausgangspunkt meiner Arbeit stellte ich mir zunächst die Aufgabe, andere als die bis jetzt gebrauchten Objekte und Unter- suchungsmethoden ausfindig zu machen. Die zu diesem Zwecke ge- wöhnlich gebräuchlichen Objekte der früheren Autoren, nämlich der Netzknorpel und das Ligamentum nuchae haben den Nachteil, dass ihre Strukturelemente auch während des embryonalen Lebens dieht aneinandergedrängt liegen, so dass es unmöglich ist mit voller Be- stimmtheit weder über die gegenseitigen Beziehungen der Zellen zu einander, noch über die Beziehungen der Zellen zur Grundsubstanz zu urteilen. Diese Unklarheit der gegenseitigen Lagerung der Elemente nötigte die Beobachter ihre Zuflucht zu verschiedenen Dissoeiations- methoden zu nehmen, die zuweilen aber zu zerstörend ausfielen, um ” Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. 397 irgend eine bestimmte Schlussfolgerung zulassen zu können; man konnte außerdem nicht sicher sein, dass die gefundenen Verhältnisse sich gerade auf das gegebene Element beziehen und nicht etwa Zellen aus anderen Schichten hinzukommen, die durch ihr dichtes Anliegen die wahre Struktur vortäuschen. Abgesehen davon sind die zelligen Ele- mente dieser Objekte bei warmblütigen Tieren so klein, dass die Details ihrer Struktur fast an der Grenze des Sichtbaren sich befinden. In meinen Bemühungen zweckmäßigere Objekte zu finden, war ich insofern glücklicher als meine Vorgänger, dass ich über einen großen ° Vorrat von elektiven Färbungsmethoden des elastischen Gewebes ver- fügen konnte, die erst in neuerer Zeit zur Anwendung gelangten und ihrer Konstanz und Empfindlichkeit nach fast die Bedeutung einer mikrochemischen Reaktion besitzen. Unter Benutznng dieser Methoden untersuchte ich verschiedene Provinzen des tierischen Organismus und fand dabei, dass in der topographischen Verteilung des elastischen Gewebes einzelne Gegenden an demselben bedeutend reicher sind, als es auf Grund früherer Beobachtungen bekannt war. So konnte ich beispielsweise mich überzeugen, dass im intraorbitalen Teil des Seh- nerven im Innern der Bindegewebsplatten, die die einzelnen Nerven- faserbündel umfassen, eine sehr bedeutende Menge von elastischen Fasern vorhanden ist; ein ganz besonderes Reichtum an elastischen Fasern gelang mir an den Fruchthüllen verschiedener unten ange- führter Tiere nachzuweisen. Dieses Objekt, welches von den Autoren bei der Untersuchung der Histogenese des elastischen Gewebes sehr wenig beachtet wurde, kann als ein ganz besonders dazu geeignetes Objekt auf Grund folgender Betrachtungen bezeichnet werden: 1. Die Fruchthüllen sind sehr dünn, durchsichtig, lassen sich leicht von einander trennen und eignen sich zur mikroskopischen Beobachtung ohne jegliche vorherige Bearbeitung, fast im lebenden Zustande; 2. sind die Präparate zweckmäßig fixiert, so gelingt es leicht nicht nur das Chorion vom Amnion zu trennen, sondern es lässt sich jede einzelne Hülle in so dünne Platten spalten, dass letztere nur je eine einzelne Schicht von Zellen enthalten; dieser Umstand beseitigt beinahe vollständig jede Möglichkeit irgend einer Verwechslung des be- obachteten Gewebes mit den oben resp. daruntergelegenen Schichten; 3. in bestimmten Entwicklungsperioden liegen die zelligen Elemente in den isolierten einschichtigen Platten weit genug von einander, um eine fehlerlose Deutung der gegenseitigen morphologischen Beziehungen der Zellen und der Zwischensubstanz zu ermöglichen; 4. die Fruchthüllen stellen ein Organ dar, welches sehr rasch seinen Entwieklungsgang durchmacht, wobei die sich hier abspielenden Prozesse der Gewebsbildung während der ganzen Entwicklungszeit den Charakter einer gespannten Evolution tragen, so dass wir hier nicht in die Lage kommen, degenerative Veränderungen in den Geweben 398 Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. anzutreffen. Derartige Veränderungen in einzelnen Zellen, die nach dem Erfüllen ihrer Funktion zu Grunde gehen, weisen aber eine solche Evidenz der Details des degenerativen Prozesses selbst auf, dass sie nicht nur nicht hinderlich bei der Beobachtung sind, sondern im Gegen- teil die letztere in erfreulicher Vollendung ergänzen; 5. die intensive Gewebsbildung bedingt noch den für die Beobach- tung sehr günstigen Umstand, dass man in verschiedenen Schichten einer und derselben Hülle fast sämtliche Stadien der Gewebsbildung « von der ersten Anlage bis zur Entwicklung definitiver Formen zu Ge- sichte bekommt. Außerdem gestattet die relativ geringe morphologische Abhängigkeit der Fruchthüllen vom Körper der Mutter und der Frucht die sich hier vollziehenden Prozesse in loco zu beobachten ohne jeg- liche Beteiligung irgend welcher Einwachsungen von Gewebselementen aus den benachbarten Gegenden des Organismus. Ich verfügte über Fruchthüllen von Schweine-, Schaf-, Kaninchen- und Meerschweinchen-Embryonen in verschiedenen Entwicklungsstadien. Am geeignetsten erwiesen sich Schweine-Embryonen ungefähr in ihrem mittleren Alter (10—25 em). Die von mir angewandten Untersuchungsmethoden waren ver- schieden. Im Laufe von anderthalb Jahren, welche die vorliegende Untersuchung in Anspruch nahm, hatte ich Gelegenheit, fast sämtliche am meisten gebräuchliche Fixationsmethoden, sämtliche zur Publikation gelangten Methoden der elektiven Färbung des elastischen Gewebes durchzuprüfen, sowie verschiedene Umänderungen der alten und Kom- binationen der neuen Methoden vorzunehmen. Auf Grund meiner Er- fahrung gelangte ich zum Schlusse, dass das beste Fixationsmittel für Fruchthüllen bei der Untersuchung der Histogenese des elastischen Gewebes die Müller’sche Augenflüssigkeit (was auch mit der Loisel’- schen Meinung übereinstimmt), und die beste Methode der elektiven Färbung im gegebenen Falle die von Tänzer als Unna’sche Modi- fikation beschriebene Fuchsinmethode werden müssen !). Die Mehrzahl anderer Fixationsmittel, unter diesen auch Osmiumsäure und Sublimat, bewirken eine starke Runzelung der Hüllen; die anderen Methoden der elektiven Färbung geben lange nicht so deutliche Bilder, wie die Fuchsinmethode. Die letztere besteht darin, dass man die in Alkohol resp. in Flemming’scher Flüssigkeit fixierten Gewebe durch abso- luten Alkohol durchführt, vorläufig mit Vesuvin färbt und nach Aus- waschen mit Wasser auf 24 Stunden in ein Gemisch von Fuchsind ri (ea tea Alkohol Ag; destill. ana 4 a man 25,0 Acidi nitriei, 250...» zn 1 10,2, ‚legt. 4) „Die mikroskopische Technik im Dienste der Dermatologie“, von Dr. R. Ledermann und Dr. Ratkowski, 1894, 8. 39. Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. 399 Aus der Farbe wird das Gewebe in 25proz. Salpetersäurelösung auf 2—3 Sekunden hineingethan, mittels schwacher Essigsäure ent- färbt, in absolutem Alkohol rasch entwässert und durch Cedernöl in Canadabalsam übergeführt. Aus speziellen Rücksiehten musste ich diese Methode einigermaßen umändern, denn es erwies sich bald, dass diejenigen Momente des beschriebenen Verfahrens, die die Einwirkung der Flemming’schen Flüssigkeit und des absoluten Alkohols erfor- dern, für die Fruchthüllen absolut ungeeignet sind; die letzteren er- fahren danach eine derartige Runzelung, dass es vollständig unmög- lich wird, sie in einer Fläche auf dem Objektglase auszubreiten. Was die Anwendung des Canadabalsams im Allgemeinen 'anbetrifft, so ist es zweckmäßiger auf den Gebrauch desselben bei Untersuchungen von elastischem Gewebe zu verzichten, da die Brechungsindices der beiden Substanzen nur wenig differieren, wodurch die Klarheit des Bildes beeinträchtigt wird. Weiter konnte ich mich überzeugen, dass wenn man nach der Fuchsinfärbung anstatt der 25proz. Salpeterlösung Aetz- kalilösungen von derselben Stärke (bei kurz dauernder Färbungszeit eignen sich besser schwächere Lösungen) gebraucht, man eine be- deutend ausgesprochnere Differenzierung des Bildes erhält. Die Methode in der Anwendung zur Beobachtung der Fruchthüllen gestaltet sich also in ihren Grundzügen folgendermaßen: 2 bis 3 Mal 24 Stunden lange Fixation in Müller’scher Flüssigkeit, rasches Auswaschen mit Destillierwasser und Entfernen der Chromsalze mittels 60° Alkohol bei Abschluss des Lichtes. Sind die Chromsalze entfernt, so werden die Fruchthüllen in 75° Alkohol übergeführt, in welchem sie ziemlich lange aufbewahrt werden können, ohne irgend welche Eigenschaften eines frischen Objektes einzubüßen. Soll ein Stück einer solchen Hülle untersucht werden, so wird es zunächst in destilliertem Wasser ge- waschen, durch vorsichtiges Schütteln in einem mit Wasser gefüllten Reagensglase oder einfach mittels Pinzetten von den epithelialen Schichten befreit und darauf in feinste Lamellen gleichfalls unter Zuhilfenahme von Pinzetten zerteilt. Diese Lamellen werden vorläufig mit Vesuvin gefärbt, nochmals zum Enfernen des Ueberschusses an Farbe in Wasser gewaschen und dann auf 24 Stunden oder besser auf eine noch längere Zeit in das oben angeführte Gemisch von Fuchsin und Salpetersäure übergeführt. Jede feinste Lamelle gelangt zunächst aus der Farbenlösung in 25proz. Kalilösung; nach 1 Sekunde wird die Lamelle aus der letzteren herausgenommen und durch eine Reihe mit Wasser gefüllter Schälehen durchgeführt, wobei es sehr darauf ankommt, die Lamelle rasch aus dem einen Schälchen in das andere überzutragen, um auf diese Weise jede Möglichkeit einer weiteren Ein- wirkung des aus dem Präparate in die ersten Wasserportionen über- gegangenen Kali zu beseitigen. Jede Lamelle wird darauf ohne vor- heriger Einwirkung von Essigsäure auf dem Objektglase in einem 400 Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. Tropfen Wasser resp. schwacher Glyzerinlösung, der man etwas Thymol hinzufügt, ausgebreitet. Ein so hergestelltes Präparat weist bei mikros- kopischer Betrachtung folgendes Bild auf: auf dem farblosen resp. schwach bräunlichem Felde erscheinen die Zellkerne intensiv rot, das Protoplasma rosa- und die elastischen Fasern dunkelblau gefärbt. Der Umstand, dass die Elemente des Präparates in Kontrastfarben rot und blau erscheinen, erweist sich für das mikroskopische Studium ganz besonders günstig, denn es wird dadurch möglich, die Anwesen- heit des elastischen Gewebes auch an solchen Stellen, wo letztere nur als feinste Fibrillen oder als kaum wahrnehmbare Ablagerungen in verschiedenen Formen auftritt, zu konstatieren: Diese modifizierte Methode gestattet auch 25proz. Salpetersäurelösung anstatt Kalilösung zur Differenzierung anzuwenden; man erhält auch auf diesem Wege sehr elegante und instruktive Bilder, die allerdings nicht so hell er- scheinen, — jedenfalls müssen diejenigen Momente der Grundmethode, die ich vorhin als ungeeignet für die Herstellung der Fruchthüllen- präparate bezeichnete, beseitigt werden. — Um sich überzeugen zu können, dass bei der beschriebenen Methode die blaue Farbe in Wirk- lichkeit dem elastischen Gewebe und keinem anderen angehört, prüfte ich diese Methode an erwachsenen Tieren und zwar an denjenigen Gewebsteilen, in denen die Anwesenheit von elastischen Fasern außer Zweifel ist und alle Details ihrer Verteilung genügend erforscht sind; ich bediente mich hierzu der Bindegewebsschichten der Haut und des Ligamentum Nuchae vom Kalbe, — es resultierten dieselben Bilder bezüglich der Kontrastfarben und mit denselben Nuancen, wie an den Furchhüllen. Leider gelingt manchmal die Färbung nicht; soweit ich diesen Umstand aufklären konnte, hängt dieses Misslingen von zwei Momenten ab: von der Qualität der Farbe, die häufig genug nicht identisch ist, wenn sie auch von einer und derselben Bezugsquelle stammt und zweitens von der Reinheit der Salpetersäure: letztere muss chemisch rein, und jedenfalls frei von Salpetrigsäure sein. Die beschriebene Methode, deren hohe elektive Eigenschaften außer Zweifel sind, ist dennoch nicht im Stande, über sämtliche Fragen, die sich beim Betrachten der auf diesem Wege gewonnenen mikroskopischen Bilder aufdrängen, Auskunft zu erteilen. Ich sah mich deshalb ge- nötigt, auch andere in der Histologie wohl erprobte, spezielle Ver- fahren in Angriff zu nehmen; ich erwähne hier nur die Methode von Wolter’s: Chlorvanadium und essigsaures Aluminium, nachfolgende Färbung in Kultschitzky’scher Hämotoxylinlösung und die Differen- zierung mittels Eisenchlorid resp. Weigert’scher Flüssigkeit (Borax- Blutlaugensalzlösung). Diese Methode erwähne ich hier aus dem Grunde, weil sie sich ganz besonders geeignet zur Untersuchung der Fruchthüllen erwies; ihr Hauptwert liegt hier weniger in ihren elek- tiven Eigenschaften bezüglich der elastischen Fasern, als vielmehr in = Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. 401 dem Vermögen die Beziehungen der elastischen Fasern zu den leim- gebenden Fasern aufzuklären, — letztere zeichnen sich nach dieser Bearbeitung durch einen hohen Grad von Deutlichkeit aus. Außerdem gestattet diese Methode auch die zelligen Elemente und die sich in denselben vollziehenden Veränderungen zu verfolgen. Zur Unter- suchung der angeführten Momente eignet sich auch die Methode der Fixierung mit einem frisch bereiteten Gemische aus 4 Teilen einer ge- sättigten wässerigen essigsauren Kupferoxydlösung und 1 Teil 1proz. Osmiumsäurelösung (3—4 Stunden), mit nachfolgender Bearbeitung der Gewebe mittels Gallussäure. Die günstige Eigenschaft dieses Fixationsmittels liegt darin, dass es die Details der Struktur gut er- hält und zugleich auch als eine sehr zufriedenstellende Beize dient, irgend eine Runzelung der Präparate, die nach Behandlung mit anderen osmiumsäurehaltigen Fixationsmitteln zu Stande kommt, fehlt hier voll- ständig. In den mir zu Gebote stehenden Litteraturquellen konnte ich nirgends der Beschreibung einer derartigen Methode begegnen: die Notwendigkeit die Beobachtungen mit dem Kernfixationsmittel (OsO,) unter Beachtung der Eigenschaften des von mir gewählten Objektes zu prüfen, führte mich auf das beschriebene Kombinationsverfahren. Werden die von Schweineembryonen gewonnenen feinsten Frueht- hüllenlamellen, die nach der beschriebenen etwas modifizierten Methode hergestellt und mit Fuchsin gefärbt sind, in Wasser oder in verdünn- tem Glyzerin mikroskopisch betrachtet, so sieht man auf dem im All- gemeinen rötlich gefärbten Grunde des Präparates die elastischen Fasern, wie oben erwähnt, tief dunkelblau gefärbt und deshalb ganz besonders deutlich sich markierend. Die Verteilung dieser Fasern ist in verschiedenen Etagen der Fruchthüllenlamellen verschieden: in den Schichten des eigentlichen Amnion resp. Chorion verlaufen die Fasern auf dem Präparate geradlinig, wobei aber an verschiedenen Stellen von ihnen unter mehr oder weniger spitzen Winkeln Fortsätze aus- laufen, die sich mit den benachbarten weit abstehenden (der Abstand betrifft ein halbes resp. ein ganzes Gesichtsfeld) elastischen Fasern verbinden. Es resultiert auf diese Weise ein weitmaschiges Fasernetz; nicht selten bekommt man auch solche Fasern zu Gesichte, die eine bedeutende, mehrere Gesichtsfelder umfassende Strecke einnehmen und dabei keine Seitenäste abgeben. Sehr häufig sieht man anstatt einer Faser ein ganzes Bündel von Fasern, die parallel verlaufen ohne dabei mit einander durch Fortsätze in irgend welche Verbindung zu treten, die vielmehr durch eine Schicht Zwischensubstanz von einander ge- trennt bleiben. Ein durchaus abweichendes Bild repräsentieren die Fasern in der mittleren Schicht, die die Verbindung des Chorion mit dem Amnion ‚bewirkt. Wir bemerken hier ein sehr dichtes, äußerst zartes, feinmaschiges Netz. Die Dicke der Fasern sowohl in dem weitmaschigen, sowie auch in dem feinmaschigen Netze variiert zwischen XV, 26 402 Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. kaum messbaren Größen und solehen von 8—10 «u; im feinmaschigen Netze erreicht aber die Dieke, wenigstens was die Fruchthüllen von Schweineembryonen anbetrifft, niemals solche Dimensionen, wie im weitmaschigen Netze. Etwas bedeutender erscheint die Dicke in Meer- schweincehenpräparaten. Was aber besonders bemerkenswert ist, ist das allmähliche gegenseitige Zusammentreten der feinsten Fäserchen zu einer einzigen Faser, deren Dicke der Summe der Querdurchmesser der sie bildenden Komponenten gleich ist. Fast auf jedem Präparate bekommt man Bilder zu sehen, an denen man sich über dies erwähnte Zusammentreten überzeugen kann. Die auf die beschriebene Weise hervorgegangene dickere Faser konfluiert mit den benachbarten zu einer noch diekeren Faser u. s. w. bis schließlich eine Dicke erlangt wird, die man an Präparaten mit vollständig entwickelten elastischen Fasern wahrnimmt. Wird ein Präparat so weit mittels Pinzetten ge- dehnt, bis die Fasern reißen, so beobachtet man an den Rissenden ein ebensolches Zusammenwinden, wie am Ligamentum Nuchae beim Spalten der elastischen Fasern. Fig. 1. Die Zellen der, mittleren das Amnion mit dem Chorion verbindenden Schicht. Im Zellprotoplasma, sowie in den Fortsätzen sieht man Körnchen elastischer Natur die an einzelnen Stellen bereits in feinste Fäden zusammen- getreten sind. Derartige Bilder repräsentieren die vollständig entwickelnden Fasern. Wir wenden uns jetzt zu den früheren Entwicklungsstadien und be- trachten zunächst die elektiv gefärbten Fruchthüllenpräparate und zwar diejenigen Etagen der Hülle, an denen die Bildung des fein- maschigen Netzes vor sich geht. Es ist hierbei vorteilhafter nicht von ganz frühen, sondern von solehen Entwicklungsstufen auszugehen, die Präparate mit wohl ausgebildeten, Fortsätze tragenden, durch Zwischen- substanz deutlich von einander getrennten Zellen liefern. Hier finden wir ziemlich große Zellen mit ovalem resp. rundem Kerne, rot ge- färbtem Protoplasma und langen Protoplasmafortsätzen, die sich mit Gardner, Histogenese des elas'ischen Gewebes. 403 solchen benachbarter Zellen verbinden. Im Protoplasma solcher Zellen lässt sich schon mit dem Apochromat Zeiss 4mm die Gegenwart feiner Körnehen konstätieren, die ebenso blau gefärbt, wie das fertig aus- gebildete elastische Gewebe erscheinen (Fig. 1). Die Körnchen er- füllen das Zellprotoplasma entweder ganz regellos, oder gruppieren sich zu wohl geordneten Reihen, das Bild einer Perlschnur erinnernd. Ich muss hier hinzufügen, dass ich die punktförmigen Ablagerungen in den Zellen nur bedingungsweise und der Kürze halber als Körnchen bezeichne, denn mit dem Namen Körnchen verbindet man gewöhnlich die Vorstellung von etwas festem, welche Eigenschaft den genannten Gebilden keineswegs zugeschrieben werden kann. Diese Gebilde be- sitzen gewöhnlich eine sphärische Form, mitunter aber erscheinen sie auch als unregelmäßige Schollen, deren Größe sehr wechselnd ist: einige sind auch bei homogener Immersion kaum wahrzunehmen, andere dagegen erscheinen schon bei trockenen Korrektionssystemen ganz deut- lieh. Die Körnchen dringen in die Ausläufer der Zellen hinein und je weiter die Ausläufer vom Leibe der Zelle abstehen und folglich auch dünner werden, um so geringer wird die Zahl der betreffenden Körnehenreihen. Ungefähr in der Mitte der Verbindungsstelle der Aus- läufer zweier benachbarter Zellen ordnen sich die Körnehen bloß zu einer, seltener zu 2—3 Reihen, sie stoßen an Körnchen, die dem Aus- läufer einer benachbarten Zelle entlang hinziehen und konfluieren mit diesen zu einem äußerst feinen Fädchen, welches in gleichem Schritt mit der Apposition neuer Körnehen von der einen sowie von der anderen Seite immer weiter und weiter in die Länge wächst. Ein solches Fädehen erscheint dunkelblau gefärbt gerade so, wie die Fasern des vollständig ausgebildeten elastischen Gewebes. Sehr häufig lässt sich die Ausbildung eines solchen Fädchens in der Region einer Zelle be- obachten; in solchen Fällen erscheint meistenteils der mittlere Teil des Fädchens etwas dieker, so dass die ganze Faser an eine sehr in die Länge ausgezogene Spindel erinnert. Später fließt ausnahmslos ein solches Fädehen mit einem benachbarten zusammen, wobei sich die nunmehr gemeinschaftliche Oberfläche beider Fädchen zu einem Zylindermantel ausgleicht. Es sei hier erwähnt, dass die neugebildeten elastischen Fasern bei ihrem Verlaufe im Protoplasma der Zelle niemals den Kern berühren, und wenn letzterer sich auf ihrem Wege befindet, so biegen sich die Fasern so um, dass sie parallel zur Krümmungsfläche des Kernes verlaufen, um weiter auf einiger Entfernung vom Kerne, nachdem das Hindernis umgangen ist, ihre anfängliche Richtung ein- zunehmen. Auf diese Weise wird das feinmaschige Netz der elastischen Fasern, welches in dem Netze der miteinander zusammengeflossener Fortsätze der Bildungszellen präformiert ist, gebildet. Wenn wir uns nunmehr zur Entwicklungsgeschichte derjenigen langen und relativ gröber aussehenden elastischen Fasern wenden, die 26 Da 404 Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. sich in den Chorion- und Amnionhüllen in Form sehr weitmaschiger Netze resp. einzelner dicker Fasern repräsentieren, so begegnen wir auf den Präparaten der frühzeitigen Entwieklungsstufen folgendem Bilde: auf dem schwach faserigen homogenen Felde der Grundsubstanz, auf welchem die Wanderelemente einzeln oder in kleinen Gruppen hie und da zerstreut liegen, sehen wir Anhäufungen von Zellen, die mittels ihrer langen sich stark verästelnden Fortsätzen miteinander anastomo- sieren. Diese Zellgruppen bilden kleine oder aber auch mehr umfang- reiche Inseln, von denen nur in einer zuweilen auch in zwei oder mehreren Richtungen relativ schmale lange Streifen oder Kolonnen hinziehen, die aus den nämlichen mit ihren Ausläufern anastomosieren- den Zellen bestehen. Die Züge lassen sich auf weite Strecken des Präparates verfolgen; zuweilen verlaufen sie ganz isoliert, in anderen Fällen dagegen zweigen sich von ihnen seitliche Streifen ab, die ent- weder mit den benachbarten Zellgruppen oder mit den von den letz- teren abgehenden ähnlich aussehenden Streifen konfluieren. Im All- gemeinen ist ihre Verteilung ganz dieselbe, wie die des vollständig ausgebildeten in Form eines weitmaschigen Netzes sich repräsentieren - den elastischen Gewebes. Auf den Präparaten, die aus noch früheren Entwicklungsperioden stammen, lässt sich der Aufbauprozess der eben beschriebenen Gebilde Schritt für Schritt verfolgen: größtenteils in der Nähe von Blutgefäßen findet man rundliche oder spindelförmige Zellen, die bald anfangen Fortsätze zu senden. Durch diese Fortsätze ver- binden sich die Zellen paarweise oder zu kleinen Gruppen, es bilden sich Inseln, die von einander durch bedeutende Mengen Zwischen- substanz getrennt bleiben. Die sich in den Inseln neubildenden Zellen gehen in irgend einer Richtung in Form von Kolonnen oder Streifen, die aus zwei, drei, häufig genug auch aus mehreren Zellenreihen be- stehen, ab; im Innern dieser Streifen resp, Inseln färbt sich das Ge- webe immer bedeutend intensiver, als die umgebende Grundsubstanz. Bearbeitet man die Präparate aus dieser Entwicklungsstufe nach der Methode von Wolter’s oder nach der oben beschriebenen Methode mit der Kupferbeize, so sieht man, dass die Zellen an einer oder anderen Stelle seltener zu werden anfangen, sie beginnen eine Art eines Zerfallsprozesses unter den Erscheinungen der Vakuolisation im Protoplasma und der Kariolyse im Kerne durchzumachen und anstat} der aus Zellen bestehenden Streifen resultiert ein ganzes Bündel leim- gebender Fibrillen, die in regelrechte Reihen geordnet und dicht an- einander gedrängt sind, jedoch sehr deutlich erscheinen. Aehnliche leimgebende Fibrillen, die aus den Zellinseln ihren Ausgang nehmen, breiten sich fächerförmig aus und es lässt sich feststellen, dass die an der Peripherie der Insel liegenden Zellen einem allmählichen Zer- fallsprozesse unter denselben degenerativen Erscheinungen, wie in den Zellstreifen unterworfen sind. Betrachtet man genauer die auf diese % % E + | Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. 405 Weise hervorgegangenen leimgebenden Faserbündel, so sieht man beim Gebrauch der Mikrometerschraube sehr deutlich, wie im Inneren solcher Bündel stark lichtbrechende Fäserchen aufglänzen; diese erscheinen allerdings ungefärbt, sind aber in ihrem optischen Verhalten den ge- wöhnlichen ausgebildeten elastischen Fasern durchaus ähnlich. Dass wir es hier in Wirklichkeit mit elastischen Fasern, die zwischen den leimgebenden Fibrillen eingestreut sind, zu thun haben, geht mit Un- zweideutigkeit hervor, wenn man die elektiv gefärbten Präparate dieses Entwieklungsstadiums betrachtet. Man findet dann, dass in dem Protoplasma der inselbildenden Zellen blaue Körnchen auftreten, die in feinste Fäserchen zusammenfließen; jedes dieser Fäserchen legt sich an das im Protoplasma einer Nachbarzelle gebildete an, auf einiger Entfernung kommen zu ihnen neue Gruppen in derselben Weise her- vorgegangener Fäserchen hinzu; sämtliche Faserbündel nehmen dann ihre Richtung nach einem Streifen, in welchem sie sich mit den Fäserchengruppen, die in der beschriebenen Weise in den Streifen selbst sich entwickeln, verbinden, — mit einem Worte, es wiederholt sich hier derselbe Plan des Entwicklungsprozesses, wie wir ihn bei der Bildung des feinmaschigen elastischen Netzes beschrieben haben. Das weitmäschige Netz ist hier ebenso von den Zellen mit ihrer charak- teristischen Verteilung präformiert und auf Kosten dieser Zellen in ihrem Protoplasma aufgebaut. Es muss an dieser Stelle nur hervor- gehoben werden, dass die Bildung von Kolonnen oder Streifen, die aus Zellen bestehen, nicht als eine unentbehrliche Bedingung für das Entstehen einzelner elastischer Fasern betrachtet werden muss; im Gegenteil, es entstehen in solchen Kolonnen immer Reihen von Fasern — was die einzelnen Fasern, die isoliert und unverzweigt als ein Ganzes auf der Strecke mehrerer Gesichtsfelder verlaufen, betrifft, so werden diese von den in einer Reihe angeordneten Zellen präformiert. Die Differenz besteht hier bloß darin, dass die Bildungszellen keine Seitenzweige abgeben und miteinander sich durch Polarfortsätze verbinden, der Ent- wicklungsprozess der elastischen Faser selbst vollzieht sich dagegen nach einem und demselben Typus. Die von mir beschriebenen Bilder lassen sich auch unter Anwendung verschiedener anderer Methoden und Modifikationen der elektiven Färbung beobachten. Den schönsten Beweis aber für die reelle Bedeutung und Unzweideutigkeit der an- geführten Bilder liefert die Prüfung vollständig frischer, noch keiner Bearbeitung unterworfener Hüllen, an denen man unter Berücksich- tigung des stärkeren Breehungsvermögens der elastischen Substanz fast den ganzen Entwicklungsgang verfolgen kann. Weiter lässt sich konstatieren, dass wenn man ein derartiges frisches Präparat in Kali- lauge fast vollständig auflöst, so treten die Körnchen und Fäserchen ohne der zerstörenden Wirkung der Kalilauge anheimzufallen mit großer Deutlichkeit hervor und diese Widerstandsfähigkeit gegenüber der 406 Gardner, Histogenese des elastisehen Gewebes. Kalilauge bildet bekanntlich die charakterische Eigenschaft des elasti- schen Gewebes. — Auf diese Weise lässt sich die Natur der Körnchen durch die angeführten Eigenschaften bestimmen. Die Körnehen unter- scheiden sich ihrer Natur nach von allen ähnlichen morphologischen Gebilden: so z. B. von den Bioblasten Altmanns, die nur bei An- wendung ganz besonderer Methoden auftreten, weiter sind sie mit den Ehrlieh’schen Körnungen nicht zu verwechseln, was schon aus den negativen Resultaten der Anwendung der Ehrlich’schen Färbungs- methoden in unserem Falle hervorgeht, — mit einem Worte, es sind das Körnchen sui generis, die so zu sagen als Deutoplasma sich aus- bilden und dann in feinste Fäserchen zusammenfließen, wonach die Zelle selbst dem Untergange anheimfällt. Es lässt sich somit das über die Histogenese des elastischen Ge- webes in den Fruchthüllen oben angeführte Beobachtungsmaterial in folgenden Sätzen resumieren: 1. Die elastische Substanz tritt im Zellprotoplasma in Form feinster meist sphärischer, seltener unregelmäßig gestalteter Ablagerungen auf. Weder dem Kerne, noch der die Zellen umgebenden Zwischensubstanz ist irgend eine unmittelbare resp. überhaupt sichtbare Beteiligung an dem Prozesse zuzuschreiben. 2. Die Ablagerungen der elastischen Substanz fließen dann später zu feinsten Fädchen zusammen. Diese Konfluenz geschieht sowohl in den Grenzen einer einzigen Zelle, als auch in den Grenzen mehrerer unter einander anastomosierenden Zellfortsätze, in beiden Fällen aber stehen die neugebildeten Fäden in keiner Beziehung zum Zellkerne und verlaufen immer parallel seiner Krümmungsfläche in einiger Ent- fernung von ihm. 3. Die in den benachbarten Zellen gebildeten elastischen Fäden vereinigen sich zu einem dickeren Faden, zu dem sich in einiger Ent- fernung noch ein aus mehreren Fäden zusammengesetzter Faden hinzu- gesellt u. s. w.; es resultiert somit eine mehr diekere Faser, deren Durchmesser gleich der Summe der Durchmesser der die Faser zu- sammensetzender Komponenten ist. 4. Die Verteilung des elastischen Gewebes, wie verschieden sie auch erscheinen mag, in Form weit- oder feinmaschiger Netze, in Form einzelner verzweigter oder unverzweigter Fortsätze, — wird immer durch eine ähnliche charakteristische Verteilung der Zellen, die die Fasern produzieren, präformiert; irgend ein aktives Auswachsen von elastischen Fasern in die extraprotoplasmatische Substanz wird nirgends beobachtet. Das Wachstum der Fasern geschieht nach dem Typus der Apposition. Wenn es gelingen könnte zu beweisen, dass der an den Frucht- hüllen beobachtete Entwicklungsmodus des elastischen Gewebes auch für andere Gegenden des Organismus seine Giltigkeit behält (ich bin Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. 407 augenblicklich mit Arbeiten in dieser Richtung beschäftigt), wenn es mit anderen Worten möglich wäre, dem beschriebenen Modus des Auf- baues der elastischen Fasern eine allgemeine Bedeutung zuzuschreiben, so würde man, wie mir scheint, in diesem Aufbauprozesse selbst Gründe zur Beurteilung der Struktur der elastischen Faser in ihrer definitiven Form finden können. Bis zu der letzten Zeit beurteilte man diese Struktur nur nach denjenigen Bildern, welehe die elastischen Fasern nach Einwirkung verschiedener zerstörender Agentien lieferten; je nach der Wahl des zerstörenden Agens erhielte man bald das eine, bald das andere Bild. Da man aber bei Anwendung dieser Behandlungs- methode immer mit einem und demselben Objekte zu thun hatte, so ist es augenscheinlich, dass die Verschiedenheit der dabei resultierenden Bilder nieht von der wahren Struktur der Faser, sondern vielmehr von den Eigenschaften des zerstörenden Agens abhängen musste. Deshalb glaube ich auch, dass es schwerlich möglich sein wird, die wahre Struktur der elastischen Faser durch Einführung neuer Bearbeitungs- methoden und durch Beobachtung neuer Bilder aufzuklären, denn die letzteren werden immer Zweifel erregen müssen und niemals im Stande sein die Bedeutung weder der früheren Bilder z. B. die hohle Struktur der elastischen Fasern (Purkinje, Virchow, Oehl, Reck- m u Fig. 2. Allmähliche Zusammensetzung einer diekeren elastischen Faser aus feinsten Fibrillen. Fig. 3. Elastische Faser mittlerer Dicke, die optisch homogen erscheint, ist in der zum Längsdurchmesser senkrechten Richtung gedehnt. An der Stelle, wo die dehnende Kraft angreift, sieht man eine Zerfaserung der Faser in eine große Menge feinster Fibrillen, die zu beiden Seiten der betreffenden Stelle wiederum zu einer optisch homogen erscheinenden Faser sich verbinden. Fig. 4. Eine elastische Faser ist in der Längsrichtung so weit gedehnt, dass sich in der elastischen Substanz ein Riss gebildet hat; die einzelnen schwach gewundenen Faserstücke liegen im Raume, der an einer Röhre erinnernd, durch zwei schwach konturierte Linien begrenzt erscheint. 408 Gardner. Histogenese des elastischen Gewebes. linghausen), noch derjenigen Bilder, die die Existenz zweier Schich- ten — einer axialen und peripherischen Schicht beweisen (Ebner, Schwalbe, Pfeuffer) zu schwächen. Die neu erhaltenen Bilder werden bloß neben den früheren zu stehen kommen und den Wert einer Aufklärung der Einwirkungsweise eines bestimmten Agens be- sitzen. Ich glaube deshalb, dass man bei der Beurteilung der Struktur der elastischen Faser mehr Aufklärung von den Erscheinungen des Aufbaues, als von den der Zerstörung erwarten kann. Ich sehe mich genötigt, diese Frage, die eigentlich in die Rahmen dieser kurzen Mitteilung nicht hineinpasst, wenigstens so weit es sich um die Fruchthüllen handelt, zu berühren, denn es wird jeder, der meine Arbeit einer Nachprüfung unterziehen möchte, vor Allem auf Bilder, wie sie auf Fig. 2 aufgezeichnet sind, stoßen, — diese Bilder sina es, die mich zur Aufstellung des dritten Satzes geführt haben. Es voll- zieht sich hier sozusagen vor den Augen des Beobachters die Zusammen- setzung einer dieken elastischen Faser aus feineren Fäserchen, die ihrerseits, wie die Entwicklungsgeschichte lehrt, aus der Konfluenz von Körnchen elastischer Natur hervorgegangen sind. Schon seit lange her wird der elastischen Substanz die Eigenschaft der Konfluenz oder des Zusammenlötens zugeschrieben; in unserem Falle dokumen- tiert sich diese Eigenschaft in zweifacher Weise: einerseits findet hier eine Konfluenz der Körnchen zu einem primären Fäserchen statt, d.h. eine Vereinigung in einer zur langen Axe der zukünftigen Faser senk- rechten Fläche, andrerseits beobachten wir hier ein Zusammenschmelzen von primären Fäserchen zu einer diekeren Faser in der zu ihrer langen Axe parallelen Richtung. Von diesen beiden Vereinigungsarten ist die erstere unzweifelhaft die festere, denn es ist unmöglich, die feinste Fibrille durch mechanische Einwirkung zu zerstören und dieselbe wiederum in Körnehen zu zerlegen; die zweite Vereinigungsart ist die schwächere, denn übt man einen starken Zug auf die Fruchthülle in der zur langen Axe der Faser senkrechten Richtung, so gelingt es nicht selten, wenigstens im Anfange, die optisch bereits homogen er- scheinende Faser in ein ganzes Bündel feiner Fibrillen (s. Fig. 3) zu spalten; hierbei kann man beobachten, dass zu beiden Seiten der zer- störten Stelle, d. h. wo die dehnende Kraft nieht zur Wirkung kam, die Faser nach wie vor homogen erscheint. Auf Grund dieser Be- obachtungen lässt sich annehmen, dass die elastische Faser entsprechend ihrer Zusammensetzung aus feinen Fäserchen eine zeitlang die faserige Struktur bewahrt, ob die faserige Struktur auch weiter auf immer bei- behalten wird, lasst sich auf Grund obiger Betrachtungen über die Einwirkung der zerstörenden Agentien nicht entscheiden. Wenn es überhaupt erlaubt ist, diesen Agentien eine Bedeutung bezüglich der Aufklärung über die feinere Struktur der elastischen Faser zuzuschreiben, so will ich ein Verfahren anführen, mittels dessen ich die fibrilläre . Gardner, Histogenese des elastischen Gewebes. 409 Struktur vollständig entwickelter Fasern recht deutlich beobachten konnte. Das Verfahren besteht in Folgendem: Stückchen des Liga- mentum Nuchae vom Kalbe werden in alkohol - wässeriger Osmium- säurelösuug (1°/,) fixiert und mit Tannin (nach der Methode von Kolosoff) geschwärzt, nachher werden die in Paraffin eingeschmol- zenen Stückchen möglichst dünn (nicht dieker als 5 «) geschnitten, Die Schnitte werden dann nach der sogenannten Japanischen Methode auf das Deckglas geklebt und nacheinander mit Xylol zur Entfernung des Paraffins, mit absolutem Alkohol, schwachem Alkohol und schließ- lich mit Wasser bearbeitet. Das Deckglas mit den’ daran haftenden Schnitten wird nun auf einen großen auf dem Objektglase sich be- findenden Tropfen einer 25proz. Kalilösung gelegt und so vor Aus- troeknung geschützt für einige Stunden gelassen. Es ist nötig von Zeit zu Zeit vom Rande des Deckgläschens her neue Kalilaugetröpfchen hinzuzufügen. Nach Verlauf von 4—5 Stunden wird die Kalilauge- lösung durch Wasser ersetzt und das Präparat durch Klopfen mit einer dicken Nadel auf das Deckglas zerquetscht. Beim Betrachten solcher Präparate bei centraler Verdunklung oder noch besser in monochro- matischem Lichte, hatte ich die Gelegenheit, eine recht deutliche Strichelung an den elastischen Fasern, sowie eine Zerfaserung auf den Enden einiger einzelner Fasern wahrzunehmen. Es sei hier wieder- holt, ‚dass ich solche Bilder bloß neben den Bildern anderer Autoren stellen möchte, bin aber weit davon entfernt, ihnen irgend eine ent- scheidende Bedeutung beizulegen und auf Grund dieser Bilder die Richtigkeit der bereits längst ausgesprochenen Ansicht (Räuschel, Valentin) über die faserige Natur des elastischen Gewebes hervor- zuheben. Vorläufig lässt sich die Annahme einer faserigen Natur nur bezüglich des jungen elastischen Gewebes auf Grund der Entwick- lungsgeschichte machen. Erwähnenswert ist noch eine Thatsache, die man nicht selten bei der Untersuchung der nach der oben beschriebenen Fuchsinmethode behandelten Fruchthüllen zu beobachten Gelegenheit hat. Uebt man auf ein solches Präparat, bevor es noch endgiltig eingeschlossen ist, einen Zug mittels zweier Pinzetten aus, so sieht man an denjenigen Fasern, die nieht in der Querriechtung (worüber oben schon die Rede war), sondern in der Richtung der Lngsaxe gedehnt sind, an ein- zelnen Stellen Zerreissungen des elastischen Gewebes, wobei die aus- einandergehenden Enden entweder ziekzackförmig sich beugen oder ihre anfängliche gradlinige Richtung bewahren. Im ersten Falle hat es den Anschein, als ob die abgerissenen gewundenen Enden in einer geraden Rohre sich befänden, deren Existenz sich optisch durch zwei schwache ungefärbte zu beiden Seiten erscheinende Konturen doku- mentiert (s. Fig. 4), im anderen Falle sieht man ähnliche Konturen nur an derjenigen Strecke, wo die Faserenden von einander abstehen, 410 Bütschli, Bau der Cyanophyceen und Bakterien, im weiteren Verlaufe, wo die Fasern unbeschädigt bleiben, verschwinden die Konturen wiederum. Das ganze macht den Eindruck, als ob die Faser von einer Hülle umgeben wäre. Ob es sich aber in Wirklich- keit um eine Hülle handelt, ob nicht vielleicht die Konturen bloß den optischen Ausdruck desjenigen Raumes in der Zwischensubstanz, wo vor der Zerreissung die elastische Faser sich befand, vorstellen, — lässt sich vorderhand nicht mit Bestimmtheit angeben. [50] O. Bütschli, Weitere Ausführungen über den Bau der Cyanophyceen und Bakterien. 8. 87 Stn. 5 Tafeln. Leipzig, W. Engelmann, 1896. Bütschli hat im Jahre 1890 eine kurzgefasste Abhandlung „über den Bau der Bakterien und verwandter Organismen“ veröffentlicht, deren Grundgedanken er selber in der Einleitung zu der vorliegenden Sehrift etwa so zusammengefasst: Die in der Zellmembran enthaltenen Weichkörper der Cyanophyceen bestehen aus einer „Rindenschicht“ und einem „Centralkörper“. Beide zeigen wabige Struktur. In der Rindenschicht ist der eigentümliche blau- grüne Farbstoff diffus verteilt: der farblose Centralkörper hat stärkere Affinität zu den üblichen Kernfarbstoffen und enthält immer Körnchen, die sich mit Hämatoxylin rot bis rotviolett färben. Aus dem Vergleich mit analog präparierten Zellkernen ist zu schließen, dass der „Central- körper“ einem „Zellkern“ entspreche. N Im wesentlichen, dieselben Bauverhältnisse wurden an den großen Schwefelbakterien nachgewiesen und dementsprechend gedeutet. Bei den kleineren Bakterien dagegen konnten nur in vereinzelten Fällen zwei Schichten nachgewiesen werden. In diesen Fällen aber über- wog der „ÜOentralkörper“, der jenem bei Oyanophyceen und Schwefel- bakterien ganz ähnlich war, bedeutend an Masse, und die Rindenschicht stellt sich als eine zarte Hülle mit stärkerer Ausbildung nur an beiden Polen dar. Diese konnte immer geringer werden, so dass bei der Mehr- zahl der kleinen Bakterien nur die dem Centralkörper entsprechende Masse, die auch noch einen sehr einfachen Wabenbau erkennen lässt, übrig bleibt. Diese Anschauungen B.’s von 1890 sind nun seither von mancher Seite lebhaft bestritten worden, von anderen Seiten großenteils bestätigt aber auch teilweise missdeutet worden. Dadurch sah sich B. veranlasst, seine alten Präparate noch einmal durchzumustern und auch Beobachtungen an lebenden Öseillarien von neuem vorzunehmen, wobei er die eben zu- sammengefassten Hauptresultate seiner Untersuchungen in jeder Hinsicht bestätigt fand. Er repliziert deshalb in der vorliegenden 76 Seiten starken Broschüre auf alle ihm seit 1890 gemachten Einwände, legt seine Anschauungen noch einmal ausführlicher dar und erläutert sie, weil auch seinen damaligen schematischen Abbildungen Misstrauen entgegengebracht wurde, durch 2 Licht- druck- und 3 lithographische Tafeln und einige Textfiguren. Er hat damit wohl endgiltig erwiesen, dass die von ihm geschilderten Strukturen auch im Leben bestehen und nachweisbar sind. Auf die zahlreichen Einzelheiten, Haeckel, Systematische Phylogenie der wirbellosen "Tiere. 411 die in der kritischen Würdigung der neueren Litteratur berührt werden, ist hier nicht der Platz einzugehen. Es sei nur hervorgehoben, dass B. Wert darauf legt zu konstatieren, dass er nicht auf Grund theoretischer Erwägung sondern auf Grund von Beobachtung und einfachsten Analogie- schlüssen zu der, schon vor ihm ausgesprochenen Ansicht gelangt sei, die Bakterien beständen im wesentlichen aus Kernsubstanz. |58] Werner Rosenthal. E. Haeckel, Systematische Phylogenie der wirbellosen Tiere. II. Teil des Entwurfs einer systematischen Phylogenie. Der vorliegende Band bringt Haeckel’s systematische Phylo- genie zum Abschluss. Wie seine beiden Vorgänger wird auch er nicht in allen zoologischen Kreisen begrüßt, vielleicht hin und wieder selbst als ein Abirren vom Pfade der reinen Wissenschaft bezeichnet werden. Wer sich aber unbefangen in den reichen Wissensborn versenkt, den uns auch dieser Band erschließt, wird sich mit großer Befriedigung seinem Studium hingeben. Bringt doch auch er zum Bewusstsein, wie sich erst unter dem Einfluss eines philosophisch durchgebildeten Geistes die Baumaterialien, die Thatsachen der ‚exakten“ Forschung, zu einem Gebäude fügen. Wenn Haeckel’s Werk gerade in den engsten Fachkreisen nicht die Aufnahme zu Teil wird, die es, wie jedes bedeutende Werk, ob das- selbe mit unseren eigenen Vorstellungen harmoniere oder ihnen fremde, ja entgegengesetzte Anschauungen vertrete, beanspruchen darf, so hängt dies wesentlich damit zusammen, dass hier oftmals über die Aufgaben der Zoologie besondere Anschauungen bestehen. Einer großen Zahl der Zoologen besteht die Wissenschaft in der Sammlung eines umfangreichen Thatsachen- materiales, dessen philosophische Durchdringung ihr verfrüht erscheint, ja von ihr selbst zurückgewiesen wird, weil sie nicht der Spekulation entraten kann. Wie anders liegen die Verhältnisse auf dem Gebiete der Geologie. Wohl kein Geologe hält dafür, dass in der Erschließung der 'Thatsachen ihre alleinige Aufgabe bestehe. Wenn die Geologen heute gewiss nicht über eine größere Summe positiver Kenntnisse verfügen als die Zoologen, so sehen sie doch in der Belebung der Thatsachen zu einem harmonischen Bilde, der Erdgeschichte, an dem auch die durch die Thatsachen vorsichtig geleitete Phantasie schöpferischen Anteil nimmt, nicht nur ein erlaubtes Unter- fangen, sondern eine ihrer bedeutendsten Aufgaben. Haeckel’s Werk aber strebt auf zoologischem Gebiete prinzipiell nichts anderes an, als was der Geologie Niemand bestreitet. Darum ist auch sein Werk als ein bedeutungsvoller Markstein der zoologischen Wissenschaft zu bezeichnen, der in der Geschichte der Wissenschaft ungleich höher gewertet werden wird, als manches hochtaxierte Ergebnis der „exakten“ Forschung. — Haeckel teilt die Metazoen in zwei große Gruppen, die Coelenteraten und Coelomarien. Erstere umfassen die 4 Stämme der Gastreades, Spon- giae, Onidaria und Platodes, letztere die fünf Stämme Vermalia, Mol- lusca, Articulata, Echinodermata uud Chordonia mit den Tunicata und Vertebrata. 412. Haeckel, Systematische Phylogenje der wirbellosen Tiere. Es kann natürlich nicht die Aufgabe eines Referates sein, auch nur flüchtig die Geschichte dieser verschiedenen Stämme zu skizzieren. Wir beschränken uns auf eine kurze Darlegung der Reform des Typus der Würmer, dieser Crux der zoologischen Systematik, so wie des Einflusses der neuen Umschreibung auf andere Stämme. Die Paltodes bilden den Uebergang der Coelenteraten zu den Üoelo- marien. Mit ersteren teilen sie den Mangel einer Leibeshöhle, eines Blut- gefäßsystems und Afters und sind deshalb nicht Angehörige des Stammes der Vermalia. Als Uebergangsform charakterisiert sie die vollkommene Ausbildung der bilateralen Symmetrie, das Vorhandensein von Nephridien und des Scheitelgehirns. Aus ihnen entstanden d’e Vermalia durch Aus- bildung einer Leibeshöhle und eines Afters. Die Rotatoria, denen die aus der Gastrula sich entwickelnde Vermitarva am nächsten steht, sind die unterste Gruppe der Würmer und zugleich die älteste Stammgruppe der übrigen Abteilungen der Würmer, der Strongylaria oder Rundwürmer, der Prosopygia oder Buschwürmer (Molluscordea) und der Frontonia oder Rüsselwürmer. Das Kugelrädertier, die Trochosphaera, stellt den nächsten lebenden Verwandten der hypothetischen Stammform der verschie- denen Wurmklassen wie auch der übrigen Metazoenstämme dar. Den Anneliden weist Haeckel eine andere als die übliche Stellung zu. Sie bilden zusammen mit den Arthropoden den Stamm der Arteulata, d. h. also die vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte be- stimmt Haeckel zu der Auffassung der innigen verwandtschaftlichen Be- ziehungen beider Gruppen, die schon Cuvier durch die Schöpfung des Typus der Articulata ausdrückte. Die spätere Trennung bezeichnet Haeckel als einen der größten Rückschritte der neueren Systematik. Die Arthropoden sind diphyletischen Ursprungs. Die Tracheaten durch die Peripatiden, die Crustaceen durch die 'Trilobiten mit den Chaetopoden verbunden. Den Frontoniern werden als 3. Klasse die Prochordonier eingereiht, eine hypothetische Klasse, deren Organisation wesentlich. durch die ver- gleichende Anatomie und Ontogenie von Tunicaten und Vertebraten er- schlossen wird. Die Chordonia, d. h. die Coelomarien mit dorsalen Medulorrohr, axilärer Chorda, ventralem Herz und Kiemenspalten im Vorderdarm, sind die Abkömmlinge der Prochordonier, welche indessen schon frühzeitig im 2 divergente Stämme ausgingen, in die ungegliederten und gliedmaßen- losen Chordonier oder Tunicaten und in die gegliederten Vertebraten. So erfährt also der Typus der Würmer eine ganz wesentliche Um- gestaltung. Wer ohne Vorurteil zu Gunsten des Herkömmlichen die zahl- reichen vergleichend-anatomischen und ontogenetischen Beweise Haeckel’s zu Gunsten seiner Auffassung durchgeht, kann sich wohl kaum der Er- kenntnis verschließen, dass durch die vorgeschlagenen Abänderungen unsere Einsicht in das Wesen der Stammesentwicklung vertieft wird. Ist die Macht triftiger Beweise größer als die Macht der Gewohnheiten, dann wird Haeckel’s Stammeseinteilung des Tierreiches, seine Umschreibung und Charakteristik der Stämme rasch sich Bahn brechen müssen. Denn durch sie wird ungezwungen die entwicklungsgeschichtliche Einheit des Tierreiches zum Bewusstsein gebracht. -R. K. [65] + je Born, Verwachsungsversuche mit Amphibienlarven. 413 G. Born, Ueber Verwachsungsversuche mit Amphibien- larven. Archiv für Entwieklungsmeechanik, IV. Bd. Mit 11 Tafeln. 8°. 224 Seiten. Auch separat bei W. Engelmann. Leipzig 1897. Aus der äußerlich unscheinbaren entwicklungsgeschichtlichen Abteilung des anatomischen Instituts zu Breslau, in welcher vor 15 Jahren W. Roux durch seine berühmten Experimente am Froschei einen neuen Weg der Forschung betrat, und in welcher seitdem zahlreiche wertvolle biologische Arbeiten entstanden, ist soeben wieder eine bedeutende experimentelle Untersuchung hervorgegangen. Sie demonstriert in schöner Ausstattung die Ergebnisse der Verwachsungsversuche an Amphibienlarven, die G. Born mit glücklichem Erfolge vorgenommen hat. Als Material wurden sehr junge Larven von Fröschen (Rana fusca, esculenta, arvensis) und von Bombinator igneus, zum Teil auch Bufo-Arten und Pelobates fuscus verwandt, von denen Rana esculenta sich am geeignetsten erwies. Es wurden Teilstücke von 'Tieren derselben Art und auch verschiedener Arten zur Verwachsung gebracht. Operation und Aufzucht geschahen in physiologischer Kochsalzlösung (0,6°/,) und in Leitungswasser, Referent hatte im Sommer 1895 persönlich Gelegenheit, unter Born’s liebens- würdiger Führung die Anordnung der Versuche zu sehen, die im wesent- lichen darin bestand, dass die Teilstücke der Larven in flachen Glasschalen unter Kochsalzlösung oder unter Wasser durch Silberstäbehen aneinander gelegt wurden; bei dieser Lagerung wurden die Sehnittflächen durch leichten Druck zusammengehalten und wuchsen zusammen. Ueber die Ergebnisse dieser Experimente möge hier in Kürze folgen- des mitgeteilt werden. 1. Die Erfahrungen früherer Beobachter (Fraisse, Roux, Barfurth) über das ausgezeichnete Wundheilungsvermögen jungen Amphibien- larven werden bestätigt. Die hervorragende Rolle, die hierbei die Epi- dermis spielt, stimmt mit der Erfahrung des Referenten überein, dass unter den Keimblättern dem Ektoderm die größte Regenerationskraft zukommt. Die abgetrennten Stücke erhalten sich nicht nur am Leben, sondern schreiten — häufig ohne Herz, Blut und Gefäße — auf Kosten ihrer Dotterbesitzer im Wachstum und in der Entwicklung fort, wie schon Vulpian an abgetrennten Schwanzenden eben ausgeschlüpfter Larven nachwies. „Dabei stellt sich mit vollkommener Evidenz heraus, dass die Entwicklung jedes Organs bis zur Schnittfläche, so gut wie bei der normalen Larve, fortschreitet, mag die Schnitt- fläche liegen, wie sie will.... Es spricht dies für ein hoch- sradiges Selbstdifferenzierungsvermögen der Teile unserer Larven im Sinne Roux’s; eine wesentliche Beeinflussung der Entwicklung durch den Wegfall der normalen Nachbarschaft (Korrelation) ist nicht erweis- bar. ... Von unserem Anfangsstadium an geschieht die Entwicklung unserer Froschlarven "also wesentlich nach den Prinzipien der Mosaik- theorie“ (8. 172, 173). 2. Teilstücke von. Larven einer Art oder auch verschiedener Arten vereinigen sich durch Verwachsung an den Schnittflächen, wenn die Stücke gelinde aneinander gepresst ruhig liegen bleiben. Hierbei treten interes- 414 Born, Verwachsungsversuche mit Amphibienlarven. sante Erscheinungen an den Zellen auf, die sicherlich der von W. Roux entdeckten „Selbstordnung“ und „Selbsttrennung“ von Zellen unterzuordnen sind. Liegt z. B. ein Epithelrand auf Dotterzellen oder auf Zellen des Gehirnrohres, so bleiben diese Gewebe unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht miteinander vereinigt, sondern trennen sich wieder. voneinander (Cytochorismus, Roux) und vereinigen sich erst mit ihres Gleichen (Roux’ Cytarme und Cytolisthesis). Nur unter besonderen Verhältnissen, wenn Zellverschiebungen nicht möglich sind, vereinigen sich z. B. auch ekto- dermatische Epidermiszellen mit entodermatischen Darmepithelien, wie bei der Bildung von Mund und After in der normalen Entwicklung. 3. Die verwachsenen Larven oder Larvenstücke bleiben in der Folge- zeit organisch vereinigt, wachsen und differenzieren ihre Organe und Ge- webe, so lange der Nahrungsvorrat, der in den Dotterkörnern enthalten ist, reicht. 4. Kommen bei der Zusammenfügung gleichartige Organanlagen an: einander zu liegen, so verwachsen sie zu einem Continuum; die Ver- bindung geschieht durch das gleichartige, spezifische Gewebe der betreffen- den Organe; kommen ungleichartige Organanlagen aneinander; so geschieht die Verbindung durch Bindegewebe. Sind die gleichartigen Organe hohl, so stellt sich nicht nur die Kontinuität ihrer Wandbestandteile, sondern auch vollständig glatte Kommunikation ihrer Hohlräume her. 5. In einigen Fällen sind gleichartige Organe, deren Querschnitte bei der Zusammenfügung der Larven sicher nicht direkt aneinander gelagert waren, trotzdem zur Verwachsung gelangt. Es haben also hier die nach der Vereinigung wachsenden Organe sich gesucht und ge- funden; es liegt nahe, ebenso wie Roux dies für seinen Cytotropismus gethan hat, auch bei dieser Annäherung auswachsender Organe an chemo- taktische Vorgänge zu denken. 6. Bei der Verwachsung der Organe treten gelegentlich sekundär entstandene Abnormitäten auf, z. B. Einmündung eines Vornierenganges in den Darmkanal u. a. 7. Die Verwachsung gleichartiger Gewebe und Organe findet in jeder beliebigen Richtung statt. Eine „Polarität“ ist bei jungen Anuren- larven also so wenig vorhanden, wie bei den Hydroidpolypen (Loeb), während sie z.B. von Nussbaum für Hydra, von Vöchting für Pflanzen nachgewiesen wurde. 8. Die Verwachsung der Komponenten ist in vielen Fällen nicht nur eine anatomische, sondern auch eine physiologische, funktionelle Vereinigung. Bei allen Verwachsungen tritt eine wenigstens teilweise Gem@insamkeit des Blutkreislaufs ein, wobei merkwürdigerweise das Wachstum der Teilstücke verschieden bleiben kann, während die Differenzierung im gleichen Tempo fortschreitet. Inniger ist die physiologische Symbiose, wenn, wie bei der gleichsinnigen Bauchvereinigung, ein langes Darmrohrstück beiden Partnern gemeinsam ist, und sie erreicht den höchsten Grad, wenn etwa das Hinterstück einer Larve mit dem Vorderstück einer andern vereinigt wird, worauf dann die Organe beider Stücke so zusammenarbeiten, wie die einheitlichen Organe einer normalen Larve. Es lässt sich also ein einheitlicher Organismus aus zwei Eiern herstellen, so wie umgekehrt ein Ei zwei Organismen liefern kann. Petri, Das Mikroskop. 415 9. Die Zusammensetzungsversuche ergänzen in höchst willkommener Weise die „Defektversuche* (Roux, Barfurth u. a.). „Während sich aus den Defektversuchen nur, gewissermaßen negativ, schließen ließ, dass — immer unser Ausgangsstadium vorausgesetzt — nach Wegfall der nor- malen Nachbarschaft und Beziehung, die Teile unserer Larven sich doch bis zur Schnittfläche so entwickelten, als wenn nichts fehlte, kommt hier das positive Ergebnis hinzu, dass das Hinzutreten der heterogensten, neuen Nachbarschaften, ja die innigste, organische Verbindung mit denselben, keinen korrelativ ändernden Einfluss auf die Entwicklung der zusammen- sefügten Teile ausübt“ (8. 203). 10. Zahlreiche Zusammensetzungen sind dem Resultate nach als künst- liche Doppelbildungen anzusprechen. 11. Dem Wesen nach schließen sich die Versuche den Transplan- tationen der Pathologen, Chirurgen u. s. w. an. Demselben Gebiet ge- hören an die Versuche Zahn’s u. a. über Transplantation embryonaler Gewebe, die Experimente von E. Joest über Verwachsung der Teilstücke von Regenwürmern, die Wetzel’schen Verwachsungsstudien von Hydra, die Beobachtungen von Zoja und Morgan über Verwachsungen an Eiern Wirbelloser, von Vöchting über Transplantationen an Pflanzen u. s. w. Die vorliegende Arbeit von G. Born ist besonders wertvoll durch das beigebrachte Beweismaterial an Schnittserien, Rekonstruktionen, Photo- graphien (von W. Gebhardt ausgeführt!) und histologischen Unter- suchungen. Sie hat auch gerade in diesem Augenblick ein allgemeines biologisches Interesse für die Beurteilung gewisser prinzipieller Fragen. Soeben hat ©. Hertwig in einer Streitschrift den Nachweis zu führen gesucht, dass biologische Experimente überhaupt nur einen zweifelhaften Wert besitzen, dass im besondern die Versuche von W. Roux verfehlt seien und seine Mosaiktheorie verworfen werden müsse, Diese Anschau- ungen finden in der Born’schen Arbeit keine Stütze. Das Ergebnis der Experimente ist klipp und klar und von weittragender Bedeutung. Sie wird von G. Born selber in folgendem Satze ausgesprochen: „Die Ent- wicklung beruht von unserem Ausgangsstadium an wesent- lich auf Selbstdifferenzierung der einzelnen Teile; ein kor- relativer Einfluss der Nachbarschaft, wie des Ganzen lässt sich nirgends erkennen — weder negativ, noch positiv; die Entwicklung entspricht also von unserm Ausgangsstadium an durchaus der Mosaiktheorie Roux’s; die organbildenden Keimbezirke sind ausgeteilt (His)“ (8. 205). [59] Rostock, 9. April 1897. Dietrich Barfurth. R. J. Petri, Das Mikroskop. Von seinen Anfängen bis zur jetzigen Vervollkommnung für alle Freunde dieses . Instrumentes. Mit 191 Abbildungen im Text und 2 Faesimiledrucken. 8°, Verlag von Richard Schoetz. Berlin 1896. Die reiche Zahl von Abbildungen verleiht dem Buch das Ansehen eines historischen Bilderatlasses. Von den ältesten Mikroskopen, deren Abbildungen 416 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. noch erhalten sind, bis zu den neuesten sind wohl alle Typen durch interes- sante Vertreter repräsentiert. Der theoretische Teil der Optik ist in dem Buch entsprechend dem großen Leserkreis, an den sich das Buch wendet, auf das Notwendigste beschränkt, ausführlicher sind dagegen die Vorzüge der augenblicklich besten Systeme besprochen; auch weist der Verfasser auf die Verbesserungsfähigkeit unserer heutigen Mikroskope hin. j [49] Hans Friedenthal. Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Zwerundzwanzigste Versammlung zu Karlsruhe in den Tagen vom 14. bis 17. September 1897. Tagesordnung. Dienstag, den I4. September: Mitteilungen über den Stand der „Kehrichtverbrennung“ in Deutschland. Oberingenieur F. Andreas Meyer (Hamburg). I. Die Bekämpfung des „Alkoholmissbrauchs“. Referent: Medizinalrat Prof. Dr. F. Tuczek (Marburg). II. Vorteile und Nachteile der „getrennten Abführung der Meteorwässer“ bei der Kanalisation der Städte. Referenten: Hofrat Prof. Dr. A. Gärtner (Jena); Baurat A. Herzberg (Berlin). Mittwoch, den 15. September. III. Die „ Nahrungsmittelfälschung“ und ihre Bekämpfung. Referenten: Oberbürgermeister Rümelin (Stuttgart); Prof. Dr. H. Beckurts (Braunschweig). IV. Die Vorzüge der „Schulgebäude- An- lagen im Pavillon - System“, durchführbar für die Aufsenbezirke der Städte. Referent: Prof. H. Uhr. Nussbaum (Hannover). Donnerstag, den I6. September. V. Die „Wohnungsdesinfektion“ in wissenschaftlicher und praktischer Hinsicht. Referenten: Prof. Dr. E. v. Es- march (Königsberg) ; Oberbürgermeister Zweigert (Essen). VI. „Hygiene der Bäder und Luftkurorte* (Sommerfrischen) und Mafsregeln gegen Einschleppung und Verbreitung von Infektionskrankheiten. Referent: Gech.-Rat Dr. F. Batt- lehner (Karlsruhe). Freitag, den 17. September. „Besuch von Baden-Baden“. Besichtigung der Trinkhalle, der staatlichen Badanstalten und der Kläranlage für das Kanal- wasser. Spaziergänge in die Villenbezirke, auf das alte Schloss u. s. w. Der ständige Sekretär: Geh. San.-Rat Dr. A. Spiess. Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Arthur Georgi, Leipzig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal .Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVIL. Band. 15. Juni 1897. Nr. 12. Inhalt: Bokorny, Grenze der wirksamen Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. — Car, Ueber den Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. — v. Lendenfeld, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke. — Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien, Grenze der wirksamen Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. Von Dr. Th. Bokorny. Da die Ernährung der Pflanzen davon abhängt, in welchem Maße und mit welcher Geschwindigkeit die Stoffe von den Zellen auf- gesammelt werden, so wurden zunächst einige Versuche mit Stoffen angestellt, welche leicht in den Zellen nachweisbar sind und von diesen aufgesammelt werden, ohne gerade Nährstoffe zu sein. Zu den leicht nachweisbaren Stoffen. gehören einige organische Farbstoffe von großer Färbekraft. Fuchsin färbt Wasser noch bei einer Verdünnung von 1: 100000 intensiv rot-violett; auch die Lösung 1:Million zeigt makroskopisch noch deutliche Färbung, unter dem Mikroskop erscheint ein Tropfen derselben ungefärbt. Mesokarpus und Spirogyra, zwei in unsern Gewässern häufig vorkommende Algen, wurden in den beiden Lösungen 8 Tage lang belassen. In der Lösung 1:100000 starben die beiden Algenarten ab, sämtliche Zellen waren nun intensiv gefärbt, viel stärker als die Lösung selbst; sie hatten also beträchtliche Mengen Farbstoff in sich auf- gespeichert, insbesondere das Protoplasma. Die Lösung: 1: Million ließ beiderlei Algen am Leben; unter diesen Umständen trat keine Färbung des Protoplasmas ein; lebende Zellen färben sich meist nicht, wie schon länger bekannt, sie lassen wahrscheinlich diesen Farbstoff gar nicht durch die Plasmahaut eindringen. Dringt derselbe ein, wie es XVII 27 418 Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. bei getöteten Zellen der Fall ist, und verbindet er sich mit den Eiweiß- stoffen, so wird er aus einer so hoch verdünnten Lösung, wie der zuerst erwähnten, binnen kurzer Zeit in beträchtlichem Maße heraus- genommen und aufgespeichert. Ein ähnlicher Versuch mit Jodviolettlösung ergab, dass auch dieser Farbstoff rasch von den Zellen gespeichert wird. In der Lösung 1:100000 färbten sich sämtliche Spirogyra- und Mesocarpus- Zellen binnen 24 Stunden intensiv violett, viel stärker als die Lösung selbst gefärbt war. Die Zellen starben dabei ab. Auch die Lösung 1: Million bewirkte eine Färbung etwa der Hälfte der Zellen binnen 24 Stunden; dieselben starben aber hiebei nieht ab, sondern behielten ihre Lebensfähigkeit bei und gewährten durchaus das Aussehen von lebenden Zellen; ihr Turgor und die An- ordnung der Zellbestandteile war unverändert erhalten. Gefärbt hatte sich nur der Zellsaft, nicht das Protoplasma, daher die Erhaltung der Lebensfähigkeit. Bisweilen hatten sich auch Ausscheidungen im Zell- safte gebildet, welche den Farbstoff ganz an sich rissen, so dass die übrige Vakuole ungefärbt erschien. Jodviolett scheint die lebende Plasmahaut passieren zu können. Die Lösung des Jodvioletts im Verhältnis 1:10 Millionen (die Färbung war eben noch sichtbar in größerer Flüssigkeitsmenge) aber vermochte eine Färbung der Spirogyra- und Mesocarpus-Zellen nicht hervorzurufen. Nach 3 Wochen waren die Fäden noch lebend und ganz ungefärbt, d. h. sie besaßen noch die ursprüngliche ehlorophyll- grüne Farbe. Es scheint, dass bei dieser hohen Verdünnung des Farb- stoffes ein so langsames Eindringen in die Zellen stattfindet, dass der- selbe durch die Lebensthätigkeit des Protoplasmas wieder zerstört wird in dem Maße, als er eindringt. Auch nach weiteren 2 Wochen war noch alles unverändert. Auch mit sehr verdünnten Jod-Jodkalium-Lösungen kann man zeigen, wie rasch die Stoffe bei großer Verdünnung noch von den Zellen aufgenommen werden. In einer Jod-Lösung von 1: 100000 waren Spirogyra- und Mesocarpus-Fäden binnen 24 Stunden blau ge- färbt, indem die Stärkekörner der Zellen die bekannte Jodstärke- reaktion angenommen hatten; die Zellen freilich waren hiemit ab- gestorben. Eine gleichzeitig aufgestellte Lösung von noch 5mal größerer Ver- dünnung, nämlieh 1:500000 zeigte merkwürdiger Weise die Spirogyren teilweise abgestorben aber nicht gefärbt. Die Zellen waren also hier durch eine so geringe Menge Jod getötet worden, dass die Jod-Stärke- keaktion nieht zum Vorschein kam. Uebrigens hielt ein kleiner Teil der Spirogyren und ein beträchtlicher Prozentsatz von Mesocarpus die giftige Wirkung dieser hochverdünnten Jod-Lösung 14 Tage lang aus, ohne die geringste Schädigung zu erleiden. Schon makroskopisch = I Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen ünd Pilzen. 419 konnte man die noch schön grünen turgescenten Fäden neben den ab- gestorbenen von grauer Farbe deutlich erkennen und unterscheiden. Durch Jod-Lösung von 1:1000000 wurden die Fäden zunächst gar nicht verändert; sie vegetierten ruhig weiter. Erst nach 14 Tagen ließen sich unteı dem Mikroskop einige Schädigungen erkennen, welche durch Jod von 1:Million verursacht waren. Manche Zellen waren ganz abgestorben unter Kontraktion des Protoplasmas und Verfärbung des Chlorophylis; bei manchen wies nur die eingetretene Verschiebung der Zellorgane auf eine Schädigung hin. Ein Stoff, welcher leicht in lebende Zellen eindringt und darin eine deutliche Reaktion hervorruft, ohne die Zelle zu töten, ist das Coffein. Dasselbe bewirkt, wie von Verf. an anderer Stelle schon mehrfach hervorgehoben wurde (Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XIX, Heft 2; dieses Centralbl., 1888 und Pflüg. Arch., 1889 ete.), eine eigentüm- liche Ballung (Aggregation) des lebenden Inhaltes der Pflanzenzelle, des aktiven nicht organisierten Proteins, welches teils im Protoplasma, teils im Zellsafte aufgespeichert ist (Spirogyren, Vaucherien, Drosera- Tentakeln, subepidermale Zellen des Blattes von Crassulaceen etc.). Ferner wird durch Coffein häufig eine Kontraktion und Teilung der Vakuolenwand hervorgerufen, auch durch ganz verdünnte Lösungen, welche durchaus nicht plasmolytisch wirken. Die Aggregation tritt, auch bei großer Verdünnung des Coffeins, fast augenblicklich ein. Ja es ist sogar von Vorteil, statt der 0,1 pro- zentigen eine 0,01 proz. Coffein-Lösung anzuwenden, weil durch erstere die Zellen leicht geschädigt werden. Wendet man 0,01proz. Lösung des Coffeins auf lebende Zellen mit gespeichertem aktivem Albumin an, so tritt, ohne Veränderung der Lebensfähigkeit, binnen Kurzem die erwähnte merkwürdige Reak- tion ein, die wohl in letzter Linie auf eine Wasserausstoßung aus dem im gequollenen Zustande befindlichen aktiven Albumin zurückzuführen ist. Bringt man die Zellen in reines Wasser zurück, so wird die Ver- änderung wieder aufgehoben. Coffein dringt also noch in 0,01 proz. Lösung binnen einigen Mi- nuten in soleher Menge in die lebende Zelle ein, dass genannte Reak- tion erfolgen kann. Von besonderem Interesse ist die Aufnahme der Nährstoffe selbst durch die Zellen. Dieselben werden in der Natur zweifellos oft in hoher Verdünnung dargeboten, und es soll hier untersucht werden, wie hochgradig die Verdünnung sein kann, ohne unwirksam zu werden. Maßgebend für die Ernährungsfähigkeit hoch verdünnter Lösungen dürften neben der spezifischen Natur der Stoffe, hauptsächlich zwei Umstände sei: 1. die Raschheit des Eindringens der Nährstoffe in die lebende Zelle, 2. die Verbrauchsgeschwindigkeit im Getriebe des lebenden 27° 49) Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. Protoplasmas. Eine hochgradige Verdünnung des Nährstoffes kann also auf zweierlei Weise zur Unwirksamkeit führen, durch zu lang- sames Eindringen und durch zu großen Bedarf der lebenden Zelle an dem betreffenden Nährstoff. Pflanzen, welche rasch wachsen und also viel verbrauchen, können darum in einer hochverdünuten Lösung des Nährstoffes nicht mehr fortkommen, während andere darin gedeihen. Was die Geschwindigkeit der Aufnahme in die Zelle anbelangt, so ist dieselbe in vielen Fällen eine sehr große, namentlich bei Zellen, welche Zeitlebens im Wasser sich befinden, davon umspült sind. Wie rasch selbst aus hoch verdünnten Lösungen, die nur 0,01°/, und weniger enthalten, die Stoffe durch Wasserpflanzen aufgenommen werden, davon zeugen schon die oben angeführten Beispiele. Nachstehend sollen noch weitere Beweise mit wirklichen Nährstoffen geliefert werden. Dass Zellen, welche Zeitlebens von Luft umspült sind, wie die Blattparenehymzellen der Landpflanzen schwieriger die Stoffe aus den wässerigen Auflösungen entnehmen, ist begreiflich. Darum wurde von Forsehern wie Böhm, A. Meyer, welche Zuckerlösungen durch Blatt- fleischzellen aufnehmen ließen, mit relativ starken Lösungen experi- mentiert, 5—-10proz. Lösungen. Ferner wurde hier die dem Eindringen hinderliche Epidermis (mit ihrer Cutieula) entfernt, d. h. die Blätter wurden in kleine Stücke zerschnitten, so dass die Lösung dureh die Schnittflächen eindringen konnte. Beim natürlichen Ernährungsvorgang freilich werden auch diesen luftumspülten Zellen viele Nährstoffe, wie Nitrate, in flüssiger (ge- löster) Form dargeboten; aber die Lösungen grenzen nicht direkt an diese Zellen an, sondern sind durch Protoplasma und Zellhaut der als Uebergang dienenden Gefäßbündelzellen davon getrennt. Bei Wasserpflanzen grenzt die Nährlösung vielfach direkt an die zu ernährende Zelle an. Auch ist hier eine durch Transpiration be- dingte allmähliche Konzentration ausgeschlossen. Besonders einfach liegen die Verhältnisse bei einzelligen Wasser- pflanzen, wie Diatomeen, oder solehen, die aus gleichartig gebildeten Zeilen bestehende Fäden darstellen, wie. Mesocarpus, Zygnema, Spiro- gyra etc. Hier können also die Grenzen der wirksamen Verdünnung von Nährstoffen am besten erforscht werden. Unter den Nährstoffen, welche in die Zellen nachweislich rasch auch noch bei großer Verdünnung eindringen, seien hier das Kali und Ammoniak erwähnt. Als freie Basen rufen sie eine ähnliere Veränderung im lebenden Zellinhalte hervor wie das Coffein. Ammoniak wird noch in der Verdünnung 1:100000 so rasch in lebende Spirogyrenzellen aufgenommen, dass dieselben binnen '/, Stunde deutliche Aggregationserscheinungen zeigen; der m. Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. 421 Plasmaschlauch und der Zellsaft wird trüb von ausgeschiedenen Körn- chen (Protosomen). Ammoniaklösung von 1:20000 wirkt ebenso nur noch rascher; Lösung 1:10000 bewirkt augenblicklich starke Körnehenbildung. Mit Kalilösung von der Verdünnung 1:20000 erhält man fast augenblicklich Körnehenbildung in lebenden Spirogyra- Zellen. Konzentrierte Kali- oder Ammoniaklösung rufte diese Erscheinung nicht hervor, weil hiemit die Zellen sogleich absterben und die Ag- gregation eine Lebensreaktion ist, d. h. nur an lebenden Zellen und an dem unveränderten aktiven Albumin erhalten werden kann. Das Eindringen der Nährstoffe Kali und Ammoniak geht also mit staunenswerter Geschwindigkeit vor sich, auch bei sehr hoher Ver- dünnung. Darnach wird es begreiflich, wie dieselben noch bei einer Verdünnung von 0,0003°/, ernährend auf Algen wirken können (siehe unten). Um zu sehen, bei welcher Verdünnung der mineralischen Nährstoffe die Algen, wie Mesocarpus und Spirogyra, noch ge- deihen, stellte ich mir Lösungen von Monokaliumphosphat + Magne- siumsulfat + Caleiumnitrat her, welche a) pro 100000 Teile Wasser nur 1 TI. Mineralsalz, b) pro 20000 Tl. Wasser, 1 Tl. Mineralsalz, c).pro 10000 Tl. Wasser, 1 Tl. Salz enthielten. Die Lösungen ent- hielten von der oben genannten Mischung die eben angegebenen Mengen, die Mischung enthielt Monokaliumphosphat, Magnesiumsulfat und Caleiumnitrat zu gleichen Teilen. Um also die enthaltene Menge der einzelnen Mineralstoffe zu finden, muss man noch durch 3 divi- dieren. Die Lösungen enthielten z. B. von Monokaliumphosphat: a) 1:300000, b) 1:60000, e) 1: 30000. 6 Versuche wurden im Ganzen aufgestellt. Die Lösungen betrugen je 3 Liter und befanden sich in größern Glasgefäßen, sog. Einmach- gläsern. In jedes Gefäß wurde eine kleine etwa 2 g (feucht gewogen) entsprechende Algenmenge gegeben; die Kulturen wurden ans Fenster gestellt und 3 Monate lang dort ruhig stehen gelassen. Die 3 ersten Gläser enthielten Spirogyren, die 3 folgenden Mesocarpus; das 1. und 4. Glas enthielten Lösuag 1:10000, das 2. und 5. 1:20000, das 3. und 6. 1: 100000. Bei allen 3 Versuchen ergab sich, dass die Verdünnung der minera- lischen Nährstoffe nieht zu weit getrieben war, um ernährend zu wirken. Die Spirogyrenfäden wuchsen, erfuhren neue Zellteilungen und verbrauchten allmählich die großen Stärkemengen (in Vers. 3. viel weniger als in 2..u. 1.), welche von Anfang an in ihnen aufgespeichert waren. Bei einem Kontrolversuch mit destilliertem Wasser blieben dieselben unverbraucht. Auch die Verdünnung der Mineralstoffe von 1:100000 war noch vollkommen ausreichend, um den Stiekstofi- Phosphor-, Kalium-, Magnesium, Caleium - Bedarf der wachsenden 422 Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. Spirogyren zu decken. Wenn man bedenkt, dass das Phosphat nur in dem Prozentsatz 0,00033 vorhanden war, desgleichen das Nitrat, so ist es wirklich erstaunlich, dass die Algen damit auskommen konnten. Man darf auch nicht etwa glauben, dass in den Pflanzen selbst ein genügender Vorrat von beiden vorhanden war. Denn dazu war die Versuchszeit von 3 Monaten zu lang und außerdem zeigten die Kontrol- Algen in destilliertem Wasser kein Wachstum, sie verkümmerten sichtlich. Die Alge Mesocarpus in Versuch 4, 5 u. 6 wies ähnliche Erschei- nungen auf. Bei allen dreien stellte sich Wachstum ein, bei 4. u. 5. viel mehr als bei 6.; es scheint, dass die Verdünnung der Mineral- salze, welche bei 6. herrschte, nicht mehr ausreichte, um ein rasches Wachstum zu ermöglichen. Auch waren die Mesocarpus-Zellen in Versuch 6 weit mehr mit Reservestoffen angefüllt wie die andern, es hatte kein so rascher (aber immerhin ein merklicher) Verbrauch statt- gefunden. Die in destilliertem Wasser stehen gebliebenen Mesocarpus- Fäden waren dieht angefüllt mit Körnchen und Tröpfehen von Reserve- material. Auch Mesocarpus kann also in so hoch verdünnten Mineral- stofflösungen noch ihren Bedarf an Phösphor, Kalium, Stickstoff ete. decken. Schon wenige Tage nach Aufstellung der 6 Versuche zeigte sich ein merkwürdiger Unterschied zwischen den Lösungen a, b u. ec. Die Lösungen a u. b ließen eine Bakterientrübung erkennen, die Lösungen € nicht! Bei Versuch 1 u. 2, ferner 4 u. 5 wurde also bald die Algen- vegetation gestört durch das Dazwischentreten einer Spaltpilzvegetation, welche sich an der Oberhiäche als Häutchen und innerhalb der Flüssig- keit als ziemlich starke Trübung zeigte. Die Algen bei Versuch 1 u. 2 litten ziemlich stark darunter, nach 3 Monaten war eine Anzahl der Spirogyra-Fäden abgestorben und gebleicht, manche waren noch lebend und grün, und geneigt, in kurze Stücke oder einzelne Zellen zu zer- fallen. Warum trat in 4 Fällen Spaltpilzvegetation auf, in den beiden andern (Versuch 3 und 6) nicht? Bei Versuch 1, 2, 4 u. 5 schied sich offenbar aus den Algenzellen etwas organische Substanz aus und ging in das Wasser, das zum Ver- suche diente, über. Diese geringe Menge organischer Substanz genügte um den Bakterien eine Entwicklung zu ermöglichen. Desgleichen ge- nügte auch die Mineralsalzmenge 0,01°/, und 0,005°,, um einigen Bakterien die zum Wachstum nötige Quantität Phos- phat, Nitrat etc. zu liefern. In Versuch 3 u. 6 trat jedenfalls auch annähernd ebenso viele organische Substanz aus den Algen (die in gleicher Menge, 28, überall zugesetzt waren) aus; allein die vorhandene Quantität Mineral- stoff, 0,001°,, reichte nicht aus, um den Bakterien Entwicklung Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. 493 zu gewähren. Bakterien haben einen größeren Mineralstoff- bedarf als Algen. Während letztere noch in Lösungen, welche 0,00033°/, KH,PO, und 0,00033/, MgSO, und 0,00033%, Ca(NO,), ent- halten, fortkommen, wachsen Bakterien in solehen Lösungen nicht, auch wenn genügend organische Substanz vorhanden ist. Sie haben eben ein viel rascheres Wachstum und aus einer so hoch verdünnten Lösung wie bei Versuch 3 u. 6 wird ihnen nicht so ‘viel Mineral- substanz zugeleitet, als sie zum raschen Wachstum und zur Neubildung von Zellen brauchen. Um das noch weiter zu erforschen, wurde eine Lösuug von so geringer Mineralstoffmenge, 0,001°/,, mit !/,proz. Pepton versetzt und stehen gelassen. Nach 6 Tagen war noch keine deutliche Bakterienvegetation in der Flüssigkeit aufgetreten, trotzdem eine so vorzügliche Kohlenstoff- und Stiekstoffquelle, das Pepton in reichlichem Maße geboten war. Als Mineralstoffe waren Dikaliumphosphat in der Menge 0,0005°%, und Magnesiumsulfat in der Menge 0,0005°/, angewandt worden. Dieselben vermögen also Fäulnispilze bei solcher Verdünnung nicht zu ernähren. Erhöht man den Prozentgehalt auf das gewöhnliche Maß, so tritt binnen 2 Tagen Fäulnis ein. Wie stark die Verdünnung der organischen Nährstoffe (Kohlenstoffnahrung) für Pilze sein dürfe, ohne wirkungslos zu werden, wurde von Verf. bei einigen Stoffen erprobt. - Formaldehyd ist zwar so giftig, dass er noch in großer Ver- dünnung die Pilzzellen schädigt. Wendet man aber neben Formaldehyd (als Kohlenstoffquelle) Salmiak als Stickstoffnahrung an, so kann man (in Folge von Hexamethylenaminbildung) mit Lösungen von 1:20000, 1:10000, ja sogar 1:5000 Pilzvegetation erhalten. Nach 8 Tagen tritt in allen 3 Fällen deutliche Bakterientrübung in der Nährlösung ein, welehe bei Lösung 1:5000 allmählich stärker wird und zu erheb- lichem Absatz von Bakterienmasse führt. Nach ©. Loew tritt in soleher salmiakhaltiger Lösung die Bildung von Hexamethylenamin ein, welch letzteres dann ernährt. Auffallend ist die starke Ver- dünnung, 1:20000, bei weleher die Ernährung noch gelingt. Eine Lösung, welehe weinsaures Ammoniak in der Verdünnung 1: 10000 als Kohlenstoffquelle enthält, wird bei 6wöchentlichem Stehen nicht trübe, auch nicht bei absichtlichem Zusatz von Spaltpilzen. Es ist also offenbar für die Entscheidung der Frage, bei welchem Verdünnungsgrad die organischen Nährstoffe unwirksam werden, nicht gleichgiltig, welche Stoffe in Betracht gezogen werden. Aethylaldehyd kann noch in der Verdünnung 0,019), d. i. 1:10000 manchen Bakterien als Kohlenstoffquelle dienen. So erhielt ich nach 9tägiger Versuchsdauer eine Spaltpilztrübung, als ich 0,01%, Aethylaldehyd als einzige Kohlenstoffquelle und außerdem die nötigen ’ 424 Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. Mineralstoffe als Nahrung darbot. Die Trübung wurde binnen weiteren 2 Tagen ziemlich stark. Auch Methylalkohol kann schon in 0,01prozentiger Lösung als Kohlenstoffquelle für Spaltpilze dienen. Nach 5tägiger Versuchs- dauer trat bei einem von mir aufgestellten Versuche schwache Bak- terientrübung ein, nach weiteren 8 Tagen ziemlich starker Ansatz von Spaltpilzen an der Oberfläche, besonders an der Glaswand des Ver- suchsgefäßes; die Bakterienbildung schritt aber dann nicht mehr fort, wahrscheinlich wegen zu starker Verdünnung der Lösung. Die Verdünnung 1:20000 dürfte wohl die äußerste Grenze sein, bei welcher manche organische Stoffe noch ernährend wirken. Mit noch höheren Verdünnungen konnte ich keine merkliche Pilzvegetation erhalten. Hier fließt die Kohlenstoffnahrung zu spärlich, als dass die Pilzzellen damit wachsen und sich vermehren könnten. Selbst der ausgezeichnete Nährstoff Pepton lässt bei sehr hohen Verdünnungen keine erhebliche Bakterienvegetation mehr aufkommen. Ich stellte 2 Versuche auf; die eine Nährflüssigkeit enthielt 0,01 proz. Pepton, die andere 0,002proz. Pepton; beiden wurde eine genügende Menge Dikaliumphosphat und Magnesiumsulfat (0,05%, zusammen) zu- gesetzt. Nach 6 Tagen war in der 0,01proz. Pepton enthaltenden Flüssigkeit eine deutliche Bakterientrübung und Fäulnisgeruch, aber kein Absatz, aufgetreten, in der Lösung mit 0,002°/, kaum eine schwache Opalescenz, kein Fäulnisgeruch. Die Gesamtmenge Pepton war aber in beiden Fällen nicht unbeträchtlich, denn es wurde je 1 Liter Flüssig- keit zu den Versuchen angewendet. Betrachten wir die Verdünnung, in welcher mineralische und andere Nährstoffe in den natürlichen Wässern auf- treten, so scheint dieselbe häufig den bei obenstehenden Versuchen angewandten Prozentsätzen ungefähr zu entsprechen; oder die Natur- wasser stellen konzentrierte Lösungen dar als die von mir angewandten. So enthält das Mainwasser pro 1 Liter: 21 mg organische Stoffe d.i. 0,0021 mg; SOmg Kalk d.i. 0,008°,; 23mg Magnesia d. i. 0,0028°/,; 3,2 mg Eisenoxyd und Thonerde d. i. 0,00032°%,; I mg Kali d. i. 0,0005°/,; 26 mg Natron d. i. 0,0026°/,; 54 mg Schwefel- säure d. i. 0,0054°/,; 2,9 mg Salpetersäure d. i. 0,00029°/,. (J. Koenig, Nahrungs- und Genussmittel, II, S. 1144.) Rheinwasser enthält (nach demselben Autor): 16,38 mg orga- nische Stoffe d. i. 0,00168°/,; 71 mg Kalk d. i. 0,0071°/,; 14,7 mg Magnesia d. i. 0,00147°/,; 1,8 mg Eisenoxyd und Thonerde d. i. 0,00018 %,; 42 mg Kali d.i. 0,00042°/,; 6,7 mg Natron d. i. 0,00067 9/0; 2,4 mg Schwefelsäure d. i. 0,00244%,; 6,2 mg Salpetersäure d. i. In der Donau wurden gefunden (im Sommer) pro 1 Liter: 4,2 mg organische Stoffe d. i. 0,00042°/,; 543 mg Kalk d. i. 0,00543 90; 12,8 mg Magnesia d. i. 0,00128%/,; 44 mg Eisenoxyd und Thon- Bokorny, Verdünnung von Nährstoffen bei Algen und Pilzen. 495 erde d.i, 0,00044°/,; 1,6 mg Kali d. i. 0,0016%,; 2,8 mg Natron d. i. 0,00028%/,; 10,6 mg Schwefelsäure d. i. 0,0016°,; 1,3 mg Salpeter- säure d. i. 0,00013°]g. Der Magnesia- und Kaligehalt ist in allen 3 Fällen höher als der bei meinen Versuchen 3 u. 6 angewendete, wo das Kaliumsalz nur 0,00033%/, betrug und ebenso das Magnesiumsalz. Das Wasser des atlantischen Ozeans zeigte bei einer Analyse (von F. Fischer) folgenden Gehalt pro 1 Liter: 2,7560 mg Chlor- natrium d. i. 2,756°),; 3330 mg Chlormagnesium d.i. 0,333'1,; 610 mg schwefelsaures Magnesium d. i. 0,061°/,; 1720 mg schwefelsaures Kalium d. i. 0,172°%/,; 2050 mg schwefelsaures Caleium d. i. 0,205°,; 330 mg Bromnatrium d. i. 0,033 %,. Der Kalium- und Magnesiumgehalt übersteigt also hier weit die von mir angewandten Mengen. Im Meerwasser ist soviel Kali und Magnesia enthalten, dass die für Bakterien nötige Menge weit überschritten wird. Im Flusswasser aber dürfte diese Menge oft nicht erreicht werden. Hingegen ist keines der erwähnten natürlichen Wasser so arm an Kali und Magnesia, dass nicht Algen darin wachsen könnten. Wenn in solehem Wasser auch Pilze stellenweise vorkommen, so liegt dies daran, dass durch das Absterben von Wasserpflanzen oder auch durch Einleiten von Abwassern die nötigen Kali- und Magnesiamengen zur Verfügung stehen. Ein für das Leben der Pilze und Algen unentbehrlicher Bestand- teil, die Phosphorsäure, ist in keiner der erwähnten Analysen auf- geführt. Ich finde nur bei Mineralwasseranalysen, z. B. der Fre- senius’schen Analyse des Kochbrunnens in Wiesbaden phosphorsaures Natrium mit 0,000052°/, aufgeführt. Es scheint also, dass dieser Be- standteil in unbestimmbar geringer Menge im Fluss- und Meerwasser enthalten ist. Trotzdem leben in demselben zahlreiche Algen und sonstige Wasserpflanzen! Die Phosphorsäure scheint also noch in viel geringeren Mengen als den bei obigen Versuchen des Verf. angewandten zur Ernährung der Algen ete. dienen zu können. Das langsame Wachs- tum vieler grüner Wasserpflanzen bedingt einen so langsamen Ver- brauch der Nährstoffe, dass auch die geringsten Mengen, wenn sie nur konstant vorhanden sind, schon ausreichen. „Die im Flusswasser kaum nachweisbaren Spuren von Phosphaten findet man reichlich in ihrer Asche und den Jod- und Bromgehalt des Meerwassers hat man auch erst entdeckt, als man die Asche der Meeresalgen untersuchte, in welcher sich die Spuren von Jod- und Bromsalzen, welche das Meerwasser enthält, so anhäufen“ (v. Petten- kofer, Zur Selbstreinigung der Flüsse. Arch.f. Hygiene, Bd. XII, 5.270). Wie gering die Quantitäten organischer Substanz in den Flusswassern sind, geht ebenfalls aus obigen Wasseranalysen hervor. 426 Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten, Dieselben reiehen nicht aus, um den so rasch wachsenden Bakterien und andern Pilzen, die ihre Trockensubstanz in wenigen Tagen ver- vielfachen, ein Fortkommen zu gewähren. Hingegen können Algen und andere Wasserpflanzen diese organische Nahrung verwerten, da sie langsam wachsen und außer dieser noch Kohlensäure assimilieren, die immer in großer Menge zur Verfügung steht. Faktisch wachsen Pilze bei verunreinigten Flüssen nur bis kurz unter der Einmündung der Siele in den Fluss, dann machen sie Algen und andern grünen Pflanzen Platz. [55] Ueber den Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. Von Dr. Lazar Car in Agram. Das höchst eigentümliche Gleiten unserer im Wasser lebenden Pulmonaten an der Oberfläche des Wassers, mit nach abwärts ge- kehrtem Gehäuse mittels ihres breiten Fußes, wie man es am besten in einem Aquarium beobachten kann, hat schon unzählige Naturfreunde in das größte Staunen versetzt. Dieses Phänomen frappiert erstens dadurch, dass man die sonst am Grunde oder an anderen festen Unter- lagen zu sehen gewohnten Schnecken knapp unter dem Wasserspiegel bemerkt, zweitens dass sie in umgekehrfer Lage die Schale nach unten, den Fuß nach oben sich befinden, drittens dass sie sich die Oberfläche des Wassers, also die Grenze zwischen Wasser und Luft, zur Unterlage erkoren haben, und dass sie schließlich an dieser äthe- rischen Unterlage überhaupt Stützpunkte finden können, welche sie für ihr Fortkommen benötigen. Ferner birgt das eigentümliche Vor- wärtskommen, mittels der ausgebreiteten Fußsohle der Schnecken über- haupt schon etwas Rätselhaftes in sich. Es mag sein, dass unsere eigene Bewegungsart und die anderer höherer, uns näher stehender Tiere mittels des Hebelapparates, uns die Lokomotion der Schnecken schon etwas fremdartiger erscheinen lässt. Aber wenn wir bei der sich vorwärts bewegenden Schnecke an ihrem Fuße doch irgendwelche merklichen Biegungen wahrnehmen könnten, würde uns das weniger überraschen. Doch die ausgebreitete und geebnete Sohle des Schnecken- fußes behält ihre Form und Konturen und fließt nur nach vorwärts als ein Ganzes, wie wenn sie von einem Magnet angezogen wäre. Ohne Zweifel müssen da ganz eigentümliche Vorrichtungen herrschen und ein ganz besonderer Mechanismus der lokomotorischen Organe vorliegen. Dass sich schon Viele an die Erklärung dieses Rätsels herangewagt haben, davon konnte ich mich leicht an der Litteratur überzeugen. Blainville [1] äußerte sich darüber folgendermaßen: „Les c&phales terrestres rampent A l’aide de leur pied. Pendant leur progression, il s’opere un mouvement ondulatoire entre la partie posterieure et la Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. 427 partie anterieure de cet organe. Ce genre de reptation ressemble nullement & celui des Reptiles; e’est plutöt un glissement du disque abdominal produit par des ondulations extremement fines de tous les petits faisceaux longitudinaux qui compesent cet empatement“. Quatrefages [2] ist der Meinung, „dass die Voranbewegung der Weichtiere an der Oberfläche des Wassers und mit dem Fuß an der Luft nieht durch eigentümliche Bewegungen des Fußes geschehen könne, sondern der Thätigkeit der Flimmerhaare zuzuschreiben sei, welche den ganzen Körper und insbesondere auch dessen Sohle be- decken“. In späterer Zeit befasste sich viel mit den Bewegungen der Land- schnecken Dr. Heinrich Simroth |9]. Er publizierte mehrere Ab- handlungen über diesen Gegenstand. Aus seiner Arbeit „Ueber die Bewegung und das Bewegungsorgan des Cyclostoma elegans und der einheimischen Schnecken überhaupt“ entnehme ich folgendes: Simroth widerspricht der Annahme von Moquin-Tandon, wo- nach die Sohlenbiegungen und die Beihilfe des Schwanzes, der Fühler, der Lippenwülste als Ruderapparate in Anspruch genommen werden. Moquin-Tandon sagt: „Pour se diriger dans l’eau, les Gasteropodes se servent habilement des bords plus on moins dilates de leur disque, de leur quene et m&me de leur chaperon. Lister fait observer que les tentacules elarges, minces et membraneux de la Limnee stagnale sont, pour se Mollusque, pendant ses divers mouvements, comme des especes de nageoires. On pourrait peut-&tre en dire autant des cornes tres allongees des Planorbes et des Physes“. „Alle diese Organe, mit Ausnahme der Sohle — sagt Simroth — sind für die Lokomotion völlig nutzlos und einfach zu streichen; denn einerseits geschieht ihre Bewegung zu ganz anderen Zwecken, die ihrer eigentlichen Natur an- gemessen sind, andererseits leisten sie nichts zur Beantwortung der Frage: warum schwimmt ein Tier vom spezifischen Gewichte des Wassers nie mitten durch die Flüssigkeit, sondern warum kriecht es stets an der Oberfläche, „sur la lame d’air en contact avec la surface de ’eau? (Duges)“. Sehr beachtenswert ist die Entdeckung von Simroth, dass das Gleiten des umgekehrten Fußes nicht direkt an der Grenze zwischen Wasser und Luft geschieht, sondern dass hier eine ausnehmend feine Schleimhaut vom Fuße abgesondert wird. Diese Schleimhaut ist die Lamelle zwischen Wasser und Luft, wie er sich ausdrückt. Man be- merkt sie nach Simroth nur bei sehr günstigem Lichtreflex. Sie soll leichter als Wasser ‚sein und mischt sich mit diesem nicht im geringsten. In der That erinnere ich mich, dass ich nicht selten beobachten, und mich darüber nicht genug wundern konnte, dass beim trichter- artigen Einziehen der unteren, jetzt nach oben gekehrten Oberfläche der Fußsohle, das Wasser nicht in die Vertiefung eindringt. Nach 428 Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. Simroth scheiden die Schleimdrüsen der Fußsobhle dieses feine Band aus, welches beim Gleiten zurückgelassen wird, also sich in der That als ein langes Band am zurückgelegten Wege hinzieht. Es haftet nicht wie ein anderer Schleim an der Sohle fest, es dient ihr nur zur Unter- lage. Wenn sich also die Sohle stellenweise vertieft, so zieht sie sich von ihr erzeugten Unterlage weg. Die trichterartige Vertiefung ist also ein leerer Raum, unten durch die Sohle, oben durch das schlei- mige Band begrenzt. Deshalb fließt in den Trichter kein Wasser; deshalb gleiten die Schnecken mit gleicher Geschwindigkeit an der Oberfläche des Wassers wie am Glase, weil die Unterlage, unter solehen Umständen und dadurch auch die Reibung stets dieselbe bleibt. Warum scheidet aber die Fußsohle dieses schleimige Band nicht auch mitten in der Flüssigkeit ab, sondern stets nur an begrenzten Flächen, seien sie die Seitenwände des Bassins, oder die im Wasser sich befindenden Pflanzen ete. oder die Oberfläche des Wassers? Darüber sagt Simroth nichts. Vielleieht ist ein gewisser Grad von Dichtig- keit des Mediums dazu doch nötig, und die Flüssigkeitshaut ist gerade noch so dicht, um dies zu ermöglichen, trägt also indirekt doch etwas dazu bei. Ich erinnere an einen analogen Prozess. Wenn man näm- lich einen Gegenstand in flüssiges Wachs eintaucht und ihn wieder herauszieht, so erhält er einen Belag von Wachs, und zwar geschieht das auch in dem Falle, wenn der eingetauchte Gegenstand nicht kälter ist als das geschmolzene Wachs. An den Flächen eines diehteren Körpers haftet das Wachs bekanntlich in Folge der Adhäsion. Das- selbe geschieht also auch hier. Die Schleimlamelle muss daher unter- halb der Flüssigkeitshaut liegen; ist also nicht zwischen Wasser und Luft, wie sich Simroth ausspricht, sondern unter der Flüssigkeits- membran. Buchner [16] teilt eine nachträglich gemachte Bemerkung von Simroth mit, wonach die kleinen Limnaeen auf einem Schleimbande auch mitten durch das Wasser mit nach oben gewendeter Schale kriechen können. Das kann ich nicht bestreiten, aber nachdem ich es selbst nie beobachtete, und auch Simroth, welcher sich doch so viel mit den Schnecken befasste, nicht früher bemerkte, muss ich daraus schon schließen, dass es doch äußerst selten und vielleicht nur unter besonderen Umständen geschieht. Bevor ich jedoeh auf den Mechanismus dieser eigenartigen glei. tenden Lokomotion der Pulmonaten selbst übergehe, will ich zuvor die Hypothesen anderer mitteilen. Nach Simroth ist die eigentlich bewegende Kraft das Wellen- spiel: die Verlängerung der Fußsohle durch lokomotorische Wellen vorn und die Verkürzung durch den Retraktor hinten. Die Hauptrolle spielt die Verlängerung der Sohle, erzeugt durch die Extension von Längsmuskelfasern. Auch Maria Gräfin v. Linden [17], welche er Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. 499 die Arbeiten von Simroth nicht zitiert, kommt zum folgenden Schlusse: „Die kleinen wellenförmigen Bewegungen auf dessen Sohle genügen um eine Ortsveränderung hervorzubringen; als Steuer dienen hierbei Kopf und Fühler“. Wie die Extension durch eine besondere Auslösung des Muskelreizes zu Stande kommt, darauf werden wir noch zurückkommen. Dem gegenüber vertritt Sochaczewer [ll] eine ganz andere Ansicht. Er sucht im Schwellgewebe des Fußes das bewegende Agens. „Im Gegensatz zu Simroth — sagt dieser Autor — möchte ich an- nehmen, dass das durchweg kavernöse Gewebe des Fußes nicht bloß zur Unterstützung der sog. extensilen Fasern dient, sondern dass es hauptsächlich die Lokomotion bewirkt. Die Fasern selbst werden durch. .die einströmende Flüssigkeit gedehnt und wirken erst nach reflektorischen Anreiz treibend auf die die Maschen anschwellende Blutmenge. Die Wellen, welche über die Sohlenfläche gleiten, könnten dann wohl den Ausdruck der durch periodisch ausgelöste Muskel- thätigkeit erzeugten Strömung sein“. Simroth gelang es in seiner oben zitierten Arbeit diese von Sochaezewer vorgetragene Ansicht vollständig zu widerlegen. Da es also Simroth schon ausführlich gethan hat, will ich weder seine Argumente von Neuem zitieren, noch mich überhaupt in diese Hypo- these der Erklärung des Gleitens mittels des Schwellgewebes weiter einlassen. Es erübrigt uns also wohl nur die Simroth’sche Hypo- these der Extension. Simroth kommt zum ganz richtigem Schlusse, dass die Lokp- motion der Schnecken nicht auf einem Schwellgewebe des Fußes, sondern dass sie nur auf der Extension von Längsmuskelfasern beruht. Wenn ich ihm aber bisher gerne gefolgt bin, so gehen von jetzt an unsere Wege auseinander. Simroth setzt sich über den schwierigsten Punkt der ganzen Frage so hinweg, dass er die Längsfasern.durch die Myosingerinnung ausdehnen lässt. Durch die Gerinnung soll eine feste Scheibe ent- stehen, die sich hinten beständig löst, während sie vorn um die gleiche Myosinmenge wächst. Dass dies aber, wenigstens für die Zimnaea nicht nur nicht notwendig, sondern auch unwahrscheinlich ist, will ich hier versuchen zu zeigen, indem ich eine andere, einfachere und gewiss auch plausiblere Hypothese vortrage. Meine Methode der Untersuchung bestand erstens in der Beobach- tung, soweit man überhaupt aus der Art der Bewegung irgendwelche Schlüsse auf. den Mechanismus der Bewegung ziehen kann, und zwei- tens fertigte ich mir Schnittserien an, damit ich durch die Einsicht in die Muskelanordnung im Fuße weitere Behelfe für meine Vermutungen gewinnen konnte. Vorerst wollen wir uns das Organ für die Bewegung, den Fuß der Schnecken überhaupt, genau besichtigen, um in seine Struktur 430 Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. besser eindringen zu können. Aus der Litteratur will ich nur Einiges anführen. In Bronn’s [3] „Klassen und Ordnungen (dritten Bandes zweite Abteilung, Weichtiere von W. Keferstein)“ finde ich in Bezug auf die Histologie des Fußes der Vorderkiemer Folgendes: „Die eigent- liche Substanz des Fußes wird aus Muskelbündeln gebildet, die der Hauptsache nach parallel der Sohle verlaufen, aber von vielen Muskel- bündeln durchsetzt werden, die senkrecht zur Sohle oder schräg dazu stehen, so dass fast in allen Richtungen Bündeln vorhanden sind“.... „Der Fuß ist das Fortbewegungsorgan der Schnecken, vorn dehnt er sich aus, hinten bleibt er haften und während so Kontraktionen wellen- artig an der Sohle ablaufen, kriecht langsam das Tier fort“,.... Weiter im Kapitel über die Lebensweise (2. Bewegung) heißt es: „Das Kriechen geschieht durch die Bewegungen des Fußes, dessen Bau wir oben schon genau besprochen haben. Die Muskeln in der platten Fußsohle ziehen besonders in der Längsrichtung, andere aber auch von oben nach unten, und noch andere wieder schräg, so dass fast wie die Zunge des Menschen der Schneckenfuß der mannigfachsten Bewegung fähig ist. Wenn eine Schnecke an einem Glase in die Höhe kriecht, kann man leicht durch die Glaswand hindurch sehen, welche Bewegungen der Fuß dabei vollbringt. Man bemerkt, dass wellen- förmig über die ganze Breite des Fußes reichende Kontraktionen an ihm entlang laufen und dass dadurch wie auf kleinen Walzen die Schnecke ständig fortgeschoben wird“. Ueber den Fuß der Lungenschnecken heißt es wieder wörtlich: „Der Fuß besteht so fast durchweg aus Muskeln und zwar zum über- wiegenden Teile aus Längsmuskeln, überall findet man aber auch senk- recht dazwischen verlaufende Züge und auch diagonale Fasern“. Da ich noch A. Lang’s vergleichende Anatomie, dritte Abteilung, Mollusca, und durch ihn L. Plate [14] zu Rate gezogen habe, konnte ich die oben angeführten Befunde bezüglich der Histologie der Haut und des Fußes, durch meine eigenen Schnitte im Wesentlichen nur be- stätigen. Eine erschöpfende Ausbeute der Litteratur für so spezielle Zwecke ist heute wirklich schon fast zur Unmöglichkeit geworden, und ist übrigens, wenigstens meiner Meinung nach, das zu tiefe Ein- dringen in die Arbeiten und Ansichten anderer ein Hemmnis für das Auftauchen neuer Ideen. Ich wählte zur eigenen Beobachtung kleine Limnaeen, damit ich eventuell Schnitte durch den ganzen Fuß erhalten konnte. Die Species habe ich leider nicht bestimmt. Die Schnittserien sind in sagitaler, frontaler, wie auch in transversaler Richtung ausgeführt worden. Die vorläufige Stückfärbung diente mir nur zum leichteren Orientieren beim Einbetten in Paraffin. Später musste ich die Schnitte, da der Farb- stoff nicht tief genug eingedrungen ist und die Schnitte zu blass waren, Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. 431 noch nachträglich als solehe in Boraxkarmin färben. Zum Schneiden bediente ich mich des Spengel’schen Mikrotomes. Die aus den Sehnitten gewonnene Histologie des Fußes ist kurz- gefasst folgende: Die ganze Oberfläche des Fußes ist mit einem zylindrischen flim- mernden Epithel bedeckt!). Die Epithelzellen sind an ihrer Basis zer- fasert, wohl in Folge des Mangels einer Stützlamelle. Dass die basalen Fortsätze das Epithel mit dem darunter liegenden Gewebe zu verbinden haben, scheint mir schon aus dem Umstande bewiesen zu sein, weil die Verbindung ja ohnehin so schwach ist, dass trotz dieser Zerfaserung sich das Epithel bei der Schrumpfung in Alkohol so leicht stellenweise loslöst. Dass aber für das Normalleben der Limnaeen diese Verbindung genügt, lässt sich wieder dadurch erklären, dass dieselben als Wasser- tiere vom spezifischen Gewichte des Wassers einer größeren Zerrung nie ausgesetzt sind, wofür ja übrigens auch ihre von ihnen selbst ge- bildete, stets glatte Unterlage noch Sorge trägt. Das direkt unter dem Epithel liegende Gewebe die sog. Cutis oder Drüsenschicht, ist etwas dichter als die tiefer gelegene Gewebe- Muskelschicht. Die Zellen in der Cutis sind rundlich und fest zu- sammengepresst; sie bilden ein dichtes parenchymatisches Gewebe. Die Konturen der einzelnen Zellen sind schwer zu unterscheiden, doch die zusammengedrängten intensiver gefärbten Kerne lassen auf ihre diehte Anhäufung schließen. Zwischen ihnen sind auch einzelne Drüsen- zellen zu sehen. Fig. 1. Fig. 1: Sagittaler Längsschnitt durch den ganzen Fuß von Limnaea, halb- schematisch. Die einzelligen Drüsen sind groß, ihr Inhalt, wohl Schleim, ist sehr schwach gefärbt und erweist sich erst bei stärksten Vergrößerungen als sehr fein granuliert. Einzelne Drüsen sind so groß, dass ich sie durch ganze Serien von Schnitten verfolgen konnte. Solehe Drüsen- 1) Die Aufgabe der Bewimperung bestände nach Wood-Mason [4] m der Verteilung des Schleimes auf der Fußoberfläche. 432 Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. zellen gibt es nicht viele, auch sind sie nur an die Sohle beschränkt. Sehr viele ovale Lücken, nahe der Sohle, haben sich mir später nicht als Kavernositäten, sondern als ausgeleerte Drüsenzellen ergeben. Das Epithel ist nieht pigmentiert. Die verästelten Pigmentzellen des Bindegewebes kommen äußerst zerstreut in der Drüsenschicht, unter dem Epithel vor; dringen nie tief, bilden also nur eine ober- flächliehe Lage. Sie sind auf die Cutis beschränkt. Die Lücken im Fuße, welche das Schwellgewebe oder die Kaver- nosität des Fußes ausmachen, sind ziemlich reichlich vorhanden, wie man das aus der Abbildung (Fig. 1) am besten ersieht. Kalkkörperchen kommen sehr viele vor, und sind besonders ver- treten in dem zentralen Bindegewebe — in der Muskelschicht. Sie sind sehr leicht durch ihre konzentrische Struktur erkennbar. Die Muskelfasern, welehe mich hauptsächlich interessierten, sind lang, fadenförmig, nicht bandförmig, höchstens am Querschnitt oval; zeigen ein stärkeres Lichtbrechungsvermögen, bilden selten Bündel, oder diese sind wenigstens nur aus wenigen Fasern zusammengesetzt. In diekeren Fasern sieht man hie und da auch eine längsgestreifte Struktur, auch sind in solchen ab und zu im der Axe äußerst kleine stark lichtbreehende Körner eingesprengt, vielleicht die letzten Reste der Kerne. Die Anordnung ist nicht wiederzugeben. Die Muskelfasern kreuzen sich in allen möglichen Richtungen, sind ganz wirr in dem zentralen Bindegewebe zerstreut. Von einer Schicht von Längsmuskel- fasern kann man kaum reden. Man sieht zwar stellenweise parallel der Längsoberfläche des Fußes Muskelfasern und auch ganze Bündel, doch eine zusammenhängende Schicht kommt auf einem Schnitt nicht zu Stande. Die dorsoventralen Fasern heben sich noch am meisten als solche hervor, namentlich an der Basis des Fußes, von wo sie sich radiär in den Fuß ausbreiten — Retraktor. Es fehlt jedoch auch nicht an Diagonalfasern und quergestellten, welche letztere man natür- lich nur als Punkte auf einen sagittalen Längsschnitt wahrnimmt. Diese Punkte kann man aber ohne sehwerer Mühe von den Kernen der rundlichen Bindegewebszellen, welche auch in dieser zentralen Partie — der Muskellage -- vorkommen, unterscheiden. Ihre Dicke entspricht dem Durchmesser der nebenstehenden längsgeordneten Fasern, und sie zeigen auch dasselbe Lichtbrechungsvermögen wie diese. Ueber die Innervierung der Muskelfasern kann ich nichts berichten. Nach Malepa [5] scheint an eine jede Muskelfaser eine Nervenfibrille zu treten (wenigstens bei den Stylomatophoren). Eins muss ich aber besonders hervorheben. Wenn man auch auf den Schnitten meistenteils nur abgeschnittene Enden von Fasern be- merkt, so kann man doch nach einigen Suchen auch die unversehrten Enden auffinden, die dann ganz klar zeigen, dass die Faser ohne weiteres spitz endigt. ‚Auch einen Zusammenhang der Muskelfasern Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. 455 mit dem Epithel konnte ich nicht konstatieren, wie es z. B. Plate auf dem Schnitt durch die Haut von Dandebardia rufa angibt. Hier wirft sich uns aber die Frage auf: wie kann dann eine Faser auf das umliegende Medium — das Bindegewebe — wirken und es zusammenziehen, wenp sie mit demselben dureh nichts, und selbst an den Enden nieht, verbunden ist. Ich wage dafür eine Er- klärung abzugeben. Sehr kleine Körper haben bekanntlich im Ver- hältnis eine sehr große Oberfläche. Je größer die Oberfläche, um so größer die Adhäsion. Das umliegende Medium haftet also vermöge der Adhäsion an der Muskelfaser. Zieht sich die letztere durch Kon- traktion zusammen, so nimmt es das ihr anhaftende Gewebe mit; wenn sich gar aber viele Fasern in einer Richtung zusammenziehen, so wird es noch klarer, dass sich dann auch das dazwischen gelegene Binde- gewebe passiv zusammenziehen muss. Freilich, wenn das Medium zu wenig dicht, fast ganz wässerig ist, so muss auch für eine bessere Verbindung mit demselben Sorge getragen werden. Und in der That sehen wir z. B. die mesenchymatösen Muskelzellen im Gallertgewebe der Ctenophoren an beiden Enden zierlich verästelt. Durch die Ver- ästelung wird die Oberfläche vergrößert, und dadurch auch die Ad- häsion. Bei den Schnecken ist das. aber, wie wir sehen, nicht not- wendig. Nachdem wir uns so alle Elemente, deren wir für die Erklärung des Mechanismus der Pulmonaten-Lokomotion bedürfen, angesehen haben, wollen wir nun an unsere eigentliche physiologische Aufgabe herantreten. Simroth hat die Längsmuskeln, als die eigentlich lokomotorischen angesprochen. Dem stimme ich auch zu, wenn ich auch nicht zugeben kann, dass sie allein das Vorwärtskommen der Limnaea bewirken. Es gibt im Fuße auch sehr viele dorsoventral verlaufende Fasern. Dass sie, besonders an der Basis des Fußes, wo sie in den Retraktor übergehen, das Einziehen des Fußes in die Schale besorgen, steht fest. Doch es gibt auch sehr viele isoliert dastehende Muskelfasern, welche über die ganze Sohle in dorsoventraler Richtung hinziehen. Diese können erstens nur im Zusammenhang mit der Lokomotion ihre Er- klärung finden, und zweitens kann die Lokomotion durch Längsmuskel- fasern allein ohne Mithilfe der dorsoventralen Fasern nicht leicht ver- standen werden, wenigstens nicht ohne die sehr problematischen Ge- rinnungen des Myosins zu Hilfe zu nehmen, wozu sich Simroth ver- anlasst gesehen hatte. Dagegen stelle ich folgende Theorie auf, welche durch die kom- binierte Wirkung der Längsmuskelfasern und der dorsoventralen die Lokomotion, wie ich glaube, einfach genug erklärt. Die Figuren 2—13 sollen veranschaulichen die Bewegungen der Sohle, wie sie sich auf einem idealen sagittalen Längsschnitte ergeben. XV. 28 434 Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonäten. Der Punkt e markiert den hinteren Rand der Sohle. Wir können unsere Beobachtung auf die hintere Strecke, wo die Bewegung an- greift, beschränken. Die Kontraktion der dorsoventralen Muskelfasern beginnt am hin- teren Rande und schreitet allmählich nach vorwärts. Fig. 3. Fig. A. l ' l j ı ' j ı \ I { \ ö ! ' - ) : ' ' j KERN I ı \ ı ; > | ER Be 7 r 18. 2. L L i : t i R ’ U 1 Fig. 7. e Fig. 2. In einem gewissen Momente ist in einer Querlinie 5, nahe dem hinteren Rande, die Sohle durch die Kontraktion der dorsoven- tralen Muskelfasern gehoben — der Adhäsion entrückt. Der Rand c berührt nur noch in einer Linie die Unterlage. Jetzt beginnt die Kon- traktion der longitudinalen Muskelfasern zwischen ce und db. Die Ver- bindung mit der Unterlage durch die Adhäsion wird bei e gleich 0. Durch das Anziehen nach oben wird bei 5 ein fester Punkt geschaffen; c wird daher näher zu 5 angezogen. Fig. 3. Fig. 4. Die Kontraktion der dorsoventralen Muskelfasern schreitet von b gegen a zu. Auf jedem Punkt zwischen 5 und a wirken aber zwei Kräfte: eine nach oben durch die Kontraktion der dorsoventralen Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. 435 Muskelfasern, und eine nach vorwärts. Diese Kraft nach vorwärts wird auf folgende Art zu Stande gebracht. Die Kontraktion der longitudinalen Muskelfasern geht von der Strecke c—b auf 5—a über. Zu gleicher Zeit wenn 5a kontrahiert wird, wird die Streeke c—b relaxiert. Da jedoch zugleich die Kon- traktion der dorsoventralen Muskelfasern nach vorn fortschreitet, wer- den die Punkte von 5 nach « immer mehr gehoben; bei « löst sich dadurch die Verbindung mit der Unterlage, ce wird aber dureh die gleichzeitige Relaxation der dorsoventralen Muskelfasern gesenkt, die Adhäsion wirkt hier immer stärker, der Punkt e wird immer fester. Die dureh die Relaxation erzeugte Verlängerung der Strecke c—d kann sieh daher nur nach vorn geltend machen, wo sie als ein Nachschub wirkt. —> ee > <= P77 28 Fig. 10. D 1 I vl ı D Fig. 12. „. nn nun = -|- neun no = ,nnnn nn | nn on nme tu nn nn nun nn Wir wollen jetzt speziell einen Punkt, etwa in der Mitte zwischen b und a näher ins Auge fassen. Dieser Punkt m muss, nachdem ihn eine Kraft nach oben zieht, die andere nach vorn, jedenfalls eine Riehtung in der Resultante dieser beiden Kräfte, also nach vorn oben einschlagen. Nachdem also der Punkt m durch das Anziehen der 28* 436 Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. dorsoventralen Muskelfasern die höchste Stelle erreicht hat, ist er zu- gleich etwas nach vorn gerückt. Die Strecke c—b fangt zugleich von c an sich zu senken. Fig. 5. Jetzt geht es so weiter, wie Fig. 6 zeigt. Der Bogen, in welchem m die höchste Stelle einnimmt, bleibt auch nicht stationär. _ Die Kon- traktion der dorsoventralen Muskelfasern schreitet immer mehr nach vorn bis a und auch schon über a. Vorn werden stets neue Strecken sehoben, und in demselben Maße die hinteren gesenkt. Schließlich rückt auch «@ zur höchsten Stelle, und zwar zu gleicher Zeit, aus den früher erwähnten Gründen etwas nach vorn. Die Strecke 5—a wird wieder relaxiert, schiebt von rückwärts nach vorn alle Punkte der Reihe nach zwischen a« und d‘, d. h. es wird durch die gleichzeitige Kontraktion der longitudinalen Muskelfasern die nach vorn ziehende Komponente erzeugt. In der Fig. 7 zeigt uns jetzt der Bogen d' a b mittels der nach oben vertikal gezogenen Linien, dass jetzt nicht nur der Punkt ce son- dern auch a eine, wenn auch nur kleine Strecke Weges zurücklegte. Die Fig. 9 erklärt uns die weiteren Veränderungen der Phase, welche in Fig. 7 dargestellt ist, die aber wieder natürlich nur analog den oben erwähnten vor sich gehen. Und so kommen wir zur Position Fig. 10. In der Fig. 11 hat sieh nun auch schon d° zur höchsten Stelle erhoben und die vordere Strecke wird bis an c‘ der Adhäsion entrückt. Nun hat sich schon « wieder bis zur Unterlage gesenkt, und so ist eine vollständige Welle gebildet worden. | Ehe aber dies noch ganz zu Ende geführt worden ist, und wenn die erste Wellenbewegung noch lange nicht den vorderen Rand der Sohle erreicht hat, beginnt schon von hinten, von c an, eine zweite Welle sieh zu bilden. Und so geht dieses Wellenspiel ohne Unter- breehung weiter vor sich, so lange die Schnecke auf der Unterlage vorwärts gleitet. Die schönen Resultate der Simroth’schen Untersuchungen er- geben übrigens ein vorzügliches Material zur Bekräftigung meiner An- nahme. Er sagt an einer Stelle ganz richtig: „Nachdem, was hier über das Kriechen der Wasserschnecken am Glase gesagt wurde, dürfte man schwerlich hoffen, den Mechanismus, der sie treibt, zu ergründen (— und die Prosobranchier, wenigstens Paludina, bilden entschieden den allerungünstigsten Ausgangspunkt für die Untersuchung —), wenn nicht die Branchiopneusten auch die bekannte Fähigkeit hätten, in umgekehrter Lage, den Fuß nach oben, an der Wasseroberfläche hin- zugleiten er; „Wir haben nicht die breiten Bänder, welche bei Helix quer die Sohlenbreite überfluten, sondern eine Menge klei- ner, ungeordneter Wellen, von geringer Breite und Länge, die aber in nieht weniger regelmäßigem Verlaufe von Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. 43 hinten nach vorn über die Sohle ziehen, sie hier verlän- gernd und verbreiternd“, Das stimmt mit dem Bilde, welches die longitudinalen Muskelfasern auf meinen sagittalen Längsschnitten ergeben, vollkommen überein. Hätten wir eine zusammenhängende Längsschiehte der longitudinalen Muskulatur, so müsste man diese am sagittalen Längsschnitte irgendwo sehen; dann könnten auch die Wellen in regelmäßigen Querzügen durch die ganze Breite der Sohle ziehen. Das geschieht aber bei Limnaea nicht, sondern es ist „eineMenge kleiner ungeordneter Wellen“. Die Wellen pflanzen sich von hinten nach vorn, aber nicht in geraden Linien, sondern in verästelnden und gekrümmten, je nach- dem sie schon longitudinale Züge von Muskelfasern antreffen. Das ist dann aber eben die Ursache, dass die Wellen nicht klar genug als solche auftreten, und in Folge dessen ist, wie auch Simroth an einer Stelle sagt: „die eigentlich bewegende Kraft, das Wellenspiel, von den ‚ früheren Beobachtern als der am wenigsten hervortretende Faktor übersehen worden“. In der That hat man bei der Be- obaehtung ein Empfinden wie bei einem Wellenspiel, aber da man nicht gewohnt ist, Wellen in solcher Art sich fortpflanzen zu sehen, wie die beistehende Fig. 14 anzeigt, Fig. 14. so.lässt man von dieser, sich momentan Aue aufdrängenden Vermutung gleich wie- _ > der ab. Au Er — a Also einzig und allein in der Er- =— klärung, wie die Extension der Längs ET, muskelfasern zu Stande kommt, ergibt ee sich eine Differenz zwischen Simroth und mir. Ich sche mich nämlich er gr . c — veranlasst seine Gerinnungshypothese a — W aufzu- TER: geben, und zu einer neuen Hypothese m zu greifen, welche die Extension, und — dadurch das Vorwärtskommen der Längsmuskelfasern, und durch sie wiederum der ganzen Fußsohle, dureh eine eigentümliche Kombination der von hinten ach vorn ziehende Kontraktion und Relaxation der le und dorsoventralen Muskelfasern erklärt. Meine direkte Untersuchung beschränkte sich bloß auf Limnaea; außer ihr gibt es jedoch noch eine ganze Anzahl der Sub schneeken, welche auch befähigt sind an der Wasseroberfläche zu schwimmen, und zwar alle die Schale nach unten, den Fuß nach oben. Brockmaier [13] führt als solche folgende Species an: Paludinellen, Anecylus flwiatilis, Physa fontinalis, Limnaea stagnalis, L. auricularia und Planorbis corneus. Das sind aber gewiss noch nicht alle. ADD +9C Car, Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten. Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, das Gleiten der Schnecken bloß an der Oberfläche des Wassers zu erklären, doch komme ich Jetzt zur Ueberzeugung, dass auch der Mechanismus des Gleitens an irgend einer anderen Unterlage stets derselbe sein muss, was ja schon aus der oben erwähnten Schleimhaut hervorgeht. 11] Litteratur. Moquin-Tandon, Les Mollusques terrestres et flwviatiles de France, Tom. I, p. 160, Paris 1855. Johnston, An introduction to Conchologie, London 1850. Deutsche Uebersetzung von Bronn: Einleitung in die Conchyliologie, Stutt- gart 1853, nach Brockmaier [13]. Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs, Bd. III, Malacozoa, 2. Abteilung, Leipzig und Heidelberg, 1862—1866. Wood-Mason, Foot of certain terrestrial Gastropoda. Proc. Asiat. Soc. Bengal 1881, nach Referat. Nalepa, Beiträge zur Anatomie der Stylomatophoren. Sitzungsber. d. Akad. in Wien, 87. Bd., 1882. Simroth H., Die Thätigkeit der willkürlichen Muskulatur unserer Landschnecken. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXX, Suppl. Derselbe, Die Bewegung unserer Landsehnecken, hauptsächlich er- örtert an der Sohle des Limax cinereogaster. Zeitschr. f. wiss. Zvol,, Bd. RRRV. ON Derselbe, Ueber die Bewegung der Weichtiere. Zeitschr. f. 4. ges. Naturw., 1880 Derselbe, Ueber die Bewegung und das Bewegungsorgan des Üyeclo- stoma elegans und der einheimischen Schnecken überhaupt. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXXVI. Derselbe, Ueber das Gleiten der Schnecken an der Oberfläche des Wassers (Schwimmen). Nachrichtsbl. d. deutsch. malakozoologischen Gesellschaft, XIX. Jahrg., Fraifkfurt a. M. 1837. Sochaezewer, Das Riechorgan der Pulmonaten, Zeitschr. f. wiss. Zool., XXV. Kalide G., Beitrag zur Kenntnis der Muskulatur der Heteropoden und Pteropoden; zugleich ein ‚Beitrag zur Morphologie des Mollusken- fußes.- Zeitschr. f. wiss. Zool.,, XLVI. Brockmeier H., Eine neue Erklärung für das Schwimmen mancher Schnecken an der Oberfläche des Wassers. Nachrichtsbl. d. deutsch. malakozoologischen Gesellsch., XIX. Jahrg., Frankfurt a. M. 1887. Plate L., Studien über episthopneumone Lungenschnecken. I]. Dande- bardia und Testacella. Zool. Jahrbücher, Abteil. f. Anatomie und Ontogenie, IV. Bd., 1891. Lang A., Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, Dritte Abteilung: Mollusca, Jena 1892. Buchner Ö., Beiträge zur Kenntnis der einheimischen Planorbiden. Jahresheft Ver. Vaterl. Naturk., 4%, Jahrg., Stuttgart 1891. MariaGräfin v. Linden, Das Schwimmen der Schnecken am Wasser- spiegel. Biol. Centralblati, 11. Bd., Leipzig 1891. [62] v. Lendenfeld, Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke. 459 Zur physiologischen Bedeutung der Luftsäcke. In Nr.7 (Bd. XVII) dieser Zeitschrift hat Herr Baer einige Be- merkungen betreffs meines, in Nr. 21 (Bd. XVI) derselben erschienenen Aufsatzes über die Bedeutung der Luftsäcke veröffentlicht, welche mich veranlassen, nochmals auf den Gegenstand zurückzukommnn. Ich be- grüße es zwar mit Genugthuung, dass Herr Baer jetzt geneigt ist, den Luftsäcken neben der respiratorischen auch eine bedeutendere, mechanisch-motorische Funktion zuzuweisen und gebe auch gerne zu, dass ihr Einfluss auf die Verschiebung des Schwerpunktes nieht besonders wirkungsvoll sein mag; muss aber einigen von seinen Aeußerungen entgegentreten. Zunächst ist zu bemerken, dass der Ein- fluss des Füllungsgrades der Luftsäcke auf das spezifische Gewicht des Körpers und damit auch auf die Flugthätigkeit weit größer ist, als Herr Baer zugiebt: ein Pelikan mit zusammengezogenen Luft- säcken dürfte wohl ein doppelt so großes spezifisches Gewicht haben wie ein Pelikan mit aufgeblähten Luftsäcken. Inwiefern mein Ver- such die wahre Bedeutung der Luftsäcke für die Lebensthätigkeit der Insekten und Vögel zu ermitteln „durchaus unwissenschaftlich gedacht“ ist, wie Herr Baer meint, erscheint mir völlig unklar — sollte Baer überhaupt die ganze Physiologie als etwas unwissenschaftliches an- sehen? In solchen Fragen wie der vorliegenden, ist der physiologische Standpunkt der allein maßgebende: wir haben es nicht mit Homologien, sondern mit Analogien zu thun und es ist daher nicht bloß erlaubt, sondern geradezu geboten, die Lufträume der Insekten mit jenen der Vögel zu vergleichen; gerade der Nachweis von dem Vorkommen ähn- licher — analoger — Organe in so verschiedenen Tierformen scheint mir vom größtem Interesse zu sein. Nach den Berichten der Reisenden soll der Condor, wenn er hoch fliegt, Kopf und Hals bedeutend aufblähen. Viele wollen die Blähung am Kopfe des hochkreisenden Condors mit dem Fernrohre wahr- genommen haben. Aus diesen Angaben habe ich geschlossen, dass der Condor auch am Kopfe blähbare, subkutane Luftsäcke besitzen müsse, welche ganz etwas anders als die Schädelknochenhöhlen sind, von denen Herr Baer spricht. Die Luftsäcke des Condorkopfes werden nur dann aufgeblasen, wenn sich der Vogel in sehr bedeutenden Höhen befindet. Dass das Atmen durch die Perforation eines oder mehrerer Luft- säcke beeinträchtigt wird, scheint mir — im Gegensatze zu Baer — kein Beweis für die Richtigkeit jener Anschauung zu sein, nach welcher ihre Hauptfunktion die Blasebalg-artiger Atemhilfsorgane wäre, denn es liegt auf der Hand, dass eine solche Eröffnung einer neuen Kom- munikation des Luftraum- und Lungen-Systems mit der Außenwelt das Atmen auch dann erheblich erschweren könnte, wenn die Luftsäcke 440 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. normaler Weise an der Atemthätigkeit gar nicht beteiligt wären. Be- weiskräftiger würde es sein, wenn die Unterbindung der, zu den Luftsäcken führenden Röhren, eine Beeinträchtigung der Atemthätig- keit zur Folge hätte. Zum Schlusse möchte ich mir noch erlauben, eine irrtümliche Ver- mutung Baer’s in Bezug auf meinen früheren Aufsatz richtig zu stellen. Baer schreibt: „Scheinbar angeregt durch meine Dissertation ‚Bei- träge zur Anatomie -und Physiologie der Atemwerkzeuge bei Vögeln‘ hat v. Lendenfeld in Bd. XVI Nr. 21 (lieser Zeitschrift eine Arbeit über die physiologische Bedeutung der Luftsäcke bei den fliegenden Tieren veröffentlicht ..... .“. Dem gegenüber erkläre ich, dass ich nicht durch Baer’s Arbeit zur Veröffentlichung meiner Mitteilung an- geregt worden bin. Ich habe das M. S. meines Aufsatzes an die Re- daktion des Biologischen Centralblattes gesandt, ehe ich von der Existenz jener Arbeit Baer’s Kenntnis hatte. Als ich dann Baer’s Arbeit erhielt, erbat ich mir mein M. S. von der Redaktion zurück, um es durch Aufnahme der Baer’schen Resultate zu ergänzen, ohne jedoch die Schlüsse, zu denen ich gelangt war, abzuändern. So er- weitert, sandte ich es wieder an die kedaktion und so wurde es ge- druckt. Die Wichtigkeit, welche ich Baer’s Resultaten beimaß, sowie der Wunsch, es zu vermeiden, Herrn Baer durch die Nichterwähnung seiner Arbeit zu nahe zu treten, haben mich zü diesem ungewöhnlichen Schritte einer nachträglichen teilweisen M. S.- Umarbeitung veranlasst und ich bedauere, dass Herr Baer meine, demselben zu Grunde liegende Courtoisie ihm gegenüber nicht erkannt und anerkannt hat. [60] R. v. Lendenfeld (Prag). Pädagogisch-psychometrische Studien. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. 3. Mitteilung!). Den Einfluss geistiger Arbeit auf den Verlauf der Brmüdungskurve ein nnd desselben Schülers konnte ich in der 1. Mitteilung über diesen Gegenstand in folgende Worte zusammenfassen (Biolog. Centralblatt, Bd. XIV, 5.39 u. 40): „Die zur Anwendung gebrachte geistige Thätig- keit wirkt zunächst anregend. Sie vermehrt die Willensimpulse und erhöht ihre Stärke im allgemeinen etwa bis zur Verdopplung der Leistungsfähigkeit, die nach nächtlicher Ruhe zu konstatieren ist. Wird alsdann die geistige Arbeit weiter fortgeführt, dann folgt ihr eine Schwächung der Impulse, es nähert sich mehr und mehr der Zustand der Abspannung. Während der Ruhe, die zeitlich der Arbeit nicht nur gleichkommt, sondern erheblich größer sein kann, wirkt die Ab- 1) Vergl. Biolog. Centralblatt, Bd. XIV, Nr. 1, 2 u. 9. Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 441 spannung nach und kann ihr Minimum nach einer längeren Pause erreichen“. Die Wirkung geistiger Arbeit, die ein nicht völlig ausgeruhtes Gehirn auszuführen hat, ist eine ähnliche, Wir beobachten, „dass zwar die Arbeit den gleichen arbeitsfördernden Zustand ‘der Erregung be- wirkt, dass demselben aber sehr schnell der Zustand starker Ab- spannung folgt. Wieder wirkt sie während längerer Zeit nach, mit anderen Worten, auch eine längere Pause vermag den normalen Zu- stand nicht herzustellen“. Wir haben es in unseren beiden ersten Mitteilungen unentschieden gelassen, ob dieses Versuchsergebnis verallgemeinert wer- den dürfe oder ob ihm rein individuelle Bedeutung zu- komme. Unsere heutige Mitteilung bezweckt die Entscheidung dieser Frage. Die geistige Arbeit bestand in den bezüglichen Versuchen im Lesen deutscher Wörter, Es wurden durchschnittlich alle 15—20 Mi- nuten Messungen vorgenommen. 1. Der Gang einer Versuchsreihe an unserer ersten neuen Ver- suchsperson, einem 14jährigen Schüler von mittlerer Begabung, etwas schwächlicher Körperkonstitution, lässt sich summarisch in folgender Tabelle zusammenfassen. Anfangs- Maximum der Leistungs- Minimum der Leistungs- Leistungs- leistung fähigkeit fähigkeit fähigkeit nach (100) Größe. — Erreichtnach Größe. — Erreichtnach 1stünd. Pause ‚100 160 20 m 12 60 m 79 100 145 40 m 17 60 m 88. Der Unterschied der Größe der maximalen Leistung gegenüber der anfänglichen kommt zum Ausdruck erstens in einer Steigerung der Impulse, zweitens in einer bedeutenden Vermehrung derselben. Im Beginn des Versuches war nach 67 Zusammenziehung die Erschöpfung eingetreten, bei der 2. Messung erst nach 112 Zusammenziehung. Die Arbeit, die zuerst geleistet worden war, betrug 1,1838 Kgmeter, nach dem Besen der Wörter 1,8836 Kgmeter. Wie sehr nach der maximalen Leistung die Stärke der Impulse in Folge der durch das Lesen ein- getretenen Ermüdung vermindert war, mag der Umstand zeigen, dass die minimale Leistung nach 60 Minuten gemessen wurde, trotzdem die Zahl der Zusammenziehungen 71 betrug, die Zahl der Anfangskon- traktionen also um 4 übertraf. Die 2. Versuchsreihe führte zu ähnlichen, in den Extremen weniger ausgesprochenen Ergebnissen. Das Lesen bewirkte zunächst eine Stei- gerung der Leistungsfähigkeit, wie sie ergographisch zu konstatieren war, deren Maximum später eintrat, als im 1. Fall, dem alsdann auelı ein kleineres Minimum folgte. Eine aus den früheren Versuchen uns wohlbekannte Erscheinung ist auch jetzt wieder zu beobachten, die 449 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. Nachwirkung der durch die geistige Arbeit hervorgerufenen Ermüdung über ein Ruhestadium hinaus, das der Zeit der Bethätigung gleich- kommt. Fig. 1. . 152 a 69 Pause “ Panse 7 om Gm 2om om 10m 230m Zeit Die Wirkung der sich nun anschließenden geistigen Bestätigung, die der vorangegangenen gleichkam, kommt in folgenden Ergebnissen der ergographischen Messungen zum Ausdruck. Leistungs- Maximum der Leistungs- Minimum der Leistungs- Leistung fähigkeit nach fähigkeit fähigkeit nach Astünd. Pause Größe. — Erreichtnach Größe. — Erreicht nach Astünd. Pause 19 6 20 Min. 38 60 36 88 104 20, 51 40 32. Der Typus des Verlaufes der Ermüdungskurve ist dem des ersten Teiles der Versuchsreihe analog, Steigerung der Leistungsfähigkeit durch die Arbeit, dann Verminderung unter die anfängliche Leistung. Die Nachwirkung kommt auch hier namentlich im 2. Fall deutlich zum Ausdruck. Den Verlauf der Ermüdungskurve dieser ersten Versuchsperson stellt Fig. 1 dar. Es mag hier die Frage eingeschaltet werden, ob auch in der Zeit, die für das Lesen der einzelnen Wörter, bezw. Silben nötig war, dieser Verlauf der Ermüdungskurve zum Ausdruck kam oder ob, ähnlich, wie in unseren früheren Mitteilungen dargethan wurde, andere Faktoren, vorab die Uebung, diese Zeit auch im Zustande der Ermüdung kürzte. Die mittleren Ergebnisse sind folgende: Zahld. gelesenen Zahl der gel. Zeit pro Wort Zeit pro Silbe Serie Wörter Silben in Sek. in Sek. I 1392 2654 0,4453 0,2335 Il 1270 2338 0,4235 0,2300 Ill 1267 2338 0,5743 0,2028 IV 1392 2654 0,3227 0,1692 V 1270 2338 0,2788 0,1515 VI 1267 2338 0,3007 0,1629. Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 445 Es macht sich also auch in diesem Falle die Zeit, die zum Er- kennen und Wiedergeben eines Wortes notwendig ist, in anderer Weise geltend, als wie man aus dem Verlauf der Ermüdungskurve schließend a priori annehmen möchte. Wenn wir die Arbeit vor der Pause ins Auge fassen, die Serien I—Ill, dann sehen wir die kürzeste Zeitdauer für das Lesen eines Wortes mit dem fallenden Teil der Ermüdungs- kurve sich decken, d. h. die beginnende und eingetretene Ermüdung, wie sie pbysiologisch nachweisbar ist, führte nicht zu einer Verzöge- rung der psychischen Prozesse, die mit der Wahrnehmung eines Wort- bildes und seiner Uebertragung in die Sprachlaute verbunden sind. Die Uebung des Schnelllesens, wie sie durch die Dauer von ca. 30M., die nur auf kurze Zeit unterbrochen wurden, gegeben ist, war ein so mächtig wirkender Antagonist, dass mit der Periode der Ermüdung der rascheste Verlauf der psychischen Prozesse zusammenfiel. Die Wirkung der Uebung sehen wir alsdann wieder in den Serien IV, Vu. VI. Sie führte zu einer bedeutenden Verkürzung der Zeit; die für das Abspielen der psychischen Vorgänge nötig ist. Wie aber einerseits im 2. Teil unserer Versuchsreihe die Wirkung der Uebung zunahm, so wurde, wie uns der Verlauf der Ermüdungskurve lehrt, auch in Folge der geistigen Arbeit die Ermüdung gesteigert. Es muss offenbar stets ein Moment eintreten, wo der Einfluss der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf psychischer Prozesse nicht mehr durch die Uebung paralysiert werden hann, wo also trotz der Uebung die Hem- mungswirkung der Ermüdung sich geltend macht. In der Serie VI scheint uns diese Wirkung der Ermüdung zum Ausdruck zu kommen. Bis zur Serie V führte die Uebung eine Verkürzung der Zeit nach sich, zuerst von ca. 5°,, dann von 11°,,, dann von 14°/,, wieder von 13%, und nun plötzlich auf den Schluss der Serien eine Verlänge- rung von 7°%,. Es kommt also auch im Verlauf dieser einfachen psychischen Vorgänge die Wirkung der Ermüdungen zum Ausdruck. 2. Bei einer andern Versuchsperson, ebenfalls einem 14 jährigen Sehüler von kräftigem Körperbau und gutem geistigen Anlagen, sind folgende Ergebnisse zu verzeichnen. Anfangs- Maximale Leistung Minimum Ba leistung Größe. — Erreicht nach Größe. — Erreicht nach 100 116 20 Min. s7 60 Min. 17 100 101 20 „ 66 60 „ 70 77 74 20 „ 58 60, 76 70 67 20, 58 0, 49. Im ersten Teil ist also der Verlauf der Ermüdungskurve analog mit dem Unterschied, dass der Erregungszustand viel schwächer ist. In der einen Versuchsreihe ist er kaum angedeutet. Der 2. Teil der Versuchsreihe dagegen ist anderer Art. Die Arbeit vermag nicht mehr jenen Erregungszustand herbeizuführen, der eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit bewirkte, die Ermüdungskurve ansteigen ließe. Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. HF HN Hn Bezüglich der Nachwirkung der Ermüdung verhält sich diese Versuchsperson, wie die vorangehende, mit dem Unterschiede, dass die Nachwirkung ausgesprochener erscheint als im vorigen Fall. Prüfen wir den zeitlichen Verlauf der oben Dee ru re psychi- schen Vorgänge. Serik Zahl d. ‚gelesenen Zahl d. gelesenen Zeit pro Zeit pro, Wörter Silben Wort Silbe I 1392 2654 0,324 Sek. 0,1699 Sek. N 1 1270 2338 0,3129 „ 0,1699 „ j I 1267 2338 0,3048 „ 0,1652 „ IV 1392 2654 0,2807 „ 0,1472 „ V 1270 2338 0,2838 „ 0,154 „ | VI 1267 2338 0,2851 „ 01545 „ I Auch hier beobachten wir also einen scheinbaren Widerspruch zwischen dem physiologisch nachgewiesenen Gang der Ermüdungs- kurve und den Leistungen. In der Serie I—III fällt mit der physio- logischen Minimalleistung das schnellste Lesen, 0,3048 Sek. pro Wort, zusammen. In der 2. Seriengruppe, IV.—VI. Serie, haben wir dagegen lie völlige Analogie zum Verlauf der Ermüdungskurve. Die oben an- geführten Maßzahlen für die durch den Ergographen konstatierte Arbeit lassen eine Abnahme der Leistungsfähigkeit von Serie zu Serie er- kennen. Damit steht die Zunahme der Zeit für den psychischen Vor- gang des Lesens eines Wortes im Einklang. Die Uebung war nicht mehr mächtiger als die Ermüdung. Nicht dass sie sich gar nicht mehr geltend machen würde! Die zeitliche Verlängerung ist nur unbedeu- tend, ca. 2°/,, während die physiologisch nachgewiesene Verminderung der Leistungsfähigkeit über 20°, beträgt. 3. Ein 3. Versuchsobjekt ergiebt folgende Resultate. Die Versuchs- person war ebenfalls ein 14jähriger Schüler. Anfangs- „Maximale Leistung Minimale Leistung Pausp leistung Größe. — Erreicht nach Größe. — Erreicht nach 100 105 20 Min. s5,5 60 Min. 67 100 106 20 1) 60 „ 52 67 58 20, 46,5 Ach 75 52 41,6 20 „ 38,5 60, 50,4 Das Versuchsergebnis ist dem vorigen analog. Der durch die Arbeit bewirkte Erregungszustand ist unbedeutend, dagegen die Nach- wirkung der Ermüdung auffallend groß. Die im Zustand der Er- müdung wiederbeginnende Arbeit vermag nicht mehr die erhöhte Leistung des Erregungszustandes hervorzurufen. Die an die 2. Ver- suchsreihe sich anschließende Pause bringt weitgehende Erholung. Die Bestimmung der Zeit, die zum Lesen eines Wortes, bezw. einer Silbe nötig war, ergab folgendes. Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 445 Serie Zahl der gelesenen Zahl d. gelesenen Zeit pro Zeit pro Wörter Silben Wort Silbe I 1592 2654 0,4698 Sek. 0,2464 Sek. II 1270 2338 0,4834 „ 0,2626 „ III 1267 2338 0,4740 „ 0,2568 „ 0 Bee 2654 0,4457 „ 0,2338 „ V 1270 2338 0,4569 „ . 0,2480 „ VI 1267 2338 0,4389 „ 0,2380 „ Ein Einfluss der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf dieses psychischen Vorgangs kommt in diesen Zahlen nieht zum Ausdruck. Vergleichen wir sie mit denen des vorigen Versuchsobjektes, dann fällt uns sofort auf, dass hier für den gleichen Prozess eine Zeitdauer nötig ist die ca. 50°], länger ist als dort. Die Uebung kann sich aus diesem Grunde wahrscheinlich länger geltend machen als im ersten Fall. So wirkt sie offenbar in der VI. Serie den Folgen der Ermüdung entgegen. 4. Die Versuchsperson ist ein 18jähriger kräftiger Schüler mitt- lerer Begabung. Die geistige Arbeit besteht, wie in den vorange- gangenen Versuchen, im schnellen Lesen deutscher Wörter. Ich gebe hier das nachfolgende Versuchsprotokoll wieder. Zeit Zahl der Zusammenziehungen Hubhöhe d. 3 kg Arbeit as. 49 0,7947 Meter 2,3841 Kgmeter 7°° (Gelesen) 46 0,9408 ,„ 2,8224 jr 8 n 48 UND 3,0159 = g10 . 52 URL 3,0345 = Ss ei 70 119035 3,5709 S 10° (Pause seit 8°) 48 0,8464 „ 2,5392 „ 10°? (Gelesen) 41 0,3368... 5 2,4044 5 103° 2 51 MSpak, 2,5653 = 19 E 55 0,6994 „ 2,0982 R Pause bis 113° 39 0,5707 u 1:7121 . Verlängerung der Pause bis 12 47 9,6192: 25 1,8576 E Fig. 2. 749 aıhe 73 790 8 80 830 0 ‚0235 1035 10% 4 E 446 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. In der Konstruktion der beigegebenen Ermüdungskurve (Fig. 2) setzen wir die durch die erste ergographische Bestimmung ermittelte Arbeitsleistung gleich 100. Die Ermüdungskurve hat wieder einen sehr typischen Verlauf, zwei Erregungsstadien, die in die Zeit der Arbeit fallen und zwei Depressionen, die am Schluss oder während der Ruhezeit konstatiert werden. Dieses zweite Kurvenbild lehrt uns, dass die geistige Arbeit bei älteren Schülern ganz analoge Ermüdungs- erscheinungen hervorrufen kann, wie bei jüngern. 5. Die folgende Versuchsreihe ist das Ergebnis von Experimenten an einem 18jährigen kräftigen, sehr gut beanlagten Schüler. Ich wiederhole das Versuchsprotokoll. Zeit Zahl der Zusammenziehungen Hubhöhe d. 3 kg Arbeit 71° _ Sehnelles 71 1,5958 Meter 4,7874 Kgmeter 4° Lesen 88 1..1080.73/ 5,1540 5 2 63 1,3185 Meter 3,9565 Kgmeter nach einstündiger Pause gio 61 1,144 „ 3,4332 h dann wieder Schul- thätigkeit 10 55 14629205 3,4887 4 11 71 1.6993 7, 5,0979 & 12 100 17.168.475 5,1504 r Für unsere jetzigen Zwecke kommt der 1. Teil des Versuches, 710910, in Frage. Wieder zeigt er einen Erregungszustand in Folge der geistigen Arbeit, des schnellen Lesens, im Anschluss eine Depres- sion, welche auch in diesem Falle durch die 1stündige Pause nicht paralysiert wird. Nach der Ruhe ist vielmehr die ergographisch ge- messene Leistungsfähigkeit geringer, als vor der Pause. 6. Ein 16jähriger, etwas schwacher, sehr gut beanlagter Schüler bildete das Objekt der nachfolgenden Versuchsreihen. Die erste ergo- graphisch bestimmte Arbeitsleistung nenne ich 100. 100 100 100 100 106 84 94 113 87 64 64 90 Y4 87 60 73 1stündige Pause 1stündige Pause 102 78 66 74 18 74 48 64 97 73 3) 52 77 64 32 39 1 stündige Pause 1 stündige Pause 122 32 56 19. er Keller, Pädagögisch - psychometrische Studien. 447 Die voranstehenden Versuchsergebnisse stehen zum Teil nicht mehr mit dem in Einklang, was die bisherigen Versuchsserien lehrten. In 2 Fällen beobachten wir als Wirkung der Arbeit einen Erregungs- zustand, in den beiden anderen Fällen führt die Arbeit sofort zu einer Depression. In allen Fällen vermag im 2. Teil der Versuchsreihe die Arbeit nicht mehr einem Erregungszustand zu rufen. So lehren uns also diese Versuchsreihen, dass man die in unseren beiden ersten Mit- teilungen veröffentlichten Versuchsergebnisse nicht bedingungslos ver- allgemeinern darf. Der Verlauf der 2 letzten Ermüdungskurven scheint uns eine ge- nauere Wiedergabe der Mittelwerte des zeitlichen Verlaufes wieder zu rechtfertigen, um an Hand der psychometrischen Bestimmungen die Frage zu entscheiden, ob die starke Depression, die sowohl im ersten, als namentlich im 2. Teil der beiden Versuchsreihen zu beobachten war, im zeitlichen Verlauf der psychischen Vorgänge sich wieder spiegelte. Ist es ja gerade für die Nutzanwendungen dieser Unter- suchungen sehr wichtig die Bedeutung der Uebung genau kennen zu lernen. Zahl der gelesenen Zeit pro Berl Wörter Silben Wort Silbe L- 1392 2464 0,3547 Sek. 0,1860 Sek. II 1270 2338 0,3298 „ 0,1782 „ III 1267 2338 N , 0,1818 , IV 1392 2464 0,3043 „ 0,155 „ v 1270 2338 230, 31137,; 0,1688 „ VI 1267 2338 0,3304 „ 0,1791 „ In dem zeitlichen Verlauf des psychischen Vorgangs findet also thatsächlich der Verlauf der Ermüdungskurve sein Abbild. Schon die erhebliche Depression der Ermüdungskurve im ersten Teil des Ver- suchs gibt der Ermüdung das Uebergewicht über die Uebung, indem eine Verzögerung des zeitlichen Verlaufes von 0,0057 Sek. pro Wort und 0,0038 Sek. pro Silbe eintritt. Ist, absolute betrachtet, diese Dif- ferenz auch klein, so scheint ihr doch die Bedeutung zuzukommen, die wir ihr beilegen, da bei der großen Zahl der Wörter, die gelesen wurden, Zufälligkeiten, die das Ergebnis beeinflussen konnten, neutrali- siert sein dürften. Im 2. Teil des Versuches beobachten wir eine stete Zunahme der Zeit, zunächst von 0,0063 Sek., darauf von 0,0293 Sek. Kommt einerseits in der zeitlichen Verkürzung des psychischen Pro- zesses im Vergleich zu den Zeiten, während des 1. Teiles der beiden Versuchsreihen deutlich das Moment der Uebung zum Ausdruck, so beobachten wir anderseits den Einfluss der Ermüdung in der steten Zunahme der Zeit. 7. Das Versuchsobjekt war ein 14jähriger Schüler mittlerer körper- lieher Kraft und Beanlagung. Die Versuchsergebnisse sind folgende: ® “ 1 448 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Zahl der Zu- Arbeit in Zahl der Zu- Arbeit in sammenziehungen Kgmeter sammenziehungen Kgmeter 8% Uhr 61 0,8584 56 0,9169 810 46 0,6344 52 0,7808 kill 48 0,6184 33 0,6670 gt 36 0.5154 41 0,5054 Pause‘ bis 101, „ 43 0,6200 4 0,6036 108 „ 65 0,6400 56 0,5568 us 44 0,5218 42 0,5160 115 „ 44 0,4874 47 0,5698 Pause bis 122; 46 0,4924 46 0,6158. Der Verlauf dieser Ermüdungskurve (Mittel aus beiden Versuchs- reihen) ist in Fig. 3 dargestellt. Dabei wird die ursprüngliche Arbeits- leistung gleich 100 gesetzt. 100 Fig. 3. Arbeit o 20 40 60 140 160 180 200 260 Minuten. 8. Ein 14jähriger, schwach entwickelter, geistig sehr gut bean- x lagter Schüler ist das Versuchsobjekt. Der Versuch wird in analoger Weise wie die früher beschriebenen ausgeführt, mit dem Unterschiede jedoch, dass die Serie B Nachmittags ihren Anfang nimmt. Der Vor- mittag war mit Schulstunden ausgefüllt. A B Zeit Hubhöhe Arbeit Zeit Hubhöhe Arbeit Tu 0,4383 Met. 0,8766 Kgmt. 15” 0,2569 Met. 0,5138 Kgmt. 830 0,0622, 1,3244 ,„ 22 OHR, HO, 850 BAHT 0,9114 , 2 ee 0,7866 „ a 7 ige 1,0490 „ 2005130 0,6266 „ Pause Pause 1015 0,3750 „ 0:7560.9% 420 38, 0,63169% 402° 0,4024 „ 0,8048 „ 449 ,]0,A61:!:;,; 0922 131 1079 0,4991 „ 0,9982 ı „ 515-20,2287 5 0,4574 „ 149 0,6820 „ 1,3564 „ Pause Pause 123 0,2537 0,7114 „ 6° -0,2412 „, 0,4824 „ Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien. 449 9. Ein 14jähriger, mäßig kräftiger, ganz gut beanlagter Schüler ist das Versuchsobjekt. Die Versuche gehen unter analogen Bedingungen vor sich, wie im Falle 8. Die Ergebnisse sind folgende: Zeit Gesamthöhe in Meter Arbeit in Kgmeter Vergleiche Zeichnung 755 0,8815 1,7630 5 830 1,4775 2,9550 6 38 1,1665 2,3330 7 915 0,7865 1,5730 I) Pause bis 10% 0,7405 1,4810 9 1 0,9447 1,9774 10 1053 0,9009 1,8018 11 12 0,7920 1,5840 12 Pause bis 123 0,7085 1,4170 13 Pause bis 1 1,1582 2,3164 14 Der Gang dieser Ermüdungskurve, die den Wechsel des Zustandes der Erregung und der Depression, gleich wie die Nachwirkung der Ermüdung über die Zeit der Ruhe hinaus, besonders klar zum Aus- druck bringt, ist in Fig. 4 dargestellt. Die Abhängigkeit der Zahl und der Energie der Willensimpulse, die die Kontraktionen der Beuger des Mittelfingers auslösen, von der geistigen Arbeit (hier vom Lesen) einerseits und dem aus ihr entstehenden Er- müdungszustand anderseits, kommt in der nachstehenden tabellarischen Zusammenstellung und vor allem in der Wiedergabe der ergographi- schen Aufzeichnungen (Fig. 5—14) zum Ausdruck. Diese graphische Darstellung dürfte hier, wenn schon sie keine prinzipiellen Differenzen gegenüber ähnlichen Darstellungen in unserer ersten Mitteilung zum Ausdruck bringt, vielleicht jenen Lesern willkommen sein, denen die früheren Mitteilungen nicht zur Hand sind. XVII 29 450 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. = 2.d. Zu- Hubhöhe in mm NS sziehg. Maxim. 40 u. mehr. 35 —40. 30—35. 25—30. 20—25. 10—20. unter 10. ANSEHEN = 7 5 6 6 6) 6 830, 60 ind $) 5 5 17 be) 5 10 33... Dal 1 7 15 4 6 14 7 95 41 34 — — B) 7 11 44 6 1015394183 z — 5 Bi) 13 11 5, 10%, ‚57..1,38 -- — 4 N) 3 19 15 10 36er 1 7 8 4 4 7 5 Keller, Pädagogisch-psychometrische Studien. 451 Zeit ZZ. Max. 40u.mehr. 35—40. 30-35. 25—30. 20—25. 10—20. unter 10. I0°,:4%:x40,5 2 4 4 4 2 12 19 125.33. 31 = — 5) 11 4 8 5 139.44 42 5 19) 7 5 5 4 6. Fig. 11. ie: 12. Fig. 13. Fig. 14. N IM Eine 2. Versuchsserie begann am Nachmittag. Ihre Ergebnisse waren die folgenden. 2 Uhr Lesen 0,9605 Meter 1,9210 Kgmeter IR, £ 1,2265: ), 2,4530 a ER > 0,8611 , 1,7222 R 3, n 0,9580 1,8760 ” Pause bis 420. , kesen 0,ITB0Ar.& 1,950 4; As, a 0:92 1,5050 a Dez R 0,9805 „ 1,9610 . Pause bis er ne 31308275 1,8276 = 10. Den nachfolgenden Versuchen diente ein 14jähriger Schüler. Er ist von kräftiger Konstitution, aber nieht gut beanlagt. Ich be- schränke mich auf die Wiedergabe der Hubhöhen und der daraus be- 29° 459 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. rechneten Arbeitsleistungen. Die geistige Arbeit bestand auch hier | wieder im schnellen Lesen deutscher Wörter. 75%; Uhr 1,324 Meter 2,648 Kgmeter ol 1,6817. 7, 3,5754 3 Ball. Kim2 3,5544 o Slaze 1.1319 2,2638 r- Pause bis A102 1,1118 2,3918 . 10022 1,0535 113 2,1070 n 10% „ 1.597038 15 3,1940 A| 111% 1,051 3 2,102 ei Pause bis JOSE N, 0,9215 „ 1,3430 a Die Resultate einer anderen Versuchsreihe sind: 2 ‚Uhr 1,340 Meter 2,680 Kgmeter 2a, 1.391005 2,7140 5 2b, 11300775 2,2600 = Dal, 1022077 2,0454 4 Pause bis 420 0,9585) _, 1,9170 a All) 0,9801 „ 1,9602 E BTT: 0:94391 77 1,8878 n Pause bis Ga 1,0407, 2,0814 A 11. Die nachfolgenden Resultate ergaben ebenfalls Versuche an einem 14jährigen, sehr kräftigen und recht gut beanlagten Schüler. Zeit Zahl der Hebungen Hubhöhe Arbeit 75° Lesen 63 1,7595 Meter 3,5190 Kgmeter 83 60 1,785 n 3,570 Hi 8 61 1,738 > 3,476 s 9 65 1,689 E 9,918 “ Pause bis 10'° Lesen 75 2.0079, 4,0150 4 10% 73 LT 100 3,5400 N 1073 52 1,1460 ,„ 2,2920 A 4 47 14638, 2,9270 „ Pause bis 1210 48 1,265 r 2,5300 = 12. Die nachfolgenden Versuchsserien wurden ebenfalls an einem 14 jährigen Schüler, einem intelligenten und kräftigen Jüngling, aus- geführt. a) 81% Lesen 51 0,9565, 2,865, 830 55 1,0240 , 3.070. „ g1o 6o 0,9055, 2,7165; 940 64 1,2590 „ 3,1620 h) Keller, Pädagogisch- psychometrische Studien. 453 Zeit Zahl der Hebungen Hubhöhe Arbeit Pause bis 10° Lesen 60 0,9540 Meter 2,3620 Kgmeter 40° Da. 0,6895 „ 2,0585 . 10% 68 0,7088... 2,1255 = 11% 60 0,6555 ,„ 1,9665 x Pause bis 12 64 1.110900 3,5325 = b) 8 Lesen 70 1.472070 4,4160 2 5 57 1,2265 57 3,6795 = a 55 1.2810,775 3,8610 " y 50 11090775 3,3270 - Pause bis 105 Lesen 55 0,8625. 5 2,5875 E a“ 55 1.0025° >, 3,0075 5 L1° 54 0,390 2,9790 “ 40 48 0,9540 „ 2,8620 n Pause bis 12 46 2.012557, 3,0375 x 13. Die nachfolgenden Ergebnisse erzielten Versuche mit einem kräftigen gut beanlagten 17jährigen Schüler. Die geistige Arbeit be- stand, wie in den vorigen Versuchsreihen, im schnellen Lesen. 88 69 1,435 ,„ 4,8035 r einge 65 269% 55, 3,6193 # 3 12 1223025 3,6690 4 95 70 0,5680 „ 2,6040 * Pause bis 101 52 0,9450 ° „ 2,3350 n 19-4 58 06626; „ 1,9878 & 11 56 NG, 3,0195 2 112% 44 0:1330°° 7, 2,3790 5 Pause bis ira 55 0,13902°7% 2,2170 " In diesen Versuchsergebnissen kommt die typische Wirkung der geisti- gen Arbeitnur unvollständig zum Ausdruck. Die Arbeit setzt die Leistungs- fähigkeit sofort herab, führt hernach einen Erregungszustand herbei, der die Leistungsfähigkeit steigert, jedoch nicht auf das ursprüngliche Maß erhebt. Deutlich kommt die in Folge der Arbeit entstehende Depression zum Ausdruck, sowie auch die Nachwirkung derselben. Denn wenn auch. nach der einstündigen Pause die Leistungsfähigkeit wieder größer ist, als am Schlusse der vorangegangenen Arbeit, so er- reicht sie doch keine der Leistungen, die der Depression vorangingen. Der Verlauf des 2. Teiles der Versuchsreihe ist ein ganz ähnlicher. Es tritt zunächst eine Verminderung der Leistungsfähigkeit ein, dann 454 wirkt die Erregung fördernd. jene nach der Pause. während einer ?/,stündigen Pause nicht nur anhält, sondern die Leistungs- fähigkeit noch weiter herabsetzt. Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Sie erhebt die Leistungsfähigkeit über An sie schließt sich die Depression an, die 14. In dieser Versuchsreihe bildete ein 15 jähriger, kräftiger, nicht sehr befähigter Schüler das Versuchsobjekt. Die Ergebnisse sind folgende: Zeit Zahl der Hebungen ) Lesen 42 Br 46 850 45 ga 40 Pause bis 10'° Lesen 50 102 40 10% 4 112 57 Pause bis 12 35 Hubhöhe Arbeit 0,7645 Meter 2,2935 Kgmeter 0,9705 7% 315 OTDDDeE 2,2665 5 0,1495, 2,2485 . 0,8490 5 2,9470 A 0,805 5 2,4165 > 0,4565 5 1,3695 u; 0,5505 1,0815 si UB2ı2% 1,5675 & 15. Ein 16jähriger, ziemlich kräftiger, wohl beanlagter Schüler ist das Versuchsobjekt. 45 8 Lesen g20 g42 Q15 Pause bis 109% 1 125 Pause bis 1205 By 44 42 56 42 46 25 49 1,0180 , 3,0540 R 0,8990 5 2,6970 = 1,0600 „ 3,1800 " 0,8482 „ 2,5446 g: ion Fee 3,2183 = 19077 IR) 2 0.709072 2,1270 2 0,4760 „ 1,4280 2 OTISDE 2,5340 r 16. Versuchsobjekt ist ein fähiger, etwas nervöser, nicht sehr kräf- tiger Schüler von 14 Jahren. a) 8° Lesen 825 855 920 Pause bis 101? Lesen 1022 10% 1110 Pause bis 125 23 36 45 Folgendes sind die Versuchsergebnisse. 022651337 0,6795 = URS 1,6050 0,3785 6 1,1355, BAIOO. TE 1,2000 . 0331, 0,9945 5 0,1910 „ 05730 5 0,2063 „ 0,6195 a 04810 +", 0,5430 B 0,1960 „0,5880 , Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 455 b) Die folgende Versuchsreihe wurde einige Tage später ausgeführt. Zeit Zahl der Hebungen Hubhöhe Arbeit Beginn 110 Lesen 38 0,3095 Meter 1,6190 Kgmeter ig 31 059705, 1,1940 s 1 H NEE 1,4670 A Ar 53 09355579 1,3710 ? Pause bis a. >] 0,8070 , 1,6140 5 3% ‚Lesen 49 0,9707 3 1,0540 : 45 32 0,5925 „ 1,1550 “ 43° 32 0,620 1,2440 = Pause bis . 51 0,6510 5 1,3020 =; 17. Die nachfolgenden Versuchsreihen stellen die Versuchsergeb- nisse an einem ziemlich kräftigen, gut beanlagten Schüler dar. a) 5 Lesen 53) 0,6080 „ 1,5240 N 5 61 0,3865 „ 2,0055 3 $) 3! 0855, 7 2,5565 5 3” 54 0,780 5 2,3610 z Pause bis 10% 57 0,3104, 2,7210 E 10% Lesen 50 0,8325...% 2,4975 © 318 46 0,6160 „ 1,3480 a 40 41 0,5353: ,°5 1,6065 5 Pause bis 128 Si 0,7380 „ 2,2140 n b) 8'° Lesen 44 0,7600 „ 2,2300 830 45 0,6080 „ 1,8240 : g40 42 DSthkiz:, 2,4333 a gie 42 0,6550 „ 2,0550 & Pause bis 40% 4) 0,7073, 1% 2,1225 y 10° Lesen 35 0,4700 , 1,4100 n 10% 30 ERDE 20 1,6725 n 2,8 2 0,4700 ,„ 1,4100 A Pause bis 125 32 0,31302 u 1,1190 rigen schwachen, aber wohlbefähigten Schüler ausgeführt. a) 1% 93 0,2620 „ 0,7850 815 Lesen 28 0,1370 , 0,4110, 835 43 0,3865 1,1595 9 26 0,1585 , 0,Aasn 456 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Zeit Zahl der Hebungen Pause bis 1015 52 10° Lesen 64 108 27 113 36 Pause bis 42° 23 b) 810 Lesen 24 Se 22 9 46 32 21 Pause bis 190 er 10% "Lesen 40 14% 25 4a 538 Pause bis 12 29 Hubhöhe 0,2745 Meter 0,3275 0,1470 0,1810 0,0955 0,1445 0,2710 0,3340 0,1925 0,2720 0,1815 0,1980 0,4790 0,3090 ” Arbeit 0,3235 Kgmeter 0,9823, 95,5 0,4410 ,„ 0,5430, 0,2865 & 0,4335 b 0,810 , 1,0000 0545 , 0,8160. 2% 0,5445 5 0,5940 = 1,4370 rn | 19. Versuchsobjekt war ein 13jähriger, kräftiger, sehr gut be- anlagter Schüler. 7°° Lesen 76 Be 115 BI 119 I 60 Pause bis 10° 4) 10% Lesen 88 10% a 17 51 Pause bis 12 58 0,862 1,405 0,970 0,269 0,449 0,465 0,416 0,302 0,417 „ 1,724 h 2,810 A 1,940 » 0,538 : 0,808 j 0,930 = 0,832 0,604 „ 0,334 D) 20. Versuchsobjekt war ein 13 jähriger, nicht sehr kräftiger, gut beanlagter Schüler. ) 48 815 44 g40 39 1) 35 Pause bis 10° 44 1022 B) 10* 49 415 35 125 52 0,527 0,6215 0,368 0,365 0,386 0,433 0,311 0,284 0,433 1,0540, 12430: 0,7360, 0,7300, 402 0,7720 r 0,8660 \ 0,622 5 0,568 h 0,366 „ Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. 457 Das vorangehende Material soll nun zugleich mit den analogen Versuchen, die in der 1. vorläufigen Mitteilung namhaft gemacht wur- den, die Basis für die nachfolgenden Betrachtungen und Schluss- folgerungen sein. Unsere Versuchsobjekte waren so verschiedenartig in Bezug auf das Alter, die physischen und psychischen Anlagen, dass die Versuchsergebnisse, auch wenn sie auf noch zahlreicheren Beobach- tungen fußten, dem Wesen nach kaum mehr weitgehende Modifikationen erführen. Fig. 15. o 32 60 120 147 1/80 240m - Die Versuchsergebnisse will ich zunächst zur graphischen Dar- stellung bringen (Fig. 15). Die 2 Kurvenbilder dieser Figur wurden in folgender -Weise gewonnen. Die erste Arbeitsleistung in jeder ein- zelnen Versuchsserie wurde mit 100 bezeichnet, die nachfolgenden daraufhin umgerechnet. Die Erhebungen über die Länge der ersten Ordinate geben also in Prozenten die Zunahme der Leistungsfähigkeit an, sind somit ein prozentischer Ausdruck für die Größe der Erregung. Das Zurückbleiben hinter der ersten Größe ist in entsprechender Weise der Ausdruck der Ermüdung. Die ausgezogene Kurve stellt nun den Mittelwert aus 30 Versuchs- ergebnissen dar, in denen die geistige Arbeit, die während des 1. Versuchs- teiles geleistet wurde, zu einer Erregung führte. Die erste Abseisse ist das Mittel der Zeit, in der die größte Leistungsfähigkeit beobachtet wurde, die 2. das Mittel der Messungen vor Beginn der Pause, die 3. das Mittel der Messungen nach der Pause, die 4. wieder das Mittel der Zeit der größten Leistungsfähigkeit, die 5. die Messung vor der 2. Pause, die 6. das Mittel der Messungen nach der zweiten Pause. Die punktierte Kurve ist das analoge Bild jener 6 Fälle, in denen an sich die größte Leistungsfähigkeit während der Arbeit der ursprüng- lichen Leistungsfähigkeit nicht gleich kam, indem das Stadium der Erregung ausblieb. Erstere ist das Mittel aus 30 Beobachtungen, letztere aus 6. Eine Durchsicht der vorangehenden Versuchsergebnisse zeigt uns zunächst die außerordentliche Ungleichartigkeit der Ergebnisse in Bezug 458 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. auf die Größe der Arbeitsleistungen. Sehen wir von jenen Fällen ab, in denen die geistige Arbeit unmittelbar von einer Depression der Leistungsfähigkeit begleitet wurde und in ihrem ganzen Verlaufe nicht von einem Zustande der Erregung gefolgt wurde, dann bewegt sich die Maßzahl der Größe der Erregung zwischen 101 und 255. In 20 Fällen liegt sie zwischen 101 und 150, in 7 Fällen zwischen 150 bis 200, in 3 Fällen zwischen 200 und dem Maximum 235. Analoge Verschiedenheiten zeigt die Größe der Depression. In 3 Fällen war sie, wenigstens im ersten Versuchsteil, nicht zu beobachten, d. h. die geistige Arbeit führte fortgesetzt zu einer Steigerung der ergographisch bestimmten Leistungsfähigkeit. Das Maximum des Er- regungszustandes fiel also mit dem Schluss der einstündigen geistigen Arbeit zusammen. In 6 weiteren Fällen war nur im Vergleich zur Maximalleistung von einer Depression zu sprechen, während im Vergleich zur Anfangs- leistung die vor der Pause, d. h. am Schluss einer ca. einstündigen geistigen Arbeit gemessene Leistungsfähigkeit noch einen Zustand einer Erregung, d. h. eine Mehrleistung bedeutete. Während das Mittel der Maßzahl des Erregungszustandes 140 be- trägt und das Mittel der der Pause vorangehenden Leistung 90, also ein Abfall der Leistungsfähigkeit von 50 eintritt, sehen wir, dass in diesen genannten 6 Fällen das Mittel der Maßzahl der Erregung 193 beträgt, das Mittel der ergographisch konstatierten Leistungsfähigkeit am Schlusse der ca. einstündigen geistigen Arbeit 135, der Abfall, die Depression, dem nach 58. In 21 Fällen war die Leistung vor der Pause geringer als die anfängliche. Das durchsehnittliche Maximum der Leistungsfähigkeit beträgt in diesen Fällen 125, die mittlere Leistungsfähigkeit vor der Pause 80, so dass also die Größe der Depression, die Differenz zwischen dem Maximum und der am Schluss der Arbeit konstatierten Leistungs- fähigkeit, im Durchschnitt 45 beträgt. Noch auffälliger wird die bedeutende Variabität der Depression durch die nachfolgende Zusammenstellung beleuchtet. Ihr Minimum beträgt 6, ihr Maximum 133. Zwischen 10 und 20 liegt sie in 4 Fällen, zwischen 20 u. 30 in 7, zwischen 30 u. 40 in 3, zwischen 40 u. 50 in 2, zwischen 50 u. 60 in 2, zwischen 60 u. 70 in 1, zwischen 70 u. 80 in 2, zwischen 80 u. 90 in 3, zwischen 90 u. 100 in einem, über 100 in einem Fall. Trotz dieser bedeutenden Variabilität scheinen die oben angeführten Mittelzahlen eine gewisse Beziehung zwischen dem Grad des Erregungszustandes und der Größe der Depression anzudeuten, in dem Sinne, dass eine stärkere Erregung von einer stärkeren Depression begleitet wird. rn 2 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. 459 Besteht eine solche Beziehung, dann muss sie am deutlichsten beim Vergleich der extremen Fälle zum Ausdruck kommen. Wir be- stimmen zunächst die Mittel der bezüglichen Maßzahlen der 11 Fälle mit stärkster Erregung, unter Ausschluss eines Falles, in welchem diese an den Schluss der Arbeitszeit fällt. Maßzahl der Erregung: 235. 232. 200. ‚190. :467. 163. 160. 158. 152. 147. 147. Arbeitsleistung am Schluss der Arbeit: 170.130, 4421. .131,41589: 1:30. 72: 19879 31 da 9 aid: Depression: HE TE re: 6133. ar rer Die mittlere Maßzahl der Erregung dieser Fälle starker Erregung beträgt 176, dass Mittel aus den darauf folgenden 11 Arbeitsleistungen am Schlusse der einstündigen geistigen Arbeit 104, die Größe des Ab- falls, die Depression demnach 72. Sie ist also ca. 1!/,mal so groß, wie das Mittel aus der Gesamtheit unserer Beobachtungen. Bei der großen Variabilität der Maßzahlen verdient der Umstand ganz beson- ders hervorgehoben zu werden, dass in diesen 11 Fällen stärkere Er- regung, die Depression nur 2mal geringer war, als das beobachtete Gesamtmittel. Folgendes sind die Maßzahlen der 10 schwächsten Erregungen: Maßzahl der Erregung: 101, 7101,.:102:-,.104. ; 109... 106,,5,107.,5108,,.13:5116. Maßzahl am Schluss der Arbeit: 662,.210.:4,96:5° BB: „uebs nn BIN 82er 7 Depression: 30... 124 Ga. 20:7,42-2112826: 640 29. Im Mittel beträgt die Größe der Erregung 106, die Größe der Leistungsfähigkeit am Schluss der einstündigen geistigen Arbeit 81. Fig. 16. 776 [2 am som. I20ML 150M- ISO 2YOTL- 460 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. Es beträgt demnach die Größe der Depression 25, d. h. sie ist !/, so groß wie das Gesamtmittel der Depression. Wiederum mag besonders betont werden, dass in keinem dieser 10 Versuche die Depression das Mittel aus allen Versuchen erreichte. So kommt also beim Vergleich dieser extremen Fälle aus der Variabilität eine Konstanz heraus, die wir wohl kaum als das zufällige Ergebnis der individuellen Schwankungen ansehen dürfen. Das Resultat unserer Vergleichung heißt: Einer durch geistige Arbeit be- wirkten starken Erregung folgtim allgemeinen eine starke Depression. Fig. 16 bringt diese Verhältnisse zum bildlichen Ausdruek. Die Kurve st ist das Bild der Arbeitsleistung bei starker Erregung, die Kurve sch stellt den Verlauf der Leistungsfähigkeit bei schwacher Er- regung dar. Wir prüfen an Hand unserer Beobachtungen die weitere Frage, ob zwischen dem Grad der Erregung und der Größe der Nachwirkung der Depression eine Beziehung bestehe. Die ausgezogene Kurve in Fig. 15 deutet als Durchschnitt der Gesamtheit unserer Beobachtungen an, dass die ergographische Messung der Leistungsfähigkeit nach der Pause (einstündigen) im Mittel das gleiche Resultat hat wie vor der Pause. Die Depression 50 überdauert die Pause. Es ist nach der Pause die Leistungsfähigkeit geringer als vor der Pause. Bezeichnen wir jede unter der ursprünglichen Leistung liegende Leistung als Ermüdung, jede über ihr befindliche als Erregung, dann werden wir von einer Nachwirkung der Ermüdung sprechen können, sobald durch die einstündige Ruhe die ursprüngliche Leistungs- fähigkeit nicht wieder hergestellt wird. Umgekehrt ist die Nachwirkung der Erregung dann vorhanden, wenn der Ueberschuss der Leistungs- fähigkeit im Vergleich zur ursprünglichen nach der einstündigen Pause nicht wesentlich dezimiert ist. Die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf die analogen Fälle, die in den Zahlenreihen S. 119 beleuchtet sind. a) Versuche mit starker Erregung. Leistung am Schluss der Arbeit: 176. 132; 1217288: . 8930 RIESTER I Leistung nach 1stündiger Pause: 145...188, ..1257083.2. 880 8 52.4 2109, 2a Ssalo0 10 Nachwirkung: — 31. +56. +2. —48. —4. +22. +7. —32. — 32. +21. +45. b) Versuche mit schwacher Erregung. Leistung am Schluss der Arbeit: 66 FEERE 96. 1; 83. : 85.7 WORAN 852.79 178.28 Leistung nach 1stündiger Pause: 10. 0105; . - BT 12 EN Nachwirkung: +4 —6. ie; +22. — 18. —27. +4 —10. +1. — Keller, Pädagogisch - psychomstrische Studien, 461 In der Versuchsserie a (vergl. auch Fig. 16 Kurve st) steht der mittleren Leistung 104 vor der Pause, die mittlere Leistung 105 nach der Pause gegenüber. Schließt die Arbeit mit einem Erregungszustand ab, dann überdauert derselbe im allgemeinen die einstündige Pause. Diese Deutung des Versuchsergebnisses scheint thatsächlich, trotz der bedeutenden individuellen Schwankung, die in der Nachwirkung zum Ausdruck kommen, im allgemeinen zutreffend zu sein. In der Ver- suchsserie a haben wir in 6 Fällen am Schluss der Arbeit einen Er- regungszustand; in 4 Fällen ist er auch nach der Pause noch vor- handen. In der Gesamtheit unserer Beobachtungen begegnen uns 9 Ver- suche, die mit einem Erregungszustand abschließen. In zwei Fällen geht während der einstündigen Pause diese Erregung in Ermüdung über, d. h. die nach der Pause beobachtete Leistungsfähigkeit ist ge- ringer als die ursprüngliche, einmal um 13, einmal um 17; in 2 Fällen sinkt die Erregung auf die ursprüngliche Leistung, fünfmal dauert der Erregungszustand über die Ruhezeit hinaus an. In der Versuchsreihe b (vergl. Fig. 16 Kurve sch) steht der mitt- leren Leistung 81 vor der Pause, die mittlere Leistung von 72 nach der Ruhe gegenüber. Die Ermüdung wird also durch die Ruhezeit (einstündige) nicht nur nicht aufgehoben, sondern sie nimmt als Nach- wirkung der vorangegangenen Arbeit noch zu. In den Versuchsreihen a und b haben wir 15 Fälle, in denen die Leistung am Schluss der einstündigen Arbeit geringer war als die ursprüngliche. In 12 Fällen war auch die nach der Ruhe gemessene Arbeitsleistung kleiner als die ursprüngliche. Im ganzen beobachtete ich in 21 Fällen nach der einstündigen geistigen Arbeit den Zustand der Ermüdung. In 15 Fällen ist auch nach der einstündigen Ruhe der Ermüdungszustand noch vor- handen, so zwar, dass der mittleren Leistung 72,4 vor der Ruhe die mittlere Leistung von 72,2 nach der Ruhe gegenübersteht. In 6 Fällen dagegen restaurierte die Pause. Im Mittel betrug bei diesen Versuchen die Leistung vor der Pause SS, nach der Pause 106. Weniger stereotyp als die Beziehung zwischen Erregung und Depression sind die Be- ziehungen zwischen Erregung, bezw. Ermüdung zur Nachwirkung: Immerhin aber kommt mit hinlänglicher Klarheit folgendes allgemeine Verhalten zum Ausdruck: Als Nachwirkung der geistigen Arbeit hältderZustand derErmüdung über eine Istündige Ruhezeit hinaus im allgemeinen an, wenn die Istündige geistige Arbeit Ermüdung hervorrief; als Nachwirkung der geistigen Arbeit hält dagegen im allgemeinen der Zustand der Erregung über eine Istündige Ruhezeit hin- aus an, wenn nach der Istündigen Arbeit der Zustand der Erregung vorhanden war. Eine Istündige Ruhe vermag also den durch die geistige Arbeit erzeugten psychischen Zustand im allgemeinen nicht zu verwischen. 