EDEN EEE GE EEE GEZEEETT zig Se ; ö - : i x £ ; £ 1 "z “ . ER r n x a a ı EEE Wirt: 5 Biologisches Centralblatt. iologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel 2 Dr. R. Hertwig Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Mrerundzwanzıester- Band. I904. Mit 141 Abbildungen. Leipzig. Verlag von Georg Thieme. 1904. K, b, Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Inhaltsübersicht des vierundzwanzigsten Bandes. O=Z09riginal; R = BReferab Seite Beard, J. Heredity and the Cause of Variation. OÖ . . » 22 2.0.....366 Biedermann, W. Untersuchungen über geformte Sekrete. R . . . . . 182 Bonnevie, Kristine. Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden (Einteroxenos östergreni) Ö: - -» » » = 22 2.2... 267, 306 Botezat, Eugen. Geschmacksorgane und andere nervöse Endapparate im Schnabel, derViopel 304. 202.02 SI Van ee SZ Bretscher, K. Dis xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. O0 . . ... . 501 Bühler, A. Alter und Tod. Eine Theorie der Befruchtung. O0. . 65, 81, 113 @ohmheim, Otto, Chemie der Eiweißkörper. Rı.y 22: 2.2 2, 2 wır2., ,640 Eh wol80n.,.0. DAY, Behrbuchlderifhysik. 4... 032 1 Pu ae an 2689 Dawydoff, ©. Die phagozytären Organe der Insekten und deren morpho- logiseher Bedeutune One nr esta eye el eneahe sdal Farmer, J. B. On Nuclear divisions in Malignant tumours. O0... . . 318 Farmer Bretland, J., Moore, J. E.S. und Walker, C. E. Über die Ähnlichkeiten zwischen den Zellen maligner Neubildungen beim Menschen und denen normaler Fortpflanzungsgewebe O0 . . . 1 Fürst, Carl M. Indextabellen zum anthropometrischen Gebrauche R . . 412 Goebel, K. Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. O 673,737, 769 Goldschmidt, Richard. Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen Van EBRRE eN e n — Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen,. O0. . 241 VI Inhaltsübersicht. Guldberg, Gustav. Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. O 371, 391 Häckel, Ernst. Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des Men- schen. R 477 Häcker, Valentin. Über die in malignen Neubildungen auftretenden heterotypischen Teilungsbilder. O. - } > 187 Halben, R. Theoretisches über die Bedeutung des Pigmentes für den Gehalt der Wirbellosen, speziell der Protozoen. © . . 2. 2.2.2... .283 Handlirsch, A. Zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynchoten. Neue Beiträge zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynchoten. R. 520 Hansemann,D.von. Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. O 189 Hartmann, Max. Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, Neube- nennung und Einteilung derselben, erläutert an Protozoen, Vol- yecineen und, Dieyemiden Ir... 9. 2. rer reröos Hennings, Curt. Zur Biologie der Myriopoden II. O0. . ... . . 251, 275 Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. O. 566 Ihering, H. v. Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens R 7 Ikeno, S. Blepharoblasten im Pflanzenreich. O 2ll Jaeger, Alfred. Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. O . 129 Jordan, H. Zur physiologischen Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. OÖ. 321 Jost, Ludwig. Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. R a Ann Kiebs,:Georg, Über Probleme der Entwickelung. O 257, 289, 449, 481, 545, 601 Kolmer, Walter. Eine Beobachtung über vitale Färbung bei Corethra plumicornis O 221 Korotneff, A. Über den Polymorphismus von Dolchinia. O 61 — Über einen Baikalfisch (Comephorus). O 641 Laloy, L’evolution de la vie. R 349 Lendenfeld, R. v. Die Nesseleinrichtungen der Aeoliden. R 413 — Über die deszendenztheoretische Bedeutung der Spongiosa. O . 635 Linden, M. v. Die Ergebnisse der experimentellen Lepidopteriologie. O . 615 Maas, OÖ. Einführung in die experimentelle Entwickelungsgeschichte (Ent- wickelungsmechanik). R . 318 Mac Neal, Ward, J. u. Novy, Fred. G. Die Züchtung von pathogenen Flagelaten (Trypanosoma Lewisi und Tr. Brucei). R . 405 Meyer, Arthur. Praktikum der botanischen Bakterienkunde. R 799 Moll, J. W. Die Mutationstheorie, III. Teil, bearbeitet von Hugo de VErseR) BINNEN re en AdDi ei rn Inhaltsübersicht. Nissl, Franz. Die Neuronenlehre und ihre Anhänger. R Östergren, Hj. Über die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. 0 Ou demans, J. Th. Eine literarische Ergänzung Parker, G. H. The skin and tho eyes as receptive organs in the reactions of frogs to light. R . Petersen, Wilhelm. Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. O 423, 467 Portig, Gustav v. Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes in den Reichen der Natur. R Rawitz, Bernhard. Die Unmöglichkeit der Vererbung geistiger Eigen- schaften beim Menschen. O Reinke, J. Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie O0 Richter v. Binnenthal, Fr. Die Rosenschädlinge aus dem Tierreiche, deren wirksame Abwehr und Bekämpfung. R . Ruhner, Max. Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. R Schaposchnikow, Ch. Eine neue Erklärung der roten Färbung im Hinter- flügel bei Catocala Schr. © | Schreiner, K. E. Uber das Generationsorgan von Myzxine glutinosa L. DA RE ER a Schultz, Eugen. Über Regenerationsweisen. 0 Schulz, Fr. N. Über das Vorkommen von Gallenfarbstoffen im Gehäuse von Mollusken. R. Skorikow, A. 8. Über das Sommerplankton der Newa und aus einem Teile dess Endopaseess O0 N rn ne ee re Set Sokolowsky, Alexander. Die Variation der ae des Kopfes von Scincus officinalis Gray. O. Stschelkanovzew, J. P. Über die Eireifung bei viviparen Aphiden, 0 Sund, Oscar. Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. O Tarnowski, P. N. Das Weib als Verbrecherin. R Tischler, G. Kurzer Bericht über die von Eriksson und mir ausgeführten Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes (Pue- cinia glumarum Erikss. et Henn.). ©. KR EN Volz, Walter. Über die Verbreitung einiger anthropoider Affen in Su- matra. Ö Werner, Franz. Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. O Wesenberg-Lund, C. Studien über das Plankton der dänischen Seen. R Wolff, Max. Studien über Kutikulargenese und -Struktur und ihre Be- VII Seite 440 559 473 795 542 Dl4 162 310 142 385 54 104 651 408 417 475 332 636 ziehungen zur Physiologie der Matrix. O0. . . . . 644, 697, 761 VIII Inhaitsübersicht. Zacharias, Otto. Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. R — Über vertikale Wanderungen des Zooplanktons in den baltischen Seen. 0 — Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer und ihre Beziehung zu den Aufgaben der allgemeinen Wissenschaft vom Leben. O VI. Internationaler Zoologenkongress in Bern. 14.19. August 1904. Anzeige Seegenpreis Seite 223 638 660 80 450 Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. 7 Anrae 190 XXIV.Bad. Inhalt: Farmer, Moore und Walker, Uber die Alnlichkeiten zwischen den Zellen maligner Neubildungen beim Mensceten und denen normaler Fortpflanzungsgewebe. — v. Ibering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. — Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, Neubenennung und Einteilung derselben erläutert an Protozoen, Volyocineen und Dieyemiden. Über die Ähnlichkeiten zwischen den Zellen maligner Neubildungen beim Menschen und denen normaler Fortpflanzungsgewebe. Von J. Bretland Farmer, J. E. S. Moore und €. E. Walker. Gelesen vor der Royal Society in London am 10. Dezember, mitgeteilt in den Proceedings der Royal Society und übersetzt auf Veranlassung der Verfasser von K. Goebel. Der Zweck dieser Mitteilung ıst, hinzuweisen auf einige wichtige eytologische Veränderungen, die bei der Entwickelung maligner Neubildungen bei Menschen sich abspielen. Wir glauben, dass die unten zu beschreibenden Veränderungen von diagnostischer Bedeutung für maligne ım Gegensatz zu gutartigen Neubildungen sind. Ferner, wenn unsere Schlüsse wohl begründet sind, können sie zugleich Licht werfen auf die Natur der Vorgänge, welche bei der Entstehung dieser Neubildungen in Betracht kommen, und wir hoffen, dass unsere Mitteilungen zugleich zum Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen über die entferntere Ätiologie der Er- krankung dienen mögen. Indes möchten wir von vornherein die Absicht, derzeit eine Theorie über die Natur dieser verschiedenen entfernten Ursachen aufzustellen, in Abrede stellen, obwohl, wie sich zeigen wird, unsere XXIV. 1 Au 2 Farmer ete., Maligne Neubildungen beim Menschen u. bei Fortpflanzungsgeweben. Beobachtungen gewisse Fingerzeige angeben, die auf die Richtung hindeuten, ın der man mit Erfolg nach solchen Ursachen suchen kann. Vor allem sei hervorgehoben, dass unsere Untersuchungen an einer großen Anzahl maligner Geschwülste, einschließlich zahl- reicher Fälle von Karziınomen und Sarkomen uns ermöglicht haben, im einzelnen eine Reihe bestimmter aufeinanderfolgender Ver- änderungen in den Zellen des auswachsenden und proliferierenden malignen Gewebes zu verfolgen, Veränderungen, welche ın auf- fallender Weise mit denen übereinstimmen, welche während der Reife ın den Bestandteilen der Sexualdrüsen der Fortpflanzungs- organe stattfinden, und es darf wohl eine solche Übereimstimmung, die sich auf die feinsten Einzelheiten erstreckt, als eine solche von schwerwiegender Bedeutung betrachtet werden. Um indes die Sachlage klar zu machen, wird es notwendig sein, zunächst kurz die charakteristischen Eigentümlichkeiten zu betrachten, durch welche die Gewebe, welche die reproduktiven Elemente werden sollen, von den anderen Elementen oder Zellen sich unterscheiden, aus denen der Körper oder das Soma eines Tieres oder einer Pflanze sich sonst aufbaut. Wenn sich die Ei- zelle eines Tieres oder einer Pflanze segmentiert, um einen Or- ganismus zu bilden, zeigen die Kerne aller so entstehenden Zellen während jeder Kernteilung eine bestimmte Chromosomenzahl. Diese Chromosomen durchlaufen eine bestimmte Reihe von Entwickelungs- veränderungen. Zuerst erscheint das Material, aus welchem sie entstehen, als eine Aggregation von Körnchen einer färbbaren Substanz (Chromatın), welche schließlich bestimmte Strukturen, die Chromosomen entstehen lässt. Diese sind für jede Tier- und Pflanzen- art ın bestimmter Zahl vorhanden, und jedes Chromosom teilt sich der Länge nach in zwei Tochter-Chromosomen. Die Chromosomen ordnen sich in diesem Teilungsstadium ın sehr bestimmter Weise an der Spindel an, oft erscheinen sie V förmig, mit der Spitze gegen die Spindelachse gerichtet. Die Tochterkerne entstehen durch die Verteilung je einer Chromosomen- hälfte auf je einen der beiden Pole und die so entstandenen Kerne können dann ın einen Zustand vollständiger Ruhe übergehen. Jedesmal wenn neue somatische Zellen im Körper entstehen, durchlaufen die Kerne (bei der Teilung) im wesentlichen überein- stimmende Phasen. Aber in jedem Individuum sind gewisse Zellen vorhanden, welche bestimmt sind, nicht spezialisierte Gewebe, sondern die sexuellen Fortpflanzungszellen hervorzubringen. Diese Zellen können in einem sehr frühen Zeitpunkt der embryonalen Ontogenie des Organismus differenziert werden oder sie werden erst auf einem späteren Stadium kenntlich. Zu welcher Zeit sie aber auch entstehen mögen, stets ist ihre fernere Geschichte vollständig verschieden von der der umgebenden somatischen Ge- Farmer ete., Maligne Neubildungen beim Menschen u. bei Fortpflanzungsgeweben. 5 webe. Die angegebene Verschiedenheit wird sichtbar, wenn die Zelle sich zur Teilung anschickt, und charakterisiert ist durch das höchst eigentümliche Aussehen der Zelle und die Tatsache, dass in einem bestimmten Stadium der Zellvermehrung in diesem re- produktiven Gewebe jede Zelle, welche wirklich reproduktiven Zellen den Ursprung gibt, eine Reihe von Veränderungen durch- läuft, die ganz verschieden sind sowohl von denen der umgebenden Zellen als von denen der vorhergehenden Zellen, durch deren Teilung eine derartige Zelle entstanden ist. Die eigentümliche Form der Mitose, welche mit dieser Umänderung verknüpft ist, hat man als heterotypische bezeichnet und sie ist ein charakteri- sches Zwischenstadium in der Reproduktionsentwickelung aller sich geschlechtlich fortpflanzenden höheren Tiere und Pflanzen. Die wesentlichen Merkmale, durch welche die heterotypische Kernteilung sich von der der Zellen des Körpers oder Somas (bei Pflanzen und Tieren) sowohl als von denen der Zellgenerationen der reproduktiven Gewebe, die ihr vorausgehen, unterscheidet, sind folgende: 1. die Periode von Ruhe und Wachstum; 2. die vom ruhenden Kern gebildeten Chromosomen sind nur ın der halben Anzahl derer vorhanden, welche sonst bei der Kernteilung gebildet werden; 3. die Gestalt dieser Chromosomen ıst auffallend ver- schieden von der bei anderen Zellkernen. Sie bilden Figuren, welche Schleifen, Ringen, Aggregationen mit vier Köpfen u. s. w. gleichen; 4. ihre Teilung an der Spindel erfolgt transversal, nicht longitudinal. Daraus geht hervor, dass diese heterotypische Mitose eine leicht erkennbare Phase in der Entwickelungsgeschichte der Sexualzellen darstellt und für unsere Zwecke ist dies der wesent- liche Punkt. Mit ihrer theoretischen Bedeutung haben wir es hier nicht zu tun. Es ist aber eine Tatsache von höchster Bedeutung, dass wenn einmal die heterotypische Teilung eingetreten ist, alle Nachkommen der betreffenden Zelle die reduzierte Chromosomenzahl in normalen Fällen beibehalten. Der Entwickelungskreis der Zellgenerationen, deren Kern nur die halbe Chromosomenzahl von der Zahl der somatischen Ühromosomen haben, schließt normal mit der Bildung bestimmter Sexualzellen. Durch die Verschmelzung von zwei Sexualzellen (Ei und Spermatozoon) wird die doppelte oder somatische Chromosomenzahl wieder hergestellt und diese Zahl ıst charakteri- stisch für das befruchtete Ei und alle aus ihm hervorgehenden Zellen, bis die heterotypische Kernteilung wieder im den reproduk- tiven Geweben eintritt. Nun kann nach Eintritt der heterotypischen Teilung die Zelle, in welcher sie stattgefunden hat, nach einer weiteren Teilung sofort die vier Sexualzellen hervorbringen wie beı den höheren Tieren, oder es kann vor der entgültigen Ausbildung der sexuellen Elemente eine unbestimmte Zahl von Zellgenerationen 1* 4 Farmer ete., Maligne Neubildungen beim Menschen u. bei Fortpflanzungsgeweben. ii eingeschaltet werden. So ist es bei der Mehrzahl der Pflanzen. Bei diesen tritt der gewöhnlich parasitische Charakter des so ent- stehenden Organismus, obwohl nicht ausschließlich, doch besonders deutlich hervor. So übt der Embryosack mancher Blütenpflanzen eine zerstörende Einwirkung auf die ihn umgebenden Somazellen aus. Diese Eigenschaft ist aber keineswegs ausschließlich auf die post-heterotype Formation (den Gametophyten der Pflanze) beschränkt, und wir legen kein entscheidendes Gewicht darauf. Bei niedriger stehenden Pflanzen ist die Körpermasse zusammengesetzt aus Zellen mit reduzierten Kernen, und der damit abwechselnde Entwickelungs- abschnitt, der aus dem befruchteten Ei hervorgeht, beutet die erstere aus. Aus einer allgemeinen Erwägung des ganzen Tatsachenmaterials scheint sich folgendes zu ergeben: bei höheren Tieren und Pflanzen verhält sich das postheterotype Gewebe, mit seiner ıhm eigenen Unabhängigkeit der Organisation gegenüber dem umgebenden Ge- webe des elterlichen Individuums als ein „Neoplasma“. Soweit „der Elter“ ın Betracht kommt, könnte man die Neubildung als eine pathologische beschreiben, wenn sie nicht eben eine normale Entwickelungsstufe ım Leben der Art darstellen würde. Wir sagten, dass die Zellen, aus denen die heterotypisch sich teilenden schließlich entstehen, oft von den Zellen unterschieden werden können, welche keine solchen Elemente hervorbringen. Im Hoden eines Säugetiers oder ım dem sporogenen Gewebe eines Staubblattes erkennen wir leicht und sicher das Vorhandensein jener Zellen. Sie fahren fort sich zu teilen, und obwohl von den anliegenden Zellen in mancher Himsicht verschieden, gleichen sie ihnen doch weiterhin in der Art der Kernteilung, bis sie einzeln in den eigentümlichen Wachstumszustand übergehen, welcher die heterotypische Teilung herbeiführt. Bei unseren Untersuchungen über abnorme Weachstums- erscheinungen bei Farnen fielen uns gewisse Eigentümlichkeiten der proliferierenden Gewebe, die bei der Apogamie und Aposporie') gebildet werden, auf, und das führte uns zu einer systematischen Untersuchung der ceytologischen Erscheinungen bei malignen Neu- bildungen beim Menschen. Es ergab sich das Vorhandensein einer überraschenden Ähn- lichkeit zwischen den Phasen, welche in charakterischer Weise sich in solchen Geweben und bei der Umbildung somatischer Zellen in reproduktive Gewebe im allgemeinen wiederholen. 1) Apogamie bei Farnen — Entstehung von Keimpflanzen am P:;othal iceum unabhängig von den Sexualorganen, Aposporie — Entwickelung von Prothallien an einer Farnpflanze ohne Mitwirkung von Sporen, beide Vorgänge weichen von der gewöhnlichen Norm ab. (Anm. d. Übers.) Farmer ete., Maligne Neubildungen beim Menschen u. bei Fortpflanzungsgeweben. 5 So sieht man, dass in einem typischen Fall von rasch wach- sendem Epitheliom in den frühen Stadien der Proliferation der Malpighischen Schicht die Zellen des eindringenden Gewebes zuerst eine Reihe somatischer Teilungen durchmachen, genau wie bei den Jugendstadien eines reproduktiven Gewebes. Die Ähnlichkeit kann sich auf die Hervorbringung von Riesenzellen erstrecken — ein in beiden Fällen häufiges Vorkommnis. Beim Fortschreiten der Zellvermehrung aber erfahren die Zellen selbst eine Änderung. Der protoplasmatische Zusammenhang, auf welchem der „stach- lige“ Charakter beruht, tritt mehr und mehr zurück, die Zellen nehmen das Aussehen eines indifferenten Keimgewebes an, welches so wohl bekannt ist als Eigentümlichkeit der Elemente, aus denen maligne Neubildungen hauptsächlich bestehen. Aber außerdem treten andere wichtige Veränderungen auf, welche, wie es scheint, allgemein über- sehen worden sind. Eine variable Zahl von Zellen, die in einer Zone hinter dem wachsenden Rand des vorrückenden Neoplasmas liegen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie ziemlich große Dimensionen erreichen. Jede enthält einen Kern, der zu beträchtlicher Größe heranwächst. Wenn er in Teilung eintritt, zeigt sich, dass die Chromosomen statt als dünne Stäbchen oder V, welche der Länge nach geteilt werden, zu erscheinen, das Aussehen kurzer, verdickter Schleifen oder Ringe haben, die ganz auffallend den späteren Prophasestadien in der heterotypischen Mitose der normalen reproduktiven Gewebe gleichen. Noch be- deutungsvoller ıst die Tatsache, dass in diesen Zellen die Zahl der Chromosomen augenscheinlich geringer istalsın dennormalen somatischen Zellen des umgebenden Gewebes. In manchen Fällen bestimmten wir die Zahl als annähernd die Hälfte des letzteren. Ferner ist klar, dass die Schleifen und Ringe, welche für dies Stadium der Zellenentwickelung in der malignen Neubildung charakteristisch sind, der Länge nach an der Spindel angeordnet sind, und so schließlich der Quere nach geteilt werden, genau wie in der entsprechenden heterotypischen Mitose der reproduktiven Elemente. Die nachfolgenden Teilungen, welche hinter dieser Zone vor sich gehen, scheinen mit der somatischen Form übereinzustimmen, ebenso wie das bei Zellen geschieht, die von einer Mutterzelle abstammen, welche einmal den heterotypischen Charakter erhalten hat. Aber Unregelmäßigkeiten verschiedener Art treten gewöhnlich auf. Amitose findet sich oft und die Zahl der Chromosomen in den Zellen, welche fortfahren, sich mitotisch zu teilen, weist oft Unregelmäßigkeit auf. Diese Tatsachen beeinflussen unsere Stellung aber nicht erheblich, denn bei manchen Pflanzen kommen ähnliche Unregelmäßigkeiten in post-heterotypischen Zellen vor, die nicht dazu bestimmt sind, wirklichen Sexualzellen den Ursprung zu 6 Farmer ete., Maligne Neubildungen beim Menschen u. bei Fortpflanzungsgeweben. geben. Die oben beschriebenen Reihen von zellulären und nu- kleären Veränderungen sind nicht auf Epitheliome beschränkt, sondern finden sich in wesentlich ähnlicher Art bei anderen Karzınomen und Sarkomen. In einem rapid sich entwickelnden Fall einer sar- komatösen Neubildung an der Cervix uteri z. B. konnten wir nahe dem wachsenden Rand eine wohl begrenzte Zone von Zellen unter- scheiden, die durch somatische (und amitotische?) Mitosetypen charakterisiert waren, ihr folgte nach innen eine Lage heterotypisch sich teilender Zellen und weiter innen zeigten die Zellen den somatischen Typus mit reduzierter Chromosomenzahl, zusammen mit anderen Zellen, in denen Mitose vor sich ging. Bei langsam wachsenden Tumoren, die offenbar dazu neigen, eine beträchtliche Menge normalen somatischen Gewebes hervor- zubringen, wie das fibröse Gewebe im Scirrhus der Brust, sind, wie zu erwarten war, Zellen, welche diese Phasen zeigen, viel schwieriger zu finden als in rasch wachsenden Tumoren. In solchen Neubildungen sind Zellen mit der gewöhnlichen somatischen Teilungs- figur zahlreich gegenüber denen, welche heterotypische Figuren zeigen. Das scheint darauf hinzudeuten, dass die Zellen, welche bestimmt sind, fibröse Gewebe zu bilden, sich nie heterotypisch teilen. Es ist so klar, dass in einem sehr wichtigen Punkt die ver- schiedenen Typen maligner Neubildungen bestimmte Eigentüm- lichkeiten zeigen, welche allen gemeinsam sind, und dass diese Eigentümlichkeiten übereinstimmen mit denen, die sich bei der Beobachtung des Vorganges der Differenzierung reproduktiver Zellen aus dem vorhergehenden somatischen Gewebe ergeben. Wir halten uns danach für berechtigt, das Auftreten dieser Neubildungen mit einem Reiz in Verbindung zu setzen, welcher den normalen so- matischen Verlauf der Zellentwickelung in der für reproduktive (nicht embryonale) Gewebe charakteristischen umgeändert hat. Wir betrachten diese Umänderung als die unmittelbare Ursache der Entwickelung der malignen Neubildung, aber die entfernter liegende Ursache muss in den verschiedenen Reizen gesucht werden, welche wie z. B. beständige Reizung, bekanntlich die Entwickelung dieser Neubildungen begünstigen. Bösartige Neubildungen lassen sich ferner, wie es scheint, scharf von gutartigen unterscheiden, insofern als wir in den letzteren nie etwas finden konnten, was den sehr charakteristischen oben be- schriebenen Kernveränderungen gleicht. So haben wir z. B. an einem polypoiden Papillom eine beträchtliche Zahl somatischer Miı- tosen mit der vollen (nicht reduzierten) Zahl der Chromosomen beobachtet, aber nie einen einzigen Fall einer heterotypischen Kern- teilung oder ein Anzeichen für eine Chromosomenreduktion finden können. Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. r In dieser vorläufigen Mitteilung beabsichtigen wir, nur in alleräußerster Kürze Fragen wie die Übertragung der Krankheit von einem Individuum auf ein anderes, oder ihr Überwiegen in manchen Distrikten oder sogar manchen Häusern zu besprechen. Es erscheint wahrscheinlich, dass wirklicher Kontakt in manchen Fällen die Erkrankung überträgt, aber es ist offenbar ebenso wahr- schemlich, dass dies geschieht, dadurch dass Zellen aus der Neubildung auf einen anderen Teil desselben Individuums oder eines anderen Individuums unter ganz besonderen Bedingungen übertragen werden, Bedingungen, welche die wiederholte Emwirkung eines geeigneten Reizes gestatten, oder die andauernde Einführung von Zellen, welche die von uns beschriebenen Veränderungen durchgemacht haben. In dem Falle von Lokalitäten, wo maligne Neubildungen be- sonders häufig auftreten, z. B. Krebshäusern, ist die Erscheinung direkt vergleichbar dem Vorkommen abnormer Zellentwicklungen, unter geeigneten Reizen, auf welche wir schon hingewiesen haben. Schließlich möchten wir hervorheben, dass die verschiedenen von uns beschriebenen Veränderungen immer schnell vor sich gehen, und vielleicht während des bevorstehenden Todes des Ge- webes beschleunigt sind. Wenn also die Gewebe nicht so .be- handelt sind, dass ihre Zellen einige Zeit, ehe der Tod eintritt, fixiert sind, findet man die Kerne entweder ım Zustand der Reife oder mehr oder weniger in dem der Zersetzung. Wir heben das besonders hervor, weil bei den gewöhnlichen pathologischen Auf- bewahrungsmethoden man bisher auf die Erhaltung und Fixierung der Zellen, was den Zeitpunkt und geeignete Reagentien anbelangt, nicht hinreichend geachtet hat. Solche Präparate, obwohl sie sich zu gewöhnlichen histologischen Untersuchungen vorzüglich eignen, können die feineren eytologischen Charakter der einzelnen Zellen nicht zeigen. Wir können diese Mitteilung nicht beendigen, ohne den Herren Dr. W. R. Dakin, Allingham, Baldwin, English, Jaffery, Parsons, Shield und anderen, welche uns so freundlich geholfen haben, das notwendige Material zu erlangen und dadurch diese Untersuchung zu ermöglichen, unseren lebhaften Dank auszusprechen. H. v. Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. Zool. Jahrb. Syst., XIX, 180—287, Tf. 10—22. Die in Südamerika lebenden stachellosen Honigbienen der Gattungen Melipona und Trigona, welche Verf. zum Gegenstand seiner Studien gemacht hat, sind geeignet, durch ihre Lebens- gewohnheiten das Interesse des Forschers in ganz hervorragendem oc Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. Grade zu fesseln. Ein Vergleich der Vertreter dieser Gattungen mit unserer Honigbiene (Apis mellifica L.) zeigt neben einer Reihe allen Apiden gemeinsamer Charakterzüge (z. B. die Einteilung des Volkes in die verschiedenen Stände der Geschlechts- und Arbeits- tiere, lebenslängliche Gefangenschaft der Königin, Koloniegründung durch Schwärme, Einsammlung von Honig und Pollen, Verwen- dung von Wachs als Baumaterial) auch sehr wesentliche Unter- schiede. Bei Apis erfolgt die Ausscheidung der Wachsblättchen bekanntlich an der Ventralseite der Abdominalsegmente, bei Melipona und Trigona dagegen an der Er Dorsalseite. Bei der ersteren ist ? ferner der Stachel wohl entwickelt, während er bei den letzteren ver- kümmert ist. Diese Verschiedenheiten in wesentlichen morphologischen Merk- 2 malen veranlassten v. Ihering, die Gattungen Melipona und Trigona als besondere Familie der Meliponiden are ir von den echten Apiden zu trennen. Verf. bespricht zunächst den Nest- -v bau der Meliponiden, soweit er sich auf ein einheitliches Schema zurück- führen lässt. Die typische Nestform ist das Baumnest (s. Fig.), welches ın hohlen Baumstämmen oder starken et Ästen angelegt wird. Die Höhlung wird, falls sie nicht einen natürlichen Abschluss besitzt, oben und unten durch eine Zwischenwand, das Ba- tumen (landläufiger Ausdruck) abge- schlossen. Von dem Flugloche (f), 2 welches nach außen zuweilen ın eine Röhre verlängert ist, führt ein kurzer Schema des Baumnestes von Gang (Flugröhre, n) zu der den Mittel- ee ne ne punkt des Nestes einnehmenden Brut- ba Batumen, f Flugloch, in masse (ww). Diese ist von mehreren Involuerum, n Flugröhre, feinen konzentrischen Wachslamellen, t Vorratstöpfe, w Waben. dem sogenannten Involucrum (in), eingehüllt. Innerhalb des Involuerums liegen die Brutwaben (?r), gewöhnlich horizontal. Sie bestehen aus kurzen, sechseckigen, oben und unten geschlossenen Zellen, welche nacheinander gebaut werden. Nachdem sie mit Futter- brei gefüllt und von der Königin mit einem Ei belegt sind, werden sie an der Oberseite zugedeckelt. Der Bau der Waben erfolgt gewöhnlich zentrifugal. Die Zellen werden nie mehrmals benutzt, sondern gleich nach dem Ausschlüpfen der ersten Brut ab- getragen. Da entsprechend dem zentrifugalen Bau in den mittleren Zellen die Bienen zuerst ausschlüpfen, so findet man nicht selten ringförmige Waben. Bei einzelnen Trigona-Arten kommt eine Ihering, Biologie der stachetlosen Honigbienen Brasiliens. I) spiralige Anordnung der Waben vor. Eine weitere Eigentümlich- keit der Trigona-Arten ist der Trochoblast, eine solide Wachs- membran, welche an Stelle der abgetragenen Zellen ausgespannt wird. Der Trochoblast dient dann als Basıs für die neu zu er- bauenden Zellen. Ueber und unter der Brutmasse befinden sich in unregelmäßiger Anordnung große, runde oder ovale Vorrats- töpfe (t), welche mit Honig oder Pollen gefüllt sind. Die Meliponiden leben, wie bereits gesagt, meist ın hohlen Bäumen. Eine Vorliebe für bestimmte Baumarten scheinen sie nicht zu haben. Die Tatsache, dass man sie nur in gewissen Bäumen findet, erklärt sich wohl daraus, dass eben nur gewisse Bäume besonders leicht von Kernfäule befallen werden. Vor der Anlegung des Nestes entfernen die Bienen die faulen Holzteile und überziehen die Wände der Höhlung mit einer Wachsschicht. Die Bienen sind nicht im stande, in gesundem Kernholz Höhlen anzu- legen, doch vergrößern sie dieselben in dem Maße, wie die Fäule fortschreitet. Gewöhnlich wählen die Bienen die mittleren und oberen Partien des Stammes zum Nestbau und nicht selten trıfft man in einem Stamm zweı Nester, selbst von verschiedenen Arten, übereinander, welche dann durch eine Zwischenwand aus Lehm oder Harz voneinander getrennt sind. Gewisse Arten sind ım Platz wählerisch; so baut Melipona nigra Lep. nur ın den untersten Teilen des Stammes, Trigona fulviventris Guer. nur in hohlen Wurzeln. Melipona marginata Lep. nistet gern in Hohlräumen von aus Luftziegeln gebauten Wänden, geht aber auch in hohle Bäume. Verschiedene Arten (Melipona wicina, Trigona quadri- punctata Lep., subterranea Friese, bilineata Say, basalis Sm.) sind Erdbienen. Ihre Nester liegen 2—-4 m tief in der Erde und sind durch eine senkrechte, schräge oder spiralig gewundene Röhre mit der Außenwelt verbunden. Die Röhre erweitert sich entweder direkt in den Nestraum oder mündet in einen mit Wachs ausge- fütterten Hohlraum. Einige Arten haben freie Nester, z. B. Tri- gona helleri Friese, welche das ihre aus Lehm und Pflanzenfasern auf Waldbäumen zwischen parasitischen Bromeliaceen baut, wäh- rend Trigona ruficrus Latr. ıhr Nest auf Bäumen und Sträuchern anlegt. Das in das Nest führende, aus Lehm hergestellte Flugloch ist bei den Meliponen und einem Teil der Trigonen sehr eng, so dass es nur einer Biene Durchgang gewährt, und wird nachts geschlossen. Bei anderen Trigona-Arten ist die Zugangsöffnung sehr weit und nach außen oft in eine zylindrische oder trichterförmige Röhre verlängert. Alle diese Arten mit weitem trichterförmigen Flug- loch sind Raubbienen. Das Batumen, die Scheidewand, welche das Nest von dem unbewohnten Raume abschließt, besteht bei den Meliponen aus Lehm und erreicht eine Dicke von 8—12 cm; bei den Trigonen ist es nur 2—4 cm dick und besteht aus mit Pflanzenfasern ver- mischtem Cerumen. Bei Meliponen ist nicht selten auch bei natür- lichem Abschluss der Höhle noch ein Batumen vorhanden. Das 10 Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. Flugloch liegt nicht immer in der Mitte des Nestes, aber immer in unmittelbarer Nähe der Brutmasse. Es kann z. B. am oberen oder unteren Ende des Nestes angebracht sein, und in diesem Falle befinden sich die Vorratstöpfe nur auf der einen Seite der Brut- masse, unter oder über derselben. Die zum Nestbau benutzten Baumhöhlen haben eine durch- schnittliche Länge von 30—60 em. Es gibt jedoch bedeutend größere Nester, was namentlich von den alten gilt, die einen Raum von 1--1,2 m Länge einnehmen können. Noch längere Höhlungen werden an einer oder an beiden Seiten künstlich abgeschlossen. Das die Brutmasse einhüllende Involukrum besteht aus feinen biegsamen Wachslamellen, deren Zahl bei Melipona oft nur 2—3, bei Trigona nicht selten 10 beträgt. Bei freistehenden Nestern finden wir über dem Involukrum noch die Spongiosa, ein System harter, aus Lehm und Cerumen bestehender Lamellen, welche eine bedeutende Festigkeit erreichen und die Hauptmasse des Nestes ausmachen. Die Spongiosa ıst vielfach von unregelmäßigen, ver- zweigten Gängen durchsetzt, was ihr Ähnlichkeit mit der Bauart eines Termitennestes verleiht. Die Brasilianer nennen daher solche Nester „Termitenhonignester“. Bei Trigona rufierus liegt innerhalb der Spongiosa noch eine schwere, schild- oder schüsselförmige Lehmmasse, das Skutellum, welches wohl ebenfalls zur Festigung des Nestes beitragen soll. Die Brutmasse besteht aus gewöhnlich horizontal gelagerten Waben, welche durch einzelne Wachspfeiler unter sich und mit dem Involukrum verbunden sind. Bei den Trigonen befinden sich in den Waben noch Durchgangsöffnungen zur Erleichterung des Verkehrs. Der Abstand der einzelnen Waben voneinander ist un- gefähr gleich der Breite einer Zelle und varııert daher nach der Größe der Arten. Nicht bei allen Arten ist die Lagerung der Waben horizontal. Triyona rufierus und Trigona quadripunetata z. B. bauen ihre Waben in spiraliger Anordnung. Trigona dorsalis nimmt eine Mittelstellung ein, sie baut ihre Waben bald spiralig, bald horizontal. Aber auch Arten (besonders Meliponen), die sonst nur horizontale Waben anlegen, bauen am Ende des Sommers seit- lich an den regelmäßigen Waben häufig kleine Gruppen von hori- zontal gelagerten Zellen, welche oft aus altem, schon früher zum Zellenbau verw andtem Wachs hergestellt werden. Die einzelne Wabe wird von sechseckigen, in regelmäßigen Längs- und @Querreihen angeordneten Zellen "gebildet. Diese sınd aus Wachs sebaut, haben biegsame Wände “und sind oben und unten mit einem Deckel versehen. Ihre Größe ıst bei den Melipona- Arten annähernd konstant und beträgt 9X 5 mm; bei den Trigonen schwankt sie zwischen 4 X 7,5 und 6 X 4 mm. Gewöhnlich werden die Zellen in Zusammenhang miteinander gebaut; es kommt jedoch vor, dass eine Wabe von verschiedenen Punkten aus in Angriff genommen wird. Eine besondere, bereits kurz erwähnte Eigen- inmlichkeit beim Wabenbau findet "sich bei manchen Trrgona- Arten, An der Stelle der künftigen Wabe wird zunächst eine starke Iherine, Biologie der stachellosen Honiebienen Brasiliens. >) > [e)} Wachsmembran, der „Trochoblast“, ausgespannt, auf welcher durch V erdickungslinien die Grenzen den zu errichtenden Zellen an- gedeutet werden. Dann werden die den Innenräumen der späteren Zellen entsprechenden Teile des Trochoblastes entfernt und zur Aufführung der Zellenwände verwandt; die Zellen werden nach unten und oben, also zu beiden Seiten des Trochoblastes, bis zur normalen Höhe ausgebaut. Es kommt auch vor, jedoch nur ın seltenen Fällen. dass die Bodenteile alter Zellen als Trochoblast Verwendung finden. Sie werden dann gereinigt und mit frischem Wachs überzogen, worauf sie als Grundlage zum Baue neuer Zellen dienen. Der Trochoblast wurde beobachtet bei Trigona jaty, Tri- gona cupira, Trigona dorsalis und Trigona molesta. Sobald die Zellen fertig gebaut sind, werden sie bis zur Hälfte oder noch etwas weiter mit gelbem Futterbrei gefüllt, von der Königin mit einem Ei belegt und hierauf zugedec ‘kelt. Der Futter- brei = bei einigen Arten fast trocken, ber anderen sehr dünn- flüssig und immer mehr oder weniger nit einer säuerlich schmecken- den Flüssigkeit vermischt. Nachdem die Larve den Futterbrei aufgefressen hat, häutet sie sich und entleert den angesammelten Kot. der mit der Larvenhaut als angetrocknete braune Masse am Boden der Zelle zurückbleibt. Die Larve hat offenbar die Fähig- keit, sich in der Zelle umzudrehen, denn man findet Larven sowohl mit dem Kopfe als mit dem Hinterende nach dem oberen Zellen- ende gerichtet. Die Nymphen dagegen liegen immer mit dem Kopfe nach oben. Die ausschlüpfende Imago braucht daher, um freı zu werden, nur den Deckel zu durchbeißen. Infolgedessen trifft man die Zellen immer nur an der Deckelseite geöffnet. Eine Fütterung der Larven kommt beı Meliponiden niemals vor. Zu allen eenan sind die Nester mit Brut besetzt, nur ein einziges: Mal hat Ihering ein von Brut vollkommen leeres Nest gefunden. Die einmal ene: Brutzelle wird nie zum zweiten Mal ge- braucht, sondern gleich nach dem Ausschlüpfen der Imagines wer- den die freigewordenen Zellen abgetragen. Da. wie bereits ein- gangs erwähnt, der Bau der Waben im Mittelpunkte beginnt und nach dem Rande fortschreitet und da ferner die fertigen Zellen sofort mit Brut besetzt werden, so schlüpfen die Imagines in dem mittleren Teil der Waben Auer aus. Beim Abtragen der leer- gewordenen Zellen entstehen daher ringförmige Waben, welche man häufig beobachten kann. Die Meliponen tragen die leeren Zellen gew ‚öhnlich gleich ganz ab, die Trigonen lassen oft die Böden oder die unteren Teile noch eine Zeit lang stehen. Diese können, wie eben erwähnt, als Grundlage zu neuen Zellen benutzt werden, meist aber werden sie schließlich ganz abgetragen. Manchmal werden die abgetragenen Stücke der Waben durch eine dünne Wachsmembran ersetzt, jedenfalls ein lediglich provisorisches Ge- bilde und mit dem Trochoblast nicht zu verwechseln. Einen sehr wesentlichen Bestandteil des Nestes bilden die Vorratstöpfe, welche im allgemeinen außerhalb der zentralen Brutmasse angeordnet sind. Die der Brutmasse am nächsten 12 Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. liegenden Töpfe dienen zur Aufnahme von Pollen, die distal ge- legenen werden mit Honig gefüllt. Die typische Anordnung der Vorratstöpfe ist oberhalb und unterhalb der Brutmasse, wie man sıe in Baumnestern und hier namentlich bei Meliponen findet. Bei den Trigonen werden sie oft seitlich von der Brutmasse angelegt, doch ist dieser Unterschied nicht durchgreifend und wird wohl hauptsächlich durch lokale Verhältnisse bedingt. Die Erdbienen bauen randständige Vorratstöpfe an der Peripherie des Nestes. Die Anordnung der Vorratstöpfe ıst ganz unregelmäßig. Sie bilden gewöhnlich dicke Klumpen, die oft die ganze Höhlung des Nestes ausfüllen. Durch kurze Wachspfeiler sind die Vorratstöpfe unter- einander verbunden. Die im Innern des Klumpens liegenden Töpfe sind gewöhnlich ganz unzugänglich, so dass die Bienen bei Be- nützung die äußeren zuerst leeren und abtragen müssen, um zu den inneren zu gelangen. Es finden sich jedoch, namentlich bei Meliponen, auch unregelmäßige Gänge, welche zwischen den äußeren Töpfen hindurch zu den im Mittelpunkte liegenden führen. Die (Größe der Vorratstöpfe schwankt zwischen der einer kleinen Erbse und der eines Hühnereies. Bei den Meliponen sind sie durch- schnittlich 40 mm lang und 30 mm breit; bei den Trigonen sind sie kleiner (z. B. bei Trigona dorsalis 25 mm lang und 18 mm breit). Auch die Stärke der Wandungen ist sehr verschieden. Diese haben bei Trigonen gewöhnlich die Dicke von Schreibpapier, bei Meliponen die Dicke von Leder. Die Wandstärke ist außer- dem vom Alter abhängig, denn neugebaute Vorratstöpfe sind stets dünnwandig. Große, besonders dickwandige Töpfe dienen wahr- scheinlich als Dauertöpfe, welche je nach Bedarf geleert und wieder gefüllt werden. Bei den Trigonen wurde die Abtragung der geleerten Töpfe und Verwendung des Materials zu anderen Zwecken beobachtet, was bei den Meliponen nicht vorzukommen scheint. Diese besitzen daher vorwiegend Dauertöpfe, doch finden sich solche möglicherweise auch bei Trigonen und besonders kann dies von den dicken randständigen Vorratstöpfen der Erdbienen gesagt werden. Als wichtigstes Baumaterial dient das Wachs, aus welchem Vorratstöpfe und Brutzellen zum großen Teil bestehen. Zur Her- stellung der Brutmasse wırd auch noch eine andere wachsartige Substanz, sogenanntes Cerumen, verwandt; auch die Flugröhre kann aus solchem bestehen. Die Trigonen verwenden beim Bau der Batumenplatte Wachs und Öerumen mit Pflanzengummi und Harz vermischt. Lehm und Erde werden hauptsächlich von Melı- ponen gebraucht und zwar zu Batumen und Flugröhre. Von den Trigonen verwendet nur Trigona cupira Lehm zum Flugloch. Die diekwandigen Dauertöpfe der Meliponen bestehen aus mit Wachs vermischter Erde. Die Stärke der Völker ist nicht nur bei den verschiedenen Arten, sondern auch innerhalb der einzelnen Arten großen Schwan- kungen unterworfen. Im allgemeinen ist die Individuenzahl bei den Meliponen schwächer als bei den Trigonen. Die schwächsten Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. 13 Meliponenvölker wurden bei Melipona anthidiordes gefunden, wo sie zwischen 685 und 894 Individuen varıierten; das schwächste über- haupt beobachtete Volk, mit nur 300 Indiv iduen, fand sich dagegen bei Trigona schrottkyt. Die stärksten Völker scheinen bei Trigona dorsalis vorzukommen, wo ein Volk manchmal 7000080000 Indı- viduen zählt. Unter gewöhnlichen Verhältnissen kann man an- nehmen, dass die Zahl der Brutzellen eines Nestes ungefähr der Stärke des Volkes gleichkommt; indessen trifft dieses Verhältnis nicht auf die Zeit kurz vor dem Schwärmen zu, wenn die Völker am stärksten sind. Für diese Zeit lässt sich die Individuenzahl, wenn man die Anzahl der Brutzellen — x setzt, annähernd durch X N 1 die Formel x +; ausdrücken. Wie Beobachtungen und Berech- nungen ergaben, schw ankt die Individuenzahl eines Volkes bei den Meliponen zwischen 500 und 4000, bei den Trigonen zwischen 300 und 80000; sie mag sich jedoch bei einzelnen Trigona- Arten manch- mal auf 100000 belaufen. Die Rolle der Königin ist bei den Meliponiden im wesentlichen dieselbe wie bei Apis mellifica, obwohl einige recht wesentliche Unterschiede vorhanden sind. In jedem Nest ist nur ein befruch- tetes, eierlegendes Weibchen anwesend, welches jedoch, ım Gegen- satze zu Apis, die Flugfähigkeit vollkommen eingebüßt hat. Der Hinterleib der Königin” ist infolge der außerordentlichen Entwicke- lung der Ovarıen so "stark angeschw ollen, dass sie selbst innerhalb des Nestes in ihrer Beweglichkeit gehindert ist und nur schwer- fällig zwischen den Waben der Brutmasse, ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort, umherkriechen kann. Die Königin wird nicht, wie bei Apis mellifica, von den Arbeitern bedient, sondern ist "voll- kommen sich selbst überlassen. Neben der Königin ist oft noch eine Anzahl jungfräulicher Weibchen im Stocke anwesend, was die erstere in keiner Weise zu beeinträchtigen scheint. Die Anwesen- heit zweier befruchteter Weibchen im selben Neste ist dagegen ein seltener Ausnahmefall. Die im Spätsommer ausschlüpfenden Weibchen der Meliponen haben noch vollkommen unentwickelte Övarien, worin sie sich wesentlich von Apis unterscheiden und werden erst im folgenden Frühjahre geschlechtsreif. Fritz Müller hat diese jungfräulichen Königinnen als parasitische Bienen (Kuckucks- bienen) beschrieben, weil sie keinen Apparat zum Pollensammeln haben. Ihre Geschlechtsreife scheint erst nach dem Verlassen des Mutterstockes und nach Gründung einer neuen Kolonie einzutreten. Die Trigona-Arten dagegen verhalten sich ın dieser Beziehung ähnlich wie Apis, da bei ihnen die Weibchen schon bald nach dem Ausschlüpfen die Geschlechtsreife erlangen. Bei den Meliponen entwickeln sich die Königinnen in Zellen, die sich in keiner Weise von den gewöhnlichen Brutzellen unterscheiden. Dagegen besitzen die Trigonen typische, ovale Weiselzellen, die am Rande der Waben angebracht werden. Die im Frühjahr und Sommer erscheinenden Männchen sind von den Arbeitsbienen kaum zu unterscheiden. Die Zellen, in 414 Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. denen sie aufwachsen, sind von den gewöhnlichen überhaupt nicht verschieden. Im Herbst werden die Männchen von den Arbeitern gewaltsam aus den Nestern entfernt und vielfach durch Bisse ver- wundet oder getötet. Dieser Vorgang lässt sich mit der Drohnen- schlacht bei Apis mellifica vergleichen, doch tritt er nicht wie dort als plötzliche Katastrophe ein, erstreckt sich vielmehr über Tage und vielleicht Wochen. Die der Drohnenschlacht entronnenen Männchen müssen in den kühlen Herbstnächten trotzdem zu Grunde gehen, da sie von den die Nester bewachenden Arbeitern nicht mehr eingelassen werden. Es können ın den Nestern Männchen und Weibchen zugleich anwesend sein und namentlich bei Meliponen gibt es solche diöcische Stöcke, wie durch die Beobachtungen von Perez erwiesen ist. Es kann aber auch nur ein Geschlecht vorhanden sein, oder es können schließlich beide Geschlechter ganz fehlen. Das Vorkommen nur eines Geschlechts scheint in manchen Fällen durch Proterandrie bedingt zu sein. Das Schwärmen der Meliponiden findet im Sommer und ım Herbst statt, ıst jedoch nur selten zu beobachten, weil die eigen- tümlıchen Erscheinungen, unter denen es bei Apxrs vor sich geht, bei den Meliponiden sehr zurücktreten. Das Ansammeln der Bienen vor dem Flugloch dauert nur kurze Zeit. Die Schwärme sind bei weitem nicht so kompakt wie bei Apis mellifica, sondern verteilen sich über eine kleinere oder größere Fläche. Auch lassen sie sich gewöhn- lich nicht in der Nähe des Mutterstockes nieder. Das Schwärmen der Meliponiden bietet also dem Züchter nicht wie bei Apis melli- fica ein rationelles Mittel zur Vermehrung der Stöcke. In ıhrem täglıchen Leben sind die Meliponiden vom frühen Morgen an sehr arbeitsam und rege. Einige Trigona-Arten ver- schließen nachts die Flugröhre und öffnen sie bei gutem Wetter kurz nach Sonnenaufgang. Nur Trigona schrottkyi geht erst ziem- lich spät an die Arbeit, was ıhr den Namen „pregucia“ (Faultier) eingetragen hat. Tagsüber wird das Flugloch bewacht, bei den Trigonen von einer Anzahl Bienen, bei den Meliponen von einer einzelnen Wache, die sich dicht beim Flugloch oder ın der Nähe derselben aufhält und mit großer Ausdauer alle fremden Bienen verscheucht, die etwa in räuberischer Absicht in das Nest einzu- dringen suchen. Die heimkehrenden Bienen sind an den Körbchen der Hinterbeine stark mit Pollen beladen; die Meliponen tragen auf dieselbe Weise auch Lehm ein. Als Nahrung nehmen die Meliponen nur Honig, während die Trigonen außer diesem auch andere pflanzliche und tierische Stoffe, selbst verdorbene und faulende annehmen. Triyona bipunetata z. B. saugt bei Menschen den Schweiß von der Haut und geht auch an Kot; Trigona amal- thea ıst an Aas, an Kuhmist und anderen tierischen Exkrementen zu finden. Trigona rufifrons zeigt eine besondere Vorliebe für Baumknospen, wodurch sie der Obstkultur schädlich wird; auch beißt sie an Orangeblüten Löcher in die Basis der Blätter. Die Baumknospen verwendet sie wahrscheinlich zu Bauzwecken, ebenso Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. 15 wohl frischen Kuhmist, auf dem sie häufig angetroffen wird. Die Betätigung der Bienen wird im Norden Brasiliens durch die Regen- zeit, ım Süden durch den Winter unterbrochen. Man findet sie jedoch auch an milden, sonnigen Wintertagen eifrig bei der Arbeit, da es auch während dieser Zeit genug blühende Pflanzen gibt. Wohl alle Melipona-Arten sind selegentlie he Räuber, wie es ja auch von Apis mellifica bekannt ist. Dagegen treiben einige Trigona-Arten das Räuberhandwerk als Beruf und plündern fremde Stöcke, wo immer sich Gelegenheit bietet. Hierbei ist es gleich- gültig, ob das überfallene Volk derselben Art wie der Räuber oder einer anderer Art angehört. Meist handelt es sich nur um Beute- züge, bei denen es lediglich auf den Inhalt der Vorratstöpfe abge- sehen ist. Eın besonders schlimmer Räuber dieser Art ist Trigong rufifrons. Doch gibt es auch Trigona-Arten (2. B. Trigona dor- salis), welche auf diese Weise günstige Wohnplätze zu gewinnen suchen und bereits bewohnte Nester sewaltsam in Besitz nehmen, anstatt selbst solche anzulegen. Eine solche „Expropriation* er- folgt immer erst nach hartem Kampf, wobei die sich widersetzenden Eigentümer getötet werden und die Eindringlinge dank ihren stärkeren Mandibeln das Feld behaupten. Letztere benützen jedoch nur die Nesthöhlung, zerstören Brutmasse und Vorrats- töpfe und ersetzen sie durch eigene. Berufsmäßige Raubbienen arbeiten jedoch auch selbständig, sobald sich ın der Nähe ihres Nestes keine Gelegenheit zu Räubereien bietet. Eine Art, Trigona fulwiventris, lebt symbiotisch mit Termiten und Ameisen (Cumponotus rufipes). Die Nester beider Insekten- arten sind nur durch die Wand des Bienennestes voneinander ge- schieden. Aus dem letzteren führt eine dicke Röhre zum Flug- loch und ins Freie. Die Symbiose mit Termiten ist häufiger als die mit Ameisen, welche nur ın einem Falle beobachtet "wurde. Ihering glaubt die Ursache des Zusammenlebens der Bienen mit den Termiten darin zu finden, dass diese, als schwache und wehrlose Tiere, an den starken und mutigen Bienen einen gewissen Schutz hätten. (Doch hat kürzlich v. Buttel-Reepen auch die gegenteilige Vermutung ausgesprochen und ferner auf die Ersparnis von Baumaterial hingewiesen, welche den Bienen durch die Sym- biose gewährt würde. Vel. Biol. Centralbl. XI, :p 134) Als Gäste leben in den Meliponidennestern hauptsächlich Coleopteren der Gattungen Delonuchus und Scotoeryptus. Sie finden sich nie zwischen der Brutmasse, sondern immer an den Vorrats- töpfen oder an den Wänden des 'Nestes. Sie scheinen daher nur dem Honig oder höchstens Bienenleichen nachzugehen. An leben- den Bienen kommen sie nie vor. Dipterenlarven, deren syste- matische Zugehörigkeit nicht bestimmt wurde, wurden in den Pollen- töpfen von Trigona dorsalis beobachtet. (Es dürfte sich nur um Musciden- oder Syrphidenlarven gehandelt haben. Ref.) Feinde der Bienen sind onen: der Irara ( Galietis barbara L.. eine Marderart) und Felis eyra Desm., welche dem Honig nach- stellen. Von bienenfressenden Vögeln sind die Dendroc alaptiden 16 Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. (besonders Dendrocalaptes picumnus) und Galbuliden zu erwähnen. Auch Spechte sollen sowohl dem Honig wie den Bienen und deren Larven nachstellen. Von Insekten sind es außer den Raubbienen besonders die zuckerliebenden Ameisen, welche die Bienen um ihres Honigs willen verfolgen und damit auch der Zucht großen Scha- den tun. Wenn es ihnen einmal gelungen ist, in ein Nest einzu- dringen, schleppen sie sämtlichen Honig aus demselben weg, worauf die Bienen das geplünderte Nest verlassen. Eine andere Ameise, Camponotus elongatus, überfällt die Bienenstöcke und tötet die Bienen. Indessen lassen sich die Ameisen von den Bienenstöcken fernhalten, wenn man dieselben auf Gestellen unterbringt, die in Gefäßen mit Wasser, Petroleum etc. stehen. Gegen die Raub- bienen dagegen gibt es kein Mittel, und sie sind daher die gefähr- lichsten Feinde der Bienenzucht. Nach ihrem Verhalten gegen den Menschen kann man die Meliponiden in „zahme“ und „wilde“ einteilen, d. h. in solche, die sich gutwillig ihres Honigs berauben lassen und solche, die sich dabei zur Wehr setzen. Zu den ersteren gehören die Baum- bewohner mit engem Flugloch, also im allgemeinen die Meliponen, zu den letzteren alle Arten mit freistehenden Nestern und weiter Flugöffnung, sowie alle Raubbienen, was auf eine große Anzahl 7ri- gona-Arten zutrifft. Obwohl die bösartigen Meliponiden keinen Stachel haben, können sie doch sehr lästig werden, da sie teilweise empfindlich beißen, ın Nase, Augen und Ohren eindringen und sich in Bart und Haaren festsetzen. Wegen dieser letzteren Eigen- schaft sind manche Arten als „Haarwickler“* gefürchtet. Eine Trigona-Art (Trigona cacafogo) ıst dies ferner wegen ihrer schmerz- haften Bisse; dieselben sollen wie Feuer brennen und erst nach 2—3 Wochen heilen. Wahrscheinlich wird hier ein giftiges Sekret in die von den Mandibeln erzeugte kleine Wunde gebracht. Da der Honig der meisten Meliponiden, besonders der Meli- pona-Arten sehr aromatisch und wohlschmeckend ist, hatten sich bereits die Ureinwohner Brasiliens dies zu Nutze gemacht und waren daher sehr genau mit der Lebensweise der Bienen bekannt. Dies geht aus den vielen sehr treffenden, noch heute gebräuchlichen Bezeichnungen hervor, welche die portugiesischen Ansiedler von den Eingeborenen übernommen haben. Der Honig aller Meliponiden ıst sehr dünnflüssig und lässt sich ohne besondere Behandlung nur kurze Zeit aufbewahren. Er erhält jedoch durch Kochen Konsistenz und Dauerhaftigkeit. Auch im Stock wird der Honig bei langer Aufbewahrung schließlich eingedickt und eventuell sogar aus- kristallisiert. An Güte kommt der Honig der meisten Melipona- Arten dem europäischen gleich und übertrifft denselben noch an Aroma. Die in den Stöcken vorhandene Honigmenge ist sehr ver- schieden. Die Nester, welche v. Ihering untersuchte, enthielten zwischen 0,5 und 21 Honie. Besonders große Nester, namentlich von Melipona nigra, sollen jedoch unter Umständen 10-151 Honig enthalten. Der Honig wird gekocht, in Flaschen gefüllt und an die Apotheken verkauft. Er gilt als heilkräftig, namentlich als Ihering, Biologie der stachellosen Honigbienen Brasiliens. 17 Mittel gegen Schwindsucht. Im Preis steht der Meliponidenhonig 4—5 mal so hoch als der Honig von Aprs mellifica, wovon in Sao Paulo die Flasche ungefähr 1 Mk. kostet. Der Honig der Trigonen schmeckt vielfach sauer oder hat einen faden, schlechten Geschmack, wie z. B. bei Trigona fulw- ventris, deren Honig „Hundshonig* genannt wird. Bei einzelnen Arten ruft der Honig Erbrechen und Krämpfe hervor, ist also als giftig zu betrachten. Solchen giftigen Honig besitzt wahrscheinlich Trigona limeo. Der Honig einer Trigona-Art (Trigona recurva?) soll stark berauschend wirken. Es ist seit langer Zeit bekannt, dass gewisse südamerikanische Wespenarten giftigen Honig produzieren. Die Folgeerscheinungen, die der Genuss desselben hervorruft, sind jedoch w vesentlich andere als bei dem giftigen Honig der Trigonen. Hier haben sie Ähnliehkeit mit den” Symptomen“ einer Gehirn- erschütterung und es tritt eventuell eine paralysierende Wirkung ein; auf den Genuss von giftigem Wespenhonig dagegen folgt lediglich eine starke nervöse Exaltation. Das Wachs der Meliponiden ıst von gelber bis brauner Farbe, gewöhnlich sehr dunkel. Es lässt sich nur schwer bleichen, hat eine weiche, klebrige Konsistenz und findet nur als Pfropfwachs Verwendung. Früher wurde es zu Kerzen verarbeitet. Im Innern des Involukrums speichern die Bienen auch Klebwachs in erbsen- bis saubohnengroßen Stücken auf. Sie gebrauchen dasselbe, wie Drory beobachtet hat, gelegentlich als Verteidigungsmittel gegen angreifende Insekten, indem sie diese damit bestreichen und sie so in den Bewegungen "hindern. Frische Brutwaben lassen an Bruchstellen eine wasserklare Flüssigkeit austreten. Es ıst dies dieselbe Flüssigkeit, mit welcher der Futterbrei vermischt wird. Sie schmeckt sauer und hinterlässt beim Verdampfen ein ameisen- saures Salz, viellescht ein Magnesiumformiat. Dasselbe Salz wird auch stellenweise an Brutwaben ausgeschieden. Die Meliponen lässt man gewöhnlich in den, von ihnen ur- sprünglich bewohnten Baumhöhlen, deren obere Öffnung zur Ent- nahme des Honigs durch ein abnehmbares Brett ve rschlossen wird. Die Trigonen werden in Zuchtkästen gehalten, was keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Auch Erdbienen lassen sich in denselben halten. Indessen lassen sich die Völker nicht mit derselben Leich- tigkeit wie Apis mellifica vermehren, weil die Schwärme nicht so kompakt sind. Am besten ist es, in der Nähe der Stöcke geeig- nete Nistplätze, z. B. hohle Baumstücke, aufzustellen, doch ist man dabei immer vom Zufall abhängig. Das geeignetste Mittel zur Vermeh- rung der Völker ist die Teilung derselben. Man bringt die Königin mit einem Teil des Volkes an einen vom Mutterstock etwas entfernten Ort, so dass der zurückbleibende Rest gezwungen ist, sich aus den im Stocke anwesenden Weibchen eine neue "Königin zu erziehen. Gegenstand der Bienenzucht sind in Sao Paulo "besonders Meli- pona anthidioides und Melipona nigra, ın Bahia Melipona scutellaris. Auch Trigona jaty und Trigona molesta werden zuweilen gehalten. Im allgemeinen jedoch bietet die Zucht der Meliponiden wenig XXIV. 2 18 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Vorteile. Ihre geringe Widerstandsfähigkeit, der ebenfalls geringe Honigertrag, die Unbrauchbarkeit des Wachses, schließlich die große Schwierigkeit der Vermehrung durch Schwärme machen sie im Vergleich zu Apis mellifica zu minder wertigen Honigproduzenten. Die Unmöglichkeit der Übertragung dieser “tropischen Formen in gemäßigte Zonen ıst daher vom praktischen Standpunkt des Züchters aus nicht zu beklagen. Wissenschaftlich betrachtet bieten die Meliponiden eine Fülle des Interessanten und eine Menge An- haltspunkte zum Verständnis anderer Formen; ein großes wirt- schaftliches Interesse besitzen sie nicht. K. Grünberg. Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, Neubenennung und Einteilung derselben, erläutert an Protozoen, Volvocineen und Dicyemiden. (Zugleich vorläufige Mitteilung über den Zeugungskreis der Dieyemiden.) Von Dr. Max Hartmann, Assistent am zoologischen Institut Gießen. Mit 8 Figuren im Text. Meine Untersuchungen über den Zeugungs- und Entwickelungs- kreis der Diceyemiden haben mich zu der Erkenntnis eines typischen (renerationswechsels bei diesen merkwürdigen Tieren geführt. Es wechseln sogen. ungeschlechtliche Generationen mit Geschlechts- generationen in gesetzmäßiger Weise ab. Dabei nehmen die un- geschlechtlich entstandenen Individuen ihren Ausgangspunkt von echten ungeschlechtlichen Keimzellen, sogen. Sporen. Wir haben somit hier den einzigen Fall einer ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Einzelzellen bei vielzelligen Tieren. In dem Bestreben, diese Fortpflanzungsweise richtig und zweckmäßig zu benennen d.h. ihr eine Benennung zu geben, die theoretischen wie praktischen An- forderungen meh, kam ich nach reiflichem Prüfen der bisher dafür Ebuchlichen Namen zur Überzeugung, dass keiner der- selben Allassn Anforderungen genügt. Ich habe mich daher ent- schlossen, eine neue Benennung für diese Fortpflanzungsweise ein- zuführen, bin aber dabei, fußend auf Anschauungen Rich. Hert- wigs (1899) und Weismanns (1902) noch weitergegangen und mit Benutzung einiger bisher stets eindeutig gebrauchter Namen zur Aufstellung einer neuen Benennung nd Einteilung der Fort- pflanzungsweisen überhaupt gekommen. Da diese Einteilung und Benennung einmal unsern modernen, aus dem Studium der Pro- tisten gewonnenen Anschauungen über die Fortpflanzung entsprechen, da ferner alle Namen eindeutig und, soweit ich sehen kann, auf alle Organismen, Pflanzen wie Tiere, anwendbar sind, so glaube ich hoffen zu dürfen, damit bei vielen Biologen Anklang zu finden. Zuerst sollen nun die Mängel und die Unzweckmäßigkeit der bisherigen Begriffe nachgewiesen und die Aufstellung der neuen Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 19 Bezeichnungen begründet werden. In einem zweiten Teil werden dann die praktische Brauchbarkeit und die Vorzüge der neuen Be- nennungen gegenüber den bisherigen an Beispielen von Protisten und niedersten vielzelligen Organismen dargetan werden, wobei zwei dieser Beispiele, Volvox und besonders die Dieyemiden, mir Gelegenheit geben werden, neue Auffassungen und eigene Unter- suchungen über die Fortpflanzung dieser Organismen vorläufig mit- zuteilen. T. In der jetzigen Literatur sind drei Bezeichnungsweisen für die ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Einzelzellen verbreitet: 1. Sporogonie kurzweg (die bei den Botanıkern und in der älteren Literatur allgemein übliche Bezeichnungsweise) von Häckel auch Mono-Sporogonie genannt; 2.Monogonie (Grassi und Lang); 3. Schizogonie (Schaudinn, Lühe, Doflein). Beginnen wir mit diesem letzteren, neuesten Begriff, der Schizogonie! Dieser Name ist von Schaudinn (1899) bei Trichosphaerium aufgestellt und bedeutet dort nur die Art der Bildung der Fortpflanzungs- körper der einen Generation durch Zerspaltung des Elterindivi- duums in einkernige Sprösslinge. Das Elterindividuum wird von ihm Schizont genannt. Die aus den Teilungsprodukten der Schı- zonten sich entwickelnden Individuen bilden am Ende ihres vege- tativen Lebens andersartige Fortpflanzungskörper, nämlich mit zwei Geiseln versehene Schwärmer. Wegen dieser Sporulation nennt Schaudinn diese Form Sporont, den Vorgang Sporogonie, die Produkte Sporen. Die Schwärmsporen vereinigen sich dann durch Kopulation und wachsen wieder zu einem Schizonten heran. Von vornherein bezeichnet also diese Schaudinnsche Benennungsweise nur die verschiedene Art der Entstehung der Fortpflanzungskörper und sagt nichts darüber aus, ob eine Art mit einem Geschlechts- akt verbunden ist oder nicht; es sind also ursprünglich keine Be- zeichnungsweisen für ungeschlechtliche und geschlechtliche Fort- pflanzung resp. Generation. Später wandte dann Schaudinn (1899, 1900) seine Nomenklatur auch auf den Zeugungskreis der Coceidien und Hämosporidien an, wo ja nach den Untersuchungen von ıhm und andern gleichfalls ein Generationswechsel stattfindet. Auch dort geschähe die Bildung der Fortpflanzungskörper der un- geschlechtlichen Generation durch Schizogonie, die der geschlecht- lichen durch Sporogonie, wobei jedoch der Geschlechtsakt (Kopu- latıon von Makro- und Mikrogameten) vor die Bildung der Sporen fällt, während bekanntlich bei Tröchosphaerium die Sporen kopu- lieren. Von nun an gewannen aber die Schaudinnschen Begriffe noch die Bedeutung von Zeugungsgenerationen, indem Schizo- gonie die ungeschlechtliche, Sporogonie die geschlechtliche Fort- pflanzung resp. Generation vorstellte. Das ist jedoch mit verschie- Or I Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. denen Unzulässigkeiten verknüpft. Denn jetzt bedeutet Sporogonie eine Fortpflanzungsweise, die mit einem Geschlechtsakt verbunden ist, während bisher allgemein und besonders bei den Botanikern Sporogonie für die Bildung von Keimzellen verwendet wurde, die sich ohne Befruchtung entwickeln. Dass der Gebrauch desselben Namens einmal für eine Fortpflanzungsweise ohne, das andremal mit Befruchtung viel Unklarheit und Verwirrung hervorruft und vor allem geeignet ist, dem Schüler das Verständnis im höchsten Maße zu erschweren, liegt auf der Hand. Dazu kommt noch, dass auch bei Botanikern Ausdrücke im Gebrauch sind, bei denen das Wort Spore auch auf zur Befruchtung kommende oder befruchtete Fortpflanzungskörper angewendet wird, wenn auch meist mit be- stimmtem Beiwort wie etwa Zygospore. Ich bin daher der An- sicht, dass man die Ausdrücke Sporogonie wie Schizo- gonie für eine Bezeichnung der Fortpflanzungsweise mit oder ohne Befruchtung gänzlich vermeiden soll. Man möge sie völlig indifferent in Bezug auf diese Verhältnisse in einigen Fällen praktischerweise weiter anwenden, nur zur Bezeichnung der Art der Bildung einzelliger Fortpflanzungskörper, wie sie ja auch eigentlich Schaudinn anfangs bei Trichosphaerium gebraucht hat. Ganz in diesem Sinne ist das Wort Spore (Sporozoit etc.) schon von Grassı (1902) und Lang (1901) bei ihren Bezeich- nungsweisen der Fortpflanzungsverhältnisse der Protozoen verwendet. Diese Autoren nennen die Fortpflanzungsweise der Protozoen, je nachdem dieselbe mit oder ohne Befruchtungsakt sich vollzieht, Monogonie und Amphigonie. Das scheinen klare Begriffe, trotz- dem dünkt mich auch dagegen vieles zu sprechen. Das Wort Monogonie stammt von Häckel (1866, 1894) und bezeichnet nach ıhm allgemein ungeschlechtliche Fortpflanzung im (Gegensatz zur geschlechtlichen, zur Amphigonie. Der Begriff Mono- gonie umfasst also bei Häckel sowohl die ungeschlechtliche Fort- pflanzung durch einzelne Zellen (Sporen), wozu anfangs irrtümlicher- weise auch noch die Parthenogenese gerechnet worden war, als auch die ungeschlechtliche Fortpflanzung vielzelliger Organismen (oder Protisten-Kolonien und vielkerniger Protisten) durch Teilung und Knospung, wobei der Elterorganismus stets in vielzellige (viel- kernige) Teile zerfällt oder vielzellige (vielkernige) Teile vom Elter- organısmus sich loslösen. Diese beiden sogen. ungeschlechtlichen Fortpflanzungsweisen haben aber absolut nichts miteinander zu tun, da sie genetisch nicht miteinander ım Zusammenhang stehen. Diese Anschauung, wonach es also unrichtig ist, die ungeschlecht- liche Fortpflanzung durch Einzelzellen und die ungeschlechtliche Fortpflanzung vielzelliger Organısmen durch Teilung und Knospung unter einen Begriff zusammenzufassen, ist bei Zoologen ziemlich verbreitet. So findet man sie in Vorträgen von Weismann (1902) Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 21 klar ausgesprochen. Aber Richard Hertwig (1899) war, so viel ich weiß, der erste, der die Unzulässigkeit dieser Zusammenfassung auf Grund unserer neuern an Protisten gewonnenen Kenntnisse ausführlich begründete und infolgedessen zu einer neuen Einteilung der Fortpflanzungsweisen gelangte!). Da die Ausführungen Hert- wigs für die Zurückweisung der bisherigen Einteilung und Be- nennung von größter Wichtigkeit sind, so will ich hier etwas näher auf dieselben eingehen, zudem dieselben an wenig beachteter und bekannter Stelle publiziert sind. Ausgehend von einer Betrachtung der Fortpflanzungs- und Be- fruchtungsvorgänge der Protozoen kommt Hertwig zu der An- schauung: „Es gibt bei den Protozoen nur eine Art der Fort- pflanzung d. i. die Teilung (Zellteilung) in Ihren mannigfachen Variationen. Außerdem besteht bei den Protozoen die Notwendig- keit, zeitweilig den Bau ihres einzelligen Körpers durch Befruch- tung zu reorganisieren . ... Und so sehen wir in den Lebensgang eines Protozoon zeitweilig Befruchtungsvorgänge eingeschaltet.“ Nach Vergleichung der Fortpflanzungsweisen der Protozoen mit denen der Metazoen und niederen Pflanzen kommt er zu dem Resultat, dass die Vorstellung, die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Metazoen sei ein Erbstück der Protozoen und die geschlecht- liche Fortpflanzung ein mit der höheren Organisation in Zusammen- hang stehender Neuerwerb, nicht mehr aufrecht zu erhalten sei. „Vielmehr ist das Gegenteil richtig, die geschlechtliche Fortpflan- zung der Metazoen ist die Fortführung der Fortpflanzungsweisen der einzelligen Organismen, dagegen sind die Knospungs- und Tei- lungsvorgänge der vielzelligen Organismen Einrichtungen, welche erst mit der Vielzelligkeit möglich wurden?) und mit den Teilungen und Knospungen der Einzelligen eine nur äußerliche Ähnlichkeit haben.“ Will man von den Fortpflanzungsformen im Tier- und Pflanzen- reich eine zusammenfassende Darstellung geben, welche ein rich- tiges Bild vom natürlichen Zusammenhang der Erscheinungen ent- wirft, so muss man die alte Einteilung in geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung aufgeben und durch folgende Dar- stellung ersetzen: Allen Organismen ist gemeinsam die Fortpflanzung durch Einzelzellen, welche durch Zellteilung entstanden sind. Bei allen einzelligen Organismen ist jede Zellteilung ein Fortpflanzungsakt und mit der Schaffung eines neuen physiologisch selbständigen In- 1) Nachträglich fand ich, dass auch schon botanischerseits Möbius derartige Anschauungen geäußert hat. Möbius, M., "Beiträge zur Lehre von der Fort- pflanzung der Gewächse. Jena 1897. 2) Dies ist nicht ganz richtig, indem auch bei vielkernigen Protisten (Tiricho- sphaerium) und Protistenkolonien (Radiolarien) derartige, denen der Metazoen ver- gleichbare Teilungs- und Knospungsvorgänge vorkommen. 22 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. dividuums verknüpft. Bei vielzelligen Tieren führen die meisten Zellteilungen zum Wachstum, nur gewisse Zellteilungen liefern Fortpflanzungszellen. Neben der Fortpflanzung durch Zellen geht die Befruchtung einher, hervorgerufen dadurch, dass die Organismen für ihre günstige Weiterentwickelung die durch Kernkopulation ermöglichte Vermischung zweier Individualitäten nötig haben. Die Erscheinung hat ihrem Wesen nach nichts mit der Fortpflanzung zu tun, tritt daher bei vielen Einzelligen ganz unabhängig von Fortpflanzung auf und kombiniert sich mit ihr zur geschlechtlichen Fortpflanzung nur unter besonderen Bedingungen. Solche Bedingungen sind für alle vielzelligen Pflanzen und Tiere durch die Vielzelligkeit gegeben. Eine gleichförmige Verschmelzung zweier Idioplasmen ist nur auf dem Stadium der Einzelligkeit möglich oder wenigstens nur um diese Zeit leicht durchführbar. Daher tritt die Befruchtung nur zur Zeit auf, wo einzellige Fortpflanzungskörper entwickelt werden. Daraus folgt nun keineswegs, dass alle einzelligen Fortpflanzungs- körper befruchtet werden müssen. Im Gegenteil ist zunächst zu erwarten, dass Fortpflanzungszellen ohne Befruchtung (Sporen) und solche, die für Befruchtung bestimmt sind (Gameten, Eier, Sperma- tozoen) nebeneinander fortbestehen. So ist es in der Tat’ auch bei den Pflanzen, während bei Tieren kein Fall von echter Sporo- gonie sicher erwiesen ist.“ „In dieser zusammenfassenden Darstellung sind die Teilung und Knospung der vielzelligen Tiere und die sogen. vegetativen Ver- mehrungen der Pflanzen, welche man mit Teilung und Knospung der Protozoen und der Sporogonie der Algen gewöhnlich unter dem Namen ungeschlechtliche Fortpflanzung vereinigt, außer acht gelassen; sie sind nur kurz oben als Neuerwerbungen der vielzelli- gen Organısmen gedeutet. Den vegetativen Vermehrungen ist ge- meinsam, dass ganze vielzellige Stücke eines Muttertieres, die zuvor durch lebhaftes Wachstum sich vergrößert haben, sich ablösen und zu selbständigen Organismen auswachsen. Im übrigen herrscht eine bunte Mannigfaltigkeit der Erscheinung. Die Knospungs- prozesse der Tunicaten nehmen einen ganz andern Verlauf als die der Bryozoen oder Hydroiden oder gar als die Teilungen der Anne- liden. Und noch größer ist die Formenmannigfaltigkeit der vegetativen Vermehrung bei den Pflanzen. Auch ist durch die Untersuchungen der letzten 20 Jahre wohl mit Sicherheit bewiesen, dass sich die Teilungen und Knospungen der Metazoen der durch die Keimblatt- theorie ausgedrückten Gesetzmäßigkeit ın der Entwickelung der Organe nicht fügen; sie gleichen in dieser Hinsicht den Regene- rationsvorgängen. Das alles wird uns eine selbstverständliche Er- scheinung sein, wenn wir die hier durchgeführte Auffassung der Fortpflanzungsvorgänge annehmen und in den Teilungen und Knos- Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 33 pungen vielzelliger Tiere Anpassungserscheinungen erblicken, welche in den einzelnen Abteilungen unabhängig zur Entwickelung gelangt sind. Wenn diese nee en Teakdehen Fortpflanzungsweisen“, für die man gut tut, den von den Botanikern gebrauchten nenne „vegetative Fortpflanzung“ zu benützen, bei asdlaner Tierstämmen häufiger sind als bei höheren, so hat das seinen Grund darin, dass mit zunehmender Organısationshöhe, d. h. zunehmender Differen- zierung der Teile, die Möglichkeit, dass die Teile bei den Lebens- prozessen für einander vikarıierend eintreten können, eine Be- schränkung erfährt. Das Vorkommen der vegetativen Fortpflanzung unterliegt somit ähnlichen Bedingungen, wie das Vorkommen der Regeneration, wie denn auch sonst noch viele Analogien zwischen beiderlei Vorgängen sich ergeben haben. Beachtenswert ist, dass gerade bei niederen Pflanzen, bei denen noch die Sporogenese eine weite Verbreitung besitzt, die vegetative Vermehrung — wenn wir den Begriff in seiner hier näher begründeten engeren Fassung an- wenden — fehlt. Zufällig abgelöste Stücke können sich zwar bei Algenfäden weiter entwickeln; es scheint aber ın der Natur äußerst selten vorzukommen, dass von dieser Ablösung vielzelliger Stücke bei den Algen Gebrauch gemacht wird, was Sir die hoheren Pflan- zen bekanntlich in hohem Maße zutrifft.“ Nach dieser ausführlichen Wiedergabe der Hertwigschen Anschauungen, kann ich mich um so kürzer fassen. Es ist danach ohne weiteres klar, dass der Häckelsche Ausdruck Monogonie nicht in dem Sinne, wie ıhn Grassı und Lang bei Protozoen ver- wenden, gebraucht werden darf, da er ja noch etwas anderes, die vegetative Vermehrung im engeren Hertwigschen Sinne umfasst. Indem man ihn auf die Fortpflanzung durch Einzelzellen ohne Be- fruchtung beschränkte, könnte man ja die Begriffe Monogonie und Amphigonie beibehalten, und in diesem Sinne sind sie auch von Weismann (1902) in seinen Vorträgen benutzt. Aber abgesehen davon, dass durch die Umprägung alter Begriffe die Unklarheit nicht so leicht beseitigt wird, sprechen auch noch andere Bedenken gegen die Beibehaltung dieser Begriffe. So wird z. B. das Adjektiv monogen wieder in ganz anderem Sinne zur Bezeichnung der nur eine Generation bildenden Trematoden verwendet. Ferner findet sich noch bei der Grassi-Langschen Nomenklatur eine nicht sehr glückliche Bezeichnung und falsche Auffassung (zum min- desten eine falsche Begrenzung) der Geschlechtsgeneration (Indi- viduen), wie ich später nachweisen werde. Ich kann mich daher nicht entschließen, die Begriffe Monogonie und Amphigonie zu übernehmen, zudem mir meine nun folgenden neuen Benennungen noch andere praktische Vorzüge zu besitzen dünken. Im Anschluss an die Umschen nizem Rich. Hertwigs schlage ich vor, die ursprüngliche, durch das ganze Organismenreich gehende 24 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Art der Fortpflanzung durch Einzelzellen cytogene Propagation, oder kurz Öytogonie zu nennen, d. i. Fortpflanzung durch Propa- gationseyten. Dieser wäre dann die vegetative Propagation im engeren Hertwigschen Sinne gegenüberzustellen. Bei der Cytogonie hätte man weiter zu unterscheiden: Fortpflanzung durch Cyten ohne Befruchtung und durch Cyten mit Befruchtung, d. h. durch Agamoeyten oder kurz Agameten, und durch Gamocyten oder kurz Gameten. Wir haben also zwei Unterabteilungen der Cytogonie, die Agamocytogonie oder kurz Agamogonie und die Gamoeytogonie, kurz Gamogonie. Von diesen beiden Namen, die dasselbe Stammwort enthalten, lassen sich sämtliche wünschens- werten und notwendigen Begriffe im Zeugungskreise der Protisten wie der höheren Pflanzen und Tiere ableiten. Wir gelangen dabei z. T. zu Bezeichnungen, die bei Zoologen wie Botanikern allgemein in stets eindeutiger Weise im Gebrauch sind und die wir auch in der Schaudinnschen und Grassi-Langschen Nomenklatur ın gleicher Weise finden. Werden die Agameten bei vielzelligen Organismen in beson- deren Organen gebildet werden, so kann man dieselben Aga- metangien (bisher Sporangien) nennen. Der Mutterzelle der Agameten wird man den Namen Agametocyt beilegen. In gleicher Weise kann man bei der Bildung von Gameten von Ga- metangien (ein in der Botanik in diesem Sinne verwendeter Aus- druck) und Gametocyten sprechen. Je nachdem die zur Kopu- lation gelangenden Gameten gleich sind oder nicht, wird man sie Isogameten oder Anısogameten, Heterogameten nennen. In letzterem Falle kann man Makro- und Mikrogameten, resp. Eier und Spermatozoen unterscheiden. Die Bildung dieser Fortpflanzungskörper vollzieht sich in Makro- und Mikrogameto- eyten resp. Makrogametangien (Oogonien) und Mikro- gametangien (Antheridien) oder bei Metazoen im Eierstock!) und Hoden. Für das Kopulationsprodukt der Gameten gebraucht man am besten den vielfach verwendeten Namen Zygocyte oder Zygote, in besonderen Fällen auch Oocyste, Ookinet, bei höheren Tieren befruchtetes Ei. Bei einem Generations- wechsel, bei dem agamogene (agametische) Fortpflanzungsweise mit gamogener (gametische) gesetzmäßig abwechselt, haben wir dann eine agamogene oder agametische Generation (Agamogonie) und eine gamogene oder gametische (Gamogonie). Bei der Gamogonie der Protozoen ist es äußerst vorteilhaft, was sich später 1) Die häufig, besonders in der Trematodenliteratur (siehe Braun: Parasiten, 2, Aufl., 1902) übliche Bezeichnung Keimstock, Keimzellen ete. ist unzulässig, da in diesen Fällen stets etwas ganz Bestimmtes, nämlich Eierstock und Eier, ge- meint sind, während Keimstock sowohl Eierstock als auch Hoden und Agametangien bedeuten kann. Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 225) bei der Besprechung der Coccidien zeigen wird, zweierlei game- tische, d.h. besondere von der agametischen verschiedene und mit der Befruchtung in Beziehung zu bringende Teilungen zu unterscheiden, 1.progametische, spezifische Teilungen, die der Befruchtung voraus- gehen, und 2. metagametische, solche, die ıhr folgen — eine Folge der ursprünglichen Unabhängigkeit von Fortpflanzung und Befruch- tung bei den Protozoen. Will man noch eigene Benennungen der Individuen der verschiedenen (Generationen, so kann man die der agametischen Agamonten, die der gametischen Gamonten, Ge- schlechtsindividuen nennen. Hierbei ist die Endung: „ont“ ım selben Sinne angewandt wie bei der Schaudinnschen Nomen- klatur, Agamont und Gamont sind also Individuen, die sich agametisch resp. gametisch fortpflanzen. Bei Grassi und Lang dagegen bedeuten die entsprechenden Ausdrücke Monont und Amphiont Individuen, die aus Agameten resp. aus Zygoten, Oocyten sich entwickelt haben, die sich also ohne vorherige resp. nach vorausgegangener Kopulation ver- mehren. Sprachlich und rein logisch ist diese Bezeichnungs- weise ja richtig, und in gewissen Fällen mit metagametischem Modus der Gamogonie (Sporozoen, bei denen sie gebildet wurde) scheint sie auch ganz praktisch und biologisch richtig. Sobald man sie aber auf andere, besonders vielzellige Orga- nismen anwenden will, erweist sich ihre Unzulänglichkeit. So sieht sich z. B. Lang genötigt, die Generation von Trichosphaerium, die sich gametisch fortpflanzt — so wird man doch unbefangener- weise immer eine Generation nennen, die zur Kopulation gelangende (sameten liefert — Monont zu nennen, weil sie aus Sporen ohne Be- fruchtung entsteht und ebenso umgekehrt. Ferner muss er bei Sporozoen außer seiner geschlechtlichen Generation noch eine eigene „gametogeneMonontengeneration* annehmen. Noch krasser tritt die Unzulässigkeit hervor, wenn man die Grassi-Langsche Bezeichnungsweise bei vielzelligen Organismen anwenden will, was bei Volrox später erläutert werden soll. Ich halte es daher für besser, die Endsilbe „ont“, wenn man sie überhaupt gebrauchen will, im Schaudinnschen Sinne zu benützen. Mein Agamont und Gamont ist daher nicht dasselbe wie der Langsche Monont und Amphiont, die Begriffe Monont und Agamont können sich ja sehr häufig decken, vor allem da, wo mehrere agamogene (aga- metische) Generationen aufeinander folgen, während bei den Be- griffen Amphiont und Gamont dies kaum vorkommen dürfte. Da- gegen ist der Schaudinnsche Schizont wohl stets ein Agamont, häufig auch sein Sporont ein Gamont. Den Begriff Gamont wird man in praxi selten oder kaum anwenden. Bei Differenzierung der Geschlechtsprodukte wird man doch stets von männlichen und weiblichen Individuen sprechen, und in Fällen wie bei Tricho- 26 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. sphaertum, wo ein Zellindividuum eine Menge von Isogameten bil- det, kann man sich auch mit dem Ausdruck Geschlechtsindividuum begnügen, der zudem den Vorteil bietet, dass er eine Verwechslung (wie bei Grassi-Lang) ausschließt. Statt Agamont und Gamont kann man auch, analog den bei Botanikern gebräuchlichen Namen Sporophyt und Gamophyt, die Ausdrücke Agamozoon und Gamo- zoon resp. Agamophyt und Gamophyt benutzen. Deutlicher als hier diese Ausführungen wird die praktische An- wendung meiner Namen auf die Zeugungskreise verschiedener Organismen und die tabellarısche Vergleichung mit den bisherigen Benennungen diese Verhältnisse klarmachen und, wıe ich hoffe, die Vorzüge meiner Nomenklatur erweisen. Ehe ich jedoch dazu über- gehe, will ich noch einige Bemerkungen über die Parthenogenese einfügen und eine Tabelle der Neubenennung und Einteilung der Fortpflanzungsweisen folgen lassen, woran ich noch einige Erörte- rungen über kombinierte Fortpflanzungsweisen anknüpfen werde. Während Häckel (1866) noch in seiner Generellen Morphologie die Parthenogenese unter die monogonen Fortpflanzungsweisen einreihte, ist schon seit längerer Zeit allgemein die Anschauung herrschend geworden, dass dieselbe insofern zur geschlechtlichen Fortpflanzung (Gamogonie) zu rechnen ist, als bei ıhr eine Fort- pflanzungsweise durch Gameten und zwar in der Regel durch Makrogameten oder Eier vorliegt, bei der die Kopulation unter- bleibt oder rückgebildet ist, ein Verhalten, das wohl als Anpassungs- erscheinung an gewisse Lebensbedingungen aufgefasst werden muss. Demgemäß müssen wir also dieselbe bei der Gamogonie einreihen. In der Natur kommt sie hauptsächlich bei Heterogamie vor als Fortpflanzung durch Makrogameten oder Eier ohne Befruch- tung (Plasmodium vivax, der Erreger des Tertiansfiebers, viele Metazoen und einige Metaphyten), während dieselbe bei Isogamie als Fortpflanzung eines Isogameten ohne Kopulatıon bisher nur von einigen Protophyten (Klebs 1896) bekannt ist. Im folgenden gebe ich nun eine tabellarische Übersicht über die Einteilung der Fortpflanzungsweisen der Organismen nach meiner Nomenklatur (s. Stammbaum S. 27). Bei den Protisten tritt die Befruchtung ursprünglich ganz un- abhängig von der Fortpflanzung auf und hat sich mit ihr zur ge- schlechtlichen Fortpflanzung nur unter besonderen Bedingungen kombiniert. In diesen Fällen kommt es dann meist zu einem (senerationswechsel, in dem Agamogonie und Gamogonie in mehr oder minder gesetzmäßiger Weise abwechseln. Hier ist der Be- griff Generationswechsel ım weitesten Sinne gemeint als Wechsel zweier sich vor allem durch verschiedene Fortpflanzungsweisen unterscheidender Generationen (Generation — Zeugung). Ein Blick A Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 27 auf nachstehende Tabelle zeigt uns, dass drei Hauptmöglichkeiten eines Wechsels zwischen sogen. ungeschlechtlichen und ge- schlechtlichen Generationen möglich sind. Der erste ursprüngliche Wechsel ist der von Agamogonie und Gamogonie, den wir bei Protisten von seinem ersten noch nicht erblich fixıerten Auftreten an verfolgen können. Diesen kann man daher praktischerweise als primären Generationswechsel bezeichnen. Die beiden anderen Hauptarten des Generationswechsels im weiteren Sinne, Wechsel von vegetativer Propagation und Gamogonie und Wechsel von Parthenogenese und Gamogonie, wo bei beiden die sogen. ungeschlechtliche Fortpflanzung, also die vegetative Propagation und die Parthenogenese an den verschiedenen Orten ihres Auftretens auf verschiedene Weise infolge von Anpassung sekundär entstanden zu denken ist, kann man als sekundären Generationswechsel dem primären gegenüberstellen. Auf die erstere Art desselben möchte ich den Namen Metagenesis beschränken, entsprechend seiner älteren Bedeutung. Für die zweite Art wird man den bis- her gebräuchlichen Namen Heterogonie beibehalten. Cytogene Propagation oder Cytogonie Vegetative Propagation (Fortpflanzung (im engeren Hertwigschen durch Sinne) Propagations- cyten) Agamogonie (Agamocytogonie) Gamogonie (Gamocytogonie) Fortpflanzung Fortpflanzung durch Agameten !) durch Gameten Parthenogenese Fortpflanzung durch Gameten ohne Kopulation Isogamogonie Heterogamogonie Kopulation von Kopulation von Heterogameten, Isogameten Makrogometen und Mikrogameten (Eier) (Spermatozoen) Einen primären Generationswechsel finden wir außer bei Proto- zoen noch bei den meisten Pflanzen und bei einer einzigen viel- zelligen Tiergruppe, den Dieyemiden (und wohl auch den Ortho- 1) Auf eine weitere Einteilung der Agamogonie, die für die Pflanzen uner- lässlich ist, verzichte ich vorderhand, da zoologischerseits das Bedürfnis dazu noch nicht dringend geworden ist. un Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 29 Fig. 1. Schematische Darstellung des Zeugungskreises von Trichosphaerium stieboldi Schn. I Ausgebildeter Agamont, 7A und IB vegetative Vermehrung derselben, II Agamogonie, //I Auswanderung der Agameten, IV junges Geschlechtsindividuum (Gamont), :Y dasselbe in lebhafter Kernvermehrung, VI ausgebildetes Geschlechts- individuum (Gamont), VYZA und VIB vegetative Vermehrung des Geschlechts- individuums, VII Geschlechtsindividuum in lebhafter Kernvermehrung zur Gamo- gonie, VIII Gamogonie, Ausschwärmen der Isogameten /X, N, X/, X1/, Kopulation (Karyogamie) von 2 Isogameten, X/1/ Bildung der Stäbchenhülle und erste Kern- teilung des jungen Agamonten, X/V junger Agamont etwas weiter ausgebildet. Aus Lang (1901) nach Fr. Schaudinn 1899. nektiden); alle höheren Tiere haben die Agamogonie verloren. Wenn bei ihnen ein Generationswechsel vorkommt, so ıst es stets ein sekundärer Generationswechsel, also echte Metagenesis oder Heterogonie. I: Auf den Zeugungskreis einiger niederer ein- und vielzelliger Organismen mit primärem Generationswechsel will ich nun meine Nomenklatur im folgenden anwenden. Ich wähle dazu von Proto- zoen Trichosphaertum sieboldi und Coceidium schubergi, zwei Formen, bei denen eigene kleine Fortpflanzungszellen gebildet werden, die sich erst wieder zur vegetativen Form entwickeln, ferner die Vol- vocineen, Stephanosphaera pluvialis und Volvox, und die Di- cyemiden. Der Zeugungskreis von Trichosphaerium sieboldt Schaudinn (1899). Fig. 1. Bei Trichosphaerium, einem marinen Rhizopoden, gibt es zwei Formen, die zwei verschiedenen Generationen angehören; die eine, durch Stäbchen ausgezeichnete, ist die agametische (Agamont) (Schizont Schaudinn) (Fig. 1, I). Dieselbe zerfällt in Agameten durch Zerfallteilung (Fig. 1, II, III), die zu der anderen Form heranwachsen. Die Vermehrungsweise dieser Form ist also Agamo- gonie, und sie stellt somit die agametische (agamogene) Generation dar. Die aus den Agameten herangewachsene Form repräsentiert die gametische (gamogene) Generation. Sie ist ein Geschlechts- individuum (Gamont [Fig. 1, IV-—-VI]), das sich durch Gamogonie fortpflanzt, indem die von ıhm gebildeten Flagellosporen Isogameten sind, die kopulieren und dann wieder zu Agamonten heranwachsen (Fig. 1, VII-XIV). In der folgenden Tabelle habe ich die Schau- dinnsche, Langsche und meine Nomenklatur dieses Zeugungs- kreises nebeneinander gestellt (s. Tabelle S. 30). Wie aus der Tabelle hervorgeht und wie ich schon früher er- wähnt habe, kommt Lang bei der Anwendung seiner Nomenklatur zur genau umgekehrten Benennung der Stadien bezüglich ihrer Be- 30 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. zeichung als geschlechtliche oder ungeschlechtliche wie Schaudinn und ich. Das kommt daher, weil dieselbe ursprünglich für Sporozoen, speziell Hämosporidien geschaffen war, wo die unzweckmäßige An- wendung der Endung „ont“ nicht zu Tage trat, da man infolge der hier besonders komplizierten Verhältnisse (metagametische Vermehrung) zu einer falschen Auffassung der Geschlechtsindividuen gelangt war. Um dies klar zu machen, will ich erst zeigen, dass die Verhält- nisse mit progametischem Modus der Gamogonie, wie sie nach Schaudinn und mir bei Trichosphaerium liegen, die einfachen ur- sprünglichen und bei Protisten und Vielzelligen allgemein verbreitet sind. Dem Beispiel von Trichosphaerium schließen sich die übrigen Rhizopoden, so weit deren Zeugungskreis, bekannt ist und man dabei überhaupt von Gamogonie und Generationswechsel schon reden kann, aufs innigste an. So besonders die Foraminiferen und Thecamöben, wie aus Schaudinns (1903) neuester Mit- Schaudinn 1899 Lang 1901 Hartmann 1903 = | un | = Schizont Amphiont Agamont, agamoge-. 28 ' nes Individuum | Er Schizogonie Amphigonie | Agamogonie | 32 Gymnospore Agamet Ei Sporont Monont Gamont, Ge- BE schlechtsindividuum) 2.2 Sporogonie Monogonie Gamogonie s2: Flagellosporen Flagellosporen Isogameten “Es Kopulation Kopulation Kopulation Se Zygote Zygote = Schizont Amphiont Agamont, agamogenes Indi- viduum teilung hervorgeht, indem er für Polystomella, Clamydophrys stercorea und Centropyxis aculeata ım Prinzip denselben Generationswechsel konstatierte. Genau so scheint es nach unseren bisherigen Kennt- nissen auch bei den Radiolarıen zu sein. Auch bei einer zweiten großen Protozoenabteilung, den Fla- gellaten, speziell bei deren pflanzlichen Vertretern, liegen die Verhältnisse im Prinzip wie bei Trichosphaerium. Auf den Zeugungs- kreis von zwei Vertretern derselben, Stephanosphaera pluvialis und Volvox globator, Angehörige der Volvocineen, die mir in verschie- dener Beziehung besonders interessant und lehrreich zu sein scheinen, soll nun meine Nomenklatur angewendet und meine Auffassung näher erörtert werden. Was diese beiden Formen besonders interessant macht, ist einmal ihre Mittelstellung als Phytoflagellaten zwischen Tier und Pflanze, dann der bei ihnen zur Anschauung kommende Über- gang von Kolonien einzelliger Individuen zu vielzelligen Individuen. Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 31 Darstellung des Zeugungskreises von Stephanosphaera pluvialis Cohn. I Eine mittelgroße Agamontenkolonie von S Individuen, /I Agamontenkolonie, sehr kräftig entwickelt, /// Agamogonie durch fortgesetzte Zweiteilung, wodurch innerhalb der Elterkolonie S Kindkolonien von je 8 Agameten gebildet worden, welche auswandern und entweder wieder zu Agamontenkolonien oder zu Geschlechts- (Gamonten)kolonien heranwachsen, /V Geschlechtskolonie, V, VI Gamogonie, Bil- dung der Isogameten durch fortgesetzte Zweiteilung und Ausschwärmen derselben, VII, VIII, IX, X Kopulation (Karyogamie) von zwei Isogameten (stärker ver- größert), XI, XII, XIII Zygote in verschiedenen Wachstumsstadien. Nach G. Hieronymus (1887) kombinierte Originalfigur. 32 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Der Zeugungskreis von Stephanosphaera pluvialis Cohn. Hieronymus (1887). Fig. 2. Die freilebenden Stephanosphären kommen in der Regel in einem Kolonialverbande von acht oder vier!) gleichen Individuen vor, seltener sind Kolonien von drei oder zwei Individuen, doch gibt es sogar einzellebende Individuen. Wir halten uns an die typische Art des Vorkommens als Kolonie von acht Individuen. Diese Kolonien stellen meist Agamontenkolonien dar (Fig. 2, 1,1). Bei der Fortpflanzung teilt sich jedes der acht Individuen durch fortgesetzte Zweiteilung in der Elterkolomialhülle, und so entstehen acht Gruppen von je acht Agameten (Fig. 2, III). Dieselben bleiben in der Regel vereinigt, scheiden eine Hülle um sich aus und stellen so gleich eine junge Kindkolonie dar. Indem die Hülle der Eiter- kolonie platzt, werden die jungen Kindkolonien frei und wachsen wieder zu typischen Agamontenkolonien heran. Wir haben hier also eine sich durch Agamogonie fortpflanzende agamogene Gene- ration, deren sich stets viele folgen. Zu gewissen Zeiten (unter gewissen Lebensbedingungen) treten dann geschlechtliche Gene- ratıionen auf, indem die acht Zellindividuen einer Kolonie sich zur Gamogonie vorbereiten (Fig. 2, IV). Diese gamogenen Individuen teilen sich in meist 16 oder 32 kleine Fortpflanzungszellen, Isoga-. meten, welche Spindelgestalt annehmen und noch innerhalb der Kolonialhülle zwei Geiseln bilden. Im Gegensatz zu den Agameten lösen sich die Isogameten eines Geschlechtsindividuums voneinander los, um zu kopulieren (Fig. 2, V, VI). Die Kopulation von je zwei Isogameten erfolgt entweder noch im Inneren der Kolonialhülle, in welchem Falle jedoch die kopulierenden Gameten stets von ver- schiedenen Individuen der Kolonie abstammen; oder nach Platzen der Hülle im freien Wasser, wo dann noch weniger nahverwandte Gameten, d. h. Abkömmlinge verschiedener Kolonien, wohl ın der Regel kopulieren werden. Das Produkt der Kopulation ist eine Cystozygote, die gegen äußere Einflüsse (Austrocknung) resistent ist (Fig. 2, XI, XII, XIII). Bei Wiedereintritt von Regenwasser entsteht aus der Zygote (Agamont) durch Agamogonie wiederum eine Agamontenkolonie, indem die gebildeten acht Agameten gleich in Verbindung bleiben. (Fortsetzung folgt.) 1) Inzwischen habe ich diesen interessanten Organismus selbst gefunden und eingehende biologische und morphologische Untersuchungen darüber begonnen. Da- bei fand ich, dass die Angabe von Hieronymus insofern nicht ganz mit den normalen Verhältnissen stimmt, als eine geringere Zahl von Individuen als acht innerhalb der Kolonie nur dann sich findet, wenn die Kulturen nicht ganz kräftig und gesund sind. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck. der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bid, ee 1904. Ne 2. Inhalt: Hartmann, Die Fortpflanzungsweise der Organismen, Neubenennung und Einteilung der- selben erläutert an Protozoen, Volvocineen und Dieyemiden (Schluss). — Korotneff, Uber den Polymorphismus von Dolchinia. — Bühler, Alter und Tod. — VI. Internationaler Zoologenkongress in Bern. — Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, Neubenennung und Einteilung derselben, erläutert an Protozoen, Volvocineen und Dicyemiden. (Zugleich vorläufige Mitteilung über den Zeugungskreis der Dieyemiden.) Von Dr. Max Hartmann, Assistent am zoologischen Institut Gießen. Mit 8 Figuren im Text. (Schluss.) Der Vergleich dieses Zeugungskreises mit dem von Tricho- sphaerium zeigt im Prinzip völlige Übereinstimmung. Die Ver- schiedenheiten, die sich finden, sind vor allem durch die Kolonie- bildung und den verschiedenen Teilungsmodus bedingt. Dazu kommt noch die fast fehlende Verschiedenheit im Bau der Ge- schlechtsindividuen von den Agamontenindividuen vor der Fort- pflanzung und die Aufeinanderfolge vieler agamogener Generationen, wodurch der progametische Modus der Gamogonie völlig einwands- frei zu Tage tritt. Diesem Beispiel der Stephanosphaera schließt sich eine andere Volvocinee, Eudorina, vollkommen an, nur findet sich insofern ein höherer Zustand, als es bei dieser Form noch zur Geschlechts- XXIV. 3 > 34 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. differenzierung gekommen ist und daher zwei verschiedene gamo- gene Kolonien auftreten: Makrogameten bildende weibliche und Mikrogameten bildende männliche Kolonien. Dabei findet sich die interessante Tatsache, dass bei den weiblichen Kolonien der Ver- mehrungsakt unterbleibt, indem die Individuen der gamogenen Kolonie direkt zum Makrogameten werden, während die Mikrogametenbildung in derselben Weise mit einer progametischen Vermehrung vor sich geht, wie die Isogametenbildung von Stephanosphaera und Tricho- sphaerium. Das Produkt der Kopulation ist auch hier wiederum eine Uystozygote. Wir können also hier die wichtige Tatsache konstatieren, dass durch die Geschlechtsdifferenzierung bei der Gamogonie von Eudorina der Vermehrungsakt im weiblichen Teil unterbleibt, so dass wir eine geschlechtliche Fortpflanzung ohne Vermehrung vor uns haben, während bei nahverwandten Formen mit Isogamogonie (Stephanosphaera, Pandorina), die die phylo- genetisch ältere Stufe darstellen stets eine Vermehrung damit ver- bunden ist. Eine derartige Geschlechtsdifferenzierung findet sich auch bei der Gattung Volvox selbst, die aber einen noch höheren Zustand erreicht, indem sie nicht mehr eine Kolonie einzelliger Organismen, sondern ein vielzelliges Individuum darstellt, durch Differenzierung der sie zusammensetzenden Zellen in sterile, somatische und Fort- pflanzungszellen. Den Zeugungskreis dieses interessanten Organis- mus will ich nun in kurzen Zügen mit meiner Nomenklatur schil- dern, wobei ich eine z. T. neue Auffassung desselben, die auf eigenen Beobachtungen beruht, zu begründen habe. Der Zeugungskreis von Volvox (Klein 1889, 1890, Overton 1889). Typus: Volvox globator Ehrbg. Fig. 3, 4, 5. Da ich wohl die Morphologie und Biologie der Gattung Volvox in ihren Grundzügen als bekannt voraussetzen darf!), so kann ich mich kurz fassen und auf die uns hier interessierenden Punkte beschränken. Die gewöhnliche Art der Fortpflanzung von Volvox ist die Agamogonie (Fig. 3), zeitweilig treten dann gamogene Indivi- duen auf und zwar bei Volvox globator, den wır seines konstanteren, mehr schematischen Verhaltens ın biologischer Beziehung unserer Schilderung zu Grund legen, in der Regel hermaphroditische (mon- öcische) Individuen, in denen Makro- und Mikrogameten gebildet werden, doch so, dass letztere stets zuerst zur Ausbildung gelangen (Proterandrie, Fig. 4). Aus der Cystozygote entwickelt sich nach 1) Ich verweise auf die Darstellung von Lang (1901) in seinem Lehrbuch und von Bütschli (1883—87) in seinem Protozoenwerk. f Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 35 der UÜberwinterung noch innerhalb der Endocyste das 1. junge agamogene Individuum (Fig. 5). Y \ x S PIE, NAT e N u Zu al.) ER TH DS 7 7 N NE DS er N 1° NP, =) MW, =) 7 e” b GE fi PR % R\ ar: 7 KEN ie iR, 7 ® 7 a ae EN £ Volvox globator Ehrbg., agamogenes Individuum (Agamont, Aga- mophyt), etwas schematisch, 17—7 Agameten auf verschiedenen Stadien der Ent- wickelung. In Wirklichkeit kommen so verschiedene Stadien nicht gleichzeitig in demselben Individuum vor. 1 noch ungeteilter Agamet, 2 Zweizellenstadium, 3 Vierzellenstadium, £ Achtzellenstadium, 5, 6, 7 weiter entwickelte Stadien. Aus Lang (1901), nach Klein (1889, 1890) und Overton (1889). Die agamogenen Generationen findet man in der bisherigen Literatur allgemein als parthenogenetische aufgefasst; diese Auf- fassung ist falsch, wie ich mich durch eigene Untersuchung über- zeugt habe. Handelte es sich um Parthenogenese, so müssten die 36 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Volvox globator Ehrbg. Hinterer Teil eines gamogenen hermaphro- ditischen (monöeischen) Individuums (Gamont, Gamophyt). Nach Cienkovsky und Bütschli kombiniert und etwas schematisiert. (© weibliche Gameten (Makro- gameten), 5° Mikrogametocyt, $, einzelne männliche Gameten (Mikrogameten, Sper- matozoen). Aus Lang (1901). * Fig. 5. Volvox aureus Ehrbg. Keimung der Zygote (Entwickelung des Agamonten der ersten Generation aus dem befruchteten Ei). / Zygote, II Zwei- zellenstadium, /II Vierzellenstadium, IV Sechzehnzellenstadium, V junger Agamont noch innerhalb des Endospors der Cyste. Nach Kirchner 1883. Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 37 Fortpflanzungskörper als Makrogameten (Eier) zu erkennen sein. Das trifft jedoch nicht zu. Die Makrogameten von Volvor sind neben anderen Kennzeichen vor allem wie die aller anderen Orga- nismen durch Reifeerscheinungen als solche charakterisiert. Die- selben waren bisher noch nicht bekannt, ich habe sie vor einiger Zeit zum erstenmal gefunden, aber aus Mangel an Zeit noch nicht ge- nauer untersuchen können. Ich beschränke mich daher hier mit dem Hinweis, dass bei Volvox Reifeerscheinungen mit Sıcher- heit vorhanden sind. Bei den sogen. Parthenogonidien dagegen, die ich schon im vorigen Jahre eingehend untersucht habe, findet sich nichts derartiges, sie sind echte Agameten, die sich wie ein einzelliges, agamogenes Individuum (Agamont) ohne weiteres zur Teilung anschicken. Der Teilungsapparat von Volvox ıst, nebenbei bemerkt, sehr hoch entwickelt, indem dabei Oentrosomen und schleifenförmige Chromosomen in geringer Anzahl auftreten. Es ıst merkwürdig, wie diese falsche Auffassung der Agamogonie von Volvox als Parthenogenese sich derart hat einbürgern können, um so merkwürdiger, als man beı den anderen Flagellaten und Chlorophyceen dieselben Verhältnisse stets richtig gedeutet hat und zudem bei der Gattung Volvox selbst als Ausnahme ein Fall von echter Parthenogenesis von Klein (1890, p. 23) beschrieben worden ist. Ich habe in der obigen Erörterung die sogen. Parthenogonidien als Agameten bezeichnet, obgleich diese Zellen als solche den Aga- monten von Stephanosphaera entsprechen. Diese Bezeichnung ist bedingt durch die Auffassung der Gesamtheit der Zellen von Volvox als yielzelliges Individuum, wie ich das mit Bütschli (1883—-87) und Klein (1889, 1890) tue. Während bei einer Kolonie ein- zelliger Individuen jede Zelle die Fähigkeit besitzt, sich fortzu- pflanzen, hat bei Volvor nur eine geringe Zahl von Zellen diese Fähigkeit, die doch eine der wichtigsten Eigenschaften eines Indi- viduums ausmacht. Die größte Mehrzahl der Zellen bleibt steril, sie haben vermutlich nur noch als Hüll- und Schutzzellen, zum kleinen Teil wohl auch als Nährzellen der sich im Innern entwickeln- den Agameten eine Bedeutung (Weismann 1892, p. 153, Hübner 1902). Diese Zellen sind also keine Individuen, da ihnen eine der wichtigsten Funktionen der Individualität fehlt. Sie müssen zu Grunde gehen, und insofern kann ich Weismann beipflichten, dass ein starker Gegensatz besteht zwischen den somatischen Zellen mit ihrem unabwendbaren Tod und den Fortpflanzungszellen und Protozoen, die ja alle zugleich Fortpflanzungszellen sind, mit ihrer Fähigkeit, sich weiter zu teilen, also nach Weismann ihrer sogen. potentiellen Unsterblichkeit. Dass hier jedoch, bei den niedersten vielzelligen Organismen erst der Ursprung des natürlichen Todes sei und die Protozoen unsterblich seien, scheint mir keineswegs 38 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. daraus hervorgehen zu müssen, da bei Protozoen das Leben zwar fortbesteht, nicht aber die Individuen. Daher muss also die Gesamtheit der Zellen von Volvox nicht als Kolonie einzelliger Individuen, sondern als ein einziges viel- zelliges Individuum niederster Art betrachtet werden, da eben nicht mehr wie bei einzelligen Organismen alle Zellteilungen Fort- pflanzungsakte sind. Wie bei den vielzelligen dienen die meisten Teilungen der Entwickelung und dem Wachstum, nur gewisse der Fortpflanzung. Die bei der letzten Art gebildeten Zellen sind dann je nachdem Agameten oder Gameten. Daraus folgt aber, dass das Volvoxindividuum, also die sogen. Kolonie als Agamont (agamogenes Individuum, Agamophyt) resp. Geschlechtsindividuum (Gamont, Gamophyt) zu bezeichnen ist im Gegensatz zu den vor- her besprochenen Volvocineen. Infolge der beiden von mir soeben als unrichtig erwiesenen Anschauungen, der Auffassung der Agamogonie von Volwox als Parthenogenese und des Volvoxindividuums als Protistenkolonie, kommt Grassi (1902) zur Aufstellung einer Öytometagenesis, die für alle Organismen gelten soll. Indem er den Zeugungskreis der Malariaparasiten mit den Verhältnissen von Volvox (nach der falschen Auffassung) vergleicht, hält er seine monogene Fortpflan- zung für homolog jeder Zellteilung von Volvox und daher jede Zelle von Volvox für einen Mononten. Genau so sei es bei allen höheren Pflanzen und Tieren, jede zum Aufbau der Organısmen dienende Zellteilung sei eine Monogonie, jede Zelle ein Monont. Auf eine große Anzahl von Monontengenerationen folge dann bei den Malariaparasiten, bei Volvox und den höheren Pflanzen ‚und Tieren eine geschlechtliche Generation, so dass bei sämtlichen ein Generationswechsel sich vorfinde, den Grassi zum Unterschied von der bisher bei Tieren als Metagenesis bezeichneten Erschei- nung Öytom etagenesis benennt. Bei Malariaparasiten, bei Volvox und den höheren Organismen könne dann noch eine dritte Gene- ration, eine parthenogenetische auftreten. Die falsche Homologisierung bei diesem Grassischen Ge- dankengang geht schon ohne weiteres daraus klar hervor, dass die vermeintliche Parthenogenese von Volvox Agamogonie ist und diese somit der Monogonie der Malariaparasiten entspricht. Ich glaube daher eine eingehendere Zurückweisung derselben mir ersparen zu können. Ich möchte nur bemerken, dass wir doch dieselbe Fortführung der Agamogonie und des primären Generationswechsels der Protisten, wie ich für die Rhizopoden und die Volvocineen gezeigt habe, bei den meisten Pflanzen vorfinden!) und dass dieselben auch noch 1) Dass die Verhältnisse bei den meisten Pflanzen sich nicht mit der Grassi- schen Cytometagenesis vertragen, scheint Grassi selbst empfunden zu haben, wie aus einer Anmerkung bei ihm hervorgeht. Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 39 bei einer vielzelligen Tiergruppe, den Dieyemiden, nach meiner Untersuchung vorkommen. Dass natürlich auch bei den anderen Volvocineen, Stephanosphaera, Eudorina etc. die sogen. partheno- genetische Fortpflanzung (Lang, 1901) echte Agamogonie ist, be- darf wohl keines besonderen Beweises mehr. An dem Beispiel von Volvox will ich jetzt noch nachweisen, zu welch haltlosen Auffassungen und Benennungen man gelangt, wenn man die Grassi-Langsche Nomenklatur, d. h. speziell ihre Anwendung der Endung „ont“ logisch durchführen will. Lang scheint das selbst zum Bewusstsein gekommen zu sein, wenigstens vermeidet er bei seiner Darstellung der Fortpflanzungsverhältnisse der Volvocineen die Ausdrücke Monogonie, Monont und Amphi- gonie, Amphiont vollständig. Grassi dagegen wendet selbst seine Bezeichnungsweise auf Volvoxr an und nennt dabei logischerweise das befruchtete Ei von Volvox Amphiont (Geschlechtsindividuum) und die erste Zellteilung der Zygote Amphigonie, alle folgenden Monogonie. Die Haltlosigkeit dieser Grassischen Bezeichnungs- weise ist schon durch die falsche Auffassung des Zeugungskreises von Volvox begründet; aber selbst, wenn wir der Grassi-Lang- schen Nomenklatur die richtige Auffassung des Zeugungskreises von Volvox und der Volvocineen überhaupt zu Grunde legen, er- weist sich deren Unzulässigkeit, indem man die agamogene Fort- pflanzung der 1. agamogenen Generation entsprechend der Um- nennung der Stadien von Trichosphaerium, Amphigonie und umgekehrt die gamogene der letzen Monogonie nennen müsste, während Lang selbst diese letzte sogen. Monontengeneration richtig als geschlecht- liche Kolonien (Individuen) bezeichnet, also nicht von Monogonie, sondern von Amphigonie dabei spricht. Wie man sieht, versagt also die Grassi-Langsche Bezeichnungsweise d. h. ihre Anwen- dung der Endung „ont“ und die daraus folgende Bezeichnung und Auffassung der Individuen und ihrer Fortpflanzung vollständig, so- bald man sie auf vielzellige Organismen anwenden will. Durch die bisherigen Beispiele und deren Erörterungen glaube ich vor allem die Richtigkeit der Auffassung erwiesen zu haben, die ich im Anschlusse an Schaudinn vom Grenerationswechsel von Trichosphaerium hege, d. h. die richtige Bezeichnung der Ge- schlechtsindividuen und somit die Auffassung der gametischen Fort- pflanzung als progametische und nicht wie Grassi-Lang als metagametische. Zugleich dürfte nach diesen Beispielen die große Verbreitung des progametischen Teilungsmodus schon bei der Ga- mogonie der Protozoen hervorgegangen sein, welcher Modus bei vielzelligen Organismen, wie wir an Volvox sehen konnten, aus- schließlich vorkommt, während Grassi-Lang das ausschließliche Vorkommen des metagametischen Modus bei Protozoen annehmen, auf den allein ihre Nomenklatur anwendbar ist. Schon danach 40 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. scheinen mir daher zur Genüge die Brauchbarkeit und die Vorzüge meiner Nomenklatur erwiesen zu sein, da dieselbe nicht nur wie die Grassi-Langsche für Protisten, sondern auch für höhere Pflanzen und Tiere mit primärem Generationswechsel passt. Denn mit den Ver- hältnissen von Volvox stimmt einerseits aufs innigste der Generations- wechsel, wie wir ıhn bei fast allen Pflanzen mehr oder minder gesetzmäßig treffen, andererseits das einzige Beispiel eines primären Generationswechsels bei vielzelligen Tieren, den Dieyemiden und Orthonektiden, wie ich später noch zeigen werde. Nur für eine Gruppe von Protozoen, die Sporozoen, bei denen die Grassi- Langsche Nomenklatur zuerst angewendet worden ist und bei denen der metagametische Modus der Gamogonie vielleicht allge- mein verbreitet ist, erübrigt es mir noch, die Richtigkeit und Brauchbarkeit meiner Benennungen nachzuweisen. An dem Bei- spiel von Coeeidium schubergi hoffe ich nach dem Vorausgegangenen leicht klarlegen zu können, dass auch hier bei richtiger Auffassung der Geschlechtsindividuen dies der Fall ıst, mag man dabei die Vermehrung in der Cystozygote nach der Befruchtung auffassen, wie man will. Der Zeugungskreis von (occeidium schubergi Schaudinn. Nach Schaudinn (1900). Fig. 6. Beim Zeugungskreis von (Coceidium schubergi hat man wie allgemein bei Coceidien und Hämosporidien die Vermehrung innerhalb der Cystozygote (Oocyste, Ookinet) als geschlechtliche Fortpflanzung bezeichnet, weil nach dem Geschlechtsakt eine Vermeh- rungsweise einsetzt, die in besonderer von den übrigen verschie- dener Weise verläuft (Sporogonie, Fig. 6, XVI-XX). Die Gamo- gonie dieser Protozoen wäre demnach als eine metagametische aufzufassen. Grassi-Lang nennen jedoch dabei die Zygote Am- phiont, also Geschlechtsindividuum. Aber dadurch sah sich Lang genötigt, außerdem noch eine „gametogene Monontengene- ration“ anzunehmen und zu bezeichnen (Fig. 6, XI, XII. Eine Vergleichung mit den oben erläuterten Verhältnissen bei anderen Protisten und besonders bei vielzelligen Organismen (Volvox) zeigt aber, dass man gerade diese „gametogene Monontengene- ration“ Langs als Geschlechtsindividuen bezeichnen muss. Wenn man daher die Sporogonie der Coceidien als Gamogonie auffasst, so muss man auf jeden Fall die „gametogene Mononten- generation“ Langs als die Geschlechtsindividuen mit zur game- tischen Generation hineinziehen und den Ausdruck Geschlechts- individuum (Amphiont) für die Zygote (Oocyste, Ookinet) fallen lassen. Diese Auffassung der Gamogonie der Coceidien als meta- gametische, jedoch in der eben erörterten erweiterten Begrenzung Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 4 der Geschlechtsgeneration liegt natürlich am nächsten und hat auch nichts Befremdliches an sich. Wenn es eben bei Protozoen durch die Befruchtung zur Ausbildung besonderer, modifizierter Teilungen kommt, so kann der Kopulationsakt nach oder vor oder auch zwischen diese besonderen gametischen Teilungen fallen, und der Zeitpunkt der Kopulation an sich kann somit kein Kriterium für die Begrenzung der Geschlechtsgeneration und die Benennung der Geschlechts- individuen sein. Man kommt eben in der Biologie nicht mit nur logischen Begriffen aus, da sie doch in erster Linie eine allgemein richtige biologische Bedeutung haben müssen. Ein Geschlechts- individuum bei Protozoen ist demnach nicht wie bei Lang-Grassı ein Individuum, das aus der Konjugation von 2 Zellen entstanden ist und sich dann auf besondere Weise fortpflanzt, es ist auch nicht ohne weiteres ein Individuum, das sich in zur Kopulation gelangende Zellen teilt, wie es nach meinen bisherigen Erörterungen vielleicht scheinen könnte, sondern es ist das oder besser die Indi- viduen, von denen aus alle besonderen, gametischen Teilungen ein- zusetzen beginnen, mag nun die Kopulation am Schluss derselben (progametische Vermehrung) stattfinden, oder mögen die Geschlechts- individuen selbst (bei Geschlechtsdifferenzierung wenigstens im weib- lichen Teil) miteinander kopulieren ee Vermehrung). Wie wir gesehen haben, ist die progametische Vermehrung die bekannt- lich en bei der en der Protozoen die gewöhnliche und all- gemein verbreitete, ım ser zu Lang-Grassı, die infolge ihrer bei Sporozoen gebildeten Hunden und Nomen hauptsächlich ihrer De Auffassung der Ge schlechtandı den die Allein- gültigkeit des metagametischen Modus der Gamogonie, und zwar in beschränkter Begrenzung des Umfangs derselben, annahmen. Immerhin kommt auch bei anderen Protozoen der metagametische oder teilweise metagametische Modus mit Sicherheit vor. Ersteres ist wohl bei Noetiluca der Fall, letzteres findet sich bei den echten Gregarinen, wo sich die Befruchtung zwischen den Sporoblasten vollzieht und aus der Zygote sich die Sporozeiten entwickeln. So kann also die Auffassung der Sporogonie der Coceidien und Hämo- sporidien als Gamogonie mit metagametischem Vermehrungsmodus als völlig gerechtfertigt betrachtet werden, nur muss man, wie ich gezeigt habe, die Grenzen der gametischen Generation etwas weiter fassen. Aber noch eine andere Auffassung vom Zeugungskreis der Coceidien ist möglich, indem man nämlich die besondere Vermeh- rung innerhalb der Cystozygote nicht als metagametische, sondern als Agamogonie betrachtet. Nach dieser Ansicht würde also die Zygote, wie bei den meisten Protisten (ich erinnere an die früher erörterten Beispiele, besonders die Volvocineen) direkt ein unge- schlechtliches Individuum und zwar der 1. agametischen Generation meta- gametische Gamogonie oder Agamogonie (der späteren Agamonten i 'ation Agamogonie Generationen) der 1. Generation e! gamıe Geschlechtsindividuum (Gamonten) Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, 45 Fig. 6. Schema des Zeugungskreises von Cocceidium schubergi Schaudinn. I Aus der Cyste entleerter Agamet (Sporozoit) der ersten agamogenen Gene- ration (metagametisch entstandener Sporozoit), II in eine Darmepithelzelle von Lithobius eindringender Agamet (Sporozoit), /II, IV Heranwachsen derselben zu einem Agamonten, V Agamogenes Individuum (Agamont) in Kernvermehrung, VT, VII Agamogonie (Zerfallteilung, Schizogonie), VIII, IX, X Agameten, Xla und XITa Agameten in Darmepithelzellen eingedrungen, die zu Geschlechtsindividuen werden, X/a wird zu einem Makrogametocyten, X/Ia zu einem Mikrogametoeyten, XIb Makrogametocyt, weibliches Individuum, XIIb Mikrogametocyt, männliches Individuum, X//e multiple Vermehrung des Kernes dieses letzteren, XIc befruch- tungsfähiger Makrogamet, X//d Bildung der Mikrogameten, XIIe schwärmender Mikrogamet, XIII Makrogamet von Mikrogameten umschwärmt, XIV, XV Cysto- zygoten — befruchtete Makrogameten (= junge Agamonten der ersten Generation ?), XVI Kern (Synkaryon) der Zygote (Agamont?) in Teilung, XVII Teilung der Tochterkerne, X VIII Zerfallteilung (Sporogonie) der Zygote (Agamont) und Bil- dung der Cystosporen, XIX Zerfall der Cystosporen in je zwei Agameten (Sporo- zoiten), XX Freiwerden der Agameten der ersten agametischen Generation (meta- gametisch entstandene Sporozoiten) im Darm eines anderen Individuums von Lithobius. Aus Lang nach Schaudinn 1900. darstellen oder zu einem solchen sich entwickeln. Dass hierbei die Vermehrung in einer von den späteren agametischen Generationen verschiedenen Weise verläuft, ließe sich infolge ihres Verlaufes innerhalb der Cyste und ihrer Bedeutung für die Neuinfektion (bei Malariaparasiten als Folge des Wirtswechsels und der veränderten Lebensbedingungen) erklären. Im Prinzip haben wir ja eigentlich diese verschiedene Entstehung der 1. agametischen Generation gegenüber den späteren überall da, wo mehrere agametische Gene- rationen aufeinander folgen, besonders wenn das Produkt der Be- fruchtung eine Oystozygote war, wenn auch nicht in so auffälliger Weise wie gerade hier. Man vergleiche nur die Keimung der Zygote von Volvox zum 1. agametischen Individuum mit der Ent- stehung der späteren agametischen Individuen (Fig. 5 u. 3). Außer- dem kennen wir ja analoge besondere Teilungen, die sicherlich in keinem Zusammenhang mit der Befruchtung stehen, also echte aga- metische sind; ich erinnere nur an die Vermehrung von Infusorien innerhalb der Cyste, sowie das Vorkommen verschiedener aga- metischer Vermehrung bei Algen und Pilzen. Diese verschiedene Art der agametischen Fortpflanzung muss man halt als Anpassung an besondere Lebensbedingungen betrachten, wobei man noch von einem agamogenen Generationswechsel sprechen kann. Im Zeugungs- kreis der Coceidien können wir nach dieser Auffassung dann 3 Gene- rationen unterscheiden, 2 verschiedene agametische und 1 game- tische, ein bei Algen und Pilzen weit verbreiteter Zustand. Dass bei der gametischen Generation der Coceidien nach dieser Auffassung eigentlich keine Vermehrung, wenigstens im weiblichen Teil, stattfindet, hat nichts Auffallendes und kann nicht gegen die- 44 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. selbe ins Feld geführt werden. Dasselbe könnte schon in der ur- sprünglichen Unabhängigkeit von Befruchtung und Fortpflanzung seine Erklärung finden. Doch wird man in diesem Falle das Fehlen der Vermehrung bei der Gamogonie richtiger als Rückbildung der- selben auffassen, hervorgerufen durch die Geschlechtsdifferenzierung. Haben wir doch bei den Volvocineen gesehen, wie mit Auftreten der Geschlechtsdifferenzierung die Vermehrung im weiblichen Teile in derselben Weise unterblieben ist (Eudorina), während bei nah verwandten Formen mit Isogamogonie eine reichliche progametische Vermehrung der Befruchtung vorausgeht (Stephanosphaera, Pan- dorina). Welche von den beiden hier näher erörterten Auffassungen vom Zeugungskreis der Öoceidien die richtige ist, die Auffassung der Sporogonie als metagametische Gamogonie oder als Agamo- gonie, lässt sich meiner Ansicht nach bei unseren jetzigen Kennt- nissen noch nicht mit Sicherheit entscheiden. Dazu bedarf es noch weiterer genauer Erforschung von Entwickelungszyklen, besonders von Sporozoen (spez. Gregarinen und Myxosporidien) und Rhizo- poden. Ich selbst neige vorläufig mehr der zuletzt geäußerten Ansicht zu. In der Erklärung zu Fig. 7 habe ich daher beide Auffassungen berücksichtigt und besonders in der folgenden vergleichenden Ta- beile der Bezeichnungsweisen der Stadien des Üoccidienzeugungs- kreises meme Nomenklatur nach beiden Auffassungen durchgeführt. Aus dieser Tabelle werden, wie ich denke, noch klarer die ver- schiedenen Auffassungen hervortreten und vor allem, wie ich hoffe, die Vorzüge meiner Nomenklatur sich erweisen, da sie auf alle Fälle in richtiger Weise anwendbar ist, mag man sich zu einer Ansicht bekennen, zu welcher man will (s. Tab. S. 27). Nachdem ich nun meine Nomenklatur an Protisten erläutert habe, wobei uns Volvox zugleich als Beispiel ihrer Anwendbarkeit auf höhere Pflanzen dienen konnte, bleibt mir nur noch übrig, sie auf den Zeugungskreis der Dieyemiden anzuwenden, der einzigen vielzelligen Tiere, wo nach meinen Untersuchungen ein primärer Generationswechsel sich findet, dessen Entdeckung mir ja gerade den Anlass zu dieser Aufstellung einer neuen Nomenklatur gab. Da meine Untersuchungen über die Dieyemiden noch nicht publi- ziert sind und ihre Veröffentlichung wohl noch einige Zeit dauern wird, so ist dieses letzte Beispiel zugleich eine vorläufige Mittei- lung meiner Untersuchungen über den Generationswechsel der Dicyemiden. Der Zeugungskreis der Diecyemiden. Fig. 7 u. 8. Unsere bisherigen Kenntnisse über die Morphologie und Bio- logie der Dievemiden, die wir hauptsächlich den grundlegenden be) D ) oO Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 4) Untersuchungen von van Beneden (1876, 1882) und Whit- man (1882) verdanken — eine gute Zusammenfassung der bis- herigen Kenntnisse findet sich n Brauns (1570-93) Mionelminthen und in Delage und Herouards (1899) Lehrbuch — sind noch äußerst lückenhaft, so dass der Lebenskreis dieser merkwürdigen Schaudinn (1899, 1900) Lang (1901\ | Grassi (1902) | nach Hartmann (1903) | nach | Auffassung II Lühe (1900) Auffassung I Schizont Schizogonie Merozoit Makrogamet Mikro- gametocyt Mikrogamet Kopula,Sporont (Ooeyste) Sporogonie Sporozoit Schizont Monont Monogonie Gymnospore (monogonisch) Gametogene Mononten- generation Makrogamet (Oogonium) Antheridium Mikrogamet Oystozygote, Amphiont Amphigonie Gymnospore (amphigonisch) Monont Monont Agamont (agam. Indiv.) Monogonie Agamogonie | Sporozoit Agamet (monogonisch) Geschlechts- individuen (Ga- mont) Gamogonie Makrospore Makrogamet Antheridium Mikro- gametocyt Mikrospore Mikrogamet Amphiont Cystozygote Amphigonie | Metagametische Vermehrung der Gamogonie Sporozoit Sporozoit (Aga- (amphigonisch) | met, metagame- tisch) Monont Agamont Agamont (agam. Indiv.) Agamogonie (der späteren agam. Gen. durch Schizo- gonie) Agamet Geschlechts- individuen (Ga- mont) Gamogonie Makrogamet Mikro- gametocyt Mikrogamet Cystozygote (Agamont) Agamogonie (der 1. agam. Gener. durch Sporogonie) Agamet (Sporo- zoit) der 1. agam. Gener. (sporogonisch) Agamont Tiere, auch nach dem durch Keppen (1892) erfolgten Nachweise der infusorienförmigen Embryonen als Männchen, noch nicht ein- mal hypothetisch mit einiger Wahrscheinlichkeit geschlossen werden konnte. In letzter Zeit ist Wheeler (1899) in einer vorläufigen Mitteilung der richtigen Auffassung eines Teiles des Zeugungs- 46 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Fig. 7. Primärnematogen & Sekundärnematogen Primärnematogen Primär- rhumbogen Sekundärrhombogen \ kreises nahe gekommen, wenn er auch die Beweise hierfür nicht erbracht hat. Obwohl es auch mir noch nicht gelungen ist, den Zeugungs- und Entwickelungskreis der Dieyemiden völlig zu er- Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 47 Fig. 7. Schematische Darstellung des Zeugungskreises der Dieyemiden. A Junger primärnematogener Agamont, KZ Kopfzellen, RZ Rumpf- zellen, AZ Axiale Zelle (Agametangium), » deren vegetativer Kern, sn sekun- därer Kern der Axialzelle.e. B Teil eines großen Agamonten in verschie- denen Zuständen!) als primärnematogen (1—7), sekundärrhombogen (8-20), sekundärnematogen (20—25), n vegetativer Kern seiner Axial- zelle (Agametangium), sn sekundäre vegetative Kerne derselben, 1—7 nema- togener Zustand des Agamonten, 1 Gruppe von Agameten in verschiedenen Wachstumsstadien, bei Za Bildung eines sekundären Kernes (Para- nukleus), 7b Agamet in Teilung, 2 ausgebildeter Agamet, 3—5 Entwickelung der Agamonten aus Agameten, 3 Zweizellenstadium, 4 weiteres Furchungsstadium, 5 junger Agamont mit heteropoler Spindel in seiner Axialzelle, 6 junger Agamont nach der Teilung mit vegetativem Hauptkern und 1 Agametocyte in Teilung, 7 junger Agamont mit 2 Agametocyten in seiner Axialzelle verlässt das Elterindividuum und wird entweder zu einen primärnematogenen Agamonten wie A oder zu einem primärrhombogenen Agamonten wie Ü, 8-20 sekundärrhombogener Zustand, 8 Grüppe von Agameten, die sich von Gruppe 1 herleiten, bei 8a, b, e verschiedene Stadien der Bildung sekundärer Kerne (Paranuclei), 9—11 Entwickelung der Weib- chen und Bildung der Eier, 9 Zweizellenstadium, 70 junges Weibchen mit beginnender Eibildung in der Fortpflanzungszelle (Gonade, Gametangium), auch die übrigen Furchungszellen (sonst somatische Zellen) werden zu Eiern, 11 ausgebildetes Weib- chen mit reicher Eibildung, umgeben von Spermatozoen (Sp), 12, 15 Richtungs- körperbildung und Befruchtung, 14 erste Furchungsspindel, 15—17 Entwickelung der Männchen, die in der Regel ihren Ursprung von befruchteten Eiern (12—14), in seltenen Fällen auch noch direkt von Agameten ($) nehmen, 15 Zweizellen- stadium, 76 weiteres Stadium eines Männchens mit 4 zum Hoden werdende Zellen im Innern, 17 fast ausgebildetes Männchen, welches seinen Entstehungsort und den Wirt verlässt, um in anderen Wirtstieren mit seinen Spermatozoen Dicyemideneier zu befruchten (s. 13 u. 18), 15—25 sekundärnematogener Zustand der Aga- monten, 18 erschöpftes Weibchen, axiale Zelle, von der schließlich nur noch der Kern als Restkern in der Elteraxialzelle übrig bleibt, darum die von ihm zuletzt gebildete Generation von Eiern umgeben von Spermatozoen (Sp), 19 Richtungskörperbildung (hier noch nicht beobachtet), 20 Befruchtungsstadium. 21—25 Entwickelung der 1. Agamontengeneration aus befruchteten Eiern, die sich in gleicher Weise voll- zieht wie die der späteren aus Agameten (vergl. 5—7), 25 junger Agamont der 1. Generation verlässt das großelterliche Tier, wahrscheinlich auch den Wirt, um in junge Cephalopoden einzudringen, wo es zu einem primärnematogenen Agamonten (A) wird. C Junger primärrhombogener Agamont, Ag Agamet, Q ganz junges reduziertes Weibchen. schließen, so sind doch die Lücken so klein, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit hypothetisch überbrückt werden können. Wie schon erwähnt, haben mich meine Untersuchungen zur Er- kenntnis eines typischen primären Generationswechsels geführt. Ich beginne mit der Schilderung der ungeschlechtlichen Gene- rationen. Schon in den kleinsten CGephalopoden, die mir zur Unter- suchung zu Gebote standen — es waren Sepien und Eledonen von 2,5—3 cm Länge — fanden sich Dieyemiden und zwar als ganz 1) Diese verschiedenen Zustände kommen in Wirklichkeit nicht gleichzeitig, sondern zeitlich nacheinander in demselben Individuum vor. 48 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Junge sogen. Nematogene (Fig. 7 B, 25 u. A). Diese stellen junge Agamonten (Agamozoen) dar, und zwar, wie ich zum Schlusse nachzuweisen versuche, wohl die erste aus den befruchteten Eiern hervorgegangene Generation derselben, durch die vermutlich die Neuinfektion bewirkt wird. Diese jungen agametischen Individuen besitzen ganz den typischen Bau der Dieyemiden, indem sie aus einer mittleren axialen, der Fortpflanzung dienenden Zelle und einer Anzahl äußerer somatischer Zellen bestehen, bei welch letzteren man 8 oder 9 kleinere, bestimmt angeordnete Kopfzellen, die 4 polaren und die je nach der Gattung 4 oder 5 metapolaren, von den übrigen, den Rumpfzellen unterscheiden kann (Fig. 7 A). Alle somatischen Zellen besitzen ein wabiges Protoplasma, ın dem außer Exkretkörpern keinerlei Differenzierungen, auch bei ganz alten Exemplaren nachzuweisen sind. Was von Keppen (92) für Muskeln beschrieben worden ist, kann, wie ich in meiner ausführ- lichen Arbeit zeigen werde, nur als Kensiprde betrachtet werden. Die axıale Zelle fungiert ausschließlich als ungeschlechtliches Fort- pflanzungsorgan, man kann sie daher auch Agametangium nennen. Innerhalb ihres Protoplasmas vollzieht sich sowohl die Bildung wie die Weiterentwickelung (Furchung) der Agameten. Der erste Schritt zur Bildung dieser Fortpflanzungskörper beginnt zu einer Zeit, wo die jungen Agamonten noch innerhalb ihrer elterlichen, resp. großelterlichen axialen Zelle liegen, und ist daher bei diesen jüngsten freien Agamonten schon vollendet. So findet sich bei Dicyema truncatum bereits 1 Agamet völlig ausgebildet, bei den übrigen Dieyemiden sogar 2, 4 nd 8 Narren wenn "der junge Agamont seine Bildungsstätte verlässt (Fig. 7 B, 7 u. 25). Ob- wohl also die Bildung wenigstens des 1. Agameten bei unseren jungen Nematogenen schon vollendet ıst, wıll ich aus praktischen Gründen dieselbe doch hier einfügen. In der axialen Zelle, die sıch von Anfang an durch ihre Größe auszeichnet und im Ver- hältnıs beim weiteren Wachstum des Tieres immer größer wird, löst sich der Kern auf, und es bildet sich eine Teilungsspindel von höchst merkwürdiger Art (Fig. 75, 5 u. 23). Während nämlich bei den gewöhnlichen Zellteilungen der Dieyemiden eine sehr primi- tive Spindel mit 2 breiten Polen vorkommt (Fig. 7 5, 15), findet sich bei dieser ersten Kernteilung der axialen Zelle eine Spindel mit einem breiten und einem spitzen Pole, und entsprechend bildet sich am Schluss der Teilung an ersterem ein großer und an letzterem ein kleiner Kern (Fig. 7B,6nu.a). In Bezug auf die Zellteilungsmechanik ist diese Spindel zu vergleichen mit den Furchungsspindeln von Polystomum, wo nach Goldschmidt (1902) entsprechend der verschiedenen Größe der Öentrosomen ungleich große Furchungszellen entstehen. Hier hätten wir es nur mit einem primitiveren Zustand zu tun, indem noch keine Centro- h Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 49 somen ausgebildet sind. Interessanter aber noch als diese hier zur Anschauung gekommene verschieden große Wirkung der Kraft- centren ist die hierbei gemachte Beobachtung einer verschiedenen Qualität der bei dieser Teilung entstandenen Kerne, also ein tatsächlicher Beweis einer erbungleichen Teilung. Denn wie ich mit aller Sicherheit habe feststellen können, teilt sich der große Kern von nun an nicht mehr, er ist der dauernde vegetative Kern der axialen Zelle (Nähr- und Wohnzelle der darin entstehen- den Keime und Keimlinge), während sich von dem kleineren sämt- liche Fortpflanzungszellen ableiten. Whitman (1882), der auch schon diese erste Kernvermehrung als karyokinetische, wenn auch nicht in ihrer Eigenart erkannt hatte, nahm an, dass auch noch die 2. Keimzelle von dem ursprünglichen Kern abzuleiten sei, da sie stets auf der entgegengesetzten Seite zu finden sei. Ich habe jedoch genau verfolgen können, dass dieser 2. Agamet (vielleicht richtiger Agametocyt) sich von dem zuerst gebildeten kleinen Kern herleitet, der sich auf gewöhnliche Weise mitotisch teilt, nachdem endogen, d. h. ım Innern seiner Mutterzelle, sich Protoplasma durch Verdichtung um ihn gebildet hat. Die fast stets zur Beobachtung gelangende entgegengesetzte Lage dieser 2. Keimzelle erfolgt durch sofortiges Umwandern um den vegetativen Kern herum (Fig. 7 2, 6 und 24). Diese beiden ersten Agameten oder Agametocyten teilen sich meist noch ein- oder zweimal, so dass gewöhnlich 4 oder S Keim- zellen innerhalb der axialen Zelle (Agametangium) gebildet sind, ehe eine Weiterentwickelung derselben eintritt. Dabei stoßen wir auf Verhältnisse von großer Merkwürdigkeit, indem sich nämlich eine dieser Keimzellen direkt durch fortgesetzte Zweiteilung (Fur- chung) wieder zu einem jungen Agamonten entwickelt, während eine andere, offenbar homologe durch fortgesetzte Zweiteilung weı- tere Agameten liefert (Fig. 7 4). Ehe sich die Agameten entwickeln, durchlaufen sie eine Wachs- tumsperiode, wobei eine Reihe von Veränderungen an ihrem Proto- plasma, besonders aber ihrem Kern zum Ausdruck kommt, die ich zu den „vegetativen Kernveränderungen“ rechne, wie sie Schau- dinn (1899) bei Trichosphaerium und ich (1902) bei Ovarialeiern beschrieben und bezeichnet habe. Auf dieselben kann ich hier nicht näher eingehen. Ich will nur mitteilen, dass das Verhältnis von Kern und Protoplasma dabei Änderungen erfährt und dass Ohromatinsubstanz dabei aus dem Kern und der Zelle herausbeför- dert wird, die unter Umständen zur Bildung weiterer vegetativer Kerne der axialen Mutterzelle (Agametangium) zur Verwendung gelangt (Fig. 7 B, 1b, Sa, b, cu. sn). Den näheren Vorgang dieser Kernbildung und seine celluläre Bedeutung lasse ich hier außer Betracht und beschränke mich auf die Konstatierung solcher sekun- XXIV. 4 50 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. dären Kerne auch bei jungen sogen. primärnematogenen Aga- monten, was für uns von Wichtigkeit ist. Whitman (1882) gibt nämlich an, dass sekundäre Kerne (Paranuclei) nur bei sogen. rhombogenen Individuen (d. s., wie wir später sehen werden, Aga- monten, in denen die Geschlechtsgenerationen sich entwickeln) ge- bildet werden, und zwar sollen sie dort, sobald 8 Keimzellen ge- bildet seien, karyokinetisch von diesen ihre Entstehung nehmen. Whitman (1882) sowie Keppen (1892) sind geneigt, diese Kern- bildung für Richtungskörperbildung anzuschauen und hier den Be- fruchtungsakt zu suchen. Diese Anschauung sowohl wie die Angabe, dass diese Kerne nur in sogen. rhombogenen Individuen gebildet werden, entspricht nicht den Tatsachen. Ich habe die Entstehung solcher sekundären Kerne an den verschiedensten Orten beobachtet. Die ganze Art dieses Vorganges sowie die Verschiedenartigkeit des örtlichen Auftretens sprechen ganz gegen die Auffassung als Reife- erscheinungen, die ich zudem in typischer Ausbildung an anderer Stelle gefunden habe. Durch die Annahme der alleinigen Bildung sekundärer Kerne in rhombogenen Individuen ist ferner Whit- man (1882) zur Ansicht geführt worden, dass erst eine Generation von Primärnematogenen (mit Agamontenbrut im Innern) ohne weitere Kerne in der Axıalzelle, dann eine Generation von Rhom- bogenen (mit Gamontenbrut im Innern) bei Dicyemiden ent- stehe, welch letztere sich zum Schluss in Sekundärnematogene mit weiteren Kernen in der Axialzelle umwandle. Da ich nun gezeigt habe, dass auch bei Primärnematogonenen Sekundär- kerne vorkommen, so fällt dieses Kriterıum für Whitmans Auf- fassung weg. Wie sich die ganze Frage löst, werden wir später sehen. Am Schlusse der Wachstumsperiode schickt sich der Agamet zur Furchung an. Er ist bedeutend größer geworden, wobl zum Teil durch Flüssigkeitsaufnahme; denn die Alveolen seines Protoplasmas sind größer als vorher und das ganze Plasma sieht demnach heller aus. Reifungserscheinungen gibt es vor der Furchung dieser Keimzellen nicht, wodurch eben diese Fortpflanzungsweise als Agamogonie ge- kennzeichnet ist. Über die Furchung und Entwickelung der agametischen Indi- viduen (Agamonten, Fig. 7 B,2—5) will ich mich kurz fassen. Die früheren Untersucher fassten dieselbe als eine etwas inäquale Fur- chung und ihr Resultat als eine epibolische Gastrula auf mit einer einzigen größeren Entodermzelle in der Mitte und einem Kranz von Ektodermzellen, welchen Bau im Prinzip die Tiere ja beibe- halten. Ich kann mich dieser Auffassung, die offenbar von der Absicht beeinflusst war, unsere Tierformen der Keimblattlehre und somit den Metazoen anzureihen, nicht anschließen. Meiner Mei- nung nach kann man dabei höchstens von einer Morula sprechen, Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Ay mit einer Differenzierung der Zellen in eine axiale Urkeimzelle und einem Kranz von äußeren somatischen Zellen. Es liegt nur eine andere Anordnung und etwas höhere Differenzierung der Zellen als bei Volvox vor, indem die somatischen Zellen in Kopf- und Rumpfzellen sich unterscheiden lassen und dieselben in weit höherem Grade als dort die Funktion der Ernährung übernommen haben. Mit dieser sogen. epibolischen Gastrula haben wir unser Aus- gangsstadium, den jungen Agamonten wieder erreicht. Seine axiale Zelle bildet auf die oben beschriebene Weise wieder die 1. Agamo- cyte, die somatischen Cilien, und dann wandert er aktiv aus der axialen Zelle des Eltertieres aus, indem er sich durch dessen äußere Rumpfzellen durchbohrt (Fig. 7 B, 7). Der elterliche Agamont geht jedoch dabei nicht wie bei Volvoxr zu Grunde, sondern er wächst immer weiter, unter Umständen zu recht ansehnlicher Größe, wo- bei die zurückgebliebenen Keimzellen eine große Anzahl von Aga- meten, resp. Agamonten zu bilden vermögen. Auf diese Weise vollzieht sich die Ausbreitung der Parasiten in dem einmal in- fizierten Wirt. In jungen Gephalopoden finden sich stets nur der- artige agamogene Dicyemiden. Erst in älteren Wirtstieren, die meist eine ungeheure Anzahl von Parasiten beherbergen und deren Venenanhänge infolge der reichen Infektion meist schwammig zer- setzt sind, treten mit einem Male gamogene Generationen auf, indem sich in Agamonten jeden Alters die Agameten nicht mehr wie bisher zu agametischen Individuen (Agamonten), sondern zu Ge- schlechtsindividuen, Weibchen resp. Männchen entwickeln, was meiner Ansicht nach wohl zum Teil auf veränderte Lebensbedingungen, infolge der reichlichen Infektion zurückzuführen ist. Bisher war man geneigt, die agametischen Individuen der Dieyemiden, nematogene wie rhombogene, als Weibchen aufzufassen, die sich durch eine Reihe von Generationen partheno- genetisch fortpflanzen (nematogene), eine letztere Generation (rhom- bogene) liefere dann befruchtete Eier, aus denen die sogen. In- fusorigene entstehen, von deren Zellen sich dann wieder die Männchen (die infusorienförmigen Embryonen) ableiten lassen. Immerhin wagte man sich dieser absonderlichen Verhältnisse wegen nicht klar in diesem Sinne auszusprechen. Durch die Erkennung der sogen. Infusorigene Whitmans (1882) als reduzierte Weib- chen, welche zur Befruchtung gelangende Eier mit typischer Rich- tungskörperbildung liefern, und den Nachweis der Entstehung dieser Weibchen aus echten Agameten bin ich ın der Lage, diese Zu- stände völlig aufzuklären. Die nematogenen wie rhombogenen In- dividuen sind also beide Agamonten, die sich nur insofern unter- scheiden, als in ersteren die Agameten wieder zu Agamonten, ın letzteren dagegen zu Geschlechtsindividuen, Weibchen resp. 5 52 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Männchen sich entwickeln, wobei in demselben Individuum erst das eine, dann das andere sich abspielen kann (Fig. 7 B, 1-—7 u. 8$—20). Ich habe früher schon gezeigt, dass die Bildung der Sekundär- kerne (Paranuclei) auch in sogen. primärnematogenen Individuen stattfinden kann, wenn sie dort auch seltener zu beobachten ist, dass also die Angaben Whitmans, wonach die Paranuclei nur in rhombogenen Individuen gebildet werden, nicht zutrifft. Auch die weitere Angabe Whitmans, dass diese Paranuclei erst nach der Bildung der 8 ersten Keimzellen entstehen, ist nicht richtig, da ich junge rhombogene Individuen beobachtet habe, bei denen erst 2 Keimzellen gebildet waren, von denen die eine sich gleich zu einem Infusorigen (weiblichen Individuum) mit oder ohne vorherige Bildung eines sogen. Paranucleus entwickelte (Fig. 7 O0). Die Bildung der Weibchen, überhaupt der Geschlechtsgeneration voll- zieht sich eben in Agamonten jeglichen Alters, wie ich das mit Sicherheit beobachtet habe. Bei den älteren scheint dabei häufig eine große Anzahl von Agameten zu Grunde zu gehen, gewisser- maßen von den übrigen Zellen aufgefiressen zu werden. Nur eine geringe Anzahl (etwa 8) hat die Fähigkeit, sich zu Weibchen zu entwickeln. Alle älteren Agamonten werden also bei Auftreten der (reschlechtsgeneration aus Agamonten bildenden Individuen zu Ge- schlechtsindividuen bildenden, also aus sogen. primärnematogenen zu rhombogenen Individuen. Somit haben Wheeler (1899) und Keppen (1892) recht, wenn sie annehmen, dass die nematogenen und rhombogenen Individuen keine verschiedenen Formen von Di- cyemiden darstellen, sondern dass sich die ersteren in letztere um- wandeln, wie es auch van Beneden (1882) schon vermutet hatte. Der Grund, der Whitman (1853) veranlasste, eine eigene Gene- ration von Primärnematogenen anzunehmen, das Fehlen der sekun- dären Kerne in der Axialzelle derselben, fällt weg, da ich ja ge- zeigt habe, dass auch bei diesen derartige Kerne gebildet werden. Andererseits hat Whitman mit seiner Annahme einer eigenen rhombogenen Generation insofern recht, als eben auch ganz junge Agamonten, die noch keine Tochteragamonten gebildet haben, di- rekt Geschlechtsindividuen (Infusorigene) in sich zu bilden vermögen, wodurch sıe von vornherein ein von den übrigen Agamonten (Nema- togenen) verschiedenes Aussehen gewinnen, da diese die Geschlechts- generation liefernden Agamonten wohl durch die andere Gestalt und beträchtlichere Größe der Geschlechtsgenerationen in ihrem Innern veranlasst werden, selbst auch eine andere (breitere) Ge- stalt als die primärnematogenen anzunehmen. Dasselbe tritt auch beı herangewachsenen Agamonten ein, wenn sie aus primärnemato- genen zu rhombogenen werden, so dass also auch die alte Köl- ikersche und die van Benedensche Auffassung zweier verschie- Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, DI dener Formen von Dieyemiden ihre Richtigkeit z. T. behält. Somit lassen sich ın meiner Darstellung sämtliche sich bisher so sehr widersprechenden Angaben der früheren Autoren vereinigen, soweit sie auf tatsächlichen Beobachtungen beruhen. Ich habe ın der obigen Auseinandersetzung die Infusorigene Whitmans als reduzierte Weibchen in Anspruch genommen. Diese Auffassung stützt sich auf die Entdeckung von Richtungs- körperbildung und Befruchtung bei den von den sogen. Infusori- genen gebildeten Keimzellen, aus denen sich bekanntlich die Männ- chen (fast ausschließlich) entwickeln. In der Fig. $ habe ich einige Stadien der Richtungskörperbildung und Befruchtung abgebildet. Auf eine nähere Beschreibung derselben will ich jedoch nicht ein- gehen; es soll nur das Vorkommen dieser Erscheinung dadurch bewiesen werden. Die Figur A zeigt den ersten Richtungskörper abgeschnürt, die zweite Richtungsspindel und daneben den Sperma- kern, D Spermakern und weiblichen Vorkern mit einem Rest der Richtungsspindel, € die beiden Vorkerne im Ruhezustand, D die 1. Furchungsspindel. Die vom Infusorigen gelieferten Keimzellen sind dem- nach echte Eier, die befruchtet werden, wie auch Wheeler (1599) richtig vermutet hatte. Schon Whitman (1882) und Keppen (1892) haben den Zell- haufen des Infusorigens nicht als etwas zufälliges betrachtet, sondern ihm die Bedeutung einer Person zugeschrieben. Diese Auffassung, die sich stützt auf die große Ähnlichkeit der ursprünglichen Anlage des Infusorigens mit der sogen. Gastrulabildung der wurmförmigen Embryonen (Agamonten) einerseits und die Ähnliehkeit der Bil- dung der weiteren Keimzellen von der axıalen Zelle des Infusorigens aus mit der Bildung der Agameten andererseits, findet natürlich durch den von mir gelieferten Nachweis der Keimzellen als echte Eier eine weitere Stütze und volle Bestätigung (Fig. 7 B, 9—11). Das einzig Befremdende dabei, dass auch die den somatischen Zellen der Agamonten homologen Elemente zu Eiern werden, kann nicht dagegen sprechen, wenn man sich die Lebensbedingungen dieser reduzierten Weibchen vergegenwärtigt, also deren dauernde Lage innerhalb der axialen Zelle des Eltertieres, wodurch die Be- deutung der somatischen Zellen als Hüll-- Bewegungs- und Er- nährungszellen völlig überflüssig geworden ist, und wenn man ferner erwägt, dass die Dieyemiden offenbar auf einer sehr niederen Organismenstufe stehen geblieben sind, wo die Differenzierung noch nicht so weit gediehen war (die somatischen Zellen also das ganze Keimplasma nach Weismann noch besitzen), wodurch es mög- lich wurde, die Zellen unter gegebenen Bedingungen auch ander- weitig zu verwenden. Die schönen Versuche von Klebs (1896) an niedersten vielzelligen pflanzlichen Organismen bieten eine Ana- op 4 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen, logie dazu. Übrigens kann das Weibchen, wie ich häufig beob- achtet habe, noch weiter rückgebildet sein, indem es gar nicht mehr zu einem furchungsähnlichen Stadium kommt, sondern vom Zwei- zellenstadium an alle weiteren Eier im Innern der der Fortpflan- zung dienenden (axialen) Zelle (Gametangium) entstehen und dann erst heraustreten, so dass also nur eine einzige Furchungszelle zur Eizelle wird (Fig. 7 02). Das Herauswandern der Eier aus der Fig. 8. PRO am a Richtungskörperbildung und Befruchtung bei den Diceyemiden. A von Diceyema truncata, DB, C u. D von Dicyemenna elegans. (Erklärung im Text.) mütterlichen Fortpflanzungszelle (Gametangium) in das Protoplasma der großelterlichen Axialzelle ist bei der dauernden Lage der Mutter innerhalb derselben sehr naheliegend, und diesem Umstande ist auch das Unterbleiben des weiteren Wachstums der Weibchen zuzuschreiben (Fig. 7 B 10, 11, 18). Da die infusorienförmigen Embryonen (Männchen) sich aus den Keimzellen des Infusorigens (Weibchens) entwickeln, haben wir hier den merkwürdigen, meines Wissens einzig dastehenden Fall, dass die Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. a7) Weibehen aus Agameten, die Männchen dagegen aus be- fruchteten Eiern sich entwickeln. Glücklicherweise vermögen uns aber einige Ausnahmefälle die Entstehungsgeschichte dieses Zu- standes zu zeigen. Keppen (1892) konnte nämlich einige Male beobachten, wie sich Männchen in gleicher Weise wie Infusorigene (Weibchen) aus Agameten entwickelt haben, eine Beobachtung, die auch ich in einem Falle bestätigen konnte. Offenbar hatten also früher die Männchen dieselbe Entstehung wie die Weibchen, wie dies bei den nahverwandten Orthonektiden noch heute der Fall ist (Caullery und Mesnil, 1901). Als sich später aus irgend welchen Gründen auch aus befruchteten Eiern Männchen ent- wickeln konnten, wurde die agamogene Entstehung derselben rückgebildet, so dass sie jetzt kaum mehr vorkommt. Dies konnte um so eher eintreten, als die Männchen sehr früh- zeitig ihren Entstehungsort und ihren Wirt verlassen und durch das Seewasser, das sie bekanntlich sehr gut vertragen, in andere Cephalopoden einwandern, um deren Dicyemideneier zu befruchten. Auf die Entwickelung und den Bau der Männchen will ich hier nicht weiter eingehen; von deren sogen. Gastrula gilt das gleiche wie von der der Agamonten. Nur auf die interessante biologische Tatsache möchte ich nochmal hinweisen, dass die ganze Entwickelung jetzt in der Regel in der großelterlichen Axsal- zelle vor sich geht (Fig. 7 B, 15—17). Soweit ist der Lebenskreis der Dieyemiden jetzt völlig aufge- klärt. Nur noch 2 Fragen sind zu beantworten: Gibt es außer den Männchen noch andere Individuen, die aus be- fruchteten Eiern hervorgehen, und wie vollzieht sich die Neuinfektion? Würden aus befruchteten Eiern nur Männ- chen entstehen, so hätte die ganze Amphimixis überhaupt keinen Sinn. Schon aus diesem theoretischen Grunde müsste man demnach annehmen, dass auch Weibchen oder Agamonten ıhren Ursprung von befruchteten Eiern nehmen. Whitman (1882) nahm bekanntlich an, dass die rhombogenen Individuen zum Schluss sekundärnematogen würden, indem eine letzte Generation von Keimzellen der Infusorigene, also Eier zu wurmförmigen Embryonen (Agamonten) und nicht zu infusorienförmigen (Männ- chen) sich entwickelten. Einer seiner Gründe hierfür, das Vor- kommen weiterer Kerne in der Axialzelle der sekundärnematogenen Individuen, die den primärnematogenen fehlen sollen, trifft aller- dings nicht zu. Doch scheinen mir seine anderen Gründe und vor allem seine Abbildungen für die Umwandlung von rhombogenen in sekundärnematogene Individuen völlig beweisend (Fig. 7 B, 18—25). Auch ich habe schon zu Beginn meiner Studien nema- togene Individuen beobachtet bei Cephalopoden von einer Größe, 56 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. bei der sonst nur rhombogene zu finden sind, und bin daher ge- neigt, diese als sekundärnematogene zu betrachten, deren Agamonten- brut sich also von befruchteten Eiern herleitet. Eine große Stütze findet diese Annahme durch das dabei von mir einige Male beobachtete Vorkommen zweier Kerne in den Keimzellen, die man früher als die beiden ersten Furchungskerne aufgefasst hatte, die ich aber später als die beiden Vorkerne bei der Befruchtung der sich zu Männchen entwickelnden Eier erkannt habe (Fig. 7 B, 13 u. 20). Neuerdings habe ich nochmals Dieyemiden in einem großen Octopus gefunden, die sekundärnematogen zu sein schienen. Durch die genauere Untersuchung derselben, wozu ich bisher noch nicht ge- kommen bin, hoffe ich, diese Frage endgültig entscheiden zu können. Wenn sich meine Annahme bestätigt, dann dürfte sich auch die Frage nach der Neuinfektion wohl mit großer Wahrscheinlichkeit dahin beantworten lassen, dass durch diese geschlechtlich erzeugten Agamonten dieselbe bewerkstelligt wird. Durch ein einfaches Ex- periment könnte wohl leicht der tatsächliche Beweis hierfür er- bracht werden und dies will ich bei der nächsten Gelegenheit in Ausführung bringen. Die jungen primärnematogenen Agamonten, wie man sie in kleinen Cephalopoden antrifft, wären danach ıiden- tısch mit den zuletzt ın älteren CGephalopoden geschlechtlich er- zeugten Agamonten, und somit wäre der Lebenszyklus der Dicye- miden vollständig geschlossen. Fassen wir nochmals in Kürze den Zeugungs- und Entwicke- ungskreis der Dieyemiden zusammen, so kommen wir zu folgen- der Darstellung: Junge geschlechtlich entstandene Agamonten (Fig. 7 5, 25) wandern aus und infizieren junge Cephalopoden. Dort erzeugen sie durch Agamogonie eine große Anzahl von wei- teren Agamonten (Fig. 7 A, B, 1—-7). Mit Auftreten der Geschlechts- generation werden die älteren Agamonten sekundärrhombogen (Fig. 7 B, 8—20), die ganz jungen primärrhombogen (Fig. 7 C©), in- dem bei beiden reduzierte Weibchen aus Agameten sich entwickeln, die dauernd in der axialen Zelle der Elterindividuen liegen bleiben (Fig. 75, 9—11 und © %). Die Eier entwickeln sich nach der Richtungskörperbildung und Befruchtung, welch letztere heutzu- tage wohl ausschließlich durch Samen von aus anderen Cephalo- poden stammenden Männchen bewirkt wird, in der großelterlichen axialen Zelle zu Männchen, die in andere Uephalopoden auswandern, um die Eier dort lebender Dieyemiden zu befruchten (Fig. 7 B, 12—17). Nur selten entstehen heute noch Männchen direkt aus Agameten. Aus der letzten Generation von befruchteten (?) Eiern entwickeln sich jedoch wieder Agamonten, so dass sämtliche rhom- bogene Individuen zum Schluss sekundärnematogen werden (Fig. 7 2, 18-25). Mit dieser letzten geschlechtlich entstandenen Agamonten- brut haben wir wieder unser Ausgangsstadium erreicht. Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. 57 Vergleichen wir diesen Zyklus mit den Verhältnissen, wie sie nach den neuesten Untersuchungen von Uaullery und Mesnil (1901) bei Orthonektiden vorliegen, so finden wir dort bei der (reschlechtsgeneration einfachere, ursprünglichere Zustände. Die Männchen wie die Weibchen werden in sogen. Plasmodien gebildet (in denselben oder in verschiedenen), die Öaullery und Mesnil richtig der axialen Zelle der Dieyemiden vergleichen. Die Ähn- lichkeit ist in der Tat auffallend, wovon ich mich an Präparaten von Prof. Caullery selbst überzeı ugt habe. Die Zellen, von denen sich die Geschlechtsindividuen entwickeln, sind also offenbar Agameten. Die Männchen und Weibchen wandern dann aus in Seewasser (wie die Dieyemidenmännchen), wo wahrscheinlich die Befruchtung und erste Entwickelung der aus dem befruchteten Eı entstehenden Aga- monten (späteren Plasmodien) sich vollzieht. Doch sind diese letzteren Vorgänge noch nicht beobachtet worden. Von derartigen einfachen Verhältnissen der Gamogonie der Orthonektiden leitet sich offenbar die merkwürdig abgeänderte und komplizierte gamo- gene Fortpflanzung der Dieyemiden ab. Und so sehen wir, dass auch diese beiden niedersten vielzelligen Tiergruppen sich dem Schema des primären Generationswechsels einfügen, wie wir es bei Protozoen und Volvocineen (Pflanzen) kennen gelernt haben !). Ich beschließe meine Ausführungen über die Fortpflanzungs- weisen der Organismen mit einer tabellarischen Vergleichung des Zeugungskreises von (beeidium, Volvox und Dieyema ganz ım An- les an die Tabelle, die Lang (1901) p. 251 gibt, jedoch mit meiner Nomenklatur und nach meiner Auffassung und mit Ein- setzung von Dicyema als Beispiel an Stelle von Aphis. 1) Dieser primäre Generationswechsel im Zusammenhang mit den primitiven Verhältnissen im Bau und in der Entwickelung unserer Formen (das Fehlen fast jeglicher Zelldifferenzierung, der einfache Zellteilungsmodus ohne Spur von Üentro- somen und das Fehlen eines Gastrulastadiums) sind für die systematische Auf- fassung derselben natürlich von größter Bedeutung. Mir scheint dadurch die Auf- fassung dieser Tiere als ursprünglich einfache und nicht als durch Degeneration vereinfachte und der nähere Anschluss derselben an die Proto- zoen (vergleiche Volvox und Magosphaera) völlig einwandfrei hervorzugehen. Die parasitische Lebensweise kann nicht dagegen ins Feld geführt werden, denn ebenso- gut wie dieselbe durch Degeneration vereinfachend wirken kann, kann sie auch einen ursprünglich primitiven Zustand erhalten. Man wird daher am besten diese Tier- gruppen als Mesozoen bezeichnen, Zwischenformen zwischen Protozoen und Meta- zoen. Auf die Charakterisierung und Begrenzung der Mesozoen kann ich hier nicht weiter eingehen; ich möchte nur bemerken, dass dies jedenfalls in anderer Weise zu geschehen hat, als wir es bei van Beneden (1876) und Delage u. Hfrouard (1899) finden, Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Vergleichung des Zeugungskreises von (oceidium, Volvox und Dycie ma. Coccidium, Darmzellen- parasit. Einfaches, einzelliges Proto- zoon, Protozoenindividuum Volwox, Süßwasser- bewohner. Niederste vielzellige Pflanze, vielzelliges Individuum (Heteropolyplastide) Dicyema, Nierenparasit. Niederstes vielzelliges Tier, vielzelliges Individuum (Heteropolyplastide, Meso- ZOON) Die Gesamtheit der in der Cystozygote (durch Sporogonie) gebildeten Zel- len (Agameten der 1. aga- metischen Generation oder metagametisch gebildete Sporozoiten der Geschlechts- generation). Die Zellen (Agameten, Sporozoiten) zerstreuen sich. _ Alle Zellen (Agameten; Sporozoiten) sind unter- einander gleich. Alle Zellen (Agameten, metagametische Sporozoi- ten) können zu vermehrungs- fähigen Agamonten werden, ohne Intervention eines Ge- schlechtsaktes. Die Vermehrung der Aga- monten (Agamogonie) ge- schieht durch Zerfallteilung (Schizogonie). Die agametische Fort- pflanzung dient zur Aus- breitung des Parasiten über die Darınwand des Wirtes. Bei der Vermehrung der Agamonten wird eine neue (seneration gleichartiger Agameten gebildet, die sich zerstreuen und wiederum zu Agamonten werden. Die Gesamtheit der ein Volvoxindividuum (Kolonie) der 1. agamogenen Gene- ration zusammensetzenden Zellen, die durch successive Teilung (Entwickelung) aus der Üystozygote hervorge- gangen sind. Die Zellen bleiben durch eine gemeinsame Geallert- hülle zu einem Individuum niederster Art vereinigt. Es gibt 2 Arten von Zellen, sterile (somatische) und fruchtbare (Fortpflan- zungszellen, Propagations- cyten). Die somatischen Zellen untereinander gleich. Nur die Fortpflanzungs- zellen (Agameten) sind zur Vermehrung (Entwicke- lung) befähigt, und zwar ohne vorhergehende Karyo- gamie. Die Vermehrung der Aga- meten geschieht durch fort- gesetzte Zweiteilung (Ent- wickelung). Die agametische Fort- pflanzung dient zur Aus- nützung günstiger Saison- verhältnisse. Bei der Vermehrung Ent- wickelung) der Agameten wird eine neue agamogen sich fortpflanzende Gene- ration von agametischen Volvoxindividuen (Kolo- nien) gebildet. Die Gesamtheit der ein Dieyemid der 1. agamoge- nen (Greneration zusammen- setzenden Zellen, die durch successive Teilung (Ent- wickelung) aus einem be- fruchteten Ei (?) hervorge- gangen sind. Die Zellen bleiben eng verbunden und bilden zu- sammen den Körper. Es gibt 2 Hauptsorten von Zellen, sterile (soma- tische) und Fortpflanzungs- zellen. Die somatischen Zellen infolge von Arbeitsteilung verschieden. Nur die Fortpflanzungs- zellen (Agameten) sind zur Vermehrung (Entwickelung) befähigt, und zwar ohne vorhergehende Befruchtung. Die Vermehrung der Aga- meten geschieht durch fort- gesetzte Zweiteilung (Ent- wickelung). Die agametische Fortpflan- zung dient zur Ausbreitung des Parasiten über die Venenanhänge des Wirtes. Bei der Entwickelung der Agameten wird eine neue agamogen sich fortpflan- zende Generation von Aga- monten (agametischen Di- cyemiden) gebildet. Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Coceidium, Darmzellen- parasit. Einfaches, einzelliges Proto- zoon, Protozoenindividuum 59 'olvox, Süßwasser- bewohner. Niederste vielzellige Pflanze, vielzelliges Individuum (Heteropolyplastide) Dicyema, Nierenparasit., Niederstes vielzelliges Tier, vielzelliges Individuum (Heteropolyplastide, Meso- z00nN) Die sich durch Agamo- gonie fortpflanzenden Gene- rationen wiederholen sich. Es entsteht schließlich eine gamogene Generation, bestehend aus: 1. Makrogametocyten; 2. Mikrogametoeyten. Der Makrogametocyt stellt das weibliche, der Mikrogametocyt das männ- liche Individuum dar. Aus je einem Makro- gametocyten wird unter Reifeerscheinungen ein be- fruchtungsfähiger Makro- gamet. Aus je einem Mikro- gametocyten entstehen durch Zerfallteilung mehrere, be- wegliche, mit Geißeln aus- gerüstete, befruchtungs- fähige Mikrogameten. Je ein Makrogamet ver- schmilzt mit nur einem Mikrogameten, wobei auch dle beiden Kerne verschmel- zen (Karyogamie, Kopu- iatien, Befruchtung). Die sich durch Agamo- gonie fortpflanzenden Vol- voxgenerationen wiederho- len sich. Es entsteht schließlich eine gamogene (Greneration von Volvoxindividuen, wel- che bestehen aus: 1. sterilen, somatischen Zellen; 2. Makrogametoeyten (Oogonien); 3. Mikrogametocyten (An- theridien). Makrogametocyten und Mikrogametocyten in dem- selben Individuum vereinigt (hermaphroditisches, monö- cisches Individuum, Volvox globator) oder auf verschie- dene (weibliche und männ- liche) Individuen verteilt (Trennung der Geschlechter, Diöcie, Volwvox aureus). Aus je einem Makro- gametocyten wird unter Reifeerscheinungen ein be- fruchtungsfähiger Makro- gamet. Aus je einem Mikro- gametocyten entsteht durch wiederholte Zweiteilung eine Anzahl beweglicher, mit Geißeln ausgerüsteter, be- fruchtungsfähiger Mikro- gameten. Je ein Makrogamet ver- schmilzt mit nur einem Mi- krogameten, wobei auch die beiden Kerne verschmelzen (Karyogamie, Kopulation, Befruchtung). Die sich durch Agamo- sonie fortpflanzenden Di- cyemidengenerationen wie- derholen sich. Es entsteht schließlich eine gamogene Generation von, deren Individuen be- stehen aus: 1. somatischen Zellen; 2. Oocyten (ihre An- sammlung heißt weibl. Go- nade, Ovarium, Eierstock); 3. Spermatocyten (ihre Ansammlung heißt männ- lich Gonade, Testis, Hoden). ÖOvarien (Oocytenhaufen) und Hoden (Spermatoeyten- haufen) auf verschiedene Individuen (Weibchen und Männchen) verteilt (Tren- nung der Geschlechter). Aus je einer Oocyte wird unter Reifungserschei- nungen (Ausstoßung der Richtungskörper) eine reife befruchtungsfähige Eizelle. Aus je einer Spermato- eyte entsteht durch wieder- holte Zweiteilung eine An- zahl beweglicher, Geißeln tragender, befruchtungs- fähiger Spermatozoen. Je ein befruchtungs- fähiges Ei verschmilzt mit nur einem Spermatozoen, wobei auch die beiden Kerne verschmelzen(Befruchtung). 60 Hartmann, Die Fortpflanzungsweisen der Organismen. Coceidium, Darmzellen- parasit. Einfaches, einzelliges Proto- zoon, Protozoenindividuum Volvox, Süßwasser- bewohner. Niederste vielzellige Pflanze, vielzelliges Individuum Dieyema,Nierenparasit. Niederstes vielzelliges Tier, vielzelliges Individuum (Heteropolyplastide, Meso- ZOON) Das Produkt der Ver- schmelzung ist eine Oysto- zygote, die eintrocknen kann, gegen äußere Ein- flüsse widerstandsfähig ist und zur Infektion neuer Wirte dient. Die Zygote wird direkt zu einen Agamonten, der sich durch Zerfallteilung (Sporogonie) innerhalb der Uyste vermehrt und die Agameten der agamo- genen Generation bildet, oder nach anderer Auf- fassung in ihr entstehen nach dem metagametischen Vermehrungsmodus der Ga- mogonie Sporozoiten. iR Der Zeugungskreis ist ge- schlossen. Beneden, E. van (1876). (1882). 3raun, M. (1579—1893). Abt La. Bütschli, O. (1883—1887). Mastigophora, in: Bronn, Olass. u. Ordn., Vol. 1, Abt. 2. Aufl. Caullery, M. u. Mesnil, F. (1901). (Heteropolyplastide) Das Produkt der Ver- schmelzung ist eine resi- stente Oystozygote, die ein- trocknen, den Winter über- dauern und im Frühjahr sich wieder entwickeln kann. Aus der Zygote wird durch fortgesetzte Zweitei- lung ein neues agamogenes | Volvoxindividuum (Aga- mont), der ersten agamogen sich fortpflanzenden Som- mergeneration angehörig. ” Der Zeugungskreis ist geschlossen. Literaturverzeichnis. | — Das Produkt der Befruch- tung ist das befruchtete Ei, ‚das in der großelterlichen ‚axialen Zelle liegen bleibt. Aus dem befruchteten , Eiern entwickeln sich durch fortgesetzte Teilung Männ- chen, aus der letzten Gene- ration jedoch die Individuen (Agamonten) der ersten, sich agamogen fortpflanzenden ' Generation, welche wahr- 'scheinlich die Neuinfektion bewirkt. Der Zeugungskreis ist ı geschlossen. | Recherches sur les Dieyemides, survivants actuels d’un embranchement des M&sozoaires in: Bull. Acad. Belg. ser. 2, Vol. 41 u. 42. Contribution A V’histoire des Diey@mides in: Arch. Biol., Vol. Bronn, Class. u. Mionelminthen, in: Recherches sur anat. mierop., Vol. 4. Delage, Y. u. Herouard (1899). Doflein, Franz (1901). Jena 1901. Goldsehmidt, R. (1902). Molzı. Grassi, Batt. (1902). Häckel, Ernst (1866). (1594). Hartmann, Max (1902). Abt. Anat. Hertwig, Rich. (1899). und ungeschlechtliche Fortpflanzung ? München. Trait@ de Zoologie Conertte. 2 Ordn., Vol. 4, 2, les Orthonectides, in: Arch. Vol. 2, ‚Bari: Die Protozoen als Parasiten und Krankheitserreger. Untersuchungen über die Eireifung, Befruchtung und Zellteilung bei Zolystonum integerimum Rud. in: Zeitschr. wiss. Zoolog., Die Malaria, Studien eines Zoologen. Generelle Morphologie der Organismen, Vol. 2, Berlin. Systematische Phylogenie. Studien am tierischen Ei, 2. Aufl., Jena 1902. Vol. 2, Berlin. I: in: Zool. Jahrb.,: Vol. 1, Mit welchem Recht unterscheidet man geschlechtliche in: SB. Ges. Morph. Physiol., Korotneff, Über den Polymorphismus von Dolchinia. 61 Hübner, ©. (1902). Neue Versuche aus dem Gebiete der Regeneration und ihre Beziehungen zu Anpassungserscheinungen, in: Zool. Jahrb., Vol. 15, Abt. Syst. Hieronymus, G. (1857). Ueber Stephanosphaera plwvialis Cohn. Ein Beitrag zur Kenntnis der Volvocineen in: Cohn, Beitr. Biol. Pflanzen, Vol. 4, Breslau. Keppen, N. A. (1892), Nabliondenia nad rasmnogeniem Ditziemid. Odessa 1892. (Russ., ref. in: Y. Delage u. H&rouard, Trait& de Zoologie Con- erete, Vol. 2, Paris). Kirchner, ©. (1883). Zur Entwickelungsgeschichte von Volvox minor (Stein) in: Cohn, Beitr. Biol. Pflanzen, Vol. 3, Breslau. Klebs, Georg (1596). Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. Jena 1896. Klein, Ludwig (1889). Morphologische und biologische Studien über die Gattung Volvox, in: Pringsheim, Jahrb. wiss. Bot., Vol. 20. (1890). 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Tiefseeform auffasst, welche durch besondere Strömungen getrieben, nur zufällig an der Oberfläche des Meeres erscheint. Eine Dolchinia-Kolonie, wie ich sie beschrieben habe, besteht aus gelatinösen und verschieden großen Zylinderstücken (bis 40 em Länge), welche von einer mit Dololum-ähnlichen Wesen direkt besetzten Achse gebildet werden. An jedem Stücke ist eine Bauch- rinne zu unterscheiden (Fig. 1); von dieser aus werden die Dokohım- ähnlichen Wesen immer größer, um an der Dorsalseite des Zylinders als vollständig entwickelte Organismen zu erscheinen. Die erwähnten „Dobolum“ der Dolchinia repräsentieren die zweite geschlechtslose Generation, welche am Fusse eine lange Urknospe und sekundäre Knospen von verschiedener Größe trägt. Diese Knospen entwickeln sich zu einer sekundär geschlechtlichen und Kiga = °o Os 2 Va IQ x ° I g vs pP wa Pet t len N AI 7 Querschnitt einer Dolchinia-Kolonie. kn — Knospe; rp — Respirationstier (Lateralsprose) ; am — Amme; sd = Scheidewand. freischwimmenden Generation. Der Entwickelungs-Zyklus von Dolchinia besteht also aus drei Generationen: aus einer ersten, unbekannten, solitären, mit Stolo und Schwanz versehenen Ammen- form, deren Zylinderstücke von mir aufgefunden worden sind; aus einer zweiten, sich am Schwanze fixierenden, ebenfalls Ammen- generation und endlich aus einer dritten freien geschlechtlichen Generation. Der Unterschied vom Doliohım bestand in der Ab- wesenheit von Lateralsprossen. (Grobben.) !) Die Dolchinia-Stücke, welche ich in diesem Jahre traf, schienen mir im ersten Augenblicke jenen, die ich früher sah, ganz ähnlich zu sein; bei näherer Untersuchung einiger Stücke fand ich aber, 1) Doliolum und sein Generationswechsel in: Arb. Zool. Institut, Wien, Bd. IV, 1882. Korotneff, Uber den Polymorphismus von Dolchinia. 63 dass zwischen den gewöhnlichen Doliohum-ähnlichen Wesen anders geformte, größere, schlankere und wegen der Abwesenheit von Muskelstreifen völlig durchsichtig erscheinende Individuen vor- kamen. Es war leicht einzusehen, dass wir es hier mit Lateral- sprossen von Dolchinia zu tun haben, jedoch mit dem Unterschiede, dass sie nicht seitlich und nicht längs einer lateralen Linie saßen, sondern zwischen den gewöhnlichen Dokolum-ähnlichen Sprossen unregelmäßig zerstreut waren. Ich wıll noch erwähnen, dass unter den Dolchinia-Zylinderstücken, von welchen ich mehr als zwanzig bekam, nur zwei mit Lateralsprossen versehen waren; alle anderen zeigten aber davon keine Spur. An den von mir früher untersuchten Dolchinien fanden sich in der Bauchrinne und an ihren Seiten die Knospen nur ganz ver- einzelt und in einer ganz geringen Zahl vor; an den Stücken aber, die ich in diesem Jahre bekam, waren sie in einer großen Zahl vertreten. Sie erfüllten die Rinne vollständig, wanderten aus ıhr heraus und fixierten sich an ihren Seiten, um die zweite ungeschlecht- liche Generation zu bilden. Die Wanderung der Knospen sowohl als ihre Fixierung geschieht vermittelst besonderer, schon von J. Barrois und mir beschriebenen Phagocyten, welche einzeln oder in doppelter Zahl sich an jede Knospe festheften. Besonders zahl- reich sind die Knospen an jenen Dolchinia-Stücken, welche im Besitze von Lateralsprossen sind; hier erfüllen sie die Rinne in der Weise, dass sie sich zu mehreren Schichten anordnen und über einander zu klettern scheinen. Wenn wir den beschriebenen Prozess von Dolchinia mit den Erscheinungen bei Doliolum vergleichen, so bemerken wir etwas ähnliches: bei Dololum ist nämlich die Zahl der Knospen an ver- schiedenen Stellen des Schwanzes auch sehr verschieden: sie ver- mindert sich distalwärts vom Körper der Amme, woraus wir den Schluss ziehen können, dass solche Dolchinia-Stücke, welche am meisten mit Knospen besetzt sind (und zu gleicher Zeit auch Lateralknospen tragen), dem Körper der unbekannten Amme am nächsten gelegene Schwanzstücke sein müssen. Die Lateralsprossen von Dolchinia sind nicht nur nach ihrer Lage am Schwanze, sondern auch nach ihrer Organisation von jenen von Dololum verschieden. Ihr Körper ist schlank, verlängert und sitzt auf einem verhältnismäßig langen Fuße (Fig. 2). Die Einfuhrs- öffnung der Pharyngealhöhle ist langgestreckt, besitzt aber jene Läppchen nicht, welche bei den Lateralsprossen von Doliolum vor- kommen. Dorsal sitzende Tastfäden findet man bei Dolehinia nicht (sie könnten hier auch keine Bedeutung haben, da sie nicht ins Freie vorragen können). Der Hauptunterschied besteht aber in den Kiemenspalten, deren Zahl bei Dolchinia 40 übersteigt, bei Dololum aber nur 7—15 beträgt. Bei Dolehinia sind es wirkliche Spalten, 64 Korotneff, Über den Polymorphismus von Dolchinva. bei Doliolum hingegen eher einfache Öffnungen. Die Muskulatur ıst ebenfalls genügend charakterisiert; sie besteht bei Dolchinia aus drei Paar Muskeln: ein Paar länglich ausgezogener Muskeln (m#) befindet sich ım Stiele; ein anderes Paar (m?) sich dichotomisch verzweigender Muskeln liegt in der unteren Hälfte des Körpers und endlich liegen zwei schlingenförmige Muskeln (dorsal und ven- tral) im oberen Teile des Körpers (m?, m‘). Ich glaube recht zu haben, wenn ich die Lateralsprossen von Dolchinia als Respirationstiere betrachte. Nach Aussehen und Be- Fig. 2. Fig. 3. Längsschnitt eines Doliolum-Stolo. Sch — Scheide, die Phagocyten einschließt. schaffenheit sind es eigentlich indi- vidualisierte Kiemen. Grobben be- zeichnet die Lateralsprossen als Er- nährungstiere. Um diese Auffassung plausibelzumachen, müssten zwischen dem Spross und dem Boden, auf dem ee derselbe sitzt, besondere Ernährungs- en Herz: Hp nen bahnen vorhanden sein, was aber Kim gar nicht der Fall ist: die Zellen der Fußsohle, welche die Überführung der Säfte vollführen könnten, sind bei den ın Rede stehenden Geschöpfen gerade so beschaffen, wie bei den geschlechtslosen Ammen. Hiermit ist jedenfalls gesagt, dass wenn wir den Respi- rationstieren eine ernährende Funktion zuschreiben wollten, so müssten wir dieselbe auch für die zweite Amme annehmen. Meine diesjährigen Beobachtungen an Dolchinia zeigen zur Genüge, dass sie eine dem Doliolum sehr nahe verwandte Form ist, zugleich aber Eigentümlichkeiten besitzt, welche hinreichen, um ihr einen selbständigen Platz in der Reihe der Tunikaten anzuweisen. Respirationstier der Dolehinsa. Bühler, Alter und Tod. 65 Die wunderbare Tatsache, dass besondere Trägerzellen (Phoro- cyten in dieser) Weise im Dienste der Knospen stehen, war bekannt. Woher aber die Phorocyten stammen, wie sie ihr Geschäft vollführen und ihre weiteren Schicksale sind noch unbekannt. Um in diesen Fragen weiter zu kommen, habe ich Dohioolum Ehrenbergii untersucht. Wie entstehen nun die Phorocyten? Zuerst habe ich geglaubt, dass es eigentümliche Mesodermelemente sind, die in besonderen Zellen- häufungen entstehen, welche letzteren an verschiedenen Stellen der Körperwand vorkommen und am ehesten mit Lymphdrüsen ver- glichen werden können. Die Zellen solcher Anhäufungen sind aber viel kleiner und kugelförmig. Das Rätsel konnte nur an Längs- schnitten eines Stolos gelöst werden. Grobben hatte schon ge- zeigt, dass das innere Ende des Stolos (rosettenförmiges Organ), vom Hautepithel bedeckt, in eine becherförmige Einstülpung der Haut hineinragt. In dieser Weise steckt das genannte Ende des Stolos in einer aus einer ektodermalen Doppelwandung bestehenden Scheide (Fig. 3). In dieser Scheide entwickeln sich die in Frage stehenden Phorocyten. Sie stammen von ihrem Epithel ab und wandern frei nach außen. Der Stolo verlässt die Scheide als eine lange Schnur, die sich in einer bestimmten Entfernung in einzelne Knospen zu teilen beginnt, aber schon vorher setzen sich die Phorocyten paarweise an sie an, und zwar derart, dass jedes Paar einer später entstehenden Knospe entspricht. Es kann wohl sein, dass die Abtrennung der Knospen durch die Phorocyten mechanisch beeinflusst wird. Eine sich abtrennende Knospe ist gewöhnlich von einer oder einem Paar Zellen versehen, welche sie mitschleppen und, wie gesagt, an einem bestimmten Orte fixieren. Nach der Fixierung sieht man den Kern des Phorocyten an der Fixationsstelle zwischen dem Epithel der Sohle und dem Boden liegen. Es verlängert sich, färbt sich stark und schwindet endlich ganz. Alter und Tod. Eine Theorie der Befruchtung. Von Dr. A. Bühler, Privatdozent und Assistent am anatomischen Institut zu Zürich. Die morphologischen Vorgänge bei der Befruchtung dürfen heute als in ihren Hauptpunkten festgestellt gelten, seit ©. Hert- wig (20) für den Seeigel als das Wesentliche dabei die Verschmel- zung der beiden Geschlechtskerne zu einem Kernganzen aufgefunden hat und seine Beobachtungen durch van Beneden (3) für Säuge- tiere, durch Strassburger (42) für Pflanzen und seither von vielen andern weiter bestätigt worden sind. Der Nachweis, dass die Kon- Jugation der einzelligen Lebewesen eine der Befruchtung bei den XXIV. 5 66 Bühler, Alter und Tod. Metazoen direkt analoge Erscheinung ist, konnte seit den grund- legenden Studien von Bütschli (12) speziell durch Maupas (37) und R. Hertwig (23) bis in Details hinein erbracht werden!) Alle diese Dinge sind in die Lehrbücher der betreffenden Disziplinen übergegangen und haben öfter in neuerer Zeit zusammenfassende Behandlung erfahren. Ich nenne hier von solchen Referaten die mehr allgemein biologisch gehaltenen von Boveri (7,9) aus den Jahren 1891 und 1902 und von V. Häcker (17) von 1897, und das speziell die Tiere berücksichtigende von R. Hertwig (27) 1903 und von Waldeyer (44) vom gleichen Jahre. Ein ausführliches Eingehen auf diesen Punkt ist meinerseits also überflüssig. Dagegen ist die Forschung nach der Bedeutung der Befruch- tung und der damit eng zusammenhängenden Frage der Vererbung noch nicht über die Aufstellung von Theorien hinausgekommen. Auch hierin geben die aufgezählten Abhandlungen den heutigen Standpunkt des Problems wieder, und was speziell die Vererbung anbetrifft, sei zudem auf Weigerts Referat in den Schmidtschen Jahrbüchern (45) hingewiesen. Da indessen diese Fragen zum eigentlichen Thema meiner vorliegenden Arbeit gehören, muss ich auch die gegenwärtig hierüber bestehenden Anschauungen näher beleuchten. Eine Befruchtungstheorie konnte natürlich erst von dem Mo- ment an auf einigermaßen sicheren Boden gestellt werden, als die körperlichen Vorgänge bei diesem Phänomen gefunden waren. Ich darf darum mich auf diejenigen Ansichten beschränken, die nach unseren heutigen Kenntnissen noch haltbar sind und ihre Vertreter haben. Durch die Befruchtung oder durch den verwandten Vorgang der Konjugation bei einzelligen Organismen entsteht in jedem Falle ein neues Individuum mit besonderen Eigenschaften aus der Ver- einigung von zwei Organismen oder Teilen von solchen. Ebenfalls steht fest, dass dieses neue Individuum im Vergleich zu seinen Eltern eine gewisse Steigerung seiner Lebensenergie besitzt, sei es, dass es eine größere Widerstandsfähigkeit gegen äußere Schäd- lichkeiten hat als seine Eltern, sei es, dass es vermag, weiter zu leben, als dies seine Eltern können. Dieser letztere Umstand, der die häufigste Folge der Befruchtung ist, musste zu einem Er- klärungsversuche führen, den man als Verjüngungstheorie bezeichnet: Der Organismus altert und stirbt, während in der Befruchtung ein neues, jugendliches Wesen sein individuelles Dasein beginnt. Das Endziel des Prozesses ist also, um mit Bergh (4) zu reden: „die 1) Seit die Befruchtungsvorgänge beim Malariaplasmodium bekannt geworden sind, besteht Grund zur Annahme, dass auch bei den Bakterien ein Analogon hierzu aufgefunden werde (vgl. hierüber MacCallum [34] und Koch [29)). Bühler, Alter und Tod. 67 Vereinigung zweier Zellen (des Eies und des Spermatozoons) zum Zwecke der gegenseitigen Verjüngung und der Bildung eines neuen Individuums (oder neuer Individuen).“ Diese Anschauung hat viel Bestechendes, und ihr zum Beweise können die Versuche von Maupas (36) angeführt werden, der nachwies, dass Generationen von Protozoen altern und sterben, wenn sie an erfolgreicher Konjugation gehindert werden, und dass anderseits das Leben emer Kolonie auf eine weitere Reihe von Generationen durch Konjugation gesichert wird. Sie erhält auch eine Stütze durch die Tatsache, dass so viele Pflanzen und Tiere (sogar unter den Vertebraten Petromyzon) nur so lange leben, bis sie ihre Keimzellen gebildet und die Entwickelung einer neuen Generation gesichert haben. Der Eintritt in die Geschlechtsreife bedeutet für diese Lebewesen den Vorabend des Todes. Der Kom- plex der somatischen Zellen also altert und stirbt, und nur die Be- fruchtung befähigt die Keimzellen zu neuem Leben. Auch die Ge- schlechtszellen müssen dem Schicksal der Körperzellen verfallen, wenn ihnen nicht durch Vereinigung mit andern sozusagen frische Lebenskraft zugeführt wird, die ihnen ein Weiterleben ermöglicht. Das ist in nuce der Inhalt der Verjüngungstheorie. Sie vermag indessen nicht alles zu erklären und hat zweifellos auch ihre angreifbaren Punkte. Als ihr Gegner ist Boveri (7,9) aufgetreten. Er führt dagegen an, dass es Tiere und Pflanzen gibt, die sich, soweit unsere Kenntnisse reichen, unter Ausschluss der Befruchtung fortpflanzen, dass es z. B. Tiere gibt, von welchen männliche Geschlechtszellen unbekannt sind. Absolut stichhaltig ist dieser Einwand nicht, schon deswegen, weil unsere Kenntnisse von all diesen Dingen noch zu lückenhaft sind. Wie leicht können Pflanzen, die sich unter unseren Augen nur durch Knollen oder Ableger etc. forterhalten, unseren Enkeln Degenerationserschei- nungen zeigen, und können bei Tierformen, von welchen zur Zeit die Männchen zu fehlen scheinen, später solche aufgefunden werden. Aber auch wenn dies nicht eintreten sollte, liegt darin kein Grund, die Notwendigkeit einer Auffrischung der alternden Lebens- kräfte durch die Befruchtung zu bestreiten. Die Befruchtung ist in der Welt der Organismen ganz allgemein verbreitet. Ich kenne keine Formengruppe von Pflanzen oder Tieren, wo sie fehlt; und bei einer Spezies, die sich rein ungeschlechtlich fortpflanzt, lässt sich häufig der Nachweis erbringen, dass der Verlust der geschlecht- lichen Fortpflanzungsfähigkeit ein sekundärer Zustand ist (Kultur- pflanzen). Wir dürfen demnach nicht mit Unrecht die Befruch- tung und Verwandtes als einen ursprünglichen Vorgang, als Teil der allgemeinen Lebenserscheinungen ansehen, und ihr Fehlen als Ausnahmefall, der eine besondere Erklärung verlangt. Doch sei dem wie ihm wolle, für eine große Zahl von Organismen ist die 5* 68 Bühler, Alter und Tod. Befruchtung eine unumgängliche Notwendigkeit. Für diese gilt es, ihren Zweck festzustellen, und von diesem Standpunkt aus werden die Ausnahmen von der Regel ihre Erklärung finden müssen. Ein anderer Einwand Boveris gegen die Verjüngungstheorie ist indessen nicht von der Hand zu weisen: die Geschlechtszellen sind keineswegs senile Produkte eines im Sterben liegenden Kör- pers, sondern die lebenskräftigsten Teile eines auf de: höchsten Stufe der Entwickelung rabanlem Organismus. Boveri sieht da- her den Zweck der Befruchtung in der Qualitätenmischung, zu der auch nach Weismann (50) die Amphimixis führen soll. Danach hatten ursprünglich die Fortpflanzungszellen für sich allein die Fähigkeit, den neuen Organismus zu produzieren. Um aber die im Kampf ums Dasein sich vorteilhaft erweisende Mischung der Eigenschaften verschiedener Individuen zu sichern, haben sich in ihnen Hemmungen gebildet, „und zwar so, dass diese Zellen zu zweierlei Arten (Eizellen und Samenzellen) spezialisiert werden, in der Weise, dass jede Art mit einer spezifischen Hemmung be- haftet ist, so dass die eine genau das Supplement der anderen vorstellt. Diese Hemmung besteht beim Spermatozoon im Mangel an Protoplasma, beim Eı im Fehlen des Centrosoms. Diese De- fekte sind nun nicht als Zeichen seniler Degeneration aufzufassen, sondern als freiwilliger Verzicht: die Geschlechtszellen wollen sich nicht allein entwickeln, sie wollen sich gegenseitig ergänzen müssen, um den Zweck der Befruchtung zu erfüllen: die Qualitäten- mischung. „Die Vereinigung oder Verschmelzung von Ei- und Spermakern in der ersten Embryonalzelle ist für die Herstellung der Entwickelungsfähigkeit von keiner Be- deutung... Ihre Vereinigung ist nicht die Bedingung, sondern der Zweck der Befruchtung (7).“ In diesen Ideen ist viel Richtiges enthalten, aber die letzte Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Befruchtung geben sie nicht. Die angeführten morphologischen Hemmungen, die eine selbständige Entwickelung der Propagationszellen verhindern sollen, existieren bei den wenigsten Protozoen; und doch besteht auch bei ihnen die Notwendigkeit zur Vermischung zweier Zellen oder mindestens zum Austausch wichtiger Zellsubstanzen. Der Zwang hierzu muss also tiefer liegen. Und wenn Boveri sagt, dass dieser Zwang aus Anpassung an einen zur Regel gewordenen Gebrauch, durch Kopulation eine Mischung der Qualitäten verschiedener In- dividuen herbeizuführen, entstanden sei, so ist damit nur die Tat- sache umschrieben, dass dadurch eine Qualitätenmischung erreicht wird und dass sich zur Sicherung der Befruchtung gewisse Ein- richtungen herausgebildet haben. Die Frage nach dem Wesen dieser Vorgänge ist damit nicht gelöst. Das Problem, welcher Art Bühler, Alter und Tod. 69 diese Qualitäten sind, wie sie im Elterorganismus sich bilden und im Nachkommen wirksam werden, bleibt unberührt. Ein Prozess von so allgemeiner Verbreitung, so allgemein, dass bei seiner Unterlassung eine Erhaltung des organischen Lebens in seiner jetzigen Gestalt überhaupt unmöglich wird, hängt mit dem Leben selbst aufs Engste zusammen, ja er muss eine der Be- dingungen des Lebens sein so gut wie der Stoffwechsel u. a. Es kann also die Befruchtung nur im Zusammenhang mit dem Leben überhaupt studiert werden, und ihr Verstehen ist nur aus dem Verständnis des Lebens möglich. Diesen Erwägungen hat Bernstein (5) Rechnung getragen in seiner Theorie des Wachstums und der Befruchtung: Eine funda- mentale Eigenschaft alles Lebendigen ist — den Stoffwechsel vorausgesetzt — das Wachstum. Es ist die Grundbedingung jeder Formgestaltung und Formveränderung, also auch der Fortpflanzung. Das Wachstum der lebenden Substanz (immer den Stoffwechsel als gegeben angenommen) würde ins Unbegrenzte gehen können, wobei es gleichgültig ist, ob die Substanz sich als einheitliche Masse weiter und weiter ausdehnt oder ın Teile, z. B. ın Zellen zerlegt wird. Mit dem Wachstum aber, ja durch dasselbe hervor- gerufen und mit ihm zunehmend treten Hindernisse des Wachsens auf. Das sind äußere, wie Raumbeschränkung, Mangel an Zufuhr von Energien, von Licht, Wärme, Nährstoffen und innere, deren Natur uns noch unbekannt ist. Die letzteren zeigen sich darin, dass unter gleichbleibenden äußeren Bedingungen ein Organismus sein Wachstum schließlich einstellt, ja die Aufnahmsfähigkeit für äußere Energien überhaupt verliert, d. h. abstirbt. Es lässt sich das so formulieren, dass der lebenden Substanz eine das Wachstum fördernde und eine dasselbe hemmende Kraft innewohnt, von wel- chen die letztere in dem Maße zunimmt, wie jene ihrem Ziel sich nähert. Soll daher in der lebenden Substanz das Wachstum weiter gehen, so muss die Hemmung paralysiert werden, und das geschieht nach der Bernsteinschen Theorie durch die Befruchtung resp. Konjugation. Die Variabilität der lebenden Materie, die mit ihrem Wachstum auf Grund von Differenzen in den Einwirkungen der Außenwelt Platz greifen musste, bedingt eine Verschiedenheit der treibenden wie der hemmenden Kräfte. Erfolgt ein Zusammen- treten von zwei Organismen (oder Teilen davon) derart, dass die treibenden Kräfte sich gegenseitig unterstützen und die Hem- mungen sich aufheben, so muss eine Förderung des Wachstums daraus resultieren und umgekehrt. Es wird also diejenige Be- fruchtung die günstigsten Erfolge haben, bei welcher diese Be- dingungen sich am meisten dem Optimum nähern; wo sie nicht erfüllt sind, kann von Weiterentwickelung d. h. von Fortpflanzung keine Rede sein. Solche Organismensysteme mussten im Laufe 70 Bühler, Alter und Tod. der Stammesentwickelung untergehen; im ‚Kampf ums Dasein konnte sich nur erhalten, was diese Forderung einer Verstärkung der wachstumsfördernden Kräfte und einer Verminderung der Hemmungen entsprach. Als Folge, nicht als Zweck der Befruch- tung en sich die Variabilität N (Generationen. Bernstein hat für seine Theorie den Stoffwechsel vorausge- setzt, ohne weder die treibenden noch die hemmenden Kräfte on in bestimmte Beziehung zu bringen. Welcher Natur die Hem- mungen sind, die dem Wachstum und Leben schließlich ein Ende setzen und die durch die Konjugation resp. Befruchtung gehoben werden, darüber spricht er sich nicht aus. Und doch liegt viel- leicht gerade im Zusammenhang der vitalen Kräfte mit dem Stoff- wechsel und mit dem Austausch der Energien überhaupt der Schlüssel zum Verständnis der Befruchtung. Einen Schritt vorwärts auf diesem Gebiete hat R. Hertwig (25, 26, 27) in seinen neuesten Arbeiten hierüber gemacht. Er ver- langt vor allen Dingen, dass der Zweck der Befruchtung nicht vermengt werde mit einer häufigen aber nicht konstanten Folge der- selben, mit der Entwickelungserregung. Diese letztere ist wie ge- sagt nicht untrennbar an die Befruchtung gebunden; denn wir kennen sowohl Entwickelung ohne vorausgegangene Befruchtung, die sogenannte ungeschlechtliche Fortpflanzung, als auch Befruch tung hd: nachiöleende Entwickelung, z. B. bei Volvox und Act- nosphaerion. Die Notwendigkeit der Befruchtung ist eine Folge des Lebensprozesses. Die lebende Substanz leidet durch Abnützung; der Organismus ist zwar kompensationsfähig, aber nicht unbegrenzt. Er arbeitet mit Unterbilanz und muss sich schließlich erschöpfen; da bringt die Befruchtung wieder Regeneration, die ein neues Leben ermöglicht. Ist sie auch nicht die einzige Auffrischung der Lebensenergie, so ist sie doch von größter Bedeutung. Man ch dass sich Hertwig darin an die Verjüngungstheorie anlehnt ohne die Fehler derselben zu akzeptieren. Bemerkenswert ist, dass er die Befruchtungsbedürftigkeit als eine notwendige Folge des Lebens selbst darstellt. Aber nun entsteht eine neue Frage: Was ist zu verstehen unter Abnützung der lebenden Substanz? wie kommt sie zu stande? wie ist es möglich, dass eine Vereinigung von lebender Substanz zweier Individuen eine solche Abnützung wett machen kann und günstigere Bedingungen zur Fortführung des Lebens schafft? Die Beantwortung dieser Fragen kann zu- gleich eine Bestätigung des postulierten Zusammenhanges der Be- fruchtung mit den übrigen Erscheinungen des Lebens geben. Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, auf Grund der gegenwärtigen Kenntnisse der in Frage kommenden Prozesse mit Unterstützung der auf anderen Wissensgebieten gewonnenen Errungenschaften diesen Problemen näher zu treten. Man wird Bühler, Alter und Tod. 71 es bei dem Anatomen begreiflich finden, wenn ich meine Beispiele aus dem Tierreich wähle und mich vorzugsweise mit der Literatur auf diesem Gebiete befasse. In anderen Disziplinen, in Botanik, Chemie und Physik können meine Ausführungen für die betreffen- den Fachmänner nur eine Anregung sein, dieselben auf ihren Wert zu prüfen, zu präzisieren und weiter auszubauen. Die hier nieder- gelegten Anschauungen sind eine Ausführung dessen, was ich seit vier Jahren in meinem Kolleg vorzutragen pflege. a Was geht nun ganz allgemein gesprochen bei der Vereinigung zweier Fortpflanzungszellen vor? Ein Gemisch von chemischen Körpern mit bestimmten chemisch-physikalischen Eigenschaften, das einen bestimmten Komplex von Energien darstellt, vereinigt sich mit einem anderen Gemenge chemischer Körper, das ıhm zwar sehr ähnlich, doch nicht identisch, nicht absolut gleich ist, dessen Energien also qualitativ und quantitativ von ersterem diffe- rieren. Die Erklärung, ob und wie dieser elementare Prozess zur Steigerung der vitalen Energie beiträgt, lässt sich zur Zeit aus den bei der Befruchtung bekannten Vorgängen nicht erschließen. Doch verspricht vielleicht die Frage Erfolg, ob durch die Befruch- tung in der lebenden Materie etwas bewirkt wird, dessen Fehlen den Tod zur Folge haben müsste. Diese Frage ist mehr oder weniger präzis schon öfter erhoben worden.- Sie ist im Grunde auch in der Verjüngungstheorie ent- halten und ist, wie ich oben gezeigt habe, von R. Hertwig eben- falls erörtert worden. Sıe hat auch Sachs (40) vorgeschwebt, als er über die Fortpflanzungszellen männlichen und weiblichen Cha- rakters schrieb: „Verschiedenheit der Form deutet immer auf Ver- schiedenheit der materiellen Substanz ... Die Befruchtung be- steht darin, dass ihrer Substanz (der Eizelle oder der Gameten) etwas zugeführt wird, was ihr bisher fehlte, dessen sie aber zur Weiterentwickelung bedarf.“ Die Frage ist nicht neu, die Ant- wort aber steht noch aus. Wollen wir auf dem bezeichneten Wege die Antwort suchen, so müssen wir in erster Linie die Frage nach dem Wesen des Todes prüfen. Es liegt ın der Natur der Sache, dass sich seit den ältesten Zeiten der Wissenschaft die größten Geister wie mit dem Anfang des Lebens so auch mit seinem Ende beschäftigt haben und dass trotz alledem eine Lösung dieses Rätsels noch nicht gegeben wurde. Für unser vorliegendes Thema kann natürlich nur die biologische Seite des Problems interessieren, und darum kann ich aus der viel- seitigen Literatur über diesen Gegenstand nur das herausgreifen, was auf biologischem Gebiete von Bedeutung ist. Um mit Goette (16) zu beginnen, so ist die Ansicht dieses Autors in kurzer Fassung folgende: Ausgehend von der Beobach- 78) Bühler, Alter und Tod. 27 tung, dass bei einer großen Zahl von Lebewesen unmittelbar nach der Reifung ihrer Geschlechtsprodukte der Tod eintritt, schließt er, dass die Ausscheidung dieser Zellen den Körper derart in seinen vitalen Funktionen schädigt, dass ein Weiterleben zur Unmöglich- keit wird. Als Anpassung an die Gesamtentwickelung sind die- jenigen Fälle zu betrachten, in welchen der Tod nicht die direkte Folge der Eliminierung der Fortpflanzungszellen aus dem Körper ist, wo aber der letztere durch diesen Prozess so angegriffen wird, dass mit diesem Momente Altersveränderungen beginnen, deren Ende der Tod ist. Der Tod ist also die unvermeidliche Folge der Fortpflanzung, und dieser Satz gilt für die einzelligen Organismen wie für die Mehrzelligen. Dem ist zunächst von Weismann (48) entgegengehalten wor- den, dass das, was Goette für eine dem Tod der Metazoen ana- loge Erscheinung ansah, nämlich die Encystierung von Protozoen, nicht als Tod betrachtet werden darf; denn der Tod ist der un- widerbringliche Verlust des Lebens. Man wird Weismann ın diesem Punkte recht geben müssen. Aber auch in einer anderen Beziehung kann ich G oette nicht beipflichten: die Altersinvolutionen, die zum Tode führen, sind nicht durch die Ausstoßung der Ge- schlechtsprodukte hervorgerufen, sondern, wie sich zeigen wird, im Lebensprozess selbst begründet. Der Tod ist auch solchen In- dividuen gewiss, die gar keine Fortpflanzungszellen bilden, und unter den Wirbeltieren sterben manche Formen (Protopterus, einige Amphibien) gerade dann, wenn ihnen die rechtzeitige Eiablage un- möglich wird. Dagegen soll hier konstatiert sein, dass Goette bestimmt für die Naturnotwendigkeit des Todes eintritt. Einen anderen Standpunkt nimmt Weismann (46, 48) ein. Nach ihm ist der Tod nichts Ursprüngliches, mit dem Leben untrennbar Verknüpftes, sondern Anpassungserscheinung. Denn ein natürlicher Tod fehlt den einzelligen Organismen, seinen Homo- plastiden. Diese Anschauung wurde auch von Bütschli (13) und Cholodkowsky (14) vertreten. Der letztere Autor erklärt sich dies so, dass in einem mehrzelligen Organismus der „Kampf der Teile im Organismus“ schließlich zur Vernichtung des Individuums führen müsse, während bei einzelligen Lebewesen dieser Faktor wegfällt. Bütschli meint eine Art „Lebensferment“ annehmen zu müssen, das sich allmählich abnutzt, in den Fortpflanzungszellen und den Protozoen aber stets neu hervorgebracht wird. Es wird sich weiter unten zeigen, dass in diesen beiden Anschauungen ein richtiger Kern enthalten ist. Weismann stellt die Ansicht auf, dass die einzelligen Wesen die ursprüngliche potentielle Unsterblichkeit beibehalten haben, während bei den vielzelligen mit der Differenzierung der Körper- zellen nach verschiedenen Richtungen diese Eigenschaft aufgegeben Bühler, Alter und Tod. 73 wurde. Bei letzteren lebt das Individuum so lange, als für die Sicherung der Nachkommenschaft notwendig ist, und stirbt hernach, auch wieder ım Interesse der Erhaltung der Art; denn ein unbe- grenztes Weiterleben der alten, durch das Leben geschädigten Or- ganismen müsste dem Gedeihen einer jungen Generation hinderlich sein. Darum ist dem Ersatz verbrauchten Baumaterials von vorn- herein ein Ziel gesetzt, indem die Vermehrungsfähigkeit der Körper- zellen auf ein bestimmtes, in weiten Grenzen schwankendes Maß beschränkt ist. Nur die Fortpflanzungszellen haben die ursprüng- liche potentielle Unsterblichkeit bewahrt, denn sie enthalten wie die einzelligen Organismen das intakte Keimplasma. Welche Rolle Weismann dem Keimplasma in der Vererbung zuschreibt, darf als in den Hauptpunkten bekannt vorausgesetzt werden. Da diese Frage nicht zum eigentlichen Thema meines Aufsatzes gehört und darum nur kurz gestreift wird, müsste ein Eingehen auf diese Theorien Weismanns (47, 49, 51) zu weit führen. Weismanns Ideen über die Bedeutung des Todes für die Welt der Organismen gebe ich als wohlbegründet zu, wie es auch meinen Anschauungen entspricht, dass die beschränkte Vermehrungs- fähigkeit der Körperzellen mit Schuld trägt an dem Untergang des Individuums. Ein anderer Punkt aber bedarf der Korrektur: Der Satz von der potentiellen Unsterblichkeit der Protozoen kann seit den Untersuchungen von Maupas (36) nicht mehr aufrecht gehalten werden. Dieser Autor hat an einer großen Reihe von ciliaten Infusorien nachgewiesen, dass Kolonien solcher Tiere, wenn keine Konjugation eintritt, trotz der günstigsten äußeren Bedingungen der Degeneration und dem Untergang verfallen, vor welchem sie nur rechtzeitige, erfolgreiche Konjugation!) zu retten vermag. Es kennen also auch diese Lebewesen ein Altern und einen Tod, der nicht durch äußere Bedingungen herbeigeführt wurde, sondern der natürliche Ablauf der Lebensvorgänge ist. Es wird dadurch also allen Theorien, welche wie die von Weismann auf der Annahme von der Unsterblichkeit einzelliger Wesen fußen, der Boden ent- zogen. Auch für die einzelne Fortpflanzungszelle besteht die Not- wendigkeit des Todes wie für jede andere Zellart. Sie kann als solche nicht lange existieren, und nur aus ihrer Vereinigung mit einer Fortpflanzungszelle von anderem Charakter entsteht ein lebens- fähiges Produkt, ein neues Individuum. An der prinzipiellen Gültigkeit dieses Satzes können die seltenen Ausnahmen der Par- thenogenesis nichts ändern; ich werde auf diesen Punkt noch zu- rückkommen. Das Individuum, das aus zwei Fortpflanzungszellen 1) Die Bedingungen für eine erfolgreiche Konjugation sind nach Maupas: l. Mangel an geeigneter Nahrung; 2. Reife der Individuen, d. h. Entfernung der- selben durch eine bedeutende Zahl von Generationen von der letzten Konjugation ; 3. Möglichkeit der Kreuzung zwischen nicht zu nahe verwandten Individuen. 74 Bühler, Alter und Tod. hervorgegangen ist, kann nicht identifiziert werden mit einer ein- zelnen von denselben, es ist ein neuer Körper, der nur die Sub- stanzen der beiden enthält. So sind weder Natrium. noch Chlor als solche luftbeständig, wohl aber ist es ihre Verbindung, das Natriumchlorid. Es wird nun niemand behaupten wollen, dass durch den Zusatz von Chlor das Natriummetall luftbeständig geworden sei; denn das Produkt ist weder Natrium noch Chlor, sondern ein neues chemisches Individuum, und ebenso verhält es sich mit den beiden Keimzellen. Doch darın hat Weismann (46) Recht: „Es besteht eine vollkommene Kontinuität des Lebens.“ So gut wie in der anorganischen Welt ein chemischer Prozess den anderen ablöst und nur auf dem Boden vorausgegangener chemischer Pro- zesse stehen kann, so auch in der Welt des Lebendigen. Ist also der Tod eine allen Formen der Lebewesen zukommende Erscheinung, so muss er als notwendige Folge des Lebensprozesses selbst aufgefasst werden. Dies tut auch Bernstein (5), dessen Theorie ich bereits erwähnte. Die gleiche Ansicht teilt R. Hert- wig (26), der das Ende des Lebensprozesses ebenfalls für eine not- wendige, direkte Folge desselben ansieht. Das ist auch mein Standpunkt. Die Existenz eines physio- logischen Todes, also das Aufhören der vitalen Funktionen für den Einzelorganismus wird mit Bezug auf die Metazoen niemand im Ernste bestreiten können. Zwar gibt es unter den Pflanzen Indi- viduen — ich erinnere an den Weinstock —, die ein relativ sehr langes Leben haben, das durch die Kunstgriffe der Kultur auch ohne Dazwischentreten der Befruchtung anscheinend ins Unendliche ausgedehnt werden kann. Trotzdem kann es nicht zweifelhaft sein, dass auch dem Weinstock kein ewiges Leben beschieden ist, son- dern ihm wie allen seinen Verwandten ein natürlicher Tod gesetzt ist. Nachdem Maupas gezeigt hat, dass auch eine Generation von Protozoen, die nach ihm einem Metazoenindividuum gleichzu- setzen ist, ihr natürliches Ende finden muss, sind wir nicht mehr berechtigt, irgend eine Form von Lebewesen für unsterblich zu halten. Das wird des Bestimmtesten bewiesen durch die Erschei- nungen des Alters, die nirgends fehlen, auch beim Weinstock und den Infusorien nicht. Sie sind nichts anderes als ein langsames Schwächerwerden der Lebenserscheinungen, ein Prozess, der beim Fortschreiten schließlich auf dem Nullpunkt des Lebens, beim Tode anlangen muss. Von den Erscheinungen des Alterns ausgehend, werden wir also einer Erklärung des Todes näher kommen. Ist das Altern eine allgemeine Eigenschaft des lebendigen Organismus, ist es eine di- rekte Folge, eine unabänderliche Konsequenz des Lebensprozesses, so gilt das Gleiche auch vom Tod. Welches sind nun die Erscheinungen des Alters? Bühler, Alter und Tod. 75 Es ist bekannt, dass je jünger ein Individuum ist, um so in- tensiver bei sonst gleichen Verhältnissen auch seine Lebensäuße- rungen sind. Am offenkundigsten ist dies für die Zellvermehrung, die allgemein genommen um so lebhafter ist, je jünger der Orga- nismus ist. Dieselbe ist in den ersten Jugendstadien weit größer, als zur Erhaltung des Körpers auf einer bestimmten Entwickelungs- stufe notwendig ist: der Organismus wächst. Aber das Wachsen wird langsamer und langsamer und hört schließlich ganz auf. Dieses Stadium wird von den verschiedenen Lebewesen in sehr verschiedenen Zeiträumen erreicht; doch wenn auch speziell bei manchen Pflanzen das Wachstum schier unbegrenzt erscheint, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass dasselbe in jedem Falle sein Ende findet. Damit ist gesagt, dass die Zellvermehrung der- art abgenommen hat, dass eine Überproduktion nicht mehr statt- findet; dieselbe reicht eben noch aus zur Erhaltung des erlangten Entwickelungszustandes. Und das geschieht gerade zu einer Zeit der günstigsten äußeren Lebensbedingungen; denn mit wenigen sekundären Ausnahmen steht zweifellos das ausgewachsene jugend- liche Individuum auf der höchsten seiner Art erreichbaren Stufe der Entwickelung. Es ist am besten im stande, sich die ihm von der Außenwelt gebotenen Vorteile zu Nutze zu machen und schä- digende Einflüsse zu bekämpfen. Wenn trotzdem die frühere Überproduktion von Zellen sistiert, so kann es dafür nur innere Gründe geben. Nach Beendigung des Wachstums — ich erinnere nur an den Menschen — ist die Zellvermehrung vorläufig noch genügend, um den Abgang an Zellen zu decken, die in ihren Funktionen als Oberflächenepithelien, als Drüsenelemente, als Blutkörperchen etec. untergegangen sind; sie kann auch Verluste, die wir als patho- logische Schädigungen bezeichnen, paralysieren. Hat indessen die Reichlichkeit der Zellproduktion bis zur Gewinnung der Maximal- größe eines Individuums stetig abgenommen, so lässt sich schon theoretisch ihre Verminderung auch weiterhin voraussetzen. Dass dies tatsächlich zutrifft, wird vor allem bewiesen durch die Patho- logie, welche zeigt, dass die Regenerationsfähigkeit der Gewebe mit steigendem Alter mehr und mehr schwindet. Zwar ist es wünschenswert, dass exakte Tierexperimente, die speziell die Er- forschung dieser Erscheinung zum Ziele haben, weiter ausgedehnt werden; doch können wir diese unsere Behauptung immerhin auf einige sichere Beobachtungen stützen. Vollständig ausgebildete Amphibien, besonders die Urodelen, besitzen bekanntlich in ver- gleichsweise hohem Grade die Fähigkeit, verloren gegangene Körper- teile zu ersetzen, doch ‘geht die Regenerationsmöglichkeit nicht über den Ersatz relativ kleiner Organteile hinaus. Im Gegensatz dazu vermögen die gleichen Tiere, wenn der Untergang entsprechen- 76 Bühler, Alter und Tod. der Körperabschnitte in den frühesten Entwickelungsstadien erfolgte, große Partien des Leibes, ja eine volle Hälfte desselben vom intakt ge- bliebenen Material aus zu erzeugen, wie die Versuche von Roux (39), von Enders (15), von Herlitzka (19) u. a. lehren. Man mag hier entgegenhalten, dass es sich in diesen Fällen um das noch nicht differenzierte Material der ersten Embryonalzellen handle: Tat- sache ıst, dass dabei von einer ersten Furchungskugel das gebildet wird, was im regulären Entwickelungsgang aus beiden zusammen entsteht. Im gleichen Sinne müssen Versuche von Zahn (53) gedeutet werden. Bringt man Knorpelstücke von Embryonen (Kaninchen) in die Blutbahn eines Tieres derselben Art, so sind sie ım stande, zu Chondromen von beträchtlichem Umfange auszuwachsen; ver- sucht man das Gleiche mit postembryonalem Knorpel, so folgt auf kümmerliche, vorübergehende Ansätze zu Wucherungen der baldige Untergang dieser Fremdkörper. Es besitzen also die Knorpelzellen der jüngeren Entwickelungsstadien eine bedeutend größere Energie des Wachstums und der Vermehrung als später: vermögen sie erst auch im fremden Körper zu gedeihen und zu wuchern, so können sie dies im ausgetragenen Tiere nur noch in dessen eigenem Leibe und verlieren schließlich im erwachsenen Individuum die Fähig- keit, sich weiter zu vermehren. Ganz allgemein bekannt ist die Abnahme der Regenerations- fähigkeit älterer Gewebe beim Menschen, wo sie von großem prak- tischem Interesse ist. Wunden alter Leute heilen bei ganz gleichen äußeren Verhältnissen langsamer und unvollkommener als solche bei jungen Menschen. Das erkennt man am leichtesten an den- jenigen Geweben, welchen auch physiologisch eine große Fähigkeit zu regenerieren innewohnt: am Epithel und am Knochen. Epithel- defekte überhäuten bei Greisen schwer, bei Knochenbrüchen bleibt die Heilung oft ganz aus. Gerade beim Knochen zeigt sich das physiologische Alter auch deutlich in dem relativ höheren Gehalt anorganischer Stoffe. Seine alternden Zellen sind wohl noch im stande, ihre sozusagen sekretorische Funktion der Aufnahme und Einlagerung von Kalksalzen zu erfüllen; ihre mehr Lebensenergie erfordernde Aufgabe, neues Zellmaterial zu produzieren und orga- nische Zwischensubstanz hervorzubringen, hat relativ stärker ge- litten. Daher rührt die Verschiebung des Verhältnisses im Gehalt organischer und unorganischer Stoffe zu Ungunsten der ersteren. Ganz ähnlich ist es mit der Haut. Das Welken der Greisen haut bietet ein bekanntes Beispiel hierfür, wenn es auch nicht ausschließlich auf Veränderungen der Epidermis beruht. Während des ganzen Lebens sterben Zellen der Oberhaupt ab durch Ver- hornung und stoßen sich mit der Zeit vom Körper los. Zell- produktion in den tieferen Schichten des Epithels sorgt für Ersatz. Bühler, Alter und Tod. 74; Der Nachschub neuer Zellen vermindert sich indessen ım Alter im Vergleich zu den ersten Lebensjahren, und es ist theoretisch der Zeitpunkt vorauszusehen, in welchem eine Zellvermehrung im Stratum germinativum der äußeren Haut aufhört. Geht dabei die Verhornung und Abschuppung an der Oberfläche unverändert weiter — es ist kein Grund, anzunehmen, dass auch sie aufhören sollte —, so muss der Prozess schließlich zum Absterben der ganzen Epi- dermis führen. Wir sehen also an der Haut dasselbe, was Mau- pas an seinen Infusorienkolonien fand: nach einer Reihe von Zell- generationen lässt die Vermehrung und die Lebensenergie überhaupt nach und müsste endlich ganz erlöschen. Wir konstatieren also an einem Organsystem des Körpers ein physiologisches Alter, dessen Ende der Tod sein muss. Führt nun auch physiologischerweise das Altern der Oberhaut kaum bis zum natürlichen Tod derselben — denkbar ıst eine primäre ıidiopathische Gangrän der Epidermis recht wohl — so kennen wir von anderen Körperorganen das Aufhören der Funktion während des Lebens, also ihren physiologischen Tod genau. Es sind das die Geschlechtsdrüsen. Die männliche Keimdrüse erhält bei ihrer Entstehung eine gewisse Summe von Ursamenzellen. In der Periode der Geschlechts- funktion bilden sich aus diesen primären Keimzellen einerseits Milliarden von fertigen Geschlechtszellen, die Spermatosomen, anderseits weitere Reihen von Spermatogonien. Die Produktivität der männlichen Geschlechtsdrüse dauert bei manchen Tieren, so auch beim Menschen, viele Jahre lang fort. Sie findet ihr Ende, wenn nach einer großen Zahl von Generationen die Teilungsfähig- keit der Samenmutterzellen erlischt. Es scheint, dass, abgesehen von Krankheit oder Inaktivitätsatrophie des Hodens, dieser Zustand um so eher eintritt, je exzessiver in relativ kurzer Zeit die Tätig- keit der Keimdrüse gesteigert wird. In jedem Falle kommt es schließlich zum Untergang der spezifischen Substanz des Hodens, i. e. zum funktionellen Tod des Organs. Ganz ebenso verhalten sich die weiblichen Geschlechtsdrüsen (11). Bei niedriger stehenden Wirbeltieren produziert das Ovarıum pe- riodisch eine große Anzahl von Eiern, die, sei es durch Ausstoßung aus dem Eierstock, sei es durch den interessanten Prozess der physiologischen Atresie dem Organe verloren gehen. Diejenigen Partien der Drüse, welche Bildner und Träger einer Eigeneration waren, verfallen der Rückbildung und andere Abschnitte des Eier- stockparenchyms wachsen an ihrer Stelle und lassen neue Ge- schlechtszellen hervorgehen. Aber „mit der Degeneration vermag die Regeneration nicht Schritt zu halten, und über kurz oder lang behauptet schließlich erstere allein das Feld“ (11,0). Das Organ hat aufgehört zu funktionieren, 18 Bühler, Alter und Tod. Dies gilt vor allem auch für das Ovarıum- des Menschen. Sein Eierstock erhält bei der Bildung eine beschränkte Zahl von Urei- zellen, die sich nach und nach zu reifen Eiern entwickeln. Der weitaus größte Teil aber des primär angelegten Eimaterials geht unreif im Ovarıum zu Grunde. Die notwendige Folge ist, dass beim Mangel jeglichen Nachschubes von Ureiern in absehbarer Zeit, d. i. beim Eintritt der Menopause, der Vorrat an Eimaterial auf- gebraucht ist; das Organ ist unfähig, weiter zu funktionieren, es ist seiner eigentlichen Bedeutung abgestorben. Den gleichen Prozess konnte ich am Nervensystem beob- achten (10). In früher Entwickelungsperiode wird für dasselbe eine bestimmte Summe von Bildungsmaterial ausgeschieden, aus welchem die Nervenzellen entstehen. Eine Vermehrung oder Neubildung solchen Materiales findet im funktionierenden Organe während des postembryonaien Lebens — für Amphibien und höhere Wirbeltiere wenigstens ist dies sichergestellt — nicht mehr statt. Doch gelang es mir, gerade bei diesen Tieren, speziell bei Kröte und Kaninchen, einen physiologischen Untergang wohldifferenzierter Ganglienzeilen nachzuweisen. So gering auch verhältnismäßig die Zahl solcher degenerierender Nele ist, so muss es doch beim Fehlen eines ausreichenden Ersatzes zu einer Schwächung und — genügend langes Leben vorausgesetzt — endlich zum Untergang des ganzen Nervensystems kommen. Ein individuelles Leben eines Organismus, dem ein unentbehr- liches Körpersystem, wie das Nervensystem bei den genannten Tieren, fehlt, ist ausgeschlossen. Es wird also das Altern und Ab- sterben dieses Systemes mit eine Ursache dafür abgeben, dass der ganze Organismus untergeht. So würde eine funktionelle Degene- ration der Sympathikuszellen in der Weise, wie dies für die Spinal- ganglien nachgewiesen ist, zum Verständnis somatischer Alters- erscheinungen vieles beitragen. Die geschwächte Funktion des Greisengehirnes ist demnach eine Folge von Altersdegeneration dieses Organes und zugleich ein Beweis für ihr Vorkommen. Von anderen Organsystemen sind die physiologischen Alters- veränderungen noch weniger genau studiert worden; ihre Erfor- schung ist auch z. T. deswegen mühevoll, weil es schwer ist, den natürlichen Ablauf der Lebenserscheinungen von krankhaften Pro- zessen zu unterscheiden, und weil eine große Zahl von Parallel- vorgängen dabei ineinander spielen. Indessen ist zweifellos die Abnahme der Muskelkräfte eine physiologische Erscheinung, und das Gleiche gilt vom Altersausfall gesunder Zähne. Es bietet ja doch der Zahnwechsel in der Jugend ein Analogon, dem man be- stimmt nichts Pathologisches nachsagen kann; der Unterschied be- steht nur darin, dass der Greis nicht mehr die Möglichkeit hat, neue Zähne zu bilden. Und wo uns auch bei manchen Organen Bühler, Alter und Tod. 79 eine Altersdegeneration nicht direkt auffällig erscheint, eine Form des Alterns zeigen doch alle: sie haben eine Grenze des Wachstums. Man könnte mir als Widerspruch auf meine Deduktionen die Erscheinungen der Regeneration entgegenhalten. Es kann unbe- schadet der oben auseinandergesetzten Ansichten zugegeben werden, dass eine große Formenzahl von Lebewesen im stande ist, einzelne Teile in einem fast unbegrenzt scheinenden Maße wieder und wieder neu zu produzieren. Das hängt zusammen mit anscheinend unendlicher Lebensdauer einiger Organismen, wofür ich schon oben als Beispiel den Weinstock genannt habe. Aber gerade bei Be- trachtung der Bedingungen der Regeneration zeigt sich eine Ein- schränkung dieser scheinbar unbegrenzten Produktivität. Wo eine Regeneration von Körperteilen eintreten soll, muss ein störender Eingriff vorausgegangen sein. Reproduktion eines Organes tritt nur nach Verlust desselben ein. Durch ein solches Ereignis wird der normale Entwickelungsgang gestört, es werden neue Reize ge- setzt, die bildungsfördernd wirken. Ein derartiger neuer Antrieb ist auch notwendig; denn vor dem gewaltsamen Eingriff war die Ausbildung des betreffenden Organes vollendet, oder wäre, wenn es sich um ein unausgewachsenes Individuum handelt, innerhalb der natürlichen Wachstumsgrenzen beendet worden. Auch die Regeneration geht in ihrem definitiven Resultat nicht über die Größe hinaus, die das primäre Organ erreichen konnte, ja sie bleibt gewöhnlich dahinter zurück. Jedenfalls lässt sich trotz weit- gehendster Regenerationsfähigkeit doch stets eine natürliche Be- endigung des Wachstums konstatieren, und wo überall nach dem physiologischen Stillstand der Entwickelung eine Neubildung auf- tritt, ist wie bei der Regeneration ein besonderer Anreiz voraus- gegangen. Wenden wir das Gesagte auf den Weinstock an, so kommen wir zu denselben Schlüssen. Das einzelne Individuum altert, wie sich wenigstens in unserem Klıma an der Verminderung der Er- tragsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse zeigt. Um dem zu begegnen, setzt bekanntlich der Weinbauer durch Schaffung von Ablegern, Pfropfreisern ete. neue Entwickelungs- reize, die ein Weiterbestehen des Individuums als Ganzes oder in einzelnen Teilen ermöglichen. Dass auch ohnedies die Lebens- dauer der Rebe besonders in ihren Teilindividuen eine sehr aus- gedehnte ist, spricht keineswegs gegen die Tatsache, dass das Altern eine allgemeine Eigenschaft des Lebendigen ist; und da die Regenerationsfähigkeit überall, wo sie speziell darauf geprüft wurde, nicht ins Ungemessene ging, sondern eine Abnahme und ein Erlöschen erkennen lässt, haben wir das Recht, zu behaupten, dass sie auch da eine Grenze hat, wo sich dieselbe bis jetzt noch nicht gezeigt hat. (Schluss folgt.) 80 VI. Internationaler Zoologenkongress in Bern. VI. Internationaler Zoologenkongress in Bern. 14.—19. August 1904. Auf dem V. in Berlin abgehaltenen Zoologenkongress wurde als Versamm- lungsort des VI. Kongresses die Schweiz bezeichnet und als Präsident Herr Prof. Dr. Th. Studer erwählt. Als Zeitpunkt wurde der 14.—19. August 1904 fest- gesetzt. Den vorbereitenden Ausschuss bilden : Präsident: Dr. Th. Studer, Professor an der Universität Bern. Vizepräsidenten: Dr. E. Beraneck, Professor an der Akademie Neuchätel, Dr. H. Blanc, Professor an der Universität Lausanne, Dr. V. Fatio, Genf, Dr. L. Kathariner, Professor an der Universität Freiburg, Dr. A. Lang, Professor an der Universität und am Polytechnikum Zürich, Dr. E. Yung, Professor an der Universität Genf, Dr. F. Zschokke, Professor an der Uni- versität Basel. Generalsekretär des permanenten Komites für die internationalen Zoologen- kongresse: Dr. R. Blanchard, Professor an der Faculte de Medecine, Paris. Sekretäre: Dr. M. Bedot, Professor an der Universität Genf, Dr. J. Carl, Assistent am naturhistorischen Museum, Genf, Dr. W. Volz, Assistent am zoologischen Institut der Universität Bern. Kassiere: E. von Büren-von Salis, Sachwalter in Bern, A. Pictet, Bankier in Genf. Mitglieder des wissenschaftlichen Komites aufser den genannten Vizepräsi- denten: Dr. H. Strafser, Professor an der Universität Bern, Präsident, Dr. E.Bugnion, Professor an der Universität Lausanne, Dr. R. Burckhardt, Professor an der Universität Basel, Dr. H. Corning, Professor an der Uni- versität Basel, Dr. U. Duerst, Privatdozent an der Universität Zürich, Prof. Dr. Aug. Forel in Chigny, Dr. F. Sarasin in Basel, Dr. P. Sarasin in Basel, Dr. H. Stehlin in Basel. Finanzkomite: Präsident: E, von Büren-von Salis in Bern. Redaktionskomite: Präsident: Dr. M. Bedot, Professor an der Universität Genf. Empfangskomite: Präsident: Dr. H. Kronecker, Professor an der Uni- versität Bern. Quartierkomite: Präsident: Dr. E. Hess, Professor an der Universität bern. Unterhaltungskomite: Präsident: Dr. O0. Rubeli, Professor an der Uni- versität Bern. Wirtschaftskomite: Präsident: Dr. J. H. Graf, Professor an der Uni- versität Bern. Presskomite: Präsident: Dr. @. Beck, Bern. Die allgemeinen Versammlungen werden im eidg. Parlamentsgebäude in Bern, die Sektionssitzungen im neuen Universitätsgebäude stattfinden. Während des Kongresses findet ein Ausflug nach Neuchätel und den Juraseen zur Be- sichtigung der dortigen Pfahlbaustationen statt. Die Schlussitzung wird in Inter- laken abgehalten. Nach Beendigung des Kongresses werden die Teilnehmer zum Besuche anderer Schweizerstädte eingeladen. Man bittet, Anmeldungen von Vorträgen und Anfragen, welche den Kon- gress betreffen, an den Präsidenten des VI. Internationalen Zoologenkongresses, Naturhistorisches Museum, Waisenhausstrafse, Bern, zu richten. Alle Zoologen und Freunde der Zoologie werden eingeladen, sich als Mit- glieder am Kongress zu beteiligen. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIY. Bd. 1. Februar 1904, MR 8. Inhalt: Bühler, Alter und Tod (Fortsetzung). — Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). — Stschelkanovzew, Uber die Eireifung bei viviparen Aphiden. Alter und Tod. Eine Theorie der Befruchtung. Von Dr. A. Bühler, Privatdozent und Assistent am anatomischen Institut zu Zürich. (Fortsetzung.) Aus der Erkenntnis des Alterns einzelner Organsysteme er- gibt sich eine Erklärung für das Altern des ganzen Organismus. Wir sahen, dass Körperzellen im Lauf der Zeit, aufhören, sich zu vermehren, und schließlich untergehen. Bedeutet das am Organ eine Abnahme seiner Tätigkeit und zuletzt die Einstellung seiner Funktion, so resultiert für den Organismus daraus Alter und Tod. Die Abnahme der Teilungsfähigkeit der Zellen (ich sehe hier ab von einer solchen, die durch besondere Differenzierung in Nerven- zellen, rote Blutkörper u. s. w. veranlasst wird), weist auf ein Nach- lassen der vitalen Energie derselben hin, wie sie sich deutlicher noch im Absterben einzelner Zellen kundgibt. Denn auch die Zellvermehrung ist eine vitale Funktion und steht im engsten Zu- sammenhang mit dem ganzen Leben der Zelle, mit ihrem Stoff- wechsel und ihrem Wachstum. Wie hat man sich nun diese Abnahme der zellulären Energie zu denken? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir uns die andere Frage vorzulegen, woher die im Zellenleben sich betäti- gende Energie stammt? Aus allen vergleichenden Beobachtungen XXIV. 6 52 Bühler, Alter und Tod. geht hervor, dass im höheren Alter der Stoffwechsel eine quantı- tative Verminderung erleidet!). Es erscheint als selbstverständlich, dass der wachsende Organismus im Verhältnis zum Körpergewicht mehr Nahrung aufnehmen muss als der ausgewachsene. Aber auch der jugendliche, erwachsene Körper hat einen erheblich größeren Stoffumsatz als der greisenhafte. Das liegt nun natürlich nicht an der größeren Arbeit, die der junge Organismus zu leisten pflegt, sondern in seiner Beschaffenheit; dieselbe befähigt ihn zu größerer Energieentfaltung, und eben dafür braucht er mehr Stoffzufuhr. Und ebenso ist es nicht die stärkere Ernährung, die das Tier oder die Pflanze zum Wachsen treibt: sie wachsen vermöge ihrer inneren Organisation, und eben diese ıst es auch, welche sie zu erhöhter Nahrungsaufnahme befähigt. Im Stoffwechsel ist nun das Maß gegeben für die im Leben wirksame Energiemenge. Die Verwertung derselben im Organis- mus ist wesentlich ein chemischer Vorgang. Die potentielle Energie, welche in Gestalt chemischer Verbindungen ım Stoffwechsel auf- genommen wird, stellt für die Tiere und die chlorophylifreien Pflanzen sozusagen die einzige Kraftquelle dar. Durch Zelltätig- keit wird diese Energie umgewandelt in Wärme und Bewegung u.s. w., oder in veränderter chemischer Form wieder als potentielle Energie dem Baumaterial des wachsenden Körpers eingefügt. Besteht auch für die Pflanzen, welche Chlorophyll oder ähnlich wirkende Sub- stanzen enthalten, in der Zufuhr von Licht eine mächtige Quelle der Energie, so wird diese doch erst nützlich im Leben der Pflanze durch ihre Umwandlung in chemische Form. Übrigens kommt auch bei den chlorophyllhaltigen Pflanzen für das erste Wachsen des Keimes das Licht direkt nicht in Betracht. Die Keimzelle selbst ist auch außerhalb ihres Ruhezustandes nicht fähig, das Licht für sich zu verwerten und unter seinem Einflusse Baustoffe zu bilden, und ebensowenig können dies ihre nächsten Nachkommen. Es gibt also auch im Leben jeder Pflanze eine Zeit, da sie wie das Tier fast ausschließlich auf Zufuhr chemischer Energie ange- wiesen ist. Wenn wir nun sehen, dass die Arbeitsleistung des alternden Organismus, speziell dessen Wachstum vermindert ist und ander- seits erkannt haben, dass die Kraft für seine Arbeit zum weitaus größten Teil von chemischen Vorgängen herrührt, so sind wir zu der Annahme berechtigt, dass in den alten Zellen die chemische Tätigkeit im Vergleich zur Jugend verringert ist. Damit erhalten 1) Nach Untersuchungen von Kövesi (31) ist im Greisenalter der Eiweiß- bedarf im Verhältnis zu früheren Lebensperioden erheblich herabgesetzt; das Gleiche ist nach Magnus-Levy (35) der Fall für die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlensäure bezogen auf das gleiche Körpergewicht. Bühler, Alter und Tod. 85 wir zugleich eine Erklärung für die Tatsache, dass im Alter der Stoffumsatz vermindert ist, wie anderseits dieser letztere Umstand für meine Annahme einer herabgesetzten chemischen Tätigkeit alt gewordener Zellen beweisend ist. Die Ursache, dass dem so ist, kann nun nicht im äußeren chemischen Medium liegen, sie muss begründet sein in den Zellen selbst. Dieser Unterschied der alten Zelle gegenüber der jungen ist wieder nicht durch äußere Umstände herbeigeführt worden, er kann nur bewirkt werden durch den Ablauf der Lebensvorgänge selbst und kann daher nur aus diesem heraus verstanden werden. Wir kommen also zum Schluss, dass, je länger der Stoffumsatz gedauert hat, je mehr Energien das lebende Protoplasma im Verlauf der Zeit aufgenommen und um- gesetzt hat, um so mehr verliert es die Fähigkeit dafür. Ich möchte diesen Satz an einem groben Beispiel aus der an- organischen Natur erläutern: Kaliummetall mit der nötigen Menge Wasser zusammengebracht, verbindet sich unter sehr heftigen Er- scheinungen mit dessen Elementen. Dabei setzt sich freiwerdende Energie in großer Menge in Wärme und Bewegung um. In dem Maße, als der Prozess fortschreitet, lässt er an Intensität nach und die Erzeugung von Wärme und Bewegung hört auf mit dem Ende der chemischen Umsetzung. Die Affinität des Kaliums zu Wasser ist gesättigt und keine weitere Zufuhr von Wasser vermag den chemischen Prozess wieder ins Leben zurückzurufen. Auch das lebende Protoplasma assimiliert im Stoffwechsel che- mische Körper und lagert dieselben den freien Affinitäten seines Moleküls an. Die so gebundenen Energien bilden die Quelle, aus welcher eine Umsetzung in kinetische Energie, in Wärme, in Be- wegung erfolgt: es resultieren daraus die Äußerungen des Lebens- prozesses!). Dauert beim Kalıum der Umsetzungsprozess so lange, als zwischen ihm und dem Hydroxyl noch ungesättigte Affinitäten be- stehen, oder mit anderen Worten, so lange, als noch eine elektro- chemische Differenz zwischen beiden ausgeglichen werden kann, so gilt dasselbe für den Chemismus des Protoplasma. Eine Assı- milation zugeführter Stoffe und infolgedessen eine Umsetzung der so gewonnenen Energien kann nur so lange stattfinden, als zwischen lebender Substanz und Nahrung noch ausgleichbare chemische Spannungen oder elektrochemische Differenzen bestehen. Sind durch den Lebensprozess selbst diese Spannungen beseitigt, die 1) Eine sehr wichtige Rolle im Stoffwechsel spielen bekanntlich auch die in den Bereich der Physik fallenden Erscheinungen der Lösung und der Osmose; da indessen Anderungen in den Verhältnissen der Löslichkeit und des osmotischen Druckes und die daraus resultierenden Prozesse Folgezustände und Begleiterschei- nungen chemischer Umsetzungen sind, spreche ich im folgenden kurzweg von diesen letzteren allein. 6* 84 Bühler, Alter und Tod. Differenzen gehoben, so ist das Resultat der Stillstand des Pro- zesses, d. h. der Tod. Gar so rasch wie beim Kaliummetall geht es nun allerdings im Leben nicht. Die chemische Struktur des Protoplasma befähigt dasselbe offenbar, in seinem Molekül (um hier der Einfachheit halber von einem solchen zu sprechen) in kurzer Aufeinanderfolge Konstitutionsänderungen vorzunehmen durch Bindung und Ab- spaltung von Radikalen, die ihm durch den Säftekreislauf entgegen- gebracht werden, ohne dass dadurch sein Kern wesentlich alteriert wird). Indessen muss gerade durch diese Vorgänge das Plasma- molekül mehr und mehr konsolidiert werden; mehr und mehr muss es aus den ihm im Laufe des Lebens entgegenkommenden Atom- gruppen diejenigen festhalten, die es vermöge ihrer stärkeren Affinität zu seinem Molekül schwerer wieder abgeben kann. Das führt schließlich zu einer Sättigung des Moleküls, zu einer Art Neutralisierung gegenüber den Stoffen, die bisher seine Nahrung ausmachten. Die Folge ist, dass das Protoplasma nicht mehr im- stande ist, zu assımilieren, sein Stoffwechsel hört auf und damit auch die Fähigkeit, Energien umzusetzen. Es darf uns nicht wundern, dass infolgedessen gerade die- jenigen Zellen die kürzeste Lebensdauer haben, deren Protoplasma am weitesten nach einer ganz speziellen Richtung hin differenziert ist: die roten Blutkörperchen. Ihnen fehlt im ausgebildeten Zu- stand die Möglichkeit, zu wachsen und sich zu teilen; es fehlt ihnen auch nahezu oder vollständig die Fähigkeit, andere Stoffe als den Sauerstoff zu binden und wieder abzugeben, ohne dass ihre che- mische Struktur und damit ihre Lebensfähigkeit irreparabel gestört wird. Vielleicht ıst es auch kein Zufall, dass neben diesen Zellen es die Nervenzellen und die Eier sind, an weichen die Erschei- nungen der physiologischen Degeneration zuerst aufgefunden wurden. Denn auch ihr Protoplasma ist nach einer bestimmten Richtung hin ganz speziell differenziert. Dass dabei die Struktur der Ganglien- zellen in chemischer Beziehung eine relativ hochkomplizierte ist, bleibt zwar noch festzustellen, darf aber doch jetzt schon mit ziem- licher Sicherheit angenommen werden. Bekannt indessen ist ihre sehr feine Reaktion auf gewisse Ohemikalien, speziell Alkaloide, und die Tatsache, dass sie rascher als irgend eine andere Zell- 1) Eine Anschauung, die viel für sich hat, geht dahin, dass der lebenden Sub- stanz, speziell den Eiweißkörpern derselben mannigfaltige katalytische Eigenschaften ähnlich denen der Fermente zukommen (vergl.: Höber, Physikalische Chemie [28)). Neben dieser Ansicht kann natürlich recht wohl die durch Tatsachen erhärtete Annahme bestehen, dass auch die lebende Substanz, das Eiweiß mitinbegriffen, stetigen Veränderungen unterliegt. Beide Anschauungen lassen sich ganz gut ver- einigen durch die Erwägung, dass die verschiedenen Stoffe, die den Körper zu- sammensetzen, sich gegenseitig beeinflussen und dass gerade aus dieser Wechsel- wirkung die Erscheinungen des Lebens hervorgehen. Bühler, Alter und Tod. 8 form auf ungenügende oder ungeeignete Blutzufuhr hin ihre Funktion einstellen und absterben. Was ich hier vom Ablauf der Lebensvorgänge und dem daraus resultierenden Altern des Protoplasma gesagt habe, lässt sich direkt auf den ganzen Körper anwenden. Auch im Leben des ganzen Organismus spielt der Stoffumsatz eine hervorragend wichtige Rolle. Auch da ist eine Assimilation nur möglich, so lange als zwischen der lebenden Substanz und den eingeführten Stoffen chemische Affinitäten, oder mit anderen Worten ausgleichbare elektrochemische Differenzen existieren. Der Lebensprozess als solcher strebt nun nach Ausgleichung dieser Differenzen; und ist diese Ausgleichung definitiv erfolgt, so ist keine Assımilation mehr möglich: es hören Wachstum, Bewegung, Wärme, Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen, also alle diejenigen Erscheinungen, welche Äußerungen des Lebens sind, auf. So ist der Tod das Endziel und die Erfüllung des Lebens. Wenn ich an dieser Stelle mit wenigen Worten auf die Re- generation und die ungeschlechtliche Fortpflanzung zurückkomme, so geschieht es, um zu zeigen, dass sich aus diesen Erscheinungen keineswegs ein Widerspruch gegen die oben ausgeführten An- schauungen über Leben und Tod ergibt. Worauf es beruht, dass ein Organismus eine viel längere Lebensdauer hat, als sie einem anderen auch unter den günstigsten Umständen zukommt, ist zur Zeit noch eine offene Frage und kann hier nicht erörtert werden. Die bekannten von Weismann (46) hierüber aufgestellten An- schauungen bieten wohl eine beachtenswerte Wegleitung, wie dieses Problem einer Lösung näher gebracht werden kann; sie bewegen sich aber auf anderem Gebiete als mein heutiges Thema und eignen - sich deshalb nicht, demselben angegliedert zu werden. Vorläufig müssen wir uns mit der Tatsache der verschieden bemessenen Lebensdauer verschiedener Organismen bescheiden. Die mannigfaltigen Formen der Regeneration aber lassen sich auf Grund der oben geschilderten chemischen Auffassung des Lebens- prozesses ganz wohl einreihen. In vielen Fällen erfolgt eine Neu- bildung verloren gegangener Organe unter Zuhilfenahrıe von Zell- material, das noch nicht ausdifferenziert war, dessen chemische Affinitäten bisher noch keinen Anlass hatten, sich zu betätigen. Unter anderen Umständen gelangen durch den Eingriff, welcher die Regeneration veranlasste, Zellkomplexe unter ganz andere Be- dingungen, wodurch ihrem Wachstum und ihrem Stoffwechsel eine ganz neue Richtung gegeben wird. Es ist leicht verständlich, dass auf diese Weise der Moment, in welchem ein definitiver Sättigungs- zustand der Protoplasmamoleküle eintreten muss, hinausgeschoben wird. Eine derartige Auffrischung der Lebensenergie einzelner Abschnitte einer Pflanze oder eines Tieres kann sich gegebenen Ss6 Bühler, Alter und Tod. Falles öfter wiederholen. Das tritt ein bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung: wird z. B. von einem Weinstock ein Steckling ge- setzt, so kann dieser unter günstigen Umständen die ıhm fehlenden Teile der ganzen Pflanze regenerieren und auf Grund der neuen Lebensbedingungen sich besser entwickeln, als ıhm dies am alten Stock möglich gewesen wäre. In ähnlicher Art bedeutet das Pfropfen eine Auffrischung. Diese künstliche Erneuerung der Lebensenergie gestattet, wie schon gesagt, eine mehrfache Wieder- holung; ob beliebig oft? ich bezweifle es. Diese sogenannte ungeschlechtliche Fortpflanzung vieler Pflanzen findet im Tierreich wenige Analoga, hauptsächlich, wie bekannt, bei Coelenteraten. Auch diese verlangen natürlich die gleiche Er- klärung wie dort. Intensiver und dauernder als die hierbei wirksam werdenden Entwickelungsreize muss nun der Einfluss der Befruchtung sein. Wie die Experimente von Maupas (36) gezeigt haben, ist nur sie imstande, eine Generation von Infusorien, die nach einer langen Reihe einfacher Zellteilungen ihre Lebensfähigkeit einbüßen müssten, vom Untergange zu retten. In prinzipiell gleicher Weise wirkt die Befruchtung bei anderen Organismen, sei es, dass sie über- haupt die einzige Möglichkeit bietet zur Erhaltung der Art, sei es, dass sie ım Wechsel mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung als mächtige Förderin der Entwickelung auftritt, sei es endlich, dass sie den Grund legt zu Organisationsstadien von großer Resi- stenz gegen äußere Schädigungen, wie das bei den Dauersporen der Fall ist. Am einfachsten liegt der erstgenannte Fall der obligatorischen Amphigonie, der auch im Reiche der Lebewesen die größte Ver- breitung hat. Sind im elterlichen Organismus die Affinitäten, welche das Protoplasma den zugeführten Nährstoffen darbietet, durch Sättigung erschöpft, so hört sein individuelles Leben auf. Eine Fortpflanzung der Art durch ihn wird ‘dann nur möglich sein, wenn in seiner lebenden Substanz (oder einem Teil derselben) neue elektro- chemische Differenzen gesetzt werden, die derselben die Fähigkeit verleihen, neuerdings zu assimilieren und zu dissimilieren. Nun treten ja bei der Befruchtung zwei nahe verwandte, aber keines- wegs identische Gruppen von Molekülen zusammen. Deren Wechsel- wirkung bedingt eine Stärkung der Affinität für die Elemente der Nahrung und zugleich eine Erleichterung der Abspaltung von lose angegliederten Atomgruppen. Die Geschlechtszellen sind danach aufzufassen als die Träger von hochpotenzierten, ganz im Sinne des Elterorganismus einseitig differenzierten Molekülgruppen. Ähnlich wie die gealterten Körper- Bühler, Alter und Tod. 87 zellen befinden sie sich vermöge ıhrer weitgehenden Differenzierung in einem Sättigungszustand, in einem Stadium chemischer Indiffe- renz, in welchem ihre Assimilation stockt. Darum sehen wir auch, dass (wenn wir vorläufig die Parthenogenese außer acht lassen) die völlig ausgereiften Geschlechtszellen nur eine sehr beschränkte Lebensdauer haben und für sich allein nicht fähig sind, zu wachsen. Sie sind danach aber nicht etwa, wie die Verjüngungstheorie will, Degenerationsprodukte, die deswegen zu selbständigem Leben un- fähig geworden wären ohne Hinzutreten des „verjüngenden“* Ele- mentes des anderen Geschlechtes; ım Gegenteil, sie enthalten potentielle Energie in relativ großen Mengen. Was ihnen zur Lebens- und Entwieckelungsfähigkeit fehlt, ist die zur Assımilation notwendige Labilität ihrer Protoplasmamoleküle, die bei ihnen gerade wegen ihrer hohen Potenzierung eine vollkommene und feste Sätti- gung ihrer Affinitäten zeigen. Durch die Vereinigung zweier in entgegengesetzter Richtung differenzierter Geschlechtszellen wird diese Hemmung (um mich eines allgemeinen von Bernstein gebrauchten Ausdruckes zu be- dienen) gegenseitig aufgehoben. Bei der Verwandtschaft in der chemischen Konstitution beider Geschlechtszellen ist das Eingehen einer noch fester gesättigten Verbindung zwischen ihnen aus- geschlossen; statt dessen beeinflussen sich ihre Massen gegen- seitig im Sinne einer Erleichterung der Aufnahme und Abgabe von Stoffen, eine Wechselwirkung, die man wohl am ehesten mit derjenigen der Enzyme vergleichen kann. Wo diese kata- lytische Wechselwirkung eintritt, ist eine erfolgreiche Befruch- tung — auch Bastardierung — möglich; wo sie nach der Konsti- tution der vereinigten Geschlechtszellen ungenügend ist oder ganz ausbleibt, ist auch ein Erfolg des Befruchtungsversuches ausge- schlossen. Darin liegt meiner Ansicht nach der Grund, warum hier ge- wöhnlich zu nahe verwandte Geschlechtszellen, wie es für viele Pflan- zen diejenigen aus der gleichen Blüte oder vom gleichen Individuum sind, nicht befruchtend wirken können: ihre Konstitution ist zu gleichartig, als dass aus ihrer Veremigung eine Förderung im oben geschilderten Sinne resultieren könnte. Dass Keimzellen verschie- dener Arten, die in ihrer Zusammensetzung gar keine Berührungs- punkte sich bieten, ebenfalls nicht konjugationsfähig sind, leuchtet ohne weiteres ein. Meine Darstellung vom Wesen der Befruchtung fußt auf der Annahme, dass dabei chemische Vorgänge eine Hauptrolle spielen. Leider sind weder die biologischen Wissenschaften noch die Chemie 88 Bühler, Alter und Tod. zur Zeit so weit fortgeschritten, um hierüber auch nur annähernd sichere Analysen anstellen zu können; und doch sind jetzt schon eine Reihe von Begleiterscheinungen des Befruchtungsvorganges aufgefunden worden, welche für die wichtige Rolle, die die Chemie dabei spielt, Zeugnis ablegen. So fanden Loew und Bokorny (33), dass die Zellen von Spirogyra, wenn sie im Begriff sind, zu kopulieren, vorher che- mische Veränderungen eingehen, die sich kundgeben als geringerer Gehalt an Fett, größerer an Zucker. Als chemische Veränderung, welche direkt durch die Befruchtung bedingt wird, muss auch die verschiedene Farbenreaktion befruchteter und unbefruchteter Eier aufgefasst werden. Verschiedene Farbenreaktion zeigen auch die väterlichen und mütterlichen Chromosomen im Beginn der Ent- wickelung, ja es konnte dieser Unterschied von V. Haeker durch eine lange Reihe von Zellgenerationen hindurch verfolgt werden: ein Beweis für die trotz aller Verwandtschaft bestehende chemische Differenz zwischen den beiden Formen der Keimzellen, wie ich sie postuliert habe. Ganz neuerdings hat A. Schücking (41) in dieser Beziehung interessante Beobachtungen gemacht. Es gelang ihm, aus den Schleimhüllen von Echinodermeneiern oder aus den ganzen Eiern durch Dialyse eine Substanz mit saurer Reaktion darzustellen, die bei gewisser Konzentration im genau gleicher Weise erregend und anziehend auf die Spermien derselben Tiere wirkt, wie dies das Ei tut. Er gab damit eine chemische Erklärung für diesen Vor- gang und machte es wahrscheinlich, dass auch das Eindringen des Samenfadens in das Ei auf ähnlichen Bedingungen beruht. Weiterhin fand er, dass die befruchtete Eizelle zu bedeutender Wasseraufnahme befähigt wird. Das hat seinen Grund in einer Erhöhung des intrazellulären osmotischen Druckes, was seiner- seits wiederum auf eine Änderung der chemischen Konstitution hinweist. Eine gleiche Deutung verlangt übrigens auch das Aufquellen des Samenkernes im Ei; auch dabei beruht die Volumzunahme wesentlich in einer Aufnahme von Wasser, und die Möglichkeit, mehr Wasser zu absorbieren als zuvor, verdankt der Spermakopf offenbar einer Erhöhung der osmotischen Spannung, hervorgerufen durch molekulare Umlagerungen !). Zeugnisse für die chemische Natur der Befruchtungsvorgänge sind auch die Störungen, welche O. u. R. Hertwig (22) darin 1) Eine solche Erhöhung des osmotischen Druckes kann z. B. leicht und rasch erreicht werden dadurch, dass sich aus den hochpotenzierten Molekülen der Kernsubstanz Atomgruppen und Ionen frei machen und als selbständige Faktoren auftreten. Das stimmt mit meiner Annahme, dass die Befruchtung die Festigung der Molekularverbände lockert. Bühler, Alter und Tod. 89 durch eine Reihe von Giften, also durch Chemikalien erzielen konnten. Und endlich — last not least — wird die chemische Bedeu- tung der Verbindung zweier Geschlechtszellen dadurch bewiesen, dass diese letzteren die ihnen so gut wie den gealterten Körper- zellen abhanden gekommene Fähigkeit wieder erlangen, sich in chemischen Umsetzungen zu betätigen, zu assimilieren und zu dissimilieren. Ich komme also zu dem Schluss, dass durch den Akt der Befruchtung dem neuen Organismus etwas wieder verliehen wird, was dem alten im Leben und durch den Prozess des Lebens selbst mehr und mehr abhanden kam bis zum schließlichen Tode: eine molekulare Kon- stitution seiner Bauelemente, welche dieselben befähigt zum Stoffwechsel und damit zur Grundlage aller Lebens- vorgänge. Es bleibt mir noch übrig, einige Einwürfe zu besprechen, die man gegen das Gesagte geltend machen kann; sie betreffen die Entstehung neuer Individuen ohne Befruchtung: die ungeschlecht- liche und die parthenogenetische Fortpflanzung. Die erstere habe ich im Zusammenhang mit der Regeneration oben des öfteren erörtert, so dass ich hier auf das dort Gesagte verweisen kann; man erkennt daraus, dass die Erscheinungen der Agamogenesis keineswegs gegen meine Ideen über den Zweck der Befruchtung sprechen. Ebensowenig ist dies der Fall bei der Parthenogenesis, ja dieselbe bietet in einzelnen Punkten eine wesentliche Stütze meiner Anschauungen. Die Ursachen, welche zu einer natürlichen Parthenogenese führen, bedürfen noch weiterer Aufklärung. Indessen erscheint dieselbe in vielen Fällen deutlich als Anpassung an den Mangel von männlichen Geschlechtszellen, also als ein sekundärer Zustand (vgl. Waldeyer [44], p. 419). Da ist es selbstverständlich, dass sich die Anpassung auch auf die molekuläre Struktur der Eizelle erstrecken muss. Dieselbe muss unter solchen Umständen die Möglichkeit behalten, auch isoliert sich zu entwickeln, wenn sie in günstige Bedingungen gebracht wird. Es fallen dann die che- mischen Voraussetzungen für eine parthenogenetische Fortpflanzung zusammen mit denjenigen der ungeschlechtlichen Vermehrung. Er- wähnung verdient, dass bei jener wie bei dieser in den meisten, wenn nicht in allen Fällen von Zeit zu Zeit eine Befruchtung ein- treten muss. Klarer liegen, wie mir scheint, die Verhältnisse bei der künst- lichen Parthenogenese. Seit R. Hertwig (24) in exakter Weise Seeigeleier durch Strychnin zu parthenogenetischer Furchung brachte, 90 Bühler, Alter und Tod. ıst der Versuch, unbefruchtete Eier von Wirbellosen durch Chemi- kalien zur Entwickelung zu bringen, öfter geglücktt). Ich erinnere nur an die Versuche von Loeb (32), der ebenfalls mit Echino- dermeneiern experimentierte, meist durch Zusatz kleiner Quantitäten von Salzlösungen zum Meerwasser. Ich akzeptiere auch seine Er- klärung, dass es sich dabei weniger um Aufnahme dieser Salze ins Ei handelte, als vielmehr um eine Erhöhung des äußeren osmo- tischen Druckes, die als Reiz auf das Ei wirkt. Ich fasse auch diesen Reiz, wie die zuerst angeführten auf als eine Überführung der Protoplasmamoleküle in einen mehr aktiven Zustand, was recht wohl die Folge plötzlicher Wasserentziehung sein kann. In ähn- licher Weise lassen sich neuere Versuche von A. Schücking (41) deuten, dem es gelang, außer durch Zusatz von Chemikalien, durch raschen Temperaturwechsel und durch Galvanisierung am gleichen Material Parthenogenese zu erzielen. Auch diese Mittel sind ge- eignet, chemische Prozesse auszulösen, und dasselbe gilt für die von Loeb (32) angewandten mechanischen Erschütterungen, beson- ders wenn dieselben hochpotenzierte Körper mit leicht abspalt- baren Atomkomplexen treffen, wie wir sie in den Molekülen des Eiprotoplasma wohl vor uns haben. So tragen also die Vorgänge der künstlichen Parthenogenesis dazu bei, meine Ansicht von der chemischen Natur der Befruch- tung zu bestätigen. Es lässt sich gerade von einer rationellen Fortsetzung der Versuche auf diesem Gebiet ein tieferes Eindringen in das Verständnis vom Wesen der Befruchtung und damit vom Lebensprozess überhaupt erwarten. Eine genauere Analyse der chemischen Vorgänge bei der Be- fruchtung ist natürlich zur Zeit unmöglich; dazu fehlen alle Vor- bedingungen. Solange unsere Kenntnis von der Struktur und den Eigenschaften der mitwirkenden chemischen Körper, vor allem des Eiweißes, nicht ganz bedeutende Fortschritte gemacht haben wer- den, solange können wir auf diesem Gebiete über bloße Vermu- tungen und Hypothesen nicht hinauskommen. Zwar lassen die gegenwärtig mit Eifer betriebenen Forschungen über die Chemie des Eiweißes manche Aufklärung erhoffen; einstweilen aber sind wir noch nicht so weit. Ich halte es darum für verfrüht und einseitig, wenn Loeb gewisse Substanzen, wie die Ionen von Calcium und Natrium als hemmend, andere, z. B. die Ionen des Magnesium, des Kalium, des Hydroxyls als fördernd auf die Entwickelung hinstellt, und der Wirkung dieser Ionen nicht nur den Erfolg bei der künstlichen 1) Die Beobachtungen hierüber aus der Zeit vor 1900 finden sich bei Bon- net (6) zusammengefasst. Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). 91 Parthenogenese (Loeb selbst spricht von „Fertilization“), son- dern auch das wesentliche Prinzip bei natürlicher Befruchtung zu- schreibt!). (Schluss folgt.) Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). Vortrag, gehalten in der Biologischen Gesellschaft zu Christiania d. 12. Sept. 1903. Von K. E. Schreiner. Wenn man die Bauchhöhle einer Myxine öffnet, so tritt der Darm als eine gerade laufende Röhre ohne Abteilungen hervor. Der Darm ist in einem ziemlich kurzen, dorsalen, sagittal gestellten Mesenterium aufgehängt. Dorsalwärts von der Wurzel des Mesen- teriums verlaufen die großen Gefäßstämme des Körpers und auf jeder Seite derselben einer der beiden grünlich gefärbten Wolff- schen Gänge. Auf der rechten Seite des Mesenteriums sehen wir das Geschlechtsorgan, in einer Duplikatur des Peritoneums hängend, die vom Mesenterium ausgeht, dort, wo dasselbe sich am Darm befestigt oder etwas dorsalwärts von- dieser Befestigungsstelle. Das Geschlechtsorgan erstreckt sich vom distalen Rand der Gallenblase oder der Leber, etwas variierend bei den verschiedenen Individuen, mehr oder weniger bis in die Nähe der Darmmündung in die Kloake. Die Länge des Geschlechtsorganes ist durchschnitt- lich gleich der halben Länge des Tieres, bei kleineren Exemplaren — bis ca. 30 em langen — gern etwas unter der halben Körper- länge, bei größeren Individuen etwas darüber. Auf der anderen Seite des Mesenteriums ist in der Regel kein Geschlechtsorgan entwickelt. Das Geschlechtsorgan hat keinen Ausführungsgang. Die Geschlechtsprodukte werden in die Abdominalhöhle entleert und verlassen das Tier durch den Porus abdominalis. Hierin stimmen die Verhältnisse bei Myzine mit denen der übrigen Zyklostomen sowie bei einer Reihe von Knochenfischen überein. Im Gegensatz hierzu werden die Geschlechtsstoffe bei den übrigen Kranioten bekanntlich durch besondere Ausführungskanäle entleert. Um die Verhältnisse des Geschlechtsorganes zu demonstrieren, habe ich bei einer Reihe von Exemplaren den Darm präpariert durch Abtrennung des Mesenteriums dorsalwärts von der Stelle, wo das Geschlechtsorgan am Mesenterium befestigt ist, so dass ersteres am Darm längs der dorsalen Mittellinie hängen bleibt. Ich habe darauf ein Glasstäbchen durch den Darm geführt und die einzelnen Darmröhren mit beihängenden Geschlechtssträngen in mit 4°, Formollösung gefüllten Zylindern montiert. 1) Eine entschiedene Zurückweisung haben diese Iden Loebs durch Viguier (43) erfahren, der auch eine kritische (m. A. n. zu sehr ablehnende) Zu- sammenstellung der Beobachtungen über künstliche Parthenogenesis bringt. 92 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). Wenn Sie nun, meine Damen und Herren, eins der derartig prä- parierten und hier aufgestellten Geschlechtsorgane näher betrachten, so werden Sie sehen, dass es sich nicht allein durch seine Länge und seine einseitige Entwickelung von dem Typus von Generations- organen unterscheidet, den wir von den meisten anderen kranioten Chordaten kennen, sondern auch dadurch, dass es hermaphroditisch ist, indem der hintere Teil Testis ist, während der vordere Eier enthält. Wir werden sogleich den Bau dieser beiden Teile ein wenig betrachten. Das Testisgewebe unterscheidet sich makroskopisch von dem jungen Ovarium durch sein dicehteres, weissliches Aussehen und durch seinen mehr faltigen Rand. Der junge Testis besteht mikroskopisch aus einem gefäßreichen Bindegewebsstroma, worin mehr oder weniger dicht liegende, runde Follikel eingelagert sind. Die Follikel sind von dichten Bindegewebehäuten umgeben; inner- halb dieser finden wir ein einschichtiges, kubisches Follikelepithel. Die Höhlungen der Follikel sind von dicht liegenden Geschlechts- zellen angefüllt, die sich bei genauerer Untersuchung als Sper- matogonien ergeben. Die zu demselben Follikel gehörenden Geschlechtszellen befinden sich alle in demselben oder fast in dem- selben Entwickelungsstadium. Nicht selten findet man z. B. sämt- liche Zellen eines Follikels in derselben Teilungsphase. Die Oberfläche des jungen Testis ist von einem zylindrischen Epithelium bedeckt, das eine direkte Fortsetzung des Peritonealepithels bildet. Unter der Oberfläche finden wir alle Stadien von Follikelbildung. In dem reifen oder fast reifen Testis sind die Follikel größer, oft schon makroskopisch erkennbar, in der Regel liegen sie dicht nebeneinander, so dass man fast keine Spur vom Testisstroma sieht. In vielen Follikeln liegen die einzelnen Zellen dagegen nicht mehr dicht beieinander, indem die Follikel mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt sind, worin die Geschlechts- zellen schwimmen. Diese Geschlechtszellen sind, wie es sich bei näherer Untersuchung zeigt, nicht länger Spermatogonien, son- dern Spermatocyten, Spermatiden und mehr oder weniger reife Spermien. Neben diesen Follikeln, die sich der Reife nähern, finden sich in der Regel, besonders längs der Oberfläche, aber auch zwischen den reifen Follikeln, unreife mit Spermatogonien. Die Oberfläche des Testis ist jetzt zum größten Teile von einem flachen Epithelium gedeckt, nur hin und wieder in den Zwischenräumen zwischen größeren Follikeln, die bis zur Oberfläche reichen, oder außerhalb kleinerer Follikel ist das Epithelium zylindrisch. Nicht selten lässt sich hier noch in Hoden, die reife Spermien enthalten, Follikelneubildung nachweisen. Wenn die Follikel ganz reif sind, platzen ihre Wandungen und die Spermien entleeren sich, wie erwähnt, in die Peritonealhöhle. Hoden, die längere Zeit lang Spermien produziert haben, erhalten gern ein kleinlappiges Aussehen. Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzine glutinosa (L.). 93 Das junge Ovarıum besteht in der Regel aus dicht gestellten kleinen Eiern. Dem freien Rand, der von einem zylindrischen Keimepithel eingenommen wird, zunächst finden wir die kleinsten Eier; die Größe nimmt nach der Wurzel des Mesenteriums hin gleichmäßig zu. Die Eier sind von einer Größe bis ca. 1 mm oder etwas mehr, rund, porzellanartig, halb durchsichtig. Wenn sie größer werden, erhalten sie eine ovale Form — von Anfang an ist ihre Längsachse senkrecht auf der des Ovariums gestellt — gleich- zeitig werden sie dichter. Mit der weiteren Ansammlung der Dottermasse in den Eiern werden diese, wie Sie aus den hier auf- gestellten Präparaten ersehen werden, mehr gelb bis rotgelb ge- färbt. Gleichzeitig werden sie an beiden Polen etwas ausgezogen; diese erhalten zugleich ein halb durchsichtiges Aussehen. Die beiden Pole sind, wie Sie besonders deutlich bei Eiern, die sich der Reife nähern, sehen werden, nicht gleich hervortretend. In den Polen bei den größeren Eiern, von 23 mm Größe und darüber, sieht man makroskopisch zahlreiche kleine runde Felder auf der Oberfläche, und hält man das Ei gegen das Licht, so sieht man zahlreiche dunkle Linien in dem klaren Pol. Sowohl die Linien wie die Felder rühren von den eigentümlichen polaren Haken- oder Anker- bildungen her, die die Eier der Myxinoiden auszeichnen, und die ich späterhin die Ehre haben werde, Ihnen, meine Damen und Herren, bei einem reifen Ei zu zeigen. Die Eier bestehen aus einer Dottermasse, die den Kern ein- schließt; dieser liegt bei den ovalen Eiern stets in der Nähe des einen Pols, nämlich desjenigen, den wir makroskopisch dem anderen an Entwickelung etwas voraus finden. Die Eizelle ist von einem Follikelepithel umgeben, das bei den jungen Eiern nur eine geringe Höhe besitzt, bei den großen Eiern dagegen hoch zylindrisch ist. Zwischen dem Dotter und dem Follikelepithel entwickelt sich später eine Eierschale. Diese wird in demjenigen Pol, welchem an- genähert sich der Kern befindet, von einer Mikropyle durchbohrt. Außerhalb des Follikelepithels ist das Ei von einer gefäßreichen Bindegewebehaut umgeben, deren Zellen eine direkte Fortsetzung des Bindegewebes des Mesovariums bilden und von dem flachen, kaum sichtbaren Peritonealepithelium bekleidet sind. Je nachdem die Eier an Größe zunehmen, ziehen sie durch ihre Schwere das Mesovarium in kürzere oder längere Taschen aus, wie Sie leicht sehen werden, wenn Sie die hier aufgestellten Prä- parate betrachten. Auf diese Weise scheinen die großen Eier bei oberflächlicher Betrachtung den freien Rand des Mesovariums entlang befestigt zu sein. Wenn die Eier bei einer Größe von ungefähr 25 mm die Reife erreicht haben, entleeren sie sich, indem sie ihre Hüllen, das 94 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). Follikelepithel und die Bindegewebehaut sprengen. Diese beiden Hüllen platzen einer Linie entlang, die um den einen Pol nahe der inneren Grenze des Hakenapparates läuft. Übrig bleiben also nach Entleerung der Eier die geplatzten leeren Eiersäcke, welche in den Mesovarialtaschen hängen. Im zylindrischen Follikelepithel sieht man, wie die ausgestellten mikroskopischen Präparate Ihnen zeigen werden, noch die Grübchen an den Polen, die die einzelnen Haken umgaben. Die leeren Eiersäcke fangen bald an zu degenerieren und nehmen eine gelbbraune Farbe an (corpora lutea). Zunächst zerfällt das Follikelepithel; nach Verlauf einiger Zeit finden sich von demselben nur noch zerbröckelte Reste. Die Größe der Eier- säcke nimmt ab, und sie werden nach und nach resorbiert in einer Weise, auf die hier näher einzugehen uns zu weit führen würde. In den ausgestellten Präparaten finden Sie alle Stadien ihrer Re- sorption vertreten. Gleichzeitig mit der Resorption nimmt auch die Tiefe ihrer Mesovarialtaschen ab. Als letzte makroskopisch sicht- bare Spuren der entleerten Eier findet man im Mesovarium kleine runzlige narbenartige Punkte, in die die kleinen Gefäße verlaufen. Wenn ein Ovarıum mehrere Bruten reifer Eier entwickelt hat, zeigt es gern ein stark faltiges Aussehen und sein Rand ist ausgefranst; gegen die Wurzel des Mesovariums findet man zahlreiche kleine, kaum sichtbare Corpora lutea, längs dem freien Rande des Ovarıums eine bedeutend reduzierte Anzahl kleiner Eier, eine Neubildung von Eiern geht hier nicht mehr vor sich. In allen Ovarien, die einen gewissen Entwickelungsgrad erreicht haben, findet man unter den normalen Eiern stets eine größere oder geringere Anzahl degenerierter. Diese können das verschie- denste Aussehen haben, je nach der Natur der Degeneration und dem Entwickelungsstadium des Eies, in dem sie auftritt. Makro- skopisch erscheinen die kleinen degenerierten Eier meist entweder als klare Cysten oder als dichte kreideweiße Kugeln. Nicht selten haben die kleinen degenerierten Eier eine facettierte Oberfläche. In einem späteren Stadium der Degeneration erhalten die dichten weißen Eier eine hellbraune Farbe. In den hier ausgestellten Prä- paraten werden Sie viele Beispiele solcher kleinen degenerierten Eier sehen. Wenn die Degeneration die Eier in einem späteren Entwickelungsstadium befällt, wenn sie z. B. eine Länge von ein paar Millimeter oder darüber erreicht haben, werden sie gern zuerst fluktuierend, später weiß, schlaff. — Eier, die der Reife sehr nahe sind, und frische corpora lutea, wo die Degeneration des Follikel- epitheliums noch kaum merkbar ist, können sich bei Myxine zu allen Zeiten des Jahres finden. Dasselbe ist auch der Fall mit reifen oder fast reifen Spermien. Das Eierlegen der Myxine scheint demnach in Dröbak nicht auf eine bestimmte Zeit des Jahres be- schränkt zu sein. Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). 95 Spezielles Interesse gewinnt das Geschlechtsorgan der Myxine, wie Sie leicht verstehen werden, durch seine hermaphroditische Natur. Derjenige, dem die Ehre zukommt, zuerst nachgewiesen zu haben, dass bei Myxine ein hermaphroditisches Geschlechtsorgan vorkommt, ist Cunningham (s. u.). Wilhelm Müller, dessen Arbeit: „Über das Urogenitalsystem des Amphioxus und der Cyelo- stomen“ im Jahre 1875 erschien, beschrieb als Erster das männliche Organ. Es ist zweifelhaft, ob Johannes Müller und Martin Saint-Ange, die früheren Untersucher des Geschlechtsorganes von Myzine, überhaupt männliche Organe bei Myxine gesehen haben. Wir wollen nun gleich ein wenig die Art und Weise betrachten, wie sich der Hermaphroditismus bei einigen der hier aufgestellten Myxinen äußert. Wir beginnen mit einem 22,75 cm langen Exem- plar (N. 1363). Der Geschlechtsstrang ist bei diesem Tier 10,2 em lang, davon ist, wie Sie sehen, der distale Teil, nämlich 3,6 em, faltiger ca. 1 mm hoher Testis. Der proximale Teil des Stranges ist sehr wenig entwickelt, enthält aber, was besonders bei einer Untersuchung mittelst Lupe sehr deutlich ist, eine bedeutende Anzahl ganz kleiner Eier. Wäh- rend also das männliche Organ bei diesem Exemplar sehr deutlich entwickelt ist, wenn auch bei weitem nicht reif, so ist das weib- liche Organ ganz wenig hervortretend. Der Geschlechtsstrang, den wir darauf betrachten wollen, gehört einem bedeutend älteren Exemplar, nämlich einer 30 cm langen Myine (N. 2367). Dieser Geschlechtsstrang hat eine Gesamtlänge von 14,3 cm; davon sind die distalen 6 em faltiger, bis gut 2 mm hoher Testis, der große, klare, reife Follikel enthält. In dem proximalen Teile des Geschlechtsorganes, dessen Höhe an 1!/, mm beträgt, finden wir eine bedeutende Anzahl dicht liegender bis 1 mm großer Eier. Bei einer dritten Myzxine, die 33 cm lang ist (N. 1337), finden wir einen 16,5 cm langen Geschlechtsstrang; davon sind die distalen 4,2 cm lappiger, gegen 2 mm hoher Testis, welcher im Gegensatz zu dem Testis, den wir vor kurzem betrachteten, ein dichtes, weiß- lich gelbes Aussehen hat; in der undurchsichtigen, kompakten Testismasse sieht man einzelne klare kleine runde Blasen. Der proximale Teil des Geschlechtsstranges zeigt im Gegensatz zu den beiden ersten Exemplaren, die wir betrachteten, eine bedeutende Entwickelung und enthält 16 gelbe Eier von 13—14 mm Länge außer einer bedeutenden Anzahl kleinerer. Bei einer noch längeren Myzxine, nämlich einem 34,25 cm langen Exemplar (N. 1136), dessen Geschlechtsstrang 17 cm lang ist, präsen- tieren sich die distalen 5,5 cm als ein faltiger, ungleichmäßiger bis gegen 1 mm hoher Testis, während wir in dem proximalen Teile 96 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzine glutinosa (L.). hier ebenso wie bei dem zuletzt betrachteten Individuum ziemlich große Eier, nämlich 13, 10—15 mm lange und verschiedene kleinere finden. Betrachten wir schließlich eine fünfte Myxine, die 35 cm lang ist (N. 1590), so finden wir hier einen 17,5 cm langen Geschlechts- strang, wovon die distalen 4,5 cm vollständig steril sind. Im proxi- malen Teile hängen 14 ca. 23 mm lange, schwach bananenförmige Eier, in deren klaren Polen man leicht die beginnende Anker- bildung erkennt, unter diesen großen Eiern sieht man verschiedene kleine. Vergleichen wir nun die Geschlechtsstränge dieser fünf Exem- plare, so finden wir folgendes: bei dem kleinsten Individuum (Länge 22,75 cm) einen deutlichen Testis in dem distalen Teile des Stranges, kaum sichtbare kleine Eier in den proximalen zwei Dritteln; bei dem 30 cm langen Individuum einen faltigen reifen Testis ganz hinten, ein schwach entwickeltes, jedoch weit mehr hervortretendes Ovarıum als beim ersten Exemplar, vor demselben; bei dem 33 cm langen Exemplar einen lappigen Testis, der ım Vergleich zu dem des vorhergehenden Individuums keinen ganz normalen Eindruck macht, im Ovarıum dagegen große Eier; bei dem 34,25 cm langen Exemplar einen deutlich rudimentären Testis ganz hinten, aber gleichfalls große Eier im Ovarıum und schließlich bei der 35 cm langen Myzxine einen sterilen Testisteil, im Ovarıum aber Eier, die der Reife nahe sind. Dieser verschiedene Bau des Geschlechtsstranges bei Individuen verschiedener Länge lässt sich durch die Annahme erklären, dass sich die hermaphroditische Geschlechtsdrüse bei Myxine auf die- selbe Weise verhält wie bei vielen wirbellosen Tieren, nämlich derart, dass sich aus der hermaphroditischen Anlage zunächst das männliche Organ entwickelt und in Funktion tritt, dass dieses dann nach Verlauf einiger Zeit abblüht, während jetzt das Ovarıum sich entfaltet und in produktive Tätigkeit tritt. Diese Auffassung des Hermaphroditismus bei Myxine als ein protandrischer ist die jetzt allgemein herrschende. Sie ist von den beiden Zoologen gegründet, die die wichtigsten Beiträge zur Kenntnis des Generationsorganes von Myzxine geliefert haben, näm- lich von dem Schotten Cunningham und unserem Landsmanne Nansen. Cunningham, dessen Arbeit: „On the Structure and Develop- ment of the Reproductive Elements in Myxine glutinosa L.* im 27. Bande des Quarterly Journal of Mier. Sc., 1887 gedruckt ist, spricht sich hierüber wie folgt aus: In „nearly all speeimens with very immature eggs (less than 4 mm in length) the posterior portion about 2 inches in length, i. e. about one third the length of the genital fold had the same structure as the testis* (p. 71). Schreiner, Uber das Generationsorgan von Mywine glutinosa (L.). 97 In diesem Teile hat Cunningham alle Stadien der Spermio- genese und in einem Falle auch Spermien gefunden. Im Gegen- satz zu diesen hermaphroditischen, funktionierenden Männchen findet Cunningham, dass „In all specimens with well developed ovarian eggs, with one exception, no testicular portion was present in the sexual organ“. Darauf fährt er fort: „The only conclusion I can draw is that in the young state the females are nearly, but not quite always ‚hermaphrodite, and that the testicular portion normally disappears as the eggs become more mature* (p. 73). Zu demselben Ergebnis gelangt Nansen in seiner Arbeit: „A Protandrice Hermaphrodite (Myxine glutinosa L.) amongst the Verte- brates,“ gedruckt im „Bergens Museums Aarsberetning for 1887“. Beim Zusammenfassen seiner Ergebnisse stellt Nansen als ersten Satz auf: „Myxine glutinosa ıs a protandric hermaphrodite. Up to a body-length of about 32 or 33 centimetres, it is a male, after that time it produces ova* (p. 29). Wie bereits früher erwähnt, hat diese Ounningham-Nan- sensche Auffassung des Hermaphroditismus bei Myzine als ein hermaphroditismus effectivus successivus (Stephan) all- gemeine Zustimmung gefunden und findet sich jetzt in fast allen modernen Lehrbüchern. Nur Dean spricht in seiner Arbeit „On the Embryology of Bdellostoma stouti* (Festschrift zum 70. Ge- burtstag von C. von Kupffer, Jena 1899), gestützt auf Unter- suchungen dieses Myxinoids seine starken Zweifel an der Richtig- keit dieser Auffassung aus, was Myzxine angeht (p. 227-229). Wie Sie, meine Damen und Herren, leicht einsehen werden, muss eine eingehende Untersuchung dieser interessanten Frage von bedeutendem, allgemeinem Interesse sein; man darf gewiss im voraus davon ausgehen, dass eine solche Untersuchung imstande sein würde, wichtige Beiträge zur Kenntnis der Morphologie und Physiologie des Hermaphroditismus zu liefern. Ich werde heute abend die Ehre haben, einen Teil der Resul- tate, zu denen meine Frau, Dr. Alette Schreiner, und ich nach zweijähriger Arbeit mit der Untersuchung des Generationsorganes bei Myxine gelangt sind, der geehrten Versammlung vorzulegen. Unsere Arbeit über diese Frage begann vor ca. zwei Jahren in Professor Edv. Van Benedens Institut in Lüttich, wo wir speziell die Spermiogenese studierten; seit vorigem Sommer haben wir unsere Arbeit auf der biologischen Station in Dröbak fortgesetzt, wo der Zugang von frischem Myzxine-Material zu jeder Jahreszeit fast unbegrenzt ist. Wegen Reisen und längerer Kränklichkeit ist die Arbeit leider in bedeutendem Grade verzögert worden. Der Teil unserer Untersuchungen, den ich heute Abend be- sprechen werde, behandelt die Frage von der Natur des Herm- XXIV. - y8 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). aphroditismus; andere Fragen werde ich nur berühren, insofern sie für die Erörterung dieser Frage von Bedeutung sind. Ich werde mir zunächst die Bemerkung erlauben, dass wir bei unseren Untersuchungen zu folgendem, von der Cunningham- Nansenschen Auffassung abweichenden Resultat gelangt sind: Der Hermaphroditismus bei Myzine ist nicht effektiv, sondern rudımentär. Alle Myxinen lassen sich dem Baue ihres Geschlechtsorganes nach. in drei große Gruppen ordnen, die Männchen, die Weibchen und die Sterilen. Bei den Männchen findet man Testis gut entwickelt, einen größeren oder kleineren Teil der Länge des Geschlechtsstranges vom distalen Ende nach vorn einnehmend, während das Ovarıum entweder gar nicht ent- wickelt ıst, oder, mehr oder weniger in seiner Entwickelung ge- hemmt, Zeichen von Degeneration aufweist. Bei den Weibchen findet man umgekehrt das Ovarıum wohl entwickelt, während der Testisteil entweder — wie ın selteneren Fällen — vollkommen steril ist, oder — was am häufigsten der Fall — geringe Entwicke- lung zeigt, verbunden mit Degeneration oder anderen Abnormitäten. Die sterilen Exemplare zerfallen in zwei Hauptgruppen: 1. die vollkommen sterilen, bei denen man weder von Follikeln noch von Eiern Andeutung findet, und 2. diejenigen, bei denen Testisfollikel, respektive Eier zwar angelegt sind, aber in einem früheren oder späteren Stadium sämtlich in ıhrer Entwickelung gehemmt und von degenerativen Prozessen befallen sind. — Um Sie, meine Damen und Herren, in den Stand zu setzen, den Wert unserer Untersuchungsresultate zu beurteilen, erscheint es mir notwendig, Ihnen zunächst eine Darstellung unserer Arbeits- methoden und eine Übersicht unseres Materials zu geben. Bei einer solchen Arbeit ıst nämlich die Wahl einer richtigen Arbeits- methode von der allergrößten Bedeutung für die Erlangung eines korrekten Resultates. Wie es leider so oft zu gehen pflegt, war unsere Methode an- fänglich mangelhaft; erst je nachdem wir in unseren Stoff ein- drangen, entwickelte sich unsere Methode. Seit Februar dieses Jahres ıst unsere Behandlung des Materials folgende gewesen. Wenn man uns Myzxine bringt, die wir in gewöhnlichen, mit Sack- leinwand überzogenen Aalkörben fangen lassen, werden die Tiere mit einer chirurgischen Pinzette am Kopfe erfasst. Mit einer Schere wird darauf die Bauchhöhle durch einen Querschnitt unmittelbar distalwärts von den Kiemenmündungen geöffnet. Das stumpfe Blatt der Schere wird mit einer raschen Bewegung in kaudaler Richtung längs der Mittellinie des Bauches ganz bis zur Kloake geführt. Hierdurch wird die ganze Bauchhöhle geöffnet und man erhält einen Überblick über das Geschlechtsorgan in seiner ganzen Länge. Bietet dasselbe in irgend einer Weise spezielles Interesse Schreiner, Uber das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). 49 dar, so dass Schnittpräparate vom Organe wünschenswert erscheinen, wird das ganze Tier in eine Fixationsflüssigkeit wie z. B. Zenkers Flüssigkeit oder dergl. übergeführt. Wenn Schnittpräparate als unnötig angesehen werden, wird das Tier in eine 2°/,ige Formol- lösung gelegt, um darauf, sobald es tot ist, in 4°/,ige Formollösung übergeführt zu werden. Durch diese Behandlung wird, wie Versuche uns gezeigt haben, das Einschrumpfen der Tiere sehr gering. Auf diese Weise vergeht ca. !/, Minute von dem Augenblicke an, da das Tier im Seewasser umher schwimmt, bis es sich mit aufgeschnittenem Abdomen und visitiertem Geschlechtsstrang in der Fixierungsflüssigkeit befindet. Die bei weitem überwiegende Anzahl des eingesammelten Materials ist mit Formol behandelt worden. Auf Grund des umfangreichen Materials haben wir, besonders wenn die Tiere angefangen haben, an Beweglichkeit abzunehmen, eine ziemliche Anzahl ungeöffnet in Formol gelegt. Wenn nun das Material später untersucht werden soll, haben wir folgendes Verfahren benutzt. Die Beschreibung eines jeden Tieres wird auf einem besonderen Katalogzettel ange- führt. Auf demselben wird, wie Sıe aus diesen Proben ersehen werden, zunächst dıe Katalognummer des Tieres vermerkt, darauf Tag und Ort des Fanges; ferner die Länge des Tieres ın Zenti- metern, die Gesamtlänge des Geschlechtsstranges und das Resultat der makroskopischen Untersuchung des Stranges, ob der hintere Teil Testis ist oder steril, die Länge, Höhe und übrigen Charaktere dieses Teiles; darnach kommen Anzahl und Größe der Eier, ihre Gruppierung, Vorkommen von Üorpora lutea, degenerierten Eiern u. s. w. Demnächst kommen die Resultate der mikrosko- pischen Untersuchung, die dadurch ausgeführt wird, dass der Ge- schlechtsstrang unter Wasser vom Darm lospräpariert wird, in seiner ganzen Länge auf einem Objektglas ausgebreitet und unter Wasser bei auf- und durchfallendem Licht mit schwacher Ver- größerung (Zeiß Obj. A) untersucht wird. Bei den hier aufge- stellten Exemplaren haben wır den Geschlechtsstrang in einer Schale mit Wasser mit dem Darm zusammen schwimmend untersucht. Durch diese mikroskopische Untersuchung, die von der aller- größten Bedeutung ist, ist man imstande, das Verhältnis der Testis- follikel und der mikroskopischen Eier ins Reine zu bringen, so z. B. die Größe der Follikel und der Eier, ihre Gruppierung, ob sie Zeichen von Degeneration aufweisen und ähnliches. Ich werde am Schlusse meines Vortrages mir erlauben, meine Damen und Herren, den großen Nutzen zu demonstrieren, den diese äußerst einfache und bequeme Untersuchungsmethode darbietet. Hierzu haben wir in Betreff von Testis, besonders in der letzten Zeit, eine Untersuchung von Zupfpräparaten durch stärkere Vergrößerungen hinzugefügt, um das Entwickelungsstadium der Geschlechtszellen 7* 100 Schreiner, Uber das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). ins Reine zu bringen und dadurch zu erkennen, -ob der Testis reif ist oder nicht. Bei einiger Übung lässt sich dies jedoch bereits mit ziemlich großer Sicherheit bei schwacher Vergrößerung nach dem Aussehen der Follikel entscheiden, indem die reifen oder bei- nahe reifen Follikel ein klares, halb durchsichtiges Bild liefern, während die unreifen mehr dicht und kompakt aussehen. Diese Untersuchung des Geschlechtsstranges in toto in Wasser eignet sich nur für formolfixiertes Material. Die in Zenkers Flüssigkeit oder anderen Mischungen fixierten Geschlechtsstränge haben wir mit oder ohne vorhergehender Durchfärbung in Nelkenöl vor dem Schneiden untersucht. Wenn sämtliche, zu gleicher Zeit gefangene Exemplare auf diese Weise ihre Beschreibung erhalten haben, werden die einzelnen Katalogzettel nach der Länge der Tiere in dazu eingerichteten Schachtelräumen geordnet. Bei der späteren Bearbeitung des Ma- terials werden, der leichteren Übersicht wegen, kurze Beschrei- bungen der einzelnen Tiere und der aus der Beschreibung gezogene Schluss auf das Geschlecht des Tieres auf große Schemas überge- führt. Indem wir z. B. einen Blick auf unser Schema für Tiere von einer Länge von 32—-33 cm werfen, werden wir sofort sehen können: 1. wie viele Tiere von dieser Länge wir bisher untersucht haben, 2. wie dieselben sich nach den verschiedenen Fangtagen und den verschiedenen Fangorten gruppieren, 3. wie viele von ihnen wir als Männchen, Weibchen oder Sterile auffassen, 4. auf welche Kennzeichen beim Geschlechtsstrange des Tieres wir unsere Schlussfolgerung bauen. In der letzten Zeit haben wir der Be- quemlichkeit wegen angefangen, die Untersuchungsresultate direkt auf den Schemas zu notieren, indem wir jetzt, nachdem wir eine ein- gehendere Kenntnis des Stoffes erworben haben (die Anzahl der katalogisierten Tiere beträgt jetzt schon ca. 2500), eine Reihe weniger wesentlicher Details haben auslassen können. Wenn wir später diese Schemas als Anhang unserer ausführ- lichen Arbeit drucken lassen, werden wir dadurch den Leser in den Stand setzen, die Richtigkeit unserer Untersuchungen zu kon- trollieren, und spätere Untersucher werden vielleicht auf unserem Material weiter bauen können. — Was einen jeden, der das Geschlechtsorgan bei einer bedeu- tenden Anzahl Myxinen untersucht hat, überraschen muss, ist vor allem die außerordentliche Variation seines Verhaltens bei den einzelnen Exemplaren. Unter hundert gleich langen Myxinen wird man kaum zwei finden, bei denen die Geschlechtsdrüsen das gleiche Bild darbieten. Die Variationen können von verschiedenster Art sein und einen höchst wechselnden Ausdruck finden. Die erste Gruppe, die wir hier behandeln werden, ist: Schreiner, Uber das Generationsorgan von Mywxine glutinosa (L.). 101 1. Variationen der Länge des Geschlechtsstranges. => Wie bereits früher erwähnt, ist die Länge des Geschlechts" stranges ungefähr gleich der halben Länge des Tieres, beı kleineren Tieren meist etwas geringer als diese, bei längeren Tieren etwas größer. Die Variationen haben wir bei Myxinen von einer Körper- länge von 14—35 cm (Tiere von größerer oder geringerer Länge sind so selten, dass wir sie hier nicht mitgenommen haben) zwischen folgenden äußersten Grenzen liegend gefunden: Länge der Gesamtlänge anearder Gesamtlänge Tiere hr des Geschlechts- en des Geschlechts- Zentimetern Seen Zentimetern a) So e Zentimetern Zentimetern 14 66,2 26 12 13,2 16 7—T,7 21 12—14 alkr 7,5—8,6 28 12,5—15,5 18 8—8,8 29 13,2—15 19 8,5— 9,6 30 14,2—16,5 20 8,8—-10,5 31 a 21 ill 32 14,8—17 22 1,0 al 33 15,7—17,5 23 10,5—11,6 34 16,2--18,5 24 10,5—12,2 39 16,8—18,5 25 11,2—13 2. Variationen in der Verteilung von Testis- und Ovarialgewebe bei den einzelnen Individuen. Die Verteilung des Testis- und Ovarialgewebes über den Ge- schlechtsstrang ist meistens derart, dass ersteres das distale !/,—!/, des Stranges, letzteres die proximalen ?/,—/, desselben einnimmt. Die Grenze zwischen Testis und Ovarıum kann sich auf verschie- dene Weise kennzeichnen: Sie kann entweder scharf sein, so dass der Übergang von Testis zum Ovarium plötzlich geschieht. Oder, was bei weitem häufiger der Fall ist, der Übergang kann, wie Nansen nachgewiesen hat, allmählich erfolgen, indem zwischen dem reinen Testis und dem ungemischten Ovarıum eine kürzere oder längere Mischungszone vorkommen kann, wo wir entweder Testisgewebe am Rande und Eier innerhalb des letzteren finden, in selteneren Fällen auch ein umgekehrtes Verhältnis, oder wo wir abwechselnd von Eiern und Testis Läppchen finden. Häufig sehen wir auch distalwärts von der eigentlichen Mischungszone ein ein- zelnes Ei oder einige wenige kleine Eier im Testisgewebe einge- lagert oder umgekehrt proximalwärts von der Mischungszone ein kleines Testi släppchenoder sogar nur einen isolierten Testisfollikel zwischen den Eiern liegend. 102 Schreiner, Über das Generationsorgan von Mywine glutinosa (L.). Die Mischungszone kann von sehr wechselnder Ausdehnung sein. Am häufigsten besitzt sie eine Länge von !/, bis zu einigen Zentimetern. Dieselbe kann indessen auch jede beliebige Aus- dehnung haben, indem zerstreute größere oder kleinere Testis- läppchen zwischen den Eiern in der ganzen Länge des Ovarıums ganz bis zu seinem proximalen Ende vorkommen können. Nicht selten findet man in solchen Fällen ein kleines Testisläppchen im vordersten Ende des Stranges. Ebenso wie Eiergruppen und Testis- lappen den ganzen Geschlechtsstrang hindurch miteinander alter- nieren können, so finden wir auch Fälle, in denen der freie Rand des proximalwärts von dem eigentlichen Testis liegenden Teiles des Geschlechtsstranges ın seiner ganzen Ausdehnung von Testis- gewebe eingenommen wird, während sich innerhalb dieses Gewebes Eier befinden. Auch die Länge des ungemischten Testis kann sehr wechseln. So finden wir z. B, Exemplare, wo das hintere !/,—!/, zusammen- hängender Testis, ein größerer oder kleinerer Teil der proximal liegenden Partie Mischungszone ist, während bei anderen Tieren die distale Hälfte des Stranges reiner Testis, die proximale Hälfte ungemischtes Ovarıum oder in größerer oder geringerer Ausdehnung Mischungszone ist. Wir finden Exemplare, wo die hinteren ?/, des Stranges reiner Testis, das proximale !/, mehr oder weniger ge- mischt, so dass sich hier ım ganzen z. B. nur 200 kleine Eier finden, oder ca. 100 oder 20 oder nur ein einziges Ei. Schließlich finden wir Geschlechtsstränge, die gänzlich von Testisgewebe ein- genommen werden von ihrem proximalen bıs zu ihrem distalen Ende, ohne dass sich ein einziges Ei findet — wir finden nämlich mit anderen Worten, was zuerst nachgewiesen zu haben Nansens Ver- dienst ist —, alle Übergänge von den Hermaphroditen zu den reinen Männchen. Beispiele hiervon werden Sie ım den aufgestellten Präparaten finden. Die reinen Männchen, bei denen sich also bei mikroskopischer Untersuchung kein einziges Ei oder irgend welche Überreste von früher existierenden Eiern nachweisen lassen, sind ziemlich selten. Unter unserem Material haben wir bis jetzt nur in 19 Fällen solche Individuen angetroffen. Etwas häufiger, nämlich in einigen 30 Fällen, haben wir Exemplare vor- gefunden, deren Geschlechtsstrang beim ersten Anblick nur aus Testisgewebe zu bestehen schien, die aber, wie es sich bei genauerer makroskopischer oder mikroskopischer Untersuchung herausstellte, eine geringe Anzahl von Eiern oder Brocken zugrunde gegangener Eier enthielten. Ich werde mir erlauben, ein Verzeichnis über die reinen Männchen sowie über eine Anzahl „fast reiner Männchen“ umherzusenden. Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). 105 Verzeichnis der reinen Männchen. Katalognummer L'inge der Tiere Katalognummer Länge der Tiere 998 2Drr em Is! 26,75 cm 335 28 n 1437 al 4 S41 26,5 „ 1532 28,D.0 5 855 30 a 1704 29 = 354 29 “ 2053 29 5 335 29 > 2102 30 5 945 5) = 2261 Di n 968 >83, 2319 Do 1113 2u1.D. 0% 2361 29 n 1207 20.0, Verzeichnis der fast reinen Männchen. Gesamtzahl der in dem Katalog- Länge der Geschlechtsstrange nummer Tiere vorkommenden Eier und Reste von Eiern 542 25 cm 1 578 25,9 1 138 25 A il 825 29»25,, 12 S60 28 > 5 872 28,25 „ 20 935 29 ir 12 1112 25,25 „ 20 1121 30 R 23 2» 29 h 10 17195 29 n 54 1264 26,5) , 9 137 25,25, 14 7587 0 & 15 1522 25 rn 2 17599 >1 5; 2 1620 32,190, 5 1625 209,25, 5 1680 31,5: „ 2 und einzelne Brocken 1696 a1 ; 5 1697 28 = 6 rel) 2 3 und einzelne Brocken 1785 2a. 1 1905 30 16 2085 39 e 14 2287 ZINTDE, 6 2295 ol 5 12 2321 28 ; 10 2366 20 DNS 5) 2383 30.10: einzelne Brocken 2418 27 5 9 104 Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. Im Gegensatz zu diesen selteneren Fällen haben wir ein Vor- kommen von größeren oder kleineren Testisläppchen zwischen den Eiern im „Ovarialteile“ des Geschlechtsstranges, proximalwärts von der Mitte desselben, bei einer überraschend großen Anzahl von Fällen konstatiert, nämlich bei 18°/, sämtlicher in diesem Jahre untersuchten Exemplare von einer Länge von 22 cm und darüber. Ebenso wie der Testisteil mehr als !/,—!/, der ganzen Länge des Geschlechtsstranges einnehmen kann, ebenso kann auch seine Ausdehnung geringer sein, so dass das Ovarıum mehr als ?/,—?|, der Totallänge des Stranges einnimmt. Einen völligen Gegensatz zu den reinen Männchen, also ein Ovarıum, das sich vom proxi- malen Ende des Geschlechtsstranges bis zu dessen distalem Ende erstreckt, haben wir niemals gefunden. Dagegen haben wir Ovarien gefunden, die sich ın distaler Rich- tung so weit wie bis zu einem Punkte 0,7 cm von dem kaudalen Ende des Stranges erstreckten, und nicht selten Fälle, wo das Ovarium sich distalwärts bis zu 1 cm vor dem distalen Ende des Stranges ausdehnte. N Wir finden also alle Übergänge unter Exemplaren, bei denen der Testisteil nur die distalen 0,7 cm einnimmt und solchen, bei denen der Testis die ganze Länge des Ge- schlechtsstranges einnimmt, und wir finden andererseits alle Übergänge unter den Exemplaren, deren Ovarium von einem einzigsten kleinen Ei repräsentiert wird und solchen, bei denen der ganze Geschlechtsstrang bis auf die hintersten 0,7 cm von Eiern eingenommen wird. (Fortsetzung folgt.) Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. Vorläufige Mitteilung. Von J. P. Stschelkanovzew, Assistent am Zoolog. Museum zu Moskau. Bei viviparen Blattläusen wurde, soweit mir bekannt, die Rich- tungskörperbildung erst einmal beobachtet. Namentlich Bloch- mann!) hat 1887 gezeigt, dass bei den viviparen Aphiden nur ein ein- ziger Richtungskörper ausgestoßen wird. Seine Untersuchungen hat dieser Forscher ausschließlich mittelst Schnittserien durch er- wachsene Larven und eben ausgeschlüpfte junge Tiere angestellt, bei welchen sich die Eier in den Geschlechtsröhren schon in zwei verschiedenen Entwickelungsstadien befinden. Im Laufe des Sommersemesters 1903 habe ich während meines Aufenthaltes in München gleichfalls Untersuchungen über die Ei- 1) Blochmann, Über die Richtungskörper bei Insekteneiern. Morph. Jahrb. Bd. XII, 1887. Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. 105 reifung bei den oben genannten Insekten angestellt. An dieser Stelle möchte ich Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, der mir dieses Thema vorgeschlagen und mir die Arbeit beständig durch seine Ratschläge wesentlich erleichtert hat, meinen tiefgefühlten Dank aussprechen. Meine Beobachtungen über die verschiedenen Stadien der Ei- reifung habe ich bis jetzt nur an Totalpräparaten von Eiröhren der erwachsenen Aphis rosae angestellt. Das Material wurde meist in Pikrinessigsäure konserviert, dann mit Hämatoxylin, Borax- karmin oder Alaunkarmin gefärbt und in Nelkenöl aufbewahrt und untersucht. Was die Zahl der Richtungskörper betrifft, so kann ich in dieser Hinsicht nur die frühere Angabe Blochmanns be- stätigen. Bei parthenogenetisch sich entwickelnden Sommereiern von Aphis rosae wird normalerweise nur ein Richtungskörper ge- bildet. Aber bei dessen Bildung kann man an der Richtungsspindel sowie am schon ausgestoßenen Polkörperchen einige Eigentümlich- keiten feststellen, die ich mitsamt meinen Beobachtungen über Veränderungen im Bau des Keimbläschens und des Eiplasmas un- mittelbar vor der Reifeteilung hier kurz darstellen möchte. Ich beginne mit der Beschreibung des Eies (Oocyte I); nämlich gleich nachdem das Ei sich von der Endkammer abgegrenzt und sich die ganz selbständige Follikelkammer um dasselbe gebildet hat. Diese Follikelkammer ist also der Zahl nach die erste nach der Endkammer. In dieser Kammer vollzieht sich der ganze Pro- zess der Eireifung und Furchung. Um diese Zeit, d. h. wenn sich das Ei von Aphis rosae mit dem Follikel umgeben und von der Endkammer abgegrenzt hat, erkennt man es (Fig. 1)!) an seiner längsovalen Form. Sein Plasma ist gleichmäßig grob granuliert und lässt sich durch Chromatin- farben intensiv tingieren. Das Keimbläschen hat eine ganz regel- mäßig rundliche Form, pflegt in der Mitte des Eies zu liegen und besitzt eine deutlich ausgeprägte Membran. Im Innern des Keim- bläschens findet man ein sehr zartes, schwach färbbares Kerngerüst, an dessen Knotenpunkten immer mehrere kleine Chromatinhäufchen gut wahrnehmbar sind. Außerdem liegt ungefähr in der Mitte des Kerngerüstes ein stark färbbares Häufchen, das sich aus mehreren größeren Körnchen zusammensetzt. Auf diesem Stadium sieht man keinen echten Nukleolus (Plastinnukleolus) mehr; wenigstens ist seine chemische Natur so verändert, dass er sich mit den ge- nannten Färbemethoden nicht mehr feststellen lässt. Jedoch konnte ich auf einem etwas früheren Stadium, das eine der letzten Telo- phasen der Oocyte I. Ordnung darstellt, stets ganz deutlich einen 1) Alle Zeichnungen sind nach meinen Präparaten von meinem Freunde Dr. Drzewecki bei Vergrößerung Zeis. Ob. !/;, + Kompos. S ausgeführt, dem ich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank aussprechen möchte. 106 Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. echten Nukleolus wahrnehmen. Dieser stellt auch hier, wie ge- wöhnlich, ein rundes Kügelchen dar und übertrifft an Größe die größten ım Keimbläschen auf dem nächsten Stadium befindlichen Körnchen. Außerdem sind nur seine Konturen stark färbbar, das Innere dagegen bleibt farblos. Kehren wir zu unserem Stadium zurück, so sehen wir ım Innern des Kernes (Fig. 1) außer den besprochenen noch andere, jetzt noch nicht zahlreiche, Nukleoli und Chromatinkörnchen von verschiedener Größe, die an der Peri- pherie unter der Kernmembran zu liegen pflegen. Von diesen Nukleolen stehen wenigstens einige sicher ın keinem Zusammen- hang mit dem Kerngerüst. Die kleinsten unter den COhromatin- körnern liegen auf diesem Stadium immer sehr nahe an der Kern- membran, und einige von ihnen schemen sogar mit ihr in etwas engerem Zusammenhang zu stehen. Daher erscheint die innere Kontur der Membran weniger glatt. Auf dem nächsten Stadium (Fig. 2)'), das sich sehr nahe an das eben Besprochene anschließt, bemerken wir schon sehr wesentliche Umgestaltungen sowohl im Plasma des Eies als auch im Bau des Keimbläschens selbst. Ob- wohl das Protoplasma im ganzen seine granuläre Struktur beibe- hält und sich noch immer stark tingieren lässt, finden sich doch in ihm in der Nähe des Keimbläschens hellere Räume, wie Va- küuolen, wo sich das Plasma gar nicht färben lässt und eine feine Netzwerkstruktur zeigt. Diese helleren Räume treten, wie gesagt, zunächst dicht neben dem Kern auf, was mir von besonderem In- teresse zu sein scheint; denn, wie wir nachher sehen werden, ist 1) Die etwas geringere Größe dieses Eies als der früheren Stadien kommt daher, dass das Ei aus dem Ovar einer nicht ganz erwachsenen Blattlaus ent- nommen ist. Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. 107 der Kern auf späteren Stadien der Eireifung und bei der Furchung immer von einer dichten Plasmaschicht umgeben. Noch wesentlichere Veränderungen sind ım Innern des Keim- bläschens wahrzunehmen. Wir finden jetzt keine Spur mehr von einem chromatischen Netz; der ganze Zentralraum des Keimbläs- chens ist von ganz unfärbbarer Substanz erfüllt, die keine faserige Struktur zeigt. An der Peripherie des Kernes, gleich unter der Membran, sieht man jetzt schon zahlreiche Nukleolit). Wie auf dem vorigen Stadium sieht man auch hier die größeren Nukleoli mehr nach dem Zentrum des Kernes, die kleineren als kaum wahr- nehmbare Körnchen in nächster Nähe der Kernmembran liegen. Auf diesem Stadium erinnert also das Keimbläschen von Aphis rosae an das von Carnoy und Lebrun?) für die Eireifung von Amphibien beschriebene Bild. Jedoch konnte ich an meinen Prä- paraten weder etwas von der Wanderung der Nukleoli an die Peripherie noch irgend welchen genetischen Zusammenhang wenigstens der meisten peripherischen Nukleoli mit den Chromatin- ansammlungen in den Knoten des Kerngerüstes wahrnehmen. Aus meinen Präparaten (Fig. 1 u.2) konnte ich eher den Schluss ziehen, dass die Mehrzahl dieser peripherischen Nukleolen selbständig an der Kernmembran entsteht, und zwar als winzige Körnchen, die sich später dem Zentrum nähern und sich unterwegs allmählich vergrößern. Auf diesem Stadium ist augenscheinlich das Chro- matinnetz des Kernes aufgelöst oder überhaupt verschwunden. Das neue Chromatın kristallisiert sich, sozusagen, an der Peripherie des Keimbläschens ın Form kleinster Körnchen aus, die später an- wachsen; ähnlich wie dies R. Hertwig?°) für die Bildung der Chro- mosomen in der reifenden Cyste von Aectinosphaerium beschrieben hat. (Selbstverständlich will ich dieses Beispiel nicht als ein Homo- logon für meine Befunde aufstellen, sondern ich will nur betonen, dass man die an der Peripherie entstehenden Chromatinkörnchen als Material für die Bildung neuer Chromosomen anzusehen hat.) Wenn wir uns dabei an die vorhin besprochenen helleren Räume ım Plasma, die den Kern umgeben, was wohl mit der Ent- stehung neuer Nukleolen ım Keimbläschen im Zusammenhang stehen muss, erinnern, so dürfte die Vermutung nicht zu gewagt 1) Ich halte es nicht für überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, dass ich, wie andere Autoren, die auf diesem Gebiet gearbeitet haben, den Ausdruck „Nukleoli“ für die peripher gelegenen größeren Chromatinkörner anwende, ohne damit etwas über ihre chemische Beschaffenheit aussagen zu wollen. 2) Carnoy et Lebrun. La vesicule germinative et les globules polaires chez les Batraciens. I. et II. M&moire. La Cellule, T. XII u. XIV, 1897, 1898. 3) Richard Hertwig. Über Kernteilung, Richtungskörperbildung und Be- fruchtung von Actinosphaerium Eichhorni. Abhandl. der k. bayr. Akad. d. Wiss., EIaR]., XIX. 'Bd., III. /Abt., 1898. 108 Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. erscheinen, dass das Keimbläschen dieses neue Material für die Chromosomenbildung aus dem Plasma bezieht. Man könnte ja auch ım Gegensatz hierzu vermuten, diese helleren Räume seien durch Ausstoßung von Kernsaft in das Protoplasma entstanden; dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass das Keimbläschen auf dem in Rede stehenden Stadium größer als auf den früheren Stadien ist. Während der weiteren Entwickelung nähern sich die Nukleoliı mehr und mehr dem Zentrum des Kernes, fließen zu Chromatinfäden zusammen, und diese letzteren bilden wahrschein- lich einen einzigen Faden. Fig. 3 stellt fast das Endresultat dieses Prozesses dar. Ein so verwickelter Umbildungsprozess der Nu- kleolen in Fäden und deren Zerfall und Auflösung, wie dies Carnoy Fig. 3. Fig. 4. und Lebrun für Amphibieneier beschreiben und Fick!) und Lubosch?) bestätigen, findet bei Aphiden wahrscheinlich gar nicht statt. Ich kann dies nur durch das außerordentlich schnelle Tempo erklären, in dem sich die Sommereier dieser Insekten ent- wickeln. Wenden wir uns nun zu der Endphase der Entstehung der Chromatinfäden aus den Nukleolen (Fig. 3), so sehen wir jetzt alle Nukleolen im Zentrum des Kernes in ziemlich regelmäßiger Reihe angeordnet. In Wahrheit sind im Kern mehr Nukleoli vorhanden, 1) Rudolf Fick. Mitteilungen über die Eireifung bei Amphibien. Verhandl. d. Anat. Gesellsch. 1899. 2) W. Lubos:ch. Über die Nukleolarsubstanz des reifenden Tritoneies nebst Betrachtungen über das Wesen der Eireifung. Jen. Zeitschrift, N. F., Bd. XXX, 1902. Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. 109 als die Abbildung zeigt, da auf der Zeichnung eben nur die ın einer Ebene befindlichen Kernkörperchen dargestellt sind. Die Nukleoli sind ungleich groß, man findet größere und kleinere im selben Kern. Interessant ist auch auf diesem Stadium das Fehlen eines Chromatinnetzes. Dasselbe ist durch eine schwach färbbare Sub- stanz ersetzt, mit welcher die chromatinreichen Nukleoli in engem Zusammenhang stehen. In diesem Punkte erinnern meine Befunde sehr an die von Goldschmidt!) beschriebenen verschiedenen Phasen der Eireifung und der Bildung des männlichen und weib- lichen Vorkerns (Pronukleus) bei Polystomum. Auf dem in Rede stehenden Stadium hat das Ei stark an Vo- lumen zugenommen; sein Plasma lässt sich schwächer und unregel- mäßiger färben als bisher und hat durch das Auftreten von Vakuolen ein wabiges Aussehen gewonnen. Im gleich darauf folgenden Stadium beginnt der Chromatinfaden in einzelne Chromo- somen zu zerfallen (Fig. 4). Das Keimbläschen hat seine Membran noch beibehalten. Im Innern ist das Liningerüst kaum wahrnehmbar. Der Zerfall des Chromatinfadens in einzelne Chromosomen hat, wie gesagt, schon begonnen, doch ist ein beträchtlicher Teil des früher einheitlichen Fadens noch in Gestalt von zwei großen Abschnitten zurückgeblieben. An diesen letzteren kann man noch ganz gut die Abstammung des Fadens aus einzelnen Chromatinkörnchen wahrnehmen. Von ırgend welcher Längsspaltung der Chromosomen ist hier nichts zu be- merken; und ich vermute sogar mit ziemlicher Sicherheit, dass diese frühzeitige Spaltung bei den Aphideneiern auch gar nicht stattfindet. Fig. 5 und 5! stellen uns das darauf folgende Eireifungsstadium dar, und zwar die Richtungsspindel in der Phase der Äquatorial- plattenbildung. Das Plasma hat hier schon das Aussehen wie in ganz reifen Eiern gewonnen: Seine Hauptmasse liegt der Peripherie des Keimbläschens und der des Eies an; in dem Raum dazwischen sind nur wenige Plasmaflecken zu bemerken. Der Kern liegt dicht an der Peripherie des Eies fast ın der Mitte einer der Seitenwände, wie dies schon Blochmann dargestellt hat. Es findet also bei Aphideneiern während der Richtungskörperbildung sicher eine Wanderung des Kernes vom Zentrum zur Peripherie hin statt. Ein Stadium dieser Wanderung hat uns Fig. 3 gezeigt. Auf unserem jetzigen Stadium ist die Kernmembran ganz ver- schwunden und die achromatische Spindel gut wahrnehmbar. Trotz 1) R. Goldschmidt. Untersuchungen über die Eireifung, Befruchtung und Zellteilung bei Polystomum integerrimum. Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie, Bd. 71, 1902. 110 Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. des Fehlens der Membran ist der Kern noch gut gegen das Plasma abgegrenzt, und eine Vermischung des Kerninhaltes mit dem um- gebenden Protoplasma findet offenbar nicht statt. Die Spindel zeigt eine tonnenförmige Gestalt (Fig. 51); ihre beiden Pole sind breit und abgeplattet; neben ihnen sind weder Zentrosomen noch strahlige Anordnung des Protoplasmas zu erkennen. Die Längsachse der Spindel steht nicht direkt radial zur Peripherie des Eies, sondern sehr schräg, fast tangential. Was die weitere Umbildung der Chromosomen angeht, so tritt bei Betrachtung der Äquatorialplatte von oben (Fig. 5) zunächst sehr scharf die enorme Differenz ihrer Größe hervor. Einige Chromosomen bleiben ganz klein, während sich andere neben ihnen geradezu riesig ausnehmen. Durch ganz besondere Größe fällt ein, der Peripherie des Eies zugekehrtes Fig: 1 Dr RX AG es ® PD Se EZ N Chromosom auf. Die Zahl der Chromosomen beträgt auf diesem Präparate 14. Man könnte zunächst wohl annehmen, die kleineren seien nichts anderes als Spaltungsprodukte von grossen Chromosomen, während die anderen sich noch nicht gespalten hätten; dass aber dies sicher- lich nicht der Fall ıst, erkennt man sofort bei seitlicher Betrach- tung derselben Äquatorialplatte (Fig. 51). Bei dieser Lage des Eies sieht man, dass die kleineren, wie die größeren Chromosomen eine Tendenz zur Spaltung zeigen, durch die wahrscheinlich Vierer- gruppen gebildet werden. Leider konnte ich auf meinen Präparaten das Auseinander- rücken der Ohromosomen nicht zur Darstellung bringen. Alle meine Präparate zeigen schon etwas spätere Stadien, auf denen die Seitenplatten schon ziemlich weit auseinanderliegen. Bei der Be- sprechung eines dieser Stadien (Fig. 6) möchte ich noch die Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. 111 Differenz im Bau beider Seitenplatten hervorheben. Diejenige Platte, die später zur Bildung des Eikerns dienen wird, also die innere, ist immer kompakt und dick und etwas nach außen gebogen; die andere aber, aus der der Richtungskörper hervorgeht, stellt einen geraden dünnen Streifen dar und ist immer in ein kleineres und ein viel größeres Stück geteilt. An dieser Teilung ist schon jetzt die spätere Chromatinverteilung im Richtungskörper zu er- kennen. Wie Fig. 7 zeigt, pflegt das letztere immer in einer ziemlich beträchtlichen Vertiefung der Seitenwand des Eies zu liegen und ist mit einer deutlichen Membran versehen. In seinem Innern ist das Chromatin in der ersten Zeit seiner Existenz huf- Fig. 6 Rio 77 8.0. I — E vw Lo \ °m Er ne x \ mn Me "Yy N a N , { # er j % x No 3 : e) 76 2 ZINN h ES %r BL. a < gl ) I \s ß EN ) ex f 4, RR A, 4 ee =} RB eisenartig angeordnet und deutlich in zwei ungleiche Stücke geteilt. Fig. 7 lässt die hufeisenförmige Anordnung des Chromatins nicht erkennen, da das Ei in einer seitlichen Lage gesehen ist; dagegen kann man ganz deutlich am einen Ende ein scharf be- grenztes großes Chromatinkorn erkennen, das mit der übrigen Chromatinmasse nur durch einen ganz dünnen Streifen verbunden ist. Bei Betrachtung des Richtungskörpers von oben erweist sich die Hauptchromatinmasse als auch aus zwei Teilen bestehend, die ihrerseits aus feinen Ohromatinkörnchen zusammengesetzt sind, in ihrer Gesamtheit aber mehr Masse repräsentieren, als 1 Stschelkanovzew, Über die Eireifung bei viviparen Aphiden. das mit ihnen durch den erwähnten Streifen verbundene runde Korn. Auf diesem Präparat sieht man den Kern schon im Vor- bereitungsstadium zur ersten Teilung; sein Chromatinfaden ist schon in acht einfache und drei — wie es mir scheint — doppelte Chromosomen zerfallen. Viel häufiger habe ich ein anderes Stadium beobachtet, auf dem der Kern nach vollendeter Bildung und Ab- stoßung des Richtungskörpers noch ruht und an der Peripherie des Eies ganz nahe bei dem Richtungskörper liegt. Es lässt sich also mit Sicherheit schließen, dass die Sommer- eier von Aphis rosae nur einen Richtungskörper bilden. Um nun also meine Angaben über die Reifungserscheinungen an den Sommereiern von Aphis rosae kurz zusammenzufassen: 1. Die Veränderungen, die während der Eireifung an der chromatischen Substanz vor sich gehen, vollziehen sich ın sehr schnellem Tempo und in etwas vereinfachter Weise, wie es ja wohl bei der enormen Vermehrung der Blattläuse nötig sein wird. 2. Trotz dieses schnellen Vorsichgehens der Eireifung ist das sogenannte „Stadium des Keimbläschens“ doch gut zu erkennen. 3. Während dieses Stadiums löst sich der alte Chromatinfaden teilweise auf; teilweise zerfällt er wahrscheinlich in mehrere Nukleolen; jedoch entsteht der größte Teil derselben sicherlich durch Neubildung. Eine mehrfache Umbildung der Nukleolen in einen Faden und dessen Auflösung kommt hier nicht vor. 4. Im Eisplasma finden während der Bildung der Nukleolen Veränderungen statt, die auf den Übergang einer chromatinartigen Substanz aus dem Plasma in den Kern schliessen lassen. Nach den Anschauungen R. Hertwigs!) müsste dieser neu aufge- nommene Stoff sich durch Vermittlung der Nukleolarsubstanz zu organisiertem Chromatin umbilden. 5. Der neue Chromatinfaden, aus dem die Chromosomen des Richtungskörpers stammen, wird unmittelbar aus den peripheren Nukleolen gebildet und lässt keine Spur von einer Längsspaltung erkennen. 6. Die Chromosomen des Eies von Aphis rosae weisen erheb- liche Größendifferenzen auf. München, August 1903. l) R. Hertwig. Die Protozoen und die Zelltheorie. Archiv f. Protisten- kunde, Bd. I, 1902. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem !Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIY.DBad. 15. Februar 1904, N 4, Inhalt: Bühler, Alter und Tod (Schluss). — Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.) (Fortsetzung). — Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. — Schulz, Über das Vorkommen von Gallenfarbstoften im Gehäuse von Mollusken. Alter und Tod. Eine Theorie der Befruchtung. Von Dr. A. Bühler, Privatdozent und Assistent am anatomischen Institut zu Zürich. (Schluss.) Suchen wir eine Entscheidung, welche Bestandteile der Keim- zellen vereinigt werden müssen, damit im oben auseinandergesetzten Sinne eine Förderung der vitalen Prozesse erzielt werde, resp. welche Zellteile als leitende Faktoren bei den der Befruchtung zu Grunde liegenden chemischen Prozessen in Betracht kommen, so lässt auch hier die Chemie im Stich. Indessen ist in morpho- logischer Hinsicht festgestellt, dass die Vereinigung der Chromo- somen der beiderseitigen Geschlechtszellen das Wesen des Vor- ganges ausmacht; also werden wir kaum fehlgehen, wenn wir in diesen auch die Träger der notwendigen chemischen Stoffe ver- muten. Das stimmt mit dem Umstand, dass der Kern allem An- schein nach überhaupt im Chemismus der Zelle eine wichtige Rolle spielt. Doch ist ein Zusammentreten beider Geschlechtskerne zur Einleitung der Embryonalentwickelung nicht prinzipiell nötig. Das zeigen die von O. u. R. Hertwig (22) zuerst beobachteten und von Boveri (8) weiter verfolgten Entwickelungsvorgänge an be- fruchteten kernlosen Eifragmenten und die Hertwig’schen (22) Versuche mit Seeigeleiern, an welchen durch Chloral die Kopu- XIV. 3 114 Bühler, Alter und Tod. lation der Geschlechtskerne verhindert wurde. Es darf daher wohl angenommen werden, dass die chemische Differenzierung, welche die Keimzellen zur Befruchtung befähigt, nicht immer ausschließ- lich auf den Kern beschränkt bleibt, sondern auch das Protoplasma in gewissem Sinne beeinflusst. Sicher stehen ja Kern und Zell- körper auch chemisch untereinander in Wechselbeziehungen, ja van Bambeke (1) konnte sogar einen Übergang von Chromatin aus dem Kern in den Eileib beobachten. Von diesem Gesichts- punkte aus bietet die Entwickelung kernloser Eifragmente nichts rätselhaftes. Wenn ich mich trotzdem O. Hertwig anschließe, und in der Vereinigung der Kernsubstanzen das Wesentliche der Befruchtung erblicke, so geschieht es gestützt auf die beobachteten Tatsachen. Nach R. Hertwig (25, 27) haben wir bekanntlich ım Befruch- tungsvorgang zwei Momente zu unterscheiden, die zwar oft zu- sammenfallen, die aber nach ihrem Wesen auseinandergehalten werden müssen. Es sind das die Anregung zur Entwickelung und die Vereinigung zweier Geschlechtskerne. Die erstgenannte Er- scheinung führt Boveri darauf zurück, dass dem an sich teilungs- unfähigen Ei durch Eindringen des Spermacentrosom die Tei- lungsfähigkeit neu gegeben wird. Wenn darin der eigentliche Entwickelungsreiz läge, so dürften wohl dabei chemische Prozesse kaum mit im Spiele sein. Denn das Centrosom hat im Zellenleben eine sozusagen rein mechanische Bedeutung, und einen merkbaren chemischen Einfluss auf die Eizelle kann es bei seiner gewöhn- lichen Kleinheit kaum ausüben. Auch ist noch keineswegs nach- gewiesen, dass in allen Fällen das Furchungscentrosom vom Sperma stammt; in Eiern mit parthenogenetischer Entwickelung kann selbst- verständlich ein Mikrocentrum nur vom Ei herrühren, wie es ja auch bei der künstlichen Parthenogenese von Seeigeleiern durch E. B. Wilson (52) festgestellt wurde. Indessen auch wenn das Furchungscentrosom tatsächlich vom Samenfaden stammt, kann es doch keineswegs der Träger der von Boveri (7,9) als Zweck der Befruchtung postulierten Qualitäten- mischung sein, weil es nur von einer Zelle herrührt. Dafür wird es auch von Boveri selbst nicht angesehen, da er sein Verschwin- den im Ei für etwas Sekundäres hält, wodurch verhindert werden soll, dass sich die Eizelle selbständig entwickeln kann. Dieser Umstand soll sie zur Kopulation zwingen, so dass der Zweck der Befruchtung, d. 1. eben die Qualitätenvereinigung erzielt wird. Diese letztere ist auch nach Boveri der eigentliche Zweck der Befruchtung. Da alle Beobachtungen darin übereinstimmen, dass es sich bei echter Befruchtung stets um eine Vereinigung der Kerne handelt, während andere Phänomene als inkonstant und unwesentlich dagegen zurücktreten, so kann die Qualitätenmischung Bühler, Alter und Tod, 115 nur im Zusammentreten der Kernsubstanzen gesucht werden. Darin liegt also der Verbindungspunkt zwischen den Anschauungen von Boveri und Hertwig. Was dabei durch diese Kernverschmel- zung erreicht wird, habe ich schon auseinandergesetzt; danach lässt sich die Qualitätenmischung im wesentlichen auffassen als eine Vereinigung chemischer Qualitäten zum Zwecke gegenseitiger För- derung des Stoffumsatzes. In den meisten Fällen gibt die Möglichkeit eines intensivern Stoffwechsels zugleich auch die Veranlassung zu sofortiger Betä- tigung eines regeren Energieumsatzes, d.h. der Befruchtung schließt sich unmittelbar die Entwickelung an. Bei einzelligen Lebewesen aber liegt kein Grund vor, warum sich die durch Konjugation ge- wonnene Steigerung der vitalen Energie ausschließlich auf die Zell- vermehrung beschränken sollte. Sie kann das tun, kann aber auch in anderer Art dem Organismus nützlich werden, wie dies in Bildung besonders resistenter Dauersporen und auf andere Weise geschieht. Der Grund zu dieser Verschiedenheit ist meiner Ansicht nach ein sekundärer, von der Befruchtung nicht direkt abhängiger: Bei den Metazoen verlangt es der Kampf ums Dasein, dass das Indi- viduum so rasch wie möglich auf eine Entwickelungsstufe gebracht werde, die ihm günstige Existenzbedingungen bietet, bei den ein- zelligen Lebewesen ist dieser Zustand unmittelbar nach der Kon- jugation erreicht. Das schließt natürlich nicht aus, dass in den Geschlechtszellen der mehrzelligen Organismen Einrichtungen ge- troffen sind, die eine sofortige Einleitung der Entwickelung direkt veranlassen. Der Loeb’sche Versuch, in welchem durch Erhöhung des extrazellulären osmotischen Druckes und die daraus resultierende Tendenz zur Wasserentziehung unbesamte Eier zur Furchung an- geregt wurden, legt mir den Gedanken nahe, dass der Flüssigkeits- entzug, welchen der anschwellende Spermakern auf das Eiproto- plasma geltend macht, in diesem Teilungsvorgänge auslösen hilft. Ich gestehe indessen gern zu, dass für diese Vermutung z. Z. alle Beweise fehlen. Es würde sich aber auf diesem Wege ein Kom- promiss ergeben zwischen der Ansicht von Loeb, dass Wasser- entzug entwickelungsfördernd wirkt, und der Beobachtung von Schücking, dass die Entwickelung mit einer Wasseraufnahme beginnt. Ich kann beiden Autoren Recht geben. Denn auch ich bin der Meinung, dass die Flüssigkeitsaufnahme in den ersten Stadien des Wachstums die Hauptrolle spielt. Das Verhältnis des Wassers zur Trockensubstanz ist z. B. bei der Amphibienlarve weit größer als in der Eizelle desselben Tieres; dass beim Aus- keimen pflanzlicher Samen das Gleiche eintritt, ist eine allgemein bekannte Tatsache. Es geht also mein Schluss dahin, dass unter Umständen eine Wasserentziehung die chemischen Umsetzungen, g# 116 Bühler, Alter und Tod. welche der Embryonalentwickelung zu Grunde liegen, auslöst und dass in zweiter Linie gerade diese Umsetzungen die Furchungszelle zu vermehrter Wasseraufnahme und damit zum Wachstum und zur Teilung befähigen. x * x Der heutige Stand der Vererbungslehre, wie sie durch O. Hert- wig (21), Weismann (47,49) und von Kölliker (30) inauguriert wurde, berechtigt uns zu der Annahme, dass die Chromosomen der Geschlechtskerne die Träger der übertragbaren elterlichen Eigenschaften sind. Wende ich darauf meine Theorie an, so er- gibt sich, dass die im väterlichen und im mütterlichen Organismus differenzierten Molekülkomplexe, deren Zusammentreten durch die Vereinigung der Geschlechtskerne bewirkt wird, sich gegenseitig derart beeinflussen, dass den die Entwickelung einleitenden che- mischen Reaktionen, d. h. der Aufnahme und Abgabe von Stoffen, eine ganz bestimmte Richtung gegeben wird, die sowohl von der männlichen wie von der weiblichen Keimsubstanz abhängig ist. Da der Stoffwechsel für die Angliederung von Baustoffen von größter Bedeutung ist, muss auch das Wachstum abhängig sein von der Beschaffenheit des Keimmaterials. Die vorhergegangenen chemischen Umsetzungen schaffen jedesmal wieder die Grundlage für die nachfolgenden, und daraus erklärt es sich, warum die Kon- stitution der Keimzellen in der ganzen Entwickelung eines Indi- viduums wirksam bleibt. Für den Ablauf chemischer Prozesse und der daraus resul- tierenden physikalischen Erscheinungen sind die Massenverhältnisse der aufeinanderwirkenden Körper zwar wichtig, sie treten aber zurück gegenüber der Qualität der Substanzen. Wenn daher auch zur gleichmäßigen Uebertragung väterlicher und mütterlicher Eigen- schaften eine annähernde Gleichheit der Masse der beiderseitigen Vererbungsträger, also der Kerne, notwendig ist, so ist anderseits doch verständlich, wie verschiedene Kinder ein und desselben Elternpaares die Eigenschaften von Vater und Mutter in ganz ver- schiedenem Maße ererbt haben können. Die Bildung einer Keimzelle ist einesteils abhängig von der Beschaffenheit des Keimmaterials, aus welchem der sie produ- zierende Organismus entstanden ist. Es sind also die Vorfahren des letzteren im stande, durch sie auch den Entwickelungsgang des aus der Keimzelle entstehenden Individuums zu beeinflussen. Anderseits gewinnen bei der Ausbildung der Geschlechtszelle die- jenigen Faktoren Einfluss, welche ım Körper, dem sie angehört, wirksam werden. Speziell unterstehen sie dem Stoffwechsel im Elterorganismus, und da jeder einzelne Zellenkomplex des Körpers am Stoffwechsel beteiligt ist, ergibt sich daraus die Möglichkeit, dass die Beschaffenheit des die Keimzellen hervorbringenden Indi- Bühler, Alter und Tod. 1417 viduums Bedeutung erlangen kann und muss auf die chemische Differenzierung des Keimplasma. Dass und wie davon die Ent- wickelung des Kindes abhängig ist, habe ich oben auseinander- gesetzt. Es ist dieser Zusammenhang schon s. Z. durch Stras- burger treffend definiert worden, indem er sagt: „so gelangen wir auch hier wieder ın Uebereinstimmung mit der von Sachs aus- gesprochenen Ansicht: die ersten Organe der Keimpflanze entstehen aus Stoffen oder chemischen Verbindungen, welche die Mutter- pflanze erzeugt und ihnen mitgegeben hat; die späteren, nach der Keimung auftretenden Organe, Sprossteile, Wurzeln u. s. w. aber bilden sich aus den Substanzen, welche die Keimorgane von außen aufgenommen und dann der spezifischen Natur der Pflanze ent- sprechend weiter verändert haben; jedes folgende Organ ist das Resultat der stoffbildenden Tätigkeit der vorausgehenden Organe.“ Die oben geäußerte Anschauung wird im Prinzip sowohl der Ansicht Weismann’s (49, 51) von der Kontinuität des Keimplasma gerecht, wie der Theorie Nägelis (38) von dem Zusammenhang des Idioplasma im ganzen Körper, und der dadurch ermöglichten Beeinflussung der Vererbungssubstanz durch die Organisation des Elters. Der Unterschied zwischen meiner Ansicht und derjenigen von Nägeli besteht im wesentlichen darin, dass er einen morpho- logischen Zusammenhang annimmt, während ich die gegenseitige Beeinflussung auf chemischem Wege zu erklären suche. Dass die Ausbildung der Fortpflanzungszellen abhängig ist vom Gesamtstofl- wechsel und damit auch von der Tätigkeit der Körperzellen be- darf eigentlich keines Beweises; nur auf zwei gut beglaubigte Daten sei hier hingewiesen: Unter den Bedingungen, welche nach Maupas (36) die Infusorien hindern, Konjugationen einzugehen, nennt er in erster Linie reichliche Ernährung, und Barfurth (2) fand, dass sich bei Mastforellen mit großer Regelmäßigkeit Sterilität findet. Wie andegseits die Entwickelung der Keimzellen zurück- wirkt auf den Ernährungszustand des ganzen übrigen Körpers, be- sonders bei solchen Organismen, deren Keimprodukte relativ große Massen darstellen, ıst genugsam bekannt sowohl aus dem Reiche der Pflanzen wie der Tiere. Wenn ich übrigens der Ansicht bin, dass chemische Vorgänge bei der Vererbung eine wichtige Rolle spielen, so stehe ich nicht allein. Indem Weismann (49) seinem Keimplasma chemisch- physikalische Eigenschaften zuschreibt, nimmt er implicite an, dass sich dieselben auch bei der Vererbung betätigen werden. Das Gleiche ist der Fall, wenn v. Kölliker (30) der Kernsubstanz einen besonderen Anteil am Stoffwechsel bei der Befruchtung zu- schreibt, und zugleich dieselbe als Träger der Vererbung erklärt. Eine Wirksamkeit chemischer Körper in Befruchtung und Verer- bung deutet auch Häcker (17) an. 118 Bühler, Alter und Tod. Wenn anderseits OÖ. Hertwig (21) es für einseitig ansieht, im Befruchtungsvorgang nur das Spiel chemisch-physikalischer Kräfte sehen zu wollen, und die Bedeutung der Organisation der Keim- zellen zu vernachlässigen, so kann ich ihm vollkommen Recht geben. Organisation und Stoffwechsel sind untrennbar voneinan- der, eines ıst ohne das andere nicht möglich, und der Stoff- wechsel besteht ja in chemisch-physikalischen Prozessen. Ich habe diese Seite des Problems in den Vordergrund gestellt, nicht weil sie mir als die einzige erschiene, sondern weil sie bei ihrer großen Wichtigkeit alle Beachtung verdient und zu weiteren Fortschritten auch über die Beziehungen der Organisation zu den bekannten Naturkräften führen muss. Man kann diese meine Theorie der Befruchtung eine chemische nennen. Ich habe ihr chemische Anschauungen zu Grunde gelegt, ohne behaupten zu wollen, dass solche die einzigen in Betracht kommenden sind. Sie ist trotzdem keineswegs einseitig, seit die Wissenschaft dazu gelangt ist, chemische Affinitäten nur als be- sondere Form der allgemeinen Energie aufzufassen, und chemische Prozesse als den Ausfluss physiko-chemischer Grundeigenschaften der Materie, als Bewegungsform der Atome zu betrachten. Es könnte nur die Frage entstehen, ob wir berechtigt sind, diese An- schauungen auch auf das Leben anzuwenden. Gewiss haben wir dies Recht! Es mag zugegeben werden, dass in dem Zustand, den wir Leben nennen, an der Materie da und dort Eigenschaften wirksam werden können, die bisher in der anorganischen Welt noch nicht beobachtet wurden; aber so viel dürfen wir als gesichert annehmen, dass die großen Grundregeln des Geschehens, wie sie Physik und Chemie festgestellt haben, durch den Zusammentritt der Stoffe zu einem Organısmus nicht umgestürzt werden. Wenn also nachgewiesenermaßen im Leben chemische Prozesse eine so hervorragende Rolle spielen, wie sich aus der Bedeutung des Stoff- wechsels zur Evidenz ergiebt, so müssen wir notwendig solche Prozesse zu den Hauptfundamenten aller Lebensvorgänge rechnen. Und daraus ergibt sich der weitere Schluss, dass wir die Gesetze der Chemie auch in den Erscheinungen des Todes und der Be- fruchtung aufsuchen müssen, in der berechtigten Erwartung, da- durch einen tüchtigen Schritt weiter in die Rätsel dieser Phäno- mene vorzudringen. Es liegt mir fern, zu behaupten, dass diese Theorie nun die letzte Lösung der Befruchtungsfrage ist. Im Gegenteil, sie stellt neue Aufgaben und verlangt weitere Aufklärungen nicht nur über die Vorgänge bei der Befruchtung selbst, sondern über Leben und Tod allgemein und über die Beziehungen dieser Erscheinungen untereinander. Sıe klebt darum nicht am Wissen der Gegenwart und einer Hypothese, die durch dasselbe hervorgebracht wurde Bühler, Alter und Tod. 119 und mit seiner Erweiterung fallen muss; sie ist in dieser allge- meinen Form selbst erweiterungsfähig. Sie wird sich die Fort- schritte in unserer Auffassung von den Naturkräften, die wir von der Zukunft erwarten, zu nutze machen und ihrerseits zu genauerer Präzisierung gelangen können. [84] Literatur. (Ausführliche Literaturangaben über Befruchtung finden sich in Nr. 7, 27 u. 44.) 1. Bambeke, C., van: Contributions & l’histoire de la constitution de l’oeuf: II. Elimination d’elements nucl&aires dans l’oeuf ovarien de Scorpaena scrofa. Bull. acad. roy. Belgique, S. 3, T. XXV, 1893. 2. Barfurth, D.: Biologische Untersuchungen über die Bachforelle. Arch. mikr. Anat., Bd. XXVII, 1896. 3. Beneden, E., van: La maturation de l’oeuf la fecondation et les premiers phases du d@veloppement embryonnaire des mammiferes. Bull. acad. roy. Belgique, S. 22, T. XL, 1875. 4. Bergh, R. S.: Vorlesungen über allgemeine Embryologie. Wiesbaden 1895. 5. Bernstein, J.: Zur Theorie des Wachstums und der Befruchtung. Arch. Entw.-Mech., Bd. VII, 1891. 6. Bonnet, R.: Gibt es bei Wirbeltieren Parthenogenesis? Erg. 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Ein Vergleich der Geschlechtsstränge bei den vier Myxinen Nr. 1799, 1931, 2100 und 2563, die erste 24 cm, die zweite 24,75 cm, die dritte 25,5 cm und die vierte 25 cm lang, zeigt einen ganz hervorragenden Unterschied zwischen ihnen. Beim ersten Exemplar, dessen Geschlechtsstrang 11,6 cm lang ist, sind die distalen 3em stark faltiger, bis ungefähr 2 mm hoher Testis, worin man schon makroskopisch die recht großen, runden Follikel erkennen kann. In dem proximalen Teile des Stranges, dessen Höhe bedeutend geringer ist, finden wir punktförmige Eier und innerhalb dieser einzelne ca. !/, mm große. Beim zweiten Exemplar bietet das Geschlechtsorgan, wie Sie sofort sehen werden, ein ganz anderes Bild dar. Der Strang ist ungefähr ebenso lang wie beim ersten Individuum (genau gemessen: 2 mm länger). Die distalen 2,8 cm sind hier völlig unentwickelt — mit anderen Worten steril. In dem proximalen Teil, der eine Höhe von 3,5 mm erreicht, sieht man dagegen eine sehr bedeu- tende Anzahl dicht gestellter, bis ca. 2 mm langer Eier. Bei dem dritten Individuum, wo der Geschlechtsstrang eine Länge von 12,6 cm hat, sind die distalen 4 cm faltiger bis 1!/, mm hoher Testis. Der proximale Teil, der gut 3 mm hoch ist, enthält kleine bis 3 mm große Eier in dicht gestellten Reihen. Bei der vierten Myxine finden wir endlich den 12 cm langen Geschlechtsstrang im ganzen sehr schwach entwickelt, ca. !/, mm hoch. Die distalen 3,5 cm zeigen ein dichtes, homogenes Aus- sehen, im proximalen Teil sieht man punktförmige Eier. Von diesen vier ungefähr gleich langen und daher auch ver- mutlich einigermaßen gleich alten Individuen, muss das erste (Nr. 1799) dem makroskopischen Aussehen des Geschlechtsstranges nach als ein junges Männchen mit einem rudimentären Ovarıum aufgefasst werden. Die mikroskopische Untersuchung des Ge- schlechtsstranges zeigt die Richtigkeit dieser Auffassung, indem man im Testis dicht liegende normale Follikel, im Ovarıum deutliche Anzeichen einer beginnenden, aber ausgedehnten Degeneration findet. Was unsere nächste Myzxine (Nr. 1931) betrifft, so kann nicht der geringste Zweifel an ihrem Geschlecht herrschen, es ist ein 122 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). deutliches junges Weibchen mit zahlreichen unreifen Eiern. Der hintere Teil des Geschlechtsstranges besteht hier mikroskopisch aus einer dünnen Bindegewebslamelle, welche von einem ein- schichtigen flachen Epithel bedeckt ist; von Testisfollikeln sieht man hier nicht die geringste Spur, auch nicht von Brocken, die eine frühere Existenz derselben verraten könnten. Was die dritte Myzine (Nr. 2100) anbetrifft, so finden wir bei dieser eine ziemlich bedeutende Entwickelung sowohl von Testis als auch von Ovarium. Sie gibt demnach das Bild eines Hermaphro- diten. Die mikroskopische Untersuchung des Geschlechtsstranges bringt indessen deutlich ins Reine, dass Testis vollständig abnorm ist, was man bei einiger Erfahrung schon durch eine makroskopische Untersuchung an seinem dichten Aussehen und den kleinen klaren Zysten zu erkennen vermag. Das Individuum ist ein gutes junges Weibchen mit ganz normalem Ovarium. Betrachten wir schließlich unser letztes Exemplar (Nr. 2565) genauer, so finden wir hier eine gehemmte und abnorme Entwicke- lung des Geschlechtsstranges. Mikroskopisch untersucht zeigt es sich, dass Testis aus einer gleichmäßig hohen dichten Epithelzone besteht und unter dieser liegt nur eine spärliche Anzahl kleiner, dickwandiger Testisfollikel. Ebenso finden wir ım Ovarıum nur abnorme kleine Eier und zahlreiche Brocken von Eiern, die bereits aufgelöst sind und nun ım Begriff stehen, resorbiert zu werden. Schon makroskopisch kann man in dem freien Rande des Ovarıums mehrere ganz klare, zystöse Eier und etwas nach innen mehrere dichte weiße Eier und mehrere etwas dunklere mit verwischten Konturen sehen. Dem Baue des Geschlechtsstranges nach müssen wir annehmen, dass dieses Tier niemals Geschlechtsreife erreicht haben würde, dass es also mit anderen Worten steril ist. Wie die Betrachtung dieser Exemplare uns lehrt, variieren die Verhältnisse des Geschlechtsorganes bei Tieren von ungefähr 25 cm Länge ın bedeutendem Grade und derart, dass wir nach dem verschiedenen Bau des Geschlechtsstranges mit völliger Sicherheit zwei Geschlechter, Männchen und Weibchen, zu unterscheiden vermögen. Erstere zeigen einen mehr oder weniger wohl entwickelten Testis und ein rudimentäres Ovarıum. Bei letzteren dagegen ist das Ovarıum wohl entwickelt, während der Testisteil entweder, wie es meistens der Fall ist, rudimentär, oder, wie ın selteneren Fällen, völlig steril ıst. Bei makroskopischer Untersuchung eines bedeutenden Materiales wird man unter Tieren von einer Länge von ungefähr 25 cm außer den deutlichen Männchen und den deutlichen Weibchen eine An- zahl Exemplare finden, bei denen sowohl der Testisteil als auch das Ovarıum einen nicht geringen Entwickelungsgrad aufweisen, und Schreiner, Über das Generationsorgan von Mywine glutinosa (L.). 133 die sich somit einer weniger eingehenden Betrachtung gegenüber als Hermaphroditen präsentieren. Schon eine genauere makro- skopische Untersuchung wird indessen sofort imstande sein, nach- zuweisen, dass bei einem Teile dieser anscheinenden Hermaphroditen Testis abnorm ıst, so dass das Tier ebenso wie Nr. 2100 als Weib- chen aufzufassen ıst, dass dagegen in anderen Fällen das Ovarıum abnorm, der Testisteil aber normal ist, so dass das Tier als Männchen aufzufassen ıst, während in noch anderen Fällen sowohl Testis als auch Ovarıum so bedeutende Degenerationen aufweisen, dass das Tier als steril angesehen werden muss. Es gibt indessen Fälle, wo eine makroskopische Untersuchung nicht imstande sein wird, zu entscheiden, ob ein anscheinender Hermaphrodit als Männchen, Weibchen, oder als steril aufzufassen ist. Wir müssen dann zu einer mikroskopischen Untersuchung des Stranges schreiten, indem wir ihn, wie ich früher geschildert habe, in seiner ganzen Ausdehnung auf einem Objektglas ausbreiten und mit schwacher Vergrößerung untersuchen. Durch diese Methode vermögen wir die Anzahl der Hermaphroditen noch mehr einzu- schränken. Aber es gibt noch Fälle, die selbst bei dieser Unter- suchungsmethode unentschieden bleiben. Wir müssen dann zu einer histologischen und zytologischen Untersuchung der zwei Teile des Geschlechtsstranges schreiten. Das, worauf wir hierbei speziell unsere Aufmerksamkeit zu richten haben, ist die Zusammensetzung der Follikel und das Verhalten des Chromatins in den Kernen der einzelnen Geschlechtszellen. Im Ovarıum untersuchen wir auf gleiche Weise den Bau der Eihüllen, besonders ihre Dicke, die An- ordnung der Dotterkörner und das Verhalten der Kerne. Durch diese letzte Untersuchung haben wir fast stets bei Exemplaren von 24 cm Länge und darüber zu entscheiden vermocht, ob Testis, resp. Ovarıum eines Individuums normal ist oder nicht, mit anderen Worten, ob das Tier als Männchen, Weibchen oder als steril aufzufassen ist. Es wird indessen einleuchtend sein, dass, wenn man ein Ma- terial von Tausenden von Exemplaren untersuchen soll, es unmög- lich sein wird, alle zweifelhaften Exemplare zytologisch zu unter- suchen. Man muss sich damit begnügen, eine Minderzahl besonders zweifelhafter Fälle für diese Untersuchung auszuwählen. Auf diese Weise bleiben, wenn wir nun aufmachen sollen, wie viele Männchen und wie viele Weibchen wir von den verschiedenen Größen ge- funden haben, eine Reihe von Exemplaren übrig, über deren Ge- schlecht Zweifel herrschen kann. Diese haben wir der Bequem- lichkeit halber Hermaphroditen genannt. Die Frage ist nun, meine Damen und Herren, inwiefern man bei dem Gros der Myxinen mit derselben Leichtigkeit wie bei den kürzlich vorgezeigten vier 24—25 cm langen Individuen das Geschlecht des Tieres zu bestimmen vermag. 124 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). Was die Myxinen betrifft, die eine Länge von mehr als 24cm besitzen, so ist die Antwort bejahend. Wir vermögen von dieser Größe an mit der zunehmenden Körperlänge mit zunehmender Sicherheit zwei divergierende Reihen Myxinen, Männchen und Weibchen, zu unterscheiden. Sie werden sich leicht von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen können, indem Sie die hier aufgestellten ca. 50 Ge- schlechtsstränge genau betrachten. Wir finden darunter Exemplare in einer Länge von 24, 25, 26,27 cm und aufwärts bis zu einer Länge von 37 cm, bei denen der distale Teil des Geschlechtsstranges rudimentär oder völlig steril, der proximale Teil dagegen von be- deutender Entwickelung ist und zahlreiche dicht gestellte normale Eier enthält, und wir finden andererseits (besonders bei Tieren unter 30 cm Körperlänge) Tiere von entsprechender Länge, bei denen der distale Teil des Geschlechtsstranges sich als ein faltıger, mehrere Millimeter hoher Testis präsentiert, worin man schon makroskopisch die runden klaren Follikel sieht, während der proxi- male Teil des Geschlechtsorganes wenig entwickelt und mehr oder weniger abnorm ist. Vermögen wir nun auch bei Individuen, die eine Körperlänge von weniger als 24cm besitzen, zwischen Männchen und Weibchen zu unterscheiden? Dass dies auch der Fall ist, wenigstens bei Exemplaren von 22—-23 em, wird einleuchtend sein, wenn wir wiederum den Geschlechtsstrang bei Nr. 1363 (22,75 cm lang) be- trachten. Dieses Individuum ist unzweifelhaft ein Männchen. Wir haben hier keine Geschlechtsstränge von kleineren Individuen mon- tiert, da sie sich nicht für eine makroskopische Untersuchung eignen, aber alle müssen mikroskopiert werden. Dass man auch bei Exemplaren von einer Körperlänge von 20 cm in gewissen Fällen zwischen Männchen und Weibchen zu unterscheiden vermag, wird aus folgender Beschreibung der Geschlechtsstränge zweier Exemplare hervorgehen: Nr. 1722. Länge — 20,5 em. Die Gesamtlänge des Geschlechts- stranges — 9,4 cm. Die distalen 2 cm kaum sichtbarer Strang, im proximalen Teil, dessen Höhe °/, mm ist, kleine Eier. Mikro- skopisch besteht der hintere Teil des Geschlechtsstranges nur aus Bindegewebe, bedeckt von einem flachen Epithel. Im proximalen Teile eine sehr bedeutende Anzahl, meist dicht liegender kleiner Eier, längs dem freien Rande Keimepithel. Nr. 1896. Länge — 20 cm. Die Gesamtlänge des Geschlechts- stranges — 9,6 cm. Die distalen 1,9 cm niedriger Testis. Im proxi- malen Teile ganz kleine Eier innerhalb einer dichten, weißlichen Randzone. Mikroskopisch besteht Testis aus einem etwas ungleich- mäßigen Mantel von Keimepithel, worunter sich kleine, recht dicht liegende Follikel befinden. Im Ovarıum eine bedeutende Anzahl Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzine glutinosa (L.). 125 kleiner Eier. Keimepithel bedeckt den freien Rand. Unter den Eiern befinden sich zahlreiche zystöse. Von den größeren zeigen viele ver- dickte Hüllen, es finden sich zahlreiche Brocken degenerierter Eier. Wie aus diesen beiden Beschreibungen hervorgeht, ist das erste Individuum als ein junges Weibchen aufzufassen, während das zweite Exemplar gewiss ein junges Männchen ist. Unter Individuen von weniger als 20 cm Länge haben wir noch kein Exemplar gefunden, das wir mit völliger Sicherheit als Männchen haben bestimmen können. Der Grund hiervon ist, dass der Testisteil bei Individuen von einer Länge unter 20 cm in der Regel sehr wenig entwickelt ist. Man findet freilich häufig bei so jungen Individuen im distalen Teile kleine Follikel in größerer oder geringerer Menge, aber gleichzeitig trifft man im proximalen Teile zahlreiche kleine Eier, in betreff welcher es oft sehr schwierig ist, zu entscheiden, ob sie völlig normal sind oder möglicherweise Zeichen von gehemmter Entwickelung und Degeneration aufweisen. In seltenen Fällen haben wir jedoch bei Individuen von einer Länge bis auf 17 cm herab deutliche und verbreitete Degeneration des Ovariums nachweisen können, so dass es wenigstens als wahr- scheinlich anzusehen ist, dass das Individuum sich zu einem Männchen entwickelt haben würde. Auffallend ist es, dass bei allen ganz jungen Individuen (unter 15 cm langen), deren Geschlechtsstrang wir untersucht haben, das Ovarium dem Testis in der Entwickelung voraus gewesen ist. Bei Individuen, deren Testisteil somit nur noch aus einem Keimepithel mit Ursamenzellen besteht, findet man beständig schon Oozyten im proximalen Teile. Eine Frage von großem Interesse und weittragender Bedeu- tung ist nun, wann die Männchen und Weibchen Geschlechts- reife erlangen. Auch hier finden wir einen bedeutenden Unter- schied bei den einzelnen Exemplaren. Wir haben Männchen von 25 cm mit fast reifen Spermien in großer Anzahl gefunden, und wir haben andrerseits gute Männchen von 29—30 cm gefunden, die noch nicht reif waren und die dem Baue des Testis nach auch kein Gepräge früherer Produktion von Spermien trugen (hierüber lässt sich jedoch selbstredend schwer etwas mit absoluter Sicher- heit aussprechen). Was die Weibchen betrifft, so haben wir einzelne Exemplare von 26-27 em mit großen corpora lutea gefunden, also ein sicherer Beweis dafür, dass die Tiere bereits Eier gelegt haben. Ein Bei- spiel hiervon werden Sie in dem hier aufgestellten Geschlechts- strang eines 26,5 cm langen Individuums (Nr. 1268) sehen, der acht große geplatzte Eiersäcke enthält. Andrerseits finden wir nicht selten gute Weibchen von über 31 em, die noch niemals Eier gelegt haben, was das Aussehen des ganzen Ovariums und 126 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). der Mangel an corpora lutea deutlich beweisen. Am häufigsten haben wir gefunden, dass die Weibchen ihre erste Brut bei einer Länge von ungefähr 30—32 cm legen. Durch die hier angeführten Untersuchungsresultate, deren Richtigkeit an den aufgestellten Exemplaren zu prüfen, Sie, meine Damen und Herren, Gelegenheit gehabt haben, hoffe ich die Richtig- keit des Schlusses bewiesen zu haben, zu dem wir betreffs der rudimentären Natur des Hermaphroditismus bei Myzine gelangt sind. Wie Sıe leicht ohne näheren Nachweis einsehen werden, lässt sich das häufige Vorkommen von jungen Weibchen unmöglich mit der Annahme eines protandrischen Hermaphroditismus bei diesem Tiere vereinigen. Mit Erlaubnis des Herrn Professor Dean kann ich hier hin- zufügen, dass er laut mündlicher Mitteilung an mich bei einer von den unsrigen ganz unabhängigen Untersuchung von ca. 200 Myxinen aus Bergen zu demselben Resultat betreffs der Natur des Herm- aphroditismus gelangt ist. Was ist es nun, das die reelle Grundlage für die Auffassung des Hermaphroditismus bei Myzine als protandrischen gebildet hat? Ohne Zweifel folgende drei Umstände: 1. Bei den Männchen findet man in der Regel den proximal von Testis liegenden Teil des Geschlechtsstranges von einem wenig entwickelten, rudimentären Ovarıum eingenommen. 2. Die Weibchen erreichen in der Regel eine bedeutendere Körperlänge als die Männchen, die nur selten über 33 cm werden. Die Hauptmasse der Männchen haben eine Länge von unter 30—31 cm. Bei einer ganz überwiegenden Anzahl von Individuen, die größer als 33 cm sind, findet man deshalb ein mehr oder weniger entwickeltes Ovarıum und die distale Partie des Geschlechtsstranges — den Testisteil — steril. 3. Bei den meisten jungen Weibchen und bei einigen älteren, ist der distale Teil des Geschlechtsstranges, wie wir gehört haben, nicht ganz steril, indem es hier zu einer größeren oder geringeren Proliferation von Testisgewebe kommt, eine Proliferation, wovon Sie ein Beispiel bei Nr. 2100 und bei den heute abend zuerst vor- gezeigten Myxinen, nämlich Nr. 1136 und 1337, gesehen haben. Wenn man solche Fälle, wie die letztgenannten, wo eine Proli- feration von Testis bei Individuen vorhanden ist, die sonst ein gut entwickeltes Ovarium haben, als Übergangsstadien zwischen den Männchen und den längsten Weibchen auffasst, so erhält man ge- rade als Fazit einen sukzessiven effektiven Hermaphroditismus. Wie früher betont, bilden diese drei Formen indessen nicht eine Entwickelungsreihe, sondern Stadien von verschiedenen Entwickelungsreihen. Das Ovarıum, das man bei den reifen Männ- chen findet, ist stets abnorm und daher nicht entwickelungsfähig. Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). 127 Die Testisproliferationen, die sich bei Individuen mit wohl ent- wickelten Ovarien finden, sind stets abnorm, ob sie sich nun bei einem so langen Exemplar wie Nr. 1337 (33 cm) oder bei einem so jungen Individuum wie Nr. 2100 (25,5 em) finden. Und die sterile Partie im distalen Teile des Geschlechtsstranges bei den größten Weibchen trägt schließlich ebensowenig Zeichen davon, jemals Spermien produziert zu haben wie die entsprechenden sterilen Partien, die man zuweilen auch bei ganz jungen Weibchen finden kann (vergl. Nr. 1931, 24,75 cm lang). Ich habe unter dem Mikroskop einige Schnitte durch einige Testes aufgestellt, die Individuen mit mehr oder weniger ent- wickelten normalen Ovarien angehörten. Wie Sie sofort sehen werden, unterscheiden sie sich in ıhrem Bau deutlich von den nor- malen Testes. Teils finden wir in solchen Testes eine abnorme Bindegewebs- proliferation und nur eine geringe Anzahl von kleinen Follikeln, worin man nur ganz junge, Stadien der Spermiogenese sieht. Teils sehen wir neben kleinen Follikeln Zysten und eine diffuse Prol- feration der Geschlechtszellen ohne oder mit abnormer Follikel- bildung. Und diese Abnormitäten im Baue der Testispartie finden wir, wie erwähnt, sowohl bei jungen als auch bei alten Weibchen. Die Annahme, dass diese Testes früher funktioniert hätten und dass ihr abnormer Bau auf einem Involutionsprozess beruhen sollte, entbehrt einer jeden faktischen Grundlage. Als Ergänzung der oben entwickelten Verhältnisse werde ich mir nun erlauben, Ihnen eine Tabelle vorzuzeigen, welche die Vertei- lung von Männchen, Weibchen und Sterilen unter den verschiedenen Klassen von Myxinen angibt, geordnet nach der Länge der Tiere, von 22 cm an aufwärts. Da die Bestimmung des Geschlechts bei Individuen unter dieser Länge, wie oben erwähnt, unsicher ist, habe ich hier nur Tiere aufgenommen, deren Länge mehr beträgt. Die Tabelle umfasst nur den Teil unseres Materiales, der seit dem 1. Januar 1903 gefangen worden (s. S. 128). Sie werden in der Tabelle die Anzahl gefangener Individuen jeder Größe sehen, wie viele von diesen wiederum Männchen, wie viele Weibchen und wie viele steril sind. Die römischen Zahlen neben den das Geschlecht angebenden Zahlen bezeichnen die Anzahl von Individuen innerhalb einer jeden dieser Gruppen, bei denen im Övarialteile Testisgewebe proximalwärts von dessen Mitte gefunden wurde. Wie Sie sehen werden, ist reichlich die‘ Hälfte dieser letzteren gute Männchen, etwa weniger als die Hälfte steril, eine Minderzahl entweder Weibchen oder von zweifelhaftem Ge- schlecht. Ein interessantes Verhältnis ist dasjenige, dass wir unter den längsten Männchen und sterilen Individuen den höchsten Prozent- satz an Exemplaren mit gemischten Geschlechtssträngen vorfinden, 128 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). = © 2 Zahl der Exem- Länge der 5 33 Sterile nern Fe Tiere B 2 = Q d d Mor Hölgett Presici st. rein männlichen 38% + p y Geschlechts- SER strang 22 cm 66 26 14IV 18II 0 sIıI VIII 237, 95 481 22111 13 jl RIETE VI DA» 122 5311 23X1ll 25 2 18 VII RX: 25, 156 57 41XI 291 1 28XVII XXIX Ay 128 53 35XIll 12 0 25XVI OIDX DU; 166 561 5SXXXII 121 0) SERVT LI 28, 147 63 5BOXXV 61 0 28XXI XLVII 2 127 6011 ARSCH 4 1 21XVIII XLII 30% 140 093 36XVIII 2 (0) 19X1 XXIX Sa er 120 951 15IX 0 (0) 10VI xXVI 3 5 1715 97 9V 1 0 sVılI XII 33 , al _ Aue 4IV 0 1 II VII aa 82 78 ZI 0 (0) 2II IV 3a, 95 89 0) 0 4 21 II u.darüber 1690 991VII 353CLX 12%2VI 10 214CXXX CCCII o BE) 20) EN) ) 2) LE) (13,1%) Wir kommen nun zu einer neuen Gruppe von Variationen im Bau des Geschlechtsstranges, nämlich: 4. Variationen in der Entwickelung der Masse des Testis, resp. des Ovariums. Bei den reifen Männchen sehen wir oft den Testis stark promi- nierend, 2—3 mm hoch und stark gefaltet, sowohl in der Horizontal- wie in der Sagittalebene, eine außerordentlich große Masse von Follikeln enthaltend. Entweder finden wir seine größte Höhe um seine mittlere Partie herum oder etwas näher dem distalen Ende. Ganz hinten und nach seinem proximalen Ende zu ist die Höhe des Testis meist abnehmend. Bei den reinen oder fast reinen Männ- chen, wo die Anzahl von Eiern nur ganz gering ist, finden wir, wie Nansen nachgewiesen hat, in der Regel die größte Entwicke- lung an Masse in der hinteren Hälfte des Stranges; in ein- zelnen Fällen um die Mitte herum. Gegen das proximale Ende zu nımmt auch hier die Höhe des Testis meist ab. Nicht selten findet man bei den reinen Männchen die vordersten Zentimeter oder die vordersten paar Zentimeter steril, wovon Sie ein Beispiel bei Nr. 1532 sehen. Selten sind die Fälle, wo das Testis- gewebe ganz bis zum proximalen Ende des Stranges reicht und in seiner vordersten Partie eine Höhe von nahezu 3 mm hat, so wie z. B. bei Nr. 2022. Die Gesamtlänge des Geschlechtsstranges ist bei den reinen Männchen doch gern etwas unter der der Länge des Tieres entsprechenden Mittellänge. Sehr häufig scheinen, was ebenfalls Nansen früher hervor- gehoben hat, bei den Exemplaren, wo das Testisgewebe sich bis zum Vorderende erstreckt, die Follikel in den vordersten paar Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. 129 Zentimetern mehr dickwandig zu sein, als die dahinter liegenden und weniger entwickelte Geschlechtszellen zu enthalten. Wir haben jedoch auch in diesem Teile des Stranges Spermatiden nachweisen können. Es ist indessen nicht immer:der Fall, dass die reifen Testes eine so bedeutende Entwickelung an Masse wie oben erwähnt auf- weisen. Es können somit Testes vorkommen, die nur eine Höhe von 1 mm oder etwas darüber besitzen, und die mit Spermien ge- füllte Follikel enthalten. Der Testis kann eine einigermaßen gleichmäßige Entwickelung an Masse aufweisen, gegen sein distales und proximales Ende hin ab- nehmend, und er kann ungleichmäßig entwickelt und lappig sein und nur in einzelnen Läppchen Spermien enthalten, während sich in den weniger entwickelten Partien nur ganz unreife Follikel finden. Man kann auch Testes finden, welche Spermien enthalten, und die gleichzeitig deutlich yore Follikel, z. B. zystös degene- rierte, daırbieten. Auf diese Weise gibt es ale Übergänge zwischen Individuen, die vermutlich andere Zeit hindurch eine Masse von Spermien produzieren, und solchen, wo die Spermienproduktion wahrscheinlich äußerst spärlich ist. (Schluss folgt.) Die Physiologie der Schwimmblase der Fische‘). Von Dr. phil. Alfred Jaeger, Veterinärarzt, Frankfurt a/M. Herr Dr. med. Thilo in Riga hat in Nr. 14 und 15 des XXIII. Bandes des Biologischen Centralblattes eine Abhandlung über die Schwimmblase der Fische veröffentlicht, in welcher ihn seine Versuche und Betrachtungen den Schluss ziehen lassen, dass „die Schwimmblasenluft aus der Atmosphäre geholt, verschluckt und durch Luftwege in die Blase befördert wird“. Er will also den Schwimmblasengang als Pforte für den Eintritt der Luft in die Schwimmblase betrachtet wissen. Ich habe über das gleiche Thema eine längere Arbeit ın Pflüger’s Archiv für Physiologie, 1903, erstes und zweites Heft, ver- öffentlicht, und da ich in derselben zu ganz anderen Resultaten gekommen bin, möchte ich nicht verfehlen, an dieser Stelle Herrn Dr. Thilo zu entgegnen. Ehe ich Thilo’s Ausführungen kritisch beleuchte, werde ich zunächst die Aufgaben erörtern, welche die Schwimmblase dem Fische in seinem Element zu leisten hat, da im vorliegenden Falle die Klarstellung dieser Frage, wie sich zeigen wird, en die Voraussetzung zu einer einwandsfreien Lösung des Problems von der Herkunft der Schwimmblasenluft bildet. Jedoch will ich hier, y Entgegnung auf die Thilo’sche Abhandlung über die Schwimmblase der Fische (Biol. Centralbl. XXIII. Bd., Nr. 14 u. 15) und zugleich Autoreferat meiner Arbeit: Die Physiologie u. Morphologie der Schwimmblase der Fische (Pflüger’s Arch. f, Phys., 1903, 1. u. 2. Heft). XXIV. 9 130 Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. um mich nicht in der Literatur zu wiederholen, nur das Fazit meiner in der oben zitierten Arbeit: „Die Physiologie und Morpho- logie der Schwimmblase der Fische“ niedergelegten Forschungen ziehen, und bitte daselbst die Belege für meine weiteren Aus- führungen entnehmen zu wollen. Für die Auffassung der Schwimmblase als Respirationsorgan haben meine Untersuchungen und Experimente nicht den geringsten Anhalt ergeben, vielmehr habe ich auf Grund derselben die statische Wirkung der Schwimmblase darlegen können. Zwei Momente sind es, die hier zur Geltung kommen: Das spezifische Gewicht des Fisches und die durch die Schwimmblase bewirkte mechanische Einstellung des Fisches ım Wasser. Wenn ich zunächst den letzteren Punkt in die Betrachtung einführe, so geschieht es deswegen, weil auf diesen sich weniger meine Kritik der Thilo’schen et stützt, vielmehr um einen vollständigen Überblick über die vorliegende Frage zu geben. Was die Gleichgewichtserhaltung des Fisches, d. ı. seine hori- zontale Stellung im Wasser mit aufgerichtetem Rücken, angeht, so zeigten die von mir angestellten Experimente und Schwerpunkts- bestimmungen, dass die Schwimmblase nur bei einem Teil der Fische einen bestimmenden Einfluss auf deren aufrechte Lage aus- übt. Von fünf untersuchten Fischen waren es drei — Barsch, Schleie und Döbel —, bei denen die Schwimmblase ihre anatomische Lage zum größeren Teil in der oberen Körperhälfte hat und dem- nach die Tiere mit dem Rücken nach oben schweben lässt. Doch zeigte sich, dass diese Art der Equilibrierung des Fisches eben nur gerade zu seiner Gleichgewichtserhaltung ausreicht. Hier ge- nügt die Schwimmblase wohl, den Fisch ın der Ruhe und bei schwachen Bewegungen ım Gleichgewicht zu erhalten, aber bei kräftigerem Schwimmen würde er durch die starken Ruderbewe- gungen des Schwanzes unfehlbar umkippen, wenn nicht Rücken- und Afterflosse durch ihre Flächenausbreitung diesen energischeren Bewegungen einen Gegendruck bieten und so ein ruhiges, sicheres Schwimmen ermöglichen würden. Gewissermaßen funktionieren bei diesen Tieren die senkrecht stehenden Flossen analog dem sogen. Schwert der Segelboote. Anders bei Plötze und Hecht. Hier gibt die Schwimmblase durch ihr Lageverhältnis zum Schwerpunkt des Fisches dessen un- terer Hälfte das Übergewicht. Daher muss hier die Schwimmblase bei Ausfall des von den Flossen ausgeübten Effekts die Fische unausbleib- lich auf den Rücken werfen, oder mit anderen Worten, Plötze und Hecht ermöglichen ihre aufr echte Lage lediglich mit Hilfe der Flossen. Überı schender weise führten die Gleichgewichtsuntersuchungen auch zu dem Resultat, dass der Schwerpunkt der Schwimmblase stets ein wenig vor dem Körperschwerpunkt liegt. Damit muss Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. 131 unausbleiblich die vordere Körperhälfte beim Schweben des Fisches, bei absoluter Ruhe der Flossen, etwas höher zu liegen kommen als die hintere. UÜberlegt man nun den Effekt, den eine Volumens- änderung der Schwimmblase bei dieser Lage haben muss, so ist es evident, dass z. B. bei Erweiterung dieses Organs, also beim Über- gang in höhere Wasserschichten, die vordere Körperhälfte mehr hiervon betroffen wird als die hintere, und auf diese Weise der Fisch in eine zum Aufsteigen äußerst günstige Lage versetzt wird. In entgegengesetzter Richtung spielt sich dieser Vorgang ab, wenn der Fisch sinken will. Doch wird hier die Kompression der Schwimmblase nur eine beschränkte Wirkung haben können, denn unter allen Umständen wird der Vorderteil des Fischkörpers leichter bleiben als der hintere. Will also der Fisch mit dem Kopf voran in die Tiefe, so muss er das durch Aktion der Flossenmuskulatur erzwingen. In der Tat beginnt ein solches Absteigen immer mit einem starken Schlagen der horizontalen Flossen. In noch höherem Grade ist diese Erleichterung des Steigens und Sinkens, also die hierzu zweckdienliche Stellung des vorderen Fischkörpers, bedingt durch das System der doppelten Schwimm- blase bei den Cyprinoiden und Characinen und durch den den vorderen Teil der Schwimmblase komprimierenden Knochenapparat bei den Siluroiden und Ophidiiden. In beiden Fällen vermögen die Tiere durch Volumensänderungen des vorderen Blasenteils den Vorderteil des Körpers in höherem Grade spezifisch schwerer oder leichter zu machen als den hinteren Abschnitt und so ihr Über- gehen in andere Wasserschichten bedeutend zu unterstützen. Bei der Erörterung des spezifischen Gewichts des Fisches will ich gleich den Gedanken einführen, dass sich das bekannte System des Rettungsgürtels nımmermehr auf den mit einer Schwimmblase ausgerüsteten Fisch übertragen lässt. Denn der Rettungsring be- wirkt, dass das spezifische Gewicht der ganzen Masse, inkl. des Ret- tungsgürtels, geringer ist als das des Wassers. Ein Fisch mit einer dem Rettungsring analogen Schwimmblase würde schwimmen wie ein Mensch, d.h. ein Teil des Körpers würde aus dem Wasser hervor- ragen. Es erhebt sich die Frage, wie ermöglicht die Schwimmblase dem Fische das Schwimmen in den Tiefen seines Elements. Die Experimente, die ich zur Eruierung dieser Frage anstellte, zeigten, dass das Volumen der Schwimmblase dem Fischkörper so angepasst ist, dass schon eine Vergrößerung derselben um weniger als ein Fünftel die Fische aus der Tiefe des Bassins an die Ober- fläche des Wassers treibt. Indes beweist die Tatsache, dass Fische bisweilen mitten im Wasser ruhig dastehen, ohne auch nur eine Flosse zu bewegen, dass die Einstellung noch eine viel genauere ist, als die Versuche ergaben. Es muss hier die Größe des mit Gas gefüllten Raumes so der Masse des übrigen Körpers ange- 9% 1392 Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. passt sein, dass die Gesamtmasse gerade das spezifische Gewicht des Wassers, also = 1, hat. Genau dasselbe wird der Fall sein, wenn der Fisch geradeaus schwimmt, was außerordentlich häufig ist und vielleicht die Regel bildet. Dieser labile Gleichgewichtszustand ist nun auch für Steigen und Sinken des Fisches der günstigste. — Wäre das spezifische Gewicht vorher nicht gleich dem der Umgebung, so würde die eine oder die andere Bewegung erschwert sein, je nachdem der Fisch leichter oder schwerer wäre als das Wasser. — Jetzt treibt ihn jeder Flossenschlag mit gleichem Effekt hinauf oder hinunter. Überlegt man nun die weiteren Folgen eines solchen Höhen- wechsels, sei er willkürlich oder unwillkürlich, z. B. durch Strö- mungen, so ergibt sich ein eigentümliches Resultat, das sich aus folgender Betrachtung ableitet: Im Fisch herrscht überall der Druck des umgebenden Wassers, denn die Gewebe leiten den Druck wie Wasser. Steigt nun der Fisch, so gerät er unter verminderten Druck, und die Schwimmblase erweitert sich, der ganze Fisch wird spezifisch leichter. Dadurch steigt er von selbst weiter. Das Umgekehrte findet beim Sinken statt. Da demnach das Vo- lumen des ruhenden oder geradeaus schwimmenden Fisches in allen Wassertiefen das gleiche und sein spezifisches Ge- wicht gleich dem der Umgebung, also =1, sein muss, so erhebt sich die wichtige Frage, welche Dienste kann die Schwimm- blase dem Fische beim Auf- und Niedersteigen leisten, und wie ver- mag er sie beim Übergang vom Steigen, resp. Sinken zur Ruhe oder zum Geradeausschwimmen wieder auf das alte Volumen zu bringen. Was zunächst den letzteren Fall angeht, so ist es klar, dass ein Fisch, der im Aufsteigen begriffen war und nun plötzlich diese Bewegung unterbrechen will, seine Schwimmblase momentan verkleinern muss, damit sie auf das Volumen zurückkehrt, welches sie vorher besaß. Denn sonst würde er von selbst weiter steigen. Wie meine Experimente deutlich erkennen ließen, kann nun der Fisch durch Muskelkraft seine Schwimmblase zusammenpressen oder durch Erschlaffen erweitern. Will er sich also jetzt auf einem höheren Niveau aufhalten, so ist dies sogar für ihn die einzige Möglichkeit, dem weiteren Steigen zu entgehen, während ihm, wenn er nach dem Steigen sofort wieder in die Tiefe gehen will, selbst- verständlich auch noch die Kraft seiner Flossen zu Gebote steht. Dieselbe Fähigkeit, die Schwimmblase durch Muskelaktion zu erweitern oder zu verengen, wird dem Fische nun auch beim Auf- steigen oder Hinabgehen in seinem Element zu statten kommen. In der Tat kann man beobachten, wie Cyprinoiden, z. B. Gold- fische, Schleien, oder auch der Barsch, ohne sichtbare Flossen- bewegung vollkommen senkrecht steigen oder sinken, was wohl nur durch diese Art der Regulation zu erklären ist. Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. 133 Doch ist hierbei einmal zu berücksichtigen, dass dieses Ver- mögen der Schwimmblasenregulation durch Muskeltätigkeit ein be- grenztes ist, denn die Kraft der Muskulatur ist beschränkt. Wenn also der Fisch durch irgendwelche äußeren Einflüsse über die Grenze, bis zu welcher er den Volumensänderungen seiner Schwimm- blase durch Muskeltätigkeit begegnen kann, hinausgetrieben wird — hierzu erwies sich bei einem der Wirkung der Luftpumpe aus- gesetzten Barsch schon eine Dekompression von 16 cm Quecksilber (= ca. 2 m Wasserdruck) als’ ausreichend —, so ist die unaus- bleibliche Folge, dass seine willkürliche Beweglichkeit aufhört und er nun in die Tiefe versinken, bezw. nach der Oberfläche steigen muss, und zwar mit ständig wachsender Geschwindigkeit. Andererseits lehrt eine nähere Überlegung, dass eine aktive Volumensänderung der Schwimmblase nur bei den in geringen Tiefen lebenden Fischen von Effekt sein kann, wie ich es in meiner oben zitierten Arbeit rechnerisch darlegte, so dass der Meeresfisch in den Tiefen seines Elements viel freier in der Änderung seiner Höhenlage ist als an der Oberfläche, resp. der Fisch der Binnen- gewässer. Nach vorstehenden Ausführungen wird also der Fisch, wenn er seine Höhenlage im Wasser in den bezeichneten Grenzen ver- schiebt, das Plus oder Minus im Wasserdruck in seiner Wirkung auf das Schwimmblasenvolumen durch Muskelaktion ausgleichen. Auf diesem Wege kann er aber, wenn er das neu gewonnene Niveau beibehalten will, naturgemäß nicht dauernd dieses zweck- notwendige Schwimmblasenvolumen bewirken, und der gleiche Faktor kommt noch mehr in Betracht, wenn der Fisch einen Höhen- wechsel einzugehen beabsichtigt, dessen Effekt auf seine Schwimm- blase er nicht mehr durch die Kraft seiner Muskulatur kompen- sieren kann. Hier kann das aktive Agens für die erforderliche Regulierung des Schwimmblasenvolumens einzig und allein in der Vermehrung, bezw. Verminderung der Schwimmblasengase beruhen, so dass also beim Höhenwechsel des Fisches die Druckdifferenzen der über ihm lastenden Wassersäule ım letzter Instanz in jedem Falle durch die gewissermaßen von innen wirkenden Kräfte der Schwimmblasenluft ausgeglichen werden. Woher kommt nun die Schwimmblasenluft, oder vielmehr ge- nauer, unter die Aktion welcher Kräfte ist die Variierung der Gas- menge der Schwimmblase gesetzt? Das ist das Problem, das Thilo Gegenbaur’s Worte zitieren lässt: „Es ist nicht einmal festge- stellt, auf welche Art die Luft in die Blase gelangt,“ obgleich Thilo meine bezügliche Arbeit nach Ausweis seiner Literatur- angaben bekannt war. Wie ich schon eingangs bemerkte, glaubt Thilo diese Frage in der Weise gelöst zu haben, dass „die Schwimmblasenluft aus 154 Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. der Atmosphäre geholt, verschluckt und durch Luftwege in die Blase befördert wird“. Thilo ist da in seinen Schlüssen zu einer Konstruktion ge- langt, welche zunächst nicht einmal die Erscheinungen erklärt. Wenn die Schwimmblasenluft nach Thilo aus der Atmosphäre stammen soll, so wird sie jedenfalls deren Zusammensetzung haben müssen. Aber das ist nicht der Fall. Bei einer großen Anzahl von Fischen ist der Sauerstoffigehalt in der Schwimmblase höher, was mit der Annahme des Luftschluckens ganz unvereinbar ist, bei anderen Fischen wieder erheblich geringer als der der Atmo- sphäre, und zwar das gerade bei solchen, die nahe der Oberfläche leben, die also doch sehr leicht ihren Schwimmblaseninhalt aus der Atmosphäre vervollständigen könnten. Wollte man hierfür eine Er- klärung abgeben, so müsste man eine Sauerstoffabsorption annehmen, und das ist mit dem ganzen physiologischen Prozess unvereinbar. Ferner könnten Fische mit geschlossener Schwimmblase nach gewöhnlicher Denkweise ihren Luftbehälter durch Luftschlucken überhaupt nicht füllen. Wenn Thilo zu der Annahme greift, dass das Gewebe vom Schlund bis zur Schwimmblase emphysemartig durchtränkt würde, so ist dem entgegenzuhalten, dass ein solches Emphysem direkt nachgewiesen sein müsste. Die Fälle von Em- physem, auf die sich der Verfasser hier bezieht, gehören, wie er- sichtlich, nicht hierher. Bei dem interstitiellen Lungenemphysem dringt wohl zuweilen Luft vom Mediastinum aus in das Gewebe der Unterhaut, aber das ist lockeres Bindegewebe, das in seinem Gefüge einem Luftdruck gar nicht Widerstand leisten kann. Wie ganz anders liegen aber die Verhältnisse beim obliterierten Schwimm- blasengang, bezw. der Wand des Verdauungstraktus und der Schwimmblase, die aus derbem, sehnigem Bindegewebe bestehen. Verfehlt sind Thilos Anschauungen über das Mesenterialemphysem des Schweines. Ich will nur kurz erwähnen, dass dasselbe nach Östertag’s neueren Untersuchungen fraglos durch gasproduzierende Mikroorganismen verursacht wird. Des weiteren ist es Thilo nicht aufgefallen, dass seine Theorie im Gegensatz zu allgemein bekannten Tatsachen steht. Einmal be- sitzen Tiefseefische, welche nie an die Oberfläche gelangen, außer- ordentlich prall gefüllte Schwimmblasen. Andererseits vermehren Fische, welche in die Tiefe versenkt wurden, ihre Schwimmblasen- luft, auch solche, welche einen Schwimmblasengang haben, wie es vor allem von Moreau!) gezeigt worden ist. Nicht übergehen möchte ich es auch, dass die Annahme Thilo’s nicht erklärt, wozu die gefäßreichen und drüsigen Organe 1) Moreau, Recherches experimentales sur les fonctions de la vessie natatoire. Annales des sciences naturelles, 1876. Jaeger, Die Physiologie der Schwimmnlase der Fische. 135 _ der Schwimmblase, wie ich sie in meiner oben zitierten Arbeit als roter Körper und Oval beschrieben habe, dienen sollen, und wieso der Sauerstoffgehalt der Schwimmblase in einer offenbaren Be- ziehung zur Entwickelung des roten Körpers steht (p. 93 meiner Arbeit im Archiv für Physiologie, 94. Band). Schon mit der Festlegung dieser Tatsachen verlieren Thilo’s Ausführungen über die Herkunft der Schwimmblasenluft ihren Halt. Aber auch seine Versuche sind weit davon entfernt, dass sie seiner Erklärung als Belege dienen könnten. Wenn Thilo gesehen haben will, dass Schleien, die er nach der Evakuation der Schwimmblase ins flache Wasser brachte, die bei der Dekom- pression völlig verloren gegangene Schwimmblasenluft ersetzten; so stehen diese Resultate zu den meinigen und den in der Literatur verzeichneten im direkten Gegensatz. Ich fand wohl, dass die Fische (Tinca vulgaris), wenn ich sie in so flachem Wasser hielt, dass ihr Maul von diesem nicht völlig bedeckt wurde, Luft ın den Verdauungstraktus aufnahmen, aber bei schräg gestelltem Bassın suchten die Tiere nach der Evakuation stets die tiefste Stelle des Wassers — 20 em tief — auf, und trotz stundenlangen Beob- achtens konnte ich nicht ein einziges Mal bemerken, dass sie den Wasserspiegel durchbrochen und nun Luft geschnappt hätten. Brachte ich dagegen die Fische in tiefes Wasser, wo sie bei ständigem Wasserzu- und -Abfluss keinen Sauerstoffmangel litten, und wo sie wegen ihres zu hohen spezifischen Gewichts zunächst schwer auf dem Boden ruhten, so konnte ich stets beobachten, dass die Tiere schon nach 2 Tagen ihre freie Beweglichkeit im Wechsel der Höhen und Tiefen wiedererlangt, demnach ihre Schwimmblase durch Gasabscheidung wieder auf das zweckdienliche Volumen ge- bracht hatten. Die Sektion ergab dann in der Tat immer prall gefüllte Schwimmblasen. Aber die Fische hatten nimmermehr diese Luft aus der Atmosphäre entnehmen können, denn sie ver- mochten in dem tiefen Bassın wegen ihrer spezifischen Schwere gar nicht den Wasserspiegel zu erreichen. Anders dagegen bei den Parallelfischen im flachen Wasser. Hier fand ich bei der Sektion, selbst wenn die Tiere bei Wasserwechsel noch 5 Tage zu leben vermocht hatten, in allen Fällen eine kollabierte Schwimmblase. Ebensowenig wie ich Thilo’s Resultate bestätigen kann, ist es mir möglich, eine Erklärung für dieselben abzugeben. Es müssen jedenfalls Experimentierfehler vorgelegen haben. Schon aus physikalischen Gründen ist eine Luftaufnahme durch den Schwimmblasengang gänzlich ausgeschlossen. Ich will hier nur auf Johannes Rathke hinweisen, der im Jahre 1820 in seiner „Geschichte der Tierwelt“, 1. Abteilung, p. 118 in ganz über- zeugender Weise auf Grund physikalischer Momente und der topo- 136 Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. graphischen Anatomie des ducetus pneumaticus den Nachweis er- brachte, dass unmöglich der Schwimmblasengang die Pforte für den Eintritt der Luft abgeben kann. Wie soll da in Thilo’s Ver- suchen die pralle Füllung der Schwimmblasen durch Luftschlucken zustande gekommen sein? Ich habe auch nirgends in der Literatur eine einwandsfreie Stütze für Thilo’s Behauptung finden können. Ja Thilo widerlegt sich selbst in seiner Arbeit p. 534 Ende des 2. Abschnittes, wo er angibt, dass zunächst der der Darmschleimhaut anhaftende Schleim entfernt werden müsse, wenn man Luft in den Schwimmblasengang blasen wolle. Wie stellt sich wohl Thilo diese Manipulation im Leben des Fisches vor? Im übrigen möchte ich es doch auch nicht übergehen, dass Thilo dieses Luftschlucken hätte beobachten müssen, aber er erwähnt nirgends etwas davon in seiner Arbeit. Er setzt dieses Luftschnappen bei dem Fazit seiner Versuche in gleicher Weise voraus, wie bei dem Aufenthalt der Fische an den Eislöchern. Auch hier wird, wie meine bei Fischern eingezogenen Erkundigungen ergaben, ein Luftschnappen der Tiere nicht bemerkt. Der Zweck, den die Tiere hier ver- folgen, ist vielmehr der, dass sie sich an den Eislöchern die An- reicherung des Wassers mit Sauerstoff zu nutze machen. Doch kommt, nebenbei erwähnt, diese Anreicherung nicht durch Aus- tausch mit der Atmosphäre zustande — der ist viel zu minimal, als dass er als bestimmender Faktor zu rechnen wäre —, sondern es setzen sich an den Eislöchern Algen an, welche unter dem Einfluss des Sonnenlichts Sauerstoff abspalten und diesen an das Wasser abgeben. Dass sich bei der Entstehung der Schwimmblase diese mit atmosphärischer Luft durch den Schwimmblasengang füllt, wie es Karl Ernst v. Baör gezeigt hat, kann Thilo keineswegs in seine Beweisführung aufnehmen. Diese Tatsache ist nur ein Beleg für die Ontogenese dieses Organs, aber nicht für dessen spätere Luft- versorgung. Der Schwimmblasengang bildet sich sehr bald zurück und wird zu einem außerordentlich feinen Kanal, weil er eben, wie ich es oben darlegte, für die zweckdienliche Gasfüllung der Schwimmblase nicht mehr tauglich ist. Er hat dann nur noch die Aufgabe, überschüssige Luft aus der Schwimmblase in den Schlund austreten zu lassen, und so sehen wir die Einmündungsstelle des ductus pneumaticus in den Verdauungstraktus sich in der Form eines Ventils gestalten und nach der Art eines solchen wirken, das eben eine Passage nur nach einer Richtung zulässt (Rathke, Geschichte der Tierwelt, 1. Abteilung). Bei einem großen Teil der Fische geht schließlich die Rückbildung des Schwimmblasen- gangs so weit, dass er völlig obliteriert und die offene Verbindung mit dem Darmkanal verliert. In Anpassung hieran entwickelt sich bei diesen Tieren das sogen. Oval, durch das, wie ich noch des näheren zeigen werde, die in der Schwimmblase überschüssige Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. 13% Luft, also beim Übergang in höhere Wasserschichten, entfernt, d. h. ins Blut übergenommen wird. Oval und ductus pneumaticus sind demnach physiologisch gleichwertige Apparate, und hierin liegt auch ein bedeutungsvolles Kriterium für die Beurteilung des letzteren: Wäre der Schwimm- blasengang auch für Luftaufnahme bestimmt, so wäre nicht ein- zusehen, warum auch bei den Physostomen und nicht allein bei den Physoclisten ein roter Körper, bezw. die Anfänge eines solchen vorhanden sind. Denn da der rote Körper, wie ich nachwies, die Sauerstoffdrüse darstellt, welche die Gasmenge in der Schwimm- blase vermehrt, so würde ja derselbe bei Luftaufnahme durch den Schwimmblasengang völlig überflüssig sein. Und dass andererseits in entgegengesetzter Richtung bei den Physodisten das Oval zur Entwicklung gelangt, weil eben hier die Passage durch den bei den Physostomen für den Luftaustritt bestimmten duetus pneu- maticus fehlt, beweist nachdrücklich, dass der Schwimmblasengang lediglich für die Entfernung der Luft aus dem Binnenraume der Schwimmblase bestimmt ist. Jeglicher Beweiskraft entbehren auch Thilo’s Experimente, wo er durch den ductus pneumaticus in der Richtung Darm--Schwimm- blase Luft bläst. Man berücksichtige nur die relative Größe des Druckes, der hier zur Anwendung kam, und stelle dem die treibende Kraft gegenüber, welche unter natürlichen Verhältnissen für den Durchtritt der Luft vom Darm aus nach dem Schwimmblasengang in Frage käme, und man wird sich Thilo schwerlich anschließen können. Andererseits hat die Durchgängigkeit des Schwimm- blasenganges für Luft in der Richtung Schwimmblase — Darm niemals einem Zweifel unterlegen. Dass es Thilo weiterhin beim Aal zuwege brachte, durch das blinde Ende des Luftganges Luft in den Darm zu blasen, kann nur auf die verloren gegangene Gewebselastizität nach dem Tode des Tieres zurückgeführt werden, und es bestätigt infolgedessen nicht das, was Thilo beweisen wollte. Wollte er zeigen, dass Luft durch scheinbar ganz dichtes Gewebe dringt, so hätte er den lebenden Aal der Dekompression aussetzen müssen. Dann wäre sein Resultat einwandsfrei gewesen, aber dann hätte er auch be- merkt, wie ich es an zwei Tieren zeigte, dass der Aal beim Sinken des Luftdrucks nicht Luftblasen aus dem Maule löst wie z. B. die Cyprinoiden, sondern in gleicher Weise auftreibt wie ein Barsch, bei dem der ductus pneumaticus völlig obliteriert ist. Nebenbei will ich hier erwähnen, dass nach Jacobs (Über die Schwimmblase der Fische. Dissertation, Tübingen 1898) der Aal, der erwiesener- maßen öfters das Wasser verlässt, um über Felder und Wiesen zu wandern, in dem ductus pneumaticus ein Organ besitzt, mit Hilfe dessen er während des Aufenthalts außer Wasser den 138 Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. Sauerstoff seiner Schwimmblase zur Gewebsatmung heranzuziehen vermag. Aber Thilo’s Prinzip ist auch nicht einmal leistungsfähig, wie folgende Betrachtung zeigt: Nach obiger Darlegung der Bedeutung der Schwimmblase im Leben des Fisches ist eine Vermehrung, bezw. Verminderung der Schwimmblasenluft für den Fisch in den Tiefen seines Elements Existenzbedingung. Wie soll da der Fisch, wenn er sich schon in der Tiefe aufhält und nun seinen Aufent- halt noch tiefer verlegen will, die nunmehr erforderliche Luft- vermehrung in seiner Schwimmblase mit Hilfe des ductus pneu- maticus bewirken? Es steht ihm ja doch in seiner Umgebung von keiner Seite her eine Luftquelle, wenn ich so sagen darf, zur Ver- fügung. Oder soll etwa der Fisch da zunächst an die Oberfläche des Wassers steigen, um sich hier mit dem nötigen Luftquantum zu versorgen! Jede kurze Überlegung der oben erörterten Wechsel- beziehungen zwischen Schwimmblasenvolumen und differierendem Wasserdruck und deren Einfluss auf die freie Beweglichkeit des Fisches wird diese Annahme ad absurdum führen. Sollte Thilo in der Tat sich das Wesen der Schwimmblase so vorgestellt haben, dass der Fisch sich am Wasserspiegel sein Luftreservoir durch „Luftschlucken“ füllt und nun mit diesem Luftbehälter aus- gestattet in die Tiefe geht und dort zu schwimmen vermag, so läßt er hierbei gänzlich die Wirkung einer solchen Schwimmblase außer acht. Der Effekt wäre dann eben der, dass die Schwimm- blase bei zu geringer Füllung den Fisch in die Tiefe versinken lassen, bezw. bei zu starker analog dem Rettungsring wirken würde, d. h. der Fisch würde nicht im, sondern auf dem Wasser schwim- men. Thilo selbst illustriert es am Seelump — (yelopterus lumpus — und bei der Entwickelung der Schwimmblase an den jungen Fischchen, wohin es führen würde, wenn die Tiere durch „Luftschlucken“ ihren Luftbehälter füllen müssten. Wozu eigentlich diese ausführliche Replik, frage ich mich. Ich habe mich für verpflichtet gefühlt, den Leserkreis durch die verschlungenen Pfade Thilo’s zu führen, die durch die Fülle von Missverständnissen und irreführenden Deutungen geeignet sind, ein interessantes wissenschaftliches Problem in Misskredit zu bringen. Thilo konnte nur dadurch auf seine merkwürdigen Resultate kommen, dass er die Literatur über die Schwimmblase der Fische völlig negierte. Wollte er in einwandsfreier Weise über die Herkunft der Schwimmblasenluft diskutieren, so musste er jedenfalls die bis- herigen bezüglichen Arbeiten berücksichtigen und sie einer Kritik unterziehen. Aber statt dessen stellt er auf Grund einer sich selbst richtenden Beweisführung nur Behauptungen auf, ohne dass er an irgend einer Stelle entgegengesetzte, wohl begründete Theorien zu widerlegen vermag. Würde Thilo z. B. nur allein die Moreau’schen Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. 139 Experimente in Erwägung gezogen haben, ganz abgesehen von meinen Ausführungen über das Wesen der Schwimmblase, so hätte er a priori seine Ideen über die Füllung der Schwimmblase durch „Luftschlucken“ fallen lassen müssen. In Ergänzung dieser Kritik der Thilo’schen Arbeit sei es mir noch gestattet, in kurzen Zügen darzulegen, welches der Ursprung der Schwimmblasenluft ist. Moreau hatte zuverlässig gezeigt, dass bei einer Vermehrung der Schwimmblasenluft von den drei Gasen, welche dieselbe zu- sammensetzen — Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure —, nur der Sauerstoff in Betracht kommt. Die Moreau’schen Experimente sind aber durchaus nicht als eimwandsfreie Belege einer Sauerstoff- sekretion anzusehen, wie sie dieser Autor annahm, vielmehr kann ein wirklicher Beweis, dass die Diffusion vom Blute her für die Sauerstoffmengen im Schwimmblasenlumen nicht ausreicht, nur dadurch geführt werden, dass die Sauerstoffspannung hier größer ist als im Blute, das der Schwimmblase zugeführt wird. In der Tat konnte ich rechnerisch den Nachweis erbringen, dass selbst bei unseren Flachwasserfischen, wie Schleie und Karpfen, die nur 5—6°/, Sauerstoff im Binnenraume der Schwimmblase aufweisen, diese Sauerstoffspannung noch zu hoch ist, als dass sie vom Blute durch Diffusion geliefert werden könnte. Es lassen sich also die in jedem Falle relativ großen Mengen von Sauerstoff in der Schwimmblase nur dadurch erklären, dass man hier eine aktive Sekretion annimmt. Anders liegen die Bedingungen für den Übertritt von Stickstoff und Kohlensäure nach dem Binnenraume der Schwimmblase. Diese beiden Blutgase sind hier nur in solchen Mengen vorhanden, dass die einfache Diffusion zu ihrer Erklärung ausreicht. Wo ist nun das Sauerstoff sezernierende Organ in der Schwimm- blase ? Zu meinen Untersuchungen wählte ich einen Meeresfisch — Sciaena aquila — und einen Süßwasserfisch — Lueioperca Sandra —, da immerhin die Möglichkeit vorlag, dass bei den Fischarten ın der Sauerstoffdrüse Unterschiede vorhanden sind, je nachdem sie durch ihre Lebensweise zu einer stärkeren oder schwächeren Sauer- stoffsekretion gezwungen sind, d. h. also je nachdem sie das Meer oder die relativ seichten Binnengewässer bewohnen. Die gewonnenen histologischen Bilder der Schwimmblasenwand zeigten mir, dass da, wo eine sezernierende Tätigkeit in An- spruch genommen wird, nur der sogen. rote Körper in Betracht kommen kann, und zwar stellt der rote Körper bei Luecioperca eine nur in die Fläche entwickelte Drüse ohne Ausführungsgänge dar, bei Sciaena dagegen auch eine in die Tiefe sich ausbreitende Drüse mit Ausführungsgängen. Der rote Körper hat als Sauerstoffdrüse demnach die Aufgabe, 140 Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. den Sauerstoff des Blutes zu verdichten und ihn nach dem Binnen- raume der Schwimmblase überzuführen, entgegen einem weitaus höheren absoluten Partialdruck dieses Gases. Der sich hierbei abspielende Vorgang ist, kurz gefasst, bei dem Meeresfische folgender: Es gehen zunächst in den Blutkapillaren der Drüse die roten Blutkörperchen unter dem Einfluss eines von der Drüse nach den Blutgefäßen abgeschiedenen spezifischen Giftes zugrunde. Der im vorliegenden Falle bei dem Untergange der Erythrocyten frei werdende Sauerstoff gerät in statu nascendi unter eine außerordentlich hohe Partialspannung — zirka drei Atmo- sphären —, womit es unausbleiblich ist, dass der Sauerstoff aus den Kapillaren nach den angrenzenden Drüsenepithelien in großer Dichte überdiffundiert. Die Drüsenepithelien verdichten dann diesen ihnen bereits unter relativ sehr hoher Tension zuströmenden Sauer- stoff noch weiter, bis er die Spannung im Schwimmblasenlumen erreicht. Es fällt also bei den Meeresfischen der Anfang der Sauer- stoffverdichtung ins Blut und die Beendigung in die Drüsen- epithelien, bis der Sauerstoff dann schließlich in Gasform und in erforderlicher Spannung durch die Drüsenausführungsgänge nach dem Schwimmblasenlumen abgeschoben wird. Bei den Süßwasserfischen, wie Laeioperca, die ja ım Vergleich zu den Meeresfischen nur einen geringen Sauerstoffpartialdruck im Binnenraume der Schwimmblase aufweisen, eben in Anpassung an die äußeren Lebensbedingungen, beginnt die verlangte Sauerstoff- verdichtung gleichfalls mit dem Zerfall der roten Blutkörperchen in den Drüsenkapillaren, und diese Vernichtung des Oxyhaemo- globins würde hier bereits eine ausreichende Triebkraft für den Sauerstoff abgeben, da eine Sauerstoffspannung in statu nascendi von drei Atmosphären einer Wassertiefe von 30 m entsprechen würde, die bei den Süßwasserfischen kaum in Frage kommen dürfte. Wahrscheinlich werden aber auch bei den Fischen der Binnen- gewässer aus Gründen, die ich hier übergehen will, die Drüsen- zellen auf den Sauerstoff, bevor er in das Schwimmblasenlumen eintritt, eine selbständige verdichtende Tätigkeit ausüben, gerade wie bei den Meeresfischen. Sicher aber ist, dass die Drüsenzellen bei Lucioperca ein sehr viel geringeres Arbeitsmaß zu leisten haben als bei Sciaena. Die Verdichtung, die von ihnen gefordert wird, ist eine sehr viel geringere, und die Menge des zu sezernierenden Sauerstoffes relativ unbedeutend. Demzufolge fehlen beim Zander die Entwicklung der Sauerstoffdrüse in die Tiefe und die Ausführungs- gänge derselben; die Drüsenepithelien haben eine andere Form. Demnach sind bei Seiaena und Lucioperca, dem Meeres- und Süßwasserfisch, graduell erhebliche Differenzen in der Art und Weise des Sauerstoffübertritts vom Blute nach dem Binnenraume der Schwimmblase vorhanden. — Am schwächsten ist die Sauer- Jaeger, Die Physiologie der Schwimmblase der Fische. 141 stoffdrüse bei den Fischen ohne sogen. roten Körper, z. B. den Oyprinoiden, entwickelt (p. 93 meiner oben zitierten Arbeit). Wenn nun der Fisch beim Schwimmen in die Tiefe sich dem wachsenden Wasserdrucke durch Sauerstoflsekretion anzupassen vermag, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit, dass auch nach der entgegengesetztien Richtung eine Regulation des Schwimm- blasendruckes vorhanden sein muss, die also bei abnehmendem Wasserdrucke eine Entfernung des Sauerstoffs aus dem Binnen- raume der Schwimmblase ermöglicht, d. h. es muss die Schwimm- blase auch noch über ein Absorptionsorgan verfügen. Wenigstens gilt dies für Fische mit geschlossener Schwimmblase, wo also der ductus pneumaticus fehlt. Wie ich schon oben berührte, fand ich dieses Sauerstoff ab- sorbierende Organ in dem Oval gegeben, da dies nach seinem Bau imstande ist, relativ große Mengen Gas aufzunehmen. Es besteht aus einer außerordentlich entwickelten Blutgefäßverbreitung, die direkt dem die Schwimmblase auskleidenden Epithel an der dorsalen Wand anliegt und durch zweckmäßige Muskelanordnung gegen das Schwimmblasenlumen abgeschlossen werden kann. Bedeutungsvollerweise haben, was ich noch einmal betonen möchte, alle die Fische, die kein Oval besitzen, einen ductus pneumaticus, der ihnen gestattet, überschüssiges Gas aus der Schwimmblase ins Maul auszustoßen und so einfach mechanisch zu entfernen, so dass also Oval und ductus pneumaticus gleiche Funktionen haben. Eine dritte Vorrichtung, unter deren bestimmenden Einfluss das Gasgemenge in dem Binnenraume der Schwimmblase gestellt ist, besteht darin, dass das das Schwimmblasenlumen abschließende Plattenepithel in distaler Richtung für Sauerstoff undurchgängig ist, wie ich es in memer Arbeit p. 99 dargelegt habe. Auszunehmen ist von dieser Undurchlässigkeit für Sauerstoff allein das Plattenepithel des Ovals, das selbstverständlich für Sauerstoff durchgängig sein muss. Fasse ich das Gesagte zusammen, so kann ich die Physiologie der Schwimmblase dahin präzisieren, dass der Fisch, abgesehen von dem Effekt seiner mechanischen Einstellung durch die Schwimm- blase, durch diese in allen Wassertiefen das spezifische Gewicht seiner Umgebung, also — 1, erreicht. Zu dem Ende ändert der Fisch bei plötzlichem Höhenwechsel das Volumen seiner Schwimm- blase aktiv durch Muskeltätigkeit. Die endgültige Einstellung des Fisches auf ein bestimmtes Niveau, auf dem er verharrt, über- nehmen die Organe der Schwimmblase. Die Schwimmblasenluft entstammt also dem Blute, und zwar wird eine Vermehrung, resp. Verminderung der Schwimmblasenluft lediglich dadurch erzielt, dass der Fisch aktiv Sauerstoff in den Binnenraum der Schwimm- blase sezerniert, resp. ihn bei den Physoclisten wieder durch das Oval 149 Schulz, Über Gallenfarbstoffe im Gehäuse von Mollusken. austreten lässt. Die Stickstoff- und Kohlensäuremengen bleiben da- gegen konstant, da sie durch Diffusion vom Blute aus geliefert werden. Durch die Schwimmblasenorgane ist also ein Mechanismus eingestellt, der in seiner Wirkung auf die Größe der Schwimm- blase das spezifische Gewicht des Fisches aufs exakteste reguliert. Wie hingegen beim einfachen Luftschlucken eine so feine Regu- lierung zustande kommen soll, ist gar nicht abzusehen. Wo es einmal beobachtet ist, wie bei den jungen Lachsen (p. 530 der Thilo’schen Arbeit), sieht man sofort das Gefahrvolle und Unzu- längliche einer solchen Einrichtung. Andererseits könnte man, wollte man mit Thilo gehen, für die beschriebenen Schwimm- blasenorgane gar keinen Zweck einsehen, oder mit anderen Worten, die ganze Thilo’sche Erklärung gibt keinen Anhalt dafür, warum die Schwimmblase mit so eigentümlichen Organen ausgestattet ist. Zum Schluss dieser Ausführungen möchte ich nicht verfehlen, auch hier noch darauf hinzuweisen, dass die ganze Tätigkeit der Schwimmblasenorgane durch nervösen Einfluss offenbar in ähnlicher Weise ausgelöst wird, wie die Funktion der Lunge der höheren Tiere. Überschreitet die Ausdehnung der Schwimmblase ein ge- wisses Maß, so wird — entsprechend den Vagusfasern in der Lunge — eine bestimmte Art von Nervenfasern in der Schwimmblase gereizt, und Öffnung des Ovals und damit Sauerstoffaustritt ins Blut er- folgen. Wird das Volumen der Schwimmblase zu klein, so wird die entgegengesetzt funktionierende Art von Nerven erregt und der rote Körper zur Sauerstoffsekretion veranlasst. Fr. N. Schulz: Über das Vorkommen von Gallenfarbstoffen im Gehäuse von Mollusken. In: Zeitschrift für allg. Physiologie, III. Bd., 2. Heft, 1903, p. 91—130. Durch Krukenberg ist schon im Jahre 1883 das Vorkommen von Gallenfarbstoffen in Molluskengehäusen (Halöotis, Turbo, Trochus) wahrscheinlich gemacht worden (C. Fr. W. Krukenberg, Zur Kenntnis der Genese der Gallenfarbstoffe und der Melanine. I. Über das Vorkommen des Biliverdins in Molluskengehäusen und über seine Darstellung aus dem roten Schalenfarbstoffe von Tur- biden und Halioten. Centralbl. d. med. Wissensch. 1883, Nr. 44, p. 785—786 s. auch Vergl.-physiol. Vorträge, 1886, p. 142—148). Krukenberg stützte seine Behauptung hauptsächlich auf den posi- tiven Ausfall der Gmelin’schen Gallenfarbstoffreaktion und auf die spektralen Eigenschaften der so gewonnenen ÖOxydations- produkte. Bei der großen Tragweite dieser Entdeckung hielt es Verf. für geboten, die Pigmente der untersuchten Mollusken einer eingehenderen Prüfung zu unterwerfen, als es durch Krukenberg geschehen ist. Die Methoden, die Verf. dabei eingeschlagen hat, und die ıhn zu den weiter unten mitgeteilten Ergebnissen geführt Schulz, Über Gallenfarbstoffe im Gehäuse von Mollusken. 143 haben, waren die folgenden. Das von der betreffenden Mollusken- schale durch Abfeilen erhaltene Pulver wurde durch verdünnte Essig- oder Salzsäure in Lösung übergeführt. Die Lösung war zunächst rot, wie der Farbstoff in der Schale, verfärbte sich aber rasch gelb oder gelbbraun. Die Lösung wurde beim Stehen durch Oxydation nicht grünlich, dagegen trat intensive Grünfärbung auf, sobald man geringe Mengen Salpetersäure, die salpetrige Säure enthielt, zusetzte, das „Biliverdinogen“ verwandelte sich in Bili- verdin. Die grünen Lösungen gaben die Gmelin’sche Reaktion beim Unterschichten von starker Salpetersäure in ausgesprochener Weise, indem blaue, violette, rote und gelbe Farbenringe entstanden. Am besten gelang die Überführung des roten Biliverdinogen in grünen Farbstoff, wenn das Schalenpulver in dem Hammarsten- schen Säuregemisch (1 T. Säuregemisch bestehend aus 19 T. 25°, HCl, 1 T. 25°), HNO, und 5—10 T. Alkohol) aufgelöst wurde. Schulz konnte somit die Krukenberg’sche Angabe bestätigen, dass durch Oxydation mit Salpetersäure an dem roten Farbstoff von Haliotis rufescens genau das gleiche Farbenspiel hervorgerufen werden kann, wie durch die Gmelin’sche Reaktion am Bilirubin der Galle. Durch seine Löslichkeit unterscheidet sich der unter- suchte Farbstoff dagegen sehr wesentlich von den Gallenpigmenten. Er wird, zum Unterschied von Bilirubin, mit Leichtigkeit von ver- dünnten Säuren aufgenommen und auch von salzsaurem absoluten Alkohol gelöst. Dieses abweichende Verhalten bezüglich seiner Löslichkeit veranlasste Schulz, noch weitere Reaktionen vorzu- nehmen, um den fraglichen Farbstoff zu identifizieren. Jod, das in Lösungen von Bilirubin eingetragen, Grünfärbung erzeugt, hatte in den Haliotispigmentlösungen keinen ähnlichen Farbenwechsel zur Folge, dagegen gelang die ebenfalls für Bilirubin charakte- ristische Diazoreaktion. Noch wichtiger war es indessen, dass es sich möglich zeigte, aus dem Haliotisfarbstoff durch Reduktion mit Natriumamalgam Hydrobilirubin zu erzeugen und dieses in aus- reichender Weise durch die Fluoreszenz seiner Lösungen sowie durch den sehr charakteristischen Spektralstreifen zu identifizieren. Zur Verwendung kamen bei diesem Reduktionsverfahren salzsaure wässrige Lösungen des Pigmentes, da es sich als unmöglich er- wiesen hatte, das Natriumamalgam direkt auf das Pulver einwirken zu lassen. Auch die spektralanalytische Untersuchung der durch Oxydation mit Salpetersäure aus dem Haliotispigment gewonnenen farbigen Produkte ergab, dass die grüne Oxydationsstufe des Pig- mentes möglicherweise mit Biliverdin identisch ist. Die aus der grünen Lösung durch weitere Oxydation erzeugbare blaue oder violette Oxydationsstufe war zu unbeständig, um deutliche Spektral- bilder zu geben. Auf Grund dieser Untersuchungen kommt Schulz zu folgen- dem Ergebnis: „Es besteht zwischen dem Haliotisfarbstoff und seinen Umwandlungsprodukten einerseits und den Gallenfarbstoffen andererseits neben großen Verschiedenheiten (Löslichkeitsverhält- nisse und spektrales Verhalten) eine fast absolute Übereinstimmung 144 Schulz, Über Gallenfarbstoffe im Gehäuse von Mollusken. in der Farbe der verschiedenen Oxydationsstufen. Da außerdem die UÜberführbarkeit in Hydrobilirubin durch Reduktion mit Natriumamalgam beiden Farbstoffgruppen gemeinsam ist, so kann zwar von einer Identität keine Rede sein, wohl aber ist es höchst wahrscheinlich, dass es sich um einander chemisch nahestehende, in dieselbe Klasse gehörige Stoffe handelt.“ In zweiter Linie untersuchte Schulz das rote Pigment in der Haut der roten Wegschnecke (Limax rubra), das nach den Angaben von Dor mit Urobilin identisch sein soll. Die wässerig alkoholischen Lösungen des Pigmentes waren gelb, zeigten indessen weder den für Urobilin charakteristischen Dichroismus noch den bei den Lösungen des Harnfarbstoffes vorhandenen Spektralstreifen, somit ist anzunehmen, dass die vom Verf. unter- suchten roten Wegschnecken kein Urobilin enthielten. Ein positiveres Ergebnis konnte aus der Untersuchung des grünen Farbstoffes von Haliotis californiensis gewonnen werden. Die Lösungen dieses Farbstoffes gaben die Gmelin’sche Reaktion in überraschendster Weise. Dennoch ist der grüne Farbstoff, der sich in den Gehäusen auch in seiner blauen Modifikation vorfindet, mit Biliverdin oder Bilieyanin nicht identisch. Die Lösungen zeigen bei genügender Konzentration einen breiten Absorptionsstreifen zwischen CundD, ein Verhalten, welches mit dem von Biliverdin- lösungen nicht übereinstimmt. Auch im Verlauf der Oxydation des grünen Haliotisfarbstoffes treten Unterschiede zutage, die eine Identität des Pıgmentes mit Gallenfarbstoff ausschließen, entgegen den Angaben Krukenberg’s. Es ergab indessen das Verhalten des durch Phosphorwolframsäure ausgefällten und isolierten Nieder- schlages des Farbstoffes bei der Kalischmelze, dass das Pigment mit der chromogenen Gruppe der Eiweißstoffe und den sich davon ableitenden Farbstoffen, zu denen auch die Gallenfarbstoffe ge- hören, in naher Verwandtschaft steht. Der Haliotisfarbstoff lieferte nämlich mit Kaliumhydroxid und etwas Wasser erhitzt große Mengen von Indol und Pyrrol. Die Darstellung der Küsterschen Hämatinsäuren aus dem Haliotisfarbstoff gelang bis jetzt noch nicht. Die Reduktion mit Natriumamalgam führte zur Bildung eines Kör- pers, der wohl die Lichtabsorption des Hydrobilirubins besitzt, nicht aber dessen charakteristische Fluoreszenz. Verf. kommt zu dem Schluss, dass der grünblaue Farbstoff von Haliotis californiensis keinenfalls mit dem Biliverdin und Bilicyanin der höheren Tiere identisch ist, dass es sich aber doch um chemisch nah verwandte Stoffe handelt, so dass der Haliotisfarbstoff mit den Gallenfarb- stoffen in eine Klasse zu stellen ist. Eine verwandtschaftliche Beziehung zu den Gallenfarbstoffen ergab sich auch bei den Pigmenten der übrigen von Krukenberg erwähnten angeblich gallenfarbstoffhaltigen Molluskengehäusen (Turbo voliaceus, Turbo radiatus). M. v. Linden. [93] Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIV.Ba. 1. März 1904. N 5. Inhalt: Moll, Die Mutationstheorie. — Schreiner,,, Über das Generationsorgan von Myzxine glu- tinosa (L.) (Schluss). — Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. — Biedermann’s Untersuchungen über geformte Sekrete. — Hansemann, Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. Die Mutationstheorie. Von Dr. J. W. Moll. II. Teil, bearbeitet von Hugo de Vries!). Die Mutationstheorie bezieht sich einerseits auf die Entstehung der Arten, andererseits auf das innere Wesen der Artmerkmale. Die Bildung neuer Artmerkmale und gewisse Veränderungen in den bereits vorhandenen Eigenschaften bedingen den Ursprung neuer Arten und Varietäten, und soweit sich die Untersuchungen auf diesen Punkt beziehen, fallen offenbar beide Richtungen der Hauptsache nach zusammen. Das Wesen der Artmerkmale lässt sich noch auf anderen Wegen experimentell erforschen, und zwar am bequemsten auf dem Gebiete der Bastardierungen. Diesen ist somit der wesentlichste Teil des zweiten Bandes gewidmet. Der Verfasser geht aus von dem Prinzipe, dass die Artmerk- male scharf getrennte Einheiten sind, welche nicht fließend, son- dern nur stoßweise ineinander übergehen. Sie verhalten sich zu- einander wie z. B. die Alkohole oder die organischen Säuren einer bestimmten chemischen Reihe. Betrachtet man die ganze Reihe, y Siehe d. 1. T. in dieser Zeitschr. Bd. XXI, 1901, Nr. 9 u. 10, u. d. 2. T. Bd. XXII, 1902, Nr. 16--19. Im vorliegenden 3. Teil soll der 2. Band (Die Milatioustheorie, II Elementare Bastardlehre, Leipzig, Veit u. Comp., 1903, 752 S. mit 8 Tafeln und 157 Textfiguren) besprochen werden. XXIV. 10 146 Moll, Die Mutationstheorie. so stellt sie eine zusammenhängende Gruppe dar, deren einzelne Glieder als Übergangsstufen zwischen ihren Nachbarn betrachtet werden können. Betrachtet man aber die einzelnen Verbindungen, so treten die Unterschiede, welche sie von der nächst höheren oder nächst niedrigeren trennen, immer schärfer in den Vordergrund. Die wissenschaftliche Forschung hat auf dem Gebiete der organi- schen Chemie gerade durch die scharfe Trennung solcher auf- einanderfolgenden Verbindungsstufen den Grund zu einem völlig klaren System gelegt, und die Beziehungen der sichtbaren und messbaren Eigenschaften der Körper zu ihrer hypothetischen mole- kularen Zusammensetzung ermittelt. Die Mutationstheorie stellt sich, in ihrem zweiten Hauptteile, zur Aufgabe, die Lebewesen nach demselben Prinzipe zu erforschen oder doch wenigstens den Weg anzugeben, auf welchem eine solche Erforschung ım Laufe der Zeit, zu einer tieferen Erkenntnis wird führen können. Darwın, Galton und viele andere haben bereits auf die Notwendigkeit des Prinzipes hingewiesen, und die von Darwin aufgestellte, von Galton wesentlich verbesserte Hypo- these der Pangenesis war die Aeußerung dieses Gedankens. Aber für diese hervorragenden Forscher waren die Zellen, Gewebe und Organe noch die Einheiten, aus denen der Organismus, auch bei der am weitesten gehenden Analyse zusammengesetzt war. Nach ihnen waren die gesuchten Einheiten also die Vertreter dieser Teile. Die ganze Auffassung beruhte noch auf morphologischer Grundlage. An deren Stelle setzt die Mutationstheorie ein physiologisches Prinzip. Nicht die Zellen, und ebensowenig ihre sichtbaren Organe oder ihre Verbindungen zu Gebilden höheren Grades sollen die Einheiten sein, sondern die physiologischen Eigenschaften. Diese sind nicht an bestimmte Teile oder Organe gebunden, sie können, wenn einmal vorhanden, mit gewissen äußeren Beschränkungen, überall im ganzen Organismus in Tätigkeit treten. Die einfachsten und klarsten Beispiele liefern die chemischen Prozesse des Lebens, namentlich die Bildung ganz bestimmter chemischer Verbindungen. Das Vermögen, den roten Farbstoff oder das Anthocyan zu bilden, ist nicht auf die Blüten lokalisiert. Es äußert sich oft ebenso klar in den Früchten, und ganz gewöhnlich auch im Laube. Schon im hypokotylen Gliede der Keimpflanze wird es sichtbar, ja bei der Blutbuche färbt es sogar im Innern des Holzes den Saft gewisser lebender Zellen rot. Es ist somit nicht an bestimmte Zellen oder Organe gebunden, sondern ganz unabhängig von der jeweils vor- handenen morphologischen Gliederung. Die Beispiele lassen sich leicht vermehren, und die Tatsache, dass homologe Organe sehr oft in derselben Weise variieren, liefert eine Gruppe von Fällen, wo es sich nicht um chemische Verbindungen, sondern um reine Moll, Die Mutationstheorie. 447 Formen handelt. Als Beispiel wird eine Abbildung des Rubus fruticosus laciniatus gegeben, dessen Blumenblätter zugleich mit den grünen Blättern am Rande zerschlitzt sind, und ein analoger Fall wurde im ersten Band bereits für Chelidonium majus laciniatum ausführlich besprochen. Solche Fälle deuten klar darauf hın, dass die Zerschlitzung im vegetativen Laube und in der Blüten- region nicht etwa zwei voneinander unabhängige Erscheinungen sind, sondern dass sie von einer gemeinschaftlichen inneren Eigen- schaft bedingt werden. Diese muss dann aber offenbar als von den Blättern bezw. von den Petalen unabhängig betrachtet werden, man kann sie nicht als eine Äußerung. der speziellen Natur dieser Gebilde auffassen. Solche Eigenschaften werden elementare genannt; ihr Stu- dium wird hoffentlich einmal den Weg eröffnen, für die Merkmale der Organismen Einheiten aufzustellen, aus deren Wesen und aus deren Zusammenwirken sich die ganze komplizierte Natur einer Pflanze oder eines Tieres wird berechnen lassen. Vorläufig ist selbstverständlich diese Komplikation noch eine viel zu große, und die Aufgabe somit eine unerreichbare. Ganz anders stellt es sich aber, wenn man sich auf die Unterschiede verwandter Arten be- schränkt. Man nimmt dann das beiden Gemeinschaftliche einst- weilen als gegeben an und verschiebt die Analyse davon bis auf weiteres. Es gilt dann nur die unterscheidenden Punkte in ihre Einheiten zu zerlegen, und die Aufgabe wird zwar noch eine schwierige, doch keineswegs mehr eine unlösliche. Gerade im Gegenteil darf man erwarten, dass wenn man die Frage zuerst von dieser Seite angreift, eine immer weiter vordringende Forschungs- richtung sich ergeben wird, welche schließlich zu einer tieferen Einsicht in das eigentliche Wesen derjenigen Substanz führen wird, welche wir vorläufig nur als Träger des Lebens im allgemeinen anzudeuten pflegen. In derselben Weise, wie verschiedene äußere Merkmale von einer selber inneren elementaren Eigenschaft bedingt werden, kann auch dasselbe Merkmal unter dem Einflusse mehrerer elementarer Einheiten verändert werden. Solches tritt am klarsten hervor bei der Entstehung der neuen Arten von Oenothera, wo jede Mutation zweifelsohne nur den Zutritt einer einzigen Eigenschaft bedeutet, wo aber sowohl der Stengel und die Blätter als auch die Blüten und die Früchte dadurch in ihren sichtbaren Kennzeichen sich ver- ändern. Die Entscheidung, welche Gruppe von Änderungen man zusammen als die Äußerungen einer einzigen elementaren Eigen- schaft aufzufassen hat, ist somit eine sehr schwierige, und auf vergleichend-morphologischem Wege kaum jemals genügend zu be- antwortende Frage. Dennoch bildet sie die Hauptaufgabe, und hat man nach Me- 10* 148 Moll, Die Mutationstheorie. thoden zu suchen, um ihre Lösung für eine möglichst große Zahl von Einzelfällen herbeizuführen. Dieses leistet nun die direkte Be- obachtung des Mutationsvorganges nicht, da ausführliche Unter- suchungen hier, außerhalb der Gattung Oenothera, noch viel zu selten sind und vorläufig noch auf zu große Schwierigkeiten stoßen, um eine Entscheidung in allen Einzelheiten zu ermöglichen. Die Entstehung von Linaria vulgaris peloria aus der gewöhnlichen Form konnte unmittelbar und zwar zu wiederholten Malen beobachtet werden; sie war eine plötzliche wie die Mutationen der Oenotheren. Der Schluss, dass die so merkwürdigen und anscheinend so zahl- reichen Merkmale der Pelorien nur Äußerungen einer einzigen, im Speziesbestande auftretenden elementaren Änderung sind, ist somit durchaus berechtigt. Aber die Pelorien treten nicht so oft und so regelmäßig aus der Hauptform hervor, dass sie sich als Material für viel weiter gehende Studien eignen. Ähnlich verhält es sich mit dem Uhrysanthemum segetum plenum und der Dahlia variabilis fistulosa, deren Auftreten in den Kulturen des Versuchs- gartens in Amsterdam beschrieben wurde. Noch weiter vom eigentlichen Zwecke entfernt liegen die Fälle, in denen nur !das Auftreten einer neuen elementaren Art oder Varietät konstatiert wurde, nachdem diese bereits da war. Man hat dann über ihren Ursprung eigentlich nur mehr oder weniger begründete Vermutungen. So für Lychnis vespertina glabra, Oeno- thera biennis cruciata, und ähnlich verhält es sich mit der von Solms beschriebenen Capsella Heegeri und dem von J. Rasor auf- gefundenen Epilobium hirsutum eruciatum. Die neue Form war da; über ıhre Eltern und die Art und Weise ihres Auftretens konnten nur aus den nach dem Auffinden gemachten Beobachtungen Schlüsse abgeleitet werden, denn eine Buchhaltung über ihre Vorfahren fehlte selbstverständlich. Ähnlich verhält es sich in der Regel mit den Angaben aus der gärtnerischen und landwirtschaftlichen Praxis, in denen es sich dazu meistens noch um Varietäten und nur selten um elementare Arten handelt. Andere Wege zur Isolierung der elementaren Eigenschaften mussten somit aufgesucht werden, und als solche wählt die Mu- tationstheorie zunächst die Bastardlehre. Und zwar nicht die bis dahin übliche, welche hauptsächlich im Dienste der Befruch- tungslehre und der gärtnerischen Praxis möglichst komplizierte Kreuzungen in den Vordergrund des Interesses stellte. Ganz im Gegenteil handelt es sich jetzt vorwiegend um möglichst einfache Kreuzungen. Auszuwählen sind die Fälle, wo aus morphologischen Gründen die Unterschiede zweier verwandter Formen als auf eine einzelne, höchstens auf zwei oder einige wenige elementare Eigen- schaften zurückführbar anzunehmen sind. Je geringer die Differenz- punkte zwischen den beiden Eltern einer Kreuzung sind, um so Moll, Die Mutationstheorie. 449 klarer wird das Ergebnis hervortreten, um so wichtiger wird es im allgemeinen für die Mutationstheorie sein. Daher rührt der Name Elementare Bastardlehre, welcher als Spezialtitel dem zweiten Bande vorangesetzt wurde. Es handelt sich eigentlich mehr um die Kreuzung der elementaren Eigenschaften als um jene der pflanzlichen oder tierischen Individuen. Diese sind nun die Träger jener Eigenschaften, ihre Kreuzung ıst nur insofern wichtig, als sie nun einmal der unerlässliche Boden ist, auf dem sich die Kreuzung der einzelnen Eigenschaften abspielen muss. Auf dem Gebiete der Abstammungslehre führte die Mutations- theorie zu der Erkenntnis zweier wesentlich verschiedener Vorgänge, welche sich an der Ausbildung des ganzen Stammbaumes überall in hervorragender Weise beteiligen. Überall gehen Fortschritt und Rückschritt Hand ın Hand. In allen Familien, in weitaus den meisten Gattungen beruhen die Merkmale teilweise auf neuen Errungenschaften, teilweise aber auch auf dem Verschwinden an- derer. Bei den Monokotylen und bei den Aroideen tritt das Ver- schwinden älterer Merkmale vielleicht am meisten in den Vorder- grund, aber wohl überall spielt es eine sehr wesentliche Rolle. Das äußere Verschwinden braucht aber nicht auf einem inneren Verlust der betreffenden Eigenschaft zu beruhen, ganz im Gegenteil ist es seit langer Zeit bekannt, dass in großen Gruppen von Erscheinungen schwerwiegende Gründe vorliegen, um nur ein Inaktivwerden, eine sogenannte Latenz anzunehmen. Diese Latenz lässt sich aus atavistischen Erscheinungen viel- fach nachweisen, dagegen fehlt uns für ein wirkliches inneres Ver- schwinden noch jedes Mittel der sicheren Erkenntnis. Die Forschung hat sich somit einstweilen auf die Latenz als die wahrscheinlichste Hypothese zu beschränken, und auf dem Gebiete der elementaren Bastardlehre führt diese Vorstellung zu einer so einfachen Trennung und Anordnung des vorhandenen Tatsachenmateriales, dass diese Beschränkung schon dadurch sich als eine äußerst zweckmäßige und also völlig berechtigte ergibt. Denn es liegt offenbar auf der Hand, anzunehmen, dass die Kreuzungen zweier anscheinend völlig gleicher Individuenpaare ganz andere Ergebnisse liefern wird, wenn in dem einen Paare die Diffe- renz auf dem Vorhandensein des Merkmales im einen und auf völligem Fehlen im anderen Individuum beruht, während im anderen Paare, an die Stelle des wirklichen, inneren Mangels nur ein scheinbarer Mangel, also nur die Latenz des Merkmales tritt. Diese Über- legung wird am klarsten, wenn man sich im Innern der für diesen Versuch bestimmten Individuen die elementaren Eigenschaften in irgend einer Weise vertreten denkt. Wir nehmen an, dass es sich nur um einen einzigen Differenzpunkt handelt, alles übrige sei in allem genau gleich. Die Differenz aber beruht im einen Falle 150 Moll, Die Mutationstheorie. darauf, dass einer der beiden Eltern eine Eigenschaft mehr hat als die andere. Bei der Kreuzung dieser beiden Eltern findet also jede andere Eigenschaft des Vaters ein ihr entsprechendes Element in der Mutter, nur die eine fragliche findet keine. Im Bastard liegen alle übrigen Eigenschaften paarweise zusammen, wie nach einer normalen Befruchtung. Nur das differentielle Merkmal findet bei der Paarung keinen Gegensatz; es liegt im Bastard unge- paart. A Im anderen Fall aber findet das differentielle Merkmal wohl einen Gegensatz, und zwar dieselbe Eigenschaft im latenten Zu- stande. Es findet also hier bei der Kreuzung genau so wie bei einer normalen Befruchtung für alle einzelne Eigenschaften eine Paarung statt. Jede innere Eigenschaft des Vaters tritt mit der entsprechenden der Mutter in Verbindung. Aber während in allen übrigen Beziehungen die beiden sich verbindenden inneren Paar- linge dieselben äußeren Merkmale vertreten, verhält es sich mit dem Differenzpunkte offenbar anders. Hier besteht im Bastard das Paar zwar sonst aus zwei gleichnamigen Einheiten; von diesen befindet sich aber die eine ım aktiven, die andere im latenten Zu- stande. Ungepaarte Eigenschaften gibt es aber bei einer solchen Kreuzung nicht. Es entsteht nun die prinzipielle Frage, wie verhält sich in einem Bastard eine ungepaarte Eigenschaft, und wie verhält sich ein Merkmalspaar, das aus einer aktiven und einer inaktiven oder latenten Hälfte besteht? Und nach der Mutationstheorie, d.h. nach der Lehre, dass die inneren Eigenschaften aus Einheiten bestehen, ist diese Frage offenbar von einer überaus großen Tragweite, und umfasst fast das ganze Gebiet der Bastardlehre. Die beiden Eltern eines Bastardes können in zwei oder mehreren Punkten sich voneinander unterscheiden. Und diese Punkte können alle der einen, oder alle der anderen Gruppe angehören, oder auch teilweise in die eine und teilweise in die andere Abteilung einzu- reihen sein. Die außerordentlich große Menge der komplizierten Bastardierungen lässt sich m dieser Weise auf sehr einfache Prin- zipien zurückführen. In Anschluss an die Erörterungen des ersten Bandes wird nun eine Nomenklaturfrage behandelt, welche, trotz ihrer großen Schwierigkeiten, doch geeignet ist, zur Klärung des gegenseitigen Verständnisses beizutragen. Im zweiten Teile der vorliegenden Besprechung wurde dargetan, in welchen Punkten Gartenvarietäten sich prinzipiell von elementaren Arten /unterscheiden. Sucht man nach dem Kerne der Bedeutung der Bezeichnungen, Art und Varietät, so kann man darin/den Gegensatz zurückfinden, um den es sich hier handelt. Denn im großen und ganzen unterscheiden sich die Garten- varietäten von den entsprechenden Arten gerade durch den an- Moll, Die Mutationstheorie. 151 scheinenden Verlust irgend einer Eigenschaft. Mangel gewisser Farbstoffe, Mangel der Differenzierung von Staubfäden und Blumen- blättern und zahlreiche andere Beispiele könnten angeführt werden. Charakteristisch für den Verlust einer Eigenschaft ist es selbst- verständlich, dass er überall dort möglich ist, wo die Eigenschaft selbst sich vorfindet. Daher die langen Reihen paralleler Varie- täten, die häufige Wiederholung derselben Abweichung bei den verschiedensten Arten und Gattungen. Das Gepräge des ganzen Formen- und Farbenreichtums im Gartenbau, sowohl für Blumen, wie für Gemüse und Obst, liegt gerade in der Ummodelung der verschiedenen natürlichen Arten nach stets wiederkehrenden, überall sich im wesentlichen gleich bleibenden Prinzipien. Etwas wesent- lich Neues, eine wirkliche morphologische Errungenschaft bringt der Gartenbau uns nur sehr selten — selbstverständlich abgesehen von der Einfuhr neuer, in fernen Ländern entdeckter Arten. Solche Erwägungen führen dazu, die Bedeutung des Wortes Varietät immer enger mit der Erscheinung des Verlustes einer Eigenschaft, d. h. also des scheinbaren Verlustes oder der Latenz in Verbindung zu bringen. Die meisten Varietäten unterscheiden sich von der Art, von der sie abstammen, durch eine solche La- tenz einer oder mehrerer Charaktere. Und da dieser Begriff ein sehr scharfer und prinzipieller ist, so empfiehlt es sich, die be- treffende Gruppe von Erscheinungen mit einem gemeinschaftlichen Namen anzudeuten. In Ermangelung eines guten neuen Wortes wird dazu im zweiten Bande der Mutationstheorie einstweilen geradezu das Wort Varietät benutzt. Allerdings wird dadurch die lange Reihe der Begriffe, welche dieses Wort angibt, um einen ver- mehrt, und es wäre besser, eine andere Bezeichnung zu wählen. Solange aber andererseits bei der vegetativen Vermehrung der extremen Varianten der fluktuierenden Variabilität, bezw. der aus- gesuchten Bastarde der gärtnerischen Praxis, die sämtlichen Teile eines derart vermehrten Individuums zusammen noch eine Varietät genannt werden, wird die Benutzung dieses Wortes wohl stets eine verschiedene und wilikürliche, sich auf die jedesmal voran- gestellte Definition beziehende bleiben. Im folgenden seien somit als Varietäten solche Formen an- gedeutet, welche durch das Inaktivwerden irgend einer Eigenschaft aus einer anderen Form hervorgegangen sind, bezw. deren Entstehung in dieser Weise nach der Analogie angenommen wird. Demgegenüber stehen die Arten, im vorliegenden Fall somit die elementaren Arten. Ist Varietät eine Bezeichnung für eine rückschrittliche Metamorphose, so bezieht sich die Bezeichnung Art auf einen Fortschritt. Die ganze Tendenz des natürlichen Systemes legt diese Auffassung so nahe, dass es hier einer weiteren 152 Moll, Die Mutationstheorie. Diskussion wohl nicht bedarf. Die Vermehrung der elementaren Eigenschaften mit wenigstens einer Einheit stempelt also eine Form zu einer neuen, elementaren Art. Diese ist um eine Einheit reicher als die ihr zunächst vorangehende. Wendet man nun diese Nomenklatur auf die oben gegebenen Deduktionen über die einfachen Typen der Bastardierungen an, so ergibt sich offenbar folgendes, wobei wir zunächst annehmen, dass es sich jedesmal nur um einen einzigen Differenzpunkt handelt. Beruht die Differenz einerseits auf der Aktivität und andererseits auf der Inaktivität der fraglichen Eigenschaft, so ist die Kreuzung solcher Formen eine Varietätenkreuzung. Beruht sie aber darauf, dass ein Merkmal in der einen Form vorhanden ist, welches in der anderen, auch in ihrem inneren Wesen fehlt, so handelt es sich um eine Artkreuzung. Im ersten Fall haben wir im Diffe- renzpunkt ein sogenanntes Merkmalspaar, im zweiten Fall haben wir eine bei der Kreuzung und im Bastard ungepaarte Eigen- schaft. Gibt es mehrere differentielle Punkte bei derselben Kreuzung, so kann diese, nach dem obigen, zu gleicher Zeit eine Art- und eine Varietätkreuzung sein; sie folgt dann für diese beiden Gruppen auch verschiedenen Gesetzen. So z. B. verhält es sich bei der Kreuzung von Lychnis diurna und vespertina, deren Farbendifferenz ein Varietätmerkmal ist. Im Anschluss an die hervorragenden Arbeiten und klaren Dar- stellungen MacFarlanes schlägt der Verfasser vor, die Artkreu- zungen als unisexuelle, die Varietätkreuzungen als bisexuelle zu bezeichnen, um dadurch anzugeben, dass die die Differenz be- dingende Eigenschaft im einen Falle nur in einem der Eltern, im anderen Falle aber in beiden vorhanden ist. Diese Bezeichnungen dürften sich aus vielen Gründen empfehlen, namentlich da es ın den zusammengesetzten Fällen sehr bequem ist, dieselbe Hybridi- sierung als für bestimmte Merkmale unisexuell und für andere bisexuell zu beschreiben. Offenbar lässt sich nun erwarten, dass in bezug auf die ein- zelnen Merkmale bisexuelle Kreuzungen in anderer Weise verlaufen werden als unisexuelle, ja dass eine Trennung der einschlägigen Vorgänge nach diesem Prinzip in zwei große Gruppen möglich sein muss. Zu dieser Folgerung, zu der wir hier auf deduktivem Wege gelangt sind, kam der Verfasser im zweiten Bande aber auf dem Wege des Experimentes. Zahlreiche Einzelfälle wurden untersucht, und dabei ergab sich bald das Vorhandensein zweier grundverschie- dener Typen, und allmählich zeigte es sich, dass die Gruppierung der übrigen Fälle um diese beiden Typen herum, mit dem erörterten Unterschiede der bisexuellen und der unisexuellen Kreuzungen parallel verlief. Es war selbstverständlich nicht möglich, alle denk- Moll, Die Mutationstheorie. 453 baren Beispiele experimentell zu prüfen, und ebenso natürlich ist es, dass einige ausführlicher und andere nur nebenbei untersucht wurden. Es kam ja auch nur darauf an, die tatsächliche Existenz der beiden Typen und die Ursache ihrer Verschiedenheit nachzu- weisen. In der Hauptsache ergab sich, dass die unisexuellen Kreuzungen konstante Bastardrassen liefern, während die bisexuellen Verbin- dungen Hybriden ergeben, welche sich in der nächsten Generation spalten. Diese Spaltungen verlaufen nach den Gesetzen, welche Mendel für einen bestimmten Fall, die Erbsen aufgefunden und in mustergültiger Weise ausgearbeitet hatte. Diese Gesetze stimmten aber damals nicht zu den sonstigen in reicher Fülle vorhandenen aber noch nicht kritisch gesichteten Erfahrungen der berühmtesten Hybridologen sowie der Praktiker, und dementsprechend konnten sie sich keine Anerkennung erwerben. Sie blieben, bis auf die Veröffentlichung der ersten vorläufigen Mitteilung des Verfassers, in der Literatur durchaus unberücksichtigt. Sie nahmen seitdem den ihnen zukommenden hohen Rang in der Wissenschaft ein, und zwar namentlich auf Grund der Tatsache, dass ihre Gültigkeit überall im Pflanzenreich für Varietätmerkmale im obigen Sinne nachgewiesen wurde, dass es aber andererseits gelang, sie auf diese zu beschränken. Im zweiten Bande der Mutationstheorie werden die bisexuellen Bastarde Mendelsche genannt und zuerst behandelt. Sie umfassen die folgenden Beispiele (S. 368). A. Die retrogressiven Merkmale, in denen sich die Va- rietät durch die Inaktivität der betreffenden Eigenschaft von ihrer Art unterscheidet. Bei der Kreuzung der Varietät mit der Art herrscht im Bastard das aktive oder Artmerkmal vor, während das latente oder Varietätmerkmal, und zwar meist völlig oder nahezu vollständig, zurücktritt. Die Bastarde gleichen also der Art, und nicht der Varietät; sie sind oft von der ersteren dem Äußeren nach gar nicht zu unterscheiden. Bei der Selbstbefruch- tung bezw. bei isolierter gegenseitiger Kreuzung liefern sie eine zweite Generation, welche zur Hälfte wiederum aus Bastarden be- steht, zu einem Viertel aber zur Art, und zum anderen Viertel zu der Varietät zurückkehrt. Diese beiden letzteren Gruppen bleiben dann in ihren Nachkommen konstant, während sich die erste in derselben Weise spaltet wie die anfänglichen Hybriden. In allen weiteren Generationen verhält es sich dann in derselben Weise. Für die Kreuzung Solanum nigrum X Solanum niyrum chloro- carpum wurde nachgewiesen, dass es sich auch in der achten Generation noch genau so verhält (S. 171). Zu dieser Hauptgruppe gehören die folgenden Unterabteilungen (S. 368): 154 Moll, Die Mutationstheorie. I. Depigmentation, Latenz der Farbe der Blüten, Samen und Früchte sowie des Laubes. Es handelt sich um die roten, blauen und gelben Farbstoffe, nicht aber um das Chlorophyll, und in Fällen zusammengesetzter Farben auch um teilweises Fehlen derselben. Untersucht wurden: a) Für die Blütenfarbe: Agrostemma Güthago X 4A. G. nicaeensis, Antirrhinum majus X A. m. album, Aster Tripolium X A. T. albus, Ohrysanthemum coronarium (gelb) X Ch. ce. album, Olarkia pulchella X C. p. alba, Datura Tatula X Datura Stramonium, Hyoscyamus niger X H. pallidus, Linaria vulgaris X L. v. perlutescens (Lippe der Blüte gelb), Lychnis diurna X L. vespertina, Polemonium coeruleum X P. ce. album, Stlene Armeria X 8. A. alba, Trifokum pratense X T. p. album, Veronica longifola X V. l. alba, Viola cornuta X V. ce. alba. b) Für die Farbe der Früchte: Solanum nigrum X 8. n. chlorocarpum. c) Für die Farbe des Laubes: Amarantus caudatus (rot) X 4. ce. viridis. Einige weitere Beispiele aus der älteren Literatur wurden den obigen nach den vorhandenen Angaben zugefügt. Alle diese Beispiele wurden auf ihr Verhalten in der zweiten Generation geprüft; sie fügten sich alle dem Mendelschen Spaltungsgesetze (S. 151). Die dritte Generation wurde namentlich für Papaver somniferum X P. s. Danebrog untersucht, und für die späteren Generationen wurde, wie bereits erwähnt, Solanum nigrum X 8. n. chlorocarpum ge- wählt. II. Denudation, Latenz der Behaarung und Bewaffnung. Untersucht wurden: a) Für die Behaarung: Lycehnis diurna X L. Presli, Lychnis vespertina X L. v. glabra. b) Für die Stacheln auf der Frucht: Datura Stramonium X. D. laevis. IH. Defarination, Unterdrückte oder stark verminderte Stärkebildung: Zea Mays X Z. M. saccharata. IV. Teilweiser Verlust der unterständigen Lage des Fruchtknotens: Oenothera Lamarckiana X 0. brevistylis. Moll, Die Mutationstheorie. 1455 Diese letztere Pflanze (0. brevistylis) ist eine der neuen Formen, welche im ersten Bande beschrieben wurden, welche aber nie durch Mutation in den Kulturen auftrat, sondern schon beim Anfang der Beobachtungen sich auf dem ursprünglichen Fundort vorfand und seitdem sich dort, trotz des ziemlich scharfen Kampfes um das Dasein aufrecht erhielt'). B. Die degressiven Merkmale. Eine ganze Anzahl von Varietäten unterscheidet sich von den entsprechenden Arten in etwas anderer als in der bisher behandelten Weise. Denn es kann nicht nur vorkommen, dass eine aktive Eigenschaft in den inaktiven Zu- stand übertritt, sondern auch dass sie aus letzterem wiederum aktiv wird. Und dieser Übergang kann in verschiedenen Graden statt- finden. Ist er vollständig, so wird der Gegensatz der beiden Formen der nämliche sein wie die der unter A behandelten Gruppe. Aller- dings ist dann die Form mit dem latenten Merkmal älter als jene mit dem aktiven, so lange aber über die gegenseitige Verwandt- schaft bezw. über die Entstehung der einen Form aus der anderen keine völlig sicheren historischen Angaben vorliegen, wird man solche Beispiele einfach nicht von den Fällen jener Gruppe trennen können. Der Übergang kann aber auch nur teilweise vollständig sein, und dann entsteht eine Verbindung des Art- und des Varietät- merkmales, welche zu einer doppelten Eigenschaft oder einem Paare vikariierender Kennzeichen, also zu einer im vorliegenden Buche Doppel- oder Mittelrasse genannten Form führt. Solche Doppel- oder Mittelrassen sind völlig konstant aber höchst variabel. D. h., dass sie einen weiteren Formenkreis haben als sonst üblich ist, dass die äußeren Grenzen dieses Kreises aber im Laufe der Generationen ebenso permanent sind, als die Grenzen der besten Verlustvarietät. Sie werden im gewöhnlichen Laufe der Dinge nie überschritten; eine Überschreitung kann hier wie sonst, nur durch eine Mutation hervorgerufen werden. Innerhalb des gegebenen Formenkreises sind sie alle höchst variabel, da sie zwei oft durch- aus verschiedene, sich gegenseitig ausschließende aber meist in der buntesten Weise sich nebeneinander entfaltende innere Eigenschaften enthalten. Die Kreuzungen solcher Doppel- oder Mittelrassen stoßen auf sehr große Schwierigkeiten. Diese rühren daher, dass sie, nach dem Hauptprinzipe der Theorie, der Vorschrift möglichst einfacher Verbindungen jedesmal mit der betreffenden Art zu kreuzen sind und dass sie das Merkmal dieser Art bereits ın ihrem eigenen Formenkreise enthalten. Man kann es somit einem einzigen Bastard- individuum ganz gewöhnlich nicht ansehen, ob es zu der Art, zum Bastardtypus oder zu der Varietät gehört. Und dieses erschwert 1) Sie wurde daselbst auch im Jahre 1903 beobachtet. 156 Moll, Die Mutationstheorie. offenbar die Zählungen ungemein. Ein Beispiel möge dieses er- läutern. Eine trikotyle Mittelrasse besteht, wenn sie nicht durch Selektion modifiziert wurde, nahezu zur Hälfte aus trikotylen und zur anderen Hälfte aus dikotylen Individuen. Diesen sind einige wenige Hemitrikotylen als Zwischenformen beigemischt. Kreuzt man nun eine solche Rasse mit einer rein-dikotylen Form, so sind die Bastarde gleichfalls dikotyl. Sıe haben nicht etwa gespaltene Keimblätter und sind auch sonst keine Mittelformen zwischen bei- den Rassen, wie manchmal, nach Analogie der üblichen Kreuzungen von in mehreren Merkmalen differierenden Formen vermutet wird. Sie sehen aus wie die reine Art und wie die dikotylen Individuen der trikotylen Rasse. Gewinnt man nun, durch Selbstbefruchtung, die zweite Generation, so muss diese, falls die Mendelsche Spal- tungsformel zutrifft, aus !/, der reinen Art, ?/, der ersten Bastard- generation und !/, der trikotylen Mittelrasse entsprechenden Indi- viduen zusammengesetzt sein. Dass die reine Art und der Bastardtypus sich voneinander äußerlich nicht unterscheiden, trifft auch sonst bei Mendelschen Bastarden zu. Hier aber nımmt nur ein Teil des letzteren Viertels den Typus der drei übrigen an, in- dem er dikotyle Keimpflanzen aufweist, während nur der andere Teil aus Trikotylen besteht. Wäre alles so einfach wie hier ange- nommen, und enthielte die Mittelrasse stets geradezu 50°/, Triko- tylen, so müsste man also nur '/, oder 12,5°/, trikotyle Individuen in der zweiten Generation erwarten. Die Erfahrung ist für Antirrhinum majus, Cannabis sativa und Papaver Rhoeas mit dieser Folgerung in genügender Übereinstimmung (S. 309) und auch die entsprechende Kreuzung von Helianthus annuus syncotyleus gab das zu erwartende Resultat (ca. 10—15°/, S. 345). Um aber zu einer dritten Generation zu gelangen, müsste man die Gruppen der diko- tylen Keimlinge der zweiten voneinander trennen können. Solches ist, wo Selbstbefruchtung möglich ist, allerdings zu erreichen, führt aber, wie man leicht einsieht, zu sehr ausgedehnten Versuchen für die Beantwortung jeder einzelnen Frage. Dementsprechend sind die Versuchsreihen hier bei weitem nicht so vollständig als in der ersten Hauptgruppe. Zu der Gruppe B gehören die folgenden Beispiele (S. 370). I. Gestreifte Blumen und Früchte. Man kann die Strei- fung der Blüten gegenüber der gefärbten Mutterart oder gegenüber der weißen, also ganz farblosen Varietät prüfen. Es ist dabei zu erwarten, dass sie sich der ersteren gegenüber als rezessiv, der letzteren gegenüber als dominierend verhalten wird, und solches würde auf eine komplizierte Natur des Merkmales hinweisen. An- dererseits sind die gestreiften Sorten nie rein, da sie mehr oder weniger zahlreiche einfarbige Individuen, oder als Knospenvariation entstandene Äste oder Einzelblüten hervorbringen. Man kann also Moll, Die Mutationstheorie. 457 für die Kreuzung entweder solche einfarbige oder andererseits ge- streifte Exemplare wählen. Die Erblichkeitsverhältnisse, oder kürzer die prozentischen Erbzahlen dieser beiden Gruppen von Individuen sind, obgleich sie derselben Rasse angehören, durchaus verschie- dene, wie im zweiten Teil dieser Besprechung erörtert wurde. Dementsprechend sind auch bei ihrer Kreuzung mit einfarbigen Sorten stark auseinandergehende Zahlenergebnisse zu erwarten. Als Beispiel wurde Antirrhinum majus luteum rubro-striatum gewählt, dessen Stammbaum im ersten Bande ausführlich studiert worden war. Es wurde mit einer weißen Varietät gekreuzt und zwar wurden dazu sowohl einfarbig rote als gestreifte Individuen der Rasse benutzt. Die erste Bastardgeneration entsprach in bei- den Fällen in den Färbungsmerkmalen der gestreiften Varietät, aber mit verschiedenen Zahlenverhältnissen. Der rote Vater, der bei Selbstbefruchtung 16°/, gestreifte Nachkommen hatte, gab deren bei Kreuzung mit einer weißen Mutter 26°/,, während die übrigen 74°/, einfarbig rot blühten. Der gestreifte Vater gab bei derselben Kreuzung 3°/, rote und 97°/, gestreifte Kinder, also etwa ebensoviel wie er bei Selbstbefruchtung würde gegeben haben. Die gestreiften Bastarde wurden künstlich mit dem eigenen Pollen befruchtet. Ihre Nachkommenschaft würde, nach dem Spaltungsgesetze, 25°/, weiße und 75°/, der gestreiften Rasse angehörige Individuen ent- halten müssen. Von diesen 75°/, müssten dann wieder etwa 3°, rot und die übrigen gestreift sein. Die Kultur umfasste nur 125 Pflanzen und enthielt 67°/, gestreifte, 2°, einfarbig rote und 31°), blassblütige Individuen ohne Streifen. Die Übereinstimmung war also eine genügende, in Anbetracht des geringen Umfanges der Kultur. In derselben Weise wurden einige weitere Versuche angestellt und andere Fälle geprüft; soweit die Zahlen bestimmten Ausschluss gaben, entsprachen sie dem Mendelschen Spaltungsgesetze. Ahn- lich verhielten sich auch andere gestreifte Blüten, wie z. B. bei Papaver nudieaule, sowie die gestreiften Früchte der Varıetät Har- lekin des gewöhnlichen Mais. I. Die mehrscheibigen Blätter des Trifolium pratense quinquefolium boten ein sehr günstiges Material für diese Versuche. Die Kreuzung ist hier sehr bequem, indem eine isolierte Pflanze, auch bei reichlichem Bienenbesuch keinen Samen ansetzt. Stellt man somit ein einzelnes Exemplar einer Varietät neben einem Beete einer anderen, so trägt ersteres nur in jenen Blüten Samen, welche von den Pollen der anderen Sorte befruchtet worden waren. Und um dieses zu kontrollieren, wählt man für die Mutter eine weißblühende Form und setzt sie neben dem Beete des rot- blühenden fünfblätterigen Klees. Tragen dann ihre sämtlichen Kinder nur rote Blüten, so ist der Beweis geliefert, dass sie aus- 458 Moll, Die Mutationstheorie. nahmslos Bastarde sind. In den beiden beschriebenen Versuchen (Kreuzungen von 1895 und 1896) "wurden diese Maßregeln genommen und trat der erwähnte Erfolg ein. Die erste Bastardgeneration war viel reicher an der Anomalie als die normalen Mütter, da sie in einem Falle z. B. auf 234 Pflanzen deren 172 mit einem oder mehreren 4—5scheibigen Blättern enthielt. Dagegen war der Reichtum der einzelnen Individuen an solchen Blättern gegenüber der Varietät quinquefolium überall eine sehr geringe, und die Bastardgeneration stellte somit in gewissem Sinne eine Zwischenform dar. Die in der gärtnerischen Praxis bekannte Steigerung der Va- riabilität durch Kreuzung findet hier einen Fall, der zahlenmäßiger Behandlung fähig ist. In dem vorliegenden Werke ist dieser Punkt aber noch nicht weiter verfolgt worden. Die zweite Generation spaltete sich sowohl inbezug auf die Blütenfarbe wie auf die Anzahl der Blattscheiben. Die Berech- nung der letzteren konnte aber nur unter gewissen Voraussetzungen gemacht werden, wie sich aus der oben erwähnten Zusammen- stellung der ersteren Generation ermitteln ließ. Dennoch ergab sich eine hinreichend genaue Übereinstimmung zwischen den be- rechneten, und den bei einem Kulturumfange von nur 220 Pflanzen gefundenen Zahlen, wie die folgende Übersicht zeigt: Gefunden Berechnet 1. Rob-und dreszahliei®t., 7.00 0330], 182152], 2. Weiß und fintzahlis 7... 221%, 18.752 3, Rot. und fümtzahle wa. y6T], 56,25°%, Al Weiß und.dreimzahlie.. 2... (0. 50, 6,252, Die berechneten Zahlen sind die bekannte Reihe für die dihy- briden Spaltungen, d. h. für das Verhalten zweier bei derselben Kreuzung tätigen spaltungsfähiger Merkmalspaare. III. Buntblätterigkeit wurde bei Oenothera Lamarckiana und Nicotiana macrophylla untersucht. Die erste Bastardgeneration nach der Kreuzung grüner und bunter Rassen bestand großenteils aus grünen, teilweise (zu 16°/, bezw. 10°/, auch aus bunten Exem- plaren. Das Grün war also dominierend, aber nicht ausschließlich. IV. Gefüllte Blumen wurden bei mehreren Sorten von Pa- paver somniferum mit einfachblühenden Varietäten gekreuzt. Die Bastarde schwankten in der ersten Generation je nach Umständen in ziemlich hohem Maße, zeigten aber im Mittel nur einen schwachen Grad der Füllung. Das ältere Merkmal dominierte auch hier, aber unter Abschwächung durch die Anomalıe. Auch die zweite und dritte Generation wurde untersucht, und zwar in den verschiedenen Fällen, welche die Mendelsche Spal- tungsregel voraussehen lässt. Die ermittelten Zahlen entsprechen Moll, Die Mutationstheorie. 159 den Erwartungen dieses Gesetzes, soweit die Ungleichförmigkeit der ersten Generation dieses zu beurteilen gestattete. V. Gesehlitzte Blumenblätter von Papaver somniferum ergaben ähnliche Resultate in den wenigen ausgeführten Versuchen, uud dasselbe war der Fall mit einem einzigen Kreuzungsversuch zwischen Art und Vartietät bei: VI. Plantago lanceolata racemosa. VI. Trikotyle Rassen. Obgleich die Beschreibung dieser Rassen eigentlich in dem ersten Band ihren gebührenden Platz ge- funden hätte, da sie sich ohne weiteres an die dort im vierten Hauptabschnitte beschriebenen Gartenvarietäten anschließt, so findet sie sich doch hier, als Vorbereitung zu den betreffenden Kreuzungs- versuchen eingeschaltet. Trikotyle Keimpflanzen findet man sehr häufig, namentlich bei Gartenpflanzen, viel seltener im Freien oder bei Unkräutern. Sie kommen in jedem Grade der Spaltung der Samenlappen vor, von fast unmerkbaren Einschnitten zu tieferer Spaltung und völliger Trennung bis zur Ausbildung dreier unter sich anscheinend gleich- wertiger Kotylen. Die Keimlinge mit je einem gespaltenen Kotyl werden Hemitrikotylen genannt, bei den Zählungen aber, auf Grund längerer Erfahrung, mit den Trikotylen selbst zu einer einzigen Gruppe verbunden. Sind beide Kotylen einer Pflanze gespalten, so treten Hemitetrakotylen, bei völliger Trennung aber Tetrakotylen auf; ebenso wurden, wenn auch ganz selten, auch Pentakotylen (z. B. Papaver Rhoeas) und Hexakotylen beobachtet. Alle diese Formen werden als Glieder einer Variationsreihe einer einzigen Anomalie betrachtet und bei den Zählungen unter dem gemein- schaftlichen Namen von Trikotylen zusammengefügt. Der Einfluss der Kotylenspaltungen auf die Blattstellung im nächstfolgenden Teil der Hauptachse, die dabei auftretenden Blattanomalien, Ver- bänderungen und Zwangsdrehungen, sowie das gelegentliche Vor- kommen von vier Kotylen nicht durch Spaltung zweier Samen- lappen, sondern durch Spaltung bezw. Fasziation des hypokotylen Gliedes werden ausführlich besprochen und durch eine Reihe von Abbildungen erläutert. Die Trikotylen finden sich teilweise als Halbrasse, teilweise als Mittelrasse vor. Die eine Rasse ın die andere überzuführen, oder aus einer reinen Art eine trikotyle Mittelrasse herzustellen, gelang nicht, trotzdem es für eine Reihe von Arten, z. T. durch etwa zehn Generationen versucht wurde (Amarantus speciosus, Scrophularia nodosa). Ebensowenig gelang es, aus der Mittelrasse durch Selektion eine reine Varietät, welche ausschließlich trıkotyle Keimpflanzen hervorbringen würde, zu machen. Eine solche ist bis jetzt überhaupt noch bei keiner Pflanzenart bekannt geworden. Die betreffenden Rassen sind also in kultureller Beziehung durch- 160 Moll, Die Mutationstheorie. aus scharf getrennt, obgleich sie in morphologischer Hinsicht aus denselben Typen bestehen. Nur die Zahlenmischung ist konstant eine andere. Es findet sich hier also ein sehr einfaches und klares Beispiel der transgressiven Variabilität vor. Enthält eine Samenprobe eine trikotyle Mittelrasse, so enthält sie diese neben der Mutterart, bezw. neben der diese vertretenden Halbrasse. Es gilt dann diese Rassen voneinander zu isolieren. In dieser Weise gelang es, eine trikotyle Mittelrasse in reiner Ge- stalt darzustellen von Antirrkinum majus, Cannabis sativa, Olarkia pulchella, Helichrysum bracteatum, Mercurialis annua, Oenothera hirtella (nov. spec.), Papaver Rhoeas, Phacelia tanacetifolia und Silene inflata, während bei einer ganzen Reihe anderer, darauf geprüfter Arten die untersuchten Samenproben eine solche trikotyle Mittelrasse nicht enthielten (S. 247 und 281). Wo aber die beiden Rassen in der Mischung vorhanden sind, muss man offenbar erwarten, dass es auch Bastarde geben wird, denn beide wuchsen durcheinander und wurden, falls sie durch Insekten befruchtet worden sind, selbst- verständlich mannigfach gekreuzt. Bei den Isolierungsversuchen wird man also die Aussicht haben, einerseits reine Individuen der gesuchten Rasse zu finden, andererseits aber Mischlinge. Spalten sich diese aber nach den Mendelschen Regeln, so wird man aus ihnen die reine Rasse wieder herstellen können, nur wird es um eine Generation länger dauern. Die Merkmale der Bastarde liegen aber ausschließlich in ihren Erbzahlen, d. h. in der prozentischen Zusammensetzung ihrer Ernte in bezug auf die Trikotylie; an ihren eigenen Kotylen oder an sonstigen Anomalien kann man sie nie erkennen, da die Halbrasse und die Mittelrasse ja für sich bereits die volle Formenreihe enthalten. Die ganze Untersuchung bezieht sich somit auf die Ermitte- lung der Erbzahlen nach möglichst reiner Befruchtung bezw. nach künstlicher Kreuzung. Glücklicherweise liefern nun die Bastarde zwischen beiden Rassen Zahlen, welche dem dominierenden Merk- mal der Halbrasse zwar nahe kommen, aber ihm doch nicht gleich sind. Sie sind etwas reicher an Trikotylen. Ermittelt man. also für irgend eine Aussaat die Individuen mit der höchsten pro- zentischen Anzahl von Trikotylen in ihren Samen, so sind diese, wenn es zufällig keine reinen Exemplare der Mittelrasse geben sollte, doch gerade die Bastarde, und unter ihren Kindern wird sich dann die reine Rasse in derselben Weise isolieren lassen. Und gab es auch keine Bastarde, so darf man offenbar annehmen, dass in der gewählten Samenprobe die Mittelrasse durchaus fehlte. Aus diesen Erörterungen ergibt sich, dass bei geringen Aus- saaten die Aussicht, Bastarde auszuwählen, größer ist, während man bei umfangreicheren Saaten viel eher unmittelbar die reine Mittelrasse wird finden können. Im ersteren Falle braucht es Moll, Die Mutationstheorie. 461 dreier oder mehrerer Generationen, um das Ziel zu erreichen, im zweiten liefert die erste Generation für einzelne Individuen schon die gewünschten Zahlen. Die S. 281 des zweiten Bandes gegebene Tabelle lehrt z. B., dass aus käuflichen Samen von Helichrysum bracteatum unmittelbar ein Exemplar erwuchs, das in seinen Samen 41°/, Trikotylen führte, dass aber meist aus solchen Samenproben nur neue Individuen mit Erbzahlen von 2—-20°/, erhalten werden. Diese sind teilweise Bastarde, teilweise Minusvarianten der fluk- tuierend sehr stark variablen trikotylen Mittelrasse. Kultiviert man ihre Samen unter guten Bedingungen, so erreicht man bei den Bastarden für höchstens ‚ein Viertel, bei den Minusvarianten oft für einen größeren Teil, Individuen mit der normalen Erbzahl der trikotylen Mittelrasse. Als solche wurde für sieben der oben erwähnten Arten 51—58°/,, im Mittel etwa 55°/, oder vielleicht rund 50°/, Trikotylen gefunden, während Antirrhinum majus zu- nächst nur 41°/,, Olarkia pulchella dagegen sofort 64°/, ergab. Ist dieses erreicht und die Rasse somit isoliert und gereinigt, so lässt sie sich durch Selektion der extremen Varianten der fluktuierenden Variation leicht verbessern. Individuen mit 8S0—90°/, oder mehr an Trikotylen in ihren Samen sind dann keineswegs selten, 100°, ließ sich aber nicht erreichen, noch viel weniger eine Rasse mit ausschließlich trikotylen Samen. Auf der Minusseite hat die Selektion denselben Einfluss und führt die Erbzahlen bald weit unterhalb 50°, herab, ohne aber je eine Halbrasse zu erzeugen. Die in solcher Weise gereinigten trikotylen Mittelrassen wurden nun mit den entsprechenden Halbrassen gekreuzt, und die dabei - erhaltenen Ergebnisse entsprachen, wie ich bereits auseinander- gesetzt habe, den Mendelschen Regeln. VIII. Synkotyle Rassen, Helianthus annuus syneotyleus. Die Synkotylie wurde bis dahin ebensowenig experimentell studiert als die Trikotylie.e Um Kreuzungen machen zu können musste also zuerst die Tatsache nachgewiesen werden, dass es synkotyle Halb- und Mittelrassen gibt und dass diese durch Selektion nicht in- einander übergeführt werden können. Auch die kontinuierliche Variabilität, welche sich in der Reihe der Hemisynkotylen, Synko- tylen und Amphisynkotylen, oder Keimlinge mit beiderseits ver- wachsenen Samenlappen äußert, musste zunächst ermittelt werden. Das gleichzeitige Vorkommen von Trikotylie und Synkotylie in den sogenannten Trisynkotylen wird beschrieben, der Einfluss der Syn- kotylie auf die Blattstellung der jungen Pflanze, auf Zwangsdrehung und Becherbildung wird geprüft. Während dazu eine Reihe von Arten aus den Gattungen Mercurialis, Coriandrum, Fagus, Poly- gonum, Raphanus, Oenothera und m. and. die Beispiele lieferten, wurde für das weitere Studium die oben genannte Rasse der ge- meinen Sonnenblume gewählt. Diese wurde 1887 isoliert, erreichte XXIV. 14 162 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). 1888 bereits 83°/, synkotyler Keime und erhielt sich etwa in dieser Höhe, bei fortwährender Selektion durch sieben weitere Generationen, ohne je in eine Varietät mit ausschließlich verwachsenen Kotylen übergeführt werden zu können. Neben dieser reinen Zuchtrasse wurden einerseits atavistische Zuchten gemacht, andererseits hemisynkotyle, indem jedesmal die rein zweikeimblätterigen bezw. die Keime mit nur halbwegs ver- wachsenen Kotylen zur Nachzucht ausgewählt wurden. Die ata- vistische Rasse wurde durch vier Generationen fortgesetzt und er- reichte erst nach dieser Zeit wirklich niedrige Erbzahlen, ohne aber die hohen, von etwa 75°/, dabei zu verlieren. Die hemisynkotyle Kultur dauerte sieben Jahre und schwankte in dieser Zeit hin und her, im ganzen und großen um das Mittel von etwa 50°/, herum. Aber es zeigte sich klar, dass die Wahl dabei nur eine scheinbare war, dass es tatsächlich nur dem Zufall überlassen war, welche Individuen zu Samenträgern würden. Ganz unmöglich war eine Reinzüchtung einer Rasse mit ausschließlicher oder auch nur vor- wiegender Hemisynkotylie. Die Hemisynkotylen waren stets nur Minusvarianten der synkotylen Rassen (S. 337). Die Kreuzung der Halb- und Mittelrassen von Hehianthus annuus wird durch einen hohen Grad von Selbststerilität erleichtert, sie ergab zwischen den beiden Rassen Resultate, welche durchaus den Mendel’schen Gesetzen entsprachen. (Fortsetzung folgt.) Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). Vortrag, gehalten in der Biologischen Gesellschaft zu Christiania d. 12. Sept. 1903. Von K. E. Schreiner. (Schluss.) Ganz parallele Verhältnisse bieten die Ovarien dar, was Ent- wickelung der Masse betrifft. Wir finden Individuen, deren Eier- produktion außerordentlich reich zu sein scheint, wo wir z. B. zu- sammen mit fast reifen Eiern solche von gut 1 mm — die nächste Brut, die entwickelt sein sollte — sowie zahlreiche ganz kleine Eier und 3—4 Generationen von corpora lutea antreffen. Und wir finden alle Übergänge herab bis zu Individuen, die nur imstande gewesen zu sein scheinen, eine Minderzahl von Eiern zu produzieren. Ihre geringe Fruchtbarkeit beruht (gleichwie bei den Männchen) ent- weder darauf, dass von Anfang an beim Tier eine stark reduzierte Anzahl Eier angelegt ist oder darauf, dass die Anzahl der Eier während der Entwickelung durch degenerative Prozesse reduziert werden. Diese letzteren können, wie ich im Anfange meines Vor- trages erwähnte, die Eier auf allen Entwickelungsstufen befallen ganz bis zu dem Zeitpunkt, da sie fast reif sind. Wir finden daher die Anzahl der Eier, die in den einzelnen Bruten zur Reife ge- Schreiner, Über das Generationsorgan von Myxine glutinosa (L.). 165 langen, überaus wechselnd. Die größte Anzahl Eier, die wir gleich- zeitig eine annähernde Reife erlangen sahen, betrug 19. Die Anzahl kann alle Variationen bis auf 1 herab aufweisen. Als Beispiel eines Falles, wo ein Ei allein Reife erreichen zu sollen scheint, kann ich Nr. 2236, ein Individuum von 29,5 cm Länge, vorzeigen. Die übrigen Eier, der gleichen Brut wie das eine große Ei angehörend, können wir als mehr oder weniger schlaffe weiß- gelbliche Säcke erkennen, die frischen corpora lutea nicht unähn- lich sehen. Nicht selten findet man als Zeichen beginnender Degeneration der Eier ein Anschwellen der Pole. Diese Abnormität haben wir in einzelnen Ovarien bei allen Eiern von einer Größe zwischen 2 mm und 14 mm gefunden. Zwischen den Männchen, wo nur eine geringe Anzahl von Fol- likeln Reife erreicht, sowie den Weibchen, die ihr ganzes Leben lang vielleicht nur eine kleine Brut reifer Bier produzieren, einerseits und den sterilen Myxinen andrerseits ist nur ein geringer Unter- schied. In Übereinstimmung mit dem oben genannten Verhältnis, näm- lich dass das Testisgewebe, resp. die Eier auf allen Entwickelungs- stufen von der Degeneration betroffen werden können, finden wir, wie auch aus unserer Tabelle hervorgeht, sterile Individuen von allen Längen. Die Anzahl der sterilen Individuen ist, wie wir ge- sehen haben, keineswegs unbedeutend, indem sie ca. 13°, der in diesem Jahre gefangenen Tiere von einer Länge von 22cm und darüber beträgt. Am größten ist die Anzahl bei Individuen von einer Länge von 25-29 cm. Unter den größeren Exemplaren ist sie viel geringer. Ein nicht unwichtiges Verhältnis ıst, dass unter den Exemplaren, bei denen der Ovarialteil des Geschlechtsstranges mit Testisgewebe vermischt ist, ein größerer Prozentsatz, nämlich reichlich 44°/,, an sterilen Individuen vorkommt, als unter denen, deren Geschlechtsstrang in einen reinen Testisteil und einen reinen Övarialteil getrennt ist. Eine der häufigsten und makroskopisch am leichtesten erkenn- baren Formen der Degenerationen oder vielmehr der Entwickelungs- anomalien im Testis wird von dem zystösen Testis repräsentiert. Ein hübsches Beispiel davon, wie die zystöse Degeneration den ganzen Testis befallen kann, werden Sie bei Nr. 1975 sehen. Die Länge des Tieres war 31,75 cm und die Gesamtlänge des Ge- schlechtsstranges 15,5 em. Die distalen 7 cm präsentieren sich als ein faltiger bis 3 mm hoher Testis, der nur aus größeren und kleineren dicht liegenden klaren Zysten besteht. Der Ovarialteil ist hier ganz wenig und ungleichmäßig ent- wickelt, mit zerstreuten abnormen Eiern Einen Schnitt durch einen ähnlichen Testis habe ich unter 11* 164 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). einem der Mikroskope aufgestellt. Auf dem Querschnitt sieht man, dass der ganze Testis aus großen und kleinen runden Zysten be- steht, worin sich nur ein ganz fein granulierter unorganisierter In- halt befindet. Zwischen den einzelnen Zysten bildet das Testis- stroma nur dünne Scheidewände. Es ist natürlich möglich, dass sich zwischen den von uns als steril angeführten Exemplaren einige finden, die vielleicht eine ge- ringe Menge reifer Geschlechtsstoffe produziert haben mögen, ebenso wie sich wahrscheinlicherweise auch zwischen unseren jungen Männ- chen und Weibchen Individuen finden, die richtiger in der Gruppe der Sterilen zu Hause gehören. Hoffentlich gleichen sich diese möglichen Fehler einigermaßen aus, so dass unser endgültiges Fazit doch ziemlich korrekt wird. Früher habe ich erwähnt, dass man bei den guten Männchen den „Ovarialteil“ rudimentär findet. Es gibt nicht selten Fälle, wo bei den Männchen der proximale Teil des Geschlechtsstranges nicht allein rudımentär ist, sondern in längeren oder kürzeren Partien überhaupt nicht die geringste Produktion weder an Eiern noch Testisfollikeln aufweist, also nicht allein physiologisch, sondern auch morphologisch gesprochen steril ist. Bei den reinen Männ- chen findet man, wıe bereits früher erwähnt, nicht selten die vor- dersten Zentimeter oder die vordersten paar Zentimeter morpho- logisch steril. Auch bei einer jeden anderen Variation in der Zusammensetzung des Geschlechtsstranges kann man kürzere oder längere Partien des Stranges ganz steril finden. Bei den Männchen kann man, wie Sie z. B. bei Nr. 1582 sehen werden, zwischen den Testislappen sterile Partien finden. Gleichwie bei den Männchen der proximale Teil des Geschlechts- stranges („der Ovarialteil“) nicht selten steril ist, so ıst bei den Weibchen, wovon wir heute abend mehrere Beispiele gesehen haben, der distale Teil des Geschlechtsstranges („der Testisteil*) nicht selten morphologisch steril. Auch zwischen den Eiern können sich an beliebiger Stelle im Ovarıum kürzere oder längere sterile Partien finden. Bei den alten Weibchen, die zahlreiche Bruten von Eiern produziert haben und bei denen keine Neubildung von Eiern er- folgt, wird der Rand des Ovarıums nach und nach steril. Bei In- dividuen, deren „Ovarialteil“ gemischt ist, treffen wir häufig zwischen den Testislappen und den Eigruppen sterile. Strecken. Von den Exemplaren, deren Geschlechtszellen eine stark ge- hemmte Entwickelung aufweisen, so dass sie nur eine geringe Anzahl Eier oder Testisfollikel enthalten, finden wir alle Übergänge zu den Individuen, in deren Geschlechtsorgan überhaupt weder Eier noch Testisfollikel zur Entwickelung gelangen. Bei diesen Tieren besteht das Geschlechtsorgan als Ganzes aus einem Bindegewebsstrang, bedeckt von einem zylindrischen Schreiner, Über das Generationsorgan von Mywine glutinosa (L.). 165 Epithel, einem „Keimepithel“, worin wir die Urgeschlechtszellen vermissen. Ein Beispiel eines solchen absolut sterilen Geschlechts- stranges sehen wir bei Nr. 2007, der eine Länge von 36 cm hatte. Hier präsentiert das Geschlechtsorgan sich als ein dichter, weißlicher, gleichartig gebauter Strang ohne Andeutung weder von Eiern noch Testisfollikeln. Ein Schnitt durch einen ähnlichen Ge- schlechtsstrang von einem etwas kleineren Exemplar (Nr. 1658, 33,25 em lang) ist unter eins der Mikroskope gelegt worden. Solche morphologisch vollständig sterile Geschlechtsstränge trifft man bei Myxinen verschiedener Länge an. Das kleinste sterile Individuum, das wir bisher gefunden haben, war 20 cm lang. Sie kommen jedoch nicht häufig vor, wie wir aus der Tabelle ersehen. Die meisten sterilen Stränge, die wir gefunden haben, waren makroskopisch bedeutend weniger hervortretend als es bei Nr. 2007 der Fall ist. In makroskopisch ganz ähnlichen Geschlechtssträngen wie letzt- genannter haben wir bei der mikroskopischen Untersuchung ein- zelne zerstreute abnorme kleine Eier oder einzelne kleine Testis- follikel unter dem zylindrischen Epithel gefunden. Die Sterilität vermag bei Myxine einen noch höheren Grad zu erreichen als den, welchen Sie bei Nr. 2007 repräsentiert sahen. Die Sterilität kann sich nämlich auch durch einen vollständigen Mangel an einem Geschlechtsstrang äußern. Wir haben bisher nur ein einziges Beispiel dieser Form von Sterilität bei einem 38 cm langen Exemplar (Nr. 2399) gefunden. Bei diesem Indi- viduum finden wir, wie Sie sehen werden, auf der rechten Seite des Mesenteriums dort, wo wir warten sollten, den Geschlechts- strang zu finden, nicht einmal die geringste Andeutung einer Dupli- katur oder Verdickung des Mesenteriums, die auf einen früher existierenden Geschlechtsstrang hindeuten sollten. Wir haben nun, meine Damen und Herren, eine ganze Reihe von Variationen in den Verhältnissen des Geschlechtsstranges bei Myzxine betrachtet. Wir haben gesehen, wie die Länge des Ge- schlechtsstranges in seinem Verhältnis zur Körperlänge wechseln kann. Wir haben gesehen, wie derjenige Teil, welchen der Testis, resp. das Ovarıum von der Gesamtlänge des Stranges einnimmt, innerhalb der weitesten Grenzen variieren kann. Wir haben ferner gesehen, wie von gleich langen Exemplaren einige Entwickelung von Testis und nur ein rudimentäres Ovarıum aufweisen, während bei anderen das Verhältnis umgekehrt ıst, so dass wir deswegen die Männchen und Weibchen trennen mussten. Schließlich haben wir gesehen, dass das Geschlechtsorgan die verschiedenartigste Entwickelung haben kann, von der üppigsten bis zur vollkommenen Sterilität herab. 166 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). Noch haben wir indessen nicht den reichen Vorrat an Vari- ationen erschöpft. Ich bemerkte bei Beginn meines Vortrages, dass der Geschlechtsstrang bei Myxine in der Regel nur auf der rechten Seite entwickelt sei. Er kann indessen auch in größerer oder geringerer Ausdehnung doppelseitig sein. Wenn man ein größeres Material genauer untersucht, wird man nämlich nicht so ganz selten, dem hinteren Teile der Testis- partie entsprechend, auf der linken Seite des Mesenteriums einen oder ein paar kleine Testislappen finden, die an Höhe einigermaßen dem Strange auf der betreffenden Stelle an der rechten Seite ent- sprechen. Dass die Doppelseitigkeit indessen auch von größerer Ausdehnung sein kann, wird aus den hier aufgestellten Präparaten hervorgehen. Wir sehen hier zunächst den Darm mit anhängendem Ge- schlechtsorgan einer 32 cm langen Myzxine (Nr. 1995). Die Länge des Geschlechtsstranges ist hier 16 cm, die distalen 2,5 em des- selben zeigen einen ungleichmäßig entwickelten bis fast !/, mm hohen abnormen Testis. Im proximalen Teile des Stranges, dessen Höhe ca. 3 mm beträgt, liegen dicht gestellte kleine, bis 1!/, mm große Eier. Die distalen 6 cm des Geschlechtsstranges sind doppelt. Auf der linken Seite erstreckt sich das Ovarıum 0,3 cm weiter distalwärts als auf der rechten Seite, zeigt aber sonst gleichwie der dahinten liegende Teil des Geschlechtsstranges genau dasselbe Verhältnis wie auf der rechten Seite. Ein Stück proximalwärts von dem vordersten Teile des linksseitigen Ovarıums sieht man eine einzelne kleine gestielte Eiergruppe. Ein weiteres Entwickelungsstadium eines teilweise doppel- seitigen Geschlechtsstranges finden wir bei Nr. 1110 (31,75 cm lang), die Sie hier aufgestellt sehen, nur mit geöffneter Bauchhöhle. Auf der rechten Seite hat der Geschlechtsstrang eine Länge von 15,3 cm, auf der linken Seite eine Länge von 10,2 cm. Auf beiden Seiten sind die distalen 3cm steril. In den vorderen Teilen sieht man zahlreiche kleine Eier und auf der rechten Seite 14, auf der linken 5 ca. 16 mm lange Eier. Bei Nr. 2348, dessen Länge 34 cm war, finden wir, wie Sie sehen, auf der rechten Seite des Mesenteriums einen 17,2 cm langen Geschlechtsstrang, der in seiner ganzen Ausdehnung faltiger ca. 1!/;, mm hoher Testis, ohne eine Spur von Eiern ist. Den hinteren 7 cm des Stranges entsprechend, finden wir auf der linken Seite des Mesenteriums einen gleich hohen, etwas abgebrochenen Testıs. Diesen drei Beispielen eines teilweise doppelseitigen Geschlechts- stranges ließen sich noch mehrere hinzufügen. Niemals haben wir auf der linken Seite des Mesenteriums einen zusammenhängenden Geschlechtsstrang gefunden, der sich Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzine glutinosa (L.). 167 dem proximalen Ende des rechtsseitigen Stranges mehr näherte als 2 cm. Eine ganz eigentümliche Form von Doppelheit fanden wir bei einem 23,25 cm langen Individuum (Nr. 1505). Die Länge des Geschlechtsstranges betrug hier 11,8 cm, davon waren die hinteren 1,5 cm ca. !/, mm hoher Testis, der mikroskopisch aus einem etwas ungleichmäßigen Epithelmantel gebildet wurde, worunter man ziem- lich zahlreiche, meistens kleine Follikel sah. Dem Testis folgte in proximaler Richtung eine 1,5 em lange Mischungszone, darauf ein »/,—1 mm hohes Ovarıum, worin sich mikroskopisch zahlreiche kleine Eier von ungleichmäßiger Gruppierung fanden, zwischen den Eiergruppen teilweise kurze sterile Partien. Auf der linken Seite des Mesenteriums, der ganzen Länge des rechtsseitigen Stranges entsprechend, fanden sich kleine Lappen, die z. T. an faden- dünnen bis 2 mm langen Stielen hingen. Dem rechtsseitigen Testıs gegenüber fanden sich 4-5 kleine Testislappen. Dem Ovarıum gegenüber ganz bis zu seinem Vorderende eine bedeu- tende Anzahl kleiner Ovariallappen. Auch in einzelnen’ anderen Fällen haben wir ein solches Vor- kommen von kleinen zerstreuten gestielten Lappen auf der linken Seite des Mesenteriums beobachtet. Allgemeine Betrachtungen. Ich habe versucht, meine Damen und Herren, Ihnen eine kleine Skizze des Baues des Geschlechtsorganes von Myxine mit einigen Variationen dieses Baues zu zeichnen. Je mehr man sich in die wunderbare Proteusnatur dieses Organes vertieft, desto deutlicher empfängt man die Überzeugung, wie wahr der Gedanke ist, den Nansen ausgespr ochen hat, nämlich, dass M: yxine sich ın seraeller Beziehung in einem Übergangsstadium, in einer Transformations- periode zu befinden scheint. Nansen lässt die Frage wegen des Ausgangspunktes und des Zieles dieser Transformation unbeantwortet. Versuchen wir nun, ob wir auf Grundlage der neuen Tatsachen, die unsere Arbeit zuwege gebracht hat, der Beantwortung der Frage etwas näher zu rücken vermögen. Dean kommt (in seiner früher zitierten Arbeit p. 229 u. 274) bei seinen Betrachtungen betreffs der hypothetischen Vorväter der Myxinoiden zu dem Resultat, dass dieselben ein paariges Ge- schlechtsorgan gehabt haben, und dass ihre Eier kleiner waren, aber in größerer Anzahl als bei den jetzt lebenden Formen produ- ziert wurden. Dass Deans Annahme einer früheren Paarheit des Geschlechts- organes richtig ist — was man ja auch im voraus als sehr wahr- scheinlich ansehen musste — wird, wie mir scheint, bewiesen durch 168 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). unseren Nachweis des nicht ganz seltenen Vorkommens eines Ge- schlechtsorganes auf der linken Seite des Mesenteriums. Der ungeheure Reichtum an Eiern in dem jungen Ovarıum bei Myxine, das stete Vorkommen einer Degeneration eines außer- ordentlich hohen Prozentsatzes derselben, so dass in jeder Brut allein 8—19 die Reife erreichen, während die mehrfach doppelte Anzahl während der Entwickelung zugrunde geht, scheint mit Be- stimmtheit dafür zu sprechen, dass die Anzahl der Eier, die bei den Vorvätern von Myzwine gleichzeitig zur Reife gelangten, eine weit größere war als die, welche wir jetzt finden. Diese Reduktion in der Anzahl der Eier ist gewiss einer zunehmenden Größe der einzelnen Eier zuzuschreiben. Eine gleichzeitige Entwickelung zahlreicher großer Eier verbietet der Mangel an Platz in der Bauchhöhle. Wenn wir den Darm von Myzxine Nr. 1110 mit dem doppelten Ge- schlechtsstrang und den 19 16 mm langen Eiern betrachten, sehen wir, wie die letzteren, die bei weitem noch nicht die der Reife entsprechende Größe erreicht haben, tiefe Eindrücke ım Darm hinterlassen, und wir verstehen, wie das Lumen des Darmes, falls sich auf beiden Seiten des Geschlechtsstranges zahlreiche große Eier entwickeln würden, ganz obliteriert werden würde, so dass das Tier nicht imstande sein”würde, Nahrung zu sich zu nehmen. Mehrmals haben wir Fälle”gefunden, wo die großen Eier so dicht lagen, dass eins oder ein paar derselben deutlicherweise durch den Druck seitens der Nachbarn degeneriert wurden. Wir nehmen daher an, dass je nachdem die Dottermasse bei den Vorvätern der Myxinoiden in den einzelnen Eiern zuge- nommen hat, auch die Anzahl der gleichzeitig in den Geschlechts- organen beider Seiten. zur Reife "gelangten Eier abgenommen hat. Darauf hat ein noch weiter um sich greifendes Zunehmen an Größe der Eier zu einem Verschwinden des Ovarialteiles, später des ganzen Geschlechtsorganes auf der linken Seite geführt. Dass das Ovarium der einen Seite rudimentär bleibt, ist ein Verhältnis, das wir sowohl bei höheren Wirbeltieren als auch von Fischen kennen. Bei Carcarias und Sphyrna finden wir somit nur ein rechtsseitiges Ovarıum, bei Scoliodon nur ein linksseitiges. Dass die einseitige Entwickelung des Ovariums auch bei diesen Haifischen von nicht besonders altem Ursprunge ist, wird deutlich durch die Persistenz der Ausfuhrgänge des verschwundenen Ova- rıums und durch den doppelseitigen Testis bewiesen. Welches ist nun der Grund, dass die Myxinoiden, nachdem sie früher zahlreiche dotterarme Eier produziert haben, dazu übergegangen sind, dotterreiche Eier zu produzieren? Diese Frage hängt sicherlich mit der Frage wegen der ganzen Biologie von Myxine zusammen. Um — ich wage nicht zu sagen zur Lösung der Frage, sondern um auf den richtigen Weg zu Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). 169 gelangen, der zur Lösung führt, ist es notwendig, etwas ın die Lebensweise von Myzxine einzudringen. Man sieht in Werken zoologischen Inhalts nicht selten Myxıne als einen Parasiten aufgeführt. Es heißt von ihr, dass sie in lebende Fische durch die Kiemenspalten und andere Öffnungen eindringt und die Fische aussaugt. Dies ist, wie Retzius schon seit mehreren Jahren hervorgehoben hat, kaum der Fall. Persön- lich habe ich nie lebende Fische fangen sehen, worin sich My- xinen fanden und auch nie bei den vielen Fischern, mit denen ich hierüber gesprochen habe, eine Bestätigung dieser Behauptung erhalten. Dagegen ist es eine bekannte Tatsache, dass der Fisch, sobald er an den Angelhaken stirbt und zu Boden sinkt, von Myxinen überfallen wird, die durch den Mund oder die Kiemen- öffnungen des Fisches eindringen und sein Fleisch fressen. Mehr- fach habe ich an den Leinen solche Fische erhalten, von denen nur Haut und Knochen übrig waren und innerhalb der Haut fanden sich eine oder mehrere Myxinen. Diese machen um Dröbak herum zusammen mit gewissen Ürustaceen die Aasfresser des Meeresbodens in etwas größerer Tiefe aus. Wir fangen sie in allen Tiefen zwischen 30 und 200 m an Stellen, wo Schlammboden vor- handen ist, indem wir Aalkörbe hinabsenken, die mit toten Fischen als Köder versehen sind. Je älter der Fisch, desto mehr Anziehungs- kraft scheint er für die Myxinen zu haben, von denen wir im Laufe einiger Stunden bis gegen 400 Stück in einem einzigen Aal- korb haben fangen können. Mit seinen zwei Paar sogen. „Kiefern* (Sublingualzähnen) kratzen die Tiere das Fleisch von den Fischen, indem die „Kiefer“ durch starke Muskeln unaufhörlich vorwärts und nach außen geführt und darauf rasch in die Mundhöhle zurückge- zogen werden. Die Kraft, womit die „Kiefer“ zurückgeführt wer- den, ist so bedeutend, dass Tiere, mit denen ich arbeitete, mir ab und zu unangenehme Läsionen an den Händen zugefügt haben. Nach Cunninghams Beobachtungen von Tieren, die in Aquarien gehalten wurden, liegen die Myxinen, wenn sie nicht auf Raub aus sind, im Schlamme des Bodens vergraben, nur mit der Spitze des unpaaren Nasenrohres hervorragend. Das einzige Lebenszeichen, das man beim Tier wahrnimmt, ist nach Cun- ningham ein Wasserstrom, der sich nach der Nasenöffnung hin bewegt und von den beiden Kiemenmündungen wieder ausgeht.! Nach allem was wir wissen, sind nun die klemen Myxinen darauf angewiesen, auf dieselbe Weise wie die erwachsenen Exem- plare ihr Leben zu fristen und Nahrung zu suchen. Um dies in- dessen zu ermöglichen, ist es notwendig, dass sie eine bedeutende Muskelkraft besitzen, sobald sie sich selbst überlassen sind. Dies wird dadurch erreicht, dass die Eier groß und dotterreich geworden sind, ganz wie bei den Haien, deren Junge, wenn sie 170 Schreiner, Über das Generationsorgan von Mywxine glutinosa (L.). ausschlüpfen, eine bedeutende Entwickelung, genau die Gestalt wie die erwachsenen Tiere aufweisen, und sich wie diese durch Raub ernähren. Gleichzeitig wie sich die aasfressende Lebensweise der Myxine auf dem Boden des Meeres aus einem früheren sicherlich freieren Dasein (vergleiche das Verschwinden der Augen) entwickelt hat, meinen wir, dass auch die Jungen, nachdem sie früher ein mehr pelagisches Leben geführt haben, nun Saprophyten geworden sınd und dass das Geschlechtsorgan in Übereinstimmung hier- mit, nachdem es früher als ein paariges Organ zahlreiche kleine, verhältnismäßig dotterarme Eier produziert hat, dazu übergegangen ist, als ein unpaares Organ eine ziemlich geringe Anzahl besonders dotterreicher Eier zu produzieren. Unsere Annahme, dass die Vorväter der Myxinoiden ein mehr herumstreifendes Dasein geführt haben als die jetzt leben- den Formen, scheint durch das Vorkommen von morphologisch einander so weit nahestehenden Arten wie den drei Ddellostoma- und den drei Myxine-Arten in so weit voneinander entfernten Lokalitäten wie den Küsten von Australien, Norwegen, Schottland, Amerika und Japan bestätigt zu werden. Dass Myxine wenigstens gewiss stark an bestimmte Lokalitäten gebunden ist, darauf scheinen einige von uns gemachte Erfahrungen aus der Umgegend von Dröbak hinzudeuten. Als wir das Sammeln von Myxinen in größerer Menge be- gannen, kannte ich von früher her eine Stelle, wo dieselben in be- deutenden Mengen in einer begrenzten Tiefe von ca. 80 m vor- kamen. Hier fischten wir dann beständig. Nachdem wir indessen eine Zeit lang gefischt hatten, begann die Menge der gefangenen Individuen in so bedeutendem Grade abzunehmen, dass wir uns eine neue Fangstelle suchen mussten, 2—3 km von der ersten ent- fernt. Nach Verlauf eines Jahres ungefähr haben wir nun auf der alten Stelle wiederum eine reiche Ernte gehalten. Ein anderer Umstand, der sich vielleicht auch in derselben Richtung deuten lässt, ist der, dass die Myxinen an den verschiedenen Stellen im Dröbaksfjord nicht ganz dasselbe Verhältnis aufweisen. Wäh- rend wir z. B. an einer Stelle nicht selten reife Weibchen von 26—28 cm finden, finden wir an einer anderen Stelle, die nur 4—5 km von der ersten Stelle entfernt liegt, in einer Bucht, Weib- chen von entsprechender Länge fast beständig nur mit kleinen Eiern und die primiparen Weibchen sehr selten unter 31—33 cm lang. Durch Nansens Beschreibung der von ihm untersuchten Myxinen empfangen wir gleichfalls den Eindruck, dass die My- xinen in der Nähe von Bergen verhältnismäßig etwas länger sind, Schreiner, Über das Generationsorgan von Mywxine glutinosa (L.). Wal als diejenigen, die wir draußen im Fjord bei Dröbak finden, da- gegen mehr mit den von uns in der oben erwähnten Bucht ge- fundenen übereinstimmen. Wir hoffen später diese Verhältnisse genauer untersuchen zu können, wenn wir uns Myxinen sowohl von Bergen als auch von anderen Orten unserer Küste verschafft haben werden. Die wichtigste Frage in Betreff des Baues des Geschlechts- organes bei den Vorvätern der Myxinoiden ist, ob dasselbe hermaphroditisch gewesen ist oder nicht. Im Gegensatz zu Dean, der meint, dass die Vorväter der Myxinoiden getrennten Ge- schlechts waren, und der das Vorkommen von Eiern im vordersten Teile des Geschlechtsstranges bei den Männchen (und wohl auch das Vorkommen von Testisfollikeln in dem hinteren Teile bei den Weibchen) mit dem ziemlich seltenen Vorkommen von einzelnen unreifen Eiern im Testis bei Teleostiern, Petromyzonten und Amphı- bien vergleicht und alle diese Verhältnisse als „teratologische* zu- sammenfasst (p. 224 in seiner oben zitierten Arbeit), nehmen wir an, dass bei den Vorvätern der Myxinoiden ein effektiver Hermaphroditismus bestanden hat, indem wahrscheinlich der proximale Teil des paaren Geschlechtsorganes Eier, der distale Teil desselben Spermien produzierte, ohne dass jedoch die Grenze zwischen diesen beiden Teilen scharf gewesen. Aus dem effektiven Hermaphroditismus denken wir uns den jetzt bestehenden Diözismus auf die Weise entstanden, dass Ovarıum und Testis bei einzelnen Tieren nicht genau gleichzeitig Reife er- langten; neben einer allgemein verbreiteten Selbstbefruchtung kam alsdann eine fakultative Kreuzbefruchtung vor. Je nachdem sich die Tiere in immer größerer Anzahl an denselben Lokalitäten an- sammelten, wurden die Bedingungen für Kreuzbefruchtung größer ; diese wurde nach und nach allgemeiner, während die Selbstbefruch- tung seltener wurde und schließlich verschwand. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Hermaphroditismus mit dem beginnenden Zunehmen der Eier an Dotterreichtum und damit auch an Entwickelungszeit den Charakter einer Protandrie angenommen hat. Gleichwie ob nun eine solche Protandrie exi- stiert hat oder nicht, nehmen wir an, dass während der weiter gehenden Ansammlung von Dotter in den Eiern und während der dementsprechenden früheren Entfaltung des Ovariums bei einzelnen Individuen Testis nicht zur Reife gelangte, während bei anderen Testis seine Funktion über die für das Entfalten des Ovariums günstigste Zeit fortsetzte, und dass auf diese Weise neben den effektiven Hermaphroditen einzelne Individuen vorkamen, bei denen der Hermaphroditismus rudimentär blieb, indem sie ihr ganzes Leben lang oder den größten Teil desselben hindurch entweder als Männchen oder als Weibchen fungierten. Indem die Zahl 172 Schreiner, Über das Generationsorgan von Myzxine glutinosa (L.). dieser Exemplare aus irgend einem uns unbekannten Grunde zunahm, ist dann der Diözismus, den wir jetzt antreffen, ent- standen. Allein durch die Annahme eines früher bestehenden effektiven Hermaphroditismus, der sich im Laufe der Zeit zum Diözismus entwickelt hat, können wir uns die fast konstant erkennbare Diffe- renzierung des Geschlechtsstranges von Myzine in einem Testisteil und einem Ovarialteil und die Variationen, die diese beiden Teile in ihrem gegenseitigen Verhalten aufweisen, bis zu den Fällen, wo der ganze oder fast ganze Geschlechtsstrang sich entweder als reiner Testis oder als ungemischtes Ovarium präsentiert, erklären. In Übereinstimmung mit dieser unserer Auffassung halten wir es nicht für unwahrscheinlich, dass die Geschlechtsdifferenzierung bei Myxine erst auf einer ziemlich späten Entwickelungsstufe ein- tritt. Die meisten Tiere unter 16—17 cm Länge zeigen, wie früher erwähnt, häufig zahlreiche kleine Eier ım ÖOvarialteil und kleine Testis- follikel oder Ursamenzellen im distalen Teil. Bei den etwas älteren Tieren sehen wir dann bald das Ovarıum, bald Testis an die Spitze der Entwickelung treten, während der andere Teil zurück bleibt und von degenerativen Veränderungen betroffen wird. Das Ein- treten der Geschlechtsdifferenzierung scheint indessen bald in einen frühen, bald in einen späteren Zeitpunkt der Entwickelung fallen zu können. In einer Reihe von Fällen, nämlich bei einem nicht geringen Teil der physiologisch sterilen Exemplare, scheint es, als ob die Geschlechts- differenzierung zu dem sonst für das Eintreten derselben üblichen Zeitpunkt ausgeblieben sei. Wir finden dann eine einigermaßen parallele Entfaltung von Testis und Ovarıum, so dass einem ziem- lich großen Ovarıum ein verhältnismäßig auffallend entwickelter Testis entspricht und umgekehrt. Diese Fälle lassen sich vielleicht ebenso wie das Auftreten eines Geschlechtsstranges auf der linken Seite des Mesenteriums als eine Art von „Atavismus“ auffassen. Vor Auftreten des Diözismus bei Myzine denken wir uns ja gerade, wie oben erwähnt, eine einigermaßen parallele Entwickelung von Testis und Ovarıum. Eine solche parallele Entwickelung führt in- dessen jetzt nach Verlauf kürzerer oder längerer Zeit zur Degene- ration sowohl von Testis als Ovarıum; weshalb, wissen wir nicht, wir ahnen nur, dass die Ursache in einer Wechselwirkung zwischen Testis und Ovarium liegt. Für die weitere Entwickelung des Ovariums hat Testis bereits eine zu hohe Differenzierung erreicht und ebenso das Ovarium für die weitere Entfaltung von Testis. Indessen lassen sich keineswegs alle Formen von Sterilität auf diese Weise erklären, besonders gilt dies den morphologisch sterilen Individuen und den sterilen Männchen, wo sich keine Andeutung von Eiern im Geschlechtsstrange findet. Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. 173 Im ganzen müssen wir, meine Damen und Herren, bekennen, dass wir nur eine kurze Strecke auf dem Wege zur Lösung der vielen interessanten Fragen zurückgelegt haben, die das Studium des Baues des Geschlechtsorganes von Myxine darbietet. Durch meinen Vortrag heute abend ist es meine Absicht gewesen, Ihnen das große biologische Interesse klar zu machen, das sich an diese Fragen knüpft. Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. Von Richard Goldschmidt. (Aus dem Zoologischen Institut München.) Die eingehende Beschäftigung mit der interessanten Histologie der Nematoden ließ mich auch die merkwürdigen Ganglienzellen kennen lernen, die seit langer Zeit als „radiärgestreifte* bekannt sind. Da es voraussichtlich noch längere Zeit dauern wird, bis ich im Zusammenhang über den feineren Bau des Ascarisnerven- systemes berichten kann, sei hier bereits einiges über diese Ganglien- zellen mitgeteilt, was auch im Hinblick auf einige neuere Unter- suchungen über Nervenzellen von Interesse sein kann. Leuckart') war der erste, dem die merkwürdige radiäre Streifung dieser Zellen auffiel, ohne dass er weiter ihrer Bedeutung nachforschte. Genauer untersuchte erst Rohde?) den Gegenstand. Er gibt an, dass die Streifung von der Nervenfaser auf die Ganglienzelle übertrete. In gewissen Präparaten zerfiel die Ganglienzelle in radiäre Fibrillen, in anderen sah man die Fibrillen über die Zelle hinaustreten und sich in den Längslinien verlieren. Hesse°), der zuletzt die Zellen untersuchte, nimmt an, dass die Rohdeschen Bilder auf Schrumpfung beruhen. Die radiäre Streifung entsteht nach ihm durch chroma- tophile Elemente, die in radıiären Linien innerhalb des Protoplasma angeordnet sind. Die radiärgestreiften Ganglienzellen sind überall im Nerven- system von Ascaris anzutreffen und stellen hier die verbreitetste Art von Nervenzellen dar. Man findet sie in den größeren Ganglienanhäu- fungen in der Nähe des Schlundringes, im Verlauf der Hauptnerven- stämme, wie in den Ganglien des Hinterendes. Die Struktur ist dabei nicht auf Zellen bestimmter Größe oder Kategorie beschränkt; sie findet sich bei den kleinen Ganglienzellen des Bursalnerven wie bei den riesengroßen Zellen in der Nähe des Schlundringes. Sie findet 1) Leuckart, R., Die Parasiten des Menschen. 1. Aufl. 1876. 2) Rohde, E., Beiträge zur Kenntnis der Anatomie der Nematoden. Zool. Beitr. I, 1885. 3) Hesse, R., Über das Nervensystem von Ascaris megalocephala. Zitschr. f. wiss. Zool., Bd. 54, 1892. 474 Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. sich ferner sowohl bei unipolaren, als auch bei bi- und multipolaren in ganz gleicher Weise vor. Die kleineren Zellen sind zum Stu- dium wenig geeignet, da die sehr zarten Strukturen nicht genügend deutlich hervortreten. Am meisten empfehlen sich einmal die großen multipolaren Zellen, die dicht hinter dem Nervenring in Zweizahl in jeder Seitenlinie liegen, sodann riesige bipolare Zellen, die etwas weiter rückwärts dem Seitennerven eingeschaltet sind (jederseits eine) und schließlich große unipolare Zellen, die jeder- seits vor dem Nervenring in Einzahl in der Seitenlinie liegen und einen mächtigen Fortsatz zum Nervenring senden. (Hesse leugnet das Vorkommen von unipolaren Zellen; dem widersprach aber Hamann) für Lecanocephalus. Ihr Vorhandensein lässt sich auch bei Ascaris unzweifelhaft feststellen.) Einer solchen letzteren ist auch die beistehende Figur entnommen und sie wollen wir deshalb der folgenden Darstellung zugrunde legen. Die Ganglienzelle ist etwa birnförmig, hat einen stumpfen Pol und ein spitz ausgezogenes Ende, das sich allmählich zum Achsen- zylinder oder Stammfortsatz verjüngt. (Es ist wohl opportun, die ja sensu strieto falsche Bezeichnung „Achsenzylinder“ auch für die Ganglienzellen der Wirbellosen anzuwenden. Siehe darüber auch Bethe?).) Für die zu beschreibenden Strukturen ist diese Form irrelevant, da sie an den polyedrischen multipolaren wie an den spindelförmigen bipolaren Zellen in genau der gleichen Ausbildung erscheinen. Die auf S. 176 skizzierte Zelle entstammt einer mittelgroßen Ascaris lumbricoides und misst in ihrem längsten Durchmesser ca. 100 u. Der Achsenzylinderfortsatz ist in dem etwas schräg geführten Schnitt nicht getroffen. Der große Kern, dessen Struktur nichts besonderes bietet, ist von einer Zone größerer Alveolen umgeben (Al), deren Wand kleine körnige Schollen stark färbbarer Substanz — wohl als Tigroidsubstanz aufzufassen — ein- gelagert sind. Die Hauptmasse des Zellleibes besteht aus schwach mit Hämatoxylinfarben färbbarem, bei schwächeren Systemen homogen erscheinendem Plasma (en), das aber bei Anwendung stärkerer Systeme sehr regelmäßig und fein schaumig erscheint. Die Struktur unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Bild der Wabenstruktur etwas, insofern auch das Enchylema der Alveolen sich färbt, also wohl eine ziemlich konzentrierte Lösung darstellt. Deutlicher als hier ist dies an den kleinen Zellen des Bursalnerven zu demonstrieren, wo die Wabenwände der inneren Plasmaschicht als ein sich kaum vom gleichmäßig gefärbten Grunde abhebendes Netzwerk erscheinen. Ich möchte dazu bemerken, daß gerade bei Ascaris alle Ganglienzellen eine deutlich alveoläre Struktur besitzen, 4) Hamann, O., Die Nemathelminthen. 2. Heft, Jena 1595. 5) Bethe, A., Allgemeine Anatomie und Physiologie des Nervensystems. 1903. Goldschmidt, Uber die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. 175 was ja auch von anderen Wirbellosen wie Wirbeltieren bekannt ist, wenn die Struktur auch meist als netzig oder als Kunstprodukt gedeutet wurde. (Siehe z. B. Bütschli®), Ramön y Cajal’), Held®), Smirnow°), Apäthy!P), v. Buttel-Reepen").) Dieser feinstrukturierten inneren Plasmamasse sind oft, besonders in der Nähe des Kerns, große Vakuolen eingelagert, von denen ich jedoch glaube, daß sie erst beim Konservieren durch Platzen und Zu- sammenfließen kleiner Alveolen entstanden sind. Diese innere plasmatische Schicht der Zelle, die sich übrigens allein auf den nervösen Fortsatz erstreckt, ist von einem Mantel grobschaumigen, blasigen Plasmas (ex) umgeben. Er ist am mächtigsten am stumpfen Ende der Zelle, am schwächsten an ihren Seiten entwickelt und schwindet wie gesagt allmählich beim Übergang in den Achsen- zylinderfortsatz. Die einzelnen Schaumblasen sind von ziemlich dünnen Wänden begrenzt, denen aber färbbare Körnchen eingelagert sind, so dass die ganze Mantelschicht dunkler erscheint. Auch das Auftreten einer solchen äußeren plasmatischen Zone kommt den meisten Ganglienzellen von Ascaris zu und wieder sind es die kleineren Zellen, bei denen dieser Schicht so reichlich Tigroid- substanz eingelagert ist, dass sie das gleiche Aussehen erlangt, wie die zirkumnukleäre Zone. Es ist ja ebenfalls auch von anderen Objekten beschrieben (z. B. Hirudineen [Apäthy)). Das radiärstreifige Aussehen dieser Ganglienzellen beruht nun nicht auf einer Struktureigentümlichkeit des Zellleibes, sondern wird durch die Beziehungen der Zelle zu ihrer gliösen Hülle be- dingt. Die Ganglienzelle ıst nämlich von einer Kapsel umgeben (k), die sich scharf von dem Gewebe der Seitenlinie, dem sie einge- lagert ist, absetzt. Sie dehnt sıch bis auf den Ursprung des Achsen- zylinderfortsatzes aus, den sie noch eine Strecke weit einhüllt, um dann allmählich zu verstreichen. Diese Gliakapsel wird außen von einer derben Lamelle (Za) begrenzt und besteht im übrigen aus zahlreichen äußerst feinen, konzentrisch angeordneten Mem- branen, die wieder durch ebensolche radiale Lamellen verbunden 6) Bütschli, O., Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma. Leipzig 1892. 7) Ramön y Cajal, Die Struktur des nervösen Protoplasma. Monatsschr. Psych. Neurol., Bd. 1. 8) Held, H., Beiträge zur Struktur der Nervenzelle und ihrer Fortsätze. Arch. f. Anat. u. Phys., 1895 u. 1897. 9) Smirnow, Einige Beobachtungen über den Bau der Spinalganglienzellen bei einem viermonatlichen menschlichen Embryo. Arch. m. An. Bd. 59, 1901. 10) Apäthy, St., Das leitende Element des Nervensystems etc. Mitt. Zool. St., Neapel 12. 1897. 11) v. Buttel-Reepen, Zur Kenntnis der Gruppe des Distomum clavatum, insbesondere des Distomum ampullaceum und des Distomum siemersi. Zool. Jahrb. 17, 1902. 476 Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. werden. Das Ganze ist von außerordentlicher Feinheit, im Schnitt- bild an ein Spinngewebe erinnernd und nur an sehr gut konser- viertem Material erhalten. Von der äußeren Kapselwand gehen nun zahlreiche radiäre Fortsätze aus (r), die in den Zellleib eindringen, die äußerste Plasmaschicht in der Richtung auf den Kern durchsetzen und nach Ein- tritt in das innere feinschaumige Plasma endigen, jeden- ı N “ Hl NP Ye, DAN A 1% d ar : un De -eX nn EN ra SEN, / 22 > 2 u H N ui? a. ee v0, falls indem sie mit diesem verlöten. Am Ursprung des Achsen- zylinderfortsatzes, wo die Kapselwand noch vorhanden ist, hören die radiären Fäden auf, sie sind auf den eigentlichen Zellleib be- schränkt. Wie weit sie in die innere Plasmaschicht eindringen, ist sehr schwer festzustellen, da sie hier wegen ihrer ähnlichen Färb- barkeit undeutlich erscheinen. Vielfach werden sie aber erst un- weit vom Kern endigen. Bis zu diesem dringen sie jedoch sicher nicht vor. Diese radiären „Fasern“ entspringen mit verbreiterter Basis an der äußeren Kapselwand und verjüngen sich allmählich Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. 177 bis zu einem ganz feinen Fädchen. Es erweckt oft den Anschein, als ob sie an ihrer Basis hohl seien, also Düten vorstellten, die durch eine Einstülpung der Kapselwand entstehen. Eine bestimmte Vorstellung ließ sich darüber aber nicht gewinnen. In dem Zell- leib verlaufen die Fortsätze ohne bis zur zentralen Endigung irgend eine Verbindung mit dem Plasmakörper einzugehen, in feinen Röhren, die von außen in die Zelle eindringen oder richtiger aus- gedrückt, die das Zellplasma peripher ausspart. Am deutlichsten ist dies an ganz peripher geführten Schnitten zu erkennen, die die Röhren mit den Fortsätzen darin quer treffen (Fig. 2). Ein solcher Schnitt zeigt auch besonders instruktiv die ungeheure Zahl dieser in die Zelle dringenden Fortsätze. Es frägt sich nun, welche Bedeutung diesen eigenartigen Struk- turen zuzuerkennen sei; um darüber ein Urteil zu gewinnen, muss erst die gewebliche Natur der Kapsel erörtert werden. Sie zeigt ja keine Spur von Zellkernen, löst sich auch bei leicht eintretenden Zerreißungen von dem umgebenden Gewebe los, könnte somit ja vielleicht nur ein besonders strukturierter Teil des Zellkörpers sein. Abgesehen davon, dass das Verhalten gegenüber dem Achsen- zylinder dies unmöglich macht, lässt sich auch histologisch nach- weisen, dass die Kapsel dem Bindegewebe (im weitesten Sinne) zugezählt werden muss. Die Bindesubstanzen haben bei Ascaris einen ganz eigenartigen Bau. Auf das Detail will ich hier nicht eingehen und nur das Nötigste erwähnen. Wo sich solches Ge- webe findet, zeigt es den gleichen konzentrisch lamellösen Bau, wie er für die Kapsel geschildert wurde. Besonders typisch ist dies zwischen den Markbeuteln der Muskeln entwickelt, wie auch Schneider?) kürzlich feststellte. Nirgends findet sich aber ein Zellkern. Dagegen stehen diese Gewebe alle mit den sogen. Längs- linien des Körpers in Zusammenhang und hier liegen auch die zu- ‚gehörigen Kerne. Wie gesagt sei dies nur angedeutet. Nun sind die Nervenfasern sowohl, wie besonders typisch auch der Nerven- ring und einige kleine unipolare Zellen seiner Umgebung von be- sonders mächtig entwickelten derartigen Lamellensystemen umgeben, die ohne jede Grenze in das syneytiale Gewebe der Körperlinien übergehen und die durch ihre Struktur gekennzeichnete Kerne be- sitzen. Und schließlich haben wir als höchste Stufe die gleichen lamellösen Umhüllungen, in denen die sensibeln Nervenfasern eines in den Lippen liegenden Sinnesorgans verlaufen (des sogen. dorsalen Lateralorgans); hier lässt sich nämlich die allmähliche Sonderung des lamellösen Gewebes aus dem Körper der großen Stützzelle dieser Nerven deutlich zeigen, wie ich!?) dies kürzlich ausführlich 12) Schneider,K.C., Lehrbuch der vergleichenden Histologie der Tiere. 1902. 13) Goldschmidt, R., Histologische Untersuchungen an Nematoden I. Zool. Jahrb. 18, 1903. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nachtragen, dass solche Stützzellen XXIV. 12 178 Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. dargestellt habe. Es unterliegt somit keinem Zweifel, dass die Kapsel den Bindesubstanzen zugehört, d. h. dass sie als Gliagewebe angesehen werden muss. Es liegt nun auf der Hand zu fragen, welche Bedeutung dieser Struktur d. h. dem eigenartigen Verhältnis der Kapsel zum Zellleib zukommt. Und da liegt es gewiss zunächst nahe, an trophische Beziehungen zu denken. Es sind ja durch zahlreiche neuere Unter- suchungen, besonders von Holmgren!*), in den Ganglienzellen der verschiedensten Tiere kanälchenartige Bildungen beschrieben worden, von Holmgren als Trophospongien bezeichnet, die von außen in die Zelle eindringen und sich hier reichlich verzweigen und anasto- mosieren. Der erwähnte Forscher glaubt nachweisen zu können, dass es Fortsätze der die Zelle umspinnenden Kapselzellen sind, die in das Zellplasma eindringen. Innerhalb dieser Fortsätze bilden sich durch Substanzverflüssigung Kanälchen aus. Holmgren be- zeichnet diese Bildungen als Trophospongien, weil er ihnen eine wichtige Rolle für den Stoffwechsel der Zelle zuerkennt, was daraus hervorgehe, dass sich die Tigorridsubstanz in ihrer Nähe bilde. Diesen Befunden wurde insofern widersprochen — erst kürzlich von Pewsner-Neufeld!?) — dass die Kanälchen den Lymph- räumen außerhalb der Ganglienzelle entstammten, aber nichts mit den Kapselzellen zu tun haben. Mir scheint indessen der Zusammen- hang mit den Kapselzellen erwiesen zu sein. Man könnte nun daran denken, dass die radiären Kapselfortsätze der Ascaris- ganglienzellen den Trophospongien entsprechen und nur in der Art der Ausbildung von diesen differieren. Mir scheint dies aber nicht der Fall zu sein. Zunächst spricht dagegen der gerade Verlauf und die radiäre Ausspannung. Sodann haben aber die radıären Fortsätze niemals etwas kanälchenartiges. Ich habe es zwar für wahrschemlich erachtet, dass sie ganz außen an der Kapselwand ein Lumen als Folge einer Einstülpung besitzen, das aber, wenn überhaupt vorhanden, nicht durch den ganzen Strahl zieht, der nach dem Zentrum der Zelle zu einem immer feineren Faden wird. Sodann treten unsere radıären Kapselfortsätze auf ihrem ganzen Verlauf im Inneren der Ganglienzelle niemals bis zur zentralen bereits von Looss (The Selerostomidae of horses and donkeys in Egypt. Rec. Egypt. Gov. Sch. Med. 1901, Cairo) bei Sclerostomiden beschrieben wurden. Diese schönen Untersuchungen waren mir wegen des Publikationsortes unzugänglich und sind mir erst nach Erscheinen meiner Arbeit durch die Liebenswürdigkeit des Verfassers zugekommen. Looss beschreibt dort ebenfalls, dass den verschiedenen Sinnesnerven eine verschiedene Zahl von Stützzellen zukommt. 14) Zusammengefasst in: Holmgren, E., Neue Beiträge zur Morphologie der Zelle. Merkel und Bonnets Ergebnisse Bd. XI, 1902. 15) Pewsner-Neufeld, R., Über die Saftkanälchen in den Ganglienzellen des Rückenmarks und ihre Beziehung zum perizellulären Saftlückensystem. Zool. Anz. 23, 1903. Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. 179 Endigung mit dem Zellplasma in Beziehung, sondern verlaufen frei in der von diesem gebildeten Röhre. Schließlich fehlt das, was für die Trophospongien als besonders charakteristisch erachtet wird, nämlich verschiedenes Aussehen in verschiedenen Funktions- zuständen. Wenn mir somit die trophische Funktion unseres Apparates nicht wahrscheinlich ist, so drängt sich mir eine andere Deutung auf, die eine allgemeine Bedeutung besitzen dürfte. Dem Nerven- system sind bekanntlich in aufsteigender Komplikation besondere histologische Bestandteile eigen, die als Glia zusammengefasst werden. Über ihre Bedeutung hat man im allgemeinen ziemlich unklare Vorstellungen, obwohl ihr bei ihrer Ausdehnung und teil- weisen Komplikation sicher wesentliche Funktionen zugesprochen werden müssen. Die ältere Ansicht Golgis, nach der sich die Dendriten der Ganglienzellen in trophische Beziehungen zu Glia- fasern setzen, dürfte nicht mehr viele Anhänger haben. Das gleiche gilt wohl auch von der Theorie von P. Ramön, der die Neuroglia zur Isolation der Nervenleitung dienen lässt, was natürlich eine Analogie mit elektrischen Vorgängen voraussetzt. Am meisten Anklang findet wohl die Auffassung als Füllgewebe, die sich mit den pathologischen Befunden gut vereint, und Weigert’s'‘%) Annahme einer statischen Gesetzmäßigkeit in der Anordnung der Glia, analog der Anordnung der Knochentrabekeln. Diese an Wirbeltieren ge- wonnene Ansicht scheint mir aber nur für einen Teil der Glia zu stimmen, nämlich für die Glia im engeren Sinne, d. i. die faser- bildende Glia, deren typisches Beispiel das Ependym im Wirbel- tierrückenmark ist und die in gleicher Weise auch bei Wirbellosen auftritt (Apäthy'%), Smidt!”), Joseph'?). Von dieser Hauptmasse der Faserglia — die bei Ascaris übrigens vollständig fehlt — muss, glaube ich, als ein besonderes gliöses Element eigener Funktion die innere Gliahülle oder Kapsel der Ganglienzellen unterschieden werden, die ich für ein stets vorhandenes Organ halte. Hierher zähle ich die Hülle der dieser Mitteilung zugrunde liegenden Ganglienzellen, ferner alle die bei Würmern, Arthropoden, Mollusken, Vertebraten beschriebenen Gliakapseln, vor allem auch die Kapseln der Spinalganglienzellen und, wie ich später zu begründen versuchen werde, die sogen. Golginetze. Histologisch können diese Kapseln ganz verschiedenartig gebaut sein, zellig (Spinalganglien), auf be- stimmte Zellen resp. Syncytien zurückführbar (Ascaris) oder schließ- 16) Weigert, C., Beiträge zur Kenntnis der normalen menschlichen Neuroglia. Abh. Senckenb. Ges. Frankfurt Bd. 19, 1895. 17) Smidt, H., Über die Darstellung der Begleit- und Gliazellen im Nerven- system von Helix ete. Arch. m. An. Bd. 55. 18) Joseph, H., Untersuchungen über die Stützsubstanzen des Nerven- systems etc. Arb. Zool. Inst., Wien 13, 1902. 12* 180 Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascarıs: lich, soweit bekannt, nicht mit Zellen in Verbindung zu bringen (Golginetze). Ein wesentlicher Charakter kommt aber meiner An- sicht nach allen diesen Bildungen gemeinsam zu, nämlich die Fähigkeit Fortsätze in den umsponnenen Ganglienzell- leib zu schicken. Das Eindringen von Teilen der Gliakapsel in das Innere der Ganglienzelle wurde zuerst von Nansen’) für Urustaceen angegeben, später vor allem für Würmer und Mollusken von Rohde:°) verteidigt, der aber im Anschluss an ältere An- schauungen Leydigs dies im Sinne der Hyaloplasmatheorie tut. Durch neuere Untersuchungen von Apäthy!"), Ruzicka?!), Holm- gren!#), Smirnow°) u.a. ist dies Eindringen von Kapselfortsätzen in den Zellkörper unzweifelhaft festgestellt. Wenn Joseph!®) dies für Würmer leugnet, so wird es durch Apäthy’s Befunde bei Hirudineen und meine bei Ascaris unbedingt widerlegt. Bei den Hirudineen scheinen nach diesen Angaben die Verhältnisse sogar denen von Ascaris besonders ähnlich zu sein. Nach Apäthy um- spinnt hier den Ganglienzellleib gewissermaßen als membrana propria eine sehr dünne Gliazone, die besonders entwickelte radıäre Balken ın das Somatoplasma der Ganglienzelle sendet, welche sich dort in feinste Fibrillen auflösen und verschwinden (Aulostoma). Bei Hirudo reichen diese Fortsätze selten weiter als bis zur inneren Grenze der äußeren Alveolarzone. Also auch hierin Überein- stimmung mit Ascaris. Besonderes Interesse beanspruchen die entsprechenden Bil- dungen in den Spinalganglienzellen der Wirbeltiere, weil sie neuer- dings besonders eingehend untersucht wurden und durch Holm- grens bereits oben erwähnte Trophospongiumlehre auch für die Cytologie wichtig erscheinen. Nach Holmgren sind diese eine trophische Funktion erfüllenden Kapselfortsätze nämlich nicht nur für die Ganglienzellen, sondern auch für viele andere Gewebezellen charakteristisch. Falls dies richtig ist, so hat Bethe‘) völlig Recht, wenn er sagt, dass diese Gebilde für den Neurologen an Interesse verloren haben, seitdem sie als allgemeines Zellorgan erwiesen wurden. Dem ist aber nicht so. Ich bin imstande nachzuweisen, dass die in Muskelzellen, Epithelzellen u. s. w. beschriebenen „Lrophospongien“ ebenso wie auch Golgi’s Apparato reticolare interno gar nichts mit den von außen in die Ganglienzellen ein- dringenden Kapselfortsätzen zu tun haben; mehr will ich hier nicht davon sagen, da eine ausführliche Untersuchung darüber in Vor- bereitung ist. Es ergibt sich daraus jedenfalls, dass die Kapsel- 19) Nansen, F., The structure and combination of the histological elements of the central nervous system. DBergens Mus. Aarsb. 1886. 20) Rohde, E., Die Ganglienzelle.. Ztschr. wiss. Zool. Bd. 64, 1898. 21) Ruzitka, Untersuchungen über die feinere Struktur der Nervenzellen und ihrer Fortsätze. Arch. mikr. An. 53, 1899. Goldschmidt, Über die sogen. radiärgestreiften Ganglienzellen von Ascaris. 181 fortsätze eine Eigentümlichkeit der Ganglienzellen sind, die mir für deren Funktion wesentlich zu sein scheint. Es ist mir dabei zunächst gleichgültig, ob Holmgren recht hat, wenn er eine Bil- dung von Kanälchen innerhalb oder aus den Kapselfortsätzen an- nimmt. Es ist dem von verschiedenen Seiten widersprochen worden und ich konnte selbst an den Spinalganglienzellen von Lophius, von denen mir Herr Dr. Doflein gütigst Präparate überließ, mich nicht davon überzeugen, sah vielmehr nur faserige Fortsätze der Kapselzellen, die sich in ihre einzelnen Fibrillen auflösten, die dann nach verschiedenen Richtungen den Zellleib gespannt durchzogen. Mir kommt es vielmehr vor allem auf den Nachweis an, dass in die Zelle eindringende Gliafortsätze allen Ganglienzellen zukommen und ich glaube, dass sich dies in weiteren Untersuchungen auch wird feststellen lassen. Für die Ganglienzellen des Zentralnerven- systems der Säuger ist, glaube ich, dies bereits gefunden und zwar in den Golginetzen. Über diese in der letzten Zeit viel erörterten Bildungen gehen die Ansichten der Untersucher noch weit aus- einander. Während auf der einen Seite Bethe‘°) und Niss1?) die Netze als einen wichtigen nervösen Teil ansehen, der mit dem Fibrillengitter von Wirbellosen zu vergleichen ist, sind Apäthy°®) und Held?) von der gliösen Natur dieser Gebilde überzeugt. Ich möchte mich letzteren anschließen und gerade das von Bethe da- gegen angebrachte zugunsten dieser Auffassung deuten. Mir spricht danach dafür ihr allgemeines Vorkommen im Zentralnervensystem, ihr mantelartiges Einhüllen der Ganglienzelle, der netzige Bau. Auch dass sie je nach dem Zellentypus verschieden aussehen, be- stärkt mich in dieser Ansicht, da ich diese Hüllen ja für funktionell wichtig halte. Schließlich glaube ich Bethe’s Angabe, dass Neuro- fibrillen aus dem Verlaufe in der Zelle abzweigen, radıär zur Ober- fläche ziehen und hier auf einen Knotenpunkt des Golginetzes treffen, so deuten zu müssen, dass hier keine Neurofibrille vorlag, sondern eine in die Ganglienzelle eintretende Gliafibrille, ent- sprechend den oben erwähnten Bildungen anderer Ganglienzellen. Die erwähnten Tatsachen legen also, wie gesagt, die Ansicht nahe, dass die Gliahülle mit ihren Fortsätzen ein konstantes, für die Funktion der Ganglienzellen wesentliches Element darstellen. Dass ihr diese Bedeutung nicht auf Grund einer trophischen Funktion zukommt, habe ich bereits wahrscheinlich zu machen gesucht. Die Wirkung scheint mir vielmehr eine mechanische zu sein, die aus der Anordnung der Teile erhellt. Ein Blick auf Fig. A zeigt, dass die Zelle durch die radiären Fortsätze in dem umgebenden Gewebe 22) Nissl, F., Die Neuronenlehre und ihre Anhänger. Jena 1903. 23) Zitiert nach Bethe. 24) Held, H., Über den Bau der grauen und weißen Substanz. Arch. f. Anat. und Physiologie. 1902. 182 W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete. fixiert, aufgehängt ist. Dass den Fäden dazu eine gewisse Konsi- stenz und Elastizität zukommt, ist nach dem mikroskopischen Bild wahrscheinlich. Die mechanische Wirkung eines derartigen Appa- rates wäre aber die, dass der so aufgehängte Körper dadurch ein- mal sehr empfindlich wird für Erschütterungen, Schwingungen, die ihm zugeleitet werden d. h. dass diese Art der Aufhängung einen Differentialapparat in dieser Hinsicht darstellt. Andererseits werden aber durch dies System Schwingungen, die den Körper treffen, sehr bald verklingen. Jede Verschiedenheit in der Anordnung des Apparates bedingte einen anderen Effekt, so dass daraus die Vor- stellung einer spezifischen Abstimmung abzuleiten wäre, sozusagen eines bestimmten Tonus, der für die Funktion der Zelle unerläss- lich ist. Es soll dieser Gedankengang hier nicht weiter ausgeführt werden, sondern nur noch auf eine Erscheinung der Pathologie hingewiesen werden, die bedeutenden Funktionsstörungen der ner- vösen Zentralorgane durch Erschütterungen (Commotio). Die echte Commotio ist vor allem dadurch charakterisiert, dass trotz der schweren funktionellen Schädigungen ein anatomischer Befund nicht zu erheben ist, so dass man dazu gekommen ist, von einer mole- kulären Alteration zu sprechen?’). Es erscheint mir da sehr wohl denkbar, dass durch schwere Erschütterungen Zerreißungen oder Schädigungen des den Funktionstonus der Ganglienzelle bedingen- den Apparates eintreten, die bisher nicht nachweisbar waren, mög- licherweise aber an geeigneten Objekten sich darstellen lassen. Bereits jetzt dürften unter dieser Annahme manche Erscheinungen dieses Gebietes dem Verständnis näher rücken. München, Dezember 1903. W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete'). Schon 1877, so berichtet Biedermann, wurde von Nathu- sıus von Königsbor n in seinem Buch: „Über nicht zelluläre Orga- nismen“ darauf hingewiesen, dass alle jene Produkte der Zellentätig- keit, die man gewöhnlich als „Kutikulargebilde* zusammenzufassen pflegt, teilweise so außerordentlich komplizierte Strukturverhältnisse darbieten, dass anscheinend nur die Annahme einer selbständigen Lebenstätigkeit und eines besonderen Gesetzen gehorchenden Wachs- tums übrig bleibt. Auch die neuesten Untersuchungen über die lebendige Substanz der Zelle und ihre nicht lebendigen Produkte lehren, dass eine Grenze zwischen beiden äußerst schwierig zu er- richten ist und es müssen daher die vorliegenden Untersuchungen nen s. Schmaus, H. u. Sacki, S., Vorlesungen über die pathologische Ana- tomie des Rückenmarkes. Wiesbaden 1901. 1) Zeitschr. f. allgem. Physiologie Bd. II, Heft 3 und 4, 1903, p. 395—481, mit 4 Tafeln. W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete. 183 und Ausführungen des Physiologen, die uns zeigen, auf welche Weise auch in dieses schwierige Gebiet der Morphologie erfolgreich einzudringen ist, mit größtem Interesse aufgenommen werden. Besonders schwierig ist es in denjenigen Fällen zwischen der lebendigen Substanz der Zelle und dem nicht lebendigen Produkt derselben zu unterscheiden, wo es sich nicht wie bei den Mollusken- schalen um ganz typische Beispiele von geformten Sekreten han- delt. In erster Linie gilt dies für die Chitinbildungen bei Arthropoden. Trotz der Untersuchungen Meyers, Leydigs und Köllikers war in zoologischen Kreisen die Vorstellung ziemlich allgemein verbreitet, dass die Chitinhüllen der Arthropoden sich aus mehr oder weniger zahleichen übereinander geschichteten homo- genen Lamellen aufbauen, die hie und da entsprechend ihrem Ur- sprung, eine mosaikartige Zellenzeichnung erkennen lassen und meist von gröberen oder feineren Porenkanälchen senkrecht durch- bohrt werden. Die Ausführungen Biedermanns zeigen, dass diese Vorstellungen mit dem tatsächlichen Verhalten durchaus nicht übereinstimmen. Als Untersuchungsobjekt diente dem Verfasser der Chitinpanzer verschiedener Käfer. Beim Hirschkäfer ist der Panzer zu oberst von einer dünnen Chitinlamelle bedeckt, deren chemische Zusammensetzung und Struktur von den unter ihr ab- gelagerten Lamellen wesentlich verschieden ist. Sie erscheint deut- lich polygonal gefeldert, eine Zeichnung, die als unverkennbarer Ausdruck der unter ihr flächenhaft ausgebreiteten Epithelschicht aufzufassen ist. Diese äußerste Schicht ist Trägerin der Pigment- und Strukturfarben wie auch der mannigfachen Skulpturen des Arthropodenpanzers. Die unter ihr gelegenen Lamellen sind un- gefärbt und durchsichtig, so dass ihre feinere Struktur unter dem Mikroskop ohne große Mühe erkannt werden kann. An den Flügel- decken oder am Femur der Beine, da wo es also hauptsächlich auf Druck- und Biegungsfestigkeit ankommt, sind eine Anzahl dünnerer Lamellen übereinander geschichtet, von denen jede aus parallel nebeneinander liegenden, ziemlich breiten bandartigen Streifen oder Fasern besteht, deren Richtung sich in benachbarten Schichten in der Regel annähernd rechtwinklig kreuzt. Ein solches geschichtetes Chitinplättehen macht unter dem Mikroskop den Ein- druck einer aus Bändern geflochtenen Matte, wobei nur die sich kreuzenden Bänderlagen ın verschiedenen Ebenen gelegen sind. Diese Bänder verlaufen nur selten auf längere Strecken hin unver- zweigt, sie spalten sich stellenweise und hängen durch kurze, schräg verlaufende Anastomosen seitlich miteinander zusammen. Das so entstehende geflechtartige Gefüge erinnert oft sehr an das Bild der Blätterschichten der Gastropodenschalen, wenn die- selben von der Schmalseite der einzelnen Elemente her gesehen werden. Vielfach erinnern diese netzartigen Geflechte in ihrem feineren Bau an die Struktur gewisser Bindegewebshäute, das Ganze sieht dann aus wie ein grobes, rundmaschiges Netz, bei welchem die Maschen nicht von einzelnen Fäden, sondern von Fadenbündeln umgrenzt werden. Die bindegewebsartig gebauten 184 W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete. Chitinlamellen bilden vorwiegend die inneren Schichten des Brust- schildes, dessen äußere Schichten wie auch die Flügeldecken aus grobfaserigen sich in benachbarten Schichten fast rechtwinklig kreuzenden Lamellen zusammengesetzt sind. Stellenweise begegnet man in den Skeletteilen des Hirsch- käfers einer Struktur, die für andere Käfer als typisch zu bezeichnen ist: Die parallel übereinander verlaufenden aus äußerst dünnen Fäser- chen zusammengesetzten bandartigen Streifen sind weit miteinander verschmolzen, so dass nur kurze den Grenzlinien entsprechende Spalten die Sonderung der einzelnen Elemente andeuten. Es entsteht auf diese Weise in gewissem Sinn eine gefensterte Haut, wie sie sehr viel gröber in den elastischen Platten der Arterienwände bei Wirbeltieren gegeben ist. Die Anpassung an die Funktion tritt aber noch mehr im Bau der Chitinwand des Oberkiefers beim Hirschkäfer hervor. Dieselbe besteht aus einem System konzentrisch angeordneter Lamellen, welche einen zentralen Hohlraum umfassen und von denen jede einzelne aus zahllosen langen, flachgedrückten Chitinbändern aufgebaut ist. Es ist nun die Regel, dass in unmittelbar benachbarten Lamellen die Verlaufs- richtung der Bänder sich kreuzt. So besteht die eine Röhre aus horizontal übereinander geschichteten Ringen, die andere aus ver- tıkal gestellten Bändern, deren Breite mit der Richtung der Radien des Querschnittes zusammenfällt. Derartige „funktionelle Struk- turen“ sind mit dem Bau eines Röhrenknochens zu vergleichen, wo der Verlauf der Fibrillen in den konzentrischen Lamellen der Haverschen Systeme unverkennbare Analogien mit der verwickel- ten Anordnung der Chitinfasern in der Wand des Hirschkäferhornes aufweist. Die Untersuchung dünner Lamellen des Hirschkäferskelettes im polarisierten Licht ergibt, dass die Chitinfasern geradeso wie die Elemente des fibrilären Bindegewebes positiv einachsig doppel- brechend sind und dass die optische Achse der Richtung der Fibrillen entspricht, ferner lässt sich durch Einschaltung eines Gipsplättchens (Rot I. Ordn.) feststellen, dass ebenfalls wie beim Bindegewebe die längere Achse der Elastizitätsellipse der Längs- richtung der Faser oder des Bandes entspricht. Querschnitte durch das Hirschkäferhorn bieten daher unter dem Polarisationsmikroskop ım dunkeln Gesichtsfeld ein ganz ähnliches Bild dar, wie der Quer- schnitt durch ein Haversches Lamellensystem des Knochens. Das- selbe besteht aus einem System heller und dunkler Ringe, die von einem dunklen Kreuz durchzogen werden, dessen Arme unter 0 und 90° orientiert sind. Auch die Flügeldecken von Oryetes nasicornis eignen sich vor- züglich zum Studium des feineren Baues der Chitindecke, wenn sie erst einer längeren Behandlung mit Kalilauge unterworfen werden. Nach Entfernung der schön polygonal gefelderten dunkel- braunen Emailschicht lassen sich mittels Skalpells und Pinzette dünnere und dickere Lamellen abziehen, welche unter dem Mikro- skop bei senkrechter Aufsicht von dunklen Kreuzchen wie übersät W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete. 185 erscheinen. Bei stärkerer Vergrößerung stellen sich diese Kreuz- chen als Spalten dar, die in verschiedenen Ebenen gelegen sind und sich rechtwinklig schneiden. Die Anordnung der kleinen Spalten gibt den Lamellen einen ausgesprochen geflechtartigen Charakter. Einen im ganzen ähnlichen Bau wie bei Zucanes und Oryetes zeigt auch der Chitinpanzer von Dymnastes hercules. Auch hier finden sich in den lichten Lamellen Spalträume, die indessen nicht leer sind, sondern eine fein granulierte Substanz enthalten. Die Untersuchung zeigt, dass es sich hier um Fibrillenbündel handelt, die in Form von rundlichen Strängen oder platten Bändern die Schichten des Chitinpanzers senkrecht durchsetzen. Von besonderem Interesse ist der Bau der Chitindecke von Chalconotus cupreus, der in seinen charakteristischen Strukturen unmittelbar zu Verhältnissen überführt, wie sie bei Crustaceen angetroffen werden. Bei Chalconotus ist nämlich nicht nur die äußere Emailschicht polygonal gefeldert, hier findet sich außerdem eine ähnliche Zeichnung auf den tiefer gelegenen Chitinlamellen. Schon bei schwacher Vergrößerung erkennt man eine zierliche Felderung, die je nach der Einstellung bald helle Flächen mit dunkler, bald dunkle Flächen mit heller Umrahmung zeigt. Die Grenzen der einzelnen polygonalen Feldchen, die Verfasser als Abdrücke der chitinogenen Zellen betrachtet, werden durch auf- fallend breite, bei hoher Einstellung eigentümlich mattglänzende Streifen gebildet von offenbar stärkerem Lichtbrechungsvermögen als die Substanz der Feldchenfläche. Die übrige Fläche eines solchen Lamellenkomplexes erscheint gleichmäßig fein parallel ge- streift oder gegittert, durch feine, sich rechtwinklig kreuzende Fibrillensysteme. In diesem Punkt unterscheidet sich der Panzer von Chalconotus von dem des Hirschkäfers höchstens durch seine feinere Struktur. Sehr interessant sind die physikalischen Ursachen, welche einer- seits die durchgehende Faserstruktur und andererseits die mosaik- artige Felderung der Lamellen bedingen. Diese eigenartige Zeichnung beruht auf einem verschieden starken Lichtbrechungsvermögen der aufeinanderfolgenden Segmente jeder einzelnen Chitinfaser, je nach- dem dieselben der Fläche oder der Grenzkontur eines Mosaikfeldchens entsprechen. Jede Chitinfaser baut sich also — ähnlich wie die Elementarfibrille der quergestreiften Muskelfaser — aus abwechselnd stärker und schwächer liehtbrechenden Segmenten auf und diese Analogie mit der Muskelfaser wird dadurch noch vollkommener, dass die Gliederung jeder Chitinfibrille in stärker und schwächer lichtbrechende Segmente zugleich auch Unterschieden im Vermögen der Doppelbrechung entsprechen, derart, dass eine Fibrille, soweit sıe an der Bildung der Zellgrenzen beteiligt ist, anısotrop, und soweit sie die umschlossenen Flächen der Mosaikfeldchen durch- zieht, isotrop erscheint. Entgegen der Auffassung Bütschlis, der den Chitinschichten des Krustazeenpanzers eine „wabige* Struktur zuschreibt, konnte Verfasser zwischen dem feineren Bau des Chitinskeletts bei Krusta- 186 W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete. zeen und Käfern keinen prinzipiellen Unterschied erkennen. Sehr geeignet zur feineren Untersuchung erwies sich der mit Essig- säure entkalkte Panzer von Sqwilla mantis. Es ließen hier die isolierten Chitinlamellen besonders an unter dem Deckglas einge- trockneten Präparaten eine fibrilläre Struktur nicht verkennen. Die Lamellen sind wie bei den betrachteten Käferpanzern mit feinen Spalten durchsetzt, die sich wie dort in benachbarten Schichten kreuzen können oder aber gegeneinander verschoben sind, bisweilen so sehr, dass statt der Kreuzchen gerader Spalten oft Kreissegmente und sogar fast völlig geschlossene kleine Kreise auftreten. Neben den in der Ebene der Lamellen verlaufenden Chitinfibrillen gibt es auch die Lamellen senkrecht durchsetzende Fasern, wie es bei Dynastes Hercules der Fall ist. Der feinere Bau des Chitinpanzers von Astacus stimmt mit demjenigen von Squilla gut überein, nur sind hier die Fibrillen noch feiner als dort. Auch auf Querschnitten durch den Crustaceenpanzer tritt dessen faserig-fibrilläre Struktur deutlich hervor, und zwar findet hier im Gegensatz zu dem, was bei Käfern beobachtet wird, ein Faseraustausch zwischen benachbarten Schichten durch Umbiegen der Fibrillen in sehr viel reichlicherem Maße statt als dort. Das Verhalten der Chitinlamellen des Crustaceenpanzers im polarisierten Licht ist ebenfalls dem bei Käfern beobachteten sehr ähnlich. Die Chitinfibrillen zeigen sich auch doppelbrechend, ihr weniger regelmäßiger Verlauf und ihre größere Feinheit beein- trächtigt indessen die Deutlichkeit der Bilder. Die Strukturver- hältnisse, wie sie der Crustaceenpanzer darbietet, werden, mit Bil- dern verglichen, wie sie sich bei Rhynchophorus phoenicis, einem Rüsselkäfer darstellen, leichter verständlich. Dies gilt namentlich für das, was von den den Panzer der Crustaceen durchsetzenden „Porenkanälchen“ gesagt worden ist. Einer ziemlich abweichenden Struktur des Chitins begegnen wir bei Untersuchung der widerstandsfähigeren Teile der ausge- wachsenen Larve des Hirschkäfers. Ein Flächenschnitt durch die Kopfkapsel dieses Tieres erinnert ım ersten Augenblick sehr lebhaft an einen Sehnenquerschnitt. Man sieht ein grobmaschiges Gitterwerk von feinfaserigem Aussehen, das ein Mosaik von kleinen polygonalen Feldern umschließt, die von ziemlich breiten Kon- turen begrenzt werden. Die Substanz dieser Grundbalken besitzt eine feinnetzige Struktur, während die Feldchen äußerst fein punktiert erscheinen. Zwischen gekreuzten Nicols tritt das Balken- werk ziemlich helleuchtend hervor, während die umschlossenen Feldehen dunkel erscheinen. In dem zweiten Kapitel seiner Arbeit behandelt Biedermann die Beziehungen, welche zwischen Zellhäuten, Kutikular- gebilden und Bindesubstanzen bestehen und wirft ın erster Linie die Frage auf, was als Zellmembran und was als Kuti- kula zu bezeichnen sei. Während Waldeyer und Leydig die Kutikula als eine durch Ausscheidung seitens der Zellen entstan- dene Membran definieren, betrachtet F. E. Schulze die Kutikula W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete. 487 als eine lokal entwickelte Zellhaut, einerlei ob dieselbe aus Albu- min, Chitin, Keratin, Zellulose oder einer anderen festeren Substanz besteht. Für Schulze ist also das morphologische Moment aus- schlaggebend, d. h. die Tatsache, ob ein Plasmakörper allseitig oder nur an einem beschränkten Teil seiner Oberfläche von jenen Gebilden bedeckt wird. Mit Schulze definiert Verfasser die Kuti- kula als eine partielle Zellhülle oder als einen chemisch diffe- renten Teil einer allgemeinen Hülle. Als primitivste Zellhülle ıst die „Plasmahaut“ niederer Organismen zu bezeichnen, welche aber auch bereits als ein Produkt des Plasmas anzusehen ist, d. h. sich unter bestimmten Bedingungen aus demselben herausdifferenziert. Auf der nächsten Stufe der Entwickelung findet sich als Zellhülle ein Ektoplasma, das sich durch seine Festigkeit schon wesentlich von dem viel weniger zähen Entoplasma unterscheidet. Diese Ektoplasmabildung ist nach Rhumbler bei Amöben wahrscheinlich aus einer chemischen Umwandlung der in das Ektoplasma ein- dringenden Entoplasmateilchen zu erklären. Ist die chemische Aen- derung noch tiefgreifender, so wird die ganze äußere Alveolar- schicht in eine feste chitinähnliche Substanz verwandelt, welche eine sehr widerstandsfähige Hülle des Plasmakörpers bilden kann und sich unter Umständen (Schale von Arcella) von diesen voll- ständig isolieren lässt. Während in diesen Fällen die wabige Struktur des Plasmas erhalten bleibt, zeichnen sich andererseits Zellhüllen, die wie der Chitinpanzer der Insekten als Stütz- und Skelettsubstanzen dienen, durch zum Teil komplizierte Strukturen aus, die ihrerseits wie im vorhergehenden ausgeführt ist, zu der Funktion der betreffenden Körperteile in deutlicher Beziehung stehen. Dies gilt aber nicht nur für das chitinige Stützgewebe, sondern man findet vielmehr, dass solche Strukturverhältnisse sich auch für andere Stützsubstanzen charakteristisch erweisen und für eine physiologische Zusammengehörigkeit aller Stütz- und Skelett- substanzen sprechen. Eine derartige Zusammengehörigkeit verrät auch der chemische Aufbau dieser Substanzen, an dem vorzüglich Kohlehydrate in der Regel in Verbindung mit eiweißartigen Kör- pern die Grundlage bilden (Zellulose, Pflanzenschleim, Chitin, Spirographin, Mucine, Mucoide, Knorpelgrundsubstanz). Sehr große Ahnlichkeit zeigt sich in dem Bau des Chitinskelettes der Arthropoden und in dem aller mechanisch sehr widerstandsfähigen Zellhüllen der Pflanzen. Diese Uebereinstimmung prägt sich einmal in dem geschichteten Bau, dann aber auch in der Beschaffen- heit der einzelnen Schichten aus. Diese werden in beiden Fällen nicht kontinuierlich abgelagert, sondern sind von verschieden gestalteten Lücken durchsetzt, die in den verschiedenen Schichten miteinander korrespondieren und die Bildung von Porenkanälen veranlassen (Tüpfel). Aehnliches findet sich auch bei der Kuti- kula von Würmern, ja selbst in den Schalen der Mollusken treten Strukturen auf, die im Prinzip mit den der Würmer und Arthropoden übereinstimmen. In allen betrachteten Fällen erweist sich die Fibrille als letztes Strukturelement, und dies gilt auch 185 W. Biedermanns Untersuchungen über geformte Sekrete. in gewissem Sinn für die Brutzellen der Pflanzen, wo man sich die kleinsten Membranpartikelchen reihenförmig verwachsen denkt, so dass, wenn auch mikroskopisch nicht mehr wahrnehmbare Fibrillen zustande kommen. Ebensowenig wie es Verfasser für richtig hält, einen durch- greifenden Unterschied zwischen Zellmembran und Kutikular- bildungen zu machen, ebensowenig hält er es für statthaft, eine scharfe Grenze zwischen Kutikula- und Bindesubstanzen zu zıehen. Die große Uebereinstimmung im Bau der Chitinlamellen aus dem Käferpanzer und der Bindegewebshäute wurde bereits er- wähnt. Eine Gleichstellung bindegewebiger und chitiniger Teile könnte vielleicht deshalb unzulässig erscheinen, weil nach der herrschenden Auffassung es sich dort um ein von Zellen durch- setztes Gewebe, hier um eine zellenfreie Ausscheidung oder Ab- sonderung handelt. Dieser Einwand ist aber nicht stichhaltig, da es sowohl zellenhaltige Kutikularbildungen (Tunikatenmantel) wie auch dauernd zellenfreie Bindesubstanzen („feste Interzellularsub- stanzen* Köllikers) gibt (Chordascheiden von Myxinoiden). Im letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit kommt Bieder- mann auf die Entstehung und physiologische Bedeutung der Zell- hüllen zu sprechen. Die große Uebereinstimmung in der Ausgestaltung der verschie- denen Skelett- und Stützsubstanzen lassen auch auf einen gemein- samen Bildungsmodus derselben schließen. Dementsprechend sind im Laufe der Zeit sowohl für die Bildungsweise der Zellulosewand der Pflanze wie auch für die Entstehung der Arthropodenkutikula und der Bindegewebshäute und Fasern zwei Hypothesen aufgestellt worden, die sich widersprechen. Die einen fassen die Zellhüllen als Sekretionsprodukte der Zellen auf, die anderen sehen in diesen Bildungen direkte Umwandlungsprodukte des Zell- protoplasmas. Für die Zellhüllen der Pflanzen hat sich die letztere Anschauung als richtig erwiesen; die Zellulosehüllen der Pflanzenzellen stellen ein Differenzierungsprodukt des Protoplas- mas dar, dessen spezielle Struktur unmittelbar durch dieses be- dingt wird. Bezüglich der Bildungsweise der Insektenkutikula neigen noch die Mehrzahl der Forscher dazu, dieselbe als ein Sekret der chitinogenen Zellen zu betrachten. Es haben sich indessen neuer- dings wiederholt Tatsachen gefunden, welche die Anschauung Huxleys, der den Chitinpanzer des Krebses durch eine chemische Metamorphose der oberflächlichen Zone der Zellkörper entstehen lässt, stützen und auch auf die Chitinhüllen der Insekten anwend- bar machen (Tullberg, Holmgren, Korschelt, Groß)!). Auch Biedermann ist der Meinung, dass bei dem Chitin des Körper- skelettes die Auffassung, es handle sich bei der Bildung der be- 1) Auch Referent hat bei der Bildung der Puppenhülle von Schmetterlingen eine direkte Umwandlung des Raupenepithels in Chitin beobachtet. Vergl. Ver- handl. d. Deutsch. Zoolog. Gesellschaft 1902. Hansemann, Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. 189 treffenden Strukturen um eine direkte Metamorphose des Protoplasmas der Bildungszellen nicht umgangen werden kann: „Denn man wird noch immer die lebendige Substanz für jene Strukturen lieber verantwortlich machen wollen, als annehmen, dass dieselben „durch ein sekundäres Zerfallen des ursprünglich als weiche homogene Masse ausgeschwitzten Chitins“ entstehen, die nach von Kölliker für alle Fasern in Kutikularbildungen An- wendung finden möchte.“ Es sprechen somit die Resultate der neueren Untersuchungen auf diesem Gebiet entschieden dafür, das, was man über die Entstehungsweise der pflanzlichen Zellulose- membran weiß, auch mit Recht auf den Bildungsmodus der Arthro- podenkutikula übertragen zu dürfen. Nicht minder lebhaft ıst die Frage umstritten, ob die leim- gebenden Fibrillen des Bindegewebes in oder außerhalb von Zellen entstehen. Für eine intrazellulare Entstehung der leim- gebenden Fibrillen ist besonders Flemming eingetreten, während namentlich von Ebner, von Kölliker und neuerdings Schaffer sich für eine extrazelluläre Bildungsweise der Fibrillen aussprechen. Nach der Ansicht der letzteren wäre die kollagene Substanz als homogene Abscheidung anzusehen, die sich erst allmählich durch die Einwirkung von Zug- oder Druckkräften in Fasern differenziert, eine Auffassung, die da auf besondere Schwierigkeiten stößt, wo eine absolut regelmäßige Abwechslung des Faserverlaufes in benach- barten Schichten besteht, wie es z. B. bei der Ohordascheide der Fische der Fall ist. Für die Entstehung der den Bindegewebs- bildungen so ähnlich gebauten Kutikularsubstanzen der Arthropoden kann sich Verfasser mit diesem Erklärungsprinzip jedenfalls nicht abfinden. Biedermann hält es für das Wahrscheinlichste, „dass die einzelnen Chitinschichten mit allen ihren Eigentümlichkeiten sich entweder unmittelbar aus dem Plasma der Chitinogenzellen differenzieren, oder, dass dasselbe in einer zunächst homogenen Substanz geschieht, die dann aber ihrerseits notwendig als ein zu- nächst noch lebendiges Differenzierungs-, oder, wenn man will, Absonderungsprodukt der Bildungszellen anzusehen wäre.“ [92] M. v. Linden. Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. (Ein Zusatz zu der Mitteilung der Herren Farmer, Moore und Walker.) Von Prof. D. von Hansemann. In Nr. 1 dieses „Centralblattes“ Bd. 24 befindet sich eine Mit- teilung der Herren Farmer, Moore und Walker. Dieselbe stellt den Auszug eines Vortrages dar, der in der „Royal Society“ in London am 10. Dezember v. J. gehalten wurde. Gleichzeitig ist ein ähnlicher Auszug in dem „British Medical Journal“ und im „Lancet“ erschienen. Bei ihren Untersuchungen sind die Verfasser auf ein Gebiet gekommen, das ich seit über 15 Jahre bearbeite, und das mich schon im Jahre 1890 zu ähnlichen Resultaten geführt hat. Es handelt sich hier um eine Veränderung der Kernteilungs- 190 Hansemann, Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. figuren in bösartigen Geschwülsten gegenüber denselben in nor- malen Geweben, und der Mittelpunkt der Veröffentlichung der genannten drei Herren liegt darin, dass sich die Zahl der Chromo- somen gegenüber derjenigen der normalen Gewebe verringert und dass die Chromosomen selbst Formveränderungen eingehen. Ich habe seinerzeit die Behauptung aufgestellt, dass die veränderten biologischen Eigenschaften der Krebszellen in der Tat ihren morpho- logischen Ausdruck finden in der Veränderung der Kernteilungs- figuren gegenüber den normalen. Allerdings sind diese Verände- rungen nun mit den angeführten beiden Tatsachen noch nicht erschöpft, sondern es war seinerzeit dazu notwendig, die normale Karyokinese des gesamten menschlichen Körpers zu studieren. Es stellte sich dabei heraus, dass die Kernteilungsfiguren für die ein- zelnen Gewebsarten durchaus charakteristisch und spezifisch sind und dass man imstande ist, manche Zellarten allein aus der Form ihrer Karyokinese zu erkennen. Die weitere Untersuchung hat mich nun dahin geführt, dass diese Spezifizität der Zellteilung in. den Karzinomen und vielfach auch in den Sarkomen verloren geht, so dass nicht nur von der Norm abweichende Mitosen entstehen, sondern auch die verschiedenen Kernteilungsfiguren in ein und derselben Geschwulst sehr verschiedenartig ausfallen können. Da- durch gelangen sie zu einem weiteren Stadium der früher schon von Arnold und anderen beobachteten pathologischen Mitosen und man konnte nachweisen, dass solche sich zum Teil auch in gut- artigen Geschwülsten und entzündlichen Wucherungen vorfinden, dass sie sich aber in bösartigen ganz besonders häufen und dass sie in diesen letzten Formen annehmen, die sich durch eine Re- duktion der Chromosomen auszeichnen. Ich bin nicht der Ansicht der genannten Verfasser, dass die Mitosen in den bösartigen Ge- schwülsten mit dem übereinstimmen, was, soviel ich weiß, Flem- ming zuerst als heterotype Mitose im Hoden des Salamanders beschrieben hat. Freilich gebe ich zu, dass in bösartigen Ge- schwülsten, aber gelegentlich auch anderwärts Kernteilungsfiguren hervortreten können, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der hetero- typen Mitose besitzen. Aber diese sind es nicht, welche zu einer Reduktionsteilung führen, sondern die Reduktion der Chromosomen geschieht, wie ich weiter angegeben habe, durch zweierlei Prozesse: erstens durch asymmetrische Mitosen und zweitens durch Zugrunde- gehen einzelner Chromosomen, ohne dass dadurch im weiteren die Vitalität der Zellen herabgesetzt wird. Dadurch, dass sich die Chromosomen später verdoppeln, vervierfachen u. s. w., können Zellen entstehen, die zwar mehr Chromosomen enthalten als nor- male Zellen, aber in Wirklichkeit ausgehen von Zellen mit vermin- derter Chromosomenzahl. So ergab sich für die Einteilung der pathologischen Mitosen das Prinzip der Zahl der Chromosomen Hansemann, Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. 491 und man konnte also unterscheiden: hypochromatische, normal- chromatische und hyperchromatische Mitosen. Außerdem habe ich damals schon die verschiedenen Formen der Chromosomen be- schrieben, die auch jetzt wieder von den genannten Autoren be- richtet werden. Warum diese veränderten Mitosen in einen Zusammenhang gebracht werden können und, meiner Ansicht nach, müssen mit der Malignität der Tumoren und speziell mit derjenigen Eigen- schaft, die ich als Anaplasie bezeichnet habe, habe ich in einer größeren Anzahl von Abhandlungen ausführlich auseinandergesetzt. Das Wort Anaplasie ist fast allgemein in die Nomenklatur über- gegangen. Auf diese Punkte jedoch hier näher einzugehen, habe ich um so weniger Veranlassung, als meine Arbeiten, die zahl- reichen sich daran anknüpfenden Diskussionen und Nachprüfungen von anderer Seite überall in zugänglichen Journalen erschienen sind, und außerdem seinerzeit ein ausführliches Referat in diesem „Centralblatt“, das von Hauser herrührt, zum Abdruck kam. Ich führe hier von Arbeiten, die den Gegenstand betreffen, nur folgende besonders wichtige an, ohne auf die zahlreichen Mit- teilungen einzugehen, die sich gelegentlich in anderen Arbeiten über Geschwülste, Regeneration und Zellvermehrung vorfinden: Arnold, Beobachtung über Kernteilung in den Zellen von Geschwülsten. (Virchow’s Archiv Bd. 78.) Martin, Zur Kenntnis der indirekten Kernteilung. (Virchow’s Archiv Bd. 86.) Klebs, Allgemeine pathologische Morphologie, Bd. 2, 1898. Pfitzner, Virchow’s Archiv Bd. 103. Flemming, Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. 29. von Hansemann, Über asymmetrische Zellteilung in Epithelkrebsen und deren biologische Bedeutung. (Virchow’s Archiv Bd. 119, 1890.) Ders., Über pathologische Mitosen. Vlrchow’s Archiv Bd. 123, 1891. Hauser, Das Zylinderepithelkarzinom. (Jena 1890.) Schottländer, Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 31. von Hansemann, Karyokinese un Zellularpathologie. (Berliner klinische Wochen- schrift 1891.) Ders., Zellteilung in der menschlichen Epidermis. (Festschrift an Virchow von seinen Assistenten, Berlin 1891.) Ders., Ein Beitrag zur Entstehung und Verbreitung der Leukozyten. (Verhand- lungen der anatomischen Gesellschaft 1891.) Ders., Über die Spezifizität der Zellteilung. (Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. 43. Ders., Studien u Spezifizität, Anaplasie und Altruismus der Zellen. (Berlin 1893.) Ders., Über Anaplasie der Geschwulstzellen und die asymmetrische Mitose. (Virchow’s Archiv Bd. 129.) Ströbe, Ziegler’s Beiträge Bd. 11. von Hansemann, Die mikroskopische Diagnose der bösartigeu Geschwülste. 1. Aufl., Berlin 1897, 2. Aufl. 1902. Besonders in den „Studien über Spezifizität, Anaplasie und Altruismus“ sowie in der „Diagnose der bösartigen Geschwülste* ist die hier nicht angegebene Literatur ausführlich zitiert. 499 _ Hansemann, Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. Da die genannten Herren mich in ihrer Mitteilung weder in den englischen Zeitschriften noch in diesem Centralblatt erwähnten und dadurch offenbar die Vorstellung erweckten, dass ihnen diese Literatur unbekannt sei, so habe ich mich veranlasst gesehen, auch in englische Zeitschriften eine kurze Notiz gelangen zu lassen. Daraufhin haben die genannten Autoren im „Lancet“ eine kurze Erwiderung gegeben, in der sie erklären, dass ihnen meine Ar- beiten vollkommen bekannt seien, aber dass sie ın ihren Unter- suchungen eine vollständig andere Sache erblicken, die von meinen Resultaten prinzipiell abwichen. Das kann ich nun in keiner Weise anerkennen, und da die Herren, wie sie sagen, meine Arbeiten kennen, so wäre es doch notwendig gewesen, die Differenzen von meinen Untersuchungen besonders hervorzuheben. Das tun sie aber erst in der genannten Erwiderung im „Lancet“, und es geht daraus hervor, dass sie den Hauptunterschied zwischen unseren Be- funden darin sehen, dass ich eine Reduktionsteilung gefunden habe, die durch eine besondere Form des pathologischen Prozesses in der Zelle herbeigeführt wird, während sie behaupten, dass eine Reduktionsteilung vorhanden wäre, die analog der heterotypen Mitose bei der Reifung der Geschlechtszellen sich darstellt. Das ist gerade dasjenige, wovon ich ausführlich begründet habe, dass es nicht zutreffend ist. Gerade die Unterschiede der Reduktions- teilung in den Geschwülsten und derjenigen bei der Reife des Eies in den Spermatozoen habe ich wiederholt auseinandergesetzt, und wenn die Autoren eine annähernde Ähnlichkeit zwischen manchen Formen der Mitose in den bösartigen Geschwülsten und den reifenden Ge- schlechtszellen der Tiere und Pflanzen konstatieren, so kann ich doch die Identität dieser beiden Prozesse in keiner Weise aner- kennen. Auch scheint mir darin nicht einmal das Wesentliche zu liegen, wie die Reduktionsteilung zustande kommt, sondern dass überhaupt eine Reduktionsteilung stattfindet und dass diese die anaplastischen Eigenschaften der Geschwulstzellen zu erklären im- stande ist. Hierfür muss ich aber den genannten Herren gegen- über durchaus die Priorität in Anspruch nehmen und ohne diese Schlussfolgerung auf die bösartigen Geschwülste würden ja auch die Befunde der Autoren für die Erklärung der Geschwülste gar keine Bedeutung haben. Ich kann daher nicht finden, dass sich die Untersuchungen der genannten Herren so weit von den meinigen unterscheiden, dass sie eine Zitierung meiner Arbeiten unnötig machten und es ist begreiflich, dass ich daraus schließen musste, dass die Autoren meine Arbeiten und die sich daran anknüpfende Diskussion nicht gekannt haben. [24] Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwiekelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, B einsenden zu wollen. XXIV.Bd. 15. März 1904. Ne 6, Inhalt: Moll, Die Mutationstheorie (Schluss). — Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich, — Kolmer, Eine Beobachtung über vitale Färbung bei Corethra plumicornis, — Zacharias, Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. Die Mutationstheorie. Von Dr. J. W. Moll. (Fortsetzung.) IX. Die Polycephalie des Papaver wurde bei P. somniferum untersucht, indem die Aufgabe gestellt wurde, diese sehr variable, ihrer Natur nach einer Mittelrasse entsprechende Eigenschaft durch Kreuzung auf eine Varietät zu überbringen, in der sie bis dahin noch nicht bekannt war. Als solche wurde das P. somniferum Danebrog ausgewählt, welches mittelhohe Statur, glauke Blatt- farbe und in der Blüte ein weißes Kreuz von Herzflecken auf rotem Grunde hat. Mit dieser Form wurde eine hohe, grüne Varietät mit schwarzen Herzflecken und mit teilweise in Karpelle umge- wandelten Staubfäden gekreuzt. Der Farbe der Blüten nach trägt sie den Namen Mephisto. In bezug auf diese Farbe fügt sich diese Kreuzung genau den Mendel’schen Gesetzen, aber auch für die Polycephalie entsprach sie diesen, soweit es die Eigentümlichkeiten einer Mittelrasse zu beurteilen gestatteten. Denn die Abweichung kann in der ersten Bastardgeneration völlig fehlen, oder in ein- zelnen Individuen in sehr geringem Grade entwickelt sein, oder ganz selten in stärkerem Grade auftreten. Die zweite Generation gibt dann die üblichen Spaltungen, indem die drei zu erwarten- den Kombinationen in nahezu den berechneten Verhältnissen auf- treten. XXIV. 13 194 Moll, Die Mutationstheorie. Ausgewählt wurde eine Pflanze, welche polycephal war, aber in ihren sonstigen Merkmalen durchaus dem Danebrog entsprach, und in ihrer seit Jahren stark vermehrten Nachkommenschaft hat sich diese Kombination seitdem durchaus konstant erhalten. IX. Zusammenfassung. Ist auch in einigen der angeführten Beispiele das innere Wesen der benutzten Formen noch nicht in jeder Hinsicht genügend aufgeklärt, so ist es doch deutlich, dass die meisten, falls nicht alle, zu der Gruppe der auf degressivem Wege gebildeten Formen gehören. D. h. dass sie durch Aktivierung latenter bezw. semilatenter Eigenschaften zustande gekommen sind. Und daraus ergibt sich der Satz: Auch die durch degressive Artbildung entstandenen Merkmale verhalten sich bei Kreuzungen entsprechend den Mendel’schen Gesetzen. Solche Bastardierungen sind somit bisexuelle, sie können nur unter der Annahme eines Merkmalspaares erklärt werden. In der Regel prädominiert dabei das phylogenetisch ältere Merkmal, wenn auch unter teilweiser Abschwächung durch die Anomalie. Die degres- siven Varietäten verhalten sich somit bei den Bastardierungen wie die retrogressiven. In beiden Fällen handelt es sich bei den in der Kreuzung verbundenen Stammformen um dieselbe Eigenschaft, welche aber in dem einen Elter in einem anderen Zustande vor- handen ist als in dem anderen (S. 373). Ein Merkmalspaar be- steht somit beiderseits aus derselben inneren Eigenschaft, nur be- finden sich die beiden gepaarten Einheiten in einer verschiedenen Lage in bezug auf Aktivität oder Latenz. In den Bastarden domi- niert dabei der aktive Zustand über den latenten und der semi- latente über den semiaktiven. Bei der Bildung der Fortpflanzungs- zellen der Bastarde aber sind diese verschiedenen Zustände ebenbürtig, was sich aus dem Zutreffen der Spaltungsgesetze in der sonst üblichen Weise leicht ableiten lässt. Atavismus und Vieinismus. Der Gartenbau arbeitet vorzugsweise mit Varietäten, welche auf retrogressivem bezw. auf degressivem Wege entstanden sind, welche also bei ihren Kreuzungen den Mendel’schen Gesetzen folgen. Elementare Arten kommen vor, sind aber unter den Gartenpflanzen als solche von untergeordneter Bedeutung: Nur als Material für Hybridisierungen sind sie oft sehr wichtig. Abgesehen von solchen Fällen können also die Mendel’schen Gesetze einer- seits zur Erklärung einer ganzen Reihe bis dahin unbegreiflicher Umstände in der Praxis verwandt werden, während sie anderer- seits von jetzt an die Grundlage werden können, auf der bei Kreu- zungen die etwa zu erwartenden Folgen sich werden voraussagen lassen. Namentlich lehren sie unmittelbar den Umfang beurteilen, Moll, Die Mutationstheorie. 495 in welchem nach den Bastardierungen die Aussaaten zu machen sind um bestimmten Wünschen zu entsprechen. In theoretischer Hinsicht ist hier das wichtigste die Beleuchtung derjenigen Erscheinungen, welche im Gartenbau gewöhnlich als Atavismus bezeichnet werden. Denn dasjenige, was in der Praxis als solcher angeführt wird, stellt sich zu einem sehr großen Teile, ja wohl fast überall, als die Folge zufälliger Kreuzungen heraus (S. 376). Der Atavismus ist anerkanntermaßen der größte Feind des Gärtners, er ist die Ursache, dass fortwährend Rückschläge statt- finden und dass somit die Sorgen für die Reinheit der Rassen nie aufhören können. Diese Sorgen bestehen in der Selektion, d. h. in dem Aufsuchen und Ausmerzen aller abweichenden Individuen. Solches geschieht bei jeder Art und Varietät zu der Zeit wo das betreffende Merkmal am klarsten hervortritt; bei den Gemüsen kurz vor der Ernte, bei den Blumenpflanzen meist während der vollen Blüte. Die „falschen“ werden zumeist einfach ausgerottet und weggeworfen; in anderen Fällen werden sie „ausgezeichnet* und finden später als minderwertige Ware noch Verwendung, wie z. B. in den sogenannten gemischten Sorten von Blumenzwiebeln. Stets stellen sie einen mehr oder weniger großen Verlust dar, und es gibt Varietäten, welche ganz verlassen worden sind, weil der Eintrag bei ihnen diesen Verlust nicht decken konnte. Dieser jährliche Atavismus ist nun nicht durch eine erbliche Neigung zum Rückschlag bedingt, wie man gewöhnlich annimmt. Ob es eine solche in den betreffenden Fällen gibt oder nicht, ist sehr fraglich, und jedenfalls würde sie sich im Laufe der Jahre nur höchst selten äußern. Die Erscheinung beruht auf den unver- meidlichen Kreuzungen durch die Insekten. Sie ist daher besser nicht Atavismus zu nennen und es wird vorgeschlagen sie mit einem besonderen Namen zu belegen. Da sie im wesentlichen in einem Variieren unter dem Einflusse des Pollens der in unmittel- barer Nachbarschaft kultivierten Sorten ıst, verdient sie den Namen Nachbarvariieren, oder Vicinovariieren, oder kürzer Vicinis- mus (Viecinus — Nachbar). Eine mehr allgemeine Anwendung dieses Wortes würde ohne Zweifel viel dazu beitragen, das Ver- ständnis zu klären, und die bis jetzt so schwer zugänglichen bezw. so schwer in ihrer wahren Natur zu erkennenden wirklichen atavistischen Erscheinungen besser ans Licht zu bringen. Der Vieinismus ist teilweise ein direkter, teilweise ein indirekter. Im ersteren Falle zeigt er sich in der ersten Generation nach der Kreuzung, im anderen in der zweiten und den späteren Geschlechtern. Die Varietäten leiden am meisten vom direkten, die Mutterarten aber viel vom indirekten Vieinismus. Der direkte ist beim Selektions- verfahren leicht und vollständig zu bekämpfen, der indirekte aber 13* 196 Moll, Die Mutationstheorie. nur teilweise. Daher pflegen viele Varietäten, wie z. B. die weißen Blütenfarben, den Ruhm großer Echtheit zu haben, ja als konstanter betrachtet zu werden wie sogar ihre Mutterarten selbst. Woher dieses rührt, ergibt sich sofort aus einer Anwendung der Mendel- schen Regeln auf die verschiedenen Fälle. Wählen wir ein Beispiel. Auf einem Acker einer Gärtnerei wird eine weißblühende Varietät neben der entsprechenden roten Art im großen kultiviert behufs Samengewinnung. Die Bienen und Hummeln fliegen hin und her und tragen den Blütenstaub der Varietät auf die Narben der Art und jenen der Art auf die Varietät. Allerdings nur zu einem kleinen Teile, aber einige Prozente der Befruchtungen werden doch wohl ganz gewöhnlich verunreinigt. Erntet man nun die Samen der beiden Beete, so enihalten diese also zu einem entsprechenden Teile Bastardkeime. Solches ergibt sich aber erst nach der Aussaat, oft erst zur Blütezeit. Was hat man dann zu erwarten? Die Antwort gibt die Prädominanzregel, welche sagt, dass das aktive Merkmal über das latente präpon- deriert, dass somit die Bastarde weiß X rot und rot X weiß alle rot blühen werden. In der Kultur der Varietät fallen die Misch- linge somit sofort auf; beim Selektionsverfahren werden sie ganz gewöhnlich alle ausgerottet. Oft ausreichend früh, um durch ihren Staub die Ernte noch nicht beeinflusst haben zu können; bisweilen aber auch später, nachdem ein Teil ihres Pollens bereits auf die weißblühenden Exemplare gelangt ist und hier wiederum Bastardsamen erzeugt hat. Aber auch diese fallen, wenn auch erst in der nächstfolgenden Generation, dem Auswahlverfahren anheim. Anders verhält es sich in der Kultur der Art. Die Bastarde sehen, praktisch, genau so aus wie die reinen Individuen. Sie können weder ausgezeichnet noch ausgemerzt werden. Ihr Pollen gelangt auf die Nachbarpflanzen, ihre Samen gelangen in die Ernte. Einen unmittelbaren Einfluss des Vieinismus hat weder der Züchter noch auch der gewöhnliche Kunde beobachten können. In der. nächsten Generation zeigt sich aber der mittelbare Einfluss. Nach dem Spaltungsgesetze liefern die Bastarde bei gegenseitiger Befruchtung zu einem Viertel Samen, welche zu weißblütigen Indı- viduen aufwachsen. Ihre Kreuzungen mit den reinen Nachbarn liefern rotblütige Exemplare, welche teilweise zur Hälfte sortenrein sind, teilweise aber wieder Hybriden. Die weißblütigen Spaltungs- produkte verunreinigen das Feld sichtbar, die roten hybriden Nach- kommen sind zwar nicht kenntlich, übertragen aber die Verun- reinigung auf das nächste Jahr. Die „falschen“ tragen hier somit alljährlich das Merkmal der reinen, und es ist daher einfach un- möglich, sie aufzufinden und auszumerzen. Von der Richtigkeit dieser Erörterungen hat sich der Verfasser einerseits durch seine Besuche in den Gärtnereien von Erfurt und Moll, Dfe Mutationstheorie. 197 von anderen bekannten Mittelpunkten der gärtnerischen Kultur über- zeugt, andererseits aber durch die Aussaat von aus der besten Quelle bezogenen Samenproben. Außerst selten findet man diese ganz rein, fast stets enthalten sie einige wenige Prozente von Bei- mischungen. Isoliert man dann diese letzteren vor der Blüte und sät man ihre Samen getrennt aus, so gelingt es ihre Natur zu er- kennen, und ihre Herkunft, an der Hand der erwähnten Spaltungs- gesetze, zu ermitteln. Mit seltenen Ausnahmen lassen sie sich dann auf Vicinismus in dem erörterten Sinne zurückführen. Die Er- fahrung ist eine so allgemeine, dass es überflüssig wäre, aus der langen Reihe von Beispielen hier einige zu wiederholen. Nur sei noch bemerkt, dass die meisten Varietäten und Arten, wenn man sie künstlich von der Folge des Vicinismus in der Gärtnerei reinigt, sich sofort als völlig konstant ergeben und sich als solche auf die Dauer erhalten. Und man sieht leicht ein, dass durch Selbst- befruchtung und getrennte Ernte der einzelnen Individuen solches wohl stets bereits nach einer einzigen Generation gelingt. Denn wohl stets sind die Beimischungen nur in einigen wenigen Pro- zenten vorhanden, und ist die große Mehrzahl der Exemplare rassenrein. Die Betrachtung :der indirekten Folgen des Vieinismus führt noch zu einem anderen wichtigen kritischen Satz. Dieser lautet: Vieles, was in der Literatur von reinen Sorten angegeben wird, muss in Wirklichkeit an Bastarden beobachtet wor- den sein (S. 389). Denn die Mendel’schen Bastarde erster Generation sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht von der reinen Sorte, welche das dominierende Merkmal führt, zu unterscheiden. Eine richtige Würdigung dieses Satzes wird aber dazu leiten, sehr zahlreiche angebliche Erscheinungen von Varia- bilität und Mutabilität auf Bastardspaltungen zurückzuführen, und namentlich auch das Gebiet der spontanen Knospenvarlationen wesentlich einzuschränken. Denn die vegetativen Bastardspaltungen können nur zu leicht mit echten Knospenvariationen verwechselt werden. Die Zerlegung der Blütenfarben wird, im Anschluss an die Erörterung der Mendel’schen Gesetze, als ein Beispiel behan- delt, wie die Kreuzungen und die ihnen folgenden Spaltungen dazu benutzt werden können, zusammengesetzte Merkmale in ihre ein- zelnen Komponenten zu zerlegen. Viele Blumen sind in sehr kom- plizierter Weise gefärbt und gezeichnet. Ein gleichfarbiger Grundton setzt sich oft aus mehreren Farben zusammen. Gehören diese der xanthischen und der cyanischen Reihe an, liegt also ein Kompo- nent in den Farbstoffkörpern und ein anderer im Zellsaft, so be- darf die Trennung des Experimentes nicht. Sind aber beide im Saft gelöst, wie bei manchen sehr dunklen Blumen, so deutet das 198 Moll, Die Mutationstheorie. Vorkommen blassfarbiger Varietäten neben der weißen oft auf eine solche Zusammensetzung, und kann man die Zerlegung mit ihrer Hilfe versuchen. Die Mendel’schen Prinzipien gestatten auch hier eine Berechnung, und besitzt man, ım Handel, eine vollständige Reihe von Varietäten!), so enthalten diese bereits die Einheiten, auf die sich die Berechnung zu stützen hat. In der weißen Varietät sind offenbar alle Farben der Art latent. Jeder einzelne Komponent wird nach Kreuzung mit dieser Varietät zu Spaltungen Veranlassung geben. Die von Mendel ab- geleiteten Formeln für die Dihybriden, sowie für die Tri- und Poly- hybriden finden hier somit Anwendung. Sie lassen alle denkbaren Kombinationen erwarten, es fragt sich nur, ob dıe Aussaaten hin- reichend umfangreich sind, um diese in die Erscheinung treten zu lassen. Als Beispiel wurden die Folgen der Kreuzung des gewöhn- lichen Löwenmauls mit der weißen Varietät ausführlich studiert. Man erhält dabei die einzelnen konstanten Farbenstufen, welche auch als solche, unter besonderen Namen im Handel sind. Nament- lich die Zusammensetzung des braunroten Grundes der wilden Form aus zwei Elementen, welche als „Fleischfarbig“ (Röhre und Lippen blassrot) und als „Delila“ (Röhre blass oder weiß, Lippen ziemlich dunkelrot) bekannt sind, wurde nach den hybriden Formeln be- rechnet und mit den Zählungen verglichen. Als Beispiel führe ich für zwei Kreuzungen (weiß X rot) die Zusammensetzung der zweiten Generation an. Die Anzahl der Exemplare war 49 und 169. Gefunden Berechnet A B Notlashe ea % 580 56,25 Ir Fleischfarbig . 16, va, 18-755, Dehlazıı..2.4..031 h 20 „ 18,157, Weiß. sn. ;, 2 4 „ 6,25 „ Man kann diese Zerlegung als hybridologische Analyse bezeichnen. Das Prinzip findet offenbar überall dort Anwendung wo eine Verlustvarietät neben einer Art vorkommt, für deren ın der Varietät verschwundenes Merkmal man aus irgend einem Grunde eine zusammengesetzte Natur vermutet. Die Kreuzung der Varietät mit der Art wird dann die beiden Komponenten iso- lieren müssen, und zwar beide zu einem Betrage von etwa 18,75°/,, wie die obigen berechneten Zahlen es lehren. Das Prinzip der hybridologischen Analyse ist mannigfacher Anwendungen fähig. Zunächst führt es von selbst zu einer hybrido- 1) Gemeint sind samenfeste Varietäten von sogenannten Samenpflanzen d.h. ein- oder zweijährigen Arten oder solche perennierende, welche in der Praxis durch Samen vermehrt und verbreitet werden. Bei solchen Arten, welche vegetativ ver- mehrt werden, kann jede Stufe der fluktuierenden Variabilität als eigene Varietät im Handel sein, Moll, Die Mutationstheorie. 199 logischen Synthese. Dieses ergibt sich aus der folgenden Über- legung. Die Merkmale fleischfarbig und Delila sind beim Löwen- maul aktiv gegenüber dem Weiß, in welchem beide inaktiv sind. Kreuzt man nun fleischfarbig mit Delila, so werden die beiden aktiven Merkmale dominieren; sie verbinden sich im Bastard und dieser nimmt die ursprüngliche Doppelfarbe an. Der Versuch hat dieses bestätigt und somit die Doppelnatur dieser Farbe unmittel- bar bewiesen. Eine zweite Anwendung ergibt sich aus der Erwägung, dass die Isolierung für alle Komponenten auch bei höchst zusammen- gesetzten Blütenzeichnungen gelten muss. Daraus ergibt sich, dass wenn man einmal die weiße Varietät besitzt, man alle Komponenten einzeln muss erhalten können, sowie ferner alle ihre sekundären Kombinationen zu zwei, drei u. s. w. Und weiter ergibt sich, in Verbindung mit demjenigen, was ich oben über Vieinismus gesagt habe, dass diese auch alle ım Lauf der Zeiten durch spontane Kreuzungen entstanden sein können, ja eigentlich entstanden sein müssen. Wo sie auftraten und man ihren Ursprung nicht erkannte, hat man sie für Mutationen angesehen, und, was wichtiger ist, man hat sie isoliert und in den Handel gebracht. Dieses erklärt uns die reiche Fülle von Blütenfarben und Zeichnungen, welche auch bei echten Samenpflanzen so vielfach vorkommen. Hat man einmal die weiße Varietät neben der Art, so ergibt sich alles übrige von selbst. Allerdings weiß man meist nicht, ob die weiße Varietät die älteste ist, sogar nicht ob sie in solchen Fällen mit einem Schlage entstehen kann; sie könnte ja das Produkt sukzessiver Verlustmutationen sein. Doch habe ich hier auf diesen Punkt nicht weiter einzugehen. Eine dritte Anwendung bezieht sich auf die Kreuzung par- tieller Verlustvarietäten mit der Mutterart. Denkt man sich eine Farbe, welche aus zwei Komponenten besteht, und eine Varietät, welcher nur eine von beiden mangelt. Ihr Merkmal ist dann die andere aktiv gebliebene Eigenschaft. So besteht die Mephisto- farbe beim Papaver somniferum aus Violett und Rot (letzteres mit weißen Herzflecken als Danebrog bekannt), und beide Kompo- nenten bilden einzeln für sich auch besondere Varietäten. Kreuzt man nun Mephisto mit Danebrog, so lässt sich diese Kreuzung als eine dihybride betrachten. Denn die eine Komponente, Violett, wird mit ihrem inaktiven Zustande verbunden, sie ist somit im Bastard aktiv. Die andere Komponente, Rot, ist in beiden Eltern dieselbe und bleibt somit im Bastard unverändert. Oder mit anderen Worten, es führen die Bastarde beide Farben, sie sind also Me- phisto. Bei Selbstbefruchtung spaltet sich nun das eine Paar (Violett X Weiß), indem es 75°/, Violett und 25°/, Weiß gibt. Das andere Paar, Rot X Rot, bleibt Rot, und man erhält somit 200 Moll, Die Mutationstheorie. 75°/, Violett X Rot oder Mephisto und 25°/, Weiß (= inaktives Violett) X Rot oder Danebrog. In den zahlreichen hierüber an- gestellten Versuchen wechselt das letztere Verhältnis zwischen 17—32°/, (S. 164 und 202). Anscheinend verhält sich hier das Danebrogmerkmal rezessiv gegenüber dem Mephisto, während es tatsächlich sich, bei der Analyse, als ein aktives, also dominierendes Merkmal verhält. Und daraus leitet sich allgemein die Warnung ab: Rezessives Ver- halten bei einer Bastardierung beweist nicht ohne wei- teres die rezessive Natur eines Merkmales (S. 203). Die Bedeutung der Spaltungsregeln für die Gewinnung wertvoller Varietäten wird an dem Beispiel des dornlosen Stachel- ginsters (Ulex ewropaeus inermis) besprochen. Das Prinzip ergibt sich aus der folgenden Überlegung. Ist irgendwo zufällig eine Varietät, durch das Inaktivwerden einer Eigenschaft entstanden, so kann diese durch Kreuzung leicht wieder verloren gehen, wie man allgemein annımmt. Ist sie nur in einem Exemplare vor- handen und hat sie keine Selbstbefruchtung, entstehen somit alle ihre Samen durch Kreuzung mit der Muttersorte, so werden sie Bastarde mit dem dominierenden Merkmal liefern, welche also der gewöhnlichen Sorte und nicht der Varietät gleich sind. Der Züchter pflegt nun bei solcher Erfahrung die Kultur aufzugeben. Aber mit Unrecht. Denn in der zweiten Generation würden die Mischlinge sich spalten, und es würde das Varietätsmerkmal in einer genügen- den Reihe von Individuen wiederkehren. Und aus dieser würde man, bei Isolierung, sofort eine reine und konstante Varietät er- halten können. Für gewisse Gegenden Deutschlands und namentlich Frank- reichs wäre die Kultur eines dornlosen Stachelginsters vom größten Werte, denn sie würde das Zerquetschen der grünen Zweige beim Verfüttern überflüssig machen. Nun sind von Zeit zu Zeit solche Mutationen aufgetreten, ihre Samen lieferten aber wieder die be- dornte Sorte, und somit hat man ihre Kultur aufgegeben. Die Anwendung des erörterten Prinzipes lehrt aber, wie man hätte handeln müssen. Nach mehreren Schriftstellern hätte man, bei genügender Kenntnis, den Ertrag der betreffenden Gegenden leicht mit einem Viertel erhöhen können (S. 206). Die variablen Bastardrassen des Gartenbaues (S. 87) sind Gruppen von äußerst formen- und farbenreichen Typen, welche im Handel fast nur auf vegetativem Wege vermehrt werden und welche fast nur zum Zwecke der Gewinnung neuer Sorten gekreuzt und ausgesät werden. Jede sogenannte Varietät bildet hier im wissenschaftlichen Sinne nur ein einziges Individuum. Die Kon- stanz der Varietät beruht auf dem Unverändertbleiben ihrer Merk- male bei vegetativer Vermehrung. Bei Aussaaten ist sie nicht Moll, Die Mutationstheorie. 201 konstant, oft in keinem einzigen Kinde ihrem Typus treu bleibend. Blumenzwiebeln, Georginen- und Begonienknollen und viele Obst- sorten bilden hier die bekannten Beispiele. Zusammen umfassen sie einen sehr großen, vielleicht den wichtigsten Teil des gesamten Gartenbaues. Ihre Erscheinungen waren bis vor kurzem durchaus unverständlich, und auch jetzt, nachdem die Mutationstheorie die betreffenden Prinzipien klar gelegt hat, fehlt es in vielen Fällen noch an den für deren Anwendung unerlässlichen Einzelerfahrungen. Hauptsache ist, dass hier überall die extrem günstigen Variationen der fluktuierenden Variabilität mit den Folgen der Spaltungen der Bastarde verbunden sind. Als Beispiele werden die Gattungen Gladiolus, Amaryllis, Cala- dium, Canna u.a. besprochen. Die fortwährenden Verbesserungen in diesen Gruppen beruhen auf der wiederholten Einfuhr neuer Arten aus deren Heimatlande. Jede Art bringt eine oder mehrere Eigenschaften, welche zu dem vorhandenen Schatze gefügt werden. Einerseits entstehen dadurch Hybriden mit Formen und Farben, welche immer höheren Ansprüchen genügen, andererseits nimmt aber die Zahl der möglichen Kombinationen und dadurch die An- zahl der „Varietäten“ zu. Eine einzige neue Eigenschaft, aus einer neuen wilden Stammform durch Kreuzung auf alle die vorhandenen Formen einer solchen Reihe gebracht, kann oft ebenso viele Neu- heiten geben und dadurch den Umfang des Gebietes verdoppeln. Fünf, sechs und mehr Arten haben in solchen Gruppen gewöhnlich das Material geliefert, und vorzugsweise hat man dazu sogenannte variable, d. h. polymorphe oder aus vielen elementaren Arten zu- sammengesetzte Anfangsarten gewählt. Die Geschichte einer solchen Rasse ist meist nur lückenhaft bekannt und enthält ganz gewöhn- lich, infolge der Reklame, mehrfache Widersprüche. Dennoch ge- lingt es meist, an der Hand der Theorie, die Erscheinungen soweit zu zerlegen, dass man den Anteil der einzelnen Kreuzungen, den Einfluss der fluktuierenden Variabilität in umfangreichen Aussaaten und die Folgen der oft sehr scharfen Zuchtwahl aus dem bunten Gemische der Keimlinge durchschauen kann. Unisexuelle Kreuzungen. Im Anfang habe ich hervorgehoben, dass die Bastardierungen, wenn man dabei nicht die ganzen Pflanzen als solche, sondern die Differenzpunkte einzeln und jeden für sich ins Auge fasst, nach zwei Haupttypen stattfinden. Denn entweder findet, bei einer hy- briden Verbindung jede Eigenschaft des einen Elters ihr Äquivalent im andern und es entstehen sogenannte Merkmalspaare. Oder der eine Elter hat Eigenschaften, welche dem anderen fehlen, welche also kein Äquivalent finden und somit im Bastard unge- paart bleiben. Die Merkmalspaare verhalten sich wie bei der nor- 202 Moll, Die Mutationstheorie. malen Befruchtung, bei der ja offenbar nur solche Paare entstehen, die ungepaarten Merkmale müssen sich anders verhalten. In bezug auf jede einzelne Eigenschaft nannten wir das Zusammentreffen ein bisexuelles, die Einseitigkeit ein unisexuelles Verhalten, und dementsprechend haben wir zwischen bisexuellen und unisexuellen Kreuzungen unterschieden. | Im zweiten Bande der „Mutationstheorie* wird großes Ge- wicht auf die Unterscheidung dieser Typen gelegt, und ebenfalls auf den Nachweis, dass die bisexuellen Kreuzungen Bastarde liefern, welche ganz allgemein den von Mendel für seine Erbsen ent- deckten Gesetzen entsprechen. Die Annahme von Merkmalspaaren, welche Mendel für seine Berechnungen machte, ließ sich auf den Satz zurückführen, dass in jedem solchen Paare die beiden Paar- linge dieselbe Eigenschaft vertreten, nur in einem anderen Zustande der Aktivität bezw. der Latenz. Nur dieser Punkt bildet die Diffe- renz, sonst sind die Paare den bei der normalen Befruchtung ent- stehenden durchaus gleich. Und daraus lässt sich weiter folgern, dass die Spaltungsgesetze für die normale Befruchtung dieselben sind wie für die Mendel’schen Bastardierungen. Nur kann man sie im Falle gleicher Paarlinge jetzt noch nicht der Beobachtung zugänglich machen, solches leisten nur die Varietätkreuzungen. Die unisexuellen oder Artkreuzungen sind in dem vorliegenden Werke im Verhältnis zu den bisexuellen nur in geringem Umfange studiert worden. Ihr Studium stößt auf die Schwierigkeit, dass ausreichend einfache Fälle nur selten zu haben sind, und ferner, dass Pflanzen, welche sich zu unisexuellen Kreuzungen eignen, sehr oft dabei andere Merkmale besitzen, welche der Gruppe der Varietätunterschiede angehören und somit bei der Kreuzung den Spaltungsgesetzen folgen. Nun ist aber die Spaltung eine leicht sichtbare, auffallende Erscheinung, während die Konstanz viel weniger in die Augen springt und viel schwieriger nachzuweisen ist. Daher rührt die vorläufig noch kleine Reihe von guten Bei- spielen der Folgen unisexueller Verbindungen. Der Behandlung dieser Kreuzungen wird eine kritische Er- örterung vorangeschickt, welche sich auf die Unterscheidung der beiden folgenden Fälle bezieht: Il. Kreuzung auf dem Gebiete der fluktuierenden Variabilität. II. Kreuzung auf dem Gebiete der Mutabilität. Bei der großen Verwirrung, welche bis dahin ın der ganzen Bastardlehre herrschte, war es notwendig, zunächst diesen Punkt genau zu beleuchten. Er betrifft eigentlich die Grenze zwischen normaler Befruchtung und Hybridisierung. Wo soll man diese Grenze stellen, wenn man vom Satze ausgeht, dass keine zwei In- dividuen einer selben Art oder Varietät einander völlig gleich sind? Moll, Die Mutationstheorie. 