462 Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. Nach der einstündigen Pause. setzte die gleiche geistige Arbeit wie vor der Pause wieder ein. Die Versuchsbedingungen erscheinen also insofern geändert, als nicht das wieder in seinen anfänglichen Zustand versetzte Organ thätig ist, sondern das erregte oder gewöhn- licher das ermüdete, so ist es von vornherein nicht ausgeschlossen, dass dieser Teil unserer Versuchsserien von dem ersten Teil in wesent- liehen Momenten differiere. Wir prüfen in erster Linie wieder die Beziehungen zwischeu Er- regung und Depression, indem wir wieder die Ergebnisse der 10 Fälle starker Erregung mit den 10 Fällen geringster Erregung vergleichen. Wir schließen dabei wieder jene Fälle aus, in welchem das Maximum der Leistungsfähigkeit an den Schluss der Arbeit fällt. Maßzahl der Erregung: 190... :.. 180: 137. 126. »1214.,.121.,,, 1122, 105 55] Leistung nach einstündiger Arbeit: 88. 15h 8952: 88: 109. 17. 79. 89. 13:37 D5 33. Depression: | 2A ET 44: ln 42 iBE.RU32g ran Im Mittel beträgt die Maßzahl der Erregung in diesen 10 Ver- suchen 130; die mittlere Leistungsfähigkeit vor der 2. Pause 73. Die Differenz zwischen den beiden Leistungen, die Depression, beträgt somit 52. Im Mittel ist sie, wenn wir alle Versuche, die im ersten Teil zu einem Erregungszustande führten, der Rechnung zu Grunde legen, 28. Es ist also die Maßzahl der Depression dieser 10 Versuche fast doppelt so groß, wie der Gesamtdurchschnitt der Depression. Wir sehen im Weiteren, dass nur in 2Fällen unter den 10, die Depression etwas geringer ist als das Gesamtmittel. Folgendes ist das Ergebnis der 10 Fälle kleinster Erregung. Maßzahl der Erregung: 41. 55. 58. 64. 67. 70. 13. 18. 74. 714. Leistung nach einstündiger geistiger Arbeit: 38. 38. 4). 39. 58. 47. 62. 70. 69. 58. Depression: > 20. 12. 25. 3 23. 11, 3. D. 16. Im Mittel beträgt hier die Maßzahl der Erregung 65; die Leistungs- fähigkeit nach der Arbeit erreicht die Größe 52, die Depression da- nach 13. Sie ist also nicht halb so groß wie das Gesamtmittel der Depression. In keinem einzigen der 10 Versuche wird dieses völlig erreicht. Die Depression der 10 Fälle starker Erregung ist also im Mittel 4mal größer als die mittlere Depression der 10 Versuche mit schwacher Keller, Pädagogisch -psychometrische Studien. 463 Erregung d. h. unser Gesetz, dass eine durch geistige Arbeit erzeugte starke Erregung von einer starken Depression begleitet wird, wird auch durch diese Versuchsserien bestätigt. Die Prüfung unseres 2. Gesetzes über die Beziehung der Nach- wirkung zum vorangegangenen psychischen Zustand, der Erregung oder Ermüdung, erhält insofern einen einseitigen Charakter, als der Zustand der Erregung nach dieser 2. Stunde geistiger Arbeit nur noch in 2 Fällen zu konstatieren war. Im einen Fall ist auch nach der sich anschließenden einstündigen Pause die Leistungsfähigkeit erhöht, d. h. der Erregungszustand überdauert die einstündige Ruhe. Im andern Fall dagegen geht die Erregung während der Pause in eine schwache Ermüdung über. In 22 anderen Fällen führte die geistige Arbeit zu einer Ermüdung, indem der durchschnittlichen Anfangsleistung von 94 nach der Arbeit eine Durchschnittsleistung von 63 gegenübersteht. Nach der einstün- digen Pause ist dieser Durchschnitt der Leistungsfähigkeit auf 75 ge- stiegen. Wenn also auch eine teilweise Erholung eintrat, so ist doch dem ursprünglichen Zustand gegenüber noch in ausgesprochener Weise der Ermüdungszustand da. Wenn also in diesen Durchschnittswerten auch unser zweites Gesetz bestätigt erscheint, so zeigen sich in den Ergebnissen der einzelnen Versuche eine Reihe von Ausnahmen, die für sich nur bestätigen, was wir früher schon betonten, dass unser zweites Gesetz weniger stereotyp ist, als das erste. In 7 Fällen näm- lich erscheint nach der einstündigen Pause eine Leistungsfähigkeit, die größer ist, als die vor der Arbeit gemessene, so dass einer mittleren Leistungsfähigkeit von 66 nach einstündiger geistiger Arbeit eine mittlere Leistung 100 nach einstündiger Ruhe gegenübersteht. In den anderen 15 Fällen dagegen beobachten wir, dass die Leistung nach einstündiger Arbeit im Mittel 62 beträgt, nach der einstündigen Pause dagegen 64. In jenem Falle war das Mittel der Anfangsleistung 99, in diesem 92. Es ergeben also diese Zahlen in der That, dass das über die Beziehungen zwischen Erregung, resp. Ermüdung und der Nachwirkung früher Gesagte auch unter den veränderten Versuchsbedingungen des 2. Teiles der Versuchsreihen im Großen und Ganzen Giltigkeit hat. Lösen wir unser Gesetz, dass der stärkeren Erregung im allge- meinen auch eine stärkere Depression folge, von den begleitenden Zahlen ab, dann möchte wohl leicht die Ansicht Platz greifen, dass die geistige Arbeit,,die Leistungsfähigkeit um so mehr beeinträchtige zu je stärkerer Erregung sie führe. Diese Vorstellung ist jedoch durch unsere Versuche nicht zu belegen. Der Kurvenverlauf, den wir in Fig. 15 durch die ausgezogene Kurve darstellten, zeigt uns als mittleres Ergebnis aller Versuche, die 464 Keller, Pädagogisch - psychometrische Studien. zu einer Erregung führten, dass die geistige Arbeit nach 60 m die ursprüngliche Leistungsfähigkeit um 10°, verringerte. Diese Ver- ringerung ist auch nach einer Ruhe von 60 m noch vorhanden. Die weitere geistige Arbeit während 60 m führt zu einer weiteren Ver- minderung um 22°/, der ursprünglichen Arbeit. Nach einer einstün- digen Ruhe beträgt der Gesamtverlust der Leistungsfähigkeit 21/9. Wie verhalten sich nun im Mittel die 10 Fälle stärkster Erregung? Die Leistungsfähigkeit, die in Folge der geistigen Arbeit bedeutend gesteigert wird, sinkt nach einstündiger Arbeit (vergl. Fig. 16 st) nicht auf die anfängliche Leistung zurück, sondern ist um 4°/, größer. Nach der einstündigen Pause zeigt sich gegenüber der ursprünglichen Leistung ein Plus von 5°,. Durch die wieder beginnende Arbeit wird die Leistungsfähigkeit von neuem gesteigert, im Mittel auf 141; nach ein- stündiger Arbeit sinkt sie auf 101 und erst während der sich an- schließenden einstündigen Ruhe sinkt sie auf 37, wird also gegenüber der ursprünglichen Leistungsfähigkeit um 13°, vermindert. In den Fällen geringer Erregung durch geistige Arbeit beträgt das schließ- liche Defieit der Leistungsfähigkeit 24°], (vergl. Fig. 16sch). Aus diesen Versuchen ergibt sich also folgendes Gesetz: Erhöhte Erregung verlängert die Dauer der Leistungsfähigkeit. Es mag hier der Ort sein, mit einigen Worten auch jene Ver- suchsergebnisse zu berühren, in denen kein Erregungszustand be- obachtet wurde, in denen also die Arbeit sofort die Leistungsfähigkeit herabsetzte. Die maximale Leistung betrug im Mittel 86; am Schlusse der 1stündigen Arbeit 66, so dass also die Depression 20 war, d. h. nur ?/, so groß, wie die mittlere Depression jener Fälle, die zu einem Erregungszustand führten. Es steht also dieses Ergebnis völlig im Einklang mit unserem ersten Gesetz. Nach der einstündigen Pause betrug die mittlere Leistungsfähigkeit 68. Es kommt also das Gesetz der Nachwirkung in prägnantester Weise zum Ausdruck. Verfolgen wir den gesamten Kurvenverlauf, wie er in der punktierten Linie der Fig. 15 angedeutet, dann sehen wir unser Gesetz vom Einfluss der Er- regung auf die Dauer der Leistungsfähigkeit aufs überraschendste be- stät'gt, indem die Kurve in ihrem ganzen Verlauf unter dem Mittel, das die ausgezogene Kurve darstellt, bleibt. Dem schließlichen mitt- leren Defieit der Leistungsfähigkeit von 21°/,, steht hier ein solches von 37°, gegenüber, das also 3mal größer ist als jenes, das wir in den Versuchen mit starker Erregung beobachten und 1!,,mal größer als jenes, das bei schwachen Erregungen zu konstatieren war. [41] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Öentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. as und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. I. Rosenthal Prof. der De in Hlaran: 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis jr Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle a und Postanstalten. XVIL Band. 1 Fuli 189 lee 16 Mr. 13. SEN V- Lendenfeld, Die Nesselzellen der Unidaria. — Popofl, Ueber die Histo- genese der Kleinhirnrinde. — Hensen, Bemerkungen zur Planktonmethodik. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellsehaften: Medizinischer Verein zu Greifswald. Solger, Ganglienzellen des Lobus electricus von Torpedo. Die Nesselzellen der Cridaria. Von R. v. Lendenfeld. ‘ Vor zehn Jahren habe ich in dieser Zeitschrift einen kurzen Auf- satz über den damaligen Stand unserer Kenntnis von den Nesselzellen der Onidaria veröffentlicht: anschließend an diesen, will ich im Folgen- den die seither auf diesem Gebiete erzielten Resultate besprechen und an der Hand der neuen morphologischen, physiologischen und ent- wieklungsgeschichtlichen Daten die Theorien prüfen, welche ich und andre zur Erklärung der Funktion dieser Organe aufgestellt haben. Die Arbeit gliedert sich naturgemäß in die folgenden fünf Haupt- abschnitte: Litteratur, Morphologie, Entwicklungsgeschichte, Physio- logie und Schlussbetrachtung. Bemerken möchte ich noch, dass ich, um dieselbe nicht noch umfangreicher zu machen, als sie ohnehin ge- worden ist, auf die Nesselorgane andrer Tiere, nicht näher einge- gangen bin. I. Litteratur. In dieser Liste sind nur die im Jahre 1387 und später erschienenen, einschlägigen Arbeiten zitiert. Aeltere Arbeiten sind bei Iwanzoff (18968), Murbach (1894), Zoja (1890) u. a. angeführt. 1889. L. Agassiz!): The Anatomy of Astrangia danae. Natural history illustrations prepared under the direetion of Louis Agassiz, 1849. Explanation of Plates by J. W. Fenkes, 20 p., 6 Taf. 4) Die den wesentlichen Teil dieser Arbeit ausmachenden Tafeln sind schon 1849 gezeichnet worden. Ihrer Wichtigkeit wegen, sowie auch weil sie erst 1889 publiziert wurde, habe ich diese Arbeit hier aufgenommen und im Folgenden auch berücksichtigt. XVII, 30 466 1888. 1893. 1888. 1890. 1896. 1888. 1887. 1832. 1891. 1892. 1889. 1895. 1895. 1888. 1891. 1895. 1896. v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. G. J. Allman: Report on the Hydroida II. The Tubularinae, Cory- morphinae, Campanularinae, Sertularinae and Thalamophora. 'The voyage of H. M. S. Challenger, Zoology, Bd. 23, Part 70, LXIX und 90 p., 39 Taf., 1 Karte. (Nesselzellen p. XIV—XVI.) G. Antipa: Eine neue Stauromeduse (Capria n. Sturdzii n.). Mitt. Zool. Stat. Neapel, Bd. 10, p. 618—632, Taf. 40. (Nesselzellen p. 625—626.) M. Bedot: Sur P’Agalma Olausi n. sp. Recueil Z. Suisse, Bd. 5, p. 73—91, Taf. 3, 4. (Nesselzellen p. 85—87.) Derselbe: Observations relatives ä l’histologie des animaux inferieurs (Communiqu& & la SocieteE de physique et d’histoire naturelle de Gentve dans seance du 5 decembre 1889). Arch. Sei. phys. et nat. Gen&ve, Bd. 22, p. 606—608. Derselbe: Note sur les cellules utriecantes. Revue Suisse Zool., Bd. 3; p. 533—539, Taf. 18. E. B&raneck, Etude sur les corpuscles Marginaux des Actinies. Neuchätel, 40 p., 1 Taf. (Nesselzellen p. 27—32 u. a. 0.) G. C. Bourne: On the Anatomy of Mussa and Euphyllia and the Morphology of the Madreporarian Skeleton. Quart, Journ. Mier. Sei. (n. S.), Bd. 28, p. 2?1—51, Taf. 3, 4. (Nesselzellen p. 25, 30.) M. Chapaaux: Contribution 4 l’&tude de l’appareil de relation des Hydromeduses. Arch. 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Derselbe: Die Nesselzellen. Biol. Centralbl., Bd.7, p. 225—232. 1888. 1890. 1893. 1894. 1887. 1894. 1890. 1891. 1892. 1894. 1896. 1890. 1889. 1890. 1890. 1893. Derselbe: Ueber Cölenteraten der Südsee VII. Die australischen, rhizostomen Medusen. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 47, S. 201—324, Taf. 18—27. (Nesselzellen p. 244—245, 254—255, 298.) J. P. Me Murrich: Contributions on the Morphology of the Actino- zoa. I. The Structure of Cerianthus americanus. Journ. of Morph., Bd. 4, p. 131—150, Taf. 6—7. (Nesselzellen p. 141, 143.) L. Murbach: Zur Entwicklung der Nesselorgane bei den Hydroiden. (Vorläufige Mitteilung zu 1894). Zool. Anz., Bd. 16, S. 174—175. Derselbe: Beiträge zur Kenntnis der Anatomie und Entwicklung der Nesselorgane der Hydroiden. Arch. Naturgesch., Jahrg. 60, Bd. 1, S. 217—254, Taf. 12. M. Nussbaum: Ueber die Teilbarkeit der lebenden Materie, II. Mitt., Beiträge zur Naturgeschichte des Genus Hydra. Arch. mikr. Anat., Bd. 29, S. 265—366, Taf. 13—20. 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(2), Bd. 8, S. 101-142, Taf. 7—9. (Nesselzellen p. 119—122.) J. Wagner: Zur Organisation des Monobrachium parasiticum Mere;j. Zool. Anz., Bd. 12, S. 116—118. H. V. Wilson: On a new Actinia, Hoplophoria coralligens. Stud. Biol. Lab. J. Hopkins Univ., Bd. 4, 9 p., Taf. 43, R. Zoja: Alcune ricerche morfologiche e fisiologiche sull’ Hydra. Boll. Se. Pavia, Jg. 12, 90 p., 6 Taf. (Nesselzellen p. 56 —64.) Derselbe: Intorno ad un nuovo idroide. Mitt. Zool. Stat. Neapel, Bd. 10, p. 519-526, Taf. 33. (Nesselzellen p. 522.) II. Morphologie. An den Nesselzellen der Onidaria sind stets eine Kapsel, und ein in dieser aufgerollter, dem amorphen Kapselinhalte eingebetteter Faden 30* u 468 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. zu unterscheiden. Zumeist (oder immer) findet sich eine Plasmahülle, welche einem Mantel gleich die Kapsel einhüllt und in welcher in der Regel ein Zellkern, sowie zuweilen auch ein Fadenknäuel nachgewiesen werden können. Der Mantel pflegt Fortsätze zu besitzen, von denen die einen (Cnidoeil, Cilien) nach außen, die andren (Stiel, diverse proximale Anhänge) nach innen abgehen. Diese Teile der Nesselzelle wollen wir für sich besprechen, vorher aber noch einiges über die Meinungen erwähnen, welche die neueren Autoren über die Natur der Nesselzellen als solche hegen, sowie auf die Unterscheidung der Nesselzellen der Onidaria in zwei Hauptarten eingehen. 1. Die Natur der Nesselzellen. Der alten Auffassung, dass den Nesselzellen eine Perceptions- funktion zukäme und dass sie demnach mehr oder weniger alsSinnes- zellen aufzufassen wären, hat sich neuerlich Chapeaux (1892) wieder zugewandt. Er sagt, dass die Nesselzelle bei den Aetinien ein „type primitif d’un organ de sense“ sei. Anch Schneider (1890) will die Nesselzellen der Hydra als Sinneszellen angesehen wissen, weil nach seiner Auffassung alle eigentlichen Sinneszellen des Hydra- Ektoderms schon ins Subepithel herabgerückt seien, sich in Ganglien- zellen verwandelt hätten, und die Nesselzellen jetzt die einzigen Ele- mente der äußeren Gewebeschicht des Süßwasserpolypen seien, welche Reize perzipierten. Gleichwohl hält er hier, sowie auch in einer späte- ren Arbeit (1892) an meiner älteren Anschauung von der Drüsen- natur der Nesselzellen fest und meint, dass jene Sinnesfunktion erst neuerlich erworben wäre und nur so nebenbei ausgeübt würde. Ja er geht (1890) hierin so weit, die Nesselzellen der Cnidaria und auch die Klebezellen der Otenophora für ableitbar von solehen Drüsenzellen zu halten, wie sie in der Fußscheibe von Hydra vorkommen. Chun (1891) dagegen fasst die Nesselzelle als Neuromuskelzelle im Sinne Kleinberg’s auf, weil ein Teil von ihr aus kontraktiler Sub- stanz besteht und dieser durch einen, von einem andren Teile der Zelle (dem Cnidoeil) perzipierten Reiz zur Zusammenziehung veran- lasst wird. Er betont übrigens die „Vielseitigkeit“ der Leistungen der Nesselzellen. Iwanzoff (1896a) endlich betrachtet die Nesselzelle als eine modifizierte Flimmer- oder Epithelzelle, von deren Cilien einige zur Bildung der Cnidocile zusammengetreten sind und die andren mehr oder weniger vollständig rückgebildet wurden. Das Auffinden von Nesselzellen mit mehreren kurzen Cilien neben dem Cnidoeil, namentlich bei Adamsia rondeletii, sowie von solehen, bei denen statt eines einfachen Cnidoeils mehrere kürzere oder längere Üilien vor- handen sind, und endlich die durch den Zerfall in einzelne Längs- fasern beim Macerieren dokumentierte Zusammensetzung des Cnidoeils aus verwachsenen Einzelhärchen haben ihn zu dieser Ansicht geführt. v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. 469 2. Die zwei Arten von Nesselzellen. Schon an den im Jahre 1849 von Agassiz gezeichneten Abbildungen von Nesselkapseln und -Fäden der Astrangia danae (Agassiz 1889) ist auf das deutlichste zu erkennen, dass diese Spe- cies zwei Arten von Nesselkapseln besitzt: Kapseln mit gewöhnlichen, schlauchförmigen Fäden, die beim Schusse umgestülpt werden und mit der Kapsel in Verbindung bleiben; und dann Kapseln mit dünneren, vielleicht soliden Fäden, welche beim Schusse nieht umgestülpt und in toto ausgestoßen werden. Die erstere ist allgemein verbreitete, allen Cnidarien zukommende, gewöhnliche Form; die letztere jene auf Anthozoen beschränkte, welche Gosse als Cnidae cochleatae bezeich- net, und Möbius für Jugendformen der andren gehalten hat. Auf den großen, grundsätzlichen Unterschied zwischen diesen beiden Nessel- kapselarten hat zuerst Bedot (1890) hingewiesen. Er lässt den ge- wöhnlichen Nesselkapseln den alten Namen „Nematocystes“ und stellt für die andren den Namen „Spirocystes“ auf. Später geht Bedot (1896) weiter auf diese Unterscheidung ein und zeigt, dass bei den Spirocysten der Faden nicht wie bei den Nematocysten der Kapsel angeheftet ist, sondern frei in derselben liegt. Dem entsprechend fehlt den Spiroeysten auch das bei den Nematocysten vorhandene basale Anheftungsstück, welches häufig gerade und longitudinal in der Kapsel- axe liegend, als Axenstück imponiert. Alle Teile des Spirocysten- fadens sind stets in einer Spirale aufgerollt. Auch hält Bedot den Spirocystenfaden nicht für schlauchförmig wie den Nematocystenfaden sondern für solid. Vielmehr als die weit höher entwickelten Nemato- eysten erinnern die Spirocysten an die Triehocysten der Protozoen. Unabhängig von Bedot ist auch Iwanzoff (1896a) zur Auf- stelluug dieser Unterscheidung bei den Nesselkapseln der Actinien ge- langt. Seine diesbezüglichen Angaben stimmen im allgemeinen mit jenen Bedot’s überein. Eigene Namen für die beiden Hauptarteu von Nesselorganen hat Iwanzoff jedoch nicht aufgestellt. Ich halte diese von Bedot und Iwanzoff aufgestellte Unterscheidung der Nessel- kapseln für ganz naturgemäß und werde im Folgenden die beiden von Bedot für sie aufgestellten Namen Nematocysten und Spiroeysten benützen. Brüder Hertwig haben seiner Zeit behauptet, dass bei Actinien auch fadenlose Nesselkapseln vorkämen. Wäre dies richtig, so müsste außer den beiden obengenannten noch eine dritte (fadenlose) Art unterschieden werden. Beranek (1888) hat jedoch gezeigt, dass auch diese Kapseln einen Faden enthalten: er ist in ihnen nur schwerer wie in andren zu sehen. 3. Der Plasmamantel. Der Plasmamantel, welcher die Nesselkapsel umgiebt, ist nach Iwanzoff (1896a) bei den Hydroiden höher als bei den Actinien 470 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Unidaria. entwickelt. Stets ist er im Leben viel voluminöser und leichter zu sehen, wie in Präparaten, weil er in Folge von Reagentienwirkung stark schrumpft (Iwanzoff 1896a). Achnliches hat auch Chapeaux (1892) bei Hydra bemerkt. Besonders dünn ist der Mantel nach Zoja (1892) bei Umdrellaria aloysü; nach Schneider (1892) bei Forska- lea contorta und nach Iwanzoff (1896a) bei maneben Actinien, so- wie bei den Nesselzellen in den Nesselknöpfen der Siphonophoren- Fangfäden. In diesen stehen die Kapseln so dicht, dass nur kleine, drei- oder vierkantige Räume zwischen ihnen bleiben, welche von der Mantelsubstanz eingenommen werden. Eine den Mantel von der Kapsel trennende Flüssigkeitsschicht haben Schneider (1890) bei Hydra fusca und Iwanzoff (1896a) beiden großen Nesselzellen von Carmarina hastata aufgefunden. Schnei- der hält diese Flüssigkeitsschicht für ein durch Reagentienwirkung, postmortal erzeugtes Artefact. Grenacher (1395) giebt an, dass bei Hydra der Mantel sich nach Pikrinsäurebehandlung von der Kapsel ablöse. Ueber die Natur des Mantels bei denjenigen Nesselzellen der Ac- tinien, bei denen der Faden schwer zu sehen ist, sagt B&ranek (1883) „il n’existe pas de fibres museculaires entourant le enidoblaste, comme c’est le cas chez beaucoup de Coelenteres“. Schneider (1890) sagt, dass die innerste Schicht des Plasmamantels der Nesselzellen von Hydra fusca fast ganz in einen Muskel umgewandelt sei und dass dieser Muskel alle Teile der Kapsel mit Ausnahme ihres Vorderendes umhülle.e Auch Murbach (1893, 1894) und Schneider in seiner späteren Arbeit (1892) halten den Mantel für muskulös. Iwanzoff (1896a) dagegen sagt, dass die „Wand des Cnidoblasts selbst“ ... . „keine Hindeutung auf einen muskulösen Charakter“ zeige, obwohl auch er jene dichtere Innenlage des Mantels bemerkte, die Schnei- der für einen Muskel erklärt hatte. Von besonderen Strukturen am Mantel ist besonders die Radial- streifung bemerkenswert, welche nach Grenacher (1895) jenen Teil des oberen Mantelrandes der Aydra-Nesselzellen einnimmt, welchem das Cnidoeil entragt. Grenacher hält diese, ziemlich schwer sichtbare Streifung für den Ausdruck einer Faltung des Mantels, oder doch der Manteloberfläche, an der betreffenden Stelle. Der obere, den distalen Pol der Nesselkapsel deckende Teil des Plasmamantels bildet ein Deekelehen oder Mützchen, welches beim Schusse abgeworfen oder nach der Seite umgelegt wird. Bedot (1888) hat solche Dekelehen an den abgeschossenen Nesselfäden der Agalma clausü, Iwanzoff (1896a) bei Pennaria, m Carmarina und Actinien Beobachtet’ Eingelagert in dem Mantel findet sich ein, in der Regel ganz leicht nachweisbarer Zellkern und bei gewissen Siphonophoren außer- v. Lendenfeld, Nesselzellen der CUnidaria. 471 dem noch ein andrer Körper, auf den wir unten zurückkommen wer- den. Nach Murbach (1894) soll ein Kern immer vorhanden sein, während Iwanzoff (1896a) angiebt, dass er bei den Actinien öfter rückgebildet werde. Die Gestalt des Kernes ist nach Iwanzoff (18962) meist länglich; zuweilen erscheint er gebogen und umfasst dann die Kapsel, der er anliegt, in größerer oder geringerer Ausdeh- nung; ja bei Apolemia uvaria kommt es vor, dass der Kern als ge- schlossener Ring die ganze Kapsel umgürtet. Ich (1888), Schneider (1890) und Iwanzoff (1896a) geben übereinstimmend an, dass der Kern in der Regel am unteren Ende der Kapsel, seltener zu ihrer Seite liegt. Was nun die andre oben erwähnte, bei Siphonophoren ( Velella u. a.) vorkommende, von Bedot und Chun als eine Art Muskel in Anspruch genommene Manteleinlagerung anbelangt, so hat zunächst Chun (1891) dieselbe bei Stephanophyes superba als einen Becher kon- traktiler Substanz beschrieben, in welchem die Kapsel sitzt. Bei Phy- salia hatMurbach (1894) verbogene und geknickte, zum Teil spiralig gewundene Fasern in der Umgebung der Kapsel gefunden. Eine deut- licher spiralige Anordnung zeigten dieselben bei Velella. Diesen merk- würdigen Körper im Velella - Cnidoblast hat Schneider (1894) ein- gehender studiert. Er findet, dass derselbe aus einem dieht aufgeroll- ten Fadenwerk besteht und kommt zu der Ueberzeugung, dass er nieht muskulöser Natur sei. Iwanzoff (18962) hat solche Faden- knäule, sowohl in den gestielten, wie in den ungestielten Nesselzellen von Velella gefunden, und erkannt, dass von denselben ein Faden nach unten abgeht, welcher den Stiel der Nesselzelle durchzieht und sich an die Stützlamelle anheftet. Das Fadenknäuel selbst hat bei Velella die Gestalt einer, der Kapsel anliegenden, konvex-konkaven Linse. Iwanzoff erkennt in diesem linsenförmigen Körper das obere, zu einem Knäul zusammengelegte Ende eines langen, unten im Stil spiralig aufgerollten Fadens. 4. Das Cnidoecil. Als Cnidoecile sind diejenigen Anhänge der Nesselzellen zu be- zeichnen, welche in centrifugaler Richtung nach außen abgehend, frei in das umgebende Wasser hineinragen. Wenngleich die allermeisten Nesselzellen derartige Distalanhänge besitzen, so scheint es doch auch — von den, in der Tiefe liegenden und daher hier nicht in Betracht kom- menden Nesselzellen abgesehen — solche oberflächliche zu geben, die der Cnidoeile entbehren. So sollen nach Wagner (1884) die Nessel- zellen von Monobrachium parasiticum enidoeillos sein; ebenso nach Iwanzoff (1896a) einige der großkapsligen Nesselzellen von Car- marina hastata und die mit Fadenknäuel ausgestatteten von Velella. Es ist oben schon erwähnt worden, dass nach Iwanzoff (1896a) nicht 472 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Unidaria. selten statt eines einzigen Cnidocils mehrere getrennte Cilien, meist von sehr verschiedener Größe, der Distalfläche der Nesselzelle ent- ragen. Dies wurde namentlich bei Adamsia rondeletii und andren Actinien beobachtet. Bei Pennaria und bei einigen Siphonophoren zer- fallen nach Iwanzoff (1896a) die dort stets einfachen Cnidocile beim Macerieren in drei oder mehr getrennte Cilien: durch Verwachsung von solchen, der Bewegung verlustig gegangenen Cilien sollen sie ent- standen sein. Nach Bedot (1838) besteht das Cnidocil der Nessel- zellen von Agalma clausii aus einer andren Substanz als der obere, die Kapsel kappenförmig deckende Teil des Mantels. Das Cnidoeil ist hier kurz dornförmig und verdickt sich unten plötzlich zu einem kon- vex-konkaven Gebilde, welches sich der Kapsel dicht anschmiegt. - Auch bei den Actinien soll nach B&eranek (1888) das Cnidoeil von der Kapsel abgehen und die Cuticula durchbohren. Bei Aydra Jusca werden nach Schneider (1890) die Cnidocile der großkapsligen Nesselzellen basal von einem manschettenähnlichen Auswuchse des Mantels umgeben. Aehnliches beschreibt auch Chapeaux (1892), auch er hat die Manschette und das Herantreten des Cnidocils an die Kapsel (bei Hydra) beobachtet. Nach Grenacher (1895) geht bei Hydra das Cnidocil vom höchsten Punkte des oberen, freien Mantel- randes ab. Die gewöhnliche Form des Cnidoeils ist die eines koni- schen, schief stehenden Dornes. Die Cnidocile der kleinkapsligen Nessel- zellen von Hydra sind bekanntlich länger als jene der großkapsligen. Schneider (1890) giebt für die ersteren bei H. fusca eine Länge von 0.01, für die letzteren von nur 0.007—0.008 mm an. Bei H. grises erreichen die längsten Cnidocile nach Nussbaum (1887) 0.011 mm. Besonders lange Cnidocile habe ich (1838) an den Nessel- zellen der Digitellen der Mundarme von CUrambessa mosaica gefunden ; besonders steil stehende auf der Exumbrella der Rhizostomen. Ganz abnorme Cnidocile wurden von Chun (1891) an den mit birnförmigen Kapseln ausgestatteten Nesselzellen des Distalteiles des eichelförmigen Nesselknopfes von Stephanophyes superba gefunden. Hier sind die Cnidocile nämlich sehr groß, 0.032 mm lang, stark und dem Oberschnabel eines Adlers gleich gebogen. Ungeheuere Cnidoeile, welche etwa zweimal so lang wie die zugehörigen Kapseln sind, be- schreibt Haeckel (1888) von den Nesselzellen des Knopfes der An- themodes ordinata. Nach Iwanzoff (1896a) verwachsen zuweilen die Cnidocile benachbarter Nesselzellen von Apolemia uvaria zu bogen- ähnlichen Gebilden. 5. Die Proximalanhänge. Bekanntlich habe ich (1887) vor zehn Jahren die Meinung aus- gesprochen, daß jede hochorganisierte Nesselzelle zwei Basalfortsätze besäße, einen Stützstiel und eine Nervenfaser. Der erstere sollte bloß v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. 475 dazu dienen, die Nesselzelle — im Sinne Hamann’s — zu fixieren, während die zweite die Verbindung derselben mit dem subepithelialen Nervenplexus herzustellen bestimmt wäre. Zu dieser Annahme bin ich einesteils durch die Beobachtung von Nesselzellen mit zwei Basal- fortsätzen uud andrenteils durch theoretische Erwägungen veranlasst worden. Nussbaum (1837) hat gezeigt, dass einige von den Nessel- zellen der Hydra gestielt sind, andre jedoch eines eigentlichen Stieles entbehren und nur mit einer einfachen Basalplatte, von deren Rand mehrere Fortsätze abgehen, der Stützlamelle aufsitzen. Analoges habe ich (1888) bei Rhizostomen gefunden, deren Nesselzellen mit einem Stiel ausgestattet sind, von dessen Basalende (ähnlich wie von der Basalplatte jener Nussbaum’schen Hydra-Nesselzellen) mehrere Fort- sätze abgehen. Ich sprach damals die Ansicht aus, dass „einer dieser Fortsätze“ ... „gewiss mit subepithelialen Nerven in Verbindung“ stehe. Auch Allman (1888) acceptierte diese, zuerst von Jiekeli ausge- sprochene und dann von mir angenommene Ansicht; er behauptet nämlich, dass sich Ausläufer subepithelialer Ganglienzellen mit den Nesselzellen verbänden. Allman (1888) schlägt für den Nesselzellen- stiel den Namen Cnidopod vor und meint, dass die, namentlich von Chun behauptete muskulöse Natur desselben „not yet proved“ sei. Zoja (1890) hat, ebenso wie früher ich, Nesselzellen mit zwei Basal- fortsätzen beobachtet und eine solche abgebildet. Auch er hält die- selben nieht für muskulös. Schneider (1890) hat zwar einmal eine Verbindung zwischen einer Nesselzelle und einem varicösen Ganglien- zellen-Ausläufer beobachtet, ist jedoch geneigt dies als ein zufälliges Artefact (er beobachtete es an einem Macerationspräparat von Hydra) und nicht als etwas den natürlichen Verhältnissen .entsprechendes, an- zusehen. Ueberhaupt sieht er nicht ein, wie bei Hydra eine solche Verbindung existieren könne, weil ja die Hydra-Nesselzellen innerhalb von Epithelmuskelzellen liegen. Auch Schneider hat zuweilen mehrere unregelmäßige Fortsätze an den Nesselzellen wahrgenommen. Bei Hydra haben nach Schneider (1890) die Nesselzellen der Ten- takel, nicht aber jene der Körperwand, deutliche Stiele. Diese Stiele sind distal erweitert. Bei den kleinkapsligen Nesselzellen ist der Stiel basal dünn und von nur wenig oder gar keinem Plasma umgeben; bei den großkapsligen erscheint er dagegen als ein weiter, an großen Va- cuolen reicher, nach unten nur wenig verdünnter Kegel. Der Stiel ist mit der Stützlamelle fest verwachsen und setzt 'sich basal jedenfalls nicht in tangentiale Muskelfasern fort. Der Stiel soll, ebenso wie der Mantel, muskulös‘sein. Schneider (1890) sagt hierüber „Dass wir es wirklich mit Muskeln zu thun haben folgt aus der Uebereinstim- mung im optischen Verhalten mit den Muskelfasern der Epithelmuskel- zellen“. Viel schlanker als der Stiel der Aydra-Nesselzellen, und bis zu 0.032 mm lang ist der Stiel der Tubularia-Nesselzellen. Dieser 474 v. Lendenfeld, Nesselzellen der COnidaria. soll nach Sehneider (1890) einerseits mit einem der Vorsprünge der Stützlamelle, andrerseits mit dem Hinterende der Kapsel fest ver- wachsen sein. Die muskulöse Substanz ist auf die Umgebung der Kapsel beschränkt. In ganz ähnlicher Weise schildert Viguier (1890) die Stiele der Nesselzellen von Tetraplatia volitans. Bei den klein- kapsligen soll der Stiel viel länger als bei den großskapsligen sein. Die Stiele sind den „eretes“ der Stützlamelle angeheftet. Viguier hält sie für muskulös, einerseits, weil sie bei frischgetöteten Tieren viel kürzer als bei solchen sind, bei denen die beginnende Maceration der Muskelstarre ein Ende gemacht hat, und andrerseits auch weil — in Folge ihrer Kontraktion — die Oberfläche über jeder Nesselzelle dellenartig eingezogen erscheint. Ich muss gestehen, dass ich diesen Angaben keine Beweiskraft für die Richtigkeit der Annahme einer muskulösen Natur des Stiels beimessen kann. Besonders lange Stiele — er nennt sie schlechtweg „Muskelstiele“ — hat Chun (1891) an einigen der, mit Adlerschnabel-Cnidoeilen ausgestatteten Nesselzellen von Stephanophyes superba gefunden. In den eichelförmigen Nessel- knöpfen dieses Siphonophors hat er gelegentlich auch Nesselzellen mit zwei oder drei Stielen gesehen. Im Gegensatze zu Korotneff hat Chun (1892) keine Verbindung der Stiele der mit birnförmigen Kap- seln ausgestatteten Siphonophoren- (Stephanophyes superba-) Nessel- zellen mit Ganglienzellenausläufern auffinden können. Sehr bestimmt äußert sich Chapeaux (1892) über das Vorhandensein eines solchen Zusammenhangs bei Hydra, wo die Nesselzellen durch körnige Fäden mit den subepithelialen Ganglienzellen in Verbindung stehen sollen. Chapeaux behauptet, dass oft mehrere Nesselzellen mit einer und derselben Ganglienzelle solcherart verbunden seien und bildet (1892, Taf. 22 Fig. 5) eine derartige Gruppe ab. „Le enidoblaste est done un element peripherique*, sagt er, „en rapport avec les cellules ner- veuses“. Bei Actinia eguina und Anemonia sulcalta hat er — an Ten- takelquerschnitten — ebenfalls diesen Zusammenhang nachgewiesen. Besonders verlässlich scheinen diese Angaben jedoch nicht zu sein. Nach Schneider (1892) ist der Nesselzellenstiel bei Pennaria mit der Stützlamelle fest verwachsen, was besonders bei den großkapsligen deutlich hervortritt. Der Stiel wird hier von Plasma umgeben und ist nicht muskulös. Viel dicker, und basal in mehrere Fortsätze aufgelöst, sind die Stiele der Nesselzellen in den Tentakeln von Carmarina has- tata. Diese, meint Schneider, könnten wohl muskulös sein. Nach Goto (1395) wären die jungen Nesselzellen der Physalia-Siphonen durch Plasmaausläufer miteinander verbunden. Nach einem Zusammen- hange zwischen Nessel- und Ganglienzellen hat Iwanzoff (1896a) vergebens gesucht. Im allgemeinen soll nach diesem Autor der Nessel- zellenstiel bei den Hydroiden stärker als bei den Actinien sein. Er ist nicht muskulös und stimmt substantiell mit der Stützlamelle überein. v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. 475 In dieser Hinsicht stellt sich also Iwanzoff auf die Seite Ha- mann’s und widerspricht den Anschauungen von Chun, Bedot, Murbach und zum Teil auch Schneider. Gleichwohl hat auch Iwanzoff (1896a) zuweilen körnig-plasmatische oder (bei Apolemia uvaria) längsgestreifte, basale Nesselzellenausläufer gesehen. In Bezug auf das Heranreichen des Stützstieles bis an die Kapsel — sein Durch- dringen des basalen Teiles des Plasmamantels — bei Pennaria cavo- linii bestätigt Iwanzoff (1896a) die Angaben Schneider’s (8. 0.) Gar nicht selten, so namentlich bei den Nesselzellen der Siphonophoren- Fangfäden, fehlt der Stiel ganz. Verzweigte Stiele hat Iwanzoff bei Actinien angetroffen. Mehrere (bis zu sieben) Proximalfortsätze von abgeplattet bandförmiger Gestalt, welche eine Längsstreifung aufweisen und oft terminal zerschliessen sind, hat er an den Nesselzellen von Carmarina hastata beobachtet. Diese Fortsätze gehen meist von der Seite, nicht vom unteren Ende, der Nesselzelle ab, was Iwanzoff damit erklärt, dass der Cnidoblast samt der Kapsel tangential im Subepithel liegt ehe er an die Oberfläche gelangt. Warum aber, wenn das so ist, die Stiele der einstieligen Nesselzellen, die in der Jugend doch auch tangential liegen, nicht ebenfalls von der Seite abgehen, sagt Iwanzoff nicht. Auch die von mir (1888) in der Schirmgallerte von Crambressa aufgefundenen Nesselzellen haben mehrere, zuweilen ziemlich viele Fortsätze. Bekanntlich haben seiner Zeit Bedot und Chun eine Querstrei- fung des Stiels beziehungsweise Mantels bei gewissen Siphonophoren- Nesselzellen beschrieben. Murbach (1893, 1894) hat nun erkannt, dass — bei Velella — diese Erscheinung nicht auf einer wahren Querstreifung sondern auf dem Vorhandensein einer engen Spirale beruht, welche den Mantel durchzieht und sich im Stiele nach unten fortsetzt. Am deutlichsten ist die spiralige Natur dieser Bildung an den langgestielten, kleinkapsligen Nesselzellen von Physalia zu sehen. Murbach hält die Spirale für einen glatten, den Stiel umwickelnden Muskelfaden, und vergleicht ihn dem Stiele der Gtenophoren-Klebzellen. Spiralig gebogene Stiele hat Viguier (1890) an den Nesselzellen der Tetraplatia volitans beobachtet. Iwanzoff (1896a) hat ganz sicher nachgewiesen, dass bei Velella ein feiner Spiralfaden von dem, im Mantel enthaltenen Fadenknäul durch den Nesselzellenstiel zur Stütz- lamelle herabzieht um sich an diese anzuheften. Zuweilen findet man — etwas derartiges hat auch Bed ot (1896) gesehen — im Stiele eine glänzende Anschwellung dieses Fadens. Der Faden ist vollkommen homogen und nicht muskulös. Iwanzoff hält ihn für eine — nach Anheftung der explodierten Nesselkapsel an die Beute — wie eine elastische Angelschnur wirkende Harpunenleine, welche der Velella einen teilweisen Ersatz für die fehlenden Tentakel bieten soll. 476 v. Lendenfeld, Nesselzellen der CUnidaria. Ueber besondere Ausbildungsformen der Nesselzellenstiele liegen folgende Angaben vor: Allman (1883) sagt, dass an den Enden der vier Mundrohrlappen der Meduse von Podocoryne carnea je ein Büschel von „non-contractile filaments“ sitzt, von denen jedes an seinem Ende eine Nesselzelle trägt. Nach Chun (1891) durchziehen zwei Fasern, die er für Längsmuskeln hält, den Endfaden von Stephanophyes su- perba der ganzen Länge nach. An diesen sitzen einseitig fiederartige, abwechselnd kürzere und längere Zweige, welche die Nesselzellen tragen: die kürzeren, diejenigen mit stabförmig - eylindrischen, die längeren, diejenigen mit birnförmigen Kapseln. In den Nesselknöpfen sind die Stiele an die gefensterte Membran geheftet. Bei Forskalea löst sich nach Schneider (1892) die Stützlamelle des Nesselknopfes in ein Büschel von Stützfasern auf, denen seitlich die Nesselkapseln aufsitzen. Zuweilen ist an diesen Stützfasern eine ziekzackförmige Krümmung bemerkbar. 6. Die Kapsel. Ueber die Form und die Größe der Nesselkapseln liegen zahlreiche Detail-Ausgaben von Nussbaum (1887), Bedot (1888), Schneider (1890), Murbach (1894), Iwanzoff (1896a) a. a. vor. Antipa (1893) hat bei seiner Capria sturdzii flaschenförmige Kapseln gefun- den. Nach Hiekson (1895) sind die (nach Essigsäurebehandlung) abgeschossenen Kapseln von Alcyonium digitatum 0.015 mm lang; ruhend sollen sie nicht so groß sein. Nach Iwanzoff (1896a) sind die Nesselkapseln der Scyphomedusen rundlich und klein. Sehr große 1.12 mm lange und 0.12 mm breite Kapseln fand dieser Autor bei Halistemma rubrum. Was die Kapselwand anbelangt, so hatIwanzoff (1896a) gefun- den, dass sie bei den Nematocysten stets viel stärker als bei den Spirocysten ist. Allman (1888), Schneider (1890, 1892), Cha- peaux 1892), Murbach (1894) und Iwanzoff (1896a) geben gleich- lautend an, dass sie aus zwei über einander liegenden Membranen zusammengesetzt ist. Allman (1888) schildert die äußere Kapsel- wandschicht als dick und stark, die innere dagegen als zart. Schnei- der (1890) giebt an, dass sich die äußere Schicht bei den Hydra- Nesselzellen nicht über den vorderen (Entladungs-)Pol erstrecke: dort bilde die innere Schichte allein die Kapselwand. Ferner soll nach diesem Autor (1392) bei gewissen Nesselzellen von Forskalea contorta, denen der Mantel fehlt, sowie überhaupt bei allen mantellosen Nessel- zellen, die äußere Kapselmembran selber kontraktil, muskulös, sein. Nach Murbach (1894) soll die Innenschicht sehr zart und fest mit der äußeren, diekeren Schiehte verwachsen sein. Wie schon Schnei- der angegeben, ist die letztere am Entladungspole unterbrochen. Nach Iwanzoff (1896a) soll dem entgegen die äußere Kapselwandschicht dünner und stärker lichtbrechend als die innere, und die letztere — v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. 477 wir kommen unten hierauf zurück — für Wasser absolut undurchlässig sein. Gegen Reagentien ist die Kapselwand nach Iwanzoff (1896a) sehr resistent; selbst konzentrierte Schwefelsäure greift sie nur lang- sam an. Iwanzoff glaubt, dass sie aus Chitin bestehe. 7. Der Faden. Jede wahre Nesselzelle hat einen Faden, welcher beim Schusse ausgestoßen wird. Die Behauptung der Brüder Hertwig, dass es auch fadenlose Nesselzellen (bei Actinien) gebe, ist von Beranek (1888) widerlegt worden. Die Bildungen, welche Nussbaum (1887) als „abortive Nesselzellen“ (bei Aydra) beschreibt, und die auch von andren Autoren gefunden worden sind, haben allerdings keinen Faden; sie sind aber auch keine Nesselzellen im wahren Sinne des Wortes. Der Faden der Nematocysten ist stets hohl, dagegen soll nach der Meinung einiger Autoren der Faden der Spirocysten solid sein. Während Sehneider (1890) und Murbach (1894) behauptet haben, dass bei den Nematoeysten der Faden eine Fortsetzung der inneren Kapselwandschicht sei, stellt Iwanzoff (1896a) die Ansicht auf, dass er mit der äußeren Kapselwandschicht im Zusammenhang stehe; beim Ceriantkus sollen nach diesem Autor jedoch beide Kapsel- wandschiehten an dem Aufbaue des Fadens teilnehmen. Bourne (1837) hat an der Spitze des (vermutlich erst teilweise) hervorgeschossenen Fadens bei Euphyllia glabrescens eine Lanzen- spitzen-ähnliche Armatur beobachtet. Nussbaum (1887) unterscheidet an dem abgeschossenen Faden der großkapsligen Hydra-Nesselzelle basal eine zarte, glatte, weite Röhre von halber Kapsellänge; dann einen kleinen Kegel von viertel Kapsellänge, dessen Basis drei große, nach rückwärts gerichtete Dornen entragen und der weiterhin mit kleinen, kurzen Borsten besetzt ist; und endlich einen dünnen Endfaden von 14-15facher Kapsellänge. Bei den kleinkapsligen Nesselzellen ist der Faden dicker, kürzer und gerade, bei den großkapsligen länger und korkzieherartig gewunden. Nach Beranek (1888) ist der Faden der scheinbar fadenlosen Kapseln der Actinien dornenlos. Jener der andren Kapseln zeichnet sich nach diesem Autor durch eine sehr be- deutende Länge aus. Der Faden der kleinkapsligen Nesselzellen von Agalma elausii, dessen Basalstück nieht deutlich abgesetzt ist, soll nach Bedot (1888) nur eine Spirale von Knöpfehen tragen. Der abgeschossene Faden der großkapsligen Nesselzellen dieser Art hat ein weites, fein quergestreiftes, deutlich abgesetztes, mit Büscheln langer schlanker, nach verschiedenen Richtungen abgehender Haare besetztes Basalstück und einen Endfaden, an dem drei Spiralreihen nach rückwärts gerichteter, kleiner Dörnchen zu erkennen sind. Haeckel (1888) zeichnet einen abgeschossenen Nesselfaden von Ste- phalia corona mit nach außen gerichteten starken Dornen am Ende 478 v, Lendenfeld, Nesselzellen der COnidaria. des glatten Basalstückes und einer doppelten Dorn- Spirale am End- faden. Ich (1888) habe gefunden, dass sich das Basalstück des Nessel- fadens bei Crambessa und Pseudorhiza plötzlich, bei Phyllorhiza aber allmählich zum Endfaden verdünnt. Nach Danielssen (1889) haben die Fäden der Nesselzellen von Cerianthus borealis ein Stilet mit nach rückwärts gerichteten Dornen. Agassiz (1889) stellt den hervor- geschossenen Faden der Nematocysten von Astrangia danae zum Teil mit spindelförmigem Basalstück, zum Teil ohne solches dar. Bei einigen umgiebt eine einfache, bei andren eine doppelte Spirale von Dörnchen das Basalstück, bei noch andren ist es ganz dornenlos. Bei einigen reicht die Dornenspirale über den Endfaden hinauf, bei andren ist dieser ganz glatt. Nach Viguier (1890) sind die Nesselfäden der Te- traplatia volitans ganz glatt und außerordentlich lang. Schneider (1890) giebt folgende Maaße für die Fäden der verschiedenen Nessel- zellen von Hydra fusca: Nesselzellen mit großen ovalen Kapseln, Faden 0.27 mm lang und 0.001 mm dick; Nesselzellen mit großen zylindri- schen Kapseln, Faden 0.15 mm lang und 0.0012mm dick ; Nesselzellen mit kleinen ovalen Kapseln, Faden 0.02 mm lang und 0.001 mm dick ; endlich Nesselzellen mit kleinen zylindrischen Kapseln, Faden 0.015 bis 0.02 mm lang und 0.013 mm diek. Die Fäden der ersteren sind nach dem Schusse korkzieherartig gewunden, die Fäden der letzteren gerade. Basal trägt jeder Faden drei nach rückwärts gerichtete Dornen, während sein Endteil mit Spiralen von Dörnchen ausgestattet ist. Die letzteren treten namentlich an den Fäden der kleinkapsligen Nesselzellen deutlich hervor. Eine besonders große Dehnbarkeit hat Schneider (1892) bei den Fadenschläuchen der Carmarina hastata konstatiert. Spiraltouren von Dörnchen sind auch von Zoja (1893) an den Nesselfäden von Umbrellaria aloysii beobachtet worden. Schnei- der (1894) giebt an, dass allgemein drei Dornenspiraltouren an den Fäden der Nematocysten vorkommen. Nach Murbach (1394) sind die Fäden der Nesselzellen mit kugligen, sowie auch jene mit kleinen zylindrischen Kapseln, bei den Siphonophoren, mit drei Dörnchen-besetz- ten, spiraligen Längsrippen ausgestattet, welche nur die Fadenbasis frei lassen. Dagegen ist der Faden der Nesselzellen mit ovalen Kap- seln bei Hydra und den Siphonophoren ähnlich, wie früher Nuss- baum (1837) angegeben, aus drei Abschnitten zusammengesetzt: dem weiten Basalstück, einem konischen Zwischenstück und dem geißel- förmigen Endfaden. Doch, wo das Basalstück in das Zwischenstück übergeht, sitzen drei große (am eingestülpten Faden) nach rückwärts gerichtete Dornen. Bei den Siphonophoren-Nesselzellen mit großen, zylindrischen und spindelförmigen Kapseln ist dagegen die distale Hälfte des Basalstückes, des aus den gleichen drei Abschnitten zu- sammengesetzten Fadens, dicht mit großen, senkrecht abstehenden oder nach hinten gerichteten Borsten besetzt. Nach Hieckson (1895) v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. 479 ist der Nesselfaden von Aleyonium digitatum lang, gebrechlich und dornenlos. Grenacher (1895) bestätigt die Angaben Schneiders (1890) über den Bau der Hydra-Nesselfäden. Er meint, dass die am Endfaden erkennbaren Spiraltouren Reihen von Dörnehen vorstellen, die man aber wegen ihrer Kleinheit nicht als solche unterscheiden kann. Iwan- zoff (1896a) hat, ebenso wie früher Schneider (s. 0.) eine große Dehnbarkeit des Fadenschlauches (beim Cerianthus) nachweisen können. Die Nesselfäden der Actinien tragen nach diesem Autor am dickeren Basalstücke drei Dornenspiralen, welche sich in die drei Spiralrippen des dünnen Endteiles fortsetzen. Der Faden der großkapsligen Nessel- zellen von Caryophyllia cyathus erreicht eine Länge von 0.7 mm. 0.132 mm davon entfallen auf das behaarte Basalstück. Das Basal- stück ist am Grunde 0.005, und in der Mitte 0.006 mm; der Endfaden am Grunde 0.004 und am Distalende 0.003 mm dick. Die Nesselfäden der Hydroiden haben drei sehr starke Basaldornen. Bei den Antho- zoen werden solche nicht angetroffen. Der Endfaden soll bei Tudu- laria larynz ganz glatt und dornenlos sein. Die Fäden der groß- kapsligen Nesselzellen von Carmarina hastata haben ein distal keulen- förmig verbreitertes 0.03 mm langes Basalstück, ein konisches Zwischen- stück und einen Endfaden, der etwas mehr als halb so dick, wie das Basalstück ist. Die Gesamtlänge des Fadens beträgt 0.5 mm; der untere Teil des Basalstückes ist glatt, am oberen sieht man drei Dornenspiralen, welche sich in die drei Rippen des dreikantigen End- fadens fortsetzen. Sehr reich an verschiedenen Fadenformen sind nach Iwanzoff (1896a) die Siphonophoren. Bei Apolemia uvaria werden nicht weniger als vier angetroffen: Fäden mit breitem, in der Mitte leicht sanduhrförmig eingeschnürtem, lange Dornen tragendem Basal- stück und dünnem Endfaden; Fäden mit weitem, drei Spiralen, sehr kurzer Dornen tragendem Basalstück, welches diesen Dornenspiralen entlang eingeschnürt erscheint, und dünnem Endfaden; Fäden, welche kein weiteres Basalstück, dafür aber im proximalen Teile zwei spindel- förmige Verdickungen aufweisen; und endlich Fäden, welche ziemlich stark sind und weder ein dickeres Basalstück noch Anschwellungen besitzen. Bei Agalma werden außer gewöhnlichen Nesselfäden mit Basalstück und langem Endfaden, von denen drei Arten vorhanden sind, auch solche angetroffen, bei denen der Endfaden zu einem ganz kleinen, dünnen, einer Kralle ähnlichem Gebilde reduziert erscheint, welches dem ungemein großen und breiten Basalstücke terminal auf- sitzt. Bei Praya erreicht der Faden der großkapsligen Nesselzellen eine Länge von 3!/, mm; sein Basalstück ist nicht dieker wie sein Endteil, wohl aber sind die Dornen des ersteren länger als die Dornen des letzteren. An den Fäden der großkapsligen Nesselzellen von Halistemma rubrum hat Iwanzoff drei gerade Längsreihen sehr 480 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. starker, krallenartig zurückgebogener Dornen beobachtet. Die Fäden der großkapsligen Nesselzellen von Velella haben drei starke Basal- dornen. Auch bei einigen Scyphomedusen-Nesselfäden hat dieser Autor drei Spiralreihen von Dörnchen aufgefunden, welche zuweilen bis gegen das Ende des terminal nur wenig verdünnten Fadens verfolgt werden können. Bei Cotylorhiza scheint der Endteil des Fadens jedoch glatt zu sein. Während der Nematoeystenfaden nach dem Schusse nie eingerollt ist, findet Agassiz (1889) den ausgestoßenen Spirocystenfaden bei Astrangia danae nicht selten gerade so in einer engen Spirale zu- sammengewunden, wie in ruhendem Zustande in der Kapsel. Der Spirocystenfaden ist nach Iwanzoff (1896 a) stark tingierbar, nament- lich gelbliebend, und immer ganz glatt und dornenlos. Abgeschossen erscheint er am Ende leicht steeknadelkopfartig verdickt. Während Murbach (1894) angiebt, dass der schlauchförmige Nematocystenfaden terminal immer vollkommen geschlossen ist, be- hauptet Viguier (1890) am Nesselfaden der Tetraplatia volituns eine Terminalöffnung beobachtet zu haben. Auch Iwanzoff (1896a) ist der Ansicht, dass die Nematocystenfäden terminal offen sein könnten. Was nun die Art der Aufrollung des Fadens innerhalb der Kapsel anbelangt, so hat Nussbaum (1887) angegeben, dass bei Hydra das Basalstück in der Kapselaxe herabhängt, dass sich die drei großen Dornen am Grunde dieses, auch als Axenstück bezeichneten Faden- basalstückes zu einem dolchartigen Gebilde zusammenlegen und dass der Endfaden basal in Längswindungen, dann weiterhin in Querwin- dungen angeordnet, nahe dem Entladungspole der Kapsel endet. Nach Bedot (1888) ist der Endteil des Fadens der großkapsligen Nemato- eysten von Agalma elausii unregelmäßig um das amphoraartige Basal- (Axen-)Stück aufgerollt. Nach Agassiz (1889) bildet der Faden in den Spiroeysten der Astrangia danae eine einfache, regelmäßige und sehr enge Spirale. Nach Sehneider (1890) ist die Art der Aufrollung des Fadens in den verschiedenen Nesselzellenformen der Hydra ver- schieden. Murbach (1894) schließt sich in Bezug auf die Anordnung des Fadens in der Kapsel an jene Meinung von Möbius an, nach welcher der Anfangsteil des Nematoeystenendfadens eine Strecke weit in das Basalstück hineinragt, so dass die Schlauchbasis dreifach er- erscheint. Das Endstück soll bei Nesselfäden mit Basalstück haupt- sächlich in Querschlingen angeordnet sein. ; Dieser Möbius’schen, nun von Murbach neuerdings ausgesproche- nen Ansicht tritt Iwanzoff (1896a) entgegen. Er leugnet das Vor- kommen einer derartigen dreifachen Ineinanderschachtlung der Fäden mit Basalstück und zeigt, dass — wenigstens bei den großkapsligen Agalma-Nesselzellen und auch bei jenen von Aöptasia — nur das kurze, konische Zwischenstück in das Basalstück hineingeschoben ist. An v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. 481 dem Basalstück des in der Kapsel eingeschlossenen Fadens der groß- kapsligen Agalma-Nesselzellen hat Iwanzoff (1896a) drei vortretende Spiralrippen beobachtet. Er nimmt an, dass der eingerollte Nemato- eysten-Schlauchfaden transversal so stark zusammengezogen ist, dass er entweder nur ein sehr enges, oder (bei Actinien) gar kein Lumen besitzt. 8. Deramorphe Kapselinhalt. Die Nesselkapsel ist bekanatlich von einer durchsichtigen und farblosen Substanz ausgefüllt, in welcher der Faden schwimmt. Bei Hydra ist diese Substauz nach Nussbaum (1897) tingierbar, jedoch nur so lange der Faden nicht ausgestossen ist: beim Schusse verliert sie die Tingierbarkeit. Bloß bei den kleinkapsligen Nesselzellen (der dritten Art) soll auch nach dem Schusse Osmiumsäure eine Schwär- zung des Kapselinhaltes bewirken. Nach Danielssen (1889) soll der Kapselinhalt der Nesselzellen von Cerianthus borealis nicht homogen, sondern feinkörnig sein. Für den Nesselkapselinhalt bei Hydra fusc«a behauptet Schneider (1890) dagegen die Homogenität. Nach An- tipa (1895) erscheint der Inhalt einiger der Nesselkapseln von Capria sturdzii — wohl in Folge von Reagentienwirkung — schwarz. Mur- bach (1394) ist der Ansicht, dass der Inhalt des, in sich umgestülp- ten, schlauchförmigen Fadens der Nematocysten klebrig und giftig, die außerhalb des Fadens befindliche Substanz aber nur eine einfache, bloß hydrostatisch wirkende Flüssigkeit sei. Ich möchte mir erlauben hiezu zu bemerken, dass diese Auffassung der früher von mir aufge- stellten vollkommen entspricht, wasMurbach jedoch zu sagen unter- lassen hat. Grenacher (1805) giebt an, dass der Kapselinhalt der Hydra-Nesselzellen mit Wasser mischbar sei. Nach Iwanzoff (1896a) ist der Kapselinhalt der Nematoeysten eine, mit Anilinfarben tingir- bare, gelatinöse und giftige, brennend -ätzend wirkende, ungemein hygroskopische Substanz, welche mit Wasser in Berührung gebracht, plötzlich explosiv, sehr stark aufquillt. Zuweilen sind diehtere (stär- ker tingierte) Klumpen in dieser Kapselfüllmasse zu unterscheiden. Im Inneren des, in sich selbst zurückgestülpten, schlauchförmigen Fadens soll nichts von dieser Substanz enthalten sein. Bei den Spiro- eysten, bei denen, wie oben erwähnt, Kapsel und Faden tingierbar sind, bleibt der Kapselinhalt stets ungefärbt. 9. Vorkommen und Anordnung der Nesselzellen. Von den beiden Hauptarten der Nesselzellen, den. Nematocysten und den Spiroceysten kommen nach Iwanzoff (1896a) die ersteren bei allen Cnidariern, die letzteren aber nur bei den Anthozoen vor. Hydra hat bekanntlich drei Arten von Nesselzellen: 1. mit großen ovalen; 2. mit großen eylindrischen; und 3. mit kleinen ovalen Kap- seln. Nach Nussbaum (1557) sind die Kapseln der ersteren bei MH. XV. 31 489 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. grisea. 0.02 mm lang und 0.015 mm dick, bei H. viridis 0.01 mm lang und 0.007 mm diek und. bei H. fusca 0.013 mm lang und 0.007 mm dick. Diese Dimensionen sollen aber beträchtlichen Schwankungen unterworfen sein. Nach Sehneider (1890) sind bei H. fusca die Kapseln der beiden großkapsligen Nesselzellenarten (1 und 2) 0.01 bis 0.015 mm lang, die kleinen ovalen Kapseln der dritten Art 0.005 mm. Nach Nussbaum (1837) kommen bei Hydra Nesselzellen in allen Teilen des Ektoderms mit Ausnahme, der Fußscheibe vor. Entodermale Nesselzellen giebt es nicht; die Kapseln, die man im Entoderm findet hält Nussbaum, im Einklange mit den Angaben früherer Autoren, für ektodermale, verschluckte. An den Tentakeln kommen auf jedes Muskelfeld ein bis zwei große (der ersten und zweiten Art) und zwölf oder mehr kleine (der dritten Art). Am Körper sind die letzteren weniger zahlreich, Nach Schneider (1890) bilden auf den Tentakeln der Hydra fusca acht oder mehr kleinkapslige Nesselzellen einen kreisförmigen Ring um jede großkapslige. Zumeist liegen die Nessel- zellen in den Epithelmuskelzellen und zwar in jeder Epithelmuskel- zelle der Umgebung des Mundes ein bis zwei, in jeder Epithelmuskel- zelle der Tentakel viel mehr, :bis zu zwölf. Diese Art der Lagerung soll die Entladung erleichtern. Zoja (1890) giebt an, dass an den Hydra-Tentakeln bis zu zwanzig kleinkapslige Nesselzellen (der dritten Art) jede großkapslige Nesselzelle umstehen. Nach Chapeaux (1892) soll besonders die Tentakelspitze reich an Nesselzellen sein, was dieser Autor, der die Nesselzellen für Sinneszellen hält, mit der größeren Em- pfindlichkeit der Tentakelspitze in Zusammenhang bringt. Die, dureh ihre eigentümliche Vermehrung mittelst Saceulae Knos- pung, als sehr eigentümliche Form charakterisierte Maleremita cumu- ans besitzt nach Schaudinn (1594) nur eine Art von Nesselzellen. Pennaria cavolinii hat nach Iwanzoff (1896a) drei Nesselzellenarten: groß- und kleinkapslige mit dornigem Faden und einige wenige mit glattem Faden. An den Teentakeln von Carmarina hastata finden sich nach Iwanzoff (1896a) Ringe von Nesselzellen mit aufrechten Kap- seln, unter denen, im Subepithel, andre, Reservenesselzellen, mit tan- gential orientierten Kapseln liegen. Nach Viguier (1890) kommen bei Tetraplatia volitans zwei Nessel- zellenarten vor: solche mit kleinen rundlichen und solehe mit größeren, rundlichen oder ovalen Kapseln. Die ersteren finden sich an allen Teilen der Oberfläche, selbst auf der Oberseite der „Flügel“. Die letzteren sind nur „sur les bourrelets longitudinaux“ zahlreich. Die Nesselzellen stehen zwischen den Epithelzellen, von denen jede meh- rere halbkreisförmige Ausschnitte für die Nesselzellen an ihrem Rande hat. Chun (1891) giebt eine sehr detaillierte Beschreibung der Nessel- zellen der »Stephanophyes superba. Am Bande finden sich sieben Längsreihen von Nesselzellen. Die Kapseln jeder Reihe alternieren v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. 483 mit den Kapseln der Nachbarreihe. Im Ganzen sind im Nesselknopfe etwa 1000 kommaförmige, 0.045 mm lange Batteriekapseln; 44 seit- liche, 0.12 mm lange, stabförmige Hauptkapseln; 120 langgestielte, 0.02 mm lange birnförmige Kapseln; und einige 100 kleine, stab- förmige 0.022 mm lange Kapseln: Summa summarum etwa 1700 Nessel- kapseln vorhanden. Der Nesselknopf von Ersaea pieta ist nach Chun (1892) jenem von Stephanophyes superba ähnlich, enthält aber jeder- seits bloß 3, selten 4 oder 5 große Hauptkapseln. Schneider (1892) giebt an, dass im Nesselknopfe von Forskalea contorta lange schlanke, und dicke kurze Nesselkapseln vorkommen; am Endfaden die ersteren allein. Während die kurzen, dieken normal liegen, sollen umgekehrt die schlanken langen dem Faden mit dem Entladungspole aufsitzen. Nach Bedot (1888) finden sich im Nesselknopfe von Agalma clausii 20—50 große Hauptkapseln. Sie stehen dicht gedrängt und sind mit dem Entladungspole dem Bande angeheftet, was aber ihr Spiel nicht beeinträchtigen soll. Nach Iwanzoff (1896a) hat Agalıma fünf ver- schiedene Arten von Nesselzellen: solche mit kleinen, kugligen Kapseln und langem geraden Faden; solche mit großen birnförmigen Kapseln und gewundenem Faden; solche mit mittelgroßen, kugligen Kapseln und sehr kurzem Faden, welcher größtenteils aus dem Basalstücke besteht; solche mit gebogenen, zylindrischen Kapseln und gewundenem Faden; und endlich solehe mit großen, geraden, diekovalen Kapseln. Bei Apolemia uvaria unterscheidet derselbe Autor vier Nesselzellen- arten: solehe mit großen, kurzovalen Kapseln und sanduhrförmig ein- geschnürtem Faden-Basalstück; solche mit länglichovalen Kapseln und spiralzylindrischem Faden-Basalstück; solche mit länglichovalen Kap- seln und einem an mehreren Stellen verdickten Faden; und endlich solche mit kleinen kugligen Kapseln und Verdiekungs-losem Faden. Ferner behauptet er, dass die Nesselkapseln in den Fangfäden von Halistemma, nicht wie Korotneff angegeben hatte mit dem Ent- ladungspele, sondern geradeso wie alle andren, normal mit dem Hinter- ende angeheftet seien. Sie sind jedoch nicht senkrecht, sondern schief orientiert. Velella hat nach Iwanzoff (1896a) zwei Nesselzellen- arten: solche mit kleinen, ovalen Kapseln (diese. sind selten); und solehe mit größeren Kapseln von verschiedenen Dimensionen. Die Nesselzellen der Seyphomedusen haben nach Iwanzoff (1896a) rundliche und kleine Kapseln. Im Inneren der Schirmgallerte sind von mir (1888) bei Orambessa mosaica Nesselzellen aufgefunden worden. Antipa (1893) hat bei Capria sturdzii im Inneren eines jeden Randlappens Hohlräume aufgefunden, in denen zahlreiche Nessel- zellen. vorkommen. Diese, mit der Außenwelt nicht in Verbindung stehende Nesselhöhlen sind als Ektodermeinstülpungen aufzufassen. Bourne (1887) giebt an, dass in den Stomodeal-Kanälen von Euphyllia glabrescens sehr viele Nesselzellen in allen Entwieklungs- al 484 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Unidaria. stadien vorkommen. Nach Beranek (1858) sind die sogenannten Randkörper der Actinien nichts andres als Nesselpolster, in denen zwei Nesselzellenarten vorkommen. Die Nesselkapseln dieser Polster sind bei Aetinia equina größer als die Nesselkapseln der Tentakeln. Nach Danielssen 1889 zeichnet sich Cerianthus borsalis‘ durch ‘den Besitz besonders großer Nesselkapseln aus. Nach Agassiz (1889) kommen bei Astrangia danae fünf verschiedene Nesselkapselarten vor: diekovale, schlankzylindrische und birnförmige Nematocystkapseln; und schlanke, an einem Ende, oder an beiden Enden zugespitzte Spiroeystenkapseln. Bedot (1889) weist nach, dass Spirocysten bei Anthozoen, nicht aber bei Siphonophoren vorkommen. Nach M. Mur- rich (1890) hat Cerianthus americanus zwei Nesselzellenarten. Ihrer großen Variabilität wegen ist es unstatthaft so viele Arten von Nessel- zellen, wie Heider u. a. beschrieben haben, zu unterscheiden. Nach Hicekson (1305) haben die Nesselzellen des Aleyonium digitatum kleine, nur 0.0075 mm lange Kapseln. Sie sind auf die Polypen b£- schränkt. Nach Iwanzoff (1896a) erreichen die Nesselkapseln von Caryophyllia und Dendrophyllia eine sehr beträchtliche Größe; bei den Gorgoniden sind sie viel kleiner. Alle Korallenpolypen besitzen so- wohl Nematocysten, wie Spirocysten. Bekanntlich sind auch bei vielen, nicht zu den Onidaria gehörigen Tieren Gebilde gefunden worden, welche den Cnidaria-Nesselzellen mehr oder weniger ähneln. Obwohl ich hier, um den ohnedies schon zu bedeutenden Umfang dieses Aufsatzes nicht noch auszudehnen, auf diese, so verschiedenartigen Gebilde nicht näher eingehen will, sei es mir doch gestattet, die folgenden kurzen Bemerkungen über dieselben zu machen. Iwanzoff (1896a) sagt, dass bei der Ötenophore Ei- chlora rubra schlecht entwickelte Nesselkapseln vorkommen. Die von vielen Autoren behauptete Homologie zwischen den Nesselzellen der Onidaria einer-, und den Greif- und Klebezellen der Ctenophoren andrerseits scheint ihm sehr zweifelhaft. Die den Nesselzellen ver- slichenen Elemente der Turbellarien stammen vom ‚Parenchym und wandern von hier in die Haut ein. Die Nesselzellen der Dorsalwarzen der Aeoliden ähneln den Nesselzellen der Onidaria, unterscheiden sich von ihnen aber dadurch, dass sie mehr als eine Kapsel enthalten. Nach Bedot (1896) kommen bei Aeolis farrani sogar viele Kapseln von verschiedener Größe in einer Nesselzelle vor, welche nicht verschie- dene Entwieklungsstadien einer und derselben Kapselform, sondern verschiedene Kapselarten zu sein scheimen. Bei Coryphella landsburgi kommen nach diesem Autor in einer Nesselzelle zwei verschiedene Kapselarten vor. Alle diese 'sind- Nematoeystenartig. Nur bei Pleu- rophyllidia lineata hat er auch spiroeystenartige Bildungen ange- troffen. In Bezug auf die älteren Angaben von Troschel und Jou- bin, nach denen bei Tremoetopus microstoma Nesselzellen vorkommen Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 485 sollten, bemerkt Bedot (1896), dass das von den genannten Autoren als Organ des Cephalopoden beschriebene Gebilde nichts andres als ein Medusententakelstück wäre, welches der T’remoctopus festhält und vielleicht als Waffe benützt. (2. Stück folgt.) Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Von Dr. S. Popoff. Einleitung. Als wir im Jahre 1592 zur Untersuchung über die Histogenese der Kleinhirnrinde schritten, hatten wir in der Litteratur über diese Frage noch sehr dürftige Daten; im größten Teile der Fälle begegneten wir detaillierten Beobachtungen über die morphologische Entwicklung des Kleinhirns; die Histogenese aber nahm bei einigen Autoren, so zu sagen, nur eine untergeordnete Stellung ein. Lahousse war der Erste, der in seiner großen und umfangreichen Arbeit wie der Morphologie so auch der histogenetischen Entwieklung des Kleinhirns die nötige Auf- merksamkeit schenkte. In dem Maße, wie unsere Untersuchungen vor- schritten, erschienen über diese Frage einige sehr wertvolle Arbeiten, unter denen nur die aus dem anatomischen Institute in Zürich er- schienene Arbeit Alfred Schaper’s ein abgerundetes Ganze vor- stellte; man kann noch hierher die weniger ausführliche Arbeit Ste- fani’s und Bellogni’s über die Histogenese der Kleinhirnrinde der Vögel rechnen. Die anderen Arbeiten, wie Ramon y Cajal’s, Ernst Lugaro’s, Retzius, van Gehuchten’s u. A. berührten gewöhnlich histogenetische Erscheinungen des einen oder des anderen Teiles der Rinde, in einem oder zwei nacheinanderfolgenden Perioden, in den Grenzen vom Momente der Geburt und 1—2 Wochen nach der Geburt der Frucht. In letzter Zeit wurde allmählich, Dank den kapitalen Arbeiten His’, immer mehr und mehr klarer die Lehre von der primären Nervenzelle (Neuroblast), von der primären Nervenfaser u. s. w. Es ist selbstverständlich, dass das Interesse für embryologische Unter- suchungen besonders wuchs, als eine ganze Reihe wundervoller Arbeiten auf eine glänzende Weise die Grundsätze der neuen Lehre His’ be- stätigten. Andererseits bereicherten sich unsere Kenntnisse bedeutend, Dank der Methode Golgi’s, und in einigen Fällen änderten sich unsere An- sichten über die anatomische Form der erwachsenen Nervenzelle und ihrer Adnexa, über den Bau ganzer Abschnitte des centralen Nerven- systems; die Lehre von der gegenseitigen Beziehung der Zellen zu einander fasste immer mehr und mehr festen Fuß, — mit einem Worte die Erfindungen, die durch diese Methode, wie z. B. von Ramon y 486 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Cajal gemacht wurden, waren derart vielseitig, unerwartet und neu, dass sie anfangs mit großem Misstrauen aufgenommen wurden, bis Köl- liker, wie van Gehuchten berichtet, durch seine Autorität diesem Misstrauen ein Ende machte, indem er die Untersuchungen des oben- genannten Gelehrten völlig bestätigte. Ramon y Cajal, van Ge- hucehten, Kölliker, Lenhossek, Retzius, Golgi, Fusari und viele andere bereicherten derart die Litteratur mit neuen und interes- santen Beobachtungen über die histologische Anatomie des Central- nervensystems, dass man geradezu über diese fieberhafte und gleieh- zeitig produktive Thätigkeit dieser Gelehrten staunen muss. Bei diesem großen Interesse für die verschiedenen histogenetischen und anato- mischen Fragen, ist es ganz selbstverständlich, dass man auch der Kleinhirnrinde die nötige Aufmerksamkeit schenkte, welche sie wohl in der That wegen der außerordentlichen Kompliziertheit ihrer Struktur verdient. Da ja nach der Methode Golgi’s die markhaltigen Fasern sich nicht imprägnieren lassen sondern bloß die marklosen, so mussten die Forscher, insbesondere Ramon y Cajal, zum vollständigen Stu- dium der Rindenstruktur sich des Kleinhirns neugeborner Tiere oder auch sehr junger (ein bis zwei Wochen nach der Geburt) bedienen; dabei stießen sie auf verschiedene Erscheinungen des embryonalen Lebens der jungen Nerven- oder Neurogliazelle, was sie auch zugleich mit den anatomischen Daten beschrieben. Auf diese Weise stoßen wir zum ersten Male auf histologische Andeutungen, die durch die Methode Golgi’s gefunden wurden. Wie kurz jedoch dieselben auch sind, so sind sie dennoch sehr wertvoll, da sie uns zweifelsohne zur besseren Erklärung dieser oder jener Er- scheinung verhelfen. In den letzten 4—5 Jahren erschienen so viele Arbeiten über die Histogenese des Rückenmarks, dass wir in der Gegenwart dieses Stu- dium für beendet erklären können. In unseren Untersuchungen be- gegneten wir häufig völlig identischen Fakten, die von Anderen im hückenmark beschrieben wurden. Eine solche Identität der Erschei- nungen bezog sich hauptsächlich auf die Anfangsbildung der Nerven- oder Neurogliaelemente, auf die Verteilungen der Schichten u. s. w. Wir halten es für nötig, ein jedes Mal auf diese Fakta hinzuweisen, da sie unbedingt von großem embryologischen Interesse sind. Es giebt in der Litteratur nach der Methode Golgi’s noch keine Arbeiten, die sich auf die histogenetischen Erscheinungen in der Kleinhirnrinde bei Embryonen während ihres intrauterinen Lebens beziehen, daher ist’s ganz natürlich, dass Untersuchungen nach dieser Richtung hin (nach der Methode Golgi’s) völlig zeitgemäß erscheinen. Alfred Schaper, der bei seinen Untersuchungen sich anderer Färbemethoden bediente, kommt zu sehr interessanten und positiven Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 487 Daten; wir können jedoch nicht unerwähnt lassen, dass häufig seine Schlüsse einen mehr allgemeinen Charakter tragen und Details der Frage nicht umfassen. Die Methode Golgi’s hat vor anderen den Vorzug, dass sie einerseits die durch andere Meihoden gewonnenen Daten bestätigt und ergänzt,. andererseits viele neue Erscheinungen offenbart, die wir durch andere Färbebedingungen nicht erreichen können. Wie wir weiter ersehen, so machen wir uns mit Hilfe dieser Methode mit den wahren Formen der jungen Zelle bekannt, wir ver- folgen die Veräuderungen ihrer Konturen nach Maß ihrer Differenzierung, verfolgen das Wachstum der photoplasmatischen — und Nervenfortsätze, beobachten die Lage der jungen Zelle in Bezug auf die Umgebung und das Entstehen neuer Elemente ete. Wir ließen uns jedoch von den Verdiensten dieser Methode nicht hinreißen und erachteten es für notwendig, unsere Objekte auch nach anderen Methoden zu färben, damit unsere Schlüsse basierend auf parallele Beobachtungen, in ihrer Beweiskraft wo möglich viel gewinnen sollen. Zu diesem Zwecke gleichfalls nahmen wir für unsere Untersuchungen Embryonen ver- schiedener Tiere: Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Schafe, Vögel u. andere. Ein eigentümliches und sonderbares Faktum, auf welches wir im Laufe unserer Arbeit stießen, mögen wir noch erwähnen ; so bald wir nämlich nach der Methode Golgi’s das Kleinhirn mit seinen .anlie- genden Teilen, wie das verlängerte Mark, Vierhügel mit Silber im- prägnierten, so überzeugten wir uns öfter, dass die letzteren sehr leicht die Farbe aufnehmen; das Kleinhirn aber bleibt unimprägniert. Wir schrieben dieses irgend welchen Zufälligkeiten, die unserer Aufmerk- samkeit entgingen, zu, bis Alfred Schaper in seiner Abhandlung auf dieselbe Erscheinung hinwies: „die Elemente des Kleinhirns rea- gieren sonderbarerweise nicht in derselben Art, wie die des Rücken- marks“ und in Folge dessen, sagt er, wird die Untersuchung, wegen der großen Kompliziertheit der embryonalen Erscheinungen im. Klein- hirn, bedeutend erschwert. Es ist sehr schwierig, eine befriedigende Erklärung für dieses Faktum zu finden; wenn das Eindringen eines Farbstoffes in ein gewisses Gewebe abhängig von dem ÜUhemismus des letzteren ist, so muss man, was wenig wahrscheinlich ist, anneh- men, dass der Chemismus des Gehirngewebes in seinen verschiedenen Teilen verschieden ist. Wie dem auch sei, dieses Faktum bleibt be- stehen; wir müssen noch hinzufügen, dass eine solehe ungleichmäßige Empfänglichkeit der verschiedenen Teile des Centralnervensystems nicht nur im embryonalen Zustande beobachtet wird, sondern auch bei Erwachsenen, so z. B. erhielten wir fast immer beim Frosche pracht- volle Abbildungen der Histologie des Vierhügels, bestimmter Absehnitte des verlängerten Markes, befriedigende Präparate aber der Kleinhirn- rinde beim Frosche zu erhalten, kostete uns viel Mühe. Dasselbe 488 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. beobachteten wir auch nur in geringerem Grade bei Fischen und Vögeln. Vorligende Untersuchung ist im histologischen Laboratorium der Moskauer Universität unter der Leitung des hochverehrten Professors J. F. Ögnew ausgeführt. Es sei mir gestattet, ihm an dieser Stelle meinen innigsten Dank auszusprechen sowohl für das Thema als auch für die bereitwilligst erteilten Ratschläge bei Ausführung meiner Arbeit. Litteratur. Die Litteratur über die Histogenese der Kleinhirnrinde ist ziem- lich arm. Die Arbeiten, die in den siebziger und achtziger Jahren erschienen, sind keine Spezialarbeiten, die ausschließlich dieser Frage gewidmet sind. Die Untersuchungen Vignal’s beschränken sich auf zwei oder drei Perioden der 'Entwieklung der Kleinhirnrinde beim Mensch-Embryo, wobei ihm als jüngstes Objekt ein 5 Monate alter Embryo diente. Was Loewe [32] betrifft, so erwähnt er in seiner umfangreichen Arbeit nur beiläufig die Histogenese des Kleinhirns und richtet seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die morphologische Entwicklung dieses Organs. Die Beobachtungen Lübimoff’s [27] sind umfassender und interessanter für uns; er beschreibt nämlich genau die histologische Struktur der Rinde der Embryonen, verfolgt die Entstehung einer jeden Rindenschicht, doch wie die Entstehung der Schichten vor sich geht, wie die Nervenzelle entsteht, wie sie wächst — dabei hält er sich wenig auf. Mehr ausführliche Beobach- tungen über diese Frage hat, wie wir auch in der Einleitung erwähn- ten, Lahousse angestellt, der seine Arbeit im Jahre 1885 publizierte. Er verfolgte in streng aufeinanderfolgender Ordnung sehr aufinerksam die allmählichen morphologischen Veränderungen des Organs und gleichzeitig auch die Histogenese der Kleinhirnrinde, wobei er mit den frühesten Perioden begann und mit dem vollständig entwickelten Kleinhirn endete. Die Arbeiten, die in den letzten 3—4 Jahren erschienen und aus- schließlich der Histogenese der Kleinhirnrinde gewidmet sind, haben ein großes wissenschaftliches Interesse. Von diesem ist die Alf. Scha- per’s |55] die inhaltreichste, da sie die Histogenese der Kleinhirnrinde im Verlaufe des ganzen uterinen Lebens des Embryo beobachtet; die Arbeiten Bellogni’s und Stefani’s ]2] besprechen dasselbe bei Vö- geln. Darauf folgt noch eine ganze Reihe von Arbeiten nach der Me- thode Golgi’s: Ramon y Cajal |40, 44,42], van Gehuchten |2], Kölliker 25], Retzius [51] trugen in vieler Beziehung zum Ver- ständnis des anatomischen Baues der Kleinhirnrinde und einiger histo- genetischer Erscheinungen, die die Perioden von der Geburt der Frucht betreffen, bei. Die Arbeiten Ernst Lugaro’s [30] sind ausschließlich der Histogenese der Körnerschicht der Kleinhirnrinde gewidmet. »- R Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 489 Katzen-Embryo von 1—1!], em Länge. Zum klaren Verständnis der histogenetischen Prozesse der Klein- hirnrinde in den Anfangsstadien ihrer Entwicklung, müssen wir unser Augenmerk auf unsere inHerman’schei Flüssigkeit fixierten und. mit Safranin gefärbten Objekte richten, da die Methode Golgi’s für dieses Alter wenig tauglich ist. — Die früheste Periode der Entwicklung, welehe wir schildern konnten, gehört dem Katzen-Embryo von 1-——1'/, em; er entspricht der ersten Periode in den Untersuchungen Alf.Schaper’s (Forrellen-Embryo) wie auch in den Untersuchungen von Lahousse (Huhn-Embryo zwischen 3—4 Bebrütungstage). Das Klein- hirn hat das Aussehen einer dünnen bogenförmigen Platte (Lamelle cerebelleuse Lahousse, Kleinhirnlamelle —Michalkowicez), die sich durch Verdiekung des dorsalen Teiles der vierten Hirnblase gebildet hat. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Sagittaldurehschnittes der Kleinhirnplatte unterscheiden wir drei Schichten '): eine innere, mittlere und äußere (Siehe Abbild. I). Die innere Schieht (couche mere Lahousse; Keimschicht His) besteht aus einer Reihe neben- einander gelegener Zellen, mit großen ovalen oder unregelmäßig ge- formten Kernen, die sieh im Zustande thätiger Mithose befinden; an ihnen sehen wir verschiedene Phasen karyokinetischer Figuren: Kerne teils geteilt, teils auf dem Wege der Teilung. Die Flächen der Zell- teilung liegen in verschiedenen Richtungen, was wir auch auf Trans- versal- und Sagittaldurehsehnitten von Huhn-Embryonen beobachteten. Die Form der Zellen ist eine ovale oder runde; das Protoplasma be- steht aus einer homogenen, sehr blassen Substanz, in Folge dessen treten die deutlich gefärbten karyokinetischen Figuren der Kerne auf dem hellen Fond sehr en relief hervor. In den Zwischenräumen dieser Zellen ist eine Menge längsgelegener Streifen sichtbar, die eine Fort- setzung der Zellenforsätze der mittleren Schicht bilden und am inneren Rande der Kleinhirnplatte mit konischen Erweiterungen endigen. Eine ununterbrochene Reihe solcher, sehr häufig mit einander ver- klebter Endigungen bildet die innere Grenzmembran (Membrana limi- tans interna). Wir müssen auch auf ein von Lahousse schon erwähn- tes Factum hinweisen: bei den Huhn-Embryonen nämlich ist die ganze innere, ventrieuläre Oberfläche der Kleinhirnplatte mit zarten und dünnen, sehr nahe aneinander gelegenen Härchen besäet, einige von diesen sind leicht gekrümmt. Lahousse beobachtete sie bei.Em- bryonen in der frühesten Periode, wir — in der folgenden Periode, d. h. zwischen dem 4.—5. Tage bei Huhn-Embryonen. Bei dem Katzen- 1) Es ist selbstverständlich, dass wir uns einer solchen Unterabteilung in Schichten der bequemeren Beschreibung wegen bedienen; thatsächlich nehmen die Elemente einer jeden Schicht Anteil in der Bildung auch der beiden anderen Schichten. . u 490 Popoff, Ueber die Ilistogenese der Kleinhirnrinde. Embryo beobaehteten wir sehr deutlich diese Schicht (eutieula interna lahousse) ebenfalls in der folgenden Periode auf den nach der Me- thode Golgi’s ausgeführten Präparaten. Die folgende mittlere Schicht (Kerzone His), die breiteste von allen drei Schiehten — wird von einigen Reihen spindelförmiger Zellen gebildet, die mit ihrem Längsdurchmesser hauptsächlich in 'radiärer (1 24 ; x \ IIOTE II I = LI \ Gar S OR S 7 D.PEHAPHMOCKBA! DAOOE Re 9 Bl 5 ı) 0.PEHAPb NER DOIOBSE ET 21) 80101 Pi) Bar: 916) 7 AG ID x er ar) o N IA, WE YA V. (8 S NS I A >> BR Ko ZANG ZAAT FRENCH 2 Busln RN —_— — D,PERAPBMOLKBA PITZER OOOO IODSD EHOOOOO VOAMNOOO D.PEHAPb 496 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Richtung gelegen sind. Die vorherrschende Form ihrer Kerne ist die länglich-ovale, man begegnet auch unregelmäßigen Formen; sie unter- scheiden sich von den Kernen der vorhergehenden Schicht dadurch, dass sie keine karyokinetischen Figuren enthalten, schwächer Farbe aufnehmen und sehr reich an Chromatinsubstanz sind. In einigen Kernen sind ein oder mehrere runde oder stäbchenförmige Kernchen sichtbar. An beiden Polen der vertikalen Durchmesser des Kernes verlängert sich das Protoplasma in lange Fortsätze, von denen die der inneren Schicht am nächsten gelegene, nachdem sie zwischen den Zellen der Keimschicht verlaufen sind, an der Bildung der M. limitans interna teilnehmen. Wie aus der Abbild. I ersichtlich, breiten sich viele Fortsätze, sobald sie bis zur inneren Peripherie kommen, fächer- förmig aus und, indem sie sich mit denselben Endigungen der Nach- barfortsätze vereinigen, bilden sie häufig bogenförmige Räume, in welchen die Keimzellen gelegen sind. Was das Protoplasma anbelangt, so bezeichnet es Loewe als homogen, Schaper als körnig,Lahousse als fibrillär; das Protoplasma analoger Elemente (Spongioblasten) in dem sich entwickelnden Rücken- marke hat nach His ebenfalls eine fibrilläre Streifung. Von den Seiten des Kernes ist das Protoplasma bis zum Minimum verdünnt. Auf unseren in Herman’scher Flüssigkeit fixirten und mit Safranin gefärbten Objekten hat das Protoplasma das Aussehen einer homo- genen, sehr blassen Substanz; in den Stellen, wo sie sich zur Bildung der M. limitans interna erweitert, kann man bei aufmerksamer Be- obachtung eine sehr zarte Streifung in der Längsrichtung bemerken. Auf den Zupfpräparaten hat das Protoplasma ebenfalls das Aussehen einer homogenen Substanz, in welcher hier und da feinste Körnchen eingelagert sind. Seitenfortsätze senden diese Zellen nicht aus. La- housse behauptet aber, dass es ihm stets gelang, in den in Chrom- säurelösung oder in Flemmin g’scher Flüssigkeit gehärteten Schnitten diese Seitenfortsätze zu sehen, die sich mit denselben Fortsätzen der Nachbarzellen vereinigten, und da er in diesen Zellen (Neuroglie em- bryonnaire) die zukünftigen Nerven- und Neurogliazellen sieht, so zieht er daraus den Schluss, dass die Nervenzelle mit ihren Fortsätzen und die Neurogliazelle in dem erwachsenen Organismus ein unzer- trennbares Ganze vorstellen müssen. Wir können uns keineswegs mit den Schlüssen des Autors ein- verstanden erklären, da das Studium der mit Silber imprägnierten Präparate uns zeigt, dass die jungen Neurogliazellen überhaupt keine Seitenfortsätze aussenden, sondern nur ein oder zwei Fortsätze in die Richtung des Verticaldurchmessers des Kerns haben ; außerdem dass die Fortsätze der Nachbarzellen sich untereinander verflechten, aber nicht ineinander übergehen. Die größte Breite dieser Schieht entspricht den vorderen Teilen der Kleinhirnplatte; nach hinten verkleinert sie Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde, 49% sich, so dass in der Nähe des Velum medullare posterius diese Schicht bloß aus 1—2 Zellenreihen besteht. Die dritte — äußere Schicht ist viel enger als die vorhergehende, sie nimmt den ganzen Raum bis zur äußeren Oberfläche des Klein- hirns ein; die sie bildenden Zellen haben völlig dieselbe innere Struk- tur, wie die soeben angeführten — der mittleren Schieht; sie sind nur im Umfange ein wenig kleiner und leicht verlängert. Sie liegen weiter von einander entfernt als die Zellen der mittleren Schicht, und wenn man ordentlich die Abbildung betrachtet, so sieht man, dass der größte Teil der Zellen aus einen oder beiden Polen mehr oder weniger lange Fortsätze absendete. Eine völlig analoge Schieht beobachtete His in den Anfangsperioden des sich entwickelnden Rückenmarks und nannte sie „Randschleier“; Minot [36] nennt sie ebenfalls äußere Neurogliaschicht. His ist der Meinung, dass die Zellenfortsätze in der Nähe der äußeren Oberfläche Seitenzweige aussenden; einige von den Fortsätzen vereinigen sich nach der Ansicht desselben Autors miteinander und bilden ein zartes Netz, ähnlich dem auf unserer Abbildung. Die Be- deutung dieser Schicht im Rückenmark besteht nach His in der Bil- dung des lokalen Stützgewebes der zukünftigen weißen Substanz. In- teressant ist die Meinung Lahousse’s über die Entstehung dieser Schicht : wir wissen nämlich, dass die Kleinhirnplatte die Form eines Bogens hat, mit der Konvexität nach außen, und es ist daher verständ- lich, dass in Folge dieser Form die äußeren Schichten bei weitem um- fangreicher als die inneren sein müssen. Die sich in den letzteren aus der Keimschicht (couche-mere) auf dem Wege der indirekten Tei- lung bildenden Zellen, drängen sich nach außen, wo sie einen größeren Raum finden, lagern sich freier, d. h. nicht so dicht; ihre Fortsätze aber verzweigen sich und bilden ein zartes Fasernetz. Diese Zellen sind nach der MeinungLahousse’s völlig analog denen der mittleren .Schicht (Neuroglie embryonnaire), nur unterwarfen sie sich einer leich- ten Differenzierung in dem Sinne, dass ihre von den Fortsätzen ge- bildeten Schlingen breiter und offener sind (se sont ouvertes et elar- gies). Diese Schicht ist auch in der folgenden Periode, in welcher es uns gelang, sie nach der Methode Golgi’s zu färben. Anf diesen Präparaten ist sehr deutlich die gegenseitigen Beziehungen sowohl der Zellen als auch ihrer Fortsätze unter einander zu sehen und daher werden wir unser Urteil über diese Schicht dann äußeren, wenn wir parallele, sowohl nach der Methode Golgi’s als auch mit Herman’- scher Flüssigheit bearbeiteten Objekte vergleichen werden. Entsprechende frühe Perioden beobachteten wir auch bei Schaf- (1!/,;—2 cm) und Huhn-Embryonen. Die die Schichten bildenden Zellen sind in ihrem äußeren Aussehen, in ihrer Lage, in ihrer gegenseitigen Beziehung zu einander, in der Richtung ihrer Fortsätze — mit einem XVI, 32 498 Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Worte in allen Beziehungen völlig analog dem soeben von uns tiber den Katzen-Embıyo Gesagten. Beim Vergleich unserer Beobachtungen mit denen His’s, müssen wir zu dem Schlusse kommen, dass in den frühen Perioden die Entwicklung des Kleinhirns und die des Rücken- marks sehr ähnlich ist. Katzen-Embryo von 3 cm Länge. Mit der weiteren Entwicklung des Kleinhirns ändert sich auch merklich das histologische Bild. Wir sehen nämlich bei dem Katzen- Embryo von 3 cm längs der inneren Peripherie der Kleinhirnplatte in einer Reihe gelegene, den von uns früher in der mittleren Schicht be- schriebenen völlig analoge Zellen; das Protoplasma ist ebenfalls an beiden Polen in konische Fortsätze verlängert. Das äußere Aussehen der Zellen, die Form ihrer Kerne wie auch die Anwesenheit stäbchen- förmiger Kernehen — spricht für die Identität dieser Zellen mit denen der mittleren Schicht. Eine Keimschicht — als eine Reihe großer Zellen im Zustande der Teilung — existiert in dieser Periode nicht, sondern hier und da begegnen wir an der inneren Peripherie zerstreu- ten Kernen mit karyokinetischen Figuren als Ueberreste der verschwin- denden Keimschicht!). Gehen wir weiter nach außen, so sehen wir die radiäre La- gerung der Zellen der mittleren Schicht, welche wir der vorhergehen- den Periode beobachteten, nur in der Nähe des Velum medullare po- sterius auf einem beschränkten Raume ausgesprochen; in den anderen Teilen aber sind die Zellen ohne jede bestimmte Ordnung mitten in einem zarten Fasernnetze, ähnlich dem von uns in der äußeren Schicht beim Katzen-Embryo von 1—1!/, cm beobachteten, zerstreut. Die ge- ringen Veränderungen, die in diesen Zellen vorgingen, bestehen darin, dass sie sich schwächer als früher färben und die Körnigkeit im Kerne weniger und zarter angedeutet ist. Das Netz, in welchem diese Zellen eingelagert sind, wird, wie uns die entsprechenden, mit Silber imprägnierten Präparate lehren, auf Kosten der zahlreichen und stark verwickelten Fortsätze dieser Zellen gebildet. Außer dem von uns soeben Beschriebenen sehen wir mitten in den Zellen der mittleren Schicht zerstreute neue Elemente, die wir bisher nicht beobachtet haben. Es sind rundlich-ovale Kerne, mit einem runden, nicht großen, im Centrum des Kernes gelegenen Kernehen; die sehr feinen Chromatinkörner sind mehr an die Peripherie gerückt, so dass der Kern im Centrum heller als außen erscheint. — Protoplasma um den Kern konnten wir nicht bemerken. Diesen Elementen begegnen wir überall, von den inneren bis zu den mehr äußeren Teilen, in der Kleinhirnplatte. 1) Die Stelle des Präparates, welche wir für unsere Abbildungen wählten, besaß keine karyokinetischen Figuren. Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde, 499 Beim Schaf-Embryo von 3 cm und beim Huhn-Embryo zwischen dem 4.—6. Bebrütungstage (III. Stadinm nach Lahousse) [26] be- obachteten wir in der Kleinhirnplatte völlig dieselben Elemente, die wir beim Katzen-Embryo von 3 em beschrieben haben. Auf einen Umstand müssen wir eben hinweisen: die Elemente der Keimschicht mit karyokinetischen Figuren begegnen wir nämlich häufiger beim Schaf- als Katzen-Embryo und am häufigsten beim Huhn-Embryo. Bevor wir in unserer Auseinandersetzung weiter gehen, wollen wir das wesentliche der histogenetischen Prozesse, die wir in den beiden von uns beschriebenen Perioden der Kleinhirnentwicklung be- obachteten, zu erklären suchen. Das von uns bisher beschriebene histologische Bild stimmt in Vielem mit den Beobachtungen Alfred Schaper’s [55] und La- housse’s über das Kleinhirn, auch mit denen His’s über die Anfangs- perioden der Rückenmarksentwicklung überein; doch jeder der Au- toren erklärt seine Beobachtungen nach seiner Art. Wie wir bereits früher erwähnten leitet His von der Keimschicht nur eine Art von Zellen, die sogenannten Neuroblasten ab, die allmählich, seiner Meinung nach, sich nur in Nervenzellen differenzieren. Ueber das äußere Aus- sehen dieser Umbildungen, über den Uebergang der Keimzellen in diese Zellen haben wir bereits früher gesprochen und wollen nicht mehr darauf zurückkommen; Eines jedoch können wir zweifelsohne bestätigen, ähnliche Neuroblasten in unserer ersten Periode nicht be- obachtet zu haben. Allem Anscheine nach geht die Entwicklung des Rückenmarks viel schneller vor sich als die des Kleinhirns und daher fällt das erste Auftreten der Neuroblasten auch der Zeit nach in diesen beiden Organen nicht zusammen; dieses wurde durch die Beobach- tungen Alfred Schaper’s konstatiert. Wir überzeugten uns nicht ein Mal, dass im Vergleich mit den Nachbarorganen, mit dem ver- längerten Mark, Vierhügel — sich das Kleinhirn viel langsamer ent- wickelt. Es scheint uns daher verständlich, dass man im Rücken- marke von den frühesten Stadien an die Anwesenheit der Neuroblasten konstatiert, im Kleinhirn aber diese Elemente noch abwesend sind. Die Beobachtungen Alf. Schaper’s stimmen mit den unserigen in dieser Beziehung völlig überein. Wir wollen uns bemühen, diesen Um- stand mehr ausführlich zu erläutern. Auf unseren Objekten liegen dicht an den Zellen der Bildungs- schicht die Zellen der mittleren Schicht, die sogenannten Spongio- blasten His’s oder die Alf. Schaper’schen Stützelemente, an; von Neuroblasten giebt’s, wie wir soeben mitteilten, keinen einzigen. Um dasselbe bei anderen Embryonen zn prüfen, untersuchten wir beson- ders sorgfältig dieHühner-Embryonen in nacheinander folgender Reihe ihrer Entwieklung und überzeugten uns völlig von der Analogie des soeben von uns bei den Katzen-Embryo beschriebenen histologischen 32* 500 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Bildes. Außerdem konnten wir ohne allen Zweifel das Faktum kon- statieren, dass mit dem Wuchse des Embryos die Zahl der Zellreihen der mittleren Schieht sich allmählich vergrößert und der Prozess der Zellenteilung in der Keimschicht damit Hand in Hand geht. Es ist ganz natürlich, dass wir diese beiden Erscheinungeu, d. h, die Karyo- kinese und die Vermehrung der Reihen der mittleren Schicht unter- einander verknüpfen müssen, um so mehr, als wir nirgends in der Kleinhiruplatte außer der Keimschicht mitotischen Prozessen begegnen. Wir sind daher mehr geneigt, uns der Meinung Alf. Schaper’s an- zuschließen, dass in den Anfangsperioden der Kleinhirnentwicklung die Keimschicht die Elemente der mittleren Schicht, die zur Stütze des Gehirngewebes dienen, erzeugt. Wir können auch nicht behaupten, dass die Zellen der mittleren Schicht durch direkte Zellenteilung sich vermehrten, da wir dieses niemals beobachteten. Neuroblasten fehlten ebenfalls in den Anfangsperioden der Hühner-Embryonen. Die Zellen der Keimschicht begnügen sich nicht allein mit der Bildung der Zellen der mittleren Schicht. Wie wir bereits erwähnten, treten beim Katzen- Embryo von 3 cm zuerst besondere Elemente auf, die sich durch ihr äußeres Aussehen, durch die Verteilung der Chromatinsubstanz, durch ihre Form von den Zellen der mittleren Schicht sehr unterscheiden. Ebensolchen Zellen begegneten wir von einem gewissen Momente an auch bei Schaf- u. Hühner-Embryonen. Beobachtungen weiterer Perio- den der Entwicklung zeigen uns, dass diese Zellen sich allmählich differenzieren und in Nervenzellen der Rinde verwandeln; folglich können wir auf dieselben wie auf Elemente sehen, die den His’schen Neuroblasten analog sind. Betrachten wir aufmerksam ein Präparat dieser Periode, so be- merken wir, dass die Zellen der mittleren Schicht nicht mehr so nahe aneinander liegen wie in der vorhergehenden Periode; Reste der ra- diären Verteilung und Zellenanhäufungen sehen wir nur an einer Stelle. Daraus ist zu ersehen, dass die neue Generation dieser Zellen, wenn nicht sistiert, so doch wenigstens merklich schwächer geworden ist. Der Prozess der Zellenteilung in der Keimschicht setzt sich unterdessen mit größerer oder geringerer Intensivität fort (auf den Präparaten der Hühner-Embryonen sehen wir neben dem soeben beschriebenen Bilde mehr karyokinetische Figuren als auf dem des Katzen-Embryo). Da- neben bemerken wir die Bildung neuer Elemente und wir können daraus den Schluss ziehen, dass die neu aufgetretenen Elemente (Neuro- blasten) Produkte der mitotischen Zellteilung der Keimschicht sind. — Auf Grund dieses oben Angeführten können wir uns die Histogenese des Kleinhirns in den Anfangsstadien derartig vorstellen: anfangs bilden sich den His’schen Spongioblasten analoge Zellen der mittleren Schicht aus der Keimschicht; je nach Anhäufung dieser Elemente rücken sie allmählich dureh neue Zellengeneration immer mehr und mehr aus den Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 501 inneren Schichten nach außen, legen sich in der mittleren Schicht neben- einander und bilden undeutliche Reihen. Mit dem Wuchse des Embryo vergrößert sich die Reihenzahl, so z.B. sehen wir beim Huhn-Embryo am 4. Bebrütungstage nur 3—4, am 5—6 Bebrütungstage gegen 10—12 Reihen; eine so schnelle Zellenvermehrung wird auch durch die Be- obachtungen Lahousse bestätigt. Es ist selbstverständlich, dass die mehr nach außen gelegenen Zellen an der Bildung des Rand- schleiers Teil nehmen und als, sozusagen, alte Zellen sich allmählich differenzieren, solange die neue Generation sich fortsetzt. Ihre Fort- sätze beginnen sich zu verzweigen und da die Zellenzahl in dem Randschleier sich immer mehr und mehr vergrößert, so bildet sich das dichte, dieser Schicht charakteristisches Faserngeflecht. Mit der Zeit dringt diese Zellendifferenziernng in mehr tiefere, innere Schichten und erreicht schließlich die innere Peripherie der Platte. So verstehen wir das soeben beim Katzen-Embryo von 3 cm beschriebene histo- logische Bild, wo die Zellen nicht in Reihen, sondern in einiger Ent- fernung von einander liegen und zwischen denselben sich ein dichtes Faserngeflecht befindet. Die Neuroblasten bilden sich später als die Spongioblasten; sie treten ebenfalls in ganzen Massen aus der Keimschicht hervor, dringen durch die Spongioblasten allmählich, bis zum Randschleier nach außen und verbleiben daselbst. Es ist natürlich, dass die früher gebildeten Zellen, durch einen neuen Zellenstrom hervorgedrängt, weiter nach außen vordringen müssen als die später entstehenden; viele von den letzteren bleiben, möglicherweise, in den tiefen Teilen der Rinde. Bei der Beschreibung der nach der Golgi’schen Methode bearbeiteten Präparate, werden wir auf die Gründe hinweisen, welche uns ver- anlassen, den histologischen Prozess der Rindenentwickelung in den verschiedenen Perioden so zu verstehen. Wie wir bereits erwähnten, ist die Keimschicht beim Katzen-Em- bryo von 3 em auf dem Wege des Schwindens. Hier und da sehen wir noch zerstreute karyokinetische Figuren; augenscheinlich hat diese Schicht ihre Bestimmung vollbracht, nachdem sie eine gewisse Zahl Neuroblasten und Zellen der mitteren Schicht (Spongioblasten) er- zeugt hatte. An ihrer Stelle sehen wir jetzt eine Reihe von Zellen, die dieselbe Struktur wie die Spongioblasten haben und die ganze innere Peripherie der Kleinhirnplatte umgeben. Diese Zellen müssen als Keime der Ependymzellen betrachtet werden; in der Abbildung V sind sie nach der, Golgi’schen Methode gelungen imprägniert. Sobald die Bildungsschicht schwindet, so kommt unwillkürlich der Gedanke, woher denn eigentlich neues Material zur weiteren Entwicke- lung des Kleinhirns sich hernimmt. Auf der Abbildung II bemerken wir nämlich, dass die ganze äußere Peripherie von neu aufgetretenen Zellen eingenommen ist, deren Zahl in der Richtung von hinten vom 502 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. velum medullare posterius nach vorn allmählich zunimmt. Diese Zellen- schicht können wir, wie unsere weiteren Beobachtungen zeigen, als zweite oder späte Keimschicht bezeichnen, da sie Ergänzungsmaterial für das wachsende Organ liefert. Zuerst wurde sie bei Nengeborenen beobachtet und von Obersteiner |37] beschrieben und daher hat sie auch bei vielen die Benennung (,„couche d’Obersteiner“). Lahousse gab ihr, in Anbetracht der histogenetischen Bedeutung, die sehr präzise Be- nennung „couche de renfort“ (Hülfsschicht). Ihre anatomische Be- nennung ist — äußere Körnerschicht zum Gegensatz von der inneren. Sie wurde nachher von Besser, Boll [4], Denissenko |5], Lu- bimoff [27] und noch von vielen anderen beschrieben. Ueber die Bildungsquellen der Zellen dieser Schicht sind die An- sichten fast aller Gelehrten dieselben. — Nach Loewe [32], Bellogni und Stefani|2] treten diese Zellen aus den Ependymzellen des hinteren Gehirnsegels hervor. In sehr naher Beziehung?zu demselben steht auch’ die Meinung Herrick’s!), dass der hintere Teil der ventikulären Oberfläche des Kleinhirns als Quelle der Zellenproliferation für diese Schicht dient. Diese Ansicht bestätigt Alf. Schaper und auch wir schließen uns auf Grund unserer Beobach- tungen derselben an. Wir sehen auf der Abbildung II, dass die Spongio- blasten, während sieauf der inneren Kleinhirnoberfläche und im Klein- hirn selbst sich einer leichten Differenzierung unterzogen, in der Nähe des velum medullare posterius ihr embryonales Aussehen, sowohl der inneren Struktur als auch der radiären Verteilung nach mit den aus beiden Polen der Zelle ausgehenden langen Fortsätzen, beibehielten. Augenscheinlich sind diese Zellen junger Herkunft, umsomehr, als wir an dieser Stelle karyokinetischen Figuren begegnen. Diese Figuren der Kernteilung wie auch die Anwesenheit der Spongioblasten zeigen uns, dass an dieser Stelle sich dasselbe wiederholt, was wir in der ersten Periode beim Katzenembryo in der ganzen Kleinhirnplatte be- obachteten. Diese neugebildeten Zellen drängen sich allmählich nach außen, verteilen sich als besondere Schicht längs der äußeren Klein- hirnoberfläche und nehmen den äußeren Teil des Randschleiers ein. Die Zellen dieser Schicht haben eine sehr unregelmäßige, öfter nach irgend einer Richtung verlängerte Form, ihre Kerne sind an Chromatinsubstanz sehr reich und enthalten einige stäbehenförmige Körnchen; sie färben sich intensiver als die Spongioblasten, das Protoplasma der Zelle ist undeutlich. Bei den mehr erwachsenen Embryonen ist auf den Frontal- schnitten, respektive zu den Furchen auf den longitudinalen, besonders deutlich zu sehen, wie aus der inneren Peripherie jenes Teiles der Kleinhirnplatte, die den recessus lateralis umgiebt, eine große Menge nach oben sich richtender Zellen herauskommt und indem sie längs 1) L. L. Herrick, The evolution of the cerebellum. Science 1891. Citiert aus den Abh. Alf. Schaper’s, Nr. 55. Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 503 der äußeren Oberfläche der Kleinhirnrinde sich verteilt, bildet sie eine besondere — äußere Kernschicht. Wir sehen also, dass diese Schicht ihre Entstehung zweien Quellen verdankt: einerseits dem Teile der Kleinhirnplatte, das an das velum medullare posterius, andererseits dem Teile, welcher an den recessus lateralis grenzt: die ganze äußere Ober- fläche der Rinde ist also mit einer Zellenschicht bedeckt, die von Hinten und den Seiten nach der Richtung zur Mittellinie verlaufen. Die Beobachtung dieser beiden beschriebenen Perioden hat unserer Meinung nach ein großes prinzipielles Interesse; abgesehen davon, dass die Arten der primären Entstehung der Nerven- und Neurogliazelle (Neuroblasten und Spongioblasten) für alle von uns untersuchten Tiere dieselbe sind, so sind sie auch dieselben für die anderen Teilen des Centralnervensystems, die eine verschiedene anatomische Struktur haben. In dieser Beziehung können wir uns auf die His’schen Arbeiten über Histogenese des Rückenmarkes beziehen. Wir überzeugten uns leider häufig, dass die Golgi’sche Methode für Embryonen in den frühen Perioden wenig tauglich ist. Es gelang uns nämlich, abgesehen von anhaltenden und hartnäckigen Versuchen die jungen Elemente zu färben, nur in seltenen Fällen mehr oder weniger befriedigende Resultate zu erhalten; so z. B. gelang es uns nie die Zellen der Keimschicht zu färben. Unsere Beobachtungen über die Golgi’sche Methode zeigten: je jünger die Zelle, je weniger dif- ferenziert sie ist, desto schwerer lässt sie sich mit Silber imprägnieren, d. h. die Zellen imprägnieren sich nur dann leichter, wenn sie den deutlichen Charakter einer Nerven- oder Neurogliazelle angenommen haben; vom extrauterinen Leben des Embryo an imprägnieren sich also die Elemente leichter. Dadurch erklärt sich diese Fülle der in letzter Zeit über die normale Histologie des Centralnervensystems er- schienenen Arbeiten, die nach der Golgi’schen Methode über Objekte von neugebornen Tieren ausgeführt wurden. Zur Bestätigung des Ge- sagten können wir noch hinzufügen, dass die Hühner-Embryonen sich bei uns nur vom 10. Bebrütungstage färbten. Der Umstand, dass das Rückenmark des Huhn-Embryos sich vom 4. Tage imprägnieren lässt, kann für das eben Gesagte nicht als Widerspruch gelten; denn wir wiederholten es bereits öfter, dass das Rückenmarck sich schneller entwickelt und auch die Differenzierung der Zellen im Kleinhirn und im Rückenmarke zur verschiedenen Zeit vor sich geht; andererseits erwähnten wir schon in der Einleitung von der eigentümlichen, indivi- duellen Beziehung des Kleinhirns zu dieser Methode. Wir könnten uns noch auf Ramon y Cajal [40] beziehen, der bei seinen Unter- suchungen über den Lobus optieus der Vögel, bei den Hühner-Em- bryonen, nur vom 10. Bebrütungstage eine befriedigende Imprägnation erhielt; im Rückenmarke aber imprägnierte er die Zellen bereits vom 3.—5. Bebrütungstage. 504 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. In diesen beiden soeben besprochenen Perioden sind noch die nach dieser Methode erhaltenen Daten dürftig, in den weiteren Perioden aber, wo die Zellen auf dem Wege zur höchsten Evolution ihre Form schnell ändern, gewinnt diese Methode eine hervorragende Bedeutung. Die sorgfältigen Erforschungen und die tiefdurchdachte Beschreibung der von Alf. Schaper nach anderen Methoden bearbeiteten Objekte der Fiseh-Embryonen lassen jedoch noch viele Fragen offen, worüber der Autor selbst öfter erwähnt. Das Färben mit Safranin, Hämatoxy- lin giebt wohl sehr wenig Stützpunkte zur Beurteilung über die Arten der Zellendifferenzierung, über die Herkunft einer gewissen Faser, über ihre Zweige und ihre Beziehung zu der oder jener Zelle u.s.w., andererseits aber geben diese Methoden sehr wertvolle Andeutungen über die allgemeine Charakteristik der Entwicklung eines gewissen Organs, der sehr feinen Struktur des Protoplasmas und Kernes und dienen überhaupt als mächtiges Hilfsmittel zu der Golgi’schen Me- ' thode für das Verständnis der histogenetischen Prozesse. Wir werden uns daher in unserer weiteren Auseinandersetzung zur Aufklärung von gewissen Fragen, auf die uns die Golgi’sche Methode keine Antwort giebt, öfter auch nach anderen Methoden bearbeiteter Präparate be- dienen. Katzen-Embryo von 5cem Länge. Bei unsererer weiteren Auseinandersetzung der mit Safranin ge- färbten Präparate beim Katzen- und Schaf-Embryo von 5 em können wir bemerken, dass im Allgemeinen das histologische Bild der Rinde dasselbe ist wie das auf der Abbildung III vom Katzen-Embryo von 5 em!); der Unterschied besteht eben nur darin, daß die Zellen der Mantelschicht, über die gleich ausführlicher die Rede sein wird, noch nicht in zwei Schichten (große und kleine Zellen) gesondert sind und nicht so nahe aneinander liegen, wie man das auf der Ab- bildung sieht. Die Kleinhirnoberfläche ist bereits in dieser Periode von einer be- deutenden Zahl mehr oder weniger tiefer Furchen durchschnitten; die äußere Kernschicht, die wir bereits im Keimzustande beobachteten, umgiebt jetzt als breiter, selbständiger Zone die äußere Gehirnober- fläche. Die Veränderungen, die in den Zellen dieser Schicht vor- gingen, bestehen darin, dass sie im Umfange ein wenig kleiner wurden und sich mit Safranin dunkler färben als früher; ihre Form ist eine vorwiegend ovale; karyokinetischen Figuren begegnen wir nur als seltenen Erscheinungen. Wie sonderbar das auch erscheint, dass die Zellen dieser Schicht, trotz der progressiven Entwicklung des Organs, sich in ihrem Umfange verkleinern, so ist es dennoch im embryonalen 4) Aus diesem Grunde stellten wir nicht Abbildungen tiber die Präparate dieser Periode her. > Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 505 Leben keine sehr ungewöhnliche Erscheinung. Auf diese Frage werden wir noch zurückkommen. Die nur seltene Anwesenheit der karyokine- tischen Figuren weist uns darauf hin, dass diese Schicht neue, für die Rindenstruktur notwendige Elemente bereits zu produzieren begonnen hat. Weiter im Innern des Organs bemerken wir eine besondere, von uns bis jetzt nicht beobachtete Zellenschieht. Während wir in der vor- hergehenden Periode die Zellenelemente ohne jegliche Ordnung auf der ganzen Kleinhirnplatte zertreut sahen, sind sie hier in eine sepa- rate Gruppe der Struktur nach gleichartiger Zellen geordnet. Die Zellen, die wir „Neuroblasten“ nannten, sind hier nebeneinander ge- legen und bilden eine Zone. Eine ähnliehe Absonderung 'der Neuro- blasten in eine separate Zone bemerkte und beschrieb zuerst His; er nannte sie ja auch „Mantelschicht“. Im Rückenmarke liegt diese Schicht da, wo derRandschleier beginnt und das zarte Netz desselben dient nach der Meinung His’s als Filter, durch welchen die Neuro- blasten in die änßere Teile des Rückenmarks, wo sich die weiße Sub- stanz bildet, nieht durchdringen können. Wie weit diese Erklärung über die Rolle des Randschleiers richtig ist, ist sehr schwer zu sagen, obgleich His gleich hier folgende Einwendung macht: auf welche Weise lässt der Randschleier Keime der Gefäße durch, wenn er Neuro- blasten nicht durchlässt? Seiner Meinung nach bilden sich erstens die Gefäße spät, wenn die Schlingen dieser Schicht so weit breit sind, dass sie für ihren Durchgang nicht hinderlich sein können und zwei- tens sind die Gefäßelemente mehr geeignet, als die Neuroblasten mit ihren großen Kernen, durch die Schlingen durchzuschlüpfen. Wie dem auch sei, wir können dieses Faetum als richtig bezeichnen, welches sich auch in der Kleinhirnrinde wiederholt: eine Menge Neuroblasten nämlich bewegen sich allmählich nach Austritt aus der Keimschicht nach außen und bilden, indem sie in einiger Entfernung von der äußeren Rindenoberfläche stehen bleiben, eine besondere Schicht, die man nach Analogie mit der im Rückenmarke als „Mantelschicht“ bezeichnen kann. Einige Neuroblasten fürwahr dringen weiter nach aussen; die Zahl derselben ist aber eine so minimale, dass sie völlig unberücksichtigt bleiben kann. Nach His dringen diese Bildungen in geringerer Zahl auch in dem Randschleier (im Rückenmarke). Zwischen der Mantel- und äußeren Körnerschicht bleibt auf diese Weise ein Raum, in wel- chem wir einer kleinen Zahl zelliger Elemente begegnen, die im Basal- gewebe, ähnlich dem in den frühen Stadien in dem Randschleier be- schriebenen, gelegen sind. Die nach der Golgi’schen Methode be- arbeiteten Präparate lehren uns, dass das Basalgewebe sich auf Kosten der Neurogliazellen und ihrer zahlreichen Fortsätze gebildet hat. Nach innen von der Mantelschicht liegen Neurogliazellen in großer Anzahl und zwischen ihnen zerstreut — Neuroblasten. Gehen wir jetzt zur Beschrei- bung der nach der Golgi’schen Methode bearbeiteten Präparate über. 506 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Wie wir bereits früher erwähnten, gelang es uns nicht, Präparate der ersten Periode nur einigermaßen befriedigend nach dieser Methode zu imprägnieren. Das jüngste mit Silber imprägnierte Objekt entspricht etwa dem Kleinhirn eines Katzen- (Abbild. V) von 3 cm und Schaf-Embryos von 2 em (Abbild. VI). Da diese beiden Objekte fast auf gleicher Stufe der Entwicklung stehen, so werden wir sie zusammen beschreiben. Längs der inneren Oberfläche (in der Abbild. VI) der Kleinhirnplatte sehen wir nämlich eine ununterbrochene Reihe mehr oder weniger einander ähnlicher Zellen von runder oder länglich-ovaler Form; bei aufmerksamer Betrachtung bemerken wir, dass einige ganz schwarz gefärbt sind, andere nur an der Peripherie schwarz, das Centrum der Zelle bräunlich gefärbt ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser centrale Teil der Zelle dem Kerne, der sehr häufig sowohl in den Neuroglia- als auch Nervenzellen sich nieht ganz schwarz färbt!), entspricht. Nicht alle diese Zellen liegen auf einer und derselben Höhe; einige — näher dem inneren Rande der Platte, andere — ein wenig weiter; im Allgemeinen jedoch sind die Schwankungen in der Höhelagerung sehr unbedeutende. Aus beiden Polen der Zelle geht je einFortsatz aus: der kürzere und zugleich dieke verläuft entweder gerade nach innen oder schlängelt sich leicht. Der äußere Fortsatz ist länger und dünner als der innere. Beim Schaf-Embryo gelang es uns, sehr lange Fortsätze in der Nähe des Velum medullare posterius zu sehen, wo sie die äußere Peripherie der Kleinhirnplatte erreichten; je mehr sie sich aber von dieser Stelle nach der Mitte der Kleinhirnplatte entfernten, werden sie kürzer oder imprägnieren sich nur teilweise. Obgleich wir analoge, aus der Tiefe kommende und die äußere Klein- hirnoberfläche erreichende Fasern beobachteten, konnten wir uns nicht entschließen, dieselben für Fortsetzungen der so eben erwähnten Fort- sätze zu halten, bis wir uns auf einem vom Katzen-Embryo von 3cm (Abbild. V) gelungenem Präparate davon überzeugten; auf diesem ist deutlich zu sehen, dass der äußere Fortsatz der Zellen durch die ganze Dicke der Kleinhirnplatte geht und an ihrer äußeren Peripherie endet. Der äußere Fortsatz ist ungefähr um das Doppelte dünner als der innere. Viele Fortsätze sind auf ihrem Wege mit rosenkranz- förmigen Verdiekungen verschiedener Größen versehen, die von einan- der in ungleichmäßiger Entfernung gelegen sind. Die Ränder der einen Fortsätze sind im Gegensatz zu den anderen, die mit einem moosartigen Niederschlag bedeckt sind, gleich und scharf markiert. Ihre Richtung ist nicht immer eine vertikale, häufig durchkreuzen sie unter einem Winkel die Nachbarfasern und gehen schräg nach außen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Zellen Ependymzellen sind 1) Häufig färbt sich die dein Kerne entsprechende Stelle der Zelle absolut gar nicht und bleibt hell (siehe Abbild, XX VI). Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 507 und völlig analog den von vielen Autoren (Ramon y Cajal [44 und 45], Kölliker [23] und andere) im embryonalen Rückenmarke beschrie- ben sind. Längs der äußeren Peripherie (ext. Ab. VI) der Kleinhirnplatte sehen wir eine ganze Reihe junger Neurogliazellen mit nicht großem Zellkörper sehr verschiedener Form ; zwei Formen jedoch sind die vor- herrschenden: die länglich-ovale, mit breiter Basis und die mehr oder weniger runden. Diese Zellen sind in verschiedener Höhe gelegen ; die einen sehr nahe der äußeren Oberfläche, die anderen ein wenig weiter. Eine jede Zelle ohne Ausnahme sendet nach außen einen dieken Fortsatz aus, der in seinem Verlaufe sich krümmt und an der Peri- pherie mit einer kugelförmigen Verdickung endet. Alle diese Fortsätze teilen sich auf ihrem Wege unter einem scharfen Winkel entweder dichotomisch oder in eine große Zahl von Zweigen, die die Richtung des Hauptstammes verfolgen und ebenfalls mit kugelförmiger Ver- diekung endigen. Einige Zellen senden auch Fortsätze nach innen aus; es gelang uns aber nicht, sie sehr weit zu verfolgen. Die Mem- brana limitans externa bildet sich durch Verklebung dieser kugel- förmigen Verdickungen. In den äußeren Teilen der Kleinhirnplatte vom Katzen-Embryo von 3 em gelang es uns, zwei junge Nervenzellen (a. u. d. Abbild. V) zu imprägnieren; die Konturen der Zellen sind scharf markiert; der Zell- körper hat die Form einer Birne mit Fortsätzen, die aus beiden Polen der Vertikalachse ausgehen. Der nach außen (oben) gehende Fort- satz ist sehr kurz und dick; der untere aber geht aus dem schar- fen Ende des birnförmigen Körpers der Zelle aus und verläuft in großer Ausdehnung nach innen; er ist sehr dünn. In der Zelle b ver- zweigt sich der dünne Fortsatz. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im äußeren dieken Fortsatze der Keim des protoplasmatischen Fortsatzes sich befindet, der untere dünne ist der Achsenfortsatz. - Wir gehen jetzt zur Beschreibung der folgenden Periode über, zu den Embryonen von 5 em. Auch hier können wir, wie in der vorher- gehenden Periode, eine Aehnlichkeit im histologischen Bilde bei Katzen- und Schaf-Embryonen von 5 em konstatieren. Die Aehnlichkeit be- trifft hauptsächlich die Neurogliazellen, ihre Form und Verteilung im Kleinhirn. Beim Schaf-Embryo von 2 em sahen wir längs der äußeren Peripherie die in einer Reihe gelegenen Neurogliazellen; in dieser Periode (Abbild. VII) haben diese Zellen weder ihr Aussehen, Lage noch Charakter ihrer Fortsätze geändert. Eines jedoch können wir nun konstatieren, dass die Zahl der letzteren wie auch der Zellen ein wenig zunahm; die Zellen liegen hier näher nebeneinander und ihre Fortsätze bilden, indem sie sich häufig durchkreuzen, ein ziemlich dichtes Geflecht. Die Vermehrung der Fasernzahl hängt auch davon 508 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. ab, dass ein jeder aus dem Zellkörper ausgehende Fortsatz sich nur selten, wie wir früher beobachteten, in zwei Fortsätze teilt, sondern größtenteils in 4—6. Außer dieser oberflächlichen Schicht von Neu- rogliazellen, begegnen wir auf der ganzen Kleinhirnplatte zerstreut Neurogliazellen, die ihrer Form nach völlig den soeben beschriebenen analog sind. Wie tief auch diese Zellen liegen, sie erreichen mit ihren Fortsätzen die äußere Kleinhirnoberfläche und bilden, indem sie mit Verdiekungen endigen, die Memprana limitans externa. Einige Zellen liegen sehr nahe der inneren Kleinhirnperipherie und es ist daher ver- ständlich, dass ihre Fortsätze sehr lang sein müssen. Der Fortsatz verläuft gewöhnlich eine große Strecke, ehe er sich verzweigt; zu- weilen verläuft er fast auf der ganzen Kleinhirnplatte als ein Stamm, macht auf seinem Wege eine Menge Windungen und nur ganz in der Nähe der äußeren Oberfläche teilt er sich in zwei Teile. Die Zellen x und y haben sehr kurze Fortsätze. Bezüglich der letzteren Zellen können wir zwei Vermutungen aufstellen: entweder senden einige Neurogliazellen nicht lange Fortsätze aus sondern nur kurze, oder sie sind nur deshalb kurz, weil ihre Fortsetzungen sich nicht mit Silber imprägnierten. Zellen mit ähnlichen kurzen Fortsätzen in den tiefen Schichten der Kleinhirnplatte begegnen wir mehr weder bier noch beim Katzen-Embryo von 5em. Die in der Tiefe liegen- den Neurogliazellen sind ein wenig größer als die oberflächlich ge- legenen. Auf ein Faktum wollen wir noch hinweisen: die Fortsätze der Neurogliazellen nämlich haben gleich den Nervenfasern keinen gleichen Durchmesser ; bald werden sie auf ihrem Wege dieker, bald dünner. Auf der ganzen Strecke solcher Fortsätze sehen wir außer- dem zerstreut rosenkranzförmige Verdiekungen. Das histologische Bild des Kleinhirns beim Katzen-Embryo von > em (Abbild. VIII) ist völlig analog dem soeben von uns beim Schaf- Embryo beschriebenen. Auch hier sehen wir eine Reihe oberflächlich gelegener Neurogliazellen und tief gelegene Zellen. Wie wir auf der Abbild. (VII) sehen, hat sich die äußere Körner- schicht bereits gebildet; in ihr bemerken wir aber zwei Zellenbil- dungen, die sich von den soeben beschriebenen Neurogliazellen durch die Größe, Form, Lage und regelmäßige Konfiguration der Konturen unterscheiden. Die Zelle a hat die Birnform, mit dem scharfen Ende nach oben, mit dem stumpfen nach innen gerichtet; aus dem letzteren länft ein sehr dünner, mit kleinen Verdiekungen versehener Fortsatz aus. Diese Zelle erinnert ihrer Form nach an die junge Nervenzelle (Neuroblast His’s), der dünne Fortsatz ist wahrscheinlich ein Nerven- fortsatz. In dieser Schicht sehen wir ebenfalls eine andere bipolare, leicht ovale Zelle von geringerem Durchmesser. Aus ihrem Zellkörper laufen zwei Forsätze aus; der obere ist mehr dünn und kurz, der untere mehr lang und dick, allmählich sich verjüngend. Aehnliche Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 509 bipolare Zellen sind, wie wir weiter sehen werden, gewöhnliche Formen der jungen Nervenzellen der Kleinhirnrinde. Gleich unter der äußeren Körnerschicht sehen wir eine junge, bereits ein wenig differenzierte Nervenzelle (ce); sie hat eine sehr unregelmäßige Form und endet, indem sie sich nach unten verjüngt, mit einer nicht großen runden Verdiekung, aus welcher ein dünner Nervenfortsatz ausläuft. Nach oben laufen vom Zellkörper ziemlich dicke, wahrscheinlich protoplas- matische Fortsätze aus. Nach dem Vergleich der von uns beschriebenen Objekte können wir zu folgenden Schlüssen gelangen: a) Mit Silber imprägnieren sich nur die jungen Elemente, die sich bis zu einem gewissen Grade diffe- renziert haben. Zur Bestätigung dieses weisen wir auf die Objekte der ersten Periode hin, die nach der Golgi’schen Methode sich gänzlich nicht imprägnieren ließen. b) Am frühesten beginnen sich die Zellen der mittleren Schicht, die sogenannten Spongioblasten His’s oder em- bryonale Stützapparat Alfred Schaper’s zu differenzieren und bilden die embryonalen Neurogliazellen. Die Abbildungen V und VI bestä- tigen dieses vollkommen. a) das Faktum, dass die Neurogliazellen sich nur längs der äußeren Peripherie der Kleinhirnplatte (ext. Ab- bildung VI) imprägnierten), beweist uns, dass an dieser Stelle (Rand- schleier) sich die Zellen früher als in den tiefer gelegenen Teilen des Organs differenzieren. Ein solcher Gang der Differenzierung wird uns verständlich, wenn wir uns erinnern, daß die sehr jungen Zellen nach Generation von neuen Elementen aus der Keimschicht sich all- mählich nach außen zum Randschleier hervordrängten. Mit der Zeit geht die Differenzierung auch auf die tiefer nach innen gelegenen Zelle über (Abbild. VII). Im embryonalen Rückenmarke beschreiben die Autoren, die nach der Golgi’schen Methode gearbeitet haben, dasselbe Bild wie im Kleinhirne; die Entstehung der Neurogliazellen aber erklären sie ein wenig anders. Ihrer Meinung nach rücken die Ependymzellen nach und nach nach außen vor und verwandeln sich in Neurogliazellen, dabei werden die langen Fortsätze der Ependymzellen, jemehr sich die letzteren zur äußeren Peripherie entfernen, kürzer. Mit der Zeit bleibt längs der inneren Peripherie eine Reihe von Zellen nach. Die in Herman’scher Flüssigkeit fixirten Objekte zeigten uns deutlich, dass die mittlere Schicht eine völlig selbständige ist und ihre Entstehung der Zellen der Keimschicht, keineswegs aber den Ependymzellen, die eigentlich dieselben Spongioblasten, nur dank ihrer anatomischen Lage anders benannt sind, verdankte. Ja auch die Ependymzellen bilden sich, wie wir sahen, später als die Zellen der mittleren Schicht. Daraus können wir nur das Eine feststellen, dass die differenzierten Spongioblasten mit der Zeit der äußeren Peripherie näher rückten und ihre Fortsätze sich verkürzen. Darauf weist uns 510 * Hensen, Bemerkungen zur Planktonmethodik. einerseits der Umstand hin, dass wir in den Neurogliazellen solchen langen Fortsätzen selten begegnen; andererseits ist die Verkürzung der Fortsätze der jungen Neurogliazellen zweifelsohne in dem sich entwiekelnden Rückenmarke konstatiert worden. d) der Körper der Neurogliazellen weist keine regelmäßigen Konturen auf, ihre Fortsätze wollen immer nach außen, wo sie mit Verdickungen endigen. Die beiden letzten Eigenheiten wiederholen sich während des ganzen embryonalen Lebens. e) Die Ependymzellen sind (wie soeben er- wähnt) dieselben Neurogliazellen, die nur eine bestimmte Lage einge- nommen haben. f) Trotz der Menge der von uns auf Abbild. II beim Katzen-Embryo (3 em) beobachteten Neuroblasten, färben sich mit Silber jedoch nur die wenigsten von ihnen. In den Zellen a und 5 (Abbild. V) haben wir junge Nervenzellen, die vom Typus des Neuro- blasten durch den Besitz eines protoplasmatischen Fortsatzes ein wenig abweichen, in der Zelle 5 begann sich bereits der Achsencylin- der zu verzweigen. Die Körperform dieser Zellen ist birnartig, ob- gleich die protoplasmatischen Adnexa sie ein wenig verändern. Eine solehe Form von Neuroblasten beschrieb auch His im embryonalen Rüeckenmarke. g) Sowohl beim Katzen- wie auch beim Schaf-Embryo übertrifft die Zahl der Neurogliazellen die der Nervenzellen. Durch eine solehe schnelle Differenzierung füllen die Neurogliazellen die Rolle des embryonalen Stützgewebes aus, in welchem später Zel- len höchster Organisation — Nervenzellen — Platz finden müssen. h) Die Elemente der äußeren Körnerschicht (* Abbild. VII) beginnen das Material für die Bildung der Rinde auszuarbeiten. In der Zelle «a haben wir einen Neuroblasten von Birnform, in der Zelle 5b — eine bipolare Zelle, die wir ebenfalls als Prototyp der Nervenzellen ansehen nach Analogie mit ebensolchen Bildungen in der Kleinhirnrinde in den spätesten Perioden des embryonalen Lebens. (Zweites Stück folgt.) Bemerkungen zur „Planktonmethodik“. . Von V. Hensen. In Bd. XVII Nr. 10 bespriceht Hr. Frenzel den Gebrauch der Seidengaze. Ich glaube dazu einige Ergänzungen geben zu sollen. Die erste Veröffentlichung über deren Verwendung zum Fischen hat Hr. Fol gelegentlich seiner Arbeit über Tintinnen gemacht. Bei deren Erscheinen war meine bezügliche Arbeit schon gedruckt. Wir beide haben diese Art Weberei nicht erfunden, die Brauchbarkeit für quantitative Fischerei nachgewiesen zu haben scheint mir etwas weniger unwesentlich. Die Undurchläßigkeit der trocknen Gaze für Wasser ist in der That sehr groß. Ich habe früher gefunden, dass Heidegger Nr. 20 Hensen, Bemerkungen zur Planktonmethodik. 511 40 cm Wasserdruck aushält ohne Wasser durchzulassen. Der Wider- stand beruht auf der Adhäsion der Luft und deren Zähigkeit. Ist ein- mal das Wasser durchgedrungen, so spielt diese Sache keine Rolle mehr. Das Zeug in Wasser filtriert so lange bis der Druck ganz zu Null geworden ist, wie ich in meiner „Methodik der Untersuchungen“ in den „Ergebnissen der Planktonexpedition“ ausführlich nachgewiesen habe. Ein Einfluss der Luftadhäsion bei Vertikalzügen ist nicht nachzuweisen, solche Spuren von Luft würden absorbiert werden. Hr. Frenzel betont mit vollem Recht, dass man auf möglichste Gleichmäßigkeit des Filtrationsvermögens der Netze zu achten habe und dass die bleibenden Verstopfungen sogar die relative Vergleich- barkeit der Fänge, die doch in erster Linie zu erstreben ist, beein- trächtige. Das beste Mittel, der Bedingung zu genügen ist, nach meinen Versuchen, nicht, wie F. sagt, das Kochen, sondern das Ab- reiben mit weichem Badeschwamm unter etwas Wasser. Die feinen biegsamen Häckchen des Schwammes reißen sehr energisch die Ma- terien aus den Poren. Inkrustierende Massen zwischen den einzel- nen Coconfäden, aus denen die Gewebefäden gebildet werden, können durch dies Verfahren wohl nicht entfernt werden. Es wäre wünschenswert zu erfahren, ob ein in inkrustierenden Gewässern viel gebrauchtes Netz nach der Behandlung mit dem Schwamm, auch noch durch Kochen inkrustierende Materie abgiebt. Wenn nicht, wäre besser vom Kochen abzusehen. Mit inkrustierten Netzen kann ja sicher Kleineres, als was das reine Netz fischt, gefangen werden; also in toto mehr. Man wird dann aber die Netzfläche entsprechend der verringerten Filtrations- fähigkeit vergrößern müssen, wenn die Vergleichbarkeit erhalten bleiben soll. Eine Bestimmung der Filtrationsgröße wird jedenfalls nötig. Die dafür notwendige Bestimmung des bei einem Zuge bestimmter Gesehwindigkeit filtrierenden Wasservolumens vermittelst Vergleiehung mit den Resultaten der Frenzel’schen Pumpe halte ich für mühsam, weil das Netz genau in der Wasserschicht, aus der die Pumpe das Wasser hebt, gezogen werden muss. Genügend gleichmäßige Verteilung des Planktons in dieser Schicht vorausgesetzt, ist theoretisch gegen diese Bestimmung nichts einzuwenden. Wenn man auf den Eingang des Apstein-Netzes eine Blechscheibe mit kleiner, etwa l cm im Durchmesser haltender Oeffnung aufsetzt, so wird die Netzfläche rela- tiv so gewaltig, dass etwa 99°), derjenigen Wassermenge filtrieren, die nach Oefinung und Zugstrecke zu filtrieren hätten. Zählt man eine der zahlreicher vorkommenden und bequemer zu zählenden Arten aus einigen solchen Fängen und dann dieselbe Art aus einigen Fängen mit normaler Mündung, so läßt sich, soweit bis jetzt die Erfahrungen reichen, auch auf diese Art die Größe der Filtration bestimmen, 512 Solger, Ganglienzellen des Lobus eleetrieus von Torpedo. Ferner ist darauf aufmerksam zu machen, dass das Zeug Nr. 19 von Landwehr nur 70, das schweizer Zeug dagegen für die gleiche Nr. 74 Fäden auf den cm hat. Das ist ein Unterschied von einer Nummer, der stark ins Gewicht fällt. Das schweizer Zeug Nr. 20 ent- hält 78 Fäden pro em und kann nur noch durch Weber mit ausnahms- weise guten Augen hergestellt werden. Es scheint mir hier die Grenze der regelmäßigeren Feinporigkeit erreicht zu sein. Eine Nr. 22, von der Frenzel spricht, ist mir bisher unbekannt geblieben. Vergleich- bare Resultate in Bezug auf Volumen und auf die feinsten Plankton- organismen können nur erhalten werden, wenn annähernd gleich große Poren in den respektiven Netzen sind. In einer Arbeit über Dreissensien (Pflügers Archiv Bd. 67), er- klärt Hr. Frenzel meiner Ansicht über die Unverdaulichkeit modriger Materien für niedere Tiere entgegentreten zu müssen. Ich halte es aus allgemeinen Gründen für unwahrscheinlich, dass diese ausgelaug- ten, faulenden Massen zur Ernährung verwendet werden können. Dass sie sich im Darm Auftrieb nehmender Tiere reichlich vorfinden können, beweist ebenso wenig ihren Nahrungswert, wie der Sandinhalt des Darms gewisser Würmer für den Nährwert von Sand sprechen kann, Die Frage ist, ob nicht etwa anhängende Amöben und Bakterien in dem einen wie in dem anderen Fall den Nährstoff ausmachen. Ich finde nicht, dass die Befunde von Frenzel in dieser Richtung etwas ergeben, wodurch die Frage der Erledigung näher gebracht wurde. [74] Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften Medizinischer Verein zu Greifswald. Sitzung vom 1. Mai 1897. Herr Solger demonstriert einige Schnitte durch Ganglienzellen des Lobus eleetrieus von Torpedo. Das Material war in Pikrinschwefel- säure oder in $ublimat fixiert und in ersterem Faile mit Erythrosin-Methylen- blau (Held), im andern nach der Hämatoxylin-Eisenlack-Methode (M. Heiden- hain) gefärbt worden. Die fibrilläre Struktur des Zellkörpers, der Neuriten und der hier von Niss1l-Körperchen freien Dendriten ist deut- lich zu erkennen. Es lässt sich ferner im Zellkörper ein Mikrozentrum (Sphäre mit Centrosoma) nachweisen. Als inkonstanter Befund wurden endlich eigentümliche in Hämatoxylin sich stark färbende, derbe Zellfäden von gekrümmter oder welliger Gestalt vorgeführt, deren Vorkommen möglicherweise von einem bestimmten Funktionszustande der Zelle abhängig ist. Sie sind vielleicht den vor Kurzem von Levi in der Rivista di patologia nervosa e mentale beschriebenen fuchsinophilen Fädehen oder Körnchenreihen der Säugetier- Ganglienzelle an die Seite zu stellen. [72] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von ja 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XV. Bon 15. Juli aser. Nr. 14. Inhalt: v. Lendenfeld, Die Nesselzellen der Onidaria (Schluss). — Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. (Zweites Stück.) — Eseheriech, Einiges über die Häutungshaare der Insekten nach ihrem Funktionswechsel. — Detme:i', Botanische Wanderungen in Brasilien. Die Nesselzellen der Cnidaria. Von R. v. Lendenfeld. (Zweites Stück und Schluss.) III. Entwicklungsgeschichte. Wir wollen hier zunächst die Angaben über die Entwicklungs- geschichte der Nesselzellen selbst zusammenstellen und uns später dem Einrücken derselben in den Verbrauchsort und ihrem Ersatze durch Nachschub zuwenden. Nussbaum (1837) schließt sich den älteren Angaben von Jickeli an. Er behauptet, dass bei Hydra die Nesselkapsel aus einem Bläschen hervorgehe, welches an Größe zunimmt, sich streckt, vorne in eine Spitze auswächst und, indem es selbst zur Kapsel wird, aus der er- wähnten Spitze den Faden hervorgehen lasse. Der sich bildende Faden ist entweder um die Kapsel geschlungen oder vorne zu einem Knäul zusammengerollt: jedenfalls liegt er extracapsulär. Später wird der soleherart außen angelegte Nesselfaden durch den Muskeldruck und den Widerstand der Stützlamelle in die Kapsel hineingedrängt. Hiezu mussich bemerken, dass kein solcher auf die nicht starre Kapsel ja ebenso, wie auf den Faden einwirkender Druck in Stande sein kann, eine Einstülpung des schlauchförmigen Fadens herbeizuführen. Während der Entwicklung sollen nach Nussbaum (18837) viele bereits ange- legte Nesselkapseln abortiv werden. Nach Bourne’s (1837) Figuren zu schließen (1887; Taf. IV, Fig. 9) zeigen embryonale Nesselkapseln von Euphyllia glabrescens, außen eine deutliche Spirale, welche wohl der Ausdruck des, auch hier außerhalb der Kapsel angelegten und um dieselbe geschlungenen Fadens sein dürfte. Nach Wilson (1890) XVII, 39 514 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. soll der Inhalt junger, in Entwieklung begriffener Kapseln teilweise mit Haematoxylin färbbar sein. Es sollen nämlich stärker tingierte Körner auftreten, welche gleich den Gliedern einer Kette mit einander sich verbindend, innerhalb der Kapsel zum Faden werden. Nach Schneider (1890) erscheint die erste Anlage der großen, ovalen Kap- seln von Hydra fusca als ein heller Raum in einer indifferenten Zelle. Die Oberfläche dieses Raumes wird zur Kapselwand und in dessen Innerem (Schneider ist später [1891] von dieser Meinung wieder abgekommen) legt sich der Faden an. Schließlich tritt die im Sub- epithel herangereifte Nesselzelle mittelst Durchbohrung einer Epithel- zelle an die Oberfläche. Ein Jahr später fand Schneider (1891), dass sich der Faden bei Forskalea und Adamsia außerhalb der Kapsel anlege. Er glaubt nun, dass allgemein (auch bei Hydra), der Faden im Laufe der Entwicklung nach außen wachse und dass er erst nach Vollendung seiner Ausbildung vom distalen Ende aus in sich selbst zurück und in die Kapsel hinein gestülpt werde. Bei Myriothela phry- gia sollen nach Hardy (1891) die Nesselkapseln aus „hyaline masses“ hervorgehen, die einzeln oder zu zweien in subepithelialen Zellen liegen. Chun (1891) behauptet, dass der Faden innerhalb der Kapsel, und nicht, wie Jiekeli und Nussbaum angegeben hatten, außer- halb derselben angelegt werde. In seiner späteren Arbeit (1892) stellt Chun die Nesselzellenentwicklung folgendermaßen dar: In der Zelle, die zu einer Nesselzelle werden soll entsteht eine kleine Vaeuole. Diese vergrößert sich rasch und gleichzeitig wird der Zellkern abge- plattet. Ein, aus leicht tingierbarem Plasma bestehender Zapfen, der „Nematoblast“ Be dot’s, wächst in die Vacuole hinein. Während nach Bedot aus diesem Zapfen der Schlauch und aus der Vacuole die Kapsel werden soll, nimmt Chnu an, dass aus dem Zapfen der Faden und die Kapsel entstünden. Chun möchte den Zapfen statt Nemato- blast, lieber Cnidoblast nennen. Der Zapfen füllt die Vacuole nicht ganz aus, und zeigt oft (Physalia-Tentakeltaster, centrale Ektoderm- polster von Velella und Porpita) recht unregelmäßige und bizarre Formen. Bald verliert er seine hohe Tingierbarkeit und läßt hierauf — bei Nesselzellen mit Fadenbasalstück — zunächst dieses aus sich hervorgehen. In andren Fällen entsteht innerhalb des Zapfens eine Vacuole, in welcher jenes giftige Sekret sich ansammelt, das später die fertige Kapsel erfüllt. Die Windungen des Endfadens bilden sich innerhalb der Kapsel, nach Anlage des als Centralfaden bezeichneten Faden-Basalstückes aus. Endlich wird die Kapsel scharf abgegrenzt. Außerhalb der Kapsel soll ein Rest der Vacuole übrig bleiben, der nun die Kapsel vom Mantel trennt und so die erstere in den Stand setzt leicht aus dem letzteren herauszuschlüpfen. Was Schneider neuerlich für den, außerhalb der Kapsel angelegten und diese umwin- denden Faden hält, sind nach Chun (1892) nichts andres als „Ver- v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. 515 diekungsstreifen in der Wand der Nesselzelle“. Die äußere Anlage und nachträgliche Einstülpung des Fadens läugnet Chun sehr ent- schieden. Er betrachtet Kapsel und Faden als ein einheitliches Ganzes und ist überzeugt, dass ersterer innerhalb der letzteren sich bilde. Im selben Jahre führte Schneider (1892) seine Angaben von 1891 (s. 0.) weiter aus. Er zeigt nun, dass die erste Anlage der Nesselkapsel bei Forskalea contorta ein scharf begrenzter, wahrschein- lich von einer Membran ausgekleideter Raum ist, in welchem sich Se- kret angesammelt hat. Faden- und Kapselwand sollen durch Fibrillen- verklebung entstehen. Der Faden wird außerhalb der Kapsel gebildet und vom Ende her in letztere eingestülpt. Vor der Einstülpung, so lange sich der Faden noch außerhalb der Kapsel befindet, soll er viel dicker sein undj viel mehr Sekret enthalten, als nachher in der Kapsel. Auch bei Carmarina hastata bildet sich der Schlauch extra- kapsulär. Nach Murbach (1893, 1394) teilen sich jene interstitiellen Zellen, aus denen die Nesselzellen hervorgehen amitotisch. Im übrigen gleichen sie den Mutterzellen der Geschlechtsprodukte. Sie haben einen sehr großen Kern und nur wenig Plasma: namentlich bei Hydra bildet das letztere oft einen kaum nachweisbar dünnen Belag auf der Kernober- fläche. Die erste Kapselanlage erscheint als ein längliches oder kuge- liges, glänzendes Körperchen innerhalb des Kernes. Dasselbe rückt an die Kernoberfläche und erlangt einen hellen Hof. Von diesem Kap- selkeim aus wächst der Faden nach außen vor, wobei er sich in Schlingen um den Kern herumlegt. Später stülpt sich der solcherart angelegte Faden in die Kapsel hinein zurück. Aus dieser ersten Kapsel- anlage geht die innere der beiden Schichten hervor, aus denen, wie oben erwähnt, die ausgebildete Kapsel besteht. Die äußere Schicht der Kapselwand wird vom umgebenden Plasma aus als Sekret auf der Oberfläche dieser ersten niedergeschlagen. Die schließlich erfol- gende Einstülpung des Fadens soll eine Folge der chemischen Ver- änderungen sein, die das Plasma der Zelle während der Kapselent- wicklung durchläuft. Es soll dabei nämlich Wasser aus der Kapsel heraus-, und in das umgebende Plasma hineindiffundieren. Hiedurch würde der intrakapsuläre Druck herabgesetzt, niedriger als der extra- kapsuläre, und deshalb dann der Faden in die Kapsel hineingedrückt. Da der schlauchförmige Faden an der Spitze am zartesten ist, so wird dem überwiegenden, äußeren Drucke an dieser Stelle der geringste Widerstand entgegengesetzt werden und dementsprechend hier die Einstülpung beginnen. Die jungen, in Entwicklung begriffenen Kapseln haben nach Mur- bach (1894) recht verschiedene Formen. Bei vielen Actinien um- greifen sie in Gestalt eines Hufeisens den Kern. Mit der Streckung der Rundung und der Annahme der definitiven Gestalt, geht häufig 516 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Unidaria. eine Drehung der Kapsel um 90° oder 100° innerhalb der Nesselzelle Hand in Hand. Im Gegensatze zu Murbach, Chun u. a. behauptet Schneider (1894), „dass der in der interstitiellen Zelle auftretende helle Raum in toto der Kapselanlage entspricht ..... und dass in diesen der außen angelegte Faden eingestülpt wird“. Die Untersuchung von Nessel- zellenjugendstadien bei Forskalea, Velella, Porpita und Carmarina hat Sehneider (1894) zu der Ueberzeugung geführt, dass die von andren Autoren als in den Kapselraum hineinragende Stäbchen, Keulen ete. beschriebenen Dinge nichts andres als durch Reagentienwirkung er- zielte, artefakte Schrumpfungserscheinungen sind. Die Kapselanlage schmiegt sich dem Kerne an. Die erste Anlage des, anfangs um den Kern geschlungenen Fadens dürfte, nach Schneider (1894) vom Kern secerniert aber nicht im Kern gebildet werden. Schneider hat bis zu zehn Windungen des jungen Fadens um den Kern beobachtet. Das Basalstück des Fadens wird ganz — nicht wie Murbach glaubte, bloß teilweise — eingestülpt und die Dornen differenzieren sich erst nach der Einstülpung aus den ‚drei Längsrippen, deren früheres Vor- handensein durch die dreieckige Gestalt der Terminalöffnung des sich einstülpenden Fadens demonstriert wird. Innerhalb der Kapsel soll der aufgerollte, schlauchförmige Faden vollkommen leer sein. Die äußere Schichte der Kapselwand soll durch Verdichtung der, aus dem Inneren heraus und durch die innere Kapselwand hindurch diffundierten Sub- stanz gebildet werden. Erst nachdem die Nesselzelle an ihrem Be- stimmungsorte angelangt ist, bilden sich Stiel und Cnidoeil aus. Es nehmen Nussbaum, Zoja und neuerlich auch Schnei- der, im Einverständnis mit Jiekeli, eine extrakapsuläre Bildung des schlauchförmigen Nematocysten-Fadens und eine spätere Einstülpung desselben in die Kapsel hinein an, während Wilson, Bedot und Chun an der seiner Zeit von Möbius behaupteten intrakapsulären Bildung des Fadens festhalten. Iwanzoff (1896a), der neueste Be- arbeiter dieses Themas sagt, dass der Faden während der Entwick- lung allerdings nach außen hervorrage, dass aber sein Endteil schon von Anfang an in den basalen, nach außen frei vorragenden Faden- teil eingestülpt sei. Wächst nun der eingestülpte (innere) Fadenteil rascher wie der äußere so wird sein Ende bald bis in die Kapsel vor- dringen und hier Windungen bilden. Wächst dagegen das äußere, nicht eingestülpte Fadenteil schneller als der innere, so gelangt das Fadenende während der Entwicklung überhaupt nicht in die Kapsel hinein, wogegen die extrakapsuläre Fadenanlage eine entsprechend bedeutendere Größe erlangt. Erst wenn der Faden seine volle Größe erreicht hat, stülpt er sich ganz in die Kapsel ein, worauf die Dornen gebildet werden. v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. 517 Die jüngsten Entwicklungsstadien von Nesselzellen in den Acontien von Ai’ptasia führen amoeboide Bewegungen aus und enthalten die Kapselanlage in Gestalt einer kleinen Vacuole. Letztere liegt im Plasma und nicht, wie von andrer Seite behauptet worden ist, im Kern. Die Vacuole wird oval, erlangt eine Membran und wächst. An einem Ende dieser Vacuolenmembran, die nichts andres als die Kapsel- anlage ist, bildet sich eine Ausstülpung, welche wächst und sich in Schlingen um die Kapsel legt. Die Kapsel selbst hat inzwischen zwar schon eine zylindrische Gestalt angenommen, ihre Wand ist aber noch einschichtig. Der Faden wird vom distalen Ende her eingestülpt. Die ersten Phasen dieser Fadeneinstülpung entziehen sich zwar der Be- obachtung, aber gleichwohl ist es sicher, dass, wie oben schon ange- deutet, die Einstülpung lange vor der Vollendung der Fadenbildung beginnt. In der Umgebung der Kapsel findet sich im Leben kein heller Hof. Wo er beobachtet wurde ist er nur ein, durch Reagentien- wirkung zu Stande gebrachtes postmortales Artefakt. Als Ursache der Fadeneinstülpung wird die beim Wachstume innerhalb der Kapsel zu Stande kommende Herabsetzung des Druckes bezeichnet. Nicht an der Spitze, sondern nahe der Basis beginnt die Einstülpung des Fadens. Die Kapsel verkleinert sich beim Ausreifen. Ganz ähnlich verläuft nach Iwanzoff (1896a) die Entwicklung der Nesselzellen bei Car- marina hastata. Hier wird die vacuolenähnliche Kapselanlage bohnen- förmig und umgreift dann den Kern. Im Inneren der Kapsel ist früh eine knäulartige Fadenanlage zu sehen. Später sieht man auch außer- halb der Kapsel — neben dem Kerne — einen Faden. Der letztere ist doppelt; er besteht aus einem äußeren, freien, und einem inneren ein- gestülpten Teile, welcher sich in das intrakapsuläre Fadenknäul fort- setzt. Schließlich bildet der äußere Faden mehrere (bis zu sechs) Win- dungen um den Kern, worauf er ziemlich plötzlich, ganz in die Kapsel hineingestülpt wird. Der äußere, nicht tingierbare Teil des Kapsel- inhaltes verdichtet sich zur inneren Schicht der Kapselwand, wäh- rend der stark tingierbare Innenteil unverändert als Kapselfüllmasse zurückbleibt. Endlich streckt sich die Kapsel gerade und erhält ihre bleibende Gestalt, worauf auch in ihrem Inneren das gerade herab- hängende Faden-Basal-(Axen-) Stück deutlich wird. Auch hier wird eine Verkleinerung der Kapsel beim Ausreifen bemerkt. Die Entwicklungsgeschichte zeigt, dass die zwei Schichten der Kapselwand in einer ganz andren, als der bisher angenommenen Weise gebildet werden, und dass der Faden nicht als eine Fortsetzung der inneren Schicht — die eine sekundäre Bildung ist — sondern als eine Fortsetzung der äußeren Schicht — welche zuerst angelegt wird — angesehen werden muss. Auch bei den Siphonophoren hat Iwanzoff (1896a) die Entwick- lung der Nesselzellen verfolgt. Auch hier erscheint die erste, vacuolen- 518 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. ähnliche Kapselanlage in den Kern eingesenkt. Dieselbe wächst und ihre Wand nimmt den Charakter einer Membran an. Der Inhalt diffe- renziert sich in eine innere, schwach lichtbrechende, stark tingierbare, und eine äußere stark lichtbrechende und nicht tingierbare Schicht. Die letztere verdichtet sich zur inneren Wandschicht der Kapsel. Bei einigen liegt ein Teil des Fadens während der Entwicklung im Inneren der Kapsel, bei andren — Physophora z. B. — ist dies nicht der Fall und bei diesen erreicht dementsprechend auch die extrakapsuläre Fadenanlage eine ganz ungewöhnliche Länge: sie bildet bis zu acht Windungen. Alle diese entwicklungsgeschichtlichen Angaben beziehen sich auf die Nematoceysten; über die Bildungsweise der Spirocysten ist nichts bekannt. Oft liegen die fertigen, im Gebrauche stehenden Nesselzellen fern von den Orten, wo Nesselzellen sich entwickeln. Dies gilt auch für die Nesselzellen der Hydratentakeln. Da man niemals, selbst nicht in jungen oder frisch regenerierten Tentakeln, Jugendstadien von Nesselzellen, sondern immer nur fertige antrifft; da der Verbrauch an diesen Waffen im Tentakel ein sehr bedeutender ist, da sie trotzdem immer in bedeutender und annähernd gleich großer Zahl auf dem- selben angetroffen werden und da am Hydra-Leibe fortwährend junge Nesselzellen sich entwickeln, nimmt Nussbaum (1887), im Einverständnisse mit Jiekeli und Bedot eine Wanderung der Nesselzellen von ihren Bildungsstätten am Leibe nach ihren Verbrauchsorten an den Tentakeln an. In ähnlicher Weise sollen nach Schneider (1891) die Senkfäden der Forskalea und die Ten- takeln der Carmarina von den, an ihren Basen gelegenen Nessel- wülsten, in denen sich allzeit Nesselzellen entwickeln, aus versorgt werden. Bei diesen sollen die Nesselzellen ihren Bestimmungsort eben- falls durch aktive Wanderung erreichen. Auch Chun (1891) thut solcher Nesselwülste bei verschiedenen Cnidarien, namentlich Siphono- phoren — Außenseite der großen Taster, welche bei Physalia die Fangfäden tragen z. B. — Erwähnung und giebt an, dass sich die Nesselzellen dieser Wülste nicht in einem Zustande vollkommener Aus- bildung befinden und niemals losgehen. Dass diese Nesselzellen eine Ersatzreserve bilden und nach den Nesselzellen-Verbrauchsarten vor- geschoben werden, sagt Chun jedoch nicht; er behauptet im Gegen- teile, dass bei Stephanophyes superba ein Nachschub von Kapseln in keiner Batterie vorkomme und giebt später an andrer Stelle (Chun 1892) an, dass er in keinem Falle ein Ueberwandern der Nesselzellen von einem Bildungsherde nach einem Verbrauchsorte mit Sicherheit habe nachweisen können: die von Schneider für Forskalea ange- gebene Nesselzellenwanderung soll bei den von Chun untersuchten Siphonophoren nicht stattfinden. Dagegen hält Schneider (1892) v. Lendenfeld, Nesselzellen der COnidaria. 519 an seiner Nachschubtheorie fest und meint, dass eine „zeitweise Be- förderung“ von Nesselzellen im Forskalea-Fangfaden stattfände, weil man im Subepithel derselben zuweilen sehr viele und zuweilen gar keine Nesselzellen antrifft. In einer späteren Arbeit giebt Schneider (1894), diese Nachschubtheorie, wenigstens in Bezug auf die Forskalea- Fangfäden auf, behauptet aber, dass allgemein eine solche Wanderung gegen den Polypenmund hin stattfände und dass die Nesselzellen bei Velella und Porpita von dem bekannten „Centralorgane“ aus, auf die Taster und Polypen hinüberwanderten. Murbach (1894) endlich, will die Wanderung einer, ihre Form fortwährend ändernden Nesselzelle im Subepithel von Pennaria direkt beobachtet haben. Auch hat er wandernde Nesselzellen in den Kanälen gesehen, welche bei Velella die dieke Stützlamelle durchsetzen, die hier Bildungs- und Verbrauchs- Ort der Nesselzellen von einander trennt. Oft sollen die Nesselzellen ein Cnidoeil bilden noch ehe sie an ihrem eigentlichen Bestimmungs- orte angelangt sind. Iwanzoff (1896a) stellt sich diesen Angaben entgegen: er glaubt nicht an eine Wanderung der Nesselzellen von den Nesselwülsten an den Tentakelbasen etec., die auch er als Bildungs- herde derselben ansieht, aus, nach den Verbrauchsorten, sondern hält diese Wülste für Anlagen, von denen aus die häufig verloren gehenden Tentakeln, natürlich gleich mit ihrer vollen Nesselzellenarmatur aus- gerüstet, neu gebildet werden. Als einen der Gründe gegen die Nach- schubstheorie führt Iwanzoff die Thatsache an, dass manche Siphono- phoren-Nesselkapseln viel dieker als die Fäden sind, die sie — jene Theorie als richtig vorausgesetzt — durchwandern müssten, um an ihren Bestimmungsort im Nesselknopfe zu gelangen. Schneider (1896) hält dagegen auch in seiner neuesten Publikation an der Anschauung fest, dass bei den Siphonophoren im Ektoderm der basalen Abschnitte der Polypen eine Nesselzellen -Bildungsstätte vorhanden sei „von der aus in vielen Fälien der Fangfaden mit Geschossen versorgt wird“. IV. Physiologie. Bekanntlich habe ich (1887, 1887a) die Theorie aufgestellt, dass die Nesselzellen reflektorisch, auf jeden Cnidoeilreiz hin losgehen können, dass diese Reflexaktion aber, wenn sie dem Tiere keinen Vor- teil oder gar einen Nachteil brächte, durch einen, vom subepithelialen Nervenplexus ausgehenden Hemmungsreiz verhindert werde. Nuss- baum (1887) traut dagegen der Nesselzelle selber eine hinreichende Urteilsfähigkeit zu, um immer zu wissen, wann sie (auf Berührung des Cnidoeils hin) losgehen soll und wann nicht: aus sich selbst heraus, und ohne vom Nervensystem des Tieres irgendwie abhängig zu sein, soll sie auf äußere Reize hin ihre Entschlüsse fassen und entsprechend handeln. Ferner behauptet Nussbaum (1887), dass die verschiedenen Nesselzellenarten der Hydra auf verschiedene Reize hin — nicht alle 520 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. auf den gleichen Reiz — durch Explosion reagieren: die einen, wenn eine breite Fläche, die andren, wenn ein Haar ihr Cnidocil berührt. In Bezug auf die Thatsache, dass nicht jede Cnidocilberührung ein Losgehen der betreffenden Nesselzelle veranlasst, habe ich (1887, 1887a) gezeigt, dass wenn verschiedene Teile des Tieres bei der Bewegung, namentlich bei der Zusammenziehung desselben, gegen einander drücken, oder wenn Sandkörner auf Actiniententakel fallen, keine Nesselzellen- explosion erfolgt. Nach Zoja (1890) läuft auch die Tröchodina pedi- culus auf der Hydra herum, ohne Nesselzellenentladungen zu veran- lassen. Viguier (1890) schließt sich in Bezug auf die Art der Schuss- auslösung auf einen Cnidocilreiz hin, Nussbaum an. Er glaubt, dass das Cnidocil — er wird wohl die ganze Nesselzelle meinen — selber im Stande wäre, festzustellen, wann geschossen werden solle, und wann nicht, so dass der von mir supponierte Reflexmechanismus gar nicht nötig ist. Während dieser Autor (bei Tetraplatia volituns) nie eine Verbindung zwischen Nesselzellen und subepithelialen Nerven (er hat überhaupt keine Ganglienzellen aufgefunden) sah, giebt Schnei- der (1890) an, bei Hydra einmal eine solehe beobachtet zu haben, welche Beobachtung er freilich, weil er sie nicht wiederholen konnte, für sehr zweifelhaft hielt. Dennoch nimmt er einen Zusammenhang zwischen Nesselzellen und subepithelialen Ganglienzellen durch das Plasma der Deckzellen, in denen die Nesselzellen stecken, an. Die Nesselzellen des Hydra-Tentakels sollen nach Sehneider nebenbei auch als Sinneszellen fungieren. Nach Chun (1891) lassen die jugend- lichen Nesselknöpfe von Agalma rubrum auf der Dorsalseite einen Nervenstrang erkennen, welcher distal starke Seitenzweige abgiebt und vor dem Endknopfe in eine große, verästelte Ganglienzelle mit mehreren Kernen ausläuft. Auch bei Velella und Physalia hat Chun reich verästelte Ganglienzellen gefunden. Das normale Cnidoeil hält dieser Autor nicht für einen „Schlagbolzen“, sondern für ein Sinnes- haar. Als solches teilt es den dasselbe treffenden Reiz dem Plasma- mantel der Nesselzelle mit. Durch die Kontraktion des letzteren und namentlich des Stieles, wird dann die Explosion der Nesselkapsel her- beigeführt. Die „Muskelstiele“ durch nervöse Apparate verbunden ge- dacht, kann man sich nach Chun vorstellen, wie ein, nur ein einziges Cnidoeil treffender Reiz genügt um eine größere Anzahl von (benach- barten) Nesselzellen zur Entladung zu bringen. Die von Chun ver- mutete Verbindung der Nesselzellen mit dem Nervensystem des Tieres soll keinem andren Zwecke als der weiteren Uebertragung des Reizes auf andre Nesselzellen dienen: eine solche hemmende Funktion, wie ich ihnen zuschrieb, teilt Chun jenen Nerven nicht zu. Auch Cha- peaux (1892) nimmt (bei Hydra) eine Verbindung der Nesselzellen mit den Ganglienzellen an. Er glaubt, wie Chun, dass die Berührung eines Cnidocils nicht nur die Explosion der Kapsel zu. der es gehört, v. Lendenfeld, Nesselzellen der Onidaria. 521 sondern auch benachbarter Kapseln zur Folge habe. Daher müssen Nerven-Verbindungen vorhanden sein und bei der Entladung eine Rolle spielen. Nach Goto (1895) sind die jungen Nesselzellen in den Siphonen von Physalia durch Plasmastränge verbunden, welche wohl zur Reizübertragung und zur Veranlassung der Entladung einer größeren Anzahl von ihnen auf einen einzigen, lokalen Reiz hin, dienen könnten. Grenacher (1895) hält es für nicht ausgeschlossen, dass der Cnidoeil- reiz durch die Nesselzelle auf den subepithelialen Nervenplexus und weiterhin auf die Muskeln übertragen würde. Diese sollen sich darauf- hin solcherart zusammenziehen, dass der betreffende Teil (im Tentakel z.B.) dem Objekte, von dem der Reiz ausging, zugewendet wird. Nach Bedot (1896) könnte wohl bei Cnidarien, nicht aber bei andren nes- selnden Tieren (Aeoliden z. B.) ein einfacher Cnidoeilreiz zur Veran- lassung einer Explosion genügen. Iwanzoff (1896a) glaubt, dass die erste Ursache des Schusses entweder ein Druck auf das Cnidocil oder eine plötzliche Kontraktion des, die Nesselzelle umgebenden Gewebes sei. Ob nun der Reiz bloß vom Cnidocil, oder ob er auch unter Um- ständen vom subepithelialen Nervenplexus ausgeht; ob ein Hemmungs- reiz die Schuss- veranlassende Reflexaktion verhindert, oder ob dies nicht der Fall: jedenfalls schien es immer notwendig, eine Kontraktion, sei es des Mantels, sei es des Stieles, sei es der Kapsel selbst oder des umgebenden Gewebes als die mechanische Ursache des Schusses anzunehmen. Ich (1887, 1887a) habe direkt die Mantelkontraktion als mechanische Schussursache bezeichnet. Auch Nussbaum (1887) ist dieser Meinung. Er nimmt an, dass sich die Kapsel in einem starken Spannungszustande befinde, und dass der Manteldruck, zu dieser Span- nung hinzukommend, mit ihm vereint den Widerstand überwinde und den Schuss veranlasse. Zoja (1890) führt als Beweis dafür, dass der Manteldruck die Explosion veranlasse, die Beobachtung an, dass bei Hydra die abgeschossenen Kapseln viel schlanker, als die geladenen sind. Auch Schneider (1890) ist der Ansicht, dass die mechanische Schussursache in einer Mantel- und zum Teil vielleicht auch in einer Stielkontraktion zu suchen sei. Jeder andre Erklärungsversuch wird von ihm als ziemlich aussichtslos bezeichnet. Nach Chun (1891) soll die Kapselspannung im Vereine mit dem, beim Abreißen der „ge- fensterten Lamelle* zu Stande kommenden Drucke die mechanische Ursache der Entladung der großen, des Muskelmantels und -Stiels entbehrenden Kapseln in den Nesselknöpfen der Siphonophoren sein. Chapeaux (1892) erblickt im Manteldrucke die mechanische Schuss- ursache, und auch Schneider (1892) wiederholt seine früheren An- gaben, fügt diesen aber jetzt die Bemerkung hinzu, dass in jenen Fällen, in denen die „äußere Muskelhülle“, der Mantel, fehlt, die äußere Kapselwandschicht sich kontrahieren und den Faden hervor- stoßen dürfte. Er schreibt also jetzt, der äußeren Schicht der Kapsel 522 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. selbst eine muskulöse Natur zu. Auch Murbach (1894) hält die Mantelkontraktion für die mechanische Schussursache. Grenacher (1895) schließt sich insofern Nussbaum an als er sagt, dass nor- maler Weise ein starker Druck in der Kapsel herrsche. Wenn nun zu diesem noch eine Druckwirkung von außen her hinzukäme, so müsste der Schuss losgehen. Diese äußere Druckwirkung kann nach Grenacher nicht Folge einer Stielkontraktion sein, eher noch einer Mantelkontraktion. Den ganzen Entladungsmechanismus stellt sich dieser Autor bei Hydra folgendermaßen vor: der Kapselspannung leisten das Deckelchen, und der obere Mantelrand Widerstand. Wird das Cnidoeil gereizt, so glätten sich jene oben beschriebenen feinen Falten, durch die unter gewöhnlichen Umständen der Mantelrand zu- sammengezogen ist. Dabei erweitert sich natürlich der Ring, den der obere Mantelrand bildet; er setzt nun der Kapselspannung keinen Widerstand mehr entgegen und das Deckelchen allein ist zu schwach um der Kapselspannung Widerstand zu leisten: es wird abgeworfen und der Faden tritt hervor. Man sieht, dass auf diese Weise die Kapselspannung allein genügen würde um die Entladung herbeizu- führen. Es ist selbstverständlich, dass alle diese Erklärungen der mechanischen Schussursache eine Verkleinerung des Volumens der Kapsel beim Schusse, wie sie Zoja (8. 0.) auch thatsächlich be- obachtet haben will, voraussetzen. Iwanzoff (1896a) hat nun ge- zeigt, dass einige Nesselkapseln, wie die großen von Pennaria cavoliniüi und Halistemma rubrum, sowie die ellipsoid-kugligen von Agalma sich beim Schusse allerdings etwas verkleinern und dabei diekwandiger werden; dass diese Verkleinerung jedoch der sehr beträchtlichen Ver- größerung des Gesamtvolumens von Kapsel und Schlauchfaden bei der Ausstülpung des letzteren lange nieht gleich kommt. Ferner hat es sich auch gezeigt, dass einige Kapseln, wie z. B. jene von Caryo- phyllia und Cerianthus beim Schusse größer statt kleiner werden. Nach dem Schusse ist das Volumen des ausgestülpten Fadens + dem Vo- lumen der Kapsel immer, auch bei den erstgenannten, viel größer als das Kapselvolumen vor dem Schusse. Woher kommt, und was ist die Substanz, welche in den Faden und die Kapsel eindringend, jene Volumvermehrung des Ganzen beim Schusse bewirkt? Iwanzoff sagt: das Wasser. Es ist ihm nämlich gelungen, den Kapselinhalt mit Methylenblau zu tingieren, woraus er schließt, dass derselbe nicht eine einfache, bloß hydrostatisch wirkende Flüssigkeit (Wasser) ist, wie Murbach annahm, sondern eine, allerdings wasserhaltige, aber doch organische und zwar gelatinöse und giftige Substanz. Diese Substanz hält er für sehr hygroskopisch und erblickt in dieser Eigen- schaft die wahre, mechanische Ursache des Schusses. In den Fällen, in denen die abgeschossenen Kapseln größer wie die geladenen sind, kann offenbar weder Manteldruck noch Kapselspannung die mecha- v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. 5925 nische Schussursache sein. Wenn die intrakapsuläre Substanz Wasser aufnehmen würde, so wäre die Größenzunahme der Kapsel, welche in einigen, und die Volumenzunahme des Ganzen (Kapsel + Faden), welche in allen Fällen beobachtet wird, ganz natürlich und selbst- verständlich. Iwanzoff meint, dass durch einen äußeren Reiz, Stoß auf das Cnidoeil, Kontraktion des benachbarten Gewebes, das Deckel- chen abgeworfen und dann das Basalstück des Fadens ein bischen vorgestülpt würde. Die Kapselwand, und zwar die innere Schicht derselben, soll für Wasser ganz undurchlässig sein, so dass trotz der hygroskopischen Eigenschaft des gelatinösen Kapselinhaltes kein Wasser in die Kapsel hineingelangen kann, so lange die Nesselzelle ruht. Die Wand des schlauchförmigen, nach Abwerfung des Deckels etwas ex- ponierten Fadens soll aber für Wasser durchlässig sein: durch sie in das Innere der Kapsel eindringend und mit der, in der letzteren ent- haltenen, gelatinösen Substanz sich mischend, bewirkt es eine so starke und plötzliche Quellung und Anschwellung des Kapselinhaltes, dass der Faden rasch hinausgedrängt und ausgestülpt wird. Diese Aus- stülpung, das Hervorschießen des Fadens soll in Wirklichkeit viel langsamer vor sich gehen als es unter dem Mikroskop erscheint und es soll die Fadenausstoßungsgeschwindigkeit umsomehr abnehmen, je weiter er ausgestülpt ist. Den ersten Anstoß zu der Abwerfung des Deckelchens, welche den ganzen Prozess einleiten soll, sucht Iwan- zoff „in benachbarten Elementen“, nicht in der Nesselzelle selbst. So schön diese Theorie auch ist, so erscheint sie doch ganz un- haltbar. Keine so dünne und (vermutlich) chitinige Membran wie die Kapselwand wäre im Stande zu verhindern, dass Wasser auf osmoti- schem Wege zu der außerordentlich hygroskopischen, gelatinösen Sub- stanz innerhalb der Kapsel gelangt; und in der That beweist die Tingierbarkeit des Inhaltes intakter Kapseln jene Wasserdurchlässig- keit der Kapselwand. Wenn aber die Kapselwand wasserdurchlässig ist, so muss sich die intrakapsuläre Substanz, sobald sie jene hygros- kopische Eigenschaft erlangt hat, mit Wasser vollsaugen, und dieser Prozess wird nicht erst dann eintreten, wenn das Deckelchen abge- worfen und der Faden exponiert ist. Wie dem auch sei, so wird doch jedenfalls bei den Nematoeysten der schlauchförmige Faden, während des Schusses, in sich zurück- und dabei ausgestülpt. Ueber diesen Punkt sind alle Autoren mit Ausnahme Nussbaum’s einig. Der letztgenannte giebt an (Nuss- baum 1887), dass bei Hydra nur das Fadenbasalstück wirklich ausgestülpt werde und dass dann der dünne Endfaden in Gestalt einer Schlinge aus dem Ende des ausgestülpten Basalstückes her- vortrete; wonach — in dieser Hinsicht ist Nussbaum’s Dar- stellung unklar — also der Endfaden beim Schusse nicht umge- stülpt würde. Das Basalstück des Fadens soll, wenn nur dieses (und 524 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. nicht auch der Endfaden) ausgestoßen ist, bauchig aufgetrieben er- scheinen. Nach Nussbaum (1837) sollen glatte Oberflächen von Beutetieren von den Fäden der großkapsligen Nesselzellen gespickt, Haare und Borsten aber von den Fäden der kleinkapsligen (Sorte 3) umwunden werden. Die großkapsligen (der Sorte 2) sollen überhaupt nicht zur Betäubung, beziehungsweise zum Fange von Beutetieren ver- wendet werden, sondern ausschließlich als Defensivwaffen wirken und nur durch Druck oder Essigsäurezusatz künstlich zur Entladung ge- bracht werden können. Der Faden der großkapsligen Hydra -Nessel- zellen soll beim Schusse normaler Weise abbrechen, und das Gift aus der Bruchstelle hervortreten. Man findet, sagt Nussbaum (1887) diese Fäden entweder entleert, dünn und untingierbar; oder nicht ent- leert, dick, und von einer tingierbaren Substanz, dem noch nicht aus- geflossenen Gifte erfüllt. Auch soll nach dem Schusse die Kapsel keinen Farbstoff mehr aufnehmen. Ich habe dementgegen gefunden, dass viele von den abgeschossenen Kapseln (bei Actinien) einen färb- baren Inhalt besaßen. Nussbaum (1837) behauptet, dass die großen Hydra-Nesselkapseln beim Schusse immer mit samt dem Faden aus- gestoßen werden. Danielssen (1889) giebt an, dass (bei Cerianthus borealis) das Gift beim Schusse von der Kapsel aus in den schlauch- förmigen Faden eindringe. Viguier (1890) ist der Ansicht, dass der Nesselfadenschlauch eine terminale Oeffnung besitze. Der giftige Kapselinhalt soll beim Schusse in den Faden hineingepresst werden, diesen durchfließen und durch die terminale Oeffnung austretend in die vom Faden erzeugte Wunde eingeführt werden. Viguier be- hauptet das Austreten von Gifttröpfehen — die sich in Osmiumsäure bräunten — aus dem Fadenende direkt beobachtet zu haben und bildet diese Tröpfehen ab. Selbstverständlich könnte man solche Tröpfehen in dem Wasser, in dem das Objekt liegt, nur dann sehen, wenn das Gift eine, mit Wasser nicht mischbare, etwa fettartige Sub- stanz wäre. Da sich nun aber dieses Nesselgift allem Anscheine nach sehr gut mit Wasser mischt, so können jene, von Viguier beobach- teten Tröpfehen das Nesselgift wohl nicht gewesen sein. Viguier und die andren Autoren, welche behaupten, dass das Gift den ganzen Fadenschlauch durchströme um am Ende desselben auszutreten, scheinen nicht zu bedenken, welchen großen Reibungs- widerstand eine so lange und so enge Röhre, wie der Nesselfaden eine ist, der Bewegung einer sie durchströmenden Flüssigkeit entgegen- + setzt. Nach der Poisseuille’schen Formel V/ — = „7 könntenbei Schlauchfadendimensionen, wie Viguier sie von den Tetraplatia- Nesselzellen angiebt (1890, Fig. 17): Schlauchdurehmesser 0.0007 mm, Schlauchlänge 2 mm, in Zeit von 10 Sekunden (länger dauert es sicher nicht bis die Vergiftung eintritt) und unter der Annahme, dass v. Lendenfeld, Nesselzellen der Unidaria. 595 1. der Schlauch in Folge seiner Elastizität beim Hindurchfließen des Giftes während des Schusses auf das zehnfache seiner Weite ausge- gedehnt wird und dass 2. die Druckdifferenz P (Kapselspannung) a 10 Atmosphären betrage, nur a und wenn 1000 solche Nesselzellen OR b } 162 RENT a } zugleich wirken, nur 10: Kubikmillimeter Gift, eine wohl kaum hin- reichende Menge, in das Beutetier eingespritzt werden. Auch Sehneider (1890) ist der Ansicht, dass das Gift in der Kapsel enthalten ist und beim Schusse durch den Faden und durch eine an seinem Ende befindliche Oeifnung die er allerdings nicht be- obachtet hat — ausgespritzt wird. Im Gegensatze zu Nussbaum behauptet Schneider, dass der Faden normaler Weise nicht abbreche. Zu Beginn der Ausstülpung bilden die drei Basaldornen der Hydra- Nesselfäden, wie auch schon frühere Autoren angegeben haben, nach Schneider einen dreikantigen Dolch, welcher in das Beutetier ein- dringen kann. Bei Forskalea hat Schneider (1892) bemerkt, dass der Fadenschlauch durch das in ihm emporgetriebene Sekret stark dilatiert wird. Nach Murbach (1894) soll — wie seinerzeit auch ich (1887) geglaubt hatte — das Gift innerhalb des, in der Kapsel in sich selbst zurückgestülpt ruhenden Schlauchfadens liegen, um dann, bei der Explosion und Umstülpung desselben, an die äußere Faden- oberfläche zu gelangen. Dementgegen soll der eigentliche, außerhalb des Fadens liegende Kapselinhalt nnr hydrostatisch wirken. Schnei- der (1894) hingegen hält an der Anschauung fest, dass eben diese außerhalb des Fadenschlauches befindliche, intrakapsuläre Flüssigkeit das wahre Gift, der zurückgestülpte, ruhende Faden aber völlig leer sei. Grenacher (1895) hat Nesselfäden von Hydra in einer Mücken- larve und Nesselfäden einer Siphonophore in Salpa democratica ge- funden. Bei der letzteren sah er die Nesselfäden gerade ausgestreckt die Gallerte durchsetzen, während die Kapseln außen anhafteten. Grenacher vergleicht die Bohrwirkung des Nesselfadens mit jener des Tetrarhynchus-Rüssels. Während der Fadenausstülpung bilden die Dornen immerfort neue Stilete am Gipfel des vorrückenden Fadens, die sich dann, ebenso wie die Ausstülpung fortschreitet, hakenartig umlegen und den Faden im Gewebe der Beute verankern. Wenn auch viele, oder gar die meisten Fäden nicht in das Beutetier ein- dringen sondern nur der äußeren Oberfläche desselben anhaften, so erfüllen nach Grenacher doch nur jene ihren eigentlichen Zweck, welche sich einbohren, weil eben nur diese ihr Gift dorthin bringen, wo es wirken kann. Der giftige Kapselinhalt soll durch die Faden- wand hindurch diffundieren, eventuell aus Rissstellen hervortreten. Das Vorhandensein einer Oeffnung am Fadenende scheint Grenacher nicht für wahrscheinlich zu halten. In ähnlicher Weise schildert 526 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. Iwanzoff (1896a) das Eindringen der Fäden der großkapsligen Nesselzellen von Pennaria cavolini, nur meint er, dass der Basalteil beim Weitereindringen des Endteils wieder hinausgedrückt würde. Die großen Basaldornen bilden ein starkes, chitiniges Stilet, welches den Hautpanzer des Beutetieres durchbohrt und so freie Bahn für das Ein- dringen des Endfadens in die tieferen, meist weicheren Gewebelagen desselben schafft. Während der Ausstoßung wird der Faden sehr stark aufgebläht und in dem aufgeblähten, äußeren Teile bewegt sich der innere, nicht aufgeblähte Teil leicht vorwärts. Das Gift soll durch Zerreißung des Fadens in die Wunde gelangen. Ueber die Heftigkeit der Giftwirkung macht Iwanzoff (1896a) eine interessante Mitteilung. Er sagt, dass er einmal einen Halistemma- Nesselknopf in der Hand zerdrückt und dabei einen brennenden Schmerz verspürt habe, welcher allmählich abnehmend, drei Wochen lang fühl- bar war. Auch konnte er mit der Loupe die Stiche sehen, welche die einzelnen Nesselfäden in seiner Haut erzeugt hatten. Die von Chun (1891) beschriebenen, Adlerschnabel-artigen Cnido- eils in den eichelförmigen Nesselknöpfen der Stephanophyes superba sollen zur Festhaltung des Beutetieres dienen, welches dann, durch seine Fluchtversuche einen kräftigen Zug ausübend, die gefensterte Membran des Nesselknopfes abreisst und die Hauptbatterie zur Ent- ladung bringt. Ich selbst habe neuerlich Experimente mit verschiedenen Gemischen von Gelatine und Wasser gemacht, Gallerten, welche in feine Scheiben zerschnitten, so an Actiniententakel (Bumodes gemmaceus) herangebracht wurden, dass die Nesselfäden sich in die Ränder dieser Gallertplatten einbohrten. Diese Scheiben wurden dann auf einem Objektträger unter das Mikroskop gebracht. So konnte ich die nesselfadengespickte Randfläche der Gallertplatte schön im Profil, von der Seite be- obachten. Ist die Gelatine sehr hart (reine Gelatine frisch ins Wasser gebracht), so haften ihr außen zahlreiche Nesselkapseln mit ganz ausgestülpten Nematocystenfäden sowie ausgestoßene auf- oder noch zusammengerollte Spirocystenfäden an. In solche Gelatine ver- mögen die Nesselfäden gar nicht einzudringen. Bei Anwendung einer Gallerte von 50proz. Gelatine sind viele Fäden ganz ausgestoßen und oberflächlich angeheftet und einige wenige in die Gallerte eingedrungen. Von den letzteren ist jedoch nur das Basalstück — von Kapsellänge etwa — ausgestülpt. Dasselbe erscheint stark aufgetrieben mit, in distaler Richtung abstehenden Dornen und hat die Gestalt einer Weizenähre. In diesem ausgestoßenen Basalstück liegt — aufgerollt — der Endfaden; bis in die Kapsel zurück reicht der letztere nicht. Weiter ausgestülpt und tiefer eingedrungen sind die Nematocysten- fäden bei Anwendung von 20 proz. Gelatine. Die ausgestülpten Fäden sind hier 0.04—0.16 mm lang; die Kapseln, zu denen sie gehören, liegen v. Lendenfeld, Nesselzellen der Cnidaria. 597 der Gallertoberfläche dicht an. Die am weitesten eingedrungenen Fäden erscheinen etwas verkrümmt: im Ganzen verlaufen aber alle senkrecht zur getroffenen Gallertoberfläche. Auch bei Anwendung von 5proz. Gelatine -—— und diese möchte ich für solche Versuche als die passendste empfehlen — stecken sehr viele, nur zum geringen Teile ausgestülpte weizenährenähnlich aufgeblähte Fäden senkrecht in der Gallerte. Wendet man endlich 2proz. Gelatine-Lösung — das ist schon eine sehr weiche, schwer zu handhabende Gallerte — an, so findet man zumeist ganz ausgestülpte, senkrecht in die Gallerte ein- gedrungene, schwach geschlängelte Fäden. Man kann diese losgegangenen Nesselkapseln und Fäden z. T. sehr gut tingieren. Es macht den Eindruck als ob die Tingierbarkeit des Kapsel- und Faden-Inhaltes im umgekehrten Verhältnisse zum Grade der Fadenausstülpung stünde. Es ist diese Regel jedoch an Ansnahmen sehr reich: oft sind Kapseln mit weit ausgestoßenem Faden stärker als solche tingiert, bei denen der Faden nur wenig oder gar nicht hervorgestülpt ist. V. Schlussbetrachtung. Ueberblicken wir nun die Fortschritte, welche die Nesselzellen- forschung im Laufe des letzten Decenniums gemacht hat, so erkennen wir die Notwendigkeit, einige von unsren Anschauungen über die- selben zu modifizieren. Der von mir und Schneider vertretenen Auffassung der Nessel- zellen als Drüsenzellen hat sich nun jene Iwanzoff’s als plausibel hinzugesellt, wonach sie modifizierte Epithelzellen wären. Die An- schauungen von Chun, nach denen sie Neuromuskelzellen, und jene von Chapeaux, nach denen sie Sinneszellen wären, erscheinen durch die neueren Funde widerlegt. Ein entschiedener Fortschritt ist die wahre Erkenntnis des prin- zipiellen Unterschiedes zwischen Nematocysten und Spirocysten, die wir Bedot verdanken. Die zuerst von Chun aufgestellte und von vielen Autoren accep- tierte Behauptung, dass der Stiel der Nesselzelle muskulös sei, wird von den Ergebnissen der neuesten Untersuchungen nicht bestätigt, ja es ist sogar zweifelhaft geworden, ob der Mantel muskulös ist. Die von Chun und Bedot beschriebene Querstreifung des Stieles und eines Teiles des Mantels gewisser Siphonophorennesselzellen ( Velella ete.) hat sich als eine, durch das Vorhandensein eines feinen elastischen Fadens hervorgerufene Täuschung entpuppt. Dieser Faden ist an die Stützlamelle angewachsen, er durchzieht oder umzieht in Gestalt einer Spirale den Stiel, bildet dann häufig unter, beziehungsweise neben der Kapsel ein Knäul und heftet sich vermutlich mit seinem Distalende an die Kapsel selbst an. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, 528 v. Lendenfeld, Nesselzellen der Unidaria. dass dieser Faden als Angelschnur oder Harpunenleine wirkt, indem er die abgeschossene, durch den Nesselfaden an das Beutetier ange- heftete Kapsel festhält und das Beutetier wohl auch, in Folge seiner Elastizität, näher heranzieht. Bei Hydromedusen und Siphono- phoren sind mehrfach Fäden beobachtet worden, die am Ende Nessel- kapseln tragen und wohl auch als solche elastische Angelschnüre oder Harpunenleinen anzusehen sein werden. Die Wand der Nesselkapsel ist doppelschichtig. Hierüber sind alle neueren Autoren einig. Während aber die meisten den Faden- schlauch als eine Fortsetzung der inneren Wandschicht ansehen, vertritt Iwanzoff die Meinung, dass er eine Fortsetzung der äußeren Wandschicht oder beider Wandschichten sei. Während der Spirocystenfaden stets glatt ist, trägt der Nemato- eystenfaden normaler Weise drei, spiralig angeordnete Längsreihen von Dornen, die im allgemeinen von der Basis gegen das Fadenende an Größe abnehmen, und deren drei unterste bei den Hydroiden zu mächtigen Stacheln geworden sind. Beim Hervorstülpen des Fadens müssen alle diese (im ruhenden Fadenschlauch nach Innen ragende) Dornen natürlich nacheinander hervortreten, und zwar zuerst zueinem Stilet zusammengelegt, das, einem dreikantigen Stichbajonett ähnlich wirkend, in das Gewebe des Beutetieres eindringt. Bei der weiteren Hervor- stülpung des Fadens legen sich die drei Dornen dieses Stilets nach Außen um und bilden Widerhaken, welche das Hinausgleiten des Fadens in Folge des, mit seinem weiteren Vordringen verbundenen Rückstoßes verhindern. Irrtümlich hat Iwanzoff behauptet, der Faden würde durch diesen Rückstoß (beim Weitervordringen) teilweise wieder ausgestoßen. Da ein sehr großer Teil der Beutetiere der Cnidarier, Crustaceen, Tiere mit hartem Hautpanzer also sind, so musste die Zuchtwahl dahin streben, den Faden zur Durchdringung solcher Exo- skelete geschickt zu machen. Dieses Ziel hat sie durch die Ver- größerung der Basaldornen, namentlich bei den Hydroiden, zu erreichen gesucht. Im Ganzen ist der rasch hervorbrechende und dabei um die eigene Axe schraubenartig sich drehende, dreikantige Nesselfaden mit seinen nach Außen und Hinten sich umlegenden Dornen ein Bohr- instrument von außerordentlicher Leistungsfähigkeit, das, wie Gre- nacher sehr richtig bemerkt, jedenfalls zum Eindringen in die, und nicht bloß zum Anschmiegen an die Beute bestimmt ist. Während frühere Autoren in der Kapselspannung und dann in dem, bei der Kontraktion des Mantels, beziehungsweise Stieles zustande kommenden Drucke die mechanische Entladungsursache sahen, hat Iwanzoff die starke Wasseranziehung und Quellbarkeit des Kapsel- inhaltes als die Explosionsursache hingestellt. Diese Theorie kann jedoch der Kritik nicht Stand halten. Es erscheint vielmehr am wahr- scheinlichsten, dass die in der Kapsel vorhandene, hygroskopische Sub- v. Lendenfeld, Nesselzellen der Unidaria. 599 stanz, durch die Kapselwand Wasser osmotisch aufsaugend nur den, von den meisten Autoren angenommenen Turgor, die Kapselspannung verursacht. Die physikalischen Eigenschaften solcher Substanzen, wie die gallertige Kapselfüllmasse machen ihr Entweichen durch die Kapsel- wände beim Aufquellen unmöglich und es wird daher der Druck inner- halb der Kapsel so lange zunehmen, bis er der hygroskopisch-osmoti- schen, Wasser-hereinsaugenden Wirkung der intrakapsulären Substanz die Wage hält. Explodiert dann die Kapsel, so wird — dureh Aus- stoßung (Spiroeysten), beziehungsweise durch Um- und Ausstülpung (Nematocysten) des Fadens — plötzlich Raum geschaffen, der Druck nimmt ab und die Endosmose füllt nun, allein wirkend, den ganzen frei werdenden Raum rasch mit Wasser an. Es ist also die hygros- kopische Natur der Kapselfüllmasse die Ursache der Kapselspannung und somit auch zum großen Teile die Quelle der Kraft, durch welche beim Schusse der Faden hervorgeschnellt wird; sie bewirkt aber keines- wegs die Explosion in der von Iwanzoff angegebenen Weise und es dringt das Wasser auch nicht, wie dieser Autor meint, durch die Fadenwand allein, sondern ebenso durch die Kapselwand ins Innere ein. Man wird daher immer noch irgend ein andres Agens als mecha- nische Schussursache ansehen müssen; und dieses Agens erscheint heute, da die Annahme einer muskulösen Natur des Stiels und des Mantels mehr als fraglich geworden ist, zweifelhafter denn je. Ebenso ungewiss ist es, wie eigentlich das Gift in das Beutetier ein- gespritzt wird. Meiner Theorie, wonach ein vom subepithelialen Nervenplexus ausgehender Hemmungsreiz die, sonst reflektorisch erfolgende Ent- ladung der Nesselzellen zuweilen hintanhalte, entgegen, haben Nuss- baum und Viguier behauptet, dass die Nesselzelle selber ein Urteil darüber sich bilde, ob sie auf den Cnidoeilreiz hin losgehen solle oder nicht. Die neueren Beobachtungen haben wenig Licht auf diese Frage geworfen. Im Allgemeinen haben die Autoren bei ihren diesbezüglichen Spekulationen die Thatsache, dass beim heftigen Zu- sammenziehen der Tentakel und andrer Körperteile, ein sehr großer Druck zu Stande kommt, ohne Nesselzellenentladung herbeizuführen, zu wenig berücksichtigt. Allem nach scheint meine Reflex- und Hem- mungs-Theorie immer noch die einzige zu sein, welche geeignet ist, alle Beobachtungen ungezwungen zu erklären. In Bezug auf die Entwicklungsgeschichte haben die neueren Unter- suchungen die Streitfrage über die Art der Schlauchbildung, intra- oder extrakapsulär, in befriedigender Weise und zwar im Allgemeinen zu Gunsten Jeekeli’s, des Entdeckers der extrakapsulären Schlauch- bildung, entschieden. In meiner früheren Mitteilung (1887a) glaubte ich die Bemerkung XV. 34 530 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. machen zu dürfen, „unsre Kenntnis von der Wirkungsweise der Nessel- zellen ist jetzt eine befriedigende* — und nun, nach zehn Jahren, da wir so viel mehr über den Gegenstand wissen als damals, muss ich leider gestehen, dass mir unsre Kenntnis von diesem Gegenstande nicht mehr befriedigend erscheint. Das ist natürlich genug, denn je tiefer man in einen Gegenstand eindringt und je schärfer die Kritik ist die man übt, um so schwerer wird es, diesen in „befriedigen- der“ Weise zu erklären. [54] Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Von Dr. S. Popoff. (Zweites Stück.) Katzen-Embryo von 8 cm Länge. Wir wollen uns vorläufig mit diesen Schlüssen, die wir noch späterhin durch weitere Untersuchungen erweitern werden, begnügen und wenden uns jetzt zum folgenden Studium, d. h. Katzen-Embryo von 8 em. Auf der Abbild. III sehen wir deutlich, dass die Klein- hirnrinde in diesem Alter aus vier, nicht scharf abgegrenzten Schichten oder richtiger gesagt — Zonen besteht. Ganz nach außen haben wir die sogenannte äußere Körnerschicht, nach ihr folgt die embryonale Molekulärschicht, als dritte — die Schicht der Purkinje’schen und Golgi’schen embryonalen Zellen und endlich als vierte — die sich bildende innere Körnerschicht. Beim Vergleich dieses mit dem beim Katzen-Embryo von 5 em Beschriebenen, können wir hier einige neue Facta konstatieren. Auf jenem Objekte beschrieben wir die Mantelschieht als eine, aus gleichen Elementen bestehende Schicht; hier aber hat sie sich scharf durch die schnellere Differenzierung der mehr nach außen ge- legenen Zellen als die inneren, in zwei Schichten gesondert. Die Zellen wurden bedeutend größer und ihr Protoplasma ist deutlich ausgesprochen als kegelförmige, mit der Spitze zur molekulären Schieht gerichtete Anhängsel. Zuweilen liegen seine Anhängsel oder Fortsätze nicht vertikal sondern ein wenig schief zur Kleinhirnoberfläche; nicht alle Zellen jedoch haben solche ähnliche Fortsätze. Weiter ein wenig nach innen von dieser Zellengruppe, liegt eine große, in beiden Polen mit mehr oder weniger langen Fortsätzen versehene Zelle. Sowohl nach der Größe und Lage dieser Zellen, wie auch auf Grund der nach der Golgi’schen Methode parallelen Beobachtungen dieser Periode, ist es kein Zweifel, dass diese großen Zellen — die sich entwiekelnden Purkinje’schen und Golgi’schen Zellen sind. Wir bringen absicht- lich auf einer Zone diese zwei Zellenformen zusammen, da unsere Beobachtungen unbedingt beweisen, dass im Anfange die Golgi’schen Zellen zusammen mit den Purkinje’schen sich differenzieren. Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 531 Der nächste Unterschied zwischen diesem Alter und dem Katzen- Embryo von 5 em ist das Auftreten der molekulären Schicht. In letzter Zeit ist die Bedeutung der molekulären Schicht, dank den neuen Untersuchungen nach der Golgi’schen Methode über die histo- logische Anatomie der Kleinhirnrinde, fast völlig klar. Diese Schicht beherbergt einerseits eine unzählige Menge protoplasmatischer Fort- sätze der Purkinje’schen, Golgi’schen, Korb- und Neurogliazellen, andererseits vertikale und horizontale Axenzylinder der Zellen der inneren Körnerschicht und sogenannte Kletterfasern. Auf den nach der Golgi’schen Methode bearbeiteten gelungenen Präparaten dringen diese Bildungen so dicht in die ganze Schicht ein, dass es geradezu unmöglich ist, näher in die anatomischen Details einzugehen. Es er- hellt daraus, dass wir die molekuläre Schieht nicht als eine selbst- ständige, der gewisse, sie bildende Elemente eigen sind, ansehen können. Sie ist selbständig nur insoweit, als sie, den Fortsätzen der den anderen Rindenteilen gehörigen Zellen einen Platz einräumt. Freilich sind in der molekulären Schicht auch spezielle Elemente, die sogenannten „klei- nen Zellen der molekulären Schicht“ da, sie sind aber in so geringer Anzahl, dass sie nicht eine besondere Schicht vorstellen können. Die Lehre der früheren Autoren, dass die molekuläre Schicht aus einer Zwischensubstanz, in welcher hier und da kleine Zellen einge- lagert sind, oder aus einer Basalsubstanz, die sich in ein sehr feines Netz umgewandelt hat, besteht, ist in der Gegenwart bedeutend ver- ändert und erweitert worden. Außer dieser Zwischensubstanz bilden die Fortsätze der oben erwähnten Zellen einen der Hauptbestandteile dieser Schicht. Da wir uns auf eine solche Weise die Bedeutung der molekulären Schicht vorstellen, so ist unsere Annahme ganz natürlich, dass ihre Bildung mit der Entwicklung und dem Wuchse der proto- plasmatischen Fortsätze der großen Rindenzellen eng verknüpft ist. Bei der Betrachtung der Abbild. III u. XI vom Katzen- Embryo einer und derselben Periode, überzeugen wir uns, dass das Auftreten der molekulären Schicht mit dem Auftreten der großen Zahl der proto- plasmatischen Fortsätze der großen Rindenzellen zusammenfällt. Dieses Faktum bestätigt bis zu einem gewissen Grade die Richtigkeit der von uns über die Bedeutung der molekulären Schicht ausgesprochenen Meinung. Bei der Betrachtung der späteren Perioden, werden wir uns zweifelsohne überzeugen, dass, je größer die Fortsätze der Purkinje'- schen und Golgi’schen Zellen werden, auch die molekuläre Schicht breiter wird. ! Beim Katzen-Embryo (12 em) dringen zuerst in diese Schicht die sogenannten Kletterfasern und zahlreiche Axenzylinder der Zellen der inneren Körnerschicht ein. Was die sogenannten kleinen Zellen der molekulären Schicht betrifft, so entwickeln sie sich viel später, wenn 34 * 539 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. die Dieke dieser Schicht bereits bedeutende Dimensionen angenommen hat. Der Wuchs der molekulären Schicht aber steht auch in enger Beziehung mit einem anderen Faktum und zwar — mit den histo- genetischen Erscheinungen der inneren Körnerschicht. Bereits von früheren Forschern (Obersteiner [37]) wurde das Faktum erwähnt, dass mit dem Wuchse des Embryos sich die äußere Körnerschicht allmählich verkleinert und dem parallel die Breite der molekulären Schicht zunimmt; schließlich schwindet bei der vollkom- menen Entwicklung des Embryos die Körnerschicht völlig. Ein solches Zusammenfallen von Erscheinungen in zwei verschiedenen Schichten wird auch von den neuesten Forschern (Bellogni, A. Stefani, Alfr. Schaper u. a.) beobachtet. Später werden wir ausführlich, wie diese Schicht verschwindet, beschreiben, vorläufig begnügen wir uns nur mit dem Hinweise, dass die molekuläre Schicht sozusagen die Stelle der schwindenden äußeren Körnerschicht einnimmt — d. h. die Fortsätze der Purkinje’schen Zellen, die nur die inneren Grenzen der äußeren Schicht erreichten — wachsen jetzt bis zur äußeren Rindenoberfläche heran. In der von uns besprochenen Periode haben die Elemente der äußeren Körnerschicht ein wenig im Umfange im Verhältnis mit dem, was wir beim Katzen-Embryo (3 cm) sahen, abgenommen. Die Kerne einiger von ihnen sind von einer zarten Protoplasmaschicht umgeben. Karyokinetische Figuren herrschen in den mehr äußeren Teilen der Schicht vor. In den inneren Teilen begegnen wir bedeutend differen- zierten Zellen; so z. B. erinnern die Zellen «. d. (Abbild. III) uns völlig an die Neuroblasten, einige von ihnen sind mit mehr oder wenig langen Fortsätzen versehen. Wie wir unten sehen werden, hat dieses Faktum der Zellendifferenzierung in den inneren Teilen der von uns beobachteten Schicht eine große Bedeutung bei der Auffassung der histogenetischen Prozesse der Rindenentwieklung. Auf diesen Umstand richtete bereits seine Aufmerksamkeit Ramon y Cajal [40], der diese Schicht, mdem er sie bei neugeborenen Tieren an den nach der Golgi’schen Methode angefertigten Präparaten beobachtete, in zwei Teile schied: in einen äußeren, aus epitheloiden Elementen bestehen- den und in einen inneren aus differenzierten Zellen mit Fortsätzen (elements bipolaires horizontaux). Nach unseren Beobachtungen vollziehen sich im der äußeren Körner- schieht von dieser Periode bis zu ihrem völligen Schwunde folgende Prozesse: die Zellen der mehr inneren Teile der Schicht gehen nach einem gewissen Differenzierungsgrade durch die molekuläre Schicht in die inneren Schichten der Kleinhirnrinde über. Auf der Abbild. III treffen wir ähnliche Elemente in der molekulären Schicht auf dem Wege zur Gruppe der großen Zellen an; einige von ihnen sind größer, andere kleiner als die Zellen, welche noch in der äußeren Körner- Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 533 schicht liegen. Augenscheinlich dauert bei diesem Uebergange der Prozess der Differenzierung an; der größte Teil von ihnen hat zum Centrum der Rinde gerichtete Fortsätze. Wir begegnen unter ihnen, wenn auch selten, Zellen, die durch ihre Größe an die Purkinje’schen Zellen erinnern. Neben dieser soeben beschriebenen Wanderungserscheinung der Zellen, sehen wir in den peripheren Teilen der äußeren Körnerschicht karyokinetische Figuren, die auf die Kernteilung und Vermehrung der Elemente hinweisen. In dem Verhältnis also wie die inneren Zellen ihre Stellen verlassen, arbeiten die äußeren Schiehten neue, diesen Verlust kompensierende Elemente aus. Diese Kompensation ist jedoch keine vollständige, mit der Zeit nämlich wird diese Schieht allmählich enger uud schwindet schließlich gänzlich. In unserer weiteren Aus- einandersetzung werden wir uns mit dem Vorgange der Differenzierung der Elemente in der betreffenden Schicht ausführlich beschäftigen und die Bedeutung der letzteren für die Histogenese der Kleinhirnrinde überhaupt erklären. Ein soleher Uebergang von Zellen aus einer in die andere Schicht ist eine gewöhnliche Erscheinung im embryonalen Leben der ver- schiedenen Teile des Centralnervensystems. Zuerst berichtet darüber His bei seinen Untersuchungen des embryonalen Rückenmarks; Alf. Schaper, Ramon y Cajal, Ernst Lugaro beobachteten diese Er- scheinung in der äußeren Körnerschicht der sich entwickelnden Klein- hirnrinde. His und Ramon y Cajal erklären eine solehe Wanderung der embryonalen Zellen als amöboide Bewegungen, Alfr. Schaper und Ernst Lugaro bezeichnen sie mit den Worten: „Auswanderung“, „Durehwanderung“; erklären aber dabei nicht, wie sie diese Erschei- nung — ob als eine aktive oder passive auffassen. Unserer Meinung nach haben wir nicht das Recht, hier von einer aktiven Bewegung der embryonalen Zellen zu sprechen, solange wir eine solche Be- wegung nicht beobachtet haben. Bei der Beschreibung der folgenden Periode, werden wir darauf hinweisen, wie wir die Wanderung der Zellen verstehen. Bezüglich der vierten Schicht — der inneren Körnerschicht, so sind ihre Zellen in der Differenzierung noch nicht merklich vorgerückt, das Protoplasma ist undeutlich, hier und da sind nur Spuren von protoplasmatischen Fortsätzen bemerkbar. Unter diesen Zellen be- gegnen wir mehr dunklen — Neurogliazellen. Wenden wir uns jetzt zu den nach der Golgi’schen Methode (Abb. XI) bearbeiten Objekten vom Katzen-Embryo dieses Alters. Parallel dieser Periode werden wir die Kleinhirnrinde des Schat- Embryos (14 em) (Abb. IX u. X) beschreiben, da sowohl jenes als auch dieses Objekt, nach dem histologischen Bilde zu urteilen, fast einer und derselben Entwicklungsphase der Rinde gehört. Der Unter- 534 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. schied besteht nur darin, dass wir bei dem Schaf-Embryo neben den jungen Zellen auch bedeutend differenzierte beobachten. Die Nervenelemente, die wir auf diesen Objekten beobachten, sind hauptsächlich in den äußeren Teilen der Mantelschicht, entsprechend der Lage der großen Rindenzellen, verteilt. Eine nicht kleine Zahl der letzteren beobachten wir auch in der molekulären Schicht und endlich begegnen wir Zellenelementen in der äußeren Körnerschicht. An der Stelle, wo sich später die innere Körnerschicht entwickelt, begegnen wir bedeutend differenzierten Neurogliazellen, von denen später die Rede sein wird. Wir stoßen nämlich, beim Versuche die Nervenzellen dieser Periode zu beschreiben, auf große Schwierigkeiten. Die Form der Zellenkörper ist in der That so vielartig — bald die eines unregelmäßigen Vierecks, bald eine längliceh-ovale, bald stark ausgezogen und an den Seiten abgeplattet und die Verteilung der Fortsätze so verschiedenartig, dass es beim ersten Anblicke sehr schwierig ist, irgend welche typische Eigenschaften in der Form der jungen Zelle anzugeben. Bei aufmerk- samer Betrachtung jedoch, der Abbild. IX, X, XI, können wir irgend welche allgemeine charakteristische Züge in diesen Zellen auffangen. Ein ausführliches Studium der allgemeinen Eigenschaften der jungen Zelle scheint uns hier besonders an Stelle, weil aller Wahrscheinlich- keit nach diese Eigenschaften mehr oder weniger auch den anderen jungen Nervenzellen eigen sind. Auf der Abbild. XI sehen wir, dass der Körper der Zelle g, o nach oben oder unten sich in ein dickes, stumpfendendes Anhängsel verlängert. Solche missgestaltete Anhängsel stellen eine gewöhnliche Erscheinung in den embryonalen Nervenzellen vor. Zuweilen hat eine Zelle einige solcher Anhängsel, z. B. Abbild. X 5,, c,. In den Zellen b u. c haben sich diese Anhängsel an den Seiten ausgedehnt und be- dingen dadurch ihre missgestaltete Form. Häufig sendet dieses oder jenes Anhängsel aus seinem Ende eine Menge dünner und kurzer Fortsätze aus. Es unterliegt keinem Zweifel, dass wir auf diese An- hängsel als wie auf Keime der protoplasmatischen Fortsätze sehen müssen. Die Beobachtung der einfachsten Formen der Nervenzellen (Abbild. X «a,) bestätigt unsere Voraussetzung. Lenhossek [29], der verschiedene Formen der embryonalen Zellen in dem sich entwickelnden Rückenmarke beschreibt, erwähnt ebenfalls ähnliche protoplasmatische Anhängsel und sieht auf sie wie auf Keime protoplasmatischer Fortsätze. Bei der Betrachtung sehr vieler Zellen in den Abbild. IX,X u. XI sehen wir, dass in der Verteilung dieser Anhängsel oder Fortsätze nicht die geringste Regelmäßigkeit existierte. Bei dem einen gehen sie vorwiegend,nach oben, bei den anderen Zellen nach unten ab oder sie verteilen sich an den Seiten des Zellenkörpers. Bald werden sie Popoft, Ueber die flistogenese der Kleinhirnrinde. 535 dünn, bald nehmen sie an Dicke allmählich zu, bald reißen sie mit einem Male ab, bald endigen sie mit feinen Zweigen — sie geben mit einem Worte dem Zellenkörper, indem sie auf verschiedene Weise ihre Stellung zu ihm variieren, ein eigentümliches Aussehen. Ein Faktum, welches ebenfalls keine seltene Erscheinung im embryonalen Leben vorstellt, müssen wir noch erwähnen : viele von den vorwiegend mehr differenzierten Zellen nämlich (Abbild. IX 2, ce) senden zarte, proto- plasmatische, mit kugelförmigen Verdiekungen endigende Fortsätze ab. Zuweilen endigen auch die protoplasmatischen Fortsätze, die den Charakter dieker Anhängsel tragen, mit solchen Verdickungen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die auf den Abbild. IX, X und XI dargestellten Zellen ihrer Lage und Größe nach zu den em- bryonalen Formen der Purkinje’schen nnd Golgi’schen Zellen ge- rechnet werden müssen, obgleich sie ihrem äußeren Aussehen nach nicht im Geringsten an erwachsene Zellen erinnern. Eine solche völlige Unähnlichkeit zwischen junger und erwachsener Zelle müssen wir nur für die Kleinhirnrinde bemerken, da nach den Untersuchungen Ra- mon y Cajal’s [45] im Rückenmarke der Hühner-Embryonen die jungen, ja sogar sehr einfachen Formen mit den erwachsenen Zellen!) Aehnlichkeit haben. Fürwahr haben die letzteren im Rückenmarke nicht jenes komplizierte histologische Aussehen, die man in den großen Zellen der Kleinhirnrinde bemerkt. ‚Beim Nachdenken über die Gründe ähnlicher Erscheinung ver- mögen wir auf Grund littererarischer Daten und eigener Beobachtungen zu dem folgenden wahrscheinlichen Schlusse zu kommen: je einfacher die junge Zelle (im Sinne ihrer anatomischen Form) ist, desto schneller differenziert sie sich in eine erwachsene und desto unbedeutender ist die Schwankung ihrer Formen. Mit anderen Worten: es ist die für die völlige Differenzierung der Zelle notwendige Zeit direkt proportional der Kompliziertzeit ihrer anatomischen Struktur. Wir haben das Recht auf Grund unserer und anderer Beobachtungen einen solehen Satz auf- zustellen. Ramon y Cajal zum Beispiel beschreibt, wie er sich aus- drückt, völlig embryonale Zellen, als bipolare Körperchen, im Rücken- marke der Hühner-Embryonen am 3. Bebrütungstage, am 4.—5.Tage bekommen bereits diese Körperchen seinen Beobachtungen nach deut- lich ausgesprochene protoplasmatische Fortsätze und einen langen Axenzylinder, wobei ihre Form sich dermaßen verändert, dass sie in Vielem an eine erwachsene Zelle erinnert. Dieses Faktum der schnellen Differenzierung können wir nicht nur dem Umstande, dass die Huhn- Embryo sich bedeutend schneller als das Katzen-Embryo (ungefähr 3 Mal so EN entwickelt, zuschreiben. Wir werden jetzt unsere 4) Wir urteilen darüber nach den Abbildungen, die der Autor seiner Ab- handlung beifügte, 536 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Ansicht an Beispielen erläutern: nach den Untersuchungen Ramon y Cajal’s sind für die Bildung der Zellen der vorderen Wurzel bei den Hühner-Embryonen (des el&ments nerveux des racines auterieurs) ein oder zwei Tage erforderlich [am 4.—5. Bebrütungstage!)]. Nach unseren Beobachtungen tritt die junge Purkinje’sche Zelle, die den Zellen vom Katzen-Embryo (12 em) völlig analog ist, bei dem Huhn- Embryo am 12. Bebrütungstage auf. Mit anderen Worten also ent- wickelt sich die verhältnismäßig mehr einfache Form (die Zelle des kückenmarks) in 1—2 Tagen, die mehr komplizierte (Purkinje’sche Zelle) in 10 Tagen. Die Zeit des Auftretens der Neuroblasten in diesem oder jenem Organ schwankt höchstens zwischen 1—2 Tagen. Wir können noch ein anderes Beispiel aus unseren Beobachtungen an- führen: wir begegnen nämlich beim Katzen-Embryo von 12 cm auf einem und demselben Objekte, wie sehr einfachen, so auch bedeutend differenzierten bipolaren Zellen und auch kleinen Zellen der inneren Körnerschicht, die sich aus bipolaren Zellen gebildet haben. Weder in der vorhergehenden noch in der nächstfolgenden Periode begegnen wir in einer solehen Fülle bipolaren Neubildungen und neben ihnen embryo- nale kleine Zellen der Körnerschicht (die letzteren bilden sich aus den bipolaren Zellen). Dieser Umstand spricht eben dafür, dass für die Entwicklung dieser Zellen eine verhältnismäßig kurze Zeit erforderlich ist. Fügen wir diese Erscheinung dem oben ausgesprochenen Satze bei, so können wir bemerken, dass die kleine Zelle der Körnerschicht, die nicht kompliziert gebaut ist, sich schneller entwickelt als die mehr komplizierte Purkinje’sche Zelle, die sich beim Kätzchen erst 2Wochen nach der Geburt völlig ausbildet. Die Abbild. IX, X u. XI klären uns, wie wir bereits erwähnten, über die jungen, mehr weniger in der Entwicklung vorgerückten Nerven- zellen auf. Von den sehr einfachen Formen, aus welchen sich diese Zellen bilden, gelang es uns, trotz wiederholter und zahlreicher Ver- suche, nicht sehr viele mit Silber zu imprägnieren. In der äußeren Körnerschicht vom Schaf-Embryo (14cm) begegnen wir einer charakteristischen unipolaren Zelle (Abb. Xa,), die ihrem Aussehen nach völlig an einem Neuroblasten (His) erinnert. Eine solche Bildung sahen wir auch in der vorhergehenden Periode; ihre Größe ist fast dieselbe, wie dort. Die Anwesenheit solcher Zellen in der äußern Körnerschicht beweist, dass diese Schicht Nervenzellen produziert, außerdem bemerken wir an der Seite der Zelle a, eine große Verdickung, die durch eine dünne Verbindung mit dem Zellen- körper sich vereinigt. Das sind die höckerförmigen, die Lenhossek [28], indem er von dem Typus der sehr einfachen Formen der Nervenzellen spricht, beschreibt, demgemäß müssen wir auf dieses Anhängsel wie 4) Wir lassen die ersten 2 Tage aus, wo die Kleinhirnplatte noch nicht entwickelt ist. Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 537 auf sich bildende Dendrite sehen. Beim Katzen-Embryo von 8 cm (s. Abb. XIa,) begegnen wir in der äußeren Körnerschicht einer birn- förmigen Zelle, die anstatt eines Axenzylinders ein protoplasmatisches Anhängsel mit Fortsätzen hat; der Zellkörper selbst sendet ebenfalls protoplasmatische Fortsätze nach den Seiten aus. Wie wir später sehen werden, differenzieren sich die jungen Zellen von einem gewissen Momente nach einem bestimmten Plane; Ab- weichungen kommen vor, doch sehr unbedeutender Art. Bestimmte Merkmale für ein gewisses Stadium z. B. in der kleinen Zelle der inneren Körnerschicht, in der sich entwickelnde Korbzellen, zu finden, ist bei aufmerksamer Betrachtung absolut nicht schwierig. Diese Merkmale sind dermaßen bei den verschiedenen Embryonen (Hunden, Katzen, Hühnern) beständig und identisch, dass man nach dem äußeren Aussehen einer solchen jungen Zelle über das Alter des Embryos, dem diese Zelle angehört, urteilen kann. Eine solche Regelmäßigkeit der Formveränderung bemerkt man auch in der Purkinje’schen Zelie, von den letzten Tagen des intra- uterinen Lebens der Embryonen. Wie wir aus der Abb. IX, X, XV ersehen, kann man dasselbe von den frühen Perioden nicht sagen; hier sehen wir nicht ein Zellenpaar, welches mehr weniger einander ähnlich wäre. Falls die Körper zweier Zellen ihrem Aussehen nach nur ein wenig ähnlich sind, so verteilen sich ihre Fortsätze derart eigenartig, dass die äußere Aehnlichkeit völlig schwindet. Es wäre sehr interessant zu wissen, ob diese Mannigfaltigkeit der Formen der jungen Zellen einer und derselben Kategorie nur eine zufällige Er- scheinung ist oder ob eine gewisse Zelle in dem entsprechenden Alter nur so und nicht anders gebaut sein muss. Leider verfügen wir nicht über objektive Daten, die diese Frage entscheiden könnten. Mit dieser Absicht untersuchten wir entsprechende Altersstufen der Embryonen von Hunden und Meerschweinchen und überzeugten uns, dass eine jede junge Nervenzelle ihr spezielles Aussehen hat (s. Abb. XXXI). In der Voraussetzung, dass diese embryonalen Formen sich bei den erwachsenen Tieren niederer Ordnung wiederholen können, imprägnierten wir mit Silber das Kleinhirn der Vögel, Fische, Frösche, doch auch hier haben die Purkinje’schen Zellen fast dieselbe anato- mische Form, wie bei den höchst entwickelten Tieren und Menschen (s. Abbild. XXIV, XXV u. AXXVI). Um diese Frage völlig zum Abschluss zu bringen, wollen wir noch eine mögliche Erklärung der verschiedenartigen Formschwan- kungen einiger junger Nervenzellen ausschließen. Wie wir bereits erwähnten, wird die Zerteilung der wachsenden Faser nach der Meinung His’s durch die Hindernisse in den Geweben bedingt, welchen Hindernissen sie auf ihrem Wege begegnet. Es ist sehr möglich, dass in der moosartigen Faser (s. Abb. XXIL, XXVI 538 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. u. XXVII) z. B. die Menge der sehr feinen Zweige, die als Rosette um den Stamm gelegen sind (disposition en rosette Ramon y Cajal’s [41]) durch lokale Hindernisse, welchen die Faser begegnet, bedingt wird. Andrerseits ist z. B. eine solche Regelmäßigkeit und Beständigkeit in der Verteilung der Axenzylinderfortsätze der Zellen im lobus optieus der Vögel sehr sonderbar, wie auch sonderbar dieselbe Beständigkeit in der Figur der Verzweigung des Axenzylinders der Golgi’schen Zellen in den verschiedenen Teilen des Centralnervensystems ist. Uns ist ebenfalls unverständlich, wie in den zwei sehr nahe aneinander- gelegenen Zellen, z.B. in der Golgi’schen- und der jungen Zelle der inneren Körnerschicht des Kleinhirns — in der einen Zelle sich der Nervenfortsatz absolut nicht verzweigt, in der anderen aber sich in eine Menge sehr feiner Zweige teilt. Allein durch äußere mecha- nische Hindernisse diese Erscheinung zu erklären, ist sehr schwer. Es folgt daraus, dass ähnliche Vermutungen hypothetisch sind, da wir thatsächlich in dem vorausgesetzten Hindernis den wahren Grund der Zerfaserung nicht konstatieren können. Die Voraussetzung, dass die wachsende Faser, sobald sie einem Hindernis begegnet, von ihrer an- fänglichen Richtung nach der Seite des kleinsten Widerstandes ab- weicht, scheint uns ebenso möglich. Auf der Abbild. VII sehen wir wirklich eine ähnliche Faser, die auf ihrem Wege eine Kniebiegung bildet; Fortsätze aber sehen wir an ihr nicht. Wenn auch für die wachsende Faser eine solche Hypothese möglich wäre, so wäre sie zur Erklärung einer solchen Formverschiedenheit der jungen Nerven- zellen kaum anwendbar, d. h. man könnte kaum zugeben, dass eine Nervenzelle ihre Form unter dem Einflusse der sie umgebenden Gewebe- substanz ändern könnte. Wenn dem so wäre, wie kann man sich das Faktum erklären, dass die Purkinje’sche Zelle von dem Alter des Katzen-Embryos von 12 em die bestimmten Konturen annehme und sich weiter in gleicher Weise entwickle. Weshalb würde die mehr erwachsene Zelle nieht den Hindernissen begegnen, welche ihre Form verändern könnten, wenn einmal dieselben Hindernisse auf die junge Zelle wohl Einfluss haben? Weshalb eigentlich offenbaren sich nieht diese Bedingungen für die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht und Korbzellen? Auf eine solche Weise muss die Frage über die Ursachen der Herkunft dieser oder jener Form der jungen Zellen vor- läufig noch eine offene bleiben. Wie verschieuenartig jedoch diese Formen auch sein mögen, wir sind trotzdem im Stande in ihnen die jüngeren von den älteren Zellen zu unterscheiden. Außer unseren eigenen Beobachtungen, können dafür aueh als Kriterium die Ramon y Cajal’s, Lenhossek u. a. dienen, die über die Histogenese des Rückenmarks gearbeitet haben. Wie aus dem obengesagten zu er- sehen ist, haben wir das Recht auf die kurzen dieken, protoplasma- tischen Fortsätze wie auf ein Attribut der sehr jungen Zelle zu sehen. Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 539 Aus dem Grunde nämlich könnten wir sagen, dass z. B. die Zellen by, €, A, 2), der Abb. X weniger differenziert als e, derselben Ab- bildung seien. In den ersteren Zellen sind die protoplasmatischen Fortsätze kurz und diek und öfter am Ende mit kugelförmigen Ver- dickungen versehen. — Nach der Meinung Ramon y Cajal’s ist die Zelle desto differen- zierter, je länger ihr Axenzvlinder ist. Wie wir bereits erwähnten, senden die jungen Zellen sehr häufig nach allen Seiten eine Menge protoplasmatischer Fortsätze aus. Wir werden uns künftig öfter davon überzeugen können, dass dieses Merk- mal d. h. diese Fülle der protoplasmatischen Fortsätze für die junge Zelle sehr beständig ist. Die überflüssigen Fortsätze atrophieren all- mählich mit der Zeit, einige aber von ihnen verbleiben sehr lange. Beim neugeborenen Kätzchen z. B. ist die untere Peripherie der Pur- kinje’schen Zellen, obgleich die letzteren sich fast völlig gebildet haben, mit feinen Ausbuchtungen, Ueberresten der embryonalen Fort- sätze, versehen. Wenn wir nach der Länge des Axenzylinders über das Alter der Zelle zu urteilen das Recht hätten, so müssten wir z. B. die Zellen i, b, e der Abb. IX und g, t der Abb. XI für mehr erwachsen als die anderen Nachbarzellen ansehen. Das Fehlen der groben, protoplasma- tischen Anhängsel, die größere Ordnung in der Verteilung der Fort- sätze, die mehr regelmäßigen Konturen des Zellkörpers (z. B. b, ec) sprechen ebenfalls dafür. Die Zelle « der Abb. IX ist der Form der Purkinje’schen Zelle, die wir für ein bestimmtes Alter als charak- teristisch halten, sehr ähnlich. Wie wir weiter sehen, ist sie fast dieselbe bei dem Katzen-, Hunde- und sogar Huhn-Embryo. Diese Zelle erinnert ein wenig an die Zelle a, vw, k, der Abbild. XII vom Katzen-Embryo (12cm). Von dem Augenblicke, wo die Purkinje’sche Zelle diese Form annimmt, geht ihre weitere Veränderung nach einem bestimmten Plane, der zu beobachten nicht schwierig ist, weiter. Bis jetzt sprachen wir von den jungen Purkinje’schen Zellen. Wir wollen noch auf 2 Zellenformen, die einige Unterscheidungs- merkmale haben, hinweisen. Zur ersteren gehören die Zellen y u. der Abb. IX u. X und S. 492 der Abb. XI, zur zweiten — e u. e,, der Abb. IX u. X. Ihr allgemeines Merkmal besteht darin, dass ihr Zell- körper in vertikaler Richtung gedehnt ist. Die Zellen g, g, p, q haben keine regelmäßige Form und sind an den Seiten und oben bald mit langen, bald mit kurzen protoplasmatischen Fortsätzen versehen. Bei der einen ist der Axenzylinder — lang, bei der anderen — kurz. In der Zelle g ist an der Seite ein großes protoplasmatisches Anhängsel bemerkbar. Der größte Teil der Fortsätze besitzt entweder in ihrem Verlaufe oder am Ende Verdickungen. Die Zellen e u. e, sind von dreieckiger Form und senden zarte, sich verzweigende protoplasma- 540 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. tische, nach oben gehende Fortsätze und eine Menge Seitenfortsätze aus. Ihre Axenzylinder verzweigen sich noch nieht. Wir teilten diese Zellen (e u. e,) in eine besondere Gruppe, weil sie 1. niedriger als die anderen Zellen in der inneren Körnerschicht liegen und weil sie 2. durch ihre eigenartigen Konturen und ihre ausgedehnte Form sich scharf von den Nachbarzellen unterscheiden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass wir in den Zellen e u. e, die embryonalen Formen der Golgi’- schen Zelien haben. Dafür spricht auch ihre Größe, Lage und Aehn- lichkeit mit den mehr erwachsenen Zellen desselben Typus beim Katzen- Embryo von 12cm (g Abb. XIII). Etwas Bestimmtes über die Bedeu- tung der Zelleng u. g, auszusagen, wäre vorläufig ziemlich schwierig, da sie noch sehr jung sind und durch nichts an die erwachsenen Zellen der Kleinhirnrinde erinnern. Wir begegnen aber ihnen sehr ähnliche Zellen beim Katzen-Embryo von 12 cm, die, ihrer Lage nach in der Tiefe der Rinde und dem keichtum der Verzweigungen des Axenzylinders, als junge Golgi’sche Zelle angesehen werden können und wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir auch diese Zellen zu demselben Typus rechnen. Außer den soeben beschriebenen Zellen müssen die anderen ihrer Lage nach zu den embryonalen Purkinje’schen Zellen gezählt werden. Beim Katzen-Embryo von S cm begegnen wir noch außerdem Zellen von länglich-ovaler Form, die mit ihrem langen Durchmesser parallel der Sagittalaxe des Kleinhirns liegen (4 Abb. XI). Sie senden aus beiden Polen ziemlich lange, perpendikulär zur Richtung der Win- dungen gehende Fortsätze aus. Einer von diesen Fortsätzen . ver- zweigt sich. Der Dickenunterschied der letzteren ist so unbedeutend, dass es schwer zu bestimmen ist, welcher von ihnen ein Nerven- und welcher ein protoplasmatischer Fortsatz ist. Die weiteren Untersuchungen werden uns darauf hinweisen, dass diese Zellen sehr einfache Formen von Korbzellen sind. Bei der Beschreibung der Abbild. III wiesen wir in den verschie- denen Höhen der molekulären Schicht auf die Anwesenheit von Nerven- zellen derselben Struktur wie die Zellen der Mantelschicht hin, sie unterschieden sich aber von den letzteren durch ihre verhältnismäßig geringere Größe. Damals bereits bemerkten wir in der äußeren Körner- schicht zwischen ihren charakterischen Elementen Zellen, die ihrer Struktur nach sehr nahe den .jungen Nervenzellen standen (a u, d Abb. III). Auf Grund solcher Daten hatten wir das Recht, die Ver- mutung auszusprechen, dass die auf der Abb. III in der molekulären Schieht abgebildeten Zellen ihre Herkunft den Elementen der äußeren Körnerschicht zu verdanken haben. Ernst Lugaro |30] konnte sich im Jahre 1394 auf. den nach der Golgi’schen Methode bearbeiteten Objekten überzeugen, dass die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht sich aus den Elementen der Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde, 541 äußeren Körnerschicht bilden. Dieser Meinung schloss sich auch Alfr. Schaper [54] an und erweiterte noch die Bedeutung dieser Schicht, indem er in der letzteren nicht nur die Bildungsquelle der Nerven- sondern auch der Neurogliazellen sah. Alf. Schaper geht in dieser Abhandlung noch weiter in seinen Voraussetzungen, er sagt nämlich, dass aller Wahrscheinlichkeit nach alle Typen von den Nervenzellen der Kleinhirnrinde sich aus dieser Schicht bilden können, fügt aber jedoch gleichzeitig hinzu, dass dieses noch der Bestätigung bedarf. Es ist selbstverständlich, dass wir, bei einem solchen Stand der Frage über die Rolle der äußeren Körnerschicht, aufmerksam ihre histogenetischen Erscheinungen verfolgten. Die Zelle a, der Abb. X ist für uns von besonders wichtiger Bedeutung, weil sie 1. deutlich die Beobachtung His’s über die Birnform der ursprünglichen Nerven- zelle bestätigt und 2. durch ihre Anwesenheit in dieser Schicht die Hypothese Alf. Schapers von der Möglichkeit der Bildung der Nervenzellen aus der äußeren Körnerschicht beleuchtet. Die Zelle «a, der Abb. XI hat unserer Ansicht nach dieselbe Bedeutung wie die Zelle @, der Abb. X oder — a, db der Abb. VII nur mit dem Unter- schiede, dass sie, als mehr erwachsene, ihre Form ein wenig bereits verändert hat. Der Größe nach können wir diese Zellen als junge Purkinje’sche oder Golgi’sche Zellen betrachten. Es ist schwer anzunehmen, dass sie sich in andere Zellen, wie z. B. in kleine Zellen der Körnerschicht oder Korbzellen verwandeln könnten; 1. schon deshalb nicht, weil es uns gelang, den Entwieklungsgang dieser Zellen fast in allen seinen Details zu beobachten und 2. weil die Größe der Zellen a, der Abb. X u. XI mit den soeben besprochenen in großem Missverhältnisse steht. Wir werden noch auf dieses Faktum hinweisen, dass der Körper der embryonalen Zelle zuweilen in seinen Dimensionen die erwachsene Zelle desselben Typus übertrifft, der Unter- schied aber in diesen Fällen ist nicht so bedeutend, wie in den soeben besprochenen Zellen. Wie wir auf den Abb. IX, X u. XI sehen, liegen die Zellen in den verschiedenen Höhen der molekulären Schicht. Die der äußeren Körnerschieht näher gelegenen tragen größtenteils mehr den embryo- nalen Charakter als die tiefer gelegenen. Die von dem Präparate des Katzen -Embryos desselben Alters (3 em) entnommene Abb. III giebt uns ebenfalls die Möglichkeit in der molekulären Schicht zwei Zellen- kategorien zu unterscheiden. Die einen liegen in der Nähe der inneren Peripherie der äußeren Körnerschicht und die anderen — in der Nähe der großen Zellen der Rinde. Bezüglich solehen Zusammenfallens könnten wir die Vermutung aufstellen, dass die der äußeren Körnerschieht näher gelegenen Zellen ihre Herkunft aller Wahrscheinliehkeit nach der Rinde und die mehr tiefer gelegenen — den Zellen der Mantelschicht zu ver- danken haben. 542 Escherich, Häutungshaare der Insekten und ihr Funktionswechsel. Aus all dem Gesagten können wir zu diesem allgemeinen Schlusse kommen, dass die großen Zellen der Kleinhirnrinde sich teils auf Kosten der Zellen der Mantelschicht, teils auf Kosten der Elemente der äußeren Körnerschicht bilden. Die Körperchen mit den Fortsätzen, die in der änßeren Körner- schieht sichtbar sind, werden wir in der folgenden Periode zusammen mit den bipolaren Zellen besprechen. (Drittes Stück folgt.) Einiges über die Häutungshaare der Insekten nach ihrem Funktionswechsel. Von Dr. med. et phil. K. Escherich. Die kleinen haarförmigen, kutikularen Fortsätze, die hauptsächlich den zarteren, häutigen Partien des Insektenskelettes sehr häufig eigen sind, werden, da sie bei der Häutung eine wichtige Rolle spielen, als konöshear e* bezeichnet. In vielen Fällen übernehmen diese Br Gebilde, nachdem sie ihre ursprüngliche Aufgabe, die alte Haut mechanisch zu lockern, erfüllt haben, beim ausgebildeten Insekt eine neue Funktion, worauf man schon vor erraten Zeit us: anderen Tieren, die sich häuten, z. B. bei den Reptilien, aufmerksam machte DH Bei Insekten ist meines Wissens auf diesen Funktionswechsel noch nicht ausdrücklich hingewiesen, und so sei es mir denn gestattet, hier wenigstens 2 derartige Vorkommnisse mitzuteilen. Der 1. Fall, den ich nur streifen möchte, betrifft den erweiterten Endabschnitt des eingestülpten Duetus ejaculatorius, den Verhoeff mit dem Namen Praeputium belegte. Dieser Teil des ektodermalen Ausfüh- rungsganges ist, wie den verschiedenen Mitteilungen von Verhoeff, Beauregard, Escherich ete. bekannt ist, sehr häufig dicht besetzt mit feinen Dornen, Borsten, Haken, gabel-, krönchen- oder schuppenförmigen Fortsätzen u. s. w.; davon können einige eine ansehnliche Größe erreichen, so dass sie die anderen um das hundertfache und noch mehr überragen und mit bloßem Auge sichtbar sind. Die Funktion dieser Stachelstruktur besteht zweifellos darin, einen festeren Zusammenhalt der kopulierenden Tiere zu bewirken. Die Stacheln etc. richten nämlich im ruhenden Praeputium die Spitzen nach hinten; bei der Copula aber wird das Praeputium umgestülpt und damit ändern natürlich auch die Stacheln ihre Richtung und wirken nun als Widerhaken. Ist nun in diesem Fall die Haar- oder Borstennatur der Häutungs- haare noch mehr oder minder deutlich erkennbar, so hat im 2. Fall, der, da in mehreren Beziehungen interessant, etwas eingehender geschildert werden soll, die neue Funktion eine vollkommene Umwandlung jener erheischt. 1) C. Semper, Die nat. Existenzbedingungen der Tiere, I. 8.23 ff. Escherich, Häutungshaare der Insekten und ihr Funktionswechsel. 543 Es handelt sich um die Pleuren- und die Intersegmental- häute einiger Meloiden, spez. des Meloö variegatus Donov. und Verwandten. — Auf den an und für sich zarten Verbindungshäuten be- finden sich, dicht aneinandergereiht, eine große Anzahl feiner, erhabener Leisten, die je nach dem Ort, an dem sie stehen, in verschiedener Rich- tung verlaufen: im Bereich der seitlichen Pleuren parallel zur Längsaxe, jedoch nur soweit die durch jene verbundenen dorsalen und ventralen Segmentalplatten reichen. Wo diese aufhören, wo also die Pleuren mit den Intersegmentalhäuten zusammentreffen, lösen sich die Längsleisten in einzelne isolierte, ovale oder runde kleine Plättchen auf, die Anfangs noch eine Anordnung gemäß der Längsleisten erkennen lassen, bald aber auch diese verlieren und wirr durcheinander stehen. Bei den Stigmen- öffnungen biegen die Leisten aus und bilden mehrere konzentrische Ringe um das Peritrema. Aehnlich verhält es sich mit der Struktur der dorsalen und ventralen Intersegmentalhäute, nur laufen hier die Leisten quer, d.h. parallel zu den Vorder- und Hinterrändern der Segment- Platten (s. Figur). Die Bedeutung dieser Struk- tur in der Biologie unseres "Tieres ist, wie mir dünkt, keine geringe. Bekanntlich besitzen die Meloe- Arten ganz kurze und weiche Elytren, die höchstens die ersten 2 oder 3 Segmente nur unvollkommen bedecken, während die übrigen Segmente des Schutzes durch die Flügeldecken entbehren. Das Abdomen, vor allem die zarten Verbindungshäute, müssen deshalb auf eine andere Art gegen äußere Unbilden gewappnet sein. Eben jene oben geschilderte Struktur ist es, die dies, zum Teil wenigstens, besorgt. Ihre schützende Eigenschaft leuchtet ohne weiteres ein: sie beruht eben darauf, dass mechanische Einwirkungen (Stöße ete.) nicht direkt die zarten Membranen treffen, sondern durch die erhabenen Leisten aufgefangen werden, und dass überhaupt die Pleuren eine starrere, resistentere Beschaffenheit erlangen. Mit Erlangung der letzteren Eigenschaft darf aber keineswegs etwa die Biegsamkeit und Faltbarkeit der Verbindungshäute Ein- buße erleiden. Denn gerade bei den Meloiden muss das Abdomen eme starke Ausdehnungsfähigkeit besitzen, um die große Anzahl Eier, die durch die sehr komplizierte Metamorphose notwendig geworden ist, bergen zu können. Die Ausdehnungsfähigkeit des Abdomens ist aber bedingt 1. durch die Länge und Breite der Verbindungshäute und 2. durch ihre Biegsamkeit. Die 1. Bedingung ist thatsächlich gegeben und ist vor allem durch die schützende und resistenter machende Eigenschaft der geschilderten Leistenstruktur möglich geworden, ohne dem Tier gefährlich zu sein. Ebenso ist die 2. Bedingung erfüllt und zwar auf sehr einfache Weise, lediglich durch die verschiedene Stellung und Anordnung der Leisten. Diese verlaufen nämlich stets parallel zu den Falten, also senk- recht zu der Richtung, in der die faltenbildende Kraft wirkt. 544. Detmer, Botanische Wanderungen in Brasilien. Die seitlichen Pleuren können, soweit sie in dem Bereich der starren Segment-Platten liegen, nur in dorso ventraler Richtung zusammengeschoben werden; infolge dessen müssen hier die Leisten in Längsrichtung verlaufen. Bei den dorsalen und ventralen Intersegmentalhäuten kann die faltende Kraft nur in der Längsrichtung wirken; es entstehen also Querfalten und parallel zu diesen laufen auch die Leisten. — An der Stelle endlich, an der die Pleuren mit den Intersegmentalhäuten zusammentreffen, findet die Faltung in zweierlei Richtungen statt, sowohl dorso-ventral als auch von vorn nach hinten. Hier müssen die starren Leisten sich auflösen in einzelne kleine Inselchen, wenn nicht die Faltbarkeit stark beeinträchtigt werden soll. Das Problem, bei möglichster Erhaltung der Elastizität oder Bieg- samkeit doch eine gewisse Festigkeit zu erzielen, “st also auf sehr ein- fache Weise gelöst. Das Prinzip ist dasselbe, das wir anwenden, wenn wir einen Gummischlauch, um ihm eine größere Festigkeit und einen besseren Schutz zu geben, mit Draht umwinden. Die vielen Arten der Gattung Melo@ verhalten sich sehr ver- schieden in Bezug auf die Struktur der Verbindungshäute. Bei einigen z. B. majalıs B. sind letztere lediglich mit kleineu ovalen, isolierten Plättchen besetzt, die hie und da auf einer Seite zu einem kleinen Zahn ausgezogen sind, welche Form bei anderen Arten vorherrschend ist. Die Uebergänge zu den typischen Häutungshaaren lassen sich perfekt herstellen, wenn man auch die mit Flügeldecken bedachten, verwandten Formen (Üerocoma, Mylabris ete.) berücksichtigt. Es dürfte deshalb ein Zweifel über die Natur der Leisten (als nachträglich, direkt nach der letzten Häutung modifizierte Häutungshaare) kaum bestehen, zumal man noch sehr häufig die Zusammensetzung der Leisten aus kleinen Plättchen beobachten kann. In diesen Fällen ist eben der Zwischenraum zwischen je 2 Plättchen weniger dicht als diese selbst chitinisiert und deshalb im durchfallenden Licht heller erscheinend. Die Anordnung der Leisten, wie oben geschildert, liefert ein schönes Gegenstück zu der Architektonik der Spongiosa der langen Röhrenknochen, und ist ebenso wie dort lediglich durch mechanische Einwirkung (Druck und Zug) entstanden zu denken. -|53] Detmer, Botanische Wanderungen in Brasilien. Verlag von Veit & Comp. in Leipzig. In einem Bändchen von 188 Seiten schildert der Verfasser seine Reise nach Brasilien. Die im allgemeinen recht anziehenden Schilderungen werden in den rein botanischen Partien, der Darstellung biologischer Eigentümlich- keiten oder pflanzengeographischer Charakteristiken, sehr interessant. So wird das Buch dem Leser, der einen Einblick in Brasiliens Vegetation unter der Führung eines kompetenten Forschers gewinnen will, einige genussreiche Stun- den verschaffen. R. K. [81] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Sirnenhtt in en 24 Nahen! von je an Han Bilden einen Ba Preis dos Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle rn und Postanstalten. XVIL. Band. ee, Anansi 160.0 Nr. 15. Inhalt: Keller, Das Schweizersbild, eine Niederlassung aus paläolithischer und neo- lithischer Zeit. — Spuler, A. Weismann’s neue Versuche zum Saison- Dimorphismus der Schmetterlinge. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (20. Stück). — Prowazek, Theoretische Be- trachtung über die primitive Ortsbewegung. — Hertwig, Berichtigung einer mich betreffenden Bemerkung von Prof. Barfurth. Das Schweizersbild, eine Niederlassung aus paläolithischer und neolithischer Zeit. Im Spätherbste des Jahres 1891 war es, als Dr. Niesch in Schaffhausen unweit dieser Stadt im „Schweizersbild“ eine prä- historische Niederlassung entdeckte, deren sorgfältige, wohldurchdachte Aufschließung eine ungeahnte wissenschaftliche Ausbeute zu Tage förderte. In einem umfangreichen, 344 Seiten starken, von 25 Tafeln und einer Karte begleiteten Bande der Neuen Denkschriften der all- gemeinen schweiz. Gesellschaft für die gesamten Naturwissenschaften (Bd. XXXV, 1896) liegt nunmehr die abgeschlossene Bearbeitung der- selben vor. Sie bietet so viel des allgemein Interessanten, dass eine Besprechung derselben auch an diesem Orte wohl gerechtfertigt er- scheint. Ein Heiligenbild, das vor der Reformation von einem schaffhauser Bürger, mit Namen Schweizer, an der Immenfluh aufgestellt wurde, gab zur Benennung des überhängenden Felsens, der seit frühester Zeit menschlichen Niederlassungen ein schützendes Dach bot, Veranlassung. Von oben nach unten sind in dem Profile folgende, mit bloßem Auge leicht zu unterscheidende Schichten vertreten: 1. Die Humusschicht, durchschnittlich 40—50 em mächtig. In kulturgeschichtlieher Beziehung entsprechen ihr die Eisen- und Bronce- zeit, paläontologisch ist sie durch die Fauna der gegenwärtigen Haus- tiere charakterisiert. XV. 35 546 Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 2. Die graue Kulturschicht, durchschnittlich 40 em mächtig. Ihr entsprieht die jüngere Steinzeit oder die neolithische Periode. Die paläontologischen Einschlüsse, die sie enthält, bilden die Waldfauna, die Fauna des Pfahlbaues, insbesondere die Edelhirschfauna. 3. Die Breceienschicht, an einzelnen Stellen 120 cm, im Mittel 80 cm mächtig, mit der oberen Nagetierschicht, durchschnittlich 10 cm mächtig. Diese ist ungefähr in der Mitte der Breccienschicht eingelagert. Sie ist die Periode zwischen der jüngern und der älteren Steinzeit und paläontologisch durch die Uebergangsfauna von der Wald-, zu der Steppenfauna. 4. Die gelbe Kulturschicht, 30 em mächtig. 5. Die untere Nagetierschicht, 50 cm mächtig. Diese beiden Schichten repräsentieren die paläolithische Zeit. Die gelbe Kulturschicht enthält die subarktische Steppenfauna, die untere Nagetierschicht die Fauna der arktischen Tundra. Das Liegende, eine Schotterschicht, ist in einer Mächtigkeit von 1,5 m aufgeschlossen. Aus den Untersuchungen von Professor Penk und Dr. Gutz- willer geht hervor, dass sämtliche Gesteinsarten dieser Schotter- ablagerung sich in den jüngsten glacialen Ablagerungen in der nächsten Umgebung des Schweizerbildes, teils freiliegend, teils von ganz wenig Ackererde bedeckt, vorfinden. Daraus ergiebt sich also, dass die prä- historische Niederlassung in die postgliaciale Zeit fällt, d. h. in die Zeit nach den letzten Vorstoß des Rheingletschers auf das Alpenvorland. Die die Schotterschicht überlagernde Schichte zeigte nicht in ihrer ganzen Ausdehnung eine gleichmäßige Beschaffenheit. An einzelnen Stellen bestand sie einfach aus Breceien ohne irgend welche Einschlüsse, an anderen dagegen fanden sich plötzlich wieder große Massen von Nagetierüberresten beisammen. Dass sie nicht durch Wasser herge- schwemmte Ansammlungen sein konnten, bewiesen der gute Erhaltungs- zustand der Knochen und die eigentümlichen Lagerungsverhältnisse. Ebenso wenig konnten sie die Reste von Raubtiermahlzeiten vorstellen. Sie wurden zunächst als die Abfälle aus der Küche der Troglodyten gedeutet, bis ein glücklicher Zufall zu einer Entdeckung führte, die eine ganz andere Erklärung über die Herkunft der Nagetierreste brachte. Beim Aufheben eines großen, flachen Steines, einer soge- nannten Sitzplatte, an der unteren Grenze der gelben Kulturschicht, fanden sich mehrere, nur aus kleinen Nagetierknöchelehen bestehende, isolierte Häufchen, wie sie als Gewölle bei den Raubvögeln be- obachtet werden; eine am unteren Gelenkende aufgeschlagene Tibia .vom Renntier, deren hohler Raum nach aufwärts gerichtet stand, war mit einer großen Zahl ganz gelblicher Wirbel, Zähne und Kieferchen von Nagern angefüllt. Die Nagetierschicht bestand demnach znm Teil aus den Ueberresten der Mahlzeiten von Raubvögeln, wahrscheinlich von Eulen. # i i n € “ ji % Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 547 Studes in Bern und Nehring in Berlin bearbeiteten die palä- ontologischen Einschlüsse. Die Fauua der unteren Nagetier- schichte ist nach ihren Bestimmungen folgende: A. Säugetiere. 1. Fleischfresser: Lynoe cervaria Canis lupus Vulpes lagopus Canis vulpes Gulo borealis Ursus arctos Foetorius erminsa Foetorius vulgaris 2. Insektenfresser: Talpa europaea Sorex vulgaris Sorex pygmaeus Crocidura spec. 3. Nagetiere: Cricetus phaeus Cricetus vulgaris Mus spec. Arvicola glareolus Arvicola amphibius Arvicola nivalis Arvicola gregalis Arviecola ratticeps Arvicola agrestis Arvicola arvalis Myodes torguatus Lagomys pusilus Lepus variabilis 4. Fledermäuse: Vesperugo discolor 5. Huftiere: Rangifer tarandus Rhinocerus tichorhinus Eqguus caballus B. Vögel. Surnia nisoria Surnia spec. Cerchneis tinnunculus Emberiza spec. Tetrao urogallus Hirschluchs. Wolf. Eisfuchs. gemeiner Fuchs. Vielfraß. brauner Bär. Hermelin. kleines Wiesel. Maulwurf. gemeine Spitzmaus. Zwergspitzmaus. Feldspitzmaus. kleiner Steppenhamster. gemeiner Hamster. eine kleine Mäuseart. Rötelmaus. Wasserratte. Schneemaus. sibirische Zwiebelmaus. nordische Wühlmaus. Ackerwühlmaus. gemeine Feldmaus. Halsbandlemming. Zwergpfeilhase. Alpenhase. Zweifarbige Fledermaus. Rentier. büschelhaariger Rhinoceros. Wildpferd. Habichtseule. eine Eulenart. Thurmfalke. Ammer. Auerhahn, 35 * 548 Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. Lagopus albus gemeines Moorschneehuhn. Lagopus albus Alpenschneehuhn. Turdus Drossel. Anas acuta Spießente. C. Reptilien. Lacerta viridis (?) grüne Eidechse. Laucerta agilis gemeine Eidechse. D. Fische. Eine oder mehrere Fischarten. Das Vorkommen des Halsbandlemming deutet darauf hin, dass die Fauna der unteren Nagetierschicht eine Tundrenfauna ist. Er ist gegenwärtig ein Bewohner der trockenen, höher gelegenen Teile der Tundra, ein „hyperboreales Eistier“, das auch in Nordsibirien ein ent- schiedenes Höhen- und Felsentier ist. Mit seinem Vorkommen harmo- niert sehr gut das gleichzeitige Vorkommen anderer nordischer oder alpiner Arten, wie der Schneemaus, der nordischen Wühlmaus, des Schneehasen, Eisfuchses, Rentieres, der Schneehühner. Neben den arktischen Arten erscheinen nun in der unteren Nage- tierschicht auch die Vertreter einer subarktischen Steppenfauna. Die beiden Hamsterarten, die sibirische Zwiebelmaus, der Zwergpfeil- hase sind die wesentlichen Repräsentanten dieser Fauna. Es hat sich also während der Bildung dieses unteren, den Schotter. überlagernden Sehichte eine allmähliche Aenderung der Fauna vollzogen die mit einer Aenderung des Klimas und der Flora Hand in Hand ging. Es entstand ein Steppenklima mit arktischem Anstrich. Dieser Steppenfauna gehörte zweifellos auch das Pferd an, das gemäß den erhaltenen Resten mit dem zur Diluvialzeit über ganz Europa verbreiteten Wildpferd übereinstimmt. Von den Pferden Frankreichs und Norddeutschlands weicht es durch Größe und etwas schlankeren Bau ab. Unter dem Einfluss verschiedener Umgebungen hat sich also schon frühzeitig eine Differenzierung vollzogen. Die gelbe Kulturschicht verdankte ihre gelblich rötliche Farbe der Beimengung von gelblichem Lehm und einer außerordentlichen Menge von gelben Knochen und von durch Feuer rötlich gewordenen Kalksteintrümmern und alpinen Gesteinen. Die paläontologischen Einschlüsse waren in dieser Schicht in größter Menge vorhanden, sowohl in Bezug auf die Masse — berichtet doch Dr. Niesch, dass die gefundenen Knochen im getrockneten Zustande 18—20 metrische Zentner wogen — als auch in Bezug auf die Arten. In reichlichster Menge war das Rentier vertreten, indem ca. ®/, sämt- licher Knochen von ihm stammten, nämlich 12500 Backenzähne, 420 kleinere und größere Kieferstücke, 3540 aufgeschlagene Phalangen, 450 unaufgeschlagene Phalangen, 1500 teils geöffnete, teils ganze Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 549 Klauen, 290 Afterklauen, 320 Astragali, 850 Gelenkenden von der Tibia, 900 Gelenkenden vom Humerus. Im gebe im nachfolgenden wieder eine Zusammenstellung der von den Professoren Studer und Nehring bestimmten Arten. A. Säugetiere. 1. Fleischfresser: Canis lupus Vulpes lagopus Vulpes vulgaris Gulo borealis Ursus arctos Foetorius erminea Felis manul Mustela mortes 2. Insektenfresser: Talpa europaea Sorex vulgaris Crocidura ceraneus 3. Nagetiere: Oricetis vulgaris Arvicola arvalis Arvieola amphibius Arvicola spec. Lagomys pusillus Lepus variabilis Castor fiber Seiurus vulgaris Spermophilus rufescens 4. Paarzeher: Rangifer tarandus Capra ibex Cervus maral Cervus elaphus Capreolus caprea Ovis spec. Bison yriscus Sus scrofa ferus 5. Unpaarzeher: Equus caballus Equus hemiomis B. Vögel. Tetrao tetrix Lagopus albus Lagopus alpinus Wolf. Eisfuchs. gemeiner Fuchs. Vielfraß. brauner Bär. Hermelin. Manulkatze. Edelmarder. Maulwurf. gemeine Spitzmaus. Hausspitzmaus. gemeiner Hamster. gemeine Feldmaus. Wasserratte. kleine Mäuseart. Zwergpfeilhase. Alpenhase. Biber. Eichhörnchen. rötlicher Ziesel. Rentier. Steinbock. Maralhirsch. Edelhirsch. Reh. kleine Schafart. Bison. Wildschwein. Wildpferd. Wildesel. Birkhahn. Moorschneehuhn. Alpenschneehuhn. 550 Koller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. Turdus pilarus Wachholderdrossel. Aguila fulva Steinadler. Erythropus vespertinus Rotfußfalke. Syrnium uralense Uraleule. Brachyotus palustris Sumpfohreule. Strix flammea Schleiereule. Corvus corax Kolkrabe. Corvus cornix Nebelkrähe. Otocoris alpestris Alpenlerche. Fringilla spec. Finkenart. Perdix cinerea Rebhuhn. Vanellus Kiebitz. C. Reptilien. Bufo spec. Kröte. Rana spec. Frosch. Tropidonotus spec. Natter. D. Fische. ? Eine Fischart. Ein Vergleich der Fauna der gelben Kulturschicht mit der Tier- welt der unteren Nagetierschicht lässt uns einige sehr charakteristische Unterschiede kennen. Das arktische Element, jene Arten, welche der ältesten Fauna vom Schweizersbild den Stempel der Tundrenfauna aufprägen, fehlen. Dafür tritt ein anderes Element stärker in den Vordergrund, das uns in der Fauna der gelben Kulturschicht eine Steppenfauna erkennen lässt. Der rötliche Ziesel, der Zwergpfeilhase, der gemeine Hamster, sodann das Wildpferd und der Wildesel, vor allem auch die Manulkatze, deren heutige Heimat die felsigen Gegen- den Südostsibiriens, der Tartarei und Mongolei sind, die geradezu als Steppenkatze bezeichnet wird, unter den Vögeln der Rotfußfalke und das Rebhuhn sind Arten, denen entweder der ausgeprägte Charakter der Steppentiere zukommt, oder die Steppengebiete bevorzugen. Der allmähliche Wandel der Tundrenfauna zur Steppenfauna, auf den schon gewisse Vorkommnisse der unteren Nagetierschicht hin- wiesen, verrät sich übrigens auch in der Fauna der gelben Kultur- schicht, welcher noch eine ganze Reihe alpiner- und subarktischer Arten, wie der Eisfuchs, der Vielfraß, der Alpenhase, der Steinbock, das Rentier, die Sumpfohreule, die Nebelkrähe, die Alpenlerche, der Birk- hahn, das Alpenschneehuhn und das Moorschneehuhn beigesellt sind. Die fortschreitende Umwandlung der Fauna scheint auch in den Resten jener Arten ihren Ausdruck zu finden, welche in der Gesell- schaft einer nordischen Steppenfauna etwas fremd anmuten, da wir sie eher als Waldtiere kennen, wie der Edelhirsch, das Reh, das Wildschwein, das Eichhörnchen, der Baummarder, der Biber. Niesch macht übrigens darauf aufmerksam, dass diese Tiere nur in ganz ge- Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 551 ringen Ueberresten sich fanden, z. B. vom Biber ein einziger oberer Schneidezahn und ein Humerus, vom Eichhörnchen nur ein Unterkiefer, vom Reh zwei Unterkieferfragmente, vom Wildschwein ein großer Hauer und vereinzelte wenige Zähne. Alle diese Reste lagen überdies am Uebergang zwischen der gelben und grauen Schichte. Die obere Nagetierschichte war verhältnismäßig arm an Einschlüssen. Prof. Nehring wies folgende Arten nach. Rangifer tarandus Rentier. Lepus spec. Hase. Lagomys pusillus Zwergpfeilmaus. Myozus glis Siebenschläfer. Eliomys nitela Gartenschläfer. Mus spec. kleine Mäuseart. Sciurus vulgaris Eichhörnchen. Arvicola amphibius Wasserratte. Arvicola ratticeps nordische Wühlmaus. Crocidura spec. Spitzmaus. Talpa europaea Maulwurf. Foetorius vulgaris kleiner Wiesel. Foetorius erminea Hermelin. Mustela martes Edelmarder. Einige Vogelreste. Eine Schlangenart. Lacerta agilis Eine Krötenart. Eine Froschart. Die Fauna dieser oberen Nagetierschicht ist in höherem Maße durch die im Vergleich zu den vorangehenden Schichten fehlenden Elementen gekennzeichnet als durch die vorhandenen. Das arktisch- alpine Element ist verschwunden. Zugleich aber fehlen auch die typischen Steppenbewohner. Es ist eine Uebergangsfauna , die uns erkennen lässt, dass während der Bildung der Breeeienschichte der Wald immer größere Fortschritte machte. Das wärmere Klima ließ durch ihn die Steppenflora verdringen. Charakteristischer ist wieder die Fauna der grauen Kultur- schicht. Ihr großer Aschenreichtum bedingte ihr Aussehen. Nach den Bestimmungen von Prof. Studer und Prof. Nehring waren folgende Reste folgender Tiere in ihr erhalten: 1. Fleischfresser: gemeine Eidechse. Ursus arctos brauner Bär. Meles taxus Dach». ; Mustela martes Edelmarder. Canis lupus Wolf. Canis vulpes gemeiner Fuchs. Felis catus ferus Wildkatze. 552 Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 2. Insektenfresser: Talpa europaea Maulwurf. 3. Nagetiere: Lepus timidns Feldhase. Castor fiber Biber. Sciurus vulgaris Eichhörnchen. Cricetus vulgaris gemeiner Hamster. Arvicola amphibius Wasserratte. 4. Paarzeher: Bos primigenius Urstier. Bos taurus Brachyceros Torfrind. Capra hircus Ziege. Ovis aries Schaf. Cervus elaphus Edelhirsch. Capreolus caprea Reh. Rangifer tarandus Rentier. Sus scrofa ferus Wildschwein. 5. Unpaarzeher: Equus caballus Pferd. 6. Vögel: Lagopus albus Moorschneehuhn. Bezüglich der Häufigkeit des Vorkommens der Ueberreste steht in erster Linie der Edelhirsch, dann folgen das Reh, das Pferd und das Torfrind. Bezüglich der Knochen des Rentiers spricht Studer die Vermutung aus, dass dieselben durch das Aufwerfen der Erde bei Herstellung der neolithischen Gräber in die höheren Schichten ge- kommen sein dürften. Die Fauna kann als eine Waldfanna bezeichnet werden. Sie war der ähnlich, die in den ältesten Pfahlbauten der Steinzeit nachgewiesen wurde. Es hat sich also der Uebergang von der Steppenfauna zur Waldfauna vollzogen. In der Humusschichte endlich erscheinen Tiere, die auch heute noch unserer Fauna angehören, die Katze, der Hausmarder, Feldhase, Kaninchen, Hausrind, Schaf, Edelhirsch, Reh, Hausschwein und dazu der Elch (Cervus alces), der. unserer heutigen Fauna fehlt, wahrschein- lich aber bis in das 10. Jahrhundert in der Schweiz lebte. Die Stätte, die in ihrem Schosse so überaus interessante Zeugen des Wechsels der Fauna in der postglacialen Zeit barg, einer Wan- derung die uns gleichzeitig in beredter Weise Zeugnis für Veränderung des Klimas und Hand in Hand damit auch der Flora ablegt, ist nun namentlich auch dadurch von Bedeutung geworden, dass sie zahl- reiche Artefakte und viele menschliche Skelettteile ein- schloss. Letztere gehören alle der neolithischen Periode an. An derselben Stelle, an der er gelebt hat, hat der Mensch der neolithischen Periode auch seine Toten begraben. Prof. Kollmann in Basel hat Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 553 die Funde aus 22 Gräbern zum Gegenstande einlässlicher Studien ge- macht. Sie verdienen um so eher auch über die Fachkreise hinaus bekannt zu werden, als sie zu der interessanten Entdeckung führten, dass am Schweizersbild zur neolithischen Zeit zwei Menschenrassen lebten. Es wurden Knochenreste von Menschen gefunden, die eine ansehnliche Körperhöhe besaßen, wie sie unter uns als Regel ange- sehen wird, nämlich von 1600 mm Körperhöhe und darüber und Knochen- reste, welche offenbar von Pygmaeen herrühren, d. h. von Menschen mit einer Körperhöhe von weit unter 1600 mm, deren kleiner Wuchs gleichwohl nichts mit dem auf krankhafter Unterlage entstandenen Zwergwuchs gemein hat. Die Funde von Schweizersbild liefern also Belege dafür, dass in Europa während der neolithischen Periode neben den hochgewachsenen Varietäten des Menschen auch eine pygmaeen- hafte Varietät gelebt hat, sowie dies heute noch in anderen Konti- nenten der Fall ist. Die Zahl der bestatteten betrug 27. 14 derselben waren Erwach- sene, 13 Kinder bis zu 7 Jahren, 5 Schädel waren erhalten, die zum Teil den Typus der Mesocephalie, z. T. der Dolichocephalie repräsen- tieren. Bei dem defekten Zustande der Schädel war es leider nicht möglich, eine direkte Angabe über die Kapazität zu machen, weil zer- brechliche Schädel und noch dazu solche ohne Basis weder mit Schrot noch mit Hirse zu messen sind. Da nun aber gerade die Frage nach der Masse des Gehirns für Menschen solch entlegener Zeiten im Vorder- grund des Interesses steht, zumal nach der Ansicht der einen Anthro- pologen eine Zunahme der Kapazität des Schädels behauptet wird, während sie andere bestreiten, suchte Kollmann aus der Cireumferenz des Schädels auf die Kapazität zu schließen. Für die Männer ergibt sich folgendes Resultat: Cireumferenz (Grab Nr. 8 und 14) Ir und 490 mm Kapazität . . EIA . 1260 em? Die mittlere Käpazität der en Männer beträgt nach Bischoff 1523 cm?. Für die Frauen vom Schweizersbild ergaben sich folgende Zahlen: Cireumferenz (Grab Nr. 9 und 12) 480 und 305 mm Kapazität im Mittel . ... . .. ca. 1203 cm?. Für süddeutsche Frauen gibt Bischoff als Mittel 1431 em? an. Es ist also die Kapazität der Vertreter des Steinvolkes am Schweizers- bild erheblich geringer als für die Süddeutschen der Gegenwart. Die Schlüsse auf die Größe des Gehirngewichtes aus dem Horizontal- umfang des Schädels ergaben: Männer vom Schweizersbild . . . . . . 122058 Mittel der süddeutschen Männer . . . . 1387 „ Frauen vom Schweizersbild . ... . . . 1206 „ Mittel der süddeutschen Frauen . . . . 1237, 554 Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. Wenn also diese Zahlen erkennen lassen, dass die Männer und Frauen der neolithischen Zeit bezüglich der Kapazität, sowie des Hirn- gewichtes hinter den entsprechenden Mittelmassen europäischer Männer und Frauen der Jetztzeit zurückstehen, so darf dieses Ergebnis nach Kollmann deswegen nicht als Beweis für die Theorie von der Zu- nahme der Kapazität durch die Kultur herangezogen werden, weil einzelne der Schädel zu jugendlich sind und zugleich von Pygmaeen stammen. Bezüglich des Gesichtsschädels ergaben die Messungen der männ- lichen Schädel, dass die Männer vom Schweizersbild ein breites (chamae- prosopes) Gesichtsskelett hatten, also Stumpfnase, breiten Ober- und Unterkiefer. Die nachfolgende Zusammenstellung lässt einiges von dem Größen- unterschied zwischen den Zwergrassen und den herrschenden Rassen von heute erkennen. In der ersten Reihe stehen die Schädelmaße eines Mannes der großen europäischen Rasse, in der zweiten diejenigen des Zwerg-Sieilianers, in der dritten derjenigen der Pygmaeen vom Schweizersbild. ; Schädelmaße von Europäern. Große Pygmaee von Pygmaee von Rasse Messina Schweizersbild Kapazität . . 0 I460 em? 103Lem? _ 1207: Feme Gerade Länge des Hirnsebädels 191. mm:.; ».162,mm.. . 170 mm Größte Breite, 5.7.00 en 1197: t29.02).25 Hohe 2. 7 2 7 wer a be Eh 1305-, 126 n BShirnBreife nu 37 ya ni re A SB, 89 “ (ircumferenz. 2r, kan Pens 468 „ 505 I Gesschtshöhe 2.74. 23. Afzgeme 38 1m ER, 110 = Oberkieferhöhe, 4, "ia 2, EN Dass 64 5 Jochbogen-Distanz.... % 22.15 1427, 1207, 113 « Breite: der Wrbitar 5-42. „du 40 Dilnen 38 n Höhe; der, Orbita... ass ur .; als ur 31, '- 33 > Tansesder Nasen. 52.35, °%. Ale A 45 ni Breite der Nasenöffnung . . . 20." 2 20 " Gaumenlauges 22 17 2; Das Da 50 B Gaumenbreiie.:,.] Yarıı ee 2. 43°, 45.7 40 = Länge der Basis. . . EEE: 81 „ Nicht messbar Länge des Hinterhauptes ar Sle.3n DL... “ Pe Längenbreitenindex — BR 73,8 73,9 71,4 L ’ ” ’ Ph ? „ Längenhöhenindex — a breges 802, By Breitenhöhenindex — E10 . 94, 91: „u nrwlgggiel 10 H Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 555 Gesichtsindex = a ; 61,9 cm? 72,5 em? 102,7 cm? Oberkieferindex — -— a Orbitalinex — E— RE u + Naseninex — _— EN ee re Gaumenindex — m EHE ERO WALERIT IE, DOREEN Zwei Unterkieferfragmente liefern Kollmann den Beweis. der Existenz zweier verschiedener europäischer Varietäten am Schweizers- bild. Das eine zeigt die scharf ausgeprägten Merkmale, welche die Varietäten mit schmalem Gesicht auszeichnen, ein Zeichen, dass am Schweizersbild Menschen auch der hochgewachsenen Varietäten gelebt haben mit länglichem Gesichtsschnitte. Das zweite Unterkieferfragment zeigt die Eigenschaften des Unterkiefers der chamaeprosopen Varietät der europäischen Bevölkerung, jener Varietät, die durch ein breites Gesicht, stark vorspringende Jochbogen, überhängende Stirn, die die Augen tief beschattet, und einen Stirnwulst, der die Wurzel der ein- gebogenen kurzen Nase nach oben begrenzt, so wohl gekennzeichnet ist. So lehren also die Funde vom Schweizersbild, dass die Lang- gesichter und die Breitgesichter von uralter Herkunft sind und dass schon in der Urzeit verschiedene Varietäten nebeneinander lebten. Einer spätern Zeit, der Metallzeit, gehört ein Schädel aus dem Grabe Nr.4 an. Er ist durch folgende Indices ausgezeichnet: Gesichtsindex . . . . . .... 73,9 chamaeprosop (breit) Obergesichtsindex ,. 7. , », .... 46,9 5 Nasenindex geschätzt auf. . . 64,8 also platyırhin Augenhöhenindex. . . . . .. 66,7 chamaechon Gaumenindex . . . . . ... 95,7 brachystaphylin. Aus diesen Zahlen lässt sich folgendes Bild dieses späteren Schä- dels rekonstruieren: Er ist ein mittellanger, hoher Kopf mit breitem Gesicht (chamaeprosop). Der Gesichtsschädel sieht aus, als ob er von oben nach unten zusammengedrückt wäre; die Augenhöhlen niedrig und gleichzeitig breit; die Nase kurz, der Gaumen weit, der Ober- kiefer dadurch ebenfalls weit ausgelegt mit samt den Wangenbeinen und Jochbogen. In diesem gleichsinnigen Bau in den einzelnen Abteilungen des Gesichtsskelettes sieht Kollmann einen Ausfluss der Korrelation. Wie hier das breite Gesicht entsprechende Umänderung anderer Teile nach sich zog, so führt die Korrelation am Schädel mit langem Gesicht jene Umänderung herbei, durch welche alle einzelnen Teile in die Höhe gebaut erscheinen. In solch korrelativ geformten Schädeln sieht 556 Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. Kollmann die typischen oder reinen Rassenschädel, weil sie eine bestimmte Grundform unvermischt zum Ausdruck bringen. Diese Auf- fassung ist freilich nicht unbestritten geblieben. So halten die beiden Sarasin diese charakteristischen Formen nur für die Endpunkte einer nach 2 Richtungen auseinandergehenden Variationsreihe des Schädels, die man nicht als Urtypen auffassen dürfe, da schon bei dem Chim- panse eine breite und eine hohe Form des Gesichtsschädels vorkomme. Kollmann wendet dagegen ein, dass es sich dabei um zwei ver- schiedene Arten des Chimpanse handle, die sich durch breite und durch schmale Gesichtsschädel auszeichnen. Wie die vergleichende Anatomie zur Charakterisierung der Species sich mit Erfolg auf der Gestaltung des Schädels bedient, so kommt ihr auch für die Rassen- anatomie eine fundamentale Bedeutung zu. Wir haben zu Anfang schon betont, dass die Gräberfunde vom Schweizersbild zur Entdeckung einer Pygmaeenrasse führten. Es mag nun hier eine Zusammenstellung der Körpergrößen folgen, die wesentlich auf Grund der Ober schenkelknochen nach verschiedenen Methoden gemessen wurden. Tabelle der Körperhöhe. Herkunft Ge- Femur nach Körperhöhe nach Grab schlecht Ossaea Manouvrier Ossaea Rollet Manouvrier gemessen a. Pygmaeen. Schweizersbild 2 2 367369 1380 1371 1416 R 19°. 59 357 3552 1380 1318 1355 x ae 396 3983 1380 1458 1500 Mittelt 2 H,,1[URFRRTRRAIERIEIEN En Sr a en SO DS b. Hochgewachsene Varietäten. Schweizersbild 5 g 453 454 1690 1657 1662 ec. Hochgewachsene Varietäten anderer Herkunft. Madleine — 0% 458 u 1705 1680 1660 Langerie — JS 449 = 1685 1647 1650 Cro-Magnon — d 488 — 1900 1804 1750 Baumes- Chaudes— d 421 — 1600 1549 1600 Körperhöhe der Frauen von Pygmaeenvölkern. Schweizersbild . . . 1424 mm Waddafrauen . . . 1433 „ Akkafrauen' 1. 24%. 71360); Andamanfrauen . . . 1370 „ Buschmämnin . . . . 1560 „ Hottentottn . . - F3BONT,, Die Vermutung, dass diese Pysmmaben nicht rassenanatomisch charakterisierte Varietäten, sondern einfachen Kleinwuchs oder Zwerg- Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 557 wuchs vorstellen, weist Kollmann mit den Hinweis zurück, dass an den erhaltenen Knochen jegliche Andeutung des Einflusses eines patho- logischen Prozesses fehlt. In diesen Pygmaeen der Steinzeit sieht Kollmann den Rest von Zwergrassen, welche vor der Ankunft der heutigen großen Rassen den Kontinent bewohnt haben. Die Zwergrassen stellen nach ihn die Vorstufe des Menschengeschlechtes dar, das heute die Erde bevölkert. Sıe sind Reste jener Unterarten des Menschen, aus denen die heutigen Rassen hervorgingen. Ueber die Kulturstufe des Menschen vom Schweizersbild geben die verschiedenartigsten kulturhistorischen Einschlüsse ein gutes Bild. Fehlen den paläolithischen Schichten menschliche Skelettteile, so ent- halten sie doch eine Reihe vou Artefakten, die uns seine Anwesenheit auch in dieser frühen, der Glacialzeit unmittelbar folgenden Zeit ver- raten. Es sind vor allem Werkzeuge aus Feuerstein, welche aus- schließlich durch Druck oder Schlag hergestellt worden. Es sind 3- und 4kantige Messer, Schaber, Sägen und Bohrer, zu deren Herstellung die Silexknollen, die im Kalk des obern Jura eingeschlossen sind, verwendet wurden. Mit diesen Feuersteininstrumenten stellten sie auch Artefakte aus Knochen und Geweihen her, verarbeiteten sie zu Pfriemen, Meißeln, Harpunen und Nadeln. Als Hammer dienten die der nahen Moraene und dem Bachschotter entnommenen Kiesel. Eine Feuerstätte, die in dieser unteren Nagetierschicht gefunden wurde, lehrt uns, dass schon dem paläolithischen Menschen die Kunst Feuer anzumachen bekannt war. Er verzehrte seine Jagdbeute nicht roh, sondern gebraten. Er war also kein Kannibale, sondern stand schon auf einer gewissen Stufe der Gesittung. Reicher an Einschlüssen menschlicher Kulturprodukte war die gelbe Kulturschicht, die ebenfalls der paläolithischen Periode zu- zuzählen ist. 14000 Feuersteininstrumente und 1304 Artefakte aus Knochen und Geweihen. Die nachfolgende Zusammenstellung letz- terer gibt uns vielleicht einen besseren Einblick in die Kulturstufe dieses jüngeren paläolithischen Menschen als lange Beschreibungen. Uebersicht der Artefakte aus der gelben Kulturschicht. 60 Nadeln, 180 Nadelspitzen und angefangene Nadeln, 156 Pfriemen und Ahlen, 98 Meißel, 160 Pfeile, Lanzen und Lanzenspitzen, 455 angeschnittene und angesägte Knochen und 187 angeschnittene und ausgeprägte Geweihe von Rentieren, 3 Harpunen, 2 Kommandostäbe und 15 Bruchstücke solcher, 558 Keller, Das Schweizersbild, aus paläolithischer und neolithischer Zeit. 41 Rentierpfeifen, 3 Zeiehnungen auf Geweihstücken vom Rentier, 11 Zeichnungen, Strichornamente auf Knochen, 7 Zeichnungen auf einer Kalksteinplatte, 2 bearbeitete und verkohlte Holzstücke, 37 bearbeitete und unbearbeitete Braunkohlenstücke, 6 Perlen aus Braunkohle, Pagat, 42 Schmuckgegenstände, als durchlöcherte Muscheln, Versteine- rungen, durchlöcherte Zähne vom Eisfuchs und Vielfraß, mehrere Herdstellen, darunter eine ganz künstlich angelegte, mehrere Werkstätten, wo die Feuer-Instrumente geschlagen wurden, sorgfältig gepflasterte Stellen u. =. £. Die Petrefakten, die vom paläolithischen Menschen auf den Jagd- zügen als Schmuckgegenstände in seine Wohnstätte gebracht wurden, sind für uns deswegen von besonderer Bedeutung, weil sie uns einen Fingerzeig geben, wie weit sich die Jagdzüge der Ansiedler des Schweizersbild erstreckt haben mochten. 2 derselben, Ostrea longi- rostris und Zsoarca, wurden im Tertiär bei Ramsen gefunden, ca. 4 bis 5 Stunden östlich vom Scehweizersbild, 5, nämlich Spirifer Waccette, Ammonites subrotiformis, A. arietiformis, Belannites, Gryphaea arenata, stammen aus der Lias der Wutachtales und von der Nord- und West- seite des Randens, Orten, die ca. 4—5 Stunden östlich und nördlich vom Schweizersbild liegen. Vom Nordrand des Randens stammen ferner die dem braunen Jura angehörigen Petrefakten Terebratula lagenelis und Rynchonella. 13 Versteinerungen aus dem weißen Jura können von den Felsen am Schweizersbild oder aus der nächsten Um- gebung stammen. Neben diesen Versteinerungen fand sich aber noch eine Reihe teils bearbeiteter, teils unbearbeiteter Muscheln, welche nirgends in der Schweiz oder am Bodensee oder im näheren Süddeutschland vor- kommen. Aus dem Umstande, dass diese Schmuckgegenstände zum größten Teil aus dem marinen Tertiär des Mainzer-Beckens stammen, also wohl als Handels oder Tauschgegenstände hergebracht wurden, schließt Dr. Niesch, dass höchstwahrscheinlich schon zur Diluvial- zeit der Rhein als Handelsstraße nach und von den Niederrhein- gegenden diente. Die graue Kulturschichte, welche der neolithischen Zeit angehört und durch die in ihr befindlichen Gräber so bedeutungsvoll wurde, hat auch kulturhistorische Einschlüsse, die jedoch viel weniger zahl- reich sind, als in der gelben Kulturschicht. Ein wesentlicher Fort- schritt gegenüber der paläolithischen Zeit besteht darin, dass auch geschliffene Steinwerkzeuge, Beile und Aexte aus Serpentin ge- funden wurden. Ebenso fanden sich diekwandige, grobkörnige Topf- scherben. Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. 559 Dr. Niesch stellte einige Berechnungen über das absolute Alter der ganzen Niederlassung und der einzelnen Schichten an. Er geht dabei von der Voraussetzung aus, dass die neolithische Zeit ca. 4000 Jahre hinter der Gegenwart zurückliege, dass ferner die Verwitterung des Felsens beim Schweizersbild seit der Diluvialzeit bis auf die Gegen- wart gleichmäßig vor sich gegangen sei. Zu letzterer Voraussetzung berechtigt der ganz gleichartige petrographische Charakter der Breceie von unten bis oben. Danach wäre zur Ablagerung einer Schichte von 1 em Mächtigkeit ein Jahrhundert notwendig gewesen und es ergäbe sich demnach: 1. Humusschichte von 40 cm Mächtigkeit: 4000 Jahre, 2. neolithische Schicht von 40 em Mächtigkeit: 4000 Jahre, 3. obere Breecienschicht von 80—120 em Mächtigkeit: S000— 12000 Jahre, 4. gelbe Kulturschicht von 30 em Mächtigkeit: 3000 Jahre, 5. untere Nagetiersehicht von 50 em Mächtigkeit: 5000 Jahre. Die ganze Niederlassung von 240—290 em Mächtigkeit, erforderte daher zur Bildung einen Zeitraum von 24000—29000 Jahre. [76] Dr. Robert Keller (Winterthur). A. Weismann’s neue Versuche zum Saison- Dimorphismus der Schmetterlinge‘) (vom Standpunkt eines Schmetterlingssystematikers ans referiert). Von Dr. Arnold Spuler, Privatdozent in Erlangen. Soweit ich noch Gelegenheit hatte, mit den Schmetterlingsliebhabern zu sprechen — überall erfuhr ich, dass sich kaum noch junge Kräfte finden, die sich eingehend mit der Lepidopterologie beschäftigen. In Amerika und England steht es allerdings um diese Disziplin besser als bei uns, denn bei uns sind die jüngern Forscher so vereinzelt, dass es bald um eine Vermehrung unserer faunistischen Kenntnisse schlecht be- stellt sein dürfte. Wer aber nicht selbst gesammelt, sich von Jugend auf viel mit unseren Lieblingen beschäftigt hat, der wird später kaum mehr Zeit finden, sich die Menge von Detailkenntnissen zu erwerben, die zu einer sichern Bearbeitung systematischer Fragen nötig ist, er müsste denn in der Lage sein, sich einige Jahre hindurch ausschließlich den Lepidopteren zu widmen. Zunächst gilt es, nachdem man erkannt hat, dass unser heutiges Schmetterlingssystem ein Hemmschuh für die Vertiefung unseres Wissens bezüglich der Stammesgeschichte dieser Tiergruppe ist, ein natürliches System derselben zu eruieren. Dabei ist durch Spekulationen, die ohne genügende Artkenntnis unternommen werden, wenig zu erwarten. Wenn wir den verschütteten Stammbaum ausgraben wollen, dürfen wir, wie dies schon öfter betont wurde, rationeller Weise nicht Schächte aufs geratewohl in die Tiefe treiben, um direkt die Beziehungen der Hauptstämme 4) Zool, Jahrb. Abt. f. Syst. VIII und in Sonderabdruck, G. Fischer, Jena 1895. 560 Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. festzustellen, sondern wir müssen die Verhältnisse der Endzweige klar legen und erst dann können wir, durch solche Arbeiten orientiert, uns weiter in die Tiefe wagen. Es sind also wesentlich genaue Bearbeitungen der Familien, welche uns zunächst nötig sind. Zum andern handelt es sich darum, an diesem für biologische Experimente so günstigen Material der Lösung allgemeiner biologischer Probleme nachzugehen. Auch bei diesen Fragen sind eingehende faunistische Kenntnisse nötig, um zu einer richtigen Beurteilung der durch die Experimente gewonnenen Resultate zu gelangen. Beide Untersuchungsreihen greifen vielfach ineinander, denn zu einer zweckentsprechenden Anordnung der Versuche sind phyletische Kenntnisse nötig, und umgekehrt sind die Resultate der Experimente be- deutungsvoll für die Feststellung der verwandtschaftlichen Beziehungen der einzelnen Arten. Bei der prekären Lage der Lepidopterologie werden weite Kreise der Schmetterlingsliebhaber nicht nur sondern auch solcher Forscher, welche allgemeinen biologischen Problemen nachgehen, es freudig begrüßt haben, als August Weismann vor einiger Zeit die neuen Versuche zum Saison- dimorphismus der Schmetterlinge erscheinen ließ. Darf man doch hoffen, dass sich wieder mehr Kräfte der Schmetterlingskunde zuwenden, wenn von so kompetenter Seite die große Bedeutung eingehender biologischer Kenntnisse, die sich nur durch eigene Beobachtung erwerben lassen, dar- gethan wird. „Die vorliegende Abhandlung enthält die ausführliche Darlegung einer Reihe von Versuchen“, die Weismann „im letzten Jahrzehnt mit ver- schiedenen Tagschmetterlingen angestellt hat, um zu einer gesicherten Be- antwortung der Fragen zu gelangen, welche in“ seiner ‚ersten Schrift: „Ueber den Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge“ mehr angeregt als gelöst worden waren“. Namentlich wollte er eine präzisere Antwort auf die Frage erhalten, „wie weit die Erscheinung des Saison: Dimorphismus überhaupt direkt von Temperatureinwirkungen hervorgerufen sein möchte, und wie weit Klimaunterschiede dauernde, d. h. erbliche Wirkungen auf die Färbung von Schmetterlingen hervorrufen können“. Er betrachtet die Fragen noch keineswegs als gelöst und stellt weitere Untersuchungen in Aussicht. Zunächst teilt er Vesuche an (Chrysophanus) Polyommatus phlaeas, dem überall häufigen Feuervögelchen, mit. Eier von Weibchen, welche Dr. Schiemenz im Frühjahr 1888 bei Camaldoli gefangen, wurden zum Teil in Neapel aufgezogen. Sämtliche 32 Falter zeichnen sich „durch einen sehr breiten, tiefschwarzen Rand der Oberseite der Vorderflügel aus und durch sehr große und tiefschwarze Flecke“. Die für die v. eleus charakteristische, von der Wurzel aus- gehende schwarze Bestäubung der Oberseite ist sehr verschieden stark vorhanden. Die gleiche Variabilität des eleus-Charakters zeigen auch im Juni und Juli in Süd-Japan (Tokyo) gefangene Exemplare. In Frei- burg schlüpften die zuerst hellgelben, mit einem Flaum langer Haare versehenen Räupchen von gewöhnlicher Körperform vom 22.—-26. Mai aus. „Schon am 4. Juni waren sie schildförmig“. Nachdem sie zuerst nur die Chlorophylischicht der Blätter von der Unterseite her abgenagt, fraßen sie vom 7. Juni an die ganzen Blätter. „Viele blieben ganz grün, andere zeigten die lebhaften weinroten Längsstreifen (Dorsal- und Infrastigmal- Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. 561 streif) auf grünem Grunde, eine Farbenanpassung an die rot schimmernden Stengel vieler Ampferpflanzen, deren Rot genau von derselben Schattierung ist wie das der Raupen“. Auch hier stehen „die Variationen des Schmetterlings in keinerlei Beziehung zur Raupenfarbe“. Vom 21.—28. Juni erfolgte die Verpuppung. Der bei Zimmertemperatur (14—18° C.) gehaltene Teil der Puppen lieferte 35 Schmetterlinge, 8 entschieden ». eleus, die andern ohne schwarze Bestäubung, aber alle mit breiteren und tiefer schwarzen Rändern und größern schwarzen Flecken als die deutschen phlaeas. Ein anderer "Teil der Raupen ward bei Beginn der Verpuppung in den Eisschrank gesetzt und bei 7—10° gehalten. Vom 27./VIII. bis 16./IX. schlüpften viele Falter aus. Da vielfach das Rot durch die Feuchtig- keit des Eisschranks ganz blassgelblich ward (efs. ab. schmidtü!), so brachte W. die noch übrigen Puppen zum Teil ins Zimmer, sie lieferten so 18 Falter, der Rest schlüpfte bei 10—11° im Eisschrank zumeist ver- krüppelt nach und nach aus. „Von den 51 ausgeschlüpften Schmetterlingen sind nur 2 etwas schwärzlich bestäubt“, alle andern hell rotgolden, mit sehr kleinen schwarzen Flecken, die meisten aber mit breitem und tiefschwarzem Rand, der sich oft als breiter Streif am Vorderrand gegen die Flügelwurzel hinzieht. Sie zeigen also ein Gemisch von Charakteren der südlichen und der nörd- lichen Form. Die Raupen aus Eiern von einem in Leipzig gefangenen Weibchen wurden von Ende August bis 12. September in einem Treibhaus gehalten, dessen Temperatur vom Abend bis gegen 10 Uhr morgens 20—26° C,, um die Mittagsstunden aber 25—35 ° C. betrug, von da ab in einem Brut- zwinger von 27—30° C. Die Temperatur ward gegen Ende des Versuchs bis 38° C. allmählich gesteigert. Von den 23 Schmetterlingen sind 8 genau die gewöhnlichen deutschen phlaeas ; 13 etwas dunkler, der schwarze Rand etwas breiter, die schwarzen Flecken etwas größer; 2 so stark schwarz bestäubt wie in Neapel auf- gezogene Stücke der dunkelsten Varietät, also richtige v. eleus. Diese Versuche ergeben also zunächst, dass die Temperatur, welche auf die Puppe einwirkt, die Färbung des Schmetter- lings beeinflusst. Dass die Temperatur nur während der Puppenzeit, nicht aber während der Larvenzeit einwirkt, ergeben die mitgeteilten Versuche von Neapler Eiern in Freiburg, besonders eklatant aber ein Versuch von Merrifield!?). Die Brut neapolitanischer Tiere, bei gewöhnlicher "Temperatur in Freiburg aufgezogen, ergab sogar viel zahlreichere dunkle Stücke, als die Brut norddeutscher Schmetterlinge selbst dann, als ihre Puppen andauernd einer sehr hohen "Temperatur ausgesetzt wurden. „Das lässt keine andere Erklärung zu als die einer größern erblichen Anlage der neapolitanischen Brut zur Schwarzfärbung“. „Da nun ferner die direkt verdunkelnde Wirkung der Wärme unleugbar ist, so liegt die Annahme nahe, die größere Neigung der neapolitanischen Brut zum Schwarzwerden beruhe 1) F. Merrifield, The effects of temperature in the pupal stage on the ceolouring of Pieris napi, Vanessa atalanta, Chrysophanus phlaeas ete. in: Transact. Ent. Soc. London 1893, p. 55. XVIl. 36 562 Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. auf einer dauernden Veränderung des Keimplasmus durch die in jedem Sommer von neuem einwirkende Wärme“. Weismann scheint es, „dass dieser Fall nicht wenig zu Gunsten der“ — „Annahme spricht, nach welcher der Keim vorgebildete Be- stimmungsstücke der einzelnen Elemente enthält, welche später den Körper zusammensetzen: ‚Determinanten‘“. Dieselben Determinanten, welche die verschiedenen Schuppen des Flügels bestimmen, finden sich im Keimplasma der Fortpflanzungszellen und in der Flügelanlage der Puppe, und es liegt nahe, anzunehmen, dass sie an beiden Orten von der Wärme getroffen und in gleicher Weise, wenn auch nicht gleichstark beeinflußt werden. Merrifield’s Versuche bestätigen vollständig diejenigen Weismann’s. Die Neapler phlaeas-Kolonie ist also eine Lokalrasse. Dies geht auch aus andern vom Klima unabhängigen Merkmalen hervor, soweit sie überhaupt nicht nur individuelle Variationen sind. Solche sind die hell- blauen Flecken der Hinterflügel einwärts vom Saum, deren Vorkommen schon längst bekannt ist. „Wie sie zu erklären sind, ist fraglich, möglicher Weise als Reste einer frühern Zeichnung, die im Verschwinden begriffen ist, möglicher Weise auch als ein neu sich festsetzender Charakter“. Nach meiner Erfahrung finden sich wohl entwickelte blaue Flecken namentlich bei hellen Stücken. Als ich seiner Zeit die Zeichnung der Lycaeniden studierte, kam ich zu dem Resultate, dass dieses Blau ein neuauftretender Charakter ist — man vergleiche Polyomm. amphidamas 2 und g, alciphron 2 und 5, ferner Lye. balcanica 2, icarus. ab coerulea 2 und andere. In- dessen ist die Stelle des Auftretens der blauen Flecke bedingt durch eine bei den meisten Formen untergegangene, dort stehende Reihe heller Flecken, die aber bei manchen Formen, namentlich in Varietäten des konservativeren Weibchens, außer den eben angeführten auch bei dem häufigen corydon, sich noch findet, auf der Unterseite aber überhaupt bei den Lycaeniden vorhanden ist!). Die rote Saumbinde auf der Unter- seite der Hinterflügel variiert „unabhängig von der Temperatur, mehr lokal“. Das Schwänzchen der Hinterflügel kommt „öfter bei der Sommergeneration und in heißem Klima“ vor, „als bei der Frühjahrs- generation und in kaltem Klima“. Andere Versuche beziehen sich auf Pieris napt. Die Raupen wurden im Zimmer bei 21—22,5° C. erzogen. Ein Teil der Puppen ward 6—8 Tage nach erfolgter Verpuppung in den Eis- schrank bei 7—11° C. gebracht. Sie lieferten „26 Falter von ausge- prägter Sommerform, nur 10 zeigten stärkere grüne Aderbestäubung unten“, sämtliche 6 Männchen tiefschwarze Bestäubung der Flügelwurzeln oben, sonst keinerlei Charaktere der Winterform. Im Brutofen, wohin der Rest der Puppen am 24./VII. verbracht wurde, schlüpften am 25./VII. 3 Falter, die übrigen ließen sich nicht treiben. Sie ergaben nach der Ueberwinterung 12 Falter, „alle von exquisiter Winterform; alle kleiner als die im Jahre 1887 aus- geschlüpften Stücke derselben Brut“. Ein Teil ward unmittelbar nach erfolgter Verpuppung in den Eisschrank gesetzt. Vier blieben vom 29./VI.—23./VII. darin bei ziemlich konstant 9° C. Sie kamen dann einige Stunden ins Zimmer bei 22° C. und darauf in den Brutofen 1) Ich habe auf diese Verhältnisse schon einmal hingewiesen in Stett. ent. Zeitg., 1890, S. 271. !Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. 563 bei 30—31° C. Alle 4 ergaben schon nach 3 Tagen „nicht sehr scharf ausgeprägte Winterformen“,. 14 Tiere blieben im Eisschrank. Von diesen Bes eine Puppe am 18./VIII. ein Männchen von entschiedener Winterform, die andern, nachdem sie im kalten Zimmer überwintert waren, 11 Stücke von ausgeprägter Winterform. Diese napi-Versuche bestätigen einmal die altbekannte Thatsache, dass es Individuen giebt, welche sich durch Wärme nicht treiben lassen. Ferner glaubt Weismann, dass sie beweisen, „dass die Entscheidung darüber, ob der Schmetterling das Sommer- oder Winterkleid annimmt, bei dieser Art wenigstens, durch die unmittelbar nach der Ver- puppung einwirkende Temperatur bestimmt wird“. An der v. bryoniae von P. napi wollte Weismann zunächst fest- stellen, ob etwa die T’emperatur des Tieflandes die Puppen dieser in den Alpen nur in einer Jahresgeneration lebenden Form zu sofortiger Ent- wicklung brächte. Allein trotz der im Juli und August zumeist über 20° C. betragenden Zimmertemperatur schlüpfte von 24 Puppen keine einzige im gleichen Jahre aus. 25 Puppen der gleichen Zucht wurden am 17./VII. in den Brutofen, dessen Temp. um 29° C. schwankte, gebracht. Ein schon am 23./VII. geschlüpfter f' zeigt die Charaktere der Sommerform von P. napi — nach Weismann’s Vermutung einen mit dem Futter eingebrachtem »ape-Ei entstammend. Alle andern überwinterten und lieferten reine v. bryoniae außer einem 2, das „zwar die gewöhn- liche braungraue Grundfarbe und auch die gewöhnliche Zeichnung der Weibchen“ aufweist, „aber diese Färbung ist an mehreren Stellen der Winterflügel und an einigen kleineren der Vorderflügel durch Weiß unter- brochen oder ersetzt“. W. vermutet, dass es sich um einen Zwitter könnte gehandelt haben. Wenn man DeaEı wie relativ häufig gerade bei Pieriden derartige sog. unvollständigen Zwitter sind, so wird man diese Vermutung als begründet ansehen müssen. Ein weiterer Versuch, bei dem ein Teil der Tiere in Zimmertemperatur gezüchtet und im warmen Zimmer überwintert, der andere Teil als ältere Raupen oder Puppen in den Brutofen von meist 29° C. gebracht und vom 19. August ab im Zimmer gehalten und kalt überwintert wurde, lieferte im Frühjahr lauter bryoniae mit einer Ausnahme: Ein abnorm spät (am 7. Juli, nach der Tabelle, p. 22, Juni) geschlüpftes { weicht von allen übrigen ab, „denn dieses gleicht in fast allen Stücken der Sommerform von napt, nur die Flügelspitzen sind weniger dunkel als bei dieser. Bei einem 4. Versuch wurden die jungen Räupchen gleich in den Brutzwinger bei 26— 31° C. gebracht. An der Pilzkrankheit, die sich dicht vor der Verpuppung vom 5. Juli ab zeigte, gingen leider alle zu Grunde bis auf einen Falter, der am 7. Juli des gleichen Jahres schlüpfte. Er „ähnelte beinahe vollständig einem gewöhnlichen Sommerweibchen von P. napi, v. napaeae und unterscheidet sich von ihm höchstens durch die grauen anstatt schwarzen Spitzen der Vorderflügel und durch schwarze Bestäubung der Adern a—IIl,!) der Hinterflügel auf der Oberseite gegen den Flügelrand hin. Letzteres kommt sonst nur bei der Wintergeneration von P. napi vor und ist bei v. bryoniae besonders stark ausgeprägt. 1) Ich wende die von mir eingehend begründete Bezeichnungsweise der Adern an. Siehe Zeitschr. f. wiss. Zool., 1892, S. 597—646. 302 564 Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. In seinen frühern Versuchen (1871) hatte Weismann keine napr-ähn- liche Form erhalten. Die 3 diesmal, jede in einemandern Versuch, erschienenen Formen, die der Sommerform von napti sehr ähnlich waren, könnten eingeschleppten Raupen entstammen — für durchaus unmöglich möchte es W. nicht erklären. Uns scheint es sich um solche Verunreinigung der Versuche in den zwei letzten Fällen zu handeln, das ersterwähnte Stück möchten wir für einen Zwitter halten, wie auch W. es thut. Die abnorm späte Erscheinungszeit des Stückes im 3. Versuch stimmt, wenn 7./VI. mit der erster, wenn 7./VII. (verschiedene Angaben bei W.) mit der zweiten Generation von napti. Beim 4. Versuch trat am 5./VII. die Pilzkrankheit auf, „dicht vor der Verpuppung“, am 7./VII., also nach längstens ‚| Y, tägiger Puppenruhe, schlüpfte der nape- :hliee Falter, während doch eine andere napi- Puppe erst nach 9 Tagen den Falter lieferte, — dass bryoniae auch im Brutofen in 1!/, Tagen das Puppenstadium durchlaufen sollte, ist doch undenkbar. Nach ihrem Vorkommen ist v. bryoniae keine lediglich durchs Klima bedingte Form von P. napt. Sie fliegt z. B. im Jura an niedern Stellen als die höhern Kuppen des Schwarzwalds und der Vogesen sind, auf denen sie niemals gefunden wurde. Es handelt sich da um eine wohlgesonderte Varietät, von der Mischformen mit nape nach Meyer-Dürrs Angabe von Meyringen vorkommen. Wir glauben nicht, dass durch neue, sich nur auf eine Generation erstreckende Versuche andere Resultate als die über- einstimmenden der bisherigen Versuche Weismann’s erlangt werden würden. Eine weitereReihe von Versuchen betrifft (Vanessa) Araschnia levana-prorsa. Puppen aus Anfang August gesammelten Räupchen und Eiern wurden im geheizten Zimmer aufbewahrt und dort schlüpfte 1 prorsa aus. Vom 10./I. an wurden dieselben halten. Von 34 bis zum 29./I. geschlüpften Faltern waren 1 vom 24./I. die Mittelform porema, alle anderen reine levana. Um zu entscheiden, „ob überwinterte Puppen dadurch zur Annahme der prorsa-Form an- statt der levana-Form gezwungen werden können, dass ihre Entwicklung künstlich bis in den Sommer, d. h. also bis zur normalen Flugzeit der prorsa-Form zurückgehalten wird“, wurden überwinterte Puppen vom 1./III. bis 27./VI. im Eisschrank gehalten, von da ab ins Zimmer ge- bracht. Außer 2 Exemplaren mit etwas ausgebreiteterem Schwarz der Oberseite ergaben die Puppen nur levana. Eine weitere Frage war: „ob die zweite Jahresbrut, welche gewöhn- lich überwintert, durch Wärme zum Ausschlüpfen in kurzer Zeit und zur Annahme der prorsa-Form gezwungen werden könne. Im Brutzwinger bei 30—32 ° C. gezüchtete Raupen ergaben sowohl, soweit sie im Brut- ofen schlüpften, als auch im Zimmer, nachdem sie aus dem Zwinger ent- kommen, lauter prorsa (23 Ex.); der größte Teil der Puppen (50 St.) ging zu Grunde. Bei dem 4. Versuch schlüpften von 241 Puppen der zweiten Brut 5 im Zimmer als prorsa. Der Rest ward zum Teil im Oktober in den Brutofen gebracht, — bis zum 14./I. wurden Bewegungen der Puppen beobachtet, dann nicht mehr, — sie gingen alle zu Grunde; die übrigen, bei 13—14° C. überwintert, lieferten lauter levana. Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. 565 Andere Räupchen desselben Jahrgangs wurden zuerst bei 30—31° C., später bei 27—28 ° C. gezüchtet und lieferten lauter prorsa, einige da- von allerdings mit ziemlich viel Gelb. Ein Parallelversuch ergab dasselbe Resultat, bei einem zweiten kamen nur 3 vor der Verpuppung entwischte Raupen aus und lieferten im Zimmer prorsa mit wenig Gelb. 35 bei den letzten Versuchen nicht ausgeschlüpfte Puppen lieferten im folgenden Frühjahr nur levana-Formen. Alle diese neuen Versuche beziehen sich auf die „dritte Schmetter- lings-Generation“ d. h. auf „die zweite Jahresbrut, die für gewöhnlich überwintert und im Frühjahr die ‚Winterform‘ levana liefert“. Seine frühern Versuche schienen W. zu beweisen, dass die prorsa-Form sich wohl in die /evana-Form verwandeln lasse, wenn man die Puppe in die Kälte bringt, dass aber umgekehrt die Verwandlung der levana-Generation in die prorsa-Form durch die Anwendung von Wärme auf die Puppen nicht gelinge“. Daraus schloss er, dass die levana-Form die ältere sei, die prorsa-Form die jüngere — und meinte, „Rückschlag“ auf die Stamm- form sei zwar möglich, Rückschlag aber von der Stammform auf die phyletisch jüngere Form nicht denkbar“. „Der Begriff des ‚Rückschlags‘ spielt für“ Weismann „jetzt bei diesen Erscheinungen überhaupt nicht mehr mit“, heute denkt sich W. „zweierlei Anlagen im Keim nebeneinander, von welchen die eine durch Wärme zur Entwicklung ausgelöst wird, die andere durch Kälte“. „Mit dieser An- schauung von cyclischer Vererbung harmonieren die Thatsachen sehr gut, wenn es sich auch zeigt, dass die Erscheinungen nicht ganz so einfach sind, wie mau danach erwarten könnte. Dies beruht darauf, dass die Temperatur nicht der einzige auslösende Reiz ist, dass vielmehr. noch etwas anderes dabei mitspielt: die Neigung zum Alternieren“. Die neuen Versuche zeigen zunächst, dass die „dritte Generation“, wenigstens teilweise durch Wärme, ja nicht einmal besonders hohe Temperatur, zur Annahme der prorsa-Form veranlaßt werden kann; sie zeigen aber auch, „dass die Neigung der Puppen zur Entwicklung der prorsa-Form verschieden stark ist bei den verschiedenen Individuen“ dieser Generation. Dass die prorsa-Form bei sehr starker Wärme immer auf- trete, hält W. für denkbar, wie es ja bei einem seiner frühern Versuche im sehr heißen Sommer 1869 thatsächlich der Fall war. „Künstlich kann man kaum eine so hohe Temperatur, wie sie ein heißer Sommer im Freien hervorbringt, herstellen, ohne Gefahr zu laufen, die Puppen durch zu trockene oder zu feuchte Luft oder durch das Ueberhandnehmen pflanz- licher Parasiten zu zerstören. Ueberhaupt ist es nie zu vergessen, dass wir die natürlichen Verhältnisse künstlich im Brutofen nicht herstellen können“. Die Mittelformen poröma, die in der Natur sich nur selten finden, bei künstlicher Zucht verhältnismäßig viel häufiger erhalten werden, treten entweder bei*Individuen der dritten Generation auf, die noch im Spätjahr sich entwickeln oder auch bei Individuen der 2. Generation. Den Zusammenhang zwischen der Puppendauer und der Färbung erörtert W. nicht des Näheren, dass er aber an einen Zusammenhang dieser Verhält- nisse glaubt, scheint die Bemerkung p. 32 zu zeigen: „Ich glaube also, wir dürfen annehmen, dass in der That die dritte Generation von levana- 566 Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. prorsa im allgemeinen die Tendenz zu längerer Puppenruhe (d. h. zur Ueberwinterung) und damit zur levana-Form besitzt“. Ferner hat Weismann Versuche mit der südlichen Form Pararge egeriaL.?) und unserer v. egerides Stgr. angestellt, um „zu erfahren, ob diese beiden Formen lediglich Temperaturformen in dem Sinne sind, dass die eine dem jedesmaligen direkten Einfluss der südlichen Hitze, die andere dem jedesmaligen Einfluss der nördlichen gemäßigten Wärme ihre Er- scheinung verdankt“. Nachkommen eines Genueser Weibchens der Frühjahrsgene- ration, im Keller bei 12,5—14° C. als Raupen und Puppen gehalten, waren „alle kleiner und weniger stark gelb als solche, die im März und April in Genua gefangen worden waren“. Nachkommen eines Züricher Weibcehens ergaben, im Brutofen bei ca. 25°C. und im Zimmer bei ca. 18—19 ° C. erzogen, Schmetterlinge, die sich von solchen, die im Freien gefangen wurden, nicht unterscheiden. Weismann vermutet, dass eine „stärkere Steigerung der 'T’emperatur auf etwa 35° C.“ vielleicht eine gelbere Färbung der hellen Flecken herbei- führen könnte. Nach der Beobachtung im Freien muss ich diese Ver- mutung für zutreffend halten. ‚In heißen Sommern ist v. egerides bei uns lebhafter gefärbt, als in kühlen; allerdings sind auch in sehr heißen Sommern Formen mit prononziert gelben Flecken recht selten. Schon vor 10 Jahren ausgeführte Versuche über Einwirkung verschiedenfarbigen Lichtes auf Schmetterlingspuppen waren wie auch Standfuss’ ähnliche rein negativ. Auch mit Vanessa urticae, die schon wiederholt zu Versuchen be- nützt wurde, hat der Verfasser experimentiert und die Ergebnisse be- stätigen die Befunde der andern Autoren; allerdings hat W. mit zu ge- ringen 'T’emperaturdifferenzen gearbeitet, als dass man stärkere Beeinflußung hätte erwarten können, Bei Anwendung von Hitze wird das Tier feuriger gefärbt, die Zeichnung der südlichen v. ichnusa entsprechend, bei An- wendung von Kälte der lappländischen Form v. polaris ähnlicher. Dass die Ausbildung der schwarzen Flecken zwischen den Adern III,—IV, und IV,—IV, der Vorderfligel auch von individuellen Anlagen ab- hängt, betont Weismann. Verschiedene überwinterte Diurnen- und Sphingeden-Puppen wurden vom 10./I. ab bei 27—30 °C. getrieben. An allen ausgeschlüpften Arten war „nicht irgend eine Abweichung von der normalen Zeichnung oder Färbung zu erkennen“. An die Aufzählung und Beschreibung der Versuche schließt sich ein „Allgemeiner und zusammenfassender Teil“. Früher nahm Weismann es gewissermaßen als selbstverständlich an, dass der Saisondimorphismus der Schmetterlinge „überall eine direkte Folge der verschiedenen direkten Einflüsse des Klimas, hauptsächlich der Wärme sei, wie sie in regelmäßigem Wechsel die Frühjahrs- und die Sommer- generation mehrbrütiger Arten treffen“. Die andere Möglichkeit, dass er 4) Nach Staudinger’s Katalog ist die egeria (rect. aegeria) L. sicher die südliche Form; meone Esp. (nicht meione) entspricht der egeria L., unsere Form ist v. egerides Stgr. Ich folge der Staudinger’schen Nomenklatur, während Weismann abweichend die nördliche Form als egeria, die südliche als meione bezeichnet. Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. 567 auch auf Anpassung beruhen könnte, hatte er indes auch schon ins Auge gefasst, als er damals sagte: „An und für sich wäre es nicht undenkbar, dass bei Schmetterlingen analoge Erscheinungen vorkämen“, wie das Winter- und Sommerkleid bei alpinen und arktischen Säugetieren und Vögeln, „nur mit dem Unterschied, dass der Wechsel in der Färbung nicht an ein und derselben Generation aufträte, sondern alternierend an verschiedenen“. Obgleich W. auch heute noch seine frühere Ansicht „für richtig und eine direkte abändernde Wirkung der Wärme für erwiesen“ ansieht, so ist er „doch allmählich zu der Ueberzeugung gekommen, dass dies nicht die einzige Art der Entstehung saisondimorpher Verschiedenheiten ist, sondern dass es auch einen adaptiven Saisondimorphismus giebt. Schon vor längerer Zeit haben Doherty und Niceville für indische Tagfalter durch Zucht Saisondimorphismus nachgewiesen bei den Gattungen Yphthima, Mwycalesis, Melanitis und auch Junonia. Bei allen sieht die eine Generation auf der Unterseite einem dürren Blatte ähnlich, bei der andern finden sich Augenflecken. Auch diese Färbung hält Weis- mann für eine adaptive, „mag sie nun Schutz oder Schreckfärbung sein“. „Dass aber das Auftreten komplizierter Zeichnungs- und Färbungselemente, wie es Augenflecken sind, nicht einfach die direkte Wirkung von Wärme oder Kälte, Trocknis oder Feuchtigkeit sein kann, liegt auf der Hand. Diese Einflüsse sind nicht die wirkliche Ursache solcher Bildungen, sondern nur der Reiz, welcher ihre Anlage aus- löst, wie das W. schon Anfang 1894 in einem zu Oxford gehaltenen Vortrag (Aeußere Einflüsse als Entwicklungsreize, Jena 1894) darzulegen versucht hat. Direkter Saisondimorphismus dürfte sicher bei Pol. phlaeas vorliegen. Das eine Argument W.’s, dass sich „für die schwarze Be- stäubung der Sommerform eleus wohl kaum ein biologischer Wert heraus- finden“ ließe, möchte ich nicht gelten lassen. Denn es wäre dann nicht einzusehen, weshalb die Tiere im Süden zu einer sich leichter unter dem Wärmeeinfluss dunkel färbenden Varietät umgebildet hätten, wie dies W.’s Versuche gezeigt haben. Auch Weismann’s Meinung, dass phlaeas bei uns „in beiden Bruten gleich“ sei, ist nicht ganz zutreffend, es finden sich konstant, wenn auch in kühlen Sommern keine starken, Unterschiede zwischen beiden Generationen bei uns in Baden — nach eleus-Stücken aus Berlin zu schließen, wird es sich in Norddeutschland ähnlich verhalten. Die Erscheinungen erklärt Weismann durch zweifache Ver- änderungen der Schuppendeterminanten. „Einmal wirkt die klimatische Wärme auf sie, solange sie noch im Keimplasma“ der Fortpflan- zungszellen „des Tieres enthalten sind“, — diese Wirkung muss sich durch die Kontinuität des Keimplasmas von Generation zu Generation übertragen und „kann“ sich deshalb allmählich steigern. „Zweitens wirkt die Wärme abändernd auf die betreffenden Schuppendeterminanten, wenn sie schon in die Flügelanlagen der Schuppe eingerückt sind und im Begriff stehen, die Schuppen auszugestalten“. Diese Wirkung vermag sich natürlich nicht zu vererben. „Bei direkter Klimaabänderung ist es begreiflich, dass die wirkende Temperatur dann eingreifen muss, wenn die Farben des Flügels sich zu bilden anfangen, denn wie sollte anders die Abänderung derselben zu stande kommen, wenn nicht durch Veränderungen der chemischen [resp. 568 Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. auch der physikalischen!| Vorgänge, welche der Farbenerzeugung zu Grunde liegen?“ Dass aber bei vielen Arten, die direkt durch das Klima verändert zu werden scheinen, noch ganz andere Motive mitspielen können, möchte W. annehmen. Namentlich dürfte es sich vielfach um ein Aktivwerden der „verschiedenen im Keimplasma oder später in der Flügelanlage der betreffenden Arten noch enthaltenen Anlagen zu Farbenmustern der Vor- fahren“ handeln. Die geeisten v. ?o entwickeln sich erst, nachdem sie eine Reihe von Tagen in der Wärme gewesen und geben Formen, die sich sehr weit der v. urticae nähern können. „Die chemischen Vorgänge der Farbenbildung erfolgen also auch hier nicht unter dem Einfluss der Kälte, sondern einer gemäßigten Wärme, — ein Zeichen mehr, dass es sich hier um indirekte Wirkung der Kälte handelt“. So wird es sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei der zweiten Art des Saisondimorphismus, dem adaptiven, verhalten. Den Klima- dimorphismus von v, urticae hält Weismann für einen direkten, wenn auch bei ihr noch andere Faktoren für die Zeichnung mit in Betracht kommen. Auch P. egeria — v. egerides seien entstanden durch direkte Ab- änderung durch das Klima. Bezüglich der Verwandtschaft der beiden Formen sagt W., es sei „interessant, seine frühere Vermutung, dass egeria die primäre Form, v. egerides aber die sekundäre sei, an der Zeichnung der Schmetterlinge selbst ablesen zu können. P. egeria hat nämlich zahlreichere und größere Flecken, so z. B. stehen am Vorderrand 5 davon, während bei ». egeredes oft nur 2 deutlich sind. 2 oder 3 der andern aber lassen sich bei v. egerides meist als ganz schwache, ver- schwommene Aufhellungen des dunkeln Grundes noch erkennen: „ver- loschene“ Flecken, wie der hübsche und bezeichnende Ausdruck der Lepidopterologen lautet, den man in diesem Fall wörtlich nehmen darf, da diese Spuren nur als Reste der Flecken der Stammform gedeutet werden können“. Ich kann hierin keine Begründung für Weismann’s Behauptung sehen. Wenn man eine größere Reihe von Formen berück- sichtigt, — an dieser Stelle ausführlich meine Ansicht zu begründen, würde viel zu viel Raum beanspruchen, — so kommt man zu der Ansicht, dass egeria mindestens so hoch differenziert ist als ». egerides, Die Form v. intermedia Stgr. gehört, wenn sie auch überleitet, doch mehr zu v. egerides. Aufs engste mit den beiden Formen verwandt ist ziphia mit der Saisonform ®. rziphioides von den Canaren, — alle 3 Formen, v. egerides, egeria und xiphia sind Nachkommen einer Stammform, der vielleicht v. egerides 2 und egeria 2 in der Zeichnung noch am nächsten stehen. Zu beiden Beispielen für direkten Saisondimorphismus (Pol. phlaeas und Par. egeria) sei mir die Bemerkung gestattet, dass es sich in beiden Fällen nicht nur um Färbungsunterschiede handelt, sondern auch um be- trächtliche Zeichnungsunterschiede, für deren Verständnis sich aus einer Betrachtung der Verwandten in beiden Fällen Anhaltspunkte gewinnen lassen. Es ist sicherlich in beiden Fällen die Stammesgeschichte des Tieres für die Erscheinungen ausschlaggebend, es kann also nur für einige der sich vorfindenden Abweichungen direkte Wirkung des Klimas an und für sich die Ursache sein. Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. 569 Bei Besprechung des adaptiven Saison-Dimorphismus berührt Weismann das Verhalten der Raupe von Lye. pseudoargiolıs, welche in beiden Generationen in der Färbung mit der bezüglichen Futterpflanze harmoniert. Die vorliegenden Daten geben aber keinen Anhalt dafür, ob es sich nicht um eine direkte Anpassung an die Futterpflanze handelt, wie sie sich so häufig findet, ich erinnere nur an die Eupitheeien, die Mamestren. — Weismann bespricht diesen Punkt nicht. Das Vorkommen eines adaptiven Saisondimorphismus ist nur möglich, wenn beide Formen angepasst sind, eine ev. nichtgeschützte müsste mit der Zeit verschwinden. Bei Y. prorsa könnte es sich um Mimiery nach Lim. sibylla und camilla handeln, wenn auch ein Beweis hierfür sehr schwierig wäre. „Wir wissen nicht einmal, ob diese Limenitis-Arten immun sind oder ob sie von Vögeln verfolgt werden, resp. in frühern Zeiten verfolgt wurden“. Diese Arten sind nicht immun, ich habe oft genug zugesehen, wie sie von Vögeln gejagt wurden, — wie überhaupt alle unsere Nymphaliden. Es käme übrigens für Mimiery nur szbylla in Betracht, denn einmal ist sie die primitivere Form und zweitens ist camilla viel weniger verbreitet als sz?bylla, welche in ihrer Verbreitung mit V. levana-prorsa übereinstimmt. Bezüglich der levana-Form sagt W., „wir kennen die Lebensgewohn- heiten der levana-Form nicht so genau, und wenn wir sie kennten, würde es immer noch unsicher genug bleiben, ob wir ihr dem dürren Laub des Frühjahrswaldes allerdings ähnliches Obergewand als protektiv betrachten dürfen“. Ich möchte darauf hinweisen, dass bei levana nicht nur die Oberseite, sondern auch die Unterseite, wenn auch viel geringer von prorsa abweicht, was W. auch erwähnt. levana setzt sich, wie alle Vanessen im Frühjahr, sehr oft auf den Boden, dabei die Flügel oft tlächenhaft ausbreitend, während prorsa zumeist auf Blüten sich herum- tummelt — soviel ich sehen konnte, ohne gewisse Farben (weiß) derselben zu bevorzugen — allerdings auch an feuchten Stellen sich oftmals nieder- lässt, wohl um zu trinken, wie alle Verwandten. Also dürfen wir sehr wohl die /evana-Färbung als protektiv betrachten, während für die prorsa- Färbung eine Anpassung an die Umgebung oder an andere Falter nicht zu eruieren ist. Die helle Binde könnte aber doch protektiv sein, in dem sie den Falter für das Auge nicht als ein Objekt erscheinen lässt). Schon 1875 hob Weismann hervor, „dass die prorsa-Form keineswegs einfach auf eine Vermehrung des Schwarz zurückgeführt werden kann. Es heisst dort (p. 40) „Selbst bei Arten, deren Sommer- form weit mehr Schwarz enthält als die Winterform, wie z. B. V. levana, lässt sich doch nicht die eine Form aus der andern einfach durch Ver- breiterung der vorhandenen schwarzen Stellen ableiten, denn an derselben Stelle, an welcher bei /evana ein schwarzes Band verläuft* (auf dem Hinterflügel), „findet sich bei der sonst mehr Schwarz enthaltenden prorsa eine weiße Binde. Die Zwischenstufen, die man künstlich durch Kälte- wirkung auf die Sommergeneration erzeugt hat, zeigen“ — „wie mitten auf der weißen Binde der prorsa ein schwarzer Fleck entsteht, der größer wird, um schließlich bei der vollständigen l/evana-Form mit einem andern, 1) sibylla und prorsa wären also in gleicher Weise geschützt, ebenso Lim. populi-Weibchen und die Weibehen der Apaturen; siehe A. öpuler, Zur Phylogenie der einheimischen Apaturen-Arten, Stett. ent. Zeitg., 1890, S. 277. 570 Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. von vorn in die Binde hereinwachsenden, schwarzen Dreieck zu einem schwarzen Band zu verschmelzen“. Obgleich dieser Darstellung W.’s von entom. Seite widersprochen worden ist!), hält er „Alles, was er darüber vor zwanzig Jahren geschrieben“ hat, auch heute noch für vollkommen richtig: „ausgehend von der vorhandenen Zeichnung“ hat sich „eine neue entwickelt“. „Die weiße Binde der Hinterflügel entsteht in ihrem hintern Teile aus Schwarz, in ihrem vordern aus Braun-gelb“. Diese Darstellung widerspricht doch der frühern, oben zitierten, dass ein schwarzes Dreieck von vorn her in die helle Binde hereinwachse, also hat W. in dem Punkt seine Ansicht geändert; die jetzige Auffassung deckt sich mit dem, was ich an den Tieren sehe. Dass die Binde in ihrem hintern Teile aus Schwarz entstünde, ist nur bedingt richtig. Sie entsteht durch Ver- breiterung und Aufhellung zweier Grundfarbstreifen, wobei das zwischen- liegende Schwarz allmählich verloren geht. Es entspricht somit nur ihr äußerer Teil der weißen Apatura-Binde, während vorn die Binden beider Formen in gleicher Weise sich gebildet haben. Wenn Weismann meint, dass die Entwicklung von prorsa „nicht nach bestimmten Prinzipien“ er- folge, so kann ich dem nicht beipflichten. Wenn er den Entwicklungs- gang verfolgt, den die Limenitis, namentlich aber die Apaturen ge- nommen haben, so wird er sich überzeugen, dass die Entwicklung parallel dieser erfolgt ist, — also keineswegs regellos. Ein Vergleich der hierher- gehörigen (Vanessa) Araschnia-Formen ergiebt Folgendes: Die Zeich- nung von porima-Formen zeigt im allgemeinen die ursprünglichsten Charaktere. Von solchen Formen aus haben sich levana- und bure- jana- (Amur) Zeichnung einerseits, sirigosa- (Thibet) und prorsa- Zeichnung andererseits entwickelt. Die Heimat aller dieser Formen ist wohl Centralasien. Es zeigt sich sehr schön eben bei Ar. levana- prorsa, wofür wir oben bei Besprechung der blauen Flecke von P. phlaeas ein Beispiel anführten, dass neue Formen gewöhnlich nicht durch direkte Fortentwicklung der gefestigten differenzierten Zeichnung einer Art entstehen, sondern dass eine Neubildung gewöhnlich einsetzt, wenn der Artcharakter schwankend geworden, — zu- meist wohl, wenn die Art in neue Verhältnisse gekommen und dabei, wie es zu geschehen pflegt, Rückschlagsbildungen häufig sind. Von solehen Rückschlagsbildungen geht dann die Entwickelung aus, so dass also die phyletisch jüngere Form manche primi- tive Charaktere zeigen kann, die bei ihrer Stammform selbst verschwunden sind. Wie früher schon erwähnt, erklärt Weismann den Saisondimorphismus jetzt so, dass die Wärme resp. Kälte nur als Auslösungsreiz für das Aktivwerden der prorsa- resp. der levana-Idee wirkt. Um indess die in W.’s Versuchen beobachteten Thatsachen zu erklären, muss man noch die Annahme machen, dass „ein Alternieren der beiden Formen von der Natur vorgesehen ist“. „Offenbar ist alles darauf eingerichtet, dass im Sommer ausschlüpfende Falter die prorsa-Form besitzen, und zwar auch dann, wenn der Sommer nicht heiß ist, und dass alle im Frühjahr ausschlüpfenden Falter die levana-Form besitzen, auch wenn das Frühjahr recht warm ist, wie es ja oft bei uns vorkommt“. Die 1) n Schilde, Gegen pseudodoxische 'Transmutationslehren, ein Ento- molog. Leipzig 1879. Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. 9711 Versuche haben gezeigt, „dass alle überwinternden Puppen aus- nahmslos lZevana geben, mag man sie noch so sehr der Wärme aus- setzen“. Wir glauben, dass die Dauer der Puppenzeit von großer Bedeu- tung ist für das Auftreten der einen oder andern Form, diese Dauer wird offenbar durch die Verhältnisse, in denen sich die Raupen ent- wickelten und die Verpuppung erfolgte, bestimmt. Wenn man die mit- geteilten Versuche W.’s mustert und berücksichtigt, dass eine Entwicklung einer 3. Generation hauptsächlich von der Zeit abhängt, wann die zweite zur Eiablage kommt, so möchte man vermuten, dass bei wirklich sommer- lichen Verhältnissen die 3. Generation, von einzelnen Stücken abgesehen, sich auch immer subitan entwickelt und prorsa liefert. Jedenfalls hat bei diesem Tiere die Puppendauer einen großen Einfluss auf die Färbung. Zu den Fällen von adaptivem Saisondimorphismus zählt Weismann auch „vor Allem unsere saisondimorphen Pieriden, wenigstens teilweise“. Die schwärzlich-grüne breite Bestäubung der Unterseite der Hinterflügel bei der Frühjahrsform von P. napi hält W. für eine Schutzfärbung des ruhenden Falters. Inwiefern das Sommerkleid den Falter im Sommer besser schütze, vermögen wir nicht einzusehen. Der fliegende Falter wird nach meinen Beobachtungen von Vögeln gefressen, was auch Poulton angiebt, während A. Seitz merkwürdigerweise unsere Pieriden für immun hält. Ich glaube nicht, dass die Färbung der Sommergeneration irgend- wie den Falter im Sommer besser vor Feinden schützte, als es die Früh- jahrstärbung thäte!), — die Ursache für das Vorhandensein der Sommer- form muss etwas anderes sein, das sich vorläufig unserer Kenntnis entzieht, nicht unmöglich scheint es mir, dass wir aus der Natur des weißen Pigmentes als Harnsäure, des grünen als Derivat der Harnsäure verstehen könnten, warum bei der subitanen Form weniger der derivierende Körper als Pigment sich findet, wie bei der Dauerform. Indes, wie dem auch sei, adaptiver Saisondimorphismus liegt bei P. napi vor, daneben aber auch direkter, namentlich die dunkle Färbung der Flügelspitze bei der Wärmeform. Diese Annahme von doppeltem Saisondimorphiswus beseitigt den scheinbaren Widerspruch zwischen Weismann’s und Merrifield’s Resultaten. Aus der bekannten 'Thatsache, dass Puppen der Sommerform „latent“ bleiben können während einer Flugzeit und dann die Frühjahrsform liefern, glaubt W. hier wie bei V. levana-prorsa annehmen zu müssen, „dass nicht allein äußere Einflüsse darüber entscheiden, welche Anlage aktiv werden soll, sondern dass bei einem Teil jeder Brut aus unbekannten Ursachen“ (einer „eongenital tendeney“, wie sich Merrifield ausdrückt) „von vornherein eine Neigung zum Aktivwerden, sei es der Sommerform, sei es der Winterform, vorhanden sein kann. Immer aber ist diese Neigung zur Sommerform zugleich mit der Neigung zur subitanen Ent- wicklung verbunden, die zur Winterform wit der Neigung zu latenter Entwicklung“. . Man könnte hieraus schließen wollen, dass der Entwicklungsmodus unabhängig von der Wärme, nur durch innere Disposition verursacht werde. Die Stücke der Sommerform aber schlüpfen teilweise, wenn sie geeist 4) Dass Frösche schlafende Insekten verfolgen, wie dies Weismann p. 60 annimmt, scheint mir nicht wahrscheinlich. 572 Spuler, Weismann’s Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge. wurden, als Winterform, sobald sie in warme 'T’emperatur gebracht werden. „Sie behalten also ihre subitane Entwicklung bei, obgleich sie für die Winterform umgestimmt werden“. Wir glauben, dass dies Verhalten doch nicht als Beweis gegen die Annahme dienen kaun, dass Sommer- form und kurze Puppenzeit, lange Puppenzeit und Winterform direkt zusammenhängen. Die niederen Temperaturen, denen Weismann seine Puppen aussetzte, bewegten sich alle einige Grad über Null. Wenn die T'emperatur mehr erniedrigt würde, sodass wirklich ein Kältestillstand einträte, so würden jedenfalls die Tiere, in die Wärme gebracht, größten- teils sich alsbald entwickeln, ein Teil aber würde wohl auch dann längere Zeit noch als Puppe leben, denn die Pieriden haben eben eine ziemlich unregelmäßige Entwicklungszeit, auch im Freien. Wenn man Puppen unmittelbar oder einige Zeit nach der Verpuppung mehrmals in wechselnder Dauer schroffem 'Iemperaturwechsel aussetzte, würde man wohl zu sehen bekommen, wie viel der Färbung durch die Wärme, wie viel lediglich durch die Puppendauer bedingt ist. Früher glaubte W. „aus der Umwandlungsfähigkeit einer Art in ihren verschiedenen Bruten darauf schließen zu können, welche der Saison- formen die ältere, welche die jüngere sei“. Jetzt wendet er, wie oben schon erwähnt, den Begriff des Rückschlags für diese Verhältnisse nicht mehr an, sondern beschränkt seine Anwendung auf die Fälle, bei denen die ältere Form „nicht in regelmäßigem Cyelus, also normaler Weise, erfolgt“. Mischformen „beruhen darauf, dass beiderlei Anlagen des Keimes zugleich aktiv werden“. Pür acycelische Arten hält Weismann den Schluss auf das phyletische Alter verschiedener Formen allein aus Züchtungsversuchen auch heute noch für begründet. So läge der Fall bei v. bryoniae. A. Seitz hält im Gegensatz zu W. die napi-Form für älter, weil die meisten Pieriden weiß sind. Das ist keine Begründung für seine Annahme. Im Gegenteil lehrt ein Studium der Pieriden, dass ihre Vorfahren reich gezeichnet waren, nach einem Typus, den die Anthocharis-Formen noch zeigen und der identisch ist mit der ursprünglichen Zeichnung der Equi- tiden, für die ich seiner Zeit die Ableitung vom Urtypus durchgeführt habe }). Wenn andererseits W. die weite Verbreitung von v. bryoniae im höhern Gebirge und der Polarregion zu Gunsten seiner Auffassung vom höhern Alter der bryoniae aufführt, so wäre das Argument stichhaltig, wenn die polare »api-Form wirklich gleich der bryoniae-Form wäre. Nach Stücken der Daub’schen Sammlung (in Karlsruhe i. B.) ist dem aber nicht 50; diese steht vielmehr im Habitus der nape-Form näher als der v. bryoniae, der sie allerdings in der Zeichnung mehr entspricht. Das Richtige dürfte doch wohl sein — es kommen zum Vergleich nament- lich eentralasiatische Pieriden-Formen in Betracht —, dass bryoniae und nap® sich von einer Urform aus, welcher die polare Form zunächst steht, divergent entwickelt haben. Wie sich hieraus ergiebt, können auch bei acyclischen Formen Züchtungsversuche nur dann zu richtigen Resul- 1) S. A. Spuler, Zur Stammesgeschichte der Papilioniden. Zool. Jahrb., Abt. f. Syst., 1892. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 573 taten führen, wenn denselben ein vergleichendes Studium der verwandten Formen parallel geht. Um zu entscheiden, ob die bekannten Fälle dem direkten Saison- Dimorphismus oder dem adaptiven angehören, „sind genauere und spezieller auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen notwendig, wie sie bis jetzt noch nicht vorliegen“. Namentlich dürfte die Entscheidung schwer sein, „ob man es im einzelnen Fall mit reinem direktem Saison-Dimorphismus zu thun habe. Die Versuche lassen ihn bei Polyomm. phlaeas annehmen, und bei Pararge egeria und Vanessa wrticae dürfen die Klimavariationen wohl auch als direkte Wirkungen der verschiedenen Temperatur betrachtet werden, ob und inwieweit aber dabei noch doppelte Anpassung mitspielt oder — bei den Klimavariationen — geschlechtliche Zuchtwahl, das ist schwer zu entscheiden“ (s. d. Bemerk. oben $. 568). Da solche abändernde Temperaturen auch das Keimplasma langsam beeinflussen können (P. phlaeas), „so können wohl auch diese direkten Abänderungen der Farben durch das Klima nicht ganz bedeutungslos sein, wenn sie auch sicherlich eine geringere Bedeutung für die Umwandlung der Schmetterlingsarten haben, als“ Weismann „sie ihnen früher zu- schrieb vor der Erkenntnis, dass ein großer Teil des Saison-Dimorphismus auf Selektion beruhen muss. Vielleicht wird uns die Zukunft in den Stand setzen, aus der kri- tischen Periode der Temperaturwirkung auf die Natur der Abänderung zurück zu schließen“. Merrifield schloss aus Versuchen an sel. illu- straria, „dass die kritische Zeit für die Zeichnung der Anfang der Puppenzeit sei, für die Grundfarbe aber das Ende derselben“. Weis- mann betont dem gegenüber, dass „Zeichnung“ genetisch dasselbe sei wie „Färbung“, und biologisch auch, insofern sie zu sympathischer oder auffallender Färbung zusammenwirken“. Diese Ansicht Weismann’s ist nur für einzelne Formen richtig, für phyletische Betrachtung ist sie im allgemeinen nicht zutreffend — dies dürfte jedem einleuchten, der sich daran erinnert, dass bei den Nymphaliden das gleiche Zeichnungselement, bald als weiße Flecken, bald als weißgekernte Augen, bald als schwarze Flecken sich vorfinden kann. „Soviel darf für jetzt wenigstens behauptet werden, dass die 'l’em- peratur vor der Verpuppung keinerlei Einfluss auf die Farbe und Zeich- nnng des Schmetterlings hat‘. Hoffentlich werden Weismann’s geistvolle Untersuchungen manchen Forscher veranlassen, diesem interessanten, bisher leider wenig gepflegten Gebiete, seine Arbeitskraft zuzuwenden. 173] Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Zwanzigstes Stück.) Laridae. Die Laridae, ca. 160 Arten gutfliegender Schwimmvögel umfassend, sind eine äußerlich ziemlich gut abgegrenzte Familie, welche aber von den verschiedenen Systematikern in sehr verschiedener Weise gruppiert 574 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. wurde. Fossile Reste kennt man sicher erst seit dem unteren Miocän (und zwar von Larus, Lestris und Sterna aus den Miocän und den folgenden Schichten Nord- Amerikas und Europas). Hinsichtlich ihrer systematischen Beziehungen sei folgendes erwähnt. 1. Als mit den Tubdinares eine Abteilung der Schwimmvögel (Longi- pennes Cuv., Gaviae Sund.) bildend, betrachtet sie außer den beiden eben genannten Forschern De Selys 1842, Kaup, keichenbach, Burmeister, Owen, Lilljeborg, A. Milne Edwards, Coues, Claus, Hartlaub, Brehm und Reiche- now. 2. Dagegen fasst sie Bonaparte mit den Tubinares und Chioni- didae zu den Longipennes zusammen, 3. während sie nach Des Murs, Gervais mit den Tubinares und Phaeton diese Gruppe repräsentieren. 4. Mit den Tubinares und vielleicht inel. der Dromaididae zu den Longipennes vereinigte sie De Selys 1879. 5. Zusammen mit den Tubinares, Dromas und Phaeton bilden sie die erste Familie der Natatores (Laridae) nach Swainson. 6. Tubinares, Colymbidae, Aleidae und Laridae gehören nach Hux- ley zu den Cecomorphue. ; 7. Mit den Tubinares, Steganopodes und Podoae repräsentieren sie die Maeropteri nach Fitzinger’s Ansicht. 8. Garrod vereinigt sie mit den Charadriidae, Gruidae und Alcidae zu den Charadriiformes Limicolae. 9. Dagegen sieht sie Forbes als eine Familie der Pluviales an. 10. Newton betrachtet als verbunden mit den Alcidae, Limicolae und vielleicht auch mit den Otididae. 11. Nach Gadow sind sie als eine Familie der Hologyri anzusehen. 12. Eine selbständige Abteilung der Schwimmvögel überhaupt bilden sie nach 11lliger, L’Herminier, Brandt, Nitzsch, Eyton, W.K. Parker, Gray, Sundevall 1872, Wallace, Selater, Sharpe. 13. Als 2, 3 oder 4 distinkte Gattungen (Familien) im System auf- gestellt hat sie Linne (3), Brisson (4), Temminck (4), Schlegel (2), Milne Edwards und Grandidier. Nach F. sind aber nähere Beziehungen der Laridae zu den Co- !ymbidae und Anseres garnicht vorhanden, und auch solche zwischen ihnen und den JIbidinae und Gruinae nur ganz entfernte, dagegen sicher existiert ein ursprünglicher Zusammenhang der Laridae oder besser (weil sie, wie an einer späteren Stelle bewiesen werden soll, mit den Limicolae ganz nahe verwandt sind) der Laro-Limicolae mit den Aleidae. Die von zahlreichen Autoren, sowohl der älteren als auch der neueren Zeit, anerkannte, mehr oder minder intime Ver- wandtschaft der Tubinares mit den Laridae weist auch F. nicht ganz zurück. Allerdings kam er durch vergleichende Untersuchungen beider Gruppen zu der Ueberzeugung, dass einerseits sehr ausgeprägte Dif- ferenzen zwischen beiden existieren, andrerseits wieder manche Ueberein- Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 57 stimmungen als nur analoger Natur sich erweisen. Es treten aber bei beiden auch zugleich einige Züge auf, die nicht durch die Annahme sekundärer Konvergenzen erklärbar sind, sondern auf einen ursprüng- lichen, allerdings phylogenetisch recht weitab liegenden Zusammenhang der Tubinares und generalisierten Vorfahren der Laridae resp. Laro- Limicolae hinweisen. Schon seit langer Zeit waren die nahen Beziehungen im Bau der Laridae und Limicolae bekannt und schon L’Herminier und Nitzsch wiesen mit großem Recht auf die sternalen und pterylographischen Aehnlichkeiten beider Abteilungen hin. Thatsächlich sind die Ueberein- stimmungen derselben in fast allen wesentlicheren Verhältnissen des äußeren und inneren Baues so ausgeprägte, dass über die große In- timität beider Gruppen nicht der geringste Zweifel berechtigt ist. Die anatomischen Uebereinstimmungen sind häufig derart, dass es gar nicht leicht fällt, dieses oder jenes Detail der Laridae und Limicolae auseinander zu halten; sogar in solchen Fällen, bei denen auf den ersten Blick auffallendere Verschiedenheiten sich finden; ist es bei mit einiger Umsicht angestellten Vergteichung nicht schwer, Reihen gra- dueller Variierungen aufzustellen, welche innerhalb der Limicolae meist die gleiche oder eine wenig kleinere Amplitude der Variabilität auf- weisen wie die zwischen Laridae und Limicolae. Selbst ältere Em- bryonen aus beiden Familien besitzen eine sehr frappante Aehnlichkeit untereinander. Eine Vergleichung der Laridae und Limicolae mit einander ergiebt übrigens auch, dass die letzteren meist die primitiveren Charaktere, die ersteren dagegen einen etwa höheren Grad der Dif- ferenzierung darbieten. Man wird sonach in den gemeinsamen Vor- fahren beider Familien einen generalisierten Typus erwarten, der mehr limicol als larid war, und man wird zugleich wegen der relativ ge- ringen Abweichung vermuten dürfen, dass die Abtrennung der Laridae von dem gemeinsamen Stamme und ihre spezielle Ausbildung erst in eine jüngere geologische Zeit (vielleicht erst in das Ende der Sekundär- oder in den Anfang der Tertiär-Periode) fiel. Außerdem ist F. auch noch der Meinung, dass die paläontologische Entwicklung bei den Laridae und Limicolae nicht schnell vor sich gegangen sein kann. Innerhalb der Laridae nun verteilen sich primäre und sekundäre Merkmale in wechselnder Weise auf die verschiedenen Gattungen resp. Unterfamilien. Die meisten primären Eigenschaften (in erster Linie hinsichtlich der Pterylose, zahlreicher Skelettdetails und vieler Muskeln) findet man aber doch bei den kleineren Formen, speziell bei den Sterninae, die F. deshalb an den Ausgang gestellt und von den Larinae gefolgt wissen will. Procellariidae (Tubinures). Die Procellariidae eine gut abgegrenzte Familie repräsentierend, umfassen über 100 Arten der tubinaren Meeresvögel, welche meist aus- 376 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. gezeichnete Flieger sind (nur Pelecanoides und den Oceanitidae be- sitzen infolge ihrer kürzeren Flügel eine mäßige Flugfähigkeit) und entweder eine kosmopolitische Verbreitung haben, oder der südlichen Erdhälfte, speziell dem antarktischen Gebiete angehören. Die paläontologische Kenntnis dieser Vogelgruppe ist eine noch mangelbafte, die ersten Funde, welche sie betreffen, stammen aus dem Miocän (Puffinus), jedoch existieren auch dem Bocän angehörende -Formen, welche in gewissen Verhältnissen an die Procellariidae er- innern. Hinsichtlich ihrer systematischen Gruppierung sei folgendes bemerkt. 1. Als mit den Laridae eine Abteilung der Schwimmvögel, die Longipennes Cuv. bildend, betrachtet sie Cuvier, de Selys, Sundevall1844, Kaup, Reichenbach, Burmeister, Owen, Lilljeborg, A. Milne Edwards, Coues, Carus, Hart- laub, Brehm und Reichenow. 2. Mit den Laridae und Chionididae zu den Longipennes vereinigt sie Bonaparte. 3. Dagegen nimmt Des Murs und Gervais an, dass sie und die Laridae sowie Phaethontidae zusammen die Longipennes dar- stellen. 4. Mit den Laridae, Phaeton und Dromas eine Familie (die Laridae) bilden sie nach Swainson. 5. Hingegen in Gemeinschaft mit den Laridae, Colymbidae und Alcidae zu den Cecomorphae erschmilzt sie Huxley. 6. Zusammen mit den Laridae, Steganopodes und Podoae die Ma- cropteri bilden sie nach der Ansicht Fitzingers. 7. Zu der Familie Pelecanidae vereinigt sie und die Steganopodes dagegen Eyton. 8. Garrod (1874) aber teilt sie in 2 Familien (Procellariidae und Fulmaridae) und betrachtet sie als die CoAh. Nasutae der O. Anseri- Formes. 9. Mit den Pelargi, Cathartidae, Herodii, Steganopodes und Aceipitres zu den Ciconiiformes werden sie verbunden von Garrod 1879 und von Forbes 1882. 10. Gadow wiederum betrachtet sie als eine Familie der Orthocoela. 11. Als eine selbständige Abteilung (Familie, Ordnung etc.) der Vögel oder Schwimmvögel angesehen werden sie von Illiger, L’Herminier, Brandt, Nitzsch, W.K. Parker, Hart- laub, Gray, Sundevall 1872, Wallace, Scelater, Sharpe, Forbes, Newton (Vielleicht), 12. 2—4 gesonderte Gattungen der Vögel resp. Schwimmvögel (Palmi- pedes) repräsentieren sie nach Linne, Brisson, Temminck. Die verschiedenen Autoren bringen demnach die Procellariidae in Beziehungen zu den /mpennes, Colymbidae, Laridae, Phaeton, Stegano- podes, Anseres, Dromadinae, Herodiones, Pelargi und Aceipitres. Nach F. sind aber die Uebereinstimmungen der in Rede stehenden Gruppe mit den Alcidae und Colymbidae nur sehr entfernte und ganz indirekte, dagegen konnte er eine mehr direkte aber auch ziemlich Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 577 weit abliegende Verwandtschaft zwischen ihr und den Impennes kon- statieren. Ueber das Verhältnis zwischen den Procellariidae und den Laridae existieren verschiedene Ansichten. Die Mehrzahl der Autoren fasst dasselbe als sehr intimes zwischen beiden Gruppen auf, man hat sogar die Tubinares selbst zwischen die Familien der Laridae gestellt. Andrerseits sind neuerdings, namentlich durch Garrod und Forbes, alle verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden geleugnet wor- den. Jedoch ist F. der Ansicht, dass eine vergleichende Betrachtung der Laridae und Tubinares eine Anzahl von spezielleren Ueberein- stimmungen ergiebt (und zwar hinsichtlich der Pterylose, Schizognathie, des Proc. procoracoideus, Foramen supracoracoideum, der gegenseitigen Lage der beiden Coracoides, des Humerus, der Mm. rhomboides pro- fundus, serratus profundus, gewisser Züge des M. pectoralis abdomi- nalis, Mm. biceps brachii und propatagialis, scapulo-humeralis anterior, Tendo anconaei coracoidei, Kombination der Garrod’schen Bein- muskeln), welche übrigens auch ermöglichen, die bezüglichen Verhält- nisse der Tubinares von denen der Laridae resp. laridenähnliehen Vor- fahren abzuleiten (in erster Linie ist dies der Fall bei der Pterylose, welche Anknüpfungen an Lestris und Scolopax erlaubt, bei dem Ver- halten der Palatina, der Verbindung der Clavicula mit dem primären Brustgürtel, der Tendo anconaei coracoidei und vor allem der Mm. biceps brachii und propatagialis). Daneben existiert bei beiden Gruppen aber auch eine Reihe von Besonderheiten (z. B. die Beschaffenheit der Nasenlöcher und die Holorhinie, die Zehenverhältnisse, das Verhalten der Eier, das Sternum, die Mm. latissimi dorso inel. metapatagialis, deltoides major, Zunge), welche weder für noch wieder entscheiden lassen; außerdem giebt es eine Reihe von Charakteren (wie z. B. das Verhalten des Dunengefieders, die Beziehungen der Clavicula zum Sternum; die Größe und Beschaffenheit des Drüsenmagens, gewisse Darmverhältnisse, die Gestalt und Beschaffenheit der Milz etc.), welche sich denen der Laridae teils diametral entgegenstellen, teils nur in ganz gezwungener Weise ihnen vergleichbar sind. F. ist deshalb der Ansicht, dass, alle diese Verhältnisse zusammengerechnet, die Summe und Bedeutung der Differenzen größer ist als diejenige der Kongruenzen und somit eine Stellung der Tubinares zwischen Vertretern der Laridae ohne weiteres zurückzuweisen ist, andrerseits ist aber auch die Differenz nicht so groß, dass die Uebereinstimmungen zwischen beiden Gruppen bedeutungslos würden. Diese letzteren sind allerdings teilweise sekun- därer Natur und,darum von keiner großen Bedeutung, teilweise aber lassen sie sich nur unter Annahme einer durchaus nicht intimen, aber doch reellen primitiven Verwandtschaft erklären, wobei die Verhält- nisse bei den Laridae oder besser bei den Laro-Limicolae die Aus- gangspunkte geben. Demnach würden die Tubinares eine etwas höher differenzierte Familie bilden, welche in sehr früher Zeit (wahrschein- XVIl 57 578 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. lich noch vor der Kreide) sich von dem primitiven Stamme ablöste. Es sind dies jedoch vorläufig nur Vermutungen, zu deren Bestätigung fossile Funde unbedingt notwendig sich machen. Auf die Beziehungen der Procellariidae zu den Steganopodes machten schon frühere Forscher aufmerksam. Eyton vereinigte beide zur Familie der Pelecanidae, Garrod und Forbes bildeten aus ihnen, den Steganopodes, Pelargi, Herodii, Catharitidae und Aceipitres resp. Falconidae die Ordnung der Ciconiiformes. Zur Begründung dieser Verwandtschaft führt Forbes folgende als den Vertretern dieser Ordnung zukommende Charaktere auf: den mehr oder weniger ausgebildeten Schwimmfuß, die bekränzte Bürzel- drüse, die weißen oder nahezu weißen Eier und eine Reihe anderer Eigentümlichkeiten. Einige derselben, vor allem die Schädelcharak- tere und insbesondere das Verhalten der Gaumenbeine erkennt auch F. an. Die meisten andern aber scheinen ihm teils so wenig durch- greifend, teils so allgemeiner Natur, dass er darauf keine Verwandt- schaft gründen möchte. Wenn aber F. auch diese von Forbes an- geführte Beweismaterial nur teilweise für giltig erklären kann, so be- trachtet er doch die Grundidee, von der Garrod und Forbes aus- gingen, als eine durchaus gesunde. Denn thatsächlich existieren neben den bereits vom letzteren Forscher namhaft gemachten Kongruenzen zwischen den Procellariidae und den Steganopodes auch noch einige andere Aehnlichkeiten (dies sind breite Fluren und schmale Raine, gewisse Verhältnisse im distalen Bereiche des Coracoid, Zahl der Cervikalwirbel der Tubinares und Phaetontidae, Darmlänge, Darm- lagerung, Milz ete.), welche teilweise die Annahme einer gewissen Verwandtschaft zwischen beiden Abteilungen gestatten. Auf der andern Seite aber giebt es wieder eine Reihe von Charak- teren, in welchen die beiden Gruppen von einander abweichen, welche überdies sehr zahlreich sind und sich über alle Organsysteme ver- breiten. Deshalb will F. die Verwandtschaft der Tubinares mit dem Steganopodes vorsichtig beurteilt wissen und die Sonderung beider Familien in eine recht frühe phylogenetische Zeit verlegen. Hingegen vermag F. keine direkteren Beziehungen der Tubinares mit den Anseres aufzufinden, und er ist überhaupt der Meinung, dass den Tubinares eine Stellung zwischen den Laro-Limocolae und den Steganopodes, aber in einiger Entfernung von beiden gebühre, doch reichen seine bisherigen eigenen Untersuchungen noch nicht aus zur sicheren Beurteilung der verschiedenen Klassifikationen der in Rede stehenden Familie, denn sie weist einen ganz außerordentlichen Wechsel auf in ihrer inneren Struktur, in dem Luftgehalt der Knochen, in der sternalen Krümmung und der Konfiguration des Xiphosternum, in der Größe des coraco-scapularen und intercoracoidalen Winkels und der Spannung der Fureula, im Verhalten des Humerus ete., ist aber dabei Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 579 doch eine gut abgegrenzte. Mit der von Garrod und in erster Linie von Forbes vorgeschlagenen Sonderung der Tubinares in die beiden Subfamilien der Oceanitidae und Procellariidae resp. Oceanitinae und Procellariinae s. lat. ist zwar F. auch einverstanden, erblickt aber in den meisten von Forbes als maßgebend angeführten Merkmalen nur zum kleinsten Teile primitive Charaktere, in der Hauptsache da- gegen sekundäre Spezialisierungen, die den Oceanitidae eine einsei- tige und relativ ziemlich hohe Stellung in der Familie verschaffen. Sie dürften nach F. vielleicht eine kleine Gruppe darstellen, die sich früh von den anderen Tubinares abzweigte und sich anschickt, aus dem ursprünglichen Typus primitiver Natatores sich in den der Grallatores umzubilden — demnach das umgekehrte Verhalten zeigt wie die Laridae, welche F. von grallatorischen Vorfahren ableiten möchte. Bei den Procellariidae Fo. (Procellarünae s. lat.) stehen die großen Diomedeinae auf Grund zahlreicher höherer Differenzen oben an, die Procellariinae s. str. bieten in der Hauptsache den primitiveren Typus dar. Steganopodes. Diese Gruppe, an Gattungen zwar arm (ca. 65 Species, welche 6 Genera bilden, umfassend), aber durchaus nicht eng geschlossen, ent- hält als vorzügliche Flieger bekannte Schwimmvögel, welche in der Hauptsache eine weite pelagische Verbreitung besitzen, aber auch teil- weise den Flussläufen folgend, in das Innere des Landes eindringen. Die paläontologische Kenntnis der Steganopodes ist etwas voll- kommener als die der vorhergehenden Familien. Die ersten derartigen Reste fand man in der oberen Kreide Amerikas (Graculavus Marsh in mehreren Arten), in Europa sind solche erst seit dem mittleren und oberen Eocän (Carbo, Sula, Pelecanus) bekannt. Zahlreicher werden die Reste im Miocän (Phaeton?) in den Siwalickhügeln Indiens, mehrere Arten von Pelecanus in Frankreich, Deutschland, England, Indien, Sula aus Frankreich und Nordamerika; Phalacrocorax aus Europa, Amerika und Indien; dazu kommen noch 2 eigentümliche Formen (Pelagornis Lartet, Chenornis Portis). Die systematische Stellung, welche den Steganopodes angewiesen wurde, wechselt sehr. 1. Die Gaviae s. Pelagiei bildet sie mit den Urinatores und Longi- pennes nach Bonaparte. 2. Mit den Tubinares zu den Pelecanidae verschmilzt sie Eyton. 3. Zu der Ordo Macropteri dagegen vereinigt sie Fitzinger mit den Podoae, Tubinares, Laridae und Rhynchaeae. 4. Die Natatores Simplicirostres in Gemeinschaft mit den Pygopodes und Longipennes bilden sich nach der Ansicht Lilljeborg’s. 5. Sie sind 3 Gattungen oder Familien der Schwimmvögel: Linne, Gray, Hartlaub 1877. 37* 580 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 6. 5 Gattungen der Palmipedes repräsentieren sie nach Hart- laub. 7. Als eine Familie (resp. Unterordnung oder Ordnung) der Schwimm- vögel oder Vögel überhaupt werden sie angesehen von Brisson, Cuvier, Illiger, L’Herminier, Sundevall 1844, Swain- son, Brandt, Nitzsch, De Selys, Kaup, Reichenbach, Burmeister, Des Murs, Hartlaub 1861, Brehm, Sela- ter, Reichenow, Sharpe, Forbes 1884, Newton’u. a. 8. Als eine besondere Familie der Desmognathi betrachtet sie Huxley. 9. Als die Coh. Steganopodes der O. Ciconüformes sind sie nach Garrod, Forbes 1882 anzunehmen. 