205 Es handelt sich dann auf den ersten Blick nur um Kreuzungen, denn jede geschlechtliche Verbindung findet dann zwischen un- gleichen Individuen statt, abgesehen selbstverständlich von der sexuellen Differenz. Im praktischen Gebrauch gibt es denn auch eigentlich keine Grenze, und es wird manche Verbindung nur des- wegen als Befruchtung bezeichnet, weil man auf die Differenzen nicht zu achten hat, während dieselbe Verbindung als Bastardierung vorgeführt werden würde, wenn man das Verhalten der entgegen- gesetzten Merkmale dabei hauptsächlich ins Auge fassen wollte. Aber die bei normalen Befruchtungen im weitesten Sinne vor- findlichen Differenzen gehören dem Gebiete der Fluktuation oder der fluktuierenden Variabilität an, während die typischen Barstar- dierungen solche sind, welche stattfinden zwischen Formen, welche auf dem Wege der Mutation auseinander, bezw. aus ihren gemein- schaftlichen Vorfahren hervorgegangen sind. Diese letztere Diffe- renz ist in theoretischer Hinsicht sehr wichtig, denn sie führt auf der einen Seite zu avunkulären, auf der anderen zu kolla- teralen Verwandtschaftsbeziehungen. Aus diesem Gegensatze lassen sich, namentlich in bezug auf die Möglichkeiten, welche der echte Atavismus bei Kreuzungen bietet, manche wichtige Folge- rungen ableiten; da diese aber noch nicht experimentell geprüft worden sind, können sie hier übergangen werden (S. 469). Bei der Behandlung der unisexuellen Bastarde sind zwei Punkte in den Vordergrund zu stellen. Erstens die verminderte Fertilität und zweitens die Entstehung konstanter Bastardrassen. Verminderte Fertilität. Der alte Satz, dass Varietäten unter sich und mit ihrer Art sich fruchtbar kreuzen lassen und fruchtbare Nachkommen geben, gelangt in der Mutationstheorie zu neuer und erhöhter Bedeutung. Die neuen Erfahrungen bestätigen ihn einerseits in einer Reihe von bis dahin nicht oder nur unge- nügend unterschiedenen Fällen, andererseits weisen sie ihm die Grenzen seines Gültigkeitsbereiches genau an. Denn es ist das aus- schließliche Vorhandensein von Merkmalspaaren bei einer Kreu- zung, welches die völlige Fertilität bedingt. Die Erfahrung lehrt, dass es für diese durchaus gleichgültig ist, ob in dem betreffenden Paare beide Elemente aktiv oder beide inaktiv, oder das eine aktiv und das andere inaktiv sind. Auch der semilatente Zustand fügt sich dieser Regel. Die väterlichen und mütterlichen Erbteile passen genau aufeinander, solange jedes Element im anderen Elter seinen Paarling vorfindet. Sobald aber auf einer Seite ein Überschuss vorhanden ist, hört dieses Aufeinanderpassen auf. Hier und dort kommen Störungen im normalen Verhalten vor, und diese Stö- rungen beeinträchtigen erstens die Aussicht der künstlichen hy- briden Verbindung um ein neues Individuum zustande zu bringen, zweitens die Aussicht eines solchen Bastardes sich bis zur Ent- 204 Moll, Die Mutationstheorie. faltung seiner Blüten zu entwickeln und endlich vorwiegend die Aussicht, dass seine männlichen und weiblichen Keimzellen so ge- nau zueinander stimmen werden, dass eine normale Samenbildung, ja oft dass überhaupt Samenbildung zu erwarten wäre. Alle Grade der verminderten Fertilität kommen vor. Und obgleich in keinem einzigen Falle die Beziehung zwischen der Differenz der Eltern bezw. Großeltern zu der Sterilität genau ver- ständlich ist, so ist es doch leicht aus der ganzen Reihe der Er- scheinungen herauszulesen, dass bei zunehmender Anzahl der Unter- scheidungsmerkmale die Aussichten auf gegenseitige Befruchtung sowie auf Fertilität der Bastarde abnehmen. Dieses aber deutet klar darauf hin, dass es die ungepaarten Elemente bei der hybriden Verbindung sind, welche die Ursache der Störungen herbeiführen. Je größer ihre Anzahl, um so geringer ist die Aussicht auf guten Erfolg. Diese Sätze werden vorwiegend aus einer kritischen Zu- sammenstellung des vorhandenen Erfahrungsmateriales abgeleitet (S. 56). Konstante Bastardrassen. Gelingt es durch Kreuzung wirklicher oder elementarer Arten einen fruchtbaren Bastard zu erhalten, und unterscheiden sich die Eltern nur in Artmerkmalen und nicht nebenbei auch in Varietätmerkmalen in dem oben er- örterten Sinne, so spaltet sich ein solcher Bastard bei Selbst- befruchtung in seinen Nachkommen nicht. Es entstehen konstante Rassen, welche, bei genügender Fertilität den besten Arten eben- bürtig sind, bei herabgesetzter Fruchtbarkeit aber sich nur in diesem Punkte von echten Arten unterscheiden. Findet man eine solche Form durch einen Zufall auf, so ist es einfach unmöglich zu ent- scheiden, ob man eine neue Art oder eine Bastardrasse vor sich hat. Als ein Beispiel dazu sei auf Oenothera hirtella hingewiesen, eine ganz eigentümliche neue Art, welche im Jahre 1895 ım Ver- suchsgarten zu Amsterdam zufällig in einer käuflichen Samenprobe einer anderen Art aufging, seitdem völlig konstant war und sich in manchen Beziehungen zu Untersuchungen der verschiedensten Art, sowohl im Gebiete der Bastardierungen als auch der fluk- tuierenden Variabilität als im höchsten Maße geeignet auszeichnete (S. 310). Ob sie ein durch Mutation entstandener Typus oder eine Bastardrasse ist konnte nicht entschieden werden, obgleich sie, seit 1895 in zahlreichen Generationen und umfangreichen Kulturen unter den verschiedensten Bedingungen geprüft wurde. Diese Oenothera hirtella lieferte durch Kreuzung zwei konstante Bastardrassen, welche durch eine Reihe von Generationen fortge- setzt wurden und auch jetzt noch in Kultur sind. Die Kreuzungen wurden im Sommer 1897 ausgeführt, indem der Hirtella-Staub auf die kastrierten Blüten von O. rubrinervis und O. muricata gebracht wurde (8. 312 u. 316). Die erstere ist eine der im ersten Bande Moll, Die Mutationstheorie. 205 beschriebenen neuen Mutationsarten, die andere eine alte, aus Amerika nach Europa gebrachte und dort verwilderte, bereits von Linn&@ beschriebene Art. Die Bastarde haben den Vorteil, dass sie sich ohne künstliche Hilfe selbst befruchten, es brauchte nur der Besuch der Insekten ausgeschlossen zu werden. Sie trugen in beiden Rassen reichlich Samen, wenn auch bei weitem nicht so reichlich wie die elterlichen Arten. Sie erhielten sich in dieser Weise, -während nunmehr fünf Generationen durchaus konstant, ohne jemals eine Abweichung von ihrem Typus oder auch nur eine Andeutung einer Spaltung zu zeigen. In den einzelnen Generationen wurden von jeder Reihe meist etwa 50 Exemplare zur Blüte und zur Samenreife gebracht; etwaige Spaltungen hätten somit der Be- obachtung nicht entgehen können. Eine andere konstante Bastardrasse zwischen zwei Linn&’schen Arten wurde gleichfalls durch mehrere Generationen fortgesetzt (S. 67). Die Kreuzungen O0. muricata L. X biennis L. und O. biennis L. X 0. muricata L. sind reziproke, die betreffenden Bastarde sind aber unter sich wie auch sonst bei unisexuellen Ver- bindungen in der Gattung Oenothera, ungleich (S. 471). Die erstere führt im wesentlichen die Merkmale von O. biennis und hat einen kräftigen Wuchs wie diese, die letztere gleicht weit mehr der ©. muricata, ist aber so schwach, dass es bis jetzt noch nicht gelang, keimfähige Samen zu gewinnen. Die Kreuzung O0. muricata X O0. biennis wurde 1895 ausgeführt und seitdem wurden vier Generationen teils ein- teils zweijähriger Individuen kultiviert (1896—1900). Die Ernte war stets eine sehr geringe, etwa 1 ccm pro Pflanze; die Früchte entsprechend klein. Die Samen keimten aber reich- lich und die vier Generationen lieferten zusammen etwas über 400 Individuen, von denen mehr als 100 geblüht haben. Unter allen diesen Pflanzen kam keine einzige von einem abweichenden Baue vor (auch die Kultur von 1903, welche eine größere Anzahl zwei- jähriger blühender Exemplare umfasste, verhielt sich so). Die Rasse war somit völlig konstant und frei von allen Spaltungen. Ähnlich verhielten sich eine ganze Reihe weiterer mehr oder weniger ausführlich studierter Bastardverbindungen. Ferner wurden aus der Literatur als konstante Bastardrassen angeführt: Aegelops speltaeformis (A. ovata X Triticum vulgare X Triticum vulgare), Geum intermedium (@. urbanum X @G. rivale), mehrere schon von Gärtner beschriebene konstante Hybriden, einige Orchideen- bastarde, mehrere Fragaria-Hybriden, über welche Millardet be- richtete, Veronica Andersonü (= V. salieifolia X V. speciosa), die Hybriden Anemonen von Janczewski, von denen namentlich A. magellanica X A. syWvestris als eine gute neue Art zu betrachten ist, Medicago media, Epilobium tetragonum X montanum, die be- kannten Kerner’schen Beispiele und viele andere. Die Reihe ist 206 Moll, Die Mutationstheorie, allerdings noch keine große, doch dürfte sie für die Entstehung konstanter Bastardrassen bei unisexuellen Kreuzungen genügend Belege enthalten (S. 501). Gemischte Kreuzungen, d. h. solche, welche in einigen Merkmalen bisexuell, in anderen aber unisexuell sind, sind in der Literatur gar häufig beschrieben worden. Ihre Nachkommen spalten sich im allgemeinen in bezug auf die eine Gruppe von Eigen- schaften, während sie in bezug auf die andere konstant bleiben. Die vorhandenen Beschreibungen sind aber meist kaum genügend um in dieser Hinsicht eine klare Unterscheidung zu gestatten. Eine Reihe von Beispielen wurde zusammengestellt, aber nur Lychnis vespertina X diurna wurde ausführlicher geprüft. Die Blütenfarbe und die Öffnungsweise der Zähne der Kapseln bilden hier Varietätmerkmale, während die Form der Blätter, die Blüten- stiele u. s. w. d. h. die in den Diagnosen üblichen, weniger scharf getrennten Kennzeichen sich als unisexuelle Merkmale verhalten (5.191). Mutationskreuzungen. Es lag auf der Hand, auch die neuen, durch Mutation erhal- tenen Arten von Oenothera auf ihre sexuelle Verwandtschaft, unter sich und mit der Urmutter O0. Lamarckiana zu prüfen. Dabei er- gab sich, dass diese Kreuzungen sich weder den Gesetzen der bisexuellen noch jenen der unisexuellen fügen. Sie verhalten sich ganz anders. Sie wirken, wenn man so sagen darf, abstoßend. Die Merkmale der beiden Eltern vereinigen sich weder zu einer konstanten Rasse, noch auch zu sich nachher spaltenden Merkmals- paaren. Diese Abstoßung zeigt sich ım allgemeinen bereits in der ersten Generation nach der Kreuzung. Diese pflegt bei den beiden oben besprochenen Hybridisierungstypen eine einförmige zu sein. Hier aber nicht. Hier besteht sie aus zwei, bisweilen aus drei Typen, welche einfach die Merkmale der beiden Eltern, und falls diese beide Mutanten sind, daneben noch jene des Urtypus O. Lamarckiana wiederholen. Untersucht man dann jede dieser zwei oder drei Gruppen, indem man ihre Nachkommen aus selbstbefruchteten Samen heranzüchtet, so findet man sie konstant. Weitere Spal- tungen treten nicht ein, nur ist zu bemerken, dass das bei den Eltern vorhandene Mutationsvermögen auf die Kinder und auf die Großkinder übertragen wird und dass also Mutationen gelegentlich auch unter den Nachkommen einer Kreuzung beobachtet werden. Und zwar nicht gerade seltener als bei den reinen Stämmen. Das Verhältnis, in welchem die zwei bezw. drei Typen nach einer Mutationskreuzung in der ersten Generation auftreten, ist im großen und ganzen für die einzelnen Verbindungen ein konstantes, aber um das konstante Mittel pflegt es in ziemlich weiten Grenzen zu schwanken. Moll, Die Mutationstheorie. 207 Am ausführlichsten wurde es für O. lata und O. nanella in ihren Kreuzungen mit O. Lamarckiana geprüft. Der Bequemlich- keit halber wird das Ergebnis jeder einzelnen Kreuzung durch eine einfache Zahl angedeutet, welche das prozentische Verhältnis der Kinder mit dem Typus der lata bezw. der nanella in der ganzen Aussaat angibt. Diese Zahlen werden Erbzahlen genannt. Sie schwanken in beiden Versuchsreihen, im Mittel aus je etwa 100 Kreuzungen zwischen 0 und 50°/, und liegen in der Mehrzahl dicht um 25°/, herum. D.h. also, dass wenn man die mutierende O. Lamar- ckiana mit einem ihrer beiden genannten Abkömmlinge kreuzt, etwa ein Viertel der Bastarde den Typus der neuen Art, und etwa drei Viertel jenen der Lamarkiana tragen. Zwischenstufen oder Kombinations- formen treten dabei nicht auf; die betreffenden Merkmalsgruppen sind entweder vorhanden oder fehlen, lassen sich aber nicht in kleinere Einheiten zerlegen. Diese wichtige und durch so zahlreiche Ver- suche sichergestellte Tatsache lehrt also, dass die verschiedenen Punkte, in denen die O. lata sich von den O. Lamarckiana unter- scheidet, sich alle auf eine physiologisch unzerlegbare Einheit be- ziehen. Wie die O, lata stets mit einem Schlage aus der Mutter- art hervorgeht, ohne je dazu Übergangsstufen zu durchlaufen, so verhält sie sich auch bei ihren Kreuzungen. Diese können also als ein weiterer Beweis für die Lehre von den Erblichkeitseinheiten betrachtet werden. Und dasselbe gilt von der O. nanella, sowie von den übrigen in dieser Richtung geprüften neuen Arten. Die Kreuzungen von O. lata, welche weiblich ist, wurden vor- wiegend mit dem Pollen von O. Lamarckiana, teilweise aber auch mit denjenigen anderer neuen Arten (O. nanella, O. brevistylis u. a.) ausgeführt. Dabei ergab sich, dass die Erbzahlen von der Wahl des Blütenstaubes unabhängig waren. Sie schwankten in den an- gestellten Versuchen zwischen 5 und 45°/,, d. h. es fehlten ın keinem einzigen Fall die Repräsentanten des mütterlichen Typus, während diese andererseits auch nie die Hälfte der ganzen Aussaat ausmachten. Stets überwog der hohe Typus der Lumarckiana. Es wurden zwei Lata-Familien durch neun bezw. fünf Generationen fortgesetzt, die Erbzahlen konnten dadurch aber nicht geändert werden, sondern blieben stets innerhalb der genannten Grenzen, um dasselbe Mittel herumschwankend. Auch in diesen Versuchen stellte sich eine Zerlegung der Zata-Merkmale in einzelne Faktoren als unmöglich heraus, auch hier verhielten sie sich zusammen wie eine einzige Einheit. O. nanella gab genau dieselben Resultate. Hier konnten auch die reziproken Kreuzungen geprüft werden, sie fügten sich den mitgeteilten Regeln. So lange man nicht weiß, durch welche Ursachen die Mu- tationen selbst ausgelöst werden, liegt es auf der Hand, in dem 208 Moll, Die Mutationstheorie. Auftreten der Mutanten nach Kreuzungen, d. h. also in den er- wähnten Erbzahlen nach einer Analogie zu suchen. Die Schwierig- keiten werden dabei, sozusagen, auf die Hälfte reduziert. Beim Mutationsvorgang rühren Eizelle und Pollenkörner von der mu- tierenden Art her, beider Anteil ist in gleicher Weise unbekannt. Bei der Kreuzung sind entweder die Eizellen oder die Pollenkörner unter sich gleich, was für O. nanella daraus hervorgeht, dass diese Art bei Selbstbefruchtung konstant ist. Vielleicht wäre es somit gestattet, die bunte Zusammensetzung der Nachkommenschaft einer Mutationskreuzung ganz auf Rechnung des mutierenden Elters zu schieben. Die bald zu erörternden Beobachtungen über das Ent- stehen neuer Arten als Bastarde forderten in derselben Richtung zu Versuchen auf. Bei diesen wurden die Kreuzungen und das Einsammeln der Samen getrennt für jede einzelne Blüte einer Rispe vorgenommen; in derselben Weise wurden für jede einzelne Frucht die Samen besonders gesät und gezählt. Es konnte da- durch das Schwanken der Erbzahlen auf der Hauptrispe und auf den Zweigen ermittelt werden. Es ergab sich dabei im allge- meinen, dass innerhalb der oben angegebenen Grenzen, die Erb- zahl um so höher ausfällt, je kräftiger die gekreuzten Blüten sind. Denn je kräftiger und je samenreicher die einzelne Frucht um so größer ist ım Mittel ihr Gehalt an mutierten Keimen, d. h. also ihre Erbzahl. An kräftigen Rispen nimmt dementsprechend diese Zahl im allgemeinen nach oben ab, und daraus ergibt sich, dass es bei Kreuzungen dieser Art keineswegs gleichgültig ist, ob man die unteren oder die mittleren oder die oberen Blüten der Rispe für die Kastration auswählt. In einem Versuche wurde die Wirkung reichlicher bezw. kärg- licher Bestäubung auf die Erbzahlen ermittelt. Durch sehr starkes Beschneiden wurde die Narbenfläche so klein gemacht, dass nur geringe Mengen von Staubkörnern keimen konnten. In solchen Fällen ist zu erwarten, dass nahezu alle Pollenröhren Samenknospen zur Befruchtung finden werden, während bei reichlicher Bestäubung bekanntlich nur die kräftigsten Röhren dieses erreichen. Es muss die Befruchtung im Versuch im Mittel durch schwächere Staub- körner stattfinden, und dementsprechend fand man die Erbzahlen sehr stark herabgedrückt. Statt des normalen Gehaltes, etwa 25°], im Mittel, wurden nur Schwankungen zwischen 0 und 5°/, erhalten. Durch ein künstliches Eingreifen in den Prozess der Bestäubung kann man also einen wesentlichen Einfluss auf die Erbzahlen aus- üben. Bei dihybriden Mutationskreuzungen, z. B. bei der geschlecht- lichen Verbindung von O. lata und O. nanella, behält jede der mu- tierten Formen ihre Erbzahl bei. Zusammen erreichen diese beiden Zahlen nicht 100°/,, die übrigen Keime gleichen dann der Urmutter, Moll, Die Mutationstheorie. 209 O. Lamarckiana. Es lehrt dieses, dass es sich hier wirklich um zwei voneinander unabhängige Merkmalspaare handelt. Das kon- stante Lata-Merkmal verbindet sich mit dem entsprechenden aber nur im mutabelen Zustande befindlichen, d.h. also fast ganz latenten Merkmal der 0. Lamarckiana, von welchem man annehmen muss, dass es bei der Entstehung der O. nanella unverändert auf diese über- tragen worden ist, und dasselbe gilt vom zweiten Merkmalspaare. Dadurch aber führt die dihybride Kreuzung zu dem merkwürdigen Falle von Atavismus, der namentlich im Garten auffällt, wenn in der Bastardaussaat zwischen den beiden niedrigen Typen der Eltern, O. lata und O. nanella, zahlreiche Individuen mit dem hohen Lamarckiana-Typus emporwachsen. Dihybride Kreuzungen kann man auch so ausführen, dass das eine Paar den Gesetzen der Mutationskreuzungen, das andere aber jenen der bisexuellen oder Mendel’schen Kreuzungen folgt. Ein geeignetes Material dazu liefert die O. brevistylis, welche in ihrem Merkmal sich den übrigen Arten gegenüber bisexuell verhält. Dieses Merkmal ist der nur halbwegs untenständige Fruchtknoten mit dem kurzen, kaum aus der Röhre der Blüte hervorragenden Griffel. Für die Versuche wurde die O. brevistylis mit O. lata ge- kreuzt und daraus eine Bastardrasse erzogen, welche durch vier aufeinanderfolgende Generationen nach der Kreuzung fortgesetzt wurde. Die beiden Eigenschaften verhielten sich durchaus unab- hängig voneinander, jede folgte ihren eigenen, aus früheren Ver- suchen bekannten Gesetzen. Die Zusammensetzung der Nach- kommenschaft lässt sich für jede Generation im voraus berechnen. Es waren etwa 35°/, brevistyle und ebensoviele atavistische (den Habitus der Lamarckiana tragende) Exemplare, nebst 15°/, Lata und 15°/, Lata-Brevistylis vorhanden. Für das Previstylis-Merkmal also 35 + 15 — 50°/,, was dem Mendel’schen Gesetze entspricht, da jedesmal für die Kreuzung ein Lata-Exemplar mit dem Pollen einer Brevistylis befruchtet wurde. Das Lata-Merkmal macht die Antheren steril, das Brewistylis-Merkmal setzt die Fertilität der Fruchtknoten auf fast Null herab, und dementsprechend gelang es bis jetzt nicht von den Individuen, welche beide Merkmale führten, entweder guten Pollen oder Samen zu erlangen. Diese Erfahrung ist deshalb wichtig, weil man nach den herrschenden Ansichten hätte erwarten können, dass die weibliche Zat« mit dem männlichen Brevistylis einen hermaphroditen oder wenigstens einen diözıschen Bastard liefern würde. Keins von beiden war aber der Fall. Unter den Mutationskreuzungen fand sich eine auffallende Aus- nahme. Die Verbindung von O. rubrinervis mit O. nanella fügte sich in bezug auf das erstere Merkmal den sonst gefundenen Regeln, nicht aber in bezug auf das zweite. Und zwar ausnahmslos in XXIV. 14 310 Moll, Die Mutationstheorie. zahlreichen mit Individuen möglichst verschiedener Herkunft ange- stellten Versuchen. Die Nanella-Eigenschaft ıst aus mehreren Gründen nicht als etwas neues, sondern als durch Verlust, bezw. Latenz der hohen Statur entstanden aufzufassen. Im oben er- örterten Sinne war somit die O. nanella eine Varietät und nicht eine elementare Art. Dementsprechend müssen ihre Kreuzungen, sobald sie aus der Gruppe der Mutationskreuzungen heraustreten, den Mendel’schen Spaltungsgesetzen folgen. Solches trat nun auch wirklich ein, wenn auch mit vorläufig etwas abweichenden Zahlen. Daraus ergaben sich zwei Folgerungen. Erstens die Mög- lichkeit, die Merkmale von O. rubrinervis und O. nanella zu einer neuen, konstanten Rasse zu verbinden, zu einer Zwergvarietät der neuen Art O. rubrinervis. Diese Rasse ist völlig konstant, sehr fertil, und in manchen Beziehungen schöner und besser ausgestattet als ihre beiden Eltern. Sie musste in demselben Verhältnis ent- stehen wie die entsprechende Kombination O. lata X O0. brevistylis des vorigen Versuches, und trat in den einzelnen Generationen ın dem Verhältnisse von 17—22°/, auf, was also die Erwartung be- stätigte. Folgt O. rubrinervis mit O. nanella in bezug auf letzteres Merk- mal nicht mehr den Regeln der Mutationskreuzungen, so kann dieses nur daher rühren, dass das entsprechende Mutationsvermögen in ihr verschwunden ist. Die hohe Statur muss in ihr wiederum konstant geworden sein. Die innere Eigenschaft muss aus dem mutablen Zustande in die normale Gleichgewichtslage zurück- gekehrt sein. Denn das ist, nach den oben gegebenen Auseinander- setzungen die Bedingung für die bisexuellen Kreuzungen, und somit für das Eintreten der Mendel’schen Spaltungen. Tatsächlich brachte O. rubrinervis in ausgedehnten Aussaaten nie O0. nanella hervor, und dieses stimmt somit genau zu ihrem Verhalten bei den fraglichen Bastardierungen. Sehr merkwürdig ist es dabeı, dass die verschiedensten Rubrinervis-Mutanten, sowie die von ihnen abgeleiteten Rassen sich alle in dieser Beziehung in derselben Weise verhielten. M. a. W. wenn durch Mutation aus O. Lamar- ckiana O. rubrinervis entsteht, so geht gleichzeitig das Vermögen, in derselben Weise O. nanella hervorzubringen, verloren. In bezug auf dieses Merkmal sind die O. rubrinervis somit aus der Mu- tationsperiode herausgetreten. Sollte sich dieses Ergebnis bei Ausdehnung auf weitere Fälle bestätigen, und das gelegentliche Aufhören eines einmal eingetretenen Mutationsvermögens sich als allgemein ergeben, so wäre damit ein wichtiges Prinzip rür die Erklärung der Konstanz der Arten zwischen den aufeinanderfolgen- den, hypothetischen Mutationsperioden gewonnen. (Fortsetzung folgt.) Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. 941 Blepharoplasten im Pflanzenreich. Von 8. Ikeno. Was sind Blepharoplasten? Dies ist eine viel umstrittene Frage der modernen Zellenlehre. Da eine zusammenfassende Dar- stellung des jetzigen Standpunktes noch fehlt und eine solche auch für die zytologisch nicht speziell tätigen Botaniker von einigem Interesse sein dürfte, so erlaube ich mir, im folgenden die haupt- sächlichen von verschiedenen Forschern über diese Organoide ge- machten Beobachtungen und Meinungen zusammenzufassen, ferner meine Anschauungen bezüglich dieser Frage zu erörtern und noch einige kleine Ergänzungen und Berichtigungen zu meiner diesbe- züglichen letzten Arbeit!) zu machen. Schon im Jahre 1845 beschrieb Mettenius in seiner Unter- suchung über die Entwickelung der Spermatozoiden der Characeen die „glänzenden Pünktchen“ ?), auch erwähnte Goebel einen „stark glänzenden Knopf“ an einer Seite des Zellkerns?). Diese „Pünkt- chen“ und „Knopf“ hält Belajeff für ıdentisch mit seinem sogen. „Plasmahöcker“ *). Wenn diese Vermutung Belajeffs zutreffen würde, so wären diese Beobachtungen Mettenius’ und Goebels die zuerst überhaupt in der Literatur vorkommenden Angaben in Betreff der bei der Zilienbildung begriffenen Körperchen, sogen. „Blepharopiasten*. In 1889 beschrieb auch Guignard, der bekannte französische Zytolog, am vorderen Ende der Spermatozoiden von Sphagnum fimbriatum und Pilularia eine kleine Anschwellung, an welcher die Zilien inseriert sind und welche höchst wahrscheinlich auch Ble- pharoplasten darstellen mag?). Er hat aber über diese Organoide keine weiteren Studien ausgeführt und es ıst das Verdienst Bela- jeffs, dass das Verhalten dieser Körperchen bei der Zilienbildung aufgeklärt wurde. Nach seinen eingehenden Studien über die Spermatogenese der Characeen‘) entsteht zuerst in jeder sperma- togenen Zelle (Spermatide) ein kleiner Plasmahöcker an der Grenze zwischen Zellkern und Zytoplasma, der sich bald in einen Faden umwandelt, aus dem zwei Zilien hervorgehen. Schon zu jener Zeit sprach er die Vermutung aus, dass dieser Höcker eine Attrak- tionssphäre darstelle, ohne besondere Gründe anzuführen”). Einige 1) Beih. z. Bot. Centralbl. Bd. XV, Heft 1, 1903, p. 65. Auch ein kurzer Auszug in Comptes-rendus de l’Acad&mie des Sciences de Paris, 9 mars 1903. 2) Bot. Zeit. 1845, 2 St. p. 20. 3) Schenks Handbuch d. Bot. Bd. III, p. 420. 4) Flora, Bd. LXXIX, 1894, p. 34. 5) Revue gen. de Botanique, Tome I, 1889, Sep.-Abd. p. 23. — Bull. de la Soc. bot. de France, Tome 37, 1889, p. 380. Gykre p..1 ff. “).l2 ep. 45. 14* 212 Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. Jahre später veröffentlichte er drei Aufsätze betreffend die Sper- matogenese bei den Farnkräutern und Schachtelhalment). Er fand dabei, dass ein in jeder Spermatide befindliches, stark färbbares rundliches Körnchen sich zu einem Faden ausdehnt und aus diesem letzteren zahlreiche Zilien sich entwickeln (Fig. I, 1--3)?). Somit wurde die Identität dieses „Körnchens“ mit „dem Plasmahöcker* bei den Characeen und ferner die wesentliche Übereinstimmung der spermatogenetischen Vorgänge bei den letzteren und Pterido- phyten klargestellt. In den drei eben genannten Aufsätzen hat er anscheinend seine früher geäußerte Meinung aufgegeben, dass der „Plasmahöcker* eine Attraktionssphäre darstelle, und einen neuen, aus dem zoologischen Gebiete entnommenen Namen „Nebenkern“ eingeführt. In einem jener drei Aufsätze weist er auch auf die Ähnlich- keit der Spermatogenese im Tier- und Pflanzenreich hin), und da dies für das Verständnis meiner unten zu erörternden Hypothese der Homologie der Blepharoplasten und Zentrosomen von Wichtig- keit ist, so will ich hier auf dieses Thema etwas ausführlich ein- gehen, und zwar mit Hilfe einiger Figuren aus Hermann. Hermann fand bei der jungen Spermatide des Salamanders neben dem Zellkerne eine farblose Kugel, ein kleines durch Farb- stoffe stark tingierbares Körperchen und einen kleinen auch intensiv färbbaren Ring (Fig. II, 1)*). Ferner beobachtete er, dass nachher dieses stark färbbare Körperchen zu einem sogen. „Mittelstück“ sich umwandelt und dann als der Insertionspunkt des bald daraus sich entwickelnden Schwanzfadens dient (Fig. I, 2; »n, Mittelstück). Die Vergleichung der oben beschriebenen spermatogenetischen Vorgänge im Tier- und Pflanzenreich führte Belajeff zu der An- nahme der in der folgenden Tabelle hervorgehobenen Homologien’): Characeen, Farne u. Schachtelhalme Salamander u. Maus Zilien Schwanzfaden wickeln und an welchem sie inseriert sind Stark färbbares Körperchen in der Stark färbbares Körnchen (,Nebenkern“ Spermatide Faden, aus welchem Zilien sich ent- | Mittelstück Belajeffs) in der Spermatide 1) Ber. der Deutsch. Botan. Gesellsch., Jahrg. XV, 1897, p. 337 ff. 2) Die Figuren sind aus einer der späteren Publikationen Belajeffs ent- nommen. B)lse. p. 342. 4) Archiv f. mikrosk. Anatom. Bd. XXXIV, 1889. DJ de: Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. Inzwischen studierte Webber die Spermatogenese von Zamia, einer in Florida einheimischen Zykadee und erkannte die wesent- liche Übereinstimmung des Vorganges mit demselben bei den Farn- kräutern u. s. w.!). In der Mutterzelle der Spermatide nämlich (Nach Belajeff.) Spermatide von Equwisetum arvense. 1. Mit einem großen Zellkerne; neben demselben ein halbmondförmiges stark färbbares Körnchen. 2. Beide Zellkern und Körnchen gestreckt. 3. Zahlreiche noch kurze Zilien an diesem Faden entwickelt. (Nach Hermann.) Spermatide des Salamanders. 1. Oben ein großer Zellkern, unten eine große farblose Kugel, ein Ring und ein intensiv färbbares Körperchen. 2. Alteres Stadium. Letzteres zu dem Mittelstück (m) umgewandelt, an welchem ein Schwanzfaden inseriert ist. befindet sich an den beiden Polen des Zellkernes je ein Körnchen von auffallender Größe; es dehnt sich nachher zu einer Spirale aus, woraus die Zilien sich entwickeln. Diese Körnchen sind von 1) Bot. Gaz. Vol. 23—24, p. 1897. 214 Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. einer prächtig entwickelten Strahlensonne umgeben und ähneln äußerlich den bei den pflanzlichen und tierischen Zellen oft be- schriebenen Zentrosomen so stark, dass er zuerst sie als „zentrosom- ähnliche Körper“ bezeichnete. Nichtsdestoweniger kam er schließ- lich zum Schlusse, dass es keineswegs etwas mit den Zentrosomen zu tun habe; er hält sıe für ein Organ „sui generis“ und führte deshalb einen neuen Namen „Blepharoplast“, d. h. Zilien- bildner ein). Schon vor der Publikation dieser Arbeiten Webbers begann ich die Spermatogenese von Cycas revohıta zu studieren und fand auch hier die gleichartigen Vorgäne wie bei Zamia auf?). Gleich- zeitig war auch Hiras& im embryologischen Studium von Gönkgo biloba begriffen. Schon im Jahre 1894 entdeckte er in der Spermatid- mutterzelle (seine „Pollenzelle“) dieses Baumes zwei neben dem Zellkerne befindliche zentrosomartige Körperchen®). Da damals ıhr weiteres Verhalten ıhm noch gänzlich unbekannt war, nannte er sie nur als eine Attraktionssphäre von auffallender Größe; aber bald nachher fand er das eigentümliche Verhalten dieser Körper beı der Zilienbildung der Spermatozoiden auf, wenn auch die Pubh- katıon seiner Untersuchungen bis zur Mitte 1898 verzögert wurde®). Was sınd diese Organoide, welche bald als „Plasmahöcker“, bald als „Nebenkern“, bald als „zentrosomähnliche Körper“ be- zeichnet wurden ? Sind sie Zentrosomen? Oder stellen sie Organe „sul generis* dar? Einen Versuch zur Lösung dieser Frage machte ich dann auf Grund der entwickelungsgeschichtlichen Unter- suchungen Belajeffs, Webbers, Hirases und meiner eigenen über die pflanzlichen Spermatozoiden und Hermanns über die tierischen’). Wie oben erörtert, fand Hermann in einer jungen Spermatide des Salamanders außer einer farblosen Kugel und einem stark färb- baren Ring auch ein intensiv färbbares Körperchen. Was dieses letztere darstellt, war ıhm zu jener Zeit unbekannt, aber infolge seiner 1897 erschienenen Arbeit über Sceyllium (Selachier) wurde es bekannt, dass es nichts anderes ist als das Zentrosom und dass das Mittelstück des Spermatozoons dem letzteren seine Entstehung ver- dankt®). i Da die Spermatogenese bei Pflanzen wesentlich mit demselben Vorgang bei Tieren übereinstimmt, da ferner der Schwanzfaden, das Mittelstück und das färbbare Körperchen des Spermatozoons 1) Bot. Gaz. Vol. 24, 1897, p. 225. 2) Später in Jahrb. f. wiss. Bot. XXXII, p. 557 ff. veröffentlicht. 3) Bot. Magazine, Tokyo, Vol. VIII, 1894, p. 359. 4) Journ. of the Coll. of Sciences of the Imperial Univ. Tokyo, Vol. XII, p. 103 ff. 5) Flora, 58. Bd., 1898, p. 15. 6) Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. L, 1898, p. 276. Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. 215 des Salamanders mit den Zilien, dem Faden und dem intensiv färbbaren Körnchen des Spermatozoids der Farnkräuter u. s. w. homologisiert, und da nun das färbbare Körperchen des Salamanders als ein Zentrosom erwiesen wurde, so kam ich zum Schlusse, dass das intensiv färbbare Körnchen der Characeen, Farne, Schachtel- halme, Zykadeen und Ginkgo, auch ein Zentrosom darstellt). Dafür spricht, wie ich dann schrieb, sehr das äußere Aussehen des Körper- chens bei den Zykadeen und Ginkgo, welches von einer prächtig entwickelten Strahlensonne umgeben ist. So standen meine An- schauungen im Gegensatz zu denen von Webber, welcher es als Organ „sul generis“ deutete. Nachdem die Arbeit Belajeffs über die Spermatogenese der Characeen?) erschienen ist, machte Strasburger eine Serie von Untersuchungen über denselben Vorgang bei verschiedenen planz- lichen nn — Characeen, Lebermoose, Farne u. s. w.°); in dieser Arbeit sprach er nicht speziell über die Natur dieses Körper- chens, welches er dann als „Zytoplasmahöcker“ bezeichnete. In der dritten Auflage seines bekannten Lehrbuches der Botanik, welche ım Jahre 1898 erschienen ist, deutete er Blepharoplasten anscheinend als Zentrosomen, da er dort schrieb: „In den Zellen der höher organisierten Gewächse sind sie (= Zentrosomen) ge- schwunden, doch treten sie vorübergehend bei den Pteridophyten und einem Teile der Gymnospermen während der Bildung beweg- licher männlicher Elemente, der Spermatozoiden auf?).“ Die spä- teren Arbeiten führten ihn aber zu ganz abweichenden Meinungen’). „Alle Übergänge lehren,“ schreibt er, „dass die pflanzlichen Sperma- tozoiden aus Schwärmsporen gleichenden Gameten hervorgegangen sind“ °), somit sind die Blepharoplasten der Zykadeen, Gönkgo u. S. w. mit den zilientragenden Organen der Schwärmsporen der niederen Pflanzen zu no entre. Nun beobachtete er, dass bei den Schwärmsporen von Oedogonium, Vaucheria u. s. w. diese letzteren Organe aus einer Verdickung der Hautschicht bestehen. „Diesen Zuilienbildnern an Schwärmsporen und Gameten,“ sagt er, „kommt aber, meiner Ansicht nach, die Bedeutung der Zentrosomen nicht zu’).“ Die Blepharoplasten der Zykadeen u. s. w. sind deshalb seiner Ansicht nach phylogenetisch nieht aus dem Zentrosom, son- dern aus solcher Verdickung der Hautschicht abzuleiten. Auf Grund dieser und zahlreicher anderer Tatsachen verneinte er die zentrosomatische Natur der Blepharoplasten. VLkeno,.l; ce. 2) Seine rssane Arbeit erschien im Jahre 1892, 3) Histolog. Beitr. IV, 1892. 4) p. 48. 5) Histolog. Beitr. VI, 1900. 6). 1. €; 9.195. T)l.c.p. 18. 216 Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. Zunächst gehen wir zu der Besprechung dieser Hypothese Strasburgers über. Auch wenn man die von ihm angeführte Hypothese der Homologie der Blepharoplasten der Zykadeen u. s. w. mit den zilientragenden Organen der niederen Pflanzen für zu- treffend hält, so ist doch vor allem zuerst die morphologische Natur der Verdickung der Hautschicht nachzuweisen. Nach Stras- burger, wie oben erörtert, kommt ihr keine Bedeutung als Zentrosom zu, aber im Lichte meiner neueren Untersuchungen über die Spermatogenese von Marchantia polymorpha!) ıst es mir fast zweifellos, dass diese Verdickung der Hautschicht entweder ontogenetisch oder wenigstens phylogenetisch aus emem Zentrosom abzuleiten ist. Zunächst mögen hier die Resultate meiner Unter- suchungen über Marchantia kurz besprochen werden (Fig. II). Bekanntlich besteht ein Antheridium dieses Leberimooses aus der Wandung und zahlreichen Binnenzellen, welche durch wiederholte Zellteilungen erzeugt werden. Bei jedem dieser Zellteilungsprozesse sieht man zunächst neben dem Zellkerne ein kleines Körperchen (Fig. III, 1), welches sich bald in zwei teilt; dann beginnen sie sich zu bewegen und gelangen an die entgegengesetzten Pole des Zellkernes (Fig. III, 2). Aus jedem dieser Körperchen beginnen die Spindel- fasern nach dem Zellkerne auszustrahlen, und wenn schließlich die Spindel völlig gebildet ist, werden diese Körperchen an den Ver- einigungspunkten der Spindelfasern sitzend gefunden (Fig. ILL, 5). Im Dispiremstadium verschwinden sie und erscheinen in jedem Tochterkerne wieder zum Beginne der nächsten Teilung u. s. w. Diese Körperchen stellen somit ohne Zweifel die Zentrosomen dar, welche in der Bildung der Spindel begriffen sind. Bei der Kern- teilung der Spermatidmutterzellen erscheinen diese Zentrosomen wie bei den jüngeren Zellgenerationen, aber bier beim Dispirem- stadium verschwinden sıe niemals, so dass bei jeder durch diese Zellteilung erzeugten Tochterzelle (= Spermatide) man je ein Zen- trosom neben dem Zellkerne findet (Fig. III, 4). Es geht dann bald nach der Zellecke hin, streckt sich um linienartig zu werden, kommt in innigen Kontakt mit der Hautschicht derselben und bietet den Anschein, als ob sie eine Verdickung der Hautschicht bilde, Aus diesem linienartigen Zentrosombande treten bald zwei Zilien hervor (Fig. III, 5). Wenn man deshalb dieses letztere Stadium der Entwickelung der Blepharoplasten allein beobachtet, ohne nichts von den früheren wahrzunehmen, wird man wohl dieses Band als die wahre Verdickung der Hautschicht betrachten. Gehört nicht die von Strasburger hervorgehobene Verdickung der Hautschicht an der Mundstelle der Schwärmsporen einiger Algen in die gleiche Kategorie wie bei unserem soeben beschriebenen Falle? Ist nicht 1) Beihefte z. Bot. Zentralbl. Bd. XV, Heft 1, p. 65ff. Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. 217 De diese Verdiekung das Umwandlungsprodukt eines Zentrosoms? In seinen sorgfältigen Untersuchungen über die Entwickelung der Schwärmsporen von Hydrodietyon fand Timberlake, ein leider zu früh der Wissenschaft entrissener amerikanischer Forscher, bei jeder Kernteilung ein kleines Körperchen, welches an dem Ver- einigungspunkt der Spindelfasern sitzt und welches er wahrschein- lich für ein Zentrosom hält!). Bei den gereiften Schwärmsporen fand er, dass jede Zilie an dem in der Zellecke befindlichen, aber völlig von der Hautschicht getrennten Körperchen inseriert ist?). Wenn auch Timberlake die genetische Beziehung des letzteren zum Zentrosom nicht feststellen konnte, so ist es mir doch fast Fig. III. Spermatogenese von Marchantia polymorpha 1. Eine Spermatidmutterzelle Zellkern mit einem noch ungeteilten ungeteilten Zentrosom derselben. 2. Ebendas. Je ein Zentrosom an den entgengengesetzten Polen des Zellkernes. 3. Ebendas. Kernteilung im Aster-Stadium. Zwei Zentrosomen an den Vereinigungspunkten der Spindelfasern. 4. Zwei Spermatiden gebildet, jede mit einem Zentrosom oder Ble- pharoplast. 5. Ältere Spermatide. Blepharoplast gestreckt und in innigen Kontakt mit der Hautschicht der Zelle. Zwei Zilien schon sichtbar. zweifellos, dass jenes entwickelungsgeschichtlich aus diesem ent- standen ist. Dieses Körperchen befindet sich getrennt von der Haut- schicht, aber sehr nahe derselben; es wäre nur ein kleiner Schritt weiter, um es als eine Verdickting der Hautschicht erscheinen zu lassen, wie bei Oedogonium u. S. W. Im Anfang 1901 veröffentlichte Webber seine große sehr sorg- fältig ausgeführte Arbeit über die Spermatogenese und Befruchtung von Zamia®). In einem besonderen Kapitel, betitelt „Ist der Ble- pharoplast ein Zentrosom ?* bekämpft er eingehend die Hypothese der Homologie der Blepharoplasten und der Zentrosomen®). Sein hierfür angeführter Grund besteht hauptsächlich darmm, dass die 1) The Transactions of the Wisconsin Academy of Sciences, Arts, and Letters, Vol. XIII, 1902. 2) 1. c. p. 486. 3) U. S. Dept. of Agriculture. Bureau of Plant Industry. Bull. Nr. 2, 1901. AVlac.ıp. TOLE 218 Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. . Blepharoplasten der Zykadeen und Ginkgo in ihren Eigenschaften sehr von den typischen Zentrosomen abweichen, wie z. B. die von Fucus, Stypocaulon, Dietyota u. s. w. Die ersteren sitzen nicht an den Vereinigungspunkten der Spindelfasern, sondern liegen in einiger Entfernung von den Spindelpolen; wir können dabei, sagt er, keine Beziehung zu der Spindelbildung auffinden, daher können sie weder teilungkontrollierende noch spindelbildende Organe sein. Die Tatsache, dass bei den Zykadeen und @inkgo die Zilien- bildner von den Spindelpolen entfernt liegen und daher von den bis damals bekannten Zentrosomen abweichen, ließ zuerst sogar bei Belajeff in Betreff der zentrosomatischen Natur der Blepharo- plasten einige Zweifel entstehen), aber seine späteren durch Shaws Arbeit?) veranlassten Untersuchungen über die Spermato- genese von Marsilia?) fielen zugunsten meiner Hypothese aus. Bei den sukzessiven Kernteilungen der Spermatogenese dieses Wasser- farnes nämlich fand er, dass die zuletzt als Blepharoplasten fun- gierenden Körperchen stets an den Vereinigungspunkten der Spindel- fasern sitzen; er konnte übrigens die Beziehung derselben zur Spindelbildung feststellen, deshalb sind hier die Blepharoplasten als Zentrosomen zu deuten. Diese Untersuchungen Belajeffs stimmen also wesentlich mit dem überein, was ich bei Marchantia aufgefunden habe (s. oben). Bei diesem Lebermoos, sowie bei Marsilia, üben somit die unzweifelhaften Zentrosomen, welche vor- her an dem Akt der Spindelbildung beteiligt waren, die blepharo- plastische Funktion aus. Es findet hier bei der Entwiekelung einer Spermatide zu einem Spermatozoid ein Funktionswechsel des Körper- chens oder sozusagen eine Umwandlung eines Zentrosoms zu einem Blepharoplast statt. Im Lichte seiner Befunde an Marsilia kam Belajeff dazu, sogar die Blepharoplasten der Zykadeen und Ginkgo als Zentrosomen zu betrachten, trotz ihrer eigentümlichen Lage in Beziehung zu der Kernspindel*). Diese Meinung Belajeffs wurde durch die spätere Arbeit von Meves und Korff über die Kern- teilungen eines Myriapoden, Lithobius forficatus noch wesentlich bestärkt, da nach der Darstellung dieser Zoologen auch hier die unzweifelhaften Zentrosomen, welche spindelbildende und teilung- kontrollierende Organe sind, von den Spindelpolen beträchtlich entfernt liegen’). Es geht also wohl nicht an, lediglich auf Grund der Entfernung der Körperehen von den Polen der Spindel ihre Beziehung zu der Bildung derselben in Abrede zu stellen, allein in Betreff der Frage, durch welche Ursache diese eigentümliche, von 1) Ber. der Deutsch. Bot. Gesellsch. Jahrg. XVI, 1898, p. 140. 2) Ebendas., p. 177. 3) Ebendas., Jahrg. XVIII, 1899, p. 199. 4). c. 5) Archiv für mikrosk. Anatom. Bd. LVII, 1901, p. 481. Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. 219 der gewöhnlichen abweichende Lage der Zentrosomen der Zykadeen, Ginkgo und Lithobius zustande gekommen ist, kann jetzt leider noch keine Antwort gegeben werden. Ich schloss deshalb in meiner letzten Arbeit!), „Bei den Bryophyten nämlich sind die typischen Zentrosomen bei allen Zell- generationen der Antheridien vorhanden; und bei dem letzten Stadium der spermatogenetischen Teilungen findet ihr Funktions- wechsel statt, da sie jetzt an der Zilienbildung sich beteiligen. Im Laufe der phylogenetischen Entwickelung sind die Zentrosomen bei den höheren Pflanzen verloren gegangen, nur bei den Gefäß- kryptogamen und zoidiogamen Gymnospermen erscheinen sie zu einer bestimmten Zeit, und zwar mit der von der typischen ab- weichenden Funktion betraut ... .“ Allein dieser Schluss, „Bei den Bryophyten sind die typischen Zentrosomen bei allen Zell- generationen der Antheridien vorhanden,“ war zu allgemein ge- halten und muss jetzt eine Einschränkung erfahren, insofern als spätere Untersuchungen mir gezeigt haben, dass nicht bei alleır Bryophyten die Zentrosomen bei allen Zellgenerationen der Antheridien vorhanden sind. Nach meinen noch nicht zu Ende geführten Studien über einige hier allgemein verbreiteten Laubmoose, Atrichum angustatum und Pogonatum rhopalophorum sind bei den jungen Stadien der zur Spermatozoidenbildung führenden Kernteilungen, keine Zentrosomen wahrzunehmen?). Auch nach einem von Herrn Dr. Shibata gütigst mir zur Verfügung gestellten schönen Präparat von Makinoa erispata, einem besonders durch die beträchtliche Größe der Spermatozoiden ausgezeichnete Lebermoos, ist ebensowenig bei den gleichen Stadien ein Zentrosom zu sehen. Auch gelang es Chamberlain nicht, dies bei den Antheridienzellen von Pellia zu sehen®). Wahrscheinlich*) entstehen sie bei diesen Bryophyten während einer der letzten spermatogenetischen Tei- lungen der Zellkerne, z. B. bei der Kernteilung der Spermatid- mutterzellen, wie dieser amerikanische Forscher bei Pellia vermutet?) und es wirklich bei den Zykadeen und @inkgo geschieht‘). Das DAL 1CRp- 56. 2) Bei den Zellkernen der Antheridienzellen dieser Laubmoose beträgt die Zahl der Chromosomen acht, wie bei Marchantia. 3) Bot. Gaz. Vol. XXXVI, 1903, p. 36. In einem interessanten Aufsatz be- titelt, „Mitosis in Pellia“ verteidigt dieser Autor hier die Hypothese der Homologie der Blepharoplasten und Zentrosomen. 4) In Betreff der Entstehung der Blepharoplasten bei diesen Bryophyten sind meine Untersuchungen noch nicht vollendet, so dass ich hierüber nur eine Ver- mutung aussprechen kann. HRLLe: 6) Betreffend die Entstehung der Blepharoplasten bei diesen Bryophyten wäre vielleicht noch eine andere Möglichkeit vorhanden: sie treten nämlich niemals während der spermatogenetischen Kernteilungen auf, sondern sie entstehen zuerst in der Spermatide, wo sie sofort die blepharoplastische Funktion ausüben. Auch in 20 Ikeno, Blepharoplasten im Pflanzenreich. allmähliche Verschwinden der Zentrosomen hat deshalb schon im Laufe des phylogenetischen Fortschrittes der Bryophyten selbst stattgefunden: bei Marchantia nehmen wir noch bei allen Zell- generationen der Antheridien Zentrosomen wahr, während bei an- deren Bryophyten sie allmählich zum Verschwinden kommen und nur während weniger Zellgenerationen erscheinen !). In seiner oben genannten Schrift betont Webber, dass sogar bei Marsilia — bei welcher es Belajeff gelang, die Körperchen stets an den Spindelpolen zu beobachten und ferner verschiedene Beziehungen derselben zu der Spindel aufzufinden — sie weder spindelbildende noch teilungkontrollierende Organe sein können, da dabei die radialen Strahlen nur nach der Kernseite, nicht aber nach der entgegengesetzten entwickelt sınd?). Meiner Ansicht nach stimmt das Verhalten der Körperchen bei Marsilia wesentlich mit dem überein, was wir bei den von ıhm als typische Zentrosomen angeführten von Fucus, Stypocanlon und Dictyota sehen und ich “ann ihm deshalb nicht beipflichten, wenn er alleın auf Grund der oben hervorgehobenen Tatsache diesen Körperchen diese beide Funktionen abspricht. Wenn aber künftig an der Hand neuer Beobachtungen diese Meinung Webber’s sogar als zutreffend gezeigt würde, dass diese Körperchen als spindelbildende und teilungkontrollierende Organe nicht mehr fungieren, so ist doch keineswegs die zentrosomatische Natur desselben zu leugnen. Ich meine dabei die Lage der Körper- chen an den Spindelpolen bei Marsilia u. s. w. Webber und Strasburger glauben, dass extranukleare Nukleolen oft diese Lage einnehmen und deshalb die Tatsache für die zentrosomatische Natur der Körperchen nicht beweisend ıst?). Es wird freilich nicht geleugnet werden, dass zeitweise die von diesen beiden Autoren hervorgehobene Lage der extranuklearen Nukleolen zu beobachten ist; allein es ist bekannt, dass es nur eine zufällige Erscheinung ıst: diese Körperchen nehmen bald diese Lage ein, bald nicht. Bei Marsilia (und auch bei Marchantia) dagegen liegen die in Frage stehenden Kör- perchen stets und ohne eine einzige Ausnahme an diesen Punkten, diesem Falle lassen sich wohl meiner Ansicht nach diese Blepharoplasten aus Zentro- somen ableiten, und zwar auf Grund der Vergleichung mit den Verhältnissen, wie sie z.B. bei Marchantia vorliegen; indes soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. 1) Bei den Charazeen, deren Spermatogenese nach verschiedenen Forschern mit demselben Vorgang der Bryophyten übereinstimmt, vermisst man bei den jungen Stadien der Karyokinese Zentrosomen. So z. B. konnte ich keine solche bei Nitella spec. auffinden, ebensowenig sind sie nach Debski (Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XXX, 1897, p. 240) bei Chara fragilis wahrzunehmen. Es wäre nicht un- wahrscheinlich, dass das Verhalten der Blepharoplasten bei den Characeen mit dem der oben genannten Bryophyten übereinstimme. Zyeliec!p:!78. 3) Webber l. c. p. 78; Strasburger |. c. p. 19. Kolmer, Eine Beobachtung über vitale Färbung bei Corethra plumicornis. 221 welche Tatsache nicht verständlich wäre ohne die Annahme der zentro- somatischen Natur derselben. Sogar wenn man deshalb mit Webber die Körperchen bei Marsilia weder als spindelbildende noch teilungkontrollierende Organe betrachtet, wäre ıhre Lage an den Spindelpolen als eine phyletische Remineszenz aufzufassen; oder anders auszudrücken, wäre die Tatsache, dass die Körperchen zur bestimmten Zeit ihrer Entwickelung regelmäßig diese Lage einnehmen, trotzdem unter dieser Voraussetzung sie ihnen von keinem Nutzen mehr wäre, ein interessantes Beispiel des bekannten biogenetischen Gesetzes, „die Ontogenie ist eine Rekapıtulation der Phylogenie“, da die Blepharoplasten phylogenetisch aus den Zen- trosomen abzuleiten sind. Auch in diesem Falle wäre daher die Homo- logie der Blepharoplasten mit den Zentrosomen nicht zu leugnen. Alles in allem bleibt mein allgemeiner Schluss ganz und gar der nämliche wie zuvor, d. h. Blepharoplasten sind Zentrosomen. Tokıo, Anfang November 1903. Eine Beobachtung über vitale Färbung bei Corethra plumicornis. (Vorläufige Mitteilung.) Von Dr. Walter Kolmer (Aus dem zweiten zoolog. Institut, Wien). Seit dem Bekanntwerden der Methylenblaufärbung ist von allen, die sich damit beschäftigten, die Frage erörtert worden, worin das Wesen dieser Färbung liege. Es ıst viel darüber ge- stritten worden, ob bei dieser Methode das Leben resp. das Über- leben der sich färbenden Gewebe, speziell des am meisten inter- essierenden Nervengewebes eine Rolle spiele. Die verschiedensten Autoren haben darüber recht divergierende Ansichten geäußert und für die Färbung an der Luft oder nach Trennung von Teilen vom übrigen Organismus, allerlei Faktoren wie: Verletzung der leitenden Substanz, Einwirkung von Sauerstoff, Ozon, Ammoniak der Luft, um nur einige zu nennen, verantwortlich gemacht. Trotz der vielen verwendeten Mühe herrscht noch immer keine Klarheit über den Färbungsvorgang. Ein so gewiegter Kenner aller Nerven- färbungen wie Apäthy sagte z. B. noch vor wenigen Jahren, dass sich gewiss auch längst abgestorbene Elemente noch färben, wie es Dogiel von lange liegendem Froschmaterial zuerst beobachtete, es sei ihm dagegen kein einziger Fall bekannt, wo wirklich un- zweifelhaft lebende Gewebe die Farbe angenommen hätten. Auch scheint mir das heute noch die Ansicht der meisten Histologen zu sein. Deshalb möchte ich eine Beobachtung anführen, die ich beı zu anderen Zwecken ausgeführten Untersuchungen über Methylen- blaufärbung, an den bekannten Larven von Corethra plumicornis anzustellen Gelegenheit hatte. Diese Larven — ein viel unter- 299 Kolmer, Eine Beobachtung über vitale Färbung bei Corethra plumiecornis. suchtes Objekt für Beobachtungen während des Lebens — sind so durchsichtig, dass, jüngere Exemplare besonders, ohne die geringste Schädigung im ausgeschliffenen Objektträger unter dem Deckglas auch noch mit den stärksten Systemen (ich verwendete Zeiss’ Apo- chromat 2 mm 140) in ihrer ganzen Dicke untersucht werden können. Nachdem ich vergebens auf verschiedene Weise versucht hatte, den Larven Farbstoffe einzuverleiben und die Tiere wochenlang in dünner bis konzentrierter Farblösung gelebt hatten, ohne auch nur im geringsten eine Färbung zu zeigen, setzte ich eine Kolonie von Stentor coeruleus zu. Diese Infusorien gingen bald in der Farbe zugrunde, auf ihren Leibern bildeten sich reichlich Methylenblau- niederschläge. Sie wurden von den jüngeren Larven begierig gefressen und große dunkle Farbbrocken erfüllten bald den Ver- dauungstrakt. Gleichzeitig begann eine Ausscheidung des Methylen- blaus in feinen Körnern in den Zellen des Enddarmes und in denen der malpighischen Gefäße, was man fortwährend unter dem Mikro- skop beobachten konnte. Während einer dieser Beobachtungen begannen plötzlich, als das Tier nach Maßgabe des engen Raumes unter dem Deckglas sich lebhaft bewegte, einzelne Partien des Nervensystems sich blau zu färben; und zwar traten anscheinend zuerst die sensiblen Ele- mente von der Peripherie gegen das Zentrum zu, hervor. Nach einiger Zeit ergab sich folgendes Bild: von dem ge- fiederten Sinneshaar ausgehend, in dessen Basıs eine Endigung nicht deutlich zu konstatieren war, ließ sich eine gleichmäßig blau- gefärbte Nervenfaser mitten durch alle übrigen, ungefärbten Körper- elemente zuerst in die periphere bipolare Sinneszelle und von dort weiter durch den Nervenstamm bis in ein Ganglion des Bauch- stranges verfolgen. In diesem verzweigte sich die Faser zweimal T-förmig; die eine Verzweigung ließ sich durch das Conneetiv bis ins nächste Ganglion nachweisen, während die anderen Fortsätze in der Punktsubstanz unvermittelt zu endigen schienen. Diese letztere Substanz ergab das ungewöhnliche Bild eines Conglomerats von vielen anscheinend unzusammenhängenden Varicositäten. Solche waren auch an den verschiedensten Nervenfasern zu sehen und zwar von den kleinsten angefangen bis zu einer Größe, welche weitaus diejenigen übertraf, die man sonst im Isolierpräparat oder in den nach irgend einer Methode konservierten Nervenfasern jemals beobachtet. Je kleiner diese Varieositäten waren, desto intensiver waren sie gefärbt. Fibrilläre Struktur war fast nirgends zu sehen und nur an den Teilungsstellen der T-förmigen Fasern war davon eine Andeutung vorhanden. Das eben beschriebene Bild war an mehreren Ganglien zu be- obachten, auch zeigten sich in eben derselben Weise die Fasern des chordotonalen Organs mit ihrer schmalen plattenförmigen Forschungsberichte aus der Biologischen Station zu Plön. 393 Endigung und ihrer eingeschalteten Sinneszelle gefärbt. Die mo- torischen Endigungen waren nur vorübergehend andeutungsweise gefärbt und, da fast an allen Muskelfasern fortwährend lebhafte Kontraktionen abliefen, schwer zu beobachten. Besonders erwähnenswert aber scheint mir dabei die Beob- achtung, dass im Verlauf von einer Stunde — während an dem unter dem Deckglas liegenden Objekt, das allseitig vom Wasser eingeschlossen nicht mit der Luft in Verbindung stand, keine Ver- änderungen vorgenommen wurden — mehrmals deutlich zu sehen war, wie langsam im Ganglion die Färbung völlig verschwand, um einige Minuten später wieder aufzutreten. Merkwürdigerweise ließ sich öfters an verschiedenen Ganglien beobachten, wie die eine Hälfte des Ganglions sich dunkel färbte, während die andere Hälfte vollkommen farblos blieb. Das Tier nach der Beobachtung aus der feuchten Kammer ge- nommen, schwamm noch viele Stunden im Wasser munter umher. Es darf nach dem Gesagten wohl mit einer gewissen Berech- tigung die Vermutung ausgesprochen werden, dass es sich hier um eine wirklich vitale Färbung einer wahrscheinlich perifibrillären Substanz handle, und vielleicht ist uns auf diese Weise ein Mittel an die Hand gegeben, Veränderungen dieser zu den Nerven ge- hörigen Substanz intra vitam zu erkennen. Die Untersuchungen, welche infolge der für die Beobachtung ungünstigen Metamorphose der Larven im Herbste ein vorläufiges Ende fanden, werden hoffentlich fortgesetzt werden können. Forschungsberichte aus der Biologischen Station zu Plön. XI. Band. 1904. Mit 7 Tafeln und 41 Abbildungen im Text. 330 S. Verlag von Erwin Nägele in Stuttgart. Von den sich immer mehr in den Kreisen der Zoologen und Botaniker einbürgernden Plöner Berichten ist kürzlich der XI. Teil erschienen. Derselbe enthält ebenso wie sein Vorgänger ver- schiedenartige Mitteilungen aus dem Gebiete der Süßwasserbiologie und es kann nicht mehr in Abrede gestellt werden, dass dieser zunächst etwas problematisch erscheinende Wissenschaftszweig sich als sehr fruchtbar und interessant erweist. Es beginnen sich ihm fortgesetzt mehr jüngere Kräfte zuzuwenden und in Nordamerika sowobl wie in Russland nehmen die Stationen, welche der Erforschung der einheimischen Teiche, Seen und Flussläufe dienen, immer mehr an Anzahl zu. Auch an den zoologischen Universitätsinstituten kann man nicht mehr umhin, Notiz von den Errungenschaften der Süßwasserbio- logie zu nehmen, die für uns in Deutschland vorwiegend an die kleine holsteinische Stadt Plön geknüpft sind, wo ıhr ım Jahre 1892 der erste bescheidene Tempel errichtet wurde. Es ist wohl kaum zu be- streiten, was der Herausgeber der hier angezeigten Forschungsberichte, Dr. Otto Zacharias, auf S. 233 des neu erschienenen Bandes sagt, DDR 5 Forschungsberichte aus der Biologischen Station zu Plön. nämlich „dass es als eine empfindliche Lücke in der Ausbildung der jungen Zoologen auf Universitäten bezeichnet werden muss, dass sie dort keine Gelegenheit haben, das im Turnus der Jahreszeiten sich so vielfach verändernde Lebensbild, welches ein See jahraus jahrein dar- bietet, mit eigenen Augen kennen zu lernen“. Auch kann die weitere Behauptung des Herausgebers kaum widerlegt werden, dass außer- halb der akademischen Ferien sich für den Studenten der biologischen Wissenschaften kaum Zeit und Gelegenheit finde, sich so intensiv mit der lakustrischen Organismenwelt zu beschäftigen, wie es nötig sein würde, um eine einigermaßen erschöpfende Vorstellung davon zu erhalten. Ebenso wird man kaum Anstand nehmen können, folgenden Ausspruch des Herausgebers zu unterschreiben, welcher eine unleugbare Wahrheit offen zur Kenntnis bringt. Dieselbe ist in folgenden Worten ausgesprochen: „Durch das Studium der einzelnen Tier- und Pflanzenformen, aus dem das Süßwasserplankton besteht, aus dem Verfolg der auffälligen Periodizität, welcher die meisten dieser Organismen in ihrem Auftreten unterworfen sind, ferner aus den Beziehungen der die Urnahrung darstellenden pflanzlichen oder dem Protistenreiche angehörigen Wesen zu den höheren Repräsen- tanten des tierischen Lebens (inkl. den Fischen) ergibt sich ein so lehrreiches, gesättigtes Bild von dem Mikrokosmus, welchen jeder See und jeder Teich darstellt, dass sich dem nur wenig im Lehr- gange der Universitäten an die Seite stellen lässt, was gleich nützlich und gleich instruktiv für die Ausbildung des jungen Zoologen wäre.“ Nach den augenscheinlichen Erfolgen, welche ın der Station am Plöner See während der kurzen Dauer eines Jahrzehnts erzielt worden sind, lässt sich wohl behaupten, dass das Studium des Süßwasser- planktons nicht mehr von dem Programm unserer Hochschulen ausgeschlossen werden darf, wenn dieselben sich nicht in Wider- spruch mit den Bedürfnissen der fortschreitenden Wissenschaft setzen wollen, welche erheischt, dass der angehende Zoolog mit allen Errungenschaften in seinem Fache bekannt zu machen ist, die von notorischer Wichtigkeit sind und ein Verständnis für gewisse praktische Disziplinen, z. B. für die Bedürfnisse der Fischzucht und des Fischereiwesens überhaupt anbahnen. Man kann wohl sagen, dass die wenigsten Fachzoologen eine Ahnung von diesen Bedürfnissen besitzen, obgleich sie gelegentlich als Sach- verständige bei Prozessen zu fungieren haben. — Der vorliegende Band enthält außer einer eingehenden Arbeit von Zacharias über das Plankton von Teichgewässern eine ge- diegene systematische Abhandlung von M. Voigt über die Rotatorien und Gastrotrichen der Umgebung von Plön, eine Berichterstattung von Frau Dr. Rina Monti über limnologische Untersuchung von italienischen Alpenseen, ein Kapitel von Dr. Cronheim über die Sauerstoffspeisung des Wassers durch Algen und schließlich Beiträge von E. Lemmermann über planktonische Mikrophyten. Dr. Otto Zacharias. [31] Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. iologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIV.DBd. 1. April 1904. MR, Inhalt: Moll, Die Mutationstheorie (Schluss). — Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. — Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. Die Mutationstheorie. Von Dr. J. W. Moll. (Schluss.) Neue Arten entstehen als Bastarde. Auf keinem Gebiete hat die Selektionstheorie zu so nachteiligen Folgerungen ge- leitet als auf jenem der Bastardlehre. Ohne das Prinzip der Erb- lichkeitseinheiten bleibt das Studium der Bastarde unklar und verwirrt. Die Entdeckungen Mendel’s haben sich keine An- erkennung erwerben können, solange die Selektionstheorie allgemein und fast ohne Widerspruch herrschte, und erst im Lichte der Mutationstheorie ist ihre hohe Bedeutung plötzlich für jeden denkenden Forscher einleuchtend geworden. Die Prinzipien der Mutations- theorie fordern dazu auf, die bei den Kreuzungen tätigen Einheiten aufzusuchen, und stellen einen scharfen Unterschied zwischen den einfachen und den komplizierten Fällen in den Vordergrund. Bei den üblichen Kreuzungen unterscheiden sich die Eltern voneinander in mehreren Punkten, und was dabei geschieht, darf keineswegs auf die einfachen Fälle mit nur einem einzigen Differenzpunkt über- tragen werden. Grade im Gegenteil müssen die letzteren Beispiele die Grundlage für die Erklärung der ersteren bilden. Die Erfahrung lehrt, dass Bastarde ganz gewöhnlich Mittel- dinge sind zwischen ihren Eltern. Bisweilen genau die Mitte haltend, oft aber mehr oder weniger sich dem einen Elter annähernd, oder wie Kerner es ausdrückt, mehr oder weniger goneoklin. Nach der XXIV. 15 2395 Moll, Die Mutationstheorie. Theorie der Erblichkeitseinheiten rührt dieses aber daher, dass sie in einigen Eigenschaften dem einen, in anderen aber dem anderen ihrer Eltern gleichen. Halten sich diese beiden Gruppen von Kenn- zeichen das Gleichgewicht, so sind die Bastarde Mittelbildungen, überwiegt eine von beiden mehr oder weniger, so sind sie in höherem oder geringerem Grade goneoklin. Aber es leuchtet ohne weiteres ein, dass man diese Begriffe nicht mehr anwenden kann, sobald es sich nur um einen einzigen Differenzpunkt handelt. Wie sich solche Bastarde verhalten, muss völlig neu ermittelt werden, die üblichen Folgerungen sind durchaus unzuverlässig. Die Vorstellungen über die möglichen und vermutlichen Ent- stehungsweisen neuer Arten in der Natur leiden nun ganz allgemein an diesem Mangel. Überall heißt es, dass neue Arten, wenn sie plötzlich und in wenigen Individuen auftreten würden, durch die Wirkungen der natürlichen Kreuzungen bald in die Mutterart zurück- geführt werden, und deshalb nach wenigen Jahren verschwinden würden. Daraus folgert man dann, dass ein solches plötzliches Auftreten nie der Weg sein kann, den die Natur zur Bildung neuer Arten einschlagen könnte. Allerdings treten in dem einzigen bis jetzt beobachteten Falle einer Mutationsperiode, derjenigen der O. Lamarckiana, die neuen Arten wiederholt und in verhältnismäßig zahlreichen Individuen auf, und das Delboeuf’sche Gesetz lehrt, wie sie sich in einem solchen Falle, trotz des Kampfes ums Dasein aufrecht halten und vermehren können. Aber dessenungeachtet nimmt man allgemein den ausmerzenden Einfluss der Kreuzungen an. Die bekannte Migrationstheorie Wagners hat ja fast einfach zum Zwecke, dieser Schwierigkeit zu entgehen, und viele Forscher legen noch ein sehr großes Gewicht auf zeitliche Differenzen in der Befruchtung als Mittel zur geschlechtlichen Trennung neuer Arten. Die Erfahrungen, welche in dem Abschnitte über die Mutations- kreuzungen niedergelegt sind, lehren nun, dass die fraglichen Schwierigkeiten einfach aus der Luft gegriffen sind. Die Kreuzungen zwischen der Mutterart und ihren Abkömmlingen führen gar nicht zu Mittelbildungen, welche bei wiederholter Befruchtung durch die alte Art dieser immer näher kommen würden. Ganz im Gegenteil stoßen, wie wir bereits gesehen haben, die neuen konstanten und die latenten aber mutablen Träger der Eigenschaften einander ab, und verteilen unter sich die Nachkommen der Kreuzung derart, dass ein bestimmter Teil durchaus dem neuen Typus treu bleibt. Und diese Bastarde sind bei gegenseitiger Befruchtung ebenso konstant in ihren Nachkommen, als es die Mutanten selbst bei Selbstbefruchtung sind. Neben der Selbstbefruchtung einer neuen, sei es auch nur in einem einzigen Individuum aufgetretenen Art, hat somit die Ausstreuung ihres Pollens auf die Individuen der Mutterform den Erfolg, dass oft ein Viertel, bisweilen sogar die Moll, Die Mutationstheorie. 297 Hälfte der so gebildeten Samen zu der neuen Art übergeführt werden. Die Kreuzung wirkt der. Ausdehnung der neuen Sorte somit keineswegs absolut entgegen, sondern kann ihr sogar in hohem Grade förderlich sein. Es hängt nur von der Adaptierung der neuen Form an die grade gegebene Lebenslage ab, ob sie sich be- haupten wird oder nicht. Ist sie durch die neue Eigenschaft besser für diese geeignet als die Mutterform, so wird sie an Gebiet ge- winnen, ist sie weniger adaptiert, so wird sie auch bei der reinsten Selbstbefruchtung schließlich zugrunde gehen müssen. Die bei hypothetischen Erörterungen über die Entstehungsweise spezieller Arten so beliebten Betrachtungen über den auslöschenden Einfluss der Kreuzungen mit der Mutterart entbehren somit jeden Grundes und könnten ruhig fortgelassen werden. Für die Entstehung von Varietäten gelten ähnliche Betrachtungen, und tatsächlich erhält sich die O. brevistylis seit 1886 auf dem ur- sprünglichen Standort der O. Lamarckiana bis jetzt noch immer neben dieser in einer nur wenig schwankenden Anzahl von Individuen. Kommen wir nach diesen Erörterungen zu der Frage, welche Rolle die Befruchtung beim ersten Sichtbarwerden der Mutationen spielt. Diese treten in 1°/, oder weniger der Individuen in fast jedem Jahre auf. Denken wir uns, dass jährlich ein Teil der Eı- zellen und ein Teil der Pollenkörner mutiere. Offenbar wird dieser Teil nur ein ganz geringer sein. Tritt nun Befruchtung ein, so wird nur selten eine mutierte männliche Zelle grade eine mutierte Eizelle treffen. In der Regel werden sich die mutierten Sexualzellen mit nicht mutierten verbinden. Wäre nun zum wirklichen Eintreten einer Mutation die Vereinigung zweier mutierter Elemente erforder- lich, so würde die Erscheinung offenbar nur ganz geringe Aussicht haben einzutreten, oder es müssten gradezu zahlreiche Sexualzellen jährlich mutiert werden. Nun dürfen wir aber auf diesen Vorgang die Gesetze der Mutationskreuzungen anwenden, und folgern, dass auch die Ver- bindung von mutierten mit unmutierten Sexualzellen zum Teil zu sichtbaren Mutationen führen wird, und zwar ım Mittel in etwa einem Viertel der Verbindungen. Eine solche Mutation ent- steht somit als Bastard zwischen einer mutierten und einer nur mutablen Sexualzelle Und neben dieser müssen beiderseitige Mutationen, wenn man die Verbindung zweier mutierter Elemente so nennen darf, offenbar äußerst selten sein. Haben sie etwa andere Eigenschaften als jene, so sind sie bisher noch nicht beobachtet worden. Auf dem Boden der Mutationstheorie führen diese Tatsachen somit zu einer durchaus einheitlichen Auffassung der ersten Entstehung und der nachträglichen Vermehrung neuer Arten, bis zu dem Zeitpunkt, wo sie zahlreich genug sind, um Kreuzungen nicht mehr befürchten zu brauchen. 155 228 Moll, Die Mutationstheorie. Inkonstante Rassen. Eine vielfach erörterte Frage ist die, ob durch Kreuzungen inkonstante Rassen entstehen können, und umgekehrt, ob inkonstante Rassen als die Folge einer früheren Kreuzung betrachtet werden dürfen. Experimentelle Gründe, welche zu einer Entscheidung führen können, lagen bis dahin nicht vor. Die Behauptung, dass die gestreiften Blüten von Mirabilis Jalappa durch Kreuzung roter und gelber Sorten entstanden sein können, hat gar keinen Wert, weil die gestreiften Sorten ursprünglich als solche aus Peru nach Europa eingeführt worden sind. Sie sind älter als die Kultur, die Betrachtungen über ihre Entstehung sind reine Phantasie. Dasselbe gilt von weitaus den meisten diesbezüglichen Fällen. Und wo Ver- suche vorliegen, leiden diese meist an dem Mangel, dass man die Eltern zu seiner Kreuzung nicht genügend kannte. Einem rein und ausschließlich rot blühenden Exemplar von Mirabilis kann man es einfach nicht ansehen, ob es zu der konstanten roten, oder zu der gestreiften Sorte gehört, wie im ersten Bande des vorliegenden Werkes nachgewiesen wurde. Trotz dieser Schwierigkeiten ist diese Auffassung der stark variablen Rassen, der sogenannten Mittelrassen, in denen zwei vikariierende Eigenschaften in jedem Individuum, oft in jedem Zweig und in jeder Blüte oder jedem Blatt um die Herrschaft ringen, noch eine ganz allgemein verbreitete. Vielfach steht sie einer klaren Auffassung der Erscheinungen mehr oder weniger stark im Wege. Es wäre deshalb vom größten Wert, sie einer experimentellen Prüfung zu unterwerfen. Wenn man aber der Meinung ist, dass auf diesem Wege inkonstante Rassen nicht oder doch nicht als Regel entstehen, so ist die Aus- sicht auf beweisende Versuche eine äußerst geringe. Denn negative Resultate werden offenbar keinen Gegner überzeugen; ein Beweis kann nur durch ein positives, einwurfsfreies Resultat oder durch völlige Abwesenheit solcher in allen einzelnen Fällen erzielt werden. Und die letztere Aufgabe liegt bei dem großen Umfang und der langen Dauer solcher Versuche außerhalb des Forschungsgebietes eines einzelnen. Aus diesen Gründen lag es nahe, zunächst das wichtigste und am meisten beliebte Beispiel der gestreiften Blumen durch neue Versuche und durch eine Zusammenstellung der einschlägigen Literatur kritisch zu beleuchten, und nachher das Wesen der in- konstanten Rassen, das eigentlich bis dahin noch völlig unbekannt war, in einigen besonderen Fällen experimentell klar zu legen. Entstehung gestreifter Blumen. Vegetative Bastard- spaltungen sehen mehrfach den Streifungen erblicher Rassen so ähnlich, dass eine Verwechslung geradezu auf der Hand liegt. Scheckige Bastard-Erbsen und scheckige Bastard-Maiskörner sind Moll, Die Mutationstheorie. 229 deshalb aber noch keineswegs mit den gestreiften Rassen derselben Arten zu identifizieren. Dazu wäre der Nachweis erforderlich, dass die durch Bastardierung erzeugte Streifung sich in den Nachkommen konstant erhalten würde, und dieser Nachweis würde selbstverständ- lich erst dann zwingend sein, wenn durch eine längere Phylogenie der Vorfahren der Kreuzung bewiesen wäre, dass unter ihnen die Streifung noch nicht vorkam. Derartige Beweise sind schwer zu bringen und bis dahin noch nicht erbracht worden. Dem gegenüber wird im zweiten Bande der Mutationstheorie versucht zu zeigen, dass die gestreiften Rassen sich nicht verhalten wie Bastardrassen, weder wie die konstanten Rassen der unisexuellen, noch auch wie die sich jährlich spaltenden der bisexuellen Kreuzungen. Denn auch diese letzteren spalten konstante Rassen ab, welche bekanntlich Kombinationsformen der großelterlichen Typen sein können, welche aber, sobald sie isoliert sind, ebenso konstant und einförmig sind, wie die besten Varietäten. Die gestreiften Rassen aber spalten solche konstante Typen nicht ab; mögen sie auch dem Äußern nach in verschiedenartige Gruppen zerfallen, dem Innern nach gehören diese stets zusammen. Denn in seinen Nachkommen kann jedes Individuum, unabhängig von seinem eigenen Typus, die ganze ausgedehnte Formenreihe der so höchst variablen Rasse wiederholen. Der wichtigste Faktor in dieser Behauptung bezieht sich auf die Erblichkeitsverhältnisse der sogenannten Atavisten der Mittel- rassen. Eine gestreiftblütige Rasse macht alljährlich einfarbige Individuen, die Zwangsdrehungen bringen Exemplare mit geraden Stämmen und die Verbänderungen solche mit rein zylindrischen Stengeln hervor u. s. w. Solche Atavisten treten aber nicht etwa aus der gestreiften, gedrehten oder verbänderten Rasse heraus. Sie sind nur Individuen, in denen die fragliche Eigenschaft aus irgend einem Grunde latent geblieben ist. In ihren Nachkommen zeigen sie dieses, indem sie, auch bei reiner Befruchtung, den an- deren Typus der Rasse stets wieder zutage bringen. Eine Spal- tung, wie bei den Mendel’schen Bastarden findet sich also bei diesen Rassen nicht, trotzdem das bunte Gemenge einer Aussaat auf den ersten Blick einen analogen Eindruck zu machen scheint. An einer Reihe von Beispielen wird die Inkonstanz der Mittel- rassen näher beleuchtet. Gespaltene Blätter, Becherbildungen, Adnationen, Plantago major rosea (S. 527) u.a. m. werden erörtert. Das plötzliche Auftreten zahlreicher bunter Blätter nach einer Kreuzung wurde für Oenothera eruciata varia X O. biennis aus- führlich studiert; da aber auch sonst bei den Oenotheren bunte Exemplare von Zeit zu Zeit vereinzelt in den Kulturen vorkommen, darf hier wohl auf eine Förderung, nicht aber auf eine Neubildung der Anomalie durch die hybride Verbindung der erwähnten Arten geschlossen werden. Und ähnlich verhält es sich in anderen Fällen. 230 Moll, Die Mutationstheorie. Die Frage, ob Kreuzungen mehrfach Ursache von Atavismus sind, wird zunächst besprochen. Wo es sich um dihybride Ver- bindungen handelt, leuchtet ein, dass die beiden sichtbaren Cha- raktere, falls sie jüngere sind, durch das ältere Merkmal ım Bastard ausgeschlossen werden können. Dieses sieht man am klarsten in den Bastarden von Oenothera lata X O. nanella, welche zu einem guten Teile die hohe Statur des gemeinschaftlichen Vorfahren, der O. Lamarckiana tragen. In derselben Weise können auch sonst latente Eigenschaften der Vorfahren ans Licht gebracht werden. Aber sehr vieles, was jetzt als Atavismus gedeutet wird, ist von Kreuzungen durchaus unabhängig. Beispiele dazu liefern die fein zerschlitzten Primordialblätter von Sium und Berula, die dreizähligen Blätter der monophyllen Varietäten von Robinia, Fraxinus und Fragaria, die Rückschläge von Equwisetum Telmateja, die Tulpen- diebe u. s. w. Die Hypothese von Kreuzungen in der Prämutationsperiode. Im Anschluss an diese Rückschläge wird die Frage erörtert, ob vielleicht an der Entstehung der neuen Arten von Oenothera Kreuzungen einen wesentlichen Anteil gehabt haben können. Für die Gegner der Mutationstheorie bilden die Erfahrungen in dieser Gattung, und namentlich die Möglichkeit, dass ein jeder in seinem Garten den Mutationsvorgang mit eigenen Augen studieren kann, eine unüberwindliche Klippe. Die Tatsachen lassen sich nicht wegleugnen; sie wiederholen sich bei jeder Aussaat. Dadurch ist das Bedürfnis entstanden, ihren Wert zu verkleinern, und manche Kritiker suchen auch jetzt noch den Weg dazu in den alten, den Mendel’schen Gesetzen und der ganzen neueren Forschungsrich- tung entgegengestellten, aber vielfach noch geläufigen Vorstellungen über die Folgen von Kreuzungen. Denn sowohl im Gartenbau, als stellenweise auch in wissenschaftlichen Kreisen hat man es sich lange dadurch bequem gemacht, dass man fast alle etwaigen unbe- greiflichen Erscheinungen in der Natur aus hypothetischen Kreu- zungen zu erklären suchte. Das ganze Wesen der Bastarde war so fremdartig und so völlig unverstanden, dass man alles Unver- ständliche durch die einfache Behauptung glaubte erklären zu können, es sei eine Folge irgend einer Kreuzung. Die neuere Forschung hat aber das Gebiet der Bastarde wesent- lich eingeschränkt und ihre Erblichkeitserscheinungen sind jetzt durch ganz bestimmte Gesetze bedingt. Allerdings sind wir erst im Anfange dieser Studien und bleibt vieles vorläufig noch unbe- greiflich. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass irgend eine unerklärte Erscheinung eine Folge einer Hybridisierung sein könne, hat damit ganz bedeutend abgenommen. Für die neuen Nachkommen der Oenothera Lamarckiana führt Moll, Die Mutationstheorie. 231 die Annahme eines Ursprunges durch Kreuzung aber sehr bald ad absurdum. Denn offenbar hat man die Frage ins Auge zu fassen, wann diese hypothetischen Kreuzungen stattgefunden haben sollten und namentlich zwischen welchen Eltern? Auf die erstere Frage lautet die Antwort: zur Zeit des allerersten Auftretens der neuen Arten, oder in der Prämutationsperiode, wie diese Zeit im ersten Bande genannt wurde. Alles was nachher geschehen ist, ist offenbar sekundär, denn es handelt sich ja nicht darum, wie die neu entstandenen, vorläufig noch latenten Eigen- schaften ans Licht treten, sondern wie sie selbst im Anfang ge- bildet worden sind. Dass zwischen mutierten und nichtmutierten Sexualzellen Kreuzungen vorkommen müssen, wurde bereits oben erörtert, welche Folgen sie haben werden, ließ sich unmittelbar aus den Experimenten ableiten. Ob irgend eine neue Mutante aus der Verbindung zweier, in bezug auf ihr Merkmal unter sich ver- schiedener Eizellen entstanden ist, ist offenbar nicht die Frage, um die es sich handelt, denn dabei wird die Existenz der betreffenden neuen Art schon vorausgesetzt. Welche Arten können wohl durch etwaige Kreuzungen die Mutabilität der O0. Lamarckiana bedingt haben? Kann überhaupt Mutabilität durch Kreuzung erzielt werden? Dieses letztere ist sehr unwahrscheinlich, weil in den zahlreichen mit verwandten Arten aus der Untergattung Onagra ausgeführten Hybridisierungsversuchen sich eine solche Mutabilität nie, auch nicht spurweise ergeben hat. Die Vermutung bleibt also eine willkürliche Hypothese. Die ein- zige Annahme, welche vielleicht noch logisch zu verteidigen wäre, wäre die Behauptung, dass meine sämtlichen neuen Arten gar nicht neu sind, sondern bereits irgendwo in Nord-Amerika im Freien wachsen oder gewachsen sind. Doch hat sie dort noch keiner gefunden. Um dann ihre erblichen Eigenschaften auf die Lamarckiana zu übertragen, müssten sie nacheinander mit dieser gekreuzt worden sein, vielleicht zuerst gögas und rubrinervis, dann lata, nanella, oblonga und albida, nachher scintillans, elliptica, semi- lata, leptocarpa u. s. w. Wäre dann in jeder Kreuzung in der Lamarckiana ein Rest geblieben, und könnte dieser Rest gelegent- lich zu einer Mutation führen, so würde die Reihe der Hypothesen vielleicht wohl ausreichen, um die beobachteten Erscheinungen zu erklären. Aber alle diese Vermutungen wären nur aus der Luft gegriffen; auf Tatsachen stützen sie sich nicht. Vielmehr sind sie mit solchen fast überall in Widerspruch. Und jedenfalls ıst das System dieser Hypothesen ein so kompliziertes, dass es bei einer eingehenden Kritik, wie mir scheint, wie von selbst in sich zu- sammenstürzt. Verbänderungen. Unter Vorführung einer langen Reihe von Beispielen, an denen namentlich die äußerlich sichtbaren, so 232 Moll, Die Mutationstheorie. sehr reichhaltigen Erscheinungen der Verbänderung erörtert werden, wird der Nachweis geführt, dass überall, wo äußere Einflüsse Fasziationen, oder Anomalien im allgemeinen hervorrufen, die latente Anlage dazu vorhanden sein muss. Günstige Lebensbedingungen erwecken diese dann zur Aktivität. Ebenso sind die Atavisten oder unverbänderten Exemplare der Rasse nur in morphologischer Hinsicht als Rückschläge zu betrachten. In ihrer Bedeutung für die Vererbung der Verbänderung stehen sie aber den besten Erben der Rasse nur wenig nach. In bezug auf diese Erblichkeit ver- halten sich diese Fasziationen wie die oben besprochenen triko- tylen Rassen. Es gibt unter ihnen Halbrassen und Mittelrassen, die letzteren kommen im Freien und in den Gärten (mit Ausnahme der Celosia cristata) nicht rein vor, können aber leicht aus ihren Gemischen mit der Mutterart isoliert werden. Die isolierten Mittel- rassen pflegen zur kleineren Hälfte aus verbänderten, zur anderen aus normalen Exemplaren zu bestehen, doch hat hierauf die Lebenslage, und namentlich die Exposition und die Düngung, einen sehr großen Einfluss. Die Celosia cristata oder der Hahnenkamm eignet sich zu wich- tigen Selektionsversuchen. Durch Auswahl der schönsten Exem- plare lässt sie sich nicht mehr verbessern, sondern nur auf der erreichten Höhe erhalten. Durch Auswahl der Atavisten lässt sie sich nicht von ihren Verbänderungen befreien, sogar nicht ein- mal in die entsprechende Halbrasse überführen, stets kehrt sie bei Aussaat zum Teil wieder zum verbänderten Typus zurück. Zwangsdrehungen verhalten sich, trotz ihrer viel größeren Seltenheit, im Grunde genau so wie die Fasziationen. Sie ent- stehen durch den Verlust der Dekussation, und kommen also nur bei Arten mit dekussierter bezw. kranzweiser Blattstellung vor. Man findet von ihnen Halb- und Mittelrassen, muss die letzteren aber erst aus den betreffenden Gemischen isolieren. Solches gelang bei Viscaria oculata, Dianthus barbatus und namentlich bei Dipsacus sylvestris, dessen zwangsgedrehte Mittel- rasse seit 1885 in neun zweijährigen Generationen erzogen wurde, und sich, trotz schärfster Auslese gar nicht verbessern ließ, son- dern nur konstant erhielt. Sie bringt im Mittel etwa 40°], ge- drehter Hauptstämme hervor, ist aber in dieser Beziehung, wie sonst, von der Lebenslage in hohem Grade abhängig. In der achten und neunten Generation wurde ein Versuch über die Erb- lichkeit der Atavisten, bei isolierter Blüte gemacht. Ihre Nach- kommenschaft enthielt 44°/, gedrehter Stämme, während die besten Erben unter den gedrehten Individuen des vorigen Jahres deren nur 41°/, gaben. Von einem Austreten der Atavisten aus der Rasse, bezw. von einem wirklichen Verschwinden der Anomalie, kann somit nicht die Rede sein. Moll, Die Mutationstheorie. 235 Oenothera cruciata varia ist eine der wilden amerikanischen Spezies O. erueiata ähnliche, aber gerade im Speziesmerkmal ver- änderliche Form. Ihre Blumenblätter sind grünlichgelb, klein und lineal und zeigen manche Eigentümlichkeiten des Kelches. Die Anomalie kann als Sepalodie aufgefasst werden. Die Variabilität zeigt sich in dem gelegentlichen Auftreten von Atavisten und von Zwischenformen. Diese Variabilität erhielt sich bei der Kreuzung dieser Form mit anderen, in bezug auf die Form der Blüten durch- aus konstanten Arten, wie O. Lamarckiana, O. lata und 0. biennis. Die sehr ausgedehnten diesbezüglichen Versuche lehrten, wie vor- sichtig man sein muss, wenn man große Variabilität als eine Folge einer Kreuzung betrachten will, denn hier ließ sich der wirkliche Ursprung nur durch die genaue Buchhaltung über alle früher kultivierten Generationen nachweisen. Die Erklärung der Anpassungen. Die Mutationslehre betont gegenüber der jetzt herrschenden Selektionslehre die hohe Bedeutung der sprungweisen oder stoB- weisen Änderungen und betrachtet nur diese als artbildend. Sie stützt sich dabei einerseits auf die direkte Beobachtung des Mutationsvorganges bei den Oenotheren und einigen anderen Gat- tungen und auf die Erfahrungen der landwirtschaftlichen und gärt- nerischen Praxis. Diese beweisen aber nur das sehr allgemeine Vorkommen von stoßweisen Entstehungen von Arten und Varietäten. Die Behauptung, dass nur solche artbildend sind, beruht anderer- seits auf dem Nachweis der Unfähigkeit der fluktuierenden Varia- bilität zur Erzeugung von konstanten und der fortgesetzten Selektion nicht mehr bedürftigen Rassen, sowie auf den Erfahrungen der ele- mentaren Bastardlehre, welche überall bestimmte Einheiten als den Erscheinungen zugrunde liegend erkennen lassen. Diese Behauptung wird ferner gestützt durch eine kritische Zusammenstellung der Ansichten anderer Schriftsteller, sowie durch eine Reihe von neuen, in den letzten Jahren von verschiedenen Forschern zusammengebrachten Mutationen. Stoßweise Änderungen von verschiedenen Getreidesorten, von Beta patula, Iris pallida, Capsella, Viola tricolor, Tropaeolum, Prunus maritima, Phaseolus lunatus, Succisa, Hibiscus moschatos, Euphorbia, Ipecacuanha, Saro- thamnus scoparius und Lupinus arboreus werden aufgezählt, und diesen könnten noch mehrere andere beigefügt werden, wie z. B. Xanthium Wootoni, welches von Cockerell in Neu-Mexiko beob- achtet wurde und das sich durch die starke Reduktion der Anzahl der Stacheln des Involukrums unterscheidet von der Art, aus der es entstand, dem Xanthium commune (= X. canadense). Eine weitere Stütze findet der erwähnte Satz in einer kritischen Betrachtung der Erklärung der Anpassungen. Manche dieser wer- 234 Moll, Die Mutationstheorie. den von der Selektionslehre und von der Mutationstheorie mit gleicher Leichtigkeit bezw. "Schwierigkeit unserem Verständnisse näher gebracht, bei manchen anderen stößt aber die erstere auf Widersprüche oder erfordert Hilfshypothesen, welche die neue Theorie von selbst umgeht. Der Verfasser geht nicht auf die zahl- reichen einzelnen Fälle ein, sondern hebt nur einige Punkte hervor, welche die Schale zugunsten seiner Ansicht zum Durchschlagen bringen dürften. Zunächst ist die fluktuierende Variabilität linear und in ihrer Leistungsfähigkeit streng begrenzt, sie kann nichts wesent- lich Neues hervorbringen, und auch gegebene Eigenschaften nicht in jedem beliebigen Grade steigern oder vermindern. Auf die Er- klärung der von der Theorie geforderten allseitigen Variabilität muss die herrschende Ansicht verzichten, während die Mutations- lehre diese einfach als Beobachtungstatsache verwenden kann. Die ersten ganz kleinen Anfänge neuer Merkmale bieten der natür- lichen Auslese kein Zuchtmaterial, sie sind im Kampf ums Dasein ohne Bedeutung. Nach der Mutationstheorie bestehen jene ganz langsamen Übergänge, jene äußerst kleinen Vorzüge einfach nicht, da die Eigenschaften plötzlieh und in voller Ausbildung ans Licht treten. Diese große Schwierigkeit der Selektionslehre fällt hier einfach weg. Letztere Lehre erklärt zwar die nützlichen, nicht aber die unnützen oder schädlichen Eigenschaften, während die neue Theorie gerade davon ausgeht, dass die Artbildung eine richtungs- lose sei, dass also Abweichungen jeder Natur vorkommen können. Und der Kampf ums Dasein, dieses große Sieb, merzt nur die- jenigen aus, welche ganz bestimmt für die Erhaltung der betreffen- den neuen Art nachteilig sind. Übrigens brauche ich hier auf diese wichtige Seite der Frage nicht weiter einzugehen. Denn dieselbe Gedankenreihe ist inzwischen von einem amerikanischen Schriftsteller in so überzeugender und so anziehender Weise behandelt worden, dass fast für alle Einzel- fälle der Anpassungen, sowohl bei Tieren als bei Pflanzen die Un- zulänglichkeit der herrschenden Lehre einleuchten muss. Th. Hunt. Morgan hat in seinem Buche über Entwickelung und An- passung!) erstens alle bis jetzt vorgeführten einschlägigen Theorien einer sehr ausführlichen Kritik unterzogen, und ferner die Leistungs- fähigkeit der Selektions- und der Mutationslehre für die Erklärung einer langen Reihe von Beispielen genau verglichen. Überall kommt er zu dem Schluss, dass die Mutationslehre die der Selektionslehre so zahlreich entgegenstehenden Schwierigkeiten entweder über- windet, oder doch wenigstens umgeht. 1) Th. Hunt. Morgan, Evolution und Adaptation, New-York, Mac Millan Co. 1903. Moll, Die Mutationstheorie. 235 Intrazellulare Pangenesis. In einer kleinen, unter diesem Titel im Jahre 1889 erschienenen Schrift hatte der Verfasser die Prinzipien auseinandergesetzt, welche ihn zu den jetzt teilweise abgeschlossenen Versuchen geleitet haben. Diese Prinzipien haben dabei nur auf wenigen untergeordneten Punkten eine Änderung erlitten; im wesentlichen Wurden sie durch die Versuche und das inzwiächen auch von anderer Seite ange- häufte Tatsachenmaterial bestätigt. Sie schließen sich an Dar win’s provisorische Hypothese der Pangenesis an, indem sie davon den- jenigen Teil, der von dem Transport der Keimchen handelt und der stets die meisten und heftigsten Gegner gefunden hat, durch- aus verwerfen. Dann bleibt aber ein Kern übrig, der es uns ge- stattet, uns über die stofflichen Träger der erblichen Eigenschaften eine ganz bestimmte Vorstellung zu machen. Diese Vorstellung wird allerdings in dem zweiten Bande nicht ausgearbeitet, da in diesem Werke überhaupt von dem Baue der Zellkerne und des Protoplasmas keine Rede ist. Die Beziehungen der Pangenesislehre zu den chromatischen Bestandteilen des Kernes findet man in einer kleinen, nahezu zu derselben Zeit erschienenen Schrift besprochen '). Die intrazellulare Pangenesis des Verfassers unterscheidet sich von Darwin’s Hypothese vorwiegend dadurch, dass nicht die morphologischen Elemente, wie die Körperteile und Gewebe, oder die Zellen und ihre sichtbaren Organe die Einheiten sind, sondern die physiologischen Eigenschaften, wie ich dieses bereits im An- fange dieses dritten Teiles erörtert habe. Jede Eigenschaft, welche unabhängig von anderen variieren kann, muss an einen besonderen stofflichen Träger gebunden sein. Demgegenüber sind Merkmale, welche stets zusammen variieren, welche bei den Kreuzungen sich nicht in Komponenten zerlegen lassen und bei Mutationen plötzlich und als Ganzes auftreten bezw. verschwinden, als Äuße- rungen derselben inneren elementaren Eigenschaft zu betrachten. Die stofflichen Träger dieser Eigenschaften werden als Pangene bezeichnet. Sie sind kleiner als die kleinsten Teilchen, welche das Mikroskop uns augenblicklich im Chromatin der Kerne zu unterscheiden gestattet, aber nicht viel klemer. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Verbesserungen unserer optischen Hilfsmittel sie wenigstens in bestimmten Fällen sichtbar machen werden; vielleicht gelingt es später sogar direkt mit ihnen zu experimentieren. Einstweilen sind sie hypothetischer Natur. Es wird angenommen, dass das ganze lebende Protoplasma aus solchen Pangenen aufgebaut ist. Im Chromatin der Kerne sind Pangene anzunehmen, von denen jedes eine besondere Eigenschaft 1) Befruchtung und Bastardierung, Ein Vortrag. Leipzig, Veit und Komp., 1903. 236 Moll, Die Mutationstheorie. vertritt. Von diesen gibt es wenigstens ebensoviele als der be- treffende Organismus elementare Eigenschaften (sowohl aktive als latente) besitzt. Ferner ist anzunehmen, dass sie wachsen und sich durch Teilung vermehren, eine einstweilen bei jeder Theorie erforderliche Grundannahme. Die Teilungsfähigkeit ist aber eine zweifache. Einerseits teilt sich ein Kern-Pangen in zwei ihm gleiche Teile behufs jeder Kernteilung. Andererseits spaltet es neue Pan- gene ab, welche aus dem Kern ins Protoplasma übertreten und sich dort unter starker Vermehrung an die Stelle begeben, wo sie funktionsfähig werden sollen. Einen solchen Übertritt von Chro- matin aus den Kernen in das Cytoplasma hatte man bis vor kurzem noch nicht beobachtet, der erste Fall wurde im verflossenen Jahre von Concklin in der Ontogenese der Schnecken entdeckt. Die ausgetretenen Pangene sollen nach dieser Hypothese nie wieder in den Kern zurückkehren, dementsprechend müssen die Erschei- nungen der Mutabilität und der Akkumulierung und Fixierung der fluktuierenden Abweichungen sich im Prinzip in den Kernen ab- spielen. Die Vermehrung der Pangene im Protoplasma muss sehr wesentlich von den Ernährungsbedingungen bestimmt werden, und dieses kann dazu führen für einen großen Teil der Fluktuationen, namentlich für die partiellen, eine Erklärung abzuleiten. Verändertes numerisches Verhalten der Pangene ist somit die Grundlage der fluktuierenden Variabilität, Umlagerung der Pangene im Kerne bedingt die retrogressiven und degressiven Mu- tationen, während die Bildung neuer Arten von Pangene zur Erklärung der progressiven erforderlich ist (S. 693). Aus diesen Sätzen erklären sich in sehr einfacher Weise die lineare fluktuierende Variabilität, die korrelative Variabilität, sowie die große Bedeutung der empfindlichen Periode der Entwickelung. Denn nur solange die Pangene sich kräftig vermehren, kann der Ernährungszustand des'Individuums einen entscheidenden Einfluss auf diesen Prozess und somit auf die erst viel später äußerlich sichtbare Variabilität ausüben. Die Periodizität der progressiven Mutationen. Weit- aus die meisten Arten befinden sich augenblicklich in einem Zu- stande der Ruhe; sie mutieren nicht oder bringen doch nur ganz gelegentlich vereinzelte Varietäten hervor. Andere, wie die Oeno- thera Lamarckiana, sind gerade jetzt in Umwandlungen begriffen, noch andere deuten durch ihren Formenreichtum auf eine noch nicht seit langer Zeit verflossene Periode der Neubildung hin. Gerade diese vielförmigen Arten, wie Draba verna, wie das von Wittrock in seinen zahlreichen konstanten Unterarten untersuchte Stiefmütterchen (Viola tricolor), wie Helianthemum, Rubus, Hiera- cium, Rosa und so zahlreiche andere Beispiele, leiten uns über den Vorgang der Artbildung zu einer ganz bestimmten Vorstellung. Moll, Die Mutationstheorie. 237 Alles deutet darauf hin, dass dieser Prozess nicht ein kontinuier- licher, sondern ein periodischer ist, dass in jedem Zweige des Stammbaumes Perioden der Umwandlung mit Perioden relativer Ruhe abwechseln. Je nachdem ein Typus augenblicklich in der einen oder in der anderen Periode sich befindet, finden wir die betreffende Art konstant oder mutierend. Und der Umstand, dass die meisten Arten augenblicklich konstant sind und nur wenige sich umgestalten, deutet darauf hin, dass die Ruhezeiten verhältnis- mäßig lang, und die Zeiten der Aktivität meist nur kurz anhalten. Wenigstens in der Jetztzeit; früher waltete das Leben wohl ganz anders und viel kräftiger als nun. Die Beobachtungen an Oenothera Lamarckiana führen in ganz bestimmter Weise zur Annahme einer Mutationsperiode. Aller- dings konnten weder der Anfang noch auch der Schluss davon unmittelbar beobachtet werden. Doch würde die Annahme, dass die jetzt waltende Periode keinen Anfang gehabt hätte, dazu leiten, zu folgern, dass alle Vorfahren der jetzigen Oenothera, von den ältesten Zeiten her in gleicher Weise mutabel gewesen wären, und eine solche Hypothese wäre doch wohl, angesichts der Seltenheit des Mutationsvorganges sogar unter den nächsten Verwandten der O. Lamarckiana, z. B. der O. biennis und der O. muricata, äußerst unwahrscheinlich. Und über das Ende des Mutationszustandes liegen insoweit Erfahrungen vor, dass die O. brevistylis seit dem Anfange der Versuche nicht mehr entsteht; das betreffende Um- wandlungsvermögen ist somit verloren gegangen. Ebenso hat die O. rubrinervis die Fähigkeit eingebüßt, O. nanella hervorzubringen. Beide Erscheinungen beweisen ohne weiteres, dass der mutable Zustand nicht ein permanenter, sondern nur ein vorübergehender ist. Und von der ganzen langen Reihe von Varietäten in der wilden Natur und in den Gärten werden nur äußerst wenige auch jetzt noch von Zeit zu Zeit von der betreffenden Art neu hervor- gebracht. Nimmt man zur Erklärung der bei O0. Lamarckiana beob- achteten Erscheinungen eine Mutationsperiode an, so ist es leicht, für ihre Vorfahren einen hypothetischen Stammbaum zu entwerfen, der nach diesem Prinzipe gezeichnet ist (S. 701). Lamarck’s Nachtkerze ist nach aller Wahrschemlichkeit und jedenfalls nach den jetzt herrschenden systematischen Ansichten, aus der O. biennes hervorgegangen, und eine Reihe von systematischen Tatsachen deuten darauf hin, dass auch O. muricata und O. eruciata Ab- kömmlinge von O. biennis sind (S. 470). Wir werden dadurch aber zu der Annahme von einer jetzt erloschenen Mutationsperiode für die letztere Art geleitet, und die betreffenden Mutationen müssten dann in Nord-Amerika, vor der Einfuhr der Nachtkerzen in Europa und vielleicht vor langer Zeit stattgefunden haben. 238 Moll, Die Mutationstheorie. Leider ist die geographische Verbreitung dieser Formen nur höchst ungenügend bekannt, und von einer genaueren Erforschung in Amerika dürften ohne Zweifel wichtige Schlüsse ın dieser Rich- tung zu erwarten sein. Die Formengruppe der O. biennis oder die Untergattung Onagra darf wiederum als aus Euoenothera ent- standen betrachtet werden, welche Gruppe selbst wiederum wohl nur ein Zweig der ganzen Gattung Oenothera ist. Somit gelangen wir schon zur Annahme von vier sukzessiven Mutationsperioden. Und da ihre jetzt lebenden Abkömmlinge, soweit bekannt, konstant und immutabel sind, so ist es am natürlichsten, anzunehmen, dass auch jene Perioden durch immutable Zeiten getrennt gewesen sind. Sonst käme man zu der Hypothese, dass einzelne Zweige des Stammbaumes fortwährend mutabel blieben, während andere von ihrem ersten Entstehen ab unveränderlich, und also von jeder weiteren Beteiligung am Aufbau des Stammbaumes von vornherein ausgeschlossen wären. Im Anschluss an diese Erörterungen werden einige der wich- tigsten paläontologischen Befunde, welche für eine periodische oder iterative Artbildung sprechen, kurz berührt. Namentlich Koken’s Arbeiten sind in dieser Richtung wichtig. Die Dauer des Lebens auf Erden. Schon zu Darwin’s Zeiten wurde der Selektionstheorie der Vorwurf gemacht, dass die geologische Zeit bei weitem nicht ausreiche für die Entwickelung des ganzen Stammbaumes, wenn dieser Prozess so langsam voran- schreiten sollte, wie es Darwin annahm. Nach den berühmten Untersuchungen Lord Kelvin’s, nach den Berechnungen von G. Darwin, Eugene Dubois und mehreren anderen ist das Alter der Erde gar nicht ein so bedeutendes, als von biologischer Seite angenommen wurde. Etwa 20—40 Millionen Jahre bilden wohl die Grenze, zwischen denen die Dauer des Lebens auf der Erde liegt, und am wahrscheinlichsten darf man diese auf 24 Millionen Jahre schätzen. Diese Klippe der Selektionslehre umgeht die Mutationstheorie in so einfacher Weise, dass sie bereits aus diesem Grunde als viel wahrscheinlicher gelten muss. Die einzelnen Mutationsperioden können ja ganz rasch aufeinander gefolgt sein. Nichts zwingt zu der Annahme, dass sie regelmäßig und stets durch viele Tausende von Jahren der Ruhe getrennt sein müssen. Wenigstens nicht in jenen Linien des Stammbaumes, welche augenblicklich zu den höchsten Graden der Differenzierung führen. Mag auch die Lingula und mögen die Diatomeen seit uralten Zeiten sich nahezu unver- ändert erhalten haben, dieses gibt uns deshalb noch keinen Maß- stab zur Beurteilung der Vorgänge in den Richtungen eines kräf- tigen Emporarbeitens. Vieles spricht dafür, dass die einzelnen Mutationen anfänglich rascher aufeinander folgten als in den spä- Moll, Die Mutationstheorie. 239 teren geologischen Perioden; wenigstens war um die Mitte der ganzen irdischen Lebenszeit die Organisation bereits so weit ent- wickelt, dass in den meisten Phylen nur noch untergeordnete Differenzierungen erforderlich waren, um die jetzige Höhe zu er- reichen. Wie dem auch sei, so steht der Unterschied zwischen beiden Theorien doch völlig fest. Die Selektionslehre erfordert fast un- endliche Zeiten für die Entwickelung der Organismen, während für die Mutationslehre die Zeit durchaus genügt, welche die physi- kalische Geologie dem Leben zuweist (S. 707). Die biochronische Gleichung. Die Mutationstheorie führt zu der Schlussfolgerung, dass die Eigenschaften der Organismen, da sie Einheiten sind, in jedem Individuum nicht in unbeschränkter, sondern im Gegenteil in genau bestimmter Anzahl vorhanden sein müssen. Allerdings fehlen uns vorläufig die Mittel und Methoden, sie zu zählen, aber die Vorstellung einer beschränkten, wenn auch vielleicht großen Zahl drängt sich jedem auf. Die Zunahme der Differenzierung beruht auf der Zunahme der Anzahl dieser Einheiten, jeder neue Schritt in der Richtung des Fortschrittes bedeutet die Erwerbung einer neuen Einheit. Die Anzahl dieser Einheiten wäre also, wenn man sie erkennen könnte, das genaue Maß für die Ent- wickelungshöhe, und in jedem einzelnen Ast des Stammbaumes ist ein um so höherer Grad von Vollkommenheit erreicht worden, aus je zahlreicheren Erblichkeitseinheiten die ganze Erbschaft des betreffenden Individuums zusammengesetzt ist. Gerade bei solchen Betrachtungen, welche sich leicht weiter ausarbeiten lassen, zeigt es sich, wie die Mutationstheorie bestrebt ist, an die Stelle der sehr vagen Vorstellungen, welche uns die Selektionslehre über die phylogenetische Entwickelungsgeschichte bietet, bestimmte Größen zu stellen, mit denen man rechnen und arbeiten kann. Um die Masse der Erscheinungen zu beherrschen, muss man sie in einzelne Faktoren zerlegen. Die fast unendliche, nirgendwo unterbrochene Entwickelungslinie der Selektionstheorie entzieht sich fast überall der wissenschaftlichen Behandlung. Die Anzahl der Einheiten, welche die Mutationstheorie fordert, ist keineswegs eine erstaunlich große. Denn dieselben Einheiten können in zahllosen Arten und größeren Gruppen wiederkehren. Eine einmal erworbene Eigenschaft kann unverändert auf alle Nach- kommen vererbt werden. Die stofflichen Träger, welche die Bil- dung des Chlorophylls und die Zersetzung der Kohlensäure ver- mitteln, können in nahezu allen grünen Pflanzen als dieselben angenommen werden. Dasselbe gilt selbstverständlich von den anderen Eigenschaften. Je älter diese sind, auf um so zahlreichere jetzt lebende Arten können sie übertragen worden sein. Eine zu- sammengesetzte Eigenschaft kann dabei, durch die Entstehung neuer 240 Moll, Die Mutationstheorie, Sorten von Pangenen an Zusammensetzung zunehmen, die elemen- taren Eigenschaften, aus denen sie aufgebaut war, bleiben aber nach der Theorie, im Laufe der ganzen geologischen Zeit, dieselben. Es wäre vom höchsten Interesse, für eine gegebene Pflanze sich eine Vorstellung darüber bilden zu können, wie groß die An- zahl dieser Elemente, aus denen ihr Wesen aufgebaut ist, wohl ungefähr wäre. In dieser Richtung können wir aber nur einen allerersten Schritt machen. Es leuchtet ein, dass der fragliche Wert für die verschiedenen Arten ein sehr verschiedener sein muss, sehr gering für die niedrigsten einzelligen Wesen, sehr groß für die höchsten Grade der Differenzierung, für die Kompositen und Orchideen. Diese letzteren bilden die extreme Grenze, und auf sie richtet sich somit das Ziel der Betrachtung am ersten. Um nun wenigstens vorläufig zu einer annähernden Vorstellung zu gelangen, muss man sich mit ziemlich groben Schätzungen ge- nügen. Zwei Wege führen dazu, erstens der morphologische oder direkte Weg, und zweitens der geologische oder indirekte. Eine vollständige Umschreibung einer Pflanze würde die Merkmale der Haupt- und Unterabteilungen, der Klasse, Ordnung und Familie, der Gattung und der Art umfassen. Macht man den Versuch, eine solche Beschreibung in Faktoren zu zerlegen, so stößt man be- kanntlich bald auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Unsere Kenntnis ist fast überall noch eine zu dürftige. Einige Hunderte von Fak- toren zu isolieren gelingt meist leicht, zu einigen Tausenden die Analyse fortzuführen, wird, vorläufig noch wohl nicht gelingen. Daraus entsteht aber die Überzeugung, dass es sich nicht etwa um Millionen von Faktoren handeln kann, dass mit einigen oder mehreren Tausenden von Einheiten die Grenze wohl erreicht sein wird. Die Komplikation der Organisation ist zwar eine große, keineswegs aber eine unabsehliche, und es handelt sich nur darum, den richtigen Hebel zu finden, der uns einmal die Zerlegung zu er- möglichen verspricht. Auf geologischem Wege führt die folgende Betrachtung zu einem ziemlich gut übereinstimmenden Ergebnis. Wir nehmen an, dass die ganze Vorfahrenreihe eines Organismus abwechselnd Perioden der Umwandlung und Perioden der Ruhe durchlaufen hat. Der Einfachheit halber nehmen wir ferner an, dass in jeder Umwandlungsperiode ihre Organisation der betreffenden Richtung um eine Einheit emporgeschritten sei. Die betreffende Art besitzt dann so viele Erblichkeitseinheiten als ihre Vor- fahren Mutationsperioden durchgemacht haben. Die Summe der Dauer dieser Perioden, vermehrt um die Länge der zwischen- liegenden Ruheperioden, bildet dann die ganze Zeit, welche seit dem Anfange jener Entwickelungslinie verflossen ist. Und nehmen wir für alle Organismen einstweilen eine gemeinschaftliche Ab- Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. 241 stammung, oder doch einen Anfang zu derselben Zeit an, so ist jene Zeit der oben besprochenen biologischen Zeit, d. h. der ganzen Dauer des Lebens auf der Erde gleich. Wir haben somit drei Größen, welche zueinander in einem bestimmten Verhältnis stehen. Die Anzahl der Mutationsperioden, multipliziert mit ihrer mittleren Dauer (für Umwandlungs- und Ruheperioden jedesmal zusammengerechnet) muss der biologischen Zeit gleich sein. Diese stellen wir auf 24 Millionen Jahre, und damit sind offenbar den beiden anderen Werten ihre ganz be- stimmten Schranken angewiesen. Zusammenfassend gelangt der Verfasser zu der folgenden Über- sicht (S. 714): Die Anzahl der elementaren Eigenschaften einer höheren Pflanze, d. h. also der Mutationen, welche ihre Vorfahren von Anfang an durchlaufen haben, ıst am wahrscheinlichsten auf einige wenige Tausende zu stellen. Die mittleren Zeitintervalle zwischen zwei aufeinanderfolgen- den Mutationen sind gleichfalls auf einige wenige Jahrtausende zu schätzen. Daraus ergibt sich, dass für die große Entwickelung des Pflanzenreiches und auch wohl des Tierreiches eine Zeitdauer von einigen Millionen Jahren wohl ausreicht, oder mit anderen Worten: Die Mutationslehre bedarf einer längeren Dauer des Lebens als der von Lord Kelvin auf 24 Millionen Jahren geschätzten nicht. Diese Sätze können wir in einfachster Weise zusammenfassen, wenn wir sagen, dass das Produkt aus der Anzahl der elementaren Eigenschaften eines Organismus und dem mittleren Zeitintervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden progressiven Mutationen bei seinen Vorfahren der biologischen Zeit gleich ıst. Nennen wir die Anzahl der Mutationen M, die Länge der Zeitintervalle L und die biologische Zeit Bz, so haben wir also MICE=SBz. Diese Gleichung wird die biochronische genannt. Ihr Zweck ist, dazu beizutragen, die Bedeutung der elementaren Einheiten der Organismen klar zu machen, und diese dadurch immer mehr in den Vordergrund des Interesses und der Forschung zu bringen. Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. (Vorläufige Mitteilung.) Von Richard Goldschmidt. (Aus dem Zoologischen Institut München.) In folgendem soll kurz über einige Ergebnisse von allgemeinerem histologischen, speziell eytologischen Interesse berichtet werden, zu denen mich histologische Studien an unseren gewöhnlichen XXIV. 16 242 Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. Spulwürmern, Ascaris lumbricoides und A. megalocephala, führten. Diese ja auch physiologisch so interessanten Parasiten bilden ein histologisch überaus wertvolles Objekt, vor allem dadurch, dass die meisten Organsysteme bei dem Wachstum der Tiere nieht durch Zellvermehrung an Größe zunehmen, sondern durch ein Riesen- wachstum weniger von Jugend auf vorhandener Zellen. Dadurch gelangen einige Zellarten, z. B. gewisse Muskelzellen zu einer merkwürdigen Funktionsintensität, die es begreiflich erscheinen lässt, dass sich hier strukturelle Einrichtungen, denen im Leben der Zelle eine besondere Rolle zufällt, klarer und auffallender aus- prägen werden. Von solchen funktionellen Zellstrukturen soll also im folgenden berichtet werden. Dabei will ich aber hier weder auf die interessanten histologischen Verhältnisse eingehen, die die zu berührenden Organsysteme in Fülle bieten, noch sei in dieser kurzen Mitteilung die Literatur berücksichtigt, die besonders für die vergleichende Betrachtung der Ergebnisse bei einer eingehenden Darstellung in großem Umfang wird herangezogen werden müssen. Man kann zwischen speziellen funktionellen Strukturen unter- scheiden und allgemeinen. Ersteren gehören die Strukturen an, die die spezifische Funktion der betreffenden Zelle bedingen, also Differenzierungsstrukturen wie Muskel-Bindegewebs-Nervenfibrillen. Unter allgemeinen funktionellen Strukturen möchte ich diejenigen verstehen, die sich nur auf das Funktionieren und besonders das intensive Funktionieren der Zelle als solcher beziehen, Strukturen, die also von der spezifischen Funktion der Zelle unabhängig sind und nur mit dem Grad ihrer Funktionsintensität zusammenhängen; woraus sich ergibt, dass sie im Zelleben einem mehr oder minder schnellen Wechsel entsprechend dem Funktionszustand unterworfen sein können. Ich glaube nun erweisen zu können, dass es eine solche allgemeine funktionelle Struktur gibt, die allen Zellarten — zu- nächst nur den tierischen — in gleicher Weise zukommen kann, die immer prinzipiell das Gleiche darstellt, wenn auch die Ausbildung im Einzelfalle eine ganz verschiedenartige ist. Die Differenzierungs- höhe einer solchen funktionellen Struktur muss natürlich eine sehr wechselnde sein: Eine Zelle, in der regelmäßig Perioden der Funktionshöhe und der Ruhe alternieren, wird auch einen eben- solchen Wechsel ihrer Strukturen zeigen (Drüsenzellen), Zellen, die nur während einer bestimmten Periode ihrer Existenz eine leb- hafte Tätigkeit entwickeln, werden die betreffenden funktionellen Strukturen nur in dieser Periode aufweisen (Eizellen in Dotter- bildung, Knorpelzellen) und schließlich kann in, Zellen von dauernder Funktionsintensität (Muskelzellen) _ oder spezifischer Funktions- intensität (Spermien) die Struktur zu einem dauernden Apparat, einem Zellorgan, wenn man so will, sich erheben. Da die allge- meine Funktion einer Zelle, im Gegensatz zur spezifischen musku- Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. 243 lären, nervösen ete. Funktion, im wesentlichen auf ihre Stofl- wechselintensität zu beziehen ist, so können in diesem Sinne, aber auch nur in diesem, die zu besprechenden Strukturen als „tro- phische“ bezeichnet werden. Wenden wir uns nach diesen einleitenden Bemerkungen der Darstellung einiger speziellen Befunde bei Ascaris zu und beginnen mit den Zellen des Ösophagus. Es sei vorausgeschickt, dass dieses Organ in sehr einfacher Weise von einer geringen Anzahl riesiger Zellen aufgebaut wird. In jedem Querschnitt werden sechs Zellen getroffen, von denen die drei kleineren die Kanten des drei- schenkligen Lumens einnehmen, „Kantenzellen“, die anderen das ganze zwischenliegende Gewebe des etwa millimeterdicken Rohres ausfüllen. Die Kantenzellen haben nur stützende Funktion, worauf hier nicht weiter einzugehen ist, die anderen hingegen repräsen- tieren gleichzeitig Epithel und Muskularis des Organs. Die syn- eytial miteinander vereinigten Zellen — es sind im ganzen 24 bei einem Organ von durchschnittlich 7” mm Länge und 1,3 mm Durch- messer —, haben im weitaus größten Teil’ ihres Körpers radiäre Muskelfibrillenbündel entwickelt, die nur eine Zone um den relativ kleinen Kern herum frei lassen. Aber auch zwischen den Muskel- fibrillen sind allerwärts plasmatische Teile erhalten. In der muskel- fibrillenfreien Plasmaansammlung um den Kern fallen nun an ge- eigneten Präparaten mit Kernfarbstoffen intensiv färbbare Fäden auf, die meistens in komplizierten Windungen verlaufen und so dicht gelagert sind, dass sie den Kern wie in ein Körbchen einhüllen. Bisweilen sind sie auch nur vorzugsweise auf einer Seite des Kerns vorhanden (Fig. 1). Immer lassen diese Fäden oder Chromidial- stränge, wie wir sie nennen wollen, eine schmale Zone um den Kern frei, die sich durch konzentrische Anordnung des wabigen Plasmas auszeichnet. Die Chromidialstränge erscheinen in den verschiedensten Präparaten verschiedenartig angeordnet und gebaut, was mit dem jeweiligen Funktionszustand zusammenhängt. Bald sind es ganz zarte, homogen erscheinende Fäden, die vorwiegend gestreckt verlaufen und ungeheuer dicht liegen, bald sind es hohle Gebilde, die stark gewunden verlaufen, sich reich verästeln und besonders in der Nähe des Kerns beträchtlichen Umfang annehmen. Bald sind nur wenige umfangreiche Stränge vorhanden, die perl- schnurartig vakuolisiert erscheinen u. s. w. Die Stränge sind aber nicht nur auf die Zone um den Kern beschränkt, sondern dringen auch in die plasmatischen Teile zwischen den Muskelbündeln ein, in größerer Zahl in der Nähe des Kerns, immer seltener und schließlich ganz verschwindend nach den Grenzen des Zellterritoriums zu. Fig. 2 ein Schnitt durch den Ösophagus, mag hiervon eine Vorstellung geben. Zwischen den Muskelbündeln verlaufen die Stränge naturgemäß meist radial, ohne aber je an einer Oberfläche 16% 944 Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. zu inserieren, hier immer umbiegend. Es sei hier genug mit diesen kurzen Angaben und nur noch hinzugefügt, dass einiges von diesen Gebilden bereits als Stützfhibrillen beschrieben ist, so dass mir die Aufgabe zufällt zu beweisen, dass es funktionelle Strukturen sind, Strukturen, die in Verbindung mit dem Kern der intensiven Funktion der Zelle vorstehen. Es lässt sich dies beweisen durch den Nachweis ganz andersartiger Stützgebilde, durch die statuierbaren Beziehungen zum Kern, durch die für Stützfibrillen unverständliche Anordnung in der Zelle, durch den Nachweis verschiedener Struktur- und auch Zerfallszustände und durch die Feststellung der gleichen Bildungen in anderen Zellarten, die die Beziehung zur Funktion Fig. 1, deutlicher zeigen; schließlich durch den Nachweis, dass den Zellen des Ösophagus, die nur stützende oder füllende Funktion haben, der Chromidialapparat vollständig fehlt, und vor allen Dingen durch das physiologische Experiment. In ähnlicher Weise wie in den Ösophaguszellen sind die Chro- midialstränge auch in den Muskelzellen ausgebildet und hier lässt es sich besonders klar demonstrieren, wie die Ausbildung des Apparates parallel läuft der Funktionshöhe. In den gewöhnlichen Längsmuskelzellen des Körpers ist er nur gering ausgeprägt (wohl zu unterscheiden von fibrillären Bildungen, die als Neurofibrillen be- schrieben worden sind!); deutlicher, bisweilen sogar ziemlich kräftig entwickelt in den Muskelzellen des männlichen Hinterendes, die die Schwanzspitze heben, oder das Hinterende einrollen, eine Bewegung, Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. 245 die die Männchen, wie sich beobachten lässt, fortwährend ausführen ; schließlich in größter Komplikation in zwei Muskelzellen, die am hin- tersten Abschnitt des Darmes gelegen als „Dilatator des Chylusdarms* bezeichnet werden, gleichzeitig auch die Kompressoren des vas defe- rens sind und an Bau- und Funktionskomplikation innerhalb einer einzigen Zelle nicht so leicht ihres Gleichen finden dürften. In diesen Zellen sieht man stets, schon bei ganz schwachen Systemen, das dichte Flechtwerk stark gefärbter Stränge, die den ganzen plas- matischen Zellkörper erfüllen und sich ein Stück weit auch auf die muskulösen Fortsätze der Zelle erstrecken. Besonders dicht sind auch hier wieder die Chromidialstränge in der Umgebung des Kerns angeordnet und eine direkte Verbindung mit dem Kern ist sehr wahrscheinlich. Die in den gleichen Bildungen der Ösophagus- zellen auffallenden Größendifferenzen sind hier — innerhalb eines und desselben Präparates — nie so stark vorhanden. Wohl finden sich immer einzelne Stränge, die besonders stark sind und daneben auch ganz feine Fibrillen, aber niemals die plötzliche Verjüngung und Auffaserung wie in den Ösophaguszellen. Dagegen findet sich auch hier der Apparat bei verschiedenen Exemplaren in verschie- dener Ausprägung, was ich auf einen Funktionszustand beziehe und in der Tat durch das Experiment bestätigen kann. So sind z. B. bisweilen die Stränge stark angeschwollen, schlauch- artig und dann viel schwächer tingierbar; häufig ist auch, dass einzelne Stränge eine Struktur zeigen, die auf Zerfall hindeutet: 246 Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. die färbbare Substanz ist deutlich zu erkennen als Anhäufungen kleiner Körnchen, die einer farblosen Grundsubstanz in einzelnen Schollen eingelagert sind. Ein Habitusbild eines Teils einer solchen Muskelzelle stellt Fig. 3 dar. Eine weitere Zellart, die uns solche Strukturen zeigt, sind die großen Drüsenzellen, die den Enddarm umlagern, über deren Funktion noch gar nichts bekannt ıst. Es sei gleich im voraus bemerkt, dass diese Zellen sich wesentlich von den bisher be- sprochenen dadurch unterscheiden, dass sie nicht wie jene einen zur Zellgröße unverhältnismäßig kleinen Kern besitzen, sondern im Gegenteil recht großkernig sind. Diese Zellen sind uns dadurch wertvoll, dass sie den Chromidialapparat nur in bestimmten Funktionszuständen zeigen, die sich hier auch in der Struktur des Fig. 3. Kerns ausprägen, wodurch feste Anhaltepunkte zur Bestimmung des Zustandes gegeben sind. Es seien hier nur zwei gegensätz- liche Phasen herausgegriffen und bemerkt, dass in einem und dem- selben Objekt sämtliche sechs Zellen sich im gleichen Zustand befinden. In einem Fall ıst das Plasma der Zelle gänzlich frei von Bildungen, die als Chromidialstränge anzusprechen wären. Dagegen befindet sich der Kern in einem aktiven Zustand; er ist unregelmäßig begrenzt und sendet feine, spitze, pseudopodienartige Fortsätze in das Plasma; die auch hier vorhandene, konzentrisch geschichtete Zone um den Kern ist besonders stark ausgeprägt, Das Kerninnere ist erfüllt von einer gleichmäßigen, feinkörnigen, färbbaren Substanz, der zahlreiche Chromatinkugeln eingelagert sind, die oft dieht der Kernmembran anliegen. Ganz anders sicht die Zelle in der entgegengesetzten Funktionsphase aus. Das Plasma ist erfüllt von Chromidialsträngen; diese sind hier in geringerer Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. 247 Zahl vorhanden als in den vorher beschriebenen Fällen, dafür aber so mächtig entwickelt, dass sie im Schnitt immer nur eine kurze Strecke zu verfolgen sind und so ein wurstförmiges Aussehen er- langen. Sie sind stark vakuolisiert und daher weniger intensiv tingierbar. Der Kern hat in diesem Falle immer einen regel- mäßigen glatten Kontur, ist von einem farblosen Kernsaft mit spärlichem Gerinnsel erfüllt und enthält wenige chromatische Körper. Dies ist der Zustand, in dem das Sekretmaterial ausge- arbeitet wird, eine Tätigkeit, der wie ich glaube der Chromidial- apparat vorsteht. Schließlich möchte ich noch als Beispiel die Darmepithelzellen aufführen, die ähnliche Beziehungen erkennen lassen, wie die vor- stehend besprochenen Drüsenzellen. Das Darmepithel ist ebenfalls ein günstiges Ob- jekt, weil man leicht aus dem Aussehen der Zelle auf ihren Funktionszustand schließen kann. (Gehalt an Sekret- oder Nahrungs- tröpfchen). Zellen in lebhafter Tätigkeit besitzen hier immer einen stark ausgebil- deten Chromidialapparat in Gestalt von stark färbbaren Strängen und Balken, die die ganze Zelle durchziehen (Fig. 4). Sie anastomosieren mit einander und zeigen an den Vereinigungsstellen zweier Stränge Ver- dickungen. Man erkennt auch an der Figur — es ist nur eine Zelle ausgeführt, die anderen bieten ım Präparat das gleiche Bild — dass die Stränge hauptsächlich dicht unter der Oberfläche der Zelle ver- laufen, was in Beziehung auf unten zu besprechende verwandte Bildungen, die von anderen Objekten bekannt sind, wichtig er- scheint. Untersucht man Darmepithel in weniger lebhafter Tätig- keit — anzutreffen nahe dem Beginn des Enddarms — so findet sich der Chromidialapparat als ein zu einem unregelmäßigen Netz verbundenes Balkenwerk im Zentrum der Zelle nahe beim Kern. In diesem Zustand entspricht die Bildung vollständig dem in neuerer Zeit oft genannten „Trophospongium“. Und schließlich in untätigen Epithelzellen, die von Tieren stammen, die mehrere Tage gehungert haben, ist keine Spur mehr von dem ganzen Apparat zu entdecken. Was ist nunall den skizzierten Befunden gemeinsam? Es lässt sich in Zellen der verschiedensten Gewebsarten, Muskelzellen, Epithelmuskelzellen, Drüsenzellen, resorbierenden Epithelzellen, und wie ich gleich hier nach Vergleichsuntersuchungen an anderen Objekten mitteilen kann, in dotterreichen Eizellen, quergestreiften 248 Goldschmidt, Der COhromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. Muskeln, Knorpelzellen etc. eine spezifische Struktur ım Zelleib nachweisen, deren Ausprägung mit der Intensität der Funktion Hand in Hand geht. Wir adoptieren für die Struktur aus weiter unten anzuführenden Gründen die Bezeichnung Chromidialapparat (R. Hert- wig). Er ist ausgezeichnet durch intensive Färbbarkeit mit Chromatin- farben, (oft intensiver als der Kern), durch sein Auftreten in Form von Fäden oder Strängen, durch Wechsel der Struktur mit der Funktions- intensität, durch Beziehungen zum Zellkern. Vor allem aber findet er sich immer nur in lebhaft funktionierenden Zellen. Es läge ja nahe bei den Riesenzellen von Ascaris an eine Beziehung ausschließ- lich zur Zellgröße zu denken; aber gerade den größten Zellen, den merkwürdigen Stützzellen des Lippenapparates, die ich früher be- schrieben habe, fehlt jede derartige Struktur; es sind eben Stütz- und Füllzellen, keine aktıv funktionierenden Gewebszellen!).. Wenn wir also in der Tat in dem Chromidialapparat eine spezifische Struktur lebhaft funktionierender Zellen sehen, einen Apparat, der gemeinsam mit oder auch geradezu in Vertretung des Kerns der betreffenden Zelltätigkeit vorsteht, so fragt essich ob wir Gleiches oder Verwandtes in weiterer Verbreitung antreffen. Und da glaube ich alle jene Zellstrukturen, die in Fülle bekannt geworden sind und in mehr oder minder hohem Maße auch mit einander verglichen wurden wie Mitochondrien, Pseudochromosomen, Trophospongien (zum Teil), Dotterkern, Nebenkern, apparato reticolare etc. unter diesen Gesichtspunkt subsumieren zu müssen als ein und dieselbe Einrichtung lebhaft funktionierender Zellen. Die Begründung dieser Auffassung erfordert natürlich ein genaues Eingehen auf die um- fangreiche Literatur, weshalb hier nur das Allgemeinste angedeutet werden kann. ® Beginnen wir mit den Strukturen, die auch von den Autoren, die sie entdeckten resp. genauer untersuchten als allgemein ver- breitete Zellstrukturen betrachtet werden, den Trophospongien und Mitochondrien. Unter ersterem Namen sind von Holmgren Systeme intracellulärer Stränge und Kanälchen beschrieben worden, die mit bestimmten Methoden in den verschiedensten Zellarten, vor allem Ganglienzellen, Epithelien, Ovocyten nachzuweisen sind. Sie er- scheinen bald als solide Stränge, bald in Form von Kanälen und sollen immer von außen in die Zelle eindringen als Fortsätze be- sonderer Zellen und für die Ernährung der Zelle von Bedeutung sein. Für unsere Betrachtung hier scheiden von vornherein die Befunde an Ganglienzellen aus; dort ist das Eindringen von außen zweifellos und es kann nur eine Meinungsdifferenz über die Be- 1) Es soll damit nicht gesagt sein, dass jede Beziehung zwischen Zellgröße und Chromidialapparat fehlt; ich glaube sogar, dass eine wichtige Beziehung in Hinsicht auf die „Kernplasmarelation“ (R. Hertwig) besteht, worauf aber hier nicht weiter eingegangen werden kann, Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. 249 deutung der Bildungen bestehen, wie ich kürzlich in dieser Zeit- schrift schon ausführte. Anders steht es aber mit den Tropho- spongien der Epithel-Eizellen ete. Hier scheinen mir — wie auch anderen — die Angaben über das Eindringen von außen nicht be- weisend zu sein. Meine Bilder vom Darmepithel z. B. stimmen in manchen Phasen so vollständig mit den betreffenden Angaben über- ein, dass es mir unzweifelhaft erscheint, dass es sich um die gleiche Struktur handelt. (Wenigstens in den meisten Fällen; für einige Objekte soll das Vorhandensein echter Trophospongien nicht in Abrede gestellt werden.) Bei meinem Objekt konnte ich nun, wie beschrieben, eine Lagerung dicht unter der Zelloberfläche feststellen, was leicht zu der Ansicht eines Eindringens von außen führen könnte; hier gibt es aber überhaupt keine anderen Zellen im Darm als das einschichtige Epithel, so dass solches ganz ausgeschlossen erscheint. Dasselbe scheint mir vor allem für die Ovocyten auch zu gelten; die hier beschriebenen Trophospongien sind nichts anderes als die schleifenförmigen Bildungen, die von anderen Autoren, wie M. Heidenhain, Van der Stricht, als Pseudochromosomen be- zeichnet wurden. Ich habe diese Gebilde an Präparaten einer Ascaride, die mir Kollege Dr. Thon freundlichst überließ, unter- suchen können und mich von der völligen Identität mit den Chromidial- strängen überzeugt. An den Eizellen lässt sich auch die funktionelle Natur der Struktur demonstrieren, denn diese Gebilde — sie sind in mehr oder minder wechselnder Ausprägung von verschiedenen Objekten bekannt — finden sich stets nur in der Periode des Wachstums und der Dotterbildung um dann zu verschwinden. Es ist klar, dass ich dann auch den Dotterkern hierher einreihe, was aber wegen der hier in Betracht kommenden Details nur angedeutet sei. Dies führt uns zu einer anderen Bildung, dem Nebenkern (Bütschli) oder Mitochondrienkörper (Meves) der Samenzellen. Die neueren Untersuchungen von Benda und Meves über dieses Ge- bilde haben bewiesen, dass es aus merkwürdigen Körnern und Fäden, die in den Spermatocyten entstehen, seinen Ursprung nimmt. Diese Mitochondrien und Chondromiten, die auch in vielen anderen Zell- arten vorkommen sollen, können bisweilen eine große Ähnlichkeit mit unsern Chromidialsträngen haben und sind nach meiner Über- zeugung auch das gleiche. Später werden sie dann zu einem ein- heitlichen Körper vereinigt, der beim Aufbau der Spermie eine wichtige Rolle spielt. Es sei nur angedeutet, dass ich hier ein Beispiel dafür sehe, dass der Zellkern sich ausschließlich zum Sitz der Vererbungssubstanz spezialisiert und die Herrschaft über die Zelle an einen Stellvertreter, den Chromidialapparat, abgegeben hat. Die Ausbildung des Chromidialapparates in Form eines Neben- kerns hat nichts so merkwürdiges an sich und widerspricht durch- aus nicht meiner Homologisierung. Denn abgesehen vom Dotter- 350 Goldschmidt, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebezellen. kern kommt das gleiche auch in Drüsenzellen vor, die für unsere Fragen ja ein besonders gutes Vergleichsmaterial darstellen. In Pankreaszellen z. B. treten während der Funktion typische Chromidial- stränge — noch charakteristischer in Leberzellen — auf, die sich zu einen Nebenkern zusammenballen, der dann nach Bildung des Sekretes wieder verschwindet (Mathews). Ich kann wie gesagt nicht alle Vergleichsobjekte hier anführen; es sei nur noch auf die Pseudochromosomen der Knorpelzellen und den apparato reticolare interno hingewiesen. Erstere, in ihrer Struktur vollständig mit meinen Chromidialsträngen übereinstimmend, treten nach M. Heidenhain nur in jungen Knorpelzellen auf, d.h. eben zur Zeit ihrer intensivsten Tätigkeit, verschwinden später voll- ständig. Der apparato reticolare, ein von Golgi und seinen Schülern durch Silberimprägnation dargestelltes Binnennetz in Ganglienzellen, Drüsenzellen, sezernierenden Epithelien, quergestreiften Muskeln zeigt ebenfalls deutliche Beziehungen zur Zellfunktion und erweist sich aus den verschiedensten Gründen ebenfalls als Chromidialapparat. Das vorhandene Tatsachenmaterial beweist also, dass in allen lebhaft funktionierenden Zellarten morphologisch wie funktionell vergleichbare Strukturen auftreten, die immer prinzipiell das gleiche darstellen auch in ihrer durch alle Übergänge verbundenen ver- schiedenen Ausprägung als „Chromidien, Chromidialfäden, Chromidial- stränge, Chromidialnetze, Chromidialkörper, Chromidialapparat“. Die Differenzierung geht stets Hand in Hand mit der Funktion, in ständigem Wechsel wie bei Drüsenzellen, in Auftreten während einer bestimmten Lebensperiode bei Eizellen und Knorpelzellen, als dauernde Komplikation bei Muskel- und Samenzellen. Stets vorhanden sind auch Beziehungen zum Kern und wahrscheinlich dessen Chromatin, wie der Entdecker des Chromidialapparates bei Protozoen, R. Hertwig, für diese sowohl wie speziell für Eizellen schon ausführte. Ob die Chromidien auf aus dem Kern ausgetretenes Chromatin zu beziehen sind, wofür viele Erfahrungen sprechen, (R. Hertwig), oder ob sie uns gerade auf jene neuere Theorie hinweisen, nach der Chromatin stets auch an das Plasma gebunden ist und aus diesem dann, vielleicht unter Einfluss des Kerns, aktiviert werden kann, soll hier noch nicht erörtert werden. Die stufenweise Differenzierung des Kern-Öhromidialapparates könnte man sich vielleicht so vorstellen: 1. Innerhalb des Kerns zeigen gewisse morphologische Bestandteile einen Wechsel in Bau und Anordnung entsprechend der Funktion der Zelle z. B. Anordnung des Chromatins in Kernen von Drosera, Nukleolengenerationen des Amphibieneis. 2. Der ganze Kern ändert sich morphologisch mit der Funktion z. B. durch Anschwellen in Drüsenzellen oder durch Pseudopodien- bildung (Insektenovarium). 3. Es findet ein regelmäßiges Auswandern geformter Bestandteile (es kann nur von morphologisch nachweis- Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. 951 baren hier die Rede sein) aus dem Kern ins Plasma statt, ent- sprechend der Funktionshöhe z. B. Eier von Medusen, Echinodermen. 4. Aus den vom Kern ins Plasma gelangten oder auch schon ım Plasma vorhandenen Chromatinpartikeln bilden sich spezifische Strukturen, die in der Funktionshöhe ihre höchste Ausbildung haben, dann wieder verschwinden z.B. Darmepithel und Drüsenzellen von Ascaris, Pankreas-Leberzellen ete. 5. Solche Strukturen sind dauernd vorhanden, funktionieren in stetem, aus morphologischen Daten zu erschließenden Wechselverhältnis zum Kern, zeigen selbst ver- schiedene Funktionszustände z. B. Ösophagus und Muskelzellen von Ascaris, Protozoen, quergestreifte Muskeln. 6. Die dauernd im Plasma vorhandenen Strukturen funktionieren gewissermaßen als ständige Vertreter des Kerns, der selbst nur noch ganz spezifischen Funktionen dient, als Vererbungsträger oder sonstwie z. B. bei Spermatozoen. Natürlich sind alle Übergänge zwischen diesen Stufen und Kom- binationen vorhanden. Es sei noch zum Schluss die Anwendung der Bezeichnung Chromidialapparat motiviert und damit angedeutet, in welcher Richtung der generelle Anschluss der hier zu einer Gemeinsamkeit zusammengefassten Erscheinungen zu suchen ist. Die neueren Protozoenuntersuchungen von R. Hertwig haben uns mit einem Organ bekannt gemacht, dem im Leben der betreffenden Formen eine wichtige Rolle zukommt, das von Hertwig als Chromidialnetz bezeichnet wird. Dies steht in engster Beziehung zum Zellkern und kann bei der Fortpflanzung eine wichtige Rolle spielen, aber auch im vegetativen Zelleben funktionieren. Und an dies Organ lassen sich, glaube ich, die besprochenen funktionellen Strukturen der Gewebezellen anschließen, sodass durch den Namen bereits die Einheit in der Organisation ausgedrückt sei. Es liegt nahe, dass nunmehr auch ein Vergleich mit der Doppelkernigkeit der Infusorien wird durchgeführt werden können, allerdings in ganz anderer Art, als es seither versucht wurde. [23] München, Januar 1904. Zur Biologie der Myriopoden II. a) Bemerkungen über Glomeris marginata Villers. b) Geruch und Geruchsorgane der Myriopoden. Von Dr. Curt Hennings. a) Bemerkungen über @lomeris marginata Villers. 1. Fundort und Nahrung. In der Mark Brandenburg ist G@lomeris verhältnismäßig selten, wenigstens fand ich sie niemals in größerer Anzahl, kolonienweise beisammen; dagegen erwies sich der Deister, jenes mäßig hohe, bewaldete Gebirge, das, den nördlichsten Ausläufer der Weser- 252 Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. berge bildend, sich westlich von Hannover erstreckt, als eine über- aus günstige Fundstelle für Glomeris marginata Villers (= Glom. limbata Latr.); eine andere Spezies ist mir aus dem Deister, wie aus den Wesergebirgen niemals zu Gesicht gekommen. Die mar- ginata scheint nun sich dort besonders in den Buchenbeständen angesiedelt zu haben, in den übrigen Beständen ist sie nicht so häufig. In der Nähe des Dorfes Barsinghausen fand ich sie auf einem sanft geneigten, an seinem Fuß von einer kleinen Wasser- ader berieselten Abhang in geradezu ungeheuren Mengen. Die Tiere leben hier unter der 10—20 cm starken Schicht abgefallener, trockener Buchenblätter, die ıhnen als Nahrung dienen; sie er- weisen sich also auch hier als typische Laubtiere im Sinne Ver- hoeff's (5). Bei meinem ersten dortigen Aufenthalt im Frühjahr (April 1899) konnte ich innerhalb weniger Stunden viele Hunderte sammeln; im Herbst scheinen sie seltener zu sein, da sie sich dann in die Erde verkriechen; doch erhielt ich noch im November 1903 ca. 500 Stück durch Herrn Rektor Schütte-Barsinghausen, dem ich auch an dieser Stelle bestens für seine Freundlichkeit danke. Es ergibt sich übrigens hieraus die interessante Tatsache, dass die marginata jahrelang an demselben eng begrenzten Platze ange- sıedelt bleibt. In den Terrarien hielten sich die Tiere recht gut, da ich die Vorsicht gebrauchte, ıhnen nicht nur die Deistererde zu geben, sondern sie stets mit dürren Buchenblättern zu versorgen. (lo- meris scheint, was die Nahrung anbetrifft, viel empfindlicher zu sein als z. B. Julus: eine Anzahl der letzteren aus Istrien und Dalmatien (J. fuseipes, flavipes u. a.), die ich längere Zeit ın der Gefangenschaft hielt, nährte sich von allen möglich vegetabilen Substanzen; ich gab ıhnen dürres und frisches Laub, Salat, Kohl, Rüben, stets mit dem Erfolg, dass sie alles dies verzehrten. Glo- meris dagegen — wenigstens die von mir gehaltenen Deister-Exem- plare — lebten nur von trockenen Buchenblättern und verschmähten jede andere Nahrung. 2. Die Kopulation. Diese ist von vom Rath (3) so genau beschrieben worden, dass ich dem nichts Neues hinzufügen könnte, zumal dieselbe stets, auch in den Terrarien, unter der Blätterschicht vor sich geht und die Tiere so scheu sind, dass sie bei der geringsten Störung sich trennen und zusammenkugeln. 3. Eiablage. Einige Wochen nach der im Frühjahr stattfindenden Begattung beginnen die Weibchen mit der Eiablage; ich habe jedoch bei der marginata niemals beobachtet, dass, wie vom Rath (l. c.) sagt, sie sich dabei tief in die Erde verkriechen und die Eier an be- Heunings, Zur Biologie der Myriopoden II. 253 sonders geschützte Stellen ablegen. Wenn jener so zuverlässige Autor dies angibt, so möchte ich es entweder für eine besondere Eigentümlichkeit der von ihm untersuchten Glomeris conspersa halten, oder aber darauf zurückführen, dass die Tiere sich infolge zu großer Trockenheit der oberflächlichen Erdschichten in tiefere Schichten zurückzogen, nicht aber der Eiablage wegen, bei welcher ihnen darüberliegende Erdmassen eher störend als förderlich wären. In meinen Terrarien sowohl wie im Freien sah ich stets die eierlegenden Weibchen an der Erdoberfläche, unter der lockeren Blätterschicht. Höhlen- oder gar Nestbau ist auch sonst meines Wissens bei @lomeris gerade im Gegensatz zu Juluıs und Polydesmus niemals zur Beobachtung gelangt. 4. Die Eier sind kugelig, weiß bis gelblichweiß und haben bei der marginata einen Durchmesser von 1 mm. Sobald ein Ei aus der Geschlechts- öffnung heraustritt, wird es vom Weibchen mit einer rundlichen bis ellipsoidischen Erdhülle umgeben, die anfangs weich aber bald erhär- tend, dem Inhalt einen guten Schutz zu gewähren vermag; ihr Durch- messer beträgt 3—4 mm bei einer Wandstärke von etwas über 1 mm. In dieser Kapsel ist das Ei mit einem Pole festgeklebt. Einen Einfluss der Nahrungsmenge auf die Schnelligkeit in der Eiablage, wie ihn vom Rath (l. e.) in der Weise beobachtete, dass die Tiere, wenn sie hungerten, die Eier viel schneller ablegten, habe ich niemals bemerkt; meine Tiere hatten stets Buchenblätter ın überreichlicher Menge zur Verfügung und ich erhielt trotzdem mehrere tausend Eier. — Zu der Zeit, wenn die Eiablage am reich- lichsten ist, bemerkt man häufig Erdkapseln, die biskuitförmig gestaltet und auch etwas größer (4--5 mm) sind als die oben beschriebenen kugelförmigen; in ihnen findet man dann zwei Eier eingeschlossen, die durch eine mehr oder weniger dünne Scheidewand voneinander getrennt sind. Ja sogar drei Eier habe ich nicht selten in ein und derselben Kapsel gefunden. Diese Zwillings- und Drillingseier sah ich nicht nur in den Terrarien, sondern ebenso häufig auch im Freien. Der Zweck der Erdkapsel, dem jungen Tiere einerseits Schutz, andererseits aber auch für die erste Zeit Nahrung zu ge- währen, hat bereits Fabre richtig erkannt, der sich (1) folgender- maßen darüber äußert: „ce globule n’est pas simplement une demeure construite par la pr&evoyance des parents pour abriter le jeune au sortir de l’oeuf. En grande partie form& de matieres vögötales d&composees, il constitue aussi un magasin de vivres... Le long sejour que le jeune Glomeris fait dans ce berceau; le developpement avance qu'il s’y cereuse, sans y laisser de debris; enfin les matieres brunätres qui remplissent son intestin lorsqu’il l’abandonne, tout d&emontre qu'il se nourrit quelque temps au de- | 254 Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. pens des parois m&mes de sa boulette natale.“ Die Folge davon ist denn auch, dass die Wandung der Erdkapsel, wenn sie von der jungen Larve verlassen wird, papierdünn geworden ist und meist sofort zerfällt. 5. Entwicklung. Da es mir gelungen ist, einige Stadien zu beobachten, die jünger waren als die von vom Rath (3. 4) beschriebenen, so mögen diese hier im Zusammenhang mit den bereits bekannten Entwicke- lungsstufen charakterisiert werden. Die Gliederung des — superfiziellen — Keimstreifens ist durch Heymons (2) genau bekannt: auf den primären Kopfabschnitt mit seinen (4) eananlen folgen einige Rumpfsegmente mit den An- lagen der Beinpaare, dann eine indifferente Proliferationszone, von der aus neue Segmente nach vorn abgegliedert werden, und end- lich das Analsegment. Aus dieser Anlage geht hervor das: 1. Stadium: Die Länge beträgt 1,25 mm, am Kopf bemerkt man die gemeinsame Anlage der Augen und der Schläfengrube !); die Kopfgruben, sowohl die medialen wie die lateralen, sind noch deutlich sichtbar. Der Nahrungsdotter ist reichlich vorhanden, ebenso im Kopf wie im Rumpf. Letzterer besitzt drei gegliederte Beinpaare und außerdem zwei Paar vom Körper zwar wohl abge- setzter, aber ungegliederter Fußstummel. 2. Stadium: Die Länge des Tieres ist die gleiche geblieben, ebenso auch die Zahl der Beinpaare und der Fußstummel. Dagegen hat sich die bisher gemeinsame Anlage der Augen und Schläfen- grube getrennt in eine Sinnesplatte: Anlage des Sehorgans, und eine Schläfenplatte: Anlage des Tömösvary’schen Organs; von den Kopfgruben sind nur noch die medialen sichtbar. 3. Stadium: Bei einer Länge von 1,5 mm besitzt der Embryo drei Beinpaare und drei Paar Fußstummel. 4. Stadium: Ohne dass die Zahl der Extremitäten sich erhöht hätte, hat doch das Tier eine Länge von 2 mm erreicht. Auch die un Kopfgruben sind verschwunden. 5. Stadium: Die Größenzunahme ist gering, von 2 auf 2,25 mm, doch ist ein Fußstummelpaar hinzugekommen. 6. Stadium (vom Rath’s Stadium D): 2,5 mm Länge, 7 Seg- mente, 3 Beinpaare, 5 Paar Fußstummel. Dieses Stadium ist für das Tier außerordentlich wichtig: Das eigentliche Embryonalleben, das ungefähr 1 Monat gedauert hat, ist beendet, die Eihaut ge- sprengt; der Embryo wird zur Larve, die nunmehr auf Berührung reagiert und frei in der Erdkapsel liegt. Letztere gewährt die zum erstenmal von außen aufgenommene Nahrung: der mit Erde ) Die Entwickelung der Schläfengrube ist ausführlich dargestellt in meiner se Das Tömösvary’sche Organ der Myriopoden I in Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie Bd. 76, Heft 1, 1904. Ei, Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. 255 gefüllte Darm zeichnet sich deutlich von dem gelblichweißen übrigen Körper ab. 7. Stadium: Die Fußstummel sind zu gegliederten Beinen ge- worden, von denen also jetzt acht Paar vorhanden sind. Der Körper setzt sich zusammen aus dem Kopf (mit jederseits drei fertig ge- bildeten Ocellen) und acht Rumpfsegmenten; seine Gesamtlänge be- trägt 2,755 mm. Die Erdkapsel ist verlassen und das Tier sucht sich jetzt selbständig seine Nahrung. 8. Stadium: 9 Segmente, 11 Beinpaare, 4 Ocellen jederseits. 9. Stadium: 10 n 13 s Hrlset; A 10. Stadium: 11 5 15 A GN A Aus diesem Stadium geht das Tier in den geschlechtsreifen Zustand über, in welchem neun Ocellen jederseits vorhanden sind, während das Weibchen 12 Segmente und 17 Beinpaare, das Männ- chen 13 Segmente und 19 Beinpaare besitzt. 6. Häutung. Bekanntlich wird nicht nur der Übergang von einem Stadium zum folgenden durch eine Häutung vermittelt, sondern auch die er- wachsenen Tiere häuten sich in bestimmten Zwischenräumen. Über den letzteren Vorgang berichtet kurz vom Rath (l. ec) und in aus- führlicherer Weise Verhoeff (6), doch möchte ich hier einige er- gänzende Bemerkungen anfügen. Als die Zeit der Häutung galten bisher die Sommermonate, d.h. also die Wochen nach der Kopulation oder Eiablage; ich fand nun aber im Dezember vor. und Januar d. J. nicht eben selten ın meinen Terrarien Tiere, die in Häutung begriffen waren resp. diese soeben beendet hatten, ohne dass Kopulation oder Eiablage voran- gegangen wären. Die Behauptung vom Rath’s, dass die frisch- gehäuteten Individuen nach Abstreifung der alten Haut sofort wieder in die abgelegte Hülle hineinkriechen, wies bereits Ver- hoeff (l. ec.) zurück: „Von einem Hineinkriechen kann, eben weil die Ventralseite an die dorsale sich anklebt, nicht gut die Rede sein. Es legt sich das Tier einfach in die Exuvienmulde hinein, wozu es auch im natürlichen Zustand meist durch die Engigkeit des Häutungskämmerchens gezwungen wird.“ Von einem solchen Kämmerchen habe ich zwar bei marginata niemals etwas gesehen — die von mir beobachteten Häutungen fanden stets auf der Erde, allerdings unter der schützenden Blätterschicht, statt — ersteres kann ich jedoch vollauf bestätigen: das gehäutete Tier rollt sich zusammen und legt sich mit seiner Körperkugel in die Exuvie hinein, wobei dann bei der einen die Dorsal-, bei der anderen die Ventralseite (d. h. bei der Kugel diejenige Seite, auf welcher sich Kopf und After berühren) den Schutz durch die alte Haut ge- nießt, — Zum Schluss sei noch ein Versehen vom Rath’s be- 256 Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. richtigt: die gehäuteten Tiere sind nicht „blass“, sondern von schwarzer Farbe, und zwar erscheint das Schwarz beinahe noch glänzender als das der anderen Tiere, vielleicht infolge des Kalk- mangels. Die glänzendschwarze Farbe konnte ich übrigens auch bei einem frischgehäuteten Schixophyllum sabulosum (L.) konstatieren. 7. Feinde. Weder ım Freien noch in den Terrarien konnte ich Feinde der erwachsenen @lomeris beobachten, bei ıhrer versteckten Lebens- weise werden jene wohl auch kaum sehr zahlreich sein. Dass die frischgehäuteten Tiere Schutz unter der Exuvie suchen, scheint dafür zu sprechen, dass sie größeren Gefahren ausgesetzt sind, doch konnte mich der Augenschein nicht davon überzeugen: Litho- bien z. B., die ich drei Monate lang hatte hungern lassen, zogen es vor, die schwächsten ihrer eigenen Art zu verzehren und wagten sich nicht an frischgehäutete GI. marginata, obgleich der Panzer der letzteren viel weicher war als der ihrer Opfer. Ganz anders die Jugendstadien: Bei meinen Zuchtversuchen ging mir fast der vierte Teil des entwickelungsgeschichtlichen Ma- terials durch Fäulnis zugrunde, und zwar ist diese leichte Reaktions- fähigkeit auf Fäulniserreger um so größer, je jünger die Stadien sind; es scheinen ferner gerade die oben beschriebenen Zwillings oder Drillingseier besonders dazu disponiert zu sein. Außerdem fand- ich häufig in den Erdhüllen der Eier neben diesen einen Mermi- thiden, vielleicht denselben, dessen Jugendformen vom Rath (4) als Entoparasiten der Diplopoden erwähnt. Endlich siedelt sich nicht selten m den Erdkapseln eine Aphorura an, die aber wohl kaum sehr schädigend zu wirken vermag. Die Empfänglichkeit für Fäulniserreger, wie auch das Vor- kommen des Mermithiden und der Aphorura ıst im Freien ebenso häufig wie in den Terrarien. Zitierte Arbeiten: 1. Fabre: Anatomie des organes reproducteurs des Myriapodes. Ann. Sec. nat. 4 serie, t. III, 1855. . Heymons: Mitteilungen über die Segmentierung und den Körperbau der Myrio- poden. Sitz.-Ber. Kgl. preuß. Ak. d. Wiss. Math.-phys. Kl. 1897. 3. vom Rath: Über die Fortpflanzung der Diplopoden. Ber. Naturf. Ges. Frei- burg i/B., Bd. V, Heft 1, 1890. 4. Ders.: Zur Biologie der Diplopoden. Ibid. Heft 2, 1891. . Verhoeff: Beiträge zur Kenntnis paläarkt. Myriopoden III. Aufsatz: Zu- sammenfassende Darstellung der Aufenthaltsorte der mitteleuropäischen Diplopoden. Archiv f. Naturg. 62. Jahrg., I. Bd., 1896. 6. Ders.: Uber den Häutungsvorgang der Diplopoden. Nova Acta Abh. Kais. Leop. Carol. D. Ak. d. Naturforscher Halle. Bd. 77, Nr. 6, 1901. (Schluss folgt.) DD ot Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. | Er Apr I0oi. XXIV. Bd. AR. Inhalt: Klebs, Über Probleme der Entwickelung. — Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden (Entero.wenos östergreni). — Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II (Schluss). — Halben, Theoretisches über die Bedeutung des Pigmentes für den Sehakt der Wirbellosen, speziell der Protozoen. Über Probleme der Entwickelung. Von Georg Klebs. In meinem Werke „Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen“ (1903) habe ich den Nachweis geführt, dass der Ent- wickelungsgang gewisser Pflanzen, der sich unter den Bedingungen der freien Natur sehr regelmäßig vollzieht und als „typisch“ be- zeichnet wird, nicht notwendig gerade diesen Verlauf nehmen muss. Vielmehr gelingt es durch mannigfache Kombinationen äußerer Einflüsse die Entwickelung in ganz andere Bahnen zu lenken, ge- wisse Entwickelungsstadien, wie z. B. das vegetative Wachstum kontinuierlich zu erhalten, die Reihenfolge anderer Stadien umzu- kehren u. s. f£ Da hier Erscheinungen vorliegen, die mir für die Auffassung des Organismus von großer Bedeutung zu sein scheinen, so möchte ich an dieser Stelle einige Ergebnisse neuer Studien über Entwickelung mitteilen, daran eine allgemeine Besprechung des Entwickelungsganges knüpfen und schließlich die Frage nach seinen äußeren Bedingungen eingehender behandeln, als es in meinem Werke geschehen ist. I, Die Entwickelung von Sempervivum. Die Gattung Sempervivum, deren bekannteste Art feetorum vielfach in den Dörfern auf Dächern oder Mauern gezogen wird, XXIV. 17 258 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. entwickelt aus den Samen Rosetten, d. h. kurze gestauchte Stengel, die mit dicht gedrängten Blättern besetzt sind. Diese Blätter sind bei Sempervivum wie bei den meisten Orassulaceen dickfleischig. Bei den europäischen Arten von Sempervivum vermehren sich die Rosetten auf vegetativrem Wege, indem aus den Achseln ihrer Blätter meist kurze Ausläufer entstehen, die sehr frühzeitig an ihrem Ende je eine neue Rosette bilden. Von solchen vegetativ entstandenen Rosetten bin ich bei meinen Untersuchungen ausge- gangen; hauptsächlich habe ich mit Sempervivrum Funkii, dann auch mit Moggridgü, Reginae- Amaliae und verschiedenen Sorten der Zeetorum- Gruppe experimentiert. Die Arten wachsen seit vielen Jahren im Garten an einem heißen trockenen Standort ohne besondere Düngung. Unter den Bedingungen dieses Standortes wie unter denen der freien Natur brauchen die neu entstandenen Rosetten mehrere Jahre, bis sie blühreif werden. Die Zeit, ın der der blühreife Zu- stand erreicht wırd, hängt sicher von den Ernährungsverhältnissen ab. Wenn auch meine Versuche in dieser Hinsicht noch nicht abgeschlossen sind, so darf ich doch schon behaupten, dass eine Rosette ım zweiten Jahre ihres Lebens blühen muss. Selbst nach wenigen Wochen können unter besonderen Umständen die jungen Rosetten zur Blüte gelangen. Bei Sempervivrum Funkü, das sehr regelmäßig in jedem Sommer blüht, lassen sich bereits im Herbst, weit besser im nächsten Frühjahr die im folgenden Sommer blühen- den Rosetten an ihrer relativen Größe und Dicke mit Wahrschein- lichkeit erkennen. Im Herbst 1902 wurden 20 kräftige Rosetten von 8. Funkit einzeln in kleine Töpfe verpflanzt und kalt überwintert. Von diesen kamen 15 zur gewöhnlichen Zeit im Juni zur Blüte. Die anderen fünf Exemplare pflanzte ich Anfang März in ein gut gedüngtes Beet, das stets unter Glas gehalten und während der Monate März bis Mai durch die im Boden liegenden Wasserröhren geheizt wurde (Temperatur des Bodens 16—20° C.). In diesem Warmbeet ent- wickelten sich die Rosetten zu einer Größe, wie sie am freien Standort nicht erreicht wird; sie kamen im Juni nicht zur Blüte. Als ich Ende Juni eine dieser Rosetten in einen kleinen Topf mit sandiger Erde möglichst hell und relativ trocken kultivierte, bildete sich im August der Blütenstand aus. Die anderen im Warmbeet befindlichen Rosetten wuchsen ungestört weiter, sie entwickelten 10-16 junge Rosetten, die noch im Herbst desselben Jahres eine neue Generation von Rosetten erzeugten. Es ist nicht zweifelhaft, dass solche Rosetten entsprechend wie andere Pflanzen, 7. B. Glechoma, Rumex acetosa unter fortdauernd günstigen Ernährungs- bedingungen nur wachsen und sich vegetativ vermehren müssen ohne jemals ihr „Ziel“ oder ihren „Zweck“, nämlich die Frucht- bildung, zu erreichen. Klebs, Über Probleme der Entwiekelung. 359 Für den Versuch wurden Rosetten benutzt, die anscheinend bereits eine gewisse innere, das Blühen vorbereitende Beschaffen- heit besaßen, durch die sie sich von den jüngeren Rosetten aus- zeichneten. Die Vorbereitungen können aber viel weiter fortge- schritten sein, und doch gelingt es, sie wieder rückgängig zu machen und das vegetative Wachstum hervorzurufen. Das erste ganz sichere Kennzeichen einer blühreifen Rosette ist die Fähigkeit ihres Vegetationspunktes, sich in wenigen Wochen zu strecken und einen Stengel zu bilden, der zum Unter- schiede von der Rosettenachse mit locker Fig. 1. stehenden und kleineren Blättern besetzt ist. Schon ım Herbst können einzelne Rosetten so weit vorgeschritten sein, dass diese Streckung bei mittlerer Temperatur (15—23°) ım Dunkeln innerhalb drei Wochen erfolgt, wie ich es im letzten November beobachtet habe. Im Januar 1905 sah ich den gleichen Prozess in dem warmen hellen Versuchs-Gewächs- haus, im Frühjahr nach einem 14tägigen Aufenthalt im Dunkeln bei 30°. Als der sich streckende Stengel einige Zentimeter hoch war, wurden die Pflanzen hell und mäßıg feucht gestellt. Dann bildete der Stengel an seiner Spitze eine neue Ro- sette (Fig. 1). Die Umwandlung eines Stengels, der zur Infloreszenz bestimmt ist, in eine Ro- sette, lässt sich noch auf einem anderen Wege im Frühsommer erreichen. Ich kultivierte blühreife Rosetten von An- fang April in kleinen hell stehenden Ge- Sempervivum Funkii. wächshäuschen, die aus weißem, rotem Pflanze 28. TV. 1903 im Ther- oder blauem Glas hergestellt waren. Für ""ostat bei 30), 13./V. rotes Ge- 5 E er : wächshaus, 23./V. hell, mäßig die Versuche kommt hier zunächst das feucht: eez. 9. Juni 1903. blaue Glas in Betracht, das für unser Auge hell-grünlich-blau erschemt und die rotgelben Strahlen des Spektrums zum allergrößten Teil absorbiert. Die Erfahrungen mit verschiedenen Pflanzen lehrte, dass in diesem blauen Glashause die Bildung organischer Substanz sehr stark vermindert ist, so dass solche Pflanzen, wie Lobelia, Mimulus u. a., die keine Reserve- stoffe zur Verfügung haben, in kurzer Zeit verhungern. Der Ver- brauch organischer Substanz ist bei diesen Pflanzen größer als der Aufbau. Die Sempervirum-Arten enthalten in ihren Rosetten größere Mengen plastischer Stoffe und können daher in Verbindung mit 17* 960 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. der schwachen Kohlensäurezersetzung den ganzen Sommer in dem blauen Licht leben. Die Exemplare von Funke, alpinum Reginae- Amaliae, die seit Anfang April im blauen Lichte wuchsen, streckten ihre Infloreszenzachse, kamen aber nicht zur Bildung von Blüten. S. Reyinae-Amaliae, bei der wahrscheinlich schon weiter- gehende Vorbereitungen dafür vorhanden waren, bildete an der Spitze des Stengels eine Gruppe von vier Rosetten. Die Exemplare von Funkii und alpinum vermochten nicht Rosetten zu bilden, sondern wuchsen langsam als einfache Stengel weiter. Eines der Exemplare wuchs bis zum Herbst zu einer Länge von 19 cm; ein anderes Exemplar blieb kürzer, erzeugte aber mehrere Ausläufer, die bis jetzt eine Länge von 9 cm erreicht haben, ohne an ihren Enden zur Rosettenbildung zu schreiten. In diesen Fällen ist also auch die Rosettenbildung ausgeschaltet, die ursprüngliche Inflores- zenzachse wie eine Ausläuferachse können als solche weiter wachsen, vergleichbar einem fortwachsenden Ausläufer von Glechoma hederacea. Die Umwandlung einer jungen Infloreszenzachse in eine Rosette ist allem Anschein nach bereits früher beobachtet worden. So be- schreibt Irmisch (1860 S. 88) bei S. teetorum die Streckung einer Rosette und die Bildung einer neuen Rosette an der Spitze. Bei derselben Art hat Wiesner (1891 S. 49) die gleiche Beobachtung gemacht, als er eine Rosette zuerst sehr feucht und dann weniger feucht im Licht kultivierte. In seiner eingehenden Untersuchung über den Einfluss von Licht und Feuchtigkeit auf die Gestaltung der Fettpflanzen hat Brenner (1900 8.23) bei Sempervivum assimile die Streckung zu einem mit kleinen, locker stehenden Blättern be- setzten Stengel beobachtet, der dann am Ende eine Rosette bildete. Im Dunkeln entstand wie bei den Untersuchungen Wiesner’s ein Stengel mit sehr verkümmerten Blättchen. Obwohl die Arbeit Brenner’s in meinem Institute entstanden ist, habe ich damals nicht daran gedacht, dass die Versuchsexemplare blühreif sein könnten. Die nicht blühreifen lassen sich nach meinen neueren Versuchen viel schwieriger, oft gar nicht durch Dunkelheit oder durch feuchte Luft zu dieser Art von Stengelbildung bringen. Man kann, wie später gezeigt werden wird, eine Streckung solcher vegetativer Rosetten herbeiführen, wobei der Rosettencharakter in gewissem Grade erhalten bleibt. Der erwähnte Fall von $. Reginae-Amaliae, bei der die In- floreszenzachse an ihrer Spitze einen Knäuel von vier Rosetten ge- bildet hatte, ließ vermuten, dass hier vor dem Versuch Anlagen von Seitensprossen vorhanden waren, die dann anstatt zu blühen vegetativ geworden sind. Jedenfalls lag die Frage nahe, ob In- floreszenzen mit deutlichen Anlagen von Blüten wieder zur Rosetten- bildung gebracht werden können. Diese Frage war eigentlich der Ausgangspunkt meiner ganzen Untersuchung. Denn mir kam es Klebs, Über Probleme der Entwiekelung. 61 vor allem darauf an, bei einer unzweifelhaft eymösen Infloreszenz die vegetative Metamorphose zu bewirken. In meinem letzten Werk habe ich (1903 S. 72) die Metamor- phose der Infloreszenz von Veronica chamaedrys beschrieben, die zu der großen Gruppe der „racemösen* oder botrytischen Blüten- stände gehört. Diese besitzen eine Hauptachse mit fortwachsendem Vegetationspunkt, an welchem Seitenachsen entstehen, die in den einfacheren Fällen z. B. bei Veronica direkt zu Blüten werden. Der Vegetationspunkt eines solchen Blütenstandes ist theoretisch in seinem Wachstum unbegrenzt, in Wirklichkeit im typischen Falle bald begrenzt, da ıhm die Nahrung entzogen wird, teils durch die Fruchtbildung seiner Blüten, teils durch den Zusammenhang mit dem ganzen Spross, der neue Infloreszenzen oder Zweige erzeugt. Die zweite Gruppe von Infloreszenzen wird als die „ceymöse* bezeichnet (vergl. Eichler 1875 S. 33). Die Hauptachse schließt ıhr Wachstum ab, indem ıhr Vegetationspunkt direkt in die Bil- dung einer Blüte aufgeht. Die Verlängerung übernehmen Seiten- achsen in bestimmter Anzahl, 1, 2, seltener mehr. — Diese ver- halten sich aber genau wie die Hauptachse, indem sie nach kurzer Zeit ebenfalls mit einer Blüte endigen. Die Vegetationspunkte, sei es der Hauptachse, seı es der Nebenachsen, haben demnach ein ganz eng begrenztes Wachstum; ihre sämtlichen Zellen differen- zieren sich nach lebhaften Teilungen zu den verschiedenen Gliedern einer Blüte. Die europäischen Sempervivum-Arten sınd ausgezeichnete Bei- spiele für solche eymöse Infloreszenzen. Die Hauptachse von S. Funkii schließt nach ihrer Streckung, wobei sie eine Länge von 12-15 cm erreicht, mit einer Gipfelblüte ab. Dicht unter ihr ent- wickelt sich ein kurzer Seitenast, der gleich in eine Blüte endigt, an diesem ein nächster u. s. f£ Da die Seitenachsen abwechselnd nach rechts und Iinks entstehen, nennt man die Inflorescenz einen Wickel, der als Scheinachse bezeichnet wird, weıl er aus mehreren aufeinanderfolgenden Zweiggenerationen besteht. Dicht unter der Gipfelblüte befinden sich meistens mehrere, 2-4 Wickel, von denen jeder eine begrenzte Zahl (4—8) von Blüten besitzt. Schon im Sommer 1902 versuchte ich die Metamorphose einer solchen Infloreszenz herbeizuführen, indem ich blühreife Rosetten unter sehr verschiedenen Bedingungen kultivierte. Der Versuch gelang bei dem Exemplar, das Ende April in das gutgedüngte, helle, feuchte Warmbeet gepflanzt wurde. Die Rosette wuchs kräftig und bildete im Juli eine nur kurze Infloreszenz, die anfangs ganz normale Biüten erzeugte. Im Laufe des August traten an den Enden aller Wickel statt der Blüten Rosetten auf. Die letzten Vegetationspunkte der Wickel waren also tatsächlich metamorpho- siert (Fig. 2). Die Pflanze wurde während des Winters im Topf 262 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. kalt gehalten, im März 1903 wieder in das Warmbeet gesetzt; die Fig. 3 gibt ihren jetzigen Zustand wieder, in dem sie überwintert. Im typischen Falle stirbt die ganze Pflanze nach der Fruchtreife ab; die Infloreszenzen leben nur in den Sommermonaten eines Jahres. Infolge der Metamorphose, des Wachstums und der Ernährung der Rosetten an den Enden der Zweige ist die sonst so rasch ver- gängliche Infloreszenz mehrjährig geworden; Hauptachse und Neben- achsen haben sich verdickt und stärker verholzt — es wird sich zeigen, wie lange sich ihr Leben erhalten lässt. Sempervivum Funkii. Rosette seit 29. April 1902 im Warmbeet hell, feucht kultiviert; gez. am 28. August 1902. Im Sommer 1903 wurde der gleiche Versuch mit Erfolg ın einer anderen Weise ausgeführt. Vor der Streckung stehende Exemplare von S. Funkii wurden während 14 Tagen im dunklen Thermostaten bei 30° angetrieben und darauf feucht und hell ge- stell. Auch hier zeigten sich an den Infloreszenzarmen zuerst normale Blüten, dann vegetative Rosetten. Dabei beobachtete ich charakteristische Mittelbildungen, Knospen, die anfangs Rosetten- blätter zeigten und dann noch eine kleine Blüte besaßen. Gerade diese Zwischenformen von Rosette und Blüte lehren, dass tatsäch- lich der Vegetationspunkt einer eymösen Achse teilweise oder ganz zur Rosettenbildung übergehen kann. Bei der völligen Metamor- Klebs, Uber Probleme der Entwickelung. ö 263 phose wird er aus einem Gebilde von eng begrenztem Wachstum zu einem solchen mit unbegrenztem Wachstum. Eine solche Metamorphose scheint hier und da, wenn auch sehr selten, aus bisher unbekannten Gründen einzutreten. Penzig er- wähnt in seiner bekannten Pflanzen-Teratologie (Il S. 469), dass Masters bei nicht näher bestimmten Sempervivum-Arten an Stelle Fi P} 12. Br Sempervivum Frunkii, Die gleiche Pflanze wie in Fig. 2 am 20. Dezember 1903 photo- graphiert. Einer der Arme der ursprünglichen Infloreszenz kurz vorher abgeschnitten. Hauptachse verdickt und verholzt, ebenso die beiden Scheinachsen der früheren Wickel. von Blüten Blattrosetten beobachtet hat, welche abfielen und aus: trieben. Bei einer anderen Crassulacee, Sedum dasyphyllım, scheint nach Kerner (Pflanzenleben II S. 758) die Bildung von Rosetten an Stelle von Blüten häufiger vorzukommen. Bei der typischen Entwickelung gehen die Stengelblätter an der Hauptachse der Infloreszenz ebenso wie die Rosettenblätter nach der Blütezeit zugrunde, und die dazu gehörigen Stengelteile 264 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. verändern sich nicht weiter, bis sie absterben. Aber eine innere Notwendigkeit bedingt nicht dieses Verhalten. Denn wenn man blühreife Rosetten von S. Funkii in einem feuchten Gewächshaus, z. B. einem Viktoriahaus zur Entfaltung kommen lässt, so entstehen, neben den gipfelständigen Wickeln, in den Achseln sämtlicher sonst steriler Stengelblätter Blüten. Nun war vorauszuschen, dass diese Bildung viel leichter und kräftiger vor sich gehen werde, wenn man die gipfelständigen Infloreszenzzweige vor der Blütenentfaltung abschneidet. In der Tat entstehen dann aus allen Achseln Blüten, oder besonders an den obersten Blättern Blütenzweige. Nach den vorhin erwähnten Erfahrungen mussten aber ebensogut an Stelle der Blüten Rosetten auftreten. Ich bewirkte das, indem ich die noch in Streckung befindliche Infloreszenz köpfte, die Pflanze 14 Tage hindurch ım Thermostaten bei 30° kultivierte und dann hell und feucht stellte. Eine sehr lebhafte Entwickelung von Rosetten fand ın den Achseln der Stengelblätter statt, besonders an den tiefer stehenden. Noch auf einem anderen Wege suchte ich die Lebenstätigkeit der Hauptachse zu steigern. Ich kultivierte blühreife Rosetten kurz vor der Streckung auf anorganischer Nährlösung verschiedener Konzentration (0,1 bis 2°/, Knop’scher Lösung). Die Infloreszenzen entfalteten sich ganz normal, die Stengel- und Rosettenblätter blieben lange auffallend frisch. Die Exemplare auf 1 und 1,5°, Lösung wurden unter einer Glocke im hellen Licht weiter beobachtet. Es entstanden in den Achseln der Stengelblätter Blüten, die sehr mannigfache Übergangsformen zu locker beblätterten Sprossen oder direkt zu Rosetten aufwiesen und sich zugleich durch eine sehr große Variabilität in den Zahlenverhältnissen ihrer Glieder aus- zeichneten. Durch die Kombination von starker anorganischer Er- nährung, hellem Licht und mäßig feuchter Luft wurden solche Zwischenformen hervorgerufen. Die Rosettenblätter blühender Pflanzen erzeugen der Regel nach nicht Ausläufer ın den Achseln, wie es dıe nicht blühenden Rosetten tun. An dem Standort des Gartens sind die Blätter meistens abgestorben, wenn die Blütezeit beginnt. Es war von vornherein klar, dass dieses Verhalten nur von den zufälligen äußeren Einflüssen abhing und sicher zu verändern war. Jene Pflanze von 8. Funki, die von März bis Juni 1903 im Warmbeet gewachsen war und dann in sandigem Boden hell und trocken kultiviert wurde, bildete Anfang August an der auffallend großen Rosette eine sehr reich blühende Infloreszenz. Neben fünf endständigen Wickeln zeigten sich an der Hauptachse bis zu ihrer Basıs Blüten und Blütenwickel, so dass ich im ganzen 17 mehr- blütige Zweige zählte an Stelle der sonst üblichen drei oder vier. Ich schnitt die ganze Infloreszenz bis zur Basıs ab und stellte die Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 265 alte, noch frische Rosette in helles Licht. Das vorhandene große Reservematerial ermöglichte es, dass in den Achseln aller Rosetten- blätter neue Bildungen entstanden, die einen verschiedenen Cha- rakter trugen. Neben jungen echten Rosetten fanden sich solche vor, die mit einer normalen Blüte endigten, und außerdem aus- läuferartige Sprosse, die horizontal wuchsen, dann aber an ihrem Ende Blüten erzeugten. Die Blütezeit dauerte bis Mitte November. Also auch die Achseln der Rosettenblätter sind im stande, die ver- schiedenartigen Sprossformen zu entwickeln, deren die Pflanze über- haupt fähig ıst. Ich erinnere dabei an eine von Irmisch (1860 S. 88) zufällig gemachte Beobachtung bei Sempervivum soboliferum, bei dem die frisch entstandenen kleinen Rosetten sofort eine Blüte hervorbrachten. Die nicht blühenden Rosetten, die entweder noch nicht blüh- reif sind oder während des Sommers zu kräftig und gleichmäßig ernährt worden sind, bieten je nach den äußeren Bedingungen mannigfache Variationen in der Gestalt und Lage der Blätter u. s. w. dar. Bei mehrwöchentlichem Aufenthalt im Dunkeln oder im Licht bei großer Feuchtigkeit streckt sich die Rosettenachse oft nicht viel mehr als in der freien Natur, wo sie im Laufe eines Sommers kaum 1 em an Länge zunimmt. Eine stärkere Streckung und Ver- dickung der Achse erfolgte bei den Pflanzen im Warmbeet, in dem einige Exemplare in einem Sommer um 4—6 em länger wurden. Noch auffallender beobachtete ich eine deutliche Streckung ohne Beziehung zur Infloreszenzbildung, als ich nicht blühreife Rosetten ın einem Gewächshaus aus hellem rotem Glas (Absorbtion von Blau-Violett, sehr starke Dämpfung des Grüns) kultivierte. Das Glashaus stand frei und hell beleuchtet (Vormittag direkte Sonne) im Garten. Bei Mangel an blau-violettem Licht und der relativ feuchten Luft verlängerte sich die Rosette von 8. Funkii während sechs Monaten um 8,5 cm ohne Ausläufer zu bilden. Die Blätter epinastisch gekrümmt, bildeten dabei stets an der Spitze eine dichte Rosette, während die alten langsam absterbenden Blätter die Achse einhüllten. Trotz der Streckung war hier der Charakter einer Rosette doch bewahrt geblieben. Die Rosette von 8. Reginae- Amaliae erneuerte sich in gleicher Zeit, ohne deutliche Streckung ihrer Achse. Aus den geschilderten Beobachtungen und Versuchen ergibt sich, dass folgende Formen der Entwickelung bei Semperwinum Funkit experimentell erreichbar sind; die praktisch wirksamen Be- dingungen gebe ich für jeden Fall kurz an: I. Die Rosette bildet im Laufe des Sommers eine mit kleinen sterilen Blättern besetzte Infloreszenzachse, die neben ihrer Gipfel- blüte 2—-4 Blütenwickel trägt; die ganze Pflanze stirbt nach der Fruchtreife ab. 266 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Ernährung in hellem Licht, relativ trocknem Boden und trockner Luft sowohl das Jahr vorher wie ım Jahre des Blühens. II. Die Rosette wächst als solche langsam weiter und bildet kurze Ausläufer mit jungen Rosetten. Ernährung in hellem Licht, feuchtem, gut gedüngtem Boden bei mäßıg feuchter Luft. III. Die Rosette streckt sich stärker in die Länge, bildet dabei keine Ausläufer und trägt an der verlängerten Achse dicht stehende Laubblätter. Ernährung in hellem rotem Licht bei relativ feuchter Luft, mäßıg gedüngtem Boden. IV. Die Rosette bildet emen gestreckten, mit kleinen locker stehenden Blättern besetzten Stengel (Infloreszenzachse), der an der Spitze eine neue Rosette erzeugt. Antreiben blühreifer Rosetten ım Herbst, Winter oder erstem Frühjahr durch mittlere (18—22°) oder höhere (30°) Temperatur im Dunkeln oder bei mittlerer Temperatur im Licht und sehr feuchter Luft, dann Kultur im Licht, mäßig feucht. V. Die Rosette bildet eine blühende Infloreszenz, an der zu- letzt an Stelle der Blüten Rosetten entstehen. Kultur einer kurz vor der Streckung stehenden blühreifen Rosette in sehr günstigen Ernährungsbedingungen oder nach Aufenthalt bei 30° im Dunkeln, in hellem Licht, feuchter Luft. VI. Die Rosette bildet einen gestreckten, mit kleinen Blättern besetzten Stengel (Infloreszenzachse), der als solcher während des ganzen Sommers fortwächst. Kultur blühreifer Rosetten in blau-violettem Licht. VII. Die Hauptachse der Infloreszenz bildet in den Achseln ihrer sonst sterilen Blätter 1. Blüten oder 2. Rosetten oder 3. Zwischenformen beider. Kultur blühreifer Rosetten für 1. in feuchter Luft, hell, für 2. zuerst dunkel bei 30°, dann hell und sehr feucht, für 3. bei starker Ernährung mit Nährsalzen hell und feucht. VII. Die Hauptachse der Infloreszenz wie die Wickelschein- achsen werden nach Bildung endständiger Rosetten (s. Nr. V) zu mehrjährigen, sich verdickenden Stengelorganen. Nach der Metamorphose (Nr. V) Kultur unter sehr günstigen Ernährungsbedingungen. IX. Die bereits blühenden Rosetten bilden in den Achseln ihrer Blätter direkt Blüten oder Rosetten mit und ohne Blüten oder blühende plagiotrope Ausläufer. Nach vorhergehender sehr kräftiger Ernährung Entfernung der bereits blühenden Infloreszenz, Kultur hell und trocken in der zweiten Hälfte des Sommers. Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. 267 X. Die plagiotropen Ausläufer wachsen, anstatt Rosetten (Nr. II) oder Blüten (Nr. IX) zu bilden, als einfache Stengel weiter. Kultur vorher kräftig ernährter, nicht zum Blühen kommen- der Rosetten in blau-violettem Licht. Mit diesen Beobachtungen sind die Möglichkeiten der Ent- wickelung, die in der spezifischen Struktur solcher Sempervirum- Arten wie Funkii vorhanden sind, jedenfalls noch lange nicht er- schöpft. Ebensowenig sind die Angaben über die praktisch wirksamen Bedingungen für die einzelnen Entwickelungsformen als alleın gültig aufzufassen. Denn sicherlich wird es gelingen, manche dieser Formen noch auf anderen Wegen herbeizuführen. Jahrelang fort- gesetzte Kulturen unter den denkbar mannigfaltigsten Kombinationen der äußeren Bedingungen, die teils direkt auf eine bestimmte Pflanze, teils indirekt auf die der vorhergehenden Generation ein- wirken, werden uns erst Aufschluss geben können, in welchem Umfange der Entwickelungsgang veränderlich ist. Ich hoffe später selbst auf diese Frage zurückzukommen und will nur zum Schluss kurz erwähnen, dass außer bei Sempervivum-Arten die Unter- suchung anderer Urassulaceen, wie Umbileus arxoon, Sedum specta- bile, dendroideum besonders für die Metamorphose der Infloreszenzen zu erfolgreichen Ergebnissen führte. Literatur. W. Brenner, Untersuchungen an einigen Fettpflanzen. Inaug.-Diss., Basel 1900. W. Eichler, Blütendiagramme I, Leipzig 1875. Th. Irmisch, Über einige Crassulaceen. Bot. Ztg. 1860. A. Kerner von Marilaun, Pflanzenleben Bd. II, Leipzig und Wien 1891. G. Klebs, Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen, Jena 1903. O. Penzig, Pflanzen-Teratologie I, Gera 1890. J. Wiesner, Formveränderungen von Pflanzen bei Kultur im absolut feuchten Raum und im Dunkeln. Ber. d. d. bot. Gesellsch. 1591. (Schluss folgt.) Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden (Enteroxenos östergreni). Aus einem Vortrag, gehalten in der biologischen Gesellschaft zu Kristiania, 3. Dezember 1903. Von Kristine Bonnevie, Universitätskonservator. In dem Folgenden werde ich mir erlauben, eine vorläufige Mitteilung zu geben über die Umbildung der Spermien beı einer hermaphroditen, parasitisch lebenden Gasteropode, Enteroxenos östergreni. Meine Resultate über diesen Punkt bilden ein Kapitel einer größeren Untersuchung, welche die Generationszellen dieses Tieres von ihrem ersten Auftreten und, soweit wie möglich, durch alle Stadien ihrer Entwickelung behandeln wird. Ich werde bei 268 Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. dieser vorläufigen Mitteilung nicht versuchen, eine Übersicht über die frühere Literatur!) zu geben, werde jedoch, nachdem ich die Spermiogenese so vorgeführt habe, wie sie aus meinen Präparaten hervorgeht, die früheren Untersuchungen auf diesem Gebiete be- Fig. 1. zZ BRD \ ARE Be \ f ü E rühren, insoweit sie mit meinen Resultaten direkt in Berührung kommen. Zu meinen Untersuchungen habe ich Ma- terial benutzt, das auf verschiedene Weise fixiert war: Sublimat — Eisessig, Zenker's und Flemming’s Flüssigkeiten —, beide teil- weise mit Nachbehandlung nach Benda’s Me- thode (Acetum pyrolignosum X Kal. bichrom). — Außer Färbung mit Eisenhämatoxylin habe ich auch Flemming’s Dreifachfärbung benutzt (Saffranin, Gentianaviolett Orange) und Ben- da’s Mitochondriefärbung. Die besten Resultate wurden mit Fixation in Zenker’s und besonders in Flemming’s Flüssigkeit mit Nachbehandlung nach Benda und Färbung in Eisenhämatoxylin erreicht. — Außerdem erwies sich eine Beobachtung des lebenden Materials als absolut notwendig. Selbst in dem am besten fixierten Material war die Form der Spermien teilweise verändert und ın dem mit Sublimat-Eisessig fixiertem eine sehr bedeutende Schrumpfung eingetreten. Die lebenden, vollständig entwickelten Spermien sind lang fadenförmig (Fig. 1), ihr vorderster Teil wird von einem stark licht- brechenden Kegel gebildet, der den Kopf der Spermien repräsentiert, mit einem langen spitzen Perforatorıum. Hinter diesem Kegel findet man eine schmale zylinderförmige Partie von unge- fähr derselben Länge, das Mittelstück der Sper- mie, aus einer körnigen Substanz bestehend. Durch das ganze Mittelstück erstreckt sich ein feiner, lichtbrechender Faden, der Achsen- faden, der sich an dessen hinterstem Ende ın einen sehr langen Schwanzfaden fortsetzt. — Kopf und Mittelstück sind miteinander durch einen kurzen Hals verbunden, der bei den lebenden Spermien wenig hervortritt, wenn der Kopf nicht, wie auf Fig. 1b, gegen das Mittel- 1) Eine Literaturübersicht findet man bei Meves: Struktur und Histogenese der Spermien. Ergebn. Anat. und Entw.-Gesch. Bd. XI, 1901. Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. 969 stück hin umgebogen ist. Solche Bilder waren oft in dem lebenden Material zu sehen; hier tritt die Halspartie deutlich hervor, als ein aufgeschwollenes Glied zwischen Kopf und Mittelstück. Wir wollen nun die Entwickelung der Spermien verfolgen, vom Ausgange aus der letzten Spermatozytenteilung bis zu dem Stadium, das wir in Fig. 1 betrachtet haben, wo ihre Umwandlung vollendet ist. Fig. 2 zeigt eine junge Spermiezelle gleich nach der letzten Spermatozytenteilung. Man sieht hier den stark angeschwollenen Kern, worin das Chromatin wesentlich längs der Peripherie sich angesammelt hat. Zwischen dem Kern und der Zellmembran sieht man zwei Zentralkörnchen, deren Verbindungslinie senkrecht auf der Oberfläche der Zelle steht. Die Zentralkörnchen sind von einer "Fig. 2. Fig. 3. Fig. 2—4. Drei Stadien der Umwandlung der Spermien bei Einteroxenos östergreni. M Mitochondrien; © Centrotheka. Sphäre umgeben, die etwas dunkler gefärbt ist wie das übrige /Zytoplasma. Meves hat diese Sphäre als charakteristisch für ruhende Samen- zellen nachgewiesen, und er hat für sie den Namen Centrotheka') vorgeschlagen (früher Idiozom). Endlich sieht man die Centrotheka von einer einigermaßen regelmäßigen Schicht von kleinen dunkelgefärbten Körnchen um- geben, die nach ihrem Verhalten bei den Spermatozytenteilungen unzweifelhaft als Mitochondrienkörnchen anzusehen sind. In Fig. 2 sieht man keinen Spindelrest, doch kommt es oft vor, dass der Teil der Spindel, der zwischen zwei neugebildeten 1) Meves, Fr.: Über oligopyrene und apyrene Spermien und über ihre Ent- stehung, nach Beobachtungen an Paludina und Pygaera. Arch. mikr. Anat. Bd. 61, 1902. 270 Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den, Gastropoden. Spermien ‚liegt, in längerer Zeit während der Entwickelung er- halten bleibt (bis zu Stadien wie in Fig. 3 und 4), vermöge dieser fortdauernden Verbindung zwischen den Zellen kann man feststellen, dass der hintere Pol der Spermien, d. h. die Stelle, wo die Zentralkörnchen sich befinden, nicht identisch ist mit den Polen der Mutterzelle; die Zentralkörnchen haben sich etwas ent- fernt — doch selten mehr als den vierten Teil des Umkreises der Zelle —, von der Stelle, wo das Mutterzentrosom bei der Spermato- zytenteilung lag. Fig. 3 zeigt ein etwas späteres Stadium. Die Chromatinmasse des Kerns hat, nachdem sie erst längs der Peripherie abgelagert war, sich nun in der einen Hälfte des Kerns gesammelt, der gegen, die Zentralkörnchen gewandt ist. Hier verliert das Uhromatin nach und nach seine Färbbarkeit und es scheint, dass es in eine halb fließende Masse übergeht, in welcher doch einzelne stärker gefärbte Körnchen längs der Kern- membran zu sehen sınd, speziell in der Nähe der Zentralkörnchen. — Die Zentralkörner sowohl als ihre Umgebungen haben sehr wesent- liche Veränderungen erlitten. Von dem distalen Zentralkorn, welches nun stäbchenförmig verlängert ist, ragt ein dünnes Fädchen hinaus über die Oberfläche der Zelle. Dieses bildet die Anlage des Schwanz- faden der Spermie. Das proximale Zentralkorn dagegen hat sich in zwei’ geteilt, deren Verbindungslinie parallel mit der Zellmem- bran ist, oder senkrecht auf die Längsrichtung des distalen Zentral- körnchens. Dies nimmt immer ın der Länge zu, indem es seine Verbin- dung mit der Zellmembran und dem extrazellularen Fädchen be- hält und wächst bald zwischen die beiden Teile des proximalen Zentralkörnchens hinein (Fig. 4) und weiter hin zur Kernmembran. Die Uentrotheka oder vielleicht nur ein Teil davon entfernt sich von dem hinteren Pol der Spermie und beginnt eine Wande- rung längs der Oberfläche des Kerns bis an dessen vorderen Pol, wo sie nach und nach zum Perforatorium der Spermie umgebildet wird (s. Fig. 3—10 ©). Auf der Oberfläche der Öentrotheka sieht man während ihrer Wanderung stets einige stark gefärbte unregelmäßig geformte Körnchen, die später (Fig. 7) eine mehr regelmäßige An- ordnung auf der Oberfläche des Perforatorıums annehmen. Bei der letzten Entwickelung desselben verlieren sie vollständig ihre Färbbarkeit (Fig. S—11). Inzwischen nımmt das Volumen des Kerns stark ab, sei es nun, weil er Flüssigkeit an das Zytoplasma abgibt, oder weil sein Inhalt seine chemische Beschaffenheit verändert. Schließlich wird der Kernraum vollständig ausgefüllt von der nun homogenen Chromatinmasse (Fig. 5—6). In diesem Zustande (Fig. 6) nimmt der Kern seine endliche schmal ovale Form an, zugleich be- Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. | einnt wieder eine Verdichtung des Chromatins, besonders längs der Oberfläche der Kerns (Fig. 7—9). (Der Unterschied ın der Form und dem Aussehen des Kerns, zwischen Fig. 7—-9 und Fig. 10—11 beruht nicht auf einer weiteren Entwickelung desselben, sondern auf der verschiedenen Art der Behandlung. Fig. 7—9 sind nach Präparaten gezeichnet, welche in der Zenker’schen Flüssigkeit fixiert und mit Eisenhämatoxilin gefärbt waren; das Material dagegen, welches den Fig. 10—11 zugrunde liegt, ıst in der Flemming’schen Flüssigkeit fixiert und nach der Benda’schen Methode gefärbt.) Fig. 5—7. Fortsetzung der Entwickelung der Spermien bei Jinteroxenos östergrent. M Mitochondrien ; Ü Centrotheka. Während Kern und Gentrotheka so ıhre Entwickelung vollendet haben, sind inzwischen auch wichtige Veränderungen an dem hin- teren Pol der Spermie vor sich gegangen. Das distale Zentralkörnchen dringt unter fortgesetztem Längen- wachstum in den Kern hinein, wo es leicht zu beobachten ist, bis die Färbung des Uhromatims sich so stark steigert, dass man nichts mehr in ihm sehen kann. Die stäbchenförmige Bildung, die aus dem distalen Zentralkörnchen hervorgegangen ist, entwickelt sich zum Achsenfaden des Mittelstückes. An der Stelle, wo dieser die Kernmembran passiert, zeigt sich immer eine stark gefärbte Platte, die senkrecht auf die Längsrichtung des Achsenfadens steht, so dass das Ganze das Aussehen eines Kreuzes bekommt (Fig. 6). Ich kann nicht mit völliger Sicherheit entscheiden, ob diese Platte durch eine Verdichtung der Kernsubstanz entstanden oder ob sie vom 272 Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. Achsenfaden herausgewachsen ist, doch neige ich mehr zu der ersten Annahme, da man auf allen Stadien, selbst vor dem Ein- dringen des Zentralkörnchens, stark gefärbte Partien gerade an dieser Stelle der Kernmembran findet (Fig. 4 u. 5). Das Längenwachstum des distalen Zentralkörnchens zeigt sich doch nicht alleın bei seinem Eindringen in den Kern, sondern auch der Teil desselben, der ım Zytoplasma liegt, nimmt stark an Länge zu. Eine Folge davon ist, dass der Abstand des Kerns von dem hinteren Pol der Spermie immer vergrößert wird, mag es nun durch ein Verschieben des Kerns nach vorn in der Zelle geschehen, oder durch eine Zytoplasmaströmung gegen den hıntersten Pol derselben hin. Das letzte ist das wahrscheinlichste, viele Bilder zeigen näm- lich, wıe die Zelle in diesem Stadium ıhre Form verändert, indem das Zytoplasma in eine Spitze um die Basıs des Achsenfadens herum ausläuft (s. Fig. 7). Wichtige Veränderungen sind inzwischen mit dem proximalen Zentralkorn vorgegangen. Wir verließen es ın einem Stadium, wo es sıch ın zwei kleine Körnchen geteilt hatte, welche zu beiden Seiten des Achsenfadens lagen. In diesem Entwickelungszustande sieht man oft ein feines Fädchen zwischen den Körnchen ausge- spannt und etwas später zeigen sich anstatt der zwei Körnchen deren viere; sie sind untereinander mit feinen Fädchen verbunden und bilden auf diese Weise einen Ring, oder richtiger bezeichnet ein Viereck, welches um den Achsenfaden herum ausgespannt liegt, senkrecht auf die Längsachse desselben (Fig. 5). Ich sehe dieses kleine Viereck als homolog an mit dem Ring, der während der Spermiogenese bei so vielen anderen Tierformen nachgewiesen ist, und der Kürze wegen benenne ich die vier Körnchen auch hier als „Ringkörner“. Bald sieht man auch feine Fädchen ausgespannt zwischen jedem der vier Körnchen und dem Fußpunkt des Achsen- fadens, so dass das Fadensystem nun eine vierseitige Pyramide bildet, deren Basis, von dem genannten Viereck gebildet, sich nach einwärts gegen den Kern wendet, während die Spitze der Pyramide in der Zellmembran liegt, auf der Stelle, wo der Achsenfaden des Mittel- stückes in den Schwanzfaden übergeht. Endlich wird auch eine Verbindung geknüpft, zwischen jedem der Ringkörner und der Kernmembran. Hier treffen die Fädchen doch nicht in einem Punkt zusammen, sondern werden an der Kernmembran befestigt, in einen gewissen Abstand von dem Ein- trittspunkt des Achsenfadens, — an dem äußersten Rand der dunkelgefärbten Platte um diesen Punkt herum. Ich kann nicht mit Bestimmtheit entscheiden, wie und aus welchem Material dies System von Fädchen entsteht; zwei Mög- lichkeiten lassen sich denken, — entweder dass die Fädchen aus den vier Ringkörnern hinauswachsen, also durch eine Umbildung Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. 973 des Materials, das sich in diesen vorfindet, oder sie sind als Zytoplasmaprodukte zu betrachten. Dies letztere scheint mir als die wahrscheinlichste Annahme, erstens weil keine Abnahme im Volumen der Körner während der Bildung der Fädchen sıcht- bar ist und auch, weil das Fädchensystem bei weitem nicht so stark gefärbt wird wie die Zentralkornsubstanz. Aber vorausgesetzt, dass die Fädchen eine Zytoplasmabildung sind, sehe ich es doch nicht als zweifelhaft an, dass sie infolge einer Einwirkung der Ringkörner auf dieses entstanden sind. Die längsgehenden Fädchen, die sich zwischen der Kernmembran auf Fig. 8. Kıoa9: Fig. 10. Biel: Fig. S—-11. Fortsetzung der Entwickelung der Spermien bei Einteroxenos östergreni. H Hals, M Mittelstück, $ Spiralfaden. der einen Seite und dem Fußpunkt des Achsenfädchens auf der anderen erstrecken, sind in ihrem Verlauf absolut abhängig von den Ringkörnern; der gegenseitige Abstand derselben kann etwas verschieden sein, — das kleine Viereck kann sich dicht an das Achsenfädchen anschließen, oder es kann etwas mehr offen sein; aber immer passieren die Fädchen durch die Körner. Vielleicht sind sie durch ein Zusammenwirken zwischen den beiden ursprüng- lichen Zentralkörnern entstanden, indem ja die Fädchen mit ihrem einen Ende an die vier Ringkörner befestigt sind, die von dem proximalen Zentralkorn stammen und mit dem anderen an, oder ın einem bestimmten Verhältnis zu, den beiden Endpunkten des distalen Zentralkorns stehen. XXIV. 18 274 Hennings, Zur Biologie der Myriopoden IT. Das System von Fädchen, dessen Entstehung wir eben verfolgt haben, zeigt sich als eine Art Hülle oder, richtiger bezeichnet, als ein Gitterwerk, das das Achsenfädehen umgibt. Solange noch der Achsenfaden wächst, nimmt auch das Fadensystem an Länge zu, indem die Fädchen immer ihre ursprünglichen Insertionspunkte behalten. Die Ringkörner behalten doch immer ihren ursprüng- lichen Abstand vom Kern; und der Längenzuwachs geschieht so ausschließlich ım distalen Teil des Systems. Auf Querschnitten durch Stadien wie Fig. 7, zeigt es sich, dass die Fädchen in Wirklichkeit nicht getrennt sind, dass aber zwischen ihnen ein dünnes Häutchen ausgespannt ist; das Zyto- plasma ist durch dieses Häutchen ın zwei Partien geteilt, — von denen die innere, die das Achsenfädchen umgibt und den Raum innerhalb des Häutchens ausfüllt, etwas mehr homogen ist, oft ein wenig heller gefärbt als die äußere. Wenn der Längenzuwachs vollendet ist, nehmen auch die Ring- körner ihre endliche Stellung ein: sie schließen sich dichter um den Achsenfaden und man kann sie nun nicht länger als getrennte Körner sehen, sondern als eine geschlossene ringförmige Platte, die in einem gewissen Abstand hinter dem Kern das Achsenfädchen umschließt. Diese Platte bildet die Grenze zwischen den Hals der Spermie und dem Mittelstück (s. Fig. 8—9), und diese beiden Teile sind nach dem obenstehenden von einer „Umhüllungsmembran“ bedeckt, die mit den Ringkörnern in genetischem Zusammenhang stehen. Der Hals hat auf diesem Stadium seine volle Entwickelung erreicht, aber die Entwickelung des Mittelstückes ist noch nicht zu Ende; ehe wir aber diese weiter verfolgen, müssen wir doch das Verhalten des Zytoplasmas und speziell der Mitochondrien etwas genauer betrachten. (Schluss folgt.) Zur Biologie der Myriopoden II. a) Bemerkungen über Glomeris margimata Villers. b) Geruch und Geruchsorgane der Myriopoden. Von Dr. Curt Hennings. (Schluss.) b) Geruch und Geruchsorgane der Myriopoden. Die Frage nach dem Sıtz des Geruchssinnes bei den Arthro- poden wurde seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 19. eifrig ventiliert. Dabei standen sich zwei Anschau- ungen diametral gegenüber: die einen glaubten den Antennen die Funktion des Riechens vindizieren zu müssen, die anderen gingen auf Grund der Befunde bei den Wirbeltieren von der vorgefassten Ansicht aus, das Geruchsorgan müsse mit den Atmungsöffnungen Hennings, Zur Biologie der Myriopoden Il. 375 vereint sein und kommen zu dem Schluss, nur die Stigmen der Tracheen könnten der Sitz des Geruchs sein. Der erste, der meines Wissens die Myriopoden ın den Kreis exakter Experimente zog, war Duges (1). In seinem traite de physiologie comparde sagt er T. I p. 160: „jexposai au goulot d’une fiole eontenant de l’alcool, de la terebinthine, de l’ether, la tete d’une scolopendre, les antennes A l’instant se contracterent, se roulörent en spirale.“') Auf ein anderes Experiment: er näherte dem Hinterleib eines dekapitierten Scolopender stark riechende Sub- stanzen und erhielt eine lebhafte Reaktion, legt er kein Gewicht und memt: obwohl die Myriopoden schädliche oder störende Ele- mente in der Luft mit ihren Atmungsorganen empfinden können, sind doch als Geruchsorgane nur die Antennen anzusehen. — Auf die Versuche anderer Autoren über diesen Gegenstand hier näher einzugehen, erübrigt sich, da einerseits die Myriopoden gar nicht oder doch nur nebenbei beachtet wurden, andererseits die ein- schlägige Literatur bei Perris (4) und Kräpelin (2) erschöpfend aufgeführt wird. Auf anatomisch-histologischem Gebiet seien hier folgende Ar- beiten, die sich speziell mit den Tausendfüßlern befassen, genannt: Leydig (3), der die Ausdrücke Geruchskegel und -zapfen einführte, ferner Sazepin (6) und vom Rath (5). Die Frage nach dem Geruchsorgan der Myriopoden schien ım Sinne Duges’ erledigt, bis die Tömösvary’schen Organe aufge- funden wurden und nun einige Forscher, so z. B. Zograff (8) beı Glomeris und Vogt-Yung (7) bei Lithobius in ihnen den Sitz des Geruchssinnes entdeckt zu haben meinten. Um einige Klarheit in diese von neuem entbrannte Kontroverse zu bringen und gleichzeitig etwas über die Intensität des Geruchs, die bisher noch gar nicht beachtet wurde, zu erfahren, habe ich längere Zeit hindurch mit folgenden Vertretern der Gruppe experi- mentiert: Glomeris marginata Villers, Polydesmus complanatus (L.), Polyzonium germanicum Brdt., Schixophyllum sabulosum (l..), Pachyiulus unicolor C. Koch, Lithobius forficatus L., Oryptops hor- tensis Leach, Geophilus linearis ©. Koch. 1. Ausführung der Experimente. Die Art und Weise, wie bisher Riechexperimente bei Arthro- poden angestellt wurden, sind meiner Meinung nach stets mit zu starken Eingriffen in die Lebensgewohnheiten der Versuchsobjekte verbunden gewesen, jedenfalls glaube ich, dass einwandfreie Re- sultate niemals erzielt werden können, wenn man, wie Duges (]. ce.) den Kopf eines Tieres in den Hals einer mit Riechstoffen gefüllten Flasche steckt, oder wie Perris (l. e.) die Tiere auf eine Nadel 1) Zitiert nach Perris (4). 18* 76 Hennings, Zur Biologie der Myriopoden IT. spießt, um die mehr zufälligen Bewegungen auszuschalten. Ich richtete daher meine Bemühungen vor allem darauf, dem Tier seine natürlichen Lebensbedingungen, soweit irgend möglich, zu erhalten. Zunächst darf das Licht nicht zu grell sein und niemals von einer eng- begrenzten Stelle einfallen, sondern muss matt und diffus das ganze Untersuchungsfeld erhellen, denn die Myriopoden sind sämtlich äußerst lichtempfindlich. Dann ist es, wenn man die Wirkung un- angenehmer Gerüche konstatieren will, wichtig, so lange abzuwarten, bis das zu prüfende Tier beim Herumlaufen sich für eine bestimmte Richtung entschieden hat. Sobald dies der Fall war, hielt ich ihm einen mit der betreffenden Flüssigkeit getränkten Pinsel in den Weg: heftiges Zittern der Antennen, Erheben des Vorderkörpers und Abschwenken nach rechts oder links waren dann der Beweis dafür, dass eine Geruchswahrnehmung stattgefunden hatte. — Die Entfernung, in welcher ein Riechstoff zuerst wahrgenommen wird, will ich der Kürze halber mit Geruchsweite bezeichnen. Ich glaube nun, folgendes annehmen zu können: ein Tier, das bei einer Länge von 1 cm für einen bestimmten Riechstoff die Geruchsweite von !/, cm zeigt, besitzt ein ebensogut funktionierendes Geruchsorgan wie ein ihm nahe verwandtes Tier von 10 cm Länge, dessen Geruchsweite für denselben Riechstoff 5 cm beträgt: ch möchte daher unter Geruchsintensität das Verhältnis der Geruchs- ' weite zur Körperlänge verstehen; diese würde also in dem ange- zogenen Beispiel in beiden Fällen 1/, betragen. Über die im folgenden gegebenen Jahlen sei bemerkt, dass sıe die Geruchsweite in ee darstellen. Von meinen über das Vorhandensein und die Stärke des Geruchssinnes angefertigten Ta- bellen wähle ich stets nur die von sechs verschiedenen Tieren (a—f) derselben Spezies aus, um nicht zuviel Zahlen zu geben. 2. Wirkung unangenehmer Gerüche auf Tiere mit und ohne Fühler. Über die Anlockung durch Gerüche berichte ich unter 4.; cha- rakteristischer scheint mir aber die Abschreckung durch unange- nehme Gerüche zu sein, vor allem ist diese allein zahlenmäßig darstellbar und deshalb möge sie hier an erster Stelle Platz finden. Sollten nun die Antennen, und nur diese allein, Träger des (Greruchssinnes sein, so müsste ıhr Verlust den Tieren auch die Riechfähigkeit nehmen. Dass dies in der Tat der Fall ıst, lässt sich experimentell nachweisen. Erwähnt sei, dass die Amputation der Fühler meist recht gut vertragen wird, wenn man die Tiere durch Chloroform etwas betäubt und die Wunde mit Collodium sofort verschließt, um ein Verbluten zu verhindern; ich brauchte jedoch die Vorsicht, erst 8—14 Tage zu warten, ehe ich mit den Amputierten experimentierte. Tabelle IT’). Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. 277 Glomeris marginata, Länge 1,5 em; unverletzt. Nelkenöl Terpentin . Xylol Essigsäure Ammoniak Chloroform Tabelle Ia. | | b eaedeize f | al || lat) alsy. Wake: 18 0218 195 0202 022 HERZ 18 | 19 | 16 29 | 32 | 26 | 28 | 29 20, 7.199 2252 82021021 35 | 70 | 73 | 80 | 79 | Durch- | Geruchs- schnitt | Intensität 15 1 20 1", 17 12 ie 30 2 2 | U (dd) 5 (Glomeris marginata nach Amputation der Antennen. Nelkenöl Terpentin . Xylol Essigsäure . Ammoniak Chloroform Tabelle II. | 2 Durch- a b | C d e f | hnikt T —— == ee — Zn —_— — — [0 0) 0) 0) 0 0 0) I"0» |" 107 [202120 150..16. 0 0 1021202 20220220215.0 0 | 4 3 5) 4 5 | 4 4 7 9 7 s TC 7 1 NT al | 15 15 Lithobius forficatus, 2,5 em; unverletzt. Nelkenöl Terpentin . Xylol Essigsäure . Ammoniak Chloroform >PrUODIDW — o© Durch- | Geruchs- berıac d e f schnitt | Intensität A ea LEN SE is au 2, 28 sy ve 2 ‚laz IE PO 22 2 ia a a en Aa a | 1 ‚ls Tabelle Ha. Lithobius forficatus nach Amputation der Antennen. Nelkenöl Terpentin Xylol Essigsäure . Ammoniak Chloroform 1) Tabelle I öffentlicht. ist bereits | u | Durch- I base di ne ö schnitt 1.0-1.0.160. 0) 0.1.0 ) | 0.102. 1.0,2K20% 0,0 0 | 012.08 20#1,08 7 042.0 0 12 AD 22 12 2 1 0) 1 1 1 1 1 l 2 2 1272 3 2 in meiner (Anmerkung S. 5) zitierten Arbeit Vel- 278 Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. Ich habe hier die Tabellen für Glomeris und Lithobius ange- führt, weil diese unter den Diplopoden resp. Chilopoden zu den Best-riechenden gehören (vergl. Tabellen III--VIII) und die Unter- schiede vor und nach der Amputation sich bei ihnen am deutlichsten dokumentieren; entsprechende Versuche mit den anderen oben- genannten Formen ergeben das gleiche Resultat, doch genügen wohl diese Zahlen zum Nachweis, dass Verlust der Fühler den Ver- lust der Riechfähigkeit zur Folge hat. Dass Essigsäure, Ammoniak und Chloroform auch noch nach der Amputation empfunden wer- den, erklärt sich zwanglos daraus, dass sie eben nicht nur als Riechstoffe wirken, sondern, worauf, wie erwähnt, schon Duges hinwies, auch die Atmungsluft verschlechtern resp. unbrauchbar machen. Für die drei genannten Stoffe nımmt ja überdies die Ge- ruchsweite sehr beträchtlich ab: Bei @lomeris für Essigsäure von 30 auf 4, für Ammoniak von 22 auf 7, für Chloroform von 75 auf 15, bei Lithobius entsprechend von 4 auf 2, von 4 auf 1 und von 6 auf 2, was nur auf die Fühleramputation zurückzuführen ist. 3. Die Haltung der Antennen, anatomischer Befund. In der Haltung der Antennen zeigt sich zwischen den Diplo- poden und Chilopoden ein Unterschied, der, soweit ich die Lite- ratur übersehe, bisher noch nicht beachtet wurde, der mir aber wichtig genug erscheint, um einige Worte darüber zu sagen. Bei den Diplopoden sind die Fühler kurz, in der Regel siebengliedrig und meist winklig gebogen; einem zu untersuchenden Gegenstand werden nur die Endglieder genähert und ich konnte feststellen, dass bei Amputationsversuchen die Entfernung der letzten zwei oder drei Glieder genügen, um jede Geruchswahrnehmung aufzu- heben. Bei den Chilopoden sind die Fühler stärker entwickelt, meist vielgliedrig und fadenförmig: bis auf einige Basalglieder werden sie in ihrer ganzen Länge zur Erforschung der Umgebung verwandt; Amputation der Endglieder hindert nicht die Riechfähig- keit. Am deutlichsten ist dieser Unterschied bemerkbar zwischen Glomeris und Lithobius, und da ıst eine Heranziehung der anato- mischen Befunde der drei genannten Autoren von großem Interesse: Glomeris zeigt die sogen. Geruchszapfen (zarte, mit einem Nerven in Verbindung stehende Chitingebilde ohne Öffnung) am 6. und 7., die für die Diplopoden so charakteristischen Geruchskegel (ähnlich gebaut, aber mit äußerer Öffnung) nur am 7. Fühlerglied; Zithobius besitzt Zapfen an sämtlichen (durchschnittlich in der Zahl von 40 vorhandenen) Gliedern mit Ausnahme der acht Basalglieder. Diese anatomisch-histologischen Verhältnisse erklären aber nicht nur die verschiedene Haltung der Antennen, sondern auch folgende Tat- sache: keines der von mir untersuchten Tiere besitzt Geruchs- Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. IT ig wahrnehmungen an der Basıs der Fühler, weder zwischen ıhnen noch an ihrer äußeren Seite. 4. Anlockung durch Geruchsempfindung. Es ist ziemlich schwierig, Myriopoden durch solche Gerüche anzulocken, von denen man annehmen kann, dass sie ıhnen ange- nehm sein müssen. Besonders groß sind diese Schwierigkeiten bei den Diplopoden, die schon infolge ihrer Ernährungsweise — sie leben von vegetabilen Substanzen — von großer Indolenz zu sein pflegen. Jedoch gelang es mir bisweilen, eine Glomeris marginata, die auf dem Versuchsfeld herumging, durch den Geruch von mo- dernden Blättern und Humus mehrmals hintereinander von ihrem Wege abzulenken. Bei amputierten ist mir dieser Versuch nie geglückt, so dass man wohl kaum eine Unterscheidung durch das (sesicht annehmen kann. Bedeutsamer mag folgendes, Experiment mit Lithobius forficatus sein: in einem Gefäß, dessen Boden ca. 3 cm hoch mit ausgeglühtem Sand bedeckt war, wurden drei unverletzte Tiere und drei fühlerlose isoliert und mussten drei Monate lang hungern. Nach dieser Zeit füllte ich ein Gläschen mit rohem Rindfleisch und vergrub es derartig im Sande, dass seine Öffnung mit der Oberfläche des Sandbodens ın einer Höhe war; um die Öffnung herum wurde ein kleiner Sandwall gehäuft, um ein mehr zufälliges Auffinden nach Möglichkeit zu verhüten. Eine Viertelstunde danach hatten die drei Tiere, die im Besitze der Antennen geblieben waren, das Fleisch gefunden und waren selbst nicht durch intensive Bestrahlung mit grellem Sonnenlicht von ihrer Beute zu vertreiben; die übrigen drei, denen die Fühler amputiert waren, gingen nach einigen Tagen durch Verhungern zugrunde, ohne das Fleisch ge- funden zu haben. Wenn solchen und ähnlichen Versuchen auch nicht die Be- weiskraft zukommt, wie den Experimenten über die Wirkung übler Gerüche vor und nach der Amputation, so können sie doch wohl als eine geeignete Ergänzung derselben gelten. 5. Geruchs-Intensität. Bei der großen Verschiedenheit, die, ganz abgesehen von morphologischen Differenzen in den Lebensgewohnheiten der von mir untersuchten Tausendfüßler zutage tritt, war es von vornherein anzunehmen, dass auch die Stärke der Geruchswahrnehmungen bei den einzelnen Formen verschieden sein werde. Diese Frage nach der „Geruchsintensität* schien mir doch wichtig genug, um die Versuche auch nach dieser Richtung hin zu verfolgen. Ich gebe zunächst die Tabellen: Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. Diplopoden. Tabelle I. Glomeris marginata, Ss. 0. Tabelle II. Polyzonium germanicum; 1,5 cm lang. | Durch- | Geruchs- Bau. cd | a schnitt | Intensität | | Nelkenslaut tr | 4 |. 3.1035 217 54 rn 4 1, Terpenling... | 4, 6.2006 5, |, 59005 ) nl Xylol a LE ee re) ( " & 2/3 Essigsäure. 4... || 12 110%) 11|9|10.) 11 11 is Ammonik .. |13|4|2| 22 3a 03 13 as Chloroform . . | 12.1118 | 1213 107.» 2. Tabelle IV. Polydesmus complanatus, 2 cm lang. urch- Seruchs- NR Te EEE D rch- | Geruchs | schnitt | Intensität | | | Nelkenol 2, 2.92.31 3237 12|3|13 3 In Terpentinven an aa a a ee Ye SO ee ae 2 3 Essigsäure. . 1 A OS { 6 ( ala Ammoniak Sal delebe 2 4e |, 27083 4 sn Chloroform a kn Te Meet a Ü ls Tabelle V. Schixophyllum sabulosum; 2,5 em lang. | le | ae | Durch- | Geruchs- | | | | | schnitt ‚Intensität | | Nelkenöl a N BE A ea 15 ler Terpentin . . .; | Aa es a A Ei ES | 3 Hl Ryloliael Kr 2 1033 Re De 4 ale Essigsäure. . 351.0931150°.1.. 90 120 1.08 6 An Ammoniak N Fee as BE | 4 un Chloroform KIDS | BGE RSS >) ie 19 Tabelle VI. Pachyiulus unteolor, 6 cm lang. Durch- | Geruchs- a. b c d 2 schnitt | Intensität | Nelkenolaa.2r 2? 952 1,3, 922712 22 Be 3 Ale Tenpentin 4.2... | O2. 75 | 4405 ® ulfs Rylola ll AN a 3 "lan Essigsäure. . . 15 | 14 115 | 17 | 14 | 05 15 jr Anmomalg 2. 3) 4.5 174 HA 4 ale Chlowtormmz 72.78 |..8.)-7 s| 9I8 5 Hi, 1} | l Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. 281 Chilopoden. Tabelle II. Lithobius forficatus, S. ©. Tabelle VII. Oryptops hortensis; 2 cm lang. | h | > Durch- | Geruchs- I S >| schnitt | Intensität E | ee Nelkenöl 3 2 3 le! 3 3 le Terpentin ur: Bl, Asse 4 4 il: vor... | .8.. 9 vos 8 2) Bisspseaure 20.1.9 10: 100 18.9210752712.10 Ins Ile Ammoniak... 43 | 41 AulSSarz E 4 45 Chloroform ==. 112. 10.971 92.927210 10 2m Tabelle VIII. Geophilus linearis; 5 cm lang. 66er Durch- | Geruchs- a A Ä schnitt | Intensität Nelkenöl as 2 ET 1 Us Terpentin . . . || 6| 5 > 51 4 5 5 28 Nyloleereas 00 2 =. Ba A DR Ar: 4 BE Essigsäure. . . |14 11] 12, 13 | 12 | 11 12 1], Aanmontakes see Ar Sun e2alı 3 |,°2 3 3 2er Chloroform . . | 10 | 8 Ü Ss 9 S 6) ir | a) Diplopoden. Aus den Tabellen ıst ersichtlich, dass Glomeris und Polyzonrum die größte Geruchsintensität besitzen: für die von mir verwandten Riechstoffe schwankt sie bei ersterer zwischen 5 und 1, bei der letzteren zwischen "/,, und !/,. Es ist vielleicht nıcht ohne Be- deutung, dass gerade die beiden Familien, deren Vertreter die zwei genannten Formen sind, als die unbeholfensten und schwerfälligsten unter den Diplopoden gelten können! Außerdem sei bemerkt, dass, wie Sazepin (l. ec.) ausdrücklich hervorhebt, bei @lomeris die vier Geruchskegel auf dem Fühlerendglied sehr gut entwickelt sind und ihre „Endknöpfe* (wie Leydig die aus der Öffnung der Kegel herausragenden Nervengebilde genannt hat) außerordentlich deutlich hervortreten. Mit Polydesmus hat bereits Sazepin experimentiert; er sagt darüber (l. e.): „Die Tiere wurden mit verschiedenen festen und flüssigen, stark riechenden Stoffen unter eime Glasglocke gebracht, indessen reagierten sie weder auf Ammoniak-, noch auf Osmium- säuredünste. Ebensowenig Resultate hatte Anwendung von Essig- säure, Nelkenöl, Kampher, altem Käse ete. etc. zur Folge.“ Bei dieser Anordnung des Versuchs ist das negative Resultat nicht ver- 282 Hennings, Zur Biologie der Myriopoden II. wunderlich, denn wie sollten die Tiere, welche der mit dem un- angenehmen Geruch überladenen Luft nicht entgehen konnten, ihr Unbehagen ausdrücken? Dass Polydesmus in der Tat auf Gerüche reagiert, geht aus Tabelle IV hervor, aus der zu ersehen ist, dass seine Geruchsintensität zwischen !/, und !/,, schwankt. Die Polydes- miden sind übrigens trotz ihrer Blindheit viel gewandter als Glome- rıden und Poly zoniüiden. — Die niedrigsten Zaren für die Geruchs- intensität zeigen die beiden Juliden: Schöxophyllum weist als Maximum !/, und als Minimum !/,, auf, bei Pachyiulus sind die entsprechen- den@\W\erte=/, und !,.. Beide haben gut entwickelte Augen und sind verhältnismäßig gewandte Tiere. b) Chilopoden. Im allgemeinen scheinen die Chilopoden, die sich durch größere Lebhaftigkeit von den Diplopoden unterscheiden, weniger gut funktionierende Geruchsorgane zu besitzen als jene. Bei ihnen er- hebt sich die Geruchsintensität nirgends über !/,, und auch diese Zahl wird nur von einem Tier (Oryptops) für Chloroform und Essig- säure erreicht; sie sinkt dagegen auf !/., herab (@Geophilus für Nelkenöl), während ihr Minimum bei den Diplopoden doch immer noch Y,, (Pachyiulus für Nelkenöl) ist. Unter den von mir ge- prüften Formen steht der blinde Scolopendride Oryptops obenan, bei welchem die Intensität zwischen !/, und !/. liegt. Ihm folgt der gut sehende Zithobius mit der Intensität '/, resp. !/,, und end- lich der gleichfalls blinde @Geophölus mit !/, resp. }/zo- 6. Zusammenfassung. Was durch die früheren anatomisch-histologischen Untersuch- ungen und die Beobachtungen über die Haltung der Antennen als möglich erschien, und nach den Versuchen über die Anlockung durch Gerüche als wahrscheinlich gelten konnte, darf durch die Experimente über die Wirkung unangenehmer Gerüche auf unver- letzte und fühlerlose Tiere als gesichert angesehen werden: nämlich dass die Antennen und diese ll als antenne: gar fungieren. — Die Stärke des Geruchsinnes schwankt bei den Sazeien Formen beträchtlich, doch steht sie in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit der größeren oder geringeren Länge der Tiere, viel eher mit biologischen Verhältnissen: es ıst auffallend, dass die empfindlichsten Geruchsorgane sich bei zwei Vertretern der Diplopoden finden, und zwar hier gerade bei den unbeholfensten, schwerfälligsten, De Glo- mertis und Polyzxonium. Zitierte Literatur. . Duges: Trait@ de physiologie comparee. 1838. 2. Kraepelin: Über die Geruchsorgane der Gliedertiere. Eine historisch-kritische Studie. — Separatabdruck a. d. Osterprogramm der Realschule des Johanneums 1883. Halben, Uber den Sehakt der Wirbellosen, spez. der Protozoen. 953 3. Leydig: Über Geruchs- und Gehörorgane der Krebse und Insekten. Müller’s Archiv 1860. 4. Perris: M&moire sur le siöge de l’odorat chez les artieulö. Ann. d. Sc. nat. III Ser. Zool. T. 14. 5. vom Rath: Die Sinnesorgane der Antenne und der Unterlippe der Chilognathen. Archiv. f. mikrosk. Anatomie Bd 27, 1886. 6. Sazepin: Über den histologischen Bau und die Verteilung der nervösen End- organe auf den Fühlern der Myriopoden. M&m. de l’acad. imp. des sciences de St. Petersbourg VII. Ser. T. 32, Nr. 9, 1884. ‘. Vogt-Yung: Lehrbuch der prakt. vergl. Anatomie Il, 1889 —94. S. Zograf: Sur les organes cöphaliques lateraux des @lomeris. Comptes rendus 1599. Theoretisches über die Bedeutung des Pigmentes für den Sehakt der Wirbellosen, speziell der Protozoen. Von Dr. R. Halben, Assistent an der kgl. Univ.-Augenklinik und Privatdozent der Ophthalmologie in Greifswald. In dem Schlussheft seiner schönen „Untersuchungen über die Organe der Lichtempfindung bei niederen Tieren“ (Heft VIII, Zeit- schrift f. wiss. Zool. Bd. 72, 1902) spricht sich R. Hesse sehr entschieden gegen die Bedeutung des Pigmentes für die Licht- perzeption aus (S. 610ff.), und im selben Sinne äußert sich ein um die vergleichende Physiologie der Augen sehr verdienter Forscher, Th. Beer, in seinem Vortrag „Über primitive Sehorgane“ (Wiener klin. Wochenschrift 1901, Nr. 11, 12 u. 13). Denselben Stand- punkt findet man in mehreren anderen Arbeiten vertreten entgegen der in der älteren zoologischen Literatur verbreiteten, allerdings vielfach sehr mangelhaft begründeten, Anschauung, nach der jede pigmentierte Stelle zur Lichtempfindung besonders geeignet sein sollte. Hesse stimmt Hensen zu (Über d. Bau des Schneckenauges und über die Entwickelung der Augenteile in der Tierreihe. Arch. f. mikr. Anat. Bd. II, p. 399-429), der die Wirkungen des Pig- mentes auf zwei einschränkt, nämlich 1. Absorption überschüssigen, durch die Retina hindurchgegangenen Lichtes und 2. Abhalten des äußeren Lichtes. Es ıst nun nicht zweifelhaft, dass Sehen auch ohne Pigment möglich ist. Eine Zelle, welche eben vermöge von Einrichtungen, die sich unserer analytischen Kenntnis noch entziehen, die Eigen- schaft hat, Ätherschwingungen in Nervenreiz, oder noch allgemeiner ausgedrückt, in Lebensvorgänge umzusetzen, muss natürlich auch ohne Pigment auf solche Ätherschwingungen geeigneter Wellen- länge und ausreichender Energie reagieren. Pigment ist also durchaus keine conditio sine qua non. Denkt man sich aber eine Zelle, welche die besprochene Fähig- keit, durch Ätherwellen erregt zu werden, wohl besitzt, in der aber 284 Halben, Über den Sehakt der Wirbellosen, spez. der Protozoen. diese Fähigkeit nur so schwach entwickelt ist, dass etwa alle oder die meisten Lichtintensitäten, welche das Tier unter natürlichen Bedingungen treffen, unter dem Reizschwellenwert bleiben, so kann doch zweifellos in der pigmentierten Stelle durch eine Art Licht- konzentration oder Summation eine Überschreitung dieser Reiz- schwelle stattfinden. Denn nach dem Gesetz von der Erhaltung der Energie, dessen ausnahmslose Gültigkeit auch für die Lebens- vorgänge in der Tierwelt wohl weder von Zoologen noch von Physiologen bestritten ıst, kann sich Licht nur unter Einbuße!) an Energie in Nervenerregung, in Zellenerregung umsetzen, und zur Überschreitung der Reizschwelle muss das Energiequantum einen gewissen, individuell verschiedenen Minimalwert erreichen. So lange das Licht an der reizbaren Stelle nicht mindestens dieses Minimalquantum Energie einbüßt, findet keine Erregung statt. Das Licht gibt aber an die durchsichtigen Stellen des Tierleibes, durch die es wenig geschwächt passiert, viel weniger Energie als an pigmentierte. In den vollkommen schwarzen Stellen lässt es seine (sesamtenergie, ın einer farbigen die Energie all der Wellen, welche in ihr absorbiert werden. Es ist aus diesen Überlegungen wohl verständlich, wie bei sonst gleicher (geringer) Empfindlichkeit eine pigmentierte Zelle (resp. die pigmentierte Stelle ein und derselben Zelle) durch Lichtintensitäten erregt werden kann, welche für die andere pigmentfreie (resp. für alle Iichtdurchlässigen Teile derselben Zelle) unter der Energieschwelle bleiben. Liegt also das Pigment ın lichtreizbarer Substanz, so wirkt es als Lichthäufer. Ob das Licht dabei in dem Pigment erst in Wärme umgewandelt wird und dann durch diese zellerregend wirkt — und implizite begegnet man der Ansicht, als müsste daran die Bedeutung des Pigmentes für den Sehakt scheitern — oder direkt als Licht zellerregend wirkt, ıst dabei ganz gleichgültig. Auf welchem Wege, vermittelst welcher Energieumsetzungen im Sinnesorgan aus Ätherschwingung Nervenreiz resp. Zellreiz wird, wissen wir doch auch beim Menschen nicht. Wenn sich heraus- stellte, dass beim Menschen in den perzipierenden Elementen erst eine Umsetzung aus Licht in Wärme oder Elektrizität oder in chemische Kräfte stattfinden müsste, so wäre nach der angedeuteten Ansicht die menschliche Retina kein Lichtperzeptionsorgan, sondern ein Thermo-, Elektro- oder Chemorezeptor. Aus solch absurden Konsequenzen wird die Fehlerhaftigkeit der Deduktion sofort evi- dent. Für die Klassifizierung eines Sinnesorgans, das Aufschlüsse 1) Diese Einbuße kann wohl unter Umständen eine äußerst geringe sein, dann nämlich, wenn der Energiestrom im Nerven von in den Endapparaten schon auf- gespeicherter potentieller Energie geliefert wird, auf deren Aktivierung das Licht nur auslösend wirkt. Ohne jeglichen Energieverlust des Lichtes ist aber selbst dieses Auslösungswerk nicht denkbar. Halben, Über den Sehakt der Wirbellosen, spez. der Protozoen. 255 über die Außenwelt geben soll, muss natürlich in erster Linie die Natur der Kräfte der Außenwelt, welche das betreffende Sinnes- organ wahrnehmen soll, maßgebend sein. Die Methode der Analyse von Qualität und ana dieser Kräfte darf erst sekundäre Be- deutung haben. Ein Apparat, mit dem wir den Zuckergehalt einer Zuckerlösung bestimmen, bleibt ein Sacharimeter, gleichgültig, nach welchem Prinzip es arbeitet, ob es uns aus dem Geschmack, dem Reduktionsvermögen, aus dem spezifischen Gewicht, dem Brechungs- index, dem Drehungsvermögen oder der Gefrierpunktslage, Auf- schluss über den Prozentgehalt an Zucker geben würde. Der Einwand gegen die Bedeutung des Pıgmentes ist also hin- fällig. Er ist — bei richtiger physikalischer Begründung — auf eine irrige Auffassung von denn Kriterium eines spezifischen Sinnes- organes zurückzuführen. Vielfach — ja fast in den meisten Fällen — erscheint er aber verquickt mit ae physikalischen Vorstellungen. Man be- gegnet da immer wieder einer Konfusion des Begriffes der Wärme mit dem der sogen. Wärmestrahlen. Für ein Sehorgan soll das Licht auch nach Abzug seiner „Wärmestrahlen“ allein ausreichen- der Reiz sein; diesen Abzug glaubt man z. B. durch Filtration des Lichtes durch naseahallieie Alkrmneeliichiren zu bewirken, welche die ultraroten Strahlen absorbieren. Man glaubt dann mit „reinem“, „wärmefreiem* Licht zu experimentieren. Umgekehrt würde nach dieser Auffassung ein Sinneswerkzeug, das nur durch die sogen. Wärmestrahlen (Ultrarot) gereizt würde, kein Sehorgan, sondern ein Wärmesinnesorgan sein. Das ist natürlich unrichtig. Zu vergleichend-physiologischen Untersuchungen kann man Licht — wenn man das Wort schon beibehalten will — natürlich nicht definieren als etwas, was dem Menschen Empfindungen von Helligkeit oder Farbe gibt, da man nicht weiß, ob die niederen Tiere derartige Empfindungen haben, sondern man muss sich ob- jektiv an die physikalische Definition des Lichtes halten). 1) Vorhanden sind Ätherschwingungen, „Licht“ wird daraus erst in unseren nervösen Apparaten. Es ist natürlich statthaft, dem Sprachgebrauch entsprechend und der Kürze wegen „Licht“ für das objektiv in der Außenwelt Vorhandene, die Ätherschwingungen, zu setzen. Man muss sich nur bewusst bleiben, dass diese Begriffs- vertretung streng genommen als eine pars pro toto aufzufassen ist und dass man bei zoologisch-physiologischen Untersuchungen solange das totum in Rechnung ziehen, d. h. Licht in weitestem Sinne als alle von der Sonne ausgestrahlte Energie, also mit Einschluss des ganzen Ultrarot und des ganzen Ultraviolett, verstehen muss, als man nicht für die betreffende Spezies den Nachweis erbracht hat, dass sie ge- rade nur einen bestimmten Abschnitt des Spektrums als „Licht“ empfindet (resp. dass ihre Sehorgane nur durch einen bestimmten Abschnitt erregt werden). Dann kann man für dieses Tier das Wort „Licht“ in physiologischem Sinn brauchen. Es zieht sich durch die ganze zoologische Literatur und merkwürdigerweise auch noch durch neuere vergleichend-physiologische Arbeiten der grundlegende 386 Halben, Über den Sehakt der Wirbellosen, spez. der Protozoen. Darnach besteht aber kein Wesensunterschied zwischen Licht- und Wärmestrahlen (oder, wie man noch weniger exakt sagt: strahlender Wärme). Da wir doch nicht erwarten können, dass das physiologische Spektrum des Menschen sich mit denen aller Tiere Irrtum, als ob Licht und Wärmestrahlung, Lichtstrahlen und chemische Strahlen etwas Wesensungleiches wären, etwas das man trennen könnte und dessen Wir- kungen getrennt studierbar wären. Alles, was unter obigen Namen verstanden wird, stellt die gleiche Energieform, nur durch die Wellenlänge unterschieden, dar. Es ist natürlich, dass die Strahlen der Wellenlängen des sichtbaren Spektrums auch in der wissenschaftlichen physikalischen Literatur „Licht“ heißen, aber es ist reiner Zufall, dass die ultraroten Strahlen den Namen Wärmestrahlen, die ultravioletten den Namen Chemischwirksame erhalten haben. Nur weil zufällig die ultraroten zuerst aus ihren Wärmewirkungen, die ultravioletten aus ihren chemischen Wir- kungen erkannt sind, ist das geschehen. Alle Strahlen sind in jenem Sinne „Wärmestrahlen“, die „Licht“strahlen und die ultravioletten so gut wie die ultra- roten. Wo sie absorbiert werden, liefern sie Wärme; d.h. Ätherschwingungsenergie setzt sich um in ungeordnete Molekularbewegung, die durch Temperaturerhöhung kenntlich ist. Die „Wärmestrahlen“ sind also nicht etwa warm, sondern sie liefern Wärme, wo sie absorbiert werden. Das tun die sichtbaren Strahlen aber ebensogut, je nach der Menge ihrer absoluten Energie. Die sogen. „Wärmestrahlen“ liefern im Sonnenlicht nicht einmal etwa besonders reichlich Wärme. Sondern das Maximum der Wärmewirkung, mithin das Maximum der Energie, liegt im Sonnenlicht im Gelb, gerade in der Gegend, wo auch unser helladaptiertes Auge sein Empfindlichkeits- maximum hat. Nach Lummer, Die Ziele der Leuchttechnik. München und Berlin 1903). ki In Lichtquellen von niedrigerer Temperatur als die Sonne wandert allerdings das Energiemaximum immer weiter ins Bereich der langwelligen Strahlen, um etwas unterhalb der Bogenlampentemperatur (ca. 4200°; also in den meisten künstlichen Temperatur-Lichtquellen) ins ultrarote Bereich zu rücken, während es umgekehrt in Lichtquellen von Über-Sonnentemperatur (ca. 6000°%), in den Spektren einiger Fix- sterne (Baron A. Harkänyi, Über die Temperaturbestimmung der Fixsterne auf spektralbiologischem Wege. Astronom. Nachrichten Nr. 3770, Bd. 158, Febr. 1902, zit. nach Lummer | c.) mehr zum Violett wandert. Für zoologisch-physiologische Untersuchungen kommt aber natürlich nur die Sonne als Lichtquelle in Frage (wenigstens bei Tagtieren). Mit dem gleichen Recht wie man alle Sonnenstrahlen als Wärmestrahlen be- zeichnen könnte, kann man auch alle chemisch wirksam nennen. Hat man doch selbst ultrarotes Licht photographisch aufgenommen. Man mag also noch so viel Alaunschichten in den Weg eines Lichtbündels setzen, um die „Wärmestrahlen“ abzufangen, das zurückbleibende „reine Licht“ ist nie ohne Wärmewirkung. Seine ganze Energie setzt sich in Wärme um, überall wo es absorbiert wird. Eine rein- liche Trennung von „Licht“ und „Wärme“ unserer Sonnenstrahlen ist absolut un- möglich. Nehmen wir homogenes Licht, sagen wir der D-Linie, so können wir seinem „Licht“ keinen Bruchteil nehmen, ohne es um den gleichen Bruchteil in seiner Wärmewirkung zu schwächen. Genau gesprochen, dürfen wir nur sagen, wir machen einen Abzug von seiner Gesamtenergiemenge; diesen Abzug empfindet unser Auge als Lichtverminderung, die Thermosäule als Wärmeabzug. Eine große Zahl in Neapel und anderswo angestellter vergleichend-physiologischer Experimente basiert somit auf durchaus irrigen Voraussetzungen. Die Verbreitung dieser Ungenauig- keiten bei Zoologen und Medizinern möge mich dem Physiker gegenüber recht- fertigen, der sich wundern möchte, dass jemand derartige Selbstverständlichkeiten so ausführlich darzulegen für nötig erachtet. Halben, Über den Sehakt der Wirbellosen, spez. der Protozoen. 987 deekt oder sie auch nur umfasst, so müssen wir als Licht bei Be- trachtung seiner Bedeutung als Reiz für die organische Tierwelt unserer Erde all das und nur das auffassen, was unsere Sonne aus- sendet, also die sogen. Wärmestrahlen so gut wie alle anderen. Ein Sehorgan ist dann ein solches, welches besonders eingerichtet ist, gerade diese Ätherwellen zu perzipieren, während es der Ein- wirkung anderer Reize keinen Prädilektionsangriffspunkt bietet. Ein in der Haut gelegener Thermorezeptor, der zur Perzeption der Wärme seiner Umgebung eingerichtet ist, wird deshalb noch lange kein Sehorgan, weil er auch die durch direkte Sonnenbestrahlung in ihm und seiner Umgebung erzeugte Wärme perzipiert. Er ist eben weniger spezifiziert, zur Perzeption jeglicher Art Wärme geeignet, sei sie schon von außen als Wärme zugeleitet, oder mag sie erst in ihm oder seiner Nachbarschaft durch Umsatz aus anderen Energieformen, Sonnenlicht, mechanischer Arbeit (Reibung, Druck, Stoß), oder chemischen Kräften entstehen. Wird dann ein solcher durchsichtiger Thermorezeptor in emem durchsichtigen Tier pig- mentiert, so wird er dadurch schon Sehorgan, denn er wird für die Perzeption von Ätherwellen gegenüber den unpigmentierten vervollkommnet, während er den anderen Energieformen gegenüber unverändert bleibt. Je mehr er in der weiteren Entwickelung den Einwirkungen dieser anderen Energieformen ganz entzogen wird, um so ausgesprochener wird dadurch sein Charakter als Sehorgan. Eine ganz scharfe Abgrenzung zwischen Photorezeptor und Thermo- rezeptor wird nicht immer möglich sein. Aber über die Prinzipien einer Scheidung müsste man sich klar werden können. Keinesfalls kann die Wellenlänge der das Tier treffenden Ätherschwingungen für die Differentialdefinition entscheidend sein. Die lichtverstärkende oder sensibilisierende Bedeutung des Pigmentes wird überall da eine Rolle spielen, wo das Pigment fein verteilt in Iiehtempfind- lichem (wenn auch ohne das Pigment durch vorkommende Licht- stärken untererregbar lichtempfindlichem) Protoplasma liegt. Ich erinnere an aus der wiıssenschaftlichen Photographie Bekanntes, wonach bei der chemischen Wirkung des Lichtes nicht nur die Absorption in der lichtempfindlichen Substanz selbst, sondern auch das Absorptionsvermögen beigemengter Stoffe eine wichtige Rolle spielt (H. W. Vogel und J. M. Eder)!). Viele Pigmente sensibilisieren Brom-, Jod- und Chlorsilber für die Spektralfarben, welche sie absorbieren. Darauf gründet sich die technische Möglichkeit, jetzt die photographische Platte für 1) H. W. Vogel, Über optische Sensibilisatoren. Poggendorf’s Annalen, 153, S. 218. J. M. Eder, Ausführliches Handbuch der Photographie. 2. Aufl., Bd. TI. Beide zitiert nach Grunert, Uber angeborene totale Farbenblindheit. Graefe’s Archiv f. Ophthalmologie, 56. Bd., Leipzig 1903. 288 Halben, Über den Sehakt der Wirbellosen, spez. der Protozoen. gelbes und rotes Licht, das früher als photographisch unwirksam galt, empfänglich zu machen. Aber selbst für Fälle, wo das Pigment als grober Klumpen wie eine leblose Masse in der Protozoenzelle oder im durchsichtigen Metazoenleib liegt, ist ihm seine Bedeutung als „Sehorgan“, als zum Licht orientierender Körper, theoretisch zu retten. Er kann da als Schattengeber funktionieren. Trifft paralleles Licht auf einen beispielsweise kugeligen Pigmentklumpen in einem durch- sichtigen Tier, so wird das Tier ın dem jenseits des Pigment- klumpens befindlichen Leibesabschnitt von einem Schattenzylinder vom Umfang eines größten Kugelkreises durchsetzt. Es kann nun sehr wohl der Zelle das Bestreben innewohnen, sich zu diesem Schattenzylinder in eine bestimmte Orientierung zu setzen, also 7. B. so, dass der Schatten gerade mit der Hauptleibesaxe zu- sammenfällt, das Tier also sein „Auge“ gerade dem Lichte zu- wendet, oder aber es sich dem Schatten ganz zu entziehen sucht, also das „Auge“ gerade abwendet. Ob derartige Einrichtungen bei wirbellosen Tieren vorkommen, ist mir nicht bekannt. Diese kurzen theoretischen Betrachtungen sollen der Bedeutung des Pigmentes in dem von Hensen!) (]. c.) festgelegten Sinne keinen Abbruch tun, sie sollen nur hindern, dass die Frage nach der Rolle des Pigmentes in der eigentlichen Lichtperzeption auf Grund der theoretischen Ausführungen der neueren Arbeiten schon negativ entschieden wird. Eine Entscheidung in negativem Sinne kann da nur die experimentelle Forschung bringen, der diese Dinge doch wohl nicht ganz unzugänglich sein werden. Bloße theoretische Spekulation macht es im Gegenteil nur wahrscheinlich, dass das Pigment bei geeigneter Verteilung als Lichthäufer, als Energie- sammler funktioniert. 1) Es scheint mir übrigens nicht ganz gerechtfertigt, wenn Hesse Il. c. bei der allgemeinen Frage nach der Bedeutung des Pigmentes für das Sehen im Tier- reich Hensen’s Autorität (l. ec.) ins Feld führt, da Hensen an jener Stelle nur von Augen spricht (Molluskenaugen), die grobmorphologisch den Wirbeltieraugen ähneln, die er selbst sogar bis ins Detail (Sklera, Cornea, Chorioidea, Retina etc.) mit den Wirbeltieraugen vergleicht. Außerdem setzt er sich an jener Stelle durch- aus nicht mit der hier entwickelten Anschauung von der energiesammelnden Wir- kung des in lichtempfindlicher Substanz gelegenen Pigmentes auseinander, sondern er weist nur die allerdings sehr konfuse Annahme zurück, „es reflektiere das Pig- ment, je nach Verschiedenheit der Farbe des Lichtes, Wärme“ auf die perzipierende Stäbchenschicht. Ebensowenig hat Helmholtz mit den Worten, die Hesse zitiert, dem Pig- ment die ihm hier hypothetisch zugewiesene Bedeutung abgesprochen, sondern er sagt nichts, als dass Pigment ohne empfindliche Substanz noch kein Sehorgan ist und dass lichtempfindliche Apparate nicht pigmentiert zu sein brauchen. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. KR ad I 2 Mai 1902 9. Inhalt: Klebs, Uber Probleme der Entwickelung (Schluss), — Bonnevie, Zur Kenntnis „der Spermiogenese bei den Gastropoden (Enterowenos östergreni) (Schluss). — Schultz, Uber Regenerationsweisen. — Farmer, On Nuclear divisions in Malignant tumours. — Maas, Einführung in die experimentelle Entwiekelungsgeschichte (Entwickelungsmechanik). Über Probleme der Entwickelung. Von Georg Klebs. (Schluss.) Mr Allgemeines über den Entwickelungsgang. Die Versuche mit Sempervivum Funkü, die im ersten Abschoitt beschrieben worden sind, bestätigen die aus meinen früheren Unter- suchungen an Algen, Pilzen, einzelnen Phanerogamen gewonnenen Anschauungen. Die sogen. typische Entwickelung, wie sie in der freien Natur oder gewöhnlichen Kultur erfolgt, ıst nicht die not- wendige Folge einer mit der Konstitution der Art gegebenen Ur- sache oder Ursachenkombination, die bei allgemein zureichenden Lebensbedingungen eben diesen Gang von Anfang bis zu Ende bestimmt. Vielmehr nimmt die Entwickelung unter den vielen möglichen Gestaltungen denjenigen Verlauf, der durch die ge- gebenen Bedingungen dieser freien Natur notwendig bestimmt ist. Unter veränderten Bedingungen tritt eine entsprechende Verände- rung des Entwickelungsganges ein. So lange es praktisch möglich ist, die Bedingungen für eine bestimmte Formbildung, z. B. für das vegetative Wachstum konstant zu erhalten, so lange muss die Pflanze sich in dieser Form erhalten; sie ist dabei ebenso lebens- fähig und lebenskräftig, wie in einer anderen Form unter den dieser XXIV. 19 390 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. zugehörigen Bedingungen. Man könnte einwerfen, die von mir veranlassten Gestaltungen würden in der freien Natur nicht lebens- fähig sein. Das wird für manche Fälle zutreffen, bedeutet aber keinen Einwand. Denn es ist selbstverständlich, dass, wenn in der freien Natur die nötigen Bedingungen nicht in genügendem Maße verwirklicht sind, auch die entsprechenden Vorgänge unmög- lich sind. Das ist ebenso begreiflich wie die Tatsache, dass Kohlen- säure in fester Form auf unserer Erdoberfläche wohl kaum vor- kommt. Die typische oder gewöhnliche Entwickelung bedeutet nur einen kleinen beschränkten Ausschnitt aus der Fülle der möglichen Ge- staltungen. Die organische Natur ist den in ihr schlummernden Möglichkeiten nach sehr viel reicher, als sie sich ın jenen als normal oder typisch bezeichneten Erscheinungen darstellt. Wir haben bisher zu sehr unter dem Bann der ganz einseitigen Auf- fassung gestanden, als wäre das Normale auch das schlechthin Notwendige für die Pflanzen. Es hat sich von selbst ergeben, dass man von dem Verhalten einer Pflanze in der freien Natur in dem Kampfe mit ihrer mannigfachen Umgebung ausgegangen ist und dass man die dabei auftretenden Eigenschaften als die wesent- lichen aufgefasst hat. Aber man kann nicht genug betonen, dass das Wesen einer Spezies sich darin nur zu einem kleinen Teil ent- hüllt. Wir müssen methodisch vorgehen den ganzen Reichtum von Gestaltungsvorgängen zu erschließen, die in der innersten Struktur jeder Art noch verborgen ruhen. Was bisher von uns in dieser Richtung geleistet worden ist, sind leise Anfänge, deren Wert weniger liegt in dem, was erreicht ist, als vielmehr in der Aussicht auf das, was zu erreichen sein wird. (Gehen wir bei den weiteren Betrachtungen von einer blüh- reifen Rosette von Sempervivum Funkü aus, so stellt sie ein Ge- bilde dar, das durch die vorhergehende Kultur in den Stand ge- setzt ıst, verschiedenartige Entwickelungsformen zu verwirklichen, die als Potenzen der spezifischen Struktur vorauszusetzen sind. Ob es berechtigt ist, den Begriff der spezifischen Struktur unter den allgemeinem Begriff der Substanz zu stellen, wie ich es getan habe (1903 S. 3) will ich hier unerörtert lassen (vergl. Driesch 1903 S. 768). Wenn man will, kann man ihn einfach als einen formalen Hilfsbegriff unseres Denkens auffassen, da wir genötigt sind, in jeder Spezies etwas Unveränderliches anzunehmen, das ıhr eigentliches Wesen bestimmt. Dieses Wesen kommt aber nur zur wirklichen Erscheinung, wenn Bedingungen mitwirken, die für die Struktur selbst als äußere zu bezeichnen sind. Die Voraussetzung der unveränderlichen Struktur kann als richtig nicht bewiesen werden. Denn obwohl bestimmte Erscheinungsformen unter bestimmten konstanten Bedingungen notwendig eintreten, so folgt daraus nichts Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 291 über die Frage, in welchem Umfange Variationen unter varıieren- den Bedingungen möglich sind. Außerdem müssen wir eine Ver- änderungsfähigkeit der Struktur bei der Entstehung neuer Arten voraussetzen. Für die vorliegenden Probleme ist es nicht nötig, auf diese Seite der Frage einzugehen. Alle Gestaltungsvorgänge einer Pflanze werden durch die Ein- wirkung der inneren Bedingungen auf die spezifische Struktur herbeigeführt (Klebs 1903 S. 7). Ich verstehe darunter die quali- tative und quantitative Beschaffenheit der Zellen und ihrer Bestand- teile, Protoplasma, Zellkern, Zellsaft u. s. w. Diese inneren Be- dingungen sind stets variabel, weil sie selbst von der Außenwelt in geringerem oder stärkerem Grade abhängen. Durch ihre Unter- scheidung von der spezifischen Struktur und durch ihre Variabilität definiere ich die inneren Bedingungen wesentlich anders als es bisher in der Botanik üblich war, in der diejenigen Lebensvorgänge auf innere „erblich fixierte*“ Gründe zurückgeführt werden, die nicht direkt von der Außenwelt abhängig sind. Pfeffer, der klar ausspricht, dass es eine von der Außenwelt unabhängige Tätigkeit niemals gibt, unterscheidet doch autonome und aitionome Vor- gänge. Unter autonomen versteht er (1901 S.161) solche, die auf erblich überkommenen, inhärenten Eigenschaften beruhen und durch Veränderungen in den Außenbedingungen nicht modifiziert werden, wie es bei den aitionomen Vorgängen der Fall ist. Er sagt: „so- fern man die Außenbedingungen konstant zu erhalten vermag, ist es auch möglich, festzustellen, ob in obigem Sinne ein autonomer oder aitionomer Vorgang vorliegt.“ Es ist vielleicht berechtigt, zu unterscheiden, ob in diesem Sinne ein Vorgang bei der einen Spezies aitionom, bei einer anderen autonom ist, da damit irgend eine tat- sächliche Verschiedenheit sich ausdrückt. Doch scheint mir der Begriff des Autonomen unzulänglich und deshalb nicht richtig zu sein, weil es tatsächlich keinen Vorgang gibt, der nicht durch die Außenwelt verändert werden könnte. Die Abhängigkeit ist nur je nach der Spezies in sehr verschiedenem Grade ausgesprochen. Ein einfaches Beispiel wird meine Anschauung am besten er- läutern. Sagittaria sagittaefolia, eine gemeine Wasserpflanze, besitzt charakteristische pfeilförmige Blätter, die über die Wasseroberfläche treten und als Luftblätter ausgebildet sind. Wächst die Pflanze in tiefem, besonders fließendem Wasser, so entstehen an Stelle dieser Luftblätter grasartig schmale, bandförmige Wasserblätter. Die Entstehung dieser ist ein aitionomer Vorgang. In Übereinstimmung mit allen anderen Beobachtern hebt Goebel (1893 S. 293) hervor, dass bei der Keimung der Knollen von Sagittaria im Frühjahr zu- erst nur bandförmige Blätter aus „inneren Gründen“ entstehen, d.h. es ist ein autonomer, erblich fixierter Vorgang. Also dieselbe Blattform der gleichen Spezies sollte demnach bald autonom, bald 19* 999 wm Klebs, Über Probleme der Entwickelung. aitionom gebildet werden, und das wäre doch, theoretisch betrachtet, ein höchst merkwürdiges Ereignis. So lange keine widersprechen- den Tatsachen vorliegen, wird man doch voraussetzen müssen, dass die inneren Vorgänge für die Bildung jedes bandförmigen Wasser- blattes im wesentlichen übereinstimmen; jedenfalls kommt die An- nahme eines solchen prinzipiellen Unterschiedes von Ursachen für das gleiche Gebilde einem Verzicht auf Begreiflichkeit sehr nahe. Es besteht nun aber die Möglichkeit für eine andere Auffassung, ja auch die Möglichkeit, diese zu prüfen. Die äußeren Bedingungen, welche bei der erwachsenen Pflanze die Bandform der Blätter veranlassen, könnten ın ähnlicher oder gleicher Kombination während der Entstehung der Knolle im Sommer oder Herbst wirken, so dass die in der Endknospe deut- lich angelegten Blätter bereits die inneren Bedingungen enthalten, welche ihre Entfaltung in der Richtung der Bandform bestimmen. Selbst wenn die äußeren Bedingungen während der Keimung inner- halb gewisser Grenzen variieren, wird trotzdem die Bandform zur Entfaltung kommen. Von einem erblich fixierten Vorgang braucht deshalb keine Rede zu sein. Die Richtigkeit meiner Auf- fassung ließe sich prüfen, wenn man die Einflüsse, die während der Entstehung der Knollen wirken, untersuchte. Noch auf einem anderen Wege ist die Frage zu prüfen. Bei der eben keimenden Knolle sind die jungen Blätter, die ihrer An- lage nach bandförmig werden, immer noch sehr wachstumsfähig und deshalb veränderlich. Man müsste nun die äußeren Bedingungen sehr variieren, vielleicht stärker variieren als bei der erwachsenen Pflanze, um gleich bei der Keimung Luftblätter zu erhalten. Meine Versuche, die ich erst infolge dieses Gedankenganges angestellt habe, lehrten mich, dass ım der Tat die bandförmigen Wasser- blätter bei der Keimung der Knollen auszuschließen sind. Dieses Beispiel soll nur meine Meinung veranschaulichen, dass viele Lebensvorgänge bei Pflanzen, die als autonom oder erblich fixiert bezeichnet werden, tatsächlich nicht diese Bezeichnung ver- dienen, sondern doch von der Außenwelt abhängen. Die Frage selbst muss für alle Lebensvorgänge gestellt werden, mag nun die Antwort ausfallen wie sie wolle. Es ist nur eine Täuschung, wenn man glaubt, mit dem Ausdruck „erblich fixiert“ etwas Positives auszusagen. Denn wir wissen überhaupt nicht, was die unver- änderlichen, wirklich erblich fixierten Eigenschaften sind, die der spezifischen Struktur einer Pflanze anhaften. Die Untersuchung der ganzen Frage gehört sicher zu den schwierigsten Aufgaben. Aber das hindert nicht, nachzusehen, in welcher Weise versucht werden kann, die richtigen Angrifispunkte zu finden, und dazu muss die Frage noch eingehender behandelt werden. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 295 Bei vielen komplizierten Gestaltungsvorgängen einer Pflanze können die inneren, für sie maßgebenden Bedingungen zum großen Teil von der vorhergehenden Generation mitgegeben sein; sie wirken auch dann, selbst wenn die Bedingungen der Außenwelt innerhalb gewisser Grenzen ihnen entgegenstehen. Diese relative Beständigkeit der inneren Bedingungen wird um so stärker ausgebildet sein, je länger die Außenwelt in zahllosen Generationen an den gleichen Standorten in wesentlich gleicher und den inneren Vorgängen entsprechender Weise eingewirkt hat. Dann wird auch ein plötzlicher Wechsel der äußeren Bedingungen in vielen Fällen die Vorgänge wenig umgestalten; sie erscheinen dann, als wären sie von der Außenwelt unabhängig. Die einzelnen Organe der Pflanze zeigen verschiedene Grade dieser Beständig- keit, z.B. die Blüten höhere als die Blätter. Vor allem treten da- bei große Verschiedenheiten bei den eimzelnen Pflanzenspezies hervor. Solche Nachwirkungen früherer Einflüsse der Außenwelt sind schon lange in der Pflanzenphysiologie bekannt; besonders den Arbeiten von Pfeffer und Baranetzky verdankt man höchst wichtige Aufschlüsse. Ich verweise auf die vortreffliche Darstellung Pfeffer’s über periodisch verlaufende Lebensprozesse im seinem Handbuch und möchte hier nur im Anschluss an die Arbeit von Baranetzky (1879), den Einfluss der Außenwelt auf die tägliche Periode des Wachstums kurz berühren. Bei Konstanz aller übrigen Bedingungen wachsen viele Pflanzen schwächer am Tage als in der Nacht; es erfolgt ein sehr regel- mäßiges Fallen der Zuwachsbewegung bis zu einem Minimum am Abend, dann ein Steigen ın der Nacht bis zu einem Maximum am frühen Morgen. Niemand zweifelt wohl daran, dass eben der Wechsel von Licht und Dunkelheit diese Periode ursprünglich ver- anlasst hat. Wenn Pflanzen diesem Wechsel entzogen werden, indem man sie bei konstanter Dunkelheit weiter kultiviert, so tritt eine Nachwirkung in der Fortdauer der Periode hervor. Dabei zeigen sich nach Baranetzky auffallende spezifische Verschieden- heiten. Pflanzen, wie Gesnera tubiflora, lassen schon nach wenigen Tagen die Periode vermissen; sie reagieren demnach sofort auf die Änderung der Außenwelt. Grüne Sprosse von Helianthus tuberosus bewahren die Periode dagegen bis zu einer Zeit von 14 Tagen, während andererseits im Dunkeln erwachsene Sprosse dieser Art überhaupt keine Periode aufweisen. Hier erkennt man deutlich, wie die vorhergehenden Kulturbedingungen für das ver- schiedene Verhalten entscheidend sind. Am merkwürdigsten ver- hielten sich nach Baranetzky im Dunkeln erwachsene Sprosse der Rübe von Brassica rapa, die die tägliche Periode noch schärfer und regelmäßiger zeigten als selbst grüne Sprosse. Für diesen Fall nimmt Baranetzky (1879 S. 18) eine bis zu einem gewissen 294 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Grad erblich gewordene Gewohnheit an; Pfeffer (1901 S. 256) spricht von einer autonomen Periodizität. So wenig verständlich der Vorgang auch sei, so scheint mir doch kein Grund vorzuliegen, ihn ganz anders als die Fälle von Gesnera, Helianthus aufzufassen. Schon die von Baranetzky festgestellte Tatsache, dass andere etiolierte Sprosse der gleichen Pflanze die Periode nur sehr un- deutlich oder auch gar nicht zeigten, beweist zur Genüge, dass es sich nicht um eime erblich fixierte Eigenschaft der Spezies han- deln kann. Es wird nun die Aufgabe sein für die Gestaltungsvorgänge, die von der Außenwelt unabhängig zu sein scheinen, ähnlich wie für die periodischen Erscheinungen den Nachweis zu führen, dass sie tatsächlich abhängig sind. Man muss nachweisen: die vor- hergehende Einwirkung bestimmter äußerer Bedingungen veranlasst eine solche innere Beschaffenheit der Pflanze, dass sie einen Gestaltungsvorgang auch dann bis zu einem gewissen, ın Einzelfällen verschiedenen Grade, ausführt, wenn die Außenwelt während des Vorganges selbst diesem entgegenwirkt. Diese Aufgabe lässt sich experi- mentell behandeln, wie meine Erfahrungen schon jetzt deutlich be- weisen. Nehme ich z. B. ein Stück der seit drei Jahren stets in Form von plagiotropen Ausläufern kultivierten @lechoma-Pflanze (Klebs 1903 S. 35) und bringe es Anfang März ın solche Bedingungen, unter denen die Ausläufer einer im Freien lebenden Pflanze orthotrope Blütentriebe erzeugen, so bleiben die Ausläufer ım ersten Falle trotz aller günstigen Blütenbedingungen unverändert und wachsen ungestört fort. Dabei sind diese Ausläufer so kräftig ernährt wie die des Freilandes. Beide müssen sich in ihrer inneren Beschaffen- heit unterscheiden, so dass beide unter gleichen äußeren Bedingungen so verschieden reagieren. Dieser Unterschied beruht aber darauf, dass beide in der vorhergehenden Periode ihres Lebens verschie- denen Einflüssen der Außenwelt ausgesetzt waren. Das geht mit Sicherheit aus den weiteren Versuchen hervor. Ich setzte Teile der Ausläuferpflanze im August in einen kleinen Topf und stellte ihn hell und relativ trocken; am Anfang des Winters verwahrte man die Pflanzen an einem kühlen Ort. Im März der Frühjahrs- sonne ausgesetzt, entwickelten die Stöcke allmählich die orthotropen, später blühenden Triebe. Wenn ich andererseits eine Freiland- pflanze im August oder auch später im einem reich gedüngten Boden warm, feucht und hell kultiviere und diese Kultur auch während des Winters entsprechend halte, ist sie nicht im stande, ım Frühjahr orthotrope blühende Triebe zu bilden, selbst wenn zu der Zeit alle Bedingungen dafür günstig sind. Ein ım Prinzip gleiches Verhalten weisen die Sempervivum- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 295 Arten, z. B. Funkii auf. Die im vorhergehenden Sommer oder während der Winterruhe blühreif gewordene Rosette treibt von Mai bis Juni ihre Infloreszenz. Sie tut es auch unter äußeren Be- dingungen, die dem Blühen nach allen Erfahrungen direkt ent- gegenwirken, wie z. B. ganz feuchte Luft oder starke Düngung mit Nährsalzen. Nach der herrschenden Auffassung würde man die Infloreszenzbildung als einen autonomen, erblich fixierten Vorgang bezeichnen. Das ist aber für Sempervivrum sicher unrichtig, für viele ähnliche Fälle sehr unwahrschemlich. Denn der blühreife Zu- stand ist die notwendige Folge der im vorhergehenden Sommer wirkenden Einflüsse der Außenwelt. Es genügt, andere Einflüsse auf die Pflanze einwirken zu lassen, um sie in einen anderen inneren Zustand zu versetzen, in dem sie im nächsten Frühsommer nicht blüht, trotzdem die herrschenden äußeren Bedingungen für das Blühen sehr geeignet sind. Bei der Besprechung der Sagitiaria machte ich auf eine an- dere Methode der Untersuchung aufmerksam, durch die die An- nahme einer Autonomie von Entwickelungsvorgängen widerlegt werden kann. Geht man von einer Pflanze von bestimmter innerer Beschaffenheit aus, durch die ihre Entwickelungsrichtung „deter- miniert“ ist, so muss man versuchen, diese Determination aufzu- heben und eine andere Entwickelung zu veranlassen, deren die be- treffende Spezies fähig ist. Ich habe vorhin bemerkt, dass eine blühreife Rosette sehr‘ wohl ihre Entfaltung durchführt, auch wenn die äußeren Bedingungen dagegen wirken. Aber es kommt sehr wesentlich auf den Wirkungsgrad und das Verhältnis der zusammen- wirkenden Bedingungen an. Es gibt eine Grenze, über die hinaus eine Änderung der Entwickelung erfolgen muss, ohne dass die Er- haltung des Lebens irgendwie gefährdet ist. Das ıst es, was er- strebt werden muss und sicher jetzt in Einzelfällen erreicht werden kann; in welchem Umfange die Veränderung der Entwickelung bewirkt wird, kann nicht theoretisch, sondern nur praktisch gefun- den werden. Der Zeitpunkt und der Grad der Umwandlung wechseln bei der gleichen Entwickelungsform einer Art je nach dem Grade der vorhergehenden Determination und vor allem je nach den spezifischen Eigenschaften der verschiedenen Arten. Der Einfluss des Determinationsgrades geht aus den Versuchen mit Sempervivum Funkii sehr einleuchtend hervor. Blühreife Ro- setten, die von Anfang März sehr günstigen Wachstumsbedingungen ausgesetzt werden, gehen wieder zum vegetativen Wachstum über, ohne irgend eine Andeutung der ihnen eigentlich bestimmten Ent- wickelung. Lässt man im Frühling andere Faktoren, wie Dunkel- heit und hohe Temperatur einwirken, so kann die Rosette zunächst ihrer Bestimmung folgen und die Infloreszenzachse bilden. Aber diese muss unter dem späteren Einfluss von Licht und Feuchtigkeit, 296 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. anstatt Blüten zu bilden, vegetativ werden. In einem späteren Sta- dium (im April) kann eine Infloreszenz trotz ihr entgegenwirkender, sehr günstiger Wachstumsbedingungen noch zur Blütenbildung ge- langen; schließlich muss sie dem äußeren Zwange gehorchen und zu der diesen Bedingungen entsprechenden Rosettenbildung über- gehen. Jede Untersuchung, die dahin strebt, durch direkte Einflüsse der Außenwelt schon in Gang gesetzte Entwickelungsprozesse um- zuändern, stößt auf die Tatsache, dass die einzelnen Pflanzenarten sich sehr verschieden verhalten. Wer versuchen würde, bei einer be- liebigen Pflanze das zu erreichen, was z. B. bei Sempervivum möglich ist, könnte sehr enttäuschende Erfahrungen machen. Bei manchen Pflanzenarten sind mir bisher solche Versuche misslungen. Nun würde sich mancher zufrieden geben, zu sagen: bei dieser und jener Art ist die Entwickelung ein autonomer, „erblich fixierter“ Vorgang. Aber das wäre entweder ein Ausdruck der Resignation oder eine unbewiesene und sehr unwahrscheinliche Behauptung. Solche negativen Resultate können für die Autonomie niemals be- weiskräftig sein. Es liegt doch näher, anzunehmen, dass die spezi- fische Struktur je nach den Arten ein verschiedenes Verhältnis zu den äußeren Bedingungen besitzt. Wie bei gleichen Bedingungen die einen chemischen Körper fest, die anderen flüssig oder gas- förmig sind, wie der Aggregatzustand der einen Körper innerhalb sehr weiter Grenzen durch Schwankungen des Druckes, der Tem- peratur nicht geändert wird (schwere Metalle, gewisse Gase), wäh- rend er bei anderen Körpern nur innerhalb sehr viel engerer Grenzen beständig ist, so könnte man sich vorstellen, dass die Ge- staltungsvorgänge der einen Spezies bei sehr großen Schwankungen der Außenwelt noch verlaufen, die der anderen nur innerhalb enger Grenzen, bei deren Überschreitung ein anderer Prozess eintritt. Als ein Beispiel des verschiedenen Verhaltens will ich die Arten der Gattung Veronica anführen. Ich konnte bisher die Meta- morphose der Infloreszenz in einen beblätterten Spross bei V. cha- maedrys ohne Schwierigkeit herbeiführen, ähnlich bei V. beeca- bunga, schwieriger bei V. offieinalis, anagallis, sehr schwierig bei V. teuerium, gar nicht bei V. longifolia. Seit drei Jahren ver- suche ich es bei der letzten Art unter den mannigfachsten Ver- änderungen immer ohne Erfolg; die Pflanze bildet ihre Infloreszenz bei sehr großen Schwankungen der Außenbedingungen und stirbt schließlich ab ohne irgend welche Metamorphose. Was hätte es nun für einen Sinn, was für eine Berechtigung, zu behaupten, dass der Vorgang bei V. longifolia unmöglich sei, weil die Bildung der Infloreszenz ein unveränderlicher, erblich fixierter Charakter der Spezies sei? Das ist doch höchst unwahrscheinlich, weil nicht bloß nahverwandte Arten die Metamorphose zeigen, sondern diese über- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 297 haupt bei allen Infloreszenzen als möglich vorausgesetzt werden muss. Um Erfolg in diesem besonderen Falle zu haben, wird es darauf an- kommen, ganz eigenartige Kombinationen äußerer Bedingungen anzuwenden und damit mannigfache Einwirkungen der Außenwelt auf die vorhergehenden Generationen zu verbinden. Wenn es bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft nun unmöglich ist, in diesem oder jenem Falle mit Hilfe solcher Methoden zu einem gewissen Ziele zu gelangen, so beeinträchtigt dieses negative Ergebnis nicht im mindesten die prinzipielle Richtigkeit der ganzen Forschungs- methode. Diese bis jetzt erörterten Betrachtungen führen mich zu jenem Punkt, von dem ich das Problem des ganzen Entwickelungsganges einer Pflanze kurz behandeln möchte. Die Entwickelung einer Pflanze vom Samen bis wieder zur Samenbildung geht in sehr großer Regelmäßigkeit vor sich und vollzieht sich auch bei relativ großen Schwankungen der allge- meinen Lebensbedingungen. Die tausendfältigen Erfahrungen an den Pflanzen in der freien Natur wie in der Kultur lassen es höchst begreiflich erscheinen, dass diese Regelmäßigkeit als der Ausdruck einer inneren Gesetzmäßigkeit aufgefasst worden ist und auch heute noch so aufgefasst wird. Selbst der oft so scharf ausgesprochene Unterschied zwischen einer mehr mechanistischen oder mehr vita- listischen Auffassung verwischt sich, wenn die Frage nach den Ur- sachen des Entwickelungsganges behandelt wird. Hören wir zuerst einen älteren Gelehrten von hervorragender Bedeutung, wie es Al. Braun war. In seinem berühmten Werk über die Verjüngungserscheinungen (1849) sagt er am Schluss (5. 347): „Man wird zunächst im allgemeinen zugestehen müssen, dass die geordnete Folge der Verjüngungserscheinungen, wie sie uns in jeder natürlichen Entwickelungsgeschichte vor Augen tritt, sich nicht durch die Wirkung äußerer Naturkräfte erklären lässt, sondern auf einen inneren Grund hinweist. Jeder Entwickelungs- prozess zeigt in seinem Verlaufe eine Planmäßigkeit, die nur in einer inneren Lebensbestimmung ihren Grund Holen kann: er zeigt uns zugleich allen äußeren sn gegenüber eine Selbständig- keit, welche die innere Kraftbegabung des Lebens beweist.“ Von einem modern-vitalistischen Standpunkt aus äußert sich Reinke (1901 S. 365) in seiner theoretischen Biologie folgender- maßen: „Unter allen Umständen lenkt ein einheitliches Prinzip den Aufbau des Apfelbaumes wie des Hühnchens aus dem Ei, ein Prin- zip, das mit maschinenmäßiger Sicherheit wirkt. Dies zielstrebig und zweckmäßig wirkende Prinzip habe ich die General- oder Integral-Gestaltungsdominante genannt.“ Auf einem kausal-mecha- nistischen Boden stehend, kommt Pfeffer in seinem bekannten Handbuch an verschiedenen Stellen auf den Grundgedanken zurück, 298 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. „dass der bestimmte Entwickelungsgang durch die erblich über- kommene Organisation bedingt ist und reguliert wird“ (1901 S. 159). An einer anderen Stelle (1901 S. 222) sagt er, dass „die spezifische Ontogenese des einzelligen und des vielzelligen Organismus durch eine selbstregulatorische Lenkung und Verschiebung der inneren Ursachen bedingt ist.“ Diese Anschauungen, denen sich ähnlich lautende, von anderen Forschern ausgesprochene Gedanken anschließen, haben die An- nahme gemeinsam, dass in der befruchteten Eizelle neben ihrer chemisch-physikalischen Beschaffenheit noch etwas Besonderes, Unbekanntes existiert, durch das eben der „bestimmte“ oder „typ- ische“ Entwickelungsgang verursacht wird. Die Außenbedingungen müssen mitwirken, weil sie teils direkt die nötige Energie liefern, teils indirekt als auslösende Reize mannigfache Bedeutung haben — jedoch bestimmen sie weder den /Entwickelungsgang, noch ver- mögen sie ihn wesentlich zu modifizieren. Der unbekannte Ent- wickelungsfaktor wird nun bezeichnet als: innere Lebensbestimmung, Bildungstrieb, erblich überkommene Organisation, Selbstregulation, autonome Ursachen, innere Gründe u. s. f. Größere Unterschiede in den Auffassungen ergeben sich, je nachdem der teleologischen Betrachtungsweise größere oder geringere Bedeutung beigelegt wird — ein Streitpunkt, auf den ich hier nicht weiter eingehe. Wenn ich solehen Auffassungen gegenüber einen anderen Standpunkt vertrete, so möchte ich, um Missverständnissen vorzu- beugen, vor allem betonen, dass ich keine „Erklärung“ der Ent- wickelung geben will. Da die spezifische Struktur sowie die inneren Bedingungen auch des einfachsten Organismus heute noch so un- bekannt sind, ist eine sichere Zurückführung ihrer Entwickelung auf eine bestimmte Kette kausal-verknüpfter Vorgänge nicht mög- lich. Andererseits kann ich vom Standpunkt des Naturforschers aus auch darin keine Erklärung sehen, wenn man aus der Not eine Tugend macht und das Unbekannte auf ein nicht zu Er- kennendes zurückführt. Mir kommt es überhaupt nur darauf an, das Problem der Entwickelung so zu formulieren, dass es mit unseren physiologischen Methoden angreifbar wird. Ich gehe von folgender Voraussetzung aus: In der spezifischen Struktur der Pflanzen, in der alle sichtbaren Eigenschaften der Potenz nach vorhanden sind, liegt nichts, was einen be- stimmten Entwickelungsgang notwendig verursacht. In letzter Linie entscheidet die Außenwelt darüber, welche von den verschiedenen möglichen Entwickelungsformen verwirklicht wird. Dieser Satz ist das Resultat theoretischer Betrachtungen auf Grund sicher festgestellter einzelner Erfahrungen. Er mag einge- schränkt, erweitert, oder in verschiedener Weise umgeändert werden, Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 299 wie es das Schicksal der meisten solcher Vorstellungen ist. Wer die Geschichte der biologischen Wissenschaften nur einigermaßen kennt, sollte nicht der Selbsttäuschung und dem eitlen Wahn ver- fallen, seine Überzeugungen als ewige Wahrheiten zu verkünden. Aber in der Annahme glaube ich nicht fehlzugreifen, dass der Satz einen gewissen Fortschritt gegenüber den herrschenden Memungen darstellt, weil er auf gangbare Wege hinweist, auf denen bleibende Erkenntnisse gewonnen werden können. In dieser Beziehung wird sich, wie ich hoffe, der Satz als berechtigt und zu weiteren Unter- suchungen anregend erweisen. Vor 14 Jahren habe ich in dieser Zeitschrift (Bd. IX) meine erste Arbeit über den Entwickelungsgang veröffentlicht; ich ging aus von der Untersuchung des Generationswechsels vom Wasser- netz (Hydrodietyon). Ich sagte S. 615: „Das wichtigste Ergebnis meiner Untersuchung besteht darin, dass das Wassernetz keinen bestimmten, auf inneren Gründen be- ruhenden Wechsel von geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Generationen zeigt, dass überhaupt keine besonderen Generationen, sei es der einen oder der anderen Fortpflanzungsform existieren; vielmehr besitzt jede Zelle des Netzes die Anlagen für beide Formen, und über das jedesmalige Eintreten derselben entscheiden die äußeren Bedingungen. Man kann im gewisser Weise die Zellen mit jenen eniantiotropen Substanzen wie Schwefel, Salpeter etc. vergleichen, welche in zweierlei Formen vorkommen und welche die eine oder die andere annehmen je nach den äußeren Be- dingungen. Mit diesem Vergleich soll nur so viel gesagt werden, dass in beiden Fällen die Fähigkeit, in verschiedenen Formen auf- zutreten, in der spezifischen unerklärlichen Natur, sei es der Zelle oder der Substanz des Schwefels ete. begründet ist, dass aber die Entscheidung darüber, welche Form angenommen wird, von der Außenwelt abhängt.“ Seit der Zeit ist der Entwickelungsgang verschiedener Algen und Pilze teils von mir, teils von anderen Forschern, wie Raci- borski, Bachmann, Werner, Senn, Potts u. a. untersucht worden und die Richtigkeit des Grundgedankens hat sich überall dort bestätigt, wo es möglich war, die Ernährungs- und Wachs- tumsbedingungen des Organismus einigermaßen kennen zu lernen und praktisch zu beherrschen. Es gibt in dem als Ausgangspunkt dienenden Teil, sei es Spore, sei es ein beliebiges Thallusstück, kein einheitliches Prinzip, keinen autonomen Entwickelungsfaktor, durch den eine bestimmte Form der Entwickelung verursacht wird. Es gibt in jedem dieser Organismen die Potenz für verschiedene Formen der Entwickelung; von der Außenwelt allein hängt es ab, welche von diesen Formen und in welcher Reihenfolge sie ver- wirklicht wird. 300 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Aber ist es denn möglich, dass diese Anschauungen auch Geltung für die Blütenpflanzen haben, deren Entwickelung so innerlich fest bestimmt erscheint? Lange Zeit schienen mir unübersteigliche Hindernisse jedem Versuche entgegenzustehen, die Anschauungen zu verallgemeinern; ich habe den Versuch auch nicht eher gewagt, als bis ich theoretisch die Möglichkeit begriff und meine Ansicht experimentell stützen konnte. Die leitenden Gedanken sind in den vorhergehenden Betrachtungen enthalten, durch die die Möglich- keit und die Tatsache einer Abhängigkeit der anscheinend „erblich fixierten*“ Vorgänge von der Außenwelt dargelegt worden ist. Auch der gesamte Entwickelungsgang einer Blütenpflanze braucht nicht, wie bisher allgemein angenommen, eine erblich fixierte Kette von Vorgängen zu sein. Gehe ich von einem reifen Samen aus, so enthält der Embryo von der Mutterpflanze her außer der gleichen spezifischen Struktur eine Menge innerer Bedingungen, die unter dem ständigen Einfluss der allgemeinen Naturkräfte die Entwickelung herbeiführen. Durch diese innere Beschaffenheit ist die Entwickelung schon in eine be- stimmte Richtung gelenkt. Da der Keimling außerdem unter wesentlich gleichen Bedingungen heranwächst wie die Mutterpflanze, so kann gar nichts anderes erwartet werden, als dass er, abgesehen von Variationen in Größe und Gestalt, genau die gieiche bestimmte Entwickelung einschlagen muss. Nach meiner Meinung ist die „spezifische Ontogenese“ das Resultat der Einwirkungen der Außen- welt auf die gegebene spezifische Struktur, sowohl der vorher- gehenden Generationen als auch der letzten, die gerade beobachtet wird. Damit eröffnet sich die Möglichkeit des Nachweises, dass die spezifische Ontogenese nicht notwendig ist, dass die Pflanze ihrer Struktur nach auch andere Wege einschlagen kann oder muss, sobald es gelingt, die innere Beschaffenheit des Embryo durch be- stimmte Einwirkungen der Außenwelt auf die vorhergehenden Generationen umzuändern. Dann aber kommt eine zweite Mög- lichkeit hinzu, die Entwickelung noch während ihres Ganges zu ändern, wenn die äußeren Bedingungen in besonderen Kombinationen, die an den gewöhnlichen Standorten fehlen, einwirken. Wegen des Zusammenwirkens zweier Greeschlechter, ferner wegen der Ausbildung des Embryo tief im Innern der Mutter- pflanze, bieten sich Schwierigkeiten praktischer Art für die Ver- suche dar. Zunächst habe ich es daher vorgezogen, von Pflanzen auszugehen, die sich vegetativ vermehren lassen. Denn bei ihnen vermag man die innere Beschaffenheit solcher Teile, wie Ausläufer, Rosetten u. dergl. durch Beeinflussung der sie erzeugenden Mutter- pflanze nach Belieben innerhalb der durch die Struktur gesetzten Grenzen zu verändern. Selbst wenn solche Teile bereits eine be- stimmt gerichtete Determination, sei es zufällig, sei es direkt be- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 301 absichtigt, erfahren haben, lässt diese sich beseitigen und durch eine andere, mit Hilfe der Außenwelt, ersetzen. Im Prinzip ver- hält sich demgemäß ein Ausläufer von Glechoma hederacea, Ajuga reptans (Klebs 1903 S. 50), eine Rosette von Sempervivum Funküi gleich einem Mycelstück von Saprolegnia oder einem Fadenstück von Vaucheria. Für alle diese verschiedenen Pflanzen gilt der Satz, dass jeder Entwickelungsgang, den sie draußen in der freien Natur wie in der Kultur einschlagen, durch die gegebenen Außen- bedingungen wesentlich bestimmt ist. Dieser Satz wird durch Be- obachtungen zahlreicher Botaniker an einzelnen Entwickelungs- vorgängen, wie z. B. der Blattbildung bei amphibisch lebenden Pflanzen u. s. w. gestützt. Besonders wichtig für die vorliegenden Fragen ist der von Goebel (1898 S. 123 u. s. w.) geführte Nach- weis, „dass die morphologisch oft ausgezeichnete Jugendform vieler Pflanzen anderen äußeren Verhältnissen angepasst ist als die Folge- form“. Es gelang Goebel, bei Funaria, Eichhornia, Acacia, an der älteren Form experimentell die Jugendform wieder hervorzu- rufen, demnach die Entwickelung umzukehren. Diese Darlegungen können auch dazu dienen, meinen Stand- punkt gegenüber den Auffassungen von Driesch klarzustellen, der in dieser Zeitschrift vor kurzem meine Arbeit über willkürliche Entwickelungsänderungen kritisch besprochen hat. In meiner Ar- beit habe ich mich bereits mit den Anschauungen von Driesch auseinandergesetzt, weil ich der Meinung war, dass der aus be- stimmten Einzelfällen abstrahierte Begriff der Lebensautonomie doch schließlich eine allgemeine Geltung beansprucht. So aner- kennenswert und wichtig die kritischen Ausführungen von Driesch über die heute herrschenden Entwickelungstheorien sind, und so sehr seine Begriffe durch Klarheit und Schärfe ausgezeichnet sind, so bleibt doch seine Grundanschauung bezüglich der Entwickelung den vielfach in der Botanik geltenden Ansichten verwandt. Denn auch Driesch nimmt einen konstanten, nicht weiter analysierbaren Faktor an, der unter zureichenden äußeren Bedingungen den be- stimmten spezifischen Entwickelungsgang lenkt und bis zu dem als Ziel beurteilten Ende führt. Die Besonderheit der Ausführungen von Driesch (1899, 1901, 1902) liegt in dem Versuch, diesen auto- nomen Entwickelungsfaktor, die Entelechie, für die von ihm unter- suchten Fälle streng beweisen zu wollen. Meine vorhergehenden Betrachtungen werden die früher ausgesprochenen stützen und dazu beitragen, die Annahme eines solchen Faktors unwahrscheinlich zu machen. In seinen neuesten Bemerkungen macht Driesch (1903 S. 766) meinen Versuchen gegenüber einen wichtigen Einwand. Er meint, dass meine Versuche deshalb mit seinen Entelechiebeweisen nichts zu tun hätten, weil sie an „offenen Formen“ angestellt seien. Unter 302 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. solchen versteht Driesch (1894 S. 106; Neue Antworten 1902 S. 829) das, was in der Botanik als Pflanzen mit unbegrenzt wachsendem Vegetationspunkt bezeichnet wird, z. B. der Ausläufer von Gle- choma ete. Ihnen stehen gegenüber die „geschlossenen“ Formen, bei denen die Zellen eines gefurchten Eies oder eines Vegetations- punktes so gut wie völlig aufgehen m der Differenzierung und Ausgestaltung eines schließlich fertigen Gebildes. Für solche Fälle der Entwickelung, bei der, wie Driesch sagt, die Teile nicht nacheinander, sondern auseinander entstehen, hat er später (1899 S. 43) den Begriff des „harmonisch-äquipotentiellen Systems“ aul- gestellt, der die Grundlage für seine Annahme der Lebensautonomie bildet. Driesch (1903 S. 769) hebt nun wieder ausdrücklich her- vor, dass ihm „ein geradezu fundamentaler begrifflicher Gegensatz zwischen offenen Formen und harmonisch-äquipotentiellen Systemen vorzuliegen scheint. Versuche an ersteren, wie Klebs sie aus- führte, sind an sich und für die Biologie überhaupt von großer Bedeutung — für Dinge, die ihnen begrifflich ganz fremd sind, nützen sie gerade so wenig wie thermische Untersuchungen für die Optik.“ Aber ist es denn nicht denkbar, dass dieser fundamentale Gegensatz eben nur in den Begriffen von Driesch existiert und den wirklichen Verhältnissen der organischen Natur fremd ist? Es ist berechtigt und sehr wertvoll, begriffliche Unterscheidungen zu machen, durch die tatsächliche Verschiedenheiten ausgedrückt werden. Aber ebenso berechtigt, ja notwendig ist es, nachzusehen, ob nicht diese Unterschiede doch nur verschiedene Abstufungen einer im Grunde einheitlichen Erscheinung sind. Solche begrift- lichen Gegensätze werden nach allen Erfahrungen immer durch die Natur in hohem Grade verwischt. Vom Standpunkt aus, den Driesch annimmt, erscheint es be- grifflich nicht gerechtfertigt, die Infloreszenz von Veronica cha- maedrys einfach als offene Form zu bezeichnen, „deren Entwicke- lung nicht bestimmt oder auch scharf begrenzt ist.“ Sie unterscheidet sich nach ihrem typischen Verhalten dadurch von den offenen Formen, dass sie eine ganz begrenzte Entwickelung hat. Meine Versuche zeigen aber, dass sie sich durch ihre Metamorphose in eine offene Form umwandeln lässt. Warum sollte nicht auch eine Form, die als harmonisch-äquipotentielles System aufzufassen wäre, schließlich doch zu einer offenen umgestaltet werden? Meine Ver- suche mit Sempervivum bewiesen das vollkommen sicher. Der Vegetationspunkt einer cymösen Blütenachse hat alle Eigenschaften, die für das harmonisch-äquipotentielle System von Driesch charakteristisch sind. Die Entwickelung einer Blüte aus dem embryonalen Vegetationspunkt ist durchaus vergleichbar der Entwickelung eines Seeigels aus dem gefurchten Ei. In beiden Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 303 Fällen differenzieren sich die Zellen in mannigfachster Weise, und ihre Gemeinschaft gestaltet sich zu einer Form von höchster Regel- mäßigkeit und harmonischer Ausbildung. Wie Driesch sagt (1399 S. 45), liegt das wesentlichste Kennzeichen solcher Systeme darin, „dass jeder Effekt nur einmal oder eine bestimmte Zahl von Malen geschieht und in einer festen Beziehung zu allen anderen Effekten steht.“ Das trifft für die Entwickelung der Blüten vollständig zu. Aber auch die proportionale Ausgestaltung bei variabler Größe des Systems lässt sich bei den Blüten feststellen. Der dicke kräftige Vegetationspunkt der Hauptachse wie der kleine, der ın den Achseln seiner Hochblätter sitzt, bildet gleicherweise eine typische Blüte, wenn auch deren Größe wie auch die Zahlenverhältnisse der Glieder etwas variieren. Und dennoch — trotz aller dieser Charakterzüge — verhält sich das harmonisch-äquipotentielle System prinzipiell nicht anders als em ganz offenes System oder ein halb geschlossenes wie die Infloreszenz von Veronica. Es lässt sich wie diese letztere durch die mittelbaren Wirkungen der Außenwelt ın eine unbegrenzt wachsende, offene Form umwandeln (vergl. Ab- schnitt I S. 227). Der von !Driesch so scharf hervorgehobene Gegensatz existiert in Wirklichkeit nicht; er löst sich auf in eine Reihe von Abstufungen zwischen den offenen und in verschiedenen Graden geschlossenen Systemen; die Blütenanlagen vieler Sym- petalen (Labiaten etc.) sind noch viel bestimmter und schärfer differenziert als die Blüten von Sempervivum; die gefurchten Echinidenkeime können wieder eine andere Stufe darstellen u. s. f. Doch wir können noch tiefer eindringen und die Folgerungen in Frage ziehen, die Driesch aus der Betrachtung solcher har- monisch-äquipotentieller Systeme gewonnen hat. Ein solches System trägt nach Driesch (Zwei Beweise 1902 S. 5) ein gewisses konstantes Charakteristikum, nämlich das Kennzeichen „ımm erunter zureichenden äußeren Bedingungen das proportional richtige Resultat zu liefern.“ Diese konstante Größe, die nicht in eigentlich Ele- mentareres aufzulösen ıst, wird die Entelechie genannt. Das wesentliche Kennzeichen für die Entelechie liegt demnach in ihrer konstanten, von der Außenwelt unabhängigen Wirkung. Für ein harmonisch-äquipotentielles System, wie der Vegetations- punkt einer eymösen Blütenachse, lässt sich der sichere Nach- weis führen, dass die tatsächliche Konstanz gar nicht vom System allein abhängt, sondern notwendig durch die Außenwelt mitbe- dingt ist, dass durch deren Änderung die normale Konstanz ver- schwindet, das proportionale Verhältnis der Teile ganz verändert wird. Ich erinnere an die Zwischenformen von Rosetten und Blüten bei Sempervivum, Bildungen, die gewisse Charaktere beider in sich veremigen (diese Zeitschrift 1904 S. 227). Die nähere Betrachtung lehrt, dass der uns so einheitlich er- 304 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. scheinende Entwickelungsvorgang sich doch tatsächlich in Einzel- prozesse auflösen lässt, von denen jeder besonderen Bedingungen gehorcht (vergl. Klebs 1903 S. 123). Bei solchen Zwischenformen sah ich, dass die Blüte sich in den emen Fällen kombinierte mit der Bildung zerstreuter Laubblätter, in anderen mit der Bildung einer Rosette. Damit verbinden sich Änderungen der Blüte selbst. Im typischen Falle stehen die Blütenteile in ganz bestimmten Raum- und Zahlverhältnissen; die Kelch-, Blumen- und Fruchtblätter sind gleichzählig, die Staubblätter sind in doppelter Anzahl vorhanden. Bei den genannten Zwischenformen schwankt einmal die absolute Zahl der Glieder; ich sah statt 14—12 Blumenblätter z. B. 8 oder 7, 6, 5, die dabei ungleich ausgebildet waren. Vor allem war aber auch das proportionale Verhältnis verändert; die verschiedenen Glieder der Blüte erschienen in ganz abweichenden und unregel- mäßigen Zahlen; sie variieren also unabhängig voneinander. Alle diese Beobachtungen vereinigen sich zu dem Resultat, dass ein System wie die Blüte, das nach seinen Eigenschaften als harmonisch-äquipotentiell im Sinne von Driesch bezeichnet werden müsste, nicht nur nicht berechtigt zur Annahme der Entelechie, sondern sie in hohem Grade unwahrscheinlich macht. Nun wird Driesch sich mit Recht darauf berufen, dass die von ihm so sorgfältig analysierten tierischen Objekte eben doch Systeme anderer Art darstellen, dass bei ihnen eine solche Auf- lösung des Ganzen in seine Teile jetzt nicht möglich sei. Das ist durchaus zuzugegeben — aber kann man wirklich daraus folgern, dass es für alle Zeiten unmöglich sein wird? Hat man nicht zur Zeit von Al. Braun, selbst kürzlich noch, es ebenso für unmöglich er- klärt, bei der Entwickelung der Pflanzen eine bestimmende Mit- wirkung äußerer Faktoren anzunehmen? Und doch muss man die Tatsache anerkennen, auch bei sehr geringer Bewertung der bis jetzt festgestellten Beobachtungen. Gewiss, es wird langsam gehen, schon bis man sich einmal von der Vorstellung loslöst, die für zu selbstverständlich gehalten wird, dass die tierische Entwickelung so unabhängig von der Außenwelt vor sich gehe. Diese Unab- hängigkeit von den direkten Einflüssen der Umgebung ist größer als bei den Pflanzen, aber sicherlich weit überschätzt für die nie- deren Tiere; dafür sprechen die wichtigen Untersuchungen von Herbst (vergl. 1902) über den Einfluss der anorganischen Salze auf das Wachstum der Seeigellarven. Vor allem ist jedoch die Frage, ob und in welchem Maße das befruchtete Ei in seiner inneren Beschaffenheit durch die auf die Elterngeneration wirkende Außenwelt verändert wird, durch die bisherigen Beobachtungen in keiner Weise beantwortet. Was wissen wir denn von den Er- nährungs- und Wachstumsbedingungen der Echiniden, Planarien ete.? Man müsste sie doch in beliebigen Mengen aus den Eiern bis Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 305 wieder zur Geschlechtsreife aufziehen können; man müsste dann mehrere Generationen hindurch bestimmte Kombinationen äußerer Einflüsse einwirken lassen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was in der Entwickelung veränderlich ist, was nicht. Die Schwierig- keiten sind zweifellos sehr groß, aber für die Zukunft nicht un- überwindlich. Die Pflanzen bieten sich in dieser Beziehung als viel einfachere und günstigere Objekte der Forschung dar. Für sie kann das Problem des Entwickelungsganges infolge des bestimmenden Einflusses der Außenwelt mit Hilfe der physiologischen Methoden ebenso erforscht werden wie irgend ein anderes Lebensproblem. Wie schon bei der allereinfachsten Lebensäußerung niedrig stehender Organismen, nur in weit höher gesteigertem Grade bei dem Entwickelungsgang muss man sich eingestehen, wie langsam, wie viel zu langsam für den nach Einsicht strebenden Geist die Erkenntnis fortschreitet! Das kommt sofort zum klaren Bewusstsein, wenn man sich den Fragen nähert, welche Einflüsse der Außenwelt denn so bestimmend eingreifen, und vor allem, welch ein Zusammenhang besteht zwischen ihrer Wirkung und dem dadurch veranlassten Resultat der Form- bildung. Ein Versuch bei der heutigen Sachlage, die Fragen weniger zu beantworten als zu klären, wird im nächsten Abschnitt gemacht werden. Literatur. Al. Braun, Betrachtungen über die Erscheinung der Verjüngung in der Natur. Freiburg 1849 —50. H. Driesch, Analytische Theorie der organischen Entwickelung. Leipzig 1894. — Die Lokalisation morphogenetischer Vorgänge. Leipzig 1899. — Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. — Zwei Beweise für die Autonomie von Lebensvorgängen. Verh. V. internat. Zoologen-Kongress 1901. Jena 1902. — Neue Antworten und neue Fragen der Entwickelungsphysiologie. Wies- baden 1902. — Kritisches und Polemisches IV. Biol. Centralbl. 1903, Bd. XXIII. K. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen, Teil II. Marburg 1893. — ÖOrganographie der Pflanzen, Teil I. Jena 1898. C. Herbst, Vorläufige Übersicht über die Rolle der zur Entwickelung der See- igellarven notwendigen anorganischen Stoffe. Verh. Naturk. Med. Ver. Heidelberg 1902. G. Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. Biol. Centralbl. IX, 1859—90. — Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen. Jena 1903. W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, 2. Aufl, Bd. II. Leipzig 1901. J. Reinke, Einleitung in die theoretische Biologie. Berlin 1901. xXIV. 0 306 Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden (Enteroxenos östergreni). Aus einem Vortrag, gehalten in der biologischen Gesellschaft zu Kristiania, 3. Dezember 1903. Von Kristine Bonnevie, Universitätskonservator. (Schluss.) Nachdem die Centrotheka ihre Wanderung gegen den vor- dersten Pol des Kerns hin begonnen hatte, sahen wir (Fig. 3) die Mitochondrien wie ein Häufchen kleiner Körner um und besonders außerhalb der Ringkörner liegen. Ihre Stellung wird später mehr ausgeprägt, man sieht sie auf Schnitten in zwei etwas gebogenen Reihen liegen, eine an jeder Seite der Ringkörner und in der Rich- tung vom hinteren Pol des Kerns gegen die Zellmembran hin (Fig. 4—6). Nicht immer ıst die Anordnung der Mitochondrien so regel- mäßig wie in Fig. 6, oft sind sie mehr diffus im Zytoplasma ver- teilt und sehr gewöhnlich ist es, dass die hinteren Enden der Bögen näher zusammenstoßen als die vordersten (Fig. 5); die Lage der Mitochondrien muss man sich in diesem Falle so vorstellen, dass sie eine schalenförmige Ansammlung um die Zentralkorn- bildungen herum bilden, mit der Schalenöffnung gegen den Kern wendend, — während sie in Fällen wie in Fig. 6 ein tonnen- förmiges offenes Rohr bilden. Wenn nun das Zytoplasma unter dem Wachstum des Achsen- fadens nach hinten strömt, löst sich die Mitochondrienansammlung auf. Die Körner werden sehr fein im Zytoplasma verteilt; zuweilen sieht man sie noch wie unregelmäßige dunklere Ansammlungen, sehr oft aber verlieren sie in diesem Stadium vollständig ihre Färb- barkeit (Fig. 7). In einem Stadium, wie das in Fig. 8—9 abgebildet, wo der Achsenfaden und die Umhüllungsmembran vollständig entwickelt sind, sieht man eine eigentümliche Umbildung der letzteren. In regelmäßigen Zwischenräumen zeigen sich kleine verdickte Partien an den Fädchen; diese Partien sind stärker gefärbt als das Zyto- plasma und bald sieht man, dass sie sich zu kleinen Querbändchen entwickeln, die sich von der einen Seite des Membran bis zur an- deren erstrecken. Diese Entwickelung fängt vom hintersten Teil des Mittelstückes an und es zeigt sich hier bald, dass die Quer- bändchen unter sich verbunden werden, so dass sie einen zusammen- hängenden spiralig gewundenen Faden bilden, der die Umhüllungs- membran umgibt. Obgleich ich nicht direkt das Schicksal der Mitochondrien während der ganzen Entwickelung der Spermien habe beobachten können, glaube ich doch, in Analogie mit dem Verhalten bei an- (a2 Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. 307 deren Tieren, dass das Spiralfädchen als ein Umbildungsprodukt derselben angesehen werden muss. Ob die Mitochondrien allein den Spiralfaden gebildet, oder ob sie es in Verbindung mit dem Zytoplasma getan haben, in welchem sie verteilt gefunden wurden, darüber kann ich keine begründete Memung aussprechen. Wir haben nun die Entwickelung aller Bestandteile der Sper- mien verfolgt: Ihr Kopf ging direkt aus dem Zellkern hervor, das Perforatorium durch eine Umbildung der Centrotheka, Mittelstück und Schwanzfaden durch ein Zusammenwirken zwischen Zentral- körner und Zytoplasma. Es bleibt nur noch übrig zu zeigen, wie es mit dem bedeu- tenden Rest des Zytoplasmas wird, der nicht während der Bildung der genannten Organe verbraucht wurde. Nachdem der Spiral- faden gebildet ist, hat das Zytoplasma seine Rolle ausgespielt; und man kann nun sehen, wie die fertige Spermie sich aus den Zyto- plasmaresten herausarbeitet. Ich habe einmal diesen Prozess in lebendem Material gesehen, und in meinen Präparaten befinden sich alle Stadien einer solchen Auswanderung, — Stadien, wo nur das Perforatorium hinaus über die Zytoplasmamasse ragt, andere, wo der ganze Kopf frei ist (Fig. S—9), wieder andere, wo der Zyto- plasmarest eine kugelförmige Masse um den hintersten Teil des Mittelstückes herum bildet (Fig. 10) und endlich eine ganze Menge, wo Gruppen von Spermien in der Nähe von verlassenen kugel- förmigen Zytoplasmaballen liegen, die nun deutliche Spuren der Degeneration zeigen. Es geht aus dem Obenstehenden hervor, dass die Umbildung der Spermien bei Enteroxenos dieselben Hauptzüge zeigt, wie die, welche man früher bei den Wirbeltieren nachgewiesen hat und die auch, besonders durch die verdienstvollen Untersuchungen von Meves, bei anderen Gastropoden wiedergefunden sind. Es sind doch emige Punkte, in welchen meine Beobachtungen sich von den früher bekannten Verhältnissen bei den Gastropoden unterscheiden, und wir müssen deshalb einen kurzen Blick auf die Literatur werfen, insoweit als sie diese Punkte betrifft. Die Gastropoden, bei denen die Spermiogenese früher unter- sucht ist, gehören besonders zu den Pulmonaten (Helix und Arion), aber auch eine Prosobranchie: Paludina vivipara ist zu wiederholten Malen zum Gegenstand für spermiogenetische Untersuchungen ge- macht, zuletzt und am eingehendsten von Meves. Paludina ıst die von den genannten Arten, die in systematischer Beziehung Enteroxenos am nächsten steht, und auch in der Spermio- genese zeigt sich zwischen diesen beiden Arten eine auffallende äußere Ähnlichkeit, welches sofort bei einem Vergleich zwischen 20” 308 >onnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. den Abbildungen hervorgeht, die Meves!) von Paludina gegeben hat, und den meinigen von Enteroxenos, Es ıst deshalb auch von Interesse, auf die Punkte etwas ge- nauer einzugehen, in welchen unsere Beobachtungen nicht überein- stimmen, nämlich speziell das Verhalten der Zentralkörner und der Mitochondrien. Meves beschreibt (Arch. mikr. Anat. Bd. 61, p. 24ff.), wie beide Zentralkörper bei Paludina sich gegen den Kern hinein be- wegen, der proximale etwas schneller als der distale. — Später fängt der distale Zentralkörper an, „nach hinten in der Richtung des Schwanzfadens in einen Stab auszuwachsen“. Der proximale Zentralkörper dagegen „plattet sich zunächst an dem hinteren Kernpol ab; dann aber wächst er, zwischen den Stadien der Figuren 41 und 42, unter plötzlicher Umformung seiner Masse in die Öff: nung hinein, welche von den inzwischen einander stark genäherten Rändern der Uhromatinblase umschlossen wird. Er erscheint nun- mehr als eine einfache Fortsetzung des von dem distalen Zentral- körper gebildeten Stabes; meistens ist er von diesem sogar über- haupt nicht abzugrenzen.“ Aus der obenstehenden Beschreibung sowohl wie aus den bei- gefügten Figuren geht hervor, dass der Achsenfaden in diesem Stadium bei Pahıdina genau denselben Bau und Ausdehnung hat wie bei Enteroxenos m den ın Fig. 5—6 abgebildeten Stadien. Er erstreckt sich wie ein zusammenhängender, stark gefärbter Stab von der Zellmembran ein kleines Stück in den Kern hinein. A priori wäre der Gedanke sehr naheliegend, dass beide Bildungen auch wirklich homolog seien, und ich habe während meiner Unter- suchungen diesem Punkt spezielle Aufmerksamkeit geopfert, ohne dass es mir jedoch möglich gewesen ist, zu demselben Resultat wie Meves zu kommen. Ich habe auf keinem Stadium der Entwickelung der Spermien bei Enteroxenos einen Bruch an dem Stab gefunden, den ich als ein Umformungsprodukt des distalen Zentralkornes beschrieben habe. Er behält die ganze Zeit hindurch seine Berührung mit dem Zellmembran und wächst kontinuierlich gegen den Kern hin und in diesen hinein, ohne dass ich irgendwie ein Mitwirken des proxi- malen Zentralkornes bei der Bildung des Stabes finden konnte. Dagegen habe ich bei Einteroxenos gefunden, dass dieses proximale Zentralkorn den Ausgangspunkt bildet für eine Ringbildung und hierdurch auch für die Umhüllungsmembran?), die bei den fertigen 1) Arch. mikr. Anat. Bd. 56, Taf. 26, Fig. 36—-40 und Bd. 61, Taf. 2, Fig. 36—47. 2) Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass die Umhüllungsmembran bei Enteroxenos der von mehreren Verfassern besprochenen „Schwanzkappe“ oder „Schwanzblase“ entspricht, die während der Spermiogenese bei mehreren Wirbel- Bonnevie, Zur Kenntnis der Spermiogenese bei den Gastropoden. 309 Spermien Hals und Mittelstück umgibt, — eine Bildung, die bei keiner anderen Gastropode genau beschrieben ist. In der früheren Literatur finden sich doch ein paar Angaben, die darauf hindeuten könnten, dass ähnliche Verhältnisse auch bei anderen Schnecken vorkommen. Die erste von ihnen ist von v. Brunn!). Er beschreibt bei Palıdina um den Austrittspunkt des Schwanzfadens herum „einige stark glänzende Körnchen“, die „die vier Ecken eines winzigen Quadrates bilden“; und weiter be- schreibt er, wie sich eine Verbindung „zwischen ihnen, wie auch mit dem Fußpunkte des Fadens“ zeigt. — In einem etwas späterem Stadium „kann man bestimmt wahrnehmen, dass die Ränder der Kernöffnung in Verbindung mit den Stäbchen (den früheren Körn- chen) stehen.“ Wie man sieht, ist dies Schritt für Schritt dieselbe Entwickelung, wie ich sie oben für die Ringkörner bei Enteroxenos beschrieben habe. Und diese Beobachtungen behalten ihren Wert, wenn auch v. Brunn selbst am Schlusse derselben Abhandlung die ganze Bildung als einen „Kernfortsatz“ bespricht, der im Wider- spruch mit seinen eigenen Beobachtungen von dem hinteren Pol des Kernes herausgewachsen sein soll. Die andere Angabe ist von Godlewski?). Er bespricht in den Spermien bei Helix pomatia einen „Zugfaserkegel“, der ein Rest von der letzten karyokinetischen Figur sein soll. Seine Basis ist gegen den Kern gekehrt, während das Zentrosom seine Spitze bildet. Später verschwindet die fibrilläre Struktur, „so dass der Kegel sich durch fast homogenes Aussehen kennzeichnet. Dieser Kegel verbindet den Samenfadenkopf mit der Ansatzstelle des Achsenfadens; er verdient also den Namen „Verbindungsstück*“.* Die Bildung, die hier der Beschreibung Go dlewskrY's zugrunde liegt, muss ohne Zweifel ungefähr so aussehen, wie das Faden- system bei Einteroxenos in Stadien, wie die in Fig. 6-7 abgebildeten. In späteren Arbeiten über Helix und Paludina von v. Korff?) und Meves*) werden keine von diesen Beobachtungen bekräftigt. Allerdings sieht Meves die „glänzenden Körnchen“, die v. Brunn beschrieben hat, für identisch mit den von ihm selbst beschriebenen vier Mitochondrieblasen an, welche die Zentralkörner umgeben. Ich bin aber nicht überzeugt, dass Meves in dieser tieren beschrieben ist. Sicher ist es, dass sie nicht mit der von Lenhoss6k und Meves beschriebenen „Schwanzmanschette“ homolog ist. 1) v. Brunn, M. Untersuchungen über die doppelte Form der Samenkörper von Paludina vivipara. Arch. mikr. Anat. Bd. 23, 1884. 2) Godlewski, E. jun. Weitere Untersuchungen über die Umwandlungs- weise der Spermatiden in Spermatozoen bei Helix pomatia. Anz. d. Akad. d. Wissensch., Krakau 1897. 3) Korff, K. v. Zur Histogenese der Spermien von Helix pomatia, 1899. Arch. mikr. Anat. Bd. 54. 4) Meves, Fr. loc. eit. 310 Schultz, Über Regenerationsweisen. Identifizierung Recht hat, da ich in seimer Darstellung und den Abbildungen, die er von den Verhältnissen bei Paludina gibt, keinen Anhaltspunkt finde für v. Brunn’s Beschreibung von einer Verbindung, sowohl zwischen den Körnern untereinander sowie zwischen diesen und den Fußpunkt des Achsenfadens. Die Bildung eines Spiralfadens um das Mittelstück herum, ist früher von Benda bei Planorbis beobachtet. Im Gegensatz zu dem Verhalten bei Paludina, nach Meves, muss hervorgehoben werden, dass die Mitochondrien bei Enteroxenos sich nicht direkt um den Achsenfaden lagern; aber ihr Umbildungsprodukt, der Spiralfaden wird erst außen um die Umhüllungsmembran gebildet. [119] Über Regenerationsweisen. (Zugleich eine vorläufige Mitteilung über Degenerationserscheinungen bei Planarien.) Von Eugen Schultz (St. Petersburg). Vor einem Jahre!) stellte ich in dieser Zeitschrift einen Unter- schied auf zwischen Neogenie und Anastase. Wonach Neogenie in einer Neubildung von Organen und Körperteilen aus einer neuen Anlage, Anastase in einer Ausgestaltung des verletzten Organes aus dessen Resten besteht. Für die Anastase wäre die Formel „Gleiches aus Gleichem“ anwendbar, für Neogenie, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, nicht. Dennoch hat dieser Unter- schied nur einen bedingten Charakter und lässt sich nicht bis auf das Wesen der Regeneration durchführen. Überall macht die Regeneration denselben Prozess der Entdifferenzierung und neuen Differenzierung durch. Dabei können die zum embryonalen Cha- rakter zurückgekehrten Zellen entweder dieselbe Bildung ergeben, deren Teil sie vor Beginn der Entdifferenzierung waren — und in diesem Falle haben wir es mit Anastase zu tun (z. B. Regene- ration der Muskeln bei Wirbeltieren), oder können die Zellen eine Bildung ergeben, die verschieden von derjenigen ist, die sie vor der Operation zusammensetzten — in diesem Falle haben wir eine Neogenie. Überall wo wir der Regeneration in ihrer ursprüng- lichen Form begegnen, haben wir es mit einer rückläufigen Ent- wickelung, mit einer Verjüngung der Zellen zu tun, mit einem Zurückkehren zum Ausgangsstadium und einer neuen Differen- zierung, die oft in neuem Geleise verläuft. Als Rückdifferenzierung und neue Differenzierung der Zellen sah auch Strasser?) die Re- generation an, doch beschränkt er diesen Prozess auf die Wund- fläche, während als Antwort auf eine Verwundung eine Regene- ration oft auch an von der Wundfläche entfernteren Stellen vor sich geht; in diesem Falle gemahnt eine solche Bildungsweise 1) E. Schultz, Über das Verhältnis der Regeneration zur Embryonal- entwickelung und Knospung, Bd. XXII, 1902. 2) H. Strasser, „Regeneration und Entwickelung.“ Rektoratsrede. Jena 1899. Schultz, Über Regenerationsweisen. 311 an die Regeneration durch Umordnung und Umdifferenzierung Roux’ oder die Morphallaxis Morgan’s. Eine solche Regene- ration an von der Wunde entfernteren Stellen konnte ich ın einem Falle von Ösophagus beim Phoronis sehen), Hescheler?) bei Re- generation des Bauchmarkes von Lumbriciden, nicht zu gedenken anderer Beobachtungen, die direkt als Umordnungen gedeutet werden. Das Faktum der Umkehr der Lebensprozesse, auf deren Mög- lichkeit unlängst Driesch°) hinwies, hätte dann nicht nur Be- deutung in einigen Ausnahmefällen — wie bei (Clavellina nach Driesch, bei Dendrocoelım nach meiner weiter unten beschrie- benen Untersuchung —, aber würde überall dort stattfinden, wo wir es mit Regeneration oder vielleicht sogar mit jeglicher Art von Entwickelung zu tun haben. Auch fand Ribbert*), dass die Zellen transplantierter Gewebe wiederum embryonalen Charakter annehmen. Wenn wir die regenerativen Erscheinungen lokalisieren, so bieten sich uns zwei entgegengesetzte Erklärungsweisen. Nach der einen müssen wir annehmen, dass im Organismus an den Stellen, die häufigen Verletzungen ausgesetzt sind, Reservezellen mit em- bryonalerem Charakter liegen, die dazu bestimmt sind, das be- treffende beschädigte oder entfernte Organ wieder herzustellen. Eine solche Erklärung lässt sich nur annehmen, wenn wir die Re- generation als eine durch natürliche Zuchtwahl sekundär erworbene Eigenschaft (Weismann) ansehen. Wirklich können wir in einigen Fällen, die sich der normalen Teilung und Knospung nähern, direkt auf solche Zellen hinweisen, die nur die Bedeutung von Regene- rationszellen haben. Hier also, wo die Regeneration zum Ver- mehrungsmodus geworden ist, haben wir es natürlich mit einer sekundären Erscheinung zu tun. Überall, wo wir die Regeneration in primärer Form antreffen und, nach meiner Ansicht, noch nicht durch natürliche Zuchtwahl verändert, finden wir keine solche Reservezellen. Nach der anderen Erklärungsweise (OÖ. Hertwig) sind alle Zellen des Organismus potentiell fähig das Ganze zu bil- den, und nur die Differenzierung, d. h. die Spezialisation hindert sie daran. Auf Grund meiner Beobachtungen kann ich in den meisten Fällen keine so weite Regenerationsfähigkeit annehmen. Nun, da nach Vejdovsky°) auch der Widerspruch der Regene- 1) E. Schultz, „Aus dem Gebiete der Regeneration“ III. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. LXXV, 1903. f 2) K. Hescheler, ‚Uber Regeneration bei Lumbriciden“ II. Jenaische Zeitschr. f. Naturw. Bd. XXXTI, 1898. 3) H. Driesch, „Studien über das Regulationsvermögen der Organismen u. Die Restitution der Clavellina lepadiformis.“ Arch. f. Entw.-Mech. Bd. XIV, 1902. 4) Ribbert, „Über Veränderungen transplantierter Gewebe.“ Arch. f. Entw.- Mech. Bd. VI, 1897. 5) G. Winkler, „Regeneration des Verdauungsapparates von Rhynchelmis Iimosella Hoffm.“ Sitzungsb. Böhm. Gesellsch. Wiss. Prag XII, 1902. 312 Schultz, Uber Regenerationsweisen. ration des Pharynx bei Oligochäten mit der Keimblättertheorie durch den Befund aufgehoben ist, dass auch in der Embryonal- entwickelung der Pharynx sich aus dem Entoderm entwickelt, haben wir keinen einzigen Fall mehr, wo der regenerative Ent- wickelungsgang der Keimblättertheorie widerspräche, d. h. wo bei Regeneration das Organ aus einem anderen Keimblatte, als m der Embryonalentwickelung hervorginge. So hat wohl auch die Po- tenz der Zellen ihre bestimmten Grenzen und diese Grenzen sind wahrscheinlich ın den meisten Fällen enger als die der Keim- blätter. Diese Grenzen zu bestimmen ist eben die Aufgabe der Arbeiten über Regeneration. Meine Erklärungsweise nimmt die Mitte zwischen den Ansichten O. Hertwig’s und Weismann’s ein. Ich glaube, dass die Entdifferenzierung in den meisten Fällen bestimmte Grenzen hat. Von dem Grade der Entdifferenzierung hängt der Grad der Abweichung des neu gebildeten Organes vom Ausgangsgebilde ab. Nun kann die Frage entstehen, was denn das Embryonalwerden der Zellen hervorruft. In den Fällen von Regeneration nach Ver- letzung könnte man an die Verletzung als Reiz, oder an das Bloß- gelegtwerden der Zellen denken; aber auch weiter von der Schnitt- fläche liegende Zellen werden entdifferenziert. Das Entfernen selbst eines Organes könnte nur als geheimnisvolle Ursache in einigen Fällen angesehen werden. In anderen Fällen, wie im unten be- schriebenen von Dendrocoelum, passt diese Erklärung nicht ganz. Im Falle von Entdifferenzierung von Gewebe nach Transplantation liegt jedenfalls en ganz anderer Grund vor, den man sich viel- leicht als Aufhörung des Funktionierens oder ungünstige Einflüsse erklären könnte. Der Gang und Charakter der Entdifferenzierung und das Faktum der umgekehrten Entwickelung wird gut durch die Reduktionen illustriert, welche die Planarien im Winter erleiden und die ich verflossenes Jahr zu beobachten Gelegenheit hatte, worüber baldigst die ausführliche Arbeit erscheinen soll. Ich hielt Dendrocoelum lacteum den Winter hindurch ohne Nahrung. In dieser Zeit — d. h. im Verlaufe von sechs Mo- naten — hatten sich diese Tiere so verkleinert, dass sie nur noch !/,, der Anfangsgröße erreichten. Die Größenabnahme geschieht infolge von Zerfall des größten Teiles der Zellen. Die Größe der Zellen selbst bleibt unverändert. In 4—6 Monaten war ein Teil der Organe ganz verschwunden. So blieb von den Kopulations- organen nur eine Höhle zurück, die nachher gleichfalls verschwand, so dass wir zuletzt an Stelle der früheren Kopulationsorgane nur eine Gruppe Zellen finden, die sich augenscheinlich entdifferenziert haben und fähig sind, dasselbe Organ wieder zu bilden. Die Vasa efferentia schwinden gleichfalls, gleichwie auch die Ovidukte. Nur Schultz, Uber Regenerationsweisen. 315 die Geschlechtsdrüsen selbst bleiben unangegriffen, trotzdem natürlich die Geschlechtsprodukte nicht in dieser Hungerperiode reifen. Die Augen, resp. die Pigmentzellen des Auges zerfallen und das Pigment wird zerstört. Das Darmepithel degeniert teilweise, einige Zellen ge- winnen aber embryonalen Charakter. Hier sehen wir somit eine ganze Reihe umgekehrter Prozesse. Behalten wir im Auge, dass die Regene- ration der Kopulationsorgane bei derselben Form mit einer Zellen- gruppe begann, in der darauf eine Höhlung entstand u. s. w.'), während beim Hungern die Entdifferenzierung den umgekehrten Gang machte und mit einer Höhle und endlich mit einer Zellengruppe endigte. Ähnliches können wir in betreff der Entwickelung und Entdiffe- renzierung der übrigen Organe sagen. Somit scheint das invol- vierende Organ ziemlich genau den Gang seiner Entwickelung wieder zum Anfangsstadium zurückzulegen. Mir scheint es überhaupt, dass die angeführte Beobachtung an überwinternden Planarien ziemlich ausführlich den Gang der Involution und Regeneration illustriert und dass im gegebenen Falle kein Zweifel obwalten kann, von wo jene Zellen hergekommen sind, aus welchen die Organe regenerieren. In anderen Fällen freilich mögen die sich reduzierenden Zellen ganz zerfallen und das Organ aus anderen Zellen regenerieren, was aber an unserer Auffassung nichts ändert, da auch diese Zellen anderwärts differenziert waren und folglich sich gleichfalls ent- differenzieren mussten. Auf dieser Beobachtung über die Umkehrbarkeit der morpho- genetischen Erscheinungen fußend, scheinen mir die Formulierungen der verschiedenen Regenerationserscheinungen, die Roux, T. Mor- gan und Driesch vorgeschlagen haben, überflüssig und wenig scharf umschrieben. Außer dem gewöhnlichen Gange der Regeneration, der in der Bildung einer Anlage und der Differenzierung dieser Anlage be- steht, und der sich leicht unserem Begriffe von der Entdifferen- zierung und neuen Differenzierung der Zellen unterordnet, hat man in letzter Zeit noch andere Regenerationsweisen unterschieden, so die Morphallaxis Morgan’s, die Regeneration durch Umordnung und Umdifferenzierung (Roux) und die Postgeneration (Roux). Wir wollen etwas ausführlicher bei diesen verschiedenen Regene- rationsweisen verweilen. Eine genaue Definition des Prinzips der Morphallaxis Mor- gan’s zu finden ist ziemlich schwer, er selbst bleibt zuletzt?) bei folgender Formulierung: „Transformation of the entire piece into 1) E. Schultz, „Aus dem Gebiete der Regeneration II. Über die Regene- ration bei Turbellarien.“ Zeitschr. f. wiss. Zoolog. Bd. LXXII, 1902. 2) T. Morgan, „Regeneration in the Egg, Embryo and Adult.“ Americ. Natural. Vol. XXXV, 1901. 14 Schultz, Über Regenerationsweisen. a new form,“ gesteht aber selbst, dass diese Regenerationsart nicht scharf von der Regeneration durch Anlage und Differenzierung zu trennen ist. Andererseits verschmilzt der Begriff der Morphallaxis mit dem Begriffe der Regeneration durch Umordnung und Um- differenzierung, der von Roux eingeführt worden war. Die Beı- spiele, die Morgan als morphallaktische in seinem Buche: „Re- generation“ (1901) anführt, sind folgende: Wenn man einen Stentor durchschneidet, so gibt jede Hälfte durch Regeneration ein Indı- viduum von halber Länge und proportioneller Form, d. h. das Individuum ist dünner als das Stück war, aus welchem es regene- rierte. Zu ähnlichen Resultaten führten auch Experimente an Hydra (Nussbaum), Tubularia (Driesch), Planaria (Morgan). Diese Proportionalität der Teile will Morgan durch Verschiebung und Umgruppierung der Zellen des alten Gewebes erklären: Der nach der Operation übrig gelassene Teil wird gleichsam in eine neue Form gegossen. „Es ist in der Tat“, sagt Driesch'), „als würde zuerst die ideale Form des neuen kleinen Wurmes gebildet und das alte Material in dieselbe gegossen“. Gleichsam als Beweis oben angeführter Ansicht erschienen die Arbeiten von Stevens?) und Tasher?), zweier Schülerinnen Mor- gan’s, welche ein Wandern von Zellen zum regenerierenden Körper- ende der Planarie beschrieben. Aus diesen Zellen wird nach Stevens das Parenchym, das Nervensystem und sogar das äußere Körperepithel gebildet. Wenn diese Erscheinung richtig wäre, so enthielte sie bis zu einem gewissen Grade eine Bestätigung der Morphallaxis, obgleich von der Wanderung einiger Zellen bis zur Wanderung aller noch ein bedeutender Schritt ist, und nur die Wanderung aller Zellen der Erscheinung den Charakter eines Um- gießens des alten Materials in eine neue Form einer — Umordnung geben könnte. Außerdem gesteht Miss Stevens, dass die Wan- derung von Material bei der von ihr untersuchten Planaria lugubris nur unbedeutend ist. Ich persönlich konnte bei Dendrocoelum lacteum keine Zellenwanderungen beobachten. Hier sind Fehler sehr leicht infolge der Schwierigkeit, die Paren- chymzellen zu analysieren. Doch was am entschiedensten gegen die Beobachtung der Schülerinnen Morgan’s spricht, ist der Um- stand, dass diese Zellenwanderung nicht bei allen untersuchten Planarien klar beobachtet wird. So ist diese Wanderung bei Pla- naria maculata nach Miss Tasher bedeutend, bei Planaria lugubris nicht. Nach dem äußeren Ansehen zu urteilen, mussten wir dagegen 1) H. Driesch, Die Organischen Regulationen 1901. 2) N. Stevens, Notes on Regeneration in Planaria lugubris. Arch. f. Entw.-Mech. XIII, 1901. 3) H. Tasher, ‚The regeneration of the Pharynx in Planaria maculata.“ Americ. Natur XXXVI, 1902. Schultz, Über Regenerationsweisen. 315 erwarten, dass bei allen diese Wanderung in gleichem Maße vor sich geht, da eine proportionelle Verkleinerung des Körpers, so viel ich weiß, bei allen daraufhin untersuchten Planarien beobachtet wird, sogar bei den Polycladen vorzukommen scheint und nicht nur bei der Regeneration, sondern auch beim Hungern. Wenn auch die proportionelle Verkleinerung des Körpers bei Regeneration von Planarien durch Zellenwanderung sich erklären ließe, so ist doch diese Erklärung bei Tubularia, wie Miss Stevens!) bewiesen hat, bei Hydra und vielen anderen Tieren gar nicht anwendbar. Die Erscheinung der Morphallaxis lässt sich auf das Gesetz von der Proportionalität der Teile im Organismus zurückführen, ein Gesetz, welches allen Organismen als solchen gemeinsam ist. Die Größe der Zellen scheint für jedes Gewebe der betreffenden Art konstant zu sein und nicht von der Größe des Individuums abzuhängen?). Das Gesetz von der Proportionalität der Größe der Teile im Organismus, lässt sich vielleicht auf ein Gesetz der Proportionalität der Zahl der Zellteilungen im Organısmus zurück- führen. Jedenfalls tritt dieses Gesetz der proportionellen Ver- kleinerung und Vergrößerung der Teile nicht nur in den Erschei- nungen der Regeneration oder gar in einigen speziellen Fällen von Regeneration, die Morgan unter dem Namen der Morphallaxis gesammelt hat, zutage, sondern wird bei jeglicher Evolution und Involution bei beliebigem Organismus beobachtet und ist die Grund- lage der (natürlich nur relativen) Beständigkeit der Art. Der eben beschriebene Fall von Hunger von Dendrocoelum lacleum und der proportionellen Abnahme der Körpergröße bildet einen Fall, den Morgan zur Morphallaxis rechnen müsste, obgleich keine Be- schädigung und keine Regeneration vorlag. Was die Regeneration durch Umlagerung und Umdifferen- zierung betrifft, so haben wir eine Umdifferenzierung nach unserer Definition in allen Fällen von Neogenie. Roux charakterisiert die erwähnte Regenerationsweise dadurch, dass hier keine neuen Zellen gebildet werden, sondern nur die alten Zellen sich verän- dern; aber die Frage zu lösen, ob sich neue Zellen gebildet haben oder nicht, auf Grundlage davon, ob sich der Körper des ganzen Tieres dabei verkleinert hat oder nicht, ıst eine schlechte Methode, die das Faktum einer massenhaften Zerstörung von Zellen, die ich bei Dendrocoehum laetewm beim Hungern beobachtete und die nach Bardeen?) auch während der Regeneration geschieht, nicht in 1) N. Stevens, Regeneration in Tubularia mesembryanthemum. Arch. f. Entw.-Mech. XIII, 1901. 2) Sezernierende Zellen oder Zellen mit Reservestoffen werden natürlich stets in der Größe schwanken und bilden kein geeignetes Material zur Lösung der Frage über Zell- und Kerngröße. 3) G. Bardeen, Embryonie and Regenerative Development in Planarians“. Biol. Bull. Woods Hall Vol. III, 1902. 316 Schultz, Über Regenerationsweisen. Rechnung gezogen worden ist. Wenn wir annehmen, dass die Zahl der zerstörten Zellen groß war, so kann eine bedeutende Neubildung von Zellen vor sich gehen, welche dennoch nicht den Umfang des ganzen Tieres vergrößern wird. Was eine Umordnung betrifft, so wurde sie außer bei Planarien, wo sie sich nicht zu bewahrheiten scheint, nur noch bei Cölenteraten beschrieben. Die Arbeiten Driesch’s in dieser Richtung sind bekannt. Noch unlängst haben Gast und Godlewsky!) bei Pennaria bei Re- generation eine Umlagerung des Cönosarks beschrieben. Aber eine Entdifferenzierung und darauffolgende Differenzierung in einer neuen Richtung ist auch im meiner Definition der Regeneration enthalten. Außerdem geschieht auch normal z. B. bei Antennularia (Stevens?) manchesmal ein Zurückziehen und Ruhen des Cöno- sarks, was Gast und Godlewsky bei Pennaria gerade als Um- lagerung zum Zwecke der Regeneration deuten. Die Umdifferenzierung der Blastomeren bei den Experimenten mit Eiern unter Druck kann man nicht unter den Begriff der Re- generation bringen, solange die Mosaiktheorie nicht endgültig bewiesen ist. Vielleicht waren die Blastomeren noch gar nicht differenziert, so dass nichts umzudifferenzieren war. Auch die Regeneration der Blastomeren ist ein sehr fragliches Ding. Wenn die Blastomeren einander nicht vervollständigen, aber ganz selbst- ständige Gebilde sind, unabhängig voneinander — totipotent — wie es OÖ. Hertwig glaubt, so wird die Regeneration des ent- fernten Blastomers zu einer einfachen Zellteilung des übriggelassenen, welche wir, da ja keine Entdifferenzierung und neue Differenzierung hier vorliegt, ebensowenig Regeneration nennen können, wie eine erneute Teilung einer Infusorie, nachdem sich das eine der ersten Teilungsprodukte entfernt hat. Ob man die Wiederherstellung der Blastulaform aus einer Hemiblastula, die man gewöhnlich gleichfalls durch Umordnung erklärt, als Regeneration auffassen kann, scheint mir gleichfalls zweifelhaft. Es scheint hier gar kein bestimmt gerichteter morpho- genetischer Prozess vorzuliegen und wir stoßen hier wohl nur auf eine Grundeigenschaft vieler epithelialer Gebilde, mit ihren Rändern aneinanderzustoßen und zu verwachsen. Die Verbindung der Schnittränder bei Hydra, bei der durchschnittenen Blastula (Driesch), welche als Regeneration durch Umordnung angesehen werden, müssten in eine Reihe mit der Verwachsung der durchschnittenen Darmränder und des äußeren Körperepithels gestellt werden. Hier haben wir noch keine Regeneration, sondern nur Wundheilung. 1) Gast und Godlewsky, Die Regulationserscheinungen bei Pennaria cavalini. Arch. f. Entw.-Mech. Bd. XVI, 1903. 2) N. Stevens, „Regeneration in Antennularia ramusa. Arch. f. Entw.- Mech. Bd. XV, 1902. Schultz, Über Regenerationsweisen. 317 So kommen wir zur Postregeneration Roux’. Wenn wir aus derselben die Regeneration der Blastomeren oder der Blastula ausschließen, so haben wir es hier mit einer typischen Regeneration zu tun, wie es die Arbeit Roux’!) selbst über die Postgeneration der Eier von Rana am besten lehrt. Wenn wir die morpho- genetischen Erscheinungen im Ei, vor der Bildung von Organen, d. h. vor der Bildung des ersten Organes — des Archenteion, nicht als eigentliche Regenerationsprozesse ansehen, so erkennen wir in der Postgeneration eine echte Regeneration aus den Über- resten der Organe der anderen Hälfte, d. h. zum Teil sogar keine Neogenie, sondern Anastase. Obgleich ich hier nicht alle einzelnen Fälle der Regeneration durch Morphallaxis, Umdifferenzierung und Umordnung und durch Postgeneration kritisch durcharbeiten konnte, so scheint mir den- noch das Gesagte das Vorhandensein von prinzipiell ganz verschie- denen Wegen der Regeneration zweifelhaft zu machen. Nach meiner Ansicht ordnen sich alle bis jetzt beschriebenen Fälle der Formel unter, mit der wir diesen Aufsatz begannen, wonach die Regeneration auf Entdifferenzierung und neuer Differenzierung beruht. Ist danach aber die Regeneration selbst etwas besonderes, eigenartiges. Geschieht diese rückläufige Entwickelung nur nach Verletzungen? Ist sie nicht derselbe Prozess der eintritt, sobald der Organismus in ungünstige Verhältnisse gerät. Werden nicht bei jedem Hungern Gewebe zerstört und durch wieder Embryonal- werden der Nachbargewebe ersetzt? Sehen wir nicht nach Krank- heiten, wie z. B. nach Typhus, eine massenhafte Regeneration von Geweben, die zu einer Auffrischung des ganzen Organismus führen. Uns scheint die Erhaltung des Organismus, sei er einzellig oder vielzellig, nur durch beständige Auffrischung, Verjüngung durch rückläufige Entwickelung möglich. Dabei gehen wohl immer viele Zellen auf den Lauf, und da es wohl die schwächeren sind, so kann eben eine Auslese zustande kommen und ein Überleben des gesünderen, das noch die Fähigkeit hat, wieder jung zu werden. Was freilich diese Prozesse richtet und leitet, das zu erklären übernehmen wir nicht. Mir kommen bei solchem Beginnen die Worte Pascals in den Sinn: „I faut dire en gros: cela se fait par figure et mouvement; car cela est vrais. Mais de dire quels et composer la machine, cela est ridicule, car cela est inutile et incertain et penible.“ 1) W. Roux, „Bei Hervorbringung halber Embryonen ete.“ Virchow’s Archiv Bd. CXIV, 1888. o18 Maas, Einführung in die experimentelle Entwickelungsgeschichte. On Nuclear divisions in Malignant tumours a reply to Prof. v. Hansemann, by J. B. Farmer. In the Biologische Centralblatt of March. 1, 1904. Prof. v. Hanse- mann complains that Justice has not been done to the views alı eady published by him, in the course of a preliminary note by Mss" Moore and Walker and myself on „bösartige Geschwülste“. Prof. v. Hansemann seems to lie under a misconception as to the scope of the work in this paper. Our investigations have led us to the conclusion that a reduetion-division similar in cha- racter to that known as heterotype in animals and Plants oceurs in the cells of malignant growths. This is followed by homotype, and subsequently by more irregular mitoses. We regard the essential change that occurs when a cell takes upon itself the characters leading to the formation of a malignant growth as involving a transfor- mation of somatic into repr oduetive or generative cells which sooner or later go through the reduction divisions. The pathological re- sults attendant on such a transformation are due to the uncoordi- nated relations thus instituted. Now Prof. v. Hansemann has given quite another explanation of the processes. „Erstens durch asym- metrische Mitosen und zweitens durch Zugrundegehen einzelner Chromosomen.“ The essential difference between his view and our own may be expressed shortly by saying that we regard the malignant tissue as having arisen in a manner quite comparable with that in which normal reproductive cells arise, whilst Prof. v. Hanse- mannn ascrıbes the differences in nuclear characters to something foreign to the ordinary cell processes in the individual affected. The difference between us is a fundamental one. As our paper was only of the nature of a preliminary com- munication (it is so stated in the text), it would have been obviously out of place to have discussed the vievs advanced by Prof. v. Hanse- mann as well as of others whose opinions also are divergent from those which we have been led to adopt. We hope however in a memoir, now in preparation, to compare fully the results of others with our own. In the meantime we do not propose to engage further in purely controversial correspondence. [42] O. Maas. Einführung in die experimentelle Entwickelungsgeschichte (Entwickelungsmechanik). Das unter obigem Titel bei Bergmann in Wiesbaden erschienene Buch beabsichtigt, wie sem Titel angibt, eine Einführung in die Probleme der experimentellen Entwickelungsgeschichte zu sein. Man sieht dem Buch an, dass es aus praktischen Bedürfnissen heraus entstanden ist. Es ist, wie der Verfasser sagt, aus Vor- lesungen hervorgegangen, die vor Anfängern gehalten wurden und für einen derartigen Leserkreis ist es wohl auch in erster Linie bestimmt. Man wird anerkennen müssen, dass der Verfasser dieser Aufgabe in hohem Maße gerecht wird. Er beschränkt sich durch- aus auf das Tatsächliche und vermeidet überflüssiges Theoreti- Maas, Einführung in die experimentelle Entwickelungsgeschichte. 319 sieren, das den Schüler unnötig verwirren würde, soweit als irgend möglich. Wo theoretische Schlussfolgerungen gezogen werden müssen, geschieht dies in knapper, präziser Form. Bei dem Wider- streit der Meinungen, der gerade auf unserem Gebiete tobt, ist es für den Lehrer nicht ganz leicht, dem Zuhörer ein anschauliches Bild des Erreichten und zu Erstrebenden zu geben, ohne für diese oder jene Richtung Partei zu nehmen. Maas befleißigt sich einer anerkennenswerten Unparteilichkeit, überall sucht er zwischen den Extremen zu vermitteln, das Trennende zu mildern, das Verbin- dende hervorzuheben. Dass dabei das Komplizierte etwas einfacher erscheint, ist meiner Meinung nach kein Fehler, sondern sogar ein Vorzug für eine Propädeutik. Wer durch Lektüre des Buches an- geregt wird, sich weiter mit den aufgeworfenen Problemen zu be- fassen, wird doch gezwungen sein, die Originalarbeiten selbst zu studieren. Wem es aber nur darauf ankommt, einen allgemeinen Überblick über die Probleme und die wichtigsten Tatsachen zu er- halten, der wird reichlich auf seine Rechnung kommen. Es soll nun damit etwa nicht gesagt werden, dass das Maas’sche Buch für selbständige Forscher auf unserem Gebiete wertlos wäre. Das Werkchen ist ganz ausgezeichnet disponiert. Die einzelnen Facta sind unter höheren Gesichtspunkten zusammengefasst, und so wird es auch für den Fortgeschritteneren bald ein bequemes Nachschlage- werk zur raschen Orientierung werden. Der Verfasser gibt in den ersten vier Kapiteln eime Einleitung, in der er den Leser sehr geschickt über Wesen, Entstehung, Ziele und Wege der experimentellen Biologie orientiert, und die wich- tigsten Entwickelungstheorien in gedrängter Kürze darlegt. Es folgen dann einige praktische Vorbemerkungen, in denen die ver- schiedenen Phasen und Arten der Entwickelung und ihre Be- ziehungen zum Experiment besprochen werden. Mit dem sechsten Kapitel beginnt dann die eigentliche Darstellung der Experimente. Dieser Teil des Werkes ist in drei Unterabteilungen geteilt. Ver- fasser meint nämlich, mit der bis jetzt üblichen Einteilung in innere und äußere Faktoren nicht auskommen zu können. Die eigentlichen inneren Ursachen, diejenigen Faktoren, welche den Speziescharakter des Tieres bestimmen, welche die nur der und keiner anderen Spezies zukommenden Reaktionen zu Wege bringen, bezeichnet Maas als spezifische Ursachen; diejenigen Ursachen, welche nicht in der Struktur der einzelnen Zelle begründet sind, sondern sich aus den Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen der verschiedenen Zellen eines vielzelligen Organismus aufeinander ergeben, nennt er innere Ursachen. Diese entwickeln sich gleich- sam synchron mit dem Ei und werden um so wirksamer, je weiter die Differenzierung fortschreitet. Die äußeren Ursachen sind die dritte Art von Faktoren, die den Entwickelungsprozess leiten und zu beeinflussen vermögen. Dass diese Dreiteilung eine sehr glück- liche ist, möchte ich nicht ohne weiteres behaupten. Indessen geht es ja bei Schematisierungen und Systematisierungen von Natur- geschehen, speziell organischem, ohne einige Gewaltsamkeit niemals 320 Maas, Einführung in die experimentelle Entwickelungsgeschichte. ab. Diese Einteilung der die Entwickelung leitenden Ursachen in drei Kategorien gibt dem Verfasser die Disposition für die Schilde- rung der Experimente. Es ist sehr anzuerkennen, dass der Ver- fasser die Fragestellung immer scharf herausarbeitet und sich be- strebt, den Leser über die logischen Bedingungen der einzelnen Experimente nicht im Unklaren zu lassen. Auch innerhalb der drei Unterabteilungen fällt die geschickte Zusammenstellung und Gruppierung sowie die durchaus gelungene Verbindung des nackten Tatsachenmateriales zu einem organischen Ganzen angenehm auf. Im Speziellen möchte ich den Verfasser auf einige Lücken auf- merksam machen. Es fehlt nämlich erstens jeglicher Hinweis auf die botanische Literatur. Die botanische „Entwickelungsmechanik“ ist aber um so viel weiter vorgeschritten als die zoologische, ihre Analysen sind um so viel exakter und ausführlicher, dass eine Be- schäftigung, wenigstens mit den grundlegenden Arbeiten, für das Verständnis nur von Nutzen sein kann. Zudem haben ja eine Reihe von Entwickelungsphysiologen ihre Arbeiten und noch mehr ihre Theorien bewusst auf die Erfahrungen und Experimente der Botaniker aufgebaut, ich erinnere nur an Loeb, Herbst und Driesch. Man bedenke, dass es im ganzen Tierreich nur einen einzigen, einwandsfrei bewiesenen Fall von formativen Reizen gibt: Spemann’s Beweis, dass die Linsenbildung von der Anwesenheit der primären Augenblase abhängig ist! Man bedenke, dass das Problem disharmonisch-äquipotentieller Systeme allerdings noch nicht in der scharfen Form, wie das später von seiten Driesch’s geschah, schon 1877 von Vöchting aufgestellt worden ist!), dass derselbe Forscher an gleicher Stelle für die Pflanzen beweisen konnte: „dass es in erster Linie der Ort an der Lebens- einheit ist, welcher die Funktion der Zelle bestimmt“). Auch auf das Historische könnte vielleicht etwas mehr eingegangen werden. Namen wie Trembley, Spallanzani, Bonnet dürften in einer Einführung in die experimentelle Biologie eigentlich nicht fehlen. Endlich dürfte vielleicht auch ein Autorenregister am Platze sein. Hoffen wir, dass eine zweite Auflage dem Verfasser bald Ge- legenheit geben wird, auch diesen Mängeln noch abzuhelfen. In- dessen auch in der vorliegenden Form ist, wie bereits eingangs gesagt, das Werkchen ein durchaus nützliches und empfehlens- wertes, ganz besonders auch für dasjenige naturwissenschaftliche Publikum, das unseren Problemen etwas ferner steht, dem aber doch wohl eine allgemeine Orientierung erwünscht ist. Möge es eine recht große Verbreitung finden und unserer jungen Wissen- schaft recht viel neue, tüchtige Mitarbeiter erwerben helfen! [27] Napoli, 8. Februar 1904. Max Moszkowski. 1) Vöchting, Über die Teilbarkeit im Pflanzenreich ete. Pflüger’s Archiv Bd, XV, 1877, p. 170, Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, EinEEnTen zu wollen. XXIYV.Ba. 15. Mai 1904. 210. Inhalt: Jordan, Zur physiologischen Merhieleste der une bei zwei Evertebraten. — Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. — Laloy, L’evolution de la vie, Zur physiologischen Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten!). Von Dr. phil. H. Jordan, Privatdozent an der Universität Zürich. Wer auf dem Boden naturwissenschaftlicher Auffassung bio- logischen Geschehens steht, muss — nach dem gegenwärtigen Stande der Erkenntnis — die Organe der Tiere als Produkte der An- passung an irgendwelche en Verhältnisse auffassen; Problem bei eben dieser Auffassung bleibt diejenige „Kraft“ — heiße sie Selektion oder wie sonst — welche die Anpassung herbeigeführt hat, wobei das Wort „Kraft“ soviel bedeutet als: Unbekannte ın einem Kausalnexus. Es ıst demnach zweifellos eine unserer wich- tigsten Aufgaben, zu versuchen, die Wirkungsweise dieser „Kraft“ aus ihren Produkten zu ergründen, zu zeigen also, wie innerhalb der Organismen Schwierigkeiten, die sich der Entwicklung in den Weg stellten, überwunden wurden, denn das heißt „Anpassung“. Die Mannigfaltigkeit der Wege, welche der lebenden Substanz bei dieser Anpassung zur V er stehen, ist — wie zahlreiche Bei- spiele zeigen — eine ich große; da aber ausschließlich das Studium ee Mannigfaltigkeit uns die wahre Natur jener „Kraft“ 1) Nach einer Antrittsvorlesung, gehalten bei Gelegenheit der Verleihung der Venia legendi seitens der Hohen Philosophischen Fakultät II. Sektion der Uni- versität Zürich. XXIV. 21 322 Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. zeigen kann, denn nur die Summe aller Eigenschaften definiert den (Gegenstand, nur die Summe aller Wirkungsweisen die Kraft, so kann ein Beispielpaar nicht ohne Interesse sein, welches zeigt, wie bei zwei verschiedenen Tieren die gleiche Schwierigkeit in grund- verschiedener Weise überwunden ist: Wir wissen, dass, welcher Art auch ‘die Gesetze sein mögen, welche die Phylogenie beherrschen, diese nicht dergestalt einfach sind, dass gleiche Notwendigkeiten gleiche Anpassungen bedingen, und — ich wiederhole es — dies an neuen Beispielen zu zeigen, kann nicht ohne Wichtigkeit sein. Die dem Folgenden zugrunde liegenden Tatsachen sind in zwei Arbeiten dargestellt, deren eine!) schon erschienen ist; die andere über Aphrodite handelnde wird noch erscheinen?), und so kann das hier verwandte, auf Aphrodite sich beziehende Material die Rolle einer „vorläufigen Mitteilung“ spielen. Bezüglich der Literatur, der einzelnen Beweisführungen, sowie aller hier unnötiger Details, darf wohl auf die Hauptarbeiten verwiesen werden. — Verfolgen wir den der Resorption dienenden (entodermalen) Darmabschnitt durch die Hauptäste des phylogenetischen Stammbaumes, so stellt sich uns derselbe ım großen und ganzen als ein schlauchförmiges Gebilde dar, welches aus zarten, plasmareichen Zellen besteht. Diese Zartheit und dieser Plasmareichtum sind notwendige Be- dingungen, jene für die resorptive Funktion, diese, um die Zellen zu befähigen, das Verdauungsenzym zu produzieren, sowie das Resorbierte in der bekannten Weise zu verarbeiten. Es finden sich deshalb im ektodermalen Teile des Darmapparates fast durchweg Einrichtungen — etwa Kauapparate — die verhindern, dass eine zu grobe Nahrung in den Mitteldarm eintritt, da eine solche die zarten Zellen würde schädigen können. Diese Form des Darmes konnte jedoch für solche Tiere nicht zweckentsprechend sein, deren Nahrung von groben Bestandteilen in der angegebenen Weise nicht zu befreien war. Werden Krustazeen mit ihrem Panzer ver- zehrt, so kann ein Kauapparat allein nicht verhindern, dass die Nahrung mit den zerkleinerten scharfkantigen Panzerteilen unter- mischt werde, auch enthält der Verdauungssaft der ın Frage kommenden Tiere niemals freie Säure, welche den kohlensauren Kalk aufzulösen vermöchte. Ebenso würden aufgenommene Sand- körner den Mitteldarm ohne weiteres erreichen und verletzen können. Die äußeren Bedingungen also, denen sich der Darmtrakt der betreffenden Tiere anpassen musste, sind gegeben: Es muss derselbe so eingerichtet sein, dass das zarte resorbierende Epithel von festen Körpern geschützt ist, mit den resorbierbaren Bestand- teilen der Nahrung aber in Berührung kommt. 1) Jordan, H. 1904 Die Verdauung und der Verdauungsapparat des Fluss- krebses (Astacus fluviatilis). Arch. ges. Physiol. Bd. 101 p. 263, 1 Taf. 6 Fig. 2) Zeitschr. wiss. Zool. Jordan, Zur physiol. Vorphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. 395 B) J {o} fe A Die Rolle, welche in der gesamten Morphogenese die Ein- stülpung spielt, ist bekannt. Auch hier können wir eine solche beobachten: Es entstanden (im Verlaufe der phylogenetischen Ent- wickelung) am Mitteldarm Blindschläuche, einzeln oder in Systemen, also jene Gebilde, welche die vergleichende Anatomie früher sehr zu Unrecht „Leberschläuche“ oder „Leber“ nannte (z. B. bei Mollusken und Krustazeen). Allein, das konnte nicht hinreichen, noch fehlten die Vorrichtungen, die das Resorbierbare von den festen Körpern schieden. Diese Vorrichtungen aber bei zwei Wirbellosen sind unsere Beispiele. Beginnen wir mit dem phylogenetisch niedrigsten dieser Bei- spiele: Aphrodite aculeata, einem seiner vielen Eigentümlichkeiten halber wohlbekannten Anneliden. Bei diesem gelangt die stets reichlich mit Krustazeenpanzerstücken und wohl auch mit Sand durchsetzte Nahrung, nachdem sie einen muskräftigen Zerkleinerungs- apparat (Ösophagus) durchsetzt hat, in einen Darm, der an seinen Seiten 18 Paar Blindschläuche trägt. Sie folgen sich, da sie seg- mental angeordnet sind, in regelmäßigen Abständen, und sind auf die ganze Länge des Mitteldarmes verteilt. Diese Schläuche sitzen mit einer ziemlich massiven Ampulle am Darme auf, und erstrecken sich dann in die Leibeshöhle. Dorsal entsenden sie Ramifi- kationen in das unter den Elytren liegende Gewebe, ventral enden sie unverzweigt, knollige Erweiterungen aufweisend. So der äußere Habitus des Darmapparates. Die Schläuche nun tragen innerlich diejenigen Entodermzellen, denen ganz ausschließlich die Resorption (und wie bekannt die Sekretion) zufällt, davon konnte ich mich experimentell überzeugen. Es wäre ja uch ein Unding, wenn die Zellen des Hauptdarmes die resorptive Funktion und damit die Notwendigkeit beibehalten hätten, plasmareich und zart zu bleiben, da sie doch den verletzenden Körpern schutzlos preisgegeben sind. Und in der Tat sehen wir hier schon ein eigenartiges Anpassungs- produkt. Ich glaube meinen histologischen Präparaten folgendes entnehmen zu dürfen. Die Epithel(Entoderm-)zellen weisen eine ungewöhnlich starke, den ganzen Zellkörper einschließende Kutikula auf, während Kern und Plasma sehr reduziert erscheinen. Die lange, überaus schmale Gestalt der einzelnen Zellen verschiebt das Verhältnis zwischen Kutikula und Zellinhalt noch beträchtlich zu- gunsten jener. Wir haben es also ganz augenscheinlich mit einem Umwandlungsprodukt der ursprünglichen Mitteldarmzelle zu tun, der auf diese Weise sicherlich eine große Unverletzlichkeit verliehen wird, zugleich mit der Fähigkeit, einem Drucke Wider- stand zu leisten Bas. Fig. WIN DEM): Den der ganze Hauptdarm stellt nichts anderes dar a eine Presse — so lehren mich meine Beobachtungen. Die in ihn gelangte Nahrung, die, wie wir sahen, bereits mechanisch zerkleinert wurde, wird hier durch den Saft 21° 524 Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. der Schläuche soweit möglich verdaut. Zieht sich nun der Darm kräftig zusammen, so weicht vor dem Drucke die aufgelöste oder fein verteilte Nahrung aus, und zwar dringt sie wie natürlich in die Schläuche, die gegen Eindringlinge gröberer Art durch eine, schon angedeutete Vorrichtung geschützt sind. Den Pressrückstand karn | man als feste Wurst, mit Fig. 1. einer Schleimhülle um- geben, ım Hauptdarme finden, bereit, ausgesto- Ben zu werden. Die Schutz-, oder wie ich sagen will, die Filtervorrichtung befin- det sich ın den oben er- wähnten Ampullen, deren je eine zu Beginn der Schläuche anzutreffen ist. Sie zeigen als Erweite- rungen des Schlauches dessen Bauplan und ent- sprechend auch denjeni- gen des Hauptdarmes. Das Peritoneum, eine äu- Bere longitudinale, eine innere zirkuläre Muskel- lage, dann folgt Binde- gewebe und endlich das überaus dicke (entoder- male) Epithel. Das letz- tere bildet den Filter- apparat. Es stellt nämlich Horizontaler Längsschnitt durch eine Filterampulle von Aphrodite aculeata. D. Darmlumen, D.E. Damepithel, FR. Filter- raum, F.P. Filterplatte, $. Schlauchlumen, S. E. Schlauchepithel (dieses resorbierende Epithel beginnt in Wirklichkeit erst in etwas größerer Entfernung von der Ampulle). —- Richtung des Nahrungsstromes. Vergr. SOfach. einen ziemlich engen Spalt freilassen. zwei „herzförmige* Plat- ten dar, die zusammen die kugelige Ampulle ausfüllen und zwar so, dass sie mit der Spitze in den _ eigentlichen Schlauch hineinragen und dass sie zwischen sich Dieser Spalt, von dessen Gestalt wir nur das Wichtigste kennen lernen wollen, reprä- sentiert den eigentlichen Filterraum (Fig. 1 und 2 F.R.). Mit dem Darm (D) kommuniziert er durch einen relativ weiten Zu- gang, der noch eine ziemlich körnige Nahrung zulässt. Nach dem Schlauch (5) zu aber zeigen die beiden Platten gegeneinander Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. 325 gebogene Kanten, die wie die Banze Oberfläche des Gebildes dicht behaart sind. Die Figuren 1 und 2 zeigen, wie in der Tat die Passage vom Filterraume zum Schlauch sowohl in der Richtung der Schlauchachse (Fig. 1) als nach den Seiten (Fig. 2) dergestalt verengt und mit (Filter-)Haaren besetzt ist, dass nur eine überaus fein filtrierte Nahrung zu dem zarten resorbierenden Epithel ge- langen kann. Ich habe schon erwähnt, dass der ganze Filterapparat von den Entodermzellen gebildet wird, die, und das scheint mir besonders interessant, in noch weitergehendem Maße umgewandelt sind als die Zellen des Hauptdarmes. Plasma lässt sich in diesen Zellen kaum mehr nachweisen; die Kerne sind zwar deutlich vorhanden, aber überaus reduziert. Die starke, auch hier den ganzen Zell- Querschnitt durch eine Ampulle (Sagittalschnitt). Zeigt, dass auch die Seitenränder der Filterplatten zum Filtrieren eingerichtet sind. Bezeichnungen wie in Fig. 1. körper überziehende Kutikula gewinnt noch mehr an Übergewicht über die anderen Teile der Zelle, und besonders nach der freien Oberfläche zu zeigt sıe eine ganz enorme Verdiekung. Ich glaube auch ihr den Hauptanteil an der Haarbildung zuschreiben zu müssen, mögen diese Haare auch ursprünglich kutikularisierte Flimmern sein. Ich kann den Eindruck, den dieses Gewebe bei flüchtiger Be- obachtung hervorruft, nicht besser dartun als durch Angabe des Namens, den Malard!) dem Gebilde gibt. Dieser Autor hielt das- selbe für eine Abschlussvorrichtung für die, seiner Meinung nach lediglich sezernierenden Schläuche; er meinte, die beiden Platten würden aufeinandergedrückt und. verhinderten so die Passage von 1) Malard, A. D. 1901 Note sur le mode de fermeture des coecums glan- dulaires des Aphroditiens, Bull. Soc. philom (8) T. 3, p. 158—159. 326 Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. Schlauch zu Darm. Ein Blick auf unsere Figuren 1 und 2 (Ma- lard gibt keine Abbildungen) zeigt, wie wenig die Platten zu solcher Funktion geeignet sind, abgesehen von Experimenten, die beweisen, dass in der Tat die Vorrichtungen nur zum Filtrieren dienen. Malard nun nennt diese Platten: „Noyeaux pseudo- cartilagineux.“ — Im Querschnitt könnten die Zellen übrigens auch ein engmaschiges Pflanzengewebe vortäuschen. Der Zweck dieser Umwandlung von Mitteldarmzellen liegt auf der Hand. Um die unter Druck auf sie eindringenden festen Körper mit Erfolg zurückhalten zu können, müssen die Platten und vor allem deren Kanten starre Gebilde sein; und wie gut sie im stande sind, ihrer Funktion obzuliegen, das beweisen Präparate von Tieren, die mit Karminpulver gefüttert worden waren: Im Hauptdarm findet sich die erwähnte „Wurst“, in den Filterräumen und vor allem in den Filterhaaren befinden sich noch recht beträchtliche Körner in großen Mengen, während in den Schläuchen selbst, lediglich ganz fein verteiltes Karmin zu sehen ist, dessen körnige Beschaffenheit sich meist nur unter stärkerer Vergrößerung nachweisen lässt. Das resorbierende Epithel zeigt etwa den Normalhabitus von Mitteldarmzellen. Ich möchte nun dieser so überaus zweckmässigen Einrichtung, die Verhältnisse gegenüberstellen, wie ich sie beim Flusskrebs gefunden habe. An Stelle der 18 Paar Aussackungen, die auf die ganze Länge des Darmes verteilt sind, findet sich bei Astacus eine paarige Drüse, d. h. je ein System solcher Blindschläuche, die mit je einem Ausführgang ın das Restchen Mitteldarm münden, welches sich nicht an ihrer Bildung beteiligt hat. Es hat nachgewiesen werden können, daß auch in diesem Falle wır es mit einem drüsen- förmigen Mitteldarme zu tun haben. Der Tierreihe folgend, hätten wir schon früher, nämlich bei den Mollusken, von solchen Mittel- darmdrüsen reden müssen. In der Tat haben Biedermann und Morıtz!) die analoge Funktion der „Leber“ bei Pulmonaten nach- gewiesen und auch eine aus Wülsten bestehende Vorrichtung be- schrieben, die es bedingt, dass die Nahrung ihren Weg ın die Drüse zu nehmen gezwungen ist. Allein um einen Filterapparat handelt es sich hier nicht; ein solcher wäre bei der Art der Nahrung und der Nahrungsaufnahme (Radula) auch wohl unnötig. So können uns denn diese Schnecken als Beispiel nicht dienen. Anders die Krustazeen. Auch hier ist augenscheinlich der Apparat eine An- passung an die Nahrungsverhältnisse. Hören wir, was über den Flusskrebs Huxley?) sagt (p. 8) „Der Krebs verschmäht über- 1) Biedermann, W. und P. Moritz 1899 Über die Funktion der sogen. „Leber“ der Molusken. Arch. ges. Physiol. Bd. 75 p. 1—86, 3 Taf. 2) Huxley, T. H. Der Krebs. Leipzig, F. A. Brockhaus 1881. Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. 327 haupt wenig Eßbares . . . Schnecken werden samt der Schale auf- gefressen; die abgeworfenen Häute anderer Krebse müssen die nötigen Kalkbestandteile liefern, und selbst die schutzlosen oder schwächlichen Mitglieder der Familie werden nicht verschont.“ Nun besitzt allerdings der Flusskrebs einen mit Zähnen wohlver- sehenen Kaumagen, allein bei dem Mangel jeglicher freien Säure in seinem „Magensafte*, wird an eine vollständige Lösung der ver- zehrten Kalkmassen nicht zu denken sein. Genug, die Anpassung an die gleiche Bedingung, wie bei Aphrodite war bei Astacus not- Querschnitt durch den Pylorus von Astacus fluviatilis. M.F. Mitteldarmfilter, St. R. Stauraum, St. P. Stauplatte, D. F'. Drüsenfilter. wendig. Ich habe schon gesagt — und es ıst dies ja bekannt genug — dass fast der ganze Mitteldarm sich an der Bildung der Drüse beteiligt; der Mitteldarmrest ist überaus kurz, so dass also der Hauptteil des den Krebs auf seine ganze Länge durchziehenden Traktes ektodermaler Natur ist und dementsprechend einmal durch- aus nicht zu resorbieren vermag, des weiteren mit einer starken Chitinschicht ausgekleidet ist. Das Stomodäum bildet Kaumagen (Kardia) und „Pylorus- magen“, dann kommt der kurze Mitteldarmrest mit der Drüsen- mündung, dann das lange Proktodäum, der Enddarm. Der (ektodermale) Pylorus trägt die Vorrichtungen, denen es zufällt, < 325 Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. die resorbierbare Nahrung von den Rückständen abzufiltrieren, diese unschädlich nach außen, jene zu den resorbierenden Epithelien (Mitteldarmrest und -drüse) zu befördern. Ich will mich bei der Beschreibung auf das Notwendigste beschränken, ist doch das Ge- bilde ausführlicher in der oben zitierten Arbeit, in Wort und Bild dargestellt. Der Übergang von der Kardia zum Pylorus ist überaus eng, da sich der freien Passage die stark behaarte „Kardiopylorikal- klappe“ entgegenstellt. So gelangt denn in den Pylorus nur eine Nahrung, die mechanisch (und chemisch) zerkleinert, bereits von den gröbsten Hartteilen befreit ist. Diese, etwa ganze Fischskelettteile (Hummer), werden per os ausgestoßen. Die gesiebte Nahrung nun gelangt in eine Art Vorraum (Fig. 4 V. R.) und aus diesem in einen zweiten, den „Stauraum“, der zu beiden Seiten von je einer ovalen Platte eingefasst ist. (Fig. 3 und 4 St. R.). So leicht verhältnismäßig der Zugang zu demselben ist, so erschwert ist der Austritt. Wir werden sogleich sehen, dass wir es hier mit einer Art Presse zu tun haben, die alle gelöste und ganz fein verteilte Nahrung nach oben und unten in komplizierte Filterapparate ab- presst (Fig. 3 M. F. und D. F.). Doch erst soll uns das Schicksal der Pressrückstände interessieren, die ähnlich wie bei Aphrodite zu einer festen Wurst zusammengedrückt werden. Die beiden „Stauplatten* (St. P.) enden nach dem Mitteldarmrest zu in Spitzen, die so aufeinander passen, dass ein konisches Rohr entsteht, und dergestalt sind die beiden Spitzen mit gegeneinander gebogenen Chitinsäumen versehen, dass es dem Inhalt nur möglich ist, den Konus an seiner recht feinen Mündung zu verlassen, eine Ein- richtung, die, wie der Name andeutet, eine kräftige Stauwirkung gewährleistet. Diesen ganzen Konus habe ich „Reuse* (R. Fig. 4) genannt. Jene Mündung nun passt ın ganz wunderbar exakter Weise in ein Chitinrohr, früher „mittlere Pylorusklappe“, neuer- dings Trichter (7) genannt, welches dem Pylorus angehörend, den Mitteldarm (M. D.) durchsetzt und in den Enddarm (E. D.) ragt). Wozu diese Einrichtung dient, ist ohne weiteres klar: Die Pressrückstände, d. h. alle die Bestandteile der Nahrung, welche die Filtervorrichtungen nicht haben passieren können, gelangen durch die Reuse m den Trichter, und aus diesem in den chitini- sierten Enddarm, ohne also die empfindlichen Mitteldarmgebilde zu berühren, es kommuniziert dergestalt Ektoderm mit Ektoderm. Wenden wir uns nunmehr dem Teile der Nahrung zu, der gelöst oder fein verteilt zur Resorption ın Mitteldarmrest oder -drüse gelangen soll. Durch die erwähnte Stauwirkung, die sich, 1) Cu¬, (1895 Etudes physiologiques sur les Crustaces Decapodes Arch. Biol. Vol. 13 p. 245--303) hat wohl den Trichter, nicht aber das Ineinanderpassen von Trichter und Reuse gesehen. Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. 329 unterstützt durch die ansehnliche Darmmuskulatur, zu einer Press- wirkung steigert, wird die flüssige oder fein verteilte Nahrung in folgende Einrichtungen abgepresst: 1. Das Mitteldarmfilter (Fig. 3 M. F.). Die beiden Stau- platten schließen nach oben und unten den Stauraum, wie schon erwähnt, nicht ab. Nach oben kommen sich die scharfen gegen- einander gebogenen Ränder derselben sehr nah, und da ın den engen, Fig. 5. ORREEEE re ur = < 4 Fig. 4. Horizontalschnitt durch den Pylorus mit Mittel- darm und einem Teil vom Enddarm (Astacus). VR. Vorraum, M.D. Mitteldarm, R. Reuse, 7. Trichter, E&.D. Enddarm (sonst vide Fig. 5). Fig. 5. Schema des Verlaufes der Drüsenfilterrinnen bei Astacus, und Filterkorb; hinter diesem hat man sich den Eingang in die Mitteldarmdrüse zu denken (Ergänzung zu Fig. 3). freibleibenden Spalt noch ein dichter Haarbesatz hineinragt, so tritt nur eine fein filtrierte Nahrung in einen Raum, .der oberhalb des Stauraumes sich befindet, und diesen seitlich, etwa sattelförmig umfasst. Nach dem Darm zu verschwindet der mediane Teil dieses „Mitteldarmfilterraumes“ fast vollständig, die beiden seitlichen Aus- sackungen aber münden als getrennte Röhren rechts und lınks vom Triehter in den Mitteldarm, woselbst die Resorption stattfindet. (Fig. 4.) 950 Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. 2. Das Drüsenfilter: Entsprechend der wesentlich größeren Bedeutung der Mitteldarmdrüse für die Resorption ist auch das unter dem Stauraume gelegene Drüsenfilter (D. F.) viel komplizierter gestaltet als das Mitteldarmfilter. Unter Weglassung einiger Details die ich in meiner speziellen Arbeit (l. e.) dargestellt habe, will ich das Folgende angeben: Nach unten lassen die Stauplatten gleich- falls einen Spalt frei, in den sich, die Schneide nach oben, eine längsverlaufende keilförmige Leiste schiebt. Fig. 3 stellt einen (Querschnitt dar. Man sieht, wie diese Leiste, hier erscheint sie etwa als Dreieck, mit einer Reihe von Säulchen versehen ist, ebenso wie der sichelförmige Boden des Pylorus, in den jene Leiste konti- nuierlich übergeht. Diese Säulchen nun tragen an ihrer Spitze Haare, welche dem aus dem Stauraum kommenden Flüssigkeits- strome entgegenragen. So entstehen zwischen den einzelnen Säul- chen und den Haaren Räume, in die nur ein feiner Spalt führt, der sich nämlich zwischen dem Haar und der vorausgehenden Säule befindet. Diese Anordnung bedingt zweierlei: 1. kann in den beschriebenen Raum durch den engen Spalt nur Flüssigkeit oder ganz fein verteilte feste Substanz gelangen, um so mehr, als auch die äußere Wand des Spaltes, die sichelförmig nach außen gebogene Fortsetzung der entsprechenden Stauplatte, dicht behaart ist, und in den ganzen gleichfalls sichelförmigen „Filterraum“ dergestalt größere Körper nicht hineingelassen werden. 2. Es sind — das ist aus der Figur ersichtlich — die Haare der Säulen wahre Fang- haare, so dass alle feinverteilte Nahrung auch wirklich ın die viereckigen Räume gelangen muss. Davon konnte ich mich ex- perimentell überzeugen. Soweit unsere Beobachtung am Schnitt. In Wirklichkeit sind die „Säulchen“ starke Lamellen, die sich in Gestalt senkrecht auf ihrer Unterlage stehender Leisten, an dem Keil und dessen Fortsetzung, dem Pylorusboden, hinziehen (Fig. 5); die Haare aber (in der Figur weggelassen) bilden diehte Kämme. So stellen denn die „viereckigen Räume“ in Wirklichkeit Rinnen oder gar Röhren dar, in denen sich das Filtrat nach dem Darm zu ergießt. Hinten aber heben sich die Lamellen von ıhrem Boden ab und bilden — die beiden Spalträume abschließend — einen Korb von starken Chitinstäben, während vor wie nach die Lücken zwischen ihnen durch Haarkämme für feste Körper unpassierbar gemacht werden. Das Filtrat, welches sich einmal in den Rinnen befindet, braucht dieses letzte Filter nicht mehr zu durchsetzen, es ergießt sich ungehindert in den Raum jenseits des Korbes, den Drüsenvorraum, von dem aus das ganze Filtrat nunmehr ohne weiteres in die Mitteldarmdrüse eintritt. Diese ganze Vorrichtung also nenne ich das „Drüsenfilter“ (D. F.). Einiger Details sei noch Erwähnung getan: Beide Filtervorrichtungen kommunizieren auch direkt mit dem Vorraum, geschützt durch dichte Haarbüsche; Jordan, Zur physiol. Morphologie der Verdauung bei zwei Evertebraten. 531 Injektionspräparate zeigen, dass diesem Wege keine besondere Be- deutung zukommt. Ferner: Die Drüsenvorkammer kommuniziert natürlich auch mit dem Mitteldarm, so nämlich, dass der „Leber- kot“ in diesen und dadurch nach außen gelangen kann. Allein diese Kommunikation ist dergestalt eingeengt (durch den „zungen- förmigen Fortsatz“ der Mittelleiste im Drüsenfilter etec.), dass nur der ziemlich kompakte Kot, dem der Weg nach dem Filter durch den Korb abgeschnitten ist, dieselbe benutzt. Die aus dem Filter kommende Nahrung wird dagegen von dem trichterförmigen An- satz der Drüse förmlich aufgefangen, es geht durch jene Kom- munikation nichts oder so gut wie nichts verloren. Was leistet nun dieser so überaus komplizierte Apparat? Die resorbierbare, mechanisch unschädliche Nahrung wird von den un- resorbierbaren mechanisch gefährlichen Rückständen abgepresst; diese durch eme merkwürdig vollkommene Vorrichtung an den Mitteldarmgebilden vorbei ın den chitinisierten Enddarm überführt, während jene, durch komplizierte Filter vollends gereinigt, den ver- schiedenen resorbierenden Epithelien zugeführt wird. Kurz es wird durch den Pylorusapparat bei Astacus, physiologisch dasselbe ge- leistet, wie durch die beschriebene Mitteldarmeinrichtung bei Aphro- dite. Es sind aber diese dem gleichen Zwecke dienenden Ein- richtungen morphologisch miteinander gar nicht analogısierbar. Bei Aphrodite fanden wir Mitteldarmzellen in einer Art umge- bildet, dass Malard verleitet wurde, dasjenige Gebilde, welches wir „Filterplatte* nennen, mit dem Namen „Noyeaux pseudocartı- lagineux* zu bezeichnen. Auch die Zellen des Hauptdarmes sind ähnlich, wenn auch nicht so weitgehend, umgestaltet. So presst Entoderm das Flüssige vom Festen ab, damit jenes, durch ento- dermale Filtervorrichtungen gereinigt, dem resorbierenden Ento- derm in fein verteilter Form zugeführt werde. Ganz anders bei Astacus: Kopfdarm und der ungewöhnlich lange Enddarm, beide als Gebilde des Ektoderms stark chitini- siert, sind bis auf wenige Millimeter einander nahegerückt. Das Restchen sie verbindenden Mitteldarmes ist durch den „Trichter“ überbrückt, so dass Entodermzellen überhaupt nicht mit den Rückständen ın Berührung kommen. Wır haben es hier mit zweierlei Filterapparaten (Mitteldarm- und Drüsenfilter) zu tun, während Aphrodite 18 Paar gleichförmiger Filter besitzt. Diese Vorrichtungen bei Astacus werden — wieder im Gegensatz zu Aphrodite — nicht von Zellen, sondern von einem Zellprodukte, dem Chitin, gebildet, und sind ektodermaler Abkunft. Ihrem Bau nach sind sie — besonders das Drüsenfilter — an Kom- plikation ihrem Analogen bei Aphrodite dergestalt überlegen, dass wir uns im einzelnen auf eine Vergleichung gar nicht einlassen können. 332 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. Auf unsere Einleitung zurückkommend, darf ich wohl noch einmal hervorheben: Gewiss sind Beispiele dafür, dass die lebende Substanz sich äußeren Bedingungen, äußeren Notwendigkeiten ın verschiedenartiger Weise anzupassen vermag, nicht selten. Allein jedes neue Beispiel derart, wäre es auch nicht so prägnant als das unsrige, muss Neues über die Mannigfaltigkeit jenes Anpassungs- vermögens lehren, zumal dann, wenn dasselbe an Verhältnissen ge- wonnen wurde, die sich so ganz abseits vom Hauptgeleise phylo- genetischer Entwickelung emeelbillls, haben, da also, wo sich jene Mannigfaltigkeit am ausgeprägtesten zeigt. — Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. Von Dr. Franz Werner. I. Die Vererbung mütterlicher Merkmale bei Riesenschlangen. Am 19. Oktober 1901 brachte eine meiner Boiden, ein etwa 1!/,;, m langes Exemplar von Epierates angulifer Bibr. aus Kuba zwei fast vollständig reife Junge zur Welt, allerdings leider tot. Die Jungen waren beiderlei Geschlechtes, das Männchen 460 mm, das Weibchen 500 mm lang. Das Muttertier ging etwa ein Jahr darauf an einer eingeschleppten Maulkrankheit zugrunde, und nun konnte ich erst einen Plan ausführen, den ich mir schon lange vorge- nommen hatte, nämlich die beiden Jungen mit Bezug auf alle Merk- male, die eine genauere Vergleichung überhaupt gestatten, mit der Mutter zu erellndhem. um zu ehem, wie groß die Ähnlichkeit der Tiere mit derselben und es er - Erleichtert wird diese Aufgabe dadurch, dass die meisten Unterscheidungsmerkmale gut zahlenmäßig ausgedrückt werden können, also eine Unklarheit bei allen Merkmalen, die überhaupt in Betracht kommen, nicht leicht entstehen kann. Bessere Resultate hätte diese Vergleichung natür- lich ergeben, wenn auch die väterliche Schlange hierzu heran- gezogen hätte werden können, jedoch — Pater incertus est, wie in vielen anderen Fällen. Ich gebe nun nachstehend tabellarisch das erste Ergebnis des Vergleiches (s. S. 333 u. 334). Absolute Speziescharactere sind hier natürlich nicht berücksichtigt, sondern nur, was der Variabilität unterworfen ist. Zählt man die einzelnen Zahlen in jeder Rubrik zusammen, so bekommt man für 1: he 7a 7+8—=36, fürll:2 +67 4= 12, für II: 5 +33 — 11; rechnet man die unpaaren Zellen, da ja die a Schilder de paarig angelegt werden, doppelt, so erhält man aber für I die Zahl 17, für I: 14, für III: 16, d.h. die Ähnlichkeit der Mutter mit dem männlichen Jungen und auf | | | Mutter g Junges | Ei Junges rechts) links rechts links | rechts) links | | 1. Schuppenreihen an der | dieksten Stelle | 71 | 33 65 2 Bauchsehilder? .......:,., . 280 269 276 3. Subkaudalschilder 49 24 28 4. Oberlippenschilder ') | 13 3 12 11 13 13 5. Unterlippenschilder | 16 16 16 17 15 15 6. Schildchen um das Auge | (inkl. Supraokulare) Ss) S 9 9 I) 8 7. Frenalia (inferiora). . . | 2 3 4 3 3 2 S. Nasalia posteriora (super- | | posita) . |l| 1 1 2 2 2 2 9. Schuppen neben der Kinn- | | furche . . 7 TE WERG 6 | 6 7 10. Schuppen v.d. Kinnfurche | z. 3. Ventrale ‘.. S | 9 I) 11. Verschmelzungen von Su- | pralabialen . . — | a0 _ 12. Halbierungen von Supra, | labialen . . . -- En RR - . 13. Verschmelzungen von Su- pralabialen mit Frenale | keine | keine keine 2. mit | | 3. Supralab. 14. Unpaares Postmentale vorhanden I fehlt fehlt Pileusschilder: | 15. 1, 2, 3 (Internasalia Präfrontalia I u. II) getrennt getrennt verschmolzen 16. 4 (Frontale) halbiert | ungeteilt ungeteilt Ib RG (Frontoparietalia).. normal mit */, ver- | mit ’/, ver- normal normal | schmolzen || schmolzen 15. 7 (Interparietale) halbiert halbiert ungeteilt 19. 8 (Oceipitalia) normal l normal normal mit 9 ver- || | schmolzen 20. 9 (Nuchalia) . halbiert | halbiert ungeteilt 21. Intercalare vorhanden | fehlt fehlt 22. Postoceipitale vorhanden fehlt fehlt 23. Akzessorisches Frenale fehlt | fehlt vorhanden 24. Unteres Präokulare | (2. Okulare) \inKontaktmitLabialen | in Kontakt vonLab. inKontaktmitLabialen Pa ln bis zum | | mit Labialen getrennt | . Okulare (1. Subok.) . 7 | 7 1.08 7 jeden Fall etwas größer als mit dem weiblichen. Betrachtet man die Zahlen aber noch genauer, so findet man, dass die Ähnlichkeit von Weibchen ad. und Männchen neonat. mit Bezug auf die paarigen Schilder ete. in 6 Fällen eine rechts- und linksseitige, in einem eine bloß rechts-, ın zwei eine bloß linksseitige ıst; bei Weibchen ad. und Weibchen neonat. ist sie in 4 Fällen eine beiderseitige, in 2 eine rechtsseitige; 1) Für die Kopfschilder siehe die Abbildungen auf bei den 2 Jungen aber nur in 2 Fällen eine beider- seitige, in je einem Falle eine rechts- und eine linksseitige ist. S. 236. 234 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. paarig unpaar rechts links I. Merkmale, in denen Mutter und Männchen- | | Junges übereinstimmen . . . . ... 18 3213: 15. | 7.12: 18: 195207232 45419720 25 23.125 Merkmale, in denen Mutter und Männchen- Junges einander ähnlicher sind als dem B:eibehen-Jungen Zr Zee | II. Merkmale, in denen Mutter und Weibchen- | Junges übereinstimmen . . . .. .. 10 4.6.11.24.| 4.6.11. 24 | (17). (25) Merkmale, in denen Mutter und Weibchen- Junges einander ähnlicher sind als dem Männchen Jungen 24 a aa III. Merkmale, in denen die beiden Jungen übereinstimmen. „I: 2 2. 1.2.08 1486.21.,22178- 14. (971787 1a) Merkmale, in denen die beiden Jungen | einander ähnlicher sind als der Mutter . I & | Ob die bei beiden Jungen gleiche und von der des Weibchen ver- schiedene Zeichnung (letzte Rückenflecken zu einem breiten Längs- bande verbunden) die väterliche war, ist natürlich nicht eruierbar. Diese wenigen Angaben werden genügen, um zu zeigen, wie groß und mannigfach die Verschiedenheit bei Eltern und Kindern bei diesen relativ hochstehenden Schlangenformen sind. Nichts als die Genus- und einige wenige Speziescharaktere sind allen 3 Exemplaren gemeinsam, die so enge Bande des Blutes verbindet. Wer möchte nach solchen Ergebnissen noch für die Unveränder- lichkeit der Arten eintreten, wern Mutter und Kinder von 25 Merk- malen nicht ein einziges durchwegs und beiderseits gemeinsam haben. Selbstverständlich sind zu solchen Studien unter den Schlangen nur reichbeschilderte und -beschuppte Arten verwendbar. Je ge- ringer die absolute Zahl der Schilder einer Kategorie, desto geringer ist die Variabilität. Bei der Ringelnatter schwankt nur die Zahl der Oberlippen- und Okularschilder und der Schuppenreihen in geringen Grenzen (Präokularıa 1—2, Postokularıa 2—4, Supra- labialia 7, Schuppenreihen 17—19, von Ventralen und Subkaudalen, die fast niemals bei 2 Exemplaren, die wahllos zusammengestellt werden, übereinstimmen, abgesehen); bei T. tesselatus sind die Unterschiede: Präok. 2—4, Postok. 3—5, Supralabialia 7—9; Schuppenreihen 19; bei 7. vöperinus; Präok. 1—2, Postok. 2, Supra- labialia 7—-8, Schuppenreihen 21—23; also für 3 Arten eine ver- schwindend geringe Variabilität; noch geringer ist sie bei Coluber, ce er Gadl2= ] R Cem / 6 Fronto-Parietale - 7 Interparietale S Oceipitale 9 Nuchale 2 Vorderes \ Präfrontale 336 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. Zamenis und Coronella (europäische Arten), und am geringsten natürlich bei Arten, bei welchen die Anzahl der Kopfschilder auf das Minimum: Supralabialia 4-5, Präokularia 0—1, Postokularia 1, Frenalia 0, Temporalia 0—1, herabsinkt. Ich habe die Absicht, meine Studien in den nächsten Jahren fortzusetzen und erwarte zu diesem Zwecke einige direkte Sen- dungen lebendiggebärender Boiden aus Westindien und Guyana. I. Über die Erscheinungen des natürlichen Todes bei Reptilien und Batrachiern. Unter diesem Titel möchte ich einige Beobachtungen zusammen- fassen, die ich über Zeit, Vorboten und Begleiterscheinungen des Todes bei Reptilien und Amphibien seit einer längeren Reihe von Jahren gemacht habe. Ob diese Beobachtungen auch in ähnlicher Weise an höheren Wirbeltieren gemacht werden können, vermag ich nicht zu sagen, da ich über Säugetiere wenig, über Vögel gar keine Erfahrung in dieser Beziehung besitze. Was die Zeit des (natürlichen) Todes anbelangt, so scheint derselbe in den weitaus meisten Fällen in den späten Abendstunden, bis Mitternacht, weniger häufig in den Stunden von Mitternacht bis zum Morgengrauen, am seltensten bei Tage zu erfolgen. In den meisten Fällen ist es recht schwierig, den erfolgten Eintritt des Todes überhaupt genau konstatieren zu können. Viele Rep- tilien, die längere Zeit kränklich sind, verenden in einer Stellung, in der man sie oft tagelang vorher gesehen hat, so dass es einer wiederholten Untersuchung bedürfte, um den Zeitpunkt feststellen zu können. Andere dagegen, die akuten Krankheiten erliegen, oder solche, deren Todeskampf ein heftiger ist, lassen einen ge- naueren Nachweis zu. Was die Vorboten des nahenden Todes anbelangt, so sind sie mannigfacher Art. Baumlebende Formen steigen oft schon wochen- lang vorher von den Pflanzen herab und hocken oder liegen ziem- lich ruhig auf dem Boden (Anolis, Chamaeleon, Dryophis). Unter- irdisch lebende Arten wieder kommen an die Oberfläche und bleiben daselbst, oft ohne noch die geringsten Spuren eines Leidens zu zeigen, liegen (Ohalcides, Blanus, Typhlops, Eryx ete.); auch solche, die gewohnt sind, abends bestimmte Schlafplätze und Verstecke zu beziehen und dies mehrere Abende hindurch unterlassen, sind als sichere Todeskandidaten zu betrachten. Die näheren, unmittelbaren Vorboten des Todes sind: bei vielen Eidechsen mit Farbenwechsel (Geckoniden, Agamiden, Igua- niden, Chamaeleontiden), eine Aufhellung der Färbung bis zu Gelb oder Gelblichweiß, womit gemeiniglich ein Aufhören des Farbenwechselvermögens verbunden ist und das dunkle Pigment Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. 357 nur an gewissen Stellen oberflächlich und einseitig in Form un- regelmäßiger großer dunkler Flecken zutage tritt. Bei Schlangen ist häufig vor dem Tode eine große Unruhe zu verzeichnen, welche auch bei ganz matten und vorher bewegungslos daliegenden Individuen eintritt und dadurch ein auffallendes und sicheres Zeichen des nahenden Todes ist (etwas ähnliches ist mir auch in mehreren Fällen beim Menschen bekannt geworden). Un- aufhörlich wandern solche Schlangen im Terrarium herum, züngeln auch ganz munter, und der Unkundige schließt gewiss gar oft aus diesem Verhalten auf die nahende Genesung semes Pfleglings. Allmählich wird das Tier aber immer ruhiger, es verlangsamt seine Bewegungen und schließlich rollt es sich noch in einer weiten lockeren Spirale ein, um so gegen Mitternacht sein Leben zu be- schließen. Diese Erscheinung hat auf mich immer einen eigentüm- lichen Eindruck gemacht, und während ich dies niederschreibe, habe ich das Bild einer meiner Riesenschlangen, eines 2°/, m langen Python Sebae, und dessen ruhelose Wanderungen in der Nacht vor seinem Verenden vor Augen. Die Lage ist vielfach davon abhängig, ob das Tier ohne oder mit Todeskampf verendete. In ersterem Falle ist es mehr weniger in der natürlichen Ruhelage, die Eidechsen haben den Kopf etwas nach der Seite geneigt, die Beine nach hinten an den Körper angelegt, die Schlangen liegen lang ausgestreckt oder in weiten, lockeren Schlingen zusammengerollt. Krokodile verhalten sich wie die Eidechsen. Solche Individuen, welche einen heftigen Todeskampf hatten, liegen meist auf dem Rücken; bei Eidechsen ist beim natürlichen Tod eine eigentliche Agonie eigentlich selten zu verzeichnen; Schlangen liegen vielfach verschlungen und nie in einer Ebene auf- gerollt. Bei Schildkröten ist von einer Agonie selten die Rede und der Eintritt des Todes ist häufig so unmerklich, dass ich exaktere Beobachtungen nicht anstellen konnte. Als Kriterium des eingetretenen Todes ist die Lage der Vorderbeine, die weit vor- gestreckt und mit den Unterarmen an den seitlichen Schalenrand gelegt sind, sowie bei Landschildkröten der tief eingezogene Kopf, der oft kaum aus der Achselhaut hervorsieht, bei Wasserschild- kröten gerade der weit vorhängende am schlaffen Halse baumelnde Kopf anzusehen. Schildkröten, die im Trockenen verenden, haben übrigens ebenso immer den Kopf eingezogen, wie ihn andererseits solche, die im Wasser zugrunde gegangen sind, immer lang aus- gestreckt haben. Es ist schon öfters in der Literatur erwähnt worden, dass kränkliche Reptilien ein charakteristisches Aussehen haben und dass namentlich das Vortreten der Wirbeldornen, welche bei ge- sunden Exemplaren in einer Längsrinne zwischen den dorsalen Muskel- und Fettpolstern liegen, ferner das Einsinken der oberen XXIV. 22 ‘ 338 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. Augenlider bis unter das Niveau der Schädeldecke (durch Ver- minderung der Fettanhäufungen am oberen Augenrand) ein gutes Kennzeichen ist. Ich möchte dies aber nicht so ohne weiteres unterschreiben, da diese Kennzeichen auch bei gesunden, aber stark ausgehungerten Tieren, und das Einsinken der Augenlider auch bei solchen, die lange Durst gelitten haben, vorkommt und in diesem Falle leicht zum Verschwinden zu bringen sind. Ein wirk- lich sicheres Zeichen der hochgradigen Kränklichkeit ist aber in einer Art „hippokratischen Gesichtes“ zu finden, welches nament- lich durch ein sehr starkes Schielen sich kundgibt, indem bei Schlangen die Pupille konstant aus der Augenmitte nach abwärts gerückt ist, so dass man oberhalb von ihr weit mehr von der Iris sieht als gewöhnlich; ähnliche, aber nicht leicht zu beschreibende Erscheinungen finden wir auch am Auge bei Eidechsen, Chamä- leons, Krokodilen und Schildkröten. Die als Vorboten des Todes zu deutenden Erscheinungen bei Batrachiern sind viel weniger zahlreich als bei Reptilien. Bleich- färbung findet sich als Symptom des Todes häufig bei den Ecau- daten. Agonie wird beim natürlichen Tode nur in gewissen Fällen (Tetanus-Infektion) beobachtet; in diesem Falle tritt der Tod bei den Ecaudaten während der schon vorher zu beobachtenden Aus- streckung der Hinterbeine ein. Die Haltung der Extremitäten ist ziemlich verschieden. Froschlurche verenden außerhalb des Wassers meist in sitzender Stellung, im Wasser mit an die Brust gedrückten Vorder- und mäßig gebeugten Hinterbeinen. Schwanzlurche haben die Vorderbeine an dem Körper nach hinten angelegt, die Hinter- füße aber über das Kloake gekreuzt. Das „hippokratische Gesicht“ ergibt sich durch Niederdrücken des oberen Augenlides, wobei gleichzeitig auch das untere über das Auge gezogen ist. III. Vegetarier unter den Reptilien. Die Anzahl der Reptilien, welche pflanzliche Nahrung zu sich nehmen, ist weit größer als man anfangs glaubte, und namentlich durch die Fortschritte, die in der Pflege exotischer Arten gemacht wurden, sind uns eine große Menge vegetarischer Eidechsen und Schildkröten bekannt geworden. Gibt es auch manche Alkohol- herpetologen, die über Terrarienbeobachtungen die Nase rümpfen, ohne selbst jemals sich über die moderne Terrarienpflege orientiert zu haben und ohne auch nur soviel von der Biologie unserer Terrarienreptilien zu wissen, als sich durch das Aufschneiden des Bauches vollgefressen eingelaufener Spiritus-Museumsexemplare herausbringen ließe, so wird heutzutage kein vernünftiger Zoologe zweifeln, dass kein Reptil etwas in Gefangenschaft verzehrt, was ihm nicht wenigstens in ähnlicher Form in Freiheit zur Nahrung dient. Gerade diese Wirbeltierklasse ist ja bekannt durch ihr Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. 339 starres Festhalten an bestimmten Ernährungsformen, und weiters ist ja jedem Reptilienpfleger genugsam bekannt, dass sich Reptilien lieber zutode hungern als ıhnen nicht zusagende Nahrung anzu- nehmen. Überdies lehrt der Vergleich mit Darminhalt freilebend gefundener Individuen, dass die Beobachtungen im Terrarium völlig einwandfreie Ergebnisse liefern. — Was nun die einzelnen Ordnungen anbelangt, so steht es außer Zweifel, dass Krokodile und Schlangen reine Raubtiere und Fleisch- fresser sind. Die vereinzelte, auch in „Brehm’s Tierleben“ mit- geteilte Beobachtung, derzufolge im Magen eines Aerochordus javanicus, einer malayıschen Süßwasserschlange, Reste von Früchten gefunden worden sein sollen, vermag diesen Satz um so weniger umzustoßen, als wir wissen, dass solche Reste nicht nur oft aus dem Mageninhalte gefressener Tiere stammen und unverdaut bleiben, sondern auch mitunter zufällig beim Verschlingen von Tieren mit aufgenommen werden können. Es ıst außer dem im Brehm zitierten Falle auch kein einziger weiterer von dieser Schlange bekannt ge- worden, und es kann daher nicht die geringste Folgerung darauf gebaut werden. Von den Schildkröten sind die echten Landschildkröten Testzdo, Homopus und Oinixys Pflanzenfresser, obwohl manche Testudo-Arten mit Vorliebe Insektenlarven (Mehlwürmer), Regenwürmer, sowie rohes Fleisch annehmen (T. marginata, tabulata); von den Wasserschild- kröten hält sich Geoemyda spinosa vorwiegend oder völlig an Pflanzen (Flower) und auch Kachuga tectum ıst leichter mit Pflanzen (Wasser- linsen) als mit Fleischnahrung zu erhalten. Endlich nimmt Chry- semys ornata und concinna zum mindesten in der Jugend nicht ungern Pflanzenstoffe (Wasserpflanzen verschiedener Art — Elodea, Myriophyllum, Utricularia, Hippuris etc.) an. Von den Eidechsen finden wir keine Pflanzenfresser unter den Geckoniden, und vermutlich sind auch die Eublephariden und Uroplatiden ausnahmslos Raubtiere. Unter den Pygopodiden nimmt Pygopus Pflanzennahrung (Obst) an, während von den übrigen zum mindesten Lialis als ausschließliches Raubtier gelten muss. Unter den Agamiden sind bereits mehr Pflanzenfresser; ın erster Linie gilt dies von der Gattung Uromastix, die durchwegs Vegetarier enthält, wenngleich viele, namentlich jüngere Exemplare Insekten durchaus nicht verschmähen. Gelegentlich nehmen auch (vielleicht unabsichtlich?) Liolepis (Laidlaw) und Amphibolurus (De Grijs) Pflanzenstoffe in geringen Mengen an, auch Lophura soll Pflanzen- nahrung zu sich nehmen. — Unter den Iguaniden sind Iyuana, Oyelura, Otenosaura, Metopocerus, basiliscus Pflanzenfresser, ohne jedoch anıma- lische Kost zu verschmähen; die großen Galapagos-Echsen Ambly- rhynchus und Conolophus sollen ausschließlich Vegetabilien zu sich nehmen; dagegen finde ich unter den Zonuriden, Anguiden, Vara- 99% 340) Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. niden, Helodermatiden, bezw. den Gattungen Zonurus, Anguis, Ger- rhonotus, Ophisaurus, Varanıs und Heloderma keinen einzigen Vegetarier. Unter den Tejiden frisst nach meinen Erfahrungen Tupinambis tegwixin Weintrauben und Apfelstücke sehr gerne; unter den Lacertiden sind Z. ocellata, viridis var. major, atlantica, galloti und simonyi auf saftige Früchte mehr weniger erpicht; die beiden letzteren werden ja bekanntlich in ihrer Heimat mit Paradiesäpfeln (Tomaten) geködert. Junge Lacertiden und Tejus verschmähen dagegen Pflanzenkost auch dann, wenn sie von den erwachsenen an- genommen wird. Unter den Gerrhosauriden kenne ich keine Pfianzen- fresser, dagegen sind alle die großen Scinciden (Trachysaurus, Teligua, Egernia, [Oorucia?], Macroscincus) ın Gefangenschaft zum mindesten ebenso große Freunde von saftigen Früchten und Blättern als von animalischer Nahrung. Auch die großen paläarktischen Eumeces-Arten (E. Schneideri und algeriensis) nehmen kleine Stücke von süßen Früchten an. Wir ersehen aus dieser Zusammenstellung zweierlei: erstens dass es vielleicht kein einziges Reptil gibt, welches animalische Nahrung durchaus verschmäht und dass mit Ausnahme der Land- schildkröten und Leguane die meisten Reptilien nur gelegentlich Vegetarier sind und ich glaube, dass sie im Freileben vielfach nur das Wasser durch Aufnahme von Stoffen aus dem Pflanzenreiche entnehmen, da man sieht, dass Leguane, die mit saftigen Früchten gefüttert werden, gar nie trinken. Zweitens, dass es in allen Familien die größten und massigsten Formen sind, welche sich der Pflanzennahrung zuwenden. Nicht eine einzige Art, die kleiner ıst als ZL. veridis findet sich unter ihnen, dagegen einige der größten jetzt lebenden Eidechsen über- haupt, wenn wir von den Varaniden absehen und nicht minder gehören auch die größten Land- und Seeschildkröten hierher. Wenn wir diese Erscheinung mit dem vergleichen, was wir von den Säugern wissen, so sehen wir auch hier dieselbe Erscheinung. Die Riesenformen der Säugetierwelt (mit Ausnahme der Cetaceen und Robben und mit Einschluss der Sirenen sind durchwegs Pflanzen- fresser, und zwar ausschließliche, und die kleinsten der ausschließ- lich herbivoren Säugetiere (Traguliden und gewisse Antilopen) sind noch immer größer als viele Raubtiere. Von den fossilen Eidechsen sind die riesigen Iguanodonten gleichfalls auf Pflanzennahrung eingerichtet gewesen. Es scheint demnach mit dem Größenwachstum der Reptilienarten (wie auch bei den Säugetieren) vielfach (Ausnahmen: Krokodile, Riesenschlangen, Varaniden, Chelydriden, Trionychiden Podocne- mis etc.) eine Neigung zum Übergang zur Pflanzennahrung sich zu ver- binden. Diese Anpassung hat aber anschemend infolge der leichten und kampflosen Erreichbarkeit der Pflanzennahrung bei vielen Formen Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. 341 zu einer Verminderung der Beweglichkeit, zur Rückbildung der nicht mehr gebrauchten Waffen und dadurch auch zu einer Ver- teidigungsunfähigkeit geführt, die überall dort zur Vernichtung der wehrlosen Pflanzenfresser führt oder geführt hat, wo sich eben entsprechende Feinde vorfinden und ein Schutz durch Verbergen ausgeschlossen oder erschwert ist. (Riesenschildkröten der Gala- pagos, Mascarenen etc.) Wären die gyoßen Galapagos-Leguane von irgendeiner Verwertbarkeit für den Menschen, der ja der Tier- welt ärgster Feind ist, so wären auch sie dem Aussterben nahe. Die festländischen, ihres Fleisches und ihrer Eier wegen hoch- geschätzten Leguane (welche immerhin partielle Raubtiere sınd) ver- danken ihre Erhaltung ihrer ungeminderten Beweglichkeit!), ihrer oft vollkommenen Farbenanpassungsfähigkeit und vielleicht auch ihren achtunggebietenden Verteidigungsmitteln und, wenn wir vielleicht von manchen Riesenskinken absehen, so sind alle partiellen Pflanzenfresser noch gute Läufer und in irgendwelcher Weise ver- teidigungsfähig. Diejenigen Reptilien, die zur reinen Pflanzen- nahrung übergehen, sind, wenn sie nicht durch die Art ihres Vor- kommens (auf wenig besuchten und raubtierfreien Inseln u. dergl.) geschützt sind, dem Aussterben anheimgestellt. Sehen wir doch auch, dass der Mensch manche Pflanzenfresser (Rhytina, Bison etc.) voll- ständig oder fast vollständig ausgerottet hat, während er kein ein- ziges Raubtier ganz vertilgen konnte. IV. Die Variabilität bei Reptilien. Die Artunterschiede bei Reptilien, speziell bei den Plagiotremen sind vielfach auf die Zahl, Größe und gegenseitige Stellung der Kopfschilder, sowie auf die Zahl der Schuppen- und Schilderreihen des Rumpfes und Schwanzes gegründet, während man auf die Fär- bung ganz ungleich dem bei Säugetieren geübten Gebrauche kein Gewicht legt, bezw. dieselbe als alleiniges Artunterscheidungs- merkmal niemals gelten lässt. Wir können nun Formen unterscheiden, welche in zahlreichen Punkten voneinander differieren und solche, bei denen die Unter- scheidungsmerkmale in geringer Zahl vorhanden sind. Die ersteren sind zweifellos die besser charakterisierten. Es können z. B. von den Merkmalen, welche die Zacerta-Arten aus der Gruppe der L. oxycephala und danfordi unterscheiden, eine ziemliche Anzahl ausfallen, ehe man zwei dieser Arten für identisch erklären könnte; dagegen sind die Merkmale der meisten Tarbophis-Arten so wenig 1) Es ist dabei nicht zu verkennen, dass der ausgeprägte Geschlechtsdimorphis- mus der Leguane und die damit verbundene Neigung der Männchen zu heftigen Kämpfen untereinander eben den Verlust der Beweglichkeit und ihrer natürlichen Waffen verhindert haben dürfte. € 342 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. zahlreich, dass es nur einer geringen konvergenten Variation!) be- darf, um T. iberus m fallax, guentheri in semiannulatus überzu- führen. Die zahlenmäßig ausdrückbaren Artunterschiede gelten allge- mein für die klarsten und unzweideutigsten, im Gegensatz zu den die Form („Schnauze zugespitzt, abgerundet, abgestutzt, lang, mäßig lang, stark, wenig, nicht vorspringend“ etc.) andeutenden und die absoluten Zahlen (19 Schuppenreihen, 8 Oberlippenschilder, 3 Postokular- schilder) wieder mehr als die relativen („Frontale 1!/,mal so lang wie breit, Frenale ebenso hoch wie lang“ etc.). Trotzdem sind gerade diese absoluten Zahlenwerte oft nicht weniger der Variation unterworfen als die übrigen Merkmale. Bekannt ist, dass die Schuppenreihenzahlen bei den Schlangen (Ausnahmen selten) stets um 2 variieren, so dass also bei einer Art zwar 17 oder 19, fast nie aber 18 Schuppenreihen auftreten. Durch Spaltung vermehren, durch Verschmelzung vermindern sich die Kopfschilder, und zwar können in manchen Fällen sogar die sonst sehr konstanten und daher generisch wichtigen Schilder der horizontalen Kopfoberfläche verschmelzen (Praefrontalia bei Zamenis gemonensis, florulentus, Gastropyzis smaragdina etc.) was bei neu beschriebenen, in einem einzigen Stück vorliegenden Arten oft spezifische oder sogar gene- rische Abtrennung seitens des Autors veranlassen kann. Im allgemeinen sind bei Reptilien auch bei großer Variabilität individuelle Verschiedenheiten in den relativen Körperdimensionen überaus selten (Typhlopiden und Glauconiiden ausgenommen). Eine der auffallendsten Ausnahmen ist von der Lacertide Nucras delalandii bekannt, nämlich jene von Bedriaga zum Vertreter einer besonderen Gattung „Bettaia“ erhobene Form, welche mehr als doppelt so lang ıst als die gewöhnliche Form der Art (Kopflänge, Halslänge und Rumpflänge bei Zypica wie: 1:0,71—0,73 : 3,42—3,66; bei Be- driaga’s Form wie 1: 1,16: 7.16)2). Eine bekannte Form unter den Schlangen ist die vierstreifige Varietät ©. quadrivittatus von Coluber obsoletus. Obwohl in der Gattung Coluber noch eine zweite Art (C. guatuorlineatus) in einer gefleckten und in einer längsstreifigen Form vorkommt, so sind bei dieser die beiden Formen vom gleichen robusten Körperbau. O. quadrivitiatus ist aber entschieden schlanker als die gefleckte Form von obsoletus, wenngleich sie nicht mehr Bauchschilder hat 1) Ich bezeichne mit diesem Ausdruck eine Variation, welche bei verwandten Arten durch Berührung oder Durchschneidung ihrer Variationskreise eine Annähe- rung hervorruft; also z. B. wenn eine Art eine solche Variabilität der Bauchschilder- zahlen hat, dass deren Minimum gleich dem Maximum bei einer verwandten Art wird. 2) Werner, Über Reptilien aus Syrien und Südafrika (Jahrb. Naturw. Ver. Magdeburg 1896/97, S.-A. p. 15. Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. 343 als diese. Cope betrachtete sie als besondere Art, worin er aber sicherlich wie auch in ähnlichen Fällen zu weit ging. Nicht minder deutlich ausgesprochen ist der Unterschied unter den einzelnen Formen von Zamenis gemonensis, und da mir ein veichliches Material aus dem größten Teil des Verbreitungsgebietes vorliegt, so möchte ich den Gegenstand etwas weiter ausführen, bezw. die deutliche Verschiedenheit namentlich im der Zahl der Ventralschilder bei allen in meinem Besitze befindlichen Exem- plaren (9 gemonensis, 12 carbonarius, 14 atrovirens, 13 caspius und 5 asianus, zusammen 53) durch Vorlegung des Zahlenmaterials ersichtlich machen '). var. Gemonensis (typica — Laurentii Bedr.) Ventralia Subeaudalia M. Ljubinje, Herzegowina . 126 (Minimum) 80 (Minimum!) M. Zara, Dalmatien. . . 167 92 M. Kambos, Taygetos . . 172 95 M. Kreta ae 2 80 101 W. Zara, Dalmatien. . . 174 [56 +] W. Insel Solta, Dalmatien 196 95 Wera van. rel 104 j. Insel Lissa, Dalmatien 176 102 j. Capljina, Herzegowina. 177 102 Durchschnitt: 169 96 Variabilität: 126—186 80—104 var. carbonarius M. Jnsel Pelagosa, Dal- matien BR 20 104 Me Istrien, u. Ve. ee 105 MeGoran. 0.8 0% -uun mar LIE 104 M. Dignano, Istrien. . . 19 85 M. Grignano bei Triest . 195 [77] M. Monte Maggiore, Istrien 196 103 Nelriest.. 0,2 2 592,205 102 WesudNirol 02225210 100 Welnmer 000 Nabel 99 WW. Belagosaı -.. „Neng207 98 W#Belaieosa 2... 87209 si is Dalmatien? . + 2.006 206 108 Durchschnitt: 203 99 Variabilität: 195—211 81—108 1) Im übrigen variiert die Art in den morphologischen Merkmalen wenig; einmal fand ich 17 statt 19 Schuppenreihen, einmal 7 statt S Supralabialen, einmal verschmolzene Praefrontalia, am ıneisten variieren die Temporalia (normal 2 + 2 oder 2 +3). 344 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. var. atrovirens Ventralia Subcaudalia M.2S2. Schwere le. 198 111 M.uBocamor an ea. le 7204 108 MY von une. 3, 1,4198 97 a Sardınienı I... ..- TE ne Meöllorenzn.!, . 21.1... 0000 180 [93 +] MauKorsıkar. =. 1.0. 1.020204 114 Mabalermo. . . nr 22.192 [42 —+] MerNleapel’ 22), 0er. 2200 105 IWW Rom .. en 222216 (Maxımunmn) 90 Siena. Ale 119 1 Korsika 22 au 9) 220.,0: 205 112 Air Palermo n un Be 191 114 Durchschnitt: 199 108 Variabilität: 180—216 90—119 var. caspius MAllngarn. war 2.0.2 111 IM. Bazıas Ungarn 22, 2.022195 110 M. InselLagosta, Dalmatien 207 94 NM. Rumanmen sa re 107 103 M. Rustschuk, Bulgarien . 195 100 M.# Ephesuse.. l. w.\.: 202 93 We Ungamnzr.. es... 03202 96 WW Sarepla. ya. u 21206 95 VER KOLLU m. A 200 98 W. Sarı Keuy, Kleinasien . 209 107 j. Konstantinopel . . . 206 105 j. Ala Chehir, Kleinasien . 205 97 j. Rustschuk, Bulgarien . 201 94 Durchschnitt: 202 100 Variabilität: 197—209 9 var. asianus M. Mersina, Kleinasien. . 199 100 NErSyrIen no 02 2 0220 106 MeSyrieni. v7... ae ei 108 1 Jerusalem... 0.9203 128 (Maximum) j. Adana, Kleinasien . . 200 101 Durchschnitt: 205 108 Variabilität: 199—211 100—128 Durchschnitt für die Art: 196 101 (169—199—202— 203— 205) (96—99—100— 107 — 108) Variabilität für die Art: 126—-216 3023128 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. 3 Es ergibt sich daraus, dass bei der typischen Form die Ven- tralenzahl durchwegs unter, bei den übrigen Formen aber mit Ausnahme von 8 Fällen über dem Durchschnitte liegt und zwar entfallen davon 3 auf carbonarius, 5 auf atrovwirens, 2 auf caspius, während asianus kein Exemplar eine Ventralenzahl unter dem Durchschnitt hat. Die Schwanzschilderzahlen liegen für Zypica, carbonarius und caspius im Durchschnitt unter, für atrovirens und asianus aber über dem Spezies-Durchschnitt. Die typische Form lässt sich von carbonarius, von der sie in frühester Jugend in der Färbung und Zeichnung kaum zu unterscheiden ist, durch die Ventralenzahl unterscheiden, ebenso von caspius und asianus; da- gegen lässt sich in der Subcaudalenzahl kein solcher Unterschied konstatieren. Ein zweiter Fall von Verschiedenheit des Umfanges bei gleicher Länge betrifft die beiden Varietäten von Python molurus, nämlich var. ocellata W ern. (Vorder-Indien, Ceylon) und var. sondaica Wern. Letztere Form ist nicht eine bloße Farbenvarietät, sondern auch weit schlanker als die erstere. Leider kann ich hier keine Ventralen- zahlen angeben, da Alkohol-Material von der Sunda-Varietät in den meisten Museen vollständig fehlen dürfte und die wenigen lebenden Exemplare, die ich gesehen habe, lebendig genug waren, um eine Zählung der Schilder und eventuell Rumpfschuppen nicht zuzulassen. Schließlich ist auch noch bei Vipera berus zu bemerken, dass oft die schwarze Varietät (prester) sich durch größere Schlankheit und schmäleren Kopf von der normalgefärbten Form unterscheidet. Da aber prester als Varietät weder in der Färbung so scharf ge- trennt, noch auch so deutlich geographisch geschieden ist wie Zamenis carbonarius von gemonensis typica, so sind auch die Zahlen- unterschiede absolut nicht auffallend. Größeres Material aus einer bestimmten Gegend würde hier Klarheit schaffen. Eine überaus schwierige Frage ist die, ob die von einigen Forschern als Varietäten der Zacerta muralis angesehenen L. genei Cara, bittoralis W ern., jonica Lehrs, serpa Raf., hispanica Steind. als solche, oder wie andere annehmen, als selbständige Arten be- trachtet werden sollen und ob einige in letzterem Falle zusammen- gezogen oder aber die die Arten noch vermehrt werden müssen. Sicher ist, dass sich Unterschiede in der Beschilderung des Kopfes und Beschuppung des Körpers, die zur zweifellosen Scheidung genügen würden, nicht finden lassen, sondern solche in den Dimensionen und in der Färbung herangezogen werden müssen. Ebensosicher ist es aber auch, dass, wenn man diese Formen als Varie- täten betrachtet, man dazu gelangt, annehmen zu müssen, dass manche von ihnen Arten, die als zweifellos valid betrachtet werden, näher stehen, als ihren eigenen Artverwandten. So steht L. muralis Laur. der laevis Gray näher als der serpa Raf., von der sie ın 346 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. eine Bestimmungstabelle absolut sicher zu trennen große Schwierig- keit hätte; L. jonica und littoralis sicher der L. taurica Pall. näher als der L. serpa Raf. und es mag die Zeit nicht ferne sein, dass die ersten beiden Arten mit der Zawrica vereinigt werden. Es han- delt sich im wesentlichen um die Frage, ob alle grünen Mauer- eidechsen ohne Rücksicht auf die Lage des Nasenloches zusammen- gehören, und ob man grüne und graue, pyramido- und platycephale Echsen zusammenkoppeln soll, nur weil die Merkmale, die zur Unterscheidung der Lacerten ausreichen, uns in der muralis-Gruppe (s. lat.) ım Stiche lassen. Sie ist in der Theorie zugunsten der Trennung bereits schon so ziemlich entschieden, stößt aber bei der praktischen Durchführung auf große Schwierigkeiten. Der Ver- wandtschaft nach gehören zusammen (vgl. Zoologer Anzeiger XXVI, Nr. 7/8, p. 254-259): 1. L. muralis, laevis, cappadocica, anatolica, certzeni, danfordi, graeca, 2. L. graeca, depressa, oxycephala, mosorensis, sardoa, bedriagae, 3. L. littoralis livadiaca W ern. (noch nicht publiziert), genei- | muralis, 4. L. hittoralis, taurica, jonica, serpa, 5. L. peloponmnesiaca, 6. L. muralis - hispanica? - balearica- dugesit- atlantica - gallotr- simonyi. 7. L. murali-pratieola-svivipara, 8. L. parva-agilis-viridis-ocellata, Dass die grünen und grauen Mauerechsen gegenwärtig zum mindesten anfangen, verschiedene Arten zu werden und dass sogar die grünen untereinander artlich verschieden zu werden beginnen, geht aus ihrem unvermischten Zusammenvorkommen an vielen Orten deutlich hervor, immerhin muss zugestanden werden, dass zwar muralis Laur. mit serpa oder littoralis, fast niemals aber (Ausnahmen bei Veglia und Spalato: serpa und littoralis neben- einander vorkommend) eine von den grünen mit einer anderen grünen zusammenlebt; serpa und kttoralis schließen sich z. B. bei Zara, serpa und taurica bei Konstantinopel, aus. Die ähn- lichen Formen der platycephalen murals- und der pyramıido- cephalen serpa-Gruppe sind immer sehr deutlich unterscheidbar. Die var. retieulata der serpa von Sardinien und Sizilien und die nigriventris Bp. (brueggemanni Bedr.) oberseits oft überraschend ähnlich, sind nach Kopfbau und Zeichnung der Unterseite sofort unterscheidbar; dagegen dürfte es allerdings ohne Kenntnis des Fundortes mitunter schwer halten, die var. sicula der L. serpa in in allen Fällen von L. jonica Lehrs zu unterscheiden. Alle grünen Mauerechsen mit Ausnahme von L. taurica haben einfarbig grüne, mehrere schwarze Insel-Varietäten, Z. muralis die fülfolensis, L. Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. 347 serpa die faraglionensis und mellissellensis; dass die dickschwänzige schwarze llfordi von der balearica (= pityusensis) sich ableitet, dürfte so ziemlich außer Zweifel sein, ob aber diese mit muralis Laur. zu- sammenhängen oder besondere Formen vorstellen, ist mir noch nicht ganz klar, doch neige ich eher zur letzteren Ansicht; balearica, ll- fordi, dugesii stimmen durch ihre dicken, förmlich saftstrotzenden Schwänze überein und leiten zu den Canaren-Echsen über. Trotz allem, was bisher darüber geschrieben wurde, ist die Lacerta-Frage noch ungelöst; und man wird langsam zur Er- kenntnis kommen, dass die alte Ansicht von der Arteinheit der Mauereidechsen (nach Ausscheidung der L. bedriagae Cam., die sicher nicht hineingehört), wenn auch nicht die phylogenetisch richtigste, so doch zum mindesten die bequemste ist, so lange man nicht Merkmale kennt, die eine natürlichere Gruppierung und sichere Trennung der Arten ermöglichen. Teilt man die L. muralis Bou- lenger’s ım die 8 eine ziemlich kontinuierliche Reihe bildenden, aber nicht ganz gleichwertigen Subspezies: balearica Bedr., hispa- nica Stdchr. (noch sehr wenig bekannten Form); fusca Bedr., genei Cara, livadiaca Wern., Akaknanien bis Argolıs, Naxos, Kreta), Z&ttoralis Wern., jonica Lehrs, serpa Raf., wobei von der belearica die atlantischen, von fusca die kleinasiatischen Mauer- und Bergechsen und die oxycephalen Arten, von littoralis die Zaurica sich ableiten, so rückt dadurch die alte muralis gleich- sam ins Lacertenzentrum, von der fast alles, was Lacerta heißt, ausstrahlt (mit Ausnahme der agilis-Gruppe). Dass die Färbung als alleiniges Unterscheidungsmerkmal wenig Wert hat, geht daraus schon hervor, dass verwandte Arten alle in gleicher Weise variieren. Deshalb sind Eimer’s muralis-Varietäten systematisch fast ausnahmslos unbrauchbar, weil sie keine Varietäten, sondern nur gleiche Zeichnungstypen verschiedener Arten vorstellen. Ich habe ım Vorjahre während eines kurzen Aufent- haltes in Tübingen dank der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. F. Blochmann Gelegenheit gehabt, die Eimer’schen Lacerten durchsehen zu können und konnte mich dabei auch der Unter- stützung eines bewährten Lacertenkenners, meines Freundes Kunst- maler Lorenz Müller in München erfreuen. Einige Beispiele werden beweisen, dass Eimer unter demselben Namen die ver- schiedenartigsten Formen zusammenfasste. Als muralis rubriventris findet sich bezeichnet eine Zittoralis von Dalmatien (Kat. Nr. 53°) und eine muralis von der Seiseralpe (52'%); als muralis maculata: L. genei Cara (52°, Monte Christo; 62°°, Insel Giglio) und serpa Raf. (52%, S. Italien; 52°*, Calabria ulteriora; 52°, Abruzzen; 523, Ischia); als striato-maculata: L. serpa Raf. (52°®, Isola Ventotene) und genei Cara (52°, Korsika), schließlich als muralis campestris: L. litto- ralıs (52%, Görz[?]) und Z. serpa (522°?”, Lido; 522°, Triest) u. s. w. 348 Werner, Beiträge zur Biologie der Reptilien und Batrachier. Ist die Färbung bei den Lacerten als Charakter ersten Ranges nicht in Betracht zu ziehen, so ist sie doch vielfach in zweifel- haften Fällen sehr wohl im stande, den Ausschlag zu geben. Helle Ränder der dunklen, dem lichten Dorsolateralstreifen anliegenden, stets eine ungefleckte Rückenzone freilassenden sekundären Dorsal- flecken oder helle Flecken zwischen diesen lassen die L. taurica stets sicher von ZL. serpa, ja sogar von kittoralis unterscheiden ; die gelbe Unterseite und der blaue Supraaxillar-Ocellus der L. graeca genügen, um diese Art auf dem ersten Blick von der unterseits weißen oder rötlichen (beim Männchen an der Kehle sogar lebhaft roten) und eines blauen Achselfleckes stets entbehrenden, sonst aber sehr ähn- lichen und von Boulenger sogar für identisch gehaltenen L. Danfordi Gthr. zu trennen, und ebenso unterscheidet das Auftreten von Blau an den Rumpfseiten (beim Männchen) und die einfarbig weiße Unterseite die L. cappadocica Wern. leicht von L. Danfordi und anatolica Wern., die mehr weniger schwarz punktierte Unterseite und nie eine Spur von Blau besitzen. Allerdings ist die Bauch- färbung bei manchen Arten (wohl am meisten bei L. agilis) variabel; so weiß, gelb, rot, schwarz, bei L. muralis, weıß, gelb, rot, blau, schwarz bei L. serpa; weiß, gelb, rot bei L. littoralis, jonica und taurica; dagegen stets gelb bei erwachsenen männlichen mosorensis und graeca, stets weiß oder höchstens rötlich, niemals gelb bei den anatolischen Mauerechsen (mit Ausnahme der in eine andere Gruppe gehörigen L. depressa). Goldglanz der Oberseite, bei Acantho- dactylus und Psammodromas nicht selten, findet sich bei Lacerta nur zweimal: bei peloponnesiaca und perspieillata; Bronceschimmer bei L. depressa, Fettglanz bei L. mosorensis. Schwarze Inselformen bildet als konstante Lokalformen Z. muralis, serpa, balearica (s. S. 248), aber auch die meisten Canaren- Echsen neigen zur Verdunkelung. Schwarze festländische Lokal- rassen existieren nur von L. wiripara und oxycephala (Gebirgs- formen); von L. agilis und viridis kommen Nigrinos nur vereinzelt vor und zwar auch im Hügelland. Für das ersprießliche Studium der Lacerten ist lebendes oder wenigstens ganz frisches Material nötig; dann können auch wesent- liche Färbungseigentümlichkeiten berücksichtigt und hervorgehoben werden. Gute Abbildungen aller Formen dieser für die palä- arktische Region höchst charakteristischen und in den Mediterran- ländern direkt den Habitus des Faunenbildes bedingenden Gattung nach dem Leben sind für weitere Studien absolut erforderlich. Ich werde daher fortfahren, die wichtigsten Formen des Mediterran- gebietes bestens (durch den ausgezeichneten Künstler Lorenz Müller in München) abbilden zu lassen, und zwar sollen zunächst der Be- arbeitung meiner Reiseausbeute aus Morea (1901) Abbildungen aller moreatischen Lacertiden beigegeben werden. L’evolution de la vie. 349 Laloy, L’evolution de la vie. Avec 30 figures dans le texte. Petite encyelop@die scientifique du XXe® sciecle III. Paris 1902. Laloy wendet sich mit seiner Schrift nicht an die Fach- gelehrten, sondern an das große Publikum mit allgemeiner Bildung. Er will es über die letzten Fortschritte der Wissenschaft unter- richten und will ferner aus den Entdeckungen der Forscher und den Spekulationen der Philosophen eine Theorie des Lebens und seiner Entwickelung ableiten, die ein Ausdruck unserer Kenntnisse am Anfang des 20. Jahrhunderts ist. Die lebenden Wesen, Tiere und Pflanzen, unterscheiden sich von den leblosen dadurch, dass sie auf Kosten des umgebenden Mediums sich ernähren, dass sie sich fortpflanzen und nach einer gewissen Zeit sterben, falls sie nicht vorher durch eine äußere Ver- anlassung zerstört werden. Die Grundlage des Lebens ist das Protoplasma. Es ist gegenüber allen anderen bekannten chemischen Körpern durch die beständige Beweglichkeit seiner Moleküle aus- gezeichnet. Es besitzt eine Art von "Willen, der es ihm möglich macht, die günstigsten Bedingungen für seinen Bestand aufzusuchen und sich unter Anpassung an diese Bedingungen zu entwickeln. Ihm wohnt ein gewisses Bewusstsein inne. Die lebende Substanz hat auch eine Persönlichkeit, d. h. sie kann nur in der Form von Individuen bestehen. Ueber den Ursprung des Lebens ist nichts Gewisses bekannt. Man kann nur sagen, dass in den frühesten Zeiten, als die Wärme des Zentralkernes sich durch die noch dünne Erdrinde hindurch stark geltend machte, die Temperatur-, Feuchtigkeits-, Elektrizitäts- verhältnisse sehr verschieden waren von den heutigen und die Bil- dung von Zusammensetzungen, die dem Protoplasma analog sind, wohl begünstigen konnte. Wir sind indessen nicht im stande, zu entscheiden, woher es den Lebenseinfiuss erhielt. Die sehr ein- fachen ersten Lebewesen entstanden in einem warmen Meere, wahr- scheinlich in der Nähe der Küsten. Die ersten Lebewesen, die auf der Erde auftraten, waren äußerst einfach gebaute Protoplasmaklümpchen ohne Spur einer Organisation und ohne eine bestimmte Form, wie die Moneren. Durch fortge- setzte Abänderung und Vervollkommnung gingen aus ihnen alle Tiere und Pflanzen hervor. Die jetzigen Moneren entsprechen trotz ihres einfachen Baues doch nicht völlig jenen ersten Lebewesen, denn sie ernähren sich von Infusorien, Diatomeen, mikroskopischen Krustazeen, nie aber von mineralischen Substanzen. Sie nehmen ihre Nahrung mittelst ihrer Pseudopodien auf und scheiden die harten, für die Ernährung nicht brauchbaren Teile wieder aus. Sie verhalten sich in dieser Hinsicht wie Tiere. Die Vervollkommnung der ersten Lebewesen zeigte sich zu- nächst in der inneren Struktur. Es bildete sich der Kern in der ursprünglich gleichartigen Protoplasmamasse und bisweilen ent- stand eine Membran. In den Amöben sehen wir noch jetzt solche einfachste kernhaltige Gebilde. Ihnen gleichwertig sind die weißen 350 L’evolution de la vie. Blutkörperchen, und die Chromatoblasten und auch die Nerven- zellen sind ihnen anzureihen, weil ihre Fortsätze, wie Laloy mit Duval annimmt, amöboide Bewegungen ausführen können. Die für den Aufbau der Erdrinde so bedeutungsvollen Foramini- feren und Radiolarien zeigen innerhalb ihrer verschiedenartigen, äußerst komplizierten und oft ungemein zierlichen Kalk- und Kiesel- panzer allereinfachste kernhaltige Protoplasmakörper. Bei den Infusorien zeigt sich die Vervollkommnung im Auf- treten von Organen in dem Protoplasma und m der bestimmten festen Gestalt. Während die einzelligen tierischen Wesen dadurch ausge- zeichnet sind, dass ıhr Körper nackt oder nur von einer wenig dicken Haut umhüllt ist, und in dauernder Verbindung mit der Umgebung steht, sei es an der ganzen Oberfläche oder durch Fort- sätze des Protoplasmas, sind die Pflanzen von einer dicken, unlös- lichen, widerstandsfähigen Cellulosemembran umschlossen. Infolge- dessen ist die Beweglichkeit und die Erregbarkeit, die bei den tierischen Wesen sehr ausgebildet sind, bei den pflanzlichen sehr stark herabgesetzt, ja fast geschwunden. Infolgedessen nehmen sie auch nur flüssige oder gasförmige Nahrung auf, die durch Osmose die Membran durchsetzt. Bedeutungsvoller ist die Vervollkommnung der Organismen, die dadurch zustande kommt, dass sich Zellen vereinigen. Die ersten Kolonien sind noch zusammengesetzt aus gleichartigen Zellen, die sich trennen und gesondert weiter leben können, weil jede Zelle das besitzt, was zum Leben nötig ist. Dieses zeigen z. B. Magosphaera und Volvox. In höher organisierten Kolonien bildet sich eine Arbeitsteilung aus. Die Zellen bilden Gewebe und Organe, die jede eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen haben. Infolgedessen können die Zellen nicht mehr getrennt leben. Nur die Geschlechts- zellen, die bestimmt sind, den Organısmus fortzupflanzen, haben die Fähigkeit, außerhalb des Verbandes zu leben, jedoch nur dann, wenn sie durch eine andere Geschlechtszelle befruchtet sind. Das Leben ist einheitlich. Beide organische Reiche sind in ihren Anfängen verschmolzen. Die Entwickelung von diesen An- fängen aus erfolgte nicht in ununterbrochenem Gange. Überall sehen wir Tier- und Pflanzengruppen, die einen hohen Grad der Vollkommenheit erreicht haben, verschwinden, weil die Lebens- bedingungen sich änderten oder "sich an ein parasitäres Leben an- passen und eine mehr oder minder bedeutende Rückbildung er- fahren. Sowie bei der Entwickelung der Einzelwesen zahllose Keime zugrunde gehen, so hat auch die Natur in der Entwickelung der Arten viele Wesen entstehen lassen, davon aber nur wenige als Wurzel für höhere Arten auserwählt. Außer dem Streben nach einer Verbesserung des Materials macht sich in der Natur auch eine Art von Ästhetik bemerkbar. Wenn auch der Schmuck der Insekten und Blumen auf natürliche Auswahl und die Bedürfnisse der Fortpflanzung zurückführbar sein könnte, so würde dies doch nicht für die feinen Skulpturen und L’evolution de la vie. 351 wunderbaren Farben gelten, mit denen sich gewisse Meerestiere schmücken, die hiervon gar keinen Nutzen haben können. Dass nicht nur die Tiere, sondern auch die Pflanzen ein Be- wusstsein haben, geht daraus hervor, dass alle, selbst die tiefst- stehenden, ohne Aufhören danach streben, ihre "gegenwärtige me zu verbessern. Wenn nun eine jede Zelle ihr Bewusstsein hat, sc tritt die Frage auf, warum in einem großen Zellenstaat das Ei wusstsein einheitlich ist. Man könnte denken, dass die Körper- zellen einigen von ihnen, den Zellen des Zentralnervensystems die psychischen Funktionen übertragen hätten, wie sie anderen Zell- gruppen andere Funktionen zuweisen. Beim Menschen ist das Bewusstsein übrigens auch kein einheitliches, wie uns die Erschei- nungen des Unterbewusstseins und des ‚doppelten Bewusstseins zeigen. Außer dem Gehirn, das mit seinen Assoziationszentren das wirkliche „Seelenorgan“ darstellt, funktionieren auch die sekundären Zentren, das "verlängerte Mark und das Rückenmark. Sie bilden die Stätte für das Zustandekommen des Unterbewusst- seins. Die Vorgänge in diesen sekundären Zentren, die gewöhnlich von denen ım Gehirn überstrahlt werden, können auf den ersten Plan gelangen. Bei den niederen Wirbeltieren, wo das Gehirn im Verhältnis zum Rückenmark sehr klein ist, und noch viel mehr bei den Arthropoden und Würmern haben die sekundären Zentren einen großen Teil ihrer Wichtigkeit bewahrt. Es ist deshalb nicht wunderbar, dass eine Anzahl von Würmern fortfahren kann zu leben, nachdem sie in zwei Stücke geschnitten sind. Eine Erschei- nung derselben Art ist die Fähigkeit der meisten Pflanzen, sich durch Ableger fortzupflanzen. Bei den Pflanzen bildet sich das Bewusstsein zurück, die Per- sönlichkeit kommt nicht zur Entwickelung, aber dafür passt sich der Organismus sehr vollkommen der Umgebung an. Er schöpft seine ans ohne Mühe und Anstrengung in der mineralischen Umgebung. Das Tier ist gezwungen, seine Nahrung zu suchen und seine Beute zu verfolgen. Sein Leben ist ein beständiger Kampf. In diesem Kampfe schärfen sich seine Sinne, entwickelt sich seine Intelligenz, stärkt sich seine Persönlichkeit. Die Pflanzen- tiere dagegen führen ein beinahe vegetatives Leben. Sie erwarten von den Meeresströmungen die Zufuhr ihrer Nahrung. Gewisse Seeigel leben im Sande vergraben, den sie ın ungeheuren Mengen aufnehmen, um daraus die nährenden Stoffe auszuziehen. Manche parasitisch” lebende Tiere besitzen selbst Wurzeln wie wirkliche Pflanzen. In diesen Fällen ist sicherlich die Intelligenz in gleicher Weise wie bei den Pflanzen zurückgebildet. In den beiden obersten Abteilungen des Tierreiches, bei den Insekten und Wirbeltieren hat sich die Persönlichkeit mehr und mehr gestärkt und das Bewusstsein ist mehr und mehr helle ge- worden. Die psychischen Handlungen, die durch Verknüpfung der Tatsachen des Bewusstseins zustande kommen, beruhen auf der amöboiden Beweglichkeit der Nervenzellen, auf den Ber ührungen zwischen ihren Fortsätzen. Haben diese Fortsätze einmal eine ge- 359 L’evolution de la vie. wisse Starrheit, so werden die einmal gebildeten Verbindungen leicht fest werden und wir haben es dann mit dem Instinkt zu tun, der dadurch sich kennzeichnet, dass dieselben Handlungen sich immer unverändert, gleichsam automatisch wiederholen. Sind die Fortsätze dagegen sehr weich und beweglich, so werden die Ver- bindungen nicht von großer Dauer sein und es werden immer neuartige Verbindungen entstehen. Dies sind die Eigenschaften der Intelligenz. Alle höheren Tiere und der Mensch sind gleich- zeitig mit Instinkt und Intelligenz ausgerüstet. Bei den Insekten herrscht der Instinkt vor. Die Intelligenz entwickelt sich um so mehr, je höher wir in der Reihe der Wirbeltiere emporsteigen. Sie hängt nicht von der relativen Hirnmasse ab, sondern von der Beschaffenheit der Nervenzellen und von der Fähigkeit, zahlreiche und verschiedene Assoziationen zu bilden. Sie entwickelt sich parallel den Schwierigkeiten, die das Tier zu überwinden hat. Pflanzenfresser sind darum weniger intelligent als Fleischfresser. Beim Menschen, dem physisch am schlechtesten bewaffneten Tiere, erreicht die Intelligenz darum die höchste Stufe. Dass die Weiterentwickelung des Lebensbaumes auch gegen- wärtig noch fortdauert, erscheint Laloy nicht sehr wahrscheinlich, weil die Veränderungen auf der Erdoberfläche nicht mehr in dem Maße auftreten können wie ehedem, da die Erdrinde noch dünn und nachgiebig war. Der Gleichgewichtszustand, in dem die Natur gegenwärtig sich befindet, kann aber nur vorgetäuscht sein durch die ım Vergleich mit den geologischen Perioden unendlich kurze Spanne der Zeit unserer Beobachtung. In der Gegenwart werden die obersten Tier- und Pflanzen- arten in bejammernswerter Weise durch den Menschen zerstört. Wenn die Zunahme der Bevölkerung und die Ausbreitung der Kultur ın gleichem Maße wie neuerdings anhält, so werden in ver- hältnismäßig kurzer Zeit die Wälder und Prärien von den Kultur- pflanzen verdrängt und die wilden Tiere vor den Schaf- und Rinder- herden verschwunden sein. Ob das Leben des Menschen in einer so veränderten Umgebung angenehm sein wird, das muss die Zu- kunft lehren. Die Auffassung, dass der Mensch allen lebenden Wesen über- legen sei und dass alle übrigen Geschöpfe, Tiere und Pflanzen nur seinetwegen leben, ist schwer auszurotten, weil sie durch die meisten Religionen unterstützt wird. Laloy mahnt zum Mitleid mit Tier und Pflanze, die unsere geistig weniger entwickelten Brüder sind. Wir sollten sie nicht zerstören, wenn es nicht nötig ist, wir sollten sie beobachten und studieren und würden verwun- dert sein über die Fülle der Schönheit, die der großen Menge ver- borgen bleibt. Die wahre und einzige Überlegenheit des Menschen ist seine Wissbegierde. R. Zander. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwiekelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, ren zu wollen. Zxıvea 001. 38011902 11. In eo "Skorikew, Über das nn der Newa und aus einem Teile VER, s Ladoga-Sees. — Beard, Heredity and the Cause of Variation. — Guldberg, Über die Wanderungen ver- schiedener Bartenwale. Über das Sommer-Plankton der Newa und aus einem Teile des Ladoga-Sees. Von A. 8. Skorikow (St. Petersburg). In den letzten Jahren beschäftige ich mich besonders mit der Planktonforschung russischer Flüsse und habe mich natürlicher- weise auch sehr für die Newa interessiert, diesen charakteristischen Typus eines „lakustren“ Flusses, wie er im dieser Art in Europa noch nicht erforscht wurde. Nicht wenig zur Untersuchung des Newa-Planktons wurde ich auch angeregt durch die überhaupt äußerste Dürftigkeit unserer faunistischen Kenntnisse dieses mäch- tigen Flusses. In der Tat erschöpfen sich alle unsere Daten über das Newa- Plankton in dem geringfügigen Verzeichnisse Imhof’s!), welches er auf Grund einer ihm aus St. Petersburg gesandten, kleinen konservierten Probe publizierte. Hier gebe ich die Liste der Arten: Dinobryon sertularia Ehrbg. Synchaeta baltica Ehrbg. ” elongatum Imh. Polyarthra platyptera Ehrbg. „ divergens Imh. Anuraea cochlearis Gosse Stentor spec. R var, baltica Imh. Vorticella spec. Cy clops-Larven. Acineta spec. 1) ©. E. Imhof, Über mikroskopische pelagische Tiere aus der Ostsee. — Zıool. Anz. IX, 1886, Nr. 235, p. 612—61D. XXIV. 23 354 Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. Ich untersuchte außer der systematischen Zusammensetzung des Planktons, welche mir unbedingt nötig war zur Charakteristik dieses Flusses, ebenfalls im Verlaufe fast eines ganzen Jahres auch alle darin vorgegangenen Veränderungen in Zusammenhang mit den Jahreszeiten, soweit letzteres möglich war; habe mich aber nicht mit der quantitativen Methode befasst. Meine Untersuchungen begannen am 18. Juli 1902 und dauerten bis zum 5. September, wurden dann nach einer fast einen Monat währender Unterbrechung am 3. Oktober wieder aufgenommen und ununterbrochen bis zum 4. Mai 1903 fortgesetzt. Vorliegende Arbeit ist den Ergebnissen der Sommerperiode, d. h. also 18. Juli bis 5. September 1902, gewidmet. Zum Fang der qualitativen Planktonproben aus den oberen Wasserschichten von 1—2 m Dicke diente mir ein kleines quanti- tatives Netz nach Apstein, dessen man sich, wie die Erfahrung lehrt, stets bei Flüssen bedienen sollte, einerlei zu welchen Zwecken man auch die Fänge bestimmte. Beim Fange mit einem quali- tativen Netz ım Flusse wird das Gewebe, dank der größeren Trü- bung des Flusswassers, sehr schnell verstopft. Infolgedessen spülen die folgenden Wassermengen, welche nicht mehr mit der früheren Schnelligkeit durchfiltrieren können, durch entgegengesetzte Strö- mungen auch den schon erhaltenen Fang heraus; im Eimer’schen hingegen verbleiben nur Detritus und mineralische Trübe. Alle 5—-7 Tage sammelten ich und mein Gehülfe an mehreren Stellen der Newa und ihrer Arme im Bereiche der Stadt Plankton- proben, welche sofort im lebenden Zustande untersucht wurden; darauf wurden die Proben in Alkohol konserviert und zur Be- stimmung der Krustazeen Herrn V. J. Meissner in Kazan, der Algen E. N. Bolochoncew in Moskau!) zugesandt. Das waren die stationären Arbeiten. Der „lakustre“ Charakter des Newa- Planktons, der sich bald herausstellte, veranlasste mich, eine nähere Bekanntschaft mit dem Plankton des Ladoga-Sees, aus dem die Newa entspringt, anzustreben. Zu diesem Zwecke wurde am 16. August (a. St.) eine Fahrt die Newa aufwärts und auf dem, ihrem Ursprung zunächst gelegenen, südwestlichen Teile des Sees (ca. 8 km see- wärts unternommen). Unterwegs wurde eine Probe aus dem Flusse Tosna genommen, dem bedeutendsten Nebenflusse der Newa. Ob- wohl wir aus dem Ladoga alles in allem nur zwei Planktonproben sammelten, so sind doch die erhaltenen Angaben, weil aus dem See früher nur die Krustazeen?) untersucht worden waren, interessant. 1) Beiden Herrn sageich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank für ihre freund- liche Unterstützung bei der Bearbeitung meiner Plankton-Materialien aus der Newa. 2) OÖ. Nordquist, Die pelagische und Tiefseefauna der größeren finnischen Seen. — Zool. Anz. X, 1887, Nr. 254, p. 339—345 u. Nr. 255, p. 358—362. Idem. Bidrag till kännedomen om Ladoga-sjös crustacefauna. — Meddel. af Soc. pro Fauna & Flora Fenn. XIV, 1888, p. 116—138. Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. 355 Außerdem gestattet uns die Nebeneinanderstellung der ganzen Probenserie von dieser Fahrt ein vorläufiges rakter obengenannten Gewässer der drei einander zu bilden. Während der Sommerperiode wurden im Newa-Plankton (inner- halb St. Petersburgs) folgende Formen gefunden: 10. 30. 40. Algae. Schizophyceeae. Clathrocystis aeruginosa Henfr. Merismopedia glauca Naeg. Öseillaria sp. Arthrospira jenneri Stizenb. . Anabaena flos aquae Breb. Aphanizomenon flos aquae Ralfs. Conjugatae. Spirogyra sp. Zygnema sp. Sphaerososma vertebratum Ralfs. Staurastrum paradoxum Meyen bs hs var. tosnense var. nov. 55 gracile Ralfs. Y dejectum Breb. Xanthidium antilopaeum Kg. . Cosmarium nitidulum De Not. n margaritiferum Menegh. > sp. Closterium rostratum Ehrb. Br gracile Breb. = spiraliforme Schröd. r acerosum Ehrb. Chlorophyceae. Volvox minor Stein. Pandorina morum Bory Eudorina elegans Ehrb. . Tetraspora gelatinosa Desv. Dietyosphaerium rn eg. 5 globosum Rabh. Botryococcus braunii Kg. Pediastrum duplex Meyen » 2 var. asperum (A. Br.) H boryanum Menegh. » var. granula- tum Malch. ” angulosum (Ehrb.) var. araneosum Racib. ” tetras Ralfs. . Coelastrum sphaericum Naeg. = microporum Naeg. Scenedesmus quadricauda (Turp.) Kirchneriella lunata Schmidle Ooeystis solitaria Naeg. Raphidium polymorphum Fres. ot ot 60. S0. Urteil über den Cha- und ıhr Verhältnis zu- Bacillariaceae. Melosira varians Ag. > distans Kg. % granulata (Ehrb.) erenulata Kg. . Cy ‚clotella comta (Ehrb,.) var. radiosa Gr un. Stephanodiseus astraea (Ehrb.) r var. minutu- lus G run. Coseinodiscus lacustris Grun. . Attheya zachariasi J. Brun. Tabellaria floceulosa (Roth) 5 fenestrata Kg. var. asterio- nelloides Grun. Asterionella formosa Hass. var. gra- eillima (Hantz.) Fragillaria erotonensis (Ed w.) virescens Ralfs. „ capucina Desmaz. Diatoma vulgare Bory. Synedra ulna (Nitz.) „ var. actinastroides Lemm. r acus (Kg.) var. sima Grun. Nitzschia amphioxys (Ehrb.) 5 eircumsuta Ehrb. $ sigmoidea (Ehrb.) vermieularis (K.g.) 3 dissipata (Kg.) var. media V.$H: ” ” delicatis- ss linearis (A g.) S 5 var. tenuis Grun. acieularis W. Sm. Cymatopleura solea (Breb.) nn elliptica (Breb.) „ 5 var. hibernica W. Sm Surirella splendida Kg. „ biseriata Breb. n spiralis Kg. . Campylodiscus elypeus Ehrb. echeneis Ehrb. Amphora ovalis Kg. „ var. affinis Kg. Cymbella gastroides Kg. Y ehrenbergi Kg. % lanceolata Ehr b. 5, cuspidata Kg. ‚* r var. naviculaefor- mis Auers. 23* > 356 35. 90. 100. 105. 110. 145: 120. Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Lagoda-Sees. Cymbella tumida Breb. cistula Hempr. var. ma- culata (Kg.) ” helvetica Kg. Encyonema prostratum Ralfs. > caespitosum Kg. 5; ventricosum Kg. Stauroneis phoenicenteron Ehrb. > anceps Ehrb. var. linea- ris (Kg.) Navicula major Kg. ; lata Breb. » radiosa Kg. > cryptocephala Kg. „ elliptica Kg. var. ladogensis ”„ ” Cleve „5 iridis Ehrb. var. dubia V..oH. H var. amphirhynchus (Ehrb.) ” gastrum Ehrb. var. pla- centula (Ehrb.) R limosa Kg. bacillum Ehrb. Pleurosigma attenuatum W. Sm. „ acuminatum Kg. h spenceri W. Sm. 2 5 var. curvula Grun. Gomphonema geminatum (Lyngb.) ä acuminatum Ehrb. 5; montanum Schum. 1 ” var. sub- clavatum Grun. aa olivaceum Kg. ventricosum Gr eg. Rhoicosphenia curvata Kg. Cocconeis pediculus Ehrb. >” placentula Ehrb. Epithemia turgida (Ehrb.) h; es var. westermanni Kg. hyndmanni W. Sm. „ 130. 140. 145. 150. 160. Ceratium hirundinella OÖ. F.M. var. obesa Zach. var. reticula- „ tum (Imh.) Peridinium einetum Ehrb. 7 minimum Schill. Sareodina. Arcella vulgaris Ehrb. 5 dentata Ehrb. Actinosphaerium eichhorni (Ehrb.) In fusoria. . Trachelophyllum apiculatum (Perty) Dileptus anser (0. F. Müll.) Tintinnidium fluviatile Stein r sp. Condylostoma vorticella (Ehr b.) Stentor polymorphus Ehrb. R roeseli Ehrb. Vorticella campanula Ehrb. sp. Acineta grandis Kent ” SP- Rotatoria. Asplanchna priodonta Gosse RN herricki De Guerne Conochilus unicornis Rouss, Floscularia pelagica Rouss. mutabilis Bolt. % proboscidea Ehrb. " cornuta Dobie libera Zach. Synchaeta grandis Zach. s; stylata Wierz. “ vorax Rouss. Notommata monopus Jenn. Proales laurentinus (Jenn.) n petromyzon (Ehrb.) Anuraea aculeata Ehrb. var. bre- vispina (Gosse) R zebra (Ehrb.) var. pro- arte boscoidea Grun. 2 ” (Ehrb.) Eunotia clev ei NE je N 2 i 2 var. valga(Ehrb.) 2 ne De n serrulata Ehrb. $ cochlearis Gosse f. pr. Flagellata. 165. S var. tecta(GoSsse) Diplosiga socialis Frenz. Notholca longispina (Kellie.) Dinobryon divergens Imh. r acuminata (Ehrb.) „ stipitatum Stein var. Mastigocerca capucina Wierz. et elongatum (Imh.) Zach. . Mallomonas caudata Iwan. ” elongata Gosse n producta Iwan. 170. = birostris Mink. » coronata Bolochon. 55 minima Skorikow') 1) A. S. Skorikow. Note sur trois esp£ces nouvelles de Rotateurs. — An- nuaire d. Mus. Zool. d. ’Acad. Imp. d. Sei. T. VIII, 1903, 3 p. Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Lagoda-Sees. 357 Coelopus porcellus Gosse Orustacea. Diaschiza tenwior (Gosse) l \ % N ventripes Dix.-N ut. Cyclops oithonoides Sars | 175. # lacinulata (0. F. M.) Limnocalanus maerurus G.O. Sars Euchlanis oropha Gosse Diaphanosoma brachyurum 4 deflexa Gosse _ „_(Lievin) triquetra Ehrb. 195. Daphnia cucullata G. OÖ. Sars ir pyriformis Gosse Ceriodaphnia laticaudata P. E. 180. Colurus caudatus Ehrb. Mall.) Metopidia solidus Gosse') Bosmina longispina Leydig „s rhomboides Gosse') » coregoni Baird. Cathypna luna (Ehrb.) » crassicornis Lill. var. ro- Monostyla cornuta Ehrb. var. tundata Lill. u! 185. as lunaris Ehrb. 200, Chydorus sphaerieus (O0. F. Müll.) Polyarthra platyptera Ehrb. f. pr. Leptodora kindti (Focke) -p ss var. euryptera Wierz edaay I ardigrada. Ploesoma hudsoni (Imh.) I R truncatum (Levand.) 202. Macrobiotus macronyx Duj. 190. Anapus testudo (Lauterb.) Gastropus stylifer Imh. Mithin wurden im Sommer-Plankton der Newa gefunden: Arten Arten Algaer se Rasa 2 Rotatoria.. 7% 222.02 046 Sarcodina . REEL, E 3 Crustacean 4.9 21... 30 Mastisophorar =...» 10 Tardısradas Sen 27.2 9 Inkusomars send, renden el An der Hand von 16 Proben, welche an 9 Terminen gesammelt wurden, könnte man sich wohl, wie mir scheint, ein der Wahrheit nahekommendes Urteil bilden über das Plankton der Newa und seine Zusammensetzung zur Sommerzeit; wenn das dabei erhaltene Verzeichnis von Organismen (202 Formen) nicht so groß ausfällt im Vergleich mit denjenigen anderer Flüsse, besonders der Wolga, so muss man eben darin eine Besonderheit der Newa erblicken. Versuchen wir es also auf Grund der vorhandenen Daten das Plankton der letzteren zu charakterisieren. Außer dem starken Prävalieren von Algen, was im Plankton vieler Flüsse beobachtet wird, scheint uns die große Verschiedenheit der Rotatorien und der, ım Verhältnis dazu, äußerst geringe Anteil der Krustazeen, qualitativ wie quantitativ, des Interesses wohl wert zu sein. Im Plankton der Elbe bei Hamburg’), der Oder?), der 1) Diese Arten wurden bis jetzt nur in der Zdanovka, einem flachen, stark mit Wasserpflanzen verwachsenem Flussarme gefunden. 2) R. Volk, Hamburgische Elb-Untersuchung. I. Allgemeines über die bio- logischen Verhältnisse der Elbe bei Hamburg und über die Einwirkung der Siel- wässer auf die Organismen des Stromes. — Mitt. a. d. Naturhist. Mus. XIX, 1903, 154 p. 3) B. Schröder, Das pflanzliche Plankton der Oder. — Forsch.-Ber. St. Plön T. 7, 1889, p. 15—24. C. Zimmer, Das tierische Plankton der Oder. — Ibid., p. 1—14. 358 Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. Wolgat) und vieler anderer russischer Flüsse, aber nicht in allen bis jetzt untersuchten — sei hier gleich erwähnt — nehmen den ersten Platz der Artenzahl nach die pflanzlichen Organismen ein, dann folgen die Rotatorien, die Krustazeen aber spielen nur eine untergeordnete Rolle und halten sich offenbar in den tieferen Schichten auf (am Boden). Also stellt das Vorherrschen der Rota- torien im tierischen Plankton, wie schon mehrfach gezeigt wurde, einen ganz charakteristischen Zug ım Plankton vieler Flüsse, darunter auch der Newa, dar. Die Rotatorien sind für uns aber noch aus einem anderen Grunde am wichtigsten. Wie ich mich nämlich nach Vergleich des Planktons vieler russischer Ströme überzeugt habe, sind die Algen wenig charakteristisch für letzteres, ihre Flora ist ın vielen Flüssen sehr einförmig. Bedeutend anders stellt sich die Sache bei den Rotatorien: in ihnen spiegelt sich die Eigenart des betreffenden Flusses viel besser ab. Beim Anblick des Verzeichnisses der Newa-Rotatorien bemerkt man deutlich, dass es sehr an Seen-Plankton erinnert, besonders aber gibt die Anwesenheit einer ganzen Reihe von Formen, die speziell als Planktonformen angesehen werden müssen, in ihrer Totalität dieser Liste den ganz ausgesprochenen Charakter vom Plankton eines großen Sees (so z. B. die Arten: Asplanchna herricki, Conochtlus unicornis, Floscularia pelagica, F. mutabils, F\. libera, Synchaeta grandis, Notommata monopus, Proales laurentinus, Notholea longispina, Ploesoma hudsoni, Gastropus stylifer). Diese Schluss- folgerung entspricht ganz ausgezeichnet dem hydrologischen Cha- rakter der Newa als typischem „lakustrem“ Flusse und man hätte das a priori erwarten können. Der von mir weiter unten gezogene Vergleich zwischen dem Plankton des Ladoga-Sees und der Newa wird uns deutlicher ihren genetischen Zusammenhang erläutern. Aus der Zahl der Rotatorien wären folgende interessante Funde zu nennen: Synchaeta vorax — zum erstenmal im Süßwasser gefunden; Euchlanis oropha — bis jetzt aus Ost-Europa nicht bekannt; eine eben von mir beschriebene neue Art einer sehr kleinen Mastigocerca und endlich Proales laurentinus und Notommata monopus, welche bisher nur in den großen Seen Nord-Amerikas gefunden worden sind. Letztere sind außerdem noch ein seltenes Beispiel für Planktonorganismen in der Fam. Notommatidae — typischer Rota- torien der Uferzone. Der Fund nordamerikanischer Arten hat noch für uns ein spezielles Interesse, weswegen wir noch darauf zurück- kommen werden. 1) E. Bolochoncew, Beobachtungen über das Phytoplankton der Wolga im Sommer des Jahres 1902. — Jahrb. d. Biol. Wolga-Stat. 1903, p. 63—155 (russ). V. Meissner, Das tierische Plankton der Wolga bei Saratow. — C.-r. d. tra- vaux d. vac. 1901 d. 1. Station Biol. d. Wolga. Saratow 1902, 69 p. (russisch). Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. 359 Die Ergebnisse der Untersuchung der am 16. August 1903 während obengenannter Fahrt gemachten Planktonfänge; nämlich in der Newa an mehreren Stellen, im Tosna-Flusse und im Ladoga- See werde ich gleich weiter unten in Form von Tabellen zusammen- stellen, welche die größten, zum Plankton gehörigen Organismen- gruppen zum Gegenstande haben. Der Leser kann daraus selbst das Verhältnis der untersuchten Gewässer untereinander ersehen und sich kritisch zu den von mir gemachten Schlüssen stellen. Tabelle I. tn 3 FE TEE m DrE > ce} Sm en =) a3 32 [285 | 8% 285: Algae und Mastigophora N S2# 32 3257 ISE | 55 |s35 | 88 |dgs® Sala |5"5| 5. [Sen a a aA | 85” Schizophyceae. Merismopedia glauca Naeg. x x >< 5 _ Anabaena flos aquae Breb. . . x x x > — Aphanizomenon flos aquae Ralfs X x X X = Conjugatae. Spirogyra Sp. -. . ..» - er ee x NY ee Staurastrum gracile Ralfs . u: x x — az _ > paradoxum Meyen. . .. .» x x > x zu % > var. tosnense var. noY.') . > x >% 5 gracile Ralfs x x x En: De Er dejeetum Breb. . 22 5° er Xanthidium antilopaeum Kg. x x > = uE Cosmarium nitidulum De Not a en em: 54 BR n botrytis Menegh . x es er 42 &N 5 2 Se Kt — a Micrasterias rotata Ralfs : x = x ee x Hyalotheca dissiliens (Smith) 4 AE 24 = X Closterium gracile Breb. e_ par, x 2 38 35 rostratum Ehrb. . x 54 x >< x re spiraliforme Schröd. 2 A= x Are Sphaerososma vertebratum (Breb.) . x x x x a Chlorophyceae. Tetraspora gelatinosa Desv. . . > X > x = Dietyosphaerium globosum Rabh. x - mr se ei » ehrenbergianum Naeg. . >% = _ al ae Botryococcus braunii Kg. . x x X x ar Pediastrum duplex Meyen — 20 X m > 55 boryanum Menegh. a x x X X de » „» var, granulatum Malch. + per. 24 > Sam > angulosum (Ehrb.) var. araneo- a sum Racib. Er > x > >. =: F tetras Ralfs x N Et a PB 1) Siehe den Anhang am Ende dieser Arbeit. ‘ 360 Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. Algae und Mastigophora Ladoga-See, s.-w. Teil 8 Newa bei Schlüsselbur Newa oberhalb d. Mündung d. Tosna-Flusses Newa unterh. d. Tosna-Fl. Tosna-Fluss etwas oberhalb seiner Mündung in die Newa Coelastrum mieroporum Naeg. Scenedesmus quadricauda (Turp.) . Kirchneriella lunata Schmidle Oocystis solitaria Naeg. . . Rhaphidium polymorphum Fres. Bacillariaceae. Melosira varians Ag. 55 granulata (Ehrb. ) 7 distans Kg. : crenulata Kg. Oyelotella comta (Ehrb.) M 5; var. radiosa Grun. 5 Mr kützingiana Chauy. var. schu- manni Grun. Stephanodiscus astrea Grun. . . „ var. minutulus Grun. Attheya zachariasi J. Brun. Coseinodiscus lacustris Grun. Tabellaria flocculosa (Roth) . . fenestrata Kg. var. asterionelloides Grun. 27, Er Asterionella formosa Hass. var. eracillima (Hantz.) Fragillaria erotonensis (Edw.) > capueina Desmaz . Pr virescens Ralfs Synedra ulna (Nitz.) Eu 53 var actinastroides Lemm. . ” acus(Kg.) var. delicatissima (W. Sm.) Nitzschia sigmoidea (Ehrb.) . > linearis Ag. N 55 5; var. tenuis Grun. 5 acicularis W. Sm. . „ vermiceularis Kg. . I dissipata Kg. var. media V. H. amphioxys (Ehrb) Cymatopleura solea (Breb.) . 35 elliptica (Breb.) : 7 r var. hibernica WW. Sm.) . Surirella splendida Ke. > turgida W. 'Sm.. 5 biseriata Breb. . var. linearis (w. Sm.) Amphora ovalis Kg. . : ee var. affinis Kg. Oymbella ehrenbergi Kg. . 5 tumida Breb. R lanceolata Ehrb. helvetica Kg. 5 cuspidata Kg. DIES IOOSSODSEPSOSLZ PRIDEI DELETE DISS EEE SS Bee RR | DEDDSLDEITDSS SEES SS IE RZRPSPST XIX RX ESF EEEIEDSIDSSCREZ EEE ERRIE RR ISIN Ele xx ORT RR] ERS ERROR | x SHE FEME RE RErISERSES Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. 361 au, Si, elacelao ag: Algae und Mastigophora Se 2 Ei FB 3A, SE |,o8 |eä8 | Ei 845° Su = a Er u u =0 0:5: a. a |Ast | zo Se Cymbella euspidata var. naviculaeformis Auers, x x = Ir Fr i; gastroides Kg. . x x SE =>; Ze Encyonema prostratum Ralts . x x x —_ 77 & caespitosum Kg... x x x x = a ventricosum Kg... % x Sfr: wa Rhoicosphenia eurvata Kg. = x == = = Cocconeis pediceulus Ehrb. — x x — = r placentula Ehrb. —_ = — BL Ze: Stauroneis anceps Sr FR x = = Zr = . linearis > (Re). x — = 3 IF Navicula radiosa Sn > x x »< = 1 = maior. Kg. . a 5 x = x x x He cıyptocephala Re. i = = x x — „ Iridis Ehrb. var. van vH: > > I, — = * AU 2var ae & a) — x E x = 5. “himosa Ro. ; h x = —— — „ gastrum (Ehrb. ae 5 x —_ = -_ Eu 2 En var. placentula 1 Ehrb. i x —e = ro 2 » tuscula Ehrb . 3 > _ _ — — „ seulpta Ehrb. x — er — — „ elliptica Kg, . x > — RX — bacillum Ehrb. . x x u = = Pleurosigma attenuatum W. Sm. 5 x x = x = 5 acımınatumlkaı u ll. 0. x >“ x — x hr spenceri W. Sm. 2 x = Fr x Fi var. eurvula Grun. x — — _ — Epithemia turgida Ehrb. x x = — 5 var. westermanni Kg. x _ x — x hyndmanni Werne: nn —_ _ > — 35 zebra (Ehrb.) var. proboscoiden Genen a, — = = x za Eunotia clevei Grun. = x — —_ _ Gomphonema geminatum (Lyneb.) x x x x DET Y acuminatum Ehrb. e — >x — _ — % constrietum Ehrb. var. capi- tatum (Ehrb.) . . x = Bar == co “ montanum Schum. > x = == == ” ventricosum Greg. x — x — — n olivaceum Kg... x x x ZB; A Flagellata. Diplosiga socialis Frenzel . x x x x = Dinobryon divergens Imh. Se 3° R > x — stipitatum Stein var. elongatum (Imh.) . En A = x = Mallomonas caudata Iwan. . . .» .. x —_ — — — 5 produeta Iwan. . . . 2,» DS eg x x 2 coronata n. sp. = x — — = Euglena acue Ehrb.. . . = = a gr x Phacus longicauda (Ehrb.) == = = — x „» pleuronectes Duj. == = >= = x 362 Skorikow, Uber das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. eeil Algae und Mastigophora Ladoga-See, S.-W. Newa bei Schlüsselburg Newa oberhalb d. Mündung d. Tosna-Flusses Newa unterh. d. Tosna-F]. Tosna-Fluss etwas oberhalb seiner Mündung | | in die Newa Eudorina elegans Ehrb. . ee Ceratium hirundinella O. F. M. var. obesa Zach: ” 5; var. reticulatum (Imh.) : Beridinium einetum Ehrb. . 2 FE: = X - X DR IX Dr Tabelle II. x Rotatoria Mündung d. Tosna-Flusses Ladoga-See, s.-w. Teil Newa bei chlüsselburg Newa oberhalb Tosna-Fluss etwas oberhalb seiner Mündung in die Newa Newaunterh. d. Tosna-Fl. d. Newa in St. Petersburg Gastropus stylifer Imh. . Notholca acuminata (Ehrb.) ? Polyarthra platyptera Ehrb. . . . | Notholca longispina (Kellie.) Anuraea cochlearis Gosse Synchaeta stylata Wierz. Coelopus porcellus Gosse Euchlanis oropha Gosse . Floscularia pelagica Rouss. . Synchaeta grandis Zach. . Anapus testudo (Laut.) Floscularia mutabilis Bolt. Mastigocerca minima Skor. . Notommata monopus Jenn.. Asplanchna priodonta Gosse Floscularia discophora Skor. Asplanchna herricki De Guerne Anuraea cochlearis var. tecta (Grosse) Ploesoma hudsoni (Imh.) Mastigocerca capucina Wierz. et Zach. Floscularia proboscidea Ehrb. Synchaeta vorax Rouss. Conochilus unicornis Rouss. (Kolonie) Monostyla lunaris Ehrb. . . . . = Ploesoma truncatum (Levand.). . . — Euchlanis deflexa Gosse . . . . . — Anuraea serrulata Ehrb . . ie _ Ploesoma triacanthum (Bergend.) . 5 — Monostyla cornuta Ehrb. var. Metopidia solidus Gosse . . ... . == E= Anuraea eurvicornis Ehrb. . . . . — = Colurus sp. . a = == Notommata truncata ennaıe _ — Metopidia oxysternon Gosse . . . = — | ++ 1++9+00 Is ‚O+++0000+9 N 0 ++ KXXKXXHHFDOOO 8 0 0 | ee elle en | | | BERBEEBREBEREER ES ns Een ee ee MER RRrL ebenen Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. 363 Newa Rotatoria s.-w. Teil Tosna-Fluss etwas oberhalb | seiner Mündung Petersburg Newa bei Schlüsselburg Newa oberhalb d. Mündung d. Tosna-Flusses | in die Newaunterh. d. Tosna-Fl. Newa in St. Ladoga-See, | | Salpina mucronata Ehrb. . . . . — =; — Mastigocerca elongata Gose . . . || — — _ Notholca striata (O. F. Müll.) f. pr. — = — Cathypna luna (Ehrb.) . . ... | — —= — Proales petromyzon (Ehrb.). . . . E= — — Coelopus tenuior Gosse . . van — == Philodina megalotrocha Ehrb.. . . —_ —_ T Floscularia cornuta Dobie . . . . _ E= _ F — ! 1... 0 0 een | | | Anm. Die Anzahl der Exemplare jeder Art ist durch gewisse Zeichen aus- gedrückt, welche von Zeichen +, welches einmaligen Fund ausdrückt, in aufsteigender Reihe bis zu unzählbarer Menge, folgendermaßen aussehen: X, +, O, ©, [Jund &. Tabelle IH. 5 N |ada | 28,|d- Crustacea a er el, ran S>g ES El a u Leptorhynchus falcatus (Sars) x _ — = _ Limnocalanus macrurus Sars > — _ — — Diaptomus gracilis Sars > -- u x — Cyelops oithonoides Sars x x x x >° Bosmina longispina Leydig »° x > — > Lynceus affinis Leydig. — — _- x — Nauplii Copepoda — x > En x Bosmina crassicornisLLillj. var. rotundata Lillj. = —_ > _ — Chydorus sphaerieus OÖ. F. M. _ —_ < »< >“ Leydigia quadrangularis (Leydig) = _ — — >< — Monospilus dispar Sars h — = — > — Canthocamptus staphylinus J urine . = — —_ x — Hyalodaphnia cucullataSars (f. kahlbergensis) | —_ = E= x Wenn wir zur Tabelle I zurückkehren, so können wir fest- stellen, dass 1. die Zahl der Algen-Arten des Ladoga-Sees und der Newa fast gleich ist (im ersteren 97 Arten, in letzterer 94) und die allergrößte Menge der Ladoga-Algen in die Newa übergeht (von 94 Formen — 74). Das war ja auch zu erwarten, denn die Newa entführt dem Ladoga-See, aus dem sie entspringt, in ihrer Wassermasse gleichzeitig damit Phytoplankton. Den geringen Unterschied in der systematischen Zusammensetzung, den wir be- merken, haben wir kein begründetes Recht für richtig zu halten, wie wir es auch weiter unten sehen werden, 364 Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. Der Unterschied besteht also darin, dass wir: 1. 20 von den ım Ladoga-See gefundenen Algen während unserer Fahrt sonst nirgends gesammelt haben, 2. ungefähr dieselbe Anzahl von Algen ın der Newa fanden, die wir im Ladoga-See nicht konstatieren konnten. Man könnte das Fehlen der ersten Gruppe in der Newadurch den Ein- fluss der Strömung erklären und den Fund von den ım Ladoga nicht entdeckten Organismen in der Newa den Zuflüssen zuschreiben, was auch ganz natürlich wäre. Aber dagegen sind zwei Einwände mög- lich. Einerseits gehören die von uns in Gruppe 1 und 2 ange- führten Algen zu den allerseltensten in unseren Proben und das macht das Spiel des Zufalls in diesen Proben sehr wahrscheinlich; andererseits lieferte uns der Fluss Tosna — und das ist viel wesentlicher —, den wir speziell aufsuchten, um über den Einfluss der Nebenflüsse auf das Newa-Plankton Aufklärung zu erhalten, wider unser Erwarten ganz andere Resultate. Im äußerst armen Phytoplankton des Tosna-Flusses fanden sich: a) 11 Algen, welche uns schon aus Newa und Ladoga bekannt waren (7 von ihnen fanden sich in allen unseren Proben ohne Ausnahme) und b) 6 Algen, die nur dem Tosna-Flusse eigentümlich sind, soweit das vorhandene Material diesen Schluss zulässt. Nicht eine von ihnen fand sich in der Newa, sogar nicht bei der Mündung des Nebenflusses. Wir haben also keinen Grund, von irgend einem Einfluss dieses bedeu- tendsten Zuflusses auf das Phytoplankton der Newa zu sprechen. Dasselbe sehen wir auch beim Zooplankton. Gehen wir zur Tabelle II über. Hier sehen wir fast dieselben Verhältnisse bei den drei betrachteten Gewässern. Die beim Ausflusse der Newa (bei Schlüsselburg) genommene Probe enthält im allgemeinen fast dieselbe Rotatorienfauna wie der Ladoga-See, aber in etwas geringeren Quantitäten. Der Unterschied lässt sich folgenderweise ausdrücken: erstens fehlen einige Arten, welche auch im Ladoga in sehr kleinen Mengen ge- funden wurden und zweitens finden wir drei Arten mehr, hinsicht- lich deren Herkunft es uns schwer wird, irgend etwas bestimmtes zu äußern; vielleicht sind sie durch die Umgehungskanäle (alten und neuen) des Ladoga hereingetragen worden, welche innerhalb der Stadt Schlüsselburg in die Newa einmünden. Darauf könnte Monostyla lunaris hindeuten, die nicht dem Plankton großer Seen anzugehören pflegt. Der gleichzeitig in St. Petersburg gesammelten Probe fehlen noch einige Arten, teilweise von nicht sehr seltenen Formen. Außerdem ist die allgemeine Zahl der Rotatorien stark verringert. Diese Beobachtung würde viel mehr an Bedeutung gewinnen und könnte weniger angefochten werden, wenn sie sich auf Ziffern stützen könnte, die vermittelst der quantitativen Methode gewonnen wären, aber der Unterschied in der Anzahl war im gegebenen Falle Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. 365 allzu beweiskräftig und scharf ausgedrückt, um für zufällig ange- sehen zu werden; zumal alle Anstrengungen aufgewandt wurden, um die Fänge stets auf gleiche Art auszuführen. Unwillkürlich drängt sich einem die Frage auf, ob es nicht der Einfluss der Stadt ist, durch welche der Fluss schon 9—10 km bis zum Fangort zu- rückgelegt hat? Natürlich ist von uns diese Beobachtung nicht angeführt worden, um eine so ernste Frage, wie die Verunreinigung der Flüsse durch städtische Abfallprodukte, zu lösen; zumal dabei dem Zoologen nur eine bescheidene Rolle zufällt und die ausschlag- gebenden Stimmen dem Chemiker und Bakteriologen angehören. Sollte aber nicht diese Probe uns darauf hinweisen, dass wir einigen Grund hätten, uns energischer mit der biologischen Untersuchung der Newa zu befassen, welche eine so volkreiche Stadt mit Trink- wasser versorgt? Derartige Untersuchungen werden zurzeit von einigen Städten Deutschlands gemacht, welche letztere, in richtiger Erkenntnis der dringenden Notwendigkeit einer gut organisierten Wasserversorgung, keine Mittel scheuen, um diese Forschungen, deren Nützlichkeit sie anerkennen, auf eine gute Basis zu stellen. Nicht ganz so leicht ist es, die Daten der Tabelle III ebenso ausführlich darzulegen, weil die Krustazeen im Newa-Plankton zu den seltenen Formen gehören; aber in den Grundzügen geben sie dasselbe Bild. Kehren wir zur Tabelle II zurück und setzen wir den ange- fangenen Vergleich fort, wobei wir uns der Daten der zwei anderen Tabellen zur Bekräftigung der Schlussfolgerungen bedienen. Aus allen geht scharf hervor, dass der Tosna-Fluss ein ganz eigenartiges Plankton besitzt; es ist gar nicht ähnlich dem Newa-Plankton und hat sogar nur wenige gemeinschaftliche Formen. Von 7 Krusta- zeenarten dieses Flusses wurden 4 Arten nur in ihm gefunden. Nur 5 Arten von überall gewöhnlichen Rotatorien, welche in ge- ringer Anzahl darin gefunden wurden, sind auch der Newa eigen. Das massenhafte Vorkommen in der Tosna von: Euchlanis deflexa, ebenso der verhältnismäßig sehr große Anteil an solchen Formen, wie Monostyla lunaris, M. cornuta, Metopidia solidus und M. oxy- sternon, Salpina muceronata, Cathypna luna, Philodina megalotrocha — die die Uferzone bewohnen und der Krustazeen: ZLynceus affinis, Leydigia quadrangularis, Monospilus dispar und Canthocamptus staphylinus, weisen darauf hin, dass der Fluss, der ein solches Plankton führt, sich bei verhältnismäßig rascher Strömung nicht durch große Breite und Tiefe auszeichnet. Auf diese Weise erklärt sich, unserer Meinung nach, dieser Teil des Planktons durch den hydrologischen Charakter des Flusses. Andererseits verleihen eine Reihe von charakteristischen Vertretern (Ploesoma triacanthum, Anuraea serrulata, A. curvicornis, Notommata truncata, Notholca striata) dem Plankton einige eigenartige Züge, welche sich wahr- 366 Beard, Heredity and the Cause of Variation. scheinlich durch die Entstehung des Flusses erklären lassen, wes- wegen wir an dieser Stelle einiges über ihn berichten wollen. Der Tosna-Fluss mündet als linker Nebenfluss der Newa, 30 km vom Ursprung derselben, in sie ein und entspringt dem Sumpfe Glazvrik im nordwestlichen Teile des Gouvernements Novgorod. Im oberen Laufe fließt er durch Sümpfe und Wälder und hat flache Ufer. Seine Gesamtlänge ist 117 km, seine Breite wechselt von 6 bis 80 m bei einer Tiefe von 0,60 bis 3 m; flößbar ist eine Strecke von 106 km und die letzten 9 km sind der Schiff- fahrt zugänglich. Zuerst ist das Flussbett schlammig, dann aber wird der Grund sandig und steinig; das Wasser selbst enthält viel pflanzlichen Detritus. Die Planktonprobe wurde 1!/, km aufwärts von der Mündung dem Flusse entnommen. Die Anwesenheit der oben aufgezählten Formen in seinem Plankton — wenigstens einiger von ihnen, wie Anuraea serrulata, Notholca striata und Coelopus tenuior, welche von uns nur noch im Raivola-Fluss, der nachweis- lich sein Wasser aus einem Torfmoor empfängt, gefunden wurden — müssen wir durch den Ursprung des Flusses aus einem der zahl- reichen, das Gouv. Novgorod bedeckenden, Torfmoore erklären. Wie dem nun auch sei, aber ein so scharfer Unterschied in der Zusammensetzung und dem Charakter des Planktons der Newa und Tosna, welche so nahe voneinander fließen und einem Bassın angehören, ist ein sehr interessantes Faktum bei der Beurteilung der Frage über das Flussplankton (sogen. Potamoplankton) über- haupt. (Schluss folgt.) Heredity and the Cause of Variation!) by Dr. J. Beard, University Lecturer in Comparative Embryology, Edinburgh. The phenomena of heredity and genetie varlation appertain to the germcells, that is to say, they are germinal in nature. As all ancestry passes through a continuous line of germ-cells, in the sense of a handing-on of anything there is no such thing as here- dity. The individual is merely a lateral offshoot. Since existing theories either assume an intangible germplasm, or make the line of descent pass through the individuals, with the exception of Galton’s „stirp“ they have no sort of identity with the „Under- study Theory of Heredity“ set up by the author as one result of the discovery of a morphological continuity of germ-cells. Given in a certain life-history the period of formation of the primary germ- a and, for simplicity, let there be of these but two. On 2 act of a paper, read before the Royal Society, Edinburgh on Feb. Sth 1904. For the full text see: A Morphological Continuity of Germ-Cells as the Basis of Heredity and Variation, in: Review Neurology and Psychiatry, Vol. II, p. 1-34, 114—142, 185—217, Edinburgh, 1904. Beard, Heredity and the Cause of Variations. 367 one will fall the lot of developing into an embryo, while the other will furnish the sexual products of this. The two cells are ın all respeets similar and equivalent, so much so, that if both form em- bryos these are identical twins. In the ancestry neither cell had ever been a higher animal, neither they nor their ancestors had ever formed parts of an animal body. But this ancestry is con- tinuous with a long line of germ-cells, and at regular intervals these were exactly like certain sister-cells, which did develop and form individuals. Although one of the two does not develop, it retains for itself and also for all its immediate progeny ın the meantime all the properties or characters of the other, which were it or any of its progeny to develop would make it or them iden- tical twıns with the other. This ıs the greatest wonder in em- bryology! As Wallace has said, the foundation of the Darwinian Theory is the variability of species. It does not attempt to explain the cause of variatıon, but starts from the fact of its existence. Under this theory resulting from the struggle for existence there is a survival of the fittest. But the existence of factors far more potent for the elimination of individuals than natural selection may be insisted upon. Thus, it can be shown, that of the male indi- viduals of the human race certainly one-third, and probably very nearly one-half, are eliminated before birth. The only adequate cause of variation yet suggested is Weismann’s ger minal selection. This is purely a mental concept, in its nature it is very compli- cated, and being quite without connection with any known pheno- menon or epoch of the development, it hangs entirely in the air. As defined by Weismann, the process would furnish a very great variety of gametes or conjugating cells, and these would be so varied in their characters or qualities, that the resemblances rather than the differences among the progeny would require explanation. Germinal selection, as conceived of by Weismann, is too hypo- thetical and at the same time proves too much. The problem of the cause of genetic variation belongs to embryology. For various reasons every egg or sperm must be regarded as containing one complete set of all the characters or qualities necessary to form an individual of the species. At fertilisation two sets of these are somewhat loosely joined together. In the developing embryo only one complete set of characters is made use of, and, while the other corresponding qualities remain more a less dor- mant ın its cells, that set or pack actually employed may be made up of any characters taken from either of the two packs, but so as to make up one complete pack. Turning then to the germ-cells, each of these possesses the duplicated set, and later on at the so- called „reduction“ i. e., at the final division of the oogonia into oocytes, and of the spermatogonia into spermatocytes, prior to the formation of conjugatıng cells or gametes, the twofold set becomes diminished to one pack only by the elimination of one complete pack. The true meaning of the reduction of chromosomes is the elimination of one set of characters or qualities, such that if among 368 Beard, Heredity and the cause of variations. those of the original sets there be any unsuitable ones these are rejected. The union of two sets of characters at conjugation is in animals retained by the germ-cells, until the period of the re- duction, by the embryonie cell, until the commencement of its development, when it becomes latent, and in plants during the whole life-period of the flowering plant. The two sets cannot be identical at the start. As living entities they must be influenced by the total environment, nutrition, climate, disease, toxins, etc. To all these influences they will react. The effect of all the factors will be a different one on the differently constituted cha- racters. Some it will favour, and these will flourish and increase in import. Others will be unfavourably influenced or neglected, and these will diminish. At the reduction there will be a settling- up, and if the environment have not been a constant one, some of the characters will have become better than other corresponding ones, a new pack will be chosen, and the less favourable cha- racters will be rejected. This elimination of characters may on occasion become an elimination of complete individualities, or what is the same thing as a casting out of „ancestors“. Moreover, be- cause the two sets have been conjoined under the influences of the environment, and have reacted to this, the process be- comes a self-adjusting mechanism, the up and down oscillations of the characters of the two sets endeavouring to follow and com- pensate the changes in the environment, and the result must be genetic variation. This process may be defined as germinal election and elimination in adaptation to the environment. The Darwinian Theory is undoubtedly largely based upon the analogy of artificıal selection. Nature is supposed by natural selection, resulting from the struggle for existence, to eliminate all the unsuitable indi- viduals, and thereby to select those for the continuance of the race, which are most or more suitable for the environment. Even if she did this, ıts results would be as nothing compared with those of germinal election and elimination of unsuitable characters, which at its basıs is also a weeding-out of unsuitable individualities. A selection of individuals can give no certain result for either natural or artificial selection. Nature goes to the root of the matter, she makes no selection of individuals, for about these she cares nothing. She can exert her choice, and she does it, among the germ-cells, and not merely in these, but among the characters or qualities the germ-cells possess. In this it would be futile to attempt to bind her down by cast-iron laws of inheritance, to dietate that „the average contribution“ of a father should be so much, of a grandfather so much, and so on. This may hold good in cases, but only with a constant environment. When the latter obtain, if all the characters or qualities be equally good, then, as in the Mendelian experiments in inter-crossing peas, the election and elimination may be left to the mathematical laws of probabil- ity; they may be taken apparently at random, and in this way it may become possible to speak of sexual reproduction as sometimes Beard, Heredity and the cause of variation. 369 an „amphimixis“ or mingling of characters, and to set up laws of inheritance by average contribution. With a constant environment or with what is assumed to be such, man first rejects (individuals of) certain varieties, and in this way favours (individuals of) some particular variety. By closely intercrossing these he accentuates particular points, because, of course, even in the characters of germ- cells suited to a particuler environment there may be degrees. In this man takes a course the reverse of that adopted by Nature. Her method may be slower, but it is sure. When she causes variation, she initiates it by altering the environment. While some one or more varieties of a species may be able to adapt themselves to the new conditions, others will fail in this, and these will be eliminated either as individuals, or even if fertile with the favourable variety or varieties then by germinal elimination. Germinal election and elimination appear to offer adequate and simple explanations of all the phenomena, at any rate the author has encountered no real difficulties. They throw light upon the Mendelian cases of inter- crossing peas, etc., on mimiery, protective coloration, bud-variation, and the loss of organs, such as the hind limb of the Greenland whale, for which latter cases Weismann found it necessary to call in a new principle, that of „panmixie“ or the cessation of natural selection. They explain why the giraffe, for example, has a long neck; this is not because as the Lamarckians assert, it was in the habit of stretching its neck, the effects of this being handed on by the inheritance of acquired characters; and again, not be- cause, as the Darwinians maintain, by natural selection Nature picked out those individuals whose necks tended to be long, and destroyed those with shorter necks; but simply because Nature eliminated in the germ-cells those characters, which tended to the production of a short neck, while she fostered and pre- served those other characters of the other parental line, which tended to the formation of a longer neck, and she increased the value of these characters from generation to generation. The principle resulting in the self-regulating mechanism offers a simple construction of all the phenomena of genetic variation, an ultimate and a far more natural one than „natural selection“ orthe „germinal selection“ of Weismann. Indeed, under it there is no necessity to invoke these: by germinal election and elimination their positions are completely and decisively outflanked, and rendered untenable! As like other zoologists Weismann has not recognised the exi- stence of a germinal elimination, the real import of the environment under his views is the weeding-out of certain individuals and the selection of others owing to the struggle for existence and the survival of the fittest. Darwin and Wallace attached little im- port to the influence of the environment as a factor, but for Buffon and Lamarck, as in recent years for Semper, Thi- selton-Dyer, and Ewart it was one of immense gravity, and for the followers of Lamarck it has been the only factor in inducing variation. The reality of a struggle for existence is not denied, but it ıs not XXIV. 24 370 Beard, Heredity and the Cause of Variation. so clear that only the fit should survive, for as others have insisted, chance comes im. In any case the result is not one, which can induce variation, or produce varieties, or give rise to new species. By the self-regulating mechanism of germinal elimination, etc. Nature must in all sexual reproduction eliminate half of the groups of characters, haif of the individualities. In its magnitude this ıs appallıng, and it results in an election beside which natural selection is as nothing. Of the individual Galton long ago said, that it was the trustee of the germ-cells. In the light of present results how true this is! In our social life the parent is made answerable, more or less, for the education and well-being of his children. Of this responsibility nothing whatever is assigned for the little insignificant, but for good and ill immensely potent, en- tities, the germ-cells! While for the state, for the commonwealth it may be — it is not said that it is — a matter of indifference under what environment the individual pass his span of life, for the good of the race it can only be of the utmost moment, that, as the germ-cells are the seed ofthe stock, contaimed in individuals, the total environment should be made, so far as ıt is possible, of the healthiest and best description for the latter. The weekly or yearly table of death-rate is no sure index of national improvement or deterioration, for even degeneration and longevity may go hand in hand. The recent report of the Royal Commission on Physical Training (Scotland) furnishes matter for serious consideration, and it reflects the all-powerful influence of the conditions of natural existence, to him who can read between its lines, in as clear a fashion as do the facts of mimiery. Im considering the welfare of the race, it would not be wise to lay stress on the fact, that where necessary Nature eliminates the unfit, for to permit of this it must be possible to prevent the mating of the unfit with the unfit. Rather, let it be borne in mind, that in the words of H.G. Wells „Nature is a reckless coupler — and she slays“, and that on occasion she may remorselessly destroy not merely the total individuals of a variety but even of a species. With the wealthy scarcely less than with the poor reform is urgently called for. The higher classes of society are not recruited to any great extent from among them- selves, but from those, the middle classes, beneath them. A most significant fact! The population of cities is recruited from the country, just as the middle classes reinforce the aristocracy. The rural and middle classes are and must be the mainstay of a nation, for with them are the best attempts at adaptation to the en- vironment. But the poor we have always with us, and the great problem for the eity-rulers, ay, for the statesman, is how to make their total environment such, that instead of deteriorating in them the stock shall improve. Fortunate the race which breeds statesmen capable of solving such a problem, for beyond measure is the greatness of him, who shall achieve success in this task! Guldberg, Uber die Wanderungen verschiedener Bartenwale. 371 Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. Von Prof. Dr. Gustav ANUberB,. Christiania. (Fortsetzung von Bd. XXIII, S. 816.) Wegen der raschen Entwickelung der w alfangmethoden in der Neuzeit interessiert uns in hohem Grade die Familie der Balae- nopteriden, dessen größte Spezies im letzten Drittel des 19. Jahr- hunderts in Tausenden erlegt worden sind. Die Kenntnisse dieser Arten sind auch dadurch viel gefördert worden, obgleich es uns noch viel mehr unbekannt ist. Wir werden im folgenden den bekanntesten Arten dieser Familie näher treten. III. Balaenopteridae oder die Finwale sind in allen Welt- meeren vertreten und man teilt sie bekanntlich in zwei Genera: Megaptera oder die mit langen Brustflossen, und Balaenoptera. A. Genus Megaptera, J. E. Gray, 1846. 1. Der Buckelwal, Megaptera boops Fabr. (Balaena longimana Rudolphi, Megaptera De Gray, Balaena boops S. Nilsson, Kyphobolaena Eschricht, Megaptera versabilis Cope, Humpback whale der Engländer und Amerikaner, Baleine a Bosse der Franzosen, Knölhval der Norweger, Keporkak der Grönländer, Zatokujira der Japaner) erinnert durch die dicke Körperform etwas an die Balaeniden, unterscheidet sich aber recht bedeutend von den letzteren durch die längslaufenden, parallelen Bauchfurchen und durch die Rückenflosse, Charaktere der Balaenopteriden. Die Buckelwale werden bekanntlich durch die niedrige, breite, buckel- ähnliche Rückenflosse und die enorm langen Br ustglieder, die N]; der Körperlänge erreichen, charakterisiert, Der or plattschnauzige und plattstirnige Kopf besitzt am Oberkiefer vor den Nasenlöchern große Knoten mit kurzen Borsten in der Mitte. Die Hautfarbe ist bekanntlich oben tiefschwarz; unten am Unterkiefer, an der Kehle und an der vorderen Partie der Brust ist die Farbe weiß, oft glänzend weiß, indem die Übergangszone marmoriert ist, on dagegen schwarz, aber auch hie und da mit weißen analiten oder Flecken; die Flossen sind meistens als weiß beschrieben mit Mar- morierungen am vorderen Rand und der Spitze, sie können aber an der Außenseite auch schwarze Flecken haben oder scheckig, marmoriert sein, ja sogar mehr oder weniger dunkel gefärbt sein. Überhaupt ist die Farbe variabel, was auch Racovitza, auf zahl- reiche Beobachtungen gestützt, durchaus bestätigt. Die Körper- länge ist 14—17 m, große japanische Exemplare können bis 22 m Länge erreichen, die Barten sind grau-schwärzlich mit gelblichen Haaren und von 60—90 cm Länge; die Zahl derselben ca. 350 Platten an jeder Seite. Der Buckelwal war zweifellos auch den Alt-Norwegern und Alt-Isländern bekannt; er wurde „Skeljungr* genannt. 24* 32 Guldberg, Uber die Wanderungen verschiedener Bartenwale. Nach P. J. van Beneden findet man den Buckelwal in den Weltmeeren beider Hemisphären, nämlich sowohl im südlichen wie im nördlichen Teil des Atlantischen Ozeans, im Indischen Meere wie im Großen Stillen Ozean bis zur Behring-Straße. Bekanntlich haben Gray, Gervais, Cope und andere Autoren verschiedene Spezies vom Genus Megaptera aufgestellt, so M. boops oder longi- mana Rudolphi, ım nördlichen Atlantischen Ozean, M. Lalandii vom Kap der guten Hoffnung, M. indica von dem Indischen Ozean, M. americana Gray, M. Kurzirca Gray, M. versobilis Cope im Pacifie Ozean. Ich bin geneigt, mit P. J. van Beneden und W. Flower diese sogen. Arten in die eine kosmopolitische Art Megaptera boops zu vereinigen, indem die als verschiedene Arten beschriebene Formen eventualiter als geographische Varietäten oder als Unterarten bisher aufzufassen sind, wenn kleinere konstante Unterschiede nachgewiesen werden mögen. Wenn man die Ge- legenheit gehabt hat, eine Anzahl von eingefangenen Buckelwalen zu sehen, wie an den Walfangstationen, trifft man nicht selten Variationen in der Farbenzeichnung wie auch Scammon von amerikanischen Megapteren erwähnt. Die Untersuchung der Skelett- teile verschiedener Exemplare von beiden Hemisphären hat bewährte Forscher nicht veranlasst, die Exemplare als verschiedene Arten anzusehen. In Bezug auf die Verbreitung und die Wanderungen des Buckelwales hat P. J. van Beneden eine sehr große Zahl von Einzelbeobachtungen gesammelt, besonders über das höchst zer- streute Auftreten in den verschiedensten Breitegraden der Erde. So berichtet derselbe Forscher, dass der Buckelwal im August und September sich auf den hohen (nördlichen) Breitegraden sich be- findet, um im November nach Süden zu wandern und nach dem Winter wieder nach Norden zu gehen. Im Februar hat man viele Megaptera bei den Bermudas-Inseln beobachtet, die aber im Mai diese Fahrwasser wieder verlassen, um nach Grönland, Baffinsbucht und nach den Küsten Finmarkens (Norwegen) zu gehen. Am Ende des Sommers sollen die Buckelwale die nordischen Meere wieder verlassen um nach den afrikanischen zu gehen, dann weiter quer über das Atlantische Meer nach Westindien, um sich wieder nach Norden zu begeben (P. J. van Beneden). Man hat auch beob- achtet, dass die Megaptera den Äquator, z. B. an der Küste von Peru, passieren. An den Sunda-Inseln hat man auch diesen Wal gesehen; das Leydener Museum besitzt einen Megapteraschädel aus Java, und das British Museum hat einen Schädel aus Neuseeland. Im großen Pacific Ozean wandern die Buckelwale nach der Angabe Scammon’s in den verschiedenen Jahreszeiten bald nach Süden, bald nach Norden. Ja Kapt. Scammon berichtet sogar von denselben Individuen, die von den Leuten, die mit dem Fangen Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. ao der Wale beschäftigt sind, wieder erkannt wurden. Auf Grönland soll man jaauch dieselben Tiere wieder erkannt haben, welche die Küste jährlich besuchten, und gewisse Individuen trugen ihre Schimpf- namen! — An der Westküste Nord-Amerikas beobachtete man viele Jahre hintereinander einen der größten Buckelwale auf seinen regelmäßigen Wanderungen, der an einem weißen Fleck auf der Rückenflosse leicht zu erkennen war (Scammon). — Dass die Megapterawale daher von den Walfängern als Wandertiere angesehen werden, ist ja ganz natürlich, und gewiss mit Recht. Indessen wollen wir bei der Betrachtung der in den letzten Dezennien gewonnenen Erfahrungen verweilen, und besonders bei dem, was man von Megaptera im Atlantischen Meere kennt. Dr. J. Hjort, Direktor der norwegischen Fischereiunter- suchungen, hat neuerdings sehr interessante Beobachtungen über das Auftreten und Wandern der Buckelwale im nördlichen At- lantischen Meere gesammelt, welche unsere Kenntnisse der Lebens- weise dieser Art wie die der übrigen großen Balaenopteriden er- weitern. Im Nordatlantischen Meere scheint in bezug auf das Futter der sogen. Kril (Thysanopoden), kleine Krustazeen, die Hauptnahrung zu bilden, obgleich man auch oft den kleinen Fisch Lodde (Osmerus arcticus) ım Magen gefunden hat. Indessen be- richtet mir ein Walfänger, dass der Buckelwal nicht „Lodde“ frisst, so lange er seinen lieben „Kril*“ hat. Dr. Hjort hat die Fangstatistik von 40 Journalen für das Jahr 1896 und 1898 untersucht und es ergibt sich daraus, dass der Buckelwal in zwei ganz verschiedenen Jahreszeiten, die durch einen gewissen Zeitraum voneinander geschie- den sind, an den nordischen Küsten auftrete, nämlich im Februar und März — also im Winter — darnach verschwindet der Buckelwal, um dann erst im Juni und Juli — also im Sommer — wieder zu erscheinen. Dr. B. Rawitz macht in seiner Abhandlung über Megaptera auch darauf aufmerksam, dass diese Art im Februar und März häufig ıst, dagegen im April selten wird. Dr. Hjort berichtet nun weiter, wie die Buckelwale in den ersten Monaten des Jahres sich höchst eigentümlich benehmen, in- dem er sich auf die Erfahrungen des Herrn Kapt. Ingebrigtsen stützt. Während dieser Wal im Sommer ganz ruhig schwimmt und überhaupt langsame Bewegungen zeigt, ist er dagegen in den genannten Wintermonaten unruhig und verhält sich, wie wenn er auf einem Zuge wäre; „er eilt nach Westen mit der Fahrt eines Dampfers“, und geht von da an so nahe an der Küste entlang wie möglich. Viele Walfischfänger glauben, dass er an den Gesteinen am Strande sich zu reiben wünscht, um die Parasiten los zu werden. Die Unruhe dieser Walart in dieser Jahreszeit stimmt ganz und 374 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. gar mit dem, was ich früher vom Jahre 1881 bemerkt habe, dass in einigen Tagen des Monats März der ganze Varangerfjord von großen Walen wimmelte — „der ganze Fjord kochte* — wovon diese Art einen Hauptteil ausmachte. Auch Scammon sagt von den „Humpback“, dass; er während der Wanderung mehr als an- dere Finwalarten „breading“, „bolting“ and „finning“ ist. — Wäh- rend dieser „Wanderungszeit“ hat man an den Fangstationen ın Finmarken gefunden, dass der Magen leer gewesen, während die meisten weiblichen Tiere mit großen Foeten, die fast reif schienen, versehen waren. Einzelne im Anfange des Aprils ge- fangenen Exemplare hatten „Lodde“ im Magen. Im allgemeinen haben sie doch im April, Mai während des langsamen Herein- strömens der „Lodde*“, also während der „Loddefischerei* die fin- markischen Küsten verlassen und die Walfänger sagen, dass sie „weit nach Westen ins Meer hinausgegangen sind, um ihre Jungen zu gebären“. Diese Ansicht wird auch andererseits durch verschie- dene Data gestützt, z. B. das im April 1846 in der Nähe von Sta- vanger gescheiterte Exemplar, das sich im Gebärakt befand (ein im Jahre 1545 in der Nähe von Greifswald gestrandetes Individuum, ebenso ein im Mai 1578 an der Küste Kurlands (van Beneden), ein den 9. April 1857 gefundenes totes Exemplar nicht weit von Rewal (Lilljeborg). Wohin die Buckelwale nun gehen, weiß man nicht gewiss; ob sie so weit wie nach der Küste Afrikas oder nach den Cabo-Verdischen Inseln sich begeben, um Jungen zu werfen, oder schon an den Azoren verweilen, wo sie oft beobachtet sind (van Beneden), ist von Interesse, weiter zu untersuchen. In- dessen kann man gewiss von der Voraussetzung ausgehen, dass die trächtigen Weibchen, die im Winter an den Küsten Finmarkens oder Islands herumwandern, ebenso sicher die besser temperierten und stilleren Gewässer suchen wie die Buckelwale im Pacifie- Ozean, von denen Kapt. Scammon redet. Die nordischen Fahr- wasser in den Frühlingsmonaten laden nicht zum Wochenbett ein! Als ein unwiderlegbares Faktum, dass nun der nordatlantische Buckelwal wirklich größere Wanderungen macht, ist die von Herrn Hafeninspektor G. Sörensen nachgewiesene Tatsache, dass man Teile von einem amerikanischen Harpun in einem (im Sommer 1900) an Finmarken ans Land gebrachten Buckelwal gefunden hat. — Ich nehme nun an, dass die „Frühlingswanderung“ der Buckelwale von den nordischen Küsten mit der Verpflanzung im Zusammenhang stehe. Unsere Kenntnisse über die Trächtigkeit dieses Wales sind auch durch die Arbeit des Herrn Dr. Hjort erweitert. Ich habe früher durch Messungen verschiedener Foeten mich dahin ausge- sprochen, dass die Gravitität ungefähr 11 Monate oder ein Jahr beträgt; dies stimmt auch mit den Angaben Scammons. Wenn Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. 375 nun die Jungen im April geboren werden und wenn die Begattung auch in derselben Jahreszeit folgt, ob diese kurz nach dem Gebären geschieht wie bei den Phocaarten, wissen wir zwar nicht, so stimmen doch die Messungen von Foetus aus den Monaten Juni, Juli u. s. w. ganz gut. Nun hat man (die Walfänger) an den Bären-Inseln wäh- rend des Sommers Weibchen mit säugenden Jungen (ca. 20 Fuß d.h. 6!/, m Läuge) beobachtet und größere Jungen folgen noch den Erwachsenen im folgenden Jahre, wenn sie Finmarken verlassen. Dr. B. Rawitz sagt, dass dieser Wal sowohl das warme wie das kalte Wasser vermeidet, indem die intermediäre Zone (d. h. zwischen Golf und Polarstrom), seinen Aufenthalt bildet. Wo die nordatlantischen Megaptera sich in der Herbstsaison bis zu Januar—Februar aufhalten, weiß man, wie Dr. Hjort be- merkt, nichts — oder richtiger sehr wenig, weil der Walfang im September aufhört. Lilljeborg erwähnt ein Exemplar, das nach den Angaben Dr. A. Boeck’s an Malangen, Tromio Amt im Ok- tober 1871 gefangen wurde. Wie an den norwegischen Küsten kommen die Megaptera an Grönlands Küsten auch im Sommer vor, indem sie in die Davis- Straße und Baffins-Bucht (von 62° bis 76° n. Br.) hineingehen, um diese Fahrwasser am Ende des Sommers wieder zu verlassen (Rob. Brown). — Wahrscheinlich zwingt das Eis die Tiere, nach und nach ihr Spielfeld südlicher zu verlegen. Seit den letzten fünf Jahren hat man auch an der Küste von New-Found-Land Walfang getrieben. Bis 1902 waren zwei Fang- schiffe beschäftigt, aber in demselben Jahre begann noch eins. Durch die Güte des Herrn Kapt. Andreas Ellefsen ist mir mit- geteilt worden, dass vom 1. Januar bis 19. April 1902 nur fünf Buckelwale gefangen, aber nachher, von den letzten Tagen von April bis zum Ende August ca. 100 Buckelwale erlegt wurden. Die meisten wurden im Mai und Juni erlegt. Wahrscheinlich passieren sie dann diese Gegenden auf ihrer Wanderung nach Norden hin. Indem wir nun die verschiedenen Ergebnisse hier zusammen- fassen, können wir diese einigermaßen verbinden, doch müssen wir dann einzelne hypothetische Zeichenglieder einschieben. Es kommt mir nämlich als sehr wahrscheinlich vor, dass diese kosmopo- litische Walart, Megaptera, ın verschiedenen großen Haupt- stämmeninden Weltmeeren verteilt ist, indem jeder Stamm einen größeren Teil eines Weltmeeres einnimmt — und in ge- wisser Beziehung von geographischen Verhältnissen bedingt ist. Diese Hauptstämme stehen gewiss miteinander in Verbindung, doch wahrscheinlich in der Weise, dass der Austausch der Individuen keinen größeren Einfluss auf den Jahresbestand ausübt. Anderseits kann jeder Hauptstamm, wahrscheinlich in Zweige geteilt sein, 376 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. so dass jeder Zweigbestand vorzugsweise seine Lokalıtät hat; außer- dem kann man sich denken, dass diese Zweigbestände in größeren Wechselbeziehungen miteinander stehen und dadurch auf den Jahres- bestand einer Lokalıtät Einfluss üben; die Grenzen der einzelnen Bestände können daher mehr oder weniger fließend sein. Im Atlantischen Meere gibts wenigstens zwei Hauptstämme, ein nordatlantischer und ein südatlantischer. Ebenso denke ich mir z. B. einen (vielleicht zwei) Hauptstämme im Indischen Ozean und mehrere Hauptstämme ım Stillen Ozean, vielleicht zwei im nördlichen Teil und zwei im südlichen Teil. Jeder Haupt- stamm macht seine bestimmten Wanderungen. Der nordatlantische Hauptstamm zwischen dem alten und neuen Weltkontinente verzweigt sich von Juni bis Spätherbst — oder möglicherweise bis Februar-März — auf die hohen nörd- lichen Breitegrade, d. h. an die Küsten Grönlands, Islands, Jan Mayens und des nördlichen Norwegens. Im Herbst und im Anfange des Winters zerstreuen sich wahrscheinlich die Herden, indem sie die besten Futterplätze aufsuchen. Viele ziehen vielleicht mehr nach Süden, andere bleiben ım Norden. Die weiblichen Individuen werden ja noch von ihren anwachsenden Jungen begleitet, die viel Nahrung fordern, und daher werden freilich die präferierten Stellen als Aufenthalt von dem Nahrungsbedürfnis diktiert. Weil nun die nordeuropäische Westküste von dem Golfstrom sehr begünstigt ist, findet wahrscheinlich ein Zweig des Hauptstammes noch genügende Nahrung im Spätherbst und Anfang des Winters an den nor- wegischen Küsten oder Meeresregionen. Sowohl ım November wie im Februar fand man auf dem 67!/,° n. Br. sehr häufig erwachsene Exemplare von „Krills’“: Doreophausia und dem nahestehenden Nyctophanes norwegicus (mitgeteilt von Dr. H. Gran). Nur wenige Beobachtungen haben wir leider über das Auftreten der Megaptera im Herbst oder Winter. Nach A. W. Malm scheiterte im Winter 1803 em 40-50 Fuß langes Individuum bei Buskär, nicht weit von Göteborg (zitiert nach Lilljeborg); das von Rudolphi be- schriebene Exemplar strandete in der Mündung der Elbe im No- vember 1843. Sophus Hallas erzählt, dass der Buckelwal im Oktober und November an der Küste Islands in Herden anzu- treffen ist. Den 6. Januar 1877 wurde ein 15 m langes, totes Exemplar an die Insel Noirmoutier (departement de la Vend£e) ans Land getrieben. Im Januar 1884 wurde ein männliches Exem- plar an der Küste Scotlands getötet (das Skelett in Aberdeen). Das im Mittelmeer tot gefundene Exemplar ward im November observiert (van Beneden). Auch an der Küste Spaniens ist dieselbe Art gefunden; die Jahreszeit ist leider nicht angegeben (Graälls). Nach den Angaben von New-Found-Land sind vom September bis zum Ende des Jahres 1905 nur vereinzelte Individuen gefangen. Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. Sat In den Monaten April-Mai sind die Megaptera meistenteils aus den nordischen Walfangfeldern verschwunden (Hjort). In den Monaten vorher sind sie unruhig (siehe oben), sie verhalten sich analog den Zugvögeln, wenn sie wegziehen wollen; der Verpflan- zungstrieb zwingt die Meeresriesen nach Süden, obgleich es im Norden genügende Nahrung giebt, sie fressen aber nicht, der Magen ist leer; die graviden Weibchen suchen die guten südlicheren ruhigen Plätze für das Gebären; wahrscheinlich wandern dann die anderen dahin um zu begatten; sie benehmen sich ja wie in der „Saison d’amour“. Sie gehen nach Westen, sagt man, aber welchen Weg? Man hat keine sicheren Beobachtungen über einen Massenzug an den europäischen Küsten entlang. Der Hauptstamm geht dann wahrscheimlich westlich von den Britischen Inseln, sie passieren wohl dann die Azoren und ein Teil geht dann wahrscheinlich nach den Bermudas-Inseln oder auch nach den Antillen, wo man sie oft beobachtet hat, andere gehen möglicherweise weiter nach Süden, z. B. nach den Caboverdischen Inseln, um später nach Westen zu ziehen. Wenn der Frühling im schönen Süden verlebt ist — im April und Mai hat man ja oft die Begattung hier gesehen (v. B.), geht der Zug wieder nach Norden, um im Sommer und Herbst auf den hohen Breitegraden in dem planktonreichen Futter zu ver- weilen. — Indessen will ich eine Reservation einschieben. Man darf annehmen, dass nicht alle Buckelwale die nördlichen Fahrwasser im Frühling verlassen, z. B. jüngere, nicht verpflanzungsfähige Tiere; solche kleinere, jüngere Tiere werden in der Regel nicht von den Walfängern erbeutet. Wie verhalten sich nun die Megaptera im südatlantischen Meere? Ja davon wissen wir leider sehr wenig. Van Beneden gibt die verschiedenen Beobachtungen an, z. B. das von Cuvier beschriebene Skelett von „Rorgqval du Cap“, von Lalande gesandt, weiter die Angaben von Kapt. Jouan, dass Megapteren an la Plata, an den Küsten Patagoniens, an St. Helena und am Kap der guten Hoffnung beobachtet worden sind. Dr. H. Bolau erwähnt, dass die Buckelwale bei St. Helena von den Fischern daselbst nicht beliebt sind, weil sie die Fische vertreiben. Goeldi erwähnt die Megaptera unter den ÜCetaceen der Küste Brasiliens, wie schon Burmeister sie erkannt hat. An der brasilianischen Küste am Cabo Frio hat man nordgehende und südgehende Züge von großen Walen beob- achtet, unter denen sowohl der große „Sulphur bottom“ wie der „Humpback“ (Megaptera) sich befand. Nähere Angaben über den südatlantischen Megapterabestand vermisse ich noch. Im nördlichen Teil vom Pacific Ozean sind die Buckelwale von der Küstenbevölkerung sehr gut bekannt. Wahrscheinlich hat man hier einen westlichen amerikanischen, und einen öst- lichen asiatischen Stamm. Sowohl die Eskimos wie die In- 378 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. dianer der Nordwestküste verfolgen die Tiere und die Hauptfang- plätze an der nordamerikanischen Pacific-Küste sind die Buchten von Magdalena, der Balena und von Monterey. Der Besuch ist regelmäßig und die Tiere wenden sich nach denselben Lokalitäten wieder zurück; ım Herbste gehen sie „en masse“ nach Süden und im Sommer ziehen sie nach Norden (Scammon). Von den Megapteren an der ostasiatischen Küste hat man von älterer und neuerer Zeit einige Angaben. So beschreibt Steller ein 50 Fuß langes Exemplar an der Behrings-Insel, Middendorf erwähnt dieselbe Art von dem Okoth’schen Meer, Leopold von Schrenk von einem Exemplare von der Amurküste, Cha- misso bildet emen ab, Kapt. Bedfield erlegte ein 49 Fuß langes Exemplar. in der Behrings-See (zitiert nach P. J. van Be- neden) und die Japaner in ihren interessanten Büchern von dem Walfischfang (K. Möbius) beschreiben diesen Wal unter dem Namen Zatokujira und bilden ihn auch ab. Auf der Karte über die Verbreitung und Hauptfangplätze der wichtigsten Wale des Stillen Ozeans von Dr. H. Bolau findet man den Buckelwal von dem Japan-Grund hinauf in die Behrings-See und weiter nach Süden bis an die Westküste Mexikos. Wanderungen sind durch die amerikanischen Walfänger mit Sicherheit festgestellt worden; von Mitte April bis Mitte Dezember sind an der Küste Ober- Kaliforniens die Wale häufig. Bis September wandern sie hier nordwärts, darauf beginnen sie in südlicher Richtung ihren Rück- zug. An der Küste Mexikos hat man im Valle de banderas 201/,° n. Br. im Dezember Megaptera mit neugeborenen Jungen getroffen. Im südlichen Teil des Großen Ozeans wird man wahr- scheinlich einen Hauptstamm an dem südamerikanischen Kon- tinent und einen anderen Hauptstamm an dem australischen Kontinent und angehörenden Inseln finden. Für die Existenz eines „südamerikanischen Hauptstammes“ sprechen die Beobachtungen von Megaptera an der südamerikanischen Westküste von Guayaquil, 3° s. Br. bis zum Feuerlande. Für einen „australischen Hauptstamm“ spricht das häufige Auftreten der Buckelwale in der Nähe von New-Zealand, von Australien und an den Südsee-Inseln, wie Neu-Kaledonien, Pomotu und Marquesas- Inseln ete. Prof. Julius von Haart beschreibt (1882) ein Skelett von Megaptera Lalandii (novae Zealandiae), 30 Fuß lang, der den 6. Mai 1875 in Akaroa Harbour (New-Zealand) gefangen wurde; das junge Tier war von einem kleinen Jungen begleitet. Die ver- schiedenen Museen dieser Kolonie besitzen gewöhnlich verschiedene Skeletteile von Megapteren. Indessen sind die Beobachtungen aus diesem fernen Weltmeere nur wenig und zerstreut; daher wird auch nichts von den Wan- derungen berichtet; aber das Auftreten der Buckelwale im Sommer Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. | 379 in den antarktischen Regionen macht es sehr wahrscheinlich, dass die Buckelwale dieser Hemisphäre auch ihre jährlichen Wande- rungen unternehmen. Hier sind nämlich oft die Megaptera ın großen Mengen beobachtet worden. So wurde während der Expe- dition von „Antarctica“, Kapt. H. J. Bull, im Jahre 1894—95, in den Monaten Dezember-Januar (also antarktischen Sommermonate) auf den 69° und 71° s. Br. viele und sehr große Buckelwale gesehen. Viel genauere Beobachtungen über den Buckelwal findet man in dem schönen Werke Dr. Racovitza’s, wo besonders das Auf- treten dieser Art in den antarktischen Gebieten sehr gut behandelt worden ist. Dr. Racovitza sieht auch in den antarktischen Buckel- walformen dieselbe Art wie in den arktischen, doch hebt er hervor, dass die weißen Formen in dem südpolaren Meere sehr häufig waren. Er hat auch eine Albinosform gesehen. Von allen großen Cetaceen in dem antarktischen Eismeere schien der Buckelwal fast am häufigsten, und er fand ihn eigentlich in zwei Gruppen verteilt, nämlich eine südamerikanische und eine südaustralische. Diese Tatsache scheint ja meine supponierte Verteilung in Haupt- stämmen nach den Kontinenten zu bestätigen. Dr. Racovitza fand indessen die größte Menge in den Meeresregionen, die die südamerikanische Landmasse nach Norden begrenzen; wahrschein- lich fließen hier im Sommer die Stämme von beiden Seiten des süd- amerikanischen Kontinents ın den antarktischen Wässern zusammen. In Bezug auf die Jahreszeit stimmen auch die Beobachtungen aus den arktischen wie aus dem antarktischen Meere überein. Wenn man die große Tabelle von Beobachtungen überblickt, welche Racovitza gewiss mit großer Mühe und Geduld zusammengestellt hat, findet man, dass an allen Expeditionen, die ın dem 18. und 19. Jahrhundert die Südpolargegend besucht haben, die Buckel- wale am häufigsten von der Mitte Dezember bis Mitte Februar observiert worden sind, und dass sie von Dezember bis in den Monat März sich auf den hohen südlichen Breitegraden — also im Sommer — aufhalten. Ihre Hauptnahrung bilden auch hier die kleinen Krustazeen (Euphasia), die m reichlicher Menge vorkommen. Wir können so mit der größten Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Megaptera der südlichen Hemisphäre auch Wande- rungen nach den Jahreszeiten unternehmen. Zwar haben wir noch keine sicheren Beobachtungen über die Buckelwale in den Wintermonaten aus diesen fernen Meeren, aber die Megaptera als planktonfressende Wale suchen ihre Nahrung in den Gegenden, wo das Plankton gedeiht, und im Winter, wissen wir, dass das Plankton immer auf den hohen Breitegraden sehr reduziert wird; daher kann man von vornherein schließen, dass auch die Buckel- wale davonziehen. Im nördlichen Teile des Atlantischen Ozeans ist bekanntlich der sogen. „Krill“ die Hauptnahrung der Buckel- 380 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. wale, eine kleine Krustazeenart, Doreophausia (früher Thysanopoda genannt) inermis, die in Milliarden auftreten!) und einen Teil des fließenden Planktons bildet. Im antarktischen Meere findet man ebenso in ungeheuren Mengen, was Dr. Racovitza mitteilt, eine Euphasia-Art, welche die wesentliche Nahrung der dort umher- streifenden Buckelwale bildet. Nach der Mitteilung von Herrn Prof. G. ©. Sars ist Euphasia pellucida die gewöhnlichste Art da- selbst und steht der obengenannten nordischen Art sehr nahe. — Diese Tatsachen zeigen ja die große Ähnlichkeit der Lebensweise dieser Wahlart auf beiden Hemisphären. B. Genus: Balaenoptera, La Gepede, 1804. Unter den Arten dieses Genus finden wir die größten jetzt lebenden Organismen. Die Balaenoptera- oder Finwalarten haben alle eine mehr oder weniger langgezogene, elegante Körperform, mit kurzen oder mäßig langen Brustgliedern. Die Rückenflosse hat zwar eine wechselnde Höhe, ist aber immer wohl ausgebildet und liegt gewöhnlich gerade über oder etwas nach hinten von der durch den Anus gezogenen Vertikallinie. In dem Atlantischen Ozean der nördlichen Halbkugel kennt man bekanntlich vier wohlbegrenzte Arten. Ob diejenigen aus den anderen Meeren beschriebenen Arten unter diese vier Spezies unter- gebracht werden können, kann noch nicht mit Sicherheit als ent- schieden angesehen werden. Während J. E. Gray nicht weniger als 19 Arten aufstellte, sieht man auf dem Verzeichnis über Ceta- ceenarten im British Museum von Flower nur fünf. Obgleich die Artenzahl gewiss erheblich unter 19 fällt, dürfen wir doch annehmen, dass es noch mehrere Arten gibt, als die vier bekannten Nord- atlantischen. Wir können uns aber hier nicht weiter mit dieser Frage beschäftigen, weil die migratorische Eigenschaft der Barten- wale uns hier in erster Linie interessiert. 1. Der Blauwal, Dalaenoptera Sibbaldii, auctorum, D. mus- culus L. (die zahlreichen Synonymen siehe W. Kükenthal: die Wale der Arktis), der größte aller Finwalen und damit überhaupt das größte aller lebenden Säugetiere. Der von den norwegischen Walfängern ursprünglich gegebene Name „Blaahval“, ist auch von den Deutschen „Blauwal“ — und den Engländern — „Bluewhale — in Anwendung gebracht. — Die Länge dieser Meeresriesen beträgt 25 bis mehr als 30 m. Die Höhe des Körpers ım Verhältnis zur Länge ist wie 1:5!/,. Die Rückenflosse ist sehr klein und 1) Herr Dozent Dr. phil. H. Grau in Bergen, hat mir gütigst mitgeteilt, dass man auf den Zügen des Dampfers „Michael Sars‘“ die Schizopoden Boero- phausia und Nydophanes, häufiger in erwachsenen Exemplaren im Winter findet als im Sommer, jedenfalls auf den 67° n. Br. Im Frühling (Mai) pflanzen sie sich fort und im Sommer wimmelt es von jungen Individuen. Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. 381 niedrig und mit geraden Rändern; sie ist weit nach hinten situiert, an der Grenze der vorderen °/, und der hinteren Viertel, hinter der durch den Anus gehenden Vertikallinie. Die Brustflossen sind mittelmäßig groß, ungefähr !/. der Körperlänge. Die Barten sind dunkel gefärbt oder fast schwarz oder blauschwarz mit schwarzem Rande, 400 an jeder Seite, 98 cm, ca. drei Fuß — die längsten. Die Farbe des Körpers ist dunkel, blau-grau und mit weißen Flecken, die ein marmoriertes Aussehen der mit Furchen ver- sehenen Unterseite verleihen, doch hauptsächlich an den Seiten und unter den Brustflossen; die letzten sind an der Innenseite und am unteren Rande weiß. Der Farbenton kann doch ver- schiedene Nuancen haben, wie auch die weißen Flecken ein wenig größer oder kleiner, nicht selten sehr spärlich, anderseits auch sehr zahlreich sein können. So nimmt die allgemeine Körperfarbe, be- sonders an der Rückenfläche, nicht selten einen mehr bräunlichen oder in einzelnen Fällen auch dunkel-moosgrünlichen Ton an, be- sonders wenn die Tiere ım Wasser beobachtet werden; solche „bronzierten“ Tiere sind gewöhnlich sehr fett. Die Farbe an der Bauchseite kann in vielen Fällen auch ein helles oder hell-grau- blaues Aussehen haben. Die Hauptnahrung dieses Tieres bilden die kleinen pelagischen Krustazeen, namentlich die T’hyssanopoda (oder Boerophausia) inermis, die, wie schon erwähnt, in den nördlichen Meeren in ungeheuren Massen vorkommen. Man hat den Magen pfropfvoll von dieser kleinen Crustacea gefunden, nicht selten bis 1000 Litern (Guld- berg) oder sogar 1200 Liter (Kükenthal). Bis jetzt, so viel man weiß, hat man nie Fische im Magen des Blauwals gefunden; er ist also ein echter Planktonwal. Im ganzen nordatlantischen Ozean hat man den Blauwal getroffen. An den britischen Inseln sind vielmals Individuen ge- strandet (Flower), an den norwegischen Küsten sind seit 1865 mehrere Tausend Individuen gefangen, im letzten Dezennium auch von den auf Island stationierten Walfängern, und seit den letzten 5 und 6 Jahren haben Walfänger am New-Found-Land viele er- beutet; auch an den Küsten Grönlands kennt man ihn gut. Dass der Blauwal eine migratorische Lebensweise führt, weiß man schon seit langem, aber viel mehr weiß man auch nicht. Der Blauwal erscheint im Norden im Frühling, ın vielen Jahren zeigte er sich jährlich das erste Mal den 8. Mai im Varangerfjord, als Svend Foyn in den achtziger Jahren sein großes Fanggeschäft da betrieb. Der Blauwal tritt im Frühling ın kleinen Herden von 4—-6 Individuen auf und nach den Beobachtungen der späteren Jahre sucht er im sogen. „norwegischen Meere“ (zwischen Island und Norwegen) dahin, wo der Golfstrom und der Polarstrom sich berührt, indem das Futter hier gewöhnlich in dieser Jahreszeit 382 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. auch reichlich auftritt. Wenn die Nahrung näher an die Küste getrieben worden ist, sucht er in die Fjorden hineinzukommen. An der Westküste Islands zeigt er sich nicht selten in der letzten Hälfte von dem Monat April, ja sogar im März hat man einzelne Exemplare da gefangen. Indessen zeigt die Fangstatistik für Juli die größte Anzahl, obgleich die Monate Juni und August auch oft ein gutes Erbeuten für die Waljagd aufweisen. Im September kommt er spärlich vor und selten trifft man ein Exemplar im An- fang Oktober. — Der Blauwal kommt ım Frühling von Westen auf den Breite- graden Islands her und zieht sich nach und nach gegen Osten; ebenso haben die Walfänger im März und Anfang April Scharen von Blauwalen beobachtet, die von Südwesten 6—8 Meilen west- lich von den Färöeinseln vorbei nach Norden ziehen; die Indi- viduen sollen meistens Männchen sein. Der Blauwal zeigt sich also früher an den isländischen Fjorden als an denjenigen des Finmarken, westlich und östlich vom Nordkap, um dann im August von hier wieder zu verziehen. Die Küsten Grönlands be- sucht er auch nur im Sommer, berichtet Rob. Brown, der die Monate von März bis November nennt, und der Blauwal kommt da mit dem gewöhnlichen Finwal, Balaenoptera physalus (B. mus- culus auct.), gemeinsam zusammen. Schon im Februar trifft man den Blauwal in der Nähe der Küsten New-Found-Lands, wo man ihn gefangen hat. Man darf wohl aus diesen Ergebnissen schließen, dass dieser Wal in unseren Sommermonaten den ganzen borealen Teil des nordatlantischen Meeres durchzieht. Einen unwiderleg- baren Beweis für das Ziehen von der nordamerikanischen nach der europäischen Küste sind die Beispiele, wo man amerikanische Har- punen in einzelnen Blauwalen gefunden hat, die in der Nähe der europäischen Küste geschossen und an die betreffende Station auf- gebracht worden sind. Schon Svend Foyn fand eine solche ım Jahre 1879 oder 1880 (Guldberg). Dr. J. Hjort bildet ein Paar solcher Harpunen ab; eines von diesen habe ich selbst auch ge- sehen. Die erste fand man im Jahre 1888, die zweite im Jahre 1898; es waren „the Pierce bombelance“, welche in Blauwalen gefunden wurden, die von norwegischen Walfängern erbeutet worden sind. Wo der Blauwal in unseren Wintermonaten sich aufhält, davon wissen wir leider zur Zeit nichts. Ich bin zu der Ansicht geneigt, dass diese Balaenopteride große Wanderungen machen kann, und soll ich eine Vermutung aufstellen, ersehe ich als eine Wahrschein- lichkeit, dass die Blauwale im Herbst sich mehr zerstreuen und im Winter sich nach südlicheren Gegenden hinziehen, wo die Nahrung reichlich ist. Nach dem Fangjournal für 1903 des Herrn Kapt. Ellefsen, der an New-Found-Land stationiert ist, wurden einzelne Blau- Guldberg, Uber die Wanderungen verschiedener Bartenwale. 383 wale sowohl im Februar (2 Stück) wie ım Oktober (1 Stück) und November (1 Stück) erlegt, mehrere aber von April bis Juni. Der Blauwal wird hier „Sulphur bottom“ genannt, scheidet sich aber nicht von den gewöhnlichen ab; denn den gelblichen Anflug findet man auch an den an den Küsten Finmarkens und Islands erlegten Blauwalen,“ erzählt mir ein Walfänger. Indessen würde es sehr wünschenswert sein, wenn ein bewährter Forscher diese Farbendifferenzen genau studieren wollte. In bezug auf die Träch- tigkeit geht der Blauwal, so viel man bis jetzt weiß, mehr als ein Jahr gravid (Guldberg), und daher weiß man weder, wann die Brunstzeit einfällt, noch ob diese einer bestimmten Jahreszeit gehört. Die Paarung ist doch mehrmals im Sommer beobachtet worden. In dem Großen oder Pacific-Ozean hat man auch den Blauwal gefunden. Möbius identifiziert den von den Japanern genannten „Nagasuküjira* mit unserem Blauwal, und gewiss mit Recht; die Beschreibung des Äußerlichen passt ja sehr gut, aber nicht, dass er kleine Fische frisst. Während die Japaner in mehr als ein Jahrhundert mit großen Netzen Wale an der ostasiatischen Küste gefangen haben und die amerikanischen Walfänger mehrmals im Okoth’schen Meer mit gutem Erfolge Wale gejagt haben, sehen wir, dass die Russen im vor- letzten und letzten Dezennium des 19. Jahrhunderts mit den neuesten Methoden und teilweise mit norwegischen Seeleuten ausgerüstet, den Walfang an der Ostküste Sibiriens angefangen haben. Aus den spärlichen Berichten dieses Walfanges finde ich, dass man im Dezember und Januar in der Japanischen See Blauwale gefangen habe; der Speck wird gesalzen und den Japanern verkauft. Das Fanggebiet an der ostasiatischen Küste ist ın den letzten Jahren noch weiter ausgenützt worden, und die Walarten, welche hier in den Wintermonaten teils in der Nähe der koreanischen, teils der sibirischen Küste gefangen werden, sind die Buckel- wale, der Blauwal und der gewöhnliche Finwal (Balaenoptera physalus)‘). Ich habe nicht genauere Kenntnisse von der Farbe oder äußeren Habitus dieser ostasiatischen Balaenopteriden; man hat mir gesagt, dass sie den nordatlantischen ganz ähnlich sind. Von der Pacific-Küste Nordamerikas kennt man den „sulphur- bottom whale“, Balaenoptera sulfureus Cope, der in Größe und äußerer Form ganz mit unserem Blauwal übereinzustimmen scheint. Die enorme Größe, die relative Länge des Kopfes, der Umkreis, die weit nach hinten situierte Rückenflosse, die schwarzen und blauschwarzen Bartenplatten und auch das Bild, welches Kapt. Scammon gibt, stimmt alles mit Ausnahme der Farbe; zwar ist die Farbe, sagt 1) Die Diagnose dieser Arten ist von norwegischen Walfängern gemacht, die mit den bekannten Walen im nordatlantischen Meere sehr gut bekannt sind. 384 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. der bekannte Kapitän, „etwas heller als die mattschwarze des ge- wöhnlichen Finwals, zuweilen sehr hellbraun, welche sich der weißen nähert, aber die Unterseite hat eine gelbliche Nuance oder Anflug, oder eine schwefelige Farbe, woher der Name „Sulphur bottom“ hergekommen supponiert wird“. Weiter wird berichtet, dass dieser Wal sowohl im Atlantischen wie im Pacific-Ozean vorkommt. Diese Farbenbeschreibung scheint mir doch sehr ungenügend. Beruht die Beschreibung auf der Ansicht der im Wasser schwimmenden Tiere, so kann man die verschiedensten Nuancen sehen; die Unter- seite kann nur auf dem ans Land gebrachten, getöteten Tier ge- sehen werden. Die Frage, ob hier eine Artidentität oder eine Farbenvarietät vorliegt, muss zwar noch offen stehen. Ich glaube, dass es dieselbe Art ist und dass es sich hier höchstens um eine Farben- varietät handelt. Die Amerikaner nennen ja auch die am New- Found-Land gefangenen Blauwale „Sulphur bottom“ (s. 0.). Diese Art kommt in allen Jahreszeiten an der Küste Kalıforniens vor, sagt Scammon, wird doch hier selten gefangen. In den letzteren Jahren sind mehrere Beobachtungen über diese Balaenopteride in den antarktischen Meeren gemacht worden und wir finden eine Auseinandersetzung hiervon in dem Werke Racovitza’s. Er liefert interessante Beobachtungen über das Verhalten und Benehmen dieser Balaenopteride im Meere, und er sagt in bezug auf die Artidentität, dass die Walfänger nicht ım Zweifel sind, sie „Blue whale“ oder „Sulphur bottom“ zu nennen, und er ist der Ansicht, dass es dieselbe Art ist. Dieser Wal tritt mit Megaptera zusammen auf, doch scheint er sich nicht so häufig in der Nähe der Küsten aufzuhalten wie Megaptera. Zwischen den 61° und 71° s.Br. sah Dr. Racovitza größere Mengen, am größten auf den 63°, 64° und 67° s. Br., und zwischen 20°—80° ö. L. mit seinem Maximum zwischen 50° und 60° ö. L., ebenso sah er viele zwischen dem 135° und 180° w. L. auf denselben obengenannten Breitegraden. Ferner fand Dr. Racovitza den Blauwal viel häufiger in der Nähe des Viktoria-Lands als Megaptera. In bezug auf die Jahreszeit ist der Blauwal hier in den antarktischen Sommer- monaten gefunden wie Megaptera, und die Nahrung scheint die- selbe zu sein, so viel ich weiß. — Aus den zahlreichen Beobach- tnngen Racovitza’s ergibt sich, dass der antarktische Blauwal seine Rückenflosse nur dann zeigt, wenn er in die Tiefe geht; die Schwanzflosse soll er aber nie zeigen. Ich habe nordatlantische Walfänger darüber gefragt, und nach der Erfahrung derselben zeigt der Blauwal selten die Schwanzflosse, doch soll er diesen Körperteil zeigen, wenn er erschreckt worden ist und dann in die Tiefe geht. (Schluss folgt.) _ Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. . IRIV. Ba: 15. Juni 1904, MIR, Inhalt: Skorikow, Über das Sommerplankton der Newa und aus einem Teile des Ladoga-Sees (Schluss). — Guldberg, Uber die Wanderungen verschiedener Bartenwale (Schluss). — Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbung geistiger Eigenschaften beim Menschen. — Tarnowski, Das Weib als Verbrecherin. — Fürst, Indextabellen. — v. Lendenfeld, Die Nesseleinriehtungen der Aeoliden. — Deutscher Verein für Öffentliche Gesundheitspflege, [en Über das Sommer-Plankton der Newa und aus einem Teile des Ladoga-Sees. Von A. 8. Skorikow (St. Petersburg). (Schluss. Verfolgen wir nun das Schicksal des Tosna-Planktons, das ın die Newa geraten ist. Wie aus den, unterhalb der Tosna-Mündung der Newa ent- nommenen Proben ersichtlich, konnte vom Plankton dieses Neben- flusses nichts mehr im Newa-Unterlaufe bemerkt werden; die wenigen, beiden gemeinsamen Formen waren schon in der Newa oberhalb vorhanden. Die Strömung der Newa ist eben so macht- voll im Vergleich zur Tosna, dass deren überhaupt nicht zahlreiches Plankton derart im Newawasser verdünnt wird, dass die es zu- sammensetzenden Formen allzu selten werden und nicht häufig im Fang vorkommen. Zuweilen nämlich fanden wir in den Proben aus der Newa innerhalb der Stadt St. Petersburg vereinzelte Exemplare von Anuraea serrulata und Notholea striata, welche wir eben für das Tosna-Plankton konstatierten. Außer ihnen wurden in einigen Proben von Zeit zu Zeit und immer in geringer Anzahl noch einige Arten gefangen; vielleicht stammt ein Teil von ihnen ebenso aus der Tosna oder anderen Nebenflüssen der Newa. Aus allem diesem XXIV. 25 386 Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. könnte man den Schluss ziehen, dass der Einfluss der Tosna auf das Newa-Plankton sehr gering, fast gar nicht nachweisbar bei ge- wöhnlicher Beobachtung ist; einen ebensowenig bemerkbaren Ein- fluss müssen auch die anderen, noch unbedeutenderen Nebenflüsse haben. Auf Grund alles oben dargelegten und in Verbindung mit unseren allgemeinen Ansichten über die Herkunft des Planktons in Flüssen, stellen wir uns die Entstehung des Newa-Planktons in folgender Weise vor: Die Newa ist in den Augen der Hydrologen nichts anderes als ein riesenhafter Verbindungsarm zwischen Ladoga-See und Finnischem Meerbusen. Indem sie sogleich in mächtigem Strome einem kolossalen Gewässer entspringt, erhält sie auch zugleich ein Plankton bestimmten Charakters mit auf den Weg. Im Zusammenhang mit dem Charakter des Seebeckens, dem der Fluss entspringt, enthält die Newa in ihrem oberen Laufe demgemäß Seen-Plankton. Die Entstehungsweise des Flusses ist also dasjenige Moment, welches vor allem den Planktoncharakter bestimmt. Ferner kann die Schnelligkeit der Strömung, welche vom Gefälle und der Wassermenge eines Flusses abhängig ist, auf die Bestandteile des Planktons einwirken. Das geschieht einer- seits durch eine gewisse Auslese derjenigen Organismen, denen die betreffende Stromgeschwindigkeit über die Grenzquote hinaus- geht, welche sie noch gerade auszuhalten vermögen; andererseits durch die Beifügung einer kleineren oder größeren Menge von Boden- und Uferformen. In betreff der Wolga konnten wir uns sehr leicht von der Richtigkeit des Gesagten überzeugen. Die Hauptströmung dieses Flusses führt im Sommer immer weniger Arten und diese in ge- ringerer Anzahl, als der von ihr dort ausgehende und langsamer fließende Nebenarm. Für die Newa ist es uns nicht möglich, so klare Beweise beizubringen, aber es wäre doch möglich, dass man auf diese Weise das Fehlen einiger Ladoga-Floskularien (Fl. pro- boscidea und Fl. discophora), welche wohl weniger der Strömung angepasst sind, in unserer Serie von Newa-Planktonproben erklären kann. Was nun die Stromgeschwindigkeit der Newa anbelangt, so ist sie an verschiedenen Stellen auch sehr verschieden; zwischen 3,5 bis 6km in der Stunde, in den Stromschnellen aber 8,25 bis 12,25 km. Diese Ziffern sprechen eine beredte Sprache! Auf das oben Dargelegte uns stützend, sehen wir also in der Stromgeschwindigkeit das zweite wichtige Moment, von dem der Bestand des Planktons abhängt. Indem wir alle übrigen hydrologischen Elemente des Flusses, deren Einfluss auf das Plankton noch nicht genau bekannt ist, un- beachtet lassen (Eisdecke und deren Dauer, chemische und physi- Skorikow, Uber das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. 387 kalische Beschaffenheit des Wassers, besonders Temperatur u. s. w.), wollen wir nur noch des Frühlingshochwassers gedenken, welches den Flüssen Ost-Europas eigentümlich ist und sehr energisch die Lebensbedingungen des Flusses beeinflusst. Die Newa als typischer „lakustrer“ Fluss hat kein ausgeprägtes Frühlingshochwasser, auf der Kurve der jährlichen Niveauschwankungen der Newa tritt ein Steigen der Gewässer im Frühjahr gar nicht hervor. Man konnte daher erwarten, dass auch ım Leben des Newa-Planktons die Zeit des Aufgehens des Flusses spurlos vorübergeht, aber wir müssen sagen (um nicht dem Gegenstand, welchen wir weiter unten be- handeln wollen, vorzugreifen), dass unsere wohlbegründeten Er- wartungen nicht gerechtfertigt wurden. Zum Schluss wollen wir noch zweier, unserer Meinung nach, wichtiger Momente erwähnen, von denen der Planktonbestand eines Flusses abhängig ist: 1. der Flusslänge und 2. der Anzahl und des Wasserreichtumes der Nebenflüsse (Ausdehnung des Fluss- bassins). Ersteres versteht sich von selbst. Je länger ein Fluss ist, desto mehr Zeit braucht sein Wasser, um bis zum Meer zu gelangen und desto größer ist die Möglichkeit (ceteris parıbus) für Organismen, die aus dem Quelllaufe oder anderen Orten des Stromes stammen, während des Abwärtstreibens sich zu entwickeln. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird für die Newa diese Be- dingung keine Rolle spielen, denn was kann sich in den 12 bis 14 Stunden entwickeln, welche das Ladogawasser für seinen Weg im Newa-Bette zum Finnischen Meerbusen nötig hat? Allerdings darf man die Frage, ob sich Organismen während des Hinabtreibens ent- wickeln können, noch nicht als gelöst ansehen. Unter den Limno- logen gibt es Anhänger der einen und der anderen Ansicht. Wir halten die positive Annahme für richtig und hoffen in einer bald folgenden Arbeit bejahende Facta aufzuzählen, die, wie wir an- nehmen, überzeugend genug sein werden. Endlich bedarf die Anzahl der Zuflüsse eines Stromes und ihre Wasserfülle, welche vom orographischen Bau des Bassins abhängt, keiner Erklärung. Die Newa, ein so wasserreicher Strom, hat sehr wenig Zuflüsse und dazu noch so geringfügige im Vergleich zu ihrer eigenen Wassermasse. Der Einfluss solcher Nebenflüsse auf das Plankton der Hauptarterie ist, wie wir schon sahen, ein recht kleiner, und wir erhalten daher im Flusse fast reines Seen- plankton. Anders wäre das Bild natürlich, wenn das Bassin der Newa größer oder einer der Zuflüsse bedeutender wäre (wie z. B. die Kama als Nebenfluss der Wolga). Dann wäre selbstverständ- lich der Planktoncharakter ein anderer und würde eine Summe der beiderseitigen Planktongruppen sein. Wir fügen noch bei, dass, wenn wir bei der Beurteilung eines Flusscharakters vor allem seine Entstehung berücksichtigten, es ebenso richtig ist, bei Besprechung 19) 5* 388 Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. jedes einzelnen Nebenflusses sich danach zu richten. Wenn nun also die Eigenart des Planktons irgend eines Flusses von so viel verschiedenen Bedingungen abhängt und wobei noch diese in ver- schiedener Weise sich kombinieren lassen, wie kann man da von einem „Flussplankton“ ım allgemeinen reden? Was für eine Ur- sache hatte man, den allzufrüh in die Welt gesetzten Terminus „Potamoplankton“ zu prägen, d. h. eine Bezeichnung für etwas ganz Typisches für alle Flüsse? Auch mit dieser Frage will ich erst in einer folgenden Arbeit genauer mich beschäftigen, in welcher ich alle Planktonunter- suchungen von Flüssen von diesem Standpunkte aus analysieren will. Wenn wir nun zum Newa-Plankton in seiner Summe zurück- kehren, so müssen wir zugestehen — besonders unter dem Ein- druck des ausnehmenden Reichtums und der Fülle des Wolga- Planktons — dass die Newa sich weder einer großen Abwechslung ın der systematischen Zusammensetzung des Planktons, noch weniger eines quantitativen Reichtums daran, rühmen kann. Beides ist im Phytoplankton schärfer ausgeprägt. Soweit von diesen Faktoren abhängig, ıst also die Produktivität der Newa nicht groß für einen so mächtigen Strom. Wie wir sahen, konnten wir nur 2 eigentliche Planktonproben aus dem Süd-West-Ladoga sammeln. Wir erhielten aber noch dazu 8 Spiritusproben liebenswürdigerweise von Dr. Nordquist, welche er 1885 und 1891 im tiefen Teile des Ladoga gesammelt hatte. Natürlich repräsentierten sie für uns ein sehr wichtiges Material, aber sie waren mit einem nur zum Krustazeenfang taug- lichen, weitmaschigem Netze genommen worden, wie uns Dr. Nord- quist schrieb, und die vielen, so kleinen Rotatorienarten waren natürlich durch das Netz gegangen. Das bestätigte sich auch so- gleich bei der Untersuchung der Proben; 11 Arten wurden darin gefunden, davon 9 bestimmbare. Die Resultate unserer eigenen Proben sind auf S. 359—363 dieser Arbeit angeführt. Es bleibt uns also übrig, hier die Liste der im tiefen Teile des Ladoga gefundenen Rotatorien und Krusta- zeen zu geben und zwar auf Grund der Arbeit Dr. Nordquist’s und unserer Untersuchung seiner Proben: Asplanchna priodonta Gosse *Notholca foliacea (Ehrb.) ® herricki De Guerne (?) Euchlanis oropha Gosse Conochilus unicornis Rouss. Polyarthra platyptera Ehrb. Synchaeta sp. Limnocalanus macrurus G. O. Sars ” grandis Zach. *Temorella intermedia Nordg. Anuraea cochlearis Gosse var. macra- Diaptomus gracilis G. ©. Sars cantha Lauterb. *Heterocope appendiculata G. O. Sars Notholca longispina (Kellie.) Cyelops sp- acuminata (Ehrb.) Diaphanosoma brachyurum (Liev.) Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und des Ladoga-Sees. 389 *Sida erystallina (OÖ. F. M.) *Bosmina obtusirostris G. O. Sars *Holopedium gibberum Zad. » longispina Leyd. *Daphnia ceristata G. O. Sars RR rectirostris Nordgq. In diesem Verzeichnisse sind diejenigen Arten durch ein Stern- chen gekennzeichnet, welche von uns nicht in dem der Newa nächstgelegenen Teile des Ladoga gefunden wurden. Anstatt dessen hatten wir aber dort einige Arten aufgeführt, welche hier fehlen. Der Unterschied in beiden Listen betrifft hauptsächlich die Krustazeen, da Dr. Nordquist besonders auf sie sein Augen- merk richtete. Nachdem wir nun auch dieses letzte Verzeichnis unseren weiter oben für den Ladoga angeführten Tabellen (I bis III) angegliedert haben, haben wir im Plankton dieses Sees Naeh an nn 2 80 SROLBEOTIS EB 23 Mäsaeophora. 2. 2. B8 7 Crustacear een In Summa 130 Formen. Wir hatten schon auf das Vorkommen von nur aus den großen nordamerikanischen Seen bekannten Formen im Ladoga und der Newa aufmerksam gemacht, wie z. B. Notommata monopus, Proales laurentinus, sowie ım Tosnafluss Notommata trumcata. Letztere wurde bis jetzt nur noch im See Nurmijärvi (Finnland) gefunden. Fügen wir noch hinzu, dass wir ım Winter in der Newa Notops pelagieus Jenn. gefunden haben, der aus dem Eriesee beschrieben worden ist. Das Vorkommen dieser originellen Formen im Ladoga- bassin bewog uns hauptsächlich, das Ladoga-Plankton mit dem an- derer gut erforschter Seen zu vergleichen (s. Tab. IV), wobei wir wegen Mangels an Arbeiten über Krustazeen Nordamerikas ın unserer Bibliothek uns hauptsächlich auf Rotatorien beschränken müssen, die recht gut zur Charakterisierung der Eigenart von Ge- wässern tauglich sind. Aus der angeführten Tabelle ist ersichtlich, dass der Ladoga- See die wenigsten Formen gemeinsam hat mit den westeuropäischen und russischen Seen, schon etwas mehr mit den finnländischen und endlich finden wir die größte Zahl von Ladoga-Arten in den großen nordamerikanischen Seen. Diese Ähnlichkeit mit letzterer gewinnt an Bedeutung vermöge des gemeinsamen Vorkommens einiger Tiefseekrustazeen, welche einige für Reliktenformen ansehen. Supplement. E. N. Bolochoncew. Beschreibung von Staurastrum para- doxum Meyen var. tosnense nov. var. Diese Form hat auf den ersten Blick einige Ähnlichkeit mit der var. chaetoceras Schröd., ist aber leicht davon zu unterscheiden dank der Einbiegung der Seitenränder und der bedeutend geringeren Dimensionen. Die Aus- wüchse sind mit kurzen Dörnchen bedeckt und leicht nach außen 390 Skorikow, Über das Sommer-Plankton der Newa und das Ladoga-Sees. Tabelle IV. 1) O. Zacharias, Faunistische Mitteilungen. Forsch.-Ber. d. Biol. Station zu Plön, T. 2, 1894, p. 61—62. — 2) E. Daday, Rotatorien. Resultate der wissen- schaftlichen Erforschung des Balaton-Sees. Bd. II, T. 1, Sect. V, p. XXV—XXVI, 123—127 und 130. — 3) B. Heyneman, Untersuchungen des Wigry-Sees im Gouvernement Suwalky hinsichtlich der Biologie und Fischerei, im Jahre 1900. „Aus der Fischzuchtanstalt Nikolsk“ Nr. 6, 1902. Ebenso auf Grund eigener Durch- sicht der Planktonproben, welche vom zitierten Autor gesammelt wurden. — 4) S. Zernow, Über das Plankton des Glubokoje-Sees im Juni bis Juli 1897. Arbeiten der hydrobiologischen Station am See Glubokoje, Lief. 1, 1900, p. 12. — 5) J. Arnold, Über die sommerliche und winterliche Zusammensetzung des Planktons einiger Gewässer des Waldai-Plateau in Verbindung mit der Frage der Fischernäh- rung. „Aus der Fischzuchtanstalt Nikolsk“ Nr. 3, 1900, p. 9. Ebenso auf Grund eigener neuer Untersuchungen. — 6) K.E.Stenroos, Das Tierleben im Nurmijärvi- © 8 Bo ze se ze E en rn < lo \se|s3 oa lasse: | 5 | |@ Verbreitung der Ladoga- |z.=|&3 |°% & 2 Se Ge E DB nn m) IS © ad =E oE f ZI ’ e Rotatorien im Plankton |:% | SP | 3% | 3” Ir: Er = | Ei zZ ee Holas|i@28|25|5 3|88| 8 Eu einiger Seen INES EE| aa | E8 33 Z2Rl3# a |= sr 2 = | Jsalas ee IE | 21a 15 |£ 8 I&_| E > a le Floscularia mutabilis Bolton .| | _ | _ -- | —_ | Floscularia pelagica Rousselet = = I» — = — i—- x 8 2 Floscularia proboseidea Ehrb. | — | _ | — 2 — | — — | — |x Floscularia discophora Skorik. | — | — | — | — — _ u Conochilus unicornis Rousselet | — | — | x | — x Kali x re Asplanchna priodonta Gosse . x | x | — | x x 0% X ” ” Asplanchna herricki De Guerne — | —| = — 2% X x ” Synchaeta stylata Wierzejki .| — | — | — | — X x | — X x x Synchaeta grandis Zacharias .| x | — | — | — X — | — a Synchaeta vorax Rousselet I — — | — le ee Polyarthra platyptera Ehrb. SC SQalles | x x x x x Notommata monopus Jennings || — | — | — | — —_ — I sa | Mastigocerca capucina Wierz. et Zach. at x x = PRY Mastigocerca minima Skorikow 2 — & Si 2 — | = Se a a Coelopus porcellus Gose . .| — | — | x | -| x IRIMEAXI| — IX) Ix Euchlanis oropha Gosse. | | —| — x eo Anuraea cochlearis Gosse a Ra X SE x a 82 Anuraea cochlearis Gosse var. tecta ee i x -|I —- I — x x — I |x Notholca longispina (Ke jeott) BEE 3 Notholca acuminata (Ehrb.) 2 5 1 2 — (x) a = = Notholca foliacea (Ehrb.) . xIi—-|I —-— | — x? — I<- |(x)| — | - Ploesoma hudsoni (Imhof) . xI-|I - 1 — ” x. x x BSR Ploesoma truncatum (Levander) | — | — | — | — = NR ODER Gastropus stylifer Imhof Salz ya x | % x x. 10€ Anapus testudo (Lauterborn) .| x | — | x | — — = DI X X Sc Mit dem BaloeR gemeinsame Arten: ... 13 4 3 5 115(162)|| 9(10) 912) | 13(15),14(16)| 14 In Summa im Plankton des resp. Sees Arten: . . . 25 | 10 || 16 | 14 12562) 17 | 14 14 IE DR Gemeinsam beiden Seen an Artenam len 2 2.2. 1022,|402701190%6136%01 20020 21,58%], |04%751.932 aan le Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. 391 gebogen. Endzähnchen sind 4 vorhanden, wie bei var. chaetoceras, sie sind aber bei unserer Form länger. Länge ohne Auswüchse 13 a; mit solchen 45 bis 50 «; Breite mit Auswüchsen 50 bis 55 u; größte Länge (in der Diagonale) bis 65 u; Isthmus ca. 4,5 u. Gefunden im Plankton der Newa, des Ladoga und des Tosna- flusses, in letzterem setzt sich fast die ganze Masse des pflanzlichen Planktons daraus zusammen; ich habe daher die Benennung nach letzterem Flusse gegeben. Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. Von Prof. Dr. Gustav Guldberg, Christiania. (Fortsetzung von Bd. XXIII, S. 816.) (Schluss.) Die übrigen nordatlantischen Balaenopteriden werde ich hier nur ganz kurz erwähnen. 2. Balaenoptera borealis Less., der von den Norwegern „Sejhval“ genannt wird, eine Länge von 40—50 Fuß = 13—17 m hat, ist auch ein echter Planktonwal, daher führt er auch eine migratorische Lebensweise; er lebt im Norden hauptsächlich von einer kleinen roten Copepode: Calanus finmarchiceus („Rödaatre“). Die Farbe der Ober- seite des Körpers ist dunkel-graublau oder blauschwarz mit oblongen hellgefärbten Flecken, die Unterseite aber bis zu den Genitalien ist weiß, oft mit Stich ins Rötliche. Die Zahl der Barten, die schwarz sind mit weißen, feinen, oft gekräuselten Borsten, beträgt 320—340 jederseits, größte Länge ca. 600 mm. Die Rückenflosse ist hoch, gerade randig nach hinten gekrümmt mit tief einge- schnittenem, hinteren Rand und sitzt weit vorn, gerade über dem Übergang der hinteren und mittleren Drittel des Körpers. See. Eine faunistisch-biologische Studie. Acta Soc. p. Fauna et Flora Fenn. XVII, Nr. 1, 1898, p. 73—74. — 7) K. M. Levander, Zur Kenntnis der Fauna und Flora finnischer Binnenseen. Acta Soc. pro Fauna et Flora Fenn. XIX, Nr. 2, 1900, p. 49—50. — 8) H.S. Jennings, Report on the Rotatioria. In: B. Ward, A biological examination of Lake Michigan. Bull. of the Michig. Fisch Comm. Nr. 6, 1896, p. 87. — 9) H. S. Jennings, Rotatoria of the United States. Bull. U. S. Fish comm. 1900, p. 67—104. — 10) Im See gefunden, aber in seinem Plankton nicht angegeben. 399 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. Dieser Wal ist von der Küste Frankreichs (bei Biarritz) bıs zum Nordkap beobachtet worden. Das Auftreten an den nordischen Küsten ist sehr variabel und man hat diesen Wal hier nur in den Sommermonaten beobachtet. Im Jahre 1884 wurden 6 Stück ge- schossen, 1885 aber hat man 659 Individuen erlegt und man fand ihn von der Insel Söröen westlich vom Nordkap bis zur Murman- schen Küste. In den späteren Jahren hat man ihn bald gefangen, bald hat man ihn nicht bemerkt. Racovitza erwähnt dieselbe Art und meint, sie mehrmals ın den antarktischen Gegenden in der Nähe des Banqu’eis gesehen zu haben. 3. Der gewöhnliche Finwal (Balaenoptera musculus auct., B. physalus L.) ıst im ganzen Atlantischen Ozean verbreitet. Die langgestreckte, elegante Gestalt ähnelt derjenigen des Blauwals, Länge 60—70 Fuß, d. h. 20—23 m. Die Rückenflosse geradlinig, weiter nach vorn situiert als bei dem Blauwal, die größte Körper- höhe im Vergleich mit der Körperlänge ist wie 1:6!/, bis 6°/, (Hjort), die Brustflossen !/, der Körperlänge, die Barten 350—370 jederseits, die größten 950 mm L., dunkelblau oder schwarz gefärbt mit Ausnahme der vorderen rechterseits, die weißgrau oder gelb sind. Die Körperfarbe ist oben und an dem linken Unterkiefer braunschwarz; unten dagegen und an dem rechten Unterkiefer samt an der Innenseite der Brustflossen ist die Farbe weiß. Der gewöhnliche Finwal wie der Zwergwal sind fisch- fressende Tiere. Der Finwal verfolgt die Herings- und Lodde- scharen und tritt daher besonders an den nordischen Küsten während der Herings- und Loddefischerei auf; doch frisst er auch zuweilen „Krill“ (Borrophausia inermis). Er kommt in die Nähe der Küste mit den einströmenden Herings- und Loddescharen, daher besonders im April; später trifft man ihn weiter von der Küste entfernt, z. B. in den Sommer- monaten mehrere Meilen weit auf der Hochsee, an den Bäreninseln wie in der Nähe der Eisgrenze. Während der Heringsfischerei tritt er an den südlicheren Küsten Norwegens auf, so im Skagerak; auch an der Mündung des Christianiafjords ist er in den Winter- monaten gefangen worden. Er ist ferner an den dänischen und schwedischen Küsten beobachtet, ja auch in der Ostsee, weiter nach Süden an den britischen Küsten sehr häufig (Flower), an den Küsten Hollands, Belgiens, im englischen Kanal, in der Bis- kayischen Bucht, an den Küsten Frankreichs, Spaniens, Italiens in dem Mittelländischen Meere. Auch an den Azoren soll er beob- achtet worden sein (P. J. van Beneden). Der Finwal wird in großen Mengen von den an der Küste Finmar- kens, der Färöeinseln, Islands und New-Found-Lands stationierten Walfängern erlegt. Bei Island wird er in größter Menge in den Mo- Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. 395 naten Juli-September gefangen; bei New-Found-Land wurden im Jahre 1903 von einer Station in den Monaten Juni bis Mitte Dezember 83 Stück, die meisten im August (15 Stück) gefangen. Man hat nicht Beweise für größere Wanderungen seitens dieser Balaenopteride, wie von dem Buckelwal und dem Blauwal; dagegen unternimmt er ge- wiss kleinere Wanderungen während der Verfolgung der kleineren Fische, die ıhm zur Nahrung dienen. Im Pacifie-Ozean ist diese Balaenopteride auch repräsentiert. Unter den von den russischen Walfängern an der ostasiatischen Küste gefangenen Wale sind die „Finwale“ zahlreich, berichten nor- wegische Seeleute, die von den Russen im Walfangbetrieb engagiert waren. Näheres darüber habe ich nicht erfahren. Der von Seammon erwähnte „Finback whale“ oder „Finner“, Balaenoptera velifera Cope, hat mit der nordatlantischen Form sehr große Ähnlichkeit sowohl in der Gestalt, Größe wie Farbe. Er ist an der Pacific-Küste Nordamerikas verbreitet. Näheres über die Artidentität dieser Form mit der Nordatlantischen kann ich zur Zeit nicht aussprechen. In den antarktischen Eismeerregionen ist diese Art nach Ra- covitza nicht beobachtet worden; er meint, dass der Szbbaldius antarcticus Gray, B. patachonica Burm. in den temperierten Re- gionen der südlichen Hemisphäre entweder dieselbe wie unsere B. physalus L. sei oder einer Unterart derselben gehört. An den Küsten New-Zealands hat man indessen Exemplare von dem gewöhnlichen Finwal erhalten. So beschreibt Prof. Parker (university of Otago, New-Zealand) ein Skelett von einem 53!/, Fuß langen Finwal, der nach seiner Ansicht, wie es auch aus der Be- schreibung hervorgeht, ganz mit dem B. physalus der nördlichen Hemisphäre übereinstimmt. 4. Die kleinste Spezies des Genus Balaenoptera, der Zwerg- wal, B. rostrata auct. (B. acuto-rostrata Lacepede), der eine sehr große Verbreitung hat, gehört auch zu den fischfressenden Bartenwalen wie der gewöhnliche Finwal. Wie dieser unternimmt er keine Wanderungen, so viel man weiß. Im Pacific-Ozean ist er von dem sehr ähnlichen B. Davidsonii Scammon, „the sharp- headed Finner“ repräsentiert, der unserer nordatlantischen Spezies sehr ähnlich ist. Die Frage von der Wanderung der großen Bartenwale, welche für die Industrie nützlich sind, hat ein großes praktisches Interesse. Seit mehreren Jahren ist es in Norwegen und auch in Russland gesetzlich verboten, vom 1. Januar bis Ende Mai in einer Entfer- nung von einer geographischen Meile von den äußersten Inselchen der Küste ın Tromsö und Finmarken-Amt Wale zu jagen, zu schießen oder töten. Dieses gesetzliche Verbot ist nun zu einem 394 Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. absoluten Verbot für das ganze Jahr erweitert worden wegen der erregten, von Fischerei lebenden Küstenbevölkerung in den nörd- lichen Provinzen (gegen die Meinung der Sachverständigen). Seit dem Beginn des Walfanges haben die Fischer meistenteils den Walfang als einen der Fischerei schädlichen Betrieb angesehen. Indem nun die meisten von den im Sommer der nördlichen Küsten und Fjorden Norwegens besuchenden nützlichen Walen zu anderen Jahreszeiten in weit entlegenen Gegenden sich aufhalten, so muss dieses Schonungsgesetz natürlicherweise nur fremden Nationen frommen und den eigenen nationalen Betrieb schädigen. Ein Horoskop auf die Zukunft des Walfanges lässt sich zur Zeit nicht leicht stellen. Eine Ausrottung der Finwalarten (Balaenop- teriden) lässt sich kaum denken, denn wenn die Zahl beträchtlich vermindert worden ist, lohnt sich der Betrieb nicht mehr und dann hört das Geschäft natürlicherweise auf. Dagegen kann gewiss ein Fanggebiet durch übergroßes Erlegen der Tiere vertilgt oder wertlos gemacht werden, besonders wenn man auch die jungen Wale ver- tilgt. Ein Beweis hierfür aus der Jetztzeit ist es, dass die Gegen- den des Meeres östlich vom Nordkap, besonders der Warangerfjord, der einst ein so reiches Feld für das Jagen (besonders von Blau- walen) war, schon ziemlich wertlos geworden ist; zweitens sind die norwegischen Walfänger, welche früher im Ot-Finmarkens zahl- reiche Stationen besaßen, nach Westen oder nach Island gezogen. Ich habe oben (diese Zeitschrift Bd. XXIII, Nr. 24, S. 803—816) gezeigt, wie die nördlichen Fanggebiete für den Polarwal und den Nordkaper in früheren Jahrhunderten abgeerntet sind; in der süd- lichen Hemisphäre sind die Walgründe des Südseewales auch lange nicht mehr so gesucht wie früher. In unserer Zeit — mit allen tech- nischen Hilfsmitteln — geht das Abernten der Fanggebiete viel schneller als in früheren Zeiten. -Die Anwendung von Dampf- schiffen statt der Segelschiffe fördert das Erlegen der Tiere. Die Flotte des Walfanges, die von San Franzisko ausgerüstet wird und den Fang im Nord-Paeific-Ozean und in dem Eismeer treibt, hat nun mehr und mehr Dampfschiffe benutzt. Die Zahl der erlegten Wale ist daher auch gestiegen und im Jahre 1893 wurden mehr als 350 Stück getötet, von welchem 294 Polarwale (Bowhead) waren. Der Wert der Walfischbarten (404,600 Pfd.) betrug ca. 1'/, Millionen Dollars und der Wert des Ofles 93 000 Dollars. Das Abernten des Fanggebietes wird daher mit Dampf (und Elektrizität?) sich viel schneller vollziehen als in früheren Tagen, da nur Segelschiffe ausgerüstet wurden. Aber dann ist es auch einleuchtend, dass der Walfang, so lange er als Raub- fang getrieben wird, nur eine temporäre Existenz haben wird. Erst wenn man dahin kommt, die Naturgeschichte oder Lebensweise dieser nützlichen Tiere so gut kennen zu lernen, dass Guldberg, Über die Wanderungen verschiedener Bartenwale. 395 man einen rationellen Fang mit einem bestimmten jährlichen Ge- winn, d. h. ein internationales Schonungsgesetz mit Maxi- malgrenze der zu erlegenden Tiere, realisieren kann, wird der Walfang auch ein dauernder Betrieb werden können. Indessen müssen unsere Kenntnisse über die Nahrung, die Verpflanzung und über die Wanderungen viel genauer als bis jetzt erörtert werden. [36] Literatur. Aurivillius, Carl W. C.: Der Wal Svedenborgs etc. Kongl. Svenska Vet. Acad. Bd. 23, Nr. 1, 1888. Van Beneden, P. 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Damit habe ich mich in Gegen- satz wohl zu den meisten Forschern gebracht, die über dieses Thema sich geäußert haben, ganz abgesehen davon, dass mir die alltägliche Erfahrung „jedermanns“ entgegen zu stehen scheint. Die Ökonomie des Stoffes, den ich in meinem Buche behandelt habe, 1) In den folgenden Auseinandersetzungen will ich mich auf die geistigen Eigenschaften des Menschen beschränken. Die geistigen Eigenschaften der Tiere ziehe ich nicht in die Diskussion. Die Verwirrung der Begriffe auf diesem Ge- biete ist zu groß, das Material zu umfangreich und zu wenig gesichtet, als dass eine fruchtbringende Erörterung im Rahmen einer Revue-Abhandlung möglich wäre. 2) Rawitz, Urgeschichte, Geschichte und Politik. Berlin 1903. Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. 397 ließ eine genauere Begründung meiner Ansicht nicht angemessen erscheinen; dort genügte und musste genügen deren mehr dog- matische Aufstellung. Es scheint mir aber von Wert und auch von Wichtigkeit, in strengerer Form zu zeigen, dass geistige Eigen- schaften unmöglich vererbt werden können. Denn wird die Richtig- keit meiner Ansicht anerkannt, dann vertiefen sich die Aufgaben und erweitern sich die Pflichten derer, die für die geistige Heran- bildung der Jugend zu sorgen haben, in ganz beträchtlichem Grade. Es ist nicht ohne Interesse, die Beweise sich anzusehen und auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, welche von einigen Verteidigern der Vererbbarkeit geistiger Eigenschaften vorgebracht werden. Denn die Aufdeckung von alten Irrtümern ist ein nicht minder wirksames Motiv zum Fortschritt der Erkenntnis, als die Aufstellung neuer Wahrheiten. Der Forscher, der sich vielleicht am intensivsten mit dem uns hier interessierenden Problem beschäftigt hat, ist Galton!). In seinem interessanten Werke „hereditary Genius“ vertritt er die Erblichkeit des Talentes; denn, so meint er, die geistigen Eigen- schaften des Menschen beruhen auf der Vererbung genau so wie die Gestalt und die physischen Eigenschaften. Man könne, wie man Hunde und Pferde mit bestimmten Eigenschaften zu züchten im stande sei, auch bestimmte Eigenschaften des Menschen züchten, wenn man durch mehrere aufeinanderfolgende Generationen genau die Heiraten beaufsichtigt. Nur schade, dass diese Auffassung von Galton durch keine einwandfrei beobachtete Tatsache sicher ge- stellt ist; es müsste dann ja ein leichtes sein, im Verlaufe von 100 oder 200 Jahren ein in geistiger Beziehung ideales Menschen- geschlecht zu züchten. Galton glaubte sich zu diesen Anschauungen berechtigt, weil z. B. das Richteramt in verschiedenen englischen Familien durch Generationen hindurch von Vater auf Sohn über- geht. Diese „Beobachtung“ führte ihn dazu, besonders in einem zweiten Werke „natural inheritance“?), die Möglichkeit der Ver- erbung geistiger Eigenschaften nach den Regeln der Wahrschein- lichkeitsrechnung beweisen zu wollen: ein Irrweg, den bei einer ähnlichen Gelegenheit bereits Eduard v. Hartmann im 1. Bande der „Philosophie des Unbewussten“ betreten hatte. Galton unter- schätzt in seinem Beispiele von den englischen Richtern den er- zieherischen Einfluss der Umgebung, in der die Jugend aufwächst. Oder vielmehr: er kommt garnicht auf die Idee, dass ein bestimmt zugeschnittenes Milieu die Entwickelung des jugendlichen mensch- lichen Geistes in ganz bestimmte, meistens adäquate Bahnen zu lenken vermag und lenkt. Er erwägt in keiner Weise die Frage, 1) Galton, Hereditary genius, an inquiry into its laws and consequences, London 1892, 2) Galton, Natural Inheritancee. London 1889. 398 Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. ob die Entwickelung des Geistes auch dann unbedingt in den Bahnen des englischen Richtertums hätte erfolgen müssen — was bei der behaupteten Vererbbarkeit der geistigen Eigenschaften not- wendig war —, wann das Milieu, in dem sich der aufwachsende Mensch befand, von vornherein ein anderes gewesen wäre. Den wenigen, scheinbar positiven Angaben, die Galton für seine Auf- fassung beibringen kann, stehen zahllose, tatsächlich negative Er- fahrungen, nicht bloß die des täglichen Lebens, gegenüber. Wenn wirklich die Genialität, die große Begabung vererbbar wären, warum haben die meisten großen Männer so herzlich unbedeutende Nach- kommen und woher kommen aus geistig oft sehr tief stehenden Familien gerade die größten Persönlichkeiten? Semper vir magnus ex casa! Ich kann nicht finden, dass Galton auch nur einen wirklichen Beweis für die Vererbbarkeit und Vererbung geistiger Eigenschaften vorgebracht hat, obwohl ich gern zugestehe, dass in seinen beiden Büchern viel Material zur Vererbungslehre überhaupt vorbanden ist. Der Beweis, den Galton antreten wollte, ist nach meiner Meinung völlig missglückt. Ein anderer Forscher, der die Vererbung geistiger Eigenschaften behauptet, ist Büchnert). Er geht von einem Satze aus, der sich bei Burdach, „Physiologie als Erfahrungswissenschaft“ findet und der lautet: „In der Tat hat die Abkunft auf unseren körperlichen und geistigen Charakter mehr Einfluss, als alle äußeren materiellen und psychischen Einwirkungen.“ Alle Achtung vor Burdach; aber mit dem so dastehenden Satze ist gar nichts anzufangen. Dass uns die körperliche Grundlage zu geistiger Betätigung an- geboren ist, ist selbstverständlich. Aber wie diese angeborene Be- tätigungsmöglichkeit ohne materielle und psychische Einwirkungen zur Wirklichkeit werden kann, darüber gibt der Burdach’sche Satz keinen Aufschluss. Und imwiefern war wohl die Abkunft, d. h. doch jedenfalls die körperliche Herkunft, von größerem Ein- flusse als alle anderen Lebensumstände auf die Entwickelung eines Kant und Fichte, Gauss und Faraday, Luther und Sixtus V? Hatten diese Großen ihren Genius ererbt? Büchner meint, dass die angeborenen und erworbenen geistigen Fähigkeiten sich fortsetzen. Es müsse gefolgert werden, „dass die Macht der Vererbung auf geistigem Gebiet noch viel bedeutender ist als auf leiblichem, und dass somit der Mensch als ein vorzugs- weise geistiges Wesen von dieser Macht noch in weit höherem Grade beeinflusst wird, als alle seine Mitgeschöpfe (l. c. p. 38). Die Erblichkeit der geistigen Eigenschaften sei Gesetz, die Nicht- 1) Büchner, Die Macht der Vererbung und ihr Einfluss auf den mora- lischen und geistigen Fortschritt der Menschheit. Darwinistische Schriften Nr. 12, Leipzig 1882. Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. 399 erblichkeit bilde die Ausnahme. Ja, allen Erfahrungen unserer Ge- richtshöfe und Zuchthäuser zum Trotze behauptet er: „Einer der inter- essantesten und wichtigsten Instinkte der Menschennatur ist der moralische Instinkt oder die angeborene Neigung des Kulturmenschen zu moralischem Verhalten“ (p. 70). Büchner, dessen ganzes Werk nur ein einziger Gallimathias ist, versucht auch, diese angeblich leichte Vererbbarkeit geistiger Eigenschaften physiologisch zu er- klären. Dies soll nachher für’ mich der Ausgangspunkt für den Nachweis der physiologischen Unmöglichkeit der Vererbung geistiger Eigenschaften sein. Roux!) in seiner geistreichen Abhandlung „der Kampf der Teile im Organismus“ spricht von einer angeborenen Disposition zur Muttersprache, hält also eine Vererbung der geistigen Errungen- schaft nicht nur der Sprache im allgemeinen, sondern sogar der Muttersprache im besonderen für möglich. Allerdings war zu der Zeit, da Roux sein Schriftchen erscheinen hieß, Rauber’s bedeut- sames Buch?) „Homo sapiens ferus“ noch nicht vorhanden. In letzterem werden wir darüber belehrt, dass von einer ererbten An- lage zur Muttersprache keine Rede sein kann, ja dass nicht einmal die Sprechfähigkeit selber vererbt wird, sondern dass zur Erlernung menschlichen Sprechens eine bereits sprechende menschliche Um- gebung unbedingte Voraussetzung ist (vgl. hierzu auch Kap. 8 in meinem Buche „Urgeschichte* etec.). Roux meint ferner, dass bei den Tieren die Vererbung geistiger Eigenschaften leichter erfolge als beim Menschen, woraus des letzteren große Universalität resultiere. Auch dies ist ein Irr- tum. An einer anderen Stelle, auf die ich mir erlaube, hiermit hinzuweisen, nämlich in meiner Streitschrift „Für die Vivisektion“ 3) habe ich dargetan, dass die große Universalität des Menschen, d. h. seine Fähigkeit, harmonisch die Welt zu erfassen, auf der Ausbildung seiner Sinne beruht. Die Tiere sind Sinnesspezialisten, der Mensch hat keinen überwiegenden Sinn, sondern besitzt eine physiologische Harmonie der Sinne. Von einer Vererbung gei- stiger Eigenschaften kann hierbei gar keine Rede sein. Nur noch einen Naturforscher will ich, um mich nicht allzu- weit auszudehnen, als Vertreter der Annahme von der Vererbung geistiger Eigenschaften zitieren. Eimer?) sagt in seinem Buche „Die Entstehung der Arten“: „Wer die Vererbung erworbener Eigenschaften nicht anerkennen will, der kann auch nicht aner- 1) Roux, Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. 2) Rauber, Homo sapiens ferus oder die Zustände der Verwilderten ete. Leipzig 1885. 3) Rawitz, Für die Vivisektion. Greifswald 1898. 4) Eimer, Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererbung erworbener Eigenschaften. I. Teil. Jena 1888. 400 Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. kennen, dass geistige Fähigkeiten im Laufe der Zeiten durch Er- fahrungen und Vererbung dieser Erfahrungen sich gebildet und gesteigert haben“ (l. c. p. 237). Das ist ein vollkommener Irrtum Eimer’s. Ich erkenne eine Vererbung erworbener körperlicher Ei- genschaften durchaus an, wenn ich sie auch anders begründe und erkläre wie Eimer (vgl. Kap. 4 meines Buches „Urgeschichte“ etc.). Aber gerade deswegen leugne ich die Vererbung geistiger Eigen- schaften. Denn nicht diese werden vererbt, sondern nur das mor- photische Substrat geistiger Tätigkeit, also die anatomischen Be- standteile des Körpers, an die das Geistige geknüpft ist, werden den Nachkommen von den Erzeugern überliefert. Ich will nach- her des Breiteren auf diese wichtige Unterscheidung eingehen. Derselbe Denkfehler, den ich in dem zitierten Satze Eim er’s finde, ist auch in seinen weiteren Ausführungen, besonders in denen über die Aufgabe des Gehirns vorhanden. Denn überall mischt er „Fähigkeiten“ und „Erfahrungen“ zusammen, ohne zu überlegen, dass die Fähigkeit immer nur die Möglichkeit zu etwas bedeutet, dass erst andere Momente, besondere Motive hinzukommen müssen, damit daraus eine Wirklichkeit wird, die zu Erfahrungen führt. Unter den Philosophen sei allen Eduard v. Hartmann!) als Anhänger der Vererbung geistiger Eigenschaften angeführt. In der „Philosophie des Unbewussten“ (Bd. I, Abschnitt B, Kap. X) meint er, dass hinsichtlich des Großhirns die „von den Eltern er- worbene Kräftigung und materielle Vervollkommnung auf das Kind übertragbar“ sei (p. 350 l. c.). Zwar sei die Vererbung nicht in jedem Falle direkt nachweisbar, doch „als Durchschnitt von einer Generation auf die folgende genommen“ sei sie Tatsache. Wenn es wirklich sich so verhielte, wie Hartmann behauptet, dann muss man sich nur wundern, dass noch immer so viel Dummköpfe geboren werden. Denn nicht nur haben, wie schon hervorgehoben, geistig sehr bedeutende Eltern oft genug sehr unbedeutende Nach- kommen, sondern auch, was für die Fortbildung der Spezies Homo sapiens L. viel wichtiger ist, Eltern von mittlerem geistigem Durch- schnitt haben häufig genug ganz stupide Kinder und Enkel. Es ist ein Irrtum, wenn Hartmann behauptet, dass „jeder geistige Fortschritt eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des materiellen Organs des Intellekts“ (p. 331 1. c.) herbeiführe und dass diese durch Vererbung (im Durchschnitt) dauernder Besitz der Mensch- heit werde. Die Kinder der Gegenwart lernen das ABC und Ein- maleins noch genau so schwer wie ihre längst verstorbenen Ahnen. Was ihnen zugute kommt, ist dies, dass die geistigen Fortschritte, zu denen die Ahnen mühsam gelangt sind, ihnen durch die Tra- dition als bereits fester Besitz überliefert werden. Und so werden 1) E. v. Hartmann, Philosophie des Unbewussten. 10. Auflage. Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. 401 dereinst unsere Urenkel das schon in ihren Schulbüchern als Lern- stoff vorfinden, was wir heute Lebenden als große geistige Ent- deekung und Erfindung preisen. Um nur ein Beispiel zu geben. Die Entdeckung der Umdrehung der Erde um die Sonne war eine der gewaltigsten Geistestaten. Lange genug hat es gedauert, bis auch nur die ersten Geister der Nationen das Kopernikanische System anerkannten. Und heute lernt jeder Bauernjunge dieses System bereits aus seiner Schulfibel. Zeigt dies eine größere In- telligenz des heutigen Bauerngehirns an? Ernsthaft wird das wohl niemand behaupten wollen. Eine anthropologische Weiterentwickelung der Rasse, die parı passu mit der Vermehrung des geistigen Gütervorrates einhergeht, hat Hartmann wohl behauptet, aber einen Beweis dafür nicht einmal andeutungsweise erbracht. Unsere „Kultur“ ist noch viel zu jung, um bereits eine anatomische Umgestaltung unseres Ge- hirns bewirkt zu haben. Die anthropologische Weiterentwicke- lung der Menschheit ist lediglich eine Folge der seit dem Glacial beträchtlich veränderten äußeren Daseinsbedingungen, aber keine Wirkung unserer noch in den Windeln liegenden Kultur. Im 3. Bande seines philosophischen Hauptwerkes, der den Spezialtitel führt „das Unbewusste und der Darwinismus“, im Kapitel über „die Vererbung insbesondere des Charakters“ (p. 147 ff.) behauptet Hartmann die direkte Vererbung von Lastern, welche Väter erwarben, auf die Söhne. Schade nur, dass eine derartige direkte Vererbung erworbener geistiger Eigenschaften immer nur für die Laster behauptet und angeblich bewiesen wird, niemals für die Tugenden. Nun erwerben sicherlich die meisten Menschen die eine oder die andere Tugend; warum soll diese nicht vererbbar sein? Und wäre sie vererbbar, dann müssten wir bereits ein von Geburt an tugendhaftes Geschlecht sein. Wie weit ist aber die Kultur-Menschheit noch davon entfernt! Oder wäre die Vererbung erworbener Laster richtig: verwundern müsste man sich dann, dass die Menschheit nicht noch lasterhafter ist als dies jetzt schon der Fall. Die Richtigkeit der Hartmann’schen Behauptung würde, nebenbei bemerkt, die ganze Wert- und Sinnlosigkeit philosophischer Ethik erweisen. Im 8. Kapitel desselben Bandes, über „die Abkürzung der Ideenassoziation und die Vererbung der Denkformen“ behauptet Hartmann geradezu, wie schon die Überschrift lehrt, eine Ver- erbung der Denkformen. Immer wieder muss ich hierbei fragen: wo kommen, die Richtigkeit derartiger Behauptungen vorausge- setzt, alle die Dummköpfe her, an denen die Welt nicht gerade arm ist. Nur ein einziger der Autoren, deren Werke ich durchgesehen habe — zitiert wurde von mir nur eine verschwindend kleine Zahl — XXIV. 26 402 ARawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. leugnet die Vererbung geistiger Eigenschaften. Wallace!) macht mit voller Berechtigung darauf aufmerksam, dass die geistigen Eigenschaften der Menschen überhaupt nicht der Zuchtwahl unter- lägen. Was aber nicht der Zuchtwahl unterliegt, so fahre ich fort, ıst auch nicht Objekt der Vererbung, oder umgekehrt: was nicht vererbt wird, ist auch nicht der Zuchtwahl unterworfen. Das ist ohne weitere Beweisführung klar. I: Doch genug der Kritiken. Aus den vorstehenden Bemerkungen dürfte erhellen, dass nach meiner Ansicht die Verteidiger der Vererbbarkeit und Vererbung der geistigen Eigenschaften des Menschen den Fehler machen, die anatomische Grundlage nicht von der physiologischen Funktion bei ihren Annahmen zu trennen. Allerdings gleichen oft genug die Söhne den Vätern, die Töchter den Müttern, allgemeiner die Kinder den Eltern auch in geistiger Beziehung. Aber nur darum ist dies der Fall, weil die Erzeugten immer und allenthalben eine körper- liche Fortsetzung der Erzeuger sind. Und es ist im allgemeinen verständlich, dass bei gleicher oder ähnlicher körperlicher Grund- lage auch die Funktionen, welche an diese Grundlage untrennbar geknüpft sind, ein gleiches oder ähnliches Aussehen haben müssen. Es werden also nicht die geistigen „Eigenschaften“ vererbt, son- dern nur ihr anatomisches Substrat. Was soll man überhaupt unter „geistigen Eigenschaften“ ım besonderen, unter „Eigenschaften“ im allgemeinen verstehen? Als „Eigenschaften“ eines Tieres oder einer Pflanze betrachtet man — ich glaube hier von naturwissenschaftlicher Seite keinen Wider- spruch zu erfahren — stets deren Körperteile. Man klassifiziert die Tiere nur nach ihren Eigenschaften, d. h. nach ihrer körper- lichen Ausrüstung, ohne dass man dabei zunächst wenigstens an die Funktion der einzelnen „Eigenschaften“ denkt. Eine „Eigen- schaft“ ist also ein morphologischer, niemals, wenigstens nicht in erster Linie, ein physiologischer Charakter. „Geistige Eigenschaft“ ist daher eine Oontradietio in adjecto, ein sinnloser Ausdruck, wie wir deren allerdings Unmassen in der Biologie haben, weil die Begriffe nicht scharf genug umgrenzt sind. Ich behalte aber diesen Ausdruck in dieser Abhandlung bei, weil es mir darauf ankommt, zu zeigen, wie durch ihn eine ganz unhaltbare Auffassung zahl- reicher Naturerscheinungen herbeigeführt worden ist. Dass mit der Bezeichnung „Eigenschaft“ die körperliche Aus- rüstung der Tiere und Pflanzen gemeint ist, oder wenigstens ge- meint sein sollte, hat seine volle Berechtigung. Denn niemals 1) Wallace, Darwinismus, an Exposition of the Theorie natural of selection with some of its applications. London 1889. Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. 405 wird die Funktion vererbt, sondern immer nur das Organ als Substrat der Funktion, d. h. also: vererbt wird nur die Möglichkeit, dass eine Funktion sich ausbilden kann. Oder um es anders auszudrücken: Nur die Modalität ist Objekt der Ver- erbung, niemals sind es die Qualitätenkreiset). Nicht die Atmung wird vererbt, sondern die Lungen; und wird das Kind in ein irrespirables Medium hinein geboren (z. B. ins Wasser), dann kann trotz vorhandener anatomischer Grundlage die Funktion der Atmung sich nicht entfalten. Nicht der Kreislauf wird vererbt, sondern Herz und Blutgefäße. Allerdings ist die Kreislaufsfunktion bereits im Mutterleibe vorhanden; doch ist sie nicht selbständig, sondern in vollkommener Abhängigkeit von dem Zusammenhang der Frucht mit der Mutter. Nach der Geburt ändert sich die Kreislaufsfunktion, da sie selbständig wird. Weder jene unselb- ständige, noch diese selbständige Funktion werden als solche ver- erbt. Nicht die Geschlechtsfunktion wird vererbt, sondern die Ge- schlechtsorgane. Es müssen im tierischen Organismus beträchtliche Veränderungen eintreten, ehe Hoden und Eierstöcke ihre Funktion zu entfalten vermögen, und wenn pathologische Prozesse stattge- funden haben, dann ist eventuell die Funktion trotz der Anwesen- heit des Organs nicht zur Ausbildung gelangt. Nicht die geistige Eigenschaft wird vererbt, sondern Gehirn und Rückenmark. Und wenn das Leben außerhalb des Mutterleibes nicht so beschaffen ist, dass diese anatomischen Gebilde in normale Funktion treten können, dann ist weder Geist noch sogen. Seele vorhanden, mag der Neugeborene der Sprössling eines Idioten oder eines Genies sein. Wenn man sich nicht allgemein daran gewöhnt, scharf zu unterscheiden zwischen der Möglichkeit zu geistiger Betätigung, wie sie das Gehirn darbietet, und dieser Betätigung selber, dann wird auch nie eine Klarheit über das geistige Wesen der Menschen zu gewinnen sein. Dieses Wesen ist immer nur der Möglichkeit nach vorhanden; dass es zur Wirklichkeit wird, dafür hat die Um- gebung zu sorgen. Denn die geistige Betätigung ist ein Qualitätenkreis des Gehirns, weiter nichts. Selbst E. v. Hart- mann, der sonst stets alles, was nur irgendwie nach Materialismus schmeckt, mit Abscheu von sich stößt, spricht in seiner Philosophie des Unbewussten von „molekularen Hirnschwingungen“ als von der Grundlage geistigen Tuns. Körner!) sagt in seinem nied- 1) Die Ausdrücke „Modalität“ und „Qualitätenkreis“ gehören dem Sprach- schatze der Philosophen an und werden für die Sinne und deren Leistungen ver- wendet. Ich glaube aber, man kann auch diese Begriffe so allgemein biologisch gebrauchen, wie ich es getan. 1) Körner, Tierseele und Menschengeist. Ein Versuch zum Ausgleich der materialistischen und idealistischen Weltanschauung. Leipzig 1872. 26* 404 Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. lichen Werkchen „Tierseele und Menschengeist*: Leben ist Be- wegung, Denken ist auch Bewegung, die Geisteskräfte sind nur verschiedene Bewegungsarten. Das ist ein richtiger, monistischer Gedanke. An das Gehirn ist das Geistige (Denken etc.) als an seine anatomische Grundlage geknüpft; im Gehirn sind es die sogen. Ganglienzellen der Hirnrinde, welche wir als den Sitz dieser höheren Hirnfunktion zu betrachten haben. Zellfunktionen bestehen immer in Molekularbewegungen, die in der verschiedensten Weise denkbar und möglich sind. Was die Ganglienzelle vererben kann, ist die schnellere oder langsamere Beweglichkeit ihrer Moleküle; denn diese ist in ihrer Konstitution begründet. Was die Ganglienzelle unmöglich vererben kann, ist die Rhythmik der Molekularbewegungen. Diese wird erworben und ıst das Resultat der auf die Ganglienzelle wirkenden äußeren Kräfte, ı. e. des Milieu. Die Rhythmik der Molekularbewe- gungen aber erscheint als die geistige Leistung (Eigen- schaft) der einzelnen Menschen. Wenn, um noch diesen letzten eventuellen Einwand abzutun, trotzdem das Geistige als solches nicht vererbt wird, nicht vererbt werden kann, dennoch in wirtschaftlich gut ausgestatteten Kreisen mehr Begabung zu geistigem Tun vorhanden zu sein scheint, als in wirtschaftlich schlecht ausgestatteten, so spielt auch hier die Vererbung keine Rolle. Auch hier vielmehr ist das Milieu das veranlassende Moment. Unter den Tieren, die der Mensch seinem Haushalte einverleibt hat, ist die Variabilität eine viel größere, führt mindestens zu viel extremeren Resultaten als in der freien Natur. Denn die vom Menschen gesetzten gleichmäßigen und darum günstigen Daseinsbedingungen erhalten Formen lebensfähig — man denke an die Dachshunde —, die jenseits des menschlichen Ein- flusses existenzunfähig wären. Genau so wirken die wirtschaftlich günstigen Verhältnisse auf die Ausbildung der Hirnfunktionen ein. Im besseren Milieu werden selbst minimale Fähigkeiten gepflegt und können sich entfalten, während sie in ungünstigem Milieu un- bedingt verkümmern müssen. Mir scheint, die vorstehenden Betrachtungen zeigen, dass die Annahme einer Vererbung geistiger Errungenschaften oder, wie man unrichtig sagt, geistiger Eigenschaften total falsch ıst. Dass wirklich eine derartige Vererbung eine physiologische Unmöglich- keit ist, dass die Lebenseigenschaften der Ganglienzelle eine Ver- erbung direkt hindern, soll zur weiteren Stütze meiner Auffassung ım folgenden Abschnitt gezeigt werden. II. Büchner meint in seinem bereits zitierten Buche, dass die besonders große Neigung von Hirnerkrankungen zur Vererbung nicht Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. 405 auffallen könne, „da gerade die Gehirnmasse wegen ihres feinen Baues, ihres großen Blutreichtums und ihres labilen, Eindrücken und krankhaften Einwirkungen besonders leicht zugänglichen Zu- standes zur Aufnahme und Übertragung erblicher Störungen als besonders geeignet erscheinen muss“ (p. 9 1. e.). Eben dieses Blutreichtums wegen nähme das Gehirn Eindrücke leicht auf, so dass gefolgert werden müsse, dass die Vererbung auf geistigem Gebiet in noch viel ausgedehnterem Maße stattfände als auf körper- lichem. Diese Ansicht Büchner’s wird offenbar von vielen Ge- lehrten geteilt, sie ist aber grundfalsch. Mir ist es gänzlich unverständlich, wie ein so grober, elemen- tarer Irrtum, dass das Gehirn ein sehr blutreiches Organ sei, was Büchner u. a. behaupten, jemals aufkommen konnte. Eine ein- zige Sektion eines menschlichen Kadavers lehrt, dass nächst Knorpel und Lymphdrüsen das Gehirn dasjenige Gebilde ist, welches relativ am wenigsten Blut enthält. Denn vergleichen wir es mit Lungen, Leber, Nieren, Milz ete., so zeigt sich der Unterschied sofort. Von der Schnittfläche dieser Organe lässt sich das Blut in Menge aus- pressen, aber auf einem Durchschnitte durch das Gehirn erscheint kein flüssiges Blut. Man spricht schon, wenn man zahlreiche Blut- punkte auf der Schnittfläche erscheinen sieht, von einem unge- wöhnlichen Blutreichtum des Gehirns. Die graue Substanz ent- hält mehr Haargefäße als die weiße; das ist aber nur eine relative Differenz beider Substanzen, beweist jedoch keinen großen Blut- reichtum des Gehirns überhaupt. Dadurch ist das Gehirn ausge- zeichnet, dass durch die Komplikation seiner Kreislaufseinrichtungen lokale Stockungen und Störungen in der Blutverteilung vermieden werden, dass hier eine natürliche Ausgleichsvorrichtung von außer- ordentlich hoher Ausbildung vorhanden ist. Funktioniert diese unter pathologischen Bedingungen nicht genau, ist das eine Mal zu viel, das andere Mal zu wenig Blut im Gehirn, so entstehen daraus schwere Schädigungen. An und für sich aber ist, wie schon bemerkt, das Zentralnervensystem wenig blutreich. Es sind die Organsysteme, welche man als vegetative bezeichnen kann, viel blutreicher als die animalen, nämlich Zentralnerven- system, Sinnesorgane und Bewegungssystem. Und wenn man den Blutreichtum als die Grundlage für den Stoffumsatz bezw. Stoffwechsel der Organe betrachtet, so muss man sagen, dass die animalen Systeme, besonders die Sinnesorgane, den trägsten Stoff- wechsel besitzen. Es ist, so paradox dies klingen mag, als ob die Natur es geradezu vermieden hätte, die animalen Organe mit einem Stoffwechsel und Substanzverbrauch und -ersatz zu belasten. Das zeigt sich unter anderem auch darin, dass der Nerv nicht ermüdet. Jeder Zahnschmerz lehrt das; denn anstatt dass der Schmerz mit der Zeit geringer wird, nimmt er immer mehr zu, während z. B. 406 Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. das Muskelsystem bei gleicher Dauer der Anstrengung längst er- müdet wäre. Der Irrtum der bisherigen Auffassung ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass die graue Substanz des Zentralnervensystems, wie bereits hervorgehoben, sehr viel mehr Blutgefäße enthält als die weiße und dass das Gehirn dasjenige Organ ist, welches zuerst abstirbt. Was das schnelle Absterben des Gehirns anbelangt, so zeigt sich darin nur die große Abhängigkeit des Organs von der normalen Beschaffenheit seines Blutkreislaufs, nicht aber wird da- durch ein in ıhm stattfindender großer Stoffwechsel bewiesen. Unterbindet man die Arterie einer Niere und hebt man nach längerer oder kürzerer Zeit die Unterbindung auf, dann stellt sich bald der normale Kreislauf wieder her. Unterbindet man dagegen die zum Gehirn führenden Blutgefäße, so tritt sofortiger Tod des Organs und damit auch des Tieres ein. Im ersteren Falle bleibt die Funktion des durch Unterbindung aus dem Kreislaufe ausge- statteten Organs offenbar darum erhalten, weil in den Nierenzellen Reservestoffe sich finden, von denen sie bis zur Wiederherstellung des Kreislaufes leben können. Wenn beim Gehirn eine derartige Widerstandskraft gegen Kreislaufsstörungen nicht vorhanden ist, so weist das darauf hin, dass in den Ganglienzellen keine Reservestoffe vorkommen, welche die Lebensfähigkeit dieser Gebilde auch bei unterbrochener Blutzufuhr ermöglichen. Die Ganglienzelle häuft keine Reservefonds auf, sie lebt, sozusagen, von der Hand in den Mund. Wenn aber die Ganglienzelle keine Reservestoffe anhäuft, so folgt daraus, dass sie alles verbraucht, was ihr zugeführt wird. Sie ist von zahlreichen feinsten Blutgefäßen umgeben, sie bedarf einer großen Menge Nahrung, hat, wie ich mich ausdrücken möchte, einen beträchtlichen Sauerstoffhunger. Aber sie setzt die Stoffe, die ihr zugeführt werden, nicht in andere Stoffe um, sondern widmet sich ausschließlich ihrer spezifischen Funktion. Von dieser ist sie so in Anspruch genommen, dass sie zur Erwerbstätigkeit keine Zeit hat. Es erinnert dies Verhalten an die Erscheinungen, welche die samenbildenden Zellen des Hodens der Wirbeltiere zeigen. Wenn sie sich in die Samenfäden umzuwandeln beginnen, dann nımmt diese Funktion sie so in Anspruch, dass sie sich nicht mehr allein ernähren können, und darum lagern sie sich in die Fächer der Stützzellen (Sertolische Zellen) ein, von denen sie er- nährt werden. Der Sauerstoffhunger der Ganglienzelle ist ein sehr beträcht- licher, aber ein eigentlicher Stoffwechsel, d. h. eine Umwand- lung der zugeführten Stoffe in andere und ein Ersatz verbrauchter durch neue, findet nicht statt. Ja ich bin der Meinung, dass ohne die Annahme eines mangelnden Stoffwechsels in den Rawitz, Die Unmöglichkeit der Vererbg. geist. Eigenschaften beim Menschen. 407 Ganglienzellen die Tatsache des Gedächtnisses gar nicht zu er- klären ist. Unter Gedächtnis verstehe ich eine auf iden- tische Reize in immer identischer Weise wiederkehrende Rhythmik der Molekularbewegung in den Ganglienzellen. Nützte sich eine solche Zelle m molekularen Gruppen ab, fände also Stoffwechsel statt, so müssten die abgenützten oder verbrauchten Moleküle sich wieder ersetzen. Dann würde also eine Ganglien- zelle Moleküle besitzen, die auf die von ihr erworbene Rhythmik der Bewegung noch nicht eingeübt sind. Das Gedächtnis des Menschen müsste also dauernd Lücken zeigen, und zwar nicht bloß das Gedächtnis für psychische, sondern auch das für rein physische Tätigkeiten. Von solchen stets vorhandenen Lücken im Gedächt- nisse ist aber normalerweise nichts zu merken, und darum kann in den Ganglienzellen kein Stoffwechsel stattfinden. Erst mit den allgemeinen physischen Altersveränderungen lässt auch das Ge- dächtnis nach und bei alten Menschen finden wir in den Ganglien- zellen des Gehirns und des Rückenmarks Farbstoff-(Pigment-)An- häufungen. Also erst wenn die spezifische Tätigkeit der Ganglienzellen eine Einbuße erfährt, erst dann tritt in ihnen Stoffumsatz ein, der als Pigmentanhäufung sich zu erkennen gibt. Interessant ist es — es sei dies hier ge- wissermaßen parenthetisch bemerkt, — dass bei niedrig organisierten Tieren, d. h. bei solchen, die gar keine oder nur ganz minimale geitige Fähigkeiten besitzen, wie z. B. Muscheln und Schnecken die Zellen des Zentralnervensystems während des ganzen Lebens Pig- ment enthalten, während bei den geistig hochstehenden Tieren des- selben Typus, den Cephalopoden, dies nie der Fall ist. Die Vererbung ist geknüpft an die Geschlechtsprodukte, Samen und Ei, also an ein materielles Substrat. Wie soll nun die stofl- wechsellose Ganglienzelle — man vergleiche deren Biographie mit derjenigen einer Drüsenzelle — die Molekularstruktur von Samen und Ei beeinflussen! Wie soll die Ganglienzelle, die keinen Stoffumsatz hat, im stande sein, materielle Teilchen im Sinne der Darwin’schen Keimchen-Hypothese an die Geschlechtsorgane abzugeben! Oder wie soll sie die Molekülgruppen Nägeli’s, Weis- mann’s oder Haacke’s so umzulagern im stande sein, dass eine Vererbung ihrer erworbenen Rhythmik, ı. e. der geistigen Errungen- schaften möglich wird! Die Beziehungen zwischen Gehirn und übrigem Körper, ihre Korrelation, sind derartige, dass sich das Gehirn dabei, ich möchte sagen, wesentlich passiv verhält; natür- lich das Gehirn als Sitz der sogen. geistigen Eigenschaften. Das Wohl- oder Ubelbefinden des Körpers, d. h. das normale oder pathologische Funktionieren der einzelnen Organe beeinflusst in jeder Weise die geistige Tätigkeit — mens sana in corpore sano —; aber die erleichterte oder behinderte geistige Tätigkeit hat gar A408 Tarnowski, Das Weib als Verbrecherin. keinen Einfluss auf das gesamte körperliche Gedeihen. Man kann nicht sagen, eine rege und intensive geistige Tätigkeit hindere oder befördere das körperliche Wohlbefinden, die Ausbildung der rein physischen Leistungen des Organismus, oder umgekehrt: Stupidität und körperliches Gedeihen seien einander direkt proportional. Eine Vererbung geistiger Errungenschaften (Eigen- schaften) ist eine physiologische Unmöglichkeit; eine Vererbung von Anlagen, sogen. Fähigkeiten, ist lediglich eine Übertragung körperlicher Eigenschaften, d. h. der anatomischen Grundlage etwaiger funktioneller Betätigungen. Aber weil das so ist, weil nur die Möglichkeit zu geistigem Tun dem Menschen angeboren ist, so muss durch vernünftige Erziehung und ausgiebigen Unterricht dafür gesorgt werden, dass diese Möglıich- keit auch zur Wirklichkeit werden kann. Berlin, Ende Januar 1904. P. N. Tarnowski, Das Weib als Verbrecherin. Eine anthropologische Untersuchung. VII+ 512 Seiten in Groß 8°, mit 163 Figuren und 8 anthropometrischen Tabellen. St. Petersburg 1902. Im Rahmen einer kleinen Tabelle, kaum von der Größe eines Oktavblattes, gruppieren sich in dürren Zahlen die hauptsäch- lichsten „besonderen Merkmale“ der verbrecherischen Frau, der Mörderin, der Diebin, und ihnen gegenüber stehen entsprechende Zahlenkolonnen als Ausdruck von Befunden, die an nicht ver- brecherischen, ehrbaren Frauen, dann aber an dem besonderen sozialen Typus der Prostituierten gewonnen wurden. Sıeht man näher zu und mustert man mit kritischem Auge das Zahlenergebnis, so wird man hin und wieder vielleicht tiefergehende Unterschiede bemerken, und da es sich um Durchschnittswerte, gewonnen aus vielen Messungen und Einzelbeobachtungen handelt, steigert sich unser Interesse für den inhaltsschweren Befund und für jene tiefe Tragik, die in ihm zum Ausdrucke kommt. Der Blick fühlt sich un- willkürlich hingezogen zu den begrifflichen Gruppierungen und Ab- grenzungen, die am Kopf der Tabelle den Zahlenreihen gegenüber- stehen. Es zeigt sich unschwer, dass die ehrbare Frau durchschnittlich einen größeren Kopf trägt, als die Diebin, die Mörderin, die Pro- stituierte. An Körpermasse und Gewicht dagegen überragt das verbrecherische Weib ihre ehrbaren Schwestern. Es ist offenbar zum Teil wenigstens die geringe Kopfentwickelung, die auf die Bahn des Verbrechens führt, während gleichzeitig das Fettpolster sich breitet und die groben Körperbestandteile, die Muskeln, die Knochen stärker als die edleren Nervengebiete sich entfalten. Zahlen reden nun gewiss eine deutliche Sprache, die freilich dem Unkundigen zusammengesetzt, ja unbegreiflich erscheinen mag. Seite 445 des vorliegenden Werkes bringt eine Zahlentabelle mit der Aufschrift: „Anomalien“. Eine Rubrik der Zusammenstellung Tarnowski, Das Weib als Verbrecherin. 