10. Endlich für Familie der Orthocoela hält sie Gadow. Auch die speziellere Klassifikation der Steganopodes wechselt sehr auffallend. Bald teilt man sie ein in 2 (so thut dies Brisson, Fitzinger, Lilljeborg, Huxley), bald in3 (wie Cuvier, Brandt, Gray, Hartlaub 1877, Reichenow), bald in 4 (De Selys, Gar- rod), bald in 5 (Illiger, Swainson, Eyton) und endlich in 6 (Nitzsch, Bonaparte, Carus, Coues, Elliot, Sundevall, Brehm) Gattungen oder Unterfamilien oder Familien. Hinsichtlich der verschiedenen oben angeführten Verwandtschafts- verhältnisse der Steganopodes ist nun F. folgender Ansicht. Zu den Aleidae und Laridae weisen sie nur sehr allgemeine, zu den Impennes nur durch den weiten Umweg über die Tubinares vermittelte und immerhin problematische Beziehungen auf, während mit den Colym- bidae und Podicipidae auf der einen und den Tubinares auf der andern Seite gewisse Uebereinstimmungen bestehen. Unter den beiden ersten Gruppen (den Colymbidae und Podicipidae), finden sich bei den Colymbidae direktere Hinweise auf die Steganopoden als bei den Podi- cipidae, jedoch hat die Sonderung von dem gemeinsamen Stamme schon recht früh stattgefunden, wie durch das Auftreten des einige ausgeprägte steganopode Merkmale besitzenden Graculavus aus der oberen Kreide wahrscheinlich gemacht wird. Jedenfalls ist anzunehmen, dass die Steganopodes eine sehr alte Gruppe repräsentieren. Auch eine Verwandtschaft der Steganopodes mit dem Tubinares ist nicht zu verkennen. In zahlreichen Charakteren zeigen sich die ersteren als die höher entwickelten Formen und dementsprechend sind auch die Berührungspunkte zu der relafv am höchsten stehenden Unterfamilie der Tubdinares, zu den Diomedeinae, die zahlreichsten. Es ist aber deshalb nicht eine direktere Ableitung der Steganopodes von den Diomedeinae anzunehmen; vielmehr liegt die gemeinsame Wurzel der beiden betreffenden Familien viel weiter zurück, — die vielen Uebereinstimmungen zwischen den Diomedeinae und Steganopodes sind lediglich paralleler, isomorpher Natur. Ein weiterer Beweis da- für, dass die letzteren eine sehr alte Abteilung sind, ist auch die Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 581 Isolierung und Artenarmut der meisten ihrer wenigen Gattungen, von denen jede Vertreter einer Unterfamilie zu sein scheint. Man darf sie als eine dem Aussterben entgegengehende Familie ansehen, die Gra- culavinae und Pelargonithinae sind bereits verschwunden. Zugleich kennzeichnet die Steganopodes in morphologischer Hinsieht eine relativ hohe Entwieklung, welche sich in zahlreichen progressiven und retro- graden Differenzierungen ausspricht. Zur Zeit in ihrem Flugapparate nur noch muskelschwache Tiere, lassen sie in ihrem bezüglichen osteo- logischen Gerüste Strukturen erkennen, welche nnr durch einstmals quantitativ und qualitativ hoch entwickelte Muskulatur zu erklären sind. Mit dieser Rückbildung der Muskeln gehen Hand in Hand auf der einen Seite partielle Verschmelzungen der ungenügend bewegten Knochen, auf der andern höhere Ausbildungen der wichtigeren Ge- lenke, sowie des accessorischen Bewegungsapparates, endlich eine Pneu- matizität, die wenigstens bei gewissen Vertretern (bei Sula, Fregata, Pelecanus) eine ganz außerordentliche Entwicklung erreichte. F. scheint es aus diesen Gründen, dass die Steganopodes eine jener Abteilungen verkörpern, welche schon in früher Zeit eine nicht unbe- trächtliche Entwicklungshöhe, namentlich in den Bewegungs- und Ver- dauungsorganen erreichten und dadurch eine gewisse hervorragende Stellung einnahmen. Aber es kam eine Zeit, wo bei ihnen die pro- gressiven Entwicklungsvorgänge aufhörten und einer retrograden Be- wegung Platz machten; denn es ist unverkennbar, dass die Siegano- podes in morphologischer und numerischer Hinsicht ihre Glanzzeit hinter sich haben und ihre Bahn bergab führt. Die Klassifikation der allerdings nicht wenig von einander divergieren- den Gattungen der Steganopodes hat noch nieht zur gewünschten Ein- heit geführt, weil der eine Autor dieses, der andere jenes klassifika- torische Moment in den Vordergrund stellt und dadurch, weil sich diese Merkmale außerordentlich verschiedenartig verhalten, bald zu diesem, bald zu jenem Resultate gelangt. Mit den Tubdinares teilen sie die außerordentlich ausdrucksvolle Variierung ihrer inneren Organe, aber es ist sehr schwierig, dabei die primären und verwandtschaft- lichen Beziehungen von der sekundären Zuthat zu scheiden. Phaeton bietet die primitivsten Beziehungen dar und lässt einige Momente er- kennen, welche etwas an die Tubinares, vielleicht mehr noch an die Laro- Limicolae erinnern. Die andern Steganopoden kann man nach dem Grade ihrer Entwicklungshöhe in 2 Gruppen teilen, von denen die erstere die im,ganzen einfacher und primitiver gebauten Plotinae, Phalaervcoracinae und Sulinae (vielleicht auch die Pelagornithinae), die letztere die höher stehenden Pelecaninae und -Fregatinae umfasst. Auch lässt sich erkennen, dass vor allen Dingen Plotus, dann Carbo und in mancher Hinsicht auch Sula Berührungspunkte mit den Colym- bidae und Podicipidae darbieten, während Pelecanus und in geringerem 582 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Maße auch Sula einige bei den Anseres auftretende Verhältnisse auf- weist und Fregata Eigentümlichkeiten erkennen lässt, welche auf die Aceipitres hindeuten. Eine wirkliche, d. h. genealogische Klassifikation der Steganopodes wird indess erst dann möglich sein, wenn weitere morphologische Unter- suchungen angestellt oder paläontologische Funde gemacht worden sind. Anseres (Anatidae). Die Anseres stellen eine abgegrenzte große (ca. 180 Arten um- fassende) Familie von Schwimmvögeln dar, welche eine kosmopolitische Verbreitung besitzen (die antarktische Region aber verhältnismäßig am spärlichsten bewohnen). Sicher bestimmte fossile Anseres sind erst vom unteren Miocän ab, aber gleich in mehreren Arten nachgewiesen; es scheint, als ob die Gattungen Anas und Mergus (?) etwas früher auftreten als Anser und Cygnus, deren Schwerpunkt erst in der Pliocän und die quarter- näre Zeit fällt. Im Diluvium Neuseelands fand man COnemiornis cal- citrans Owen, eine sehr große fluglose Form, die mehrere Charaktere mit Cereopsis teilt. Andere miocäne Gattungen (Hydrornis, Chenornis) scheinen die letzten Reste von Mischformen darzustellen, bei denen sich einzelne anserine Züge mit Affinitäten teils zu den Tubinares, teils zu diesen und den Steganopodes verbinden. Die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Vertreter der Anseres in eine Abteilung ist von der überwiegenden Mehrzahl der Forscher erkannt worden; mehrere Autoren rechnen auch Phoenicopterus, andere noch Palamedea dazu. Auch hin- sichtlich der Stellung der Anseres im Systeme gehen die Ansichten der Autoren nicht so weit auseinander. 1. Eine Familie (Unterordnung, Ordnung) der Schwimmvögel oder Vögel überhaupt bilden sie a) ohne Phoenicopterus und ohne Palamedea nach Brisson, Cuvier, Illiger (ohne Cereopsis), L’Herminier, Nitzsch, Gray, De Selys 1842, Sundevall 1844, Kaup, Reichen- bach, Fitzinger, Des Murs, Milne Edwards, Coues, Wallace, Gervais, Brehm, Sclater 1880, Sharpe, Forbes 1884. b) Mit Phoenicopterus, aber ohne Palamedea nach der Anicht von Latham, Swainson, Cornay, Burmeister, Owen, Hartlaub, Schlegel, Sundevall 1872. c) Ohne Phoenicopterus und mit Palamedea nach Parker, Scelater und Salvin, Reichenow. d) Mit Phoenicopterus und mit Palamedea nach Carus, New- ton 1885. 2. Als zwei Gattungen der Anseres betrachtet sie Linne. 3. 3 Gattungen der Anseres, von denen Mergus und Anas neben- einander, Cereopsis aber in größerer Entfernung von ihnen ge- stellt werden muss, bilden sie nach Temminck. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 583 4. Als erste (primitivste) Familie der Desmognathae werden sie betrachtet von Huxley, und zwar 1867 inel. von Palamedea, 1868 ohne diese. 5. Mit den Podieipidae und Impennes zu den Anseriformes Anseres vereinigt sie Garrod. 6. Als eine Familie der Orthocoela dagegen sieht sie Gadow an. 7. Lilljeborg stellt sie den übrigen Natatores (Simplicirostres) als Gruppe der Lamellirostres gegenüber. 8. Bonaparte endlich trennt sie von allen anderen Natatores (Altrices) ab und stellt sie in die Subklasse der Praecoces. F. kam nun durch seine Studien hinsichtlich dieser eben ange- führten Beziehungen der Anseres zu folgendem Resultate. Die Be- ziehungen zu den Alcidae, Laridae, Grallae, Psittaci und Katitae, sowie die angegebene Tendenz der Cracidae nach den Anseres möchte er von vorneherein ausschließen; über die Verwandtschaft der Anseres mit den Palamedeidae, Odontoglossae, Pelargo -Herodii und Aceipitres wird er erst bei diesen Familien sich äußern, das Verhältnis endlich zwischen den Anseres und den Impennes, Colymbidae, Podicipidae, Tubinares und Steganopodes ist nun folgendes. Auf den ersten Blick scheint die Differenz zwischen den Anseres und der zuerst angeführten Gruppe, den /mpennes, eine außerordentlich große zu sein; trotzdem finden sich aber eine Reihe von Merkmalen (so das Verhalten der Crista sterni, der Furcula, der Mm. cueullaris, pectoralis thoraeicus, supracoracoideus, coracobrachialis posterior, subcoracoscapularis, an- conaeus scapularis ete.), welche, obwohl sie zum kleineren Teil Kon- vergenz-Analogien sein mögen, doch in der Hauptsache Beziehungen primitiver Natur ausdrücken, die bald bei den Impennes, bald bei den Anseres die höhere Differenzierung erkennen lassen. Allerdings will F. damit nicht behaupten, dass diese Beziehungen von solcher Wichtigkeit sind, dass sie irgend welche intimere Ver- wandtschaft zwischen beiden Gruppen beweisen könnten; immerhin aber genügen sie zur Bekundung gewisser, wenn auch nicht gerade naher genealogischer Beziehungen beider Familien. Eine Verwandtschaft der Anseres mit den Colymbidae und Podi- cipidae ist nach F.’s Ansicht sicher vorhanden, und zwar sind im großen und ganzen zwischen der in Rede stehenden Gruppe und den Podicipidae die Uebereinstimmungspunkte am zahlreichsten. Infolge einzelner Charaktere stellen sich aber auch die Anseres zwischen die Colymbidae und Podicipidae. Auch zu den Tubinares weisen die Anseres einige Relationen auf (insbesondere im Verhalten der Pterylose, der Verbindung von Clavi- eula, Coracoid und Scapula, der Furcula, der Mm. rhomboides super- - fieialis, deltoides major ete.), welche Anknüpfungen an die primitiveren Formen derselben ermöglichen. Aber trotz dieser Beziehungen nehmen 584 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. beide Gruppen eine ziemlich entfernte Stellung von einander ein, und die gemeinsame Wurzel beider liegt sehr tief, tiefer jedenfalls als die für die Anseres und Colymbo- Podieipidae. Ihrem äußeren Aussehen nach scheinen die Anseres auch gewissen Steganopodes nahezustehen. Selbst eine genauere morphologische Unter- suchung ergiebt einige solche Aehnlichkeiten (beispielsweise m den pterologischen Verhältnissen, im Sternum und im Becken, in den Mm. cucullaris, rhomboides superfieialis ete.). Allerdings werden dieselben durch diejenigen Formen unter den Anseres vermittelt, die wie zum Beispiel Oygnus zu den am höchsten differenzierten Individuen ge- hören, während die in vieler Hinsicht primitivere Verhältnisse auf- weisenden Anatinae und Anserinae sich im ganzen weiter von den Steganopodes entfernen. Dieser Umstand fordert deshalb zur vorsich- tigen Beurteilung der Verhältnisse auf, lässt zugleich aber auch er- kennen, dass die Steganopodes in der Hauptsache eine höhere morpho- logische Stelle einnehmen als die Anseres. Die letzteren möchte F. als Vögel beurteilen, die sich schon sehr früh von dem ihnen, den Steganopodes und Colymbo-Podicipidae Ursprung gebenden Aste abge- zweigt haben, aber längere Zeitperioden hindurch in einem mehr pri- mitiven Zustande verharrten, um erst später zu einer weiteren ein- seitigen Entwicklung und Sonderung ihrer einzelnen Vertreter zu ge- langen. Die Steganopodes repräsentieren somit die ältere, im ganzen höher ausgebildete und stärker divergierende, die Anseres dagegen die in etwas jüngerer Zeit erst merkbarer ins Leben getretene, aber trotz ihrer ziemiich großen Anzahl verschiedener Gattungen minder hoch differenzierte und enger geschlossene Familie. Die einzelnen Unterfamilien der Anseres mit ihren Gattungen weisen übrigens recht merkbare Differenzen auf, namentlich in der Schnabel- und Fußbildung, in der Anzahl der Schwung- und Steuerfedern, in den Wirbelzahlen und der Länge der Halswirbelsäule, in der Bildung des Sternum und dem Verhalten der Trachea (Windungen) und trachealen Bifurkation (Pauken, Labyrinthe). Die Abweichungen sind aber als sekundäre anzusehen, teils nur auf bestimmte Genera und Species be- schränkt und vermutlich nicht als sehr alte aufzufassen und teilweise auch als derartige zu begründen; jedenfalls zeugen sie nicht von einer weiten Divergenz der Unterfamilien. Unter den von F. untersuchten Gattungen nehmen die verschiedenen Vertreter der Anatinae im ganzen die tiefste Stelle ein. Cygnus hingegen lässt eine Reihe von höheren Differenzierungen progressiver und retrograder Natur erkennen und erreicht damit eine Entwicklungshöhe, die zum Teil an den Stegano- podes erinnert. Mergus zeigt manches primitive Moment, daneben auch solche, die als sekundäre anzusehen sind. Die Beschaffenheit der ersten Zehe und ihres Hautsaumes ist von einigen Autoren (in erster Linie von Sclater) als klassifikatorisches Moment erster Klasse angesehen Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 585 worden. Darnach stellen sich die mit schmal gesäumter Hinterzehe ausgerüsteten Anatinae s. str. in die Mitte zwischen die breitgesäumten Fuligulinae, Erismaturinae, Merganettinae und Merginae und die un- gesäumten Cygninue, Anserinae, Cereopsinae und Anseranatinae. Cnemiornis, dessen anserine Natur durch Hector, Owen und von Haast hinreichend bewiesen, hat als quartäres Fossil für die Genealogie der Anseres dieselbe geringe Bedeutung wie z. B. Alca impennis für die Alcidae, aber er ist, wie diese interessant durch die weitgehenden morphologischen Umbildungen, welche mit der Ver- größerung des Körpervolumens Hand in Hand gegangen und notwendig zum. Verluste der Flugfähigkeit führen mussten, und zugleich nicht minder bedeutsam für die Anschauung, dass die großen und am ein- seitiesten differenzierten Formen den Kampf um das Dasein am schlech- testen bestehen. Die Gastornithidae stellen eine durch 4 noch nicht völlig gesicherte Arten (Gastornis parisiensis, Edwardsii, minor und Klaasenit) gebildete Familie fossiler Riesenvögel dar, welche in noch unvollständigen Fragmenten im Bocän Frankreichs, Belgiens und Englands gefunden worden sind. Die be- kannten Reste sind sehr dürftig und sind weder genügend, um eine vollständige Restauration der Skelette zu ermöglichen, noch hinreichend zur Entscheidung der Frage, ob es sich dabei um Carinaten oder um Ratiten handle. Die Stellung, welche gegenwärtig diese Gruppe im System einnimmt, kann deshalb nur eine vorläufige sein. Ueber diese Stellung von Gastornis liegen nun folgende Ansich- ten vor. 1. Als mit den Urinatores und Ratiten verwandt betrachtet sie Quenstedt und Hoernes. 2. In die Nähe der Diomedeinae werden sie gestellt von Valenciennes. 3. Als den Anseres genähert, aber dabei flugunfähig bleibend, sieht sie Herbet an (er erklärt die Flugunfähigkeit als Folge der enormen Größe der Vögel, die nach ihm auf ein Gewicht von ca. 500 Kl. schließen lasse; Milne Edwards dagegen folgert die Flugunfähigkeit aus der sehr massig entwickelten unteren Extremität). 4. Nach Milne Edwards repräsentiert Gastornis eine besondere Form, die mit den Anseres die meiste Aehnlichkeit besitzt, aber auch von den Ciconiidae und Gruidae nicht sehr abweicht. 5. Lartet reiht diese Vögel den Grallatores ein, trotzdem sie sich den Anseres ähnlich verhalten. 6. Als Vertreter einer besonderen Abteilung, die mit den Anseres relativ die meisten Affinitäten aufweist, aber zu den ratiten (fuglosen) Formen gehört, stellt sie Lemoine und E. F. New- ton auf (Der zuerst angeführte Forscher wirft mit Rücksicht auf verschiedene primitive Beziehungen des Skeletts die Frage auf, ob Gastornis eine intermediäre Form zwischen Ratiten und gewissen großen Reptilien der Sekundärzeit bilde.) 586 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 7. Zu den Grallatores rechnete und in die Nähe der Rallidae stellte sie Owen 1869. 8. Dagegen betrachtete dieser Forscher 1856 sie als besondere Ab- teilung, die in mancher Beziehung an die Rallidae und Dinor- nithidae erinnert. 9. Mit Aepyornis zu den Aepyornithidae und diese mit den Didinae zu den Dididae verbunden wurde diese Gruppe durch Bona- parte 1856. Das Urteil F.’s über diese Beziehungen der Gastornithidae lautet nun folgendermaßen. Die behaupteten Relationen dieser Gruppe zu den Urinatores und Diomedeinae sind auf Grund der bekannten Skelettfragmente nicht haltbar, dasselbe gilt von den Beziehungen zu den Rallidae infolge anderer Beschaffenheit der in Frage kommenden Skelett- teile. Auch die Aepiornithidae und Diornithidae haben mit den Gastornithidae nur die beträchtliche Körpergröße, die Rückbildung der Flugfähigkeit und den ausgesprochenenen Charakter als Laufvögel gemeinsam, weichen aber in ihrer spezielleren Konfiguration sehr von ihnen ab. Endlich unterscheiden sich auch die Laridae, Anseres, Pelargi und Gruidae durch ihr Skelett in mehr als einer Hinsicht von den Gastornithidae, aber diese Abweichungen sind nicht sehr schwer- wiegend, und wenn überhaupt Beziehungen der Gastornithidae zu leben- den Formen zu suchen sind, so kommen dafür — wie auch Herbet, Milne Edwards, Lemoine und E. Newton bewiesen — in erster Linie die Anseres (und zwar speziell Cereopsis) in Betracht, ihnen schließen sich an 2. Stelle die Pelargi an und 3. folgen dann die Laridae und Gruidae. Man kann also die Gastornithidae sich denken als eine Zwischenform zwischen den Anseres und Pelargi, wobei man aber immer beachten muss, dass die Affinität zu den ersteren die größere ist. Schon an einer anderen Stelle wurde betont, dass unter den lebenden und fossilen Vertretern der Anseres gewisse Gattungen mit reduzierter Flugfähigkeit existieren und namentlich bei dem quar- tären Onemiornis (aus Neuseeland) Hand in Hand mit der beträcht- lichen Rückbildung der Flügel auch eine weitgehende Verkümmerung der Crista sterni, eine höhere Ausbildung der hinteren Extremität und eine beträchtliche Vermehrung der Körpergröße geht. In Unemicornis liegt somit ein unverkennbarer Abkömmling der Anseres mit ratiten Analogien vor. Gastornis aber zeigt ein noch viel ansehnlicheres Körper: volumen, das, wie Herbert richtig folgert, jede Flugmöglichkeit aus- schloss, was auch durch Lemoine’s Entdeckung des Brustgürtels und der vorderen Extremität direkt bestätigt wurde. Diese Skelettteile von Gast. zeigen auch mit Cnemiornis noch die meiste Aehnlichkeit im Verhältnis zu den anderen Anseres, ebenso nach Newton die un- tere Extremität, schließen aber zugleich nach der Meinung F.s in- timere genealogische Beziehungen zu irgend welchen bekannten Ra- Prowazek, Theoretische Betrachtung über die primitive Ortsbewegung. 587 titen aus; infolge besonders primitiverer Charaktere von Gastornis in der Beschaffenheit der Schwanzwirbel, der mangelhaften Ausbildung des Pygostyl, in der Schlankheit des Kranium (ähnlich Archaeopteryx), in der noch unterbliebenen Anchylosierung mehrerer Schädelknochen und der Metacarpalien, in der Hesperornis-ähnlichen Beschaffenheit des Unterkiefers in der möglichen Existenz von Zähnen oder zahnähn- lichen Fortsätzen des Kiefers, wirft Lemoine die Frage auf, ob nicht in Gastornis eine Zwischenform zwischen den Ratiten und gewissen großen Reptilien der mesozoischen Zeit vorliege. F. verneint diese Frage; nach seiner Meinung, weist die gesamte Konfiguration von Gastornis auf einen unzweifelhaften und schon in sehr bestimmter Weise spezialisierten Vogel hin, der selbst, wenn er einen wirklich be- zahnten Unterkiefer gehabt haben sollte, darum keinesfalls eine tiefere Stellung als die Ichthyornithae einnahm. Vielmehr handelt es sich nach F.’s Ansicht bei den oben aufgezählten Merkmalen nur um einige graduelle Besonderheiten, durch welche sich der eocäne Gastornis in dieser oder jener Hinsicht tiefer stellt als viele andere Vögel, es sind dies aber keine abweichenden Qualitäten. F. ist deshalb geneigt, Gastornis als Vertreter einer besonderen sehr alten Familie aufzufassen, deren Wurzel sich nicht zu fern von derjenigen der Anseres befand und die bereits in sehr früher Zeit unter Ausbildung einer höheren Lauffähigkeit, Erlangung einer beträchtlichen Körpergröße und Reduk- tion der ursprünglichen Fähigkeit zu einer besonderen Konfiguration emporstieg. Dadurch gewann Gastornis ratite oder ratitenähnliche Charaktere, aber seine Aehnlichkeit mit echten Ratiten ist in der Hauptsache nur als eine Isomorphie (Konvergenz-Analogie) anzusehen. 167] Theoretische Betrachtung über die primitive Ortsbewegung. Eine Mitteilung von S. Prowazek. Thomson machte seinerzeit den Versuch, die Vorstellung von den starren Atomen, die im Laufe der Zeit in so manchem Punkte sich als unzulänglich erwies, durch die von den Wirbelatomen zu ersetzen, wobei ihm im nicht unbedeutenden Grade die großartige Entdeckung von Helmholtz über das Gesetz der Wirbelbewegung in einer „voll- kommenen“ Flüssigkeit sowie vielleicht gewisse Ansichten von Ran- kine und Descartes unterstützten; er selbst erwähnte aber nichts über die Weiterentwicklung seiner Idee, und schon 1871 finden wir ihn in seiner Abhandlung „On the Ultramundane Corpuscules of Lesage“, als einen eifrigen Verfechter der „Kastenatome“. Später war der kürz- lich verstorbene N. Dellingshausen bestrebt, auf der Grundlage von Bewegungen einer den unendlichen Weltraum kontinuierlich erfüllenden Materie eine allgemeine Naturtheorie zu errichten. Obzwar Dellings- 588 Prowazek, Theoretische Betrachtung über die primitive Ortsbewegung. hausen schon früher der Hoffnung Raum gab und dies deutlich auch in seiner „spekulativen Physik“ bezüglich der „Vibrationsatome“ aus- sprach, dass man diese seine kühne Hypothese auch auf die Erschei- nungen des Organischen anwenden werde, so griff erst 1895 N. Tscher- mak in seiner Broschüre „Ueber den Aufbau der lebendigen Substanz. Eine Hypothese lebendiger Wirbelmoleküle“, diese Ideen auf und er- richtete seine aus dem Aufsatze von Schlater, Einige Gedanken über die Vererbung (Biolog. Centralblatt, XVI. Bd., 1896, Nr. 21, 8. 767 ff.) bekannte Theorie vom lebendigen Wirbeleiweißmolekeln. Nach diesen wenigen anleitenden historischen Bemerkungen können wir nın zu dem eigentlichen Thema übergehen. Joh. Frenzel (Biol. Centralblatt, XI. Bd., 1891, S. 465) setzte schon früher auseinander, dass die Ursache primitiver Ortsbewegungen entweder im Sinne Pfef- fer’s chemische Reize oder Flächenanziehungen sind, von der Art wie sie J. Dewitz schildert. Hauptsächlich die erstere Erscheinung könnte man sich derart erklären, dass entweder durch den äußeren Anstoß neue Wirbel in den organisierten Wirbelkomplex gelangen oder entstehen und ihn „öffnen“, indem im regelmäßigen Umschwung die einzelnen Wirbel nicht auf selbe Orte im Ortssystem gelangen, oder es werden durch den Reiz Pulsationen in den Wirbeln hervorgerufen, die je nach- dem sie gleich oder entgegengesetzt gerichtet sind „anziehende“ und „abstoßende“ Erscheinungen hervorrufen, die wieder enge mit Störungen und einem Oeffnen des Wirbelkomplexes verknüpft sind. Durch das Oeffnen des Wirbels wird nicht bloß die Erscheinung der Bewegung angebahnt, sondern seine einzelnen Schichten erleiden Perturbationen, es entstehen in den niederen Wirbeln Knotenflächen und es findet derart eine Abspaltung neuer sich erst zu regenerierender Wirbel eine Dissimilation mit darauffolgender Reassimilation statt. Den roh-mechanischen Vorgang bei der Bewegung könnte man sich auch in der Weise vorstellen, dass man an die bekannte Vor- stellung Hatschek’s betreffend das Wesen der Assimalation von der veränderlichen Atomzahl des Eiweißmoleküls anknüpft, das auf einen Reiz oder Veränderung der physikalisch-chemischen Einflüsse eine Spaltung erfährt und aus dem „gesättigten“ Zustand in „unge- sättigte“ Sonderzustände übergeht. Entstehen nun derartige Sonder- zustände, so werden die Beziehungen zwischen den einzelnen Wirbeln mehr kompliziert, die Kraftwirkung zwischen ihnen verändert. Be- trachten wir nur zwei Wirbel «a und d, so streben sie ihrem gemein- samen Schwerpunkt zu, es findet dadurch gleichsam eine Verkleinerung ihres ideelen Abstandes statt, wodurch die Kraftriehtung ein negatives Vorzeichen erhält, während die entgegengesetzte Richtung, die dann das Beharrungsvermögen bestimmt positiv ist — das Distanzprodukt kann in diesem Falle negativ sein, die Wirbel ziehen sich an. Nun giebt es eine Mehrzahl von Wirbeln, deren Zahl noch wächst, sobald Prowazek, Theoretische Betrachtung über die primitive Ortsbewegung. 589 ein einst der Wachstumsassimilation unterworfenes Wirbelsystem in „ungesättigte“ Sonderzustände übergeht, sobald Wirbelkomplexe auf einen Reiz hin, durch das Entstehen von Knotenflächen in Wirbel gleichsam zerstieben, welche Teile dann alle während dieser Zeit in mannigfache Beziehungen zu einander treten; bei einer Kombination von 3 Teilchen sind schon 6 Beziehungen und man könnte sich nach einfachen mathematischen Gesetzen unter Zuhilfenahme der Kombi- nationsrechnung berechnen, bei welcher Konstellation und Zahl der Glieder die Produkte positiv oder negativ sind, in welchem Moment der „Anziehung“ diese den Charakter einer scheinbaren Abstoßung nach einer Richtung hin erhält, da sich im Augenblicke der Distanz- änderung die Kraftbeziehungen ändern und die Teilchen nach anderen Seiten angezogen werden oder in andere Pulsationen geraten, kurz wann eine Wirbelanziehung und Abstoßung stattfindet und so das Strömen oder die Kontraktion der autoplasmatischen oder protoplasmatischen Substanzen beginnt. Das Wesen der jedesmaligen Bewegungen ergiebt sich aus der Kombination sowie Beziehung der Abstände mehrerer Wirbel, es folgt aus dem Gesetze der Beharrung des Einzelnwirbels und dem Kraftgesetz der Anziehung, die noch weiter mechanisch zu erklären wäre — also aus dem Wesen des Mit- daseinsvon anderen Teilchen, dasdie Geschwindigkeit und Richtung regelt; im Organismus kommen im Wirbelzusammenhang besondere Kraft- wirkungen zum Vorschein, die sich aus niederen ursprünglichen er- geben. — Wichtig wäre vielleicht noch die Vorstellung, dass die Wirbel eine Art Kontraktion, eine positive Größe, darstellen, die andererseits Spannungen als negative Größen hervorruft, die sie in einer Art von Potentialzonen umgeben. — Immerhin erscheint es als nützlich, die Vorstellungen von den Be- wegungen strenge auf dasphysiologische Gebiet übertragen zu suchen, Vor- stellungen, die auf anderen Gebieten zu äußerst fruchtbaren Hypothesen führten, man gedenke nur der Erklärung der Kraft von Hertz aus Bewegungsvorgängen allerdings nicht immer grobsinnlich nachweis- barer Materie, ferner des anfangs besprochenen Theorems Lord Kel- vin’s, schließlich der Ideenverknüpfungen Maxwell’s, der die elektro- dynamischen Kräfte aus Wirkungen von Bewegungen unsichtbarer Massen zu erklären versuchte. Eine Bewegungslehre kann auch unser Streben, das darin gipfelt, einfache Theorien den komplizierten vor- zuziehen, am ehesten befriedigen, ferner ist aber das Wesen der Be- wegung vom erkenntnistheoretischen Standpunkt vielleicht das ge- treueste Abbild von periodischen Zuständen einer Entität, ein Abbild, das notwendig im Daseinskampf bei allen Wesen in ihrer Wahrneh- mungswelt gewisse Züge gemeinsam besitzt (wenn es sich auch nicht bei allen in denselben Dimensionen abspielt), die in ihrer Totalsumme am besten das Absolute spiegeln. 590 Prowazek, Theoretische Betrachtung über die primitive Ortsbewegung. Zusatz zu dem Aufsatz des Herrn Prowazek. Es scheint in neuester Zeit unter den Biologen, besonders den jüngeren, die Neigung zu solchen allgemeinen Betrachtungen wie die von Herrn Prowazek angestellten zu wachsen. Da jedes ernstliche Bemühen, die schwierigen allgemein biologischen Probleme, wenn auch nicht dem Verständnis, so doch wenigstens der Anschauung näher zu bringen, Anerkennung und Förderung verdient, so habe ich den be- treffenden Erörterungen Platz in diesem Blatte gern eingeräumt. Ich sehe mich aber veranlasst, durch eine kurze Notiz den Standpunkt festzulegen, welchen ich für meine Person jenen Erörterungen gegen- über einnehme. Wenn die großen Physiko-Mathematiker, an welche Herr P. und seine Genossen anknüpfen, die Theorie der Atom- Wirbel diskutieren, so fördern sie damit das Verständnis der Naturerschei- nungen, indem sie rechnungsmäßig zeigen, wie weit die Theorie im Stande ist, von gewissen Grunderscheinungen eine Vorstellung zu verschaffen. Leider kann man von den Versuchen der Uebertragung jener Theorien auf biologische Probleme nicht dasselbe sagen; sie kommen über die allgemeine Betrachtung, dass man sich die Sachen so oder ungefähr so vorstellen könne, nicht hinaus. Auch ist kaum Hoffnung vorhanden, dass dies in nächster Zeit anders werden könnte, weil die Grundlagen für eine reehnungsmäßige Behandlung fehlen. Wäre dies anders, so könnte es aussichtsvoller sein, einen mit voller mathematischer Kenntnis begabten theoretischen Physiker zu ersuchen, die streng wissenschaftliche Behandlung der Probleme zu versuchen. Wie die Sachen jetzt liegen, wird vorerst von diesen Spekulationen noch gelten, was ich vor Jahren von einem viel einfacheren Pro- blem, dem der Muskelkontraktion, gesagt habe!): „Wo thatsächliche Anhaltspunkte für oder gegen gewisse Annahmen nicht vorliegen, kann die Phantasie frei spielen und sich irgend einen Vorgang aus- malen, durch welchen möglicherweise derartige Veränderungen zu stande kommen könnten. Aber der nüchtern denkende Naturforscher bleibt sich dabei immer dessen bewusst, dass solche freien Spiele der Phantasie keinen wirklich wissenschaftlichen Wert beanspruchen können, weder einen didaktischen zu klarerer Darstellung der schon bekannten Thatsachen, noch einen heuristischen zur Leitung und Anregung zu neuen Untersuchungen. Gute Hypothesen haben immer diesen dop- pelten Wert; bei ihnen bleibt daher der Forscher stehen“. Selbst- verständlich will ich aber von diesem meinem Standpunkt aus Nie- mandem das Wort abschneiden, der wirklich fördernde Gedanken bringt, werde mich vielmehr sehr freuen, wenn solche auch in diesem Blatte zur Veröftentlichung gelangen. [69] J. Rosenthal. 1) Allgemeine Muskel- und Nervenphysiologie. S. 231. Hertwig, Berichtigung einer mich betreffenden Bemerkung. 591 Berichtigung einer mich betreffenden Bemerkung von Prof. Barfurth. Von Prof. Oscar Hertwig. In dem soeben erschienenen 11. Heft des biologischen Centralblattes (Bd. XVII) erklärt Barfurth in einem Referat über Born’s Verwach- sungsversuche mit Amphibienlarven. „Soeben hat OÖ. Hertwig in einer Streitschrift den Nachweis zu führen gesucht, dass biologische Experimente überhaupt nur einen zweifelhaften Wert besitzen, dass im besondern die Versuche von W. Roux verfehlt seien und seine Mosaiktheorie verworfen werden müsse“. Gegen die falsche Darstellung meiner Ansichten, die in dem Satz des Referenten liegt „ich habe den Nachweis zu führen gesucht, dass biologische Experimente überhaupt nur einen zweifel- haften Wert besäßen“, muss ich mich sehr entschieden verwahren, indem ich auf meine Schrift selbst, „Mechanik und Biologie“, Jena 1897, und besonders auf Abschnitt 2: Die Methoden der Entwicklungsmechanik (S. 62) verweise. Ich brauche daraus nur die folgenden 2 Stellen zu zitieren. So heißt es auf S. 68: ‚Auf der anderen Seite kann selbst- verständlicher Weise auch nicht in Abrede gestellt, im Gegenteil, es soll hier sogar auf das Nachdrücklichste hervorgehoben werden, dass auf dem Gebiete der Biologie das Experiment ein unschätzbares Mittel sein kann, welches in vielen Fällen der Beobachtung erst ermöglicht, noch tiefer in die Erscheinungen einzudringen. Wer wollte verkennen, was mit Hilfe des Experiments in der Physiologie, in der Pathologie und Medizin schon ganz Hervorragendes geleistet worden ist? Aber man vergesse dabei auch nicht, dass in allen diesen Fällen das Experiment nur ein Hilfsmittel der Beobachtung bildet und keines- wegs den zahlreichen anderen Hilfsmitteln überlegen ist, mit denen der Naturforscher zählend, wägend und messend, vergrößernd und zerlegend in die Erscheinungswelt tiefer einzudringen sucht. Den glänzenden Ent- deckungen, welche mit Hilfe des Experiments gemacht worden sind, lassen sich nicht minder zahlreiche und eben so glänzende Entdeckungen ent- gegenstellen, welche durch direkte Beobachtung oder unter Benutzung anderer Methoden als des Experiments gewonnen worden sind“. Und an der zweiten Stelle (S. 79) heißt es: „Indem ich in den vorausgeschickten Bemerkungen über das Verhältnis von Beobachtung und Experiment Uebergriffen einer einseitig experimentellen Richtung entgegen getreten bin, will ich keineswegs den Erkenntniswert eines guten physio- logischen und biologischen Experimentes herabsetzen oder gering an- schlagen. Wer meine Arbeiten kennt, weiß, dass ich selbst nach mehreren Richtungen Experimente ausgeführt und zumal in letzter Zeit mich viel auf experimentellem Gebiete beschäftigt habe. Um nicht missverstanden zu werden, verweise ich zum Ueberfluss noch auf die Litteratur, welche uns in ihren Annalen ja genugsam lehrt, welche großen Erfolge wir auf vielen Gebieten der Biologie der experimentellen Richtung verdanken, die ja schon sehr alten Datums ist. Ich erinnere an die Versuche über Bastardierung, Pfropfung und Transplantation, an die Studien über Re- generation abgetrennter Körperteile, über Kreuz- und Selbstbefruchtung, 599 Hertwig, Berichtiguug einer mich betreffenden Bemerkung. an die experimentelle Erzeugung von Missbildungen, wie sie Dareste und Gerlach geübt haben, an Weismann’s Experimente über den Saisondimorphismus der Schmetterlinge etc. Als glänzende Entdeckungen der letzten Jahre schätze ich die von Boveri ausgeführte Bastardbefruch- tung kernlos gemachter Eifragmente von Seeigeln, die Entdeckungen von Driesch, Wilson, Morgan, Zoja etc., dass mechanisch von einander getrennte Einbryonalzellen der ersten Furchungsstadien bei Amphioxus, Seeigeln, Medusen etc. sich zu normalen Ganzlarven und bei unvoll- ständiger Trennung zu Zwillingen züchten lassen, die Experimente von Oscar Schultze und Wetzel über künstliche Erzeugung von Doppel- bildungen aus dem Froschei, die von Loeb experimentell erzeugten Hetero- morphosen bei Hydroiden, Aktinien und Tunikaten, endlich das von Wolff in geistreicher Weise ausgeführte, in meinem Laboratorium durch Erik Müller aus Stockholm vollkommen bestätigte Experiment, welches uns lehrt, dass bei Treton-Larven die durch Operation entfernte Linse des Auges sich aus dem Epithel des Irisrandes, also aus Zellen des Augen- bechers,.in vollkommen normaler Weise wieder regeneriert. Es giebt gewiss viele Fragen, denen man sogar nur mit Hilfe des Experimentes auch in der Biologie näher treten kann; diesen aber einen höheren Erkenntniswert beizumessen, als Fragen, auf welche uns schon die Beobachtung der Natur mit anderen Methoden Auskunft giebt, liegt kein logischer Grund vor. Die Art des Hilfsmittels, mit welchem eine Entdeckung gemacht wird, entscheidet nicht über ihren größeren oder geringeren Erkenntniswert“. Der zweite Satz von Barfurth, „dass die Versuche von W. Roux verfehlt seien und seine Mosaiktheorie verworfen werden müsse‘ giebt allerdings meine Ansicht ganz richtig wieder. In dieser Beziehung be- finde ich mich in Uebereinstimmung mit verschiedenen Forschern, die das gleiche Gebiet bearbeitet haben, insbesondere mit Wilson (siehe dessen vortreffliches Buch ‚The cell in development and inheritance‘‘, 1896, S. 306—311) und mit H. Driesch. Letzterer erklärt noch in einer soeben erschienenen Schrift: ‚Ueber den Wert des biologischen Experiments“, Archiv f. Entwicklungsmechanik, Bd. V, Heft 1, 1897, ‚Wer meine Schriften kennt, weiß, dass ich mit sehr vielen der Erörterungen, welche im zweiten Heft von Oscar Hert- wig’s „Zeit- und Streitfragen der Biologie‘ enthalten sind, durchaus ein- verstanden bin. Er weiß, dass ich z. B. den gegen die Spezialarbeiten Roux’s gerichteten Anhang im Großen und Ganzen unterschreiben würde, dass auch ich das Wort „Entwicklungsmechanik‘ beanstande“. Ich schließe meine kurze Erklärung mit der Bemerkung, dass H. Driesch und ich uns in der Wertschätzung des biologischen Experi- ments bei fortgesetzter Diskussion wohl verständigen würden, wenn jetzt auch unsere Urteile über diesen und jenen Punkt in meiner und in Driesch’s Schrift noch etwas verschieden lauten. Auf diese Differenzen näher einzugehen, bietet sich vielleicht ein anderes Mal Gelegenheit. |75] Berlin, 10. Juni 1897. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. August 1897. M.16 Inhalt: Sehröter u. Kirchney, Die Vegetation des Bodensees. — Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? — Popoff, Ueber die Histogenese der Klein- hirnrinde, (Drittes Stück.) — Biologische Arbeiten über Osmose und Dissoziation. Dr. C. Schröter und Dr. O0. Kirchner, Die Vegetation des Bodensees. Der „Bodensee - Forschungen“ neunter Abschnitt. Lindau 1896. ‚Die Litteratur über die pflanzlichen Organismen der Seen ist wieder um eine wichtige Arbeit vermehrt worden. In den Jahren 1888 und 1890 wurde das Programm der botanischen Erforschung des Bodensees hauptsächlich durch die Punkte markiert: Kenntnis der lakustren „Flora“ und Kenntnis der lakustren „Vegetation“ des Boden- sees, sowie ihrer Abhängigkeit von äußern Bedingungen. Wer be- denkt, dass der Bodan bei mittlerem Wasserstand eine Oberfläche von 475,48 Quadratkilometer besitzt und darin den Flächeninhalt des großen Plönersees um mehr als das Zehnfache übertrifft; wer weiß, dass das Seewasser eine eigentümliche und oft zahlreiche Organismenwelt be- herbergt, die in den letzten Jahren Stoff zu bedeutenden Studien ge- geben hat, der muss diesen ersten Teil der botanischen Bodensee- forschungen mit gespanntem Interesse zur Hand nehmen. Ich bekenne schon zum Voraus, dass viel Neues geboten wird und manche Fragen zu Weiterforschungen aufgestellt werden. Die erste Exkursion wurde am 3. und 4. Oktober 1890 unternommen; die letzte fällt auf den 27.—30. Juni 1895, — es ist dies die Zeit, wo sich die Untersuchung der Süßwasserseen immer mehr ausbreitete. Im allgemeinen Teile bespricht Schröter kurz die natürlichen Bedingungen der lakustren Flora des Bodensees. Aus den Temperatur- beobachtungen geht hervor, dass bis ca. 30 m Tiefe die Differenzen zwischen dem Maximum und Minimum beträchtlich sind, dass aber XV. 38 594 Schröter u. Kirchner, Die Vegetation des Bodensees. dennoch das Jahresmittel mit 11,3° demjenigen in Lugano gleichkommt. Unter 100 m kann man die Temperatur fast konstant nennen (4,0°), Das Jahresmittel der Transparenz beträgt 5,36 m, das Wintermittel 6,6 m, das Sommermittel 4,49 m. Es wäre eine wichtige Aufgabe der Seeforschungen, zwischen diesen und andern physikalischen und che- mischen Eigentümlichkeiten und den Organismen eine gewisse Ab- hängigkeit zu erkennen, einenEinfluss der Temperatur-Transparenz- ete. Veränderungen auf das Leben der betroffenen Organismen nachzuweisen. Hunderte von Parallelbeobachtungen sind notwendig, um diese Bei- träge zur eigentlichen Physiologie leisten zu können und wir finden es deshalb verständlich, warum diese Fragen bloß angedeutet werden können. So wird der Satz ausgesprochen: „Es ist also keinesfalls die mangelnde Wärme, welche das Pflanzenleben nach der Tiefe zu ver- armen lässt, sondern nur die schwächere Belichtung“. Ich würde neben der Lichtabnahme als Hauptursache auch die herabgesetzte Temperatur als Ursache der Organismenverarmung ansehen. Ebenfalls zu neuen Untersuchungen anregend ist die Mitteilung, dass in einer Tiefe von 240 m noch lebende Diatomeen gefunden wurden, welche nicht als auf den Grund fallenden „Regen“ aufzufassen seien. Mit Brand bezeichnet Schröter als „Seeflora“ diejenigen Pflanzen, welche während ihrer Vegetationszeit ständig ganz oder teilweise vom Wasser bedeckt sind. Diese Seeflora teilt er in folgende Gruppen: 1. Die Schwebeflora (Phyto-Plankton), im Wasser schwebende, passiv mit dem Wasser bewegte Pflanzen. a) eulimnetische, Planktonten des offenen Wassers, b) bathy-limnetische, halb Schwebepflanzen, halb Bewohner des litoralen Benthos, c) tycho-limnetische, verschleppte Bestandteile der Litoral- oder Tiefenflora. 2. Die Schwimmflora (Pleuston), auf der Oberfläche treibende Pflanzen mit an das Luftleben angepassten Teilen. 3. Die Bodenflora (Phyto-Benthos), an den Boden gebunden. a) Blütenpflanzen, b) Armleuchtergewächse, c) festsitzende Algen und Moose, d) epiphytische und endophytische Algen auf a—e. e) Algen, Pilze und Bakterien des Schlammes, f) parasitische Pilze auf a—e. g) saprophytische Pilze und Bakterien. Ein hübsches Schema giebt uns ein Bild über die Vegetations- verteilung beim Bodensee (8. 15). Im speziellen Teil besprieht Kirehner die Algenflora des Boden- sees in folgenden Abschnitten: Schröter u. Kirchner, Die Vegetation des Bodensees. 595 1. Das Phytoplankton. Die eulimnetischen und bathylimnetischen Planktonten sind charak- terisiert durch: a) die reiche Entwicklung der Cyelotellen. Die häufigsten sind Oyclotella comta Kützing var. radiosa Grunow, var. oligactis Grunow, var. paucipunctata Grunow, var. melosiroides Kirchner, Oyelotella stelligera Cleve et Grunow und Cyelotella bodanica Eu- lenstein. Jedermann, der sich mit dieser heiklen Diatomeengattung beschäftigt, wird zugeben müssen, dass selbst die einzelnen Varietäten sehr stark variieren und dass es sehr zu begrüßen wäre, wenn durch Kulturversuche auch hier die Systematik revidiert würde; b) das Vorhandensein von Synedra delicatissima, Stephano- discus Astraea, Fragilaria virescens und Botryococcus Braunii. Synedra delicatissima scheint ein weit verbreiteter Planktont zu sein. So bildete sie im Winter 1896/97 neben der Oscillatoria rubescens den Haupt- bestandteil des Planktons im Baldeggersee. Stephanodiscus Astraea. ist nicht nur deswegen interessant, weil er nur in wenigen Seen nach- gewiesen ist, sondern weil er auch der Meeresflora angehören soll. Von den Chorophyceen wird außer Botryococcus noch Eudorina elegans besonders hervorgehoben; e. das Fehlen der Melosiren und der Wasserblüten bil- denden Phyeochromaceen. Als tycholimnetische Algen erwähnt er: Synedra ulna var. splendens Brun, Diatoma vulgare Bory, Diat. elongatum Agardh, Achnanthidium flexellum Brebisson, Cymato- pleura solea Brb., ©. elliptica Brb., Cymbella gastroides Kützing, C. affinis Ktz., Encyonema caespitosum Ktz., E. ventricosum Ktz., Melosira varians Agardh, Cyclotella operculata Ktz., Tabellaria Fenestrata Ktz., T. flocculosa Ktz., Nitzschia linearis W.Smith, Navi- cula radiosa Ktz., N. major Ktz., Cymbella leptoceras Ktz., C. hel- vetica Ktz., Ceratoneis Arcus Ktz., Anabaena circinalis Rabenharst, Closterium strigosum Brebisson, C. lunula Ehrenberg, Spirogyra adnata Ktz., Ulothrix zonata Ktz., Pediastrum duplexe Meyen, Ped. Boryanum Meneghini, Scenedesmus quadricauda Brb. und Nephro- cytium Aghardianum Naegeli. Als „Seeblüte“ treten gegen Mitte oder Ende Mai streifenförmige, staubige Massen auf, welche aus Pollenkörnern der Fichten und Kiefern. bestehen. Auf diesen schwimmenden Pollenkörnern fand Prof. Dr. E. Fischer in Bern Rhizophidium pollinis (A. Braun) und Lage- nidium pygmaeum Zopf, über welche Fischer bei der Besprechung der einzelnen Bodenseepflanzen eingehende Mitteilung macht. Obschon die Untersuchungen über die zonarische Verteilung des Limnoplanktons nicht vorwurfsfrei sind, wie der Verfasser selber zu- giebt, so konnte doch festgestellt werden, dass nicht alle Planktonten 38 * 596 Schröter ü. Kirchner, Die Vegetation des Bodensees. eine gleiche vertikale Verbreitung besitzen. Botryococcus Braunii ist bis auf die Tiefe von 3 m bestimmt und geht ganz vereinzelt bis zur Tiefe von 47 m. Eudorina elegans trat noch in einer Tiefe von 23 m auf. Die Diatomeen seien bis 56 m Tiefe ziemlich gleichmäßig verteilt. Kirchner glaubt, dieses Hinabsinken der Kieselalgen in diese licht- armen Regionen sei nicht ein „Diatomeenregen“ absterbender Organis- men, sondern eine Lebenserscheinung, auf welche wieder ein Aufsteigen in lichtreichere Zonen erfolge. Obschon man die Ursachen dieses Wechsels des spezifischen Gewichtes nicht kennt, so muss ich dieser Kirchner’schen Anschauung beipflichten. Eine ganz analoge Er- scheinung zeigt nämlich Oseillatoria rubescens, indem sie gegen den Sommer hin die Oberfläche verlässt und in die Tiefe sinkt, um im Herbste wieder empor zu steigen. Die Schwebefähigkeit der Planktonten wird durch verschiedene Mittel erreicht. Kirchner beschreibt hauptsächlich die Oelausschei- dungen von Botryococcus Braunii, welche in der Lebensweise niederer Organismen einzig dasteht. Die Diatomeen erlangen ihre Schwebe- fähigkeit entweder durch Oeltropfen, oder durch Bildung von Zell- familien oder durch beides zugleich und durch die Zellmembran- beschaffenheit, welche eine Annäherung ihres spezifischen Gewichtes an dasjenige des Wassers ermöglicht. Interessant ist die Zellfamilie der Oyclotella comta var. radiosa, welche Kirchner zum erstenmal beschreibt und auf der 1. Tafel abbildet. Die Zellen stehen auf der Gürtelbandseite am Rande einer kreisförmigen Gallertscheibe, welche durch Fuchsin oder Methylviolett gefärbt wird. Ein ganz ähnliches Vorkommen der ©. comta var. radiosa habe ich vergangenen Monat Mai im Plankton des Vierwaldstättersees beobachtet. Zu Melosira- ähnlichen Ketten vereinigt sind die Zellen der von Kirchner neu benannten ©. comta var. melosiroides. Sie wurde neuerdings im Genfer- und im Zürchersee auch gefunden und ich beobachtete sie dieses Jahr auch im Baldeggersee. Quantitative Planktonbestimmungen wurden keine gemacht. 2. Das pflanzliche Benthos. a) Das profundale Benthos wurde von 30 m Tiefe an gerechnet. In seiner floristischen Zusammensetzung, so arm es auch ist, zeigt es große Aehnlichkeit mit der Uferflora. Auch die Zuflüsse liefern ihm Material. Unter den Schizophyten beschreibt er die neue Species Os- cillatoria profunda. Das Verzeichnis der Algenflora in 75 m Tiefe weist 26 Species auf, von denen 16 auch im Benthos von 35 m an- zutreffen sind. Letzteres umfasst die stattliche Zahl von 61 Species. Eine ungemein reichhaltige Flora traf Kirchner b) im litoralen Benthos. Die Stengel von Phragmites com- munis und Seirpus lacuster, der verschiedenen Juncus- und Gräser- Schröter u. Kirchner, Die Vegetation des Bodeusees,. 597 Arten, die Blätter der Gattungen Potamogeton und Myriophyllum, ' Polygonum amphibium und die untergetauchten Charawiesen, Ufer- pfähle und Holzwerk, Mauern, Steine und das ganze Ufer sind der Schauplatz einer Menge von Algen- und namentlich von Diatomeen- species. — Schon längst sind von den Alpenseen eigentümliche ge- furchte Steine bekannt, deren Furchen mäanderartig die Oberfläche durchziehen. Die Erklärung dieser Furchensteine wurde schon oft versucht. Kirchner hat nun am Bodensee recht hübsche Beobach- tungen gemacht, welche die angeführte Erscheinung erklären. Auf flachen Rollsteinen, welche an schwach geneigten Ufer liegen und teilweise vom Wasser entblößt sind, trifft man eine Algenvegetation der Species: Schizothrix fasciculata Gomont, Calothrix parietina Thuret und Phormidium inerustatum Gomont. Die Algen bilden mit unorganischen Substanzen eine Kruste, deren ehemische Zusammen- setzung lautet: Kenehkckäitni a RT RELBEN, kohlensauver ‚Kalk... en, „AK RE ELCH IE organische Substanz . . . 2. 2. 21,13, in Salzsäure unlösliche unorganische Substanz . 22,8 „ (Kieselsäure, Thonerde, Eisen). Die Algenvegetation bewirkt durch den Assimilationsprozess den Niederschlag von kohlensaurem Kalk, welcher die Algenfäden sehützend umhüllt. Durch ungleichartige Algenansicdelung, durch Tierfraß und andere Zufälligkeiten können Lücken und dadurch unregelmäßige Er- höhungen und Vertiefungen entstehen. Hauptsächlich der Tierfraß durch Larven soll eine große Rolle spielen. So kommt denn Kirchner zu folgendem interessanten Schlusse: „Nach alledem wird man sich über den Vorgang der Furchung von Steinen folgende Vorstellung machen dürfen. Auf inkrustierten Steinen siedeln sich Insekten-Larven, höchst wahrscheinlich verschiedenen Arten angehörig, an, und fressen mäandrische Gänge in die Inkrustation, indem sie die darin enthaltenen Algenfäden als Nahrung verwenden. Ist der inkrustierte Stein kalk- haltig, so ätzt das mit Kohlensäure beladene Atmungswasser der Larven, vielleicht auch eine von denselben ausgeschiedene Säure, den Stein an seiner Oberfläche an, und nachdem in den Fraß-Gängen der schützende Algenüberzug entfernt ist, wird die im Stein entstandene Furche durch die lösende Wirkung des Wassers vertieft, so lange sich nicht in ihr ein neuer Algenüberzug bildet, was ziemlich lange Zeit zu erfordern scheint. Sind einmal Gänge in Ueberzug und Stein vor- handen, so werden dieselben in der Regei wieder von Insektenlarven besetzt, welche in der Vertiefung einen bequemen und sichern Sehlupf- winkel und überdies in dem noch dünnen, in der Furche neu gebil- deten Algen- Anfluge ein an lebender Pflanzensubstanz viel reicheres 598 Sehröter u. Kirchner, Die Vegetation des Bodensees. Futter finden, als in dem stärker mit Kalk durchsetzten und an leeren Scheiden sehr reichen alten Teile der Inkrustation. So wird durch die folgenden Larvengenerationen der einmal vorhandene Gang im Stein immer wieder durch neue Anätzung vertieft und durch Abweiden seines schützenden Ueberzuges beraubt, während die zwischen den Furchen stehenden Kämme von der Inkrustation bedeckt bleiben“. Diese Algeninkrustationen geben auch die Veranlassung zur Bildung eines Sandes mit organischer Grundlage. Auch die Kalktuffknollen, welche aus einem Kerne von Steinen, Scherben, Steinmesser aus der Pfahlbauzeit und einer schalenartigen Inkrustation bestehen, sind ein Werk inkrustierender Algen und zwar von Euactis calewora Braun und £. rivularis Naegeli (Rivularia haematites Agardh). Auf diesen allgemeinen algelogischen Teil folgt ein Katalog, der die stattliche Zahl von 361 Species enthält. In nenne diejenigen Arten, die bisher in Seen noch nicht beobachtet wurden: Chantransia chalybea Fries; Phaeodermatium rivulareHansgirg; Bulbochaete nan«a Wittrock; Characium apiculatum Rabenhorst; Gloeocystis botryoides Naegeli; Mougeotia depressa Wittrock; Zyg- nema stellinum var. subtile Kirchner; Spirogyra rivularıs Raben- horst; Herposteiron polychaete Hansgirg; Chaetonema irregulare Nowakowski; Mikrospora vulgaris Rabenhorst; M. fugacissima Rabenh.; Vaucheria sessilis D. C.; V. hamata Lyngbye; Gonium sociale Warming; Spirogyra adnata Kützing; Mesotaenium Braun De Bary; Closterium gracile Brebisson; ©. strigosum Br.; C. moni- liferum Ehrenberg; Disphinctium Thwaitesii De Toni; Pleurotae- niopsis cucumis Lagerheim; Cosmarium laeveRabenh.; O. holmiense Lundell; O©. suberenatum Hantzsch; ©. pseudogranatum Vordstedt; Navicula ceryptocephala var. pumila Grunow; N. fasciata Lager- stedt; N. palpebralis var. Barklayana Gregary; N. Kotschyana Grunow; Cymbella hereynica A. Schmidt; Nitzschia angularıs W. Smith (marin); N. vermicularis var. lamprocampa Hantzsch; Suri- raya linearis var. constrieta Grunow; Synedra Vaucheriae var. permi- nuta Grunow; Synedra familiaris Kützing; Epithemia Argus var. Goeppertiana Hilse; Rivularia rufescens Naegeli; Nostoc Hederulae Meneghini. N. paludosum Kützing; N. Linckia Bornet; Isocystis infusionum Borzi; Hydrocoleum homoeotrichum Kützing; Mierocolens vaginatus Gomont; M. fuscescens Kirchner; Plectonema Tommasianum Bor- net; Lingbya lateritia var. rosea Kützing; L. gloeophila Hansgirg; Phormidium Retzü Gomont; Oseillatoria profunda n. Sp. Gloeocapsa Magma Kützing; @. ianthina Naegeli; @G. aurata Stizenberger; Aphanocapsa brunnea Naegeli; A. castagnei Rbh. Das Verzeichnis der Pilze enthält die Speeies: Cladothrix dichotoma Cohn; Beggiatoa alba Thevisan; B. arach- u Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? 599 noidea Rabenharst; Olpidium entophytum Braun; Septocarpus cory- nephorus Zopf; Saprolegnia Thureti; S. mixta De Bary; S$. boda- nica Maurizio; Rhizophidium pollinis Braun; Lagenidium pygmaeum Zopf. [77] H. Bachmann (Luzern). F. Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? (2. und 3. Teil.) Herr Prof. Plateau in Gent hatte im Sommer 1895 festgestellt, dass Georginenblüten, auch wenn sie durch verschiedenartige Papier- blättchen oder grüne Blätter verdeckt sind, von zahlreichen Insekten be- sucht werden, und daraus geschlossen, dass weder die Gestalt noch die Farbe dieser Blüten es ist, was die Insekten anlockt!). Dies Ergebnis steht in solchem Widerspruch mit den herrschenden Ansichten, dass Plateau sich der Notwendigkeit nicht entziehen konnte, es durch neue Versuche zu prüfen; er hat solche im Sommer 1896 in seinem Garten, im botanischen Garten zu Gent und im freien Felde an- gestellt und berichtet nunmehr über dieselben in einer zweiten und dritten Abhandlung ?); eine vierte, letzte, soll folgen. Plateau hat zunächst die mit Dahlia variabilis angestellten Ver- suche mit einer anderen Gattung wiederholt. Er wählte dazu absichtlich eine nicht einheimische, Heracleum Fischerüi, um von vornherein dem etwaigen Einwurf zu begegnen: die Insekten besuchten die Blumen einer Gewohnheit folgend. Die betreffende Pflanze stand im Garten des Be- obachters, war aus Samen gezogen und war auf mehrere Kilometer im Umkreis die einzige ihrer Art; sie entfaltete ihre mehr als 30 em im Durchmesser messenden, ziemlich stark duftenden Schirme vor der Blüte- zeit der einheimischen Art (H. Spondylium). Am ersten hinsichtlich des Wetters ziemlich ungünstigen Beobach- tungstage war erst eine Dolde erblüht; diese wurde mit einem großen und mehreren kleinen Blättern von Rhabarber, die in ihrer Farbe denen von Heracleum gleichen, bedeckt. Trotzdem sich überhaupt nur wenig Insekten zeigten, wurden in 30 Minuten 7 Besuche, darunter 3 von Bienen gezählt. Das Benehmen der Insekten war auffallend: sie setzten sich auf die Blätter, welche die Dolde verhüllten, wanderten auf ihnen nach verschiedenen Richtungen umher, flogen dann auf und um die Pflanze herum und gelangten manchmal von unten zu den Blüten. Am zweiten Tage wurden fünf inzwischen erblühte kleinere Dolden mit der mittleren großen zu einem Bündel vereinigt und dieses abermals dureh Rhabarberblätter verhüllt. Die Beobachtung dauerte, mit kurzen Unterbrechungen, 1?!/, Stunden, in dieser Zeit wurden die Blüten zahl- reich (45 Besuche wurden gezählt) besucht, namentlich von Odynerus quadratus (25 Individuen) und Prosopis communis (10 Individuen). Das Ergebnis entspricht also durehaus den mit Dahlia an- gestellten Versuchen. 1) Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, 3e serie, t. XXX (1895), p. 466488; Biolog. Centralbl., XVI, S. 417 ft. 2) Bull, de l’Acad. roy. de Belgique, 3e serie, t. XXXII (1896) p. 505—534 und t.. XXXIII (1897) p. 17—41. 600 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? Die Frage: ‚üben die Blütenblätter eine anlockende Wirkung auf die Insekten aus?“ lässt sich auch noch auf einem anderen Wege ent- scheiden, nämlich dadurch, dass man einfach die Krone wegschneidet. Ueber einen derartigen Versuch berichtet bereits Charles Darwin?). Er hatte von Lobelia Erinus sämtliche Blütenblätter abgeschnitten und nun gefunden, dass die so verstümmelten Blüten nicht ein einziges Mal mehr von einer Biene ausgesaugt wurden, trotzdem deren genug über sie hinwegkrochen; hiernach erschien es ihm unzweifelhaft, dass die farbige Krone das hauptsächlichste Anlockungsmittel ist. Diese Beobachtung steht freilich im Widerspruch mit mehrfach anderen. Darwin!) selbst berichtet, wie die Blüten von Geranium phaeum von Hummeln auch dann noch besucht wurden, als alle Blütenblätter abge- fallen waren. H. Müller?) hat Bienen auf Blüten von Veromica spreata saugen sehen, deren Kronen sich losgelöst hatten. G. Bonnier°) hat die Beobachtung von Darwin inbetreff des Geranium bestätigt und weiter gesehen, wie Bienen auf kronenlosen Blüten von Dutomus umbel- latus und Galeobdolon luteum saugten und ebenso Hummeln auf Blumen vou Tropaeolum, von denen bloß der Sporn erhalten war. Plateau hat nunmehr Versuche zuerst ebenfalls mit Lobelia an- gestellt. Er stellte zwei ziemlich gleiche Töpfe dieser Pflanze 50 em von einander entfernt, jeden auf einen kleinen Untersatz, mitten zwischen andere Pflanzen. Die Blüten wurden verhältnismäßig wenig besucht und nur sehr selten, von Hymenopteren niemals ausgesaugt. Insekten kamen zwar von Zeit zu Zeit, umkreisten die Blüten in einem mehr oder weniger engen Bogen, setzten sich aber nur ausnahmsweise auf dieselben; ein Einführen des Rüssels in die Blumenkrone wurde nur vereinzelt bei Zweiflüglern (Eristalis) beobachtet. Nachdem dies festgestellt war, wurden mit einigen scharfen Scheeren- schnitten die beiden oberen und die drei unteren Blütenblätter bei allen Blumen des einen Stockes entfernt*), so dass uur die Röhre erhalten blieb. Jetzt boten die beiden Töpfe einen völlig verschiedenen Anblick: der eine war mit blauen Blumen übersät, der andere erschien schon in ganz geringer Entfernung völlig abgeblüht. Wie verhielten sich nun die Insekten dieser Verschiedenartigkeit gegenüber? Während der drei an- gestellten Beobachtungen, von denen jede 1 bis 1!/, Std. umfasste, wurden die unverletzten Blumen im ganzen von 62, die abgeschnittenen von 41 Insekten (namentlich Eristalis, außerdem Bombus, Vespa, Pieris, Va- nessa) besucht; 33 bezw. 25 Insekten setzten sich nieder, um zu saugen), die anderen begnügten sich, die Pflanzen zu umkreisen oder einen Augen- blick auf ihnen zu ruhen. Hiernach haben die unverletzten Blüten allerdings (im Verhältnis von 3:2, bezw. 4:3) den Vorrang behauptet; unbestreitbar aber ist, dass 1) The effects of cross and self fertilisation in the vegetable kingdom, London 1876, p. 420. 2) Die Befruchtung der Blumen durch Insekten. S. 288. 3) Ann. d. sc. nat., bot., 49e annde, Vle serie, t. VIII (1879), p. 61. 4) Plateau gebrauchte die Vorsicht, die Pflanzen möglichst wenig mit den Händen zu berühren. 5) Die verschiedenen Saugakte eines Individuums sind hierin nicht mit- gezählt. Eine Eristalis z. B. hat nacheinander 13 verstümmelte Blüten aus- gesaugt, ist oben aber nur einfach gezählt, Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? 601 die Lobelia-Blüten nach Entfernung ihrer Kronzipfel in zahlreichen Fällen nicht nur besucht sondern auch ausgesaugt sind. Die von Darwin ge- machte Erfahrung hat sich unter veränderten Verhältnissen nicht bestätigt, so dass ihr die bisher beigelegte allgemeine Bedeutung nicht mehr zu- erkannt werden kann. Aehnliche Ergebnisse erlangte Plateau bei mehreren anderen Pflanzen. Oenothera briennis wird im normalen Zustande zu früher Morgen- stunde von Bienen besucht, welche sich mit Blütenstaub förmlich be- schmieren; nach deren Vorgang erscheinen Zweiflügler u. a. Eristalis tenax; schließen sich bei höher steigender Sonne die Blüten, so hört der Insektenbesuch ganz auf. Plateau schnitt von 10 Blumen die leuchtende Krone dicht über dem Kelch ab, so dass nur ein kleiner Stumpf mit den herausragenden Staubgefäßen und dem Griffel übrig blieb. Die Blumen fielen jetzt viel, viel weniger auf als vorher, wurden aber trotzdem von Bienen besucht. Dieselben flogen nach allen Richtungen: nach verwelkten Blüten, nach Knospen, selbst nach den auf die Erde gefallenen Blütenblättern, setzten sich aber immer nur auf die ihrer Krone beraubten Blüten, die sie dann aussogen. In dieser Weise sog im Laufe einer Stunde eine Biene nacheinander an 14 Blüten eme zweite ” „ 10 ” dabei mehrfach an denselben. ‚eine dritte ® IT FOR RT eine vierte “ An N Bei 7 Blüten von /pomaea purpurea wurde die Krone ebenfalls dicht über dem Kelch abgeschnitten; dieselben wurden dann im Laufe einer Stunde von 4 Hummeln besucht, welche an 2, 4 oder 5 nachein- ander sogen. 10 Blütenschöpfe von Centaurea cyanus, welche inmitten einer größeren Gruppe von allerhand Varietäten standen, wurden ihrer Rand- blüten beraubt, aber, trotzdem sie nunmehr abgeblühten Exemplaren glichen, in 1?/, Stunden 20mal besucht. Die betreffenden Insekten (namentlich Megachile ericetorum) gingen, als wenn keine Aenderung vorgenommen wäre, von der unverletzten zu den verstümmelten Blüten über. Unter 19 Stauden von Digitalis purpurea wurden 5 ihrer Kronen beraubt. Diese fünf wurden innerhalb zweier Stunden von 16 Insekten nur umschwärmt, von weiteren 13 ausgesaugt, ein ander Mal von 6 Hum- meln, von denen zwei saugten, und ein drittes Mal im Laufe einer Stunde von 4 Hummeln besucht, von denen eine 6, eine andere 9 Blüten nach- einander ausbeutete, Ein negatives Ergebnis stellte sich allein bei Versuchen mit Antir- rhinum majus heraus. Die beschnittenen Trauben wurden wohl um- schwärmt, aber nicht von einem einzigen Insekt besetzt oder ausgesaugt. Woher nun diese Abweichung? Die Erklärung ist. nach Plateau eine sehr einfache. Bei Digitalis z. B. ist die Oeffnung der verstüm- melten Krone mehr oder weniger nach unten gerichtet, bei Antirrkinum dagegen nach oben. Die Hymenopteren, vorzugsweise Hummeln, welche diese beiden Pflanzen in normalem Zustande durch einen Flug von unten nach oben in Angriff nehmen, gelangen bei Digitalis trotz der Abwesen- heit der durch die Unterlippe gewährten Stütze dazu, ihren Kopf in die Blumenkrone einzuführen, während sie bei Antirrhinum genötigt sein 602 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? würden, vorher in der Luft einen Ueberschlag auszuführen; auf solche außerordentliche Bewegungen verzichten sie sicherlich um so lieber, wenn in der Nähe nicht verschnittene Blumen stehen, bei denen ihnen das Saugen mit Leichtigkeit gelingt. Fassen wir alle Untersuchungen zusammen, so kann kein Zweifel sein, dass die gefärbten Blütenblätter bei der Anlockung der Insekten höchstens eine untergeordnete Rolle spielen. Was ist es aber dann, was die Insekten anlockt? Plateau nimmt in Uebereinstimmung mit andern Forschern, nament- lich mit Errera und Gevaert!) an, es sei der in den Blüten abge- sonderte Honig und dessen Duft. Soll diese Hypothese Anerkennung finden, so muss dreierlei nach- gewiesen werden: 1. die Insekten müssen eine völlige Gleichgiltigkeit den verschie- denen Färbungen gegenüber zeigen, welche Blüten derselben Art haben; 2. sie müssen sich ohne Zögern noch bis dahin von ihnen gemie- denen Blumen begeben, wenn dieselben Nektar absondern oder künstlich mit Honig versehen werden, und 3. ihre Besuche auf bis dahin aufgesuchten Blumen einstellen, wenn man diesen ihre Honigbehälter nimmt, und sie wieder aufnehmen, wenn man dann wieder Honig zuführt. Inbetreff des ersten Punktes besitzen wir bereits einige Beobach- tungen. Ch. Darwin?) berichtet, wie Hummeln geraden Wegs von einer roten Varietät von Dietamus fraxinella nach einer weißen, von einer Abart von Delphinium consolida nach einer andern geflogen sind, und erwähnt ähnliche Fälle bei Primula weris, Viola tricolor und Pa- paver. Hierdurch, meint er, sei klar bewiesen, dass die Farbe der Blumen nicht das einzige sei, was die Insekten anlocke und leite. Bonnier?) hat auf freiem Felde beobachtet, wie die weiße Abart von Centaurea cyanus von beinahe ebensoviel Bienen besucht wurde wie die blaue; er hat ferner in einer großen Anzahl von Fällen Hymenopteren ohne Wahl auf weißen und gelben Blumen von Brassica oleracea saugen sehen. Es stellte ferner eingehende Versuche mit Althaea rosea, Digitalis purpurea und Epilobium spieahım an. Es wurden z. B. von der ersten Pflanze drei Stöcke mit einfach roten, drei mit weißen und drei mit blassrosa Blumen an vier aufeinanderfolgenden Tagen beobachtet. Fünfzehn Blüten von jeder Sorte waren gezeichnet; als Be- sucher stellten sich ein: Apis mellifica, Bombus terrestris, B. hortorum; die Zählung ergab, dass diese Insekten keine Auswahl trafen, sich viel- mehr unterschiedslos zu den verschiedenen Blumen begaben, welches auch deren Färbung war. Plateau hat jetzt ein gleiches zur Genüge bei Dahlia varvabılıs und Scabiosa atropurpurea feststellen können; wenn einmal eine Farbe bevorzugt wurde, so war das stets bei einer solchen der Fall, die augen- blicklich in der Menge der Blüten vorwog. So wurden bei Scabiosa an 4) Sur la structure et les modes de f&condation des fleurs. Bull. de Soc. roy. de bot. de Belg., t. XII (1878). 2) op. eit. p. 416 und 421. 3) op. eit. p. 44/45. Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? 603 einem Tage, an dem die purpurne Varietät in der Ueberzahl war, mehr Purpurblüten, an einem anderen, an dem die Rosa-Blüten zahlreicher ver- treten waren, mehr Rosa-Blüten als andere besucht. Auch bei Centaurea wurden die überwiegenden blauen Blumen mehr besucht. Hier bemühte sich Plateau einzelnen Insektenindividuen mit den Augen zu folgen und festzustellen, welche Varietäten sie nacheinander aufsuchten. Es besuchte eine Biene: blau, purpurn, weiß, blau, blau, blau; eine zweite: weiß, blau, blau, purpurn, blau, blau, purpurn, blau, purpurn, blau; eine Megachile: weiß, blau, purpurn, weiß; eine zweite: weiß, blau, blau; eine dritte: rosa, purpurn, weiß; eine vierte: blau, rosa, blau, blau. Es geht hieraus deutlich hervor, wie wenig sich die Insekten ge- scheut haben, neben den an Zahl überwiegenden blauen Blumen auch die weniger zahlreichen vertretenen auszubeuten (Verhältnis 16:14). Ueber den zweiten Punkt schreibt Ch. Darwint): „Die Sicht- barkeit der Blumenkrone reicht nicht aus, um die wiederholten Besuche von Insekten zu erklären, wenn nicht zu gleicher Zeit Absonderung von Nektar und vielleicht ein Ausströmen von Duft stattfindet. Ich beobachtete 14 Tage lang jeden Tag eine gewisse Zeit hindurch eine Mauer bedeckt mit Linaria cymbalaria in voller Blüte und sah niemals eine Biene sich um dieselbe kümmern. Da kam ein sehr heißer Tag, und sofort erschienen mehrere Bienen zur Arbeit auf den Blumen; es scheint ein gewisser Grad von Wärme erforderlich zu sein, wenn die Absonderung von Nektar vor sich gehen soll... Dies ist auch der Fall bei Pedieu- laris silvatica, Polygala vulgaris, Viola tricolor und einigen Arten von Trifolium. Ich habe diese Blumen Tag für Tag überwacht, ohne eine Biene bei der Arbeit zu sehen, dann waren alle mit einem Male von zahlreichen Individuen besucht. Wie aber entdecken so zahlreiche Bienen plötzlich, dass die Blüten Nektar absondern? Ich nehme an, dass es durch ihr Riechvermögen geschieht“. Auch Bonnier?) macht eine hierhergehörige Bemerkung. Pulmo- naria offieinalis wird unter gewöhnlichen Verhältnissen von Hummeln besucht, aber nicht von Bienen, deren Rüssel zu kurz ist, um zum Nek- tarium gelangen zu können. Als aber recht heiße und sonnige Tage einer langen Reihe von Regentagen folgten, wurde die Menge des abgesonderten Nektars eine so außergewöhnlich große, dass er in zahlreichen Blüten 3—4 mm über den Nektarien stand. ‚Jetzt vermochten auch die Bienen den süßen Saft mit ihrem Rüssel zu erreichen, und in der That stellten sich Bienen in außerordentlicher Anzahl ein. Auf den Gedanken, Blumen künstlich mit Honig zu versehen, ist zuerst P&rez gekommen °). In heiflieh- scharlachrote Blüten von Pelargonium en die er- fahrungsgemäß von Insekten völlig gemieden werden, brachte er ein wenig Bienenhonig. ‚Sofort wurden Bienen, welche auf in der Nähe stehenden 1) op. eit. p. 422. 2) op. eit. p. 67. 3) Act. de la Soc. Lin. de Bordeaux, vol. XLVII, serie V, t. VII (1894), p. 250/51. 604 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? Heliotrop tranken, von dem Geruch des Honigs affıziert, dessen Lage sie auch sehr schnell entdeckten. Ohne die geringste Zögerung stürzten sie sich auf die scharlachroten Blumen, sogen den Honig gierig ein und hörten bis zum Abend nicht auf, eifrig immer wieder zu kommen. Sie begaben sich geraden Wegs ni selbst von ziemlich weit her nach den betreffenden Blumen hin, ohne den weißen und roten Abarten, die in demselben Beet standen, aber nicht mit Honig versehen waren, die geringste Beachtung zu schenken“. Plateau hat über Pelargonium gleichfalls Versuche angestellt, welche die Ergebnisse von Perez durchaus bestätigen. Eine größere Anzahl von Pelargonium-Pflanzen fassten eine von Bienen und Hummeln besuchtes Beet von Kapuzinerkresse ein. In sieb- zehn nebeneinander stehende Dolden wurde Honig eingeführt. Während bis dahin auch nicht ein Besuch auf Pelargomium stattgefunden hatte, wurde jetzt in einer Stunde deren 8 gezählt. Jedesmal wurde von der betreffenden Biene die Kapuzinerkresse auffällig vernachlässigt, die schar- lachrote Blume aber mit Eifer ausgesaugt; die Tiere flogen von Blume zu Blume und blieben auf ihnen oft bis 25 Sekunden sitzen. Wenn ein Insekt so den flüssigen Inhalt einer Blume aufgesogen hatte, so kam es wohl einmal vor, dass es gegen eine nicht mit Honig versehene flog; es beschränkte sich dann aber darauf, rasch um dieselbe herumzufliegen. In keinem Falle setzte es sich auf eine solche Blume. An einem zweiten Beobachtungstage wurden im ganzen 26 Dolden künstlich mit Honig versehen. Diesmal wurden am Vormittag im Laufe von ?/, Stunden gezählt: 3 Besuche von Bienen, DARSE „ Hummeln, aa „» Wespen, mehrere „ Fliegen und am Nachmittag innerhalb einer halben Stunde nicht weniger als 28 (18 Bienen, 5 Hummeln, 5 Wespen). Die nicht mit Honig versehenen » Blumen wurden auch hier völlig vernachlässigt. Weitere Versuche Plateau’s erstrecken sich auf Phlox paniculata, Oonvolvulus sepium und Anemone japonica, dieselben verliefen im Einklang mit den Vorergebnissen. Convolvulus sepium wird trotz seiner großen weißen Blüten, die sich von dem grünen Blattwerk deutlich abheben, von den meisten In- sekten gemieden und vor allem viel weniger besucht als Convolvulus arvensis!). Plateau beobachtete eine Pflanze mit einer einzigen Blüte (auf mehr als 20 Meter im Umkreis war damals keine zweite vorhanden); dieselbe wurde nicht von einem einzigen Insekt besucht. Sowie aber ein wenig Honig in den Grund der Krone eingeführt wurde, stellten sich Besucher ein; in 30 Minuten wurden nicht weniger als 29 gezählt. Zu- weilen fanden sich vier auf einmal in der Blüte. Bei Anemone japonica, welche trotz ihrer zahlreichen großen und auffälligen Blüten nur von Zweiflüglern (namentlich Eristalis) besucht wird, wurden 6 Blumen, welche eine leicht erkennbare Gruppe innerhalb 4) s. a. H. Müller op. eit. S. 424. Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde, 605 23 anderer bildeten, mit Honig versehen. Im Laufe einer Stunde er- hielten die 23 Blüten 100 Besuche (vorzugsweise Eristalis), die, „Bi 05 SArııyd, (neben Eristalis auch andere Arten in verhältnismäßig größerer Anzahl). 100 94 Die Besuche stehen zu einander im Verhältnis von = er 80 dass die mit Honig versehenen Blüten im Verhältnis 4mal mehr Besuche er- hielten als die anderen. Die künstliche Einführung von Honig hat also überall den erwarteten Erfolg mit unfehlbarer Sicherheit gebracht. Die von Plateau inbetreff des 3. Punktes angestellten Versuche sind neu. Sie begegnen großen Schwierigkeiten, da es für gewöhnlich nicht möglich ist, das Nektarium zu entfernen, ohne die Krone auf das einschneidenste zu ändern. Vorläufig fand Plateau nur Kompositen ge- eignet. Er wählte Dahlia varvabilis und entfernte bei 8 Körben die Scheibenblüten; die entstehende freie Stelle verdeckte er mit einem kleinen Scheibehen, welches aus einem vergilbten Blatte herausgeschnitten war und nun durch eine feine Nadel befestigt wurde. Trotzdem nun zahlreiche Insekten (Bombus, Megachile, Eristahs, Pieris) die Pflanzen umschwärmten, wurde in °/,stündiger aufmerksamer Beobachtung nicht ein einziges gesehen, welche sich auf eine der umge- formten, in der Färbung aber von den anderen nicht abweichenden Blumen gesetzt hätte. Sowie aber die verstümmelten Blumen einen Tropfen Honig erhielten, zögerten die Insekten nicht einen Augenblick mehr mit ihren Besuchen. In ?/, Stunden wurden auf den 8 Blüten nicht weniger als 41 Insekten (27 Bombus, 2 Megachile, 12 Vespa) gezählt. Nach zwei Tagen war der Honigvorrat erschöpft, die Besuche hörten: damit völlig auf. Sie lebten aber wieder auf, sowie von neuem Honig: eingeträufelt wurde. Ja, als das gelbe Teilchen entfernt wurde, und nun in der Mitte der Blüten eine kahle grüne Stelle blieb, kehrten sich die Insekten nicht an den ungewohnten Anblick: In 45 Minuten wurden aber- mals 41 Besuche gezählt (23 Bombus, 5 Menachele, 13 Vespa), oftmals stritten sich zwei Tiere um dieselbe Blüte, 16 mal besuchte ein Individuum 2, 4mal 3 oder 4 der verstümmelten Blüten nach einander. In glänzender Weise haben sich also die 3 Vermutungen, welche oben ausgesprochen sind, bestätigt: der Nektar ist es, durch den die Blumen Insekten anlocken. Ueber den 4. noch ausstehenden Teil des Berichtes wird unmittelbar nach seinem Erscheinen berichtet werden. 71 Tiebe (Stettin). Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. , Von Dr. S. Popoff. (Drittes Stück.) Katzen-Embryo von 12 cm Länge. Wir wollen zuerst, wie früher, die mit Safranin gefärbten Prä- parate betrachten. Wir sehen auf der Abb. IV, dass alle Schichten der Kleinhirnrinde sich völlig isoliert haben und die weiße Substanz 606 Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. vollkommen entwickelt ist. In der äußeren Körnerschicht ist die Zahl der differenzierten Nervenzellen, die den in der vorhergehenden Periode beschriebenen @ u. 5 Abb. III ähnlich sind, bedeutend gewachsen. Die Größe und Form der Zellen sind äußerst mannigfaltig. Zwischen diesen Zellen sind die dunkler gefärbten Kerne der Neurogliazellen sichtbar. Auf dem linken Teil der Abbildung sieht man den Uebergang dieser Zellen in die molekuläre Schicht. Die von einigen der Zellen abge- sandten Fortsätze sind nach dem Centrum der Rinde gerichtet. Einige Zellen tragen 2 Fortsätze, von welchen der eine — nach außen, der andere — nach innen gerichtet ist. Karyokinetischen Figuren begegnet man in dieser Schicht, wie bereits früher erwähnt, nicht selten. Die molekuläre Schieht erscheint undeutlich netzförmig und körnig. Die Körnigkeit wird unserer Meinung nach einerseits dadurch bedingt, dass bei den Schnitten eine Menge. protoplasmatischer Fortsätze dieser Schicht in verschiedenen Richtungen durchschnitten wurden, anderer- seits aller Wahrscheinlichkeit nach auch dadurch, dass die Zwischen- substanz der molekulären Schicht in Folge der Fülle der in sie herein- wachsenden protoplasmatischen Fortsätze einer bedeutenden Zerstücke- lung unterworfen wurde. In dieser körnigen Masse kann man deutlich die Anwesenheit von Streifen in den verschiedenen Richtungen be- merken. Am häufigsten begegnet man radiären Streifen. Ueber diese werden wir sogleich bei der Beschreibung der mit Silber imprägnierten Präparate sprechen. Außerdem treffen wir in der molekulären Schicht eine große Anzahl junger Nervenzellen an, die aus der äußeren Körner- schicht übergetreten sind, — analog dem, was wir beim Katzen-Embryo von 8cm sahen. Bei aufmerksamer Betrachtung der folgenden Schichten, entdecken wir viele verschiedenartige Zellen. Die Purkinje’schen Zellen sind gut charakterisiert, dank dem großen protoplasmatischen Körper, dem es gelungen ist an einigen Stellen sich in Fortsätze aus- zudehnen. In den anderen Purkinje’schen Zellen sind die äußeren Konturen einfach und ohne protoplasmatische Fortsätze. Neben den soeben beschriebenen Zellen begegnen wir anderen kleinen Nerven- zellen, deren Bedeutung uns schwer verständlich wäre, wenn nicht die nach der Golgi’schen Methode bearbeiteten, parallelen Präparate hinwiesen, dass diese Zellen zu den sich entwickelnden kleinen Zellen der inneren Körnerschicht gehören. Zellen mit dunkel-gefärbten Kernen sind zweifelsohne Neurogliazellen. Ueber die große Purkinje’sche Zelle liegt schließlich eine andere, die sich an einem Ende in einen horizontal gerichteten Fortsatz aus- gedehnt hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie — eine Korbzelle ist. Was die Golgi’schen Zellen betrifft, so liegen sie bereits niedriger als die Purkinje’schen Zellen, haben ebenfalls einen großen ovalen Kern und einen großen protoplasmatischen Körper. Weiter folgt die breite innere, aus einer Menge kleiner, runder, ovaler, ziemlich eng Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 607 nebeneinander gelegener Nervenzellen bestehende Körnerschicht. In ihren Zwischenräumen isteine mehr oder weniger homogene, ohne scharfe Grenzen in das Spongium der molekulären Schicht übergehende Zwischen- substanz und besondere, zarte, aus der weißen Substanz nach der Rich- tung zur molekulären Schicht ausgehende Fäserchen sichtbar. Ueber diese Fasern werden wir bei der Beschreibung der mit Silber impräg- nierten Präparate sprechen. Außer den kleinen Zellen begegnet man in dieser Schicht viel größeren Zellen, von welchen die größten wahr- scheinlich zu den noch völlig sich entwickelten Golgi’schen Zellen, die anderen aber — zu den kleinen Zellen der inneren Körnerschicht zu rechnen sind. Wie wir schon einmal erwähnten, ist der größere Umfang der jungen Zelle im Vergleich mit der erwachsenen desselben Typus eine der am häufigsten vorkommenden Eigenschaften der embryo- nalen Zelle. Bei der Betrachtung der von uns untersuchten Zellen, kommt unwillkürlich der Gedanke, differenzieren sich wirklich alle Zellen der Mantelschieht während des embryonalen Lebens in dem- selben Maße oder bleiben einige in dieser Beziehung von den anderen zurück? Die sehr einfachen Nervenzellen nämlich behalten, wie wir auf der Abbildung sehen, lange Zeit dasselbe äußere Aussehen, welches sie am Anfange ihres Entstehens besaßen. Wir sprechen nicht von den großen Zellen der Rinde und denen, die deutlich den Ausdruck der. Differenzierung tragen. Es ist möglich, dass zwischen den Zellen der inneren Körnerschicht auch solche sich finden, die sich entweder gar- nieht oder nur sehr wenig differenziert haben und in der That be- gegnen wir in dieser Schicht zweien Zellen, in welchen sich die Kerne im Zustande der Teilung befinden. Augenscheinlich konnte man eine ähnliche Erscheinung in der differenzierten Zelle nicht bemerken und deshalb muss man zugeben, dass einige Zellen der Mantelschicht sich im embryonalen Zustande befinden und mit Hilfe der Kernteilung sich wiederum zu vermehren beginnen, um neues Material für den Bau der Rinde zu schaffen. Alf. Schaper, der ebenfalls diese Frage erwägt, spricht sich ebenfalls in diesem Sinne aus und geht noch so- gar in seinen Voraussetzungen ein wenig weiter. Er gibt zu, dass einige Zellen während ihres ganzen Lebens im Organismus als Reserve sich im embryonalen Zustande erhalten, um in der Not für die Re- generation des Gewebes einzutreten. Die Meinung Lahousse’s über die Regeneration der Nervenzelle und Faser, wovon wir bereits früher sprachen, kommt dem ebenfalls sehr nahe. Uns erscheint ein ähnliche Schlussfolgerung über die Regeneration der Nervenzelle nach den Daten der embryologischen Untersuchungen ein wenig verfrüht und zwar deshalb, weil wir z.B. in der Rinde des völlig entwickelten Klein- hirns nie Zellen mit deutlich ausgedrückten embryonalen Charakter beobachtet haben. Außerdem begegnen wir hier und da in der inneren Körnerschicht zerstreut Neurogliazellen. 608 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Gehen wir jetzt zur Beschreibung der nach der Golgi’schen Methode bearbeiteten Objekte über. In dieser Periode begegnen wir in der Kleinhirnrinde einer solchen Menge eigentümlicher Zellformen, einer solchen Fülle der verschieden- artigsten Fasern, dass wir der deutlichen Schilderung wegen genötigt sind, diese Periode auf 2 Abbildungen (XII u. XIII) darzustellen. Auf diesen Abbildungen sehen wir, dass die ganze äußere Körner- schicht von fast parallelen, zu einander radiär geleg6nen Längsfasern durchsetzt ist, von welchen die einen bis dicht an die äußere Peripherie der Rinde reichen, die anderen auf dieser oder jener Höhe der mole- kulären Schicht aufhören. Die Herkunft dieser Fasern ist verschieden. Alle Fasern des ersten Typus sind ausnahmlos — Fortsätze der Neuroglia- zellen, deren Körper entweder in der molekulären oder in der inneren Körnerschicht gelegen sind. Diese Fasern krümmen sich leicht in ihrem Verlaufe, sie sind diek und grob, werden nach außen zu nicht dünner und endigen bald mit großen, ovalen, kegelförmigen, mit der Spitze nach innen gerichteten Verdiekungen. Diese Endigungen bilden, indem sie sich dicht aneinander legen, eine besondere Schicht, die leicht mit mit Silber als schwarzer, dünner Streifen imprägniert ist, genannt membrana limitans externa (Gliamembran Gierke [10]), Basalmembran Obersteiner’s [36], und eng mit der weichen Gehirnhaut verbunden ist. Auf der Spitze der Windungen liest die pia mit der m. limitans externa eng der Oberfläche des Kleinhirns an, in der Tiefe der Furchen aber ist sie von der letzteren durch einen lückenhaften Raum, von Gierke und Obersteiner als epicerebraler lymphatischer Raum an- gesehen, gesondert. Bergmann [3] beobachtete zuerst diese Räume beim neugeborenen Kätzchen und beschrieb sie als eine besondere, mehr oder weniger breite helle, zwischen der pia und der Rinde gelegene Zone. Er wies auch zuerst auf die radiären Fäserchen in dieser Schicht hin, die seiner Meinung nach eine Fortsetzung der mehr groben, sich in der grauen Substanz vorfindenden Fasern sind. Er beobachtete, dass diese Fasern von sich unter einem scharfen Winkel nach außen und nach innen in die Rinde gehende Zweige aussenden; in Folge dessen bildet sich in der grauen Substanz ein dichtes Fasernetz, welches an die radiären Fasern der Netzmembran erinnert. Im Jahre 1871 be- stätigte und erweiterte sogar ein wenig Obersteiner [38] die Berg- mann’schen Beobachtungen. Er beschrieb im Kleinhirn der Neu- geborenen zwischen pia und Rinde eine zarte Membran — Basal- membran — an welche die nach innen in die Rinde gehenden radiären Fasern sich mit breiter Basis befestigen. Die letzteren kommen un- gefähr, seiner Meinung nach, bis an die Schicht der Purkinje’schen Zellen und vereinigen sich mit den Fortsätzen der Bindegewebszellen (Neurogliazellen?); er schreibt ihnen die Rolle des Stützgewebes für die graue Rindensubstanz zu. Er beobachte selten, dass die Fasern Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirmrinde. 609 Fortsätze abgeben, wie es Bergmann bestätigt. Im Jahre 1885 be- schreibt Gierke ebenfalls zwischen der Oberfläche des Kleinhirns und der pia eine Gliamembran, analog der Obersteiner’schen Basal- membran, nur mit dem Unterschiede, dass er die kegelförmigen Ver- diekungen, mit denen die radiären Fasern endigen, als verhornte pyramidenförmige Zellen ansieht, deren Spitzen nach innen gerichtet sind und sich in einen dicken Fortsatz verlängern. Diese Fasern vereinigen sich in der molekulären Schicht entweder mit den Zellen der Stützsubstanz oder mit dem Netze der Gliafasern, das die SOIpen der Purkinje’schen Zellen umfasst. Die späteren Forscher wie Retzius, Ramon y Cajal, Köl- liker bestätigten einstimmig die Anwesenheit der radiären Fasern und nannten sie „Bergmann’sche Fasern“. Unsere Beobachtungen nach dieser Richtung bestätigten im All- gemeinen das Obengesagte, doch wir könnten noch auf einige Details dieser Frage hinweisen, die der Beachtung wert sind. Die Verdiekungen, mit denen die Fortsätze der Neurogliazellen endigen, sind sowohl pyramidenförmig wie auch rund und oval. An den Stellen, wo sie isoliert gefärbt sind, sind sie besonders deutlich sichtbar; im entgegengesetzten Falle aber vereinigen sie sich alle in einen ununterbrochenen schwarzen Streifen oder Membran, die fest mit der weichen Gehirnhaut verwachsen ist. Dieser Streifen liegt bald der Rinde unmittelbar an, bald steht er zusammen mit der weichen Hirnhaut von ihr ab. Im letzteren Falle ist der auf diese Weise sich bildende helle Raum zwischen der Kleinhirnoberfläche und dem er- wähnten Streifen von kleinen, gut, auf den in Herman’scher Flüssig- keit fixierten Präparaten, sichtbaren Vertikalfasern durchsetzt. Auf den nach der Golgi’schen Methode bearbeiteten Präparaten ist noch deutlicher zu sehen, wie die radiären Fasern, indem sie durch die Dicke der Rinde durchgehen, einzeln aus ihr herauskommen und über der Kleinhirnoberfläche wie Zähne eines Kammes hervorragen. Unter dem Namen „radiäre Fasern“ dürfen wir jedoch nicht nur Fortsätze der Neurogliazellen der Rinde verstehen. i Wie beim Katzen-Embryo von 8 em, so begegnen wir auch hier in der äußeren Körnerschicht epithelioiden Elementen (Abb. XI u. XII) verschiedenartiger Form, die zur äußeren Rindenoberfläche dicke Fort- sätze aussenden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch diese Fort- sätze an der Bildung der radiären Fasern Teil nehmen. Außerdem bilden sich die radiären Fasern auch auf Kosten der protoplasmatischen Fortsätze der großen Zellen, die aus den tiefen Schichten der Rinde nach außen aufsteigen; bis zur Kleinhirnoberfläche aber nicht kommen. Hierher muss man die sogenannten Kletterfasern, die zuerst in dieser Periode auftreten, rechnen. Im Gegensatz zu den Fasern des ersten Typus, könnte man die soeben beechriähenen mehr kurzen und die XVo. 39 610 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. äußere Oberfläche des Kleinhirns nicht erreichende Fasern, als Fasern des „zweiten Typus“ benennen. Auf eine solche Weise können wir die Bergmann’schen Fasern in kurze und lange teilen. Wir müssen hinzufügen, dass nicht alle epithelioiden Elemente der äußeren Körnerschicht mit ihrem langen Durchmesser vertikal liegen; einige von ihnen liegen horizontal und tangential zur Kleinhirnoberfläche. Dementsprechend gehen ihre Fort- sätze schief durch und durchkreuzen die vertikalen Fortsätze. Die Purkinje’schen Zellen sind in dieser Periode, nicht mehr von so mannigfaltiger Form wie früher. Sie haben jetzt nur 2 bis 3 Formen, von denen eine durch ihre Häufigkeit und Beständigkeit zur herrschenden wird. Zur letzten Gruppe gehören die Zellen « der Abb. XII u. XIII; als solehe erscheint ungefähr die Purkinje’sche Zelle auch beim Sehaf- (a Abb. IX), beim Hund- (Abb. XXXII) und beim Huhn-Embryo (Abb. XXVIH). Ramon y Cajal [41] bemerkt diese Form auch bei Neugeborenen. Von dem Augenblicke an schließlich, wo die Purkinje- sche Zelle diese Form annimmt, gehen ihre weiteren Veränderungen, wie wir bereits früher erwähnten, nach einem bestimmten Plane vor. Die Zelle « der Abb. XII stellt einen unregelmäßigen, vieleckigen, nach oben breiten und nach unten sich allmählich verengenden Körper vor; ihre ganze Peripherie ist mit kleinen, aber dicken, aus dem Körper der Zelle, vorwiegend aus den Winkeln auslaufenden Fort- sätzen versehen. Die nach innen gerichteten Fortsätze sind länger als die seitlichen; zuweilen bemerkt man an ihren Enden Verdickungen. Die nach innen laufenden Fortsätze sind zuweilen sehr zahlreich, so dass die innere Grenze des Zellkörpers völlig verloren geht (« Abb. XII und a Abb. IX). Man begegnet auch solchen Zellen, die an ihrer ganzen Peripherie mit einer solchen Menge Fortsätzen versehen sind, dass es geradezu unmöglich ist, die Form des Zellkörpers zu bestimmen. Die ganze Zelle stellt nur einen schwarzen Klecks vor. Auf der Abb. XII hat die Zelle «, in der Form einige Aehnlich- keit mit der nebenan gelegenen Zelle a; mit dem Unterschiede aber, dass sie mit ihrem langen Durchmesser horizontal liegt. Sie sendet nach allen Seiten zahlreiche und sich verzweigende Fortsätze aus, von welchen einige mit Verdiekungen an ihren Enden in die oberen Teile der inneren Körnerschicht durchdringen. Ueberhaupt übertreffen diese Fortsätze an Größe viele Mal die der Zellen @ u. a, der Abb. XI. Außer ihrer Größe und Lage erinnern diese Zellen durch ihre Form keineswegs die erwachsenen Purkinje’schen Zellen. Auf demselben Präparate begegnen wir neben der oben beschrie- benen Form auch anderen, ein wenig mehr differenzierten Zellenformen (5 Abb. XII u. XIII). Sie besitzen die Birnform, mit der nach innen gerichteten breiten Basis. Die Zahl der vom Zellkörper auslaufenden Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 611 Fortsätze ist bedeutend verringert, deshalb treten ihre Grenzen deut- licher hervor als in den Zellen des ersten Typus. Beachtenswert ist auch der Umstand, dass die dieken Fortsätze an der oberen Peripherie der Zelle durch mehr dünne und regelmäßiger gelegene ersetzt wurden, wodurch eben der Zellkörper einige Aehnlichkeit mit der Form der erwachsenen Zelle annimmt. Den oberen Fortsätzen analog sind auch die seitlichen durch zwei lange, mit Stacheln bedeckte Querfortsätze ersetzt. Außer den feinen Zweigen geht aus einem Punkte ein Bündel von Zweigen aus, die desselben Charakters wie der Hauptstamm, nur ein wenig dünner sind. Die Zahl der Fortsätze in der unteren Peripherie des Körpers ist ebenfalls bemerkbar weniger; die Zelle 5 der Abb. XIII ist ihrer Form und den anderen soeben beschriebenen Merkmalen nach differenzierter, wie z. B. die Zelle « der Abb. XII. Bei sehr genauer Untersuchung über die Art des Verschwindens der „überflüssigen“ protoplasmatischen Fortsätze, konnten wir uns überzeugen, dass die letzteren, sobald sie verschwinden müssen, kürzer werden, sich in eine Menge sehr feiner und dünner Fortsätze auflösen und schließlich völlig verschwinden. Ernst Lugaro [30] behauptet, indem er über dasselbe bezüglich der embryonalen kleinen Zellen der inneren Körner- schicht spricht, dass die überflüssigen Fortsätze mit der Zeit dem „rückschreitenden Prozess“ anheimfallen. ‘Der Axenzylinder geht in allen Fällen aus der inneren Zellen- peripherie aus; im Vergleich mit den protoplasmatischen Fortsätzen ist er bedeutend dünner und wird häufig durch rosenkranzförmige Ver- diekungen unterbrochen. Er ist sehr verschiedenen Charakters: es giebt gerade, sich nicht verzweigende Axenzylinder — andere gehen gerade mit einer großen Zahl von Collateralen in die weiße Substanz über und schließlich — sehr lange, die mehr weniger sich wellen- förmig krümmen und mit einer großen Zahl von Collateralen. Einige von den letzteren steigen in die molekuläre Schicht auf, wo sie auch, nachdem sie sich in feine Zweige gespaltet haben, endigen (2 Abb. XIII). Andere bleiben nach Abgabe vieler Zweige in der inneren Körner- schicht und schließlich gehen — die dritten gerade in die weiße Sub- stanz über (d Abb. XIII). Beachtenswert ist noch eine Faser da- durch, dass sie allmählich sich erweitert und am Ende eine kegel- förmige Verdiekung, sogenannte cöne de croissance (Ramon y Cajal’s) bildet (c Abb. XIII). Es ist wahrscheinlich, dass die Länge des Axenzylinders und die Anwesenheit einer großen oder kleinen Zahl von Collateralen mit dem Differenzierungsgrade der Zelle in Zusammen- hang steht, d. h. bei der mehr erwachsenen Zelle hat der Axen- zylinder eine mehr komplizierte anatomische Struktur als bei den jüngeren; als Beispiele weisen wir auf die Zelle der Abb. XIII und die Zelle «a der Abb. XII hin. In jedem Falle haben wir zweifelsohne 39 * 612 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. das Recht zu sagen, dass in dieser Periode die Axenzylinder der Purkinje’schen Zellen länger und reicher an Collateralen sind als beim Katzen- Embryo von 8 cm. Anf den Abb. XII u. XIII sehen wir die verschiedenartigsten Formen der Golgi’schen Zellen; unter ihnen ist die Zelle g Abb. XIII die regelmäßigste und die ein wenig an eine erwachsene erinnert. Sie hat die Form eines mit der Basis nach innen gerichteten und mit der Spitze nach außen sich allmählich verjüngenden Dreiecks. Sie hat sehr symmetrische Seiten und ihre Grenzen treten scharf hervor. Außer den sich verzweigenden äußeren, aus der Spitze der Zelle auslaufenden Fortsätzen, gehen aus ihren Seitenwinkeln ebenfalls mehr oder weniger horizontale, dieke, protoplasmatische Fortsätze aus. Aus der untern Peripherie laufen ebenfalls einige protoplasmatische Fortsätze aus: Die neben ihr gelegene Zelle g, erinnert durch ihre Form, obgleich sie von geringerem Durchmesser ist, an eine Golgi’sche Zelle, der man bei jungen Tieren etwa 1—8 Tage nach der Geburt begegnet. Wir haben daher, wie es scheint, das Recht auf diese Zelle wie auf eine mehr differenzierte Bildung, als die anderen Formen, zu sehen. Sie hat die Form eines mehr oder weniger regelmäßigen, mit der Spitze nach außen und mit der flachen Basis nach innen gerichteten Fünf- ecks. Aus allen Winkeln der Zelle laufen ein oder zwei protoplas- matische Fortsätze aus; außerdem noch aus den Seiten wie auch aus der Basis der Zelle — eine nicht große Zahl von Fertsätzen. Einige von ihnen endigen mit Verdiekungen. Die Zellep muss ihrer Lage und Größe nach zur Kategorie dieser Zellen gerechnet werden. Wir können ihre große Aehnlichkeit mit der Zellenbildung, die wir bei Erwachsenen beobachteten und als Golgi’sche Zelle anerkannten, nicht unerwähnt lassen ($.g Abb. XXX VII). Schließlich bemerken wir auf der Abb. XII in den Zellen g u. g, eine dritte Form der Golgi’schen Zellen, auf die man, wie auf ganz junge Formen, sehen muss. Ihre Axenzylinder nur haben jene anatomischen Besonderheiten, die die erwachsene Golgi’sche Zelle charakterisieren. Durch die verlängerte Form ihres Zellenkörpers erinnern sie keines- wegs an die letztere d. h. an die Golgi’sche Zelle. Die Konturen der Zellen sind sehr unregelmäßig und sehr schwer zu beschreiben. Sowohl sie wie auch die andere Zelle sendet nach außen eine große Zahl protoplasmatischer Fortsätze aus. Die Seitenfortsätze sind völlig den soeben in den anderen Zellen beschriebenen analog. Ihre Axen- zylinder spalten sich in mehr feine Verzweigungen als die der Zellen g u. g, der Abb. XIII. Wir würden kaum Recht haben, wenn wir, ungeachtet der Ver- schiedenheit der Form der Golgi’schen Zellen des dritten Typus (9, 9, Abb. XII) auf sie, wie auf zufällige Formen sehen würden, da wir uns bei aufmerksamer Betrachtung von der unzweifelhaften Aehn- Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde, 613 lichkeit dieser Zellen mit denselben beim Sehaf-Embryo von 14 em (g Abb. IX und g, Abb. X) überzeugen können. Ein solches Zusammen- trefien der Konfiguration von Zellenformen bei Embryonen zweier ver- schiedener Tiere ist sehr lehrreich: dieser Umstand giebt uns die Möglichkeit die Natur einer Zelle zu bestimmen; besäßen wir nicht dieses Kriterium, so wüssten wir nicht, zu welcher Zellenkategorie z. B. die Zelle g, der Abb. X zu rechnen sei, da wir faktisch keinen Grund hätten, sie für eine Golgi’sche Zelle zu halten. Haben wir ein Mal die Natur der Zelle bestimmt, so tritt eine andere Frage in den Vordergrund: auf welche Weise konnte sich die Golgi’sche Zelle in der molekulären Schicht erweisen, sobald sie bei der Erwachsenen in der inneren Körnerschicht liegt. Eine mehr ausführliche Antwort auf diese Frage verlegen wir in das folgende Kapitel, hier sei nur bemerkt, dass wir auf Grund dieses Faktums und anderen zum folgen- den Schlusse kommen: die Zelle g, ist aus der äußeren Körnerschicht entstanden. Auf eine solche Weise erweitern wir unsere Vorstellung über die Rolle dieser Schicht. Wir werden öfter die Gelegenheit haben, auf die Aehnlichkeit gleichnamiger embryonaler Zellen bei verschie- denen Tierarten hinzuweisen (z. B. die Purkinje’schen Zellen der Abb. XXVIIH, XI u. XXXI; die jungen Zellen der inneren Körner- schicht in der Abb. XII u. XXIX). Auf dieses Merkmal hin, haben wir die Zellen g u. » der Abb. XI zu derselben Zellenkategorie wie g u. g, der Abb. XII gerechnet. Dasselbe veranlasste uns die Zellen eu. e, der Abb. IX u. X für Golgi’sche zu halten. Wir könnten noch viele solcher Beispiele anführen. Aus dem eben Gesagten ist deutlich zu ersehen, dass, wenn für die Purkinje’sche Zelle in dieser Periode bereits. der Zeitpunkt da ist, wo ihre Form zu einer bestän- digen wird, für die Golgi’sche Zelle dieser Zeitpunkt noch nicht ein- getreten ist. Wie verschiedenartig jedoch die Formen der embryonalen Golgi- schen Zellen auch sein mögen, so können wir dennoch einige allge- meine Merkmale in ihnen konstatieren: sie haben sehr lange proto- plasmatische Fortsätze. Die einen von ihnen endigen fast auf der äußeren Kleinhirnoberfläche, die anderen — in der Mitte der äußeren Körnerschicht und schließlich die dritten an der inneren Grenze des letzteren. Es ist selbstverständlich, dass es auch andere — mehr kurze Fortsätze giebt, die jedoch in den äußeren Teilen der moleku- lären Schicht sichtbar sind. Zuweilen hat die embryonale Zelle der Kleinhirnrinde nicht solche lange protoplasmatische Fortsätze wie die Golgi’sche Zelle. Wie wir bei der weiteren Beschreibung sehen wer- den, behält die Zelle diese Eigenschaft sehr lange — fast bis zu ihrer völligen Differenzierung. Was den Axenzylinder der Golgi’schen Zelle betrifft, so trägt er sein ihm eigenartiges Gepräge. Sein Auseinander- fallen in feine Zweige ist im größten Teile der Fälle leicht zu be- 614 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. obachten. Diese Verzweigungen fürwahr sind lange nicht so reich wie in den späteren Perioden, trotzdem kann man an ihnen die Golgi’sche Zelle erkennen. Die größte Zahl von Fortsätzen giebt der Axenzylinder an seinem Ende ab, an welchem auch öfter rosenkranzförmige Ver- diekungen zu bemerken sind. Wir wollen noch auf eine Eigenheit hinweisen; in der Zelle g der Abb. XIII geht der Axenzylinder nämlich nicht aus dem Körper der Zelle, sondern aus dem dicken protoplasmatischen Fortsatze aus — auf diesen Umstand haben viel Gelehrte, bezüglich der jungen Zellen überhaupt, bereits hingewiesen. Die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht. In dieser Periode treten diese Zellen nach der Golgi’schen Methode zuerst imprägniert auf. Sie besitzen nicht diese Verschieden- heit der Form, die wir bei den Purkinje’schen und Golgi’schen Zellen beschrieben. Ihr Körper ist stets rund, die dreieckige Form des Körpers stellt eine große Seltenheit vor. Eine jede Zelle jedoch ist dank der Verteilung ihrer Fortsätze, sehr individuell. In dieser Beziehung kann man diese Zelle in 2 Typen trennen. Zum ersten Typus gehören die Zellen, die einen dicken inneren, sehr häufig auf ihrem Wege durch mehr oder weniger große rosenkranzförmige Verdiekungen unterbrochenen Fortsatz haben (% Abb. XII). Häufig schickt er ver- zweigende Fortsätze aus, die Stelle ihres Ausgangs entspricht nicht immer den soeben genannten Verdiekungen (k, Abb. XII). In diesen Verzweigungen können wir eine gewisse Ordnung der Verteilung nicht konstatieren und deshalb besprechen wir sie nicht besonders. Einen Begriff davon können wir uns durch die Abb. XII machen. Zu dem 2. Typus gehören die Zellen, die diesen dieken Fortsatz nicht besitzen. Die Länge und das Aussehen ihrer Fortsätze ist mehr oder weniger eine gleiche und so verteilt, dass sie der Zelle das Aussehen eines Sternes verleihen (o Abb. XII). Die Seitenfortsätze der Zellen sowohl des ersten als auch des zweiten Typus sind einander sehr ähnlich; sie haben alle ein wellenförmiges Aussehen, die einen von ihnen ver- zweigen sich, die anderen nicht. In einigen Fällen geht von der Zelle nach innen ein dicker Fortsatz aus, der sogleich in untergeordnete feine Zweige zerfällt (% Abb. XI). Neben solchen Zellen begegnen wir auch mehr einfachen Formen mit sehr wenigen Fortsätzen. Die Figur g in der Abbildung XII besitzt zwei Fortsätze, von denen der obere einen langen, parallel der Kleinhirnoberfläche gehenden Zweig ausschickt. Die Figur c stellt eine ebensolche bipolare Zelle vor, die fast in der Dicke der weißen Substanz liegt und außer den zwei horizontalen Fortsätzen, einen Axenzylinder nach oben abgiebt.: Alle obengenannten Zellenformen liegen in der inneren Körnerschicht, ana- logen Bildungen aber begegnen wir auch in der molekulären Schicht. Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde, 615 Figur%, in der Abbildung XII ist eine bipolare Zelle mit einem dieken inneren Fortsatz; von ihrem Körper beginnen nach allen Seiten kurze und zarte Fortsätze abzugeben. In Figur d sehen wir eine Körner- zelle des zweiten Typus, da sie keinen dieken Fortsatz besitzt. Im größten Teile der Fälle wendet sich der letztere vertikal zur weißen Substanz, zuweilen aber krümmt er sich bogenförmig und nimmt eine horizontale Richtung ein. Bezüglich des Axenzylinders dieser Zellen können wir folgende Besonderheiten konstatieren. Ihr größter Teil geht von dem Zellkörper aus, nur einige von den protoplasmatischen Fortsätzen. Bei den tiefer in der Rinde gelegenen Zellen ist der Axenzylinder dünner und sein Verlauf weniger wellenförmig als bei den mehr oberflächlich gelegenen. Fast alle Axenzylinder gehen bis zur Mitte der äußeren Körnerschicht, nur einige wenige endigen in der molekulären Schicht. Der Axen- zylinder ändert zuweilen seine Richtung; wir konnten solches nur ein Mal in der inneren Körnerschicht beobachten (8.9 Abb. XII). Auf den Querschnitten sieht man, dass in dieser Periode das Spalten des Axenzylinders in zwei horizontale Zweige in der moleku- lären Schicht in sehr begrenztem Maße vor sich geht. Es gelang uns nur ein Mal in dieser Periode eine Körnerzelle zu beobachten, deren Axenzylinder sogleich nach seinem Abgange sich in zwei, fast parallel nach .oben gehende Zweigchen spaltete (Sk, Abb. XIII). Eines von ihnen sendet Seitenfortsätze aus. Diese Zelle ist mehr differenziert als die soeben beschriebenen, d. h. sie ist von polygonaler Form wie eine erwachsene Zelle. Ihr embryonaler Charakter äußert sich in der Menge der kleinen, vom Zellkörper abgehenden Fortsätze. Aus diesen Auseinandersetzungen sehen wir also, dass die Form der jungen Zellen der inneren Körnerschicht von der einfachen bipolaren bis zur kom- plizierten — multipolaren variiert. Gehen wir jetzt zur Beschreibung der vertikalen bipolaren Bil- dungen über, die wir in der äußeren Körnerschicht antreffen und die, wie wir weiter sehen werden, mit den soeben beschriebenen Zellen der inneren Körnerschicht verwandt sind. Diesen Zellen begegnen wir in den äußeren Teilen der genannten Sehicht selten, sondern größtenteils liegen sie an ihrer inneren Peripherie, die gewöhnlich der Zellenkörper einnimmt. Auf den mit Silber gelungen imprägnierten Stellen liegen sie in einer ganzen Reihe nebeneinander; oft gehen zwischen ihnen die vertikalen Fasern der angehörigen Neurogliazellen (k, Abb. XII) nach außen durch. Von dem Körper einer jeden bipolaren Zelle geht nach oben ein fast parallel den soeben beschriebenen Fasern ver- laufender, dünner Forisatz ab. Auf eine solche Weise sieht die ganze äußere Körnerschicht wie durchschnitten von häufigen vertikalen Balken aus. Außerdem sendet noch eine jede Zelle einen Fortsatz nach unten ab. Die Neurogliafasern sind gerader als der genannte Fortsatz. 616 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Solehen bipolaren Zellen begegnet man in der molekulären Schicht, in der Schicht der Purkinje’schen Zellen, ja sogar, wie bereits früher erwähnt, auch in der Körnerschicht. Wir sehen nämlich bei aufmerk- samer Betrachtung, dass je tiefer in der Rinde die bipolare Zelle liegt, desto größer ihr Körper und desto dünner ihr oberer Fortsatz wird. Die vorherrschende Form des Zellkörpers ist — die runde oder ovale; der größte Teil dieser Elemente sendet nach unten einen diekeien Fortsatz als nach oben ab. Außerdem sehen wir in der äußeren Körnerschicht dieselben Bil- dungen wie bei dem Katzen-Embryo von 8cm, d. h. kleine Körperehen mit einem Fortsatze zur Kleinhirnoberfläche. Wir werden sogleich sehen, wie die bipolare Zelle nach allmäh- licher Veränderung in die kleine Zelle der inneren Körnerschicht über- gcht. Die Anwesenheit sowohl dieser wie jener auf einem und dem- selben Objekte (Abb. XIT) weist uns darauf hin, dass ihr Ditfferen- zierungsprozess in einer kürzeren Zeit vor sich geht, als wir dieses an den großen Zellen der Rinde sahen. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Erwägung nur in dem Falle begründet ist, wenn man zugiebt, dass die bipolaren Zellen in dieser Periode die einfachsten Formen der von uns betrachteten Zellen bilden — mit anderen Worten, dass die letzteren aus den ersteren entstehen. Wenn wir den Prozess des embryonalen Lebens als einen immer fortschreitenden Prozess betrachten, so ist es ver- ständlich, dass unsere Schlüsse über den Uebergang einer zelligen Form in eine andere auf eine unbedingte Genauigkeit nicht Anspruch machen können, da wir nur für ein gewisses Stadium die Anwesenheit dieser oder jener Zellenform, ihr äußeres Aussehen, ihre Lage u. s. w. konstatieren können; keineswegs aber haben wir, vom Standpunkte der strengen Objektivität, das Recht zu behaupten, dass eine solche Zelle z. B. eben aus dieser (gewissen) Zelle entstanden ist aber nicht von jener, solange wir nicht den Uebergangsprozess selbst beobachtet haben. — Wenn wir auch im Prinzip Recht hätten, so kommen wir bei auf- merksamer Betrachtung der Objekte in dem größten Teile der Fälle solche allgemeine Merkmale finden, die uns veranlassen zu den oder jenen Schlüssen zu kommen. Erläutern wir das Gesagte: Beim Katzen-Embryo von 8 em begegneten wir in der äußeren Körnerschicht Bildungen, die bereits Ramon y Cajal [40] bei Neu- geborenen beobachtete und sie unter dem Namen „epithelioide Ele- mente“ beschrieb. Sie liegen alle in der Mitte der genannten Schicht, sind verschieden geformt und geben einen Fortsatz zur äußeren Klein- hirnoberfläche ab. Denselben Bildungen begegneten wir in derselben - Schicht beim Katzen- Embryo von 12 cm, einige Veränderungen sind aber bereits in ihnen vorgegangen: der Körper der Zelle ist stets rund Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 617 oder oval. Er liegt nicht in der Mitte der Schicht, sondern an ihrer inneren Grenze oder in der molekulären Schicht. Ihre oberen Fort- sätze wurden ein wenig dünner und wellenförmig, also nicht gerade wie in der vorhergehenden Periode. Viele Zellen senden nach unten einen diekeren Fortsatz ab, als der obere. Die so gebildeten bipolaren Zellen treffen wir weiter auch in der Höhe, wo die Purkinje’schen Zellen gelagert sind. Hier wurde ihr Körper größer, der untere Fort- satz dieker, der obere aber noch dünner. Schließlich beobachten wir in der molekulären Schicht eine Zelle, die bei Aufrechterhaltung aller Attribute der obenbeschriebenen bipolaren Zelle, kurze oder lange, aus dem Zellkörper ausgehende Fortsätze hat. Auf eine solche Weise nähern wir uns allmählich der Form, die wir für die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht als charakteristisch halten. Stellen wir uns etwa diese Zellen ohne die kleinen Fortsätze, die der Zellenkörper ausschickt, vor, so haben wir dann eine gewöhnliche bipolare Zelle mit zwei Fortsätzen, von welchen der obere dünn, der untere dick ist. Auf solchem Wege kommen wir zu dem Schlusse, dass die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht aus den epithelioiden Elementen entstehen. Bei Untersuchung der Hühner-Embryonen (s. Abb. XXIX), über- zeugen wir uns, dass bei ihnen sich dasselbe wiederholt, was wir bei den Katzen-Embryonen beobachteten. Dieselben bipolaren Zellen, die allmählich ihr Aussehen, je näher sie dem Rindenzentrum liegen, ändern, bis sie die kleine Zelle der inneren Körnerschicht bilden. Der untere dieke Fortsatz ist hier ebenfalls wie dort bemerkbar. Wir führen als Beispiel absichtlich die Hühner- Embryonen an, um zu be- weisen, dass die histogenetischen Prozesse bei völlig verschiedenartigen Tieren identisch vor sich gehen. Auf eine solche Weise begegnen wir hier einer interessanten embryologischen Erscheinung: die äußere Körnerschicht erzeugt ähn- lich der Keimschicht, Elemente, die nach allmählicher Veränderung ihrer Form, sich in spezielle Nervenzellen verwandeln. Wenden wir uns jetzt zu den litterarischen Hinweisungen. Ramon y Cajal [40] gelang es zuerst, die Elemente der äußeren Körnerschicht bei neugeborenen Tieren mit Silber zu imprägnieren; gleichzeitig sei hier bemerkt, dass er ein Jahr früher bereits versuchte, diese Elemente zu imprägnieren, doch erfolglos. Erst im Jahre 1890 gaben seine Untersuchungen befriedigendere Resultate, die sich im Folgenden äußerten. Die äußere Körnerschicht besteht seiner Meinung nach, aus zwei Schiehten: a) einer oberflächlichen Schicht oder Schicht epithelioider Zellen, b) einer tiefen Schicht oder Schicht horizontaler Zellen. Die erste Schicht imprägniert sich schwer mit Silber und häufig sehr ungenau. Falls die Imprägnierung gelingt, so stellen ihre Zellen Körperchen von sphärischer Form vor, die mit einem dicken 618 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. und kurzen, zuweilen die Kleinhirnoberfläche erreichenden Fortsatz versehen sind. Ueber das weitere Schicksal dieser Zellen entschließt sich der Autor nicht in Anbetracht der Schwierigkeit, ja sogar der Unmöglichkeit (de la quasi impossibilit6 .....) sie nach der Golgi’- schen Methode genau zu imprägnieren, ein bestimmtes Urteil zu fällen. Die zweite Schicht bildet sich aus bipolaren, eiförmigen mit den langen Durchmesser quer gelegenen Zellen. Sie besitzen zwei Fortsätze, die aus den beiden Polen auslaufen und in großer Ausdehnung parallel der Richtung der Windungen sich fortsetzen. Diese Fortsätze sind ungleich: der eine ist diek und kurz und ähnelt einem protoplasma- tischen Fortsatz, der andere zart (... .. delieate ....) und dünn, behält diese Eigenschaft während seiner ganzen Ausdehnung und endigt, ohne sich zu verzweigen. Der protoplasmatische Fortsatz sendet häufig untergeordnete Zweige ab. Die mehr tief gelegenen Zellen schicken zuweilen ein protoplas- matisches, in die molekuläre Schicht eindringendes und auch dort endigendes Anhängsel (. ... appendice .. .) aus. Schließlich beschreibt der Autor eine dritte Form bipolarer Zellen, die vertikal auf verschiedener Höhe in der Dicke der molekulären Schicht und in den äußeren Teilen der inneren Körnerschicht gelegen sind. Der Körper der Zeile ist spindelförmig und enthält einen ei- förmigen Kern. Der nach unten absteigende Fortsatz ist dick und erinnert an einen protoplasmatischen; der nach oben aufsteigende ist dünn und wird vom Autor als ein nervöser, Deiters’scher Fortsatz betrachtet. Dieser Fortsatz spaltet sich fast unter einem geraden Winkel, sobald er bis zur äußeren Körnerschicht gelangt, in zwei, den Windungen parallele, lange Fäden. Die bipolaren Körperchen der molekulären Schicht haben, wie man aus der Beschreibung ersieht, Axenzylinder mit denselben anatomischen Eigenschaften, wie die Zellen der inneren Körnerschicht. Die Lage dieser Körperchen aber, ihr spindelförmiges Aussehen und schließlich die Abwesenheit von Ueber- gangsformen zu den Körnern der inneren Körnerschicht geben uns nicht das Recht, meint der Autor, diese Körperchen, wie eine Varietät (.... variete ....) der Körner anzusehen; um so mehr noch, als die Körner, wann die bipolare Zelle auftritt, sich bereits völlig gebildet haben. In einer anderen Abhandlung [41] kehrt der Autor wiederum zur Frage über die Bedeutung der Körperehen der ersten Schicht in der äußeren Körnerschicht zurück. Ramon y Cajal spricht, ausgehend von dem allgemein bekannten Faktum, dass im Verhältnis mit dem Schwinden der Körperehen der äußeren Körnerschicht, die molekuläre Schicht breiter wird, die Vermutung aus, dass diese Eiemente mit der Zeit sich in die kleinen sternförmigen Zellen der molekulären Schicht, die man bei Erwachsenen beobachtet, verwandeln. Den Zellenüber- Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 619 gang selbst aus der äußeren Körnerschieht in die molekuläre Schicht erklärt der Autor dadurch, dass die Körner, sobald die molekuläre Schieht breiter wird, allmählich sieh in sie versenken und dort sich in größerer oder kleinerer Entfernung voneinander verteilen. Es liegt keine Notwendigkeit vor, setzt er fort, einen nachfolgenden Untergang dieser Körperchen oder ihre Resorption vorauszusetzen. Es liegt hier — bloß eine einfache Dislokation derselben aus einer Schicht in eine andere und die Evolution in wahre Nervenzellen vor. Hinsichtlich des Gesagten wollen wir unsererseits einige Bemer- kungen machen: a) die epithelioiden Elemente oder die Körperchen der ersten Schicht imprägnieren sich zuerst mit Silber bedeutend früher, als dieses Ramon y Cajal beschreibt, und zwar beim Katzen-Embryo von 8 em; b) die horizontalen bipolaren Zellen treten, wenn auch in geringer Zahl!), ebenfalls bei den Embryonen bereits im intrauterinen Leben auf; der protoplasmatische Fortsatz gibt noch keine Zweige ab; e) die Bedeutung der vertikalen bipolaren Zellen haben wir, scheint es uns, als Elemente, die sich in die kleinen Zellen der inneren Körner- schicht zu verwandeln haben, deutlich genug illustriert. Andererseits unterliegt, scheint es uns, ihr Zusammenhang mit den epithelioiden Elementen, als ihr Prototyp, keinem Zweifel. Wir müssen nicht so verstanden werden, dass alle Zellen der äußeren Körnerschicht nur eine solehe Umwandlung erleiden; wie wir weiter sehen werden, tritt diese Schicht auch als Bildungsquelle anderer Elemente auf; d) der Umstand, dass Ramon y Cajal sich nicht entschließt, die Zellen der inneren Körnerschicht von den vertikalen bipvlaren Zellen abzuleiten, erklärt sich dadurch, dass er solehe Objekte der Entwicklungsstadien (neugeborenes Tier) wählte, wo diese Verwandlung bereits fast völlig beendet war; e) wir teilen die Ansicht des Gelehrten, dass die Kör- perchen dieser Schicht sich in die kleinen, sternförmigen Zellen der molekulären Schicht verwandeln (davon sprechen wir noch später), doch keineswegs können wir dieses auf alle Körperchen beziehen. Erstens ist der Unterschied in der Anzahl dieser Körperchen und der sternförmigen Zellen sehr augenscheinlich (von den letzteren sind in der molekulären Schicht äußerst wenige) und zweitens entwickeln sicb diese Zellen nach unseren Untersuchungen als die letzten, sobald die äußere Körnerschicht deutlich abnimmt, die molekuläre Schicht aber an Breite zugenommen hat. Gleichzeitig wollen wir noch hinzufügen, dass nach der Meinung Schwalbe’s [57]; die Zellen der äußeren Körnerschicht zur Bildung der radiären Fasern oder der retikulären Substanz, die die Basis der 1) Da wir diese Elemente möglichst genau bei Neugeborenen betrachten werden, so hielten wir es für unnötig sie für diese Periode besonders abzu- bilden und begnügen uns hier nur mit ihrer Erwähnung. 620 Biologische Arbeiten über Osmose und Dissoziation. molekulären Schicht der Rinde ausmacht, dienen. Nach der Meinung Obersteiner’s |37] bilden diese Elemente die Basalmembran, die die Kleinhirnoberfläche bedeckt. (Viertes Stück folgt.) Biologische Arbeiten über Osmose und Dissoziation. Die außerordentlich zahlreichen und interessanten Ergebnisse, zu denen die Arbeiten der letzten zehn Jahre auf dem Gebiete der physikalischen Chemie geführt haben, kommen jetzt allmählich auch den biologischen Wissenschaften zu gute. Es sind vor Allem die Theorie der Lösungen von van t’Hoff und die Theorie der elektrischen Dissoziation von Ar- rhenius, die von größtem Wert für die Deutung physiologischer Vor- gänge zu werden versprechen. Allerdings sind die zu überwindenden Schwierigkeiten sehr groß, einmal wegen der Kompliziertheit der im Orga- nismus gegebenen Verhältnisse und dann wegen der noch ganz im Werden begriffenen Methodik. Was zunächst diese anlangt, so kommen wenigstens für die biologische Forschung die ersten Anordnungen zur Bestimmung des osmotischen Drucks, die Traube’schen Niederschlagsmembranen, auch in ihrer weit vollkommneren Ausbildung als Pfeffer’sche Zellen kaum in Betracht. Es sind hauptsächlich die plasmolytische Methode von de Vries und die Blutkörperchen-Methode von Hamburger, mit denen der Biologe die osmotischen Verhältnisse von Zellen und Gewebsflüssigkeiten der orga- nischen Wesen zu bestimmen pflegt. In manchen Fällen, besonders zur Kontrole der mit diesen Methoden erhaltenen Resultate, kommt auch die Gefrierpunktsmethode in Anwendung, aber selten, wohl hauptsächlich wegen ihrer Langwierigkeit und wegen der größeren technischen Anforderungen. Dass von der Siedepunktsbestimmung kein Gebrauch gemacht wird, ist nicht weiter verwunderlich bei Versuchen an organischen Flüssigkeiten, die meist eiweißhaltig sind. Eine brauchbare Methode nun aber für biologische Versuche vorausgesetzt, so sind die Schwierigkeiten, die bei Lösung bio- logischer Fragen zu überwinden sind, doch noch ganz erheblich im Ver- gleich zu denen, die dem Chemiker sich entgegenstellen. Denn einmal sind die Versuchsobjekte sehr kompliziert — um Lösungen einer einzigen Verbindung handelt es sich z. B. in einer organischen Flüssigkeit nie — und zweitens sind die Objekte sehr veränderlich und hinfällig. Die ersten Versuche am lebenden Material zur Entscheidung von Fragen über Osmose und osmotischen Druck sind von Naegeli und Pfef- fer gemacht. Ihre Objekte waren Pflanzenzellen, und bei Untersuchungen an Zellen sind bisher meistens nur diese gebraucht worden. Der Grund dafür liegt nahe. Handelt es sich um die Bestimmung des osmotischen Drucks, so hat man mit Hilfe verschieden starker Lösungen einer einzigen, chemisch reinen Substanz, die entweder nicht dissoziiert oder deren Dis- soziationsgrad bekannt ist, auszuprobieren, welche von ihnen mit dem Zell- inhalt isotonisch ist, welche von ihnen also der Zelle kein Lösungsmittel — das ist in unseren Fällen Wasser — abgibt oder entzieht. Nun ist aber schwer zu erkennen, ob das Protoplasma gerade etwas quillt oder etwas schrumpft, solange wir kein Vergleichsobjekt daneben haben, Dies wird nun bei den Pflanzen durch die für die Lösungen durchgängige Zell- membran gebildet, von der sich das Protoplasma abheben kann, sobald Biologische Arbeiten über Osmose und Dissoziation. 621 es schrumpft (Plasmolyse); sie fehlt der tierischen Zelle, und das ist der Grund, warum Untersuchungen dieser Art sich bisher meist auf die ver- schiedenen Pflanzenzellen beschränkten, mit Ausnahme einer einzigen tierischen Zellart; das sind die roten Blutkörperchen. An ihnen wird nach Ham- burger’s Angaben die Hypisotonie einer Lösung am Austritt von Hämo- globin aus den Körperchen erkannt. (Indessen beweist das Nichtaustreten von Hämoglobin noch nicht die Isotonie der Lösung.) Neuerdings sind nun aber auch an anderen tierischen Zellen Versuche angestellt, u. A. von Overton, und seine Ergebnisse wurden in zwei Arbeiten veröffent- licht, die sich überhaupt mit verschiedenen wichtigen Fragen beschäftigen und zu ihrer Beantwortung neue Wege weisen. Darum ist ein eingehender Bericht wohl von Interesse. Överton?) hat zahlreiche, besonders pharmakologisch und toxikolo- gisch wichtige Verbindungen hinsichtlich ihres Vermögens, in das Zell- protoplasma einzudringen, untersucht und ist dabei zu folgenden Resul- taten gekommen: Im Allgemeinen ist das Protoplasma durchgängig für alle neutralen flüssigen Körper in wässeriger Lösung, die Durchgängigkeit nimmt ab mit der Anhäufung aktiver Atomgruppen im Molekül und mit der Zunahme des spezifischen Gewichts. Alle leicht dissoziierbaren Ver- bindungen, also fast alle anorganischen Salze, Säuren und Basen dringen nicht ein. Am stärksten wird die Durchgängkeit behindert durch die An- wesenheit einer Amidosäuregruppe im Molekül, demnächst durch eine Carboxyl- oder Säureamidgruppe; ziemlich wenig verzögern Alkoholhydroxyle den Durchtritt, doch umsomehr, in je größerer Anzahl sie im Molekül enthalten sind. Am wenigsten verzögert die Aldehydgruppe. ' Das sind die Resultate, von rein theoretisch-chemischen Gesichts- punkten aus betrachtet. Klassifiziert man jedoch nach praktisch-pharma- kologischen Gesichtspunkten, so findet man, dass die wichtigen Gruppen der Narcotica und der Alkaloide fast ausnahmslos schnell in die Zellen eindringen und demnach schnell ihre Wirksamkeit geltend machen können. Es bestehen indessen vielfache Unterschiede; so dringt Morphin langsamer ein als sein Methoxylderivat Codein, dieses wieder langsamer als das noch einmal methoxylierte Derivat T'hebain. Besonders schnell passieren Atropin, Strychnin und Brucin die Protoplasmagrenzschicht, auch Cocain. Was die Methodik anlangt, die Overton zu diesen Resultaten ge- führt hat, so ist zu sagen, dass auch er meist mit Pflanzenzellen arbeitete, und zwar stellte er sich eine „plasmolytische Grenzlösung“ (de Vries) aus einem Nichtleiter her (er verwendete dazu den Rohrzucker) und prüfte mit der aequimolekularen Lösung des zu bestimmenden Stoffes, ob und wie schnell Plasmolyse eintrat. Wirkte der Stoff schädlich oder tötend auf das Protoplasma ein, so wurde er mit der Lösung eines indifferenten Stoffes, deren Konzentration bekannt war, bis zur Unschädlichkeit ver- dünnt. Da der gesamte osmotische Druck einer Lösung von mehreren Stoffen gleich der Summe der osmotischen Partialdrucke ist, so konnten auf diese Weise auch die in konzentrierteren Lösungen schädlichen Stoffe 4) Overton, Ueber die osmot. Eigenschaften der lebenden Pflanzen- und Tierzelle. Vierteljahrsschr. d. naturf. Gesellschaft in Zürich, 1895. Derselbe, Ueber die osmot. Eigenschaften der Zelle in ihrer Bedeu- tung für die Toxikologie und Pharmakologie. Zeitschrift f. physikal. Chemie, XXI, 2, 1897. 6223 Biologische Arbeiten über Osmose und Dissoziation. hinsichtlich ihres Verhaltens gegen das Zellprotoplasma bestimmt werden. Um sich dagegen zu schützen, dass eine chemische Verbindung des Proto- plasmas mit dem zu prüfenden Stoffe ein osmotisches Eindringen vor- täuschen könnte, wurde stets untersucht, ob der Stoff ebenso leicht aus der Zelle exosmiert, wie er in sie eindringt. Wie der Verfasser den osmotischen Druck tierischer Zellen bestimmte, deutet er vorläufig nur an und verweist auf einen demnächst erseheinenden ausführlichen Bericht über seine Versuche. Er bestimmte den Wasser- gehalt der Gewebe, indem er von der natürlichen Voraussetzung ausging, dass in isotonischen Lösungen der Wassergehalt gleich bleiben, in hyper- isotonischen abnehmen muss, wenn der gelöste Stoff nicht in das Proto- plasma eindringt. Es kam noch eine zweite Methode in Anwendung, um die Schnellig- keit des Eindringens von Stoffen in die Zelle zu messen; sie gründet sich auf den Gerbstoffgehalt vieler Pflanzenzellen und auf die Fähigkeit vieler arzneilicher Stoffe, mit der Gerbsäure Niederschläge zu bilden. Diese chemischen Prozesse sind in ihrer Bedeutung für osmotische Fragen wohl zu unterscheiden von solchen, wie sie z. B. durch stärkere Säuren hervor- gerufen werden. Die Bildung der gerbsauren Salze schädigt keineswegs die Protoplasten, und bringt man die Zelle, in der sich eine Verbindung des gelösten Stoffes mit der Gerbsäure gebildet hat, in eine ganz dünne Lösung des Stoffes oder in reines Wasser, so sieht man, wie der Nieder- schlag infolge von hydrolytischer Dissoziation allmählich wieder verschwindet und die Zellen lebenskräftig, unverändert und ungeschädigt, zurücklässt. Es zeigte sich nun unter Anderen, dass manche Stoffe, wie Ammoniak- salze, primäre, sekundäre und tertiäre Amine Niederschläge geben, aber deutlich Plasmolyse verursachen; eine der beiden Methoden schien also im Stich zu lassen. Indessen ergab sich eine ganz geringe Dissoziation des untersuchten Stoffes im Lösungsmittel als Grund hierfür. Die Dissoziation war nicht groß genug, um bei Bestimmung der plasmolytischen Grenz- lösung in die Augen zu fallen, wohl aber konnten die weniger freien Jonen, die im Gegensatz zu den undissoziierten Molekülen in die Zellen einzudringen vermochten, dort Gerbsäureniederschläge bilden. Wurde da- her durch Zusatz des einen Jons zu der Lösung die Dissoziation herab- gesetzt, so entstand nun auch kein Niederschlag mehr. Diese Versuchs- methode ermöglicht es also, den Dissoziationsgrad mancher Körper zu bestimmen. Auch die übrigen Ergebnisse der Overton’schen Arbeit lassen sich noch in manch anderer Hinsicht zur Beantwortung interessanter Fragen ausnutzen. Overton gibt z. B. an, dass die verschiedenen Protoplasmen je nach ihrem Differenzierungsgrad verschieden empfindlich gegen in sie eindringende gelöste Stoffe sind; so werden Sperma und Furchungskugeln viel weniger durch Alkohol- oder Glyzerinlösungen geschädigt als Ganglien- zellen. Ferner lässt sich durch Einbringen von Pflanzenzellen in Lösungen von einem Stoff, der nur langsam in das Protoplasma eindringt (also auch langsam aus ihm herausgeht) die Festigkeit der Zellmembran be- stimmen, denn bringt man solch eine Zelle, die sich allmählich mit der Lösung getränkt hat, plötzlich in das reine Lösungsmittel, so kann der kolossal hohe osmotische Druck in der Zelle, der sich nicht rasch genug gegen das reine Lösungsmittel ausgleichen kann, die Membran sprengen, Biologische Arbeiten über Osmose und Dissoziation. 623 Alle diese Vorgänge sind rein passiver Natur, eine besondere Proto- plasmathätigkeit bildet nicht ihre Voraussetzung. Indessen reicht, wie es scheint, für andere Verhältnisse, die auf die Verteilung der Moleküle Bezug haben, die Erklärung mit Osmose und Diffusion nicht aus. Der Gehalt der Muskeln an Kaliumsalzen gegenüber dem Gehalt des um- gebenden Serums an Natrium, der hohe Prozentgehalt an Harnstoff im Harn gegenüber dem niedrigen Harnstoffgehalt des Blutes, aus dem der Harn sich bildet, die Wahlwirkung der Arzneimittel auf bestimmte Gewebe trotz Einverleibung in den Kreislauf bleiben noch unerklärt. Um solche Thatsachen zu erklären, muss man vorläufig noch die „aktive“ Zellthätig- keit in Anspruch nehmen; inwieweit diese auf besonderen physikalischen oder chemischen Eigenschaften, die in den verschiedenen Zellen verschie- dene sind, beruht, bleibt noch dahingestellt. Doch weisen neue Arbeiten auch hier neue Wege zur Erkenntnis; vielleicht handelt es sich je nach den Geweben um verschiedene Durchlässigkeit von Membranen für Moleküle oder Jonen, vielleicht auch um verschiedene Quellbarkeit der Protoplasmen. Koeppe veröffentlichte vor Kurzem eine Arbeit!), nach der solche Zu- stände in der That eine Rolle im Organismus zu spielen scheinen. Zur Bestimmung des osmotischen Druckes von Lösungen benutzt er eine Blutkörperchenmethode, die bisher noch nicht erwähnt wurde. Er bestimmt durch Centrifugieren im Haematokriten das Volumen der Blut- körperchen einer bestimmten Blutmenge in isotonischer Rohrzuckerlösung und vergleicht damit das Volumen der gleichen Blutkörperehenmenge in anderen Lösungen. Er fand, dass bei Anwendung von Salzlösungen der Dissoziationskoeffizient mit den von Raoult und Arrhenius nach der Methode der Gefrierpunktserniedrigung erhaltenen Werten bei dem einen Salz gut, bei einem anderen schlecht und bei wieder einem anderen nur mäßig übereinstimmte. (Die Berechnung des Dissoziationskoeffizienten geschieht nach der Formel: 0 —= 22,35 im, welche für Lösungen von 1 & Substanz im Liter und für 0° gilt und in der 0 den osmotischen Druck, i den Dissoziationskoeffizienten und m das Molekulargewicht be- deutet.) Keine Uebereinstimmung war dann vorhanden, wenn das Salz in die Blutkörperchen eindrang und sie, langsamer oder schneller, auflöste. Aber wie waren die Abweichungen vom Gesetz des osmotischen Drucks und der Dissoziation zu erklären, auf die die mäßig übereinstimmenden Zahlen für den Dissoziationskoeffizienten hinzuweisen schienen ? Eine Beobach- tung von Gürber (die übrigens schon früher von Zuntz und von C. Leh- mann gemacht wurde. Ref.) brachte Koeppe Aufklärung: bringt man mit CO, gesättigte Blutkörperchen in eine isotonische Kochsalzlösung, so verschwindet Chlor aus der Lösung, und diese wird alkalischh Gürber nahm nun an, dass durch Massenwirkung der CO, auf das Kochsalz kohlen- saures Natrium entsteht, und dass der gebildete Chlorwasserstoff in die Blutkörperchen hineinwandert. Durch eine etwas modifizierte Versuchs- anordnung und dunch Verwendung von verschiedenen Salzlösungen konnte Koeppe jedoch nachweisen, dass der Vorgang wahrscheinlich folgender ist: die äußere Grenzschicht der Blutkörperchen ist undurchgängig für Na-Jonen, durchgängig für Cl- und CO,-Jonen. Der Partialdruck der 4) H. Koeppe, Der osmot. Druck als Ursache des Stoffaustausches etc, Pflüger’s Archiv, 1897, Bd. 67, S. 189. 624 Biologische Arbeiten über Osmose und Dissoziation. CO,-Jonen ist in den mit CO, gesättigten Blutkörperchen, der der Cl-Jonen in der Kochsalzlösung größer. Folglich wandern CO,-Jonen von den Blut- körperchen in die Lösung, Cl-Jonen aus der Lösung in die Blutkörperchen. Die CO,-Jonen dissoziieren in der Lösung H,O-Moleküle, es entstehen HCO,- und OH-Jonen; letztere verursachen die alkalische Reaktion. Mit dieser Annahme der verschiedenen Durchgängigkeit für verschiedene Jonen erklären sich die oben genannten Abweichungen, welche sich z. B. bei Soda- und Kochsalzlösungen finden. Denn ziemlich sicher sind in Blut- körperchen stets sowohl CO,- als auch Cl-Jonen anwesend. Verwendet man nun gewöhnliche Blutkörperchen, die nicht mit CO, gesättigt sind, so findet infolge der Differenz der Partialdrucke in Soda- und in Koch- salzlösungen ein Austausch von CO,- und Cl-Jonen statt, in der einen Lösung in der einen Richtung, in der andern in der entgegengesetzten. Nun treten aber an die Stelle von einem zweiwertigen CO,-Jon zwei einwertige Cl-Jonen; es findet also in der Lösung entweder eine Ver- mehrung oder eine Verminderung der Jonen statt, und dementsprechend wird der Dissoziationskoeffizient zu groß oder zu klein gefunden. Diese theoretische Deduktion deckt sich in Koeppe’s Arbeit mit der praktischen Erfahrung. Durch ähnliche Wanderungen von Jonen sucht Koeppe in einer früheren Arbeit !}) die Salzsäuresekretion der Magen- schleimhaut zu erklären. Versuche von Mehring mit Zufuhr von reiner Salzsäure in den Magen machen es wahrscheinlich, dass die Magenschleim- haut für Cl-Jonen undurchgängig ist. Die Salzsäurebildung käme dann dadurch zustande, dass sich die Na-Jonen des im Mageninhalt befindlich zum Teil dissoziierten Kochsalzes gegen H-Jonen des Blutes austauschen. Für diese Annahme spricht einmal die Fähigkeit der Magenschleimhaut, nur dann Salzsäure zu „sezernieren“, wenn in den Magen Cl-Jonen ein- geführt sind, zweitens das Alkalischwerden des Harns auf kurze Zeit, nachdem man bloß reine Kochsalzlösung eingenommen hat, bedingt durch das Wandern der Na-Jonen ins Blut und durch die damit verbundene Dissoziation von Wasser im Blut, und drittens die von T'rappe bewiesene Entstehung von Bromwasserstoff im Magen bei Natriumbromid - Zufuhr, auch wenn keine Salzsäure im Magen anwesend ist, die aus dem NaBr HBr bilden könnte. Auch diese Experimente erwecken ebenso wie die Overton’schen die Hoffnung, dass Arbeiten in der gleichen Richtung noch zu sehr be- deutungsvollen Resultaten führen werden?). Mit den Salzen und dem Wasser wusste man bisher in der Biologie sehr wenig anzufangen, man wusste eigentlich in der Hauptsache bloß, dass sie für den Organismus durchaus notwendig sind, aber von der Art und von der Größe ihrer Be- deutung konnte man sich kaum eine Vorstellung machen. Um aber gar zu einer‘ vollkommeneu Einsicht darüber zu gelangen, dazu ist noch eine Fülle von Arbeitsmaterial zu bewältigen. R. H. [80] 1) H. Koeppe, Ueber den osmot. Druck des Blutplasmas und die Bildung der Salzsäure im Magen. Pflüger’s Archiv, 1896, Bd. 62, S. 567. 2) Zu bemerken ist noch, dass Gryns zu ganz ähnlichen Ergebnissen und Anschauungen durch seine Experimente gelangt ist, wie die genannten Autoren. Siehe darüber: Pflüger’s Archiv, 1896, Bd. 63, S. 86 ft. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ee in eh 2 HE von n je 24 Bogen bilden einen Band. Proia He Banden 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVIL. Binde September 1897. Nr. 17. Inhalt: Nusbaum u. Schreiber, Beitrag zur Kenntnis des peripherischen Nerven- systems bei den Crustaceen. — Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirn- rinde. (Viertes Stück.) — Noll, Ueber Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der Anzucht früher blühender Reben. — 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig. Beitrag zur Kenntnis des peripherischen Nervensystems bei den Crustaceen. Von Prof. Dr. Jozef Nusbaum u. stud. phil. Witold Schreiber in Lemberg. (Mit S Abbildungen.) Nach den klassischen und ausführlichen Arbeiten von Retzius!) und Rath?) über das sensible Nervensystem bei unserem Flusskrebse (Astacus) schien diese Frage gänzlich erledigt zu sein. Als wir jedoch dem Flusskrebse Methylenblaulösung injizierten und unter anderem die vonRathund Retzius beschriebenen, sensiblen Nervenfaserendigungen studierten, lenkte unsere Aufmerksamkeit außer diesen letzteren noch eine besondere Art anderer, sehr zahlreicher, subepithelialer Zellen und Geflechte auf sich, welche sich auf eine ganz identische Weise färbten wie die von obengenannten Autoren beschriebenen Nervenelemente, und welche wir für nichts anderes als eben für sensible Nervenelemente betrachteten. Kurz, nachdem wir diese Bildungen gefunden haben, fiel uns in die Hände der außerordentlich interessante kurze Aufsatz von Bethe? ) Wir können die Angaben dieses Autors nicht nur be- N) nd Hokische Untersuchungen. Neue Folge. 1895. 2) Rath, Zur Kenntnis der Hautsinnesorgane und des sensiblen Nerven- systems der Arthropoden. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 61, 1896. 3) A. Bethe, Ein Beitrag zur Kenntnis des natipherem Nervensystems von Astacus fluviatilis. Anat. Anzeiger, 1896. XVll. 40 626 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Ürustaceen. stätigen, sondern auch in vielen Hinsichten vervollständigen und er- weitern. Wir injizierten den Flusskrebsen Methylenblau (nach Ehrlich, bezogen von Grübler), nämlich eine Solution von 1 g Methylen- blau und 1,5 g Kochsalz in 300 cem dest. Wasser. Jedem Tiere wurde 3—4 cem dieser Solution injiziert und zwar ein Teil derselben unter den Cephalothoraxpanzer an der Rückenseite, der andere an der ven- tralen Seite des Abdomens. Die Tiere blieben 2 bis 4 Stunden unter einer großen Glasglocke im lebendigen Zustande. Nach dieser Zeit haben wir die durchsichtigen Teile der Abdominalfüße, die platten Teile der Maxillen und Maxillipeden u. s. w. unter dem Mikroskope untersucht. Fast ausnahmslos haben wir die schönsten und pracht- vollsten tiefblauen Färbungen der peripheren Nervenfasern und Nerven- zellen erhalten und alle diejenigen Bilder gesehen, welche Retzius in seiner Arbeit „Das sensible Nervensystem der Crustaceen“!) auf den Tafeln IV’—VI dargestellt hat; außerdem haben wir eine große Zahl noch anderer, sehr interessanter, ganz identisch gefärbter sen- sibler subepithelialer Nervenzellen und Nervenplexus gefunden, welche wir unten näher beschreiben werden. Nach einiger Zeit beginnt das Erbleichen aller dieser Elemente, und es gibt dann ein Moment, wo das Plasma der Zellen und die Nervenfasern schon viel bleicher werden, während die Kerne der Zellen noch intensiv blau gefärbt hervortreten, was die Form der Kerne sehr schön zu sehen und die Thatsache zu konstatieren ermöglicht, dass rings um den Kern ein heller, enger Plasmahof sehr oft zu beobachten ist. Wir haben auch die Präparate in pikrinsaurem Ammoniak (kalte, gesättigte Lösung) 24 Stunden fixiert und dann in Glyzerin aufbewahrt. Die Nervenelemente wurden violett, aber die Färbung war bei dieser Behandlungsweise nicht dauerhaft, und die feinsten Fasern des Plexus wurden dabei nicht fixiert. Wenn wir aber nach Dogiel’s Ver- fahren die Präparate in pikrinsaurem Ammoniak mit Zusatz von Osmium- säure (auf 100 cem des pikrins. Ammoniaks 2—3 cem 1proz. Osmium- säure) fixierten, so haben wir unvergleichlich schönere und dauerhafte Präparate erhalten, an welchen die feinsten Nervenfäserchen sehr deut- lich hervorgetreten sind. Die so erhaltenen Präparate haben sich wochenlang ohne Spuren von Erbleiehen in Glyzerin sehr schön aufbewahrt. Was zuerst die von Rath und Retzius beobachteten Sinnes- nervenendigungen anbelangt, so können wir die Beobachtungen dieser Forscher im Ganzen bestätigen. Wir haben nämlich in einer mehr oder minder bedeutenden Entfernung von der Basis der Borsten rund- liche oder ovale, bipolare mit großen Kernen versehene Nervenzellen gesehen, die einerseits centralwärts, andrerseits in der Richtung gegen 4)1.92 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. 637 ne die Borste in Nervenfasern sich verlängern. Wir haben sowohl .ein- zelne solche Zellen wie auch Gruppen derselben beobachtet, welche an vielen Stellen lange, gangliöse Anschwellungen bilden. Wir können auch die Angabe von Retzius bestätigen, dass die distalen Fortsätze der einzelnen Zellen soleher gangliöser Bildungen sehr oft so dicht zusammengedrängt sind, dass sie sich dem Beobachter als ein gemeinsamer Strang vorstellen. Was die proximalen Fortsätze der betreffenden Zellen anbelangt, so scheint nach Retzius ihre Teilung oder Verzweigung auf dem Wege nach dem Centralorgane nirgends vorzukommen. — Auch wir haben niemals eine Teilung oder Verzweigung derselben beobachtet, obwohl wir dieselben einige Male auf sehr großen Strecken verfolgt haben. Was die distalen Enden anbetrifft, so haben wir wie Rath, Bethe und Retzius in seiner neuesten betreffenden Arbeit (1895) niemals eine Teilung oder Verästelung derselben gesehen; sie verlaufen in einer mehr oder minder gestreckten Bahn nach den Borsten (Sinnes- haaren) hin. Da es Retzius niemals gelang, das Eintreten der Nervenfasern in das Sinneshaar beim Flusskrebse wahrzunehmen, so haben wir be- sonders auf diesen Punkt unsere Aufmerksamkeit gelenkt. Dabei haben wir uns sicher überzeugt, dass in einigen, wiewohl seltenen Fällen, wo die Färbung in dieser Hinsicht besonders gelungen ist, hie und da das Eindringen der gefärbten, in gerader Richtung und ohne Ver- ästelung verlaufenden Nervenfasern, bis zur Spitze der Borste in dem Haarschaftsraume zu sehen ist. Wir bestätigen also in dieser Be- ziehung die Angabe von Bethe, der „in offenen Haaren mehrere Male den distalen Fortsatz die Kugelhöhle durchlaufen, und sich ein Stück weit ins Lumen des Haares fortsetzen sah“. Wahrscheinlich aber, sagt weiter Bethe, „geht dieser Fortsatz sehr viel weiter zur Spitze hinauf, als an diesen Präparaten zu sehen war“. Nun waren wir in der glücklichen Lage, Präparate zu erhalten, an welchen wir das Ein- dringen des Nervenfortsatzes wirklich bis zur Spitze der Borste einige Male sehr deutlich beobachteten. Niemals fanden wir — womit wir mit Bethe im Einklange sind — die Nervenfasern in den Haarschafts- räumen der langen gefiederten Randborsten; hier endet immer beim Flusskrebse der Strang der Nervenfasern in der Kuppel des basalen Teiles der Borste. In diesen langen Borsten scheint auch wirklich kein direkter Zusammenhang zwischen dem Raume der Basalkuppel und dem engen, kanalförmigen Haarschaftsraume vorhanden zu sein. Dagegen gelang es uns in den kegelförmigen, nicht befiederten Borsten von mittlerer Länge, die z. B. an der Oberfläche der platten Teile der Maxillen und Maxillipeden vorkommen, einige Male eine unver- zweigte und keine Varikosen besitzende Nervenfaser in gerader kich- 40* 628 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Urustaceen. tung bis zur Spitze der Borste auf das Schönste zu verfolgen (Fig. 1). Ueberhaupt aber färben sich die betreffenden Nervenfasern beim Fluss- krebse sehr schwer; vielleicht wegen der sehr bedeutenden Enge der Haarschaftsräume, in welchen sie liegen, sowie auch wegen des er- schwerten Zutrittes der Reagentien. An vielen Stellen haben wir die Faser nur zu !/, oder !/, der Borstenlänge gefärbt gesehen, in aller- größter Mehrzahl der Fälle hingegen, nur bis zur Wurzel der Borste. Fig. 1. > Fig. 1. Zwei Borsten aus dem Scaphopoditen der Maxille des 2. Paares von einem Flusskrebse. Der distale Fortsatz der bipolaren Zelle anal in den Haarschaftsraum ein. Oe. 12 Syst. Brw. 16 mm Reichert aaerr Cam. lue. gez.). Außer den langen gefiederten Randborsten und den oben erwähnten mittleren, kegelförmigen, befinden sich auch beim Flusskrebse an der Oberfläche der breiten Platten der Mundwerkzeuge und an den seit- lichen Thoraxwänden sehr kleine, niedrige aber sonst kräftige Borsten, die an der Spitze mehr oder weniger stark hakenförmig gebogen sind, und an einer verhältnismäßig weiten, aber sehr abgeflachten basalen Kuppel sitzen, die von oben gesehen sich als ein ansehnliches Schild- chen darstellt. In diese hakenförmig gekrümmten Borsten gelangen sehr selten die Nervenfasern von den bipolaren Zellen, aber in der nächsten Umgebung dieser Borsten haben wir andere, unten näher beschriebene Nervenelemente sehr oft begegnet. „Dicht unter dem Epithel“ — schreibt Bethe!) — „und auf den Muskeln liegend zeigten sich bald nach der Injektion große multipolare Zellen sehr tiefblau gefärbt. Die Zahl der Ausläufer, welche sich bald in viele Zweige teilen, beträgt 3—8. In dem Zellkörpern tritt, etwas dunkler gefärbt, ein großer Kern hervor. Die einzelnen Zellen, die stellenweise ziemlieh dieht aneinander liegen, sind bald durch breite 4) 1%: Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. 629 Plasmabrücken, bald durch dünne Fasern mit einander verbunden, so dass ein wirkliches Netz von Zellen besteht. Häufig sind 2 Zellen nur durch eine Brücke, oft aber auch durch mehrere verbunden. Wo die freien Ausläufer der Zellen ihr Ende finden, ob, und wie sie mit anderen Elementen in Verbindung stehen, lie sich nicht fest- stellen“. Nun gehen wir zur Beschreibung der obigen, von Bethe entdeck- ten Nervenelemente über, von deren Existenz weder bei Retzius noch bei Rath etwas erwähnt wird. Wir sahen subepitheliale Nerven- netze nicht nur an den platten Mundteilen, wo sie ausschließlich bis jetzt (Bethe) gefunden waren, sondern überall an der ganzen Peripherie des Leibes, wo nur die dünnere und durch- sichtige Chitinsehichte sie zu beobachten erlaubt, also sowohl in den Tastern der Kieferfüße als auch in Palpen der Maxillen, in den Abdominalfüßchen und überhaupt in allen platten Teilen der Extremitäten, so gut an der seitlichen, von den lateralen Teilen des Kopfbrustschildes überdeekten weichen Wand des Thorax, wie an der ganzen Ventralwand desAbdomens. Wir fanden dann zierliche und reichliche subepitheliale Nervennetze und Nervengeflechte an der ganzen inneren Fläche der, die Kiemen- höhle seitwärts begrenzenden, Falten des Kopfbrustschildes, unter dem Epithel aller Teile der Kiemen und teilweise auch unter dem Epithel des langgestreckten Enddarmes (Produkt des Ektoderms). Besonders schön treten diese Elemente an der großen borstenrandigen Atemplatte, dem sogenannten Scaphopoditen (Huxley) des zweiten Maxillapaares hervor, welche Platte bekanntlich stets schwingende Be- wegungen ausübt. Es ist leicht verständlich, warum eben auf dieser Platte diese zarten Elemente am besten zu beobachten sind, denn erstens ist sie sehr dünn und durchsichtig, zweitens, besitzt sie wegen der raschen schwingenden Atembewegungen besonders günstige Be- dingungen des Luftzutrittes, was eben für die gute Methylenblaufär- bung sehr erwünscht ist. Die betreffenden, von uns beobachteten Nervenelemente liegen sub- epithelial, aber, im Gegensatz zu den Rath-Retzius’schen bipolaren Zellen, die bekanntlich in einer verhältnismäßig großen Entfernung von Hypodermis liegen, befinden sie sich sehr dicht unter dem Epithel, wobei die Nervenfaserverzweigungen derselben zum Teil auch zwischen die Epithelzellen selbst sich hineinschieben. Die Zellen zeiehnen sich durch sehr mannigfaltige Gestalten aus; sie sind oval, konisch, am meisten aber unregelmäßig polygonal. In den, mit Methylenblau gefärbten, doch nicht fixierten und etwas zu erbleichen beginnenden Zellen, haben wir sehr schön die großen, meistens rundlichen, seltener ovalen Kerne beobachtet, die gewöhnlich von einem hellen Plasmahofe wie von einem Ringe umgeben sind. 630 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. An vielen Zellen sahen wir an einem (nämlich an dem proximalen) Pole einen proximalen Nervenfortsatz (Oylinder axis), an dem größere und kleinere Varikosen, und nicht selten hie und da unansehnliche seitliehe Aestehen (Collateralen) sich befanden. Diesen Nervenfortsatz kann man oft auf einer verhältnismäßig sehr langen Strecke be- obachten, und einige Male gelang es uns, denselben so weit zu ver- folgen, bis er ineinem gemischten, aus sensiblen und mo- torischen Nervenfasern bestehenden, größerem Nerven- aste verschwand. Höchst interessante Verhältnisse, die wir einige Male an gut gelungenen Präparaten, sowohl an den Mundteilen als auch an seitlichen Thoraxwänden studiert haben, sind folgende: Aus einer multipolaren Zelle däuft von einem Pole (Fig. 8) ein Axenfortsatz (a) aus, der sich eine große Strecke weit zieht, um sich mit einem anderen, außerordentlich langen Fortsatze (a) unter fast rechtem Winkel zu verbinden. Diese sehr langen Fortsätze, die dicht unter dem Epithel gelegen sind, und mit denen möglicherweise auch Axenfortsätze mancher an- derer Zellen sich verbinden, verflechten sich und bilden dickere Nerven- stränge. Anders gesagt, verästelt sich der Nervenstrang auf diese Weise, dass in einzelne sich verflechtende Aeste Gruppen von Nerven- fasern eintreten, wobei die einzelnen langen Nervenfasern einer jeden Gruppe mit den Axenfortsätzen der einzelnen Zellen des Nervennetzes sich verbinden. Andere Nervenfortsätze der Zellen sind kürzer, mehr oder weniger reich an Varikosen; sie teilen und verästeln sich gewöhnlich reichlich, wobei die am meisten peripherischen Teile der Fasern außerordentlich fein sind. Manche dieser Fortsätze hingegen verlaufen oft in ge- schlängelter Richtung, ohne sich zu verästeln. An besonders gelungenen Präparaten haben wir bei starker Vergrößerung auch sehr kurze, steife, dicht zusammengedrängte, laterale Härchen an den diekeren Nerven- fortsätzen gesehen, die eine große Aehnlichkeit mit den bei An- wendung der Golgi’schen Methode hervortretenden und z. B. an den Dendriten der Purkinje’schen Zellen beobachteten Härchen besitzen. Die feinen Nervenverästelungen der benachbarten Zellen bilden an gut gefärbten Präparaten die schönsten und zierlichsten Geflechte. Wir haben aber auch äußerst viele und fene Anastomosen zwischen den Nervenfasern der Nachbarzellen beobachtet. Auf diesen Punkt, da er uns besonders auffallend erschien, haben wir speziell unsere Aufmerksamkeit gelenkt. Alle diesbezüglichen Bilder wollten wir zunächst nur als Filzwerk und Geflecht ansehen und die scheinbaren Anastomosen nur so deuten, dass die Nervenfaserveräste- lungen der benachbarten Zellen verschiedenartig sich kreuzen. In vielen Fällen war es möglich, die Existenz der scheinbaren Anasto- mosen auf diese Weise zu erklären, in der Mehrzahl aber konnten Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. 631 wir nicht zweifeln, dass wir wirkliche Anastomosen vor uns haben. Am meisten überzeugend sind in dieser Beziehung diejenigen Fälle, in denen der Zellenleib an einer Stelle sich allmählich zuspitzend, in einen brückenähnlichen Faserfortsatz ausläuft, der nach einem kürzeren oder längeren, ununterbrochenen Verlaufe wieder in eine andere Zelle übergeht, doch auf dieselbe Weise, d. h. indem er sich allmählich ver- diekt. Solche Fälle, von denen wir sehr zahlreiche und außerordent- lich deutlich ausgeprägte gesehen haben, sind ja keineswegs für Geflechte, sondern für wahre Anastomosen zu halten, trotzdem eine solche Behauptung mit den modernen Neuronentheorien nicht im Einklange steht. Bei der unvollständigen Färbung der Präparate haben wir nur Geflechte gesehen, war aber die Färbung deutlich und vollständig, und die intensiv gefärbten Präparate noch in pikrinsaurem Ammoniak mit Osmiumsäure fixiert, so haben wir so wunderschöne Anastomosen gesehen, dass uns deren Existenz zweifellos zu sein scheint. Die That- sache, dass die Nervenzellen miteinander anastomosieren, steht nicht lose in der neuesten Litteratur. So sagt z. B. Prof. Dogiel!), indem er ein interepitheliales Nervenfadennetz in der Thränendrüse be- schreibt: „Was ich soeben hinsichtlich der Interepithelial-Nervenfäden bemerkt habe, bezieht sich in gleicher Weise auf die freien Nerven- endigungen im allgemeinen und unter anderen auch auf die Protoplasmafortsätze der Nervenzellen der Retina: werden nicht alle sondern nur einige Zellen oder die Plasmafortsätze der Zellen nicht in ihrer ganzen Erstreckung gefärbt, so erhalten wir die Neuronen Waldeyer’s; jedoch bei möglichst vollständiger Färbung der Zellen mit ihren Fortsätzen, haben wir die Möglichkeit auf den Flächen- präparaten der Netzhaut vollständig deutlich die unmittelbare Ver- bindung zwischen den Protoplasmafortsätzen der Zellen konstatieren zu können“. Auch E. Ballowitz?) in seiner Arbeit „Ueber den Bau des elek- trischen Organes von Torpedo“ beschreibt und giebt Abbildungen von Anastomosen und wahren diehten Netzen, die von Fortsätzen verschie- dener Nervenzellen gebildet sind. V. Thanhoffer?) u. a. haben so- gar deutliche und feine Anastomosen zwischen den Nervenzellen des Rückenmarks gesehen, Bethe unter dem Epithel des Froschgaumens *) und im Nervenplexus der Ctenophoren u. s. w. Zu diesen Beobach- tengen gesellt sich jetzt die unserige, welche die Bethe’sche Ent- 1) A. S. Dogiel, Die Nervenendigungen in der Thhränendrüse der Säuge- tiere. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 42, 1893. 2) Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 42. 3) Stöhr, Histologie, 1896. 4) Archiv f. mikrosk. Anatomie, 1894. 632 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. ‚deekung bestätigt, und nach welcher in dem subepithelialen sensiblen Nervensysteme der Crustaceen wahre Anastomosen zwischen den ver- schiedenen Zellen und deren Fortsätzen vorkommen, was aus den Figuren (4, 6, 7) ersichtlich ist. Aus allen diesen Beobachtungen geht hervor, dass die Neuronenlehre und besonders der moderne Satz, dass alle Nervenzellenfortsätze frei enden, ohne Anastomosen oder Netze zu bilden, auf eine noch sehr schwankende Basis sich stützt und vielen Thatsachen auf das schroffste widerspricht. Fig. 2. Fig. 2. Ein Randstück des Scaphopoditen der Maxille des 2. Paares von einem Flusskrebse. b.z. = bipolare Zelle, a = proximaler Fortsatz, b = die Wurzel der ge- fiederten Randborsten. Oc. Nr. 4 Syst. Brw. 4 mm Reichert. (mittels Cam luc. gez.). Betrachten wir nun jetzt etwas näher einige Beispiele der von uns erwähnten Nervenelemente. Auf Fig. 2, die ein Stückchen einer Randpartie des Scaphopoditen darstellt, sehen wir eine in die Basal- kuppel einer Fiederborste eindringende Nervenfaser, die von einer bipolaren (Rath-Retzius’scher Typus) Zelle stammt und außerdem unterhalb der Basalkuppeln der Borsten — einige Zellen von ganz an- derem Typus. — Diese letzteren liegen nicht in einer größeren Ent- fernung von den Borstenwurzeln (wie die bipolaren), sondern dicht unter diesen; sie sind multipolar. Die in der Mitte gelegene größte Zelle ist der Gestalt nach noch am meisten einer Rath-Retzius’schen Zelle ähnlich, denn sie ist rundlich und verlängert sich proximal in Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. 6353 eine lange Faser (Axenzylinder) die reich an Varikosen in gerader Riehtung verläuft, distal aber laufen aus dem Zellenleibe 7 Fasern aus, von denen einige sich diehotomisch teilen und mit den Fasern der Nachbarzellen Anastomosen bilden, während andere frei enden. Die Nachbarzellen sind noch reicher an Nervenfaserfortsätzen, die in allen Riehtungen entspringen und sich hie und da dichotomisch teilen. Fig. 3. Fig. 3. Eine Gruppe von Nervenelementen an der Oberfläche eines Scapho- poditen vom Flusskrebse. a — proximaler Nervenfortsatz; b — Borste. Oc. 12 Syst. Brw. 16 mm Reichert (mittels Camera lue. gez.). Viel interessanter ist eine Gruppe von Nervenzellen, die auf Fig. 3 abgebildet sind. Es ist ein Stückchen der Oberfläche eines Scapho- poditen der zweiten Maxille.. In der Nähe einer Borste von mittlerer Länge sehen wir eine Gruppe von Nervenzellen, von denen zwei eine charakteristische konische Gestalt besitzen. An dem zugespitzten Pole einer jeden solchen Zelle beginnt eine sehr lange Nervenfaser, ohne Zweifel eine proximale, d. h. diejenige, die in einen Nerven ein- tritt, und bis zum Nervencentrum gelangt. An dem gegenüberliegen- den, stumpfen Pole der Zelle beginnt eine Anzahl zarter Nervenfaser, die sich zum größten Teile nach einem längeren oder kürzeren Ver- laufe diehotomisch teilen, und mit Nervenfaserverästelungen anderer Nervenzellen verflechten oder verbinden. Die untenliegende multipolare Zelle ist von einer unregelmäßigen Gestalt; die rechtsliegende ist eine bipolare, und entspricht dem bekannten Rath-Retzius’schen Typus. Die langen proximalen Nervenfasern, die wir an manchen Zellen eine längere oder kürzere Streeke weit verfolgt haben, verlaufen ge- wöhnlich unverästelt; doch haben wir in manchen Fällen mit aller Bestimmtheit zarte, seitliche, kurze Aestehen (Collateralen), besonders in der Nähe des Anfangsteiles der Faser beobachtet. 634 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den CUrustaceen, Ein besonders interessantes Bild stellt Fig. 4 dar, die von einem sehr gelungenen Präparate stammt. Wir sehen hier ein Stück der Oberfläche des Scaphopoditen. Rings um eine kleine hakenförmige Borste sieht man hier eine Anzahl polygonaler Zellen, die sehr reich an Verästelungen sind. Das Präparat fing schon an etwas zu er- bleichen, weshalb die Kerne in den Zellen sehr deutlich hervortreten. Fig. 4. Fig. 4. Eine Gruppe von multipolaren Nervenzellen rings um eine Borste, von der Oberfläche gesehen, aus einem Scaphopoditen des 2. Maxillenpaares vom Flusskrebse. De. 4 Syst. Brw. 4 mm (mittels Camera luc. gez). Die Zahl der Nervenfortsätze ist eine sehr große; dieselben sind reich an Varikosen und bilden diehte Geflechte. Hie und da sieht man auch Anastomosen zwischen den Zellen z. B. zwischen den beiden zur linken Seite gelegenen. Die Nervenfaserverästelungen gelangen bis zu der abgeflachten und weiten Basalkapsel der hakenförmigen Borste, und enden hier ganz frei. Eine diskoidale abgeflachte Basalkuppel kann von zwei, drei, oder noch einer größeren Anzahl von Zellen innerviert werden, und auch von mehreren Nervenfaserfortsätzen einer und der- selben Zelle (Fig. 5). Oft sahen wir die multipolaren Zellen und Ge- flechte nieht in der nächsten Umgebung der Borste, sondern in einer Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. 635 größeren Entfernung von derselben, aber immer dicht unter der Hypo- dermis. Wir fanden an der ganzen Bauchwand und an der ganzen Fig. 5. Drei Nervenzellen, die zwei abgeflachte weite diskoidaleBasalkuppeln klei- ner hakenförmigen Borsten innervieren. Aus dem Sca- phopoditen des 2. Maxill- paares vom Flusskrebse. OVc. 12 Syst. Brw. 16 mm (mittels Cam. luc. gez.). lateralen weichen Thoraxwand zahlreiche subepitheliale Nervenzellen, die sehr dieht angehäuft und den, von Bethe!) abgebildeten, multi- polaren Nervenzellen sehr ähnlich waren. Hier existiert also auch Fig. 6. Fig. 6. Zwei Nervenzellen in den platten Teilen der Maxillen des Flusskrebses von der Oberfläche gesehen. Oc. 4 Syst. Brw. 4 mm Reichert (mittels Cam. lue. gez.). 1) Anat. Anzeiger, 1896 (l. e.). 636 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. ein außerordentlich schön entwickeltes Nervennetz, das aus vielfach anastomosierenden, mit großen Kernen versehenen Zellen besteht. Von einem interessanten Typus sind die Zellen, die Fig. 6 darstellt. Dieselben haben unregelmäßige Gestalten, das Plasma verlängert sich nach verschiedenen Richtungen in Fortsätze, von welchen an’ einer Stelle ein langer Cylinderfortsatz (@), an anderen Stellen kürzere, sich teilende dendritische Fasern den Anfang nehmen. Zwischen den Fort- sätzen beider Zellen sieht man deutlich drei bogenförmige Anasto- mosen. In den auf Fig. 6 u. 7 abgebildeten Zellen ist der. Zellenleib ansehnlich dick. Es giebt aber Fälle, in denen er sehr schlank ist, und in viele dünne Fortsätze ausläuft, die sich in Nervenfaserfortsätze verlängern, zwischen denen nicht immer eine centripetale lange Nerven- faser zu unterscheiden ist. In manchen Fällen haben wir bei sehr gelungener Färbung der Präparate und nach Fixierung derselben auf oben genannte Weise sehr feine, kurze, bäumchenähnliche Verzweig- ungen mancher Fortsätze beobachtet, wie es z. B. auf Fig. 7 zu sehen ist. Fig. 7. Fig. 7. Eine Gruppe von Nervenzellen in dem Scaphopoditen der Maxillen vom Flusskrebse. De. 4 Syst. Brw. 4 mm (mittels Cam. luc. gez.). An vielen Stellen haben wir, wie oben gesagt, Anastomosen zwischen den Nachbarzellen gesehen (z. B. zwischen den beiden linken Zellen, Fig. 4), die entweder als breite protoplasmatische Brücken Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. 637 oder in Gestalt von dünnen Fasern direkt von einem Zellen- leibe zum anderen mehr oder weniger gerade verlaufen. Außer- dem haben wir häufig zwischen den dendritischen Veräste- lungen der benachbarten Zellen Anastomosen beobachtet, die oft bogenförmig verlaufen, unter mehr oder weniger rechtem Winkel zu- sammentreffen, und im Punkte der gegenseitigen Vereinigung nicht selten eine varikosenähnliche Verdiekung (siehe z. B. Fig. 6 u. Fig. 7) zeigen. Fig. 8. Fig. 8. Nervenzellenplexus in der seitlichen Thoraxwand, von einem Fluss- krebse. Oe. 4 Syst. Brw. 4 mm Reichert (mittels Cam. lue. gez.). a — ein Axenfortsatz der sich mit einer sehr langen Nervenfaser (a‘) ver- bindet, die sich weiter hin (was auf der Abbildung nicht dargestellt ist) mit anderen Ähnlichen Fasern verflechtet und in einen Nervenast eintritt. Die von uns beschriebenen multipolaren Zellen sind manchen von denjenigen sensiblen subepithelialen Nervenelementen ähnlich, die un- längst Rina Monti!) bei den Süßwasserdendrocölen unter dem Typus „grosse cellule multipolari. periferiche* beschrieben hat und welche eine variable Zahl sich verästelnder „prolungamenti dendritici* und einen „prolungamento aziale“ (Axenzylinder), der oft mit kleinen Col- 4) Bolletino seientifico, Nr. 2—3, Anno 1396, Pavia, 638 Nusbaum u. Schreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. lateralen versehen ist, besitzen. Eben von diesen Zellen sagt Rina Monti, dass er manchmal Anastomosen zwischen den Dendritenfort- sätzen der benachbarten Zellen beobachtete. Er meint, dass „con tutta probabilita queste eccezionali anastomosi sono la espresione di una incompleta divisione eellulare“. Sollen wir diese Erklärung auch für unseren Fall annehmen? Das werden weitere Forschungen auf dem Gebiete der vergleichenden Neurologie aufklären. Sei wie es sei, es häufen sich aber in der neuesten Litteratur immer zahlreichere Thatsachen, die uns überzeugen, dass in vielen Fällen zwischen den einzelnen Neuronen deutliche Anasto- mosen wirklich existieren. Alle von uns in dieser Mitteilung beschriebenen Nervenzellen, haben wir mittels Methylenblaumethode in so großer Anzahl und so wunder- schön und deutlich ausgedrückt erhalten, dass es uns unerklärlich war, wie dieselben der Aufmerksamkeit einiger unserer Vorgänger (Retzius, Rath) sich entziehen konnten, da sich dieselben doch auch der Methylen- blaumethode bedient und den bipolaren Zellentypus gesehen haben. Wir versuchten es deshalb anfangs, diese Zellen, Anastomosen und Plexus nicht für Nervenelemente zu halten, und meinten, es handle sich vielleicht um besondere Pigmentzellen. — Bald aber erwies sich diese Annahme als grundlos, denn wir haben ja hie und da wirkliche Pigmentzellen gefunden, die aber 1. immer von gelblich -braunlicher oder orange-braunlicher Farbe sind, und 2., wiewohl vielfach verästelt, jedoch ganz andere Gestalten besitzen als die Nervenzellen. Auf den durch Methylenblau intra vitam gefärbten Präparaten zeichnen sich alle Nervenelemente durch eine sehr schöne tief blaue Farbe aus, während die Pigmentzellen ihre gelblich- oder orange-braune Farbe behalten und anlerdem sich in ihrem ganzen Habitus so deutlich aus- zeichnen, dass es unmöglich erscheint, sie mit den zierlichen Nerven- elementen zu verwechseln. — Wir kommen also inbetreff‘ des sensiblen peripherischen: Nerven- systems beim Flusskrebse zu folgenden Schlüssen: 1. Es giebt bipolare sensible Nervenzellen, die mehr oder weniger tief liegen, und deren distaler Fortsatz in die Borstenwurzel oder in den Haarschaftsraum der Borste eindringt (Typus Rath- Retzius). 2. Es giebt einen mehr oberflächlich, dieht unter dem Epithel ge- legenen Nervenzellenplexus (Bethe), der aus Zellen von ver- schiedenen Typus besteht, und namentlich a) rundliche Zellen, die am meisten den bipolaren ähnlich sind und an einem Pole in einen proximalen Fortsatz (Axenfortsatz) sich verlängern, während zahlreiche andere kurze Fortsätze unterhalb der Borstenwurzeln endigen; Nusbaum u. Sehreiber, Nervensystem bei den Crustaceen. 639 'b) konische Zellen, die sich einerseits in einen langen proxi- malen Fortsatz, andrerseits in zahlreiche sich verästelnde dendritische Fortsätze verlängern; j c) multipolare Zellen von mehr oder weniger unregelmäßigen Gestalten (Bethe’scher Typus) die in zahlreiche sich tei- lende und verästelnde Fortsätze auslaufen, zwischen denen ein langer Axenfortsatz gewöhnlich nicht zu unterscheiden ist. Seltener ist derselbe auch hier zu sehen (Fig. 8). 3. Die Axenfortsätze treten entweder direkt in größere Nervenäste ein, oder sie verbinden sich mit sehr langen, dicht unter dem Epithel verlaufenden Fasern, die sich verflechten und sich zu größeren Nervenästen vereinigen (Fig. 8). 4. Die dendritischen Fortsätze der Zellen des Nervenplexus bilden oft sehr zierliche, manchmal bäumchenähnliche Endverästelungen und innervieren die weiten diskoidalen flachen Basalkuppel der kleinsten hakenförmigen Borsten oder sie enden frei unter oder im Epithel selbst an einer borstenfreien Stelle (z. B. an der Bauchwand). .5. Es giebt Verbindungen zwischen den einzelnen Zellen des Nerven- plexus von dreierlei Arten: a) Verbindungen mittels breiter protoplasmatischer Brücken; b) Verbindungen mittels längerer dünner Nervenfortsätze, die ungeteilt und unmittelbar von einem Zellenleibe zum anderen verlaufen; c) Verbindungen der Nervenfaserverästelungen der benach- barten Zellen. Zuletzt wollen wir noch einige allgemeine Betrachtungen inbetreff der phylogenetischen Bedeutung des subepithelialen Nervenplexus an- führen. Im Jahre 1895 hat Bethe!) in seiner Arbeit „Subepithelialer Nervenplexus der Ctenophoren“ folgende Meinung ausgesprochen: „Den Nervennetzen steht bei höheren Tieren das System der isolierten Nerven- leitung als etwas sowohl anatomisch als funktionell ganz Verschie- denes gegenüber“. „In den letzten Monaten — sagt er weiter — habe ich auch eine große Anzahl vorzüglicher Methylenblau- präparate vom centralen und peripheren Nervensystem von Carcinus, Astacus und Pagurus auf diesen Punkt hin durchmustert und habe niemals Anastomosen beobachten können. Ich halte daher die herrschende Ansicht von der isolierten Nervenleitung für durchaus richtig, und glaube mit Recht die Nervennetze dem übrigen Nerven- systeme als etwas ganz Verschiedenes gegenüberstellen“. In dem Aufsatze aus dem Jahre 1896 beschreibt Bethe eben einen Nerven- plexus in den Mundteilen des Flusskrebses und beobachtet hier im 1) Biol. Centralblatt, 1895. 640 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Gegensatze zu seinen früheren Ansichten wahre Netze; er sagt nun, dass es ein neuer Beweis ist für die allgemeine Verbreitung dieser Form des Nervensystems, welche durch die Kontinuität ihrer Elemente in einen Gegensatz zum System der isolierten Neurone tritt. Gegen die Behauptung, dass zwischen diesen beiden Formen der Elemente ein Gegensatz — vom morphologischen Standpunkte betrachtet — existiert, tritt mit Recht Dr. Bogumil Nemee auf!). Dass hier in keinem Falle ein morphologischer Gegensatz vorhanden ist, das be- weisen auch unsere Beobachtungen. Wir sehen nämlich, dass einerseits zwischen den bipolaren Rath- Retzius’schen Elementen, die isolierte Neuronen darstellen, und andrerseits zwischen den multipolaren, keinen Axenfortsatz besitzenden und wahre Netze bildenden Zellen des subepithelialen Nervenplexus, ein Uebergang bestehe, und namentlich in denjenigen Zellen, welche sowohl in der Bildung des subepithelialen Nervenplexus und der Nervennetze Anteil nehmen, wie auch mit sehr langen Axenfortsätzen versehen sind, die ohne Zweifel sich im centralen Nervensysteme ganz ähnlich verhalten, wie die Axenfortsätze der Rath-Retzius’schen bipolaren Zellen. Zum Beweise dieses Ueberganges dienen nicht nur die oben- erwähnten Nervenelemente beim Aszacus, sondern dasselbe bezieht sich auch auf die manchmal anastomosierenden, subepithelialen großen multipolaren Zellen Rina Monti’s, bei den Süßwasserdendroeölen. Aus den beim Astacus existierenden Verhältnissen ist es auch möglich, sich den phylogenetischen Entwicklungsgang der betreffenden Elemente vorzustellen. Auf der ersten, niedrigsten Stufe bleiben nun kontinuierliche, ganz peripherische Nervenzellennetze (z. B. bei den Ctenophoren). Eine zweite Stufe manifestiert sich darin, dass neben der Kontinuität des allgemeinen subepithelialen Nerven- plexus hie und da Zellen dieses letzteren in Axenfortsätze auslaufen, die im Centrum mit anderen Neuronen schon nur per contactum in Verbindung stehen. Auf einer noch höheren, dritten Stufe verlieren die mit den Axenfortsätzen versehenen Zellen jeden kontinuierlichen Zusammenhang mit anderen Zellen des Plexus, entfernen sich von der Peripherie und vertiefen sich allmählich, indem sie sich auf diese Weise den Nervencentren nähern. So entstanden z. B. die Rath-Retzius- schen, isolierten, bipolaren Neuronen beim Flusskrebse. — [79] Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Von Dr. S. Popoff. (Viertes Stück.) Im Jahre 1894 erschien die Arbeit Ernst Lugaro’s, die die Frage über die Histogenese der Körner der Kleinhirnrinde erörtert. 1) Anat. Anzeiger, 1896. Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 641 Dieser Autor unterscheidet ebenfalls, wie Ramon y Cajal, in der äußeren Körnerschicht zwei Schichten: die — epithelioider Elemente und die — horizontaler bipolarer Zellen. Zwischen diesen Zellen bemerkt der Autor Uebergangsformen, die darauf hinweisen, wie die epithelioiden Zellen allmählich in die bipolaren übergehen. Je tiefernach der Richtung zum Centrum, seiner Meinung nach, die Zelle liegt, desto länger sind ihre Fortsätze, mit anderen Worten desto differenzierter ist die Zelle (s. die Meinung Ramon y Cajal’s über die Alterbestimmung der Zelle nach der Länge des Nervenfortsatzes). Die horizontalen bipolaren Zellen, die ganz in der Tiefe der äußeren Körnerschicht liegen, senden nach seinen Beobachtungen, einen solchen dieken Fortsatz in die molekuläre Schicht ab, dass wir das Aussehen einer vertikal verlängerten Zelle erhalten, die am oberen Ende eine horizontale Faser trägt. Zuweilen verläuft zwischen dem Zellkörper und den horizontalen Fasern eine Verbindung, die, sich verlängernd, die Bildung der verti- kalen bipolaren Zelle bedingt. Letztere versieht sich mit protoplasma- tischen, um den Zellkörper sich lagernden Fortsätzen; die obengenannte Verbindung bildet, indem sie sich verlängert, einen Nervenfortsatz. Auf eine solche Weise erzeugen die epithelioiden Elemente die hori- zontalen Zellen, die letzteren — die vertikalen, diese aber verwandeln sich in Körnerzellen der inneren Körnerschicht. Neben dem soeben besprochenen histogenetischen Prozesse geht die Vertiefung (Wande- rung der Autoren) des Zellkörpers von der äußeren Oberfläche in die innere Körnerschicht vor. Ernst Lugaro führte diese Untersuchungen, gleich Ramon y Cajal, auf Längsschnitten (den Windungen parallelen) von neugebornen Tieren aus. Man sieht also, dass Ernst Lugaro nicht so eng die Rolle der epithelioiden Elemente, wie es Ramon y Cajal thut, spezialisiert. Er lässt in ihnen eine ganze Reihe von Umwandlungen zu, bis sich die typische Nervenzelle bildet. Wir hatten ebenfalls die Gelegenheit, den Uebergang der epithelioiden Elemente in die horizontalen bipolaren Zellen zu beobachten; trotz genauester Untersuchungen gelangt es uns aber nicht ein einziges Mal, den Ueber- gang der horizontalen Zelle in die vertikale, wie es der Autor be- schreibt, zu beobachten. Falls wir auch zuweilen ähnliche Bilder antrafen, erklärten wir es durch eine zufällige Nachbarschaft der horizontalen und vertikalen l'asern. Wenn auch in der That eine solche Bildungsart von verti- kalen bipolaren Zellen in Wirklichkeit stattfinden würde, so könnte man schwer die Zelle k der Abb. VII verstehen, deren oberer Fortsatz in die äußeren Teile der äußeren Kernschicht, wo es keine einzige horizontale Zelle giebt, hinaufsteigt. Die weiteren Beobachtungen weisen uns darauf hin, dass die horizontalen Zellen sich ganz anders differenzieren als es Lugaro beschreibt. XVII. 41 642 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Wir müssen schließlich unsere Aufmerksamkeit auch darauf richten, dass Ernst Lugaro diese Frage nur auf Längsschnitten studierte, während doch in dem Falle die Querschnitte ebenso wünschenswert wären. An dieser Stelle stießen wir wiederum auf die Wanderung der Zellen und deshalb ist es hier am Platze, sich zu äußern, wie wir uns diesen Prozess vorstellen. Wie wir früher erwähnten, bildet sich nach der Meinung His’s der Axenzylinder des Neuroblasten auf Kosten des Zellprotoplasmas, welches an einer gewissen Stelle ausströmt und in einen langen konischen Faden übergeht, — mit anderen Worten His giebt die Fähigkeit des Zellprotoplasmas sich zu bewegen oder, besser gesagt, in eine andere Form überzuströmen, im gegebenen Falle in den Axenzylinder, zu. Von dem Standpunkte aus, stellen wir uns die Bildung des protoplasmatischen Fortsatzes ebenso vor wie die des Axenzylinders, d. h. das Zellprotoplasma, strömt an der oder jener Stelle aus und bildet dadurch den Keim des protoplasmatischen Fort- satzes. Bei aufmerksamer Betrachtung der Abb. IX und X sehen wir wirklich, dass das Protoplasma der Zellen d,, c,, %, 2, gleichsam in eine missgestalte Form zerfloß und an einigen Stellen sich in dieke Anhängsel, Keime von Dendriten auszog; solch ein Anhängsel ist ganz besonders charakteristisch in der Zelle (a, Abb. X und a Abb. XI). Zweifelsohne sind diese Anhängsel ihre Herkunft dem Zellprotoplasma verpflichtet. Die Anwesenheit der kugelförmigen Verdickungen an den Enden einiger Fortsätze lässt uns vermuten, dass die Fortsätze zu wachsen aufhören, das Protoplasma der Zelle aber noch immer aus- strömt und in Folge dessen sich die kugelförmigen Verdickuugen an den Enden der Fortsätze bilden. Eine solche Erklärung steht sehr nahe der Ansicht Ramon y Cajals über die rosenkranzförmigen Ver- diekungen, die wir in dem Axsenzylinder antreffen. Er sieht die letz- teren wie protoplasmatische Reserve an. | Sobald wir zugeben, dass das Zellprotoplasma fähig ist, in einen dünnen Fortsatz oder in ein dickes Anhängsel überzufließen, so können wir uns leicht vorstellen, dass das ganze Protoplasma in dieses An- hängsel überfließen und so seine anfängliche Lage verändern kann. Führen wir ein Beispiel an: wenn eine embryonale Zelle von oben nach unten sich zu senken nötig hätte, so musste sie nach unten unbedingt ein Anhängsel oder einen dicken Fortsatz abschicken, darauf in ihn überfließen und auf solche Weise sich niedriger herunterlassen. In den bipolaren Zellen der Abb. XII und XIX sehen wir dem sehr ähnliches: ihr unterer Fortsatz ist entweder gleichmäßig dick oder stellt kugelförmige Verdiekungen vor. In einem solchen Sinne stellen wir uns den Prozess der Wanderung der embryonalen Neurogliazellen aus der äußeren Kornschicht in die tieferen Rindenschichten vor (siehe Abb. XIV, XV, XVL XVIL XXXL Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 643 Bevor wir mit der Analyse der histogenetischen Prozesse der Rinde in dieser Periode endigen, bleibt nur noch übrig, die Frage zu entscheiden, in welchem Maße nämlich nimmt jener Teil der Mantel- schicht, der unter den Purkinje’schen Zellen liegt, Anteil an der Bil- dung der Zellen der inneren Körnerschicht. Wir hatten schon früher die Gelegenheit uns zu überzeugen, dass die Mantelschicht bereits beim Katzen-Embryo von 8 cm sich in zwei, deutlich gekennzeichnete Teile: in einen oberen, von uns als Schicht der großen Zellen be- nannten, und in einen unteren — innere Körnerschicht — zerfällt. Ob- gleich die Zellen der Mantelschicht in den Anfangsperioden sich fast gleichzeitig entwickeln, beginnen die einen (oberen) von ihnen sich bedeutend früher zu differenzieren als die anderen (unteren). Augen- scheinlich bleiben die Zellen der unteren Schicht, aus uns noch unbe- kannten Ursachen, lange Zeit in dem embryonalen Zustande. Beim Katzen-Embryo von 12 cm beobachten wir zuerst nach der Golgi- schen Methode die Formierungsmerkmale dieser Schicht, d. h. die Zellen nehmen die charakteristischen Konturen der erwachsenen Zellen an. Wir betrachteten vorläufig die Histogenese derjenigen Zellen der inneren Körnerschicht, die aus den epithelioiden Elementen der äuße- ren Schicht entstehen; auf welche Weise aber die Umwandlung der Zellen der ursprünglichen Körnerschicht (des unteren Teiles der Mantel- schicht) vor sich geht, können wir leider mit Bestimmtheit nicht an- geben. Wir haben kein Kriterium, um nach der Form der Zelle ihre Ursprungsquelle zu bestimmen, d. h. ob eine gewisse Zelle eine diffe- renzierte bipolare Zelle oder ob sie an dieser Stelle aus den Zellen der Mantelschicht hervorgegangen sei. Betrachten wir die Abbildung XII, treffen wir Zellen zweierlei Typus an: bei den einen fällt scharf ein dicker, nach innen gerichteter Fortsatz ins Auge, bei den anderen fehlt er vollständig; die einen liegen sehr nah der molekulären Schicht, die anderen Zellen fast in der weissen Substanz. Die soeben ange- führten Fakta können wohl kaum von Bedeutung sein für die Beant- wortung der uns interessierenden Frage. Wenn wir den Zellen des zweiten Typus eine andere Herkunft aus dem Grunde, weil sie keinen dicken Fortsatz besitzen, zuschreiben wollen, so können wir leicht fehl gehen; denn Beobachtungen in den weiteren Perioden weisen darauf hin, dass dieser Fortsatz sehr schnell schwindet und es bleibt eine sternförmige Zelle. Auf eine solche Weise ist es möglich, dass diese Zellen entweder hier entstanden sind oder sich aus den bipolaren Zellen. differenziert haben. Für die Entscheidung dieser Frage kann fürwahr von einiger Bedeutung die oberflächliche oder tiefe Lage der Zelle sein; doch von wichtigerer Bedeutung wären für uns die Zellen der einfachsten Form, die wir in der inneren Körnerschicht beobachten könnten; leider aber treffen wir solche Zellen äußerst selten an 41* 644 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. (g. Abb. XII) und auch die haben die bipolare Form. Beim Hühner- Embryo (am 12. Bebrütungstage) fanden wir in großer Zahl ebensolche bipolare Bildungen, sie unterscheiden sich von denselben Bildungen in der Nähe der äußeren Körnerschicht wesentlich in nichts (siehe Abb. XXXIX). — Ueber den doppelten Bildungsweg der Elemente der Körnerschicht können wir also nach parallelen Untersuchungen der nach der Golgi’schen Methode und in Herman’scher Flüßigkeit fixierten Objekte urtheilen. Alfred Schaper |54] teilt, bei Beantwortung der Lugaro’- schen Abhandlung, dessen Ansicht bezüglich der Bildung der Zellen der inneren: Körnerschicht aus den Elementen der äußeren, setzt hier aber gleich auseinander, dass die Beteiligung der letzteren als Hilfs- mittel angesehen werden muss; denn der Hauptdifferenzierungsherd der Zellen dieser Schicht liegt in dem unteren Teile der Mantelschicht. Wir sprachen ja soeben über diese Frage und wir glauben kaum, dass Alf. Schaper Recht hat, wenn er so kategorisch über den Be- teiligungsgrad dieser oder jener Schicht seine Meinung äußert. Weiter spricht noch derselbe Autor die Vermutung aus, dass mög- licherweise alle Typen der Nervenelemente der Kleinhirnrinde aus der äußeren Körnerschicht entstehen können, doch dieses, meint er, be- darf noch der Bestätigung. Wir werden uns bemühen allmählich in unserer Arbeit klarzulegen, inwieweit diese Vermutung der Wirklich- keit entspricht. Schließlich bleibt noch eine Zellenform in dieser Periode zu beschreiben, der man auf verschiedenen Höhen der molekulären Schicht begegnet. Der Körper hat eine länglich-ovale Form mit un- regelmäßigen Konturen (k, ce Ab. XIII); von seinen beiden Polen gehen horizontal in querer Richtung zwei lange Fortsätze mit rosenkranz- förmigen Verdickungen aus. Einer von den Fortsätzen schiekt nach oben sich verzweigende Fortsätze, nach unten hat er keine; der andere verzweigt sich nicht. Vom Zellenkörper gehen ebenfalls nicht große Zweigchen nach oben ab. In der Figur %, derselben Abbildung besteht der Zellenkörper aus drei kugelförmigen Verdiekungen, die durch Quereinschnitte unter einander getrennt sind. Der aus dem einen Pole ausgehende Fortsatz besteht ebenfalls aus einer Reihe solcher feiner Verdiekungen, der andere Fortsatz verzweigt sich ebenso wie in der Zelle k. Die Zelle e gehört allem Anscheine nach zu derselben Zellenkate- gorie, sie ist aber jünger als die bei den soeben beschriebenen, da ihr Fortsatz, wenn man darnach urteilen darf, sich nicht verzweigt. Wir gehen wohl kaum fehl, wenn wir die Fortsätze p, als die diekeren für protoplasmatische, die entgegengesetzten — für nervöse annehmen. Die Zelle e unterscheidet sich in ihrem äußeren Aussehen von den früher beschriebenen vertikalen bipolaren Zellen in nichts; sie liegt Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 645 nur in horizontaler Richtung. Betrachten wir genau die äußere Körner- schicht, so sehen wir hier und da zerstieut epithelioide Elemente, die mit ihrem langen Durchmesser nicht vertikal sondern quer liegen und nach derselben Richtung auch einen mehr oder weniger dieken Fort- satz aus dem einen Pole absenden. Solehe Elemente sind selten in dieser Periode; häufig aber in der folgenden — bei Neugeborenen. Ebenso wie wir die Zellen der inneren Körnerschicht aus den epithe- lioiden Elementen durch allmähliche Formveränderung der letzteren herleiten, so können wir das Auftreten der Zellen k u. ce nicht anders als durch eine analoge Evolution der horizontalen, in die äußere Körner- schicht eingedrungenen Körperchen erklären. Die Zellen k u.c erinnern durch ihre Lage und Verteilung der Fortsätze völlig an Korbzellen; sie sind aber noch jung und der Axenzylinder hat nach unten die charakterischen Zweige noch nicht abschieken können. Man muss nicht die horizontalen bipolaren Zellen ce der Abb. XII u. XIX mit ebendenselben Zellen ce der Abb. XXII verwechseln, da sie von ver- schiedenen Schnittflächen: die erste von Quer-, die zweite von Längs- schnitten, entnommen sind. Gehen wir zur Beschreibung der Nervenfasern, die man in der Kleinhirnrinde antrifft, über. Auf der Abbildung sieht man, dass die weiße Substanz sich merk- bar in ein Bündel parallel verlaufender Fasern isoliert hat. Bei auf- merksamer Betrachtung der Objekte überzeugt man sich leicht, dass die weiße Substanz bis zu einem gewissen Grade sich auf Kosten der Formelemente der Rinde bildet. Die Axenzylinder der Purkinje’- schen und Golgi’schen Zellen gehen gerade in die weiße Substanz, in welcher man sie zuweilen auf einer bedeutenden Strecke verfolgen kann, über. Zuweilen dringen die protoplasmatischen Fortsätze der kleinen Zellen der Körnerschicht — vorzüglich der dieke innere Fort- satz — in die weiße Substanz ein und verlaufen, wie man es auf der Abbildung sieht, parallel deren Fasern. Diese von der Rindenober- fläche in die weiße Substanz verlaufenden Fasern, können wir „ab- steigende“ benennen. Im Gegensatz zu ihnen treten in dieser Periode zuerst andere, aus der weißen Substanz in die Rinde verlaufende Fasern auf die wir „aufsteigende“ benennen können (s. Abb. XIII). Die letzteren können in zwei Faserntypen getrennt sein: die einen dickeren verzweigen sich hauptsächlich in der molekulären Schicht, die anderen ein wenig dünneren in der Körner : oder in den unteren Teilen der molekulären Schicht. Die ersteren geben, indem sie als eine Faser aus der weißen Substanz ausgehen, einige Zweige ab, steigen in der Körnerschieht und in die molekuläre hinauf, wo sie sich im kleine, mit rosenkranzförmigen Verdiekungen bedeckte Zweige, ohne bestimmte Ordnung, zerstreuen. 646 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Die Fasern des zweiten Typus geben einen bedeutenden Teil ihrer Verzweigungen in der Körnerschicht ab, nur ihre Endigungen steigen ein wenig höher als die Schicht der Purkinje’schen Zellen hinauf. Sie unterscheiden sich von den ersteren noch dadurch, dass sie nicht viele Zweige haben, und sich auf großer Ausdehnung zerstreuen. Der Charakter der Verzweigungen ist entweder dichotomisch oder büschel- förmig. Wenden wir uns jetzt zu den Neurogliazellen, die wir in den beiden letzten Perioden beobachten. Wir berührten absichtlich nicht bis jetzt, um nicht die Beschrei- bung zu zerstückeln, diese Frage beim Katzen-Embryo von Sem. Wie wir bereits beschrieben haben, lagern sich die Neurogliazellen bei den Katzen- und Schaf-Embryonen in den frühen Perioden auf eine solche Weise in der Kleinhirnplatte, dass man leicht die in einer Reihe ge- legenen oberflächlichen und die in den tieferen Teilen gelegenen Zellen unterscheiden kann. Eine solche Lagerung bleibt auch in den spä- teren Perioden. Bei den Katzen- (von 8 und 12 em) und Schaf- Embryonen von 14 cm können wir leicht zweierlei Zellenarten be- merken (s. Abb. X, XII u. XIII). Die einen liegen mehr oberflächlich und haben einen kleinen Zellenkörper, der ringsum von feinsten Nadeln besäet nach der Richtung zur äußeren Peripherie gerade sich ver- zweigende Fortsätze absendet. Diese Zellen sind nach ihrer Lage der oberflächlichen Schicht der Zellen der Abb. VII identisch. Neben ihnen können wir beim Schaf-Embryo von 14 em andere Zellen bemerken, die tiefer auf verschiedenen Höhen der inneren Körnerschicht liegen. Ihr Zellenkörper in der Abb. X übertrifft, um ein weniges an Größe die soeben beschriebenen; denn wegen Vor- handensein der Menge solcher Nadeln um den Zellkörper kann man schwer über die Form der letzteren urteilen. Beim Katzen- Embryo von 8 und 12 cm treffen wir zufällig diese Unbequemlichkeit nicht an und deshalb treten die Zellenkörper deutlich hervor. Diese Zellen (n,) scheinen uns, dank ihrer tiefen Lage, analog den Zellen », der Abb. VII, die in den sehr tiefen Schichten der Kleinhirnrinde liegen. Zu Gunsten dafür spricht hauptsächlich der Umstand, dass wir auf den entsprechen- den, in Hermann’scher Flüssigkeit fixierten Objekten sowohl in den oberflächlichen als auch tiefen Schichten eine beständige Anwesenheit sowohl tiefer wie auch 'oberflächlicher Zellen sehen; wir geben also mit anderen Worten zu, dass die soeben beschriebenen Zellen dieselben sind, welche wir in den frühen Perioden antrafen, nur dass sie sich bereits ein wenig differenziert haben. Diese Differenzierung besteht darin, dass die Zellenkörper an Umfang ein wenig zugenommen haben und die Fortsätze an Seitenverzweigungen reicher geworden sind. Wir sprechen absichtlich darüber, da wir beim Katzen-Embryo von 8 cm bereits eine neue Bildungsquelle der Neurogliazellen be- Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 647 obachten — nämlich die äußere Körnerschicht. Lugaro erwähnt in seiner Abhandlung über die Histogenese der Körner unter anderem die Anwesenheit von jungen Neurogliazellen in dieser Schicht. Alfred Schaper spricht auf Grund seiner Beobachtungen ebenfalls diese Meinung, aber nur als Vermutung, aus, die jedoch von Lugaro be- stätigt wird. Die Abbildung XVII gibt uns einen Begriff von den einfachsten Neurogliazellen, die auf Kosten der Körner der äußeren Körnerschicht eingedrungen sind. Die Form des Zellkörpers ist die polygonale oder die länglich-ovale; in der Verteilung der Fortsätze ist keine Regel- mäßigkeit bemerkbar; die einen von ihnen sind moosartig, die anderen nieht; die Lage der Zellen ist bald vertikal, bald schief, bald hori- zontal. Es würde uns natürlich schwer sein, dieselben als Neuroglia- zellen anzusehen, wenn wir uns nur nach ihrem äußeren Aussehen richten würden; aber darin hilft uns einerseits die große Aehnlichkeit dieser Zellen mit den unzweifelhaften jungen Neurogliazellen (siehe k Abb. XVI), andererseits der Umstand, dass man beim -Uebergang der Körner in die Nervenzellen ähnlichen Bildungen nicht begegnet. Es wäre überhaupt nichts mehr als billig, zu sagen, dass die Bildung der Neurogliazellen aus der äußeren Körnerschicht in dieser Periode (Em- bryo von 8 cm) nur beginnt, in der folgenden (Embryo von 12 cm) bereits gewisse Dimensionen angenommen hat; bei den neugeborenen Tieren aber (wie aus der Abb. XXI zu ersehen ist) ihre größte Inten- sität erreicht. Diese Beobachtung lässt vermuten, dass die mehr ge- formten Neurogliazellen, die wir beim Katzen-Embryo von 8 und 12 cm (s. Abb. XVI u. XV) antreffen, ihre Entstehung den Spongioblasten der Kleinhirnplatte und nicht den Elementen der äußeren Körnerschicht zu verdanken haben, widrigenfalls es ja sehr unwahrscheinlich wäre, dass die letzteren sich so schnell in erwachsene Formen differenzieren könnten. Wir wollen noch bemerken, dass die jungen Neurogliazellen (siehe Abb. XVI) außer den äußern Fortsätzen, sehr häufig noch einen inneren, der dem Axenzylinder der Nervenzelle ähnlich ist, absenden. Dieser Fortsatz ist fürwahr ein wenig dicker, gröber und nicht selten mit einem moosartigen Belag bedeckt, was wir beim Axenzylinder der Nervenzelle nie beobachteten. Die auf der Abb. XTV u. XV abgebildeten Neurogliazellen haben die verschiedenartigsten Formen; einige von ihnen behielten noch den- selben ursprünglichen inneren Fortsatz, von welchem wir soeben sprachen; einige von ihnen sind außerdem mit moosartigen Ablage- rungen bedeckt. In den embryonalen Zellen stellen solche Ablagerungen und die Anwesenheit eines inneren Fortsatzes eine gewöhnliche Er- scheinung vor, in den Erwachsenen werden sie wohl fast nie be- obachtet, und deshalb gehen wir wohl kaum fehl, wenn wir diese 648 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Merkmale zu der Charakteristik der sich entwickelnden jungen Neurogliazellen zuschreiben. Hierher muss man noch eine Eigen- schaft des Zellkörpers, eine ungeheuere Zahl kurzer Fortsätze auf ihrer ganzen Peripherie herauszulassen, hinzurechnen. Wenden wir uns jetzt zu den Neurogliazellen beim Katzen-Embryo von 12 cm. Die Zellen haben in dieser Periode einen etwas anderen Charakter, wie wir dieses beim Katzen-Embryo von 8 cm sehen. Allem zuvor wollen wir auf die große Verschiedenheit der Formen hinweisen. Die Form des Körpers stellt sehr unregelmäßige Figuren vor, einen Begriff von denselben kann man sich besser nach Abbildungen als nach der Beschreibung machen. Diese Unregelmäßigkeit wird hauptsächlich da- durch bedingt, dass der Zellenkörper von allen Seiten bald von dieken, langen, bald von kurzen Anhängseln, die ihre Grenze stark markieren, umsäumt ist (s. Abb. XII, XIII u. XIV). Die größte Zahl von An- hängseln wird in den Zellen, die in der inneren Körnerschicht liegen (s. Abb. XII r,), beobachtet; diejenigen Zellen aber, die in der mole- kulären Schicht oder auf der Höhe der Purkinje’schen Zellen liegen, haben entweder gar keine Anhängsel oder nur eine sehr geringere Anzahl und auch die sind moosartig. Neben diesen komplizierten Formen begegnet man auch sehr einfachen, wie z. B. Figur « in der Abb. XIV: der Zellenkörper ist gar nicht groß; die nach oben abgehenden Fortsätze unterscheiden sich wesentlich durch nichts von den ähnlichen, in den frühen Perioden beschriebenen; außerdem hat die Zelle noch einen inneren dieken Fortsatz. Die oberen Fortsätze steigen, wie bereits früher erwähnt wurde, zur Kleinhirnoberfläche hinauf und endigen, indem sie die M. limitans externa bilden, mit steck- nadelförmigen Erweiterungen; auf ihrem Wege senden sie vertikal nach oben Zweige ab; von einer jeden Zelle gehen einige Fortsätze ab. Zuweilen besitzt die Neurogliazelle nur einen, nach oben nur sich verzweigenden Fortsatz; eigentümlicher Weise besteht der ganze Körper dieser Zelle aus Anhängseln (s. Abb. XIV n,); bei einer anderen Zelle (s. Abb. XIII »,) hat sich der Körper in die Länge gezogen und ist von strahlenförmig umlagerten kleinen Fortsätzen umgeben. Schließ- lich treffen wir in der weißen Substanz Neurogliazellen (s. Abb. XII n,) an, die mit der Kleinhirnoberfläche nicht verbunden, nach allen Seiten dicke, parallel den Nervenfasern verlaufende Fortsätze absenden. In der dem Katzen-Embryo dieser Periode entnommenen Abbildung (XIV) begegnen wir einer großen, in der inneren Körnerschicht liegenden Zelle. Sie trägt unzweifelhaft den Ausdruck der embryonalen Bildung, da ihr Körper eine Menge dicker und unregelmäßiger, außerdem noch viele kurze Fortsätze besitzt; die anderen Zellen sind ebenfalls mit ähnlichen Fortsätzen versehen. Wir müssen noch eine Varietätsform der Neurogliazelle, die zuerst von Ramon y Cajal auf den nach der Golgi’schen Methode be: Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 649 arbeiteten und unter dem Namen spinnenartige Zellen bekannten Präparaten, erwähnen. Diese Zellen liegen, wie wir bereits früher erwähnten, stets neben den Gefäßen. Ramon y Cajal behauptet, dass diese Zellen ihre Entstehung dem Endothel der Gefäße zu ver- danken haben. Die Beobachtung dieses Autors können wir nur in dem Sinne bestätigen, dass im Anfange ihres Auftretens diese Zellen unmittelbar den blutführenden Kapillaren anliegen, in den späteren Perioden beginnt die Zelle, je mehr sie sich mit zahlreichen Fortsätzen versieht, von der Wand der Kapillare abzurücken, ist mit ihr jedoch durch eine mehr weniger dicke Verbindung verbunden; der letztern Form begegnet man in den entwickelten Organen. Wir können aber aus Mangel an Beweisgründen nicht behaupten, dass diese Zellen aus dem Endothel hervorgegangen sind. Fassen wir all das über die Histogenese der Neurogliazellen Ge- sagte zusammen, können wir zu folgenden Schlüssen kommen: a) In der Kleinhirnrinde bilden sich die Neurogliazellen aus zwei Quellen, 1. aus den Zellen der Keimschicht, die die Spongioblasten erzeugen, welche sich später in Neurogliazellen differenzieren und 2. aus den Elementen der äußeren Körnerschicht. b) Die Differenzierung der aus der Keimschicht entstandenen Zellen besteht darin, dass der Körper- umfang der Zelle sich vergrößert und die Fortsätze sich vermehren; in dem Maße wie die junge Zelle wächst, lässt sie eine Menge bald dieker, bald kurzer Anhängsel heraus. c) Diese Anhängsel unter- scheiden sich wesentlich durch nichts von den in den embryonalen Nervenzellen beschriebenen. d) In den durch ihre Fortsätze mit der äußeren Kleinhirnoberfläche verbundenen Neurogliazellen gehen folgende weitere Veränderungen vor: ihre äußeren Fortsätze nämlich nehmen zuweilen an Zahl zu, zuweilen bleiben sie aber in demselben embryo- nalen Zustande, den wir für ganz junge Zellen beschrieben haben d.h. von der Zelle geht nach außen ein einziger, entweder sich gar nicht oder sich nur leicht verzweigender Fortsatz ab. e) Diese Fort- sätze atrophieren nach unseren Beobachtungen bei einigen Zellen und auf diese Weise bleibt in den tiefen Teilen des Kleinhirns eine stern- förmige, mit der Peripherie nicht verbundene Zelle (siehe Abb. XII n,) nach. In den Endstadien des intrauterinen Lebens des Embryos be- ginnen die Elemente der äußeren Körnerschicht sich in Neurogliazellen zu differenzieren. f) Die auf eine solche Weise ‘gebildeten, sehr ein- fachen Formen der Neurogliazellen haben das Aussehen polygonaler Körperchen mit einem, zuweilen sich verzweigenden, äußeren Fortsatz und einem anderen — inneren. g) Der innere Fortsatz erhält sich zuweilen lange, zuweilen aber schwindet er (s. Abb. XIV, XV u.XV]). h) Die mehr bei den Neugeborenen (Abb. XXT) ausgesprochene Dif- ferenzierung dieser Körperehen unterscheidet sich wesentlich durch nichts anderes, was wir soeben beschrieben haben, d. h. der Zellen- 650 Noll, Anzucht früherblühender Reben. körper vergrößert sich allmählich und gibt eine Menge kleiner Fort- sätze und Anhängsel ab, die äußeren Fortsätze verzweigen sich immer mehr und mehr. i) Der Umfang der Zelle nimmt, je mehr sie sich in die inneren Teile der Rinde senkt, an Größe zu. (Fünftes Stück folgt.) Ueber Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der Anzucht früher- | blühender Reben. Von Prof. Dr. Noll in Bonn !!). Alljährlich wiederholt sich dem Bewohner weinbautreibender Gegenden das Bild, dass die Rebenblüte, die eigentliche Vorbereitung zur Fruchtbildung der Weinstockes, in eine Jahreszeit fällt, da Kirschen und Erdbeeren, Johannis- trauben und Stachelbeeren bereits die Zeit und die Bedingungen zur nahen Reife gefunden haben. Andererseits wiederholt sich leider nur zu oft die Er- scheinung, dass dann zum Schluss der sommerlichen Vegetationsperiode der Weinstock zu spät kommt, um seine Früchte so ausreifen zu lassen, wie es für einen edlen Most wünschenswert ist. Der Weinstock verschläft sozusagen die ersten Sommerwochen und bringt eine von vielen Pflanzen gut. ausgenutzte lange Zeit in Unthätigkeit zu, während es ihm im Spätherbste oft nur an einer bis zwei Wochen Frist fehlt, um noch einen süßen Most zu liefern. An dem Eintreten ungünstiger Witterung im Spätherbst oder schon früher ist nun einmal nichts zu ändern; wohl aber könnten wir die Reifezeit des Weines verlängern, falls es uns gelänge früher blühende Reben zu erziehen, was durch Zuchtwahl zu erreichen sein muss. Wenn es uns so gelänge, die Rebe zu einem früheren Erwachen oder wenigstens Erblühen und einer besseren Ausnutzung des Vorsommers zu veranlassen, würden wir im Wesentlichen das- selbe wie mit einem verlängerten warmen Spätherbste erreichen. Es ist ja einerseits nicht zu verkennen, dass das verhältnismäßig späte Austreiben der Rebe gerade zu der Möglichkeit, sie in unseren nördlichen Gegenden noch mit Vorsicht zu kultivieren, sein Teil beiträgt. Die klima- tischen Verhältnisse fordern darum aber noch nicht ein Hinausschieben der Blütezeit bis zur Mitte oder gar gegen Ende des Juni. Oft noch lange nach ihrer Entfaltung und Streckung harren an den kräftigen jungen Trieben die Gescheine ihres Aufblühens, und man kann nicht sagen, dass sie damit dann immer in eine günstigere Witterung hinein kämen, als sie Wochen vorher schon vorgefunden haben würden. Oft ist gerade das Gegenteil der Fall. Dann aber liegen die Aussichten für einen guten Herbstertrag doppelt schlimm. Zu ‘der geringen Quantität kommt dann aus Mangel an Reifezeit mit größerer Wahrscheinlichkeit noch die schlechte Qualität. Trifft eine frühere Blüte zu- fällig schlechte Witterung, dann ist doch noch wenigstens Aussicht, dass eine längere Reifezeit die Qualität hebt. Ich erinnere mich einer Anzahl von Jahren, wo eine frühere Trauben- blüte in besseres Wetter gekommen wäre, als es die normale späte Blüte that- 1) Aus der Zeitschrift des landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen, mitgeteilt vom Herrn Verfasser. Noll, Anzucht früherblühender Reben. 651 sächlich traf, wo also doppelte Vorteile dem Herbstertrag zu Gute gekommen wären bei früherem Eintritt der Blüte. Um mich aber nicht allein auf persönliche Erinnerungen und Eindrücke zu verlassen, habe ich die in Betracht kommenden Witterungsverhältnisse der letzten 20 Jahre (1877 — 1896) aus den Aufzeichnungen der k. Universitäts- Sternwarte zu Bonn, die mir in dankenswerter Weise gütigst zur Verfügung gestellt wurden, für die letzten beiden Mai- Wochen und den Juni verglichen und gebe nachstehend die für die Vegetation maßgebenden berechneten und ausgezogenen Zahlen in Celsiusgraden: Mai 18.—24 25.—31. 7 Tage 7 Tage H Mittel der Wochen-Minima 9,1 10,6 -Maxima 19,0 20,2 Durchschnittswärme der Woche 14,05 15,55 Anzahl der Tage mit Niederschlag | 3,6 3,0 Menge der Niederschläge in mm 10,8 8,7 Mittel d. kleinsten Min. v. 20 Jahren 5,7 72 »„ „ größt.Minima „20 „ 12,8 14,0 ne klemst.2Max:t..290: 14,8 | 16,1 » „ größt.Maxima„20 „ 23,4 24,7 Kleinste vorgekommene Tages- | Minima in 20 Jahren . ORT: VERA EIS HIEN Größte vorgekommene' Tages- Maxima in 20 Jahren . 24,0, 28,3.:31,0130,2, 321.334 Juni Vila (848. 16.30. 7 Tage 8 Tage 15 Tage Mittel der Wochen-Minima 14 11,6 12,55 „ Maxima 21,8 20,65 22,10 Durchschnittswärme der Woche 16,65 16,10 17,32 Anzahl der Tage mit Niederschlag 36 4,15 [3,6] *) 7,5 [3,7]%) Menge der Niederschläge in mm 16,2 21,1 [18,5]**) | 33,6 [16,8] ”*) Mitteld. kleinsten Min. v. 20 Jahren 9,0 8,6 8,6 » » größt.Minima ,„ 20 „ 15,25 14,9 16,6 2...„ ,kleinst. Max; „207, 16,7 16,6 16,7 » » größt.Maxim., 20 „ 26,4 25,1 28,45 Kleinste vorgekommene Tages- Minima in 20 Jahren Ehe 14,3. 4,4. 5,95,0.. 5,7... 6,04,7. 6,5. 658 Größte vorgekommene Tages- | Maxima in 20 Jahren . . 130,3. 30,4. 31,7.29,6. 31,0. 31,4'30,2. 30,6. 32,8 Aus diesen Zahlen — von denen die Mittelwerte aus den Jahrzehnten 1877—86 und 1887—96 nur im Zehntelgrade abweichen, die also aus genügend langen Zeiträumen schon abgeleitet sind — geht hervor, dass die Durchschnitts- *) und *=) ‚Die hier eingeklammerten Zahlen sind die auf 7 Tage berech- neten direkten Vergleichswerte. 652 Noll, Anzucht früherblühender Reben. temperatur, mit Ausnahme der zweiten Juniwoche, zwar stetig zunimmt, aber doch nur um sehr geringe Größen, von Ende Mai bis Ende Juni um nicht ganz zwei Celsiusgrade. Von größerer Bedeutung als die geringe Differenz in der Mitteltemperatur (von 15,5 bis 17,3°) sind die vorkommenden kleinsten Minima und die höchsten Tages-Maxima der beobachteten Wochen. In der vorletzten Maiwoche fiel das Thermometer der Sternwarte in 2 von 20 Jahren unter + 2°C., in einem Jahre (1880) sogar auf + 0,1° C. In der letzten Maiwoche finden wir die kleinsten Minima mit 4,3; 4,8° C.,, Zahlen, wie sie aber auch in der zweiten Junihälfte mit 4,7 wiederkehren. Selbst die zweite Juniwoche zeigt nur um Zehntelgrade höhere Minima, die für die Vegetation kaum in Betracht kommen. Die höchsten Wärmegrade!) (im Schatten gemessen), bleiben sich in den betrachteten Zeiträumnn annähernd gleich, und auch die Häufigkeit und Menge der Niederschläge zeigt im Durchschnitt nur geringe Abweichungen. Die einzige ausgesprochene Bevorzugung genießt mit nur 3,0 Tagen mit 8,7 mm Niederschlagsmenge die letzte Mai woche. Schließt man also, der vorkommenden kleinsten Tages-Minima wegen, die vorletzte Maiwoche aus, so wird der Weinstock von der letzten Mai- woche ab bis Ende Juni durchschnittlich die gleichen Witte- rungsaussichten für sein Blühen haben. Wie soll man nun zu einem Reben- Material gelangen, welches früher in die Voll- Blüte eintretend, die Sommerwochen extensiver zur Ausbildung und Reife seiner Beeren ausnutzen könnte? Um jedes Missverständnis von vornherein auszuschließen, muss hier zu- nächst betont werden, dass diese Aufstellung nicht auf eine Empfehlung zum Aufbau sogenannter Frühtrauben hinausläuft, also nicht dem Anbau anderer Sorten, als der, trotz öfterer klimatischer Misserfolge, bewährten Trauben- sorten das Wort reden will, sondern dass es hier einzig auf früher blühende Individuen eben dieser bewährten Weinsorten, zumal von Rieslingen, abgesehen ist. Es kommen also nur Stöcke in Betracht, die aus inneren unbekannten Ursachen, aus innerer Anlage heraus und nicht durch die Gunst äußerer Ver- hältnisse, früher in die Blüte eintreten, als dies jetzt bei unseren Reben all- gemein der Fall ist. Es würde sich also um eine, in dieser bestimmten Rich- tung abweichende sog. Knospen-Variation handeln, wie sie nicht künstlich her- vorgerufen werden kann, sondern wie sie zumal bei kultivierten Pflanzen, scheinbar ganz zufällig und meist selten, ganz von selbst einmal irgendwo auftreten. Auf diesem Wege sind ja auch unsere buntblätterigen und schön- blätterigen Zierpflanzen, wie auch unsere meisten Obst- und Gemüsesorten zunächst entstanden. Dass die Rebe, wie fast alle unsere Kulturpflanzen bezüglich der Blüte- zeit kleinere oder größere Variationen zeigt, ist von vornherein wahrschein- lich, und man wird alljährlich daran durch Zeitungsnotizen erinnert, welche als Merkwürdigkeit verzeichnen, dass in diesem oder jenem Weinberge bereits blühende Weinstöcke gefunden worden seien. Unter diesen Frühblühern werden jedenfalls solche sein, die durch die Gunst des Standortes „getrieben“, unter 1) Ueber die Dauer des direkten Sonnenscheins geben die Aufzeichnungen der Bonner Sternwarte leider keinen Aufschluss. Die Aufzeichnungen, die darüber von der Wetterwarte des akademischen Versuchsfeldes in Poppelsdorf (Professor Dr. Wohltmann) gemacht werden, reichen nicht über die letzten 3 Jahre zurück. Noll, Anzucht früherblühender Reben. 653 ungünstigeren Verhältnissen aus sich selbst heraus keinen Vorsprung erlangt haben würden. Solche Frühblüher sind natürlich für die hier in Betracht kommende Zuchtwahl wertlos. Es mögen aber auch Reben oder einzelne Sprosse unter diesen Frühblühern sein, die aus innerer Anlage ihre Blüten früher ent- falten als die Artgenossen. Diese für unsern deutschen Weinbau mit seiner kurzen Reifezeit äußerst wertvollen Abweichungen gilt es zu erhalten und zu vermehren und so für den Weinbau nutzbar zu machen. Um dies einzuleiten, werden diese Reben gleich bei ihrer Entdeckung und, nachdem man sich überzeugt hat, dass sie nicht durch besonders vorteilhafte äußere Einwirkungen früher blühen, sorgfältig und auffällig, etwa durch ein rotes Band oder dergl. zu bezeichnen sein und es wird darauf zu achten sein, ob dem früheren Blühen auch eine frühere Reife entspricht, was ja allein für den praktischen Wert ausschlaggebend ist, Sollte dies der Fall sein, so ist die frühblühende resp. frühreifende Rebe mit allen ihren Seitensprossen, die nicht entfernt werden sollten, als Setzrebe zu verwenden. Solche Setzreben müssten, um über ihren relativen und absoluten Wert ein Urteil zu ermöglichen, nun einer jahrelangen Kontrole und Vergleichung unterzogen werden, und das geschieht natürlich am besten, indem sie auf einem bestimmten Gelände zu diesem Zwecke vereinigt werden. Es ließe sich dann auch daran denken, die wertvolle Abweichung noch weiter bis zu einem wünschenswerten Grade zu steigern, da Variationen in der angenommenen neuen Richtung häufig weitergehen. Da dem einzelnen Weinbautreibenden der Raum und die Zeit zu sorgfältigem Experimentieren nicht zu Gebote steht, da er weiterhin, selbst wenn sich in seinem Weinberg zufällig ein wertvoller Früh- blüher findet, kaum die nötige Uebersicht hat, um seinen relativen Wert zu ermessen, so hat der Verfasser die Absicht, mit Unterstützung der k. land- wirtschaftlichen Akademie in Poppelsdorf einen Versuchsweinberg zur Kontrole und Anzucht früh blühender Individuen unserer bewährtesten Weinstock-Sorten anzulegen. Nur durch die einer Centralstelle gebotene Uebersicht und Auswahl des besten Materials ist ein rascher Fortschritt ermöglicht, der natürlich auch von der Größe des beobachteten Areals und ursprünglichen Beobachtungs- materials abhängig sein wird. Nur wenn im ganzen weinbautreibenden Ge- biete auf früh blühende Knospen-Variationen geachtet wird und von dem, wie gesagt, ganz zufällig und an beliebigem Orte, im kleinsten entlegenen Wein- berge wie in großen Weingütern auftretenden wertvollen Naturgeschenk nichts übersehen wird und achtlos verkommt, ist ein rascheres Erreichen des Zieles vorauszusehen. Der Verfasser bittet deshalb alle Weinbautreibenden sowie Alle, denen die Förderung des heimischen Weinbaues am_Herzen liegt, ihn vom Auffinden wesentlich früher blühender Reben der gedachten Art zu benachrichten und zugleich diese Reben in der angegebenen Weise dauernd kenntlich zu machen. 2 Ebenso bittet er in gleicher Weise zu verfahren mit Reben, die, ob früher oder später blühend, früher reife Trauben zeitigen, die sich also durch be- schleunigte Reifungs-Vorgänge, also eine intensivere Ausnutzung der Som- merwochen auszeichnen. Freilich ist das Reifen seinem Zeitpunkte nach nicht so sicher festzustellen wie das Aufblühen. Je umsichtiger die Beobachtung der Weinberge gehandhabt wird, je größer das Areal, auf dem die Beobachtung vorgenommen wird, desto größer ist die Aussicht bei sonstigem Gelingen des Versuches, um für unsern deutschen Wein- 654 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig. bau zu einem Reben-Material zu kommen, welches die kurze Spanne unseres Sommers besser ausnutzt als die bisher kultivierten Stöcke, die reichlich zwei Wochen durch früheres Aufblühen an einem Sommer gewinnen könnten, Wochen, die häufig genug in kritischen Jahren über den Wert des Herbstes und über viele Hunderttausende von Volksvermögen entscheiden. [82] 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig. 20. bis 25. September 1897. Allgemeine Tagesordnung. Sonntag, 19. September. Nachmittags 2!/, Uhr: Besichtigung der auf dem Leonhardplatze zu veranstaltenden Volks- und Jugendspiele (geleitet auf Veranlassung des deutschen „Ausschusses für Volksspiele“ und der Geschäftsführung von Herrn Prof. Dr. Konr. Koch). — Abends 8 Uhr: Begrüfsungs- Abend in der Egydienhalle (mit Damen). Montag, 20. September. Morgens 9 Uhr: I. Allgemeine Sitzung in Brüning’s Saalbau (Grofser Saal): 1. Eröffnung durch den ersten Geschäftsführer der Ver- sammlung, Herrn Geh. Hofrat Prof. Dr. Wilh. Blasius; 2. Begrüfsungs- ansprachen; 3. Mitteilungen des ersten Vorsitzenden der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, Herrn Hofrat Prof. Dr. Vietor Edler von Lang (Wien); 4. Vortrag des Herrn Prof. Dr. Rich. Meyer (Braunschweig): Che- mische Forschung und chemische Technik in ihrer Wechselwirkung; 5. Vortrag des Herrn Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Wilh. Waldeyer (Berlin): Befruch- tung und Vererbung. — Nachmittags 3 Uhr: Bildung und Eröffnung der Ab- teilungen. — Abends 7 Uhr: Fest-Vorstellung im Herzoglichen Hoftheater: „Der wilde Jäger“. Dienstag, 21. September. Morgens 9 Uhr: Sitzungen der Abteilungen. — Nachmittags 3 Uhr: Sitzungen der Abteilungen. — Abends 6 Uhr: Allgemeines Fest-Essen in der Egydienhalle. Mittwoch, 22. September. Morgens 10 Uhr: Gemeinsame Sitzung der Ab- teilungen der naturwissenschaftlichen Hauptgruppe unter Beteiligung aller in- teressierter medizinischen Abteilungen in Brüning’s Saalbau (Grofser Saal). Vorsitzender: Herr Geh. Hofrat Prof. Dr. Johannes Wislicenus (Leipzig). Thema: „Die wissenschaftliche Photographie und ihre Anwendung auf den ver- schiedenen Gebieten der Naturwissenschaften und Medizin“. — Bis jetzt haben Vorträge und Referate übernommen: Herr Prof. Dr. H. W. Vogel (Berlin): Einleitender Vortray über den jetzigen Stand der wissenschaftlichen Photographie ; Herr Dr. Rene du Bois-Reymond (Berlin): Die Photographie in ihrer Be- ziehung zur Lehre vom Stehen und Gehen; Herr Ingenieur Dr. Max Levy (Berlin): Ueber Abkürzung der Esxpositionszeit bei Aufnahme mit Roentgen- Strahlen; Herr Prof. Dr. Oscar Lassar (Berlin): Referat über die medi- zinische Anwendung der Photographie. — Auch erbietet sich Herr Prof. Dr. Emil Selenka (München), über die Anwendung der Photographie bei Forsch- ungsreisen unter Vorführung der von seinen indischen Reisen mitgebrachten Glasphotographien zu sprechen. — Nachmittags 3 Uhr: Fortsetzung der gemein- samen Sitzung der Abteilungen und der Diskussion über die wissenschaftliche Photographie und ihre Anwendung ete. — Nachmittags 5 bis 7 Uhr: Besichtigung der Uebungen in ersten Hilfeleistungen bei Unglücksfällen, welche in der Sama- riter- Schule Herr Dr. med. Willibald Eydam vorzuführen beabsichtigt. — Abends 8 Uhr: Fest-Commers (mit Damen) in der Egydienhalle. 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig. 655 Donnerstag, 23. September. Morgens 9 Uhr: Sitzungen der Abteilungen. — Nachmittags 3 Uhr: Sitzungen und Ausflüge der Abteilungen. — Ahends 8 Uhr: Fest-Ball im Wilhelmsgarten (Eingang an der Katharinenkirche). Freitag, 24. September. Morgens 9 Uhr: II. Allgemeine Sitzung in Brü- ning’s Saalbau (Grofser Saal): 1. Vortrag des Herrn Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Johannes Orth (Göttingen): Medizinischer Unterricht und ärztliche Praxis; 2. Vortrag des Herrn Dr. Hermann Meyer (Leipzig): Im Quell- gebiet des Schingu. Landschafts- und Volksbilder aus Centralbrasilien ; 3. Schluss- Reden. — Mittags 1'|, Uhr: Einfaches Mittagsessen in dem Bahnhofs-Restaurant und in benachbarten Gasthäusern: Hötel Kaiserhof, Hötel Monopol ete. — Nach- mittags: Ausflüge (zur Auswahl) mit Damen: 1. nach Wolfenbüttel; 2. nach Königslutter. — Abends von 9 Uhr an: Abschiedszusammenkunft im Altstadt- Rathause zu Braunschweig (unter festlicher Beleuchtung des Rathauses und Brunnens von Seiten der Stadt). Sonnabend, 25. September. Tagesausflug mit Damen nach Bad. Harz- burg. Abfahrt mit Extrazug 9 Uhr 5 Minuten früh. Sonntag, 26. September. Tagesausflüge mit Damen: 1. nach Wernigerode und Rübeland; 2. nach dem Brocken mit Besichtigung der k. meteorologischen Station daselbst. — Au/serdem hat der Bürgermeister von Pyrmont, Herr Rud. Ockel, in Erinnerung an die 17. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, welche 1839 in Pyrmont tagte, die Teilnehmer an der Versammlung nebst ihren Damen freundlichst eingeladen zu einem zweitägigen Ausfluge nach Pyrmont. Programm der Abteilungen. Botanik. Angemeldete Vorträge: Drude Oscar (Dresden): Die Vegetationslinien im hercynischen Bezirk der deutschen Flora. — Kohl Friedr. Georg (Marburg): Zur Physiologie des Zuckers. — Wehmer Carl (Hannover): Gärungsprozesse in starken Salzlösungen. — Ge- meinsam mit der Abteilung tagt die „Deutsche botanische Gesellschaft“, deren General- Versammlung Dienstag, 21. September, 10 Uhr Morgens stattfindet. — Besichtigung des herzoglichen botanischen Gartens Donnerstag, 23. September, 11'/,.Uhr Morgens und Ausflug nach dem herzoglichen Forstgarten bei Riddags- hausen Dienstag, 21. September, 3 Uhr Nachmittags, Zoologie. Angemeldete Vorträge: v. Berlepseh Hans Graf (Schloss Berlepsch): Thema vorbehalten. — Blasius Wilhelm (Braunschweig): Demon- stration von Fossilresten aus Rübeländer Höhlen. — Brandes Gustav (Halle a. 8.): Thema vorbehalten. — Brockmeier H. (M.-Gladbach): Ueber die beiden Schneckenarten: Achatina acicula und Limnaea truncatula. — Hubrecht A. A. W. (Utrecht): Die Rolle des embryonalen Trophoblastes bei der Placen- tation (mit Demonstrationen an mehreren Säugetiergattungen). — Nehring Alfred (Berlin): Ueber diluviale Reste von arktischen und von Steppen-Säuge- tieren in den belgischen Höhlen und ihre Beziehungen zur Diluvialfauna Mittel- europas. — Reichenow Anton (Berlin): Thema vorbehalten. — Schäff Ernst (Hannover): Darf unsere Kenntnis der Wirbeltiere Deutschlands als ab- geschlossen angesehen werden? — Selenka Emil (München): Ueber die geo- graphische Verbreitung der Tiere. — Selenka Emil (München): Ueber Pla- centation der Affen. — Semon Richard (Jena): Ueber die Entwicklung der paarigen Flossen von Ceratodus. (Mit Vorbehalt.) — Semon Richard (Jena): Ueber die Placenta und ihre Eihüllen bei Monotrematen und Marsupialien. (Mit Vorbehalt.) — Strahl Hans (Giefsen): Ueber die Placenta der Raubtiere. — Thilo Otto (Riga): Die Darstellung der Kmorpel- und Knochengerüste mit 656 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig. verdünnter Schwefelsäure (Vorlage von Präparaten und Modellen). — Gemein- same Sitzungen mit: 1. den Abteilungen für Geburtshilfe nnd Gynäkologie, sowie Für Anatomie, in welcher als Thema „Die Placenta und ihre Eihüllen“ behandelt werden soll; 2. der Abteilung für Mineralogie und Geologie, in welcher der obige Vortrag des Herrn Nehring (Berlin) und die Demonstration des Herrn W. Blasius (Braunschweig) stattfinden werden; 3. den Abteilungen für Geo- graphie, Mineralogie und Geologie, Geodäsie und Kartographie, sowie Physik und Meteorologie, in welchen u. a. Herr W. Halbfass (Neuhaldensleben) einen Vortrag über die „Erforschung der norddeutschen Seen“ zu halten beabsichtigt und voraussichtlich auch die anderen bei der Geographie angekündigten Vorträge der Herren Lehmann und Hans Meyer, sowie ein physikalischer Vortrag des Herrn Delezal über Wolkenmessungen gehalten werden. — Eine Besichtigung des herzoglichen naturhistorischen Museums wird sich an die gemeinschaftliche Nachmittags-Sitzung am Dienstage anschlie/sen. Entomologie. Angemeldete Vorträge: Fruhstorfer Hans (Berlin): Ueber die Lepidopterenfauna der Insel Lombok (mit Demonstrationen). — Ki- lian F. (Stromberg, Hunsrück): Ueber die Expedition Cook und Smith nach Timbuktu. — Kilian F. (Stromberg, Hunsrück): Ueber meine vorjährige Reise nach Teneriffa. Anatomie. Angemeldete Vorträge: v. Bardeleben Karl (Jena): Ein- irittsstellen und Verteilung der Nerven in den Muskeln, besonders an den mensch- lichen Gliedmafsen (mit Demonstrationen von Dr. F. Frohse, Berlin). — v. Bardeleben Karl (Jena): Die „Zwischenzellen* des Säugetierhodens (mit Demonstrationen). — v. Bardeleben Karl (Jena): Dimorphismus der männ- lichen Geschlechtszellen (mit Demonstrationen). — Füäsebeck Ferdinand (Braunschweig): Die Höhlen der Schädel- und Gesichtsknochen (mit Demonstra- tionen). — Frohse F. (Berlin): Demonstrationen (s. oben). — His Wilhelm sen. (Leipzig): Demonstrationen von Präparaten, betr. die Placenta und ihre Eihüllen. — Kallius Erich (Göttingen): Thema vorbehalten. — Merkel Friedrich (Göttingen): Zur Entwicklung des Respirationsapparates. (M.V.) — Merkel Friedrich (Göttingen): Zur Histologie der Wand des Dünndarms während der Verdauung. (M. V.) — Solger Bernh. (Greifswald): Zur Kenntnis der Struktur der Nervenzelle (Torpedo). — Solger Bernh. (Greifswald): Ueber amitotische Teilung eingekerbter und durchlöcherter Kerne (Oymbulia). — Solger Bernh. (Greifswald): Ueber vitale Färbung mit Methylenblau und Neutral- rot. — Solger Bernh. (Greifswald): Das „Prozymogen“ (Bensley) der mensch- “ lichen Glandula submaxillaris (Demonstration). — Waldeyer Wilh. (Berlin): Thema vorbehalten. — Wiedersheim Robert (Freiburg i. Br.): Thema vor- behalten. (M. V.) — Gemeinsame Sitzung mit der Abteilung für Instrumenten- kunde für die Demonstration eines Mikrotoms für Gehirnschnitte durch Herrn Prof. Thoma oder R. Jung (Heidelberg). Physiologie. Angemeldeter Vortrag: v. Frey Max (Leipzig): Zur Sinnesphysiologie der Haut. — Die Abteilung wird sich voraussichtlich an den Beratungen der Abteilungen für Zoologie, Anatomie und Hygiene ete. beteiligen. Prof. Dr. Wilh. Blasius, Prof. Dr. Rich. Schulz, Geheimer Hofrat. Oberarzt am herzogl. Krankenhause. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München - herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 16. September 1897. Nr. 18. Inhalt: Hoernes, Die Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur. — Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. (Fünftes Stück und Schluss.) — Sehultze, Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Säugetiere, — v. Wasielewski, Sporozoenkunde, ein Leitfaden für Aerzte, Tierärzte und Zoologen. Die Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur. Von Prof. Dr. Rudolf Hoernes in Graz. Es ist seit langer Zeit darauf hingewiesen worden, dass im Baikal- see Tiere leben, welche sonst den Binnengewässern fremd sind und deren isoliertes Vorkommen nur durch Annahme einstigen Zusammen- hanges jenes großen ostsibirischen Binnensees mit dem Meere erklärbar sei. Die Auffassung des Baikalsees als „Reliktensee“ stützt sich haupt- sächlich auf die diesbezüglich von A. v. Humboldt (Kosmos IV) ausgesprochenen Ansichten, die auch O. Peschel (in seinen neuen Problemen der vergleichenden Erdkunde) vertrat. In neuerer Zeit hat jedoch R. Credner in seiner Monographie der Reliktenseen einerseits auf Grund der Ergebnisse der Forschungen russischer Geologen in Ostsibirien, andererseits veranlasst durch kritische Erwägungen über den marinen Charakter der Baikal-Fauna die Reliktennatur des Baikalsees in Abrede gestellt!). Im zweiten Teile dieser Monographie „Ueber die Kennzeichen und die Entstehungsart der echten Relikten- seen“ sucht Credner hauptsächlich auf Grund der Untersuchungen Czerski’s den Nachweis zu führen, dass die geologische Geschichte des Baikalsees mit den Ansichten v. Humboldt’s und Peschel’s in Widerspruch stehe und der Baikalsee niemals mit dem Meere in Zusammenhang gestanden babe. Dies gelte namentlich auch für die spätere Tertiär- und Diluvialzeit, während welcher eine Meeresbedeekung der sibirischen Abdachung Centralasiens als erwiesen galt, auf deren Rückzug speziell die Umgestaltung des Baikalfjords zu dem jetzigen 1) Ergänzungshöfte 86 und 89 zu Petermann’s Mitteilungen (siehe da- selbst auch die ausführlichen Angaben über die Litteratur des Baikalsees). XV. 42 658 Hoernes, Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur. Binnensee zurückgeführt zu werden pflegte. Indessen hätten die in neuerer Zeit angestellten umfangreichen geologischen Untersuchungen im Gebiete der Lena und des Witim, des Jenissei und der Angara, ebenso wie südöstlich vom Baikalsee im Gebiete des Amur und seiner dortigen Zuflüsse nirgends marine, überall nur Süßwasserablagerungen festge- stellt!). Im ersten Teile seiner Monographie?) versucht Credner auch die Annahme der Reliktennatur der Fauna des Baikalsees zu widerlegen. Besonderes Gewicht legt er diesbezüglich darauf, dass dem Auftreten des Seehundes im Baikalsee nicht jene Bedeutung zu- komme, welche ihm von den Verfechtern der Reliktennatur zuge- schrieben wird. Er macht insbesondere auf die Wanderungen von Phoca in Flüssen aufmerksam und führt dafür eine große Anzahl von Beispielen an, die indessen meiner Ansicht nach wenig beweisen, denn der Seehund des Baikalsees (zuerst von John Bell im Jahre 1763 erwähnt und von Steller 1774 und von Schreber 1776 näher ge- schildert) wird von Pallas mit Unrecht mit Callocephalus vitulinus vereinigt und von Radele als Phoca annulata beschrieben — er ist vielmehr, wie B. Dybowski gezeigt hat, eine eigene Form, welche in mehrfacher Beziehung von Phoca annulata verschieden ist, und welche B. Dybowski als Phoca baicalensis beschrieb; ebenso wie auch die Phoca des kaspischen Meeres weder mit Phoca vitulina noch mit Phoca annullata identisch ist, sondern gleichfalls eine eigene Art: Phoca caspica Nilsson darstellt. Ich glaube nun, dass diese beiden Phoca- Arten keineswegs auf dem Wege der Flusswanderung in die heute isolierten Binnenseen gelangt sind und sich dort in relativ kurzer Zeit so weit veränderten, dass sie nicht mehr mit ihren Stammformen identifiziert werden können, sondern dass sie herzuleiten sind von den Phoca-Formen des sarmatisch-pontischen Meeres der jüngeren Tertiär- zeit, als dessen Dependenz der Kaspisee heute unzweifelhaft gilt, während die Reliktennatur der Baikalfauna, die allerdings auch in neuerer Zeit noch durch Autoritäten wie Neumayr?®) und Ochse- nius*) vertreten wurde, von Credner in Abrede gestellt wird. Ochsenius ist selbstverständlich, wie hier bemerkt sein mag, im Irrtum, wenn er meint, dass nur die Phoca die Isolierung des einstigen Meeresteiles überdauert hätte, während alle übrigen Repräsentanten der marinen Fauna zu Grunde gegangen wären, im Gegenteile leben im Baikalsee zahlreiche ursprünglich marine Formen, die allerdings verschiedene Beweiskraft für die Reliktennatur der Fauna besitzen. Gerne will ich zugeben, dass den Seehunden, wie auch gewissen 1) Ergänzungsheft 89, S. 26. 2) Ergänzungsheft 86, S. 59—61, sowie 87—98. 3) M. Neumayr, Erdgeschichte, Bd.I, 1886, S. 513. 4) C. Ocehsenius in seiner Mitteilung über das Alter einiger Teile der südamerikanischen Anden. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. 38, 1886, S. 767. Hoernes, Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur. 659 Fischen von marinem Typus, die im Baikalsee leben (Comephorus baicalensis Dyb., Cottus quadricornis L., Salmo migratorius Pallas), nicht jene absolute Beweiskraft zukommt, welche ihnen von manchen Autoren zugeschrieben wird. Eine solche muss ich hingegen ent- schieden den Spongien des Baikalsees zuerkennen, welche durch W. Dybowski näher untersucht worden sind. Sie besitzen nicht bloß im äußeren Ansehen die größte Aehnlichkeit mit Meeresschwämmen, sondern stimmen auch im feineren Bau und in der Gestalt ihrer Kiesel- gebilde vollkommen mit solchen überein. Insbesondere ist in dieser Hinsicht Lubomirskia baicalensis Dyb. —= Spongia baicalensis Pallas hervorzuheben, welche vollkommen übereinstimmend von Benedikt Dybowski am Strande der Behrings- und Kupferinseln entdeckt wurde. W. Dybowski betrachtet daher diesen Baikal-Schwamm mit Recht als eine echte Reliktenform, deren ursprünglicher und eigentlicher Wohnort das Behringsmeer oder die See überhaupt sei. Auch die von E. Grube untersuchten Planarien des Baikalsees scheinen mehr an marine als an Süßwasserformen zu erinnern. Unter den Mollusken des Baikalsees wären nach Credner eben- sowenig wie unter den Crustaceen dieses Binnensees Formen vor- handen, welche an marine Typen gemahnen. Die Molluskenfauna des Baikalsees, die uns insbesondere durch eineMonographieW.Dybowski’s über die Gastropoden des Baikal bekannt wurde, stellt sich als eine überaus eigentümliche dar. Von den 25 Arten, welche Dybowski aufzählt, ist bis jetzt, wie er hervorhebt, aus anderen Weltteilen keine einzige, aus anderen Gegenden Sibiriens sind nur drei (Benedictia limnaeoides Schrenk, Ancylus Sibiricus Gerstfeldt, Limnorea Angarensis Gerstfeldt) bekannt geworden. Die 25 Arten des Baikal- sees, womit die Zahl der Arten gewiss noch nicht vollständig ange- geben ist, zeichnen sich in ihrem allgemeinen Habitus vor allen, aus anderen Weltteilen bis jetzt bekannten Arten so sehr aus, dass man die baikalische Gastropodenfauna als eine sehr eigentümliche ansehen muss. „Es ist dies um so auffallender, da die Mollusken der kleinen, von dem Baikalsee nicht, sehr entfernten Süßwasserbassins (wie kleine Teiche, Tümpel, Gräben ete.) ganz den europäischen Charakter besitzen, abgesehen von geringen, lokal bedingten Unterschieden“. Diesen Worten Dybowski’s!) möchte ich zunächst die Aeußerung eines genauen Kenners der osteuropäischen jungtertiären Binnen- bildungen und ihrer Faunen gegenüber stellen. Th. Fuchs sagt an einer Stelle?), welehe leider der Beachtung Credner’s entgangen ist, 4) Dybowski, Die Gastropodenfauna des Baikal-Sees. Me&m. de l’Acad, imp. de St. Petersbourg, T. XXII, Nr. 8, 1875. 2) Fuchs, Ueber die lebenden Analoga der jungtertiären Paludinenschichten und der Melanopsis-Mergel. Verhandlungen der k. k. geolog. Reichs - Anst., Wien 1879, S. 298. 42* 660 Hoernes, Fäunä des Baikalsees uud ihre Reliktennatur. über die Molluskenfauna des Baikalsees wörtlich: „Die vor kurzem durch Dybowski und Gerstfeldt bekannt gewordene wunderbare Molluskenfauna des Baikal-Sees, die so vollständig von der palä- arktischen Fauna abweicht und so zahlreiche Beziehungen zu den Süßwasserformen unserer Kongerienschicehten er- kennen lässt, ließ sich rationeller Weise nur als ein äußerster nördlicher Vorposten einer reichen Welt eigenartiger Binnenmollusken betrachten, welche die süßen Gewässer der südlich und! östlich davon gelegenen Gebiete bevölkern musste“. A. Bittner hat aus älteren Bildungen Oesterreichs einige Versteinerungen geschildert, welche mit Baikal-Gastropoden große Aehnlichkeit besitzen. Es sind dies Hydrobia (Godlewskia?) sp.*) und Valvata (?) Rothleitneri Bittn.?). Von der ersteren Form, die Bittner wegen ihrer mangelhaften Erhaltung nicht abgebildet hat, bemerkt er, dass sie in ihrer Gesamtgestalt ausserordentlich der Gattung Godlewskia des Baikalsees, speziell der typischen Form dieser Gattung, G turriformis Dyb. gleiche, da sie auch die eigentümlichen, schwachen und unregelmäßig verteilten Wülste besitze, wie die zitierte Art, auf welche Crosse und Fischer?) die Gattung Godlewskia gründeten. Bei der Schilderung der Valvata Rothleitneri wird von Bittner auf die ähnlich skulpturierte Valvata baicalensis Gerstf. deshalb hingewiesen, weil auch andere Beziehungen zwischen beiden Faunen zu bestehen scheinen. Während Fuchs auf Beziehungen der Baikal-Mollusken zu der Fauna der österreichischen Kongerienschichten, Bittner auf solche zu aquitanischen Formen hin- wies, habe ich vor kurzem zu zeigen versucht, dass auch in den sarmatischen Schichten Oesterreich-Ungarns Conchylien vorkommen, welche mit Formen des Baikalsees große Aehnlichkeit besitzen ®). Abgesehen von mannigfachen Varietäten der Melanopsis impressa Krauss, welche hinsichtlich der Aufbellung der Descendenz-Verhält- nisse der Formengruppe Melanopsis Martiniana Fer. und Mel. Vindobonensis Fuchs Interesse besitzen, schilderte ich aus der oberen Abteilung der sarmatischen Stufe von Zemendorf, welche Ablagerungen ich der Mäotischen Stufe Andrussow’s zurechne, eine Reihe von un- streitig nahe verwandten Formen aus der Familie der Hydrobiidae, welche nach meiner Ueberzeugung in innigen Beziehungen zu gewissen Baikal-Gastropoden stehen. Es sind dies Hydrobia ventrosa Mont. sp. Hydrobia Frauenfeldi M. Hoern. (Rissow angulata Eiehw.) und Hy- 4) A. Bittner, Die Tertiärablagerungen von Trifail und Sagor. Jahrbuch der k. k. geolog. Reichs-Anst., 1884, S. 513. 2) loc. eits 8: 515, Taf. X, Fig. 15. 3) Crosse et Fischer, Journal de Conchyliologie, XXVII, pag. 145 Taf. IV, Fig. 5. 4) R. Hoernes, Sarmatische Conchylien aus dem Oedenburger Komitat. Jahrbuch der k. k. geolog. Reichs- Anst., Bd. 47, Heft 1. Hoernes, Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur. 661 drobia (Liobaikalia) Sopronensis nov. form. Die letztgenannte Form ist vollkommen evolut, korkzieherartig gestaltet und gleicht außer- ordentlich den Gehäusen der Leucosia Stiedae Dyb. aus dem Baikal, für welche E. v. Martens 1878 die Gattung Liobaikalia creirte. Auch die beiden anderen Formen zeigen die Tendenz der Loslösung der Schlusswindungen, wie dies bereits von mehreren Autoren betont wurde. Hydrobia ventrosa Mont. kommt schon im Litorinellenkalk des Mainzer Beckens massenhaft vor, und Sandberger sagt von dieser Form, die er als Litorinella acuta Drap. anführt: „Anfractus ultimus ad aperturam subsolutus“ — „Der letzte (Umgang) ist gegen die Mündung von dem vorletzten losgelöst!). Auch bemerkt Eich- wald von seiner Rissoa angulata (= Paludina FrauenfeldiM.Hoern.): Tours detaches aux sutures“?). Mir lagen aus den sarmatischen Schiehten von Zemendorf zahlreiche Schälchen vor, welche den Ueber- gang zwischen Hydrobia Frauenfeldi und H. Sopronensis bilden, indem sich nur die Schlusswindungen von dem übrigen Gehäuse loslösen oder, wenn auch die Abtrennung der Windungen schon früher beginnt, die losgelösten Umgänge sich nicht weit von ihren Vorgängern entfernen, so dass das Gehäuse in seiner Gesamtgestalt den normalen Schalen der Hydrobia Frauenfeldi gleicht. Andere Exemplare zeigen alle Stadien der Evolution bis zu den korkzieherförmigen Gehäusen der Hydrobia Sopronensis. Wenn ich die letzteren mit einem besonderen Namen bezeichnete, obwohl mir ihr inniger und unmittelbarer Zu- sammenhang mit vorkommenden Aydrobia Frauenfeldi unzweifelhaft schien, so geschah es deshalb, weil es sich gewiss nicht um eine bloße Missbildung einzelner Gehäuse handelt, die allenfalls als sca- laride Formen der genannten Art hätten eingereiht werden können. Die Zahl der von mir untersuchten Exemplare schien an sich gegen diese Auffassung zu sprechen, — ich möchte jedoch auf diesen Umstand weniger Gewicht legen als auf die Verwandtschaftsver- hältnisse der unstreitig ähnlichen Formen des Baikalsees, welche es wünschenswert erscheinen lassen, die sarmatischen aufgerollten Hy- drobien mit einem eigenen Namen als besondere Form zu bezeichnen. Dybowski hat in seiner Monographie der Gastropodenfauna des Baikalsees 1875 die Gattung Limnorea aufgestellt, welche zwei Unter- gattungen Leucosia und Ligea umfasst, und von welcher Gattung er meint, dass sie den Hydrobiae als gleichwertige Familie an die Seite zu stellen sei. Die beiden Familien unterscheiden sich hauptsächlich durch die Organisation des Tieres, die Beschaffenheit der Radula, ins- besondere durch die Gestaltung der Mittelplatten, welche bei der Familie der Hydrobiae Basalzähne haben, während die von Dybowski untersuchten Arten von Leucosia und Ligea ganz glatte Mittelplattten 4) F. Sandbexrger, Conchylien des Mainzer Tertiärbeckens, S. 85. 2) Eichwald, Lethaea rossica III, S. 460. 662 Hoernes, Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur. aufweisen, Gegenwärtig werden diese Formen von den Conchyliologen der Familie Hydrobüdae als Unterfamilie Baicaliinae zugeteilt, so von P. Fischer, weleher folgende Diagnose dieser Unterfamilie giebt: „Pied simple, pas de dentieulations basales & la dent centrale de la radula; verge non bifide; opereule corne, spiral“!). Die sämtlichen Arten werden von Fischer unter der Gattungsbezeichnung Baicalia E. v. Martens 1876 zusammengefasst, jedoch zahlreiche Sektionen dieser Gattung angeführt: Baicalia sensw stricto für Leucosia Angarensis Gerstf, sp.,, — Liobaicalia E. v. Martens 1878 für Leucosia Stiedae Dyb., — Godlewskia Crosse et Fischer 1879 für Ligea turriformis Dyb., — Trachybaicalia E. v. Martens 1376 für Ligea carinato- costata Dyb., — Dybowskia Dall. 1876 für Ligea ciliata Dyb.,, — Maackia Clessin 1880 für Ligea costata Dyb. Diese Zersplitterung in Sektionen oder Untergattungen hat bei Formen, welche insgesamt nahe verwandt sind und gemeinsam vor- kommen, keinen sonderlichen Wert; zumal der Schöpfung einer eigenen Gattung Liobaicalia für die evolute Leucosia Stiedae kann man angesichts ähnlicher Variationen bei den tertiären Hydrobien kaum zustimmen. So fremdartig solche evolute, korkzieherähnliche Gehäuse auch aussehen, verdienen sie doch höchstens als Formen mit eigenem Namen hervorgehoben, nicht aber als Typen besonderer Gattungen betrachtet zu werden. Unstreitig weist die Neigung zur Evolution, welche wir schon an Hydrobia ventrosa des Mainzer Beckens wahrnehmen, und welche ihren stärksten Ausdruck in Aydrobia Sopronensis aus den obersarmatischen oder mäotischen Schichten des Oedenburger Comitates findet, auf ver- wandtschaftliche Beziehungen dieser tertiären Hydrobien und der Bai- caliinae hin. Wir kennen allerdings von ersteren nur das Gehäuse, nicht aber das Tier, dessen Organisation allein für die Trennung der Baicalüinae entscheidend ist; ich möchte aber glauben, dass der Be- schaffenbeit der Mittelplatten der Radula z. B. kein allzuhohes Gewicht beizulegen wäre, zumal gerade eine andere, den Hydrobiidae im weiteren Sinne angehörige Gattung des Baikalsees, nämlich Benedictia, in dieser Hinsicht Verschiedenheiten erkennen lässt, und da die übrigen Formen: Benedictia limnaeoidesSchrenk und B.baicalensis Gerstfeldt Leisten- zähnchen am Basalteil der Mittelplatte aufweisen, während die Mittel- platten der Benedictia [ragilis ungezähnelt sind, bei einer und derselben Gattung also recht verschieden gestaltete Zahnplatten auftreten. Ich möchte aber noch auf einige Analogien zwischen tertiären Hydrobien und Baicalien hinweisen, um die wahrscheinliche Verwandt- schaft derselben zu erläutern. Die sogenannten Rissoa-Formen der sarmatischen Stufe (Kissoa influtaAndrez. und Rissoa angulata Eich w.), für welche Stoliczka 1836 den Namen Mohrensternia cereierte, und a P. Fisch er, Manuel de Conchyliologie, 8. 724. Hoernes, Fauna des Baikalsees und ihre Reliktennatur. 663 welche bald bei den Hydrobien!), bald bei den Rissoen?) eingereiht werden, scheinen mir eher mit Ligea costata und Ligea contabulata Dyb. verwandt zu sein, für welche Clessin 1830 den Gattungsnamen Maackia schuf. Auch manche Formen der pontischen Ablagerungen scheinen mir mit diesem Formenkreise in näherer Beziehung zu stehen, so die Gattung Prososthenia N eum., insbesondere aber PleuroceraFuchs von Raf. wie Pleurocera costulata Fuchs und Pleurocera scalariae- JFormis Fuchs von Radmanest?). Es ist freilich eine missliche Sache, die Verwandschaft solcher Formen ohne Kenntniss der Tiere zu erörtern, die dereinst in den Schalen gelebt haben; immerhin scheint mir große Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass die angeführten Formen aus den Litorinellen-Schichten des Mainzer Beckens wie aus den sarmatischen und pontischen Schichten sowohl unter einander, wie nicht minder mit den bis nun stets als einem ganz isolierten Formenkreise angehörig betrachteten Baicalien in näheren verwandtschaftlichen Beziehungen stehen. Ist diese Vermutung richtig, dann wäre sie gewiss geeignet, neues Licht auf die oft behauptete und von Credner bestrittene Reliktennatur der Fauna desBaikalsees zu werfen. Neumayr’s Ausspruch®): „Wenn wir im Kaspi-See Seehunde, Meeresfische und einzelne Meeresmuscheln wie Cardium edule, Venus gallina ete. finden, wenn der Baikal-See ebenfalls Seehunde und eine überaus reiche Krebsfauna mit verschiedenen marinen Typen beherbergt, so werden wir mit Recht aus diesen „Relikten“ schließen dürfen, dass diese Becken einst mit dem Meere im Zusammenhange waren und dass jene Formen Ueberbleibsel der ursprünglichen marinen Fauna sind, die sich in diesen „Reliktenseen“ bis auf den heutigen Tag erhalten haben“ erscheint daher in der Hauptsache vollkommen richtig. Es kann heute nicht mehr daran gezweifelt werden, dass die charakteristischen Elemente der Fauna des Baikalsees die Relikten- natur dieser Fauna klarstellen; es kann aber auch nicht behauptet werden, dass der Baikalsee, so wie er sich gegenwärtig darstellt, ein einfacher Reliktensee, ein abgetrennter Teil des Meeres sei. So ein- fach liegt die Sache nicht. Die ältere Auffassung von der Relikten- natur des Baikalsees, den Humboldt als ein Residuum des nordischen Meeres betrachtete, kann selbstverständlich heute aus faunistischen wie aus geologischen Gründen nicht mehr Gegenstand der Diskussion sein, denn die Reliktenfauna des Baikalsees steht keineswegs in näherem Zusammenhang mit der heute an den Nordküsten Sibiriens lebenden Fauna, sie weist vielmehr, ebenso wie die Relikten-Fauna des Kaspi- Sees, auf den einstigen Zusammenhang mit jenem Binnenmeer hin, in 4) K. A. v. Zittel, Handbuch der Paläontologie, I, 2, S. 230. 2) P. Fischer, Manuel de Conchyliologie, S. 722. 3) Th. Fuchs, Fauna von Radmanest. Jahrbuch der k. k. geolog. Reichs- Anst., Wien 1878, XX.Bd., S.349 u.350, Taf.XIV, Fig. 35—38, sowie Fig. 47—49. 4) Erdgeschichte I, S. 513. 664 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde, welchem die Ablagerungen der sarmatischen, mäotischen, pontischen und jüngeren Gebilde der aralokaspischen Gegend stattgefunden haben. Geologische Argumente scheinen allerdings sowohl gegen die einstige Verbindung des Baikalsees mit dem Nordmeer, wie gegen den Zu- sammenhang mit dem jungtertiären Binnenmeer des aralokaspischen Gebietes zu sprechen. Ich ‚möchte diesbezüglich keineswegs die Er- gebnisse der geologischen Untersuchungen Czerski’s über das Baikal- gebiet oder das von den russischen Forschern behauptete Fehlen jüngerer Meeresablagerungen in großen Strecken Ostsibiriens in Zweifel ziehen, wenn auch, wie ja oft betont worden ist, das anscheinende Fehlen einer Ablagerung oder einer ganzen Reihe von solchen mit einer ge- wissen Vorsicht theoretischen Erörterungen zu Grunde gelegt werden muss, — es scheint mir nur, dass den eigentümlichen Elementen der Baikal-Fauna, und zwar insbesondere den Mollusken, Schwämmen, Würmern in noch höherem Grade als den Fischen und Seehunden, denn doch noch immer einige Beweiskraft im Sinne der ERICHU TERN A. v. Humboldt’s und O. Peschel’s innewohne. Die Baikal-Fauna kann recht gut ein Ueberbleibsel der jung tertiären sarmatisch-pontischen Binnenmeer-Fauna sein, wenn auch der See, in dem sie heute lebt, kaum als ein unmittelhares Re- siduum des betreffenden Meeres betrachtet werden kann. Man hat eben, wie Prof. A. Penck in der Diskussion anlässlich meines Vor- trages über Reliktenseen in der geographischen Abteilung der 66. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Wien 1894 sehr richtig bemerkte, zwischen Relikten-Fauna und Relikten-See scharf zu unterscheiden. Wenn auch der Reliktencharakter der Fauna des Baikalsees kaum angezweifelt werden kann, so ist damit der See noch selbst keineswegs als Reliktensee erwiesen; im Gegenteil, die geologische Geschichte des Sees macht dies zum mindesten recht un- wahrscheinlich. Ich möchte deshalb annehmen, dass der Baikalsee seine eigenartige Bevölkerung großenteils durch Einwanderung, aber nicht von dem Nordmeere, sondern von dem großen jungtertiären Binnenmeere her erhalten bat, wenn er auch vielleicht mit diesem Binnenmeere nicht in unmittelbarer Verbindung stand. Auch das letz- tere scheint mir aber trotz der bisherigen Ergebnisse der geologischen Durchforschung Ostsibiriens zwar sehr unwahrscheinlich, aber doch noch nicht vollkommen ausgeschlossen. [95] Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Von Dr. S. Popoff. (5. Stück u. Schluss.) Neugeborenes Kätzchen. Die Elemente der Rinde sind in dieser Periode so weit in ihrer Differenzierung vorgeschritten, dass wir neben den embryonalen Zellen Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 665 nicht selten noch den erwachsenen sehr nahe stehende Formen an- treffen. In Folge dessen wird die Untersuchung der Rinde neugeborener Tiere und der im Alter von 1—2 Wochen nach der Geburt in bedeu- tendem Maße im Verhältnis mit dem erleichtert, was wir früher sahen, als wir zwischen den jungen Nervenzellen und den ihnen entsprechen- den erwachsenen keine morphologische Aehnlichkeit bemerken konnten. Wir richten noch ein Mal die Aufmerksamkeit darauf, dass®wir sowohl in den frühen wie auch in dieser Periode auf einem und dem- selben Objekte Zellen einen und desselben Typus, die sich in ver- schiedenem Differenzierungsgrade befinden, antreffen. Dieses Faktum beweist uns, dass gleichartige Elemente der Rinde ungleichzeitig wachsen. Dank der Menge und der regelmäßigeren Verteilung der Elemente an ihren Plätzen sind die Schichten der Kleinhirnrinde sehr deutlich gesondert. In dieser Periode begegnen wir zwei typischen Formen der Purkinje’schen Zellen: die eine der Abb. XIX «a haben wir beim Katzen-Embryo von 12 cm beobachtet. Bei genauer Betrachtung dieser Figur können wir zweifelsohne ihre Aehnlichkeit mit den in der vor- hergehenden Periode beschriebenen Zellen konstatieren; völlig analoge Formen wurden, außerdem bei neugeborenen Tieren, von Ramon y Cajal [41] beobachtet. Bei unseren parallelen Untersuchungen über die Hühner-Embryonen und neugeborenen Hunde beobachteten wir nicht selten ähnliche Formen (s. Abb. XXVIII u. XXXII). All dieses bestätigt noch mehr unsere Vermutung, dass die Zellen der Kleinhirn- rinde mit ähnlichen Konturen eine junge Purkinje’sche Zelle charak- terisieren. Zur anderen Form gehören diejenigen Zellen, die unzweifel- haft alle Attribute der erwachsenen Purkinje’schen Zelle, z. B. Abb. XIX a,, besitzen. Der Unterschied in der Konfiguration der Zellen dieser beiden Typen ist so augenscheinlich, dass wir ihn zu beschreiben nicht für nötig finden; einige sehr wichtige Merkmale in histogenetischer Be- ziehung müssen wir aber anführen. Der Zellenkörper in a, besitzt deutlich ausgesprochene Konturen, die leicht mit einem moosartigen Belag bedeckt sind. Die unzähligen Anhängsel, die wir bei den jün- geren Zellen beobachteten, sind hier fast garnicht zu bemerken; Ueber- bleibsel von ihnen sind an der inneren Peripherie zu beobachten. Auf die Zellen a, und a, können wir wie auf Uebergangsformen sehen; in a, ist der Zellenkörper stark ausgedehnt und besitzt viele nicht große Fortsätze; doch nicht soviele, dass sie seine Grenzen maskieren könnten. Die protoplasmatischen Fortsätze fangen nur an sich zu differen- zieren. In a, bemerken wir nicht große Anhängsel, doch kurze und dünne, moosartige Fortsätze umsäumen von allen Seiten den Zellen- körper; die protoplasmatischen Fortsätze sind entwickelter als in der vorhergehenden Form. Auf eine solche Weise sehen wir in diesen 666 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. vier Figuren einen allmählichen Uebergang der Zelle aus der mehr embryonalen in die mehr erwachsene Form. Die Höhe der proto- plasmatischen Fortsätze ist eine verschiedene; in Figur a, steigen sie höher als die Mitte der molekulären Schicht hinauf. Der ersten Form der Purkinje’schen Zellen begegnet man in dieser Periode seltener, der zweiten aber häufiger. Wir können die Meinung Ramon y Cajal’s nicht teilen, dass in denjenigen Teilen der Rinde, welche die höchsten Punkte des äußeren Reliefs des Kleinhirns ausmachen, sich bedeutend früher die Pur- kinje’schen Zellen differenzieren sollten, als in den in der Tiefe der Furchen liegenden. Diese Zellen sind mit mehr oder weniger langen Axenzylindern versehen, die in den Zellen «, und a unmittelbar in die weiße Substanz übergehen. Die Richtung ihrer Hauptstämme ist entweder eine verti- kale oder eine schief absteigende: die Richtung der Kollateralen ist eine verschiedene, bald aufsteigend, bald absteigend. In der Zelle «a, wird der Axenzylinder häufig durch punktförmige Verdiekungen unter- brochen; wir müssen noch seine bogenförmige Einbiegung vor dem Uebergang in die weiße Substanz, wie auch die Abgabe eines sich verzweigenden kollateralen Fortsatzes an einer sehr weit vom Zell- körper abstehenden Stelle, fast in der weißen Substanz, erwähnen. In der Zelle a, biegt sich der Axenzylinder ebenfalls bogenförmig, nach oben aber erreicht er mit seinen Zweigen die molekuläre Schicht. In der vorhergehenden Periode hatten wir Gelegenheit, zu beobachten, wie der Axenzylinder der Purkinje’schen Zelle einen kollateralen, mit kleinen Verzweigungen in der molekulären Schicht endigenden Ast abgibt, dasselbe beobachten wir auch in der Abb. XXVI. Ramon y Cajal, Retzius und Kölliker bemerken ebenfalls ähnliche Kol- lateralen. Es ist sehr schwer, das Eindringen der Kollateralen in die molekuläre Schicht zu verfolgen, man muss aber annehmen, dass ihre Verlängerung auf Kosten der Endverdickung vor sich geht, wie auch der Wuchs der Nervenfasern überhaupt. Eine ähnliche Verdiekung beobachteten wir in den Kollateralen des Axenzylinders der Purkinje’schen Zelle beim Katzen -Embryo von 12 cm (siehe Abb. XIII ce). Die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht haben in dieser Periode die verschiedenartigsten Formen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Umfang einiger Zellen bedeutend kleiner ist als in der vor- hergehenden Periode. Wir weisen auf diesen Umstand deshalb hin, weil wir bereits öfter bei der Differenzierung der Zelle auch eine Ver- kleinerung ihres Umfanges beobachteten. Wie wir weiter schen werden, finden größere Durchmesser jüngerer Zellen auch in den embryonalen Golgi’schen Zellen Platz; dasselbe ist auch für die protoplasmatischen Fortsätze zu verwerten. Viele Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 667 von den Zellen haben noch den dicken inneren Fortsatz, die einen einen längern, die andern einen kürzern, bewahrt (s. Abb. XIX). Einige Zellen unterscheiden sich durch ihre Form wenig von ähnlichen Bil- dungen beim Katzen-Embryo von 12 em (s. Abb. XIX %). In anderen Zellen (k,) sehen wir, dass im Verhältnis wiederum mit jener Periode die protoplasmatischen Fortsätze kürzer wurden; einige von ihnen endigen mit kleinen Verdiekungen. Zweige geben diese Fortsätze nicht ab, daher sehen wir hier auch nicht die für die erwachsene Zelle eharakteristische gabelartige Form. Vergleichen wir die Zellen der. inneren Körnerschicht der vorhergehenden Periode mit den Zellen %k, der Abb. XIX, so bemerken wir, dass in den letzteren der dicke innere Fortsatz fehlt und die andern protoplasmatischen Fortsätze zarter und kürzer geworden sind. In diesem Faktum erblicken wir neue, sozusagen zweckmäßige Eigenschaften in dem embryonalen Leben der Zelle: diese Fortsätze waren nicht nötig, und sie atrophierten. Ernst Lugaro [30] bemerkte ebenfalls in seinen Untersuchungen die Atrophie der überflüssigen Fortsätze. Bezüglich der Axenzylinder dieser Zellen beobachten wir keine Abweichungen von dem früher Beschriebenen. Fast alle ohne Ausnahme gehen nicht vom Zellkörper, sondern von den seitlichen protoplasmatischen Fortsätzen aus; sie erreichen bald diese, bald jene Höhe der molekulären Schicht und endigen, indem sie sich gabelförmig spalten. In der molekulären Schicht erblicken wir auch die Anwesenheit ähnlicher vertikaler ‚bipolarer Zellen, über welche wir bereits früher sprachen. Zweifelsohne müssen wir das Faktum konstatieren, dass wir sie in dieser Periode in bedeutend ge- ringerer Zahl als früher beobachten; ihre Anwesenheit jedoch weist uns darauf hin, dass der Bildungsprozess der kleinen Zellen der inneren Körnerschicht noch nicht beendet ist. Die Zellen %k bestätigen durch ihren embryonalen Charakter die Wahrheit unserer Worte; ihrer Größe nach unterscheiden sie sich nicht sehr von den analogen Zellen beim Katzen-Embryo von 12 cm. Außer den vertikalen bipolaren Zellen in den oberen Teilen der molekulären Schicht begegnen wir auch hori- zontalen bipolaren Zellen mit einem oder zweien Fortsätzen, unter welchen einer bereits sich zu verzweigen begann. Nach den Sehnitt- richtungen müssen wir eine solche Zelle als eine querhorizontale an- sehen. Ihrer unbedeutenden Differenzierung und hohen Lage wegen ist es schwer mit Bestimmtheit anzugeben, welche Zelle eigentlich sich aus ihr späterhin entwickelt. Wenn wir früher aus einer ähnlichen die Korbzellen ableiteten, so thaten wir es deshalb, weil die Zelle näher der Schicht der großen Zellen lag und ihr Körper bedeutend größer war. Wir wiesen bereits öfter darauf hin, dass die bipolare Zelle, je mehr sie sich aus den oberen Schichten der molekulären Schieht in die innere Körnerschicht senkte, in ihrem Umfange sich vergrößerte und sich mit diesen oder anderen Fortsätzen versah. Wir 668 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. müssen desto mehr in unserem Urteil vorsichtig sein, weil sich von dieser und der folgenden Periode aus ähnlichen Elementen die kleinen Zellen der molekulären Schicht zu bilden anfangen, darauf weist ja ebenfalls Ramon y Cajal hin. Die Figuren 5 der Abb. XIX sind dieselben vertikalen bipolaren Zellen, sie liegen aber in der äußeren Körnerschicht. Ihre Anwesenheit gerade hier ist für uns von kolossaler Wichtigkeit zur Entscheidung der Frage über die Herkunft dieser Zellen; wir leiteten sie aus jenen epithelioiden Elementen, die in großer Zahl in dieser Schicht zerstreut sind, ab. Wenn sie, wie Ernst Lugaro behauptet, aus den horizontalen Zellen, die sich immer nur an der inneren Peripherie dieser Schicht verteilen, hervorgehen, so wäre für uns die Anwesenheit ähnlicher Figuren an einem Orte, der höher als die horizontalen Zellen sich befindet, gänzlich unverständ- lich. In der Absicht, diese Frage näher zu erläutern, geben wir eine Abbildung von einem Längsschnitte des Kleinhirns, wo diese Bezieh- ungen deutlich zu sehen sind. Auf der Abb. XXII wie auch auf der Abb. XIX sehen wir in der Dicke der molekulären Schicht vertikale bipolare Zellen; ihre Unabhängkeit von den unten liegenden horizon- talen Zellen ist augenscheinlich. Die differenzierteren bipolaren Zellen mit ihrem deutlich ausgesprochenen Axenzylinder illustrieren, scheint es uns, deutlich genug unsere Ansicht. Die horizontalen Zellen selbst (s. Abb. XXII) unterscheiden sich in nichts von den beschriebenen; Zweige geben ihre Fortsätze nicht ab; ihre Form ist eine polygonale oder eine länglich-ovale.e Um nicht noch ein Mal zu den Zellformen dieser Abbildung zurückzukommen, weisen wir auf die Purkinje’sche Zelle hin, die durch ihr Aussehen an ähnliche Zellen beim Katzen- Embryo von 12 em erinnert. Auf der Abb. XIX begegnen wir noch Korbzellen /; die protoplasmatischen Fortsätze werden kürzer, zahl- reicher und verzweigen sich reich im Verhältnis mit dem, was wir früher sahen. Die Form des Zellkörpers ist entweder eine polygonale oder eine ovale; die Axenzylinder ziehen sich horizontal ziemlich weit, hin und geben weder nach oben noch nach unten Fortsätze ab. Man muss annehmen, dass die protoplasmatischen, horizontal verlaufenden Fortsätze die junge Korbzelle charakterisieren, da die erwachsene ähnliche Fortsätze nicht besitzt; die vertikalen Fortsätze befinden sich hier noch in dem Keimzustande. Auf der Abbildung XIX sind fünf deutlich von einander sich unterscheidende Golgi’sche Zellen darge- stellt; unter ihnen gibt es keine einzige völlig entwickelte, folglich sind alle diese Zellen nur Uebergangsformen zu den erwachsenen. Eine jede Zelle besitzt ihr besonderes Aussehen. Sowohl der Lage wie auch teils der Form nach sind die Zellen g und g, wie auch 9, und g, mehr oder weniger einander ähnlich und befinden sich allem Anschein nach auf gleicher Differenzierungsstufe; wir können dabei die Aehn- lichkeit dieser Zellen mit der Golgi’schen Zelle der vorhergehenden Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 669 Periode (s. g Abb. XIII) nicht unerwähnt lassen. In den Zellen g und g, der Abb. XIX sind die äußeren protoplasmatischen Fortsätze regel- mäßig verteilt, der innere aber in der Zelle g hat weder das Aus- sehen eines protoplasmatischen Fortsatzes noch eines langen unregel- mäßigen Anhängsels, über welches wir häufig wie über eine nur den sehr jungen Zellen eigene Bildung sprachen. Völlig dasselbe sehen wir auch in den Zellen 9; und g,; der Körper der letzteren hat die Form eines mehr oder weniger regelmäßigen Vierecks, in der Zelle 9, sehen wir wiederum die Anwesenheit von Anhängseln. Die proto- plasmatischen Fortsätze sind sehr lang und mit einem moosartigen Belag bedeckt. Die Zelle 9, sahen wir ebenfalls, dank ihrer Lage, Größe und der Eigenschaft des Axenzylinders, sich in feine Kollateralen zu verzweigen, für eine Golgi’sche Zelle an. Der Aufmerksamkeit wert ist noch der untere protoplasmatische Fortsatz, der sich durch seine bedeutende Dicke und die Anwesenheit zahlreicher Verdickungen auszeichnet. Da wir aus dem oben Auseinandergesetzten wissen, dass die protoplasmatischen Fortsätze mit der Differenzierung der jungen Zelle sowohl in der Zahl wie auch in der Länge (die kleinen Zellen im Innern der Körnerschicht u. a.) sich verändern, so müssen wir der Anwesenheit dieses Fortsatzes keine besondere Bedeutung zuschreiben, sobald die Zelle selbst sich noch nicht endgiltig gebildet hat. Wir können nicht behaupten, dass die von uns betrachteten Zellen einen größeren Umfang als die erwachsenen Zellen desselben Typus, wie dieses Ramon y Cajal auf seinen Präparaten beobachtete, besäßen. Sobald wir ein solches Faktum bezüglich der kleinen Zellen der inneren Körnerschicht konstatierten, so ist eskein Wunder, dass dieses auch in anderen Zellen stattfindet. Der Axenzylinder der Golgi’schen Zellen zerfällt in feine Zweige, doch nicht in der Endform, die man in den weiteren Perioden antrifft. Außer den beschriebenen Elementen begegneten wir in der Rinde des neugeborenen Kätzehens auch solchen Zellformen, deren Bedeutung für uns nicht ganz klar war. Wir stellten sie aus dem Grunde auf einer besonderen Abbildung (s. Abb. XXIII) dar; einige von diesen Zellen könnten wir, dank der reichen Verzweigung des Axenzylinders, zu den Golgi’schen Zellen zählen, um so mehr noch, als sie in der inneren Körnerschicht liegen (siehe a, c, d, e). Ihre Form des Zell- körpers aber ist eine äußerst mannigfaltige und weicht sehr von den typischen Formen der sich entwickelnden Golgi’schen Zellen ab. Die Zelle 5, die einige Aehnlichkeit mit der kleinen Zelle der inneren Körnerschicht besitzt, liegt in der äußeren Körnerschicht. Die anderen Zellen (f, g, h, i, j) erinnern sehr an die bipolaren Zellen, deren beide Fortsätze sich stark verzweigen. Alle liegen sie in der inneren Körnerschicht. Wenn wir die histologische Bedeutung dieser Zellen nicht gut ver- 670 Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. stehen, so erklärt sich dieses 1. dadurch, dass ihre Formen bedeutend von den uns bekannten Typen der sich entwickelnden Nervenelemente der Rinde abweichen und 2. dass wir diesen Zellen nur beim neuge- borenen Kätzchen und auch da in sehr beschränkter Zahl begegneten. Gehen wir jetzt zur Beschreibung der Fasern über, die wir in der Kleinhirnrinde in dieser Periode antreffien. Wir werden in unserer Auseinandersetzung noch oft Gelegenheit haben, zu den Fasern der Rinde zurückzukehren, und deshalb wollen wir auf die allgemeine Terminologie, die jetzt in der Wissenschaft angenommen und auf die Richtung der Fasern gegründet ist, hinweisen. 1. Längsfasern nennt man solche, die parallel den Windungen der Kleinhirnrinde verlaufen. Zu ihnen gehört jener Teil des Axenzylinders der kleinen Zellen der inneren Körnerschicht, welcher eine horizontale Richtung besitzt. Die Zahl dieser Fasern in der molekulären Schicht ist sehr bedeutend, so dass bei gelungener Imprägnierung mit Silber diese ganze Schicht aus dicht nebeneinander gelegenen zarten und sehr langen horizontalen Fasern besteht. 2. Unter Querfasern versteht man solche, welche per- pendikulär zur Richtung der Windungen liegen und mit den vorher- gchenden Fasern sich gegenseitig unter einem rechten Winkel durch- schneiden. Zu dieser Fasernkategorie gehören die Axenzylinder der sogenannten Korbzellen. Folglich haben sowohl diese wie jene Fasern eine horizontale Richtung, verlaufen aber auf verschiedenen Flächen. Im Gegensatz zu diesen unterscheidet man noch 3. vertikale Fasern, die perpendikulär zur weißen Substanz und zur Kleinhirnoberfläche verlaufen. Diejenigen Fasern, welche zur weißen Substanz verlaufen, nennt man absteigende und die zur molekulären Schicht verlaufenden aufsteigende Fasern. Zu den ersteren gehören: die Axenzylinder der Purkinje’schen Zellen und diejenigen von ihren Kollateralen, die zur weißen Substanz verlaufen; die Axenzylinder der Golgi’schen Zellen; die Zweige des Axenzylinders der Korbzellen, die (d. h. Zweige), indem sie sich nach unten senken, den Körper der Purkinje’schen Zelle umfassen. Zu den aufsteigenden gehören: die Axenzylinder der kleinen Zellen der inneren Körnerschicht (der vertikale Teil); die in die molekuläre Schicht aufsteigenden Kollateralen des Axenzylinders der Purkinje’schen Zelle und schließlich noch zwei Faserntypen, die sogenannten Moos- und Kletterfasern. Den größten Teil dieser Faser beobachtete bereits Golgi, als er mit Hilfe seiner Methode die Anatomie der Rinde stu- dierte; verpflichtet aber sind wir Ramon y Cajal, der es ver- standen hat, sich in diesem Fasergewirr zurechtzufinden und ein ge- wisses System aufgestellt hat. Darauf wurden diese Fasern noch von Kölliker und Retzius studiert, die auch endgiltig diese Termino- logie aufnahmen. Die Fasern, die wir auf der Abb. XX sehen, ‚sind sogenannte Kletterfasern; man nennt sie deshalb so, weil sie gleich Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 6A den Schlingpflanzen (Lianen), ‚die einen Baum oder dessen Aeste um- schlingen, die protoplasmatischen Fortsätze der Purkinje’schen Zellen begleiten, diese Fasern umfassen ebenfalls den Körper der Purkinje’- schen Zelle. Früher bezeichnete Ramon y Cajal diese Fasern als sternförmige; ein wenig später aber überzeugte er sich von der Iden- tität derselben mit den Kletterfasern, welche zwei Wochen nach der Geburt des Embryos ihre charakteristischen Eigenschaften annehmen. Ohne die Frage zu entscheiden, welche Fasern der Rinde als Sensibilitäts-, welche als Motilitätsfasern angesehen werden müssen, bleibt Ramon y Cajal |41] nur bei den beiden letzten Faserarten stehen, die er für sensible ansieht. Zu diesem Schlusse kommt er. auf Grund der Analogie ihrer Form mit den Endigungen der Sensibilitäts- fasern auch in den anderen Organen. Ebenso wie die motorischen Nerven mit freien Verästelungen in der Peripherie — z. B. in den Muskeln — endigen, ebenso besitzen auch die Sensibilitätsnerven freie Endigungen in den Centralorganen. Der Sehnerv endigt z. B. nach seinen Worten zwischen den Zellen der oberflächlichen Schichten des Lobus opticus als sehr komplizierte und umfangreiche dendritische Verzweigung. Andererseits spalten sich die sensiblen Wurzeln des Rückenmarks der Huhn-Embryonen in eine ungeheure Zahl. feiner, dendritisch sich verteilender Kollateralen, mit denen sie auch endigen. Dasselbe bezieht sich auch auf den Geruchsnerven. Andere Endigungen der sensiblen Nerven in den Centralorganen, wie z. B. die mit Zellen, wie einige Autoren behaupten, hält Ramon y Cajal noch nieht für bewiesen, da man bis jetzt weder nach der Golgi’schen Methode noch nach anderen ein dementsprechendes Bild erhalten konnte. Auf der Abb. XX sehen wir, dass die Zahl der Kletterfasern eine sehr große ist. Am leichtesten imprägnieren sie sich auf den konvexen Teilen der Windungen. Sie steigen aus der weißen Substanz als ganzes Bündel dieht nebeneinander gelegener Fasern auf und beginnen gleich in der Körnerschicht sich fächerförmig auseinanderzuschieben, so dass sie nahe der molekulären Schicht bereits in bedeutender Entfernung von elnander abstehen. Sie verzweigen sich auf den verschiedenen Höhen der Rinde, bald in der Körnerschicht, bald in der molekulären — nach innen von den Purkinje’schen Zellen — einige aber nach außen von denselben. Eine jede Faser zerfällt, sobald sie die mole- kuläre Schicht erreicht, in eine Menge feinster Zweige, die eine den- dritische Verteilung besitzen; öfter gehen diese feinen Verzweigungen von einem Punkte der Faser aus. Was ihre Beziehungen zu den Pur- kinje’schen Zellen betrifft, so illustriert sie ganz vorzüglich die Abb. XXII. Es ist deutlich zu sehen, wie eine solche Faser nach dem Aus- tritt aus der weißen Substanz sich ziekzackförmig zur Basis der Pur- kinje’schen Zelle richtet, wo sie sich, indem sie Figuren ähnlich einem Neste für den Zellkörper bildet, in feine Zweige zerstreut, 672 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Ramon y Cajal [41] beschrieb sie unter dem Namen Kleinhirn- nester (nids cerebelleux). Es ist schwer mit Bestimmtheit zu sagen, ob alle Figuren dazu bestimmt sind, um die Körper der Purkinje’- schen Zellen aufzunehmen. Wir kennen ja analoge Beziehungen der Kollateralen der Axenzylinder der Korbzellen zu den Purkinje’schen Zellen, und deshalb können wir uns wohl vorstellen, welch ein ver- wickeltes feines Netz um die Körper der Purkinje’schen Zellen existiert, und wie viel Berührungspunkte zur Verbindung dieser Zellen mit den einzelnen Punkten vorhanden sind. (Ramon y Cajal nimmt an, dass diese Fasern Axenzylinder gangliöser Zellen sind, deren anatomische Lage noch nicht bis jetzt festgestellt ist.) Eine jede Kletterfaser ist mit feinen und vielen rosenkranzförmigen Verdickungen versehen; an der Teilungsstelle der Faser treten diese Verdickungen deutlicher hervor. Auf der Abb. XIII haben wir wahrscheinlich die- selben Kletterfasern, sie sind aber noch nicht vollständig entwickelt. Zu dem zweiten Typus gehören die moosartigen Fasern (fibres mousseuses Ramon y Cajal’s). Auf der Abb. XXII sehen wir in der inneren Körnerschicht mehr oder weniger dicke Fasern, die nach den verschiedensten Richtungen verlaufen und ebensolche dicke Fortsätze abgeben; in dem Verlaufe dieser Fasern sind bedeutende Verdickungen bemerkbar; die letzteren haben entweder die Form eines Ovals oder noch häufiger eines mit der Basis nach außen gerichteten Dreiecks. Aus einer jeden solchen Verdickung laufen strahlenförmig feine Zweige aus, deren Zahl mit dem Wuchse des Embryos sich vergrößert, beim zweiwöchentlichen Kätzchen sind solcher 10—12. Dank dem Reich- tum dieser feinen Fortsätze nimmt diese Faser das Aussehen eines mit Moos bedeckten Baumastes an und deshalb bezeichnet sie auch Ramon y Cajal als moosartig. In diesem Alter sind diese Fasern noch nicht zahlreich, und ihr Aussehen ist nicht so charakteristisch wie in den späteren Perioden; aus dem Grunde ist auch schwer zu beurteilen, ob diese Fasern in die molekuläre Schicht eindringen. Wir könnten auf der Abb. XXII nur eine Faser darstellen, die, von der Verdickung ausgehend, vertikal in die molekuläre Schicht aufsteigt, wo sie auch frei endigt. Die Neurogliazellen (s. Abb. XXI) unterscheiden sich im Allgemeinen sehr wenig von den von uns bei den Katzen-Embryonen von 8 u. 12cm beschriebenen. Die tiefer gelegenen Zellen zeichnen sich durch ihre bedeutende Größe, durch die Menge der bald dicken, bald dünnen protoplasmatischnn Anhängsel, die aus dem Zellkörper auslaufen, aus; in Folge dessen sind die Konturen des letzteren sehr unregelmäßig. Außer den Anhängseln ist ihr Körper noch mit einer Menge dünner, die ganze Zellenperipherie umsäumender Fortsätze versehen. Einen charakteristischen Zug müssen wir noch anführen: je tiefer nämlich die Zelle liegt, desto geringer ist die Zahl der langen, sich Popoft, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 675 mit der äußeren Kleinhirnoberfläche verbindenden Fortsätze. Die Zelle « (s. Abb. XXI) ist völlig isoliert und besitzt absolut keine langen Fort- sätze. Die Zelle d besitzt nur einen Fortsatz, der nur bis zur inneren Grenze der äußeren Körnerschicht verläuft. Wir können die Aehnlichkeit dieser Zelle mit der (Abb. XIII n,), welche wir beim Katzen-Embryo von 12 em beobachtet haben, nicht unerwähnt lassen. Die Zelle c, analog der soeben beschriebenen, vereinigt sich mit der Peripherie mit Hilfe nur eines dünnen Fortsatzes. Die bis zur Kleinhirnoberfläche verlaufenden Fortsätze endigen unveränderlich mit Verdickungen, die wir bereits öfter früher beschrieben haben. Die mehr oberflächlich gelegenen Zellen — in der molekulären Schicht — haben ein etwas anderes Aussehen. Die Form des Zellkörpers n ist durch die Fülle der feinen Fortsätze und der protoplasmatischen An- hängsel, die ihn umgeben, sehr schwer zu bestimmen; dort, wo weniger Fortsätze sind (r,), ist die vorherrschende Form — die runde. Diese Zellen sind mit einer Menge langer, an der äußeren Rindenperipherie mit Verdiekungen endigender Fortsätze versehen. In der äußeren Körnerschicht schließlich begegnen wir missgestalteten Körperchen, die in ihrem vertikalen Durchmesser mit zwei Fortsätzen, einem äußeren sehr dieken und einem inneren langen und dünnen, versehen sind. Diese Körperchen besitzen unregelmäßige Konturen und erinnern uns in dieser Beziehung nicht an die vertikalen bipolaren Zellen. Solche bipolare Bildungen, wie t, der Abb. XXI oder XVII, treten nach der Golgi’schen Methode an den Stellen auf, wo besonders gelungen die Neurogliazellen sich imprägniert haben. Wir müssen daher auf diese Figuren nicht wie auf ungelungen gefärbte bipolare Zellen, aus welchen sich die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht bilden, sehen; mit anderen Worten also: die Elemente i, sind neu aufgetretene Körper- chen, die zur Differenzierung in Neurogliazellen bestimmt sind. Die Frage über das Entstehen der Neurogliazellen auf Kosten der Kerne der äußeren Körnerschicht war bereits in der Litteratur aufgeworfen und prinzipiell von Alf. Schaper in bejahendem Sinne entschieden. Ernst Lugaro entdeckte die Anwesenheit der embryonalen Neuroglia- zellen in dieser Schicht. Es ist überhaupt nicht wunderbar, wenn wirklich solch ein histogenetischer Prozess in dieser Schicht stattfindet. Falls sich aus ihr die Nervenzellen der verschiedenartigsten Typen bilden können, so müssen wir auch dasselbe bezüglich der Neuroglia- zellen zugeben, um so mehr noch, als die Differenzierung dieser beiden Zellenarten während des ganzen embryonalen Lebens mehr oder we- niger parallel vor sich geht. Gehen wir jetzt zu Fakten über: wir bemühten uns möglichst genau die histogenetischen Prozesse der Rinde zu studieren, und.solehe Formen der jungen Nervenzellen wie auf der Abb. XVII oder k Abb. XVI, t, Abb. XXI beobachteten wir niemals. XVL. 45 674 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Andererseits giebt uns ihre Anwesenheit neben den jungen Neuroglia- zellen Veranlassung, sie als einfachste Formen der genannten Zellen anzusehen. In der Figur 2 Abb. XXI sehen wir dieselbe bipolare Zelle £, mit dem Unterschiede, dass der obere dicke Fortsatz sich in einen längeren ausgezogen hat und ein wenig dünner geworden ist — dasselbe, was wir über die ursprünglichen verticalen bipolaren Zellen, die sich in kleine Körnerzellen verwandeln, gesprochen haben. Eines ist unzweifelhaft, dass die Körperchen ? u. t, in allen Details ihrer Struktur bedeutend gröber als die bipolaren Figuren z. B. der Abb. XIX oder XII sind, und von dem Gesichtspunkte aus sind sie den neurogli- schen Bildungen ähnlicher, da ja als charakterisches Unterscheidungs- merkmal zwischen den mit Silber imprägnierten Neurogliazellen Ra- mon y Cajal, Lenhossek ein besonders rohes Aussehen sowohl des Körpers als auch der Fortsätze der Neurogliazellen konstatieren. Ein solches Kriterium fürwahr ist bei weitem nicht genau, doch vor- läufig muss man sich aus Mangel an bestimmbaren Merkmalen daran halten. Auf der Abb. XIV sehen wir z. B. Zellen, die wir nur des- halb zu den neuroglischen zählen, weil ihre äußeren Fortsätze an der Kleinhirnoberfläche mit den nur den Neurogliazellen eigenen Ver- diekungen endigen; hätten wir nicht dieses Merkmal, so wüssten wir nicht, zu welchen Elementen, zu den nervösen oder neuroglischen, die- selben hingehören. Dafür also, dass diese Körperchen (2,) nicht einfache nervöse sind, spricht ihr rohes Aussehen, ihre an den Tag tretende Plumpheit und die Anwesenheit einer ihnen analogen — bereits ein wenig differen- zierten — Zelle £, die unzweifelhaft eine neuroglische ist. Auf eine solche Weise scheint uns der Wahrheit am nächsten die Vermutung, dass die äußere Körnerschicht vom Alter des Katzen-Embryo von 8 cm neben den Nerven- auch Neurogliazellen produziert. Wir sahen nämlich, dass in der vorhergehenden Periode die Neu- rogliazellen nach oben lange und zahlreiche Fortsätze aussenden. Bei den Neugeborenen haben, wie wir auf der Abb. XXI ersehen, die in der inneren Körnerschicht liegenden Zellen entweder gar keine oder nur sehr wenig lange Fortsätze. Auf eine solche Weise treffen wir ein neues histogenetisches Faktum der Zellenisolierung von der äußeren Rindenoberfläche durch Atrophie der langen Fortsätze an. Die Zellen a, e der Abb. XXI sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht völlig ent- wickelte sternförmige Neurogliazellen, die in der imneren Körnerschicht der Rinde bei Erwachsenen vorhanden sind. Zur Erläuterung unserer Ansicht könnten wir zwei einander sehr ähnliche Zellen verschiedener Perioden vergleichen: wie rn, Abb. XIII mit zwei dicken und groben Fortsätzen und 5 Abb. XXI mit einem dünnen. Zum Schluss dieses Kapitels wollen wir noch einiges über den Schwund der äußeren Körnerschicht mitteilen. Wir sahen nämlich, Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 65 dass sie sowohl große wie auch kleine Nervenzellen der Rinde und auch Neurogliazellen erzeugt. Die in Folge dessen entstehende Ab- nahme der Elemente dieser Schicht wird durch ihre beständige Ver- mehrung auf dem Wege der Karyokinese kompensiert. Bei den Neu- geborenen aber und den erwachsenen Tieren (Kätzchen von 8 Tagen oder zwei Wochen) begegnen wir in dieser Schicht karyokinetischen Figuren immer seltener und seltener, und hieraus kann man den Schluss ziehen, dass die Vermehrung der Elemente nicht mehr so energisch wie früher vor sich geht, und deshalb wird auch die ebengenannte Kompensation gestört. Die äußere Körnerschicht wird allmählich immer enger; beim zweiwöchentlichen Kätzchen beschränkt sie sich auf zwei Zellenreihen, beim dreiwöchentlichen verschwindet sie vollständig. Kätzchen von 8 Tagen. In dieser Periode sind die Körperformen der Purkinje’schen Zellen noch sehr mannigfaltig; unter ihnen begegnet man am aller- häufigsten drei Formen. Bei den einen (s. « Abb. XXIV) besitzt der Zellkörper die Form eines von oben nach unten ausgedehnten Ovals, wobei sein inneres Ende, an der Uebergangsstelle in den Axenzylinder, leicht zugespitzt ist. Bei den anderen (a,) besitzt der Zellenkörper das Aussehen einer Keule mit flacher Basis; seine Nebenseiten werden allmählich nach außen zu enger und gehen in einen dicken protoplas- matischen Fortsatz über. Schließlich begegnen wir auch hier der dritten Art der Purkinje’schen Zelle: ihrer Körper besitzt das Aus- sehen eines mit der Spitze nach innen gerichteten Teils (s. «, Abb. XX1V); seine protoplasmatischen Stämme gehen nicht aus der Mitte des Zell- körpers wie in den vorhergehenden Formen aus, sondern bilden gleich- sam eine Fortsetzung der Nebenseiten des kegelförmigen Körpers und nehmen ihre Richtung in geneigter Fläche nach außen, zerstreuen weit ihre Zweige nach den Seiten und nehmen die Gegend der Verzweigung der Fortsätze der Purkinje’schen Zellen ein. Eine etwas ähnliche Verteilung der Zweige trifft man beim Katzen-Embryo von 12 cm (b Abb. XII) an. Da man einer ähnlichen Körperform der Purkinje’- schen Zelle bei Erwachsenen nicht begegnet, so muss man annehmen, dass sie das embryonale Stadium der sich entwickelnden Zelle vor- stellt. Protoplasmatischere, unmittelbar aus dem Zellenkörper aus- laufende Stämme gibt es in dieser Periode größtenteils ein oder zwei, in seltenen Fällen drei. Sie kommen mit ihren Verzweigungen bis zur äußeren Körnerschicht. Die Axenzylinder gehen größtenteils von der Mitte der inneren Zellenperipherie, zuweilen nur von der Seite aus. In den Teilen, welehe das höchste äußere Relief der Windungen vor- stellen, gelingt es oft mit Silber eine ganze Reihe von Purkinje’schen Zellen zu imprägnferen (s. Abb. XXV), deren Axenzylinder, mehr oder weniger nah aneinandergerückt, in der weißen Substanz der Windungen 45 * 676 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. verlaufen. Man muss hier gleich hinzufügen, dass sie nicht parallel nebeneinander verlaufen, sondern, wie auf der Abbildung ersichtlich, häufig sich durchkreuzen. Sie geben in ihrem Verlaufe zahlreiche, bald kurze, mit feinsten Verzweigungen endigende und bald lange, in die molekuläre Schicht sich erhebende, hier auf verschiedenen Höhen mit denselben Figuren, wie die oben beschriebenen Kletterfasern (siehe k Abb. XXV u. XXVI), endigende Fortsätze ab. Alle diese Fasern besitzen rosenkranzförmige Verdiekungen, und besonders große gerade an den Stellen, wo der Hauptstamm einen Seitenzweig abgiebt. Die Zellen a, Abb. XXIV sind einerseits der Beschreibung wert, weil ihre protoplasmatischen Fortsätze sich noch im Keimzustande befinden, andererseits, weil aus dem Zellkörper zwei dünne Fasern — beide den Axenzylindern sehr ähnlich — auslaufen. Eine von ihnen verläuft vertikal nach unten, giebt kurze Kollateralen ab und biegt in die weiße Substanz ab, die andere verläuft schief zum Bündel der unter der Zelle a, liegenden Fasern. Haben wir es hier in der That mit zweien, aus dem Körper einer und derselben Zelle auslaufenden Axenzylindern zu thun, oder besitzen wir in einer von ihnen eine Kletterfaser, die sich nur teilweise bis zur Purkinje’schen Zelle imprägnierte, während ihre Verzweigungen sich nicht imprägnierten, ist selbstverständlich schwer mit aller Bestimmtheit zu sagen. Wir müssen eine ähnliche, wenn auch nicht so deutlich ausgesprochene Erscheinung auch in der Zelle (2 Abb. XXV) notieren. Die Zelle a, ist mit möglichster Genauig- keit von dem Präparate kopiert; wir sehen nämlich, wie aus der Mitte des Zellkörpers der Axenzylinder abgeht und isoliert in die innere Körnerschicht absteigt, weiter aber verliert er sich in dem System der sich verflechtenden Fasern, in welchen es gar keine Möglichkeit ist, den Verlauf einer jeden Faser besonders zu verfolgen. Da die Anatomie der Rinde in dieser Gegend uns schon wohl bekannt ist, so ist es nicht schwer zu erraten, dass wir es hier mit einigen Kletterfasern zu thun haben, die mit ihren Seitenfortsätzen, die Axenzylinder aber mit ihren Collateralen, ein solches dichtes Netz geschaffen haben. Beachtenswert ist auch, dass hier eine Kletter- faser ein Zweigchen abschiekte, welches, sich gabelförmig spaltend, zum Körper der nebenangelegenen Purkinje’schen Zelle verläuft. Ein deutlicheres Beispiel ähnlicher gegenseitiger Beziehung genannter Zellen zu den Zweigen der Kletterfasern sehen wir in m Abb.XXV. Bei Er- läuterung der Lehre über das Contactum sind solche Stellen von be- sonderer Bedeutung. Die Form der Körper der Golgi’schen Zellen ist in dieser Periode vorwiegend eine regelmäßig vieleckige, mit anderen Worten, die Zellen sind in einer Beziehung völlig entwickelt. Diese Zellen liegen wie bei den Neugeborenen auf verschiedenen Höhen der inneren Körnerschicht. Eine charakteristische Eigenschaft dieser ist, dass sie nach allen Seiten, Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 677 hauptsächlich in die molekuläre Schieht eine Menge sich verzweigender, langer protoplasmatischer Fortsätze abschicken, dass einige die äußere Körnerschicht erreichen. Gleichfalls sind die Verzweigungen des Axen- zylinders dieser Zellen unvergleichlich reicher an Kollateralen, als wir dieses bei Neugeborenen gesehen haben. Die Zahl der Kollateralen ist jedoch nicht so groß, dass wir nieht unter ihnen den Hauptstamm des Axenzylinders verfolgen könnten; nur einmal gelang es uns, eine Zelle zu beobachten, deren Axenzylinder völlig in feinste Zweigchen zerfiel und, nach dem Ausdruck der Autoren, seine Individualität verlor (g Abb. XXVI). Die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht sind ebenfalls merk- lich in ihrer Differenzierung vorgeschritten: an Umfang wurden sie ein wenig kleiner, die Zahl der feinen Fortsätze um die Zelle nahm bedeutend ab, so dass Zellen mit 4-5 ähnlichen Fortsätzen keine Seltenheit waren; viele von ihnen sind am Ende mit gabelartigen Verzweigungen versehen, die für erwachsene Zellen dieses Typus cha- rakteristisch sind. Bei den meisten Zellen geht der Axenzylinder von dem protoplasmatischen Fortsatze ab. Neben diesen Zellen begegnen wir auch anderen, bereits früher erwähnten Uebergangsformen. Die Anwesenheit eines dieken, nach innen verlaufenden Fortsatzes wird nur ausnahmsweise beobachtet. Die von uns bei dem neugeborenen Kätzchen und dem Embryo von 12 em beschriebenen vertikalen bipolaren Zellen treffen wir auch hier an. Ihre Körperform ist hier mehr eine länglich-ovale und nicht rund wie beim Katzen-Embryo von 12 cm. Die Konturen des Körpers sind nicht immer deutlich markiert, in einigen Zellen — geschlängelt; eine jede solche Zelle ist mit zweien Fortsätzen, einem äußeren und einem inneren, versehen, der letztere giebt zuweilen Seitenzweige ab. Diese Bildungen liegen in der molekulären Schicht, von ihrer äußeren Grenze bis zu der ein wenig nach außen von den Purkinje’schen Zellen sich befindenden Gegend. Unter diesen bipolaren Zellen muss man eine anführen, die in der inneren Körnerschicht liegt und einen cha- rakteristischen dieken Fortsatz besitzt. Wenden wir uns, ohne die Bedeutung dieser Zellen zu unter- suchen, zu den Längsschnitten der Rinde. In der Abb. XXVI sehen wir in der molekulären Schicht neue, bis jetzt von uns nicht beobach- tete Zellenelemente. Horizontale Zellen in jener Form, wie wir sie früher beschrieben haben, fehlen hier völlig. Die Zellenkörper sind vorwiegend von länglich-ovaler Form und liegen horizontal; aus beiden Polen ihres langen Durchmessers gehen lange Fortsätze ebenfalls in horizontaler Richtung ab. Einer von den Fortsätzen ist dieker, ver- hältnismäßig kürzer und teilt sich in zwei große, die hiehtung des Hauptstammes einhaltende Zweige. Aus dem Zellkörper«a der Abb. XXVI gehen als besondere Stämme zwei sich verzweigende Fortsätze ab. Der 678 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. andere aus dem entgegengesetzten Pole auslaufende Fortsatz ist länger und dünner und giebt kurze Zweige ab. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die dieken Fortsätze — protoplasmatische, der dünne — ein Nervenfortsatz. Zur näheren Bestimmung dieser Zellen besitzen wir zwei Kriterien: Größe, Lage und Verzweigungsart der Zellen veran- lasst uns, sie wie die kleinen Zellen der molekulären Schicht zu be- trachten. Andererseits kommen wir per exclusionem zu diesem Schlusse, da wir ja in dieser Periode alle Elemente der Rinde, mit Ausnahme der obengenannten Zellen, vor uns haben. Da wir beim Kätzchen von 8 Tagen horizontale bipolare Zellen nicht mehr sehen, so scheint uns die Vermutung, dass die soeben er- wähnten Zellen in der molekulären Schicht auf der Abb. XXVI sich in enger genetischer Verbindung mit den horizontalen Zellen der Abb. XXH befinden, mehr als wahrscheinlich. Unter den von uns in dieser Periode beobachteten vertikalen bipolaren Zellen müssen wir die Zellen k der Abb. XXIV deshalb in eine besondere Gruppe trennen, weil sich 1. ihr unterer Fortsatz verzweigt und 2. bedeutend dünner als die von uns in den frühen Perioden beschriebenen ist. Die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht haben sich bereits fast völlig entwickelt, die Zahl der bipolaren Zellen hat sich ver- ringert; es ist sehr wahrscheinlich, dass das neue Auftreten von Ma- terial aus der äußeren Körnerschicht in die innere sich ebenfalls be- deutend reduziert hat. Auf Grund dieser Erwägungen können wir uns bezüglich dieser Periode nur der Meinung Ramon y Cajal’s an- schließen, dass aus den Zellen % der Abb. XXIV die kleinen Zellen der molekulären Schicht entstehen. Auf eine solche Weise muss man glauben, dass die eben erwähnten Zellen der molekulären Schicht sich aus den horizontalen bipolaren Zellen und teilweise auch aus den vertikalen entwickeln. Wir sagen „teilweise“, weil wir uns ausschließ- lich auf unsere Präparate stützen; ob aber unsere Voraussetzung der Wirklichkeit entspricht oder nicht, wissen wir nicht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine solche begrenzte Zahl der Zellen, wie die der bipolaren Zellen % der Abb. XXIV, sich dadurch erklärt, dass sie nicht alle mit Silber imprägniert sind. Jedenfalls ist das quantitative Vorherrschen der vertikalen oder horizontalen Zellen nicht von besonders wichtiger Bedeutung; interessanter ist die prin- zipielle Entscheidung dieser Frage. Die Entwicklung der Korbzellen findet in dieser Periode ebenfalls fast ihr Ende. Der embryonale Charakter der Zellen äußert sich in der geringeren Größe des Zellkörpers und in einer nicht so reichen Verzweigung des Axenzylinders. Die protoplasmatischen Fortsätze sind sehr lang und besitzen Nebenzweige; in der Zelle ko Abb. XXVI giebt der Axenzylinder sogar einen Fortsatz nach oben ab, was ja nur in den erwachsenen Zellen beobachtet wird. Alle protoplasmatischen Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 679 Fortsätze sind mit quergelegenen Nadeln dicht bedeckt. Wir müssen noch auf die sternförmige Zelle (s. g Abb. XXIV) unsere Aufmerksam- keit richten, welche wir nur deshalb, weil ihr Axenzylinder sich sehr verzweigt und nach unten gerichtet ist, für eine Golgi’sche ansehen. Die Figur der Endverzweigungen der Kletterfasern unterscheidet sich#n nichts von dem von uns bereits früher beschriebenen; hier ist nur die Beziehung dieser Figuren zu den Körpern der Purkinje’schen Zellen deutlicher ausgesprochen (s. x Abb. XXV). Die Faser x ist deshalb interessant, weil sie sehr viele Zweige abgiebt, von welchen einige mit ihren charakteristischen Endigungen als Lager für 2—3 nebenbei gelegene Purkinje’sche Zellen dienen; dasselbe beobachten wir auch in z,. Auf eine solche Weise verbindet eine Faser einige Zellen unter sich und die letzteren mit den Centren, woher diese Faser kommt. Wir wiederholen nochmals, dass die in die molekuläre Schicht aufsteigende Kollateralen der Axenzylinder der Purkinje’schen Zellen häufig mit denselben Figuren wie die Kletterfasern endigen. Die moosartigen Fasern (s. Abb. XXVI) sind in diesem Alter deut- licher ausgesprochen, ihre Verdiekungen sind größer geworden; die aus den letzteren auslaufenden Fortsätze sind zahlreicher und länger geworden. Fast eine jede Faser giebt am Ende einen sehr langen Fortsatz ab, der in die molekuläre Schicht aufsteigt, wo er sich auch verliert. Kätzehen von 2 Wochen. In dieser Periode könnten wir die Kleinhirnrinde für völlig ent- wickelt halten, wenn wir nicht neben den erwachsenen Zellen einige, fürwahr unbedeutende Merkmale, die auf den embryonalen Charakter der Rinde hinweisen, antreffen würden. Die protoplasmatischen Ver- zweigungen der auf der Abb. XXVII dargestellten Purkinje’schen Zelle sind so dieht wie in der erwachsenen Zelle, sie gehen aber nicht sehr dicht bis zur äußeren Kleinhirnoberfläche heran. Der Zellkörper besitzt an der Seite zwei feine, brustwarzenförmige Anhängsel — eine der embryonalen Zelle eigene Erscheinung. Die Korbzelle ist völlig entwickelt, neben ihr aber eine andere — wo der Axenzylinder die charakteristischen Zweige noch nicht abzugeben ver- mochte. Aehnliehe unentwickelte Zellen sind in dieser Periode noch viele vorhanden. Die auf der Abbildung dargestellte Golgi’sche Zelle ist für die erwachsenen Formen so typisch, dass wir sie zu beschreiben nicht nötig haben. Die Zellen der inneren Körnerschicht verloren den größten Teil ihrer Fortsätze; die 3—4 nachgebliebenen senden entweder Seiten- zweige ab oder endigen mit gabelförmigen Verzweigungen. Den an den Enden ähnlicher Fortsätze bei dem neugeborenen Kätzchen be- obachteten Verdiekungen begegnen wir hier nur als Seltenheit. Ihre Axenzylinder gehen von dem protoplasmatischen Fortsatz ab und weisen in ihrem Verlauf keine Eigentümlichkeiten, die der Beschreibung wert sind, auf. 680 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Die Kletterfasern treten auf den Präparaten dank ihrer bedeuten- den Dicke, ihrer eigenartigen Verzweigung und dem reichen, die letztere bedeekenden moosartigen Niederschlag sehr deutlich hervor. Ver- gleichen wir die Abb. XXVII mit XX, so bemerken wir unzweifelhaft, dass die Fasern viel dieker und gröber geworden sind und mit ihren Zweigen sich in der molekulären Schicht weiter ausgebreitet haben als in den frühen Perioden. Nach der Richtung dieser Zweige zu urteilen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie, wie Ramon y Cajal behauptet, die protoplasmatischen Fortsätze der Purkinje’schen Zelle begleiten. Unter diesen Fasern treten in der inneren Körnerschicht die moosartigen Fasern durch ihren Verdiekungen von besonderer Form, von welehen wir bereits früher gesprochen haben, deutlich hervor. Die Verdiekungen der moosartigen Fasern werden von Kölliker als Kunstprodukte angesehen. Ernst Lugaro [31] nimmt an, dass diese Fasern an einigen Stellen sehr leicht chromsaures Silber aufnehmen, welches sich in großer Menge niederschlägt und diese Verdiekungen verursacht. Eine solche Neigung zur Ablagerung von chromsaurem Silber wird seiner Meinung nach dadurch erklärt, dass hier die Faser fast aus einem Punkte 10—20 feine Zweige absendet. Kölliker [22] basiert seine Meinung darauf, dass die moosartigen Fasern sehr häufig solche Verdickungen nicht besitzen, sondern sich als glatte Fasern darstellen. Er fügt auch hier gleich hinzu, dass die sogenannten moosartigen Fasern aller Wahrscheinlichkeit nach nur frühe Stadien der glatten sind. Betrachten wir in dem Lehrbuch Kölliker’s [22] die Abbildung S. 546 und vergleichen wir sie mit unserer Abbildung XX, so sehen wir eine große Aehnlichkeit, und deshalb scheint uns wahrscheinlich, dass die sogenannten glatten Fasern Kölliker’s nichts weiter als junge Kletterfasern sind. Die moosartigen Fasern sind fast vom Be- ginn ihrer Entstehung an und später auch stets mit Verdiekungen ver- sehen. Wir können nicht zugeben, dass Verdiekungen solcher Form durch zahlreiche Verzweigungen bedingt wären, da einerseits bei einer großen Zahl von Zweigen keine andere Faser solch eine Verdiekung besitzt, andererseits die moosartige Faser gar keine Zweige abgiebt, Verdiekungen aber existieren. Näher der weißen Substanz ist die Zahl dieser Fasern eine so große, dass es sehr schwierig ist, die Rich- tung einer jeden Faser zu untersuchen. Eines nur können wir be- merken, dass ihre vorherrschende Richtung — zur molekulären Schicht ist; näher nach außen liegen sie nicht so dicht, und deshalb ist leicht zu sehen, wie die Faser, sobald sie bis zur Höhe der Purkinje’schen Zelle kommt, bogenförmig umbiegt und in horizontaler Richtung vor- übergeht. Zuweilen steigt sie höher — in die molekuläre Schicht — hinauf und zerfällt da in einige feine Zweige. Bezüglich des äußeren Aussehens dieser Fasern muss man bemerken, dass ihr Querdurch- ln rn Te re ET Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 681 messer nicht immer gleich ist, — es giebt dieke und dünne Fasern. Nicht eine einzige Faser besitzt eine geradlinige Richtung, sondern sie ist stets von ziekzackförmigem, wellenartigem Verlauf. Die Verdick- ungen behielten ihre dreieckige Form, sie schicken aber bedeutend mehr dünne und kurze Fortsätze als in der vorhergehenden Periode ab. Bei aufmerksamer Betrachtung gelingt es uns auch, feine Ver- diekungen von derselben oder runder Form zu sehen, die sich in sehr dünne, in die molekuläre Schicht aufsteigende Fäserchen fortsetzen. Einige Fasern besitzen in ihrem Verlaufe einige solche Verdickungen. Die Schlüsse, welche aus dieser Arbeit zu ziehen sind, kann ich in kurzen Worten so resumieren: 1. Die Keimschicht erzeugt neuroglische, wie auch Nervenelemente (Spongioblasten und Neuroblasten), wobei in dem Kleinhirn die ersteren sich früher ausbilden als die letzteren. 2. Die einfachsten Embryonalformen der Nervenzelle sind die unipolaren und bipolaren Zellen. 3. Die einfachste Embryonalform der Neurogliazelle ist auch eine bipolare Zelle, aber gröber gestaltet. 4. Nicht selten überschreitet an Größe eine embryonale Zelle und ihre Adnexa eine Zelle desselben Typus beim Erwachsenen. 5. Bisweilen sind die Embryonalzellen reicher mit protoplasma- tischen Fortsätzen versehen als die ihnen entsprechenden erwachsenen. 6. Die Ependymzellen entstehen, den Neurogliazellen analog, aus Spongioblasten. 7. Die Umwandlung der Nervenzellen während ihrer Differenzierung unterliegt keinen sichtbaren Regeln, in den späteren Perioden dagegen vollzieht sich dieselbe nach einem streng bestimmten Plane. Das Ge- sagte betrifft vorzüglich die großen Zellen der Kleinhirnrinde. 8. Die Rinde erreicht ihre völlige Entwicklung 2—3 Wochen nach der Geburt der Frucht (Kätzchen, Hündchen). 9. Die äußere Körnerschicht kann die zweite Keimschicht genannt werden, da sie das Supplement-Material für den Aufbau der Kleinhirn- rinde liefert. 10. Vor Allem differenzieren sich in der Kleinhirnrinde die Neuro- gliazellen, ihnen folgen die großen Zellen der Rinde, und weiter kom- men Korbzellen, die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht und Sternzellen der Molekulärschicht. 11. In der Mantelschicht differenzieren sich am frühesten jene Zellen, die mehr nach außen gelegen sind. 12. Die Neurogliazellen in den äußeren Zonen der Kleinhirnplatte differenzieren sich früher, die in den inneren später. 13. Die bipolaren vertikalen Zellen bilden sich aus Elementen der äußeren Körnerschicht, ohne die Phasen der horizontalen bipolaren 682 Popoff, Ueber die Fistogenese der Kleinhirnrinde. Zellen durchzumachen, wie es von Anderen behauptet wird, und wandlen sich in die kleinen Zellen der Körnerschicht um. 14. Die Korbzellen entwickeln sich auf Kosten der Elemente der Mantel- und äußeren Körnerschicht. 15. Die Sternzellen entwickeln sich vorzüglich aus horizontalen (frontalen) und teilweise aus vertikalen bipolaren Zellen. 16. Embryonale Golgi’sche Zellen und die kleinen Zellen der inneren Körnerschicht sind mit größeren protoplasmatischen Fortsätzen versehen als die erwachsenen. 17. Die Nervenelemente desselben Typus differenzieren sich nicht gleichzeitig, was darauf hinweist, dass entweder einige Zellen in ihrer Entwicklung zurückbleiben oder darauf, dass sie nicht auf einmal ent- stehen. 18. Aus der äußeren Körnerschicht entstehen sie wie die Neuroglia- zellen, so auch alle Typen der Nervenzellen der Rinde. 19. Die Histogenese der Kleinhirnrinde ist in den Hauptzügen der des Rückenmarkes sehr analog. Erklärung der Abbildungen. Abbildung I. Katzen-Embryo 1—1!/, em Sagittalschnitt. = II. Katzen-Embryo 3 cm Sagittalschnitt. i II. Katzen-Embryo 8cm Sagittalschnitt. = IV. Katzen-Embryo 12 cm Sagittalschnitt. > V. Katzen-Embıyo 3 cm Sagittalschnitt, e — Ependymzellen. 5 VI. Schaf-Embryo 2 em; ext — die äußere Oberfläche; «n — die innere — der Kleinhirnplatte; » — oberflächlich gelegene Neurogliazellen; e — Ependymzellen. „ VI. Sehaf-Einbıyo 5 em; n — oberflächliche; n, — tiefgelegene Neurogliazellen; a — unipolare, b — bipolare Zelle; d — eine Faser, die in ihrem Wege ein Knie bildet; x und y — Neu- rogliazellen mit kurzen Fortsätzen; %k — äußere Körnerschicht. „ VIII. Katzen-Embryo 5 em; rn und n, — Neurogliazellen. u; IX. Schaf-Embryo 14 em; Verbindung zweier Zellen 5b und c mit Hilfe einer protoplasmatischen Brücke; g und e embryonale Golgi’sche Zellen, die übrigen Purkinje’sche (kombinierte Abbildung). „ IX,. Ependymzellen desselben Embryos. di X. Dasselbe Objekt; a, — Neuroblast mit keimendem protoplas- matischen Fortsatz; 9, e& — embryonale Golgi’sche Zellen; n, n, — Neurogliazellen (kombinierte Abbildung). e XI. Katzen-Embryo 8cm; a, 9 — zwei Nervenzellen, welche in der äußeren Körnerschicht entstanden sind; die übrigen sind große Zellen der Rinde. Horizontale Zellen sind embryonale Korb- zellen (kombinierte Abbildung). R XI. Katzen-Embıyo 12 em; a, a, b — embryonale Purkinje’sche Zellen; %, k,, k, 9, h, d, c,o — kleine Zellen der inneren Körnerschicht in verschiedenen Stadien der Entwicklung; g u. 9, — embryonale Golgi’sche Zellen; », — Neuroglia- zellen (kombinierte Abbildung). Abbild. XIII. nmRIV: er EYE RAN. n.AVvIE „ ANıH: AR: u RR yi AXE „ XXU. ROT: „AXIV. „eARV. ZAVI. „ AXVU. „ XXVIN. Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. 683 Dasselbe Objekt; a, a, b — junge Purkinje’sche Zellen; c, — zöne de croissance von Ramon y Cajal; d = Collaterale des Axenzylinders einer Purkinje’schen Zelle; ce — eine horizontale (sagittale) bipolare Zelle; k — junge Korbzellen; fı — ihre protoplasmatische Fortsätze; g u. 9, — junge Golgi’sche Zellen; k, — eine kleine Zelle der inneren Körner- schicht (kombinierte Abbildung). Dasselbe Objekt; Neurogliazellen sind in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung dargestellt. Katzen-Embryo 8 cm. Neurogliazellen. Dasselbe Objekt; Neurogliazellen. % — junge Neurogliazellen, die aus Elementen der äußeren Körnerschicht gebildet sind. Dasselbe Objekt; junge Neurogliazellen während ihrer Bildung in der äußeren Körnerschicht. Dasselbe Objekt; spinnenförmige Neurogliazellen. Neugeborenes Kätzchen. a, a, a, a, — junge Purkinje’sche Zellen in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung; k — kleine Zellen der inneren Körnerschicht, die den embryonalen dicken Fortsatz behalten haben; in k, — ist er atrophiert; f u. fi — junge Korbzellen; 5 u. ce — bipolare Zellen (kombinierte Abbildung). Dasselbe Objekt; Kletterfasern. Dasselbe Objekt. t u. t, — bipolare Elemente, die sich in Neurogliazellen umwandeln sollen; n, — aus der äußeren Körnerschicht entstandene Neurogliazellen; b u. ce — Neuroglia- zellen mit atrophierendem äußeren Fortsatz; a — eine Neu- rogliazelle, welche keinen äußeren langen Fortsatz besitzt. Dasselbe Objekt. Ein Schnitt in longitudinaler, den Furchen paralleler Richtung; b — eine vertikale bipolare Zelle, deren Axenzylinder sich gabelförmig verteilt; ce — eine horizontale (frontale) bipolare Zelle (kombinierte Abbildung). Dasselbe Objekt; Zellen, die wir auf verschiedenen Höhen der Kleinhirnrinde bei neugeborenen Kätzchen beobachtet haben; ihre histologische Bedeutung ist unklar. Achttägiges Kätzchen. a, a, 4, a4, — junge Purkinje’sche Zellen; g — Golgi’sche Zellen; k — vertikale bipolare Zellen mit sich verzweigendem unteren Fortsatz (kombin. Abbild.). Dasselbe Objekt. k u. 1 — junge Purkinje’sche Zellen mit zwei Axenzylindern; x u.: x, — Kletterfasern, mit ihren Ver- zweigungen die Körper zweier benachbarter Purkinje’scher Zellen umfassend. Dasselbe Objekt. «a — Sternzellen oder kleine Zellen der Mole- kulärschicht; g — eine erwachsene Golgi’sche Zelle; ko — eine junge Korbzelle; k — ein in die Molekulärschicht zu- rückkehrende Kollaterale des Axenzylinders einer Purkinje- schen Zelle. Zweiwöchentliches Kätzchen. Die Elemente der Kleinhirnrinde sind fast vollständig entwickelt. Eine Purkinje’sche und Körnerzelle eines Huhn - Embryos am 12. Bebrütungstage. 684 Popoff, Ueber die Histogenese der Kleinhirnrinde. Abbild. XXIX. Dasselbe Objekt. Bipolare Zellen. n n ” XXX. Die gegenseitige Beziehung der Axenzylinder der Purkinje- schen Zellen eines Huhn-Embryos am 17. Bebrütungstage. XXXI. Hund-Embryo von 7cm. Die embryonale große Zelle der Rinde; n u. n, — Neurogliazellen. XXXII. Hund-Embryo von 11 cm. Embryonale Purkinje’sche Zellen. XXXIII. Zweiwöchentliches Hündchen. Eine G olgi’sche Zelle mit langen protoplasmatischen Fortsätzen. XXXIV. Eine Purkinje’sche Zelle von einem Barsch. XXXV. Eine Purkinje’sche Zelle von einem Stieglitz. XXXVI. Eine Purkinje’sche Zelle von einem Frosch. XXXVII. Elemente der Kleinhirnrinde einer erwachsenen Katze. g — ovale Golgi’sche Zelle. „XXXVIII. Pyramidale Figuren, durch Verzweigungen der Axenzylinder der [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [3] [9] [10] [11] (12] [13] [14] Purkinje’schen Zellen gebildet. Litteratur. 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Die zweite Hälfte des Werkes, welche im Wesentlichen die Organo- genie umfasst, ist schnell nach der ersten im Druck erschienen. Sie wird vermutlich Niemanden in den Erwartungen täuschen, die er nach der Keuntnisnahme der ersten Hälfte hegen durfte. Der Hauptvorzug des Werkes liegt — das sei jetzt, wo‘ man über das Ganze urteilen kann, wiederholt — in der vorzüglichen Klarheit, mit der auch die schwierigen Kapitel der embryonalen Morphologie auseinandergesetzt sind, und das mit so wenig Worten. Man liest es bald aus dem Werk heraus, dass der Verfasser als akademischer Lehrer weiß, welche Vorgänge an die Vorstellungsfähigkeit der Anfänger die größten Anforderungen stellen, und welche Kapitel dem Lehrer selbst bei der Darstellung die meisten Schwierig- keiten bereiten und darum mit der größten Kunst behandelt werden müssen. (— Es sei hier nur auf die ausgezeichnete Beschreibung der Ent- stehung der plexus chorioidei laterales, des fornix und corpus callosum hin- gewiesen. —) Aus diesen Erfahrungen heraus ist es wohl auch als not- wendig erachtet worden, das Werk so reichlich mit Bildern auszustatten, dass fast allen Ansprüchen genügt wird; nur hie und da, z. B. bei der Entwicklung des Zwerchfells und der Scheidupe von Pleura und Pericard wünschte man sich noch ein paar Abbildungen mehr. Ein zweiter großer Vorzug des Werkes ist seine Kürze. Es lag ja im Plan des Verf., ein Buch für den Mediziner zu schreiben, für den die Embryologie nur Nebenfach ist. Aus dem Grunde ist viel Vergleichend-Anatomisches fortgelassen und dafür für den Arzt Wichtiges, wie die Entstehung von Missbildungen, mehr in den Vordergrund gestellt. Aber diese mit dem Plan gegebene Kürze des Buches hat den Verfasser weder dazu geführt, bloß ein trockenes Schema der Entwicklungsgeschichte zu geben, in dem zur Aussprache allgemeiner Bemerkungen kein Platz ist, noch auch auf die Mitteilung neuer Ergebnisse, die noch nicht Allgemeingut geworden sind, zu ver- zichten. Hervorgehoben sei in dieser Hinsicht die Darstellung der Wirbel- bildung von den sogenannten Bogenanlagen der Urwirbel aus, die An- deutung, dass der Grenzstrang des Sympathicus, der bei Fledermäusen als unsegmentierter dorsolateraler Strang „im Mesoblast auftaucht“, vielleicht gar nicht von den Spinalganglien abstammt, vielleicht nicht einmal ekto- dermaler Herkunft ist, ferner der sehr bestimmte Hinweis, dass die Lymph- zellen der Thymusdrüse nicht in diese einwandern, sondern direkt aus dem Drüsenepithel entstehen, und dass die Milz „zweifellos“ aus einer Verdiekung des Peritonealepithels hervorgeht. Vieles Andere kann hier nicht aufgezählt werden. Endlich sei nl hervorgehoben, dass den Schluss des Werkes kurze sehr praktische „teehnische Bemerkungen“ bilden. R. H. [89] 688 Wasielewski, Sporozoenkunde, Leitfaden für Aerzte, Tierärzte u. Zoologen. v. Wasielewski, Sporozoenkunde, ein Leitfaden für Aerzte, Tierärzte und Zoologen. Jena, Gustav Fischer, 1896. Der Verf., ein Mediziner, hat sich, wie er in der Vorrede sagt, seit längerer Zeit mit Untersuchungen zur Sporozoeninfektion beschäftigt. Um dem Nichtzoologen die großen Schwierigkeiten zu erleichtern, sich auf diesem Gebiet, in welchem es fast gänzlich an zusammenfassenden Arbeiten fehlt, zu orientieren, hat er sich entschlossen, seine Vorarbeiten zu ver- öffentlichen, zum Nutzen derer, die auf den gleichen Wegen wandeln wie er. In einem Hefte von 159 Seiten, das mit 111 guten Abbildungen (fast durchweg Copien nach den Tafeln der Originalarbeiten) ausgestattet ist, giebt er eine systematisch geordnete Schilderung aller bisher zoologisch genügend beschriebenen und anerkannten Arten, indem er, Labb& und Braun folgend, die Sporozoön in die 5 Ordnungen Gregarinen, Hämo- sporidien, Coceidien, Acystosporidien und Myxosporidien teilt und dazu als Anhang die nur unvollkommen charakterisierten Gruppen Sarkosporidien, Amoebosporidien und Serosporidien fügt. Jeder einzelnen Abteilung wie der ganzen systematischen Schilderung sind allgemeine Angaben über die Biologie der Gruppen, beziehungsweise der ganzen Klasse vorausgeschickt, die genügend beschriebenen Arten sind fast vollzählig mit Charakteristiken aufgeführt. Wie in der Vorrede er- wähnt, hat Verf., der der Kürze und Uebersichtlichkeit wegen nicht auf alle strittigen Punkte eingehen konnte, in manchen Fällen. sich in der Darstellung durch eigene Beobachtungen leiten lassen. Ref. bedauert, dass diese Stellen nicht deutlich bezeichnet erscheinen, während die benützten Autoren überall zitiert werden. Der biologischen und systematischen Schilderung sind dann noch an- gefügt eine Tabelle aller in Betracht kommenden Wirtstiere mit Bezeich- nung der in ihnen gefundenen Arten, Bemerkungen zur Technik der Sporozoenuntersuchung, und endlich ein kleines Verzeichnis der Haupt- werke der Sporozoenlitteratur, während für Spezialuntersuchungen auf die vortrefflichen zoologischen Litteraturverzeichnisse verwiesen wird. Das kleine, sehr fleißig zusammengestellte und klar geschriebene Buch erscheint sehr geeignet, seinem Zweck zu dienen, den der Verf. bescheiden dahin begrenzt, Medizinern, Tierärzten und — solange ein zusammenfassendes Werk von zoologischer Seite fehle, vielleicht auch Zoologen als Führer in diesem noch so wenig bekannten Gebiete zu dienen, in dem so sehr viele und besonders auch biologische Probleme der Lösung harren. W. [85] Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen ar die Verlagshandlung Arthur Georgi, Leip:ig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Artburaorgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayerz HofZund Uniy.-Buchärucketel von Junge & Bohn’ mExläugeze Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVIl. Band. 1. Oktober 1897. Nr. 19. Inhalt: Häcker, Ueber weitere Uebereinstimmungen zwischen den Fortpflanzungs- vorgängen der Tiere und Pflanzen. — Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen, — Haacke, Grundriss der Entwicklungsmechanik. Ueber weitere Uebereinstimmungen zwischen den Fort- pflanzungsvorgängen der Tiere und Pflanzen. Die Keim - Mutterzellen. Von Prof. Valentin Häcker. (Zoologisches Institut, Freiburg im Breisgau). Es sind in den letzten Jahren wiederholt Versuche gemacht worden, die Reifungserscheinungen der tierischen nnd pflanzlichen Geschlechts- produkte zu einander in Parallele zu setzen. Nachdem Strasburger!) die Teilungsvorgänge bei der Pollen- und Eibildung der Phanerogamen ganz im Allgemeinen mit der „Reifung“ der tierischen Geschlechtsprodukte verglichen und auf die Gesamtheit dieser Erscheinungen gewisse theoretische Vorstellungen gegründet hatte, nachdem sodann zoologischerseits?) auf die Mehrdeutigkeit der für die Pflanzen beschriebenen und von Strasburger theoretisch verwerteten Einzelbilder und andrerseits auf ihre Aehnlichkeit mit neueren Befunden bei tierischen Objekten hingewiesen worden war, haben die Unter- suchungen der letzten Jahre die Verbindung zwischen beiden Gebieten zu einer immer engeren gestaltet. 1) E.Strasburger, The Periodie Reduction of the number of the Chromo- somes in the Life-History of Living Organisms, Ann. of Bot., Vol. 8, 1894; Ueber periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Entwicklungsgang der Organismen. Biol. Centralblatt, Bd. 14, 1894. 2) V. Häcker, The Reduction of the Chromosomes in the Sexual Cells, as described by Botanists: A reply to Professor Strasburger, Ann. of Bot. Vol. 9, 1895; Zur Frage nach dem Vorkommen der Schein -Reduktion bei den Pflanzen, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 46, 1896. XVII. 44 690 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen, Es war das Verdienst Belajeff’s und einer Anzahl englischer Forscher), die Veränderungen der chromatischen Substanz während der ersten Teilung der Pollenmutterzellen der Phanero- samen durch eine abermalige eingehende Prüfung endgiltig klarzu- legen und den übereinstimmenden Verlauf derselben mit dem der „heterotypischen Teilung“, wie sie speziell bei Salamandra vorkommt, nachzuweisen. Indem dabei gleichzeitig die früheren Vorphasen der Pollen- und Embryosack - Mutterzellen einer genaueren Prüfung unter- zogen wurden, stellte sich in einer ganzen Reihe von Punkten eine auffällige Homologie mit dem Verhalten der tierischen Samen- und Ei- Mutterzellen heraus. Anders verhält es sich mit dem zweiten Teilungsschritt. Hier wogt seit Jahren der Kampf um die Reduktionsfrage hin und her. Einen Moment schien es, als ob eine Uebereinstimmung erreicht wäre, indem rasch hintereinander die Arbeiten von Strasburger und seinen Schülern ?2), von Calkins?) und Ischikawa*) Verhältnisse zur Dar- stellung brachten, welche in sehr gutem Einklang mit neueren zo00- logischen Befunden zu stehen schienen. In einer letzten Mitteilung haben jedoch Strasburger und Mottier?’) ihre Angaben zurück- genommen, und, wenn auch die Objekte von Calkins und Ischi- kawa in technischer Hinsicht eine hervorragende Stelle einzunehmen scheinen und jedermann ein volles Vertrauen in das Beobachtungs- talent der beiden Forscher setzen wird, so lässt sich doch nicht leugnen, dass der Ausgang des Streites aufs Neue weit hinausgeschoben ist. Angesichts dieser Sachlage dürfte es zweckmäßig sein, dasjenige, was thatsächlich bisher als gemeinsames Gut gewonnen ist, vergleichend 1) W. Belajeff, Zur Kenntnis der Karyokinese bei den Pflanzen, Flora, 1894, Ergänzungsband; Ethel Sargant, Some Details of the First Nuclear Division in the Pollen-Mother-Cells of Lilium Martagon L., Journ. R. Micr. Soc., 1895; J. Bretland Farmer und J.E. S. Moore, On the essential Similarities existing between the heterotype nuclear Divisions in Animals and Plants, Anat. Anz., Bd. 11, 1895; Ethel Sargant, The Formation of the Sexual Nuclei in Lilium Martagon, Ann. of Bot., V01.10, 1896; H. H. Dixon, On the Chromo- somes of Likum longiflorum, Proc. R. Jr. Ac., Vol.3, 1896. 2) E. Strasburger, Ueber Cytoplasmastrukturen, Kern- und Zellteilung. D. M. Mottier, Beiträge zur Kenntnis der Kernteilung in den Pollenmutter- zellen einiger Dikotylen und Monokotylen. Beide Arbeiten in: Jahrb. f. wiss. 3ot., Bd. 30, 1897 (Sonderabdruck: Cytologische Studien aus dem Bonner bot. Institut, Berlin, 1897). 3) Gary N. Calkins, Chromatin-reduction and Tetrad-formation in Pte- ridophytes, Bull. Torrey Botanical Club, Vol. 24, 1897. 4) GC. Ischikawa, Studies of Reproduetive Elements. III. Die Entwick- lung der Pollenkörner vou Allium fistulosum L., ein Beitrag zur Chromosomen- Reduktion im Pflanzenreiche, Journ. Coll. Se. Tokyo, Vol. 10, 1897. 5) E. Strasburger und D. M. Mottier, Ueber den zweiten Teilungs- schritt in Pollenmutterzellen, Ber. Bot. Ges., Jahrg. 15, 1897. a Ts un Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 691 zusammenzustellen. Eine solche vergleichende Betrachtung wird sich bei dem heutigen Stand der Dinge auf das Verhalten der Mutter- zellkerne vor und während derersten Teilung zu beschränken haben, sie wird jedoch zeigen, dass die neueren Beobachtungen mehr und mehr auf einen Punkt konvergieren, der sich vielleicht folgender- maßen festlegen lässt: Die bei der Pollen- und Eibildung der Phanerogamen und bei der Sporenbildung der Farne einerseits und bei der tierischen Samen- und Eireife andrerseits sich abspielenden Vorgänge lassen sich nieht nur ganz allgemein, etwa im Sinn von vorbereitenden Prozessen, mit einander vergleichen, vielmehr zeigen dieselben auch im Einzelnen auffallende morphologische und physiologische Uebereinstimmungen, welche auf eine homologe biologische Bedeutung schließen lassen. Und zwar ist der Punkt, wo der Vergleich im Speziellen einzusetzen hat, jeweils die erste Teilung bei der Pollen- und Eibildung der Phanerogamen, bei der Sporenbildung der Farne und bei der Samen- und Eireife der Metazoen. 1. Beschaffenheit des Chromatins während der Wachstumsperiode der Keim-Mutterzellen '). Frühzeitiger Eintritt in die Knäuelphase (Fig. A u. 5). Von einer großen Anzahl von Beobachtern wird für die Mutterzellen der tierischen und pflanzlichen Geschlechtsprodukte als auffallende Erscheinung angegeben, dass die chromatische Substanz schon sehr frühzeitig einen Teil jener Veränderungen durchläuft, welche sonst für die Prophasen der Teilung charakteristisch sind. Und zwar kommt dieses eigentümliche Verhalten des Chromatins entweder nur in einer sehr frühzeitigen Verwandlung des Kerngerüsts in einen zusammen- hängenden?), knäuelig aufgewundenen Chromatinfaden (Mutterknäuel u) oder Spirem) zum Ausdruck, oder aber es tritt, von Anfang an oder 1) Es dürfte kaum zweckmäßig sein, die in allen Sprachen bequem zu handhabende und fast allgemein eingebürgerte Bezeichnung „Mutterzellen“ (Keim-, Sporen-, Embryosack-, Pollen-, Samen-, Eimutterzellen) nachträglich wieder durch eine vielleicht etwas sinngemäßere, aber umständlichere Benennung (primäre Sporocyten, Ovoeyten, Spermatocyten) zu verdrängen. Das neuer- dings wieder von Calkins (Chrom. Red. Pteridoph., p. 104) ausgesprochene Bedenken, dass die „Sporen-Mutterzellen“ eigentlich die Großmutterzellen der Sporen sind, kann gegenüber den Vorteilen der ersteren Bezeichnung kaum ins Gewicht fallen. 2) Von den meisten Forschern, welche auf diesen Punkt geachtet haben, wird das Vorhandensein einer einzigen, zusammenhängenden Fadenschlinge festgestellt oder wenigstens als wahrscheinlich angenommen: so für die Keim- bläschen von Ophryotrocha (Korschelt), Branchipus (Brauer), Canthocamptus u. a., für die Embryosackkerne von Liklum Martagon (Sargan t), für die Kerne der Sporen -Mutterzellen der Farne (Calkins). 44* 592 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. wenigstens sehr frühe, die Längsspaltung des Fadens, beziehungsweise die Zerlegung desselben in die Elemente der ersten Teilung hinzu. Bei einem der von mir untersuchten Copepoden, bei Canthocamptus, liegt einer der extremsten Fälle vor (Fig. A). Hier gehen nach der letzten Teilung der Ur-Eizellen die Tochterknäuel überhaupt nicht in ein feinfadiges „Ruhe“- oder Kerngerüststadium über, vielmehr findet gewissermaßen nur eine Auflockerung der Knäuel statt und fast un- mittelbar nach dem Ablauf des erwähnten Teilungsprozesses tritt in den Tochterknäueln die Längsspaltung der chromatischen Fäden auf. Die Chromatinsubstanz persistiert also in Form eines zusammen- hängenden, längsgespaltenen Fadenknäuels während eines eroßen Teiles der etwa drei Tage lang dauernden!) Wachstums- periode der Eizellen, um sodann, entweder vor oder erst nach aber- maliger Verdiehtung, in die Segmentierung einzutreten ?). Unsegmentierter Knänel. Fig. A. : Canthocamptus, weibl. Fig. B. Lilium Mart., weibl. (Eig. Präp.) (Sargant). In gleicher Weise zeigen nach Rückert auch die Keimbläschen der Selachier, speziell von Pristiurus, zu keiner Zeit ein eigentliches Kerngerüst, wie es sonst den „ruhenden“ Kernen zuzukommen pflegt. Ja, die Chromosomen, welche bei der letzten Teilung der Ureizellen von den jungen Ei-Mutterzellen übernommen werden, scheinen sich hier nicht einmal zu einem zusammenhängenden, knäuelig äufgewun- denen Faden zusammenzuschließen, wie dies bei der vorhin besprochenen Form der Fall ist. Vielmehr bleiben sie, nachdem bereits in den Di- spiremen der letzten Teilung der Ureizellen die Längsspaltung sich 4) Diese Zeit kann z. B. folgenden Daten entnommen werden, die bei einem Canthocamptus-Weibehen beobachtet wurden: 26. Okt. Bildung des ersten Ei- sacks (1. Brut); 29. Okt. Neufüllung der Ovidukte beginnt (2. Brut); 31. Okt. Die Nauplien verlassen den Eisack (1. Brut); 1. Nov. Auflösung der Keim- bläschen in den Ovidukteiern (2. Brut); 2. Nov, Bildung des zweiten Eisacks (2. Brut). 2) V. Häcker, Die Vorstadien der Eireifung. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 45, 189578.0207 4,8: 229: Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 695 bemerklich gemacht hatte!), in Form von isolierten Fadenpaaren während de ganzen Wachstumsperiode, also mindestens mehrere Monate lang, unter Umständen vielleicht eine Jahresfrist, bis zur Reife bestehen ?). Uebereinstimmend mit diesen Angaben fand Belajeff die Pollen- mutterzellen von Larix schon während der Winterruhe „zur karyokinetischen Teilung bereit“), d. h., sie sind, wie sich Stras- burger für das nämliche Objekt etwas zutreffender ausdrückt, bereits in der Winterruhe in die ersten Stadien der Prophase eingetreten und zeigen schon jetzt getrennte, an der Kernwandung verteilte Chromo- somen®). Abgesehen von diesen Grenzfällen liegen noch zahlreiche andere Beobachtungen vor, in welchen in mehr oder weniger bestimmter Weise die frühzeitige Verwandlung des Kerngerüstes der Mutterzell-Kerne in den längsgespaltenen Fadenknäuel und die lange Dauer der Prophasen betont wird. Ich erwähne hier nur einerseits die Angaben Brauer’s über die Spermatogenese von Ascaris, andrerseits die Beobachtungen an Liliaceen, namentlich die neueren von Miss Sargant, welche sich auf die Embryosackbildung von Lilium Martagon beziehen (Fig. B). Die zu Anfang eitierten Beobachtungen (an Canthocamptus, Pristiurus und Larix) fallen aber hier deswegen mehr ins Gewicht, weil die in denselben gemachten zeitlichen Angaben die außerordentlich lange Dauer der Prophasen in den Mutterzellen, verglichen mit den Prophasen in vegetativen Elementen, schärfer hervortreten lassen. Es sollen, um diesen Gegensatz zu beleuchten, nur zwei Beispiele angeführt werden. In den Epithelzellen von Salamandra spielt sich nach Flemming?) der Kernteilungsprozess in 2—5 (meist 2—3) Stun- den ab. Nun ist aber im konservierten Material die Anzahl der Knäuelphasen, auf welche man bei Durchmusterung eines Epithelfeldes stößt, beinahe ebenso groß wie die Zahl aller späteren Phasen zu- sammengenommen®), und es berechnet sich also hieraus die Dauer der Knäuelphase auf 1 bis 2 Stunden. Um noch ein zweites Beispiel zu erwähnen, so beträgt in den ersten Furchungsstadien von Cyelops die gesamte Dauer des Teilungsprozesses kaum viel mehr als eine halbe #Y .J: Rücker t, Ueber die Verdopplung der Chromosomen im Keimbläschen des Selachiereies. Anat. Anz., 8. Jahrg., 1893, S. 48. 2) J.Rückert, Zur Entwicklungsgeschichte des Ovarialeies bei Selachiern. Anat. Anz., 7. Jahrg., 1892, S. 150. 3) Wl. Belajeff, Zur Kenntnis der Karyokinese bei den Pflanzen, Flora, 1894, Ergänzungsband, 8.2. 4) E. Strasburger, Karyokinetische Probleme, Jahrb. für wiss. Bot., Bd. 28, 1895, S. 166. 5) W. Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zellteilung, Leipzig 1882, S. 270. 6) So zähle ich in einer der Corneae einer etwa vierzehntägigen Salamander- larve 4 lockere Spireme, 6 dichte Spireme, 8 Aster, 2 Dyaster, 3 Dispireme. 594 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Stunde, und da nun auf den Präparaten die Knäuelphasen in Bezug auf relative Häufigkeit erheblich hinter den übrigen Phasen, nament- lich hinter-der Asterphase, zurückstehen!), so fallen auf das Spirem nur einige Minuten. Aus dem bisherigen geht mit Deutlichkeit hervor, dass den ver- schiedenen Formen der Keim-Mutterzellen (Ei-, Samen-, Embryosack-, Pollenmutterzellen) die Neigung, frühzeitig in die Prophasen der Tei- lung einzutreten und in denselben lange zu verharren, gemeinsam zu- kommt und dass sie in diesem Punkte gegenüber zahlreichen anderen Gewebselementen eine Sonderstellung einnehmen. Um zu einer Deutung dieses eigentümlichen, einer großen Zahl von Mutterzellen gemeinsamen Verhaltens zu gelangen, könnte man vielleicht, wie ich es schon früher gethan habe?), auf die knäueligen Chromatinstrukturen hinweisen, welche u. a. von Balbiani, Gilson, van Gehuchten bei verschiedenen Insekten in den Kernen secer- nierender Zellen aufgefunden worden sind und auch sonst bei Elementen von lebhafter vegetativer Thätigkeit nicht selten zu sein scheinen. Doch dürfte es vorläufig kaum zweckmäßig sein, über diesen einfachen Hinweis hinauszugehen 3). „Synapsis“ (Fig. Cu. D). Mit dem von Moore*) stammenden Ausdruck Synapsis bezeichnet man neuerdings vielfach ein Stadium „Synapsis“. Fig. €. Ascaris, männl. Fig. D. Lilium, männl. (Brauer). (Farmer u. Moore). 1) Vergl. die Keimbahn von Cyelops. Archiv f mikr. Anatomie, Bd. 49, 1897, 8. 48. 2) Vorstad. Eireif., S. 229. 3) Vergl. E. B. Wilson, The Cell in Development and Inheritance, New- York, 1896, p. 26. 4) Der Ausdruck scheint anfangs etwas anders gemeint gewesen zu sein, nämlich offenbar im Sinn jener hypothetischen Chromosomenverschmelzung, durch welche während der Kernruhe die Halbierung der Chromosomenzahl zu Stande kommen soll (J. E. S. Moore, On the Structural Changes in the Re- productive Cells during the Spermatogenesis of Elasmobranchs. Quart. Journ. Micr. Sce., Vol. 38, 1595, p. 287), jedoch wurde derselbe bald in dem von den .. hd .. ” Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 695 der Mutterzellkerne, in welchem der in Regel schon längsgespaltene, aber wahrscheinlich noch unsegmentierte, Chromatinfaden auf einer Seite des Kernraums, gewöhnlich im Umkreis des Nucleolus, einseitig kontrahiert erscheint. Wie schon von verschiedenen Seiten betont worden ist, scheint dieser Kontraktionszustand als vorübergehende Phase des Kerns eine außerordentlich weite Verbreitung bei den Keimmutterzellen zu haben. So wurde ein derartiges Verhalten schon von O. Hertwig und Brauer für die Samenmutterzellen von Ascaris beschrieben (Fig. ©), von mir für (lie Eimutterzellen von Canthocamptus, von Farmer und Moore (Fig. D), sowie von Dixon für die Pollenmutterzellen und von Miss Sargant für die Embryosackmutterzellen der Liiliaceen, von Calkins für die Sporenmutterzellen der Farnkräuter und endlich, wie vergleichs- weise hinzugefügt werden soll, von Farmer für diejenigen der Leber- moose). Die verschiedenen Beobachter sind darüber nicht einig, ob es sich bei dieser Kontraktion der Chromatinfäden um ein natürliches, im Leben bestehendes Verhalten handle oder ob vielleicht während der betrefien- den Phase die Kernsubstanz nur eine besonders geringe Widerstands- kraft gegenüber der Einwirkung der Reagentien besitze und daher beim Eindringen derselben einseitig kontrahiert werde. Farmer und Movre?), sowie Dixon scheinen eher geneigt zu sein, einen Einfluss der Fixierungsmittel für unbewiesen zn halten, während neuerdings Mottier für die Annahme eintritt, dass man es aller Wahrscheinlich- keit nach mit einem Kunstprodukt zu thun habe. Wie dem aber auch sei, so viel steht fest, dass man es auch hier wieder mit einer den Keimmutterzellen der verschiedenen Kategorien gemeinsamen Eigentümlichkeit zu thun habe, durch welche sich dieselben von anderen Zellen in typischer Weise unterscheiden ?). : Die Unterphase des „segmentierten Knäuls“, „Diakinese“ (Fig. E-H, I-K). Im Vorstehenden ist von einem Zustand der Mutterzellkerne die Rede gewesen, welcher, so viel aus den Angaben der einzelnen Autoren hervorgeht, in der Regel den schon deutlich späteren Autoren angenommenen Sinne interpretiert (J. E. S. Moore, On the Essential Similarity of the Prozess of Chromosome Reduction in Animals and Plants. Ann. of Bot., Vol. 35, 1895, p. 435 unten). 4) J. Bretland Farmer, On Spore-Formation and Nuclear Division in the Hepaticae. Ann. of Bot., Vol. 9, 1895, p. 481 ff. 2) Nach Farmer, Spore-Form. Hep., p. 482, hat Moore die betreffende Struktur (in some favourable cases) am lebenden Objekt gesehen. 3) So sagt z. B. auch Sargant (Formation Sex. Nucl., p, 470): „I have never met with a similar eontraction either in vegetative nuclei or in those produced by embryosac -divisions*. 