409 enthält den Befund an 160 Verbrecherinnen, daneben eine zweite das Beobachtungsergebnis von 150 ehrbaren (d. h. nicht vorbe- straften bezw. unbescholtenen) Frauen. In beiden Fällen handelt es sich um russische Bäuerinnen. Man erkennt schon auf den ersten Blick: Bei den Verbrecherinnen gibt es sogen. Anomalıen oder, wie die Verfasserin sich ausdrückt: „physische Degenerations- zeichen“ bis zu zehnmal mehr als bei den unbescholtenen Frauen. Und was bei dieser Tabelle noch ganz besonders auffällt: als Prä- dilektionsstelle der „besonderen Merkmale“ des Verbrechertums erscheint das Kopfgebiet in seinem Gehirn- und Antlitzteil. Eine weitere Umschau zeigt uns auf S. 454 eine neue Zu- sammenstellung mit der Aufschrift: „Die wichtigsten Unterschiede zwischen Verbrecherinnen und Nichtverbrecherinnen.* Nur finden wir die uns schon von früher bekannten Formvarietäten, die als kriminell-anthropologisch hingestellt werden, daneben jedoch an- dere Stigmata des verbrecherischen Menschen, die aus alterierter Funktion der Organe, insbesondere der Sinneswerkzeuge, sich her- leiten. In volles Licht tritt der mächtige Einfluss des Geschlechts- lebens auf das Hervortreten der verbrecherischen Natur im Weibe. Doch erweist sich, wie ziffermäßig in der gleichen Tabelle fest- gestellt wird, auch der Faktor ungünstiger Erblichkeitsverhältnisse als bedeutungsvoll für moralische Gleichgewichtsstörungen und Ver- brechertum. Bei relativ schlecht entwickeltem Kopf und geringer Schädelkapazität, sagt resumierend die Verfasserin, findet sich die Verbrecherin nicht bloß behaftet mit zahlreichen anatomischen Degenerationszeichen — sogen. Anomalien oder, wie Verf. sie nennt, Dystrophien des Gesichtes, des übrigen Kopfes, der Ohren, der Zähne, nicht nur ausgezeichnet durch funktionelle Alterationen der Sinnesorgane, nicht nur belastet durch ungünstige erbliche Be- ziehungen, sondern noch in viel höherem Grade tritt ihre anthro- pologische Sonderstellung in psychischer und geschlechtlicher Hin- sicht in den Vordergrund. Hyperästhetisch und impulsiv, wenn nicht moralisch stumpf, ohne Bewusstsein des Bösen, mit abnormer perverser Geschlechtsfunktion, oder auch unmittelbar geistesgestört, erscheint die Verbrecherin in der Tat gewissermaßen als eine be- sondere Unterart oder zum mindesten als ein besonderer Typus der Rasse, bezw. als ein dystrophisches Produkt, als defekte Frucht einer in ihrer Lebensenergie geschwächten oder veränderten As- zendenz. Ihrerseits erscheint aber, darf man vielleicht hier bemerken, diese besondere „Unterart“ oder „Varietät“ zunächst doch nur als Frucht einer besonderen Gedankenrichtung und einer besonderen Forschungsrichtung, die in ihrer ursprünglichsten und extremsten Fassung den Inhalt der sogen. Kriminalanthropologie bezeichnet, eines Forschungsgebietes, das freilich jetzt schon bedeutungsvolle Ergebnisse in Aussicht stellt, ohne bei den Anatomen zu allge- meiner Anerkennung sich durchgerungen zu haben (vgl. beispiels- weise Biologisches Uentralblatt 1896: Die Lehre Lombrosos und ihre anatomischen Grundlagen im Lichte moderner Forschung, von 410 Tarnowski, Das Weib als Verbrecherin. Prof. Dr. Zernoff, wo auf das Verhalten des Gehirns besonderer Nachdruck gelegt wird; vgl. die Replik Lombrosos im gleichen Jahrgange dieser Zeitschrift). In Hinsicht der anatomischen Stigmata des huomo delinquente wird man nicht umhin können, zu bemerken, dass die vorhandenen Statistiken über sie im allge- meinen nicht unanfechtbar erscheinen. Liegt ein Merkmal in ex- tremer Ausprägung vor, dann freilich hat sein Nachweis in geeig- neten Fällen keinerlei Schwierigkeiten. Nun wissen wir aber, dass gerade die auffallendsten Formverhältnisse, die extremen, oder, wie wir sie gern bezeichnen, die terminalen Varietäten verhält- nismäßig am seltensten hervortreten; es überwiegen vielmehr stets die mittleren mäßigen Grade jeglicher Formentwickelung an Zahl und Verbreitung, und hier ist es nicht jedermanns Sache, ohne weiteres zu sagen, wie es sich mit ihrer Abweichung von der sogen. Norm verhält. Es gibt zudem, wie jeder weiß, der irgendwo Formen beobachtet hat, in der Natur eine große Masse von Varie- täten, die zwischen Norm und Nichtnorm gewissermaßen an der Grenze liegen. Sie unterzubringen — und darauf kommt es doch bei den Statistiken praktisch hinaus — ist immer mehr oder weniger Sache des jeweiligen subjektiven Empfindens, denn ein eigentliches Urteil fällt hier fort. So z. B. wird eme ganz mäßig ausgesprochene fliehende Stirn oder ein geringer Grad von Prognathismus bei notorisch kriminellem Material leicht den „Anomalien“ zugewiesen werden, während bei sogen. „normalen“, nicht notorisch kriminellem Material die gleichen Merkmale, bei genau entsprechender Aus- prägung von dem nämlichen Beobachter gewöhnlich als Norm an- gesehen und nicht weiter beachtet würden. Das bekannte quod volumus videmus libenter bedingt eine schwer zu eliminierende, innerliche oder psychische Quelle von Beobachtungsfehlern. Zum mindesten mag ein Teil jener Differenzen zwischen Verbrechern und Nichtverbrechern, die in dem vorliegenden Werk und in an- deren ähnlichen kriminell-anthropologischen Untersuchungen zutage gefördert werden, in dem eben bezeichneten Sinne psychischen Ur- sprunges sein. Man lasse doch einmal zwei Schädelserien von jemand, der keine Kenntnisse von der Materialherkunft hat, ın Hinsicht auf ihre morphologischen Eigentümlichkeiten untersuchen, um gewissermaßen experimentell den Einfluss der Selbstsuggestion in derartigen Dingen zu beleuchten. Was nun speziell die somatischen sogen. Degenerationsmerk- male betrifft, so breiten ja neuere Ermittelungen, vor allem jene von P. Näcke, jetzt schon einiges Licht auf ihren eigentlichen Sinn und Bedeutung. Und doch ist es noch heute kaum möglich, ein abschließendes Urteil zu gewinnen. Selbst wenn man, um mit Verf. zu reden, kein „wütender Anatom“ ist, wird anzuerkennen sein, dass die uns hier gebotene Darstellung an einigen Unbestimmt- heiten und Unklarheiten leidet. So z. B. findet sich auf S. 139 bei Beschreibung der Kindsmörderin Ljubow Afanassjewa L. als „physisches Degenerationsmerkmal“, unter anderem auch „gewölbte Stirn“ aufgeführt. Starke Wölbung der Stirngegend ist aber nicht Tarnowski, Das Weib als Verbrecherin. 411 ohne weiteres ein Zeichen von Entartung zu nennen. Ebenso wer- den breite Kiefer als Degenerationserscheinung hervorgehoben, wie beispielsweise auf S. 339 zu lesen, und unmittelbar vorher, auf S. 338, werden sogar „dicke Lippen“ in dem gleichen Sinne auf- geführt. Das geht doch nicht. Man sieht, eine genaue Bekannt- schaft mit den normalen anatomischen Verhältnissen des mensch- lichen und tierischen Körpers würde den Kriminalanthropologen ihre Aufgaben wesentlich erleichtern. Es ließen sich dann un- schwer zahlreiche merkwürdige und missverständliche Irrtümer von vornherein vermeiden, so z. B. m Beziehung auf die Bedeutung der Form der oberen und unteren Schneidezähne (auf S. 139 lesen wir wahr und wahrhaftig, und zwar wieder in der Rubrik der un- seligen physischen Degenerationszeichen: „Zähne von ungleicher Größe: obere Schneidezähne groß, untere bedeutend kleiner;“ und doch ist gerade diese Anordnung der Schneidezähne, wie jeder Anfänger weiß, eine außerordentlich charakteristische Besonderheit des weiblichen Körpers überhaupt und des normalen Weibes ım besonderen). Auf S. 24 heißt es „Gaumenbeine“, und gemeint ist der harte Gaumen überhaupt. An einer anderen Stelle (S. 6) ist von „Dornenrand des Darmbeins“ die Rede, ein Ter- minus, mit dem nicht viel anzufangen ist. Schlimm steht es mit dem Latein: da haben wir eine Öurvatura frontale, dort einen Meatus externis oder ein Cranum und zahlreiche ähnliche „Druck- fehler“. Ja auf S. 15 wird der Zoologe von einem Ungeheuer über- rascht, das sich Strongulo nennt. Doch das nur beiläufig. Wichtiger ist die angewandte Dar- stellungsmethodik. Es war ein richtiger Gedanke, zunächst den Typus des „normalen“ russischen Weibes zu studieren, ehe zur Ermittelung kriminell-anthropologischer Merkmale geschritten wurde. Gewissermaßen zum Zwecke der Kontrolle dienten 150 normale Bäuerinnen großrussischen Stammes, die nun anthropologisch nach einem bestimmten Schema untersucht wurden. Für uns sind nun gerade diese letzteren Untersuchungen von besonderem Interesse, und man hätte, da sie zur Grundlage der Vergleichung dienen sollten, erwarten können, die Befunde an normalen Individuen den anderen Ermittelungen an sichtbarer Stelle vorangeschickt zu finden, damit der Leser, nach Kenntnisnahme der normalen Verhältnisse, sich über die etwaigen Besonderheiten des Verbrechertypus ein eigenes Urteil zu bilden vermöchte. Ganz anders geht Verf. ın der Darstellungsweise vor. Die ersten 100 Seiten sind einer recht langatmigen Einführung in die kriminell-anthropologischen „Metho- den“ gewidmet, und daran schließt sich unmittelbar eine sehr aus- führliche Beschreibung jeder einzelnen Verbrecherin, die untersucht wurde, nach biographischen, anatomischen, physiologischen und an- deren Gesichtspunkten. Auf S. 3 des Buches heißt es allerdings, die Messungen an normalen Bäuerinnen würden in einer besonderen Tabelle denen an Verbrecherinnen unmittelbar angereiht werden; allein das merkwürdigste an der Sache ist, dass tatsächlich wohl diese letzteren, nicht aber jene ersteren mitgeteilt werden; wenigstens 412 Fürst, Indextabellen. hat Ref. sich längere Zeit vergeblich bemüht, eine Zusammen- stellung der einzelnen Beobachtungsresultate an jenen 150 gesun- den Bäuerinnen, von denen Verf. redet, in dem Buche aufzufinden; und doch wäre es, wie schon angedeutet, sehr dankenswert und wichtig, gerade diese Ergebnisse kennen zu lernen und genau zu verfolgen. Kapitel XI bringt unter der Rubrik „Vergleichungen und Schlussfolgerungen“* auch Befunde an normalen großrussischen Bäuerinnen; jedoch handelt es sich hier nicht um Mitteilung der Einzelbeobachtungen, wie dies in höchst sorgfältiger und übermäßig eingehender Weise hinsichtlich der Verbrecherinnen durchgeführt wurde, sondern lediglich um das durchschnittliche Ergebnis der ganzen Summe von Beobachtungen und Messungen (S. 436); höchstens finden sich summarische Zusammenstellungen bestimmter Gruppen von gleichartigen Beobachtungen, wie z. B. über die ver- schiedenen Reihen des antero-posterioren Kopfdurchmessers (S. 431) oder der wichtigsten Kombinationen der Haar- und Augenfärbung (S. 438) u.s. w. Bei unserer großen Unwissenheit von dem anthro- pologischen Habitus der Slavin überhaupt und der Großrussin im besonderen wäre eine gesonderte Darstellung der entsprechenden Erhebungen, etwa in Form einer Einleitung, nicht nur von bedeu- tendem allgemeinen Interesse gewesen, sondern es hätte ihre Auf- führung auch die Bedeutung der übrigen Untersuchungsergebnisse, auf die es Verf. in erster Linie ankam, wesentlich gesteigert und sie jedenfalls in ein günstigeres Licht gerückt. Merkwürdigerweise spricht Verf., die sonst mit literarischen Belegen nicht geizt, nirgends von früheren anthropologischen Untersuchungen an ge- sunden Großrussinnen, gerade als ob solche Untersuchungen über- haupt nicht vorhanden wären. Und doch ist die Verf. sich der großen Schwierigkeiten wohl bewusst, mit denen nicht nur die Krıiminal- anthropologie, sondern die Anthropologie überhaupt zu rechnen hat, wenn es um Herbeischaffung des Urmaterials für einen so speziellen Fall, wie den hier vorliegenden, handelt. Ihr, der Frau gegenüber, fiel die sonst ängstlich beobachtete Zurückhaltung des einfachen Weibes aus dem Volke leicht hinweg. Im übrigen warnt die Verf., die wegen ihrer Untersuchungen an Prostituierten und Diebinnen eines wohlverdienten guten Rufes in der wissenschaftlichen Welt sich erfreut, alle Adepten moderner Kriminalanthropologie vor allzu voreiligen, nicht genügend durch Tatsachen begründeten Schlüssen, insbesondere auch mit Beziehung auf das sogen. Genie und seine psychologischen und psychiatrischen Grundlagen. R. Weinberg-Dorpat. [20] Carl M. Fürst, Indextabellen, zum anthropometrischen Gebrauche herausgegeben. XXIX Tabellen in Groß 4°. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1902. Bekanntlich sind die Welcker’schen Tabellen (Archiv für Anthropologie 1868) ausschließlich zum Ausschreiben der Schädel- bezw. Kopfindices berechnet und bestimmt. Ihr Umfang ist zudem, v. Lendenfeld, Die Nesseleinrichtungen der Aeoliden. 413 wie auch Ref. vielfach bemerkte, ein recht begrenzter; es sind nur die am häufigsten bei Schädelmessungen auftretenden Verhältnis- zahlen darin ausgerechnet. Die bekannten Broca-Bogdanow’schen Tabellen sollen zwar vollständiger sein, allein sie sind so schwer zugänglich, dass nur die wenigsten sie je benützen konnten; auch reichen sie für manche Zwecke, beispielweise wenn Armbreite auf Körpergröße bezogen werden soll, an Umfang nicht hin. Es ist also tatsächlich ein von allen praktisch arbeitenden Anthropologen und Anatomen längst empfundenes Bedürfnis, dem das Erscheinen des vorliegenden Werkes entspricht. Unter generöser Mitwirkung von Gustaf Retzius durch die kundige Hand C. M. Fürst’s, eines der Herausgeber der Anthropologia suecica (vgl. Biolog- isches Centralblatt XXIII. 18, S. 625), bearbeitet, erscheinen die „Indextabellen“ schon auf den ersten Blick, noch mehr aber bei näherer Prüfung in der Praxis, als außerordentlich sorg- fältig und zweckentsprechend zusammengestellt. Es handelt sich im Grunde nur um eine große Tabelle, die über Tafel 1—27 sich erstreckt (diese Teilung war natürlich nur wegen der räumlichen Verhältnisse notwendig), und daran schließt sich eine kleinere Ta- belle (Tafel 28 und 29), in der auch halbe Divisoren Berücksich- tigung finden. Als besonders praktisch ist hervorzuheben, dass links über jeder Tabelle mit einem Blick der Umfang der darin vorkommenden Zahlenreihe übersehen werden kann, was natürlich die Orientierung außerordentlich erleichtert und die Arbeit wesent- lich fördert. Ref. weiß den Wert dieser Tabellen sehr zu schätzen, nachdem er einmal bei mehr als 5000 Körpermessungen die In- dices für Klafterbreite, Nabelhöhe ete. mangels eines anderen Mittels mühsam auszurechnen in der Lage war. Die Fürst’schen Tabellen werden uns nunmehr viel Zeit und Verdruss ersparen. Es sei noch bemerkt, dass diese Tabellen, abgesehen von ihrer Genauigkeit (es ist uns trotz langen Suchens bisher nicht gelungen, einen Rechen- fehler herauszufinden) schon in rein typographischer Beziehung eine nicht gewöhnliche Leistung darstellen. Das wird jeder zu- geben, der mit den technischen Schwierigkeiten des Druckes der- artiger Zahlenwerke nur einigermaßen bekannt ist. Der deutliche schöne Druck wird bei länger anhaltender Arbeit als eine wahre Wohltat empfunden. Auch die sonstige Ausstattung ist als muster- giltig zu bezeichnen, nicht zuletzt das gute feste Papier, bei Ta- bellen, die immerfort benutzt werden, deshalb von Bedeutung, weil minderwertiges Material das Umblättern schon nach kurzer Zeit durch Lappigwerden und Ohrenbildung außerordentlich erschwert. Wer die Tafeln benützt, wird dem Herrn Herausgeber für seine unendliche Mühe und Sorgfalt bei der Abfassung des Werkes auf- richtig Dank wissen. Richard Weinberg-Dorpat. Die Nesseleinrichtungen der Aeoliden. Die mit Nesselkapseln gefüllten Bläschen, welche in den Körper- anhängen vieler Aeoliden vorkommen, sind neuerlich von Gros- 414 v. Lendenfeld, Die Nesseleinrichtungen der Aeoliden. venor!) bearbeitet worden. Durch diese Untersuchung hat die Frage nach der Herkunft der in jenen Organen befindlichen Nessel- kapseln wohl ihre endgültige Entscheidung gefunden. Die Aeoliden tragen auf allen oder einzelnen Teilen des Rückens und der Seiten weiche und bewegliche, einfach kegelförmige oder unregelmäßigere Anhänge. Diese sind oft auffallender gefärbt als der Körper selbst. Wird eine mit Nesseleinrichtungen be- wehrte Aeolide beunruhigt, etwa ein größerer Körper in ihre Nähe gebracht, so werden jene Anhänge verlängert, dem sich nähernden Gegenstande entgegengestreckt und oft auch lebhaft bewegt. Ist dieser Gegenstand ein größeres Tier, welches der Schnecke nachstellt, so wird hierdurch seine Aufmerksamkeit auf jene Anhänge gelenkt und es so veranlasst, zunächst in diese hineinzubeißen. Die darin enthaltenen Nesselkapseln entladen sich dann in seinem Munde und veranlassen es — zunächst — von der Verfolgung dieser Schnecke und dann auch — in Zukunft — von der Verfolgung ihrer, nun- mehr als giftig erkannten Artsgenossen abzustehen: das ganze ist eine Schutz- und Trutzeinrichtung. Viele Aeoliden nähren sich von Cnidarien, namentlich Hydro- iden und Actinien. Wenn sie solche verzehren wollen, gießen sie bedeutende Mengen von Schleim darüber aus, was die Entladung der Nesselkapseln der Beute in ausgedehntem Maße zu verhindern scheint: die Nesselkapseln werden geschlossen mitverschluckt. Ab- gesehen von gewissen bei Actinien vorkommenden Formen der- selben, welche im Aeolidenmagen verschwinden, werden die Nessel- kapseln vom Darminhalte der Aeoliden nicht aufgelöst und man findet sie, unentladen und unversehrt, in großer Menge im Darm und in den dicht vor dem After gelegenen Faeces. Schon ältere Autoren haben darauf hingewiesen, dass Kanäle vom Darm aus in die Anhänge hineinführen und Herdmann hat an Schnittserien das Vorhandensein solcher Röhren sicher nachgewiesen. Diese Kanäle sind mit Flimmerepithel ausgekleidet und stellen eine Ver- bindung zwischen dem Darm und den mit Nesselkapseln erfüllten Bläschen in den Anhängen her. Die Bläschen selbst stehen durch eine Oeffnung mit der Außenwelt in Kommunikation. Grosvenor u. a. haben Nesselkapseln in den zu den Bläschen führenden Flimmerkanälen gesehen. Wie Strethill Wright schon vor nahezu 50 Jahren gezeigt hat, sind die in den Bläschen befindlichen Nesselkapseln sehr mannig- fach, auch bei derselben Aeolidenart nicht immer gleich gestaltet, stimmen aber ausnahmslos vollkommen mit jenen Nesselkapseln überein, die in den Cnidarien vorkommen, die diese Aeolidenart zu fressen pflegt. Setzt man einer Aeolide Polypen vor, die sie sonst gewöhnlich nicht frisst und nimmt sie dieselben, so findet man bald darauf auch Nesselkapseln in den Bläschen, welche sich vorher nicht in denselben befunden hatten und den Nesselkapseln, 1) G. H. Grosvenor. On the Nematocysts of Aeolids. In: Proc. R. Soc. London, Bd. 72, p. 462—486. v. Lendenfeld, Die Nesseleinrichtungen der Aeoliden. 415 der nun zur Nahrung dienenden Polypen gleichen. Mit Nessel- kapseln erfüllte Bläschen finden sich nur in den Anhängen jener Aeolidenarten, die sich von Cnidarien nähren, nicht aber in solchen die Bryozoen oder anderes Getier fressen. Diese Tatsachen lassen mit Sicherheit schließen, dass die Nesselkapseln in den Bläschen nichts anderes als die Nesselkapseln der gefressenen Cnidarier sind, die mit der Nahrung in den Darm und durch jene flimmernden Zweigkanäle aus diesen heraus und in die Bläschen hineimgelangen. Erstaunlich ist es, dass die Nesselkapseln der Hydroiden und Actinien sich nicht beim Gefressenwerden entladen. Um dies zu erklären, stellt Grosvenor eine zum Teil neue Erklärung ihres Entladungsmechanismus auf, welche unstreitig viel für sich hat. Zurückgreifend auf die Auffassung Iwanzoffs meint er, dass die Nesselkapseln eine stark hygroskopische Substanz enthalten, welche sich durch plötzliche Aufnahme von Wasser vergrößert und hierbei jenen Druck erzeugt, der den Faden hervorstößt. Gegen diese Auffassung habe ich seinerzeit eingewendet, dass man den Kapsel- inhalt färben könne und dass, wenn bei der Vitalfärbung Farbstoff ins Innere der geschlossenen, ruhenden, vom lebenden Gewebe um- gebenen Kapsel eindringen kann, auch wohl Wasser eindringen müsste, so dass es nie zur Ausbildung solcher Verhältnisse kommen könnte, wie sie die Iwanzoffssche Theorie voraussetzt. Dem- gegenüber meint Grosvenor, dass das Eindringen von Wasser in die Kapsel davon abhängt, wie viel darin gelöst ist: handelt es sich um eine konzentriertere Lösung, so dringt das Wasser nicht ein, enthält es aber nur wenig Stoffe gelöst, so dringt es ein und bewirkt Volumzunahme des Kapselinhalts und Explosion. Die Säfte des Tieres, welche die ruhende Kapsel umgeben, sind kon- zentriertere Lösungen, aus ihnen kann daher kein Wasser ins Innere der Kapsel hineindiffundieren, wird aber die Nesselkapsel ganz oder teilweise der schützenden Gewebehülle beraubt und tritt sie mit dem Seewasser, welches eine viel weniger konzentrierte Lö- sung ist, in unmittelbarem Kontakt, dann tritt Wasser ın dieselbe ein und ihr Faden wird hervorgestoßen. Der Darminhalt der Aeolide soll auch eine so konzentrierte Lösung sein, dass sie kein Wasser an die (verschluckten) Kapseln abzugeben vermag, so dass eine darin befindliche Nesselkapsel nicht losgehen kann. Ja Gros- venor hält es für möglich, dass durch die Konzentration dieser Lösung sogar eine Zurück-Einstülpung des bereits ausgestoßenen Fadens herbeigeführt werden könnte. Obwohl Grosvenor dies nicht sagt, so handelt es sich bei diesen Vorgängen — wenn sie wirklich von der Art sind, wie er sie sich vorstellt — um die Wirkungen osmotischer Druckunter- schiede. Ist der osmotische Druck der Substanz im Innern der Kapsel Oc, jener der Säfte des Gewebes, in dem die Kapsel sitzt Ög und jener des umgebenden Meerwassers Ow, so müsste, um die Kapsel im Gewebe geschlossen zu halten, Og> Oc sein. Die bei der Entwickelung der Nesselkapseln beobachtete nachträgliche 416 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Einstülpung des erst nach außen frei vorragend angelegten Fadens macht es wahrscheinlich, dass der anfangs isotonische Zustand während der Ausreifung der Nesselkapsel abgeändert wird und in der Tat in einen Zustand Og > Oec übergeht. Damit nun aber die Kapsel bei der Berührung mit dem Meerwasser zur Explosion ge- bracht werde, müsste Oc > Ow sein. Und zwar müsste, da die Explosion bekanntlich ungemein schnell und kräftig erfolgt, osmo- tische Strömungen aber langsam sind, der Unterschied zwischen Oc und Ow ein sehr bedeutender sein. Da nun, wie erwähnt, zu- mindest Og —= Oc, wahrscheinlich aber Og > Oc ist, so müsste der Unterschied zwischen Og und Ow, das ist der Unterschied zwischen dem osmotischen Druck der Körper-(Zell-)Säfte und dem umgebenden Meerwasser ebenso groß, wahrscheinlich noch größer sein. Es scheint mir aber nicht wahrscheinlich, dass dieser Unter- schied so groß sein könne, denn es müsste bei dem Fehlen jeder stärkeren Deckschicht und der Zartheit des ganzen Gewebes ein Druckunterschied, der noch größer als der ist, welcher die Nessel- kapsel zu plötzlicher Explosion veranlasst, doch wohl eine schwere Schädigung des Gewebes des Tieres herbeiführen. Wenn die osmotischen Druckverhältnisse wirklich so wären, wie sie nach der Grosvenor’schen Auffassung oben dargestellt wurden, so könnte wohl auch dem Schleim, den die Aeolide über den Cni- darier, den sie fressen will, ausgießt, ein so hoher osmotischer Druck innewohnen, dass durch ıhn die Entladung verhindert wird und er würde auch dadurch, dass er das Herantreten des Wassers an die Kapsel verhindert, jede Einwirkung des schwachen osmotischen Druckes des letzten verhindern. Andererseits könnte dieser Schleim aber auch eine narkotische Wirkung ausüben und so den Mecha- nismus lähmen, der sonst eine Entladung der Nesselkapsel herbei- führt. Wie dem auch sei, so ist doch auf jedem Fall durch die Grosvenor’sche Arbeit nicht nur ein befriedigender Aufschluss über die Nesselorgane der Aeoliden gegeben, sondern vielleicht auch eine Annäherung an eine richtige Erklärung der Entladungs- weise der Nesselzellen der Unidarier erzielt worden. [30] R. v. Lendenfeld (Prag). Die diesjährige Jahresversammlung des deutschen Vereins für öffent- liche Gesundheitspflege wird in den Tagen vom 14.—17. September zu Danzig stattfinden, unmittelbar vor der am 18. September beginnenden Ver- sammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Breslau. Folgende Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht genommen: 1. Die Ruhr und ihre Bekämpfung. — 2. Die Kältetechnik im Dienste der öffentlichen Gesundheitspflege. — 3. Die hygienischen Anforderungen an zentrale Heizanlagen. — 4. Die Ausbildung und Organisation des Krankenpflegepersonals. — 5. Städtische Kläranlagen und ihre Rückstände. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. RKiGoebel fund Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIV.Bd. 1. Juli 1904. N813. Inhalt: Tischler, Kurzer Bericht über die von Eriksson und mir ausgeführten Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes (Puccinia glumarum Erikss. et Henn.). — Petersen, Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. — Dawydoff, Die phagozytären Organe der Insekten und deren morphologische Bedeutung. — Nissl, Franz: Die Neuronenlehre und ihre Anhänger: Ein Beitrag zur Lösung des Problems der Beziehungen zwischen Nerven- zelle, Faser und Grau. — Ward J. Me: Neal u. Fred. G. Novy: Die Züchtung von patho- genen Flagellaten (Trypanosoma Lewisi und Tr. Brucei). Kurzer Bericht über die von Eriksson und mir ausgeführten Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes (Puccinia glumarum Erikss. et Henn.). (Nach der Publik. in K. Sv. Vet. Ak. Handl. Bd. 37, N. 6.) Von 6. Tischler. Mit den Anschauungen, die man im allgemeinen bisher betreffs des Auftretens der Rostepidemien im Sommer hatte, vermochte man eine befriedigende Lösung der ganzen Frage nicht zu geben, wie dies noch neuerdings z. B. Klebahn') in seiner zusammen- fassenden Behandlung der Biologie der Rostpilze eingesteht. Viel- fach sind nämlich sicher die Äcidiengenerationen ausgeschaltet, für manche Uredineen ebenso bestimmt, in gewissen Ländern zum wenigsten, nicht vorhanden, und die Keimkraft der Uredosporen hält normal — so z. B. in Schweden — nicht bis zum Juni oder Juli des nächsten Jahres vor. Man pflegt daher anzunehmen, dass in solchen Fällen eine Infektion der jungen Getreidepflanzen schon im Herbste vor sich ginge und dass der Pilz in ihnen vermöge 1) Klebahn. Die wirtswechselnden Rostpilze. Versuch einer Gesamtdar- stellung ihrer biologischen Verhältnisse. Berlin 1904, p. 67. XXIV. 27 418 Tischler, Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes. eines Mycels überwintere. Da dieses jedoch mit Sicherheit nicht konstatiert war (einzelne Ausnahmefälle abgerechnet, in denen aber dann auch das Absterben des Mycels während des Winters oder Frühlings gezeigt wurde), hatte Eriksson!) nur noch zwei Fälle als möglich hingestellt. Entweder könnten nämlich die aus den Teleutosporen auskeimenden Sporidien die jungen Keimpflanzen infizieren und der Pilz bliebe dann in einer bisher unbekannten Form verborgen, oder aber es sollte schon vom ersten Keime an eine innige Symbiose der Wirtspflanze und des Pilzes stattfinden. Aus unseren Untersuchungen, die für den Gelbrost des Weizens und der Gerste: Uredo glumarım ın Stockholm während der Jahre 1902 und 1903 angestellt wurden, geht zunächst mit Sicherheit hervor, dass, wie Eriksson dies auch bisher geglaubt hatte, Hyphen immer im Winter in den jungen Pflanzen fehlen. Trotz Durch- musterung von vielen Hundert Schnitten wurde in dem Material aus dem Winter 1902/03 nie ein Mycel hier gefunden. Dafür traten aber merkwürdige Zellen deutlich hervor, deren Plasmagehalt beträchtlich von dem der normalen Gramineen-Blätter abwich. Er war nämlich eigenartig schaumig und erfüllte das ganze Lumen der Zelle. Am ersten erinnerte es an die unter dem Namen „Pseudocommis“ beschriebenen Organismen, aber es war auch große Ähnlichkeit zu dem von Toumey?) studierten Dendrophagus glo- bosus in den „Crown-galls“ der Obstbäume vorhanden. Nun ist ja freilich dem erstgenannten der beiden Lebewesen von vielen Forschern die Existenz abgesprochen worden, besonders nachdem gezeigt war, dass ähnliche Erscheinungen, die mit dem Auftreten von Tannin-Kugeln verbunden waren, bei plötzlicher Abkühlung ete., als nekrotisches Zellprodukt entstehen könnten. Es dürfte aber, wie aus Brizi’s?) Forschung hervorgeht, dringend davor zu warnen sein, alle solche „Plasmodien“ ohne weiteres auf dieselbe Weise erklären zu wollen. Für unseren Fall tritt noch die Tatsache hinzu, dass bei den Gramineen, die während der letzten zehn Jahre sich am Orte als „rein“ erwiesen haben, z. B. Bromus inermis und Festuca arun- dinacea, genannte Bildungen stets fehlten. Wenn in den unter dem Namen „Pseudocommis“ beschriebenen Plasmodien ebenfalls bisher unbekannte Überwinterungs-Stadien 1) Eriksson. Sur l’origine et la propagation de la Rouille des Cereales par la semence. Annal. d. sc. nat. bot. 8. ser., t. XIV u. XV 1902. — Eriksson. The researches of Prof. H. Marshall Ward on the Brown rust on the Bromes and the Mycoplasm Hypothesis. Arkiv f. botanik Bd. I, 1903. 2) Toumey. An Inquiry into the cause and nature of crown-gall. Arizona Exper. Stat. 1900, Bull. 33. 3) Brizi. Ricerche sulla Brunissura o Annerimento delle foglie della Vite. N. Giorn bot. ital. Vol. 2. Firenze, 1895. Tischler, Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes. 419 gewisser Fadenpilze zu sehen wären, würde manches Rätsel sich lösen lassen, das z. Zt. als unlösbar erscheint. So war von Roze!) gefunden worden, dass ın Kartoffelknollen, die von dem bekannten Kartoffelpilz Phytophthora infestans befallen waren, ähnliche Gebilde auftraten und dass die Hyphen niemals den Winter überdauerten, wohl dagegen die Plasmodien. Im folgenden Jahre erwiesen sich dann wieder die betr. aus den Knollen hervorwachsenden Pflanzen von Phytophthora infiziert. Allerdings hatte Roze den Gedanken eines Zusammenhanges zwischen diesem „Myxomycet“ und dem Pılz noch nicht ausgesprochen. Es ist uns nun leider noch nicht gelungen, festzustellen, wie diese „Plasmodien“ in die jungen Blätter kommen, ob durch eine Sporidieninfektion oder in der anderen von Eriksson vorher be- zeichneten Möglichkeit?). Ebensowenig ist mit Sicherheit ein Übergang zu den interzellular verlaufenden Lebensstadien des Pilzes konstatiert. Aber bei der so großen theoretischen Wichtigkeit, die die ganze Frage besitzt, und bei Berücksichtigung der großen „Pseudocommis-Literatur“, die vielleicht wieder erneute Bedeutung gewinnen könnte, ferner weil irgend eine andere Lösung weder von uns noch von anderen z. Zt. wahrscheinlich gemacht werden kann, schließlich weil der wunderbare Gegensatz zwischen Uredineen mit „lokalisiertem“ und solchen mit „perennierendem* Mycel viel- leicht dadurch überbrückt wird, glauben wir nicht Bedenken tragen zu sollen, auf einen solchen Zusammenhang schon jetzt hinzuweisen. Wir bezeichneten das Stadium, in dem nach unserer Meinung das Plasmodium und Plasma der Gramineenzelle anscheinend friedlich vereinigt ist, nach einem schon früher von Eriksson gebildeten Wort als „MycoplasmaStadium“. Sind wir also für die eben behandelte Phase noch durchaus nicht zu befriedigenden Resultaten gelangt, so konnten wir um so lückenloser das weitere z. T. recht merkwürdige Wachsen des Pilzes verfolgen, von dem Zeitpunkt an, in dem er zwischen den Zellen zu erblicken ist. Sehr auffallend ist nun, dass Uredo glu- marum zunächst nicht Hyphen besitzt, wie sie gewöhnlich bei den Mycomyceten vorkommen, sondern querwandlose?®), wie sie die Phycomyceten haben. Außerdem sind sie so breit, dass sie die ganzen Interzellularräume meist ausfüllen, sich also den Wänden 1) Roze. Bull. de la Soc. Mycol. de France. Paris 1898. 2) Die Frage wird vielleicht durch die vor wenigen Monaten publizierte vor- läufige Mitteilung Brefeld’s betr. d. Infektion durch Ustilagineen berührt. (Nach- richten aus d. Klub der Landwirte zu Berlin. Vortrag vom 24. Nov. 1903.) 3) Schon Klebahn (Zeitschr. f. Pflanzenkrankheiten Bd. 10, 1900) hat in einer ganz kurzen Mitteiluug darauf hingewiesen. — Über Vorkommen „phycomy- cetenähnlicher‘ Hyphen bei Mycomyceten s. nur zwei Fälle bei Shibata. Pr. Jahrb. Bd. 37. 27% 420 Tischler, Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes. der angrenzenden Zellen dicht anschmiegen. Auf Längsschnitten erinnern sie demnach stellenweise oft stark an Plasmodien. Wir nennen dieses Primär-Stadium das „Protomycelium“. Anfangs existieren noch keine deutlich unterscheidbaren Kerne, nur einige stärker färbbare Körnchen treten aus dem Plasma her- vor, die etwas deutlicher sind als ähnliche Bildungen in den Plasmodien. Es erscheint uns nicht ausgeschlossen, dass vielleicht in gewisser Beziehung hier Analoges vorläge zu der „Chromidial- substanz“ der Zoologen. Die Körnchen wachsen aber bald zu den bekannten „typischen“ Pilzkernen heran, die mit einem hellen „Hof“ und einem dunkel- gefärbten Körper: „Uhromoblast“, „Nukleolus“, oder wie man ıhn sonst nennen mag, versehen sind. Jetzt etwa oder schon ein wenig früher beginnt auch das erste Einsenden der Haustorien in die Wirtszellen, anfangs durch einen dünnen, am Ende etwas verdickten Faden, mit einem in der Mitte liegenden stark färbbaren Körper, also wohl einem Kerne. Allmählich wachsen aber die Haustorien zu einem keulenförmigen Gebilde heran, das in Plasma und Kern sich genau so wie die intrazellular verlaufenden Hyphen färbt. Kurze Zeit darauf verlieren die Kerne in letzteren schon wieder ihre Größe und ihr Aussehen, sie werden sichtlich kleiner, der Hof verschwindet und es zeigen sich wieder nur stärker färbbare „Chromatinkörnchen“. Ziemlich gleichzeitig beginnen die ersten Scheidewände aufzutreten. Wir sahen mitunter Bilder, in denen diese Veränderungen hintereinander im Präparate zu beobachten waren. Der Unterschied in der Gestalt der Kerne vor und nach dem Auftreten der Wände ist so frappant, dass wir eine engere Be- ziehung zwischen beiden Erscheinungen annehmen müssen; es könnte etwa durch den Stoffverlust der Kerne indirekt das Material zum Bau der Querwände frei werden. In jede Zelle werden dabei mehrere Kerne eingeschlossen. So bildet sich ein typisches Mycomyceten-Mycel und durch weitere Teilungen auch bald ein „Pseudoparenchym“ heran, das abweichend von den sonstigen Modi nicht durch „Verflechtung“ von Hyphen zustande kommt, da letztere hier ja fast durchweg die ganze Breite der Interzellularräume einnehmen. Eine teilweise Verschlingung erfolgt nur an den Stellen, an denen es zur Hymenium- bildung und Sporenabsonderung kommt. Über dieses nun folgende Stadium liegen cytologische Untersuchungen ja schon mehrere vor, wir brauchten es daher nicht mehr in den Kreis unserer Betrach- tungen zu ziehen. Erwähnt mag nur vielleicht noch werden, was wir erst nach Abschluss des Manuskriptes bemerkten, dass der Unterschied, der sich zwischen den kleinen „Chromatinkörpern* der alten Hyphen und den großen der Sporen zeigt, auch für an- Tischler, Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes. 421 dere Pilzfamilien beobachtet ist, so jüngst von Ikeno!) für Taphrina beschrieben wurde ?). Das Gewebe der Wirtspflanze wird anfangs fast gar nicht be- schädigt; in den ersten Stadien des Protomycels bemerkten wir nur öfter schon eine beginnende „Hypertrophie“ des Kernes, her- vorgerufen wohl durch enzymatische Wirkungen seitens des Pilzes. Selbst wenn bald darauf die Haustorien in die Zellen dringen, findet man zunächst noch keine Zerstörung der letzteren. Die Nährstoffe werden offenbar dabei ganz langsam herausgezogen. Schließlich erfährt aber der Kern immer größere Veränderungen, wie sie schon vielfach für ähnliche Fälle angegeben wurden. Nur da, wo der Pilz zur Hymenium- und Sporenbildung schreitet, erfolgt eine gänzliche Zerstörung des Gewebes; die Chlorophyli- körner liegen anfangs noch peripherisch, werden dann jedoch von unregelmäßiger Gestalt und fließen zu einem dichten Ringe zu- sammen. Aus diesem wird weiterhin ein zentral gelegener Klumpen, und als letzten Rest der Zelle haben wir schließlich einzelne sich gleichmäßig dunkel färbende Körper, die wohl als Exkrete be- trachtet werden dürfen, die aber darum in letzter Linie von den Hyphen doch aufgebraucht werden. — Für alle Einzelheiten und eingehenden Literaturangaben wolle man die ausführliche Arbeit in den Verh. d. Schwed. Akad. d. Wissensch. heranziehen. — Nachträglicher Zusatz. Nachdem obige Zeilen bereits niedergeschrieben waren, hatte ich im hiesigen Institut durch die große Liebenswürdigkeit von Herrn Professor Vuillemin Gelegen- heit, einige sehr interessante Präparate und Zeichnungen von einer Chytridiacee (Oladochytrium pulposum), die Beta vulgaris befallen hatte, zu sehen). Bei dieser Pilzgruppe haben wir ja unzweifel- haft häufig eine intrazellulare Symbiose*) zwischen Pilz und Wirts- zelle; der Kern und auch das Plasma der letzteren werden eine Zeit lang durch ersteren in keiner Weise sichtbar alteriert. Man hat eine scheinbar innige Verschmelzung zwischen den beiden Plasmakörpern, wenn das Plasma des Gastes nackt und ohne eine feste Kontur ist. Analog wie bei dem ebenso unbestreitbaren Falle von Dendrophagus globosus Toumey können wir somit hier von einer Mycoplasma-Symbiose in der oben angegebenen Bedeu- tung sprechen, die durchaus sicher gestellt ist. 1) Ikeno. Die Sporenbildung von Taphrina-Arten. Flora Bd. 92, 1903. 2) Gleiches hat Herr Dr. Rene Maire nach dessen gütiger Mitteilung öfter bei Basidomyceten gefunden. 3) Eine vorläufige Mitteilung (leider ohne die sehr instruktiven Abbildungen) in Bull. de la Soc. de France t. 43, 13. XI. 1896. 4) S. besonders Vuillemin. Antibiose et Symbiose. Assoc. Frane. p. Vavan- cement d. sci. Congr. de Paris 1889. Seance du 14. VII. 19) Tischler, Untersuchungen über das vegetative Leben des Gelbrostes. +3x2 2) oO © Was mich nun bei dem von Vuillemin gezeigten Pilz so be- sonders interessierte, war — ganz abgesehen von der merkwürdigen Struktur des Plasmodiums, deren Besprechung nicht hierher ge- hört —, dass aus dem nackten Plasma gewisse fadenartige, hyphen- ähnliche Bildungen hervorgehen, die aber keine Zellulose-, sondern nur eine gallertige Membran besitzent), und die mit der Sporen- bildung in Beziehung stehen. Solche „Übergangsstadien“ sind in den Präparaten und Abbildungen von Herrn Professor Vuillemin in größerer Anzahl vorhanden. Außerdem ist besonders schön hier zu konstatieren, dass das Pilzplasma in der Zelle für unsere optischen Hilfsmittel nicht klar begrenzt erscheint. Ganz ähnlich müsste nach unserer Hypothese sich das Hervor- treten der Hyphen aus den Plasmodien bei Uredo glumarım ge- stalten. Freilich darf nicht vergessen werden, dass Oladochytrium ein „niedrig“ stehender Pilz ist, für den ohne weiteres Verallge- meinerungen für die „höheren“ Pilze unzulässig sind; darum scheint mir aber doch dieser kurze Hinweis für unser Thema nicht über- flüssig zu sein. . 2. Z. Nancy, Labor. d’hist. nat. med. März 1904. Inzwischen hat nun auch einer der Hauptgegner der Eriksson’- schen Theorie, Klebahn?), zugeben müssen, dass auch er unser „dickes“ Plasma intrazellular einmal gesehen habe, das in seiner Struktur mit dem Plasma der Hyphen durchaus übereinstimme; sogar die Kerne wären in beiden Fällen von gleicher Gestalt. Wenn Klebahn uns aber vorwirft, wir hätten keine Pilzkerne während der Mycoplasma-Symbiose verlangt, so möchte ich darauf erwidern, dass wir ausdrücklich betont haben, es sei oft schwer zu entscheiden, ob man Eiweißklümpchen oder organisierte Kerne sähe. Ebenso haben wir die Frage der Chromidialsubstanz ange- deutet, was Klebahn entgangen zu sein scheint. Die Bedeutung der Kernsubstanz für das Mycoplasma-Stadium ist also durchaus nicht vernachlässigt worden. Ferner weiß ich auch nicht, inwiefern Punkt 3 und 4 seiner auf p. 259 formulierten Sätze mit unseren Beobachtungen nicht übereinstimmen. Wir haben nirgends gesagt, dass die Plasmodien nur an Stellen sind, die keine Hyphen zeigen, vielmehr gleichfalls oft beide nebeneinander gesehen. Hätte Klebahn seine Funde schon vor 4 Jahren publiziert, wären wir vielleicht z. Zt. bereits mit der Frage nach der Plas- 1) S. Vuillemin. Comptes Rendus v. 26. IV. 1897. 2) H. Klebahn. Einige Bemerkungen über das Mycel des Gelbrostes und über die neueste Phase der Mycoplasma-Hypothese. Ber. d. D. bot. Ges. Bd. 22, p. 255—261, 1904. Petersen, Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. 423 modienbedeutung weiter gekommen. Weshalb soll dann das Plasma in den Zellen „abnorm“ oder ein „Kunstprodukt“ sein, das gleich aussehende interzellulare dagegen „richtig fixiert“ ? Auch die Begründung der Unterlassung, dass eine frühere Publi- kation bei Außenstehenden vielleicht hätte Schaden stiften können, halte ich nicht für sonderlich glücklich. Gibt Klebahn ja selbst zu, er hätte damals gedacht, so wie in seinem Präparat müsste das theoretisch von Eriksson geforderte Mycoplasma aussehen! Es wäre wohl richtiger gewesen, auch den anderen Fachgenossen diese eigenartige Erscheinung bis jetzt nicht vorenthalten zu haben. Heidelberg, Bot. Institut, 10. Juni 1904. Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. Von Direktor Wilhelm Petersen in Reval. ‘ Ein vorläufiger Bericht von mir, der unter dem Titel: „Ent- stehung der Arten durch physiologische Isolierung“ in dieser Zeit- schrift (XXII p. 468) im vorigen Jahr abgedruckt wurde, ist im Septemberheft (l. ec. p. 660) von Herrn Dr. K. Jordan vom Tring- Museum einer scharfen Kritik unterworfen worden. Diese Kritik enthält für mich den Vorwurf, dass ich bei ungenügender Benützung der einschlägigen Literatur den Lesern des Biologischen Central- blattes „ein unrichtiges Bild von dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnis“ in den behandelten Fragen gegeben habe. Indem ich auf eine Kontroverse persönlicher Natur gern Verzicht leiste, da eine solche erfahrungsgemäß leicht Gefahr läuft, unfruchtbar zu werden, kann ich doch nicht umhin, auf einige der von mir dort behandelten Fragen einzugehen, soweit sie allgemeiner Natur sind und die von mir gefundenen neuen Tatsachen vielleicht einen besseren Ausleger finden als mich. Meinem geehrten Herrn Kritiker will ich insofern manches zugute halten, als er sein vernichtendes Urteil gefällt hat, ohne meine damals noch nicht publizierte Arbeit gelesen zu haben, und ich hege sogar die Hoffnung, dass er meine Schlussfolgerungen nicht so rundweg „irisch“ finden wird, wenn er zuerst mein Material kennen gelernt hat. Vor allem glaube ich zur Erklärung eines hier vorliegenden Missverständnisses annehmen zu müssen, dass ich mir unter „Gene- rationsorganen“ und „Sexualapparat* etwas ganz anderes vorge- stellt habe, als mein Herr Kritiker, der diese Bezeichnungen mit „Kopulationsorganen“ identifiziert und von diesen Organen in seinen bis dahin publizierten Arbeiten auch nur einen Teil derselben be- rücksichtigt hatte. Die nach meiner Ansicht wesentlichsten Stücke des ganzen Apparates (so z. B. beim Weibchen die Bursa copu- latrix), deren interessante Formverschiedenheiten bei den Schmetter- lingen mich gerade zu meinen Schlussfolgerungen gebracht haben, sind von ihm überhaupt nicht untersucht worden. Die spärlichen Untersuchungen an den weiblichen Generationsorganen der Schmetter- 4924 Petersen, Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. linge, die außer meinen eigenen, 1900 veröffentlichten, vorlagen, waren mir wohl bekannt, als ich meinen Aufsatz im Januar 1905 in den Druck gab. Es gehört hierher außer den Jordan’schen Arbeiten auch eine, wie es scheint, von Herrn Jordan übersehene, früher erschienene und von ıhm nicht zitierte Abhandlung von Hofmann über die Butaliden. Freilich konnte ich die große Sphingiden-Arbeit Jordan’s, „in welcher von 67 Tafeln 8!/, den weiblichen Kopulationsorganen gewidmet sind“, damals ım Januar noch nicht zitieren, da sie erst im April desselben Jahres das Licht der Welt erblickte. Aber auch ein nachträgliches Studium dieses bedeutenden Werkes hat mir keine Veranlassung gegeben, irgend etwas von meinen Behauptungen zurücknehmen zu müssen, ebenso- wenig wie eine sorgfältige Durchsicht der mir vom Autor inzwischen freundlichst übersandten Publikationen über diesen Gegenstand Tatsachen hat entdecken können, die mit meinen Schlussfolgerungen im Widerspruch ständen. Ich hoffe in folgendem eine Erklärung‘ der hier entstandenen Missverständnisse geben zu können und den heftigen Angriff meines Gegners in minder kriegerische Bahnen zu lenken, so dass bei nüchterner Erwägung der Tatsachen und Argu- mente die rein wissenschaftliche Seite der Frage auch ihre Rech- nung finden könnte. Vor allem muss ich nun meine frühere Behauptung in vollem Umfange aufrecht erhalten, „dass jede Schmetterlingsart durch die Sexualorgane dermaßen wohl charakterisiert ist, dass man sie nach der Bildung dieser Organe mit Sicherheit erkennen kann“. Ich bin mir der Tragweite dieser Behauptung sehr wohl bewusst und habe (l. ec. p. 476) nur die Einschränkung gemacht, dass die durch rein geographische Isolierung entstandenen Arten eine Ausnahme machen können. Meine Behauptung gründet sich auf Untersuchungen, die ich ım Laufe der letzten 13 Jahre an fast allen europäischen und vielen exotischen Familien ausgeführt habe und zwar meist an frischen Exemplaren; Rhopaloceren, Noctuen und Spanner wurden nicht minder berücksichtigt, als Coleophoriden, Nepticuliden, Psychiden, Miceropterygiden und Hepialiden, so dass sich wohl eine Übersicht über den allgemeinen Charakter der Erscheinung gewinnen ließ. Ich muss unbedingt zugeben, dass mein Schluss ein reiner In- duktionsschluss ist: es liegt die Möglichkeit vor, dass Fälle ent- deckt werden, welche die Allgemeinheit der Erscheinung ein- schränken könnten. Dagegen kann ich im Augenblick nur anführen, dass solche Fälle meiner Erfahrung noch den höchsten Grad von Unwahrscheinlichkeit besitzen und auf ungenügender Untersuchung und Beobachtung beruhen dürften. Bei den Fällen wenigstens, wo die Unzulänglichkeit der Sexualorgane für die Unterscheidung gut getrennter Arten angenommen worden ist, habe ich eine nur unvollständige Untersuchung konstatieren können. Herr Jordan hat am Anfang seiner Untersuchungen, die sich „auf eine große Menge Arten aus verschiedenen Gruppen von Papilio und anderen Lepidopteren“* bezogen, an eine spezifische Petersen, Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. 425 Verschiedenheit der Sexualarmatur geglaubt, findet daher meine obige These nicht neu, doch ändere meine Bestätigung seiner früheren Ansicht nichts an der Tatsache, dass der Ausspruch in dieser Allgememheit nicht zutreffend sei. Es lasse sich zwar der bei weitem größere Teil der Lepidopteren-Arten (soll wohl heißen bisher untersuchten Arten?) an den Kopulationsorganen erkennen, aber es gebe auch viele Arten und Genera, welche in der Genital- armatur nicht voneinander zu unterscheiden seien. Die Divergenz unserer Ansichten dürfte sich wohl daraus erklären, dass Herrn Jordan ein unvollkommenes Tatsachenmaterial für die Beant- wortung dieser Fragen zur Verfügung stand; hätte er seine Unter- suchungen nicht auf die Kopulationsorgane oder einzelne Teile derselben beschränkt, sondern den Bau des ganzen Sexualapparates berücksichtigt, so würde er wahrscheinlich zu einem anderen Re- sultat gekommen und zu seiner ersten, nach eigenem Geständnis mangelhaft begründet gewesenen Ansicht zurückgekehrt sein. Bevor ich auf die Besprechung meiner Resultate und die Be- gründung meiner Ansicht übergehe, will ich die Schlussfolgerungen vorausgehen lassen, die der Autor der „Mechanical Selection“ als Resultat seiner eigenen umfangreichen Untersuchungen in kurzer und präziser Form selbst gibt: Die Unterschiede in den Kopulations- organen der nicht räumlich getrennten Spezies haben ihren Anfang in geographischer Variation genommen. Die geographische Variation seı die Grundlage der Speziesbildung und sie allein gebe uns für die gegenseitige Sterilität der Arten die Erklärung, nach welcher man seit Darwin vergeblich gesucht habe. Die örtliche Trennung allein ermögliche eine allmähliche Sonderentwickelung in morpho- logischer und physiologischer Hinsicht... Inwieweit diese Hypothese mit der alten Migrationstheorie Moritz Wagner’s und seiner Nachfolger Dixon und Gulick zusammenfällt oder von ihr abweicht, soll hier nicht weiter er- örtert werden. — Ich will nun zu zeigen versuchen, wie meine eigenen Unter- suchungen mich zu ganz anderen Resultaten geführt haben, trotz- dem unser Material in mancher Beziehung ein sehr ähnliches ist. Vorausschicken muss ich, dass ich in meiner Arbeit unter Generationsorganen oder Sexualapparat alle Organe verstehe, welche ın erster Linie der Fortpflanzung der Art dienen: 1. die Keimdrüsen mit ihren ausführenden Gängen und en Drüsen, die Kopulationsorg ane, die Organe, welche zum Zweck der Kopulation eine Zu- ae und Erkennung der Geschlechter zwischen Indi- viduen derselben Art ermöglichen oder begünstigen. Zu letzteren gehören als die bei weitem wichtigsten die Or- gane zur Pr oduktion eines spezifischen Duftes und die entsprechenden Perzeptionsorgane, die wir mit größter Wahrscheinlichkeit in den Fühlern und wohl auch an den Palpen zu suchen haben. Doch ist hier nicht ausgeschlossen, dass in diese Kategorie auch noch 426 Petersen, Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. Sinnesorgane anderer Art gehören. Es ist mir kürzlich gelungen, ein bis dahin zweifelhaftes Organ bei den tropischen Uraniden mit Sicherheit als ein wohlausgebildetes Gehörorgan zu erkennen und bei den Schmetterlingen eine weite Verbreitung derartiger Organe zu konstatieren, deren Funktion im Geschlechtsleben der betreffen- den Arten nicht ohne Bedeutung zu sein scheint. Ich ging bei meinen Untersuchungen von den inneren Sexual- organen aus, die bis dahin vergleichend nur in sehr dürftiger Weise untersucht worden waren und stieß hier bald auf Tatsachen, die mein höchstes Interesse erregten. Es zeigten sich bei Arten derselben Gattung an den im Innern des Abdomens liegenden Teilen des Sexualapparates konstante Verschiedenheiten im Bau dieser Organe, die mit Leichtigkeit eine Erkennung und Fest- stellung der verschiedenen Arten ermöglichte. Bald war es die Form und Länge der Hodenfollikel, der Vasa deferentia, der akzessorischen Drüsen beim Männchen, oder beim Weibchen die Art der Vereinigung der Eiröhren zu den Ovidukten und dieser zum Oviductus communis, die Form des Receptaculum seminis nebst Anhangsdrüsen, der Glandulae sebaceae und odoriferae, vor allem aber die geradezu abenteuerlichen Formverschiedenheiten der Bursa copulatrix, die eine ungeahnte Formenfülle erkennen ließen. Zugleich ließ sich bei Untersuchung von ganzen Reihen von Indi- viduen derselben Art eine nur geringe individuelle Variabilität und stets ein spezifisches Gepräge der betreffenden Organteile mit Sicherheit konstatieren. Von ganz besonderem Interesse erschien mir beispielsweise die Tatsache, dass das Pigment der Hodenkapsel bei ganz nahestehenden Arten ın den verschiedensten, lebhaftesten Farben auftrat, — konstant für jede Art (wie z. B. in der Gattung Argynnis), trotzdem dass manche dieser so verschiedenen Arten als Raupen auf derselben Futterpflanze leben. Hier konnte mit voller Sicherheit angenommen werden, dass die Verschiedenheiten an diesen im Innern des Körpers liegenden Organteilen unabhängig von äußeren Bedingungen der Anpassung waren. Diese Ver- schiedenheit der inneren Organe zeigte sich mir als eine allge- meine Erscheinung und selbst bei Neptieula, einer in bezug auf die Art- unterscheidung schwierigen Gattung, bei der der weibliche Fort- pflanzungsapparat durch die einfache Geschlechtsöffnung dem primi- tivsten Typus angehört, konnte ich schon 1893 schreiben, dass ich für die 50 mühsame Präparation stets durch den Reichtum der Formverschiedenheiten reich belohnt wurde. Einen Teil meiner Untersuchungen (ca. 500 Arten aus 256 Gattungen) habe ich später in einer im Januar 1899 der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg vorgelegten Arbeit (Beiträge zur Morphologie der Lepi- dopteren) publiziert. In dieser Abhandlung behandelte ich vor- wiegend die phylogenetische Seite der Frage, mir eine Fortsetzung der Arbeit vorbehaltend (l. c. p. 41). Trotzdem mein Unter. suchungsmaterial allmählich bedeutend angewachsen war, nahm ich mir bei der Wichtigkeit der hier vorliegenden Fragen und um vor übereilten Schlussfolgerungen sicher zu sein, Zeit und Mühe, Petersen, Uber indifferente Charaktere als Artmerkmale. 497 durch eine präzisere Fragestellung ın der Untersuchung eine Er- klärung für die höchst merkwürdigen oben erwähnten Tatsachen zu finden. Die große Verschiedenheit der äußeren Kopulations- organe bei nahe verwandten Arten war schon, wenigstens was den Apparat bei den Männchen betrifft, zur Genüge bekannt. Sie ist dermaßen in die Augen springend, dass sie mir von vornherein für phylogenetische Untersuchungen, die über den Begriff der Spezies oder Gattung hinausgingen, ein wenn auch nicht unbrauch- bares, so doch schwer zu handhabendes Material boten. Wohl aber schien es mir bemerkenswert, dass ich eine offenbare Korre- lation zwischen den Formverschiedenheiten an den inneren Gene- rationsorganen und dem Kopulationsapparat feststellen konnte. Ja diese Korrelation ging noch weiter und ließ sich auch an den Teilen verfolgen, die man gewöhnlich als sekundäre Geschlechts- organe bezeichnet, vor allem an den Duftapparaten und Fühlern. Dass die Generationsorgane bei nahe verwandten Arten sozusagen auf der ganzen Linie abänderten, von den Keimdrüsen und ausführenden Gängen nebst akzessori- schen Drüsen bis auf die Kopulationsorgane und von diesen bis auf die sekundären Geschlechtscharaktere, ließ die landläufige Deutung der Verschiedenheit des Kopulationsapparates bei nahen Verwandten als tren- nende Barriere gegen die Vermischung als nicht so ohne weiteres annehmbar erscheinen. Vor allem aber knüpfte sich an diese Verschiedenheit auf der ganzen Linie die naheliegende Frage, wo denn eigentlich bei der Divergenz zweier Formen, die etwa auf dem Wege waren, sich zu separaten Arten auszubilden, die Verschiedenheit der Generationsorgane ihren Anfang nahm: an der Peripherie, beim Kopulationsapparat, oder im Zentrum des Organismus in der Nähe der Keimdrüsen, — mit anderen Worten: riolete die korrelative Abänderung zentrifugal oder zentripetal ? Ließe sich bei dieser Fragestellung eine präzise Antwort finden, so wäre damit eventuell auch die Möglichkeit gefunden, ein nicht zu unterschätzendes Material für die Frage von der Entstehung der Arten zu gewinnen. Eine Antwort auf die so gestellte Frage, oder wenigstens Material zur Lösung derselben bringt meine Är- beit, die unter dem Titel: „Die Morphologie der Generationsorgane der Schmetterlinge und ihre Bedeutung für die Artbildung“ in den Memoiren der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg ab- gedruckt wird. In dieser Abhandlung habe ich zuerst die Frage untersucht, inwieweit wir berechtigt sind, ın der Verschiedenheit der Kopulationsorgane bei den einzelnen Arten ein mechanisches Hindernis für die Kopulation zu sehen. Ich bin nach sorgfältiger Prüfung der Sache zu dem Resultat gekommen, dass wir nur in einer verhältnismäßig geringen Zahl von Fällen bei nahestehenden Arten eine direkte mechanische Unmöglichkeit der Kopulation an- nehmen dürfen oder dazu gezwungen ‘sind. Obwohl solche Fälle zweifelsohne vorkommen, so liegen doch die anatomischen Verhält- nisse selten so klar, dass eine Hybridation nahe verwandter Arten ADS Petersen, Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. mechanisch unmöglich erscheint. Bedenken wir dabei noch, dass nicht nur nahe verwandte, sondern auch ganz heterogene Arten, wenn auch entschieden unter durchaus normalen Bedingungen zur Kopulation gelangen und dass diese Kopulation unter Umständen sogar zur Erzeugung von Bastardformen führt, so muss man wohl fragen, warum der vergebliche Versuch einer Kopulation zwischen verwandten Arten in der Natur so selten beobachtet wird. Wenn auch die verminderte Fruchtbarkeit der Art-Bastarde uns beweist, dass die Natur im allgemeinen diesen Weg nicht betritt, um neue Formen der Auslese zu übergeben, so ist damit noch nicht be- wiesen, dass die Verschiedenheiten im Bau der Kopulationsorgane im engeren Sinne die Bastardierung verhüten. In diesem Falle müsste der Versuch eimer anormalen Kopulation viel häufiger zur Beobachtung kommen. Der tiefere Grund für die Seltenheit der Erscheinung liegt eben in der jedem praktischen Entomologen schon längst bekannten Tatsache, dass jede Art ihren spezifischen Duft hat, und dieser im Geschlechtsleben nicht nur zu einer Zu- sammenführung und Erkennung der Artgenossen, sondern auch als auslösender Reiz beim Fortpflanzungsgeschäft dient. Bei einem gut funktionierenden Duft- und Perzeptionsapparat oder bei etwaigen anderen Erkennungszeichen der Artgenossen untereinander wurden somit die Verschiedenheiten in der Bildung der Kopulations- organe, soweit sie den Zweck haben sollten, einer Bastardierung vorzubeugen, sich als überflüssige Einrichtungen erweisen, die höchstens die Aufgabe hätten, da einzugreifen, wo die ersten und vornehmsten Hüter über die Reinerhaltung der Art versagten. Da uns nun die praktische Erfahrung lehrt, dass die Duftapparate mit einer geradezu erstaunliche Präzision ihrer Aufgabe gerecht werden, so müssen wir die funktionelle Bedeutung der Kopulationsarmatur als Mittel, die Bastardierung zu verhüten, nur mit dem größten Misstrauen in Rechnung bringen. Wir können uns daher nicht so ohne weiteres den Enthusiasten anschließen, die mit Dufour in der Verschiedenheit der Kopulationsorgane eine „garantie de la conservation des types“ sehen wollen. In diesem Misstrauen müssen wir noch mehr bestärkt werden, wenn wir sehen, dass auch minime Differenzen in einzelnen Teilen des Kopulationsapparates, Diffe- renzen, die schlechterdings nicht das geringste Hindernis für eine erfolgreiche Kopulation bei nahestehenden Arten abgeben können, in ihrer Konstanz ganz hervorragend zuverlässige Unterscheidungs- merkmale für diese Arten sind, während die übrigen Teile des Kopulationsapparates bisweilen vollständige Uebereinstimmung zeigen. Ich kann hier bei den so gut und sicher unterschiedenen Arten der Gattung Argynnis auf die geringfügigen Formverschieden- heiten des Uncus oder einzelner Teile der Valvae bei gewissen Arten der Gattung hinweisen, bei denen diese geringen Unterschiede sicher kein Hindernis für die Kopulation bilden und doch mit Sicherheit die Art zu erkennen gestatten. Somit bieten uns die Kopulationsorgane allein in ihrem verschiedenen Bau ein nur mit großer Vorsicht zu behandelndes Material, wenn wir an die Frage Petersen, Über indifferente Charaktere der Artmerkmale. 4929 von der Entstehung der Arten herantreten. Liegt doch außerdem der Gedanke sehr nahe, dass eine derartige, Arten separierende und dieselben auf der Höhe der Anpassung erhaltende Einrichtung eine durch Naturzüchtung nachträglich erworbene Errungenschaft sei, die etwa erworbene nützliche Eigenschaft rein weiter zu züchten im stande war. Diese Frage schien mir einer eingehenden Unter- suchung wert. Ich suchte nun, gewissermaßen auf dem Wege der Stichprobe, festzustellen, ob in den verschiedensten, meiner Unter- suchung zugänglichen Gruppen der Schmetterlinge die Bildung des männlichen und weiblichen Sexualapparates in jedem Falle eine Erkennung der Art nach den Merkmalen dieses Apparates gestatte oder nicht. Bei ca. 900 Arten aus den verschiedensten Gruppen, die ich untersuchte, bewährte sich das Kriterium auf das glän- zendste, bei einigen Formen, deren spezifischer Wert nicht zweifels- ohne feststand und bei einzelnen rein geographischen Formen ver- sagte es. Diese scheinbaren Ausnahmen, die übrigens, wie wir später sehen werden, auch eine genügende Erklärung finden können, bildeten kein Hindernis für den allgemeinen Schluss, dass die Formverschiedenheiten in den Generationsorganen der Schmetter- linge ein brauchbares Kriterium für die Unterscheidung der ein- zelnen Arten abgeben. Natürlich kann, genau genommen, dieser Schluss erst dann als völlig gesichert dastehen, wenn erst die Gesetzmäßigkeit der Erscheinung für alle bekannten Formen nachgewiesen würde. Für die weiter zu ziehenden Schlussfolgerungen genügt aber dieses Ma- terial einstweilen vollkommen. Ferner untersuchte ich in einzelnen Gattungen, wie z. B. Agrotis, Scoparia, Tephroclystia, Argynnis, Melitaea, " Coleophora, Ly- caena, Chrysophanes etc. eine möglichst große Anzahl von Arten, Varietäten und Aberationen und fand auch hier die allgemeine Regel bestätigt. Auf das Detail der Untersuchung will ich hier nicht eingehen, da diese Spezialuntersuchungen sukzessive dem Druck übergeben werden sollen. Nur möchte ich darauf hinweisen, dass ich in der Gattung Argynnis, von der ich alle paläar ktischen Arten habe untersuchen können, im Gegensatz zu den Erfahrungen Jordan’s an indo-malayischen "Papilioniden, an den Aberationen und (geographischen) Varietäten keine Abweichungen vom Typus der Stammart habe entdecken können. So ist es mir trotz sorg- fältiger Untersuchung nicht möglich, in der pales-Gruppe die Varie- täten generator, lapponica, arstlache, caucasica und sifanica von- einander und von der sogen. Stammform pales zu unterscheiden, ebensowenig rhea von eugenia und gong von eva, obgleich hier die Unterschiede in Größe, Färbung und Zeichnung recht bedeutende sind. — Als bemerkenswertes Resultat aller dieser Untersuchungen er- gab sich ferner die auffallende Tatsache, dass in vielen Fällen bei nahestehenden Arten die Unterschiede in den inneren Geschlechts- organen bedeutender waren, als die Verschiedenheiten im Bau der direkt bei der Kopulation beteiligten Halteapparate, und dass 430 Petersen, Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. wiederum häufig die Kopulationsorgane in manchen Gruppen sehr auffallende Verschiedenheiten im Bau aufweisen, wo die Elemente der Zeichnung auf den Flügeln oder die Beschaffenheit der übrigen Körperteile nur mit gr oßer Mühe eine sichere Unterscheidung der nahe verwandten Arten erlaubte. Hier schien sich mir ein brauch- bares Material für die Beantwortung der oben gestellten Frage darzubieten, ob die Veränderung in den Fortpflanzungsorganen zentrifugal oder zentripetal vor sich gegangen sei. Zugleich aber eröffnete sich mit der Beantwortung dieser Frage die Aussicht, eine befriedigende Erklärung für die Existenz der sogen. indiffe- renten Charaktere als Artmerkmale zu finden. Wenn es auch in vielen Fällen nicht leicht ıst, sich über den Wert oder die Wertlosigkeit irgend eines Merkmals mit voller Bestimmtheit eine Meinung zu bilden, so weiß doch jeder Lepi- dopterologe, dass gerade bei den Schmetterlingen in unzähligen Fällen prägnante, arttrennende Merkmale vorkommen, die auch nicht eine Spur eines Nützlichkeitswertes haben können, wobei diese indifferenten Merkmale die einzigen sind, nach welchen wir die betreffenden Arten trennen können. Nun könnte man vielleicht einwenden, dass es nicht sowohl jene geringfügigen Merkmale in der Zeichnung oder Färbung sind, von denen das Wohl und Wehe, die Erhaltung oder der Unter- gang der Art abhingen, sondern dass dies zufällige Begleiterschei- nungen der etwa in der Lebensweise aufgetretenen neuen Eigen- schaften einer F ormengruppe seien, die zu einer nutzenbringenden artlichen Trennung geführt haben. ‘Aber auch dieser Einwand lässt sich leicht an unzähligen Beispielen widerlegen, wo die physio- logisch streng geschiedenen Formengruppen auf denselben Flug- plätzen, zu derselben Zeit und unter den ähnlichsten Lebens- bedingungen leben. Somit müssen wir die Existenz indifferenter Artmerkmale (und zwar solcher, die einzig und allein die Unterscheidung nahe- stehender Arten gestatten) zugeben, für deren Entstehungen die natür- liche Zuehtwahl uns keine Erklär ung geben kann, da diese mit dem Nützlichkeitsmoment operiert, von einem Nutzen der betreffenden Charaktere aber weder im Augenblick die Rede sein kann, noch in früheren Perioden phyletischer Entwickelung je die Rede sein konnte. Um nun eine Erklärung für die Entstehung der indifferenten Art- merkmale zu finden, ver suchte ich es bei zahlreichen Artenkomplexen aus den verschiedensten Gattungen die Beziehungen zwischen diesen indifferenten Merkmalen und der Bildung der Generationsorgane festzustellen. Es ergab sich dabeı das höchst überraschende Re- sultat, dass Arten, die sich in ihrer äußeren Erscheinung so ähnlich sind, dass schon die Untersuchung des geübten Kenners dazu ge- hört, sie zu unterscheiden, nach ihrem Geschlechtsapparat, besonders aber nach den im Innern des Körpers liegen- den Teilen leicht zu unterscheiden sind, so leicht, dass oft ein Blick genügt, um die Art mit voller Sicherheit festzustellen. Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. 431 Meist genügt schon die Untersuchung der Kopulationsorgane, um die trennenden Artmerkmale zu finden, wo aber die äußeren Halte- organe uns bisweilen im Stich lassen, entscheiden die näher zu den Keimdrüsen gelegenen Teile des Sexualapparates die Frage der spezifischen Verschiedenheit mit Sicherheit. In steter Harmonie mit diesen artlich verschiedenen Bildungen stehen die Duftorgane, mögen dieselben nun als glandulae odoriferae oder als sogen. glan- dulae sebaceae im Innern des Abdomens liegen oder als beson- dere Bildungen an der Oberfläche des Körpers und der Flügel auftreten. Wenn wir aus der morphologischen Verschiedenheit dieser Duftorgane einen Schluss auf eine physiologisch spezialisierte Funktion machen, so müssen wir allerdings zugeben, dass ein direkter Beweis für die Verschiedenheit der physiologischen Funktion in den allermeisten Fällen bei unseren groben Unter- suchungsmethoden zur Zeit noch nicht zu erbringen ist. Um so sicherer zeigt uns aber indirekt die Erfahrung, dass eine solche vorliegt, die produzierten Duftstoffe sind spezifisch verschieden, denn ein Weibchen einer Art vermag durch diese Duftstoffe nur ein Männchen derselben Art anzulocken, aber nie das einer anderen nahestehenden Art. Ich wählte zur Untersuchung dieser Frage phylogenetisch Jüngere Gattungen, von denen einige wegen der Schwierigkeit der Artunterscheidung den Systematikern viel Mühe gemacht haben und noch machen, so z. B. Tephroclystia, Agrotis, Scoparia, Coleo- phora, unter den Noctuen die Zanclognatha-Gruppe und ähnliche. Von ganz besonderer Wichtigkeit waren nun die hier sich er- gebenden Tatsachen: erstens, dass bei nahestehenden Arten spe- zifische Unterschiede an Organen auftreten, die im Innern des Körpers liegen, zweitens, dass diese Verschiedenheiten, soweit wir mit höchster Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, weder durch Koa- daption noch als direkte Wirkung von außen wirkender Faktoren angesehen werden können, noch auch drittens diese Formverschiedenheiten der Art irgend welchen Nutzen bringen können. (Schluss folgt.) Die phagozytären Organe der Insekten und deren morphologische Bedeutung. Von €. Dawydoff. (Aus Zoolog. Laborat. d. Akad. d. Wissenschaften in St. Petersburg.) (Mit 7 Figuren.) Während dem letzten Dezennium haben A. Kowalewsky und seine Schüler bei mehreren Wirbellosen besondere Organe beschrieben, in welchen die in die Leibeshöhle gelangenden Bakterien, sowie verschiedene Stoffe, wie Tusche, Karmin und überhaupt un- lösbare Substanzen, akkumuliert und isoliert werden. 439 Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. Diese Organe, sehr verschieden in ihrer Lage und Gestalt, sind in histologischer Hinsicht sehr ähnlich beschaffen. Die wichtigsten histologischen Elemente dieser Organe sind die phagozytären Zellen. Die Organe können daher als phagozytäre Organe bezeichnet werden. Kowalewsky nannte solche Organe „Lymph- drüsen“* und deutete in dieser Weise auch „die Milz“, indem er vermutete, dass diese einen Herd für die Leukozytenbildung vor- stellt. Die Teilnahme der phagozytären Organe an der Bildung der Blutzellen ist höchstwahrscheinlich, bedarf aber noch weiterer Beweise; es ist daher empfehlenswert, einstweilen diese Organe lieber als phagozytäre Organe zu betrachten. Unter den Arthropoden besonders gut entwickelt sind die phagozytären Organe bei Skorpionen und Insekten. Diese letzteren allein sollen uns hier beschäftigen. In der Klasse der Insekten sind die phagozytären Organe einstweilen nur bei der Ordnung der Orthopteren bekamnt. In keiner der übrigen Ordnungen der Insekten sind die phago- zytären Organe entdeckt worden, trotz den fleißigen Untersuchungen von Kowalewsky, Metalnikoff, Cu¬ und meinen eigenen!). Die phagozytären Organe der Orthopteren sind in ihrer äußeren Erscheinung sehr variabel. Allgemein ist nur ihre stete Lagerung neben dem Herzen im Perikardialsinus. Bei sämtlichen Formen liegen diese Organe beiderseits vom Herzen, oberhalb des Perikardialseptums („Perikardialdiaphragma“). In histologischer Hinsicht haben wir es mit Partien eines retikulären oder adenoiden Gewebes zu tun, dessen Maschen mit Leukozyten vollgestopft er- scheinen. Zuweilen — wie z.B. bei @rylloides — haben die phago- zytären Organe eine Art von Wandung; meistens aber fehlt die- selbe. Die physiologische Bedeutung der phagozytären Organe wird aus ihrer Lage unweit von Östien des Herzens, d. h. an den Stellen der lebhaftesten Blutzirkulation, vollkommen klar. Das Blut, bevor es in den Herzraum gesaugt wird, wird von fremden Einschlüssen befreit, welch letztere durch die Phagozyten ver- schluckt und isoliert werden. Indem ich die phagozytären Organe bei verschiedenen Arthropoden vergleichend-anatomisch unter- suchte, stellte ich mir folgende Frage: in was für einer Beziehung zueinander stehen diese uterescanen Organe bei verschiedenen Orthopterengruppen; was für eine morphelosche Bedeutung haben sie; sind diese Organe nur konvergierte Bildungen, oder sind sie einander homolog. Um die Frage zu beantworten, ob die phagozytären Organe bei verschiedenen Orthopteren homologisiert werden können, ge- 1) Ich untersuchte in den Tropen ca. 80 Koleopteren- und Lepidopterenarten. Die Versuche ergaben negative Resultate. Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. 45) nügt es nicht, dieselben vergleichend-anatomisch und histologisch zu untersuchen, man sollte zweifellos auch deren Entwickelung verfolgen. Ich unternahm die Untersuchungen im dieser Richtung wäh- rend meines Aufenthaltes im Indo-australischen Archipel, wo ich mehrmals das Glück hatte, die Entwickelungsgeschichte der phago- zytären Organe von Grylloidea und Aecridoidea zu verfolgen, somit von zwei Gruppen, deren phagozytäre Organe sehr verschieden sind, sowohl nach ihrem Bau als nach ihrer Gestalt. Bekanntlich sind die phagozytären Organe der Grylle eme sehr komplizierte Bildung. Wir haben hier mit scharf ausgeprägten sackförmigen Organen, mit einer mehr oder minder gut ausge- sprochenen inneren Höhle, zu tun, welche in den vorderen Ab- dominalsegmenten paarweise beiderseits vom Herzen liegen. Das Herz steht mit diesen Säcken durch seine Ostien in Verbindung, indem die Herzwände so dicht an die Wände der Säcke anschließen, dass man oft die letzteren für die seitlichen Aussackungen der Herzwand halten könnte (Fig. 1). Bei den Vertretern der Acridoidae dagegen ist der Bau des phagozytären Organs ein ganz anderer (Fig.2). Wir haben hier zwei breite kompakte Zellplatten, die oberhalb des Perikardialseptums dem Abdomen entlang beiderseits vom Herzen hinziehen: Das Herz hat keine Verbindung mit den phagozytären Platten (wie das bei G@ryllus der Fall ist); es öffnet sich direkt in den Perikardialsinus. Das Studium der Entwickelung dieser Organe bei den Ver- tretern beider Gruppen zeigte, dass die beiden Typen, obwohl sehr verschieden bei ausgebildeten Insekten in sehr naher morphologischer Beziehung zueinander stehen. Sowohl bei Grylloidea als bei Aeri- doidea sind die phagozytären Organe postembryonalen Ursprungs. Auf sehr frühen Entwickelungsstadien der phagozytären Organe von Gryllus (@r. occipitalis? aus Java) erscheinen seitlich vom Herzen auf dem Perikardialseptum zwei Paare von kleinen Zell- komplexen. Diese Zellanhäufungen stellen lokale Anschwellungen oder Verdickungen des Perikardialseptums vor, wie dies sehr deut- lich auf Fig. 3 zu sehen ist, welche einen Teil eines Schnittes durch eine Grylluslarve im Bereich der Entstehung des ersten Paares der phagozytären Organe wiedergibt. Die kompakten Zellhaufen vergrößern sich allmählich, zuerst vollkommen identisch untereinander bleibend, sie nähern sich dem Herzen und verbinden sich schließlich mit. dessen Seitenwänden (Fig. 4). Auf dem Stadium, welches auf Fig. 4 wiedergegeben ist, sieht man schon die Sonderung der Anlage der phagozytären Or- gane vom Perikardialseptum. Die beschriebenen Zellanhäufungen bleiben selbst bei vollkommen ausgebildeten Stadien im innigsten Zusammenhang mit dem Perikardialseptum. XXIV. 28 454 Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. Auf einem folgenden Stadium haben wir bereits ein Bild, das auf Fig. 5 wiedergegeben ist. Das Herz öffnet sich beiderseits in die Anlagen der phagozytären Organe. Diese Verbindungsstellen Fig. 1. Ben 0zg.ph. Die phagozytären Organe eines Gryllus. Ein Querschnitt durch die Rückenpartie des Abdomens im Be- reich des ersten Paares der phagozytären Drüse. Zwei Tage nach der Karmininjektion. Photographie. Pes. — Perikardial- septum, H— Herz, org. ph. — phagozytäre Organe. Fig. 2. ale “ ee Ph. org. Pc las) Q ---- —I-e-i un AN S Ftgq. Die phagozytären Organe eines erwachsenen Aceidium. Ein Querschnitt durch das Herz. Zwei Tage nach der Tusch- injektion. Photographie. Pes. —= Perikardialseptum, Fig. — Fettgewebe, H. — Herz, Tr. = Tracheen, Ph.org. = phago- zytäre Platten. des Herzens mit den phagozytären Platten entsprechen den Ostien des Herzens. Auf diesem Stadium sieht man deutlich, wie zwischen den Zellen, welche dem Herzen anliegen, ein Schlitz erscheint. Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. 455 Das Gewebe wird immer lockerer, die Zellen weichen auseinander und auf darauffolgenden Stadien finden wir bereits eine gut aus- gesprochene Höhlung. Man soll also die Höhle, welche im phago- zytären Organe mancher Grylliden beobachtet wird, als eine Lakune betrachten, die innerhalb des das Organ bildenden Gewebes durch die lokale Delimination der Zellen entstanden ist. Die drei- eckige Gestalt der phagozytären Organe ist davon abhängig, dass diese Organe zwischen dreieckigen Flügelmuskeln sich entwickeln. Indem die phagozytären Platten den gesamten Zwischenraum zwischen diesen Dreiecken ausfüllen, nehmen sie natürlich die drei- eckige Gestalt an. Bei der Entwickelung der phagozytären Organe von Brachy- trypus ist kein großer Unterschied zu finden, im Vergleich zu dem, was ich für Gryllus bereits beschrieben habe, mit Ausnahme davon, dass Hand in Hand mit der Annäherung der Anlagen der phago- zytären Platten zum Herzen, vom letzteren zwei Aussackungen entgegen wachsen und schließlich durch einen Zellkomplex der Anlage des phagozytären Organs überwachsen werden und in diese sich öffnen. Die von mir beschriebenen „ergänzenden phagozytären Drüsen“ („les glandes phagocytaires complementaires*) von G@ymnogryllus') in morphologischer Hinsicht entsprechen dem Stadium, welches auf Fig. 4 abgebildet ist, mit Ausnahme des ersten Paares, dessen Entwickelung die höchste Stufe erreicht und auf folgendem Sta- dium verharrt (Fig. 5). Meine Beobachtungen über die Entwicke- lung der phagozytären Organe bei Grylloidea bestätigen vollständig die Resultate meiner histologischen Untersuchungen über diese Bildungen bei erwachsenen Formen dieser Ordnung. In einer meiner letzteren Arbeiten (loc. cit.) versuchte ich nachzuweisen, dass man die phagozytären Säcke bei @rylloidea nicht für Herztaschen ım Sinne A. Kowalewsky’s?) halten kann; vielmehr sind sie Bildungen, welche anfangs ganz unabhängig vom Herzen sind und erst später mit dessen Wänden in einige Verbindung treten. Wollen wir nun zur Entwickelung der phagozytären Organe bei Acridoidea übergehen. Die Differenzierung dieser Bildung hat ein bedeutendes Interesse vom morphologischen Standpunkt. Ihre Entwickelung gleicht auf den ersteren Stadien der Entwickelung desselben Organs bei Gryllen, so dass es überflüssig erscheint, be- sondere Zeichnungen beizugeben. Bei einer von mir untersuchter Form (eine Acridium-Art aus dem 1) ©. Dawydoff, Note sur les organes phagocytaires des quelques Gryllons tropicales. Zoolog. Anzeiger 1904. B. XXVI. 2) Nach A. Kowalewsky („Etudes experimentales sur les glandes Iym- phatiques des Invertebres“ Mel. Biol. Acad. Imp. d. Sciences St. Petersburg 1894), die phagozytären Organe der Gryllus sind „des vrais diverticules du coeur“. 28* 436 Dawydoif, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. Fig. 3 EZ Fzhz. a Ban 7” ; a; > ER % 2 Ph.org EN PS ei 0 NV res 7 u > ER N ER = Fa 77 En. ESEL 4 m - one: m Fig.4 ‚hz. 4‘ a H 12 — en BIETER a») Ga un Fig. 3, 4, 5u.6. Die Querschnitte durch den Rückenteil des Abdomens der javanischen @Gryllus-Larven. im Bereich der Bildung des phagotyzären Organs. h. = Herz, Pecs. — Peri- kardialseptum, Ph.org. = die Anlage der phagozytären Organe. Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u, deren morph, Bedeutung. 457 Aru-Arschipel) bemerkt man — bald nach dem Ausschlüpfen der Larve — auf dem Perikardialseptum vier Paare von Zellwulsten, welche symmetrisch beiderseits vom Herzen je ein Paar in jedem Abdominal- segment angebracht sind. Auf den Quer- und Sagittalschnitten kann man sich leicht überzeugen, dass wir es hier zuerst mit Verdickungen des Perikardialdiafragma zu tun haben. Auf erwähntem Stadium geht die Entwickelung des phago- zytären Apparates in gleicher Weise vor sich wie bei Gryllus. Später aber verändern sich die Verhältnisse. Die phagozytären Wülste verwachsen in eine einzige gemeinsame Platte, welche vom 5 RE TEE EEE III / Bu Erz N vr , R rt ir ” DE E74 PS a or Ein Querschnitt durch den Rückenteil des Abdomens des jüngeren Acceidium mit gut entwickelten phagozytären Piatten Perikardialseptum sich loslöst, mit ihm jedoch im innigen Zusammen- hang bleibend. Beim erwachsenen Insekt verschwinden alle Spuren von Me- tamerie im Bau des phagozytären Apparates. Die beiden Platten wachsen in die Breite aus und die vollkommen ausgebildeten Formen zeigen sogar die Spuren von Rückbildung, in Betracht der histo- logischen Sonderung des Organes, im Vergleich mit jüngeren Sta- dien, welche auf Fig. 7 abgebildet sind. (Diese Figur stellt die Photographie eines Querschnittes durch den Rückenteil des Ab- domens des jüngeren Acridium mit gut entwickelter, phagozytärer Platte dar.) 4539 Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. Auf einem Stadium, welches der Fig. 7 entspricht, funktioniert das phagozytäre Organ wohl bereits als solches. Nach der Injektion mit Bakterien erscheinen seine Zellen mit diesen vollgestopft und nach der Färbung nach Gramm fallen sie scharf ins Auge. Die Bildungsweise des phagozytären Organs bei europäischen Acridoideen ist augenscheinlich dieselbe. Kowalewsky') beschreibt mindestens bei Larven von Pachytylus und Acridium zwei Ver- dickungen des Perikardialseptums in ersten Abdominalsegmenten beiderseits vom Herzen. Diese Bildungen entsprechen denselben Anlagen des phagozytären Organs, welche ich schon oben für die Larven beschrieben habe. Indem ich nun die Resultate meiner Beobachtungen über die Entwickelung der phagozytären Organe bei Grylloidea und Aeri- doidea zusammenstelle, komme ich zum Schluss, dass dies die homo- logen Bildungen sind. Tatsächlich sind ihre Entstehung und die Bildungsweise die gleichen. In beiden Fällen sind die Organe meso- dermalen Ursprungs. Sie entwickeln sich aus den Elementen des Perikardialseptums, welches nach Untersuchungen R. Heymons?) „den dorsolateralen Abschnitten der somatischen Ursegmentwände seinen Ursprung verdankt“. Die Zusammenstellung des vergleichend-anatomischen Materials mit den embryologischen Tatsachen, welche bei Studium des Baues der phagozytären Organe in allen Gruppen der Orthopteren ge- wonnen sind, erlaubt die oben angeführten Schlussfolgerungen über- haupt auf alle phagozytären Bildungen bei den Geradflüglern auszu- dehnen. Als die primäre Ausgangsform der phagozytären Organe müssten wir — meines Erachtens — die phagozytären Drüsen einiger Man- tidae annehmen. Diese Geradflügler haben keine differenzierten phagozytären Organe; einige Formen aber, beispielsweise eine Rhom- bodera-Art von Inseln Aru (malayischen Archipel) weisen auf dem Perikardialseptum beiderseits vom Herzen (vis A vis den Herzostien) als konstante Bildungen die Ansammlungen des phagozytären Ge- webes auf, welche symmetrisch und metamerenweise angeordnet sind. Ich halte diesen Typus für einen primären aus dem Grunde, dass er besonders klar im der Ontogenie der phagozytären Organe bei Gryllodea und selbst Aeridioidea ausgeprägt ist. Nach dem- selben Typus sind auch die sogen. „ergänzenden phagozytären Drüsen“ bei G@ymnogrylhıs gebaut, welche also ein fixiertes frühes Entwickelungsstadium der für den Grylliden typischen phagozytären Sacke darstellen. 1) A. O. Kowalewsky loc. eit. 1894. 2) R. Heymons, Die Embryonalentwickelung von Dermapteren und ÖOr- thopteren unter besonderer Berücksichtigung der Keimblätterbildung. Jena 1895. Dawydoff, Die phagozytären Organe d. Insekten u. deren morph. Bedeutung. 439 Der metamere Bau der phagozytären Organe ist gut bei er- wachsenen Gryllodea ausgesprochen. Bei Gryllus haben wir zwei Paare von phagozytären dreieckigen Säcken, bei Brachytrypus Oo D oO ’ b b — drei Paare und bei Gryllotalpa — vıer Paare. Bei Acridoidea und Forficula hat das phagozytäre Organ in er- wachsenem Zustand das Aussehen kompakter Platten; für Aeridiidae jedoch ist es schon bewiesen worden, dass dies anfangs eine me- tamere Bildung ist. Höchst wahrscheinlich, dass bei der Unter- suchung der Entwickelung der phagozytären Platte von Forfieula gefunden wird, dass auch hier das Fehlen der Metamerie eine sekundäre Erscheinung ist. Es bleibt nun der Bau der phago- zytären Organe bei Locustiden zu erforschen. Die Mehrzahl der Zocustodea haben keine phagozytären Organe. Nach den Beobachtungen Metalnikow’s!) schließen wir, dass ihr phagozytäres Organ zwei unregelmäßige Leisten des phagozytären (rewebes vorstellt, welche an den Seiten des Herzens oberhalb der Perikardialdiafragma angebracht sind. Nach ihrem allgemeinen Bildungsplan erinnern sıe auffallend an die phagozytären Platten der Acrıidiiden und Dermapteren. In letzter Zeit ist es mir gelungen, auch bei Locustiden die wahren phagozytären Organe zu entdecken?). Sie sind nach dem Typus der phagozytären Organe der Grylliden gebaut. Bei einigen Vertretern der Familie Pheudophyllidae (Cleandrus) aus Java existieren drei Paare metamerer Drüsen ın Form von mit dem Herzen zusammenhängenden dreieckigen Säcken. Diese Ähn- lichkeit im Bau der phagozytären Organe bei Grylliden und Loku- stıiden hat für mich ein besonderes Interesse, da diese beiden Gruppen bekanntlich in nahen Verwandtschaftsbeziehungen zu- einander stehen. Auf dem Grund aller dargelegten Tatsachen komme ich zum Schluss, dass die phagozytären Organe aller Orthopteren homologe Bildungen sind. Was für eine morphologische Bedeutung haben die phago- zytären Organe der Insekten? Ist dies eine Bildung sui generis, oder sind es entsprechend umgestaltete und spezialisierte ander- weitige Organe und Gewebe? Den Bau der phagozytären Organe studierend, bemerkt man unwillkürlich innerhalb dieser das stete Vorhandensein des Fett- körpers. Zuweilen wird das gesamte Gewebe des Organes mit diesem gefüllt und ich hege keinen Zweifel daran, dass diese Teile 1) Metalnikow, Die Sekretionsorgane bei einigen Insekten. Bull. Acad. Scienes St. Petersbourg V. IV. 1896. (Russisch!) 2) ©. Dawydoff, L’appareil phagocytaire chez un Locustide de Java (Olean- drus niger Serv.) Zool. Anz. B. 27. 440 Nissl, Franz: Die Neuronenlehre und ihre Anhänger. des Fettkörpers sich innerhalb des phagozytären Organs (in situ) bilden. Dieser Umstand gibt mir Veranlassung, die Vermutung auszu- sprechen, dass die phagozytären Organe der Insekten wohl für um- gestaltete Partien des Fettkörpers zu halten sein könnten, welche entsprechend ihrer neuen Funktion sich in ihrer Struktur verän- dert haben. Der Fettkörper der Insekten offenbart im allgemeinen keine phagozytäre Funktion. Es ist aber möglich, dass diese Fähigkeit zur Phagozytose früher vorhanden war und das Verlieren dieser Eigenschaft eine sekundäre Erscheinung ist. Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass nach Beobachtungen Kowalewsky’s!) bei Arach- noidea das Fettgewebe eine scharf ausgesprochene phagozytäre Funktion hat. Bei sämtlichen Arachnoidea besteht das Fettgewebe des Cephalothorax aus adenoidem Bindegewebe, in dessen Schlingen die großen Zellen, die sogen. „cellules acıdes“ eingeschlossen sind. Diese Zellen entsprechen nach ihrer Gestalt und physiologischer Funktion den Perikardialzellen der Insekten. Zwischen diesen großen Zellen kommen in großer Anzahl kleinere leukozytähnliche Elemente vor, welche die Rolle der Phago- zyten spielen. Ganz ähnliche Beziehungen sind auch zwischen den Perikardial- und Phagozytärzellen in dem phagozytären Gewebe von einigen Lokustiden vorhanden (nach Kowalewsky?)). Die phagozytären Organe dieser letzteren erinnern sehr nach ihrem Bau an das für die Arachnoidea typische Fettgewebe, welches also auch als ein phagozytäres Organ erklärt werden kann. Im weiteren hoffe ich meine Gedanken noch mehr entwickeln zu können und bitte, den vorliegenden Aufsatz nur als eine vor- läufige Mitteilung anzusehen, in welcher ich mich begreiflicherweise kurz fassen musste. [45] St. Petersburg, Mai 1904. Nissl, Franz: Die Neuronenlehre und ihre Anhänger: Ein Beitrag zur Lösung des Problems der Beziehungen zwischen Nervenzelle, Faser und Grau. Jena, Gustav Fischer 1903. IV u. 478 Stn. mit 2 Tafeln von Dr. A. Bühler. Wie der Untertitel sagt, hat es sich Niss]l zur Aufgabe ge- macht, die Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Be- 1) A. O. Kowalewsky, Recherches sur les organes excreteurs chez les Arthropodes terrestres. Congr. Intern. Zool. Moscou 1692. 2) A. Kowalewsky, Untersuchungen über Lymphsystem der Insekten und Myriopoden (russisch!). Bull. Acad. Sciences St. Petersbourg 1895. Nissl, Franz: Die Neuronenlehre und ihre Anhänger. 441 standteilen des Nervengewebes: der Zelle, der Faser und dem „Grau“ der Zentralorgane einer Lösung entgegenzuführen. Wie wir aus früheren Publikationen desselben Verfassers wissen, befriedigt ihn die Lösung, welche die Neuronenlehre gibt, nicht mehr, er will etwas Neues an ihre Stelle setzen. Seine Ansichten begründet er ın dem vorliegenden, ausführlichen Buche. Er trägt darin, ohne vollständig sein zu wollen, eine Menge von Material zusammen, leider oft zum Nachteil einer klaren übersichtlichen Darstellung. Der Referent muss es sich versagen, auf alle Einzelheiten einzu- gehen; er muss sich begnügen, soweit dies möglich ist, eine Ueber- sicht im ganzen zu geben, und an einigen Stichproben den Cha- rakter des Werkes darzulegen. Als Bestandteile des nervösen Gewebes sind nach Nissl heute festgestellt: 1. Nervenzellen, die allseitig scharf begrenzt sind, und sowohl an den Spitzen der Dendriten wie am Ursprungshügel des Nervenfortsatzes blind endigen; 2. Neurofibrillen, die entweder selbständig auftreten oder in den Nervenzellen als Dendritenneuro- fibrillen, in den Nervenfasern mit Axoplasma und Mark zusammen als Nervenfortsatzneurofibrillen verlaufen; 3. den perizellulären sogen. @olgi'schen Netzen, die den Nervenzellkörper mit seinen Dendriten, ausgenommen die Stelle des Nervenabganges, dicht um- schließen; 4. dem nervösen Grau, dessen histologischer Aufbau „noch immer in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt ist“. Wie diese einzelnen Teile sich zu einem funktionierenden Ganzen zusammenfügen, darüber kann Nissl nur Hypothesen auf- stellen. Es ist ihm „gewissermaßen selbstverständlich, dass das nervöse Grau (und die Golgi’schen Netze) und die Neurofibrillen als Differenzierungsprodukte von nervösen Zellen aufgefasst werden“, sich aber von den letzteren als selbständige Gebilde emanzipiert haben. Das nervöse Grau, das einen wesentlichen Teil der grauen Substanz des Zentralnervensystems der Wirbeltiere ausmacht, denkt sich Nissl nach Analogie des „Elementargitters“ von Apäthy als Gitterwerk feinster Fibrillen. Das Grau spielt eine wichtige Rolle im Ablauf der Assoziationen, was nicht ausschließt, dass es in nicht scharf umschriebenen Bezirken unter dem Einfluss der Nervenzellen wenigstens in trophischer Beziehung steht. Aus dem Grau ent- wickeln sich Neurofibrillen, die sich in Gruppen meist zu Achsen- zylindern markhaltiger Nerven verbinden. Ein anderer Teil von Neurofibrillen geht hervor aus Nervenzellen, in deren Nervenfort- satz er übergeht. Diese Fibrillen treten gleich den Dendriten- neurofibrillen, die nicht in den Achsenzylinder übergehen (zum kleineren Teil) als Bündel an der Spitze von Dendriten aus der Zelle aus, oder sie lösen sich auf in die perizellulären Golgi’schen Netze. Diese letzteren stehen wieder in allseitigem kontimuierlichen Zusammenhang mit dem umgebenden nervösen Grau. Zur Begründung für diese Aufstellungen stützt sich Nissl ım wesentlichen auf drei Punkte: auf die Befunde von Apäthy, dass Neurofibrillen bei Wirbellosen anscheinend als selbständige Gebilde 449 Nissl, Franz: Die Neuronenlehre und ihre Anhänger. auftreten, mehrere Nervenzellen durchlaufen können und sich im „Elementargitter* auflösen; auf den Fundamentalversuch“ von Bethe, der bei Careinus maenas fand, dass an der zweiten An- tenne Reflexbewegungen ausgelöst werden konnten, nachdem der zugehörige Antennennerv von seinen Ganglienzellen operativ ge- trennt war; auf seinen eigenen Beweis von der Existenz eines be- sonderen nervösen Grau, im Zentralnervensystem der Wirbeltiere, das, ohne Bestandteil von Nervenzellen zu sein, spezifisch nervöse Eigenschaften hat. Es ist bekannt, dass die beiden ersten Punkte, wie dies auch Nissl tut, schon öfter als Argument gegen die Neuronenlehre ins Feld geführt worden sind und dass ebensooft ihre Beweiskraft in dieser Beziehung bestritten wurde. Für seine oben geschilderten Ansichten kann sie Nissl indessen höchstens in dem Sinne ver- werten, als auch er selbständig verlaufende Neurofibrillen annimmt. Uebrigens haben, wie Nissl selbst zugibt, die Befunde Apäthy’s in dieser Hinsicht noch keine Bestätigung erhalten, und speziell bei Wirbeltieren konnte Bethe trotz theoretischer Uebereinstim- mung mit Apäthy freie Neurofibrillen nicht finden. Diese Argu- mente genügen also nicht, um Nissl’s Anschauungen zu stützen. Noch schwächer ist die Beweiskraft seines eigenen Argumentes vom nervösen Grau; seinen „Beweis“ von der Existenz eines be- sonderen Gewebsbestandteiles im Zentralnervensystem, der weder Teil von Nervenzellen noch Achsenzylindern noch auch Stützgewebe, Bindegewebe oder Interzellulärsubstanz ist, kann ich nicht für ge- glückt ansehen, trotz seiner langen Ausführungen hierüber. Die Bedeutung der perizellulären Netze hat Nissl ebensowenig sicher- gestellt wie dies nach seiner Ansicht bisher von anderen Autoren geschehen ist. Den einzigen Beweis für ihre nervöse Natur, den er beibringen könnte, nämlich eine Beobachtung von Bethe über das Eingehen markloser Achsenzylinder in diese Netze, bestreitet Nissl selbst. Was diese von Bethe für marklose Achsenzylinder ausgegebenen Fäserchen sind, weiß er nicht anzugeben; „sicher wissen wir nur das eine, dass sie nicht Verlaufsabschnitte von marklosen Achsenzylindern sind.“ Man sollte meinen, eine solche Sicherheit könnte nur auf Tatsachen gegründet sein; Nissl aber stützt sie durch Worte, wie überhaupt sehr vieles in seiner Arbeit, und einem derartigen Verfahren kann ich den Wert eines „einwandfreien Beweises“ nicht zuerkennen. Mit seinen Worten stehen übrigens seine Bilder nicht in Einklang; denn in seinen Schemata zeichnet er marklose Verlaufsstrecken von Achsen- zylindern. Auf eine andere Eigentümlichkeit des Werkes sei gleich hier noch hingewiesen: Außer einigen objektiven Abbildungen, die in der Sache nichts beweisen, bringt es nur Schemata. Natürlich können solche nur anschaulich machen, wie der Autor sich die Dinge denkt. Es hat aber öfter den Anschein, als ob er mehr hineinlegen will, und von einem solchen Schema sagt er wörtlich: „Jedenfalls aber beweist das Neurofibrillenbündel a«—ß in Zelle A, Nissl, Franz: Die Neuronenlehre und ihre Anhänger. 443 unwiderleglich, dass Dendriten sowohl zellulipetal wie zellulifugal leiten.“ Mag es sich damit verhalten wie es wolle, durch Schemata kann kein Beweis erbracht werden. Der positive Teil des Werkes enthält also, wie Nissl selbst zu seinem eigenen Bedauern zugibt, weniges. In großer Ausführ- lichkeit ist dagegen der negative Teil gehalten, in dem er alle Argu- mente, auf welche sich die Neuronenlehre aufbaut, entkräften will. Denn das ist klar: ist die Anschauung Nissl’s vom Bau des zen- tralen Nervengewebes richtig, so muss jene Lehre falsch sein. Nach ihr besteht das spezifisch nervöse Gewebe aus den Nerven- zellen, die mit ihren Fortsätzen und Fibrillen die Einheiten sind, als deren Komplex sich das nervöse Gewebe darstellt. Da nach Nissl die Neurofibrillen, das Grau und die Golgi’schen Netze selbständige nervöse Elemente und nicht Teile von Zellen sind, erblickt er seine Hauptaufgabe darin, jene Lehre als eine den Fort- schritt in der Neurologie sch: idigende zu bekämpfen. Es geht weit über den Rahmen eines Referates hinaus, das umfangreiche Ma- terial, das er hierüber zusammengestellt hat, auch nur aufzuzählen, geschweige denn kritisch zu verarbeiten. Neben der reinen, von Waldeyer definierten Neuronenlehre und ihrer geschichtlichen Entwickelung schildert er eingehend die Modifikationen, welche diese Lehre durch Edinger, Hoche, Münzer erfahren hat, er beleuchtet die Stellungnahme von Semi Meyer, v. Lenhossek, van Gehuchten, . Kölliker, er bespricht ausführlich dje Ver- teidigung, die cn der Neuronenlehre hat angedeihen lassen. In seiner ablehnenden Kritik gegen alle diese Autoren ist viel Be- rechtigtes enthalten, was auch Anhänger der Neuronenlehre nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Jedenfalls geht daraus soviel her- vor, dass das "Studium der nervösen Zentralorgane noch sehr viel Arbeit verlangt, bevor wir in wichtigen Punkten zu objektiver Klarheit gelangen. Indessen geht Nissl zu oft dem Kern der Sache aus dem. Wege, er heftet seine Kritik an Kleinigkeiten und Nebensächliches, er "bekämpft bei den einzelnen Autoren mit großer Schärfe Flüchtigkeitsfehler und glaubt so den Grundgedanken wider- legt zu haben. Indem er sich so in Weitschweifigkeiten verliert und dabei wieder gerade auf sehr wichtige Punkte nicht eingeht, „da dieselben ohne eine ausführliche Darlegung der einschläg- igen Verhältnisse kaum richtig ver standen würden“, verliert seine Kritik bedeutend an Wert, ja sie wird allzuoft zur "nutzlosen Polemik. Seit den Beobachtungen von His an Spinalganglienzellen gilt in der Entwiekelungsgeschichte der Satz, dass die Nervenfortsätze dieser Zellen in ähnlicher Weise wie die Dendriten von deren Körpern auswachsen. Da für Nissl die Achsenzylinder nicht Be- standteile von Ganglienzellen sind, muss er die Richtigkeit dieser Ansicht bestreiten. Er tut dies, indem er nicht etwa die Ent- stehung der Achsenzylinder auf anderem Wege feststellt, auch nicht dadurch, dass er die Beobachtungen von His durch Tatsachen widerlegt. Es ist richtig, dass His die Entstehung von Neuro- 444 Nissl, Franz: Die Neuronenlehre und ihre Anhänger. fibrillen im Innern der Ganglienzellen und ihren embryonalen Achsenzylinderfortsätzen nicht beobachtet hat, weıl damals eine Darstellung echter nervöser Fibrillen technisch noch nicht gelungen war. Das ist aber kein Gr und, die Weiterentwickelung jener Zell- fortsätze von His zu echten Achsenzylindern, mit welchen sie in ihrem Verhalten zum Zellkörper völlig übereinstimmen, zu be- zweifeln. Das Verlangen von Nissl, es müsse für jeden einzelnen (der vielen Millionen) Achsenzylinder die Möglichkeit einer anderen Entstehung als aus Ganglienzellen durch direkte Beobachtung aus- geschlossen werden, ist übertrieben. Es genügt, wenn die ent- gegengesetzte Forderung erfüllt wird: es soll für einen ein- zigen Achsenzylinder nachgewiesen werden, dass er nicht aus einer Ganglienzelle sich entwickelt, und die doppelte Entstehung der Nervenfasern wäre erwiesen. Will Nissl diese Forderung er- füllen? Auch mit der inneren Struktur der Ganglienzellen beschäftigt sich Nissl. Wie schon gesagt, deutet er die feinen Netze an der Obertläche mancher Nervenzellen, die von einer Reihe von Autoren (wohl zuerst vom Referenten 1895 bei Eidechsen) erwähnt werden als spezifisch nervöse Elemente. Da R. y Cajal diese Netze (wie s. 7. auch der Ref.) als oberflächlichste Schicht des Spongioplasma auffasst, kann Nissl seine Auffassung von einem netzartigen Bau des Nervenzellenprotoplasma nicht gelten lassen. Tatsachen, die dieser Anschauung entgegenstehen, bringt er auch hier nicht vor, wenn er auch Cajal einige formelle Unrichtigkeiten nachweist. Er versteift sich wieder auf seine Färbemethode, deren Einseitig- keit ihn bekanntlich früher schon in seinen Ansichten über den Bau des Nervenzellplasma irregeleitet hat. Ich kann ihm hier um so weniger folgen, als ich selbst s. Zt. mehrfach gerade das mit basischen Farben sich nicht färbende Gerüstwerk ın der Nerven- zelle studiert habe, und bei dieser Gelegenheit auch die Färbungen von Nissl ausführlich berücksichtigte. Ich kann deshalb an dieser Stelle um so eher über die Polemik des Verfassers gegen Cajal hinweggehen, als dieselbe etwas Positives nicht zutage ge- fördert hat. Dass die mit der Golgi-Methode erhaltenen Bilder auch in ihrer Uebereinstimmung mit der Methylenblaufärbung keine Be- weiskraft für Niss| haben, ist selbstverständlich. Unter anderem erscheinen ihm die mit dieser Methode sichtbaren zahlreichen Kollateralen als höchst zweifelhaft. Er sagt darüber: „Da wir es als höchstwahrscheinlich!) bezeichnen dürfen, dass die Neuro- fibrillen während ıhres Verlaufes durch die Nervenfasern sich nicht teilen (warum nicht? Ref.) ist es ausgeschlossen, dass von den aus den Nervenzellen der menschlichen Rinde stammenden Achsen- zylindern eine größere Anzahl wohl entwickelter markhaltiger Kollateralen abgeht“. Also auch hier wieder ein „Wahrscheinlich- 1) Im Original nicht gesperrt. Me. Neal und Novy, Die Züchtung von pathogenen Flagellaten. 405 keitsbeweis“. Steht leider die Erklärung über das Zustandekommen der Golgi-Bilder noch aus, so ist doch an ihrer Realität nicht zu zweifeln, und wer ihre Richtigkeit bestreitet, hat das zu begründen; das ist durch Nissl nicht geschehen. Ich übergehe eine Anzahl Details, die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben, und resümiere zum Schluss: Niss!’s Buch hat das Verdienst, dass es auf eine Reihe von Fragen über den Bau des Nervengewebes aufmerksam macht, die noch der Auf- klärung dringend bedürfen; es weist hin auf Schwächen und Un- klarheiten in der Neuronenlehre und regt dadurch an zur Prüfung dieser Punkte. Seinen ausgesprochenen Zweck aber, die Neuronen- lehre aus der Welt zu schaffen, hat es nicht erreicht. Mag die Neuronenlehre berechtigt sein oder nicht, hierüber gibt dieses Werk Nissl’s keine Entscheidung: es widerlegt sie nicht durch Tatsachen, es setzt nichts Besseres, nichts wohlbegründet Positives an ihre Stelle. C. Bühler (Zürich). [46] Ward J. Mc. Neal u. Fred. G. Novy: Die Züchtung von pathogenen Flagellaten (Trypanosoma Lewisi und ir. Brucen). Contribut. to Medical Research, ded. to V. Cl Vaughan, Ann Arbor, Michigan 1903, p. 549ff. und Journ. of Infectious Diseases. Chicago, vol. I, Nr. 1, p. 1-30, Jan. 1904. Die beiden vorliegenden Mitteilungen werden in ihren Einzel- heiten besonders Bakteriologen interessieren, sie berichten aber über einen Erstlingserfolg, der auch bei den Lesern dieser Zeit- schrift Beachtung verdient: zum erstenmal ist es gelungen, ein krankheitserregendes Protozoon in einwandfreien Reinkulturen ım Glase, und zwar ein Jahr lang, fortzuzüchten und mit solchen Rein- kulturen Tiere neu zu infizieren, so dass der strengste Beweis des ursächlichen Zusammenhangs des Erregers und der Krankheit ge- führt ist, wie es bisher nur bei Krankheiten, deren Erreger leicht züchtbare Bakterien sind, gelungen war. In zwei sehr dankenswerten einleitenden Abschnitten der ersten Arbeit berichten die Vf. über die Trypanosomen, eine Flagellaten- gattung, als Krankheitserreger und über die bisherigen Versuche der „Reinkultur* von Protozoen. Die Züchtung von freilebenden Protozoen ist im Laboratorium natürlich schon bei verschiedenen Arten gelungen, aber es handelte sich nie um Reinkulturen ım Sinne der Bakteriologen, sondern das Nährmedium enthielt immer neben den Protozoen vielerlei Bakterien, und diese scheinen als „feste Nahrung“ den betreffenden Protozoen unentbehrlich zu sein. Mit subtilen Kunstgriffen ist es nun gelungen, Amoeben zusammen mit einer einzigen, wohlbekannten Art von Bakterien, also in einer „reinen Mischkultur“ zu züchten, und einem eimzigen Autor auch, diese Amoeben auf abgetöteten Bakterienkulturen fortzuzüchten: 446 Me. Neal und Novy, Die Züchtung von pathogenen Flagellaten. aber hier fehlt der Beweis, dass es sich um eine wirklich patho- gene Amoebenart gehandelt hat. Dass Flagellaten als Blutparasiten bei Säugetieren vorkommen, ist zwar schon lange bekannt, aber der Beweis, dass sie wichtige, die Haustiere und sogar den Menschen befallende Seuchen erregen können, ist erst in den letzten Jahren geführt worden. Solche Seuchen kommen fast auschließlich in den Tropen und Subtropen vor, aber bisher ist nichts bekannt, was uns dıe Sicherheit geben könnte, dass sie nicht auch in unseren Breiten sich ausdehnen könnten. Die Vf. sind der Meinung, dass morphologische und epidemiologische Unterschiede die in verschiedenen Gebieten be- obachteten Krankheiten und ihre Erreger zu unterscheiden nötigen, bis nicht etwa der Identitätsbeweis ım einen oder anderen Fall geführt sei, und zählen daher nicht weniger als sechs gefährliche Seuchen auf, als deren Erreger Trypanosomen anzusehen sind. Surra, die in Indien Pferde, aber auch Kamele, Büffel und anderes Vieh befällt; Nagana, die in Süd- und Ostafrika unter wilden Tieren einhemisch ist und in vielen Gebieten den Gebrauch der ebengenannten Arbeitstiere unmöglich macht (auch nach dem Zwischenträger der Infektion, der Tse-Tse-Fliege, benannt); Dourine, eine Pferdekrankheit in Nordafrika, die ausschließlich durch den Coitus übertragen zu werden scheint; Caderas, eine in Südamerika verheerend auftretende Pferdeseuche; Gallsucht (Galziekte), eine neuerdings in Transvaal beobachtete Rinderseuche und endlich die Trypanosomiasis des Menschen im tropischen Westafrika, die bis vor kurzem von der Malaria nicht unterschieden werden konnte. Bei ihren Kulturversuchen bedienten sich die Vf. zunächst des ältesten bekannten Trypanosoma, Trypanosoma Lewisi, eines, wie es scheint, bei den Ratten auf der ganzen Erde verbreiteten Para- siten, der aber nur selten deutliche Krankheitserscheinungen oder den Tod der befallenen Tiere herbeiführt. Um so bemerkens- werter ist, dass die Vf. auch mit ihren Reinkulturen einige töd- liche Erkrankungen herbeiführen konnten; die Mitwirkung von Bakterien schließen sie nach dem Ergebnis sorgfältiger Kultur- versuche aus. Ihr Verfahren ist das folgende: als erster Erfolg war festzu- stellen, dass ım steril aufgefangenen und aufbewahrten Blut der erkrankten Ratten die Erreger nach einigen Tagen zugrunde gehen, aber bedeutend längere Zeit leben bleiben, wenn dieses Blut mit sterlem normalem Ratten- oder auch Kaninchen-, oder Meer- schweinchenblut stark verdünnt wird. Dabei war das wichtigste, die Sterilität zu bewahren, denn jede Bakterienentwickelung zer- setzt bald das Hämoglobin und zugleich sterben die Trypano- somen ab. Das endgültige Verfahren war nun, steriles Blut aus der Carotis von Kaninchen aufzufangen und zu defibrinieren, und dann mit der dreifachen Menge gewöhnlichen, verflüssigten und auf 50° abge- kühlten Nähragars zu mischen und diesen Blutagar schräg erstarren Me. Neal und Novy, Die Züchtung von pathogenen Flagellaten. 447 zu lassen. Das zwischen der schiefen Ebene und dem Glas sich ansammelnde Kondenswasser wurde dann mit dem steril aus dem Herz der kranken Ratten entnommenen Blut infiziert. Bei den Fortzüchtungen fügten die Vf. häufig diesem Kondenswasser noch einen Tropfen sterilen defibrinierten Blutes zu. Es ist also eigentlich eine Züchtung in flüssigem Medium, aber die Verwendung des Blutagars scheint dem Ref. wesentlich zu sein, weil er einerseits ein reiches Reservelager von Nährstoffen bietet und andererseits doch ein solches Röhrchen mit wesentlich festem Inhalt und nur wenigen Flüssigkeitstropfen leichter steril zu halten ist, als größere Mengen undurchsichtiger Flüssigkeiten. Besondere, aber einfache Maßnahmen sind noch erforderlich, um bei der immer Wochen dauernden Kultur Austrocknung sowohl als nachträgliche Infektion des Nährbodens zu verhüten. In so beschickten Röhrchen durchlaufen die Kulturen von Trypanosoma Lewisi einen regelmäßigen Zyklus, langsamer bei Zimmer-, rascher bei Brutofentemperatur: nach einigen Tagen haben sich die aus aneinanderhängenden Individuen gebildeten Rosetten vermehrt, dann nehmen sie weiter an Größe wie an Zahl der Individuen zu, und nun, augenscheinlich auf dem Höhepunkt der Entwickelung, mehren sich auch die freibeweglichen Einzelindividuen. Im dritten Stadium nehmen diese wieder ab, die Rosetten nehmen bis zu vielen Hunderten an Individuenzahl zu, aber nur die äußersten Individuen leben fort, im Mittelpunkt der Rosetten beginnt körniger Zerfall und zuletzt trifft man nur noch Degenerationsformen und weitere Uebertragungen auf frischen Nährboden wie auf Tiere sind erfolglos. Im Brutschrank tritt dieser Tod der Kulturen schon nach etwa 14 Tagen ein, bei Zimmertemperatur dagegen gelang die Uebertragung auf eine Ratte einmal noch nach 113 Tagen, und einmal waren lebende bewegliche Individuen noch am 306. Tage vorhanden. Die Impfversuche an Ratten sind noch nach der 10. Ueber- tragung von Glas zu Glas, mehr als ein Jahr nach Beginn der künstlichen Züchtung bei Zimmertemperatur gelungen, und bei Bruttemperatur, nachdem in 5 Monaten etwa 20 Uebertragungen erfolgt waren. Nachdem die Vf. mit Trypanosoma Lewisi diesen Erfolg er- rungen hatten, wandten sie sich der Züchtung des Naganaerregers, des Trypanosoma Brucei zu. Ihr Material erhielten sie aus England; es stammt wie alles in Europa zu Untersuchungen benützte Material dieser Krankheit von einem infizierten Hund, der im Jahre 1896 zu Forschungszwecken nach England gebracht wurde; bisher war es noch nie gelungen, die Trypanosomen länger als allerhöchstens 6 Tage im Blut außerhalb des Körpers infektionstüchtig zu erhalten; auch in den Leichen der eingegangenen Tiere bleiben sie selten länger als 24 Stunden nachweisbar. Als Versuchstiere dienten weiße und graue Ratten und Mäuse. Bei den Züchtungsversuchen der Vf. zeigten sich die Nagana- erreger anspruchsvoller als Trypanosoma Lewisi: sie erfordern einen - 448 Me. Neal und Novy, Die Züchtung von pathogenen Flagellaten. Nährboden, der mindestens zur Hälfte aus Blut, höchstens zur Hälfte aus Agar besteht; am besten gedeihen sie, wenn 2 Teile defibrinierten Kaninchenblutes mit 1 Teil Agar gemischt und die Mischung in dünner Schicht auf dem Boden eines Erlenmeyer- kölbcehens ausgegossen wird, denn auch gegen Sauerstoffmangel scheinen sie ganz besonders empfindlich zu sein. Ganz besonders schwierig ist es, die erste künstliche Kultur aus toten Tieren zu züchten: von 50 Versuchen ergaben nur 4 wirkliche Vermehrung ım Glase. Ist diese einmal eingetreten, so ist die Weiterzüchtung auf dem Blutagar weniger schwierig. Bei dieser Fortzüchtung ergaben sich verschiedene wichtige Tatsachen. Am langsamsten entwickelten sich die Kulturen bei Zimmer- temperatur, rascher bei 25°, noch rascher bei 34° C.; auf ein Stadium lebhafter Vermehrung, das bei den Zimmerkulturen erst am 18. Tage etwa begann, folgt ımmer bald ein Stadium der Degeneration. Dass die Trypanosomen in diesem, obgleich noch beweglich, ihre Virulenz verloren haben, ist nicht auffallend, überraschend aber, dass die bei 34° entwickelten Kulturen auch im Stadium der lebhaftesten Vermehrung und in großen Dosen weder Mäuse noch Ratten krank zu machen vermögen, und dass bei niederer Temperatur gezüchtete, infektionstüchtige Kulturen durch 24stündiges Verweilen bei 34° stark abgeschwächt, durch längeres Verweilen sicher avirulent gemacht werden. Da die künstlichen Kulturen alle, auch in den größten Dosen, die infizierten Tiere langsamer töten als frisches, unmittelbar übertragenes Blut, und im Tierkörper die Trypanosomen bei 38° doch noch vortrefflich gedeihen, glauben die Vf., dass auch in ihrem Nährboden noch besondere, die Naganaerreger schädigende Stoffe vorhanden seien, die bei höherer Temperatur stärker und rascher wirken. Es scheint, dass die Impfung mit solchen unwirksamen Typano- somenkulturen eine gewisse Immunität hervorruft. Die Vf. bemühen sich, durch weitere Versuche ein brauchbares Immunierungsverfahren zu finden. Auch die Reinkulturen von Trypanosoma Brucei haben sie schon längere Zeit und in mehrfacher Uebertragung in vitro fort- züchten können. Sie lassen sich mikroskopisch leicht und sicher von den Kulturen von Trypanosoma Lewisi unterscheiden. So sprechen die Vf. die Erwartung aus, dass in naher Zukunft die Reinkulturen der pathogenen Protozoen ebenso allgemein und sorg- fältig in den Laboratorien gepflegt werden, als heute schon die Bakterienkulturen. Werner Rosenthal. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIV.Ba. 15. Juli 1904. Na 1A. Inhalt: Klebs, Über, Probleme der Entwickelung. — Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. — Petersen, Uber indifferente Charaktere als Artmerkmale (Schluss). — QOudemans, Eine literarische Ergänzung. — Volz, Uber die Verbreitung einiger anthropoider Affen in Su- matra. — Häckel, Anthropogenie oder Entwiekelungsgeschichte des Menschen, Keimes- und Stammesgeschichte. — v. Binnenthal, Die Rosenschädlinge aus dem Tierreiche, deren wirk- same Abwehr und Bekämpfung. — Seegen-Preis. Über Probleme der Entwickelung'). Von Georg Klebs. II Die äusseren Bedingungen der Entwickelungsvorgänge. In dem ersten Abschnitt wurde der Nachweis geführt, dass die Entwickelung von Sempervivrum durch äußere Einflüsse in mannig- fachster Weise verändert werden kann. In dem zweiten Abschnitt behandelte ich das Problem des Entwickelungsganges von einem allgemeinen Standpunkte aus. Es ergab sich, dass sowohl beı niederen Pflanzen wie auch bei einzelnen genauer geprüften Blüten- pflanzen die Außenwelt bestimmend in die Entwickelung eingreift. Jetzt erhebt sich die Frage, welche Einflüsse der Außenwelt eine so entscheidende Rolle spielen. Bei der Besprechung dieser Frage will ich etwas näher auf die niederen Organismen eingehen, da ich bisher nicht dazu gekommen bin, das Beobachtungsmaterial aus früherer Zeit für die vorliegenden Probleme ausreichend zu ver- werten. Ich will mein Thema in 6 Unterabschnitten behandeln. 1) Vergl. Probleme der Entwickelung. I. Bd. XXIV Nr. 8, II. ebenda Nr. 9. XXIV. 29 450 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 1. Über den Begriff des formativen Reizes. Jeder Entwickelungsvorgang bei einer Pflanze hängt von einer Menge verschiedener äußerer Bedingungen ab, die jedoch für ihn nicht den gleichen Wert besitzen. Schon in meiner ersten Arbeit über Hydrodictyon (1890) sah ich mich genötigt, die Bedingungen in 2 Gruppen zu sondern. Die einen entsprechen den allgemeinen Lebens- bedingungen wie sie für jeden Lebensprozess wirksam sind; Pfeffer (1893 S. 4) nennt sie die formalen Bedingungen. Die zweite Gruppe umfasst solche Bedingungen, die für einen bestimmten Entwickelungsvorgang z. B. für die Zoosporenbildung wesentlich und charakteristisch erscheinen. In einer Arbeit (1900) über die Pilze nannte ich sie spezielle Bedingungen und suchte unter diesen, an Herbst mich anschließend, den für die Auslösung des Vor- ganges wesentlichen morphogenen oder formativen Reiz zu er- kennen. Solche auslösenden Reize lernte man zuerst an den Krümmungs- bewegungen der Pflanzen kennen. Sachs, der vielfach die Grund- lage unserer Kenntnisse über diese Vorgänge geschaffen hat, über- trug in einer seiner späteren Arbeiten (1894) die gewonnenen Anschauungen direkt auf den Gestaltungsprozess der Pflanzen, in- dem er diejenigen Formen, welche er als Parallelbildungen inner- halb der großen systematischen Gruppen auffasste, auf die Wirkung spezifischer äußerer Reize zurückführte. Vor allem legte er Gewicht auf die Formbildungen, die durch das Licht und die Schwerkraft hervorgerufen sein sollten und sprach in diesen Fällen von Photo- Barymorphose. Diese Anschauungen wurden durch Herbst (1895) noch erweitert und vertieft, er gab eine kritisch gesichtete Dar- stellung der verschiedenartigen Morphosen nach den sie veran- lassenden äußeren Reizen, die er formative oder morphogene nannte. Er versteht darunter „alle Auslösungsursachen, welche in quali- tativer Hinsicht bestimmt charakterisierte Gestaltungsprozesse einleiten“. Eine weit schärfer durchgeführte Einteilung der Be- dingungen hat Driesch (z. B. 1902 S. 880) versucht. Er bezeichnet als Ursachen der Formbildung diejenigen Faktoren, welche Ort und Qualität oder wenigstens den ersteren bestimmen, und zu diesen rechnet er auch die formativen Reize „die irgend etwas sich als gesondertes Formgebilde Kennzeichnendes hervorrufen, also auch die bestehenden Formgebilde verändern“. Alle nicht im obigen Sinne ursächlichen Faktoren, die für die Formbildung jedoch not- wendig sind, nennt Driesch (l.c. S. 843) Mittel. Dagegen faßt Pfeffer (1901 S. 85) die formativen Reize in sehr allgemeinem Sinne auf, als solche, welche die Gestaltungs- tätigkeit in andere Bahnen lenken, also allgemein oder lokalisiert eine veränderte Gestaltung bewirken. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 451 Die Entwickelungsprozesse bei Algen und Pilzen lassen sich durch bestimmte äußere Bedingungen mit der Sicherheit einer chemischen Reaktion hervorrufen. Man hätte das Recht, hier von formativen Reizen im Sinne von Herbst und Driesch zu sprechen. Ich habe es auch getan im Hinblick auf sehr einfache Fälle, z. B. der Zoosporenbildung von Saprolegnia, bei der die Verminderung gewisser organischer Nährstoffe die Rolle eines spezifischen forma- tiven Reizes zu spielen schien. Aber vergleichende Betrachtungen an niederen wie höheren Pflanzen führten mich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass der Begriff des formativen Reizes als eines spezifischen notwendigen Faktors nicht allgemein anwendbar ist. Es wird für meine weiteren Darlegungen wesentlich sein, die Gründe näher anzuführen. 1. Jede äußere Bedingung kann unter Umständen einen Entwickelungsprozess veranlassen. Wenn der Bildungsprozess an und für sich erfolgen könnte, aber irgend eine der allgemeimen oder speziellen Bedingungen nicht in riehtigem Grade einwirkt, so ist er gehemmt. Er tritt erst dann ein, wenn der richtige Wirkungsgrad der betreffenden Bedingung erreicht ist. So bewirkt eine Nahrungsveränderung bei Saprolegnia keine Zoosporenbildung, wenn der Pilzfaden nicht in Wasser taucht, ebensowenig, wenn er bei einer Temperatur von ° gehalten wird. Die Herstellung der geeigneten Bedingung löst dann den Prozess aus. In solchen Fällen besteht keine Schwierig- keit, diesen eine Hemmung beseitigenden Reiz von dem den Prozess erregenden zu unterscheiden. Wichtiger für den tatsächlichen Entwickelungsgang werden jedoch solche Hemmungen und entsprechenden Auslösungen, wenn er durch sie in andere Bahnen gelenkt wird. Es hat sich heraus- gestellt (1900 S. 86), dass die allgemeinen Bedingungen für die ver- schiedenen Entwickelungsprozesse doch nicht völlig die gleichen sind. Die Wirkungsgrenzen für Temperatur, Sauerstoff ete. sind für Wachstum, ungeschlechtliche und geschlechtliche Fortpflanzung etwas ren Infolgedessen ist es möglich, bloß durch Än- derung einer solchen allgemeinen Bedingung die „qualitativ“ ver- schiedenen Bildungsprozesse nach Belieben hervorzurufen. Sporo- dinia, die auf Peptongelatine erzogen ist, kann nur Sporangien- träger bilden; durch einen Zusatz von etwas Zucker kann ich unter sonst gleichen Bedingungen die Bildung der Zygoten veranlassen. In noch engere Beziehungen zu formativen Reizen treten gewisse spezielle Bedingungen, d. h. solche, die für den betreffenden Vorgang zum Unterschiede von anderen charakteristisch erscheinen; sie treten dann als speziell fördernde Bedingungen hervor. So wirkt Licht wesentlich, wenn auch nicht absolut notwendig, bei der Erregung der Zoosporenbildung mit, wenn Zellen von Hydrodietyon aus Nähr- 29 452 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Au salzkulturen in Wasser versetzt werden. Relativ noch wichtiger erscheint die Transpiration bei Pilzen wie Volutella oder bei Myxo- myceten wie Didymium (1900 S. 39). Die Bildung der Sporen kann sowohl ın Flüssigkeiten wie in der Luft vor sich gehen; die Transpiration bedingt aber erst die Differenzierung der Conidien- träger bezw. der Früchte. Diese Erscheinungen führen schon hin- über zu dem folgenden Punkte. 2. Ein Entwickelungsvorgang wird durch das Zu- sammenwirken mehrerer äußerer Bedingungen veran- lasst, die als formative Reize bezeichnet werden können. In dem vorhin erwähnten Falle der Myxomycetenfrüchte, die durch Änderung der Ernährung veranlaßt werden, kann die Trans- piration als ein mitwirkender formativer Reiz aufgefasst werden. Noch viel deutlicher ist es für die Früchte von Ascomyceten und Basıdiomyceten, die entstehen, wenn im Substrat die Menge der Nährstoffe bis auf einen gewissen Grad vermindert ıst. Aber zu- gleich muss nach den bisherigen Erfahrungen die Luft (bezw. der Mangel an einer flüssigen Umgebung) mitwirken. Ebenso erfolgt die Konjugation bei Spirogyra, die Gametenbildung bei Chlamydomonas nur dann, wenn gleichzeitig helles Licht und eine Verminderung der Nährsalze in der Umgebung zusammenwirken. Man könnte sich aus der Schwierigkeit heraushelfen, wenn man annähme, dass in solchen Fällen nur eine der Bedingungen der eigentliche for- mative Reiz wäre. Ich habe z. B. für die höheren Pilze die Ver- mutung ausgesprochen (1900 S. 49), dass die Nahrungsänderung, als der entscheidende Reiz, die Einwirkung der Luft als eine spezielle Bedingung aufzufassen sei. Aber im Grunde bleibt es doch bei der heutigen Sachlage willkürlich, diese Unterscheidung vorzu- nehmen. 3. Der gleiche Entwickelungsvorgang wird durch ver- schiedenartige Reize ausgelöst. Das erste Beispiel dieser Art fand ich in der Zoosporenbildung von Vaucheria repens, die z. B. erregt wird a) durch Überführung der Fäden aus Luft m Wasser, b) durch Versetzung der Fäden aus einer anorganischen Nährlösung in Wasser, e) durch Verdunkelung (1892 S. 60). Fast sämtliche von mir geprüften Algen zeigten die gleiche Erscheinung, dass ihre Zoosporenbildung durch mehrere je nach den Einzelfällen verschiedene Reize veranlasst wird. Bei den Pilzen führe ich als Beispiel Ascoidea rubescens an, deren Conidien sowohl in der Flüssigkeit infolge Nahrungsänderung als auch in der Luft durch deren Einwirkung gebildet werden (1900 S. 48). In allen diesen Fällen hat der formative Reiz den wesentlichen Charakter eines spezifischen notwendigen Faktors verloren. Man könnte nun hier zu der Annahme kommen, dass die inneren Ver- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 453 änderungen oder der innere formative Reiz für einen bestimmten Bildungsprozess stets der gleiche sei aber von verschiedenartigen äußeren Reizen hervorgerufen würde — eine Annahme, die sich auch Küster (1903 S. 274) bei der Betrachtung der pathologischen Gestaltungsvorgänge aufdrängte. In meiner ersten Arbeit (1892 S. 57) über Vaucheria habe ich bereits einen Versuch dieser Art gemacht, indem ich die Wirkungen der verschiedenen auslösenden Reize auf eine gemeinsame innere Veränderung zurückführte, näm- lich auf die Hemmung des vegetativen Wachstums. „Der momen- tane Stillstand des Wachstums wird dann zum Anlass für die Zoosporenbildung, indem jetzt Kräfte frei werden, welche die immer vorhandene erbliche Anlage zur raschen Entfaltung bringen.“ Man könnte hier mit Herbst (1895 S. 819) von Umschaltungs- mechanismen sprechen, bei denen durch verschiedene äußere An- lässe der eine Bildungsprozess aus- der andere eingeschaltet wird. Später glaubte ich einen bestimmten inneren Faktor für die ver- schiedene Auslösung verantwortlich machen zu können, die Ver- minderung des osmotischen Druckes; indessen betonte ich den hypothetischen Charakter dieser Annahme (1903 S. 57). Aber man kann sich überhaupt die Frage stellen, ob es nötig sei, anzunehmen, dass dıe verschiedenen äußeren Reize immer die gleiche innere Veränderung bewirken oder ob sie nicht zuerst ver- schiedene Veränderungen veranlassen, die dann erst zum gleichen Ziele führen. Die zweite Alternative halte ich sogar in gewissen Fällen für wahrscheinlich, was mit der Ansicht zusammenhängt, dass für die Entstehung irgend eines formativen Vorganges ein bestimmtes Verhältnis der inneren Bedingungen wesentlich ist, das durch Änderung bald dieser, bald jener Bedingung erreicht werden könnte. Ich komme in einem anderen Abschnitt auf diese Frage zurück. 4. Der gleiche Entwickelungsvorgang wird durch ver- schiedene äußere Reize veranlasst je nach der vorher- gehenden Einwirkung der allgemeinen Bedingungen. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Alge Protosiphon botryoides. Wenn die Zellen auf feuchtem Lehm hell kultiviert werden, so besteht die beste Methode für die Schwärmerbildung in der Über- führung in Wasser, gleich ob der Versuch im Licht oder im Dunkeln gemacht wird. Kultiviert man dagegen die Zelle in einer anorganischen (Knop) Nährlösung von 0,2°/,, so ist die sicherste Methode, die Kultur einfach zu verdunkeln, und man kann dabei den osmotischen Druck des Mediums beträchtlich steigern, so dass selbst in 2°/, noch Zoosporen erscheinen. Ein entsprechendes Verhalten zeigen die Zellen von Hıydrodietyon (1896 S. 141). In einem stetig sich erneuernden Wasser eines Aquariums erzogen, bilden sie Zoosporen beim Übergang in ruhig 454 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. stehendes Wasser sowohl im Licht wie in der Dunkelheit. Da- gegen nach vorhergehender Kultur in Knop’scher Nährsalzlösung wird die Zoosporenbildung durch Versetzung in reines Wasser er- regt, wobei aber das Licht mitwirken muss. Sein Einfluss lässt sich durch Maltose bei höherer Temperatur unter Umständen er- setzen (1896 S. 148). In diesen Fällen hängt der formative Reiz von der vorher- gehenden Einwirkung der allgemeinen Lebensbedingungen ab. Die Zellen müssen je nach der früheren Kulturmethode verschieden- artige innere chemisch-physikalische Bedingungen besitzen. Da die Zellen doch zu dem gleichen Resultat gelangen und die für die Zoosporenbildung charakteristische Beschaffenheit erhalten, so kann das wohl nur dadurch erreicht werden, dass die äußeren Reize bei den beiden Versuchsreihen verschiedene innere Ver- änderungen bewirken. Bei den Nährsalzzellen muss vielleicht der Salzgehalt verändert werden, während bei den Aquariumnetzen ein anderer Faktor geändert wird. Doch wird dabei das für den Prozess notwendige Verhältnis der inneren Faktoren in jedem Falle erreicht. Dem einzelnen Reiz kommt nicht die Bedeutung eines spezifischen notwendigen Faktors zu. 5. Der einen Entwickelungsvorgang veranlassende äußere Reiz ist in vielen Fällen nicht bloß für seine Aus- lösung sondern auch für seinen Verlauf notwendig. Diese Tatsache erscheint mir von besonderem theoretischem Interesse, weil der Begriff des formativen Reizes als eines aus- lösenden Faktors davon betroffen wird. Wenn ich einen gut er- nährten Faden von Saprolegnia in reines Wasser bringe, so wird die vom Nahrungsmangel der Umgebung direkt beeinflusste Spitze veranlasst ein Sporangium zu bilden. Ich habe selbst in solchem Falle von einer Auslösung gesprochen. Aber diese Bezeichnung genügt nicht, die Wirkung der Veränderung zu kennzeichnen. Denn wenn ein bereits in Bildung begriffenes Sporangium wieder in eine nahrungsreiche Umgebung versetzt wird, so kann der Prozess nicht weiter gehen, die Zelle muss wieder zum Wachstum zurückkehren oder zugrunde gehen. In zahlreichen anderen Fällen, sei es der Zoosporenbildung, sei es der geschlechtlichen Fortpflanzung der Algen oder der Fruchtbildung der höheren Pilze müssen die äußeren Bedingungen nicht bloß bei der ersten Ent- stehung, sondern auch bei dem weiteren Verlauf bis zu gewissen Stadien vor der Reife wirksam sein. Der betreffenden äußeren Bedingung kommt demgemäß eine größere Bedeutung zu, als sie einem bloß auslösenden Reiz zugeschrieben wird. Unter dem Einfluss der Forschungen von Sachs und besonders der Erörterungen Pfeffers (s. 893 u. 897 Einleitung) beherrscht die Auffassung der Reize als auslösende Faktoren die Botanik, und Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 455 die Analogien mit den Maschinen werden mit Vorliebe heran- gezogen. So hat auch Herbst (1895 S. 819) vielen formativen Reizen die Rolle zugeschrieben, dass sie gleichsam „das Ventil der Maschine“ öffnen und den bereits vorhandenen Bildungs- mechanismus in Bewegung setzen. Mir scheint aber ein Ver- gleich der Formbildungen mit Maschinen wenig zu nützen. Denn sie sind und bleiben in ihrer Struktur völlig starre Gebilde, und ein Hauptcharakter der Formbildungen, ihre ungemeine Ver- änderlichkeit im notwendigen Zusammenhang mit den Schwan- kungen der inneren oder äußeren Bedingungen lässt sich durch Maschinen nicht veranschaulichen. Man braucht nur an einen relativ einfachen Vorgang wie den der Zoosporenbildung von Saprolegnia zu denken; was für eine komplizierte, sich stetig ändernde Maschi- nerie brauchte man, um die fortlaufenden Veränderungen zu ver- anschaulichen, und eine wirkliche Einsicht hätte man doch nicht gewonnen. Jedenfalls muss der äußere Faktor, der die ersten physikalischen und chemischen Veränderungen bewirkt, auch für die weiteren Umformungen des Zellinhaltes mitwirken; er ist zu- gleich Anlass und allgemeine Bedingung. Man könnte vielleicht eher zum Vergleich die stationären oder permanenten Reize heranziehen, die Pfeffer (1897 S. 15) unter- scheidet. Er versteht darunter solche wie die der Schwer- kraft und des Lichtes, welche nach Veranlassung einer ihrer Rich- tung entsprechenden Gleichgewichtslage des Organs diese auch fortdauernd erhalten. Aber dieser Begriff passt doch nicht für die vorliegenden Fälle, in denen der äußere Reiz gerade für die Fort- dauer aufeinander folgender Veränderungen nötig erscheint. Alle diese Betrachtungen lehren, wie wenig der Begriff des formativen Reizes genügt, um die Abhängigkeit der Entwickelungs- vorgänge von äußeren Faktoren zu kennzeichnen. Man kann den Aus- druck „formativ wirkender Faktor“ in einem ganz allgemeinen und un- bestimmten Sinne gebrauchen, wie es auch Pfeffer (1901 S. 85) tut. Man kann auch in einfachen Fällen von spezifischen formativen Reizen sprechen, wie bei der Wirkung des Lithiums auf Seeigellarven (Herbst) oder der des Nahrungsmangels bei Saprolegnia. Doch auch hier besteht immer die Möglichkeit, dass derselbe Vorgang durch andere Veränderungen der Außenwelt herbeizuführen wäre. Wo aber sonst in der Botanik von spezifisch formativen Reizen gesprochen wird, ıst dieser Ausdruck wahrscheinlich unbegründet. Bei allen jenen Vorgängen, die von Sachs, Herbst u. a. als Photo-, Bary- Thigmo- etc. Morphosen bezeichnet werden, hat man bereits erkannt oder wird man später erkennen, daß sie auch durch andere Kombinationen äußerer Bedingungen hervorgerufen werden können. Auch aus der Darstellung, die Küster (1903) von den pathologischen Gestaltungsprozessen gibt, geht deutlich hervor, 456 Klebs, Über Probleme der Entwiekelung. wie wenig man bei diesen von spezifischen formativen Reizen sprechen kann. Selbst bei Anwendung des Reizbegriffes für die formativ wirkenden äußeren und inneren Bedingungen muss man sich seiner Unbestimmtheit bewusst bleiben. In seiner eingehenden Dar- stellung (1893) hat Pfeffer die verschiedenen Seiten des Reiz- begriffes klar beleuchtet, das Wesentliche sieht er, wie zahlreiche andere Forscher, in Auslasungsvorsängen®, Er Irenni davon die formalen d. h. die allgemeinen Lebensbedingungen, die zum Teil sicher nach Maßgabe ihres Energiequantums wirken, zum Teil als Reize wichtig sind. Bei den Gestaltungsvorgängen ist das Problem noch viel verwickelter, als bei den einfachen Bewegungserschei- nungen. Es erscheint äußerst schwierig, auslösende und energe- tische Wirkungen bei ihnen zu unterscheiden, zumal auch bei den ersteren ein gewisser Energieverbrauch stattfindet. Jedenfalls kann man die für einen Gestaltungsprozess wesentlichen äußeren Bedingungen nicht ohne weiteres als auslösende Reize bezeichnen. Der spezielle Einfluss des Lichtes auf die geschlechtliche Fort- pflanzung der grünen Algen, die von der Intensität des Lichtes direkt abhängt, lässt sich nicht als Reiz in gleichem Sinne wie beim Heliotropismus bezeichnen. Bei der heutigen Lage der Dinge wird man für die hier interessierenden Vorgänge den Reizbegriff nur mit gewisser Vorsicht gebrauchen. Ich werde vielfach den Ausdruck Bedingungen verwenden. Jeder Gestaltungsprozess einer Pflanze hängt von gewissen inneren Bedingungen ab. Da nun jeder solcher Vorgang stets auf einen anderen vorher gegebenen folgt, so müssen für sein Entstehen bestimmte innere Veränderungen maßgebend sein. Wir wissen, dass diese in notwendigem Zusammenhange mit äußeren Veränderungen stehen. Im nächsten Abschnitt will ich die formativ wirkenden äußeren Veränderungen, die bei Algen und Pilzen Entwickelungsvorgänge hervorrufen, zusammenfassend be- handeln. Literatur. Driesch, H.: Neue Antworten und neue Fragen der Entwickelungsphysiologie. Sonderabdruck aus Ergeb. Anat. und Entw. Bd. XI. 1902. Herbst, C.: Über die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese. II. Hauptteil. Biologisches Centralblatt, Bd. XV. 1895. Klebs, G.: Über die Vermehrung von Hydrodietyon, Flora. 1890. — Zur Physiologie der Fortpflanzung der Vaucheria sessilis. WVerh. Basler Naturf. Gesch. Bd. X. 1892. — Zur Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze. III. Allgemeine Betrach- tungen. Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XXXV. 1900. — Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen. Jena 1903. Küster, E.: Pathologische Pflanzenanatomie. Jena 1903. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. . 457 Pfeffer, W.: Die Reizbarkeit der Pflanzen. Verh. d. Naturforscher Leipzig. 1893. — Pflanzenphysiologie. 2. Auflage, Leipzig, Bd. I 1897, Bd. II 1. Hälfte 1901. Sachs, J.: Physiologische Notizen. VIII. Mechanomorphosen und Phylogenie. Flora 1894. 2. Die äusseren formativen Bedingungen der Entwickelungsvorgänge bei niederen Pflanzen. In der Entwickelung einer Alge oder emes Pilzes treten die Fortpflanzungserscheinungen als auffälligste Gestaltungsprozesse her- vor. Sie zeigen sich gewöhnlich, wenn der Organismus vorher gewachsen ist. Der vegetative Thallus vieler solcher Pflanzen wächst so lange fort, als he Ernährungsbedingungen in günstigem Grade einwirken. Diese Bedingungen müssen geändert werden, damit die Fortpflanzungsprozesse erfolgen können, und diese Ände- rungen sind für jede einzelne Spezies festzustellen. Für die folgende Denselleme ist im Auge zu behalten, dass die Änderungen inner- halb der nnkeagen enzen der allgemeinen Bedingungen erfolgen und dass sich das Versuchsmaterial in einem gut ernährten Zustand befindet. Die Veränderungen, welche durch das verschie- dene Verhalten der einzelnen Entwickelungsvorgänge nahe der oberen oder unteren Grenze (s. S. 451) zu beobachten sind, kommen nur für einzelne besonders angegebene Fälle in Betracht. Eine scharfe Grenze läßt sich natürlich nicht festhalten. Folgende Veränderungen bewirken die Bildung von Fort- pflanzungsorganen an dem wachsenden Thallus: 1. Verringerung des Salzgehaltes im Außenmedium. Der Übergang aus einer stärkeren anorganischen Nährsalz- lösung (Knop)!) in verdünntere Lösungen oder einfach in Wasser ist eine sicher wirkende Veranlassung der Zoosporenbildung einiger Algen. Zuersthat Famintzin (1871) diese Beobachtung bei Pro- tococcus gemacht. Ich habe diese Methode genauer geprüft bei Vaucheria repens, Hydrodictyon utrieulatum, Protosiphon botryoides Hormidium-Bumilleria-Arten. Bei diesem Übergang kommen zwei verschiedene Veränderungen in Frage, die Verringerung des osmo- tischen Druckes und die der chemisch wirksamen Nährsalze. Für die Wirkung der Druckverringerung spricht die Tatsache (1896 S. 61 und 150), dass schon der Übergang aus einer Salpeter- und sogar Kochsalzlösung in Wasser den Prozess erregen kann, wenn auch nicht so intensiv wie bei Anwendung der Knop’schen Lösung. Es genügt ferner der Übergang aus konzentrierten Nährsalzlösungen in verdünntere bei gleicher chemischer Zusammensetzung. Wenn man Vaucheria repens aus einer Lösung von 1°/, in verdünntere 1) Wenn im weiteren von Nährsalzlösung gesprochen wird, so meine ich immer die von Knop (salpetersaurer Kalk, phosphorsaures Kali, salpetersaures Kali, schwefelsaure Magnesia). 458 . Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Lösungen von 0,6, 0,5, 0,4, 0,3, 0,2, 0,1°/, versetzt bei gleichem Licht und gleicher Temperatur, so findet in den Lösungen von 0,2 und 0,1 lebhafte Zoosporenbildung statt. Hat der Prozess in diesen Lösungen aufgehört, so kann man ihn wieder anfachen durch Ver- setzung in 0,05 %/,. Selbst der Übergang aus 0,05°/, in reines Wasser wirkt in gleicher Weise. Demnach scheint die Druckver- ringerung?t) hier eine wesentliche Rolle zu spielen. Aber sie ist nicht "nötig und in Einzelfällen sicher nicht die einzige Wirkung der Veränderung. Denn Zellen von Hydrodietyon, die aus einer 0,5 °/, Knoplösung (nach Livingston 1900 S. 301 mit einem Druck von ca. 161,9 cm Quecksilber) in eine 10°], Rohrzuckerlösung (nach Pfeffer, 1897 S. 128, Druck 524cm Queck- silber) versetzt wurden, bildeten trotz der starken Druckerhöhung dennoch Zoosporen (1896 S. 141), weil, wie ich annehme, der Ge- halt an Nährsalzen in der Zelle abnimmt. Auch Vaucheria repens bildet, wie ich mich neuerdings überzeugt habe, beim Übergang aus 0,2°/, Nährsalzlösung in eine Lösung von höherem Druck, z. B. von 2 °/, Rohrzucker Zoosporen. Wenn ferner Hydrodietyon aus 0,5), Nährlösung 1-—2 Tage in Wasser kultiviert wurde und dann in die gleiche oder eine höher konzentrierte Lösung (sogar 2 °/,) gebracht wird, so gelingt es Zoosporenbildung zu beobachten. Die Wasserentziehung durch eine solche Salzlösung muss sofort erfolgen und hindert nicht den Prozess. Dagegen ist es denkbar, dass in der ersten Zeit keine Salze in die Zellen eintreten, so dass diese sich noch in dem gleichen, relativ nährsalzarmen Zustande wie im Wasser befinden. Nach wenigen Tagen muss dann der Prozess aufhören. Ich möchte annehmen, dass Verringerung des osmotischen Druckes und Verringerung des Nährsalzgehaltes in gleicher Rich- tung wirken, weil es darauf ankommt, dass eine Abnahme der Konzentration der Salze oder ihrer Umwandlungsstufen in der Zelle erfolgt. Das kann ebensowohl durch Eintritt des Wassers in die Zellen wie durch Austritt von Salzen aus den Zellen be- wirkt werden. Für manche Algen kann bald mehr die eine bald mehr die andere Veränderung wichtiger sein; am stärksten ist, wie die Versuche zeigen, das Zusammenwirken von beiden. Die hier berührten Fragen sind aber in Wirklichkeit noch verwickelter, da andere Faktoren mitwirken, wie z. B. das Licht, 1) Nach Abschluss der Arbeit erschien eine Abhandlung von A. Ernst (Siphoneen Studien. Beihefte, Bot. Centralbl. XVI, 1904), in der er interessante Versuche über die Sporangienbildung der Vaucheria piloboloides, einer marinen Spezies, mitteilt. Die einzige Methode, den Prozess hervorzurufen, besteht in einer Verdünnung des Meerwassers, also einer Herabsetzung des osmotischen Außen- druckes. Ernst sieht in der dadurch herbeigeführten Wasseraufnahme und Er- höhung der Turgescenz den formativen Reiz. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 459 das bei den verschiedenen Algen in entgegengesetzter Richtung Einfluss hat. Denn bei Vaucheria wirkt sehr helles Licht der Zoosporenbildung entgegen; schwaches Licht kann allein den Pro- zess erregen. Bei Hydrodietyon ist dagegen helles Licht für das Gelingen des Versuches sehr förderlich. Am schwierigsten ist die Entscheidung in sehr verdünnter Knop-Lösung, z. B. 0,05 °/,, wo die einen Zellen von Hydrodictyon wachsen, die anderen Zoosporen bilden. Hier wirken so kleine Änderungen der Außenwelt, darunter solche, die durch die Tätigkeit der Zellen selbst bedingt sind, dass ein bestimmtes Urteil sich nicht fällen lässt. In zwei wichtigen Arbeiten hat Livingston (1900 und 1901) den Einfluss des osmo- tischen Druckes auf die Formen der Alge Stigeoclonium spec. untersucht. Die beiden bekannten Thallusformen, die Faden- und die runde Palmellaform hängen von dem Druck des Außenmediums, nicht von seiner chemischen Zusammensetzung ab. In Lösungen von niedrigem Druck, sei es von anorganischen Salzen oder von Zucker, tritt die Fadenform auf, m solchen von höherem Druck die Palmellaform. In den Lösungen von schwachem Druck bilden sich sehr lebhaft Zoosporen, und Livingston schreibt ihm die Hauptrolle dabei zu. Aber seine Versuche zeigen nur, dass die Zoosporenbildung bei niedrigem Druck eintritt, durch höheren all- mählich gehemmt wird, was ich für Vaucheria (1896 S. 64) und andere Algen bereits nachgewiesen habe. Ich erkannte, was Livingston bestätigt, dass Rohrzuckerlösungen weniger hemmen als isotonische Salpeterlösungen. Auf die Frage, warum treten in Lösungen von schwächerem Druck Zoosporen auf, während andere Zellen wachsen, geben die Versuche Livingstons keine Antwort. Sicher werden nach Analogie mit anderen Algen Zoosporen von Stigeoclonium auch in reinem Wasser gebildet werden. Anderseits können sie nach den Tabellen in 1°, Knoplösung (bei einem Druck von 323 em Quecksilber) erscheinen. Es kommt daher nicht auf die absolute Höhe des Außendruckes an (unterhalb des hemmen- den Maximums), vielmehr auf eine relative Änderung der Konzen- trationsverhältnisse im Innern der Zelle. Da Stigeoclonium nach Livingston (1901 S. 298) im Dunkeln keine Zoosporen bildet, so wird das Licht eben doch mitwirken. Man könnte sich denken, dass zeitweise in den Zellen durch die Photosynthese eine direkte Verminderung von Nährsalzen oder eine relative durch Vermehrung der organischen Stoffe stattfände, wodurch bei manchen Algen die Zoosporenbildung hervorgerufen würde. Die Tatsache, dass bei unverändertem oder sogar beträchtlich gesteigertem Druck des Außenmediums der Vor- gang bei Vaucheria u.s. w. durch andere Faktoren veranlasst wer- den kann, wird aus dem Weiteren deutlich hervorgehen. 2. Verringerung der Lichtintensität. Bei Vaucheria repens, clavata, Protosiphon, Oedogonium capillare 460 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. ist die Verdunkelung das sicherste Mittel, Zoosporenbildung zu er- regen, gleich, ob die Pflanzen in Wasser oder verdünnten Nähr- salzkulturen aufgezogen sınd. Die Erregung wird nicht durch den Wechsel, sondern durch den Aufenthalt im Dunkeln bewirkt, der so lange (bei guten Kulturen 14 Tage lang) den Prozess anfacht, als die Fäden noch genügend ernährt sind. Ebenso wirkt bereits eine Verminderung der Lichtintensität von einem gewissen, je nach dem Zustand der Algen etwas schwankenden Minimum ab. In den Versuchen mit konstanter Beleuchtung durch eine Auerlampe (Stärke ca. 80 Hefner Lichteinheiten, zeigten Kulturen von Vaucheria clavata ın 25 cm Entf. keine Zoosporen; in 50 em Entf. d. h. nach einer Verminderung um !/, der vorhergehenden Intensität trat leb- hafte Zoosporenbildung ein. Die Grenze lag zwischen 35 und 45 cm Entfernung (1896 S. 32). Da die Entziehung der rotgelben Strahlen viel wirksamer als die der blauen ist, so hängt der Stillstand der CO,-Assimilation wohl mit der Erregung der Zoosporenbildung zu- sammen. Allerdings gelang es nicht, durch Schwächung der Assı- milation in CO,-freier Luft bei hellem Licht den Prozess hervor- zurufen. Y 3. Verringerung des Sauerstoffgehaltes beim Über- gange aus fließendem in stehendes Wasser. Eine Anzahl Algen aus lebhaft strömenden Bächen, wie Vaucheria clavata (auch repens bei entsprechender Kultur), Oedogonium diplan- drum, Stigeoclonium tenue, Draparnaldia glomerata, Hydrurus foetidus, Wlothrix xonata bildet außerordentlich lebhaft Zoosporen nach dem Übergange in das gleichbeschaffene, aber ruhig stehende Wasser, auch bei konstant bleibender Temperatur. Da auch die mecha- nischen Einwirkungen nach den Versuchen mit Vaucheria (1896 S. 83) nicht wesentlich sein können, so kommt hauptsächlich die Ver- ringerung des Luft- bezw. Sauerstoffgehaltes in Betracht, wenn nicht noch unbekannte Faktoren dabei mitwirken sollten. 4. Verringerung der Temperatur. Einer der wenigen hierher gehörigen Fälle ist Bumilleria sieula, die im Winter bei einer Temperatur von 13—17° kultiviert wurde und dann Zoosporen bildete, wenn sie in eine Temperatur von 56° gebracht wurde (1896 S. 383). Bei Vaucheria repens dagegen bewirkte ein längerer Aufenthalt bei niederer "Temperatur (0—-3 °), dass nach mehreren Wochen eines langsamen Wachstums Zoosporenbildung eintrat und Wochen hindurch andauerte (1896 S. 44). 5. Verringerung der organischen Nährstoffe im Außen- medıum. Nach meinen früheren Darlegungen (1900 S. 12—21) wird die Bildung der Fortpflanzungsorgane bei Pilzen und Bakterien, die in Flüssigkeiten leben, durch Nahrungsverminderung herbeigeführt. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 461 Buchner (1890) hat Versuche dieser Art zuerst für Bakterien ge- macht; Raciborski (1596) hat eingehend für die Zygotenbildung von Basidiobolus den Nachweis geliefert. Das einfachste Beispiel ist die Zoosporenbildung von Saprolegnia (1899) infolge der Verminde- rung der Konzentration eines wesentlichen organischen Nährstoffes bis zu einem gewissen Minimum, von dem ab jede weitere Ver- dünnung den Prozess immer lebhafter erregt. Das Konzentrations- minimum hängt von dem Nährwert ab, den die betreffende Sub- stanz für das Leben des Pilzes besitzt und liegt um so tiefer, je höher der Nährwert ist. Es liegt z. B. bei 0,005 °/, Pepton, 0,01 Hämoglobin, 0,1 Leuein, 0,8 Traubenzucker. Die Verringerung des osmotischen Druckes im Außenmedium hat dabei eine ganz neben- sächliche Bedeutung. Der Übergang aus einer 2°/, Peptonlösung in eine solche von 0,02 °/,, also bei hundertfacher Verdünnung, wirkt nicht erregend, wohl aber der Übergang aus einer 0,01%], Lösung in eine solche von 0,005 °/,, wobei die Veränderung des Druckes verschwindend klein ist. Wie wesentlich die Konzentra- tion des Nährstoffes ıst, geht aus einem einfachen Versuch hervor. In 200 cem einer 0,005 °/, Hämoglobinlösung (absolute Menge 0,01 gr) tritt sofort Zoosporenbildung ein, während die gleiche Menge von 0,01 g Hämoglobin als 0,05°/, Lösung in 20 ccm Wasser nur Wachstum gestattet. Der gleiche Faktor, die Nahrungsverminde- rung, bewirkt bei Saprolegnia die verschiedenen Entwickelungs- formen, sowohl die Zoosporen- wie Oosporen- wie Gemmenbildung. Daraus folgt, dass es auf verschiedene Grade der Einwirkung an- kommt. Die Zoosporenbildung wird erregt, wenn die Spitzen der wachsenden Hyphen von der Nahrungsverminderung betroffen werden, während das übrige Mycelium sich noch intensiv ernähren kann. Dagegen erfolgt die Oosporenbildung, wenn ein größerer Teil, am besten die Gesamtheit des Myceliums die Verminderung ım Außenmedium erfährt. Völlige Nahrungsentziehung kann prak- tisch in vielen Fällen das einfachste Mittel sein, solche Prozesse hervorzurufen, aber sie ist nicht nötig, wie Saprolegnia zeigt, die in einer großen Menge einer verdünnten Lösung z. B. von Hämo- globin Zoosporen bildet, sofern nur das Konzentrationsminimum erreicht ist. Bei höheren Pilzen muss sogar für die Fruchtbildung stets noch Nahrung hinzugeführt werden, damit die Anlage sich entwickelt. Aber dies geschieht nicht, sobald ıhr frische konzen- triertere Nährlösung zur Verfügung steht. In meiner früheren Arbeit machte ich einige kritische Bemer- kungen über die Bedingungen der Sporenbildung der Hefe. In- folgedessen sind mehrere Arbeiten erschienen, die jedoch meine Ansicht von der Bedeutung der Nahrungsverminderung bekämpfen. Baker (1902) beruft sich besonders auf die von ihm festgestellte, wichtige Tatsache, dass gewisse Hefearten ihre Sporen nicht bei 462 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. völligem Nahrungsmangel bilden, sondern nur dann, wenn ihnen noch Nahrung zur Verfügung steht. Baker hat aber nicht daran gedacht, dass diese Tatsache ebensowenig meiner Ansicht wider- spricht, wie die von mir selbst beobachtete bezüglich der höheren Pilze. Baker hat nicht zu zeigen vermocht, dass seine Hefen bei unveränderter Nahrung Sporen bilden. Um solchen Mi5- verständnissen zu entgehen, habe ich ausdrücklich in der kurzen Zusammenfassung (1900 S. 36) von einer Herabsetzung der Nahrungs- aufnahme von außen als auslösendem Faktor gesprochen und nicht von absolutem Nahrungsmangel. Ebensowenig können die neuen Untersuchungen Hansens (1902) meine Ansicht widerlegen. Hansen weist nach, dass für die Sporenbildung der Hefe Sauerstoff nötig ist im Gegensatz zum vegetativen Wachstum; lebhafte Sauerstofizufuhr begünstigt den Prozess ebenso wie höhere Temperatur. Wir haben hier den gleichen Fall, den ich (1896 S. 497) für Mucor racemosus nachge- wiesen habe, dessen Mycelium anaerob wachsen kann, dessen Sporangienträger sich aber nur bei Gegenwart von Sauerstoff bilden. Das Minimum des Luftdruckes liegt etwa bei 6—10 mm Queck- silber. Für die Hefe hat Hansen das Minimum nicht näher be- stimmt; wahrscheinlich liegt es auch bei diesem Pilz relativ niedrig. Jedenfalls geht aus seinen Versuchen nur hervor, dass für die Sporenbildung eine höhere Sauerstoffspannung nötig ist, als für das Wachstum, wie ich das bereits als allgemeine Regel vermerkt habe. Hansen verfällt dem Fehler der Einseitigkeit, den er mir mit Unrecht entgegenhält, wenn er sagt: „ÜU’est loxygene et non pas le manque de nourriture qui provoquait le developpement des spores.*“ Er hat nie nachgewiesen, wie es Matzuschita bei den anaeroben Bakterien getan hat, dass Sauerstofizufuhr bei fast un- veränderter Nahrung Sporenbildung herbeiführt. Die schnellere Sporenbildung in durchlüfteten Kulturen gegenüber nicht durch- lüfteten erklärt sich doch daraus, dass in den ersteren ein inten- siveres Wachstum erfolgt, durch das schneller eine Nahrungsver- minderung erreicht wird. Auch die Tatsache, dass Hefezellen, die zu einem dichten Haufen zusammengedrängt sind, auf Nährgelatine Sporen bilden, beweist nicht, dass die Sporenbildung bei unverän- derter Nahrung erfolgt. Denn selbst die peripher gelegenen Zellen können sehr wohl eine solehe Nahrungsverminderung erfahren haben, bevor aus der Nachbarschaft der Nährgelatine frische Nah- rung zugeführt werden kann. Schließlich erwähnt Hansen noch, dass eine Gypslösung die Sprossung der Hefe hemmt und die Sporenbildung befördert; aber bei diesem Versuch macht er gerade von dem Ausschluss jeder organischen Nahrung im Medium Gebrauch. Unentschieden muss noch die Frage bleiben, ob Stoffwechsel- produkte, die durch den Organismus nach außen geschieden oder Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 463 als unbrauchbare Reste der zersetzten Nahrung zurückgeblieben sind, unter Umständen die Fortpflanzung herbeiführen, wie es z. B. Migula (1897 S. 177) für die Sporenbildung der Bakterien angibt. Das wäre möglich, aber ein sicherer Fall ist noch nicht bekannt (1900 Sel7). 6. Verringerung der Feuchtigkeit beim Übergang aus Wasser in Luft oder aus feuchter introckenere Luft. Das allmähliche Austrocknen veranlasst bei niederen einzelligen Organismen direkt die Bildung von Ruhezuständen, Zysten u. dergl., während bei Gegenwart von Wasser der Nahrungsmangel das Gleiche herbeiführt. Wichtiger für die vorliegende Frage ist das Verhalten einfacher Pilze, wie z. B. Ascoidea rubescens, deren Mycel- fäden, sowie sie aus der Nährflüssigkeit in die Luft kommen, Conidien bilden. Aber es ist nicht zu entscheiden, ob die Transpi- ration oder die durch das Luftleben veränderte Ernährung wesent- licher ist (1900 S. 48). Der Einfluss der Transpiration auf die Fortpflanzung tritt schärfer bei Sporodinia hervor, bei der, gleiche Ernährungsverhältnisse vorausgesetzt, der Feuchtigkeitsgehalt der Luft entscheidet, ob Sporangien oder Zygoten gebildet werden (1898 S. 15). Die ersteren entstehen, wenn ein zygotenbildendes Mycelium aus feuchter Luft in relativ trocknere (70—80 "/, Feuch- tigkeit) versetzt wird. Nach Ravn (19018. 11) tritt an dem Myce- lium von Helminthosporumarten Conidienbildung erst dann ein, wenn die Luft nicht feucht gesättigt ist. Bei anderen Pilzen ist die Transpiration in der Luft entschei- dend für die eigentliche Gestaltung der Fortpflanzungsträger, während die Sporenbildung selbst davon unabhängig ist. Bei Volutella ciliata werden nach Werner (1898 S. 1) die Träger mit den cha- rakteristischen Haaren nur in der Luft bei einer gewissen Transpi- ration gebildet. Die Früchte der Didymiumarten erhalten, wie Ward (1886) bei D. difforme zuerst feststellte, ihre typische Aus- bildung erst in einer nicht zu feuchten Luft (1900 5. 39); das Gleiche gilt nach den Untersuchungen von Potts (1902) für die Früchte von Dietyostelium. Die Schwierigkeit des Problems ergibt sich besonders aus dem Folgenden. 7. Verringerung der organischen Nährstoffe ım Sub- strat mit gleichzeitiger Einwirkung der Luft. Hierhin gehört die Bildung der Conidienträger und der Früchte von Ascomyceten, Basidiomyceten u. s. w. Zu der Veränderung der Nahrungsstoffe im Substrat tritt als notwendiger Faktor die Wirkung der Luft. In meiner früheren Arbeit bin ich auf das schwierige Problem eingegangen, warum der Ersatz des flüssigen Wassers durch mehr oder minder feuchte Luft so wesentlich ist (1900 S. 43). Unter den möglichen damit verbundenen Änderungen habe ich die Bedeutung der Transpiration, der Sekretion von Flüssie- 464 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. keit und der veränderten Stoffaufnahme besprochen ohne entscheiden zu können, welche Rolle jedem dieser Faktoren in den einzelnen Fällen zukommt. Die unzweifelhafte Wirkung der Transpiration selbst ist gar kein einfacher Vorgang. Denn sie wirkt zunächst durch Wasserentziehung und kann dadurch Konzentrationsunter- schiede herbeiführen. Ferner wirkt sie indirekt durch Förderung des Gaswechsels, Fortschaffen der Kohlensäure, Hinzuführen frischen Sauerstoffes. Eine interessante Beobachtung von Potts (1902) weist auf diese Bedeutung hin. Die Amoeben von Diectyostelium, die auf der Oberfläche der Nährflüssigkeit aber von ihr umgeben leben, sterben ab, wenn die Kultur in einem feucht gesättigten Raum steht; sie wachsen und teilen sich, wenn in ihm die Luft relativ trocken gemacht wird. Hier wirkt die Verdunstung der Flüssigkeit selbst indirekt auf den Gaswechsel der Amoeben, indem ihnen neue sauerstoffhaltige Luftschichten infolge der Wasserdampf- bewegung zuströmen. Unter Umständen könnte diese Wirkung der Transpiration bei den selbst Wasserdampf abscheidenden Pilz- fäden die Fortpflanzungsprozesse befördern. 8. Verringerung der organischen Nährstoffe im Sub- strat bei gleichzeitiger Einwirkung der Luft und des Lichtes. Durch Versuche Brefelds (1889 S. 77) ıst die Abhängigkeit der Fruchtbildung einiger Pilze vom Licht besonders bei Coprinusarten nachgewiesen worden. Bei Cop. stercorarius kann die Frucht im Dun- keln angelegt werden, es entsteht ein vergeilter Stiel, der den nor- malen Hut im Licht ausbildet, im Dunkeln nur bei höherer Temperatur (vgl. Gräntz 1898). Bei Coprinus nyethemerus muss das Licht schon bei der ersten Anlage mitwirken (Brefeld 1889 S. 279). Zugleich verhalten sich diese Pilze nicht anders als die vorhin er- wähnten, indem außer Licht auch noch eine Veränderung der Er- nährung und die Mitwirkung der Luft notwendig ist. Einen neuen interessanten Fall hat Charl. Ternetz (1900) beschrieben. Ascophanus carneus, ein Ascomycet, bildet seine Früchte, wenn die direkte Nah- rungsaufnahme eingeschränkt oder eingestellt ist, aber nur unter der Bedingung, dass gleichzeitig das Licht einwirkt. Junge Frucht- körper sind so empfindlich, dass sie absterben, sobald die Kultur verdunkelt wird. Nach Brefeld (1877 S. 97) wirkt wesentlich die blauviolette Hälfte des Spektrums auf Coprinus ein; nach Ternetz entwickeln sich die Früchte von Ascophanus in allen Lichtarten. 9. Verringerung der anorganischen Nährsalze im Außenmedium bei gleichzeitiger Mitwirkung hellen Lichtes. Die geschlechtliche Fortpflanzung von Chlamydomonas media (Gametenbildung), von Spirogyra inflata und varians (Konjugation), von Oedogonium diplandrum (Antheridien- und Oogoniumbildung) Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 465 wird hervorgerufen durch Entfernung der Nährsalze und Einwirkung des Lichtes. Schon Nährsalzlösungen von 0,05 °/, verhindern die Gametenbildung von Chamydomonas, solche von 0,1 °/, die Bildung der Geschlechtsorgane von Oedogonium, während Rohrzucker- lösungen von 2—4 °/, bei Spirogyra und Oedogonium sogar fördernd wirken. Daher kommt hier weniger die Verringerung des osmo- tischen Druckes als die Entfernung der chemisch wirksamen Nähr- salze in Betracht. Etwas abweichend von den genannten Algen verhält sich Vax- cheria repens, deren Geschlechtsorgane noch in Nährsalzlösungen von 0,2—1 °/, auftreten können. Aber die Salze verzögern den Prozess und um so mehr, je konzentrierter sie sind. Nach Benecke (1898 S. 89) wirkt besonders der Mangel an Stickstoff bei Gegenwart von Phosphor fördernd auf die Bildung der Geschlechtsorgane. Andrerseits fördern auch Rohrzuckerlösungen von 2—4°/, den Pro- zess. Bei den früher (s. S. 452) erwähnten Versuchen mit künst- lichem Licht (Auerlampe) treten bei Anwendung von 2 °/, Rohr- zucker die Geschlechtsorgane in 25 cm Entfernung nach 4—5 Tagen reichlich auf. Das Licht in 50—75 cm Entfernung reicht dazu noch aus; ein solches in 1 m Entfernung genügt nicht zur Bildung. Nimmt man dagegen Wasser oder verdünnte Knoplösung (0,05 °/,) so treten in 25 cm Entfernung die Organe noch auf, wenn auch ver- spätet. Aber bereits in 50 cm Entfernung konnte ihre Bildung nicht mehr beobachtet werden (1896 S. 103). Die Zuckerlösungen ersetzen einen Teil der Lichtwirkung. Die Mittel, um das Licht ganz aus- zuschließen und doch die Organe hervorzurufen, sind bis jetzt nicht bekannt. Dr. Ludwig Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. Mit 172 Abbildungen. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1904 XIII und 695 S. Die dankenswerte Aufgabe, welche sich der Verfasser des vor- liegenden Werkes gestellt hat: den mit den Grundlagen der Natur- wissenschaft Vertrauten in die Physiologie der Pflanzen einzuführen, ist durch das klar geschriebene und übersichtlich angeordnete Buch in anerkennenswertem Maße gelöst worden. Der Ref. glaubt des- halb, dass sich Jost’s Pflanzenphysiologie bald ihren Platz neben den anderen zur Verfügung stehenden literarischen Behelfen sichern wird, und es nicht nötig hat, an dieser Stelle besonders empfohlen zu werden. Ein Lehrbuch der Pflanzenphysiologie neben das ge- rade in diesen Tagen zur Vollendung gelangte monumentale Werk Pfeffer’s zu stellen, ist kein geringes Wagnis. Wenn auch die Ziele andere sind, so wird der Leser unwillkürlich zu Vergleichen XIV. 30 466 Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. aufgefordert. Deshalb darf der Verfasser es sich zum Verdienste anrechnen, wenn seine Arbeit ın Ehren besteht. Für den Studierenden der Naturwissenschaften wird Jost’s Lehrbuch deswegen von großem Werte sein, weil es, sich unmittel- bar an die durch den akademischen Kollegunterricht erreichte Stufe anschließend, den Leser über die meisten der modernen physiologischen Probleme, wie sie in Diskussion stehen, gut orientiert. Auch wird für die Mehrheit derjenigen, an welche sich dieses Lehrbuch in erster Reihe richtet, der Standpunkt des Verfassers, welcher mit den anatomischen und deskriptiv-morphologischen Tat- sachen und Anschauungsweisen stets in engerem oder lockerem Konnex bleibt, willkommen sein, und sie bei dem derzeitigen Aus- bildungsgange unseres wissenschaftlichen Nachwuchses am ehesten in die eigentliche physiologische Betrachtungsweise einzuführen vermögen. Wenn der Ref. die praktische Wichtigkeit dieser Mo- mente gebührend würdigt, so will er damit durchaus nicht die vielfach leider allzugeringe Fühlungnahme der angehenden Biologen mit der Physik und Chemie entschuldigen; darin erblickt er viel- mehr einen der größten Mängel in der "Ausbildung unserer jungen Kräfte. Interessant und gelungen fügt sich in den Rahmen des Buches der Versuch ein, die Grenzgebiete der Morphologie und Physiologie in ausgedehnterer Weise in dem Abschnitte „Formwechsel“ an den „Stoffwechsel“ und „Energiewechsel“ anzugliedern. Dabei reihen sich ungezwungen Kapitel ein, welche eine Anzahl jetzt viel dis- kutierter aber zur rein physiologischen Behandlung kaum reifer Probleme wie Befruchtung, Parthenogenesis, Bastardierung, fluk- tuierende Variation, Mutation, Artbildung etc. behandeln können: Abschnitte, welche kaum zur Zeit in einem anderen Buche zusammen- fassend vorgeführt werden. Auch der Abschnitt „Energiewechsel“ gibt im ganzen in recht glücklicher Weise ein Bild von dem vieldurchforschten und an anziehenden Problemen fast unerschöpflichen Gebiete der pflanz- lichen Reizerscheinungen, wobei die Gliederung in lose aneinander- gereihte „Vorlesungen“, welche in Jost’s Buche eingehalten wird, dem Tone der Darstellung sehr zustatten kommt. Die neueste Zeit hat eine große Zahl von kontroversen Ansichten auf diesen (Gebieten geliefert, und es ist nicht leicht dieselben für weitere Kreise vorzutragen. Dabei hat es der Verfasser nicht versäumt auf die bestehenden großen Lücken in der Erforschung der Reiz- bewegungen in einer Weise aufmerksam zu machen, welche jüngere arbeitsfrohe Kräfte zur tätigen Anteilnahme anzuspornen geeignet ist. Dem Standpunkte des Verfassers liegt offenbar der erste Ab- schnitt: „Stoffwechsel“ ın seinen eigenartigen Methoden und Pro- blemen am fernsten. Für diejenigen Fachgenossen, welche die chemisch-physikalische Forschungsrichtung pflegen und sich für die Ausbreitung dieser so unendlich wichtigen Prinzipien in den bio- logischen Wissenschaften einsetzen wollen, sind nun gerade Werke, wie das vorliegende, lehrreich, um die allgemeinen Bedürfnisse, Petersen, Über indifferente Charaktere der Artmerkmale. 467 welche gegenwärtig obenanstehen, kennen zu lernen, und denselben nach Tunlichkeit abzuhelfen. Man sieht z. B. an dem trefflichen Buche Jost’s deutlich, wie sehr noch die modernen Anschauungen über Reaktionsgeschwindigkeit und Katalyse, Enzyme, ferner über Osmose und die Theorie der semipermeablen Membranen, neben vielem anderen, davon entfernt sind, ein Gemeingut der Biologen zu sein. Dies sind aber Ansichten, welche derzeit bereits reif sind, um als Basıs für spezielle biologische Nutzanwendungen dienen zu können, und welche hierzu dienen müssen. Auch in diesem Abschnitte sind allenthalben die strukturellen und anatomischen Eigentümlichkeiten im Pflanzenorganismus, welche mit der Ausübung der verschiedenartigen Funktionen des Stoff- wechsels in Beziehung stehen, klar und eingehend behandelt, wo- durch die Ziele des Buches wesentlich gefördert werden. Gewünscht hätte der Ref. nur, dass die historische Entwicke- lung der Hauptprobleme in der Pflanzenphysiologie vom Verfasser in großen kräftigen Zügen an passenden Stellen eingeschaltet worden wäre. Dadurch wäre ein Gegengewicht zu den vielen aus- schließlich auf modernen Publikationen fußenden Auseinander- setzungen geschaffen worden, und gerade in einem in Jost’s In- tentionen geschriebenen Werke hätten derartige Darstellungen, welche in keinem kleineren Handbuche vorhanden sind, nicht fehlen dürfen. In eindringlicher und klarer Weise vorgeführt sind die historischen Exkurse überaus geeignet, das Interesse jener Kreise, an welche sich der Verfasser wendet, zu fesseln. Ist doch gerade in den letzten Jahren der „historische Sinn“ in den Natur- wissenschaften in erfreulicher Weise neu belebt worden. Wenn der Ref. zum Schlusse noch der Ansicht Ausdruck verleiht, dass nicht nur Leser, welche in die Pflanzenphysiologie eingeführt werden wollen, sondern auch die Fachgenossen des Verfassers selbst das Buch gern öfters zur Hand nehmen werden, so ist er überzeugt, damit nicht nur seiner eigenen Meinung Rechnung zu tragen. Czapek. Über indifferente Charaktere als Artmerkmale. Von Direktor Wilhelm Petersen in Reval. (Schluss.) Wie will man beispielsweise bei den zahllosen Formvarianten der Bursa copulatrix, des Ductus seminalis, des Receptaculum seminis oder dem verschiedenen Pigment der Hodenkapsel an einen direkten Einfluss äußerer Faktoren oder an die Wirkung einer mit Nützlichkeitsmomenten arbeitenden Naturalselektion denken? Vollends wird die Annahme, dass hier natürliche Zuchtwahl im Spiel sei, ganz hinfällig, wenn wir dabei im Auge behalten, dass dann alle diese bedeutenden und auffälligen Unterschiede am Ge- schlechtsapparat gezüchtet sein sollen, um jene indifferenten Merk- male, welche sonst einzig und allein die morphologischen Unter- 30* A468 Petersen, Über indifferente Charaktere der Artmerkmale. schiede zwischen den betreffenden Arten bilden, zu fixieren und rein weiter zu züchten. Selbst wenn wir annehmen wollten, dass z. B. die in der innern Wand der Bursa copulatrıx als Lamina dentata auftretenden Chitinzähne, die oft ın den wunderbarsten Formen als Zahnreihen, Plättchen, Sterne etc. und zwar für jede Art charakteristisch auftreten, etwa für das Aufreißen der Sperma- tophoren eine funktionelle Bedeutung haben könnten, so ließe sich immer noch nicht verstehen, wie Naturzüchtung diese Bildungen zugunsten irgend eines indifferenten Merkmals in der Zeichnung zustande bringen könnte. Für andere Teile aber, wie Abschnürungen des Bursa-Sackes, Erweiterungen im Ductus seminalis oder Form- varıanten des Receptaculum seminis fehlte vollends jeder Verdacht einer funktionellen Anpassung. Man könnte höchstens annehmen, und dieser Fall ıst sehr wohl denkbar, dass die spontan aufge- tretenen, erblichen Varianten der genannten Organe durch lokale Isolierung fixiert seien. Bis zu der oben zitierten Jordan’schen Hypothese, nach welcher ausschließlich geographische Isolierung eine artliche Divergenz der Formen bewerkstelligen könne, bleibt dann noch ein gewaltiger Schritt. Dagegen sprechen paläonto- logische Tatsachen, wie die bekannten Steinheimer Schnecken- schichten, und das bei den Schmetterlingen so überaus häufige Vorkommen von ganzen Gruppen nahe verwandter Arten auf den- selben eng begrenzten Fluggebieten. Außerdem brauchten wir nicht zu diesem Erklärungsmittel unsere Zuflucht zu nehmen, wenn wir noch andere, ähnlich wirkende Mittel der Isolierung finden könnten und eine solche Möglichkeit der Separierung einzelner Formengruppen auch ohne lokale Trennung derselben, scheint mir durch eine „physiologische Isolierung“ geboten zu werden. Es muss außerdem noch bemerkt werden, dass bei den „geographischen Arten“ im Sinne Jordan’s eigentlich noch kein vollgültiger Be- weis vorliegt, dass es sich um wirklich verschiedene Arten handelt. Ein wirklicher Beweis der Artverschiedenheit wäre erst erbracht, wenn experimentell das Eintreten geschlechtlicher Entfremdung zwischen den fraglichen Arten neben der morphologischen Ver- schiedenheit gezeigt würde. Wenn aber geschlechtliche Entfremdung wirklich eingetreten ist, was, soweit ich die Literatur kenne, noch für keine einzige der fraglichen Schmetterlingsarten erwiesen ist, so kann diese auch durch andere Ursachen hervorgerufen sein, als gerade durch geographische Isolierung. Im allgemeinen wird sogar, in Analogie zu den Verhältnissen bei Pflanzen, bei den geographischen Formen immer der Verdacht vorliegen, dass es sich um rein soma- tische, oder, wie Weismann sie nennt, „passante“ Abänderungen handelt, die nicht auf Veränderungen des Keimplasmas beruhen. Wenn sich z. B. Agrotis conflua Tr. und Agrotis primulae Esp. (festiva Hb.) geschlechtlich mischen, so sind es eben nicht ver- schiedene Arten, sondern die eine Form eine geographische Varietät der andern; dementsprechend sind die Geschlechtsorgane ganz übereinstimmend gebaut. Aus der verschiedenen Form der Valvae aber in anderen Fällen einen Schluss auf die Artverschiedenheit Petersen, Über indifferente Charaktere der Artmerkmale, 469 machen, weil man eine mechanische Unmöglichkeit der Kopulation voraussetzt, dürfte in den meisten Fällen viel zu gewagt sein. Nach meiner Ansicht sind die Verschiedenheiten an den Sexualorganen oft nur ein äußeres Zeichen dafür, dass ım Keimplasma schon Divergenzen tiefgreifender Art eingetreten sind. Diese Verschiedenheiten sind an den Kopulationsorganen, wo sie als korrelative Bildungen auftreten, nicht immer artlich so stark ausgeprägt, dass wir ihre mechanische Wirksamkeit zu beurteilen im stande sind. Bei den gleichzeitig abändernden Duftorganen aber können wir die eingetretene artliche Differenzierung in ihrem Effekt sicher abschätzen. In bezug auf die außerordentliche Empfindlichkeit der Keim- drüsen äußeren Reizen gegenüber, hat Darwin ein so umfang- reiches Material zusammengetragen, dass wir auf dieses Moment hier nicht weiter einzugehen brauchen. Ferner steht die Bildung der sogen. sekundären Geschlechtscharaktere in so auffälliger Ab- hängigkeit von den Keimdrüsen, dass die korrelative Abänderung der einzelnen Teile des gesamten Geschlechtsapparates als etwas selbstverständliches erscheinen muss. Ich habe an einzelnen Bei- spielen zu zeigen versucht, dass die Wirkung einer solchen Ab- änderung sich noch weiter auf andere Teile des Körpers erstrecken kann. So muss z. B. die Umbildung der Vorderschienen bei Zanelognatha, die Verkümmerung der Hintertarsen bei Hepvalus, ja es müssen sogar Anomalien des Flügelgeäders bei Argynnis-Arten in direkte Abhängigkeit von der Ausbildung bestimmter Duftorgane gesetzt werden. Hier muss ich noch einer Tatsache sehr merkwürdiger Natur Erwähnung tun, die sich bei meinen Untersuchungen ergeben hat. Es ist dies die höchst auffallende Asymmetrie ım Bau des Ge- schlechtsapparates, die sich als eine weit verbreitete, fast allge- meine Erscheinung dokumentiert. Am auffälligsten zeigt sie sıch im Bau des männlichen Kopulationsorganes und hier besonders an den Valvae und dem Penis. Meist sind es die der rechten Körper- hälfte des Organs angehörigen Stücke, die eine Abweichung vom Normaltypus zeigen. So treten offenbare Neubildungen in Form von Haken oder Zähnchen an den Valvae oder stärker chitinisierten gezähnelten Platten am Penisrohr oder dem Endstück des Ductus ejaculatorius häufig einseitig, und zwar meist auf der rechten Seite allein auf. Diese Asymmetrie ist auch schon von anderen hie und da bemerkt worden und ich habe die Daten darüber gesammelt. Die Erscheinung der asymmetrischen Bildungen hört auf, den Cha- rakter des rein zufälligen zu tragen, da sie zu häufig und in zu auf- fälliger Form auftritt, und es scheint mir der Schluss sehr nahe zu liegen, dass hier eine Beziehung zur Paarigkeit der Keimdrüsen vorliegt. Eine Analogie in gewissem Sinne dürften wir ın den sogen. halbierten Zwittern zu suchen haben, bei denen ebenfalls die sekundären Geschlechtscharaktere, von den Keimdrüsen be- herrscht, auf die entsprechende Körperhälfte beschränkt bleiben. Das einseitige Auftreten neuer Charaktere scheint in vielen Fällen 470 Petersen, Über indifferente Charaktere der Artmerkmale. die Vorstufe vollständiger Umbildung zu sein, die dann äußerlich den Charakter der Mutation oder sprunghaften, vererbbaren Neu- bildung trägt, während die idioplasmatischen Veränderungen schon längst vorbereitet waren und äußerlich zuerst nur einseitig ihren Ausdruck fanden. Zwei mir nicht unwichtig erscheinende Momente lassen sich noch für die Annahme geltend machen, dass die Divergenz bei der Artbil- dung von deninneren Geschlechtsorganen ausgegangen und dann erst auf die Kopulationsorgane übergegangen sei. Erstens ist die Varia- bilitätsamplitude an den inneren Organen bei derselben Art eine kleinere, als an den Kopulationsorganen. Während z. B. die Valvae nebst ihren Anhängen häufig noch deutliche Varianten zeigen, ist der Zahnbesatz am Endstück des Ductus ejaculatorius entschieden konstanter in der Bildung und daher ein besseres Kriterium für die Artunterscheidung, noch mehr aber gilt dies bei den Weibchen für die Bursa, das Receptaculum und die Glandulae sebaceae. Es scheint somit, als ob die Divergenz in den inneren Organen schon durch eine längere Generationenreihe gefestigt sei; doch lege ich auf dieses Moment keinen besonderen Nachdruck. Zweitens aber sind bei nahe verwandten Arten die Unterschiede in den inneren Organteilen relativ fast immer bedeutender, als an den äußeren Kopulationsorganen. Ganz besonders tritt diese Erscheinung in solchen Gattungen hervor, die sicher zu den phylogenetisch jüngsten gehören, und deren Arten sich durch so geringfügige äußere Merkmale unterscheiden, dass in der Praxis die Determination gewöhnlich erst den Anspruch auf völlige Glaubwürdigkeit erheben darf, wenn eine „Autorität“ ihr Urteil gesprochen hat. So haben in der Gattung Tephroclystia (Eupithecia) die genauen Untersuchungen Schröder’s am männlichen Kopulationsapparat nur verhältnismäßig geringe Formunterschiede der. Valvae und des Uneus feststellen können, während nach meinen Untersuchungen das im Penisrohr liegende Endstück des Ductus ejaculatorius so überraschende Formverschieden- heiten bietet, dass danach die Bestimmung jeder beliebigen Kupi- thecia nicht die geringsten Schwierigkeiten bietet. Noch mehr in die Augen fallende Unterschiede zeigen die Weibchen dieser Gattung in der Bildung der Bursa copulatrix und des Ductus seminalis: jede Art bietet hier dem Untersucher neue Ueberraschungen. Die spezifischen Unterschiede am Ostium bursae sind im Ver gleich dazu so geringfügig, dass ich bei einer Beschränkung auf diesen Teil des Apparates Herrn Jordan wohl Recht geben würde, wenn er behauptet, dass in vielen Fällen die Bildung der äußeren Kopu- lationsorgane zur Unterscheidung der Arten nicht ausreiche. Nach meinen Erfahrungen bilden, wie die oben erwähnte pales- Gruppe lehrt, im allgemeinen die somatischen Variationen und die Variationen am Geschlechtsapparat zwei voneinander unabhängige Reihen. Die somatischen Variationen mögen, wie dies viele Arten der Schmetterlinge zeigen, noch so bedeutend sein: sie führen nur zur Erweiterung der Grenzen, die wir bei der Konstruktion des Art- - Petersen, Über indifferente Charaktere der Artmerkmale. 471 bildes ziehen, die Etablierung einer neuen Art erfolgt erst, wenn eine Gruppe dieser Varianten derartige Veränderungen des Ge- schlechtsapparates erfährt, dass geschlechtliche Entfremdung dieser Gruppe, also physiologische Isolierung eintritt. Daher haben wir einerseits Varietäten mit stark ausgeprägten, oft sehr auffälligen konstanten Charakteren, die gleichwohl nicht den Rang einer be- sonderen Art beanspruchen dürfen, weil sie erfahrungsgemäß sich ohne Schwierigkeit und mit unverminderter Fruchtbarkeit mit der Stammart mischen, — andererseits wiederum Arten, die sich durch minime Differenzen in indifferenten Charakteren von anderen nahe verwandten Formen scheiden und den Wert einer „Art“ mit vollem Recht beanspruchen, weil eben vollständige geschlechtliche Ent- fremdung eingetreten ist, oder aber derartig verminderte Frucht- barkeit bei der geschlechtlichen Vermischung eintritt, dass eine fortgesetzte Bastardierung zu vollständiger Sterilität führen müsste. Oft ist es genau dasselbe morphologische Merkmal, das als sicherstes Unterscheidungsmerkmal zwei Formen als Arten trennt oder im anderen Falle nur Stammart und Varietät, wie z. B. der Augen- punkt auf der Unterseite der Vorderflügel bei einigen Zycaena- Arten. — Diese Erwägungen führen uns zu dem Schluss, dass bei der Definition des Artbegriffes die Berücksichtigung der rein morpho- logischen Charaktere nicht ausreicht, und dass der physiologischen Seite der Frage eine mindestens ebenso wichtige Bedeutung zuzu- messen sei. Verfolgen wir die Definition des Artbegriffes historisch, so finden wir, dass bald das morphologische Moment, bald das physiologische im Vordergrunde steht, bald auch beiden gleiche Bedeutung zugemessen wird. Es wurde nur, wie mir scheint, die physiologische Differenzierung, soweit sie zu geschlechtlicher Ent- fremdung der Formengruppen geführt hat, erfahrungsgemäß als nackte Tatsache in Rechnung gebracht, und das Tatsachenmaterial, das die geschlechtliche Entfremdung zweier nahestehender Formen auf verschiedenem Bau der Generationsorgane zurückführte und somit mechanisch begründete, blieb ein sehr dürftiges (ich erinnere nur an die morphologischen Dissonanzen von Spermatozoen und Miceropyle). Dabei blieb immer noch die Möglichkeit bestehen, dass natürliche Zuchtwahl mit Nützlichkeitsmomenten operierend, diese geschlechtliche Entfremdung ins Leben gerufen habe, wie das von Weismann mit vollem Recht Romanes gegenüber gel- tend gemacht wird. Auch Jordan bedarf, wie einst Wagner und seine Nachfolger, noch der geographischen Isolierung, um die morphologischen Charaktere fixieren und gegenseitige Sterilität der Arten hervorbringen zu lassen. Meine Untersuchungen berücksichtigen nun gerade Fälle, wo indifferente Charaktere das sichere Kriterium für physiologisch getrennte Formengruppen abgeben. Es ergab sich hier eine mor- phologische Verschiedenheit des Geschlechtsapparates in engster Beziehung zur physiologischen Trennung. Da diese morphologische Verschiedenheit der Geschlechtsorgane nicht auf Grundlage jener 472 Petersen, Über indifferente Charaktere der Artmerkmale., indifferenten Merkmale durch natürliche Zuchtwahl erworben sein konnte, weil diese Merkmale keinen Nützlichkeitswert besitzen, da ferner die betreffenden Arten in enger Berührung miteinander leben, so folgt daraus, dass Arten auch ohne geographische Isolierung "und ohne Zutun der natürlichen Zuchtwahl sich bilden können, eben durch „physiologische Iso- lierung“. Der Einwand, dass solche jetzt auf denselben Flug- gebieten vorkommende Formengruppen etwa früher, d.h. vor ihrer Divergenz, g geographisch getrennt gewesen seien, könnte nur ein rein theoretisches Interesse beanspruchen und besitzt gerade für die von mir untersuchten Artkomplexe ein Minimum von Wahrscheinlichkeit. Herr Jordan findet meine Erklärung der Artbildung durch „physiologische Isolierung“ irisch, meint aber gleichwohl, dass meine Idee nicht neu, sondern auch schon von Dahl, Eimer, Standfuß, Romanes, Vernon und ihm selbst vorgebracht sei, wobei er aus dem Mangel an Zitaten (in meinem vorläufigen Be- richt) annehmen müsse, “dass keiner von diesen Autoren „Gevatter bei der „Physiologischen Isolation“ gestanden“ habe. So ehrenvoll es für mich wäre, mit den genannten illustren Autoren durch die Gevatterschaft nach russischem Kirchenrecht in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten, so glaube ich doch, dass ich auf diese Ehre nicht werde rechnen dürfen. Beim Fall Dahl (Zool. Anz. 1889, S. 262) würde ich meinerseits lebhaften Protest erheben. Die von Herrn Jordan beim Zitieren vielleicht etwas unglücklich heraus- gegriffenen Sätze, scheinen mir so wenig klar, dass ich gern auf eine Geistesverwandtschaft verzichte. Jedenfalls gehört, um mich bildlich auszudrücken, ein sehr wohlwollender Pinsel dazu, um diese Farbeninseln erst zu einem Gemälde zu gestalten. „Setzen wir Duft für Farbe“, sagt Herr Jordan, „so haben wir Petersen’s Punkt 2.“ Dies scheint mir auch etwas gewagt. Ich würde es umgekehrt einem Maler nicht übel nehmen, wenn er dagegen pro- testierte, dass man ihm in sein Gemälde statt der Farben Düfte setzte. Was nun speziell Romanes betrifft, der eine Frage aus meinem Aufsatz „fast wörtlich vorweggenommen“ haben soll, so muss ich auf die „Physiological Selection, an Additional Suggestion on the Origin of Spezies“ dieses Autors etwas eingehen, da man nach dem Titel erwarten könnte, dass es sich hier um eine Arbeit handle, die eine Lösung der vorliegenden Frage in einer bestimmten Form bringe. Ich habe die Romanes’sche Arbeit bis vor kurzem nur aus Referaten gekannt und bin bei der Abschätzung derselben nach diesen Referaten nicht fehlgegangen, wenn ich in ıhr den rein theoretischen Versuch gesehen habe, die Abtrennung durch zunehmende sexuelle Abneigung und Wechselsterilität zu erklären und damit die Naturzüchtung soweit nur irgend möglich in den Ruhestand zu versetzen. Die Aehnlichkeit meiner Idee der physiologischen Isolierung mit diesem Gedankengang liegt auf der Hand und lässt es als sehr natürlich und selbstverständlich er- scheinen, dass ich ganz unabhängig von Romanes die Fragestellung Oudemans, Eine literarische Ergänzung. 473 für die noch vorzunehmende Untersuchung sehr ähnlich formulierte. Der prinzipielle Unterschied liegt nun nicht nur darin, dass ich rein induktiv auf Grundlage schon verarbeiteten Beobachtungs- materials zu dieser Fragestellung gebracht wurde und die Lösung mit Hilfe der indifferenten Charaktere versucht habe, sondern auch darin, dass Romanes die Lösung der theoretisch gestellten Auf- gabe überhaupt garnicht versucht hat. Um den beiderseitigen Standpunkt klarzulegen, zitiere ich am besten die zusammenfassenden Schlusssätze aus der Romanes’schen Arbeit: It only remains to be said, that the theory of physiological selection has this immense advantage over every other theory that has ever been propounded on the origin of species: it admits of being either demonstrated or destroyed by verification. But the process of verification will be a most laborious one, and cannot be satisfactory completed (even if many naturalists should engage upon it) without the expenditure of years of methodical research. In view of this consideration, I have deemed it best to publish my theory before undertaking the labour of verification; for, by so doing, I hope to induce other naturalists to cooperate with me in barrying on the research in different parts of the world (Linn. Soc. XIX, 1886, p. 403). Aus dem nun folgenden Rezept für diese Untersuchungen geht vollständig klar hervor, dass Romanes die experimentell durch veränderte Lebensbedingungen etwa hervorgerufene resp. gesteigerte Wechselsterilität statistisch feststellen und nach den erhaltenen Resultaten erst Kritik an seine Theorie anlegen will, — während der theoretische Teil meiner Untersuchungen durch rein anatomisches Tatsachenmaterial hervorgerufen wurde und ganz von demselben beherrscht wird. Die Möglichkeit muss ich zugeben, dass diese Tatsachen einer besseren Auslegung fähig sind. Einstweilen habe ich keine bessere finden können. Die Frage nach der Priorität der Idee halte ich im vorliegenden Falle für eine durchaus unter- geordnete. Bekanntlich nahm Eimer dieselbe Romanes gegen- über schon längst für sich in Anspruch. Ich schließe mich in dieser Beziehung ganz einer bei anderer Gelegenheit geäußerten Bemerkung Ratzel’s an (Annalen der Naturphil. 1902, p. 352): „Indessen kam es auch hier nicht auf die Aeußerung kühner Ge- danken, sondern auf ihre Begründung und Anwendung an.“ Reval im Februar 1904. Eine literarische Ergänzung. Von Dr. J. Th. Oudemans, Amsterdam. Einige Monate, nachdem meine Arbeit „Etude sur la Position de Repos chez les Löpidopteres“ veröffentlicht war, machte Herr Dr.M. Standfuß mich darauf aufmerksam, dass er am 6. November 1893 einen Vortrag über „die Beziehungen zwischen Färbung und 4174 Oudemans, Eine literarische Ereänzune. +(4 J D Leben:gewohnheit bei den paläarktischen Großschmetterlingen“ gehalten hatte ın einer Sitzung der naturf. Gesellschaft in Zürich, welcher Vortrag in der Vierteljahrsschrift der genannten Gesell schaft, 1894, p. 85—119 zum Abdruck gelangt ist, Es sei mir erlaubt, von dieser Arbeit des Herrn Standfuß, welche mir unbekannt geblieben war, und also in meiner Schrift nicht erwähnt wurde, hier eine kurze Uebersicht zu geben. Ich beschränke mich auf denjenigen Teil, welcher die Ruhestellung der Lepidopteren behandelt (p. 87-97). Standfuß unterscheidet zwei Hauptruhestellungen, diejenige der Rhopaloceren, mit aufgeklappten Flügeln, und diejenige der Heteroceren, mit dachförmig nach unten geschlagenen Flügeln. Bei den ersten der Rhopaloceren werden nach Standfuß die Vorderflügel mehr oder weniger zwischen die Hinterflügel geschoben; die Färbung ist davon abhängig, d. h. die unbedeckten Teile sind ähnlich gefärbt und es liegt häufig ein schroffer Kontrast gegen die Färbung der gedeckten Teile der Unterseite des Vorderflügels vor, welche Gesetzmäßigkeit am klarsten zum Ausdruck gelangt, wenn einander sehr nahestehende Arten verschiedene Ruhestellungen einnehmen. Bei den letzteren (Heteroceren) unterscheidet Standfuß zwei Gruppen; die eine trägt die Flügel scharf dachförmig, die andere fast wagerecht. _- Wo sie dachförmig getragen werden (bei den meisten Sphingiden, Bombyciden, Noctuiden, (Greometriden p. p.) sind entweder die Hinterflügel vollkommen von den Vorderflügeln gedeckt und von diesen in der Färbung sehr verschieden, oder es bleiben gewisse Teile (an der Dorsalecke oder am Kostalrand) frei, welche die Färbung der Vorderflügel tragen. — Wo die Flügel wagerecht getragen werden (bei den meisten Geometriden) ist fast die” gesamte Oberseite beider Flügelpaare dem Lichte zugekehrt und besitzt den gleichen Färbungscharakter. Die Unterseite der meisten Heteroceren ist in der Ruhe dem Einflusse intensiven Lichtes entzogen und dementsprechend matter gefärbt als die dem Lichte ausgesetzten Teile. Einige Ausnahmen unter den Heteroceren bilden die Ruhe- stellung der Tagfalter; sie zeigen dann aber ein Kleid, welches mit ihrer Ruhestellung stimmt. Diejenigen Heteroceren, welche in der Ruhestellung eine un- gefähr gleiche Beleuchtung "der Ober- und Unterseite erfahren, be- sitzen oben und unten einen sehr ähnlichen Färbungscharakter. Hier zeigen obendrein die einander deckenden Teile der Vorder- und Hinterflügel untereinander auch eine ähnliche Färbung. Der Autor schließt diesen Teil seiner Arbeit mit der Be- hauptung, dass „der Färbungscharakter der Art im höchsten Grade abhängig ist von der dieser Art eigenen Ruhestellung, da sich in einer Anzahl von Fällen fast eine lineare Koinzidenz der Färbungs- umrisse mit den Umrissen des deckenden Flügels nachweisen lässt, so dass man umgekehrt ein Stück Biologie aus diesen Färbungs- verhältnissen förmlich abzulesen vermag.“ Volz, Über die Verbreitung einiger anthropoider Affen in Sumatra. 475 Über die Verbreitung einiger anthropoider Affen in Sumatra. Von Dr. Walter Volz, Assistent am zoolog. Institut der Universität Bern. Zoolog. Jahrb., Abt. f. Syst., Geogr. u. Biolog. V. XIX, 1903, p. 662—672. Seit einem Jahre bin ich mit Hilfe einiger Mitarbeiter be- schäftigt, das von mir während einer 3jährigen Reise um die Erde gesammelte zoologische Material zu untersuchen. Bereits ist eine Anzahl von Publikationen, die alle unter dem gemeinsamen Titel „Reise von Dr. Walter Volz“ erscheinen sollen, veröffentlicht). Andere werden demnächst erscheinen?). Ich möchte an dieser Stelle über die zuletzt erschienene Arbeit kurz berichten. Es ist längst bekannt, dass Flüsse und Ströme für Tierarten und selbst Gattungen so große Hindernisse bieten, dass man die- selben wohl auf dem einen, nicht aber auf dem jenseitigen Ufer trifft. Was speziell die anthropoiden Affen anbelangt, so haben einige Naturforscher bereits Beispiele erwähnt, dass auch für sie die Flüsse gelegentlich unüberschreitbare Hindernisse bieten. Für den Orang-Utan bildet der Langkatfluss in Nordostsumatra die öst- liche Verbreitungsgrenze. Für Borneo zeigte Büttikofer°), dass nur das Nordufer des Kapuasflusses vom Orang-Utan bewohnt wird. Den Gibbons- oder Langarmaffen, welche auf Südost-Asien be- schränkt sind, stellen sich öfters auch Flüsse als Schranken dar. Da diese Tiere sozusagen nie auf den Boden gehen, jedenfalls niemals schwimmen, so ist es bei der oft bedeutenden Breite der hinterindischen Flüsse begreiflich, wenn ihnen solche Wasserläufe, deren Ufer zum UÜberspringen zu weit auseinanderstehen, unüber- windliche Hindernisse bieten. Nach Schlegel*) bildet der Brahma- putrah die Nordwestgrenze für die ganze Familie der Hylebatiden und nach Buttihofer?) scheidet der Kapuasfluss auf Borneo zwei distinkte Arten der Gattung Hiylebates. In der Residentschaft Palembang, Südost-Sumatra, finden wir zwei Vertreter der Langarmaffen, nämlich den Siamang (Stamanga syndactylus Desmaer.) und den Wau Wau oder Ongka (Hylebates 1) M. Isenschmied, Über eine von Dr. Walter Volz in Sumatra ge- machte Sammlung von Batrachiern. — Mitt. d. Bern. Naturf. Ges. 1903. — W. Volz, Neue Fische aus Sumatra. — Zoolog. Anz. V. XXVI, 1903 p. 553— 559. — Fische von Sumatra. — Zoolog. Jahrb. Abt. Syst., Geogr. Biolog. V. XIX, 1903, p- 347—420. — Lacertilia von Palembang (Sumatra). — ibid., p. 421-430. — Über die Verbreitung von Siamanga syndactylus Desmar. und Hylebates agilıs Geoffr. u. Cuv. in der Residentschaft Palembang (Sumatra). — ibid. p. 662—672. 2) Im Druck sind: W. Volz, Schlangen von Palembang (Sumatra) und W. Volz, Zur Kenntnis der Suiden Sumatras. 3) F. A. Jentink, Zoological Results results of the Dutch scientific expe- dition to Central-Borneo. — Notes Leyden Mus. V. 20, 1898—99, p. 114. 4) Mus. hist. nat. Pays-Bas, V. 7, p. 12. Siı.dientink, L cp: 33. 6) Ich schreibe mit Jentink, l.c. p. 114, Hylebates an Stelle von Hylobates. 476 Volz, Über die Verbreitung einiger anthropoider Affen in Sumatra. agilis Geoffr. u. Cuv.). Diese beiden Arten kommen nie im selben Gebiete vor, sind vielmehr stets, und zwar durch Flüsse, von- einander geschieden. Letztere Art nimmt dabei im Palembang’schen ein viel größeres Gebiet für sich in Anspruch. Der Lamatang!), ein südlicher Zufluss des gewaltigen Musi, ist bis weit hinauf für kleine Flussdampfer, noch weiter, bis zum Städtchen Lahat, für Handelspranen das ganze Jahr befahrbar. Er bildet, wenigstens bis nach Lahat, die östliche Verbreitungsgrenze für den Siamang. Westlich vom Lemahang ist dieser große Gibbon überall vorhanden, stellenweise sogar häufig. Er bewohnt aus- schließlich die tiefen Urwälder, wagt sich aber doch gelegentlich bis an den Rand derselben, sogar an Stellen, wo er an Dörfer stößt. Das Verbreitungsgebiet des Siıamang dehnt sich vom West- ufer des Lematang aus bis über den Oberlauf des Musi; doch bleibt das Tier stets südlich vom Rawas, überschreitet jedoch den Rupitfluss. Östlich vom Lematang und nördlich von Musi und Rawas findet sich ausschließlich der Wau Wau oder Ongka. Er ist noch scheuer, als der Siamang. Meine vielen Reisen im Innern der Residentschaft Palembang boten mir Gelegenheit, genügend Beobachtungen über das Vor- kommen dieser Affenarten zu sammeln. Um zu wissen, ob ein Gebiet von dieser oder jener Art bewohnt sei, ist es übrigens nicht immer nötig, ans Land zu gehen; man kann vom Dampfer oder dem Boot aus mit dem Gehör ganz zuverlässig feststellen, welche Art hier vorkommt, Die Stimme der Hylebatiden ist näm- lich sehr laut und bei den einzelnen Arten sehr verschieden. Der Siamang singt zweistimmig, der Ongka einstimmig. Ubrigens sind auch durch die Malagen Beobachtungen zu erhalten, wobei es jedoch gut ist, ihre Aussagen womöglich zu kontrollieren. Die beiden erwähnten Affen sind im großen ganzen über ganz Sumatra verbreitet; um so auffälliger ist die scharfe Trennung zwischen beiden im Palembang’schen. Da die Tiere nach den An- gaben mehrerer Reisender, z. B. H. O. Forbes, auch ins Gebirge hinaufsteigen, wo die Flüsse schmaler sind und deshalb von den Affen übersprungen werden könnten, so ist diese Trennung um so auffälliger. Leider bin ich selbst nur bis an den Fuß des Gebirges gekommen; es würde aber hier gewiss noch manche interessante Beobachtung zu machen sein; denn es ist absolut nicht einzusehen, warum nicht beide Arten in ein- und demselben Gebiete miteinander leben könnten. Auch wäre es empfehlenswert, wenn ein Reisender in Hinter- indien sein Augenmerk auf die Verbreitung der dort vorkommenden, fünf verschiedenen, Mebates-Arten richten würde Es ist wohl möglich, dass auch dort die einzelnen Spezies durch große Flüsse voneinander getrennt sind. 1) Meiner Arbeit in Zoolog. Jahrb. habe ich p. 670 eine Kartenskizze mit den Verbreitungsgebieten der beiden Arten beigegeben. Häckel, Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des Menschen. 477 Ernst Häckel, Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des Menschen, Keimes- und Stammesgeschichte. 5. umgearbeitete und vermehrte Auflage, 2 Bände, 966 Seiten mit 512 Textfiguren sowie 30 Tafeln und 60 Tabellen und Stammbäumen. Leipzig, Verlag v. Wilhelm Engelmann, 1903. 24 Mk., geb. 28 Mk. Das berühmte Buch, welches zur Aufklärung über die wahre Natur des Menschen schon so viel beigetragen hat und manchen Jünger der Wissenschaft für die Entwickelungslehre begeisterte, ist in neuer und erweiterter Ausgabe erschienen. Indem ich auf Wunsch der Redaktion dieses Blattes das Werk bespreche, brauche ich nicht die bekannten Vorzüge der Häckel’schen Darstellungs- weise auseinanderzusetzen, die eigenartige und konsequente Durch- führung der Ideen, die schematische Klarheit und die fesselnde Schreibweise, ich will lieber die Stellung des Buches in der jetzigen Literatur kennzeichnen. Wie schon bei seinem ersten Erscheinen, so hat das Werk auch heute noch seine Bedeutung nicht allein darin, dass die schwierigen entwickelungsgeschichtlichen Tatsachen allgemein verständlich dargestellt werden, sondern vielmehr in dem Grundgedanken, dass die Ontogenie im Lichte der Phylogenie zu betrachten ist. Wohl gibt es in unserer Zeit für die Embryologie manche ebenfalls gut geschriebene und teilweise viel ausführlichere Lehr- bücher, aber die meisten derselben lassen den Gesichtspunkt der phylogenetischen Betrachtung allzusehr zurücktreten und bieten so nur eine trockene Beschreibung der Tatsachen, während Häckel die ontogenetische Darstellung durch die vergleichend-embryologische Auffassung belebt und ihr durch die phylogenetischen Beziehungen ein erhöhtes Interesse verleiht. In der neuen Auflage ist so- wohl die Stammesgeschichte der Wirbeltiere als auch die ver- gleichende Anatomie der einzelnen Organe noch in erweitertem Maße beigezogen. Die Bearbeitung der neuen Ausgabe war nicht ganz leicht, da seit der vorigen Auflage 12 Jahre vergangen sind, welche auf allen Gebieten der Entwickelungsgeschichte viele Fortschritte und neue Anschauungen gebracht haben. Der Verf. hat sich bemüht, den neueren Entdeckungen gerecht zu werden, und daher wurde das Buch beträchtlich umgearbeitet und vergrößert, sowie mit zahl- reichen neuen Abbildungen und mehreren neuen Tafeln ausgestattet. Unter den letzteren möchte ich Tafel 4 und 5 hervorheben, auf welchen die Embryonen der Amnioten (Reptilien, Vögel, Säugetiere, Mensch) in den Stadie ndes Primitivstreifens und der Medullarrohr- bildung vergleichend zusammengestellt sind, ferner die Tafeln der älteren Reptilien- und Säugerembryonen (Taf. S—14), sowie die schönen Bilder des Großhirns der verschiedenen Säugetiere (Taf. 22 u. 23), ferner die Variationen der Ohrmuscheln bei Affen und beim Men- schen (Taf. 26 u. 27), und die instruktive Tafel der Entwickelung der äußeren Geschlechtsorgane (Taf. 30). Von den neuen Textfiguren 4718 v. Binnenthal, Die Rosenschädlinge aus dem Tierreiche. werden der neue acoele Strudelwurm Aphanostomum Langü (p. 570), der Bärenembryo mit Schuppen (p. 700), die mannigfachen Bilder der Embryonen des Menschen und der Affen, die Schwanzanlage beim Menschen (nach Harrison p. 388) und manches andere für den Biologen interessant sein. Auch die zahlreichen Stammtafeln sind für den Fachmann beachtenswert, denn es dürfte in Deutsch- land keinen zweiten Forscher geben, welcher die Tatsachen der Paläontologie, Zoologie und Embryologie, welche gemeinsam bei der Aufstellung von Stammbäumen zu berücksichtigen sind, in so um- fassender Weise beherrscht wie Häckel. In den embryologischen Einzelheiten vermag ich dem Verf. bei gewissen strittigen Punkten nicht immer zuzustimmen; es gibt ja in der Entwickelungsgeschichte viele Probleme, bei welchen man auf Grund der Literatur verschiedenartige Ansichten rechtfertigen kann. Das Buch hat nicht den Zweck, die embryologischen Lehr- bücher zu ersetzen, sondern seine Aufgab liegt hauptsächlich darin, dass die Embryologie unter großen Gesichtspunkten betrachtet und als Beweismittel der Deszendenzlehre den weitesten Kreisen ver- ständlich gemacht wird. Der freie Geist der monistischen Philosophie, welcher das ganze Buch durchzieht, wird viele begeisterte Freunde finden, gerade weil er in lebhaftem Gegensatz steht zu den rückschrittlichen Strömungen, welche auf manchen Gebieten unseres Geisteslebens jetzt so mächtig hervortreten. H. E. Ziegler (Jena). [39] Richter v. Binnenthal, Fr. 1903. Die Rosenschädlinge aus dem Tierreiche, deren wirksame Abwehr u. Bekämpfung. Ein Ratgeber für die gärtnerische Praxis, herausg. vom Verein deutscher Rosenfreunde. Mit 50 Textillustrationen v. Alex. Reichert. Stuttgart, E. Ulmer, 8° X, 392pp. 4 Mk. Wenn wir dieses Buch hier besprechen, so möchten wir als Berechtigung hierzu anführen, dass das Gebiet des Pflanzenschutzes wie wenig andere das Interesse des Biologen verdient. Denn in ihm berühren sich die verschiedensten Gebiete der Naturwissen- schaft. Und gerade solche Berührungspunkte lassen uns die tiefsten Blicke tun in das unendlich verwickelte und doch so wunderbar einfache und geregelte Getriebe der Natur. Da das vor- liegende Buch, ganz entgegen seinem bescheidenen Untertitel, mit einer geradezu vorbildlichen wissenschaftlichen Gründlichkeit und Genauigkeit durchgearbeitet ist, erscheint es ganz besonders ge- eignet, denjenigen als Grundlage zu dienen, die sich für speziellere oder allgemeinere Fragen der "Phytopathologie interessieren, ohne genügend Zeit zu haben, die zur Kritik derartiger Werke nötigen Kenntnisse sich zu erwerben. In der Einleitung gibt der Verf., gestützt auf R. F. Solla, eine kurze Übersicht über die Natur der von Tieren verursachten Schädigungen. Blattfresser stören die chemischen Ernährungs- vorgänge in der Pflanze und können selbst ein gänzliches Unter- bleiben der Bildung organischer Stoffe zur Folge haben. Wurzel- fresser hindern die Aufnahme der anorganischen Nährstoffe, wenn v. Binnenthal, Die Rosenschädlinge aus dem Tierreiche. 479 sie die jungen Wurzelteile zerstören, die Leitung der aufgenommenen Stoffe nach oben, der verarbeiteten nach unten, wenn sie alte Wurzelteile vernichten. Alle Fresser stören durch Bloslegung innerer Gewebe das Gleichgewicht aller Vorgänge ın der Pflanze und ermöglichen Schädigungen der Außenwelt (organischen und an- organischen, Wasser, Trockenheit, Sonnenstrahlen u. s. w.) den Ein- tritt. Zerstörer der Blüten oder Samen verringern den Ertrag. Verschiedene Schädiger erzeugen auf verschiedene Weise Verun- staltungen und Wachstumshemmungen. Saugende Tiere schaden nicht nur durch Entziehung der gelösten Nährstoffe, sondern oft noch durch Ausscheidung von Gift in die Wunde und Ex- krementen auf die Pflanzen, die wieder deren assimilierende Tätigkeit herabsetzen. Gallen sind, da ihre Verunstaltungen nicht immer nennenswert sind und das Gesamtwachstum nicht wesentlich beein- trächtigen, nur dann von größerer Bedeutung, wenn sie Knospen oder Wurzeln betreffen. Das 2. Kapitel: „Allgemeines über die Entwickelung und den Lebensgang in der tierischen Kleinwelt“ ist bio- logisch ebenfalls von Interesse. Im 3. Kapitel werden „Abwehr und Bekämpfung der Schädlinge“ abgehandelt. Nach einleitenden Worten über die Schutzmittel der Insekten wird Anleitung zu ihrem Fange gegeben. Bei der Besprechung des Fanges mit Licht wird darauf hingewiesen, wie die elektrischen Lampen die fliegenden In- sekten ihrer Umgebung außerordentlich dezimieren und so der Faunenzusammensetzung oft ein ganz anderes Gepräge geben. Die tierischen Feinde und pflanzlichen Parasiten der Schädlinge werden in ihrer Bedeutung kurz beleuchtet. Ausführlich werden die direkten Bekämpfungsmittel besprochen, die den Zweck haben, die Feinde der Kulturgewächse unschädlich zu machen, ohne diesen letzteren selbst zu schaden — ein Kapitel, das praktisch ziemlich durchgearbeitet ist, der rein wissenschaftlichen Forschung aber noch eine Fülle nicht einmal in Angriff genommener Auf- gaben stellt. Abgesehen von der ganz verschiedenen Empfindlich- keit der Schädlinge gegen diese Mittel — eine Verschiedenheit die so groß ist, daß man fast gegen jeden Schädling ein eigenes Mittel oder eine eigene Konzentration eines solchen ausfindig zu machen suchen muss — ist es doch eine höchst merkwürdige Sache, dass diese Mittel die Tiere vernichten, die Pflanzen nicht oder nur wenig angreifen. Petroleum in größerer Verdünnung oder in ge- wissen Mischungen (Emulsionen) tötet z. B. fast jeden Schädling ohne, richtig angewandt, selbst zartere Pflanzenteile anzugreifen. Tabak wirkt auf alle Pflanzenläuse verderblich, auf manche andere Insekten nur vorübergehend betäubend, auf die Pflanzen selbst geradezu als Reizmittel; u. s. w. Eingefügt in dieses Kapitel ist ein Absatz über den Einfluss der Witterung auf das Insektenleben, wonach der Winter, ob abnorm kalt oder abnorm milde, diesem nicht viel anlıaben kann, dagegen schroffe Wechsel von starker Kälte und großer Wärme verheerend 480 Seegen-Preis. wirken. Zeitiges Frühjahr mit folgendem trockenen Sommer be- günstigt die Insektenplage, mäßige Feuchtigkeit während der Vege- tationsperiode kräftigt die Pflanzen und macht sie widerstandsfähiger. Im systematischen Teile des Buches sind fast alle Insekten- ordnungen, außerdem von Spinnen die Tetranychiden und von Würmern die parasitären Nematoden vertreten. Auf Einzelheiten hier einzugehen, würde zu weit führen. Es sei nur darauf hinge- wiesen, dass viele unserer wichtigsten Obstbaum- (die Obstbäume gehören ja zu den Rosaceen) und Forstinsekten, damit also unserer wichtigsten und häufigsten Insekten überhaupt, eingehend besprochen sind, während andererseits wiederum eine Anzahl der interessantesten Rosenfeinde monophag sind, und dass sich hier zahlreiche Einzel- ausführungen zu den Andeutungen in den allgemeinen Kapiteln I und III finden. Vorzügliche Illustrationen schmücken diesen Teil. Dass das Richtersche Werk auch seine Fehler und Mängel hat, versteht sich von selbst. Indessen sind diese, soweit sie Ref. bekannt geworden sind, so gering, dass ein Eingehen auf sie sich nicht lohnt, und dass sie den hohen Wert des Buches, das zu den allerbesten deutschen zoologisch-phytopathologischen Büchern ge- hört, nicht herabsetzen. Der Vollständigkeit halber sei aber ein Vorwurf erwähnt, den einzelne Kritiker ın Ermangelung sachlicher Einwände erheben zu müssen glaubten, dass nämlich Richter nicht die zahlreichen Namensänderungen der letzten Jahre angenommen hat. Wenn man sieht wie die Befolgung dieser theoretisch ja sehr schön aus- gedachten Nomenklaturregeln nicht nur nicht die beabsichtigte Wirkung: die spärlich vorhandenen Unsicherheiten zu beseitigen, erreicht hat, sondern im Gegenteil einen Zustand der Unsicherheit und Verwirrung geschaffen hat, der geradezu eine ernste Gefahr für die zoologische Systematik geworden ist, wenn man weiter sieht, wie dieser Zustand nicht nur kein Ende absehen lässt, son- dern sich fast von Tag zu Tag verschlimmert, so muss man es freudig begrüßen, wenn jemand den Mut hat, gegen diesen Mode- strom anzuschwimmen. Für ein Buch aber, das sich nicht an Spezialisten wendet, sondern an einen weiten Kreis nicht einmal zoologisch Vorgebildeter, wie das Richtersche, ist die Nichtbefolgung der Nomenklaturregeln ein ganz besonderer Vorzug. Reh. Seegen-Preis. Die mathem.-naturw. Klasse der kaiserlichen Akademie zu Wien hat in ihrer Sitzung vom 13. Mai 1.J. beschlossen, den Einreichungstermin für den von weiland k. M. Prof. J. Seegen gestifteten Preis bis zum 1. Februar 1906 zu verlängern. Der Wortlaut dieser Ausschreibung ist: „Es ist festzustellen, ob ein Bruchteil des Stickstoffes der im tierischen Körper umgesetzten Albuminate als freier Stickstoff in Gasform, sei es durch die Lunge, sei es durch die Haut ausgeschieden wird. Der Preis beträgt 6000 Kronen. Die konkurrierenden Arbeiten sind, in deutscher, französischer oder englischer Sprache abgefasst, vor dem 1. Februar 1906 an die Kanzlei der kaiserl. Akademie der Wissenschaften einzusenden. Die Verkündigung der Preiszuerkennung findet in der feierlichen Sitzung der Akademie Ende Mai 1906 statt.“ Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. DRSITV. Ba. 1. u. „15. August 1904. 2215 u. 16. Inhalt: Klebs, Über Probleme der en ee — Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. — Schaposchnikow, Eine neue Erklärung der roten Färbung im Hinterflügel bei Catocala Sehr. — Handlirsch, Zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynehoten. Ein morphologisch-biologischer Beitrag. — Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. — Portig, Das Weltgesetz des kleinsten Kraftauf- wandes in den Reichen der Natur. Über Probleme der Entwickelung'). Von Georg Klebs. IL. (Fortsetzung.) 10. Steigerung des Nährsalzgehaltes im Außenmedium. Bei Vaucheria repens beobachtete nr dass in Kulturen von 0,6°/, Knoplösung, die nicht weit entfernt von dem für den Prozess maß- gebenden Maximum der Konzentration war, in der ersten Zeit kräf- tiges Wachstum erfolgte, dann aber ohne merkbare Änderungen von Licht und Temperatur Zoosporenbildung eintrat (1896 S. 51), Viel auffallender zeigt sich dies Verhalten bei Vaucheria clavata, die überhaupt in den Nährsalzlösungen ein beschränktes Wachstum besitzt, vielleicht im Zusammenhang mit der sauren Reaktion der Knoplösung, da nach Benecke (1898 S. 87) die nahverwandte V. fluwiatilis besser in schwach alkalischer Nährsalzlösung wächst'). 1) Bei Vaucheria repens habe ich (1896 S. 68) den Einfluss der alkalischen und sauren Reaktion des Außenmediums auf die Zoosporenbildung untersucht. Der Prozess kann sowohl bei saurer wie alkalischer Reaktion vor sich gehen. In ge- wöhnlicher Wasserkultur macht die Alge das Wasser im Licht durch die Photo- synthese alkalisch, im Dunkeln neutral oder schwach sauer. Ob unter Umständen XXIV. 31 482 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Keimlinge, die aus Wasser in 0,2°/, versetzt werden, wachsen an- fangs, bilden dann Zoosporen. Ältere Fäden, die im Wasser nur wachsen, bilden Zoosporen nach 8 Tagen, wenn man sie in Nähr- lösung von 1°/, überführt (1896 S. 59). Dieser Einfluss einer Steigerung der Konzentration des Außenmediums hängt zugleich von der Mitwirkung des Lichtes ab. Da der Prozess nicht beim Wechsel des Mediums, sondern erst nach einiger Zeit des Aufent- haltes eintritt, so muss die ihn erregende Veränderung allmählich entstehen. Diese Tatsachen sind von besonderem Interesse im Hinblick auf die vorhin gemachten Angaben, nach denen eine Verminde- rung der Konzentration Zoosporenbildung veranlasst, sogar bei der gleichen Spezies Vaucheria repens. Verminderung wie Erhöhung der Konzentration führen zu dem gleichen Ziel, aber unter ver- schiedener Einwirkung anderer Faktoren. Denn im ersten Falle wirkt das Licht dem Prozess eher entgegen, im letzteren Falle ist es notwendig. Außerdem wirkt bei V. repens die Konzentrations- erhöhung doch nur nahe der Grenze. Bei V. clavata wirkt der Übergang aus konzentrierteren in verdünntere Lösungen überhaupt nicht in dem Grade, wie die Steigerung der Konzentration (1896 S. 61). Die Frage, ob doch in diesem Falle eine gleiche innere Veränderung den Prozess erregt, z. B. eine relative Konzentrations- verminderung der Salze (s. S. 459) lässt sich bisher nicht sicher entscheiden. Ein etwas abweichendes Verhalten bietet Oedogonium capillare dar, dessen Fäden im Wasser und im Dunkeln viele Zoosporen bilden, aber nur vereinzelte bei Anwendung verdünnter Nährsalzlösungen. Ebensowenig erfolgreich ist auch der Übergang aus Nährlösung in reines Wasser. Nimmt man dagegen Fäden, die sich durch eine starke Anhäufung von Reservestoffen wie Stärke auszeichnen und nicht mehr wachsen und bringt sie in Nährlösungen (0,1°/,) bei Mitwirkung des Lichtes, so erfolgt lebhafteste Zoosporenbildung. Die Salze bedingen im Licht eine Auflösung der Reservestoffe ; dabei könnte, wie ich es sicher im gleichen Falle für Hydrodietyon nachgewiesen habe (1890 S. 365), die Konzentration des Zellsaftes sinken und hier bei Oedogonium den Prozess veranlassen. Aber auch hier werden wir andererseits Begünstigung der Zoosporenbildung durch höher konzentrierte Lösungen kennen lernen. 11. Steigerung der organischen Nährstoffe im Außen- medium. Die fördernde Wirkung von Rohrzuckerlösungen wurde be- ein Wechsel der Reaktion bezw. eine Steigerung oder Minderung der alkalischen oder sauren Reaktion die Zoosporenbildung bei Vaucheria oder anderen Algen her- beiführen könnte, wäre genauer zu untersuchen. Klebs, Über Probleme der Eintwickelung. 485 reits für Vaucheria angegeben (s. S. 465). In viel stärkerem Grade erregen Rohrzuckerlösungen die Bildung der geschlechtlichen Schwärmer der Gameten bei Hydrodietyon, so dass selbst Netze mit einer Neigung zur Zoosporenbildung dazu veranlasst werden. Die Konzentration übt einen geringen Einfluss aus; eine Lösung von 1°/,, bisweilen sogar von 0,5°/, wirkt bereits erregend. An- dererseits treten Gameten noch in 16°/, Zucker auf. Selbst nach 3—4 wöchentlicher Verdunkelung der Zellen bildeten diese, in Zuckerlösung übergeführt, Gameten. Die merkwürdigste Tatsache (1890 S. 380) dieser Art lieferten Kulturen in 2°/, Glyzern; nach 10monatlichem Aufenthalt im Dunkeln, wobei die Zellen in den ersten 3 Monaten in verdünnter Zitronensäure (0,03°/,), die übrige Zeit in 2°/, Glyzerin sich be- fanden, bemerkte ich in den Zellen Gametenbildung. Hier war der ganze Lebensprozess, wie speziell die Fortpflanzung der grünen Alge, ganz auf Kosten des Glyzerins geschehen. Ebenso erregen Maltose und Duleit den Prozess aber vorzugsweise im Dunkeln, da diese Substanzen im Licht mehr die Zoosporenbildung bewirken (1896 S. 163). Auf die chemische Wirkung organischer Substanzen kommt es auch bei Conferve minor (1896 S. 351) an, die im Wasser im Dun- keln nur in den ersten Tagen Zoosporen bildet und dann damit aufhört. Solche Fäden werden aber zur intensivsten Fortpflanzung gebracht, wenn sie in Lösungen organischer Substanzen überge- führt werden. Am stärksten erregend wirken Inulin, Amygdalın, Aes- culin, Salicin, Maltose, Raffinose, Sorbit, alles Körper, welche zucker artig sind oder Zucker liefern. Selbst so verdünnte Lösungen, wie die von Aesculin (gesättigt ca. 0,1°/,) oder Salicin (0,1) oder Inulin (kalt gesättigt) wirken intensiv und lehren, dass die Erhöhung des osmotischen Druckes nicht in Betracht kommt; anorganische Nähr- lösungen haben auch niemals den gleichen Erfolg. Eine Reihe anderer Substanzen, wie Rohrzucker, Traubenzucker erregen den Prozess nur beim Übergang aus Licht in Dunkelheit, nicht bei Fäden, die bereits einige Zeit im Dunkeln gelebt haben. Nach- weisbar treten diese Zuckerarten m die Zellen ein und erhöhen wohl zu schnell die Konzentration, so dass der Prozess bald ge- hemmt ist. Daraus erklärt sich vielleicht auch die Tatsache, dass die Substanzen wie Inulin ete. nur wirksam sind, so lange das Licht fern gehalten wird. In anderen Fällen wirkt die Lösung organischer Stoffe be- sonders von Rohrzucker mehr durch Steigerung des osmotische- Druckes, aber zugleich auch durch andere Eigenschaften, da ihre Wirkung nicht durch Salze ersetzt werden kann. Die Zoosporen- bildung von Oedogonium capillare erfolgt im Wasser nach Ver- dunkelung. Der Vorgang wird in hohem Grade gesteigert durch alt 484 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Zuckerlösung, und um so stärker, je konzentrierter sie ist, bis zu einer gewissen Grenze. Das Optimum der Wirkung liegt bei 10°/,; selbst noch in 20°/, treten Zoosporen auf, während bei noch höherer Konzentration wie 24°/, völlige Hemmung erfolgt‘). Helles Licht wirkt der Zuckerlösung entgegen. Nährsalz- oder Salpeterlösungen verhindern den Prozess sehr bald im Dunkeln. Die Grenze für Salpeter liegt bereits bei 0,3°/,. Die chemischen Eigenschaften dieser Salze wirken sehr viel stärker hemmend ein als die physi- kalischen fördernd. Es ist nicht sicher anzugeben, ob die Ver- minderung des Wassergehaltes der einzige Grund für die Wirkung der konzentrierten Zuckerlösung ist oder ob andere unbekannte Einflüsse mitspielen. 12. Steigerung der Feuchtigkeit beim Übergang aus Luft in Wasser oder aus relativ trockener in feuchtere Luft. Bei Sporodinia (s. S. 463) wird ein gut ernährtes Mycelium veranlasst, an Stelle von Sporangien Zygoten zu bilden, wenn man es aus mäßig feuchter in ganz feuchte Luft bringt. Bei einer An- zahl Algen bewirkt der Übergang aus Luft in Wasser Zoosporen- bildung, so bei Vaucheria repens, Protosiphon botryoides, Hormidium-, Bumilleria-Arten, Botrydium granulatum. Zunächst wird man daran denken, dass eine Vermehrung des Wassergehaltes bezg. eine Verminderung der Konzentration bei solchen Algen erregend wirkt, indem einfach Wasser eintritt oder auch Substanzen aus der Zelle heraustreten. Aber auch hier liegt die Sache nicht so einfach. Denn Zellen von Protosiphon, die auf feuchtem Lehm erzogen sind, erzeugen Schwärmer (Gameten) sogar nach Überführung in 1°/, Nährsalzlösung, also bei sehr hohem Außendruck (1896 S. 200); man vergleiche die analoge Erschei- nung bei Hydrodietyon (s.S. 458). Möglicherweise könnte auch eine Verminderung des Sauerstoffgehaltes mitwirken wie bei den Algen des fließenden Wassers (s. S. 460). Charakteristisch ist für die äußere Veränderung, dass der Wechsel die Veranlassung gibt und wesent- lich nur in der ersten Zeit wirkt. Bei Vaucheria repens gelang es mir, die Zoosporenbildung auszuschließen, indem ich die Fäden ganz allmählich in das Wasser hineinwachsen ließ (1896 S. 15). 13. Steigerung des Sauerstoffgehaltes. Bei obligat aeroben Bakterien erfolgt die Sporenbildung nur nach Zutritt von Sauerstoff (Schreiber 1896) ebenso wie die Sporenbildung der Hefe nach Hansen, von Mucor racemosus nach meinen Beobachtungen. Von einem Minimum ab steigert erhöhter 1) In meinem Werk (1896 S. 289) habe ich einen Fehler gemacht, den ich hier berichtigen möchte. Ich habe den Einfluss der Zuckerlösung in einer Herab- setzung des osmotischen Druckes gesucht; sie vermindert aber nur die Turgescenz durch Verminderung des Wassergehaltes, mit dem eine Erhöhung des Zellsaft- druckes verbunden sein muss. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 485 Sauerstoffgehalt den Prozess bis zu einem nicht näher bestimmten Optimum. Bei fakultativ anaeroben Bakterien z. B. Baeillus lactis Nr. I Flügge kann nach Matzuschita (1902) die Sporenbildung in einer Atmosphäre von Wasserstoff eintreten, aber viel langsamer als in der Luft. Bei den obligat anaeroben Bakterien dagegen bewirkt Sauer- stoffzutritt nach Matzuschita sofort Sporenbildung, auch in einer Nährflüssigkeit, die unter Wasserstoff noch lebhaftes Wachstum gestattet. In der gleichen Nährflüssigkeit erfolgt bei Clostridium butyrieum die Sporenbildung unter Wasserstoff nach 4 Tagen, bei Luftzutritt nach 1 Tage. Für Baeillıs botulinus ist der Unterschied noch viel größer, unter Wasserstoff nach 20 Tagen, bei Luftzutritt nach 2—3 Tagen. Am schnellsten wirkt normaler Luftdruck; ein solcher von 167 mm nur sehr langsam. Der plötzliche Zutritt des Sauerstoffs verhindert möglicherweise die Nahrungsaufnahme, so dass das Wachstum sofort zum Stillstand gebracht wird und die noch in der Zelle vorhandenen Nährstoffe für die Sporenbildung verwendet werden. 14. Steigerung der Temperatur. Wenn man absieht von der allgemeinen Abhängigkeit jedes Lebensprozesses, also auch jeder Fortpflanzung, von der Temperatur und nur nach ihrem direkt sie veranlassenden Einfluss fragt, so kenne ich eigentlich nur ein charakteristisches Beispiel, die Alge Oedogonium diplandrum (syn. pluviale). Die Temperaturgrenze für die Z,oosporenbildung liegt zwischen 0,5° und 35°. Kultiviert man die Alge in einer an Temperatur unter 10°, so bewirkt eine Erhöhung um 5° lebhafte Zoosporenbildung. Der Übergang aus einer Temperatur über 10° in höhere, z. B. von 15° auf 26° ver- anlasst nicht den Prozess, uni der Übergang aus höherer in niedere Temperatur (1896 S. 267). Aus dieser Übersicht erkennt man, dass die mannigfaltigsten Änderungen der Außenwelt die Fortpflanzungsprozesse niederer Pflanzen hervorrufen können. Dabei ist gar nicht anzunehmen, dass die Zahl wirksamer Faktoren auch nur einigermaßen erschöpft wäre. Es gibt gewiss noch mancherlei Veränderungen, die je nach der Spezies, je nach den begleitenden Umständen wirksam sind. Die bei den Krümmungsbewegungen bekannten äußeren Reize wie mechanische Berührung, Gravitation, galvanischer Strom sind bisher nicht als Erreger von solchen Entwickelungsvorgängen nachgewiesen worden. Meine eigenen mehr gelegentlichen Versuche sind in dieser Hinsicht negativ verlaufen. Lageveränderungen hatten weder auf die Zoosporen- noch Oosporenbildung von Vaucheria Einfluss. Auch die beständige Rotation am Klinostaten, eine beständige 486 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. mechanische Erschütterung an einem Zentrifugalapparat (1892 S. 67) hatten keinen merkbaren Erfolg. Ebensowenig gelang es mir mit Hilfe eines schwachen galvanischen Stromes, die Vorgänge bei Vaucheria zu beeinflussen, und auch Änderungen der alkalischen oder sauren Reaktion hatten bei Vaucheria repens keinen merk- baren Erfolg. Aber eingehende Studien könnten bei diesem oder jenem Orga- nismus zum Ziele führen. Auf der anderen Seite sind die For- schungen äußerst lückenhaft, weil nur ein sehr kleiner Teil der bekannten Algen und Pilze untersucht ist. Viele Algen, vor allem die Mehrzahl der Meeresformen, ferner parasitische Pilze mit ihren so mannigfaltigen Fruchtformen, wie die Uredineen, sind in bezug auf ihre äußeren Entwickelungsbedingungen völlig unbekannt, weil es noch nicht möglich war, sie in größerem Maßstab zu kultivieren. Gerade bei Algen ist die Untersuchung mit vielen Schwierigkeiten verknüpft, weıl ihre Kultur nicht leicht ist und weil sehr kleine Änderungen der Außenwelt die Entwickelung bedingen, wie z. B. bei der in fließendem Wasser lebenden Ulothrix zonata. Halten wir uns an die zur Zeit gewonnenen Tatsachen, so sehen wir oft deutliche Unterschiede zwischen den Algen einer- seits, den nicht grünen Pilzen, Bakterien, Myxomyceten anderer- seits. Solche Unterschiede, die auf der verschiedenen Ernährungs- weise beruhen, steigern sich noch, wenn man die im Wasser lebenden Algen mit den landbewohnenden Pilzen vergleicht. Die größte Mannigfaltigkeit zeigt sich bei der Zoosporenbildung der Algen; spezifische Unterschiede auch bei Arten der gleichen Gat- tung z. B. von Oedogonium treten oft scharf hervor. Gewisse ge- meinsame Züge prägen sich bei Algen aus, die an ähnlichen Stand- orten wachsen. So werden die Bewohner fließender Gewässer durch den Übergang in ruhig stehendes Wasser, die Bewohner des feuchten Erdbodens oder der Rinde durch den Übergang in Wasser zur Zoosporenbildung gebracht. Gegenüber der ungeschlechtlichen Fortpflanzung zeichnet sich die geschlechtliche bei den Algen durch eine im wesentlichen übereinstimmende Abhängigkeit von be- stimmten Faktoren aus; auch die Fruchtbildung der höheren Pilze zeigt ın dieser Beziehung gemeinsame Züge. Wenn man jetzt versuchen will, in der zunächst verwirrenden Mannigfaltigkeit der einzelnen Erscheinungen etwas Einheitliches zu erkennen, so wird man sich an eine sehr wesentliche Tatsache halten, die aus allen Erfahrungen hervorgeht. Es sind immer die gleichen äußeren Bedingungen, welche sowohl für das vegetative Wachstum als auch für die verschiedenen Fortpflanzungsformen des gleichen Organısmus wirksam sind. Spezifisch tätige Faktoren gibt es weder für die einen, noch für die anderen Gestaltungsprozesse. Da gemäß den Erfahrungen die einzelnen Entwickelungsvorgänge Klebs, Über Probleme der Entwieckelung. 487 ein verschiedenes Verhältnis zu den äußeren Bedingungen haben, so kann diese Verschiedenheit nur auf quantitative Unterschiede der gleichen Bedingungen zurückgeführt werden. Die in diesem Abschnitt gegebene Überseh: ee bei den Algen und Pilzen wirk- samen Faktoren liefert unmittelbar das Beweismaterial. Nach meiner Auffassung liegt demgemäß der ent- scheidende Grund für das Auftreten von Fortpflanzungs- organen, an Stelle des vorhergehenden Wachstums, in quantitativen Veränderungen der für alle Gestaltungs- prozesse wichtigen, em äußeren Bedingungen. Diese Änderungen entspr lan ihrer Bedeutung nach den „formativen Reizen“. Wenn ich auch hie und da die Frage berührt habe, welche inneren Vorgänge in den Zellen durch die äußeren Ver- änderungen hervorgerufen werden, so erscheint es mir doch wesent- lich, etwas näher darauf einzugehen, allerdings mit dem Bewusst- sein, einen sehr unsicheren Boden zu betreten. Literatur. Baker, B. T. A. On Spore-formation among the Saecharomycetes. Journ. Inst. Brewing. Vol. VIII, 1902. Benecke, W. Über Kulturbedingungen einiger Algen. Bot. Zeitg. 1898. Brefeld, O., Botan. Untersuchungen über Schimmelpilze. Heft III, Leipzig 1877 — Bot. Ten Heft VIII, 1889. Buchner, H. Über die Ursache der Sporenbildung bei Milzbrandbazillen. Centralbl. f. Bakt. VIII, 1890. Famintzin. Die anorganischen Salze als Hilfsmittel zum Studium der Entwicke- lung niederer chlorophyllhaltiger Organismen. Mel. biol. Akad. de St. Petersbourg, VIII, 1871. Gräntz. Über den Einfluss des Lichtes auf die Entwickelung einiger Pilze. 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Zur Physiologie der Sporenbildung der Bazillen. Inaug.-Diss. Halle 1902. Migula, W. System der Bakterien. Jena 1887. Pfeffer, W. Pflanzenphysiologie 2. Aufl. Bd. I. Leipzig 1897. 488 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Potts, G. Zur Physiologie des Dictyostelium mucoroides. Flora 1902. Raciborski, M. Über den Einfluss äußerer Bedingungen auf die Wachstums- weise von Basidiobolus. Flora 1896. Ravn, K. Über einige Helminthosporium-Arten und die von denselben hervor- gerufenen Krankheiten bei Gerste und Hafer. Zeitschr. f. Pflanzenkrank- heiten XI, 1901. Schreiber, ©. Über die physiologischen Bedingungen der Sporenbildung bei Baecillus anthracis u. s. w. Inaug.-Diss. Basel 1896. Ternetz, Charl. Protoplasmabewegung und Fruchtkörperbildung bei Ascophanus carneus. Jahrb. f. wiss. Bot. XXXV, 1900. Werner, ©. Die Bedingungen der Conidienbildung bei einigen Pilzen. Inaug.- Diss. Basel 1898. Ward, M. The morph. and phys. of an Aquatic Myxomycete. Stud. Lab. Owens College 1886.' 3. Uber das Verhältnis von äusseren und inneren Bedingungen bei Algen und Pilzen. Als Ausgangspunkt nehme ich die Tatsache, dass ein vege- tativer Teil eines Thallophyten, der Faden eimer Vaucheria oder Spirogyra, das Mycelium einer Saprolegnia oder eines Ascomyceten, das Plasmodium eines Myxomyceten, die Zelle von Chlamydomonas oder einer Bakterie in unaufhörlichem Wachstum erhalten werden kann, das je nach dem speziellen Charakter des Organismus zu- gleich mit Zellteilung verbunden ist. Dieses fortdauernde Wachs- tum findet dann statt, wenn alle äußeren Ernährungsbedingungen in optimalem Grade wirksam sind, die Zufuhr geeigneter organischer Nahrung bei den Saprophyten, von Nährsalzen und Licht bei den grünen Algen, für Alle die nötige Menge von Feuchtigkeit, Sauer- stoff und die nötige Temperatur. Alle diese Bedingungen müssen auch in einem geeigneten opti- malen Verhältnis zueinander stehen. Eine einseitige Förderung irgend eines der Faktoren wirkt nicht durchaus günstig, wenn an- dere nicht in entsprechendem Maße zunehmen. Ferner kommt es auf die Beziehungen der äußeren Einflüsse zu anderen Lebensprozessen an, die gleichzeitig neben dem Wachstum in der Zelle verlaufen (vergl. Schimper 1898 S. 50). Dazu gehören die Prozesse des abbauenden Stoffwechsels (Pfeffer 1897 S. 436); Dissimilation Reinke 1901 S. 270), vor allem die Atmung, die durch steigende Temperatur bis zur Lebensgrenze gesteigert wird und sich dadurch vom Wachstum unterscheidet. Die höchste Intensität des Wachstums wird dann stattfinden, wenn der aufbauende Stoffwechsel zum abbauenden in einem bestimmten Verhältnis steht. Die Ge- samtheit der äußeren Bedingungen, die dieses Verhältnis herbei- führt, stellt das Optimum für das Wachstum vor. Das fällt nicht notwendig mit der optimalen Wirkung jedes einzelnen Faktors zu- sammen. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 489 Indessen wird das Optimum in Wirklichkeit nicht immer er- reicht, und es ist auch nicht nötig, wenn es nicht auf die stärkste Zuwachsbewegung in der Zeiteinheit ankommt. Die äußeren Be- dingungen können bald mehr, bald weniger schwanken, ohne dass das Wachstum aufgehalten wird. Der Organismus besitzt das Ver- mögen der Regulation (vergl. Pfeffer 1897 S. 25 und an anderer Stelle) mit Hilfe derer trotz der äußeren Schwankungen die inneren Vorgänge, die das Verhältnis von Stoffbildung und Stoffverbrauch bestimmen, sich doch so konstant erhalten, dass das Wachstum, wenn auch mit wechselnder Intensität, fortgeht. So unbekannt die inneren Vorgänge in einer wachsenden Zelle sein mögen, so wird man doch versuchen, sie irgendwie vorläufig zu charakterisieren. Bei der heutigen Sachlage erscheint es be- rechtigt, sich den neueren Forschungen der physikalischen Chemie über das bewegliche oder dynamische Gleichgewicht anzuschließen, dessen Bedeutung für die Lebensvorgänge von E. du Bois Rey- mond, Ostwald, van’t Hoff hervorgehoben worden ist. Eine klare anschauliche Darstellung der neueren Forschungen gibt Höber (1902) in seinem Grundriss der physikalischen Chemie der Zelle und der Gewebe, dem ich hier folge. Die einfachste Form eines solchen beweglichen Gleichgewichts bietet sich in der Form umkehrbarer (reversibler) chemischer Pro- zesse dar, wie in der Umsetzung zweier Körper, die nie zu einem völligen Abschluss gelangen kann, weil neben der Umsetzung zu- gleich der entgegengesetzte Prozess der Regeneration der Umsatz- produkte vor sich geht. So bildet sich aus Alkohol und Essig- säure einerseits essigsaures Äthyl und Wasser, andererseits aus diesen beiden wieder Alkohol und Essigsäure. Je nach den Kon- zentrationsverhältnissen, je nach der Temperatur wird schneller oder langsamer ein scheinbarer Ruhezustand erreicht, bei dem die beiden Prozesse sich das Gleichgewicht halten, ohne aber ganz auf- zuhören (vergl. van’t Hoff 1902 S. 56). Dieser relative stabile Gleichgewichtszustand würde aber nie erreicht werden, wenn man dafür sorgte, dass in dem gleichen Maße wie Alkohol und Essig- säure in bestimmtem Verhältnis zufließen, die Reaktionsprodukte entfernt würden. Der wesentliche Charakter eines solchen dyna- mischen Gleichgewichts gegenüber dem echten oder stabilen che- mischen Gleichgewicht besteht darin, Arbeit zu leisten. Nach van’t Hoff leistet ein solches System um so mehr Arbeit, je weiter es entfernt ist von seinem Abschluss, dem Aufhören jeder weiteren Veränderung. Ein wachsender Faden von Vaucheria oder Sapro- legnia stellt ein solches arbeitsfähiges dynamisches Gleichgewicht vor, indem bei Zufuhr der Nahrung von außen und bei Mitwirkung aller anderen Bedingungen die inneren chemischen Prozesse nie zum Abschluss kommen. Die wachsende Spitze eines solchen 490 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Fadens ist diejenige Stelle, an der die chemischen Prozesse am meisten von dem stabilen Endzustand entfernt sind, an der auch die größte Arbeit geleistet wird. Hinter der Spitze nimmt die Differenz ab, die Zelle geht in relativ stabilere Zustände über, ohne, so lange sie lebt, den Endzustand zu erreichen. Jedes älteste, noch lebende Stück eines Vaucheria- oder Saprolegnia-Fadens lässt sich in den Zustand eines arbeitsfähigen beweglichen Gleichgewichts überführen, indem man es z. B. aus dem Zusammenhange mit den jüngeren Teilen trennt und ihm frische Nahrung zuführt. Solange alle Ernährungsbedingungen in günstigem Grade wirken, solange erhält sich das bewegliche Gleichgewicht in konstanter Form — die Vaucheria wächst weiter. Ich habe schon mehrfach betont, dass eine Änderung von selbst niemals eintritt, sondern nur infolge von Änderungen äußerer Bedingungen. Die Auffassung des wachsenden Fadens als eines im beweg- lichen Gleichgewicht ständig erhaltenen Systems kann keine Er- klärung geben, weil die zahlreichen gleichzeitig stattfindenden che- mischen Prozesse nicht näher bekannt sind. Aber diese Auffassung gewährt doch nach manchen Richtungen gewisses Interesse, indem sie ermöglicht, die Prinzipien anzuwenden, die bei der Erforschung künstlicher beweglicher Gleichgewichte in Form reversibler Pro- zesse hervortreten. In erster Linie entscheidend ist das Massen- wirkungsgesetz von Guldberg und Waage, welches bestimmt, dass die chemischen Umsetzungen zwischen zwei oder mehreren Körpern abhängig sind von den dabei beteiligten Massen, d. h. ihrer Konzentration (Höber 1. ec. S$. 73, 208). Durch Änderung der Konzentrationsverhältnisse kann bei einem reversiblen Prozess bald der Umsatz, bald die entgegengesetzte Regeneration gesteigert oder vermindert werden. Von ganz fundamentaler Bedeutung wie van’t Hoff (1902 S. 59) hervorhebt, ist der Nachweis, dass durch Fer- mente beschleunigte Prozesse reversibel sind und je nach der Kon- zentration bald in der einen, bald in der anderen Richtung ver- laufen. Nach Hill (1898) bewirkt das gleiche Ferment einerseits die Umwandlung von Maltose in Glukose, andererseits bei hoher Konzentration der letzteren ihre Synthese zu Maltose. Also Vor- gänge des abbauenden wie des aufbauenden Stoffwechsels werden bloß durch Änderungen der Konzentrationsverhältnisse herbeigeführt; andere Beispiele bei Höber 1. c. S. 291; Oppenheimer Fermente 1903 8.53. Sehr wichtig für das Verständnis von Lebensvorgängen sind die Beziehungen der Temperatur zu den chemischen Prozessen, insofern sie diese nicht bloß im allgemeinen Sinne beschleunigt oder einschränkt, sondern auch auf die Richtung der Reaktion Einfluss besitzt. Seit den Arbeiten von Müller-Thurgau (1882 S. 855) ist bekannt, dass die Regeneration von Stärke aus Zucker bei nie- derer Temperatur stärker gehemmt wird als die Umwandlung von Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 491 Stärke in Zucker, infolgedessen eine Anhäufung von Zucker statt- findet, die ihrerseits die Lebensvorgänge beeinflusst. Ebenso wesent- lich muss der Wassergehalt von Protoplasma, Zellsaft u. s. w. für den Verlauf von Stoffwechselprozessen sein, da von ıhm die Kon- zentrationsverhältnisse mitbedingt sind. Dazu kommt der in alles eingreifende Einfluss des Sauerstoffs, der durch die Oxydation org rdien Substanzen beständig die Menge der in der Zelle ge- een Stoffe verändert. Man muss erwarten, dass eine nähere Erforschung dieser Verhältnisse auch für das Verständnis der Ge- ones änge von wesentlicher Bedeutung sein wird. Für die weiteren Betrachtungen wollen wir das eine entnehmen, dass quantitative Änderungen der Konzentration, des Wassergehaltes, der Temperatur u. s. w. den größten Einfluss auf die Stoffwechsel- prozesse der Zellen haben müssen. Nach den im vorigen Abschnitt dargelegten Tatsachen sind es wesentlich quantitative Änderungen der äußeren Bedingungen, durch die an Stelle des vegetativen Wachstums Fortpflanzungsprozesse treten. In dem Komplex von Wachstumsbedingungen werden dafür bald die eine, bald die andere, bald mehrere zugleich verändert. Um das Verhältnis von vegetativem Wachstum und Fortpflanzung noch genauer kennen zu lernen, will ich drei Hauptfälle unter- scheiden. In der einen Gruppe von Fällen entsteht Fortpflanzung gerade dort, wo vorher lebhaftes Wachstum herrschte; in einer zweiten Gruppe tritt die Fortpflanzung an älteren Teilen des Orga- nismus ein, während das Wachstum noch fortgehen kann; in der dritten Gruppe kommt ein vorhergehendes oder gleichzeitiges Wachstum überhaupt nicht in Betracht. A. Fortpflanzung an Stelle von Wachstum. Hierhin gehören zahlreiche Fälle von Zoosporenbildung bei Algen und einigen Pilzen. Das Sporangium von Vaucheria und Saprolegnia trıtt direkt an der wachsenden Spitze auf; die Zellen von Hydro- dietyon, Oedogonium bilden, anstatt zu wachsen und sich zu teilen, Zoosporen. In allen diesen Fällen erscheint die Hemmung des Wachstums als eine notwendige Bedingung, ja als die eigentliche Veranlassung des Fortpflanzungsprozesses, und ich habe früher (1892 S. 57) mich in dieser Weise ausgedrückt, während ich später (1900 S. 83) die Hemmung des Wachstums als eine indirekte Folge der durch den äußeren Faktor erregten inneren Veränderung auf- fasste, die dann die Entwickelungsänderung herbeiführt. Dafür spricht die Tatsache, dass nicht jede beliebige Wachstumshemmung den betreffenden Vorgang auslöst und dass an und für sich die forma- tiven Bedingungen gar nicht im stande sind, das Wachstum wirklich zu hemmen. Denn es herrscht die allgemeine Regel, dass die Wir- kungsgrenzen der äußeren Bedingungen für das Wachstum weiter ge- zogen sind als für die Fortpflanzung. Auch wenn ein Fortpflanzungs- 492 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. prozess, der eigentlich stattfinden sollte, aus irgend einem Grunde nicht erfolgt, kann das Wachstum sofort wieder einsetzen. Daraus kann man folgern: die Wachstumshemmung braucht nicht die direkte Folge der äußeren Veränderung und nicht die direkte Veranlassung der Fortpflanzung zu sein; sie ist durch die in der Zelle herbeige- führte innere Veränderung bedingt, die zugleich die Fortpflanzung hervorruft. Die Wachstumshemmung bedingt dann aber, dass der gesamte Vorrat von Nahrungssubstanz für die Zoosporenbildung verwendet werden kann. B. Fortpflanzung neben Wachstum. Hierhin gehören die Bildungsprozesse von geschlechtlichen Fortpflanzungsorganen, Oogonien und Antheridien bei Vaucheria, Saprolegnia, von Conidienträgern und Ascusfrüchten bei Ascomy- ceten ete. Solange der ganze vegetative Thallus optimalen Er- nährungsbedingungen ausgesetzt bleibt, tritt im allgemeinen die Fortpflanzung nicht ein; sie erfolgt erst, wenn der Thallus oder wenigstens gewisse Teile von ihm veränderte Bedingungen erfahren. Die Organe können an den älteren Teilen entstehen, während die jüngeren weiter wachsen. Jede Kultur eines Penicillium oder Maucor auf einer nährstoffreichen Agarschicht zeigt, wie vom Zen- trum der Infektion aus die Conidienbildung in der Luft fortschreitet, während die Spitzen des Myceliums in dem Agar fortwachsen. Es gibt andererseits Fälle, in denen die Fortpflanzung erst eintritt, wenn das gesamte Wachstum des Myceliums infolge Nahrungs- verminderung des Mediums eingeschränkt ist. Für Ascophanus gibt Ternetz (1900 S. 30) an, dass die Ascusfrüchte erst dann entstehen, wenn das Mycelium die ganze Kulturoberfläche bis zum Rande überzogen hat. Je kleiner die Fläche ist, desto früher er- folgt die Fruchtbildung. Ähnliches gibt Falck (1902) für Sporo- dinia an, und ein entsprechendes Verhalten zeigt Sclerotinia selero- thorum. Wie Ranojewicz in einer bisher nicht veröffentlichten Arbeit nachgewiesen hat, kann man aber sowohl für Selerotinia wie Sporodinia die Ernährungsbedingungen so ändern, dass die Fortpflanzung schon eintritt, während das Mycelium noch weiter wächst. Ebenso vermag man jedes Stück des Myceliums, auch die jüngsten Teile bei diesen wie bei anderen Pilzen, durch plötzliche Nahrungsverminderung zur Fortpflanzung zu bringen. Eine Ein- schränkung des vegetativen Wachstums findet bei allen solchen Vor- gängen statt, je nach den Einzelfällen in sehr verschiedenem Grade, vielfach nur an gewissen Teilen, während andere Teile fortwachsen. Bei allen höher differenzierten Fortpflanzungsorganen ist der Bildungsvorgang selbst mit einem gewissen Wachstum verbunden, ich habe es zum Unterschiede von dem vegetativen als generatives bezeichnet (1900 S. 85). Das letztere unterscheidet sich von dem ersteren durch ein anderes Verhältnis zu den äußeren Bedingungen. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 493 C. Fortpflanzung ohne vorhergehendes Wachstum. Die hierher gehörigen Beispiele finden sich streng genommen nur bei sehr einfachen Fortpflanzungsprozessen, bei denen kein oder ein sehr geringes generatives Wachstum erfolgt. Solche Vorgänge haben aber ein besonderes Interesse, weıl sie eine völlige Unabhängigkeit von einem vorhergehenden Wachstum beweisen. Schon früher (1900 S. 89) habe ich die von verschiedenen Beob- achtern festgestellten Tatsachen ausgeführt, nach denen Sporen von Mucorineen (van Tieghem, Klebs) von Empusa (Brefeld), Basr- diobolus (Eidam), oa (Br efeld) ohne vorhergehende Mycel- bildung sofort wieder Sporen bilden können; bei Basidiobolus können selbst die Zygoten gleich aus den Sporen entstehen (Eidam). Ebenso vermögen Zoosporen von Vaucheria, Oedogonium sogleich nach der Keimung Zoosporen zu bilden. Kompliziertere Vorgänge können wegen der ungenügenden Nahrung nicht an einer ein- zelnen kleinen Zelle erfolgen. Sowie aber der junge Thallus ge- nügend erstarkt ist, können auch die komplizierteren Organe auftreten, z. B. an jungen Keimlingen von Vaucheria die Ge- schlechtsorgane. Es kommt eben wesentlich auf eine gewisse Dauer der Ernährung, nicht aber des vorhergehenden Wachstums an (1900 S. 90). Die besprochenen Tatsachen führen dazu, nach einem allge- meinen Ausdruck zu suchen, um die Abhängigkeit der verschie- denen Entwickelungsvorgänge von der Außenwelt zu bezeichnen. Die früher vorangestellte und äußerst wichtige Beziehung der Fort- pflanzung zum Wachstum umfasst doch nicht alle Fälle. Alle Entwicke- lungsvorgänge wie Wachstum, Zoosporen-, Conidien-, Oosporen- Bildung hängen von einem gewissen für jeden charakteristischen Komplex von inneren Bedingungen ab, die ihrerseits mit einem Komplex äußerer in notwendigem Zusammenhange stehen. Da tatsächlich alle diese Vorgänge bei der gleichen Spezies von eben denselben äußeren Bedingungen abhängig sind, so kann die ver- schiedene Wirkung der Außenwelt nur darauf beruhen, dass das quantitative Verhältnis der den Komplex zusammensetzenden äußeren Faktoren für die einzelnen Entwickelungsvorgänge verschieden ist. Es erscheint mir sehr wahrscheinlich, wenn auch bisher nicht beweisbar, dass die äußeren quantitativen Veränderungen, die die Bildung eines Organes veranlassen, zunächst auch quantitative innere Veränderungen bewirken, durch welche die Stoffwechselprozesse in die für den Vorgang wesentliche Richtung gelenkt werden. Für die weitere Beobachtung kann man von dem gewöhnlichen Fall ausgehen, wo auf das Wachstum eine Fortpflanzung folgt. In dem äußeren Bedingungskomplex für das Wachstum müssen je nach den Organen, je nach der Spezies bald dieser, bald jener Faktor, bald mehrere zugleich quantitativ gesteigert oder vermindert werden. 494 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Ich nehme als Beispiel die Bildung der Sexualorgane bei Algen oder Saprolegnia, die der Früchte bei Myxomyceten, Asco- oder Basidiomyceten alles Vorgänge, die bei aller Verschiedenheit doch einen gemeinsamen Charakter zeigen. Ich gehe von der An- sicht aus, dass in allen solchen Fällen eine gewisse Konzentration organischer Nährstoffe eine der wesentlichen inneren Bedingungen ist. Wenn Temperatur, Sauerstoffgehalt, Feuchtigkeit konstant bleiben, so entstehen die Sexualorgane bei den Algen bei einer Verminderung des Nährsalzgehaltes und einer Steigerung der Bil- dung organischer Substanzen durch helles Licht (s. S. 465). Die Ver- minderung der Nährsalze wirkt einschränkend auf das Wachstum ein; dadurch wird der Verbrauch der organischen Stoffe verringert und der für den Sexualprozess nötige Überschuss wird noch durch die Wir- kung des Lichtes gesteigert. Früher (1892 S. 63) habe ich dem Licht eine spezifische Rolle zugeschrieben, indem es die Bildung besonderer für den Sexualprozess nötiger Substanzen veranlassen sollte. Der Grund lag darin, dass ich den Einfluss des Lichtes nicht durch Zuckerlösung ersetzen konnte. Aber ich halte den Grund nicht mehr für stichhaltig, da es sich auch um Vermehrung der Eiweiß- stoffe handeln kann, deren Bildung durch das Licht sehr begünstigt wird (vergl. Godlewski 1905). Bei Vaucheria kommt der Ver- minderung der Nährsalze nur die zugeschriebene indirekte Rolle zu, da die Sexualorgane, wenn auch später, in stärkeren Nährsalz- lösungen von 0,6—1°/, gebildet werden. Bei anderen Algen wie Spirogyra, Oedogonium, wirken selbst schwache Nährsalzlösungen sehr stark hemmend ein. Bei den einfacheren Pilzen tritt an Stelle der beiden Faktoren ein einziger hervor, die Verminderung der organischen Nahrung; bei anderen gesellt sich dazu der Einfluss der Luft, Verminderung der Feuchtigkeit u. s. w. (s. S. 463). Die Pilze nehmen während des Wachstums des Myceliums intensiv die Nahrung von außen auf. Die für die Fruchtbildung nötige Ansammlung der organischen Stoffe kann je nach den Einzelfällen in verschiedener Weise er- reicht werden: 1. indem man künstlich die Nahrung des Außenmediums stark vermindert, so dass das Wachstum sehr eingeschränkt wird, 2. indem das Mycelium durch seine Lebenstätigkeit den Nährstoffgehalt des Mediums so vermindert, dass das Wachstum und damit der Verbrauch eingeschränkt wird, 3. indem von dem intensiv fortwachsenden Mycelium ein ge- nügender Überschuss von organischer Nahrung nach den älteren Teilen hingeschafft wird, die sich überdies in nahrungsarmer Um- gebung befinden. Nun kommt bei den höheren Pilzen die Ein- wirkung der Luft hinzu. Die Lufthyphen nehmen überhaupt keine Nahrung von außen auf, sondern erhalten sie nur von den im Sub- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 495 strat befindlichen Teilen; die Transpiration wirkt direkt auf eine Konzentrierung der Säfte, während vielleicht die Steigerung des Sauerstoffgehaltes den ganzen Stoffwechsel intensiver macht. Bei manchen Pilzen ıst auch die Qualität der Nahrung für gewisse Fortpflanzungsprozesse von Einfluss, ohne dass diese Tatsache den Erwägungen widerspräche. Nach Raciborski (1896) bildet das Mycelium von Basidiobolus Zygoten in Milchzucker, Inulin, da- gegen nicht in Glukose oder Maltose (1—5°/,). Sporodinia dagegen er- zeugt Zygoten auf Agar mit Glukose oder Rohrzucker, nicht mit Milch- zucker oder Inulin. Bei den günstig wirkenden Substanzen kommt es für Sporodinia wesentlich auf die Konzentration an, nicht auf die absolute Menge. Es gibt ein Minimum der Konzentration das für Glukose zwischen 0,5 und 1°/, für Rohrzucker zwischen 3——4°/,, für Glyzerin bei 4—5, für Dextrin bei 8—10°/, liegt. Nach meiner Auffassung (1898 S.34) muss für die Zygotenbildung von Sporodinia ein stärkerer Strom von Zuckerteilchen aus der Umgebung in die Zellen eintreten so dass ein gewisser Überschuss von Zucker vorhanden ist, während bei einem schwächeren Strome nur Sporangienbildung erfolgt. Je weniger günstig der chemische Bau der Kohlehydrate für den ganzen Stoffwechsel des Pilzes ist, um so höher muss die nötige Konzentration der Lösung ım Außen- medium sein. Bei den weit schwerer verarbeitbaren und diffun- dierenden Substanzen, wie Milchzucker und Inulin verhält sich Sporodinia wie in einer zu verdünnten Zuckerlösung. Würde man durch irgend welche Mittel entweder die Verarbeitung oder die Diffusion oder Beides zugleich fördern können, so würden vielleicht auch die genannten Substanzen Zygotenbildung erregen. Basidiobolus verhält sich vermöge seiner spezifischen Eigenschaften den gleichen Substanzen gegenüber ganz entgegengesetzt. In der chemischen Beschaffenheit des Außenmediums hat auch die Art der Reaktion eine gewisse Bedeutung. Die Pilze wachsen im allgemeinen besser auf sauren als auf alkalischen Substraten; sie vermögen dann selbst die Reaktion des Mediums zu verändern, indem sie mit Kohlehydraten Säuren, mit stickstoffhaltigen Substanzen (Pepton) alkalisch reagierende Stoffe (Ammoniak, Amine ete.) er- zeugen (Pfeffer 1897 S. 490). Unter Umständen kann z. B. bei Sporodinia (1900 S. 31) ein Zusatz von Säure resp. sauren Salzen die Zygotenbildung fördern. Andererseits wirkt eine Steigerung der Alkaleszenz vielfach hemmend auf das Leben des Pilzes ein. Sapro- legnia vermag auf Gelatine oder Pepton etc. solange diese nicht ganz verdünnt angewendet werden, überhaupt keine Fortpflanzungsorgane zu bilden, und auch die Unfähigkeit der Sporodinia auf Pepton oder Gelatine Zygoten zu bilden, hängt wohl nicht allein vom Mangel an Kohlehydraten ab, sondern auch von der stark alkalischen Re- aktion, der gegenüber die Sporangienbildung weniger empfindlich 496 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. ist. Bestimmte Fälle, in denen eine Veränderung der Reaktion als Erreger von Fortpflanzungsprozessen wirkt, sind bisher nicht be- obachtet worden. Unzweifelhaft aber wird eine Steigerung oder Verminderung, sei es der sauren, sei es der alkalischen Reaktion im Zellsaft oder Protoplasma auch für die Stoffwechselprozesse, die die Fortpflanzung bedingen, sehr wichtig sein, wenn auch Näheres bisher nicht bekannt ist. Die bis jetzt bekannten Tatsachen weisen darauf hin, dass die Qualität der Nahrung nur dann in Betracht kommt, wenn sie nicht für alle Lebensvorgänge des Organismus ausreicht, sondern nur für einzelne. In solchen Fällen kann sie z. B. sehr wichtig für die Entscheidung sein, ob ungeschlechtliche oder geschlechtliche Fort- pflanzung eintritt. Aber auch die Konzentration des Außenmediums ist nur bis zu einem gewissen Grade wesentlich; sie kann in weiten Grenzen schwanken, da Zygoten sowohl bei 1°/, wie bei 50°/, Traubenzucker gebildet werden. Innerhalb dieser Grenzen hat die Höhe des Außendruckes keine direkte Bedeutung wie Falck (1902) annimmt (vergl. dazu meine Kritik 1902). Es kommt nur darauf an, dass die Konzentration der Nährstoffe im Innern der Zellen die des Mediums um ein gewisses Maß übertrifft, und diese Relation braucht bei 50°/, nicht sehr viel größer zu sein als bei 1°/,. Das Zustandekommen eines Überschusses an organischer Sub- stanz hängt auch bei Sporodinia von der Einwirkung der Luft ab, die für die Zygotenbildung sehr feucht sein muss. Sowie die Luft relativ trocken wird (z. B. 60—70°/, relativer Feuchtigkeit) und die Transpiration dadurch gesteigert wird, erfolgt bei gleichem Substrat die ungeschlechtliche Sporangienbildung. Die beiden Fortpflanzungs- prozesse müssen von einem verschiedenen Konzentrationsverhältnis der Stoffe im Innern abhängen, man könnte annehmen, dass für die Sporangien eine geringere Konzentration maßgebend wäre, als für die Zygoten. Aber dann zeigt sich eine gewisse Schwierigkeit, weil für die Sporangien eine stärkere Transpiration gerade günstiger ist als für die Zygoten. Vielleicht bewirkt der in trockener Luft ge- steigerte Gaswechsel andererseits einen stärkeren Verbrauch an Stoffen, so dass dadurch der Konzentrierung infolge von Wasser- verlust entgegengearbeitet wird. Sobald man hier bei Sporodinia wie in irgend einem anderen einzelnen Fall zu einem wirklichen Verständnis der Einwirkungen der Außenwelt auf die inneren Vorgänge der Zellen vordringen will, stößt man sofort auf die dunkelsten und bisher nicht zu lösen- den Probleme; man kommt über Vermutungen vorläufig nicht hinaus, Aber deshalb bleibt doch die Ansicht berechtigt, dass die ersten Ein- wirkungen der Außenwelt in quantitativen Veränderungen der inneren Zellvorgänge bestehen; sie gewährt eine bestimmte Fragestellung, von der aus die weitere Untersuchung vorzugehen hat. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 497 Bei den einfachen Fortpflanzungsprozessen z. B. der Zoosporen- bildung ist es ebensowenig möglich gewesen tiefer einzudringen, obwohl hier die Ansicht von der Bedeutung der quantitativen inneren Veränderungen viel unmittelbarer einleuchtet. Ob eine allen Fällen gemeinsame innere Veränderung existiert, lässt sich heute weder im positiven noch negativen Sinne behaupten. Jeden- falls herrscht eine große Mannigfaltigkeit m den formativ wir- kenden äußeren Bedingungen, nicht bloß bei den verschiedenen Spezies sondern sogar bei der gleichen Spezies. Gerade in dem letzteren Falle tritt scharf die Frage hervor, ob die verschiedenen äußeren Faktoren die gleichen inneren Veränderungen oder zunächst verschiedene, dann erst zum gleichen Ziel hinführende veranlassen. Ich nehme als Paradigma die Zoosporenbildung von Vaucheria repens, weil sich bei ıhr die auffallendste Mannigfaltigkeit darbietet. Folgende Veränderungen eregen den Prozess: 1. Verminderung des Salzgehaltes des Mediums beim Übergang aus konzentrierteren in verdünntere Lösungen oder in Wasser. 2. Steigerung der Feuchtigkeit beim Übergang aus Luft in Wasser, 3. Verminderung des Sauerstoffgehaltes beim Übergang aus fließendem in stehendes Wasser, 4. Verminderung der Lichtintensität am besten biszur Dunkelheit, 5. Verminderung der Temperatur bis nahe zum Minimum. 6. Steigerung des Salzgehaltes bis nahe dem Maximum. Diese formativ wirkenden Veränderungen müssen aber noch von einem anderen Gesichtspunkte aus betrachtet werden, da die Wirkungsweise jedenfalls verschieden ist. Man kann drei Gruppen unterscheiden: a) Die äußere Bedingung wirkt als plötzliche Veränderung sofort. So wirkt der Wechsel des Mediums in den drei ersten Me- thoden. Die Reaktion erfolgt innerhalb der ersten 24 Stunden bis sie je nach den Licht- und Temperaturverhältnissen früher oder später aufhört, indem sich der für das Wachstum charakteristische Gleichgewichtszustand wieder einstellt. b) Die äußere Bedingung wirkt sofort, aber dann auch fort- dauernd, solange der Organısmus genügende Nahrung enthält. Hierhin gehört die Methode 3, Verminderung der Lichtintensität, (ebenso die Verminderung der Nahrung bei Saprolegnia s. S. 461). Die Wirkung beginnt von einem gewissen Minimum ab und ist am intensivsten bei völliger Entziehung des Lichtes (oder der Nahrung bei Saprolegnia). Besonders wichtig ist die fortdauernde Wirkung. Nachdem die Fäden an ihren Enden Sporangien gebildet haben, beginnen sie wieder etwas zu wachsen, um dann von neuem zur Sporangienbildung überzugehen, und das dauert solange bis die XXIV. 32 498 Klebs, Über Probleme der Entwiekelung. Fäden zu schlecht ernährt sind. Würde man im stande sein, den älteren Teilen stets neue Nahrung zuzuführen, so müsste der Prozess der Zoosporenbildung unbegrenzt weiter gehen. Bei Saprolegnia kann man das für lange Zeit erreichen; für Vaucheria ist der Ver- such praktisch schwer durchzuführen. c) Die Bedingung wirkt nicht sofort sondern erst nach einiger Dauer. Hierhin gehören die Methoden 5 und 6. Der Übergang aus einer höheren in niedere Temperatur wirkt nicht bei Vaucheria. Erst ein mehrwöchentlicher Aufenthalt bei Temperaturen nahe dem Nullpunkt veranlasst den Prozess, der dann Wochen hindurch an- dauern kann. In einer Nährsalzlösung von 0,6°/, (0,7—0,8 ist die Grenze für den Prozess) tritt nach einigen Tagen scheinbar ohne Anlass die Zoosporenbildung ein. Viel auffallender ist dies bei Vaucheria elavata, die in den ersten Tagen in 0,2 -1/°, Nährlösung wächst, und dann beginnt, Zoosporen zu erzeugen; sie kann mehrere Wochen hindurch den Prozess fortsetzen. In diesen Fällen tritt der Vorgang anscheinend von selbst d. h. ohne äußeren Grund ein. In Wirklichkeit aber handelt es sich um eine sehr allmählich hervortretende Wirkung ganz bestimmter äußerer Bedingungen, sei es niedere Temperatur, sei es höherer Salzgehalt. Zunächst habe ich versucht bei allen diesen verschiedenen Me- thoden der Zoosporenbildung eine allen gemeinsame, erste innere Ver- änderung zu erkennen. Es ist eine Tatsache, dass eine einfache Druckverminderung des Außenmediums bei sonst konstanten Be- dingungen den Vorgang veranlasst. Damit müsste ein Einströmen von Wasser in die Zellen, eine Abnahme des osmotischen Druckes, eine Verminderung der Konzentration verbunden sein. Obwohl Vaucheria eine lange, schlauchförmige Zelle ist, so könnte die wachsende Spitze am stärksten diese Veränderung erfahren, und die Differenz zwischen ihr und den älteren Teilen braucht bei der relativ sehr langsamen Diffusion durchaus nicht sehr schnell aus- geglichen zu werden. Auch bei der zweiten Methode (Übergang aus Luft in Wasser) könnte die gleiche Druckverminderung erfolgen. Ohne Änderung der Beschaffenheit des Mediums kann die gleiche Wirkung durch Schwächung oder Entziehung des Lichtes erreicht werden, da durch das anfangs fortgehende Wachstum an der Spitze und die fort- dauernde Atmung bei Aufhören der Photosynthese eine Senkung des osmotischen Druckes veranlasst wird. Während bei Methode 1 durch das Einströmen von Wasser eine Erhöhung der Turgeszenz d. h. des Spannungsverhältnisses zwischen Zellsaftdruck und Zell- wandspannung bewirkt wird, muss bei der Methode 4 mit der Ab- nahme der Konzentration und damit des Druckes auch eine Ab- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 499 nahme der Turgeszenz verbunden seint). Sie kann demnach nicht für alle Fälle in Betracht kommen. Schließlich kann auch die Wirkung der fünften Methode (niedere Temperatur) auf eine Verminderung des Zellsaftdruckes zurückgeführt werden, da der osmotische Druck mit Sinken der Temperatur abnimmt. Aber so einleuchtend die Auffassung auf den ersten Blick er- scheint, so genügt sie jedenfalls noch nicht. Denn sie erklärt nicht die Tatsache, dass bei Methode 1—3 die Zoosporenbildung stattfindet bei unverändertem oder erhöhtem Außendruck des Mediums -— eine Tatsache, die bei anderen Algen sehr viel auffallender ist (s. S. 458). Jedoch auch für Vaucheria repens liefert Methode 6 den Beweis, dass gerade durch eine beträchtliche Steigerung des Außendruckes Zoosporenbildung herbeigeführt werden kann. Also kann der Prozess eintreten sowohl bei vermehrtem wie vermindertem Wassergehalt. Die ersten inneren Veränderungen können in den einzelnen Fällen verschieden sein, aber schließlich haben sie doch das gleiche Resultat. Nimmt man an, dass für das Eintreten des Vorganges ein be- stimmtes Konzentrationsverhältnis der im Zellsaft und Protoplasma gelösten Substanzen, vielleicht ein Verhältnis von anorganischen Salzen und organischen Stoffen wesentlich wäre, so könnte dieses Verhältnis erreicht werden a) durch Eintritt des Wassers von außen in den Zellsaft, b) durch Austritt von Salzen, c) durch eine Ver- dünnung des Zellsaftes infolge des Einflusses der Dunkelheit, d) durch eine relative Steigerung der organischen Stoffe, entweder durch eine Verminderung des Sauerstoffs und damit des Verbrauches (beim Übergang aus fließendem in stehendes Wasser) oder durch lebhafte Photosynthese bei geschwächtem Wachstum in stärkeren Nährlösungen. Weiter und sicherer in der Analyse der Erschei- nungen vorzudringen, bin ich nicht im stande. Ein solcher Ver- such führt sofort an die Grenzen unserer Kenntnis und gibt ein Bild der außerordentlichen Schwierigkeiten, die dem wirklichen Verständnis sich entgegenstellen. Hier muss alles der zukünftigen Erforschung überlassen bleiben. Zum Schluss fasse ich das Wesentliche meiner Anschauungen kurz zusammen. Die verschiedenen Entwickelungsvorgänge bei der gleichen Spezies werden durch quantitative Änderungen einzelner oder mehrerer Faktoren in dem für alle Vorgänge gleichen Be- dingungskomplex der Außenwelt hervorgerufen. Die le en Ände- rungen bewirken innere zunächst quantitative Änderungen, sei es 1) Ernst (Siphoneenstudien. Beiheft. Botanisches Centralblatt 1904) nimmt bei der Sporangienbildung von Vaucheria piloboloides gerade die Zunahme der Turgeszenz nach Verdünnung des Meerwassers als formative Bedingung an. Das könnte in diesem Falle zutreffen; für viele andere Fälle trifft es sicher nicht zu. 32* 500 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. mehr auslösender oder energetischer Art, durch die der für jeden Vorgang charakteristische Komplex innerer Bedingungen herbei- geführt wird. Unter diesen kommt nach meiner Annahme den Konzentrationsverhältnissen der im Zellsaft und Protoplasma ge- lösten Substanzen eine große Bedeutung zu. Ich hebe sie hervor, nicht um damit zu sagen, sie seien die allein wesentlichen, sondern um an ihnen anschaulich zu machen, wie ein solches Verhältnis durch Steigerung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme, des Lichtes, des Wassers, des Sauerstoffs, der Temperatur geändert werden kann, wie andererseits durch Anderungen dieses Verhältnisses In- tensıtät und Richtung der chemischen Prozesse verändert werden, die dann Änderungen der Imbibition, des osmotischen Druckes, der Oberflächenspannung u. s. f. bewirken. Wir können das so mannig- faltige Ineinandergreifen aller dieser Prozesse nicht überschauen. Aber wir verstehen wenigstens bis zu einem gewissen Grade, wie der gleiche Entwickelungsvorgang bei der gleichen Spezies durch verschiedene äußere und innere Veränderungen veranlasst werden kann. Wir erkennen, warum der Begriff des spezifischen forma- tiven Reizes (vergl. III 1. S. 455) für die Mehrzahl solcher Vor- gänge nicht verwendbar ist. Denn es gibt keine spezifischen äußeren formativen Bedingungen, sondern nur quantitative Änderungen der allgemeinen Lebensbedingungen; es braucht nicht einmal spezifische formative innere Reize zu geben, da das für irgend einen Vorgang wesentliche Verhältnis der inneren Bedingungen auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann. Die Untersuchung der in zahllosen Einzelfällen formativ wirk- samen äußeren Veränderungen kann schon heute mit Erfolg unter- nommen werden. Die Erforschung der durch sie veranlassten inneren Veränderungen ist gebunden an die Fortschritte der gesamten Zell- physiologie und vermag wie diese nur äußerst langsam vorzudringen. Literatur. Falck, R. Die Bedingungen und die Bedeutung der Zygotenbildung bei Sporo- dinia grandis. Beiträge z. Biolog. VIII 1902. Godlewski, E. Zur Kenntnis der Eiweißbildung in den Pflanzen. Bull. acad. Cracovie 1903. Höber, R. Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. Leipzig 1902. Klebs, G. Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. Jena 1896. — Zur Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze I. Sporodinia grandis. Jahrb. f. wiss. Bot. XXXII 1898; II Saprolegnia mixta. Ebenda XXXIII ... 1899; III Allgemeine Beobachtungen. Ebenda XXXV 1900. — Über Sporodinia grandis. Bot. Zeitg. 1902. — Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen. Jena 1903. Ostwald, W. Vorlesungen über Naturphilosophie. Leipzig 1902. Oppenheimer, ©. Die Fermente und ihre Wirkungen, 2. Aufl. Leipzig 1903. Pfeffer, W. Pflanzenphysiologie I, 2. Aufl. Leipzig 1897. Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. 501 Raciborski,M. Über den Einfluss äußerer Bedingungen auf die Wachstums- weise von Basidiobolus. Flora 1896. Reinke, J. Einleitung in die theoretische Biologie. Berlin 1901. Schimper, F. W. Pflanzengeographie auf physiologischer Grundlage. Jena 1898. Ternetz, Charl. Protoplasmabewegung und Fruchtkörperbildung bei Ascophanus carneus. Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XXXV, 1900. Van’t Hoff. Acht Vorträge über physikalische Chemie. Braunschweig 1902. (Fortsetzung folgt.) Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. K. Bretscher (Zürich). Für die Enchytraeiden, welche in dem nur vom Sickerwasser durchfeuchteten Boden sich aufhalten, möchte ich die den Bofta- nikern entlehnte Bezeichnung „xerophil“ vorschlagen. Dass es auch amphibische und hydrophile Arten gibt, habe ich bereits in meinem Aufsatz „Zur Biologie und Faunistik der wasserbewohnenden Oligochäten der Schweiz“ (diese Zeitschrift 1903), ausgeführt, denn sie befinden sich an nassen, feuchten und trockenen Orten wohl und von jenen wird zum Teil auch jetzt wieder die Rede sein müssen. Unter „trocken“ ist hier nicht eine absolute Trockenheit des Bodens zu verstehen, sondern bloß der Gegensatz zu wirklich nassen, von Wasser immer durchtränkten Stellen. In wirklich trockener Erde finden wir die Enchytraeiden nie; nur da sind sie vorhanden, wo ihnen ein noch ziemlich beträchtliches Maß von Feuchtigkeit geboten ist. In dieser Beziehung verhalten sie sich ganz wie die Lumbriciden. Die Arten, welche für unsere Betrachtung in Frage kommen, sind: Henlea Dieksoni Rosa, dorsalis Br., nasuta Eis., rhaetica Br., Rosai Br., pratorum Br., Stoll Br., Bryodrilus Ehlersi Ude, sulphureus Br., Buchholzia appendieulata Buchh., sarda Cogn., Mesenchytraeus montanus Br., Enchytraeus alpestris Br., argenteus Br., Buchholzi Vejd., nigrina Br., parvulus Br., silwestris Br., turicensis Br., Fridericia alpina Br., alpinula Br., auriculata Br., Beddardi Br., Bedoti Br., biglobulata Br., bisetosa Lev., bulbosa Br., connata Br., diachaeta Br., emarginata Br., exserta Br., fruttensis Br., galba Hoffm., kegemon Vejd., helvetica Br., humi- cola Br., insubrica Br., irregularis Br., Leydigi Vejd., minuta Br., Michaelseni Br., parva Br., quadriglobulata Br., striata Lev., ierrestris Br., Udei Br., variata Br., Achaeta bohemica Vejd., Eiseni Vejd., Vejdovski Br.?). Es sind also 50 Arten, die sich auf 7 Genera verteilen. Eine Reihe von Gattungen unserer Enchytraeiden sind nicht vertreten, 1) Für die Synonymik verweise ich auf eine im Druck befindliche und vom naturhistorischen Museum in Genf herauszugebende Synopsis der Oligochäten der Schweiz. 502 Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. da sie ausschließlich hydrophil sind; andere, wie Bryodrilus und Achaeta weisen nur xerophile Arten auf, während zu den übrigen Genera Vertreter von beiderlei Standorten gehören. Ich habe mich bei meinen Beobachtungen bemüht, auch die Anzahl der Individuen festzustellen, die in einer bestimmten Boden- fläche sich aufhalten und demgemäß die Bodenproben einer gründ- lichen quantitativen Untersuchung unterzogen, soweit diese groß genug waren, um ein hierüber wirklich zutreffendes Bild zu geben. Dies schien mir bei einer Fläche von 1,5—2 dm? erreicht zu sein, wenn auch selbstverständlich die Ergebnisse um so zuverlässiger ausfallen, je größer die durchsuchte Fläche ist. Die Rücksicht auf die zur Verfügung stehende Zeit erlaubte mir nicht weiter zu gehen. Vielfach hatte ich die Erfahrung gemacht, dass die Enchytrae- iden nur selten unter 10 cm Tiefe unter die Oberfläche hinabgehen; ihre überwiegende Mehrzahl treffen wir im obersten Wurzelgeflecht der Wiesengewächse und schon von 5 cm Tiefe an nehmen sie nach unten rasch an Häufigkeit ab bis zum völligen Verschwinden; es ist mir schon vorgekommen, dass unter 3 cm keine mehr zu treffen waren, so bei einer Probe aus La Joux verte. Auch Diem (Untersuchungen über die Bodenfauna in den Alpen, St. Gallen, 1903) fand sie nur ausnahmsweise, bei sehr günstigen Bodenver- hältnissen, bis ın 15, ja 20 cm Tiefe in gleichmäßiger Verteilung. Deswegen gab ich meinen Proben nur etwa 1 dm Mächtigkeit, wiederum beeinflusst durch die Ökonomie der Zeit. Die unten verzeichneten Angaben sind jedenfalls nur in sehr spärlichen Fällen infolge dieser geringen Dicke des Aushubes mit zu niedrigen Zahlen eingesetzt. Ferner wurden die Aushübe fast immer Wiesen entnommen, weil hier die Erde, durch das Wurzelwerk zusammengehalten, leichter in kompakter Masse auszuheben ist und darum auch die Zählung zuverlässiger ausfällt. Verschiedene Kontrollversuche in Wald und Acker bewiesen mir aber, dass die Enchytraeiden auch in solchen Böden in ebenso großer Zahl auftreten können wie in Wiesen, die Bepflanzung also auf den Bestand keinen Einfluss ausübt. Für diese quantitativen Bestimmungen habe ich mich der „nassen“ Methode beflissen. Kleine Erdproben wurden in einer flachen Schale mit Wasser fein verteilt und dann mit der Lupe auf ihren Tierbestand durchgenommen. Wenn so jede Partie mehrmals geschwenkt und jedesmal nachher abgesucht wird, so erhält man mit ziemlicher Sicherheit jeden Bewohner heraus. Diese Methode ist allerdings recht zeitraubend, liefert aber dafür Resul- tate, die von keiner andern an Genauigkeit übertroffen werden dürften. Auf trockenem Wege, nur durch Zerkleinern und Zer- teilen der Erdschollen, wurde z. B. die Bodenprobe von Cresta Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. 503 durchgenommen; die wirkliche Zahl ist demnach noch größer an- zusetzen und die Diem’schen Zählungen bleiben offenbar aus dem gleichen Grunde fast durchweg unter meinen Befunden; die folgende Tabelle gibt nun eine Übersicht über diese Zählungsergebnisse, je auf 1 dm? berechnet; den Kubikinhalt zu berücksichtigen hat nach den obigen Auseinandersetzungen keinen großen Zweck. Die Liste enthält außerdem die Angabe des Fundortes, seiner politischen und geographischen Zugehörigkeit, eine Angabe über die Erdart und die absolute Höhe. Genaue Bodenanalysen nahm ich aus Mangel an Zeit nicht vor. Bei allen Proben handelte es sich um Humus- resp. humöse Kultur- böden, deren Charakter ich durch die Bezeichnungen sandig, lehmig und fett genauer zu bestimmen suchte; unter letzterem Ausdruck ist ein fast reiner Humus verstanden. © Ort Kanton Gebiet | Kultur | Boden = Zahl auf as 1 dm 1. Ascona Tessin Südrand der | Wiese sand. Humus| 230) 23 Alpen 2. Basel Basel Jura “ fetter „ 2701105 3. Morges Waadt Mittelland Park wiese sand. ,, 3801| 2 4. Roche bei Villeneuve 5 Voralpen Wiese r % 3850| 44 5. Andelfingen | Zürich Mittelland 5 fetter ,, 380| 20 6. Zürich 5 n Garten lehm. ,, 430) 50 l. ” „ „ Wiese „ E}) 450| 80 8 5 a3 re Wald sehr lehmig | 450) 80 I 2, nn ni Baumgarten |fetter Humus| 430) 16—17 20,5 Ri 3 | Wiese lehma rn; 4501110 11. Satigny Genf „ r sand. „ 500) 5 12. „ „ „ „ „ ” a7 13 13. ” „ ” „ » ” u 11 14. Siders Wallis Zentralalpen 5 x 22 560 0 15. Trimmis Bünden |Voralpen E I x 5801122 16. Ober-Uzwil |St. Gallen R = lehm. ,„ 600) 75 17. Hittnau Zürich Mittelland 5 fetter ,„ 630) 48 KON % ‚5 e lehm. ,„ 650/300 19. Visp Wallis Zentralalpen |Garten sand. '- ,, 660) 83 205.5 x r Wiese a 5 660,140 21. Heiden Appenzell | Voralpen 5 fetter „ 800) 60 22. Klöntal Glanus 7, En lehm. = ;; 830) 81 23. Einsiedeln Schweiz ni I n 5 9001250 24. Le Sentier |Waadt Jura F Sand. _!,, 1020| 6—7 25. Riemenstal- den Schwiz Voralpen r fetter „ 1020/340 26. Schuls Bünden |Zentralalpen | Wiese Humus 112501306 (feucht) Did an x R R % 11250) 48 (trocken) 28. La Joux verte | Waadt Voralpen Wald Lehm 1400| 20 29. Schuls Bünden |Zentralalpen | Wiese fetter Humus |1450|120 30. St. Antönien j 5 fj Humus 1450/1154 31. Scarltal R r 5 Trockentorf 18001245 32. Cresta n- e r fetter Humus |1950/800 504 Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. In den untersuchten Proben sind sehr verschiedene Boden- arten, vom reinen Humus bis zum fast reinen Sand- oder Lehm- boden, vertreten; sie alle weisen einen zum Teil beträchtlichen Bestand von Enchytraeiden auf. Also ist für ıhr Vorhandensein nicht die Bodenart entscheidend, sondern es kommen andere Fak- toren in Betracht, vor allem aus die Feuchtigkeitsverhältnisse. Ein trockener und rasch und gründlich austrocknender Boden ist für sie unbewohnbar. Dass hier, nicht in der Erdart, das entscheidende Moment liegt, lehren auch die Befunde von Siders 14 und Visp 19 und 20; diese Böden sind genau von der gleichen Beschaffen- heit und ich glaubte nach der ersten Untersuchung von Siderser Material, dass der absolut nicht bindige Boden die Ursache ihres Fehlens sei, bis mich die Visper Proben eines anderen belehrten. Wenn nun auch die gewonnenen Zahlen zufällige sind, d. h. ganz sicher an den den Aushüben benachbarten Stellen die Zäh- lungsergebnisse etwas andere geworden wären, so ist doch aus der Tabelle einmal ersichtlich, dass die Dichtigkeit des Vorkommens der Enchytraeiden eine sehr schwankende ist und vom vollständigen Fehlen bis auf 800 Individuen pro 1 dm? ansteigen kann. In der Tat beobachtet man schon an Proben von der angegebenen Größe von 1,5—2 dm? meist eine ganz ungleiche Verteilung derselben; an einer beschränkten Stelle finden sie sich oft dicht gedrängt, an einer andern in größerer Zerstreuung vor. Das wird wohl in Zusammenhang stehen mit besonders günstigen Nährplätzen, an denen sie sich ansammeln, mit ihren, wenn auch nicht gerade aus- giebigen Wanderungen, welche doch eine ungleichmäßige Ver- teilung zur Folge haben müssen, wie mit dem zufälligen Vorhanden- sein von reichlicherer Feuchtigkeit. In größerem Maßstab ist die gleiche Beobachtung in Alpenweiden zu machen. Man trifft sie hier nämlich an den grasbewachsenen Stellen nur da in größerer Zahl, wo die oberflächliche Erdschicht mindestens einige Zentimeter Mächtigkeit hat und humös ist; oft fehlen sie auch an solchen Orten vollständig. Sehr häufig aber stellen sie sich ein unter Kuhplättern von einer gewissen Beschaffenheit, so dass es da förmlich von ihnen wimmeln kann. Für den Sammler sind solche nicht nur deswegen günstig, sondern auch weil sich die verschie- densten Arten zusammenfinden. Da ihnen an solchen Orten nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit Unterstand gewährt ist, so muss für sie in ähnlicher Weise ein Wanderleben angenommen werden wie für die Lumbriciden (die Verbreitungsverhältnisse der Lumbri- ciden in der Schweiz, diese Zeitschrift, 1900). Die Proben 9 Zürich, 17 Hittnau stammen aus intensiv ge- düngten Wiesen, es scheint der flüssige Dünger ihnen nicht zu- träglich zu sein. Die Durchsicht der Liste zeigt aber auch, dass sie stark kultivierten Boden weniger bevorzugen als andere Böden, die Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. 