696 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. längsgespaltenen, aber noch nicht quergeteilten Chromatin- faden betrifft. Die „Synapsis“ ist also noch der Unterphase des „un- segmentierten Knäuels“ zuzurechnen, in deren Verlauf sie bei den verschiedenen Formen bald früher, bald später eingeschaltet sein kann. Der. Unterphase des „unsegmentierten Knäuels“ reiht sich nun in den Kernen der Keim-Mutterzellen eine weitere, ebenfalls noch zu den Prophasen gehörende Unterphase an, welche dem „segmentierten Knäuel“ anderer Kerne entspricht (Fig. E—K). Auch hier ist eine ganze Reihe von Eigentümlichkeiten zu erwähnen, welche auf der einen Seite die in den tierischen und pflanzlichen Keim-Mutterzellen auftretenden Bilder in unverkennbarer Weise einander nähern, auf der anderen Seite die- selben von den Zuständen wohl unterscheiden, welche bei den übrigen Zellsorten, z. B. bei den verschiedenen Epithelzellen von Salamandra, unter den Begriff des segmentierten Knäuels fallen. Diese Unterschiede sind die verhältnismäßig lange Dauer des Sta- diums, die lose, Verteilung der Chromatinelemente und ihre Neigung zu wandständiger Anordnung, sowie endlich die vielfachen und charak- teristischen Veränderungen, welche die Elemente im Verlaufe dieser Unterphase durchzumachen pflegen. Es wurde schon im ersten Absatz die für die Keim - Mutterzellen charakteristische lange Dauer der Prophasen überhaupt besprochen und es soll hier nur an die zwei Fälle erinnert werden, in welchen die von den Beobachtern gemachten Zeitangaben speziell die Unter- phase des „segmentierten Knäuels“ betreffen, nämlich an das Keim- bläschen der Selachier und an die Pollenmutterzellen von Larix. Bei andern Objekten, z. B. bei den von Rückert und vom Rath unter- suchten Copepoden, bei Canthocamptus u. a. lässt sich die verhältnis- mäßig lange Dauer des Stadiums nur aus der relativen Häufigkeit der betreffenden Bilder erschließen, man wird aber wohl kaum zu weit gehen, wenn man auch diesen Punkt als eine Eigentümlichkeit hervor- hebt, durch welche die verschiedenen Kategorien der Keim-Mutterzellen gegenüber der Mehrzahl der anderen Zellformen ausgezeichnet sind. Im Uebrigen wäre hier vielleicht als bemerkenswert hinzuzufügen, dass der zeitliche Eintritt und damit auch die Dauer des „segmentierten“ Knäuels innerhalb der nämlichen Species größeren Schwankungen unter- worfen sein kann. So konnte ich für Canthocamptus zeigen, dass die Segmentierung des Fadens bereits eintreten kann zu einer Zeit, „wenn der Doppelfaden noch eine feinfädig-körnige Beschaffenheit aufweist und seine Konzentrierung in die Kernmitte noch nicht ihren Anfang ge- nommen hat. Im andern extremen Fall setzt die Segmentierung erst ein, nachdem der Doppelfaden sich in der Mitte des Kernraums zu einer einfachen Schlinge verdichtet und zusammengezogen hat“), 1) Vorstad. Eireif., S. 210, Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 697 Was den zweiten Punkt, die Anordnung der (durch Quer- teilung des längsgespaltenen Chromatinfadens entstandenen) Schwester- faden-Paare anbelangt, so sind dieselben zunächst durch ihre lose Verteilung im Kernraum, durch das weite Auseinanderrücken der einzelnen Paare von den Chromosomen in gewöhnlichen „segmentierten Knäueln“ unterschieden, ein gegensätzliches Verhalten, welches zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass in den Mutterzellkernen bei gleichbleibendem, beziehungsweise sich vergrößerndem Kernvolumen eine Verkürzung und Verdichtung der Chromosomen zu stande kommt. Ihre Anordnung im Kernraum ist häufig eine ganz regellose, jedoch wäre hervorzuheben, dass bei zunehmender Verkürzung urd Verdieh- tung der Elemente die Neigung zu einer wandständigen Lagerung hervortritt. So sprechen vom Rath!) und Moore?) ausdrücklich von der peripheren, d. h. wandständigen Lage der Vierer-Ringe in den Samen- mutterzellen von Gryllotalpa beziehungsweise in denen der Selachier, und dasselbe gilt, wie Rückert?) und ich beobachtet haben, für die Keimbläschen der Süßwasser-Copepoden. Andrerseits hat Belajeff*) die nämlieche Beobachtung für die Pollenmutterzellen von Larix ge- macht und im Anschluss hieran sei erwähnt, dass Farmer?) dasselbe für die reifgewordenen Ringfiguren in den Sporenmutterzellen der Leber- moose angiebt $). Was endlich drittens die Veränderungen der Chromatin- Elemente während der fraglichen Periode betrifft, so ist die Betrach- tung derselben nicht leicht von der Frage zu trennen, welchen Charakter die folgende erste Teilung überhaupt besitzt. Es wird daher später nochmals darauf zurückgekommen werden und es sollen hier nur einige rein äußerliche Momente kurz erwähnt werden, welche einerseits wiederum auf einige Beziehungen zwischen den pflanzlichen und tieri- schen Keim-Mutterzellen untereinander, andrerseits auf einen gewissen Gegensatz derselben zur Mehrzahl der übrigen Zellsorten hinweisen. Eine erste Besonderheit betrifft die jüngeren Entwicklungsstadien der Chromosomen und besteht in der Neigung zum weiten Aus- 4) 0. vom Rath, Zur Kenntnis der Spermatogenese von Gryllotalpa vul- garis Latr. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 40. 1892, S 111. 2) Struct. Changes Repr. Cells Elasm., p. 288. 3) J. Rückert, Zur Eireifung bei Copepoden. Anat. Hefte, Bd. 4, 1894, S. 317 u. 320. 4) Zur Kenntn. d. Karyok. d. Pfl., 8.2. 5) Spore-Form. Hep., p. 501. 6) Bei den meisten der genannten Objekte wird der Anschein erweckt, als ob die reif werdenden Elemente vollständig die Verbindung miteinander auf- geben. Es ist daher von Interesse, dass vom Rath und Moore eine Ver- bindung der wandständigen Chromosomengruppen durch Lininfadenzüge be- schrieben haben. 598 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. UVJC b) > o einanderrücken der Sehwesterfäden, eine Erscheinung, deren Eigentümlichkeit umsomehr hervortritt, wenn man bedenkt, dass bei den meisten anderen Objekten die Entfernung der Schwesterfäden voneinander erst während der Metakinese erfolgt. Diesem Auseinander- weichen der Spalthälften scheinen nun aber irgend welche zusammen- haltende Kräfte entgegenzuwirken, und so sehen wir denn überaus häufig, dass sich die weit ausbiegenden Schwesterfäden beiderseits mit ihren Enden zusammenlegen und so die bekannten Ringfiguren bilden, oder aber, dass sie sich — was für die betreffende Periode kaum weniger charakteristisch ist — gleichzeitig an mehreren Punkten nähern oder berühren und so zur Bildung von eigentümlichen Achter- und Ueberkreuzungsfiguren führen. Diakinese: frühe Stadien. Fig. E. Pristiurus, weibl. Fig. F. Heterocope, weibl. (Rückert). (Rückert). Fig. @. Lilium longifl., männl. Fig. H. Lilium Mart., weibl. (Dixon). (Sargant). Beide Momente, sowohl das weite Auseinanderrücken der Spalt- hälften, als auch ihr teilweiser Zusammenschluss zu Ring- und Achter- figuren, kommen nebeneinander in besonders schöner Weise zur Dar- stellung im Keimbläschen der Selachier, Fig. E |Rückert!)]. Nicht weniger charakteristische Vorkommnisse finden sieh nach vom Rath’s?) 1) Zur Entw. d. Ovarialeies d. Se:., S. 121, Fig. 2. 2) 0. vom Rath, Neue Beiträge zur Frage der Chromatinreduktion in der Samen und Eireife. Arch. f. mikr. Anat., Bd.46, 1895, z.B. Tab.7, Fig. 28. Häcker, Fortpflauzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 699 Rückert's!) und meinen eigenen Befunden im Keimbläschen der Cope- poden vor (Fig. F), wo allerdings gewöhnlich die verschiedenen Figuren nicht nebeneinander auf demselben Bild, sondern in verschiedenen Ent- wicklungsphasen und bei verschiedenen Arten zu suchen sind. Ganz entsprechende Bilder zeigen nun auch die entsprechenden Phasen der Pollen- und Embryosackmutterzellen der Phanerogamen. Auch hier kann die Bildung der Ringfiguren und mehrfachen Ueber- kreuzungen bereits in den früheren Entwicklungsstadien der Chromo- somen zu Tage treten, so lange die Spalthälften noch die Form dünner, feinkörniger Fäden besitzen. So sind z. B. derartige Figuren von Dixon ?), Sargant°?) und Mottier*) abgebildet werden (Fig. @ u. H). Die bei den Copepoden gefundenen Ueberkreuzungen, die „viel- fachen Verschlingungen und Krümmungen der Doppelfadensegmente“, habe ich schon in meinen ersten Arbeiten zu dem „heterotypischen“ Kernteilungsmodus in Beziehung gebracht®). Seither sind durch die Untersuchungen an anderen Objekten, namentlich an den Phanero- gamen, noch zahlreiche Anknüpfungspunkte für einen Vergleich der ersten Teilung der Reifungsphase mit dem heterotypischen Modus ge- schaffen worden, und es hat sich also meine damals ausgesprochene Vermutung, dass auch die erste Reifungsteilung ursprünglich in Form einer heterotypischen Teilung angesetzt werde, für ein weiteres Gebiet als richtig erwiesen. Diakinese: späte Stadien. Fig. I. Heterocope, weibl. Fig. K. Pieris, Spor. (Rückert). (Calkins). Es wären nunmehr noch- die älteren Entwicklungsphasen der Chromosomen zu betrachten, welehe, wie für eine Reihe von tierischen Objekten gezeigt werden konnte, in mannigfacher Weise, sei es in der 1) Eireif. Copep., Tab. 21—25. 2) Chromos. Lil. Longifl,, Fig. 3—4. 3) Form. Sex. Nuel. Lil. Mart., Fig. 18. 4) Kernteilung d. Pollenmutterz., Fig. 53. 5) V. Häcker, Die heterotypische Kernteilung im Cyklus der generativen Zellen, Ber. Naturf. Ges. Freib., Bd. 6, 1892, S.174: das Keimbläschen, seine Elemente und Lageveränderungen, I, Arch. f. mikr. Anat., Bd.41, 1893, S. 483. 700 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Bildung von quergekerbten Doppelstäbehen, sei es in der Herstellung von dichten Ringen, bezw. von „Vierergruppen“, ihrer Abschluss finden können, in der großen Mehrzahl der Fälle jedoch durch die außer- ordentliche Zusammenziehung und Massenverdichtung der Chromatinkörper ausgezeichnet sind. Ich verweise hier bezüglich der zoologischen Litteratur hauptsächlich auf die Arbeiten von vom Rath und Rückert (Fig. /), und will nur die entsprechenden botanischen Befunde erwähnen. In den Pollenmutterzellen von Larix stellen die reifenden Chromosomen meistens „ringartige Gebilde mit Vorsprüngen, zuweilen auch X- förmige Figuren dar“ |Belajeff!)]l. In den ent- sprechenden Stadien von Lilium erscheinen die Chromatin- Elemente vor der Einstellung in die Kernplatte als „roughly quadrate, triangular or ring-shaped“ [Dixon?)], während in den Embryosackmutterzellen desselben Objekts die Achterfiguren der früheren Entwicklungsphasen unter allmählicher Verkürzung und Streckung der Spalthälften die Form von Doppelstäbchen annehmen [Sargant?)|. Vierergruppenähn- liche Bildungen zeigen auch die Sporenmutterzellen von Eguisetum |Oster- hout*)], während sich in denjenigen der Lebermoose wenigstens An- klänge an diese Formen vorzufinden scheinen [Farmer°)|. Die meisten und auffallendsten Anknüpfungspunkte für einen Vergleich mit tierischen Objekten, speziell mit den Copoden, liefern aber die in konservierungs- technischer Hinsicht offenbar sehr günstigen Sporenmutterzellen der Farne, in deren Kerne alle nur denkbaren Uebergangsformen zwischen Ringen, Doppelstäbehen und Vierergruppen zu finden sind [Calkins®)], Fig. K. Während für die lockeren Ring- und Achterfiguren der früheren Entwieklungsperiode die Prophasen des „beterotypischen Kernteilungs- modus“ gewisse Vergleichspunkte liefern, stellen die verdiehteten und verkleinerten Chromatin- Körper, welche in den älteren Kernen der verschiedenen Kategorien von Keim-Mutterzellen auftreten, Gebilde dar, für welche die bisherigen Untersuchungen an anderen Zell- formen keine direkten Analogien beizubringen vermocht haben. Viel- mehr können wir diese auffälligen, mit einer erheblichen Größen- verminderung und Verdichtung verbundenen Gestaltungen der Chromatin- Elemente als ein weiteres Merkmal betrachten, durch welches die 1) Zur Kenntn. d. Karyok. b. d. Pfl., S. 4 2) Chromos. Lil. Longifl., S. 711, Tab. 23, Fig.D. 3) Form. Sex. Nuel. Lil. Mart., p. 461, Tab. 23, Fig. 20. 4) W. J. V. Osterhout, Ueber Entstehung der karyokinetischen Spindel bei Equisetum. Jahrb. f wiss. Bot., Bd. 30, 1897 (Cytol. Stud. aus d. Bonner 3ot. Inst.), S.6, Tab. 1, Fig. 1. 5) Spore-Form. Hepat., p. 476. 6) Chrom.-Red. Pteridoph., p. 106, Tab. 295, Fig. 4—10, Tab. 296, Fig. 11, Fig. 19—20. Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 701 Prophasen der Keim-Mutterzellen gegenüber den entsprechenden Sta- dien anderer Kerne ausgezeichnet sind. Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Unterphase des „segmentierten Knäuels“ zurück, so treten uns, schon wenn wir uns an die rein äußerliche Aehnlichkeit der morphologischen Bilder halten, eine ganze Reihe von Uebereinstimmungen zwischen den ver- schiedenen Kategorien der Keim-Mutterzellen entgegen. Die lange Dauer des Stadiums, die eigentümliche Anordnung und die Verände- rungen der Chromatin-Elemente geben demselben ein so charakteristisches Gepräge, dass es vielleicht zweckmäßig ist, den Gegensatz, welcher hier zwischen den Keim-Mutterzellen und der überwiegenden Mehrzahl der übrigen Zellsorten auftritt, durch Einführung einer besonderen Bezeich- nung hervorzuheben. Das Bedürfnis nach einer solehen ist auch ander- weitig!) hervorgetreten, und da das am meisten konstante, fast aus- nahmslos bei allen Objekten hervortretende Moment die lose Verteilung und Auseinanderlagerung der Chromatin-Segmente ist, so würde viel- leicht eine auf diese Eigentümlichkeit bezügliche Benennung vorzuziehen sein. Ich möchte daher für diese zweite Unterphase der Prophase, welche, wie gesagt, zeitlich dem „segmentierten Knäuel“ anderer Kerne entspricht, den Ausdruck „‚Diakinese‘ vorschlagen. 2. Verhalten der Nucleolarsubstanz. Die äußere Aehnlichkeit der Kerne der jüngeren Pollen- und Embryosackmutterzellen mit denjenigen der tierischen Samen- und Eizellen, speziell mit den Keimbläschen des „Echinodermentypus“ ?), pflegt nicht nur in dem Verhalten der chromatischen Substanz, sondern auch in der Beschaffenheit der nucleolären Körper begründet zu sein. Das Auftreten eines einzigen, vacuolenhaltigen, dunkel tingierbaren „Hauptnucleolus“ in den jüngeren Stadien, das Hinzutreten von blässeren adventiven oder „Neben-Nucleolen“ in einer früheren oder späteren Phase, der ganze Habitus und die Anordnung dieser Gebilde, alles dies sind wiederum Merkmale, deren weite Verbreitung in den ver- schiedenen Kategorien von Mutterzellen dem Beobachter, der den Ver- änderungen der nucleolären Substanz sein Augenmerk schenkt, nicht ganz unwesentlich erscheinen kann. Bezüglich der Aehnlichkeit der jüngeren, mit einem Hauptnueleolus versehenen Kerne verweise ich auf die Eingangs gegebenen Figuren, während ich hinsichtlich des Auftretens adventiver Kernkörper an die Beobachtungen am Copepoden - Keimbläschen %), an Moore’s Angaben 1) Vergl. J. Rückert, Eireif. Copep., S. 294. 2) Vergl. Keimbläschen, I. Teil, S. 473; Vorstad. d. Eireif., S. 249; Wil- son, Cell in Dev. and Inh., p. 92. 3) Vergl. Vorstad.d.Eireif., S.250. Den einfachen Verhältnissen bei (’antho- camptus stehen übrigens kompliziertere Vorkommnisse bei anderen Copepoden gegenüber. Vergl. auch Rückert, Eireif. b. Copep., S. 295. 702 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. über die Samenzellen der Elasmobranchier !) und andrerseits an die Vorkommnisse in den Pollenmutterzellen von Zarix erinnere, wo nach Strasburger neben dem großen stark sich tingierenden Nucleolus meist ein oder mehrere kleinere, schwächer sich färbende Nueleolen auftreten ?). Wichtiger als die genannten Punkte, von denen übrigens der letzt- erwähnte noch einer eingehenden vergleichenden Untersuchung bedarf, ist die gerade bei den Keim-Mutterzellen verschiedener Formen be- obachtete Thatsache, dass das Verhalten der Nucleolarsubstanz, nament- lich gegen Schluss des Mutterzellen- Stadiums hin, ein individuell und spezifisch variierendes sein kann, d. h. die verschiedenen Individuen der nämlichen Species, bezw. die einzelnen Arten einer srößeren Formengruppe zeigen in dieser Hinsicht auffallende Unregel- mäßigkeiten. Was die individuellen Abweichungen anbelangt, so geht das Vor- handensein derselben schon aus einer Betrachtung der von den ver- schiedenen Forschern gegebenen Bilder deutlich hervor. Einzelne Au- toren haben aber auch ausdrücklich auf dieses Verhältnis hingewiesen, so z. B. Rückert für das Keimbläschen der Selachier ?), Korschelt für dasjenige von Ophryotrocha*) und andrerseits Mottier bezüglich der Pollenmutterzellen der Phanerogamen °). Es soll damit nicht gesagt sein, dass bei andern Kernsorten der- artige individuelle Unterschiede nicht vorkommen®*), allein dieselben treten in den Kernen der Keim-Mutterzellen in Folge der langen Dauer der Prophasen besonders deutlich hervor: es lässt sich hier besser als bei anderen Objekten kontrolieren, dass bestimmte, an den Kernkörpern sich abspielende Veränderungen in der That nicht immer mit bestimmten Zuständen der übrigen Kernteile zusammenfallen. Was ferner die spezifischen Differenzen anbelangt, so soll hier nur auf einige besonders in die Augen springende Beispiele hingewiesen werden. Während bei einigen Polychäten, z. B. bei Nereis”) und Ophryotrocha ?) die Auflösung des Keimbläschen - Nueleolus annähernd im nämlichen Zeitpunkt erfolgt, wie z. B. bei den meisten Arthropoden- Eiern, d. h. noch vor der Ausbildung der ersten Richtungsspindel, bleibt derselbe bei dem parasitischen polychäten Wurm Mwyzostoma, 4) Struet. Changes Repr. Cells Elasm., p. 285, 286. 2) Karyok. Probl., S. 166. 3) Entw. Ovarialei Selach., S. 139. 4) E. Korschelt, Ueber Kernteilung, Eireifung und Befruchtung bei Ophryotrocha puerilis. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 60, 1895, S. 579. 5) Beitr. z. K. d. Kernt. d. Pollenmutterz., S.41 ff. 6) Vergl. Korscheltl. ce. 7) Vergl. Wilson, Cell. p. 141. 8) Vergl. Korschelt, Kernt. Ophryotr., 8. 579. Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 703 wie Wheeler!) zuerst beobachtet hat und wie ich nach eigenen Untersuchungen bestätigen kann, innerhalb des Eiplasmas, mindestens während der Befruchtungsvorgänge?), unter allmählicher Ver- kleinerung erhalten. Andrerseits bemerkt Mottier?), dass z. B. bei Lilium Martagon die als Abkömmlinge ‘der Kernkörper zu deutenden extranucleären Körnehen nach der Auflösung des Pollenmutterzell- Kerns noch zahlreich im Cytoplasma anzutreffen sind, während sie bei Lilium candidum vollkommen fehlen oder doch nur wenig zahlreich und klein sind. Diese individuellen und spezifischen Verschiedenheiten möchte ich, wie gesagt, vorläufig nicht unter die besonderen Eigentümlichkeiten der Keim-Mutterzellen rechnen, jedoch glaube ich, dass es von dem in diesem Aufsatz eingenommenen Standpunkt aus immerhin be- achtenswert ist, dass derartige Verschiedenheiten sowohl bei der tieri- schen als bei den pflanzlichen Mutterzellen in besonders ausgeprägter Weise vorkommen. Fig. L. Myzostoma, weibl. *). (Eig. Präp.) Das theoretische Interesse an diesem Verhalten liegt übrigens noch auf einem andern Gebiet. Die erwähnten individuellen und spezifischen Verschiedenheiten bereiten offenbar allen denjenigen Theorien kaum zu überwindende Schwierigkeiten, welche den Kernkörpern speziell der Keim-Mutterzellen irgend eine unmittelbare Rolle beim Aufbau und Wachstum einer der übrigen Zellstrukturen, etwa der Chromosomen [R. Hertwig?)] oder der Kernspindel [Strasburger‘)] zuweisen. 4) W. M. Wheeler, The Behaviour of the Centrosomes in the Fertilized Egg of Myzostoma glabrum Leucekart. J. of Morph., Vol. 10, 1895. 2) Nach Wheeler bis zum 8- Zellen - Stadium. 3,1, e./ 8.41 ff. 4) Die Dottermassen sind äquatorial gelagert. Am oberen Pol die Rich- tungskörper, darunter der sich rekonstituierende Eikern, noch weiter in der Tiefe, etwa in der Mitte des Eies, der „Metanucleolus“ und zuletzt der vom untern pigmentierten Pol aus einwandernde Spermakern. 5) R. Hertwig, Ueber die Entwicklung des unbefruchteten Seeigeleies, Festschrift für Gegenbaur, 1896, S. 30. 6) Karyok. Probl., S.167: „Alles drängt zu der Annahme, dass der Nu- cleolus die Substanz zur Bildung dieser Spindelfasern abgab (bei der ersten 704 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Es war mir von großem Wert, in diesem Frühjahr in Neapel gerade das oben erwähnte W heeler’sche Objekt, Myzostoma, kennen zu lernen und die fraglichen Stadien in großer Menge für die Schnitt - Unter- suchung konservieren zu können !). Ich konnte mich davon überzeugen, dass hier beinahe die gesamte Nucleolarsubstanz in ähnlicher Weise, wie ich es früher bei der Meduse Aeguorea Forskalea beobachtet hatte, während der Ausbildung der ersten Richtungsspindel in der Mitte des Eiplasmas liegen bleibt (Fıg. Z). Während nämlich in den Keim- bläschen von Myzostoma der Hauptnucleolus bis zu einem Durchmesser von 6—7 u heranwächst und dann in den Endphasen des Keimbläschen- stadiums — also in einer Zeit, in welcher bei anderen Objekten die vollständige Auflösung der Kernkörpersubstanz vor sich zu gehen pflegt —, langsam bis etwa 5 w Durchmesser abnimmt, ist derselbe noch während der Ausbildung der ersten Richtungsspindel und der Bildung des ersten Richtungskörpers in einer Größe von etwa 4 u zu beobachten, um erst im Verlauf der folgenden Stadien allmählich zu verschwinden. Wenn sich daher Strasburger?) gegen die R. Hertwig’sche Auffassung wendet mit dem Hinweis darauf, dass die Chromosomen oft schon völlig differenziert und zur Teilung fertig gestellt sind, während die Kernkörperchen meist noch intakt sind, so möchte ich noch einen Schritt weiter gehen und dieselbe Argumentation mutatis mutandis gegen die Strasburger’sche Anschauung zu Felde führen. Auch die neuesten Mitteilungen von Carnoy und Lebrun?) über das Amphibien-Keimbläschen, ein Objekt, welches ich übrigens selbst aus eigener Anschauung ziemlich genau zu kennen glaube, können mich in der Anschauung nicht schwankend machen, dass sich alle Teilung der Pollenmutterzellen von Larix). Nicht, dass dessen Substanz sich zu den Spindelfasern gestreckt hätte, sie dient den Spindelfasern vielmehr als Wachstumsmaterial“. Derselbe, Ueber Cytopl., Kern- u. Zellt., S. 225: „In den Pollenmutterzellen von Larix fällt die Abnahme der Violettfärbung des Kinoplasmas mit dem Augenblick zusammen, wo die Nucleolarsubstanz sich wieder in den Kernen sammelt. Das hat in mir die Vorstellung erweckt, dass die Nucleolarsubstanz in Beziehung zu der Aktivierung des Kinoplasmas stehe*. — „Die Nucleolarsubstanz repräsentiert einen Reservestoff, aus dem das Kino- plasma nach Bedarf schöpft und durch dessen Aufnahme seine Thätigkeit er- höht wird*®. 1) Nach der künstlichen Befruchtung der außerordentlich kleinen Eier von Myzostoma glabrum wurden dieselben mit der Pipette in napfförmige Vertiefungen von UWwa-Blättern gebracht. Nach Zusatz einiger Tropfen vom Rath’scher Flüssigkeit bleiben die Eier an der Ulva kleben und können mit samt dieser Unterlage den weiteren Prozeduren unterzogen werden. 3) Ueber Cytopl., Kern- u. Zellt., S. 225. i 3) J.B.Carnoy und H.Lebrun, La vesicule germlnative et les globules polaires chez les Batraciens. La Cellule, T. 12, 1897. Ich behalte mir vor, auf eine Kritik der von den Autoren vertretenen Anschauung einzugehen, bis der in Aussicht gestellte zweite Teil erschienen ist. Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. 705 unsere Erfahrungen speziell über die Keimbläschen -Strukturen recht wohl vom Standpunkt einer Kernsekret-Theorie aus erklären lassen. Darnach würde also, wie ich hier kurz zusammenfassen möchte, die Nucleolarsubstanz während einer oder mehrerer Aktivitätsperioden des Kerns als Nebenprodukt des Stoffwechsels, möglicherweise auch als strukturlos gewordene und chemisch veränderte Kerngerüst-Substanz ihre Entstehung nehmen und, spätestens bei Eintritt des Kerns in die Teilung, in gelöster oder ungelöster Form aus demselben entfernt werden!). Ob diese Substanzen im Zellplasma irgend eine Funktion haben und daher als Sekrete zu bezeichnen sind, darüber möchte ich keine Ansicht äußern, dagegen dürfte es in hohem Maße unwahr- scheinlich sein, dass dieselbe bei der Neubildung der Tochterkerne von letzteren wieder aufgenommen werden und sich abermals zu Kern- körpern verdichten. Dagegen scheint mir allein schon zu sprechen, dass der „Metanucleolus“ die Bildung der Kopulationskerne überdauern kann, und nicht weniger die botanischerseits ?) für die Pollenbildung konstatierte Thatsache, dass die extranucleären Körnchen oft noch im Cytoplasma zu sehen sind, nachdem der Tochterkern bereits mit einer Wandung versehen wurde und in ihm Kernkörperchen zum Vorschein gekommen sind ?). (Zweites Stück folgt.) Die Funktion der weißen Blutkörperchen. Von Hans Friedenthal. Unter allen Zellen des Organismus der Säugetiere nehmen die weißen Blutkörperchen eine ganz besondere Stellung ein. Durch die Vielseitigkeit ihrer Funktionen bieten sie sich dem Anatomen, dem Physiologen, dem Pathologen und Zoologen als geeignetes Forschungs- objekt dar. Es ist deshalb nicht zu verwundern, dass die ungemein reichhaltige Litteratur noch immer in schnellem Wachsen begriffen ist, besonders seitdem die grundlegenden Arbeiten von Metschnikoff und Buchner die wichtige Rolle aufgedeckt haben, welche *die Leuko- eyten bei der Abwehr schädlicher Organismen im Körper. spielen. Trotzdem ist aber unsere Kenntnis von den Funktionen der Leukoeyten noch fast in allen Punkten lückenhaft, noch immer ist keine Einigkeit 4) Eine ganz ähnliche Auffassung vertritt neuerdings auch Wilson (Cell. in Dev. and Inh., p. 93 ff.): „it would seem that the nucleoli may represent & portion of the unused chromatin, more closely aggregated and more or less modified in a chemical sense“. 2) Vergl. Mottierl. c. 8. 42. 3) Auch der Urheber der Rückwanderungshypothese, A. Zimmermann, hält es neuerdings (die Morphologie und Physiologie des pflanzlichen Zellkerns, Jena 1896, S. 67) nicht mehr für wahrscheinlich, dass eine solche Rückwande- rung als eine allgemein eintretende Erscheinung angesehen werden kann. XV. 45 706 Friedenthal, Funktion-der weißen Blutkörperchen. erzielt über ihren Ursprung, über das Verhältnis der verschiedenen Leukoecytenformen zu einander, über ihre Lebensdauer, ihr endliches Schicksal im Tierkörper, über ihre Beziehungen zu den roten Blut- scheiben, und die Abscheidung der im Blute. kreisenden Fermente wird ihnen nur vermutungsweise zugesprochen. In allen diesen Fragen ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft noch keine Entscheidung zu treffen. Die Aufgabe des vorliegenden Referates soll sein, die wich- tigsten Thatsachen über das Verhalten der Leukocyten zu sammeln und auf die zahlreichen noch unerledigten Probleme hinzuweisen. Leichter als alle übrigen Zellen des Organismus lassen sich die Leukocyten isolieren und der wissenschaftlichen Untersuchung zugäng- lich machen, sei es, dass man ihre chemische Zusammensetzung oder ihr biologisches Verhalten in überlebendem Zustande untersuchen will. Verworn hat in seiner „allgemeinen Physiologie“ [1] auf die Wichtigkeit der Beobachtung der primitivsten Lebewesen hingewiesen; in den Leukocyten besitzen wir nun ein Material, welches uns stets in beliebiger Menge zur Verfügung steht, wenn wir die undifferenzier- testen Formen der Bewegung, Nahrungsaufnahme, Verdauung und Fort- pflanzung untersuchen wollen. Zuerst hat Recklinghausen [2] eine Methode ersonnen, um die Leukocyten des Frosches, deren Umwandlung in Erytrocyten er be- obachten wollte, zu isolieren. Er fing Froschblut in besonders kon- struierten feuchten Kammern auf, und konnte es dann 11—21 Tage in überlebendem Zustande erhalten. Bei genügendem Zutritt von Sauer- stoff beobachtete er eine Lösung oder Verflüssigung des anfänglich geronnenen Blutes innerhalb 24 Stunden, wobei die schwereren Blut- zellen im Blutplasma sich zu Boden senkten. Auf dem Bodensatze von Erytrocyten entstanden nun allmählich schon mit bloßem Auge sichtbare weiße Inseln, welche nur aus Leukocyten bestanden, wie die mikroskopische Untersuchung ergab. Arthus [3] unterband die von der Vena jugularis des Pferdes sich abzweigerfden kleineren Venen. Schnürte er dann ein größeres Stück der langen Vene ab, so trat ohne Gerinnung eine Scheidung der ge- formten Blutbestandteile durch Sedimentierung ein. Da man die Säule der gesenkten Erytroeyten durch die Venenwand hindurchschimmern sieht, so gelingt es durch Unterbindung der Vene an der Grenze zwischen roten und weißen Blutkörperchen letztere in isoliertem Zu- stand zu erhalten, Freilich gerinnt das leukocytenhaltige Plasma, wenn man es aus der Vene herauslässt ohne Zusatz gerinnungshem- mender Substanzen. Janowski [4] spritzte Terpentin oder Quecksilberlösungen in das Unterhautzellgewebe von Kaninchen und untersuchte den alsbald sich sammelnden aseptischen Eiter. Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. 707 Wooldridge [5] centrifugierte Blut, das er zur Verhinderung der Gerinnung mit dem gleichen Volum einer gesättigten Magnesium- sulphatlösung versetzt hatte. Alsdann schwimmen die leichteren Leuko- eyten zu einem Kuchen verklebt auf der Mischung. Für die biologische Untersuchung kann man die alsdann sehr geschädigten Leukocyten nicht mehr verwenden, wohl aber für die Ermittelung der chemischen Zusammensetzung des Zellkörpers. Arnold [6] brachte Hollundermarkstäbehen in die Peritonealhöhle von Säugetieren, worauf bald Schaaren von Leukoeyten durch das ge- reizte Peritoneum in die Stäbchen einwanderten. Die ausgiebigste Methode, sich lebende isolierte Leukoeyten zu verschaffen, rührt von Buchner und Hahn [7] her. Spritzt man Kaninchen oder Hunden eine sterilisierte Mischung von Aleuronat und Stärkekleister zwischen die Pleurablätter, so hat sich schon nach 24 Stunden ein reichliches Exsudat in der Pleurahöhle gebildet, das fast nur aus Leukoeyten besteht, bei nur geringer Flüssigkeitsbei- mengung. Der Pyothorax entsteht fast immer doppelseitig auch bei einseitiger Injektion. Wie groß die Menge der sich sammelnden Leuko- eyten ist, kann man daraus ersehen, dass es gelingt, einem Kaninchen bis zu 30 cem Exsudat also etwa '/, der Blutmenge zu entziehen. Braucht man größere Mengen von Leukocyten, so kann man von einem Schaf etwa !/, Liter Exsudat erhalten. Nach einer schätzungsweisen Zählung enthält eine solche Menge Exsudat über hundert Milliarden Leukocyten. Ob durch die zugeführte Nahrung eine enorme Vermeh- rung der Leukocyten stattgefunden hat, oder ob eine solche Leuko- cytenmenge aus andern Körperregionen und aus dem Blut herbeige- lockt worden ist, ist unentschieden: Mitosen habe ich an den so er- haltenen Leukocyten nicht nachweisen können. Das unter aseptischen Kautelen aus der Pleurahöhle entnommene Exsudat gerinnt nach einiger Zeit spontan, selbst wenn es im Eis- schrank aufbewahrt wird. Man ist deshalb zur ferneren Beobachtung der Leukoeyten genötigt durch Quetschen mit einem sterilen Glasstabe die Gerinnsel zu zerteilen und die eingeschlossenen Zellen aus dem umspinnenden Fibrinfadennetze zu befreien. Hierbei kann man be- obachten, dass die durch Auspressen erhaltene leukocytenhaltige Flüssig- keit zum zweiten Male spontan gerinnt, unter Umständen nach erneuter Auspressung selbst zum dritten Male. Noch ist nicht entschieden, ob das so erhaltene Fibrin mit dem bei der Blutgerinnung entstehenden vollständig identisch ist oder nicht. Wooldridge [5] fand das aus Lymphdrüsenzellen erzeugte Fibrin nicht quellbar in 0,2proz. Salzsäure, wie das bei der Blutgerinnung entstehende. Die Leukocyten, welche auf die oben beschriebene Weise isoliert worden sind, lassen sich alsdann zu biologischen oder chemischen 45* 708 Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen, Untersuchungen verwenden, zu ersteren vermöge einer Lebenszähig- keit, wie sie nur diesen Zellen im gesamten Warmblüterorganismus zukommt. Nach vorsichtigem einmaligen Gefrieren und langsamen Wieder- auftauen beweist noch eine Zahl von Leukocyten ihre Lebendigkeit durch amöboide Bewegung und Aufnahme hinzugefügter Bakterien auf dem geheizten Objekttisch, und selbst dreitägiges Aufbewahren im Eis- schrank vernichtet nicht immer völlig ihre Beweglichkeit. Noch viel größer ist die Lebenszähigkeit der Leukoeyten der Poikilothermen, da ja Recklinghausen [2] die weißen Blutkörperchen des Frosches 3—4 Wochen außerhalb des Tierkörpers am Leben zu halten verstand. Ueber das biologische Verhalten der Leukocyten lässt sich ganz im Allgemeinen sagen, dass es völlig dem der freilebenden einzelligen Wesen, besonders dem der Amöben gleicht. Die gleichen giftigen Alka- loide, besonders das Chinin, wirken besonders stark auf Protisten wie auf Leukoeyten. So fand Dogiel |8], dass letztere empfindlicher sind gegen den Zusatz von Alkaloiden als selbst die so labilen Erytroeyten. Völlig den Protisten ähnlich verhalten sich die Leukocyten bei der Aufnahme geformter Bestandteile, und diese ihre Funktion ge- formtes Material in sich aufzunehmen und wegzuschleppen ist für den Organismus der Metazoen in fast allen Tierklassen von hervorragender Wichtigkeit. Den in die Lunge eingeatmeten Kohle- und Steinstaub schleppen die Leukoeyten in die pulmonalen Lymphdrüsen und halten so die atmende Fläche stets funktionsfähig. Die zahlreichen Reste der weißen wie der roten Blutkörperchen werden in Milz, Knochen- mark und Lymphdrüsen abgefangen und aufgefressen, um alsdann zum Aufbau neuer Blutbestandteile verwendet zu werden. Der Uebergang der verbrauchten Blutbestandteile in Schollen ist in neuester Zeit von Latschenberger |9] beobachtet und beschrieben worden. Nach diesem Forscher werden die zu Schollen veränderten Erytrocyten und Leukocyten in Milz und Knochenmark von Riesen- zellen aufgenommen. Der gleiche Befund bei Lymphdrüsen von Ma- cacus Rhesus wurde von Schumacher [10] mitgeteilt. Nach den erhaltenen Bildern kann es nicht mehr zweifelhaft sein, dass ganze Erytrocyten von den Riesenzellen nicht nur aufgenommen, sondern auch von einer ausgeschiedenen Flüssigkeit umgeben und end- lich verdaut werden. Diese Bilder hatten früher Anlass gegeben zu der Theorie der intracellulären Entstehung der roten Blutscheiben, die schon 1892 von Spuler [11] widerlegt wurde. In noch ausgedehnterem Maße wird die phagocytäre Thätigkeit der Leukocyten in Anspruch genommen bei der Metamorphose der Wirbellosen und in geringerem Grade auch noch bei den Amphibien. Hier wandern die weißen Blutkörperchen in die dem Schwund ver- fallenden Organe ein, uehmen die Zerfallsprodukte der Gewebe in sich Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. 709 auf und transportieren sie in den Körper des Tieres zurück. Ob man die Thätigkeit der Osteoklasten, welche unaufhörlich das Gefüge des Knochens verändern und abbauen, hierher rechnen darf, ist noch zweifelhaft. Direkt beobachtete Korolew [12], dass nach Ischiadieusdurch- trennung die Leukocyten die Myelinschollen der degenerierten Nerven- fasern auffressen und wegtransportieren. Sind die zu entfernenden Massen zu groß, als dass sie von der Phagocytose bewältigt werden könnten, so verflüssigen die Leukocyten das umliegende Gewebe meist bis zur nächsten Körperoberfläche und verschaffen so dem Fremd- körper einen Ausweg. So große Aufgaben stellen dar die Entfernung eines großen Knochensplitters, eines ganzen gangränos gewordenen Fußes, oder gar eines abgestorbenen Fötus bei Abdominalschwanger- schaft. In allen diesen Fällen weiß sich der Organismus dank der Thätigkeit der Leukocyten zu helfen. Die Verflüssigung und Auflösung der Gesnehel bei massenhafter Einwanderung von Leukocyten ist ein noch nicht vollständig aufge- klärter Vorgang. Wohl liegt es nahe, anzunehmen, dass bei dem oft wiederholten Durchwandern von Leukocyten die Verbindungen der fixen Gewebszellen so gelockert und gezerrt werden, dass ein großer Teil dieser Zellen, — noch dazu abgeschnitten von der normalen Er- nährung durch stets sich erneuernde Lymphe — nekrotisch wird, wobei dann ihre Reste von den Leukocyten gefressen und weggeschafft wer- den können. Andererseits haben wir Beispiele, dass Gewebe auch bei stärkster Durchwanderung von Leukocyten nicht zu vereitern brauchen, wie die Lungenpneumonien beweisen. Vielleicht sondern die Leukocyten Stoffe ab, welche im Stande sind, Gewebe aufzulösen und zu verflüssigen. So fand Reckling- hausen |2] eine spontane Lösung des Blutkuchens, wenn er steril aufgefangenes Froschblut nach der Gerinnung in feuchten Kammern aufbewahrte. Ein neues Licht auf die Wichtigkeit der Phagoceytose warfen die Untersuchungen von Metschnikoff bei Infektionskrankheiten. Hier gelang es ihm in vielen Fällen nachzuweisen, dass die Infektionserreger von den Leukocyten aufgenommen werden, so dass nach seiner Theorie die Phagoeytose das einzige Hilfsmittel des Organismus darstellt, um eingetragene Infektionserreger zu bekämpfen. Allein Untersuchungen von Buchner und seinen Schülern haben gezeigt, dass der Kampf zwischen Organismus und Infektionserregern sich nicht auf das ein- fache Auffressen der eingedrungenen Spaltpilze beschränkt, sondern dass von den Leukocyten Stoffe abgesondert werden, welche Bakterien zu vernichten im Stande sind. Die Absonderung von Stoffen, welche eine wichtige Rolle im Organismus zu spielen berufen sind, ist eine der wichtigsten Funktionen der so vielseitigen Leukoeyten. 710 Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. Flügge und Nutall hatten zuerst gezeigt, dass Blut die Fähig- keit besitze, hineingebrachte Bakterien zu vernichten; Buchner zeigte nun, dass auch gänzlich zellfreies Serum, bei dem also mit Sicherheit jede Phagocytose ausgeschlossen war, dieselbe Fähigkeit besitze. Er nannte die chemischen Körper, welche Bakterien zu vernichten im Stande sind, Alexine. Leider ist es bisher noch nicht gelungen, diese Körper zu isolieren, sodass ihre chemische Konstitution noch völlig dunkel ist. Nach den Untersuchungen von Hahn [13] und Schattenfroh [14] kann es nieht mehr zweifelhaft sein, dass diese Schutzstoffe von den Leukocyten abgesondert werden, während wir von keiner andern Zell- art wissen, dass sie bakterjenfeindliche Stoffe abzusondern im Stande ist. Verschafft man sich größere Mengen von stark leukoeytenhaltiger Flüssigkeit und tötet durch schnelles wiederholtes Gefrieren und Wieder- auftauen mit Sicherheit alle lebenden Zellen, so erweist sich alsdann die Flüssigkeit, wie Hahn [13] zeigte, noch stärker bakterieid als das vom Blut abgeschiedene Serum. Schattenfroh [14] bewies, dass man durch wiederholtes Gefrieren und Wiederauftauen die Alexine gewissermaßen aus den Leukocyten extrahieren könne, denn ein so behandeltes Exsudat zeigte sich stärker bakterieid, als ein solches, welches durch Centrifugieren von allen Zellen befreit worden war. Machte er Exsudat durch Erhitzen unwirksam und fügte dann Leuko- eyten hinzu, so gewann es seine bakterieiden Eigenschaften wieder. Erhitzt man alexinhaltige Flüssigkeiten auf 55 Grad eine Stunde lang, so werden, wie Buchner [15] fand, alle Alexine sicher zerstört, und alle Körperflüssigkeiten erweisen sich in alexinfreiem Zustand als die besten Nährböden für pathogene Bakterien, die wir kennen. Nicht nur durch die Hitze bei 50° werden die Alexine zerstört, sondern sie zerfallen in einiger Zeit von selber. Einwirkung von Sonnenlicht und Sauerstoff beschleunigt noch diesen Zerfall. Bei Auf- bewahrung des Serums im Eisschrank kann man noch bis zum siebenten Tag die Anwesenheit der Alexine nachweisen, eine längere Konser- vierung dieser so labilen Körper ist bisher nicht gelungen. Fällt man die Eiweißkörper des Serums durch Aussalzen, so werden die Alexine mit ausgefällt, vielleicht auch mechanisch durch den Niederschlag mit zu Boden gerissen. Löst man den Eiweißnieder- schlag in salzhaltigem Wasser wieder auf, so zeigte die Flüssigkeit Bakterien gegenüber sich wieder wirksam, freilich in viel schwächerem Grade. Dialysiert man aktives Serum gegen destilliertes Wasser, so ver- liert es seine bakterieide Kraft, dialysiert man dagegen gegen 0,7 proz. Kochsalzlösung, so bleibt die Wirksamkeit zum Teil erhalten; auch das gegen Wasser dialysierte und unwirksam gewordene Serum wird wieder aktiv bei genügendem Alkalizusatz. Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. Bil Die Salze und Basen scheinen daher in noch unaufgeklärter Weise bei der Alexinwirkung beteiligt zu sein. Fodor [16] will gefunden haben, dass beim Menschen die bakterieide Wirksamkeit des Blutes parallel gehe mit dem Alkaligehalt; Emmerich erklärte direkt die Alexine für Alkalialbuminate. Da nun nach Strasser und Kuthy |16] eine Vermehrung der Alkalinität des Blutes möglich ist durch kalte Bäder und Douchen, so wäre die Klarlegung aller dieser Verhältnisse sehr wichtig zum Verständnis der therapeutischen Wirkung der Kalt- wasserbehandlung bei allen Infektionskrankheiten. Die Alexine vernichten nicht nur in die Körpersäfte gebrachte Infektionserreger, sie lösen auch die Erytrocyten fremder Tiere auf, besonders bei Körpertemperatur. Weiss [17] hatte gefunden, dass wenn man reichliche Mengen Serum einer Tierart in die Blutbahn eines andern Tieres bringt, die Tiere unter denselben Erscheinungen zu Grunde gehen ‘wie bei Einspritzung von Schlangengift oder Aal- serum. Die roten Blutzellen lösen sich auf, wie auch schon Dogiel [18] beobachtete. Diese Wirkung trat bei Kaninchen selbst dann ein, wenn man Serum eines weiblichen Kaninchens in die Blutbahn eines männ- lichen Tieres brachte, während das Serum eines männlichen Tieres den Blutzellen eines andern männlichen Tieres gegenüber sich inaktiv erwies. Die Fähigkeit des Serums rote Blutscheiben eines andern Tieres auflösen zu können, nannte Buchner [15] die globulicide Aktion des Serums und zeigte von ihr, dass sie ganz ebenso wie die bakterieide Aktion durch Erwärmen auf 50° durch Einwirkung des Sonnenlichtes und durch reichliches Zuleiten von Sauerstoff vernichtet wird. Sehr wahrscheinlich kommt daher auch diese Funktion den von den Leuko- cyten ausgeschiedenen Alexinen zu. Bei Vermischen von Serum zweier Tierarten vernichten sich die Alexine gegenseitig nach quantitativen Verhältnissen, und man kann daher durch Vermischen von Kaninchen- und Hundeserum eine Mischung erhalten, welche weder Bakterien vernichtet, noch Hunde- oder Ka- ninchenblutkörperchen löst. Seit wir durch die Arbeiten von Ham- burger und Koeppe wissen, dass sich die Erytrocyten in jeder hypisotonischen Salzlösung auflösen, hätte man glauben können, dass die globulieide Aktion des Serums vielleicht nur von verschiedenem Salzgehalt der benutzten Serumsorten herrührt; dies ist aber nicht möglich, da Erhitzen auf 56° dem Serum diese Fähigkeit nimmt, und zugleich Karinchenserum Hundeerytroceyten und Hundeserum Ka- ninchenerytroeyten löst. Ebenso wie sieh die Alexine verschiedener Tierarten vernichten, werden sie auch von den Bakterien zerstört, und erstere unterscheiden sich daher erheblich von Fermenten, bei denen es auf quantitative Mischung nicht ankommt. Theoretisch kann ja die kleinste Menge Pepsin 712 Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. eine beliebige Masse Fibrin verdauen, wenn die erforderliche Zeit nicht in Betracht kommt. Fügt man dagegen eine zu große Menge von Bakterien zu alexin- haltigem Serum, so wird zwar ein Teil der Bakterien vernichtet, der überlebende Teil dagegen vermehrt sich in dem jetzt unwirksam ge- wordenen Serum so schnell wie in einem ausgezeichneten Nähr- boden. Welche Funktion der Leukocyten bei der Abwehr von Infektions- erregern überwiegt, ob, wie Metschnikoff annimmt, ihre Fähigkeit der Phagocytose oder, wie Buchner annimmt, ihre Fähigkeit Alexine abzusondern, ist schwer zu sagen. Wir wissen nicht, ob die giftprodu- zierenden Bakterien vor dem Gefressenwerden durch die Leukoeyten nicht vielleicht durch ihren Giftgehalt geschützt sind, wenn sie in großen Mengen auf einmal in den Körper eindringen können. Immer- hin muss es ein Hindernis im Körper für die Leukocyten geben, so- gleich die eingedrungenen Bakterien in sich aufzunehmen, wie von Sicherer zeigen konnte bei Staphylokokkeneinspritzung in die Ka- ninchenkornea. Hier bilden die Leukocyten wohl bald einen Wall um _ die Injektionsstelle, gelangen aber nicht bis in die unmittelbare Nähe der Staphylokokken. Erst nach geraumer Zeit wird die Demarkations- linie durchbrochen und dann die vielleicht schon abgestorbenen Staphylo- kokken durch Phagocytose entfernt. Wahrscheinlich hängt es von der Art der eingedrungenen Krankheitserreger ab, ob bei ihrer Abwehr Alexine oder Phagocytose die Hauptrolle zu spielen haben. Wenn es Bakterien giebt, auf welche die Alexine gar nicht schädigend wirken, wie beim Kaninchen auf das Bacterium Coli, so können im Tierkörper bei Abwehr dieses Schädlings die Alexine auch keine Rolle spielen; hier muss daher die Phagocytose allein ausreichend sein. Andererseits kennen wir Bakterien von solcher Virulenz, dass ihnen gegenüber der Organismus überhaupt keine andere Schutzwehr zu haben scheint, als den festen Zusammenhang der Gewebe. So beschreibt Marmoree [19] so virulente Streptokokken, dass ein einziger Kokkus unter die Haut gespritzt den Tod eines Kaninchens zur Folge hatte. Völlig unauf- geklärt ist noch, wodurch eigentlich so virulente Bakterien vor der Phagoeytose geschützt sind. Beide Hauptfunktionen der Leukocyten vereint thätig, fanden Menge und Walthard [20] bei der Selbstreinigung der Vagina von hinein- gebrachten Staphylokokken und Streptokokken, denn bei einigen Ver- suchen konnten sie reichlich Phagocytose beobachten bei einigen nicht; stets aber verschwanden die hineingebrachten Staphylokokken inner- halb 4 bis 10 Stunden aus dem Fundus der Vagina. Während so die Abscheidung bakterientötender Steffe aus den Leukocyten ganz sicher gestellt ist, wissen wir noch wenig über die Herkunft einer ganzen Reihe von Fermenten, welche in der letzten Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. 713 Zeit im Blut gefunden worden sind, welche aber vermutlich sämtlich den Leukocyten entstammen. So fand Bial [21] ein amylolytisches Ferment im Blut, welches nicht nur Glykogen, sondern auch in geringem Grade, Stärke in Zucker umwandelte. Arthus und Spitzer [2] wiesen ein zuckerzerstörendes Ferment im Blut nach, welches allerdings nur bei reichlichem Zuleiten von Sauerstoff wirksam ist, und vielleicht identisch mit dem oxydieren- den Ferment, welches Abelous und Biarnes[23] und Salkowski [24] im Blut nachgewiesen haben. Salkowski zeigte zuerst, dass bei reichlicher Durchlüftung mit Sauerstoff dem Blut die Fähigkeit zu- komme den Salieylaldehyd zu oxydieren. Ganz isoliert geblieben ist die Behauptung von Lepine [25], dass im Blut ein peptosacharifi- zierendes Ferment vorhanden sei, sodass man 10°, von Pepton in Zucker umwandeln könne, wenn man es mit Blut bei 56° digeriere. Die Bestimmung der Zuckermenge führte L&pine durch Vergären und Messen der entstandenen Kohlensäure aus. Merkwürdig wäre es, wenn eine so leicht nachweisbare Zuckergruppe im Peptonmolekül vorhan- den wäre. Als letztes der Fermente, dessen Absonderung als eine Funktion der Leukoeyten angesehen werden muss, nenne ich das Gerinnungs- ferment. Die Rolle, welche die weißen Blutkörperchen bei der Ge- rinnung spielen, ist trotz der in dieser Richtung verwandten Mühe zahlreicher Forscher noch nicht vollständig aufgeklärt. Sichergestellt scheint zu sein, dass bei dem Zerfall der Leukoeyten Stoffe in das Plasma gelangen, welche den Gerinnungsvorgang einleiten. Ob nicht dieselben Stoffe bei dem Zerfall der roten Blutscheiben frei werden, ist noch nicht entschieden. Es hängt dies mit unserer Unkenntnis von der Entstehung der Blutplättchen zusammen, welche die einen Forscher von den roten, die andern von den weißen Blutkörperchen abstammen lassen, während wieder andere ihnen eine ganz selbständige Rolle neben diesen Elementen zuweisen. Sicher gestellt ist durch Betrachtung des Gerinnungsvorgangs unter dem Mikroskop, dass die Fibrinfäden immer von Stellen ausstrahlen, wo ein Blutplättchen gelegen ist, ob diese Blutplättehen aber einem weißen oder einem roten Blutkörperchen entstammen, kann man nicht entscheiden. Lilienfeld wies nach, dass die Plättchen nukleinhaltig sind und leitete daher ihren Ursprung von den Kernen der Leukocyten her, doch scheinen auch die Erytrocyten Nuklein zu enthalten. Die Rolle der Leukocyten bei der Gerinnung hat zuerst Harmsen [26] zahlenmäßig geprüft und gefunden, dass durch das Defibrinieren 48,1], aller weißen Zellen zu Grunde gehen. Er fand das Verhältnis der ein- und mehrkernigen Leukocyten vor dem Defibrinieren wie 19:81, nachher wie 31:69. Von den mehrkernigen gingen 60,6°/,, von den einkernigen 20,7°/), zu Grunde. Von den polynukleären Zellen ver- 714 Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. schwinden hauptsächlich die neutrophilen, von den einkernigen die großen Formen, während sich die eosinophilen Zellen neutral verhalten. Diese Verhältnisse zeigen sich konstant bei jeder Wiederholung der Versuche, was deutlich auf eine Beteiligung der weißen Blutkörperchen an der Gerinnung hinweist. Wooldridge [5] wog die Gesamtmenge der Leukocyten im un- geronnenen und im defibrinierten Blut und fand stets das Gesamt- gewicht aller Leukocyten im defibrinierten Blut geringer, weshalb er auf eine Bildung des Fibrins aus zerfallenden Leukocyten schloss. Lilienfeld [27] konnte nachweisen, dass gerinnungsfähige Substanzen bei Zusatz von Nuklein sofort gerinanen, und glaubt daher, dass beim Zerfall der Leukocytenkerne freiwerdendes Nuklein das Gerinnungs- ferment darstelle. Arnold, Lewit und Bremer wollen die Ab- schnürung von Blutplättchen aus Erytroeyten beobachtet haben, so dass eine Entscheidung über die Frage, ob nur die zerfallenden Leuko- eyten die Gerinnung einleiten, noch nicht zu treffen ist. Oben war schon erwähnt, dass leukocytenhaltiges Exsudat aus der Pleurahöhle, das keine Erytrocyten enthält, selbst wiederholte Gerinnungen zeigt. Das Vorhandensein von zerfallenden Erytrocyten scheint also kein not- wendiges Erfordernis für den Gerinnungsvorgang zu sein. Ob nun die gerinnende Substanz, das Fibrinogen, ebenso wie das Gerinnungsferment (das Nuklein?) erst im Moment des Zerfalls aus den Leukocyten ausgeschieden wird, oder ob das Fibrinogen stets in reichlicher Menge im Plasma vorhanden ist, wissen wir nicht, da bis vor kurzem keine Methode bekannt war, das Blut der Untersuchung zugänglich zu machen ohne Zerfall von Leukocyten. Alle gerinnungs- hemmenden Mittel wie Pepton oder Blutegelextrakt oder Magnesium- sulphatlösungen oder Ausfällen der Kalksalze mit Alkalioxalat zer- stören das Gefüge des Leukocytenleibes. Erst in neuester Zeit hat wiederum Lilienfeld in dem Histon eine Substanz entdeckt, welche die Gerinnung des Blutes verhindert ohne die Leukoeyten zu alterieren. Da nun chemische Untersuchungen über das Histonblut noch nicht vorliegen, so wissen wir noch nicht, welche chemischen Körper im Plasma vor dem Zerfall der Leukocyten präformiert vorhanden sind. Das Histon übt deshalb keinen schädigenden Einfluss auf die Leuko- cyten aus, weil es von diesen selber abgesondert wird und wahrschein- lich stets in Spuren im kreisenden Blut vorhanden, die Gerinnung ver- hindert. Erst wenn bei massenhaftem Zerfall von Leukocyten eine zu reichliche Menge Nuklein in das Plasma gelangt, wird die gerin- nungshemmende Aktion des Histons von der gerinnungserregenden des Nuklein überkompensiert und das Blut gerinnt doch, trotz seines Histon- gehaltes. Die wichtige Rolle, welche man früher der Gefäßwand zuschrieb, nämlich die Abscheidung gerinnungshemmender Substanzen, muss nach Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. 715 den Lilienfeld’schen Untersuchungen auf die Leukoeyten übertragen werden, und diese Zellen vereinigen in sich die Fähigkeit der Ab- sonderung sowohl gerinnungshemmender wie gerinnungserregender Sub- stanzen, noch dazu in einer chemischen Verbindung, dem Nucleohiston. Während wir in: Histon einen albumoseartigen Körper kennen gelernt haben, der von den Leukocyten abgeschieden wird, scheint die Aufnahmefähigkeit dieser Zellen für Albumosen und Peptone bei der Verdauung eine wichtige Rolle zu spielen. Schon Wooldridge [5] hatte beobachtet, dass das Gesamtgewicht aller Leukocyten stets größer war, wenn er durch Zufügung von Pepton das Blut ungerinnbar gemacht hatte, als wenn er etwa durch Aus- fällen der Kalksalze die Gerinnung verzögerte; und zwar fand er die Zunahme der Leukocytenmenge stets ungefähr gleich der zugefügten Peptonmenge. Er schloss daraus, dass das Pepton von den Leuko- cyten aufgenommen worden sei. Auch Römer |28] fand nach Ein- spritzung von Bakterienproteinen starke Vermehrung der Leukocyten durch amitotische Teilung, was ja ebenfalls auf eine Aufnahme der Peptone durch die Leukocyten hinweist. So würde sich leicht die bis- her befremdliche Thatsache erklären, dass es nicht gelungen ist, während der Resorption von eingeführter Nahrung in Blut oder Lymphe Peptongehalt nachzuweisen, während es schon lange bekannt ist, dass eine reichliche Mahlzeit eine starke Vermehrung der farblosen Elemente im Blut zur Folge hat. Das Verschwinden des Peptons nach dem Passieren der Darmwand wäre alsdann eine Folge der Aufnahme durch die Leukocyten. Unwahrscheinlich ist es, dass der größte Teil der im Darm entstandenen Peptone das Darmepithel passieren kann ohne in Eiweiß zurückverwandelt zu werden. Wahrscheinlich gelangen aber doch Spuren von Albumosen oder Peptonen bei schneller Ver- dauung in die Blutbahn, erregen hier eine Hyperleukoeytose und nun verhindern die mobilgemachten Leukocyten die weitere Ansammlung der giftigen Albumosen in der Blutbahn. Auch die Entfernung der so zahlreichen Fettkügelehen, welche nach der Verdauung in das Blut geleitet werden, wird wohl den Leuko- eyten obliegen. Zur Zeit der Resorption der Nahrung ergießt sich ja ein milchartig von Fett getrübter Strom von Lymphe in das Blutgefäß- system und doch finden wir für gewöhnlich das Blut fast frei von geformtem Fett. Nur bei säugenden Tieren ist eine Trübung des Plasmas durch reichliches Fett beobachtet worden. Hier muss man annehmen, dass die Leukocyten den so enorm gewachsenen Ansprüchen an die Blutreinigung nicht mehr gewachsen waren. Dass fast alle albumoseartigen Körper ein Lockmittel für die Leukocyten darstellen, kann nach den Untersuchungen von Timofejewski, Goldscheider und Jacob, Römer und Buchner nicht mehr zweifelhaft sein; schon deshalb müssen wir annehmen, dass diese Substanzen von den Leuko- 716 Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. cyten auch aufgenommen werden können. Die Rolle, welche die Leuko- cyten bei der Verdauung zu spielen hätten, wäre nun die, dass sie die resorbierte Nahrung — seien dies nun Peptone oder schon rückver- wandeltes Eiweiß — in sich aufnehmen, sich lebhaft amitotisch ver- mehren und bei ihrem schließlichen Zerfall, der jeder Hyperleuko- cytose alsbald folgt, die in ihrem Innern weiter umgewandelte resor- bierte Nahrung in das Plasma ergießen, so dass es jetzt allen Körper- zellen in gelöster Form zugeführt werden kann. Wahrscheinlich hat die Anhäufung ganzer Leukocytenlager in der Darmwand noch den weiteren Zweck, die Darmgewebe an der Ausnutzung der resorbierten Nahrung für eigene Zwecke zu verhindern. Bei der fortwährenden Umspülung mit Nährstoffen müssten sich ja die Darmzellen fortwährend vergrößern, teilen und im Uebermaß vermehren, wenn nicht die Leuko- cyten dafür sorgten, dass der größte Teil der zugeführten Nahrung den andern Körperzellen zu Gute kommt. Der Zerfall der Leukocyten nach reichlicher Peptonaufnahme ist von Römer [28] und auch von Botkin [29] unter dem Mikroskop beobachtet worden. Die Zellen erscheinen zuerst immer deutlicher granuliert, sie quellen auf, Fortsätze lösen sich ab und geben dann ganz das Bild von Blutplättehen, nur ganz geringe Reste bleiben übrig. Dieselbe Funktion wie bei der Verdauung, nämlich durch ihren Zerfall Nährmaterial zu liefern für andere dauerhaftere Zellen, üben die Leukocyten auch aus bei der Neubildung von Geweben im wach- senden Organismus und bei der Regeneration verletzter Teile beim Erwachsenen. Leukocyten wandern in schnell wachsende Organe ein und bieten dann durch ihren Zerfall den oft sich teilenden Zellen ein konzentriertes Nährmaterial. Wahrscheinlich ermöglicht ihr reichlicher Nukleingehalt eine um so schnellere Kernteilung der fixen Zellen. Die Bilder, welche man dann erhält, ähneln durchaus denen bei der Entzündung; so bietet der Hoden zur Zeit der Pubertät, das Gehirn in den letzten Fötalmonaten ein Aussehen dar, welches besonders bei der exzessiven Blutversorgung der schnell wachsenden Organe die Verwechslung mit einer Entzündung sehr nahe legt. Bei Aufbau neu sich bildender Gewebe können sich die Leuko- eyten nicht dauernd beteiligen. Bringt man Stäbchen von Hollunder- mark oder Leberstückchen in die Bauchhöhle von Tieren, so wandern zwar die Leukoeyten sofort in die hineingebrachten Teile ein und bilden dort ein Scheingewebe, aber es kommt doch nicht zur dauernden Ge- websneubildung durch die Leukocyten, sondern diese machen den Fibroblasten, Abkömmlingen der fixen Gewebszellen, Platz, und liefern durch ihren Zerfall nur das Material für das neuzubildende Gewebe. Von neueren Forschern vertritt nur noch Ribbert [30] den Stand- punkt, dass die eingewanderten Leukocyten zur Auskleidung der neu- Friedenthal, Fınktion der weißen Blutkörperchen. raw gebildeten Lymphräume dienen und dort noch ebenso mitotisch sich vermehren könnten wie in den Keimcentren der Lymphdrüsen. AufGrund von Einwanderungsversuchen traten aber Sherrington und Ballance [31] wie auch Baumgarten [32] dieser Meinung ent- gegen, so dass wir bei aller Vielseitigkeit der Leukocyten ihnen die Fähigkeit der Gewebsneubildung wohl absprechen müssen. Eine noch nicht entschiedene Frage ist eg dagegen, ob nicht alle geformten Blutbestandteile, Blutplättchen sowie rote Blutscheiben von den Leukocyten abstammen. Von den Blutplättehen ist oben schon erwähnt, dass Lilienfeld [24], der Nuklein in den Plättchen nach- wies, und Botkin [29] die Abstammung der Plättehen von Leuko- eyten vertreten. Loewit, Arnold und Bremer wollen dagegen die Absehnürung von Plättehen von roten Blutscheiben beobachtet haben. Wahrscheinlich hat daher Arnold Recht mit der Vermutung, dass die Blutplättchen überhaupt keinen einheitlichen Ursprung haben, und das wir mit diesem Namen belegen die Zerfallsprodukte der weißen wie der roten Blutkörperchen und außerdem noch in Plättehenform ausgeschiedenes Fibrin. Noch weniger klar liegt die Frage, ob auch die roten Blutscheiben durch Umwandlung von Leukocyten entstehen. Beim Frosch will ja Reeklinghausen [33] am überlebenden Blut die Umwandlung der ‚sogenannten Spindelzellen in rote Blutkörperchen unter dem Mikroskop verfolgt haben. Arnold [34] beobachtete die gleichen Arten von Granula in hämoglobinhaltigen und hämoglobinfreien Knochenmark- zellen und glaubt daher an eine Umwandlung der Leukocyten in rote Blutkörperchen. Auch beschreibt er Erytroblasten mit amöboider Be- weglichkeit, eosinophile Zellen mit diffus verteiltem Hämoglobin, ferner Zellen, welche Hämoglobin im Kern führen als Uebergänge zwischen roten und weißen Blutkörperchen. Dass zum mindesten die eosino- philen Zellen bei der Erytrocytenbildung beteiligt sind, ist fast zur Gewissheit geworden durch die Entdeckung von Przewoski [35] und Backer [36], dass ihre Granula die Eisenreaktionen ergeben. Mit Ammoniumsulphid und Glyzerin im Thermostaten bei 60 längere Zeit behandelt, färben sich die Granula grün. Mit Ferroceyankalium und Salzsäure geben sie die Berlinerblaureaktion. Da die Granula außer- dem die Vanillineiweißreaktion zeigen, wie Weiss [37] fand, so ist mikrochemisch festgestellt, dass sie aus Eisenalbuminat bestehen. Janowski [38] will im Eiter eine allmähliche Umwandlung der Lympho- cyten in polymorphkernige Leukocyten beobachtet haben, Harm- ‘sen [39] sah bei einem Pyothorax die anfangs polymorphkernigen Leukocyten sich in eosinophile verwandeln. Kombinieren wir die Angaben aller dieser Forscher, so ergäbe sich eine Reihe für die Entwicklung der roten Blutscheiben. Die Lymphoeyten stammen wohl direkt von den mitotisch sich teilenden ‘18 Friedenthal, Funktion der weißen Blutkörperchen. Zellen in den Keimcentren der Lymphdrüsen. Diese würden dann polymorphkernig, schließlich eosinophil, und letztere wären dann die Vorstufen der roten Blutscheiben, in die sie durch Hämoglobinbildung und Kernschwund übergingen. Keine der bis jetzt geltenden Ansichten über die Entstehung der roten Blutscheiben kann als definitive oder erschöpfende gelten, alle die oben erwähnten Angaben über die Umwandlungsfähigkeit der Leuko- cyten sind viel zu wenig geprüft und bestätigt, als dass man aus ihnen sichere Schlüsse über die Bildung der Erytrocyten ziehen könnte. Durch den bedeutungsvollen Eisennachweis in den Granula der Leuko- eyten ist allerdings eine Beteiligung derselben an der Erytrocyten- bildung recht wahrscheinlich geworden. Fassen wir die Funktionen der Leukocyten noch einmal zusammen, so erscheint ganz sicher gestellt die wichtige Rolle, welche sie bei der Gerinnung spielen, ganz sicher ferner die Dienste, welche sie als - Phagoeyten und Absonderer der Alexine bei allen infektiösen Erkran- kungen dem Körper leisten. Ihre phagocytäre Thätigkeit wird in der mannigfaltigsten Weise in Anspruch genommen bei der Wegschaffung von Staub aus der Lunge, von Pigment aus der Oberhaut, bei der Entfernung nekrotischer Teile oder von großen Fremdkörpern, bei den Tieren mit Metamorphose zur schnellen Wegschaffung derjenigen Or- gane, deren das Tier nach seiner Umwandlung nicht mehr bedarf. Bei der Gewebsneubildung liefern die Leukocyten das erste Material, ihrem Zerfall verdankt sicher ein Teil der Blutplättchen ihre Ent- stehung. Der Ergänzung bedürftig sind dagegen unsere Kenntnisse in der Frage, welchen Anteil die Leukocyten an der Abscheidung der im Blute kreisenden Fermente, an der Resorption der aufgenommenen Nahrung und an der Bildung der roten Blutscheiben haben. Im Ganzen genommen müssen wir mit Looss [40] in den Leuko- cyten eine Reservemacht im Organismus erblicken, welche überall helfend eintritt, wo der Widerstand der Gewebe nicht ausreicht, um andringender Schädlichkeiten Herr zu werden, oder wo die Leistungs- fähigkeit der Organe nicht ausreicht, um außergewöhnlichen Anfor- derungen gerecht zu werden. Litteratur. [1] Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1895. [2] Reeklinghausen, Ueber die Erzeugung von roten Blutkörperchen. Schultze’s Archiv f. mikrosk. Anatomie, 1866, 8. 137. [3] Arthus, Elemente der physiol. Chemie, 1895, Leipzig. [4] Janowski, Archiv f. exper. Path., 1895, Bd. 36. [5] Wooldridge, Du Bois Archiv f. Physiol., 1881, S. 386. [6] Arnold, Virehow’s Archiv, 141. [7] [8] [9] [10] [11] [12] 113] [14] [15] 116] [17] [18] 119] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32] [33] [34] [35] [36] [37] [38] [39] [40] Haacke, Grundriss der Entwicklungsmechanik. 719 Hahn, Münchn. med. Wochenschr., 1896, Nr. 8. Dogiel, Du Bois Archiv f. Physiol., 1886. Latschenberger, Berichte der Wiener Akad., Bd. CV, Abt, III, 1896. Schuhmacher, Schultze’s Archiv, 1896, Bd. 48. Spuler, Archiv f. mikrosk. Anat., 1892. Korolew, Centr. f. med. Wiss., 1897, Nr. 7. Hahn, Münchn. med. Wochenschr., 1896, Nr. 8. Schattenfroh, Münchn. med. Wochenschr., 1897, Nr. 1. Buchner, Archiv f. Hygiene, Bd. XVII. Fodor, Centr. f. med. Wiss., 1895. Weiss, Pflüger’s Archiv, Bd.65, 1896, Heft 3 u. 4. Dogiel, Du Bois Archiv f. Physiol., 1893, 8. 356. Marmorec, Annales Pasteur, 1896. Menge u. Walthard, Centr. f. med. Wiss., 1896. Bial, Pflüger’s Archiv, Bd.52, S. 137. Berl. klin. Wochenschr., 1894. Archiv de Physiologie norm. et pathol., 1895, Nr. 1. Salkowski, Zeitschrift f. physiol. Chemie, Bd. VII, S. 115. L&pine, Compt. rend., 'T. 119, S. 123. Harmsen, Petersburger med. Wochenschr., 1894, Nr. 38 u. 39. Lilienfeld, Du Bois Archiv f. Physiol., 1891—1892, 1896. Römer, Centr. f. med. Wiss., 1896. Botkin, Virchow’s Archiv, 141, S. 238. Ribbert, Centr. f. allg. Pathol., 1890, S. 665. Sherrington u. Ballance, Centr. f. allg. Path., 1890, S. 697. Baumgarten, Centr. f. allg. Pathol., 1890, S. 764. Recklinghausen, Schultze’s Archiv f. Mikrosk., 1866. Arnold, Virchow’s Archiv, Bd. 144, S. 67. Przewoski, Centr. f. allg. Path., 1896. Backer, Centr. f. med. Wiss., 189. Weiss, Centr. f. med. Wiss.. 1891, S. 456. Janowski, Archiv f. exp. Pathol., 1895. Harmsen, Petersb. med. Wochenschr., 1894. Looss, Biolog. Centralblatt, 1889/90. [90] Wilhelm Haacke, Grundriss der Entwicklungsmechanik. Leipzig 1897. 398 Seiten. 143 Textfiguren. Der Verfasser nennt dieses Werk im Vorwort das erste „Lehrbuch“ der Entwicklungsmechanik. Demzufolge erwartet man durch die Lektüre desselben das vorhandene 'Thatsachenmaterial der Entwicklungsmechanik in vollständiger und genauer, wenn auch knapper Darstellung kennen zu lernen. Man erhofft sich eine genaue Information über den gegenwärtigen Stand der einzelnen Fragen und über den Inhalt der bezüglichen Spezial- arbeiten, wie auch. eine objektive kritische Abwägung der verschiedenen Auffassungen. Statt dessen sieht man, dass unser Autor in diesem Buch überall den Hauptwert auf die Vorführung seiner eigenen Ansichten legt und diese durch mehr oder weniger geeignete, wie auch nicht immer 720 Haacke, Grundriss der Entwicklungsmechanik. richtig wiedergegebene Thatsachen zu stützen sucht. Sein Bestreben, die abweichenden Ansichten anderer Autoren kurz zu widerlegen, scheitert mehrfach daran, dass er des öfteren die Auffassung der Autoren nicht richtig darstellt und nicht immer beweiskräftige Einwendungen vorbringt. Die ganze Schrift trägt daher ein sehr subjektives Gepräge, worauf der Autor?selbst im Vorwort aufmerksam macht. Dieses herausfordernd sub- jektive Gepräge benimmt aber dem Werke unseres Verfassers den Cha- rakter eines „Lehrbuches“, ja ‚selbst eines „Grundrisses“. Zudem sind die einzelnen Abschnitte sehr ungleich bearbeite. Von manchen Gebieten ist dem Verfasser das Material offenbar nicht im speziellen bekannt; über solche Lücken hilft er sich mit wenigen Zeilen hinweg, wobei deren Kürze außerdem noch oft die Klarheit der Darstellung in Frage stellt. Solches gilt vor allem von jenen Gebieten, die den Inhalt der Spezialarbeiten Roux’ bilden. Die Verdienste dieses als des Begründers der Disziplin werden im übrigen anerkannt. Die Grundauffassungen Haacke’s- selbst sind im wesentlichen die richtigen: den modernen, exakten Naturwissenschaften der Physik und Chemie entnommen. Hier steht Haacke hoch über jenem Standpunkte, den jüngst ein Gegner der Entwicklungsmechanik, O. Hertwig, als den seinigen bezeichnet hat. Demnach ist das Buch sowohl in seiner Tendenz, wie in seinen Hauptzügen zu billigen. Die leichtflüssige Schreibweise des Verfassers er- ieichtert dem Leser das Eindringen in das Verständnis entwicklungs- mechanischer Bestrebungen im allgemeinen und in die Anschauungen Haacke’s im besonderen, Bei dem reichen Inhalte des Buches kann hier nicht auf das Ein- zelne eingegangen werden. Es würde zu weit führen, zu den Anschau- ungen des Autors Stellung zu nehmen und die irrtümliche Reproduktion und Beurteilung fremder Arbeiten berichtigen zu wollen. Wir wollen uns daher begnügen, noch das Inhaltsverzeichnis hier anzufügen. Das „erste Hauptstück“ behandelt unter dem Titel „vom Gebiete der Entwicklungsmechanik“ die Möglichkeit der Entwicklungsmechanik, wie deren Stellung zur Teleologie, zum Vitalismus und zur Biologie. Das zweite Kapitel enthält Auseinandersetzungen über die Systematik der Or- ganismen. Im dritten Hauptstück erörtert H. den Mechanismus der Keimes- geschichte und kommt hiebei auf die „Regeneration, Teilung und Knos- pung‘, auf die „Konstruktion des Energidenmechanismus“, wie auf „das Problem des Bildungsstoffes“ zu sprechen. Im vierten Hauptstück wird unter dem Titel .,,vom Formbildungsgrund“ über ‚‚entwicklungsmechanische Reize‘, über ‚Korrelation und Symphasie‘“, über ‚die entwicklungs- mechanische Rolle der Richtungsreize‘, ‚die Rolle diffuser Reize‘ und „die Reizwirkung‘ verhandelt. Das fünfte Hauptstück bezieht sich auf die „Formenwandlungen‘“ und enthält Abschnitte über ‚„Formenwechsel“, „Formverbildungen‘“, ‚Formungsrichtungen‘“ und ‚„Formenmischung“. Den Schluss bildet ein Abschnitt über den ‚‚Mechanismus der Stammesgeschichte“, H. Endres [86] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt, unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. Oktober 1897. Nr. 20. Inhalt: Häcker, Ueber weitere Uebereinstimmungen zwischen den Fortpflanzungs- vorgängen der Tiere und Pflanzen (Schluss). — v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. — Rywosch, Ueber das Pigment und die Ent- stehung desselben bei einigen Tardigraden. — Stieda, Ueber die Homologie der Brust- und Becken - Gliedmaßen. Ueber weitere Uebereinstimmungen zwischen den Fort- pflanzungsvorgängen der Tiere und Pflanzen. Die Keim - Mutterzellen. Von Prof. Valentin Häcker. (Zweites Stück und Schluss ) 3. Ausbildung der achromatischen Teilungsfigur. Während den Zoologen, dank der günstigen Beschaffenheit ihrer Objekte, hinsichtlich der Erforschung der Chromatinstrukturen vielfach eine führende Rolle vorbehalten war, liegt bezüglich der achromatischen Bestandteile der Teilungsfiguren der umgekehrte Fall vor, indem hier die Ergebnisse auf botanischem Gebiete auf gewisse, bisher unverständ- liche zoologische Befunde ein Licht zu werfen scheinen. Ich will jedoch auch hier wieder mit den betreffenden Beobach- tungen auf zoologischem Gebiet den Anfang machen. Die Unter- suchungen über die Reifungsvorgänge der tierischen Geschlechtsprodukte haben vielfach zu dem Ergebnis geführt, dass die Gestalt der achro- matischen Figur wesentlich von den gewöhnlichen Vorkommnissen ab- weicht. Hinsichtlich der Spermatogenese liegen allerdings nur ver- einzelte diesbezügliche Angaben vor: es würde vielleicht in erster Linie auf die bekannten pluripolaren, mit Vierergruppen-Ähnlichen Chromatinelementen versehenen Teilungsfiguren hinzuweisen sein, welche Flemming!) für die Samenbildung von Salamandra beschrieben hat. 4) W. Flemming, Neue Beiträge zur Kenntnis der Zelle. Arch. f. mikr. Anatomie, Bd. 29, 1837. XVL. 46 29 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Flemming hat diese Bilder bekanntlich als pathologische Aberrationen gedeutet, während nach meiner und vom Rath’s Auffassung wenigstens die Chromatinkörper als normale, den Vierergruppen anderer Formen zu vergleichende Gebilde zu betrachten sind. Zu erwähnen wäre viel- leicht noch eine Angabe Moore’s!), welche sich auf die Spermatogenese von Branchipus bezieht. Darnach sollen hier in den früheren Phasen der Mutterzellen die achromatischen Fäden des Zellplasmas nach mehreren (6—8) färbbaren Körperchen, den „Pseudosomen“, konver- sieren, welch letztere dann späterhin mit einander verschmelzen und so die Centrosomen zu Stande kommen lassen. Von größerem Interesse als diese Vorkommnisse sind die eigen- tümlichen Bilder, welche bei der Ovogenese der tierischen Eier die Bildung des ersten und ebenso auch des zweiten Richtungskörpers einleiten. Schon den ersten Beobachtern des Ascaris-Eies war die mannigfaltige, von den gewöhnlichen Vorkommnissen durchaus ab- weichende Gestalt der ersten Richtungsspindel aufgefallen und speziell Carnoy hat neben zahlreichen anderen ungewöhnlichen Bildern auch Erste Richtungsspindel. Fig. M. Ascaris, weibl. Fig. N. Ascaris, weibl. (Boveri). (Sala). Fig. O0. Ascaris, weibl. Fig. P. Ascaris, weibl. (Eig. Präp.) (Eig. Präp.) 1) J. E. S. Moore, Some Points on the Origin of the Reproductive Cells in Apus and Branchipus. Qu. J. Mier. Se., V. 35, 1894. o Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 123 ein paar wirkliche vielpolige Spindeln wiedergegeben. Boverit), welcher betreffs der normalen Beschaffenheit des von Carnoy unter- suchten Materials Zweifel ausgesprochen hat, schildert die erste Rich- tungsspindel von Ascaris (Fig. M) als eine gerade abgestumpfte Figur, welche beiderseits nicht in Punkten, den „Polkörperehen“, sondern in breiten Platten endigt. Diese machen nach Boveri nicht den Ein- druck von etwas Selbständigem, sondern von integrierenden Bestand- teilen des faserigen Körpers. Jede Platte scheint aus einer einfachen Schieht von Körnern zu bestehen, welehe kontinuierlich in den Spindel- fasern sich fortsetzen. Dieser Schilderung fügte ich vor einigen Jahren?) die Beobach- tung hinzu, dass sich an den Eeken der Tonnenfigur färbbare, von einem hellen Hof umgebene Kügelchen befinden, welche ich als Centro- somen deutete. Aus der Mamnigfaltigkeit in der Konstellation dieser Körperehen schloss ich auf gewisse Lageveränderungen derselben, welche eventuell mit der bekannten Drehung der ganzen Figur aus der tangentialen in die radiäre Stellung in Zusammenhang zu bringen wären. Auch Sala?) findet an den Endplatten der Figur 2, 3, manchmal auch 4 und selten sogar 5 feinste Körnchen, von denen die an den Eeken gelegenen etwas dicker als die übrigen sind (Fig. N). In ge- kühlten Eiern treten an ihrer Stelle eigentliche Centrosomen auf. Die Existenz dieser Körperchen ist auch von anderen Autoren, so neuer- dings von v. Erlanger*) bestätigt worden, und es scheint die Auf- fassung Verbreitung zu finden, dass es sich wirklich um distinkte Körperehen und nicht bloß, wie Boveri vermutet hat’), um stärker hervortretende Knotenpunkte des Spindelfasergerüstes handle. Eine abermalige Untersuchung desselben Objekts, welche ich im Anschluss an meine Beobachtungen bei Cyelops brevicornis unternahm, hat mir nun aber Bilder geliefert, auf Grund welcher ich meine An- schauung über die Gestalt der Spindelfigur noch etwas weiter modi- fizieren, beziehungsweise vervollständigen muss. Die Präparate stammten, wie ich ausdrücklich hervorheben will, von ganz frischem, soeben dem Pferdedarm entnommenen Material und die Konservierung mittels vom Rath’scher Flüssigkeit ließ im Uebrigen nichts zu wünschen übrig. Auf sämtlichen Präparaten besitzen die Tonnen- oder besser Garben- 1) Th. Boveri, Zellenstudien I. Jen. Zeitschr., Bd, 21, 1857, S. 443. 2) Ueber den heutigen Stand der Centrosomenfrage. Verh. deutsch. Zool. Ges., 1894. 3) L. Sala, Experimentelle Untersuchungen über die Reifung und Befruch- tung der Eier bei Ascaris megalocephala. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 44, 1895. 4) R. von Erlanger, Ueber die Befruchtung und ersten Teilungen des Eies von Ascaris megalocephala. Verh. deutsch. zool. Ges., 1396. 5) Diskussion zum Vortrag: Ueber den heutigen Stand d. Centr.-Frage, S. 26. 46 ® 24 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen, ähnlichen Figuren nicht die sonst beschriebenen „Endplatten“, sondern die einzelnen, schmal-spindelförmigen und vielfach sich durchkreuzen- den Faserbündel, welche die Garbe zusammensetzen, laufen beiderseits in kleine und kleinste Spitzen aus, welche, von der Seite gesehen, den Basen der Figur etwa das Aussehen eines unregelmäßig gezackten Gebirgskammes geben. Nicht bloß an den Ecken der Garbe, sondern häufig auch an einigen der übrigen Zacken und Spitzen lassen sich jene dunkel färbbaren Körnchen als deutlich distinkte Gebilde er- kennen (Fig. O—P). Danach möchte ich also die Auffassung ver- treten, dass die Ascaris-Spindel in ihrem garbenähnlichen Zustand ein System von schmalen, vielfach durch gemeinsame Fasern verbundenen Richtungsspindel. Fig. @. Heterocope, weibl. Fig. R. Cyelops brevie., weibl. (Eig. Präp.) (Eig. Präp.) Fig. $. Cyclops brevie., weibl. Fig. T. Cyclops brevic., weibl. (Eig. Präp.) (Eig. Präp.) Fig. U, Basidiobolus Fig. V. Equisetum, Spor. (Fairchild). (Osterhout). i$ aa Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 25 Einzelbündeln darstellt. Sie würde also als „vielpolig“ zu bezeichnen sein: ob aber freilich jene Körnehen die wirklichen Centrosomen oder irgend welche Körper andrer Provenienz (zerbröckelte Nukleolarsub- stanz u. dergl.) darstellen, darüber möchte ich mich nicht sicher ent- scheiden. Erwähnt soll noch werden, dass, wie vorzugsweise Boveri und Sala angegeben haben, das Aussehen der zweiten Richtungsspindel im Allgemeinen das nämliche ist, wie das der ersten. Wenden wir uns nun, um Anhaltspunkte für einen Vergleich zu gewinnen, zu der Ovogenese der Copepoden, bei welchen die Rich- tungsspindeln in einer Reihe von sehr verschiedenen Ge- stalten zur Beobachtung kommen. Die erste Riehtungsspindel von Cyclops brevicornis und Heterocope!) zeigt in ihren jüngsten Anfangs- phasen vielfach die Gestalt einer aus mehreren Bündeln zusammen- gesetzten Garbe: in dieser Form (Fig. @ u. R) erinnert sie sehr an die Befunde bei Ascaris, umsomehr, als auch bei Cyclops die achro- matische Figur, namentlich an den Seiten, scharf gegen das umliegende Plasma abgegrenzt ist, weshalb sie auf den Schnittbildern beinahe reliefartig hervortritt?). In den späteren Phasen, vom eigentlichen Asterstadium bis zur Abschnürung des zweiten Richtungskörpers, ist bei Cyclops der innere Boden der nunmehr tonnenförmigen Spindel „häufig von einer dunkel gefärbten Plasmahaube bedeckt“, welche an die Polplatten der bei den Protozoen, z. B. bei Actinosphaerium, beobachteten Teilungsfiguren erinnert. Die zweite Richtungsspindel von Cyclops hinwiederum ist zunächst tonnenförmig (Fig. S). Die Tonne zeigt gleichfalls in ausgesprochener Weise eine Zusammen- setzung aus mehreren gesonderten, den einzelnen Chromosomenpaaren entsprechenden Bündeln und trägt an ihrem inneren Boden eine An- zahl dunkel gefärbter Körnchen. „Mitunter ist je eines derselben an den Ecken der Figur wahrzunehmen, doch kommen auch Fälle vor, in denen mehrere in gleicher Weise gefärbte Körnchen — in einem Fall waren es sechs — auf den inneren Boden der Tonne verteilt sind“. Unmittelbar vor und während der dicentrischen Wanderung 1) Unsere Titisee-Heteroeope ist nach O.Schmeil (Deutschlands freilebende Süßwasser- Copepoden, Stuttg. 1896, S. 94) die echte Heterocope saliens Lillj., die in Deutschland mit Sicherheit nur noch im Chiemsee gefunden wurde. Die Bodensee-Heterocope, welche Rückert vorlag, ist 4. weismanni Imhof. Irgend ein Unterschied in ovogenetischer Hinsicht wird wohl schwerlich angenommen werden dürfen. 2) Einige dieser Bilder, welche übrigens nur mit Rücksicht auf die Chro- matinstrukturen ausgewählt worden waren, habe ich in einer früheren Arbeit (Ueber die Selbständigkeit der väterlichen und mütterlichen Kernbestandteile während der Embryonalentwicklung von Cyclops. Arch. f. mikrosk. Anatomie, Bd. 46, 1896) wiedergegeben. 726 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. der Elemente spitzt sich der innere Pol zu (Fig. 7) und die achro- matische Figur erhält so die Form einer Granate. Bei der zweiten Riehtungsspindel findet demnach in noch ausgesprochenem Maße, als bei der ersten, der allmähliche Uebergang aus der Garben- oder Tonnengestalt zu den gewöhnlicheren Formen statt. Ueber das Vorkommen von Centrosomen habe ich, abgesehen von den erwähnten Körnchen, nichts Sicheres feststellen können, jedoch fand vom Rath!) bei den weit ausgebauchten ersten Rich- tungsspindeln?) mariner Copepoden-Bier, welche gewissermaßen eine Zwischenform zwischen der Tonnen- und eigentlichen Spindelfigur darstellen, an jedem der Pole zwei nebeneinander liegende Centro- somen (Fig. X). Die vom Rath’schen Bilder führen hinüber zu den von anderen Autoren gemachten Befunden, wonach auch bei den ersten Richtungs- spindeln eigentliche „Uentrosomen“ in dem von Boveri ursprünglich aufgestellten und daher unbedingt festzuhaltenden Sinne vorkommen können, nämlich kuglige, beziehungsweise ellipsoidische, scharf be- grenzte, dunkel färbbare, mit einem noch dunkleren Oentralkorn versehene Körper, welche häufig durch einen hellen Hof — vermutlich -das Produkt einer künstlichen Schrumpfung — gegen das umgebende Plasma abgegrenzt zu sein pflegen. Derartig ausgestattete Richtungs- spindeln finden sich nach van der Stricht?) bei der Seeplanarie Thysanozoon, nach Mac Farland*) bei dem Opisthobranchier Diaulula. Sie schließen sich in ihrem Bau vollkommen den Befunden bei der Spermatogenese von Ascaris (Brauer), bei der Furchung von Ascaris (Boveri) und Sida erystallina an. Schon die vorstehende Uebersicht, in welcher, wie ich glaube, alle speziellen Vorkommnisse durch Typen vertreten sind, zeigt deut- lich einen genetischen Zusammenhang jener extremen Garben- und Tonnenformen mit den gewöhnlichen schmalen Kernspindeln. Es wird sich nun darum handeln, ob sich sonstwo in den beiden Organismen- reichen Figuren oder Figurenreihen vorfinden, welche mit den Bildern der ersten Richtungsspindeln verglichen werden können und vielleicht auf die eigentümlichen Umwandlungen derselben ein Licht werfen. Es ist nun eine auffallende Thatsache, dass Bilder, welche an die oben aufgezählten Befunde Anklänge zeigen, uns zunächst in den 1) Neue Beitr. z. Frage d. Chrom. Red., Tab.7 u. 8. 2) Es handelt sich um die „Bereitschaftsstellung* der ersten Richtungs- spindel, d.h. um denjenigen Zustand des Eies, in welchem dasselbe bei den Copepoden, wie überhaupt bei zahlreichen anderen Formen, befruchtet zu werden pflegt. 3) ©. van der Stricht, De l’origine de la figure achromatique de l’ovule en mitose chez le Thysanozoon Brocchi. Verh. Anat. Ges., 1894. 4) F. M. Mac Farland, Celluläre Studien an Mollusken-Eiern. Zool. Jahrb. (Abt. f. Anat.), Bd. 10, 1897. Er} ‘ BEE Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 127 'Grenzgebieten der beiden Organismenreiche, bei den Einzelligen und bei den Pilzen, in den Weg treten. Jene Entwicklungsphasen der ersten Riehtungsspindel von Oyclops z. B., in welehen der innere Boden der Tonne von einer im optischen Durchschnitt sichelförmigen Plasmahaube bedeckt ist, können äußer- lich mit den Bildern verglichen werden, welche durch R. Hertwi 8, Schewiakoff, Brauer und neuerdings namentlich durch Schau- dinn!) für die Teilungen verschiedener Rhizopoden und Heliozoen bekannt geworden sind. Ich will jedoch dabei nicht länger verweilen, da weder dort, bei Cyc/ops, noch hier über die Natur und Bildung dieser Polplatten oder Polhauben etwas Näheres gesagt werden kann. Gehen wir über zu den aus schmal-spindligen Faserbündeln zu- sammengesetzten Garbenformen, wie sie uns bei Ascaris und — in etwas abweichender Form — bei Cyclops entgegentreten, so zeigen dieselben eine auffallende Aehnlichkeit mit einem Vorkommnis bei einem Pilze, nämlich bei der Entomophthoree Basidiobolus ranarum. Auch hier handelt es sich um eine vorbereitende Teilung und zwar ist es derjenige Teilungsakt, welchen die beiden zwei benachbarten Mycel-Zellen angehörenden Kopulations- Kerne vor ihrer Vereinigung ausführen. Fairchild®) schildert diese Spindel folgendermaßen (Fig. U): sie scheint aus Faserbündeln aufgebaut zu sein, die nicht immer gerade laufen, sondern nach den Polen in Büscheln kon- vergieren, welche den Anschein einer Vielpoligkeit der Spindel erwecken. „Jedes dieser Büschel endigt in einem bestimm- ten, sich stärker färbenden Körper; ob wir es hier mit Centro- somen zu thun haben, vermag ich nieht zu entscheiden“. Es wird wohl niemand die auffallende, beinahe Punkt für Punkt giltige Aehnlichkeit dieser Schilderung mit der obigen Beschreibung der garbenförmigen Ascaris- und Cyclops-Spindeln von sich weisen können. Steigen wir nun von den Grenzgebieten der beiden Reiche wieder aufwärts und wenden uns den höheren Pflanzen zu, so treffen wir hier bei der Reifung der Geschlechtsprodukte auf Vor- kommnisse, welche Anklänge an die früher beschriebenen zeigen und bei welchen sich die Entstehung und die Bedeutung der Bildungen annähernd sicher feststellen lässt. 1) F. Sehaudinn, Ueber die Teilung von Amoeba binucleata Gruber. Sitzungsber. Ges. naturf. Freunde, Berlin, 1895. 2) F. Schaudinn, Ueber die Kopulation von Actinophrys sol Ehrbg. Sitzungsber. d. k. preuß. Akad. d. Wiss., 1896. 3) D. G. Fairchild, Ueber Kernteilung und Befruchtung bei Basidiobolus ranarum. Jahrb. f. wiss, Bot., Bd. 30, 1897 (Cytol. Stud. a. d. Bonner Bot. Inst.) S. 136. 128 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Schon seit längerer Zeit ist den Botanikern das Vorkommen drei- und mehrpoliger Spindelanlagen bekannt gewesen!) und Belajeff?) Fig. W. Lilium candid., männl. (Mottier). hat speziell für die Pollenmutterzellen von Larix und Lilium die Ver- mutung ausgesprochen, dass es sich um Uebergangsstadien handle, welche unter Verschmelzung der Pole zur Bildung der zweipoligen Spindel führen. Mottier3) hat die Richtigkeit dieser Ansicht für die Pollenmutterzellen verschiedener Phanerogamen feststellen können und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die vier- und dreipoligen Stadien verhältnismäßig längere Zeit dauern als die mit noch zahlreicheren Polen*) (vergl. Fig. W). Ebenso entsteht bei der Teilung der Sporenmutterzellen von Egni- setum nach Osterhout?°) zunächst eine vielpolige Spindel (Fig. V). Es können häufig mehr als 12, ja sogar mehr als 20 Pole ausgebildet werden, jedoch kommt es schließlich durch Zusammenrücken und Ver- schmelzung zur Bildung einer zweipoligen Spindel. Auch bei den Sporenmutterzellen mehrerer Lebermoose konnte Farmer®) die Bildung einer vierpoligen Spindel und die paarweise Verschmelzung der Pole vor Beginn der Teilung beobachten. In ein- zelnen Fällen, so bei Pellia, kann die vierpolige Spindel noch während des ersten Teilungsaktes fortbestehen. Obgleich jedoch der Zellkörper, entsprechend den vier künftigen Enkelzellen, bereits eine Zerlegung in vier Lappen zeigt und obgleich die vier Pole der Spindel häufig auf diese vier Lappen verteilt sind, findet keine gleichzeitige Teilung des Kerns in die vier Enkelkerne statt, vielmehr zeigt es sich, dass „the four spindle-arms when present act in pairs“”). Dieser Fall führt dann offenbar hinüber zu den Vorkommnissen bei Pallavicinia, wo nach Farmer?) eine gleichzeitige Teilung des Kerns in die vier Enkelkerne erfolgt. 1) Vergl. Mottier, 1. e,,29..22. 2) Zur Kenntn. d. Karyok. b. d. Pfl., S.5 u. 9. SE ei, Sr 4)'1..€., 8. 22. 5) Entst. d. karyokin. Spind. b. Equis, S. 8. 6) Spore-Form. Hepat., S. 474 u. a, a. O. 7) 1°, 8.900. 8) J. B. Farmer, Studies in Hepaticae. Ann. of Bot., Vol.8, 1894. Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 129 Bei den vorhin erwähnten Gefäßpflanzen (Phanerogamen und Gefäß: kryptogamen) zeigt übrigens, wie aus den Angaben von Mottier!) und Osterhout?) hervorgeht, auch die zweite Teilung der Reifungs- phase, sowohl, was die Entstehung, als auch was den Bau der achro- matischen Figur anbelangt, im Allgemeinen die nämlichen Verhält- nisse, wie die erste Teilung. Blicken wir nun auf die für die höheren Pflanzen gemachten An- gaben zurück, so lässt sich wohl kaum verkennen, dass auch hier wieder, wie bei den Einzelligen und Pilzen, einzelne der Bilder, so z.B. Osterhout’s Fig. 12 (Fig. V) oder Mottier’s Fig. 11 (Fig. W), in vielen Punkten den Bildern bei Ascaris und Cyelops entsprechen. Nicht nur die allgemeine Gestalt der „Garben“, ihre Zusammen- setzung aus einzelnen Bündeln und das Auslaufen dieser Bündel in gesonderten Spitzen, wie es, hier wie dort, bald in mehr, bald in weniger ausgeprägter Weise zu beobachten ist, sondern auch der Charakter dieser Gestaltungen als einer Durchgangsphase?) und ihr übereinstimmendes Vorkommen zu Beginn der ersten und zweiten Reifungsteilung weisen darauf hin, dass hier wiederum eine jener merkwürdigen Konvergenzen zwischen beiden Organismen- reichen vorliegt. Es würde gewiss von großem Interesse sein, durch ausgedehnte vergleichende Untersuchungen diesen Uebereinstimmungen näher zu treten und von dieser Grundlage aus den physiologischen und biologi- schen Sinn der Erscheinungen zu erörtern. Nicht ohne Bedeutung würde dabei die Thatsache sein, dass die Garben- und Tonnenformen der Reifungsteilungen der Metazoen und Metaphyten ihr einziges wirkliches Gegenstück bei den Teilungs- vorgängen der Einzelligen und Thallophyten, und zwar hauptsächlich wieder bei den „vorbereitenden“ Teilungen, finden*). Man würde so vielleicht dazu geführt werden, den Begriff des „Atavismus* in die Frage hereinzutragen. Der Gedanke an eine „atavistische* Erscheinung wird auch noch durch eine andere Beobachtungsreihe erweckt, nämlich durch die That- sache, dass bei den Lebermoosen das Auftreten vierpoliger Spindeln unter Umständen mit einer simultanen Vier- Teilung der Sporen- Mutterzellen zusammenfallen kann (Pallavicinia), während in andern 1 6,50: 9% el 6...p239:; 3) Auch für die Richtungsspindeln des Amphioxus giebt Sobotta soeben (Die Reifung und Befruchtung des Eies von Amphioxus lanceolatus. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 50, 4897, S.31) an, dass die „Form mit offenen Polen“ ein früheres Entwicklungsstadium der Formen mit „geschlossenen“ Polen darstelle. 4) Vergl. die vorbereitende Teilung der konjugierenden Kerne von Basidio- bolus (Fairchild) und die Richtungskörperbildung bei Actinophrys (Schau- dinn). 750 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Fällen eine Rückbildung der vierpoligen Spindel ‚und eine Ver- teilung des Vierteilungsprozesses auf zwei hintereinander folgende Teilungsakte zu beobachten ist. Allem nach scheint es hier das Natür- liche zu sein, anzunehmen, dass der erste Fall ein ursprüngliches, die letzteren ein sekundäres, gewissermaßen atavistisches Verhältnis darstellen. Wenn wir daher sehen, dass auch bei der Reifung der Metazoen und Metaphyten vielpolige Spindeln aus- und wieder zurückgebildet werden, so würde man vielleicht auch hier an eine sekundäre, „atavistische“ Erscheinung denken dürfen. Wie es sich aber auch mit dem atavistischen Charakter jener Bilder verhalten mag, so viel dürfen wir jedenfalls sagen, dass bei den teifungsvorgängen sehr vieler Formen der vorübergehende Uebergang der achromatischen Figur in ein mehrpoliges Stadium als eine normale, physiologische Erscheinung betrachtet werden darf. Man wird sich daher auch hüten müssen, in den Fällen, wo mehrpolige Phasen in mehr unregelmäßiger Weise oder ausnahms- weise auftreten, so z. B. bei den Samen-Mutterzellen von Salamandra, ohne Weiteres von pathologischen Vorkommnissen zu sprechen. Denn wer will beweisen, dass nicht auch hier nachträglich eine retro- sressive Umwandlung des vielpoligen Stadiums in ein zweipoliges statt- finden kann? Offenbar ist die Neigung zur Pluripolarität bei der teifunesspindel der Metazoen und Metaphyten vorhanden: in den einen Fällen scheint dieselbe in regelmäßiger Weise auf- zutreten, in andern jedoch bedarf es vielleicht nur eines geringen, durch irgend welche äußere Faktoren gegebenen Reizes, um jene Pluripolarität ausnahmsweise hervorzurufen, gleichzeitig aber auch dieselbe durch eine retrogressive Umwandlung zu korrigieren. 4. Charakter der ersten Reifungsteilung. Beziehungen zum heterotypischen Teilungsmodus. Es wurde schon oben, als von dem Stadium der „Diakinese* die Rede war, darauf hingewiesen, dass die Bilder, welche die zur Teilung sich vorbereitenden Chromatinelemente in den verschiedenen Kategorien der Keim-Mutterzellen zeigen, in vieler Hinsicht sich entsprechen. Die Uebereinstimmungen, welche speziell die tierischen Ei- und Samen- mutterzellen und die Embryosack- und Pollenmutterzellen zeigen, sind im Wesentlichen folgende: frühzeitiges Auseinanderweichen der Spalt- hälften, Bildung von Ring- und Ueberkreuzungsfiguren, starke Ver- kürzung und Verdiehtung der Elemente vor der Einstellung in den Aequator. Während also in den vorbereitenden Phasen eine gewisse Gleichartigkeit der Bilder ohne weiteres zu erkennen ist, macht sich ein derartiger eimheitlicher Typus während der eigentlichen Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. al Teilung keineswegs auf den ersten Blick bemerklich. Immerhin scheinen aber die Beobachtungen nnd Erörterungen der letzten Jahre wenigstens einen Punkt immer schärfer hervortreten zu lassen, näm- lieh die nahen Beziehungen, welche die erste heifungsteilung der tierischen und pflanzlichen Geschlechtsprodukte zum „heterotypischen“ Teilungsmodus Flemming'’s zeigt. Erste Reifungsteilung. Tierischer Typus. Pflanzlicher Typus. III\ ji / € Fig. X, Marine Copepoden, weibl. Fig. Y. Larix, männl. (vom Rath). (Belajeff). Fig. Z. Allium, männl, Fig. AA. Prostheceraeus, weibl. (Ischikawa). (v. Klineckowström). er Fig. BB. Pteris, Spor. Fig. CC. Thysanozoon, weibl. (Calkins). (eig. Präp.). 132 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Schon vor längerer Zeit, ehe noch die betreffenden pflanzlichen Stadien genauer bekannt waren, machte ich den Versuch'!), die Vor- stadien der tierischen Ei- und Samenreife, mit Rücksicht auf die vor- bereitenden Veränderungen der Chromatinelemente und auf ihre Zahlen- verhältnisse, zum heterotypischen Schema in Beziehung zu bringen. Botanischerseits wurde durch Miss Sargant?), sowie Farmer und Moore?) gezeigt, dass die erste Teilung der Embryosack- und Pollen- mutterzellen im Wesentlichen dem in Salamanderhoden vorkommenden heterotypischen Modus entspricht. Wenn schon in diesem doppelten Vergleich ein Hinweis auf eine sewisse Homologie der tierischen und pflanzlichen Bilder liegt, so er- geben sich noch deutlichere Beziehungen bei einer speziellen Betrach- tung der einzelnen Vorkommnisse, im besondern der Aster- und metakinetischen Phasen. Fasst man die Gesamtheit der bisherigen Beobachtungen auf der einen und auf der andern Seite ins Auge, so ergibt sich allerdings zunächst, dass die Hauptmasse der tierischen Objekte gewissermaßen auf einem, die der pflanzlichen auf dem andern Flügel steht. Aber die beiden Flügel sind durch eine gut zusammenhängende Reihe von Uebergangsformen miteinander verbunden, und es wird sich im Folgen- den zeigen, dass der „tierische“ Typus auch unter den Pflanzen, der „pflanzliche“ auch unter den Tieren vorkommt. Betrachten wir zunächst die beiden sozusagen extremen Vorkomm- nisse. Wenn es erlaubt ist, auch hier wieder diejenigen zoologischen Beobachtungen zum Ausgangspunkt zu nehmen, welche sich um Gryllo- talpa und die Copepoden gruppieren, so würde als ein besonders häu- figes und ceharakteristisches Bild die „Bereitschaftsstellung“ der ersten Richtungsspindel *), beziehungsweise das ihr entsprechende Aequatorial- platten-Stadium der ersten Teilung der Samenreife zu erwähnen sein: die stark verdichteten und verkürzten Chromatin -Elemente („Vierer- gruppen“ oder „Viererstäbchen“) sind im Aequator in einer oder zwei Ebenen angeordnet und verharren in diesem Kontraktionszustand und in dieser Stellung geraume Zeit, bis das eigentliche dicentrische Aus- einanderweichen der Elemente erfolgt (Fig. X). Bei den höheren Pflanzen dagegen kommen die metakine- tischen Phasen, in denen das allmähliche Auseinanderrücken der Spalthälfte erfolgt, verhältnismäßig häufig zur Darstellung und dürften daher einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen; eine Vierwertig- keit der Elemente ist niebt ohne weiteres zu erkennen, vielmehr zeigen 1) Die heterotype Kernt. im Cykl. d. gen. Z., 1892, S. 175 ff. 3) Some Details of the First Nuel. Div., 1895, p. 286, sowie deren spätere Schriften. 3) On the essent. Similar., 1805. 4) Vergl. 8. 726, Anm. 2. je. Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 133 die Bilder die verschiedenen Doppel- VY-, Doppel-2-!) und Kreuz-Figuren, deren Entstehung, Bedeutung und Schicksal durch die gemeinsamen Bemühungen mehrerer botanischer Autoren in der letzten Zeit völlig klargelegt worden ist (Fig. Y). Dies in ganz rohen Zügen das Bild der ersten Spindel im Tier- und Pflanzenreich. Wie gesagt, fehlt es aber nicht an zahlreichen Uebergangsformen, welche in der vorhin angedeuteten Weise den Tier- und Pflanzen-Typus der ersten Reifungsspindel miteinander in Verbin- dung bringen. Pflanzliche Bilder, welche direkt an die Gryllotalpa- und Copepoden- Präparate erinnern, hat z. B. ganz neuerdings Ischikawa für Allium abgebildet?) (Fig. Z), und ebenso gab Calkins?) für die erste Tei- lung der Sporenmutterzellen der Pteridophyten Bilder, welche wohl jeder, der ihre Herkunft nicht kennt, zunächst den Arthropoden zu- sprechen würde (Fig. BB). Auf der andern Seite finden sich z. B. bei den Seeplanarien. echte heterotypische Figuren, wie man sie etwa bei den Liliaceen antrifft. So hat Klinekowström*) echte metakinetische Stadien mit allen möglichen längsgestreckten Ring- und Kreuzfiguren abgebildet (Fig. AA) und ebenso ein etwas späteres Stadium, in dem diese Figuren bereits einen einseitigen Durchbruch im Aequator erfahren haben. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, von einer Reihe von Seeplanarien | T’hysano- 2oon, Cycloporus, Leptoplana°)| die Reifungs- und Befruchtungsstadien zu untersuchen und habe speziell bei Thysanozoon Bilder gefunden, welche bezüglich der Beschaffenheit der Chromatin - Elemente der Klinekowström’schen Darstellung vollkommen entsprechen (Fig. CC). Aehnliches hat Mac Farland bei einem Opisthobranchier (Diaulula) angetroffen®), und dass ein außerordentlich reger Konnex zwischen derartigen Figuren und den echten Vierergruppen besteht, geht aus der Arbeit Moore’s über die Spermatogenese der Elasmobranchier ”) hervor. Moore, im Uebrigen ein Gegner der von Rückert, vom 4) Vergl. Moore, Struct. Changes Repr. Cells Elasmobr., p. 289. 2) Entw. d. Pollenk. v. Allium, Fig. 50—70. 3) Chrom.-Red. Pteridoph., Fig. 11 u. 20. 4) A. von Klinekowström, Beiträge zur Kenntnis der Eireifung und Befruchtung von Prostheceraeus vittatus. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 48, 1897, Fig. 4—6. 5) Das meiste Material habe ich dieses Frühjahr in Neapel gesammelt. — Cycloporus papillosus legte in den Aquarien in der zweiten Hälfte des Mäız, eine Leptoplana-Species zu Anfang April reichlich Eier ab. Einen Teil des Thysanozoon-Materiales verdanke ich der Giite des Herrn Kollegen van der Stricht, welcher sich in freundlicher Weise mit der Veröffentlichung der obigen Figur (Fig. CC) einverstanden erklärt hat. 6) Cell. Stud. an Moll.-Eier, Fig. 25. 7) Struct. Changes Repr. Cells Elasm., Fig. 43—47. 734 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. Rath und mir vertretenen Auffassungen, hat einen direkten Ueber- gang heterotypischer Bilder aus echten Vierergruppen, welehe durchaus an die Vorkommnisse bei Arthropoden erinnern und nach Moore’s Beobachtungen auch die nämliche Entstehung zeigen, in der schönsten Weise zur Darstellung gebracht!) (Fig. DD u. EE). Rt Fig. DD. Pristiurus, männl. Fig. EE. Pristiurus, männl. (Moore). (Moore). In diesen wechselseitigen Beziehungen scheint mir wiederum ein deutlicher Hinweis auf die Homologie der verschiedenen Formen der Keim-Mutterzellen zu liegen. Es tritt dieselbe umsomehr hervor, wenn man bedenkt, dass echte Vierergruppen bis jetzt noch in keiner andern Zellkategorie zur Beobachtung gelangt sind. Metakinetische Streckung der CUhromatin- Elemente. In denjenigen Fällen, in welchen bei zoologischen Objekten nicht bloß die Asterstadien, sondern auch die späteren Phasen zur Darstellung gekommen sind, zeigt sich mitunter während der Metakinese eine ebensolche Streckung und Verdünnung der Ele- mente, wie siebei der Teilung der Pollen- und Embryosackmutter- zellen, z.B. bei den Liliaceen, in regelmäßiger Weise vorzukommen scheint?). Eine derartige „metakinetische Streckung“ der Elemente, welche sich zwischen die „astrale“ und „dyastrale Verkürzung“ ?) einschiebt, ist z. B. bei den Eiern von Cyclops brevicornis zu beobachten. Aehnliche Bilder kommen nach vom Rath bei der Eireifung mariner Copepoden *), nach v. Klinekow- ström?) und nach eigenen Beobachtungen bei derjenigen der Seeplanarien vor. Diese Vorkommnisse werfen vielleicht auch ein Licht auf die Beobach- tungen Korschelt’s am Ophryotrocha-Ei. Neben ersten Richtungsspindeln mit körnehenförmigen Chromosomen fand nämlich Korschelt*®) auch 1) Moore hat auf das von ihm (Fig. 43) abgebildete Stadium mit typischen Vierer-Ringen (vergl. Fig. DD) bei seinen theoretischen Auseinandersetzungen keine weitere Rücksicht genommen. 2) Vergl. z. B. Belajeff, Zur Kenntn. d. Karyok., Fig.8, und Sargant, Format. Sex. Nucl. in Lil. Mart., I, Fig. 23. 3) Ueber d. Selbst. d. vät. u. mütt. Kernbest., S. 586, Fig. 15—16. 4) Neue Beiträge z. X'rage der Chrom. Red., Fig. 37—38. 5).1. oe, Eigs6: 6) 1. e,, 8. 611 ff., Fig. 123—139, Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 735 solche, bei denen die Chromosomen die Gestalt hufeisenförmiger Schleifen hatten, und zwar zeigten die betreffenden Spindeln stetsschon das Tochter- sternstadium. Korschelt kommt daher zu dem Schluss, dass die huf- eisenförmigen Kernschleifen der Tochterplatten aus den Körnern der Aequatorial- platten hervorgehen, glaubt jedoch, dass es sich um eine außergewöhnliche Er- scheinung, um ein Zurückfallen in die früheren ursprünglichen Verhältnisse handle, Man kann dieses Stadium mit schleifenförmigen Chromosomen als ein Vor- kommnis betrachten, welches der „metakinetischen Streekung“ bei andern Formen entspricht. Der Korschelt’schen Darstellung zur Folge könnte man auch daran denken, dass dieses Stadium auch bei Ophryotrocha nicht bloß eine Folgephase der Aequatorialplatte mit körnchenförmigen Chromosomen darstellt, sondern unter Umständen auch wiederum ein Dyasterstadium mit körnchen- förmigen Elementen, wie es z.B. in Fig. 100 u. 102 dargestellt ist, aus sich hervorgehen lässt, dass es sich also in mehr regelmäßiger Weise als „metaki- netische Streckung* zwischen die „astrale* und „dyastrale* Verkürzung einschiebt !). Allgemeine Zahlenverhältnisse. „Normalzahl“. Die Mehr- zahl der Autoren, welche den Ausdruck „Normalzahl“, „typische Zahl“ gebrauchen, wird wohl zur Zeit diejenige Zahl der Chromatinelemente darunter verstehen, welche bei einer bestimmten Tier- und Pflanzen- species durch Zerlegung des Chromatinfadens im Maximum gebildet wird. Man könnte auch sagen, der Chromatinfaden zeigt bei der Tei- lung die Tendenz, sich in die der Species zukommende „Normalzahl“ zu zerlegen. Diese Fassung des Begriffes „Normalzahl“ dürfte historisch durch- aus begründet sein. Salamandra maculosa war bekanntlich das erste zoologische Objekt, bei welchem die Konstanz der Chromosomenzahl in den verschiedenen Geweben des erwachsenen Tieres, sowohl in Epithelien als im Bindegewebe, festgestellt werden konnte: diese Zahl beträgt „24“. Alle Autoren, welche sich auf dieses Objekt berufen, haben auch unbedenklich dem Salamander die „Normalzahl“ 24 zu- erkannt, trotzdem während der Spermatogenese (nach vom Rath bei der Teilung der Ursamenzellen) und in larvalen Geweben Mitosen mit nur zwölf Elementen auftreten?). Da wir nun einmal in den Untersuchungen am Salamander eine ganz unzweideutige, historisch begründete Basis für die Zählungen haben, so scheint es mir nur folgerichtig zu sein, wenn man auch bei 1) Ich habe bei verschiedenen tierischen Eiern den Eindruck gewonnen, dass die Anzahl der in der Reifungsperiode sich folgenden, durchaus ver- schiedenartig aussehenden Phasen eine viel größere ist, als man anzunehmen geneigt ist, dass aber trotzdem von jedem einzelnen Ei die ganze Folge in regelmäßiger Weise durchlaufen wird. Ich glaube, dass man sich gerade hier außerordentlich in Acht nehmen muss, auffällige Bilder als „abnorm“ zu be- trachten. 2) ©. vom Rath, Beiträge zur Kenntnis der Spermatogenese von Sala- mandra maculosa. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 57, 1893, S. 106, Anm. 1, 736 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. anderen Formen bei Bestimmung der Normalzahl nach derselben Richt- schnur verfährt, d. h. in erster Linie von den somatischen (nieht- geschlechtlichen) Zellen erwachsener Tiere ausgeht. vom Rath!) und ich?) haben uns seit mehreren Jahren an diese Regel gehalten, und, so viel ich den betreffenden Arbeiten entnehmen kann, haben auch Rückert und andere Autoren das Wort „Normalzahl“ in demselben Sinn gebraucht. Die „Normalzahl“ würde also, um es kurz zusammenzufassen, die in den somatischen Zellen der erwachsenen Tiere auftretende Chromo- somenzahl sein, sie beträgt im Allgemeinen das Maximum der von der betreffenden Species überhaupt erreichten Zahl, während die im genera- tiven Zellen-Cyklus, ferner bei der Furchung (Oyclops brevicornis) und in larvalen Geweben (Salamandra) beobachteten niedrigeren Zahlen bei der Aufstellung der Normalzahl erst in zweiter Linie in Betracht kommen dürfen. Diese Definition ist, wie gesagt, nicht nur historisch genügend be- gründet, sondern sie gibt den Zählungen in den verhältnismäßig nicht häufigen Fällen, in welchen solche überhaupt leicht auszu- führen sind 3), eine sichere Grundlage. Von dem erwähnten Sprachgebrauch weicht, wie ich hier bemerken will, Korschelt insofern ab, als er sich bei Bestimmung der Normal- zahl von Ophryotrocha u. a. auf die Verhältnisse bei der Samen- und Eibildung und bei der Eifurchung stützt und von den beiden, in Embryonal- und Larvenstadien nebeneinander vorkommenden Zahlen „4“ und „S“ die kleinere als typisch betrachtet. Ich habe selbst die Embryonen und Larven®) von Ophryotrocha auf diesen Punkt zu untersuchen Gelegenheit gehabt und habe die Erfahrung gemacht, dass die Vierzahl der Elemente in den ektodermalen und ento-mesodermalen Geweben der Embryonen und im Körperepithel der Larven nicht selten vorkommt, dass sich aber in mindestens ebenso vielen sicheren Fällen daselbst die Achtzahl nachweisen lässt. Es scheinen mir daher die Verhältnisse bei Ophryotrocha sich ziemlich genau den bei Oyclops brevicornis beobachteten anzuschließen, wo die kleinere Zahl in den ersten Furchungsstadien zunächst in allen Blastomeren vor- kommt, später aber sich mehr und mehr auf gewisse Elemente, im Melze.,.S. 119, Anms 2) V.Häcker, Ueber generative und embryonale Mitosen, sowie über pathologische Kernteilungsbilder. Arch. f. mikr. Anat., Bd.43, 1894, S. 763 unten. 3) Ich glaube, dass bei den meisten Objekten überhaupt nur Polansichten des Asterstadiums und Querschnitte durch die Tochterschleifengruppen des Dyasterstadiums sichere Zählungen ermöglichen. Seitenansichten der Dyaster werden in vielen Fällen eine zu geringe Zahl vortäuschen. 4) Im Speziellen ist mir auch das Larvenstadium mit elf parapodientragen- den Segmenten, welchem die Korschelt’schen Figuren 6 u. 7 entnommen sind, vorgelegen. Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 137 Fall von Cyclops auf die Keimbahn, beschränkt, während die übrigen Zellen zur größeren Zahl („Normalzahl“) abfallen !). Geht man von der obigen Definition der „Normalzahl“ aus, so lässt sich, wie seit Boveri’s Untersuchungen mehr und mehr zu Tage getreten ist und wie neuerdings z. B. auch von Wilson angegeben wird als Regel aussprechen, dass die Zahl der „primären“ Chromatin- körper (Vierergruppen, Viererstäbe, Ringe, Tetraden) bei ihrem ersten Auftreten im Keimbläschen und im Kern der Samen -Mutterzelle die Hälfte der Normalzahl beträgt („is one-half the usual number of Chromosomes“). Ganz dieselbe Regel gilt nun auch für die höheren Pflanzen. Für die Pollen- und Embryosackbildung der Liliaceen ist dieses Verhältnis bereits durch Guignard’s Untersuchungen?) bekannt geworden und alle neueren Forscher — ich nenne nur Sargant, Dixon, Ischi- kawa — haben dasselbe für die Lilien und andre Phanerogamen immer wieder bestätigt. Danach beträgt die Anzahl der in der Pollen- und Embryosackmutterzelle auftretenden längsgespaltenen Elemente die Hälfte der in den vegetativen Zellen gefundenen, höchsten Chromo- somenzahl. Ebenso finden sich nach Calkins in den Sporenmutter- zellen der Farne nur halb so viel Tetraden vor, als in den vorher- gehenden Teilungen Chromosomen aufgetreten waren. ‚Für die zusammengesetzten Chromatinkörper, welche in verschie- denen, durch mannigfache Uebergänge miteinander verbundenen Formen bei der Teilung der tierischen und pflanzlichen Keim-Mutterzellen auf- treten, lässt sich also als gemeinsame Regel angeben, dass ihre Zahl die Hälfte der „Normalzahl“ beträgt. Die Scheinreduktion bei der ersten Reifungsteilung. Die Beobachtungen vom Rath’s, Rückert’s und meine eigenen bei Canthocamptus und Cyeclops brevicornis gewonnenen Bilder haben zu den übereinstimmenden Ergebnis geführt, dass die zusammen- gesetzten Chromatin-Elemente, welche bei den betreffenden Objekten zu Beginn der ersten Reifungsteilung auftreten, vierwertig sind und ab ab 1) Als Konsequenz würde sich ergeben, dass auch bei der ersten Reifungs- teilung von Ophryotrocha die an die Pole rückenden Schleifen zweiwertig sind, wie dies bei andern Formen als Regel angenommen werden darf. 2) L. Guignard, Nouvelles &tudes sur la fecondation, Ann. sc. nat., Bot., Ser..7, I. 14; 1891, 8.255. 3) Heißen die im Chromatinfaden hintereinander folgenden Segmente a, b, c..., so wird der längsgespaltene Chromatinfaden sich durch | 2 b E N 5 |(das Keim- der Formel entsprechen?). Ich erinnere an die aus vier Kugel- darstellen lassen und die Formel für eine Vierergruppe ist | ie ’ bläschen, 1. Teil, 1893, S. 464). XV. 47 SS 38 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. . chromosomen zusammengesetzten Ringe und an die quergekerbten Doppelstäbe der Copepoden. Auch aus andern Darstellungen geht der vierwertige Charakter der entsprechenden Gebilde mit Sicherheit her- vor. So wird jeder Unbefangene zugeben, dass die von Moore!) ab- gebildeten Ringfiguren (vergl. oben Fig. DD), welche die gleiche Ent- stehung wie die entsprechenden Elemente von Gryllotalpa zeigen, zwei und nicht bloß eine Symmetrieebene besitzen. Wenn also bei diesen Ringen überhaupt von einer Zusammensetzung aus einzelnen Chromatin- Individuen gesprochen werden darf, dann sind es eben vier und nicht bloß zwei solche Komponenten. Auf indirektem Wege bin ich seinerzeit zu demselben Schlusse gekommen. Nachdem ich bei der heterotypischen Teilung der Urgenitalzellen von COyclops gefunden hatte, dass hier nur die halbe Normalzahl von Elementen sich vorfindet, nachdem sich ferner eine nachträgliche Quer- teilung der an die Pole wandernden Schleifen in je zwei Stäbchen ge- zeigt hatte, gelangte ich zu der Annahme, dass bei der betreffenden Teilung die volle Chromosomenzahl in latenter Weise vorhanden sei. Aus gewissen Aehnlichkeiten, welche die Vierergruppen mit den Ele- menten der Urgenitalzellen zeigen, schloss ich, dass auch die Vierer- gruppen längsgespaltene, bivalente Chromosomen dar- stellen ?). Auch für die höheren Pflanzen lassen sich verschiedene Gründe anführen, welche darauf hinweisen, dass in den Chromatinkörpern der ersten. Reifungsteilung noch die volleAnzahlvonChromosomen in latenter Weise vorhanden ist, dass es sich also auch hier unı eine Scheinreduktion und nicht um eine vorausgegangene Reduk- tion n Boveri’schem Sinne handle. Diese Gründe sind folgende: 1. Die Vierergruppen-ähnlichen Bilder, welche Calkins für die Sporenbildung der Pteridophyten, Ischikawa für die Pollenbildung von Allium gegeben hat (Fig. Zu. BB) lassen sich am ungezwungensten durch die Annahme einer Vierwertigkeit deuten. Da nun aber die entsprechenden Elemente bei andern höheren Pflanzen, z. B. bei den Lilien und bei Larix, die nämliche Entstehungsweise zeigen, da die hier vorkommenden Bilder außerdem durch mannigfache Uebergangs- stufen mit jenen verbunden sind, so wird die Möglichkeit einer Ver- allgemeinerung der obigen Hypothese nahe gelegt. 4) Struct. Changes Repr. El. Elasm., Fig. 43. 2) Es ist daher eine Verkehrung des Sachverhalts, wenn Moore (Essent. Simil. Proc. Chrom. Red., p. 436) mir vorwirft, ich habe mich bei der’ Auf- stellung des Begriffs der „Scheinreduktion“ von dein dogmatischen Glauben an die universelle Existenz der Reduktionsteilungen leiten lassen. Vergl. die het. Kernt. im Cykl. d. gen. Z., 1892. ee EUER Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. "39 2. Schon Guignard hatte für die Liliaceen festgestellt, dass der untere (chalazale) der beiden Kerne, welche durch Teilung des Embryo- sackkerns entstehen, nicht 12, sondern häufig 16, 20, ja selbst 24 Chromo- somen zeigt, trotzdem sein Mutterkern (der primäre Embryosackkern) und ebenso sein Schwesterkern (der mikropylare Kern) nur 12 Chromo- somen aufweist !). Nach einer schon von Boveri?) aufgestellten Regel differenzieren sich aber bei der Kernteilung ebenso viel Ohromekbihen aus dem Kern- gerüst heraus als in die Bildung desselben eingetreten waren. Dreht man diesen Satz um, so würde sich ergeben, dass sich aus der Zahl der bei der fol g Snden Teilung hervor wefenden Chromosomen die Zahl der in das Kernizertkt eingegangenen Elemente entnehmen lässt. Kom- men also bei der Teilung des chalazalen Kerns 24 Chromosomen zum Vorschein, so müssen auch 24 Chromosomen in das Kerngerüst ein- gegangen sein: die zwölf bei der Teilung des Mutterzellkerns von den Toehterkernen übernommenen Elemente müssen also doppelwertig (bivalent) sein. 3. Dixon?) hat für die Teilung der Pollenmutterzelle von Zilium longiflorum die Angabe gemacht, dass sich die Chromatinschleifen bei der dicentrischen Wanderung in ihre zwei Schenkel zerlegen, er hat also hier genau die nämliche Thatsache gefunden, welche bei der Tei- lung der Urgenitalzelle von Oyeclops festzustellen ist und welche von mir im Sinn einer Zweiwertigkeit der Elemente gedeutet worden ist ®). „Finally, at the poles, or before the V-shaped ehromosomes have reached the poles, they each break into two portions Iying parallel to one another, and representing the legs of the V“. Dixon gelangt auch zu der nämlichen Deutung: I tbink it probable that each of the chromosomes into which the nuclear thread of the pollen-mother-cells breaks, prior to karyokinesis, corresponds to two chromosomes of previous divisions“. Ischikawa’) giebt für die Pollenmutterzellen von Allium gleich- falls an, dass die V-förmigen Chromosomen, an den Polen angelangt, an ihren Umknickungsstellen durchbrechen. 1) Vergl. auch Miss Sargant, Format. Sex. Nucl., I, p.471: „the chalazal nucleus exhibits from twenty-four to thirty-two chromosomes in its nuclear plate, though formed itself from the twelve chromosomes of the first division. The true explanation is still to be found“. Da Sargant auf die theoretischen Fragen, deren sie im ersten Abschnitt ihrer Arbeit gedenkt, nicht weiter zurückkommt, so ist nicht ersichtlich, ob sie an die obige Er- klärung gedacht hat. 2) Th. Boveri,+Zellenstudien III, Jen, Zeitschr., Bd. 24, 1890, S.3 3) Chrom. Lil. longifl., S. 714. 4) Die heterotyp. Kernt. im Cykl. d. gen. Z., S. 170. 5) Stud. Reprod. Elem., III, p. 204. 47* TA0 Häcker, Fortpflanzungsvorgäng® der Tiere und Pflanzen. Aehnliche Bilder finden sich auch in Miss Sargant’s!) Arbeit über die Ovogenese von Lilium Martagon und sind schon von Wilson?) dahin gedeutet worden, dass es sich um einen nachträglichen Durch- bruch der winkelförmigen Schleifen handle. Die Verfasserin wehrt sich nun freilich gegen diese Deutung’), giebt aber auch in ihrer neueren Arbeit über die Pollenbildung der gleichen Pflanze wiederum Bilder, welche sehr gut mit den Befunden Dixon’s und Ischikawa’s im Einklang stehen ?). In Bezug auf letztere lässt sich Folgendes sagen: Setzt sich wirk- lich der Chromatinfaden aus einer bestimmten Anzahl von selbständigen Chromatin- Einheiten zusammen (Individualitäts-Hypothese), so würde der Vorgang der nachträglichen Spaltung oder, wie ich ihn nennen möchte, die M’etalyse?°) darauf hinweisen, dass die Gesamtheit jener Einheiten auch noch während der ersten Reifungsteileng vorhanden ist; darf man aber nur davon sprechen, dass der Faden aus struk- turellen, gewissermaßen physikalischen Gründen überhaupt die Neigung hat, in eine bestimmte Anzahl von Teilstücken zu zerfallen, so würden die Beobachtungen Dixon’s und Ischikawa’s diese Tendenz gleich- falls in bester Weise illustrieren. Wie man sich also auch das Verhältnis der Einzelchromosomen zum unzerlegten Fadenknäuel vorstellen mag, so viel dürfen wir wohl sagen, dass auch bei den höheren Pflanzen eine ganze Reihe von Er- scheinungen zu Gunsten der Hypothese spricht, wonach beim ersten Teilungsvorgang der Reifungsperiode nur eine Schein-Reduktion besteht. Und zwar handelt es sich um lauter Thatsachen, welehe die ältere, von Boveri stammende Reduktions- hypothese nicht zu erklären im Stande ist: es sind dies die Zusammensetzung der Vierergruppen (Allium, Farne), das. Wieder- auftreten der „Normalzahl“ im chalazalen Kern und die nachträgliche Spaltung der Elemente im Dyasterstadium („Metalyse“). Für die- jenigen Forscher, welche sich gegenüber der Hypothese der Schein- reduktion ablehnend verhalten, erwächst also die Aufgabe, die Mög- liehkeit irgend einer andern Erklärung für die eben aufgezählten Er- scheinungen anzudeuten®). 1) Form. Sex. Nucl. Zil. Mart., I, Fig. 23—24. 2) The Cell. in Dev. a. Inh, p. 197. 3) E. Sargant, The Formation of the Sexual Nuclei in Zikum Martagon: II. Spermatogenesis, Ann. of Bot., V. II, 1897, p.221, Postser. 4A) Form. Sex. Nucl. Lil. Mart., II, Fig. 13—14. 5) Diesen Ausdruck habe ich in einem früheren Aufsatz (das Keimbl., I, S.463) für die nachträgliche Zerlegung zweiwertiger Elemente in einem spe- ziellen Fall angewandt. Vielleicht ist es zweckmäßig, ihn auf die oben be- sprochenen Vorkommnisse zu übertragen. 6) Vergl. hiezu die Versuche Moore’s, bei der Behandlung des ganzen Problems den „profoundly fundamental character“ der Synapsis in den Vorder- grund zu rücken, Struct. Chang. Repr. Cells. Elasmobr., p. 311. RER Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 741 Im Hinblick auf das oben beigebrachte Thatsachenmaterial dürfte sich auch der Ausspruch Strasburger’s nicht mehr ganz aufrecht erhalten lassen: „dass die in reduzierter Anzahl sich einstellenden Chromosomen doppelwertig seien, wird nur aus theoretischen Erwägungen angenommen, sie zeigen zunächst von dieser doppelten Zu- sammensetzung nichts. Morphologisch ist die Doppelwertigkeit somit nicht vorhanden, wenn sie auch physiologisch in der That von Anfang an zu bestehen scheint“!). Die unter 1. und 3. genannten BR können, so viel ich sehe, sehr wohl als Anzeichen einer morpho- logischen Doppelwerligkeit gedeutet werden. Schluss. Es wurde in Be Aufsatze auf eine Reihe von Ver- änderungen hingewiesen, welche das Chromatin, die Nukleolarsubstanz und die achromatische Figur der ersten Reifungsteilung in einer großen Zahl von Fällen?) in einer bei Tieren und höheren Pflanzen übereinstimmenden Weise erfahren. Es scheint mir, dass die Gesamt- heit der dabei hervorgetretenen Homologien geeignet ist, den im Ein- gang ausgesprochenen Satz zu begründen, wonach das Mutterzellen- stadium und die darauf folgende erste Teilung der tierischen und pflanzlichen Geschlechtsprodukte als entsprechende Stadien aufgefasst werden dürfen und auf einen homologen biologischen Charakter hin- weisen. Welches die biologische Bedeutung dieser Phasen und überhaupt der Reifungsvorgänge ist, wird freilich erst dann in vollständigerer Weise beurteilt werden können, wenn über die bei der zweiten Tei- lung sich abspielenden Vorgänge eine größere Klarheit und Sicherheit geschaffen ist und der Wert der etwa bestehenden Aehnlichkeiten und Unterschiede genauer erkannt werden kann. Dass auch bei den höheren Pflanzen während des zweiten Tei- lungsaktes Vorgänge besonderer Art sich vollziehen, darüber kann wohl nach den bisherigen Beobachtungen kein Zweifel bestehen und irgend ein Versuch, die zweite Teilung nach einem der geläufigen Schemata zu deuten, wird mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Die besonderen Zustände der chromatischen Substanz, welche mit der zeitlichen Verkürzung oder gänzlichen Unter- drückung des vorhergehenden Ruhezustands im Zusammen- hang stehen, und die eigentümlichen metakinetischen Phasen lassen se nicht ohne Weiteres mit den Schlagworten „Heterotypie“ y Ueber eastrukt, S. 247. 2) Um jedem Missverständnis entgegenzutreten, möchte ich hinzufügen, dass es mir selbstverständlich fernliegt, in diesem Aufsatz eine Norm für die Entwicklung der Keim - Mutterzellen aufstellen oder gar abweichende Befunde für weniger typisch betrachten zu wollen. Die angeführten Beispiele sollen nur dazu dienen, den Eingangs zitierten Satz zu begründen, 742 Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. und „Homöotypie“ erklären. Es darf auch nicht vergessen werden, dass bei der Pollenbildung die folgende dritte Teilung, aus welcher der generative und vegetative Kern des Pollenkerns hervorgeht nach den Angaben von Sargant!) und Ischikawa?) nicht nur durch | einen längeren Zeitraum beziehungsweise einen vollständigen Ruhe- zustand, von der zweiten Teilung getrennt ist, sondern auch, wie aus Zahlentafel von Oyclops brevicornis. Fig. FF. Keimbläschen Fig. @@. 1. Richtungskörper (12 Vierergruppen). (12 Schleifen). Fig. HH. 2. Richtungsspindel Fig. JJ. 1. Furchungsspindel (6 zusammengesetzte Elemente). (in jeder Hälfte 6 Schleifen). 2. Riehtungsspindel, Fig. KK. Prostheceraeus, weibl. Fig. LL. Hemerocallis, männl. (v. Klinekowström). (Juel). 1) Form. Sex. Nuecl. Lil. Mart., II, p. 208. 2) Stud. Repr. El., III, p. 208. Häcker, Fortpflanzungsvorgänge der Tiere und Pflanzen. 745 Ischikawa’s Figuren 122—132 hervorgeht, schon in einem frühen Spiremstadium in deutlichster Weise die Längsspaltung hervortreten lässt. Diese Verhältnisse, welche sich im Wesentlichen bei dem vierten Teilungsschritt!) wiederholen, lassen diese späteren Teilungs- akte als typische, den gewöhnlichen Kernteilungen näher stehende Vorkommnisse erscheinen, während der besondere Charakter der zweiten Teilung durch,diesen Gegensatz um so schärfer hervorgehoben wird. Scheint ja doch nach allen vorliegenden botanischen Berichten die Entscheidung darüber, ob vor der zweiten Teilung eine Längsspaltung auftritt oder ob eine solche fehlt, mit ganz außerordentlichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verknüpft zu sein, während sich der betreffende Vorgang bei der ersten, dritten und vierten Teilung ohne weiteres den Augen darzubieten scheint. Alle diese Schwierigkeiten, welche mit dem zweifellos besonderen Charakter der zweiten Teilung verbunden sind, werden dem Beobachter noch deutlicher zum Bewusstsein gebracht, wenn man da und dort wieder plötzlich überraschende und handgreifliche Vergleichspunkte hervortreten sieht. Ich möchte mit wenigen Worten auf einen Punkt aufmerksam machen, in welchem eine derartige, zunächst äußerliche Aehnlichkeit hervortritt: Bei der Övogenese von Cyelops brevicornis?) erhalten bei der ersten Teilung Eikern und erster Richtungskörper je zwölf Schleifen, wie sich namentlich gut im Richtungskörper, wo die Schleifen sehr bald eine lockere Verteilung zeigen, nachweisen lässt (Fig. @G). Eine Längsspaltung ist nicht festzustellen. In der Aequatorialplatte der zweiten Teilung treten dann sechs aus je zwei Schleifen zusammen- gesetzte Gebilde auf, welche nur durch Aneinanderlegung von je zweien jener zwölf Schleifen entstanden sein können (Fig. HH). Bei der Seeplanarie Prostheceraeus?) erhält der Eikern bei der ersten Teilung 6 Elemente, welche zunächst die Gestalt von Hufeisen mit eng zusammenliegenden Schenkeln haben. Vor der zweiten Tei- lung findet eine Trennung der Schenkel im Schleifenwinkel statt: sie lagern sich dann zu einer kreuzförmigen Figur zusammen, welche nach der Formel @«> @) a>6 N drücken \S1/ ®n gleichsetzen. Die vor ©] 1) Lehrbuch der Differential- und San Deutsch von Th. Witt- stein, 3. Aufl, Hannover 1865—1866, Bd. II Anhang: Die Methode der kleinsten Quadrate, p. 440 840 (e). 2) cf. Tab. II 2 des Anhangs. 3) ef, bei diesem Abschnitt Tab. IT 1 des Anhangs, Duncker, Korrelationsstudien. RaSr, Uebereinstimmung beider ist dann natürlich nicht stets eine vollständige; ich berechnete deshalb zunächst die beiden durch dieselben bestimmten Einzelwerte r, und r,, ermittelte deren „relative Differenz“ und be- stimmte dann r nach der Formel 2 = )-; dm =( FrRihi &(z p q Die relative Differenz der Werte für r, und r, ergab das Maß- für die Genauigkeit des erhaltenen Resultats. Unter „relativer Differenz“ zweier Zahlen verstehe ich diejenige dritte Zahl, welche zu eins addiert und von eins subtrahiert zwei Zahlen ergiebt, welche sich zu einander verhalten, wie die ursprüng- lich mit einander verglichenen. Nennt man diese letzteren « und 2, wobei a seinem absoluten Zahlenwert nach größer als 5 sei, so ist ihre relative Differenz a—b Fed und es verhält sich (I1+-d): 1—-d=a:b d bleibt demnach stets positiv, ferner so lange ein echter Bruch, wie a und 5 gleiche Vorzeichen haben; ist a = b, so ist d—=(; ist d—=0, so ist d = 1; haben a und 5 verschiedene Vorzeichen, so wird d>1. Die relative Differenz von r, und r, diene hier somit als Maß des wahrscheinlichen Fehlersbeiden für die einzelnen Merkmalskombinationen erhaltenen Bestimmungsresultaten von r, wenn letztere auf eins redu- ziert (durch sich selbst dividiert) sind. — Bei der geringen absoluten Größe der r-Werte bleibt d ohne wesentliche Bedeutung, so lange es 0,10 nieht überschreitet; liegt d zwischen 0,10 und 0,25, so ist der für r gefundene Wert nur noch annähernd richtig; bleibt d unter 1,00, so behält wenigstens das Vorzeichen des r-Wertes seine Giltigkeit, d. h. es lässt sich erkennen, ob die Korrelation positiv oder negativ wirkt, ohne dass ihr Intensitätsgrad gemessen werden konnte; ist end- lich d>1, so ist der gefundene Wert von r nebst seinem Vorzeichen bedeutungslos, d. h. weder geht aus der Berechnung hervor, welcher Intensität die etwa bestehende Korrelation ist, noch, ob solche über- haupt vorliegt. Besonders häufig zeigt derjenige Quotient — Unregelmäligkeiten, dessen supponierte Variante von dem totalen Mittelwert des suppo- nierten Merkmals überhaupt am wenigsten abweicht; wir werden diese letztere deshalb auch im Folgenden als „mittlere Variante“ bezeichnen. Bei ihm treffen verschiedene Bedingungen zusammen, deren jede ein- zelne bereits störend wirken kann. Es genügt zunächst eine geringe empirische Abweichung von »,, um für z einen Wert mit falschem 794 Schiemenz, Hat das Ur-Rind noch in historischer Zeit gelebt? Vorzeichen zu erhalten. Da außerdem der Wert für s im Nenner dieses Bruches höchstens gleich !/, ist, so wird ein so entstandener Fehler in z äurch die Division beträchtlich vergrößert, und der resul- tierende Quotient beeinträchtigt auch das arithmetische Mittel aller Se = Quotienten (“ (: ) ) Beispielsweise erhielt ich bei Supposition der Du Summe -aller Kielflossenstrahlen (D + A) in Kombination mit der Summe der Kielflossenstacheln (D, + A,) folgende sieben Werte fir er 155 ol 0170 ET NO TI s ’ Sechs dieser Werte besitzen nicht nur das gleiche Vorzeichen, sondern stimmen auch in ihrer Größe gut mit einander überein. Der siebente, mittlere hingegen verhält sich sehon hinsichtlich seiner Größe jenen gegenüber verschieden; besonders aber weicht er von diesen, wie von den entsprechenden Werten bei Supposition von D, + A, in derselben Merkmalskombination, durch sein negatives Vorzeichen ab. Bei Addition der sieben Werte erhält man in Folge dessen 0,445, eine entschieden zu kleine Summe, und mittels dieser eine große relative Differenz zwischen r, und r, (d —= 0,3272). Setzt man nun statt des fehler- haften Quotienten das Mittel der sechs übrigen (0,146) ein, so steigt die Quotientensumme auf 1,023, während der Fehlerwert auf 0,0763 sinkt. Dieser Korrektur entspricht eine Verminderung des mittleren m„-Wertes von D, + A, um 0,025, von 16,194 auf 16,169, also um nur 4°/, des Variabilitätsindex dieses Merkmals (v = 0,624). (Zweites Stück folgt.) Hat das Ur-Rind (Bos primigenius Boj.) noch in historischer Zeit gelebt? 1. Nehring, Alf. Die Herberstain’schen Abbildungen des Ur und des Bison. (Ein Beitrag!zur Geschichte des europäischen Urrindes.) in: Landwirtsch. Jahrb., 25. Jahrg., S. 915—933, 2 Fig., Taf. 32—35, 1896. 2%. Derselbe, Ueber Herberstain und Hirsfogel: Beiträge zur Kenntnis ihres Lebens und ihrer Werke. Berlin, Ferd. Dümmler, 8°, 8 u. 100 S., 10 Fig., 1897. Die Abstammung unserer mitteleuropäischen Hausrinder ist immer noch eine vielumstrittene. Teils lässt man ihre Vorfahren direkt vom westlichen Asien aus durch wandernde Völkerschaaren eingeführt sein, teils verlegt man ihren Ursprung nach Nordafrika, wo sich ein Haus- rind aus der Kreuzung einer dem Bos primigenius nahe verwandten oder mit ihm gar identischen Art mit einer ihrerseits aus Indien ein- geführten Zeburasse herausgebildet haben soll u. s. w. Es ist selbst- verständlich sehr wohl möglich, dass nicht alle mitteleuropäischen Rassen des Hausrindes an Ort und Stelle entstanden, sondern zum u Schiemenz, Flat das Ur-Rind noch in historischer Zeit gelebt? 795 Teil thatsächlich durch einwandernde Völkerstämme eingeführt wurden, allein für die sogenannten Prömigenius-Rassen, welche uns von den 4 heutzutage angenommenen Hauptassen am meisten interessieren, ist das doch mehr als zweifelhaft. Es steht fest, dass in Mitteleuropa früher wenigstens zwei wilde Rinder gelebt haben, der Bison europaeus (Wisent, fälschlich oft Auerochse genannt) und der Bos primigenius (Ur oder Auerochse nach korrektem Sprachgebrauch). Der Bison findet sich noch heute im Kaukasus, und einige Hundert Exemplare leben aueh noch unter dem Schutze der russischen Regie- rung im Walde von Bjelowjesha. Dieser Bison zeichnet sich durch den hohen Widerrist, eine Mähne am Vorderkörper und den Bart unter dem Kinn nicht weniger wie durch seine kurzen Hörner, den breiten und kurzen Kopf aus. Er hat mit unseren Hausrassen der Rinder nichts zu thun, und es gilt für ihn dasselbe wie für seinen Vetter in Amerika, den Bison americanus, dass es nämlich dem Menschen nicht gelungen ist, ihn in gleicher Weise in seine Dienste zu ziehen wie den Bos pri- migenius, und das ist der Grund, weshalb er das Schicksal aller großen Jagdtiere teilt, nämlich allmählich ausstirbt. Neben diesem Bison kam nun seit der Diluvialzeit, neben Mammuth und Nashorn, noch die andere Art, Bos primigenius vor, und zwar erstreckte sich deren Verbreitungsbezirk, nach den aufgefundenen Resten zu schließen, nicht nur über Europa, sondern auch über das nordwestliche Asien und über Nordafrika. Dieses Tier stimmt nun dermaßen in seinem Skelette mit unseren Primigenius-Rassen überein, welche von ihm ihren Namen haben, dass die Beschreibung desselben meist ungefähr mit den Worten gegeben wird: von der Gestalt unseres Hausrindes, nur mächtigere Dimensionen. Es lag also selbstverständ- lich nahe, in dem Bos primigenius wirklich den Stammvater unserer Primigenius-Rassen zu erblicken, obgleich viele in ganz unerklärlicher Weise sich gegen eine derartige Annahme sträuben. Man ist nun einmal gewohnt, die Haustiere in so enge Beziehung zu dem Menschen zu bringen, dass man diese immer aus der gewöhnlich in Asien an- genommenen Urheimat der Menschheit mitgeschleppt sein lässt. Dass der Mensch bei seiner Ausbreitung und Wanderung in der neuen Hei- mat Tiere angetroffen und diese sich nach Möglichkeit zu Nutze zu machen gesucht hat, diese Vorstellung, obgleich sie doch so nahe liegt, kommt. selten zur Geltung; man pflegt eben immer in die Ferne zu schweifen, und in je nebelhafteren Regionen sich die Spekula- tionen verlieren, desto schwerer können sie natürlich widerlegt werden. So ergeht es auch mit unserem Dos primigenius. Die Annahme, dass die Ureinwohner Mitteleuropas bei ihren Jagden auf den Ur junge Tiere erbeuteten und dieselben zähmten, findet wenig Anklang, sondern man lässt den Ur lieber in Asien oder Nordafrika gezähmt und von dort nach Europa eingeführt sein. Ein sehr hartnäckiger Gegner der 796 Schiemenz, Hat das Ur-Rind noch in historischer Zeit gelebt? autochthonen Entwicklung unseres Hausrindes war Wilckens, und derselbe hat gerade auch in dieser Zeitschrift (V. Bd., 8. 799, 109—123, 1885) seiner Auffassung Ausdruck verliehen. Er ist der Meinung, dass die Rinder der Ureinwohner Mitteleuropas viel zu klein seien, als dass sie mit dem riesigen Ur in direkte Verbindung gebracht werden könnten, indem er von dem Axiom ausgeht, dass Tiere, welehe zur Domestikation herangezogen werden, dadurch größer und vollkommner werden, als sie in der Wildheit waren. Dies ist aber doch nur dann richtig, wenn der Mensch die Züchtung nach allen Regeln der Kunst betreibt und im Stande ist, den Tieren stets geeignetes Futter zu ver- schaffen, beides Dinge, die den Ureinwohnern Europas unbekannt waren oder außerhalb des Bereiches ihrer Möglichkeit lagen. Man stelle sich nur vor, wie es damals die domestizierten Tiere im Winter gehabt haben mögen! Dass große, schöne Rassen oft zu Kümmer- formen degenerieren, davon kann man sich ja auf Schritt und Tritt überzeugen. Bezüglich der Rinder hat man dazu gar nicht einmal nötig, ganz unwirtliche Gefilde (z. B. Sibirien) aufzusuchen, sondern schon eine Wanderung in unserem deutschen Vaterlande führt einem die Einwirkung solcher schlechten Lebensbedingungen klar vor Augen. Es giebt bei uns Gegenden, wo die Bevölkerung zu arm ist, um den Rindern genügendes und zuträgliches Futter zu geben, wo die Tiere ohne Auswahl und zu früh zur Fortpflanzung gelangen und dabei noch zu harter Arbeit herangezogen werden, und das Resultat davon ist eine jämmerliche Ausbildung derselben, was Größe und alles Uebrige anbelangt. Von diesem Standpunkte aus dürften sich also der direkten Ableitung unseres Hausrindes von unserem Ur keine Schwierigkeiten in den Weg stellen. Anders verhält es sich aber mit dem Einwande, dass der Ur bereits ausgestorben sein soll zu einer Zeit, als die Ein- wohner Mitteleuropas zur Zähmung und Domestizierung der wilden Rinder noch nicht fähig waren, und dass deshalb unsere Hausrinder von auswärts durch einwandernde, kultiviertere Hirtenvölker, die natür- lich ihre Habe mit sich brachten, eingeführt sein müssen. Es handelt sich also um die Frage: Wann ist der Ur ausgestorben? Schon bei Seneeca und Plinius finden wir die beiden Wild- rinder Deutschlands erwähnt, und die Unterscheidung ist eine genaue. Allein die Angaben so alter Autoren, besonders wenn es sich um die Beschreibung von Tieren ferner, noch nicht genauer erforschter Länder handelt, sind natürlich mit einiger Vorsicht aufzunehmen. Nun be- sitzen wir aber inHerberstain, welcher von 1486—1566 lebte, einen ziemlich rezenten Berichterstatter, welcher nicht nur angiebt, dass in Polen zu seiner Zeit noch der Ur vorgekommen ist, sondern auch Abbildungen von ihm sowohl wie von dem gleichfalls dort noch vorkommenden Wisent liefert. Der Ur wurde damals, in ganz ähn- licher Weise, wie es heutzutage mit dem Wisent geschieht, in einem Schiemenz, Hat das Ur-Rind noch in historischer Zeit gelebt? 797 Walde gehegt. Wrzesniowski hat festgestellt, dass dieses im Walde von Jaktoröwka (55 Kilometer westsüdwestlich von Warschau, in der Gegend von Bolemow und Sochaezew) stattgefunden hat. Wilckens sucht sich nun dieser für seine Theorien höchst unbequemen Angaben Herberstain’s dadurch zu entledigen, dass er den Nachweis versucht, dass Herberstain sich über die Unterschiede beider Arten Wildrinder nicht recht klar geworden sei, er vielmehr aus dem allein damals vor- kommenden Wisent zwei Arten gemacht habe. Die Abbildung des Ur in den Herberstain’schen Werken solle nachträglich von fremder Hand eingefügt, also eine Fälschung sein. Zudem zeige der Mangel der Hoden und ein striekartiger Streifen am Kopfe des abgebildeten Tieres, dass es sich auf dem Bilde um einen kastrierten Hausochsen handele. Es war daher von außerordentlicher Wichtigkeit, ja sogar eine Notwendigkeit für die Klärung der Frage nach der Abstammung unserer Hausrinder, die Herberstain’schen Schriften noch einmal einer ge- nauen und gründlicheren Prüfung zu unterziehen, als dies bisher ge- schehen war. Dies hat nun Nehring in der eingehendsten Weise gethan, indem er sich nicht nur möglichst viele Herberstain’sche Schriften aus verschiedenen Bibliotheken verschaffte, sondern auch andere auf diese bezügliche Litteratur studierte. Es stellte sich nun dabei heraus, dass Wilckens gerade das in Bezug auf die vor- liegende Frage besonders wichtige Werk Herberstain’s nicht ge- kannt hat, obgleich ein Exemplar davon in Wien sich befindet, wo Wilckens lebte. Es handelt sich hier um die deutsche „Moscovia“ aus dem Jahre 1557. Dieses Werk ist nicht etwa bloß eine Uebersetzung der lateinischen „Rerum Moscoviticarum Commentarii“, wie es die später, im Jahre 1563, erschienene Pantaleon’sche Aus- gabe in deutscher Sprache ist, sondern vielmehr eine selbständige, deutsche Bearbeitung des in den Commentarii behandelten Stoffes und wurde von Herberstain selber besorgt und in Wien, mit vielen Abbildungen, veröffentlicht. Aus dem genauen Studium der Schriften Herberstain’s und der Verfolgung der Geschichte jeder einzelnen Abbildung in denselben er- giebt es sich, dass erstens Herberstain sehr oft in Polen war und sowohl dadurch als durch seinen Verkehr mit den hochgestelltesten Personen jenes Landes Gelegenheit hatte, sich genau über die wilden Rinder zu informieren, und dass er thatsächlich nicht allein selbst allmählich zu einer ganz genauen Unterscheidung zwischen Ur und Wisent gelangt, sondern auch bemüht gewesen ist, diese Erkenntnis nach Möglichkeit za verbreiten. Er ließ in den Jahren 1550—52 die Häute nebst Hörnern und Füßen beider Arten in seinem Hause zu Wien aufstellen, damit sich jeder Besucher von der Richtigkeit seiner Unterscheidung überzeugen konnte. Dies wurde auch vielfach erreicht, 798 Schiemenz, Hat das Ur-Rind noch in historischer Zeit gelebt? wie aus einem Gedichte hervorgeht, welches ein gewisser Betius unter dem Titel: „De Uro et Bisonte“ verfertigte, und welches Herber- stain mit einer Sammlung sonstiger Lobgedichte auf ihn in einem „Gratae Posteritati ete.“ betiteltem Werke anhangsweise veröffentlicht hat. Es ergiebt sich zweitens, dass die Abbildungen des Ur und des Bison schon 1552 angefertigt wurden, und zwar auf Veranlassung Herberstain’s und unter seinen Augen; von einem nachträg- lichen Einschieben von fremder Hand, von einer Fälschung kann gar keine Rede sein. Die Abbildungen lassen zwar vom heutigen Standpunkte aus viel zu wünschen übrig, allein die charakteristischen Unterschiede von Ur und Wisent kommen darin doch voll zur Geltung. Wilcekens Be- hauptung, dass das Bild des Ur einen gezähmten Hausochsen dar- stelle, ist ganz ungerechtfertigt. Der 'sogenannte Strick am Kopf ist weiter nichts als eine grobe Umrisslinie, wie»sich ganz klar aus der Vergleichung der verschiedenen Abbildungen ergiebt. Bezüglich des Mangels der Hoden ist erstlich einmal daran zu erinnern, dass die- selben bei wilden Stieren wesentlich kleiner sind als bei den zahmen Bullen, und zweitens hebt Nehring hervor, dass in damaliger Zeit der Hodensack in den Abbildungen (z. B. bei Gesner) häufig fort- gelassen wurde. Die Abbildung, welche Herberstain vom Ur giebt, stimmt ferner im Wesentlichen mit der Darstellung desselben Tieres auf einem Kupferstiche von Sibmacher aus dem Jahre 1596 und einem Gemälde auf Holz überein, welches höchst wahrscheinlich aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts stammt und von Hamilton Smith im Jahre 1827 bei einem Kunst- und Antiquitätenhändler in Augs- -burg entdeckt wurde. Ja, die Uebereinstimmung dieses letztgenannten, ziemlich künstlerischen Bildes mit dem Herberstain’schen Original- holzschnitt erstreckt sich sogar auf die Farbe, denn sowohl dieses Bild als der Holzschnitt stellen den Ur in schwarzer Farbe dar (vergl. Nehring in: Wild und Hund, 1896, Nr. 35). Wenn schon diese beiden Bilder für die Zuverlässigkeit der Herberstain’schen Angaben sprechen, so ergiebt sich auch aus dessen eigenen Schriften, dass er zwar ein etwas eitler Herr, aber skrupulös genau war, und das war der dritte Punkt, welcher festzustellen war. Es ist also durch Nehring nachgewiesen worden, dass Herberstain ein zuverlässiger Gewährsmann ist, den Unterschied zwischen Ur und Wisent klar er- kannt und diesen durch die genannten Abbildungen selbst zur Dar- stellung gebracht hat. Es hat also der Ur in historischer Zeit, und zwar während des 16. Jahrhundert noch in Polen gelebt und die im Walde von Jaktoröwka gehegten Wildrinder, über welche nach Wrzesniowski genaue Listen geführt wurden, sind thatsächlich Ure gewesen und nicht Wisente. Aus dem jetzigen Deutsch- land ist er wohl schon früher verschwunden, immerhin beweisen Wasmann, Baer und seine Weltanschauung. 799 aber die Fundumstände eines jüngst von dem zoologischen Museum der landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin erworbenen Ur-Schädels aus der Burg von Bromberg, welcher auf seiner Stirn 3 Lanzenstiche zeigt (vergl.2, Abb. 9 auf Seite 89), dass der Ur im Mittelalter, etwa dem 12. bis 13. Jahrhundert, auch noch in der Umgegend von Brom- berg gelebt hat. Durch den Nachweis, dass das Ur-Rind, der Bos primigenius, noch in historischer Zeit in Mitteleuropa gelebt hat, ist die Frage nach der Abstammung unseres Hausrindes in ein ganz anderes Licht gerückt, und es dürfte wohl kaum mehr zu bezweifeln sein, dass die Primigenius- Rassen durch direkte Zähmung und Domestizierung jung eingefan- gener Exemplare von Bos primigenius in Europa selbst sich heraus- gebildet haben. [97] P. Schiemenz. Karl Ernst v. Baer und seine Weltanschauung. Ernst v. Baer ist ein Mann, dessen Name in der Geschichte der Entwicklungslehre unsterblich geworden ist und dessen philosophische An- schauungen nicht ohne Einfluss auf weite Kreise geblieben sind. Aber gerade über Baer’s philosophische Ansichten herrscht vielfach große Un- sicherheit und Unklarheit. Nur daraus ist es begreiflich, dass man Baer nicht selten für diametral entgegengesetzte Anschauungen zitiert findet, bald für bald gegen die Descendenztheorie, bald für bald gegen die monistische Weltanschauung. Es wurde daher ohne Zweifel gerade in Naturforscherkreisen schon lange als ein Bedürfnis empfunden, eine ge- treue und quellenmäßige Darstellung von Baer’s Weltanschauung zu er- halten, Dieser Aufgabe hat sich kürzlich Stölzle in einem ziemlich umfangreichen Werke unterzogen), dem man von keiner Seite Parteilich- keit wird vorwerfen können. „In jeder historischen Darstellung muss Wahrheit das vorgesteckte Ziel sein, wenn man nicht den Vorwurf sich zuziehen will, bloß im Partei- interesse zu schreiben“. Mit diesen Worten Baer’s hat Stölzle den Charakter seiner Baerstudie ausgesprochen. ‚Wir möchten, dass unsere Darstellung einer unretouchierten Photographie gliche. .... Es soll nichts verschwiegen, nichts hinzugesetzt, nichts missgünstig gedeutet werden“ (S. 5). Wegen der strengen Objektivität, welche Stölzle einhält, wird sein Werk bei allen, die es lesen, Anerkennung finden, mag auch ihr philosophischer Standpunkt von demjenigen des Verfassers abweichen. Im ersten Teil des Buches behandelt Stölzle die Quellen von Baer’s Philosophie, seine Stellung zur Philosophie überhaupt und seine erkenntnis- theoretischen Grundsätze. Der zweite Teil umfasst Baer’s Naturphilo- sophie, das kosmologische, biologische und anthropologische Problem; hiebei wird das biologische Problem besonders eingehend berücksichtigt, um die 4) Karl Ernst v. Baer und seine Weltanschauung. Von Dr. Rem. Stölzle, Prof. d. Philosoph. a. d. Univ. Würzburg. Regensburg, Nationale Verlagsanstalt, 1897, 8°, 687 S., Preis 9 Mk. 800 Handbuch der Anatomie des Menschen. vielumstrittene Stellung Baer’s zur Descendenztheorie zu klären. Den dritten Teil des Werkes bildet die Religionsphilosophie Baer’s, seine Anschauungen über Dasein und Begriff Gottes und über das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen. Nach den von Stölzle beigebrachten Momenten kann es nicht mehr zweifelhaft sein, dass Baer gegen Ende seines Lebens wieder zur theistischen Weltauffassung zurückkehrte, von der er sich früher durch pantheistisch-monistische Anschauungen abge- wandt hatte. Der vierte Teil des Werkes enthält Baer’s Geschichts- philosophie, der fünfte endlich seine ethischen, pädagogischen und poli- tischen Ansichten. Im Anhang ($8. 645—682) sind eine Reihe von Briefen Baer’s und andere für dessen geistigen Entwicklungsgang bedeutsame Dokumente zum Abdruck gelangt. [99] E. Wasmann. Handbuch der Anatomie des Menschen. In Verbindung mit weiland Prof. Dr. A. von Brunn, Prof. Dr. J. Disse, Prof. Dr. Eberth, Prosektor Dr. Eisler, Prof. Dr. Fick (Leipzig), Pro- sektor Dr. M. Heidenhain, Prof. Dr. F. Hochstetter, Prof. Dr. M. Holl, Prof. Dr. Kuhnt, Privatdozent Dr. Mehnert, Prof. Dr. Merkel, Privat- dozent Dr. Nagel (Berlin), Prof. Dr. Pfitzner, Prof. Dr. Puschmann, Prof. Dr. &. Sehwalbe, Prof. Dr. Siebenmann, Prof. Dr. Graf Spee, Prof. Dr. €. Toldt, Prof.Dr. Zander, Prof. Dr. Ziehen, Prof. Dr. Zucker- kandl herausgegeben von Prof. Dr. Karl v. Bardeleben (Jena). Verlag von G. Fischer in Jena. Von diesem, auf 8 Bände berechneten Werke, das die gesamte Anatomie des Menschen nach dem jetzigen Stande des Wissens in einer Reihe mono- graphischer Bearbeitungen darstellen soll, sind bisher 5 Lieferungen erschienen. Indem wir die eingehenden Besprechungen einzelner Abteilungen vorbehalten, wollen wir vorerst auf die vortreffliche Ausstattung hinweisen, welche die in naturwissenschaftlichen Kreisen rühmlichst bekannte Verlagsbuchhandlung dem Werke gegeben hat. In dieser Beziehung ist besonders die 3. Lieferung (Skelett- lehre, Abteil. II: Kopf, von Prof. Graf Spee) hervorzuheben, welche mit 402 Original-Holzschnitten ausgestattet ist. Gegenüber den jetzt so beliebten Autotypien stechen diese Holzschnitte mit ihrer Klarheit und Schärfe rühmlich hervor, sowohl in künstlerischer Beziehung als auch in Bezug auf die genaue Wiedergabe und Feinheit der Einzelnheiten. Die anderen bisher erschienenen Abteilungen behandeln die Abteilung I der Skelettlehre (Allgemeines, Wirbelsäule, Thorax) von Prof. Disse, die weiblichen Geschlechtsorgane von Dr. Nagel, die Muskeln und Fascien des Beckenausgangs von Prof. Holl und die Haut von Prof. v. Brunn. Auch in diesen ist die Ausstattung mit zahlreichen sehr guten, zum Teil mehrfarbig gedruckten Textabbildungen hervorzuheben. P. [93] Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt, unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München | herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. November 1897. Nr. 22. Inhalt: Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. — Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta. — Duncker, Korrelationsstudien an den Strahlzahlen einiger Flossen von Acerina cernua L. (Schluss). — Zoologische Lehrbücher. [ee RETTET Eee RE “ Am 2. Oktober d. J. starb zu Friedrichshagen (bei Berlin) unser sehr geschätzter Mitarbeiter Herr Dr. Johannes Frenzel, Leiter der biologischen Station am Müggelsee bei Berlin, früher Professor der Zoologie an der Universität Cordova in Argentinien. Auf einem Inspektionsgang begriffen stürzte er am Dienstag abend in der Dämmerung von einem in den See hinausgebauten Steg ins Wasser. Er konnte ohne fremde Hilfe an das Land gelangen, aber am folgenden Morgen starb er an Herzlähmung. Das biologische Centralblatt verdankt ihm wertvolle Beiträge namentlich zur Biologie der Binnenseen. Seine letzte Arbeit dieser Art bringen wir in dieser Nummer. Wir werden seiner mit Liebe und Dankbarkeit gedenken. 5 Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. Von Prof. Joh. Frenzel. Biologische Station „Müggelsee“ (Friedrichshagen b. Berlin). I. Modderula hartwigi n. 8. n. Sp. Der Boden unserer langsam fließenden oder stagnierenden Gewässer wird bekanntlich von einer schlammartigen Masse bedeckt, die der norddeutsche Fischer als „Modder“ bezeichnet. Beschäftigt mit der Frage nach der Herkunft und Entstehung dieser Masse, suchte ich auch die in derselben lebenden Organismen festzustellen. Es zeigte XVl. 51 802 Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. sich dabei zwar, dass der Modder — ich spreche hier zunächst von dem des Mügg gelsees und der Spree — außerordentlich steril ist; ja selbst diejenigen Organismen, welche man am ehesten anzutreffen ver- muten sollte, die Bakterien, fehlen in auffallender Weise, bis auf eine charakteristische Art, die ich bei anderer Gelegenheit zu behan- deln mir vorbehalte. Ebenso fehlen zumeist ciliate Infusoren, Amöben, Helioamöben!) und Heliozoen, wie auch Flagellaten, grüne Algen etc. selten sind. Konstant nur Br ich neben dem am erwähnten Ba- cillus Deggiatoa an, wie es scheint in mehreren Arten, sowie endlich einen höchst merkwürdigen Organismus, den ich hier kurz charak- terisieren möchte. Gewöhnlich schöpfte ich für meine Zwecke eine Quantität Modder aus der Mitte des Müggelsees, südlich von der Biologischen Station, in Tiefe von 7 bis 7,5 m?). Der Modder wurde sodann in sorgfältig gereinigte Gläser übertragen, mit Wasser aufgefüllt und mit einem Glasdeckel zugedeckt. Eine derartige Kultur ist zwar keine absolut einwandfreie, da fremde Keime eingedrungen sein können; sie reicht aber für allgemein orientierende Zwecke aus. Treten dann ferner in einer solchen Kultur Lebewesen auf, die wo anders, namentlich in andersartigen Kulturen fehlen, so kann man mit großer Sicherheit schließen, dass diese Lebewesen oder deren Keime bereits in dem zu der Kultur verwandten Materiale vorhanden waren. So waren sowohl die Beggiatoen, wie auch die erwähnten Bacillen schon in frisch ge- schöpftem Modder nachweisbar, reichlicher aber und sicherer anzu- treffen, in den Kulturen. Die nunmehr zu besprechende Modderula vermochte ich zwar bisher in frisch geschöpftem Material noch nicht festzustellen, sondern nur in Kulturen, zweifle aber nicht, dass sie auch dort zu finden sein wird und dass sie ein charakteristischer Be- wohner des Modders ist. Auch in den Kulturen trat sie bisher nur vorübergehend auf, zeitweise aber konstant, so dass ich innerhalb weniger Tage acht Exemplare untersuchen konnte. Dann verschwand sie plötzlich. Obgleich ich nun zwar hoffe, ihrer bald wieder habhaft werden zu können, so möchte ich doch schon jetzt in einer vorläufigen Mitteilung das niederlegen, was ich bisher festgestellt habe. Modderul« hartwigi?), wie ich den neuen Organismus zu nennen vorschlagen möchte, hat die Gestalt eines Ellipsoids, von bald längerem, bald kürzerem Hauptdurchmesser. Einmal war die Gestalt eine fast kugelige, sonst aber meist eine etwa eiförmige, im Verhältnis von 3:2 1) Vergl. Joh. Frenzel, Untersuchungen über die mikroskop. Fauna Argentiniens. I. Teil: Die Protozoen. I. u. II. Abteil. Die Rhizopoden und Helioamöben. Bibliotheca Zoologiea, Heft 12. 2) Je nach dem Wasserstande. 3) Zu Ehren meines verehrten Mitarbeiters W. Hartwig, des treffliehen Kenners unserer Entomostraken. { BR Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. s03 der Länge zur Breite, in einem Falle war die Gestalt eine besonders langgestreckte im Verhältnis von 2:1. Sie war in diesem Falle walzen- förmig resp. eylindrisch, mit kugelförmig abgeschlossenen Enden. Gestaltsveränderungen irgend welcher Art habe ich niemals wahrgenommen. Die Größe der Modderula ist eine verschiedene und bewegte sich in folgenden Grenzen: die grölte Länge des großen Durchmessers betrug 50 u (kleine Durchmesser ca. 30 u), die geringste Länge war 12 « (kleiner Durchm. — 9 u). Sonst betrug der große Durchmesser 25—55 u. Größere Exemplare waren mehr langgestreckt, kleinere mehr kugelig. Nach außen wird Modderula von einer festen, fast doppelt kon- turierten, wasserhellen, farb- und strukturlosen Membran begrenzt, die stark lichtbrechend ist. Innen liegen der Membran kleine, stark glänzende und farblose Kügelchen dicht an, deren Durchmesser etwa 1—2 u beträgt. Sie sind also unter sich annähernd gleich groß. Eine bestimmte Anord- nung lassen sie nicht erkennen, doch liegen sie zumeist in den Lücken, die die weiter unten zu besprechenden größeren Klümpcehen frei lassen. In dem einzigen Falle, in welchem diese Klümpchen fehlten, hatten jene Kügelchen eine etwa maschenförmige Anordnung, dergestalt, dass etwa 10 oder mehr zu einem Haufen vereinigt lagen, von dem aus Stränge von aneinandergereihten Kügelehen zu einem benachbarten Haufen oder — in der Ansicht von oben — zur Peripherie zogen. Beim Heben und Senken des Tubus ließ sich im Centrum jedes Kügelchens ferner ein dunkler Punkt erkennen, geradeso wie bei ähnlichen Ein- schlüssen des schon oben erwähnten Bacillus. Diese beiderlei Gebilde stimmen dann weiter im Aussehen mit denjenigen Körnchen von Deg- giatoa überein, die bekanntlich aus Schwefel bestehen, und ich bin geneigt, hier das Gleiche zu vermuten. Mit Fett haben wir es jeden- falls nieht zu thun, da die Gebilde in Chloroform und Aether unlös- lich sind, und ebenso wenig etwa mit. Gasbläschen. Diese würden nämlich bei dieser geringen Größe rötlich oder violett erscheinen, nicht so glänzen, keinen dunklen Kern haben und genau kugelig sein, soweit sie frei liegen. Thatsächlich sind aber die genannten Kügelchen ein wenig eckig, schief oder dergl. Endlich ist hervorzuheben, dass der in Rede stehende Modder schwefelhaltig ist, wie er ja auch bekannt- lich Schwefelwasserstoff entwickelt, der sich meist schon dem Geruch bemerkbar macht. Eine Aufnahme von Schwefel würde also nicht weiter Wunder nehmen können. Mit Ausnahme‘ eines einzigen bisher konstatierten Falles setzte sich der Hauptbestandteil der Modderula aus großen Klümpchen zu: sammen, die ebenfalls stark glänzen und an sich farblos sind. Die- selben liegen der Membran zumeist nicht so dieht an, wie die genannten 37%, 304 Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. Kügelehen, sondern lassen einen geringen Zwischenraum frei. Nonst aber liegen sie dieht gedrängt, derartig, dass die etwa vorhandenen Lücken nach außen, an der Membran, von den Kügelchen eingenom- men werden. Sie scheinen im übrigen den ganzen Zellraum auszu- füllen, denn ich konnte beim Heben und Senken ‚des Tubus niemals einen innern Raum erkennen, der frei von ihnen gewesen wäre. Ihre Gestalt ist eine isodiametrische, annähernd kugelige, mit abgerundetem Ecken. Ihre Größe ist eine etwas verschiedene und beträgt etwä 4 bis 6 a im mittleren Durchmesser. Es kommen mithin 3 bis 4 solcher Gebilde auf den Querdurchmesser der Modderula, und 4 bis 7 auf den Längsdurchmesser. Auch sie zeigen keine bestimmte Anordnung, son- dern drängen sich in und aneinander, etwa wie ein unregelmäßiges Pflaster. Die äußere Oberfläche des Ganzen wird dadurch aber in keiner Weise beeinflusst. Ueber die Natur der soeben erwähnten Klümpchen vermag ich nur wenig zu sagen. Jedenfalls sind sie nicht flüssig, sondern min- destens halbfest. Obgleich ohne Farbe und ohne irgendwelche sicht- bare Struktur sind sie nur wenig durchsichtig und reflektieren das Lieht stark, was man bei auffallendem Lichte gut sieht. Sie glänzen dann wie Kalkkörnchen ete., die etwa ebenfalls im Präparate ent- halten sind. Aus diesen Gründen erscheint die Moddulera auch fast schwarz (bei durchfallendem Licht) und äußerst glänzend. Binige Male sah ich ferner durch die oberen Klümpcehen die Grenzen der unteren oder mittleren hindurchschimmern, und zwar mit grünlieher Farbe. Es handelte sich hier aber lediglich um Lichtbrechung und nieht um Eigenfärbung. In 7 von 8 Fällen waren diese Klümpchen vorhanden und zwar stets in übereinstimmender Weise. In einem Falle jedoch fehlten sie durchaus. Nun wäre es ja möglich, dass dieser eine Fall einen anderen Organismus darstellt; da aber alles Uebrige sonst völlig übereinstimmt, so möchte ich das nieht annehmen und ich möchte daher auf diesen eingehen. Er zeigte zunächst dieselbe Gestalt, die- selbe Membran und dieselben Kügelchen, die auch hier der Membran dicht anlagen, das Innere freilassend. Das von Klümpehen und Kügelchen freie Zellinnere bot nun aber keineswegs den gewohnten Anbliek von Protoplasma dar. Es ließ sich vielmehr eine homogenere, wohl flüssige Masse erkennen und in (dieser in reichlichem Maße ver- teilte krystallartige Gebilde Viele von ihnen waren fast staub- artig klein, andere aber größer und manche etwas größer als die Randkügelchen, nämlich ca. 2—3 « lang. Eine Eigenfärbung schienen diese Krystalle nicht zu haben, sie unterschieden sich aber von dem sie umgebenden Medium durch einen ganz leicht gelblichen Ton oder Reflex. Von Gestalt waren sie kurz- und breit-stäbchenförmig, auch tafelförmig und zu zweien oder dreien vereinigt. Hinsichtlich des Eye Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. 805 Glanzes standen sie hinter den Randkügelchen zurück. Was aber am meisten an ihnen auffiel, war ihre Beweglichkeit, die meiner Meinung nach völlig mit der sog. Molekularbewegung übereinstimmte. Sie tanzten nämlich leicht hin und her, ohne Sinn und Zweck, möchte man fast sagen, und gar nicht so „zielbewusst“, wie man es sonst in einem protoplasmatischen Körper gewohnt ist zu sehen. Ja, in Wahr- heit machte das Ganze den Eindruck, als ob man es mit einem toten oder abgestorbenen Körper und nicht mit einem Organismus zu thun hatte. Ich habe es wenigstens häufig gesehen und glaube es als be- kannt voraussetzen zu dürfen, dass, wenn ein einzelliger Organismus unter dem Mikroskop ohne Zufügung eines Gerinnungsmittels oder dergl. abstirbt, sofort eine Molekularbewegung der vorher ruhenden oder in gleichmäßig fortschreitender Bewegung befindlichen Inhaltskörper- chen eintritt. Ganz so sah also die Bewegung im Innern des soeben genannten Individuums aus. Auch muss ich betonen, dass der übrige Zellinhalt gar nicht den Eindruck von Protoplasma macht. Er besaß wenigstens nicht den eigentümlichen Glanz desselben, sondern sah aus, wie irgend eine Flüssigkeit, etwa Wasser. Beim Hinzufügen von sehr verdünnter Sublimatlösung trat auch keine Gerinnung im Innern ein, was doch auffällig genug ist, und die Molekularbewegung erfuhr infolge dessen auch keine Unterbrechung, was sicher eingetreten wäre, wenn der Inhalt geronnen wäre. Ob und welcher Art ein Protoplasma bei der Modderula vorhanden ist, vermag ich mithin nicht irgendwie zu sagen. Bei denjenigen Exemplaren, die von den Klümpchen erfüllt waren, wüsste ich kaum, wo das Protoplasma liegen sollte, es sei denn dicht unter der Membran resp. in den spärlichen noch bleibenden Lücken. Ebensowenig habe ich einen Kern oder ein kernartiges Gebilde nachweisen können. Ich wusste auch hinsichtlich dessen noch weniger, wo es liegen sollte, da für einen rundlichen oder ähnlich beschaffenen Kern kein Platz vor- handen wäre. Nur bei dem klümpchenfreien Exemplar wäre dies der Fall gewesen, doch sah ich hier nichts, was ich als Kern hätte deuten können, auch nicht nach Sublimatwirkung. Auf Versuche mit Färbe- mitteln musste ich leider verzichten, da dieses einzige Exemplar meinen Blieken entschwand und zwischen den Detritusmengen nicht mehr auf- zufinden war. Nach Allem, was bisher über die Modderula gesagt worden ist, wird man meinen wollen, dass man es garnicht mit einem Lebewesen zu thun habe. In der That muss ich gestehen, dass ich sie anfäng- lich auch übersah und für ein Klümpchen aus Sandkörnchen hielt. Ganz so sieht sie aus. Plötzlich aber bewegt sie sich vorwärts, lang- sam, ruckweise, und zwar ganz so, wie etwa eine Euglypha. Sie dreht sich dabei auch um sich selbst, sowohl um die Längs- wie um die Queraxe, und strebt ganz unverkennbar einem Detritusbrocken zu, 806 Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten, um sich in diesem zu verstecken. Die Eigenbewegung von Ort zu Ort ist also unverkennbar und mit einer passiven oder molekularen garnicht zu verwechseln. Ja, ich muss sie ge- radezu für eine zweckmäßige halten, da, wie gesagt, einem Fremd- körper zugestrebt wird. Ich denke mir dabei, dass die Modderula photophob ist, was sich recht gut verstehen lässt, da sie sich im dunklen Schlamme gewöhnlich aufhält, und daher also das Licht flieht. Da die Bewegungen der Modderula sehr an einen monothalamen Rhizopoden erinnern, so suchte ich zunächst nach den Pseudopodien, fand aber durchaus keine. Ich habe manche Exemplare stunden- lang beobachtet und meine auf keinen Fall Pseudopodien übersehen zu haben, wenn welche vorhanden gewesen wären. Auch konnten diese bei einem zu bewegenden Körper von 50 u Länge nicht unend- lich fein sein. Ebensowenig sind Wimpern vorhanden. Gesehen habe ich zunächst keine; aber selbst wenn sie von außerordentlicher Zartheit und an der Grenze des Siehtbaren wären, so hätte man doch wenigstens den Ausdruck und die Wirkung ihrer Bewegungen an außen liegenden kleinen Fremdkörpern erkennen müssen, die dann vorbei getrieben wären. Doch das war nicht zu konstatieren. Kleine Körn- chen ete. in der nächsten Nähe zeigten wohl Molekularbewegung, aber sonst nichts., Außerdem bleiben an der Außenseite der Mod- derula leicht Fremdkörper hängen oder kleben an, was bei einer Be- wimperung doch unmöglich sein würde. Endlich muss ich auch das Vorhandensein einer Geißel in Abrede stellen. Zunächst würde eine solche nämlich nicht die gedachte ruckweise Bewegung hervorrufen, dann aber müsste sie bei einem so großen Organismus doch kräftig genng sein, um ihn zu bewegen, doch also auch groß und deutlich. Allerdings finden sich ja bei Spirillum ete. Geißeln, die erst durch künstliche Färbung ete. deutlich gemacht werden können. Aber was sind dies für winzige Gebilde gegen unsere Modderula mit ihrer 50 « Länge und 30 « Breite! Die Geißel müsste dann ferner am Vorder- oder Hinterende, oder an beiden liegen; aber gerade hier haften sich am leichtesten Fremdkörper fest, was beim Vorhandensein einer schwingenden Geißel undenkbar wäre. Besitzt unsere Modderula mithin weder sichtbare Pseudopodien, noch Geißel, noch Wimpern, so ist nun die Frage zu beantworten, wie die Ortsbewegung zu erklären ist. Dies könnte auf zweierlei Weise beantwortet werden. Entweder nämlich ist die Bewegung identisch oder ähnlich wie bei Diatomeen oder bei Gregarinen, dergestalt, dass sehleimartige Fäden ausgestoßen werden oder ausfließen, oder, es. findet eine Molekularattraktion statt. Diese Frage muss noch eingehend untersucht werden. Für die erstere Annahme würde vor allen sprechen die eigentümlich ruckweise Bewegung, wie sie auch a Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. 807 gewissen Diatomeen eigen ist (Nawieula). Abweichend dagegen ist wieder das Hin- und Herdrehen der Modderula, das sich mit jener Bewegungsart nieht gut vereinen lässt. Man müsste denn annehmen, dass die Modderula allseitig Flüssigkeits- oder Schleimströmehen ausstoßen kann, so dass die Bewegung auch eine allseitige zu. sein vermag. Was endlich eine Molekularattraktion anbetrifft, so ist diese überhaupt nur hypothetisch. Der negative Heliotropismus der Modderulu würde aber insofern zu dieser Erklärung passen, als jeder größere Fremdkörper anziehend auf unseren Organismus zu wirken scheint. Nicht allein die Ortsbewegung der Modderula spricht dafür, dass sie ein lebender Organismus ist, sondern auch eine andere Erschei- nung. In einem Falle fand ich nämlich einen Zustand, welchen ich geneigt bin, für den einer Querteilung anzusehen. Zwei gleich große kugelförmige Hälften hingen nämlich enge zusammen mittels einer kurzen, aber breiten Brücke. Ein wirkliche Teilung d. h. Tren- nung trat zwar nicht sogleich ein, doch sah ich, wie die Teilstücke langsam weiter auseinanderrückten, so dass also an einer endgiltigen Teilung nicht wohl zu zweifeln ist. Da alle Organismen, die wir kennen, aus Zellen bestehen oder den Wert einer Zelle haben, so müssen wir Modderula als einen ein- zelligen Organismus bezeichnen, obgleich, wie auseinandergesetzt, ihr Zellinhalt ein durchaus abweichender ist. Die weitere Frage nun, ob Modderula zu den Tieren oder zu den Pflanzen gehört, kann nicht entschieden werden. Allerdings vollführt sie ja eine Ortsbewegung, und wir lieben es, Organismen dieser Art zu den Tieren zu ziehen. Aber auch echte Pflanzen bewegen sich „willkürlich“ z. B. Diatomeen. Ebenso wenig lässt sich endlich die Zugehörigkeit der Modderula zu einer der bekannten Gruppen unter den einzelligen Organismen be- stimmen. Sie ist kein Rhizopod, denn ihr fehlen die Pseudopodien. Mit einer Gregarine hat sie wohl allenfalls die äußere Form und die kutikulaartige Membran gemein, weiter aber nichts, wenn man von der physiologischen Eigenschaft der Beweglichkeit absieht, die freilich ähnlich ist. Was die Gestalt und deren Starrheit (Unveränder- lichkeit), ferner die Membran und den Mangel eines sichtbaren Kernes anbetrifft, so lässt sich endlich eine gewisse Aehnlichkeit mit den Sehizomyceten (Bakteriaceen) erkennen, eine Aehnlichkeit, die dureh die wahrscheinliche Art der Vermehrung (durch Querteilung) noch unterstützt wird. Die erheblichere Größe, die Art und Weise der Bewegung und die Gestaltung des Zellinhaltes bilden dagegen wieder gewichtige Unterschiede, die ein Angliedern an die Bakteriaceen nicht gut zulassen. Wir müssen mithin Modderula hartwigi als einen eigen- artigen, gänzlich abseits stehenden Organismus auffassen. Modderula n.g. Gestalt ellipsoidisch, starr. Kräftige Membran. Inhalt kleine kugelige Wandkörnchen (Schwefel?) und größere Klümp- 808 Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta. chen, die auch fehlen können. Kern nicht sichtbar. Bewegung ruck- weise und drehend ohne erkennbare Bewegungsorgane. Fortpflanzung wahrscheinlich dureh Querteilung. Modderula hartwigi n. sp. Mit den Charakteren der Gat- tung. [112] Das centrale Nervensystem von Anodonta. Von T. Freidenfelt in Lund. Vorläufige Mitteilung. In meiner ersten Mitteilung über die Neurologie der Acephalen!) erklärte ich als meine Absicht, die Untersuchung auch auf das eentrale Nervensystem dieser Tiere auszudehnen. Das eentrale Nervensystem der Acephalen schien mir nämlich eine eingehende Untersuchung mittels der neuen Methoden zu verdienen, mit denen uns die moderne Technik ausgerüstet hat. Es existiert zwar eine Untersuchung speziell über diesen Gegenstand, Rawitz’ umfassende Arbeit „Das centrale Nervensystem der Acephalen“?), seine Unter- suchungen datieren aber aus der Mitte der 80er Jahre, ehe noch der große Umschlag auf dem Gebiete der Neurologie ganz durch- gedrungen war, und sind mit Methoden vorgenommen, die, wie wert- voll sie auch an und für sich sein können, doch nicht im Stande sind, recht befriedigenden Aufschluss über die Fragen zu geben, deren Be- antwortung als Ziel einer speziellen neurologischen Untersuchung im modernen Sinne aufgestellt werden muss... Als Untersuchungsobjekt habe ich Anodonta gewählt, oder rich- tiger, ich bin durch die Verhältnisse gezwungen worden, diese Art zu wählen, da mir sonst während des Winters, wenn unsere Meeres- Acephalen nicht zu erhalten sind, keine andere größere Muschel in hin- länglicher Anzahl zu Gebote stand. Anodonta ist keineswegs das beste Objekt, wenn es eine Unter- suchung des centralen Nervensystems gilt. Die Golgi’sche Methode ist konstant fehlgeschlagen und die Färbung mit Methylenblau glückte mir nur in einer Minderzahl von Fällen wohl, und zwar wenn sie in einer besonderen Form benutzt wurde. In der beabsichtigten, ausführ- licheren Publikation werde ich die angewandten Methoden genauer beschreiben, die ich erst nach längere Zeit fortgesetztem Experimen- tieren habe ausfinden können. Natürlich sind außer der vitalen Methylenblaufärbung auch andere Methoden zur Anwendung gebracht, z. B. Isolationen (mit schwachem 1) Freidenfelt, Untersuchungen zur Neurologie der Acephalen. I. Ueber das Nervensystem des Mantels von Mactra elliptica Brown., in: Zool. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ontog. der Tiere, Bd. 9, 189. 2) In: Jen, Z, Naturw., Bd. 20, 1887, year Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta. 809 Alkohol und Kaliumbiehromat) und gewöhnliche Schnitt- und Färbungs- methoden sowie auch die neueren Methoden zum Erforschen der Struktur der Nervenzellen. Was die Resultate der letzteren betrifft, muss ich jedoch auch auf eine kommende Publikation hinweisen. Es scheint geraten die Darstellung des Baues des centralen Nerven- systems der Acephalen mit einer Zusammenfassung der Ansichten zu beginnen, die der letzte Monograph, Rawitz, hierüber ausgesprochen hat. Im Folgenden werden sodann die prinzipiellen Verschiedenheiten zwischen meiner eigenen Auffassung und der seinigen hervortreten. Die Auffassung des erwähnten Verfassers kann folgendermaßen kurz zusammengefasst werden). Die centralen Ganglien der Acephalen bestehen aus einer Rinde von Ganglienzellen und einer centralen Marksubstanz, der weißen Sub- stanz der Vertebraten homolog. Die Zellenrinde wird aus uni- (am zahlreichsten), bi- (am seltensten) und multipolaren Zellen zusammen- gesetzt. Unter den unipolaren Zellen giebt es einige wenige, deren Fortsatz, ohne weiteres, direkt zur Peripherie geht. Die peripheren Fortsätze aller übrigen Zellen senken sich in die Mark- substanz ein und lösen sieh hier auf. Die multipolaren Zellen sind Sammelzellen, deren Markfortsatz das Homologon des Deiters- schen Fortsatzes ist. . Die Marksubstanz wird gebildet a) von dem centralen Nervennetz, welches durch die Verflech- tung der Teilungsprodukte der Markfortsätze entsteht, b) von den Nervenfibrillen, welche sich aus den Maschen des Nervennetzes bilden, €) von einer dem Nervenmark der Wirbeltiere ähnlichen, die charakteristischen Myelinformen bildenden Substanz, welche die Fäden des Netzes und die Fibrillen von einander isoliert. vawitz schließt sich also ganz bestimmt der Auffassung an, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den Fortsätzen der Nervenzellen besteht, und glaubt diese Ansicht durch sichere Beweise gestützt zu haben. Er meint Bilder gesehen zu haben, die jeden Zweifel aus- schließen, dass in den resp. Fällen wirkliche Netzverbindungen zwischen Zellenfortsätzen vorlagen, und beschreibt ausführlich die verschiedene Art und Weise, in welcher die Zellen mit einander zusammenhängen. DieBilder eines Zusammenhanges zwischen Zellen, die er für am meisten unzweifelhaft ansieht, sind von Isolationspräparaten geholt, aber S. 419 sagt er ausdrücklich, dass feine Schnitte (Längsschnitte) von völlig so großem Wert sind, wenn es gilt, darzulegen, in welcher Weise die verschiedenen Zellenformen mit einander in Verbindung treten; auch erklärt er (S. 429), dass „das eentrale Nervennetz“ sich am besten an mit verdünnten Karminlösungen gefärbten Längsschnitten studieren 4) 1. e. 8. 447—448. s10 Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta. lässt. Was den Bau des centralen Nervennetzes betrifft, hat er sich also im Wesentlichen, wenn auch nicht ausschließlich, auf Schnitt- präparate verlassen, die nach den bei gewöhnlichen histologischen Untersuchungen gebräuchlichen Methoden fixiert und gefärbt waren. Nun verhält es sich aber offenbar so, dass solche Schnittpräparate, wie wertvoll, ja unentbehrlich sie auch für die Erkenntnis der rein topographischen Anordnung der Zellen und der Marksubstanz sind, doch sehr geringen Wert besitzen, wenn es eine Antwort gilt auf die Frage: Kontakt oder Netzverbindung? Denn an einem solchen Schnitte, mag er auch noch so dünn sein, wo die Zellfortsätze ja immer sehr schwach gefärbt sind, ist es auch mit starken Vergrößerungen nicht möglich, mit voller Gewissheit festzustellen, ob in einem gegebenen Fall eine wirkliche Netzverbindung oder nur eine Ueberlagerung oder Verflechtung von Fibrillen vorliegt. Auch Isolationspräparate sind in dieser Hinsicht nicht hinreichend maßgebend, da natürlich der ver- schiedene Macerationsgrad auf die Zähigkeit Einfluss üben kann, mit welcher zwei zusammengeflochtene oder neben einander parallel ver- laufende Fibrillen mit einander zusammenhängen. Eine Fehlerquelle geben auch die zuweilen außerordentlich großen Varikositäten ab, die bei weniger genauer Beobachtung der Struktur Nervenzellen vortäuschen können. Ich habe selbst eine Menge Isolationsversuche angestellt, und unter den schon an und für sich prozentisch wenigen Fällen, wo ein Zusammenhang zwischen Ausläufern verschiedener Zellen sich zeigte, glückte es mir in der Mehrzahl von Fällen nachzuweisen, dass dieser Zusammenhang nur ein scheinbarer war. Doch will ich keineswegs leugnen, dass sich in einigen Fällen bei den Isolationen solche Bilder gezeigt haben, wo es nicht möglich war, diesen Nachweis zu führen, und ebenso wenig, dass ich an Methylenblaupräparaten ein paar Mal einen nach allem zu urteilen unzweifelhaften Zusammenhang zwischen Zellenausläufern beobachtet habe. Aber wie gesagt, diese Fälle sind Ausnahmen, vielleicht von halb pathologischer Natur, nicht Regel. Als Regel gilt im Gegensatz, wie es die in dieser Hinsicht ohne Vergleich zuverlässigsten Methylenblaupräparate zeigen, dass auch bei den Acephalen das centrale Nervensystem aus selbständigen, mit einander nur dureh Kontakt in Verbindung tretenden Neuronen besteht, und dass die Marksubstanz keineswegs ein wirkliches Nervennetz im Rawitz-Bellonei-BelaHaller- schen Sinne darstellt, sondern ein „Neuropilem“ (His), d. h. sie entsteht aus den aus der Zellenrinde eintretenden Dendriten und den dieselbe in verschiedenen Richtungen durchsetzenden Inaxonen mit ihren Kollateralen, resp. den Telodendrien, die von ihnen gebildet werden. Einen doppelten Ursprung der Nervenfibrillen kann ich also nicht zugeben. Jede von einem centralen Ganglion austretende “ wi 8 Tr FETTE WERBEN Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta, st Fibrillekommt direkt von einer Zelle ohne Vermittlung eines Nervennetzes. Ich gehe jetzt zur Besprechung der verschiedenen Zellenformen über, dabei ausschließlich die Verhältnisse in dem best untersuchten Viseeralganglion referierend. Im Visceralganglion von Anodonta finden sich die beiden Zellen- kategorien, die man im centralen Nervensystem der Vertebraten unter- scheidet, repräsentiert, d. h. Zellen des Deiters’schen und des Golgi- schen Typus. Erstere sind\ natürlich in großer Mehrzahl. Es finden sich sowohl uni- wie bi- und multipolare Formen. Die unipolaren, Fig. 1. Die Wurzel des Nervus pallialis posterior sin. mit ihren Neuronen, aus mehreren Präparaten schematisch zusammengestellt. A äußerer, J innerer Ast, H Hauptstamm des Nerv. pall. post, C nach außen (zum Mantel) abgehender kleiner Nerv, eprf centripetale „Riesenfibrille*, cpf feine, zum Teil variköse, centripetale Fibrillen, % Kollaterale, U unipolare, *B bipolare, M multipolare Zellen. Deiters’schen Zellen (Fig. 1 U) sind die zahlreichsten; sie übertreffen in der That, wie es Rawitz (vergl. oben) konstatiert, alle anderen 812 Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta. Zellenformen an Zahl. Ihre Größe ist außerordentlich variierend: sie schließen sowohl die größten wie auch die kleinsten überhaupt im Ganglion vorkommenden Zellen ein. Ebenso herrscht eine große Ver- schiedenheit in Bezug auf Dieke und Aussehen der Inaxonen. Was jedoch in Betreff der Inaxonen der unipolaren Deiters’schen Zellen besonders hervorzuheben ist, ist, dass sie, oder wenigstens die stärkeren, nicht varikösen, während ihres Verlaufs durch das Ganglion, einen oder mehrereKollateralen abgeben (Fig. 1%). Ihr Neurocyt kann unmittelbar an dem Nerwen liegen, in den sich der Inaxon hinaus begiebt, oder auch weiter davon entfernt sein, so dass der Inaxon vor seinem Austritt das ganze Ganglion durchlaufen muss. Die hierher gehörigen bipolaren Zellen (Fig. 1B) scheinen dagegen wenigstens in der Regel am oder in der Nähe des Ursprunges des Nerven zu liegen, in den sich der Inaxon begiebt. Sie finden sich bei allen peripheren Hauptnerven (einschließlich der Cerebralkonnek- tiven). Die multipolaren Deiters’schen Zellen (Fig. 1M) sind wie die unipolaren von wechselnder Größe, sie wechseln aber auch außer- ordentlich in ihrer Form. Auf die verschiedenen Formen lasse ich mich jedoch hier gar nicht ein, umsomehr, da sie wohl kaum in morpho- logischer oder physiologischer Hinsieht irgend welches größeres In- teresse besitzen. Was den Verlauf ihrer Inaxonen betrifft, gilt das- selbe, was oben von den unipolaren gesagt wurde. Die betreffenden Zellenformen können im Großen gesehen als in gewissen Centren grup- piert betrachtet werden. Ein solches Centrum (Fig. 1) — es ist der _ Teil des Ganglions, der sich am allerleichtesten färbt — liegt an der Basis jedes Nervus pallialis posterior als eine dünne Rinden- schicht um die dicke Fibrillenmasse. Pie; 12: Fig. 2. Associationsneuronen aus den lateralen Assoeiationscentren im Visceralganglion von Ano- 7 donta. Du } Obj. 8, Oe. 1 von Leitz. Tubusl. ER: 460 mm. h Fü i = A\l BEL . 6 77° ne U ’ = Die Neuronen der anderen Kategorie, die Golgi’schen (Fig. 2), um Kölliker’s Ausdruck zu brauchen oder die Associationselemente, Freidenfelt, Das eentrale Nervensystem von Anodonta. 813 befinden sich im Vergleich mit den oben besprochenen bedeutend in Minderzahl. Die gewöhnlich aufgestellten verschiedenen Formen lassen sich auch hier unterscheiden, sie sind aber bedeutend weniger scharf von einander begrenzt. Einzelne Golgi’sche Zellen finden sich wohl fast überall in der Zellenrinde; in größerer Anzahl gesammelt liegen sie eigentlich nur an zwei Orten im Ganglion, wo sie bestimmte Centren bilden, die sich von der äußersten Schicht der Rinde bis zur und in die Marksubstanz hinein erstrecken. Diese beiden lateralen Associationscentren, wie man sie wohl bezeichnen kann, erstrecken sich von der Basis des Nervus pallialis posterior zur Abgangsstelle des Nervus branchialis. Auch in der Basis des letzteren Nerven findet man Assoeiationselemente; ich will aber bis auf weiteres dahingestellt lassen, ob sie als ein be- sonderes Centrum zu betrachten sind oder nur als die am weitesten vorgerückten Elemente des großen lateralen Centrums. Rawitz giebt an), dass in den Cerebralganglien von Unio pie- torum und Anodonta anatina, und nur hier, sich eigentümliche Bil- dungen finden, die er geschwänzte Kerne nennt. An beiden Seiten des eiförmigen, kugelrunden (Anodonta) oder spindelförmigen (Unio) Kernes läuft ein ungeteilter oder diechotomisch verzweigter Schwanz aus. Die Frage nach der Bedeutung dieser Bildungen und ihrem eventuellen Zusammenhang mit den übrigen Elementen des Ganglions will der Verf. ganz dahingestellt lassen. Er betont jedoch, dass eine Verwechslung mit den geschwänzten Kernen des Neurilemmas ganz und gar ausgeschlossen war, und da er an zwei Stellen (S. 431 und” in den Schlussbetrachtungen S. 448) ausdrücklich hervorhebt, dass in den centralen Ganglien der Acephalen keine Bindegewebselemente, keine mit der Neuroglia der Vertebraten homologe oder analoge Bil- dungen vorhanden sind, ist es deutlich, dass er diese geschwänzten Kerne als Elemente nervöser Natur betrachtet. Diese Bildungen sind jedoch keineswegs auf die Cerebralganglien von Unio und Anodonta beschränkt. Sie finden sich auch im Visceralganglion und ein genaues Studium ihres Vorkommens und Aussehens hat an die Hand gegeben, dass sie wahrscheinlich als Bindegewebselemente zu be- trachten sind. Sie kommen in ganz derselben Form in den peripheren Nervenstämmen vor und zwar am zahlreichsten unmittelbar unter der Hülle. Vereinzelt finden sie sich auch im Innern der Nerven zwischen den Fibrillen; sie folgen sozusagen den Fibrillen der Nerven in die Gang- lien hinein, wo sie in der Marksubstanz auftreten. Die Ausläufer sind ziemlich breit, nie varikös, gerade oder winklig gebogen, nicht ge- schmeidig gewunden wie die der Nervenzellen. Die eine Gruppe der A) 1. e. 8.4. s14 Freidenfelt, Das centrale Nervensystem von Anodonta. Bindegewebselemente der Acephalen, die von Kollmann?) und J. Thiele?) sogenannten Spindelzellen, können Formen annehmen, die eine Verwechslung mit bipolaren Nervenzellen sehr leicht hervor- rufen ?). Es erübrigt noch, einige Worte von dem sogen. Osphradium oder Spengel’schen Organ zu sagen. Dieses steht bei Anodonta, wie bei den Acephalen im Allgemeinen, in naher Verbindung mit dem Nervus branchialis [|,‚Ganglion olfactorium“ Spengel?)]. Es besteht bei Anodonta aus einem breiten Streifen von Cylinderepithel an der inneren Seite der Basis der beiderseitigen Kiemen; es liegt also unmittelbar über dem hier verlaufenden Nervus branchialis. Die centralen Ausläufer der Osphradium-Sinnesepithelzellen begeben sich auch in den Nerven hinein. Der Nervus branchialis ist, wie 4) Kollmann, Die Bindesubstanz der Acephalen, in: Arch. Mikr. Anat., 3d. 13. 2) Thiele, Die Mundlappen der Lamellibranchier, in: Zeitschr. wiss. Zool., Bd. 44. 3) Ich will hier eine Berichtigung meiner ersten Mitteilung über die Neuro- logie der Acephalen anknüpfen. Ich beschrieb da subepitheliale, bipolare Zellen, deren peripherer Ausläufer zum Epithel verlief und in vielen Fällen zwischen den Epithelzellen bis zur Cuticula vordrang. Die Lage und das Aus- sehen dieser Bildungen, die frappant an die sensiblen Nervenzellen gewisser anderer Mollusken und Würmer erinnerten, schienen ganz bestimmt für eine nervöse Natur zu sprechen, umsomehr da epitheliale Nervenzellen (wie sie Rawitz bei anderen Mactra- Arten beschrieben hat) hier nicht aufzuweisen waren, ebensowenig wie andere subepitheliale Bildungen, die als nervös auf- gefasst werden konnten, obgleich von den centralen Ganglien kommende Nerven- fibrillen mit ihren Telodendrien gefärbt waren. Eine nach dem Publizieren dieser Mitteilung angestellte vergleichende Untersuchung des Mantelrandes anderer Acephalen, wo es Gelegenheit gab, an demselben Objekt unzweifel- hafte Sinnesnervenzellen (Sinneshaare tragende und zum Teil epitheliale) mit Bindegewebselementen verschiedener Natur zu vergleichen, führte mich jedoch zu der immer bestimmteren Auffassung, dass die bei Mactra elliptica b e- schriebenen Bildungen in Wirklichkeit Bindegewebselemente sind, deren periphere Ausläufer, wohl um eine festere Verbindung zwischen den Geweben zu erzielen, zuweilen zwischen die Epithelzellen eindringen. Bei einem wiederholten Studium des Mantelrandes der M. elliptica glückte es mir auch, die wirklichen, äußerst spärlich und schlecht gefärbten Sinnesnerven- zellen zu finden. Auch deren Zellkörper liegt, wenigstens in der Regel, sub- epithelial (im Mantelrande, nicht z. B. in den Mundlappen), wenn auch sein peripherer Ausläufer nicht so lang wie der der Bindegewebszellen ist. Er ist dünner und sozusagen geschmeidiger gebogen als bei diesen, und er endet mit einer kleinen Auftreibung. Ich werde im Zusammenhang mit meinen bald zu veröffentlichenden Untersuchungen über das Mantelnervensystem der Unio- niden undCyeladen diese echten Sinnesnervenzellen näher beschreiben und abbilden und da auch auf die verschiedenen Bindegewebsformen der Acephalen und deren Differenzmerkmale von den Nervenelementen eingehen. Duncker, Korrelationsstudien. S15 es schon Spengel!) gezeigt, gangliös. Die überwiegende Mehrzahl der darin liegenden Ganglienzellen sind unipolar, bi- und multipolare Zellen finden sich aber auch darin. Letztere stehen doch in ihrem Typus den unipolaren näher als den exquisit multipolaren Zellen in den eentralen Ganglien. Wenn auch die Mehrzahl der Neuronen im Nervus branchialis dem Deiters’schen Typus angehören, fehlen doch die Golgi’schen keineswegs in demselben. Zellenformen, denen die oben beschriebenen lateralen Associationscentren des Visceralganglions zusammensetzenden ähnlich, habe ich jedoch nie im Kiemennerv ge- sehen, und sie kommen wohl auch dort nicht vor, ausgenommen im dem Ganglion am nächsten liegenden Teile. Der Nervus branchialis ist ein selbständiges senso- motorisches Centrum. Von demselben gehen Fibrillen aus, die in der Muskulatur der Kiemen motorische Plexus bilden, sowie auch andere, sensible, die in die Epithelzellen umspinnende Telodendrien endigen sowohl außen in den Kiemen wie in der den K’emennerv um- kleidenden Hülle. Was schließlich die eventuelle Funktion des sog. Osphradiums betrifft, worüber ich zahlreiche noch nieht beendete Versuche ange- stellt habe, will ich mich hier darauf beschränken als meine Ueberzeugung auszusprechen, dass dem Osphradium von Anodonta keine spezi- fische Funktion zuzuschreiben ist. Ich werde in einer, wie ich hoffe, bald erscheinenden Mitteilung, die Gründe hierfür vorlegen und zu- gleich zu zeigen versuchen, dass das Osphradium der höheren Acephalen als ein rudimentäres Organ zu betrachten ist, eine Ansicht die schon von früheren Verfassern angedeutet ist. [83] Lund (Schweden), 1. Juni 1897. Korrelationsstudien an den Strahlzahlen einiger Flossen von Acerina cernua 1. Von Dr. phil. Georg Duncker. (Zweites Stück und Schluss.) In dieser Weise wurde ein großer Teil der für » berechneten Werte korrigiert und das Resultat der Korrektur dem empirischen in Klammern beigefügt. Ich untersuchte nach der dargestellten Methode zunächst bei 1900 Individuen die Korrelation zwischen den 18 nach- stehenden Merkmalskombinationen (Kielflossen) und fand dabei die verzeichneten Werte für » und d: 4) Spengel, Die Geruchsorgane und das Nervensystem der Mollusken, in: Zeitschr. wiss. Zool., Bd. 35, 1881. S16 Duncker, Korrelationsstudien. Komb. Merkm. r d Komb. Merkm. r d — 0,026 0,0626 1: D, . 1 —— ERS 0,0020 Ti 19% & A, ige 0,035 0,1238) 9..D,:D 0,333 0,0269 8. Der, 0,273 0,0259 0,031 0,0890 3.D:A, oo die) DA 0,262 0,0039 : 0,018 1,1735 4. D,: A,!) —0,097 01485 . 10.D : A: 10.024 08819) 5. Di: Au 0,083 AD 0,232 0,1404 6.D,:D 0,710 00084 12.D:A 0,238 0,1812 Komb. Merkm. y d — 0,056 0,9104 13. A, : Aa (= 0,131 0.0018) 14. Aı A 0,106 0,1571 15. A, :A 0,986 0,0175 oa) ee a a el 0,1054 ı 0,157 0,3272 daD, Dar DILLEER 0,859 0,0701 Bei einem morphologischen Deutungsversuch dieser Werte hat man zwischen der Größe der gefundenen Zahlen und ihrem Vorzeichen zu unterscheiden; ferner sind die anatomischen Beziehungen der kombi- nierten Merkmale bei demselben zu berücksichtigen. Negativ ist die Galton’sche Funktion vor allem zwischen den Stachel- und den Weichstrahlzahlen beider Flossen (cf. die Kombi- nationen 1. 4. 7. 13. 16). Innerhalb einer und derselben Flosse mag dies daher rühren, dass überhaupt nur ein bestimmter Teil der Körper- metamere im Stande ist, die Summe der verschiedenartigen Flossen- elemente zu produzieren, und dass durch Beanspruchung eines größeren Abschnitts derselben zu Gunsten der einen die Produktion der anderen m { N m — N "m + n notwendig herabgesetzt werden muss. Der Umstand jedoch, dass die negative Wechselbeziehung auch zwischen den verschiedenen Ab- schnitten beider Flossen besteht (Komb. 4. 7), lässt diese Deutung nicht als ausreichend anerkennen; da nämlich die D, ausschließlich dem Bauch-, die D,, wie die beiden Teile der A, ausschließlich dem Schwanzabschnitt der Wirbelsäule zugehören, so wäre es nach dieser Auffassung wohl leichter verständlich, wenn nicht nur D, und A, (Komb. 4), sondern auch D, und A, (3) negativ, und nicht nur D, und A, (8), sondern auch D, und A, (7) positiv mit einander ab- änderten. Dieser Umstand scheint also auf das Bestehen einer ihrem Wesen nach einstweilen unbekannten, nicht bloß rechnerischen |for- rechnerisch nach dem bereits erwähnten Schema 1) Als Paradigma in Tab. I 1 und II 1 des Anhangs ausgeführt. Duncker, Korrelationsstudien. 817 malen], sondern morphologischen, resp. physiologischen [realen] !) Korre- lation zwischen der Stachel- und der Weichstrahlbildung in den Kiel- flossen hinzudeuten; zur Aufklärung derselben würde es des experi- mentellen Züchtungsversuches bedürfen. — Mit der Annahme einer derartigen negativen Korrelation zwischen Stachel- und Weichstrahl- bildung stimmt auch das Verhalten der Komb. 16 zwanglos überein. Positiv bleibt die Galton’sche Funktion zunächst zwischen den homologen Abschnitten der beiden Flossen (Komb. 3 und 8). Die Deu- tung dieses Verhaltens schließt sich dem eben Gesagten an. Ferner zwischen den Strahlensummen beider Flossen (Komb. 12); auf diesen Fall gehe ich weiter unten ein. Besonders erwähnenswert erscheint, dass die Korrelitten der Strahl- zahlen zwischen jedem der beiden Ähsehaitie einer und derselben Flosse und ihrer Strahlensumme positiv ist (Komb. 2. 6. 14. 15; dem- entsprechend auch 17 und 18); zwischen D, und A (5) deutlich negativ, zwischen A, und D (10) als einzigem Fall, empirisch unentschieden (positiv), korrigiert jedoch ebenfalls negativ, wenn auch mit sehr großem Fehlerwert; dagegen zwischen dem Weichteil der einen Flosse und der Strahlensumme der anderen deutlich positiv (9 und 11). — Für die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Stachelteil der einen Flosse und der Strahlensumme der anderen liegen folgende bei- den Möglichkeiten vor: entweder ist die negative Beziehung von D, zu A formal, wegen der bereits erwähnten Stellung beider Organe zur Wirbelsäule, während die A, vielleicht überhaupt nicht, vielleicht in positiver Richtung mit der D variiert, oder .es besteht eine reale negative Korrelation zwischen D, und A sowohl, als auch zwischen A, und D; für letztere Auffassung spricht der Umstand, dass der korrigierte r-Wert (10) deutlich negativ wird. Eine Erklärung für diese Beziehung habe ich nicht auffinden können; da sie, der abnormen Variabilität von A, halber, an dem vorliegenden Material nicht mit voller Sicherheit festzustellen ist, so wäre die vergleichende Nach- untersuchung eines Materials mit zahlreicheren und deshalb voraus- sichtlich deutlicher und gesetzmäßiger variierenden A-Stacheln, wie sich solches z. B. in den gegenwärtig auch in Deutschland gezüchteten Oentrarchus-Arten ergeben würde, wünschenswert. Die absolute Größe der gefundenen r-Werte ist recht ungleich. Dass sie bei Komb. 15 so bedeutend ist, hat seinen Grund zum Teil 4) Betrachtet man Stacheln und Weichstrahlen als verschiedenartige Etappen einer und derselben Entwicklungstendenz ursprünglich gleichartiger Gebilde, so würde man auf eine Einwirkung äußerer Bedingungen schließen können, die je nach ihrer Qualität und Intensität die Zahl der einen oder der anderen höher werden ließe; ich deute hiermit nur eine Vermutung über den Weg an, auf welchem man möglicherweise einer sachlichen Erklärung näher kommen könnte, XVLH. 92 s18 Duncker, Korrelationsstudien. wohl darin, dass, wegen des starken zahlenmäßigen Ueberwiegens der Weichstrahblen, die Variation der A fast völlig durch die der A, be- stimmt wird. Indessen braucht diese Erklärung nicht ausreichend zu sein, da sowohl Komb. 6 wie 18 ebenfalls hohe r- Werte ergeben und vor allem bei der ersteren der für Komb. 15 genannte Erklärungs- grund nicht zutrifft. Die Stachelzahl der D beträgt nämlich im Mittel 14,157, die Weichstrahlzahl nur 12,756. Wesentlicher, als der Einfluss des totalen Mittelwertes wird bei diesen Beziehungen der des Varia- bilitätsindex in Betracht kommen, wie schon daraus zu schließen, dass z. B. der Variabilitätsindex von D nicht, entsprechend den totalen Mittelwerten, näher dem von D, sondern weit näher dem von D, steht (ef. Tab. II 2 des Anhangs); dieser Auffassung widerspricht auch das Verhalten von A, und A nicht, deren Variabilitätsindices einander fast gleich sind. Mit anderen Worten: wesentliche Vorbedingung für eine hohe Korrelationsintensität zwischen zwei Merkmalen ist die größtmög- liche Aehnlichkeit ihrer Variationskurven (ihre Variabilität), während die numerische Aehnlichkeit ihrer totalen Mittelwerte an sich ohne Einfluss auf jene bleibt. Der für r gefundene Wert ist in den betreffenden Kombinationen mit D, (1 und 4), sowie mit A, (7 und 13 korrigiert) zwischen den Bestandteilen einer und derselben Flosse größer, als zwischen den homologen verschiedener, eine Erscheinung, die gemäß den hier vor- kommenden geringen Fehlerwerten vermutlich als normal anzusehen und auf den Grad der morphologischen Zusammengehörigkeit der Merkmale zurückzuführen ist. Die Korrelation zwischen D und A; (11) erscheint etwas weniger intensiv, als die zwischen D, und A (9), was mit der wiederholt hervorgehobenen Beziehung der betreffenden Teile zur Wirbelsäule zusammenhängen dürfte. Die Wechselbeziehung zwischen D und A (12) ist verhältnismäßig locker; ein an allerdings nur 100 Flundern (Pleuronectes flesus 1.) desselben Fundorts durchgeführter Vergleich derselben, zu dem mich frühere Beobachtungen an zahl- reicheren Exemplaren von Pl. flesus und Pl. platessa, von verschiedenen Fundorten stammend, veranlassten, ergab die Werte r = 0,493; d = 0,0658, also bei Verringerung des Fehlers einen mehr als doppelt so hohen Wert für r. Dieses Resultat erklärt sich ungezwungen daraus, dass die D und die A bei Plattfischen einmal durchgängig aus gleichartigen (Glieder-) Strahlen bestehen und ferner einen bedeutend größeren Teil der ohnehin relativ längeren Schwanzwirbelsäule, als bei Ac. cernua gemeinschaftlich einnehmen, beider Variation also voraussichtlich weit mehr von gleichen Bedingungen beeinflusst wird und daher in gleich- artigerer Weise verläuft, als bei unserer Species. -— Gelegentlich dieses Befundes ist mir eine Notiz Petersen’s (6 S. 134 unten) aufgefallen, nach welcher eine derartige Beziehung beim Steinbutt (Rhombus maxi- Duncker, Korrelationsstudien. 819 mus Cuv.) und beim Kleist (Rhombus laevis Rond.) nicht bestehen soll. Diese Angabe rührt vielleicht weniger daher, dass zu wenig Individuen auf die betreffenden Eigenschaften hin untersucht wurden (Steinbutt 185, Kleist 95), als dass die Korrelation dieser Merkmale, da sie mit dem eigentlichen Gegenstand der eitierten Arbeit nicht weiter zusammenhängt, in der letzteren keine besondere Beachtung erlangte. Recht ungleich sind die bezüglichen Werte von r für die zwischen dem Stachelteil einer Flosse und ihrer Strahlensumme bestehende Korrelation in Komb. 2 und 14; die letztere bleibt jedoch in beiden Fällen bedeutend weniger intensiv, als die zwischen den Weichstrahlen und der Strahlensumme einer und derselben Flosse bestehende (6. 15). — Die Differenz der beiden r-Werte in den Komb. 3 und 8, in welchen homologe Flossenabschnitte zusammentreffen, wird in erster Linie durch die höchst ungleichen Variationsverhältnisse bei den in Betracht kom- menden Paaren erklärt werden müssen. Was endlich die gefundenen wahrscheinlichen Fehlergrößen be- trifft, so darf man als genügend zuverlässig ohne weiteres die Resultate der Kombinationen 1. 2. 6. 8. 9. 15 und 18 betrachten; annähernd genau sind noch die Kombinationen 4. 5. 11. 12. 14 und 16. Die Fehlerwerte der Kombinationen 3 und 7 sind für die empirischen Re- sultate kleiner als 0,10; für die korrigierten liegen sie zwischen dieser Grenze und 0,25, lassen also nur eine annähernde Bestimmung der Korrelationsintensität bei den letzteren zu, die jedoch in beiden Fällen nicht sehr von den empirischen abweichen. Gleiche Korrelationsrichtung, jedoch keinen sicheren Anhalt für die Korrelationsintensität ergaben die empirischen r-Werte der Komb. 13 und 17, während ihre korrigierten zuverlässig erscheinen. Unbrauchbar in jeder Beziehung ist das em- pirische Resultat für Komb. 10; das korrigierte lässt wenigstens eine negative Korrelation erkennen. Die Untersuchung über die Wechselbeziehungen der Strahlzahlen der beiden P. unter einander und zu denen der Kielflossen erstreckte sich auf 1650 Individuen; das Ergebnis für die erstere war 19. Ps:Pd!) r—= 0,70 _d = 0,0026. Eine Formalität der Beziehung ist hier selbstverständlich ausgeschlossen; ob die bestehende hohe reale Korrelation eine direkte oder eine indirekte ist, entzieht sich einstweilen wohl einer wissenschaftlichen Entschei- dung. — Bemerkenswert ist, dass bei dieser symmetrischen Species 18,1°/, aller untersuchten Individuen bezüglich der Strahlzahlen in den P. unsymmetrisch waren, und zwar 9,5°%/, zu Gunsten der linken, 8,6%, zu Gunsten der rechten Körperseite. Diese Ungleichheit spricht sich auch in den totalen Mittelwerten der Flossen aus, während ihre Variabilitätsindizes so gut wie unberührt davon bleiben. Ein Vergleich 4) ef. Tab. I 2 und II 1 des Anhangs. H2* 820 Duncker, Korrelationsstudien. mit 225 Exemplaren von Pleuronectes flesus |verschiedener Fundorte]t) ergiebt bei letzteren nur 45,3°/, in dieser Hinsicht symmetrische Indi- viduen; bei 51,6°, überwiegt die Strahlzahl auf der Augenseite, bei 3,1°/], die auf der blinden. Die von diesem Material erhaltenen Werte sind r — 0,640 d = 0,0419. Der hier vorliegende Fall stellt eine gute Illustration zu einer auch rein theoretisch verständlichen Auffassung über das Verhältnis zwischen Symmetrie und Korrelation dar, insofern nämlich die Korrelations- intensität zwischen den Strahlzahlen der P. ungefähr gleich bei sym- metrischen, wie bei asymmetrischen Fischen ist. Man mag bei ober- flächlicher Betrachtung vielleicht dazu neigen, beide Begriffe in gewissem Sinne für identisch, nämlich die Symmetrie als einen Spezialfall der Korrelation anzusehen. Das Irrtümliche dieses Gedankens beruht darin, dass „Symmetrie“ der Ausdruck für die antimere Lagebeziehung der Merkmale einerseits, für ihre Homologie und Aehnlichkeit andrerseits ist, während mit „Korrelation“ ausschließlich die der Wahrscheinlichkeits- rechnung nicht entsprechende, jedoch bestimmt gerichtete Art der Kom- bination ihrer individuellen Abänderungen bezeichnet werden sollte. Bei symmetrischer Anordnung, aber asymmetrischer Gestaltung homologer Merkmale ist zwischen ihnen eine Korrelation jeder beliebigen, der höchsten (r= +1), wie der niedrigsten (r —= 0) Intensität ebensowohl vorstellbar, wie zwischen homologen, streng symmetrischen, oder nicht homologen, anders als symmetrisch angeordneten Merkmalen. Beide Begriffe sind logisch völlig von einander unabhängig; möglicherweise, vielleicht sogar wahrscheinlich ist mit Symmetrie auch stets eine höhere Korrelationsintensität?) positiv wirkender Art verknüpft; als Thatsache bewiesen ist diese Möglichkeit jedoch einstweilen nicht, und erst zahlreiche Einzeluntersuchungen, die sich über die verschiedenen Fälle biologischer Symmetrieverhältnisse erstrecken, können diese Frage zur Klärung bringen. 4) Nach meinem Befund entsprach bei diesem Material der Verschieden- heit der Fundorte keine solche der P- Strahlzahlen, während Ac. cernua sich darin anders verhält. — Der Entwicklungsgrad der P, auch hinsichtlich ihrer Strahlzahlen, ist bei den Plattfischen auf der Augenseite höher, als auf der blinden; deshalb vergleiche ich hier nicht die der linken und der rechten, sondern der blinden und der augentragenden Körperseite mit einander. Unter den 225 Individuen entsprach die Augenseite bei 172 der rechten, bei 53 der linken Körperseite. — Die entsprechenden Werte für M und v sind Augenseite Blindseite M 10,538 10,018 v 0,748 0,816. 2) So fanden Weldon [106] und Warren [9] an den gleichen symme- trischen Dimensionen des Cephalothorax bei zwei Rassen des Carcinus maenas (Weldon) und bei Portunus depurator (Warren) die r-Werte 0,76, 0,78 und 0,86, Thompson[8] für drei Paare von symmetrischen Dimensionen an Palae- mon serratus die Werte 0,94, 0,86 und 0,76. Duncker, Korrelationsstudien. 21 Die 12 gefundenen Werte für r und d zwischen den P einer- seits, den Kielflossen andererseits sind folgende: 20. Ps : D, — 0,004 2,2080 26. Pd: D, — 0,005 2,2090 a n ee 27. PA: Di 0068 o1aıc) — 0,0 0,490 22. Ps:D}._ 0052 00130) 28. Pd: D fan 0,052 0,0133) 23.,P8.:.A, 0,041 0,7715 29. Pd: A, | 0,002 0,1944 — 0,006 3,6962 ; ) 0,048 0,8617 25. Ps: A 1.0059 00s2) 3 Pd:A | .0or7 0.0808) Aus diesen Resultaten lässt sich, der niedrigen r-Werte halber, die meistens noch mit großen wahrscheinlichen Fehlern verknüpft sind, nur wenig sicheres über die zwischen Kiel- und Brustflossen bestehen- den Wechselbeziehungen entnehmen. Der Umstand aber, dass zwischen Ps und Pd in manchen ihrer Beziehungen zu den Kielflossen ein ge- wisser Parallelismus besteht, gestattet wenigstens eine bescheidene Benutzung der erhaltenen, vor allem der korrigierten Werte. Besonders klar tritt, zumal in den letzteren, hervor, dass sowohl die Weichstrahl- zahl (21.27), wie die Strahlensumme der Rückenflosse (22.28) zu den Strahlzahlen jeder der beiden Brustflossen in negativer Korre- lation von immerhin deutlicher Intensität steht. Weniger klar ist die positive Beziehung zwischen den Strahlzahlen jeder der Brustflossen einerseits, und den Weichstrahlen (24. 30), sowie der Strahlensumme der Afterflosse (25. 31) andrerseits zu erkennen. Auffällig ist zwar die Aehnlichkeit der Größe der r-Werte sowohl bei Komb. 24 und 25, wie bei 30 und 31, die dem oben bezüglich des Einflusses Gesagten, welchen die Größe der in Betracht kommenden Variabilitätsindizes ausübt, entspricht; von einem Parallelismus der korrelativen Bezieh- ungen seitens der Brustflossen aber ist hier zwischen den homologen Kombinationen nichts zu spüren, und die Fehlergröße ist bei allen vier korrigierten Werten so gering, dass ich den Mangel desselben nicht ohne weiteres als zufällig bezeichnen möchte. f Die übrigen vier mitgeteilten Resultate ergeben keine brauchbaren Anhaltspunkte; erwähnenswert ist davon höchstens die positive Korre- lation zwischen A, und jeder der beiden P. — Die Kombination der Summe der P.-Strahlen mit den Summen der homologen Kielflossen- strahlen (z. B. Ps + Pd : D, + A,) ergab, der abnormen [dreigipf- lichen] ') Variationskurve der ersteren halber, ebenfalls keine brauch- baren Resultate und wurde deshalb in dieser Arbeit völlig übergangen. Es geht also nur so viel mit Sicherheit aus den angeführten Be- rechnungen hervor, dass in vereinzelten Fällen wenigstens aueh zwischen 4) Abzuleiten aus dem Kombinationsschema in Tab. I 2 des Anhangs. >. 822 Duncker, Korrelationsstudien. paarigen uud unpaaren Flossen Korrelation der Strahlzahlen besteht. Der Umstand, dass diese zwischen den Weichstrahlen der D und der Strahlzahl jeder der P negativ, dagegen zwischen letzteren und den Weichstrahlen der A positiv wird, scheint ihre Verständlichkeit einst- weilen auszuschließen, da die Annahme, die Entwicklung gleichartiger Strahlen sei in allen Flossen von den gleichen (inneren oder äußeren) Bedingungen abhängig, durch diesen Befund hinfällig wird. Sollte eine Nachuntersuchung an geeigneterem Material, als welches ich vorallem die einheimischen Cotius-Arten wegen der günstigeren Zahlen- verhältnisse der hier in Betracht kommenden Flossenstrahlen ansehe, die von Acerina erhaltenen Befunde bestätigen, so müsste zwischen D, und Ps (Pd) wahrscheinlich keine, zwischen D, und Deinerseits, Ps oder Pd andrer- seits sicher negative, zwischen der hier stachellosen A und den Brust- flossen positive Korrelation gefunden werden. Gerade die Wechsel- beziehung zwischen paarigen und Kielflossen in den Strahlzahlen er- achte ich auch in allgemein morphologischer Beziehung für bedeutsam genug, dass eine kontrolierende und vergleichende Nachuntersuchung dieser Verhältnisse wünschenswert erscheint. Fasst man die wesentlicheren bisherigen Ergebnisse der vorliegen- den Untersuchung noch einmal kurz zusammen, so sind es folgende: 1. Die Erscheinung arithmetischer Korrelation in der Zahl der Flossenstrahlen wurde beobachtet a) bei 1900 Individuen von Acerina cernua L. zwischen den beiden Kielflossen und ihren je zwei Abschnitten; b) bei 1650 zwischen den beiden Brustflossen ; ce) bei ebensovielen zwischen je einer Brustflosse einerseits und den Weichstrahlen sowie der Strahlensumme der Rücken- resp. der Afterflosse andrerseits. 2. In den Kielflossen besteht negative Korrelation vor allem zwischen den ungleichartigen Abschnitten derselben, positive zwischen den gleichartigen und den Strahlensummen. 3. Die Korrelation zwischen den Brustflossen ist positiv und von bedeutender Intensität; die Symmetrie dieser Merkmale jedoch ist keine strenge. 4. Die Brustflossen stehen zur Rückenflosse in negativer, zur After- flosse in positiver Korrelation. 5. Es gelang nicht in allen Fällen, Korrelation zwischen je zwei Merkmalen nachzuweisen. Anhangsweise seien noch einige Bemerkungen über 'gewisse bei korrelativen Wechselbeziehungen bestehende Verhältnisse gestattet, auf welche ich an dieser Stelle nicht mehr ausführlich eingehen möchte, die mir jedoch genügendes Interesse für eine kurze Erwähnung zu Duncker, Korrelationsstudien. 323 bieten scheinen. An Stelle des von Galton in die Korrelationsberech- nungen eingeführten Faktors Q haben wir die durchschnittliche Varia- bilität (v) bei denselben benutzt. Sofern dies Verfahren berechtigt, müssen sich diejenigen Veränderungen, welche Galton betr. Q bei den der Korrelation unterliegenden und gleichzeitig als abhängig (zu- geordnet) betrachteten Merkmalen nachgewiesen hat, auch bezüglich v aufzeigen lassen. Diese Veränderungen bestehen darin, dass die durchschnittliche Größe des Variabilitätsindex der den einzelnen sup- ponierten Varianten zugeordneten Variantenreihen des abhängigen Merkmals um so stärker abnimmt, je intensiver die zwischen beiden Merkmalen bestehende Korrelation, mithin je größer der positive oder negative Wert von r ist. Das entsprechende arithmetische Verhältnis ist, nach Galton [4b], ausdrückbar durch die Formel A N wobei @ den Variabilitätsindex (Quartilwert) eines Merkmals aus- drückt, sofern es nicht als zugeordnet betrachtet wird, / denselben in seiner durehschnittlichen Größe, sofern dieses Merkmal einem zweiten als zugeordnet betrachtet wird und zwischen beiden eine Korrelation von der Größe r besteht. War also jene oben erwähnte Vertauschung berechtigt, so muss auch aaa =ırYıi—n sein. Die betreffenden Werte von v! sind für alle diejenigen Fälle be- rechnet worden, in welchen r eine genügende Größe besaß, um einen bemerkbaren Einfluss in dieser Formel auszuüben, also wo r >+032. Kombinationen mit solchen r-Werten fanden sich sieben; somit ergeben sich 14 Beispiele zur Prüfung obiger Annahme. Die Berechnungen, in ar diesem Falle der Kürze halber (auch für r) nur für v = = ausgeführt, ergaben folgende Resultate: ER F 1—n. D v Zugeordn. Kombination rl berechn. gefund. Merkinal) - i 041 041 0,442 D, 1. D, . ; — 0,383 0,925 0,58 0,56 0,624 >, c ; 041 043 0,442 D, r 0,44 0,43 0,624 D, 0,06 0,05 0,41 A, sY D, + A: ER: 0,43 043 0,465 Di + A, ae 081 080 087 D, + A D...#, . 05 045 0853D, + A, JB 95 0,857 0510 va D-+A 041 043 0812D A £ 029 021 0,408 Ps 19. Ps : Pd 0,700 0,714 0,29 025 0,409 Pd 824 Duncker, Korrelationsstudien. Die Uebereinstimmung der empirisch gefundenen mit den durch Berechnung ermittelten Werten für »! dürfte für die Berechtigung unserer, zwecks Erleichterung der Bestimmung von r vorgenommenen Abänderung des Galton’schen Verfahrens sprechen. Ebenso, wie die durchschnittliche Variabilität des zugeordneten Merkmals überhaupt, kann man die seiner einzelnen, jeder supponierten Variante zugeordneten ‚Variantenreihen ermitteln. Ohne auf die Re- sultate dieser Berechnungen näher eingehen zu wollen, sei an dieser Stelle nur so viel erwähnt, dass die Variabilität der einzelnen zuge- ordneten Variantenreihen um so geringer wird, je weniger die suppo- nierte Variante von dem totalen Mittelwert des supponierten Merkmals abweicht. In diesem Umstande dürfte es auch begründet sein, dass die Kombination der dem totalen Mittelwert der einzelnen Merkmale nächststehenden („mittleren“) Varianten nicht, wie J. B. Stead [7 p. 296] in einer Kritik meiner Dissertation [2] anzunehmen scheint, wenig Wahrscheinlichkeit für empirisches Vorkommen besitzen, sondern im Gegenteil ihre schon dureh die Wahrscheinlichkeitsrechnung, bei nor- maler Variation wenigstens, bedingte maximale Häufigkeit für gewöhn- lich um ein beträchtliches überschreiten. So fand ich unter den früher erwähnten zweigliedrigen Merkmals- kombinationen nur eine (8. D,: A,), bei welcher die empirische Fre- quenz der mittleren Variantenkombination hinter der wahrscheinlichen ein wenig zurückblieb (612 statt 620); bei den übrigen war die em- pirische Frequenz stets die größere, z. B. fand sich die mittlere Variantenkombination der beiden P. bei 1650 Individuen 989 statt 770 Mal. — In Bezug auf die Kielflossenabschnitte ergab die Unter- suchung von 1900 Individuen 83 verschiedenartige individuelle Varianten- kombinationen zu vier Gliedern; von diesen kam eine (XIV + 13. — II + 7) 449 Mal, also in 23,6°/, aller Fälle, vor, während ihre wahr- scheinliche Frequenz nur 395 (= 20,8°,) betrug; diese Kombination erhält man auch durch Abrundung der betreffenden Mittelwerte auf ganze Zahlen (cf. Tab. II 2 des Anhangs). Häufiger, als in 10°, kamen überhaupt nur noch zwei Kombinationen vor: (XIV + 12. — II + 7) 204Mal, (XIV + 13. — II + 8) 192 Mal; unter 5°, blieben 79 von den restierenden 80. — Durch Hinzuziehung der Strahlzahlen der Brustflossen ergaben sich bei 1650 Individuen 240 sechsgliedrige Kombinationen; von diesen kam die häufigste (XIV+ 13. — U +7. — 14:14) 240 Mal, d.h. in 14,5°/, aller Fälle vor, statt nach der Wahr- scheinlichkeitsrechnung 158 Mal (= 9,6°/,); über 5, jedoch unter 10°, relative Häufigkeit besaßen nur noch drei Kombinationen; unter 1°, blieben 219! Die Kombination der mittleren Varianten erweist sich also in diesen Beispielen als die bei weitem häufigste, wobei sie ihre durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung bedingte Frequenz noch über- schreitet. Ein genaueres Eingehen auf diese Verhältnisse muss ich mir jedoch für spätere Gelegenheiten vorbehalten. Duncker, Korrelationsstudien, 895 Verzeichnis der angeführten Litteratur. [1] &. A. Boulenger, Catalogue of the Fishes in the British Museum. 2 Ed. London 1895. p. 110. [2] 6. Duncker, Variation und Verwandtschaft von Pleuronectes flesus L. und Pl. platessa L. In: Wissenschaftliche Meeresuntersuchungen, herausg. v. d. Komm. z. wiss. Unters. d. dtsch. Meere zu Kiel u. d. Biolog. Anstalt auf Helgoland, N.F., 1. Bd., 2.H., S.47—103, 1895. [3] €. Eigenmann, Leueiscus balteatus Rich., a Study in Variation. In: American Naturalist, 1895, January, p. 10—25. [dal Fre. Galton, Family Likeness in Stature, In: Proceed. Roy. Soc. London, Vol. 40, 1886, p. 42—63. [4b] Derselbe, Corelations and their Measurement. Ibid. Vol. 45, 1888, p. 135—145. [5] Fr. Heineke, Die Varietäten des Herings. In: Mitteilungen d. Komm. z. wiss. Unters. d. dtsch. Meere. I.: Jahrg. IV— VI, 1878, S. 37—132 ; II.: Jahrg. VII—XI, 1882, S. 1—86. [6] G. C. J. Petersen, On some zoological Characters applicable by the Determination of young. (post-larval) Flatfishes. In: Report of the Danish Biological Station, IV, 1893. [Fortsetzung S. 826]. Anhangstabelle Il. 1. Kombination 4 des Textes, D,:A,.r = — 0,097. D, supponiert © ar. oükg “ En er 25 Q 3 | p E, | oO = oo = | S 12,979 8 — mm Zz = Vs1112 13 14 15 16Summe m, 7, Ds berechn. (ef. Fig. +) (ef. Fig. +) „ß 1 1 14,000)... 31 1 1 14,0001& a, 1. Bus ara sr Inka I re 6 28 129 68 2 227 14,194 5 —026 712 104 784 295 17 1203 14,181 0,04 14,168 & = 8 8 52 304 87 1 44 14,083 _ = 3 a 219 a 13 1384012 0,13 Fa 2 Summe 1 2 189 1234454 201900 14,157 —=M v=0,04 B Bi =) DNS ES NNCH Ei oe u LD> [= Ne} [= 57156 l See icE Ss NT = Er Be ee eh De TE a = > LD>= D» Ne) (> A, zugeordnet OL ‘ 2b Duncker, Korrelationsstudien. [7J) J. B. Stead, Variation and Relationship of the Flounder and the Plaice. In: Journal of the Mar. Biol. Association, Vol. 3, Nr. 4, 1896, p. 293—299. [8] H. Thompson, On Correlation of certain external Parts of Palaemon serratus. In: Proc. Roy. Soc. London, Vol.55, 1894, p. 221—243. [9) E. Warren, Variation in Portunus depurator. In: Proc. Roy. Soc. London, Vol. 60, 1896, p. 221—243. & [10a] W. F. R. Weldon, The Variations occeurring in certain Decapod Crustacea. I.: Crangon vulgaris. In: Proc. Roy. Soc. London, Vol. 47, 1890, p. 445-453. [10b] Derselbe, Certain correlated Variations in Ürangon vulgaris» Ibid. Vol. 51, 1892, p. 2—21. [106] Derselbe, On certain correlated Variations in Carcinus maenas. Ibid. Vol. 54, 1893, p.318—329. 2. Kombination 19 des Textes, Ps:Pd.r = 0.700. Ps supponiert © id aı Sep = ne ne sa] 12,966 15,007 a ey — nn = — v- 21314 15 16°S5umne m — m, berechn. (ef. Fig. + (ef. Fig. +) 12 (1 2 2 1 oe 1 er 13 13,077 — 1,08 13,233 Sl 80 9 2 366 189431 028° 14 2 93 989 49 1133 13,958 0,18 13,963 ee D> R er] 5 El .,k 15 33 961 135 14,726)= N - > ’ 2 2,05 =| 7 ; i 1300015 1,51 14,667 E — /o = Summe 13 366 1122 148 1 16501353 —=M v=0571 & ® aan 98 a N = = & I a SS S: & u EI BE ao „SS 1322 14,624 | nee. use es ri U SS: - & SA | e) Q S N en 2 a {er} Ne) Ne) Ä Ar os << m pe — — & Pd zugeordnet Bemerkungen: Kamen Varianten seltener als in 1°/, sämtlicher Fälle vor, so sind sie zu der nächsten, welche mindestens diese Fre- quenz besaß, hinzugezogen und von ihnen das arithmetische Mittel berechnet worden. Ebenso wnrde mit ihren zuge- ordneten Mittelwerten (mx) verfahren. Die Berechnung der zugeordneten Mittelwerte aus s, Ms, vs, vs und r (Buch- stabenerklärung s. im Text) geschieht nach der Formel EIS ms = M3; + — . —. Vz Vs Duncker, Korrelationsstudien. 897 Anhangstabelle II. 1. Berechnung von r für Kombinat. 4. a) (m — M):(, — M) = - As =ig Di: s Ber D, 2. Age zur S Ss 0,0453: — 118 = — 0037 000: — 110 = — 0,025 0,083: — 0157 = — 016 004: — 013 —= — 0212 —0071: 088= 0084 —0080:. 0915—= — 0,687 — 0,163 : 1,843 —= 0,088 ala x Le 9 N > (=) — — 0,355 ( ) = - 0324 Kombinat. 19. Pl=z B=s — PpP=z Pdi=s — —0,620: — 08897 = 0,699 — 0,617: — 0,887 —= 0,606 0,105 : 0,17 = 0,7114 015: 0158 = 0,665 0,782 : 1,154 —= 0,678 0,860 : 1,165 — 0,738 2 en x 2 ut >(—) = 2101 2 —) — 2,099 Komb. 4. Komb. 19. wg ?ı EL: 4 ZEN, vn er b) ” ( = VI Mi R () VI k p + q —. 0,355 . 0,950 = — 0,337250 2,101 . 1,004 = 2,109406 — 0,324 . 1,053 = — 0,341172 2,099 . 0,996 — 2,090604 — 0,6742: 7 = —0,0N7 =r 4.200010 : 6 = 0,70 = r zII vl c) r HF nal a DhOR "2 — 0,337350 : i — — 0,084312 = r, Srlloe :3 = 0,703135 = r, — 0,841172 : 3 = — 0,113724 = r, 2,090604 : 3 = 0,696868 = r, Tue sr 7 mis th Ta 0,1485 0,0026 828 Duncker, Korrelationsstudien. 2. Verzeichnis der M- und v-Werte sämtlicher Merkmale. Merkmal 4900 Individ. 1650 Individ, M ® M ® = Yy- (=?) =) V > (@) n N N 2 n D, 14,157 0,442 0,604 14,156 0,443 0,607 D, 12,756 0,624 0,799 12,747 0,630 0,799 D 26,913 0,569 0,806 26,903 0,577 0,810 A 2,018 0,0387 0,138 2019 0,038 0,138 A, = 19 0,44 0,636 7107 0434 0,634 A 9,131 0449 0,633 9,127 0,443 0,629 Ps 13,853 0,408 0,571 pa 13,842 0,409 0,569 1 Aı 16175 0,465 0,624 As, 7219,868,7° 0873721153 A 36,044 0,812 1,136. Nachtrag. Den Resultaten meines obigen Aufsatzes kann ich, dank der Freundlichkeit des Herrn Fischermeisters Koch auf Reichenau im Bodensee, welcher mir auf meine Bitte das nötige Material bereit- willigst verschaffte, betrefis Cottus gobiv L. einiges hinzufügen. Bei dieser Art sind, im Gegensatz zur früher untersuchten, die stachelige und die weiche Rückenflosse von einander durch einen mehr oder weniger weiten Zwischenraum getrennt, ein Stachelteil der After- flosse fehlt völlig, und es ergab sich, vielleicht im Zusammenhang hiermit, eine positive Korrelation zwischen allen drei untersuchten Kielflossen (D,, D, und A). Soweit überhaupt nachweisbar, waren auch die korrelativen Beziehungen der beiden Brustflossen zu den Kiel- flossen positiv. Hat somit das Vorzeichen der bei ©. gobio gefundenen r-Werte gegenüber denen von A. cernua mehrfach eine Aenderung er- fahren, so fällt andrerseits die Aehnlichkeit der absoluten Zahlenwerte bei mehreren Beziehungen zwischen bestimmten Flossen von Cottus, wie von 4cerina auf, ein Befund, den ich dem von Warren'), Aehn- lichkeit der Korrelation homologer Dimensionen bei verschiedenen Brachyuren, zur Seite stellen möchte. Während alle sonstigen Berechnungen, Abkürzungen, Bezeich- nungen ete. in meinem früheren Aufsatz klar gelegt sind, habe ich mir in den vorliegenden Zeilen eine Vereinfachung der Berechnung von r gestattet. Da nämlich I za). 2 — 2 z(@). “2 =n, p S VI q SıI © 4) Variation in Portunus depurator. In: Proc. Roy. Soe., London, Vol. 60, Nr. 362, p. 233. Duncker, Korrelationsstudien. 899 so ist = () x ”) sr sm 29 r also gleich der Wurzel des letzteren Ausdiucks!). Bei dieser Rech- nungsart lässt sich die relative Größe des wahrscheinlichen Fehlers (d) nicht bestimmen; wie aber ein Vergleich der so gewonnenen nach- stehenden r- Werte von Acerina mit den auf die früher geschilderten Methoden ermittelten (8. 790 u. 794) zeigt, erleiden die ersteren keine Einbuße an Genauigkeit. Auch die doppelte Berechnung der r-Werte für Cottus bestätigte dies. Das Untersuchungsmaterial der letzteren Art besteht aus 354 In- dividuen (231 J', 123 2), ist also etwas klein. Ich stelle den bei Cottus gobio erhaltenen Resultaten für » die entsprechenden von Acerina cernua zum Vergleich gegenüber, wobei die korrigierten r-Werte durch Cursivdruck gekennzeichnet sind. Merkmalskomb. Acerina Cottus Merkmalskomb. Acerina Cottus r*' D#'D,7 3800110 7 Ps:Pd 0700 0,720 2°D:D 0,382 0,808 8 Ps:D, rel: Di. 82.0098 E 9 Ps:D, -—-0,050 0,096 5 ID’ 7: — 0.084} ni 10°: Ps: D _. 0,052 0,165 ELDER N, 0,710 0808 11 Pd:D, ? 0,073 Ede A 0,273 ap 42 PusrD — 0,056 0,070 5 a I 0,266 : Dy ) ) iD: : T oa) 3 Pd:D -—0052 011 6 DA 0maer 0300 Aehnlich verhalten sich bei beiden Arten die Werte der Kombi- nationen 4—7, also mit Ausnahme von Komb. 2 aller derjenigen, welche bei beiden Arten die gleiche Korrelationsrichtung aufweisen. Ver- schiedenheit ihrer Vorzeichen (der Korrelationsrichtung) findet sich in Kombination 1. 3. 9. 10. 12. 13. Eine intensivere Korrelation, als bei Acerina cernua, weisen bei Cottus gobio, vermutlich in Folge der positiven von Komb. 1 und 3, die Kombinationen 2, 3, 4, 6, 8—13 auf, während die zwischen der stachligen und der weichen Rückenflosse (Komb. 1) bestehende schwächer bei der Gruppe mit geteilter, als bei dem Kaulbarsch mit ungeteilter Dorsalen ist. In den Beziehungen der beiden Brustflossen zu den Strahlzahlen der gesamten Rückenflosse sowohl, wie ihrer Einzelabschnitte ist bei ©. g05io die durchgängig höhere Korrelations -Intensität der Ps gegenüber der der Pd zu er- wähnen. 41) r ist hier demnach das geometrische Mittel zwischen », und »,, statt nach der früheren Ableitung das arithmetische. Da jedoch r, und r, annähernd gleich sind, ändert dieser Umstand in den ersten Stellen von r so gut wie nichts. Die Differenz zwischen dem arithmetischen (a) und dem geometrischen Mittel Y)ita—-y=al-- Ta). 830 Duncker, Korrelationsstudien. Der Gesamtbefund erweckt den Eindruck, als ob in Folge der Lücke zwischen D, und D, bei der Gruppe der Variabilität jeder ein- zelnen dieser Flossen ein größerer Spielraum gelassen und damit ein Hindernis beseitigt sei, welches einer individuellen Tendenz, überhaupt Flossenstrahlen, gleichgiltig in welcher Flosse, zu entwickeln, bei Acerina cernua entgegensteht und hier mehrfach zu negativer (direkter ?) Korrelation von Strahlzahlen führt, wo die eben angenommene Ten- denz positive (indirekte?) erfordern würde. Die P. beider Arten bieten auch hinsichtlich ihrer Symmetrie- verhältnisse gewisse Beziehungen. Gleiche Strahlzahlen in beiden Flossen wiesen bei Cottus gobio 82,5, bei Acerina cernua 81,9%], der Individuen auf. Die Strahlzahl überwog in der linken Brustflosse bei Cottus in 5,6, bei Acerina in 9,5°/,, in der rechten bei Cottus in 11,9, bei Acerina in 8,6°/,, so dass der bei Acerina konstatierten schwächeren Asymmetrie zu Gunsten der linken Körperseite bei Cottus eine stärker entwickelte zu Gunsten der rechten entspricht, die sich auch in den totalen Mittelwerten der betreffenden Flossen ausdrückt (links 13,52, rechts 13,58). Die Variabilitätsindicees bleiben auch hier wiederum davon unberührt. Vielleicht bedeutet es nicht bloß einen Zufall, wenn die Varia- bilitätsindicees der homologen Flossen bei beiden, systematisch so wenig verwandten Arten zu einander in einem unleugbar ähnlichen Verhältnis stehen: Merkmal Acerina Cottus D: 0,604 _ 0,719 D: 0,799 0,877 D 0,806 1,199 2 0,636 A 0,633 0,773 Ps 0,571 0,568 pa 0,569 0,573 Bei beiden Arten bleibt der Variabilitätsindex Ve N auf dessen Bedeutung ich bei anderer Gelegenheit eingehen werde }), am kleinsten für die beiden P, nächst diesen für die D, und wird unter den Einzelflossen am größten für die D,. Bezüglich der Flossen- strahlzahlen überhaupt muss man, obigen Werten entsprechend, Cottus gobio als die variablere Form anerkennen. 4) Hier nur so viel darüber, dass v / 2 der reziproke Wert des von 0. Am- mon (Der Abänderungsspielraum, Sep. a. Naturw. Wochenschr., 1896, Nr. 12—14, S. 5) in seiner Besprechung der Gauss’schen Wahrscheinlichkeitsformel mit % bezeichnete Exponent (Präzisionskoeffizient) ist, so dass h = ———. 2002, Zoologische behrbücher. 831 Zusätze bei der Korrektur. 1. Wie ich nachträglich ersehe, unterscheidet auch Haacket) zwischen den von mir getrennten Fällen realer direkter und realer in- direkter Korrelation und belegt sie mit den wohl passenderen Bezeich- nungen „Korrelation“, beziehungsweise „Symplasie“. 2. Neuerdings giebt Pearson?) eine von der Galton’schen ab- weichende Formel zur Berechnung von r u Ze enkis: (@ y) N vı vg wobei x, resp. y die einzelnen Abweichungen der kombinierten Merk- ıale von ihren totalen Mittelwerten, n die Summe der Individuen be- deutet. Diese Formel wendet auch Warren (l. ec.) bei seinen Be- rechnungen an. Da mir aber die morphologische Bedeutung derselben im Gegensatz zur Galton’schen unverständlich geblieben ist, ver- zichtete ich einstweilen auf ihre Benutzung zu Gunsten der letzteren. Druckfehler-Berichtigung zu 8. 792, Zeile 14 v. o. (erste Gleichung) statt r = = () lies vo = = (@) R 77 Re 168] Zoologische Lehrbücher. 1. Hertwig, Richard, Lehrbuch der Zoologie. Vierte umgearbeitete Auflage, 8°, 12 Seiten Titel und Inhalt, 612 Seiten Text. 568 Ab- bildungen im Text. Jena. Gustav Fischer. 1897. 2. Selenka, Emil, Zoologisches Taschenbuch für Studierende, Zum Ge- brauch während der Vorlesungen und praktischen Uebungen zu- sammengestellt. I. Wirbellose, 8°, 100 Stn. — II. Wirbeltiere, 114 Stn., 800 Abbildungen, 4. Auflage, Leipzig, Arthur Georgi, 1897. 3. Blanchard, R. Traite de Zoologie. — 8°, Paris. Rueff et Cie. Fasci- eule XI. Nemertines par M. Louis Joubin. 57 Stn. 53 Figuren. — Fascieule XVI. Mollusques par M. Paul Pelsener. 187 Stn. 157 Figuren. 4. Heck, Matschie, v. Martens, Dürigen, Slaby und Kirchhoff. Das Tierreich, 2 Bände, 8, 832 und 1390 Stn. Zahlreiche Abbildungen, Neudamm, J. Neumann, 1897. Der Zufall hat diese Lehrbücher innerhalb kurzer Zeit auf dem Redak- tionstisch zusammengeführt. So ungleich sie auch unter einander sind, mögen sie deshalb dennoch in dieser Anzeige zusammengefasst werden. 1. Hertwig’s Lehrbuch ist bekannt genug, um in der neuen Auflage nur einer kurzen Erwähnung zu bedürfen. Von seiner Beliebtheit zeugt die That- sache, dass in 6 Jahren die vierte Auflage erschienen ist. Gegenüber der dritten ist die Abteilung der Sporozoen, wegen ihrer Bedeutung für die Fisch- zucht und für die Krankheiten der Menschen, erweitert worden und auch sonst sind alle Teile einer genauen Durchsicht mit Rücksicht auf neuere Forschungen unterworfen worden, was namentlich bei den Wirbeltieren bemerklich wird. ’ 1) W. Haacke, Grundriss der Entwicklungsmechanik. Leipzig 1897. S. 197 £. “ 2) K. Pearson, Mathematical Contributions to the Theory of Evolution. III: Regression, Heredity and Panmixia. In: Phil. Transact. Roy. Soc. London, Vol. 187 A, 1896, p. 265. 332 Zoologisch® Lehrbücher. Dass H. weniger die Beschreibung der 'Einzelformen, als die vergleichend anatomische Darlegung der typischen Merkmale ganzer Reihen anstrebt, ist bekannt. Dass ihm dies im großen und ganzen trefilich gelungen und dass sein Buch zur Einführung in das wissenschaftliche Studium der Zoologie vor- trefflich geeignet ist, soll hier wiederholt hervorgehoben werden. Für fernere Auflagen aber wollen wir den Wunsch nicht unterdrücken, dass im 'Text eine genauere Beziehung auf die Figuren angestrebt werden möge; wie es jetzt vorliegt, wird es dem Anfänger an manchen Stellen schwer werden, sich sicher zurechtzufinden. Auch wäre es nützlich bei den Figuren anzugeben, in welchem Maßstab sie gezeichnet sind. — Von Druckfehlern die stehen geblieben sind, hebe ich besonders „Phtirius inquinalis“ hervor, welcher durchweg so, sowohl im Text wie in der Figurenerklärung, gedruckt ist. 2. Selenka’s Taschenbuch, welches keinen selbständigen Lehrzweck in Anspruch nimmt, sondern als Hilfsmittel bei Vorlesungen und praktischen Uebungen dienen soll, hat dementsprechend einen kurzen Text, der nur das Gerippe giebt, und legt den Hauptwert auf die Abbildungen. So einfach die- selben sind, so verdienen sie doch uneingeschränktes Lob; die Zinkübertragung der Federzeichnungen durch die bekannte Firma Meisenbach, Riffarth & Co. ist geradezu vollkommen zu nennen. Gewiss wird das anspruchslose, aber nützliche Büchlein sich auch in seiner jetzigen Form bei Lehrern und Schülern neue Freunde erwerben. 3. Von Herrn Blanchard’s Lehrbuch liegen vorerst nur die zwei in der Ueberschrift angeführten Hefte vor. Der Herausgeber hatte die Absicht, ein Werk zu schaffen, in welchem die einzelnen Zweige der Zoologie von Autoren unzweifelhafter Kompetenz bearbeitet sind. Wir werden auf das Werk zurückkommen, wenn es weiter gefördert sein wird, und begnügen uns für jetzt die gewonnenen Mitarbeiter aufzuzählen. Es sind die Herren: Bedo't (Genf), Cu¬ (Naney), Hallez (Lille), Jammes (Toulose), Jaquet (Bukarest), Joubin (Rennes), Julin (Lüttich), Koehler (Lyon), Kunstler (Bordeaux), Moniez (Lille), Nasonow (Warschau), Oustalet (Paris), Pelsener (Gent), Prenaut (Nancy), Railliet (Alfort), J. Richard (Paris), Roule (Toulouse), St. Remy (Nancy), E. Simon (Paris), ) Studer (Bem), Topsent (Rennes), Troussart (Paris), J. N. Wagner (St Petersburg), Max Weber (Amsterdam) und Zelinka (Graz). Als unter der Presse befindlich wird augezeigt: Fascicule VII. Echino- dermes par M. L. Cu¬. Die erschienenen Hefte machen einen guten Eindruck; der Druck ist vor- trefflich, die zum Teil mehrfarbig gedruckten Figuren sind gut, wenn sie auch die Vollendung nicht erreichen, welchen neuere Werke ähnlicher Art aus deutschen Verlagsanstalten aufweisen. 4. Das letzte der oben aufgezählten Werke gehört in die Klasse der popu- lären Litteratur; es bildet den 6. Teil eines umfassenden Unternehmens, welches unter dem Titel „Hausschatz des Wissens“ erscheint. Es ist erfreulich, dass sich Fachmänner von anerkannter Tüchtigkeit an der Popularisierung der Wissenschaft beteiligen. Beeinträchtigt wird der Wert des Werkes freilich durch die mangelhafte Ausstattung, welche im Textdruck und den Abbildungen an die buchhändlerischen PrzenEniere früherer Jahrzehnte erinnert. P. [94] Ms von ) Arthur Kborei (vormals; anal Besold) in ee — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, u Biologisches Oentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Eh in art 2 en von je mu Eoken Da einen Tr Preis E Bra Pi) 0 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVIL Band. 1. Dezember 1897. Nr. 23. Inhalt: Schlater, Zar Bolere der Bokeen _ Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (21. Stück). — Zacharias (London), Die Phylo- genie der Kopfschilder bei den Boiden. — Aus den Verhandlungen ge- lehrter Gesellschaften: Des Deutschen naturw.-mediz. Vereins für Böhmen „Lotos“, 1896, Nr. 8: R. v. Wettstein, Ueber ein fossiles Vorkommen von Trapa natans in Böhmen. Zur Biologie der Bakterien '). Was sind die Bakterien? Von Dr. Gustav Schlater. Meine Herren! Leieht möglich, dass das Thema meines heutigen Vortrags Ihnen sehr einfach und wenig versprechend erscheinen wird. Was sind die Bakterien? Diese Frage ist ja, wie es scheint, längst gelöst. Allen ist es ja bekannt, dass die Bakterien niedrigste einzellige pflanzliche Organismen darstellen; das sagt uns ein jedes der neuesten Werke über Bakteriologie, und die meisten Werke über Botanik weisen ihnen natürlich eine noch bestimmtere Stellung im System an, indem die Bakterien als den niedrigsten Algen, den Öyanophyceen, nahverwandte Formen angesehen werden, welch letztere zusammen mit den Bakterien eine Gruppe der Klasse der Algen darstellen, die Gruppe der Schyzo- phyta. Folglich ist die Bakterie eine Zelle. Dies ist die allgemein- verbreitete Anschauung der heutigen Wissenschaft, und deshalb ist es nicht zu verwundern, dass diese Anschauungsweise so fest Wurzel gefasst hat in den Forscherköpfen der letzten Jahre, und deshalb dürfen wir auch nicht die Aerzte dessen beschuldigen, da sie sich niemals die Frage vorlegen: aber was sind eigentlich die Bakterien? 1) Vortrag, gehalten in der Versammlung des Marine - Aerzte- Vereins zu Kronstadt (in Russland), am 21. April 1897. Erweitert und mit einer Reihe von Anmerkungen versehen wird dieser Vortrag in russischer Sprache in Form eines Büchleins erscheinen. XV. 53 85 Sehlater, Zur Biologie der Bakterien. Es liegt ja außer Zweifel, dass es einzellige Organismen sind, dass es Zellen sind. Deshalb ist die Verwunderung der geehrten Versammlung über das von mir gewählte Thema vollkommen gerechtfertigt. ... . Allein, ich muss Sie, meine Herren, enttäuschen und offen aussprechen, dass die gegenwärtige, von Allen angenommene Anschauung über das Wesen der Bakterien vollkommen umgearbeitet und umgestaltet werden muss: Die Bakterie ist keine freilebende Zelle, sondern stellt einen Organismus dar, welcher, was seine phylo- genetische Entwicklung und seinen Bau anbelangt, viel niedriger steht als die Zelle, und nur die entwickeltesten und größten Formen der Bakterien nähern sich phylo- genetisch der Zelle. Diese Behauptung findet ihre genügend feste Stütze in einer großen Zahl direkter und indirekter Litteraturangaben der letzten Jahre, und ich hoffe, dass es mir gelingen wird in meinen folgenden Auseinandersetzungen einige gewichtige Beweise anzuführen, welche klar den Irrtum der heutigen Wissenschaft darthuen und zeigen, wie fest und despotisch die Macht einer voreingenommenen Meinung sein kann. Deshalb ist die Frage über das Wesen der Bakterien keine müssige, sondern von großer Bedeutung und Tragweite im Interesse der weiteren Entwicklung unserer wissenschaftlichen Anschauungen. Und gerade jetzt muss diese Frage die Aufmerksamkeit der Wissen- schaft auf sich lenken. Natürlich, die hier berührte Frage ist eine rein theoretische, welche keine unmittelbare Anwendung am Kranken- bette findet und deshalb ihrem Wesen nach den praktischen Arzt weniger interessieren wird. Allein, meine Herren, ich bin überzeugt, dass die größte Zahl der gegenwärtigen Aerzte vom Glauben an die reine Wissenschaft durchdrungen ist, ohne welche auch eine nutz- bringende Entwicklung der Heilkunst undenkbar ist; ich bin fest da- von überzeugt, dass wir Alle es vollkommen begreifen, welchen kost- baren Nutzen die Heilkunst aus der Bearbeitung rein theoretischer Fragen gezogen hat. Denken wir, z. B. nur an Louis Pasteur. Und vollkommen recht hat S. M. Lukjanof, indem er sagt!): „Das ganze Leben stellt sich uns von zwei Seiten dar. — Im Zustande der Gesundheit und im Zustande der Krankheit. Nur, indem wir die nor- inalen und die pathologischen Erscheinungen zusammenstellen, können wir eine Biologie schaffen, welche wirklich dieser Bezeichnung wert wäre. In diesem Sinne ist ein jeder Arzt, welcher keine genügende Aufmerksamkeit den theoretischen Grundlagen seiner Thätigkeit schenkt, geradezu ein Verräter, welcher seinen Beruf erniedrigt“. Diese Worte unseres bekannten Gelehrten entschuldigen, wie mir scheint, zur Ge- nüge das von mir gewählte Thema meines heutigen Vortrages. Bevor ich jedoch näher an diese Frage herantrete, und damit meine weiteren 1) S. M. Lukjanof, Fiinf einleitende Vorlesungen in die Kurse der all- gemeinen Pathoiogie. Warschau 1895. S. 25. (Russisch). Schlater, Zur Biologie der Bakterien. 835 Auseinandersetzungen vollkommen verständlich werden, muss ich, wenn auch nur in wenigen Worten, die geehrte Versammlung mit der gegen- wärtigen Lehre von der Zelle bekannt machen. Schon längst, schon Ende des vorigen und am Anfang unseres Jahrhunderts ahnten die Forscher der lebendigen Natur, dass das Tier oder die Pflanze außer seinen Organen und Geweben, noch weiter ge- teilt werden müsse, in noch einfachere Einheiten, oder Elemente. So sprachen die Botaniker schon Ende des vorigen Jahrhunderts von ge- wissen Röhren, aus denen die Pflanze aufgebaut sein sollte; und von den Zoologen war De Lamarque einer der ersten, welcher in seinem im Jahre 1809 veröffentlichtem klassischen Werke: „La phylosophie zoologique* von gewissen Bläschen sprach, aus denen die tierischen Gewebe aufgebaut sein sollten. Allein diese ersten Angaben waren noch sehr ungenau; sie dienten noch nicht als Grundlage theoretischer Folgerungen, und man führte noch keine Analogie durch zwischen diesen Einheiten und den niedrigsten Lebewesen. Und nur von dem Momente an, wo der Botaniker Schleiden und der Physiologe Sehwann in den Jahren 1838 u. 1839 mit ihrer Lehre von der Zelle, als der Haupteinheit lebendiger Substanz, hervortraten, aus deren Summe und verschiedenen Kombinationen die Tiere und Pflanzen auf- gebaut sind, gewann die biologische Wissenschaft einen großen Auf- schwung. Und nur von dem Momente an, als der Botaniker Mohl im Jahre 1843 zum ersten Mal die Bezeichnung Protoplasma in die Wissenschaft einführte; als Max Schultze und de Bary im J. 1859 den Beweis führten, dass das pflanzliche und tierische Protoplasma identisch sei mit der sog. Sarkode niedrigster Organismen; als weiter- hin um dieselbe Zeit, d. h. im Jahre 1858 das klassische Werk von R. Virchow: „Die Cellularpathologie ... .“ erschien, und als endlich erst im Jahre 1861 Max Schultze, dieLehre Schwann’s und Schlei- den’s umarbeitend, seine Vorstellungen über die Zelle entwickelte, welche als Grundlage der heutigen Wissenschaft dienen, — macht die Biologie wahrhaft gigantische Schritte in ihrer Entwicklung, und fängt der Forschergeist an tiefer in die Geheimnisse der lebendigen Materie einzudringen. Vom Gesichtspunkte der heutigen Wissenschaft ist die Zelle die Grundeinheit der lebendigen Materie, aus deren Vereinigung, aus deren, sozusagen, innigster Symbiose die Gewebe und Organe der höheren, d. h. vielzelligen Organismen entstehen. Die Zelle selbst ist schon morphologisch nicht teilbar, ohne ihre Lebensfähigkeit einzu- büßen. Die Analoga der den vielzelligen Organismus ausmachenden, d. h. der selbständigen, unabhängigen Existenz verlustig gegangener, Zellen haben wir in den sog. einzelligen Organismen, wie z. B. die Bakterien, Amöben, Sporozoen, Rhizopoden, Infusorien u. a. Es giebt keine solehe Lebewesen, wie mikroskopisch und denkbar einfach sie organisiert sein mögen, welche nicht eine ganze, freilebende Zelle, mit a 336 Sehlater, Zur Biologie der Bakterien. allen ihren Bestandteilen darstellten. Außerhalb der Zelle existiert keine lebendige Substanz. Außer dem Bereiche der Zelle existiert kein Leben. Und gegenwärtig zwingt uns der Geist der Wissenschaft in allen unseren Untersuchungen von der Zelle anzufangen und mit der Zelle zu endigen, wie auf dem Gebiete der normalen Biologie, so auch auf dem Gebiete der Pathologie. Und so wir nur im Bereiche der exakten Wissenschaft bleiben wollen, müssen wir es überall mit der Zelle zu thun haben. Deshalb ist es nicht zu verwundern, dass ungeachtet ihres kaum fünfzigjährigen Jubiläums, die dem Baue und dem Leben der Zelle gewidmete Litteratur so umfangreich ist, dass es kaum möglich ist, dieselbe zu sammeln. Ihnen Allen ist es bekannt, dass wir in jeder Zelle folgende Teile unterscheiden: Das Protoplasma, oder den Zellleib, den Kern, und im Kerne einen oder mehrere Kernkörperehen. Der Kern wie auch der Zellenleib stellen keine homogene strukturlose Substanzen dar; sie sind kein strukturloses Klümpchen lebendiger Substanz im Geiste Max Schultze’s, sondern haben eine Struktur, welche sehr kompliziert und wahrscheinlich in verschiedenen Zelltypen verschieden ist. Die Struktur der Zelle und ihrer Bestandteile ist, ungeachtet der Voll- kommenheit unserer optischen Hilfsmittel und unserer mikroskopischen Technik noch lange nicht genügend erforscht, und ungeachtet dessen, dass die heutige Wissenschaft ganze fünf Theorien über die Struktur der Zelle aufweisen kann, wird noch so mancher Handgriff der Technik vorgeschlagen werden, und wird noch so manches Forscherauge er- müden, indem es bestrebt sein wird, in den Mechanismus und in die Architektonik dieser Strukturen einzudringen. Ich kann an dieser Stelle natürlich nieht von diesen Theorien reden, sondern werde nur auf einige Momente aus dem Leben der Zelle hinweisen, welche ihre wunderbare Kompliziertheit kundthun. . . Der Prozess der Karyokinese, oder indirekten Teilung, mit welchem Sie Alle bekannt sind, weist in vielen Fällen eine große Kegelmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit auf, und beweist eine gewisse Unabhängigkeit und physiologische Selbständig- keit jenes Bestandteiles der Zelle, welcher Chromatin benannt wird, und welcher einen regen Anteil nimmt am Prozess der Zellvermehrung und am Mechanismus der erblichen Uebertragung. Weiterhin haben sich gegenwärtig genügend Litteraturangaben gesammelt, welche be- weisen, dass auch die Kernkörperchen eine aktive Rolle in bestimmten Phasen des Zellenlebens spielen und eine große Widerstandsfähigkei# und physiologische Selbständigkeit besitzen. Weiterhin hat eine ganze keihe von Untersuchungen aus den letzten Jahren gezeigt, dass be- stimmte, immer und in allen Zellen vorhandene Bestandteile des Zellen- leibes, die sog. fuchsinophilen Granula R. Altmann’s, Organe ganz bestimmter Funktionen der Zelle darstellen. Endlich überzeugen uns die Untersuchungen der allerletzten Jahre aus dem Gebiete der Zell- Schlater, Zur Biologie der Bakterien. 837 pathologie davon, dass nicht immer und nicht unbedingt die ganze Zelle diesem oder jenem pathologischen Prozesse anheimfallen muss, sondern dass in gewissen Fällen nur dieser oder jener Bestandteil der Zelle für sich allein erkranken kann. So haben wir es z.B. im Pro- zesse der trüben Schwellung wahrscheinlich mit der Hyperplasie und Hypertrophie nur einer bestimmten Körnelung des Protoplasmas zu thun, aber nicht der fuchsinophilen, von der eben die Rede war, son- dern einer anderen, welche auch in allen Zellen anzutreffen ist. Ein anderes Beispiel ergiebtsich aus der Einwirkung einiger Gifte auf die Zelle. Es erweist sich z. B., dass in den Fällen akuter Vergiftung mit Arsenik, Phosphor nnd dem Toxin des Diphtheriebaeillus fast ausschließlich nur die Zellkerne leiden, während der Zellenleib, oder das Protoplasma, unverändert bleibt. Alle derartigen, ziemlich zahlreichen Daten aus dem Zellenleben beweisen zur Genüge die wunderbare Kompliziertheit der Zelle. Es erweist sich, dass im mikroskopischen Volumen der Zelle sozusagen einzelne Organe enthalten sind, von denen ein Jedes nur gewissen Bedürfnissen der Zelle dient, von denen ein Jedes eine streng bestimmte Funktion ausübt. Wir müssen folglich begreifen, dass wir es bei der Erforschung der Physiologie und Pathologie der Zelle nicht immer mit der ganzen Zelle, als solcher, als einer unteil- baren Einheit zu thun haben, sondern dass sehr oft, wie ich schon anführte, der pathologische Prozess nur auf diesen oder jenen Bestand- teil der Zelle, nur auf dieses oder jenes Organ derselben einwirkt, ohne auf die ganze Zelle, als solche, merkbar einzuwirken, ganz ebenso, wie es im vielzelligen Organismus der Fall ist. Die ganze Kompliziert- heit der Zelle wird uns vollkommen begreiflich, wenn wir nur be- denken, was für eine Masse verschiedenartiger Funktionen sich in dieser vermeintlich unteilbaren Einheit lebendiger Substanz abspielt. Nehmen wir z. B. die parenchymatöse Leberzelle. Außer der ganzen Summe von Vorgängen, welche den Lebensbedürfnissen entsprechen und, sozusagen, das Wesen des Lebens ausmachen, spielt sieh in der Leberzelle eine ganze Reihe besonderer, spezifischer Prozesse ab, wie z. B. die Bildung des Glykogens; dessen Aufspeicherung und Ver- arbeitung; die Bildung von Harnstoff aus karbaminsauren Salzen, welehe der Leber zugeführt werden; ferner die Neutralisation von Giften, welche, wenn sie die Leber nicht passieren würden, große Störungen im Organismus verursachen würden; ferner die Bildung der Galle und endlich die blutbildende Funktion in gewissen Phasen der ontogenetischen Entwicklung. . . Der Gedanke, dass die Zelle etwas komplizierter sein müsse, ist verhältnismäßig nicht neu, und die meisten zeitgenössischen Biologen, welche bestrebt sind, einen Einblick in die Lebensvorgänge zu er- langen, kommen in ihren Auseinandersetzungen zu dem Schlusse, dass die Zelle aus irgendwelchen elementaren Lebensträgern aufgebaut und 838 Schlater, Zur Biologie der Bakterien. zusammengesetzt sei, wobei fast ein Jeder von den Forschern diese elementaren Lebensträger mit einem besonderen Namen benennt. Allein, was sind diese primitiven Lebensträger, diese elementaren Einheiten, diese physiologischen Einheiten H. Spencer’s, diese Gemmen Dar- win’s, diese Pangenen de-Vries, diese Idioblasten O. Hertwig’s, diese Biophoren Weismann’s, diese Biogenen Verworn’s, diese Metastrukturteilchen Roux’s u. s. w.?.... Im Geiste der Biologen, als Resultat eines logischen Ganges theoretischer Auseinandersetzungen und abstrakter Kombinationen entstanden, — verbleiben sie bis heute rein hypothetische, sogar mit dem bewaffneten Auge nieht sichtbare Teilchen lebendiger Substanz, und der voreingenommene Forschergeist ist außer Stande, ihre reale Existenz anzuerkennen und ihnen Platz und topographische Lagerung im Bereiche der Zelle anzuweisen, welche wie früher eine morphologisch unteilbare Einheit verbleibt. Und wie merkwürdig es auch scheinen mag, als R. Altmann zuerst etwa vor 10 Jahren, und später mit größerer Ueberzeugung im Jahre 1890 in seinem Werke: „Die Rlementarorganismen und ihre Beziehung zu den Zellen“ den Beweis führte, dass die von ihm, bei Anwendung einer besonderen Methode der Bearbeitung in den Zellen nachgewiesenen fuchsinophilen und eyaninophilen Granula wahre elementare Struktur- einheiten lebendiger Substanz darstellen, — äußerten sich die Meisten mit Schärfe gegen solch einen Gedanken. Und als R. Altmann an- fing zu beweisen, dass seine fuchsinophilen und eyaninophilen Granula, welche in jeder Zelle zu finden sind, wahre elementare Einheiten sind, . wahre Elementarorganismen, aus deren Summe ein komplizierterer Organismus — die Zelle — entsteht, ganz analog dem Aufbau des noch komplizierteren vielzelligen Organismus aus den Zellen — hielten es die Gelehrten nicht ein Mal für nötig, diese Ansicht einer genügen- den Beachtung und Kritik zu würdigen, sondern begnügten sich nur mit einigen Phrasen, oder ließen dieselbe sogar ganz ohne Beachtung. Allein, die ganze Summe unserer gegenwärtigen Kenntnisse vom Zellen- leben, und eine Masse in der umfangreichen Litteratur zerstreuter An- gaben aus der Morphologie, Physiologie und Pathologie der Zelle, sprechen zu Gunsten dieser neuen Ansichten, und ich bin überzeugt, dass bald diese neue Anschauung über das Wesen der Zelle in der Wissenschaft allgemeine Anerkennung finden und das Hemmnis be- seitigen wird, welches vorläufig einer weiteren Entwicklung der Cyto- logie im Wege steht. Ich kann mich an dieser Stelle natürlich nicht in eine ausführliche Besprechung dieser Angaben einlassen, von welchen ein Teil, die Morphologie der Zelle betreffend, in meinem Büchlein vom Jahre 1895 berücksichtigt worden ist!) und eine allseitige Be- arbeitung dieser Frage behalte ich mir noch vor. In der angeführten 1) @. Schlater, Die neue Richtung in der Morphologie der Zelle und ihre Bedeutung für die Biologie, St. Petersburg 1895. (Russisch). Schlater, Zur Biologie der Bakterien. 839 Arbeit habe ich den Standpunkt von R. Altmann nnd S. M. Lukja- nof, welcher zu den noch sehr wenigen Anhängern dieser neuen An- schauung gehört, erweitert und weiter zu entwickeln gesucht. Mich teils auf meine eigenen Untersuchungen stützend, teils auf die von mir gesammelte Litteratur, suchte ich zu zeigen, dass die Frage vom Wesen der Zelle und von ihrem Baue dem zeitgenössischen Forscher in folgendem Lichte erscheinen muss. Die Zelle ist kein Elementar- organismus; sieistkein morphologisch weiter unteilbares Element lebendiger Substanz, sondern stellt einen kom- plizierten Organismus dar, welcher aus unvergleichlich einfacheren Elementen aufgebaut ist, welehe unserem be- waffneten Auge in Form verschiedener Körner (Granula und Mikrosomen) erscheinen. Dabei haben wir in jeder typischen Zelle wenigstens acht einzelne, morphologisch und physiologisch von einander verschiedene, Körner- arten zu unterscheiden, von welchen drei — im Zellen- leibe und fünf — im Zellkerne. Alle diese Körner, oder Cytoblasten, werden untereinander verbunden durch eine Substanz, welche als Produkt der Lebensthätigkeit der Cytoblasten aufzufassen ist und deshalb den Interzellular- substanzen analog ist. Die Analogie zwischen den Cyto- blasten und der Zelle einerseits, und zwischen der Zelle und dem vielzelligen Organismus andererseits, muss mög- lichst vollkommen sein. In dieser Fassung, meine Herren, er- scheint mir diese Frage gegenwärtig. Allein, die vorgelegte Anschau- ungsweise wird, wie ich schon angedeutet, fast von Allen zurück- gewiesen, wobei folgende Hauptargumente gegen dieselbe angeführt werden. Erstens wird behauptet, dass alle diese Körnchen, entweder Kunstprodukte seien — ein Resultat unserer mikroskopischen Technik, oder Produkte der Zellthätigkeit, d. h. Nahrungsmaterial, Sekret, Zer- fallprodukte u. dergl. Allein diese Behauptung hat gar keine Beweis- kraft für sich. Zweitens, und das scheint der wichtigste Einwand zu sein, wird behauptet, dass in der Natur keine freilebenden Körner (Granula oder Mikrosomen) existieren und dass in der Natur keine Lebewesen anzutreffen seien, welche eine einfachere Organisation, als die Zelle, aufweisen würden, wogegen wir als freilebende Analoga der Gewebszellen die große Gruppe der einzelligen Organismen auffassen. Dadurch erklärt sich folgende merkwürdige, in der gegenwärtigen Litteratur anzutreffende, Erscheinung: Ein krampfhaftes Bestreben, alle niedrigsten Lebewesen, sogar alle niedrigsten Bakterienformen auf die Zelle zurückzuführen, wobei die Gelehrten eifrigst nach echten Kernen und nach einem Protoplasma in den kleinsten Bakterien suchen. Und wenn diese Behauptung richtig wäre, wenn sie der faktischen Sach- lage entsprechen würde, so wäre der von uns vertretene Standpunkt 540 Schlater, Zur Biologie der Bakterien. in gewisser Hinsicht, wenn auch nicht vollkommen, erschüttert. Allein die Sache ist die, dass diese Behauptung, auf welche die Gegner der Cytoblastentheorie so großes Gewicht legen, vollkommen falsch ist, und nur ein Resultat der Verdunkelung des Forschergeistes durch eine voreingenommene Idee. Jetzt, nachdem wir, wenn auch einen flüch- tigen Einblick in die neue Zellenlehre gethan, können wir an die Be- antwortung der von uns gestellten Frage herantreten: Was sind die Bakterien? Alle wissen es natürlich, dass die Bakterien niedrigste Organismen sind, von denen der größte Teil nicht nur für den tierischen Organis- mus unschädlich ist, sondern eine bedeutungsvolle Rolle in der Oeko- nomie der Natur spielt; und nur verhältnismäßig der kleinste Teil be- steht aus den schlimmsten Feinden des tierischen Organisınus, mit welchen gerade wir Aerzte es zu thun haben. Dass die Bakterien Organismen sind, ist außer Zweifel, und unsere ganze Aufgabe besteht deshalb nur darin: zu bestimmen, ob es Zellen sind, d. h. Organismen, welche schon ziemlich weit vorgeschritten sind in ihrer phylogene- tischen Entwicklung und ihrem Baue, oder ob die Bakterien keine Zellen sind, sondern Lebewesen von niedrigerer und viel einfacherer Organisation darstellen. Zur Lösung dieser Frage haben wir gegen- wärtig nur einen Weg: den Weg der vergleichend -morphologischen Forschung. Nur dann, wenn wir die neuesten Methoden der mikros- kopischen Technik anwenden, und den Bau aller dieser kleinsten Lebe- wesen vergleichend studieren, können wir hoffen, annähernd deren Genealogie festzustellen, natürlich, wenn wir dabei vollkommen ob- jektiv zu Werke gehen, wenn wir uns nicht einer voreingenommenen ldee hingeben und nicht zu metaphysischen Klügeleien unsere Zuflucht nehmen, wie wir es leider in einigen Arbeiten über den Bau der Bak- terien sehen. Die Struktur der Bakterien diente als Untersuchungs- objekt wie den Botanikern, so den Zoologen und auch den Medizinern. Man muss aber gestehen, dass wir bis jetzt keine solche Arbeit be- sitzen, welche diese höchst wichtige Frage, wenn auch teilweise er- schöpft hätte und vollkommen objektiv wäre. In der gedruckten Arbeit werde ich ausführlicher auf diese Frage eingehen und möglichst die ganze hierzu gehörige Litteratur durchnehmen, hier werde ich jedoch nur in allgemeinen Zügen, auf das vorhandene faktische Material hin- weisen und, einige Zusammenstellungen machend, diejenigen Gedanken und die Schlussfolgerung mitteilen, welche meiner Ueberzeugung nach vollkommen logisch und richtig sind... Der größte Teil der Forscher, die sich mit der Struktur der Bak- terien befassten, hatte es fast ausschließlich mit den allergrößten und vollkommensten Formen zu thun, wie z. B. Beggiatoa, Chromatium, Ophidomonas, oder mit Formen mittlerer Größe, wie Spirillum serpens, Clostridium butyricum, Cladotrix dichotoma u. a., von denen etliche Schlater, Zur Biologie der Bakterien. Ss4l eine Länge von 12—14 « erlangen, d. h. gegen zwei Mal länger sind als der Durchmesser eines menschlichen roten Blutkörperchens. Diese Formen stehen, ohne Zweifel, ihrem Baue nach den Cyanophyceen (Algen) nahe, d.h. ihr ganzer Körper ist in einen centralen und einen peripheren Teil differenziert, wobei hauptsächlich im centralen Teil die intensiver färbbaren Körner lokalisiert sind, von welchen zwei, ja sogar drei, von einander durch ihre mikrochemischen Eigenschaften zu unterscheidende Arten sein können. Dem Bau der Cyanophyceen ist eine ziemlich große Litteratur gewidmet, und gegenwärtig wissen wir, dass dieselben, was ihren Bau anbelangt, ohne Zweifel niedriger stehen, als die Zellen, da ihr Centralkörper sich noch nicht zum typischen Kerne differenziert hat, und da die Körnchen, oder Bioblasten, welche die Elemente des Kernes ausmachen, noch kein sog. Chromatin- gerüst gebildet haben, sondern sogar sozusagen über den ganzen Zellenleib zerstreut sein können, und da endlich einer der neuesten Cyanophyceen -Forscher, G. Nadson, im ganzen Körper der Cyano- phyceen -Zelle nur drei von einander differenzierbare Körnerarten be- schreibt. Die kompliziertesten und größten Bakterienformen nähern sich, wie ich schon sagte, dem soeben skizzierten Typus. . Was die mittelgroßen und kleinen Bakterienformen anbelangt, so stehen dieselben ihrem Baue nach noch niedriger. In ihnen können wir schon keine Differenzierung in einem centralen und peripheren Teil wahrnehmen, sondern ihr ganzer Körper färbt sich gleichmäßig, wobei in demselben gewöhnlich Körnehen von einer oder zwei Arten in nicht großer Zahl zerstreut sind. Dank dem Umstande, dass der ganze Körper solcher Bakterien sich ziemlich intensiv färbt, gewinnt man den Eindruck, als wenn die ganze Bakterie nur einen Kern ohne sogen. Protoplasma darstellte. Deshalb auch sprach der bekannte Protozoen -Forscher ©. Bütschli die Ansicht aus, dass der ganze Körper der mittelgroßen Bakterien identisch und gleichwertig sei dem Zellkerne. Allein auch diese Analogie ist nicht ganz richtig: diese Formen können nicht dem Zellkerne gleichgestellt werden, da ihr Bau viel einfacher ist, als der Bau eines Zellkernes. In diesem letzteren haben wir es, wie ich schon sagte, mit fünf Granulaarten zu thun, welche eine bestimmte topographische Verteilung im Kerne zeigen; hier aber haben wir nur eine oder zwei Arten von Bioblasten. Fast alle zu dieser Gruppe gehörigen Bakterien sind nicht pathogen, und nur sehr wenige Formen, und zwar die einfachsten Vertreter dieser Gruppe, sind pathogen, wie z. B. der Anthrax-Baeillus, in dessen gleich- mäßig gefärbtem Körper N. Sjöbring u. a. noch intensiver färbbare Körnehen beschreiben, von denen sogar zwei Arten sein können. Damit ist der ganze Bau derartiger Formen erschöpft. Das Schema vom Baue der zu dieser Gruppe gehörigen Bakterien wird demnach ein folgendes sein: Wir haben einige gleichartige Körner-Bioblasten, oder 842 Schlater, Zur Biologie der Bakterien. höchstens zwei Körner -Arten vor uns, welche durch eine stark ent- wiekelte Zwischensubstanz untereinander zu einem Ganzen verbunden sind, und welehe den ganzen Körper der Bakterie ausmachen. Diese . Zwischensubstanz unterscheidet sich nach ihren mikrochemischen Eigen- schaften von der Zwischensubstanz, oder Intergranularsubstanz des Zellkernes, indem sie ziemlich stark verschiedene Kernfarben bindet, allein immerhin schwächer, als die Körner, wogegen die Intergranular- substanz des Kernes sich fast gar nicht färbt. Deshalb gewinnt man auch den Eindruck, als hätten wir es mit einem stark und diffus tingiertem Zellkerne zu thun. Was endlich die niedrigsten Bakterienformen betrifft, mit welchen hauptsächlich die Aerzte es zu thun haben, so ist ihr Bau noch viel einfacher. Ihre Organisation, natürlich im vergleichend-morphologischem Sinne, ist bis zur einfachsten Urform herabgesetzt, oder richtiger ge- sagt, ihre Organisation dient als Ausgangspunkt für die weitere Ent- wicklung, Komplikation und Vervollkommnung der organisierten Lebe- wesen. Wenn wir unter dem Mikroskope, bei stärksten Vergrößerungen diese kleinsten Bakterienformen, diese verschiedenen Kokken und Ba- eillen, untersuchen, so frappiert uns diese Einfachheit der Organisation, in welcher sich ungeachtet dessen die ganze Summe der Hauptvorgänge des Lebens abspielt. Wenn wir genauer diese mit verschiedenen Farben gefärbten und verschieden fixierten kleinsten Lebewesen betrachten und uns im Geiste das Schema der Zellstruktur vorführen, und wie sich die Chromatin-Cytoblasten der Zelle denselben Farben gegenüber verhalten, — müssen wir die morphologische Identität anerkennen, welche, einerseits zwischen diesen am einfachsten organischen frei- lebenden Lebewesen, andererseits — diesen Chromatinelementen des Zellkernes und Zellenkörpers, diesen Öytloblasten, existiert, welche dank den neuen Anschauungen in der Cytologie anfangen eine voll- kommen andere Bedeutung und eine andere Beleuchtung zu bekommen. Die Cytoblasten, aus deren Summe die Zelle aufgebaut ist, sind vor- läufig noch in den Augen des Forschers der Gegenwart strukturlos, und unsere neuesten mikrobiologischen Methoden sind noch nicht im Stande dieselben weiter morphologisch zu zergliedern. Ganz ebenso strukturlos sind vorläufig noch jene Kokken und jene Bacillen, welche wir so eifrig aus allen Flüssigkeiten und Geweben des tierischen Organismus ausscheiden. Und nutzlos ist es vorläufig zu schwärmen von irgend welchen sichtbaren Strukturen in den meisten pathogenen Kokken, wie z. B. die verschiedenen Staphylokokkus- und Strepto- kokkus-Arten, und in den kleinsten Bacillen, wie Bacterium prodigiosum. Ganz ebenso versuchen wir es auch nicht ein Mal gegenwärtig eine sichtbare Struktur in den Cytoblasten, oder Bioblasten aufzufinden, in diesen elementarsten sichtbaren Trägern der Lebenseigenschaften. Allein in dieser umfangreichen Gruppe von Bakterien treffen wir eine ganze -Sehlater, Zur Biologie der Bakterien. 843 keihe von Formen, hauptsächlich Baeillen, an, welche die ersten Schritte, sozusagen die ersten Versuche einer morphologischen Dif- ferenzierung und einer höheren phylogenetischen Entwicklung zeigen. Indem wir verschiedenartige Konservierungsmittel und kombinierte Färbungen anwenden, stellen wir in diesen Formen eine Gliederung in zwei Teile fest: in den Bakterienkörper und in die sogen. Spore. Derartige Formen stellen Lebewesen dar, deren ganzer Körper nur aus zwei einzelnen, morphologisch und physiologisch verschiedenen Bioblasten besteht. Allein diese Gliederung ist noch eine sehr unhalt- bare und von verschiedenen Lebensbedingungen abhängige; und diese Organismen können, wie die Bakteriologie lehrt, unter gewissen Be- dingungen leben, sich entwickeln, und sich vermehren, ohne Sporen’ zu bilden, fortfahrend — nur ein einziges Granulum, nur ein einziger Bioblast zu sein. Meine Herren, da gegenwärtig, wo sich die Bakteriologie so mächtig entwickelt, kaum daran zu zweifeln ist, dass die von uns auf ver- schiedensten Nährböden gezüchteten kleinsten Kokken und Bacillen wahrhaft lebendige Formen sind, im vollen Sinne des Wortes — Orga- nismen, mit all ihren Lebenseigenschaften —, so scheinen mir die ver- gleichend-morphologischen Zusammenstellungen, welche ieh eben ge- macht habe, vollkommen überzeugend dafür zu sprechen, dass es in der Natur solche freilebende Organismen giebt, welche keine Spur vonirgend einer sichtbaren morpholologischen Gliederung, von einer Organisation, zeigen. Und zu ent- scheiden, ob derartige Formen mit der Zelle identifiziert werden können, überlasse ich der logischen Denkweise jeines Jeden. Also, was sind die Bakterien ? Nach all dem Gesagten kann kein Zweifel daran be- stehen, dass die große Gruppe der Bakterien in systema- tischer Hinsicht eine willkürliche und künstliche ist. Hier- her gehören fast alle Organismen, welche, was ihre phylo- genetische Entwicklung und ihren Bau anbelangt, niedriger als die Zelle stehen. Da wir es hier jedoch mit den ver- schiedensten Strukturtypen und mit einer Masse von Ueber- gängen zu thun haben, von solchen Formen, deren ganze Organisation auf die eines einfachen Granulum-Bioblasten zurückgeführt werden muss, bis zu solehen Organismen, welehe sich den Cyanophyeeen nähern, und durch Vermitt- lung dieser letzteren den Zellen, — so muss die ganze Gruppe der Bakterien, meiner Meiunne nach, aufgelöst wer- den und in einzelne selbständige Gruppen mit en Unter- abteilungen zerfallen. Dabei können wir drei große Haupt- gruppen von Organismen unterscheiden. 844 Schlater, Zur Biologie der Bakterien. Zur ersten Gruppe sind alle die Organismen zu rechnen, welehe nach Anwendung aller unserer neuesten Methoden der mikroskopischen Technik dem bewaffneten Auge keine Spur einer sichtbaren Struktur, einer nachweisbaren Dif- ferenzierung zeigen. Diese Formen sind ihrem Baue nach vollkommen analog den Zellgranulationen oder den Cyto- blasten, und führen im Gegensatz zu diesen letzteren Ele- menten, welche einer freien Existenz verlustig gegangen sind, ein vollkommen selbständiges und freies Dasein und sind deswegen schon von. Altmann „Autoblasten“ benannt worden. Dabei ist es der Beachtung wert, dass die Auto- 'blasten, ihren mikrochemischen Eigenschaften entsprechend, mit den Chromatin-Cytoblasten des Zellkernes identifiziert werden müssen. Zur zweiten großen Gruppe gehören alle diejenigen Organismen, welche sozusagen die ersten Versuche einer morphologischen Differenzierung aufweisen; welche eine innige Vereinigung einer größeren oder kleineren Zahl von Autoblasten zu einem ganzen, selbständigen Organismus darstellen, und in welchen die Autoblasten, welche durch eine als Produkt ihrer Lebensthätigkeit aufzufassende Zwischensubstanz zusammengehalten werden, schon das Vermögen eines selbständigen Bestehens eingebüßt haben, und deshalb nieht mehr Autoblasten sind, sondern als Vorfahren der Cytoblasten aufzufassen sind. Dabei ist zu bemerken, dass sich die Zwischensubstanz ziemlich intensiv färbt, und deshalb gleicht der ganze Körper dieser Formen vielmehr einem Zellkerne, als dem sogen. Protoplasma. Diese ganze Gruppe, deren hepräsentanten infolge dessen sozusagen als Vorfahren eines typischen Zellkernes aufzufassen sind, benennen wir gleich Alt- mann, Gruppe der „Moneren“. Die dritte große Gruppe machen, endlich, solche Orga- nismen aus, deren Struktur einen weiteren Schritt vor- wärts auf dem Wege morphologischer Differenzierung dar- bietet. Die einfachsten Vertreter dieser Gruppe, zu denen die größten Formen der Bakterien gehören, haben schon solehe Elemente ausgeschieden und entwickelt, welche sozusagen als Keime eines Protoplasmas oder Zellleibes aufgefasst werden können. Hier haben wir es zum ersten Male mit einer Gliederung des ganzen Körpers des be- treffenden Organismus in einem centralen Abschnitt — den Prototypus des Kernes, und einen peripheren Abschnitt — den Prototypus des Zellkörpers, zu thun. Allein, bis zur ee Schlater, Zur Biologie der Bakterien. Sa5 Identifizierung dieser Formen mit den Zellen ist es noch sehr weit... Eine andere Untergruppe dieser großen dritten Gruppe machen die Cyanophyceen und diesen dem Baue nach verwandte Organismen aus, in deren sogen. Zellen diese Gliederung eine weitere Entwicklung erfahren hat, obschon sie immerhin noch nieht typische Zellen dar- stellen. Alle zu dieser großen dritten Gruppe gehörigen Organismen werden wir mit dem Terminus von R. Alt- mann „Metamoneren* benennen. Hier muss ich jedoch auf den Umstand aufmerksam machen, dass die Gruppen der Moneren und Metamoneren unter keiner Bedingung den einzelligen Organismen und den vielzelligen Organis- men entsprechen, sondern nur einzelnen Klassen der viel- zelligen Organismen. Ganz analog dem, wie diese letz- teren einzelne Typen von Zellkombinationen darstellen, so sind auch die Moneren und Metameren nur Typen von verschiedenen Vereinigungen der Granula, oder Cyto- blasten. Auf Grund des Gesagten müssen wir die ganze organisierte Lebewelt, anstatt der gegenwärtig üblichen Einteilung in Protozoa, oder eiuzellige Organismen, und Metazoa, oder vielzellige Organismen, in folgende drei Kategorien teilen: 1. in Autoblasten, d. h. frei und selb- ständig lebende Bioblasten, 2. Protozoen, d.h. Kolonien von Cytoblasten, von solehen Bioblasten, welche ihre selbständige Existenz eingebüßt haben, und 3. Metazoen, d.h. Kolonien von Zellen (oder von solchen Protozoen, welche einer selbständigen Existenz verlustig gegangen sind). Durch diese von mir in Kürze skizzierten Betrachtungen wird, wie mir scheint, der wichtigste Gegenbeweis der Gegner der Bioblasten- theorie paralysiert, d. h. derjenigen Anschauung, die Zelle sei nicht das einfachste, ursprüngliche, morphologische Element, in welchem zuerst das organische Leben erwachte. Zu allererst blitzte der Lebensfunke auf in dem kleinsten Körnchen, welches eines von den tausend ihm gleichen Gliedern darstellt, welche in Summa die Zelle ausmachen, und deren frei und selbständig lebenden Vertreter wirin der niedrigsten Bakterienform, in dem unter dem Mikroskope kaum wahr- nehmbaren Kokkus oder Baecillus anerkennen müssen. Meine Herren, die von mir eben entwickelte Anschauung wird, ich weiß es, auf einen kräftigen Widerstand von Seiten der Biologen stoßen, oder wird, wie es ja in der Geschichte der Wissenschaft zuweilen ge- schieht, totgeschwiegen werden. Nach wie vor wird beweislos und der Logik zuwider behauptet werden, die Zelle sei morphologisch das S46b Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. , einfachste Lebewesen und nach wie vor wird man sich mit der meta- physischen Ansicht zufrieden geben, in jeder kleinsten Bakterienform sei „potential“ die ganze Zelle mit ihrer ganzen komplizierten Struktur enthalten. Als ob die Vertreter der zeitgenössischen Wissenschaft in- stinktiv für die Unantastbarkeit der Zelltheorie fürchten, welche solch einen mächtigen Aufschwung der Entwicklung unserer Wissenschaft gegeben hat. Allein diese Befürchtungen sind unnütz: Die Zelltheorie wird nicht zerstört werden, und die Zelle wird auf immer die Haupt- struktureinheit höher stehender Formen der organisierten lebendigen Natur bleiben. Und die von uns entwickelten Anschauungen eröffnen nur einen neuen, breiten Weg, welcher gesperrt war, und welcher uns helfen wird noch tiefer in die ganze Kompliziertheit des Baues und des Lebens der Zelle einzudringen, und noch mehr und vielseitiger die Lehre von der Zelle zu entwickeln. Und dass die Zelle noch auf sehr lange Zeit das Haupteentrum der ganzen Biologie bleiben wird; dass die Cytologie, ungeachtet ihrer so umfangreichen Litteratur, gegen- wärtig erst in eine neue fruchtbringende Phase ihrer Entwicklung ein- tritt, und dass sie die jetzige Gelehrtenwelt lebhaft interessiert, — bewies am Besten der in Moskau stattgehabte internationale Mediziner- Kongress. Zur Erläuterung der von mir vertretenen Anschauung sei folgendes Schema beigefügt: Genealogisches Schema der Lebewesen bis zur Zelle (Protozoa) hinauf. ( Metazoa.) ArAutoblasta ) BR (Protozoa Antoblasten. Mar OJLOTEIL. Metamoneren.. N RN Bakterien. Cyanophycee. Kronstadt (in Russland), Mai 1897. [78] Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Einundzwanzigstes Stück.) 12. Palamedeidae. Die Palamedeidae, eine sehr kleine (nur 2 Gattungen und 3 Arten umfassend) und überdies auf Südamerika beschränkte Familie von Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 847 ziemlich großen Vögeln, besitzen zwar den allgemeinen Habitus der Sumpfvögel, erinnern aber infolge mancher Eigentümlichkeiten teils an andere Vogelabteilungen, und nehmen teils eine separierte Stellung ein. Deshalb sind sie auch hinsichtlich ihrer systematischen Stellung sehr verschieden beurteilt worden. ur [0,e) : 10. 11. 12. Mit Dicholophus zu einer Gattung (Palamedea) verbunden wurden sie von Linn&, Brisson (der erste Forscher trennt aber Pala- medea und Chauna; erstern verbindet er mit Cariama, letztern, mit Parra). . Mit Grus, Psophia, Dicholophus und Otis zu den Alictorides vereinigt sie Nitzsch. . Dagegen werden sie zu derselben Gruppe (zn den Alectorides) mit Psophia, Dicholophus, Cereopsis und Glareola von Illiger (mit Cereopsis) und Temminck (ohne Cereopsis) verbunden. . Den Tribus Grues der 0. Herodiones bilden sie mit den Caria- midae, Psophidae, Gruidae und Phoenicopteridae nach der An- sicht von Bonaparte 1854. . Die Alectorides repräsentieren sie in Gemeinschaft der Fulicariae, Gruinae und Otidinae nach Sundevall 1844. . Zu den Megapodiidae der Rasores vereinigt sich Swainson mit den Cracidae, Dicholophidae, Megapodius und Menura. . Zu den Paludicolae verschmilzt sie Brehm mit den Heliornithes, Fulicariae, Eurypygtidae, Parridae, Psophiidae, Dicholophidae und Gruidae. Den Gallinograllae einreiht sie Blainville und Lesson. Die Grallatores Cursores zusammen mit den Rallidae, Gruidae, Otitidae und Charadriidae bilden sie nach der Ansicht Sunde- valls 1872. Zu den Alectorides werden sie von Des Murs vereinigt mit den Chionididae, Mesitidae, Megapodiidae, Cracidae, Opistho- comidae, Rallidae, Eurypygidae und Parridae. Zu den Galliformes Gailinaceae zusammen fasst sie Garrod 1874 mit den Gallinae, Rallidae, Otidae, Musophagidae und Cueullidae. Dagegen repräsentieren sie und die Anseres die Chenomorphae (Lamellirostres, Anseres) nach W. K. Parker, Huxley 1867, Selater und Salvin, Reiehenow (der erste Forscher macht zugleich auf einige sehr primitive („lacertine“) Charaktere auf- merksam, durch welche Palamedea eine besondere tiefe Stelle einnimmt, auch findet er bei den Palamedea einige Beziehungen zu den Craci/dae und Megapodiidae,;, Huxley betrachtet sie als von den Alectoromorphae abstammend und zu den Chenomorphae führend, Reiehenow endlich erklärt zugleich, dass die Stellung der Palamedeidae zur Zeit noch nicht sicher entschieden sei, S48 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 13. Carus und Newton (1885) dagegen verbinden sie mit den Anseres und Phoenicopteridae. 14. Schlegel aber einverleibt sie den Ralli. 15. Reichenbach und Burmeister vereinigen sie mit den Par- rinae, Gallinulinae und Fulicariinae zu den Fulicariae Reich. (Paludicolae Burm.). 16. Andrerseits bilden sie mit den Fulicariae, Megapodius und Parra _ die Macrodactyli Cuv. (Alectorides Sel.) nach Cuvier, La- treille, de Selys 1842, Kaup (nebst Ohionis). 17. Als besondere Abteilung (Familie, Unterordnung, Ordnung) der Grallae (Gallinograllae) oder der Vögel überhaupt sieht sie an Fitzinger, Lilljeborg, A.Milne Edwards, Gray, Wal- lage ,ıselater. 18. Als einen distinkten Typus (Palamedeae) zwischen den Grues und Fulicariae stellt sie L’Herminier 1837 hin. 19. Als primitive und separierte Abteilung der Vögel endlich sieht sie Parker, Garrod 1876 und Weldon an (die Ansicht Parkers über diese Gruppe habe ich schon an einer vorher- gehenden Stelle kurz skizziert, Garrod betrachtet dieselbe als ganz für sich vom primitiven Vogelstamm abgezweigt, während Weldon sie oder eine ihnen ähnliche Familie zum Ausgangs- punkt für die Steganopodes, Anseres, Odontoglossae und Pelargo- morphae nimmt). Schließlich sei noch angeführt, dass der Prinz v. Neuwied auf die Aehnlichkeiten der Gruppe in Farbe und Bewegung mit den Cathartidae hinweist, Maregraf sie schlechtweg als Raubvögel bezeichnet und Eyton Beziehungen bei ihnen zu Rallidae und Vultures findet. Ueber diese verwandtschaftlichen Beziehungen der Palamedeidae zu den eben angeführten Gruppen ist nun F. folgender Meinung. Ohne weiteres zurückzuweisen sein dürften diejenigen zu den Psophüidae, Gruidae, Mesititae, Cariamidae, Otididae, Limicolae inel. Parridae, Galli und Menuridae. Zwar zeigen die Palamedeidae in der Entwick- lung ihres Schnabels und Gaumens, ihrer Flügeldornen, in verschie- denen Lebensgewohnheiten ete. einige Aehnlichkeiten mit dieser oder jener von den erwähnten Familien; dieselben erheben sich aber nicht über die Bedeutung mehr oder weniger oberflächlicher Analogien. Auch zu den Accipitres sind die Beziehungen der Palamedeidae nur recht indirekte. Größere Wichtigkeit beanspruchen dagegen die Ueberein- stimmungen zwischen ihnen und den Fulicariae, denn in ihrem Habitus, in der Fußbildung, im Skelett (z. B. bei den Sternalrippen), in den Muskeln und in den Eingeweiden weisen sie Eigentümlichkeiten auf, welche an diese Vogelabteilung erinnern. Allerdings sind diese Ueberein- stimmungen sehr allgemeiner Natur und daher nicht etwa als Beweis ı u Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 849 für: die nähere Verwandtschaft beider Gruppen anzusehen. Ueberdies treten bei beiden in fast allen Organsystemen (z. B. in den pterylo- tischen Verhältnissen, bei der Pneumatizität, den Proc. uneinati der Rippen etc.) so tiefgehende Verschiedenheiten auf, dass es unmöglich ist, die Palamedeidae und Fulicariae in ein näheres Verwandtschafts- verhältnis zu einander zu bringen und F. aus diesem Grunde nur ziemlich entfernte Beziehungen zwischen beiden anerkennt. Bedeu- tungsvoller aber sind die schon von Illiger hervorgehobenen und dann durch W. K. Parker und Huxley näher begründeten Bezieh- ungen der in Rede stehenden Gruppe zu den Anseres (und Phoeni- copteridae). Die Gaumenbeschaffenheit und auch verschiedene Details des Extremitätenskeletts begründen mannigfache intimere Ueberein- stimmungen in erster Linie mit den langbeinigern Vertretern der Anseres (z. B. mit Cereopsis, Chenalopex, Plectropterus, Cygnus). Dazu erblickt F. in dem Verhalten der coraco-scapulo-clavicularen Verbin- dung, in dem Xiphosternum, den Mm. pectoralis thoracicus, supra- coracoideus, coraco-brachialis posterior, latissimus dorsi posterior, del- toides propatagialis, sowie in mehreren Charakteren des Digestions- und Respirationsapparates zahlreiche Merkmale, die eine unverkenn- bare Aehnlichkeit, insbesondere mit Cygnus bekunden. Noch zahlreicher und z. T. auch wichtiger aber sind die Berührungspunkte zwischen den Palamedeidae und den Steganopodes und Pelargi. Das Sternum, Foramen supracoracoideum, die Mm. serratus profundis, sterno - cora- coideus, peetoralis thoracicus und abdominalis, supracoracoideus, coraco- brachialis posterior, biceps, deltoides major und minor und andere M., das vertikale Septum der Bauchhöhle und die präbranchialen Luft- säcke, der Syrinx ete. weisen zahlreiche Merkmale auf, welche die Palamedeidae den Steganopodes oder den Pelargi oder beiden noch näher bringen als den Anseres. Auch die hochgradige Entwicklung der Pneumatiecität, die beträchtliche bis vollkommene Rückbildung der Mm. peetoralis abdominalis, biceps propatagialis und scapulo-humeralis gewähren, wenn auch nur von sekundärer Bedeutung und hauptsäch- lieh in Korrelation zur Körpergröße entstanden, sehr auffallende Uebereinstimmungen mit gewissen Vertretern der Steganopodes und Pelargi. Manche Bildungen wieder zeigen eine mittlere Stellung zwischen den Steganopodes, Pelargi und Anseres (in erster Linie gilt dies von den Mm. deltoides major und minor, sowie den Mm, coraco- brachialis posterior und supracoracoscapularis und den Propatagialis brevis). Zahlreiche Charaktere endlich geben zugleich den Palamedeidae hierbei eine primitivere Stellung als den genannten Familien. ‘ Der 'gänzliche Mangel der Proc. uncinati bei den Palamedeidae (die mit Ausnakme von Archaeopteryx und Diornis allen übrigen Vögeln zukommen), bildet eine sehr überraschende und nicht zu ignorierende Thatsache. Doch glaubt F., dass W. K. Parker, der dieselbe zuerst XV. 54 850 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. auffand, ihr 'eine zu hohe Bedeutung beimisst, indem er Palamedea in direkte Beziehung zu Archaeopterye und den Lacertiliern brachte. Vielleicht lässt sich nach F. dies so erklären, dass eine sekundäre, wenn gleich eine in sehr früher phylogenetischer Zeit erfolgte Reduktion vorliegt. Aber selbst, wenn auch niemals ein Vorfahre der Palamedeidae Proc. uneinati besessen habe, dürfte nach F.s Ansicht diese Thatsache nicht ausreichen, um eine so prinzipielle Scheidung von den meisten andern Vögeln genügend zu motivieren. Ferner verdient auch die Pterylose, sowie gewisse Verhältnisse der Eingeweide (z. B. die inter- mediäre Magenausweitung, die Magendrüsen, Caeca, Länge des Rec- tum etc.) der Palamedeidae Berücksichtigung. ‘Schon Nitzsch sah infolge der einfachen Anordnung der Pterylose eine Uebergangsform von den Ratitae zu den Grallatores, während Garrod in den an 2. Stelle angeführten Umständen eine große Aehnlichkeit mit den ent- sprechenden Strukturen bei Ratiten (Struthio und vor allem Rhea) nachwies. Wenn auch dieser Umstand noch keine direkte oder intime Verwandtschaft der Palamedeidae mit den Ratitae beweist, so sind doch diese Uebereinstimmungen auffallend genug, um ebenfalls zu Gunsten einer primitiveren Stellung dieser Gruppe im Sinne Garrods verwendet zu werden. Aehnlicher Meinung ist Weldon, und auch F. neigt sich der Auffassung zu, dass in den Palamedeidae eine sebr alte, seit langer Zeit wenig veränderte und daher auch viel primitive Charaktere darbietende Gruppe vorliegt, welche zu den im ganzen höher entwickelten Anseres, Phoenicopteridae, Steganopodes, Pelargo- Herodii und damit auch schließlich zu den Aeccipitres gewisse Ver- wandtschaften darbietet. Allerdings vermag F. in den Palamedeidae oder ihnen ähnlichen Vögeln nicht die Ausgangsform für diese Familien zu erblicken, sondern nur den letzten Rest einer schon mehr oder minder spezialisierten und in paläontologischer Vergangenheit viel- leicht ziemlich reich vertretetenen Gruppe, welche zwar gleich jenen einer gemeinsamen Stammform entsprang, jedoch auf einem niedrigeren Niveau der Entwicklung stehen blieb hinsichtlich seiner hauptsäch- licheren Charaktere. Andererseits gelangten die Anseres und Phoeni- copteridae zu einer höheren, die Steganopodes und Pelargo-Herodii zu einer noch vollkommeneren Stufe der Ausbildung, entfernten sich aber damit zugleich auch am weitesten von den Palamedeidae. 13. Phoenicopteridae. Sie bilden eine kleine (1 Familie mit 6 Arten umfassende) Gruppe von schlankgebauten Schreitvögeln, welche die Seeküsten und die Mün- dungen großer Ströme bevorzugen. Während sie gegenwärtig die tropischen und subtropischen Regionen (Afrika, Westasien bis Indien, Mittelmeerküsten, Süd- und Mittelamerika) bewohnen, reichten sie in wärmerer paläontologischer Zeit bis in unsere Breiten. Damals traten Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 851 sie aber auch in größerer Menge und Mannigfaltigkeit auf: aus dem mittleren und oberen Eocän Mitteleuropas sind 2 besondere Genera mit 4 Species (Agnopterus Milne Edwardt, Elornis Aymard), aus dem Mioeän 3 Gattungen mit mindestens 8 Arten (Phoenicopterus, Elornis, Palaelodus Milne Edwards) bekannt. Elornis und der miocäne Phoenicopterus zeigen bereits eine Specialisierung, welche in mancher Hinsicht die der lebenden Vertreter noch übertrifft; Palaelodus gewährt einige Besonderheiten, welche ihm eine Stellung zwischen den Phoenicopteridae und anderen Grallatores anweisen (A. Milne Edwards), er ist somit als Vertreter einer eigenen Subfamilie, wenn nicht Familie, Palaelodinae (Palaelodidae), aufzufassen. Von den Systematikern wurden den Phoenicopteridae folgende Stellungen angewiesen: 1. Mit den Anseres verband sie Merrem, Latham, Swainson, Cornay, Reichenbach (zusammen mit den Cygninae), Bur- meister, Owen, Carus, Hartlaub, Sundevall 1872, de Selys 1879, Newton (Burmeister rechnet sie zwar zu den Anseres, erblickt aber in ihnen ein Mittelglied zwischen Oygnus und Platalea, Newton betrachtet sie als vielleicht von den Ciconiidae ausgehend). 2. Eine Abteilung der Schwimmvögel (Gattung, Familie) bilden sie nach Linne (derselbe hält aber auch eine Stellung bei den Grallatores oder bei den Natatores für möglich), Des Murs 1844 und Gray. 3. Als repräsentierend die Amphimorphae der Desmognathie sieht sie an Huxley und Weldon (der erstere Forscher fasst sie als reine Zwischenform zwischen Anseres und Pelargi auf, der letztere dagegen stellt ihre Verwandtschaft mit den Pelargi mehr in den Vordergrund. 4. Auch Sundevall (1844) vermutet, dass sie vielleicht zu den Pelargi gehören. 5. Mit den Ardeidae, Scopidae, Ciconüdae, Ibidae ete. zu den Ero- diones P. A. (Herodiones Sclateru. Salvin, Gressores Reich., Herodiae Brehm) werden sie vereinigt von W. K. Parker, Selater u. Salvin, Reichenow, Gadow, Brehm (Gadow findet bei ihnen einige wenige sekundäre Aehnlichkeiten mit den Natatores; aber in der Hauptsache gehören sie zu den Ciconüdae und stehen dort zwischen Platalea und Tantalus). 6. Kaup formiert sie mit Ardea, Ciconia, Tantalus und Grus zu den Oultirostzes s. Ardea. 7. Dagegen Bonaparte vereinigt sie und Palamedea, Cariama, Psophia und die Gruidae zum Tribus Grues (1854) resp. Ciconiae (1855) der O. Herodiones, 54* 852 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 8. Eyton aber sieht sie an als mit Platalea, den Herodü, Eury- pyga, den Ciconiae, Gruinae, Cariamidae und Psophiidae die Ardeidae bildend. 9, Andererseits werden sie mit den Ciconiae, Ardeae ete., Dromades, Eurypygae, Grues und Arami zu den Herodiae verbunden durch Fitzinger. 10. Nach Illiger repräsentieren sie mit Platalla, Recurvirostra und Cursorius die Hygrobatae. 11. Garrod ist der Meinung, dass sie vielleicht mit den Otidinue die F. Otidae der Galliformes Gallinacei bilden. 12. Als Vertreter (Gattung, Familie, Unterordnung) der Grallae be- trachtet sie Linn&e, Cuvier, Temminck, L’Herminier, Nitzsch (Odontoglossae), De Selys 1842, Des Murs 1860 (Hygrobatae), Lilljeborg, A. Milne Edwards, Wallace, Milne Edwards et Graudidier (Linn& hält aber auch, wie schon angeführt, eine Zugehörigkeit dieser Gruppe zu den Grallatores oder Natatores für möglich, Cuvier betont auch Beziehungen der Phoenicopteridae zu den Anseres). 13. Gadow betrachtet sie als zu den Cyclocoela Mesogyri gehörig. 14. Mit den Rallidae, Psophüdae, Oedienemidae, Otidae, Cariamidae und Septentariidae die O. Endromades bilden sie oder zwischen derselben und der O. Semigallinae stehen sie nach Forbes 1884. 15. Endlich als besondere Ordnung (Odontoglossae) aufgestellt hat sie Selater. Von diesen eben angeführten Verwandtschaften sind nach F.s Ansicht diejenigen zu den Gruidae, Psophiidae, Otididae, Cariamidae, Limicolae, Rallidae und Aceipitres durchaus unhaltbar. Anders ist es dagegen mit den von vielen Forschern mehr oder weniger eingehend begründeten Beziehungen zu den Anseres, Palamedeidae und Pelargi- Herodii (Hemiglottides, Ciconiidae, Scopidae, Baluenicipidae, Ardeidae). Ohne Zweifel existieren zwischen ihnen und den Phoeni- copteridae zahlreiche Uebereinstimmungen, allerdings nimmt eine An- zahl Forscher an, die intimsten Beziehungen finden statt zwischen ihnen und den Anseres, dagegen glauben andere, dies sei der Fall mit den Pelargo-Herodii, ein Teil endlich ist der Ansicht, dass die Annäherung der Phoenicopteridae an diese beiden Abteilungen eine gleich große sei. Mit den Anseres zeigt die in Rede stehende Gruppe mehr oder minder große Aehnlichkeit resp. Uebereinstimmung in dem Verhalten der Schwimmhäute, der Lage der hinteren Zehe, in gewissen Ver- hältnissen des Schnabels (die aber, wie Reichenow sehr richtig hervorhebt, mehr analoger Natur und von früheren Forschern über- schätzt worden sind), in mehrfachen Merkmalen des Schädels (am Kiefergaumen- und Thränenapparat), in der Verbindung der Clavicula Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 853 mit Coracoid und Scapula, in mehreren Charakteren des Beckens; in dem Verhalten der Mm. rhomboides und serrati, sterno-coracoideus, pectoralis propatagialis und abdominalis, coraco-brachialis posterior ete., sowie in. der Ausbildung der Zunge, der graduellen Entwicklung der Caeca etc. Andrerseits zeigen die Phoenicopteridae mit den Pelargo- Herodii Berührungspunkte in der Anordnung der Pterylose, in der wesent- lichen Konfiguration des Schnabels (die nach Reichenow eine Modi- fikation der bei den Ididinae vorkommenden Verhältnisse darstellt), in der Zahl der Eier und dem kreidigen Ueberzug derselben, in einzelnen Charakteren des Schädels, der Synostose einiger Dorsalwirbel (ähnlich Threskiornis), im spezielleren Verhalten des Sternum und der beiden Coracoide, des Proc. procoracoideus, Foramen supracoracoideus, in den Dimensionen des Sternum, des Coracoids und der Scapula, in der Art der coraco-scapularen Verbindung der Clavieula; ferner im Verhalten der Mm. rhomboides superficialis, serrati, pectoralis thoracieus und propatagialis supracoracoideus, latissimus dorsi posterior und meta- patagialis, deltoides major und minor, scapulo-humeralis anterior, an- conaeus scapularis und humeralis, Propatagialis brevis; des weiteren ergeben sich Berührungspunkte zwischen den beiden schon genannten Gruppen in zahlreichen Zügen der Muskulatur an der unteren Extre- mität, in den Falten der Peeten, der Darmlagerung, dem Verhalten der thorakalen Luftsäcke, in der spezielleren Ausbildung der Carotis ete. Ein gesondertes Verhalten oder eine mittlere Stellung zwischen Anseres und Pelargi nehmen die Phoenicopteridae ein infolge der besonderen Beschaffenheit des Proc. basipterygoideus (der bei den Anseres und Palamedeidae wohl entwickelt, bei den Phoenicopteridae in Rückbildung begriffen, bei den Pelargi reduziert ist), ferner wegen des Proc. pro- coracoideus, der Mm. coracobrachialis anterior, latissimus dorsi anterior deltoides, supracoracoscapularis, Ausbildung der Caeca etc. Beziehungen zwischen den Phoenicopteridae und Palamedeidae werden vermittelt durch die Beschaffenheit des Foramen supracora- coideum, die Verbindung der Clavicula mit dem primären Brustgürtel, der Mm. deltoides propatagialis, deltoides major und minor, anconaeus scapularis, coracoideus und humeralis. An die Steganopodes erinnern die Phoenicopteridae durch gewisse oologische und myologische Besonderheiten, sowie durch den Propa- tagialis brevis; sogar zu den Co/ymbidae werden Beziehungen her- gestellt durch den Tarso-Metatarsus von Palaelodus und den M. latissi- mus dorsi metapatagialis von Phoenicopterus. Unter allen diesen Beziehungen sind aber diejenigen zu den Pelargo- Herodii die bedeutungsvollsten, und zwar weisen in erster Linie unter dieser Gruppe die Hemiglottides und dann an 2. Stelle die Ardeidae die größte Fülle von Berührungspunkten auf, während die Ciconvidae 854 Fürbringer, Morphologie und ‚Systematik der Vögel. und wahrscheinlich auch die Scopidae. und Balaenicipidue sich etwas weiter von ihnen entfernen. Die Beziehungen der Phoenicopteridae zu den Anseres kommen erst in 2. Linie in Betracht; allerdings sind dieselben so ausgeprägte und wichtige, dass sie einer Berücksichtigung bedürfen, und F. kann deshalb dieselben nicht allein als sekundäre Konvergenz-Analogien auffassen, sondern die Mehrzahl derselben. dürf- ten sich nur durch die Annahme einer wirklich bestehenden Verwandt- schaft erklären lassen. Die Uebereinstimmungen endlich, welche die in Rede stehende Gruppe mit den Palamedeidae, Steganopodes und Colymbidae in gewissen Merkmalen zeigt, sind dagegen ohne tiefere Bedeutung. Die Phoenicopteridae dürften demnach nach F.s Ansicht (die mit der von Weldon in der Hauptsache sich deckt) nicht ohne weiteres den Anseres oder den Pelargo-Herodii (Gressores) einzureihen sein, sondern sie nehmen zwischen beiden Abteilungen eine mehr selbständige Stellung in der Weise ein, dass sie zu den letzteren eine iniimere Ver- wandtschaft als zu den ersteren zeigen, wobei sie zugleich in ihrer Differenzierungshöhe den höheren Formen der Anseres und den tieferen bis mittelhohen der Pelargi-Herodii ungefähr gleichkommen. 14. Pelargo-Herodii. Sie sind eine ansehnliche Gruppe von einerseits ziemlich divergent gebauten desmognathen Schreitvögeln, die andrerseits aber wieder durch eine Mehrzahl durchgreifender Merkmale zusammengehalten werden. Sie bewohnen die ganze Erde, leben in der Nähe des Was- sers, bevorzugen jedoch die binnenländischen Gewässer. Die Vertei- lung ihrer Unterabteilungen ist folgende: die Ardeidae s. Herodii (über 70 Arten) finden sich in allen Kontinenten und Breiten, die Hemi- glottides s. Plataleidae s. Ibidae (ea. 30 Arten) bewohnen vorzugs- weise die wärmeren Gegenden mit Ausnahme der pazifischen und neuseeländischen Subregion, die Ciconiidae s. Pelargi (20 Arten) be- schränken sich in der Hauptsache aufj die alte Welt (ausgenommen Neuseeland und Polynesien), greifen aber mit einigen Vertretern in die neotropische und auch in den Süden der nearktischen Region über, das Vaterland der Scopidae bildet Aethiopien und Madagaskar, das der Balaenicipidae das Gebiet am obern Nil. Die ersten paläontologischen Funde dieser Gruppe stammen aus dem Pariser Gips, es sind dies wahrscheinlich Reste von Idis und Ardea. Häufigere und auch zuverlässigere Funde existieren aus dem Mioeän (nämlich Reste von Ibis, Ibidopodia Milne Edwards, Pelar- gopsis Milne Edwards, Ardea, Argala ete.). Im Pliocän erscheint dann auch Ciconia alba. Ein jetzt nicht mehr existierender Nyecti- corax (megalocephalus) auf Rodriguez wurde erst in der Mitte des Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 855 vorigen Jahrhunderts durch den Menschen ausgerottet (Milne Ed- wards). Die Stellungen, welche den Pelargo- Herodii in dem Systeme der Vögel von den verschiedenen Autoren angewiesen worden sind, weichen ganz außerordentlich von einander ab. Es ist dies daraus zu erklären, dass die Ansichten über die Einheit und Grenze dieser Gruppe weit auseinander gehen, ja viele Forscher diese Gruppe aufgelöst und den einzelnen Gliedern dann ganz heterogene Plätze im System an- gewiesen haben. Im folgenden seien diese Verhältnisse kurz näher erörtert. I: 2. Mit den Gruid«e wurden die Pelargo-Herodii verbunden durch Linne, Brisson, Owen. Mit Phoenicopterus und Eurypyga zu der Tribus Hygrobatae und Ciconiae der O. Herodiones vereinigte sie Bonaparte 1855. (Er teilte sie in 6 Familien ein: Tantalidae (mit Tantalus, Ibis und Endocimus), Plataleidae, Scopidae, Cancromidae (inel. Balae- niceps), Ardeidae, Ciconiidae (mit Ciconia und Anastomus). . Cuvier fasste die Ardeidae und Ciconüdae (eingeschlossen Scopus, Platalea und Dromas) mit den Gruidae, Aramidae und Eurypygidae zu den Grallae Cultirostres zusammen, Ibis dagegen reihte er in die Scolopaeidae ein. . Illiger aber brachte zusammen Platalae mit Phoenicopterus, Recurvirostra und Cursorins zu den Hygrobatae, Tantalus und Ibis zu den Falcati, Anastomus, Scopus, Ardea und Ciconia mit Eurypyga und Grus zu den Herodii. . Kaup wieder vereinigte Ardea, Ciconia und Tantalus mit Phoeni- copterus und Grus zu den Grallae Cultirostres s. Ardeac, Ibis mit mehreren Limicolae zu den Grallae Longirostres. . Reichenbach brachte Anastomus (mit Dromas) zusammen mit den (vorwiegend limikolen) Grallae Subnatatores, die Ibididae mit den (limikolen) Grallae Longirostres; dagegen vereinigt er die Ciconiidae (inkl. Cancroma und Scopus), Ardeidae (inkl. Psophia), Botauridae und Plataleidae zu den Grallae Magni- rostres. . Andrerseits repräsentieren sie mit den Phoenicopteridae, Dro- mades, Grues und Arami die 0. Herodiae nach Fitzinger (und zwar sind es 5 Familien: Ardeae (inkl. Eurypyga und _ Scopus), Caneromae (inkl. Balaeniceps), Ciconiae, Tantali (inkl. Ibis) Plataleae. ‚ Gervais rechnete die Ciconidae, Ardeidae und Balaeniceps zu den Gruidae, Psophiae zu den Herodii, reihte dagegen Ibis und Platalea mit Otis und Aramus in die Limicolae ein. . Nach Eyton bilden: die Plataleinae, Ardeinae (inkl. Eurypyga) und Ciconiinae mit den Phoenicopterinae, Gruinae, Cariaminae 856 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. und Psophiinae die Ardeidae, dagegen gehört Tantalus oder Ibis mit Numenius zu den Tantalinae der Scolopacidae. Die SO. Herodiones der Grallae stellen sie in Gemeinschaft der Dromadidae, Aramidae, Gruidae und Psophüdae dar nach der Ansicht Des Murs. (Er unterscheidet 6 Tribus: Balaenicipidae, Plataleidae, Tantalidae (mit Ibis), Ardeidae, Cancromidae und Ciconiidae). Nach Forbes und Beddard bildet der Hauptstamm die O. Herodiones der Grallae (vermutlich zerfällt derselbe in die 3 Familien der Ardeidae, Scopidae und Ciconüdae), die Plata- leidae (Ibis und Platalea) gehören dagegen zu den Plwviales. Mit den Dromadidae die Tr. Ciconiae der O. Herodiones bilden sie nach Bonaparte 1854. Als eine oder mehrere Abteilungen (Familien, Sektionen etc.) der Grallae sieht sie an Brisson (4 Familien), Nitzsch 1829 (2 Familien: Herodii und Pelargi), Swainson [2 Familien: Tantalidae (Anastomus, Tantalus, Ibis, Aramuis) und Ardaeidae (Scopus, Haematopus, Platalea, Ciconia, Cancroma, Ardea)], Nitzsch 1840 (3 Familien: Hemiglottides, Pelargi und Erodit), De Selys 1842 (Grallae Ambulatores mit den beiden Sektionen der Oultrirostres (Tantalidae, Ciconüdae, Ardeidae) und Lati- rostres (Cancromidae, Plataleidae (1879 bildete aber derselbe Forscher aus Scopus und Balaeniceps eine Familie); als Unter- abteilungen der Grallae betrachtete die Pelargo- Herodii ferner Sundevall 1844 (2 Familien: Herodi und Pelargi), Bur- meister (Grallae Aguosae mit den Ciconiidae (inkl. Idis und Platalea) und Ardeidae), Lilljeborg (2 Familien: Ardeidae und Ciconiidae), Sundevall 1872 (Grallae Altinares und Pe- lZargi und Herodii), Gray (4 Familien: Tantalidae, Plataleidae, Ciconiidae, Ardeidae), Wallace (3 Familien: Ciconiidae, Pla- taleidae und Ardeidae). Mit den Phoenicopteridae zu den Erodiones PA., (Herodiones Scelater) u. Salv., Gressores Reichenow verbunden wurden sievonParker (4 Familien: Ididinae, Ciconiinae, Scopinae und Ardeinae), Selater und Salvin, Reichenow (5 Familien: Ibidae, Ciconüidae, Scopidae, Balaenicipidae, Ardeidae), Brehm. Als repräsentierend die Pelargomorphae der Desmognathae be- trachtet sie Huxley (3 Gruppen: Hemiglottides, Pelargi und Herodii). Als die O. Ciconiae s. Herodiones sieht sie an Carus (4 Familien: Hemiglottides, Ciconiidae, Scopidae, Ardeidae), Selater (3 Fa- milien: Plataleidae, Ciconiidae und Ardeidae), Newton: (3 Sub- ordines: Ardeae, Ciconiae und Platalea). Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 857 17. Eine Familie (Ciconiidae) stellen sie dar nach der Ansicht von Milne Edwards und Grandidier. 18. L’Herminier dagegen vereinigt die Ardeidae, Ciconiidae und Scopidae zu den Herodiones, Ibis und Plateala aber zu einer besonderen Familie. 19. Sie stellen dar die 2 Ordnungen der Ciconüdae (inkl. Tantalus, Platalea, Ibis, Scopus) und Ardeidae (inkl. Cancroma und wahr- scheinlich Balaeniceps) nach Milne Edwards. 20. Dagegen ist Sundevall 1872 der Ansicht, dass sie die beiden Cohorten der Pelargi (4 Familien: Plataleidae, Oiconiidae, Ibidae und Scopidae) und Herodii bilden. 21. Auch Garrod ist ähnlicher Ansicht: sie repräsentieren die beiden Cosorten Pelargi und Herodiones der Ciconiiformes (je- doch wahrscheinlich unter Ausschluss der Hemiglottides). 22. Gadow endlich stellt die Pelargi zwischen die Orthocoela und Oycloeoela Hologyri, die Herodii zu den Orthocoela. Von den Verwandtschaften der Pelargo- Herodii zu den anderen Abteilungen der Vögel wurde auf diejenigen zwischen ihnen und den Palamedeidae und Phoenicopteridae schon früher hingewiesen und auch betont, dass zwischen beiden Gruppen verwandtschaftliche Verhält- nisse und sogar mit den Phoenicopteridae relativ recht innige nach- weisbar sind. Mit Hilfe der Palamedeidae sind auch indirekte — aber nicht intime — Beziehungen der Pelargo-Herodii zu den Anseres ohne Schwierigkeit festzustellen. Ueber die Verwandtschaft der in Rede stehenden Gruppe mit den Alectorides, insbesondere mit den Kurypy- gidae soll bei den betreffenden Familien des nähern mitgeteilt werden, die Relationen zu den Steganopodes wurden dagegen früher schon kurz berührt, ebenso wurde bei der Beurteilung der systematischen Stellung der Tubinares auf die von Garrod und Forbes konstatierte Verwandtschaft der Tubinares, Steganopodes, Pelargi und Aceipitres eingegangen, F. bemerkt aber an dieser Stelle noch, dass er durch seine Untersuchung die Ueberzeugung gewann, dass gewisse genetische Beziehungen zwischen den Tubinares und Steganopodes wohl existieren, hinsichtlich der Verwandtschaft aber der Pelargo-Herodii mit den Steganopodes, Tubinares und Accipitres kommt er zu folgendem Resul- tate. Mit den Steganopodes giebt es ganz unverkennbar sehr zahl- reiche Berührungspunkte. Es sei hier nur hingewiesen auf die gleiche Tendenz zur Pneumatizität, welche den größeren Formen beider Ab- teilungen eigentümlich ist, ferner auf die Uebereinstimmungen in dem pteryletischen Verhalten, auf mehrere Schädelverhältnisse, auf das Verhalten des Coracoids (in erster Linie nach Dimension, Wechsel des Proc. procoracoides, Proc. lateralis posterior und des For. supra- coracoideum), die Vereinigung der Clavieula mit dem primären Brust- 858 Zacharias, Phylogenie der Kopfschilder bei den Boiden. gürtel, die Dimensionen der Furcula und die Verbindung ihres ster- nalen Endes mit der Crista sterna, das Verhalten des Xiphosternum, die sternale Krümmung und die Abnahme der Höhe der Crista, die mannigfachen, zum Teil ganz überraschenden Aehnlichkeiten in der Ausbildung der Mm. serrati, pectoralis thoraeius, pectoralis abdomi- nalis, supracoracoideus, coraco-brachialis anterior, coraco-brachialis posterior, biceps brachii, latissimus dorsi, deltoides major, scapulo- humeralis anterior, supcoracoscapularis, anconaeus scapularis und hu- meralis und des Propatagialis brevis; ferner prägen sich Ueberein- stimmungen aus in der Zahl der Peetenfalten, in der Gestalt der Zunge, der Anordnung des Kropfes, des Muskelmagens und des Pylorus- anhanges, sowie in der beträchtlichen Rückbildung der Caeca, der hohen Ausbildung der Darmlänge, der geringen Entwicklung der Syrinx-Muskulatur ete. Mögen auch einige dieser gemeinsamen Merk- male (z. B. die Pneumatizität, sternale Krümmungl, Spaltung des M. pectoralis thoraeicus, Rückbildung der Mm. peetoralis abdominalis etc.) nur sekundär erworbene und infolge dessen nur für Konvergenz- Analogien beweiskräftig sein, so bleiben doch genug Uebereinstim- mungen übrig, welche die nahen genetischen Beziehungen beider Grup- pen unzweifelhaft dokumentieren. Daneben auftretende Abweichungen derselben unter einander sind meist sekundärer Natur und durch die heterogene Anpassung während der langen Lebensgeschichte beider Stämme erklärbar. Weil aber sowohl die Steganopodes als auch die Pelargo-Herodii relativ hoch spezialisierte Typen repräsentieren, so existierte jedenfalls in einer ziemlich frühen geologischen Zeit die gemeinsame Wurzel beider. Die Entscheidung darüber, welche von beiden Gruppen die höher entwickelte ist, lässt sich nicht ohne wei- teres fällen, nur soviel steht fest, dass die Steganopodes in der Aus- bildung des Flugapparates und des Digestionssystems obenan stehen, während andrerseits die Pelargi-Herodii durch höhere Intelligenz ete. sich auszeichneten. (22. Stück folgt.) H. C. E. Zacharias (London), Die Phylogenie der Kopf- schilder bei den Boiden. Zoolog. Jahrbücher, Abteilung für Systematik ete., p. 56. 90, T. 7—10, X, 1897. Nachdem schon Tornier in seinem großen Werke „Die Kriechtiere Deutsch -Ostafrikas“ bei verschiedenen Gelegenheiten den Versuch ge- macht hat, in die oft äußerst schwierigen Verhältnisse der Phylogenese der Reptilien-Kopfschilder in manchen Fällen Klarheit zu bringen, liegt uns nun in der Arbeit von Zacharias das erstemal ein diesen Fragen ausschließlich gewidmetes Werk vor. Es mag die Abneigung früherer Autoren, sich mit diesem, gewiss nicht uninteressanten Thema zu befassen, Zacharias, Phylogenese der Kopfschilder bei den Boiden. 859 vielleicht darin begründet sein, dass ‘die Herpetologen der rein systema- tischen ‚Richtung die Lösung dieser Aufgaben, als nicht in den Bereich ihrer Thätigkeit fallend ansahen, während die Anatomen, Histologen und Embryologen sie für rein systematischer Natur halten mochten. That- sache ist aber, dass denkende Systematiker der neueren Zeit, ohne gerade speziell über die Phylogenese der Reptilienkopfschilder zu schreiben, bereits vielfach über gewisse Fragen vollständig im Klaren sind; wer z. B. Bou- lenger’s Schlangenkatalog mit Bezug darauf aufmerksam durchliest, der wird stets gewiss überall sehen, wie genau der Verfasser die Verschmelzungs- und Zerspaltungsvorgänge, die Rückbildungen u. s. w. als solche in allen Fällen erkannt hat. ’ Was nun die Arbeit von Zacharias anbelangt, so stellt sie sich als ein Produkt außerordentlichen Fleißes dar und die eingeschlagene Methode, die ursprüngliche Zahl der Oberlippenschilder ansfindig zu machen, muss entschieden als mustergiltig bezeichnet werden. Die Zahl 16 als die primitivste für die Riesenschlangen darf wohl auf Grund der äußerst genauen Untersuchungen von Zacharias mit großer Sicherheit als richtig angenommen werden. ... Das Werk ist mit zahlreichen Abbildungen auf 4 Tafeln, geschmückt, Ansichten von 57 Boidenköpfen aus den Sammlungen von Berlin, Ham- burg uud London darstellend, die ebenso viele Arten repräsentieren und von Ed. Rübsaamen mit äußerster Genauigkeit gezeichnet sind. Es sei jedoch dem Ref. gestattet, zu den Ergebnissen des Verfassers im Allgemeinen einige Einwände zu machen. Wenn der Verf. es für so unwahrscheinlich findet, dass bei den Ei- dechsen die Bedeckung des Kopfes mit kleinen Schuppen und: Schildehen primär, bei den Schlangen dagegen sekundär sein soll, so ist darauf Folgendes zu bemerken, 1. Wenn die Schlangen direkt von solchen Eidechsen ableitbar sein würden, deren Kopf mit, kleinen Schuppen bedeckt ist (was aber ebenso wenig bewiesen, aber noch weniger erschlossen werden kann als der andere Fall), so wäre es allerdings höchst merkwürdig, ja geradezu rätselhaft, dass die großen Kopfschilder (wie sie Zacharias auf der Taf. 10 Fig. 59 abbildet) so sehr denen mancher Eidechsen gleichen; und es müssten also in diesem Falle die Kopfschilder der Schlangen selbständig ent- standen sein, und wären mit den entsprechenden der Eidechsen eben nicht mehr homolog (wenn man nicht eben überhaupt Hautgebilde, die auf derselben Stelle des Kopfes vorkommen, als homolog bezeichnen will — dann ist aber auch das Nasenhorn des Rhinoxeros, der Vipera ammo- dytes, der Ceratophora, des Chamaeleon oweniu, des Rhinoderma, bei Megalophrys-, Ceratophrys-, Icalus-, Bufo- u. a. Anuren-Arten homolog. Wenn wir aber annehmen, dass die Schlangen bereits von Eidechsenformen mit Kopfschildern abstammen, dann ist die Uebereinstimmung beider nieht mehr unerklärlich. 2. Es ist doch zweifellos, dass durch Rückbildung- sekundär Er- scheinungen zu Tage treten können, die primären äußerst ähnlich sind; wir kennen unter‘ den Insekten Formen, die primär ungeflügelt sind und ebenso solche, bei denen die Flügel sekundär rückgebildet sind; die Wirbel- tiere stammen wohl sicher von extremitätlosen Formen ab und extremitäten- lose Formen finden wir, wieder unter Schlangen, Eidechsen, Batrachiern ; 860 Zacharias, Phylogenese der Kopfschilder bei den Boiden. wir wissen, dass bei der Regeneration des Eidechsenschwanzes sogar onto- genetisch alte Charaktere wieder zum Vorschein kommen; und gerade bei den Schlangen sollte eine solche Rückkehr zur ursprünglichen Kopf- beschuppung der Eidechsen!) im höchsten Grade unwahrscheinlich. sein ? Der Ref. gedenkt in einer noch in diesem Jahre erscheinenden Arbeit den Nachweis zu führen, dass gerade die von Zacharias als jüngste angesehene Kopfbeschilderung der Boiden die älteste ist, dass sich aus ihr durch Zerspaltung schließlich die Kopfbeschuppung von Boa ergiebt; und er kann diesen Nachweis aus der Ontogenie der Pythonen liefern, indem bei jungen Exemplaren von Python molurus, regius, retieulatus und spilotes eine Auflösung gewisser großer Kopfschilder in kleine Stücke, sowie eine Abspaltung kleiner Schildchen am Rande, im Laufe weniger Monate konstatiert werden kann; und dasselbe ist auch bei Tropidonotus, Zamenis und Vipera der Fall. Es wäre übrigens undenkbar, dass in der Ordnung der Schlangen nicht weniger als sechsmal, aus Formen mit beschupptem Kopfe stets ganz genau entsprechende Formen mit derselben Anzahl und Lage von Kopfschildern hervorgegangen sein sollten! nämlich bei den Boiden (Boa), bei den Colubrinen (mehrmals teilweise, z. B. Zamenis diadema arenarius, microlepis); Homalopsinen (Hipistes), Acrochordinen (Acro- chordus, Chersydrus), Viperinen (Echis, Cerastes, Alheris) und Cro- talinen (Orotalus, Lachesis). Ferner ist es eine ganz irrige Auffassung, wenn Verf. Kopfschilder von Epterates cenehris und Liasis in Vergleich zieht. Bei einem solchen Abstand im System lässt sich ein Vergleich nicht mehr so ohne weiters bewerkstelligen. Ein Liasis-Frontale lässt sich mit einem Python- oder Nardoa-Frontale direkt vergleichen, aber kein Mensch, den Verf. nicht ausgenommen, weiß, wieviel bei der phylogenetischen Entwicklung der Boiden zu dem Liasis-Frontale dazu gekommen ist, durch Verwachsen kleiner Stücke anderer Schilder, wieviel an anderer Seite abgespalten wurde! Bei den Boiden gehen, sobald sie einmal das von Zacharias als „Optimum“ in der Phylogenese überschritten haben, auch ontogene- tisch fortwährende Veränderungen vor sich, von denen man beim Unter- suchen konservierten Materials allein allerdings keinen Begriff bekommt; und da diese Veränderungen meist ganz individuell sind, auch bei dem einen Exemplare langsamer oder fast unmerklich, bei einem anderen der- selben Art sehr schnell, in wenigen Monaten vor sich gehen können, so kann man leicht daraus ermessen, wie viel größer die Mannigfaltigkeit der Schilder- und Schuppenkombinationen ist, als der Verfasser auf Grund seines, was die Zahl der untersuchten Arten anbelangt, sehr reichen, was aber die Individuenzahl anbelangt, noch immer ungenügenden Materials ermessen konnte, Nach Zacharias sollte er nur Verschmelzungen von Schildern und Schuppen geben; die Beobachtung lebender Schlangen durch längere Zeit lehrt uns, dass die Spaltung der großen Kopfschilder in kleinere Stücke nicht nur ebenfalls zu beobachten ist, sondern sogar weit häufiger auf- tritt. Wir müssen in Anbetracht, dass 1. die Ontogenie für die Annahme 4) wie wir sie bei Rhynchocephalen, Chamaeleonten, Geckoniden u. 4. primär, bei Lialis aber, unter den Pygopodiden schon sekundär finden! Wettstein, Vorkommen von Trapä natans in Böhmen, 861 spricht, die Entwicklung des Boidenkopfschildes geschehe durch die Spaltung der großen Kopfschilder des Boiden- „Optimums“ nicht durch die Verschmelzung der kleinen der „Missimums“; dass 2. die Richtigkeit der Zacharias’schen Theorie für die Boiden angenommen, aber nicht zugegeben, ein direkt entgegensätzliches Verhalten bei Colubriden und Vtperiden zu beobachten ist; dass man, 3. wenn auch dieses Verhalten im Sinne von Zacharias auslegen wollte (was übrigens auch wieder mit der Ontogenie im Widerspruch stehen würde) die höchst unwahr- scheinliche mindestens siebenmalige selbständige Entstehung der Zahl und Lage vollkommen gleicher Kopfschilder annehmen müsste, sind die Folgerungen des Verf. soweit sie nicht die Supralabialia betreffen, als unrichtig zu betrachten; der Entwicklungsgang der Boidenpholidose geht ebenso vor sich wie derjenige der anderen Schlangenfamilien. Die Anzahl der sogenannten „primären“ Sublabialia, Rostralia, Internasalia, Nasalia, Frontalia anteriora und posteriora und Parietalia ist daher auch ganz und gar „individuell“ inkonstant und bedeutungslos, wenn sie eine gewisse Größe übersteigt und Homologisierungsversuche dann von sehr zweifelhaftem Werte. Wie weit eine solche Homologisierung gehen darf und wie sich überhaupt die Phylogenese der Schlangenkopf- schilder darstellt, dies auseinanderzusetzen, wird die Aufgabe der erwähnten Arbeit des Ref. sein. Jedenfalls ist die schöne Abhandlung des Verf. trotz des hier berührten Fehlers in der Anlage von großem Interesse, schon als erster Schritt auf einem neuen Gebiete. [98] Dr. Franz Werner. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Sitzungsberichte des Deutschen naturw.-mediz. Vereines für Böhmen „Lotos“, 1896, Nr. 8. R. v. Wettstein, Ueber ein subfossiles Vorkommen von Trapa natans in Böhmen. Zu den wichtigsten Aufgaben der Pflanzengeographie gehört gegenwärtig zweifellos die Sammlung aller Daten, welche Anhaltspunkte für die Fest- stellung von klimatischen und topographischen Veränderungen auf der Erd- oberfläche während der jüngsten Epochen abgeben. Für Europa kommt dies- bezüglich insbesondere der Zeitabschnitt seit Beginn der posttertiären Eis- zeiten in Betracht. Die letzten Jahrzehnte haben uns mit einer großen Zahl derartiger Daten bekannt gemacht; am weitesten sind die bezüglichen Forsch- ungen zweifellos in Skandinavien gediehen'). Aus der großen Zahl gewonnener Erkenntnisse ragen neben den Ergebnissen der Gacialgeologie durch ihre Wich- tigkeit für die Pflanzengeographie insbesondere zwei hervor, nämlich die Kon- statiernng zweier Epochen mit relativ mildem, von der Gegenwart insbesondere durch höhere Temperatur verschiedenem Klima. Von diesen Epochen ist 1) Vergl. die eben erschienene Abhandlung: G. Andersson, Die Geschichte der Vegetation Schwedens (Engler’s Jahrb., XXII, Bd. III, Heft 1896) und die darin eitierte Litteratur. 862 Wettstein, Vorkommen von Trapa natans in Böhmen. die eine in eine der Interglacialzeiten!), die zweite in die postglaeiale Zeit zu verlegen. Die Existenz der zweiten geht u. a. mit viel Wahrscheinlichkeit aus dem Verhalten vieler östlicher und südöstlicher Pflanzen hervor, die noch vor nicht zu langer Zeit in Mitteleuropa eine größere Verbreitung hatten und gegen- wärtig schon ausgestorben oder im Aussterben begriffen sind. Zu diesen Pflanzen gehört Trapa natans. Die Pflanze ist gegenwärtig im mediterranen und pon- tischen Florengebiete Europas verbreitet und häufig, außerhalb dieses Gebietes findet sie sich selten und sporadisch, noch relativ häufiger in den Ländern an der Grenze zwischen dem pontischen und baltischen Florengebiete, in denen pontische Inseln sich finden, so in Mähren ?), Böhmen >), Schlesien), sie fehlt der Schweiz nördlich der Alpen, sie findet sich sehr zerstreut im Deutschen Reiche®), nur an einem Standorte in Schweden (Skäne, Immelsee), sie fehlt in Belgien, Holland, England. Dagegen sind nicht wenige Standorte bekannt, an denen die Pflanze noch in historischer Zeit existierte®), woraus sich direkt ergiebt, dass die Pflanze heute in Mitteleuropa im Schwinden ist. ‘Der‘Grnnd dieses Aussterbens liegt zweifellos in einem Rauherwerden des Klimas, mag nun die größere Verbreitung in früherer Zeit auf Anpflanzung durch ‘den Menschen?) oder durch Verschleppung seitens gewisser Tiere erfolgt sein. Den besten Beweis für die ehemalige weite Verbreitung der Wassernuss in Mitteleuropa liefern aber die zahlreichen Vorkommnisse, an denen die charak- teristischen Früchte in fossilem oder halbfossilem Zustande aufgefundeu wurden, die Trapa natans geradezu als eine Charakterpflanze für eine gewisse Zeit der Quartärperiode erscheinen lassen. Die Früchte gehören zu den Funden, die zugleich mit der Auffindung von Pfahlbauresten in der Schweiz gemacht wer- den®). In Westpreußen, wo Trapa natans heute fehlt, sind bereits 14 ver- 1) Vergl. z.B. R. v. Wettstein, Die fossile Flora. von Höttinger Breeccie. Denkschr. d. kais. Akad., Wien 1892. — C. A. Weber, Ueber die diluviale Vegetation von Klinge und ihre Herkunft. Engler’s Bot. Jahrb., Bd. XVII, Beiblatt. — Derselbe, Ueber die diluviale Flora von Fahrenkrug in Holstein a. a. O., Bd. XVII, Beiblatt. — A. Nehring, Ueber Wirbeltierreste von Klinge. Neues Jahrb. f. Mineralogie etc., Jahrg. 1895, 8. 183. — A. Baltzer, Beiträge zur Kenntnis der interglacialen Ablagerungen, a. a. O. 1896. 2) Vergl. Oborny, Flora von Mähren, II, $. 827. 3) Vergl. Celakovsky, Prodrom. einer Flora von Böhmen, S. 555 u. 884. 4) Vergl. Fick, Flora von Schlesien, S, 155. 5) Vergl. Garcke, Flora von Deutschland, 17. Aufl, S. 214. — H. Con- wentz im XVI. Bericht üb. d. westpreuß. Provinz.-Museum, $.214, (1895). 6) „Früher bei Rheinfelden, Roggwil, Elgg“ Gremli Exeurs. — Fl. f. d. Schweiz, 8. Aufl., 5.179 (1896). — „In Holland, wo sie noch im vorigen Jahr- hundert vorkam, findet sie sich nicht mehr. In Belgien sucht man sie nach Crepin an mehreren Orten, wo sie ehemals gefunden wurde, gegenwärtig ver- gebens“ Jaeggi, Die Wassernuss, 1883. — „Sehr zerstreut und im Schwinden begriffen“. Garcke a. a. 0. — „Bei Brünn, wo sie sich früher häufig fand, wächst sie längst nicht mehr“. Oborny a. a. 0. — „Ehemals häufiger als jetzt“. Neilreich, Flora von Nied.-Oesterr., S.879 etc. 7) Jaeggi, Die Wassernuss, S.:31,:(1883). 8) Vergl. Jaeggi a.a. O0, Gremli a..a. O.; ferner: Neue Beiträge zur Flora der Schweiz, IV. Heft, S. 8. Wettstein, Vorkommen von Trapa natans in Böhmen. 863 schiedene Oertlichkeiten nachgewiesen worden, an denen die Pflanze ehedem, teilweise massenhaft, gewachsen ist!); auch in Ostpreußen finden sich an mehreren Stellen Anhäufungen fossiler Früchte. In Schweden wurden die Früchte fossil an 16 Stellen?), im südlichen Finnland an 4 Stellen®), in den Torfmooren der eimbrischen Halbinsel und der dänischen Inseln an 6 Stellen #) gefunden. In Schweden unterscheidet G. Andersson) auf Grund umfassen- der eigener und fremder Untersuchungen in den Ablagerungen der Quartärzeit 5 Zonen, die Dryas-, Birken-, Kiefern-, Eichen- und Fichtenzone; fossile Trapa- Früchte fanden sich ausschließlich, aber häufig in der Eichenzone,. also in jener, die dem relativ wärmsten Klima entspricht®). Herr Dr. V. Patzelt in Brüx in Nordböhmen machte mich im Laufe des vergangenen Sommers darauf aufmerksam, dass in dem Becken des ehemaligen Kummerner Sees nördlich von Brüx häufig Trapa-Früchte gefunden werden und im November d. J. hatte ich Gelegenheit, unter Führung des genannten Herrn die Fundstelle selbst zu besuchen. Da es sich hier um ein subfossiles Vorkommen der Trapa handelt, das den Vorkommnissen in der Schweiz und in Schweden, Dänemark, Finnland und Preußen ganz analog ist, das in Folge der in geographischen Lage des Fundortes jene Vorkommnisse in gewissem Sinne verbindet, dürfte eine ausführlichere Mitteilung über dasselbe nicht über- flüssig sein, Bis zum-Beginne des 19. Jahrhunderts”) breitete sich am Südfuße des Eız- gebirges nördlich von Brüx ein ausgedehnter See aus, an dessen Südufer das damalige Fischerdorf Kummern lag. In den 30er Jahren dieses Jahrhunderts wurde der See entwässert, einzelne kleinere Teiche, ausgedehnte sumpfige Flächen stellen heute noch die letzten Reste des Sees dar. Im ehemaligen Seebecken wird nun in Tagbauen Braunkohle gewonnen und diese 'Tagbaue haben auf große Strecken hin Durchschnitte durch den Seeboden ergeben, welche einerseits den Aufbau desselben klarlegen, andrerseits zu mannigfachen anthropologischen und botanischen Funden führten. Auf eine oberflächliche Humusschichte von geringer Mächtigkeit (0,2 bis 0,4 m) folgt eine stellenweise sehr mächtige Ablagerung des ehemaligen Sees. 1) Vergl. Conwentz im XVI. Berichte des westpreuß. Provinz.-Museums, S. 25, (1895). 2) Vergl. Nathorst, Om Trapa natans hofondsakligen angöende dess förekomst inom Sverige, Botan. Notiser 1884, p. 84. — Untersuchungen über das frühere Vorkommen der Wassernuss, Trapa natans. Botan. Centralblatt, Bd. XXVII, 1886, Nr. 10. — G. Anderson, Die Geschichte der Vegetation Skandinaviens in Engler’s Jahrb., XXI. Bd., S. 469. 3) G. Anderson, Om den forntida förekomsten af sjönöten (Trapa natans) in Finnland. Naturen 1894. 4) Vergl. 0. Andersson in Engler’s Jahrb.,, XXII. Bd., 8. 469. 5) A. 2.0. 6) Es ist dies dieselbe Zone, in der sich in Schweden die ersten sicheren Spuren des Menschen finden. Diese Reste gehören der Steinzeit an, was ich hier mit Rücksicht auf die noch zu erwähnenden, mit den Trapa-Früchten gleichalterigen Funde in Böhmen hervorhebe. 7) Vergl. L. Schlesinger, Geschichte des Kummerner-Sees bei Brüx. Festschr. d. Vereines f. Gesch. d. Deutsch. in Böhmen, 1871, S. 23. 864 Wettstein, Vorkommen von Zrapa natans in Böhmen. Dieselbe ’erreicht eine Maximalhöhe von 5,5 m. Sie besteht aus einer im frischen Zustande graubraunen, befeuchtet sehr weichen lehmartigen Masse, die in großer Menge organische Reste enthält, darunter in erster Linie Diatomaceen, Pollen- körner, Samen von Phanerogamen, Rhizom-, Stengel- und Blattstücke. Ein- getrocknet nimmt dieser Lehm eine weißgraue Farbe an. Unterhalb dieser Ab- lagerung folgt Sand in wechselnder Mächtigkeit (0,5—1,5 m), der nach unten mit schwachen Braunkohlenlagern wechselt und endlich in das sehr mächtige tertiäre Braunkohlenlager übergeht. Der unterste Teil der See- Ablagerung bot anthropologische Funde in großer Menge, insbesondere sind aus den Funden geschliffene Feuerstein-Werkzeuge, ferner sehr primitiv gearbeitete Boote her- vorzuheben. In den oberen Schichten wurden Reste aus jüngerer Zeit, Eisen- werkzeuge, Waffen u. dergl. gefunden. Der unterste Teil der Ablagerung be- herbergt insbesondere auch in großer Menge wohlerhaltene Früchte von Trapa natans. Was das Alter dieser Früchte anbelangt, so ist zu erwägen, ob sie, was direkt aus ihrer Lagerung hervorgehen würde, der ältesten Ablagerung des Sees angehören und somit den zusammen mit ihnen vorkommenden neolithischen anthropologischen Funden gleichalterig sind, oder ob sie später zur Ablagerung kamen nnd erst allmählich zufolge ihres Gewichtes durch den lange Zeit hin- durch weichen Seeschlamm auf den Grund der Ablagerung herabsanken. Ich möchte mich für die erstere Alternative entscheiden, da es mir unmöglich er- scheint, dass eine Seeablagerung von 5 Meter Mächtigkeit jenen Grad der Weichheit erhält, der das Durehdringen von so leichten Gegenständen, wie die Trapa-Fruchtschalen sind, veranlasst. Wir haben demnach in den Trapa- Früchten des Kummerner Seebeckens Reste eines weit zurückreichenden Vor- kommens der Wassernuss, das mit den mehrfach erwähnten schwedischen und schweizer Vorkommnissen ungefähr gleichalterig sein könnte. Was speziell die Beziehungen dieses subfossilen Vorkommens von Trapa zu der heutigen Verbreitung der Art in Böhmen anbelangt, se ist zu bemerken, dass Trapa natans sich in Böhmen genau so verhält wie in den anderen oben erwähnten Ländern. Heute findet sich die Pflanze nach Celakovsky!) an folgenden Standorten: Ovcarer Teich bei Caslau, Pardubiec, Kostelec a. d. Adler, Jaromör, Landskron, Holic, Chrudim, Frauenberg, Neuhaus; also mit Ausnahme der zwei letzterwähnten im Süden gelegenen Standorte durchwegs im nord- östlichen Teile des Landes im Flussgebiete der Elbe, das als der wärmste, an pontischen Pflanzenelementen reichste Teil Böhmens bekannt ist. Im Nord- westen und Westen des Landes fehlt Trapa heute vollständig. An einigen Stellen ist die Pflanze in allerjüngster Zeit ausgestorben, so bei Hirschberg und Leipa im Norden Böhmens. Sehr interessant ist mit Rücksicht auf das ehemalige Vorkommen bei Brüx der Umstand, dass Trapa noch im vorigen Jahrhunderte einzelne Standorte im nordwestlichen Böhmen gehabt zu haben scheint, F. W. Schmidt giebt nämlich in seiner 1794 erschienenen Flora Boemica inchoata, Cent. III, p. 86, Tepl und Plan als Standorte an. 1) Prodromus ein. Fl. v. Böhm, S. 555, Nachtr. S. 884; ferner in den Sitzungsber. d. k. böhm. Ges. d. Wissensch., 1887, S. 666, 1890, S. 495. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt, unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xXV1l. Band. 15. Deneihber 189. Hi Nr. 24, Inhalt: Lindner, Zur Kenntnis der in den pontinischen Sümpfen hausenden Proto- zoen. — Prowazek, Amöbenstudien. — Kopsch, Ueber die Ei- Ablage von Scyllium canicula in dem Aquarium der zoologischen Station zu Rovigno. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zu- gleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (Schluss von Nr. 23 $S. 858). Zur Kenutnis der in den pontinischen Sümpfen hausenden Protozoen. Von Dr. G. Lindner. Unter den im Blute des Menschen parasitisch und meist infektiös auftretenden niedersten Lebewesen nehmen die im Jahre 1850 von Laveran entdeckten und nachher von zahlreichen Forschern be- schriebenen Hämatozo@n der Malariakranken — die sogenannten Ma- laria-Parasiten — das ärztliche Interesse vorzugsweise in Anspruch, besonders seitdem durch das eingehende Studium ihrer biologischen Charaktere der Nachweis geführt ist, dass die typischen Erschei- nungen des Krankheitsprozesses mit der Entwicklungs- und Ver- mehrungsweise der betreffenden Protozo@n im innigsten Zusammenhange stehen. Die Morphologie und Biologie dieser Blutparasiten sowie ihre Be- ziehung zum Malariaprozess sind namentlich von Dr. Mannaberg in seinem Werke über Malaria-Parasiten, Wien 1893, mit dankenswerter Gründlichkeit erörtert werden. Der auch dem Nichtarzt interessierende Hauptinhalt dieses Buches ist folgender: Laveran stellte zuerst fest, dass jene Mikroben einzellige tierische Lebewesen meist von scheibenartig platter, runder oder ovaler Form seien, welche in ihrer Jugendform amöboide Beweglich- keit haben, in ihren weiter entwickelten Stadien aber gewöhnlich ruhend sind und durch Zusammenfließen zuweilen halbmondförmige XVII. 53, S66 Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. Scheiben darstellen. ‘Anfangs haben sie im Parenchym einen kleinen hellen Fleck, weleher allmählich sich vergrößert und mit schwarzen Pigmentkörnchen (Melanin) — in Folge Zersetzung des Hämoglobins durch die Lebensthätigkeit der Parasiten — sich füllt. Bei der mi- kroskopischen Untersuchung des Malariablutes sah Laveran ausden Blutkörperchen oft ganz plötzlich mehrere lange Geißelfäden mit nach- folgenden peitschenden Bewegungen im Blute herausschlüpfen u. s. w. Die einzelnen Parasitenformen stellen nach Mannaberg eine echte oder mehrere mit einander nahe verwandte Spezies von Zellschma- rotzern dar, welche ungeachtet ihrer scheinbaren Verschiedenartig- keit eine Umwandlung in andere Formen:nicht eingehen. M. schlägt für dieselben die Benennung Hämosporidien vor. — Ihre Fortpflanzung geschieht durch Sporenbildung (Sporulation). In einem einheitlichen Individuum bildet sich eine größere oder geringere Anzahl von kleinen Körperchen, deren jedes zu weiterem Wachstum und selbständigem Da- sein befähigt ist. Leider ist es bisher nicht gelungen, diese Parasiten zu züchten und in der Aulsenwelt nachzuweisen. Hinsichtlich ihrer Stellung im zoologischen System sind die An- sichten einzelner Forscher etwas abweichend. Grassi und Feletti zählen sie zu den Amöben (Rhizopoden), Kruse zu den Gregarinen; Marchiafava und Celli nannten sie Plasmodien. Unter dieser Be- zeichnung verstehen die Zoologen bekanntlich eine vielkernige Plasma- nasse, welche durch das Zusammenfließen mehrerer Amöben gebildet wird, von denen jedes einzelne Individuum seinen Kern behält. Die Malaria-Parasiten haben aber nach Mannaberg fast ausnahmlos nur einen Kern; die Benennung „Plasmodien“ ist demnach für diese Para- sitenformen nicht passend. Uebrigens sind die Amöben nicht Zell- schmarotzer, sondern Ektoparasiten. Die Mehrzahl der Forscher wie Metschnikoff, Golgi, Manna- berg u. a. zählen sie zu den Sporozoön, bezw. zu den Flagellaten. Bei beiden Arten wird bekanntlich öfters ein Kopulationsvorgang (Syzygie) beobachtet, wobei sich 2 oder mehrere Individuum an ein- ander legen und entweder vollständig, oder nur teilweise mit einander verschmelzen — das ist eine Art geschlechtlicher Vermengung der Pro- tozoön, welche die Sporenbildung wesentlich fördert. Diese Syzygien- bildung kommt nach Mannabergs Beobachtung auch den Malaria- Parasiten zu; insbesondere scheinen die Halbmondformen der pernieiösen Malariafieber durch solche Verschmelzung zu entstehen. Nach den Untersuchungen von Golgi lässt sich aus dem Blut- befunde nicht bloß die Malaria-Infektion, sondern auch der Typus und die Schwere der Anfälle diagnostizieren. Die Sporulation fällt ge- wöhnlieh mit den Fieber-Paroxysmen zusammen und sie ist je nach dem Fiebertypus verschiedenartig. Besonders deutlich erscheint sie beim Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. 