505 nicht so viele Umwälzungen erfahren. Die niedrigen Zahlen aus Ascona (1), Morges (3), Satigny (11, 12, 13), Siders (14), erklären sich aus den geringen Niederschlagsmengen dieser Orte, soweit nicht besondere Verhältnisse hierfür bedingend sind. Siders ist nämlich in der Regenkarte nur mit 60, Morges und Satigny mit 90 cm jährlicher Regenmenge verzeichnet. Dagegen hat Visp (19, 20) nur 70, Basel (2) SO, Le Sentier (15) 140, Ascona (1) gar 180 cm; hier spielt sicher die Durchlässigkeit und Austrocknungsfähigkeit der Böden die entscheidende Rolle für die Anwesenheit der Enchy- traeiden, wie andererseits auch die Nähe genügend bewässerter Stellen (Bäche, Tümpel) von Einfluss sein kann. Das interessanteste Ergebnis ist ohne Zweifel dasjenige von Cresta (33), das den ungemein reichen Bestand von 800 Individuen auf 1 dm? aufweist. Diese Tiere können sich also auch in be- deutender absoluter Höhe wohl fühlen und diese ist an sich durch- aus kein entscheidender Faktor für ihr Auftreten, jedenfalls wäre sie dies dann nicht im negativen Sinne, wie übrigens auch die Zahlen von Riemenstalden (26) und Schuls (27) beweisen. Die Ausbeute aus dem Scarltal (32) war deswegen überraschend, weil die Probe daselbst einen Trockentorf betraf, in dem von vornherein wohl nicht eine so reiche Fauna vermutet worden wäre, da solche Stellen in den Niederungen von Oiigochäten kaum bewohnt werden. Der Schluss dürfte also berechtigt sein, dass die Enchytraeiden in der alpinen Region unter günstigen Verhältnissen eher häufiger sind als in tieferen Lagen, was unzweifelhaft wiederum mit der größern ihnen dort gebotenen Feuchtigkeit in Zusammenhang zu bringen ist. Den höchsten Fund habe ich aus 2550 m, am Kistenpass zu ver- zeichnen. In dem Humus von Silene-Polstern fanden sie sich sehr häufig, trotzdem diese kleinen Rasen als zerstreute Inselchen in eine weite Steinwüste eingebettet liegen. Sicher gehen sie wie die Lumbrieiden noch höher und erreichen wohl erst mit den letzten Ausläufern der Pflanzenwelt ihre obere Grenze, da verwesendes organisches Material ihre Nahrung bildet. — Ein Moment verdient bezüglich des Auftretens an Polsterpflanzen Erwähnung, nämlich die Unempfindlichkeit gegen große und rasche Temperaturschwan- kungen. An solchen Stellen erwärmt sich die Erde über Tag durch die Sonnenbestrahlung sehr hoch, kühlt sich aber bei Nacht oft unter den Gefrierpunkt ab, was ihre Bewohner ohne Schaden er- tragen müssen. Der Annahme, dass sie gleich den Lumbrieiden ein Einfrieren bis zu einem gewissen Kältegrade ertragen, steht nichts im Wege; wahrscheinlich aber setzt ihnen an so hoch gelegenen Standorten die Kälte des Winters wegen der hohen Schneedecke weniger zu als diejenige während der schneefreien Periode. 506 Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. In der folgenden Tabelle habe ich eine Zusammenstellung der Arten nach ihren Fundorten versucht. Die Zahl der Fundstellen ist in ihr geringer als in der ersten, weil die Befunde aus ganz benachbart gelegenen Erdproben vereinigt sind, so von Zürich, Satıgny, Hittnau, Visp, ferner die beiden von Schuls aus 1250 m. Sie ist insofern unvollständig, als fast in allen Erdproben neben den bestimmbaren, geschlechtsreifen Individuen es auch andere von rückständiger Entwickelung gab, deren genaue Identifizierung deswegen unmöglich war; solche Funde sind nicht verzeichnet worden; mit Fragezeichen dagegen diejenigen, welche mit großer Wahrscheinlichkeit der betreffenden Art zugehören. Die Funde von F. galba habe ich ebenfalls als fraglich hingestellt, da sie vielleicht bei genauerer Untersuchung doch noch zu F. Michaelseni gehörig erkannt werden. Von den 50 für uns in Betracht fallenden Arten sind hier weitaus die Mehrzahl, nämlich 40, verzeichnet und die Tabelle er- gibt sofort einige Schlüsse sowohl über die horizontale als auch die vertikale Verbreitung derselben. Beizufügen ist, dass die ge- nannten durchaus nicht die einzigen Fundorte sind, denn außer den aufgeführten Stellen, von denen quantitative und qualitative Bestimmungen vorliegen, wurden viele nur auf den Artbestand und für die Feststellung der Verbreitung berücksichtigt. Aus der letzten senkrechten Reihe ist ersichtlich, dass die Enchytraeiden in ganz verschiedener Artenzahl vergesellschaftet sind. Bald teilen sich nur wenige, 2—3 Formen in das Gebiet, bald aber finden wir deren 10 und noch mehr beisammen und zwar sind es durchaus nicht die Orte mit den dichtesten Beständen, welche zugleich die reichste Artenzahl aufweisen, wie z. B. die Vergleichung der Befunde von Zürich, Visp, St. Antönien und Cresta sofort zeigt. Aus dem Scarltal mit viel größerer Individuen- zahl wurde eine Art weniger beobachtet als von St. Antönien und ähnliches ist von Heiden und dem Klöntal zu sagen. Und endlich steht Cresta seiner überreichen „Bevölkerung“ bezüglich seiner Artenzahl unter dem Mittel von allen. Es mag dies zum Teil wenigstens von Zufälligkeiten herrühren, so dass bei Vornahme weiterer Erdproben einige andere Arten noch anzutreffen wären. Haben ja doch Zürich, Visp, Hittnau, Schuls mit ihren kombinierten Zählungen wirklich die größten Zahlen aufzuweisen; man könnte sogar versucht sein, auf Grund dieser 4 Ergebnisse den Arten- bestand überall fast gleich groß anzunehmen, denn diese Orte liegen in sehr verschiedenen Gebieten der Schweiz. So erkennen wir zugleich, dass die Artenzahl auch von der geographischen Lage wenig abhängig ıst. Auf der Gaffia-Alp an den Grauen Hörnern, 1800 m, fand ich in gleicher Weise 10, unter den Sılenepolstern am Muttensee nur 2 Spezies nebeneinander. 907 - - LPITIDOIEEREIMEIANEIRT ri 1b Pal 2 ER ERDIERE XERBERNDE-NRERDIERPIRRER DSNAOSONFANNHTHOTD- NOUNUT- OS Dı9 OS Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. 1UOSI] BIOeUDY BYBLIBA BIOLIOPLIT Ep SPLOPLIT SLIISALIY BIOLIOPLIT gyemngopstipenb "IOpLıT wAred BIOLIOPLIT Tynuru BIOLIOPLIT 1UOS[ORYOLN BEHOPLLA vge3 BIOLIOPLIT BIIISXI BIOLIOPILT BYBulDIBWII BIOLIOPLIT 1S1pÄoT BLIOPILT SLIBTNIILIT BIOLIOPLIT UOWOSIU BIOLIOPLIT 142s10pd A BIIeUDY BILIAHSUT BOLIOPLIT Bjoorung BIOLIOPLIT tleltloltlolaltlobtalrlelslzlelelelelı — 1 X|X ee — || — 1 — ||| * 2891) aa oe ee er Serie “ T9IIBOS BEN | elle enernonuvene Gera <=) | 8 1) 8 Sur ogrremuog | xx ee er znof er 11% [1X II XIX IK IX XI = ur CET sngog — ee xx — ||| ° u9p[e9suowerg 11|1|11 ||| |— || —|—| " 1014u9S 97 — 1-1 — Re le “ ujopaısumg am u u u u u a a Soleil nee ° TeyuorM ES | xx 11° ' wpRH Az sr x7 228 solle " derA X) xx 1° "neu | 1 ||| | — 1 —|—| TAzZ-9q4O --xi-1 1-1) Xa=efresera Sta], gel Mo [Biol ol " Ausyes = reisialsiee SEAN - mZ ze] x-1—|xX — [||| —|' uoduypppuy er xxx — 1111 X] ° ° Ooy ee ae > _ — | ' " SOdIOM ee x 1—1x|-1 11 11 X’ [pseq xx || XXI 1111 11 || " BUO9SVY zsz22zs2s55srseerereennn ee|i2l2lE BES meisiElBlEISıS[EIE[EIEIEIEIE, lalalelal2l2l3@S8[<@<<<@ 85888818 8|8 SEIEN. 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Ascona, am Nordufer des Langensees und an dessen oberen Ende gelegen, besitzt überhaupt eine ganz eigenartige Fauna, denn von den 7 daselbst konstatierten Arten sind nicht weniger als 2, also nahezu der dritte Teil, nur von dort verzeichnet. Achaeta Vejdovskyi vertritt die nördliche A. Eiseni, E. parvulus ıst nirgends sonst, F. diachaeta dann aller- dings bei Zürich in einer nassen Wiese wieder gefunden worden; immerhin scheint sie eine ganz sporadische Verbreitung zu be- sitzen, da dies die einzigen Standorte geblieben sind. Bryodrilus Ehlersi gehört der Fauna der Schweiz an, denn sie ist häufig an bemoosten Baumstrünken im Walde bei Hittnau, wie sie auch Ude zuerst auffand, findet sich aber auch in der Umgebung des Mutten- sees, 2600 m, den Humus der dortigen Polsterpflanzen bewohnend. Die Objekte von La Joux verte, nicht geschlechtsreife Exemplare, schienen mir mit ihr identisch zu sein. Offenbar ist ihre Ver- breitung viel größer. Fridericia auriculata, bis jetzt einzig von Cresta zu verzeichnen und demnach als rein alpine Form anzusprechen, gehört der Ley- digi-Gruppe an, die eine Reihe von nahe verwandten Arten (F. Leydigi, minuta, polychaeta, irregularis u. a.) umschließt, von denen wenigstens einzelne vielleicht vereinigt werden können. F. Bedoti von Satigny, an der Südwestecke der Schweiz, scheint im übrigen Gebiet nicht vorzukommen, ebensowenig die daselbst vorhandene F. bisetosa, welche fast rings um die Schweiz in Italien, Frankreich und Deutschland zur Beobachtung gelangte; sie ist vertreten durch die weitverbreitete F. connata. Wiederum hat sich F. kegemon, von Vejdovsky zuerst aus Böhmen beschrieben, nur einmal gezeigt und kommt gewiss nur an zerstreuten Fundorten, nicht in allgemeiner Verbreitung, vor. F. humicola habe ich wieder gefunden auf der Melchseealp in etwa 2000 m Höhe, ferner im Gebiete der Grauen Hörner und es hat den Anschein, als ob sie nicht unter 1800 m hinabgehe. Sie wäre also bei uns eine typisch alpine Art. Michael- sen führt sie auch aus Afrika an. F. örregularis geht wohl nicht in die alpine Region hinauf, sondern scheint eher vorwiegend montan zu sein. Für A. terrestris ıst Cresta der einzige Fund- ort geblieben; sie muss also der alpinen Region zugeschrieben werden. Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. 509 Von Novaja Semlia und aus Deutschland bekannt (Michael- sen, Oligochäten 1900), zeigt Henlea Dicksoni in der Schweiz eine entsprechende Verbreitung, da ich sie in einer ganzen Reihe von Orten aus der Nähe von Zürich (400 m) bis in 2600 m am Mutten- see getroffen habe. Ganz dasselbe ist von der von Sibirien bis Italien verbreiteten H. nasuta zu sagen; ihren höchsten Standort konstatierte ich in der Schweiz in der Hochwangkette, 2400 m und habe sie an verschiedenen Zwischenstationen bis 500 m hinab ge. sammelt. Wie jene liebt sie eher feuchte als trockene Orte und stellt sich darum gerne auch an Seeufern ein. In H. pratorum liegt eine Art vor, die bis jetzt auf die Schweiz beschränkt ge- blieben ist; entschieden zieht sie die tieferen Lagen vor, da sie in den Kantonen Genf, Waadt, Wallis, Zug, Zürich, Glarus nicht über 900 m sich vorgefunden hat. Sie gehört also mehr der Mittel- und Westschweiz an, im Gegensatz dazu H. rhaetica den östlichen Ge- bieten von 1200 bis in 1800 m Höhe. H. dorsalis ıst von Basel und dem Engadın mit 1800 m zu verzeichnen und wird zweifels- ohne noch manche Zwischenstation aufweisen. Auch H. Rosai und Stolli haben weitere Verbreitung, als die Tabelle sie vermuten lässt, denn sie gehen in den Alpen bis 2000 m; als amphibische Tiere siedeln sie sich ebenfalls gerne an feuchten Orten an. In Buchholzia sarda haben wir es offenbar mit einer mehr südlichen Art zu tun, denn Cognetti teilt ihr Vorkommen aus Sardinien mit. In der Schweiz traf ich sie nicht nur in Bünden, sondern auch in Einsiedeln, im Kanton Luzern in einem Moorboden und endlich macht sie einen Bestandteil der Höhlenfauna des Muotta- tales aus. Enchytraeus argenteus, über das ganze nordalpine Gebiet der Schweiz verbreitet, steigt gelegentlich auch bis über 1800 m (Fürstenalp bei Chur), was jedoch ein ausnahmsweises Verhalten bilden dürfte. Häufiger sind E. Buchholzi und turicensis zu treffen; jene fällt durch ihre bedeutendere Größe auch viel eher auf als diese. Ihren höchsten Standort habe ich mit 1800 m an den Grauen Hörnern anzugeben, anscheinend wiederum ein mehr abnormes Vor- kommnis. E. nigrina zeigt mit 1250 m bei Schuls die bedeutendste Erhebung, ist dagegen in den Niederungen ım Pflanzenmoder der Seeufer gemein. In noch ausgesprochenerem Maße hält sich E. silvestris an die ebene Schweiz, denn die genannten sind die ein- zigen bis jetzt bekannten Fundorte geblieben, denen sich sicher andere anreihen werden. Für F\ Bedardi sind höhere Lagen bis nahe der Schneegrenze die Regel; sehr häufig ist sie in den Alpen- weiden und nur hie und da scheint sie nach unten sich verbreiten zu wollen, denn ich traf sie auch bei Obstalden in ca. 700 m wieder. F. biglobulata, auch am Agerisee vorkommend, meidet nach den vorliegenden Beobachtungen hohe Lagen. Ebenso verhält sich F. bulbosa, die wie jene nur an zerstreuten Punkten erscheint, so auch 510 Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. ım Hölloch, der bekannten Höhle des Muottatales; sie ist auch aus Deutschland bekannt. La Joux verte ist mit 1400 m nicht der höchste Standort für F. connata, denn ich traf diese gut charakteri- sierte Art auch in 2100 m bei Chur; doch zieht sie entschieden niedrige Lagen vor und bildet diese Tatsache offenbar eine Aus- nahme. F. emarginata und exserta sind von zu wenigen Punkten bekannt, um ein Urteil über ihre Verbreitung zu erlauben; bis jetzt handelt es sich bei ihnen um Formen der Ebene F. insu- brica muss zu den südlichen Formen gezählt werden, denn die in der Tabelle verzeichneten Fundstellen sind die einzigen geblieben. In ganz zerstreuten Kolonien ist F. Leydigi auch in Einsiedeln und der Umgebung von Zürich angetroffen worden und kommt bis 1800m Höhe vor, was auch für die viel häufigeren F. Michaelseni und minuta zutrifft. In dem als fraglich dargestellten F. galba-Funde von Zürich handelt es sich wahrscheinlich eher um Michaelseni galba; wäre somit auf die Ebene beschränkt und wird in Europa aus Dänemark bis Italien verzeichnet. Eine größere Zahl von Beobach- tungen zeigen, dass F. parva kaum über 1400 m hinaufgeht, also der Hügel und montanen Region angehört. Auch F. quadriglobulata zieht eher die tieferen Lagen vor. F. Udei und variata endlich sind von einer größeren Zahl weiterer Orte bekannt und finden sich über die ganze Schweiz — mit Ausnahme vielleicht des süd- lichen Tessin — bis 1800 m verbreitet. Noch bleibt übrig, die 10 Arten nach ihren Verbreitungsver- hältnissen darzustellen, welche in der Tabelle nicht figurieren und für die meist nur je ein einzelner Fundort namhaft zu machen ist, Von diesen habe ich Bryodrilus sulphureus ım letzten Sommer neben B. Ehlersi in ca. 700 m Höhe bei Hittnau entdeckt; sie lebte in großer Anzahl unter reichlichen Mengen von Tannadeln und in der Erde. Sie scheint der montanen Region anzugehören. Für Buch- holzia appendieulata kann ich das Ufer an der Limmat unweit Zürich, 400 m, und das Gebiet des Melchsees, 1900 m, als Fundstellen an- geben. Enchytraeus alpestris konstatierte ich auf der obern Sand- alp in 2000 m Höhe; ebenfalls so hoch traf ich Friderieia alpinula im Gebiete der Murgseen und des Melchsees. Aus der Umgebung des letzteren stammen auch F. alpina und F. fruttensis, F\. helvetica beobachtete ich bei Zürich in dem Mulm hohler Weiden, die bald nachher gefällt wurden. F. striata ist in der Ebene wie alpin an- zutreffen, denn ich beobachtete sie in der Nähe von Zürich, in Hittnau und in der Gaffia-Alp an den Grauen Hörnern; ihr nörd- lichstes Vorkommen wird aus Dänemark angegeben. Zu Achaeta bohemica gehörten Objekte aus einem Garten bei Zürich; Vej- dovsky beschrieb sie zuerst aus Böhmen. Mesenchytraeus montanus Br. traf ich im Mulm vermodernder Holzstöcke oberhalb Melch- tal in 1000 m Höhe. Eine Zusammenstellung der Arten nach den Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. 511 Regionen entsprechend den vorliegenden Beobachtungen ergibt also: durch alle Regionen verbreitet sind: Henlea Dicksont, dorsalis, na- suta, Rosai und Stolli; Buchholxia appendieulata und sarda, Bryo- drilus Ehlersi, Enchytraeus argenteus, Buchholsi und turicensis; Fridericia connata, Leydigi, Michaelseni, minuta, striata, variata, Udei — 18 Spezies. Nur bis in die untere Alpenregion hinauf gehen Friderieia qwadriglobulata und parva —2 Arten. Auf die Hügel- und montane Region beschränken sich Henlea pratorum, Enehytraeus nigrina, Fridericia emarginata, exserta, Achaeta Eiseni = 5 Arten. Nur der untersten, der Hügelregion, gehören an Bryodrilus sulphureus, Enchytraeus parvulus und silwestris, Friderieia Bedoti, biglobulata, bisetosa, bulbosa, diachaeta, galba, hegemon, helvetica, in- subrica, irregularis, Achaeta bohemica, Vejdovski = 15 Arten. Aus der alpinen, wohl auch den oberen Gebieten der sub- alpinen und der subnivalen Gebiete sind als ausschließlich angehörig zu nennen: Henlea rhaetica, Enchytraeus alpestris, Fridericia alpina, alpinula, auriculata, Beddardi, fruttensis, humicola, terrestris — 9 Spezies. Es können somit den 15 Formen der Ebene 9 solche der al- pinen Höhen von 1800—2300 m, den 40 Bewohnern der erstern 27 solche der letztern gegenübergestellt werden. Nach den Untersuchungen von Michaelsen und Ude (Michaelsen, Oligochäten) kommen Deutschland 20 xerophile Enchytraeiden zu, von denen 16 auch in der Schweiz vorhanden sind, 4 dagegen hier nicht vertreten scheinen, nämlich Mesenchy- traeus flavidus, Enchytraeus affinis, Friderieia Perrieri und Stereutus niveus. Die Fauna von Böhmen wurde von Vejdovsky erforscht; für uns kommen hiervon 11 Arten in Betracht, 9 mit der Schweiz gemeinsame und 2 eigene, resp. auch in Deutschland beobachtete, es sind dies Friderieia Perrieri und lobifera. Unzweifelhaft wird die genauere Durchforschung beider Gebiete noch eine Reihe von Arten als daselbst vorhanden konstatieren lassen. Andere Länder haben nur mehr vereinzelte Funde zu verzeichnen und es kann von einer systematischen Durchforschung noch nicht gesprochen werden; am ehesten von Italien, das nach den Mitteilungen von Rosa und Cognetti bis jetzt 14 xerophile Formen zu verzeichnen hat, von denen 4: Achaeta cameranoi Cogn., Fridericia digitata Cogn., sar- dorum Cogn., monopera Cogn. nur diesem Lande angehören, 8 bereits oben als ebenfalls schweizerische Arten angeführt sind. Am übersichtlichsten ergeben sich diese Übereinstimmungen und Verschiedenheiten wiederum durch folgenee Tabelle (s. S. 512): Es scheint also auch für die Enchytraeiden zu gelten, was für die Lumbrieiden aus der Schweiz (Tiergeographisches über die Oligochäten, diese Zeitschr. 1903) hat aufgestellt werden können 12: Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. — und Michaelsen für die südeuropäischen Gebiete überhaupt nachgewiesen hat (Verh. nat. Ver. Hamburg Bd. 9) — dass näm- lich in der Schweiz die Heimat einer größeren Anzahl von Enchy- traeiden, ein Zentrum der Artbildung vorliege. Welche Arten jedoch als endemische anzusprechen sind, das entzieht sich durch- aus der Beurteilung. Erst dann sind hierüber verlässliche Angaben möglich, wenn weitere Gebiete intensiver durchforscht sind und alsdann sind auch Schlüsse über die allfällige Herkunft und die äußern Bedingungen statthaft, welche zur Ausbildung solcher Formen Böhmen Italien Schweiz ; Deutschland Henlea Dicksoni . . . | Br nasuta,. Re el Buchholzia appendiculata . R fallax . ; = sarda . Bryodrilus Ehlersi Mesenchytraeus flavidus Stercutus niveus . Enchytraeus affinis . o% argenteus . 5 Buchholzi Fridericia bisetosa " bulbosa N digitata > galba M hegemon . » Leydigi x lobifera 22 monopera . n Perrieri 5, Ratzeli . ” sardorum . 5 striata . Achaeta bohemica % Eiseni . 5 Cameranoi IX IKK IKK RITTER RR BESSDSIFERSSTPE SS 8288 DECEHPDEPISEE IR FEED SES SAIEDSISISDLD III ET EEE hätten Veranlassung geben können. Für die Enchytraeiden trifft demnach auch zu, was Plate in „Über die Bedeutung des Dar- win’schen Selektionsprinzipes, 1903, sagt: „Inseln, isolierte Gebirge, abgeschlossene Bergtäler, Wüsten und andere Isolationsgebiete sind durch einen Reichtum endemischer Formen ausgezeichnet und dieser Einfluss ist um 'so größer, je geringer die Lokomotionsfähigkeit einer Art ist und je mehr diese daher durch Schwerfälligkeit und Langsamkeit sich selbst isoliert.* In der letztgenannten Hinsicht bieten diese kleinen Würmer eine geradezu ideal zu nennende Vor- bedingung. Bretscher, Die xerophilen Enchytraeiden der Schweiz. 513 In „Die geographische Verbreitung der Oligochäten“ 1903, er- klärt sich Michaelsen mit meinen neuen Enchytraeidenarten ım allgemeinen nicht einverstanden. Bereits 1900 habe ich die damals neu aufgestellten „Spezies“ als vorläufige eingeführt (Mitteil. Oligo- chätenfauna d. Schweiz, Revue suisse de Zool.) und hervorgehoben, wie außerordentlich schwierig jede Abgrenzung ıst, da alle Merk- male einem sehr großen Wechsel ante And und ın allen möglichen Bahnen auftreten. Die Erklärung hierfür schien mir darin zu liegen, dass die Lebensweise, der Standort, die Feinde der Enchytraeiden für sie keine ausgesprochenen Anpassungs- formen notwendig machen, also nicht zu einer scharfen Differen- zierung führen. Am besten hätte mir für einen guten Teil meiner „Arten“ irgend eine neutrale Bezeichnung, etwa „systematische Einheit“ oder „Form“ zugesagt; doch wäre ein solches Vorgehen wenig üb- lich und praktisch von geringem Werte gewesen. Trotzdem ich immer vom Standpunkte ausging, als verschieden erkennbare Ob- jekte auseinanderzuhalten und Bedeu mit einem Namen zu be- legen, in der Hoffnung, dadurch enneiken ein Rohmaterial Fir die spätere definitive Einordnung in das System beizubringen, anerkenne ich durchaus die Berechtigung der Michaelsen’schen Kritik und um so mehr, als ich sıe ale längst im gleichen Sinne geübt habe. Allerdings waren meine seit 1900 sell Unter- suchungen an Tausenden von Vertretern der Familie nicht geeignet, weitgehende Verschmelzungen eintreten zu lassen und ich muss der Zukunft anheimstellen, ob solche möglich sein werden. Sehr begreif- lich, dass diese Beobachtungen auf den, dem nicht mein Material vorgelegen, einen andern Eindruck machen können, als ich ıhn ge- wonnen habe. Wenn jedoch von kleinsten und unwesentlichsten Merkmalen gesprochen wird, ferner von einer Variabilität, die man einer Art lassen müsse, so ıst doch wohl mit einigem Recht entgegenzuhalten, wie denn anders als durch vielfache Beobachtung in diese Fragen Klarheit gebracht werden kann. Was ist überhaupt eine Art? Welches das Maß der ihr zuzuschreibenden Variationsbreite? Sind die „unwesentlichen“ Merkmale ohne allen Zweifel solche? Und andererseits sind es gerade „die indifferenten Merkmale, auf denen sehr häufig die mg nahverwandter Spezies beruht“. (Plate.) Einw dee: lässt sich eine Entscheidung nur durch das Experi- ment beibringen und so lange dieses nicht durchgeführt ist, stehen sich einfach subjektive Anschauungen gegenüber. Es ist für mich auch nicht die Frage, was im Studium der Enchytraeidenfauna „verdienstlicher“ sei, sondern einzig, wie der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen nach meinem Ermessen der zutreffende Ausdruck gegeben werden könne. XXIV. wo wo 514 Schaposchnikow, Färbung im Hinterflügel bei Catocala Schr. Eine neue Erklärung der roten Färbung im Hinterflügel bei Catocala Schr. Vorläufige Mitteilung von Ch. Schaposchnikow Majkop, Kaukasus). Die Frage nach der Erklärung der Ausbildung der roten Fär- bung im Hinterflügel bei Oatocala wurde in der mir bekannten Lite- ratur noch nicht in der Weise behandelt und beantwortet, wie ich es hier ın den Hauptzügen darzulegen versuche; vor allem aber liegt mir daran, dass die Veröffentlichung dieser kleinen Abhand- lung andere Beobachter veranlassen möge, weitere Bemerkungen und Ansichten über die in Rede stehende Frage auszusprechen. Alle in der Literatur niedergelegten Erklärungsversuche der Bedeutung der roten Färbung im Hinterflügel bei Catocala laufen auf zwei Anschauungen hinaus, indem das Rot entweder: als „ab- schreckende“ Färbung oder als eine, die man „anlockende* nennen könnte, in Anspruch genommen wird ; letztere Bezeichnung besagt, dass die Bedeutung der roten Färbung nach der Auffassung der Autoren im Anlocken des den Schmetterling verfolgenden Vogels bestehen soll; der Vogel erfasst danach nur den Flügel, nicht jedoch den Körper des flüchtigen Schmetterlings; der erfasste Teil reisst ab und so rettet sich das Opfer. Derartige Deutungen wurden von Wallace, Darwin, Poulton, v. Bock, Bedar.u.a. gegeben. Gegen den ersten Erklärungsversuch der roten Färbung bei Catocala als einer „abschreckenden“ sprechen aber gewichtige Tatsachen: erstens die bedeutende Entfernung, in welcher Cutocala bei Annäherung eines Feindes plötzlich ihren Ruheplatz aufgibt; zweitens der Umstand, dass die grelle Färbung nur während des schnellsten Fluges von ıhr sichtbar gemacht wird — Tatsachen, welche wohl kaum zugunsten einer derartigen Färbungswirkung, den Feind abzuschrecken, beziehungsweise ıhn auf eine Ungenieß- barkeit im voraus hinzuweisen, verwendet werden können. Drängen doch die Experimente die Überzeugung auf, dass der verfolgende Vogel die Catocala beim grellgefärbten Flügel im Fluge erfasst. Der zweite Erklärungsversuch, nach welchem es sich beim Rot von Catocala um „anlockende* Färbung handeln soll, stützt sich hauptsächlich auf Beobachtungen an Agrotis-Arten mit gelbem Hinter- flügel und wurde dann auf die O«tocala-Arten mit gelbem und auch auf die mit rotem Hinterflügel übertragen. Bezüglich der Beobach- tungen an Agrotis darf aber nicht außer acht gelassen werden, dass sie nur in dem künstlichen Milieu einer Voliere vorgenommen wurden. Die äußere Ähnlichkeit zwischen Agrotis und Catocala berechtigt überdies noch keineswegs, ihrer gleichen Färbung die gleiche biologische Bedeutung im Kampfe ums Dasein beizulegen und zwar dieses um so weniger, als ja schon der Unter- schied der Lebensgewohnheiten beider Gattungen recht erheblich Schaposchnikow, Färbung im Hinterflügel bei Catocala Schr. 515 ist. Außerdem ist es noch zweifelhaft, ob das erwähnte Prinzip selbst auf alle Agrotis-Arten mit gelbem Hinterflügel angewendet werden kann; es gibt eine Reihe Übergangsformen von der großen Agrotis pronuba L. bis zu den kleinen Formen Agrotis anachoreta H. Sch. und luperinoides Gn. Die Hinterflügel dieser kleinen Agrotis- Arten sind nicht minder grell und hervorstechend gefärbt und wenn diese Eigenschaft bei jener großen Eulenart auch wohl verlocken kann, nach ihren Hinterflügeln zu greifen, so würde das bei diesen schon ihrer Kleinheit wegen im Fluge doch wohl allzu schwierig fallen; den Körper zu picken dürfte dem verfolgenden Vogel zweifellos leichter werden. Aber selbst wenn man die Berechtigung dieser Erklärung für Agrotis pronuba L. zugesteht, so ist es doch un- möglich, eine Grenze festzulegen, bis zu welcher die gelbe Färbung des Hinterflügels dem Träger schädlich, beziehungsweise wann ıhre anlockende Eigenschaft ıhm nützlich zu werden beginnen kann; denn Agrotis-Arten kommen von kleinsten Formen an aufsteigend in allen Größen vor. Auch darf nicht übersehen werden, dass man die genannten kleinen Agrotis-Arten im Gegensatz zur großen Art, die abgesehen von etwaigen Zufälligkeiten ausschließlich des Nachts fliegt, am Tage fliegend antrifft, zu einer Zeit also, in der allein sie die gelbe Färbung auszunützen in der Lage sind. Sollte man alle diese Darlegungen nicht gelten lassen wollen, so bleibt immer noch die Frage offen, wie mit dem Prinzip der anlockenden Flügelfärbung die grelle Färbung des Körpers ver- schiedener Catocala-Arten (pacta L., neogama Sm. Abb., magdalena Streck., frederiei Grote, neonympha Hbnr. und amica Hbnr.), der Agrotis fimbria L. und anderer sich vereinigen lässt. Denn da die während des Fluges in schneller Bewegung befindlichen Flügel weniger grell als der ebenso gefärbte, in größerer Ruhe verharrende Leib erscheinen, so ergibt sich daraus auf Grund des oben ge- dachten Prinzips die Folgerung, dass dieser hellere Leib dazu ge- schaffen sei, Vögel zur Verfolgung anzulocken. Wie sollte auch fernerhin die schwarze Zeichnung des Hinterflügels mit der Aner- kennung dieses Prinzips bestehen können? Da die näher der Wurzel liegenden, mit minder großer Schnelligkeit sich bewegenden Flügelteile kraft bekannter physiologischer Gesetze uns heller er- scheinen, als die Randteile des Flügels, so müsste sich folglich die Aufmerksamkeit des Verfolgers auf diese dem Körper angrenzenden Flügelteile als die hellsten konzentrieren. Diese Konzentrierung der Aufmerksamkeit wird noch erhöht und damit der Fang des fliehenden Schmetterlings erleichtert, wenn die Flügelränder ver- dunkelt sind und die Helligkeit der Mitte sich dadurch noch hebt; und wirklich trifft man bei den Agrotis-Arten mit gelbem Hinter- flügel fast immer einen mehr oder weniger breiten schwarzen Rand an. Der verfolgende Vogel wird demgemäß stets bestrebt sein, DIR [> 79} 916 Schaposchnikow, Färbung im Hinterflügel bei Catocala Schr. den dem Körper näher gelegenen Flügelteil, die Wurzelhälfte, zu fassen, aber dann ist es zweifelhaft, ob das Opfer sich losreißen kann. Es sei hier noch auf eine Voraussetzung und zwar eine rein abstrakte hingewiesen, welche für die Erklärung der hellen Färbung als einer anlockenden unerlässlich ist. Tatsächlich findet man ın der Natur eine Reihe von Beispielen, dass ein Tier zur Selbstver- teidigung den Teil seines Körpers, an dem sein Feind ihn ergreift, preisgibt, so z. B. die Eidechse ihren Schwanz, gewisse Spinnen ihre langen Beine. In allen solchen Fällen wird der abgelöste Körperteil regeneriert. Bei Schmetterlingen kann naturgemäß eine analoge Reproduktion nicht stattfinden und ein derartiger Schutz kann bei ihnen daher nur ein zufälliger, einmaliger, nur für einen einzelnen Fall möglicher bleiben. Will man aber ungeachtet aller dieser Erwägungen dennoch jenes Prinzip auch noch auf Catocala anwenden, so ist man eine Antwort auf die Frage schuldig, was denn die natürliche Auswahl mit ıhm hier zu leisten vermöge. Der Schmetterling kann die „anlockende* Färbung in unbe- wegtem Zustande, solange er an einer bestimmten Stelle ruht, nicht ausnutzen; er muss zu diesem Behufe in Bewegung sein, er muss fliegen. Nun aber wird er, wenn er während seines Fluges dem ihn verfolgenden Vogel einen Teil seiner Flügel überlässt, diesen schwerlich zufrieden stellen, sich also von weiteren Verfol- gungen nicht befreien können. Das Opfern eines Teils seiner Flügel lässt den Schmetterling höchstens ein wenig Zeit gewinnen, wäh- rend dagegen die Eidechse z. B. diese wenigen Augenblicke be- nutzt, einen Teil ihres Schwanzes opfernd, in einem Loche oder einer Felsenspalte zu verschwinden. Der Schmetterling mit „an- lockender* Färbung wäre gezwungen, weiterzufliegen und einen geeigneten Moment wahrzunehmen, um sich zu verstecken. Dem- zufolge müssten sich bei ihm 1. ein schneller und gewandter Flug und 2. die Fähigkeit entwickeln, sich unbemerkt zu verbergen. Der Kampf ums Dasein musste zu allererst um so mehr Stärke und Gewandtheit des Fluges herausarbeiten, da mit dem Verluste oder der Beschädigung des die anlockende Färbung aufweisenden Hinter- flügels ja auch dessen anlockende Rolle als solche verloren geht. Demgemäß würden nur diejenigen übrig bleiben, welche durch un- bemerktes Verbergen ihren Flug ausnutzten und das Opfern eines Teils ihrer Flügel vermeiden konnten, d. h. diejenigen, welche sich der „anlockenden“ Färbung als „anlockender“ am wenigsten be- dienten. Das Endziel des Fluges wäre das vom Feinde unbemerkte Niedersitzen und das Verbergen durch die mimetische Färbung der Oberseite der Vorderflügel; auf dieses Ziel weist auch v. Bock an der Stelle hin, wo er über Catocala sagt, die von ihm aufge- Schaposchnikow, Färbung im Hinterflügel bei Catocala Schr. 17 scheuchten roten Ordensbänder seien plötzlich vor seinen Augen verschwunden, ohne dass er hätte wahrnehmen können, wo sie geblieben waren. Hierin liegt jedoch ein Widerspruch: wenn die Bestimmung der grellen Färbung der Catocala dıe wäre, die Auf- merksamkeit des Verfolgers auf sich zu lenken und dann der Vogel die Möglichkeit, sein Opfer am Flügel zu fassen, auch ausnutzte, so würde es einem so großen Schmetterling wie Catocala unmög- lich sein, sich bei einer so geringen Entfernung von seinem Feinde unbemerkt zu verbergen. Aber was beobachtet man in Wirklich- keit? Der Bau der Flügel der roten Catocala, sowie die verhält- nısmäßige Größe und die Form ıhres Körpers geben ıhrem Träger die Fähigkeit eines starken und schnellen Fluges. Die Färbung der hier in Frage kommenden Art unterscheidet sich von der an- derer Arten durch die oberseits roten, mit zwei schwarzen Quer- binden versehenen Hinterflügel, während die dunkelgestreiften grauen Vorderflügel der Rinde des Baumes, auf welcher der Schmetterling sich gewöhnlich niederlässt, vollständig angepasst erscheinen; die Unterseite kennzeichnet eine von zwei schwarzen Binden begrenzte helle Grundfärbung. Bei Tage sieht man unsere Catocala meistens auf einem Baumstamm sitzen; sie ıst überaus scheu und flattert bei der leisesten Annäherung empor; ihr Flug ist kein regelmäßiger, vielmehr ein unterbrochener; sie wirft sich von der einen Seite zur andern, setzt sich plötzlich auf einen Baum, flattert wieder auf und macht öfters noch einige solcher kurzen Flüge, bevor sie sich schließlich beruhigt; zuweilen fliegt sie nicht weiter, sondern macht nur, wenn man es so nennen darf, gleichsam einen Seitensprung und fällt wieder auf denselben Baum, jedoch auf der entgegengesetzten Seite und an einer höheren Stelle nieder; diese unregelmäßigen, unterbrochenen Bewegungen erschweren den Fang des fliegenden Tieres ungemein. Beim Niederlassen führt es eine blitzschnelle Schwenkung nach Richtung des ausgewählten Ruheplatzes aus und fällt dann daselbst nieder, wodurch es wieder recht schwer gemacht wird, diese Stelle ins Auge zu fassen. Der Umstand, dass unser Schmetterling beim Herannahen eines Feindes nicht, wie andere mimetische Arten zu tun pflegen, ruhig sitzen bleibt, sondern durch sein Fortfliegen sich zu retten trachtet, deutet bestimmt darauf hin, hier komme zur Selbsterhaltung des Tieres dem Fluge eine größere Bedeutung zu, als der mimetischen Färbung seiner Vorderflügel, nämlich: er erreiche den Zweck, den Ver- folger irre zu leiten und alsdann ein, durch die Färbung unterstütztes, unbemerktes Niıedersetzen zu ermöglichen. Der charakteristische Flug unserer Catocala nötigt den Feind zu einer besonderen Anstrengung seines Sehapparates, um seine Beute im Gesichtskreise zu behalten; diese verfolgend, fixiert der Vogel den hellen Gegenstand, als welcher ihm die fliegende Ontocala er- 518 Schaposchnikow, Färbung im Hinterflügel bei Catocala Schr. scheint. Je heller ihre Färbung wirkt, um so schwieriger wird infolge des Farbenkontrastes der graue Fleck zu erkennen sein, in welchen der Schmetterling im Augenblicke des Nieder- fallens besonders auf grauer Rinde sich verwandelt; wäre er ganz grau gefärbt, so würde der Verfolger diesen grauen Gegenstand fixierend hauptsächlich seine Umrisse, nicht aber seine Farbe be- achten; und demnach bliebe dieser dem Feinde stets sichtbar und die Stelle, an der er sich niedergelassen, bliebe ihm ebenfalls augen- fällig. Angenommen, dem Schmetterlinge sei seine Kontrastfarbe unbedingt notwendig, so ist offenbar, dass 1. Schmetterlinge, die zu der oben beschriebenen Flugweise, die ich als „ablenkenden“ Flug bezeichnen möchte, ihre Zuflucht nehmen, die hellste Färbung besitzen müssen; 2. dass diejenigen, welche helle Hinterflügel auf- weisen, auch eine helle Färbung der Unterseite aller Flügel haben müssen, um den Effekt dieser Färbung im Fluge noch mehr wirken lassen zu können. Da ferner der Schmetterling, je größer er ist, desto weniger Nutzen von seiner mimetischen Färbung zu ziehen vermag, andererseits aber um so besser durch seine Flugkraft sich retten kann, so müssen nach diesen beiden Voraussetzungen die größten COatocala-Arten auch die grellste Färbung zeigen. Die rote Catocala bewohnt vorwiegend die verschiedenen Laubwälder. In der Perspektive erscheint en Wald im allgemeinen als grüner Grund (Laub und Gras) mit einigen hellen und dunklen Streifen (Baumstämmen und deren Schatten); folglich gehört als Kon- trastfarbe das Rot hierher, welches als Ergänzung des Grünen dient. Und diese rote Färbung muss wiederum besonders an den robustesten Vertretern ihrer Gattung zur Beobachtung kommen. Als Kontrastfarbe der hellen und dunklen Wald- streifen erscheinen ferner die schwarz und weiß gebänderten Unterseiten der Vorder- und Hinterflügel unseres Schmetterlings, welche die leichte Wahrnehmbarkeit des- selben sowohl in hellen als ın dunklen Zwischenräumen des Waldes bewirken. Mit diesem Auftreten der Catocalen mit roten Hinterflügeln steht auch ihre geographische Verbreitung in Zusammenhang. Be- sonders charakteristisch ıst für sie ihr Vorherrschen in der nörd- lichen Hälfte Europas, wo unter sämtlichen Criocala-Arten nur zwei nicht rote sich finden. Die in dem erwähnten Gebiete ihr dar- gebotenen Verhältnisse sind folgende: die ‚Wälder zeigen weniger große Dichtigkeit, als ın wärmeren Ländern, so dass gewöhnlich genügender Raum bleibt, der dem Schmetterling ermöglicht, seinen Flug auszunutzen; ferner entsteht eine Perspektive, welche, gemäß der oben geäußerten Voraussetzung, dem Schmetterlinge die Mög- lichkeit gibt, seine entsprechende Färbung und Zeichnung zur Geltung zu bringen. Als seine Feinde sind in diesen Wäldern für den über Schaposchnikow, Färbung im Hinterflügel bei Catocala Schr. 519 Tag auf Baumstämmen ruhenden Schmetterling die Vögel!) zu nennen und zwar sowohl Klettervögel (Pieus, Sitta und verwandte), als auch diejenigen, welche von den Zweigen aus Insekten fangen, beziehungsweise diese auf dem Erdboden suchen (Turdus und ver- wandte). Zur Nachtzeit, wenn der Falter fliegt, wird ıhm von Fledermäusen nachgestellt. Vor drosselartigen Vögeln wird die rote Catocala durch die Höhe ihres Ruhepunktes genügend geschützt; sie lässt sich kaum jemals in so geringer Entfernung vom Boden nieder, dass sie diesen auffallen kann, und wiederum nie in solcher Höhe, dass sie den auf Zweigen sitzenden Vögeln zur Beute fällt. Diese Schutzhöhe wäre 1'!/, bis 2!/, Meter und in einer solchen Höhe beobachtet man auch für gewöhnlich unsere rote Cntocala. Gefährlicher werden ıhr die an den Stämmen kletternden und solche genau absuchenden Vögel (Pieus, Sitta); em so + großer Schmetterling kann diesen nicht so leicht entgehen; aber alle diese Vögel erregen beim Klettern stets ein Geräusch, und bei unserer Catocala zeigt sich das Gehör hervorragend gut entwickelt, so dass ihr bei Annäherung der Spechte und anderer Klettervögel immer noch die Möglichkeit bleibt, rechtzeitig vom Stamme abzuflregen. Tagsüber nutzt sie sowohl die Stärke und Gewandtheit ihres Fluges als auch die entsprechende Flügelfärbung aus, um durch diese vor dem sie suchenden Vogel mehr oder weniger gut geschützt zu sein. Während mir eine bedeutende Anzahl von Fällen bekannt wurde, die als Ursache für das Umkommen der Catocala allein auf Fleder- mäuse hinwiesen, vermochte ich nicht einen einzigen Fall festzu- stellen, dass eine Catocala tagsüber durch einen Vogel wäre ge- tötet worden; auch ist es leicht verständlich, warum Cntocala haupt- sächlich von Fledermäusen gefangen wird. Fledermäuse jagen ın der Dunkelheit und nach dem (Gehör, ihnen gegenüber ist es der Catocala nur teilweise möglich, ihren ablenkenden Flug auszunutzen, ihre Färbung aber kann sie gar nıcht verwerten. Das über die Feinde der Catocala Vorgebrachte erläutert zu- nächst, in welchem Gebiete überhaupt eine Gruppe von Schmetter- lingen ziemlich bedeutender Größe und starker Muskulatur, deren Angehörige im Ruhezustande an Baumstämmen sitzen, mimetische Vorderflügel und Hinterflügel mit greller Färbung haben, welche bei ablenkendem Fluge eine ablenkende Rolle spielt, sich aufhalten kann. Dort nämlich, wo 1. eine Reihe von Feinden vorhanden ist, welche die Fähigkeit besitzen, dem am Baumstamme ruhenden Schmetterling sich geräuschlos zu nähern, wo 2. der Schmetterling 1) Als geräuschlos kletternde Feinde der Insekten kämen noch Eidechsen und Schlangen in Betracht; allein die in dem bezeichneten Gebiete lebenden Baum- Eidechsen sind zu klein und zu wenig zahlreich, die auf Bäume kletternden Schlangen aber nicht imstande, so dicke Stämme zu erklimmen, welche die rote Catocala zu ihrem Ruheplatze sich zu wählen pflegt. 520 Handlirsch, Zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynchoten. bei der Verfolgung durch einen beschränkten Raum und infolge des Fehlens einer bestimmten Perspektive den ablenkenden Flug nicht beendigen und die ablenkende Färbung nicht verwerten kann, dort wäre die Entwickelung zu einer Schmetterlingsgruppe mit den oben angeführten Kennzeichen, also den roten Catocala-Arten, ein- fach unmöglich! Diesen Umständen dürfte es zuzuschreiben sein, dass die rote Catocala ın den nearktischen und paläarktischen Ge- bieten verbreitet ist, aber in den tropischen Gegenden nicht vor- kommt. Und es erscheint weiterhin bemerkenswert, dass aus Ge- bieten, die älteren Charakter tragen, aus dem neotropischen und australischen, von Vertretern der Gattung Cntocala überhaupt nichts bekannt wurde. Ein Blick auf die rezenten Oatocala-Arten liefert die Bestätigung der hier dargelegten Auffassung; fast alle roten Catocala-Arten sind Schmetterlinge von einer Größe, welche die gelben Catocala m den meisten Fällen lange nicht erreichen. Die Zeichnung der roten Catocala-Arten: zwei schwarze Querbinden, ist fast ausnahmslos streng durchgeführt, während die gelben Arten vielfache Abände- rungen aufweisen. Eine interessante Tatsache ist ferner noch die, dass auch die orangefarbenen Chatocala-Arten groß sind und ihre aus zwei schwarzen Querbinden bestehende Zeichnung mehr oder weniger beständig bleibt; bei den gelben Arten beobachtet man dagegen im allgemeinen nur unter ihren größeren Vertretern eine strenge Durchführung der angegebenen Zeichnung. Es ist dabei aber selbstverständlich, dass örtliche und geschichtliche Bedingungen eine Reihe von Abänderungen sowohl ın der Größe als ın der Färbung auch bei den roten Catocala-Arten haben hervorbringen müssen; indessen sind, wie bereits erwähnt, bei ihnen diese Ab- änderungen viel weniger erheblich. Als charakteristische Vertreterin für die hier untersuchte Färbung kann Crtocala elocata Esp. an- gesehen werden. Diese Art ist eine der größten der Gattung Cafocala und dabei einer der gewöhnlichsten europäischen Schmetterlinge. Handlirsch, A. ı. Zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynchoten. Ein morphologisch-biologischer Beitrag. Ann. K. K. Naturhist. Hofmus. Bd. XV, Heft 2. Wien 1900, p. 127—141. 15 Fig. i. Text u. Taf. VII. 2. Neue Beiträge zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynchoten, Verhandl. K. K. Zool.-Bot. Ges. Wien. Jahrg. 1900, p. 555-—560, Fig. 1—7. Handlirsch gibt uns in diesen beiden Arbeiten wichtige Beiträge zu der Frage der Lautäußerung der Insekten, speziell der Rhynchoten: 1. Es wird — z. T. in Uebereinstimmung mit früheren Autoren — für die Reduviden und ihre nächsten Verwandten, auch für die Phymatiden konstatiert, dass hier der Zirpton durch Reibung Handlirsch, Zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynchoten. 521 des Rüssels auf den Querriefen einer Längsrinne der Vorderbrust erzeugt wird. Es fehlt dagegen ein solcher Zirpapparat den Heni- cocephaliden und Nabiden. Der Apparat wird für Coranus subapterus Geer im einzelnen beschrieben und abgebildet. Er ıst bei Männchen und Weibchen gleich gut entwickelt und ertönt, wenn das Tier erschreckt oder bedroht wird, dient also vielleicht zur Verteidigung. In Uebereinstimmung mit Stäl stellt der Verf. fest, dass unter den Scutelleriden sämtliche Gattungen der Tetyraria auf der Ventralfläche des Abdomens beiderseits der Mittellinie je ein ge- rilltes Feld aufweisen. Das zu dieser Reibfläche gehörige aktıve Organ, das durch seine Bewegung über die Fläche den Zirpton hervorbringt, entdeckte Handlirsch in Gestalt der mit Wärzchen versehenen oberen Fläche der Hintertibien. Auch hier kommt der Stridulationsapparat beiden Geschlechtern zu und wird daher wohl ebenso wie bei den Reduviden als ein Mittel zur Verteidigung aufzufassen sein. Nähere Beschreibung und Abbildungen für Pachyecoris torridus Scop. Bezüglich der Gattungen Corisa, Oymatia und Sigara kommt Handlirsch zu folgenden Resultaten: Bei Corisa ist ein Stridu- lationsapparat nur im männlichen Geschlecht entwickelt. Es trägt hier die Pala, d.i. das einzige vorhandene schaufelförmig verbreiterte, mit langen starken Borsten bewehrte Tarsenglied der kurzen Vorder- beine, auf der inneren konkaven Fläche regelmäßige Reihen von kurzen Chitinzäpfchen, die denen der Schrillleiste von Stenobothrus pratorum auffällig ähneln. Dies ist der aktive Teil des Schrill- apparates. Der passive besteht aus scharfen, übrigens auch beim Weib- chen vorhandenen Querriefen des Rüssels. Es entsteht also, wie bereits Landois richtig angab, ohne Zweifel ein zirpender Ton durch Reibung der Pala an der quergerieften Fläche des Rüssels. Hierzu Abbildungen der Pala von Corisa geoffroyi Leach Männchen und Weibchen und praeusta Fieb. Männchen, sowie des hüssels von (€. geoffroyi Männchen. Bereits Ball hatte für Corisa noch über eine andere Art von mehr langgezogenem Ton berichtet und diesen mit einer stets gleich- zeitig wahrgenommenen Bewegung des Hinterleibes in Zusammen- hang gebracht. Diesen Ton führt Handlirsch auf ein von Buch. White bei Corisa-Arten gelegentlich systematischer Untersuchungen konstatiertes Gebilde zurück. Das Männchen der (orisa-Arten trägt nämlich am Hinterrande der 6. Dorsalplatte des bekanntlich besonders gegen das Ende etwas asymmetrisch verschobenen Hinter- leibes eine durch kurzen Stiel mit dem Tergit verbundene Platte, die mit etwas über einander greifenden Reihen steifer Kammzähne bewehrt ist. Buch. White nannte diese Platte „strigil“. Der Ton wird wahrscheinlich hervorgebracht durch das Reiben der Strigil an dem Rande des, übrigens seiner Struktur nach nicht weiter aus- gezeichneten, Vorderflügels der entsprechenden Seite. Den Calli- coriva-Arten und der Gattung Cymatia fehlt diese Strigil. Ein- gehende Beschreibung der Strigil bei Corisa geoffroyi Leach und Abbildungen darüber von (. geoffroyi und linnei Fieb. 522 Handlirsch, Zur Kenntnis der Stridulationsorgane bei den Rhynchoten. Der Gattung Cymatia fehlt nun außer dem Strigilapparat auch der Pala-Rüsselapparat. Dagegen findet sich hier eine andere Ab- weichung der Männchen von "den Weibehen. Die Männchen tragen nämlich eine große messerartige, flache, einklappbare Klaue am Ende des einzigen vorhandenen, für beide Geschlechter fast gleichen Tarsengliedes, in welcher Handlirsch ebenfalls ein Tonerzeı ugungs- organ zu vermuten geneigt ist. Beı den Männchen von Sigara minutissima L. und signoreti Reut. dagegen gelang es Handlirsch, ein Strigil zu entdecken, und zwar rechts am 6. Segment. Ihre Chitinstäbchen bestehen aber abweichend von den Verhältnissen bei Corisa nur aus einer einzigen Reihe und ragen weit über die sie tragende blasıg ge- wölbte Chitinplatte hinaus (Abbildung). Schallverstärkend wirken bei diesen winzigen Tieren vielleicht die Lufträume unter Kopf und Thorax und die vom Abdomen durch eine Luftschicht getrennten Flügeldecken. Von dem Pala-Rüsselapparat findet sich bei Sigara zwar der quergerillte Rüssel, aber es fehlen die entsprechenden Zähnchen an den Vordertarsen. Doch ıst hier ein ähnlicher klauenartiger Anhang wie bei Oymatia vorhanden und zwar in noch stärkerer Ausbildung. Ob vielleicht dieser als Zirporgan anzusprechen ist? 2. Im (segensatz zu A. H. Swinton, der bei Naucoris cimi- coides in Gestalt zweier f-förmiger limae an der vorderen Fläche des Mesothorax einen Stridulationsapparat entdeckt zu haben glaubte, konnte Handlirsch weder in der Kopf- noch in der Thorax- partie dieser Art ein Stridulationsorgan entdecken. Dagegen fand er unter den Flügeln auf dem Basalteıl der 6. und 7. Abdominal- Rückenschiene beim Männchen eine Struktur, die höchstwahr- scheinlich die Reibfläche eines Stridulationsorganes darstellt: sehr regelmäßige Querriefen bei mangelnder Behaarung. Diese beiden Ventralsegmente 6 und 7 sind beim Männchen außerdem gegen die ihnen vorhergehenden Segmente stark ausziehbar und einstülp- bar inseriert, so dass ihr quergeriefter Basalteıl gegen den Hinter- rand des vorhergehenden Segmentes gerieben werden kann. Dementsprechend zeigt denn auch der Hinterrand der 5. und 6. Abdominal- Rückenschiene solche Konturen, die den geschilderten Basalteilen der beiden, sehr beweglichen, folgenden Tergite bei einer Reibbewegung als Gegenlager dienen können: je zwei tiefe Einkerbungen und bei diesen eine stärkere Entwickelung des Randes, sowie verschiedene Unebenheiten. Die Funktion dieses Apparates konnte experimentell allerdings noch nicht nachgewiesen werden. Die von Swinton beı Nepa cinerea, bei Corisa panzeri und bei Notonecta glauca var. furcata, sowie von Garner an Corsa ver- meintlich entdeckten Stridulationsorgane erwiesen sich bei genauer Untersuchung als Phantasiegebilde. Nepa und Notonecia® haben höchstwahrscheinlich überhaupt keine dem menschlichen Ohr wahr- nehmbare Töne zur Verfügung. Es werden noch einige Angabe n früherer Autoren über das Zirpen bei Reduviden und Tetyrarien kritisch besprochen. Th. Kuhlgatz, Berlin. Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 523 Prof. Dr. Max Rubner: Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. Leipzig und Wien, Franz Deuticke 1902 VI + 426 S. gr. 8; 10 Fig. Rubner versucht auf Grund seiner langjährigen experimen- tellen Tätigkeit die „Gesetze des Energieverbrauches bei der Er- nährung* einheitlich darzustellen. Ein großer Teil der Darstellung enthält, wie eben bei jeder Zusammenfassuug, eine Reihe von Tatsachen, welche schon lange, sogar vor Rubner’s Arbeiten, in den festen Besitzstand der Phy siologie übergangen sind, ohne dass Rubner auf die entsprechenden Angaben der älteren Literatur besonders eingegangen wäre, wozu doch die breit angelegte mono- graphische Behandlung des Themas eigentlich Anlass geboten hätte. Gegen Rubner’s eigene energetische "Anschauungen, "die er zuerst ım Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts aus- gesprochen hat, ist von vielen Seiten mehr oder minder berech- tigter Einspruch erhoben worden, in lezter Zeit von F. Mares'), der die zu erhebenden Einwände sehr scharf formuliert hat. An- statt einer besonderen Kritik möchte ich nur auf die Ausführungen von Mares verweisen, denen ich mich im der Beurteilung der Rubner’schen Arbeiten vollkommen anschließe. Dass auch das neueste Werk Rubner’s mit Recht vielem Widerspruch begegnen wird, kann gar nicht zweifelhaft sein. Bevor ich aber den Inhalt des Buches skizziere, muss ich auf die Schwierigkeiten hinweisen, welche der Benützung und Durcharbeitung des Buches hinderlich ım Wege stehen. Vor allem ist die stilistische Darstellung oft derartig mangelhaft, dass sehr viele Stellen schwer verständlich und unklar erscheinen. Beim besten Willen ist es nicht zu ver- meiden, dass schwerwiegende Missverständnisse zwischen Autor und Leser vorkommen werden, denn vielfach muss der Leser erst er- raten, was der Autor eigentlich sagen will. Genau die gleichen Schwierigkeiten, die der Text dem Leser bietet, finden sich auch beim Studium der zahlreichen Tabellen, denn vielfach weiss man gar nicht, wie die Zahlen gewonnen wurden. Auch da muss man oft raten, ob die angeführten Zahlen Gramme, Kalorien oder Pro- zente ausdrücken. Schlimmer ergeht es dem Leser schon, wenn z. B. in einer Tabelle (S. 51) beim Hungerversuch der Ü ın der Nahrung das einemal mit 83,19 und dann mit 78 ‚50 angegeben wird. Was meint Rubner mit dem C-Gehalt der Nahrung bei einem Hungerversuche? Ein anderes Beispiel auf der gleichen Seite: Ein Hund erhält 167 g Butterschmalz, „I g davon liefert nach meinen Bestimmungen mit Berthelot’s Bombe 9214 oder demnach 167 g — 1537“. Die letzte Zahl sind offenbar große Kalorien und außerdem sind es 1538,7 große Kalorien. Ein anderes Beispiel (Tab. 3 S. 52): Ein Hund von 11 kg hungert drei Tage und erhält am vierten Tage 200 g Speck, worauf sein Körper- gewicht mit 20,75 (offenbar kg) in der Tabelle verzeichnet ist. 1) F. Mares, Das Energieprinzip und die energetische Betrachtungsweise in der Physiologie. Biol. Uentralbl. Bd. XXII Jg. 1902. 594 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. Wahrscheinlich liegt hier ein Druckfehler vor. Noch ein Beispiel (Tab. SO S. 164): Der Hund wiegt am ersten ın der Tabelle ver- zeichneten Hungertage 7,7 (vermutungsw eise kg), am darauffolgen- den Hungertage ,2; also hat das Tier von einem Hungertage zum anderen um 500 g zugenommen. Woher diese Gewichtszunahme stammt, ist nicht angegeben, obwohl gerade bei Hungerversuchen derartige Gewichtszunahmen einer besonderen Erklärung bedürftig erscheinen. An anderen Stellen muss man den Dezimalpunkt ver- mutungsweise korrigieren (S. 31); da heißt es: 729 g trockenes Fleisch x. 5,532 —= 403 Cal, offenbar sollen 72,9 g anstatt 729 g gemeint sein. Ferner kommt noch ein Moment ın Betracht, welches die Benutzung der Rubner’schen Zahlen ganz außerordent- lich erschwert, ındem vielfach aus sehr erheblich untereinander abweichenden Zahlen Mittelwerte genommen werden. So weicht z. B. in Tab. 43b (S. 101) die kleinste Zahl von der größten um 25,93°/, ab; in der Tab. 44a (S. 102) beträgt diese Differenz 34,33 °|,. Trotzdem werden aus beiden Tabellen Mittelzahlen gezogen, die miteinander ın Vergleich gebracht werden. Die Mittelzahlen unter- scheiden sich um 30,3°/, voneinander und dieser Erhöhung der CO,-Produktion um 30,3°/, gegen den Vergleichsversuch wird ein besonderer Wert zuerkannt. Ich glaube, dass einmal derartige Mittelzahlen nur sehr mit Vorsicht hinzunehmen sind, zum anderen muss ich aber sagen, dass wenn in einer Versuchsreihe die Einzeln- werte um 34,33°/, variieren, ein Plus von 30,3°/, gegen den Paralell- versuch auch nicht sehr bedeutend erscheinen kann. Es sind nicht die einzigen Beispiele, ich könnte sie noch weiter vermehren. Jedenfalls zeigen die hervorgehobenen Punkte, dass die Benützung des außerordentlich großen Zahlenmaterials wesentlich erschwert ist. Da sich Rubner gelegentlich sehr abfällig über jede „verbale Kritik“ ausspricht, so wıll ich im folgenden den Inhalt seines Buches ohne alle kritische Bemerkungen darstellen, obwohl an mehr als einer Stelle ernstliche Meinungsdifferenzen bestehen, zumal ich ın meiner Einleitung schon eine reservatio mentalis eingelegt habe. Bereits im Jahre 1885 erkannte Rubner, dass eine in Bezug auf die energetischen Verhältnisse über das Nahrungsbedürfnis hinausgehende Kost andere, von dem Gleichgewichtszustande wesent- lich verschiedene Wirkungen auf den Kraftwechsel ausübt, indem sie den bei geringer Nahrungszufuhr oder Hunger festgesetzten Kraftwechsel steigert. Dabei zeigen die einzelnen Stoffe ein spezifisches Vermögen, die W ärmebildung anzuregen. An erster Stelle steht das Eiweiß, dann folgen die Fette und dann die Kohlenhydrate. Neben der Kost übt aber auch der körperliche Zustand des Menschen oder Tieres, soweit er von den thermischen Verhältnissen der Außenwelt abhängig ist, einen wesentlichen Ein- fluss aus. Die Versuche zeigen, dass die Ernährung die Wärme- regulation zu verändern vermag und führten zur Erkenntnis der „physikalischen W ärmeregulation“, die von der „chemı- schen“ streng zu scheiden ist. Seinen weiteren Ausführungen stellt Rubner eine knappe Darstellung seiner Versuchsmethodik voran, die zugleich auch die Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 525 Richtigkeit der von ihm früher ermittelten Standartzahlen für kalorimetrische Berechnungen von neuem zeigen soll. Insbesondere widerlegt er die Einwände Stohmann’s gegen die Berechnungs- weise der Verbrennungswerte der Eiweißstoffe, ebenso wird die Kritik, welche Pflüger an dem von Rubner gefundenen kalo- rischen Werte des Stickstoffes geübt hat, als unberechtigt zurück- gewiesen. Dabei wird auch gezeigt, dass selbst unter verschiedenen Versuchsbedingungen die Ausnutzung des Muskeltfleisches beı allen Säugetieren eine "ziemlich gleiche sein dürfte, sodass sein Nutz- effekt nur zwischen 75,6°/, beim Hunde und 76,3°/, beim Menschen schwankt. Ferner werden zur Bestätigung seiner früheren An- gaben auch noch einige neue Untersuchungen über den Ver- brennungswert und die Zusammensetzung des "Kotes angeführt. Die Beziehungen zw ischen der Nahrungsmenge und dem Energie- verbrauch zeigen keinen unbedingten Paralellismus der beiden; es konnte vielmehr gezeigt werden, dass unter bestimmten äußeren Lebensbedingungen der Kraftwechsel des Tieres mit der Körper- masse steigt "und fällt, und dass der Kraftwechsel an Hunger- und Fütter ungstagen keine Verschiedenheiten zeigt, wenn der energetische Wert der Nahrung das durch den Hungerverbrauch ausgedrückte Nahrungsbedürfnis nicht überschreitet. Dagegen erzeugt eine über den Hungerbedarf hinausgehende Nahrungszufuhr — „abundante Kost“ — eine Steigerung” des Gesamtkraftwechsels. Nach diesen Versuchen kann der früher als allgemein gültig betrachtete Satz: „Nahrung mehrt die Verbrennung“ nicht als ausnahmslos zu- treffend bezeichnet werden, denn in den Versuchen waren die Wärmemengen an Hunger- und F ütterungstagen genau die gleichen, ferner erwies sich auch die Art der Nahrung ohne Bedeutung. Wodurch die steigernde Wirkung der abundanten Kost bedingt ist, steht noch nicht ganz fest. Rubner wendet sich besonders gegen die Erklärung von v. Mering und Zuntz, die die zu beobachtende Stoffwechselsteigerung auf die Darmarbeit beziehen, und setzt an Stelle der Darmarbeit die Drüsenarbeit, weil die rein mechanische Auffassung sich nicht stützen lässt. Die Untersuchungen, in welcher Weise eine Steigerung der Nahrungszufuhr über den Bedarf hinaus eine vermehrte Wärme- bildung herbeiführt, zeigen, dass bei ausschließlicher Fettkost selbst bei Fettgaben, die den Tag esbedarf weit überschr eiten, keine Steige- rung des Energieumsatzes eintritt. Dazu bedarf es vielmehr außer- ordentlich großer Mengen. Rubner schließt daraus, dass es also Nahrungsaufnahme und -Resorption ohne jede Aenderung des Energieumsatzes, auch während der Verdauungs- periode gibt. Die Versuche mit Eiweißzufuhr zeigen für geringe Mengen fast keinen Einfluss auf den Energieumsatz. Bei einem Eiweißüberschuss von 25-—-63°/, über den Hungerbedarf ergab sich bei Temperaturen von 15°—17° ein Wärmezuwach: Io} Die den Energieumsatz steigernde Wirkung des Fleisches ist weder durch den Wassergehalt noch durch die Extraktivstoffe be dingt, sondern einzig und allein durch das Eiweiß, das also einen Nah- rungsstoff darstellt, der die Wärmeproduktion energisch anregt. 526 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. Es haben isodyname Mengen verschiedener Nahrungsstoffe in reichlicher Menge zugeführt eine ungleiche ener- getische Wirkung, indem den N-freien Stoffen rund !/, der spezifisch dynamischen Wirkung des Eiweiß zukommt. Bei Fleisch- zufuhr bis zu el Überschuss ze eigte sich die Wärme- produktion um 42—47°/, gesteigert. Ein derartiger Wärmezuwachs, der sonst nur durch kräftigste Muskelarbeit erzielt werden kann, kommt hier ohne jede äußere Arbeit zustande, es wird im Ruhe- verbrauche eine ganz enorme Masse verbrennbarer Substanz ge- spalten, ohne dass es zu einer beachtenswerten Steigerung der Eigentemperatur des Versuchstieres kommt. Die Wirkungen der Kost hängen beim Säugetier unter ge- wöhnlichen Umständen von dem Verhältnis der zugeführten Masse zum Bedarf ab. Wird nur der Hungerbedarf gedeckt, so tritt keine spezifisch-dynamische Wirkung der einzelnen Nahrungsstoffe auf. Selbst bei überschüssiger Nahrung (Übernährung) kann der Über- schuss ohne Änderung der Wärmebildung ım Tierkörper verschwin- den und als Ansatz zurückbleiben, endlich erscheint als dritte Möglichkeit eine Steigerung der Wärmebildung bei erhaltenem An- satz. Zu diesen Faktoren kommt noch hinzu, dass dieselbe Nah- rungsmenge bei verschiedenen Temperaturen verschiedene spezifisch- dynamische Wirkungen hat. Es rührt dies daher, weil dieselbe Kost je nach den Wärmezuständen, unter denen sich das Versuchstier befindet, bald zu einer bloßen Erhaltungs- diät, bald zu einer überschüssigen wird. Der Organismus arbeitet demnach bei höheren Temperaturen weniger ökonomisch, da die Ernährung einen erhöhten Stoff- und Energieverbrauch herbeiführt. Aber auch relativ gleiche Überschüsse (gleiche Abun- danzen) zeigen bei ungleichen Temper aturen verschiedene dynamische Wirkungen. Es wirken kleine Nahrungsmengen bei hoher 'Tem- peratur viel mächtiger, als große bei niederen Temperaturen. Rubner’s Versuche zeigen auch, wie viel von der gleichen Nah- rungsmenge bei verschiedenen Temperaturen am Körper angesetzt wird. Günstig sind nach dieser Richtung hin große einmalige Fleischgaben ebenso auch Fett; sie sind weit wirksamer als kleine Überschüsse selbst bei hohen Temperaturen. Rubner nimmt nun an, dass die zugeführte Nahrung eine Steigerung des Verbrauches in bestimmten Teilen des Organısmus hervorrufe und zwar im Sinne einer bestimmten chemischen Wirkung, nieht in dem eines mechanischen Darmreizes, der auch durch nicht nährende Substanzen erzeugt werden kann. Die un- gleichen Erfolge gleicher Nahr ungszufuhr bei verschiede- nen Tempeı raturen sind die Wirkungen kompensierender Einflüsse, indem ein Mehr der Wärmeerzeugung in gewissen Organen durch ein Weniger ın anderer Richtung verdeckt. werden kann. Dieses kompensierende Prinzip ist von der Temperatur abhängig. Betrachtet man eine mit jeder Nahrungsaufnahme ein- tretende Wärmemehrung als gegeben, dann können die un- gleichen Wirkungen auf den Energieumsatz (Fehlen jeder Wärme- mehrung, oder gewaltige Steigerung derselben) nur durch irgend Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 597 einen Kompensationsvorgang erklärt werden. Diese Kompen- sation wird durch die chemische Wärmeregulation bewirkt, die gewissermaßen nur ein Defizit ım Wärmehaushalt zu decken hätte und die nicht alleın den äußeren Reizen entsprechend arbeiten, sondern auch den schwankenden inneren Zuständen der Wärme- bildung sich akkomodieren muss. Zugleich wird auf die zwei Hauptquellen der Wärmeproduktion hingewiesen, das Muskelsystem und die Drüsenzellen, bezw. jene Zellen, die zur Nahrungsaufnahme und -Verarbeitung in Beziehung stehen; beide Organsy steme können vikariierend für einander eintreten, je nachdem das eine oder andere zur Wärmebildung angeregt wird. Als wesentlich wird vorausgesetzt, dass auch kleine Nahrungsmengen eine unvermeid- liche Wärmemehrung hervorbringen, dass aber diese Wärme- Erzeugung kompensatorisc h innerhalb gewisser Grenzen eingespart werden kann. Es würden also in dem Maße, als durch die Nahrungs- aufnahme die Wärmeproduktion in den Drüsen steigt, die Muskeln weniger Wärme erzeugen. Die chemische Wärmeregulation hat, wie aus Rubner’s Ver- suchen am hungernden Tier hervorgeht, eine bei verschiedenen Tieren verschieden hoch gelegene Grenze, über die hinaus Tem- peratursteigerungen der umgebenden Luft keine Verminderung der Wärmeproduktion herbeiführen. Da nun für die Kompensations- theorie nur die chemische Wärmeregulierung in Betracht kommt, so besitzt der absolute Temperaturpunkt, der die Grenze zwischen chemischer und physikalischer Regulation darstellt, besondere Be- deutung. Er wechselt mit dem Körperzustande und ist außerdem von vielen äußeren Faktoren abhängig. Die Nahrungsstoffe haben also neben ihrer Funktion für die Erhaltung der Zellen durch die bei ihrer Verarbeitung frei gewordene Wärme eine Rückwirkung auf die Wärmeregulation. Die Größe derselben ist der Ausdruck für ıhre spezifische Wärmeerregung. Da aber durch die regu- latorischen Vorgänge die volle dynamische Wirkung der Nahrungs- stoffe verdeckt wird, so kann man diese Wirkung nur durch Aus- schaltung der chemischen Regulation infolge hoher Lufttemperaturen ermitteln. Nach der Ba etionstheöre müssen Änderungen der Wärme- regulationserscheinungen eintreten, sobald bestimmte Nahrungs- mengen aufgenommen werden. Steigt die dem Körper aus irgend- welchen Quellen gebotene Wärme über die dem Hungerverbrauch entsprechende, so wird das Bereich der chemischen Regulation kleiner und kann schließlich ganz fehlen. Die durch die Ver- arbeitung der aufgenommenen Nahrung entstandene Wärme wird aber nicht beeinflusst durch diejenigen Regulationen, welche durch die steigende Lufttemperatur bedingt sind. Demgemäß muss auch die Wirkung der Luftwärme auf die Umsetzungen des gefütterten Tieres wesentlich geringer sein als Auf die des hungernden. In Rubner’s Versuchen zeigt sich, dass das beim Hungern beobachtete Absinken der Wärme ‚produktion mit dem Steigen der Temperatur beim gefütterten Tier aufgehört hat. Die chemische und physikalische Wärmeregulation werden nun 528 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. vom Organismus so gebraucht, dass die durch die Nahrungs- zufuhr vermehrte Wärmebildung möglichst eingespart wird. Die Tiere leben demgemäß überall mit dem geringsten Stoffverbrauch und passen ihre Nahrung den jeweiligen Bedürf- nissen genau an. Für jeden Körperzustand und jede Temperatur besteht ein ganz bestimmter Wärmeverlust, der von Rubner als „minimalster Wärmebedarf“ bezeichnet wird. Uebersteigt aber die Wärmeproduktion den für eine bestimmte Temperatur ge- gebenen minimalsten Wärmeverlust, so ist die Wärmebildung innerhalb gewisser Grenzen unabhängig von der Lufttemperatur. Da eine Nahrungsvermehrung eine Arbeitsverminderung der Muskeln herbeiführen kann, so ist die Nahrungszufuhr, selbst wenn durch sie die Gesamtwärme-Bildung nicht verändert erscheint, den- noch funktionell bedeutungsvoll, weil sie latent einen Teil der Regulation ausgeschaltet hat. Der gefütterte und hungernde Organismus können demnach trotz des gleichen Energie- umsatzes innerlich sehr verschieden arbeiten. Rubner konnte in seinen Versuchen konstatieren, dass unter bestimmten Bedingungen auch bei dem genährten Tiere die Schwan- kungen der Umgebungstemperatur den Stoffumsatz zu ändern ver- mögen und einen wichtigen Einfluss auf den Effekt der Fütterung haben. Trotz Fütterung und Eiweißzufuhr bleibt die chemische Regulation bestehen. Die Versuche zeigen, dass die chemische Regulation eine wesentliche Sparung der Verbrennung auch bei überschüssiger Kost, doch nur bei niederen Temperaturen zu er- zielen vermag. Beim gefütterten Tier wirkt die Temperatur- varlation im Sinne chemischer und physikalischer Regulation nicht so scharf umgrenzt als beim hungernden. Nach den angestellten Versuchen verhalten sich hungernde und gefütterte Tiere gleich, wenn einmal die abkühlende Wirkung der sinkenden Temperatur im Sinne der chemischen Regulation sich stärker geltend macht. Geht man von niederen Temperaturen und vom Futtergleich- gewicht des Tieres aus, so sinkt mit der Steigerung der Umgebungs- temperatur die Wärmebildung. Die Verminderung der Zersetzung erreicht mit einem höheren Werte ihr Minimum als beim Hungern ; dieser Wert wird von Rubner als „Fütterungsminimum*“ be- zeichnet. Darüber hinaus liegt dann die Grenze der physikalischen Regulation. Aus weiteren Versuchen geht hervor, dass die thermischen Verhältnisse den N-Umsatz und -Ansatz wesentlich zu beeinflussen vermögen, denn schon die mit dem Wachstum einhergehenden Ungleichheiten in der relativen Ab- kühlung zeigen eine zweifellose Wirkung auf den Eiweißumsatz. Rubner gelangt auf Grund seiner Versuche zu der Anschauung, dass der N-freie Rest des Eiweiß eher von der Wärmewirkung und den einsparenden Einflüssen berührt wird, als der N-haltige Anteil. Die Prozesse der N-Ausscheidung und der völligen Zer- setzung des Eiweiß verlaufen demgemäß nicht parallel. Die Größe des Eiweißansatzes schwankt mit der Temperatur und der Schnellig- keit des zu erzielenden N-Gleichgewichtes, ferner kann die Wärme den N-Ansatz bis zu einem gewissen Grade begünstigen. Es ist Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 529 also die Eiweißzersetzung durch thermische Einwirkungen beein- flusst, aber dies gilt doch nur für das Gebiet der chemischen Regulation. Die Bedeutung der chemischen und physikalischen Wärme- regulation für den Kraftwechsel der Tiere wird uns dadurch klar, dass die beiden unabhängig und getrennt arbeiten, die eine gegen abnorme Wärmeverluste (chemische Regulation), die andere gegen abnorme Wärmezuwüchse (physikalische Regulation). Würde die Zellmasse eines kindlichen Organismus und die des Erwachsenen die gleiche Wärmeproduktion besitzen, so müsste bei dem letzteren wegen des ungünstigen Öberflächenverhältnisses für die Entwi ärmung eine Überwärmung. eintreten. Die Zellen haben sich aber mit zunehmendem Alter den neuen Bedingungen angepasst und pro- duzieren weniger Wärme. Es muss aber nicht nur der Wärme- verlust (chemische Regulation) sondern auch die physikalische Wärmeregulation so eingerichtet sein, dass die Wärmeproduktion in Beziehung zur Oberflächenentwickelung stehen muss. Dieses Gesetz gilt auch für den Menschen. Es passt gewissermaßen ın eine bestimmte Haut auch nur eine Organmasse mit bestimmter Wärmebildung hinein. Da aber die physikalische Regulation ebenso wie die chemische ihre Grenzen hat, so muss die Organisation des Warmblütlers dem natürlichen Temperaturintervall der klimatischen Verhältnisse an- gepasst sein. Beide Regulationsmechanismen würden extremen und rapiden Temperaturschwankungen der Außenwelt gegenüber versagen, wenn nicht die Skala der Wärmeakkomodation ver- schoben werden könnte. Um niederen Temperaturen zu begegnen, dazu dienen Fettablagerung, Gewand, Federkleid, Nestbau, Höhlen- bau ete. Obere Extreme werden durch Leben im Schatten, Ent- haarung, Nachtleben etc. ausgeglichen. Die eigentlich regulatorischen Einrichtungen haben also immer nur einen Teil des Wärmeschutzes zu bieten, während die übrigen Hülfsemrichtungen von großer Bedeutung sind. Die durch Regulationsmechanismen allein geschützte Akkomodationsbreite dürfte 35° nicht überschreiten, während die Temperaturintervalle, unter denen die Tiere leben, gegen 50° Grad betragen. Genügen alle Hilfen nicht, dann wird das Tier zum Wandertier. Der "Kampf gegen die Überwärmung des Körpers ist ein ebenso wichtiges Örganisationsprinzip wie die Akkomodation an den Wärmeverlust, vielleicht ist es sogar das wichtigere und primäre. So fehlt z. B. den Kaltblütern die chemische Regulation, während sie die physikalische Regulation besitzen. Um innerhalb der Grenzen der physikalischen Regulation zu bleiben, besitzt der tierische Organismus mehrere Mittel: vor allem kommt die Vergrößerung der entwärmenden Oberfläche in Betracht, was durch Rückenlage der Tiere, Ausstrecken der Extremitäten be- wirkt wird, ferner “Veränderung der Hautdurchblutung und der Wasserdampfabgabe. Die letztere ist natürlich von der Luftfeuchtig- keit wesentlich abhängig. Die Wirkungen der Luftfeuchtigkeit auf den gesamten Energieumsatz des Körpers sind variable, indem sie je nach den Versuchsbedingungen (verschiedene Tempeı raturen XXIV. 34 530 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. und Nahrungsmengen) bald die Zersetzung mindert, steigert oder unverändert lässt. Stets wird aber durch feuchte Luft eine Ver- minderung des Wärmeverlustes durch Verdunstung und anderer- seits eine Vermehrung desselben durch Leitung und Strahlung herbeigeführt. Die Wirkung der Feuchtigkeit beruht auf einer Erhöhung der Leitungskonstanten des Felles, das Wasserdampf an- zieht und dadurch für Wärme durchgängiger wird. Dieser Verlust wird durch die Verminderung der Wärmeabgabe durch die Lungen teilweise abgeglichen. Außer der Luftfeuchtigkeit sind auch die Nahrungsaufnahme und Lufttemperatur für die Anderungen der physikalischen Regulation bedeutungsvoll. Bei niederen und mittleren Temperaturen macht sich die Wärmemehrung nach Nahrungsauf- nahme nur durch eine geringe Vermehrung der Wasserdampfabgabe bemerkbar, dagegen sind die Wärmeverluste durch Strahlung und Leitung durch die Haut vermehrt. Bei über Zimmertemperatur gelegenen Temperaturen ist die Wasserverdampfung das wesent- lichste Entwärmungsmittel. Ähnlich liegen die Verhältnisse für die Wärmeproduktion des Menschen durch Muskelarbeit. Die Entwärmung durch Strahlung und Leitung durch die Haut ist bei niederen Temperaturen so groß, dass ‘selbst durch erhebliche Arbeitsleistungen eine gesteigerte "Wasserverdampfung nur infolge der lebhafteren Atmung” zustande kommt. Die durch den gesteiger- ten Stoffumsatz bedingte Wärmemehrung wird bei niederen Tem- peraturen hauptsächlich durch die stärkere Hautdurchblutung abge- glichen, bei hohen Temperaturen tritt dann die Wasserverdunstung als wesentlich hinzu. Die Wärmeregulation des Menschen bietet zwar nach vielen Richtungen hin Ähnlichkeiten mit jener der Tiere dar, dennoch sind manche erhebliche Verschiedenheiten zu konstatieren. Vor allem wird vom Menschen hauptsächlich die physikalische Regu- lation in Anspruch genommen. Die experimentelle Untersuchung stößt beim Menschen auf große Schwierigkeiten, weil die Kälte- einwirkung nicht reaktionslos ertragen wird, weiter kommen als Komplikationen i in Betracht das Fehlen vollständiger Hungerversuche und die Kleiderwirkung. Die Luftfeuchtigkeit hat he eine noch größere Bedeutung als im Tierversuch. Will man zu brauchbaren Resultaten kommen, so muss neben der CO,- auch die H,O-Aus- scheidung genau bestimmt werden. Rubner’s Versuche zeigten ein Maximum der CO,-Ausscheidung bei 2° und ein Minimum. bei 40°, zwischen 15°--30° ist sie ziemlich unverändert. Die vermehrte Co, -Produktion bei niederen Temperaturen führt Rubner nicht auf Zitterbewegungen zurück. Zittern und Frostgefühl sollen beim Menschen erst außerhalb des Bereiches der physikalischen Regu- lation eintreten. Bei hohen Temperaturen fehlt trotz des lästigen Wärmegefühles jede Aenderung der CO,-Ausscheidung. Größere Unterschiede zeigt die H,O-Ausscheidung, die zwischen 2° 40° völlig insensibel "blieb. Die Versuche zeigen, dass das Minimum der H,O-Ausscheidung in überwiegendem “Maße durch die Lunge erfolgt. Die vermehrte H,O- Abgabe bei niederen Temperaturen ist auf die tiefere und frequentere Atmung zu beziehen, die durch die Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 531 vermehrte CO,-Produktion zustande kommt, vielleicht ist auch eine Steigerung der Hauttemperatur vorhanden; bei hohen Temperaturen kommt die H,O-Ausscheidung aber fast ausschlief ßlich durch die ver- mehrte Hautatmung zustande. Die CO,-Ausscheidung gibt ein Bild von den Zersetzungsprozessen, die H „O-Abgabe von der Entwärmung des Körpers. Der Quotient nn der Entwärmungsquotient, D) sagt aus, in welchem Maße die Entwärmung des Körpers durch die E30: Abgabe erfolgt und hängt ab von den Schwankungen der relativen Feuchtigkeit und der Temperatur der Umgebung. Die Wasserverdampfung steigt mit zunehmender Temper: atur; für je 1° Temperaturzuwachs steigt bei 30° 350 die Wärmebindung durch Wasserverdampfung zehnmal so stark als bei niederen Temper: ‚aturen. Bei gesteigertem Wärmeverlust durch Leitung infolge bewegter Luft lässt sich auch das Bestehen der chemischen Wärmeregulation nachweisen. Ferner sind der Fettbestand des Körpers und die Luftfeuchtigkeit von Wichtigkeit für die Abhängigkeit der CO,- Ausscheidung von der Temperatur. In feuchter Luft nehmen die CO,-Werte viel rascher zu als in trockener Luft. Die Wärmeregulation bei hohen Temperaturen kann beim Menschen sowohl unter Sinken der CO,-Ausscheidung als auch unter Gleichbleiben oder gar Steigen derselben erfolgen. Die CO,- Abgabe wird durch den Körperzustand, die Kleidung "und Feuchtig- keit bestimmt. Als wichtige Entwärmungsfaktoren kommen noch Strahlung und Leitung ın Betracht, sie sinken mit zunehmender Temperatur sehr rasch von 30° an; die hierdurch verringerte Ent- wärmung wird durch die steigende Wasserverdampfung ausge- glichen. Für den Menschen hat die „künstliche“ Wärmeregulation eine besondere Bedeutung, da er von ıhr ausgiebigsten Gebrauch macht. Nach Rubner’s Untersuchungen am Bekleideten und Nackten fallen die Empfindungen Kälte und Wärme, die äußersten Grenzpunkte für thermische Behaglichkeit, noch überall in das Gebiet hinein, innerhalb dessen die chemischen Vorgänge der Zersetzung noch ganz unbeeinflusst sind von den äußeren thermischen Vorgängen. Als willkürliche Regulationsmittel kommen die Kleidung und Ernähr ung hauptsächlich in Frage. Von den Nahrung ‚smitteln wirken Kohlen- hydrate und Fette am besten der Hyperthermie entgegen, ein Mittel zur Bekämpfung der Kälteempfindung sind mäßige Alkohol- dosen, endlich haben wir in der Arbeit ein Mittel zur Wärme- regulation. Der Abgleich kühler und hochwarmer Temperaturen ist ein sehr komplizierter, indem Kleidung und Arbeit variiert werden. Dabei hält sich aber die Wasserausscheidung ziemlich konstant, weilim allgemeinen die Entwärmung des Kör pers der Blutzirkulation und nicht der Wasserverdunstung aufgebürdet wird. Bei Lufttemperaturen über 30° sind die Mittel des Örganısmus, seinen Wärmeverlust durch Strahlung und Leitung zu verändern, ziemlich erschöpft, dann tritt reichlicheSchwe ißbildung « ein. Beireichem Fettpolster wird abertrotzreichlicherSchweißabs« nder ung, namentlich in feuchter Luft, die Entwärmung stark vermindert, so- 34* 532 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. dass bei 36°—-37° und einer Luftfeuchtigkeit von über 50°/, die Bluttemperatur steigt. Der arbeitende Mensch lässt eine Beeinflussung des Stoffwechsels durch hohe Lufttem- peraturen nicht erkennen, er reguliert ausschließlich physikalisch, im wesentlichen durch Wasser verdunstung. Auf eine Zunahme der Luftfeuchtigkeit reagiert der Arbeitende durch Minderung bezw. Einstellung der Arbeit, die durch eine starke Ermüdungsempfindung bedingt ıst, bevor es zu starker Schweißabsonderung kommt. Was endlich den Einfluss der Kleidung anbelangt, so wird durch sie die Außenluft relativ wasserärmer, weil die Kleiderluft wärmer ist. Diese Veränderung der relativen Luftfeuchtigkeit ist je nach der Art der Bekleidung verschieden. Natürlich spielt bei allen diesen Prozessen die Bewegung der Luft eine große Rolle; so bewirkt z. B. ein Wind von 8m pro Sek. bei 12°—13° eine erhebliche Anregung der Wärmeproduktion, zu- gleich vermehrt er den Wärmeverlust durch Strahlung und Leitung und erst bei höheren Temperaturen vermehrt er die Wasser. verdunstung in erheblichem Maße. Ver folet man die Erscheinungen, welche nach reichlicher Nah- rungszufuhr auftreten, über die erste Erhöhung des Kraftwechsels hinaus, so findet man schon am zweiten Fütterungstage einen größeren Energieumsatz als am ersten. Bei fortgesetzte Fütterung kann man eine allmählich zunehmende Wi une der Kost beobachten, die in einem Wärmegleichgewichte endet, das durch den Zuwachs der Körper substanz nicht zu erklären ist, denn es steigt die Wärmeproduktion pro kg Körpergewicht. Diese Wärmesteigerung nennt Rubner die „sekundäre“. Diese sekundäre Nahrungswirkung besteht bei Eiweißzufuhr nur während der Steigerung des Eiweißansatzes. Nach erreichtem Eiweißgleichgewicht ändert selbst ein noch hinzutreten- der Fettansatz nichts an dem Energieumsatze. Dem Fett und Kohlenhydrate fehlt die sekundäre Nahrungswirkung. Aber nicht Jeder Eiweißansatz bringt eine Änderung des Energieumsatzes mit sich, bei niederen Temperaturen und mäßıgen Eiweißgaben findet trotz N-Ansatz keine vermehrte Wärmeproduktion statt, ebenso verhalten sich Tiere bei sehr hohen Temperaturen, bei denen die chemische Regulation vollkommen ausgeschaltet ist. Da aber in all diesen Versuchen vom Tiere Körperfett zersetzt wird, so ergibt sich daraus, dass der Eiweißansatz nur bei abundanter Kost von einer sekundären Nahrungswirkung gefolgt ist. Die Mehrung des Energieverbrauches fehlt, solange die regulatorischen Vorgänge des Hungerzustandes in ihrer Wir- kung noch vorhanden sind, auch bei mittleren Temperaturen, ferner bei hohen Temperaturen trotz N-Ansatz, wenn partielle Inanition vorhanden ist. Wichtig ist, dass die ganze sekundäre Wärme- steigerung mit dem nachfolgenden Hungerzustand des Tieres plötz- lich erlisel ht, die Nachw irkungen, soweit sie nicht durch den Körper- eewichtszuwachs verständlich sind, reichen nicht über den ersten Hungertag hinaus. Eine Nachwirkung besteht nur insofern, als eine neuerliche über schüssige Eiweißkost den Gleie hgewichtszustand Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 533 schneller herbeiführt als bei der ersten Fütterung. Da bei an- dauernder überschüssiger Eiweißkost der Organismus unter steigen- dem Eiweißansatz rasch ins Gleichgewicht kommt, so hat also dieselbe Kost an den einzelnen Tagen eine verschiedene Wirkung. Die Größe dieser Steigerung von Tag zu Tag ist eine Wirkung des Ansatzes. Die primäre und sekundäre Nahrungswirkung sind in ihrem gegenseitigen Verhältnis verschiebbar. Neben einer starken primären Wirkung kann eine kurzdauernde sekundäre oder um- gekehrt vorhanden sein. Die Geschwindigkeit der Einstellung mit dem Nahrungsmateriale scheint mit dem Körperzustande in Zu- sammenhang zu stehen, je eiweißreicher der Körper ist, umso er- heblichere Wirkungen hat derselbe Überschuß. Es handelt sich hier wohl um eın Analogon der von V oıt gefundenen Tatsache, dass beı Eiweißzufuhr eine um so schnellere Einstellung des Gleichgewichtes erzielt wird, wenn eine Eiweißfütterung vorausgegangen Durch den Eiweißansatz erlangt demnach der Körper unter Umständen die Fähigkeit, mehr zu zersetzen als dem Gewichtszuwachs entspricht. Rubner hatte in früheren Arbeiten gezeigt, dass sich bei ruhenden, gleichmäßig genährten Tieren, die unter gleichen äußeren Bedingungen untersucht werden, immer der Einfluss der Ober- flächenentwickelung auf die Wärmebildung zeigen lässt. Daraus lassen sich weiterhin gewisse Schlüsse auf die Wirksamkeit des N-Ansatzes beim Wachsenden für den Energieumsatz ziehen. Es steigt bei einer Vermehrung des N-Gehaltes des Körpers um 100°, die Wärmebildung um 59°,. Eine Paralelle zwischen Wachstumsgesetz und N „Ansatz bei überschüssiger Kost zeigt ein Absinken des Energieumsatzes mit dem Zuwachs der Körpermasse. Wollte man die Massenschw ankungen eines erwachsenen, hungern- den Tieres mit den Gewichtsschw ankungen des wachsenden Tieres bezüglich ıhres Einflusses auf den Energiewec :hsel als gleichwertig ansehen, so würde man einen Fehler begehen, weil beim Wachs- tum es sich um eine gleichmäßige Ausbildung aller Organe innerhalb der Organisation des Tieres handelt, während beim Hunger ein Zerfall einzelner Organe und Gewebe z. B. des Fettgewebes in den Vordergrund tritt. Es fragt sich deshalb, ob das "Oberflächenwirkungsgese tz des Energiewechsels auch für die (rewichtsv eränderungen des erwachsenen Tieres gilt. Gewiss bietet die Umrechnung des E nergiewechsels auf die Gewichtseinheit viele Vorteile, aber die kg-Einheit ist trotzdem keine biologische Ein- heit. Rubner hat deshalb zum Vergleiche des Stoffumsatzes den N-Gehalt der Tiere seinen Berechnungen zu grunde gelegt, weil in den Fällen wo sich der Fettreichtum und die Wassermenge des Körpers rasch und ungleich ändern, die Einheit des Körpergewichtes keine hinreichend genaue Einheit darstellt, aber auch diese Methode hat ihre Mängel, wie Rubner selbst hervorhebt. Die Veränderungen des N-Gehaltes des Tieres können in zweierlei Richtungen auf den Energieumsatz einwirken, erstens durch Veränderung desselben bei fortgesetztem Hungern und zweitens bei verschiedenen Ernährungszuständen. Bei den Hungerver- suchen fällt der Energieumsatz mit dem Körpergewichte, 534 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. also mit der Masse des in den Organen abgelagerten N. Dabei ıst aber zu bedenken, dass bei hungernden Tieren in den letzten Lebenstagen die Körpertemperatur ziemlich bedeutend absınkt, weil die Wärmeı 'egulierung immer ungenügender wird. Diese Tem- peratur senkungen können nach allen ander weitigen Erfahrungen nicht ohne Rückwir kung auf den Energieumsatz bleiben, der davon gleich- falls herabgesetzt wird. Für den” rapıd verlaufenden Hungerzustand wird der Energieabfall am einfachsten mit der Masse in Rechnung gestellt, wobei es allerdings unentschieden bleibt, ob es sich um eine für alle Tiere geltende Regel handelt, und wie sich die Verhältnisse gestalten würden, wenn eine völlig normale Wärme- regulation mit voller Erhaltung der Körperwärme bestünde. Rubner wendet sich dann gegen die Anschauung von Erwin Voit, wonach die Zer setzungsgröße, bei allen homoiothermen Tieren pro 1 m? Oberfläche fast denselben Wert besitzen soll. Nach Rubner finden sich bei den Kaninchen gewi sse Abweichungen von der Voit’schen Annahme, ferner wissen wir auch nicht, ob 1 m? Fläche bei verschiedenen Tieren dieselben physikalischen Abkühlungsbedingungen hat, da Dichte und Art der Behaarung von sehr verschiedenem Einfluss auf die Entwärmung sein müssen. Zudem sind auch manche Organe für die Wärmeabgabe von ver- schiedenem Werte, z. B. Kaninchenohren, Schwänze der Ratten und Mäuse. Deshalb kann sich bei verschiedenen Tieren keine absolute mathematische Beziehung zwischen Oberfläche und Wärme- produktion nachweisen lassen. Das tierische Protoplasma ist keine einheitliche Verbindung in dem Sinne, dass gleichen Mengen gleiche Energieumsätze entsprechen. Die Zer- setzungsgröße wird abgesehen von der Temperatur auch durch die äußeren Lebensbedingungen beeinflusst. Die Zellenenergie ist eine andere in einem 3 kg schweren Tiere als in einem 30 ke schweren; es wirken die äußeren Reize auf die beiden Organismen ın einer zwar relativ entsprechenden, aber absolut höchst variablen Größe ein. Außer der dauernden Anpassung an gewisse unabweisliche Körper- leistungen kommt noch die variable durch Nerveneinflüsse mit in Frage. Weiter sind die Verhältnisse zwischen Körpergewicht und Oberfläche beim hungernden Tiere anders als beim gut genährten. InRubner’s Versuchen betrug die relative Oberflächenzunahme bei verhungerten Mäusen und Ratten 30,7°/,. Andererseits bildet der nunmehr relativ reichlichere Pelz einen besseren Schutz gegen Wärmeverluste, dafür hat aber der Fettreichtum der Haut abge- nommen. Nach Rubner’s Experimenten geht ım Hunger- zustande der Energieumsatz der Abnahme de s Körper- gewichtes parallel, verhält sich also anders als a der Wachstumsperiode. Was hier vom akuten Zusammenbruch des Tierkörpers ermittelt wurde, gilt auch für protrahierten Hunger- versuch. Daraus folgt aber nicht, dass nur die Masse des Tieres das Maß für den Energieumsatz darstellt, er hängt vor allem von den funktionellen Anforderu ngen ab, denen der ganze Organis- mus gerecht werden muss. Im Hunger ändert sich die Zusammensetzung des Körpers Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 535 sehr wesentlich, doch ist die Verschiebung der einzelnen Körper- bestandteile für den Energieumsatz nicht.so wichtig, als dass die Fettverluste einen ganz anderen Einfluss auf den Verfall des Körpergewichtes haben wie die Eiweißstoffe mit ihrer fast zehnmal so großen Wirkung. Wäre der N-Gehalt des Körpers ein Maß für den Energieumsatz, so müsste im Hunger ein sehr großes Ab- sinken der Wärmebildung stattfinden, was aber nicht der Fall ist. Durch funktionelle Anpassung muss vielmehr die sich verringernde lebende Zellmasse lebhafter tätıg sein, um den durch den Hunger- zustand bedingten Verlust an „arbeitskräftigem Material“ auszu- gleichen. Hat auch das Eiweiß keinen allein ausschlaggebenden Einfluss auf die Größe des Energieverbrauches, so lassen sich viele Stoffwechselvorgänge ım Hunger und bei Fütterung bequemer und genauer darstellen, wenn man anstatt des Körpergewichtes seinen N-Gehalt der Berechnung zu grunde legt. In den Versuchen am Hunde und am Kaninchen fand sich für 1°/, N-Abnahme eine Verminderung der Wärmebildung um 1,13°/, bezw. 0,84°/,. Rubner untersucht dann die Fälle von abundanter Eiweißfütte- rung, bei welchen der N.-Ansatz von einer Steigerung der Wärmebil- dung begleitet ıst, die über das Maß der Massenveränderung des Körpers hinausgeht. Diese Wärmeveränderungen sind nicht so groß wie die primären, aber sie sind sicher vorhanden. Die mit dem N-Ansatz einhergehende Wärmemehrung bei abundanter Kost stellt ein Hindernis für exzessive Eiweißablagerung und Eiweiß- mast dar und fehlt da, wo der Eiweißansatz nur der Erhaltung des Individuums dient. Der regulierende Einfluss ist auch bei der durch gemischte Kost gegebenen Mehrung des Eiweiß vorhanden, wenn durch: sie der Bedarf überschritten wird. Dabei wird auch Fett in die Mehrzersetzung hineinbezogen. Der bei zunehmendem Eiweißansatz auftretende Wärmezuwachs ist nur in der Periode der vermehrten Nahrungszufuhr aber nicht in der Nachperiode vor- handen. Durch die Eiweißzufuhr kommt eine Vermehrung des ım Körper zirkulierenden Eiweiß zustande, wodurch andere Molkule aus dem Umsatz verdrängt werden. Bei Verminderung der Eiweißzufuhr verschwinden dagegen diese nicht organisierten ZIr- kulierenden Nahrungsvorräte zum Teile. Der Unterschied muss in funktionellen Aenderungen gesucht werden, die sich äußerlich zeigen ın der Zunahme der Atemfrequenz, kleinen Tem- peraturzuwüchsen, vermehrter Harnsekretion, vermehrten Wärme- verlusten durch die stärker durchblutete Haut. Während der Dauer des N-Ansatzes kommt es zu einer Mehrung der Säfte- bezw. Blutmasse, die mit einer regeren Herz- und Nierentätigkeit Ver- bunden ist. Die Annahme, dass die sekundäre Wirkung eine rein funktionelle ist, lässt uns verstehen, dass mit Aufhören der abun- danten Nahrungszufuhr die alten Energieumsätze entsprechend der Körpermaße oder Oberflächenw irkung wiedeı gefunden werden. Diese funktionelle Erklärung des starken Energiezuwachses bei über- schüssiger Eiweißzufuhr ist aber keine einfache und befriedigende. Man wird sich in allen Erklär ungsversuchen die spezifisch dy namische Wirkung des Eiweiß vor Augen halten müssen. 536 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. Die Beziehungen zwischen Energieverbrauch und Eiweißbestand, Eiweißverlust und Eiweißansatz sind zwar gesetzmäßige, aber den absoluten Werten nach ungemein wechselnde. Die Fähigkeit der abundanten Kost, bei geringem N-Ansatz starke, sekundäre Mehrung des Energieumsatzes herbeizuführen, hat nichts mit Anderungen der Grundeigenschaft der Protoplasmamasse des Körpers zu tun. Es wechselt vielmehr der Organbestand bezw. die N-Masse des Körpers in ihrem Energiebedürfnis; so sinkt während der Wachstumsperiode trotz fortschreitenden Eiweißansatzes der Energie- verbrauch, während er beim Erwachsenen mit dem N-Ansatz steigt und ungewöhnlich hohe Werte erreichen kann. Der Gegensatz ist durch die hemmende Wirkung der zunehmenden relativen Ver- kleinerung der Oberfläche bedingt. Um einen genaueren Einblick in die spezifisch-dynamischen Wirkungen der Nahrungsmittel zu bekommen, wird die muskuläre Wärmeregulation durch erhöhte Lufttemperatur ausgeschaltet. Da- durch können die Nahrungsmengen innerhalb des normalen Be- darfes bleiben und üben die Wirkungen einer überschüssigen Nah- rung aus ohne die Störungen des Nahrungsansatzes. Außerdem werden die Tierversuche dadurch den Vorgängen beim Menschen ähnlicher, weil das Tier im Zustande der physikalischen Regulation sich befindet, in dem zu bleiben der Mensch nach Möglichkeit be- müht ist. Rubner untersucht deshalb die Wärmebildung nach Eiweiß-, Fett- und Kohlehydratzufuhr bei Tieren, die bei einer Lufttemperatur von 33° gehalten werden. Die Wärmebildung ist ja nach den zugeführten Nahrungsstoffen sehr verschieden, vor allem tritt auch hier die starke Wärmebildung nach Zufuhr von Eiweiß gegenüber den N-freien Stoffen sehr deutlich hervor. Mit keiner Nahrungskombination konnte ein Kraftwechselgleichgewicht erzielt werden, das dem Hungerkraftwechsel entspricht. Die Versuche zeigen auch wie nach Ausschaltung der chemischen Wärmeregulation und ohne Ueberschuss die Wärmewerte mit den wechselnden Nahrungsmengen hin und her schwanken. Diese Schwankungen fasst Rubner als die spezifisch-dynamischen Wirkungen der Nahrungsstoffe auf. Als wärmesteigernde Wirkung im Zustande der physikalischen Regulation und bei Zufuhr des Hunger- bedarfes ergibt sich für reines Fleisch 30,9°/,, für Fett 12,70, und für Rohrzucker 5,8°/,. Diese spezifisch dynamischen Wirkungen lassen sich als durch eine Änderung der Drüsenarbeit bedingte nicht ausreichend erklären, namentlich nicht insoweit das Eiweiß in Betracht kommt. Denn die wärmesteigernde Wirkung des Fleisches ist nur durch das Eiweiß und nicht durch die Extraktiv- stoffe hervorgerufen; dem Leim kommt eine Wärmemehrung um 28°), zu. Daraus folgt, dass die spezifisch-dynamische Wirkung durch die N-haltigen Gruppen im Molekül ver- ursacht wird. Für den Leim fällt aber die beim Eiweiß beobach- tete sekundäre Nahrungswirkung (bei langdauernder überreichlicher Zufuhr) weg, weil Leim nicht zum Ansatz kommt. Die spezifische Wärmemehrung ist dieselbe, gleichviel ob we- niger als der Hungerbedarf zugeführt wird, oder die Zufuhr dem- Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 537 selben entspricht oder ıhn sogar unter bedeutender Ansatzwirkung übersteigt. Der Tierkörper muss also bei hohen Lufttempe- raturen, die der Bluttemperatur nahe stehen, anders funktionieren als bei niederen Temperaturen. Ein Eiweiß zersetzendes Tier ist etwas anderes geworden als ein Fett oder Kohlehydrat zersetzendes. Das Wärmegleichgewicht, das sonst bei jeder Fütterungsart wechselweise besteht ist zum Teile aufgehoben. Bezeichnet man den Mindestkonsum an energetischem Material als ökonomisch, so sind Kohlenhydrate und annähernd auch Fette die ökonomischesten Nahrungsstoffe; das Fleischeiweiß ist es nicht, weil es bei ausgeschalteter chemischer Regulation die Wärmebildung enorm steigert. Die N-freien Stoffe sind deshalb bei hohen Tempe. raturen die zweckmäßigsten Nahrungsstoffe, wodurch auch ihre Wahl in den heißen Klimaten und ihre Bedeutung für die Kost der Fiebernden verständlich wird. Da sich bei ausgeschalteter chemischer Wärmeregulation nach Darreichung des Hungerbedarfes mit keimem Nahrungsstoff ein Kraftwechselgleichgewicht erzielen lässt, so muss, wenn ein Gleichgewicht erreicht werden soll, so viel über den Hungerbedarf zugeführt werden, als zur Abgleichung der spezifischen Wärmemehrung nötig ist. Diejenige geringste Nahrungszufuhr, welche ein Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben bei den gegebenen Temperaturen her- stellt, nennt Rubner „das Fütterungsminimum“, seine Größe ist bei jeder Temperatur eine bestimmte, die sich aus der dyna- mischen Wirkung und der einsparenden Regulation ableitet. "Bei einzelnen Temperaturen kann das Fütterungsmininum auch mit dem Hungerminimum zusammenfallen. Steigert man bei den Tierversuchen von niederen Temperaturen ausgehend die Luftwärme, so gelangt man zu einem Punkte, wo ein Stoffwechselminimum innerhalb mehr oder minderer eroßer Temperaturbreite bestehen bleibt. Es ist der kleinste Wert, mit dem ein Tier im Nahrungsgleichgewicht bleiben kann, man könnte ihn als absolutes Fütterungsminimum bezeichnen, er ist aber für die verschiedenen Nahrungsstoffe verschieden. Das absolute Stoffwechselminimum, oder der minimalste Stoffverbrauch ist ein wichtiger biologischer Grenzwert; denn der niedrigste Temperatur- grad, bei dem er besteht, stellt die Grenze zwischen chemischer und physikalischer Regulation dar. Mit ihm enden jene eigentüm- lichen Regulationsvorgänge, die eine Besonderheit des Warmblütlers sind. Nach den voranstehenden Auseinandersetzungen ist also eine abundante Kost jene, welche das Fütterungsminimum überschreitet, denn nur jener Anteil der Nahrungszufuhr, der das Fütterungs- minimum überschreitet, kann zum Ansatz im Sinne der Gesamt- kraftbilanz führen. Das Fütterungsminimum gewährleistet die volle Erhaltung des Individuums im Energiegleichgewicht e und .ıst biologisch gleichwertig dem Energieverbrauch im Hungerstofl- wechsel unter den gleichen Versuchsbedingungen. Bei niederen und mittleren Tempeı 'aturen ist demnach eine physi- kalische Gleichwertigkeit der Nahrung mit dem biolo- 538 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. gischen Bedarf zu konstatieren, während bei hoher Temperatur zwar eine biologische aber keine physika- lische Gleichwertigkeit b esteht. Bei hoher Temperatur arbeitet also der hungernde Körper etwas sparsamer als der ernährte. Unterhalb des Fütterungsminimums treten die isodynamen Ver- tretungswerte der verschiedenen Nahrungsstoffe am reinsten zu tage, weil die spezifische Wirkung auf den (sesamtstoffwechsel fehlt. Wird im Hungerminimum ein energetisches Gleichgewicht mit einem Verbrauch von z. B. 100 Cal erzielt, so müssen im Fütte- rungsminimum zu dem gleichen Zwecke 106,4 Cal Zucker, 114,5 Cal Fett oder 140,2 Cal Fleischsubstanz zugeführt werden. Diese Zahlen stellen die Vertretungswerte dar, wenn die physikalische Regulation jede Wärmeeinsparung unmöglich macht. Demgemäß ist auch das Eiweiß am wenigsten als Maß für den Energiebedarf des Körpers geeignet, denn das Energiegleichgewicht bei reiner Eiweißzufuhr führt je nach den Temper raturen, bei der die Unter- suchung angestellt wird und nach Ausschluss der chemischen Regulation zu ganz verschiedenen Werten, man kommt dann zu völlig überschüssigen Verbrennungsgrößen. In der menschlichen Nahrung überwiegt aber das Eiweiß niemals in dem Maße wie in der Kost des Fleischfressers, oder gar wie ın den Versuchen am Hunde, wo dem Eiweiß ein ganz unberechtigtes Übergewicht ein- geräumt wurde, da der freilebende Fleischfresser keine überreich- liche Eiweißmassen aufnimmt. Rubner untersucht nun die Wärmequellen, aus denen nach Nahrungsaufnahme die vermehrte Wärmebildung fließt. Die Drüsen als solche anzusehen ıst aus mehrfachen Gründen unzulässig. Wenn man also die Prozesse der spezitisch dynamischen Wirkung, speziell jene des Eiweiß nicht auf die Drüsen allein beschränken kann, sondern auf umfangreichere Organgruppen oder auf Vor- gänge ın allen Zellen verteilen muss, so wird natürlich damit für die Drüsenzellen nicht das negiert, was der sonstigen Zellmasse als Eigentümlichkeit zukommt. Rubner glaubt sogar annehmen zu dürfen, dass wenn Eiweiß im Körper in größerer Menge ver- brannt wird auch dann eine Vermehrung der Wärmebildung auf- tritt, wenn eine Darmpassage dabeı nicht stattgefunden hat. Es würden also abgesehen von den Verdauungsprozessen die Vorgänge der Eiweißumlagerung- und Zersetzung mit einem ge- steigerten Energieverbrauch (Abgabe) verbunden sein. Zur Stütze für diese Ansicht wird die Wärmebildung nach subkutaner Phlorid- zininjektion herangezogen, wobei nicht nur der Ö-Umsatz, sondern auch die N-Aussche idung bedeutend ansteigt. Der durch die ge- steigerte Eiweißumse tzung erzielte Wärmezuwachs beträgt 31,9°/, und stimmt somit gut mit dem überein, der bei Eiweißkfütterung vom Darme aus erhalten wurde (30,9%). Demnach tritt auch ohne jede De onsacben eine Mehrung der Wärme- bildung ein, wenn im Körper selbst der Eiweißverbrauch sich erhöht. Die Tatsache, dass dieselbe Gewichtsmenge Eiweiß einen ganz verschiedenen energetischen Erfolg erzielt bei niederer und bei Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 539 hoher Lufttemperatur, bei chemischer und bei physikalischer Wärme- regulation lässt schließen, dass die aus dem Eiweiß im Körper verfügbar gewordene Energie in zwei Teile zerlegt werden muss, von denen der eine aus biologischen Gründen voll benützbar ıst, der andere aber nicht. Der Körper verwendet seine Spannkräfte in zweifacher Weise: entweder wird durch die Umsetzungen wie bei einfachen chemischen Reaktionen Wärme frei, oder die Spann- kraft wird zu eigenartigen Bewegungen der Materie verwendet, die das Leben se Ist, darstellen, und erscheint nach Durchgang dieser Energieform wiederum als Wärme. Zur Erhaltung des Lebens reicht die Wärme allein nicht aus, es müssen dazu vielmehr den Zellen nutzbare Spannkräfte zugeführt werden. Außer dieser Energie- quelle, kommt noch die freie Wärme in Betracht, welche aus allen anderen Prozessen und Umlagerungen stammt, die sich nach rein thermochemischen Gesetzen ermitteln lässt. Da nun die Wärme allein das Leben nicht erhalten kann, so ist sie auch für den Organismus kein unersetzlicher Verlust. Jedoch schützt die che- mische Wärmeregulierung uns einmal gegen jeden gefährlichen Wärmeverlust und gestattet andererseits eine sonst für das Leben unbrauchbare Energieform, die Wärme, bis zur letzten Calorie der Zufuhr auszunützen. Die physikalische Wärmeregulation scheidet hingegen die rein energetischen Vorgänge von den thermochemischen und ander- weitigen unter W ärmebildung verlaufenden Prozessen, die unab- hängig vom Zellenleben verlaufen. Von diesen Gesie htspunkten aus käme der spezifischen Wärmebildung eine große Bedeutung für die Erkenntnis des chemischen Abbaues im Körper zu. Bedeutungs- voll wäre diese Auffassung für den Stoffwechsel der Kaltblütler, die infolge des Fehlens der chemischen Regulation eine unvoll- kommene Ausnützung ihrer Nahrung hätten. Doch wären eigen- artige Kompensationen möglich. "Wenn wir auch keine genauen thermochemischen Gleichungen über den natürlichen Abbau des Eiweiß aufstellen können, so fehlt es sicher nicht an Möglichkeiten, dass dabei in erster Linie durch die chemische Umsetzung Wärme unmittelbar frei werden kann. Rubner wendet sich dann der Frage zu, wie groß der Energie- rest ist, dem wir die eigentlich nähr ende Wirkung zuzuschreiben haben. Als wahren Nutzwert im Gebiete der phy sikalischen Regu- lation berechnet Rubner für 1 Tel N = 18,6 Cal; Leim und Eiweiß verlieren bei ihren Umsetzungen im Tierkörper 2029217 ihrer Gesamtenergie. Es kann demnach im Körper bei fehlender chemischer Regulation nur ein Teil des Eiweiß zur Deckung des Energiebedarfes verwendet werden, während ein sehr erheblicher Teil der zugeführten Energie für Prozesse verbraucht wird, die beim hungernden Tier nicht oder nicht in gleichem Umfange auftreten. Es ist die ungleiche Größe der "spezifisch-dynamise hen Wirkungen durch die ungleiche Zerlegung der Nahrung ım Tıerkörper bedingt; ferner haben wir reine W ÄrMEprozesse neben den energetisch, biologisch wertvollen Prozessen zu unter- scheiden. Der energetisch wirksame Kern liegt im wesentlichen 540 Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. ım N-freien Rest des Eiweiß, vielleicht können auch geringe energetische Wirkungen bei der Verarbeitung des N-haltigen Teiles zustande kommen. Aus dem Eiweiß soll sich ein Kohlenhydrat (Dextrose, Glykogen) abspalten, das in den Kreislauf gerät und die eigentliche im Eiweiß vorhandene Energiequelle darstellt. Mög- licherweise sind auch noch andere N-freie Spaltungsstücke oder auch größere N-haltige Abbauprodukte vorhanden, die eine energe- tische Wirkung entfalten können. Nach den gegebenen Darlegungen würde die Theorie von der Kohlenhydratabspaltung als Grundlage der spezifisch-dynamischen Wirkung des Eiweiß und der N-haltigen Nahrungsstoffe anzusehen sein und aus chemischen wie biologischen Gründen eine weitgehende Beachtung verdienen. Am weitesten hat Seegen die Kohlenhydrathypothese vertreten, der die ge- samte Ernährung des Körpers durch den Blutzucker bestreiten lässt, welcher sich sowohl aus Eiweiß als auch aus Fetten bilden soll. Welche Prozesse der thermodynamischen Wirkung des Fettes zugrunde zu legen sind, wissen wir noch nicht, weil die Zucker- bildung aus Fett noch nicht erwiesen ist, und die Fettzerlegung überhaupt noch nicht genügend aufgeklärt ist. Allgemein ausgedrückt, wäre die ganze Wirkung der Nahrungsstoffe bedingt durch Abspaltung intermediärer Produkte mit Wärmeverlust, der für die Lebenszwecke selbst wertlos, nur durch die Wirkung der chemischen Regulation nutzbar wird. Neben diesen Prozessen würde die gesteigerte Zersetzung in den Drüsen im energetischen Sinne ganz zurücktreten. In welchen Organen sich die Spaltungen und Um- setzungen vollziehen, kann man noch nicht genau angeben. Die Eiweißspaltung in den N-freien und N-haltigen Teil und den weiteren Abbau hat man nicht auf die Drüsen beschränkt anzusehen, son- dern er muss auf umfangreichere Zellgebiete verteilt sein. Die Gesetze des Energie- und Nahrungsverbrauches werden verschieden erscheinen, je nachdem das Tier im Zustande der che- mischen oder physikalischen Wärmeregulation sich befindet. Im ersteren Falle, bei den meisten Tieren unter mittleren Temperaturen die Regel, erscheinen im Energiegleichgewichte die Gesetze der rein isodynamen Vertretung, und bei gewissen Fällen überschüssiger Nahrungszufuhr, speziell bei ausschließlicher Eiweißkost, kommen die nicht mehr kompensierten Anteile des Wärmeüberschusses nach Maßgabe der spezifisch-dynamischen Wirkung zum Ausdruck, wobei sich geringe Abweichungen von den isodynamen Werten ergeben. Dagegen treten bei hoher Luftwärme, also im Zustande der physikalischen Regulation, nach abundanter Nahrungszufuhr die spezifisch-dynamischen Wirkungen rein hervor. Die namentlich von OÖ. von Voit genauer studierte Mehrung der N-Ausscheidung nach größeren Eiweißgaben hatte man dahin gedeutet, dass das Eiweiß am leichtesten im Körper verbrannt werden kann; Rubner dagegen nimmt an, dass die Abspaltung der N-haltigen Gruppe des Eiweiß rasch erfolge und der N-freie Rest sich wesentlich wie ein Kohlenhydrat verhalte. Diese einfache Spaltung des Eiweiß würde die N-Ausscheidung nach Nahrungsaufnahme verständlich Rubner, Die Gesetze des Energieverbrauches bei der Ernährung. 541 erscheinen lassen, welche in ihrem zeitlichen Verlauf und Umfang mit den eigentlich energetischen Prozessen wenig zu tun hat. Trotzdem darf aber die Bedeutung des Eiweiß nicht unterschätzt werden, es ist der einzige Körper der in seiner Totalität angesetzt und belebt werden kann. Die thermochemischen Nebenwirkungen des Eiweiß lehren auch, dass unter Umständen für kürzere Zeitintervalle die Wärmeerzeugung mit den Stoff- wechselvorgängen sich nicht zu decken braucht, und dass die kalorimetrische Messung der Wärmeabgabe allein nicht immer ein Ausdruck des Wechsels der Lebensenergie zu sein braucht. Nach Rubner’s Theorie ist die primäre Nahrungswirkung am ersten Fütterungstage durch die Wirkung der Spaltwärme im weitesten Sinne zu erklären, wozu noch die Wirkung des N-An- satzes hinzukommt. An den nächsten Tagen (sekundäre Nahrungs- wirkung) tritt ein akutes Ansteigen des Eiweißverbrauches ein, das unter geringer Zunahme des N-Bestandes zum Ausgleich führt. Dabei steigt die Wärmebildung rascher als der N-Ansatz. Die sekundäre Nahrungswirkung ist also nur die allmähliche Einstellung des ganzen Körpers unter Zunahme seines Organbestandes auf das Stoffwechselminimum für Eiweiß, das allerdings das entsprechende Hungerminimum um 40°], des Energieumsatzes überschreitet. Mit den verschiedenen Eiweißgleichgewichtszuständen (im ener- getischen Sinne) sind also verschiedene Zustände des Körperbe- standes verbunden. Die Grenzen für solche Verschiebungen des Gleichgewichtes müssen offenbar beschränkt sein. Für jedes Tier wird eine gewisse oberste Grenze der Ertragbarkeit der Eiweiß- zufuhr bestehen, für welche die Resorptions- und Entwärmungs- verhältnisse maßgebend sein dürften, individuelle Faktoren, die auch von den äußeren Lebensbedingungen beeinflusst werden. Rubner führt auch einen Versuch am Menschen an, wo bei überschüssiger Kost das Eiweiß eine typische spezifisch-dynamische Wirkung entfaltet. Aus den Untersuchungen über die Wirkungen der gemischten Kost sei hervorgehoben, dass die Mischung von Fleisch, Fett und Kohlenhydraten einer ausschließlichen Eiweiß- fettdiät wesentlich überlegen ist. Reine Fleischdiät ist unrationell, weil sie mehr Eiweiß zur Herstellung des N-Gleichgewichtes er- fordert und weil sie eine Vereinigung der beiden für die spezifische Wärmewirkung bedeutungsvollsten Stoffe darstellt. Bei Eiweiß- und Fettzufuhr kommt ein Nahrungsgleichgewicht erst bei einem Überschuss von 22,7°/, über den Hungerbedarf A au während bei gemischter Kost ein Überschuss von 8,4° genügt. Durch Rechnung findet Rubner für Menschen, dass De gemischter Kost sein Fütterungsminimum um 11,1—-14,4°/, über dem Hungermini- mum (als Tagesmittel) liegt. Die dynamische Wirkung der Nahrungsstoffe äußert sich be- sonders bei der Überernährung und beim Ansatz, weshalb die richtige qualitative Zusammensetzung der Kost von weittragender Bedeutung ist. Was die richtige Bemessung der Eiweißzufuhr anbelangt, so muss hervorgehoben werden, dass eine über- schüssige Eiweißzufuhr für das Organwachstum sicher- 542 Portig, Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes in der Natur. lich nicht bestimmend ıst, denn das Wachstum ist eine be- sondere Zellarbeit, die aus inneren uns unbekannten Gründen innerhalb eines begrenzten Zeitraumes vor sich geht. Die natür- liche Entwickelung bestimmt ihren Bedarf an Eiweiß, der an die bestimmten Wachstumspunkte angelagert wird; eine größere Zufuhr ändert nichts an diesen Gesetzen, wenn auch ein zu Wenig sie hemmen kann. Rubner und Heubner haben an einem Säugling beobachtet, mit welch großer Energie das wachsende Gewebe Eiweiß anzieht und festhält. Aus diesen Beobachtungen geht her- vor, dass die Wirkung des Eiweiß beim Säugling auf komplizierte Verhältnisse zurückgeführt werden muss, unter denen der Ansatz ein wesentliches Moment darstellt, indem er den Umsatz bei gleicher Nahrungszufuhr ebenso wıe beim Erwachsenen mindert. Alle untersuchten Fütterungsgemische zeigen auch noch, wie das Eiweiß sich in den einzelnen Fällen, trotz seiner geringen Menge, im Gesamtresultat doch wesentlich bemerkbar macht. R. F. Fuchs (Erlangen). Gustav Portig: Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes in den Reichen der Natur. II. Band: In der Astronomie und Biologie. Stuttgart, Verlag von Max Kielmann, 1904. Mk. 10.—, geb. Mk. 12.— Es ıst keine ganz leichte Aufgabe, ein Werk sachgemäß zu be- sprechen, dessen Grundvoraussetzungen und letzte Absichten einem fremd sind, während man andererseits mit einem großen Teil seines Inhaltes in hohem Grade übereinstimmt. Portig’s großes Werk will den Dualısmus als Welt- und Lebens- anschauung beweisen und zwar beweisen aus der Naturwissenschaft; einem de Mathematik, Physik und Chemie ın diesem Sinne be- handelnden Bande ist vor kurzem der umfangreichere zweite, der Astronomie und Biologie, sowie vielen Allgemeinbetrachtungen gewidmete gefolet. Dualismus und sein Gegenstück Monismus sind hier ausdrück- lich als metaphysische Lehren gefasst; Metaphysik kann man nun nach Ansicht des Referenten nur „beweisen“, wenn man sie be- reits, und zwar in ihrer spezifischen Form, voraussetzt. So sehen wir denn auch, wenn wir uns den letzten Abschnitten seines Buches zuwenden, dass Portig in seine Erkenntnistheorie bereits die Begriffe der dualistischen und monistischen Lehre hinein- trägt, so dass, was Ausgangspunkt aller Untersuchung hätte sein sollen, bereits deren Resultate enthält: Portig’s Erkenntnistheorie“ ist gar keine solche, sondern ist bereits Metaphysik, und was er als Geschichte der Erkenntnislehre vorbringt, ist durchweg Ge- schichte der metaphysischen Philosophie. Wer des Referenten Ansichten kennt, weiß, dass ıhm Er- kenntnistheorie eime voraussetzungslose Wissenschaft, dass ihm Metaphysik aber eine Unmöglichkeit bedeutet. Man wird es daher nicht tadeln können, wenn diese Bespre- chung die metaphysischen Ansichten Portig’s, welche zum Teil Portig, Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes in der Natur. 545 eine theologische, und zwar spezifisch christliche Färbung besitzen, übergeht und sich sogleich den eigentlich biologischen Abschnitten des Werkes zuwendet. Auch hier spielt nun zwar der Dualismus, welcher aus der Biologie „bewiesen“ werden soll, immerfort hinein, so z. B. wenn der „Gegensatz“ von Kern und Plasma, wenn Haecker’s Entdeckung des Getrenntbleibens männlicher und weiblicher Kernbestandteile dualistisch verwertet wird und namentlich natürlich bei Erörte- rungen über tiefere Lebensgesetzlichkeit. Aber man kann hier doch sehr wohl von der vertretenen dua- listischen, ebenso wie von der bekämpften monistischen Grundansicht abstrahieren und die Ansichten Portig’s über eigentliche Tatsäch- lichkeiten vom Standpunkte einer voraussetzungslosen, kritisch- idealistischen Naturauffassung würdigen: und diese Würdigung kann von seiten des Referenten fast durchweg Billigung sein. Portig zeigt eine ganz erstaunliche Belesenheit auf allen Gebieten des Naturwissens; dass er die Zitate sich so auswählte, wie sie ihm passen und wohl nicht immer ganz im Sinne der Au- toren, wird man ihm angesichts der Absichten seines Werkes billiger- weise nicht vorwerfen können: jedenfalls hat der Referent seine eigenen Ansichten hier richtiger und genauer berücksichtigt ge- funden als seitens mancher näherer Kollegen'). Es verrät des Verfassers unbefangenen Blick und richtigen Takt, dass er das Regulationsvermögen der Organismen als gewichtigsten aller Beweise gegen den Darwinismus erkennt?): gerade hier ıst Ja der Punkt, an dem noch die neuesten (und wohl letzten) Verfechter dieser Theorie durch Verschweigen gesündigt haben. Doch dieses nur nebenbei und gleichsam als Vorbereitung zu Bedeutsamerem: Der Begriff „Qualität“ steht im Zentrum von Portig’s Natur- denken; Kräfte sind Qualitäten, sie stehen im Gegensatz zu „Sub- stanzen*, als Substanzen sieht der Verfasser Stoff, Energie und Aether an. Zur Begründung seines hier ablehnenden Standpunktes darf Referent wohl auf sein Buch „Naturbegriffe und Natururteile“ !) verweisen; wenn Portig anderseits das Kennzeichen des Lebens nicht in einer „lebenden Substanz“ erblickt, so befindet er sich wieder mit dem Referenten in Uebereinstimmung. Der Begriff seiner „Qualität“ wird nun vom Verfasser selbst mit des Referenten „intensiver Mannigfaltigkeit“ in Parallele ge- stellt, und soll wohl in der Tat ungefähr dasselbe besagen; auch setzt er jenen Begriff (p. 318) dem Begriff der „Konstanten“ gleich und spricht von einem Beherrschtwerden der Konstanten niederer Stufe durch solche höherer: „Qualitäten sind ein unvorstellbares, aber doch notwendig zu denkendes Ineinander von Formen und Kräften, welche als Mög- lichkeiten ihren substantiellen Wirklichkeiten vorangehen müssen“ (p. 257). 1) Ein kleiner Irrtum ist nur p. 371 untergelaufen. 2) Auf p. 257 wird auch der Begriff einer rationellen Systematik kurz gestreift. 3) Leipzig, W. Engelmann 1904. 544 Portig, Das Weltgesetz des kleinsten Kraftaufwandes in der Natur. Die Qualität sei bei der Vererbung mehr beteiligt als die mate- rıelle Substanz (p. 228). Dem Begriff der Notwendigkeit aber unterstehe jede Art von Ursächlichkeit, die „mechanische“ sowohl wie die „zielstrebige“ (p. 261). „Lebenskraft“ ist die höchste Qualitätsstufe, sie vermittelt zwischen der anorganischen Natur und dem „geistigen Ich“. Hier befinden wir uns freilich wieder in der Metaphysik: der „Geist“ steht — man denke hier an Aristoteles — der „Seele“ als durch- aus Neues gegenüber, die „Seele“ aber ist weder Substanz noch (Qualität, sondern ein Erzeugnis von Leib und Lebenskraft. Hier würde Referent verschiedenes einzuwenden haben; anders wenn wir den Satz lesen: . „Die ganze unorganische Natur ist als reale Möglichkeit oder Bedingung des Lebens nötig, aber erzeugen kann sie das Leben mit ihren Mitteln nicht“ (p. 282). — Wie schon eingangs erwähnt, wird ein unbefangener Biologe vielem und gerade dem Wesentlichsten von Portig’s Aeußerungen über Fragen der eigentlichen Lebenswissenschaft beistimmen können, mag er auch bisweilen den Weg der Gewinnung jener Ansichten bedenklich finden und in vielen der herangezogenen Analogien Dinge erblicken, die das Wesen der Sache durchaus nicht treffen. Aber dass „Vitalismus“ mit Dualismus irgend etwas zu tun habe, das muss der erkenntniskritische Biologe bestreiten: „Vitalismus“ als Auffassungsart gewisser Gruppen von Naturphänomenen hat eben mit keiner Art von Metaphysik etwas zu tun. Nun soll damit nicht gesagt sein, dass Referent keiner einzigen der eigentlich philosophischen Thesen Portig’s bestimmen könnte: was er über das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen auf Seite 281 bei- bringt, liese sich wohl unterschreiben®), auch vieles von dem über den Individualitätsbegriff Ausgeführten. Und wenn endlich (p. 476) Portig eine Art des philosophischen „Monismus“ billigt, der „bei einem Weltgesetz (= Urverhältnis), nicht aber bei einer Weltsubstanz anlangt“, so würden wir das zwar nicht „Monismus“ nennen, aber auch billigen, obschon es uns zu Portig’s sonst vertretenem rein metaphysischen Dualismus nicht recht zu passen scheint. Portig’s „Weltgesetz besagt, dass der Weltprozess ruht auf einem kleinsten Maß von schlechthin notwendigen, unveränderlichen Größen“. Man wird in dieser Kennzeichnung ebensowenig wie ın ihrer näheren Ausführung (p. 512f.) eine eigentliche Lösung der Frage nach den „Urverhältnissen“ erblicken können. Immerhin ist hier eine überaus wichtige Frage klar aufgeworfen. Uebrigens zeigt der Inhalt des „Weltgesetzes“, dass Portig nicht an ähnlich klingende physikalische, überhaupt nicht an kausale Sätze, sondern dass er an etwas denkt, das wohl als harmo- nische Tektonik des Natururgrundes bezeichnet werden könnte. — — Hans Driesch. 1) Man denke hier an des Referenten Begriffe „unmittelbare und erweiterte Wirklichkeit“. S. „Naturbegriffe und Natururteile“. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2, — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. . September 1904. Ne 17. XXIV.Bd. Inhalt: Klebs, Über Probleme der Entwickelung (Fortsetzung). — Östergren, Über die Funktion der Füsschen bei den Schlangensternen. — Hoernes, Uber Koprolitken und Enterolithen. Über Probleme der Entwickelung. Von Georg Klebs. 180E (Fortsetzung. 4. Die äufseren Bedingungen der Blütenbildung. Das vorliegende Problem der Fortpflanzungsbedingungen er- scheint bei den Phanerogamen noch sehr viel verwiekelter als bei den Thallophyten, da die äußeren Einflüsse noch viel weniger direkt wirken, vielmehr in sehr viel höherem Maße erst durch ihre Wir- kungen auf die anderen Organe, Stengel, Blätter, Wurzeln, den blütenbildenden Teilen übermittelt werden. Obwohl vortreffliche Arbeiten über den Einfluss einzelner Bedingungen z. B. der Tempe- ratur (Sachs, Krasan), des Lichtes (Sachs, Vöchting, Curtel), der Feuchtigkeit (Gain, Möbius) vorliegen, ıst das ganze Problem noch sehr wenig geklärt, wie auch aus der neuesten kritischen Dar- stellung von Jost (1904 Kap. 28) hervorgeht. Mir kommt es hier nur darauf an, das Problem etwas bestimmter zu fassen und seinen engen Zusammenhang mit den gleichen Fragen bei Thallophyten noch klarer nachzuweisen als ın meinem ersten Versuch dieser Art (1901). Bei allen bisherigen Beobachtungen und Versuchen über Blüten- bildung ging man von Pflanzen aus, die im Begriff waren zu blühen. Man untersuchte den Einfluss äußerer Faktoren auf die Entstehung XXIV. 3) ur 546 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. und Entfaltung der Organe bei blühreifen Exemplaren. Klarer wird aber das ganze Problem dann hervortreten, wenn man eine Phanero- game ebenso wie eine Alge oder einen Pilz in fortdauerndem Wachs- tum erhalten kann und nun prüft, unter welchen Umständen Blüten- bildung hervorzurufen ist. Eine Pflanze wıe Glechoma hederacea wächst seit 3!/, Jahren nur in Form vegetativer kriechender Ausläufer; man kann andererseits diese zur Bildung orthotroper Blütentriebe bringen, und es fragt sich, wodurch das möglich ist. Die gleiche Frage gilt für Sempervivum Funkdi (vgl. Abschnitt I S. 295). Das Hauptresultat der bis jetzt geführten Untersuchungen an diesen Pflanzen stimmt mit den Ergebnissen bei niederen Pflanzen überein. Die Pflanze geht aus dem vegetativen Wachstum zur Blütenbildung über, wenn gewisse quantitative Änderungen der äußeren Bedingungen eintreten. Für die Annahme irgend welcher spezifisch wirksamer, forma- tıver Reize liegt bisher kem Grund vor. Wie bei den Algen und Pilzen lässt sich die Hypothese aufstellen, dass eine wesentliche innere Veränderung in einer Ansammlung organischer Substanzen besteht, wobei die Mitwirkung noch anderer Faktoren gar nicht ausgeschlossen ıst. Nur muss betont werden, um Missverständnisse zu vermeiden, dass es nicht auf die absolute Menge der etwa auf- gespeicherten Nahrung ankommt. Denn bei der gleichen Spezies z. B. Sempervirum Funkii können kleine, relativ ärmlich ernährte wie große und reichlich ernährte Pflanzen Blüten bilden. : Aber darauf kommt es an, dass für die Blütenbildung das Verhältnis der auf- und abbauenden Stoffwechselprozesse ein anderes ist als für das vegetative Wachstum und zwar in dem Sinne, dass die Konzen- tration der organischen Stoffe für die Fortpflanzung gesteigert sein muss. Alle anderen Bedingungen können bald mehr bald weniger mitwirken, um das nötige Verhältnis herbeizuführen. Auch hier soll damit keine Erklärung gegeben werden, sondern nur ein leitender Gesichtspunkt, um sich vorläufig in den bis jetzt bekannten Tat- sachen zu orientieren. Für die nähere Betrachtung gehe ich von Sempervwivum Funkit aus, dessen Rosetten, gleich ob sie eben entstanden oder bereits mehrere Jahre alt sind, bei günstigen Ernährungsbedingungen fortwachsen (s. I S. 258). Die einzelnen Bedingungen wie Licht, Temperatur, Feuchtigkeit können innerhalb gewisser Grenzen schwanken und dadurch die Intensität des Wachstums beeinflussen — aber es geht in typischer Weise fort, und es fehlt jeder Grund für eine wesent- liche Änderung der Entwickelung. Um Blütenbildung hervorzurufen, müssen stärkere Änderungen der Außenwelt eingreifen, die teils auf Verminderung teils auf Steigerung gewisser Bedingungen beruhen. Aus der Praxis ist es längst bekannt, dass helles Licht und Verminderung des Wassergehaltes Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 547 das Blühen fördern; vgl. Möbius (1897 S. 93). Kräftige Rosetten, die vom Frühjahr ab direktem Sonnenlicht ausgesetzt werden und zugleich in einem nährstoffarmen, relativ trockenem Boden stehen, werden dadurch befähigt, im folgenden Jahre zu blühen; aber es gelingt unter Umständen, bereits im gleichen Jahre das Blühen zu beobachten. Der wesentliche Einfluss der Lichtintensität geht deutlich aus den Versuchen Vöchting's (1593) hervor, die durch Öurtel (1898) bestätigt worden sind. Ebenso wie bei einer Alge, z. B. Vaucheria (s. S. 465) darf auch bei einer Blütenpflanze die Licht- intensität nicht unter ein gewisses, in Einzelfällen verschiedenes Minimum sinken. Im anderen Falle vermag die Pflanze nicht zu blühen, sondern nur zu wachsen, und Vöchting hat z. B. Mimuhus Tillingir auf diesem Wege Jahre hindurch in vegetativem Zustande erhalten. In schwachem Licht kann nach meinen Anschauungen die Blütenbildung nicht eintreten, weil dabei die notwendige Kon- zentration der organischen Stoffe nicht erreichbar ist. Eine wesent- liche Stütze liefern dafür die sehr wichtigen Versuche von Sachs (1864), nach denen bei einer Reihe von Pflanzen die Blütenbildung im Dunkeln erfolgt, sobald nur die Ernährungsorgane, die Blätter, genügend hell beleuchtet werden. Allerdings zieht Sachs ganz andere Folgerungen aus seinen Beobachtungen. Im Dunkeln fahren belaubte Pflanzen fort, vege- tative Organe zu bilden, „sie produzieren etiolierte Stammteile und Blätter, deren Masse gewiss hinreichen würde, einige neue Blüten hervorzubringen, wenn es eben nur auf die Masse der Bildungs- substanz und nicht auch auf ihre besondere Qualität ankäme. Es fehlt derartigen Pflanzen nicht an organisierbarem Stoff, sondern speziell an den Substanzen, welche zur Blütenbildung spezifisch geeignet sind“ (l. ec. S. 230). Aber dieser Schluss ist jedenfalls nicht zwingend, da zwar nicht die absolute Menge, wohl aber die Konzen- tration der Stoffe entscheidend sein kann. Später stützte Sachs seine Hypothese von den blütenbildenden Stoffen auf Beobachtungen, nach denen die ultravioletten Strahlen eine spezifische Bedeutung für die Blütenbildung haben — Versuche, die von ©. de Candolle (1892) bestätigt wurden. Eigene Versuche in den Jahren 1900 und 1901, über die ich bisher nur kurz berichtet habe (1901 S. 203), zeigten mir, dass Blütenbildung ohne ultraviolette Strahlen statt- finden kann. Montemartini (1903) hat für verschiedene Pflanzen den gleichen Nachweis geführt. Im letzten Jahre machte ich zahlreiche Kulturversuche in hell- beleuchteten Glashäuschen, die aus weißem, rotem und blauem Glase bestanden. Das blaue Glas erscheint für unser Auge hell- blaugrün, absorbiert hauptsächlich Gelborange und den größten Teil des Rot. Das rote Glas absorbiert Blauviolett und einen größeren Teil des Grün, lässt Gelb, Orange und Rot hindurch. Das blaue Glas 35* 548 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. lässt einen Teil der ultravioletten Strahlen hindurch, das rote ab- sorbiert sie fast vollständig. Alle solche Pflanzen wie Lobelia Erinus, Mimulus luteus, Linaria grandiflora, Veronica chamaedrys, die keine Reservestoffe zur Verfügung haben, sondern nur auf die Assımilationstätigkeit ihrer Blätter angewiesen sind, kommen hinter dem blauen Licht nicht zur Blüte und verhungern bald. Die gleichen Pflanzen können ım roten Licht Blüten bilden, wenn auch deren Menge ım Vergleiche zu den Pflanzen ım farblosen Glashaus gering ist. Dagegen blühen Pflanzen mit Reservestoffen wie Semper- vivum-Arten ım blauen Licht, aber ım roten Licht sehr viel reich- licher. Aus allem entnehme ich, dass der Grad der Ernährung die größte Bedeutung für die Blütenbildung besitzt. Die Frage, ob und ın welchem Grade die blauvioletten und ultravioletten Strahlen fördernd auf die Blütenbildung wirken, bleibt noch unentschieden. Bei den Betrachtungen über die Fruchtbildung von Algen und Pilzen haben wir die große Bedeutung anderer äußerer Faktoren kennen gelernt, vor allem die Verringerung des Nährstoffgehaltes ım Außenmedium bei den Algen, die Einwirkung des Luftlebens bei den Pilzen. Für die meisten Blütenpflanzen kommen beide Faktoren in Betracht. Wiebei den höheren Pilzen vermögen auch die meisten Phanero- gamen ihre Fortpflanzungsorgane, die Blüten, nur in der Luft und nicht im Wasser auszubilden, auch dann, wenn die vegetativen Teile sehr wohl im Wasser wachsen können. Das ist sehr auf- fallend bei Wasserpflanzen (vergl. Schenk 1886 Kap. 3. Goebel 1893 S. 370). Goebel legt zur Erklärung dieser Tatsachen be- sonders Gewicht auf das Licht und die Korrelationserscheinungen. Unzweifelhaft wird bei Pflanzen, die in tieferen Wasserschichten wachsen, das Licht nicht die für die Blütenbildung notwendige Inten- sität besitzen, namentlich da das Rot vor allem absorbiert wird (vgl. Hüfner 1891). Aber die Pflanzen bilden auch in ganz hellem Licht keine Blüten unter Wasser, wie man sich leicht bei Myrio- phyllum spieatum, Isnardia Ludwigiü, Jussieua repens überzeugen kann. Ich kultivierte auch Mentha aquatica, Myosotis palustris ın einem der direkten Sonne ausgesetzten Bassın unter Wasser nahe den obersten Schichten und beobachtete nur vegetatives Wachstum. Was die von Goebel hervorgehobene Beziehung zum Wachstum anbetrifft, so muss man dabei zweierlei unterscheiden. Die unter- getaucht lebenden Gewächse könnten in der Tat, wie Goebel meint, so günstige Ernährungsbedingungen haben, dass die für die Blütenbildung notwendige Änderung nicht eintreten kann; sie ver- hielten sich ebenso wie @Glechoma hederacea unter den für diese so‘ günstigen Verhältnissen. Bei den Versuchen mit Pflanzen wie Mentha, Myosotis, ebenso auch ‚Jussieua, Isnardia war das aber sicher nicht der Fall; sie hätten blühen sollen, vermochten es aber nicht wegen Klebs, Über Probleme der Entwiekelung. 549 der flüssigen Umgebung; die zu große Feuchtigkeit verhindert das Blühen vielleicht, weil das Wasser nicht die nötige Konzentration der Substanzen in den Zellen gestattet oder der Gaswechsel zu eingeschränkt ist. Das Problem, welche Veränderungen mit dem Übergange aus Luft in Wasser verbunden sind, ist aber, wie schon für die Pilze hervorgehoben wurde, sehr verwickelter Natur. Die Transpiration wird unter allen Umständen eine Rolle dabei spielen und zwar nach verschiedenen Richtungen (s. S. 463). Sie vermindert den Wassergehalt und befördert andererseits den Gaswechsel. Eine Hemmung nach beiden Richtungen wirkt zusammen bei dem Versuch, bei welchem eine Pflanze wie Myosotis palustris ın einem ganz feuchten, relatıv beschränkten Raum trotz genügenden Lichtes nicht zur Blüte kommt (1901 S. 204). Bei Mangel an Transpiration in einer ganz ruhigen, gleichmäßig feuchten Luft muss die Aufnahme von Kohlensäure, Sauerstoff, überhaupt der Gasaustausch beschränkt sein; die Ernährung ıst zu sehr behindert. Auch bei den unter- getauchten Pflanzen wie Mentha, Myosotis u. s. w. wirkt die Ver- langsamung des Gaswechsels verzögernd auf die Intensität der Ernährung ein, wie aus der relativ schwachen Stärkebildung hervor- geht. Aber auch eine Ansammlung von Kohlensäure infolge über- wiegender Atmung kann eventuell die Blütenbildung beschränken. Nach interessanten Versuchen von Brown und Escombe (1902) bewirkt eine Steigerung des Kohlensäuregehaltes (z. B. 111 CO, auf 100001 Luft) eine völlige Unterdrückung der Blütenbildung bei Cucurbita, Impatiens etc. Allerdings wırd die ÖO,-Zersetzung durch einen solchen Gehalt gesteigert; merkwürdigerweise verringert sich aber das Trockengewicht, so dass also in Wirklichkeit jener für den Prozess nötige Überschuss an organischen Stoffen nicht eintritt. Die Bedeutung der Transpiration als eines die Blütenbildung fördernden Faktors ist seit lange aus der Praxis bekannt (vergl. darüber Möbius 1897 S. 113). Die eingehenden Untersuchungen von Gain (1895) zeigen, dass für das Blühen ein Optimum der Transpiration existiert bei relativ feuchtem Boden, relativ trockener Luft. Auch die Versuche von Möbius (l. ce. S. 128) sprechen für den günstigen Einfluss einer relativen Trockenheit, wenn auch bei den Versuchen ın kleinen Tropfen noch ein anderer Faktor wesent- lich mitwirkt, die Beschränkung der Nährsalzaufnahme. Wie bei den grünen Algen so auch bei vielen Blütenpflanzen befördert eine Verminderung der Nährstoffaufnahme aus dem Boden die Blütenbildung, vorausgesetzt, dass die Pflanze sich vorher ge- nügend damit versehen hat. Die Unterdrückung oder Einschrän- kung des Prozesses bei Pflanzen in sehr gut gedüngtem Boden ist ebenfalls schon lange von den Gärtnern beobachtet worden. Die Methoden, das Blühen bei Obstbäumen zu fördern durch den Ringel- 550 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. schnitt, durch Beschneiden der Wurzeln laufen auf dasselbe Ziel hinaus, die Nährstoffaufnahme zu vermindern (Möbiusl.c. S. 126). Durch alle solche Mittel wird das vegetative Wachstum einge- schränkt; dadurch, sowie durch die Transpiration und die fort- dauernde Synthese organischer Substanz wird die nötige Konzen- trierung der Stoffe erreicht, die für die Blütenbildung erforderlich ist, Aber noch auf anderem Wege mit Hilfe anderer äußerer Fak- toren können die inneren Bedingungen der Blütenbildung herbei- geführt werden. Die Ausläuferpflanze von Glechoma kann stets zum Blühen gebracht werden, wenn Stücke von ihr in kleine Töpfe etwa ım August oder September gesetzt werden und dann kalt überwintern. Die Pflanzen können zeitweilig dem Frost ausgesetzt sein oder in einem Kalthaus bleiben. Stets treten im folgenden Frühjahr die blühenden Triebe: hervor. Die niedere Temperatur bewirkt teils direkt, teils indirekt durch Einschränkung der Wasser- und Nährsalzaufnahme eine Verminderung des Wachstums. Nach den Erfahrungen Müller-Thurgau’s (1882 und 1885) behindert außerdem eine niedere Temperatur die Umwandlung von Stärke in Zucker viel weniger als die entgegengesetzte Reaktion, die Stärke- Regeneration. Es findet daher eine allmähliche Anhäufung von Zucker statt, die dann im ersten Frühjahr durch die Wirkung der Sonne auf die assimilierenden Blätter noch gesteigert wird. Schon von verschiedenen Beobachtern ist der günstige Einfluss der niederen Temperatur auf die Blütenbildung mancher Pflanzen betont worden. In einer wichtigen, wenig beachteten Arbeit hat Krasan (1870) die periodischen Lebenserscheinungen von Pflanzen in der Umgebung von Görz erforscht und sich besonders mit den im Herbst und Winter zum zweiten Male blühenden Gewächsen beschäftigt. Nach Krasan (1870 S. 350) können die Blüten von Centaurea jacea, Scabiosa, Geranium etc. nicht nur die Kälte besser vertragen als Stengel und Blätter, sondern sie sind auch befähigt, sich bei einer niederen Temperatur zu entwickeln. Auch die Ent- faltung der bereits im Sommer angelegten Knospen von Corylus, Erica im ersten Frühjahr führt Krasan (l. e. S. 336) darauf zu- rück, dass der Stoffwechsel, auf welchem die Anlage und Fortbil- dung der Blüten beruht, bei niederer Temperatur erfolgt, bei höherer unterbleibt. In noch allgemeinerer Weise spricht sich Schimper (1598 S. 54) dahin aus, dass die Kardinalpunkte der Temperatur tiefer für die Blütenbildung als für das vegetative Wachstum liegen. Das trifft wohl für das Maximum zu, vielleicht auch in vielen Fällen für das Optimum, aber höchstwahrscheinlich nicht für das Minimum. Die Beobachtungen Krasan’s sind dafür doch nicht entscheidend. Der günstige Einfluss einer niederen Temperatur für die Blütenbildung beweist jedenfalls nicht, dass die Blüten sich bei tieferen Graden entwickeln können, als die Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 551 Vegetativen Teile; er erklärt sich durch seine indirekten Wirkungen auf den Stoffwechsel. Das geht ohne weiteres aus der Tatsache hervor, Blütenbildung von typischen Frühjahrspflanzen auch ohne niedere Temperaturen zu erreichen. Es gelang mir, 1902 und 1903 Ausläufer von @Glechoma, die vom Mai ab sonnig und relatıv trocken kultiviert wurden, Ende Juli, also im Hochsommer, zur Bildung von Blüten zu bringen, wenn auch die Versuche nicht bei allen Töpfen gleichmäßige Resultate hatten. Ohne Schwierigkeit konnte ich die bekannte Frühjahrspflanze Cardamine pratensis ım Juli zur Blüte veranlassen. Wie Glechoma so wurde auch Cardamine seit Anfang März durch sehr günstige Ernährungsbedingungen in lebhaftem vegetatirem Wachstum erhalten; junge kräftige Rosetten wurden dann in kleine Töpfe verpflanzt und von Aprıl, Mai, Juni ab sonnig und relativ trocken kultiviert. Sie kamen im Laufe des Sommers zur Blüte, während dagegen die ım Juli eingesetzten Pflanzen nicht mehr ım gleichen Jahre blühten. Lebhafte Transpiration, Ein- schränkung der Nährsalzaufnahme, helles Licht wirken demgemäß im gleichen Sinne wie die niedere Temperatur im Winter und die weniger intensive Sonne des ersten Frühjahrs. Eine höhere Temperatur kann in Verbindung mit anderen Fak- toren entgegengesetzt wie eine niedere wirken. Nach Fritz Müller (1882 S. 392) wachsen in Brasilien eingeführte, zweijährige Ge- wächse wie Carum carvi, Kohl, Petersilie, ohne zu blühen; es fehlt ihnen, wie er sagt, die Winterruhe. Ähnliches ist bekannt für die Getreidearten in wärmeren Ländern (vergl. Möbius 1897 S. 109), und Wettstein (1902 S. 10) hat auch für Symphytum offieinale in Brasilien festgestellt, dass es nicht zum Blühen kommt. Man kann die gleiche Erscheinung auch bei uns beobachten, wenn man Pflanzen wie die Zuckerrübe, Cochlearia, Digitalis purpurea, ım Winter warm und feucht kultiviert, wie ich es seit einer Reihe von Jahren durchgeführt habe. Diese zweijährigen Gewächse kommen weder ım 2. noch 3., sogar nicht im 4. Jahre zur Blüte. Ich pflege die Pflanzen im Gewächshaus bis etwa im Juni zu kulti- vieren und dann bis zum Herbst im freien Lande zu lassen. Die höhere Temperatur in Verbindung mit feuchter Luft hält das vege- tative Wachstum in beständigem Gange, es fehlen jene Änderungen der Außenwelt, durch die nach Einschränkung des Wachstums die notwendige Ansammlung organischer Substanzen erfolgt, selbst bei ursprünglich so nahrungsreichen Pflanzen wie die Zuckerrübe. Wie bei den niederen Pflanzen, so muss auch bei den höheren ein gewisser Nahrungsvorrat vorhanden sein, um das Blühen zu ermöglichen. Je kräftiger vorher die Pflanze ernährt war, um so intensiver wird das Blühen erfolgen unter den dafür charakteri- stischen, äußeren Bedingungen. Aber schließlich, wenn es nicht auf eine solche intensive Blütenbildung ankommt, braucht das Nahrungs- 552 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. minimum bei sehr vielen Pflanzen keine sehr hohen Werte zu betragen. Es erklärt jedenfalls nicht die häufig zu beobachtende Tatsache, dass die Blütenbildung erst nach längerem Wachstum eintritt. Andererseits berechtigt diese Tatsache nicht zu der Auffassung, nach der „jede Pflanzenart die durch Vererbung fixierte Eigentüm- lichkeit besitzt, in einer bestimmten Phase ihrer Entwickelung Blüten zu produzieren“ (Möbius 1897 S. 91). Spezifische Eigen- schaften sind gewiss für die Zeit des Blühens von großer Wichtig- keit. Da aber die methodischen Untersuchungen über künstliches Hervorrufen von Blüten so gut wie völlig fehlen, so weiß man gar nicht, ın welchem Maße das Blühen vom Alter abhängt. Von meiner Auffassung aus müsste man folgern, dass bei vielen Pflanzen das Blühen ın einem sehr frühen Entwickelungsstadium stattfinden müsste, sobald es gelänge, nach Überschreitung des Nahrungs- minimums das für den Prozess notwendige Verhältnis von Stoff- synthese und Stoffverbrauch durch bestimmte äußere Bedingungen herbeizuführen. Nun fehlen bisher eingehende Untersuchungen, und ıch kann mich nur auf gelegentliche Beobachtungen berufen, die die Auffassung stützen. So ıst es bekannt, dass selbst Bäume wie die Eiche, wie Arlanthus im 1.— 3. Lebensjahr blühen, während die Eiche sonst erst nach 60 Jahren dazu gelangt; vergl. Möbius 1897 S. 89; ferner andere Beispiele bei Jost 1904 S. 444. Ein sehr interessantes Beispiel erwähnt Irmisch (1860 S. 85). Die berühmte Agave americana (die 100 jährige Aloe) kommt zum Blühen nach 20, 30, angeblich 100 Jahren. Aber unter Umständen blühen bereits die im ersten Jahre entstehenden Seitenknospen. Auch bei Sempervivum-Arten können die eben entstandenen jungen Rosetten gleich Blüten erzeugen (s. S. 265). In diesen Fällen sind die jungen blühenden Rosetten an be- reits blühenden älteren Exemplaren entstanden. Die innere Be- schaffenheit dieser z. B. die Menge und Konzentration der orga- nischen Stoffe neben anderem wird auf die neuen Seitensprosse übertragen unter steter Mitwirkung der äußeren Bedingungen. In die gleiche Reihe von Erscheinungen gehören auch die Beobach- tungen von Sachs (1892) an Begonia-Blättern. Im Mai abgepflückte Blätter lieferten Adventivsprosse, die im November blühten, da- gegen Blätter blühreifer Exemplare (Ende Juli abgepflückt) solche, die bereits im September blühten. Blätter der gleichen Pflanze von Achimenes Haageana verhalten sich nach den Untersuchungen Goebel’s (1898 S. 39) verschieden. Blätter aus der Blütenregion bilden früher blühende Adventivsprosse als solche, die der basalen Region des Stengels entnommen sind. Sachs meint, dass die Blätter blühreifer Pflanzen mehr von den spezifischen blütenbilden- den Stoffen enthalten, Goebel dagegen nimmt an, dass diese Blätter überhaupt ärmer an Baumaterial seien, und diese Schwä- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 55 chung die Blütenbildung gegenüber dem vegetativen Wachstum begünstige. Nach meiner Auffassung besitzen die Blätter blühreifer Pflanzen oder die der Blütenregion jene Konzentration und Zusammen- setzung der gewöhnlichen Nährstoffe, die für die Erzeugung der Blüten am Hauptspross selbst wesentlich ist. Nach dem Abschnei- den bedingt diese nahrungsreiche Beschaffenheit das Blühen der Adventivsprosse, vorausgesetzt, dass die äußeren Bedingungen da- für günstig sind. Es würde gar keine Schwierigkeit haben, die Sprosse auch solcher Blätter rein vegetativ wachsen zu lassen, wenn man optimale Wachstumsbedingungen schaffen würde. Schwieriger würde es wohl sein, die Sprosse junger (Begonia) oder basaler (Achimenes) Blätter zur Blütenbildung zu bringen, weil die Er- nährungstätigkeit abgeschnittener Blätter nicht leicht zu steigern sein wird. Indessen müsste es doch möglich sein, namentlich wenn man die äußeren Bedingungen der Blütenbildung in optimalem Grade einwirken ließe. Nach Winkler (1903 S. 100) bilden abgeschnittene Blätter von Torenia asiatica, gleich an welchem Orte sie gestanden haben, sogar Keimblätter, Adventivsprosse, die sehr leicht blühen. Winkler hält es für sehr zweifelhaft, dass das frühzeitige Blühen der regene- rierten Sprosse mit dem blühbaren Zustande der Mutterpflanze in direktem Zusammenhange stehe. Das kann aber doch der Fall sein ebenso wie der Zusammenhang mit den gerade zur Versuchs- zeit waltenden Bedingungen. Denn Stengelstecklinge von Torenia blühen im Spätherbst und Winter nicht. Torenia verhält sich ebenso wie Glechoma; ich habe Pflanzen in dem warmen feuchten Viktoriahaus den ganzen Sommer hindurch, ebenso Herbst und Winter in fortdauerndem Wachstum erhalten, während die sehr hell und relativ trockener kultivierten Pflanzen im Sommer reichlich blühten. Die zusammenfassende Darstellung soll zeigen, dass die Blüten- bildung von Phanerogamen im Prinzip die gleichen Probleme dar- bietet wie die geschlechtliche Fortpflanzung der Algen oder die Frucht- bildung höherer Pilze. In den bisher genauer untersuchten Fällen entscheidet die Außenwelt, ob überhaupt und zu welcher Zeit und in welchem Grade die Fortpflanzung an Stelle des vegetativen Wachstums tritt. Es sind quantitative Änderungen der gleichen äußeren Bedingungen, welche diese Entscheidung herbeiführen. Für die Blütenbildung etc. muss in den Zellen ein anderes Verhältnis der inneren chemisch-physikalischen Bedingungen herrschen als für das Wachstum. Ich nehme an, dass eine quantitative Steigerung der Konzentration organischer Stoffe mit allen ihren physikalischen und chemischen Folgen eine wesentliche Rolle bei dem Übergang vom Wachstum zur Fortpflanzung spielt. Alle äußeren Bedingungen können nun je nach ihrer Intensität, je nach ihrem Zusammen- 54 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. (dit wirken, je nach der spezifischen Natur der Pflanze bald mehr hem- mend, bald mehr fördernd die Blütenbildung beeinflussen, indem sie das für diese charakteristische Verhältnis der inneren Bedingungen herbeiführen. In dieser Weise habe ich versucht, gewisse allgemeine Ge- sichtspunkte aufzustellen, die neuen Untersuchungen als Leitfäden dienen können. Das bis jetzt Errungene an tatsächlicher Einsicht ist verschwindend gering im Vergleich zu dem Unerforschten, das die Aufgabe umschließt. Aber es gibt wenigstens offene Wege, sie ın Angriff zu nehmen. Literatur. 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Es handelt sich hierbei um eine der schwierigsten und wichtigsten Fragen, die von anderer Seite in ent- gegengesetztem Sinne beantwortet wird. Driesch hat mehrfach die Frage behandelt (z. B. 1901 S. 118; 1902 S. 915) und kommt zu einem anderen Resultat. Sobald Gestaltungsprozesse auch nur im geringsten qualitative Kennzeichen haben, dürfe man nach Driesch auch nicht bei Pflanzen an die Zulassung quantitativer Veränderung des Saftstromes als eines formativen Reizes denken. Driesch geht dabei von der Voraussetzung aus, dass die äußer- lich verschiedenen Formbildungen qualitativ verschieden sein müssen. Aber gerade diese Voraussetzung ist unbewiesen und an- greifbar. Die Frage, wie weit die spezifischen Unterschiede der Arten auf verschiedener chemischer Beschaffenheit beruhen, will ich hier ganz bei Seite lassen. Ich beschränke mich auf die Gestaltungs- vorgänge einer Spezies, die in allen wachstumsfähigen Zellen die gleiche spezifische Struktur besitzt. Es lag sehr nahe, die Unter- schiede in der Form der Blätter, Stengel, Wurzeln, Blüten in chemischen Verschiedenheiten zu suchen, und nach dem Vorgange von Sachs haben sich zahlreiche andere Forscher, wie Herbst, Driesch, Goebel, ich selbst in gleichem Sinne ausgesprochen. Auf der anderen Seite hat Reinke (1899 und 1901) gegenüber den stofflichen Verschiedenheiten ein viel größeres Gewicht auf innere dynamische Kräfte, die Dominanten gelegt, die, aus der Kon- figuration des Protoplasmas sich ergebend, die Energien lenken und richten. Jeder besonderen Form entspricht eine besondere Ge- staltungsdominante; sie ıst ein Ausdruck für völlig Unbekanntes und gewährt keinen Anhaltspunkt dem Problem überhaupt näher zu treten. An diese Lehre Reinke’s sich anschließend, sucht Noll (1903) dem Begriff der Dominante einen bestimmteren physi- kalischen Charakter zu verleihen; ich werde weiter unten ausführ- licher auf die Arbeit Noll’s eingehen. Auch er berücksichtigt nicht das, worauf ich hier Gewicht legen möchte, den notwendigen Zusammenhang jeder Formbildung mit bestimmten äußeren und inneren Bedingungen. Entscheidende Anhaltspunkte die Frage nach der Qualität bei Formbildungen zu beantworten, liefern uns die nicht lebenden Sub- 556 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. stanzen, die bei gleicher qualitativer Beschaffenheit eine große Mannigfaltigkeit von Formen darbieten. Schon in meinem letzten Werk betonte ich (1903 S. 17), dass das Problem der Form ein ganz allgemeines Problem der Naturwissenschaft ist, das nicht ein- seitig von der Biologie behandelt werden kann. Im letzten Grunde ist das Problem erkenntnistheoretischer Art und für uns unlös- bar. Aber die eine Seite des Problems gehört der Naturwissen- schaft an: die funktionelle Abhängigkeit aller Formbildungen von bestimmten erkennbaren Bedingungen, seien es nun die Formen eines einzelnen Elementes, oder einer komplexen Verbindung, seien es die Formen eines hochkomplizierten Systemes verschiedenartiger Körper, wie sie in den Organismen vorliegen. Der Begriff der Form schließt jede für uns bemerkbare Er- scheinungsweise eines Körpers in sich, umfasst alle Aggregat- zustände des gleichen Körpers, die man mit Ostwald (1902 S. 200) besser als „Formarten“ bezeichnen könnte. Ein einfaches Element wie Schwefel erscheint fest, flüssig, gasförmig, der feste Schwefel in verschiedenen amorphen und kristallinischen Formen. Jede dieser Formen ist die notwendige Folge der Beziehungen der qualitativ gleichen Substanz zu bestimmten Quantitäten äußerer Bedingungen, Temperatur, Druck u. s. w. Die Berechtigung, die Formbildungen einer Spezies in entsprechender Weise aufzufassen, liegt in dem positiven Nachweis, dass auch sie notwendig von bestimmten Be- dingungen abhängen. Bei den Pflanzen ist aber die Erforschung des Problems so ausserordentlich erschwert, weıl jede Form zunächst der Ausdruck der herrschenden inneren Bedingungen ist, die noch so wenig bekannt sind. Die Möglichkeit der Erforschung liegt aber in der Abhängigkeit dieser inneren Bedingungen von bekannten äußeren. Außerdem fehlt bisher jeder positive Anhaltspunkt für den Nachweis wirklich spezifisch-qualitativer Unterschiede für die verschiedenen Formen der gleichen Spezies. Was wir von der Chemie der Pflanzen bisher wissen, zeigt uns wesentlich in allen Organen die gleichen Substanzen, nur in wechselnden Mengen- verhältnissen. Gegenüber polymorphen, nicht lebenden Substanzen zeichnen sich die Organismen durch eine sehr viel größere Formenmannig- faltıgkeit aus. Die ersten Keime eines Verständnisses dafür finden sich in den neueren Forschungen über die Formart der die Zelle zusammensetzenden wesentlichen Substanzen, Forschungen, die in der Botanik zuerst durch Berthold (1886) begonnen, die in der Tierphysiologie durch Bütschli (1892), Rhumbler (1898), Bern- stein (1900 und 1901) u. s. w, nach verschiedenen Seiten gefördert worden sind. Aus der Voraussetzung des mehr oder weniger flüssigen Zustandes des Protoplasmas und aus den für flüssige Sub- stanzen geltenden Gesetzen der Oberflächenspannung lassen sich Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 557 einfache Formveränderungen (Berthold 1886, Bütschli 1892) kompliziertere Änderungen bei amoeboider Bewegung (Bütschli; Rhumbler 1898), selbst die Muskelkontraktionen (Bernstein 1901) dem Verständnis näher bringen. Für die Frage der Form- bildung liegt der entscheidende Charakter der wesentlichen Zell- substanzen ın ihrer kolloidalen Beschaffenheit, durch die die Mög- lichkeit eines sehr wechselnden W assergehaltes, damit mannigfacher Übergänge zwischen fest und flüssig gegeben ist, so dass zugleich die Formen dieser kolloidalen Substanzen nach außen relativ scharf begrenzt sein können. Die Formbildungen der aus solchen Sub- stanzen zusammengesetzten Pflanzen hängen zum Teil direkt von dem Verhältnis ihrer Oberflächenspannungen zum Außenmedium ab, aber noch viel entscheidender sind die inneren Stoffwechselprozesse, durch die dieses Verhältnis reguliert wird. Wir können diese Verhältnisse willkürlich mit Hülfe äußerer Einflüsse verändern, da- mit die Formbildungen der Pflanzen beherrschen; wir können sie in mannigfachster Weise umgestalten, sogar neue in der freien Natur nicht oder selten vorkommende Formen herstellen, soweit es die in der spezifischen Struktur vorhandenen Potenzen gestatten. Diese Bemerkungen sollen nur dazu dienen die Berechtigung der Ansicht zu stützen, dass die Formbildungen einer Spezies bei wesentlich gleicher Qualität der sie nes una eahreinliken Substanzen durch quantitative Änderungen äußerer Faktoren zustande kommen. Selbstverständlich kann es ah nur um einen Versuch handeln von einem solchen Standpunkt aus die Formbildung zu betrachten. Ich will als Beispiel die verschiedenen Blattformen einer Spezies nehmen. Die Vielgestaltigkeit der Blätter ist seit lange bei Wasser- und Sumpfpflanzen bekannt, und die Arbeiten von Askenasy, Goebel, Costantin u. a. haben unsere Kenntnisse sehr erweitert; ich verweise auf die zusammenfassende Darstellung von Goebel (1893), andererseits von Henslow (1895). Besonders spielt die Änderung des Mediums die Hauptrolle, und Pflanzen wie Poly- gonum amphibium veagieren mit großer Präzision auf den Wechsel, wie die neueste Darstellung bei Massart (1902) zeigt. Für die folgenden Betrachtungen will ich von einem Beispiel ausgehen, das sehr deutlich den Satz illustriert: „jede Formbildung ist das not- wendige Resultat des Zusammenwirkens der Fähigkeiten der spezi- fischen Struktur mit den inneren Bedingungen, die selbst wieder von äußeren abhängen.“ (Klebs 1903 S. 63.) Es handelt sich um die Sumpfpflanze Ranuncubıs lingua. Die Stengel erscheinen in zwei Formen, als aufrechte Laubtriebe und als in der Erde kriechende Rhizomtriebe. Das ausläuferartige Rhizom entwickelt drei Blattformen, die man als Grenzformen bezeichnen kann und die sich durch verschie- dene Ausbildung der drei Teile, Blattscheide, Blattstiel und Spreite Ranunculus lingua. I Ein Rhizomstück dunkel und feucht kultiviert. A ein Niederblatt, B ein junges Niederblatt mit sehr langem Stiel und kleiner Spreite. II Ein Rhizomstück im blauen Gewächshaus vom 8. August bis 9. September 1903. Ü die kurz gestielten Blätter mit rundlicher Spreite. III Ein Rhizomstück im roten Gewächshaus vom 8. August bis 9. September 1903. D die gestielten Blätter mit mehr länglich ovaler Spreite. IV Ein Laubtrieb im roten Gewächshaus seit Juni bis 9. September entstanden. Die ersten Blätter noch wenig gestielt, ähnlich den typischen Laubblättern; allmäh- liche Zunahme des Stieles mit schärfer hervortretender ovaler Spreite in Z. V Ein Rhizomtrieb unter Wasser gewachsen, gez. Dez. 1903. F typisches Wasserblatt. VI Ein typisches Laubblatt des orthotropen Triebes. Alle Figuren um */, verkleinert. Östergren, Über die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. 559 unterscheiden. Die eine Grenzform stellt das Niederblatt (Fig. 1 4A) vor, eine kleine weißliche Scheide; es entsteht an dem Rhizom, wenn es ın direkter Verbindung mit dem beleuchteten Laubtrieb, selbst aber ım Dunkeln in feuchter Erde lebt. Die zweite Grenz- form besteht aus einer kurzen Scheide, einem sehr langen dünnen Stiel und einer ganz kleinen Spreite (Fig. IB). Sie entsteht, wenn man das Rhizom für sich ım Dunkeln in ganz feuchter Luft wachsen lässt. Die dritte Grenzform (Fig. V F) besteht aus einer kurzen Scheide, einem längeren dünnen Stiel und einer breitovalen, am Grunde herzförmigen Spreite. Es sind die seit lange bekannten Wasserblätter der Pflanze, die bei Kultur des Rhizoms unter Wasser entstehen und bei mäßigem Licht besonders in Winterkulturen am größesten werden. Die wesentlichen Faktoren, die darüber ent- scheiden, welche von diesen Grenzformen sich aus den jungen Blatt- anlagen am Scheitel des Rhizoms entwickeln, sind die verschie- denen Intensitätsgrade von Licht und Feuchtigkeit. Ebenso wie man sich alle möglichen Zwischenstufen dieser Grenzformen aus- denken kann, ebenso vermag man sie praktisch zu verwirklichen, je nach der Intensität und Kombination dieser Faktoren, die teils direkt auf das Rhizom, teils indirekt durch Beeinflussung des Laub- triebes wirken. Nur ein paar Beispiele will ich ın den Figuren II und III geben. Die Blätter © bei Fig. II sind an einem Rhizom- stück entstanden, das seit August in blauem Licht (s. S. 547) bei schwacher Ernährung und mäßig feuchter Luft bis September ge- wachsen ist. Die Pflanze in Fig. III mit der Blattform D ist in der gleichen Zeit im roten (sewächshaus entstanden. Nun kann ich eine neue Serie von Zwischenformen erhalten, wenn ich die jungen Blattanlagen des Rhizoms unter gewissen Be- dingungen z. B. im Dunkeln etwas entwickeln lasse und dann ver- schiedenen Kombinationen von Licht und Feuchtigkeit aussetze. Die sehr lang gestielten Dunkelblätter können dann wieder ver- schiedene Spreitenformen erhalten und neue Gesamtformen dar- stellen. (Schluss folgt.) Über die Funktion der Füfschen bei den Schlangensternen. Von Hj. Östergren, Upsala. Nach den einstimmigen Aussagen verschiedener Verfasser sollen die Füßchen der Schlangensterne ohne, oder beinahe ohne jede Bedeutung für die Ortsveränderung sein und besonders soll ıhnen die Ansaugungsfähigkeit vollständig abgehen. Zuweilen will man ihnen sogar nicht den Namen Füßchen beilegen, sondern sie als Tentakel bezeichnen. 560 Östergren, Über die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. Preyer, der die Bewegung der Seesterne gründlich studiert hat, sagt sogar (1886-—87, S. 34), die Füßchen der Schlangensterne seien verkümmert, und spricht (S. 35, 85 und 94) von sen Ausfall ın | lokombionischer Hinsicht. Ähnliche Aussprüche findet man bei Lang (1894) und Hamann (1900—1901). Hamann erklärt (z. B. S. 818, 824-825, 887), die Füßchen der Schlangensterne dienten nicht mehr der Lokomotion; „sie sind ausschließlich als Sinnes- organe zu betrachten und zwar in erster Linie als Tastorgane.“ Lang spricht den Füßchen ebenfalls jede lokomotorische Rolle ab (S. 1026-1027). Er geht sogar so weit, dass er dies in seinen phylogenetischen Spekulationen einen grundwesentlichen Unter- schied zwischen Ophiuroideen und Asteroideen sein lässt, indem er annımmt, dass die „Tentakel“ der ersteren auch in früheren Perioden keine Bedeutung für die Ortsveränderung gehabt hätten. Er schreibt (S. 1146): „Die Tentakel (der Ophiuroideen) wurden nie zu ambulatorischen Füßchen, sondern behielten bloß respira- torısche Funktionen.“ Ich könnte weiter viele unserer Lehr- und Handbücher anführen, ich beschränke mich jedoch auf die Bemer- kung, dass auch Delage und Herouard (1903, S. 136), in ihrer soeben erschienenen Bearbeitung der Echinodermen, den Füßchen der Schlangensterne jede lokomotorische Bedeutung aberkennen'). Bei Grave (1899, S. 86) findet man jedoch eine Angabe, dass die Füßchen von Ophiura brevispina E. Sm. eine gewisse Bedeu- tung für die Lokomotion hätten. „The tentacles,“ sagt er, „thus fit themselves into the inequalities of the surface and afford fixed points for the arms to pull against.“ Es ist also nicht von einem Klettern oder Festsaugen, sondern nur davon die Rede, dass die Füßchen beim Kriechen ın derselben Weise Stützpunkte abgeben, wie dies die Stacheln auch tun. Und außerdem betrachtet er die lokomotorische Rolle der Füßchen in diesem Falle als eine durch die Kürze der Stacheln bedingte Ausnahme. Da, wie aus Lang’s Äußerungen hervorgeht, der Frage der Funktion der Füßchen bei den Ophiuroideen auch bei der Dis- kussion der systematischen und phylogenetischen Stellung dieser Klasse eine nicht geringe Bedeutung beigemessen wird, will ich hier einige enormen mitteilen, ie geeignet sein dürften, die betreffs Ber Füßchen und Lokomotion der Oh oideen herrschende Auffassung zu verändern. Schon 1896 und dann bei späteren Besuchen der biologischen Station in Bergen beobachtete ich, dass Ophiocoma nigra (Abildg.) 1) Die Meinung einiger Verfasser, die Füßchen der Schlangensterne seien ver- kümmert, dürfte zum Teil ihren Grund darin haben, dass die Füßchen konservierter Tiere fast immer stark kontrahiert sind. Indessen ist es leicht, die Ophiuroideen mit schön gestreckten Füßchen zu fixieren, wenn man sie z. B. mit Ätherwasser betäubt (vergl. meine Mitteilung in Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie, Bd. XIX, S. 300). Östergren, Über die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. 561 an vertikalen Wänden der Aquarien hinaufklettert. Sie bewegt sich hierbei viel gewandter. und mit viel größerer Schnelligkeit, als irgendeine andere der von mir studierten Echinodermen — auf den vollständig glatten Glasscheiben läuft sie förmlich. Bisweilen hält sie sich mit den Füßchen fest, von denen man somit keineswegs sagen kann, dass sie der Festsaugungsfähigkeit ent- behren. Die Festsaugung ist zwar bedeutend schwächer, als z. B. bei einem Echinus oder einer Asterias, wo die Füßchen, wenn man das Tier mit Gewalt losmachen will, oft eher abgerissen werden, als sich vom Glase lösen. Aber auch eine Ophiocoma kann sich so kräftig festhalten, dass sie erst durch eine starke Bewegung des Wassers veranlasst wird, sich von der Glasscheibe loszulösen. Die Füßchen dieser Art sind auch sehr gut .entwickelt, sie haben zwar keine eigentliche Saugscheibe, das Ende ist jedoch ein wenig verdickt und abgerundet, keineswegs zugespitzt (Fig. 1). Dass Füßchen dieses Baues sich an glatte Gegenstände anheften können, findet man auch bei verschiedenen Asteroideen, bei denen die Füßchen keine wohl entwickelte Saugscheibe haben — die Anheftung ist eine schwache, sie reicht aber, so lange das Wasser einigermaßen ruhig ist, vollständig zum Klettern auf einer verti- kalen Glasscheibe hin. Wenn Ophiocoma nigra also gleich einer Asterias mit Hilfe ihrer Füßchen klettern kann, so geschieht das Klettern jedoch auf eine ganz andere Art. Asterias klettert, wie bekannt, in der Weise, dass die Füßchen sich in der Richtung der Fortbewegung aus- strecken, sich mit ihren Saugscheiben befestigen und dann durch ihre Verkürzung eine Vorwärtsbewegung des Körpers bewirken. Bei Ophiocoma dagegen dienen die Füßchen beim Klettern aus- schließlich oder wenigstens beinahe ausschließlich als Anheftungs- organe. Die Ortsveränderung selbst geschieht mittels Bewegung der Arme (Radien), und diese Bewegungen geschehen in der Haupt- sache in derselben Weise, wie bei auf horizontalem Boden kriechen- den Ophiuroideen. Bezüglich dieses Kriechens kann ich auf Unter- suchungen vonRomanes und Ewart (1882) und Preyer (1886— 1887, S. 90-91) hinweisen. Dasselbe geht, kurz zusammengefasst, z. B. bei einer Ophiura so zu, dass sich ein oder zwei Paar Arme ın der Richtung der Fortbewegung vorstrecken, ihre Enden durch Drücken gegen die Unterlage befestigen, sich hierauf kräftig nach hinten biegen, wodurch die über dem Boden erhobene Scheibe, da die Armspitzen ja fixiert sind, nach vorwärts bewegt wird. Die durch Fig. 2 veranschaulichten Bewegungen der Arme erinnern, wie Grave sagt, an die Armbewegungen eines schwimmenden Menschen und „die Fortbewegung des Tieres geschieht sprung- weise* (Preyer). Mithin bewirken zwei oder vier Arme die Loko- motion; der oder die übrigen werden samt der Scheibe passiv XXIV. 36 ve 562 Ostergren, Über die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. nachgeschleppt. Bei langarmigeren Formen, z. B. Amphiura, weicht die Lokomotion, wie Preyer bemerkt, insofern ab, als die Arme bei diesen mehr schlängelnde Bewegungen ausführen. Von solchem Kriechen unterscheidet sich das Klettern von Ophiocoma beinahe nur darin, dass die Arme mittels der Füßchen an der Unterlage (der Vertikalwand des Aquariums) haften — die äußersten Armspitzen, wo die Füßchen klein sind, sind jedoch frei. Die in der Richtung der Fortbewegung vorgestreckten Enden der Arme werden innerhalb der freien Spitzen mit Hilfe der Füßchen fixiert, und hierauf biegen sich entweder die Arme bogenförmig, wie bei Ophiura, oder sie verringern durch schlangenförmige Krüm- Fig. 1. Fig. 1. Ophiocoma nigra !|,. Photographie eines unter Ätherwasserbetäubung ge- töteten Exemplars. Fig. 2. Schema der Lokomotion einer Ophiura, A mit einem, B mit zwei Arm- paaren kriechend. Der nur konturierte Schlangenstern bezeichnet die Lage nach dem Sprunge. mungen nach beiden Seiten die Entfernung zwischen der Scheibe und der festen Armspitze. Diese beiden verschiedenen Bewegungs- arten der Arme lassen sich übrigens ın Wirklichkeit nicht scharf unterscheiden. Oft tritt eine Kombination derselben in der Weise ein, dass sich, wenn drei Arme vorgestreckt werden, der mittlere durch Krümmungen nach beiden Seiten verkürzt, während die bei- den anderen sich, wie bei Opkiura, biegen. Doch können auch diese hierbei unregelmäßigere, gleichsam schlängelnde Bewegungen ausführen. Es ist wohl zu merken, dass die Füßchen sich beim Klettern nicht nur an dem äußeren, ruhenden Teile der Arme festsaugen, Östereren, Über die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. 563 {eo} I [e) sondern dass im Gegenteil ein Teil der Füßchen stets auch an dem inneren, in Bewegung befindlichen Teil der Arme an der Wand des Aquariums haftet. Die Füßchen strecken sich in der Richtung der Lokomotion vor, befestigen sich an der Wand und lösen sich wieder von derselben, wenn der Arm ihre Anheftestelle passiert hat, und strecken sıch dann sofort wieder nach vorn. Die verschie- denen Füßchen arbeiten unabhängig voneinander — während einige sich lösen oder ausstrecken, heften sich andere fest. In gleicher Weise verhalten sich auch die Füßchen derjenigen Arme, die passiv nachgeschleppt werden. Es ist natürlich nicht ganz ausgeschlossen, dass die vorgestreckten und haftenden Füßchen durch Kontraktion ein wenig zur Fortbewegung des Körpers mitwirken können, bei näherem Studium zeigt sich jedoch bald, dass diese wenigstens hauptsächlich durch Biegungen der Arme geschieht, während die Füßchen wesentlich nur Anheftungsmittel sind. Nähere Angaben über die Schnelligkeit, mit der sich Ophio- coma auf einer vertikalen Glasscheibe bewegen kann, kann ich nicht machen, die Bewegungsgeschwindigkeit übertrifft jedoch jedenfalls die der Echinodermen, wo das Klettern nur durch die Tätigkeit der Füßchen zustande kommt, um mehr als das doppelte. Zweifellos enthält die Klasse der Ophiuroideen nicht allein die schnellsten Läufer (vergl. Romanes und Ewart 1882, S. 841), sondern auch die schnellsten Kletterer unter allen Echinodermen. Es war natürlich nicht zu erwarten, dass Ophiocoma nigra von allen Ophiuroideen die einzige sein sollte, die die Fähigkeit besitzt, ihre Füßchen an glatte Gegenstände zu heften. Schon vor längerer Zeit machte ich an konserviertem Material die Beobachtung, dass andere Ophiocoma-Arten kräftig entwickelte Füßchen haben — wahr- scheinlich können sie dieselben auch ın derselben Weise wie O, nigra anwenden. Allein erst bei einem Besuch der biologischen Station in Drontherim ım Jahre 1902 bemerkte ich zufälligerweise, dass auch verschiedene andere unserer nordischen Ophiuroideen auf glatten Glasscheiben klettern können, indem sie sich mit ihren Füßchen an denselben festhalten. Die von mir hier beobachteten Arten sind Amphiura chiajei Forb., Ophiopholis aculeata (L.) und Opkiura albida Forb. Von diesen haben die beiden ersteren die Füßchen zahlreich und wohl ent- wickelt, wenn auch kleiner als bei Ophöocoma. Bei Ophiura sind dagegen nur die Füßchen des inneren Drittels der Radıen gut ent- wickelt, und auch diese sind zugespitzt. Aber auch bei dieser Art fehlt den Füßchen nicht ganz die Fähigkeit der Anheftung an glatte (Gegenstände, weshalb das Tier eine, freilich sehr geringe Kletter- fähigkeit besitzt. Amphiura und Ophiopholis klettern gut, wenn auch nicht so gewandt wie Ophiocoma nigra. Die kleineren Abweichungen, die sie in ihren Bewegungen darbieten, interessieren uns hier nicht. Yop%k >06 564 Östergren, Über die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. Hiermit ist festgestellt, dass die Füßchen bei Repräsentanten verschiedener Familien unter den Ophiuroideen die Fähigkeit be- sitzen, sich an glatte Gegenstände festzusaugen, und dass diese Tiere infolgedessen auf vertikalen Glasscheiben klettern können. Bei einer gründlicheren Untersuchung wird sich sicher zeigen, dass diese Bigenschaft zahlreichen, vielleicht den meisten Ophiuroideen zukommt. Wenn auch den Füßchen vieler oder möglicherweise den meisten Arten die Anheftungsfähigkeit abgehen sollte, so sind die Füßchen, wenigstens meistenteils, auch bei diesen doch nicht ganz ohne Bedeutung für die Lokomotion. Was Grave von Ophiura brevispina sagt (S. 0. S. 560), gilt zweifellos für die Ophiuroideen im allgemeinen. Wenigstens sind bei allen den Arten, die ich Ge- legenheit zu beobachten hatte, auch die Füßchen beim Kriechen in Tätigkeit gewesen. Ihre Bedeutung für diese Form der Loko- motion dürfte jedoch im großen Ganzen eine geringere sein, als die der Stacheln, und bei den Astrophytiden können sie meiner An- sicht nach kaum noch eine lokomotorische Rolle haben. Die langen, stark einrollbaren, gewöhnlich reich verästelten Arme dieser Tiere sind ausgezeichnete Greiforgane, die auch im Wasser umhertreibende Organismen fangen können !), sie besorgen aber außerdem die An- klammerung des Körpers und die Fortbewegung auf Hornkorallen u. dergl., wo diese Tiere sich gewöhnlich aufhalten. Dass die Füßchen auch bei denjenigen Arten, wo sie keine nennenswerte Bedeutung für die Lokomotion haben können, gleich- wohl, wenigstens einige, wohl entwickelt sind, sagt uns natürlich, dass diese Organe auch andere Aufgaben haben. In bezug hierauf kann ich mich vollständig Lang und Hamann anschließen, die sie als Atmungs- und Sinnesorgane bezeichnen. Was die letztere Angabe betrifft, möchte ıch hier darauf aufmerksam machen, dass die Sinnesknospen, die Hamann (1900--1901, S. 818) bei Ophöothrix fragilis (Abildg.) erwähnt, noch stärker entwickelt bei Ophiopholis aculeata vorkommen, wo sıe an den Füßchen dicht gestellte, fast stachelförmige Papillen bilden, deren Länge kaum geringer als der Diameter des dünnen, ausgestreckten Füßchens ist. Die sensorischen und respiratorischen Funktionen der Füßchen sind bei den Schlangensternen zweifellos in vielen Fällen viel wich- tiger als die lokomotorische. Die letztere dürfte jedoch in dieser 1) Wenn Hamann (1900— 1901, S. 889) sagt, dass die Schlangensterne sich u.a. von „der Rinde der Hornkorallen“ ernähren, so dürfte er wahrscheinlich die Astro- phytiden meinen. Ich habe meinesteils desgleichen nicht beobachtet, habe aber dagegen im Magen dieser Tiere z. B. Appendicularien gefunden. Dass die Astro- phytiden auf Muriceiden, Gorgoniden und Pennatuliden vorkommen, lässt sich leicht daraus erklären, dass sie hier die vortrefflichsten Plätze für den Planktonfang -finden. Östergren, Uber die Funktion der Füßchen bei den Schlangensternen. 565 Klasse als primär zu betrachten sein und darf keineswegs unbe- rücksichtigt bleiben. Auch bei den Füßchen der Asteroideen sind diese verschiedenen Aufgaben vereint. Der von Lang behauptete prinzipielle Unterschied in der Funktion der Füßchen zwischen Schlangensternen und eigentlichen Seesternen existiert nicht. Dieses Faktum erleichtert die Veremigung dieser beiden Tiergruppen als zwei Unterklassen einer Klasse, wofür bekanntlich mehrere Gründe anzuführen sind (vergl. z. B. Gregory, 1900, 5. 238). Die Füßchen fungieren zwar, wie schon angegeben, beim Klettern bei Ophriocoma nigra ganz anders als beispielsweise bei einer Asterias, man kennt aber selbst unter den Asteroideen Arten, die betreffs der Funktionsweise der Füßchen von Asterias bedeutend abweichen (vergl. Preyer, 1886—1887, S. 86). Bei weiteren Untersuchungen wird man zweifellos in beiden Abteilungen Formen finden, die, auch was die Lokomotion betrifft, den Über- gang vermitteln. Einerseits scheint es mir wahrscheinlich, dass die schmalen, von der Scheibe scharf abgesetzten Arme der Bri- singiden unter den Asteroideen durch selbständige Bewegungen beim Kriechen mitwirken, anderseits ist anzunehmen, dass die Füßchen bei Ophiuroideen mit beinahe verkümmerten Armen (vergl. Chun 1900, S. 488) bei der Fortbewegung des Körpers einen aktıveren Anteil nehmen müssen. Nach dem uns bisher Bekanntem müssten die Schlangensterne sonst betreffs der Funktion der Füßchen mit emer ganz anderen Klasse unter den Echinodermen, nämlich den Seewalzen, am nächsten übereinstimmen. Denn wie ich anderen Orts ausführlicher nach- weisen werde, ist auch bei den Seewalzen die lokomotorische Funktion der Füßchen einzig die, dass sie Anheftungs- oder Stütz- punkte abgeben, während die Ortsveränderung durch Bewegungen des Körpers selbst zustande kommt, obschon diese Bewegungen natürlich infolge der Körperform der Seewalzen ganz verschieden von denen der Schlangensterne sind. Literatur. Chun, ©. Aus den Tiefen des Weltmeeres. Jena 1900. 3 Delage, Y. et H&rouard, E. Tirait@ de Zoologie concrete. T. III. Les Echino- dermes. Paris 1905. Grave, ©. Ophiura brevispina. Mem. Ac. Washington, VIII, 1599. Gregory, J. W. The Stelleroidea. Ray-Lankester, A Treatise on Zoology, Pt. III, Echinoderma. London 1900. Hamann, OÖ. Die Schlangensterme. Bronn’s Klassen und Ordn. des Tierreichs, II. Bd., 3. Abt., 1900—1901. Lang, A. Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Tiere, 4. Teil, Jena 1894. Preyer, W. Über die Bewegungen der Seesterne. Mitteil. zoolog. Stat. Neapel, VII. Bd., 1886-1887. Romanes, G. J. and Ewart, J. ©. Observations on the Locomotor System of Echinodermata. Trans. R. Soc. London, Vol. 172, 1582, 566 Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. Über Koprolithen und Enterolithen. Von Prof. Dr. Hoernes, Graz. Die eben erschienene, sehr interessante Abhandlung von L. Neumayer (1) über spiralgebaute Koprolithen aus dem Perm von Texas, welche wohl mit Recht stegocephalen Amphibien (Eryops und Diplocaulus) zugeschrieben werden, gibt mir Veran- lassung, auf ein Thema zurückzukommen, welches von Zoologen und Paläontologen nur gelegentlich gestreift, aber doch etwas ein- gehender behandelt wurde, als Neumayer meint. An semem Untersuchungsmateriale unterscheidet Neumayer zunächst zwei verschiedene Typen von Koprolithen: solche, bei welchen die Spiraltouren gegen einen Pol sich konzentrieren, so dass die andere Hälfte oder wenigstens ein Drittel des Koprolithen glatt bleibt, und solche, bei welchen die spiralen Windungen in gleicher Distanz von einem Pol zum anderen ziehen. Dem ersten Typus, welchen er den heteropolaren nennt, gehören ausnahmslos alle größeren Koprolithen aus Texas, welche von Eryops herrühren sollen und ein einziges kleineres Stück, welches vielleicht von einer jugendlichen Eryops-Form herrührt, an; während der zweite, amphipolare Typus die kleineren Koprolithen umfasst, welche Diplocaulus zugeschrieben werden. An Querschliffen und an teil- weise abgeblätterten Exemplaren zeigt Neumayer, dass die cha- rakteristische spiralige Oberflächenstruktur auch ım lamellären Bau der mächtigeren Rindenpartie Ausdruck findet, während im Inneren eine kleinere, homogene Kernzone vorhanden ist. Die Möglichkeit, dass es sich um Harnsteine handele, als welche Leydig (2) und Duvernoy (3) manche Koprolithen betrachteten, wird nach Neu- mayer durch die charakteristische Oberflächenstruktur und die Ein- lagerung von Nahrungsresten ausgeschlossen, er hat deshalb auf eine chemische Analyse, wie sie C. E. G. Bertrand (4) bei den von ihm untersuchten Koprolithen von Bernissart anführt, verzichtet und legt größeres Gewicht auf Dünnschliffe durch texaner Kopro- lithen. Es finden sich in denselben Einlagerungen organischer Natur, welche in allem mit dem Bau des spongiösen Knochens übereinstimmen. Fraglich ıst nur, ob die Knochenreste, in welchen Neumayer Primitivröhrchen und Knochenkörperchen, Markräume sowie Gefäßkanäle oder Haver’sche Kanäle nachwies (s. die Fig. 13 seiner Tafel), mit der Nahrung im den Körper eingeführt wurden oder sekundär in den Koprolithen gelangten, vielleicht sogar Skelett- teile des Tieres selbst sind. Neumayer verweist bezüglich der letzteren Möglichkeit auf die Untersuchungen von Agassız (5), nach welchen Ganoiden mit in der Leibeshöhle befindlichen Kopro- lithen gefunden wurden, wonach vielleicht auch anlıegende Skelett- teile in den Darminhalt hineingepresst werden konnten. Ebenso liege aber auch die Möglichkeit vor, dass nach Ablagerung des Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. 567 Kotes frei herumliegende Knochenreste auf und m die Fäces ge- langen konnten. Fig. 12 der Tafel Neumayer’s zeigt mehrere Einlagerungen auf der Oberfläche eines Koprolithen aus Texas, welche offenbar Skeletteile darstellen und eines derselben ist als Femur von Pariotichus zu erkennen. Nach der Meinung Neu- mayer’s, welcher ich in diesem Punkte vollkommen beipflichten möchte, wäre es allein auf Grund dieses Befundes unmöglich, sich für oder wider die Koprolithennatur dieser Fossilien zu entscheiden. Wichtiger wäre der Nachweis, dass sich in einigen der Koprolithen Gewebsreste — von der Darmwand herrührend — nachweisen ließen. Dadurch wäre die Frage entschieden, ob die freiliegend gefundenen Koprolithen insgesamt als Fäces zu betrachten seien oder ob sich unter denselben auch Stücke fänden, welche den ganzen fossilisierten Darmkanal mit seinem Inhalt darstellen. Im Querschnitt der von ıhm untersuchten Koprolithen aus Texas (s. Fig. 4 der Tafel bei Neumayer) unterscheidet er im peripherischen Teil abwechselnde weiße und braunrote Lamellen, Die ersteren sind etwa !/, mm breit, die dunkleren Schichten messen meist nur Y/, bis !/; mm. Im Vergleich mit dem von ıhm unter- suchten spiralgebauten Darm von Ceratodus, welche im Querschnitt die grau erscheinende Darmwand zeigt, zwischen deren Blättern der dunkle bis braunschwarze Darmimhalt eingelagert ist, während eine homogene braunschwarz gefärbte Kernzone (Milz) die Mitte einnimmt, findet nın Neumayer, dass die dunkler gefärbten Ringe des Koprolithenquerschliffes dem Darminhalt, die helleren der fossı- lisierten Darmwand entsprechen und gelangt daher zu der (übrigens wie wir unten sehen werden, keineswegs neuen) Ansicht, dass die Mehrzahl der Koprolithen nicht als Fäces, sondern als fossilisierter Darmkanal anzusprechen sei. Mit Recht macht er den von ıhm als „heteropolar“ bezeichneten Typus der fraglichen Körper als beweisend für diese Ansicht geltend: „Wären die heteropolaren Formen von den Tieren ausgeschiedener und dann fossilisierter Darminhalt, dann wäre schwer einzusehen, warum sich gerade an einem Pol der Eindruck des spiralig gebauten Darmes in so präg- nanter Weise erhalten haben sollte, und um einen solchen kann es sich bei der ın so typischer Weise wiederkehrenden Zeichnung nur handeln. Es müsste dann beim Durchgleiten durch die spiralig aufgebaute Darmwand der Darminhalt überall dieselbe Oberflächen- zeichnung eingedrückt bekommen haben, d. h. er müsste über seine Oberfläche hin die eng aufeinanderfolgenden Spiralen zeigen, ähn- lich wie die amphipolaren Formen, oder, falls das Ende des Mittel- darmes und etwa auch der Enddarm in einer langgezogenen Tour auslief, den Abdruck nur dieser über die Oberfläche des ganzen Koprolithen hin.“ Neumayer erwähnt dann die bisherigen Schilderungen ähn- 568 Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. licher spiralgebauter Koprolithen durch L. Agassiz (5), A. Gau- dry (6) und L. v. Ammon (7). Die von Gaudry aus dem Perm von Autun geschilderten Koprolithen sind spindelförmig, heteropolar mit 7—8 Spiraltouren, jene, welche von Ammon aus der deutschen Dyas, den unteren Cuseler Schichten von Wolfstein aus der Pfalz und aus dem Kalkkohlenflötz bei Hundheim am Glan beschreibt, sind ebenfalls heteropolar, zeichnen sich aber durch geringe Anzahl und große Höhe der Windungen aus, sie sollen von Selerocephalus herrühren, während die Koprolithen von Autun der Gattung Actino- don zugeschrieben werden. Zweifellos ist die durch Neumayer begründete Unterscheidung heteropolarer und amphipolarer Formen unter den von Stegocephalen herrührenden Koprolithen von großer Bedeutung. Darauf weist auch der Umstand hin, dass Eryops Cope aus Texas, Actinodon Gaudry aus Frankreich und Selero- cephahıs Goldf. aus der deutschen Dyas insgesamt zur Gruppe der Temnospondyli gehören, während Diplocaulus Cope ein Re- präsentant der Lepospondyli ist. Die Koprolithen von Diplocaulus aber sind amphipolar -- jene, welche den Gattungen Eryops, ‚Aetinodon und Sclerocephalus zugeschrieben werden, heteropolar. Immerhin wäre der Schluss, dass alle Koprolithen der Temnospon- dyli heteropolar, jene der ZLepospondyli aber amphipolar seien, des- halb gewagt, weil doch bis nun noch zu wenig Material untersucht werden konnte. Über die von Agassiz geschilderten Fisch-Koprolithen sagt Neumayer: „Die von L. Agassız beschriebenen Formen gehören zumeist dem amphipolaren Typus an, d. h. die die Koprolithen um- kreisenden Impressionen erstrecken sich von einem Pol bis zum andern. Bei einigen bleibt jedoch der eine Pol frei, doch ist m diesen Fällen schwer aus den Abbildungen allein zu entnehmen, ob es sich hier um Zufälligkeiten im Erhaltungszustand oder um eine charakteristische Formeigentümlichkeit handelt. Nach A gassiz’s Angaben stammen diese Koprolithen von Knochenfischen — Macro- poma Mantelli Agass. — und er gibt mit Recht an: „Us ressem- blent en general A ceux des Sauriens et sont parfois contournes de la möme maniere.“ Hier wäre nun, abgesehen davon, dass spiralgebaute Koprolithen bei Sauriern zu den Seltenheiten gehören — auf ihr Vorkommen bei Iechthyosaurus kommen wir noch zu- rück —, zunächst zu bemerken, dass Maeropoma (zu der Ganoiden- ordnung der Urossopterygier or, ziemlich häufig in der mittleren und er Kreide von England, Frankreich, Norddeutschland und Böhmen vorkommt, dass he problematischen tannenzapfenartigen Körper, welche diesen Fischen als Koprolithen zugeschrieben wer- den, noch häufiger sind als die Abdrücke der Tiere selbst und dass sie nicht selten auch ım Bauche der Tiere in situ gefunden wur- den. Nun hat A. E, Reuss eine größere Anzahl dieser Kopro- Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. 569 lithen aus der oberen Kreide Böhmens untersucht und zur Abbil- dung gebracht (8) und dabei auch auf ganz ähnliche, aber größere Körper aus dem kohligen Schiefer des Rotliegenden von Hohenelbe im Bunzlauer Kreise hingewiesen. Von den letzteren 2-—-3,5” Länge erreichenden Körpern sagt Reuss: „Sie sind denen von Macropoma Mantelli zum Verwechseln ähnlich; nur zeigt ihre Oberfläche noch zahlreichere und sich vielfach verästelnde Gefäßeindrücke. Sie stammen vielleicht von einer großen, gefräßigen Pygopterus-Art ab“). Über die Macropoma-Kropolithen aus dem Pläner bemerkt er, dass ihr dem spitzen Ende zunächst gelegenes Dritteil keine Spirallinien zeige, wohl aber längere und tiefere, von der Spitze ausstrahlende Furchen, es gehören also auch diese Koprolithen dem heteropolaren Typus Neumayer’s an. Reuss macht bereits hinsichtlich des Querdurchschnittes der von ihm untersuchten Kopro- lithen darauf aufmerksam, dass ıhr kleiner dunkler Kern von ab- wechselnd lichten und dunkelbraunen Zonen umgeben wurde (a. a. O. S. 11 der ersten Abteilung), er teilt auch (S. 103 der zweiten Ab- teilung) eine Analyse der Koprolithen des Pläners von Kosititz durch Professor Redtenbacher mit, nach welcher dieselben über 50°/,, phosphorsauren Kalk enthalten?). Später hat Anton Fritsch in seiner Abhandlung über Reptilien und Fische der böhmischen Kreide (9), welche leider ebenso wie die eben erwähnte Reuss’sche Monographie der böhmischen Kreideversteinerungen Neumayer unbekannt geblieben ist, bereits die Frage erörtert, ob die sogen. Koprolithen in der Tat als Fäces oder nicht vielmehr als fossi- lisierter Darm zu bezeichnen sind. Er sagt (a. a. O0. S. 58) bei Be- sprechung von Oxyrhina Mantelli: „Koprolithen erhielten sich be- sonders in den mergeligen Lagern, so fand ich dieselben bereits in den Semitzer Mergeln in Tuchoritz. Der Pläner des Weißen Berges liefert auch gut erhaltene Hohlräume mit Andeutung der Falten des Spiralklappendarmes. Ein Exemplar aus dem Pläner von Schlan besitzt auch noch Teile des übrigen Darmes angedeutet, was mich in der Annahme bestärkte, dass die Koprolithen nicht eme Lösung waren, sondern ein jeder Koprolith dem ver- steinerten Enddarme mit dem Spiralklappenapparate ent- spricht und dass von einem Individuum eines Fisches immer nur ein Koprolith sich erhalten konnte.“ Diese Bemerkung bezieht sich zunächst auf die zu Oxyrhina, also zu Haien gerechnete Koprolithen, es konnte Fritsch aber auch bei Macropoma speciosum Reuss, und zwar bei dem von ıhm unter C angeführten Exem- 1) Vergl. auch H. Girard: Koprolithen a. d. Kohlengebirge von Hohlenelbe, Neues Jahrbuch 1843, S. 757. 2) Neuerliche Analysen von Fischkoprolithen aus der böhmischen Kreide hat Hoffmann durchgeführt. Arch. f, d. naturw, Landesdurchforschung von Böhmen, Bd. I, V. Abt. > 570 Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. plare den Koprolithen in situ unter der Schwimmblase feststellen (a. a. OÖ. S. 27 und 30) — Fritsch gibt auch in Tafel III eine Restauration des Skelettes von Macropoma speciosum, in welcher die Schwimmblase wie der Spiralklappendarm eingezeichnet ist). In seinem großen Werke über die Fauna der böhmischen Gaskohle (10) beschreibt Fritsch zahlreiche heteropolare „Koprolithen“ von Fischen, und zwar sowohl von Selachiern als von Ganoiden. Zu den ersteren gehören die Gattungen Pleuracanthus Ag. und Xena- canthus Beyr. Bei Schilderung von Pleuracanthus parallelus Fritsch bemerkt der Autor (a. a. ©. S. 135): „Von den Weichgebilden der Bauchhöhle erhielt sich der mit kalkiger Kotmasse erfüllte Spiral- klappendarm, der gewöhnlich als Koprolith angeführt wird. Er ist von birnförmiger Gestalt, hat ein vorderes spitzes Ende und ein abgestumpftes hinteres. Eine große äußere Windung und zwei schmale innere sind an der Oberfläche der Länge nach gefaltet. Dass dieses Gebilde mit dem stumpfen Ende nach hinten gelagert war, das werden wir weiter unten bei Xenacanthus kennen lernen und es geht dies auch aus dem Vergleich mit dem entsprechenden Organe bei Heptanchus hervor. Aus diesem Spiralklappendarme geht die Lösung als kalkiger Brei nach und nach in das Wasser und es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, dass diese Fische wieder- holt feste sogen. Koprolithen von Gestalt des Spiralklappendarmes von sich gegeben haben.“ Und bei Diskussion der Organisation von Xenacanthus (a.a.O.S.32) sagt Fritsch: „Was man gewöhn- lich Koprolith nennt, ist der mit Kotmasse angefüllte Spiralklappen- darm und nicht etwa ein Körper, welcher wiederholt von dem Fische als Lösung abgelegt worden wäre. Man findet ıhn bei Xenacanthus ın der Nähe des Skelettes, aber nur in zwei Fällen sehen wir ihn an unseren Exemplaren „en place“, d.h. ın natür- licher unverschobener Lage. Derselbe hat eine birnförmige Ge- stalt und war mit dem stumpfen Ende nach hinten gelagert und ein Vergleich mit dem entsprechenden Teile bei Heptanchus be- stätigte, dass dies die richtige Lage sei. Auf Taf. 98 Fig. 1 lässt sich sowohl vorne eine undeutliche Fortsetzung ın den Dünndarm als auch hinten in einen kurzen Enddarm wahrnehmen. Es liegt der Spiralklappendarm zwischen den beiden Basalteilen der Bauch- flosse.* Auch von Ganoiden schildert Fritsch mehrere Beispiele von Spiralklappendärmen, welche entweder neben dem betreffenden Fisch- rest oder selbst noch im sıtu im Körper angetroffen werden. Be- merkenswert ist die Größe der „Koprolithen* der Gattung Am- blypterus Ag. Bei Beschreibung von Amblypterus (Palaeontscus) Rohani Heckel sagt Fritsch (a. a. O.S. 108): „Unter dem Taf. 123 abgebildeten Exemplare liegt, aus dem Körper herausgedrückt, der voluminöse Spiralklappendarm, der wohl ebenso wıe ‚bei den re- Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. 571 zenten Lurchfischen fast die ganze Bauchhöhle eingenommen hat. Bei dem von Heckel Taf. I abgebildeten Exemplare liegt der große Spiralklappendarm noch im Körper. Derselbe zeigt nur 5 Windungen, von denen die letzte ?/, Gesamtlänge des Organs einnimmt und die Oberfläche trägt die Abdrücke von welligen Längsfalten.“ Bei Besprechung von Amblypterus (Palaeoniscus) luridus Heckel wird (S. 109) bemerkt: „Neben dem Exemplar Heckel’s liegt ein Spiralklappendarm, der einen ganz anderen Bau zeigt als der bei A. Rohani Taf. 123 abgebildete, denn er hat 8 schmale Windungen, welche die vordere Hälfte des Organs ein- nehmen (Textfigur Nr. 303). Die Breite verhält sich zur Länge wie 1 zu 2. Leider ist die Zugehörigkeit des Koprolithen zu dem daneben liegenden Fisch nicht sicher nachweisbar. Es mag aber hier aufmerksam gemacht werden, dass vielleicht im Bau dieses Organs auch ein Hilfsmittel zur Artunterscheidung zu finden sein wird.“ Ich glaube, dass den hier angeführten Ausführungen Fritsch’s vollkommen beizustimmen ist. Dann aber wird es zweckmäßig sein, die Bezeichnung „Koprolith“ für die fossilen Spiralklappendärme fallen zu lassen, da diese Bezeichnung eigentlich nur für die fossilen Fäces zu gebrauchen wäre, also beispielsweise für das durch Buck- land geschilderte fossile „album graeeum“*“ der Hyaena spelaea der Kirkdaler Höhle (11), während für den fossilen Spiralklappendarm der Stegocephalen, Selachier und Ganoiden die Bezeichnung „En- terolith“ vorzuziehen wäre. Von Stegocephalen sind sowohl Koprolithen im eigentlichen Sinne als Enterolithen bekannt. Als letztere haben wir die durch Gaudry, Ammon und Neumayer geschilderten, oben betrach- teten Reste kennen gelernt. Koprolithen sensu stricto, welche von Stegocephalen herrühren, hat H. Öredner aus dem sächsischen Rotliegenden geschildert (12). Er sagt von den als Urvierfüßler (Eotetrapoda) bezeichneten Stegocephalen: „Über die Art ihrer tierischen Beute geben uns veremzelt vorkommende Koprolithen Aufschluss. Dieselben besitzen nicht die Gestalt länglich ovaler fester Ballen, wie z. B. diejenigen der Ichthyosaurier, sondern sind jedenfalls aus weniger konsistenten Entleerungen hervorgegangen und haben sich infolgedessen mehr fadenartig auf dem Kalkschlamme ausgebreitet, so dass sie jetzt als rundliche, aber unregelmäßig umrandete Flecken auf den Schichtflächen des Kalksteines zum Vorschein kommen. Schon mit bloßem Auge erkennt man, dass sie sich wesentlich aus Knochenfragmenten zusammensetzen, zwischen welchen einzelne unversehrte Skelettelemente, so Phalangen und Wirbelhülsen kleiner Stegocephalen stecken. Bei Anwendung von Lupe und Mikroskop ergibt sich, dass auch fast die gesamte Grund- masse dieser Exkremente aus minimalen Zerkleinerungsprodukten 572 Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. von Stegocephalen-Skeletteilen besteht. Nach Auslaugung derselben mit Salzsäure bleibt ein schwammig-löcheriges, eisenschüssiges Resi- duum zurück. Diese Befunde beweisen, dass die Nahrung der größeren Schuppenlurche ausschließlich aus kleineren Individuen ihrer Verwandtschaft bestanden hat.“ Mit dieser Schilderung stimmt die oben zitierte Ausführung Fritsch’s, nach welcher die Lösung aus dem Spiralklappendarme als kalkiger Brei ausgeschie- den wird, recht gut überein. Auch für die stets als Fäces betrachteten, zuweilen noch inner- halb des Leibes in situ, meist aber und oft im bedeutende Menge isoliert gefundenen sogenannten Koprolithen von Ichthyosaurus wird wohl anzunehmen sein, dass sie als Enterolithen anzusehen sind. In den Hand- und Lehrbüchern der Paläontologie älteren und jüngeren Datums, in den Werken von Felix Bernard (13), H. G. Bronn (14), F. A. Quenstedt (15), G. Steinmann (16), Carl Vogt (17), K. A. Zittel (18) finden wir die „Koprolithen“ von Ichthyosaurus stets als Exkremente bezeichnet, allerdings be- merken manche Autoren ausdrücklich, dass die „Koprolithen“ zuweilen noch im Leibe des Tieres, meist aber und oft in außer- ordentlich großer Menge für sich angetroffen worden. In Glou- cestershire soll nahe der Basis des Lias über die Hälfte der Masse einer Schicht von einigen Zollen Dicke und mehreren Meilen Erstreckung lediglich aus solchen Koprolithen bestehen. Solche Vorkommnisse scheinen allerdings eher mit der landläufigen Mei- nung vereinbar, dass es sich um Exkremente handle. Buckland und Marie Anning haben aber bereits an vollständigen Skeletten von Jchthyosaurus beobachtet, dass ın der Eingeweidegegend der- artige Körper liegen, welche Buckland „Iehthyosaurocoprus“ nannte. Seine von Abbildungen begleitete Schilderung der „Koprolithen“ von Jchthyosaurus (Geol. Transact. b. Ill: Taf. 23—30) ist mir augenblicklich nicht zugänglich. Ich beschränke mich daher, Bronn’s Ausführungen zu zitieren, welche jedenfalls auf die Unter- suchung des englischen Materiales sich stützt. Er sagt (a. a. ©. S. 477) von den fraglichen Körpern: „Sie sind meistens von einer fraglichen Form, sehr länglichrund und zeigen etwa, wie der Stein- kern eines Fusus, am dickeren Ende 3—6 auf die Achse einge- schnittene und jeden vorhergehenden bis über die Hälfte seiner Höhe maskierende flache Umgänge, was auf eine spirale Klappe im Innern des Darmkanals deutet, wie sie bei vielen Knorpelfischen vorkommt. Sie sind hart, von muscheligem Bruch, enthalten Schuppen, Zähne, Gräten u.a. Knochen von Fischen (Dapedius u. a.) und selbst von kleineren Individuen ihrer eigenen Art, sehr häufig aber auch ringförmige Körperchen, welche entweder Wirbelkörper einer kleinen Fischart oder Körperringe aus den Saugnäpfchen sepienartiger Tiere sind. Ihre Farbe ist aschgrau bis schwarz ‚Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. HT: durch Beimengung eines sepienartigen Stoffes, welche von ver- schiedenen Oephalopoden herstammt, die ihnen zur Nahrung ge- dient haben (daher die Benennung Graecum nigrum Dillwyn).* In seinem klassischen Werke über den Jura Schwabens be- merkt Quenstedt (20): „Koprolithen, welche ın England so häufig von eiförmiger Gestalt und mit Spiralumgängen vorkommen, finden sich in Schwaben außerordentlich selten und nie mit Spiralwin- dung. Es sind meist daumendicke lange Zylinder, innen fahlbraun, außen mit einer schwarzen Färbung überzogen, wahrscheinlich von der Sepie des Magens herrührend. Solche Contenta des Darms und Magens liegt zuweilen auch zwischen den Rippen.“ Im Hand- buch der Petrefaktenkunde (15) aber sagt er bei der Schilderung der Ichthyosauren: „Koprolithen findet man in Deutschland nur selten mit ihnen, ın England desto häufiger (Hawkıns, Sea Dra- gous Tab. 29, 30): es sind etwa 3“ lange Knollen von kartoffel- artıger Form, deren deutlichste Exemplare sich spiralförmig winden, was an der hintern dickern Hälfte eine äußere Spirallinie zeigt. Es musste also am Ende wie beı Haifischen der Darmkanal spiral- förmige Umgänge haben (Buckl. Geol. and Miner. Tab. 15). Daraus wird dann weiter geschlossen, dass der Umfang der Lungen und des Magens so groß war, dass für den Darmkanal nur wenig Platz blieb, daher die Natur den Darmweg durch spirale Gänge ver- längerte.“ ; Wenn wir die Erfahrungen über die Lage der heteropolaren Enterolithen bei Fischen auf Ichthyosaurus anwenden dürfen, müssten wir die von Quenstedt als hintere Seite betrachtete breitere und spiralgefurchte als vordere annehmen. Es scheint mir kaum fraglich, dass wir zu dieser Annahme berechtigt sind. Schwieriger ist es, das Vorhandensein spiralgebauter Därme, welches in den charakteristischen Enterolithen von Selachiern, Ga- noiden, Stegocephalen und Ichthyopterygiern zum Ausdrucke kommt, richtig zu deuten, d. h. phylogenetisch zu verwerten. Die nahe Verwandtschaft der Stegocephalen, der Eotetrapoda*“, wie sie Gredner bezeichnend nennt, mit den Ganoiden wird zweifellos durch das Vorkommen eines übereinstimmend gestalteten Darmes bei Lurchfischen (Ceratodus) in weiteres Licht gebracht. Alle diese Formen haben höchstwahrscheinlich, wie sie auch sonst manche Eigentümlichkeiten gemein haben, den spiralgebauten Darm als Erbgut ihrer Ahnen aufzuweisen. Hinsichtlich der Ichthyopterygier aber ist es etwas zweifelhaft, ob die analoge Einrichtung ihres Darmes, die sich im ihren Enterolithen ausspricht, ein Erbgut ist oder nicht etwa ein später erworbenes Merkmal darstellt. Gerade bei einem Typus wie Ichthyosaurus, welcher so eigentümliche Örganisationsverhältnisse aufweist, die von manchen lediglich als Resultat hochgradiger Anpassung an das Wasserleben betrachtet 574 Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. werden, ıst doppelte Vorsicht hinsichtlich der Beurteilung gewisser Merkmale geboten. Gegenbaur leitet bekanntlich die Flossen- extremität des Zchthyosaurus unmittelbar von der Selachierflosse ab, während Baur in ıhr ein sekundäres Gebilde erkennen will, das lediglich durch spätere Anpassung aus der normalen Reptilien- extremität entstanden wäre. Es scheint mir aber sehr fraglich, ob alle die Merkmale, welche die Ichthyopterygier von den meisten übrigen Reptilien trennen, ın der Tat erst später erworben worden, und den hypothetischen Landbewohnern, welche G. Baur als ihre Ahnen annimmt, nicht eigen waren. Die Ichthyosaurier besitzen eine ganze Reihe von Eigentümlichkeiten, denen wir auch bei den Stegocephalen begegnen: Amphicöle Wirbel, zweiköpfige Rippen, überzählige Knochen des Kopfskelettes (Supratemporale und Post- orbitale), konische, gefaltete Zähne, welche einfach gebauten Zaby- rinthodon-Zähnen ähneln, ein T-förmiger Knochen im Brustgürtel, der vollkommen der mittleren Kehlbrustplatte der Stegocephalen entspricht (Episternum Cleven — Interelavieula Huxley), zu wel- chen Merkmalen noch die charakteristischen, spiralgebauten Entero- lithen hinzutreten. Auch das Vorhandensein eines spiralgebauten Darmes dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit als ein auf nahe Stammesverwandtschaft hinweisendes, gemeinsames Merkmal zu betrachten sein. Cope hat die Ichthyopterygier wegen der unvollständigen Differenzierung ıhrer Flossenelemente, Haeckel wegen der unbe- stimmten, die Normalzahl von 5 oft übersteigenden Zahl der Finger- reihen allen übrigen Reptilien gegenübergestellt. Vielleicht mit Recht. Denn der Umstand, dass triadische Ichthyopterygier (Mixosaurus Baur) etwas gestrecktere Vorderarmknochen aufweisen als Ichthyosaurus, kann allenfalls als Argument gegen die Gegen- baur’sche Ableitung der Ichthyosaurus-Finne von der Selachier- Fiosse geltend gemacht werden, beweist aber doch noch nicht, dass die Vorfahren der Ichthyopterygier normale, landbewohnende Rep- tilien gewesen sind. Einzelne der oben angeführten Eigentümlich- keiten, welche den Ichthyopterygiern und Stegocephalen gemeinsam sind, kehren allerdings bei gewissen Reptilien wieder, so die amphi- cölen Wirbel, das Postorbitale, das T-förmige Episternum. Sie finden sich bei den ZAhynchocephalia, also gerade bei jenen alter- tümlichen Formen, welche den Kotetrapoda ın vieler Hinsicht am nächsten stehen und mit ihnen durch die geologisch älteste Gruppe der Proterosauridae, vor allem durch Palaeohatteria Credner aus dem sächsischen Rotliegenden innig verknüpft werden. Von dem hier erörterten Gesichtspunkte aus ist der durch die heteropolaren Enterolithen bekundete spirale Bau des Ichthyo- saurier-Darmes deshalb von größerem Interesse, weil auch er auf eine nähere Verwandtschaft mit den Stegocephalen hinweist. Hoernes, Über Koprolithen und Enterolithen. DUO Schließlich möchte ich noch rechtfertigen, weshalb mir die Be- zeichnung „Enterolith* für die erörterten Körper, welche Versteine- rungen des Darmes und Darminhaltes darstellen, zweckmäßiger schien als die bereits ın die Literatur eingebürgerte „Kololithes* oder „Kolonites“. Als Kolon begreift die menschliche Anatomie einen bestimmten Abschnitt des Darmes, Enteron = intestinum aber bedeutet den Darm schlechtweg. Die umfassendere Bezeichnung „Enterolith“ schien mir an sich als zweckmäßiger. Sie ist aber auch wohl deshalb vorzuziehen, weil in der Literatur höchst zweifel- hafte Körper wie die sogen. Lumbricarien (Lambrieites Schloth.) des Solenhofener Schiefers als „Oololithen“ bezeichnet werden. Goldfuß, der sie ausführlich beschrieben hat (21), hielt sie für (Gordien oder Borlasien? oder für Sepien- und Ammoniten-Exkre- mente. Bronn für ausgespieene Därme von Holothurien (22) — später folgte Bronn teilweise der durch Agassız ausgesprochenen An- sicht, welche sich auf die Beobachtung der fraglichen Körper zwischen den Rippen vollständiger Skelette von Thrissops und Leptolepis gründete; weshalb Agassız sıe als fossile Fischgedärme ansah und als „Kololithen* bezeichnete (23) — eine Auffassung, welcher Graf Münster, der ähnliche Reste auch bei Oaturus an- traf, nur hinsichtlich der kürzeren Formen wie Lumbricaria colon und Z. recta beitrat (24), nicht aber hinsichtlich der wirr durch- einandergeschlungenen, oft bedeutende Länge erreichenden, wie Lumbricaria intestinum, zumal diese Lumbricarien gerade in den obersten jurasischen Schichten vorkommen, in welchen Fischreste mangeln. Bronn führt zwar Zumbricaria als fossile Eingeweide von Thrissops Ag. und Leptolepis Ag. an, macht aber auf die Ein- wände Münster’s aufmerksam und bezeichnet die dickeren, langen und durcheinander gekräuselten Lumbricarien als zweifelhaft. Zittel hält. die „eigentlichen Lumbricarien (L. intestinum, colon, recta und gordialis) für Exkremente von Anneliden. Sie schwanken in der Dicke zwischen der eines Federkieles und eines feinen Bindfadens, sind meist von ansehnlicher Länge, wirr durcheinandergeschlungen und bestehen aus einer lichtgrauen, spätigen Masse. Hinsichtlich der feinen, fadenförmigen, zu verwirrten Knäueln verschlungenen Gebilde (Lumbricaria filaric), welche aus einer weißen, kreidigen Substanz bestehen, macht Zittel auf die große Ähnlichkeit auf- merksam, welche sie mit gewissen Eingeweidewürmern besitzen (26). Nach wie vor müssen demnach die als „Cololithen“ bezeich- neten Körper als problematisch betrachtet werden und wäre es deshalb unzweckmäßig, den Agassız’schen Namen auf Dinge an- zuwenden, welche, wie bereits A. Fritsch gezeigt hat und L. Neu- mayer neuerdings begründete, zweifellos Versteinerungen des Darmes und Darminhaltes sind. 576 Hoernes, Über Koprolithen ınd Enterolithen.. DD wo [oo | > ne 25. 26 Literatur. Neumayer, L.: Die Koprolithen des Perms von Texas. Palaeontographica, 51. Bd., Stuttgart 1904, S. 121, Taf. XIV. . Leydig, F.: Koprolithen und Urolithen. Biologisches Centralblatt, Bd. 16, 1896, 8. 101. . Duvernoy, G. L.: Fragments sur les organes g@nito-urinaires des reptiles et leurs produits, M&m. pres. par. div. sav. & l’Academie des sciences T. 11, Paris 1851. . Bertrand, ©. E. G.: Les Coprolithes de Bernissart. M&m. d. Musde d’Hist. nat. de Belgique 1903. . Agassiz, L.: Recherches sur les poissons fossiles. T. II, Ganoides. Neuchätel 1833— 1843. . Gaudry, A.: L’Actinodon. Me&m. extrait d. Nouv. Archives du Muse. d’Hist. Nat. X, Paris 1887. . Ammon, L., v.: Die permischen Amphibien der Rheinpfalz, München 1889. . Reuss, A. E.: Die Versteinerungen der böhmischen Kreideformation, Stutt- gart 1845—1846. . Fritsch, A.: Die Reptilien und Fische der böhmischen Kreideformation, Prag 1878. — Fauna der Gaskohle und der Kalksteine der Permformation Böhmens, 3. Bd., Prag 1895. . Buckland, W.: Reliquiae Diluvianae, 2e ed. London 1824 (S. 20, Pl. X, Fig. 6). 2. Öredner, H.: Die Urvierfüßer (Eotetrapoda) des sächsischen Rotliegenden. Sonderabdruck aus der Naturw. Wochenschr., Berlin 1891 (8. 13). . Bernard, Felix: El&ments de Paleontologie, Paris 1895 (S. 779). . Bronn, H. G.: Lethaea geognostica, 3. Aufl., 2. Bd., Stuttgart 1851—1852 (8. 477). . Quenstedt, F. A.: Handbuch der Petrefaktenkunde, 3. Aufl., Tübüngen 1885 (S. 201). . Steinmann, G.: Elemente der Paläontologie, Leipzig 1890 (S. 642). . Vogt, Carl: Lehrbuch der Geologie und Petrefaktenkunde, 4. Aufl., Braun- schweig 1879, 1. Bd. (S. 560). . Zittel, K. A.: Handbuch der Paläontologie, 1. Abt. Paläontologie, 3. Bd., München u. Leipzig 1887—1890 (S. 453). . Zittel, K. A., v.: Grundzüge der Paläontologie, München und Leipzig 1895 (S. 650). . Quenstedt, F. A.: Der Jura, Tübingen 1858 (S. 221). . Goldfuß, G. A.: Petrefacta Germaniae I, 2221. . Bronn, H. G.: Jahrb. f. Mineralogie, Jahrg. 1830, S. 403; ebendas. Jahrg. 1833, 8. 106. . Agassiz, L.: Jahrb. f. Mineralogie, Jahrg. 1833, S. 676; — Poissons fossiles. Feuilleton S. 15. . Münster, G., Graf zu: N. Jahrb. f. Mineralogie, Jahrg. 1834, S. 541; — Jahrg. 1836, S. 582. Bronn, H. G.: Lethaea geognostica, 3. Aufl., 2. Bd., S. 458 u. 459. Zittel, K. A.: Handbuch der Paläontologie (Paläozoologie) 1., München u. Leipzig 1876—18S0, S. 570. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte au Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIV.Bd. 15. September 1904. .i#18 u. 19. Inhalt: Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. — Klebs, Über Probleme der Entwickelung (Schluss). — v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereo- logie. — v. Lendenfeld, Uber die deszendenztheoretische Bedeutung der Spongiosa. — Wesenberg, Studien über das Plankton der dänischen Seen (Studier over de Danske Söers Plankton). — Zacharias, Uber vertikale Wanderungen des Zooplanktons in den baltischen Seen. — Chwolson, Lehrbuch der Physik. — Cohnheim, Chemie der Eiweilskörper. Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie!). Von J. Reinke. Wenn ich der ehrenvollen Aufforderung gefolgt bin, vor dieser Versammlung einen Bericht zu erstatten über den Begriff des Neovitalismus, der gegenwärtig in der Wissenschaft von sich reden macht, so dürfte ein solcher Bericht fast zusammenfallen mit einer Rechenschafts-Ablage über meinen eigenen biologischen beziehungsweise naturphilosophischen Standpunkt, da ich häufig in der Tagesliteratur als Neovitalist bezeichnet werde. Ob mit Recht, ıst nicht zweifelsfrei, da über dasjenige, was Neovitalismus genannt wird, die Meinungen ziemlich weit auseinanderzugehen scheinen. Immerhin dürften meine Anschauungen von manchen Biologen der Gegenwart mehr weniger geteilt werden, und es darum nicht vermessen erscheinen, wenn ich der nachfolgenden Darstellung den eigenen Standpunkt zugrunde lege?). 1) Nachstehender Aufsatz bringt in etwas erweiterter Darstellung den Inhalt eines, auf dem internationalen Philosophen-Kongress in Genf (8. September 1904) gehaltenen Vortrags. 2) Unter den Zoologen gilt besonders Hans Driesch, unter den Medizinern Ottomar Rosenbach als Vertreter der neovitalistischen Richtung. REXUBV.. 37 578 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. Der alte Vitalısmus nahm in den Pflanzen und Tieren eine als Einheit gedachte Lebenskraft an, die im stande sein sollte, innerhalb des lebendigen Organısmus die chemisch-physikalischen, sagen wir kurz dıe energetischen oder mechanischen Naturkräfte auszuschalten und nach Bedarf wieder einzusetzen, was einer Unter- brechung des naturgesetzlichen Geschehens gleichkam. Diese Auf- fassung ist längst als unhaltbar erkannt worden. Demgegenüber stellt der Neovitalısmus den Grundsatz auf, dass alle Lebens- vorgänge absolut gesetzmäßig verlaufen, dass auch im Organismus die Kette der Kausalverknüpfung niemals und nirgends unter- brochen wird. Aber es ist ein zur Zeit nicht beweisbares Dogma, dass eine restlose Zurückführung der Lebensvorgänge auf energetische bezw. mechanische Kräfte möglich sei. Mechanisch und gesetzlich sind a priori nicht ıdentisch. Der Begriff des Mechanischen bezw. Energetischen ist der engere, der Begriff des Gesetzlichen der weitere. In aller Kürze lassen sich die beiden gegen wärtig mit einander ringenden Naturanschauungen dahin definieren: der Mechanis- mus behauptet, die Gesamtheit der Lebenserscheinungen muss sich ohne Rest mechanisch bezw. energetisch erklären lassen: dem neuen Vitalısmus erscheint dies ungewiss. Was der Mechanismus als Dogma verkündigt, ist dem Neovitalismus Problem. Ich halte es für eine der vornehmsten Aufgaben der Biologie, antıdogmatisch zu sein, und mit einem Minimum von Voraussetzungen auszukommen. Daneben ist in unseren wissenschaftlichen Vor- stellungen ein klares Bewusstsein von dem zu gewinnen, was hypo- thesenfrei und was hypothetisch ist. Endlich kann es keine andere als eine zeitgemäße Wissenschaft geben; d. h. wir können nur wissenschaftliche Wahrheiten nach Maßgabe unserer dermaligen Kenntnisse feststellen. Unsere heutigen biologischen Lehrsätze gelten nur unter dem Vorbehalt, dass sie in der Zukunft, vielleicht nach Jahrtausenden, werden abgeändert werden; umgekehrt halte ich es nicht für statthaft, zu prophezeien, dass, wenn wir heute noch nicht im stande sind, alle Lebensvorgänge mechanisch zu er- klären, dies einer fernen Zukunft zweifellos gelingen werde. Ich stimme mit Heinrich Hertz dahin überein, dass die Bio- logie in unserem Geiste ein Nachbild zu schaffen hat von den Vorgängen in der lebendigen Natur. Ich stimme auch mit Mach überein, dass jenes Nachbild ein möglichst ökonomisches, d. h. ein- faches, zu sein hat. Aber nur zeitgemäße Nachbilder sind zulässig; eine Retouche durch Hinweis auf Möglichkeiten der Zukunft halte ich für unerlaubt. Darum darf der Biologe auch nicht fragen: entspricht mein Standpunkt der herrschenden Schulmeinung? er darf nur fragen: was ist wahr? Freilich ergeben sich auf diese Frage als Antwort überwiegend nur zeitgemäße Wahrheiten, da unbedingte, mathe- Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 579 matisch demonstrierbare Wahrheiten als Ausdruck biologischer Tat- sachen nur einen Bruchteil des Inhaltes der Biologie bilden. Als wahr aber erscheint mir dasjenige, was ich nach dem dermaligen Standpunkte des wissenschaftlichen Erkennens glauben muss. Das heißt mit anderen Worten, die ich John Herschel!) entlehne: „Das einzige Merkmal der Wahrheit besteht ın ihrer Fähigkeit, die Probe allgemeiner Erfahrung auszuhalten.“ An dem von mir be- nutzten Worte „glauben“ nehme man keinen Anstoß! Denn schon in der Physik und der Chemie glauben wir sehr viel, weit mehr aber noch in der Biologie. Selbst unsere obersten Forschungs- grundsätze sind nicht frei von glauben, da wır alle mit Goethe bekennen: „Der Mensch muss bei dem Glauben verharren, dass das Unbegreifliche begreiflich sei — er würde sonst nicht forschen.“ Die Wissenschaft soll also der zeitgemäße Ausdruck unseres Wissens sein; das Ziel ist, uns Gewissheit zu verschaffen über den Zusammenhang der Erscheinungen. Wir gehen dabei immer von Tatsachen der Erfahrung aus. Unser Erkennen zeigt uns Gleiches und Verschiedenes, Ähnliches und Unähnliches, Deutliches und Undeutliches. Zwischen dem allen Beziehungen aufzufinden durch eine richtige Beurteilung ıst die allgemeine wissenschaftliche Auf- gabe. „Die Sache der Sinne,“ sagt Kant?), „ist anzuschauen; die des Verstandes, zu denken. Denken aber ist: Vorstellungen in einem Bewusstsein vereinigen. Die Vereinigung der Vorstellungen ım Bewusstsein ıst das Urteil. Also ıst denken soviel als urteilen.“ Urteil, nicht Vorurteil seı demnach die Losung. In der Bio- logie ist aber das mechanistische Dogma meines Erachtens den Vorurteilen zuzurechnen. Darauf gründet sich die Berechtigung des neuen Vitalismus. Es ıst interessant zu sehen, wie das Genie Kants von einer ähnlichen Naturauffassung durchdrungen war. In einer seiner frühesten Schriften, der 1755 erschienenen Naturgeschichte des Himmels, sagt er: Gebt mir Materie, ich will eine Welt daraus bauen (heißt soviel wie Sonnensystem). Aber zu sagen: gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Raupe oder ein Kraut er- zeugt werden kann, ist man außer stande. Und in seinem Schwanengesange, der 1790 veröffentlichten Kritik der Urteilskraft, erklärt ($ 75) derselbe Kant: „Es ist ganz gewiss, dass wir die organisierten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Prinzipien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können; und zwar so gewiss, dass man dreist sagen kann, es ist für den Menschen ungereimt, auch 1) J. F.W. Herschel, Uber das Studium der Naturwissenschaften. Deutsche Ausgabe, Göttingen 1836. S. 12. 2) Kant, Prolegomena $ 22. 580 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, dass noch dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde; sondern man muss diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen.“ Diese Ansicht hat also Kant unzweifelhaft sein ganzes Leben hindurch beherrscht. Diese Ansicht ist heute, obgleich uns von Kant die Ewigkeits-Sekunde eines Jahrhunderts trennt, noch so zeitgemäß wie damals; ıhr nähert sich das Bekenntnis des neuen Vitalismus, nur ist es vorsichtiger. Es ist hypothesenfrei, während der Mechanismus eine dogmatische Hypothese darstellt. — Dass ein Teil der Lebensvorgänge mechanisch erklärbar ist, ist eine sichere Tatsache der Erfahrung. Daraus folgt aber nicht, dass dies: von allen Lebenserscheinungen zu gelten habe. Es kann niemals a priori feststehen, dass im den Organismen nur mecha- nische Gesetze herrschen. Aber auch dem neuen Vitalismus gilt es als heuristisches Prinzip, als Forschungsgrundsatz ersten Ranges, soviel als möglich die Lebensvorgänge auf mechanisch er- klärbare Prozesse zurückzuführen. Wie es mechanische Kräfte gibt, die auf unsere Sinne nicht wirken, die aber Geschehnisse hervorrufen, welche wir wahrnehmen (z. B. den Magnetismus); so haben wir auch ein Recht, aus den Erschemungen der Lebensvorgänge uns ein Urteil darüber zu bilden, ob sie in den Bereich des mechanisch Erklärbaren fallen oder nicht. Für den neuen Vitalismus ist das Axiom von der Ge- setzlichkeit jeder Naturerscheinung Voraussetzung; Außer- gesetzliches und Ungesetzliches kann uns nur scheinbar entgegen- treten und bildet ein Problem, das seiner Zurückführung auf die Gesetzlichkeit des Naturlaufes harrt. „Darin besteht die Voll- kommenheit eines Gesetzes“, sagt J. Herschel, „dass es alle möglichen Zufälligkeiten einschließt — und von dieser Art sind die Naturgesetze*. Die Tatsachen der Erfahrung und deren Verknüpfung zu Ge- setzen bilden das Objekt der Untersuchungen des Naturforschers. Derselbe wird niemals sich die bekannte Lieblingsidee Kants an- eignen können, dass die Naturgesetze vom Verstande der Natur vorgeschrieben werden. Das mag anerkannt werden in bezug auf unsere Formulierung der Gesetze; allein wollte man jenen Satz Kants auf den gesetzmäßigen Zusammenhang der Tatsachen aus- dehnen, so würde damit Subjekt und Objekt der Erfahrung zu- sammenfließen. Doch ich darf der Versuchung nicht folgen, hier auf den Widerstreit der Erkenntnistheorien einzugehen; ich be- schränke mich darauf, dass ich den erkenntnistheoretischen Idealis- mus nicht für ausreichend halte, der Analyse unserer Erfahrungen gerecht zu werden. Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 581 Die Gesetzmäßigkeit der lebendigen Wesen tritt uns vor allem in der wunderbaren Ordnung und Harmonie ihrer Körper sowie in ihrer Anpassung an die Außenwelt entgegen. In jener Harmonie erkennt die neuere Biologie ein fundamentales Prinzip. Dies Prinzip der Harmonie bringt es mit sich, dass dem wissenschaftlichen Stu- dıum der Nachweis und die Konstruktion von Kausalbeziehungen zwischen den Lebenserscheinungen nicht genügen kann, sondern dass Finalbeziehungen hinzutreten müssen, wenn wir an eine Er- klärung, d. h. vollständige Beschreibung der Lebensvorgänge denken wollen). Derselbe einseitige und nach meiner Meinung auf die Spitze getriebene Kritizismus, welcher behauptet, die Naturgesetze würden von uns der Natur vorgeschrieben, erklärt, der Mensch trüge die Finalbeziehungen in die Natur hinein anstatt sie aus derselben ab- zulesen. Ganz abgesehen davon, dass dies bestritten werden kann, gewinnt der Mechanismus mit solcher Anschauung gar nichts, weil für den Kritizismus ein Gleiches von der Kausalıtät gilt, nämlich der Satz, dass wir erst die Kausalbeziehungen in die Natur hinein- konstruieren. So sagt Kant?): „Der Begriff der Ursache deutet ganz und gar keine den Dingen, sondern nur der Erfahrung an- hängende Bedingung an.“ Im Gegensatz hierzu erklärt J. Herschel (l. c. S. 203): „Die Ursachen können nicht willkürlich angenommen werden; sie müssen so beschaffen sein, dass wır gute induktive Gründe haben, an ihrer Existenz in der Natur und an ihre Wirksamkeit bei Erscheinungen zu glauben.“ „Wir nehmen z. B. ın der Theorie der Gravitation an, dass eine Kraft oder mechanische Gewalt auf jeden ın der Nähe eines anderen befindlichen Körper wirke; diese Kraft ıst eine reale Ursache.“ (senau wie mit der Kausalität verhält es sich mit der Finalıtät. Kurz und bündig erklärt Camille Flammarıion in seinem glän- zend geschriebenen Buche: Dieu dans la nature (S. 401) ın bezug auf die Behauptung, die Finalıtät werde erst vom Menschen in die Welt hineingetragen: „On retire ä Dieu la pensce de l’ordre et de ’harmonie pour en faire hommage ä l’esprit humain.“ Derselbe Autor begründet weiter den vollständigen erkenntnistheoretischen Parallelismus zwischen Finalität und Kausalıtät. Von der Finalıtät heißt es (S. 470), wir müssten einräumen, „que les organes des etres vıvants sont construits comme sı la cause, quelle quelle soit, qui les a formes, avaıt eu en vue la destination de ces organes a l’existence particuliere de chaque &tre aussi bien qu’ä llexistence 1) Die Finalität greift auch in das Gebiet des Anorganischen hinüber, worauf hier natürlich nicht eingegangen werden kann. 2) Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik $ 29. 582 teinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. generale de tous les &tres ensemble.“ Ganz entsprechend heißt es vom kausalen Mechanismus: „Pour expliquer les mouvements de la meöcanique celeste, on emet !’'hypothese, que les corps s’at- tirent en raison directe des masses et en raison inverse du carr6 des distances. Enoncer cette hypothese, c’est simplement dire, que les choses se passent comme sı les astres s’attiraient. Puis, cette hypothese explicant parfaitement tous les faits observ6s et rendant compte de toutes les circonstances du probleme, devient une theorie.“ Stellen wir aber nicht den Gegensatz auf zwischen Kausalität und Finalität im allgemeinen, oder zwischen kausaler und finaler Erklärung, sondern konstruieren wir, wie es vielfach geschieht, für die Organismen einen Gegensatz zwischen physiko-chemischen Kräften, die in ihnen tätig sind, und final wirkenden Kräften, so verschiebt sich das Verhältnis zu Ungunsten des Mechanismus. Finalbeziehungen können wir überall mit Sicherheit feststellen: wenn wir sagen, wozu das Auge, das Ohr, der Magen, die Zähne, ein Chlorophylikorn, eine Wurzel, ein Pollenkorn dienen, so ent- hüllen wir damit Finalbeziehungen. Wenn wir aber behaupten, dass alle Lebensvorgänge durch mechanische bezw. energetische Kräfte allein bewirkt werden, so tragen wir ganz zweifellos einen Wunsch in die Naturerklärung hinein, indem wir nicht beweisen können, was wir behaupten. Ja, man nenne mir nur Beispiele irgend eines Vorganges im Organismus, der vollständig und ohne Hypothesenrest chemisch oder physikalisch aufgeklärt ıst; man dürfte in einige Verlegenheit geraten. Während also den Mechanisten die Alleinherrschaft des Mecha- nısmus!) als Dogma gilt, machen die Neuvitalisten die mecha- nistische Untersuchung der Lebensvorgänge zum Forschungsprinzip, doch ohne zu erstaunen, wenn dies Prinzip sich zur Erklärung der Lebensvorgänge unzureichend erweist; und daneben anerkennen sie die objektive, reale Gültigkeit der Finalbeziehungen. Für die Gegenwart ergibt sich folgende Bilanz der Anschauungen. In den Organismen spielt sich eine Reihe rein physikalischer und rein chemischer Vorgänge ab, von denen das Leben abhängt; da- neben verfolgen wir aber den Ablauf anderer Erscheinungen, die wir mechanisch nicht analysieren können. Die Chemie schafft das Material, aus dem höhere, final wirkende Kräfte durch Vermittlung physikalischer Vorgänge den Organismus aufbauen. Wie die Her- stellung der schönsten Anilinfarben und die Handhabung des Pinsels durch die gewandteste Muskulatur noch kein Gemälde schafft, 1) Die Anwendung des Wortes Mechanismus auf das gesamte Kausal- getriebe der Natur dürfte auf Kant (vgl. dessen Krit. d. prakt. Vern.) zurück- zuführen sein. Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 585 sondern die geistige Kraft des Künstlers eingreifen muss, so ver- hält es sich in der Natur mit der Herstellung der einfachsten Zelle wie des kompliziertesten Organismus, des denkenden, fühlenden, wollenden Menschen. Die chemische Analyse ergibt, dass der Mensch aus Kohlen- stoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, Phosphor und mehreren Metallen besteht; die physikalische Analyse ergibt, dass verschiedene Energieformen im menschlichen Körper mechanische Arbeit verrichten. Aber ist es möglich, aus den Eigenschaften jener Elemente oder der tätigen Energien den Menschen abzuleiten mit seinen Sinnesorganen, seinen Verdauungs- und Atmungsorganen, senem Muskel- und Nervensystem, endlich seiner vom Lichte des Bewusstseins erhellten Fähigkeit zu denken und zu wollen? Ist das zweckmäßige Ineinandergreifen der Teile des Auges, des Ohrs, der Lunge u.s. w. aus den Eigenschaften der chemischen Elemente abzuleiten? Ist irgend eine jener verwickelten Harmonien chemisch oder physikalisch auch nur ihrer Möglichkeit nach zu erklären, bezw. zu konstruieren ? Man könnte sagen: nicht auf die chemischen Elemente kommt es an, sondern auf die Verbindungen. Wie Eiweiß, Kohle- hydrat, Fett, Lezithin u. s. w. etwas ganz anderes sind als die in ihnen enthaltenen Grundstoffe, so können die Verbindungen im Organismus durch ihre chemische und energetische Eigenart sich zu Krystallinsen, Netzhäuten, Cortischen Fasern, Kapillargefäßen zusammenfügen. Gewiss tun sie das; doch nicht durch Kräfte, die in ihnen selbst, in den Verbindungen als solchen liegen. Denn wenn wir jene Verbindungen als solche aufeinander wirken lassen, entsteht daraus noch lange kein Organ oder gar ein Organısmus. Die Finalität in der Wechselbeziehung der Teile eines Orga- nısmus ist durch die Eigenschaften der Materie nicht erklärbar; darum nannte sie auch Kant einen Fremdling in der Natur, wobei er unter letzterer die chemisch-physikalisch begreifbare, anorga- nische Natur verstand. Aber objektiv gegeben ist die Finalität der Tiere und Pflanzen dennoch; daran hat schon Voltaire, der doch unbefangen genug war, nicht einen Augenblick gezweifelt. Er sagte: „Affirmer, que l’eil n’est pas fait pour voir, nı l'oreille pour entendre, ni l’estomae pour digerer, n’est ce pas la plus revol- tante folie qui soit jamais tombce dans l’esprit humain ?!).“ Wohl unterschied Voltaire zwischen einer echten und falschen Teleo- logie, welch letztere die Zweckmäßigkeit auf den menschlichen Nutzen beziehe. So sei es vollkommen richtig, zu sagen, die Nasen dienten zur Empfindung der Gerüche, aber falsch, zu behaupten, 1) Zitiert nach Flammarion ]. ec. S. 431. 584 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. sie wären dazu da, um Brillen, die Füße und Hände, um Hand- schuhe und Stiefel zu tragen. Es verhält sich somit die Zweckmäßigkeit der Organismen wie die Zweckmäßigkeit menschlicher Kunstwerke, einer Maschine, eines Tonstücks, Gedichts, Gemäldes. Fragen wir: was ist der Zweck eines Gemäldes? so wird der wahre Künstler antworten: das Ge- mälde selbst, womit nicht ausgeschlossen wird, dass er mit seinem (remälde noch besondere Tendenzen verfolgte; was war der Zweck jedes Pinselstrichs? das Gemälde, bezw. eins seiner Abschnitte. Tragen wir nun, so frage ich hier, durch unsere Betrachtung die Finalıtät in die Pinselstriche hinein, oder ıst der Pinselstrich eines Künstlers selbst Träger einer solchen Finalität? Nach meiner früheren Ausführung brauche ich die Antwort darauf nicht noch- mals zu erteilen. Wenn wir somit anerkannt haben, dass diejenige Finalıität, wie sie die Organismen verkörpern, wohl ein Fremdling ın der rein physikalisch-chemischen Natur sei, so ist sie doch kein Fremdling in der lebenden Natur, und dadurch ist eine tiefe Kluft zwischen beiden Reihen gebildet. Drei vortreffliche Bücher haben in neuester Zeit die objektive Gültigkeit der Finalität für die lebende Natur nachgewiesen, das sind: Ehrhart’s Mechanismus und Teleologie, E. v. Hartmann’s Kategorienlehre, Cossmann’s Elemente der empirischen Teleologie. Es gestattet die Zeit nicht, auf diese Schriften hier näher einzu- gehen. Dagegen darf ich es mir nicht versagen, ın dem Jahre, in dem wir den hundertsten Geburtstag Kant’s gefeiert haben, der Anschauungen des großen Königsberger Philisophen hier zu ge- denken, da Anhänger wie Gegner der Annahme einer objektiv gültigen Finalıität sich auf Kant zu berufen pflegen. Schon hieraus ergibt sich, dass Kant’s Äußerungen zur Finalität der Organismen einer Interpretation bedürfen und fähig sind. Das ist nicht gut; und in der Tat sind Kant’s Lehren auf diesem Ge- biete nicht wenig widerspruchsvoll!). Kant, der die Begriffe des Mechanismus, des Technizismus, des Organismus unterscheidet, fragt zunächst, ob die Zweckmäßig- keit der Organismen bloß subjektive Gültigkeit für den beurteilen- den Menschen habe, oder ein objektives Prinzip der Natur sei (U. $ 72). Er definiert dabei Zweck als „die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist“ (U.$ 82). Wäh- rend er in U. Einl. V die Zweckmäßigkeit der Natur ein transzen- dentales Prinzip nennt, d.h. ein vor aller Erfahrung a priori vor- zustellendes, sagt er in U. & 85, die Zwecke der Natur könnten 1) Besonders in seiner Kritik der Urteilskraft, die im folgenden als U. zitiert wird. J P} [o) Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 985 nur empirisch, nicht a priori erkannt werden; ebenso äußerte er sich schon in U. Einl. VIII. In U. $ 78 sagt Kant, Mechanismus und Teleologie ließen sich nicht als Erklärungen der Organismen vertauschen, „sondern nur der Mechanismus sich dem absıchtlichen Technizismus unter- ordnen, welches nach dem transzendentalen Prinzip der Zweck- mäßigkeit der Natur ganz wohl geschehen darf“. Dass Kant die Finalbeziehungen der Organismen aber wirk- lich als objektiv gegebene Naturzwecke ansah, scheint mir bei Berücksichtigung des Inhalts der Kritik der Urteilskraft im ganzen nicht zweifelhaft zu sein. Ich zitiere folgende Stelle aus U. $ 55, da sie auch noch in anderer Hinsicht interessant ıst: „Damit der Naturforscher nicht auf reinen Verlust arbeite, muss er in Beur- teilung der Dinge, deren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt ge- gründet ist (organisierter Wesen) immer irgend eine ursprüngliche Organisation zugrunde legen, welche jenen Mechanismus selbst be- nutzt, um andere organisierte Formen hervorzubringen, oder die seinige zu neuen Gestalten zu entwickeln.“ Im Zusammenhang mit dieser letzteren sei noch folgende, für die Probleme der Organisation und des Lebens wichtige Stelle aus $ 65 angeführt: „Ein organisiertes Wesen ist nıcht bloß Maschine, denn die hat lediglich bewegende Kraft; sondern es besitzt in sich bildende Kraft, und zwar eine solche, die es den Materien mitteilt, welche sie nicht haben (sie organisiert), also eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den Mechanismus) nicht erklärt werden kann. Man sagt von der Natur und ıhrem Vermögen in organisierten Produkten bei weitem zu wenig, wenn man dieses ein Analogon der Kunst nennt; denn da denkt man sich dem Künstler (ein vernünftiges Wesen) außer ihr. Sie organisiert sich vielmehr selbst, und in jeder Spezies ıhrer organisierten Produkte, zwar nach einerlei Exemplar im ganzen, aber doch auch mit den schicklichen Ab- weichungen, die die Selbsterhaltung nach den Umständen erfordert. Näher tritt man vielleicht dieser unerforschlichen Eigenschaft, wenn man sie ein Analogon des Lebens nennt; aber da muss man ent- weder die Materie als bloße Materie mit einer Eigenschaft (Hylo- zoismus) begaben, die ihrem Wesen widerstreitet; oder ihr em fremdartiges, mit ihr in Gemeinschaft stehendes Prinzip (eine Seele) beigesellen; wozu man aber, wenn ein solches Produkt ein Naturprodukt sein soll, organisierte Materie als Werkzeug jener Seele entweder schon voraussetzt, und jene also nicht im min- desten begreiflicher macht, oder die Seele zur Künstlerin dieses Bauwerks machen und so das Produkt der Natur (der körperlichen) entziehen muss. Genau zu reden, hat also die Organisation der Natur nichts analogisches mit irgend einer Kausalität, die wir 586 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. kennen .“ „Organisierte Wesen sind also die einzigen in der Natur, welche, wenn man sie auch für sich und ohne ein Verhältnis auf andere Dinge betrachtet, doch nur als Zwecke möglich gedacht werden müssen, und die also zuerst dem Begriffe eines Zwecks, der nicht ein praktischer, sondern ein Zweck der Natur ist, ob- jektive Realıtät verschaffen.“ Solchen nachdrücklichen und klaren Erklärungen gegenüber scheinen mir andere Stellen der Kr. d. Urt. wenig in Betracht zu kommen, in denen, wie in Einl. V, die prinzipielle Subjektivität der Teleologie hervorgehoben oder wie in $ 68 gesagt wird, die Notwendigkeit der Zweckverknüpfung gehe „gänzlich die Verbin- dung unserer Begriffe und nicht die Beschaffenheit der Dinge an“. Auch die Verklausulierungen in U. $ 61 sind hier zu nennen. Oder wenn es in U. $ 74 heißt, der Begriff einer Kausalität nach dem Mechanismus der Natur habe objektive Realität, der Begriff einer Kausalität der Natur nach der Regel der .Zwecke tauge nicht zu dogmatischen Bestimmungen, „da er nicht aus der Erfahrung gezogen werden kann“; im $ 86: die Zwecke der Natur könnten in der physischen Ordnung a priori gar nicht erkannt werden und es könne a priori nicht eingesehen wer- den, dass eine Natur ohne Zweckmäßigkeit nicht sollte existieren können. Viel nachgesprochen hat man Kant das z. B. in U. $ 68 ge- äußerte Wort, die Teleologie sei „ein heuristisches Prinzip, den besonderen Gesetzen der Natur nachzuforschen“. Dies ist voll- kommen richtig; denn wenn wir in der Pflanze Calciumoxolat, Pollenkörner, Wurzeln finden, so ist die erste Frage: wozu dienen diese Gebilde, und das gleiche fragen wir bei der Lunge, Niere etc. des Tierkörpers. Allem damit ist gewiss nicht die objektive Gültig- keit der Finalbeziehungen ausgeschlossen! Sagt doch Kant selbst (U. Einl. IV), die Reflexion über die Gesetze der Natur richte sich nach der Natur und nicht diese nach uns und unseren Wünschen. Und dass der immer wieder der Teleologie gegenübergestellte „Mechanismus“ erst recht heuristisches Forschungsprinzip in der Biologie sei, wurde oben bereits genügend hervorgehoben; nichts- destoweniger zweifelt kein Biologe an der objektiven Gültigkeit der Tatsache, dass durch die Arbeit der Sonnenstrahlen in Pflanzen die Kohlensäure reduziert und ein Potential an chemischer Energie für die Organismen geschaffen werde. Dies steht in völliger Über- einstimmung zu Kants Lehre, weicher (U. $ 70) sagt: „Wenn ich sage, ich muss alle Ereignisse in der materiellen Natur, als Pro- dukte derselben ihrer Möglichkeit nach, nach bloß mechanischen Gesetzen beurteilen; so sage ich damit nicht: sie sind danach allein möglich; sondern das will nur anzeigen: ich soll jeder- zeit über dieselben nach dem Prinzip des bloßen Mechanismus Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 587 der Natur reflektieren, und mithin diesem, so weit ich kann, nachforschen.*“ Damit komme ich zu einem weiteren Punkte, auf den sich die Gegner objektiv gegebener Naturzwecke in den Organismen unter Berufung auf Kant versteifen. An verschiedenen Stellen hat Kant es ausgesprochen, der Be- griff des Naturzwecks sei nicht für die bestimmende Urteilskraft ein konstitutives, sondern bloß für die reflektierende Urteils- kraft ein regulatives Prinzip, wobei er indes hinzufügt (U. $ 76), er sei „regulativ für unsere menschliche Urteilskraft ebenso not- wendig, als ob es ein objektives Prinzip wäre“. Ja, er geht im gleichen Paragraph so weit, es auszusprechen, die gesamte theo- retische Vernunft enthalte keine konstitutiven, sondern bloß regulative Prinzipien. Es kommt also darauf an, die Begriffe konstitutiv und regu- lativ im Sinne Kant's festzustellen. Das ist schwierig. Wo Kant selbst Definitionen jener Begriffe versucht, ist seine Rede meist dunkel und verworren, z. B. ın Kr. d. rein. Vern. Element. II. T. II. Abt. 11. Buch. II. Hauptst. S Abschn. Am klarsten macht Kant die Sache noch in U. $ 70, wo es heißt, es bestünden für die reflek- tierende Urteilskraft zwei Maximen: „I. Satz: Alle Erzeugung ma- terieller Dinge und ihrer Formen muss als nach bloß mechanischen Gesetzen beurteilt werden. II. Gegensatz: Einige Produkte der mate- riellen Natur können nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden, ihre Beurteilung erfordert ein ganz an- deres Gesetz der Kausalität, nämlich der Endursachen. — Wenn man diese regulativen Grundsätze für die Nachforschung nun ın konstitutive, der Möglichkeit der Objekte selbst, verwandelte, so würden sie so lauten: I. Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich. Il. Gegensatz: Einige Erzeugung derselben ist nach bloß mechanischen Gesetzen nicht möglich.“ Kant fügt hinzu, als konstitutive Prinzipien ge- dacht, stünden beide Maximen im Widerspruch miteinander, keines- wegs aber als regulative Prinzipien; darum entscheidet er sich für die Richtigkeit ihrer Vertretung in regulativem Sinne. Im wei- teren Verlaufe deutet Kant an, dass wohl im Bereiche der für uns unerkennbaren „Dinge an sich“ Satz und Gegensatz auch konstitutiv sich einen möchten; nicht aber im Bereiche unserer die Natur untersuchenden und beurteilenden Vernunft. Wenn ich alles, was Kant über die Begriffe konstitutiv und regulativ gesagt hat, gegeneinander abwäge, so würde die Finalıtät der Organismen regulativ so auszudrücken sein: Wegen der Be- schaffenheit unserer Erkenntnisvermögen ist es für uns denknot- wendig, die Organismen so anzusehen bezw. vorzustellen, als ob Zwecke objektiv in ihnen verkörpert wären. Konstitutiv würde 588 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. der gleiche Satz lauten: In den Organismen sind Zwecke wirklich objektiv verkörpert. Dies letztere Urteil griffe aber in die transzen- dente Welt der „Dinge an sich“ hinüber und kann daher wissen- schaftlich nicht in Frage kommen. In bezug auf den Mechanismus gilt aber ganz das Gleiche, wie für die Finalität. Dieser Definition der Finalität als eines regulativen Prinzips im Sinne Kant’s wird jeder Biologe zustimmen können, denn die Aufgabe der Wissenschaft ist gelöst, wenn wir in der Beurteilung der Erscheinungswelt gemäß der Denknotwendigkeit, der wir nach unserer Organisation unterliegen, gehandelt haben. Unter der Voraussetzung, dass unser Denkapparat der Welt der „Dinge ohne uns“ richtig angepasst sei, werden wir allerdings der Auffassung des transzendentalen Realismus zuneigen, dass auch in den „Organismen ohne uns“ Finalbeziehungen objektiv gegeben sind. Treten wir auf den Standpunkt von Kant’s Erkenntnislehre, so werden wir einräumen müssen, dass alle unsere naturwissen- schaftlichen Lehrsätze, mögen sie dem Bereiche des „Mechanismus“ oder dem der Teleologie angehören, nur auf regulative Geltung Anspruch erheben dürfen; vielleicht mit Ausnahme der wenigen, die sich mathematisch beweisen lassen. Aber schon der unend- liche Parallelismus zweier geraden Linien ist nur regulativ, nicht konstitutiv zu denken. Wie ın Wirklichkeit Kant über das Ausreichen des „Mecha- nısmus“ zur Erklärung der Organismen dachte, ergibt sein be- rühmter, oben mitgeteilter Satz in U. $ 75. Das Ergebnis dieser Betrachtung ist, dass der neue Vitalismus innerhalb der biologischen Wissenschaften der Hauptsache nach mit Kant auf dem gleichen Boden steht. Unter keinen Umständen darf die Biologie nach dem der- maligen Stande unseres Wissens behaupten, dass im Organismus und in der Zelle lediglich ein chemisches Problem verwirklicht sei. Es ist ein Fehler, wenn man diese Behauptung aufstellt. Der Tier- und Pflanzenkörper oder eines seiner Organe ist so wenig ein chemisches Problem, wie die Madonna della Sedia eines ist oder wie eine Sonate von Beethoven ein mechanisches Problem ist. Wohl ist die erste mit chemischen, die letztere mit mechanischen Mitteln hergestellt; aber Chemismus und Mechanik beziehen sich nur auf eine Seite, gewissermaßen die Außenseite der Sache; die Innenseite wird durch die geistige Arbeit des Künstlers repräsentiert. So besitzen Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff u. s. w., wie ich hier wiederhole, in ihren Eigenschaften nicht die Kraft, einen Organismus zu bilden. Und wenn die Eigenschaften auch sich ändern in den Verbindungen jener Grundstoffe, so kommt doch den Eiweißstoffen, Kohlehydraten, u. s. w. ebensowenig die Fähig- keit zu, eine einfache Zelle, oder gar ein Auge, einen Magen, ein Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 589 b} oO Kniegelenk aufzubauen. Andere, leitende Kräfte müssen zu den chemischen Affinitäten und den katalytischen Einflüssen!) hınzu- treten, um einen Organısmus zu bilden. Das Leben ist weder eine Eigenschaft von Elementen noch eine Eigenschaft von Ver- bindungen, so wenig wie eine Taschenuhr eimer uhrenbildenden Kraft des Messings und Stahls zugeschrieben werden darf. Während der Chemiker und der Physiker bei ihren Arbeiten gar nicht in die Lage kommen, nach dem Zwecke einer Erscheinung ihres Ar- beitsfeldes zu fragen, so ist das Leben ein Fremdling, der sich auf diesem chemisch-physikalen Felde angesiedelt hat und von dem- selben zehrt, wie eme Pflanze vom Ackerboden. Es müssen be- sondere Kräfte hinzutreten, um den Stoff zu organisieren; und wird dies zugestanden, so fallen die Hypothesen des Materialismus und Hylozoismus zu Boden. Nur Vorurteil kann es leugnen, dass uns, dem anorganischen Geschehen verglichen, im Leben etwas Neues entgegentritt. Es ıst etwas Neues, wie die das musikalische Ohr entzückende Sonate etwas Neues ist gegenüber den mechanischen Bewegungen der Saiten mit ihren messbaren Schwingungszahlen. Falls wır wissen- schaftlich verfahren wollen und uns nicht blind einem Dogma unterordnen, müssen wir dıe immanenten Kräfte der Selbst- bildung des Organısmus gegenüber allen chemisch-physikalischen Vorgängen für etwas besonderes erklären. Nur mit den lahmsten Hypothesen, die die Geschichte der Wissenschaft kennt, hat man den Versuch einer materialistischen Erklärung der Erblichkeit ge- wagt; es sind Hypothesen, die nicht einmal die Möglichkeit ihres Erklärungsversuchs theoretisch darzutun vermögen. Ich erkenne mit Descartes an, dass die Organısmen sich einerseits verhalten wie Maschinen; andererseits mit Kant, dass ihre Eigenart weit über das Niveau der Maschinen hinausragt. Diese Überzeugung hat mich zu einer dynamischen Theorie der Organismen und des Lebens geführt, welche ın der Organisation drei Gruppen von Kräften als wirksam anerkennt. Zwei jener Kräftegruppen sind den Organismen und den Ma- schinen (Technizismen bei Kant) gemeinsam; die dritte Gruppe reicht über die beiden anderen hinaus und ıst vergleichbar den vom Menschen ausgehenden geistigen Kräften. Eine Maschine wird in Betrieb gesetzt durch Energie, welche mechanische Arbeit an den Teilen der Maschine leistet. So wird auch das Leben unterhalten durch einen Energiestrom, der von der Sonne in Gestalt von Ätherstrahlen herabflutet, um in der 1) Man gewinnt in dieser Hinsicht nichts, wenn man, zunächst doch auch noch hypothetisch, sämtliche biochemische Vorgänge auf besondere Enzyme zu- rückführt. Das Rätsel bleibt dann die Bildung jener Enzyme. 590 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. grünen Pflanze ein Potential chemischer Energie anzuhäufen, von dem die Lebensbewegungen aller nichtgrünen Zellen im Pflanzen- und Tierreiche unterhalten werden. In den Maschinen sind der Betriebsenergie besondere Aufgaben gestellt, die nur durch die spezifische Struktur der Maschine ver- wirklicht werden können. So bedarf es in der Mühle einer be- sonderen Konstruktion, um die Energie des Windes, des fallen- den Wassers oder der Dampfspannung für das Zerreiben von Körnern zu Mehl nutzbar zu machen; um eine gespannte Uhrfeder das eine Mal einen Zeitmesser, das andere Mal eine Spieldose treiben zu lassen. Es müssen daher in den Maschinen zur Betriebsenergie besondere Kräfte hinzutreten, die von der Konfiguration abhängen, und die man gewöhnlich Maschinenbedingungen genannt hat; ich nenne sie Systemkräfte und unterscheide sie von den energe- tischen Kräften, obwohl sie sich mit dem energetischen Mittel der Härte und Elastizität des Maschinenmaterials zur Geltung bringen. Sofern der Organismus einer Maschine vergleichbar ıst, sind auch solche Systemkräfte neben der Betriebsenergie in ihm tätig; ohne sie würden wir uns das Leben so wenig vorstellen können wie ohne die Wirksamkeit von Energie. Wenn ich die Systembedingungen als Systemkräfte bezeichne, so befinde ich mich in bezug auf die Anwendung des Kraftbegriffs in Übereinstimmung mit Kant, der (Kr. d. rein. Vern. S. 490) Kraft als die Kausalität einer Substanz bezeichnet. Ich möchte auch sagen, Kraft ıst das wirksame, das mit Notwendigkeit wirkende. Darum ordnet sich der Begriff der Energie dem Be- griffe der Kraft unter; jede Energie ıst Kraft, doch nicht jede Kraft Energie. Durch die Systemkräfte werden in Pflanzen und Tieren hauptsächlich chemische Umsetzungen in bestimmte Bahnen gelenkt und in diesen unterhalten; aber auch noch die mit maschinenmäßiger Sicherheit wirksamen Instinkte dürften von Systemkräften abhängen. Im einzelnen durchschauen wir die System- kräfte in den Organismen noch weniger, als wir die Wirksamkeit der Energien kennen; denn es sind bis jetzt wenige Beispiele be- kannt, in denen ein im Organismus vor sich gehender energetischer Prozess ın allen seinen Phasen analytisch klargelegt wäre, ohne dass irgend welches hypothetische Element sich in die Erklärung eingeschlichen hätte. Ein Technizismus, z. B. eine Maschine oder ein Kunstwerk ist noch nicht vollständig erklärt, wenn wir die darin arbeitende Energie und die Systemkräfte durchschauen, die der Energie ihren Weg weisen. Das Dasein einer Maschine ist uns nur dann, beziehungs- weise nur darum ganz verständlich, weıl wir die Kräfte kennen, die sie hervorgebracht haben. Es sind das die Intelligenz und die Geschicklichkeit des Menschen. Vom Organısmus und seinen Teilen Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 591 wissen wir aber etwas ähnliches nicht. Der Organısmus entsteht durch Fortpflanzung und Entwickelung, durch Vererbung von Eigen- schaften, die Organısmen der gleichen Art vorher besaßen. Das ist ein fundamentaler Gegensatz gegenüber den Maschinen. Aber auch beim Organısmus sind ohne allen Zweifel Kräfte tätig, die ihn erbauen, die aus der Eizelle den Menschen gestalten und wachsend hervorgehen lassen mit allen Eigenschaften des Körpers und der Seele. Dass diese Kräfte Energien sein könnten, wäre eine gänzlich aus der Luft gegriffene Annahme. Dass es Systemkräfte sind, ist nicht auszuschließen, nicht völlig unmöglich; doch liegen keine Tatsachen vor, die dafür sprechen. Die Struktur der fertigen Maschine und ihre Entwickelung unter der Hand.des Technikers sind zwei himmelweit verschiedene Dinge; wir kennen keine Maschine, die sich selbst bildet und fortpflanzt. Darum unterscheide ich als Bildungsursachen der Pflanzen und Tiere sowie ihrer einzelnen Organe und deren Teile, z. B. des Auges, eine dritte Gruppe von Kräften, die über den Energien und den Systemkräften stehen, und nenne sie Dominanten. Die Dominanten sind das Analogon zu der geistig-körperlichen Be- tätigung des Menschen in der Herstellung von Technizismen. Ich habe an anderer Stelle mich so eingehend über die Domi- nanten ausgesprochen, dass ich hier darauf verzichten kann. Ich halte vor allem daran fest, dass sie einen hypothesenfreien Begriff darstellen, ohne den ıch in der Biologie nicht auszukommen ver- mag. Das Wort Dominante ist ein Symbol für eine Kraft, die ich täglich am Werke sehe, ohne ihr Wesen zu kennen; wie ich die Schwerkraft, die chemische Affinität am Werke sehe, ohne deren Wesen zu kennen. Eine Hypothese würden wir erst auf- stellen, sobald wir die Dominanten für energetische Kräfte oder für Systemkräfte erklären wollten. Für unwissenschaftlich aber halte ich es, zu sagen, dass wir solche Identifizierung heute noch nicht durchführen können, dass sie aber von der Zukunft bestimmt einmal zu erwarten sei; ich kenne nur eine zeitgemäße Wissenschaft und habe mich darüber schon oben genügend geäußert. — So ist denn die organische Finalıtät auf eine unbewusste Intelligenz der Entwickelung zurückzuführen, auf Kräfte, die ich als Dominanten von allen übrigen Kräften unterscheide. Ich spreche hier absichtlich nur von dem Reiche der Organismen; ob Dominanten auch für die Krystalle anzunehmen sind, möge den Untersuchungen anderer vorbehalten bleiben. Die Dominanten sind aber nur tätig in Wechselbeziehung mit den Energien; beide beeinflussen einander gegenseitig. Sie haben dies Verhältnis nicht nur zu den Energien und Systemkräften des Innern, sondern auch zur Außenwelt. Darauf beruhen die An- 599 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. passungen, die wir als Reaktion der Dominanten auf die Außen- welt anzusehen haben. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte ich Ihnen eine Auf- zählung von Beispielen der körperlichen Anpassungsorgane bei Pflanzen und Tieren geben. Ich brauche nur an die Sinnes-, Be- wegungs-, Fortpflanzungs-Organe bei ersteren; an die Blüten, die Blätter, die Samenkörner der letzteren zu erinnern. Allein ich fasse meinerseits den Anpassungsbegriff viel weiter; ich rechne dahin auch alle geistigen Werkzeuge, mit denen die Seele der Tiere und des Menschen zu arbeiten hat. Denn wir können so gut von einer geistigen Organisation sprechen wie von einer körperlichen. Wie der Geist des Menschen mit dem Körper sich aus der Eizelle entwickelt, so entwickeln sich die geistigen Fähigkeiten mit den Körperorganen und speziell mit dem Gehirn. So gut wie Füße, Flossen, Flügel, Augen, Nervenspitzen den Erfordernissen des Lebens angepasst sind, gilt ein Gleiches vom Gehirn und dem Erkenntnisvermögen. Ja, unsere Denkgesetze sind dem Natur- geschehen in so wunderbarer Weise angepasst, dass daraus die Lehre entstehen konnte, wir schrieben der Natur ihre Gesetze vor. Dies gilt insbesondere von den dem Menschen „a priori* gegebenen Denknormen. Sie sind in analoger Weise Anpassungen, wie die Instinkte der Tiere. Der Instinkt besteht im Tiere auch a priori; er beruht gewissermaßen auf einem mechanisierten synthetischen Urteil a priori. Umgekehrt ist auch unser Wille instinktiv, soweit der Intellekt ihn nicht bändigt. Mit dem Begriffe des Apriori gelangen wir wieder zu Kant. Wenn Kant von apriorischen Eigenschaften des Geistes spricht, so kommt er dabei über eine in vieler Beziehung mystische Hypothese nicht hinaus. Er stellt auch gar nicht die Frage, woher jene apriorischen Eigenschaften stammen; eine Frage, die für den heutigen Biologen im Vordergrunde des Interesses steht. Jenes Apriori ist nach meinem Dafürhalten eine Anpassung unseres Geistes an die Erkenntnis der Dinge, ohne die wir nicht zu existieren vermöchten. Die Kategorien und das Denkvermögen sind die den menschlichen Bedürfnissen und der Außenwelt angepassten Sinnesorgane des Geistes, oder, um ein gröberes Gleichnis zu gebrauchen, die von uns ererbten geistigen Flossen und Flügel. Wie jemand musikalisch sein muss, um Beethoven, und nicht farbenblind sein darf, um Tizian und Böcklin zu genießen, so bedürfen wir der Kategorien unseres Verstandes, um uns in der Welt und im Leben zurechtfinden zu können. Die Kategorien sind ererbte Instinkte; wir können nicht anders denken, als in dem durch sie gegebenen Schema. Wir könnten keine Er- fahrung durch denkende Verknüpfung von Empfindungen machen, wenn nicht das Kausalprinzip den Anlass solcher Verknüpfung in Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 593 uns bildete und uns als Anpassung gegeben wäre, wie das Auge dem Sehen, das Ohr dem Hören angepasst ist. Wiır denken instinktiv. Das Denken ist der wichtigste Instinkt des Menschen. Wie Perlen ım Champagner-Glase steigen die Gedanken aus den unbewussten Tiefen der Seele in uns auf; gelangen sie ans Licht des Bewusst- seins, so gilt es, sie ım Gedächtnis festzuhalten, sonst zerplatzen sie, wie jene Bläschen. Ich halte die Anpassung der menschlichen „Erkenntnisvermögen* an die Außenwelt für die wundervollste Anpassung aller Organisation; die größte „Kunst“ der Natur scheint mir darın zu bestehen, dass sie die Vorstellungsbilder in der Auf- fassungsweise des naiven Realismus hervortreten lässt, weıl man sich mit diesen in der Außenwelt immer richtig orientiert. Aber auch wenn es einen Raum und eine Zeit nicht ohne uns geben sollte, würde ich es zu den größten Naturwundern rechnen, dass unser Verstand aus sich (a priori) die Erscheinungen der Dinge nacheinander und nebeneinander schaut. Die Erkenntnisvermögen, insbesondere die apriorischen Denk- normen, entsprechen auf geistigem Gebiete den spezifischen Sinnes- energien, d. h. den Empfindungsformen der Nervenspitzen. Beide sind im Laufe der Ontogenese des Menschen durch Entwickelung entstanden. Wenn ich sagte, das Apriori sei etwas instinktives, so werde ich zu diesem Urteil durch die Tatsache geführt, dass jeder Instinkt apriorische Geltung hat, d. h. vor jeder Erfahrung da ist, wie die Körperorgane auch vor dem Gebrauch gebildet werden. Darum funktionieren im gesunden Hirn die Kategorien mit maschinenmäßiger Sicherheit. Wenn ich somit die a priori gegebenen Erkenntnisvermögen als Seeleninstinkte auffasse, glaube ich mich in Übereinstimmung mit Kant zu befinden, da dieser in $ 30 der Prolegomena sagt: „Die Kategorien dienen gleichsam nur, Erscheinungen zu buch- stabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können.“ Auch scheint es mir nur der halb-realistischen Erkenntnis- theorie Kant’s zu entsprechen, wenn derselbe in der Kritik der praktischen Vernunft I. 1. am Ende des zweiten Hauptstücks (S. 74 Hartenstein) sagt, es sei erlaubt, die Natur der Sinnenwelt als Typus einer intelligiblen Natur zu brauchen, so lange man „bloß die Form der Gesetzmäßigkeit darauf beziehe“. Für Kant’s Kritizismus war das a priori ein Letztes. Die Naturphilosophie aber muss weiter fragen. Sie fragt nicht nur, womit vergleiche ich das Apriorische, sondern auch, woher stammt es? Ich habe es mit den Instinkten verglichen. Der junge, dem Ei entschlüpfte Fisch kann nicht anders, er muss schwimmen, die Junge Spinne muss weben, der Mensch muss die Dinge neben- einander, nachemander und in Abhängigkeit voneinander vorstellen, er kann gar nicht anders; er handelt dabei instinktiv. Instinktiv XXIV. 38 594 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. tätig sein ist aber eine Art der Anpassung an die Lebensbedingungen. Wie das Flossensystem dem Schwimmen, die Netzhaut dem Sehen, die Schleimhäute des Mundes und der Nase dem chemisch ver- mittelten Empfinden des Riechens und Schmeckens, die Corti’schen Fasern dem Hören, so ist das Nervenknäuel des Gehirns dem rich- tigen Wahrnehmen und Vorstellen der Außenwelt und der Ver- knüpfung der Vorstellungen durch das Denken angepasst; alle diese Organe fungieren mit instinktiver, d. h. mit maschinenmäßiger Sicherheit. Die apriorischen Kategorien können nicht ursachlos in uns entstanden sein; wir wissen, dass sie sich in der Ontogenese ent- wickelt haben mit den übrigen Fähigkeiten des heranwachsenden Embryo. Geben wir aber gar der phylogenetischen Hypothese Raum in unseren Betrachtungen, wonach die Wirbeltiere und der Mensch im Laufe sehr langer Zeit sich aus einfachen Zellen durch fortschreitende Umbildung entwickelt haben, so müssen wir Kräfte fordern, die sie hervorbrachten, wie sie alle sonstigen Umbildungen und Entwickelungen hervorgebracht haben. Damit gelangen wir über Kant’s Kritizismus hinaus, ohne dessen historische Berechtigung in Frage zu stellen; und mir erschemt E. v. Hartmann’s transzendentaler Realismus als die einzige natur- philosophisch haltbare Theorie des Erkennens. Die räumliche, zeitliche, kausale Vorstellungsweise ist ein Angepasstsein unserer Seele an Raum, Zeit, kausale Verknüpfung. Nach dieser Abschweifung kehre ich zum eigentlichen Thema zurück. Die Bahnen, in denen unser Denken und Fühlen abläuft, haben uns zu den höchsten Problemen der Biologie hinaufgeführt, zum Empfinden und zum Bewusstsein. Ein unbewusstes Empfinden gibt es nicht, es gibt kein Empfinden bei Maschimen; hier kann nur von Auslösung, höchstens von Erregung die Rede sein. Und wenn ich auch nicht davor zurückschrecke, die Empfindung in einer Nervenspitze oder in dem Knäuel zentraler Nervenfasern des Ge- hirns als einen Auslösungsvorgang anzusehen, in welchem der Reiz eine energetische Wirkung auf das Protoplasma ausübt, auf die eine Reaktion folgt, wie in einer Maschine: so ist das nur die Be- trachtung der einen Seite des Vorgangs, der äußeren. Jedes Empfinden hat aber auch eine innere Seite: das Gewahrwerden der Reizung im Bewusstsein. Auch diese Seite der Empfindung ist ein spezifischer Lebensvorgang, wie jene erste. Aber während die Außenseite des Empfindens sich energetisch erklären lässt, indem der auslösende Reiz im: Nerv mechanische Arbeit verrichtet, ohne die keine Auslösung zustande kommen kann, so entzieht sich das Bewusstwerden der Empfindung jeder energetischen Interpretation. Es ist ein grundloser Dogmatismus, der lediglich aus monistischen Tendenzen bezw. Vorurteilen entspringt, wenn man auch das Be- Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. >95 wusstsein energetisch erklären oder gar als eine besondere Energie- form hinstellen will. Solch energetischer Radıkalısmus entspricht einer Wiedererweckung der alten „Lebenskraft“, die auch als eine besondere Energieart gedacht wurde, die alle mögliche Arbeit ın den Pflanzen und Tieren verrichten sollte. Das Bewusstsein ist ein Licht, durch das unser Inneres erhellt wird, so könnte man sagen. Man vergesse nur nicht, dass auch dies Urteil ein Gleichnis ist, das hinkt, wie jeder andere Vergleich. In Wirklichkeit wissen wir nicht zu sagen, was das Bewusst- sein ist, weil uns jeder Maßstab zu seiner Wertbestimmung, zu seiner Klassifikation fehlt. Wir kennen nur unser eigenes Bewusst- sein und können daraus begründete Analogieschlüsse auf das Be- wusstsein anderer Menschen ziehen. Doch schon mit unseren Vor- stellungen vom Bewusstsein der Tiere steht es misslich. Keinenfalls gibt es etwas dem Bewusstsein ähnliches, vergleichbares ın der Welt der Organısmen, das wir leichter zu analysieren vermöchten, das einfacher wäre, als das Bewusstsein selbst; noch viel weniger ist eine Vergleichsbasis für das Bewusstsein auf dem Gebiete des Anorganischen zu finden, auf dem weiten Gebiete der Chemie und der Physik. Das Bewusstsein ist für das Reich des Lebens etwas Besonderes, zugleich ein gegebenes Letztes; wie die Schwerkraft, die Affinität des Sauerstoffs zum Kalıum, das Verhalten der Elek- tronen, ein gegebenes Letztes sind. Darum genügt schon das Vor- handensein des Bewusstseins, um ein besonderes Geschehen auf dem Gebiete der Lebewesen anzuerkennen; die Berechtigung eines Vitalısmus neben dem Physiko-Chemismus. Wieweit das Bewusstsein in der embryonalen Entwickelung des Menschen zurückreicht, wissen wir nicht. Dass dumpfe Anfänge desselben schon im Ei und im Spermatozoid vorhanden wären, darf nicht behauptet werden, da wir nichts darüber wissen können. Hier geraten wir an eine der Grenzen menschlicher Erkenntnis. Dennoch ist das volle, lichte Bewusstsein des erwachsenen Menschen ontogenetisch entstanden, und, da wir einer Evolutions- theorie huldigen, phylogenetisch vorbereitet worden. Damit ge- lange ich zum ontogenetischen und zum phylogenetischen Problem, die eine so große Rolle in der Biologie der Neuzeit gespielt haben. Für die Ontogonie ist die Berechtigung dazu unbedingt ein- zuräumen. Nur durch das Studium der Entwickelung in Verbin- dung mit experimentellen Eingriffen dürfen wir hoffen, die Kausal- beziehungen ım Aufbau der Pflanzen und Tiere nach und nach besser kennen zu lernen. Anders steht es mit der Phylogonie, deren Bedeutung für dıe Erforschung der Zusammenhänge zwischen den Tieren und Pflanzen lange Zeit hindurch überschätzt sein dürfte. Hat die phylogenetische Betrachtung unter allen Umständen an- regend gewirkt, so hat sie auch vielfach durch ihre hypnotisierende 38 596 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. Wirkung den Gang der biologischen Erkenntnis mehr gehemmt, als gefördert. In der Phylogonie sind eigentlich biologische Probleme nur gegeben, sofern Neubildung von Rassen durch Abänderung oder Hybridation Gegenstand der unmittelbaren Beobachtung oder des Experimentes sein können; außerhalb dieser eng gezogenen Grenzen bietet die Phylogonie nur Spielraum für naturphilosophische Spekulationen. Ich will diese weder verwerfen noch gering schätzen; aber richtig scheint es mir, auf diesem Gebiete so sorgfältig wie möglich festzustellen, was Tatsache und was Hypothese ist. Die Wissenschaft braucht an richtiger Stelle die Aufstellung von Hypo- thesen nicht zu scheuen; unwissenschaftlich ist es nur, Hypothesen mit Tatsachen zu vermengen oder zu verwechseln und nicht scharf und mit vollem Bewusstsein zwischen beiden zu unterscheiden. Eine bloße Möglichkeit, die einer exakten Prüfung unzugänglich ist, weil es sich um längstvergangene Prozesse handelt, zu einem phylogenetischen Dogma zu stempeln, ist entschieden zu tadeln. Ich sehe zunächst ab von der Entstehung der ersten Orga- nismen an der Erdoberfläche und begnüge mich mit dem Hinweise darauf, dass nach sicherstem Ergebnisse unserer Erfahrung im rein mineralischen Erdboden keine Kräfte stecken, die eine lebendige Zelle hervorzubringen vermöchten. Aber ich bin durch eine an- dere Erwägung immer mehr und mehr von der Unfruchtbarkeit phylogenetischer Spekulationen überzeugt worden, soweit die Bluts- verwandtschaft der verschiedenen Tier- und Pflanzenspezies in Be- tracht kommt. Das Leben ist einmal auf der Erdoberfläche ent- standen; es war nach einer Periode der Leblosigkeit da als etwas Gegebenes. Mehr kann die Wissenschaft darüber nicht ausmachen. Als Anhänger der herrschenden phylogenetischen Vorstellungen nehme ich an, dass die primordialen Organismen höchst einfach organisiert waren, also einfachste Zellen, vielleicht noch ohne Zellkern. Aus diesen Urzellen entwickelten sich im Laufe von Aeonen die in den versteinerungsführenden Schichten der Erdrinde erhaltenen und schließlich die jetzt lebenden Organismen. Aber, und hier kommen wir an die Hauptfrage der ganzen Ab- stammungslehre, gegenüber welcher alle übrigen Fragen zurücktreten: waren im Anfang eine einzige oder einige wenige Urzellen gegeben, oder trat gleich zu Anfang das Leben mit einer ungeheuren Zahl, vielleicht mit Millionen von Zellen in die Er- scheinung? Darüber wissen wir nichts und werden wir niemals etwas wissen können; wahrscheinlicher dünkt mich das letztere, dass eine sehr große Zahl ähnlicher Urzellen im Anfang diejenigen Erdstriche bevölkerte, in denen die Bedingungen für Leben über- haupt vorhanden waren. Geben wir dies zu, so kann jede heute lebende Spezies von einer anderen Urzelle abstammen, z. B. Ra- Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 597 nunculus repens von einer anderen als Ranunculus bulbosus; nur untergeordnete Rassen entstanden dann später durch Abänderung oder „Mutation“. Wenigstens würde jede Gattung auf eine be- sondere Urzelle zurückzuführen sein. Geben wir uns dieser Vor- stellung hin, die zweifellos näher liegt, als die ursprüngliche Ent- stehung einiger weniger Zellen, wie Darwin sie sich dachte, dann hat in vieler Beziehung die Deszendenztheorie an Interesse verloren. Wie dem auch sein mag, in jedem Falle erschemt die Phylo- gonie so gut als Ergebnis der Wirkung einer instinktiven Kraft oder vielmehr einer Dominante, wie die Ontogonie. Als ein Akt höchster Finalität erscheint die progressive Umbildung der Urzellen zu den vollkommensten jetzt lebenden Pflanzen und Tieren mit Einschluss des Menschen. Dabei entstanden alle jene zweckmäßigen Anpassungen, wie die Sinnesorgane und das Gehirn der Tiere, wie Wurzeln, Blätter und Blüten der Pflanzen. Dass hierbei, wie Darwin es wollte, die Selektion positiv Zweckmäßiges geschaffen habe, scheint mir ausgeschlossen zu sein; nur Unzweckmäßiges konnte durch Selektion beseitigt werden. Zweckmäßige Organisation war schon mit dem ersten Plasma- klümpchen gegeben. Ich teile den Standpunkt E. v. Hartmann'’s, der urteilt!): „In der organischen Natur kann auch nicht einmal mehr der Schein entstehen, als ob das Zweckmäßige durch Aus- lese final zufällig entstände.“ Es musste unbedingt vor Eingreifen der Auslese bereits zweckmäßig sein, sonst war es nicht lebens- fähig. Könnten wir glauben, dass auf der Erde von Ewigkeit heı lebendiges Protoplasma bestehen konnte, so würde das Dasein des Lebens uns so apriorisch dünken, wie das Dasein von Stoff und von Energie. Im Banne der Kant-Laplace’schen Theorie jedoch, dem sich keiner von uns entziehen kann, müssen wir annehmen, dass das Leben im Laufe der Zeit an der Erdoberfläche erst möglich wurde und dann sich verwirklichte. Man hat hierbei von Urzeugung gesprochen, indem man sich darunter vorstellte, es sei durch die m der mineralischen Erdrinde gegebenen Kräfte die spontane Erzeugung von Protoplasma hervorgerufen worden, deren Unmöglichkeit in der Gegenwart wir anerkennen. Mir kommt das so vor, als ob man es für möglich erklären wollte, dass vor sehr langer Zeit zwei gerade Linien hingereicht hätten, ein Dreieck zu bilden, während das heute nicht mehr angeht. Dass ich Urzeugung von lebensfähigem Protoplasma für un- möglich halte, habe ich so oft ausgesprochen, dass ich darauf nicht weiter eingehen will. Aber als Zeugnis einer vorurteilslosen Wissen- schaft dürfte es für jeden Biologen, der nicht sich selbst den Weg 1) Kategorienlehre S. 461. 598 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. zum Erkennen verbaut, weil er die Wahrheit nur dort finden will, wo sie ıhm gefällt, von Interesse sein, über die Frage der Ur- zeugung die Stimme eines großen Naturforschers zu vernehmen, der hoch über philosophischen oder gar kirchlichen „Strömungen“ stand; eines Mannes, der auf dem Gebiete der Anatomie Unver- gängliches geleistet und auf dem Gebiete der Pathologie zuerst die Lehre vom Contagium vivum aufgestellt hat: ich meine Jakob Henle. Dieser sagt'): „Jetzt, wo der Satz, dass alles Lebende aus Keimen hervor- geht, allgemeine Geltung hat, muss die Bildung einer Bakterie oder eines Dathybius aus unorganischen Stoffen ebensowohl ins Reich des Wunderbaren verwiesen werden, als die Bildung jedes andern, höheren oder niederen organischen Wesens. Dass in früheren Perioden der Erde tellurische oder atmosphärische Einflüsse ge- herrscht haben sollten, die die Vereinigung der Elemente zu or- ganischer Substanz begünstigten, ıst eine leere Ausflucht. Wir kennen das Verhalten der organischen Materie gegen Temperatur, Druck, Elektrizität u. s. f. Mit den Kälte- und Wärmegraden, den Luftverdichtungen und Verdünnungen, die uns zu Gebote stehen, machen wir Eiweiß gerinnen und zerstören wir die pflanzliche und tierische Struktur. Man wird doch nicht sagen wollen, daß Kräfte, die heute das Leben vernichten, in noch gesteigerter Intensität früher dazu gedient hätten, es zu erwecken! Sollte es aber dem Botaniker und Zoologen gestattet sein, eme Ära anzunehmen, in welcher die chemischen Affinitäten der Elemente sich von den heutigen unterschieden, wer wollte dann den Geologen verwehren, eine Ära andersartiger spezifischer Gewichte auszudenken, wo die Granitblöcke auf dem Wasser schwammen ?* Für den Biologen und den Naturforscher ım allgemeinen bleibt es die Hauptsache, lösbare Probleme zu finden und das Unerkenn- bare „ruhig zu verehren“. Der Naturphilosoph hingegen hat das Recht, weiter zu gehen und zu fragen, welche Schlüsse aus dem Erkennbaren auf das Unerkennbare möglich sind. Kausalbeziehungen wie Finalbeziehungen gehören im Bereiche der Pflanzen und Tiere zum Erkennbaren. Beide sind etwas ob- jektiv Gegebenes; Kausalität und Finalität sind zugleich heuristische Maximen der Forschung. Auf dem Gebiete der Biologie sind beide gleichberechtigt; dies ist ein oberster Grundsatz des neuen Vitalis- mus. Es wäre so falsch, die finale Betrachtung zu streichen, wie es falsch wäre, einseitig auf die kausale Betrachtung zu verzichten. Die Synthese beider Betrachtungen macht erst wahre Wissenschaft aus. Klar hat dies Kant in folgendem Satz ausgesprochen (U. $ 78): 1) Henle, Anthropologische Vorträge II S. 73 (1880). Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. 599 Eine rein mechanische (kausale) Naturerklärung „muss die Vernunft ebenso phantastisch und unter Hirngespinnsten von Natur- vermögen, die sich gar nicht denken lassen, herumschweifend machen, als eine bloß teleologische Erklärungsart, die gar keine Rücksicht auf den Naturmechanismus nımmt, sie schwärmerisch machte*. Hier erreichen unsere Betrachtungen über die Finalıtät inner- halb der Biologie als Naturwissenschaft ıhr Ende. Allein keine Wissenschaft fordert so sehr zu naturphilosophischen Betrach- tungen heraus, wie gerade die Biologie. Die meisten Biologen sınd auch Naturphilosophen; ich behaupte das namentlich von allen Anhängern der Abstammungslehre. Darum sei mit einem kurzen Ausblick auf das Gebiet der Naturphilosophie der Schluss gemacht. Ich räume ein, dass Schopenhauer nicht ganz Unrecht hat wenn er sagt!): „Kant hat nachgewiesen, dass die Probleme der Metaphysik, welche jeden, mehr oder weniger, beunruhigen, keiner direkten, überhaupt keiner genügenden Lösung fähig seien“. Aber Schopenhauer am allerwenigsten hat sich dadurch von den weitest gehenden metaphysischen Spekulationen zurückhalten lassen. Und diesen Verzicht leistet kem denkender Mensch. In einsamen Stunden, beim Lesen, bei wissenschaftlichen Untersuchungen, oft’ mitten im Handeln des Lebens taucht aus den Tiefen der Seele die Frage empor: was steht hinter den Dingen; was für Kräfte stehen über den Kräften der Chemie und Physik? Diese Frage bildet das Grundproblem aller Naturphilosophie. Die nächste Antwort auf diese Frage lautet: die Kräfte des menschlichen Geistes, der menschlichen Intelligenz. Damit reichen wir nicht aus zur Erklärung der uns umgebenden Naturerscheinungen. Aber sie geben uns einen Fingerzeig zu dem Analogieschluss, dass andere Kräfte geistiger Art, eine andere Intelligenz, die nicht an ein menschliches Hirn gebunden ist, die Natur durchdringen und besonders im Dasein der Pflanzen und Tiere sich offenbaren. Das sind Kräfte, die wir nicht unmittelbar wahrnehmen, sondern nur erschließen können. Unmittelbare Gewissheit haben wir nur vom Spiel unseres Bewusstseins; alles übrige ist von uns erschlossen, darum mehr weniger problematisch. Wer naturphilosophische Befriedigung anstrebt, wird nicht umhinkönnen, zu sagen: wo wir zweckmäßige Einrichtungen er- blicken, wie in den Pflanzen und Tieren, müssen sie uns erscheinen als Ausfluss der Handlung einer höchsten, mächtigen Intelligenz, die wir uns nur nach der Analogie mit menschlichen Handlungen vorstellen können. Die Betrachtung der Natur, sagt J. Herschel?), führt den Menschen zur „Idee einer Kraft und Intelligenz, die der 1) Parerga III, S. 98. 2% Herschel, lie 2. 6. 600 Reinke, Der Neovitalismus und die Finalität in der Biologie. seinigen überlegen und der Hervorbringung und Erhaltung alles dessen, was er in der Natur wahrnimmt, angemessen sind, einer Kraft und Intelligenz, die er wohl unendlich nennen mag“. Den gleichen Gedanken fasst ©. Flammarion!) in folgendes Wort: „Liintelligence cereatrice et organisatrice que nous appelons dieu demeure donc la loi primordiale et eternelle, la force intime et universelle qui constitue l’unite vivante du monde“. Wir „wissen“ schließlich von unseren eigenen geistigen Kräften auch nicht mehr, als von der im Universum herrschenden Intelli- genz; aus unsern Handlungen folgern wir jene, aus der Technik der Natur schließen wir auf diese. In jedem Falle scheint mir die Biologie bei Anerkennung der oben dargelegten Gesichtspunkte zu einer Naturanschauung zu führen, die derjenigen des Aristoteles sich nähert. Ob der Einzelne sich dabei mehr deistischen, theistischen oder pantheistischen Vorstellungen hingibt, möge ihm überlassen bleiben. Eine reine Maschinentheorie der Organismen würde wegen der Evolution der Erdoberfläche eine deistische Erklärung gebieterisch fordern, was ein so klarer Kopf wie Voltaire auch unumwunden einräumte. Die „neovitalistische“ Auffassung dürfte mehr befriedigt werden durch theistische oder pantheistische Vorstellungen, vielleicht durch eine Synthese beider, wonach die Kräfte die unmittelbaren geistigen Werkzeuge einer Gottheit sind, während in einer solchen Naturreligion von allen naiv anthropomorphen Vorstellungen in Bezug auf das Wesen jener Gottheit abzusehen ist. Den Atheismus würde ich mit der modernen Biologie nur vereinbar halten, wenn es keine Evolution gegeben hätte, an der doch niemand zu zweifeln wagt: denn aus den dem Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stick- stoff u. s. w. eigenen Kräften konnten meines Erachtens sich keine Zellen, keine Pflanzen und Tiere, geschweige denn geistbegabte, vernünftige Menschen entwickeln. Mit diesen Konsequenzen der Erfahrung hat die Natur- philosophie sich auseinanderzusetzen, während die Naturwissen- schaft vor ıhnen Halt macht. Für sie bestehen nur Probleme, die durch Erfahrung und denkende Verknüpfung der Erfahrungen lös- bar sind. Eine ihrer Hauptaufgaben besteht deshalb darin, die (srenze zwischen dem Erkennbaren und dem Unerkennbaren fest- zustellen. Das wird in der Biologie nicht von heute auf morgen gelingen. In der Gegenwart ist das Erkennbare überall von Un- erkennbaren durchsetzt; es bleibt nur der Ausweg, für dies letztere symbolische Begriffe einzusetzen und rüstig an den Versuchen einer empirischen Analyse weiterzuarbeiten. Ich resumiere meine Ansichten folgendermaßen. {ey} 1) Flammarion, 1. c. 8. 447. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 501 Will man durchaus an dem kaum zutreffenden Worte „Neo- vitalismus“ festhalten, so bezeichnet dasselbe eine moderne Rich- tung in der Biologie, die im Gegensatz zu den älteren dogmatischen Richtungen als eine kritische und fragende zu bezeichnen ist. Der Neovitalismus sucht sich von den dogmatischen Vorurteilen der älteren Richtungen frei zu halten, weil er in solchen Vorurteilen eine Gefahr für den Fortschritt und die ungehemmte Entwicklung der Wissenschaft erblickt. Klar umschriebene, auf Erfahrung ge- gründete Voraussetzungen, nicht aber blindes Vorurteil können der Wissenschaft Nutzen gewähren. Der alte Vitalısmus war dogmatisch, nach seiner Auffassung sollte eine unklare Lebenskraft alles verrichten innerhalb der Or- ganısmen. Der sogenannte „Mechanismus“ war nicht minder dog- matisch; nach ihm sollten mechanische (physiko-chemische) Kräfte ausreichen zur Erklärung, d. h. zur Beschreibung der Lebensvor- gänge. Der Neovitalismus formuliert das Problem nicht: entweder Vitalismus oder Mechanismus, sondern er sagt: sowohl Mechanismus als auch Vitalismus; d. h. die mechanischen, kausalen Vorgänge in den Organismen werden zusammengehalten, um nicht zu sagen beherrscht von final wirkenden Kräften, die bis zu einem gewissen Grade den geistigen Kräften des Menschen vergleichbar sind. Aber auch in dieser Stellungnahme will der Neovitalısmus nicht dog- matisch auftreten. Ihm sind in Anlehnung an Kant mechanische oder ätiologische, vitale und teleologische Erklärung nur gleichbe- rechtigte Forschungs-Maximen, von denen wir keins bei unserer Analyse der Lebensvorgänge entbehren können; nichtsdestoweniger hoffen wir, dass wenigstens der Zukunft eine befriedigende Syn- these beider Erklärungsarten gelingen möge. Niemals wird man unter Erklärung etwas anderes als Be- schreibung verstehen dürfen, und jede Beschreibung ist mehr oder weniger anthropomorph. Die Aufgabe der Biologie kann nur darın bestehen, in unseren Vorstellungen annähernd zutreffende Nach- bilder der Lebensvorgänge zu gewinnen. Auch in der biologischen Wissenschaft wird die uralte Weisheit Gültigkeit behaupten, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist. Eine andere Wissenschaft als eine mit den Gebrechen menschlicher Vorstellungen behaftete ist Utopie. Über Probleme der Entwickelung. Von Georg Klebs. 