867 Quartanstypus und zwar in Gänseblümchenform, während ihre Sporen beim Tertiantypus nach Art der Sonnenblume an einander gereiht sind. — Bei den pernieiösen Fiebern findet man gewöhnlich noch die Halbmondformen mit ihren sphärischen und spindelförmigen Körperchen. Die Hauptsymtome der Malaria, — die Anämie und Melanämie — werden höchstwahrscheinlich dadurch hervorgerufen, dass die Hämo- sporidien von den Blutkörperchen sich nähren und dass sie mittelst ihrer Stofiwechselprodukte das Hämoglobin in Melanin umwandeln. Die eminente Verminderung der roten Blutkörperchen bei Malaria haben namentlich französische Aerzte durch Zählung nachgewiesen. Je nach der verschiedenen Anhäufung der Parasiten in diesem oder jenem Organ lässt sich das eventuelle Auftreten von Hirnaffektionen, oder Neuralgien, von Knochenschmerzen, Hämoglobinurie, Brechdurchfall u. s. w. bei den Malariakranken leicht erklären. Auch bei den Tieren, z. B. bei Fröschen, Eidechsen, Ratten und besonders bei gewissen Vögeln, Krähen, Tauben ete. hat man Blut- parasiten gefunden, welche mit den Malariaparasiten des Menschen große Aehnlichkeit haben. Nach Danilewsky kann man bei den Vögeln folgende vier Formen von diesen Mikroben unterscheiden: die Haematozoa sporozoica, Pseudovacuolae, Polymitus sanguinis avium und Pseudospirillae. Die beiden ersten gleichen den jugendlichen Ent- wieklungsformen, die letzteren den geißeltragenden Formen der Malaria- Parasiten. Sie bewirken bei den Vögeln Milzschwellung, sowie Pig- mentierung der Milz und Leber. Gegen Chinin reagieren sie jedoch fast gar nicht, während die Malaria-Parasiten des Menschen dadurch rasch getötet werden. Die Uebertragungsversuche der echten Malaria-Schmarotzer auf gesunde Tiere sind bisher fast ausnahmslos negativ ausgefallen; da- gegen ist die Krankheit durch Injektion von Malariablut von Mensch zu Mensch übertragbar. Die Verbreitung derKrankheit erfolgt, wie allgemein angenommen wird, hauptsächlich durch Inhalation der Malarialuft; eneystierte Blut- parasiten müssen also zeitweise in der Athemluft suspendiert sein. Nach Grassi und Calandruceio sind es wahrscheinlich eneystierte Amöben, da sie bei der Untersuchung von Sumpfwasser, Sumpfboden und vielen anderen als Malariaheerde verrufenen Oertlichkeiten immer Protozoön aus dem Genus Amoebae in großer Menge vorfanden. Im Laufe des vergangenen Früjahrs bot sich auch mir eine günstige Gelegenheit dar, das aus dem berüchtigsten Malariaheerde, — den Pontinischen Sümpfen, — stammende Schmutzwasser und die damit durchfeuchtete Erde auf ihren Gehalt an Protozoön näher zu untersuchen. Herr Major von Donat, Bataillons-Kommandeur im Hessischen Infanterie-Regimente Nr. 83 hierselbst, welcher im Monat März ds. Jrs. nach Terraeina und Umgegend gereist war, hatte auf ee 55 * 868 Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. meinen Wunsch die Güte, mir von dort zwei Flaschen mit Sumpf- wasser und etwa ein Kilogramm Sumpfboden in einer Kruke direkt durch die Post zu übersenden !). Nach Mitteilung des genannten Herrn waren die betreffenden Objekte an drei verschiedenen Stellen der Pon- tinischen Sümpfe, wo die Erkrankungen an Malaria besonders häufig und oft in bösartiger Form aufzutreten pflegen, unter seiner persön- lichen Aufsicht in reinen Gefäßen entnommen worden. Die am 27. März fest verkorkt und versiegelt hierorts angelangten beiden Flaschen nebst Kruke wurden sofort von mir geöffnet, und mit reinen Wattepfropfen versehen. Die kleinere Flasche A enthielt 3/, Liter, die größere Flasche B einen vollen Liter schmutzig grauen Sumpfwassers. Zuerst wurde das Wasser in Flasche 4 näher untersucht; es hatte einen widerlich fauligen Geruch und enthielt eine etwa drei Finger dieke Schicht eines gelblich-braunen Schlammes an der ‚Ober- fläche. Die mikroskopische Untersuchung ergab außer zahllosen faulenden Pflanzenresten besonders von Algen und niederen Pilzen Myriaden von verschiedenartigen Diatomeen, sowie von ovalen zum Teil auch runden, 2—4 Kerne enthaltenden Zellen, welehe nach Züchtungsversuchen unverändert im ruhenden Zustand verblieben. Gewöhnlich lagen sie vereinzelt, seltener perlschnurartig an einander gereiht oder durch eine schleimige Umhüllung zu einer zooglöaartigen Gruppe vereinigt. Anfangs hielt ich diese Gebilde für encystierte Protozoön, durch das .negative Ergebnis der damit vorgenommenen Kulturversuche wurde ich jedoch belehrt, dass es Pflanzenzellen und zwar wahrscheinlich arthrospore Bakterien seien, wie sie de Bary in seinen Vorlesungen über Bakterien S. 5ff. (Leipzig1885) beschrieben hat. Dagegen fanden sich in dem Schlamme außerdem viele schwarz- graue, runde, ruhende Zellen, welche mit eingekapselten Protozo&n identisch zu sein schienen und eine geringere Zahl lebender, mit zwei Geißelfäden ausgestatteten kleiner Flagellaten, welche eine ziemlich matte, hin und her schwankende Bewegung hatten und sich hierbei öfters um ihre Längsachse drehten. Dem Anschein nach fehlte es diesen Protozoön wegen des Luftmangels bei mehrtägigem festem Verschluss der Flaschen anfangs an der nötigen Lebensenergie. Sie 1) Major von Donat interessiert sich aus hygienischen und volkswirt- schaftlichen Gründen lebhaft für die Trockenlegung, Assanierung und Bebau- ung jenes großen durch Sumpfausdünstung verpesteten Landstriches und er ist dem Vernehmen nach behufs Ausführung des zu diesem Zweck von ihm entworfenen originellen Planes mit der italienischen Regierung in Unterhand- lung getreten. — Außer diesem Herrn fühle ich mich dem Herrn Professor Korschelt in Marburg für die auf Wunsch mir gütigst übersandte Litteratur und dem Assistenzarzt Herrn Dr. Drüner hierselbst für die mir gewährte Unterstützung bei der mikroskopischen Untersuchung der mir übersandten Sumpfwässer zu lebhaften Danke verpflichtet. - DSVE Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. 869 vermehrten sich deshalb in den ersten Tagen fast gar nicht; erst später (siehe weiter unten) erschienen sie sowohl in den mit dem Seumpfwasser vorgenommenen Kulturen, wie in dem breiartigen Schlamm desselben kräftig, gut entwickelt und äußerst fruchtbar in Bezug auf ihre Vermehrung durch Teilung. Unter den Bakterien waren nach freiem Luftzutritt Vibrionen und Spirillen vorherrschend. Das Sumpfwasser in der großen Flasche D hatte einen widerlich modrigen Geruch und enthielt zahlreiche faulende, an ihren Stengeln und Blättern großenteils noch erkennbare Wasserpflanzen. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Wassers fanden sich im allge- meinen ähnliche Bestandteile wie in der kleineren Flasche A, beson- ders waren jene arthrosporen Bakterien zahlreich vertreten. Außerdem fand ich darin Myriaden von kleinsten runden, weißglänzenden Körper- chen und vereinzelte lebende große Infusorien, namentlich Chilodonen, Stylonychien, sowie langgestreckte heterotriche Ciliaten, welche nach Form und Größe mit Blepharisma lateritia identisch zu sein schienen. Diese Infusorien gingen indessen sämtlich schon nach wenigen Stunden anscheinend an Lebensschwäche zu Grunde und sie kamen erst später- hin in neuen Kulturen ab und zu wieder zum Vorschein, ohne sich jedoch fortzupflanzen. — Bei freiem Luftzutritt waren in der Flasche B gewöhnlich lebhaft sich bewegende lange Vibrionen in großer Menge wahrnehmbar. Die in der Kruke (C) befindliche, zur Zeit noch ziemlich feuchte Erde aus dem betreffenden sumpfhaltigen Boden wurde demnächst mikroskopisch untersucht. Zwischen den anorganischen erdigen Par- tikeln fanden sich darin einzelne runde schwarzgraue — encystierten Infusorien ähnliche — Zellgebilde und gleichfalls Myriaden von jenen im Sumpfwasser wahrgenommenen weißglänzenden ruhenden Körnchen. Mit dieser Erde wurden nunmehr einige Kulturen in Fleischextrakt- Lösung vorgenommen, in denen nach 3—4 Tagen viele Mastigophoren (Flagellaten) und einzelne holotriche Infusorien zur Entwicklung kamen, die sich bei näherer Prüfung und Vergleichung mit den Infusorien- Tabellen nach Bütsehli(ef.Bronn, Klassen und Ordnungen des Tier- reichs, 1. Band, Protozoa Tafel LXII) als eine Colpodenart — der Form nach der Colpoda eucullus ähnlich — entpuppten. Diese Ci- liaten waren verhältnismäßig klein und blieben in Folge geringer Lebensenergie anfangs nur vereinzelt. Etwas besser gelang ihre Züch- tung in Blutserum. Aehnliche wenig ergiebige Resultate wurden in den mit Sumpf- wasser aus den Flaschen A u. B vorgenommenen Fleischextraktlösung. bezw. Serum-Kultüren erzielt. Auch hier kamen nach 3—6 Tagen gewöhnlich mit zwei Geißelfäden ausgestattete Flagellaten und außer- dem Colpoden in geringer Zahl zum Vorschein. 870 Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. Weit reichhaltiger und fruchtbarer gestaltete sich das Leben niederster Tiere in dem Sumpfwasser der Flaschen A und B nach längerer Aufbewahrung unter Watteverschluss. Nach etwa 3 Wochen waren in dem faulenden Schlamm zahllose Flagellaten und Colpoden (Figur 1 und 2) von verschiedener Größe wahrnehmbar, Fig. 1. Flagellaten. e und db. Freischwimmende Flagellate in verschiedenen Entwicklungsstadien. c. Vermehrung durch Teilung in Beweg- ung. d. Vermehrung in Ruhe (durch Sporidien- bildung in der Cyste) a. b. Jugendformen der Colpoden. c. Vollständig entwickelte Colpode. e. Eneystierte Colpode. f u. 9. In Teilung be- griffene Colpoden- eysten. Zwei in den Sumpfwasser der Flasche A gefundene Amöben. welche sich in den folgenden Wochen — bis Mitte Juni — von Tag zu Tag vermehrten. Auch in der Sumpferde wurden in den damit vorgenommenen Kulturen stets die nämlichen beiden Protozoöngattungen bald mehr, Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. 871 bald weniger zahlreich und meist mit voller Lebensenergie ausgestattet vorgefunden. Nicht selten traten bei der mikroskopischen Untersuch- ung des Sumpfwassers in A auch eigenartige Amöben (Figur 3), aber niemals in solcher Unzahl wie die Flagellaten und Colpoden zu Tage. — In Flasche Z und in dem mit der Sumpferde vorgenommenen Kulturen fand ich keine Amöben. Die Colpoden waren von kurzem kräftigem Körperbau und sehr fliink in ihren Schwimmbewegungen. Ihre Vermehrung erfolgte, wie bei allen Colpoden, durch Teilung nach vorhergegangener Eneystie- rung, niemals in Bewegung. Kopulationsformen habe ich bei den in jenem Sumpfwasser und Sumpfboden vorgefundenen Colpoden nur selten wahrgenommen. Nach Stein’s Beobachtungen sollen die Teilsprösslinge einge- kapselter Colpoden innerhalb der Haupteyste sich öfters wieder en- cystieren und somit Spezialeysten bilden, welche Gerbe als Eier be- trachtet. Die Entwicklung derselben soll in höherem Grade nach Eneystierung von Kopulationspärchen vorkommen. — Der Teilungs- akt verläuft nach Beobachtung der genannten Forscher sehr rasch, meist innerhalb !/, bis 2 Stunden (vgl. Bütscehli a. a.0. Tafel LXII 5.1586). Ob sich bei den in jenem Sumpfwasser ete. regelmäßig von mir vorgefundenen runden Colpodeneysten wieder kleine Cysten bilden, kann ich nicht sicher behaupten; dagegen habe ich öfters Vierteilung der Haupteyste und lebhafte Bewegung in den Teilstücken wahrge- nommen. Die oben erwähnten weissglänzenden runden Körperchen, welche sowohl in der trocknen Sumpferde, wie in den Sumpfwässern in der Regel myriadenweise zur Beobachtung kamen, gehören wahrscheinlich in den Entwicklungszyklus der Flagellaten. In den ersten 3—4 Tagen erschienen sie gewöhnlich ruhend; dann zeigten sie zuerst bis zur vollendeten Entwieklung eine pendelförmig hin- und herschwingende Bewegung ohne Ortswechsel, als wären sie lokal durch Geißelfäden gefesselt. E Die betreffenden Flagellaten vermehrten sich, wie es schien, auf zweifache Weise a) in Bewegung, b) im Ruhezustande durch Sporidienbildung in den Cysten. — In letzteren (b) scheinen sich zahl- reiche Sporidien zu bilden, welche nach erlangter Reife aus den nach- her zerfallenden Cysten ausschlüpfen und im Freien zu kräftigen mit zwei Geißelfäden ausgestatteten Flagellaten heranwachsen. Sie gleichen morphologisch und biologisch dem Haematococeus lacustris, welcher sich auch durch zahlreiche Mikrogonidien in einer Oyste ver- mehrt: Vgl. Bütschli a. a. O. Tafel XLIU. Die in den in Rede stehenden Sumpfwässern von mir vorge- fundenen, bezw. in besonderen Nährflüssigkeiten gezüchteten Flagellaten 872 Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. waren im allgemeinen ziemlich groß und kräftig, meist oval geformt und sehr produktiv. Ausnahmsweise zeigten sich zuweilen auch komma- förmig gekrümmte Formen, oder solche mit schwanzartiger Verlänge- rung; eine augenfällige Vermehrung der beiden letzteren ließ sich nicht nachweisen und ich halte sie demnach für Degenerationsformen. Die gut entwickelten Flagellaten zeigten im Endoplasma größten- teils einen hellen Fleck, ähnlich einer nicht kontraktilen Vakuole; dieses charakteristische Kennzeichen ist wahrscheinlich dadurch be- dingt, dass die Nahrungsballen an der Peripherie des Endoplasmas sich ablagern und das Centrum frei lassen, welches in Folge davon hell und durchscheinend bleibt. Die Vermehrung der qu. Flagellaten in freier Be- wegung (Fig.1c) erfolgte gewöhnlich durch einfache Teilung, deren Glieder aber oft wieder neue Tochterzellen und durch fortgesetzte Teilung kleinere, oder größere Kolonien von 8 bis 16 ete. Glieder bildeten, wie dies bei Polytoma wvella (ef. Bütschli a. a. O. Tafel XLIII) zu ge- schehen pflegt. In jenem Sumpfwasser war die Neigung der Flagella- ten zur Kolonienbildung namentlich zeitweise ganz eminent; so be- obachtete ich beispielsweise im Laufe des Monats Juni bei Kulti- vierung einer kleinen Quantität Schlamm aus Flasche B in Fleisch- extraktlösung zahlreiche große Kolonien von 24 Individuen und darüber, welche nach Art des Volvox globator sich kugelartig umher- wälzten. — Die Erklärung für die physiologische Bedeutung dieser Kolonienbildung besonders hinsichtlich der Fortpflanzung und Ver- 'mehrung der Art muss ich den Fachkundigen überlassen. Von großem Interesse war für mich die Wahrnehmung, dass in jenen Sumpfwässern und in der damit durchtränkten Erde auch die Cysten der stiellosen Vorticellen vertreten waren, welche ich vor mehre- ren Jahren in der Umgegend von Cassel entdeckt und über deren charakteristische Merkmale ich schon mehrfach in diesem Oentralblatte, sowie in anderen wissenschaftlichen Zeitschriften Bericht erstattet habe. Hier fand ich erst Ende Juni, also nach dreimonatlicher Aufbewah- rung der betreffenden Untersuchungsobjekte lebende .stiellose Vorti- cellen sowohl in den mit Sumpferde vorgenommenen Kultur in Fleisch-Extraktlösung, wie etwas später auch in dem schlammigen Bodensatze der großen Flasche BD, den ich des Austrocknens wegen in ein reines Glas gethan hatte. Hierbei bemerke ich ausdrücklich, dass eine Infektion dieser Präparate — sei es durch die mit Vorti- celleneysten etwa verunreinigten Gläser, oder durch eystenhaltige Stubenluft bei den von mir beobachteten Vorsichtsmaßregeln als aus- geschlossen zu erachten ist. Auf Grund zahlreicher Forschungen nach der Entwicklung und Verbreitung der genannten Ciliaten in der freien Natur, in verschiede- nen Orten in Mittel-Deutschland hielt ich mich zu der Meinung be- Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. 873 rechtigt, dass jene stiellosen Vorticellen, welehe von gewissen überall vorkommenden gestielten Vorticellen abstammen und durch den Ein- fluss veränderter Nahrung eine eigenartige Metamorphose erleiden, über den ganzen bewohnten Erdboden verbreitet sein dürften. Beim Eintrocknen ihres Nährbodens in den Pfützen und Tümpeln, sowie in den mit organischen Fäulnisstoffen durchsetzten Schmutzwässern und oberen Erdschichten kapseln sich die gestielten Formen zunächst ein und ihre des Stiels verlustig gewordenen trocknen Cysten verflüch- tigen sich dann mit dem Erdstaube in der atmosphärischen Luft. In eneystierter Form findet man sie deshalb häufig im Regenwasser und im Schnee. Als lebende, mit ihren charakteristischen Kennzeichen aus- gestattete stiellose Form habe ich sie im Freien bisher nur in solchen Sehmutzwässern vorgefunden, welche mit animalischen Nährstoffen, z. B. mit Tierblut, mit Fäkalien u. 8. w. reichlich durchsetzt waren. Ihre Cysten dagegen sind häufig auf niederen Pflanzen, besonders auf Flechten zu finden; ferner sind sie auch auf und im Körper höherer Tiere oft in großer Menge nachweisbar, indem sie in fast allen tieri- schen Säften gedeihen und in diesen unter begünstigenden Verhält- nissen zu neuem Leben erwachen. Das ist wahrscheinlich der Grund, dass die in Rede stehenden stiellosen Vortieellen selbst fachkundigen Zoologen bisher unbekannt geblieben sind und dass man sie in den vorzüglichen Infusorienwerken von Stein und Bütschli nicht abge- bildet findet. Die überall verbreiteten gestielten Vorticellen werden wahrschein- lich auch in den Pontinischen Sumpfwässern nicht fehlen. Sie scheinen aber darin nicht zu gedeihen, sonst würde ich sie nieht ausschließlich in eingekapselter Form in den mir übermittelten Wässern gefunden haben. Diese Cysten sind, wie ich durch zahlreiche Versuche an an- deren Orten nachgewiesen habe, gegen Trockenheit und Fäulnis äußerst widerstandsfähig. Es kann daher nicht auffallen, dass die in jenen Wässern suspendiert gewesenen Kapseln nach dreimonatlicher Aufbewahrung durch Züchtung in geeigneten Nährflüssigkeiten als stiellose Formen wieder auflebten und sich demnächst als solche zahl- los vermehrten. Seit Mitte vorigen Monats ist in den in beiden Originalflaschen noch vorhandenen Ueberresten von Sumpfwasser irgend welche Spur von lebenden Protozoön oder ihren Cysten nicht mehr nachweisbar, wohl aber finden sich in der troeknen Sumpferde noch einzelne cha- rakteristische Vorticelleneysten, welche bei Züchtung in Blutserum nach einigen Tagen zu neuem Leben erwachen. Morphologisch unter- scheiden sich diese Ciliaten von den in Deutschland vorkommenden Vortieellenformen 'nur durch ihren etwas kürzeren und breiteren Bau; ihre biologischen Eigenschaften sind dagegen vollständig übereinstim- mend. Eine heryorragende Rolle scheinen sie in den Pontinischen 874 Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Protozoen. Sümpfen, wie sich aus den damit vorgenommenen Kultur-Versuchen schließen lässt, nieht zu spielen. Lebende Vorticellen kamen nur nach Zusatz von Fleischsaft oder Blutserum zum Sumpfwasser zu vollstän- diger kräftiger Entwicklung, dagegen schrumpften sie, wenn man einen Tropfen vorticellenhaltiger Nährflüssigkeit in den Schlamm des Sumpf- wassers übertrug, bald ein und starben ab, oder sie eneystierten sich eiligst. Vollständig indifferent sind zweifellos jene vereinzelt darin vorgefundenen Ciliaten, — die Chilodonen, Stylonychien und Blepharis- men, deren Lebensdauer nur kurz bemessen war. Auch den oben er- wähnten Amöben scheint nicht die Bedeutung Krankheit erzeugender Mikrobien zuzukommen, weil sie in den einzelnen Kulturen nicht regel- mäßig und selten in großer Menge zu Tage traten und weil sie gegen äußere Einflüsse keine große Widerstandskrafi besaßen. Dagegen sind besonders jene Colpoden und Flagellaten als verdächtig anzusehen, weil sich dieselben in dem faulenden schlammhaltigen Sumpfwasser nach dem durch Watteverschluss vermittelten Luftzutritt zu dem Flascheninhalt vorzüglich gut entwickelt und myriadenweise ver- mehrt hatten. Namentlich gilt dies von den Flagellaten, welche sich, wie schon erwähnt, auf zweifache Weise fortzupflanzen scheinen. Sie besitzen gegen Fäulnis und Trockenheit eine erhebliche Widerstandskraft und sie lassen sich andauernd in eiweißhaltigen Nährflüssigkeiten, z. B. in Fleischsaft, Blutserum ete. züchten. Bei öfterer Wiederholung solcher Kulturen habe ich jedoch nur einfache Teilung der einzelnen Individuen und keine Kolonien- oder Uvellenbildung beobachtet. Die Colpoden sind weit weniger widerstandsfähig wie die Flagel- laten und ihre Züchtung in Serum oder Fleischextraktlösung ist mir nur auf die Dauer von 8—10 Wochen gelungen. Auch im Sumpf- wasser und in der Sumpferde waren sie schon nach drei Monaten verschwunden, während die Flagellaten längere Zeit darin nachweis- bar waren. Uebrigens vermehrten sich die Colpoden namentlich nach zweimonatlicher Aufbewahrung der Sumpfwässer in diesen ganz emi- nent durch Vierteilung im Ruhezustande und die aus der Cyste aus- schlüpfenden Jugendformen waren meist nicht größer als die Flagel- laten; sie gelangten aber gewöhnlich schon in wenigen Stunden zur vollen Entwicklung. Auffallend ist es, dass die beiden vorherrschenden Pro- tozoenarten, .die Flagellaten und Colpoden, in jenen Sumpfwässern fast niemals von einander getrennt, sondern ziemlich regelmäßig gesell- schaftlich zusammenlebend gefunden wurden, wobei bald die eine, bald die andere Gattung präponderierte. Eine ähnliche Beobachtung habe ich bei meinen Kulturversuchen mit den oben erwähnten parasitisch vorkommenden stiellosen Vorticellen gemacht; auch hier begegnet man fast ausnahmslos gewissen Mastigophoren als obligaten Trabanten. Da das Bestehen einer verwandischaftlichen Beziehung zwischen diesen Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden. Protozoen. 875 verschiedenen Protozodengattungen seitens der fachkundigen Zoologen von der Hand gewiesen wird, so dürfte vielleicht die Annahme be- rechtigt erscheinen, dass zuweilen unter begünstigenden Ernährungs- verhältnissen die eine Gattung von Protozoöden mit der anderen, welche sich beide schnell und enorm zu vermehren pflegen, einen Kampf ums Dasein führt, durch welchen die jeder einzelnen Gattung zukommende parasitische Eigenschaft im Körper ihres Wirtes wesentlich gestei- gert wird. Ob diese Hypothese auch für die in den Pontinischen Gewässern zeitweise in enormer Menge von mir vorgefundenen Flagellaten und Colpoden zutrifit, kann ich nicht behaupten, da ich keine Gelegenheit fand, um Tierversuche vorzunehmen. Uebrigens halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die betreffenden Protozo&en, so lange als sie in dem Sumpfwasser leben, an sich hygienisch indifferent sind und dass ihre Krankheit erregende Eigenschaft hauptsächlich den im Schlamme eingetrockneten und in der Luft zerstäubten Cysten jener Mikroben zukommen dürfte, welche durch Einatmung in den menschlichen bezw. tierischen Organismus gelangen und hier als lebens- und entwick- lungsfähige Endoparasiten ihre blutzersetzende Wirkung üben. Was das Verhalten der in den Pontinischen Gewässern von mir vorgefundenen Protozoön gegen gewisse Reagentien betrifft, so bemerke ich schließlich, dass alle diese niederen Lebewesen durch Chinin- lösungen zu !/, bis 1 Prozent, ferner durch Arsenik in Form der Fow- ler’schen Soiution, durch 3 bis 5prozentigen Weinessig, 3prozentige Jodtinktur und durch verschiedene Anilinfarben in starker Verdünnung sofort getötet werden. — Bei Anwendung des mit gleichen Teilen de- stillierten Wassers verdünnten Liquor Kalii arsenicosi blieben sowohl die Flagellaten wie Colpoden noch eine kurze Zeit am Leben und letztere fanden oft noch genügende Zeit sich einzukapseln. In ihren Cysten konnte ich alsdann zuweilen eine allerdings nur kurze Zeit dauernde rotierende Bewegung der Sprößlinge wahrnehmen. Hierzu benutzte Litteratur: Dr. Mannaberg, Malaria-Parasiten. Wien 1883. Dr. L. Pfeiffer, Geh. Med.-Rat, Die Protozo@n als Krankheits- Erreger. Jena 1890. de Bary, Vorlesungen über Bakterien. Leipzig 1885. Bütschli, in: Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs; 1. Band: Protozoa. Heidelberg 1582. Dr. von Wasielewski, Sporozo@nkunde. Jena 1896. Dr. G. Schoch, Die mikroskopischen Süßwasserbewohner. Leipzig 1868. : Nachtrag. Nach Abschluss der in vorstehendem Aufsatze mitgeteilten mikros- kopischen Beobachtungen habe ich mit dem letzten Reste von Schlamm- 876 Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin. Sümpfen hausenden Pıotozoen. erde, welcher in der größeren Flasche B nach Entleerung der darin befindlichen Wasserpflanzen nebst dem Sumpfwasser zurückgeblieben war, noch einen neuen Kulturversuch vorgenommen, dessen Ergebnis hier mitgeteilt zu werden verdient, weil dadurch meine Vermutung sich bestätigt, dass in den Pontinischen Sümpfen außer anderen Pro- tozoden auch Vorticellen hausen müssen. Etwa Mitte August hatte ‘ich den Inhalt der Flasche B weg- geschüttet, weil lebende und frei sich bewegende Protozoßen in ihm nicht mehr wahrgenommen wurden Auf dem Boden der Flasche war jedoch ungefähr ein Esslöffel voll erdigen Schlafnmes zurückgeblieben, auch war an den Wänden des Glases hier und da etwas Schlamm haften geblieben. In dieser Schlammerde fand ich bei mikroskopischer Untersuchung einige körnige Rundzellen von verschiedener Größe und eine zahllose Menge von jenen weisslich glänzenden sporenartigen Mi- kroorganismen, welche ich sowohl in der Sumpferde und in den mit dem Pontinischen Sumpfwasser vorgenommenen Kulturen, wie früher bei Züchtung stielloser Vorticellen regelmäßig vorgefunden habe. Meiner Meinung nach sind dies tierische Mikrobien, von denen jedes Einzelne im günstigen Falle zu weiterem Wachstum befähigt sein dürfte. Mutmaßlich sind sie als niederste Entwicklungsstufen ge- wisser Flagellaten zu betrachten. Unter Zurücklassung jenes Schlammes ete., füllte ich die Flasche B zur Hälfte mit reinem abgekochtem Wasser. Nach sechs Tagen fanden sich in diesem Wasser zahlreiche Chilo- donen — (dem Baue nach mit Chilodon cueullus identisch) — und vereinzelte Exemplare von Stylonychia mytilus. Letztere hatten sich auch in den nächsten acht Tagen nicht sehr vermehrt, während die Zahl der Chilodonen, bei denen öfters Syzygienbildung beobachtet wurde, erheblich zugenommen hatte. Außerdem hatten sich in der 2. Be- obachtungswoche gestielte Vorticellen auf dem Wasserspiegel ent- wickelt, welche sich im Laufe der 3. Woche, besonders nach Zusatz von etwas heisdekokt zu dem Aufgusse von abgekochtem Wasser auf den in der Flasche verbliebenen Schlamm myriadenweise vermehrten. Diese Ciliaten wurden ihren morphologischen Eigenschaften als „Vorti- cellae mikrostomae“ teilweise auch als V. convallariae diagnostiziert. Anfangs September übertrug ich ein paar Tropfen dieses Infu- sorien-Wassers in je ein mit Fleischextraktlösung und mit Blutserum gefülltes Glas. Nach drei Tagen hatte die Mehrzahl der in beiden Gläsern ent- haltenen Vorticellen ihres Stieles sich bereits entledigt und nur ein kleinerer Teil derselben schwamm mit dem verkürzten Stiele in der Nährflüssigkeit freiumher. Ein paar Tage später hatte sich bei sämt- lichen bisher gestielten Vorticellen an Stelle des Stieles ein hinterer Lindner, Zur Kenntnis der in den pontin, Sümpfen hausenden Prorozoen. 877 Wimperkranz entwickelt, mit dessen Hilfe die Tierchen sehr gewandt mit öfterem Umdrehen um ihre Körperachse rückwärts schwammen. Die Chilodonen hatten sich inzwischen nicht mehr erheblich ver- mehrt und die Stylonychien waren ganz verschwunden. Zuweilen zeigten sich auch einzelne lebende Halterien. Die stiellosen Vorticellen vermehrten sich von jetzt ab ganz enorm, besonders nachdem einzelne Copulationspärchen und zahlreiche kleine, brummkreiselförmige Tierchen — sogen. Knospen — zum Vorschein gekommen waren. Fast gleichzeitig erschienen jetzt auch jene obligaten Trabanten der stiellosen Vorticellen — die Flagellaten — welche auch im Pon- tinischen Sumpfmoor, wie oben mitgeteilt, nach Ablauf der ersten Be- obachtungswochen, ganz spontan als Begleiter der Colpoden auftraten. Nach 10 Tagen fanden sich in beiden Gläsern in der auf der Oberfläche der Flüssigkeit gebildeten Kahmhaut zahllose kräftig ent- wickelte stiellose Vorticellen; die Chilodonen hatten dagegen das Feld vollständig geräumt. Aus dieser Beobachtung lässt sich schließen, dass die genannten gestielten Vorticellen, ebenso wie man sie in allen Himmelsstrichen als regelmäßige Bewohner stehender Wässer antrifft, auch mit zu den Be- wohnern der Pontinischen Sümpfe gehören werden. In den mir zu- gesandten Sumpfwasser- und Erdproben waren sie anscheinend nicht in großer Menge, und nur encystiert enthalten. Sie traten darin erst zuletzt nach Zusatz von abgekochtem Wasser und von Reiswasser zu der Sumpferde zu Tage. Diese Beobachtung stimmt ganz mit den Resultaten meiner früher in hiesiger Gegend vorgenommenen Züch- tungsversuchen gewisser Vorticellen überein (S. meine bezüglichen Be- richte im Biolog. Centralblatt, Jahrgang 1895/96, Deutsche Med. Ztg. Jahrg. 1892—96). Die betreffenden gestielten Vorticellen gedeihen hauptsächlich in stehenden Wässern mit Pflanzenaufgüssen; bringt man sie von dort in salzhaltige Fleischextraktlösung, in Blutserum oder in andere tie- risches Eiweiß enthaltende Nährflüssigkeiten, so kapseln sie sich ent- weder sofort auf die Dauer ein, oder sie verwandeln sich unter all- mählicher Abstoßung des Stieles und Bildung eines hinteren Wimper- kranzes in stiellose Formen. Letztere zeigen biologische Eigenschaften, die von denen ihrer Stammeltern vollständig abweichen; namentlich haben sie mit der veränderten Nahrung, wie es scheint, die Befähi- gung erworben, in tierischen Säften zu schmarotzen. Nach eingetre- tener Umwandlung in die stiellose Form bilden diese bisher nicht be- kannten Vorticellenformen, für welche ich die Benennung „Askoidien“ (Vorticella ascoideum) vorgeschlagen habe, niemals wieder einen Stiel. In den Pontinischen Sümpfen scheinen die gestielten Vorticellen, wie oben erwähnt, keine hervorragende Rolle zu spielen, da sie in 378 Prowazek, Amöbenstudien. dem natürlichen Sumpfwasser, ohne Zusatz von anderen Nährstoffen nicht gedeihen, während ich beobachtet habe, dass die Colpoden nebst den in ihrer Gesesellschaft regelmäßig auftretenden Flagellaten in der jenem Wasser beigemischten Schlammerde sehr gut gedeihen und sich in zahlloser Menge darin vermehren, so lange als sie hier die zu ihrer Existenz notwendigen Nährstoffe finden. R In dem letzten wässerigen Aufguss von Sumpferde, sowie in den nachfolgenden Kulturen mit Fleischsaft und Blutserum kamen lebende Colpoden nicht mehr zum Vorschein; von Flagellaten fehlte nur in dem Wasseraufguss jede Spur, während sie in den Kulturen mit tierischem Eiweiß in Begleitung der stiellosen Vorticellen alsbald zu Tage traten und myriadenweise sich vermehrten. Ob diese Flagellaten mit jenen obligaten Trabanten der Colpoden identisch sind, sei dahin gestellt; der Form nach sind sie von einander nicht zu unterscheiden. Cassel, im September 1897. [106] Amöbenstudien. Mitteilung von S. Prowazek. (Aus dem deutschen zool. Institut in Prag.) Während eines Aufenthaltes an der zoologischen Station in Triest ds. Js. 1897 hatte ich Gelegenheit eine kleine Amöbe in einem See- wasseraquarium mit sehr konzentrierten Meerwasser zu beobachten, die insbesondere bezüglich der kontraktilen Vakuole ein interessantes Ver- halten an den Tag legte. Das Plasma dieser Amöbenform, deren Spezies leider nicht bestimmt werden konnte, stellte sich als eine zäh- flüssige hyaline Substanz dar, an der man aber doch die Sonderung in Ekto- und Entoplasma gut wahrnehmen konnte; der Kern war rundlich, mit deutlichen Konturen versehen, und besaß einen hellen Plasma- hof. Im Entoplasma waren mehrere kleine Vakuolen unregelmäßig zerstreut, die im rötlichen Interferenzlicht erschienen und die ein bis zwei kleine Körnchen von brauner Färbung enthielten; bei ge- nauerer Untersuchung konnte man in den Vakuolen (Fig. 1 Ev) Fig. 1. a. marine Amöbe. b. Amöbe vor der Entleerung der Vakuole. c. bei der Entleerung der Vakuole (Faltenbildung). K. Kern. Ov. kontraktile Vakuole. Ev. Exkretkörnchenvakuolen. @ b e Prowazek, Amöbenstudien. 579 zwei Arten von Körnchen unterscheiden , von denen die größeren meist in der Vakuole, die wir „Exkretkörnchenvakuole* nennen wollen, peripher lagen, wogegen die meistenteils etwas central liegenden kleineren lebhafte Brown’sche Molekularbewegungen ausführten, — eine Erscheinung, die auf Diffusionsströmungen zwischen dem Va- kuoleninhalt und der Umgebung zurückzuführen ist und auf Grund deren man sich auch die rundliche Gestalt der Körnchen erklären könnte. Viele Vakuolen waren auch leer. — Die Bewegungen dieser Amöbe waren langsam, ihren Pseudopodien kam aber eine besondere Tendenz zur Streckung zu, so dass sie manchmal den Pseudopodien der Amoeba radiosa etwas ähnlich waren. Es scheint, dass diese khizopodenform eine geringe allgemeine Bewegungsenergie besitzt doch stark auf chemische oder Spannungsreize reagiert, welcher Um- stand zuweilen eine Streekung und gleichzeitige Verschmälerung der Pseudopodien zur Folge hat. Manchmal konnte man auch die Wahr- nehmung machen, dass die Pseudopodien an ihrer Basis sich fast rechtwinklig umbogen, so dass der eigentliche Plasmakörper wie eine Tischplatte, auf den unregelmäßigen Pseudopodien-Füßen ruhte; etwas Aehnliehes konnte auch bei einer Amoeba radiosa festgestellt werden und dürfte vielleicht in einer einseitigen stärkeren Strömung seine Er- klärung finden. Mehr peripher ist meist eine Vakuole gelegen, die sich durch ihre besondere Größe auszeichnet und, wie es die weiteren Vorgänge, die sich an ihr abspielen, darlegen, als die kontraktile Vakuole aufzu- fassen ist. Rei der Diastole tritt sie nämlich, vom Plasma gleichsam her- ausgedrängt, in die äußersten Schichten des Ektoplasmas, buchtet sich über die Oberfläche der Amöbe etwas vor, ja wird manchmal förmlich abgeschnürt und hängt oft nur durch einen kurzen Plasmastiel mit dem übrigen Körper zusammen. Zu Anfang der Systole beginnt sie von außen her einzusinken, es erfolgt sodann eine wellenförmige unregelmäßige Eifaltung der äußersten Rindenschichte des Plasmas und gleichzeitig bemerkt man, dass die Körnchen in den darunter- liegenden „Exkretkörnchenvakuolen“ etwas in raschere Bewegungen geraten und der Hohlraum dieser Vakuolen sich etwas vergrößert. Bei dieser Amöbe erfolgt also merkwürdigerweise die Entleerung der Vakuole nach innen und nicht nach außen, wie bei der Mehrzahl der Protozoen. Es ist anzunehmen, dass vor der Kontraktion die Vakuole eine desoxydierte Flüssigkeit enthält, die nun dureh die infolge der Span- nung verdünnte Rindenschichte wieder aus der Umgebung her oxydiert wird. — Die desoxydierte Flüssigkeit wurde also von dem Ento- plasma herausgedrängt und sammelte sich in der Gestalt eines Tropfens — Vakuole — unter dem Ektoplasma, das bis zu einem gewissen SS0 Prowazek, Amöbenstudien, Grade seiner Elastizität langsam vorgedrängt wurde; dieses gibt wohl zuerst den eigenen intramolekularen Sauerstoff an die Flüssigkeit, die später auch den Sauerstoff der Umgebung aufnimmt, ab. Durch diese Vorgänge gelangten die Teilchen der Rindenschichte auf einen Stand- punkt der Zersetzbarkeit, die schließlich ausgelöst wird!), es erfolgt die Kontraktionsphase, indem die organischen Teilchen eine Aenderung in ihrer Spannung erleiden. Es ist aber auch denkbar, dass die Druck- kräfte der Flüssigkeit und dann ihre Oxydation eine Reihe von Reizen auf das kontraktile Ektoplasma ausüben, die sich induktiv summieren und die Kontraktion hervorrufen. Diese geht nur soweit, als sie die Oberflächen- spann- und Druckkräfte des Vakuolentropfens überwindet. Die Falten- erscheinung, die einerseits in dem Wesen der Kräfte des gleichsam zerplatzenden Tropfens bedingt ist, hat im Folgenden ihre wesentliche Ursache: Das Entoplasma selbst strebt?) gleichsam die oxydierte Flüssigkeit aufzunehmen, gegen die es eine Art von Anziehungskraft, wie mehrfach (Schwalb, Zenker) angenommen wurde, besitzt; da aber an den unter der Vakuole gelegenen Stellen wegen der „Exkret- körnchenvakuolen“ die plasmatische Struktur nieht gleichmäßig ist, kann die unter der Kraft der Kontraktion ausweichende Flüssigkeit nicht überall in gleicher Weise hindurchdringen und setzt derart der sich kontrahierenden Vakuolenwand einen verschiedenen Widerstand entgegen, dadurch werden gewisse Stellen dieser in ihrem Vordringen gestört und so erklärt sich aueh die Entstehung der Falten (Fig. le), in deren Lumen sich noch die Flüssigkeit befindet, die nun die Va- kuolenwandung langsam nach physikalischen Adhäsionsgesetzen nach sich zieht und selbst im Inneren des Entoplasmas verschwindet. — Bei einer Beobachtung von mehreren Amöben hätte sich bei gleicher Kon- figuration des Entoplasmas vielleicht eine Gesetzmäßigkeit in der Zahl der Falten herausgestellt, gerade so wie auch in passende Pulver gehüllte und .-dann zerdrückte oder selbst zerplatzende Flüssigkeits- tropfen eine bestimmte Anzahl von Strahlen oder Auszackungen be- sitzen. Welches ist die genetische Beziebung einer Exkretionsvakuole zu einer respiratorischen Zwecken dienenden Vakuole ? Man kann mit Haeckel annehmen, dass die kontraktilen Va- kuolen aus gewöhnlichen „Blasenräumen“ entstanden sind und ur- sprünglich sodann den Zweck der Exkretion, womit im gewissen Sinne auch die Respiration bei diesen niedrig organisierten Formen im Zu- 1) Unter diesen Umständen könnte es auch zuerst zur Bildung eines Neben- produktes kommen, dessen Reiz erst die Kontraktion hervorruft. 2) Dieser Umstand ist wohl von Wichtigkeit für eine Entleerung der Vakuole nach innen, indem hier das Entoplasma keinen eigentlichen Widerstand der Wasseraufnahme entgegensetzt, wogegen die Festigkeit der Rindenschichte des sich kontrahierenden Ektoplasmas keinen Riss entstehen lässt. Prowazek, Amöbenstudien. 881 sammenhang steht, verfolgten. Infolge gewisser konstanter äußerer Einflüsse z.B. Wassermangel, Aenderung im Salzgehalt ete. und der sich daran knüpfenden Veränderungen der äußeren Schichte des Plas- mas tritt aber, da die Diffussion von Wasser an der ganzen Oberfläche oder bloß an einer Stelle des Rhizopodenkörpers notwendig vermindert wird, eine Art von Funktionswechsel ein; der Flüssigkeitstropfen, als welchen man die Vakuole füglich auffassen kann, büßt seine hohe Oberflächenspannung ein, der zufolge er sonst bei der geringsten ein- tretenden Verbindung mit der Flüssigkeit der Umgebung die sich dann einstellende Spannungsdifferenz auszugleichen strebte und die Vakuole entleert sich dann nicht mehr nach außen sondern dient jetzt nur mehr der Respiration, wobei ihr auch das starke Hervortreten aus dem umgebenden Plasma zu statten kommt. Neben der Funktion der Exkretion und Respiration dient bei manchen einzelligen Organismen, die sich nieht nach außen ent- leerende Vakuole als Vorratsbehälter von Flüssigkeit zum Schutze gegen die Austrocknung, wie dies Greeff für die. Erdamöben angibt. Eine Art von derartigen Funktionswechsel ist bei marinen Formen umso begreiflicher, als bei ihnen sonst auch wegen der Konzentration des Seewassers die Entleerungefrequenz der kontraktilen Vakuolen eine geringere ist. Rossbach gelang es auch an Süßwasserprotozoen darzulegen, dass ein Zusatz von Kochsalzlösung eine Verminderung der Entleerungsfrequenz zur Folge hat. . Die wenn auch verminderte Exkretion muss aber in den ge- schilderten Fällen auf eine andere Weise vorgenommen werden; die Möglichkeit ist hier eine mannigfache — entweder werden geformte Exkretkörner ausgeschieden, oder es treten vielleicht besondere kleine „Exkretions-Vakuolen“ auf, wie sie H. Wallengren nach der Behand- lung mit Bismarckbraun bei Ciliaten beobachtete, oder es wandern die Exkretstoffe in krystallinischer Form unter die äußersten Schichten des Ektoplasmas, wo sie eine Auflösung erfahren und alsdann irgend- wie auf dem Wege der Diffusion austreten, wie dies Schewiakoff für die Exkretkrystalle bei Paramaecium, bei dem aber auch eine Vakuolen- exkretion stattfindet, angibt, oder es kommen im Plasmakörper be- sondere symbiotische Pilze vor, die sich in konzentrischer Weise um die Vakuolen und „Glanzkörperchen“* lagern (Gruber) und etwa auf osmotischen Wege die für sie noch brauchbaren Exkretstoffe auf- nehmen, wie dies bei der sonderbaren Pelomyxa palustris, deren Va- kuolen verhältnismäßig klein und zahlreich sind, der Fall sein dürfte. Zum Sechlusse sei noch die Frage erörtert: warum diffundiert bei der sich bis zu einer Grenze stetig steigernden Dünne der Vakuolen- wandung nicht die wässrige Salzlösung der Umgebung, die doch schädigend einwirken müsste, in die Vakuole? Aus leicht absehbaren XVL. 56 882 Prowazek, Amöbenstudien. Gründen müssen wir annehmen, dass die Porenweite im molekularen Aufbau der Scheidewand zwischen den beiden Flüssigkeiten für die Salzmolekeln zu klein ist; da sich aber beim Wachsen der Vakuole auch die Umwandung dieser ausdehnt und so die Poren, wie etwa Nadelöffnungen in einer allseitig gezogenen Gummiblase sich ver- egrößern, so dass sie einmal für die Salzmolekeln durchlässig würden, muss die Ursache dafür, dass dieses doch nicht eintritt, entweder be- sonderer unbekannter physiologischer Natur sein oder man könnte sie sich aus dem Auftreten von besonderen Dissimilationsprodukten die die sich vergrößernden Poren der sich dehnenden Membran stets aus- füllen, erklären. Im Frühjahr 1897 legte ich eine Reihe von Objektträgerkulturen aus einem Sumpfwasser an und fand nach ungefähr 24 Stunden in Bieia2: a. der Flagellat. db. die entwickelte Amöbe. c. kriechende Amöbe. d. Amöbe vor der Encystier- ung. e. dieselbe, bei der Entleer- ung der Vakuole. f. eine Dauercyste (noch mit einer Vakuole). K. Kern. Cv. contractile Vakuole. . o Riss derselben. Ek Exkretkörnchen. einer dieser primitiven Kulturen, die in der feuchten Kammer auf- bewahrt wurden, eine Anzahl von eigentümlichen Flagellaten, deren Entwicklung weiter zu verfolgen Gelegenheit geboten war. Dieselben besaßen im allgemeinen eine gegen das hintere Ende sich verjüngende eiförmige Körperform, die jedoch nicht ganz formbeständig war und oft sichelartig gekrümmte Gestalten annahm. Am Vorderende konnte man eine Schlundandeutung wahrnehmen, sowie zwei nahe bei ein- ander befindliche fast gleich lange Geißeln. Das Plasma war hyalin, schwach olivengrün gefärbt und wies eine undeutliche Granula- tion auf; ungefähr in der Mitte befand sich der Kern, gegen das Zellende zu meist eine kontraktile Vakuole (Fig. 2a). An der äußersten Peripherie kann man oft den Austritt geformter Exkret- substanz beobachten, die mitunter mittels eine Art von Plasmastielen, die terminal die sog. „Exkretperlen“ tragen ausgeschieden werden. Oft hat es den Anschein, als ob der Organismus durch den Schlag Prowazek, Amöbenstudien. 885 der einzelnen Geißeln die Ablösung der Exkretperle unterstützen wollte. Manchmal verschmälerte sich auch das Hinterende zu einem starren Pseudopodienstiel, der in Form von Nodositäten an seiner Um- randung die Exkretsubstanz enthielt. — Nach einiger Zeit legten, die Flagellaten eine besondere Tendenz für die Pseudopodienbildung an den Tag und im Verlaufe von ungefähr 24 Stunden konnte man in der Kultur eine beträchtliche Zahl von kleinen Amöben beobachten. Leider wurden die Veränderungen, die sich vielleicht am Kerne ab- spielten, sowie die eigentliche Verwandlung nicht beobachten. Immer- hin wäre die Entwicklung dieser Amöbe als ein Analogon zu der von Schaudinn beschriebenen Paramoeba eilhardi zu betrachten, aufGrund deren Biologie der Beweis geliefert wurde, dass eine innigere Be- ziehung zwischen rhizopoden — und flagellatenähnlichen Organismen besteht. Die jungen Amöben ruhten zumeist nebeneinander in Reihen, ohne dass man, wiewohl besonders darauf das Augenmerk gerichtet wurde, eine Verschmelzung zweier derartiger Formen beobachten konnte; diese Erscheinung würde also in Uebereinstimmung mit der Theorie von „individuellen physiologisch Unterschieden zwischen den Zellen“ von Jensen stehen; andererseits könnte man aber doch eine “Art von Verschmelzung erwarten, da ja auch eine Pseudopodien- verschmelzung bei jungen Orbitalites u. a. konstatiert wurde. — Das Plasma dieser Amöben war hyalin, der Kern grünlich, glän- zend und besaß eine Art vom lichten Plasmahof, der angefressenen In- dividuen weniger oder encystierten Formen gar nicht zukam. Interes- sant war die Bewegung dieser Amöbe, deren Pseudopodien lappig waren; oft zerfloss der Körper gleichsam und nahm eine Form, als ob er sich teilen wollte, an, so dass zwischen den einzelnen Teilen nur schmale Plasmabrücken erhalten blieben, denen eine gewisse Aehn- lichkeit mit den Plasmafaden bei der Plasmolyse der Pflanzen zukam (Fig. 2c); diese scheinbaren „Trennungszustände* konnte ich später an zwei anderen Amöben beobachten; es dürften aber bei diesen letzteren Erscheinungen 2 gleichartige Reize im Spiele sein. — Hernach flossen die Teile wieder zusammen und das Plasma des Rhizopods unterlag gleichsam einer wirbelartigen Mischung seiner Teile, worauf das Spiel wieder vom neuen begann. Am Hinterende der sich bewegenden Amöbe traten oft kleine Exkretkörperchen an der Spitze von Plasmafort- sätzen, die an der Unterlage haften blieben, aus, wie überhaupt dieses Anhaften des hinteren zottenartigen Plasmabesatzes vielleicht seinen Grund in der Ausscheidung apoplasmatischer Strukturen be- sitzt; einmal beobachtete man auch, wie seitlich ein ziemlich langes, schmales Pseudopodium zur Ausbildung gelangte, das an seiner Spitze ein lichtbrechendes Exkretkorn trug, an der Unterlage etwas haften blieb und dann bei der Amöbenbewegung die Exkretperle zurückließ (Fig. 25). 96 * 854 Prowazek, Amöbenstudien. Eine Erscheinung des Rheotropismus, sobald frisches Wasser den Kulturen zugeführt wurde, kam bei dieser Form nicht zur Beobach- tung, ob zwar es manchmal den Anschein hatte, als ob sie, sobald sie die Strömung von der Unterlage nicht wegriss, die ersten Pseudo- podien dem Strom entgegen ausgesendet hätte!). — Bei durch- fallendem Licht scheinen sich die kontraktilen Vakuolen häufiger als sonst auszubilden. — Mit dem Alter der Kulturen und der damit verknüpften Aenderung in der Beschaffenheit der Flüssigkeit änderte sich auch etwas der Habitus der Amöbe; später gingen sie das Cystenstadium ein; oft gewann es aber den Anschein, als ob ohne jede Aenderung in gewissen Zeitintervallen die Amöben nur sogenannte „Verdauungs- eysten“ bilden, die also von den eigentlichen Dauereysten, welche eine’ derbere Haut und ein anderes Aussehen besitzen, zu unterscheiden wären. Bei Beginn der Cystenbildung wurde die Bewegung der Amöben langsamer, die Pseudopodien „umflossen“ fortwährend den Körper, bildeten über ihm gleichsam kuppenförmige Ausbreitungen, Erscheinungen, die etwa mit den hotationen der Opalinen, die E. Zeller vor der Eneystierung beobachtete, zu vergleichen wären. — Eine Art von „Plasmasekret“ trat in geringen Mengen an gewissen Stellen an der äußeren Rindenschichte aus, wobei oft die lichtbrechen- den Körnchen zum Austritt gelangten. Das Spiel der kontraktilen Vakuolen vollzog sich in diesem Zustande langsamer, womit auch ihre Vergrößerung in Einklang zu bringen wäre; inzwischen bildete sich lang- sam ringsherum um den Zellleib die Anlage einer Art von Cystenhaut aus (Fig.2 d, e), so dass nun die Spannungsverhältnisse des Flüssigkeits- tropfens ziemlich bedeutende sein mussten, ehe die eigentliche Ent- leerung der Vakuole, die unter einem deutlichen Riss, wobei die Ränder leicht nach außen gebogen werden (Fig.2 e, 0) erfolgte, sich vollzog. Später wird auch dieser Vorgang eingestellt; einmal konnte man einen T-föürmigen Kanal, der wahrscheinlich aus zwei zusammenge- flossenen Vakuolen entstand, beobachten. — Die Vakuole löste sich später zumeist in mehrere auf; die Flüssigkeit strömte sodann, wie man aus der allerdings geringen Aenderung des Volumens dieser ent- nehmen kann, langsam aus einer Vakuole in die andere, als ob das Plasma recht durchmischt werden sollte. Schliesslich sank die Größe der einzelnen Vakuolen bis unter die Grenze der Wahrnehmbarkeit und das Plasma sah kompakt aus. — In den Cysten, die Ver- dauungseysten ähnlich waren, traten besonders nach längerer Ein- 1) Aehnliches wurde bei Amoeba radiosa einige Male beobachtet; kleine Amöben aus einem diatomeenreichen Wasser sandten die ersten Pseudopodien diagonal gegen den Strom oder senkrecht auf diesen; doch scheinen die Er- scheinungen des Rheotropismus im Allgemeinen nicht bodeutend zu sein. Zu diesen Versuchen eignet sich einfach das Zuleiten sowie Ableiten des Wasser- stromes durch feine Baumwollfäden. z Kopsch, Ei-Ablage von Sceyllium canicula, 8855 wirkung von durchfallendem Licht "größere Vakuolen auf, deren Ent- leerung nach außen trotz der 2stündigen Beobachtungszeit nicht wahr- genommen werden konnte. Bei eneystierten Formen büßt eben das Plasma teilweise seine Kontraktilität ein, die kontraktile Vakuole sinkt zu der früheren Bildung „dem Blasenraum“ herab und erfüllt höch- stens die Aufgabe eines Athmungsorganes, wie dies etwa auch beim eneystierten Actinophrys sol der Fall ist. [104] Ueber die Ei-Ablage von Sceylüum canicula in dem Aquarium der zoologischen Station zu Rovigno. Von Fr. Kopsch, Assistent am I. Anatom. Institut zu Berlin, Die .Ergebnisse, zu welchen ich bei meinen experimentellen Unter- suchungen über den Keimhautrand der Salmoniden!) gelangt bin, führten darauf hin, dieselben Methoden auch bei den Selachiern an- zuwenden, an deren Keimscheibe auch am lebenden Ei die einzelnen ‚Bezirke (der embryobildende nnd der nicht direkt zum Aufbau der Embryonal-Anlage verwendete) schon auf jungen Gastrula-Stadien mit großer Sicherheit bestimmt und experimentellen Eingriffen ausgesetzt werden können. Da nun zu einer solchen Untersuchung neben einem reichen Material möglichst gleichweit entwickelte und junge Stadien notwendig sind, so liegt es nahe, Haifische in der Gefangenschaft zu halten, um von denselben eine ausreichende Anzahl befruchteter und entwick- lungsfähiger Eier zu erhalten. Die Gelegenheit zu solchen Versuchen bot sich mir in der zoolo- gischen Station zu Rovigno während eines mehrmaligen Aufenthaltes zu verschiedenen Jahreszeiten in den Jahren 1895—97, welcher mir durch das Kuratorium der Gräfin Louise-Bose-Stiftung und das könig- lich preußische Kultus-Ministerium ermöglicht wurde. Hierfür sei sowohl dem Kuratorium der genannten Stiftung als auch dem könig- lich preußischen Kultus - Ministerium Öffentlich mein Dank ausge- sprochen. Die gesammelten Erfahrungen über die Beschaffung der laich- fähigen Sceyllium, die Zeit und Art der Ei-Ablage, sowie die Entwick- lungsgdauer bis zum Ausschlüpfen der Jungen will ich im Folgenden mitteilen als Beitrag zur Biologie der Selachier und um aufmerksam zu machen auf die zoologische Station des Berliner Aquariums zu Rovigno, woselbst die Bedingungen zur Ausführung meiner Unter- suchungen außergrdentlich günstige waren und durch das liebens- würdigste und weitgehendste Entgegenkommen des Herrn Dr. Hermes 1) Fr. Kopsch, Experimentelle Untersuchungen über den Keimhautrand - der Salmoniden. Verhandl. der anat. Gesellschaft, 1896, S. 113—127. 886 Kopsch, Ei-Ablage von Seyllium canicula. und seiner Angestellten, der Herren Peters und Kossel, auf das beste gefördert wurden. Aus den Mitteilungen von Costa), R. Meyer?),Schmidtlein°—>) und Day®) ist es bekannt, dass Seyllium canicula und stellare (catu- Zus) auch in der Gefangenschaft befruchtete Eier ablegen. Costa er- hielt von einem weiblichen Sc. canicula, welches zusammen mit einem Männchen in eins der Bassins des Agqnariums zu Concarneau gesetzt war, achtzehn Eier im Laufe eines Monats, und R. Meyer erhielt von drei Exemplaren Se. catulus im Aquarium zu Hamburg (wie viele Weibchen wird nicht angegeben) „mehrere Dutzend Eier“. Sehr an- schauliche Schilderungen von der Kopulation (Nr. 6 pag. 174) und die Ei-Ablage (Nr. 4 p. 2—3) von Se. catulus (stellare) und canicula nach Beobachtungen in den Aquarien der zoologischen Station zu Neapel verdanken wir Schmidtlein. Als Haupt-Laichzeit ergibt sich nach den Angaben der Au- toren und den mir mündlich mitgeteilten des Konservators . zu Rovigno, Herrn Kossel, und nach meinen eigenen Erfahrungen für Seyllium canicula im allgemeinen die Zeit von Anfang März bis Ende Mai. Nach den Angaben von Lo Bianco’) (pag. 423) wur- den bei Neapel das ganze Jahr hindurch Eier von Sceyllium mit jungen Embryonen gefunden und ich selber habe auch von Se. cani- cula, welche frisch gefangen im Herbst und Winter gebracht wurden, entwicklungsfähige Eier erhalten. Doch soll auch in Neapel die Zahl der Eier nach mündlichen Mitteilungen mir befreundeter Forscher in den Monaten März bis Mai resp. Juni am größten sein. Die in der Litteratur vorhandenen Angaben sind im einzelnen Folgende: Die schon oben erwähnten drei Sc. catulus von R. Meyer (Nr. 3) kamen Ok- tober 1371 im Hamburger Aquarium an und laichten zuerst am 18. Ja- nuar 1872. Nach Doderlein?®) laichen Se. stellare (catulus) und cani- 1) Costa, Comptes rendus, 1867. 2) R. Meyer, Die Fortpflanzung der Katzenhaie (Se. catulus) im Aquarium zu Hamburg. Der Zoologische Garten, Bd. 13, 1872, S. 371—372. 3) Schmidtlein, Beobachtungen über die Lebensweise einiger Seetiere innerhalb der Aquarien der zoologischen Station. Mitteilungen aus der zool. Station zu Neapel, Bd. I, 1879, S.1 ft. 4) Schmidtlein, Beobachtungen über Trächtigkeits- und Ei- Ablage- Perioden verschiedener Seetiere. Ebenda S. 124—136. 5) Sehmidtlein, Vergleichende Uebersicht über das Erscheinen größerer pelagischer Tiere und Bemerkungen über die Fortpflanzungs-Verhältnisse einiger See-Tiere im Aquarium. Ebenda Bd. Il, 1881, S. 162—175. 6) Day, The Fishes of Great Britain and Ireland. London 1880-1884. Vol. 1..,;p. 310. 7) Lo Bianco, Notizie biologiche riguardanti speeialmente il periodo di maturita sessuale degli animali del Golfo di Napoli. Mitteilungen aus der zool. Station zu Neapel, Bd. VIII, 1888, S. 385 ff. 8) Doderlein, Manuale Ittiologico delMediterraneo. Palermo 1881. p.22#t. Kopsch, Ei-Ablage von Seyllium canicula. 587 cula im Februar und März, vielleicht aber noch zum zweiten Mal im Herbst. Doderlein hat selbst bei einem im Februar 1579 geöffneten Weibehen, welches aus den sicilianischen Meeren stammte, zwei zur Ausstoßung reife Eier gefunden und findet dadurch bestätigt, dass die Ei-Ablage bei Seyllium stellare und canicula stattfindet vom Ende des Winters vielleicht sogar vom Januar bis Mai. Auch Schmidtlein spricht (Nr. 4) bei Se. catulus von zwei Perioden der Ei-Ablage: eine in den Frühlings- die andere in den Winter-Monaten. Nach diesen Vorbemerkungen gehen wir über zu den Mitteilungen über die Art und Weise, in welcher eine genügende Anzahl von Se. canicula in Rovigno beschafft wurde. Seyllium canicula ist bei Rovigno und dessen näherer Umgebung nicht sehr häufig, findet sich dagegen in großen Mengen an der dalmatinischen Küste und zwar vornehmlich auf dem Schlamm-Grunde bei Zara, wo- selbst es hauptsächlich mit der Angel das ganze Jahr hindurch leicht zu fangen ist. Die gefangenen Tiere werden in einem Fischkasten gesammelt und sobald eine genügende Anzahl (60—90) beisammen “ist, mittels Dampfers nach Rovigno gebracht. Während der ungefähr 24stündigen Reise gehen stets eine Anzahl der Tiere zu Grunde. Am geeignetsten zum Sammeln und zum Transport sind die Wintermonate und zwar vom November bis Februar, einmal wegen der niedrigeren Temperatur und zweitens, weil die Haupt-Laichzeit in das Frühjahr fällt und die Tiere vorteilhaft längere Zeit vorher an den Aufenthalt im Aquarium gewöhnt werden. In den Sommer- und Herbstmonaten ist der Transport der gefangenen Tiere sehr schwierig. Die hohe Wasser-Temperatur an der Oberfläche scheint den Tieren schädlich zu sein, denn es ist vorgekommen, dass dieseiben in Rovigno lebend angekommen, im Verlaufe von wenig Tagen aber sämtlich abgestorben sind. Man wird wohl kaum irren, wenn man als Ursache dieses Sterbens den plötzlich eintretenden großen Temperatur-Unterschied annimmt, da die Tiere aus der kühlen Temperatur, welche das Wasser in 10—20 Meter Tiefe hat, in ein Wasser von 22°C. und mehr kommen, zumal da die in den Wintermonaten gefangenen Tiere sich in den Aquarien zu Berlin und Rovigno Jahre hindurch lebend gehalten haben bei Wassertemperaturen von 22°C. Auch den eingewöhnten Tieren scheint eine hohe Temperatur unbehaglich zu sein, denn bei 20—22°C. hören Fresslust und Eiablage auf, um erst bei kälteren Temperaturen wieder zu erscheinen. So kommt es, dass in der Gefangenschaft von September bis Ende November eine zweite Laichperiode vorhanden zu sein scheint, während im Meere auch in den Sommer-Monaten frisch gelegte Eier gefunden werden (vgl. Nr.7 pag. 355). Hierzu muss noch bemerkt werden, ‘dass im Sommer gefangene Scyllium in der Gefangen- schaft auch bei Eintritt kühlerer Witterung nicht laichen, sondern dass dies nur schon lange Zeit eingewöhnte Tiere thun. 858 Kopsch, Ei-Ablage von Seylium canicula. Die gefangenen Tiere wurden in Rovigno gehalten zu 20 bis 30 Stück in Bassins von 500—600 Litern Inhalt unter beständigem Zu- und Abfluss von frischem Wasser, welches täglich zwei Mal aus dem Meere in das Sammelbecken gepumpt wird, von welchen es sich in die einzelnen Behälter verteilt. Alle in einem Behälter befindlichen Tiere drängen sich am Tage in einer Ecke zusammen und liegen in einem dichten Haufen neben und übereinander. Zur Zeit der Fütterung schwimmen sie leb- haft mit raschen eleganten Wendungen umher und suchen die hinein- geworfene Nahrung, zu welcher Tintenfische am geeignetsten sind. In der ersten Zeit des Aquariumlebens wird keine Nahrung angenommen, nach kurzer Zeit aber verliert sich die anfängliche Scheu, die Tiere werden förmlich zahm, fressen mit großem Appetit und lassen sich anfassen, ohne allzu ungeberdig zu werden. Die im Januar und Februar 1897 gefangenen Scyllium fingen Mitte Februar an Eier zu legen und hörten damit Anfang Juni auf. Die im August und September 1896 eingefangenen Exemplare lieferten an dem ersten Tage der Gefangenschaft nur ein paar (6-8) Eier und hörten dann mit der Ablage vollständig auf. Sie fingen damit erst Ende März 1897 wieder an, nachdem einige frisch gefangene Männchen zugesetzt worden waren. — Die Männchen dieser Zucht waren im Laufe des Winters 1896/97 sämtlich eingegangen. — Im Berliner Aquarium laichten 1896 die Sceyllium canicula erst im Juni und Juli und dieselben Tiere fingen auch Ende Mai 1897 wieder an zu laichen, doch waren die Eier dieses Jahres meist unentwickelt, während diejenigen des vergangenen Jahres sich tadellos entwickelt haben, — aus einigen sind sogar Junge gezüchtet worden, welche jetzt fünf Monate alt sind und beträchtlich an Größe zugenommen haben. — Hiermit berühren wir einenPunkt, welcher von großer Bedeutung ist, die Frage, ob es mög- lich ist, die Bier ohne Schädigung längere Zeit im Aquarium zu halten. Diese Frage muss ich nach den Erfahrungen, welche ich im Aquarium zu Berlin und in Rovigno gemacht habe, unbedingt bejahen. Freilich sterben immer eine Anzahl von Eiern während der langen Dauer der Entwicklung ab, was bekanntlich auch bei Forellen, Lachs und Frosch- Eiern vorkommt. Dagegen spricht die oben erwähnte Thatsache, dass selbst aus Eiern, welche im Aquarium zu Berlin gelegt worden sind, die jungen fehlerlosen Tiere ausgeschlüpft sind, welche heute noch leben, wohl genügend dafür, dass man bei geeigneter Pflege, welche vor allem in der Versorgung mit gutem und frischem Wasser zu be- stehen hat, die Sceyllium-Eier ebensogut wie die Bier anderer Tiere weiter züchten kann. Vor allem hüte man sich davor, die Eier zu häufig anzufassen, dabei scheinen am leichtesten Schädigungen einzu- treten, welche meist im Eindringen von Seewasser und damit von Keimen in das Innere der Eischale bestehen. Am vorteilhaftesten ist Kopsch, Ei-Ablage von Seyllium canicula. 889 es, die Eier mittels der Schnüre so aufzuhängen, dass der breitere Pol des Eies nach unten hängt und das Ei frei im Wasser in einiger Entfernung vom Boden flottieren kann. Ueber die Zahl der von einem Weibehen während der Haupt- Laichzeit abgelegten Eier und über den Zwischenraum zwischen zwei Ablagen kann ich nur unbestimmte Angaben machen. Nach einer im Sommer 1896 an ea. 80 Eiern im Berliner Aquarium angestellten Be- obachtung musste jedes Weibchen jeden zehnten Tag 2 Eier gelegt haben. In Rovigno erhielt ich von 50 weiblichen Tieren während der Monate Februar bis Mai 1897 ungefähr 300—400 Eier, sodass auf jedes Weibehen pro Monat nur zwei Eier kommen. Da es nun leicht möglich ist, dass manche jüngere Weibchen überhaupt noch keine Eier abgelegt haben, so könnte die Zahl der von einem Weibchen abgeleg- ten Eier etwas größer sein, doch kann ich darüber nichts bestimmtes mitteilen. Um über diesen Punkt Gewissheit zu erlangen, müsste man ein Weibehen gesondert halten und die Zahl der in einer Laich- zeit gelegten Eier bestimmen. Fig. 1. Fig. 1. Ei vom Se. canieula an einem Olivenzweig befestigt. Bei der Be- festigung des Eies sind die beiden dünnen Aestchen durch die längeren Ei- Schnüre bis zur gegenseitigen Kreuzung zusammengezogen worden. Die Ablage der beiden Eier, welehe gewöhnlich zur gleichen Zeit oder kurz hintereinander ausgestoßen werden, erfolgt meistens in den Morgenstunden, doch wurde mehrmals beobachtet, dass beim Füttern ein Ei geboren wurde, welchem nach kürzerer oder längerer Zeit das zweite nachfolgte. Der stumpfe Pol des Eies, an welchen die dickeren und kürzeren Schnüre sich befinden, tritt zuerst heraus; die an dem zusammengedrückten Ende befindlichen längeren Schnüre bleiben noch sy0 | Kopsch, Ei-Ablage von Seyllium canicula. längere Zeit im Innern des Tieres sitzen, so dass die Eier von dem während und nach der Geburt der Eier sich lebhaft bewegenden Tiere nachgeschleppt werden. Wenn nun bei diesem Nachschleppen die kurzen Schnüre sich irgendwo verfangen, so zieht das Weibchen sich durch das Weiterschwimmen selber die noch im Leibe befindlichen längeren Schnüre heraus. Fig.2, Fig. 2. 3 an demselben Zweig befestigte Eier von Se. canicula. Das vierte ist nicht zu sehen, da es durch die drei anderen verdeckt wird. Befindet sich innerhalb des Behälters ein Abflussrohr oder ein Stein oder Strauehwerk, so schwimmt das Tier um diese Gegenstände herum und wickelt so die Schnüre fest (Fig. 1 u. 2). Bei Mangel an solehen Gegenständen findet man die Eier auf dem Boden des Bassin liegen. Die Lage, in welcher die Eier befestigt werden, ist verschie- den und scheint vornehmlich durch die Gestalt des zur Anheftung die- nenden Gegenstandes bedingt zu sein. An dünnen, langgestreckten und senkrecht oder schräg stehenden Stöcken wurden die Eier meisten- teils derart befestigt, dass ihr langer Durchmesser parallel der Axe dieser Gegenstände liegt (Fig. 1,2). Bei der Befestigung an Steinen oder anderen unregelmäßig gestalteten Objekten bildet die lange Ei- Axe alle möglichen Winkel mit der Horizontalen, wobei entweder das stumpfe oder das plattgedrückte Ende des Eies den höchsten Punkt Kopsch, Ei-Ablage von Seyllium canicula. 891 einnimmt, während bei den in senkrechter Stellung der Längsaxe befestigten Eiern in allen beobachteten Fällen der stumpfe Pol der untere war. Dies soll, wie mir der Konservator der Station, Herr Kossel, aus dem Schatze seiner Erfahrungen mitteilte, an den im Freien gefundenen Eiern fast immer der Fall sein. Aus diesem Grunde hat Herr Kossel schon seit Jahren alle Haifisch-Eier, welche er züchtete, stets mit dem stumpfen Pol nach unten aufgehängt und hat Fig. 3. a b € d Fig. 3. Keimscheiben und Embryonalanlagen von Seyllium canicula. Vergr. 10/1. a ist alt 9°C; 5 109° C; c 124° C; d 172° C; e 190° C; f 190° C; g 220° C h 287° C; i 324° C, ea. 16 Urwirbel; %k 637° C, Urwirbel ea. 70. Die Zeit, welche ver&eht zwischen der Ablage der Eier und dem Ausschlüpfen der Jungen schwankt zwischen 6 und 9 Monaten. Die Anzahl der Tagesgrade, deren die Eier bis zum Ausschlüpfen der Jungen bedürfen, beträgt 2680° C nach einem Versuch aus diesem Jahre. 892 Kopsch, Ei-Ablage von Sceyllium canicula. ‘ häufig die Jungen bis zum Ausschlüpfen und noch weiter gezogen. In Rovigno befanden sich im Mai dieses Jahres mehrere junge Scyllium, welehe vor vier Monaten ausgeschlüpft waren und munter fraßen. Im Berliner Aquarium leben hente noch, wie schon oben erwähnt wurde, eine Anzahl von Scyllium canicula, welche aus den im vergangenen Sommer in Berlin abgelegten Eiern ausgekrochen sind. - Als Futter für die jungen Tiere dient kleingehacktes Fleisch von Cephalopoden. Das Stadium, auf welchem die Eier abgelegt werden, ist eine Morula, deren einzelne Zeilen mit der Lupe noch ganz gut erkannt werden können. Die Lage der Keimscheibe in Bezug auf die Haupt- axen des ganzen Eies zeigt keine Konstanz, wovon ich mich oft- mals an eben ausgestoßenen Eiern, welche ich den Weibchen von der Kloake wegnahm, überzeugte. Nach längerer oder kürzerer Zeit aber nimmt die Keimscheibe stets den höchsten Punkt des Eidotters ein, mag das Ei nun senkrecht, horizontal oder schräg liegen. An der Peripherie der Keimscheibe liegt die von den früheren Autoren als Furchungshöhle beschriebene sichelförmige Grube, welche C.K. Hoffmann neuerdings als Urdarmhöhle angesprochen hat, und zwar mit Unrecht, denn dieselbe findet sich erstens auf einem sehr frühen Morula-Stadium, zweitens aber ist der Rand der Keimscheibe nach dieser Grube hin durchaus nicht scharf begrenzt, wie man es von einer Urmundlippe erwarten muss, sondern ist unregelmäßig zackig durch vorspringende Zellengruppen der Keimscheibe. Im Laufe der nächsten Tage schwindet die Grube (wenigstens für den Beobachter des Flächenbildes), die Keimscheibe nimmt eine elliptische Gestalt an. An dem einen Ende derselben erscheint dann eine kleine Verdiekung (Fig. 3a) und erst etwas später die flache Ausbuchtung, welche die erste Andeutung der Ineisura neurenteriea darstellt (Fig. 3 d). Was nun die Altersbestimmung der einzelnen Stadien anbetrifft, so habe ich mich bemüht, wenigstens für eine Anzahl jüngerer Sta- dien festzustellen, wie viel Zeit und wie viel Grad Wasser-Wärme zur Erreichung des einzelnen Stadiums notwendig sind. Eine Bezeichnung der Entwicklungsdauer nach Tagen ist auch bei Angabe der Durch- schnitts-Temperatur nur schlecht für den Nachuntersucher zu verwerten, wie ich selber an den Angaben von Kastschenko!) erfahren habe, zumal da ieh nicht weiß, was derselbe unter „sattelförmiger“ oder „rüsselförmiger* Keimscheibe, „knopfförmigem Embryo“ ete. versteht. Ich glaube daher im Interesse der Nachuntersucher zu verfahren, wenn ich die einzelnen Stadien, deren Alter weiter unten angegeben wird, durch einfache Kontur-Zeichnungen charakterisiere, welche in ge- nauer zehnfacher Vergrößerung dargestellt sind. Das Alter der ein- zelnen Embryonen soll ausgedrückt werden durch die Summe der zu- 1) Kastscheuko, Zur Entwicklungsgeschichte des Selachierembryos. Anat. Anzeiger, III, 1888, S. 445 —465. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 593 sammengezählten Temperaturen der zwischen der Ablage und Kon- servierung des Eies liegenden Tage. Derartige Altersbestimmungen nach „Lagesgraden“, welche in den Kreisen der praktischen Fischzüchter schon lange bekannt sind, haben auch für den Embryologen einen großen praktischen Wert und sollten bei der Anfertigung der von Herrn Keibel angeregtenund unternommenen „Normentafeln der Entwicklung“ überall, wo es sich erreichen lässt, angegeben werden. Zur Erläuterung des Vorteiles, weichen eine solehe Altersbestimmung gewährt, diene folgen- des Beispiel: Wenn ein Embryo bei 10° © Temperatur sechs Tage — also 60° C -- gebraucht, um das Stadium x zu erreichen, so wird derselbe zur Erreichung desselben Stadium bei 15° Tages-Temperatur nur vier Tage gebrauchen. In diesem Beispiel ist die längst be- kannte Thatsache, dass bei höherer Temperatur die Entwicklung der Eier vieler Tiere schneller, bei niedriger Temperatur langsamer vor sich geht, praktisch verwendet. Die Thatsache aber, dass Entwick- lungs-Dauer und Höhe der Temperatur in einem gewissermaßen gesetzmäßigen Verhältnisse zu einander stehen, wie es im obigen Bei- spiel klar gelegt wurde, muss für die einzelnen Arten und für be- stimmte mittlere Temperaturen erst noch bestimmt werden. Für Seyllium canicula trifft das gesetzmäßige Verhältnis zu für Temperaturen von 11°— 16° C. u [101] Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Schluss von Nr. 23 S. 858.) Auch zwischen den Tubinares und den Pelargo- Herodii giebt es eine Reihe von Aehnlichkeiten, die aber, weil größtenteils als mehr sekundär und allgemein aufzufassen, viel weniger bedeutungsvoll sind. Wie zwischen den Steganopodes und Tubinares existieren deshalb auch zwischen der zuletzt angeführten Gruppe den Pelargo- Herodii durch- aus keine wirklichen intimen Beziehungen; hingegen finden sich zahl- reiche und bedeutsame Berührungspunkte zwischen den Pelargo-Herodü und Aceipitres. Dieselben bestehen hauptsächlich in der Heftung der Füße (ganze Heftung zeigen Hemiglottides, Scopidae, Ciconiidae, Ca- thartes und die meisten Vulturidae, halbe dagegen die Ardeidae und Falconidae), der Ausbildung der Puderdunen (wenig spezialisiert sind dieselben bei vielen Falconidae, besser entfaltet bei Balaeniceps, hoch und zahlreich entwickelt bei Herodii), der partiellen oder fehlenden Befiederung des Kopfes und Halses, der Anordnung der Flügeldeek- federn, der feinern Textur der Eischale, ferner in der hohen Aus- bildung der Pneumtatizität, in gewissen Verhältnissen des Rumpfske- lettes, zahlreichen Schädeldetails (sehr auffällig ist darunter nament- lich die gleiche Gaumen-Konfiguration bei jungen, eben flügge gewor- denen Exemplaren von Falco und Ardea (W. K. Parker), in der 394 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Verbindung beider Öoracoide mit dem Sternum, im quantitativ wech- selnden, aber qualitativ sehr ähnliehen Verhalten in der Ausbildung der Proc. procoracoideus und in der Verbindung der Furcula mit dem primären Brustgürtel und der Crista sterni, ferner in dem Verhalten der Mm. serrati superficiales, 'serratus profundus, pectoralis thoraeicus, pectoralis abdominalis, supracoracoideus, coraco-brachialis posterior, biceps brachii ete., sowie in dem Verhalten des Kropfes und des Muskelmagens, in der partiellen oder totalen Rückbildung der Caeca, der Syrinxmuskulatur, der Konfiguration des Penis- Rudiments und endlich auch durch mehrere Züge in der Lebensweise und anderes mehr. Zwar haben einige dieser Merkmale nur mehr sekundäre Be- deutung, andere sind mehr allgemeiner Natur, sodass sie, einzeln augewendet, auch für die Vergleichung mit anderen Vogelabteilungen benutzt werden könnten; in ihrer charakteristischen Summierung und zugleich in Verbindung mit den zahlreichen durchgreifenden und tiefer fundierten Uebereinstimmungspunkten repräsentieren sie jedoch schwer- wiegende Beweise für die wirkliche Verwandtschaft der Pelargo-Herodii und Aceipitres. Allerdings sind andererseits auch die mancherlei Dif- ferenzen, die beide Abteilungen trennen, gleich denen: zwischen den Pelargo-Herodii und Steganopodes nicht zu unterschätzen, aber eben- falls in der Hauptsache als sekundäre anzusehen. Speziell teilen die Pelargi mit den Cathardidae, die Herodii mit den Falconidae die größere Summe von Berührungspunkten. Nicht allein früher wurden, sondern auch in neuerer Zeit werden von einer Anzahl Forscher die durch die Hemiglottides vermittelten Beziehungen der Pelargo-Herodii zu den Limicolae aufrecht gehalten, Garrod und Forbes haben sogar (auf Grund des Verhaltens der Nasalia) die Hemiglottides von den Pelargo-Herodii abgetrennt und in nähere Verwandtschaft zu den Limicolae gebracht. F. kann aber diese Scheidung nicht billigen, sondern er will die Aemiglottides nur als die primitivste Abteilung der Pelargo- Herodii zu den Limicolae in Beziehung bringen resp. von limikolenartigen Formen ableiten. Er sieht in dem Verhalten der von ihm untersuchten Teile des Skelettes und der Muskulatur, sowie in einzelnen anderen Bildungen zwar ge- meinsame Züge, die aber keineswegs eine speziellere und intimere Verwandtschaft begründen, sondern nur der Ausdruck eines recht all- gemeinen genetischen Zusammenhanges sind, welche die generalisierten Vorfahren der Limicolae als Ausgang für zahlreiche Vogelgruppen und unter diesen auch für die Pelargo-Herodii annehmen lässt. Die Herodii haben auch mit den Fulicariae (Rallinae und Fuli- cariinae) manches gemeinsam. Beide Gruppen werden durch eine sehr allgemeine habituelle Aehnlichkeit verbunden, ferner geschieht dies auch durch das Verhalten des Xiphosternum, die relativ geringe Länge und Breite des Sternum, die Schwäche und geringe Spannung der Fureula, sowie das Verhalten ihres hinteren Endes, die relative Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 895 Schmalheit des Beckens, die Art des Ursprungs der Mm. serratus posterior und latissimus dorsi posterior und der Insertion des M. supra- coracoideus. Darunter sind einige Merkmale, und zwar namentlich im Verhalten der Fureula, welehe ausschließlich den Herodii und Fulicariae gemeinsam und deshalb gebührend zu schätzen sind. Aller- dings muss gleichzeitig auch bedacht werden, dass die Fureula zu den variabelsten Knochen gehört und überdies die übrige Ueberein- stimmung nicht derart sind, dass sie eine intimere Verwandtschaft beider Abteilungen hinreichend begründen könnten. Die Herodii dürfen daher nieht weiter von den Pelargi abgesondert und in größere Nähe zu den Fulicariae gebracht werden. F. sieht in diesen Aehnlichkeiten nur den Beweis paralleler Entwieklungslinien, welche von einem geolo- gisch sehr weit zurückliegenden gemeinsamen Ausgangspunkten beginnen. Nur eine solche Parallelerscheinung erbliekt F. auch in der des- mognathen Aehnlichkeit von Cancroma uno Podargus. Die gegenseitige Stellung der einzelnen Abteilungen der Pelargo- Herodii ist sehr verschieden beurteilt worden. Hier sei nur folgendes darüber bemerkt. Einige Autoren haben auch noch in neuerer Zeit Ibis (Cuvier, Kaup), oder Ibis und Tantalus (llliger, Eyton), Platalea (Illiger), Ibis und Platalea (Hemiglottides s. Platuleidae) (L’Herminier, Gar- rod, Forbes). /bis, Platalea und Tantalus (Bonaparte 1855) und Ibis und Anastomus (Reiehenbach) von dem Hauptstamme der Pelargo-Herodii abgetrennt, die Mehrzahl der Forscher aber dagegen diese Vögel mit dem Hauptstamme an Zusammenhang gelassen. Zugleich wurden die Pelargo-Herodii bald in 2 Abteilungen ge- teilt: Gattungen, Familien, Tribus, Cohorten, entweder in die Ardeidae (Herodii) und Ciconiidae (Pelargi) (dies geschah von Nitzsch 1829, Sundevall, Lilljeborg, Milne Edwards, Garrod, Gadow) oder in die Tantalidae und Ardeadae (Swainson), oder in Latirostres und Oultirostres (von De Selys 1842), bald auch in 3 Abteilungen, und zwar entweder in die Ciconüdae, Scopi/dae und Ardeidae (wie dies Vieillot und Weldon gethan) oder in die Hemiglottides (Pla- taleidae), Ciconiidae (Pelargi) und Ardeidae (Herodii) (Nitzsch 1840, Huxley, Wallace 1876) oder (nach Eyton) in die Plataleidae (exkl. Ibis), Ardeidae und Ciconiidae oder endlich (Schlegel) in die Ibidue, Ciconiidae und Ardeae — ferner zerlegte man die Pelargo- Herodii auch in 4, 5 und sogar in 6 Abteilungen. Das erstere that z. B. Reichenbach. Er teilte sie ein in Ciconiidae, Ardeidae, Bo- tauridae und Plataleidae; W. K. Parker hingegen zerlegte sie in die Ardeidae, Scopidae, Ciconiidae und Ibididae, Carus endlich in die Hemiglottides, Ciconiidae, Scopidae und Ardeidae. Zu 5 Abteilungen gruppierte sie Illiger, nämlich.in Ciconia, Ardea, Scopus, Cancroma und Anastomus, Bonaparte 1854, Fitzinger: in die Tantalidae, Plataleidae, Cancromidae, Ardeidae uud Ciconiidae, Reichenow und 396 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Brehm in die Ibidae, Oiconiidae, Scopidae, Balaenicipidae und Ardeidae. 6 Abteilungen, und zwar die Ciconüdae, Ardeidae, Cancromidae, Sco- pidae, Plataleidae und Tuntalidae machte aus ihnen Bonaparte 1855, während Des Murs sie in die Ciconiidae, Cancronüdae, Ardeidae, Tantalidae, Plataleidae und Balaenicipidae teilte. Ueber diese verschiedenen Gruppierungen äußert sich nun F. in folgender Weise. Unzweifelhaft weichen in vielen Zügen (nämlich hinsichtlich der allgemeinen Pterylose, der Puderdunen, Eischalen- struktur, des Sternum, der Furcula, Mm. serrati, pectoralis thoracieus, supracoracoideus, latissimus dorsi anterior, posterior und metapatagia- lis ete., der verschiedenen Ausbildung des Vinculum der Sehnen der langen Zehenbeuger, der Zunge, Glandula parotis, Darmlagerung, Zahl der Caeca, Muskulatur und sonstigen Ausbildung des Syrinx, Verhalten der thorakalen Luftsäcke ete.) die Pelargi und Herodii derart von einander ab, dass sie unzweifelhaft als Vertreter besonderer Familien angesehen werden müssen. Dazu kommt noch, dass beide Familien die teilweise angeführten Verwandtschaftsbeziehungen in eigentüm- licher Verteilung aufweisen (Pelarge und Cathardidae, Herodii, Fal- canidae, Eurypygidae, Rhinochetidae und Fulicariae). Diese Umstände legen die Vermutung nahe, ob nicht vielleicht eine diphyletische Ab- stammung der Pelargo-Herodii und eine bloße Konvergenz - Analogie der Pelargi und Herodii anzunehmen wäre. Aber genauere Erwäg- ungen und Vergleichung mit ähnlich liegenden Verhältnissen bei den Steganopodes, Accipitres ete. bewogen F. zu der Ansicht, dass eine Monophylie der Pelargo-Herodii (mit allerdings sehr weit zurück- liegenden Stammvater) existiere. Die Hemiglottides zeigen in ihrem Bau nähere Beziehungen zu den Pelargi als zu den Herodi. F. ist deshalb geneigt, den Ast der Pelargi- Herodii von Anfang an in die 3 Zweige der Hemiglottides, Pelargi und Herodii zerfallen zu lassen, von denen die beiden ersteren minder von einander divergieren als von -dem dritten. Auch F. ist der Meinung, dass unter den 3 Abteilungen die Hemi- glottides die tiefste Stellung einnehmen. Hinsichtlich der beiden andern Gruppen möchte er sich dahin entscheiden, dass jede dieser Familien auf besonderen Wegen zu einer relativ hohen Stufe kam und dass die Pelargi in der Entfaltung des ‚Brustgürtels und Flügels, des Digestions- apparates, der Pneumatizität ete., die Herodi dagegen in der Aus- bildung der unteren Extremität, der Pterylose, des Gefäßsystemes ete. eine höhere Entwicklung erlangten. Wenn nun auch die Pelargi ältere Typen als die Herodii repräsentieren dürften, so möchte F. doch die Entscheidung darüber, ob den ersteren oder den letzteren ein höherer Platz gebührt, jedem einzelnen Forscher selbst überlassen. [84] Dr. F. Helm. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer, Hof- und Univ,-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namen -Register. Abbe 308. Abelous 713. Agassiz 465 fg. Albrecht 759, 785. Aleock 349, Allen 65 fg. Allmann 466 fg., 836 fg. Altmann 384, 406. Ammon 311. Anderson 861 fg. Antipa 466 fg. Apäthy 288. Apstein 511. Arnold 706 fg. Arnstein 322. Arrhenius 620 fg. Arthus 706, 713. Audubon 69 fg. Auersbach 152. Babuchin 94, 684. Bachmann 69, 142, 212, 213, 599. Baer 282, 439. v. Baer 799. v. Baeyer 45. Balbiani 336, 694. Baldwin, J. Mark 385. Ballance 717. Ballowitz 717. v. Bardeleben 800. XVL. Barfurth 413, 415, 591. Bartels 162 fg., 226, 232. de Bary 105, 835, 868. Bässler 17, 34. Baumgarten 717. Beauregard 542. Beddard 266. 856. Bedot 383, 466 fg., 516 fg.., 832. Behrend 235. Belajeff 690 fg., 728. Bell 658. Bellognin 485 fg., 532 fg., 684. Bemmelen 222. Benecke 202, 277, v. Beneden 159, 747 fg. Beraneck 466 fg. Bergmann 608 fg., 684. Bernard, C. 783. Bernstein 91. Berteaux 764. Besser 502. Bethe 322, 625 fg. Betius 798. Bial 713. Biarnes 713. Bibrowski, Stefan 226. Bilharz 94. Birge 371. Bittner 660. Blainville 426, 847 fg. Blanchard 32, 207. Blochmann 201, 207. Blyth 68 fg. Bobretzky 388. Bock 72. Boettger 207. Bonaparte 574 fg., 847 fg., 895 fg. Böhm 10, 420. du Bois-Reymond 81, 770. Bokorny 1 fg., 33, 417. Boll 94, 502, 684. Bonnet 174. Bonnier 600 fg. Born 413. Botkin 716 fg. Bourne 466 fg., 513. Boulenger 717. Boveri 592, 723 fg. Brand 594. Brandes 239, 346. Brandt 322, 574 fg. Brandt, A. 161, 201, 226. Brandt, J.xEI 1177: Brauer 717. Braun 595, 688. Braun, M. 201, 207. Brefeld 140, 351 fg. Brehm 2%, 71 fg., 274, 574 fg., 847 fg., 896. Bremer 714,. 717. Brisson 574 fg., 847 fg. 57 898 Brockmaier 437. Bronn 430. Brücke 85, 99. v. Brunn 203, 383, 717. Bryhn 48. Buchner 428, 709 fg. Buckle 84. Budde-Sund 207. Bullemer 205, 383. Büllersbach 233. Bürger 207. Burmeister 574fg., 848fg. Burt-Wilder 764. Bütschli 58, 152 fg., 207, 257 fg., 286, 288, 291 fg., 305, 384, 410, 841, 869 fg. Calkins 690 fg., 733 fg. Calandruceio 867. Campell, Douglas 364. de Candolle 105. Canestrini 208. Cano 349. Canu 208. Car, Lazar 426. Carbonnier 277. Carnoy 159, 704, 722 fg Carpenter 308. Carriere 684. Carus574fg., 848fg., 89. Catchpool 128. Celakowsky 864. Celli 866. Certes 322. Chantran 346 fg. Chapeaux 466 fg., 520 fg. Charleyworth 68. Chrzonschtzewsky 321. Chun 207 fg., 315, 466 fg., 514 fg. Claparede 57 fg., 266, 317. Claus 317, 356, 574. Clessin 663. Condorcet 765. Cornay 582, 851 fg. Costa 886. Costantin 101 fg. Coues 574 fg. Crampton 388. Credner 657 fg. Crosse 660. Cruveilhier 765. Cuenot 832. Cuvier 576 fg., 848 fg., 89. Czerski 657, 664. Dahl 207. v. Dalla Torre 207 fg. Dallinger 305. Danielssen 466 fg., 524. Danilewsky 364, 867. Darwin 97, 127, 142 fg., 163 fg., 179 fg., 227 fg, 276, 600 fg., 838. Daub 572. Day 887. Dellinghausen 5837. Denissenko 502, 684. Descartes 587. De Selys 895. Detmer 544. Deutschmann 395. Dewitz 588. Diez 182. Disse 800. Dixon 695 fg., 737 fg. Doderlein 887. Doederlein 207. Dogiel 626 fg., 708 fg. Doherty 567. v. Donat 867. Donders 395. Dorfmeister 184. Douglas Campbell 364. Doyere 753. Driesch 592, 781. Drüner 868. Drysdale 305. Duge£s 427. Dujardin 58 fg. Duncker 785, 815. Dürigen 831. Dybowski, B. 658 fg. Dybowski, W. 659 fg. Eberhardt 259. Eberth 800. Eble 233. Alphabetisches Namenregister. Ebner 408. Ecker 167 fg. Ehlers 207 fg. Ehrenbaum 382. Ehrenberg 59, 321. Ehrlich 322 fg., 406. Eichwald 661 Eigenmann 787, 825. Eimer 142, 179fg., 213fg., 378 fg. Eisen 266. Eisenlohr 38. Eisler 756 fg., 800. Eismond 336. Elliot 580. Emery 142, 208, 267. Emmerich 711. Endres 720. v. Erlanger 142, 339, 723, 745. Errera 602. Escherich 542. Eschricht 167, 227. Exner 232, 317 fg. Eylmann 357. Eyton574fg., 848fg., 89. Fabre-Domergue 58 fg., 205. Fairchild 727. Faraday 91. Farmer 695 fg., 728 fg. Farland 726. Fatio 76 fg. Feletti 866. Fick 800. Fickert 187. Fischer 595, 660. Fischer, P. 662. Fitzinger 574 fg., 848 fg. Fleming 66 fg. Flemming 336 fg., 221 Te: Flögel 304. Flourens 764 fg. Flower 766. Flügge 710. Fodor 711. Fol 383, 388, 510. 693, Alphabetisches Namenregister, Foltz 764 fg. Forbes 576 fg., 852 fg., 895. Forel 684. Fraisse 413. France, Raoul 305 fe. Franklin 96. Freidenfelt 808. Frenzel 147, 190, 199, 364, 510 fg., 588, 801. Friedel 199. Friedenthal 288, 416, 705. Friedländer 684. Friese 208. Fritsch 94, Fuchs 659 fg. Fürbringer 573, 846, 893. Fürst 176. Fusari 684. Gadow 574 fg., 851 fg. Galeotti 322 fg. Galton 312, 485fg., 816fg. Galvani 9. Garbowski 128. Gardner 394. Garrod 574 fg., 847 fg., 895. Gätke 72 fg. Gauss 786. Gautier 30. Gebhardt 415. Gegenbaur 766. van Gehuchten 684, 694. Gerbe 871. Gerlach 321, 395, 592, 684. Gervais 574 fg., 855. Gerstfeldt 659 fg. Gevaert 602. Giard 208. Gierke 608, 684. Giesbrecht 207 fg., 316. Gilson 694, Gloger 69 fg. Goethe 765. Goldschneider 715. * Golgi 485 fg., 530 fg., 640 fg., 684, 866. Gosse 469. 485 fg., Goto 466, 521. Goulen 233. v, Graff 208. Graham 361. Grandidier 574, 852 fg. Grassi 866 fg. Gray 574 fg., 848 fg. Greef 881. Grenacher 317, 466 fg., 521 ‚fg. Grobben 350. Grube 659. Gruber 881. Gryns 624. Guignard 737 fg. Guliek 128. Gürber 623. Gutzwiller 546. Haacke 233, 719, 831. Haase, Erich 187 fg. Haast 585. Haeckel 127 fg., 238, 321, 411, 466 fg., 880. Häcker 689, 721. Hahn 710. Hahnel 188. Hallez 832. Halliburton 832. Halske 97. Hamann 473 fg. Hamburger 620, 711. Handlirsch 207. Hardy 466, 514. Harmsen 713 fg. Hartert 66, 208. Hartlaub 574 fg. Hartleb 8. Hartog 305. Hartwig 802. Harvey 84. Hase 172. Hassall 136. Hatschek 588, 766, 882. Hauptfleisch 293, 299. Hausen 94 fg. Hauy 85. Headley 77. 899 Hector 585. Heck 831. Heidenhain 321, 512, 751, 800. Heidegger 510. Heider 484. Heincke 201, 382. Held 512. Helm 396. Helmholtz 85 fg., 587. Henle 85, 395. Henking 199 fg., 381. Henneguy 205, 750. Hensen 190 fg., 364 fg., 510, 685. Hermann 89 fg., 749. Herberstain 794. Herbert 585 fg. Hermes 886. Herrick 349, 502. Hertwig, 0. 205, 395, 415, 469 fg. 591 fg., 685, 695, 720, 749, 766, 769 fg., 838. Hertwig, R. 336, 469, 704, 727, 831. Hertz 589. Hessler 72. Hessling 395. Heuscher 210 fg. Heymons 393 fg. Hickson 466 fg. Hirsfogel 794. His 485 fg., 537, 642, 685. Hochreutiner 100. Hochstetter 800. Hoernes 585. Hoernes, Rud. 657. van t’Hoff 620. Hoffbauer 205. Hoffmann, C. K. 892. Holl 761, 766, 800. v. Homeyer 71 fg. Hudson 386. v. Humboldt 657 fg. Humphry 766. Hunt 67 fg. Huxley 574 fg., 629, 766, 847 fg. Hyatt 182. 57% 900 Alphabetisches Namenregister. Jacob 715. Kölliker 169, 384, 395, v. Lenhossek 486, 534 fg., Jaktoröwka 798. 489 fg., 609, 666 fg., 674, 685. James-Clark, H. 55 fg. 685, 746, 754, 766, 812. Lenz 201, 208. Jameson 66. Kollmann 552 fg., 814. Lepine 713. Jammes 832. Kolosoff 409. Lesson 847. Janet 267 fg. Konow 208. Leuckart 359 fg. Janowsky 706, 717. Kopsch 885. Levi 512. Jaquet 832. Korolew 709. Lewit 714 fg. Jensen 883. Korotneff 474 fg. Leydig 231. Jewtichjew, Adrian 163. Korschelt 147fg., 734 fg., L’Herminier 574fg., 848fg.., v. Ihering 267 fg. 868. 895. Jickeli 473, 513 fg. Koschevnikow 685. Lieberkühn 259 fg. Nlliger574 fg., 847fg., 895. Kossel 886 fg. Liebig 84. Joest 415. Kostanecki 751. Lilienfeld 713 fg. Jolles 755. Kowalewsky 322, 358. Lillie 388, 393 fg. Jones, Annie 227. Kraepelin, K. 201, 208. Lilljeborg 574 fg., 848 fg., Jönniges 393. Kramer 208. 89. Joubin 832. Krao 175. Lindau 288, 352, 376. Ischikawa 690, 733 fg. Kraus 240. v. Linden 179, 213, 428. Juel 744. Krause 766. Lindner, G. 865. Julien 766. Krauss 207. Linne 574 fg., 847 fg. Julin 832. Krukenberg 754. Lo Bianco 886. Julius 323. Kruse 866. Loeb 414, 592. Iwanzoff 465 fg., 576 fg. Kudelski 337. Loew 2 fg., 38 fg. Kuhnt 800. Loewe 488, 685. Kükenthal 145. Loewit 717. Kant 770. Kultschitzky 400. Lohmann 208. Kastschenko 892. Kunstler 832. Loisel 396, 398. Kaup 574 fg., 848 fg., 895. Kuthy 711. Loos 718. Keeler 77. Lornsen 382. Keferstein 430. Labb& 688. Lotze 771 fg. Keibel 893, Lachmann 56 fg. Lubbock 272. Keller 99, 241, 440, 545 fg. Lahousse 485 fg., 607, 685. Lubimoff 483, 502, 685. v. Kennel 161 fg., 229 fg. de Lamarque 835. Ludwig 96. Kelvin 589. Lang 430. Lugaro 485 fg, 533 fg., Kilian 39. Lankester 266. 611, 640 fg., 667 fg., 685. Kinoshita 16. Lartet 585 fg. Lukianoff 834 fg. Kirchhoff 779, 831. Latham 582, 851 fg. Lund 22 Kirchner 593. Latschenberger 708. Lütken 22, 27. Klebahn 299 Latreille 848. Klebs 10, 40, 129. Latzel 207. Kleinberg 468. Laurent 6 fg. Mac Farland 726. Klinckowström 733 fg. Lauterborn 208,286,289 fg. Magendie 84. Knop 130. Laveran 865 fg. Magigot 178. Kobelt 207 fg. Lebedinsky 113. Magini 685. Koehler 832. Lebrun 704. Magnus 85. Koenig 424. Lehmann 623. Malepa 432. Koeppe 623 fg., 711. Lemoine 585 fg. Mannaberg 865 fg. Kofoid 393. v. Lendenfeld 208, 282 fg., Maregraf 848. Kolbe 207 fg. 439 fg., 465, 513. Marchiafava 866. Alphabetisches Namenregister. Marchal 267 fg. Mark 160. Marmoree 712. Martens 147, 661, 831. Martin 766. Martins 759 fg. Massurow 177. Mateucei 84. Matschie 831. Matzdorff 199, 381. Maurer 172. Maxwell 589. Mayer 364. Mayer, Paul 349 fg. Mehnert 800, Mehring 624. Meisenheimer 393. Melzer 756. Menge 712. Merkel 174, 800. Merrem 851 fg. Merrifield 184, 56! fg. Mesnard 250. Metschnikoff 709 fg., 866. Mewes 73 fg. Meyer 395. Meyer, A. 6 fg., 420. Meyer, R. 886. Meyer-Dürr 564. Meyer, Herm. 760. Michael 203. Michaelsen 208, 260 fg. Michailow 755. Michalkowiez 685. Mik 207. Milne Edwards 848 fg., 895. Milz 207. Minot 180, 185, 221 fg., 497, 685. Mitrophanow 322. Möbius 201 fg., 207, 383, 469. Mohl 835. Möller 351. v. Monaco 316. Moniez 832. . Monti, Rina 637 fg. Moore 694 fg., 722 fg. Moquin-Tandon 427. 574 fg., Morgan 385 fg., 415, 592. Mottier 690 fg., 728 fg. Müller 201. Müller, Erik 592. Müller, H. 600. Müller, Johannes 84 fg., 191, 364. Müller, O. 287, 289. Murbach 465 fg., 515 fg. Murrich 467. des Murs 574 fg., 847 fg., 896. Nadson 841. Naegeli 2 fg., 47, 181, 620. Nagel, W. 280, 800. Nalepa 208. Nasonow 832. Neef 85. Nehring 547 fg., 794. Nekrassow, Marie 227. Nemec, Bogumil 640. Nencki 755 Neugebauer, L. 226. Neumann, Lina 175 fg. Neumayr 658 fg. Neumeister 755. Newton 576 fg., 848 fg. v. Neuwied 848. Nieeville 567. Niesch 545 fg. Nitzsch 574fg., 847 fg., 895. Nobili 85. Noll 650. Nrech 223. Nusbaum, Jözef 260, 625. Nussbaum, M. 467 fg., 513 fg. Nutall 710. Obersteiner 502, 532, 608, 620, 685 fg. Oborny 862. Ochsenius 658. Oehl 407. Oesten 193. Oglivie-Grant 77, 208. Ogneff 396, 488. yo Ord 66 fg. Ortmann 208, 385. Osborn 385 fg. Osterhout 700, 728 fg. Qustalet 832. Overton 621 fg. Owen 574 fg., 851 fg. Paget 232. Pallas 658. Paris 205. Parker 574 fg., 847 fg., 893. Pasteur 834. Pastrana, Julia 162 fg. Patten 317. Patzelt 863. Pearson 831. Pelsener 832. Penk 546, 664. Perez 603. Perrier 266. Peschel 657, 664. Peter der Große 179. Peters 242, 886. Petersen 818, 825. Petri 415. v. Pettenkofer 36 fg., 425. Pfeffer 41, 207 fg., 322, 588, 620. Pfeifer 37, 875. Pfeuffer 408. Pfitzner 800. Pflüger 87 fg. Piersing 208. Plate 208, 430 fg. Plateau 599. Plinius 796. Pohl 85. Poisseuille 524. Poljakow 39. Popoff 485, 530, 605, 640, 664. Poulton 571. Präuscher 178. du Prel 127. Prenant 336. Prenaut 832. Prowazek 587, 879. Pızesmycki 321, 353, 902 Przewoski 717. Puffinus 576. Purkinje 407 fg. Purland 177. Puschmann S00. Quatrefages 427. Quenstedt 585. Rabl 754. Radele 658. Radklofer 39. Railliet 832. Rakowski 260. Ram-a-Samy 175. Ramön y Cajal 485 fg., 532 fg., 609 fg., 641 fg., 665 fg.. 686. Rankine 587. Ranvier 395. Raoult 623. Rath 625 fg. vom Rath 696 fg., 722 fg. Räuschel 409. Rawitz 308 fg. Recklinghausen 407, 706fg. Reichel 147. Reichenbach 574fg., 3481g., 895. Reichenow 207 fg., 847 fg., 89. Reissig 323. Remak 39. Retzius485 fg., 609, 625 fg.., 666 fg., 686. Rhode 686. Rhumbler 208. Ribbert 716. Richard 208, 280, 832. Rimsky-Korsakow 257. Rindfleisch 686. Romanes 128, 187. Römer 715. Roscoe 249. Rosenthal, J. 81, 590. Rosenthal, Werner 30, 411. Rossbach 686. Rossmässler 147. 576, Rotschild 66. de Rotschild, L. W. 208. Roule 832. Roux, W. 413 fg., 591 fg., 720, 769 fg., 838. Rückert 692 fg., 733 fg. Rudolphi 105. Ruthven 296 fg. Rywosch 733. Sabatier 764 fg. Sachs 94. Sala 723. Salkowski 723. Salvin 582, 849 fg, Sandberger 661. Sarasin 556. Sarassin 588. Sargant 693 fg., 732 fg. Sauerwald 97. Saunder 68. Schäffer 222. Schaper 485 fg., 532 fg., 607 fg., 644 fg., 673, 686. Schattenfroh 710. Schaudinn 208, 467 fg., 727, 883. Schenk 100. Schenkling 6D. Schewiakoff 259 fg., 727, 8831. Schiemenz 799. Schlater 588, 833. Schlegel 574 fg., 848 Tg., 895. Schlegel, Herm. 70 fg. Schleiden 770, 835. Schlewiakoff 881. Schmeil 208. Schmidt 42. Schmidt, F. W. 864. Schmidtlein275,280, 886fg. Schmiedeknecht 208. Schneider, K. C. 467 fg., 514 fe. Schoch 875. Schopenhauer 772. Schott 308. Schreber 658. Alphabetisches Namenregister. Schreiber 212. Schreiber, Witold 625. Schröter 209, 593. Schultze, M. 94, 290. Schultze, 0. 384, 592, 687. Schulze, F. E. 266 fg;, 278 fg. Schumacher 708. Schützenberger 31. Schwalb 880. Schwalbe 281, 408, 619, 686, 800. Schwann 85, 395, 835. Schweizer 545. Schwendener 771. Selater 577 fg., 847 fg. Seitz 207, 572. Selenka 831. de Selys 574, 847fg., 895. Semper 542. Seneca 796. Severtzoft 75 fg. Sharpe 77, 208, 574 fg. Sherrington 717. Shwe-Maong 169. Sibmacher 798. Sicherer 712. Siebenmann 800. Siebold 58 fg., 162, 167. Siefert 284. Siemens 99. Simon 832. Simroth 182, 427. Sjobring 841. Slaby 831. Smith 798. Solger 512. Sörensen 25. Spee 800. Spencer 127, 838. Spengel 207 fg., 814 fg. Spitzer 713. Spuler 559, 708. Stahl 375. Stahr 273. Standfuss 184, 566. Stead 826. Stebbing 208. Stefani 485 fg., 532 fg., 684. Steffens 83. Alphabetisches Namenregister. Stein 58 fg., 871 fg. Stephenson, Ware 308. Stettler 658. Stieda 686, 756. Stoklaser 11. Stoliezka 662. Stölzle 799. Strasburger 689 fg., 741. zur Strassen 344. Strasser 711. St. Remy 832. van der Stricht 726. Studer 547 fg., 832. Sudakewitsch 395. Sundevall 574 fg., 847 fg., 89. Sussdort 173. Susta 23. Swanson 574 fg., 847 fg., 895. Syme 128. Tänzer 398. Temminck 66, 847 fg. v. Thanhoffer 631. Thaxter 375 fg. Thiele 814. Thilo 20. Thompson 587, 785, 820, 826. Tiebe 605. Timofejewski 715 Toldt 800. Topsent 832. Tornier 376, 848. Trappe 624. Traube 620. Traube - Mengarini, gherita 29. Trinchese 167. Troussart 832. Tschermak 588. Turenne, A. 765. 574 fg., Mar- Ude 261. Unbehaun 124. Unger 686. Unna 167, 398. Ursler, Barbara 165. Utzel 208. Valentin 409, 686. Vaucher 135. Vejdovsky 359. Verhoeff 542. Verworn 706, 838. Vialleton 746 fg. Vieq d’Azyr 764 fg. Vieillot 895. Viguier 467 fg., 520, 524. Vignal 488, 686. Virchow 163 fg., 233, 395, 407, 835. Vöchting 415. Vogt 178. Voltz 9. de Vries 620 fg., 838. Wagner, J. 467 fg., 832. Wagner, M. 183. Waldeyer 166, 174, 235. Wallace 576 fg., 848 fg., 895. Wallengren 55, 881. Walter 199. Walthard 712. Ware Stephenson 308. Warren 785 fg., 820, 826. v. Wasielewski 688, 875. Wasmann 800. Watase 746 fg. Weber 84. Weber, C. A. 862. Weber, Max 832. Weisbach 297. Weigert 687. Weinland 74 fg. 903 Weismann 142fg., 182 fg., 270, 386, 560 fg., 592, 783, 838. Weiss 711, 717. Weldon 785 fg., 820, 826, 848 fg., 895. Weltner 147, 208. Werner 381, 861. v. Wettstein 861. Wetzel 415, 592. Wheeler 703 fg. Whitear 66. Wiedemann 8. Wiedersheim 768. Wierzejski 389. Wiesner 239, 243 fg. Wilekens 796. Wille 132 fg. Wilson 467, 513 fg., 592, 131. Winkel 205. Wohltmann 632. Wolff 592. v. Wolter 400 fg. Wooldridge 707 fg. Wrzesniowski 797. Würtenberger 182. Yarrel 66 fg., 171. Zacharias 241 fg. Zacharias, H. C. E. 858. Zahn 415. Zander 800. Zelinka 208, 832. Zeller 884. Zenker 880. Ziegler 152 fg. Ziehen 800. Zimmermann 705. Zoja 415, 465 fg., 516 fg., 592. Zschokke 320. Zuckerkandl 800. Zvennerstedt 56 fg. Alphabetisches Sachregister. A. Aal 202. Abänderungsspielraum 311. Abramis ballerus 201, vimba 201. Acanthias vulgaris 201. Acanthiptera inanis 272. Acanthopleurus 28. Acanthurus 28. Accipiter nisus 77. Accipitres 576 fg., 582, 848 fg., 893 fg. Accommodation 387. Acetessigester 4 fg. Acephalen, Nervensystem der 808. Acer campestre 247. Acerina 28, cernua %02, 381, Strahl- zahl der Flossen 785, 815. Achnanthidium flexellum 595. Acrochordus 860. Achromatische Teilungsfigur 721. Acipenser sturio 201. Ackerwühlmaus 547. Actinia equina 474, 484. Actinien 204, 364, 465 fg., 5il3fg., 592. Actinosphaerium 324 fg., 355 fg. Actinosphandium 332. Actinophrys sol 727 fg., 885. Adamsia 347, 5l4fg., Rondeletii 468 fg. Adrian Jeftichiew 163. Aeoliden 484. Aeolis Farrani 487. Aepyornis 586. Aepyornithidae 586. Aequorea forskalea 704. Aethylaldehyd 423. Aethylalkohol 3 fg. Aethylen 6 fg. Aethylendiamin, Verhalten der Bak- terien gegen 46. Aethylenglykol 14. Affen, Behaarung der 231. Affenmensch 178. Agalma 479, 520 fg., 470 fg., claussi 447 fg., rubrum 520. Agesilaus 216 fg., Protesilaus 183, 214 fg. Agestes 189, 214. Agnopterus 851. Ajax 215 fg., Marcellus 217, Walshii 217. Aiptasia 480, 517. Aktionsströme 92. Albinismus 755. Albizzia moluccana 247. Alca impennis 585. Alecidae 574 fg. Alcyonium digitatum 204. 476, 479 fg. Aldehyde 4, Erhöhung der Nährfähig- keit org. Subst. durch die Aldehyd- gruppe 4, Giftwirkung der A. 4. Aldrovanda 40, 100. Alebion 189, 223 fg‘, Paphus 214. Alectorides 847 fg. Alectoromorphae 847. Alexine 710 fg Algen 209 fg., 375, 417, 594, Be- dingungen der Fortpflanzung der 129, des Bodensees 594 fg., inkru- stierende 597 fg., org. Ernährung der 5 fg., 35 fg., des Rheins 36 fg. Algenreinkulturen 130 fg. Algiroides 379. Sachregister. Alheris 860. Alkaloide, Wirkung der auf Leuko- eyten 708. Alkohole, Nährwert für Pflanzen 3 fg. Allium 731 fg., fistulosum 690. Alpenhaase 549. Alpenlerche 550. Alpenschneehuhn 549. Althaea rosea 602. Alytes 378. Ameisensäure 2. Amidokörper, Nährwert f. Pflanzen 15. Amitose 337 fg. Ammer 547. Ammocoetes 379. Ammodytus lanceolatus 202, tobianus 201, 203. Ammoniak 420 fg., weinsaures 423 Ammonitenschalen 182. Ammonites arietiformis 558, formis 558. Amoeba binucleata 727, radiosa 879. Amoeben 512, 802, 866 fg., 878. Amphacanthus 28. Amphibieneier 378 fg. Amphibienlarven, Farbe der 378 fg., Verwachsungsversuche mit 413, 591. Amphioxus 379, 592, 729 Amphipoden 318 fg. Amphisile 28. Amphiura filiformis 203. Amylalkohol 7. Anabaena flos aquae 210, circinalis 59. Anarrhichas lupus 201. Anas 582, acuta 548. Anastomus 855. Anatidae 582. Anatinae 584. Anatomie des Menschen, Handbuch der 800, Lehrbuch der mikrosk. 383. Ancylus fluviatilis 437, sibiricus 699. Androcles 214 fg. Anemona japonica 604. Anemonia sulcalta 474. Anguilla vulgaris 201. Anhymenia Stein 61. Anilin 9. s Anneliden 324, 388, 412. Anodonta, anatina 813, centrales Ner- vensystem der 808. subroti- 905 Anpassung 126 fg., 315 fg., 567, funk- tionelle 274, phanerogamischer Land- pflanzen an das Leben im Wasser 99. Anpassungserscheinungen des Phyto- plankton 211. Anseranatinae 585. Anseres 574 fg., 847 fg. Anseriformes 576 fg. Anthemodes ordinatus 472. Antheus 217, evombaroides 217. Anthocaris 572. Anthomia 272. Anthophyten 210. Anthozoen 469, 479. Anthrax-Baeillus 212, 841. Anticrates 215 fg. Antiphates 183, 214 fg. Antipyrin 9. Antirrhinum majus 601. Anuren 378 fg., 859. Apaturen 569 fg. Apfelsäure 4 fg. Aphanizomenon 373. Aphanocapsabrunneab98, castagnei598. Aphanochaete Braunü 138, repens 138. Aphrodite 203. Apis 269, mellifera 602. Apoica 273. Apolemia uvaria 471 fg. Aquila fulva 550. Arachnomysis 316 fg. Arami 852 fg. Aramidae 855. Aramnis 856. Araschnia 570, levana-prorsa 564 fg., porima 564 fg., strigosa 570. Arbeit, geistige, Einfluss auf die Er- müdung der Schüler 440. Arcesilaus 216. Archaeopteryx 587, 849 fg. Ardea 893. Ardeidae 851 fg., 893 fg. Arenicola marina 203, minor 203, pis- catorum 205. Argala 854. Aristaeus 216 fg. Aristeoides 216 fg. Aritheus 217. Arius 28. Arm, Homologie von A. und Bein 756. 906 Armleuchtergewächse 39, 94. Arrhenoidie 228, 239. Artbildung bei den Schmetterlingen 1792 215} Artefakte vom Schweizersbild 557. Arthropoden 324, 412. Articulata 411 fg. Arvicola 549, agrestis 547, amphibius 547 £., arvalis547 f., glareolus 547, gre- galis 547, nivalis 547, ratticeps 547 fg. Ascaris 693, 722, lumbricoides 239, megalocephala 153 fg., 340 fg. Askoidien 877. Asparagin 2 fg., 34. Asparaginsäure 8. Aspirotricha 324. Assimilation 773, der Kohlensäure 1, organischer Stoffe durch grüne Pflan- zen 1 fg., 33. Astacus 346 fg., 625 fg., vulgaris 349, Astatisches Nadelpaar 85. Asterias 185, 218 fg., glacialis 204. Asterionella gracillima 211. Astrangia danae 469, 418 fg. Atavismus 143 fg., 167, 185, 230 fg., 313, 378, 565, 729 fg. Atlantis 315. Atmungsorgane der Vögel 282. Atracaspis 379. Atrichie, angeborene 173. Attraktionssphäre 747. Auerhahn 547. Auge 315 fg., Anpassung ans Leben bei schwacher Belichtung bei Crusta- ceen315 fg., pelag. Organismen 315 fg. Auricula Judae 351. Auricularia 351. Auslese, natürliche 311. Auster 204. Autobasidiomyceten 352. Autoblasten 844. Autokineonten 774. Automerizonten 774. B. Bacillariaceen, Ortsbewegung der 289. Bacillus anthracis 212, 841, subtilis 212, tumescens 212, physiologische Be- dingungen der endogenen Sporen- bildung 212. Sachregister. Bacterium lineola 306, prodigiosum' 842, termo. 306. Bagrus 88. Baicalia sensu stricto 662. Baicaliinae 662. Baikalsee, Fauna des 657. Bakteriaceen 807. Bakterien 3 fg., 354, 410, 422 fg., 512, 594 fg., 802, 833, Biologie der 833, chemische Fähigkeiten der46, Fähig- keit des Blutes B. zu vernichten 833, der Flüsse 37 fg. Balaena mysticetus 201. Balaenicipidae 852 fg., 896. Balantitium 324, 327. Balanus crenatus 204. Baldriansäure 7. Balistinen 23. Balistes 28. Bär 547 fg., 551. Barbe 28. Barbus fluviatilis 280. Barsch 22 fg., 28. Bart der Mannweiber 161 fg., 226, des Menschen 161 fg., 226 fg. Basidiobolus 724, ranarum 727. Basidiomyceten 351. Basilikum 256. Bastardbefruchtung kernloser Eifrag- mente von Seeigeln 592. Batrachium 38. Batrachospermum 40. Befruchtung der Nematodeneier 152, 339, Unmöglichkeit der 186. Begattung der Dekapoden 346, der Goldfische 275 fg. Beggiatoa 803, 840, arachnoidea 598. Beggiatoen 37 fg. Behaarung des Menschen 461, 226 fg. Bein, Homologie von Arm u. B. 756. Bellannites 558. Bellerophon 189 fg., 214. Beleuchtungsapparate 288. Belone vulgaris 201. Benedictia baicalensis 662, fragelis 662, limnaeoides 659 fg. Bentheuphausia 316. Benzo&säure 2 fg. Bergmann’sche Fasern 609. alba 37, 598, Sachregister. Berliner Gewerbe-Ausstellung, Fische- rei auf der 199, 381. Bernsteinsäure 3 fg. Betula alba 247. Bewegungserscheinungen bei Diato- meen 287. Bewegungsorgane der Pulmonaten 426 fg., der Vögel 573, 846. Biber 549 fg. Biene 599. Bierhefe, Ernährung der 20. Biflagellaten 305. Bioblasten 406, 842. Biocönose 205. Biogenen 838. Biogenetisches Grundgesetz 236 fg. Biologische Anstalt auf Helgoland 382. Biologische Station „Müggelsee* 801. Biophoren 838. Birkhahn 549. Bison 549, 794, americanus 795, euro- paeus 79. Blatt der Wasserpflanzen 100 fg. Blepharisma lateritia 869. Blepharismen 869 fg. Blumen, Anlockung der Insekten durch 599, Duft abgeschnittener 253 fg. Blutdrüsen von Pontodrilus 266. Blütenpflanzen des Bodensees 594 fg., des Rheins 38 fg. Blutgefäße der Extremitäten 763. Blutgerinnung 706 fg. Blutkörperchen, weiße, Funktion der 705, rote 706 fg. Blutparasiten 865 fg. Blutplättchen 713. Blutscheiben 717. Blutserum 706 fg., Farbe des 755. Boa 859. Bodenflora des Bodensees 594. Bodensee, Vegetation des 594. Böhmen, subfossiles Vorkommen von Trapa natans in 861. Boiden, Phylogenie der Kopfschilder bei 858. Bombinator 378, igneus 413. Bombus 600, hortorum 602, terrestris 602. Bos primigenius 592, Brachiceros 552. 794, taurus 907 Botanische Wanderungen in Brasilien 544. Botauridae 855. Botrydium granulatum 134. Botryococcus Brauniü 211, 595. Boulengerula boulengeri 377. Brachs 28. Brachyotus palustris 550. Brachyuren 203. Branchiopneusten 436. Branchiopoda 324. Branchipus 317, 691. Brasilien, botanische Wanderungen in 544. Brassica oleracea 602. Bromgehalt des Fluss- wassers 425. Brutpflege der Fische 22 fg. Bryodrilus ehlersi 261. Bryozoen 204. Buceinium undatum 203. Bufo 379, 413, 550, 859. Buitenzorg, pflanzenphysiolog. teilungen aus 239. Bulbochaete nana 598. Bumilleria 138, exilis 138, sieula 138. Bunodes gemmaceus 526. Bursarina 324. Butomus umbellatus 600. Buttersäure 3 fg. Butylalkohol 7. Bythotrephes 319. und Meer- Mit- Cacalia 6. Calamostoma 28. Caligus 203. Callidina symbiotica 324, 330 fg., 355 1g. Callitriche 38. Callocephalus vitulinus 658. Calothrix parietina 597. Calwerleyi 219. (Cancer pagurus 204. Canceroma 855 fg., 895. Cancromidae 855 fg., 895 fg. Canis lupus 547 fg., vulpes 547 fg. Canthocamptus 691, 693, 737. Capra hircus 552, ibex 549. Capreolus caprea 549, 552. 908 Capria sturdzü 476 fg. Carabus 182. Caranz brachurus 202. Carassius vulgaris 56. Carbo 581. Careinus 316, 639, maenas 204, 820 18. Cardium 205, edule 204, 663. Carex 243. Cariama 847. Cariamidae 847 fg. Cariaminae 855. Carmarına hastata 4:0 fg., 515 fg. Carnoy’sche Zellplatte 159, 343. Carpinus betulus 247. Caryophyllia 484, 522, eyathus 479. Cassis madagascariensis 205. Castor fiber 547, 552. Cathartes 893. Cathartidae 576, 848, 894 fg. Cecomorphae 574 fg. Cedrela serrulata 247, odorata 247. Celadon 216. Centaurea ceyanus 601 fg. Centriscus 28. Centrarchus 816. Centroplasma 747. Centrosomen 746 fg. Cephalopodenscheibe, Spindelbildung in den Zellen der 745. Cerastes 860. Ceratium hirundinella 211. Ceratophora 859. Ceratophrys 859, Oerchneis tinnunculus 547. Cereopsinae 585. Cereopsis 582, 847 fg. Cerianthus 477 fg., 522, borealis 478 fg., 524. Cerocoma 544. Cervus elaphus 549 fg., alies 552. Chaetogaster diaphanus 324, 359, dias- trophus 324, 359 fg. Chaetonema irregulare 53. Chaetopoden 324, 412. Chamaeleon bitaeneatus 377, dilepis 377, elebioti 377, fischeri 377, höhnelii 377, leikipiensis 377, owenüt 859. Chantransia chalybaca 37, 40, I. Characeen 39. maral 549, Sachregister. Characium apiculatum 598. Charadriidae 574, 847 fg. Charadriiformis Limicolae 574. Chartergus 273. Chauna 847. Chemotaxis 414. Chenalopex 849. Chenomorphae 847. Chenornis 579 fg. Chersydrus 860. Chaettusia gregaria 75. Chilifera 324. Chilodon cucullus 876 Chilodonen 869 fg. Chimpanse, Schädel von 556. Chinasäure 3 fg. Chionididae 574 fg., 847 fg. Chionis 848. Chlamydomadinen 210. Chlamydomonas Ehrenbergii 138, media 138, parietaria 138. Chloral-2. Chlorophyceen 37 fg., 210. Chlorophyll 33 fg. Chlorophyllose Zellen grüner Pflanzen, Ernährung der 34. Chordonia 411 fg. Chorinemus 28. Chromatin 747 fg., der Keim - Mutter- zellen 691, des Zellkerns und Zell- körpers 842. Chromatin-Cytoblasten 842 fg. Chromatische Substanz, Verhalten bei der Mitose bei Nematodeneiern 340fg.., bei tierischen u. pflanzl. Geschlechts- produkten 690 fg., 721 fg. Chromatium 840. Chromatophoren der Diatomeen 286. Chromosomen 749. Chrysomonadinen 210. Chrysophanus 560. Chydorus sphaericus 374. Ciconia 851 fg., alta 854, 895. Ciconiidae 585, 851 fg.. 893. Ciconiüiformis 576 fg., 857. Ciliata 324 fg., 353, 869 fg. Cirrhipedien 204. Cladoceren 319, 324. Oladophora 6 fg., 37 fg., glomerata 37- Cladophoren 37 fg. Sachregister. Cladothrix dichotoma 37, 598, 840. Clathrocystis aeruginosa 210. Clepsine 324, 558. Oliona 204. Closterium gracile 5983, lunula 595, moniliferum 598, strigosum 595 fg. Clostridium butyricum 840. Clupea alosa 201, harengus 201, sprat- tus 207. Cnemiornis 582 fg, caleitrans 582. Cnidae cochleatae 469. Cnidaria 411, Nesselzellen der 465, 513. Cobitis 28. Coccinella 145. Coceoneiden 301. Coelastrum cambricum var. elegans 2!1. Coelenteraten 411 fg., 465. Coelomarien 411 fg. Coelosphaerium Küntzingianum 210. Coereba TO. Coffein 419. Collemaceen 375. Collidina symbiotica 325 fg. Colonna 217. Colpidium 324, 332 fg. Colpoda cucullus 869. Colpoden 869 fg. Coluber obsoletus 379. Colubriden 379. Colubrinen 860. Columba livida 222. Colymbidae 574 fg., 853. Comephorus baicalensis 659. Compositen 6. Condor 234. Conferva bombicina ß minor 137, minor 437: Conferven 11 fg., 137. Conger vulgaris 201. Conidienbildung bei Mucor racemosus 139. Conjugaten 40. Convallaria majalis 253. Convolvulus sepium 604. Copepoden 203, 316, 324, 692 fg., 725. Coregonus lavaretus 201, oxyrhynchus 201. : Coretra 373. Cornus sanguinea 247. Corophium longicorne 204. 909 Corvus corax 550, cornixz 550. Corydalis cava 249. Corylus avellana 247. Coryphella landsburgi 484. Corystes cassivellaunus 203. Cosmarium holmiense 598, laeve 598, pseudogranatum 598, suberenatum593. Cottiden 785. Cottus 822, bubalis 201, gobio829 fg., qua- _ drieornis 201, 659, scorpio 20, 201,204. Cotylorhiza 480. Cracidae 583, 847. Crambressa 475, mosaica 472. Crangon 204, allmani 203, 204, 826. Crassulaceen 419. Crelabrus pavo 275. Cricetus phacus 547, vulgaris 547 fg. Crocidura 547, 551, ceraneus 549. Crotalus 860. Crustaccen 324, 412, 695, Anpassung der Augen an das Leben im Dunkeln 315 fg., Augen der 315 fg., limne- tische des Mendota-Sees 371, peri- pheres Nervensystem der 625. Ctenophoren 433, 468 fg, 631. Cucullidae 847. Cucurbita Pepo 241 fg. Cultellus pellucidus 203. Cultirostres 855 fg., 895. Cumalinsäure 8. Cursores 852. Cyanecula 72. Cyanophyceen 410, 433 fg. Cycladeen 814. Oyclochaete 58, spongillae 58. Cyclocoela Hologyri 857. Uyclodinina 260. Cycloporus 733. Cyclops 324, 356 fg., 373 fg., 723 fg, brevicornis 723 fg., Kernteilung im ersten Furchungsstadium 673. Oyclopterus lumpus 201. Cyclostoma elegans 827. Cyclostomen 379, Cyclotella 211, bodanica 595, comta 595, var. melosiroides 595 fg., var. oligactis 595, operculata 595, var. pauci-punctata 595, quadırjuncta 211, var. radiosa 595. vulgaris 910 Cygninae 585. COygnus 582 fg., 849, 851. Oylichna eylindracea 205. Cymatopleura elliptica 595, solea 595. COymbella 40, affinis 595, cuspidata 299, gastroides 295, helvetica 595, hercy- nica 598, leptoceras 595. Cytarme 414. Cytoblasten 839 fg. Cytochorismus 414. Cytolisthesis 414. Cytoplasma 746. Cytotaxis 777. Cytotropismus 414, 773. D. Dachs 551. Dactylopterus 25, 27. Dahlia variabilis 10, 599 fg. Dandebardia rufa 433. Daphnia 324, 356, Ayalina 373 fg., pulex 374, pulicaria 373 fg., retro- curva 373 fg. Daphniden 319 Darwinismus 179. Deiter’sche Zellen 811 fg. Dekapoden 317, 346, Begattung der 346. Delphinium consolida 602. Denticeti 173. Descendenzlehre 376. Descendenztheorie 124, 142, Desmidiaceen 136, 301. Desmognathae 580 fg., 856. Determinanten 143 fg.. 562. Deutsch-Ostafrikas Kriechtiere 376. Dextrose 10. Diakinese 695 fg Diaphanosoma 372, brachyurum 374. Diaptomus 373. Diastylis Rathkei 203, lucifer 203. Diatoma elongatum 59, vulgare 595. Diatomeen 7, 37 fg., 203, 209 fg., 286, 239 fg., 368, 420 fg., 594 fg., 806. Diaulula 726, 730 fg. Dicholophus 847 fg. Dictamus fraxinella 602. Dididae 586. Didinium 260. Diffusion, Untersuchungen du Bois- Reymond’s über 86. Sachregister. Digitalis purpurea 601 fg. Dimorphismus, sexueller 239, 269. Dinoflagellaten 203. Dinophrya eylindrica 257 fg., Lieber- kühni 257 fg. Dinornithidae 586. Diomedeinae 579 fg. Diornis 849. Diplocaster longicauda 152 fg. Diplodiscus 61. Disphinctium Thwaitesii 598. Dissimilation 773 fg. Dissoziation 620. Diurnen 566. Dolichonyz oryzivorus 79. Donauwasser 424. Doppelbildungen, künstliche 415, 592, Dorcus 214 fg. Dorsch 201 fg., Nährtiere des 203, Draparnaldia glomerata 138. Dreieckmuschel 147 fg. Dreissensia polymorpha A147. Dreissenien 512, Drepanophorus spectabelis 113. Dromades 852 fg. Dromaididae 574. Dromdinae 576. Dromas 574 fg., 855. Dromia 346. Drosera 39, 419. Ductus ejaculatorius der Insekten 542. Duft abgeschnittener Blumen 253 fg. Duleit 11. E. Echeneis remora ?1. Echinocardium cordatum 203. Echinocyamus pusillus 203. Echinodermata 411. Echinus esculentus 20B. Echis 860. Echiurus Pallasiü 203. Edelhirsch 549 fg. Edelmarder 549 fg. Edentaten 173. Ehrlich’sche Körnungen 406. Ei, der Amphibien 378 fg., der Deka- poden 346 fg., 350, der Nematoden 152, der Nemertinen 115. Sachregister. Ei-Ablage von Scyllkium canicula 885. Eibildung bei Copepoden 725, bei Meta- zoen u. Phanerogamen 691 fg., 721 fg. Eichhörnchen 549 fg. Eidechse 551, 859 fg. Einhorn 21 fg. Einsiedlerkrebs 347 fg. Eisfuchs 547 fg. Eiszeiten, Geologie der 861. Eiweiß, Nährwert für Pflanzen 2 fg., Zersetzungsprodukte des 30 fg. Eiweißsynthese bei Pflanzen 2 fg., 33fg. Ektoderm, Regenerationsfähigkeit des 413. Elastisches Gewebe, Histogenese des 394. Elch 552. Elektrische Arbeiten du Bois-Rey- mond’s 85 fg. Elektrische Fische 94. Elektrische Organe 94, von Torpedo512. Elektromotorische Erscheinungen tieri- scher Gewebe, Untersuchungen du Bois-Reymond’s über 87 fg. Elektromotorische Kräfte, Messung der 86. Elektrophysiologie, Verdienste du Bois-Reymond’s 86 fg. Elektrotonus der Nerven 93. Elementarkalamitäten 125. Elephanten, südafrikanische, Behaarung der 171. Eliomys nitela 550. Elornis 851. Emberiza 547. Embryologie der Gasteropoden 388 fg. Enchytraeiden 260. Encyonema caespitosum 595, cosum 59. Endocarpon miniatum 246 Endocimus 855. Endromades 852. Engraulis encrasicholus 201. Enten 69. Entomophoreen 727. Entomostraca 324. Entwicklung 180 fg., 185 fg., 415, Be- einflussung durch äußere Wirkungen 776 fg., des Mesoderm bei Physa 388, sprungweise 184 fg., 219. ventri- 911 Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Säugetiere 384, 687. Entwicklungslehre 180 fg. Entwicklungsmechanik 591, 719, 769. Entwieklungsrichtungen, Einfluss der geographischen Verbreitung der Arten auf die E. 183, kausal-prä- destinierte 161. Entwicklungsstillstand 185 fg. Epaminondas 214 fg. Epierates cenehris 860. Epidaus 214. Epilobium spieatum 602. Epiphyten 240. Epithemia Argus var. Goeppertiana 598. Epithemien 304. Epitropie 244. Equisetum 700, 724. Equus caballus 547 fg., hemionus 549. Erismaturinae 585. Eristalis 600 fg., tenax 601. Ermüdung der Schüler, Einfluss geisti- ger Arbeit auf die 440. Ernährung, organische, grüner Pflanzen 1, 33, niederer Pilze 2. Erodii 856. Erodiones 851. Ersaea picta 483. Erythrit 11. Erythroblasten 717. Erythrocythen 706 fg. Erythropus vespertinus 550. Essigsäure 3 fg. Euactis calcivora 598, rivularia 598. Eucopepoda 324. Eudendrium ramosum 204. Eudorina elegans 595. Euglenen 40. Euglypha 805. Eule 284, 547. Eupagurus Prideauxü 347 fg. Euphausia 315, pellucida 316. Euphausiden 315 fg. Euphrates Antiphates 214. Euphyllia glabrescens 477, 483, 513. Eupithecien 569. Eurotium repens 139 fg. Eurymedon 217 fg. Eurypyga 852 fg. Euripigidae 847 fg., 896. 912 Evadne 319. Evolution 142 fg. Evombar 217. Evonymus 11, europaeus 24T, verru- cosus 24T. Exidia 352. Exidiopsis 352. Exidiopsideen 351. Experimente, physiologische und bio- logische, Wert der 591, 775 fg. Extremitäten, Homologie der 756. F. Facettenaugen 315 fg. Fagus silwatica 24T. Falcati 855. Falco 893. Falconidae 578, 893 fg. Farbe der Schmetterlinge 559. Farbkleider, tierische, Phylogenese der 377, der Rappien 377. Farblagerung bei Reptilien 377. Farbstoffe, organische 417, tierische 753. Färbung, intra-vitale des Kerns und des Protoplasma 321, 354. Färbungsmethoden des elastischen Ge- webes 397. Fäulnisstoffe, Nährwert der für Pflanzen 5 fg., 36 fg. Fauna des Baikalsees 657, der Ablage- rungen im Schweizersbild 547 fg. Feder der Vögel, Farbenwechsel der 65, Feldhase 552. Feldmaus 547 fg. Feldspitzmaus 547. Felis catus ferus 551, manul 549 Fermente des Blutes 712 fg. Feuervögelchen 560. Fettsäuren, Ernährung der Pflanzen durch 3 fg. Fibrin 707 fg. Fibrinogen 714 fg. Ficus 248. Fink 560. Fische 547 fg., Begattung der 275 fg., elektrische 94, fliegende 21, Flossen der 785, 815, Giftstacheln der 21 fg., Liebesspiele der 275 fg., Parasiten der 55 fg., Seitenorgane der 273 fg., Sachregister. Umbildungen an den Gliedmaßen der 20. Fischerei auf der Gewerbe- Ausstellung in Berlin 199, 381. Flagellaten 866 fg. Flagiotomina 324. Flechten, Einfluss des Lichtes auf das Gedeihen der 245 fg. Fledermäuse 547. Fleischfresser 547 fg. Fliegen, Verbreitung der Sporen von Splanchnum durch 52 fg. Fliegenmaden, parasitische in Wespen- nestern 272. Flimmerepithel des Frosches, färbung bei 325. Flora, Schwebeflora der Seen 209. Florideen 37 fg., 375. Flossen der Fische 20, von Acerina eernua 785, 815. Flügelgeäder der Insekten 187. Flughahn 25, 27. Flüsse, Selbstreinigung der 36 fg., Vegetation der 36 fg. Flusskrebs, Begattung des 346 fg., Nervensystem des 625. Flusswasser 425. Foetorius erminea 547 fg., vulgaris 547 fg. Forellenkeimscheibe 751. Formaldehyd 6 fg‘, 423. Umwandluug in Kohlenhydrat durch grüne Pflan- zen 45. Forskalea 476, 5!4 fg., contorta ATO Tg., 515. Fortpflanzung, Bedingungen der bei Algen und Pilzen 129, Ueberein- stimmung zwischen F. bei Pflanzen und Tieren 689, 721. Fragilaria crotonensis 211, virescens 59. Fregata 581. Fregatinae 581. Fridericia 262, Ratzeli 262, 262 fg. Fringilla 550. Frontonia 412. Frosch 550 fg., epithel des 325. Froschlarve 378, 413. Kern- striata 590, 592, Flimmer- ‚Sachregister. Fruchthüllen der Säugetiere, elastische Gewebe der 397 fg. Fruktose 4. Fuchs 547 fg. Fuchsin 417. Fulicariae 847 fg., 894 fg. Fulicariinae 848, 894. Fuligulinae 55. Fulmaridae 576. Furchensteine im Bodensee 597. Furehungsprozess bei Mollusken 388. G. Gadus aglefinus 201, merlangus 201, minutus 201, morrhua 201, pollachius 201, virens 201. Galanthus nivalis 243. Galathea Hippolyte 203, intermedia 203, strigosa 346 fg. Galeobdolon luteum 600. Gallertalgen 39. Galli 848. Galliformes gallinaceae 347 fg. Gallinacei 852. Gallinae 847 fg. Gallinograllae 847 fg. Gallinulinae 848. Galton’sches Gesetz 787 fg., 816 fg. Gammarus 151. Ganglienzellen des Lobus electrieus von Torpedo 512. Ganoiden 379. Gartenschläfer 551. Gasterosteus 23, 28, aculeatus 201, Mugilchelo 201, pungitius 201. Gastornis Edwardsü 585, Klaasenii 585, minor 585, parisiensis 585. Gastornithidae 585 fg. Gastrateus aculeatus 56, punzitius 56. Gastreades 411. Gastropoden 426. 659. Gastrula 412. Gaviae 574 fg. Gebia deltura 203. Gebiss, Beziehungen zur Behaarung 164 fg., der Edentaten 173, der Hundemenschen 164fg., der Wale 173. Gefieder der Vögel 229. Gelasimus annulipes 349. XVI. 913 Gelenke 756 fg. Gemmen 838. Gemmenbildung b. Mucor racemosus 141. Genepistase 185 fg. Generationswechsel bei Ulothriz 2zo- nata 136. Geophila reniformis 246. Georginenblüten 599 fg. Geotropismus 240. Geranium phaeum 600. /f Gerbstoffgehalt von Pflanzenzellen 622. Gerinnung des Blutes 706 fg. Germinalselektion 142, 180 fg. Geschlechtsmerkmale, sekundäre 232 fg. Geschlechtsprodukte, _Reifeerschei- nungen tierischer und pflanzlicher G. 689 tg. Gesundheitspflege, öffentliche, XXI. Versammlung des deutschen Vereins für 416. Giftstacheln der Fische 21 fg. Glareola 847. Glaucoma scintillans 338. Glechoma hederacea 111. Glenodinium pusillum 210. Gliedmaßen, der Fische 20, Homologie der Brust- und Becken-Gl, 756. Gloeocapsa ianthina. 598, aurata 698, Magma 598. Gloeocystis botryoides. 598. Glukose 4. Glycerin 1 fg. Glycerion 189 fg., 223 fg. Glyeocoll 8. Glycol 6 fg. Glyoxal, Verhalten der gegen 46. Gobius minutus 201, 204, Ruthensparri 201. Godlewskia 660, 662, turröformis 660. Goldammer 69. . Goldfisch 275. Goldregenpfeifer 67 fg. Golgi’sche Zellen‘ 530: fg., 605 = 643 fg., 669 fg., 811 fg. Gonium sociale 598. Graculavinae 581. Graculavus 579 fg. Grallae 848 fg., Altinares 856, Ambu- latores 856, Aquosae 856, (ultirostres 58 Bakterien niger 201, 914 855 fg., Longirostres 855, Magni- rostres 855, Subnatatores 855. Grallatores 579 fg., 847 fg., Cursores 847 fg. Granula 838 fg. Gregarinen 807, 866. Gressores 851 fg. Gruidae 574 fg., 847 fg. Gruinae 574, 847 fg. Grus 847 fg. Gryllotalpa 732 fg., vulgaris 697. Gryphaea arenata 558. Guanidin 9. Gulo borealis 547 fg. Gymnodonten 28. Gymnoten, elektrische 94. H. Haare 161, 226 fg., südafrikanischer Elephanten 171, des menschlichen Embryo 227, des Hundemenschen 161 fg., 226 fg., des Menschen und der Säugetiere 161 fg., 226 fg., des Säugetierembryo 170, Urform der 172, Haarlose Hunde 171, 173. Haarmensch 226 fg. Habichtseule 547. Haematococcus lacustris 871. Haematopus 856. Haematozoa sporozoica 867. Haftorgane der Trichodina pediculus 57 fg., der Wasserpflanzen 100. Hahnenfedrigkeit 228. Haifisch 280, 885. Halerenita cumulans 432. Halistemma 483, 526, rubrum 476 fg., 522. Halmatogenesis 184, 219. Halsbandlemming 547. Hamster 547 fg. Harnsäure 571 fg. Harnstoff, Nährwert des H. für Pflan- zen 2 fg., 36 fg. Hase 551. Hausmarder 552. Hausrind 552. Hausschwein 552. Hausspitzmaus 549. Haustiere, Herkunft der 795 fg. Sachregister. Haut, Permeabilität der 29. Häutungshaare der Insekten 542. Häuy’scher Stab 85. Heliconus Besckei 188. Heliotrop 255, 604. Heliotropismus 240. _ Heliotropium luteum 245. Helix 436. Heliozoa 324, 727. Hellanichus 219. Hemerocallis 742. Hemidactylus bocagüi 377. Hemiglottides 852 fg., 893 fg. Hepatica 728, triloba 245. Herakleum Fischerü 599, Spondylium 599. Hering 201 fg., 825, Nährtiere des 203. Heringsmöve 67 fg. Hermaphroditismus 237. Hermelin 547 fg. Hermocrates 216 fg. Herodiü 576 fg., 852 fg., 893 fg. Herodiones 576, 847 fg. Herposteiron polychaete 598. Herzkörper der Enchytraeiden 260. Herzmuschel 204. Heterochaete 352. Heterocope 698 fg., 724 fg. Heterograpsus Lucasii 349. Heteromorphosen, künstliche 592. Heterotricha 324. Heterotypie 742. _ Heterotypische Teilung 731 fg. Hexamethylamin 8, 423. Hipites 860. Hippoglossoides limandoides 201. Hirschluchs 547. Hirudineae 324, 358 fg. Histogenese der Kleinhirnrinde 485, 530, 605, 640, 664. Histogenie 383. Histologie 383. Histon 714 fg. Holaspis guentheri 377. Hologyri 574. Holophryina 260. Homalopsinen 860. Homalosoma 380, lutrix 377. Homarus vulgaris 204, 349. Homeogenesis 183. Sachregister. Homeotypie 742. Homologisierung der Haare und Zähne #22, Hormidium flaccidum 137, nitens 137. Hornissen 271. Huftiere 547. Hummer 204, 349. Hunde, haarlose 171. Hundemensch 161, 226. Hyacinthus 242 fg., orientalis 243. Hyaloria 352. Hyaloriaceen 352. Hydanthoin 9. Hydra 414 fg., 468 fg., 513 fg., fusca 470 fg., 514 fg. grisea 472, 481, Parasiten von 55 fg., viridis 482. Hydractinia echinata 204. Hydrallmania 204. Hydrobia Frauenfeldi 660 fg., God- lewskia 660, Sopronensis 661, ven- trosa 660 fg. Hydrobiidae 660 fg. Hydrocoelum homoeotrichum 598. Hydrodictyon 133 fg. Hydroiden 468 fg., 592. Hydroidpolypen 414. Hydrophyten 99. Hydrozimmtsäure 8. Hydrurus 39, 139, foetidus 39, peni- cillatus 39. Hygrobatae 852 fg. Hyla 378, appendiculata 379. Hylambates aubryi 377, Hymenochirus 377. Hymenopteren 599. Hyperia 203. Hyperiiden 319. Hypertrichosis eircumscripta 175, lanu- ginosa promammalica 174, post- embryonale 231, universalis 161. Hyponastie 240. Hypotrichose 172. J. Ibidae 851 fg., 895 fg. Ibidinae 574, 853. Ibipodia 854. Ibis 855, 89. Ichthyopsiden, Nervenhügel der 172. 915 Ichthyornithae 587. Ichthyosis 165. Icterus baltimora 70, ieterocephalus 70, sparius 70. Idioblasten 838. Idioplassonten 774. Jewtichjew, Fedor 232. Infektion, Schutz des Organismus gegen 709 fg. Infusoria aspirotricha 259. Infusorien 866 fg., holotriche 257, intra-vitale Kernfärbung bei 326 fg., Kernteilung bei 336 fg., parasitische 55, 326 fg. Inosit 10. Insekten, Anlockung der I. durch die Blumen 599, Häutungshaare der 542, Lufträume der285, Parasiten der 375. Insektenfresser 547 fg. Inselfaunen 184. Intersegmentalhäute der Meloiden 543. Jodgehalt des Fluss- und Meerwassers 425. Jod-Jodkalium 418. Jod-Lösung 419. Jodviolett 418. Jola 351. Jones, Annie 227, Ipomaea purpurea 601. Isar, Vegetation der 39. Isoarca 558. Isobutylalkohol 7. Isocystis infusionum 598. Isoplassonten 774. Isopropylalkohol 7. Judasohr 351. Juhras bullis 20. Julia Pastrana 162. Juliden 275. Juncus 596 fg. Junonia 567. Ixalus 859. K. Kabliau 201 fg. Käfer, Parasiten der 375. Kalilösung, Einwirkung auf Spirogyra 421. Kampf der Organe im Organismus 125 fg., ums Dasein 146, 179 fg., 314. 58 * 916 Kampfstrandläufer 67 fg. Kampfsucht der Fische zur Laichzeit 25 fg. Kaninchen 552. Karausche 28. Karpfen 28, 275. Kartoffel 11. Karyokinese 337 fg., 690 fg. Kastenatome 5837. Katze 552. Kaulquappen 379. Keimplasma 142 fg., 562 fg., 781, Ver- änderung des K. bei Wespen 269 fg. Kern, der Diatomeen 286, der wach- senden Zelle 241 fg. Kernfärbung, intra-vitale 321, 354. Kernteilung 745, bei Cyclops 693, bei . Diatomeen 287, bei Epithelzellen von Salamandra atra 693, bei tierischen und pflanzlichen Geschlechtsproduk- ten 690 fg., 721 fg., bei Infusorien 337 fg., bei Nematodeneiern 152 fg., 339 fg. Kiebitz 550. Kindesähnlichkeit 239. Kleinhirnrinde, Histogenese der 485, 530, 605, 640, 664. Klima, Einfluss auf die Gestaltung der Schmetterlinge 184. Klimadimorphismus 568. Knochen, lufthaltige der Säugetiere 283. Knochenneubildung 780. Knurrhahn 20. Kohlenhydrate 14. Kohlensäureassimilation 1, 33 fg., 240. Kohlenstoffquellen für Pflanzen 2 fg;, 33 fg. Kohlenstoffverbindungen, durch Pflan- zen assimilierbare 2 fg., 33 fg. Kohlrabe 550. Kongerienschichten, Süßwassermollus- ken der 660. Königsgeier 70. Konjugaten 135. Kopepoden 203, 316, 324, 69% fg., 725. Kopfschilder der Boiden, Phylogenie der 858. Korallen 205. Körnungen, Ehrlich’sche 406. Korrelation 185, 413, 415, 785, 815. : Sachregister. Korrelationsstudien an den Strahlen- zahlen von Fischflossen 785, 815. Krabben 204 Kraft 772 fg., gestaltende 778 fg. Krao 175. Kreatin 9. Krebse 204, peripheres Nervensystem. der 62%. Kriechtiere Deutsch-Ostafrikas 376. Kröte 550 fg. Kugelfische 26. Kummernerseebecken, Funde in der Braunkohle des 863. Kyesamechanie 186. L. Labrax lupus 202. Labroiden 275. Labulleniaceen 375. Lacerta agilis 547 fg., brandtii 380, danfordi 380, fusca 380, laevis 380, muralis 180, 380, viridis 547. Laevulose 10. Lagenidium pygmaeum 595, 598. Lagomys pusillus 547 fg. Lagopus 74, albus 547, 549, alpinus 549 fg., scoticus 77. Laichung bei Fischen 275 fg. Lamellibranchiaten 388. Lamellirostres 583. Lamna cornubica 201. Landpflanzen, phanerogamische, An- passung an das Leben im Wasser 99. Lanice conchilega 203. Lanugo foetalis 166, 230 fg. Laridae 573 fg. Larinae 68. Larix 696 fg., 728. Laro-Limicolae 574 fg. Larus 574, minutus 73, 68 fg. Larven der Amphibien 378 fg., Ver- wachsungsversuche mit L. 413. Latirostres 89. Laubentwicklung, Einfluss des Lichtes auf die 245 fg. Lautorgane der Fische 25. Lebenskraft 98, 773. Lebermose 728. ridibundus Sachregister. Leeithin 11. Leiotrocha 61. Lemna 6, 34 fg. Leosthenes 215 fg. Lepidopteren 143, 179, 213, 559. Leptodora 319. Leptoplana 733. Lepus 551, timidus 552, 547 fg. Lernea 203. Lestris 574 fg. Leuchtorgane pelagischer Organismen 315 fg. Leuein 2 fg. Leueiscus balteatus 825, idus 201. Leucosa Stiedae 661 fg. Leukoeyten 705 fg. Licht, bakterientötende Kraft des 42, Einfluss auf die Crustaceenaugen 315 fg., auf die Verteilung der Crustaceen in den Seen 373, auf das Pflanzenleben der Seen 594, auf die Schmetterlingspuppen 566. Ligea 661, carinato-costata 662, ciliata 662, contabulata 663, costata 662, turriformis 662. Lignophora 64. Liliaceen 11. Limax 393. Limenitis 570, camilla 569, sibylla 569. Limicolae 574 fg., 848 fg., 894. Limnaea 429 fg., auricularia 437, stag- nalis 437. Limnaeen 428. Limnorea 661, angarensis 659. Limnoria lingnorum 204. Limora melanura 67. Linaria cymbalaria 60). Lingbya gloeophila 598, lateritia var. rosea 598. Liobaicalia 661 fg. Liparis Montagu 201, vulgaris 201. Lipochrome 753 fg. Litorina litore@ 205. Litorinellenkalk des Mainzer Beckens 661 fg. Lobelia 601, Erinus 600 Lokomotion der Pulmonaten 426. Longipennes 574 18. Lophius piscatorius 201. varliabilis 97 Lota molva 201. Löwe, Behaarung des 235. Löwenknabe 226. Lubomirskia baicalensis 659. LufthaltigeKnochen der Säugetiere 283. Lufträume der Insekten 285. Luftsäcke der Vögel 282. Luftwurzeln, von Zaeniophyllum 239. Lumbrieulus 266. Lycaea balcanica 562, icarus ab coeru- lea 562, pseudoargiolus 562. Lycaeiden 562, Lyeium barbarum 244. Lycophidium laterale 379. Lygodactylus 380, picturatus 377. Lygosoma nigrum 379, smaragdinum 379. Lynoe cervaria 547. M. Maakia 662 fg. Mabuia striata 377. Machaon 185, 214, 218 fg., aestivus 220, Sphyrus 225. Macrobion Oberhäuseri 752. Macrodactyli 848. Macropteri 574 fg. Macropus viridiauratus 274 Tg. Mactra 203, elliptica 814. Magenschleimhaut, Salzsäuresekretion der 624. Magnete 85. Maja 346. Main, Vegetationdes38, Wasser des 424. Mainzer Becken 661. Mais 34, 242. Makropoden 274 fg. Malaria 865. Malapterus electricus 28, 94. Maltose 10. Mamestren 569. Mammuth 79. Männchenähnulichkeit 228, 239. Manmnit 3 fg. Manulkatze 549. Maralhirsch 549. Mastigophoren 866 fg. Maturitätshypertrichose 231. Mauereidechse 180. Maulwurf 547 fg. 918 Maus 547 fg. Mauser 65 fg. Mechanik in der Biologie 771, in der Naturwissenschaft 770. Medusen 592. Meerwasser 425. Megachile 603, ericetorum 601. Megalophrys 859. Megapodius 847 fg. Megapodiidae 847 fg. Melanismus 378 fg. Melanopsis impressa 660, Martiniana 660. Melanitis 567. Meles taxus 551. Meloe majalis 544, variegatus 543. Melosira 211, varians 59. Melosiren 595. Mendota-See, Crustaceen des 371. Mensch, Entwicklungsgeschichte des 384, 687, Phylogenie des 161 fg. Menschliche Skelettteile vom Schwei- zersbild 552 fg. Mentha aquatica 101, 112. Menura 847 fg. Menuridae 848. Merganatinae 585. Merginae 585. Mergus 582 fg., merganser 74. Merlucius vulgaris 201. Mesenchytraeus 260 fg., Beumeri 261, Falciformis 261, flavidus 261, mira- bilis 260, primaevus 260, setosus 262 fg. Mesitidae 847 fg. Mesodermentwicklung bei Physa fon- tinalis 388. Mesodinium 260. Mesokarpus 417. Mesotaenium Braunii 598. Metalyse 740. Metamoneren 845. Metanemertinen 113. Metastrukturteilchen 838. Metazoa 324 fg., 353 fg., 691 fg., 846. Methylal 6. Methylalkohol 2 fg., 424. Methylamin 2, 47. Methylen, Cyanhydrin des 10. 411 fg., Sachregister, Methylenblau, intravitale Kern- und Protoplasmafärbung mit 321 fg., 353 fg. Methyloxichinizin 9. Microcoleus fuscescens 598, vaginatus 598. Miesmuschel 204. Mikronucleus, intra-vitale Färbung des 335. Mikroskop 415. Mikroskopische Anatomie, Lehrbuch der 383. Mikrospora fugacissima 598, vulgaris 598. Mikrotechnik der tierischen Morpho- logie 283. Milchhaare der Säugetiere 170. Milchsäure 3 fg. Milchzucker 10. Milsenium 753, tardigradum 754. Milzbrandbaeillen 12. Mimiery 187 fg., 569. Mischocytharus 273. Missbildungen 161 fg., 592, 776, ex- perimentelle 592, der Fische 203. Mitose 338, Mechanismus der 751, Ver- halten der chromatischen Substanz bei 340 fg. Modder, lebende Organismen des 801 fg. Modderula Hartwigi 801. Modifikation 387. Modrige Materien, Unverdaulichkeit der für niedere Tiere 512. Mohrensternia 662. Molluscoidea 412. Mollusken 204, 411, 426 fg., 659 fg., 808, des Baikalsees 659 fg., Ent- wicklung des Mesoderms bei M. 388. Monacanthus 21, 28. Moneren 844. Mongeotia 14, 598. Monobrachium parasiticum 471. Monophyodontismus 173. Moorschneehuhn 549 fg. Mosaiktheorie 415. Moschus 251 fg. Motacilla 72, 77, lugubris 72. Motella cimbria 201, mustela 201, trr- cirrata 201. Mougeotia 14, depressa 598. Sachregister. Möven 69, 77. Mucor racemosus 139 fg. Müggelsee, biologische Station 801, Plankton des 368. Mugilchelo 201. Mullus barbatus 202. Multiplikator, No bili’scher 85. Mus 547 fg. Muscheln 147 fg. Muskel, Potentialdifferenzen im leben- den M. 90. Muskelelemente 89. Muskelkästchen 89. Muskelton 92. Musophagidae 847. Mustela mortes 549 fg. Mustelus laevis 280, Muttermale 175. Mya arenaria 204. Mycalesis 567. Mylabris 544. Myodes torquatus 547. Myoxus glis 551. Myriophyllum 38, 597. Myriothela phrygia 514. Mysideen 317. Mysis 203, vulgaris 204. Mysticeti 173. Mytilus edulis 204. Myzostoma 702 fg. N. Naevus pilosus s. hirsutus 175. Nagetiere 547 fg., Schneidezähne der 233. Nagetierüberreste in Schweizersbild 546. Nährstoffe, Grenze der wirksamen Verdünnung bei Algen und Pilzen 417. Nährtiere der Fische 203. Naia tripudians var. atra 379. Nardoa 860. Naseus 28. Nashorn 79. Nasutae 576. . Natatores 574 fg., 851 fg. Natter 550. Naturphilosophie 83. 919 Navicula 807, ambigna 302, amphis- baena 40, eryptocephala 40, crypto- cephala var. pumila 598, cuspidata 40, fasciata 598, Kotschyana 598, major 595, palpebralis var. Bark- layana 598, radiosa 595. Nebelkrähe 550. Nectarinia 273. Neef’scher Hammer 85. Negative Schwankung 91. Nekrassow, Marie 227. Nelke 253 fg. Nemathelminthae 324. Nematocysten 469, 518. Nematoden 272, 324, 362, Befruchtung und Teilung der Eier 152, 339. Nematoscelis 316, mantis 317. Nemertinen, Entwicklungsgeschichte der 113. Neolithische Niederlassung in Schwei- zersbild 545. Neosilaus 214. Nepenthes 40. Nephelis 324, 359 fg. Nephrocytium Aghardianum 595. Nephrops norwegicus 204. Neptis kikideli 188. Nereis 702. Nerven, Elektrotonus der 93, der Ex- tremitäten 763, Färbung der 322. Nervenfaser 485, Bestehen von Anasto- mosen zwischen 630 fg., 809 fg. Nervenhügel der Ichthyopsiden 172. Nervensystem, centrales von Anodonta 808, peripheres der Crustaceen 625. Nervenzelle 485. Nervenzellennetze 640. Nesselzellen der COnidaria 465, 513. Nestbau der Wespen 267 fg. Neumann, Lina 175. Neuroblast 485. Neuron 625 fg., 810. Neuropilem 810. Neutralrot, intra-vitale Kern- und Protoplasmafärbung durch 323 fg., 354. Nika edulis 203. Nilblau-Chlorhydrat- und Sulfat, intra- vitale Kern- und Protoplasmafärbung durch 323 fg. \ 920 Nitranilsaures Kali 10. Nitzschia 40, acicularis 37, 40, angu- laris 598, linearis 595, sigmoidea 304, vermicularis var. lamprocampa 598, Nitzschien 299. Nobili’scher Multiplikator 85. Nomius 216 fg. Nordseefischerei 205. Normalzahl der Chromatinelemente 735. Nostoc hederulae 598, Linckia 598, paludosum 598. Nucleolarsubstanz pflanzlicher und tierischer Geschlechtsprodukte 701. Nucula nitida 203. Numenius 856. Nyctotherus cordiformis 324, 328 fg. Nyeticorax megalocephala 854. Nymphaliden 569. 0. Ocean, atlantischer, Wasser des 425. Oceanitidae 576 fg. Oceanitinae 576. Ocimum Basilicum 256. Octopus 275. Odontoglossae 583, 848 fg. Odynerus quadratus 599. Oedienemidae 852. Oedogonium 14, 39, plandrum 136. Oenothera biennis 601. Oidemia nigra 72. Oleaceen 11. Oligochaeten 260 fg. Olpidium entophytum 598. Ontogenie, Entwicklungsstillstand in der O. eines Individuums 186. Onto-phylogenetische Parallele 238. Oomyceten 375. Opalina 29, ranarum 324, 327. 332 fg. Opalinina 324. Ophidomonas 840. Ophioglypha albida 203, lacertosa 203. Ophryotrocha 691, 702, 734 Tg. Opisthocomidae 847. Orang-Utan 167. Orchideen, epiphytische 239, Bu 246. capillare 136, di- Sachregister. Organe, im Organismus 125 fg. Organische Stoffe, Ernährung grüner Pflanzen durch 1, 33. Orthocoela 580 fg., 857. Orthogenesis 387. ÖOrthoplasie 387. Ortsbewegung 587, der Baeillariaceen 289, primitive 587,. der Pulmonaten 426. Oscillaria membranacea 37, 40, Osecillariaceen 40. Öscillarien 301. 410. Oscillatoria profunda 596 fg., rubes- cens 595 fg. Osmerus eperlanus 201. Osmose 620. Osphradium bei et S14. Ostracoden 316. Ostrea borealis 204. virginiana 204. Otidae 847 fg. Otididae 574, 848. Otidinae 847 fg. Otis 847. Otocoris alpestris 550. Ovarien, Ausbildung der O. bei Wespen 268, Ovis 549, aries 552. Ovogenese bei Phanerogamen Metazoen 691 fg, 721 fg. Oxalsäure 2 fg. Kampf der longirostres 598, nnd Paarzeher 549 fg. Pädagogisch-psychometrische Studien 440. Paedidie 239. Pagellus centrodontus 202. Paguriden 347 fg. Pagurus 639. Palaemon serratus 826, squilla 204. Palaeolithische Niederlassung in Schweizersbild 545. Palaeolodus 851 fg. Palamedea 582 fg., 846 fg. Palamedeidae 583, 846 fg. Palamedes 185. Pallavieinia 728. . Sachregister. Palmellaceen 211. Palmipedes 576 fg. Paltodes 412. Paludina 436, Frauenfeldi .661, vivi- para 393. Pandorina morum 211. Pangenen 838. Paphus 189, 224. Papilio 145, Agesilaus 189, 216 fg., Alexanor 218, Americus 221, Asterias 219 fg., Asteroides 185, Bairdii 185, 220, Bellerophon 189 fg., Calverleyi 220, Celadon 184, Daunus 219, Epi- daus 189 fg., Eurymedon 218 fg., 220, Glycerion 189, Machaon 220, Poda- lirius 183, 189 fg., 213 fg., Protesilaus 189 fg., Telesilaus 184 fg., Troilus 219 fg., Turnus 185, 218 fg. Paraldehyd 6. Paramecium 881, aurelia 324, 332 fg. Paramoeba eilhardi 883. Pararge egeria 566 fg., egerides 566 fg., intermedia 568, xiphia 568, aiphio- des 568. Parasiten 29, 55 fg., 326, 865 fg., der Fische 55 fg., der Insekten 375 fg., der Wespen 272. Parelektronomische Muskels 90. Parmelia saxatilis 246. Parra 848. Parridae 848. Parrinae 848. Parthaon 217. Parthenogenesis 268. Pathologie der Fische 203 Pectinaria belgica 260. Pediastrum Boryanum 595, duplex 59. Pedicularis silvatica 603. Pelagieci 579. Pelagische Organismen 315 fg. Pelagornis 579. Pelagornithinae 581. Pelargi 576 fg., 849 fg., 894 fg. Pelargo-Herodii 850 fg., 893 fg. Pelargomorphae 848 fg. Pelargonium zonale'603 fg. Pelargopsis 854. Pelecanidae 576 fg. Pelecanus 579 fg. Schichten des 921 Pelobates 379, fusceus 413. Pelombra palustris 881. Pelurus cultratus 201. Pennaria 470 fg., 519, cavolini 475, 482, 522, 526. Pepton 423 fg, Einwirkung auf die Leukoeyten 715, Nährwert für Pflan- zen 4 fg. Perca 28, fluviatilis 202. Perdix cinerea 550. Peridineen 210 fg. Peridium ceinetum 211. Periophthalmus Kölreutheri 20. Personalselektion 142 fg. Petromyzon fluxiatilis 201, marinus 201. Pfahlbauresten 862. Pferd 552. Pflanzen, grüne, organische Ernährung der 1, 33. Pflanzenbiologie u. -Physiologie 241. Pflanzenzellen, intra-vitale Färbung der Kerne 364. Phaeodermatium rivulare 598. Phaeton 574 fg. Phaetontidae 576 fg. Phagocytose 706 fg. Phalocrocoracinae 581. Phalacrocorax 579. Phanerogamen, insektivore 39 fg. Phaseolus multiflorus 6. Phenol 3 fg. Phenylessigsäure 8. Philodinida 324. Philolaus 217. Phlox paniculata 604. Phlyetidium Tabellariae 211. Phoca 658 fg., annulata 658, baica- lensis 658, caspica 658, vitulina 658. Phocinus aphya 56. Phoenicopteridae 847 fg., 850 fg. Phoenicopterus 582, 855. Phormidium inerustatumb597, Retziid98. Phosphorsäure 12, 425. Photometrie 243 fg. Phragmites communis 59. Phreodrilus 266. Phronima 318 fg. Phyciodes amazonica 188, Lanydorfi 188, Leucodessna 188. Phycochromaceen 59. 922 Phylogenese der tierischen Farbkleider 378 fg. Phylogenie 186, der Kopfschilder der Boiden 858, des Menschengeschlech- tes 161! fg., der wirbellosen Tiere 411. Phyllopoden 203. Phyllorhiza 478. Physa 427, Entwicklung des Meso- derms 388, fontinalis 437, heteros- tropha 389. Physalia 475, 514. Physcia tenella 246. Physiologie, Aufgabe der 129. Phytoplankton 209, des Bodensees 594. Phytobenthos des Bodensees 594. Pieris 600, Bryoniae 184, Napi 184, 562 fg. Pigment des Crustaceenauges 318 fg., der Schmetterlinge 571, der Tardi- graden 753, der Wirbeltiere 378 fg. Pigmentwanderung 378. Pikrinsaures Kali 10. Pilacraceen 351. Pilze 417, Ernährung der 2, Fort- pflanzungsbedingungen 129, 139, nie- dere 375, Reinkulturen von 130 fg., des See-Planktons 210, 594. Pinnularia 286 fg., major 291, nobelis 291, viridis 291. Pinus Larix 242. Pirole 69. Pithecanthropoiden 232. Pithecolobium Saman RAT. Planaria lugubris 55. Planarien 726 fg. Plankton 209, 373 fg., von Kiel 203, der Ost- und Nordsee 365, der Seen 209 fg., 594. Planktonflora der Seen 209 fg, 594. Planktonmethodik 364, 511. Planktonnetz 190 fg. Planktonpumpe 190. Planktontechnik 190, 364. Planorbis 427, corneus 437. Plasmodien 866. Plasmolyse 621 fg. Platalea 851 fg., 89. Plataleidae 851 fg., 895 fg. Platodes 411. Plattfische 202 fg. Sachregister. Platygloceen 352. Platypus niger 72. Plectognathen 28. Plectonema Tommasianum 598. Plectrophenax 79. Plectropterus 849. Pleuren der Meloiden 543. Pleurocera 663, costulata 663, scalariae- formis 663. Pleuronectes cynoglossus 201, flesus 201, 818 fg., microcephalus 201, platessa 201, 818 fg. Pleuronectiden 785 fg. Pleurophyllidia lineata 484. Pleurotaemopsis cucumis 598. Pleuston des Bodensees 594. Plotus 581. Pluviales 856. Poa annua 250. Podalirius 145, 173, 187, 213 fg, Lotteri 213, virgatus 213. Podargus 89. Podiceps 74. Podoae 574 fg. Podocoryne carnea 476. Podon 319. Podopis Slabberi 204. Pohl’sche Wippe 85. Policenes 216 fg. Polistes 269 fg., gallicus var. diadema 270, versieolor 273. Polyacanthus viridiauratus 274 fg. Polyanthes tuberosa 256 fg. Polybia 273, scutellaris 273. Polychaeten 260. Polygala vulgaris 603. Polygonum amphibium 597. Polymitus sanguinis avium 867. Polyommatus aleiphron 562, amphida- mus 562, eleus 567, phlaeas 182, 560 fg. Polymorphismus 135. Polyphemiden 319. Polyphemus 319. Polytoma uvella 305, 872. Polytomeen 305. Pontinische Sümpfe, Protozoen der 867. Pontodrilus 266, Michaelsen? 266. Populus alba 247. Porpita 514 fg. Sachregister. Portunus depurator 820 fg., holsatus 203. Potamobius fluviatilis 346. Potamogeton 38, 597, cerispus 39, pec- tinatus 39. Potentialdifferenzen im lebenden Mus- kel 90. Prachtbinde der Falter 190, 213 fg. Prachtkleid der Vögel 72 fg. Praecoces 583. Praeexistenz 90. Praeponderanz, weibliche 185. Praga 479. Preisausschreiben des internationalen zoolog. Kongresses 32. Primula veris 602. Pristirius 693 fg., 734. Procellariidae 575 fg. Prochordonier 412. Promammalhaare, stehen bleiben der 167° 185,178: Promammalia, Haare der 170. Propionsäure 7. Propylalkohol 7. Propylamin 3. Prosobranchier 436. Prosopis communis 599. Prosopygia 412. Prostheceraceus 731, 742 fg. Prosothenia 663. Protesilaus 214, Telesilaus 190, 213 fg. Protisten 708, des Süßwassers 801. Protobasidiomyceten 351. Protobionten 212. Protococcus bothyroides 134 fg. Protohydaeen 352. Protohydnum 352. Protomerulius 352. Protoplasma, der Diatomeen 286, Er- nährung des P. grüner Pflanzen 4fg., iutravitale Färbung des 321, 353, Verhalten gegen eindringende ge- löste Stoffe 622. Protopolyporeen 352. Protosiphon 134 fg. Protozoen 324 fg., 353 fg., 469, der pontinischen Sümpfe 865. Pseudohypertrichose 172. Pseudomimiery 182, 188. Pseudopolybia 273. 923 Pseudorhiza 478. Pseudospirillae 867. Psittaci 583. Prophia 847. Psophidae 847 fg. Psora lucida 246. Psychometrische Studien 440. Pterydophytes 690, 738. Pteris 699, 731. Pteropoden 388. Pulmonaria offieinalis 603. Pulmonaten, Ortsbewegung der 426. Puppen der Schmetterlinge 222. Purkinje’sche Zellen 530 fg., 605 fg., 645 fg., 665 fg. Pygmaeen 553 fg. Pygopodes 579. Pyramidenpappel 247. Pyrenoide der Diatomeen 286. Pyridin 9, 46. Python molurus 860, regius 860, reti- culatus 860, spilotes 860. R. Racophorus leucomystax 381. Raffinose 10. Raja batis 201, clavata 201, fullonica 201, radiata 201. Rallidae 586, 847 fg. Rallinae 894. Ram-a-Samy 175. Ramphosus 28. Rana 378fg., 550, bravana 377, escu- leuta 413, fusca 413. Rangifer tarandus 547g. Raniceps ranians 201. Rappia 377 fg. Rasores 841. Ratitae 583 fg., 850. Raupe der Schmetterlinge, Farbe der 561. Reaumurea hirtella 245. Reben, früherblühende 650. Rebhuhn 550. Recurvirost,a 852 fg. Regenerationskraft larven 413. Regenpfeifer 67. dor Amphibien- 924 Regenwurm, Verwachsung getrennter Teile beim 415. Reh 549 fg. Reifung tierischer Geschlechtsprodukte 689 fg., 721 fg. Reinkulturen von Algen und Pilzen 130 fg., von Nematoden 153 fg. Reliktensee 657 fg. Rentier 547 fg. zeptilien 547fg, Deutsch-Ostafrikas 376, Melanismus bei R. 379 fg. Rhabditis 324, 362, dolichura 152 fg., 339 fg., nigrovenosa 152 fg., pellio 152 fg., 340 fg., teres 152 fg. Rhageris oxychynchus 377. Rhea 850. Rhein, Vegetation des 36fg., gelöste Stoffe des Wassers des Rh. 424. Rheotropismus 884. Rhesus 216 fg. Rhinoceros 859, tichorhynus 547. Rhinoderma 859. Rhinochetidae 896. Rhizophidium pollinis 595, 599. Rhizopoda 324, 727, 807, 866, 878 fg. Rhizostomen 473. Rhombus maximus 101, 818, laevis 201, 819. Rhopalodia gibba 299. Rynchaeae 579. Rhytina Stelleri 173. Ricinus 242, Riechstoffe, Intensität unter schiedenen Bedingungen 250. Riefenkammer, Flögelsche 304. Rind, Abstammung des 794 fg. Rissoa angulata 661 fg., inflata 662. Rivularia haematites 598, rufescens 598. Robben, Tasthaare der 232. Robinia Pseudacacia 244. Rohrzucker 10fg., 35. Rose 254. Rosenessenz 253. Rotatoria 324, 412. Rötelmaus 547. Rotfussfalke 550. Rubiaceae 246. Rückengefäss der Enchytraeiden 260. Rückschlag 186, 230 fg., 378, 565. Ruynchonella 558. VEer- Sachregister. Saccoblastia 351. Sacrorhamphus papa TO. Saisondimorphismus 592, der Schmetter- linge 559. Saisonpolymorphismus 211. Saisonrassenbildung 211. Salamandra 721, 751, maculosa 379, 135, atra 381, 69. Salamandra atra, Kernteilung in den Epithelzellen 693. Salieylsäure 3. Salmiak 423. Salmo salar 201, trutta 201, migra- torius 659. Salmoniden 8855. Salpa democratica 525. Sambucus nigra 247. Samenreife bei Metazoen 691 fg., 7211g. Sandmuschel 204. Saprolegnia 599, bodanica 599, mixta 599. Saprophyten 48f. Sarracenia 40. Säugetiere, Entwicklungsgeschichte 384, 687, elastisches Gewebe. der Fruchthüllen 397, Farbenwechsel des Fells 66fg., Haare des Embryo 170, Milchhaare 170, beim Schweizersbild gefundene 547fg., 233, Zähne der 164 fg., 233, Zeichnung 182. Säuren, organische, Ernährung der Pflanzen durch 3 fg., schädliche Ein- wirkung freier aufdasProtoplasma 12. Scenedesmus quadricauda 59. Schädel, menschliche, von Schweizers- bild 553 fg. Schaf 549, Schafklauenmuschel 147 fg. Schellfisch 201 fg. Schiffshalter 21. Schilbe 28. Schimmelpilze 12. Schizomyceten 807. Schizophyta 833. Schizopodenauge 315 fg. Schizothrix fascieulata DIT. Schlammspringer 20. Schlangen 551, 859. - Sachregister. Schleie 28. Schleiereule 550. ‚Schleimkanäle der Fische 281. Schlitteninduktorium 88. Schmarotzer auf Fischen 203. Schmetterling 143, 179, 213, Saison- dimorphismus der Sch. 559. Schnecken, Zeichnung der 182, Loko- motion der 420 fg. Schneefinke 72. Schneemaus 547. Scholle, Nährtiere der 203. Schreckfärbung 567. Schuppendeterminanten der Schmetter- linge 567. Schuppfisch 280. Schutzfärbung 567. Schwalbenschwanz 183 fg., 217 1g. Schwamm 204. Schwankung, negative 91. Schwebeflora, des Bodensees 594, der Seen 209. Schwefelbakterien 410. Schwefelsäure 8. Schwein, Hauer des 233. Schweizersbild 545. Schwerkraft, Einfluss auf die Ver- teilung der Crustaceen 372 fg. Schwimmblase 28, 280. Schwimmflora des Bodensees 59. Schwimmpflanzen 99, 209.- Schwimmvögel 573. Sceiaena aquila 202. Scineoiden 379. Scirpus lacuster 596. Sciurus 551, vulgaris 549 fg. Scolopaeidae 855 fg. Seolopax 517. Scomber scomber 201. Scopidae 851g. Scopinae 865. Scopus 89. Serophularia Neesiti 108. Seyllien 275. Scyllium canicula 201, Ei-Ablage von 885, catulus 886 fg., stellare 886 fg. ' See, Schwebeflora der S. 209, 594. Seeblüte 595. Seebullen 20. 925 Seefischerei auf der Berliner Gewerbe- ausstellung 199, 381. Seeflora 209, des Bodensees 594, Seehund 658 fg. Seeigel 592. Seekuh 173. Seeschwalben 72. Seescorpion 20. Seestern 204 fg. Seezunge, Nährtiere der 203. Segelfalter 183 fg., 213 fg. Segregation, kumulative 128, Seidengaze, Anwendung zur Plankton- forschung 364, 510, Seitenorgane der Fische 273, Selachier 275, 280, 379, 885 fg. Selbstdifferenzierung 415. Selbstdifferenzierungsvermögen, abge- trennter Teile von Amphibienlarven 413. Selbstordnung der Zellen 414, Selbsttrennung der Zellen 414, Selektion 142fg., 180 fg., 311 fg., 385, 573. Selektionstheorie, philosophische 124, Semigallinae 852. Sempersche Zellen 317. Septemitus lacteus 37. Septentariidae 852. Scptocarpus corynephorus 599, Sergestiden 318 ig. Serum 706 fg., Farbe des 755. 'Shwe-Maong 165. Stagonophorus euglenoides 259, lori- catus 259. Sida erystallina 726. Siebenschläfer 551. Stilurus asotus 28, glanis 28. Simotes subcarinatus 380, signatus 380. Simplieirostres B7ITg. Sinnesorgane der Fische 273 fg. Sinneszellen der Cnidaria 468. Siphonophoren 470, 517g. Sirobasidiaceen 352. Sirobasidium 352. Skatol 9. Solea vulgaris 201. Sorex pygmaeus 54T, vulgaris 547 fg. Spaltalgen 40, des Zürichsees 210. Sparganium 243, 926 Spengelsches Organ bei Anodonta 814. Speiseröhre der Gymnodonten 28: Sperlingsreiher 77. Sperlingsvögel 69fg. Spermatogenese 691 fg., 721fg, Spermatozoen der Nematoden 153. Spermophilus refuscens 549. Siphaeroplea 14. Sphingiden 566. Spinachia vulgaris 201. Spindelbildung in den Zellen der Cephalopodenscheibe 755. Spirifer Wacette 558. Spirillen 869. Spririllum 806, serpens 840. S'pirochona gemmipara 336 fg. Spirocysten 469, 518. Spirogyra 5fg., 40, 417 fg., adnata 595, arcta 135, catenaefrmis 135, communis 16, 155, inflata 135, longata 135, nitida 13 fg., rivularıs 598, varians 135, Weberi 135. Spirotricha 324. Spitzmaus 547 fg. Splanchneae 48 fg. Splanchnaceen, Austreuen der Sporen bei 48. Splanchnum 48 fg., ampullaceum 50, luteum 50, rubrum 50 fg., sphaericum 49 fg., vasculosum 50. Spongia baicalensis 659. Spongiae 411, 659. Sporangienträger bei Mucor racemo- sus 140. Sporen des Splanchnaceen 48. Sporenbildung bei Kryptogamen 691 fg., 721 fg., 728. Sporozoen 866. Sporozoenkunde, Leitfaden der 688. Stacheln der Fische 21 fg. Staphyliniden 472, Stauroneis Phoenicenteron 302. Steganopodes 574fg., 848 fg., 893 1g. Steinadler 550. Steinbock 549. Stengel der Wasserpflanzen 100 fg. Stenorhynchus phalangium 204. Stentor coeruleus 324 fg., 332 fg., viridis 324g. Stentorina 324. Sachregister, Stephalia corona 417. Stephanodiscus Astraea 5. Stephanophyes superba 471 fg., 518, 526. Steppenfauna 548, Steppenhamster 547. Stercutus 261, 265 fg. Sterna 574. Sterninae 68, 575. Sternothaereus sinuatus 377, nigricans 377, Stichling 22 fg., 275, Brustpflege des 22, Stickstoffquellen für niedere Pilze 4fg. Stickstoffverbindungen organische, Ver- wertung durch Pflanzen 4fg., 33 fg. Stigeoclonium 37, longipillus 138, tenue 188. Stör 202fg., Nährtiere des 203. Strandläufer 69. Strix flammea 550. Strongylaria 412. Struthio 850. Stützorgane 573, 846. Stylocheiron 316 fg., 316 fg. Stylomatophoren 432. Stylonychia mytilus 325, 876. Stylonychien 874. Stypella 352. Stypelleen 352. Stypinella 351. Sula 579 fg. Sulfonharnstoff 9. Sulinae 581. Siimpfe, pontinische, Protozoen der 865. Sumpfpflanzen 209. Sumpfrohreule 550. Suriraya linearis var. constrieta 598. Surirella 286, 301, 304, calcarata 287, robusta 304. Surnia 54T, nisoria 547. Sus scrofa ferus 549 fg. Süsswasserfische, Parasiten der 55 fg. Süsswasserorganismen, Biologie der211. Süsswasserprotisten 801. Synapsis 595. Syndesmia prismatica 203. Synedra 40, delicatissima 211, 59, Jamilariaris 598, oxyrhynchus 37. ulna var. splendens 595, Vaucheriae var, perminuta 598. mastigophorum Sachregister. Syngnathus acus 204. Synodontis 28. Synoeca 273. Syrnium uralense 550. Systematik 376. T, Tabellaria fenestrata 595, var. asterio- nelloides 211, flocculosa 595 fg. Taeniophyllum Zollingeri 239, 246. Tafua 273. Talpa europaea 547 fg. Tantalidae 855fg. Tantalus 851 fg., 895. Taraxacum officinale 249. Tardigraden, Pigment der 753. Taschenkrebse 204, Tasthaare 232, embryonale der Wale 173. Taube 222. Tayloria 54, tenuis 54. Teilung der lebenden Materie 337, der Nematodeneier 152, 339. Temperatur, Einfluss auf die Verteilung der Crustaceen in den Seen 372 fg., Einfluss auf die Gestaltung der Sehmetterlinge 184, Einfluss der auf die Puppe wirkenden T. auf die Färbung der Schmetterlinge 561fg., auf das Pflanzenleben der Seen 594. Terebellides Strömii 260. Terebratula lagenalis 558. Terpentinessenz 250. Tetramethylglykol, Verhalten der Bak- terien gegen 46. Tetrao urogallus 547, tetrix 549. Tetraplatia volitans 414 fg., 520 fg. Tetraplodon 48 fg., angustatus 48, mni- oides 48. Wormskjoldiüi 48 fg. Tetrarhynchus 525. Tetrastemma vermiculus 113. Thalassophkryne 22. Thelyidie 239. Threskiornis 853. Thurmfalke 547. _ Thynnus vulgaris 202. Thysanoessa 316. Thysanozoon 726 fg. Tierreich, das 206. 927 Tierzeichnung 179 fg. Tintinnen 510. Ton des tetanisch kontrahierten Muskels 92, Torfgrind 552. Torpedo 94, 631, Ganglienzellen des Lobus electrieus 512. Tracheaten 412, Trachinus draco 201. Trachybalcaica 662. Tradition 387. Transpirationsstrom beiWasserpflanzen 100 fg. Transplantation 415. Trapa natans, subfossiles Vorkommen der in Böhmen 860, Tremella 352. Tremelaceen 352. Tremellodon 352. Tremoctopus microstoma 484. Triacanthus 28. Trichina spiralis 324, 361. Trichocysten 469. Trichodina 55fg., mitra 55 fg., 62, pedi- culus 5dfg., 520, Stein 5öfg. Triehopteren 187. Triehostasis primitiva s.prömammalica 173. Trichostamata 324 1g. Trifolium 603. Trigla 20, gununardus 201, hirundo 201. Trilobiten 413. Trimethylamin 2fg., 47. Trimethylcarbinol 7. Triodon 28. Triton 592, eristatus 379fg. Trochosphaera 412. Tropaeolum 600. Tropengewächse 240. Tropenklima, Einfluss auf das Wachs- tum der Pflanzen 240. Tropidonotus 550, 860, natrix 379. Trygon pastinaca 201. Tubinares b74fg., 857, 893. Tubularia 473, laryn« 479. Tundrenfauna 548, Tunicaten 371, 411, 592. Turdus pilarus 550. Turnus 183, 218fg., Glaucus 185, 928 Typha 243. Tyrosin 9. U. Ulmus campestris 247. Ulothrix 37fg., zonata 136, 595. Umbildung, kaleidoskopische 185. Umbrella mediterranea 393 fg. Umbrellaria aloysii 4710, 478. Ungulaten 145. Unio 148, 388fg., pictorum 813. Unioniden 148, 814. Unpaarzeher 549 fg. Uraleule 550. Uredinaceen 351. Urinatores 579 fg. Urethan 8. Urodelen 379. Ursäuger, Haare der 170. . Ursler, Barbara 165. Urotricha 260. Urmesodermzelle 388. Urrind 794. Ursus arctos 547 fg. Urstier 552, 794. Uıisache 772f8. V. Valvata Rothleinei 660, baicalensis 660. Vanellus 550, gregarius 75. Vanessa 222, 564fg., 600, levana 184, 569, prosa 184, 569, urticae 223, 566, v. ichnusa 566, v. polaris 566. Varanus ocellatus 377. Variation 126 fg., 142, 180, 229, 311fg., 387, TSbfg., SIäfg., bei Fischen 203, 785, koinzidierende 387, der Mauer- eidechse 180, prophetische 229. Variationsrichtungen 143. Vaucheria 10fg., 3dfg.,. 130fg., 419, clavata 131 fg., geminata 132 fg., hamata 598, racemosa 1321g., repens 131 fg., sessilis 131 fg., 598, uncinata 132fg. - Vegetation- der Flüsse 36. Velella 410 fg., 513 fg., 527. Velleius 272. . Venus gallina 669. Verein, deutscher für. öffentliche Ge- Sachregister, sundheitspflege 416, medezinischer zu Greifswald 512. Vererbung 108, 142, 179fg., 313, 385 fg., 780, soziale 387, eyklische 565. Vererbungstraktur des Keimplasmas 780. Vermalia 4llfg. Vermes 204, 324, 412. Vermitarva 412. Veronica spicata 600. Verrucaria caleiseda 246. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 654. Vertebrata 411. Vervollkommnung durch Auslese 124fg, Vespa 267 fg., 600, cerabro 271, ger- manica 267fg., media 271 fg., silvestrüs 271fg., vulgaris 267 fg. Vesperugo discolor 547. Vibrationsatome 588. Vibrionen 869. Vielfrass 547g. Viola tricolor 602fg. Vipera 860, berus 379, Ursinii 379. Viragines 161fg., 226. Viscum album 240. Vitalismus 98, 771. Vögel 182, 228, 547 fg., 573, 846, Luft- säcke .der 382, Morphologie und Systematik der 573, 846, 893. Vogelfeder, Farbenwechsel der ohne Mauser 65. Vogelweibehen, hahnenfedrige 229 18., 239. E Volucella 272. Volvoeineen 138. Volwox 211. Vorticella ascoideum 878, convallariae 877, mikrostomae 817. Vorticellen, stiellose 872fg. Vulpes lagopus 541fg., vulgaris 249. Vultures 848. Vulturidae 83. W. Wachholderdrossel 550. Wachsen, organisches 180. Wagnerscher Hammer 85. Waldmensch 163. . Sachregister. Wale, Tasthaare der 173, 232. Walross, Eckzähne des 233. Wasser, Einfluss der chemischen Be- schaffenheit des Seewassers auf die Verteilyng der Crustaceen 373fg. Wasserbakterien, Anteil an der Selbst- reinigung der Flüsse 37. Wasserlinse 34 fg. Wasserminze 101. Wasserpflanzen 99fg., 209fg., organische Ernährung der 33 fg., Nahrungsauf- nahme der 420. Wasserratte 547 fg. Wasserschweif 39. Wassertiere 273. Weibchenähnlichkeit 239. Weiberbart 161fg., 226. Weinsäure 3 fg. Weisheitszahn 229. Wels 28, brasilianischer 20. Wespe 267, Wiedemannsche Bussole 85. Wiesel 547. Wildesel 549. Wildkatze 551. Wildpferd 547g. Wildschwein 549 fg. Wimperinfusorien 338. Wirbelatome 587. Wirbelmoleküle 588. Wirbellose Tiere, Phylogenie der 411. Wirbeltiere, polyphyodonte 233. Farb- kleider der 378fg. Wisent 796. Wolf 547 fg. Wollhaare des Fötus 161fg., 229fg. Wühlmaus 547 fg. Wundheilungsvermögen der Amphibien- larven 413, Würmer 204. 324, 412, Wurzel der Wasserpflanzen 100fg. Wüstenpflanzen 245. X. Xanthoria parietina 246. Xanticles 216. * Xenopus boettgeri 377, Xenodon Neuwiedii 379. Xiphias gladius 202. 929 Xippoglossus vnlgaris 201. Xuthulus 220, Xuthus 220. Yphthima 504. 2. Zähne der Hundemenschen 164 fg., des. Menschen und der Säugetiere 164fg.., 233, der Wale 173. Zamesis 860, arenarius 860, constrictor 379, diadema S60, germonensis 379, microlepsis 860. Zander 23. Zeichnung der Reptilien 377, bei Schmetterlingen 188 fg., 213 fg., 179fg., 559 fg., der Taube 222, der Tiere 179 fg. Zelle 205, 772fg., 834fg., Chemie der lebenden 30, Ernährung der 2fg., 419, Osmotische Eigenschaften der 620 fg., Selbstbewegung der 773, Selbstordnung der 414, Selbst- trennung 414, tierische 333, Wachs- tum der 241g. Zellfunktionen, elementare 773fg. Zellgranulationen, intravitale Färbung der 322, 353. Zellkern 322, 353, 690fg., 721fg., 834 fg Zellmembran, Festigkeit der 622. Zellplatte, pflanzliche 336, Carnoysche 343. Zellschmarotzer 866 fg. Zellteilung 336 fg., 413 fg., 690 fg., 721fg., 745, 836fg., bei pflanzlichen und tierischen Geschlechtsprodukten 690 fg., 721fg. Zellthätigkeit, aktive 623fg. Zeus Faber 202. Ziege 552. Zierfische, chinesische 273, Ziesel 549. Zitronensäure 3fg. Zoarces viviparus 201. Zolicaon 219. Zonurus frenatus 377, tropidosternum 377, * 930 Zoologie, Aufgaben der 411, Lehr- bücher der 831. Zoosporenbildung, bei Algen 131fg., Zucker 1fg., 35. Züchtungskoeffizient 125. Zuchtwahl 142fg., 311fg., 385, 573, 653, natürliche 179, 186, geschlechtliche 227 fg. Zürichsee, Schwebeflora des 209fg. Zweckmässigkeit 126 fg., 181, in der lebenden Natur 145fg. Sachregister. Zwergrassen, menschliche 557. Zwergpfeilhase 547 fg. Zwergpfeilmaus 551. Zwergspitzmaus 547. Zwiebelmaus 547. Zwischenkörper 336. Zwischensubstanzen 386. Zygnema 6fg., 40, 420fg., stellinum var. subtile 598, Zygnemaceen, Ernährung durch Rohr- zucker 35. DREI EN a) $ ur SEAT yi er Fr leer el ER » ba u m ERENTR A \ ehren v— Ann u PP id. = 2250 r - 4 > E (e v Nr SF: FH 9} \ RS % » a ); x PReRSER? 1 a 9 BEN PEST Bu Nee nz, nun: ern ee 7 en a Be ‘ | 5 m N Sn