1. (Schluss. Bis jetzt bin ich von dem Rhizom ausgegangen. Aber ebenso kann ich den Laubtrieb als Ausgangspunkt benutzen. Die Blätter 602 Klebs, Über Probleme der Entwickelune. (Fig. VI) besitzen eine kurze Scheide, keinen Stiel, eine längliche, derbe, etwas am Rande gezackte Spreite. Die jungen Blattanlagen lassen sich durch Dunkelheit oder schwaches Licht und Feuchtig- keit zu einer Reihe von Formen umgestalten, die verschiedenartige Ubergangsstadien zu den Grenzformen des Rhizoms darbieten. Die Blätter (Fig. IV), die aus einem Laubtrieb im roten Licht im Sommer entstanden sind, zeigen verschiedene Kombinationen von langer Spreite und deutlichem Stiel. Wie früher (1903 S. 85) von mir angedeutet wurde, kann man die Spitze eines Laubtriebes im Herbst in ein Rhizom umwandeln. Die gleiche Metamorphose kann man an einer Seitenknospe oder einem bereits in Entwickelung begriffenen Spross erreichen, wenn man ihn im Sommer mit Wasser umgiebt. Daraus ergeben sich wieder neue Reihen von Blattformen, Übergangsformen zu den Wasserblättern oder Niederblättern. Die Menge der denkbaren und jedenfalls realivierbaren Formen ist damit noch lange nicht er- schöpft. Aber es wird genügen, um zu zeigen, ın welchem Maße eine junge Blattanlage ein plastisches Gebilde: ist, dessen Form durch die Außenwelt bestimmt wird bei der einmal gegebenen spezifischen Struktur. Jede der zahlreichen, nach Größe und Form wechselnden Blätter erreicht einen Gleichgewichtszustand durch Abschluss des Wachstums. Aber auch dieser Abschluss wird notwendig durch die Außenwelt mitbestimmt, ist niemals das alleinige Werk der sogen. Gestaltungsdominanten. Die Blattanlage eines Rhizoms kann ebenso in der Ausbildung des winzigen Scheidenblattes (Fig. IA) wie ın der des Wasser- (Fig. V F) oder Dunkelblattes (Fig. 1B) sein Ende erreichen. Dabei darf man gar nicht be- haupten, dass diese Formen wirklich die Grenzen bedeuten — es werden schließlich Grenzen existieren, aber wir kennen sie noch nicht. Diese Betrachtungen und Erfahrungen lehren noch deut- licher wie meine früheren (1903 S. 145) Bemerkungen, dass für die Frage nach den Ursachen der Formbildung die Quetelet’schen Regeln keine Bedeutung haben, nach denen die Variation eines Organs aus inneren Gründen um einen Durchschnittswert schwanken soll. Man frage sich nun, ob irgend ein Anhaltspunkt vorliege für jede der zahlreichen Blattformen von Ranunculus lingua qualı- tativ verschiedene Stoffe anzunehmen, wie man in Konsequenz der Anschauungen von Sachs annehmen müsste. Man kann nicht sagen, es ist unmöglich, wohl aber betonen, es ist unbewiesen, und sehr unwahrscheinlich. Alle diese Blattformen bestehen auch anatomisch aus den gleichen Gewebeelementen, sie unterscheiden sich nur in quantitativer Beziehung, d. h. der Zahl, Anordnung der Zellen, dem Ausbildungsgrade ihrer Bestandteile. Diese quan- titativen Unterschiede sind das Resultat der quantitativ verschie- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 605 denen Einwirkungen der äußeren Lebensbedingungen. Wie diese wirken, welch ein Zusammenhang zwischen ihnen und den inneren Bedingungen besteht, ıst völlig unbekannt. Aber ım Grunde ist auch das Problem bei polymorphen, nicht lebenden Substanzen ebenso ungelöst. Wir können nur die tatsächlichen Beziehungen jeder Form, z. B. des Schwefels, zur Außenwelt feststellen ohne jede Einsicht, warum es so sein muss. Die Überlegungen betreffend die verschiedenen Blattformen einer Spezies lassen sich mit gleichem Recht auf die verschiedenen Sprossformen übertragen. Die Laubtriebe und Rhizome von Ra- nunculus lingua sind nicht qualitativ verschieden; sie unterscheiden sich in ihren Beziehungen zu den Quantitäten äußerer Bedingungen, durch ein verschiedenes Verhältnis zu Licht und Feuchtigkeit. Sie lassen sich ohne Schwierigkeit ineinander umwandeln. Ich erinnere auch an die wichtigen Untersuchungen Vöchting’s (1902), bei welchen nur durch die Höhe der Temperatur bestimmt wird, ob aus den gleichen Knospen der Kartoffelknollen Stolonen oder Laub- triebe entwickelt werden. Diese Umwandlungsfähigkeit der Spross- form kommt zahlreichen Pflanzen zu, wie eigene Untersuchungen an Eptlobium, Lysimachia (1903 5. 81), an Mentha, Sagittaria u. Ss. W. beweisen. Dagegen sind wir bisher auf bloße Vermutungen angewiesen, wenn wir die Unterschiede von Organen bezeichnen wollen, die ganz verschiedenen Kategorien angehören, wie Stengel und Blätter, Stengel und Wurzeln u. dergl. Es fehlen hier die grundlegenden Untersuchungen, wenn man sich auch berufen kann auf die terato- logischen Fälle gegenseitiger Umwandlung, ferner auf die Tat- sache, dass aus Blättern wie Wurzeln die ganze Pflanze hervor- gehen kann. Ich will auf die Frage, wie weit es möglich ist, die Differenzen solcher Organe auf quantitative Unterschiede beı gleicher chemischer Grundbeschaffenheit zurückzuführen, an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Meine Anschauungen werden vielleicht noch klarer hervor- treten, wenn ich sie mit denen Noll’s vergleiche, die er in seiner interessanten und anregenden Arbeit in dieser Zeitschrift (1903) veröffentlicht hat. In gewissen Beziehungen stehen wir auf ge- meinsamem Boden, in anderen vertreten wir entgegengesetzte Standpunkte. Noll geht von ähnlichen Voraussetzungen aus, wie sie Reinke in seiner Lehre von den Dominanten vertreten hat. Noll (l. ce. S. 296) weist mit Recht auf die große Überschätzung hin, die in der An- nahme stofllicher Verschiedenheiten für die Erklärung formaler Lebensvorgänge liegt. Bei großer Verschiedenheit der stofflichen Grundlage können gleiche Formen entstehen, ebenso bei gleicher stofllicher Beschaffenheit große morphologische und physiologische 604 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Verschiedenheiten. Lässt man auch hier die Verschiedenheit der Spezies bei Seite, so fragt es sich, worauf bei der gleichen Spezies die tatsächlichen Unterschiede der Formen beruhen. Nach Reinke, dem Noll hierin folgt, liegt der Unterschied in den verschiedenen „Dominanten“, Kräfte zweiter Hand, die nicht Energien im physi- kalischen Sinne sind, sondern Einrichtungen, welche die entwickelte oder von außen aufgenommene Energie in gewisse Bahnen lenken und so zu bestimmten Leistungen zwingen. Für denjenigen, welcher, solange es angeht, das Leben auf chemisch-physikalischer Grundlage zu verstehen strebt, gibt es bei Anerkennung gleicher stofflicher Zusammensetzung der Formen nur die andere Alternative, dass die Unterschiede quantitativer Natur sind. Befreien wir die Dominanten von ihrem teleologischen Gewande, das bei Reinke eine Hauptrolle spielt, so bedeutet Domi- nante in der üblichen Sprache nichts anderes als die physikalische Beschaffenheit und Anordnung der die Zelle zusammensetzenden Substanzen. Wenn ich Substanzgemische habe, die ein reversibles dynamisches Gleichgewicht vorstellen, so wird die Richtung der stattfindenden Prozesse durch die Konzentrationsverhältnisse, durch Temperatur u. s. w. bestimmt; das wären dann die Dominanten solcher Systeme. Der Ausdruck Dominante gibt uns über die die Richtung irgend welcher Vorgänge bestimmenden physikalischen Verhältnisse doch keinen Aufsehluss, sondern verdeckt nur die prinzipiell wichtige Auffassung. Es hätte nun ebensowenig Berech- tigung zu sagen, dass das Leben auf den Eigenschaften der Ei- weißstoffe, Kohlehydrate u. s. w. beruhe, wie dass das Leben sich aus der besonderen physikalischen Struktur ergebe. Denn beides muss überall notwendig zusammenwirken. Wenn ich daher auf die Bedeutung der quantitativen Verteilung der Stoffe, auf ihren kolloidalen Charakter etc. hingewiesen habe, so möchte ich durch- aus nicht diese Bedeutung einseitig übertreiben, wie es die Domi- nantenlehre tut. Ich meine nur, dass die quantitativen Änderungen der Außenwelt gewisse Verhältnisse in den Zellen quantitativ ver- ändern, so dass die verschiedenen chemischen Prozesse in anderer Intensität oder anderen Richtungen verlaufen und dadurch das bestimmte Resultat herbeiführen. | Bei den weiteren Betrachtungen (S. 328 u.s.f.) geht Noll von der These aus, dass die peripherische Schicht des Protoplasmas der eigentliche und ausschließliche Sitz der „Gestaltungsdominanten* sei. Er beruft sich auf die direkten Beobachtungen an Siphoneen, bei denen die Hautschieht in Ruhe ist, während das übrige Plasma sich in langsamer ständiger Bewegung befindet. Noll nimmt an, dass auch bei den Zellen der Phanerogamen das gleiche Verhältnis besteht. Für unsere Fragen wesentlicher ist der Versuch Noll’s, die Gestaltungsdominanten physikalisch begreiflicher zu machen, Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 605 indem er sie ım Hinblick auf die neueren Untersuchungen von Berthold, Bütschli u. s. w. auf Oberflächenspannungen der Hautschicht zurückführt. Die Oberflächenkräfte varıeren, wie Noll (1903 S. 403) sagt, nicht nur mit der jeweiligen Gestalt, sondern bei gleicher Form auch mit der absoluten Größe, so dass alle Form- und Größen- verhältnisse eines solchen Organismus in bestimmten Oberflächen- spannungen zum Ausdruck kommen müssen, die man als morpho- statische Oberflächenspannungen oder kurz als Formspannungen be- zeichnen kann. Die Hautschicht „empfindet“ die vorhandenen Ober- flächenspannungen. Diese Formempfindung, die Morphoästhesie, wirkt als Formreiz, und dieser kann verschiedenartige Auslösungen herbeiführen. So empfindet eine gekrümmte Wurzel, dass sie eine andere Form angenommen hat, und die Hautschicht reagiert so, dass die neu entstehenden Seitenwurzeln nur auf der konvexen Seite hervortreten. Gehen wir von diesem Beispiel aus, so könnte man sich denken, dass durch die mechanische Krümmung die Konvexseite eine an- dere Oberflächenspannung erhält als die Konkavseite. Es würde sich nun fragen, ob diese Differenz den Grund für das verschiedene Verhalten der beiden Seiten abgäbe, ob die Zugspannung auf der Konvexseite den Reiz für die Neubildung lieferte. Das wäre eine bestimmte Frage — es würde darauf ankommen, sie experimentell zu prüfen. Irgendeine logische Notwendigkeit, ohne Prüfung die Annahme einfach als die einzig mögliche anzuerkennen, liegt nicht im geringsten vor, da ein weites Reich anderer Möglichkeiten denk- bar ıst. Mit dem gleichen Recht könnte man doch annehmen, dass durch die Dehnung der Zellen auf der Konvexseite eine Steigerung des Wasserzuflusses gegenüber den gedrückten Zellen der Konkavseite eintritt, infolgedessen dann die Neubildungen eher auf der Konvexseite erscheinen. Neubildungen, die auf einer Seite eines zylindrischen Organs entstehen, entsprechend wie bei der gekrümmten Wurzel, lassen sich bei anderen Pflanzen ohne mechanische Krümmung erhalten. So hat Sachs (1887 S. 534) die einseitige Entstehung von Seiten- zweigen an Moosprotonema durch einseitig wirkendes Licht beob- achtet; ich (1896 S. 402) habe auf die gleiche Weise die einseitige Zweigbildung aus jeder Zelle eines Stigeoclonium-Fadens festgestellt. Mucor-Fäden, die einseitig ernährt werden, verzweigen sich sehr viel lebhafter an der betreffenden Seite. In allen diesen Fällen ist es nicht bloß möglich, sondern sehr wahrscheinlich, dass die einseitige Ernährung die einseitigen Neubildungen veranlasst hat. Die damit verbundenen Änderungen der Öberflächenspannungen sind dann sekundär durch die inneren Prozesse bewirkt. Ein solcher Moos- oder Algenfaden kann doch nicht primär eine Form 606 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. empfinden, die noch gar nicht da ist und nur von den zufällig vor- handenen äußeren Bedingungen abhängt. In der Tat scheint aber Noll eine solche Annahme zu machen, indem er alle Möglichkeiten der Formbildungen als Formempfin- dungen schon stets als vorhanden voraussetzt. Da er der Hautschicht neben Formempfindung und Formreizen noch eine Selbstregulation zuschreibt, durch die die Erreichung der endgültigen Form erstrebt wird, kommt er (l. ec. S. 409) zu dem nach seiner Meinung „metho- disch außerordentlich wichtigen“ Schritte, die definitive Gestalt des fertigen Organısmus oder Organs (bezw. die dabeı herrschen- den speziellen Spannungszustände) gewissermaßen als Faktor in die Entwickelungsvorgänge in dem Sinne einzuführen, wie etwa die Richtung der Schwerkraft und des Lichtes in die heliotropischen und geotropischen Bewegungsvorgänge. Nehme ich ein junges Rhizomblatt von Ranuneulus lingua, so soll also in der Hautschicht etwas vorhanden sein, das die künftige Endform voraus empfindet und bei ihrer Erreichung mit- wirkt. Hier haben wir doch nichts anderes als das alte teleo- logische Prinzip des Aristoteles, nach welchem das zukünftige Ganze von Anfang an vorhanden und das Werden bis zum End- ziele beherrscht. Nun lehren doch unzweifelhaft die Tatsachen, dass in dem jungen undifferenzierten Blatt nicht ein zukünftiges Ganzes existieren kann; es ergeben sich aus der inneren Struktur die Möglichkeiten von einer Unmenge verschiedener Ganze. Selbst wenn man die Morphoästhesie als leitendes Prinzip annehmen wollte, so würde es dem jungen Blatt für sein endgültiges Schicksal nichts helfen, weil dieses wesentlich mitbestimmt wird durch die zufällig vorhandenen, für die Blattanlage äußeren Bedingungen. Schon bei dem Lesen der früheren Arbeiten Noll’s, in denen von Oberflächenkräften noch keine Rede war, drängte sich mir die Überzeugung auf, dass die Morphoästhesie nur ein anderer Ausdruck für ein teleologisches Prinzip sei. Noll (l. ec. S. 426) wirft mir vor ihn missverstanden zu haben, er polemisiert sogar direkt gegen die Anschauungen von Driesch. Dann ist die Ausdrucksweise von Noll schuld daran, dass die Annahme eines inneren Wider- spruches gerechtfertigt erscheint. Denn Driesch selbst (1903 S. 732) hat in dieser Zeitschrift deutlich gezeigt, dass Noll ım wesentlichen die Anschauungen von Driesch vertritt, nur mit an- deren Worten. Hält man sich an den nicht missverständlichen, physikalischen Teil der Ausführungen von Noll, so wird man ihm zustimmen, dass mit jeder Formveränderung auch irgendeine Änderung in dem Zustand der äußersten Schicht des Protoplasmas verbunden ist: Aber daraus ergibt sich noch nicht, von welcher Stelle aus und mit welchen Mitteln die Formbildung herbeigeführt wird. Ände- Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 507 rungen der Imbibition, des kolloiden Protoplasmas, des osmotischen Druckes des Zellsaftes, der mannigfaltigen chemischen Prozesse könnten die ersten Schritte für die Formbildung einleiten und dann sekundär auch die äußerste Schicht des Protoplasmas in Mitleiden- schaft ziehen. Auf der anderen Seite schränkt Noll die Mitwir- kung der Oberflächenspannungen zu sehr ein, wenn er sie nur für die Gestaltungsprozesse in Anspruch nimmt, dagegen nicht für die durch Licht und Schwerkraft bedingten Richtungsbewegungen. Bei jeder heliotropischen ete. Krümmung müssen wie bei eimer komplizierteren Formveränderung die Oberflächenkräfte verändert werden. Wenn hier indirekt durch innere Änderungen infolge des Lichtreizes die mit der Krümmung verbundenen Änderungen der Oberflächenspannungen eintreten können, so kann das ebenso für zahlreiche Fälle von Formneubildungen gelten. Entscheiden lässt sich überhaupt in diesen Fragen nichts, ebensowenig wie in solchen, die die morphogenen Prozesse im Zellinnern betreffen, und die von Noll nicht berücksichtigt werden. Jede Bildung eines Stärkekorns am Chlorphylikörper ist ein morphogener Vorgang, eme Fülle von Formänderungen tritt uns bei der Teilung des Zellkernes entgegen. Auch hier müssen Oberflächenkräfte und zwar unabhängig von der Hautschicht, eine Rolle spielen, aber wir wissen nicht, ın welchem Zusammenhange mit anderen chemischen und physi- kalischen Änderungen. Ein Hauptbedenken gegen die Einführung des Noll’schen Be- griffes der Morphoästhesie liegt in seiner großen Unbestimmtheit. Früher (z. B. 1900 S. 408) hat Noll ganz heterogene Formbil- dungen, wie die Stellung der Neubildungen an gekrümmten Organen, die Exotrophie, die Regenerationserschemungen u. s. w. unter den Begriff der Morphoästhesie zusammengefasst. Gemeimsam ist allen diesen Vorgängen, dass ein engerer Zusammenhang mit äußeren Reizen bisher nicht bekannt ist. Jetzt in der neuesten allgemeinen Fassung des Begriffes fallen alle Vorgänge unter den allgemeinen Begriff der Formbildung überhaupt; ein näheres Kennzeichen für die Morphoästhesie fehlt nach den vorhergehenden Darlegungen, da Änderungen von Oberflächenspannungen überallvorkommen. Jede Formbildung ist das Resultat innerer Vorgänge in den Zellen, und die verschiedenartigsten chemischen und physikalischen Veränderungen können dabei wirksam sein. Es ist berechtigt bald diesen bald jenen Faktor vermutungsweise herauszugreifen, um zu versuchen, wie weit man mit ıhm für die Erklärung auskommen kann. Die sicherste Methode, um später wirkliche Einsichten zu gewinnen, wird immer darın bestehen, die inneren Vorgänge in ihrer Abhängigkeit von bekannten äußeren Bedingungen zu er- kennen und damit die Formbildungen der Pflanzen trotz der ungemein komplizierten Beschaffenheit schließlich doch so beherrschen zu 608 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. lernen, wie es bei den einfachen Formbildungen lebloser Körper möglich ist. Literatur. Bernstein, J. Ohemotropische Bewegung eines Quecksilbertropfens. Arch. f. Phys. Bd. 80, 1900. — Die Kräfte der Bewegung in der lebenden Substanz. Naturw. Wochen- schrift 1901. Berthold, G. Studien über Protoplasmamechanik. Leipzig 1886. Bütschli, ©. Untersuchungen über mikroskopische Schäume. Leipzig 1892. Driesch, H. Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. — Neue Antworten und neue Fragen der Entwickelungsphysiologie. Ergebn. Anat. u. Entw. Bd. XT, 1901. — Kritisches und Polemisches IV, Biolog. Centralbl. XXIII, 1903. Goebel, K. Pflanzenbiologische Schilderungen II, Marburg 1893. Henslow, G. The origin of plant-structures by self-adaptation to the environ- ment, London 1895. Klebs, G. Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen. Jena 1896. — Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen. Jena 1903. Massart, L’accomodation individuelle chez Polygonum amphibium. Bull. Jard. bot., Bruxelles 1902. Noll,F. Über den bestimmenden Einfluss von Wurzelkrümmungen auf Entstehung und Anordnung der Seitenwurzeln. Landw. Jahrb. 1900. — Beobachtungen und Betrachtungen über embryonale Substanz. Biol. Centralbl. XXIII, 1903. Ostwald, W. Vorlesungen über Naturphilosophie. Leipzig 1902. Reinke, J. Über Caulerpa. Ein Beitrag zur Biologie der Meeresorganismen. Kiel 189. — Einleitung in die theoretische Biologie. Berlin 1901. Rhumbler, L. Physikalische Analyse der Lebenserscheinungen der Zelle, I. Arch. f. Entwickelungsmech. VII, 1898. Sachs, J. Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, 2. Aufl. Leipzig 1387. Vöchting, H. Über die Keimung der Kartoffelknolle. Bot. Zeitg. 1902. 6. Über den Entstehungsort von Gestaltungsprozessen. In den vorhergehenden Betrachtungen ist die wichtige Frage nicht näher berührt worden, welche Bedingungen den Ort eines Gestaltungsprozesses bestimmen. Diese Frage ist in ihrer großen Bedeutung für die Tierphysiologie von Driesch erkannt und von ihm wiederholt (1899, 1901) behandelt worden; sie ist sogar der Ausgangspunkt für seine Ansicht von der Autonomie des Lebens geworden. Bei denjenigen Pflanzen, bei denen es überhaupt heute möglich ist experimentell einzugreifen, liegt nach meiner Meinung ein zwingender Grund für die Anschauungen von Driesch nicht vor. Bei den Blütenpflanzen ist der Vegetationspunkt die Stelle, an der Blätter, Sprosse, Blüten entstehen, während andererseits auch die Basis des Hauptstengels fähig ist, Wurzeln oder beson- dere Sprossformen zu bilden. Die Ursachen sind, wie man zu sagen pflegt, „innere“, d. h. zunächst völlig unbekannte. Aber für gewisse Fälle besteht auch heute schon die Möglichkeit der Frage Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 609 nachzugehen, dann nämlich, wenn infolge von Abtrennungen oder Verletzungen die Entfaltung schlummernder Anlagen oder die Neu- bildung von Organen beobachtet werden kann. Durch die be- kannten Untersuchungen Vöchting’s (1875) ist eine innere Be- dingung festgestellt worden, die sogen. Polarität, die als eine „erblich fixierte* Eigenschaft bewirkt, dass an irgend einem Stengelstück das apikale Ende zur Bildung von Sprossen, das basale Ende zu der von Wurzeln geneigt ist. Das viel besprochene Problem interessiert hier besonders durch die Frage, welche Bedeutung der Polarität tat- sächlich für den Entstehungsort in bestimmten Fällen zukomme (1901 S. 187). Pfeffer hob hervor, dass an dem Vegetationspunkt keine ıin- härente Polarität bestehen könne, sondern dass mit der Differen- zierung unter dem Einfluss des schon Bestehenden eine gewisse Polarität fixiert werde. Ich stimme mit Pfeffer im wesentlichen überein, nur möchte ich es anders formulieren. In der spezifischen Struktur liegt an und für sich irgendeine Polarität nicht begründet. Sie entsteht infolge der Entwickelung der Pflanze, die vom ersten Moment ab stets unter dem Einfluss einseitig wirkender Kräfte vor sich geht. Schon die befruchtete Eizelle im Embryosack wird durch die von der Mutterpflanze ausgehenden Ernährungsverhält- nisse polarisiert. Wenn Fitting (1903 S. 363) neuerdings die Po- larıtät sogar als eine „Grundeigenschaft der lebenden Substanz“ allerdings nur bei höheren Pflanzen bezeichnet, so steht diese Be- zeichnung mit der Tatsache in Widerspruch, dass der Einfluss der Polarität in bestimmten Fällen so sicher und leicht zu beseitigen ist. Bei den niedersten Pflanzen, den einzelligen Algen, selbst mehr- zelligen Formen wie Spirogyra, Hormidium fehlt jede Spur einer Polarität. Wir wissen nicht, aus welchen Gründen beı höher diffe- renzierten Algen die Polarität ausgebildet worden ist. Aber es ist berechtigt anzunehmen, dass die in bestimmten Richtungen wirken- den äußeren Kräfte dafür wesentlich gewesen sind. Sehr anschau- lich tritt die tatsächliche Abhängigkeit der Polarität von äußeren Einflüssen bei gewissen Algen hervor. In einer Basler Arbeit hat Borge (1894) nachgewiesen, dass gewisse Spirogyra-Arten (beson- ders fluwiatilis) ım stande sind, an den zufällig vorhandenen End- zellen Rhizoiden zu bilden, mit denen sich die Alge an Steinen im fließenden Wasser festsetzen kann. Jede Zelle ıst befähigt zu einer solchen Basis des Fadens zu werden, sofern sie eine Eindzelle wird und mit einem festen Körper in mechanischem Kontakt kommt. Aber das physiologisch sehr Merkwürdige hegt darın, dass der Ein- fluss des Kontaktes ersetzt werden kann durch Lösungen gewisser Substanzen wie Rohrzucker, Harnstoff, Albumin, dagegen nicht durch Salzlösungen. Vielleicht übt hier, wie ich annehme, die innere Reibung zäher Flüssigkeiten die Rolle des Reizes. XXIV. 39 610 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. Bei diesen Algen existiert nur eine Basis, keine ausgesprochene Spitze. Eine höhere Form zeigt sich in den Fäden der Vaucheria clarata, die bei völlig ungestörter Entwickelung eine durch Rhizoid- bildung ausgezeichnete Basıs und eine fortwachsende Spitze hat. (seht man von Zoosporenkeimlingen aus, so hängt diese Polarität ganz von äußeren Bedingungen ab. Die Zoosporenkugel treibt nach entgegengesetzten Seiten je einen Keimschlauch; derjenige, welcher mit dem Substrat ın Berührung kommt, wird ähnlich wie beı der Spirogyra-Art zur Rhizoidbildung angeregt (Borge l.c. S. 47), der andere wird zur Spitze. Bei Kontakt beider Keimschläuche mit festen Körpern können zunächst beide zur Basıs werden. Bei noch höher differenzierten Siphoneen ist die Basıs, der Wurzelpol und die Spitze, der Stengelpol, noch schärfer ausgebildet. Aber wie Noll (1888) zuerst gezeigt und Winkler (1900) bestätigt hat, lässt sich die Umwandlung des Sprosspoles in einen Wurzelpol durch Schwächung der Lichtintensität herbeiführen, ebenso umge- kehrt durch Steigerung des Lichtes die Umwandlung des Wurzel- poles in den Sprosspol. Bei den höheren Pflanzen muss man die durch die vorhergehende Entwickelung bedingte Polarıtät als ge- geben annehmen; es ist noch eine ungelöste Frage, welche physio- logischen Vorgänge durch die bestimmt gerichtete anatomische Struktur betroffen sind. Aber es handelt sich doch nur um quan- titative Unterschiede, d.h. um mehr fördernde oder mehr hemmende Einwirkungen. Deshalb habe ich (1903 S. 112) die Folgerung ge- zogen, dass der Einfluss der Polarität stets irgendwie zu beseitigen sein müsste, indem man diesen inneren Förderungen oder Hem- mungen durch äußere Faktoren entgegenwirkt. Die Beobachtungen an abgeschnittenen Pflanzenteilen sind für die Frage nach den mit der Polarität verbundenen Unterschieden gewisser Lebensvorgänge sehr wichtig, betreffen aber nur die eine Seite des Problems. Auch an unverletzten Pflanzen zeigt sich ein Einfluss der Polarität, insofern z. B. an einem Stengel die Laub- sprosse vorzugsweise am apikalen, die unterirdischen Ausläufer an den basalen Enden entstehen. Vöchting (1887 S. 22), der diese Beziehungen festgestellt hat, bezeichnet diese Eigenschaft der Stengel mit einem Ausdruck von Pfeffer als Verticibasalität. Nun existiert kein wirklicher Gegensatz zwischen dem Verhalten abgeschnittener und unverletzter Pflanzen. Nach meiner Auffassung (1903 S. 109) stellen die auf Grund von Verletzungen veranlassten Entfaltungen oder Neubildungen von Organen keine spezifische Re- aktion der Pflanze vor. Durch die Abtrennung in Verbindung mit der weiteren Kulturmethode werden gerade diejenigen Bedingungen geschaffen, die an und für sich unter allen Umständen den be- treffenden Bildungsprozess herbeiführen. Es hängt nur von dem Stande unserer Kenntnis ab, ob es möglich ist, in diesem oder Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 611 jenem Falle die inneren Bedingungen mit Hilfe der äußeren so zu verändern, dass die Organbildung an den verschiedenen Orten eines Stengels hervorgerufen wird. So lässt sich bei Weidenästen die Entfaltung und Neubildung von Wurzeln an allen Orten des Stengels veranlassen unabhängig von jeder Verletzung und dem Einfluss der Polarıtät. Goebel hat in seiner neuesten Arbeit (1904 S. 115) über Regeneration meiner Auffassung entgegengehalten, dass sie einer- seits zu viel, andererseits zu wenig ausdrücke. Sie soll nieht be- tonen, „dass die Bedingungen sind: einerseits die Aufhebung einer durch den Verband mit anderen Organen erfolgenden Hemmung, andererseits das Vorhandensein bestimmter äußerer Faktoren. Die letzteren sind bei einer Ufrieularia exoleta, die alle ihre Vegetations- punkte noch hat, dieselben wie bei eimer anderen, welcher die Vege- tationspunkte genommen wurden. Die erstere hat keine blattbürtigen Adventivsprosse, die letztere bringt sie hervor“. Dieser Einwurf trifft aber gar nicht meinen Satz, weil ein prinzipieller Gegensatz zwischen direkten äußeren Einflüssen und durch andere Organe vermittelten, korrelativen Wirkungen für ıhn nicht existiert; mein Satz schließt eben beides ein und kann daher gar nicht zu wenig sagen. Ich gehe davon aus, dass jede Neubildung auf einem bestimmten Komplex innerer Bedingungen beruht. Nun kommt es darauf an, die vorhandenen Bedingungen in einem Blatt so durch irgend welche Einflüsse zu verändern, dass die Neubildung erfolgt. Wenn bisher bei der von Goebel untersuchten Ufriceularia dies nur da- dureh geschieht, dass die Vegetationsspitzen abgeschnitten werden, so beweist das nicht, dass man nicht durch besondere Kombi- nationen äußerer Einflüsse das Gleiche ohne Verletzung erreichen könnte. Nehmen wir einmal willkürlich an, dass die Blätter von Utrieularia erst dann Adventivknospen treiben, wenn eine gewisse Ansammlung organischer Substanzen in ihnen stattfände, so würde durch Entfernung der Vegetationspunkte der von den Blättern aus- gehende Nahrungsstrom eingeschränkt werden; die Stoffe bleiben in größerer Menge in den Blättern und regen zur Knospenbildung an. Nun wäre es sehr denkbar, dass die gleiche Ansammlung auch ohne Verletzung erreicht werden könnte, z. B. durch lokalısierte Steigerung der Ernährung oder durch Einschränkung des Stengel- wachstums u. s. w. Ob es nun möglich ist, in diesem speziellen Falle oder in anderen sofort ein positives Resultat zu erlangen, kann man nicht vorher sagen; negative Resultate lassen zum min- desten die Frage unentschieden, beweisen aber gegen die theo- retische Richtigkeit des Satzes wenig. Gewiss sagt in dieser Be- ziehung der Satz zu viel; er soll vor allem dazu anregen, die Regenerationserscheinungen, die man auch heute gern als zweck- 33 b12 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. mäßig wirkende Ergänzungen eines gestörten oder verletzten Ganzen auffasst, von einem ganz anderen Standpunkt aus zu untersuchen. Aus meinen theoretischen Darlegungen ergibt sich aber noch ein anderer wichtiger Gesichtspunkt, der bei den bisherigen Unter- suchungen über Regeneration nicht berücksichtigt worden ist. Für solche Versuche nımmt man z. B. Blätter einer Pflanze und sieht nach, ob sie in feuchter Luft u. s. f. Sprosse bilden. Das Resultat wird bestimmt einmal durch die spezifische Struktur, zweitens durch die äußeren Bedingungen des Versuchs, drittens durch den jeweiligen Zustand des Blattes, d.h. dem gerade vorhandenen Komplex innerer Bedingungen. Diese sind nach meiner Auffassung variabel, sie sind verschieden je nach der vorhergehenden Kulturmethode. Da- her müsste man versuchen, die Pflanze samt ihren Blättern ver- schiedenen, aber für jeden Versuch konstanten Kombinationen äußerer Bedingungen auszusetzen. Dadurch würden die Blätter andere innere Bedingungen erhalten und könnten nach dem Ab- schneiden auch anders reagieren. Der von mir aufgestellte Satz, dass die Regeneration in Form von Ersatzbildungen keine spezifische Reaktion darstellt, stützt sich nicht bloß auf die erfolgreichen Versuche mit Weiden etec., sondern nicht minder auf meine Erfahrungen über die Metamor- phose von Organen, bei welcher die gleichen Fragen uns entgegen- treten. Der Gebrauch abgeschnittener Teile, der Stecklinge, ıst unzweifelhaft für solche Versuche oft die bequemste Methode, aber, wie ich hervorhob, z. B. für die Metamorphose der Infloreszenzen von Veronica chamaedrys nicht notwendig. Selbst die viel schwieriger herbeizuführende Metamorphose von Blütenständen der Ajuga reptans konnte ich in letzter Zeit ohne jede Verletzung erhalten. Die ver- schiedenen Metamorphosen bei Sempervirum-Arten wurden fast sämtlich ohne Verwundungen gewonnen. Bei den unverletzten Pflanzen hängt, wie vorhin bemerkt, der Ort der Neubildung in emem gewissen Grade von der polaren Differenzierung ab. Nach meinen Darlegungen bedingt die Polarität nur Hemmungen bezw. Förderungen gewisser physiologischer Pro- zesse, und ihr Einfluss müsste zu beseitigen sein. Da überhaupt jede Zelle oder jede Gruppe teilungsfähiger Zellen alle Möglich- keiten für die Entwickelung der verschiedenen Organe einer Spezies umschließt, so müsste theoretischer Betrachtung nach jedes Organ an jedem Ort entstehen können. Es käme darauf an, den Be- dingungskomplex für jedes Organ so genau zu kennen, um ihn nach Belieben verwirklichen zu können. Bisher ist es aber nur in ein- zelnen Fällen möglich, den Entstehungsort sehr stark zu variieren, aber diese Fälle beweisen zunächst die prinzipielle Berechtigung der Auffassung. Nach den Versuchen Knight’s und besonders von Vöchting Klebs, Über Probleme der Entwickelung. 615 (1857) können an jeder Stelle eines Kartoffellaubsprosses’ knollen- bildende Ausläufer entstehen, die für gewöhnlich nur an der Basis entstehen. Aus den interessanten Versuchen von Mattırolo (1900 S. 21) mit Vicia Faba geht hervor, dass nach Wegnahme der Blüten die neu entstehenden am ganzen Stengel hervortreten, selbst an der Basıs, wo sie sonst nie vorkommen. Bei Ajuga replans ent- stehen Rosetten aus allen Vegetationspunkten der plagiotropen wie orthotropen Sprosse, ebenso an den Wurzeln, nach meinen neuesten Beobachtungen auch an Blättern. Bei Sempervivum-Arten können Rosetten an den alten Rosetten, an Ausläufern, an allen Teilen des Blütenstandes gebildet werden (s. S. 266). Der Haupt- spross von Ranunculus lingua kann an allen Stellen mit Vegetations- punkten Rhizome bilden. Als letztes Beispiel erwähne ich das be- rühmte Dryophyllum calyeinum. Sowohl Wakker (1885 S. 40) wie Gowebel (1902 S. 418) haben bemerkt, dass an unverletzten Blättern Adventivknospen auftreten. Hier interessiert uns aber vor allem die Wurzelbildung. Ich stellte eine kräftige junge Pflanze im Fe- bruar 1902 in ein feuchtes Gewächshäuschen, das in meinem Ver- suchshaus stand. Auch hier traten wie bei den Pflanzen Goebel’s einzelne Adventivbildungen an den älteren Blättern auf zugleich mit einigen Wurzeln. Alle anderen Blätter zeigten nichts davon. Die Pflanze wuchs unter Bildung neuer Blätter im Frühjahr und Sommer normal weiter. Als nach dem kühlen September im Ok- tober stark geheizt wurde, zeigte die Pflanze sich gegen früher sehr verändert. Aus allen Kerben der älteren wie der mittleren Blätter, aber auch aus einzelnen Kerben der jungen Blätter brachen dichte Büschel von Wurzeln hervor; sie zeigten sich sogar an solchen Blättern, die nachher noch etwas ın die Länge und Breite wuchsen. Solche Wurzeln traten ferner an der Mehrzahl der Knoten des Stengels hervor, sie bildeten sich sogar an den Internodien, und was das Auffallendste war, sie brachen auch aus den Blattstielen der jüngeren Blätter hervor. Die lange vorhergehende Kultur in der feuchten Luft hatte die inneren Bedingungen für die Wurzel- bildung günstig verändert; der plötzliche Übergang aus niederer in höherer Temperatur hatte dann die Neubildungen hervorgerufen. Es eröffnet sich auch hier die vorhin angedeutete Möglichkeit durch eine bestimmte, längere Zeit andauernde Kulturmethode die inneren Bedingungen so zu verändern, dass man Neubildungen ohne jede Verletzung an Orten veranlassen kann, wo sie unter ge- wöhnlichen Umständen nie vorkommen. In allen solchen Fällen ist der gewisse Einfluss der Polarität, den man als ständig wirksam annehmen muss, völlig bei Seite ge- schoben. Die z. B. aus dem Ort der Spitze sich ergebenden, hemmenden Wirkungen auf die Ausläufer- oder Rosettenbildung sind durch andere Einflüsse aufgehoben. Gehen wir von einem 614 Klebs, Über Probleme der Entwickelung. bestimmt®n Ort, z. B. dem terminalen Vegetationspunkt eines Stengels aus, so erhält er durch seinen Zusammenhang mit der übrigen Pflanze, die unter bestimmten äußeren Bedingungen auf- wächst, gewisse innere Bedingungen, die auf Grund der vorhan- denen Potenzen die Art der seitlichen Neubildung festsetzen, z. B. die Bildung von Laubsprossen. Durch Änderungen der Außenwelt werden jetzt die inneren Bedingungen verändert; der Vegetationspunkt muss Blütensprosse erzeugen, na: er kann bei erneuter Änderung wieder Sprosse men Ein solcher Vegetationspunkt kann N durch Änderungen der Außenwelt in seiner inneren Beschaffenheit so verändert werden, dass er direkt in den eines anderen Organs verwandelt wird, z. B. bei Ajuga aus einer Infloreszenzspitze zu einer Sprossspitze, bei Semperrivum aus der Spitze einer eymösen Blüte zu einer solchen der Rosette wird. Aus allem folgt, dass das Problem von dem Entstehungsort eines Organs bei Pflanzen zusammenfällt mit dem Problem seiner Entstehungsbedingungen. Den richtigen Weg zu der Erforschung aller solcher Probleme der Gestaltung oder Entwickelung gibt der die ganze Arbeit durch- ziehende Grundgedanke, nach welchem die uns noch so unbekannte Innenwelt der Zellen geändert und willkürlich reguliert werden kann mit Hilfe der bekannten, direkt oder indirekt, plötzlich oder stetig, einzeln oder in mannigfachsten Kombinationen wirkenden Faktoren der Außenwelt. Literatur. Borge, 0. Über die Rhizoidenbildung bei einigen fadenförmigen Chlorophyceen. Upsala 1894. Driesch, H. Die Lokalisation morphogenetischer Vorgänge. Leipzig 1899. — Die organischen Regulation. Leipzig 1901. j Fitting, H. in einem Referat über Kretschmar. Über Entstehung und Aus- breitung der Plasmastörung infolge von Wundreiz. Bot. Zeitg. 1903 S. 361. Goebel, K. Über Regeneration im Pflanzenreich. Biol. Centralbl. XXI, 1902. —- Morphologische und biologische Bemerkungen 15: Regeneration bei Utri- cularia. Flora 1904. Klebs, G. Willkürliche Entwickelungsänderungen bei Pflanzen. Jena 1903. Mattirolo, O. Sulla influenza che la estirpazione dei fiori esereita sui tubercoli radicali. Malpighia Vol. XIII, 1900. Noll, Fr. Über den Einfluss der Lage auf die morphologische Ausbildung einiger Siphoneen. Arb. d. bot. Inst. W ürzburg III, 1888. — Über die Umkehrungsversuche mit Br. Yopsis. Ber. d. bot. Gesellsch. 1900. Pfeffer, :W. Pflanzenphysiologie, 2. Aufl. Bd. II, 1. Hälfte, Leipzig 1901. Vöchting, H. Über Organbildung im Pflanzenreich. Bonn, Bd. I, 1878. — Über die Bildung der Knollen. Kassel 1887. Wakker, J. H. Onderzoekingen over adventive Knoppen. Proefschrift Haar- lem 1855. Winkler, H. Über Polarität, Regeneration und Heteromorphose. Jahrb. f. wiss. Bot. XXXV, 1900. v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 615 Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. Zusammengefasst von M. v. Linden (Bonn). Die großen Fortschritte, welche die experimentelle Lepidop- tereologie in den letzten 15 Jahren gemacht hat, das umfangreiche Tatsachenmaterial, das durch die unermüdliche Tätigkeit der auf diesem Gebiet beschäftigten Forscher angehäuft worden ist, und die wichtigen Schlussfolgerungen, die wir auf die Versuchsresul- tate aufgebaut sehen, lassen eine zusammenfassende Darstellung der Hauptergebnisse der zahlreichen Experimente wünschenswert erscheinen. Die ersten Forscher, die sich die Aufgabe gestellt haben, an der Hand des Experimentes die Ursachen der Varietätenbildung bei Schmetterlingen kennen zu lernen, waren, wie bekannt, Dorf- meister (3) und Weismann (22). Mehr wie 100 Jahre früher hatte allerdings auch schon R&ea umur (16) den Einfluss veränderter äußerer Bedingungen auf die Entwickelung der Se hmetterlingspuppen stu- diert, er war aber dabei mehr von physiologischen wie von des- zendenztheoretischen Gesichtspunkten geleitet und begnügte sich damit, festzustellen, dass Schmetterlingspuppen, die ihre Entwicke- lung entweder in anormal kühler Umgebung (Kellertemperatur) durchgemacht hatten, oder aber mit Firnis überzogen worden waren, sich später zum Schmetterling entfalteten, wie ihre unter normalen Bedingungen gelassenen Artgenossen. Reaumur erbrachte damit den Beweis, dass das Überfirnissen der Haut wie die Kälte bei längerer Einwirkung stoffwechselherabsetzend wirkt, eine Tatsache, die erst viel später für Wirbeltiere festgestellt worden ist. Er er- wähnt indessen nicht, dass auch die Färbung oder Zeichnung eines solchen in seiner Entwickelung verzögerten Falters verändert ge- wesen wäre. Während der französische Forscher der Wirkung veränderter Lebensweise auf die Gestaltung des Falterkleides keine größere Beachtung geschenkt hatte, nahmen umgekehrt die For- schungen Dorfmeister’s und Weismann’s und damit aller Ver- treter der experimentellen Lepidoptereologie ihren Ausgang von den Erscheinungen des Saisondimorphismus, einem Phänomen, das lange unbeachtet geblieben war, aber sehr deutlich für eine nahe Beziehung zwischen der Temperaturwirkung während der Puppen- periode und der Gestaltung des Schmetterlings in bezug auf Farbe und Zeichnung zu sprechen schien. Man hatte nämlich beobachtet, dass einzelne Schmetterlingsarten in zweı voneinander oft sehr verschieden gefärbten und gezeichneten Generationen fliegen und hatte vermutet, dass dieser Dimorphismus dem Umstand zuzu- schreiben sei, dass sich die Puppen der ersten Generation in der kalten, die der zweiten während der warmen Jahreszeit entwickeln. Diese Vermutung wurde zur Gewissheit, als es zuerst Dorfmeister und sehr bald auch Weismann gelang, bei Vanessa levana-prorsa 516 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. dadurch, dass er die für die Sommergeneration bestimmten Puppen sich bei niederer Temperatur entwickeln ließ, Falter zu erziehen, die zum Teil die Wintergeneration V. /evana, zum Teil einen Über- gang zu dieser V. levana-prorsa ergaben. Schließlich gelang es auch, durch hohe Temperaturen aus den überwinterten Puppen von Vanessa levana Falter zu erziehen, die in Färbung und Zeich- nung der Sommergeneration ähnlich waren. Durch diese günstigen Versuchsergebnisse war der Grund zu Untersuchungen gelegt, deren Resultate, wie wir sehen werden, für die biologische Wissenschaft von außerordentlicher Bedeutung geworden sind. Die Versuche Dorfmeister's und Weismann’s blieben lange vereinzelt, wohl deshalb, weil unter dem wachsenden Einfluss der Darwin'schen Selektionslehre ganz andere Gesichts- punkte für die Beurteilung der Varietätenbildung in den Vorder- grund traten. Zu neuem Aufschwung gelangte die experimentelle Lepidopte- reologie durch die weit ausgedehnten Untersuchungen Merri- field’s (15) und Standfuß (20), Untersuchungen, die zum Ausgangs- punkt von einer sehr großen Reihe von Experimenten geworden sind. In weitaus den meisten Fällen wurde nur an Schmetterlings- puppen experimentiert, besonders da, wo es sich darum handelte, den Einfluss der Temperatur, der elektrischen Reizung, der Druck- wirkung, der Atmungsluft auf die Entwickelung und Gestaltung des Schmetterlings kennen zu lernen. In anderen Fällen wurde das Experiment auch auf Raupen ausgedehnt, wo es z. B. galt, den Einfluss der Ernährung und der Beleuchtung auf die Färbung und Zeichnung des Falters festzustellen. In bezug auf die physio- logische Wirkungsweise der verschiedenen Experimente müssen wir scharf unterscheiden zwischen den Eingriffen, die sich in der Entwickelung und Gestaltung des Falters nur dadurch geltend machen, dass sie den Stoffwechsel der Puppe innerhalb normaler Grenzen erhöhen oder herabsetzen, und andererseits zwischen solchen, die einen Zerfall des lebendigen Plasmas und damit eine momentane oder auch länger andauernde Störung der vitalen Funktionen nach sich ziehen. Die Ergebnisse dieser beiden Ver- suchsreihen sind, wie zu erwarten, verschieden. In mäßiger Weise den Stoffwechsel der Puppen erhöhend oder herabsetzend wirken nicht zu lang anhaltende und nicht zu heftige Temperatursteigerungen oder Temperaturerniedrigungen, stofl- wechselanregend wirkt, ferner Erhöhung des Partiardruckes des atmosphärischen Sauerstoffs (12), Fütterung der Raupen mit Eisen- albuminat (12), vielleicht auch die Beleuchtung mit blauem Licht (2 u. 12). Als den Stoffwechsel schädigende Eingriffe haben wir die Anwendung übermäßig niederer (Frost) und übermäßig hoher (Hitze) Temperaturen während des Puppenlebens zu bezeichnen, v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 617 ebenso den Eimfluss narkotischer Mittel und des Kohlensäuregases, ferner traumatische Reizung (Zentrifugieren, Abschnüren [19]) der Puppen anzusehen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass manche Faktoren auf die Färbung der Falter direkt verändernd einwirken, so werden z. B. manche Pigmente aus den chromatischen Bestand- teilen der Nahrung gebildet und können bei einem Wechsel der Nahrungspflanze dem Raupenorganismus entzogen, bezw. durch an- dere Substanzen ersetzt werden, was dann eine Änderung der Schuppenfarben nach sich zieht (14, 15). Es lässt sich ferner zeigen, dass Wärme den Farbenton des roten Vanessenpigmentes direkt beeinflusst, wie es scheint ebenso der gesteigerte Partiardruck des atmosphärischen Sauerstoffs und vielleicht die Beleuchtung mit monochromatischem Licht. Wir werden danach in vielen Fällen mit direkt und indirekt erfolgten Abänderungen der Falter zu rechnen haben. Bei weitem am ausgedehntesten ist das Material, das wir den Temperaturexperimenten verdanken, deren Ergebnisse von ganz besonderer biologischer und deszendenztheoretischer Bedeu- tung sind, weil sie uns den Einfluss des Klimas auf die Gestaltung der Schmetterlinge am besten illustrieren und außerdem über die Abänderungsfähigkeit und über die Entwickelungsrichtungen der verschiedenen Formen in schönster Weise Aufschluss geben. Durch ihre Variationsfähigkeit sind die Temperaturexperimente außerdem gut geeignet, um den Unterschied der die Entwickelung der Puppen nur mäßig beeinflussenden Reize und der die Lebenstätigkeit der Puppe störenden Eingriffe zu veranschaulichen. Was die Anordnung der Temperaturexperimente betrifft, deren Besprechung ihrer Bedeutung nach an erster Stelle zu geschehen hat, so ıst dieselbe heute eine von den älteren Methoden insofern abweichende geworden, als sich die Experimentatoren jetzt vor- wiegend künstlicher im Thermostaten oder durch Kältemischungen erzeugter Temperaturen bedienen, während die älteren Forscher ihre Wärmeformen ım warmen Zimmer oder im Gewächshaus er- zogen und ihre Kälteformen bei Kellertemperatur erzielten. Die Vorteile der neuen Methode bestehen einmal darin, dass es so mög- lich ist, die Versuche in bestimmter Weise zu variieren, die Tem- peratur konstant zu erhalten, die zugeführte Wärmemenge genau zu bestimmen und auch den Feuchtigkeitsgrad der die Puppe um- gebenden Atmosphäre in entsprechender Weise zu regulieren. Von Nachteil ist vielleicht der Umstand, dass im Thermostaten die natürlichen Verhältnisse weniger genau kopiert werden können, so dass die künstlich erzielten Varietäten nicht ohne weiteres als klimatische Formen betrachtet werden dürfen. Die Übereinstim- mung der Ergebnisse dieser neuen Experimente mit den älteren Versuchsresultaten, bei denen den klimatischen Einflüssen als solche 618 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. mehr Rechnung getragen wurde, ist indessen so groß, dass von einer Entstellung der Ergebnisse durch Anwendung künstlicher, konstanter Temperaturen nicht gesprochen werden kann. Die Temperaturexperimente, welche seit Dorfmeister und Weismann vorwiegend mit Anwendung künstlicher Temperaturen gemacht worden sind, können je nachdem mäßig oder extrem ge- steigerte bezw. erniedrigte Grade zur Anwendung kamen, in Wärme- und Kälte-, bezw. mn Hitze- und Frostexperimente geschieden werden. Im ersten Fall befanden sich die zum Ex- periment verwendeten Puppen ım Brutschrank, bei einer Tem- peratur von 37—-39° C. und wurden mehrere Tage (2, 3 und auch länger) darın belassen, oder aber sie wurden Wochen bis Monate lang niederen Wärmegraden von 46°C. ausgesetzt. Nach dieser Be- handlung mit höheren oder niederen Temperaturen verblieben die Versuchstiere stets noch einige Zeit in Zimmerwärme, ehe die Falter ausschlüpften. Bei den Hitze- und Frostexperimenten wurde mit physiologisch viel wirksameren Temperaturen operiert. Es ge- langten hier stets Temperaturgrade zur Anwendung, die so hoch (40—50° C.) bezw. so tief (—1 bis —20°C.) waren, dass sie von dem Puppenorganismus eben noch ertragen werden konnten. Es ist deshalb erklärlich, dass die Hitze- und Frostexperimente weit höhere Verluste an Puppenmaterial zur Folge hatten, wie die mit mäßig erhöhten und erniedrigten Temperaturen angestellten Ver- suche. Die Wärme- und Kälteexperimente einerseits und die Hitze- und Frostexperimente andererseits haben entsprechend der jedesmal angewandten physiologisch verschieden wirkenden Reize zu recht abweichenden Ergebnissen geführt. Während sich nämlich die Färbungs- und Zeichnungsabänderungen der durch mäßig niedere und mäßig erhöhte Temperatur erzielten Falter stets in den Grenzen klimatischer Varietätenbildung halten und denselben Gegensatz zum Ausdruck bringen, wie etwa die Kleider der südlichen und nördlichen Verwandten der betreffenden Falterart, so ergeben die Hitze- und Frostexperimente Formen, die in der freien Natur nur höchst selten als Aberrationen zur Entwickelung kommen und scheinbar merkwürdigerweise keine einander entgegengesetzte, son- dern dieselben Entwickelungsrichtungen emschlagen. Die Wirkungs- weise der Wärme und Kälte, bezw. der Hitze und des Frostes, ist auch dadurch verschieden, dass sich bei den ersteren Versuchen fast immer alle Individuen abändern, während bei Hitze und Frost oft nur ganz wenige umgeprägt werden. Die Empfindlichkeit der Schmetterlingspuppen für Temperatur- reize ist selbst bei Individuen einer und derselben Brut oft recht ungleich und hängt, wie Bachmetjew (1) in seinen schönen Ver- suchen gezeigt hat, von den verschiedensten teils in, teils außer- v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 619 halb des Puppenorganismus gelegenen Faktoren ab. Expositions- dauer, Abkühlungsgeschwindigkeit, Alter, Geschlecht, Ernährungs- zustand und Säftereichtum der Puppen, spielen dabei eine sehr große Rolle. Es ist deshalb auch leicht verständlich, dass sowohl die Kälte- und Wärmeexperimente, wie auch die Hitze- und Frost- versuche nicht immer vollkommen reine Resultate ergeben, beson- ders wenn es sich um sehr lange Expositionsdauer oder um die Anwendung von Grenztemperaturen handelt. So kann es vor- kommen, dass bei ziemlich hohen Wärmegraden nach längerer Expositionsdauer und sehr trockener Atmosphäre aus einem Teil der Puppen keine Wärmeformen, sondern Annäherungen an die Hitzeaberrationen entstehen, während ein anderer weniger empfind- licher Teil typische Wärmevarietäten ergibt. Derartige Übergangs- formen scheinen mir auch die als Kältevarietäten bezeichneten sogen. C,-Formen Fischer’s darzustellen, auf deren Zustande- kommen Fischer einen sehr hohen theoretischen Wert legt. Was auf die eine Puppe noch wie ein mäßiger Wärmereiz wirkt, em- pfindet die andere bereits als Hitze und beeinflusst ihren Stoff- wechsel in entsprechender Weise. Auf Grund dieser verschieden starken Empfindlichkeit kann, bei richtiger Anwendung der Wärme- und Kälte-, oder Hitze- und Frostreize eine zusammenhängende Reihe von varıierenden Schmetter- lingen erzogen werden, die von der Normalform ausgehend, einer- seits über die Wärmeformen hinweg, andererseits durch die Kälte- formen hindurch zu extremen Aberrationen führt, die in ganz ähnlicher Weise durch sehr niedere, wie auch durch sehr hohe Temperaturgrade zu erzielen sind. Vanessa urtieae kann durch Wärme in die auf Sardinien und Korsika heimische südliche Varietät V. ichnusa, durch Kälte in die lappländische Varietät V. urtiene var. polaris umgeprägt werden, während sowohl durch große Hitze wie auch durch Frost die ın beiden Fällen sehr ähnlich gezeichnete Aber- ration V. urticae ab. ichnusoides zur Ausbildung kommt. Von der Grund- form unterscheiden sich die angeführten aberrativen Falter haupt- sächlich dadurch, dass bei der Wärmevarietät die rote Grundfarbe satter und feuriger ist, während die dunkeln Zeichnungselemente eine ausgesprochene Reduktion erfahren. Dies gilt im besonderen für die beiden schwarzen Flecken in den Seitenrandzellen 4 und 5, die bei der armenischen V. urticae var. tureica fast, bei vchnusa völlig verschwinden. Beı den Kälteformen beobachtet man um- gekehrt eine Ausbreitung der schwarzen Schuppenfarbe bei gleich- zeitiger Aufhellung der Flügelgrundfarbe. Viel auffallender ist in- dessen die Schwärzung, die wir bei den Hitze- und Frostformen V. urticae ab. ichnusotdes zu verzeichnen haben. Auf den Vorderflügeln tritt bei diesen Formen ein Zusammenfließen der schwarzen Binden- flecke ein, während sich gleichzeitig im Hinterflügel das schwarze 620 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. Binnenfeld bis zur Randbinde verbreitert und die rote Beschuppung oft vollständig verdrängt. Auch bei der Aberration öchnusoides ist das Schwinden der beiden dunkeln Seitenrandzellflecke charakte- ristisch. Bei Vanessa io bringt Wärme nur sehr geringe Abänderungen hervor, die Grundfarbe wird dunkler braunrot und es schwindet ein Teil des Blau an der Flügelspitze; sehr auffallend sind dagegen hier die Veränderungen, die durch Kälte hervorgerufen werden, indem der Vorderflügel seine charakteristische Zierde, das Auge verliert. Die Zeichnung der Var. Fischeri wird dadurch derjenigen von V. «rticae ähnlicher. Hitze und Frost bewirken wie bei V. urticae eine mehr oder weniger stark ausgedehnte Schwärzung des Vorderrands des Vorderflügels, und das Verschwinden der Augen- zeichnung auch auf den Hinterflügeln. Es handelt sich somit im wesentlichen bei V. io aber. antigone, um dieselbe Entwickelungs- richtung wie sie unter gleichen Bedingungen von V. urticae aber. ichnusoides eingeschlagen wird. Für Vanessa polychloros ergibt das Wärmeexperiment Formen mit reduzierter schwarzer Zeichnung und bisweilen sehr feuriger braunroter Grundfarbe, wie sie der algieri- schen Varietät erythromelas Allard eigen ist. Durch Kälte wird der Falter in die nördliche Form var. dixeyi übergeführt und durch Hitze und Frost in die Abber. testudo verwandelt, die ebenfalls der Hitze- und Frostaberration von V. urticae ab. ichnusoides an die Seite zu stellen ist, da auch bei ıhr das Zusammenfließen der schwarzen Kostalflecken in die Augen fällt. Bei Vanessa antiopa ergibt sich durch Wärmeeinfluss ein Falter mit verbreiterter gelber Seiten- randbinde, verkleinerten blauen Flecken und stärker geschweiften Vorderflügeln. Diese Varietät epione nähert sich in ihrem Aussehen der südamerikanischen Varietät dieses Falters (Mexiko und Guate- mala). Bei längerer Wärmeexposition (60 Stunden beı 370 C. dann bei 24° C. gehalten) erhielt Standfuß konstant einen Schmetter- ling, der der vorherbeschriebenen Wärmevarietät ähnlich gezeichnet erschien, bei dem aber der sonst gelbgefärbte Flügelseitenrand dunkel bestäubt war. Auch die Grundfarbe dieser Varietät, die Standfuß Var. daubii nannte, erschien verdüstert und war auf den Hinterflügeln bisweilen fast schwarz. Fischer gibt an, durch Wärmeeinfluss eine von den bisherigen ebenfalls abweichende und der Kältevarietät ähnliche Form mit stark vergrößerten blauen Flecken und dunkel bestäubter gelber Seitenrandbinde erzogen zu haben. Für die Kältevarietät von V. antiopa var. artemis Fisch. ist es sehr charakteristisch, dass die Grundfarbe des Flügels sich auf- zuhellen pflegt und an einzelnen Stellen statt dunkelbraunrot, gelb- rot erscheint, während gleichzeitig der von der Flügelwurzel aus gerechnet, 2. und 3. Kostalfleck als dunkle Zeichnung deutlich hervor- tritt. Die Flügelzeichnung des Falters wird dadurch der von v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 521 Fig. 1—6. Durch Frostaberrationen erzogene Vanessenaberrationen. Fig. 1. Vanessa urticae aberratio Fig. 2. Vanessa polychloros aberr. ichnusoids testudo Fig. 3. Vanessa cardui aberr. elymi Fig. 4 Vanessa atalanta aberr. Fig. 5. Vanessa io, aberr. antigone Klymene Fig. 6. Vanessa antiopaaberr. Lygiaea. Die Abbildungen sind der Arbeit Standfuß’: Experimentelle zoologische Studien in: Neue Denkschriften der allgem. schweiz. Gesellsch. f. d. ges. Natur- wissenschaften 1598 entnommen. 622 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. ne Vanessa polychloros bezw. wanthomelas oder noch mehr der Kälte- varietät desselben Falters außerordentlich ähnlich. Die Frost- und Hitzeform von V. antiopa die Aberration hygiaea zeichnet sich durch einen sehr stark verbreiterten gelben Seitenrand, der bisweilen schwarz bestäubt ist und durch das Zusammenfließen der schwarzen, bei der Kälteform deutlich gesonderten, Kostalflecken des Vorder- flügels aus. Auch im Hinterflügel treten analoge Veränderungen ein, so dass die aber. hygiaea ebenfalls die typischen Eigenschaften der übrigen extrem veränderten Vanessen hervorkehrt. Vanessa atalanta wurde durch Wärme in einen Falter ver- wandelt, der sich durch eine bisweilen sehr starke Verbreiterung der roten Binde auf den Vorderflügeln von der Normalform unter- scheidet und zu der in südlichen Regionen fliegenden Vanessa callirrhoi, besonders zu der auf den Kanaren einheimischen var. Vulcanica &ot. hinüberführt. Bei der Kältevarietät var. Merri- fieldi wird umgekehrt die rote Prachtbinde durch schwarze Schuppen verdrängt und in einzelne Flecke abgeschnürt. Gleichzeitig ver- größern sich die weißen Kostalflecken und häufig treten zwischen diesen und der roten Binde blaue Schuppen auf. Durch Frost und Hitze wird auch bei TV. atalanta ein Zusammenfließen der schwarzen Kostalflecke bewirkt und die Aberration klymene erzogen. Auch bei Vanessa cardui wird durch Wärme eine Vermehrung und glänzendere Färbung der roten Schuppen herbeigeführt, so dass die Falter der Wärmevarietät ebenfalls ihren in den Tropen fliegenden Verwandten gleichen. Werden die Puppen in kühler Umgebung gehalten, so entwickelt sich die nördliche Var. WVskotti, die sich durch Ver- mehrung der dunkeln Beschuppung und durch eine dadurch ver- ursachte Verdüsterung der roten und weißen Zeichnungsmerkmale von der Wärmeform unterscheidet. Die roten Stellen des Flügels, die bei der Wärmeform eine bräunliche Beimischung zeigen, sind bei der Kältevarietät licht karminrot. Durch Frost- und Hitzewirkung wurde aus Cardw-Puppen die Aberratio elymi erzogen, die sich entsprechend den übrigen Vanessen- arten durch Zusammenfließen der schwarzen Vorderrandzeichnung und durch Schwinden der schwarzen Zeichnungselemente im Mittel- und Wurzelfeld des Flügels auszeichnet. Wir sehen aus diesen Beispielen, dass zwischen der Wirkung künstlich erhöhter und er- niedrigter Temperatur und dem Einfluss eines wärmeren und kälteren Klımas auf die Gestaltung der Schmetterlinge keine wesentlichen Unterschiede bestehen, eine Tatsache, die schon die Versuchs- ergebnisse bei saisondimorphen Formen nahegelegt haben. Was sich nämlich schon vor Jahrzehnten bei Vanessa lerana-prorsa als möglich erwiesen hatte, die Sommergeneration des Schmetterlings in Falter der Wintergeneration und umgekehrt die Winterform in die Sommerform zu verwandeln, konnte auch bei andern Schmetter- [a6 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 623 lingen erreicht werden z. B. bei Papilio podalirius, Pieris daplieide L., Polyommatus amphidamas Esp.; auch hier wurde aus der Winter- generation die Sommerform, wenn sich die Puppen des Schmetter- lings bei größerer Wärme entwickelten. Es zeigte sich aber auch, dass der sexuelle Dimorphismus durch Temperaturreiz beeinflussbar ist. Durch Wärme ließ sich z. B. das Weibchen von Parnassius apollo L. aus dem Wallıs hinsichtlich seiner Färbung vollkommen in den männlichen Typus überführen. Bei dem Männchen wurden dementsprechend die sexuellen Färbungsunterschiede noch größer. Nicht weniger bemerkenswert ıst es aber, dass sich durch höhere Temperatur die fahle weißliche Flügelfärbung des weißlichen Ahodo- cera rhammi L. ın das intensiv gelbe Kolorit des männlichen Zitronen- falters überführen lässt, eine Veränderung, die einer Annäherung an die kleinasiatische Varietät farinosa L. gleichkommt. Wir müssen aus diesen letzten Tatsachen schließen, dass erhöhte Temperatur während des Puppenlebens das Auftreten männlicher Zeichnungs- elemente beim Falter begünstigt, dass Wärme den Organismus der weiblichen Puppe zu denselben Stoffwechselvorgängen anregt, die der männliche Organısmus während seiner Entwickelung normaler- weise durchmacht. Wir wissen nun aber durch die Untersuchungen von Smujdsinovitsch und Farkas‘), dass der Stoff- und Enersgie- verbrauch während der Metamorphose tatsächlich nach .dem Ge- schlechte verschieden ıst und zwar verbrauchen die männlichen In- dividuen mehr Substanz und Energie wie die weiblichen; ihr Stoff- wechsel ist ein angeregterer. Eine ähnliche Steigerung der Stoff- wechselvorgänge scheint somit der Einfluss erhöhter Temperatur während der Puppenperiode zu bewirken. Wenn wir nun die Einflüsse der verschiedenen Temperaturen ganz allgemein betrachten, so sehen wir, dass wenigstens beı den Vanessen, aber auch bei Papilio podalirius und Rhodocera rhamni die Grundfarbe der Flügel, das Rot oder Gelb in der Flügelzeichnung, eine sattere und feurigere wird, ıch erinnere an Vanessa urticae var. ichnusa und an die Wärmeformen von V. atalanta und cardın, an Papilio podalirius und Rhodocera rhamni. Gleichzeitig kann die dunkle, die schwarze Beschuppung eine Reduktion erfahren. Bei Einwirkung niederer Temperaturen haben wir ım Gegenteil meistens eine ausgesprochene Aufhellung der Grundfarbe zu verzeichnen, Ausbreitung gelber Elemente auf Kosten der roten, verblassen der rotgefärbten Stellen, Zunahme weißer Schuppen: Vanessa atalanta var. Merrifieldi; auch bei Vanessa urticae var. polaris sınd sowohl die gelben wie die roten Töne ım Wurzelfeld stark aufgehellt. Hand in Hand mit dieser Aufhellung geht andererseits die Ver- mehrung der schwarzen Schuppen auf dem Flügel und in der Regel beobachten wir gleichzeitig bei den durch Kälte veränderten Formen eine erhebliche Vergrößerung der kleinen Randflecke. 624 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. Eine auffallende Übereinstimmung in ihrer Entwickelungsrichtung zeigen, wie wir sehen, die durch extrem hohe oder extrem niedere Temperaturen erzogenen Aberrationen der verschiedenen Vanessen- arten. Bei allen diesen Schmetterlingen tritt eine mehr oder weniger vollständige Verschmelzung der dunkeln Flecken am Flügelvorderrand ein, während gleichzeitig die dunkeln Zeichnungs- merkmale verloren gehen, die sich ın den Seitenrandzellen an der Flügelwurzel und in der Flügelmitte befinden. Außerdem pflegt der Flügelseitenrand, bei einzelnen Formen auch nur die Flügelspitze, stark aufgehellt zu werden. Trotz dieses stellenweisen Verlustes dunkler Zeichnungselemente lässt sich ganz allgemein sagen, dass sich die Hitze- und Frostformen durch eine ver- mehrte Bildung dunkeln Pigmentes gegenüber den normalen Faltern auszeichnen. Dies gilt besonders auch für den Hinterflügel und ebenso für die Unterseite beider Flügelpaare. Solang man noch nicht im Besitz der Ergebnisse der Hitze- und Frostexperi- mente war, lag es sehr nahe anzunehmen, dass die durch künstlich erhöhte bezw. erniedrigte Wärmegrade erzeugten Varietäten, dass die Wärme- und Kälteformen dem direkten Temperatureinfluss ihre Entstehung verdanken, denn entsprechend der angewandten Reize waren auch die daraus hervorgehenden Formen verschieden. Die Experimente mit extremen Temperaturen zeigten indessen sehr bald, dass hier von einer spezifischen Hitze- und einer spezifischen Frost- wirkung nicht gesprochen werden konnte, Hitze und Frost zeigten sich bezüglich ihrer verändernden Wirkung als physiologisch gleich- wertige Reize. Zur vorläufigen Entscheidung der Frage nach der Wirkungs- weise der Temperaturextreme trug die Tatsache sehr wesentlich bei, dass alle Vanessenarten durch diese Behandlung in Formen verwandelt wurden, die einen und denselben Zeichnungs- und Färbungstypus zum Ausdruck brachten, mit anderen Worten: Es schwanden bei den Hitze- und Frostaberrationen bis zu einem gewissen Grad die die verschiedenen Arten kennzeichnenden Differenzierungen m der Flügelzeichnung und machten einem für die verschiedenen Arten ziemlich gleichwertigen Zeichnungsschema platz. Je näher die ver- wandtschaftlichen Beziehungen der zum Experiment verwendeten Arten zueinander waren, desto ähnlicher sbhen sich auch die aus dem Hitze- und Frostexperiment entsprungenen Formen. Diese Tatsache führte Fischer zu der Annahme, in den Frost- und Hitze- aberrationen Rückschlagsformen zu einem allen Vanessen zugrunde liegenden Urtypus zu erblicken, zu einer Stammform, die in längst vergangenen Erdepochen gelebt haben mochte. Das Zustandekommen des Rückschlags erklärte sich Fischer durch einen Hemmungs- vorgang, durch einen Stillstand in der Entwickelung des Zeichnungs- oO) musters bei gleichzeitigem Fortschreiten der Puppenentwickelung. v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 625 Er legt dieser Annahme die Beobachtung zugrunde, dass jede Schmetterlingspuppe während ihrer Entwickelung eine Reihe von Zeichnungsstufen durchläuft, die als rekapitulierte Stadien ver- gangener phyletischer Zeichnungsformen zu betrachten sind. Durch die Stärke des auf die Puppe einwirkenden hemmenden Ein- flusses könne nun, so meint Fischer, ein älteres phyletisches Zeichnungsstadium auf dem Puppenflügel fixiert bleiben, und da in ihren ersten Entwickelungsstadien die Zeichnung der verschiedenen Vanessenarten in der Tat noch weniger differenziert erschemt, so erkläre sich dadurch am besten die Ähnlichkeit der Flügelzeichnung der durch Hitze und Frost entstandenen Aberrationen. Entsprechend der intensiv hemmenden Wirkung von Frost und Hitze glaubt Fischer die daraus entspringenden Abänderungen, den im Miocen lebenden Vanessenformen an die Seite stellen zu dürfen. Standfuß ist über die Frage nach der Bildungsweise und der phylogenetischen Bedeutung der Hitze- und Frostformen ganz anderer Ansicht wie Fischer. Er hält es zwar ebenfalls für sicher, dass die genannten Aberrationen ihre Entstehung keinem spezifischen Hitze- oder Frostreiz verdanken, sondern dass die Temperatur- extreme nur Vorgänge im Puppenorganismus auslösen, deren Resultat die aberrativ gezeichneten Falter darstellen. „Die Aber- rationen“, sagt Standfuß wörtlich, „dürfen als Formen zu defi- nieren sein, die sich nicht auf den Bahnen der erdgeschichtlichen Entwickelung der Art bewegen, sondern Neubildungen individueller Natur, individuelle Färbungsanomalien darstellen und die nur dann entstehen, wenn Faktoren einwirken, an welche eme Falterform nicht gewöhnt, auf die sie nicht abgestimmt ist.“ Während also Fischer den aberrativen Schmetterlings- formen eine hohe phylogenetische Bedeutung beimisst, werden die- selben von Standfuß als Neubildungen individueller Natur ange- sehen und gewertet. Einmal, meint Standfuß, müsse der Auffassung der Aberrationen als Rückschlagsformen schon die Tatsache wider- sprechen, dass gerade ganz besonders die männlichen Schmetter- linge, die viel weniger zum Rückschlag neigen wie die Weibchen, die in Rede stehenden Veränderungen zum Ausdruck bringen und viel häufiger Aberrationen bilden wie die Weibchen. Er hält es aber auch für unwahrscheinlich, dass dunkel gefärbte Falter, wie sie für die Aberrationen charakteristisch sind, den hellen Formen der heutigen Generation vorausgegangen sein sollte, da sich m der Gattung Vanessa wie auch bei den verwandten Nymphaliden- gattungen wahrscheinlicher umgekehrt erst gelbliche oder licht- braune und in der Folge dunkle Zeichnungselemente entwickelt haben. Diesen Einwand Standfuß’s gegen die von Fischer ge- gebene Erklärung kann ich insofern bestätigen, als auch während der Puppenentwickelung der verschiedenen Vanessenarten ausnahms- XXIV. LO 526 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 15 los die hellen Elemente der Flügelzeichnung den dunkeln voraus- gehen und dass in jüngeren Entwickelungsstadien die roten und gelben Töne auf der Flügelfläche einen größeren Raum einnehmen wie später. Es werden hier in der normalen Puppe nicht die dunklen Farben von helleren gefolgt, sondern umgekehrt die helleren Töne von dunklen Zeichnungen verdrängt. Bei den mit Frost und Hitze behandelten Schmetterlingspuppen scheint nun eine Um- kehrung oder doch eine gewaltige Störung bezüglich der Ausfär- bung der Flügel einzutreten. Standfuß hat nämlich beobachtet, dass die Farbenbildung relativ spät, d. h. kürzere Zeit vor dem Ausschlüpfen des Falters geschah, wie es normalerweise der Fall ist. Ferner wurden speziell die schwarzen Zeichnungselemente früher sichtbar als dies bei regulär sich entwickelnden Stücken der Fall ist und teilweise sogar noch vor dem Auftreten der roten und rotbraunen Farbentöne. Trotz diesem Gegensatz bezüglich der phylogenetischen Deu- tung der Hitze- und Kälteaberrationen waren sich die Forscher von Anfang an darüber einig, dass die Temperaturextreme den Puppen- organismus auf dem Wege des Stoffwechsels oder durch Affizierung des Nerven- oder Zirkulationssystems beeinflussen. Sehr bald dehnte Fischer diese Betrachtungsweise auch auf das Entstehen der Kälte- varietäten aus. Er nahm an, es handle sich auch hier um das Zustandekommen von Rückschlagsformen, um das Resultat einer schwächeren Hemmungserscheinung, das phylogonetisch wohl der Eiszeitform des betreffenden Falters entsprechen dürfte. Nur der mäßige Wärmereiz allein sollte nach Fischer spezifische Varie- täten hervorbringen. Eine Bestätigung für diese theoretische An- schauung erblickte er darin, dass nach seinen Erfahrungen Kälte- formen auch durch Wärmereiz ausgelöst werden konnten, während die Wärmevarietät nur durch Wärme erzeugt wurde. Wie weit es sich bei diesen durch Wärme erzielten Kälteformen um wirk- liche Kälteformen und nicht um Übergänge zur Hitzeaberration handelt, ist schwer zu bestimmen, wenn die Belege nur in photo- graphischen Reproduktionen vorgelegen haben. Weder Standfuß noch Frings ist es jedenfalls bis jetzt gelungen, typische Kältevarie- täten durch Wärme zur Entwickelung zu bringen, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich in diesen eigentümlichen Formen um Übergänge zu Hitzeaberrationen handelt, die Standfuß bei seinen Experimenten stets in größerer Anzahl erhalten hat. Vom theoretischen Standpunkt halte ich das Entstehen derartiger, den Kältevarietäten ähnlichen Formen nicht für ganz ausgeschlossen, vorausgesetzt, dass, wie Fischer angibt, bei seinem Experiment die Luft im Thermostaten durch Aufstellen von Schalen mit Schwefel- säure außerordentlich trocken war. Auf Grund seiner in dieser Richtung stets negativ ausgefallenen v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 627 Experimente hält sich Standfuß noch immer für berechtigt, dem Einfluss mäßig erhöhter und mäßig erniedrigter Temperatur auf die Schmetterlingspuppe eine spezifische und entgegengesetzte Wir- kung zuzuschreiben, eime Wirkung, wie sie sich in dem Einfluss südlicher und nördlicher Klimate äußert und in dem Kleid des Schmetterlings fixiert ist. Das Auftreten von Rückschlagsformen ist dabei durchaus nicht ausgeschlossen, denn es fand sich, dass Arten nördlicher Herkunft bei Behandlung der Puppen durch Kälte eine Annäherung an ältere, im Norden lebende Typen zum Aus- druck brachten, während umgekehrt bei Arten südlicher Provenienz durch Kälte eine Divergenz, durch Wärme hingegen eine Konver- genz herbeigeführt wurde. Rückschlag konnte also nach Stand- fuß bei Formen nördlicher Provenienz durch Kälte bei solchen südlicher Herkunft durch Wärme erzielt werden. Mit andern Worten: wurden die Schmetterlinge während ihrer Puppenentwicke- lung Temperaturen exponiert, auf die der Organismus ihrer Vor- fahren abgestimmt war, so resultierten diesen Vorfahren ähnlich gezeichnete Falter. Danach wäre die durch Kälte erzogene Varietät von Vanessa urticae var. polaris eine Rückschlagsform, die durch Wärme gezeitigte Var. ichnusa eine fortgeschrittene Varietät, da anzunehmen ist, dass die Wanderung dieses Schmetterlings von Norden nach Süden gerichtet war. Umgekehrt dürfte die aus Vanessa cardui erzogene, sehr licht gefärbte, durch viel Rot und wenig Schwarz ausgezeichnete tropische Varietät dieses Falters als Rückschlag zu betrachten sein, währenddem die durch Kälte er- zeugte Varietät Wiskotti ein Glied der fortschreitenden Entwicke- lungsreihe bildet. Nun ist es aber für das Aussehen sämtlicher durch Wärme entstandenen Vanessenformen höchst charakteristisch, dass allge- mein eine Zunahme roter Schuppen und eine Beimischung braun- roter Töne zu konstatieren ist, die der Grundfarbe ein satteres feurigeres Kolorit verleiht, während gleichzeitig die dunklen Zeich- nungselemente eine Reduktion erfahren. Diese Veränderungen treten ganz übereinstimmend auf, einerlei, ob das Experiment mit Schmetterlingen nördlicher oder südlicher Provenienz angestellt wurde. Der Einfluss kühlerer Temperatur, das Kälteexperiment, bewirkt dagegen mit sehr großer Regelmäßigkeit neben einer Auf- hellung der Grundfarbe diese ist statt feurig braunrot mehr gelb- oder licht rosarot — die Vermehrung schwarzer Zeichnungs- elemente, so dass es nahe liegt, zu fragen, ob die Temperatur viel- leicht einen direkt verändernden Einfluss auf die Schmetterlings- pigmente auszuüben vermag. Der Versuch in Vitro zeigt (12), dass für die roten Zeichnungselemente ein solcher Einfluss besteht, dass hier Temperaturerhöhung den Farbenton der gelb- oder rosaroten Lösung in eine feurig gefärbte, mehr braunrote Flüssigkeit verwan- 10* 628 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. delt, während z. B. auf Eis die rosa- und gelbroten Töne erhalten bleiben. Es ist danach auch wohl ın der freien Natur die Nuan- cierung der Grundfarbe von direkten Temperatureinflüssen abhängig. Bei der Bildung schwarzer Farbstoffe handelt es sich wahrschein- lich um kompliziertere Vorgänge, da ich nach den Ergebnissen meiner bisherigen Versuche vermute, dass dem Auftreten des schwarzen Farbstoffes ein Zerfall des roten vorauszugehen hat. Der rote Farbstoff stellt, wıe an anderer Stelle ausgeführt wurde (12a), einen eiweißartigen Körper dar, er enthält eine aromatische Gruppe, die unter gewissen Bedingungen abgespalten und durch Oxydation in einen schwarzbraun gefärbten Körper verwandelt werden kann, der mit dem schwarzbraunen Schuppenpigment identisch zu sein scheint. Alle Vorgänge nun, welche sich im Puppenorganismus abspielen und eine Herabsetzung der Lebenstätigkeit bedingen, führen zur Bildung des melainartigen Pigmentes. Damit wird die Stoffwechseltätigkeit der Puppe maßgebend für die Pigmentbildung, es ist aber deshalb durchaus nicht gesagt, dass die entstehenden Färbungsvarietäten phylogenetisch bedeutungslos wären. Nehmen wir den Fall an, dass ein von Norden nach Süden wandernder Schmetterling unter dem Einfluss wärmeren Klimas sein Aus- sehen verändert habe, ohne dass dabei gleichzeitig seine Kon- stitution zu sehr eine andere geworden ist, so ist es sehr wahr- scheinlich, dass der Schmetterling in die ursprüngliche Form wieder zurückschlägt, sobald ihn von neuem ein Kältereiz trifft. Nur dann, wenn durch die Wanderung von Norden nach Süden seine Kon- stitution, die chemische Beschaffenheit und Reaktionsfähigkeit seines Körperplasmas verändert wurde, ist zu erwarten, dass kein Rück- schlag erfolgt, auch wenn der Schmetterling seine Entwickelung unter ganz Ähnlichen Bedingungen durchmacht wie damals. Dass wir bei den Temperaturexperimenten den Stoffwechsel der Puppe in der Tat erheblich beeinflussen, ergibt sich aus den verschiedensten Beobachtungen. Durch Wärmereiz wird die Ruhe- zeit abgekürzt, der Falter entwickelt sich schneller und die Puppe ist w ahrend ihres Ruhestadiums bedeutend angeregter und reagiert energisch auf äußere Reize. Ihre Lebenstätigkeit ist höher ange- spannt und die Oxydationsprozesse werden somit schneller ver- laufen, was auch daraus zu ersehen ist, dass sie in derselben Zeit einen größeren Gewichtsverlust erleidet, wie Puppen, die in kühler Umgebung gehalten werden. In der Kälte ist umgekehrt die Puppenruhe von sehr viel längerer Dauer, die Reaktoren der Puppe auf äußere Reize ist vermindert, die Gewichtsabnahme eine viel langsamere und die Stoffwechselvorgänge im Organismus sind nad herabgesetzt. Ganz verschieden von der Wirkungsweise mäßig erhöhter und erniedrigter Temperaturen ist der Einfluss extremer Kälte und ex- v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 629 tremer Hitze. Im ersten Fall tritt bei der Puppe, sobald sie mit der Kältemischung in Berührung kommt, Gefühlslosigkeit ein, die Puppe wird starr, unbeweglich, die Turgeszenz der Haut ist so herabgesetzt, dass auf Einstich in die Flügel nur ein kleiner Tropfen Blut hervorquillt. Bei längerer Frostwirkung gefrieren die Säfte mehr oder weniger vollständig und die Puppe stirbt ım ersteren Fall, wie Bachmetjew (1b) an zahlreichen Beispielen gezeigt hat, oder sie lebt wieder auf, wenn nicht alle Säfte gefroren waren. Dass diese Behandlung der Puppen zu sehr erheblichen Ver- änderungen führen muss, kann nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, dass durch das Gefrieren die in den Körperflüssigkeiten enthaltenen Salze ausfallen und dass ebenso die in den Geweben locker gebundenen Gase ausgetrieben werden, eine Erscheinung von der man sich sehr leicht überzeugen kann, wenn man eine Puppe in gefrorenem Zustand durchschneidet und ıhr Auftauen unter der Lupe verfolgt. Nach Fischer werden Frostaberrationen am leichtesten dann erzielt, wenn die Puppen nicht langsam aus der Kältemischung in höhere Temperatur gebracht werden, die Versuche gelingen ım Gegenteil besser, wenn der Gegensatz möglichst schroff, der Tem- peratursprung ein möglichst großer ist. Diese Erfahrung zeigt, dass Aberrationen am leichtesten unter Bedingungen entstehen, die für den Puppenorganısmus am meisten schwächend und schädigend wirken, denn es ist bekannt, dass das Auftauen gefrorener Organe zu einem um so größeren Eiweißzerfall führt, je rascher dasselbe stattfindet. Auch ungewöhnlich hohe Temperaturen wirken auf die Körper- gewebe in ähnlicher Weise zerstörend ein wie großer Frost. Diese Veränderungen, die sich, wenn sie den gesamten Organismus treffen, in der Erscheinung des Hitzschlages kundgeben, sind zum großen Teil in einer ungenügenden Oxydation in einer Überladung des Blutes durch Kohlensäure zu suchen. Auch hier ıst Eiweißzerfall die notwendige Folge der Schädigung, die sich bei der Schmetter- lingspuppe durch vollkommene Reaktionslosigkeit, durch ausgedehnte Lähmungserscheinungen zu erkennen gibt. Diese Auffassung der Hitz- und Frostaberrationen als das Re- sultat außerordentlicher Stoffwechselstörungen während des Puppen- lebens, findet eine Bestätigung darin, dass auch andere Eingriffe, die physiologisch ähnlich schädigend wirken, zur Bildung analoger Aberrationen führen. So erhielt Fischer durch Zentrifugieren der Puppen der verschiedenen Vanessenarten typische Aberrationen, noch besser, wenn er die Puppen in Äthernarkose versetzte und schließlich behandelte ich mit demselben Erfolg die Puppen von Vanessa urticae dadurch, dass ich dieselben 24 Stunden lang einer Kohlensäureatmosphäre aussetzte. 630 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. Beim Zentrifugieren der Puppen werden wohl hauptsächlich die durch den Druck entstandenen Schädigungen für die erzielten Veränderungen maßgebend zu halten sein, bei der Äthernarkose und Kohlensäureaxsphixie die Veränderungen, die das lebendige Plasma durch die Einwirkung dieser Gase erleidet, und die eben- falls von ungenügender Oxydation und Eiweißzerfall gefolgt werden. Eine weitere Versuchsreihe, die ich 1897 (12) mit Puppen von Vanessa urticae angestellt habe, ergaben, dass die Schmetterlinge, die in reiner Sauerstoffatmosphäre aufgezogen werden, manche Ähn- lichkeit mit Faltern zeigen, die aus dem Wärmeexperiment hervor- gehen. Dies gilt namentlich für die Reduktion der schwarzen Beschuppung und ebenso für die eigenartige Missbildung der Flügel- schuppen, die ın dünne, aufgerollte, fast haarförmige Organe ver- wandelt werden. Die Grundfarbe dieser Schmetterlinge hat im Gegensatz zu den Wärmefaltern die Tendenz abzublassen. An diese Experimente schließen sich die interessanten Ver- suche Cholodkowsky’s (2), dem es zum erstenmal gelungen ist, durch monochromatische Beleuchtung eine Veränderung in Färbung und Zeichnung der Schmetterlinge zu erzielen. Er setzte die Tiere, Vanessa urticae, schon als junge Raupen rotem bezw. gelbem oder blauem Lichte aus und erhielt unter gelber Beleuchtung einen Schmetterling mit schöner roter Grundfarbe, aber zusammenfließenden schwarzen Kostalflecken, eimen Falter, der einen ganz deutlichen Übergang zu V. urticae var. ichnusoides darstellte. Unter blauem Licht entwickelten sich zwei Schmetterlinge, die außerordentlich licht gefärbt waren und eine Veränderung ihrer Beschuppung zeigten, wie ich sie bei den in Sauerstoff gehaltenen Faltern erzielt hatte und wie sie auch bei Wärmeformen erhalten werden. Aus diesen Ergebnissen wäre zu schließen, dass bei Ausschluss der chemisch wiırksameren Beleuchtungsstrahlen Formen entstehen können, die auf eine Herabsetzung der Oxydationstätigkeit im Orga- nismus schließen lassen (aberr. dehnusoides), während das Aussehen der unter blauem Licht herangewachsenen Falter durch lichtere Töne und spärliche Schuppenbildung ausgezeichnet ist, was eine gesteigerte Stoffwechseltätigkeit in dem Puppenorganismus voraus- setzt. Dass tatsächlich die blauen Strahlen auf den Stoffwechsel und die Entwickelung anregend wirken, beweisen auch die Versuche von Yung, der bei seinen Experimenten über die Entwickelung Wirbelloser und niederer Wirbeltiere gefunden hat, dass die unter blauen und violetten Strahlen gehaltenen Organismen die schnellste Entwickelung zeigen. Ich selbst habe aus Raupen von Vanessa urlicae und V. io ebenfalls unter blauer Beleuchtung die größten Schmetterlinge erzogen. Der sich unter monochromatischem Licht beim lebenden Tier vollziehende Farbenwechsel entspricht im übrigen v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 651 vollkommen den Veränderungen, die unter gleichen Beleuchtungs- verhältnissen am Farbstoff ın Vitro auftreten. Von allen anderen Experimenten an Lepidopteren, die von einem nennenswerten Erfolg begleitet waren, sind namentlich die Fütterungsversuche Pictet’s zu erwähnen. Pictet fand, dass die Beschaffenheit des Raupenfutters nicht nur für die Färbung der Raupe, sondern ganz besonders auch für die des Schmetterlings bestimmend ist. Sehr auffallend albinotische Schmetterlinge konnten von Ocneria dispar erzogen werden, wenn die Raupen dieses Spinners mit Nussblättern statt mit Eichenblättern gefüttert wurden. Die erste Generation ergab bereits kleine gelbe, statt braungefärbte männ- liche Falter. Nach der zweiten Generation wurden die männlichen Falter noch kleiner und waren weiß gefärbt; da aber die auf diese Weise ernährten Tiere nach der zweiten Generation nicht mehr fortpflanzungsfähig waren, so zog Pictet die Nachkommen der auf Nussblätter aufgewachsenen Generation mit Eichenblätter auf und erst die folgende wieder mit Nussblätter. Auf diese Weise erbielt er Schmetterlinge von sehr kleinen Dimensionen, bei denen die Männchen ganz weiß mit etwas grauer Zeichnung, die Weibchen vollkommen einfärbig waren. Werden nun die durch den Einfluss der Nahrung in der beschriebenen Weise veränderten Falter ın den folgenden Generationen wieder mit ihrer normalen Futterpflanze gefüttert, so nehmen sie allmählich ihre typische Färbung und Zeichnung an, daneben bleiben aber auch noch die erworbenen Zeichnungscharaktere zum Teil wenigstens bestehen. Eine eigen- tümliche Kombination von Färbungs- und Zeichnungscharaktere lässt sich erreichen, wenn z. B. eine Generation von Oeneria dispar mit Nussblättern, die nächste mit Esparrette, die dritte mit Eichen- blättern gefüttert wird. Die Falter zeigen schließlich auf ihren Flügeln eine Mischung der drei durch die Futterpflanze bedingten Zeichnungstypen. Pictet hat seine interessanten Versuche auch noch auf verschiedene andere Schmetterlingsarten ausgedehnt, auf Psilura monacha, Bombyx quercus, Biston hirtarius, Abraxas grossu- lariata, und stets mit demselben Erfolg. Es zeigte sich bei allen Experimenten, dass die Beschaffenheit der Nahrung von sehr großer Bedeutung ist für die Gestaltung des Falterkleides, und diese Ver- suche beweisen deutlich, in welch naher Beziehung die Flügelfarben zu den mit der Nahrung aufgenommenen Stoffen stehen, Beziehungen, die sich auch sonst offenbaren. Ich erinnere nur an die Versuche Poulton’s (15) mit den Raupen von Agrotis pronubaa, die ihre grünen und gelben Hautfarben nur dann bilden konnten, wenn sie chlorophyll- oder etiolinhaltige Nahrung zu ihrer Verfügung hatten, und ferner an die Ergebnisse meiner eigenen Untersuchungen über den roten Farbstoff bei den Vanessen. Die Fütterungsexperimente Pictet’s sind aber auch noch aus 632 v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. einem anderen Grund von großer Bedeutung. Die Ergebnisse der zum erstenmal auf mehrere Generationen ausgedehnten Versuche zeigen, wie wir gesehen haben, dass die durch Nahrungswechsel hervorgerufenen Veränderungen des Falters, dass seine neu erwor- benen Zeichnungscharaktere auf die Nachkommen vererbt werden, selbst dann, wenn die Raupen der zweiten Generation normalen Bedingungen ausgesetzt wurden. Wenn wir weiter berücksichtigen, dass es auch Standfuß und Fischer gelungen ist, die Vererb- barkeit der ım Temperaturexperiment erzielten Variationen experi- mentell nachzuweisen, so werden wir kaum mehr an der Berech- tigung des Lamarck’schen und Geoffroy St. Hilair’schen Prinzips zweifeln können, wonach die Art durch äußere Ein- flüsse verändert wird, und wonach die durch Klima, Nahrung und Tätigkeit, überhaupt durch alle den Stoffwechsel beeinflussenden Einwirkungen erworbenen Eigenschaften bei den Nachkommen auf dem Wege der Vererbung erhalten bleiben. Zusammenstellung der wichtigsten Arbeiten auf dem Gebiet der experimentellen Lepidoptereologie. 1. P. Bachmetjew: Über die Temperatur der Insekten nach Beobachtnngen in Bul- garien. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. LXVI,, 1899, p. 521—604. a) der kritische Punkt der Insekten und das Entstehen von Schmetterlings- aberrationen. Ill. Zeitschr. f. Entomol. Bd. V, 1900, S p. b) Experimentelle entomologische Studien. I. Bd. Temperaturverhältnisse bei Insekten. Leipzig, W. Engelmann, 1901. c) Kalorimetrische Messungen an Schmetterlingspuppen. Ibid. LXXI,, 1902, p. 550—624. 2. Cholodkovsky, N.: Sur quelques variations artificielles du Papillon de l’Ortie (Vanessa urticae). In: Ann. de la Soc. Entom. de France, 1901, Vol. LXX, p. 1741741. pl. Dorfmeister, Georg: Über die Einwirkung verschiedener während der Ent- wiekelungsperiode angewandter Wärmegrade auf die Färbung und Zeich- nung der Schmetterlinge. In: Mitt. d. naturw. Ver. f. Steiermark. Graz 1864. II. Heft, p. 99—108. a) Über den Einfluss der Temperatur bei der Erzeugung von Schmetter- lingsvarietäten. Ibid. Jahrg. 1879, p. 1—8 (Separat, Graz 1880). 4. Dixey, F. A.: On the phylogenetie significance of the wingmarkings in certain Genera of the Nymphalidae. In: Trans. Ent. Soc., London 1891, p. 59. 5. Edwards, W. H.: An abstract of D. A. Weismann’s paper on „The Season- Dimorphism“ of butterflies to which is appended a statement of some experiments made upon Papilio ajax. In: Canad. Entomol. Nr. 7, 1575, p. 228—240. a) Effects of cold applied to the chrysalidies of Butterflies. In: Amer. Entomologist, Bd. III, 1880, p. 110—111. (Auch in: Psyche III, 1880, PD 19, 75-76.) 6. Farkas, K.: Beiträge zur Energetik der Ontogenese In: Arch. f. d. ges. Physiologie. Bd. 98, 1903, p. 490546. . Fiekert, C.: Künstliche Kälteabartungen von Schmetterlingen. In: Jahreshefte d. Ver. f. vaterländ. Naturkunde in Württemberg. Jahrg. 53, 1897, p. LXVII. 88 : SI v. Linden, Die Ergebnisse der experimentellen Lepidoptereologie. 633 8. Fischer, E.: Transmutation der Schmetterlinge infolge Temperaturänderungen. 10. 112 12% Experimentelle Untersuchungen über die Phylogenese der Vanessen. Berlin (Friedländer) 1894, 36 p. a) Neue experimentelle Untersuchungen und Betrachtungen über das Wesen und die Ursachen der Aberrationen in der Faltergruppe Vanessa. Berlin (Friedländer) 1896, 12 Abbild., 67 p. b) Zwei sonderbare Aberrationen von Vanessa antiopa und eine neue Me- thode zur Erzeugung von Kälteaberrationen. Illustr. Wochenschr. f. Entomol. Neudamm 1897, 7 p. c) Beiträge zur experimentellen Lepidoptereologie in: Ill. Zeitschr. f. Entomol. Bd. II 1897, Bd. III 1898, Bd. IV 1899, Bd. V 1900. d) Experimentelle kritische Untersuchungen über das prozentuale Auftreten der durch tiefe Kälte erzeugten Vanessenaberrationen. In: Soc. Entomol. XII, 1899, 4 p. e) Experimentelle Untersuchungen über die Vererbung erworbener Eigen- schaften. In: Allg. Zeitschr. f. Entomol. Bd. VI, 1901, 1 Taf. 2 Fig. im Text, 8 p. f) Lepidoptereologische Experimentalforschungen. In: Ill. Zeitschr. f. Entomol. BdzaV 11901, Bd. VIII 1903, 2, Taf, 3 Big, 417 p.: g) Weitere Untersuchungen über die Vererbung erworbener Eigenschaften. 19 Abb., 2 Fig. im Text. In: Allg. Zeitschr. f. Entomol. 1902, Bd. VII, 15 p. 9. Frings, C.: Experimente mit erniedrigter Temperatur im Jahre 1898. In: Soc. Entomol., Jahrg. XIV, 1899, 7 p. a) Experimente mit erniedrigter Temperatur im Jahre 1899. In: Soc. En- tomol. Jahrg. XV, 1900, 5 p. b) Temperaturversuche im Jahre 1900. In: Soc. Entomol. Jahrg. XVI, 1901. c) Berichte über Temperaturexperimente im Jahre 1901. Soc. Entomol. Jahre, XVI, 1902, 13 p. _ Gauckler, H.: Einfluss hoher Temperatur auf den Organismus von Insekten. In: Entomol. Nachr. (Karsch) Bd. XII, 1886, p. 246—247. a) Experimente mit niedrigen Temperaturen an Vanessenpuppen. In: Iris II, 1896, p. 394— 397. Krodel, E.: Durch Einwirkung niederer Temperaturen auf das Puppenstadium erzielte Aberrationen der Lycaena-Arten: Corydon Poda und Damon Schiff. In: Allg. Zeitschr. f. Entomol. Bd. IX, 1904, 21 Abb., 16 p. Gräfin v. Linden, M.: Versuche über den Einfluss äußerer Verhältnisse auf die Gestaltung der Schmetterlinge. Illust. Zeitschr. f. Entomol. Bd. 4, 1898, 12 p. a) Morphologische und physiologisch-chemische Untersuchungen über die Pigmente der Lepidopteren. 1. Die gelben und roten Farbstoffe der Vanessen. Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 98, 1903, p. 1--89, 3 Textfig., 1 Taf: . Merrifield, F.: The effects of artifical temperature on the colouring of several species of Lepidoptera with an account of some experiments on the effect of Light. In: Transact. Entomol. Soc. London P. J. 1892, ibid. 1891, 1889, 1888. a) The effects of temperature in the pupal stage on the colouring of Pieris napi, Vanessa atalanta, Chrysophonus phlaeas. In: Transaect. Entomol. Soc., London 1893, p. 55. b) The colouring of Chrysaphanus phlacas affected by temperature. Ento- mologist, Dez. 1593, 5 p. Experiments in Temperature Variation on Lepidoptera and their bearing on theories of heredity. Proceed. of Entom. 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Vereins Iris z. Dresden, 1, 1888, p. 209—210. H 22. Weismann, A.: Studien zur Deszendenztheorie. I. Über den Saisondimorphis- mus der Schmetterlinge. Leipzig 1875. a) Neue Versuche zum Saisondimorphismus der Schmetterlinge. In: Zool. Jahrb. Abt. f.: Syst. Bd. 8, 1895, p. 611--684. v. Lendenfeld, Uber die deszendenztheoretische Bedeutung der Spongiosa. 63 Über die deszendenztheoretische Bedeutung der Spongiosa. Von Robert von Lendenfeld. Die Spongiosa ist ein Raumnetz von gekrümmten Knochen- platten (nicht -balken, wie vielfach angegeben wird), dessen Bau den mechanischen Anforderungen, die an die betreffenden Knochen- teile gestellt werden, in geradezu idealer Weise entspricht. Die Anpassung ist in diesem Falle eine so ins Detail gehende und voll- kommene, dass ıhr Zustandekommen auf rein selektivrem Wege ausgeschlossen erscheint. Es haben daher auch die Anhänger der Vorstellung, dass individuell erworbene Eigenschaften vererbt wer- den, diese Anpassungsvollkommenheit der Spongiosa als Beweis für die Richtigkeit ihrer Anschauungen ins Treffen geführt. Sie meinen, dass 1. die auf die betreffenden Knochenteile ausgeübten Zug-, Druck- und Drehkräfte derart bestimmend auf die Tätigkeit der Osteoblasten und Osteoklasten, deren gemeinsames Werk die Spongiosa ist, einwirken, dass hierdurch die Anpassung individuell vervollkommnet wurde, und dass dann 2. die Osteoblasten und Osteoklasten der nächsten Generation die Tätigkeit der entsprechen- den Zellen der vorhergehenden Generation wiederholten. Dass ersteres der Fall ıst, wird wohl niemand bezweifeln, zeigen doch die Änderungen im Bau der Spongiosa, welche infolge von Knochen- brüchen oder anderen Verletzungen und Verstümmelungen ein- treten, deutlich, dass die Tätigkeit jener Knochenzellen durch äußere, auf den Knochenteil, dem sie angehören, einwirkende Kräfte beeinflusst wird. Das letztere dagegen scheint mir nicht nur undenkbar, sondern zur Erklärung der Vollkommenheit der An- passung des Baues der Spongiosa auch ganz überflüssig. Undenk- bar ıst es deshalb, weil man sich unmöglich vorstellen kann, wie eine rein örtliche Änderung in der Tätigkeit von Zellen, wie die vorliegende, zu Änderungen im Bau der Spongiosa führende ist, die weit entfernten Keimzellen so beeinflussen könnte, dass die aus ıhnen hervorgehenden Knochenzellen der nächsten Gene- ratıon wieder dieselben örtlichen Besonderheiten ihrer Tätigkeit aufweisen. Überflüssig ist sie deshalb, weil ersteres allein aus- reicht um die Vollkommenheit dieser Anpassung zu erklären. Wenn den Osteoblasten auf selektivem Wege die Eigenschaft bei- gebracht wurde, auf stärkere Druckschwankungen in dem Knochen- teile, der ihre feinen Ausläufer umschließt, durch Knochensubstanz- abscheidung zu reagieren; den Osteoklasten aber die Eigenschaft, die Knochenteile, denen sie anliegen, dann abzutragen, wenn keine stärkeren, verändernd auf dıe Kontaktflächen einwirkenden Kräfte auf sie einwirken, so muss die Spongiosa nicht nur den gewöhnlich an sie gestellten mechanischen Anforderungen vollkommen ent- 636 Wesenberg, Studien über das Plankton der dänischen Seen. sprechen, sondern auch dauernd anpassungsfähig bleiben und im- stande sein, jederzeit neuen Anforderungen durch morphologische Veränderungen gerecht zu werden. In der Tat sind das ihre Eigen- schaften, und wir können annehmen, dass die Details in der Ge- staltung der Spongiosa, auf denen die Vollkommenheit ihrer An- passung beruht, durchaus individuell erworbene sind und gar nicht vererbt werden, dass aber die Fähigkeit der betreffenden Zellen, auf Knochendruckreize hin ın der oben angedeuteten Weise zu reagieren, auf selektivem Wege zustande gebracht worden ist. Die Gestaltung und die vollkommene Anpassung der Spongiosa würden demnach auf funktioneller Selektion und auf individueller An- passung, nicht aber auf Vererbung individuell erworbener Eigen- schaft beruhen. [58] Dr. Wesenberg-Lund: Studien über das Plankton der dänischen Seen (Studier over de Danske Söers Plankton). 2 Teile. Kopenhagen 1904. Gyldendalske Rohhandel. Diese umfangreiche Publikation besteht aus 219 Seiten Text und einem Atlas mit 10 Tafeln zu je 12 Mikrophotogrammen, welche den Anblick des Planktons in den untersuchten Seen zu verschiedenen Jahreszeiten veranschaulichen. Außerdem sind diesen zahlreichen Abbildungen 7 große Tabellen beigegeben, aus denen sich der Leser über die Häufigkeit des Vorkommens der einzelnen Komponenten des Planktons unterrichten kann. Nach einer Mit- teilung im Vorwort zum 1. Bande wurde diese ıinstruktive Ver- öffentlichung durch einen ansehnlichen Beitrag des Karlsberg-Fonds ermöglicht, dessen Verwaltung von der Wichtigkeit der Unter- suchungen des Dr. Wesenberg-Lund überzeugt war. Die hier vorliegenden Untersuchungen nahmen ihren Anfang schon im Jahre 1897 und wurden in der zu Fredriksdal errichteten Biologischen Süßwasserstation ausgeführt. Der Anfang damit wurde 1898 am Furesg gemacht und im Anschlusse daran erfolgte die Durchforschung einer größeren Anzahl anderer Seebecken. Mit Bezug hierauf bemerkt der dänische Autor mit Recht, dass die richtige wissenschaftliche Basıs für die Erforschung des Planktons nur durch den Vergleich der Ergebnisse aus vielen Seen gewonnen wer- den kann und dass dieses vergleichende Studium möglichst von einer und derselben Person betrieben werden muss, damit auch immer dieselben Gesichtspunkte bei dieser Art von Arbeit festgehalten werden. Nur darin irrt Dr. Wesenberg, wenn er meint, dass er es sei, der mit diesem komparativen Studium begonnen habe. Ein Blick in die verschiedenen Jahrgänge der Plöner Forschungs- berichte würde ihm gezeigt haben, dass nach demselben Prinzip auch von meiner Seite verfahren worden ist und dass ich des öfteren auch hervorgehoben habe, die Lage von Plön sei dadurch besonders vorteilhaft, dass sie es ermögliche, stets eine große An- Wesenberg, Studien über das Plankton der dänischen Seen. 637 zahl verschiedenartiger Wasserbecken ohne große Mühe kontrollieren zu können. Doch dies nur beiläufig. In der Darlegung seiner Untersuc :hungsmethode (ll. Kapitel) führt der Autor an, dass er für das Phytoplankton feinere Netze und gröbere für die Hydrachniden und Krustazeen benutzt habe. Auch untersuchte er, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, mög- lıchst schon an Ort und Stelle lebendes ] Material, um die leicht schrumpfenden Formen später besser in den konservierten Fängen wiederzuerkennen. Zur Konservierung wurde Alkohol oder Formol verwendet. Das Material als solches wurde durch horizontale Netz- züge in verschiedenen Tiefen gewonnen, weil bei bewegtem Wasser keine vertikalen gemacht werden konnten und es doch darauf an- kam, die Fänge durchw eg auf gleiche Art zu bewerkstelligen. Die Häufigkeits- oder Seltenhe itsbestimmungen wurden nach bloßer Schätzung vorgenommen, aber der Autor erklärt an der Hand seiner Mikrophotos, was er unter den verschiedenen Graden des häufigeren oder selteneren Vorkommens versteht. Auf diesem Wege wird selbstredend ein besseres Verständnis für das, was die Tafeln zur Anschauung bringen, erzielt. Im III. Kapitel schildert der Verfasser die Bodenbeschaffen- heit und die physikalischen Bedingungen, welche die dänischen Seebecken darbieten; ebenso macht er Angaben über deren Tempe- raturverhältnisse. Im IV. Abschnitt behandelt er zunächst die Uyanophyceen, hierauf die Diatomeen (Kap. V), weiterhin die Chlorophycen (VD. Es folgen dann die Protozoen (VI), die Würmer (VIII) und zuletzt die Arthropoden ( en Kope- poden und Hydrachniden). Bei der ns der einzelnen Gruppen wird stets sorgfältig Bezug auf die vorhandene Literatur genommen und es werden die abweichenden Befunde anderer Unter- sucher immer berücksichtigt und objektiv dargestellt. Alles in allem genommen liegt hier ein Werk vor, welches zweierlei beweist. Erstens, dass bei konsequent und mit gehöriger Sachkenntnis ausgeführten Planktonstudien eine große Anzahl all- gemein interessanter und zum Teil sogar hochwichtiger Resultate gewonnen werden kann, an denen man fernerhin nicht mehr wie an etwas, was man ebensogut auch ignorieren könnte, vorüber- gehen darf. Zweitens aber liefert diese schöne Publikation einen neuen Beweis dafür, dass die süßwasserbiologischen Studien immer mehr Aufnahme finden und dass man in Dänemark sie ebenso wirksam zu unterstützen beginnt, wie ın Nordamerika, Russ- land und Deutschland. Ich nenne letzteres ausdrücklich erst in dritter Linie, weil bei uns zwar zuerst Süßwasserstationen errichtet worden sind, auffälligerweise aber nicht in dem Grade wie in anderen Kulturländern sich der Protektion der staatlichen Behörden zu er- freuen gehabt haben, wie dies namentlich in der nordamerikanischen Union und in Russland der Fall gewesen ist. Erfreulicherweise sind Anzeichen dafür vorhanden, dass künftig auch die bezüglichen Bestrebungen und Leistungen deutscher Forscher auf jenem Felde die gebührende Würdigung ın deren Vaterlande finden werden. Dr. Otto Zacharias (Plön). [59] 638 Zacharias, Uber vertikale Wanderungen des Zooplanktons. Über vertikale Wanderungen des Zooplanktons in den baltischen Seen. Von Dr. Otto Zacharias (Plön). (Vorläufige Mitteilung.) Es ist hinlänglich bekannt, dass Forel und Weismann schon vor vielen Jahren ein zur Nachtzeit vor sich gehendes Aufsteigen der Planktontiere in den schweizerischen Seen beobachtet haben, so dass eine Anhäufung namentlich der verschiedenen Gattungen von Krustazeen nahe der Oberfläche unschwer zu konstatieren war. Neuerdings ist von Charles Linder!) dieselbe Erscheinung auch am Lac de Bret bei Lausanne —- einem ziemlich kleinen Wasser- becken — ebenfalls beobachtet und eingehend beschrieben worden. Für die relativ flachen Seen Norddeutschlands war bisher von solchen nächtlichen Migrationen nichts bekannt. Weder durch Apsteins darauf gerichtete Untersuchungen vom Jahre 1892, noch durch die meinigen von 1894 war etwas, das für ein solches Auf- steigen der tierischen Planktonten sprechen konnte, ermittelt wor- den. Es schien vielmehr so, als ob am Plöner See und den übrigen baltischen Becken eine derartige Verdichtung der Krustazeen- bevölkerung während der Nachtstunden in den oberen Wasser- schichten unterbliebe. Diese Schlussfolgerung, resp. diese Annahme, hat sich nun aber als irrtümlich herausgestellt. Auf meine Anregung hin be- schäftigte sich Herr Stud. F. Ruttner (Prag) während der Mo- nate Juli und August dieses Jahres speziell mit dieser noch offenen Frage in der hiesigen Biologischen Station und kam unter An- wendung der Zählmethode, die dabei unentbehrlich ıst, zu dem Ergebnis, dass eine vertikale Wanderung nicht nur zweifellos im Gr. Plöner See stattfindet, sondern dass dieselbe bereits bei Sonnen- untergang, während es noch ganz leidlich hell ıst, beginnt, sich nach Einbruch der Dämmerung kontinuierlich fortsetzt und gegen Mitternacht ein Maximum erreicht, welches bis in die frühen Morgenstunden des neuen Tages anzuhalten scheint. Jedenfalls aber nimmt die Dichtigkeit in der Zeit von morgens 4—6 Uhr allgemach ab und gelangt schließlich wieder auf den Normalstatus, der während der übrigen Tageszeit herrscht, wo die Sonne hoch steht und den See mit ihrer Lichtfülle übergießt. Herr Ruttner hat aber das Zooplankton nicht bloß als Ganzes bei dieser aufsteigenden und wieder absinkenden Bewegung stu- diert, sondern seine Aufmerksamkeit auch auf die einzelnen Kom- ponenten desselben gerichtet, wobei sich ergab, dass nicht alle Arten von Krustazeen gleichmäßig an dieser Wanderung beteiligt sind, sondern dass manche Spezies früher als andere in der Nähe der Oberfläche erscheinen. Desgleichen ermittelte der Genannte auch die Rolle, welche die Rädertiere bei dem Phänomen dieser Migrationen spielen. Man wird die Bedeutung der stattfindenden Organismenverdichtung in der Nähe des Seespiegels am besten er- 1) Dissertation der Universität Lausanne 1904. Chwolson, Lehrbuch der Physik. 639 messen können, wenn man davon Kenntnis nımmt, dass in einem bestimmten Wasserquantum (1 cbm) daselbst am Tage beispiels- weise 1000 Copepoden (Öyelops), in der vorgerückten Nacht aber ca. 30000 enthalten sind. Da gegenwärtig (Juli— August) auch ein reichliches Phyto- plankton ım Gr. Pa See vorhanden ist, namentlich massenhaft die strahlige Schwebalge @Gloiotrichia echinulata, so gaben diese U ntersuchungen natürlich auch Veı ranlassung dazu, die planktonische Pflanzenwelt auf ihre etwaige passive Beweglichkeit hin zu beob- achten. Hierbei ergab sich aber nichts, was die Ansicht von Strodtmann!) hätte bestätigen können, nämlich diese, dass die Algen während der Nacht durch vertikale Strömungen in. die Tiefe gerissen würden und so eine passive Wanderung ausführen, welche derjenigen, welche die Tiere aktiv vornehmen, entgegengesetzt sei. Es zeigte sich vielmehr, dass die pflanzlichen Schwebwesen ganz unberührt von irgendwelchen Strömungsvorgängen in See bleiben und am Tage sowohl wie in der Nacht die "gleiche Häufigkeit des Vorkommens wahrnehmen lassen. Um das zu diesen Untersuchungen erforderliche Material zu gewinnen, wurde nicht mit dem Planktonnetze „gefischt“, sondern vielmehr mit einem Litermaße dicht unter der Oberfläche des Sees geschöpft und zwar immer Wasserportionen von 501. Zur Kontrolle des biologischen Zustandes der tieferen Wasserschichten (1--15 m) während der Tages- und Nachtstunden wurde ein sicher funk- tionierendes Schließnetz benutzt, welches ein genaues Abfischen der angegebenen Tiefenzonen ermöglichte. Auf diesem Wege ge- lang es, die Frage der nächtlichen Wanderung des tierischen Plank- tons auch für die baltischen Seen im positiven Sinne zu ent- scheiden und damit eine große Lücke in der Erforschung der Lebensgewohnheiten der pelagischen Tierwelt in den norddeutschen Seen mit entscheidenden Tatsachen auszufüllen. Ein ausführlicher Aufsatz Ruttner’s, der in den Plöner Berichten zur Publikation gelangen wird, ist in Vorbereitung. [63] Plön, 10. August 1904. O. D. Chwolson. Lehrbuch der Physik. Übersetzt von H. Pflaum. Zweiter Band. Gr. 8. XXII und 1056 Seiten. Mit 658 Abbildungen und 3 Stereoskopfiguren. Braunschweig, Vieweg u. Sohn, 1904. Die Gesichtspunkte, welche zur Empfehlung des ersten Bandes in dieser Zeitschrift Anlass gegeben haben (vgl. Bd. XXIII S. 544), gelten auch für den vorliegenden zweiten. Derselbe behandelt die Lehre vom Schall und die Lehre von der strahlenden Energie. Da die Lehre von den harmonischen Schwingungen, die Ausbrei- tung von Schwingungen durch Strahlen, die Erscheinungen der Interferenz, Beugung, Reflexion und Brechung schon im ersten Bande behandelt worden sınd, so konnte die Darstellung der Akustik wesentlich gekürzt und der gewonnene Raum zur Vertiefung der ) Plöner Berichte, III. T., S. 157 ft. 640 Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper. vorgetragenen Lehren verwendet werden. In dem Abschnitt über stahlende Energie finden wir hauptsächlich diejenigen Kapitel, welche sonst als Optik bezeichnet werden, dargestellt. Doch fasst sich der Vf. in der Beschreibung optischer Instrumente verhältnis- mäßig kurz, da er die denselben zugrunde liegenden Lehren, welche in neuerer Zeit große Vertiefung erfahren haben, als einen Teil der angewandten. Physik auffasst, den er nach Analogie der Elektro- technik Optotechnik nennt. Er verweist den Leser auf die aus- gezeichnete Darstellung, die Herr Lummer zur Auflage des Müller-Pouillet’schen Lehrbuchs der Physik ee hat. Statt dessen wird durch die eingehende Behandlung der Erschei- nungen der „strahlenden Energie“ der Grund gelegt für die spätere Darstellung der elektrischen Wellen und allen mit ihnen zusammen- hängenden Erscheinungen und gleichzeitig die Lehre von der „strahlenden Wärme* und allen optischen Erscheinungen i ım engeren Sinne in einer den jetzigen Anschauungen entsprechenden, streng wissenschaftlichen und überaus klaren Weise dargestellt. Wir sehen den beiden Schlussbänden, von denen der dritte, die Wärmelehre behandelnde, sich schon unter der Presse befinden soll, mit der Erwartung entgegen, dass durch dieses Werk eine wesentliche Bereicherung der zum Eindringen in die Grundlehren der neuen Physik sebotenen Hilfsmittel geboten wird, das, wie ich schon bei der Anzeige des ersten Bandes hervorgehoben "habe, auch vielfach den Bedürfnissen des Biologen entgegen kommt. I. Rosenthal. [61] Otto Cohnheim. Chemie der Eiweilskörper. Zweite, vollständig neubearbeitete Auflage. S. XII und 315 Seiten. Braunschweig, Vieweg u. Sohn, 1904. Die Darstellung der Chemie der Eiweißkörper, welche Herr C©. zu dem großen Lehrbuch der Chemie von Roscoe-Schor- lemmer beigesteuert hat, liegt jetzt, nach wenigen Jahren, in zweiter Auflage vor. Da sich inzwischen unsere Kenntnis dieses Gebietes sehr vermehrt, ja vielfach die ganze Betrachtungsweise eine andere geworden ist, ergab sich die Notwendigkeit einer völligen Neubearbeitung. Herr ©. beginnt mit den Reaktionen, behandelt dann die Spaltungsprodukte und die Konstitution der Eiweißkörper und ihre einzelnen Gruppen und zuletzt die physikalischen Eigen- schaften derselben. Diesem allgemeinen Teil folgt dann ein be- sonderer, ın welchem jeder der bekannten Körper nach seiner Zu- gehörigkeit zu einer der Hauptgruppen besprochen wird. Eine ungemein reiche, sehr sorgfältige Zusammenstellung der Literatur- nachweise weist überall auf die Originaluntersuchungen hin. Dem Physiologen wie jedem Biologen überhaupt ist mit dem Buche nicht nur das Eindringen in dieses schwieı igste Kapitel der physio- logischen Chemie erleichtert, sondern es ist ihm auch ein wertvolles Nachschlagebuch gegeben, in welchem er sich über Einzelnheiten, die ihm bei seinen Arbeiten entgegentreten, schnell und sicher belehren kann. I. Rosenthal. [62] Verlag von \ Georg Thieme in Leipzig, _ Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. ’ Biologisches Gentralblait. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwiekelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. XXIV.Bd. 15. Oktober 1904. NR 20. Inhalt: Korotneff, Über einen Baikalfisch (Comephorus . — Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur und ihre Beziehungen zur Physiologie der Matrix. — Sund, Die Entwiekelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. — Zacharias, Uber die systematische Durchforschung der Binnengewässer und ihre Beziehung zu den Aufgaben der allgemeinen Wissenschaft vom Leben. Über einen Baikalfisch (Comephorus). Von A. Korotneff in Kiew. Den sonderbaren Baikalfisch, (omephorus baicalensis Dybowsky, monographisch untersuchend, habe ich einige Eigentümlichkeiten gefunden, unter anderem in der Struktur der Kiemen und in der Entwickelung der Zähne, welche ich hier. kurz mitteilen möchte. Die Kiemenbögen (vier an der Zahl) besitzen an dem inneren Rande besondere Papillen, die lange schildförmige Zähne tragen, am äußeren Rande aber mit lanzettförmigen, an beiden Seiten mit Kiemenlamellen bedeckte Kıemenblätter haben. In der Achse des Kiemenblattes befindet sich ein Knorpelstrang, dem zweı Gefäße (Arterie und Vene) folgen. Da wo die Kiemenlamelle dem Kiemen- blatte angeheftet ist, geht von der Vene ein Sinus venosus ab, der im Innern der Kıiemenlamelle (Fig. 1) gelegen ıst. An der Peripherie dieses Sinus verläuft eine feine Arterie, die ihr Blut in die Arterie des Kiemenblattes ergießt. Es ıst noch zu erwähnen, dass an den flachen Seiten der Kiemenlamelle ein Kapillarnetz an- wesend ist, das einerseits mit der Venenlakune kommuniziert, an- dererseits wahrscheinlich auch mit der erwähnten Arterie in Ver- bindung steht. Diese Eigentümlichkeiten sind am besten an einem Querschnitte einer Kiemenlamelle zu sehen (Fig. 2). An so einem XXIV. 41 542 Korotneff, Über einen Baikalfisch (Comephorus). Schnitte unterscheidet man den inneren (Venensinus) und den peri- pheren Teil: der erstere besteht aus säulenförmigen Zellen (Pilaster- zellen) und ist von einer Membran umgeben. Zwischen diesen Zellen kommen Blutkörperchen vor. Der Raum aber, der die letzteren umgibt, ıst ein wahrer Interzellularraum und besitzt dem- gemäß, wie es auch für die Knochenfische eigentümlich ist, keine eigenen Wandungen. Dieser ganze Raum steht mit der Kiemen- Fig. 1. Kira: ep — Epithel; Sch. ap — Schutzapparat; Cm — Cement; kf = Kiefer. Kiemenlamelle. ®2 = Venen- lakune (Sinus venosus) ; ar — Arterie; vn — Vene. mb Querschnitt einer Kiemenlamelle. v! = Venenlakune; pl = Pilasterzellen des Kapilarnetzes; bl — Blutkörperchen; ar — Arterie; ep.z = Wand- zellen der Kapilare; mb — Membran; ep = Epithel. vene in Kommunikation und muss also als ein System von Lakunen angesehen werden, dessen flache Wände untereinander kontinuier- lich verbunden sind. Der erwähnte innere Teil des Schnittes ent- hält rechts und links die Querschnitte der feinen Arterien der Kiemenlamelle, die sich, wie schon erwähnt, in die Arterie des Kiemenblattes ergießen. An beiden Seiten der Lakune befindet sich eine aus Pflasterzellen bestehende Schicht. Ihre Elemente sind locker angeordnet und die zwischen ihnen vorhandenen Räume von länglichen Zellen ausgekleidet. Auf diese Weise wird hier Korotneff, Über einen Baikalfisch (Comephorus). 643 ein Kapillarsystem gebildet. Nach außen ist die ganze Lamelle mit einem Pflasterepithel überzogen. Wie aus den Untersuchungen von Bietrix!) und Faussek?) hervorgeht, sind zwei Arten von Kiemenlamellen vorhanden: die eine Art ist den Knochenfischen eigen, wo das Blut in besonderen interzellulären Räumen zirkuliert; die andere, bei den Amphibien vorkommende, besteht aus einem Kapillarnetze, das in denselben Räumen Platz findet, aber mit spezifischen Zellenwänden versehen ist. Bei Comephorus treffen wir beide Arten in einer und derselben Fig. 4 a ur _., nee ale, { we ‘ er z AR SR Ran, en NUTZE) IT ae Fer N \ % | RER FEN IN) 1, PALIN PL NAT SF 13 L U „us RNIT, 0 N RR 1 V % 4 » 0 N .’ ERSCEOTS RK IN Y ann oo Schzap FL} IN 3 RER > B AR FE KISS IN ws 98 Rz Id 4|S VE wie 2 S ara \ “| l _- _— — ’ ’ a + cr % D an \ % D) Sch. ap — Schutzapparat; zh —=Zahn; pl = Papille; kf = Kiefer. Sch. ap — Schutzapparat; zh — Zahn; lg = Ligamen- tum; kf = Kiefer. Kiemenlamelle vereinigt: ım ‚Innern befindet sich das Lakunen- system, an der Peripherie das Kapillarsystem. Was die Entstehung der Zähne bei Comephorus betrifft, so ıst sie sehr eigentümlich und erinnert mehr an die Verhältnisse bei den Ganoiden, als an die der Knochenfische. Es sei vorausgeschickt, dass die Zähne hier einzeln entstehen, ohne Beteiligung einer Leiste, 1) Eug£ne Bietrix, Morphologie g@nerale du Systeme circulatoire A propos du r&seau branchial des Poissons (Thöse), Paris 1895. 2) Viktor Faussek, Beiträge zur Histologie der Kiemen der Fische und Amphibien, in: Arch. Mikr. Anat., 60. Bd., 1. Heft, 1903. 41* 644 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. welche bei den Knochenfischen ganze Reihen von Zähnen vereinigt. Der Entwickelungsprozess fängt mit der Ausbildung einer Meso- dermpapille an, die ins Epithel hinemragt; zu gleicher Zeit wird die als Basis dienende Knochenplatte des Kiefers resorbiert (Fig. 3). Um die Mesodermpapille bildet die innere Schicht des mehrschichtigen Epithels eine aus prismatischen Zellen zusammengesetzte Kappe. Zwischen dem Epithel und der Papille kommt es zu einer Ablagerung von Zement, dem eine mesodermale Entstehung zuzuschreiben ist. Die ganze so entstandene Bildung wächst nun in die Höhe, die Papille wird größer, die Zementablagerung bedeutender, die Zellen der Kappe verlängern sich und werden endlich fadenförmig (Fig. 4). Nach den dürftigen Angaben von Salensky über die Zahn- entwickelung beim Stör könnte man glauben, dass die Zahnkappe auch bei dieser Form vorkommt. Es geht jedenfalls hervor, dass sie nichts mit der Ablagerung einer Emailschicht zu tun hat; sıe ist vielmehr eine Vorrichtung, welche den jungen Zahn vor einer schädlichen Druckwirkung beim Beißen zu schützen hat. Nachdem das Zement ausgebildet ıst, verwächst es mit der Kinnlade, aber nicht in der ganzen Zirkumferenz des Zahnes: es bleibt eine breite Öffnung bestehen, welche ins Innere des Zahnes führt. Bei den großen Zähnen bleibt der Zahn ganz frei, verwächst niemals mit dem Kieferknochen zusammen. Damit aber die Ver- bindung der beiden Bildungen eine genügende Festigkeit erhält, entstehen im Innern des Zahnes zwei Ligamente, welche Zahn und Kiefer verbinden (Fig. 5 Cy.). Mit der vollständigen Ausbildung des Zahnes wird das obere, den Zahn schützende Ende der Kappe nutzlos. Es wird resorbiert, wodurch die Kappe in zwei Teile zer- fällt und der Zahn frei wird (Fig. 5). Ob der Zahn mit Email bedeckt ist, bleibt sehr fraglich. Jeden- falls wird dasselbe nicht von dem Schutzapparate geliefert, sondern von dem Epithel, nachdem die Kappe verschwunden ist. Einige Schnitte schemen zu zeigen, dass der ausgebildete Zahn an seiner Basis Überreste des Schutzapparates besitzt; seine Spitze wird aber von saftigen Epithelzellen umgeben, die als Absonderungszellen des Emails betrachtet werden können. [55] Studien über Kutikulargenese und -Struktur und ihre Beziehungen zur Physiologie der Matrix. 1: Das Ephippium von Daphnia pule:w. Von Dr. Max Wolff, Assistent am Zoologischen Institut zu Jena. (Aus dem Zoologischen Institut der Universität Jena.) Die Genese der Kutikularbildungen wird allein bei vergleichen- der Betrachtung verständlich, ganz ebenso, wie der aus ihren Be- Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 649 ziehungen zur Matrix sich ergebende physiologische Befund, der, einmal in die Sphäre der selektiven Faktoren gezogen, eine hohe, mancherlei interessante Probleme bietende Diffe- renzierung erreichen kann. Auf Grund dieser gemeinsamen Überzeu- gung, im übrigen aber völlig unabhängig von- einander, sind von mei- nem Freunde M. Rau- ther und mir verschie- dene Formen von Kutiku- larbildungen untersucht worden. Diese Unter- suchungen sollen teils direkt, teils indirekt als histologische Vorläufer, ein physiologisches Ver- ständnis dieser „gelorm- ten Sekrete* anbahnen. Im folgenden werden zu- nächst meine eigenen, in dieser Richtungangestell- ten Untersuchungen über das Ephippium von Daph- nia pulex veröffentlicht. Bekanntlich ist unter den Phyllopoden die Fa- milie der Daphniden durch die Ausbildung merkwürdiger Eıbehälter, der sogen. Ephippien, ausgezeichnet, die zum Schutze der Wintereier gegen das Eintrocknen dienen. Diese, gleich- zeitig als Schwimmappa- rat dienende Einrichtung ist bis jetzt meines Wis- sens bei den Gattungen Acantholebris, Daphnta, Simocephalus, Scapho- lebris, Ceriodaphnia und Kigr 1 (V Fie. Moina beobachtet und besonders auf ıhre biologische Bedeutung hin untersucht worden. 646 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. Einer Aufforderung von Herrn Prof. Dr. Ziegler folgend, der es für sehr wünschenswert erachtete, einen Querschnitt des Ephip- pıums abzubilden, weil aus den Lehrbüchern die Lage des Sattels — ob auf der Schale oder innerhalb des Brutraumes —, nicht klar zu ersehen sei, fertigte ich in der üblichen Weise eine Quer- schnittseriean. In Fig. 1 habe ich einen Schnitt abgebildet, der zeigt, dass das Ephippium eine Verdickung des äußeren Schalenblattes darstellt, dass also sein Verhalten ganz der Auffassung der alten Beobachter entspricht. Ich studierte dann später zuerst an der hierzu hergestellten Schnittserie, dann an zwei weiteren, feineren (Schnittdicke = 2!/, und 1 a; für die liebenswürdige Überlassung seines Schaukel- mikrotoms bin ich meinem verehrten Freunde, Herrn Dr. Schulze, zu besonderem Dank verpflichtet) auch das mikroskopische Detail. Dass ich nun hierüber ın folgendem einiges mitzuteilen unternehme, bedarf der Rechtfertigung. Wir besitzen in den bekannten Unter- suchungen Leydig’s über die genannte Familie und nächst ihnen in den Arbeiten Weismann’s so erschöpfende Darstellungen der feineren anatomischen Verhältnisse, dass prinzipiell neue Befunde nach dieser Richtung hin nur insoweit zu erwarten waren, als Strukturen in Frage kamen, die sich notwendigerweise auch der raffiniertesten Beobachtungstechnik am lebenden und zerzupften Objekt entziehen mussten. Ich hebe deshalb hervor, dass meine histologischen Befunde an jeder guten Schnittserie leicht wahrzu- nehmen sind, die genügend fein und vor allem nach zweckmäßiger Färbung (Hämatoxylin-Eisenalaun Heidenhain mit nachfolgender Rubin-Orange G.-Plasmafärbung) mit stärkster Vergrößerung zu betrachten ist. Nur das Fehlen von unter solchen Bedingungen vorgenommenen Beobachtungen mag daher erklären, dass das, was ich als neu beschreiben kann, so lange unerkannt geblieben ist. Denn bei mittlerer Vergrößerung ist von diesen Dingen wenig oder nichts zu sehen, und darum ist auch in den neuesten, mit Hilfe von Schnittserien angestellten Untersuchungen von Samassa und Cunnington darüber nichts zu finden. Ferner musste ich leider wegen Mangel an geeignetem Material vorläufig darauf verzichten, das Detail der histogenetischen Vor- gänge an der Hand beweisender Präparate in allen Einzelheiten so zu verfolgen, wie es mir wünschenswert erschien. Immerhin glaube ich auch da, wo mich die Beobachtung in Stich ließ und ich zur Reflexion meine Zuflucht nehmen musste, aus der ver- gleichenden Betrachtungsweise genügendes Beweismaterial beige- bracht zu haben. Ich werde zunächst das eigentliche Ephippium behandeln und darauf noch einiges wenige über die Daphnidenschale, speziell über ihre Matrix mitteilen. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 647 Das Ephippium sitzt als ein schwarzbrauner Körper (vgl. Fig. 6) von sattelförmiger Gestalt der Schalenklappenmatrix auf (vgl. Fig. 1), liegt also zwischen dieser und der äußeren Chitinlamelle der alten Schale (vgl. Fig. 1, 4 u. 5). Wie Leydig in seiner bekannten En — a a Y TILL SP I rT7T z= > 7F- x = ne ar FALZINT- y& en ILL Li LS Hy A AB 4 „IT Be oe ED ERETEE I) ML Se a a Gh en Monographie schon angegeben hat, ist das Pigment in der Chitin- substanz des Ephippiums diffus verteilt!). Die dunkle Färbung 1) Pigmentiert ist auch die äußere Chitinlamelle der alten Schale, soweit sie das Ephippium überlagert und teilweise, aber viel schwächer, das entsprechende Stück der inneren Chitinlamelle der alten Schale. Die erstgenannte Lamelle ist auch ein wenig verdickt. Ganz ähnliche Verhältnisse finden wir bei den meisten Lynceiden und bei einigen Daphnidengattungen (Alona, Makrothrix, Pasithea, Bosmina), wo es nicht zur Ausbildung eines besonderen Ephippiums kommt, das 648 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. wird wesentlich dadurch verstärkt, dass sich nach dem Eintrocknen das Kammerwerk des Ephippiums mit Luft füllt und infolge der ia7 5 K { an y ‘ ran TER } uf }) eintretenden totalen Reflexion völlig undurchsichtig wird. An den Stellen, wo diese Kammerung fehlt, den Logenwänden, fällt dieser Winterei vielmehr einfach mit der Schalenhaut abgelegt wird. Hier, bei Daphnia pulex, wo das Winterei nicht mit der bloßen Schalenhaut, sondern noch mit einem besonderen „unpaaren“, «dieser eingelagerten, von dem äußeren Matrixblatte als eine Lamellengeneration „sui generis“ produzierten „Ephippium‘“ zusammen abgelagert wird, das der wesentliche Träger der Pigmentierung ist, scheint es sich also um einen Befund zu handeln, der als Reminiszenz an jene phylogenetisch weiter zurück- liegenden Vorstadien der ephippialen Entwickelungsgeschichte gedeutet werden muss. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 549 Schutz natürlich fort (vgl. Fig. 6) und seine Stelle vertritt hier allein jenes Pigment, das im durchfallenden Lichte ockergelb er- scheint. Weismann sieht zweifellos mit vollem Rechte in dieser Pigmentierung eine Schutzvorrichtung, die sich sogar noch bedeu- tend wirksamer bei den Lynceinen, die eines echten Ephippiums entbehren, entwickelt findet. So ist bei Camptocereus Maerurus die Innenfläche der Schale da, wo die Eier liegen, tiefschwarz gefärbt. Leydig hat zuerst in der „scharfrautigen* Zeichnung des Ephippiums den Ausdruck eines Wabenwerkes erkannt. Nur nahm er bei Daphnia magna wahr, dass die Rauten des Sattels durch- weg stark punktiert, d. h. siebartig nach außen durchbrochen sind, während ich bei der von mir untersuchten Art, Daphnia pulex, solche Durehbrechungen nur an den Wänden habe beobachten können, die die einzelnen Kammern untereinander abtrennen, wie ich weiter unten des genaueren beschreiben werde. Aus Fig. 1 ist die Anordnung der mit ihrer Längsachse senk- recht zur Oberfläche des Ephippiums stehenden Luftkammern leicht zu ersehen. Die „scharfrautige* Zeichnung, die aus größtenteils sehr unregelmäßig gestellten Sechsecken besteht, kommt übrigens allem Anschein nach nicht so sehr durch die Stellung der Längs- seiten der einzelnen Kammern, als vielmehr durch den kuppel- förmigen Abschluss zustande, den diese nach außen hin, dicht unter der dicken Chitinlamelle des äußeren alten Schalenblattes finden (vgl. Fig. 7 u. 4). Dass diese schon allein die Rauten- zeichnung hervorrufen, geht vor allem daraus hervor, dass Weis- mann bei Moina paradora auch die Logenwände solcher Art gezeichnet findet (bei Moina rectirostris sind sie dagegen glatt). Den gleichen Befund bieten mir die Logenwände von Daphnia pulex. Auf dem etwas schräg liegenden Querschnitt, der in Fig. 1 abgebildet ist, haben wir auf der linken Seite eine Logenwand ge- troffen. Hier fehlen die Kammern vollständig, obgleich, wie ge- sagt, die „scharfrautige* Zeichnung sich ohne jede Unterbrechung über den Logenwandteil des Ephippiums hinwegzieht. Fig. 8 gibt die eben angedeutete Erklärung dafür. Hier sieht man deutlich die äußere Chitinlamelle der alten Schale in mächtigem Bogen drei Kammerkuppeln überspannen. Diese erscheinen hier kleiner als auf den anderen bei gleicher Vergrößerung gezeichneten Figuren, weil sie mehr seitlich getroffen sind. Mehr medial ist die ganz links in der Zeichnung noch sichtbare Kammerkuppel getroffen. Das mit der Kuppelwandung verschmelzende Gerüstwerk werde ich weiter unten besprechen. Die Masse der Kammern scheinen bei den verschiedenen Daphnidenarten nicht unbeträchtlich zu diffe- rieren. Wenigstens kann ich dies mit Bestimmtheit vom Quer- durchmesser der Kammern angeben, Was die ‚Länge oder besser 650 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. gesagt die Höhe der Kammern anlangt, so sind meine Abbildungen anscheinend die ersten, die hierüber veröffentlicht werden. Ich denke wenigstens, dass mir die einschlägige Litteratur vollständig vorgelegen hat. Und in dieser war über den genannten Punkt keine einzige Angabe zu finden, so dass mir in dieser Hinsicht jedes Vergleichsmaterial fehlt. Sehr wahrscheinlich wird aber auch die durchschnittliche Kammerhöhe in ähnlicher Weise variabel sein, wie ihr @uerdurchmesser. Ich habe in Fig. 7 ein kleines Stück der Rautenzeichnung des Ephippiums von Daphnia pulex abgebildet, und zwar bei 180facher Vergrößerung. Genau dieselbe durchschnittliche Maschenweite weisen nun die Zeichnungen Weis- manns auf, der bei 100facher Vergrößerung das Ephippium von Moina paradoxa und rectirostris abbildet. Der Querdurchmesser der Kammern muss also bei diesen bei- den Arten nahezu doppelt so groß als bei Daphnia pulex sein. Dagegen gleicht die Breite der Kammer bei Scapholebris mucronata,nach der Zeichnung V osseler’s in dem bekannten Lampert’schen Werke zu urteilen, fast ganz der der beiden Moina-Arten. Das variable Verhalten des Kammer- durchmessers ist nun aus folgendem Grunde nicht ohne Interesse. Wie ich später noch genauer nachweisen werde, ist jede Kammer das Produkt einer ein- zıgen Matrixzelle. Obwohl diese Matrixzellen nun bei der von mir untersuchten Daphnia pulex durch keinerlei sichtbare Grenze von- einander geschieden sind, die ganze Matrix daher eher als ein Syneytium zu bezeichnen wäre!), scheint eben durch den Abstand der Kammer- wände eime energetische Abgrenzung zum Ausdruck zu kommen (im Sinne der bekannten Sachs’schen Theorie). Aus den darge- stellten Befunden würde also abzuleiten sein, dass bei verschiedenen Daphnidenarten die Größe der Matrixzellen — wenn wir im Sinne der Energidentheorie in solcher Weise den Zellbegriff erweitern und rein dynamisch fassen — beträchtlichen Schwankungen unter- liegt. Meines Wissens sind solche Differenzen in der Größe homo- loger Gewebselemente bisher nur bei den Amphibien bekannt. (Fortsetzung folgt.) 1) Leydig sagt einmal, wo, weiß ich augenblicklich nicht, dass jedes Epi- thelium mindestens in irgend einem Stadium seiner Entwickelung ein Syneytium darstellt. Auch mir scheint dies außer allem Zweifel zu stehen. Der Befund bei Daphnia pulex liefert einen weiteren Beweis dafür. Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinaw niger. 91 Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. Vortrag, gehalten in der Biologischen Gesellschaft zu Christiania am 26. Mai 1904. Von Oscar Sund. Das Geruchsorgan der Selachier ist im Laufe der Zeit von mehreren Verfassern behandelt worden und ich werde hier in dieser vorläufigen Mitteilung über meine Resultate nicht ver- suchen, eine Übersicht über die frühere Literatur zu geben. Es existiert jedoch eine Abhandlung, nämlich von Kurt Berliner: „Die Entwickelung des Geruchsorganes der Selachier* t), die zu meiner Arbeit ın einem so nahen Verhältnisse steht, dass ich nıcht unterlassen kann, dieselbe zu erwähnen. Berliner hat die morpho- logische Entwickelung des Geruchsorganes bei mehreren Selachiern, Acanthias, Pristiurus und Spinar untersucht; aber während meine Resultate zum Teil seine Beobachtungen bestätigen, finden sich doch auch einige sehr wesentliche Punkte, worin dieselben mit- einander im Streite stehen. Ich werde mir später erlauben, auf diese Punkte zurückzukommen. Mein Material ist an der biologischen Station zu Dröbak einge- sammelt und mir von Konservator Frl. Kristine Bonnevie gütigst überlassen worden. Die Arbeit wurde in dem hiesigen Zootomischen Institut unter der Leitung und dem liebenswürdigen Beistande von Frl. Bonnevie ausgeführt, der ich an dieser Stelle meinen besten Dank darbringe. Das Material umfasst eine Reihe Embryonen von Spinax niger — die jüngsten in einem Stadium kurz nach der Schließung von Neuroporus und die ältesten fast ausgewachsen. Dieselben waren teils in Zenker’s Flüssigkeit, teils in Pikrin- sublimat fixiert. Die Embryonen wurden in toto gefärbt in Dela- field’s Hämatoxylın und Eosin, und in Serien mit emer Schnittdicke von 10 und 15 « geschnitten. Das Ziel der Untersuchung war, die Entwickelung der Mor- phologie des Geruchsorganes klar zu machen. Das Verhältnis des Nerven ist nur berührt worden, insofern es Einfluss hat auf die Form der Geruchsgrube. Ehe ich zur Stadienbeschreibung übergehe, muss ich eine Be- merkung vorausschicken, um die Orientierung zu erleichtern. Bei der Beschreibung hat man sich die Embryonen stets in horizontaler Lage zu denken und zwar derart, dass der Dotterstiel vertikal herabhängt. Alle Serien sind perpendikular auf der Längs- achse des Embryos, von vorn nach hinten, geschnitten. Die Be- zeichnungen auf und ab, oben und unten beziehen sich auf die Schnitt- bilder, in Übereinstimmung mit der Stellung des Embryos?) gesehen. 1) Arch. mikr. Anat., Bd. 60, 1902. 2) Wenn diese Orientierung hier in der vorläufigen Mitteilung vorge- zogen wurde vor der allgemeinen, im Verhältnis zur Dorsal- und Ventralseite, so 652 Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinaxw niger. Erstes Stadium. Die Länge des Embryos ca. 8 mm, ca. 40 Ursegmente). | Die Anlage des Geruchsorganes sieht man hier als eine wohl differenzierte unpaare Ektodermverdickung (Plakode), die sich über einen großen Teil der Unterseite des Kopfes verbreitet (man kann sie auf 32 Schnitten [10 «] sehen, und ihre Breite ist ca. 1 mm). Die Plakode ist aus hohen Zylinderzellen zusammengesetzt und Bis. Fig. 2. Fig 1. Schnitt durch den kürzlich geschlossenen Neuroporus, Np. Bei NO sind die Nervenanlagen aus einem weiter vorn liegenden Schnitt derselben Serie eingezeichnet. 45:1. Fig. 2 ist ein Schnitt etwas hinter der Fig. 1. 45:1. Fig. 3. Fig. 4. 3te Stad. Fig 3 u. 4 zweites und drittes Stadium. Der Nerv ist aus Schnitten weiter nach vorn in den resp. Serien eingezeichnet. 45:1. von dem umgebenden niedrigen kubischen Epithel scharf abge- grenzt. Auf einigen Schnitten ın der vordersten Hälfte der Pla- kode (9--14) kann man ın der Mitte derselben eine gewisse Un- geschah es, weil die Entwickelung der Geruchsgrube gleichzeitig mit einer um- fassenden Formveränderung des vordersten Endes des Embryos geschieht. Die Aus- drücke ‚„dorsal“ und „ventral‘‘ werden daher, angewandt auf die Schnittbilder, aus dem einen Stadium in das andere ihre Bedeutung verändern. Das Verhältnis der Geruchsgrube zu den Formveränderungen des Kopfes wird in der ausführlichen Abhandlung behandelt werden. Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spina.w niger. 655 regelmäßigkeit in der Anordnung der Zellen beobachten, die einer ähnlichen Bildung in der naheliegenden Gehirnwand entspricht — deutliche Spuren von der Schließung des Neuroporus (s. Fig. 1). Zu beiden Seiten dieser Stelle sieht man die Plakode eine seichte Einbuchtung machen, deren Oberfläche in einer begrenzten Partie [rei von Kernen ist. Die Begrenzung derselben ıst auf allen Zeich- nungen durch eine punktierte Linie angegeben. Auf ein paar Schnitten, dem Vorderende des Embryos näher, sieht man hier von zwei symmetrisch belegenen Punkten der Innen- seite der Plakode aus eine Einwanderung von Zellen vom Sinnen- epithel nach dem Gehirn zu. Diese Zelleneinwanderung wird Fig. 5 während des weiteren Wachs- tums des Geruchsorganes fortge- setzt, und dadurch die Grundlage für die paarigen Geruchs- nerven gebildet. Diese werden also vom Ektoderm gebildet ın derselben Weise, wie solches ın den letzten Jahren auch für andere Teile des peripheren Ner- vensystems nachgewiesen worden. Dieses Stadium scheint mir von großer Bedeutung für die Frage von Amphirinie und Mono- rhinie zu sein und meine Be- obachtungen stehen hier ım di- rekten Gegensatz zu denen Ber- yre Stadıum. . , - 2 . Fig. 5 zeigt ein Schnittbild vom a’ Xnactiıtr s In oO ; fe) Rn . > | ER Gestützt auf ‚Bilden 4. Stadium. Der Nerv ist aus einem seiner beiden ersten Stadien be- Schnitte weiter nach vorn in der merkt er: „Schon die erste Anlage Serie eingezeichnet. 45:1. ist amphirin. Mit dem Neuroporus besteht kein Zusammenhang.“ Aus obigem geht indessen her- vor, dass das Geruchsorgan bei Spinax „monorhin“ entsteht — aus einer unpaaren Sinnesplakode, ın deren Mitte Spuren vom Verschluss des Neuroporus zu sehen sind. Die Anlage der Geruchsnerven dagegen ist vom ersten Anfang paarig, sie geschieht aber erst sekundär und mit der unpaaren Sinnesplakode als Ausgangspunkt. Dieser anscheinend scharfe Gegensatz zwischen unseren Resultaten dürfte gewiss seine Erklä- rung finden in dem großen Sprung in der Entwickelung zwischen Berliner’s erstem und zweitem Stadium (loc. cıt. Taf. XX, Fig. 1 u. 2). In seinem ersten Stadium (Fig. 1) ist die Differenzierung des Sinnenepithels so wenig vorgeschritten, dass es schwierig ist, hieraus Schlüsse auf die Ausdehnung desselben zu ziehen, und 654 Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinax niger, speziell scheint es übereilt zu sein, aus seiner Fig. 1, Taf. XX zu schließen, „dass also hier nicht die geringsten Beziehungen zwischen dem werdenden Sinnesorgane und dem Neuroporus bestehen“. Leider habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, so junge Em- bryonen zu untersuchen; aber meiner Meinung nach würde es dem Entwickelungsgange keinen Abbruch tun, wenn mein erstes Sta- dium (Fig. 1 u. 2) in die Reihe zwischen die beiden frühesten Stadien Berliner’s gesetzt würde. Im zweiten Stadium (die Länge des Embryos ca. 14mm. Äußere Kiemen am zweiten Kiemenbogen). kann man die Geruchsgruben als zwei ellipsenförmige Versenkungen auf der unteren Seite des Kopfes sehen. Ihr Epithel ist ziemlich viel höher als im ersten Stadium, und sie sind durch ein breites Feld von undifferenzierten, kubischen Zellen wohl voneinander ge- trennt. Sowohl am Ektoderm wie auch an der Wand des Vorder- hirnes ist jede Spur von Neuroporus verschwunden. In dem einge- senkten Teil der Grube haben sich alle Kerne etwas gegen die Basis der Zellen hin zurückgezogen, so dass Boden und Wände der Grube auf der freien Seite fast ohne Kerne sind (s. Fig. 3). Das verdickte Epithel erstreckt sich hier ebenso wie auch im nächsten Stadium aufwärts gerade bis zum Rand der Grube, wäh- rend es sich abwärts ein Stück über denselben hinaus fortsetzt. Auch in diesem Stadium kann man den Nerv sehen, der sich wie ein dicker Protoplasmastrang mit vielen Kernen von der vor- dersten untersten Spitze der Geruchsgrube gegen das Gehirn zu erstreckt und sich gegen dessen Oberfläche anlegt, ohne jedoch mit demselben in nähere Verbindung zu treten. Drittes Stadium (Fig. 4). (Länge des Embryos ca. 16 mm. Äußere Kiemen am 2.4. Kiemenbogen sichtbar.) Das Epithel der Geruchsgrube ist nicht wesentlich dicker ge- worden, scheint aber reicher an Zellen zu sein. Die Grube ıst jetzt tiefer geworden durch Wachstum nach oben. Den Nerv wird man an derselben Stelle finden wıe ım zweiten Stadium. Viertes Stadium (Fig. 5). (Länge des Embryos ca. 25 mm. Die Kiemenbogen sind alle mit äußeren Kiemen versehen.) Die Form der Geruchsgrube hat sich ziemlich verändert, was deutlich aus den veränderten Verhältnissen des Nerven hervorgeht. Fig. 5 zeigt ein Schnittbild des vierten Stadiums. (Auf der Figur ist der Nerv aus einem anderen Schnitt, weiter vorn in derselben Serie eingezeichnet.) Während man nämlich in den früheren Stadien den Nerv von der untersten vordersten Spitze der Geruchsgrube ausgehen sah, EEE . Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. Fig. 6. Fig. 7. 5 az falten. Fig. 6 zeigt einen Schnitt durch den faltenlosen Teil der Geruchs- grube (vergl. Fig. 8). Der primäre Nervenast ist mit /, der sekundäre Fig 7. mit // bezeichnet. 45:1. Schnitt aus derselben Serie weiter nach hinten (vergl. Fig. S). 45: Fig. 8. Vorn 4 —————— m; Ynten, Medhianwarfs. 50:7 lateralwörfs. Fig. 8. 5. Stadium. Dorsalansicht vom Boden der Geruchsgrube. Nach Model. Die Ovalen stellen die Ausgangspunkte der zwei Äste des Geruchsnerves dar (Zu. II). I,u. II, sind die primäre und sekun- däre Reihe von Schneider’schen Falten. 655 ik 656 Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. sieht man ihn jetzt von der obersten ausgehen. Diese Ortsverände- rung des Nerven ist nicht durch eine Verschiebung desselben erfolgt, sondern durch starke Erweiterung der unterhalb des Ausgangs- punktes des Nerven belegenen Partien der Wand der Geruchsgrube. Diese Erweiterung ist teils durch Einziehung des unter Stadium 2 erwähnten Epithels, das dann über den untersten Rand der Ge- ruchsgrube hinausragte, teils auch durch wirklichen Zuwachs ge- schehen. Gleichzeitig ist das Epithel der inneren Wand der Grube in hohem Grade verdünnt und eine Längsfaltung hinter dem Aus- gangspunkt des Nerven in diesem verdünnten Boden ist die erste Anlage zu den Schneider’schen Falten, die später eine so große Rolle in die Morphologie des Organes spielen. Die dem Nerv zu- nächst liegenden Falten sind in ihrer Entwickelung am weitesten gekommen. Das fünfte Stadıum. ist äußerlich nicht sehr verschieden vom vierten, aber nıichtsdesto- weniger hat die Geruchsgrube sehr wichtige Veränderungen erlitten, wodurch die ganze Grundlage der späteren Entwickelung gelegt worden. Die unter Stadium 1 erwähnte Zelleneinwanderung, die Anlage zum Geruchsnerv, wird nach wie vor fortgesetzt, und man kann zwischen den eingewanderten Kernen jetzt einzelne Nervenfasern sehen. In der Nähe des Gehirns sieht man eine starke Verdickung des Nerven, und von dieser Verdiekung aus erstreckt sich ein Strang von Nervenfasern, umgeben von Kernen, gegen die mediane oder unterste Kante der Geruchsgrube (s. Fig. 6). R Die Partie des Bodens der Geruchsgrube, die sich zwischen dem Ausgangspunkt des Hauptnervs und der Stelle streckt, wo der sekun- däre Nervenast hinzutritt, ist etwas eingesenkt, aber sonst glatt und ihre Richtung ist ungefähr lotrecht zur Längsachse des Em- bryos. Vor dieser bandförmigen Partie hat sich die Geruchsgrube erweitert, so dass der Ausgangspunkt des Nerven, der sich früher an dem vordersten Ende der Grube befand, jetzt etwas hinter dieser Stelle sich befindet. In dieser neu gebildeten vordersten Partie des Bodens der Grube sieht man jetzt eine neue Faltenreihe, aus drei kleinen Falten bestehend, gerade vor der Stelle, wo der sekundäre Nervenast den Boden der Grube berührt (Fig. 8). Im sechsten Stadium hat der Embryo eine Länge von ca. 4 cm. Der Kopf ist fast ganz gerade gestreckt. In der Geruchsgrube haben die Schneider’schen Falten zu- genommen sowohl an Breite als auch an Zahl, letzteres speziell mit Rücksicht auf die sekundäre (vorderste) Reihe, indem diese im sechsten Stadium 16 Falten gegen 3 im fünften Stadıum Sund, Die Entwiekelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. 657 Fig. 9. \ l I I l | Ni 4]; Pe x » 4 ERRSE Fig. 9. Profilkonstruktion der Geruchsgrube. I,— II, sind die primäre und sekundäre Faltenreihe, M-—L sind die Lappen der medianen und lateralen Wände der Öffnung. V—H sind die durch die Lappenbildung getrennte vordere und hintere Öffnung der Geruchsgrube, Fig. 10. ne SERUNJITE N Reihe. =” Primäre Reihe Hintere Oeffnung. Fig. 10 zeigt einen Schnitt in der auf Fig. 9 punktierten Linie, lotrecht auf dem Plane des Papiers. I und II Aste des Geruchsnerven. umfasst, während die primäre (hinterste) Reihe 15 gegen 11 ım fünften Stadium hat. XIV. 2 658 Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. Die wichtigste Veränderung ist jedoch das starke Wachstum der faltigen Partien an Tiefe während der faltenlose Teil des Bodens zwischen. den zwei Nervenästen fast nicht gewachsen ist. Infolge dieses Unterschiedes in der Schnelligkeit des Wachsens zwischen den verschiedenen Partien der Geruchsgrube sind die beiden Faltenreihen nun zu zwei auf der Geruchsgrube stark her- vortretenden Blindsäcken verwandelt, getrennt durch eine Wand, die aus zwei Sinnesepithelschichten besteht. Zwischen diesen bei- den verbreiten sich die Äste des Geruchsnerven und fein verteilte Blutgefäße. f Bei einem ausgewachsenen Embryo kann man die unter dem sechsten Stadium erwähnten Verhältnisse fast unverändert wieder- finden. Eine Profilkonstruktion der Geruchsgrube in diesem Sta- dium zeigt die charakteristische Form derselben, zusammengesetzt aus zwei großen Blindsäcken, von denen der hinterste etwas größer ist als der vorderste. Auf einem Wachsmodell zeigt es sich, dass beide Blindsäcke ungefähr nierenförmig sind. Die Profilkonstruktion ist in einem Plane parallel der Längen- achse des Tieres ausgeführt; da sich auch die Schneider’schen Falten in derselben Richtung erstrecken, gibt Fig 9 gleichzeitig ein Bild von der Ausdehnung derselben und ihrem Verhältnis zur Scheidewand zwischen den Blindsäcken. Die einzelnen Schnittbilder zeigen in diesem Stadium eine neue Komplikation des Organes. In den Schneider’schen Falten selbst wird man nämlich eine Querfaltung, die sekundären Schnei- der’schen Falten, bemerken. Zum Schluss möge es mir gestattet sein, auf den zweiten Punkt aufmerksam zu machen, worin meine Resultate von denen Berliner’s abweichen. Berliner beschreibt zwei getrennte Reihen Schneider’scher Falten, aber er erwähnt nicht die Teilung der Geruchsgrube selbst in zwei Blindsäcke. Er sagt ausdrücklich (S. 400): „Das Organ bildet schließlich einen!) tief zwischen Ektoderm und Vorderhirn ein- gesenkten Blindsack, dessen Eingang durch zwei vorspringende Hautwülste — zwerchsackförmig eingeengt wird.* Berliner hat außer Acanthias- und Pristiurus-Embryonen von verschiedener Größe auch zwei Spinax-Embryonen untersucht, und wenn diese augenfällige Veränderung der Form der Geruchsgrube ihm dennoch hat entgehen können, so lässt sich eine Erklärung hierfür möglicherweise darin suchen, dass er Wachsmodelle nur von 1) Hier gesperrt. Sund, Die Entwickelung des Geruchsorganes bei Spinax niger. 659 zwei Stadien ausgeführt hat, die beide der früheren Entwickelung der Geruchsgrube angehören. Wenn man nun nach der Bedeutung dieses sekundären (vor- deren) Blindsackes bei Spinaxr fragt oder danach, ob sich bei den höheren Wirbeltieren ein Organ findet, das als homolog mit dem- selben zu betrachten ist, so muss der Gedanke zunächst auf das Jacobson’sche Organ fallen. Dieses eigentümliche Organ wird, so weit aus der Literatur ersichtlich, stets als eine Einbuchtung des Sinnenepithels der Nasenhöhle angelegt, — obschon es später bei Anlage des sekundären Gaumens von derselben getrennt wird — und entwickelt sich in verschiedenem Grade in den verschiedenen Tiergruppen. Bei den Reptilien erreicht das Organ seine höchste Entwickelung, während es bei den Säugetieren und Vögeln wohl immer als etwas rückgebildet zu betrachten ist. Inwiefern es bei den Amphibien vorkommt, darüber sind die Meinungen geteilt und bei den Fischen hat man dasselbe noch. nicht nit Sicherheit nach- weisen können. Aber bei einem Vergleich zwischen meinen Modellen und Schnittbildern von der Entwickelung der Geruchsgrube bei Spinax und der Darstellung, die Beard!) von der Entwickelung des Jacobson’schen Organs bei den Reptilien gibt, wird man notge- drungen eine auffallende Ähnlichkeit in Anlage und Entwickelung sehen, und speziell möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Tat- sache lenken, dass die beiden Blindsäcke bei Spinax, wenigstens anfänglich — ebenso wie die Nasenhöhle und das Jacobson’sche Organ bei den Reptilien — von je ihrem zugehörigen Aste des Geruchsnerves innerviert werden. Die Faltenbildung in dem hintersten Blindsack entsteht näm- lich deutlicherweise unter dem Einflusse des zuerst angelegten — jetzt lateral belegenen Astes des Nerven, während die vorderste Faltenreihe in ihrer Anlage sowohl an Zeit und Ort mit dem sekun- dären, median belegenen Ast des Nerven übereinstimmt. Nach meinen vorläufigen Untersuchungen finde ich es nicht unwahrscheinlich, dass der vorderste Blindsack bei Spinax niger als homolog mit dem Jacobson’schen Organ zu betrachten ist; aber eine endgültige Entscheidung dieser Frage muss dahin stehen, bis eine mehr eingehende Untersuchung der diesbezüglichen Ver- hältnisse vorliegt. Christiania, Zootomisches Institut, 26. Mai 1904. 1) Morphological Studies 4. Nose and Jacobson’s organ. Zool. Jahrb. Abt. . Anatomie und Öntogenie 1889. 650 Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer und ihre Beziehung zu den Aufgaben der allgemeinen Wissenschaft vom Leben. Von Dr. Otto Zacharias (Plön). Ein lebhafteres Interesse an der Tier- und Pflanzenwelt jener zahlreichen, in Gestalt von Tümpeln, Teichen und Seen dem Binnen- lande zukommenden Wasseransammlungen ist erst von dem Zeit- punkte an zu datieren, wo sich namhafte Forscher (wie Ehren- berg, Lilljeborg, G. ©. Sars, P. E. Müller, Leydig u. s. w.) den mikroskopischen Lebensformen des Süßwassers zuzuwenden begannen. Aber dieses Studium war sozusagen richtungslos, d. h. es er- streckte sich — je nach Ort und Jahreszeit der sich darbietenden Gelegenheit — bald auf diese, bald auf jene Gruppe von Organis- men, unter denen nächst den Protozoen die Rädertiere, Krebse und Wasserinsekten ım Vordergrunde der Beobachtung standen. Man lieferte vor allem genaue und detaillierte Beschrei- bungen dieser Tiere und stellte besonders auch die Ermittelungen über den feineren Bau derselben zusammen, wie solche durch die verbesserten Linsen ohne größere Mühe gewonnen werden konnten. Es wurde auch mit Bearbeitung der Faunen und Floren einzelner Gebiete der Anfang gemacht, die man gelegentlich mit Notizen über die näheren Lebensumstände der gesammelten Objekte be- reicherte — kurz man widmete sich dem neuen Forschungszweige mit augenscheinlicher Vorliebe, welcher auf diese Weise zu schneller Entfaltung gelangte. Es fallen in diese Zeit auch die schönen Untersuchungen von Weismann über Daphnoiden, welche noch heute ein Muster von gründlicher Behandlung darstellen und wert- volle Fingerzeige zur Vornahme von wichtigen biologischen Beob- achtungen an recht gewöhnlichen Wasserbewohnern enthalten. Hauptsächlich schöpferisch auf diesem Gebiete waraber Francois Alphonse Forel, insofern er die Tier- und Pflanzenwelt eines großen Seebeckens als ein Ganzes aufzufassen und sie in ihrer Ab- hängigkeit von bestimmten äußeren Bedingungen erkennen lehrte. Hierzu war er nicht nur durch gründliche Detailkenntnisse auf dem Gebiete der Zoologie besonders befähigt, sondern namentlich auch durch eine treffliche Orientierung in physikalischer und hydro- graphischer Hinsicht. In solcher Weise ausgerüstet, nahm er seine in der Folge berühmt gewordenen Untersuchungen im Genfer See zu Beginn der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Angriff und wurde dadurch nicht nur der Begründer einer wissenschaft- lichen Seenkunde überhaupt, sondern entschieden auch der Vater der eigentlichen Limnobiologie, wie sie heutzutage in eigens dazu eingerichteten Stationen betrieben wird. Das, was man jetzt Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. 661 „Plankton“ nennt, hieß damals „pelagische Fauna und Flora* — und diese aus Pflanzen und Tieren bunt zusammengesetzte Gesell- schaft bildete ebenfalls einen Hauptgegenstand der Forschungen des damaligen Universitätsprofessors der Anatomie F. A. Forel. Wir Jüngeren stehen also unleugbar auf den Schultern dieses Bahnbrechers und die „Materiaux pour servir A l’etude de la faune du Lac Löman* (1874--1879) sind noch gegenwärtig als eine Fund- grube für die fruchtbarsten Gesichtspunkte auf dem Gebiete der Seenkunde zu betrachten. Was am Genfer See prinzipiell fest- gestellt und durch jahrelange, mühevolle Untersuchungen eruiert wurde, kann noch auf lange Zeit hinaus zur Richtschnur bei allen Untersuchungen dieser Art dienen, und außerdem bilden die dort konstatierten Tatsachen in ihrer Gesamtheit ein sehr wert- volles Vergleichsmaterial für die an anderen Binnenseen gewonnenen Hs churse: Es wird mir für immer eine denkwürdige Erinnerung bleiben, dass ich im April dieses Jahres mit Prof. Forel zusammen einen Ausflug auf den Lac Löman unternehmen und hier im An- gesichte der savoyischen Alpen die Demonstrationen des Genannten über die Tiefenverhältnisse und die biologischen Eigentümlichkeiten dieses großen Wasserbeckens entgegennehmen konnte. Namentlich lernte ich hier die bei dem klaren Wasser besonders deutlich ausge- sprochene Lichtscheu (Photophobie) der Spaltfußkrebse (Uopepoden) näher kennen, welche tagsüber erst bei etwa 50 m unter der Ober- fläche eine Erbeutung dieser Krustazeen mit dem horizontal fischenden Gazenetz gelingen ließ. In den baltischen Seen ist dieser negative Heliotropismus bekanntlich weit weniger deutlich zu bemerken, obwohl er ebenfalls besteht und neuerdings durch die genaue quan- titative Analyse von Tag- und Nachtfängen zweifellos konstatiert wurde !). Ein weiterer Schritt, um speziell die faunistischen und algo- logischen Studien am Süßwasser zu fördern, bestand in der Be- gründung biologischer Stationen in unmittelbarer Wassernähe, wo- mit die Möglichkeit gegeben war, einen größeren See oder ein umfassendes Teichbecken zu allen Jahreszeiten in betreff ihres Ge- halts an Organismen zu prüfen, resp. letztere sofort nach dem Fange für wissenschaftliche Zwecke zu präparieren und mikro- skopisch zu untersuchen. Durch eine solche Vorkehrung wird die Chance zur Erbeutung neuer oder nur selten vorkommender Organismen (resp. bestimmter Entwickelungsstadien von solchen) verhundertfacht — mithin also die lückenlose Verfolgung der Lebensgeschichte gewisser Spezies, die ein größeres Interesse darbieten, überhaupt erst ermöglicht. 1) Die bezüglichen Zählresultate kommen im XII. Bande der Plöner Forschungs- berichte (Anf. 1905) zur Veröffentlichung. ©. Z. 662 Zacharias, Uber die systematische Durchforschung der Binnengewässer. Von einer derartigen, am Seeufer fixierten Arbeitsstätte aus lässt sich der biologische Gesamtzustand des betreffenden Gewässers nicht bloß während der warmen Jahreszeit, sondern auch während der rauheren Herbstmonate und mitten im Winter kontrollieren, sodass erst auf diese Weise ein Einblick in die Periodizitäts- verhältnisse der verschiedenen Gattungen und Arten, aus denen sich die lakustrische Bewohnerschaft rekrutiert, gewonnen werden kann. Ganz besonders aber wird das eingehende Studium des sogen. Planktons durch die ständig sich darbietende Gelegenheit, die zarten und leicht zerstörbaren Formen desselben sofort an Ort und Stelle untersuchen zu können, außerordentlich begünstigt, wo- durch es denn auch erklärlich wird, dass man sich in jüngster Zeit mit den dasselbe zusammensetzenden Schwebewesen so intensiv in den jetzt schon ziemlich zahlreich bestehenden süßwasserbiologischen Stationen beschäftigt. Man sollte denken, dass die Hervorhebung der eben geltend gemachten Momente hingereicht haben müsste, um jeden einiger- maßen Sachkundigen von der Ersprießlichkeit der Errichtung solcher Stationen zu überzeugen, zumal da das Beispiel schon gegeben war und wir längst eine Anzahl mariner Stationen besaßen, als ich meinerseits mit dem Vorschlage hinaustrat, es mit einer fixierten Studiengelegenheit auch ın betreff der Durchforschung eines größeren Binnensees zu versuchen. Dem war aber nicht so. Denn abge- sehen von nur ganz wenigen Fachleuten, welche sich dem Projekte von vornherein geneigt zeigten, sprach man ım allgemeinen der Errichtung von Süßwasserstationen jeden höheren wissenschaftlichen und praktischen Wert ab, indem man wiederholt betonte, dass die lakustrische Tier- und Pflanzenwelt — soweit dieselbe neben der des Meeres überhaupt Interesse besitze — zum größten Teile schon er- forscht sei und dass der Rest gleichfalls auf dem bisherigen Wege zu unserer Kenntnis gebracht werden könne. Die Quintessenz aller Gegenargumente bestand darin, dass man klar durchblicken ließ: es lohne sich überhaupt nicht erst, wegen des Studiums der als „arm, eintönig und reizlos“ zu betrachtenden Organısmenwelt unserer _ Seen und Teiche besondere Vorkehrungen zu treffen. Da auch einige sehr namhafte deutsche Zoologen von dieser Ansicht durch- drungen waren, so lag die Sache recht misslich, als ich im Jahre 1891 die erste Süßwasserstation am Plöner See zu begründen mich anschickte. Ich sagte mir aber folgendes, um mich selbst in dem Glauben an die Nützlichkeit meimes Unternehmens zu bestärken: keiner von denen, die dem Projekte abhold waren, konnte An- spruch darauf machen, die Mannigfaltigkeit der in Frage kommen- den Organismenwelt aus eigener Anschauung und auf Grund aus- gedehnter Untersuchungen zu kennen — da solche Arbeiten zu jener Zeit mehr für eine Art Privatsport als für eine ernste wissenschaftliche Zacharias, Uber die systematische Durchforschung der Binnengewässer. 669 Beschäftigung erachtet wurden. In dem und jenem Fachblatte wurde sogar gelegentlich über die trocknen Listen gespöttelt, die ein schweizerischer Seenforscher damals von Zeit zu Zeit publizierte, obwohl man sich hätte zum Bewusstsein bringen sollen, dass solche Vorarbeiten nur eine Nummer auf dem eigentlichen Programm der lakustrisch-zoologischen Forschung, wie sie geplant war, darstellen würden. Aber vor allem hätte man sich an Stein’s und Perty’s gediegene Arbeiten, an v. Graff’s Turbellarienforschungen, an Bütschli’s und Blochmann’s Infusorienstudien und noch manche andere Publikationen erinnern sollen, welche sich auf das Süß- wasser und seine Kleinfauna beziehen, ganz abgesehen von den bereits oben zitierten Arbeiten Leydig’s und Weismann’s, welche als ebensoviele Beweise für die Fruchtbarkeit süßwasserbiologischer und limnozoologischer Studien gelten können. Dass alle diese Au- toren ohne eine fixierte biologische Station auszukommen vermochten, beweist nichts gegen die Notwendigkeit von Instituten dieser Art, weil sich eben jene Gelehrten zu der Zeit, da sie ihre Beobach- tungen anstellten oder ihr Material sammelten, ausgesprochener- maßen in Sommerfrischen und in nächster Nähe von Gewässern befanden, so dass ihre derzeitige Ferienwohnung die Stelle einer temporären Station des in Rede stehenden Charakters vertrat. Es liefe nur auf einen Wortstreit hinaus, wenn man ein Bauernhaus oder ein Fremdenhotel nicht als Arbeitsstation betrachten wollte, sobald es nur dicht genug an einem See liegt und einem Fachmanne mit dem Mikroskop zu beobachten gestattet, oder ihm in den nahe- liegenden Gewässern die Möglichkeit bietet, sich Material für spä- tere Studien aufzufischen. Erwägungen dieser Art waren es, welche mich veranlassten, 1892 mit der Errichtung einer lakustrischen Station Ernst zu machen und das jetzt zu Plön bestehende Gebäude mit Arbeitssaal, Bibliothek, Aquarienraum und Netzkammer aufzubauen. Die Erfahrungen eines vollen Jahrzehnts haben bewiesen, dass diese bescheidene Schöpfung — welche als ein erster Versuch zu betrachten ist —- ıhre Aufgabe erfüllt. Die Staatssubvention ist freilich im Vergleich zu der, welche andere Institute beziehen, die in den Rahmen einer Universität eingeschlossen sind, sehr gering — indessen um einen Versuch zu machen, was eventuell auf dem betretenen Wege mit größeren Mitteln zu erzielen sein würde, hat sie ausgereicht. Aber es wäre zu wünschen, dass an anderen Seebecken und mit reichlicher bemessenen Mitteln ähn liche Stationen begründet und für den Universitätsunterricht — namentlich während der Sommermonate — nutzbar gemacht würden. Dass Anlass dazu besteht, die Ergebnisse der Hydro- biologie in erster Linie unter den eigentlichen Studenten der Zoologie zu verallgemeinern, geht aus der genugsam bekannten 664 Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer, Tatsache hervor, dass biologische Kenntnisse im engeren Sinne, nämlich solche, welche die Abhängigkeit der Tiere von ihrer Um- gebung betreffen und sich auf deren Nahrung und Bewegungsweise, sowie auf das Verhalten derselben zum Lichte, zu Temperatur- veränderungen, bei der Eiablage und den ausgeschlüpften Jungen gegenüber beziehen, durchaus nicht sehr verbreitet sind. Und doch wird durch Wahrnehmungen dieser Art das Bild eines Lebewesens, gleichviel welcher Stufe der Organisation es angehört, erst zur Vollständigkeit gebracht. Der Maler, der eine Kuh naturgetreu wiedergeben will, muss seine Studien auf der Weide draußen machen, wo sich die Tiere nach ihrem Gefallen regen und be- wegen können; ebenso wird der Pferde- oder Hundemaler seine Objekte erst genau in ihren ganzen Lebensbetätigungen studieren müssen, bevor er eine mustergültige Darstellung derselben, welche ebenso künstlerisch wie lebenswahr ist, davon liefern kann. Eine ähnliche Forderung muss man aber auch an den Wissenschafts- mann stellen, wenn er uns in seinen Schilderungen die erschöpfende Beschreibung und Darstellung einer Tiergruppe zu geben den An- spruch erhebt. Handelt es sich nur um die Schilderung des feineren Baues eines Tieres oder einer Pflanze, so kann man von der Bio- logie vollkommen absehen und den Hauptakzent auf tadellose Schnittserien, gute Färbung und korrekte Interpretation des unterm Mikroskop Geschauten legen. Aber trotzdem wird auch bei Ar- beiten dieser Gattung eine genauere Beobachtung des betreffenden Tieres im Aquarium (oder der Pflanze im Freien) mancherlei zum Verständnis des histologischen Aufbaues beitragen können. Und besonders auf dem seit Darwin’s Forschungen so populär gewordenen Felde der Anpassungen bietet uns die viel bequemer zu beobachtende Planktonfauna des Süßwassers nicht minder präg- nante Fälle und Beispiele dar, wie diejenige des Meeres. Fett- abscheidungen als Auftriebsmittel sehen wir an den planktonischen Süßwasserkopepoden, und bei den freischwebenden Diatomeen unserer Binnenseen nicht seltener als an den entsprechenden ma- rinen Organismen. Und ebenso wie die im Ozean treibenden pelagischen Fischeier große Fettropfen als Unterstützungsmittel beim Schweben enthalten, treffen wir auch im Innern der Eier von limnetischen Rotatorien dergleichen Öl- oder Fettkügelchen an. Nicht minder besitzen die Rädertiere des Süßwasserplanktons ver- schiedentlich lange Dornen, Borsten und Stacheln, durch die eine Vergrößerung der Körperoberfläche erzielt wird, um damit in zweiter Instanz ebenfalls das Schweben ım Wasser zu erleichtern. Nicht minder treffen wir manche Schwebalgen in Ketten- oder Serienform vereinigt und mit Gallerte verbunden, an, so dass sie dadurch besser vom Wasser getragen werden, als wenn sie nur vereinzelt in demselben suspendiert wären. Andere planktonische Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. 665 Kieselalgen, wie z. B. die von mir im Süßwasser (1892) entdeckten Vertreter der marinen Gattungen Rhixosolenia und Atheya besitzen an den Panzerenden ähnlich lange Fortsätze in Borstenform wie die ozeanischen Genera Bacteriastrum und Chaeloceras. Ja, es lassen sich sogar in einigen Fällen an einer und derselben la- kustrischen Diatomeenspezies Übergänge von einer schwerfälligeren, noch dem Uferleben angepassten Form zu der schmäleren und schlankeren nachweisen, die schon mehr für das Schweben im freien Wasser geeignet ist. Noch instruktiver aber, als die oben angeführten Tatsachen sind die Beobachtungen, welche sich am Plankton eines großen Sees über die wechselseitigen Beziehungen zwischen den beiden Hauptkomponenten desselben, d. h. zwischen der schwebenden Tier- welt einerseits und der flottierenden Mikroflora anderseits, anstellen lassen. Es entrollt sich da das Bild eines wahrhaften Mikrokos- mus, eines hochinteressanten, vielfach verschlungenen Lebens- getriebes, welches zunächst nur seinen Hauptfunktionen nach ent- rätselbar ist, im übrigen aber noch viele Probleme darbietet, die nur im Fortgange der Wissenschaft selbst gelöst werden können. Klarer noch, wie auf dem Festlande, gewahren wir im Wasser die Abhängigkeit der Fauna von den winzigen Vertretern des Pflanzen- reichs, die nicht bloß darin besteht, dass die letzteren den Tieren vielfach zur Nahrung dienen, sondern noch weit mehr darin, dass der Assimilationsprozess jener unscheinbaren, aber zu vielen Milliarden in einem See anwesenden und das Wasser gleichmäßig durchsetzenden Schwebalgen, der Fauna erst den nötigen Sauer- stoff zur Atmung verschafft, der ıhnen, wıe Prof. N. Zuntz!) ge- zeigt hat, niemals in hinreichender Menge durch bloße Diffusion aus dem Luftkreise zuteil werden könnte. Das nicht nur ın einem Vortrage dargelegt zu erhalten, sondern sich durch eigene Anschauung von dieser wichtigen Grundtatsache zu überzeugen und sich den vorliegenden Sachverhalt durch einige leicht anzustellende Experimente vor Augen zu führen: das ist ein so tief in alle bis- her erworbenen Fachkenntnisse eingreifendes und sie in ein neues Licht rückendes Faktum, dass dasselbe — ım Verein mit den an- deren aus dem Studium des Planktons resultierenden Erfahrungen — jedem Jünger der Biologie, mag er Zoolog, Botaniker oder Phy- siolog sein, schon in den ersten Semestern des Universitätsstudiums kund gemacht und ad oculos demonstriert werden sollte. Auch die Besucher der landwirtschaftlichen Hochschulen haben ein dringendes Interesse daran, die oben dargelegten Tatsachen und Verhältnisse beizeiten kennen zu lernen. Nicht bloß deshalb, weil dieselben geeignet sind, ihren Blick in das Naturwalten über- 1) Vgl. Biolog. Centralbl. T. 18 u. 19. 666 Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. haupt zu erweitern, sondern namentlich mit aus dem Grunde, weil der künftige Landwirt vielfach auch mit der Bewirtschaftung von Teichen und Seen zu tun hat, insofern er in denselben Fischerei und Fischzucht betreibt, deren Ertrag oft einen erheblichen Teil seiner Einnahmen bilden. Schon aus diesem rein praktischen Grunde würde es sich rechtfertigen, wenn in das Unterrichts- programm für diese Guts- und Seenbesitzer in spe eine Einführung in die Grundtatsachen der Limnologie aufgenommen würde. Hier- durch könnte vermieden werden, dass der eventuelle Eigentümer oder Pächter von Fischteichen aus Unkenntnis der Vorgänge, die sich in einem solchen Wertobjekt abspielen, die schlimmsten Miss- griffe bei einem Fischsterben oder bei Algenwucherungen, Mangel an natürlichem Futter, Zufluss von Abwässern u. s. w. begeht. Wer jemals einigen Einblick in die Naturgeschichte eines Süß- wasserbeckens und in die Wechselbeziehungen der einzelnen Be- standteile von dessen Bewohnerschaft gewonnen hat, wird zweifellos vor den schädlichsten Irrtümern bewahrt bleiben. Aquariums- versuche und Demonstrationen ım Laboratorium vermögen nicht ım entferntesten die Eindrücke zu ersetzen, welche oft während nur weniger Stunden auf einer biologischen Exkursion erlangt werden, deren Ziel ein nahegelegener Teich oder See ist. Schon makroskopisch vom Boote aus, werden hinsichtlich der Pflanzen- welt des Uferstreifens und der sogen. „Schar“ sofort wertvolle: Kenntnisse bezüglich der Verbreitung gewisser Arten nach der Tiefe zu gewonnen, und es prägt sich dem Geiste eine ganze Reihe von Vegetationsbildern ein, die niemals auf dem Wege der bloßen Beschreibung und auch durch photographische Wiedergabe nur mangelhaft veranschaulicht werden können. Dann kommt es durch Anwendung des Käschers zu einer raschen Orientierung über die hauptsächlichsten Vertreter der littoralen Tierwelt, welche aus Wassermilben, Käfern, Insektenlarven, Strudelwürmern, limnikolen Oligochäten und schlecht schwimmenden Krustazeenspezies besteht. Weiter draußen, nach der Seemitte zu, liefern vertikale und hori- zontale Züge mit dem Planktonnetz, welches aus feinster Seiden- gaze hergestellt ist, ansehnliche Mengen jener meist glasartig durch- sichtigen Schwebwesen, von denen die limnetischen Kopepoden und Daphniden, sowie die üppig wuchernden Schwebalgen (Fragi- laria erotonensis, Asterionella ete.) am massenhaftesten vorkommen, wogegen die Protozoen und Rädertiere gewöhnlich zurücktreten und nur periodisch vorwiegende Bestandteile des Planktons bilden. Ein erhöhtes Interesse erwecken diese Fänge natürlich, wenn die frisch erbeuteten Objekte gleich noch lebend auf dem Fahrzeuge (Motorboot) selbst, oder doch sofort nach der Rückkehr zum Stationsgebäude unter Anwendung des Mikroskops beobachtet wer- den. Letzteres geschieht zu Plön stets im Anschluss an die regel- Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. 667 mäßigen Ausflüge, welche während des Sommers auf dem dortigen See veranstaltet werden. Eine reichhaltige Bibliothek, in welcher die wichtigsten Abhandlungen und Sammelwerke aus allen Kultur- ländern vertreten sind, gestatten daselbst auch in schwierigeren Fällen eine sichere Bestimmung der mit aufgefischten neuen oder seltener vorkommenden Spezies. — Die vorzügliche Gelegenheit zur ausgiebigen Erlangung von frischem Material, wie sie ın einer Station, welche dicht am Wasser liegt, immer gegeben ist, legt es dem Forscher auch nahe, dieselbe zur Anstellung von physiologischen Experimenten zu benutzen, welche sich auf das Zell-Leben ım allgemeinen erstrecken, oder die Ernährungs- und Verdauungsfunktion der niederen Tiere be- treffen, über die wir noch sehr wenig ım speziellen orientiert sind. Auch über das Verhalten der Einzelligen zu schwachen elektrischen Strömen, zu verschiedenen Lichtarten und Lichtintensitäten, sowie über ihre eigentümlichen, durch chemische oder physikalische Eın- flüsse hervorrufbaren Tropismen können in einer biologischen Süß- wasserstation ebensogut wie in einer marinen zum Gegenstande der eingehendsten Studien gemacht werden. Dazu kommen noch Er- mittelungen über parasitäre Fischkrankheiten, namentlich über solche, welche durch schädliche Myxosporidien entstehen, deren Zeugungskreise schwierig festzustellen sind, und deren vollständige Lebensgeschichte neben dem rein wissenschaftlichen auch ein hohes praktisches Interesse besitzt, weil durch derartige Schmarotzer oft ganze Fischbestände dezimiert oder zum völligen Aussterben ge- bracht werden. Ebenso kann die je nach Alter und Jahreszeit wechselnde Nahrung mancher Fischspezies, sowie die natürliche Ernährungsweise der Jungfische aller Gattungen am bequemsten und besten ın einer Süßwasserstation erforscht werden, wo alle Vorbedingungen zur rechtzeitigen Erlangung von Beobachtungs- material immer erfüllt sınd. Es ließen sich noch Dutzende von Gründen anführen, aus welcher derartige lakustrische Observatorien von den Landes- regierungen begünstigt und in ihren Fortbestehen gefördert werden sollten. Um so weniger ist es darum aber zu begreifen, dass bis noch vor kurzem eine Indifferenz ohnegleichen diesen Anstalten gegenüber bestand, die erst ın allerneuester Zeit (zum Glück für die ganze Forschungsrichtung, welche durch diese Stationen reprä- sentiert wird) überwunden worden ist. Freilich hat man deutscher- seits der ganzen Sache zunächst einen praktischen Vorteil abzuge- winnen versucht, indem 150000 Mark aus Staatsmitteln zum Aus- bau der fischereiwirtschaftlichen Versuchsstation am Müggelsee (bei Berlin) bereit gestellt sind, um dieses bisher mit ganz unzuläng- lichen Mitteln arbeitende Institut zu einer „Reichsanstalt für das Fischereiwesen* auszubauen, wo nach und nach die wissenschaft- 668 Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. lichen Grundlagen für den rationellen Betrieb der Fischzucht und der Binnenfischerei erkundet werden sollen. In den Fachzeitungen wird mitgeteilt!), dass der Jahresetat dieser neuen Reichsanstalt 25—30000 Mark betragen solle. Von Mitgliedern des deutschen Fischereirats ıst demgegenüber der Wunsch ausgesprochen worden, dass man auch die in anderen Landesteilen tätigen biologischen Forschungsstationen staatsseitig mit größeren Mitteln versehen und auch sonst besser ausgestalten möge — ein Wunsch übrigens, der nach den im Vorstehenden gegebenen Darlegungen seine volle Be- rechtigung und damit wohl auch einige Aussicht auf baldige Er- füllung hat. Außerhalb Deutschlands ıst die Idee, neben den marinen auch Süßwasserstationen mit biologischer Tendenz zu begründen, sofort nachdem ın Plön ein kleines Institut dieser Art errichtet worden war, aufgegriffen und in mannigfacher Gestalt realisiert worden. Namentlich ıst dies von seiten der amerikanischen Forscher geschehen, welche nun dergleichen Institute in größerer Anzahl be- sitzen und sei — nach den vorliegenden Abbildungen zu urteilen — mit bedeutendem Komfort ausgestattet haben. In deutschen Ge- lehrtenkreisen hat man von dem Umfange, den die Durchforschung der süßen Gewässer ın Nordamerika angenommen hat, keine rechte Vorstellung und deshalb erlaube ich mir, an dieser Stelle eine kurze Skizze davon zu geben, wozu ich sowohl durch die mir vor- liegenden Prospekte und Arbeitsberichte, als auch durch meine näheren Beziehungen zu den Vorständen jener Stationen in der Lage bin. Schon 1893 unterhielt die Universität von Minnesota im Zentrum des Staates — am Gull Lake — ein Sommerlaboratorium für Studenten, in welchem biologische Untersuchungen betrieben wurden. Etwa um die gleiche Zeit wurde seitens der Staats- universität von Ohio zu Sandusky am Eriesee eine ähnliche An- stalt ins Leben gerufen, welche der Erforschung der Tier- und Pflanzenwelt dieses großen Sees dient. 1895 gründete die Uni- versität von Indiana eine Station am Turky Lake, die während der Sommermonate von einen sehr großen Anzahl junger Biologen (darunter auch viele Volksschullehrer) besucht wird, die durch eigene Anschauung einen Fonds von nützlichen Kenntnissen er- werben wollen. 1896 wurde aber diese Anstalt nach dem Winona Lake überführt, wo man für ihre Zwecke zwei ansehnliche Gebäude errichtet hatte. Die hier ausgeführten Arbeiten werden alljährlich in den Proceedings of the Indiana Assembly publiziert und ent- halten meist interessante Resultate. Am Flathead Lake (Montana) besteht seit mehreren Jahren ebenfalls ein biologisches Forschungs- 1) Vgl. Neudammer Fischereizeitung Nr. 31, 1904 bezw. Allgemeine Fischerei- zeitung Nr. 15, 1904. Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. 669 institut, welches trefflich prosperiert. Dasselbe ist am Schwanen- fluss (Swan river) nahe der Stelle erbaut, wo derselbe sich in den genannten See ergießt. In der Nähe befinden sich verschiedene andere Wasserbecken, wie Rost Lake, Echo Lake ete. Es werden hier aber nicht allein Planktonforschungen betrieben, sondern auch ornithologische und entomologische Exkursionen ausgeführt. Nach dem mir vorliegenden neuesten Berichte bestand das Vortrags- programm für diesen Sommer aus folgenden Nummern: 1. Der Flatheadsee als Sammelgebiet; 2. Die Feinde der Waldbäume; 3. Die alpine Vegetation am Mac Dougalpark demonstriert; 4. Die Krustazeenfauna des Flatheadsees; 5. Über Luftströmungen im Ge- birge; 6. Über die amerikanischen Süßwasserstationen; 7. Die Struktur der Orchideen; 8. Über die Anpassung der Insekten an ihre Umgebung; 9. Über schützende Ähnlichkeit und Mimikry durch Beispiele erläutert, die sich in der Umgebung der Station vorfinden; 10. Die Photographie als wissenschaftliches Hilfsmittel; 11. Über die Intelligenz der Tiere und 12. Über den Wert der Naturstudien für die heranwachsende Jugend. Diese Themata werden aber zumeist nicht innerhalb der Mauern von Hörsälen, sondern im Freien und in Verbindung mit Exkursionen abgehalten, so dass an die Stelle von Abbildungen gewöhnlich das Objekt selbst tritt und auf diese Weise der Hörer während der Absolvierung des Kursus eine Fülle lebendiger Anschauungen sich aneignet. Nach den photographischen Ansichten, die mir bezüglich der land- schaftlichen Umgebung der Flatheadstation vorliegen, erscheint es nicht zu viel gesagt, wenn in der Einladung zur Teilnahme an den oben aufgeführten Kursen behauptet wird: „The Station fills a unique place in the work of freshwater stations of the world. No other place elsewhere offers a more attractive or more varied field for study.“ Wenn es in Deutschland üblich wäre, das was wahr ist, ebenso unumwunden auszusprechen, wie es sich ein Amerikaner gestatten darf, so ließe sich auch hinsichtlich der Lage von Plön anführen, dass in Deutschland wohl kaum ein zweiter Ort — aus- genommen etwa Schwerin — die gleiche landschaftliche Schönheit mit der Geeignetheit zur Vornahme von Seenforschungen verbinden dürfte. Seit einer Anzahl von Jahren ist auch der Illinoisfluss ın das Bereich biologischer Forschungen gezogen worden und man hat sich dabei die Aufgabe gestellt, ein großes Flusssystem ın be- treff aller Gruppen der darin vorkommenden Tiere und Pflanzen zum Gegenstande sorgfältigster Beobachtung zu machen. Die zur Ausführung dieses Vorhabens begründete Station ist auf Staats- kosten zu Havana errichtet worden und untersteht der Leitung des auch in Deutschland bekannten Professors Kofoid. In dem Gebiete eines so mächtigen Flusses gibt es natürlich alle nur 570 Zacharias, Uber die systematische Durchforschung der Binnengewässer. denkbaren Arten von Lebensbedingungen, und die Organismenwelt ist dementsprechend von größter Mannigfaltigkeit. Die dortigen Untersuchungen sind seit Mitte der neunziger Jahre des verflossenen Säkulums bis jetzt ununterbrochen fortgeführt worden und beziehen sich auf Insekten und Würmer (Rädertiere, Oligochäten), sowie auf Protozoen. Auch das Flussplankton, dessen Lebensverhältnisse und Verteilung in der bewegten Wassermasse bisher nicht hinläng- lich klargestellt war, ist fortgesetzt das Objekt eingehendster For- schung von seiten der Havanastation '). Die Fischereikommission des Staates Michigan hat ebenfalls schon seit 1893 die Seenforschung zu ihrer Aufgabe gemacht, aber nicht mittels einer fixierten, sondern mit einer ambulanten, von Ort zu Ort rückenden Station, die außer einer ganzen Reihe an- derer Seen namentlich auch den Lake St. Clair untersucht hat. Damit ist aber die Anzahl der amerikanischen Stationen bei weitem noch nicht erschöpft, sondern es existieren im ganzen wohl ein Dutzend. | Nächst Amerika ist es dann Russland, wo sich am See zu Bologoje, sowie an den Orten Nicolskoje und Glubokoje, sowie zu Saratow (a. d. Wolga) Süßwasserstationen befinden. Die letztere dient ebenso, wie die am Illinoisflusse, vorwiegend der Erforschung des potamischen Planktons. In Frankreich besteht seit 1893 zu Clermont-Ferrand eine stationsartige Einrichtung, und England hat erst in allerjüngster Zeit bei den sogen. „Broads“ in der Grafschaft Norfolk ein kleines derartiges Institut erhalten, welches der Privatinitiative seine Ent- stehung verdankt. In Österreich (Böhmen) ist es Prof. A. Fritsch, der seit schon 10-12 Jahren mit einer kleinen lokomobilen Station die böhmischen Gewässer besucht, um daselbst limnobiologische Ar- beiten während der Sommerzeit vorzunehmen. Was Dänemark anbelangt, so besteht hier eine Süßwasserstation schon seit einigen Jahren zu Frederiksdal, in welcher durch Dr. Wesenberg- Lund umfassende Planktonuntersuchungen ausgeführt werden. Ein eingehender Bericht darüber ist kürzlich erschienen?) Für den, welcher kein dänisch versteht, enthält derselbe ein ausgedehntes englisches Summary of Contents, worin alle Hauptresultate mit- geteilt sind. Zum bequemeren Studium von Strömen und Flüssen wird von Dr. R. Lauterborn eine schwimmende und verankerungsfähige 1) Cf. The Plankton of the Illinois River (Bulletin of the Illinois State Labo- : ratory of Nat. History vol. VI, 1903). Diese Arbeit umfasst Untersuchungen aus dem Jahre 1894—1899. 2) Studier over de Danske Soers Plankton, 2 Teile, 1904. Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. 671 Süßwasserstation geplant, wie eine solche bereits auf dem Illinois- flusse in Tätigkeit ist. Nach den Angaben des Genannten sollte die deutsche flottierende Station zunächst auf den Rhein gesetzt werden und ermöglichen, dass dieser Strom im wissenschaftlichen sowohl wie im fischereilichen Interesse einer gründlichen zoologischen und botanischen Durchforschung unterworfen werde. Lauterborn hat für seinen Plan den deutschen Fischereiverem zu gewinnen versucht, aber allem Anschein nach damit noch keinen endgültigen Erfolg gehabt. Es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, dass eine Station der projektierten Art, indem sie vom Rhein aus durch das bestehende Kanalsystem auch in die anderen großen Flüsse überführt werden könnte, sehr viel dazu beitragen würde, uns mit der Komposition und den Lebensverhältnissen des Potamo- planktons nicht nur, sondern auch mit der niederen Flora und Fauna der einheimischen Flüsse überhaupt genauer bekannt zu machen. — Zum Schluss ıst nun noch auf einen Umstand hinzuweisen, welcher die Notwendigkeit einer Arbeitsteilung zwischen den rein wissenschaftlichen Süßwasserstationen und solchen Instituten betrifft, die beständige Fühlung mit der Praxis halten und dem Fischereiwesen dienstbar sein sollen. Die Anstalt zu Plön wurde seinerzeit begründet, um -—- wie es in dem damals von mir ver- öffentlichten Programme hieß — vorwiegend die mikrosko- pische Tier- und Pflanzenwelt eines großen Binnensees zu erforschen, nicht minder zu dem Zweck, auf solche Art Ver- gleichsmaterial für die Untersuchung anderer Seen in die Hand zu bekommen und vor allem, um zu sehen, ob das Süßwasser tat- sächlich so arm und uninteressant hinsichtlich seiner Bewohner- schaft sei, wie man, ohne dass eine ausreichende Erfahrung darüber vorlag, zu behaupten sich erkühnt hatte. Der Zweck der Plöner Anstalt war also von vornherein ein wissenschaftlicher und die bisher erstatteten 11 Jahresberichte!) tragen infolgedessen den Charakter von solchen, die für Fachleute auf dem Gebiete der Zoologie und Botanık bestimmt sind. Diese Begrenzung der Auf- gabe schließt aber natürlich keineswegs aus, dass viele von den erlangten Resultaten dem Fischereiwesen und der praktischen Wasserbewirtschaftung zugute kommen, wenn der Berufsfischer es versteht, sich die ın Plön festgestellen Tatsachen zunutze zu machen. Dass dies geschehe, ist seine Sache; nicht die des nach einem anderen Ziele strebenden Gelehrten. Verwechselt man, wie es manchmal von seiten solcher, die der Wissenschaft fern stehen, der Fall ist, die Aufgaben der fischereibiologischen Stationen 1) Forschungsberichte aus der Biol. Station zu Plön (1892—1904), Verlag von Erwin Nägele, Stuttgart. 672 Zacharias, Über die systematische Durchforschung der Binnengewässer. mit denjenigen der lediglich im Sinne der theoretischen Biologie arbeitenden Anstalten, so kommt es vor, dass an letztere Anforde- rungen gestellt werden, die sie ihrem ganzen Zuschnitt nach nicht erfüllen können. I:ı Interesse des Staates liegt es aber, dass beide Richtungen gepflegt werden und nebeneinander hergehen, ohne dass die eine — die praktische — mit dem Anspruche hervortritt, es müsse sich bei biologischen Süßwasseruntersuchungen alles um den Fisch drehen, der ein wertvolles wirtschaftliches Objekt sei und im Ver- gleich zu dem alle übrigen Seebewohner gänzlich in den Hinter- grund treten müssten, zumal die nur mit bewaffnetem Auge erkennbaren. Wer sich auf diesen Standpunkt stellt, vergisst voll- kommen, dass die Fischfauna durch die Art und Weise ihrer Er- nährung aufs innigste mit jener schwebenden, winzigen Organismen- welt verkettet ist, insofern der aus dem Ei geschlüpfte Jungfisch bis zu dem Alter, wo er Fingerslänge besitzt, lediglich von mikro- skopischen Krebsen, Rädertieren und Geißelinfusorien lebt, also völlig von diesen unscheinbaren Wesen in seiner Existenz und seinem Wachstum abhängig ist. Erst später nimmt er größere Bissen in Gestalt von I aan en, kleinen Käfern und Wasser- schnecken zu sich. Wenn sich also der Forscher mit dem gründ- lichen Studium jener Kleinfauna beschäftigt und in deren Lebens- bedingungen, Periodizitätsverhältnisse und Fortpflanzungsgesetze ein- zudringen sucht, so gibt er gleichzeitig auch der praktischen Fischerei und Fischzucht eine wissenschaftliche Grundlage, ohne darum aber seine Tätigkeit mit derjenigen dieser beiden Berufsarten zu iden- tifizieren. Dass sich meine Klarstellung zum Schluss auch an die Adresse jener letzteren wendet, wird der Leser des „Biol. Gentralblattes“ sofort durchschaut und dem Verfasser hinsichtlich dieser für Fach- biologen völlig überflüssigen Erörterung Indemnität erteilt haben. Sie gehörte aber mit in den ganzen namen: dieses Aufsatzes, durch den beabsichtigt ist, einen klaren Überblick über den Zweck, die Aufgaben, die derzeitige Verbreitung, sowie über die billigen und unbilligen Anforderungen zu Beben, die man vielfach an diese neu ins Leben getretenen eine gestellt hat und gelegentlich auch noch stellt — freilich ohne dass sich die or derselben von ihrem Wege irgendwie dadurch ablenken lassen. [60] Biol. Station zu Plön, August 1904. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck ‘der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. 1.November 1904. .@21u.22. XXIV. Bd. Inhalt: Goebel. Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. -—— Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur und ihre Beziehungen zur Physiologie der Matrix (Fort- setzung). — Botezat, Geselmacksorgane und andere nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien!). Von K. Goebel. Einleitung. Kurze Zeit nachdem Darwin seine berühmte Untersuchung über die zweierlei Blütenformen von Prömula veröffentlicht hatte, erschien eine Abhandlung von H. Mohl, „Einige Beobachtungen über dimorphe Blüten“ (Botan. Zeitung 1863 p. 309), welche, wie die meisten Veröffentlichungen dieses Botanikers als eine klassische bezeichnet werden darf. Mohl lenkte darın die Aufmerksamkeit auf die Blüten, welche M. Kuhn später als „kleistogame“ bezeichnet hat: Blüten, welche sich nicht öffnen, eigentümliche Rückbildungs- erscheinungen bestimmter Teile, namentlich der Blumenkrone zeigen und trotzdem Samen ansetzen. Seither sınd zahlreiche Abhand- lungen über kleistogame Blüten erschienen. Denn diese boten 1) Vor einigen Jahren habe ich versucht, die Organbildung der Pflanzen zu- sammenfassend zu schildern („ÖOrganographie der Pflanzen“, Jena 1598—1901). Der letzte Teil, welcher u. a. die Blütenbildung behandelt, musste, da das Buch einen bestimmten Umfang nicht überschreiten sollte, auf etwa ein Viertel des ur- sprünglich beabsichtigten Umfanges gekürzt werden. Die vorliegende Mitteilung entspricht einem der ausgelassenen Abschnitte, ergänzt durch neuere Untersuchungen des Verfassers. XXIV. 13 574 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien, sowohl nach der morphologischen Seite als was ihre Bedeutung im Haushalt der Pflanze und die Bedingungen ihrer Entstehung anbe- langt, viel des Interessanten. Sieht man sich aber in der Literatur näher um, so ergibt sich, dass schon die Angaben über die Ge- staltungsverhältnisse und das Auftreten der kleistogamen Blüten vielfach lückenhaft und teilweise unrichtig sind und dass auch die zur „Erklärung“ der kleistogamen Blüten gemachten Versuche kein einheitliches Bild ergeben. Letzteres rührt wohl daher, dass die Anschauungen über das Zustandekommen der Anpassungen überhaupt ziemlich weit auseinander gehen. Sie lassen sich kurz in folgende Gruppen bringen!). 1. Indirekte Anpassung: Die Zweckmäßigkeit ergibt sich da- durch, dass alles Unzweckmäßige durch „natural“ selection beseitigt wird, die entstehenden Anpassungen stehen zu den Bedingungen, denen sie angepasst sind, also nicht in direkter Beziehung. 2. Direkte Anpassung: Die äußeren (oder inneren) Bedingungen wirken regulierend. Diese Regulation kann aber wieder in sehr verschiedenem Sinne aufgefasst werden. Die Lamarck’sche Anpassungslehre, in der Botanik besonders vertreten von Naegeli, zieht einen psychologischen Faktor mit heran, „das Bedürfnis wirkt als Reiz“ (Naegeli) oder die Pflanzen (resp. Tiere) haben eine „besondere angeborene Kraft oder Fähig- keit, auf eine für das Leben nützliche Weise in Übereinstimmung mit den äußeren Lebensbedingungen zu varıeren* (Warming). Diese Auffassung ist in der Botanik, mehr oder minder klar aus- gesprochen, ziemlich weit verbreitet. Einzelne Autoren gehen so weit, zu fragen, „welchen Zweck eine Pflanze mit der Bildung kleistogamer Blüten verfolge“, betrachten also die Pflanze wie einen mit Bewusstsein ausgestatteten Organismus. Demgegenüber steht die Anschauung derjenigen — zu denen auch der Verf. gehört —, die neben indirekten Anpassungen direkte annehmen, insofern als die Organbildung der Pflanzen in weitgehendem Maße von äußeren Faktoren bedingt wird, aber dabei den psychologischen Faktor aus- schalten und demgemäß auch eine direkt zweckmäßig wirkende Anpassung in Abrede stellen, vielmehr annehmen, dass von den vielen möglichen Reaktionen auf äußere Einflüsse nur die nützlichen oder doch nicht schädlichen sich erhalten haben. Es dürfte nun von Interesse sein, diese hier nur kurz angedeuteten Anschauungen an einem speziellen Falle zu prüfen. Ehe indes auf die Bedingungen, unter denen kleistogame Blüten auftreten, eingegangen wird, wird es notwendig sein, erst ihre Gestaltungsverhältnisse zu besprechen. Denn schon aus diesen lassen sich bestimmte Schlüsse über das 1) Vgl. Über Studium u. Auffassung der Anpassungserscheinungen bei Pflanzen von K. Goebel, München 1898, Verlag der k. b. Akademie. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 675 Zustandekommen dieser Gebilde ziehen und sind auch gezogen worden. Es fragt sich nämlich zunächst: sind die kleistogamen Blüten einfache Hemmungsbildungen oder nicht? Entstehen sie also mit anderen Worten dadurch, dass Knospen, welche sonst zu normalen, sich öffnenden (oder chasmogamen) Blüten sich entfaltet hätten, auf einem bestimmten Entwickelungsstadium stehen bleiben, oder liegt eine Umänderung des normalen Entwickelungsganges der Blütenknospen, eine besondere Anpassung der Gestaltungsverhält- nisse an einen sonst nicht stattfindenden Vorgang — die Befruch- tung innerhalb der Blütenknospe — vor? Diese Fragen sind ver- schieden beantwortet worden. Früher hat man die kleistogamen Blüten wohl allgemein als einfache Hemmungsbildungen betrachtet („arrested buds* nach Asa Gray). Allein eine solche Auffassung ist unzweifelhaft un- richtig. Einfache Hemmungsbildungen kommen auch bei Blüten oft vor. Betrachtet man z. B. im Frühjahr das Ende des Blüten- standes von Symphytum tuberosum, so sieht man meist eine An- zahl kleiner Blütenanlagen, welche stehen bleiben und später ver- trocknen und abfallen. Dasselbe kann man bei anderen reichblütigen Infloreszenzen sehen, selbst bei den nicht mit sehr zahlreichen Blüten versehenen Teilinfloreszenzen von Impatiens noli tangere ver- kümmern gewöhnlich die letzten Blüten, auch bei Viola mirabilis vertrocknen zuletzt die Blütenknospen statt (kleistogame) Früchte anzusetzen. Solche Blüten sind einfache Hemmungsbildungen, sie sind stehen geblieben, die einen früher, die anderen später, und verkümmern. Die kleistogamen Blüten aber sind dadurch ausgezeichnet, dass der Entwickelungsprozess der Blüte allerdings auf einem früheren oder späteren Stadium stehen geblieben ist, die Ausbildung der Pollenkörner und Samenanlagen einschließlich der Befruchtung aber trotzdem weiter geht, während sie eigentlich erst auf einer späteren Entwickelungsstufe hätte eintreten sollen. Einiger- maßen Ähnliches bietet die Erscheinung der Verzwergung, des Nanismus, dar. Wir sehen vielfach, dass schlecht ernährte Pflanzen klein bleiben, dass sie weniger und einfacher geformte Blätter bilden als andere besser ernährte, trotzdem aber zur Bildung einer oder einiger (übrigens vollständig ausgebildeter) Blüten schreiten. Hier ist ein Teil der vegetativen Entwickelung sozusagen über- sprungen worden, die Pflanze ist früher zur Bildung der Fort- pflanzungsorgane geschritten als bei guter Ernährung. Diese letztere ermöglicht natürlich reichlichere Blüten- und Samenbildung als sie bei den Zwergen eintritt. Suchen wir das für die kleistogamen Blüten Charakteristische näher zu erläutern, so mag hier zunächst erinnert werden an die Einteilung, welche Sachs für die Beschreibung der Wachstums- 13* 576 (oebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. vorgänge vorgeschlagen hat. Er unterscheidet!) im Verlauf der Entwickelung eine morphologische Periode (in welcher zu- nächst die Entstehung der Organe nach Zahl und Stellung und sodann deren embryonales Wachstum stattfindet) und eine physio- logische (in welcher die Streckung der Organe bis zur Erreichung ihrer definitiven Größe und die innere Ausbildung der Gewebe- formen, die Reifung der Organe eintritt). An den kleistogamen Blüten nun finden wir die morphologische Periode vielfach abgekürzt, trotzdem setzt die Reifungsperiode ein. Dies soll im folgenden an einigen Beispielen nachgewiesen werden; es wird daraus und aus der Vergleichung der anzuführenden Literaturangaben hervorgehen, dass ee Nengasemie durchaus nicht so selbstv enden ist, wie sie, weil sie der Enche Ausdruck der Tatsachen ist, Ann vielleicht erscheinen mag. Aus der Literatur mögen zunächst Darwın’s Anschauungen hervorgehoben sein. In der Abhandlung von A. W. Bennett „on the floral structure of Impatiens fulva*?) ıst eine briefliche Äußerung Darwın’s mit- geteilt, wonach dieser gegenüber von Asa an welcher die kleistogamen Blüten als nasiien! buds“ ) betrachtete, daran fest- hielt „that their structure had been specially modified for their functions“. Dies ist im wesentlichen auch der Standpunkt, den Darwın in seinem Buche „Die verschiedenen Blütenformen der nämlichen Art“ vertrat. Es heißt dort von den kleistogamen Blüten (p. 289 der deutschen Übersetzung), „dass diese Blüten ihre Struktur primär der gehemmten Entwickelung vollkommener verdanken, können wir aus solchen Fällen ableiten, wie diejenigen, wo das untere rudimentäre Kelch- blatt bei Viola größer ist als die übrigen, ähnlich der unteren Lippe der vollkommenen Blüte), oder aus der Spur eines Sporns in den kleistogamen Blüten von Impatiens — oder daraus, dass die zehn Staubfäden von Ononis ın eine Röhre verbunden sind, und anderen derartigen Bildungen. Dieselbe Folgerung kann aus dem Vorkommen einer Reihe von Abstufungen zwischen den kleisto- gamen und vollkommenen Blüten, im manchen Fällen an einer 1) Über Wachstumsperioden und Bildungsreize, Flora 1893, Heft 2. 2) The journal of the Linnean society, botany vol. XIII (1873), p. 147. 3) Also als einfache Hemmungsbildungen. 4) Besonders wäre hier auch anzuführen Darwin’s interessante Beobachtung, dass bei einer gefüllt blühenden Viola-Form „kleistogame“, aber durch Füllung ganz sterile Blüten auftreten (a. a. OÖ. p. 275). Darwin bezeichnet das als Bei- spiel einer korrelativen Entwickelung, gemäß der sehr allgemein gehaltenen Bedeu- tung, in welcher er die Bezeichnung Korrelation anwendet. Jetzt bezeichnet man in der Botanik unter Korrelation meist nur die Abhängigkeit der Ausbildung eines Örganes von der eines anderen. Eine solche Korrelation findet hier natürlich nicht statt, die gefüllten kleistogamen Blüten sind offenbar einfache Hemmungsbildungen. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 677 und derselben Pflanze gezogen werden. Dass aber die ersteren ihren Ursprung gänzlich einer gehemmten Entwickelung verdanken, ist durchaus nicht der Fall; denn verschie- dene Teile sind speziell so modifiert worden, dass sie zur Selbstbefruchtung der Blüte helfen und als ein Schutz des Pollens: so z. B. das hakenförmige Pistill bei Vrola und in einigen anderen Gattungen, bei denen die Narbe dicht an die fruchtbaren Antheren gebracht wird — die rudimentäre Korolle von Speeularia, welche in eine vollkommen geschlossene Trommel modifiziert ist, und die Scheide von Monochoria, welche zu einem geschlos- senen Sacke umgebildet ist —, die exzessiv dünnen Häute der Pollenkörner, — die nicht sämtlich gleichmäßig fehl- geschlagenen Antheren und andere derartige Fälle. Über- dies hat Mr. Bennet gezeigt, dass die Knospen der kleistogamen und die der vollständigen Blüten von Impatiens auf einer sehr frühen Wachstumsperiode verschieden sınd.*“ Es wird daher zweierlei zu prüfen sein: einmal ob zwischen der Gestaltung kleistogamer und chasmogamer Blüten wirklich Unterschiede vorhanden sind, welche sich nicht auf eine Hemmungs- bildung in dem angegebenen Sinne zurückführen lassen und sodann, welches die Ursachen dieser Hemmung sind, deren „primäres* Da- sein ja auch von Darwin nicht bezweifelt wird. Gibt man zu — was unten im einzelnen nachzuweisen versucht werden wird —, dass die kleistogamen Blüten lediglich Hemmungsbildungen (im oben angegebenen Sinne) darstellen, so liegt auch kein Grund mehr vor, von den echten kleistogamen Blüten die „pseudokleistogamen“ !) zu unterscheiden. Es wurden darunter solche Blüten verstanden, die mit den chasmogamen in allem übereimstimmen, nur sich nicht öffnen. Hier setzt die Hemmung der Entwickelung eben ım letzten Stadium, dem der Entfaltung der Blumenkronen vorausgehenden, ein, bei anderen schon ım Verlauf der Entwickelung. Aber es finden sich alle Abstufungen, auch kommen bei einer und derselben Pflanze „echt“ kleistogame und „pseudokleistogame* Blüten vor (z. B. Impatiens noli tangere), deshalb scheint mir eine termino- logische Unterscheidung nicht erforderlich; will man sie aber machen, so wäre es meiner Ansicht nach zweckmäßiger, von einer Entfaltungs- und einer Entwickelungshemmung bei kleistogamen Blüten zu sprechen oder auch von einer habituellen Kleistogamıe, wie sie sich bei Pflanzen findet, die regelmäßig und scheimbar unabhängig von äußeren Bedingungen, kleistogame Blüten bilden, und von induzierter Kleistogamie, welche auf verschiedenen Ent- 1) Die sachliche Unterscheidung rührt, wie aus einem späteren Abschnitt hervorgehen wird, von Herm. Müller, die Namensgebung von Hansgirg her. 675 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. wickelungsphasen hervorgerufen werden kann. Auch diese beiden Gruppen sind aber nicht wesentlich, sondern nur der äußeren Er- scheinung nach voneinander verschieden. Wenn Hansgirg ferner bei seinen pseudokleistogamen Blüten „photokleistogame* (infolge von Lichtmangel), „hydrokleistogame“ (infolge von Untergetaucht- bleiben im Wasser) und thermokleistogame (infolge ungenügender Temperatur) unterschieden hat, so scheinen mir auch diese Be- zeichnungen aus verschiedenen Gründen nicht empfehlenswert. Einmal kann, wie auch unten gezeigt werden soll, bei ein und der- selben Pflanze Kleistogamie durch verschiedene äußere Faktoren hervorgerufen werden, sodann ist es z. B. bei den „hydrokleisto- gamen“ Blüten doch wohl nıcht das Wasser als solches, welches die Öffnung der Blüten verhindert, sondern offenbar entweder abge- schwächtes Licht, Sauerstoffmangel oder gehemmte Transpiration. Im folgenden sollen wesentlich nur die kleistogamen Blüten besprochen werden, bei welchen es sich um eine Entwickelungs- hemmung handelt. Denn die, bei denen nur Entfaltungshemmung stattfindet, zeigen naturgemäß den chasmogamen Blüten gegenüber so geringe Gestaltungsverschiedenheiten, dass sie hier, wo es sich zunächst um eine morphologische Frage handelt, keiner besonderen Erörterung bedürfen. IL. Vor der Frage nach den Gestaltungsverhältnissen ist indes zu- nächst die nach der zeitlichen Verteilung der kleistogamen und der chasmogamen Blüten zu besprechen; es sollen dabei nur einzelne Beispiele herausgegriffen werden, welche für die allge- meinen, oben berührten Fragen das Tatsachenmaterial abgeben; Vollständigkeit ist nicht beabsichtigt. Man könnte bei einer oberflächlichen Betrachtung zunächst ge- neigt sein, für das Auftreten der kleistogamen Blüten drei Fälle zu unterscheiden: solche, die vor den chasmogamen, solche, die nach ihnen und solche, die gleichzeitig mit ihnen an einer Pflanze sich vorfinden, als vierte Gruppe war man eine Zeitlang geneigt, solche Pflanzen zu betrachten, die ausschließlich kleistogam blühende Stöcke besitzen. Indes lässt sich eine solche Einteilung nicht durch- führen. Rein aus Zweckmäßigkeitsgründen seien zunächst einige Pflan- zen angeführt, bei denen kleistogame Blüten den chasmogamen nor- mal vorangehen oder doch vorangehen können. Dahin gehören z. B. Lamium amplexicaule, Specularia perfoliata, Cardamine chenopodifolia, Impatiens noli tangere. Als Pflanzen, bei denen die kleistogamen Blüten auf die chasmogamen folgen, werden gewöhnlich eine Anzahl Viola-Arten betrachtet. 1. Bei Lamium amplexicaule fand ich in Übereinstimmung mit den Angaben in der Literatur, dass sich an jungen Pflanzen zuerst Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien, 679 nur kleistogame Blüten entwickeln, auch dann, wenn die Pflanzen hell beleuchtet und die Temperaturbedingungen günstige sind. Es kann dies nicht verwundern, da Ascherson (nach einem Zitat bei Graebner!), auch in Ägypten bei hoher Temperatur und starker Beleuchtung dasselbe fand; bei der Keimpflanze kann also das Auf- treten kleistogamer Blüten nicht wohl direkt von äußeren Be- dingungen abhängen, wie seit alter Zeit angenommen wurde. Ver- suche darüber liegen allerdings nicht vor, an älteren Pflanzen fand Vöchting, „dass verminderte Beleuchtung auf die Bildung kleisto- gamer Blüten hinwirkt,“ indes ist mir nicht zweifelhaft, dass durch andere Faktoren dasselbe erzielt werden kann. Specularia perfoliata und Cardamine chenopodifolia sollen unten besprochen werden, hier mag zunächst auf Impatiens etwas näher eingegangen werden. 2. Impatiens. a) Impatiens noli tangere. Man sollte denken, dass bei einer so verbreiteten Pflanze das zeitliche Auftreten kleistogamer Blüten genau bekannt sei. Dem ist aber nicht so. In seinem „Handbuch der Blütenbiologie“°) gibt Knuth an, dass diese Pflanze nach H. v. Mohl „hin und wieder* kleistogame Blüten habe, was, wie wir sehen werden, eine recht oberflächliche Wiedergabe von M ohl’s Darstellung ist. Ein anderer Blütenbiologe, Kirchner, sagt?) „Außer diesen chasmogamen Blüten sind auch kleistogame Blüten vorhanden, welche zu derselben Zeit und an denselben Zweigen erscheinen wie die offenen“. Mohl dagegen findet, dass die kleistogamen Blüten früher sich bilden als die chasmogamen. Er schließt dies daraus, dass die ersteren in Tübingen in der Mitte Juni in Menge vorhanden waren und Frucht angesetzt hatten zu einer Zeit, wo noch keine chasmogamen Blüten zu finden waren. Umgekehrt fand er im September ım Schwarzwald zwar eine Menge chasmogamer, aber keine einzige kleistogame Blüte. Der Mohl’sche Schluss lässt sich aber aus diesen an verschiedenen Pflanzen und an verschiedenen Standorten gemachten Beobachtungen nicht mit Sicherheit ziehen. Denn es ist ja auch möglich (und kommt, wie wir sehen werden, wirklich vor), dass es Exemplare mit nur kleistogamen, solche mit kleisto- gamen und chasmogamen und solche mit nur chasmogamen Blüten gibt. Tatsächlich verhielten sich die von mir (in der Umgegend Münchens) beobachteten Pflanzen nicht alle gleich. Eine große 1) Verhandl. des botan. Vereins f, d. Provinz Brandenburg, 35. Jahrg. (Berlin 1894), p. 148. 2) Leipzig, 1898—1899. Dieses Werk ist die neueste Zusammenfassung der umfangreichen blütenbiologischen Literatur. 3) Flora von Stuttgart, 1888, p. 347. 650 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Anzahl brachte Mohl’s Annahme entsprechend zunächst kleistogame, dann chasmogame Blüten hervor; dies war an hunderten von Exem- plaren im „englischen Garten“ und auch bei meinen Topfkulturen zu beobachten. Als Ausgangspunkt wählte ich dabei die Haupt- achse der Pflanze. Diese brachte zunächst seitliche Infloreszenzen mit nur kleistogamen Blüten hervor. Dann solche, an denen kleistogame und chasmogame Blüten vorhanden waren (Fig. 1, IT). Derartige Infloreszenzen haben wohl auch Kirchner’s oben wieder- gegebene Angabe veranlasst. Dabei war die Verteilung der beiden Blütenformen in der Infloreszenz stets eine ganz gesetzmäßige. Impatiens noli tangere, doppelt vergr. T Mittelbildung zwischen kleistogamen und chasmogamen Blüten. II Teilinfloreszenz, welche nach einer kleistogam erzeugten Frucht (A) nur chasmogame Blüten hervorbringt. Die untersten 1—-2 Blüten dieser Teilinfloreszenzen waren kleisto- gam, die oberen chasmogam. Eine Pflanze z. B. brachte 5 solcher Mischinfloreszenzen hervor, um sodann zur Bildung rein chasmo- gamer Blütenstände überzugehen. Außer diesen kleistogam beginnenden Pflanzen waren aber," wenngleich in geringerer Anzahl, auch solche vorhanden, welche am Hauptspross vor dem Auftreten der chasmogamen Blüten keine kleistogamen hervorbrachten und auch an den Seiten- sprossen keine kleistogam erzeugten jungen Früchte besaßen — ob solche später auftraten, ließ sich nicht feststellen, da die Pflanzen nicht im botanischen Garten, sondern im Freien Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Ss1 wuchsen, wo eine öftere Besichtigung aus äußeren Gründen nicht möglich war. Derartige Pflanzen machten den Eindruck von besonders kräftigen, gut ernährten Exemplaren. Es zeigte sich also, dass der Hauptspross sofort zur Bildung chasmogamer Blüten übergehen kann, und es liegt kein Grund vor, anzunehmen, dass dies nicht auch bei den Seitensprossen der Fall sein könne, wenn- gleich diese aus den später anzuführenden Gründen mehr zur Bil- dung kleistogamer Blüten geneigt sein werden. Stets aber wird man die Entwickelungsstufe der Pflanze im Auge behalten müssen. Denn nicht alle Stöcke, welche zuerst kleistogame Blüten hervorbringen, erreichen gleichzeitig (auch unter scheinbar denselben äußeren Verhältnissen) die Stufe, auf der die chasmogamen Blüten auftreten, und allgemeine Angaben wie die von Kerner'), dass Stöcke mit vorwaltend kleistogamen und solche mit vorwaltend chasmogamen Blüten sich finden, sind deshalb bedeutungslos, weil Kerner trotz Mohl’s Angaben auf die zeitliche Entwickelungsfolge der Blüten nicht geachtet hat. Er führt nur bei Cardamine cheno- podifolia an, dass die kleistogamen Blüten früher auftreten als die chasmogamen. Von den übrigen Pflanzen meint er, dass in der Mehrzahl der Fälle kleistogame Blüten erst entwickelt werden, wenn die chasmogamen verschwunden seien. Auf dem Sande und den Schutthalden an Ufern der Gebirgsbäche in den tirolischen Hochtälern findet sich nach Kerner I/Impatiens noli tangere nur ın der kleistogamen Form, ohne dass es sich dabeı etwa um eine fixierte Form handeln würde. Auch ich fand solche nur kleistogam blühenden Stöcke und man kann sie überall, wie unten gezeigt werden soll, unter bestimmten Bedingungen erziehen. Von anderen Impatiens-Arten, welche kleistogame Blüten hervor- bringen, ist b) Impatiens fulva durch Bennett eingehender untersucht worden. Er fand kleistogame und chasmogame Blüten nie am selben Zweig zusammen, gelegentlich an verschiedenen Zweigen ein und derselben Pflanze, aber öfter an getrennten Pflanzen, die kleistogam blühenden waren aber viel zahlreicher. Entgegen Asa Gray’s Angabe, dass die kleistogamen Blüten hier zuerst auftreten (was ja mit dem Verhalten der Mehrzahl der beobachteten Exem- plare von Impatiens noli tangere übereinstimmen würde), meint Bennet „that the two kind of flowers are absolutely synchro- nous“. Das gilt ja auch für Impatiens noli tangere, wenn man ver- schiedene Individuen betrachtet, bei einem und demselben Exem- plare aber wird es sich wohl auch hier vielfach so verhalten, dass die kleistogamen Blüten zuerst auftreten und darauf dann (unter 1) Pflanzenleben II, p. 387 (2. Aufl.). 582 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. günstigen Bedingungen) die chasmogamen folgen, zu deren Bildung aber manche Exemplare überhaupt nicht gelangen. c) Bei Impatiens parriflora fand Benett keine kleistogamen Blüten. Auch ich suchte sie im Frühjahr vergebens. Die Pflanze ist, wie an anderen Orten, in und bei München vielfach verwildert und wächst im „englischen Garten“ z. B. vielfach mit Impatiens noli tangere zusammen ım Gebüsch. Aber die ersten Blüten zahl- reicher Exemplare waren an denselben Standorten, an denen die daneben stehenden Pflanzen von Impatiens noli tangere kleistogame Blüten bildeten, alle chasmogam. Als aber später im Sommer große Hitze und Trockenheit auftrat, bildeten die Pflanzen, welche nicht an besonders feuchten, geschützten Standorten wuchsen, auch kleistogame Blüten. Die Blütenhülle blieb, oft auf ziemlich spätem Stadium, wo schon ein großer Sporn gebildet war, statt sich zu öffnen, geschlossen und vertrocknete. Die Fruchtbildung blieb aber trotzdem nicht aus, vielmehr wurde von der sich entwickelnden Frucht die Blütenhülle entweder wie bei Impatiens noli tangere emporgehoben (Fig. 5, /II) oder durchbrochen. Es fanden sich auch Blüten, bei welchen die Blumenkrone weniger entwickelt und kleiner war als bei der abgebildeten, doch war bei allen kleisto- gamen Blüten wenigstens der Kelchblattsporn angedeutet. Auch Blüten mit kleinerer Blumenkrone als die normale, welche halb- geöffnet blieben, fanden sich. Auch bei Impatiens noli tangere wurde in demselben Sommer — der eine große Anzahl von Exem- plaren durch Vertrocknen tötete — derselbe Vorgang beobachtet und wir werden später sehen, dass er sich auch künstlich herbei- führen lässt, dort wird auch eine einschlägige Beobachtung Graeb- ner’s anzuführen sein. Es ist übrigens ein Irrtum, wenn dieser Autor die von Vöchting durch schwache Beleuchtung erzielten kleinen Blüten von /mpatiens parviflora als kleistogame betrachtet. Denn in Vöchting’s Darstellung!) ist lediglich von kleimen, aber sonst normalen Blüten die Rede, nicht von kleistogamen. 3. Viola. Von den einheimischen Viola-Arten, welche der Sektion „No- mimium“ angehören, nimmt man gewöhnlich an, dass die chasmo- gamen Blüten den kleistogamen zeitlich vorangehen. Tatsächlich ist ja leicht zu beobachten, dass die ersteren sich früher entfalten, dass also im März und April nur chasmogame, später kleistogame Blüten vorhanden sind. Diese treten schon zeitig im Frühjahr auf, schon Anfang Mai finden sie sich bei allen einheimischen Arten, und die Zahl der während des Sommers gebildeten kleistogamen Blüten ist viel größer als man zunächst denken sollte. Wenn 1) Jahrb. für wissensch. Botanik XXV, p. 179. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 685 Kirchner!) die Angabe D. Müller’s vom Jahre 1859 wiederholt, wonach bei Viola odorata „außer den großhülligen, offenen Blüten, wenn Insektenbesuch ausgeblieben ist, im August an den Ausläufern kleistogamische Blüten zur Entwickelung kommen“, so ist hier, was Zeit und Ort des Auftretens der kleistogamen Blüten anbe- langt, übersehen, dass sie nicht nur an den Ausläufern, sondern auch an den Hauptsprossen und zwar schon vom Mai an sich finden?). ‘Hier scheint also das Verhalten ein anderes zu sein als Viola odorata, Habitusbild einer Pflanze (gezeichnet Mitte Mai), welche sowohl an der Hauptachse als an dem Ausläufer je eine kleistogame Blüte (mit A und B bezeichnet) trägt. Nat. Gr. bei Impatiens noli tangere (bei der Mehrzahl der Exemplare). In Wirklichkeit aber stimmen beide Fälle, wenn man die Zeit der An- 1) Flora von Stuttgart, p.318. Vöchting (Über den Einfluss des Lichtes ete. Jahrb. f. wiss. Botanik XXV, p. 175) hat schon auf das Irrige dieser Angabe hin- gewiesen, er fand bei V. odorata kleistogame Blüten im April, vereinzelt sogar schon im März. Selbstverständlich hängt der Zeitpunkt des Auftretens von äußeren Fak- toren ab. 2) Richtig gibt z. B. Royer (flora de la cöte d’or 1881, p. 109) den Sach- verhalt an, ‚„ Les Viola... ont, du milieu du printemps & la fin de l’ete, de tr&s petites fleurs dites apetales. 684 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. legung der Blüten in Betracht zieht, überein. Wie bei anderen Frühlingspflanzen werden auch bei den Veilchen die Blüten, welche sich im Frühjahr entfalten, im vorhergehenden Jahre angelegt!). Sie gehören also mit den kleistogamen Blüten in der Weise zu- sammen, dass innerhalb einer Vegetationsperiode die Anlegung der kleistogamen Blüten der der chasmogamen vorangeht. Das ist ein für die Beurteilung der Faktoren, welche auf das Auftreten der kleistogamen Blüten bedingend einwirken, wichtiger Punkt. Er wird auch durch die Keimungsgeschichte bestätigt. Denn wie toyer (a. a. OÖ. p. 109) angibt — eigene Beobachtungen liegen mir darüber nicht vor —, bringen die Keimpflanzen von Vrola alba und odorata (und die anderen Arten werden sich wohl ebenso ver- halten) am Ende des Sommers kleistogame Blüten hervor, ohne dass vorher chasmogame aufgetreten wären. Wenn aber Royer daran die Bemerkung schließt „Amsi a la premiere floraison de la jeune plante, les fleurs apetales precedent les fleurs corollees, tandis que le contraire aura lieu pour les floraisons suivantes, oü en effet les petites ne naitront qu’apres les grandes“, so beruht der zweite Teil dieses Satzes, wie oben dargelegt wurde, auf einer Verwechslung von Anlage und Entfaltung, tatsächlich geht die An- legung der kleistogamen Blüten innerhalb einer Vegetationsperiode auch im späteren Leben der Pflanze der des chasmogamen ge- wöhnlich voraus. Besonders zu besprechen ist eine Art, welche 1) Der Zeitpunkt schwankt natürlich nach klimatischen und Standortsverhält-- nissen, es mögen auch die einzelnen Arten sich etwas verschieden verhalten. In dem schr warmen trockenen Sommer 1904 fand ich bei Viola odorata schon Mitte Juli keine kleistogamen Blüten mehr (während Viola hirta zu dieser Zeit sie noch hatte). Anlagen chasmogamer Blüten wurden am 1. August bei Viola odorata ge- funden (sie waren daran kenntlich, dass die Antheren 4 Pollensäcke angelegt hatten. In feuchten, kühlen Sommern wird die Zeit, in der kleistogame Blüten angelegt werden, eine längere sein. Die Angabe, dass in Toskana Viola odorata mit nur chasmogamen Blüten sich finde, bedarf näherer Prüfung. Sollte sie richtig sein, so fragt sich, ob eine klimatische Einwirkung (Wärme, Trockenheit, starke Be- sonnung) die Bildung kleistogamer Blüten verhindert, oder etwa eine besondere Rasse vorliegt. Die in den Gärten als „semperflorens“ bezeichnete Veilchenrasse trägt diesen Namen eigentlich mit Unrecht. Sie bildet im Sommer kleistogame Blüten, im Herbst chasmogame. In Algier bildet die Viola odorata, wie mir Herr Prof. Trabut freundlichst mitteilte, sowohl im Freien (sie wächst dort in den Bergen häufig) als in den Gärten auch kleistogame Blüten, ein Umstand, welcher mir die oben er- wähnte Angabe betreffs des Verhaltens in Toskana einigermaßen zweifelhaft er- scheinen lässt. Bei Viola biflora fand ich an Exemplaren, welche einem Standort von ca. 1600 m Meereshöhe entstammten, am 20. August ganz junge, für das nächste Jahr bestimmte Blütenanlagen, sowohl an den Spitzen der unterirdischen Ausläufer dieser Pflanze, als an den Seitenknospen des Rhizoms. Es darf also wohl angenommen werden, dass auch bei dieser Art die chasmogamen Blüten im Herbst des ihrer Entfaltung vorhergehenden Jahres angelegt werden. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. bfe38) nicht der Sektion Nommmium angehört, die gelbblühende, arktısch- alpıne Flola biflora. H. Müller!) hat mit dieser Art folgende Erfahrung gemacht: „Im Sommer 1859 nahm ıch vom Ramsbecker Wasserfall lebende Stöcke dieser Pflanze mit und setzte dieselben, um sie sich zur Blüte entwickeln zu lassen, auf einen Teller mit Wasser in meinem Garten in den Schatten eines Strauchs; die Pflanzen, welche ich täglıch nachsah, entwickelten sich kräftig weiter, und obgleich keine Blüte sich öffnete, erhielt ich lauter Fruchtkapseln mit guten Samen- körnern.*“ Wenn aus dieser Beobachtung später geschlossen wurde, dass Viola biflora im „Schatten“ kleistogame Blüten bilde, so ist dies offenbar unzulässig. Es sind außer den Beleuchtungsverhält- nissen auch andere Faktoren geändert. Es sind zwei Fälle möglich, 1. das Auftreten von kleistogamen Blüten ıst abhängig von äußeren Faktoren, in diesem Falle braucht aber ın dem Müller’schen Kultur- versuch keineswegs die Lichtveränderung ausschlaggebend gewesen zu sein, eine auf einem Teller mit Wasser befindliche Pflanze ist unter abnormen Ernährungsbedingungen, auch die Temperatur- verhältnisse können andere gewesen sein als am ursprünglichen Standort, oder aber 2. die kleistogamen Blüten treten hier wie bei den Viola-Arten aus der Sektion Nomimium ohne direkte Beziehung zu äußeren Faktoren auf, die Bildung der chasmogamen Blüten aber kann eventuell unterdrückt werden. Im letzteren Falle also verhielt sich Viola biflora wie die anderen oben erwähnten Veilchen- arten, die regelmäßig nach den chasmogamen Blüten kleistogame produzieren, im ersteren entstehen die kleistogamen Blüten normal nicht, sondern treten nur unter besonderen Bedingungen auf. Da in der Literatur Viola biflora als eine Pflanze betrachtet wird, bei der die zuletzt genannte Möglichkeit zutrifft, so kultivierte ich sie unter verschiedenen Bedingungen, bei hoher Temperatur und sehr feuchter Luft ım Viktoriahause, ım Freien, ın der Sonne und im Schatten. Da ich indes stets früher oder später kleistogame Blüten (nach den chasmogamen) erhielt — bei den im Viktoriahaus kulti- vierten traten sie früher auf als bei den im Freien gezogenen —, so musste sich die Annahme aufdrängen, dass die kleistogamen Blüten auch hier in den normalen Entwickelungsgang der Pflanze gehören. Dies ist, wie die Beobachtung von Pflanzen an verschie- denen Standorten, in Tirol und den bayrischen Bergen, zeigte, tat- sächlich der Fall; man kann nicht etwa ungünstige äußere Be- dingungen dafür verantwortlich machen, denn der heurige Sommer war, wo, wie dies an den Standorten der Viola biflora der Fall war, genügende Feuchtigkeit zur Verfügung stand, ein in jeder Beziehung der Vegetation sehr günstiger. Entsprechend der Tatsache, dass 1) Die Befruchtung der Blumen durch Insekten, Leipzig 1875, p. 146. 6te16) Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. die chasmogamen Blüten dieser alpin-nordischen Form später auf- treten als die der blaublühenden Viola-Arten, fanden sich auch die kleistogamen Blüten später ein. Nach Boisduval, welcher die kleistogamen Blüten von Viola biflora, wie es scheint, zuerst be- obachtet hat!), soll diese Art, ebenso wie Viola Ruppii bei Paris nur kleistogame Blüten bringen. Dies dürfte kaum allgemein zu- treffen, sondern von Standortsverhältnissen abhängen. Meine Topf- pflanzen wenigstens brachten reichlich chasmogame Blüten hervor und auch in Westfalen z. B., also einem nicht-alpinen Standort, blüht, wie H. Müller’s Angabe zeigt, V%ola biflora reichlich chas- mogam. Die Angabe in den „Nat. Pflanzenfamilien“?), dass Viola biflora an ıhren „hochnordischen Standorten“ kleistogame Blüten hervorbringe, bedarf nach dem Obigen der Berichtigung. Die kleistogam erzeugten Früchte sind hier, wie bei anderen Viola-Arten an dem fast völligen Fehlen des Griffels leicht kenntlich. An den später ım Jahr auftretenden kleistogamen Blüten bleibt häufig auch der Blütenstiel sehr kurz. Dass bei einer so weit verbreiteten Pflanze wie Viola biflora das regelmäßige Auftreten kleistogamer Blüten nach den chas- mogamen selbst von einem auf dem Gebiete der Blütenbiologie so kenntnisreichen Forscher wie H. Müller übersehen werden konnte, ıst wohl auf verschiedene Gründe zurückzuführen. 1. Gehört Viola biflora einer anderen Sektion der Gattung Viola an, als die Arten, bei denen man das regelmäßige Auftreten kleistogamer Blüten schon lange kannte, es lag also nicht gerade nahe, eine Übereinstimmung in dem Verhalten mit diesen Arten anzu- nehmen. 2. An den alpınen Standorten findet man Viola biflora während des Sommers fast stets mit chasmogamen Blüten. Je nach der Exposition treten nämlich die Blüten zu sehr ungleicher Zeit auf. An warmen, schon lange schneefrei gewordenen Stellen sind die kleistogamen Blüten schon aufgetreten zu einer Zeit, wo an an- deren, unter Umständen wenige Schritte davon entfernten Stand- orten noch reichlich chasmogame Blüten sich finden; es sind dies solche Standorte, wo der Schnee länger liegen und der Boden länger kalt blieb. Ich halte es übrigens für durchaus möglich, dass an alpinen Standorten mit sehr kurzer Vegetationszeit die Bildung kleistogamer Blüten ganz unterbleibt. 1) Bulletin de la societ€ botanique de France VII, p. 469. Lindman (Blühen und Bestäubungseinrichtungen im skandin. Hochland, Bot. Centralbl. XXX, 1887, p. 159), gibt an: „Viola biflora erzeugt bisweilen kleinere Blüten, in welchen einige Blumenblätter rudimentär sind (dies sind dann die oberen, ich beobachtete auch Blüten, die nur kleine, blasse Blumenblätter hatten. G.). Diese Blumen stehen... mehr oder weniger im Übergange zur Kleistogamie, die auch völlig aus- gebildet bei dieser Art vorkommt.“ Ob regelmäßig ist damit nicht gesagt. 2) 1116, pP. 323: Goebel. Die kleistor_amen Blüten und die Anpassungstheorien. 687 © T 3. Für die teleologische Betrachtung, welche, wie wir sehen werden, bei der Frage nach dem Zustandekommen der kleistogamen Blüten eine so große Rolle gespielt hat, ist Viola biflora eine etwas unbequeme Pflanze. Die chasmogamen Blüten setzen nämlich — wenigstens in den von mir besuchten Standorten — sehr reich- lich Früchte an. So zeigt z. B. Fig. 3, /I ein Sprossstück, an welchem unmittelbar nach einer chasmogam erzeugten Frucht eine kleistogam entstandene aufgetreten ist. Es ist/also eigentlich keine Zweckursache für das Auftreten von kleistogamen Blüten gegeben, Fig. 3. Viola biflora. I Sprossstück einer Pflanze, welche warm und hell kultiviert kleistogame Blüten und Früchte hervorgebracht hatte. II Sprossstück einer Pflanze (aus dem Berglental an der Dreitorspitze), aus der Achsel eines (abgeschnittenen) Blattes (Bl) ist eine chasmogam erzeugte Frucht (ch) aufgetreten, in der Achsel des nächstfolgenden Blattes eine kleistogam (kl) erzeugte. man müsste denn annehmen, dass diese zur Sicherung des Samen- ansatzes in regnerischen, für insektenblütige Pflanzen ungünstigen Vegetationsperioden dienen. Aber diese Zurechtlegung führt nicht viel weiter. Denn Viola biflora ist eine perennierende, durch Aus- läufer sich verbreitende Pflanze, für welche es von keiner großen Bedeutung sein kann, wenn auch gelegentlich einmal der Samen- ansatz unterbliebe, und außerdem ist, wie ich mich überzeugt habe, bei den chasmogamen Blüten bei Ausbleiben von Insektenbestäu- 6835 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. bung Samenansatz möglıch!). Bei Besprechung der teleologischen „Erklärung“ der Kleistogamie wird auf diese Pflanze zurückzukommen sein, denn sie ist für die Frage nach dem Zustandekommen der Kleistogamie von großer Bedeutung, wenn auch in anderer Be- ziehung, als H. Müller das annahm. Nachdem wir so bei einer Anzahl von Pflanzen das zeitliche Auftreten der kleistogamen Blüten kennen gelernt haben, sei zur Besprechung ihrer Gestaltungsverhältnisse übergegangen. a8) Der Beginn sei mit einer Art gemacht, deren kleistogame Blüten eigentlich keine Entwickelungs-, sondern nur eine Ent- faltungshemmung zeigen, die aber gleichwohl für die Frage, ob in den kleistogamen Blüten besondere Anpassungen vorliegen, von Interesse sind. 1. Lamium amplexicaule. Hier liegen die Verhältnisse sehr einfach, denn die kleistogamen Blüten (Fig. 4, /7T) unterscheiden sich an den chasmogamen (Fig. 4, 7) wesentlich nur dadurch, dass die Blumenkrone von etwas geringerer Größe (vgl. die Knospe einer chasmogamen Blüte Fig. 4, /7) und geschlossen bleibt. Als besondere Anpassung in den kleistogamen Blüten hat man nun die Lage der Antheren zu den Narben aufgefasst. Die Staubblätter sind nämlich in den kleistogamen Blüten so eingekrümmt, dass sie in unmittel- barer Nähe der Narben liegen. Der Pollen kann also leicht, wenn die Antheren sich öffnen, auf die Narbe fallen, oder wenn die Pollen- schläuche innerhalb der Antheren austreiben, so können sie leicht die benachbarte Narbe erreichen. Vergleicht man aber die ent- sprechenden Entwickelungsstadien chasmogamer Blüten, so sieht man, dass hier dieselbe Lage von Antheren und Narben vorhanden ist. Sie ist durch die Raumverhältnisse innerhalb der Blütenknospe bedingt. Griffel und Filamente sınd schon innerhalb der geschlossenen Blumenkrone so stark gewachsen, dass sie sich einkrümmen mussten. Wenn diese Blumenkrone sıch öffnet, so strecken sich der Griffel und die Filamente der Staubblätter. Beı den kleistogamen Blüten unterbleibt diese Streckung, sie stellen also Hemmungsbildungen dar, die deshalb besonders einfach sind, weıl die Hemmung auf ver- hältnismäßig später Stufe einsetzt und so das Stadium, welches vor der Bestäubung übersprungen wird, nur ein unbeträchtliches Stück der Entwickelung darstellt. Nach Übergängen zwischen kleistogamen und chasmogamen Blüten habe ich hier nicht gesucht, 1) H. Müller hatte es dahingestellt sein lassen, ob bei Viola biflora Selbst- befruchtung eintreten könne, 2) Die angeführten Pflanzen, welche nur als Beispiele dienen sollen, sind ohne Rücksicht auf systematische Verwandtschaftsverhältnisse aneinander gereiht. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 689 weil sie kaum besonderes Interesse geboten haben würden. Bei anderen Labiaten finden sie sich. Sala cleistogama z. B. entwickelte im hiesigen Garten zu Anfang der Blütezeit Blüten, wie sie ın Fig. 4, /V u. P abgebildet sind. Die blassviolett gefärbte Blumenkrone ragte nur wenig über den Kelch hervor, war aber, wenn auch nicht weit, so doch deutlich geöffnet. Die Bestäubung erfolgte schon innerhalb der geschlossenen Blütenknospe. Später blieben die Blumenkronen ganz geschlossen, Samenansatz trat sehr reichlich ein. Die Pflanze stand an einem warmen sonnigen Standort, es kann hier also nicht etwa verminderte Lichtintensität für das Auf- treten der kleistogamen Blüten verantwortlich gemacht werden. Nach Ascherson!) entwickelte diese Salvia während 5jähriger Kultur niemals geöffnete Blüten; woher die Angabe von Knuth?), Fig. 4 (3fach vergr.). I— III Lamium amplexicaule, I chasmogame Blüte, // Knospen einer solchen, I//I kleistogame Blüte. IV u. V Salvia_ cleisto- gama, Blüte von der Seite IV und von vorne V, „später entwickelten sich auch offene“, stammt, weiß ich nicht und vermag auch über die Beschaffenheit der Corollen dieser Blüten nichts anzugeben. Tiefer greifende Verschiedenheiten zwischen kleistogamen und chasmogamen Blüten finden sich bei Impatiens und Viola, und auf diese Pflanzen sind auch die oben erwähnten Ansichten Dar- win’s und Bennett’s hauptsächlich begründet. 2. Impatiens. Bennett ist der Ansicht, dass zwischen den kleistogamen und den chasmogamen Blüten von Impatiens fulva von vornherein Ver- schiedenheiten vorhanden sind. 1) Botan. Zeitung 1871, p. 559. 2) Handbuch II, p. 237. XXIV. 44 590 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 1. Die Knospe der chasmogamen Blüten zeigt die Spitze der zwei äußeren Kelchblätter hakenförmig gekrümmt, während eine „annähernd gleich große* Knospe einer kleistogamen Blüte sie gerade zeigt. 2. Bei den kleistogamen Blüten ıst das hintere Kelchblatt oder Nektarıum im Gegensatz zu den chasmogamen Blüten nicht vor- handen, die inneren Organe bleiben hier sehr klein. 3. Während die Staubblätter in den chasmogamen Blüten unten zusammenhängen, oben frei sind (nur die Antheren verkleben mit- einander), sind die Staubblätter in den kleistogamen Blüten alle frei, ihre Filamente sınd zunächst gerade, dann sonderbar gekrümmt, Bennett meint „that the filaments of these inconspicuous flowers are elastic, the different positions in which they are found at different stages of the bud being due to their efforts to throw off the cap.“ Die ganze Argumentation von Bennett leidet nun darunter, dass er die Entwickelung der chasmogamen und kleistogamen Blüten nicht eingehend genug verglichen hat. Eine solche Ver- gleichung ergibt meiner Ansicht nach, dass die kleistogamen und chasmogamen Blüten auch bei ZImpatiens der Anlage nach überein- stimmen, und erstere Hemmungsbildungen der letzteren sınd. Zunächst ıst hervorzuheben, dass die Größe, welche die kleisto- gamen Blüten bei /Impatiens erreichen, eine variable ist und dass es überhaupt nicht sowohl auf die Größe als auf die Gestaltung ankommt. Eine Blütenknospe kann, wenn sie auf einem bestimmten Ent- wickelungsstadium angelangt ıst, auf diesem verharren, aber sich dabei noch vergrößern, indem die angelegten Teile sich strecken. Vergleichen wır sie jetzt mit einer anderen Blütenknospe, bei der — zunächst mit sehr langsamer Vergrößerung — die Gestaltung weiter ging, die Streckung aber erst später erfolgt, so vergleichen wir zwei Blütenknospen von annähernd gleicher Größe aber ver- schiedenem Entwickelungszustand. In Wirklichkeit durchlaufen also die chasmogamen Blüten das Entwickelungsstadium, auf welchem die kleistogamen stehen bleiben, nur erfolgt bei letzteren hier schon die Streeckung und innere Ausbildung, welche bei den chasmogamen erst später eintritt. Bennett’s Ausführungen gegenüber ist also im Vergleich mit den oben angeführten Punkten zu sagen: 1. Auch bei den chasmogamen Blüten sind die Spitzen der beiden äußeren Kelchblätter ursprünglich gerade, erst später biegen sie sich hakenförmig. Die kleistogamen bleiben auf dem ersten Stadium stehen. 2. Auch bei den chasmogamen Blüten wird der Sporn ver- hältnismäßig spät angelegt, wir werden unten zudem sehen, dass er auch bei kleistogamen Blüten oft zur Entwickelung kommt. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 691 3. Die Staubblätter der chasmogamen Blüten werden, ebenso wie die der kleistogamen frei angelegt, erst später „verwachsen“ sie am Grunde. Die der kleistogamen Blüten reifen heran auf einem Stadium, auf welchem die Verwachsung noch nicht einge- treten war. Somit kann ich die von Darwin!) angenommene An- sicht Bennett’s, „dass die kleistogamen und (die) vollkommenen Blüten auf einer sehr frühen Wachstumsperiode in der Struktur ver- schieden sind, so dass die Existenz der ersteren nicht bloß eine Folge einer Entwickelungshemmung sein könnte“, nicht teilen. Besonders deutlich wird die Richtigkeit meiner Auffassung erwiesen durch die Übergangsbildungen. Bennett fand solche bei Impatiens fulva nicht. Bei Impatiens noli tangere dagegen finden sie sich. Gehen wir aus von dem Verhalten der oben geschilderten Keim- pflanzen, welche kleistogame Blüten hervorbringen, so sind diese Fi a6 OL N A..e AN N N \ } Sn & i u 1 u I und II Impatiens noli tangere. I Teilinfloreszenz einer jungen Keimpflanze mit ausschließlich kleistogamen Blüten, an denen keine Andeutung einer Spornbildung vorhanden ist. Die älteste Blüte hat eine Frucht angesetzt und die Blütenhülle in Gestalt einer Kaputze (ec) abgehoben. II Kleistogam erzeugte Frucht, auf welcher die abgehobene Blütenhülle mit einem Spornrudiment versehen aufsitzt. /II Impatiens parviflora. Kleistogam erzeugte Frucht, die Blütenhülle, die sich nicht ge- öffnet hatte, ist fast normal ausgebildet. zunächst sehr klein, das hintere Kelchblatt zeigt keine Andeutung des bei den chasmogamen Blüten so auffallenden langen Spornes (Fig. 5, /). Die ganze Blütenhülle wird als braune Kappe vom Fruchtknoten abgehoben (Fig. 5, / bei ce), eine Mitwirkung der Staubblätter bei diesem Vorgang, wie sie Bennett annimmt), halte ich für sehr unwahrschemlich, die Filamente zeigen bei Impatiens noli tangere auch nicht die starke Krümmung, welche Bennett für Impatiens fulva beschreibt. Später fanden sich Blüten, welche deut- lich einen Sporn besaßen (Fig. 5, //) — trotzdem waren auch sie kleistogam, und eine Übergangsform zu den chasmogamen Blüten, 1) A. a. O. p. 283. Die deutsche Übersetzung der Darwin’schen Werke ist leider recht mangelhaft stilisiert. 2) Dass bei anderen Pflanzen ein ähnlicher Vorgang eintritt, ist sicher. Bei Eucalyptus-Arten kann man z. B. leicht beobachten, wie die ‚Calyptra‘“ durch Streckung der Filamente der zahlreichen Staubblätter abgehoben wird. 44* 599 (Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. welche etwa der von Salria cleistogama geschilderten entspricht, wurde oben beschrieben und abgebildet (Fig. 1, 7). Auch an den Staubblättern lässt sich dieselbe stufenweise Hemmung beobachten. Bei den einfachsten kleistogamen Blüten ist zunächst der Bau der Antheren bemerkenswert. Diese haben nämlich, abgesehen davon, dass sie viel kleiner sind als die der chasmogamen Blüten, zuweilen nur zwei Pollensäcke, während die der chasmogamen die normale Vierzahl aufweisen. Aber die 4 Pollensäcke sind hier von un- gleicher Größe. Die 2 vorderen sind kürzer als die 2 hinteren. Die ersteren sind es, welche bei den kleistogamen Blüten unter- drückt sind, man kann aber alle Übergänge finden, namentlich An- theren, bei welchen die vorderen Pollensäcke noch in sehr redu- zierter (restalt vorhanden sınd. Wir können hier schon sehen, dass in den kleistogamen Blüten diejenigen Organe zur Verkümmerung neigen, welche in den chasmogamen Blüten weniger kräftig entwickelt sind als andere. Dieser Satz tritt auch bei Viola sowie bei Cardamine chenopodifolia deut- lich hervor, es wird sich zeigen, dass auch dort die Reduktion be- stimmter Blütenteile nicht teleologisch, sondern auf Grund der normalen Entwickelungsgeschichte zu beurteilen ist. Dasselbe wıe von den Antheren gilt von den Filamenten. Von der Verwachsung resp. Nichtverwachsung war oben schon die Rede. In den chasmogamen Blüten zeichnen sie sich aus durch einen „ligularen* Auswuchs auf der Oberseite. In den kleistogamen Blüten findet man, bei Durchmusterung einer größeren Anzahl, Staubblätter mit geraden Filamenten ohne eine Spur des ligularen Auswuchses und solche, deren Filament gekrümmt ist, letztere zeigen vielfach auch den ligularen Auswuchs, wenngleich weniger stark entwickelt, wıe bei den chasmogamen Blüten. Die Hemmung der Staubblattentwickelung ın den kleistogamen Blüten tritt also auf verschiedener Entwickelungsstufe ein. Die Frage, wie die Pollenschläuche aus den Antheren hervor- treten und die Narben erreichen, habe ich nicht näher untersucht und verweise deshalb auf Mohl’s diesbezügliche Angaben. 3. Specularia perfoliata. Von dieser Pflanze sagt Darwin (a. a.O. p. 255), „Die kleisto- gamen Blüten von Specularia perfoliata sind in hohem Grade merkwürdig, da sie von einer aus einer rudimentären Corolle ge- bildeten Trommel verschlossen und ohne die Spur einer Öffnung sind. Die Staubfäden varııeren von 3—5 ın der Zahl, ebenso die Kelehblätter*. Wie oben angeführt, hat Darwin die merkwürdige Corolle von Speceularia auch mit unter den Beweisen gegen die Auffassung, dass kleistogame Blüten nur Hemmungsbildungen seien, angeführt. In Wirklichkeit ist aber gerade hier die Corolle der kleistogamen Blüten als Hemmungsbildung besonders lehrreich. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 695 Die Zipfel der Blumenkrone von Speeularia bilden nämlich auch bei den chasmogamen Blüten dadurch in der Knospe emen Ver- schluss, dass sie durch eine „Zellennaht“!) miteinander verzahnt sind. Diese 5 Zipfel der Blumenkrone sind also miteinander ver- einigt. Bei nicht eingehender Beobachtung hat es so den Anschein, als wenn die Blumenkrone vollständig geschlossen wäre. Später trennen sich die 5 Zipfel (die ursprünglich frei waren) wieder voneinander, bei den kleistogamen Blüten aber bleibt die Blumenkrone auf diesen Stadium stehen, erscheint also scheinbar vollständig geschlossen mit einer kegelförmigen Erhebung in der Mitte. Man kann also nicht sagen, dass die Blumenkrone „speziell so modifiziert wurde, dass sie zur Selbstbefruchtung der Blüten helfe und als ein Schutz des Pollens“ (Darwin a. a. O. p. 290), sie ist vielmehr zweifellos eine Hemmungsbildung, deren Gestaltung aus dem Verhalten der Knospen chasmogamer Blüten verständlich ist. Merkwürdig sind die Änderungen in den Zahlenverhältnissen der Blüte, die auch ich beobachtete, doch war mein Material zu spärlich, um sie eingehender untersuchen zu können. Die chasmo- gamen Blüten haben 5 Kelchblätter, 5 Blumenblätter, 5 Staub- blätter, 3 Fruchtblätter. Die kleistogamen Blüten zeigten meist 3 Kelchblätter und einzelne waren fast ganz trimer geworden, ıin- dem auch die Blumenkrone 3 Nähte zeigte. Darauf folgten 3 mit den Blumenblättern abwechselnde, also episepale Staubblätter und 2 Fruchtblätter, die 3 Kelchblätter sind jedenfalls die in der Blüte zuerst entstehenden. Nicht selten erscheint daneben ein viertes, kleiner bleibendes (auch 4 Staubblätter wurden beobachtet), selten traf ich 5 an. Man wird wohl geneigt sein, auch diese Verminderung der Zahlenverhältnisse als eine Reduktion zu betrachten, zumal, wie es scheint, dreizählige Blüten namentlich m der unteren Stengelregion (als erste Blüten) auftreten, wie auch z. B. bei Impatiens die Hem- mung der Blütenbildung eine stärkere zu sein pflegt als später. Bei Speenlaria würde in den dreizähligen Blüten die Hemmung darin bestehen, dass die Bildung der Kelchblätter, nachdem die 3 ersten entstanden sind, aufhört und sofort die Bildung der Blumen- krone beginnt. Doch wäre, um Sicherheit zu erlangen, die Beob- achtung eines größeren Materiales auch chasmogamer Blüten not- wendig, jedenfalls ist die Erscheinung selbst eine sehr interessante, da sie vielleicht auf die Bedingungen des Zustandekommens von vierzähligen Blüten aus fünfzähligen, wie es bei Veronica u. a. be- kannt ist, einiges Licht werfen könnte. Die Antheren haben nur 2 Pollensäcke, während die chasmo- gamen Blüten die normale Vierzahl aufweisen. Da das Endothecium 1) Vgl. betr. dieser Bezeichnung Raciborski, Die Schutzvorrichtungen der Blütenknospen, Flora, Sl. Bd. (Erg. Bd. z. Jahrg. 1895, p. 157). 694 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. dieser Pollensäcke auf der Außenseite stärker entwickelt ist als auf der Innenseite (wo es teilweise auf größere Strecken nicht zur Ausbildung gelangt), so ist anzunehmen, dass die äußeren Pollen- säcke der Antheren die alleın ausgebildeten sind. Die Pollenkörner keimen innerhalb der Pollensäcke. Die Schläuche drangen in den wenigen daraufhin untersuchten Antheren an der Stelle hervor, wo die Ausbildung des Endotheciums unter- blieben war. Sie entspricht der Öffnungsstelle der Pollensäcke chasmogamer Blüten. Die Einzelheiten des Verlaufs der Pollen- schläuche konnten schon wegen des spärlichen Materials nicht näher untersucht werden. Ihre Kenntnis ist für die hier verfolgten Fragen auch nicht von Belang. 4. Besonders eingehend untersucht worden sind seit lange die kleistogamen Blüten von Viola. Die ersten eingehenderen Beobachtungen wurden von Daniel Müller!) gemacht. Er fand bei Viola elatior in den kleistogamen Blüten nur 2 Staubblätter, die anderen „waren kaum angedeutet“. Aus jeder Anthere gingen nach oben Schläuche hervor, die in das Narbengrübchen eindrangen, die Narbe hatte sich den Pollenkörnern „so viel wie möglich genähert“, ebenso verhält sich Viola laneifolia. Bei Wrola silvatica fand er 5 Filamente, die Antheren von zweien waren durch Pollenschläuche mit der auch hier herabgekrümmten Narbe verbunden. Für Viola odorata gibt er dagegen (irrigerweise) ein aufrechtes Pistill an, bei Viola canina fand er keine Kronen- blätter (in Wirklichkeit sınd sie vorhanden, aber sehr klein), bei Viola mirabilis fand er freien Pollen und normale Befruchtung. Auch hebt er hervor, dass er von einzelnen „kompletten“ (chasmo- gamen) Blumen von Viola silwatica, elatior, lancifolia und odorata keimfähigen Samen geerntet habe. Mohl berichtigt die irrtümliche Anschauung D. Müller’s über die Pollenbildung ın den Antheren der kleistogamen Blüten, be- spricht die Angaben Michalet’s und schildert, wie bei MVrola elatior aus den 2 hier allein mit Pollensäcken versehenen Staubblättern die Pollenschläuche aus den oberen Enden der Antheren in dicken Strängen zu der Narbe verlaufen. Bei Viola canina fand er, dass auch aus den hier immer vorhandenen, vom Stigma abgewendeten Antheren Pollenschläuche hervortreten, welche in geschlängeltem Verlauf über den oberen Rücken des Ovarıums und den Rücken und die Seitenflächen des Griffels sich hinziehen. Spätere Angaben haben denen von Müller und Mohl eigent- lich nichts wesentliches hinzugefügt; Darwın hebt aber bei Viola canina hervor, dass er die Blütenblätter nicht vollständig fehl- 1) Über die Befruchtung der inkompletten Blüten einiger Viola-Arten. Bot. Zeitung 1857, p. 729ff. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 695 geschlagen (wie Müller angibt), sondern in Gestalt kleiner Schüpp- chen angetroffen habe. Auch ich fand beı allen untersuchten Vrola- Arten die Blumenblätter in Gestalt kleiner Schuppen — deren Größe bei den verschiedenen Arten verschieden ist — vor. Dass die Blumenkrone in den kleistogamen Blüten eine einfache Hem- mungsbildung darstellt, ıst klar, sıe bedarf also keiner weiteren Besprechung. Dass sie mehr gehemmt ist als das Androeceum steht mit’ der Tatsache in Zusammenhang, dass auch bei den chas- mogamen Blüten die Entwickelung der Blumenkrone (nicht ihre Anlegung) hinter der der Staubblätter zunächst zurückbleibt. Mittel- formen sind nicht gerade selten, ich fand solche z. B. bei Viola odorata, biflora u. a. Die Blumenkrone war bei ersterer deutlich violett gefärbt und ragte über den Kelch hervor, öffnete sich aber weniger als bei den chasmogamen Blüten oder gar nicht. Die Nektarienanhängsel der 2 unteren Staubblätter waren kleiner als bei den chasmogamen Blüten, es erfolgte Selbstbefruchtung. Auch Leelere du Sablon!) erwähnt solche Übergangsformen, ihre Bedeutung für die Deutung der kleistogamen Blüten wird später zu erörtern sem. Zwei Punkte sind von uns von größerem Interesse: die Reduktion des Androeceums und die Ausbildung des Griffels resp. der Narbe. Die erstere ist dadurch eigentümlich, dass sie stufenweise auf- tritt und dass dabei die Dorsiventralität mehr oder minder scharf hervortritt. Letzteres ist der Fall z. B. bei Viola mirabilis, odorata, biflora?). Diese haben kleistogame Blüten mit (gewöhnlich) 5 fer- tılen Staubblättern, welche aber — was meist übersehen worden ? zu sein scheint — je nur 2 Pollensäcke besitzen (Fig. 6, 7). Über- gangsformen zeigen, dass diese — im Gegensatz zu Impatiens — die vorderen Pollensäcke sind, man findet die hinteren nicht selten ganz oder teilweise noch ausgebildet.' Fig. 6, /I zeigt einen Querschnitt des Androeceums von Viola silvatica. Hier haben die 3 oberen Staubblätter je 2, die 2 unteren noch 4 Pollensäcke, diese Staubblätter stehen ja auf der unteren, normal geförderten Seite der Blüte. Gewöhnlich aber geht die Reduktion noch weiter. Es sind m den meisten Blüten nur die 2 unteren Staubblätter noch mit (je 2) Pollensäcken versehen. Ein interessantes Übergangsglied zu diesen Blüten zeigt Fig. 6, II. Hier haben die als «, und «a, bezeichneten Staubblätter keine Pollen- 1) Recherches sur les fleurs cleistogames, Revue de botanique Vol. XII, p. 306. 2) Leclere du Sablon, der nur Viola odorata untersucht hat, gibt an, Mohl habe beobachtet, dass nur die 2 anderen Staubblätter fertil seien. Mohl’s Angabe bezieht sich aber auf Viola elatior. Ich kann auch nicht finden, dass Mohl für Viola-Blüten das vollständige Verschwinden der Corolle angegeben habe, eine solche (auf Ubersehen der kleinen Corollenreste zurückzuführende) Angabe findet sich bei D. Müller. )J)6 Goebel, Die kleistoeamen Blüten und die Anpassunestheorien. g ”} oO oO säcke mehr. «a, noch einen!) und zwar (den auf der in der Blüte nach unten gekehrten Seite stehenden) a, und a, haben je 2 Pollen- säcke und ein kleines Rudiment emes dritten, bei den meisten Blüten dieser Art, ebenso bei Viola dactyloides sind nur die 2 un- teren Staubblätter mit je 2 Pollensäcken versehen. . Dass die Dorsiventralität in der Ausbildung der kleistogamen Blüten in verschiedenem Grade bei den verschiedenen Arten her- vortritt, ist offenbar darin begründet, dass auch bei der Anlegung der chasmogamen Blüten dasselbe der Fall ist. So hat Payer?) bei den beiden von ihm untersuchten Arten Viola altaica und Viola odorata gefunden, dass bei ersterer die Blumenblätter simultan, bei letzteren von vorn nach hinten, also sukzedan auftreten, ebenso Querschnitte durch kleistogame Blüten von Viola. I Viola odorata, L das sonst lippenförmig ausgebildete Blumen- blatt. Der Kelch ist schraffiert, II—-IV Viola silvatica (Blüten wie die in /I abgebildeten kommen auch bei Viola odorata vor), II und IIf Übergangsbildungen zu IV, pet rudimentäre Blumenblätter, a,, a, a, in IV und st in V Staminodien. ist es bei den Staubblättern. Hier war also die Seite der Blüte, welche auch ım fertigen Zustand durch das größte Blumenblatt und die reichste Ausstattung der Staubblätter — von denen jedes ein Nektariumanhängsel hat — sich auszeichnet, von Anfang an bevorzugt. Dass aber auch da, wo die Blumenblätter und Staub- blätter simultan auftreten, die unteren gefördert sind, zeigt ja schon die Tatsache, dass auch hier nur diese ein nektarabsonderndes Anhängsel führen. Übergangsstufen wie die in Fig. 6, II abge- bildete zeigen, dass die Staubblätter sozusagen von oben nach unten abschmelzen, d. h. ihre hinteren Pollensäcke verlieren, und noch mehr tritt bei Formen wie Viola silvatica hervor, dass die Unter- seite der Blüte der Reduktion am längsten widersteht. Weshalb bei 1) Auch bei Viola hirta fand ich gelegentlich Antheren mit mit nur einem Pollensack. 2) Organog£nie de la fleur. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 697 der Reduktion der Antheren die Dorsiventralität der Blüte nicht überall gleich stark sich geltend macht, ist derzeit ebensowenig zu erkennen, als warum die Staubblätter bei der einen Art simultan, bei der anderen sukzedan auftreten. Dass sie aber bei manchen Formen ungemein deutlich hervortritt, geht, wie mir scheint, aus dem oben Mitgeteilten hervor. Es ist nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, denn die teleo- logische Betrachtungsweise hat angenommen, dass in solchen Fällen wie dem von Viola silvatica nur die Staubblätter übrig bleiben, welche wegen ihrer Lage zum Pistill für die Befruchtung in der günstigsten Lage sind. Wir aber führen (ohne die Vorteil- haftigkeit der Tatsache zu leugnen) das Übrigbleiben dieser Staubblätter auf die Gesamtsymmetrie der Blüte zu- rück, die sich auch darin ausspricht, dass in den kleistogamen Blüten das unterste Blumenblatt größer und breiter zu sein pflegt als die übrigen, obwohl es gar keine Funktion mehr hat (Fig. 6, III). (Fortsetzung folgt.) Studien über Kutikulargenese und -Struktur und ihre Beziehungen zur Physiologie der Matrix. R Das Ephippium von Daphnia pulew. Von Dr. Max Wolff, Assistent am Zoologischen Institut zu Jena. (Aus dem Zoologischen Institut der Universität Jena.) ( Fortsetzung.) Die einzelnen Kammern des Ephippiums (vgl. Fig. 1, 2, 4 u. 5), deren Wände siebartig oder auch ähnlich einer gefensterten Mem- bran durchbrochen sind (vgl. besonders Fig. 5, bei der ich mein besonderes Augenmerk auf die genaue Wiedergabe der feineren Details gerichtet habe), öffnen sich nach der Matrix zu. Das heißt, einen gewissen Abschluss scheint bei oberflächlicher Betrachtung ihr Lumen wohl zu finden (vgl. Fig. 1). Sieht man aber genauer zu, so bemerkt man, dass die Kammerwand der Matrix, resp. der von ihr in dem abgebildeten Stadium eben abgeschiedenen, dünnen Chitinlamelle der jungen Schale nicht direkt aufliegt, dass sich viel- mehr zwischen beide (vgl. Fig. 5) ein sehr feines Fadengerüst ein- schiebt, ın dessen Balkenwerk sich die Kammerwand sehr schnell verliert. Dieses Gerüst muss enge Beziehungen zur Genese und vielleicht auch zur Ekdysis des Ephippiums besitzen und für die Kuppellamelle charakteristisch sein, denn es findet sich ausschließ- hch unterhalb des Kammerwerkes und, wo die Kammerung fehlt — also unter der Logenwand und dem Saume des Ephippiums 698 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. nur soweit die ephippiale Chitinlamelle reicht. An diesen letzten Stellen verbindet es sich mittelst der später zu beschreibenden Fibrillenendkegel direkt mit der Kuppellamelle. Diese Verhält- nisse zeigen Fig. 8, die ein Stück der Logenwand, und Fig. 9, die gerade die unterste Grenze des Ephippiums wiedergibt. Hier sieht man aufs deutlichste, dass an derselben Stelle, wo ephippiale und Schalen-Chitinlamelle miteinander sich vereinigen, auch das mit der ersten in Verbindung stehende Gerüstwerk aufhört. Weniger deutlich ist dies an dem Schnitte zu sehen, der Fig. 4 zugrunde gelegen hat. Hier wird an der kritischen Stelle das Gerüstwerk durch eine geringe Verschiebung im Schnitte zufällig verdeckt. Wir sehen aber an dieser Figur und ebenso an Fig. 2, dass die Höhe der Kammern sowohl nach dem ventralen Rande (das gleiche gilt auch vom vorderen und hinteren Rande) als nach dem elastı- schen Rückenbande hin, ın dem sich die Sattelhälften dorsal ver- einigen, allmählich abnımmt. Die Tatsache, dass das gedachte (Gerüst in diesen Randkammern, die als auf eimer Anfangsstufe der Entwickelung stehengebliebene Gebilde aufzufassen sind, viel weiter hinauf reicht, als in den vollentwickelten Kammern (man vergleiche die beiden Figuren mit Fig. 5), ja die äußersten Kammern sogar völlig ausfüllt, ıst, wie wir noch sehen werden, für das Verständnis der ganzen Kammerbildung von großer Be- deutung. Ich wende mich nunmehr des Zusammenhanges wegen sogleich zur Beschreibung der feineren Strukturverhältnisse der Kammern und bringe die Beschreibung des charnierartigen Rückenbandes erst am Schluss dieses Teiles meiner Arbeit. Die direkt unter der, über dem Ephippium etwa ums Doppelte verdickten, äußeren Chitinlamelle der alten Schale liegende, kuppel- [örmig nach außen vorgetriebene Verschlusswand der Kammern erscheint im allgemeinen in meinen Präparaten als völlig homo- gene, dunkler als das Schalenchitin sich färbende (übrigens ja auch in vita, vergleiche das oben Gesagte, diffus pigmentierte) Lamelle (vel. Fig. 8 u. 9). An anderen Stellen, wo diese Lamelle anschei- nend vom Mikrotommesser verletzt werde, zeigt sie sich jedoch m eine Anzahl von 2--4 dünnen Lamellen zerspalten (vgl. Fig. 2 u. 4). Danach würde man also wohl annehmen müssen, dass die homo- gene Beschaffenheit der Verschlusslamelle nur eime schembare ist, und dass in Wirklichkeit eine Schichtung vorliegt. Farbstoflaffinität und Liehtbrechungsvermögen der einzelnen Blätter und der sie verbindenden Kittsubstanz können also nur ganz minimal von- einander differieren, so dass es mir unmöglich war, sie mit meiner Leitz’schen !/,,; Immersion und dem Zeiss’schen Kompensations- okular Nr. 18 zu unterscheiden. Da, wo zwei benachbarte Kuppeln aneinanderstoßen, scheint das Verhalten dieser Schichten, nach Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 599 Bildern, wie dem in Fig. 5 wiedergegebenen, sich folgendermaßen darzustellen. Die äußere Kuppellamelle (a,), die sich übrigens vielfach so eng an das äußere Chitinblatt (A) der alten Schalen- klappe anlegt, dass jede optische Grenze zwischen den beiden Schichten verschwindet, zieht kontinuierlich über die Kuppelgrenze hinweg; es biegt dagegen an dieser Stelle die innerste Kuppel- lamelle (a,) so ab, dass sich von ihr im Querschnittsbilde je zwei, sehr bald’ verschmelzende Äste senkrecht im die Tiefe zu senken scheinen — denn in Wirklichkeit handelt es sich natürlich um eine zylindrisch gekrümmte Fläche —, die zahlreiche Unterbrechungen aufweisen, die den schon oben erwähnten fensterartigen Öffnungen der Kammerwand entsprechen. Diese Kammerwände verlieren sich Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. unweit der noch sehr dünnen Chitinlamelle der jungen Schale ın dem eigentümlichen ıhr aufliegenden Gerüstwerk, dessen gleichfalls schon gedacht wurde. Die Kammerwand besitzt eine ausgesprochene Affinität zum Rubinrot und verhält sich im Gegensatz zur Kuppel- lamelle negativ gegen das Hämatoxylin, während das Gerüstwerk ın eier Weise die Orangefarbe bindet, was in ge- ringerem Grade auch bei der Kupralnele der Fall zu sein scheint. Freilich sind diese Angaben mit gewisser Vorsicht aufzunehmen, denn ich bin dabei ausschließlich auf meine Leitz’schen Achromaten angewiesen gewesen, weil der einzige (4A mm) Apochromat unseres Institutes zur sicheren Definition dieser feinsten Strukturverhältnisse nicht ausreicht. Dass aber die Chitinlamelle der alten Schale vor- wiegend sich mit Rubinrot färbt und das Hämatoxylin auf keinen Fall so, wie es bei der Kuppellamelle der Fall ist, annımmt, glaube ich mit Bestimmtheit versichern zu können, wenn auch nicht ver- gessen werden darf, dass diese schon intra vitam durch das diffus 700 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. darin verteilte Pigment nicht unbeträchtlich gefärbt, jene dagegen völlig farblos ıst. Eine Differenz der chemischen Beschaffenheit oder der physikalischen Oberflächenstruktur (im Sinne Heiden- hain’s) ist bei den von mir beschriebenen Bildungen zweifellos vorhanden. Das innere Blatt der Chitinschicht der alten Schale besitzt, wie das äußere, eine ausgesprochene Affinität zu Rubin, wie hier gleich vorweg bemerkt sein mag. Über die Beziehungen der die einzelnen Kammern unter- lagernden Gerüstwerke zueinander ist folgendes auszusagen. Das ganze Netzwesen besteht aus kontinuierlich unter der Kammer- wandbasis hinziehenden sehr feinen Fibrillen!). Diese leiden an der Grenze der Kammerbezirke nirgends die geringste Unterbrechung oder gar Störung ın ihrem Verlaufe, was schon daraus hervorgeht, dass der ın Fig. 5 am unteren Ende der letzten Kammerwand rechts sich bietende Befund sehr häufig zur Beobachtung gelangte, wenn die tiefgelegenen fensterartigen Durchbrechungen der Kammer- wände vom Schnitt getroffen worden waren: der Übertritt der Fibrillen durch die Wandöffnung aus einer Kammer in die benach- barte. Ich muss betonen, dass dieses Gerüstwerk nıcht mit einem (seflecht verwechselt werden darf. In den Knotenpunkten, die die Zeichnung wiedergibt, findet eine sehr innige Verkittung der Fibrillen statt. Es wıll mir sogar scheinen, als ob sich hier Reste einer perifibrillären Substanz erhalten hätten, die zur Verkittung der Fibrillen dient. Wenigstens glaube ıch deutlich wahrzunehmen, dass die dunkle Färbung der Netzknoten durch das Hämatoxylın bedingt ıst, das hier noch ın einem Differenzierungsstadium fest- gehalten wird, bei dem das übrige Fibrillenwesen völlig entfärbt ist. Die Fibrillen haben übrigens einen welligen Verlauf, und ich brauche wohl nicht besonders zu versichern, dass ich mich sorg- fältıg gehütet habe, die geschilderten Knotenpunkte mit dem Bilde zu verwechseln, das ein parallel zur optischen Achse des Mikro- skopes verlaufendes Fibrillenstück gıbt. Ganz ähnlich wie die Gerüst- oder Netzknoten verhalten sich die Ansatzstellen der Fibrillen an der äußersten Schicht der, ın Bildung begriffenen Chitinlamelle des äußeren Blattes der späteren Schale, die sich nach Abwerfen des Ephippiums erst voll ent- wickelt (vgl. Fig. 5, Ca).?) Wie ich im zweiten Teil meiner Ar- 1) Wenn man die im folgenden gegebene Beschreibung dieser Fibrillen mit der Darstellung vergleicht, die Biedermann von seinen im Krustazeenpanzer ent- deckten Fibrillensystemen gibt, so zeigt sich in vielen Punkten eine unverkennbare Ähnlichkeit der morphologischen Charaktere. 2) Desgl. an der Logenwand und am ventralen Rand des Ephippiums, wie schon oben erwähnt wurde. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 101 beit auseinandersetzen werde, sind am äußeren Blatt (©) der spä- teren Schale vier Schichten voneinander zu unterscheiden): 1. die Zellschicht der Matrix; 2. der Grenzsaum der ersten Schicht, aus nebenemander- gereihten’ Waben bestehend, zwischen deren Wände keine Mikro- somen eingelagert sind; 3. die erythrophile Grundschicht und 4. die xanthophile Außenschicht der Chitinlamelle. Die vierte Schicht zerfällt endlich wiederum in zwei, durch ihr Tinktionsvermögen sich scharf unterscheidende Blätter, em inneres, das bei dem von mir verwendeten Differenzierungsgrade kein Hämatoxylin mehr bindet, sondern eine reine Orangelärbung zeigt (a,), und ein äußeres Blatt (a,), dessen Querschnitt ich als Grenzsaum der xanthophilen Außenschicht bezeichne. Dieses äußerste Blatt ist in meinen Präparaten noch kräftig mit Hämotoxylin ge- färbt, zu dem es also eine größere Affinität als das innere Blatt der xanthophilen Außenschicht besitzt. Dass sich ein ähnliches Verhalten auch bei der Chitinlamelle des äußeren Blattes der alten Schale wiederholt (A, und 4A,), sei nebenbei bemerkt. Jenem Grenzsaum (a,) Sitzen nun mit konischer Endigung die Fihrillen des Gerüstwerkes auf. Diese Endkegel der Fibrillen färben sich genau wie der Grenzsaum und wie die oben beschrie- benen Netzknoten. Ob es sich hierbei nur um eine Übereinstim- mung der physikalischen Oberflächenstruktur oder wirklich um die Verwandtschaft der chemischen Konstitution dieser Gebilde handelt, mag dahingestellt bleiben. Mit meinen optischen Hilfsmitteln (also auch bei Anwendung der stärksten Zeiss’schen Kompensations- okulare) war jedenfalls an der Ansatzstelle der Fibrillenendkegel keinerlei Abgrenzung nach dem Grenzsaum hin zu entdecken. Die Fibrillenendkegel verschmelzen in meinen Präparaten völlig mit der Substanz des Grenzsaums. Um die eben behandelten und in Fig. 5 dargestellten Details verständlicher zu machen, gebe ich ın Fig. 10 ein Schema, das diese Verhältnisse in bedeutend größerem Maßstabe wiedergibt. Immerhin muss doch wohl ein zum mindesten potentiell diffe- renziertes Zwischenstück der Basis des Fibrillenendkegels und dem Grenzsaum eingelagert sein, da sich bei der Ekdysis das die Kam- mern nach innen abschließende Gerüstwerk an der beschriebenen Übergangsstelle vom Grenzsaum der jungen Schale löst. Ein Blick auf Fig. 4 lehrt, dass dieser Grenzsaum auch nach dem Abreißen des Gerüstwerkes eine völlig glatte Oberfläche zeigt. Es lässt sich in der Tat niemals ein etwa haften gebliebener Fibrillenendkegel auf ihm erkennen. Wenn sich bis zur Ablösung gar nichts an der Basis dieser Gebilde veränderte, so würde sicher der locus minoris resistentiae nicht dort, sondern gerade an der Spitze des Kegels 102 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. zu erwarten sein. Und da liegt er eben ganz offenbar nicht. Ich werde auf diese Verhältnisse bei der Beschreibung der Ekdysis zurückkommen. Es bleibt noch übrig, eines merkwürdigen Befundes zu ge- denken, der sich ın der Mehrzahl der Kammern darbietet. In Fig.4u.5 sehen wir kugelige, der Kammerwand anliegende Körper abgebildet. Diese färben sich intensiv mit Rubinrot, ihre Größe ist schwankend und kann in manchen Fällen ums Doppelte den Durchmesser der von mir gerade wiedergegebenen Formen über- treffen. Ihre Gestalt ist auch nicht immer so regelmäßig kugel- rund, besonders gilt dies von den größern, und dann hat man meistens den Eindruck, als wären sie durch unvollständiges Zu- sammenfließen mehrerer kleinerer Kugeln entstanden. Ich habe lange über diese sonderbaren Gebilde nicht ins Klare kommen können und vermag auch jetzt vorläufig noch keinen zwingenden Beweis dafür beizubringen, dass ich sie richtig beur- teile. Wenn ich jedoch meine Befunde mit den Angaben vergleiche, die ım der Literatur vorliegen, so komme ich zu einer Auffassung, die genug Wahrscheimlichkeit für sich haben mag, um unter einigem Vorbehalt mitgeteilt werden zu können. Ich gebe also zunächst das mir vorliegende literarische Material, soweit es mir zur Er- klärung jener auffallenden Einlagerungen verwendbar zu sein scheint. Leydig beschreibt in seiner bekannten Monographie bei Daphnia brachiata ım Innern der Schale einen merkwürdigen Körper. „Es ist dies ein Streifen von ganz bestimmter Form, der in einiger Entfernung von der Schalendrüse zwischen ihr und dem freien Rand der Schale eine Strecke weit nach hinten geht. Man sieht die genaue Form des besagten Streifens nur dann gut, wenn man ein Deckglas vermeidet und das Tier etwa durch ein Minimum von Weingeist tötet. Der Streifen besteht aus Zellen von ziem- licher Größe und deutlichem Kern, die Form ist meist unregel- mäßıg, häufig in Fortsätze ausgehend. Ich halte sie für ebensolche Zellen, welche ım übrigen Leib den „Fettkörper“ zusammen- setzen, auch schließen sıe in den meisten Fällen mehr oder weniger zahlreiche Fettropfen ein. Doch wechselt der Fettgehalt gerade so wie auch im übrigen Fettkörper; man stößt auf Tiere, die ın den betreffenden Zellen kein einziges Fettkügelchen haben, andere, die reichlich damit versehen sind.“ Das Vorkommen von öltröpfchenartigen Gebilden im Bereich der Krustazeenschale erwähnt auch Braun in seiner grundlegenden Arbeit „über die histologischen Vorgänge bei der Häutung von Astacus fluriatilis.“ In der Bindegewebsschicht unter der Matrix findet er „rote, stark verästelte Zellen mit blassem Kern, deren Farbstoff leicht herausfließt und dann wie rote Öltröpfehen aus-. sieht.“ Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 03 Und Weismann gibt an, dass bei Polyphemus durch die Chitinlamelle des Nährbodens hindurch von seinen Drüsenzellen eine Substanz abgeschieden und dem Fruchtwasser beigemengt wird, die aus dem Blute bereitet und „weit reicher an Protem- substanzen sein muss, als dieses selbst. Aus dem raschen Ein- treten der Färbung!) darf vielleicht geschlossen werden, dass auch Fette in reichlicherer Menge als ım Blute vorhanden sind. Doch bilden Proteinsubstanzen jedenfalls die Hauptmenge der reduzieren- den Bestandteile.“ Weiter ist für unsere Frage von Wichtigkeit, was Weis- mann über die Beziehungen der Schalendrüse zur Entwickelung der „äußersten völlig undurchsichtigen, stark gelben Schicht“ der Wintereischale bei Bythotrephes sagt: „Zur Zeit der Schalenbildung findet man in jeder der Drüsenzellen stark lichtbrechende gelbe Körner verschiedener Größe, die, auf ein Häufchen zusammen- gedrängt, in der Nähe des Kernes liegen; sie lösen sich ın ver- dünnter Salzsäure ohne Gasentwickelung auf. Diese Körnchen werden, wie ich direkt sehen konnte, durch feine Poren ın der die Drüsenzellen überziehenden Kutikula in den Brutraum gepresst, zerteilen sich dort ın feinste Körnchen wahrschemlich durch die heftigen Bewegungen des unmittelbar anstoßenden Herzens, welches das Fruchtwasser ın steter Fluktuation hält, und lagern sich dann der Schale von außen auf.“ Bei Bythotrephes beschreibt Weis- mann auch den Durchtritt geformter Massen durch die Chitin- lamelle des Nährbodens: „Auch hier findet sich ein Nährboden von ganz ähnlichem Bau und gleicher Funktion wie bei Polyphemus, derselbe spielt aber nicht nur bei der Ernährung der Sommerbrut eine sekretorische Rolle, sondern auch bei der Wintereibildung, indem er dann ein körniges Sekret zur Bildung einer äußeren Eischalen- schicht liefert, wie ım der Abhandlung II schon dargelegt wurde.“ Endlich muss noch einer Mitteilung Weismann’s gedacht werden, die scheinbar mit unserem Befunde in engstem Zusammenhange steht. Es handelt sich beı jener Stelle um das Schicksal der Dotterkugeln des zwar trotz Nichtbefruchtung ins Ephippium über- getretenen, aber dort zugrunde gehenden und zerfallenden Winter- eies von Moina paradoxa. Weismann schreibt darüber: „Sehr bald nach dem Zerfall der Eier ziehen sich dann die Dotterkörnchen in die feinen Spalten zwischen den beiden Blättern des Schwimm- gürtels, während die Logen selbst dann wieder hell und leer werden. Diese letzteren erscheinen dann von einer Zone dunkler, feinkörniger Substanz umgeben, eben des zerfallenen Winterdotters, den man durch Zerreißen des Ephippiums zum Austreten bringen kann.“ Um den Modus der Passage von geformten und ungeformten Abschei- 1) Nach Behandlung mit 2°/,iger Osmiumsäure. 704 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. dungen durch die Chitinlamelle hindurch richtig beurteilen zu können, sind außer der schon zitierten Beobachtung bei Bythotrephes noch folgende Angaben Weismann'’s zu berücksichtigen. Es handelte sich für ıhn vor allem darum, festzustellen, wie Blutbestandteile in den Brutraum gelangen können, was zweifellos bei den eines Nähr- bodens entbehrenden Oladoceren der Fall ist. Ich halte es für er- forderlich, die außerordentlich interessanten Erörterungen Weis- mann’s, in denen meiner Meinung nach der Schlüssel zu dem uns beschäftigenden Probleme steckt, im Zusammenhange zu zitieren: „Da Öffnungen, welche aus der Leibeshöhle in den Brutraum führen, nicht vorhanden sınd — es müssten ja ın diesem Falle auch Blut- körperchen mit übertreten — so muss also eine Transsudation durch die Haut hindurch stattfinden. Es ist indessen nicht bekannt, dass andere, als gasförmige Bestandteile des Blutes durch die Haut hin- durch nach außen dringen, oder eine irgendwie nennenswerte Osmose stattfinde, und es liegt auch auf der Hand, dass eine allgemeine Durchgängigkeit der Haut für Blutbestandteile wenig vorteilhaft für die Ökonomie des tierischen Körpers sein müsste. Wenn nun dennoch hier das ın der Leibeshöhle zirkulierende Blut in irgend- welchem Grade durch die Haut in den Brutraum durchschwitzt, so deutet dies auf besondere anatomische Verhältnisse hin, ohne welche dies nicht möglich wäre. Entweder muss die Chitinhaut, welche die Leibeshöhle vom Brutraum scheidet, so fein sein, dass bei un- gleichem Drucke eine Osmose möglich wird, oder es müssen Ein- richtungen bestehen, durch welche der Druck ın der Leibeshöhle höher steigt, als ın den Brutraum, so dass also eine Filtration in den Brutraum hinein zustande kommen muss.“ Einfache Osmose hält Weismann mit Recht wegen der Dicke der Chitinschale für ausgeschlossen. „Es muss deshalb eine Einrichtung vorhanden sein, durch welche Blutbestandteile mittelst lokal erhöhten Druckes in den Blutraum filtrieren. Eine solche sehe ich in dem Bau der Daphnidenschale. ... .“ Nach längerer Auslassung über Bau und 3edeutung der Daphnidenschale, auf die wır ım zweiten Teile dieser Abhandlung zurückzukommen haben werden, fährt Weismann fort: „Jedenfalls wirkt aber diese Verteilung des Blutstroms in viele enge, aber über eine große Fläche verteilte Bahnen noch in anderer Weise, wenn man berücksichtigt, was bisher unbeachtet blieb, dass der Rückfluss zum Herzen in einem relativ engen kanal- artigen Sinus geschieht, der, ohne von Stützfasern durchbrochen zu sein, in der Mittellinie des Rückens verläuft. Man kann sich leicht bei allen Daphniden überzeugen, dass in der Mittellinie des Rückens die Stützfasern vollständig fehlen. Dass diese Einrichtung nicht ohne Einfluss auf die Schnelligkeit und die Druckverhältnisse des Blutstroms bleiben kann, liegt auf der Hand. In der Tat beobachtet man stets eine raschere Strömung in diesem medianen Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 705 Sinus als in den verzweigten Bahnen der eigentlichen Schalen- klappen. Das beweist aber, dass die Ausflussröhre für das in der Schale zirkulierende Blut enger ist, als die Summe der Zuflüsse, oder mit anderen Worten, dass eine Stauung des Blutes ın der Schale stattfindet, dass das Blut sich dort unter erhöhtem Drucke befindet. Somit würde also die Grundbedingung einer Filtration des Blutes durch die Schalenwand in den Brutraum gegeben sein. Es kommt aber dazu noch ein zweites rein anatomisches Moment, welches nicht zum Geringsten für das tatsächliche Stattfinden einer solchen Filtration spricht. Es besteht darin, dass bei allen Daphniden, in deren Schale während der Brutzeit Blut zirkuliert, die innere Chitinlamelle ungleich dünner ist als die äußere und ebenso auch das innere Hypodermisblatt erheblich dünner als das äußere.“ Indem ich mich auf die mir selbst vorliegenden Befunde und die Angaben Weismann’s stütze, komme ich zu folgender Deduktion. Wenn die dünne innere Chitinlamelle (der alten Schale) als Filter zu funktionieren vermag (Fig. 5, DP), so muss das gleiche von der äußeren Lamelle der jungen Schale gelten, da diese fast ebenso dünn sogar noch auf dem von mir beobachteten Stadium, vorher also sicherlich dünner ist!) (Fig. 5 Ca,,,ß). Und auch die Differenz in der Stärke der Hypodermis (Fig. 5, Cyö und Da) ist an vielen Stellen unbeträchtlich, da das äußere Lakunensystem (ich werde dieses bisher völlig unbeachtet gebliebene System im zweiten Teile meiner Arbeit genauer beschreiben) die Zellen des äußeren Matrixblattes ganz ansehnlich einbuchtet, vielfach noch viel tiefer, als in der von mir gerade abgebildeten Stelle. Einer Filtration von Blutbestandteilen im Sinne Weismann’s steht also nach den Kammern des Ephippiums zu nichts im Wege. Und ich glaube, dass wir gerade diesen Passagemodus in unserem Falle annehmen müssen, da sich Poren, wie sie Weismann bei Dytholrephes ge- sehen hat, hier niemals nachweisen lassen. Denn auf einem anderen Wege können die von mir beobachteten Gebilde nicht in die Kammern gelangt sein, auch dann nicht, wenn es sich dabei um Dotterkugeln handeln sollte. Das von Weismann bei Moina paradoxa beobachtete Verhalten kann auf keinen Fall zur Erklärung meines Befundes herangezogen werden, so verlockend dies auch auf den ersten Blick scheinen mag. Denn bei den von mir unter- suchten Tieren ist so ganz ausgeschlossen, dass die Zerfallsprodukte eines zugrunde gegangenen Wintereies in der von Weismann beschriebenen Weise „in die feinen Spalten zwischen den beiden Blättern des Schwimmgürtels“, also doch wohl ın die Kammern des Ephippiums gelangen könnten. 1) Wie wir später schen werden, lässt sich aus der Beschaffenheit des Gerüst- werkes schließen, dass auf diesem Stadium die Ausschwitzung nicht mehr stattfindet. XXIV. 45 706 Wolff, Studien über Kutikulargenese ünd -Struktur. Von zwei Blättern des Ephippiums kann man ja eigentlich bei Daphnia pulex, wie der Leser aus meiner Beschreibung gesehen hat, nicht reden, man müsste denn das Fibrillengerüst als Blatt be- zeichnen. Dass W eismann aber nicht so verstanden werden kann, geht daraus hervor, dass er sich die Verhinderung einer unnützen Blutausschwitzung ın den Brutraum von Moina paradoxa und rect- rostris während der langsam vor sich gehenden Wintereibildung dadurch bewirkt denkt, „dass ziemlich früh schon die Schale selbst ihre Struktur verändert, dass dıe Blätter derselben ganz bedeutend in die Dicke wachsen zur Bildung des Ephippiums, so dass. wohl bezweifelt werden darf, ob dann noch Blutfiltration durch sie hin- durch stattfinden kann.“ Ich habe gezeigt, dass die beiden Chitin- lamellen der alten Schale, dıe innere, wie die äußere, mit der Bildung des Ephippiums —- wohlverstanden bei Daphnia pulea! — gar nichts zu tun haben, denn die geringe erwähnte Verdickung der äußern Lamelle fällt nicht ins Gewicht. Wir haben vielmehr das Ephippium von Daphnia pulex als eine Neubildung sui generis kennen gelernt, die der eben sich anlegenden äußeren Chitinlamelle der jungen Schale aufliegt'). Ich habe aber einen Befund zu verzeichnen, welcher die An- nahme unabweisbar erscheinen lässt, dass ein Ausschwitzen von Blutbestandteilen nur in die Kammern des Ephippiums hinein er- folgen kann, während, wie gesagt — man vgl. Fig. 5 — unmöglich Dotterpartikel im dem mir vorliegenden Stadium, wo das Ephippium der jungen Schale hermetisch anschließend aufliegt, vom Brutraum aus in die Ephippialkammern zu gelangen vermögen. Während nämlich auf meinen Schnitten sich wohl die innere Chitinlamelle (Fig. 5, Dß) vielfach infolge der Präparation von der Matrix (Da) abgelöst hat, ohne jedoch jemals zu zerreissen, ist die nur wenig stärkere äußere Chitinlamelle der jungen Schale (Ca, «@,) an mehreren Stellen arg zerrissen. Ich habe es für überflüssig gehalten, eine solche Stelle besonders abzubilden. Diese Zer- reissungen müssen nun intra vitam erfolgt sein, wahrscheinlich durch die außerordentlich heftigen Bewegungen, die das Tier in der Fixationsflüssigkeit (Sublimat-Alkohol nach Schaudinn) während seines kurzen Todeskampfes macht. An solchen Stellen sind näm- lich mehr oder weniger große Trümmer der Matrix in das Gerüst- werk gepresst, oft sogar bis weit in das Kammerlumen gedrängt 1) Selbstverständlich will ich damit keineswegs die Richtigkeit der Weis- mann’schen Angaben in Zweifel ziehen. Einmal habe ich über die beiden Moina- Arten kein Urteil, da ich sie nicht habe untersuchen können. Ferner wäre es gar nichts verwunderliches, wenn wirklich die einzelnen Daphniden in puncto Ephippium beträchtlich differieren sollten. Es ist ja zur Genüge bekannt, wie ungeheuer diver- gente Wege die Anpassung gerade auf dem Gebiete des Fortpflanzungsmechanismus bei den Krustazeen eingeschlagen hat. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 107 worden. Daraus geht nun mit Sicherheit hervor, dass die Chitin- lamelle der jungen Schale zur Zeit der fertigen Ausbildung des Ephippiums noch nicht sehr stark chitinisiert und jedenfalls noch recht weich, viel weicher als die innere Chitinlamelle der alten Schale sein, infolgedessen bei Vorhandensein eines irgendwie be- trächtlichen Überdruckes im Lakunensystem der Schale den Locus minoris resistentiae für den ausgleichenden Ausschwitzungsprozess darstellen muss. Es liegt also sogar sehr nahe anzunehmen, dass während des von mir untersuchten Stadiums der Ephippium- und Schalenausbildung, während der das Winterei notabene noch nicht in das Ephippium eingetreten ist, die Ausschwitzung ausschließ- lich ın die Ephippialkammern hinein erfolgt. Die Umkehrung dieses Verhaltens muss natürlich eintreten, sobald infolge fort- schreitender Verdickung und Chitinisierung der äußeren jungen Schalenlamelle (©, a, @,) dem im Lakunensystem herrschenden Über- druck hier ein größerer Widerstand entgegengesetzt wird, als dies von seiten der inneren alten Schalenlamelle geschieht. Um diese Zeit hat aber der Übertritt des Eies in das Ephippium entweder eben stattgefunden, oder er steht doch sehr nahe bevor'). In diesem Umkehrungsmechanismus, der die ehedem kammerwärts gerichtete Ausschwitzung zur Fruchtwasserbildung umgestaltet, ist eine höchst zweckmäßige Anpassung zu erblicken, durch die bedenkliche Nach- teile aufgehoben werden, die sonst leicht dem Tiere aus der Winterei- und Schutzhüllenbildung erwachsen könnten. Denn da die bekannten zıpfelförmigen Verschlussfalten des Brutraumes sicher während der ersten Zeit der Wintereibildung noch nicht so vollkommen wie später funktionieren, ist es sehr vorteilhaft für das Tier, wenn unterdessen die Ausschwitzung in ein Reservoir abgelassen wird, das noch in enger, wenn auch durch eine Filterwand unterbrochener Kommunikation mit seinen Blutlakunen steht. Sobald dann eine, wenn auch vorübergehende Versorgung des übergetretenen Winter- eies notwendig wird, wandelt sich die Filterwand zu einem dicht abschließenden Septum um, wodurch die Ausschwitzung in den Brutraum gelenkt wird. Damit ist die in den Kammern des Ephippiums eingeschlossene Ausschwitzung dem Untergange ge- weiht, sie zersetzt sich, und bei der hierbei, wie ich wenigstens vermute, stattfindenden Gasbildung füllen sich die Kammern mit Luft —, aus dem Kammerwerk wird ein Schwimmgürtel, und zwar annährend zur Zeit der Ekdysis. Würde er früher sich mit Luft füllen, so könnte er für das Muttertier recht verderblich werden, indem er es an die Wasseroberfläche zöge. Das scheint übrigens bisweilen vorzukommen. Im Dienste dieser Anpassungen scheint 1) Auf dieses Stadium sind offenbar die Beobachtungen Weismann’s zu be- ziehen. 15* 708 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. auch die eigentümliche, erst weiter unten genauer zu besprechende Erschemung zu stehen, dass die äußere Chitinlamelle der jungen Schale viel zeitiger angelegt wird, als die innere. Wenigstens muss dieses Verhalten ganz bedeutend die Präzision des Um- kehrungsprozesses heben. Es bleibt noch übrig, die Frage zu erörtern, wie die beschrie- benen kugelförmigen Gebilde in die Blutbahn gelangt sein und woraus sie bestehen mögen. Ich glaube, dass hierbei mindestens zwei Möglichkeiten in Be- tracht kommen, wenn wır den zweiten Punkt zuerst behandeln wollen. Mir will es ja allerdings fast als das wahrscheinlichere dünken, dass es sich um Dotterkugeln handelt, die in der von Weismann beschriebenen Weise von der Schalendrüse gebildet sind und zweifellos auch gelegentlich in die Blutbahn gelangen können. Aber auch eine andere Annahme wäre wohl nicht un- denkbar und jedenfalls nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dass es nämlich fettartige Körper sein könnten. Ich sage absicht- lich „fettartige* Körper. Denn Ölkugeln würden wohl bei der Alkohol- und Xylol-Behandlung schwerlich erhalten geblieben sein. Und zuverlässige Beobachtungen über das Vorkommen von Fetten liegen ja vor. Ich habe oben die Beschreibung eines „Fettkörpers*“ in der Schale von Daphnia brachiata zitiert, die wir keinem Ge- ringeren als Leydig verdanken. Der Angabe Braun’s, dass bei Astacus fluwviatilis ın der Matrix ölhaltige Zellen vorkommen, wurde gedacht und ebenso der Weismann’schen Mitteilungen über fett- haltige Proteinsubstanzen, die aus dem Blute ins Fruchtwasser gelangen. Soviel steht fest, dass es sich nur dann bei den frag- lichen Gebilden um Fettkörper handeln kann, wenn anzunehmen wäre, dass diese sehr reichlich mit Proteinen etwa vermischt sein könnten. Ob dies möglich ıst, weiß ich nicht und kann auch in meinen Präparaten keinen Anhaltspunkt dafür finden. Denn in den beschriebenen Gebiiden ist nicht die geringste Andeutung einer Struktur wahrzunehmen, wie sie doch zunächst als Folge einer Ausfällung zu erwarten wäre. Somit bleibt jene zuerst aus- gesprochene Annahme die wahrscheinlichere, dass es sich um Dotterkugeln handelt, wofür auch sehr stark die Färbung spricht. Über das Detail der Art und der Bedingungen des Überganges jener die Kugeln bildenden Substanz habe ich mir noch kein Ur- teil bilden können. Es war mir überhaupt beı der Erörterung dieser Gebilde mehr darum zu tun, auf sie aufmerksam zu machen, weil sie, wie ich zur Genüge dargetan zu haben glaube, auf ver- schiedene interessante Verhältnisse hindeuten. Die Aufklärung ihrer eigentlichen Genese und Beschaffenheit muss noch weiteren Unter- suchungen vorbehalten bleiben. Ich wende mich nun zur Beschreibung der feineren Struktur Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 709 des Rückenbandes, das die rechte Schalenhälfte mit der linken ver- bindet. Hiermit ist eigentlich schon zugegeben, dass das Rücken- band streng genommen, nicht mit dem eigentlichen Ephippium, d. ı. dem unter der äußeren Chitinlamelle der alten Schale (vgl. Fig. 4, desgl. Fig. 5, A, und ,), von der äußeren Matrixlamelle (Fig. 5, €) gebildeten Kammerwerk zusammen behandelt werden dürfte. Immerhin steht es in engerem Konnex mit dem Ephippium als der übrige Teil der Schale. Und so mag denn auch durch diesen morphologischen Grund, abgesehen von den physiologischen Beziehungen, die Anreihung seiner Beschreibung an die des Ephip- piums gerechtfertigt sein. Falls ich nicht etwa eine Angabe Ley- dig’s übersehen habe, hat Weismann zum ersten Male aufmerk- sam gemacht auf die bedeutende Dicke der äußeren Chitinlamelle der Schale an dieser Stelle. Er hat unter anderem, wie ich, ein Weibchen von Daphnia pulex vor sich gehabt und äußert sich folgendermaßen: „Ganz ähnlich verhält es sich bei Daphnia pulex, wo ich in der Mittellinie des Rückens bei einem großen Weibchen die äußere Chitinlage um das Zwanzigfache dicker fand als die innere, und bei Sömocephalıs vetulus, bei welchem sie das Sechs- fache betrug.“ Der besondere morphologische Charakter des Rücken- bandes scheint ihm freilich wohl nicht bekannt und seine Messung von ıhm auch auf die ganze übrige Schale bezogen gewesen zu sein. Denn er fährt gleich darauf fort: „Augenscheinlich spricht dieses Verhältnis nicht für eine sehr hervorragende respiratorische Tätigkeit der Schale.“ Das Rückenband scheint gleichzeitig mit dem Ephippium zu entstehen. Wenigstens fehlt den Tieren, die kein Ephippium haben, eine äquivalente Bildung, wie auch aus Cunnington’s Zeichnungen hervorgeht. Bei unserer Daphnia pulex ıst das Rückenband außerordentlich stark entwickelt, wie ein Blick auf Fig. 1, 2 und 6 lehrt. Das lässt sich schon am Total- präparat, das die zuletzt genannte Abbildung darstellt, deutlich er- kennen. Hier hat es auch Weismann offenbar wahrgenommen, wenigstens interpretiere ich Fig. 5 und 6 auf Taf. IV in seiner mit Gruber gemeinsam publizierten Arbeit „über einige neue oder un- vollkommen gekannte Daphniden“ so. Man sieht auf den Zeich- nungen der beiden Freiburger Forscher am dorsalen Rande dicht unter der dick gezogenen Kontur eine zweite, dicke Linie verlaufen. Damit ist offenbar dasselbe gemeint, das ich etwas genauer ın Fig. 6 gezeichnet habe. Dort entspricht nun der äußerste, dunkle Streifen an dem dorsalen Rande des Ephippiums dem oberen Teile der dorsalen Wölbung des Rückenbandes (vgl. Fig. 2), der infolge seiner Orientierung zur optischen Achse des Mikroskopes im Total- präparat natürlich mehr Licht absorbiert, als der mittlere Teil der beiden lateralen Partien des Rückenbandes, der sich als heller Zwischenstreifen über ihre wiederum sehr dunkel erscheinenden 10 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. (infolge der hier ganz eigenartigen Beteiligung der Schalenchitin- lamelle, vgl. d. Fig. 2) Basalstücke hinzieht. Der unter diesem letztgenannten inneren dunklen Streifen sichtbare helle Strich ist als ein Kunstprodukt zu betrachten. Hier hat sich in allen meinen Präparaten die Matrix ziemlich stark abgehoben, wie man auch auf Fig. 1 sieht. Am Totalpräparate bemerkt man bei sehr starker Vergröße- rung in den äußersten, dunklen Streifen eine sehr feine Längs- streifung, die der Ausdruck einer Schichtenfolge ist. Das Rücken- band zeigt eine sehr ausgesprochene Affinität zu den beiden Plasmafarbstoffen Rubin und Orange. Fig. 2 zeigt die Schichtung des Rückenbandes sehr deutlich. Man erkennt, dass etwa 25-26 Blätter übereinander liegen, und zwar in umschichtiger Folge, die eine Hälfte stärker, dıe andere schwächer chromaffin. Die Bedeu- tung einer an manchen Stellen sichtbar werdenden feinen Quer- streifung ist mir unklar geblieben, um so mehr, als sie sich an den anderen Stellen nicht erkennen ließ, so sehr ich auch die “Richtung des Lichteinfalls und die Blendenöffnung variierte. Ein Polarisationsapparat stand mir leider nicht zur Verfügung, mit dem sich wahrscheinlich auch manches interessante über die Elastizitäts- und ähnliche physikalische Verhältnisse feststellen lassen würde. Die lateralen Ränder des Rückenbandes sind zu beträchtlich dickeren Basalstücken umgestaltet, die sich in eine merkwürdige Gabelung der eigentlichen Schalenchitinlamelle einfügen (der Ausdruck .„Gabe- lung“ ist natürlich nur auf das Querschnittsbild bezogen). Die Schalenchitinlamelle überzieht nämlich das Rückenband in seiner ganzen Ausdehnung und in unveränderter Stärke. Ihr entspricht ın Fig. 6 die dunkle Kontur des äußeren dunklen Streifens. Da wo sie sich „gabelt“, um beiderseits die Basalstücke des Rücken- bandes zu unterlagern, ist sie natürlich stärker als an den anderen Stellen ausgebildet, und dieser schmale verdickte Streifen der Chitinlamelle mitsamt dem unter den Basalstücken sich hinziehen- den Blatte imponiert ım Totalbilde als der innere dunkle Streifen. Das eben genannte Blatt, das ich im Gegensatze zu dem über das Rückenband hinziehenden Teil der Schalenchitinlamelle, dem „äußeren Chitinblatt des Rückenbandes“, als das „innere Chitinblatt des Rückenbandes“ bezeichne, verdient besonders besprochen zu wer- den. Dieses innere Chitinblatt des Rückenbandes ist es, welches in die oben von mir angedeutete Beziehung zum Kammerwerke des Ephip- piums tritt. Von ihm spalten sich nämlich zahlreiche Bänder ab. Diese verschmelzen mit der Fortsetzung der Kuppellamelle der letzten Kammer, die sich als eine Verdickung der dorsalen Kammer- wand darstellt. Diese Verdickung wieder kommt dadurch zustande, dass an dieser Stelle nicht, wie sonst, nur ein einziges Blatt der Kuppellamelle, sondern sämtliche, oben beschriebene 2-—3 Blätter Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 7m umbiegen und sich an der Bildung der Kammerwand beteiligen. Im übrigen nimmt die ephippiale Kuppellamelle nicht weiter an der inneren Begrenzung des Rückenbandes teil. Unter diesem zieht sich vielmehr die eigentliche Matrix hin, deren äußerste, direkt an das Rückenband angrenzende Schicht die äußere Chitinlamelle der jungen Schale ist. Am Rückenband erleidet also der ephippiale Bildungsprozess eine Unterbrechung. Über 'die Entwickelung des Ephippiums liegen nur einige wenige ältere Beobachtungen vor, die auch ich nur auf Grund von Schlüssen, die ich aus meinen Präparaten glaube ziehen zu dürfen, um einige neue Angaben vermehren kann. Die Darstellungen der ältesten Beobachter referiert Gerstäcker in seinem bekannten Werke, nur gibt auch er dabei eine, wenigstens für Daphnia pulex nicht zutreffende Darstellung in betreff der Beteiligung der beiden Chitinlamellen. „Bei den weiblichen Cladoceren, in deren am Rücken gelegenen Brutraum sich während des Frühlings und Sommers die (unbefruchteten) Eier sofort zu Embryonen ausbilden, beginnt gegen den Herbst hin sıch an der dem Brutraum ent- sprechenden Stelle des Mantels zuerst eme milchige Trübung, zu- gleich mit einer merklichen Verdickung der Außen- und Innen- lamelle verbunden, zu zeigen, während die zwischen beiden Lamellen liegende Matrix eine neue Schalenhülle (Mantel) produziert. Mit zunehmender Verdickung nımmt nun die betreffende Stelle zugleich eine immer dunklere Färbung (blutrot, schwarz u. s. w.) an und buchtet sich an ihrer Innenfläche zur Aufnahme zweier (seltener eines oder mehrerer) aus dem Ovarıum in den Brutraum hinein- tretenden „Wintereier“, welche stets nur infolge einer Begattung durch männliche Individuen produziert werden, mehr oder weniger deutlich ein, um sıch bald nachher über ihnen zu schließen. Durch eine einfache Häutung des Mantels, bei welcher selbstverständlich die innere und äußere Lamelle gleichzeitig und im Zusammenhang abgestreift wird, entledigt sich sodann das Weibchen seiner jetzt in eine doppelte Kapsel eingeschlossenen Eier, welche fortan frei im Wasser flottieren. Dieser bereits von Ramdohr und Straus richtig beurteilte Prozess wurde von Jurine als eine pathologische Erscheinung angesehen, nachdem schon ©. F. Müller die durch ihr dunkles Kolorit sehr augenfällige Bildung der Eihülle mit dem Namen des Ephippium belegt hatte“ Weismann bestätigt ferner die schon von Jurine beobachtete, aber nicht ganz richtig ver- standene Erscheinung, dass „die Umbildung der Schale zum Ephip- pıum offenbar mit dem Vorgang der Wintereibildung zusammen- hängt, sogar, dass die Anwesenheit eines Wintereies im Ovarıum den Anstoß zur Bildung eines Ephippiums gibt“. Ebenso gehört hierher die Angabe Weismann’s, „dass nämlich bei Daphnia pulex (und einer Anzahl Moöna-Arten) nicht nur Ephippien, sondern auch 112 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. Wintereier von Weibchen gebildet werden können, die niemals mit Männchen in Berührung kamen, dass aber die Eier im Ovarium liegen bleiben und nicht in das Ephippium eintreten“ (nur bei Moina paradoxa und ausnahmsweise auch bei M. reetirostris treten nach seinen Beobachtungen in einer ganzen Reihe von Fällen auch die unbefruchteten Eier ins Ephippium ein, wo sie jedoch bald zerfallen), und dass endlich bei Moina paradoxa vom unbegatteten Weibchen 2—4mal hintereinander Wintereier und Ephippien ge- bildet werden können. Nach diesen Angaben vermute ich, dass die Bildung des Ephippiums überhaupt unter der Beteiligung des Nervensystems erfolgt. Und zwar nehme ich an, dass beı der Wintereibildung gewisse chemische Reize ausgelöst werden, die durch besondere, das Ovar versorgende Bahnen fortgeleitet und reflektorisch auf besondere, die Zellen des äußeren Schalenmatrix- blattes innervierende sekretorische Nerven übertragen werden. Unter dem Einfluss solcher sekretorischen Reize würden dann die Matrixzellen zu besonders gearteter Leistung (eben die Kammer- bildung) angeregt werden. Eine gewisse nervöse Koordination würde ebenfalls anzunehmen sein. Diese würde bewirken, dass gewisse Matrixzellen gar nicht (z. B. die unter dem Rückenband und ebenso die in der ventralen Hälfte der Schalenklappen ge- legenen, vgl. Fig. 1, 2, 4, 6 und 9), andere in mehr oder weniger hohem Maße (z. B. die unter den Logenwänden und unter den dorsalen wie ventralen Randpartien des Ephippiums gelegenen, vgl. Fig. 8 und 9) ım angedeuteten Sinne sich bestätigen. Was das Detail der Histogenese anlangt, komme ich an der Hand meiner Präparate zu folgenden Vorstellungen. Die Befunde, wie sie sich uns an der Logenwand und den Randpartien des Ephippiums bieten, sind als Hemmungserscheinungen zu betrachten, die sehr wahrscheinlich, wie schon gesagt, durch nervöse Regu- lationen bedingt sind. Hier ist also der ephippiale Entwickelungs- prozess in einem sehr frühen Stadium sistiert worden. Wir finden an solchen Stellen allein die Kuppellamelle und das Fibrillengerüst ausgebildet. Von den Kammerwänden ist noch keine Spur vor- handen. Diese scheinen vielmehr erst dadurch zu entstehen, dass sich der basale Kuppelrand irgendwie im Fibrillengerüst verankert und dadurch hier zurückgehalten wird. Nicht ganz leicht zu verstehen ist die Entwickelung des Fibrillen- gerüstes in seinen Beziehungen zur Kammerwand. Was sich hier nur schwer ın Einklang bringen lässt, ist die Kontinuität des Fibrillenwerkes, die fensterartige Durchbrechung der Kammerwand und ihre Entstehung aus dem innersten Blatt der zweifellos bei Daphnia pulex nicht gefensterten Kuppellamelle. Nach allem, was mir vorliegt, denke ich mir die Entwickelung des Ephippiums histogenetisch folgendermaßen gestaltet: Pr u Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 1. Stadium der Kuppellamellenbildung. Unter der Chitinlamelle des äußeren Blattes der Schale (vgl. Fig. 5, A,,.) wird eine neue Chitinlamelle, ganz wie bei der Vorbereitung einer gewöhnlichen Häutung, angelegt. Der einzige Unterschied von der Bildung eines jungen Schalenmantels besteht zunächst darin, dass dies an den dorsalen und ventralen Randpartien der späteren An- lage schon außerordentlich frühzeitig geschieht, nämlich annähernd schon zu dem Zeitpunkte, wo die darüberliegende, von mir ın dieser Arbeit immer als „äußere Chitinlamelle der alten Schale“ bezeichnete Schicht selbst eben erst in Bildung begriffen und daher sicher ihrerseits noch von der äußeren Chitinlamelle der derzeitigen „alten Schale“ überdeckt wird. Nur so wird es verständlich, dass die im übrigen ihrer ganzen Skulptur nach sehr selbständige Kuppel- lamelle an jenen Randpartien mit der „äußeren Chitinlamelle der alten Schale“ verschmolzen ist, mit der sie sonst nicht das geringste gemein hat. Diese selbständigen Partien des Ephippiums entwickeln sich daher höchstwahrscheinlich erst zu einer Zeit, wo die Aus- bildung der „äußeren Ohitinlamelle der alten Schale“, natürlich erst einige Zeit nach der Abwerfung der entsprechenden Lamelle der vorigen „alten Schale“ ziemlich oder ganz vollendet ist. 2. Stadium der Fibrillenbildung. Währenddem, oder ganz kurz darauf, scheint sich nun innerhalb der einzelnen Wabenwände der äußeren Schichten des Matrixzellenplasmas — auch darin unter- scheidet sich die Genese der Kuppellamelle wesentlich von der einer gewöhnlichen Schalenchitinlamelle — der Einbau von Fibrillen zu vollziehen. Ich sage innerhalb der einzelnen Wabenwände, denn die Maschenweite des Fibrillennetzes stimmt auffallend (vgl. Fig. 5 u. die schemat. Fig. 9) mit der Größe der Plasmawaben der Matrixzellen überein!). Dass aber alle fibrıllären und granulären Ditferenzierungen innerhalb der Wabenwand selbst gebildet werden und liegen, bedarf, seitdem wir die umfassenden Untersuchungen Bütschli’s hierüber besitzen, keiner besonderen Begründung mehr. 3. Stadium der Kuppellamellen-Perforation. Noch während diese Fibrillen, wohl als Mikrosomenreihen, sich anlegen, müssen an den energetischen Grenzbezirken der Matrixzellen sich besondere Vorgänge abspielen, infolge deren das innerste Blatt der Kuppellamelle (Ba,, Fig. 5) über diesen Stellen perforiert wird. Damit werden wahrscheinlich auch die schon oben erwähnten Ver- ankerungspunkte gegeben sein. Den Matrixzellen unter den Logenwänden und den äußersten ventralen Randbezirken geht diese Eigenschaft in hohem Grade 1) Ob die Genese der Ephippialfibrillen im stande ist, die Bütschli-Bieder- mann’sche Kontroverse in Punkto „Wabenstruktur“ zu beleuchten, mag vorläufig dahingestellt bleiben, obgleich es meiner Meinung nach in der Tat höchstwahrschein- lich der Fall sein wird. Vgl. auch Anmkg. 1, p. 700, "14 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. ab. Hier kommt es noch zu keiner Perforation der Kuppellamelle. Eine schwache Kuppelung kommt aber doch schon zustande. Die Festheftung der Fibrillenendkegel scheint an den betreffenden Stellen in besonderer Weise wirksam zu sein. 4. Stadium der Kammerwandbildung. Indem nämlich Fortsätze der Matrixzellen in die entstandenen Fenster hinein- wuchern und sich auf der anderen Seite der Kammerwandlamelle, wie ich schon jetzt den perforierten Teil der inneren Kuppellamelle nennen will, vereinigen, wird in der Tat eine feste Verankerung der Kammerwandlamelle erreicht. Dadurch nun, dass zunächst die ganze Matrixzelle stark weiterwuchert, wobei in den tieferen neu- gebildeten Plasmalagen, also auch m den ersten Verankerungs- fortsätzen, die Fibrillenbildung ihre Vollendung erreicht!), wird die Kuppellamelle nach außen gedrängt. Diesem Drucke kann sie aber nur da nachgeben, wo sie noch nicht von den durch ihre Fenster gespannten Fibrillen ın der Tiefe der Matrixzellen-Grenzbezirke festgehalten wird. Die Folge davon ist: die freien Teile der Kuppel- lamelle werden nach außen mehr und mehr vorgebuchtet, so dass sich schließlich die seitlichen, an die perforierten Teile der Kuppel- lamelle angrenzenden Bezirke mitsamt den perforierten Basalteilen je zweier aneinandergrenzender Kuppeln zu einer Duplikatur, der Kammerwand, zusammenlegen. Damit werden natürlich auch un- perforierte Teile der Kuppellamelle ins Bereich der perforierenden Einwirkung des Matrixplasmas gelangen und auch ihrerseits der Perforation anheimfallen. 5. Stadium der Kammerraumbildung. In der geschil- derten Weise wird der Prozess nur in den dorsalen und ventralen Randpartien des Ephippiums bis zum Abschluss der Kammerbildung fortgesetzt. Darum finden wir hier die ganze Kammer von dem Fibrillenwerke ausgefüllt. In den übrigen Bezirken des Ephippiums hören Fibrillenbildung und Verankerungsprozess frühzeitig auf, und die noch lange fortschreitende Vorbuchtung, die hier die Kammern ungefähr viermal so hoch als breit werden lässt, verdankt ihre Weiterbildung einer anderen Ursache, wahrscheinlich dem beson- ders lange anhaltenden Ausschwitzen von Blutflüssigkeit. Immerhin scheinen die äußeren Teile der Kammerwandduplikatur hierdurch keineswegs den perforierenden Einflüssen der Matrixzellen entzogen zu werden, wenigstens erfährt der Durchfensterungsprozess keinerlei Unterbrechung. Auf diese Weise entsteht ein freier Hohlraum, der Kammerraum. Sein Inhalt ist eine von der Matrix ausge- schwitzte, wesentlich eiweiß- und fetthaltige Flüssigkeit. Ekdysis. Damit ıst das Ephippium fertig ausgebildet. Seine 1) Die Fibrillen sind mit den oben beschriebenen Fibrillenendkegeln an dem unperforierten Teil der Kuppellamelle angeheftet. | ds] Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. Abwerfung wird vorbereitet durch die Bildung einer jungen Schalen- lamelle, die direkt unter dem Gerüstwerk und innig damit ver- kittet von dem äußeren Matrixblatte schon während des fünften Stadiums abgeschieden wird. Schon Weismann scheint die Ab- werfung des Ephippiums ganz richtig mit einem Häutungsprozess in Zusammenhang gebracht zu haben. Wenigstens liest Cun- nington dies aus den Weismann’schen Arbeiten heraus, und auch ich kann Weismann’s Ausführungen über Kurycercus lamel- latus nicht anders interpretieren: „Dagegen erfuhr ich zu meiner Überraschung, dass auch hier keine Ephippien gebildet werden, sondern dass die Wintereier, meist in größerer Zahl, ın den Brut- raum entleert, dort mit einer Dotterhaut versehen und sodann durch Häutung des Tieres in dem Brutraum der alten Schale ab- gelegt werden. Dabei trennt sich die dünne Haut des Kopfes, der Füße und auch der ventrale Rand der Schalenklappen selbst von dem dickeren und stärker gelb gefärbten Hauptteil der Schale los, so dass nur diese als Hülle für die Eier übrig bleibt. Also eine Vorstufe zur eigentlichen Ephippiumbildung, bei welcher die Schale durch Bildung von Logen sowie eines Schwimmgürtels ın ganz besonderer Weise für Empfang und Erhaltung der Eier umgewan- delt und eingerichtet wird!“ Die Frage ist nun, wie diese Häutung erfolgt. Diese Frage kann ich leider, da mir die Gelegenheit gefehlt hat, direkte Beob- achtungen über die histologischen Detailvorgänge zu machen, wiederum nur mit Vermutungen beantworten, die sich auf die Inter- pretation der Struktur des mir vorliegenden fertigen Ephippiums gründen, — falls man dieses Verfahren überhaupt als Antwort gelten lassen will. Ich halte mich auch allein deshalb für berech- tigt, diese, manchem vielleicht mangels exakter entwickelungs- geschichtlicher Untersuchungen als „unzeitgemäß* erscheinenden Erörterungen vorzubringen, weil die Lösung dieser Frage bisher meines Wissens trotz der eigentlich in höchstem Maße dazu an- regenden Forschungen Braun’s über die Häutung des Astacus fluviatilis nie bei den Cladoceren in Angriff genommen worden ist und, nebenbei gesagt, wegen der außerordentlichen technischen Schwierigkeiten — die ganze Ekdysis geht, wie Cunnington be- stätigt, außerordentlich schnell vor sich, — auch nicht sobald auf dem exakten Wege zu bewerkstelligen sein wird. Mir scheinen bei der Loslösung des Ephippiums drei Faktoren von ausschlaggebender Bedeutung zu sein: Erstens sehr frühzeitig sich vollziehende Veränderungen im Gerüstwerk, zweitens Verände- rungen des flüssigen Kammerinhaltes, drittens hierdurch ausgelöste Manipulationen des Tieres, die das Abwerfen des Ephippiums zum mindesten sehr begünstigen, wenn nicht ausschließlich bewerk- stelligen. Zurückzuführen sind mehr oder weniger direkt alle drei ‘16 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. auf eine gemeinsame Ursache, die Anlage und Ausbildung einer neuen äußeren Schalenlamelle. Denn eben das ist, wenigstens bei Daphnia pulex, das merkwürdige der ephippialen Periode, dass vom äußeren Blatte der Matrix in derselben Zeit drei Mantel- generationen hervorgebracht werden, in der das innere Blatt nur eine einzige ausgebildet hat. 1. Stadium der Gerüstbildung. Es wurde schon oben gesagt, dass die Fibrillen des Gerüstwerkes notwendig ım Waben- werke des Matrixzellenplasmas entstanden sein müssen. Ebenso wurde angegeben, dass schließlich die zunächst wie ein Filter funktionierende äußere Chitinlamelle der jungen Schale infolge ihres fortschreitenden Wachstums undurchlässig und somit ein un- überwindliches Hindernis für die weitere Ernährung des Kammer- inhaltes wird. Daher ist wohl der auf beiden Tatsachen fußende Schluss berechtigt, dass infolge der eingetretenen Ernährungsstörung die labileren Bestandteile des Kammerinhaltes, des Spongioplasma der Wabenwände mitsamt dem hyaloplastischen Inhalt, dem Unter- gange anheimfallen, während die resistenteren Fibrillen übrig bleiben: der erste Schritt zur Abrüstung und Loslösung. 2. Stadium der Zersetzung des flüssigen Kammer- inhaltes. Wann dieses Stadium, das übrigens nicht bei allen Daphniden denselben Verlauf wie bei Daphnia pulex zu nehmen scheint, zum charakteristischen Abschluss gelangt, vermag ich nicht genau an meinem Material zu erschließen. Die Annahme, dass der flüssige Kammerinhalt sich zersetzt und durch Gasentwickelung mindestens die Schwimmfähigkeit des abgeworfenen Ephippiums bedingt, scheint mir aber unabweisbar zu sein. Außerdem habe ich bei abgeworfenen Ephippien feine Gasbläschen in den Kammern mit Sicherheit beobachtet. Nur scheinen auch in diesem Punkte die einzelnen Daphniden sich auffallend verschieden zu verhalten. So schreibt Leydig: „Die Eier der Daphniden sind wie die Winter- eier der Aleyonella immer leichter als Wasser, schwimmen daher auch stets auf dem Wasserspiegel. Die von Acanthocereus, welche vom Tier an fremde Gegenstände angeklebt werden, sinken zu Boden, wenn sie von ihrem Anheftungspunkt losgerissen werden.“ Auch von den Moina-Eiern gibt Weismann an, dass sie im Wasser untersinken und erst nach gründlichem Austrocknen sich mit Luft füllen. Doch scheinen diese Arten hierin Ausnahmen von der Regel darzustellen, wenigstens sagt Lampert, nachdem er die Weismann’schen Angaben über das Moina-Ephippium zitiert hat: „Die Ephippien der anderen Daphniden dagegen schwimmen von Anfang an und wir finden sie oft im größerer Menge, wenn wir mit dem pelagischen Netz fischen.“ Für das Zustandekommen der Gasfüllung mag auch noch folgender Punkt von Bedeutung sein. Würde den Kammern nach Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. Tal innen jeglicher Abschluss fehlen, so wäre während der Ekdysıs ein mindestens beträchtlicher Verlust von Gas und von noch flüssıgem Kammerinhalt wohl unvermeidlich. Nun sind ja aber die Kammern durch ein sehr feines Netzwerk nach dem Innenraum des Ephippiums zu abgeschlossen. Dieses scheint mir völlig auszureichen, um das Ausfließen von Kammerinhalt, das Ausströmen von Gas und, indem es als Sicherheitsventil wirkt, ein übermäßiges Anwachsen des Gas- druckes in der Kammer zu verhindern. Denn es ist sehr natür- lich. dass sich die den Kammerraum innen begrenzenden Schichten des Netzwerkes dem Durchtritt des flüssigen Inhaltes gleich einem feinen. schwer benetzbaren Haarfilz entgegenstellen und ebenso, dass der Kohäsionsdruck der Flüssigkeitsoberfläche, dıe außen (d.h. vom Innenraum des Ephippiums her) das Netzwerk begrenzt, dem Gasdruck entgegenwirkt. So würde also das Netzwerk als ein sehr vollkommener Verschluss der gasführenden Kammern funktionieren. Stadium des Auftriebs. Sobald das Ephippium spezi- fisch leichter als das Wasser wird, ist in seiner Umwandlung zum Schwimmgürtel eine nicht geringe Veränderung der Lebens- bedingungen gegeben. Es wird das Tier nämlich stets beim ın die Tiefe rudern eines außergewöhnlichen Kraftaufwandes benö- tigen, — die heftigeren Bewegungen der Extremitäten und die dadurch bedingten heftigeren Erschütterungen des Körpers müssen sich also auch in ungewöhnlicher Stärke auf die Schalenklappen fortpflanzen und in ebenso gesteigertem Maße die Festigkeit ihrer Verbindung mit dem Ephippium beanspruchen. 4. Stadium der Loslösung des Ephippiums. Zu dieser Zeit müssen sich, wahrscheinlich infolge einer irgendwie gearteten Prä- disposition dieser Stellen, wie schon oben vermutet wurde, und in- folge ihrer außergewöhnlichen Beanspruchung auf Zug, die Basal- flächen der Fibrillenendkegel von der inneren Chitinlamelle des äußeren Schalenblattes loslösen, so dass das Ephippium nunmehr von den Schalenklappen völlig losgelöst ist und nur den diese sackartig umhüllenden Blättern (inneres und äußeres Blatt) der alten (1. Generation) Schale an drei leistenartigen Bezirken ange- heftet ist, nämlich am Rückenband und am rechten und linken ventralen Rand des Ephippiums. 5. Stadium der Abwerfung der alten Schale mitsamt dem ihr angehefteten Ephippium. Wirklich beobachtet hat den Häutungsprozess vor Cunnington meines Wissens nur Leydig. Leydig’s Angaben beschränken a aber auf die Beschreibung der betreffenden Vorgänge, wie sie sich an den Borsten abspielen. Dagegen hat Cunnington den ganzen Häutungsvorgang unter dem Mikroskop beobachten können. Wie schon oben angedeutet wurde, vollzieht sich der Häutungsprozess sehr rasch, nämlich nach Cunnington’s Angabe in weniger als einer Minute. So hebt dann 118 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. auch Cunnington hervor, „dass man den Vorgang nur in seinen Hauptzügen, jedoch nichts von der Art der Loslösung der Haut wahrnehmen kann“. Immerhin sind folgende Angaben Cunning- tons für uns von Interesse. Er hat erstens direkt beobachten können, „wie ein Ephippium bei der Häutung abgestoßen wurde und mit der abgeworfenen Haut in Verbindung blieb“. Das stimmt also ganz zu meinen Angaben über den Zusammenhang zwischen dem Ephippium und der ee der alten Haut. Dagegen muss sich in einem wesentlichen Punkte die Abwerfung des Ephip- piums von einer gewöhnlichen Häutung unterscheiden. & unnington schreibt: „Die beiden Schalenklappen scheinen auch in der Median- linie oben auseinander zu springen, was auch das Freiwerden des hinteren Teiles erleichtern dürfte.“ Das findet bei der ephippialen Häutung nicht statt (wohl infolge der beträchtlichen Stärke des Rückenbandes), vielmehr kann ich Weismann’s Angaben durchaus bestätigen, der über die Einordnung der Wintereier in die Logen von Moina paradoxa folgendes sagt: „Bei Weibchen, welche das Ephippium noch mit sich herumtragen, hat es häufig den Anschein, als ob die beiden Wintereier innerhalb desselben nebeneimander, nicht voreinander lägen. Dies ıst auch der Fall; dauert aber nur so lange, bis das Ephippium völlig ausgebildet und zum Abstreifen reif ist. Dann federn die beiden Hälften zusammen und drängen die Eier in die beiden voreinander liegenden Logenräume, während sie vorher überhaupt nicht ın den Logen lagen, sondern in dem noch geräumigen, noch nicht seitlich komprimierten Brut- raum, und zwar jedes Ei ın der Hälfte desselben, auf der es aus dem Ovarıum ausgetreten war. Dieselbe Erscheinung des ursprüng- lichen Nebeneinanderliegens der Eier kann man auch bei Daphniden beobachten, doch dauert sie dort nicht so lange, vermutlich, weil die Tiere schmäler sind als Moina paradoxa.“ Auch ich finde bei den abgeworfenen Ephippien von Daphnia pulex die beiden Klappen durch die Federkraft des Rückenbandes fest zusammengepresst. Aus alledem folgt, dass bei der ephippialen Häutung das Tier sich mit seinen Schalenklappen aus ihrer in sich intakt gebliebenen Umhüllung (bestehend aus der Chitinlamelle der alten Schale und dem angehefteten ephippialen Kammerwerk) herauszieht. Ich glaube diesen Vorgang am besten so klar machen zu können. Man denke sich seine beiden behandschuhten Hände mit den Hohlseiten an- einandergelegt. Die fingerlosen Handschuhe seien sehr weit, innen sei an ihrer Rückenseite ein Stückchen Fell angenäht. Die Hand- schuhe selbst seien mit dem nach oben (entsprechend dem Rückenbande des Ephippiums) zu haltenden radialen Rande zusammengenäht!). 1) Das auf diese Weise von den beiden radialen Rändern gebildete Septum muss man sich natürlich wegdenken, wenn man ein Modell erhalten will, das die Verhältnisse der Schalenklappen wiedergibt. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 719 In dem Hohlraum, den man mit den so behandschuhten Händen umschließt, befinde sich eine Kugel. Sie wird vor dem Heraus- fallen dadurch bewahrt, dass die ulnaren, also in diesem Falle unteren Ränder der Hände andauernd eng einander genähert bleiben. An diesem primitiven Modell sollen, wie der Leser nach dem bisher erörterten leicht verstehen wird, die Matrixduplikatur der beiden Schalenklappen mitsamt der von ihr abgeschiedenen äußeren und inneren Chitinlamelle der jungen Schale von den bei- den Händen mit ihrer Haut versinnbildlicht werden, die man sich aber mit ihren radialen Rändern verwachsen denken muss. Das Kammerwerk des Ephippiums vertreten die beiden eingenähten Fellstückchen, die rechte und linke äußere Ohitinlamelle der alten Schale die beiden Rückenteile, die innere Chitinlamelle der alten Schale in entsprechender Weise die beiden Hohlhandteile der Hand- schuhe, die Nahtstelle (vgl. nochmals Anmkg. 1!) stellt das Rücken- band, die Kugel das Winterei, die beiden plantaren Aushöhlungen die Logen dar. Das erste, von Cunnington beschriebene Häntungsstadium, das Platzen der Schale zwischen Kopfschild und Schalenklappen, muss man sich nun als schon abgelaufen vorstellen: „Mit einem Schlage platzt die Schale und trennt sich oben der Kopfschild von den beiden Schalenklappen ab, bleibt aber am unteren Ende noch mit den ersten Antennen und den übrigen Schalenteilen in Zu- sammenhang. Der Kopf wird hierdurch schon beinahe frei, und dureh die so entstandene Öffnung werden zuerst der Kopf, danach die Schale und dann die hinteren Teile des Körpers herausgezogen.“ Alles das, mit Ausnahme der Schalen, müssen wir uns also am offenen Ende der Handschuhe hängend denken. Wollen wir jetzt ein Bild der ephippialen Häutung erhalten, so hat folgendes zu geschehen. Ein Gehilfe hält die Handschuhspitzen fest und wir ziehen die Hände vorsichtig heraus. Das Zusammenschlagen der Klappen durch die Federkraft des ephippialen Rückenbandes muss dadurch ersetzt werden, dass wır beim Herausziehen der Hände mit einiger Vorsicht verfahren und dass der Gehilfe währenddem die ulnaren (also hier unteren) Ränder der leerwerdenden Hand- schuhe mit der Hand zusammenhält, damit die Kugel nicht heraus- fallen kann. — Ich denke, dass die etwas ausführliche Wiedergabe dieses einfachen Versuches nicht unerwünscht sein wird, da’ dieser doch wohl das Verständnis des nicht so ohne weiteres zu über- blickenden und merkwürdigerweise bisher niemals genauer expli- zierten Vorganges der Abstoßung des Ephippiums mit seinem Winterei recht erleichtern dürfte. Es erhellt daraus vor allem, wie es kommt, dass das Winterei während des Prozesses nicht herausfällt und wie ferner das Ei eine dreifache Schutzhülle um- gibt: zunächst die innere Chitinlamelle der alten Schale, darauf 120 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. das ephippiale Kammerwerk und endlich zu äußerst die äußere Chitinlamelle der alten Schale. Was das Tier schließlich in letzter Linie veranlassen mag, die alte Schale zu sprengen, das lässt sich vorderhand kaum mit Sicher- heit sagen. Naheliegend ist es jedoch wohl, anzunehmen, dass die infolge der Doppelschaligkeit verschlechterten Atmungsbedingungen in diesem Punkte von Bedeutung sein könnten!). Den eben in extenso geschilderten Entwickelungsprozess zurück- verfolgend wird der Leser zweifellos auf eine unverkennbare Ähn- lichkeit der ephippialen sowie der uns durch Leydig wenigstens in einigen Zügen bekannten gewöhnlichen Häutung mit den analogen, zum Teil sogar wohl homologen Verhältnissen bei Astaeus und bei den Reptilien aufmerksam geworden sein. Bei Astacus wie bei den Reptilien sind es interzellulare, oder richtiger gesagt intra- zellulare?), zu feinen Härchen sich entwickelnde Bildungen, „deren Funktion® — ich zitiere aus Braun’s bekannter grundlegender Ar- beit — „wohl in der mechanischen Ablösung der abzuwerfenden Teile von den darunter liegenden zu suchen ist; durch die Ablösung wird auch die Ernährung gestört, was sich durch Verlust der nor- malen Farbe, Elastızıtät, ete. (also ganz wie bei der Ephippium- bildung!) kenntlich macht“. Diesen Häutungshärchen entspricht nun bei Daphnia pulex ein gleichfalls die Ernährung „der abzu- werfenden Teile“ störendes, gleichfalls sich, streng genommen, intrazellular anlegendes Gebilde: die äußere Chitinlamelle der jungen Schale. Das Dieckwachstum dieses Schalenblattes hemmt schließlich die Ernährung des Kammerinhaltes und leitet, wie oben ausgeführt wurde, damit die Ekdysis ein. Und auch der Entstehungsort von Häutungshärchen und Schalenblatt weist, wie gesagt, eine sehr auffallende Übereinstimmung auf, wenn es sich allerdings auch bei den Reptilien wohl kaum um etwas anderes, als das Analogon des bei den Krustazeen sich abspielenden Vorganges handeln kann, während wir es bei Astacus und bei den Daphniden wohl zweifellos mit homologen Verhältnissen zu tun haben. Denn hier entwickeln sich die trennenden Strukturen beide Male intrazellulär, nämlich innerhalb der primären Ausscheidung (Panzer, resp. Kammer samt Inhalt oder, bei der gewöhnlichen Häutung, Chitinlamelle der alten Schale) und des eigentlichen Matrixplasmas. Es erübrigt noch, einiges über die Matrix selbst zu bemerken. Ich habe zunächst über einen eigentümlichen Befund zu be- richten, der auf Schnitten ohne Schwierigkeit sich demonstrieren lässt, auf Totalpräparaten und am Lebenden überhaupt sicher nicht 1) Über die Anschauungen Lereboullet’s, Leydig’s und Weismann’s in betreff einer Darmatmung vgl. Cunnington, |. c. p. 56. 2) Sehr schön ist dieser Nachweis meinem Freunde H. Schmidt bei Platy- dactylus gelungen, wie er in einer demnächst erscheinenden Arbeit zeigen wird. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 121 wahrgenommen werden kann und auch auf Schnitten erst bei An- wendung stärkerer Vergrößerungen die Aufmerksamkeit auf sich zieht, weshalb er bisher völlıg übersehen wurde. Es handelt sich um eine außerordentlich feine Scheide- oder Zwischenwand, die das gesamte Lakunensystem der Matrixduplikatur parallel zu deren Oberfläche durchsetzt und so zwei, innerhalb der Schale allem An- schein nach nirgends miteinander kommunizierende, übereinander liegende Lakunensysteme abgrenzt. Das, was wir bisher vom Matrixbau wussten, verdanken wir fast ausschließlich Ley dıg. Er gibt ın seiner berühmten Daphniden- monographie folgende Beschreibung davon: „Außer der Kutikula besteht die Haut wieder aus der Matrix der ersteren, einer weichen Lage, in der Kerne immer deutlich sind; und an manchen Orten, vorzüglich nach Einwirkung von Reagentien, erscheint die Lage so schönzellig wie ein Epithel. Auch ohne solche künstliche Ein- flüsse tritt die Zellenschicht, welche zunächst unterhalb der Kutikula liegt, klar hervor, wenn sie pigmenthaltig wird. Wie nämlich schon verschiedene Beobachter aussagen, so bedeckt sich gern bei vor- gerücktem Alter dıe Schale unseres Tieres mit dunklen Pigment- flecken, so besonders auf dem mittleren Seitenteil der Schalen; treten da auch wohl häufig zu Bändern zusammen, ja ich habe ge- sehen, dass sie manchmal die ganze Schale gleichmäßig besetzten; der Kopf indessen blieb von dieser Pigmentierung immer frei. Dergleichen Pigmentflecken bei starker Vergrößerung angesehen, geben das Bild eines pigmenthaltigen Epithels. Überall sieht man auch deutlich die Stütz- oder Verbindungsbalken zwischen der Haut- duplikatur der Schalen, am Kopf und anderwärts. Die „in den Interstitien“ der Schale stehenden „zerstreuten hellen Punkte,“ von denen Fischer bei D. brandtii spricht, und welche nach diesem Autor „von Vertiefungen in der Schale“ herzurühren scheinen, sind die Ansatzstellen der Stützfasern ... Dass die feineren Stütz- fasern, wie z. B. jene, welche die Blätter der Schalen zusammen- halten, wenigstens zum Teil hohl sind, geht daraus hervor, dass man öfter Individuen antrifft, bei denen gelbliche, wie Fettkügelchen aussehende Körnchen innerhalb der Stützbalken gerade da liegen, wo sich dieselben unter garbenartiger Entfaltung ihres Endes mit der Kutikularschicht verbinden.“ Diese Strukturverhältnisse der Schale hat Leydig bei Sida erystallina, Daphnia sima (Querschnitts- bilder davon hat Cunington gegeben), D. brachiata, Moina recti- rostris, Daphnia quadrangula, Dosmina laevis, Lynceus lamellatus und bei Polyphemus oculus beschrieben. Die morphologische Bedeutung der Stützbalken hat Braun bei Astacus und ein Jahr darauf Weismann bei den Daphniden selbst genauer untersucht. Braun findet in den Panzerduplikaturen von Astacus „zwischen den beiden Blättern des Panzers ein System XXIV. 46 122 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. von querdurchsetzenden Bindegewebsbalken ausgespannt, welches allgemein in den Duplikaturen der Krustazeen vorzukommen scheint. Kossmann beschreibt solche von den Duplikaturen der schma- rotzenden Rankenfüßer und von Conchoderma vwirgatum“. Die Untersuchung des feineren Baues der Bindegewebsbalken lässt nun nach Braun erkennen, dass sie aus mehreren Fasern zu- sammengesetzt sind, „die meistens Kerne zwischen sich erkennen lassen und eine unmittelbare Fortsetzung der Chitinogen- zellen zu sein scheinen!) ... Jede solche Zelle zeigt an ihrer Endfläche eine sehr deutliche Längsstreifung, die sich bis fast an den elliptischen Kern erstreckt, ganz so wie an den Zellen der Muskelfasern. Wo die Grenze zwischen Bindegewebe und Epithel zu ziehen ist, muss für den Flusskrebs die Entwickelungsgeschichte zeigen; bei Conchoderma virgatum war es Kossmann wegen natür- licher Pigmentierung der Zellen möglich, diese Grenze zu sehen, beı den schmarotzenden Rankenfüßern vermutet er sie nur“. Und ebenso, als „Fortsätze der beiden Hypodermisanlagen*, fasst Weismann diese Gebilde bei den Daphniden auf. Ferner gibt er an, dass „in einem engen, kanalartigen Sinus in der Mittel- linie des Rückens“ die „Stützfasern“ fehlen. Ich beschreibe zunächst die von mir entdeckte Zwischenwand), deren schon oben kurz gedacht wurde und werde dann noch einige weitere Angaben über die feineren Strukturverhältnisse der übrigen Matrixelemente machen. Die Zwischenwand lässt sich schon bei schwächerer Vergröße- rung hie und da wahrnehmen, wie dies in Fig. 1 angedeutet ist. Sie hält sich jedoch nicht immer genau in der Mitte zwischen den beiden Blättern der Matrix (vgl. Fig. 5 und 11) und kann deshalb erst bei stärkerer Vergrößerung mit befriedigender Deutlichkeit in ihrer ganzen Ausdehnung verfolgt werden. (Schluss folgt.) Geschmacksorgane und andere nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. (Vorläufige Mitteilung aus dem zoolog. Inst. d. Univ. Czernowitz.) Von Dr. Eugen Botezat. Die als Endknospen bekannten Becherorgane, welche nament- lich bei den Säugetieren auch die Bezeichnung Geschmacksorgane oder Geschmacksknospen führen, kommen bei den Fischen in den 1) Im Original nicht gesperrt. 2) Ihre Existenz scheint mir nicht ohne Bedeutung für die von Leydig be- hauptete Schalenatmung der Daphniden zu sein. Vgl. hierüber auch die Arbeit von Cunnington. Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. 725 Schuppentaschen, an den Lippen, den Barteln und ın allen Teilen der Mundhöhle, namentlich aber an der Zunge vor. Sıe sind stets Kutispapillen aufgesetzt und erheben sich zugleich mit dem um- gebenden Epithel in Form von kleinen Hügeln über die allgemeine Hautoberfläche, oder sie liegen derart in der Epidermis, dass die darüber liegende Hautoberfläche vollkommen eben erscheint. Letz- teres ist dort der Fall, wo dieselben ın grosser Zahl nebeneinander vorkommen, so namentlich in der Zunge, das Erstere namentlich an den Basaltteilen der Barteln, wo sie in geringerer Anzahl ver- treten sind. Bei den Amphibien und Reptilien sind sie auf die Mundhöhle (Zunge, Gaumen) lokalisiert und kommen gruppenweise entweder ın der glatten oder ın der eigentümlich gefalteten Haut der betreffenden Mundteile vor. Bei den Säugetieren sind sıe eben- falls auf die Mundschleimhaut lokalisiert und befinden sıch in der Epiglottis, im weichen Gaumen und in der Zunge, hier aber in bestimmten Teilen gewisser eigentümlich geformter Papillen und zwar ın der Tiefe des inneren Walles der p. cırcumvallatae, ın den Tiefen der Wälle der p. folıatae und in der Oberfläche der p. fungiformes. Bei den Vögeln hat man bis zum Erscheinen von Merkel’s Hauptwerk derlei Gebilde nicht gekannt. Merkel selbst konnte sie trotz eifrigen Bemühens, wie er ın seinem Werke über „Die Endigungen der sensiblen Nerven in der Haut der Wirbeltiere* (Rostock 1880) am Schlusse des Kapitels „Endknospen der Reptilien“ mitteilt, nicht auffinden, weshalb er annahm, dass sie den Vögeln überhaupt abgehen. Seit Merkel sind eine ganze Reihe von Arbeiten über die Geschmacksendknospen beim Menschen, bei den verschiedensten Säugetieren, bei den Reptilien und Amphibien, sowie bei Fischen erschienen, unter denen hier an jene von Retzius, von Lenhossek, A. S. Dogiel, Arnstein, etc. erinnert werden mag, durch welche unser Wissen über die Beschaffenheit der fraglichen Organe und deren Innervie- rung in hohem Grade gefördert worden ist. Sie beschäftigen sich entweder mit den Endknospen spezieller Wirbeltierklassen, wobei die Vögel nieht behandelt sind, oder aber mit den Geschmacks- organen im allgemeinen, ohne jedoch auf jene der Vögel einzugehen. Es ist nicht unauffällig, dass die Vögel keine Berücksichtigung ge- funden haben. Dies ıst jedoch in mehrfacher Weise erklärlich: Entweder hat man derartige nervöse Terminalapparate beı Vögeln, wie Merkel, nicht vorgefunden beziehungsweise nicht zur Dar- stellung bringen können, oder man hat sich auf Grund der nega- tiven Vermutung Merkel’s nicht weiter um dieselben bekümmert, oder aber man war durch die Herbst’schen und Grandry’schen Körperchen der Schwimmvögel zu sehr von ihnen abgelenkt, was noch am wahrscheinlichsten zu sein scheint. Kurz, die neuere und neueste Literatur weiß uns über Geschmacksorgane bei den Vögeln 16* 124 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. so gut wie nichts zu sagen — man betrachte auch die allgemeinen Werke, wie Kölliker’s Handbuch, Claus’ Lehrbuch (neue Aus- gabe von Grobben), Bronns, „Klass. u. Ordn.“ u. a, Ich habe nun Endknospen, also Geschmacksorgane bei Vögeln, vor kurzem mit Hilfe eimer modifizierten Golgi’schen Methode entdeckt und sie später auch an Methylenblaupraeparaten be- obachtet. Ich beabsichtigte hauptsächlich das Endverhalten der Nerven in den Merkel’schen Tastkörperchen, welche sich in den Kutispapillen und im Stroma der Zunge gewisser Vögel vorfinden, zu studieren, bei welcher Gelegenheit ich auch den Gaumen be- rücksichtigte. Da die Darstellung der Nerven — zuerst bei jungen Sperlingen —- sehr gut gelungen war, konnte ıch mich über das Verhalten der Nerven und ıhrer Enden in sämtlichen Teilen der Zunge, von der Spitze angefangen bis zu ihrem Grunde zur Genüge belehren. Ähnlich stand es mit dem Gaumen, doch waren hier die Nerven namentlich in dessen hinterem, weichen Teil imprägniert. Später untersuchte ich neben Chromsilber auch mit Methylenblau die Zunge, die Gaumenhaut und Unterschnabelhaut von jungen Enten und Tauben. Da diese meine Untersuchungen jetzt in vollem Gang sind, so kann ich natürlich nicht einmal eine halbwegs ab- geschlossene Arbeit liefern, weswegen ich mich darauf beschränke, ganz kurz das Wichtigste, was ich auf diesem Gebiete als neu ge- funden habe, vorläufig mitzuteilen. Illustrationen werde ich später in einer größeren Arbeit der Öffentlichkeit übergeben. Die Vogelzunge sowie nicht minder der Gaumen sind ungemein nervenreich, wie dies wenigstens von den Schwimmvögeln her, bei denen die charakteristischen Grandry’schen und Herbst’- schen Körperchen in überaus großer Menge vorkommen, allge- mein bekannt ist. Stellenweise, wo die Imprägnierung wohl- gelungen ist, scheint es fast, als ob alles nur aus Nerven bestehen würde. Die Nerven verteilen sich nach allen Richtungen, bilden sehr zahlreiche, immer dichter werdende Geflechte und nähern sich so ıhrem Ende. Man unterscheidet Endigungen 1. an den Muskeln, 2. an den Arterien, 3. an der Haut des Zungenknorpels, 4. in ver- schiedenartigen Tastkörperchen, 5. an und in den Schleim- drüsen, 6. mit Endbäumchen an der Basalmembram, 7. mit einem schlingförmigen Geflecht in den Kutispapillen des vorderen Zungenteils, 8. mit schlingenförmigen Ge- flechten in den kegel- beziehungsweise kuppenförmigen über die allgemeine Hautoberfläche sich erhebenden Papillen der hin- teren Zungenpartien und des weichen Gaumens, 9. im Epithel mit Köpfchen, 10.im Epithel mit Terminalnetzen, 11. mit Endbäumehen in der Kutis und 12. in den Geschmacksend- knospen. Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. 725 Ich gehe nun zur speziellen Darstellung der soeben aufge- zählten Terminalorgane über. Ad 1. An den quergestreiften Muskeln, welche bogenförmig ın den Zungenkörper eindringen, habe ich Endapparate motorischer Fasern nach der Golgi’schen Methode zur Anschauung gebracht, welche ihrer näheren Beschaffenheit nach zwischen den motorischen Enden der Amphibien und jenen der Säugetiere ungefähr die Mitte halten. Es handelt sich hier um eine Art Endbäumchen, welche ohne Interfibrillärsubstanz zwischen den Verzweigungen dem Muskel aufsitzen, weshalb es nicht zur Ausbildung einer Endplatte kommt, wie sie an den Muskeln der Säugetiere zu beobachten ist, welche Organe ich an den Flughautmuskeln der Fledermaus in sehr ge- lungener Form mit Methylenblau dargestellt habe. Die überaus varıkösen Terminalfibrillen jener Apparate sind von nur kurzem Verlauf und bilden daher nicht so weitläufige, sich unregelmäßig hin und her schlängelnde Windungen, wie dies an den Muskeln von Amphibien zu beobachten ist, welche ich ebenfalls aus eigener Erfahrung von nach dem Golgi'schen Verfahren hergestellten Präparaten /Triton) und von Methylenblaupräparaten /(Hyla) kenne. Die größte Ähnlichkeit haben diese Endapparate mit denjenigen, welche durch Dogiel von Zacerta her bekannt gewor- den sind. Ad 2. Andere Nerven begeben sich zu den die Zunge und den Gaumen durchziehenden Arterien und bilden an diesen gewisse Endapparate. Ich würde auf diese und die ersteren Nervenenden nicht ein- gehen, wenn ich nicht gewisse, wenn auch geringe, Abweichungen in ihrem Verhalten beobachtet hätte. Ohne mich hier auf eine Vergleichung der Gefäßnerven mit gleichen Gebilden an anderen Orten, welche ich aus selbstgemachten Methylenblaupräparaten von Mesenterialarterien der Katze und aus einer von Dogiıel veröffent- lichten Arbeit über die Arterien des menschlichen Herzens genau kenne, welche beiden Befunde wieder etwas, wenn auch im ge- ringen Maße, voneinander abweichen, einzulassen, werde ich nur das Wesentliche im neuen Befund hervorheben. Die Nerven- fasern, welche sich zu den Arterien begeben, umspinnen die Ad- ventitia der Arterien nur in mäßigen und wenigen Touren und zeigen das Bestreben, einen mehr longitudinalen Verlauf zu nehmen. Ebenso verhält es sich mit ihren Abkömmlingen, den baumförmig verzweigten Endigungen, welche aus überaus zahlreichen varıkösen Fibrillen bestehend sich dicht an die Arterienhülle anlegen und kurze variköse Ästchen in dieselbe hineinsenden. Die Elemente dieser Bäumchen zeigen das lebhafteste Bestreben, sich longidutinal. untereinander fast parallel auszubreiten, wobei sie natürlich zahl- reiche Verschlingungen und Unregelmäßigkeiten bilden. Die Bäum- 726 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. chen sind sehr zahlreich, so dass die Oberfläche der Arterien fast durchweg von ihnen bedeckt erscheint. Ad 3. An der Grenze zwischen dem Zungenknorpel und dem Zungenkörper selbst breitet sich ein terminales, dichtes Nerven- gellecht aus, welches nicht dem Verhalten von Endbäumchen gleich- zustellen ist, sondern sich ungefähr so verhält, wie die gewissen Nervenendgeflechte oder Netze, die von den Papillen der Säuge- tierzungen her bekannt sind. Übrigens bin ich über diese Art der Nervenendigung noch nicht vollständig orientiert. Ad 4. Die Tastkörperchen in den Mundteilen der Vögel sind je nach ihrer Beschaffenheit und den Vogelgruppen recht ver- schiedener Art; doch lassen sich im allgemeinen zwei Haupttypen unterscheiden: kapsellose ohne Bindegewebshüllen und einge- kapselte mit nur wenigen bis zu überaus zahlreichen bindege- webigen Umhüllungen. Die ersteren können wieder in ein-, zwei- und vielzellige, die letzteren in zwei- oder mehrzellige vom Typus der Grandry’schen, und in mehrzellige vom Typus der Herbst’schen Körperchen aus den Mundteilen der Lamellirostres unterschieden werden. Die Körperchen der ersteren Art sind von Merkel als „Tast- zellen“, „Zwillingstastzellen“ und „Tastzellengruppen“ bei den verschiedensten Vögeln gefunden und beschrieben worden. Merkel hat auch in den meisten Fällen die zutretende Nerven- faser beobachtet, doch ıst ihm das Verhältnis dieser zu den Tast- zellen verborgen geblieben, wodurch er sich mit veranlasst sah, die letzteren als terminale Ganglienzellen anzusehen. Neueren Untersuchungen zufolge stellte es sich bei den eingekapselten Grandry’schen und Herbst’schen Körperchen heraus, dass der Nerv eine Endscheibe beziehungsweise ein kolbiges Ende bildet, umgeben von den fraglichen Zellen, respektive den Zellen des Innenkolbens. Und was die isolierten „Tastzellen“ betrifft, so sınd sie nur bei den Säugetieren mit Hilfe der neueren Methoden unter- sucht worden (Ranvier, Kölliker, Szymonowicz, Ostroumow, ich u. a.), bei denen man eine Tastscheibe oder einen sogenannten Tastmeniskus der Nervenfaser fand, welcher sich innig an die be- treffende Zelle anlegt, wobei ich als erster nachwies, dass diese Zellen als Riffzellen echte Epidermiszellen sind. Dogiel entdeckte die merkwürdige Innervation der Herbst’schen und Grandry’schen Körperchen. Sowohl die Tastscheibe als auch die kolbige Nerven- terminale der in den Innenkolben der Herbst’schen Körperchen eindringenden Nervenfaser lassen aus sich feine, mit Knöpfchen endende Terminalfäserchen hervorgehen, welche zu den umgebenden Zellen in nähere Beziehung treten (wahrscheinlich intrazellulär endigen). Eine zweite, gewöhnlich dünnere, Nervenfaser tritt nun ebenfalls an das Körperchen heran und bildet, indem sie sich oft Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. 727 wiederholt teilt, ein eigentümliches, nicht selten aus spiralartigen Gängen bestehendes varıköses Geflecht, welches die Tastzellen mit samt der Tastscheibe umgibt, jedoch nach innen von den Binde- gewebshüllen liegt. Ebenso dringt auch m die Herbst’schen Körperchen eine zweite Faser ein und bildet hier ein jenem der Grandry’schen analoges Geflecht, welches den zelligen Innen- kolben umgibt. Diese doppelte Innervation von Terminalkörperchen wurde übrigens von Mitrofanow an den Wollustorganen, von Sala an den Pacıni’schen, ın jüngster Zeit von Dogiel an den Meißner’schen, Krause’schen, Ruffini’schen ete. Körperchen der menschlichen Haut orsefunden! An den „Tastzellen“ der Säuger habe ich als erster die zweite Innervation beschrieben und abge- bildet. Diese letzteren, welche auch unter dem Namen „Merkel’sche Körperchen“ gehen, liegen bei den Vögeln immer in der Kutis nahe der Epithelerenze, zu Eomenen vereinigt. Über deren Innervationsver- hältnisse ist nun, wıe gesagt, nichts lem, da Merkel wegen der Unzulänglichkeit seiner Methode nicht viel erzielen konnte und man sich seit ihm mit diesem Gegenstande, soweit mir die Literatur geläufig ist, nicht befasst hat. Ich sehe in einem Methylenblaupräparat aus dem Schnabel der Ente neben den überaus zahlreichen Herbst’schen und den Grandry’schen Körperchen auch zwei in der Nähe der Epı- dermis gelegene isolierte Merkel’sche „Tastzellen“, welche eme ebensolche Scheibeninnervation aufweisen, wie die nämlichen, je- doch ın der Regel epidermoidal gelegenen, Körperchen der Säuge- tierhaut. Wir haben es hier also mit den nämlichen Organen zu tun, wie in der nackten Haut der Säugetiere. In der letzteren kommen die Körperchen bald zu größeren, bald zu kleineren Gruppen vereinigt vor. Dasselbe ist nun auch ım Vogelschnabel der Fall, die Gruppierung ist aber hier eine dichtere, so dass es zur Aus- bildung von zelligen Körperchen kommt. Diese finden sich in solchen Schnäbeln vor, wo nur wenige Herbst’sche Körperchen vorhanden sind. Am zahlreichsten sind sie in der Zunge, wo sie ın den langen Kutispapillen sehr zahlreich auftreten, weniger ım Zungenstroma. Die Darstellung ihrer Innervation ist mir bis jetzt nur in jenen des Zungenstromas nach der Golgi’schen Methode ge- lungen. Es lässt sich an ihnen eine doppelte Innervierung fest- stellen. Eine dicke Nervenfaser gelangt zum Körperchen und windet sich zwischen den Zellen desselben durch. Eine u dünnere Nervenfaser gelangt ebenfalls zum Körperchen, zerfällt ı mehrere Äste, che aa das zellige Gebilde von außen in zahlreichen unregelmäßigen Touren umflechten. Das ganze stellt sich ungefähr so dar, wie etwa die von Dogiel in der menschlichen Haut beschriebenen. nichteingekapselten modifizierten Meißner’- schen Körperchen. Einige dieser Körperchen fand ich an der Unterseite der Sperlingszunge im Verlaufe eines dicken Nerven 728 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. eingeschaltet. Im Gaumen der Eule fand ich mit Methylenblau die von Merkel als Vater’sche Körperchen beschriebenen modifizierten Herbst’schen Körperchen, deren Modifikation wohl nur darın be- steht, dass sie verhältnismäßig weniger Bindegewebshüllen besitzen und stark ın die Länge gestreckt sind. Ihre Innervation ist aber dienämliche, wie sie durch Dogiel von den Herbst’schen Körper- chen her bekannt ist. Ad 5. Im hintern Zungenteil und im weichen Gaumen liegen dicht gedrängt eine Anzahl von bald größeren, bald kleineren Schleimdrüsen, welche an die Oberfläche der genannten Organe ausmünden. Auch die Nerven dieser Drüsen habe ich und zwar nach der Golgi’schen Methode zur Darstellung gebracht, und ich gehe namentlich deshalb auf diese ein, weıl mir keine Arbeit be- kannt ist, welche sıch mit der Innervation von Schleimdrüsen be- fasst hätte. Hingegen wurden andere Drüsen schon des öfteren von bedeutenden Forschern wie Dogiel, Retzius, Arnstein u.a. untersucht. Unsere Schleimdrüsen zeigen keine von jener der Speicheldrüsen verschiedene Innervation, weshalb ich mich hier da- mit begnüge, bloß die Arten der Nervenendigungen zu erwähnen. Man unterscheidet eine zweifache Endigungsweise. Die überaus zahlreichen Nerven, welche sich zu den Drüsen begeben, zerfallen in ein dichtes Geflecht von feinen Fasern, welches überall dieselben umgibt. Dieses zerfällt in ein noch dichteres Geflecht varıköser Fasern, welches in die innigste Kontaktbeziehung zum Drüsenkörper tritt. Die zweite Endigungsart besteht darin, dass sehr feine varıköse Fäserchen in das Innere der Drüsen eindringen, hier zwischen den Zellen verlaufen und dieselben umspinnen. Hier sind sie überaus varıkös, wie dies von Arnstein an den Speichel- und von Dogiel an den Tränendrüsen beschrieben und abgebildet worden ist. Sie sınd also perizellulär. Ad 6. Eine Endigungsart, welche bisher bei den Vögeln noch nicht beobachtet wurde, ist die mit Endbäumchen. Bei Säugetieren ist sie schon oft beschrieben worden (Arnstein, Szymonowiez, Ploschko). Ich habe dieselbe schon zu wiederholten Malen be- obachtet (im harten Gaumen, in der Unterseite der Zunge, in der Schnauze des Hundes, des Maulwurfs, des Igels etc... Dogiel fand Endbäumchen beim Menschen und zwar sowohl an der Basalmembran als auch in den tieferen Kutislagen. Ich habe nun diese Art Nervenendigung sowohl mit Methylenblau als auch mit Chrom- silber in den Mundteilen der Ente, Eule und des Sperlings bis jetzt dargestellt. Die Schnäbel anderer Vögel sind eben in der Behandlung. Von diesen Endapparaten kann man wohl sagen, dass sie an allen Stellen der Zunge, des harten und weichen Gaumens und der Haut des Unterschnabels an der Grenze zwischen der Kutis und dem Epithel vorkommen. Im speziellen möchte ich hervorheben, Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. 729 dass ich sie gefunden habe in den langen Kutispapillen der Vorder- zunge, in der glatten, drüsigen und äußerlich papillösen Hinter- zunge, sowie an der Unterseite der Zunge. Im Gaumen kommen sie sowohl im glatten als auch im papillösen Teil vor. Am schönsten habe ich diese Endorgane an Golgipräparaten ın den kegelförmigen Zungen- und Gaumenpapillen, den sogenannten Zähnchen gesehen. An diesen Stellen erschemen sie als einseitig gleichmäßig ausge- bildete, ungemein dichte und überaus varıköse Verzweigungen sehr dünner Achsenfasern, welche stellenweise einzelne Fäserchen in das Epithel entsenden. Sie gehen aus einem subbasilaren Ge- flecht feiner varıköser Fasern hervor, welche ihrerseits wieder aus den zahlreichen, die genannten Hautgebilde durchsetzenden, in vielfachen Windungen verlaufenden und ebenso vielfach, wiederholt sich: teilenden und stellenweise sich wieder vereinigenden Nerven-: fasern ihren Ursprung nehmen. An anderen Stellen, so nament- lich an der Unterseite der Zunge sind sie nicht so zahlreich ver- treten und auch nicht so überaus kompliziert gebaut, sondern sie sind nur von geringerer Ausdehnung und zeigen nur sehr wenige Verzweigungen. Vielleicht hängt dies mit einer mangelhaften Im- prägnierung zusammen, doch scheint mir dies nicht sehr wahr- scheinlich. Auch diese letzteren Endbäumchen gehen aus einem allerdings in gleichem Verhältnisse nur gering entwickelten, lockerem subbasalen Geflecht hervor. Ich kann nicht umhin, die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese Art nervöser Endorgane schon hier ganz besonders zu lenken. Denn je mehr unsere Untersuchungsmethoden vervollständigt werden und je eingehender man die Nervenenden ın den verschiedensten Hautgebilden studiert, desto mehr ıst man ın der Lage, die Terminal- gebilde der Endbäumchen zu konstatieren. Bei Säugetieren und beim Menschen sind sie schon von den verschiedensten Stellen her be- kannt und nun habe ıch sie auch bei den Vögeln und zwar überall in den Schleimhäuten des Schnabels einschließlich der Zunge ge- funden. Ich bin überzeugt, dass man sie auch bei den übrigen Wirbeltieren vorfinden wird. Übrigens sind sie an einem speziellen Orte, nämlich den Endknospen der Fische, Amphibien und Rep- tilien schon dargestellt worden (Retzius, v. Lenhossek, Dogiel). Denn ich habe schon in zwei meiner Arbeiten die Kupula der End- knospen mit den Endbäumchen an der Basalmembran verglichen. Beide scheinen mir eben gleichwertig zu sein. Die Elemente des Kupulageflechtes umschlingen die unregelmäßigen basalen Ausläufer der Sinnes- und Deckzellen in den Endknospen, die Elemente der Endbäumchen wieder die Fransen der basalen Zellschicht des Epithels. Jedenfalls handelt es sich um Organe, welche schon wegen ihrer allgemeinen Verbreitung die vollste Aufmerksamkeit verdienen. 750 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. Ad 7. So einfach und glatt die Oberseite der Vorderzunge an der Oberfläche ıst, so unregelmäßig erscheint sie ım Innern, wo sehr zahlreiche dichtgedrängte Kutispapillen die mächtige Epidermis oft bis nahe an die Oberfläche durchsetzen. Natürlich wird dann da- durch dıe Entstehung ebenso vieler fadenförmiger Epithelzapfen ver- anlasst. Unterhalb dieses Stratum papillare breitet sich ein sehr reichhaltiges, subpapilläres Nervengeflecht aus, welches Nerven- bündel ın die fraglichen langen Kutispapillen entsendet. Die Ele- mente dieser lockeren Nervenbündel teilen sich wiederholt und, indem ıhre varıkösen Abkömmlinge sich voneinander entfernen, ın zahlreichen unregelmäßigen Touren sich hin und her winden, sich auch wohl überkreuzen, geben sie einem eigentümlichen Ge- flecht die Entstehung, welches die Papillen ihrer ganzen Länge nach durchsetzend, sich ın der Nähe des Epithels ausbreitet. Stellenweise bekommt man auch wohl den Eindruck, als ob es sich um mehr oder minder spiralig entwickelte, unregelmäßige Verschlingungen, welche unter Umständen auch überaus dicht sind, namentlich in den distalen Enden der Papillen, handle. Diese Ver- schlingungen sind nicht etwa mit Nervenknäueln zu verwechseln, welche mehr oder minder solide Anhäufungen von Nervenfasern darstellen. Andere Terminalschlingen umgeben noch Kapilargefäß- schlingen, deren Nerven sich an Chromsilberpräparaten schon wegen ihrer totalen Schwärzung mitunter nur schwach abheben. Auch nicht- eingekapselte Tastkörperchen liegen nach Innen von den in Rede stehenden Terminalschlingen. Schon die Regelmäßigkeit des Vor- kommens dieser Art von Nervenausbreitung mahnt zur Annahme, dass es sich um ein vielfach verschlungenes terminales Nervengeflecht han- delt. Ob aber diese Schlingen sensorischer oder vielleicht trophischer Natur sind, ist allerdings nicht ebenso leicht zu entscheiden. Mich will es jedoch dünken, dass sich diese Nervenendapparate, welche nach innen Tastkörperchen umschließen, nach außen hingegen von den schon erwähnten, allerdings nicht immer deutlich zum Vor- schein tretenden Endbäumchen, wenigstens nicht in diesen langen Zungenpapillen, umgeben werden, in Parallele mit dem perigem- mallen Nervengeflecht an den Endknospen, mit den perizellulären Geflecht der Grandry’schen, Herbst’schen, Merkel’schen Genital-, Pacini’schen, Meißner’schen u. a. Körperchen bringen lassen. Von diesen letzteren aber glaube ich denn doch, dass sie trophischer Natur sind. Ad 8. Die hintere, weiche Partie der Vogelzunge, sowie der weiche Gaumen ist bekanntlich mit zahlreichen kegelförmigen Papillen versehen, welche sich weit über die allgemeine Ober- fläche erheben und mit ihren spitzen, recht derben Enden nach innen, d. i. gegen den Schlund gerichtet sind. Die derbe Be- schaffenheit der Spitzen rührt von einem nicht unansehnlichen Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel 751 Stratum corneum her, welches diese Papillen namentlich gegen ihre Scheitel zu umgibt. Im Innern werden sie von bindegewebigen Kutisfortsetzungen ausgefüllt. Neben diesen finden sich und zwar insbesondere am Gaumen histologisch ebenso beschaffene, jedoch in ihrer äußeren Form anders geartete Papillen vor. Sıe stellen bald kuppenförmige, bald falten- artige Erhebungen über der Zungen- beziehungsweise Gaumenober- fläche vor. Unterhalb dieser Papillenpartie breitet sich nun ebenfalls ein ansehnliches subpapilläres Nervengeflecht aus, welches neben den schon erwähnten Endbäumchen auch noch anderen Endapparaten den Ursprung gibt. Es sind dies namentlich ebensolche schlingen- artige Terminalgeflechte, wie diese sub 7 soeben beschrieben wurden. Es ist aber dennoch ein gewisser Unterschied wahrzunehmen, wes- wegen ich eben die beiden voneinander getrennt betrachte. Dieser Unterschied ıst namentlich ein quantitativer. Denn während die Nervenschlingen in den langen Papillen der Vorderzunge ungemein dichte Geflechte bilden, stellen sie ın den sich über die Ober- fläche erhebenden Papillen der hinteren Partien nur verhältnis- mäßig lockere Verschlingungen dar. Dagegen findet man hier ganz besonders stark die Endbäumchen an der Basalmembran entwickelt. Es fehlen jedoch die intrapapillären Tastkörperchen Merkel’s — wenigstens habe ıch bis nun solche nicht beobachtet —, welche sich ın den langen Zungenpapillen zahlreich vorfinden. Diese (Juantitätsunterschiede könnten vielleicht als Einwand gegen die trophische Natur der bewussten Nervenendschlingen vorgeführt werden. Auch diese Schlingengeflechte breiten sich korbartig in der Nähe der Basalmembran aus und gehen aus unregelmäßigen Bündeln des subpapillären Geflechtes hervor, welche auch Nerven zur Versorgung der eingeschlossenen Kapillargefäßschlingen abgeben. Ad 9. Von diesen Nervenendschlingen gehen, ebenso wie von den bereits beschriebenen Endbäumchen einzelne verhältnis- mäßig kurze varıköse Fäserchen ab, welche sich in das Epithel be- geben und hier nach einem unregelmäßig sich hin und her windenden Verlauf aufhören. In den Ecken, welche durch den gewundenen Verlauf entstehen, sind Knöpfchen zu sehen, welche kurze Lateral- fibrillen, umgeben von Interfibrillärsubstanz, darstellen, wie ich solche auf Grund von Methylenblaupräparaten schon von anderen Stellen her zu wiederholten Malen beschrieben habe (Hundenase, Maulwurf- schnauze, Gaumen etc.). Andere Nervenfasern des kutanen Geflechtes begeben sich und zwar an allen möglichen Stellen der Zunge und des Gaumens, indem sie sich reichlich zerfasern, direkt in die Epidermis, wo sie ent- weder weiter verlaufen und sich unterwegs wiederholt verzweigen, oder aber dies alsbald nach dem Eindringen ins Epithel tun. Diese (52 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. eigentlichen einfachen intraepithelialen Nerven haben einen den vor- her beschriebenen ganz gleichen, also vielfach gewundenen Verlauf, wobei ihnen noch eine wiederholte Verästelung zukommt. Auch sie sind von varıköser Beschaffenheit und bilden in den Ecken Knöpfchen, welche mit den schon genannten ein vollkommen gleiches Verhalten zeigen. Sie reichen bis in das Stratum corneum hinein, und es ıst offenbar, dass ihre distalen Enden zugleich mit den verhornenden Zellen obliterieren. Sie verhalten sich auch in dieser Beziehung so wie die einfachen intraepithelialen Nerven der Säuge- tierhaut. Hingegen bin ich nicht ebenso wie bei Säugetieren in der Lage, aus den Präparaten eine intrazelluläre Endigung der Knöpfchen zu beobachten. Was schließlich die Quantität dieser Art Nervenendigungen betrifft, so habe ich bisher den Eindruck bekommen, dass sie bei den Vögeln ın bedeutend geringerer Menge vorhanden sind, als an den analogen Stellen bei Säugetieren. Ad 10. Aus dem kutanen Nervengeflecht gehen noch andere Nervenfasern hervor, welche sich zur Epidermis begeben, sich wiederholt. verästeln und innerhalb derselben durch fortgesetzte Teilungen und Verzweigungen ein recht dichtes intraepitheliales Netz entwickeln, welches zwischen den Epidermiszellen derart ge- legen ist, dass die letzteren von den Nervenelementen gleichsam wie umsponnen erscheinen. Allerdings muss ich zugestehen, dass sich dieser Nervenendapparat nur sehr schwer darstellen lässt. Man bekommt gewöhnlich, wenn überhaupt, nur beiläufige Spuren davon zu sehen. Mit ausgesprochenster Deutlichkeit habe ich dieses netzartige Terminalgeflecht allerdings nur an einer einzigen Stelle beobachtet. Derartige Nervennetze sind auch in der Säugetierhaut vor- handen, jedoch allem Anschein nach sehr schwer zur Darstellung zu bringen. Ich kenne sie nur von der Schnauze des Maulwurfs her, wo mir ihre Darstellung mit Methylenblau gelungen ist. Dogiel hat derartige Nervennetze m der Haut der äußeren Ge- schlechtsorgane des Menschen nachgewiesen und aus derselben auch abgebildet. Auch von diesen Nerven glaube ich, dass sie trophischer Natur seien. Ad 11. In allen Teilen der bindegewebigen Kutis der Zunge und des Gaumens bekommt man nicht gar selten Niederschläge zu sehen, welche allem Anscheine nach von eigentümlichen Nerven- enden herrühren. Sie sind im allgemeinen Nervenverlauf einge- schaltet und können nicht mit Tastkörperchen verwechselt werden, an denen man die zellige Struktur und den geschlungenen Verlauf der Nervenfasern wohl unterscheidet. Man sieht vielmehr, dass die eine oder die andere Nervenfaser sich wiederholt teilt, in un- regelmäßige Körnchenreihen zerfällt und alle diese Abkömmlinge bleiben recht dicht beieimander, so dass man schließlich den Ein- Botezat, Geschmacksoreane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vöeel. 733 ? fo) > { Br? druck wie von Endbäumchen gewinnt. Ich glaube nicht, dass es sich ım gegebenen Falle um unvollständige Nervenfärbungen, sei es mit Silber oder mit Methylenblau, handeln kann. Übrigens erschien nach diesen meinen Befunden, welche ich im Mai d. J. ge- macht habe, die neueste Arbeit Dogiel’s über die Nervenendi- gungen im Nagelbett des Menschen (Arch. f. mikr. Anat. u. Ent- wickelungsgesch.), ın welcher Endbäumchen von bedeutender Aus- dehnung sogar in den tieferen Kutislagen beschrieben und abge- bildet sind. Es darf uns also ein ebensolcher Befund ın den Mund- teilen der hohen Wirbeltierklasse der Vögel nicht sehr befremden. Nichtsdestoweniger kann ich auf Grund meiner bis nun gemachten Beobachtungen und Erfahrungen die Anwesenheit von Endbäumchen in der Kutis der Mundteile von Vögeln nicht absolut behaupten. Ich glaube doch ganz wohl, dass es hier solche Gebilde gibt, und dass ich sie an neuen Präparaten werde zur Anschauung bringen können. Ich gehe nun zum letzten der zu besprechenden Punkte über. Ad 12. Wenn nun die Frage nach den Geschmacksorganen der Vögel entschieden werden soll, so ıst es wohl geboten, zur all- gemeinen Orientierung auf diejenigen Organe einzugehen, von denen es erwiesen ist, dass sie Geschmacksempfindungen vermitteln. Bei den Vögeln sind aber derartige Organe bisher nicht nachgewiesen. Wohl ist im Lehrbuche der vergleichenden Anatomie von Vogt und Jung eine kurze Bemerkung enthalten, welche für Geschmacks- organe bei Vögeln spricht, allein damit ıst doch nicht viel gesagt, oder es handelt sich vielmehr um eine bloße Vermutung. Die Be- merkung besagt, dass sich an den Rändern der Zunge Geschmacks- wärzchen finden sollen. Dass aber daraus nichts zu entnehmen ist, ist offenbar von vornherein einleuchtend. Allgemein gilt die Vogelzunge wegen ihrer mächtigen Epithellage beziehungsweise wegen der dieken Hornschicht als wenig geeignet zur Perzeption von Geschmacksempfindungen, wogegen ich für die vordere Zungen- partie nichts einzuwenden habe. Aber schon das Experiment be- weist, dass Vögel ganz wohl einen durchaus nicht unentwickelten Geschmackssinn besitzen. Man versuche nur, verschiedenen Vögeln diverse Nahrungsstoffe zu verabfolgen und man wird beobachten können, dass sie eine Auswahl treffen. Ein Huhn oder ein Sperling wird auch ihm nicht zusagende Stoffe aufnehmen, jedoch ‚sobald es zum Verschlucken derselben kommt, wieder von sich geben. Daraus lässt sich schon entnehmen, dass sie einen Geschmackssinn besitzen und dass die Organe desselben in den hinteren Zungen- partien, in deren seitlichen Flügeln, um den Schlund herum und im weichen Gaumen zu finden sein müssen. Viele Vögel nehmen harte und trockene Nahrungsstoffe auf. Um diese leicht verschlucken zu können, müssen sie befeuchtet werden, was durch den Schleim 754 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. der zahlreichen Drüsen, welche ın allen die Rachenhöhle bildenden Teilen enthalten sınd, bewirkt wird. In diesem befeuchteten Zu- stande lösen sich, wie man wohl annehmen darf, zum Teil die aufgenommenen Stoffe, welche Lösungen dann auf die in den er- wähnten Partien der Mundhöhle enthaltenen Geschmacksorgane einwirken. Wie sollte man sich anders erklären können, dass Vögel manche Stoffe erfahrungsgemäß nicht aufnehmen wollen, andere ihnen unbekannte Stoffe zwar aufnehmen und vor dem Verschlucken wieder von sich geben ? Als die die Perzeption des Geschmacks vermittelnden Organe werden beim Menschen und den Säugetieren jene Gebilde gedeutet, welche sich an den Papillae cireumvallatae, fungiformes und foha- tae, aber auch in der Schleimhaut des weichen Gaumens und in der Epiglottis vorfinden und unter dem Namen Geschmacksknospen, Endknospen, Geschmacksbecher allgemein bekannt sind. Da nun derartige Organe auch bei Reptilien, Amphibien und Fischen sich in der Mundhöhle vorfinden, so wird auch diesen Tieren schon wegen des Besitzes der fraglichen Organe eine Geschmacksempfindung beigemessen werden können. Bei den Fischen sind derartige Organe auch an den Lappen, Barteln, der Kopfhaut und wohl auch an der ganzen Körperhaut, wenn hier auch spärlich, entwickelt. In den Schleimkanälen des Lateralorgans der Fische, sowie in den Lateral- organen von Amphibienlarven sind modifizierte Organe dieser Kategorie unter dem Namen Endhügel, Organe eines sechsten Sinnes (Leydig) allgemein bekannt. Sie treten in der äußeren Haut bei solchen Tieren auf, welche in feuchten Medien leben. Schon daraus ist ersichtlich, dass sie zur Prüfung der chemischen Beschaffenheit der mit ihnen in Berührung kommenden Flüssig- keit dienen. Die Endknospen der Mundhöhle liegen entweder im der un- gefalteten Haut oder sie sind an gewisse Papillen gebunden. Letzteres ıst bei Säugetieren in der Zunge der Fall. In jedem Falle liegen sie mit ıhrer Basıs bindegewebigen Kutispapillen auf und reichen mit dem entgegengesetzten Pol bis zur Hautoberfläche, wo sie den bekannten Porus, welcher übrigens nicht immer ent- wickelt ıst, bilden. Sıe haben in der Regel eine tonnenförmige (sestalt und bestehen aus den bekannten schlanken fadenartigen, mit großen Kernen versehenen Axialzellen, welche auch als Sinnes- zellen bezeichnet werden. Diese Zellen bilden an der Basis mehrere bald kürzere, bald längere unregelmäßige Ausläufer und tragen an ihren distalen Enden je ein Wimperhaar. Nach außen liegen die Stütz- oder Deckzellen, welche eine mehr oder minder fassdauben- artige Form haben, ebenfalls große Kerne bergen und die Axial- zellen allseitig einschließen. Auch diese besitzen unregelmäßig zer- franste Basalteile, tragen aber am distalen Pol keine Wimpern. Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. 735 Die Nerven, welche an das Organ treten, bilden, wie bis jetzt be- kannt ıst, eine dreifache Endigungsart. Die einen bilden End. bäumchen, welche geflechtartig die basalen Ausläufer der Deck- und Axıalzellen umgeben und ein subgemmales Gebilde liefern, welches zuerst von v. Lenhossek beı Fischen entdeckt und als Kupula bezeichnet worden ist. Später wurde dieses Gebilde auch bei Säugetieren gefunden (Arnstein-Ploschko und ıch), bei Ganoiden von Dogiel, beim Frosch von Feyerstein etc. In letzter Zeit habe ich diese Gebilde in den Endknospen der Zunge und der Barteln des Karpfens vorgefunden und beobachtet, dass es sich bei Fischen sehr leicht mit Chromsilber darstellen lässt. Die andern Nerven umspinnen das ganze Organ in zahlreichen un- regelmäßigen Touren, welche Art Nervendigung als perigemmales Geflecht bekannt ist. Schließlich kennt man noch Nerven, welche ın das Innere des Organs eindringen und hier sowohl mit den axialen als auch mit den Deckzellen in Kontakt treten, indem sie diese in unregelmäßigen Touren umspinnen und solchergestalt bıs zum Porus emporsteigen. An den Endknospen aus der Zunge des Karpfens habe ich beobachtet, dass einzelne Fasern in gerader Richtung das Organ durchsetzten, wodurch ich mich veranlasst sehe, zu glauben, dass möglicherweise auch noch eine vierte Art von Nervenfasern ın den Endknospen zu finden sind, nämlich solche, die, ohne mit den Zellen ın Kontakt zu treten, sich direkt zum Porus begeben, ohne jedoch schon jetzt die Richtigkeit dieser Meinung behaupten zu können. Derartige Endknospen sind nun in den Schleimhäuten der Mund- teile von Vögeln in großer Menge vorhanden. Ihr Sitz ist hauptsächlich die Rachengegend. An gewisse Papillen sind sie nicht gebunden, sondern finden sich ın der ungefalteten weichen Haut der hinteren Zungenpartien, auf der Oberseite, dem Rande und der Unterseite der beiden hinteren Zungenflügel, ferner um den Schlund herum und im weichen Gaumen. Es lassen sich zweı verschiedene Arten unterscheiden, von denen eine in bezug auf Größenverhältnisse wieder zwei Unterarten aufweist. Zu der einen Art gehören solche, welche den bei den übrigen Vertebraten vorkommenden Endknospen in bezug auf ihre Beschaffenheit gleichen, in Hinsicht ihrer Form dagegen ungefähr die Mitte zwischen jenen der Säugetiere und jenen der Fische halten. Während nämlich die Endknospen der Fische eine mehr oder minder birnförmige Form besitzen, deren ver- deckter Teil die Basıs derselben ausmacht, jene der Säuger eme annähernd kugelige Form haben, zeigen die Geschmacksknospen der Vögel einen schlanken, spindelförmigen Bau. Am nächsten stehen sie in dieser Beziehung den Endknospen der Reptilien (Lacerta, Anguis). Die zweite Art bilden Endknospen, welche als spezifisch für die 736 Botezat, Geschmacksorgane und nervöse Endapparate im Schnabel der Vögel. Vögel anzusehen sınd. Es sind dies in bezug auf ihre Zusammen- setzung den gewöhnlichen gleichwertige Endknospen, aber sie stellen nicht wıe jene solide Gebilde dar, sondern die sie zusammen- setzenden Elemente werden in der Achse des Organs dilatiert oder durchbrochen durch den Durchtritt des Ausmündungsganges der kleinen und auch großen Schleimdrüsen, welche in den erwähnten Häuten ın überaus großer Menge vorkommen. An gelungenen Präparaten sieht man aufs deutlichste, wie die mit Chromsilber imprägnierten Knospenzellen die zahlreichen Ausführungsgänge der Schleimdrüsen umstellen. An Präparaten, in denen diese Zellen nicht imprägniert wurden, sieht man wohl nur die Nerven der Endknospen, welche man von Drüsennerven wohl unterscheiden kann. Diese durehbrochenen Endknospen sind nun in bezug auf ihre Größe den erwähnten gewöhnlichen gleich, oder aber sie sind um ein Bedeutendes kleiner. Letzteres ist insbesondere an der Unterseite der lateralen Zungenflügel der Fall, woselbst auch die Drüsen, deren Ausführungsgänge die fraglichen Knospen durch- brechen, um an deren Pole nach außen zu münden, von auffallen- der Kleinheit sind. Sonstige Verschiedenheiten habe ich bis nun nicht beobachtet. Was die Innervierung der Geschmacksknospen bei Vögeln an- betrifft, so stellt sich dieselbe im Verhältnis zu jener der End- knospen überhaupt nicht verschieden. Ich konnte aufs deutlichste ein perigemmales Nervengeflecht unterscheiden, welches die Endkospe in ihrer Totalität äußerlich umspinnt und intragem- male Nerven, welche die Elemente d. ı. die Zellen der Knospe umspinnen. Ein subgemmales Kupulageflecht, welches die Basıs der die Endknospe aufbauenden Deck- und Axsalzellen um- geben soll, habe ich bisher mit Bestimmtheit nicht festgestelt, zweifle aber an der Existenz eines solchen nicht und glaube, dass der bisherige Mangel auf eine unvollständige Imprägnierung zu- rückzuführen ist. Merkwürdig ist, dass sich an den Endknospen der Fische mit Uhromsilber gerade diese Kupula am leichtesten, bei höheren Wirbeltieren am schwersten darstellen lässt. Hiermit wäre in allgemeinen Zügen alles erschöpft, was ich bisher in der Mundhöhle der Vögel an Nervenendapparaten habe feststellen können. Czernowitz, 27. Juni 1904. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. 15. November 1904. N 283. XXIV. Ba. Inhalt: Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien (Fortsetzung). — Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Sceincus ofjieinalis Gray. — Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur und ihre Beziehungen zur Physiologie der Matrix (Schluss). — Zacharias, Etude de la Faune pelagique du Lac de Bret. (ur Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Von K. Goebel. (Fortsetzune..) Ehe wir auf einige sonstige Eigentümlichkeiten der Staub- blätter eingehen, sei nur noch erwähnt, dass die Entwickelung von Pollenschläuchen innerhalb der Antheren auch bei chasmogamen Blüten vorkommt. Wenn Leclerc behauptet (a. a. OÖ. p. 315) „que les fleurs oü le pollen germait dans l’anthere etaient en quelque sorte le dernier terme de la transformation progressive des fleurs ordinaires en fleurs cleistogames“, so ıst das nicht zutreffend. Ich beobachtete die Keimung der Pollenkörner innerhalb der Antheren chasmo- gamer Blüten z. B. Viola silwatica und Viola biflora, besonders häufig bei den letzten chasmogamen Blüten der erstgenannten Art an geöffneten Antheren. Da Pollenschläuche — soweit bekannt — in diesen chasmogamen Blüten von Viola silvatica die Narben nicht erreichen, so ist der Vorgang selbst ein nutzloser, möglich, dass er durch die erhöhte Temperatur veranlasst wird. Bei Viola biflora zeigte sich z. B. Schlauchbildung an den Pollenkörnern chasmo- gamer Blüten, die in das Warmhaus gestellt worden waren. Ich möchte also die Fähigkeit der Pollenkörner, innerhalb der Antheren XXIV. 7 (38 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. ohne einen von der Narbe ausgehenden Reiz Schläuche zu treiben, nicht als den letzten Schritt der Umbildung, sondern als die er ste Voraussetzung für die Möglichkeit der Bildung kleistogamer Blüten betrachten! Auch einer anderen Ansicht von anılen du Sablon kann ich nicht beistimmen. Er gibt an, dass das Endo- thecium in den „fleurs cleistogames les mieux diene fehle, an seiner Stelle treffe man nur eine charakteristische Schicht von Parenchymzellen, der Pollen bleibt deshalb in den Antheren ein- geschlossen. Ein vollständiges Fehlen des Endotheciums habe ich in den sehr zahlreichen untersuchten Viola-Blüten nie feststellen können. Auf Längsschnitten (wie sie der genannte Autor ausschließlich unter- sucht zu haben scheint), sieht es allerdings nicht selten so aus, weıl das Endothecium namentlich auf der nach Auen gekehrten Hälfte der Pollensackwandung zuweilen nicht vollständig entwickelt ist. Dies entspricht der Tatsache, dass es auch in den chasmogamen Blüten hier weniger stark ausgebildet ist. Auch bei den Blüten von Viola, wo sie vollständig entwickelt ist, unterbleibt aber bei den meisten Arten die Öffnung der Antheren (Viola mirabilis und Viola biflora öffnen die Antheren wenigstens an der Spitze). An der Spitze der Antheren glaubt nun Leelere du Sablon ein besonders ausge- bildetes „tissu conducteur“ für die Pollenschläuche gefunden zu haben, welche durch kleine, plasmareiche Zellen am Antherenende herauswachsen. Dieses „tissu condueteur* sei „une adaptation en rapport avec l'atmosphere humide oü se trouvent les &tamines dans les fleurs cleistogames“. Hätte der Verf. sich die Antheren chasmogamer Blüten angesehen, so würde er auch in ihnen sein „tissu condueteur* an haben! Es ıst nämlich nichts anderes als das kleinzellige, an der Öffnungsstelle der Pollensäcke liegende Gewebe, welches sıch auch auf Han Scheitel des Bol er- streckt, hier ist das Endothecium unterbrochen, das kleinzellige Gewebe wird -— infolge nicht bekannter Einwirkungen — zum Teile resorbiert und gestattet so dem Endothecium die freie Be- wegung beim Austrocknen. Dies Gewebe findet sich auch an den Pollensäcken der kleistogamen Blüten. Weit entfernt also, dass die Pflanze zu einer „adaptation en rapport avec l’atmosphere hu- mide* geschr itten wäre); sie benützt zum Durchtritt der Pollen- 1) er Viola mirabilis öffnen sich bekanntlich die Antheren der kleistogamen Blüten; die Pollenkörner fallen heraus und treiben Schläuche, teilweise Ach in die Antheren hinein. Ich habe aber auch in ungeöffneten Antheren Schlauch- bildung beobachtet und halte es nicht für notwendig, eine besondere Terminologie anzuwenden (wie dies geschehen ist), da sich zwischen „kleistantherischen“ und „chasmantherischen“ kleistogamen Blüten doch keine scharfen Grenzen ziehen lassen. Denken wir uns eine Anthere, bei welcher durch Auflösung des kleinzelligen Ge- webes am Scheitel eine Öffnung entsteht, so bildet diese einen Übergang zu den sich öffnenden Antheren. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 159 schläuche nur das ohnedies „schon vorhandene“ und offenbar leicht durchdringliche Gewebe. Ein günstiger Zufall gestattete dies ad oculos zu demonstrieren. Unter den Längsschnitten durch chas- mogame Blüten von Viola odorata befand sich einer, bei welchem die Pollenkörner innerhalb der geschlossenen Antheren (die ein sehr schön entwickeltes Endothecium besaßen), gekeimt waren. Ein dichtes Geflecht von Pollenschläuchen war ım Innern der (hier mit 4 Pollensäcken versehenen) Antheren vorhanden. Am Scheitel waren sie in das Gewebe der Öffnungsstelle hineingewachsen und in ihm bis zur Oberfläche vorgedrungen. Aber auch an anderen Stellen waren sie in das „Öffnungsgewebe“ hineingewachsen, so in die je 2 Pollensäcke trennende später aufgelöste Scheidewand. Es kann ein deutlicherer Beweis für dıe oben dargelegte Anschauung und für die Unrichtigkeit der Leclere’schen Annahme wohl kaum gefunden werden. Es ıst damit noch nicht erklärt, weshalb die Viola silvatica kleistogam erzeugte Frucht, ca. Sfach vergr. p eines der verkümmerten Blumenkronenblätter (die „Lippe“), N der hakenförmig gebogene Griffel, bedeckt von der Staubblattkapuze (K). Die Filamente der beiden allein vorhandenen Staubblätter sind unten abgerissen und, da die Antheren durch die Pollen- schläuche mit der Narbe verbunden sind, von der wachsenden Frucht emporgehoben worden. Pollenschläuche in den kleistogamen Blüten nur am Scheitel, nicht auch dort, wo der Pollensack seitlich sich öffnen sollte, heraus- kommen. Es lässt sich wahrnehmen, dass am Scheitel die Off- nungszellen am meisten entwickelt sind und deshalb bei der Hem- mung, welche die Anthere ja auch unzweifelhaft erfährt, weniger zurückbleiben als die tiefer gelegenen, ebenso wie wir sahen, dass auch das Endothecium auf der Seite, auf welcher es ohnedies schwächer ausgebildet ist, mehr gehemmt wird als auf der andern. Dass die Schläuche gerade hier hervortreten, ist zweifellos für die Befruchtung von Vorteil, denn sie können die Narbe so besonders leicht erreichen. Die Narben- resp. Griffelbeschaffenheit in den Vrola-Blüten be- darf einer besonderen Erörterung, hat man doch gerade sie als besonders zweckmäßige Anpassungen aufgefasst. Schon Mohl sagt (a. a. ©. p. 324): „Damit aber die Wanderung der Pollenröhren 47 740 (zoebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. zum Stigma der eigenen Blüte gar nicht fehlschlagen könne, stehen Antheren und Stigma in der allernächsten Nachbarschaft und selbst bei Viola... ist durch die eigentümliche Form des Griffels, welcher mit dem Stigma unter den hautförmigen Fortsatz des Konnektivs beinahe bis zur unmittelbaren Berührung der Sutur der zwei fruchtbarsten Antheren herabgebogen ist, die Befruchtung durch den Pollen der eigenen Blüte vollkommen gesichert...“ Auch Darwin hat die Gestalt des Viola-Griffels als eine spezielle Anpassung betrachtet. Tatsächlich wird man zu einer solchen An- schauung geneigt sein, wenn man sieht, wie z. B. bei Viola sil- vatica (Fig. 7) die beiden hier meist einzig vorhandenen Antheren der Narbe dicht anliegen, sie waren mit ihr ın dem gezeichneten Falle durch die Pollenschläuche so fest verbunden, dass die an der Basıs der Filamente abgelösten Antheren bei weiterem Wachs- Viola mirabilis. I—I11kleisto- gam erzeugte Früchte (in nat. Gr.), ZV Staubblatt von oben löfach vergr. Es besitzt zwei Pollensäcke und das für die Viola-Staubblätter charakte- ristische schuppenförmige An- hängsel oberhalb der Pollen- säcke. tum des Fruchtknotens (nach der Befruchtung) mit emporgehoben wurden. Alle untersuchten Viola-Arten zeichnen sich aus durch eine kurze, hakenförmig nach unten gebogene Narbe (wenn dieser Aus- druck im weitesten Sinne genommen werden darf, also nicht nur die eigentliche Narbe, sondern auch das kurze darunter liegende Griffelstück bezeichnet). Man kann daran die kleistogam erzeugten von den chasmogam erzeugten Früchten leicht unterscheiden (vgl. 7. B. Fig. 3, II), denn letzteren sitzt der Griffel zunächst noch auf, und da er ziemlich lang ist, unterscheiden sich diese Früchte leicht von den aus kleistogamen Blüten hervorgegangenen, deren kurze hakenförmig gebogene Narbe dem bloßen Auge kaum sicht- bar ist. Bei Viola mirabilis fand ich an den kleistogam entstan- denen Früchten Übergangsbildungen des Griffels zu der Form der chasmogam erzeugten Früchte (vgl. Fig. 8, III). Fig. 8, 7 zeigt —! En Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. die gewöhnliche Ausbildung, an den in Fig. 8, /7 u. III abgebil- deten Früchten ist dagegen ein Griffel vorhanden, welcher dem der chasmogamen Blüten entspricht. Eine Verwechslung mit chas- mogam erzeugten Früchten ist deshalb nicht möglich, weil chas- Viola biflora. Griffel mit Narbe schief von oben gesehen. Rechts und links die beiden flügel- förmigen Auswüchse, unten \ die Narbe. L Viola biflora. I Längsschnitt durch eine chasmogame Blüte, N Narbe, F' Nektarium (Auswuchs eines Staubblattes. Vergr.), II Griffel und Narbe einer kleistogamen Blüte, die Griffelhöhlung punktiert, ZII Griffel einer chasmogamen Blüte, die Gestalt desjenigen der kleisto- gamen Blüte ist eingezeichnet, /V junger Griffel einer chasmogamen Blüte, noch gerade, die Narbe am Ende, V älteres Stadium, es be- ginnen sich die beiden flügelförmigen Auswüchse zu bilden. mogame und kleistogame Blüten bei Wola mirabilis bekanntlich eine verschiedene Stellung haben: erstere finden sich an dem un- teren Teil der Sprossachse mit gestauchten Internodien, letztere an den oberen mit gestreckten Internodien. So verschieden sonst die Griffel und Narben auch in den chasmogamen Viola-Blüten 142 (Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. sind, so sehr stimmen doch die der kleistogamen Blüten der ver- schiedenen Arten der Hauptsache nach überein. Darwin führt die hakenförmigen Pistille von Viola mit als eines der Verhältnisse an, die in kleistogamen Blüten speziell so modifiziert worden seien, dass sie zur Selbstbefruchtung helfen und findet außerdem, dass das Pistill bei Viola canina sich dadurch ven dem der chasmogamen Blüte unterscheide, dass letzteres keinen offenen Kanal habe — ein solcher war bei allen von mir unter- suchten Viola-Pistillen ındes vorhanden, dieser Punkt kann also außer Betracht bleiben. Es sei nun versucht, zunächt an Viola biflora nachzuweisen, dass auch die Gestaltung des Pistills der kleistogamen Blüten keine spezifische Anpassungserscheinung, son- dern eine eigenartige Hemmungsbildung ist. Der Griffel der chas- mogamen Blüten hat eine sehr charakteristische Gestalt. An der Basıs ıst er dünn und knieförmig nach abwärts gebogen. Nach oben hin wird er dicker und schwillt unterhalb der Narbe zu zwei dicken flügelförmigen Auswüchsen an. Die Narbe selbst ist ver- hältnısmäßig klein und auf die Unterseite der Griffelanschwellung verschoben (Fig. 9). Die Einkrümmung des Griffels wie die Ver- schiebung der Narbe erfolgen beide in der Medianebene der Blüte. Die Entwicklungsgeschichte zeigt, dass der Griffel ursprünglich ge- rade und röhrenförmig ist (Fig. 10, /V). Das Ende der Röhre wird zur Narbe, unterhalb deren die erwähnte Anschwellung statt- findet (Fig. 10, 7); während sie ursprünglich in der Längsachse des Griffels liegt, wird sie später durch das überwiegende Wachs- tum der Griffeloberseite auf die Unterseite verschoben (Fig. 10, 7). Vergleichen wir damit das Verhalten des Griffels ın kleisto- gamen Blüten, so sehen wir, dass eine Hemmung in der Griffel- entwickelung einsetzt zu der Zeit, wo der Griffel noch einfach röhrenförmig ıst. Es bildet also weder die eigentümlichen Aus- wüchse, noch wächst er zu dem keulenförmigen Gebilde der chas- mogamen Blüte heran. Die einzige Veränderung, welche er erfährt, ist eine scharfe Einkrümmung nach unten (Fig. 10, //). Ich habe in Fig. 10, //I m dem Griffel der chasmogamen Blüte durch Punktierung die Gestalt des Griffels der kleistogamen Blüten an- gegeben. Es fehlt an ıhm das ganze mit @ bezeichnete Stück des chasmogamen Griffels (wenn der Kürze halber dieser Ausdruck gestattet ıst) und ebenso fehlen die Auswüchse f! Aber wir sehen, dass die Einkrümmung des kleistogamen Griffels nicht ein „Novum“, etwas durch besondere Anpassung erworbenes ıst, sondern lediglich etwas, was sich auch am chas- mogamen Griffel findet. Hier wıe dort ıst der Griffel an seiner Basis hakenförmig resp. knieförmig gekrümmt, hier wie dort ıst die Narbe auf die Unterseite verschoben und in beiden Fällen findet die Krümmung in der Medianebene der Blüte statt. Der (Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 143 Unterschied liegt nur darin, dass der kleistogame Griffel in seiner Gestaltung, wie oben gezeigt, dem chasmogamen gegenüber eine Hemmung erfahren hat, das aber ıst bei kleistogamen Blüten mit Entwickelungshemmung eine allgemeine Erscheinung. Sıe findet sich ebenso bei Specularia, Oxalis u.a. Dass bei Viola, wenn die Streckung des Griffels unterbleibt, die Narbe des kleistogamen Griffels zwischen die Antheren der beiden unteren Staubblätter zu liegen kommt, ergibt sich mit Notwendigkeit aus der ganzen Blüten- gestaltung. Für die kleistogamen Viola-Blüten, welche nur diese beiden unteren Staubblätter ausbilden, ist diese Lage eine augen- scheinlich besonders vorteilhafte, während bei denen, die noch an allen 5 Staubblättern Pollensäcke haben, ein gerader, in der Mitte der Antheren liegender Griffel mindestens ebenso nützlich wäre, denn die Pollenschläuche aus 3 Staubblättern haben jetzt einen weiteren Weg zurückzulegen, als wenn die Narbe ın der Mitte läge. Wenn aber die 2 unteren Antheren auch in diesem Falle zur Bestäubung genügen, so arbeiten die kleistogamen Blüten mit einer Verschwendung des Inhaltes von 6 Pollensäcken, jedenfalls also nicht nach dem Prinzip zweckmäßiger Sparsamkeit. Anfangs, ehe mir die Beziehungen zwischen die Gestaltung des chasmogamen und des kleistogamen Griffels klar geworden waren, glaubte ich die Einkrümmung des kleistogamen Griffels auf den Widerstand zurückführen zu sollen, welchen er bei seiner Verlängerung inner- halb der geschlossen bleibenden Knospe erfährt. Eine solche me- chanische Beziehung mag in einigen Fällen wohl die Krümmung verstärken, aber sie ist, wie die Entwickelungsgeschichte und der Ve:gleich mit den chasmogamen Blüten zeigt, nicht ausschlag- gebend. Es mag hier kurz auf die Richtung, welche die kleistogamen Blüten annehmen, noch hingewiesen werden. Sie ıst nicht bei allen Viola-Arten dieselbe. Fig. 1 zeigt, dass die kleistogamen Blüten von Viola odorata sich scharf nach abwärts biegen, während die Stiele der chasmogamen Blüten zunächst orthotrop sind und erst nach der Befruchtung sich abwärts krümmen. Da auch die „kleistogamen“ Blüten der gefüllt blühenden Veilchen (in welchen keine Spur von Antheren und Fruchtknoten zu finden ist) sich ab- wärts biegen, so dürfte das Verhalten der kleistogamen Blüten mit der Hemmung der Blumenblattentwickelung in Beziehung .stehen. Dass die Abwärtskrümmung mit der Kleistogamie als solcher nicht direkt zusammenhängt, zeigt auch der Vergleich mit anderen WVola- Arten, wie z. B. Viola mirabilis, silvatica, biflora u. a., bei denen sie nicht emtritt. Bei hirta ıst sie viel weniger ausgeprägt als bei Viola odorata, an schattigen Standorten, wie es scheint, mehr als an stärker beleuchteten, an letzteren war die Richtung der Blüten- stiele mehr eine horizontale. 744 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 5. Die kleistogamen Blüten von Oxalis acetosella bedürfen hier nur einer kurzen Besprechung, es tritt bei ihnen besonders deut- lich hervor, dass sie nur Hemmungsbildungen darstellen. Die Blumenkrone war bei den von mir untersuchten Blüten, nament- lich wenn die Fruchtbildung schon begonnen hatte, stets als weiße Kappe zwischen den Kelchblättern schon mit bloßem Auge sichtbar, also nicht so reduziert wie bei Viola. Von den 2 Staubblattkreisen ist der eine, epipetale schon in den chasmogamen Blüten weniger kräftig entwickelt als der andere, episepale. Es gibt sich dies nicht nur in geringerer Länge zu er- kennen, auch der Querschnitt der Filamente und der Antheren steht hinter dem der episepalen Staubblätter zurück. Es lässt sich daher erwarten, dass die Kronenstaubblätter in den kleistogamen Blüten mehr reduziert sein werden als die anderen. Zwar fand ich sie nicht, wie Michelet, der Entdecker der kleistogamen Oxalis-Blüten, angegeben hatte, unfruchtbar oder ganz fehlgeschlagen, aber nicht selten sind einzelne ganz oder teilweise steril), es ist von Interesse, dass dieser Staubblattkreis auch in den chasmo- gamen Blüten einiger Oxalideen normal verkümmert ist. Auch die episepalen Staubblätter zeigen eine Reduktion ın der Pollenzahl, nach Rössler fehlt der Pollen zuweilen ın einem der inneren Pollensäcke oder ın beiden, eine Reduktion, welche an Impatiens erinnert, zuweilen fand ich (an durchsichtig gemachten Staub- blättern) in den inneren Pollensäcken nur eine Pollentetrade aus- gebildet. Leclere du Sablon behauptet, dass hier kein Endothecium sich ausbilde („aucun &paississement lignifi6 n’apparait sur les membranes de l’assise sous-epidermique qui correspond a l’assise mecanique*). Indes beruht diese Angabe auf unvollständiger Be- obachtung. Genauer hat Rössler den Antherenbau untersucht. „Manchen Antheren fehlen die Faserzellen (das „Endothecium*) ganz?). In andern ist das Maschennetz der Fasern nur an einigen kleinen Stellen durch Lücken unterbrochen. Zwischen diesen Grenzfällen gibt es nun die verschiedensten Stufen der Reduktion Am wenigsten verkümmert zeigt sich die Faserschicht der morpho- logischen Unterseite. Dies ist verständlich, weil die morphologische Oberseite hier überhaupt mehr reduziert ist. Die unvollständige Ausbildung des Endotheciums bedingt auch, dass die Antheren sich selbst bei künstlicher Austrocknung nicht mehr öffnen. Leclere du Sablon meint, hier erstrecke sich sein „tissu conducteur* auf die ganze den Narben zugewandte Längsseite der Pollensäcke. 1) Vgl. auch Rössler, Beitr. zur Kleistogamie (!), Flora, 87. Bd., p. 492. 2) Derartige Staubblätter sind mir nicht vorgekommen, doch habe ich keine Y sehr große Anzahl untersucht. G. h +) Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 7 Schon Mohl hatte aber festgestellt, dass die Pollenschläuche durch die „Sutura“ der Anthere herauswachsen, d. h. an den Stellen, wo sich normal das Öffnungsgewebe befindet, also das Endotheeium unterbrochen ist. Wenn man Antheren frei präpariert, durchsichtig macht und dann mit Kongorot färbt, kann man sehr schön sehen, wie die Pollenschläuche in jeder Staubblatthälfte aus der der „Sutur“ entsprechenden Vertiefung zwischen je 2 Pollensäcken hervortreten. Dies entspricht dem Verhalten der Viola-Antheren, wie es oben geschildert wurde. Jedenfalls ist also an der „Sutur“ die Stelle, wo die meisten Pollenschläuche austreten. Rössler fand, dass sie auch aus anderen Stellen hervortreten können, was bei der oft beträchtlichen Rückbildung der Antheren nicht wunder nehmen kann. Von einem „tissu conducteur“, wie Leclere du Sablon es annahm, kann aber auch hier keine Rede sein. Die Antheren der längeren Staubblätter liegen den Narben dicht an, weil hier die Bildung eines Griffels ebenso wie bei Wvola sehr abgekürzt ist. Leclere du Sablon glaubt einen Unterschied zwischen dem Bau der Narbe resp. des Griffels kleistogamer und chasmogamer Oxalis-Blüten darin gefunden zu haben, dass bei ersteren „les cellules superficielles forment le tissu conducteur qui s’etend depuis le stigmate jusqu’ä l’ovaire“, während bei den letzteren „le tissu conducteur est A l’interieur du style et non plus A la surface“. Dieser vermeintliche Unterschied rührt aber nur daher, dass Lecelere du Sablon die Narben der kleistogamen Blüten mit den Griffeln der chasmogamen verglichen hat, was unzulässig ist. Die Narben werden gebildet durch den oberen, nach innen eingebogenen Teil jedes Fruchtblattes, weiter nach unten verwachsen die beiden eingebogenen Fruchtblattränder mit- einander und bilden so 5 in den Fruchtknoten mündende Griffel- röhren. Untersucht man die Fruchtknotenbildung der kleistogamen Blüten auf Serienschnitten, so zeigt sich, dass auch hier jedes der 5 Fruchtblätter einen Griffel bildet, in welchem das Leitungsgewebe selbstverständlich innen liegt. Aber dieses Griffelstück ist außer- ordentlich kurz gegenüber dem der chasmogamen Blüten. Der Unterschied zwischen den beiden Gynaeceen ist also ledig- lich ein gradueller, das der kleistogamen Blüten ist eine Hemmungs- bildung gegenüber dem der chasmogamen Blüten, was sich auch in der geringeren Entwickelung der Narbenpapillen in den kleisto- gamen Blüten ausspricht. Selbstverständlich erleichtert die geringe Griffelentwickelung das Erreichen der Narben von seiten der Pollen- schläuche. Die Pollenschläuche wachsen aber, wie ich in Übereinstimmung mit Mohl und Rössler beobachtete, keineswegs alle direkt zur Narbe, vielfach wachsen sie am Filament heruntei* oder zu den be- nachbarten Antheren hin, sie bilden sich stets in so reichlicher 146 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Menge, dass die Befruchtung gesichert ist. Dass die Zahl der Pollenkörner kleiner, ihre Größe geringer ist als in den chasmo- gamen Blüten, ıst gleichfalls eine Folge der Hemmung und es ist eine meiner Ansicht nach ungerechtfertigte Umdrehung der Kausal- verhältnisse, wenn Rössler z. B. von den Blumenblättern sagt, sie seien klein, weil sie für die Anlockung der Insekten nicht nötig seien und der einfachere Bau der Blumenblätter sei eine Anpassung an die gehemmte Verdunstung ete. 6. Vardamine chenopodifolia. Schon lange ist bekannt, dass diese Pflanze in die Erde ein- dringende kleistogame Blüten an ihrer Basis bildet. Grisebach!) hat zuerst eine — recht unvollständige — Beschreibung dieser Blüten veröffentlicht, mit denen sich später auch andere Autoren beschäftigt haben ?). Die Pflanze ıst zunächst dadurch von Interesse, dass die kleisto- gamen Blüten (wie oben p. 678 bemerkt) sehr frühzeitig auftreten. Schon wenn die Keimpflanzen erst 2 Laubblätter gebildet hatten, schritten sie in meinen Topfkulturen zur Bildung kleistogamer Blüten, welche äußerlich ganz Wurzeln gleichen und wie diese in den Boden eindringen. Nur an der kleinen Anschwellung an der Spitze, die meist etwas dunkler gefärbt ist, kann man erkennen, dass dort eine Blütenknospe sich befindet (vgl. die Abbildung einer älteren Keimpflanze Fig. 11). Über die Beschaffenheit der Blüten stim- men die Angaben der verschiedenen Autoren nicht überein. Alle sind wohl darin einig, dass sie in den kleistogamen Blüten keine Blumen- krone fanden. Die Differenz liegt in den Staubblättern. Grise- bach fand 4 den Kelchblättern anscheinend opponierte, Schulz 2, keiner gibt an, dass diese Staubblätter nur je 2 Pollensäcke be- sitzen. Ob dies die vorderen oder die hinteren sind, ist ohne Be- obachtung von Übergangsstufen nicht mit Sicherheit zu sagen. Doch möchte ich annehmen, dass es die hinteren sind, deshalb, weil das Endotheeium so gelegen ist, dass die Öffnungsstelle auf die Innenseite der Anthere zu liegen kommt, was leichter ver- ständlich ist, wenn man sich die vorderen Pollensäcke fehlend denkt, als umgekehrt. Außerdem fand ich. bei anderen Cruciferen die vorderen Pollensäcke der Staubblätter im „Schwinden begriffen“ an. So bei Neslia paniculata ın den oberen Blüten der Infloreszenz. Es fanden sich hier Staubblätter, deren vordere Pollensäcke ganz klein waren (einer enthielt nur eine Pollentetrade), während sie bei normalen Staubblättern zwar etwas kleiner als die hinteren Pollensäcke, aber sonst wohl entwickelt sind. Offenbar waren diese 1) Grisebach, der Dimorphismus der Fortpflanzungsorgane von Cardamine chenopodifolia. Bot. Zeitung 1S7S, p. 125. 2) Literatur bei ©. Schulz, Monographie der Gattung Cardamine. Engler’s Jahrb. 32, Bd., 4. Heft, 1903. —! —! Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Neslia-Blüten schlecht ernährt und stimmten so einigermaßen mit den kleistogamen überein. In den von mir untersuchten Cardamine- Blüten waren teils 4, teils 3, teils 2 Staubblätter vorhanden. Be- kanntlich besitzt die normale Cruciferenblüte 2 kurze und 4 lange Staubblätter (vgl. Fig. 12, 7). Letztere sind die, welche ın den kleistogamen Blüten allein übrig bleiben, aber eine Reduktion ihrer Pollensäcke und innerhalb dieser eine Reduktion der Pollenzahl erfahren, welche, wie ich wie- derholt beobachtete, so weit Fig. 11. gehen kann, dass in einem Pollensack nur eine einzige Pollentetrade sich ausbildet (Fig. 12, VI). Diese Tatsache ıst insofern von Interesse, weil ın den Makrosporangien der Samenpflanzen ja auch meist nur eine Tetrade zur Entwicke- lung gelangt (und in dieser nur eine Tochterzelle zur Ma- krospore wird); wir sehen also, dass auch in den Mikrospo- rangien in dem Verlaufe der Einzelentwickelung ein ganz ähnlicher Reduktionsvorgang sich abspielt wie er bei den Makrosporangien im Verlaufe der phylogenetischen Ent- wickelung eingetreten ist. Wenn 4 Staubblätter vor- handen sind, stehen sie paar- weise je vor einem Kelchblatt (Fig. 12, IT), sie biegen aber ihre Filamente häufig so, dass sie scheinbar mit den 4 Kelch- Cardamine chenopodifolia. blättern alternieren, also an Keimpflanze mit in den Boden eindringenden den Stellen zu stehen scheinen, kleistogamen Blüten (B1). wo eigentlich die Blumen- blätter sich befinden sollten. Wenn 2 Staubblätter vorhanden sınd (Fig. 12, V), stehen sie vor der Mitte der 2 Kelchblätter. Eine Übergangsbildung zu dieser weiteren Reduktion ist es, wenn vor einem Kelchblatt noch 2 Staubblätter vorhanden sind (Fig. 12, /V). Diese hingen ın dem betreffenden Falle unten zusammen, eines war kleiner als das andere und hatte keine Anthere mehr. Es mag hier unerörtert bleiben, inwiefern man die Tatsache, dass die Staubblätter unten paarweise vereinigt sind und den Ersatz eines 748 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Staubblattpaares durch ein Staubblatt zur Stütze der Annahme ver- wenden könnte, dass diese Staubblattpaare durch Spaltung einer Anlage entstehen, wie dies namentlich Eichler annahm, denn einen entscheidenden Beweis dafür kann man in der erwähnten Tatsache jedenfalls nicht erblicken. Kleistogame Blüten traten bei den von mir untersuchten Pflanzen auch an den oberirdischen Infloreszenzen auf, ein Beweis dafür, dass die Kleistogamie mit dem Eindringen der Blüten in den Boden nicht ursächlich verknüpft ist, was sich übrigens auch daraus ergibt, dass die geophilen Blüten, wenn man sie nötigt, sich I Sinapis arvensis. (Querschnitt einer jungen Blüte, welche zeigt, dass die Blumenblätter in der Entwickelung gegenüber den Staub- blättern zunächst zurückbleiben. II—VI Cardamine chenopodifolia. ' II—V Querschnitte verschiedener kleistogamer Blüten. VI Eine durchsichtig gemachte Anthere, in einem der beiden Pollensäcke nur eine Pollentetrade ausgebildet. am Lichte zu entwickeln, trotzdem kleistogam bleiben. Es waren bei meinen Topfkulturen sogar sämtliche Blüten der oberirdischen Infloreszenzen kleistogam. In diesen oberirdischen kleistogamen Blüten fand ich nicht selten (namentlich an den unteren, zuerst gebildeten) alle 6 Staub- blätter ausgebildet, nicht selten aber auch nur 4. Der Fruchtknoten hat hier aber viel mehr Samenanlagen als bei den unterirdischen kleistogamen Blüten (in denen ich meist nur 2 fand) und entwickelt sich demgemäß nicht wie bei jenen zu einem Schötchen, sondern zu einer Schote. Auch die rudimentären Blumenblätter wurden in diesen kleistogamen Blüten mehrfach gefunden als kleine, etwa !/, der Länge der Staubblätter erreichende Schüppchen. Fragen wir Goebel, Die kleistogeamen Blüten und die Anpassunestheorien. 749 , oO ie) uns nun,‘ wie die besprochenen Reduktionen aufzufassen sind, so werden wir uns nicht der teleologischen Auffassung, wie sie bei Schulz z. B. sich findet, anschließen können. Dieser meint, die längeren Staubblätter seien bei Cardamine immer ausgebildet, „da- mit“ sie im Falle ausbleibenden Insektenbesuches die Narbe be- legen können, die kürzeren aber dienen ausschließlich der Fremd- bestäubung. Wır sahen aber soeben, dass sie auch in kleistogamen Blüten, ın denen von Fremdbestäubung keine Rede sein kann, sich finden können. Vielmehr liegt auch hier der Grund für die Reihenfolge der Verkümmerung in der Ausbildungsweise der chas- mogamen Blüten. Die Blumenkrone entwickelt sich hier auch in diesen später als die Staubblätter (vgl. Fig. 12, /, angelegt war sie früher), im den kleistogamen Blüten setzt hier die Hemmung nur sehr frühzeitig, früher als ın allen anderen von mir beobachteten Fällen en. Ob man — was wahrscheinlich ist — die Anlagen der Petala vielleicht noch als wenigzellige Protuberanzen nachweisen kann, habe ich nicht näher untersucht. Dasselbe gilt für die kleinen Staubblätter, sie sind von vornherein weniger kräftig entwickelt als die längeren und erfahren deshalb zuerst eine Hemmung. Von besonderem Interesse ist nun, dass ganz analoge Ver- kümmerungserscheinungen auch bei anderen Cruciferen vorkommen. Stets lässt sich folgende Reihe konstruieren: Es verschwinden die seitlichen (kurzen) Staubblätter, obwohl sie nach Eichler etwas vor den längeren angelegt werden, zuerst, die längeren bleiben allein übrig, und vielfach findet man an Stelle eines Paares ein einzelnes. Man überzeugt sich leicht, dass die längeren Staub- blätter den kürzeren ın der normalen Entwickelung bald voraneilen (untersucht an Lepidium satirum), dies bedingt die Reihenfolge des Schwindens. So weist Eichler!) darauf hin, dass bei Lepidium ruderale die Zahl der Staubblätter schwankt zwischen 6 und 2, wenn es 4 sind, sind die beiden seitlichen unterdrückt (wie bei Cardamine chenopodifolia) und es waren verkümmerte Anlagen nicht mit Sicherheit nachzuweisen (p.519a.a.0.). Hier handelt es sich — soweit bekannt — um nichtkleistogame Blüten, und es zeigt sich, dass die Verkümmerungsfolge denselben Gang einhält, wie wir ihn eben für die kleistogamen Cardamine-Blüten nachgewiesen haben, ein Beweis dafür, dass dieser Gang offenbar im Bau der Blüte begründet ist?). Da auch die Blumenkrone bei Lepidium ruderale meist verkümmert ist, so gleichen derartige Blüten (in denen regelmäßig Selbstbestäubung eintritt) in wesentlichen Zügen den 1) Eichler über den Blütenbau der Famariareen, Cruciferen und einiger Capperideen, Flora 1865, p. 505. 2) Die Angabe bei Knuth (a. a. O. p. 12), dass nur die beiden kürzeren Staubblätter vorhanden seien und an Stelle der beiden längeren eine Honigdrüse sitze, beruht offenbar auf einem Irrtum. 750 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. kleistogamen. Dass bei Cruciferen auch kleistogame Blüten, welche vollständiger ausgestattet sind, vorkommen, wird im letzten Ab- schnitt auszuführen sein. Hier möchte ich nur anführen, dass die eben dargelegte Anschauung über die Verkümmerungsfolge sich, wie es scheint, auch experimentell stützen lässt. Ich säte Samen von Sinapis arvensis in 2 Töpfe, der eine war mit gewöhnlicher Gartenerde gefüllt, der andere mit Sand, der nur eine dünne Be- deckung mit Erde erhielt. Beide Töpfe standen nebeneimander im Kulturhaus. Selbstverständlich entwickelten sich die Pflanzen im ersten Topf üppiger als im zweiten. Aber auch an den Blüten waren Verschie- denheiten zu bemerken. In den Pflanzen des Erdetopfes ragten die Antheren der kürzeren Staubblätter in normaler Weise über die Blumenblätter, zwischen denen die ersteren stehen, in ihrer ganzen Länge empor. Das Filament der kurzen Staubblätter war meist Fig. 13. Sinapis arvensis (4fach vergr.). I Blüte aus einer Hungerkultur, die zwei kürzeren Staubblätter (a, a) sehr verkürzt, II (gegen I um 90° gedreht) kurze Staubblätter, sonst normal. etwa ?/, so lang als das der längeren, gelegentlich erreichte es auch nur die Hälfte der letzteren. In den Blüten des Sandtopfes aber waren die kürzeren Staubblätter oft stark gehemmt, es ragte etwa noch die Spitze der Antheren hervor (Fig. 13, /), zuweilen waren die kurzen Staubblätter so versteckt, dass sie äußerlich gar nicht hervortraten und in dem in Fig. 13,7 abgebildeten Falle war das Filament fast unentwickelt, die Reduktion der kurzen Staub- blätter also ungemein deutlich. Man kann sagen, dass es von !/, der Länge der längeren Staubblätter nach abwärts varlierte. Auch die Blumenblätter waren kleiner und blasser gefärbt als die bei den besser ernährten Pflanzen, da das Wachstum des Frucht- knotens, wie es schien (Messungen wurden nicht gemacht), gleich- falls gehemmt war, so trat Selbstbestäubung sehr leicht ein. Hier hatte also eine Hemmung der Blütenentwickelung, die indes (da sie erst in der Streekungsperiode eintrat) keine beträchtliche sein konnte, Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 5 stattgefunden, und sie trat bei den von vornherein schwächer aus- gebildeten Teilen des Androeceums stärker hervor als bei den anderen. Die Samen in den beiden Töpfen waren nicht von einer und derselben Pflanze gesammelt und man könnte deshalb ver- muten, dass die auffallende Reduktion der kurzen Staubblätter nicht durch äußere Faktoren bedingt, sondern eine Rasseneigentümlich- keit sel. Es mag deshalb erwähnt sein, daß ein kümmerlich ent- wickeltes Exemplar im Erdetopf dieselbe Erscheinung zeigte, jener Einwand also wohl nıcht als stichhaltig bezeichnet werden kann, doch wäre es gewiß wünschenswert, die Frage an einer größeren Anzahl von Exemplaren zu prüfen. Selbst wenn sich ergeben sollte, dass das Zurückbleiben der kürzeren Staubblätter weniger von Ernährungs- verhältnissen abhängig ist, als etwa auf Grund der Beobachtung an verhältnismäßig wenigen Pflanzen angenommen wurde, würde doch die Tatsache bestehen bleiben, dass sie ganz unabhängig von der Frage nach Gebrauch oder Nichtgebrauch zum Verkümmern mehr geneigt sind, als die größeren und das ist es, worauf es hier zunächst ankommt. Die vorstehend angeführten Tatsachen genügen, wie mir scheint, um nachzuweisen, dass die kleistogamen Blüten Hemmungsbildungen in dem S. 676 angeführten Sinne sind. Es ist deshalb nicht not- wendig, auf andere Verhältnisse einzugehen, welche nur weitere Be- lege für dieselbe Erscheinung bieten würden. Solche sind z. B. die verringerte Zahl der Pollenkörner in den kleistogamen Blüten, Änderungen in der Beschaffenheit der Exine ete. II. Daran knüpft sich die weitere Frage: welche Faktoren bedingen, dass die zur Bildung kleistogamer Blüten führende Hemmung ein- tritt? Diese Frage ist teils kausal, teils teleologisch beantwortet worden. Die älteren Autoren wie Linne, der beobachtet hatte, dass aus Spanien stammende Pflanzen in Upsala kleistogame Blüten hervorbrachten, führten das Auftreten der letzteren auf klimatische Einflüsse, namentlich mangelnde Wärme, zurück, diese Annahme hat aber keine experimentelle Stütze erfahren. Die ersten meines Wissens veröffentlichten Kulturversuche über die Bedingungen der Kleistogamie beschäftigen sich mit Im- patiens, welche daher vorangestellt sei. Es waren dies Versuche, welche ich in den 80er Jahren in Marburg mit Impatiens noli tangere angestellt hattet). Diese später auch in München wiederholten Ver- suche mögen hier zunächst ausführlicher besprochen sein, zumal die früher gegebene kurze Notiz wohl allgemein übersehen wurde. 1) Pflanzenbiolog. Schilderungen, II. Teil (erschienen Anfang Mai 1903), p. 363. (52 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Es handelte sich darum, zu bestimmen, ob unter sonst gleichen äußeren Bedingungen, Ernährungsverhältnisse das Auftreten kleistogamer Blüten bestimmen. Ich pflanzte eine Anzahl von Keimpflanzen von Impatiens noli tangere ın Töpfe, die einen in reinen Sand, die andern in Erde. Einen Teil der Töpfe begoss ich mit Nährlösung, einen andern mit Leitungswasser. Auch die Töpfe mit Erde erhielten von Zeit zu Zeit Nährlösung. Zunächst brachten alle Pflanzen kleistogame Blüten hervor. Dann aber gingen -— um einen Einzelfall herauszugreifen — von den 6in Erde gepflanzten 5 nach und nach zur Bildung chasmogamer Blüten über. Sie brachten zunächst die oben erwähnten Übergangsinflores- zenzen (mit 1—2 kleistogamen und darauf chasmogamen Blüten) dann rein chasmogame hervor, die in Sand gepflanzten dagegen nur kleistogame Blüten und zwar in reichlicher Menge, die mit Nährstofflösung hie und da begossenen mehr als die anderen; bei diesen fielen manche Blütenknospen ohne Frucht anzusetzen ab und die Früchte enthielten meist wenige, zuweilen nur zwei Samen. Die eine der Erdpflanzen, welche keine chasmogamen Blüten produzierte, war viel kümmerlicher als die anderen, also trotz des besten Substrates doch schlechter ernährt, selbstverständlich können daran mancherlei Ursachen beteiligt sein, denen nachzugehen aber kaum weiteres Interesse bieten würde. Es ıst ja klar, dass selbst die besten Ernährungsbedingungen wirkungslos sind, wenn die Pflanze etwa wegen mangelhafter Entwickelung des Wurzelsystems oder Schädigung derselben durch Tiere u. s. w. sie nicht ausnutzen kann. Dass die Pflanzen ın den Sandkulturen schlechter ernährt waren als ın den Erdkulturen, bedarf keiner weiteren Beweisführung. Auch war die Entwickelung des Wurzelsystems in dem grobkörnigen Sand gegenüber der in der Erde sehr zurückgeblieben. Die Pflanzen der Sandkulturen erreichten immerhin teilweise eine Höhe von 40 cm. Sie gingen Anfang August durch die „rote Spinne“ zugrunde, das- selbe Schicksal hatten die in den Erdtöpfen stehenden Pflanzen, welche zahlreiche chasmogame Blüten angesetzt hatten. Ohne Zweifel würden die Pflanzen, welche nur kleistogam ge- blüht hatten, in günstige Ernährungsverhältnisse gebracht (und die nötige Entwickelungsfähigkeit vorausgesetzt), auch später noch zur Hervorbringung chasmogamer Blüten imstande gewesen sein. Um zu entscheiden, ob Pflanzen, welche schon zur Bildung chasmogamer Blüten übergegangen waren, wieder zu der kleisto- gamer Blüten übergehen können, wurden Pflanzen aus dem Freien geholt und in mit Sand gefüllte Töpfe gepflanzt. Es wurde dabei auf das Verhalten des Hauptsprosses, der zur Zeit der Verpflanzung m der Bildung von nur chasmogamen Blüten begriffen war, geachtet. Bei dem Verpflanzen fand absichtlich Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 153 eine starke Verletzung des Wurzelsystems statt, aber unter Glasglocken erholten sich die Pflanzen bald, so dass die Glocken wieder entfernt werden konnten. Die Pflanzen ließen die jungen, schon angelegten Blütenknospen chasmoganer Blüten zunächst heranwachsen, aber die meisten gingen trotzdem früher oder später zugrunde, eine zeigte die interessante, in Fig. 1,7 abge- bildete Mittelbildung zwischen chasmogamen und kleistogamen Blüten. Diese Mittelbildung entspricht einer chasmogamen Blüte, welche sich nicht vollständig geöffnet hat. Sie ist auf einem ver- hältnismäßig sehr späten Entwickelungstadium stehen geblieben, ob- wohl die Blumenkrone sehr weit entwickelt war, war sie nicht im- stande, sich vollständig zu entfalten. Sie fiel später, ohne dass Fruchtansatz erfolgte, ab. Schon nach 14 Tagen gingen zwei der so behandelten Pflanzen zur Bildung kleistogamer Blüten über, während die chasmogamen Blüten ganz ausblieben. Viele Blüten- knospen fielen auch ohne sich zu entfalten ab. Offenbar sind also für die einzelnen Entwickelungsstadien einer Blütenknospe verschie- dene Bedingungen notwendig, die gegeben sein müssen, wenn eine normale Entfaltung eintreten soll. Die Bedingungen, welche ausreichen zur Anlegung der Blüten sind also nicht dieselben, welche auch die Entfaltung ermöglichen. Es kann, wenn die letzteren nicht gegeben sind, auf den verschie- densten Stufen ein Unterbleiben der Weiterentwickelung, also eine Hemmung, eintreten. Eine besondere Form der Hemmung aber stellen die kleistogamen Blüten dar. In den oben erwähnten Fällen fand die ungünstige Beein- flussung der Ernährung durch das Wurzelsystem statt. Man würde aber die Bildung kleistogamer Blüten nach chasmogamen auch er- reichen können z. B. durch Wegnahme einer größeren Anzahl von Blättern. Dafür spricht u. a. folgende Beobachtung. Impatiens noli tangere wird in der Nähe von Ambach außerordentlich stark von Sphaerotheca Castagnei befallen. An einem feuchten, mit gutem Boden versehenen Standort, an welchem ich die Pflanzen im Juli viele chasmogame Blüten hatte tragen sehen, fand sich am 11. August keine einzige solche mehr vor (während die Pflanzen an anderen Standorten noch reichlich chasmogam blühten). Die Pflanzen waren sehr stark von dem eben erwähnten Pilze befallen und hatten die meisten ihrer Blätter verloren. Sie blühten nun alle — selbst 1 m hohe Exemplare — kleistogam und zwar hatten sie kleisto- game Blüten von der einfachen Gestalt (ohne Spornrudiment ete.), wie sie sonst an Keimpflanzen auftreten, auch bildete sich in jeder Teilinfloreszenz nur eine kleistogam erzeugte Frucht. Nicht we- nige Blütenknospen gingen ohne Fruchtansatz zugrunde, wie dies ja auch bei den schlecht ernährten Sandkulturen der Fall war. (Schluss folgt.) XXIV. 18 (54 Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Seincus. Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Scincus officinalis Gray. Von Dr. Alexander Sokolowsky. In seiner Arbeit über die Kriechtiere Deutsch-Ostafrikas'!) veröffentlichte G. Tornier seinerzeit die Resultate seiner Unter- suchungen über die Variabilität der Kopfschilder bei einer Anzahl Reptilien. Hierbei konstatierte derselbe, dass bei einer großen An- zahl von Arten einzelne dieser Schilder unter Umständen miteinander verschmelzen können. Obwohl diese Tatsache den Systematikern an und für sich nicht neu war, so wurde sie doch vorher nie in ihrer wirklichen Bedeutung voll gewürdigt. Die großen tafelförmigen Kopfschuppen gewisser Reptilien sind nach Tornier das Schlussresultat der Vereinigung vieler kleiner Schuppen, welche bei anderen primitiveren Reptilien ihre Stelle einnehmen und von je emer Kutispapille gebildet werden. Nach diesem Forscher verwachsen bei den Eidechsen speziell wohl an den Oberlippen die kleinen Schuppen zu großen Lippen- schildern, auf welchen Standpunkt noch die Geckoniden gegen- wärtig stehen. Auf dieses Stadium der Schuppenbildung legt sich bei einer Anzahl von Echsen um das Frontalauge herum ein großes Interoccipitale an, so bei einer Reihe von Agamen. Bei Iguaniden (Anolis) bilden sich dann die oberen Kopf- schilder bis zur Stirn hin aus, wo sie mit zwei Postfrontalschildern abschließen. Hierzu tritt bei den extremsten Iguaniden und be- sonders bei den Tejıden die raschere Reihe der Oceipitalschilder hinzu. Bei den Lacertiden sind dann die beiden Postfrontalschilder mit den bei den Vorfahren dieser Familie vorhandenen 2 Prä- occipitalschildern zu je einem großen Schild verwachsen, das am Frontale bis zum Interoccipitale reicht. Diese Verwachsungen nehmen, laut Tornier, bei den grabenden Eidechsen, besonders bei den extremsten unter ıhnen, den Amphis- bäniden, geradezu abnormen Charakter an, so dass zum Schluss bei Monopeltis z. B. die ganze Kopfoberseite eigentlich nur noch von zwei oder gar nur von einem riesigen Schild überdacht ist. Mit Recht weist Tornıier am Schlusse seiner Arbeit auf folgen- des hin: „Da, wie bekannt, in den Zellen der Epidermis die Horn- bildung durch Reibung sehr vergrößert werden kann und wahrscheinlich von ihr überhaupt abhängt, da Tiere, welche ihre Haut nicht der Reibung aussetzen, nur wenig oder gar nicht verhornte Epidermis- zellen-Hautschuppen und Schüppchen aufweisen, so werden Unter- suchungen über das Verhalten der Reptilienschilder von ganz be- 1) G Tornier, Die Kriechtiere Deutsch-Östafrikas. Berlin 1877. Dietrich Reimer. Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Seincus. DD sonderem Wert für die Deszendenzlehre“. — Diesen Ausführungen zufolge hat demnach die grabende Lebensweise der Eidechsen ent- schieden einen Einfluss auf die Verwachsung der Kopfschilder dieser Tiere. In meiner Arbeit „Über die äußere Bedeckung bei Lacertilien“') kam ich bei Gelegenheit der Untersuchung der Haut- verhältnisse innerhalb der Familie Zacerta auch auf diejenigen der Scincoiden zu sprechen. Hierbei stellte sich für mich heraus, dass sich bei den Wühlechsen oder Scineoiden dieSchuppen zu einem glatten, enganliegenden Kleid gestaltet haben, welches bei der Wühlbeschäf- tigung dieser Tiere die Reibung mit dem Sande verhindert. Es geht hieraus hervor, dass bei den Lacertilien die Lebensgewohn- heit zu Wühlen nicht alleın die Verwachsung von Schuppen zu Schildern befördert, sondern auch die Oberfläche der einzelnen Schuppen glättet und ebnet, mithin deren Struktur beeinflusst. Handelt es sich bei den erwähnten Verwachsungen zu größeren Schildern um für die einzelnen Arten charakteristische konstante Merkmale, so ist zwecks Begründung der Ursache namentlich auf diejenigen Verwachsungen Wert zu legen, die sich als individuelle Kennzeichen einzelner Exemplare erweisen. Herrn Professor Tornier waren schon seit längerer Zeit Ver- wachsungen der Kopfschilder bei Exemplaren von Serneus offieinalis Gray aufgefallen; deshalb regte genannter Herr mich an, einmal von diesen Gesichtspunkten aus die in der Zoologischen Sammlung des Kgl. Museums zu Berlin befindlichen Exemplare dieser Eidechsen- form einer Untersuchung zu unterziehen. Zu meiner Untersuchung standen mir 49 Stück von Seincus offieinalis zur Verfügung. Was zunächst die normale Beschilderung des Kopfes von Seineus offieinalis anbelangt, so verhalten sich die einzelnen Schilder folgendermaßen: Das vorn an der Schnauze gelegene Rostalschild ist beträchtlich groß und steht mit dem breiten Frontonasale, durch eine Naht getrennt, in Berührung. Das Frontale verschmälert sich nach hinten zu mehr oder minder. Es sind 6 Supraokulare vor- handen, von denen das vordere nieht in Verbindung mit dem Frontale, sondern vor ihm steht. Auf das Frontale folgen die bei- den Frontoparietalschilder, sowie das längere, sich nach hinten zu- spitzende Interparietale. An dieses letztere lehnen sich seitwärts die schmalen Parietalschilder an. Hierauf folgen 3—5 Paar Nuchalschilder. Die Zahl der Ober- lippenschilder beträgt 7—9. Die einzelnen von mir untersuchten Exemplare zeigten folgende Merkmale. 1) Sokolowsky, Alexander. Über die äußere Bedeekung bei Lacertilien. Zürich 1899. E. Speidel, p. 34. 1S* 756 Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Seincus, Exemplare 1, 2 u. 3: Sammler Dr. Browski; Fundort Tri- polis. Beschilderung des Kopfes normal. Zahl der Oberlippen- schilder 7 jederseits (J. Nr. 11412, 11417, 15291). Eie. 1. Exemplare 4, 5 u. 6: Sammler Dr. Browski; Fundort Tri- polis. Beschilderung normal. Zahl der Oberlippenschilder 8 jeder- seits (J. Nr. 11411 [-—13], 15291, 15295). Exemplar 7: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Be- schilderung normal. Die Zahl der Oberlippenschilder beträgt an der linken Seite 7, an der rechten 9 (J. Nr. 11411). Exemplar 8: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Be- schilderung des Kopfes normal bis auf ein kleines Zwischenschildehen, das sich zwischen Frontoparietalia und Interparietalia einschiebt. Die Zahl der Oberlippenschilder beträgt an beiden Seiten 7 (J. Nr. 11411). Exemplar 9: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Schilder bis auf das vorderste Loreale der linken Seite normal. Das letztere als Schild verschwunden und auf 7 kleine Höckerpapillen reduziert. Zahl der Oberlippenschilder jederseits 7 (J. Nr. 11413 [15)). Exemplar 10: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Am linken Präfrontale ist ein kleines Schildchen abgetrennt. An der Unterseite des Kopfes ist das erste Schild des Kinnes geteilt. Zahl der Oberlippenschilder 7 an beiden Seiten (J. Nr. 11396 [14]). Exemplar 11: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Beschilderung der Oberseite des Kopfes normal. Auf der Unter- seite ist das zweite Kinnschild in 2 ungleich große Stücke geteilt. Zahl der Oberlippenschilder jederseits 7 (J. Nr. 11412). Exemplar 12: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Präfrontalia verwachsen. Zwischen den beiden Frontoparietalia ein kleines Zwischenschild. Zahl der Oberlippenschilder 7 jederseits (J. Nr. 11412). Fig. 2. Exemplar 13: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Die Präfrontalia sind miteinander verwachsen, auch das Frontale zeigt Verwachsungen nach den ersten beiden hin, so dass die Grenzen zwischen diesen Schildern undeutlich wurden. Die Zahl der Ober- lippenschilder ist jederseits 8 (J. Nr. 15292). Fig. 4. Exemplar 14: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Die Präfrontalia sind miteinander verwachsen. Auch das 2. und 3. Supra- okulare sind beiderseits miteinander verwachsen, weshalb an jeder Seite nur 5 Supraokularıa vorhanden sind. Das letzte Loreale der linken Seite ıst in 2 übereinanderliegende Schilder gespalten. Die Zahl der Oberlippenschilder beträgt an beiden Seiten 7 (J. Nr. 15290). Exemplar 15: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Das rechte Präfrontale ist mit dem Frontale halb verwachsen. Das letztere zeigt an den Seiten Einkerbungen, als ob es sich teilen wollte. Auf beiden Seiten 7 Oberlippenschilder (J. Nr. 15592). Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Seineus. 757 Exemplar 16: Sammler Dr. Browski; Fundort Tripolis. Die Präfrontalia sind miteinander verwachsen und von dem Fronto- nasale durch Verwachsen unvollständig getrennt. Links befinden sich nur 5 Supraokularia, da das 2. und 3. hier miteinander ver- wachsen sind. Vom 2. Supraokulare ist eine kleine Ecke als selbständiges Schildchen getrennt. Es befinden sich jederseits 7 Oberlippenschilder (J. Nr. 11397). Exemplar 17: Sammler Dr. Browskı; Fundort Tripolis. Hier finden sich ausgedehnte Verwachsungen. Rostrale und Fronto- nasale normal, ebenso das linke Präfrontale. Das rechte Präfrontale ist geteilt und dessen linke Hälfte steht in Zusammenhang durch Verwachsung mit dem oberen Teil des Frontale. Dieses letztere ist gänzlich unregelmäßig gestaltet. Ein Teil desselben ist in der Gegend des 2. vorderen Supraokulare spitzzipfelig abgetrennt. Unter dem linken Präfrontale, wie an der linken Seite des Zipfel- teiles des Frontale befinden sich je 2, an der rechten Seite des letzteren befindet sich nur 1 kleines Schildehen. Die Frontoparietalia sird vollständig unter sich und mit dem unteren Teil des Frontale verwachsen. Ihre Form ist dadurch gänzlich unkenntlich geworden. Auch das Interparietale ist gänzlich durch Verwachsung als beson- deres Schild verloren gegangen. Das Parietalauge ist nur schwach sichtbar und wurde seiner Lage nach ganz nach rechts verschoben. Trotz dieser Verwachsungen ıst die Zahl der Supraokularschilder unbeeinflusst geblieben, es sind 6 Stück an jeder Seite. Zahl der Oberlippenschilder jederseits 7 (J. Nr. 11411). Fig. 3. Exemplare 18,19 u.20: Sammler Spatz; Fundort Tripolis. Beschilderung des Kopfes normal. Jederseits 7 Oberlippenschilder. Gear 11390). Exemplar 21: Sammler Spatz; Fundort Tripolis. Auf der Unterseite des Kopfes ıst das 2. Kinnschild gespalten. Beschilde- rung sonst normal. 7 Oberlippenschilder jederseits (J. Nr. 11390). . Exemplar 22: Sammler Neuweid; Fundort Ägypten. Be- schilderung des Kopfes normal. 7 Oberlippenschilder (J. Nr. 10520). Exemplar 23: Sammler Bloch; Fundort Ägypten. Die 755 Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Seincus. Präfrontalia sind verwachsen. Jederseits 7 Oberlippenschilder (J. Nr. 1180). Exemplare 24, 25 u. 26: Sammler Steudner; Fundort Ägypten. Beschilderung bei allen 3 Tieren normal. Jederseits 7 Oberlippenschilder (J. Nr. 5474). Exemplar 27: Sammler Hemprich; Fundort Ägypten. Be- schilderung normal. 7 Oberlippenschilder jederseits (J. Nr. 1176). Exemplar 28: Sammler Ascherson; Fundort Kasr Dachl. Beschilderung der Oberseite normal. Von dem 2. Kinnschild ein kleinerer hinterer Teil als besonderes Schildehen abgetrennt. Ober- lippenschilder 7 an jeder Seite (J. Nr. 8268). Exemplare 29, 50: Sammler Rohlfs; Fundort Djalo. Prä- frontalıa in beiden Exemplaren zu einem Schild verwachsen. Jeder- seits 7 Oberlippenschilder (J. Nr. 6492). Exemplare 31,32: Sammler Berg; Fundort Oran. Beschilde- rung normal. Auffallend große Exemplare. Jederseits 7 Ober- lippenschilder (J. Nr. 16852). Hxemplare.33,.31,..35,.36, 37,38 u. 39:2. Obne? Dezeich- nung. Beschilderung des Kopfes bei allen S Exemplaren normal. Zahl der Oberlippenschilder jederseits 7. Exemplare 40, 41, 42, 43, 44 u. 45: Ohne Bezeichnung. Beschilderung des Kopfes normal. Zahl der Oberlippenschilder jederseits 8. Exemplar 46. Ohne Bezeichnung. Beschilderung des Kopfes normal bis auf Spaltung des Supranasale jeder Seite in 2 kleine Schildehen. Zahl der Oberlippenschilder jederseits 8. Exemplar 47. Ohne Bezeichnung. Das zweite Oberlippen- schild der linken Seite hat sich gespalten und ist zu 2 kleinen übereinander gelagerten Schildchen geworden. Die rechte Seite besitzt 8 normal gestaltete Oberlippenschilder. Exemplar 48: Ohne Bezeichnung. Die Präfrontalia sind zu einem Schilde verwachsen. Die Zahl der Oberlippenschilder jeder- seits 7. Exemplar 49: Ohne Bezeichnung. Auch hier sind die Prä- [rontalıa miteinander verwachsen. Zahl der Oberlippenschilder jederseits 7. Unter den von Dr. Browski in Tripolis gesammelten 17 Exem- plaren von Seeöncus officinalis Gray befinden sich nur 6 Exemplare, bei denen die Kopfschilder normal gestaltet sind. Einige Exem- plare zeigen nur geringe Abweichungen vom normalen Bau. Bei Exemplar 8 schiebt sich ein kleines Schildehen zwischen Fronto- parietalia und Interparietalia, während Exemplar 10 am linken Präfrontale ein kleines Schildchen abgetrennt zeigt. In 2 Fällen Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Seincus,. 759 zeigen die Lorealschilder anormale Verhältnisse: Bei Exemplar 9 ıst das linke Loreale als Schild verschwunden und durch 7 Stück kleine Höckerpapillen ersetzt, während das letzte Lorealschild der linken Seite bei Exemplar 14 ın 2 übereinander gelagerte Schild- chen gespalten erscheint. Handelte es sich hier um Neubildungen resp. Abspaltungen kleiner Teile von Schildern, so lassen sich bei 6 Exemplaren Ver- wachsungen konstatieren. Es sind dieses die Exemplare 12, 15, 14, 15, 16, 17. In allen diesen 6 Fällen handelt es sich um Ver- wachsungen der Präfrontalıa. Bei Exemplar 12 tritt hier noch die Neubildung eines kleinen Zwischenschildes zwischen den beiden Frontoparietalia hinzu. Exemplar 13 zeigt auch das Frontale mit seinem oberen Rand nach den Präfrontalien hin verwachsen, so dass die Grenzen an den Seiten kaum noch angedeutet sınd. Bei Exemplar 15 ıst nur das rechte Präfrontale mit dem Fron- tale halb verwachsen. Das letztere zeigt an den Seiten Einker- bungen, als ob es sich teilen wollte. Die Präfrontalia sind bei Exemplar 16 nicht nur unter sich verwachsen, sondern sind mit dem Frontonasale durch Verwachsung ebenfalls verbunden. Die ausgedehntesten Verwachsungen finden sich aber bei Exem- plar 17. Hier ist das rechte Präfrontale geteilt und dessen linke Hälfte steht mit dem oberen Teil des Frontale durch Verwachsung ın Zusammenhang. Von dem gänzlich unregelmäßig gestalteten Frontale ıst nicht nur ein oberer Teil in Form eines spitzzipfeligen Schildes abge- trennt, sondern es haben sich durch Abtrennung noch 3 kleme Schildehen zwischen Präfrontalia und Frontale hineingeschoben. Die Frontoparietalia sind nicht allein vollständig unter sich, son- dern auch mit dem unteren Teil der Frontale verwachsen. Ebenso ist das Interparietale durch Verwachsung gänzlich als besonderes Schild verloren gegangen. Dazu ıst die Form dieser verwachsenen Schilder so unregelmäßig geworden, dass das Parietalauge ganz nach rechts verschoben erscheint. Bei den Exemplaren 14 und 16 fanden sich außerdem noch Verwachsungen der Supraokularıa. Exemplar 14 zeigt auf beiden Seiten eine Verwachsung der 2. und 3. Supraokulare, während bei Exemplar 16 nur an der linken Seite das 2. und 3. Supraokulare miteinander verbunden ist. Bei sämtlichen 17 von Dr. Browski in Tripolis gesammelten Skinken weisen nur 2 auf der Unterseite des Kopfes Unregel- mäßigkeiten im Schilderbau auf. Exemplar 10 zeigt eine Teilung des 1. Kinnschildes, Exemplar 11 eine solche des 2. Die Zahl der Oberlippenschilder schwankt beı sämtlichen 17 Tieren zwischen 7 und 8. 12 Exemplare besitzen jederseits 7, 760 Sokolowsky, Die Variation der Schuppenbildung des Kopfes von Seincus. 4 dagegen jederseits 8. Nur bei einem Exemplar konnte ich auf einer Seite 7, auf der anderen dagegen S Oberlippenschilder kon- statieren. Die von Spatz ebenfalls aus Tripolis mitgebrachten 4 Skinke besitzen alle auf der Oberseite des Kopfes normale Schilderbildung. Nur Exemplar 21 zeigt eine Spaltung des 2. Kinnschildes auf der Unterseite. Die Zahl der Oberlippenschilder beträgt ın allen 4 Fällen 7 jederseits. Die aus Ägypten stammenden Tiere weisen in einem Falle bei Exemplar 23, gesammelt von Bloch, wiederum eine Verwachsung der Präfrontalia auf. Eine Abtrennung eines kleinen Schildchens von dem 2. Kinnschilde besitzt Exemplar 28 aus Kasr Dachl, ge- sammelt von Ascherson. Die von Rohlfs in Djalo gesammelten beiden Skinke besitzen beide eine Verwachsung der Präfrontalıa. Eine fernere Verwachsung der Präfrontalia weist noch Exemplar 48 mit unbestimmter Herkunft auf. Eine Spaltung des Supranasale lässt sich bei Exemplar 46 konstatieren, während bei Exemplar 47 das 2. Oberlippenschild der linken Seite gespalten ist. Die Zahl der Oberlippenschilder beträgt unter den 32 mit Aus- schluss der vorher erwähnten 17 Tiere bei 24 Exemplaren 7 jeder- seits, bei 8 Exemplaren 8 jederseits. Verwachsungen der Präfron- talia finden sich in 10 Fällen. Fassen wir die in Vorstehendem durch die Untersuchung der einzelnen Exemplare unter 49 Individuen von Seincus offieinalis (Gray gewonnenen Resultate über die Beschilderung des Kopfes dieser Echsen zusammen, so ergibt sich, dass entschieden eine Neigung zum Verwachsen der oberen Kopfschilder zu zusammen- hängenden größeren Platten zu konstatieren ist. Namentlich sind es die Präfrontalia, die unter sich zu einem Schilde verwachsen und nach oben zu dem Frontonasale, wie zu dem Frontale hin ebenfalls zur Verwachsung neigen. Da auch die Frontoparietalia und das Interparietale in einzelnen Fällen in Mitleidenschaft durch Verwachsung 'gezogen werden, ja sogar die Supraokularıa unter sich verwachsen, so scheinen die großen Schilder des Kopfes sämtlich bei dieser Echsenart zur Verwachsung zu neigen. Die vereinzelt auftretenden Abspaltungen kleiner Schilder, die Unregel- mäßıgkeiten im Bau der Lorealschilder etc. fasse ich als neben- sächliche Zufälligkeiten einzelner Individuen auf, die höchstens, sofern sie sich auf der Oberfläche des Kopfes finden, als Neben- folgen der Verwachsung einzelner Schilder zu betrachten sind. Es steht für mich fest, dass die Lebensgewohnheit zu Wühlen die Ursache dieser Verwachsungen ist. In welchem Maße durch diese Lebensweise die äußere Bedeckung dieser Eidechsen in An- spruch genommen wird, beweist mir am besten die Abnutzung der vor der Schnauze gelegenen Schilder dieser Tiere. Ich konnte bei Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 761 fast allen 49 Exemplaren m mehr oder minder stärkerem Maße eine durch das Wühlen verursachte Abnutzung des Rostrale, sowie der Nasal- und Supranasalschilder konstatieren. Dieselben erscheinen in vielen Fällen wie abgeschliffen, ja bei einigen Tieren waren sogar die Nasenlöcher zusammengedrückt. Entweder waren die betreffenden Schilder der linken oder der rechten Seite auf diese Weise abgenutzt. Es scheint also, dass die eimzelnen Individuen dieser Echsenart bei ıhrem Wühlgeschäft die Erde entweder mit dem linken oder rechten Schnauzenteile nach der Seite vor sich her werfen. — Am Schlusse memer Arbeit möchte ich nicht unterlassen, auch an dieser Stelle Herrn Geheimrat Professor Dr. K. Möbiıus für die gütige Erlaubnis zur Benutzung des Untersuchungsmateriales, sowie Herrn Professor Dr. G. Tornier für das Interesse, das ge- nannter Herr meiner Arbeit entgegenbrachte, meinen herzlichsten Dank abzustatten. Studien über Kutikulargenese und -Struktur und ihre Beziehungen zur Physiologie der Matrix. I: Das Ephippium von Daphnia pulex. Von Dr. Max Wolff, Assistent am Zoologischen Institut zu Jena. (Aus dem Zoologischen Institut der Universität Jena.) (Schluss.) Die Fig. 3, 4, 5 und 11 lassen erkennen, in welcher Art die Zwischenwand befestigt ist. Sie inseriert einmal naturgemäß an den Stützpfeilern, die durch sie hindurchtreten. Man darf sich jedoch dieses Hindurchtreten nicht eben allzu schematisch vor- stellen. Die fensterartigen Durchbrechungen an den Durchtritts- stellen sind vielmehr von recht variabler Gestalt, je nachdem die Pfeiler die Scheidewand einfach senkrecht durchsetzen, oder sie schräge und mit Beteiligung mehr oder weniger ausgedehnter Par- tien ihrer basalen Ansatzstücke treffen, wie dies Fig. 5 und in be- sonders extremer Form die in Fig. 3 abgebildete Stelle zeigt. Aus dieser Figur erkennt man, dass unter Umständen noch sehr ent- legene Bezirke der an die Pfeilerbasis angrenzenden Oberfläche der Matrixzelle auf solche Weise der Scheidewand einbezogen wer- den können. Solche Stellen, wo die Scheidewand sich viel enger als sonst der inneren Oberfläche der Matrixzellen anlegt und einen flachen, einem zusammengedrückten Schlauche ähnelnden Hohlraum 7162 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. begrenzt, bereiten begreiflicherweise der Definition mit schwächeren Linsen einige Schwierigkeiten. Eine andere Art der Befestigung der Zwischenwand wird dadurch erreicht, dass vielfach pfeilerartige Fortsätze des Matrixgewebes an sie herantreten, ohne sie jedoch zu perforieren und das gegenüberliegende Matrixblatt zu erreichen. Auffallend und meines Erachtens für die Beurteilung der Genese der Zwischenwand sehr bedeutungsvoll ist hierbei, dass diese pfeiler- artigen Fortsätze durchgehends ihren Ursprung vom äußeren Blatte der Matrixduplikatur nehmen. Wenn man sich nämlich erinnert, dass dıe Pfeiler „nicht etwa durch nachträgliche Verbindung der vorher getrennten Blätter der Haut entstehen, sondern vielmehr durch unvollkommene Trennung dieser Blätter“, wie Weismann in seiner Leptodora-Arbeit gezeigt hat, so wird man einsehen, dass die Bildung der Zwischenwand erst sekundär, d. h. zu einer Zeit erfolgt sein kann, wo jene Trennung schon ım vollen Gange war. Die erwähnten Beziehungen zum äußeren Matrixblatte lassen mich mit Sicherheit annehmen, dass die Zwischenwand diesem Blatte ihre Entstehung verdankt. Sie würde dann vielleicht der von Braun bei Astacıs beschriebenen „bindegewebigen Basalmembran“ zu homologisieren sein. So mag es denn auch wohl hiermit resp. mit der eigenartigen Aufgabe, welche die Rückenbandmatrix zu erfüllen hat, zusammenhängen, dass unter dem Rückenbande die /wischenwandbildung unterbleibt und ein Rückensinus entsteht, dessen Entdeckung durch Weismann schon oben gedacht wurde. Wahrscheinlich wird dann auch der Smnus am kaudalen Schalen- ende mit den beiden Lakunensystemen der Schale irgendwie kom- munizieren. Gesehen habe ich diese Stelle nicht, aber ich kann versichern, dass im übrigen der Rückensinus stets durch solide Wände von den beiden Lakunensystemen geschieden ist. Auch Grube’s Beobachtungen über den Blutkreislauf im Schalenmantel würden sich hiermit gut in Einklang bringen lassen. Über den Bau der Zwischenwand gibt Fig. 3 Auskunft. Man nimmt hier, besonders an der Pfeilerinsertion, deutlich eine fibrilläre Struktur wahr. Diese Fibrillen lassen sich mit Hämatoxylın ıim- prägnieren und sind der Grundsubstanz der Zwischenwand, die ım übrigen als eine strukturlose Membran erscheint, eingelagert. Feine Körnelungen des Querschnittes der Zwischenwand, wie sie z. B. Fig. 4 zeigt, stehen in keiner morphologischen Beziehung zur Zwischenwand, sind vielmehr als mit ihr verklebte Serumgerinsel zu betrachten. Über die Struktur der Pfeiler ist folgendes zu bemerken. Leydig hat angegeben, dass sie zum Teil wenigstens hohl seien, was daraus hervorgehe, „dass man öfter Individuen antrifft, bei denen gelbliche, wie Fettkügelchen aussehende Körnchen innerhalb der Stützbalken gerade da liegen, wo sich dieselben unter garben- Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 1653 artiger Entfaltung ihres Endes mit der Kutikularschicht verbinden“. Cunnington scheint mir den Sinn der Leydig’schen Worte miss- verstanden zu haben, wenn er, ohne ihnen widersprechen zu wollen, sagt: „Doch konnte ich nichts von diesen Hohlräumen bei meinen Präparaten erkennen.“ Hohlräume im Sinne Cunnington’s hat Leydig wohl kaum gemeint, solche sind auch nicht vorhanden, wie ich versichern kann. Leydig meint meiner Auffassung nach nur, dass bisweilen der Achse des plasmatischen Pfeilers heterogene Stoffe eingelagert sind und dass die axialen Teile des Pfeilers da- her in irgendwelcher Weise für ihre Aufnahme prädisponiert sein müssen. Das Vorkommen solcher Einlagerungen kann ich be- stätigen. Eigentümlich, aber durchaus mit der erwähnten Angabe Ley- dig’s ın Einklang stehend, ıst die Anordnung der Stützfibrillen ım Pfeiler. Solcher Pfeilerfibrillen ist meines Wissens bei den Krusta- zeen überhaupt zuerst von Braun in seiner Astacus- Arbeit gedacht worden. Es scheint mir wenigstens, als ob die „sehr deutliche Längsstreifung“*, die er an dem basalen Teile der Pfeilerzellen ab- bildet, als Ausdruck einer vielleicht nur unvollständig beobachteten fibrillären Struktur gedeutet werden könnte. Weismann hat dann ein Jahr später am Nährboden von Moina alles wichtigere von der feineren Struktur der Pfeiler beschrieben. „Diese Pfeiler chitini- sieren so wenig wie die „Stützfasern* der Daphnidenschale, mit denen sie die größte Ähnlichkeit haben; sie bleiben weich und zeigen eine zarte Längsstreifung, sowie einzelne bald dicht unter der Oberfläche des Nährbodens, bald in oder an den Pfeilern selbst gelegene Kerne. Offenbar haben sie keine andere Aufgabe als die rein mechanische, die beiden Blätter der Hypodermis auseinander- zuhalten und so Hallen herzustellen, in denen das Blut zirkulieren kann.“ Überhaupt ist die Angabe Weismann’s beachtenswert, dass die Stützpfeiler des Nährbodens (wie übrigens auch die der Schale) nur eine sehr geringe Tragkraft besitzen, dass sie das Ge- wölbe zusammensinken lassen, sobald dasselbe nicht mit Blut ge- schwellt ist.“ Meine Präparate zeigen mir nämlich, dass es sich immer nur um sehr wenige Fibrillen in jedem Pfeiler han- delt. Immerhin bürgt die Architektonik des Pfeilers für eine gewisse Tragfähigkeit, da die Stützfibrillen, entsprechend den neuerdings genugsam erörterten Gesetzen der Beanspruchung durch Druck und Zug, sich stets in der Peripherie des Pfeilers an- geordnet finden, wie aus gelegentlichen Querschnittsbildern (ver- gleiche Fig. 5) ersichtlich ist. Diese Fibrillen lassen sich mit Hä- matoxylin gut imprägnieren und sind, wie sich denn überhaupt auch an diesem Objekt die einschlägigen Angaben Bütschli's durchaus bestätigen lassen, in dieWände der Plasmawaben ein- gelagert. (64 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. Bemerkenswertes bieten ferner die Beziehungen der Matrix- kerne zu den Pfeilern. Es finden sich nämlich höchst selten Stellen, wo sich ım Matrixzellkörper der Kern seitlich unter der Pfeiler- basis befindet. Zwei solche Stellen zeigt z. B. das in Fig. 5 ab- gebildete Stück des inneren Matrixblattes. Im allgemeinen pflegen die Kerne der Matrix unter der Pfeilerbasis sich zu befinden, deren garbenartig divergierende Stützfibrillen sich ungefähr in der Höhe des Kernäquators verlieren. Auch will es mir trotz der gedachten Ausnahmen von dieser Regel scheinen, als ob jeder zelluläre Plasma- bezirk, d. h. jeder zu einem Kern als energetischem Zentrum ge- hörige Teil des Matrixplasmas in Beziehung zu einem Pfeiler stünde, eine Korrelation, die in Anbetracht des schon mehrfach von mir hervorgehobenen genetischen Verhältnisses der Ephippial- kammerung zu den Kernbezirken der Matrix uns nicht sonderlich überrascht. Dabei möchte ich noch erwähnen, dass die Kerne des äußeren Matrixblattes, das ja bekanntlich viel dicker als das innere ist, annähernd kugelig sind, während die Kerne des sehr dünnen inneren Matrixblattes die Gestalt eines Rotationsellipsoides haben, auf Querschnitten jedoch infolge ıhrer sehr unregelmäßig (inner- halb der Ausdehnungsebene des Matrixblattes natürlich) gerichteten Lagerung bald quer, schräg, oder längsgetroffen sind, wie dies be- sonders auf Fig. 5 zu sehen ist. Die Matrixkerne zeigen eine sehr schöne Wabenstruktur. Die Chromatingranula und der ziemlich große Nukleolus sind den Wänden des Wabenwerkes eingelagert. Die Waben der Kerne des äußeren Matrixblattes scheinen im all- gemeimen etwas größer zu sein als es bei den Kernen des inneren Matrixblattes der Fall ist. Was das Plasma der Matrixzellen oder, wie Häckel sie ge- nannt hat, „Chitinogenzellen“ betrifft, so habe ich meinen Angaben über das völlige Fehlen von Zellgrenzen noch folgendes hinzuzu- fügen. Wenn Leydig unter der Einwirkung von Reagentien Zell- grenzen gesehen hat, so scheint mir das nur in dem mehrfach von mir geäußerten Sinne für die Existenz besonderer Differenzierungen des molekularen Aufbaues an den Grenzbezirken der einzelnen Energiden zu sprechen. Eine wirkliche, intravitale Differenzierung gröberer Art wäre einem Beobachter wie Leydig wohl kaum ent- gangen. Weismann betont geradezu, dass solche intra vitam nicht wahrzunehmen ist. Auch ich kann an meinem mit dem ausge- zeichneten Schaudinn’schen Sublimatalkohol fixierten Materiale nur das kontinuierliche Übergehen des Plasmawabenwerkes an den Stellen feststellen, wo nach dem oben Gesagten die Grenz- differenzierungen zu erwarten wären. Interessant ist aber die oben mitgeteilte Beobachtung Leydig’s an älteren Tieren, nach der die Pigmentierung an diesen Grenzen eine Unterbrechung er- leidet. Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 765 Auf genügend dünnen Schnitten!) nımmt man die wabige Struktur der Matrix sehr schön wahr. Die mehr oder weniger zahlreichen Pigmentgranula sind den Wabenwänden eingelagert, wie dies Fig. 3 zeigt. Auch die Blutkörperchen lassen eine schöne Wabenstruktur erkennen. Der Kern hat keinen deutlich differen- zıerten Nukleolus. Die äußere Chitinlamelle der jungen Schale (vgl. Fig. 5, a,, «,) lässt keine Wabenstruktur, aber bisweilen hie und da, wenn auch nur mit größter Mühe, die Andeutung einer Querstreifung erkennen. So vermag ich denn über die eigentliche Genese dieser Schicht nichts sicheres auszusagen. Allerdings liegen in den anstoßenden Ecken der äußersten, der eigentlichen Lamelle dicht anliegenden oder wohl vielmehr mit ihr verklebten Wabenschicht keine Pigment- granula, und das mag für diese Frage nicht ohne Bedeutung sein. Aber ich weiß nicht, wie dieser Befund mit der Kutikulargenese zusammenhängen mag. Dagegen ist eine deutliche Schichtung der jungen Kutikula wahrzunehmen. Wie schon oben gelegentlich erwähnt wurde, liegt zu äußerst eine mit Orange G. sich färbende xanthophile Außen- schicht, mit deren das Hämatoxylın stärker bindendem Grenz- saum das Gerüstwerk des Ephippiums Verbindungen eingeht. Darunter erstreckt sich die erythrophile Grundsubstanz, mit der die Wabenreihe des mikrosomenfreien Grenzsaumes der Matrix- zellen verklebt ist. Literatur. 1860. Leydig, Fr., Naturgeschichte der Daphniden. Tübingen. 1874. Weismann, A., Über den Bau und die Lebenserscheinungen der Lepto- dora hyalina. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXIV. 1875. Braun, M., Über die histologischen Vorgänge bei der Häutung von Astacus fluviatilis. Arb. a. d. Zool. Inst. in Würzburg, Bd. II. 1877. Weismann, A., Beiträge zur Naturgeschichte der Daphniden; Abhandlung II, III und IV. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXVIII. 1877. Weismann, A. und Gruber, A., Über einige neue oder unvollkommen gekannte Daphniden. Ber. d. Freiburger naturforsch. Gesellsch., Jahr- gang 1877. 1879. Gerstäcker, A., Die Klassen und Ordnungen der Arthropoden. Bd. V, Abt. 1. Leipzig und Heidelberg. 1) Ich kann es nicht unterlassen, meiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, dass man auch noch in neueren und neuesten „histologischen“ Arbeiten immer wieder die alten unhaltbaren Angaben über einen „granulären“ oder gar „homogenen“ Bau der lebendigen Substanz und dementsprechende Verständnislosig- keit für die Wabenlehre Bütschli’s findet. Wenn es nicht unterlassen wurde, genügend dünne Schnitte anzufertigen, so lassen solche ganz irrtümliche Angaben sich nur mit der Unfähigkeit der betreffenden Autoren entschuldigen, bei starker Vergrößerung noch richtig zu beobachten. 766 Wolff, Studien über Kutikulargenese und -Struktur. 1599. Lampert, K., Das Leben der Binnengewässer. Leipzig. 1902. Cunnington, W. A. Studien über eine Daphnide, Simocephalus sima. Beiträge zur Kenntnis des Zentralnervensystems und der feineren Ana- tomie der Daphniden. Dissertation, Jena. 1902. Biedermann, W., Über die Struktur des Chitins bei Insekten und Krusta- zeen. Vorl. Mitt. Anat. Anz.,, Bd. XXI. Vgl. auch die ausführliche Publikation „Über geformte Sekrete“ in der Zeitschr. f. allgem. Physio- logie, Bd. II. Figurenerklärung. Fig. 1. Querschnitt durch ein Weibchen von Daphnia pulex mit Ephippium. Die Schnittrichtung steht auf der Symmetrieebene nicht senkrecht Darum ist links die Wand einer Loge getroffen, rechts nicht. Links und oben unter dem Rückenbande und auch noch ein Stückchen rechts ist die Matrix abgerissen, das- selbe ist fast überall mit der inneren Chitinlamelle der alten Schale der Fall, unter der die Querschnitte von Darm und Ovar wie die in verschiedenen Richtungen ge- troffenen Extremitäten nur flüchtig angedeutet sind. Auch die ventrale freie Schalenwand ist etwas verbogen und geschrumpft. Leitz, Obj. 3, Oe. 1. Fig. 2. Querschnitt durch das Rückenband bei starker Vergrößerung. Die auch hier, wie in Fig. 1, stark abgehobene Matrix ist nicht abgebildet. Leitz, 1/.,„ Ölimm., Oe. 1. Fig. 3. Schnitt durch die Matrix. Die äußere Chitinlamelle der jungen Schale (die innere ist um diese Zeit noch nicht angelegt) und die innere Chitin- lamelle der alten Schale sind nur angedeutet. Leitz, !J,s Ölimm. Zeiss, Comp. Oec. 18. Fig. 4. Aus einem Querschnitt durch das Weibchen von Daphnia pulex mit Ephippium. Der ventrale Rand des Ephippiums. Ablösungen infolge der Prä- parationsmethode ähnlich wie in Fig. 1. Leitz, !/;, Ölimm., Oe. 3. Fig. 5. Aus demselben Querschnitt. Mittlere Partie des Ephippiums. Nur geringfügige Loslösungen der inneren Chitinlamelle der alten Schale. Es bedeutet A. die äußere Chitinlamelle der alten Schale, 1. ihr Grenzsaum, 2. die erythrophile Grundschicht; B. das Ephippium, a) die Kuppellamelle, 1. ihre äußere Lamelle, 2. ihre innere Lamelle, b) Schicht der proforierten Kammerwände, c) Gerüstschicht; C. äußeres Blatt der Matrix, a) die äußere Chitinlamelle der jungen Schale, 1. äußeres Blatt oder Grenzsaum der xanthophilen Außenschicht, 2. inneres Blatt der xanthophilen Außenschicht, 3. die erythrophile Grundschicht, y) mikrosomenfreier Grenzsaum und ö) die Zellenschicht; D. inneres Blatt der Matrix, a) die Zellenschicht, ß) die innere Chitinlamelle der alten Schale. Leitz, !/. Ölimm., Oe. 3. Linder: Etude de la Faune pe@lagique du Lac de Bret. 167 Fig. 6. Weibchen von Daphnia pulex mit Ephippium. Größtenteils, mit Ausnahme des Ephippiums, schematisch, nach einem Boraxkarmin-Totalpräparat. Weitz. Obj..1*, Oc. 5. Fig. 7. Ein Stück des Ephippiums (aus vorigem Präparat) bei stärkerer Ver- größerung und hoher Einstellung von oben betrachtet. Leitz, Obj. 5, Oe. 1. Fig. 8. Ein Stück der Logenwand bei starker Vergrößerung. Leitz, !/s Ölimm., Oe. 1. Fig. 9. Verschmelzungsstelle von Kuppellamelle und Chitinlamelle des äußeren Blattes der alten Schale, Leitz, !/,; Ölimm., Oe. 1. Fig. 10. Gerüstschicht und äußeres Matrixblatt schematisch und sehr stark vergrößert. Fig. 11. Querschnitt durch den Rückensinus und die dorsalen Teile der Matrix. Leitz, Obj. 7, Oec. 3. Charles Linder: Etude de la Faune pelagique du Lac de Bret. Avec 1 planche. Dissertation: de l’Universit@ de Lausanne. Geneve 1904. In der Schweiz, als dem klassischen Lande der Seen, sind wir schon seit einer Reihe von Jahren daran gewöhnt, Dissertationen verfasst zu sehen, deren Gegenstand das unerschöpfliche Thema der pelagischen Fauna oder Flora ıst, resp. dessen, was man in Deutschland nach dem Vorgange von Hensen (Kiel) kürzer und zutreffender als tierisches oder pflanzliches Plankton bezeichnet. Namentlich. sind aus dem zoologischen Institute der Universität Basel auf Anregung des Prof. F.Zschokke schon eine größere Anzahl von Promotionsarbeiten hervorgegangen, welche hydrobiologische Untersuchungen behandeln und deren originale Ergebnisse mit- teilen. Die vorliegende Arbeit entstammt dem zoologischen La- boratorıum der Universität zu Lausanne und erstreckt sich auf den in der Nähe dieser Stadt gelegenen Lac de Bret (Lacus Bro- magus). Bisher ist eine eingehende Untersuchung des Planktons in diesem See nicht vorgenommen worden. Nach den Feststellungen von Linder erwies sich dasselbe zusammengesetzt aus 1 Insekten- spezies (Corethra), 7 Krustazeen, 14 Rotatorien und 9 Protozoen. Irgendwelche seltenere Arten kamen bei der Durchmusterung des Planktons nicht zum Vorschein. Dagegen bieten die vom Autor angestellten biologischen Beobachtungen vieles Interessante dar. So z. B. seine Ermittelungen über die Periodizität der verschie- denen Organismen (S. 191—206), seine Forschungen über horizon- tale und vertikale Verbreitung der einzelnen planktonischen Spezies, sowie die Bemerkungen über Nahrung und Färbung derselben. Nicht minder allgemeines Interesse hat das recht ausführliche 168 Linder: Etude de la Faune?pelagique du Lac de Bret. Kapitel über die Morphologie und Variabilität der pelagischen (tierischen) Schwebwesen (S. 217—247). Namentlich wertvoll sind aber die genauen Ergebnisse, welche sich auf die vertikalen Wanderungen des Planktons beziehen, die mit Eintritt der Dämmerung einzutreten pflegen und zu einer Ver- dichtung des ÖOrganismenbestandes an der Oberfläche des Sees führen. Linder fand, dass diese Wanderungen in der Schicht zwischen 8 und 0 m stattfinden und dass dabei hauptsächlich nur die Krustazeen in Betracht kommen. Die Rädertiere waren bloß in vereinzelten Spezies daran beteiligt. Auch zeigte sich merk- würdigerweise, dass von den Krebstieren lediglich die erwachsenen den Trieb zum Aufsteigen bei Einbruch der Nacht besitzen, nicht aber die Larven und jüngeren Exemplare. Die vegetabilischen Organismen verhalten sich passiv und werden höchstens durch die sogen. Konvektionsströme nach der Oberfläche oder der Tiefe fort- gerissen. Nach den Befunden am Lac de Bret zeigten die Uladoceren eme deutlich ausgeprägte nächtliche Wanderung gegen die Ober- fläche hin, wogegen sie tagsüber sich in der Tiefe aufhalten. Von den Copepoden hat sich Diaptomus als indifferent erwiesen; Cyelops hingegen wandert aufwärts und erreicht morgens zwischen 4 und 6 Uhr das Maximum seiner Anwesenheit in der Nähe des See- spiegels. Diese Wanderungen waren für die tiefen Alpenseen schon länger bekannt: es konnte aber nicht ohne weiteres vorausgesehen werden, dass dasselbe Phänomen sich auch an einem so seichten Gewässer, wie der Lac de Bret ist, abspielen würde, der nur eine Tiefe bis zu 10 m besitzt. In den ebenfalls wenig tiefen Seen der baltischen Seenplatte war es bisher immer noch zweifelhaft geblieben, ob auch hier solche nächtliche Wanderungen der aktıv beweglichen Planktonten vor sich gehen oder nicht. Niemand hatte bisher eine darauf gerichtete Untersuchung angestellt. Seit kurzem ist aber in der Biologischen Station am Gr. Plöner See eine derartige Ermittelung im Gange und diese hat bereits als unzweifelhaft ergeben, dass auch hier — genau so wie in den subalpinen großen Seebecken — solche Nachtwanderungen, die hauptsächlich von den Copepoden und Cladoceren ausgeführt werden, statthaben. Im nächsten (XII) Jahresberichte der Plöner Anstalt wird ausführlich und an der Hand von Zählungen über diese Migrationen berichtet werden. Dr. Otto Zacharias (Plön). [66] Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vergl. Anatomie und Entwiekelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. 1. Dezember 1904. XXIV. Ba. Ne 24. Titelbogen, Namen- und Sachregister erscheinen am ı5. Dezember. Inhalt: Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien (Schluss). — Häcker, Über die in malignen Neubildungen auftretenden heterotypischen Teilungsbilder. — Parker, T’he skin and the eyes as receptive organs in the reactions of frogs to light. — Meyer, Praktikum der botanischen Bakterienkunde. Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Von K. Goebel. (Schluss.) Die hier kurz angeführten Versuche und Beobachtungen zei- gen, dass man Impatienspflanzen auf dem Zustand der Bildung kleistogamer Blüten zurückhalten und selbst nach dem Auftreten der chasmogamen Blüten wieder zur Bildung kleistogamer Blüten veranlassen kann, ein „Rückschlag“ der, wie oben erwähnt, auch in freier Natur beobachtet werden konnte. Die Beeinflussung geschah durch ungünstige Ernährungsverhältnisse, die zwar die Bildung zahlreicher Blätter und auch verzweigter Sprossachsen gestatteten, aber zur Bildung chasmogamer Biüten nicht ausreichten. ‘ Diese stellen, allgemein ausgedrückt, hohe Ansprüche an die Ernährungs- tätigkeit. Wie man sich dabei die Vorgänge im einzelnen vor- stellen soll, ob es sich um einen allgemeinen Mangel an Nährstoffen oder um ganz bestimmte speziell für die Bildung chasmogamer Blüten notwendige handelt, bleibt näher zu untersuchen. Wahr- scheinlich handelt es sich um organische Substanzen, welche in bestimmter Quantität oder Qualität vorhanden sein müssen, um XXIV. 49 17O Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. die Entwickelung chasmogamer Blüten zu ermöglichen; es ist klar, dass bei mangelhafter Ernährung durch die Wurzeln auch die Pro- duktion organischer Substanzen herabgesetzt wird. Hier sei nur hervorgehoben, dass jedenfalls die angeführte Erfahrung die Be- obachtungen, welche man bei wildwachsenden Pflanzen machen kann (wie sie ım I. Abschnitt mitgeteilt wurden), verständlich machen. Im Jugendzustand, in welchem die Pflanzen das vegetative (Gerüst (mit Einschluss der Wurzeln) aufzubauen haben, werden die Nährstoffe zunächst dazu verwendet; stehen sie zur Zeit, wo die Blütenbildung eintritt, nicht sehr reichlich zu Gebote, so bilden sich kleistogame Blüten. Später, wenn die Pflanze erstarkt ist, reichlich assimilieren und aus dem Boden reichlich Wasser und da- rin gelöste Stoffe aufnehmen kann, entstehen chasmogame Blüten und solche können, wie wir oben sahen, bei besonders günstig situierten Exemplaren auch von Anfang an auftreten. Auch in der freien Natur aber finden sich Standorte, welche der Pflanze nicht gestatten über die Bildung kleistogamer Blüten hinauszukommen. Wo ich solche Standorte, z. B. bei Ambach am Starnbergersee, näher zu untersuchen Gelegenheit hatte, fand sich stets, dass der Untergrund zwar reich an Steinen (Kies), aber arm an Erde oder sonst ungünstig war, so an Bachufern, an denen ja auch Kerner in Tirol nur kleistogam blühende Zmpatiens fand, ohne dass er sich über die Ursache näher geäußert hätte. Bei den von mir be- obachteten Pflanzen waren die Sprossachsen zwar nicht so üppig entwickelt wie die der auf besserem Boden wachsenden Exemplare sie waren sonst aber normal, und besaßen z. B. Blätter von 9 cm Länge und 5 cm Breite. Mangelhafte Beleuchtung konnte hier nicht etwa für das Ausbleiben ihrer chasmogamen Blüten verant- wortlich gemacht werden, der Standort ıst sicher nicht schat- tiger als andere, an denen chasmogame Blüten auftreten. Übrigens kann natürlich nur ein öfterer Besuch eines bestimmten Standortes zeigen, ob die Pflanzen dort dauernd kleistogam sind oder nicht. Ich prüfte deshalb im Juli in längeren Pausen, ım August fast täglich zwei Standorte bei Ambach, auf kiesigem Sand an einem Bachufer. Auf dem einen (er heiße, weıl er weiter bach- abwärts liegt als der zweite, der „untere“) standen etwa 100—200 auf dem andern etwa 30 Exemplare von Impatiens. Die Pflanzen erreichten an beiden Standorten bis Ende August eine Höhe von ım Maximum 40--45 cm. Bis Anfang August wurde an beiden Standorten an keinem einzigen Exemplare eine chasmogame Blüte gefunden. Am 4. August waren am unteren Standort zwei Pflanzen, die je eine Übergangsblüte trugen, genau von der Gestalt wie die im Laboratorium künstlich hervorgerufene (Fig. 1,7), nur etwas kleiner. Am 9. August hatte ein anderes Exemplar eine chasmo- game, aber etwas kleine Blüte hervorgebracht, ihr folgte später em Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. A anderes mit einer chasmogamen Blüte von normaler Größe. Auf dem oberen Standort waren nur Pflanzen mit kleistogamen Blüten und kleistogam erzeugten Früchten vorhanden. Weder die Pflanzen mit Übergangs- noch die mit (je) einer chasmogamen Blüte brachten aber weitere chasmogane Blüten hervor. Dagegen fand sich an einem andern Standort zwischen den kleistogam blühenden Pflanzen (in den ersten Tagen des August) solche mit mehreren chasmogamen Blüten. Diese Pflanzen waren an ihrer bedeutenderen Größe und dem dunkleren Grün ihrer Blätter leicht als die besser ernährten kenntlich, sie bildeten ein Gegenstück zu der oben erwähnten Pflanze, die trotz günstiger Bodenverhältnisse nur kleistogame Blüten her- vorbrachte und zeigen wie diese, dass auf demselben Boden ver- schieden sich verhaltende Pflanzen wachsen können. Das beweist aber selbstverständlich nichts gegen die Abhängigkeit der Kleistogamie von Ernährungsverhältnissen, sondern zeigt nur, dass die Aus- nützungsfähigkeit gegenüber dem Boden bei den verschiedenen Pflanzen je nach ihrer Kräftigkeit eine verschiedene ist. Dass auch eın sehr trockener!), aber sonst nahrhafter Boden die- selbe Wirkung ausüben wird wie ein nährstoffarmer, ist selbstver- ständlich, ebenso können natürlich auch andere ungünstig auf die Er- nährung einwirkende Faktoren dasselbe Resultat ergeben. Um die Einwirkung konstanter großer Luftfeuchtigkeit und hoher Temperatur auf /mpatiens zu untersuchen, wurde ein chasmogam blühendes Exem- plar in das Viktoriahaus gebracht. Leider erkrankte es sehr bald an der „roten Spinne“. Einige Blüten entfalteten sich noch, führten aber ıhre normalen Orientierungsbewegungen viel langsamer aus, als sonst, so dass der Sporn einige Zeit lang nach oben gekehrt blieb, statt sich sofort nach unten zu wenden. Hier ıst eine Notiz Graebners?) anzuführen, der beobachtete, dass Impatiens parriflora, welche von der „roten Spinne* (Tetranychus telarius L.) befallen war, nach den chasmogamen Blüten kleistogame hervorbrachte. Auch sonst sind beim Auftreten kleistogamer Blüten Ernährungs- verhältnisse sicher beteiligt. Bei Capsella bursa pastoris beobach- 1) In dieser Beziehung ist von Interesse eine Beobachtung von E. Eggers (Kleistogamie einiger westindischer Pflanzen, Bot. Centralblatt VIII [18S1], p. 57). Fr fand bei einer Anzahl westindischer Pflanzen kleistogame Blüten und glaubt. aus den klimatischen Verhältnissen schließen zu können, „dass die Ursache der anormalen kleistogamen Blütenentwickelung in allen Fällen dieselbe ist; nämlich der Mangel an ausreichender terrestrischer und atmosphärischer Feuchtigkeit, welcher eine vollkommene Entwickelung der Blüten nicht gestattet“. Versuche hat Eggers nicht angestellt. Meiner oben begründeten Auffassung zufolge ist es nicht der Mangel an Feuchtigkeit als solcher, welcher die Kleistogamie in den von Eggers beobachteten Fällen hervorrief, sondern die damit verbundene mangelhafte Ernäh- rung. Eine mit nährstoffarmem Wasser reichlich begossene Pflanze würde ebenso kleistogame Blüten bilden, wie diese auf trockenem Boden gewachsenen Pflanzen. 2) Welchem meine 1893 a. a. OÖ. veröffentlichten Angaben über Impatiens offenbar unbekannt geblieben waren. 4) 172 (roebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. tete ich an langen Infloreszenzen, die zahlreiche Früchte angesetzt hatten, dass die obersten Blüten kleistogam waren. Die Bestäubung fand innerhalb der noch geschlossenen Blütenknospen statt, die Blumenkrone blieb sehr klein, die Blüten öffneten sich nur ganz wenig. Auch hier liegt offenbar eine Ernährungshemmung der letzten Blüten vor, welche wohl namentlich durch den Fruchtansatz an den untern Blüten bedingt ist. „An Blütenständen, die eine größere Anzahl von Blüten hervorbringen, reicht das Material sehr häufig nicht mehr hin, um die jüngsten, letztgebildeten Blüten, welche am Ende des Blütenstandes stehen, zur Entfaltung zu bringen. An den meisten derselben sind zwar alle ihre Organe angelegt, man findet also Kelch, Blumenkrone, Staubblätter und Fruchtknoten in jugendlichem, aber normalem Zustande in ihnen, allein zu der Zeit, wo diese Blüten zur Weiterentwickelung an die Reihe kämen, haben die älteren Blüten bereits begonnen, Samen anzusetzen, und diesen strömen nun alle Bildungsstoffe zu, die jüngsten Blütenanlagen aber verkümmern ... Entfernt man die jungen Früchte rechtzeitig so kann man die sonst ver- kümmernden Blütenanlagen zur Entwickelung bringen und dasselbe wird auch ohne die genannte Maßregel eintreten können, wenn die ganze Pflanze sich unter besonders günstigen, äußeren Be- dingungen befindet“!). Statt ganz zu verkümmern, werden solche Blüten wie die von Gapsella erwähnten zunächst kleistogam. Es steht deshalb ganz ım Einklang mit meinen Anschauungen, wenn F. Ludwig, welcher am Ende der Infloreszenzen von Hyoseyamus niger b. agrestis kleistogame (später ganz verkümmernde) Blüten beobachtete nach Entfernung der Früchte wieder chasmogame, meist etwas kleinere Blüten auftreten sah?). Auch bei Pisum satirum fand ich an älteren, sich dem Ende ihrer Vegetation nähernden Pflanzen (aber bei noch günstigen äußeren Bedingungen in einem warmen Sommer) kleistogame Blüten. Die Pollenkörner waren innerhalb der geschlossen blühenden Blumen- krone entleert und hatten — teilweise noch innerhalb der Antheren — Schläuche getrieben. Die Pflanzen standen an einem sonnigen Standort ganz frei, es konnte also nicht etwa ungenügende Beleuchtung oder Wärme die Entfaltung der Blumenkrone gehemmt haben. Diese wurde von dem sich vergrößernden Fruchtknoten teilweise in ähnlicher Weise, wie dies oben für /mpatiens geschildert wurde, abgehoben. Während an diesen Blüten die Blumenkrone sich nicht entfaltet hatte und innerhalb der Knospe Selbstbestäubung eingetreten war, 1) Goebel, Über die gegenseitigen Beziehungen der Pflanzenorgane, Berlin, (C. Habel 1880, p. 7). 2) F. Ludwig, Weitere biolog. Mitteilungen. Botan. Centralblatt VIII (1881, p. 89). Zn Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien, 173 brachten die Erbsenpflanzen eines unmittelbar danebenstehenden Beetes chasmogame Blüten in Menge hervor. Sie entstammten Samen, welche etwa 5 Wochen später als die der eben erwähnten Pflanzen ausgesät worden waren, die Pflanzen befanden sich dem- entsprechend noch ın voller Wuchskraft, nicht in der Altershem- mung, welche an älteren Erbsenpflanzen, die schon zahlreiche Früchte hervorgebracht haben, auf den ersten Blick schon durch das mangelhafte vegetative Wachstum uns entgegentritt. Es wird nicht überflüssig sein, aus der Literatur noch weitere Beispiele anzuführen, welche zugleich zeigen, wie weit Kleistogamie — wenigstens die durch Entfaltungshemmung bedingte — verbreitet ıst; bei genauerem Zusehen wird die jetzt schon große Liste von Pflanzen mit kleistogamen Blüten sich noch erheblich vermehren lassen. Darwin (a. a. O. p. 285) führt eine Angabe von Torrey und Gray an, wonach die nordamerikanıschen Arten von Helianthemum, wenn sie in dürftigem Boden wachsen, nur kleistogame Blüten her- vorbringen. Ludwig!) fand, dass die bei uns vielfach verwilderte aus Nordamerika als Zierpflanze eingeführte Collomia grandiflora auf neuen Standorten zunächst sich sehr üppig vermehrt, dabei aber das chasmogame Blühen, anfangs langsam zuletzt rasch ein- stellt. Die Exemplare dürftiger Ernährung blühen alle kleistogam, und auch da, wo an ein und derselben Pflanze chasmogame und kleistogame Blüten vorkommen, ist wohl anzunehmen, dass die ersteren in der kräftiger ernährten Region vorkommen. Durchaus bezweifeln aber möchte ich die Annahme, dass sich die Pflanze die Kleistogamie erst in Europa angewöhnt habe, ich glaube vielmehr, dass sie ın Nordamerika an dürftigen Standorten ebenso kleisto- gam blüht, wie bei uns. Dass Pflanzen auf „frischem“ Boden zunächst üppig wachsen und dann zurückgehen (so z. B. die Garten- erdbeeren, welche alle drei Jahre auf frischen Boden gepflanzt werden müssen) und dementsprechend auch verwilderte Pflanzen von einem Standort, den sie eingenommen haben, allmählich wieder verschwinden, ıst ja auch sonst bekannt, das auffallendste Beispiel dafür stellt eine andere nordamerikanische Pflanze, die Hlodea ca- nadensts dar. Worin es begründet ist, dass die Bedingungen für 1) Biologie der Pflanzen, p. 514; Botan. Zeitung, 1878, p. 739. Hier stellt Ludwig (p. 741) die Meinung auf, dass die Neigung zur Kleistogamie bei Collomia nicht durch Ernährungsbedingungen erklärt werde, son- dern sich vielmehr (wie bei anderen Pflanzen) ausgebildet habe „infolge des Mangels an zur Bestäubung geeigneten Insekten“, ' Darauf wird unten, bei Besprechung der teleologischen Erklärungsversuche der Kleistogamie zurückzukommen sein; es sei hier nur bemerkt, dass hier wie bei den anderen teleologischen Erklärungsversuchen eine Verwechslung von Ursache und Nutzen vorliegt. (4 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. das Weiterleben solcher Pflanzen später ungünstiger werden, als sie anfangs waren (etwa die Erschöpfung bestimmter Nährstoffe u. S. w.), wissen wir nicht. Jedenfalls aber ist die Kleistogamie bei Collomia als ein Zeichen dieses Ungünstigerwerdens der Lebens- bedingungen oder auch der verminderten Fähigkeit der Pflanze an sich günstige Lebensbedingungen auszunützen zu betrachten und hat nichts zu tun mit der von Ludwig angeführten Beziehung, dass die Tagschwärmern angepaßte langröhrige Blume bei uns keine Bestäubungsvermittler gefunden habe, sie würde ebenso auftreten, wenn die Bestäubungsvermittler vorhanden wären. Die kleistogamen Blüten sowohl bei Impatiens als bei den anderen oben angeführten Pflanzen bildeten sich unter denselben Beleuchtungsverhältnissen, unter denen an anderen, kräftiger er- nährten Pflanzen chasmogame Blüten entstanden. Dies ist beson- ders hervorzuheben, weil man wiederholt darauf hingewiesen hat, dass durch ungenügende Beleuchtung die Bildung chasmo- gamer Blüten unterdrückt werden kann. Sehen wır ab von H. Müller’s oben angeführter Angabe über Viola biflora, so ist hier zu nennen Kerner’s Beobachtung!), dass Viola sepincola im tiefen Waldesschatten keine chasmogamen Blüten anlegte. Außer einer mehr gelegentlichen Beobachtung von Sachs?) über 7ro- paeolum ıist namentlich die Untersuchung von Vöchting?) über den Einfluss des Lichtes auf die Blütengestaltung anzuführen. Er gelangt zu der Ansicht, dass zunächst äußere Ursachen, ın erster Linie mangelhafte Beleuchtung die Bildung kleistogamer Blüten herbeigeführt haben; eine Anschauung, die in dieser Fassung nach dem Obigen nicht haltbar ist. Es gelang nämlich, bei Stellaria media, Lamium purpureum u. a. durch schwache Beleuchtung die chasmogamen Blüten am Öffnen zu verhindern. Er meint, dass auch bei der Entstehung so ausgesprochen kleistogamer Blüten wie die von Viola- und /mpatiens-Arten es sind, das Licht von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sei. Wir haben oben ge- sehen, dass diese Annahme für /mpatiens nicht zutrifft, dass hier vielmehr Ernährungsverhältnisse darüber entscheiden, ob eine Blüte kleistogam oder chasmogam wird und auch der Einfluss abge- schwächter Beleuchtung dürfte darin bestehen, dass dadurch Er- nährungsstörungen zustande kommen, welche die Blütenbildung ungünstig, die Entwickelung der Vegetationsorgane günstig beein- flussen. Wie bei den in abgeschwächtem Lichte kultivierten Pflanzen oft noch Blütenknospen angelegt, aber nicht zur Entfaltung ge- bracht wurden, so lässt sich dasselbe auch bei den oben erwähnten 1) Pflanzenleben II, 388. 2) J. Sachs, Gesammelte Abhandlungen. I, p. 207 ff. 3) Über den Einfluss des Lichtes auf die Gestaltung und Anlage der Blüte. Jahrb. f. wiss. Botanik XXV (1893, p. 187). Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 119 Sandkulturen beobachten, auch Verkleinerung der Blumenkrone trat hier auf (z. B. bei Sönapis arvensis), trotzdem die Lichtintensität, wie Kontrollpflanzen zeigten, vollständig zur Bildung normaler Blumenkronen hinreichend war. Vöchting glaubt auch bei einem Versuche mit Viola odorata der mangelhaften Beleuchtung „die eigentlich entscheidende“ Wir- kung für das Auftreten von lediglich kleistogamen Blüten zu- schreiben zu sollen, lässt aber unentschieden, ob dabei noch andere Ursachen im Spiele waren. Mir scheint es zweifellos, dass man Viola mit nur kleistogamen Blüten auch in voller Beleuchtung er- ziehen kann, wenn man sie unter die Bedingungen bringt, unter denen die kleistogamen Blüten normal entstehen. Diese treten auf, wenn die Pflanze im Wachstum, in der Entwickelung ihrer vegetativen Organe begriffen ist. Wenn also die Vegetation nach der Winterruhe früher als normal angeregt wird, werden kleisto- game Blüten auftreten‘). Dabei handelt es sich aber meiner An- sicht nach nicht etwa darum, dass für die Entwickelung der Blumenkrone ein relativ niederliegendes Temperaturoptimum vor- handen wäre, nach dessen Überschreitung das Verkümmern der Blumenkrone und sonstige Hemmungserscheinungen eintreten. Dass hohe Temperatur nicht direkt das Auftreten kleisto- gamer Blüten bedingt, geht daraus hervor, dass ich in dem außer- ordentlich heißen und trockenen Sommer dieses Jahres (1904) das Auftreten chasmogamer Blüten sowohl bei Viola silvatica als bei Viola odorata (var. semperflorens) ın der ersten Hälfte des Juli er- zielen konnte. Beide Veilchenarten hatten vorher kleistogame Blüten hervorgebracht. Die Zahl dieser chasmogamen Blüten war zwar keine große, und sie waren bei Viola silvatica teilweise mit etwas kleinerer, blasser gefärbter Blumenkrone versehen als die ım Frühjahr auftretenden chasmogamen Blüten, aber sonst waren sie normal, was die Antherenbildung und sonstige Eigentümlich- keiten anbelangt. Die chasmogamen Sommerblüten von Yrola silvatica entleerten auch ihren Pollen, die von Wiola odorata trieben (wie dies bei den unmittelbar vor den kleistogamen Blüten auf- tretenden letzten chasmogamen Blüten nach dem Obigen [p. 479] häufig geschieht) Pollenschläuche mnerhalb der Antheren, einige der Blüten zeigten auch insofern einen Übergang zur Kleistogamie, als sie sich, trotzdem sie am unteren Blumenblatt einen langen Sporn hatten, nicht vollständig öffneten. Die Pflanzen, welche diese Blüten hervorbrachten, waren hell und trocken kultiviert worden. Ich ging von der Ansicht aus, dass chasmogame Blüten angelegt werden* zu einer Zeit, wo das vegetative Wachstum stillsteht oder doch unbeträchtlich ist und 1) Uber meine eigenen Versuche soll später berichtet werden. 76 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. reichlich Baumaterialien vorhanden sind. Ich suchte deshalb die Pflanzen vorzeitig in die Ruheperiode zu versetzen, indem ich sie trocken hielt und gab ihnen durch starke Beleuchtung Gelegenheit zur reichlichen Assımilation. Die Pflanzen zeichneten sich dem- entsprechend auch aus durch gedrungenen Wuchs und kurzstielige Blätter. Auf diese Faktoren glaube ich das Auftreten der chas- mogamen Blüten nach den kleistogamen zurückführen zu sollen. Es seı dabei ausdrücklich bemerkt, dass bei Viola silvatica chas- mogame Blüten selbst an solchen Sprossen auftraten, die vorher kleistogam erzeugte Früchte gebildet hatten, also nicht etwa das Ausbleiben der Fruchtbildung in den kleistogamen Blüten für das Auftreten chasmogamer als Veranlassung dienen kann. Auch im Freien traf ich Viola silvatica Ende Juli und Anfang August teil- weise mit normalen chasmogamen Blüten an. Nach dem oben Mitgeteilten kann ich Graebner’s Anschauungen über die Ur- sachen der Kleistogamie bei Vrola nicht teilen. (Graebner!) ist geneigt, die Ausbildung kleistogamer Blüten bei Viola der höheren Temperatur zuzuschreiben. Indes genügen die von ihm angegebenen Beobachtungen nicht, um diesen Satz zu erweisen. Er sagt: „Sobald eine solche Pflanze an einen wärmeren Standort kommt, sei es in ein warmes Gewächshaus oder ein geheiztes Zimmer, hört sofort die Bildung der chasmo- gamen Blüten auf und es werden nur kleistogame entwickelt, ja ich konnte sogar die Beobachtung machen, dass nur die vollständig ausgebildeten Knospen der WVola odorata sıch öffneten, bei allen an- deren aber das Wachstum der Petala aufhörte und die Blüten- stiele sich zu Boden neigten. Von da an verhielten sich alle Blüten ganz wie kleistogame.“ Nun folgen, wie wir oben sahen, normal kleistogame Blüten auf chasmogame. Es liegt in dem von Graebner angeführten Falle kein Beweis dafür vor, dass nicht bei den in höhere Temperatur gebrachten Pflanzen einfach der normale Entwickelungsgang beschleunigt wurde. Wenn der Verf. fortfährt: „Einige andere Pflanzen, die sofort nach Beginn der Vegetationsperiode im Frühjahr in eine Temperatur von 12—14° gebracht wurden, entwickelten nicht eine einzige chasmogame, sondern nur kleistogame Blüten,“ so ıst dabei leider nicht bemerkt, ob die chasmogamen Blüten nicht vielleicht stecken geblieben waren und nur die kleistogamen sich entwickelt hatten. Die Frage danach ist um so berechtigter, als Vöchting fand (a.a. ©. p. 176), dass die Knospen chasmogamer Blüten an Pflanzen von Viola odo- rata sich nicht entfalteten, sondern stecken blieben, wenn die Pflanzen bei abgeschwächtem Lichte kultiviert wurden. Kleisto- 1) Biolog. Notizen, Verh. des Bot. Vereins der Provinz Brandenburg, 35. Jahrg. 1893, p. 150, Berlin 1894. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Dr game Blüten traten an diesen Pflanzen auf. Ebenso kann es sich also bei den von Graebner erwähnten Pflanzen möglicherweise nicht um eine Verwandlung der Anlage chasmogamer Blüten in kleistogame, sondern um ein Verkümmern der ersteren handeln. Ganz ähnlich wird es sich bei Viola, die im Frühjahr oder Herbst in höhere Temperatur gebracht wird, verhalten, entweder bleiben die Knospen der chasmogamen Blüten ganz stecken oder die Hemmung der Entwickelung ist eine teilweise, es entstehen kleistogame Blüten. Es ıst also hier mit anderen Worten keine direkte Tem- peraturwirkung vorhanden, sondern eine korrelative, nicht die Tem- peraturerhöhung als solche bedingt das Ausbleiben der chasmo- gamen Blüten, sondern die durch die erhöhte Temperatur einge- leitete Entwickelung der Vegetationsorgane. Diese entzieht den Blütenknospen einen Teil der Baumaterialien und veranlasst sie, statt sich vollständig, d. h. chasmogam auszubilden, kleistogam zu werden, ebenso wie dies in anderen Fällen durch die heranreifen- den Früchte geschieht (vgl. p. 772). Auf eine solche Korrelation nicht auf die höhere Temperatur als solche glaube ich also die von Graebner erwähnte Beobach- tung zurückführen zu sollen. Meine Pflanzen, welche am 7. Juli chasmogame Blüten hervorbrachten, waren einer viel höheren Tem- peratur wochenlang ausgesetzt als die von Graebner erwähnten, trotzdem bildeten sie chasmogame Blüten. Dass diese nicht ım größerer Zahl und kräftigerer Ausbildung auftraten, wird den ab- normen Bedingungen, unter denen die Pflanzen standen, zuzu- schreiben sein. Wenn ich eine mit Blütenknospen versehene normale Pflanze von Viola odorata vor der Entfaltung der chasmogamen Blüten- knospen durch höhere Temperatur antreibe, so wirkt die Tem- peratur nicht allein auf die Blütenknospen, sondern auch auf die vegetativen Organe. Es ist eine bekannte Erfahrung, dass wenn man beim „Treiben“ höhere Temperaturen anwendet, vielfach die Blüten stecken bleiben, und zwar wie Müller-Thurgau wohl mit Recht annımmt, in Verbindung damit, dass die rasche und starke Entwickelung der vegetativen Organe die Baustoffe ver- braucht, die zur Entfaltung der Blüten hätten Verwendung finden sollen. Es mag ein analoger Fall hier angeführt werden. Gärtner?!) schnitt im August an Pflanzen von Silene noctiflora, welche sehr reichlich Früchte angesetzt hatten, diese weg. Es entwickelten sich in einem Zeitraum von 14—20 Tagen bei warmer Witterung eine Menge neuer Blüten. Der bei weitem größte Teil 1) Versuche und Beobachtungen über die Befruchtungsorgane der vollkommenen Gewächse, 1844, p. 124. 18 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. dieser war aber mit „tabeszenten“ Antheren versehen, auch die Zahl der Antheren war verringert und die Blumenblätter waren bei sehr vielen nicht entwickelt, die Griffel aber befruchtungsfähig. Möglich, dass unter diesen Blüten auch kleistogame waren. Jedenfalls zeigen sie eine Analogie mit diesen, indem sowohl Blumenkrone als Androeceum reduziert war. Wie wir kleistogame Blüten spe- zıell bei Keimpflanzen oder an neu sich entwickelnden Trieben auf- treten sahen, so finden sich hier, nachdem die eigentlich schon abgeschlossene Vegetation neu angeregt war, neue, aber unvoll- ständig ausgebildete Blüten. Dass die Entwickelung vegetativer Teile eine Hemmung ın der Ausbildung der Fortpflanzungsorgane bedingt, ist auch in anderen Pflanzengruppen nicht ohne Beispiel. Die untersten Sporangien ın den Sporangienständen (Blüten) der Lycopodium-Arten sind häufig kleiner als die anderen oder ganz verkümmert, die ersten Sporophylle junger Pflanzen von Onoclea Struthiopteris sınd meist als Mittelformen zwischen Laubblättern und Sporophyllen ausgebildet und zeigen zahlreiche unvollständig ausgebildete Sporangien. Diese Tatsachen sind offenbar darauf zurückzuführen, dass die vegetative Entwickelung zur Zeit der An- legung der Fortpflanzungsorgane noch nicht zum Stillstand ge- langt war. Ohne Zweifel verhalten sich ın dieser Beziehung nicht alle Pflanzen gleich und gewiss ist es für Viola notwendig, diese Auf- fassung experimentell weiter zu verfolgen, sie schließt sich aber ungezwungen allen oben mitgeteilten Tatsachen an. Diese sollen uns auch die Grundlage geben, welche gestattet, die anderen Er- klärungsversuche für das Auftreten der Kleistogamie zu beurteilen. Es mögen zunächst die phylogenetischen Spekulationen er- wähnt sein, als deren Hauptvertreter wir den verdienstvollen Blütenbiologen H. Müller betrachten können. H. Müller!) unterscheidet kleistogame Blüten verschiedenen Ur- sprungs, nämlich zunächst solche, bei denen Ungunst der äußeren Verhältnisse eine Entwickelungshemmung, ein Zurückbleiben der Blüten in Knospenstadium (wobei Selbstbefruchtung stattfindet) veranlasst?). Solche Fälle finden sich z. B. bei Wasserpflanzen, bei kleistogamen Windblütlern und bei Pflanzen, welche in ihrer Heimat chasmogame, in ein anderes Klima versetzt kleistogame Blüten tragen. Er fährt fort: „Einen solchen Ursprung kann aber offenbar die Kleistogamie aller derjenigen Insektenblütler nicht haben, welche ın ihrer Heimat Jahr für Jahr gleichzeitig an denselben Stöcken große, sich öffnende und kleine kleistogame Blüten hervorbringen.“ 1) Hermann Müller, Das Variieren der Größe gefärbter Blütenhüllen, Kosmos I, p. 136 u. 137 (Oktober 1877). 2) Das sind also dieselben, die später als pseudokleistogam bezeichnet wurden. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. N) Als Beispiel führt er Viola an. Er meint: „Schon bei den gemein- samen Stammeltern jener Viola-Arten sind durch individuelle Va- rıation Blumen mit größeren und kleineren gefärbten Hüllen an denselben Stöcken aufgetreten, und die kleinhülligen, infolge nicht ausreichenden Insektenbesuches zu kleistogamen Blüten umgeprägt worden.“ Diesem Urzustande stehe ein von Fr. Müller in Bra- silien gefundenes weißblühendes Veilchen noch am nächsten, welches gleichzeitig an denselben Stöcken große sich öffnende und kleine kleistogame Blüten hervorbringe. Leider wird aber über die Ver- teilung der Blüten gar nichts mitgeteilt. Es ist nicht gesagt, ob chasmogame und kleistogame Blüten untereinander auftreten oder in verschiedenen Regionen der Sprossachse. Nach dem Verhalten unserer einheimischen Veilchen!) wäre das letztere anzunehmen, und dann ist das Verhalten, wenn die chasmogamen Blüten etwas länger ausdauern, von dem von Viola odorata, mirabilis etc. nicht wesentlich verschieden. Außerdem sahen wir, dass unter be- stimmten Bedingungen auch nach den kleistogamen Blüten chas- mogame wieder auftreten können. Von den letzteren aber meint Müller, dass sie in der Regel nur wenn die chasmogamen Blüten nicht Frucht ansetzen entstehen. Diese Meinung ist aber, wie oben nachgewiesen, nicht haltbar. Für Viola diflora konstruiert Müller eine besondere Gruppe, da sie plötzlich in den Schatten versetzt, nur kleistogame Blüten trage. Das seı als ein Rückschlag in früher allmählich ausge- prägte, später überflüssig gewordene und wieder verloren gegangene Eigentümlichkeiten zu betrachten, hier also auf die durch die brasilianische Veilchenart repräsentierte Ausbildung von chasmo- gamen und kleistogamen Blüten. Es wurde oben mehrfach betont, dass die kleistogamen Blüten von Viola biflora ebenso ın den natürlichen Entwickelungsgang der Pflanze gehören, wie bei anderen Viola-Arten, die Müller’sche Annahme ist für diese Pflanze also sicher nicht haltbar. Aber auch sonst bleiben seine Darlegungen ein rein künstliches Hypothesengebäude. Er nımmt an: 1. Erste Form von Viola: Zweierlei Blüten, solche mit größeren und solche mit kleineren gefärbten Hüllen?). 1) Bei Viola silvatica fand ich nicht selten die chasmogamen Blüten noch vorhanden, wenn die kleistogamen schon da waren. 2) Derartiges findet sich tatsächlich bei den verschiedenen „Formen“ (kleinen Arten) von Viola tricolor, aber eben auf verschiedene Formen verteilt, nicht an ein und derselben Pflanze. Die Corolle von Viola trieolor (f. arvensis) fand ich bei manchen Exemplaren so klein, dass sie nicht über den Kelch hinausragte. Es gelang mir aber nicht, kleistogame Blüten zu finden. Wohl aber blieben die Blütenknospen der großblumigen Gartenform (pensee), die ich mehrere Monate im feuchtwarmen Viktoriahause kultivierte, nach einiger Zeit stehen, ohne sich zu entfalten. Sie erreichten eine Länge von etwa 7 mm und vertrockneten dann, ohne Samen anzusetzen. Die Vegetationsorgane dagegen entwickelten sich fast normal weiter, 7s0 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien 2. Letztere werden „infolge nicht ausreichenden Insekten- besuches* kleistogam. Also zweite Form von Viola: kleistogame und chasmogame Blüten zugleich. 3. Beide werden zeitlich getrennt, die kleistogamen treten als Sicherung auf, wenn die chasmogamen fehlschlagen. 4. Bei einer Art, Viola biflora, können kleistogame Blüten als Rückschlag, veranlasst durch ungünstige physikalische Bedingungen, auftreten. Dieses ganze Hypothesengebäude ist aber nicht haltbar, ebenso- wenig als der Unterschied, den Müller zwischen den zwei Formen kleistogamer Blüten macht. Denn wir sahen, dass auch bei Im- patiens, welche nicht nur gelegentlich, sondern „Jahr für Jahr“ kleistogame Blüten hervorbringt, deren Entwickelung durch un- günstige äußere Bedingungen veranlasst wird und dass diese Bedingungen nicht etwa in „nicht ausreichendem Insektenbesuche“ bestehen. Es ıst keinerlei zureichender Grund vorhanden, die kleistogamen V?ola-Blüten von kleinblütigen, sich selbst befruchten- den Formen abzuleiten, wie sie bei Wiola tricolor vorkommen, und die Anschauung, dass die kleistogamen Blüten bei Viola biflora als Rückschlagserscheinung auftreten, ist oben schon als irrtümlich nachgewiesen. Wir haben gesehen, dass bei dieser kleistogame Blüten auf- treten, trotzdem die chasmogamen reichlich Samen ansetzen. Immer wieder aber taucht bei den Blütenbiologen ebenso wıe bei H. Müller die Neigung auf, die Bildung kleistogamer Blüten als die Folge des Ausbleibens der Samenbildung ın den chasmogamen zu be- trachten. So sagt z. B. Kirchner!) von Viola odorata: „Außer den großhülligen, offenen Blüten kommen, wenn Insektenbesuch ausgeblieben ıst?), ım August an den Ausläufern kleistogame Blüten zur Entwickelung! Knuth in seinem Handbuch der Blüten- biologie (1 p. 66) meint sogar, die Erklärung für das vorwiegende Auftreten kleistogamer Blüten bei Drosera dürfte in dem Um- stande zu suchen sein, dass die anfliegenden kleinen Insekten (welche die Kreuzbestäubung vermitteln könnten) von den glänzen- den Tropfen auf den Tentakeln der Blätter so angelockt werden, dass sie die Blüten unbeachtet lassend auf die Blätter fliegen! Auf der oberbayerischen Hochebene sind aber die Blüten von Dro- sera sehr häufig chasmogam, was wohl mit der stärkeren Insolation zusammenhängt. Denn nur bei intensiver Beleuchtung und höherer Temperatur öffnen sich die Drosera-Blüten, damit und nicht mit dem mangelnden Insektenbesuch hängt das Auftreten der kleisto- 1) Flora von Stuttgart 1888, p. 318. 2) Sperrung von mir. G. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 1s1 gamen Blüten zusammen. Für die anderen Formen hat Knuth auch eine „Erklärung“. Bei Viola, Oxalis ete. entstehen nach ihm die kleistogamen Blüten im Sommer in Verbindung damit, dass jetzt viele andere Blüten die Kreuzungsvermittler anlocken, die chasmogamen Blüten entstehen im Frühjahr, „weil dann die Kon- kurrenz unter den Blumen noch nicht so groß ıst*! Auf eine Kritik solcher Darlegungen einzugehen ist wohl nicht erforderlich, sie stellen nur ein abschreckendes Beispiel teleologischer Scheinerklä- rungen dar. Außerdem zeigt die direkte Beobachtung oft genug, dass kleistogame Blüten auch dann auftreten, wenn die chasmo- gamen Samen angesetzt haben. Ich habe dies bei Viola mirabtlis, Viola silvatica, Viola odorata oft beobachtet, ım Frühjahr 1904 setzten die chasmogamen Blüten von lola mirabilis ın der Um- gebung Münchens zahlreiche Früchte an, trotzdem traten die kleisto- gamen auf, die ihrerseits gleichfalls Früchte bildeten. Dass die letzteren von Bedeutung sind, wenn die Samenbildung der ersteren ausbleibt, ıst ja selbstverständlich, und Darwin hat schon früh- zeitig diese Bedeutung erkannt. In einem Briefe an Asa Gray vom 16. November 1862!) heißt es (und der Herausgeber [der bekannte Botaniker Francis Darwin] fügt in einer Anmerkung hinzu, dass diese Ansicht jetzt allgemein angenommen sei), „... dass aber die (vollkommenen) Blüten nicht immer, namentlich ım zeitigen Frühjahr hinreichend von Insekten besucht werden; die kleinen unvollkommenen, sich selbst befruchtenden Blüten werden daher entwickelt, um die hın- reichende Menge von Samen für die jetzige Generation zu sichern.“ Diese kleistogamen Blüten aber sind nicht aufgetreten, weil sie notwendig waren, sie finden sich, wie wir sahen, auch bei Formen, die sie nicht nötig haben. Nichtsdestoweniger sind sie für eine Anzahl von Pflanzen von erheblichem Nutzen, man wird sich aber hüten müssen, die Ursache des Auftretens ihrer Bildung in direkte Beziehung zu ihrem Nutzen zu setzen. Beides ıst aus- einander zu halten, wo dies nicht geschieht, entsteht eine Ver- mengung von teleologischen Zurechtlegungen und kausalen Er- klärungsversuchen, wie sie sich z. B. bei F. Ludwig?) findet. Er meint, regelmäßig treten kleistogame Blüten nach den chasmo- gamen auf bei Oxalis Acetosella, Viola odorata ete., bei deren chas- mogamen Blüten der frühen Jahreszeit halber der Insektenbesuch mehr oder minder unsicher sei, bei Lamium amplexicaule seien die ersten Blüten („wohl infolge der meist noch ungünstigen Witte- rung“) kleistogam, Impatiens noli tangere, Linaria vulgaris blühe an schattigen, insektenarmen Stellen im Walde meist kleistogam, 1) Leben und Briefe von Charles Darwin (Deutsche Übersetzung) III, p. 298. 2) Biologie der Pflanzen p. 427, 1895. 189 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. „viele ausländische Pflanzen blühen teils wegen der fehlenden Be- stäubungsvermittler, teils wegen unzulänglicher klimatischer Ver- hältnisse bei uns schließlich n4r kleistogam, so Collomia grandi- flora* u. a. „Dürftige Standortsverhältnisse, Ungunst der Witte- rung zur Blütezeit, Mangel der Bestäubungsvermittler sind als die Ursache der Anpassung an Kleistogamie zu betrachten.“ _Vermut- lich stellt sich Ludwig vor, dass die Kleistogamie in derartigen Fällen als zweckmäßige Variation durch Selektion erhalten blieb. Inwiefern aber bei z. B. dürftigen Standortsverhältnissen Kleisto- gamie von Vorteil sein soll, wird nicht dargelegt; man könnte allen- falls an den Vorteil der Materialersparnis denken, allein die kleisto- gamen Blüten treten in solcher Menge auf, dass das zu ihrer Bildung verwandte Material zur Ausbildung einer — wenn auch geringeren Anzahl — chasmogamer Blüten vollständig hinreichen würde. Wir sehen bei zahlreichen anderen Pflanzen, dass sie bei ungünstigen Standortsverhältnissen (wenn sie überhaupt zur Blüte gelangen) die Zahl der Blüten verringern, aber diese „normal“ aus- bilden. Von einer direkten Materialersparnis in den kleistogamen Blüten zugunsten der Samen kann man zudem nicht wohl reden. Denn die Samenbildung innerhalb der einzelnen kleistogamen Blüte ist nicht etwa eine reichere, sondern eine ärmere als in den chas- mogamen Blüten, wie dies bei Impatiens und Cardamine chenopodi- folia besonders deutlich hervortritt. Vielmehr kommt, wie oben zu zeigen versucht wurde, die Korrelation mit den Vegetations- organen in Betracht und den letzteren käme eine Material- ersparnis bei der Blütenbildung zugute. Eine bessere Entwickelung der Vegetationsorgane aber ermöglicht dann die Bildung einer größeren Zahl kleistogamer Blüten. Ebensowenig ließe sich die Annahme durchführen, die Kleisto- gamie sei zwar durch „Nahrungsmangel“ ursprünglich induziert, aber durch Mangel an Kreuzungsvermittlern weiter gezüchtet worden. Diese Hypothese müsste postulieren, dass ursprünglich die Fähig- keit, kleistogame Blüten (infolge von „Nahrungsmangel“*) zu bilden, innerhalb einer Art sehr ungleich war und dass in Gegenden, wo keine Insekten zur Kreuzungsvermittlung vorhanden waren, nur die Exemplare übrig blieben, die kleistogame Blüten bilden konnten. Diese Hypothese widerspricht aber den mitgeteilten Beobachtungs- tatsachen, welche zeigen, dass unter gleichen äußeren Umständen alle untersuchten Individuen wesentlich gleich reagieren auch da, wo die Kleistogamie keinen wesentlichen Nutzen bringt. Dass ihre Bedeutung trotzdem für manche Pflanzen eine er- hebliche ist, wurde ja schon mehrfach betont. Aber wir haben stets zu unterscheiden zwischen den äußeren 3edingungen, welche eine bestimmte Reaktion der Pflanze auslösen und zwischen dem Nutzen, welchen diese Reaktion gewährt. Die Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 183 teleologischen Erklärungen, denen mehr oder minder die Annahme zu grunde liegt, dass (nach Lamarck’scher Auffassung) das Bedürfnis als Reiz wirke, haben das vielfach übersehen und so den Nutzen eines be- stimmten Gestaltungsverhältnisses mit seiner „Ursache“ verwechselt. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen !!), dass bei Pflanzen viel- fach Reaktionen auf Reize auftreten, welche mit dem durch die Reaktion bedingten Nutzen ın keimem direkten Verhältnis stehen. So z. B. die Stellung der Archegonien auf der Unterseite der Prothallien bei Farnen und Kgwsetum. Sie wird durch das Licht Fig. 14. Ranunculus repens. Zwei in Dunkelkultur entwickelte Blätter. Das jüngere ist noch aufrecht, das ältere hat durch eine Krümmung des Blattstieles die Blatt- spreite nach unten gewendet. Fig. 15: Hermodactylus tuberosus. Endstück zweier Blätter mit Bohrspitze (hell), links am Licht, rechts im Dunkeln erwachsen. (Die Verschie- denheit in der Färbung von Bohrspitze und Blatt ist bei der \Viedergabe der Zeich- nung nicht ausreichend her- vorgetreten.) bedingt -—— die Archegonien stehen stets auf der Schattenseite, eine Stellung, welche vorteilhaft ist, weil hier das zur Befruchtung not- wendige Wasser mehr zur Verfügung steht als auf der Oberseite. Für die verhältnismäßig kurzlebigen Farnprothallien kommt das be- sonders ın Betracht. Die thallosen Lebermoose, bei welchen die Archegonien auf der Oberseite stehen, haben besondere Fang- einrichtungen für Wassertropfen ausgebildet?), bei den Wasser- farnen (Hjydropterides) ıst die Stellung der Archegonien auf der 1) Über Studium und Auffassung der Anpassungserscheinungen, ferner in „Organographie“ I. Teil. » 2) Goebel, Organographie, p. 304 ff. 784 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Prothalliumunterseite charakteristischerweise nicht vorhanden. Ebenso ist es in anderen Fällen. Bekanntlich haben eine Anzahl von Pflanzenteilen, welche den Boden zu durchbohren haben, an der Spitze eine Einkrümmung, welche ermöglicht, dass nicht die (in diesen Fällen für das Durchbohren der Erde weniger geeigneten) an der Spitze gelegenen Teile, sondern das Knie, wo resistenteres (rewebe sich befindet, die Erde zu durchbrechen hat. Diese Er- scheinung wird nun in manchen (aber keineswegs ın allen) Fällen durch Lichtmangel hervorgerufen. So z. B. bei den Blättern von Ranuneulus repens und einigen verwandten Arten. Lässt man diese am Lichte sich entfalten, so bleibt der Blattstiel gerade. Im Finstern dagegen ist er nur im ersten Entwickelungsstadium gerade, dann biegt er sich knieförmig ein. Befindet sich die Pflanze unter Erde, so wird ihr die Einkrüämmung das Durchbrechen der Blätter erleichtern — aber die Einkrümmung ist keine direkte Anpassung an das Durchbrechen durch den Boden, sondern durch Lichtmangel bedingt, sie tritt also auch ein, wenn kein Erdwiderstand zu über- winden ist!). Die Blätter von Hermodactylus tuberosus durchbrechen die Erde gerade, nicht gekrümmt, sie haben nämlich, wie andere derartig sich verhaltende Blätter eine „Bohrspitze“, welche zum Durchbruch durch die Erde besonders geeignet ist. Das ganze Blatt hat die Gestalt eines vierkantigen Dolches, dessen Bohrspitze durch ıhre weißliche Färbung sich abhebt. Auch diese Bohrspitze wurde bei meinen Kulturen an Blättern, welche unter Lichtabschluss erwachsen waren, länger als bei anderen (Fig. 15). Es herrscht hier dieselbe Beziehung wie bei den Ranunculus-Blättern, Die kleistogamen Blüten aber stellen, wie ich oben nachzu- weisen versucht habe, einen weiteren Beleg für den Satz auf, dass eine Reaktion auf äußere Einflüsse für die Pflanze »vorteilhaft sein kann auch da, wo zwischen diesen Einflüssen und den Faktoren, wel- chen diese Reaktion „angepasst“ ist, keine direkte Beziehung besteht, wenn man dies im Auge behält, so scheint mir die Entstehung der Kleistogamie nicht mehr so rätselhaft, wie Solms-Laubach sie bezeichnet hat?) obwohl gewiss noch zahlreiche Untersuchungen not- wendig sein werden, ehe wir über die Faktoren, welche sie im einzelnen bedingen, aufgeklärt sein werden. Zunächst wurde oben nachzuweisen versucht, dass Kleistogamie dann zustande kommt, wenn die Entwickelung von Pollenkörnern und Samenanlagen noch stattfindet unter Bedingungen, unter denen die Entwickelung (oder Entfaltung) anderer Blütenteile gehemmt wird. 1) Ganz ähnlich verhalten sich auch, wie ich vor einigen Jahren beobachtete und Massart neuerdings beschrieb, die Ausläufer von Mercurialis perennis. 2) Botan. Zeitung 1883, p. 303. Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. 155 Das „Minimum“ liegt für letztere höher als für erstere, diese Tatsache tritt für gewöhnlich, wenn alle Faktoren harmonisch zu- sammenwirken, nicht hervor, macht sich aber geltend, wenn irgend- welche Störungen eintreten. Es wurden absichtlich nur solche kleistogame Blüten besprochen, welche an Pflanzen auftraten, deren chasmogame Blüten der Bestäubung durch Insekten angepasst sind. Bekanntlich gibt es kleistogame Blüten auch bei windblütigen Pflanzen (z. B. bei einigen Gräsern, Juncus bufonius u. a.). Es darf wohl angenommen werden, dass für ıhr Auftreten dieselben Be- dingungen maßgebend sind wıe für die oben besprochenen. Die teleologischen Erklärungsversuche dagegen mussten für die kleistogamen Blüten windblütiger Pflanzen andere Bedingungen po- stulieren, als für die von Pflanzen mit entomophilen Blüten. Dieser Gegensatz fällt jetzt weg. Zum Schlusse sei noch auf eine andere Frage hier kurz hın- gewiesen. Gewöhnlich betrachtet man die Blüten als Organe, welche viel weniger plastisch d. h. in ıhrer Gestaltung von äußeren Bedingungen abhängig sind, als die Vegetationsorgane. Im allgemeinen trifft das anch zu. Aber um so mehr ist hervorzuheben, dass — auch ab- gesehen von den kleistogamen Blüten — nicht nur die Größenver- hältnisse der Blumenkrone und der Staubblätter (vgl. das p. 750 über Sinapis arvensis Angeführte), sondern auch die Zahlenverhält- nisse innerhalb der Blüte bei einer Anzahl von Pflanzen sich als von Ernährungsverhältnissen abhängig erwiesen haben. So wurde früher) angeführt, dass bei den Blüten einiger Rosaceen z. B. Agri- monia, Orataegus) die Zahl der Staubblätter geringer ıst, wenn weniger Nährmaterial zur Verfügung steht, — die ausbleibenden Staubblätter sind die in der Blüte zuletzt angelegten, — und dass auch die Zahl der Fruchtblätter offenbar von Ernährungsverhältnissen abhängig ıst?).. Ganz ähnliche Resultate hat auch Warming?) neuerdings beim Mohne erhalten, er fand, dass bei Paparer somni- ferum, ds sonst zahlreiche Staubblätter hat, bei schlecht ernährten Exemplaren nur 3—4 vorhanden sein können (auch Staminodien treten auf) und auch die Zahl der Fruchtblätter verringert wird. Ich führe diese Tatsachen hier an, um zu betonen, dass die Frage nach der Abhängigkeit der Blütengestaltung von äußeren Faktoren eingehender experimenteller Untersuchung bedarf, vor allem auch die nach den Bedingungen, unter denen die „Gynomonöcie* und „Gynodiöcie* auftreten*) und unter denen sonst allogame Pflanzen 1) Goebel, Über die Anordnungsverhältnisse der Staubblätter in einigen Blüten, Botan. Zeitung 1882, p. 357. 2) Goebel, Organographie, p. 715 (Nigella). 3) Warming, Individus nanes du Papaver somniferum S. A. 0. J. u. ©. 4) Das die Frage nach der Verteilung der Sexualorgane (wie man Staub- DEXTV. 50 786 Goebel, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. autogam werden, wie dies bei manchen arktischen Pflanzen der Fall ist. Ob in letzterem Falle eine direkte Beeinflussung durch Er- nährungsvorgänge (im weitesten Sinne) vorliegt oder besondere Rassen sich gebildet haben, ist meines Wissens nicht bekannt. Im ersteren Falle würden diese Pflanzen in andere klimatische Ver- hältnisse gebracht anders (betreffs der Bestäubungsverhältnisse) ausgestattete Blüten hervorzubringen, ım zweiten nicht. Wie dem nun aber auch sein mag, jedenfalls scheint es mir zweifellos, dass es sich bei diesen autogam gewordenen Pflanzen nicht um eine direkte, sondern nur um eine indirekte Anpassung an die für Fremdbestäubung ungünstigeren Verhältnisse im arktischen Norden handelt. Zusammenfassung. 1. Eine große Anzahl von Pflanzen hat die Fähigkeit, unter be- stimmten äußeren Bedingungen kleistogame Blüten statt chasmo- game zu erzeugen. Diese kleistogamen Blüten unterscheiden sich von den gewöhnlichen, bei Blüten sehr häufigen Hemmungsbildungen, dadurch, dass zwar die Entwickelung der Blüte auf einem früheren oder späteren Entwickelungsstadium eine Hemmung erfährt, die Reife der Sexualorgane aber trotzdem eintritt. Zwischen „echter“ Kleistogamıe (Entwickelungshemmung) und „Pseudo-Kleistogamie“ (Entfaltungshemmung) lässt sich keine scharfe Grenze ziehen. 2. Die von Darwın gemachte Annahme, es seien bei den kleistogamen Blüten besondere durch den Kampf ums Dasein erworbene Anpassungen (den chasmogamen gegenüber) vor- handen, ist nicht zutreffend. Der Vergleich der Entwickelung von chasmogamen und kleistogamen Blüten zeigt vielmehr, dass letztere lediglich Hemmungsbildungen (im oben bezeichneten Sinne) sind. 3. Die teleologischen Erklärungsversuche für das Auftreten der Kleistogamie sind unzutreffend. Diese steht weder mit dem Mangel an Bestäubungsvermittlern, noch mit dem Unterbleiben der Samenbildung in den chasmogamen Blüten ım ursächlichen Zusammenhang. Sıe ist vielmehr bedingt durch unzureichende Er- nährungsverhältnisse und Korrelation mit den vegetativen Organen. Die unzureichenden Ernährungsverhältnisse können veranlasst sein einerseits durch ungenügende Zufuhr von Aschenbestandteilen; andererseits durch mangelhaften Lichtzutritt ete., diese Abhängigkeit ist auch da vorhanden, wo die Kleistogamie scheinbar stets ım Entwickelungsgange der Pflanze zu bestimmter Zeit auftritt (Im- blätter und Fruchtblätter in den Blüten — freilich mit Unrecht — bezeichnete) behandelnde Kapitel der „Organographie“ musste gleichfalls weggelassen werden, es soll gelegentlich in ähnlicher Weise wie das über Kleistogamie nachgeholt werden. Erwähnt sei hier nur, dass die bis jetzt vorliegenden Erfahrungen (für einige La- biaten) zeigen, dass das Weiblichwerden der Blüten durch äußere Faktoren be- dingt wird. Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. 787 patiens, Viola). Auch solche Pflanzen bringen kleistogame Blüten hervor, welche diese durchaus nicht notwendig haben. Für manche Pflanzen aber ist die Fähigkeit, kleistogame Blüten zu bilden, des- halb von großer Bedeutung geworden, weil die chasmogamen bei ihnen nicht regelmäßig Samen ansetzen. Das Verhältnis ist aber hier umgekehrt, als es gewöhnlich betrachtet wird: die kleistogamen Blüten treten nicht auf, weil die chasmogamen keine Samen an- setzen, sondern die Samenbildung in diesen kann unterbleiben, weil kleistogame Blüten vorhanden sind. Ambach, August 1904. Über die in malignen Neubildungen auftretenden heterotypischen Teilungsbilder. Einige Bemerkungen zur Ätiologie der Geschwälste. Von Valentin Häcker, Technische Hochschule, Stuttgart. Durch eine von Goebel veröffentlichte Übersetzung!) sind die Leser dieser Zeitschrift mit dem Inhalt einer der Royal Society vorgelegten Mitteilung bekannt geworden, in welcher Farmer, Mooreund Walker auf die Ähnlichkeit hinweisen, welche zwischen manchen, in malignen Neubildungen auftretenden Kernteilungs- bildern einerseits und dem von der Reifungsperiode der Geschlechts- zellen her bekannten heterotypischen Teilungsmodus andrer- seits besteht. Diese Ähnlichkeit erstreckt sich anscheinend nicht nur auf die morphologische Beschaffenheit der Chromosomen, sondern lässt sich vielleicht noch etwas weiter verfolgen. Bekanntlich wird speziell bei den Blütenpflanzen durch die nach dem heterotypischen Schema verlaufende erste Reifungsteilung die Bildung des soge- nannten Embryosacks eingeleitet. Dieses „postheterotype* Gewebe verhält sich aber in semer Unabhängigkeit gegenüber dem umliegen- den elterlichen Gewebe fast wie ein „Neoplasma“, ja, bei manchen Blütenpflanzen übt der Embryosack nach Art eines Parasiten geradezu eine zerstörende Wirkung auf die ihn umgebenden Soma- zellen aus und fordert so seinerseits zu einem Vergleich mit den malignen Neubildungen heraus. Ebenso wie nun bei den höheren Pflanzen — und in weniger ausgeprägter Weise beı den vielzelligen ” * ” Oo ” Oo / ” Oo Tieren?) — die Bildung dieses „Neoplasmas* durch die heterotvy- Oo ” A 1) J. Bretland Farmer, J. E. $. Moore und C. E. Walker, Über die Ähnlichkeit zwischen den Zellen maligner Neubildungen beim Menschen und denen normaler Fortpflanzungsgewebe. Biol. Centralblatt, Bd. 24, Nr. 1, 1904. 2) Dem Embryosack entspricht einer von vielen Biologen vertretenen Auf- fassung zufolge das Ei mit seinen Richtungskörpern, bezw. die von einer Sperma- toeyte abstammende Spermatiden-Tetrade. D0* (88 Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. pische Teilung ın Gang gesetzt wird, so scheinen auch bei den bösartigen Neubildungen des Menschen diese besonderen Teilungs- formen eine ähnliche einleitende Rolle zu spielen. Wenigstens kommen nach den Angaben Farmer’s und seiner Mitarbeiter die heterotypischen Teilungen ausschließlich in einer wohlbegrenzten nahe dem wachsenden Rand des Tumors gelegenen Zone vor. Zu diesen Ausführungen der drei englischen Autoren hat, ebenfalls im Biologischen Centralblatt, von Hansemann!) das Wort ergriffen. Hansemann ist nicht der Ansicht, dass die Mitosen in bösartigen Ge- schwülsten mit dem übereinstimmen, was Flemming zuerst als hetero- typische Mitose im Hoden des Sala- mandersbeschrieben hat, insbesondere hält er aber daran fest, dass die ın den Tumorzellen häufig zu beobach- tende Reduktion der Uhromo- somenzahl nicht, wie Farmer und seine Mitarbeiter annehmen, auf dem Wege einer heterotypisch ver- laufenden Reduktionsteilung zustande kommt, sondern dass die Verminderung der Ohromosomenzahl teils durch asymmetrische Mitosen, teils durch das Zugrundegehen einzelner Chro- mosomen herbeigeführt wird. 1) D. von Hansemann, Über Kernteilungsfiguren in bösartigen Geschwülsten. Biol. Centralblatt, 34.7245 Nr. 5,1904: Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. 789 In dem soeben erschienenen ersten Heft der vom Imperial Cancer Research Fund herausgebenen wissenschaftlichen Berichte!) wird nun aufs Neue die Ähnlichkeit hervorgehoben, welche zwischen den heterotypischen Teilungsfiguren speziell der Hodenzellen und den in malignen Tumoren beobachteten Bildern besteht. Die be- treffenden Geschwülste entstammen verschiedenen Säugetieren (Hund, Katze, Maus, Pferd, Rind), sowie der Forelle, und es kann nicht wohl geleugnet werden, dass wenigstens einige der abgebildeten Kernteilungsfiguren in deutlichster Weise die für die heterotypischen Mitosen charakteristischen ringförmigenÜhromosomen erkennen lassen. Ich verweise auf die der betreffenden Arbeit entnommenen Figuren 1, 2 und 3, welche sich auf ein Plattenepithelkarzinom der Katze, ein Adenokarzinom der Forelle und ein Epitheliom der Maus beziehen und die für die heterotypische Mitose vorwiegend kritischen Phasen, nämlich das Zwischenstadium zwischen Knäuel und Aster („Diakinese*), den Aster selber und die metakinetische Phase wiedergeben. In theoretischer Hinsicht glauben die Verfasser des Reports den Standpunkt von Farmer und seinen Mitarbeitern nicht teilen zu können, vielmehr werfen sie, unter Bezugnahme auf einige, vorläufig allerdings recht unsichere Befunde, die Frage auf, ob nicht die malignen Tumoren ihren Ausgang von „Kernkonjugationen* nehmen und ob nicht auf diese Weise vielleicht ein Licht auf manche ihrer charakteristischen Eigenschaften falle? Wie es sich auch mit diesen theoretischen Perspektiven ver- halten mag, jedenfalls steht nunmehr auf Grund von Untersuchungen an Objekten, welche zum Teil in cytologischer Hinsicht wesentlich günstiger sind als die menschlichen Gewebe, zweifellos fest, dass wirklich eine auffallende Ähnlichkeit zwischen manchen ın malignen Neubildungen gefundenen Kernteilungs- bildern und den heterotypischen Formen der Reifungs- periode besteht. Es mag daher der Versuch nicht ungerecht- fertigt erscheinen, diesen tatsächlichen Beziehungen noch von anderen Seiten her näher zu treten. Angesichts gewisser Unklarheiten, welche in der Literatur bezüglich der Verwendung der Bezeichnung: „heterotypische Mitose* bestehen, ist es wohl angezeigt, zunächst emige Worte über diesen Begriff vorauszuschicken. Wie bekannt, ist die Bezeichnung „heterotypische Form“ zu- erst von Flemming (1887) für die in den Spermatocyten des Salamanders sich findenden Teilungsfiguren angewandt worden. 1) Scientifie reports on the investigations of the Cancer Research Fund. Nr. 1. The zoologieal distribution, the limitation in the transmissibility, and the com- parative histological and eytological characters of malignant new growths. London 1904. 790 Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. Charakteristisch für dieselben ist vor allem, dass die Spalthälften der Chromosomen schon vor dem Asterstadium weit ausein- anderrücken, und, indem sie mit ihren Enden miteinander verkleben, mannigfach verzerrte und sich überkreuzende Ring- und Achter- figuren bilden, (Fig. 4) und dass ferner diese Ringe sich in meri- dionaler Richtung über die Spindel strecken, sodass die bekannten Tonnenfiguren zustande kommen (Fig. 5). Es kommt hinzu, dass mindestens in den Spermatocyten des Salamanders, ferner bei der Embryosack- und Pollenbildung der Blütenpflanzen und bei manchen anderen Objekten die Zahl der COhromatinringe nur die Hälfte der Chromosomenzahl der somatischen Mitosen beträgt. Wie ich indessen schon vor längerer Zeit!) zu zeigen versucht habe und wie jetzt fast allgemein angenommen wird, ist diese Reduktion der Chromosomenzahl nur eine scheinbare, insofern die Chromatinringe bivalent sind, d. h. ıhrer Ent- stehung nach den Wert von je zwei längsgespaltenen soma- tischen Chromosomen haben. Bei vielen tierischen und pflanzlichen Objekten kommt noch etwas weiteres hinzu. Zwischen die frühen Prophasen der ersten teifungsteilung und deren eigentlichen Ablauf kann sich ein längerer Zeitraum einschieben. Während desselben sind dann die Chromo- somen im Kernraum zerstreut und unterliegen einer zunehmenden Verkürzung und Verdickung, so dass dann aus den lockeren 1) V. Häcker, Die heterotypische Kernteilung im Zyklus der generativen Zellen. Ber. Naturf. Ges. Freiburg, Bd. 6, 1892, p. 31 [190]. Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. 791 Ringen durchlochte Scheiben und vierköpfige „Vierergruppen*“, aus den Achter- und Überkreuzungsfiguren, unter Aufgabe der Endver- klebung, kurze, dicke Doppelstäbchen mit eng aneinander gelegten Spalthälften ihre Entstehung nehmen. Ich verweise auf Fig. 6, welche Riesr7; ein früheres, und Fig. 7, welche ein späteres Stadium aus der Eibildung eines Copepoden (Heterocope) dar- stellt. Nachdem ich schon früher diese Zwischenphase wegen der losen Verteilung und Auseinanderlagerung der Chromatin-Elemente als „Dia- kinese* bezeichnet habe!) und nachdem diese Benennung bei eini- gen Autoren Anklang gefunden hat, möchte ich es für zweckmäßig halten, die durch verkürzte und verdickte Chromatinelemente ausgezeichneten Teilungsformen als dıakınetische Teilungen den echt heterotyp- ischen oder euheterotypen mit fädıgen oder bandförmigen Ele- menten gegenüberzustellen. Wie nun die Figuren 1—3 zeigen, sınd es vorzugsweise die diakinetischen Bilder, welche nach den jetzt 1) V. Häcker, Uber weitere Übereinstimmungen zwischen den Fortpflan- zungsvorgängen der Tiere und Pflanzen. Die Keimmutterzellen. Biol. Centralblatt, Bd. 1.2,,189709020% ‘92 Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. vorliegenden Untersuchungen in bösartigen Geschwülsten 'gefunden werden. Manche Anklänge an die echt heterotypischen Mitosen zeigen auch die im Beginn der Furchung und in der Keimbahn, d.h. in der zu den Urgeschlechtszellen führenden Zellen-Deszendenz, zu beobachtenden Teilungsformen. Das gilt insbesondere für die in den Keimbahnzellen von Ascaris (Fig. 8) und die in den Urge- schlechtszellen von (yelops auftretenden Mitosen. Die Neigung der Chromosomen zur Ringbildung (Fig. S), das Auftreten der metakinetischen Tonnenformen, die relativ lange Dauer der meta- kinetischen Phase und die Chromosomenzahl, welche in allen Fällen geringer ist als die der somatischen Mitosen, alle diese Besonder- heiten weisen auf nähere Beziehungen der gerannten Teilungs- formen zu den euheterotypen und diakinetischen Mitosen hin. Ich halte es daher auch für gerechtfertigt und zweckmäßig, die ersteren als deutoheterotype' Mitosen zusammen mit den beiden anderen Formen unter dem Begriffe der „heterotypischen Mitosen ım weiteren Sinne“ zu vereinigen. Durch diese Fassung dürften wohl auch die Bedenken beseitigt werden können, welche u.a. Boveri zu wiederholten Malen gegen die Bezeichnung der Mitosen von Ascaris als heterotypischer Teilungen geäußert hat. Nach dieser terminologischen Abschweifung kehren wir zu unserem Gegenstand zurück. Die große Übereinstimmung, welche die „Keimmutterzellen“ (tierische Oocyten und Spermatocyten, pflanzliche Embryosack-, Pollen- und Sporenmutterzellen) hinsichtlich der Kernstrukturen, insbesondere hinsichtlich des Verhaltens der chromatischen Elemente zeigen, hatten mich früher !) dazu geführt, diesen Strukturen einen primitiven Charakter zuzuschreiben. Ich hätte, um diese An- sicht zu stützen, noch darauf hinweisen können, dass die ın den Vocyten so vielfach vorkommenden Garben- und Tonnenformen der achromatischen Spindel sonst nur bei Einzelligen und Pilzen, also bei den am niedersten stehenden Organismen, gefunden werden’). Ich möchte imdessen darauf nicht weiter eingehen, sondern versuchen, diese problematisch-phylogenetische Fassung durch eine brauchbarere physiologische zu ersetzen. Offenbar ist die äußere Ähnlichkeit, welche zwischen den oben aufgezählten Teilungsfiguren, nämlich den euheterotypen (Spermatocyten von Salamandra), den diakinetischen (Oocyten der Copepoden) und den deutoheterotypen (Keimbahnzellen von Ascarzs) besteht, auf einen ähnlichen physiologischen Zustand der 1) V. Häcker, Mitosen im Gefolge amitosenähnlicher Vorgänge. Anat. Anz., Bd. 17, 1900, p. 19. 2) Vgl. Uber weitere Ubereinstimmungen u. s. w., p- 726, unten, Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. 79% betreffenden Zellen zurückzuführen. Beachten wir nun weiter, dass die heterotypischen Teilungen im weiteren Sinne normaler- weise in erster Linie ın unreifen Geschlechtszellen und in Keim- bahnzellen vorkommen, dass ferner bei Ascaris die deutoheterotype Teilung ausnahmsweise auch in sämtlichen Blastomeren des Zweiı-, Vier- und Achtzellenstadiums auftreten kann!) und dass beı Cyclops während der Eifurchung ein ganz allmählicher Übergang vom deutoheterotypen zum gewöhnlichen somatischen Kernteilungs- typus nachweisbar ist, so wird man ohne weiteres dazu geführt, das Auftreten des heterotypischen Teilungsmodus als Ausdruck eines nicht oder nur wenig differenzierten Zu- standes der Zelle aufzufassen?). Tatsächlich sehen wir denn auch, dass der heterotypische Tei- lungsmodus in seiner ausgeprägtesten (euheterotypen) Form in den am wenigsten differenzierten Zellen, nämlich in den unreifen Geschlechtszellen, auftrıtt, dass er während der Furchung und Differenzierung des Eies seinen Charakter allmählich verliert und dass er sich am längsten in den Urgeschlechtszellen forterhält. Wenn nun andererseits, wie dies von Seiten der englischen For- scher gezeigt worden ist, der heterotypische Modus auch in malignen Neubildungen eine weitverbreitete Erscheinung ist, so wird man auch darın den Ausdruck eines nichtdifferenzierten Zellen- zustandes sehen dürfen. Durch dieses Ergebnis wird aber die von einer Reihe von Forschern vertretene Anschauung gestützt, wonach die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Geschwäülste auf einer Entdifferenzierung oder Zurückdifferenzierung der Zellen beruhen. Ich erinnere an die von Hansemann?’) auf- gestellte Lehre, wonach die Geschwulstzellen sich dadurch von den normalen Körperzellen unterscheiden, dass sie an Differenzierung verloren haben, dass sie „anaplastisch“ geworden sind, sowie an die Auffassung R. Hertwig’s*), welcher das Charakteristische der Geschwülste in der Rückkehr der Zellen vom „organotypen“, an die Funktion der Organe gebundenen Wachstum zum „eyto- 1) O. vom Rath, Über die Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren. 31olog. Centralblatt, Bd. 14, 1894, p. 466. 2) Dieser Satz deckt sich einigermaßen mit dem Ergebnis, zu welchem ich schon 1892 in der vorhin zitierten Schrift gelangt bin (die heterotypische Kern- teilung im Zyklus u. s. w., p. 31 [190]): „Die heterotypische Teilung und ihre Abarten treten ausschließlich im Zyklus der generativen Zellen auf.“ 3) D.von Hansemann, Studien über Spezifizität, Altruismus und Anaplasie der Zellen, Berlin 1893; Derselbe, Die mikroskopische Diagnose der bösartigen Geschwülste, 2. Auflage, Berlin 1902. 4) R. Hertwig, Über physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. Nebst Bemerkungen zur Ätiologie der Geschwülste. Festschrift für E. Häckel, Jena 1904. (94 Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder, typen“, ausschließlich aus den Gesetzen des Zellenlebens resul- tierenden sieht. Ich darf wohl bezüglich des Näheren auf die Schriften von Hansemanu und R. Hertwig verweisen und wende mich gleich Rio9. Fig. 10. Fig. il: einer zweiten Gruppe von Beobachtungen zu, welche bei weiterer Verfolgung viel- leicht geeignet ist, neues Material für die Atiologie der Geschwülste zu liefern. Wie ich vor einigen Jahren) mitge- teilt habe, kann man durch Einwirkung von Äther (2—3stündige Wirkung einer 4,5—5°/,ıgen wässrigen Lösung) auf das in Furchung begriffene Cyelops-Ei er- reichen, dass an Stelle der gewöhnlichen somatischen Mitosen mit hufeisenförmigen Chromosomen und dicht aneinander- gelagerten Spalthälften teils echt he- terotype Ring- und Tonnenfiguren, teils ausgesprochene diakinetische Bilder zum Vorschein kommen. Man vergleiche die Abbildungen Fig. 9 u. 10, welche ätherisierten Cyelops-Eiern entstammen, mit der Fig. 6, welche ein sehr frühes Stadium des Keimbläschens eines anderen Öopepoden darstellt, und mit 1) Mitosen im Gefolge amitosenähnlicher Vorgänge. Anat. Anz., Bd. 17, 1900. Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. 795 der Fig. 5, welche eine metakinetische Tonnenfigur des Sala- manderhodens wiedergibt. Man betrachte ferner die gleichfalls dureh Ätherwirkung erzielte, die erste Furchungsteilung darstellende Fig. 11, in welcher die Chromosomen „durchaus den Charakter der längsgespaltenen und quergekerbten, also bivalenten Stäbchen zeigen, welche im Keimbläschen von (Cycelops durch allmäbliche Verdichtung und Kontraktion aus den lockeren Doppelfaden- segmenten und Ringfiguren hervorgehen (vgl. hierzu Fig. 6 u. 7) und den „Vierergruppen“ anderer Objekte entsprechen“. Die Chromo- somen zeigen also hier in der ersten Furchungsteilung (in an- deren Fällen auch in der primären Urgeschlechtszelle) unter der Wirkung des Äthers eine Verteilung und Form, wie sie „unter normalen Verhältnissen niemals außerhalb des Keimbläschen- stadiums wahrgenommen wird“ '). Es wird also durch Ätherisierung des (yelops-Eies die nämliche Umformung der Uhromosomen erreicht, welche auch in malignen Tumoren beobachtet worden ist, nämlich die Umwandlung (?Zurückbildung) des somatischen in den heterotypischen Teilungsmodus’?). Welche Folgerungen ergeben sich aus dieser Übereinstimmung? Dass Ähnlichkeiten zwischen den in malignen Neubildungen auf- tretenden pathologischen Teilungsfiguren und den durch Einwirkung von Reagenzien künstlich hervorgerufenen Abnormitäten bestehen, ist schon zu wiederholten Malen von anderer Seite hervorgehoben worden. Es handelt sich dabei einerseits um die von Klebs, Hansemann, Galeottiu.a. beschriebenen pluripolaren und asym- metrischen Mitosen der Krebszellen, andererseits um die von den Brüdern Hertwig°?) am Seeigelei und von Galeottı!) an Epidermis- zellen des Salamanders durch Wirkung von Chinin, Chloral, Antipyrin und anderen Agentien hervorgerufenen Unregelmäßigkeiten. Von diesen Abnormitäten sind die pluripolaren Mitosen weitverbreitete Erscheinungen, welche nach allem, was wir zurzeit wissen, gewissermaßen als Frühsymptome einer Alteration der normalen Zellenkonstitution zutage treten. Ich selbst?) habe z. B. solche Teilungsfiguren, namentlich Triaster, ın den Melse.,p: 13; 2) Ich will nicht darauf eingehen, dass die Übereinstimmung noch weiter geht, dass insbesondere die ‚„Pseudoamitosen“ des ätherisierten ('yelops-Eies (l. e., p. 19) mit den von Farmer und seinen Mitarbeitern beschriebenen amitotischen Bildern verglichen werden könnten. { 3) ©. und R. Hertwig, Über den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des tierischen Eies unter dem Einfluss äußerer Agenzien. Jen. Zeitschr., Bd. 20, 1887. 4) G. Galeotti, Uber experimentelle Erzeugung von Unregelmäßigkeiten des karyokinetischen Prozesses. Beitr. z. path. Anat. u. allg. Path., Bd. 14, 1893. 5) V. Häcker, Die Furchung des Eies von Aequorea Forskalea. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 40, 1892, p. 248. 796 Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. Eiern von Medusen, welche schon länger als einen Tag im Aquarium gelebt hatten, vorgefunden und ebenso konnte Mräzek!) dieselben ım Hoden von gefangen gehaltenen Flusskrebsen beobachten. Bei dieser weiten Verbreitung lassen sich demnach aus dem überein- stimmenden Vorkommen von pluripolaren Bildern in Geschwülsten und in vergifteten Zellen keine bestimmten Folgerungen ziehen. Auch die asymmetrischen Mitosen stellen keine spezifischen Vorkommnisse einerseits der malignen Tumoren, andererseits der mit Agenzien behandelten Gewebe dar. So hat Ströbe?) gezeigt, dass derartige Bilder auch in gutartigen Geschwülsten und in regenerativ wuchernden normalen Geweben vorkommen, und ich darf vielleicht auch an das Auftreten asymmetrischer Teilungs- figuren bei der Richtungskörperbildung von Ascaris (Boveri?)) erinnern. Jedenfalls handelt es sich auch hier um Erscheinungen, die unter recht verschiedenartigen Bedingungen zutage treten. Unter einem etwas anderen Gesichtswinkel ıst nun, wie mir scheint, die Übereinstimmung zu betrachten, welche zwischen den Tumoren der Säugetiere und der Forelle und dem ätherisierten Uyclops-Ei besteht ®). Zunächst handelt es sich hier um Bilder, welche nicht schon an und für sich Abnormitäten im Sinne pathologischer Deformationen darstellen, vielmehr um Teilungsformen, welche auch in der nor- malen Entwickelung anzutreffen sind. Ihre Abweichung von dem gewöhnlichen Typus hält sich durchaus innerhalb des Rahmens des physiologischen Geschehens, wie schon daraus hervorgeht, dass das Oyelops-Fi nach Aufhebung der Ätherisierung wieder zum ge- wöhnlichen Kernteilungstypus zurückkehrt. Es ıst weiter zu beachten, dass diese Abweichungen keine so allgemeine Verbreitung haben, wie beispielsweise die pluripolaren und asymmetrischen Mitosen, vielmehr außerhalb der normalen Entwickelung bis jetzt nur ın den zwei hier besprochenen Fällen beobachtet worden sind. Speziell dieser letztere Umstand führt zu der Vermutung, dass das Auftreten der heterotypischen Teilung in den beiden Fällen 1) A. Mräzek, Über abnorme Mitosen im Hoden von Astacus. Sitz.-Ber. Böhm. Ges. Wiss. Prag, 1901. 2) H. Ströbe, Über Vorkommen und Bedeutung der asymmetrischen Karyo- kinese, nebst Bemerkungen über die „Schlummerzellen“ in der verletzten Cornea. Beitr. z. path. Anat. u. allg. Path., Bd. 14, 1893. 3) Th. Boveri, Zellenstudien I, Bd. 21, 1887, p. 478, Taf. 25, Fig. 53. 4) Dass die in den Tumoren vorgefundenen heterotypischen Mitosen etwa eine Wirkung der Narkose sein könnten, ist deshalb ausgeschlossen, weil nach brieflichen Mitteilungen von Herrn Dr. Bashford die betreffenden Bilder auch in solchem Material gefunden werden, welches von nicht narkotisiertem Material stammt und weil nach meinen Erfahrungen am Cyelops-Ei die übliche Athernarkose zu kurz und zu schwach sein würde, um die heterotypischen Teilungsformen hervorzurufen. Häcker, In malignen Neubildungen auftretende heterotypische Teilungsbilder. 797 auf ähnliche Ursachen zurückzuführen ist. Man wird daher bezüg- lich des Vorkommens der heterotypischen Bilder in den Geschwülsten sich nicht mit der im ersten Abschnitt dieser Mitteilung gegebenen Erklärung zu begnügen haben, dass dieselben mit dem nicht-diffe- renzierten Charakter der Gewebe zusammenhängen, sondern wird daneben auch die spezielle Frage erheben dürfen, ob nicht das Auftreten der heterotypischen Teilungsformen als eine unmittelbare Reaktıon auf bestimmte Klassen von Reizen aufzufassen ist. Für die Lösung dieser und einiger anderer damit zusammen- hängender Fragen wird aber die weitere experimentelle Unter- suchung des tierischen Eies neues Material liefern können. Nach meinen Erfahrungen reagiert speziell das Cyelops-Ei außerordentlich genau auf Verschiedenheiten in der Konzentration der Ätherlösung und in der Dauer der Einwirkung, und so wird man hier leicht zur Beantwortung der Frage kommen, welche bestimmte Gruppen von chemischen Agenzien gerade diese Erschei- nungen hervorrufen und ob nicht vielleicht auch lange wirkende Reize anderer, insbesondere mechanischer Natur, zum Auftreten des heterotypischen Modus führen. Es war mır leider bisher nicht möglich, mir am hiesigen Orte das in Frage stehende Material zu beschaffen und selber den Versuch zu unternehmen, die hier gemachten Aufstellungen eingehender zu be- gründen. Vielleicht geht aber doch aus dem Wenigen, was ich zunächst bringen konnte, hervor, dass in dieser Richtung eine weitere fruchtbringende Verknüpfung zwischen entwickelungsphysiologischer und pathologisch-histologischer Forschung möglich ist [72] Stuttgart, September 1904. Figurentext. Fig. 1. Diakinetische Phase aus einem Plattenepithelkarzinom der Katze (Seient. Rep., Fig. 14). Fig. 2. Schräger Schnitt durch einen Aster aus einem Adenokarzinom der Forelle (Seient. Rep., Fig. 24). Fig. 3. Metakinetische Phase aus einem Epithelium der Maus (Scient. Rep., Fig. 26). Fig. 4. Aster aus dem Salamanderhoden (Flemming). 5. Metakinetische Phase aus dem Salamanderhoden (Flemming). Eig. 6. Frühes Stadium aus dem Keimbläschen von Heterocope (freinach Rückert). Fig. 7. Späteres (diakinetisches) Stadium aus dem Keimbläschen von Heterocope (frei nach Rückert). Einige der Ringe und Doppelstäbchen (Vierer- gruppen) stellen sich in Kantenansicht dar. Fig. 8. Metakinetische Phase aus dem Ascaris-Ei (E. van Beneden und Neyt). Fig. 9. Vorphase aus dem ätherisierten C’yelops-Ei (euheterotyper Typus). Fig. 10. Metakinetische Phase aus dem ätherisierten Cyelops-Ei (euheterotyper Typus). Fig. 11. Aster aus dem ätherisierten Oyelops-Ei (diakinetischer Typus). {98 Parker, The skin and the eyes as receptive organs in the reactions of frogs to light. Parker, G.H., The skin and the eyes as receptive organs in the reactions of frogs to light. Americ. Journ. of Physiol., Vol. X, Nr. 1 (Sept. 1903), S. 28-36. Bekanntlich lauten die Angaben darüber, ob die Gattung Rana positiv oder negativ phototropisch ist, widersprechend. Da- bei ıst aber zu berücksichtigen, dass man bisher an verschiedenen Spezies experimentiert. So “fand Graber bei Rana esculenta nega- tiven Phototropismus, während Plateau’s Votum nach Versuchen, zu denen er Rana temporaria benutzt hatte, auf positiven Photo- tropismus lautete. Um diesen Widerspruch aufzuklär en, unternahm es nun Parker, die Frage einer neuen Prüfung zu "unterziehen und besonders den lichtaufnehmenden Organen nachzuforschen, leider aber weder an Rana esculenta, noch an Rana temporaria, sondern, wie es der Umstand, dass er in Nordamerika arbeitete, mit sich brachte, an der dort heimischen Rana pipiens. Man wird daher gut tun, dıe von ihm erhaltenen Resultate nicht zu verall- gemeinern, sondern erst noch die Ergebnisse einer Nachprüfung an den beiden europäischen Formen abzuwarten. Als Lichtquellen dienten Nernst-Lampen, weil diese eines Glas- schutzes (glass protection) nicht bedürfen und somit Reflexe, die sich bei anderen Lampen leicht störend machen, hier ausg geschlossen sind. Durch Variierung der Entfernung zwischen der Lichtquelle und dem Versuchstier konnten Lichtstärken von 1 bis 20,480 Meter- kerzen erzielt werden; dabei hatte das Licht stets eine von einem (refäß mit flachen Wandungen eingeschlossene Schicht destillierten Wassers zu passieren. Es stellte sich heraus, dass Rana pipiens allen diesen verschiedenen Lichtintensitäten gegenüber sich positiv phototropisch verhält, dass diese Reize stets zu einer Orientierung des Tieres in demselben positiven Sinne führen und gewöhnlich auch zu einer Lokomotion des Frosches nach der Lichtquelle hin. Auch solche Exemplare, deren Haut man bedeckt hatte, deren Augen jedoch dem Licht ausgesetzt geblieben waren, erwiesen sich als positiv phototropisch. Die Bedeckung der Haut erreichte Parker, nach- dem sich die zuerst verursachte Einhüllung mit weichem, licht- dichten (light-proof) Stoff als unzweckmäßig erwiesen hatte, dadurch, dass er die einem größeren Exemplar abgezogene Haut umkehrte und sie über ein kleineres Tier stülpte, wobei dieser Hautmantel durch eine nach Art eines Pferdegebisses konstruierte, durch den Mund geführte Drahtspange festgehalten wurde. Als weiteres Ergebnis verzeichnet Parker den Satz, dass Exemplare, denen die Augen entfernt waren, während die Haut dem Lichte ausgesetzt war, in der Regel positiven Phototropismus zeigen. Er ging bei seinen Versuchen, die sich über 11 Frösche erstreckten, in der Weise vor, dass er durch einen einzigen senk- rechten Querschnitt, der hart hinter den Augen (also kaudalwärts von ihnen) geführt wurde, den gesamten Vorderkopf samt den Groß- hirnhemisphären entfernte. Von diesen 11 operierten Tieren zeigten zwei Exemplare keine deutliche Lichtreaktion, während die übrigen Meyer, Praktikum der botanischen Bakterienkunde. 99 neun unverkennbar phototropisch waren, und zwar, wie schon be- merkt, in positivem Sinne. Verf. erwägt selbst die Möglichkeit, dass die europäischen Spezies sich ın dieser Beziehung anders ver- halten mögen, allein für Rana pipiens ist der positive Phototropis- mus sicher gestellt, diese Spezies verhält sich also den Lichtreizen gegenüber wie gewisse Planarien (Loeb, Parker und Burnett). Gehirn und Rückenmark kommen als lie ‚htperzipie rende Organe nicht in Betracht, sondern nur die Augen und gewisse nervöse Gebilde der Haut, was ja auch für Triton eristatus (Graber) und Proteus (Dubois) festgestellt worden war. Allein die Froschhaut wird nicht nur durch Lichtstrahlen, sondern auch, wie Koränyi nach- wies, durch strahlende Wärme beeinflusst, also durch Reize, die wohl unseren Sinnen verschieden erscheinen, die aber doch im Grunde beide auf Aetherschwingungen beruhen, die nur in ihren Wellenlängen voneinander abweichen. Das Verhalten der nervösen Endorgane selbst hat der Verf. leider einer Untersuchung nicht unterzogen. Man wird we zunächst an die Chromatophor en denken, und da nımmt es Re einigermaßen Wunder, dass der Herr Verf. nicht einmal ee makroskopische Farbenveränderungen bei Lichteinwirkung und darauf folgendem Lichtabschluss etwas bemerkt. Speziell möchte Ref. noch empfehlen, gewisse scharf um- schriebene Hautstrecken lichtsicher zu bedecken, während die um- gebenden Partien belichtet sind, um die Wirkung des Reizes evi- de zu demonstrieren, also ähnlich vorzugehen, wie es N. Finsen an der Haut des eigenen Arms erfolgreich tat. [70] B. Solger (Greifswald). Arthur Meyer: Praktikum der botanischen Bakterienkunde. Einführung in die Methoden der botanischen Untersuchung und Bestimmung der Bakterienspezies. Jena, Gustav Fischer 1903. 157 S., 1. Teil. Das vorliegende Praktikum ist das zweite der vom Verf. heraus- gegebenen Reihe: Botanische Praktika. Es setzt nur gewisse Fähig- keit im Mikroskopieren voraus, welche durch die Uebunge ;n. des „ersten mikroskopischen Praktikums“ des Verf. erworben werde, im übrigen ist es ganz unabhängig von diesem. Es soll zugleich der Vorläufer sein für ein Praktikum über Pilze. Verf. hält diese Reihenfolge der Praktika für zweckmäßig, weıl die für Bakterien angegebenen Kulturmethoden sich auch alle für Pilze verwenden lassen, aber nicht umgekehrt, und weil er glaubt, dass das Bakterien- praktikum einen größeren Intere ssentenkreis finden werde. Eigenartig ist die Anordnung des Buches: es wechseln ganz theoretische Kapitel, z. B. gleich das erste über Sterilisation, mit Anleitungen zu ganz bestimmten einfachen Uebungen — z. B. Sterilisieren von Petrischalen im Heißluftschrank und mit sehr S00 Meyer, Praktikum der botanischen Bakterienkunde. reichhaltigen Sammlungen von Vorschriften, z. B. über einige 30 oder mehr Abarten von "Nährlösungen und festen Nährböden, denen dann wieder ein paar kurze, aber ganz detaillierte Anleitungen zur Bereitung, Sterilisation und Abfüllen der Nährmedien folgen. Diese Anordnung des Buches erscheint außerordentlich zweck- mäßig und macht es wohl geeignet, auch ohne ständige Aufsicht den Arbeitenden zum erfolgreichen Durcharbeiten der Uebungen anzuleiten, wenn er, wie der Verf. verlangt, erst die betreffenden Kapitel zu Hause studiert und mit dem Verständnis, warum er so verfahren muss, die Uebungen genau nach den Anleitungen durch- führt. Auch sind diese vorgeschriebenen Uebungen so auf das notwendigste beschränkt, dass sie auch bei Halbtagesarbeit in einigen Monaten gründlich erledigt werden können. Die Ausdrucksweise ist sowohl in den theoretischen Abschnitten als in den praktischen Anleitungen klar und bündig, so dass Missverständnisse und Zweifel auch dem Anfänger kaum begegnen dürften. Durch diese Vorzüge empfiehlt sich das Buch also sehr. Es ist natürlich nur für die Zwecke des Botanikers berechnet, und enthält fast nichts, was die speziell medizinischen oder technischen Aufgaben der Bakteriologie berührt, aber dafür so viel theoretisch Wichtiges und so vielerlei wenig bekannte Vorschriften und Literatur- hinweise übersichtlich zusammengestellt, dass es auch in keinem den praktischen bakteriologischen Untersuchungen gewidmeten Laboratorıum fehlen sollte. Nur einen Mangel scheint das Buch zu haben. Es gibt Anleitung zum „Fangen“ und zum Bestimmen einiger Boden- bakterien; dies sind ım Institut des Verfassers genau studierte und sehr vollkommene Bakterien, die alle Sporenbildung, Schwärm- und Ruhestäbchen (Oidien und Sporangien nach des Verfassers Bezeichnung) als aufeinanderfolgende Entwickelungsstadien auf- weisen, also einander recht nahestehende Formen. Nun hat ein Praktikum freilich andere Aufgaben als ein Lehrbuch, aber da der Verf. sehr mit Recht noch andere theoretische Kapitel in das Buch eingefügt hat, so wäre wohl auch ein Kapitel, in dem er seine Anschauung über die Systematik der Bakteriaceen darlegt und die ım Buch gebrauchten Bezeichnungen der Entwickelungs- stadıen erläutert, nicht aus dem Rahmen des Ganzen gefallen; eine wichtige Ergänzung aber wäre eine an dieses Kapitel anzuschließende Anleitung gewesen, wie auch Vertreter der anderen Bakteriaceen- typen, also Kokken, Sarcinen, Spirillen und Stäbchenarten, deren Sporenbildung bezw. deren Schwärmformen bisher wenigstens noch nie beobachtet wurden, zu „fangen“ und in ihren Lebensäußerungen zu beobachten seien. Denn in einem bakteriologischen Praktikum soll sich der Anfänger doch nicht allein die technische Fähigkeit zu weiteren Untersuchungen erwerben, sondern auch einen Einblick gewinnen in die Mannigfaltigkeit des ıhm eröffneten Forschungs- Sera Werner Rosenthal. [71] Verlag von , Georg "Thieme in , Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Druckfehlerberichtigungen. 738 Z. 18 v. o. es statt sie. 741 „ 2 v. u. dem statt den, TA2 3%. 16% 542, En. statt, „Ense, 44 „, 15 v. o. Michalet statt Michelet. 745 „ 2 „ „Sutur statt Sutura. 50 „ 12 v. u. oben statt etwa. 751: „ 13 v. o. oben statt etwa. 751 Anm. 1 1893 statt 1903. Alphabetisches Namenregister. A. 566. 568. 575. v. 568. 571. 572. Agassiz, L. Ammon, L. Anning, M. Apäthy, St. 175. 179. 181. 221. 441. 442. Apstein 354. 638. Aristoteles 544. 600. 606. Arnold 190. 191. Arnold, J. 390. Arnstein 728. 735. Ascherson 679. 758. 760. Askenasy 557. B. Bachmann 2%. Bachmetjew, P. 618. 629. Baer, K. E. v. 136. Baker, B. T. A. 461. 462. Ball 521. Bambeke, ©. van 114. Baranetzky 293. 294. Bardeen, G. 315. Barfurth, D. 117. Barrois, J. 63. Bashford 796. Baur, G. 574. Beard. J. 366. 659. Bedar 514. Bedfield 378. Bedriaga 342. Beer, Th. 283. Belajeff 211. 212. 214. 215. 218. 220. Benda 249. 268. 310. XXIV. 180. Benecke, W. 465. 481. Beneden, vanE. 45. 52. 57, 65. 97.797. Beneden, P. J. van 372. Ta lo Bee Bennett, A. W. 681. 682. 689. Bergh, R. S. 66. Berliner, K. 651. 658. Bernard, F. 572. Bernstein, J. 69. 87. 556. 557. Berthold, G. 605. 556. 557. Bertrand, ©. E. G. 566. ZU T2, Bethe, A. 174: 180. 181. 442. Biedermann, W. 182. 183. 186. 188. 189. 326. 700. ale Bietrix, E. 643. Bloch 757. 760. Blochmann, F. 104. 109. 663. Bock, von 514. Boeck, A. 375. Bogdanow 413. Boisduval 686. Bois, Reymond E. du Bokorny 88. Bolau, EI 377378. Bolochoncew, E. N. 358. 389. Bonnet, R. 90. 320. Bonnevie, K. 267. 306. 3orge, O. 609. 610. Botezat, E. 722. 726. 735. 3oulenger 347. 348. 354. 651. 489. Th. 66. 67. 68. 115. 792. 796. Al. 297. M. 24. 45. 702. 720.721. 722. Boveri, 119, Braun, Braun, Enz (15. 113: 708. 63. . Brefeld, ©. 419. 464. 493. . Brehm 339. - Brenner, ©. 260. . Bretscher, K. 501. Brizi 418. Broca 413. Bronn, H. G. 572. 575. 724. Brown, H. 549. Brown, Rob. 375. 382. Browski 756. 757. 758. Brunn, M. v. 309. 310. Buchner, H. 461. 759. Büchner 398. 399. 404. 405. Buckland, W. 571.572. 573. Buffon 369. Bühler, A. 65. 81. 113. Bühler, C. 445. Bull HJ 379: Burdach 398. Bürmeister 377. Burnett 799. Bütschli, ©. 34. 36. 37. 66. 72. 175. 185. 556. 557. 605. 663. 713. 763. 765. Buttel-Reepen, H. v. 15. 175. Büttikofer 475. C. Cajal Ramön y 175. 405. Candolle, ©. de 547. 51 502 Carnoy 107. an Caullery, M. DIE Chamberlain 519. Chamisso, A. 378. Cholodkowsky, N. Chun 07565: Chwolson, OÖ. D. 639. Cienkovsky 36. Claus, ©. 724. Cockerell 233. Cognetti 509. 511. Cohnheim, ©. 640. Concklin 236. Cope 343. 372. Cossmann 584. Costantin 557. Credner, H. 571. 573. Cronheim 224. Cuenot 328. 432. Cunningham 95. 96. 97. 169. Cunnington, W. A. 646.709. SE ars ak NE Tale a Curtel, @. 545. 547. Cuvier 3Ule Czapek 467. D. Dadey, E. 390. Dahl 472. Darwin, Ch. 146. 207.2 30823095 4072425 469. 514. 597. 616. 664. 673. 676. 677. 689. 691. 692. 693. 694. 740. 742. Re ee Taler Darwin, Fr. 781. Darwin, G. 238. Dawydoff, ©. 431. 435. 439. Dean 97. 126. ezul® Debski 220. Delage, Y. 45. 57. Delba&uf 226. Descartes 589. Diem 502. 503. Dixon 425. Doflein, ES 19. Dogiel, ANSETZEN: 2 7 167. 560 Dorfmeister, G. 615. 618. Driesch, H. 290. 301. 302. 30353108315 3100320: 450. 451. 544. 555. 577. 606. 608. Drory 17. 724030: 574. 98. 235. 238. Alphabetisches Namenregister. Dubois, E. 238. 799. Datoor 428. Duges 275. 278. Duval 350. Duvernoy, @. L. 560. E. Ebner, V. v. 189. Eder, J. M. 287. Edinger 443. Egger, E. 771. Ehrenberg 660. Ehrhart 584. Eichler, W. 261. 749. Eidam 493. Eimer, Th. 347. 399. 400. Arte TS Ellefsen, A. 375. 382. Endres 76. Eriksson 417. 423. Ernst, A. 458. 499. Escombe, F. 549. Ewart, J. C. 369. F. Fabre 253. Falck, R. 492. 496. Famintzin 457. Karkası Kr 623: Farmer, J. B. 1. 187. 788. 789. Faussek, V. 643. Feyerstein 735. Fick, R. 108. Finsen, N. 799. Fischer 721. Fischer, E. 619. 625. 026. 629. 632 Fitting, H. 609. Flammarion, ©. 199. 581. 600. Flemming, W. 190. 191.268. 788. AT. 339: W. Zrlle 789. Flower Flower, 392. Forbes, H. ©. 476. Forel, A. 638. Forel, a A. 660. Foyn, S. 331. 382. Frings, 0. 626. Fritsch, A. 569. 572. 575. 670. Fuchs, R. F. 542. Fürst, ©. M. 412. 413. BT S08 661. 5. 418. 419. 422. 561. 563. 189.%318: 620. 624. sl. Dre i. Gain, E. 545. Galeotti, G. Galton 146. 398. Garner 522. Gärtner 77 Gast 316. Gaudry, A. 568. 571. Gegenbaur, ©. 133. 574. Gehuchten, van 443, Gerstäcker, A. 711. Gervais 372 549. 7199: 366. 370. 397 2. DIL Girard, H. 569. Gmelin 142. 143. 144. Godlewski, E. jun. 309. 316. 494. Goebel, K.1. 211. 291. 301. 548.552. 399. DAB olIe 613. 6732674. 7312069: WE LS3. 89: Goeldi 377. Goethe, J. W. 579. Goette 71. 72. Goldfuss, G. A. 575. Goldschmidt, R. 48. 109 re Ur Golgi 179. 180. 181. 256, A Graber, V. 798. 799. Graebner 679. 682. 771. 777. 7:07. Graälls, M. P. 376. Graff, v. 663. Gran, H. 376. Grandry 123. 724. 726.2020. 730. Gräntz 464. Grassi, B. 19. 20. 23.24. 2B. 96. 38. 39. 40. 41. Grau, H. 380 Grave, C. 560. 561. 564. Gray, : Asan679: 626. 0a: Ss. Gray, J. B.372. 380: Gregory, J.; W. 563. Grys, de 339. Grisebach 746. Grobben 62. 65. 724. Gross 158. Grosvenor, G. 416. Gruber, A. 709. Grünberg, K. 18. Grunert 287. Guingard 211. Guldberg 490. Gulaberg, G. 371 383. 391. Gulick 425. H. 414. 415. 762. 382. H. Haacke, W. 407. Haatt, J. van 378. Häekel, E. 19. 20. 23. 26. 477. 478. 574. 764. Häcker, V. 66. 88. 117. 543. 787. 790. 791.792. 794. 795. Halben, R. 283. Hallas, S. 376. Hamann, OÖ. 560. 564. Hammarsten, O. 143. Handlirschh, A. 520. 521 522. Hansemann, D. von 189. 191.318: 788. 793. 794, 73. Hansen, E. Ch. 462. 484. Hansgirg 677. 678. Harkänyi, A. Baron 286. Harrison, R.G. 478. Hartenstein 593. Hartmann, E. v 397. 400. 401. 403. 584. 594.. 597. Hartmann, M. 18. 33. Hauser, G. 191. Hawkins 573. Heckel 571. Heidenhain, M. 249. Held. Hi 175.181: Hemprich 758. 250. Henle, J. 598. Hennings, C. 251. 274, Hensen, V. 283. 288. 767. Henslow, G. 557. Herbst 723. 724. 726. 727 M2SN. 130. Herbst, ©. 305. 320. 450. 4511.45521559. Herdmann 414. Herlitzka, A. 76. Hermann, Fr. 212. 214. Herouard, E. 45. 57. 560. Herschel, J. F. W. 579. 580. 581. Hertwig, O. 114. 115. 599. 65, 116. 312. 795. Hertwig, R. 18. 21. 23. 24. GoseTOele 7488, 89: 105271072 112. 1913: 114. 115. 248. 250. 251. 793. 794. 795 Hertz, H. 578. Hescheler, K. 311. Hesse, R. 173 EINE 283.288. Heubner, (O5: BE Heymons, R..254. 438. Heynemann, B. 390. 32. Hieronymus, G. ss. 113. 148.734; Alphabetisches Namenregister. Hilair, St. Geoffroy 632 Hill, Cr. 490 Hirase 214, His, W. 443. 444 ENo:6, 983 73.: 3. 399 > Höber, R. S Hoche 13. Hoernes 566. Hoffmann 569. Hofmann 424. Holmgren, E. 178. 188. 248. Hübner, ©. 37 Hüfner, G 548. Huxley, Th. 185 4859. 490. 180 181 320. 8 Ikeno, S. 211 P Imhon O..E2 353. Ingebrigtsen SS Irmisch, Th. 260. 552. Isenschmied, M Iwanzoff 415. 475. J3. Jacobs 137. Jacobson 659 Jaeger, A. 129. Jancezewski 205. Jennings, H. S. 391. Jentink, F., A. 475. Jhering, H. v. Jordan; "H. 321:..3227423: 424, 425. 429. 468 470. 471. 472. Joseph, H. 179. 180. Jost, L. 465. 466. 467. 545. 552. Jouan 377. Jung 733 Jurine 711. K. Kant, 9257987580858 582. 583. 584. 585. 586. 587. 588. 589. 590. 592 593. 594. 597. 599. 601 Kelvin 238. 241. Keppen 45.48 50 52.53.55. Kerner, A.v 205. 225. 263 BEL TIAE Kirchner, ©. 37. 679 680. 683. 780. 31a ad. 72 Soll: Klebahn, H 417.419. 422 423 Klebs, E 191. 795 G: 26:53: 372 EI: BU EF3020 3 453. 481: 4! 7. 601. Klein, L. 34. 35. 37. Knight 612. Knop 453. 454. Knuth 689. 749. Koch, R. 66. Kofoid 669. Koken 238. Kölliker, A. v. 52. 183. 188. 189. 726. Kolmer, W. 221. Koranyi 799. Korff, K. v. 218. 3 Körner 403. Korotneff, A. 61. Korschelt 158. Kossmann 722. Kövesi, G. 82 Kowalewsky, A. 435. 438. 440. Kräpelin 275. Krasan, F. 545; 550. Krukenberg, C Fr. W. 143. 144. Kuhlgatz, Th. 522 Kuhn, M. 673. Kükenthal, W. 380. Kupffer, ©. v.. 97. Küster, E. 144. 453. Klebs, 290. 457. 780. 781. 116 445. 431. 432. 142. 381. 455. L. Laidlaw 339. Lalande 377. Laloy 349. 350. 352. Lamarck 237. 369. 632. 674. 783. Lampert, K. 650. 716. Landois 521. Lang, A. 19. 20. 23. 24 29.26: 29: 34. Er 36. 39.:40. 41. 43. 560. 564. 565. Laplace 597. Lauterborn, R. 670. 671. Lebrun 107. 108. Leclere du Sablon 695. 73 Te ee Tr Lemmermann, E. 224. Lendenfeld, R. v. 416. 635. \ i. Lenhossck, M. 309. 443. 123-129. 733. Lereboullet 7 51* Leuckart, R. 173. Levander, K. M. 391. Leydig, F. 180. 183. 186. 275. 566. 646. 647. 649 650. 660. 663. 702. 708. KO Alle 70 Til: Tr er Ho Te Lilljeborg, W. 374. 375. 376. 660. Linden, M. Gräfin v. 144. 188. 189. 615. Linder, Ch. 638. 767. 768. Lindmann 686. Linne, K. 205. 751 Livingston, zn E. 458. 459. Toeb. Je 9029121157 320: 799. Loew 88. Lombroso, ©. 409. 410. Lubosch, 'W. 108. Lühe, M. 19. Lummer 286. 640. M. Maas O. 318. 319. Mae Callum, W. G. Mac Farlanes 152. Mac Neal, W. J. 445. Magnus-Levy 82. Maire, R. 42]. 66 Malard, A. D. 325. 326. 331. Mares, F. 523. Martin 191. Massart, J. 557 Masters 263 Mathews 250. Mattirolo, ©. 613. Matzuschita, F. 462. Maupas, E. 66. 67. 86. 117. Meissner, G. 727. 730. Meisner, V. J. 354. 358. 74. 485. Mendel 153. 154. 156. 157. 158. 160. 161. 162. 193. 194. 196 197. 198. 202. 209. 210.225. 229. 230. Mering v. 525. Merkel, F. 723. 724. 726. TEN ID. 70.731. Merrifield, F. 616. Mesnil, F. 55. 57. Metalnikoff 432. 439. Mettenius 211. Meves, Fr. 218. 249. 268. 269.2 3072 308-8 095310. Meyer 183. Meyer, Arthur 799. 73. 74. Alphabetisches Namenregister. Meyer Semi 443. Michaelsen 509. 53: Se Michalet 694. Michelet 744. Middendorf 378. Migula, W. 463. Millardet 205. Mitrofanow Möbius, Möbius, 549. Mohl, 692. Moll, J. W. 145. Montemartini, L. 5 Monti, Moore, TSde la Re Ksısat IME2 CE 24® Sl le vr003: 694. 695. 739. 745 R. 224. IB. S.91,1898: Moreau 134. 138. 139. Morgan, H. 12.232: 312. 3140315. Moritz, P. 326. Moszkowski, M. 320. Mräzek, A. 796. Müller, Daniel 683. 694 69. Müller, Fritz 13. 551. 779. 780. Müller, Hermann 677. 685. 686. 688. 774. 778. 780. Müller, Johannes 95. Müller, Lorenz 347. 348. Müller, OÖ. F. 711. Müller, P. E. 660. Müller, Wilhelm 95. Müller-Thurgau, H. 490. SE Ze Münster, G. Graf zu 575. Münzer, E. 443. N. Näcke, P. 410. Nägeli, C. v. 117. 407. 674. Nansen, F. 96. 97. 101. 102. 128. 182. 569. 443. 606. Neumayer, L. 566. 170. 180. Nathusius von Koenigsborn 567. 568 571. 575 Neuweid 757. Newton, J. Neyt 797 Nissl, F. 580. 181. 440.441.442 444. 445. Noll, F. 555. 603. 604. 605. 607. 610. Nordquist, O. 354. 388. 512. Novy, F. G. 445. Nussbaum 314. ®. Oppenheimer, ©. 490. Östergren, Hj. 559. Östertag 134. Ostroumow 726. Ostwald, W. 489. 556. Oudemans, J. Th. 473. Overton 34. 35 P# Paecini 727. 730. Parker ie Parker, G. 798.199 . Pascal Be Payer 696. Penzig, O. Perez 14. Perris 275. 263. . Perty 663. Petersen, W. 423. 467. AN2. Pewsner-Neufeld, R. 178. Pfeffer, W. 291. 293. 294. 297. 450. 454. 455. 456. 458. 465. 488. 489. 495. 609. 610. Pflüger, E. 525. Pictet, A. 631. Blater Bes 29828 Plateau, F. 798. Ploschko 735. Portig, G. 542. 543. 544. Potts, G. 299. 463. 464. Poulton 514. 631. Preyer, W. 560. 561. 562. 565. Q. Quenstedt, F. A. 572. 573 Quetelet 602. R. Raciborski, M. 299. 401. 495. 693 Racovitza, E. 371. 379. 380. 384.392. 393. Ramdohr 711. Ranojewiez 492. Ranvier 726. Rasor, J. 148. Rath vom 0. 252. 255. 256. 793. Rathke, J. 135. Ratzel 473. Rauber, A. 399. Rauter, M. 645. Ravn, K. 463. Rawitz, B. 373. 375. Reaumur, M. de 615. Redtenbacher 569. 2583. 204. 136. 396. Reh 480. Reinke, J. 297. 488. 555. 577. 603. 604. Retzius, G. 169. 413. 723. 728. 729. Reuss, A. E. 568. 569. Rhumbler, L. 187. 556. 537. Ribbert 311. Richter v. Binnenthal, 478. 480. Kir: Rohde, E. 173. 180. Rohlfs 758. 760. Romanes, G J. 471. 472. 473..5D1. 569. Rosenbach, ©. 577. Rosenthal, J. 640. Rosenthal, W. 448. S00. Rössler 744. 745. 746. Roux. W. 76. 311. 313. 314. 317. 399. Royer 683. 684. Roze 419. Rubner, M. 523. 524. 525. 526. 527. 528. 530. 531. 538. 534. 535. 536. 538. 540. 541. 542. Rückert 797. Ruttner, F. 638. 639. Ruzicka 180 S. Sachs, J. 71. 117. 450. 454. 455. 545. 547. 552. 555. 602. 605. 650. 674. 774. Sacki, S. 182. Saint-Ange, M. 95. Salensky 644. Samassa 646. Sars, G. ©. 380. 660. Sazepin 219. 281. Scammon, R. F. 372. 374. 383. 393. Schaffer, J. 189. Schaposchnikow, Ch. 514. Schaudinn, Fr. 19. 20. 24. 29.292730: 43: 49706. 764. Schenck, H. 548. Alphabetisches Namenregister. Schimper, A. F. W. 488. 550. Schlegel 475. Schmaus, H. 182. Schmidt, H. 720. Schneider 655. 656. 658. Schneider, K. C. 177. Schopenhauer 599. Schottländer 191. Schreiber, O. 484. Schreiner, Al. 97. Schreiner, K. E. 91. 121. 162. Schrenk, L. \ en Schrader B. Schröder en Schücking, A. 88. 90. alaz Schultz, E. 310. 313. Schulz, Fr. N. 142. 143. Schulz, ©. 746. Schulze, F. E. 186. 187. Semper 369. Shaw 218. Shibata 219. 419. Skorikow, A. S 385. Smidt, H. 179. Smirnow 175. 180. Smujdsinovitsch 623. Sokolowsky, A. 754. 784. Solger, B. 799. Solla, R. F. 478. Solms, Laubach v. Sörensen, G. 374. Spallanzani 320. Spatz 757. 760. Spemann : 320. Stäl 521. Standfuss, M. 472. 616. 620. 625. 632. Steenroos, Stein 663. Steinmann, G. Steller 378. Steudner 758. Stevens, N. 314. : Stohmann 525. Strassburger, „E 219. 216. Strasser, H. Straus 711. Strethill, Wright 414. Ströbe, H. 191. 796. Strodtmann 639. 1 bit ker 473. 626. Kr E 390: H72: Stschelkanovzew, J. P. 104. Sund, O. 651. Swinton, A. H. 522. 72 Szymonowiez 726. 28. 3992390: 148. 474. 627. 5. 316. SO) us Tarnowsky. P. N. 408. Tasher, H. 314. Ternetz, Ch. 464. Thilo, ©. 129. 134. 135. 136. 139. 142. Thiselton-Dyer 369. Tierhem van 493. Timberlake 217. Tischler, G. 417. Tömösvary 275. Tornier, G. 754. Torrey 773. Toumey 418. Trabut 684. Trembley 320. Tullberg 188. 492. 10 all 1: late 199,108: U. Ude 511. W. Van der Stricht 249. Van ’t Hoff 489. 49%. Vater 728. Vejdovsky 311. 510. Verhoeff 252. 256. Vernon 472. Verworn, M. 443. Viguier, ©. 91. V öchting, Hr 3205457547: 603. 609. 610. 612. 679. 682. 683. 774. 775. 776. Vogel, H. W. 287. Most, 0.75227133 Vogt-Yung 275. Voigt, M. 224. Voit, C. v. 540. Veit, E. 534 Volk, R. 357. Voltaire, F. M. Volz, W. 475. Vosseler 650. Vries, H. de 145. Vuillemin, S. 421. Sl . 600. 422. W. Waage 490. Wagner 226. 471. Wagner, M. 425. Wakker, J. H. 613. Waldeyer, W. 66. 89. 186. 443. SOb Walker, C E.1l. 787. Wallace 367 Ward, M. 463. Warming 674. 785 Webber 213. 214. 215. 217. 2202221: Weigert, K. 66. 179. Weinberg, R. 412. 413. Weismann, A. Ds (le Tr ik 116. 21.72 311. 7812.0307. 369. 407. 468. 471. 615. 616. 618. 638. 646 649. 650. 660. 663. 703. 704. 209: 208. 2072°208:.209. DEE 719. 2010.001802720) Tel: 722.2.162-2.163.4 164. Welceker 412. 189. 318. 369. 402. 514. 18.720.037 R4,282. Alphabetisches Namenregister. Wells, H. G. 370. Werner, ©. 299. 463. Werner, F. 332. 342. Wesenberg-Lund 636. 670. Wettstein, R. v. Wheeler 45. 52 White 521. 551. Whitmann, C. ©: 45. 49. 50. 51.52. 53. 55. Wiesner, J. 260. Wilson, E B. 114. Winkler, G. 311. Winkler, H. 553. 610. Wittrock 236. Wolff, M. 644. 697. 761 Y. Yung 630. 2. /ıacharias, OÖ. 223. 224.390. 637. 638. 660. 768. Zahn, F. W. 76. Zander, R. 352. Zenker 268. 271. Zernow 410. Zernow, 8. 390. Ziegler, H. E. 478. 646. Zimmer, ©. 357. Zittel, K. A.5 Zograff 275 Zschokke, F. 767. Zuntz, N. 525. 662. Alphabetisches Sachregister. A. Abstammungslehre 149. 238. 366. 477. 596. Acridium 455. Aeoliden 413. Affen 475. Agametangien 24. Agameten 24. Agametocyt 24. Agamonten 25. Agamogonie 24. Agrotis 514. Aitionomie 291. Algen 451. 481. 488. Alter 65. 81. 113. Amphigonie 20. 86. Amphimixis 369. Anaplasie 191. Analyse, hybridologische 198. Anastase 310. Anlockung durch Geruchsempfindung 279. Anneliden 323. Anpassung, funktionelle 183. 233. 242. 289. 321. 474. 514. 592. 635. 664. 673. 737. 754. 769. Antennen 276. Anthropogenie 477. Anthropoiden 475. Anthropologie 401. 408. 412. Antirrhinum majus luteum rubro-stria- tum 157. Aphiden 104. Aphrodite aculeata 323. Apiden 7. Apparato reticolare 250. Art215121932 2332 237467. Arten-Entstehung 145. 193. 225. 423. 467. Ascaris 173. 242. Astacus 326. Atavismus 162. 172. 194. 229, Autonomie 291. Baikalfisch 641. Bakteriologie 799. ‚balaenoptera 380. 391. Balaenopteriden 371. 391. Baltische Seen 638 Bartenwal 371. 391. Bastarde, Mendel’sche 153. 193. Bastardierung 148. 194. 225. Bastardrassen, konstante 204. Batrachier 332. Befruchtung 22. 65. 675. Bewusstsein 351. 594. Biene 7. Biliverdin 142. Binnengewässer, 660. Durehforschung Biologie, allgemeine 145. 193. 225. 289. 481. 660. Biologische Station Plön, bericht aus der 223. 660. Blastula 316. _ Blätter, mehrscheibige 157. 322. 514. 349. 542. 366. >45. 423. 577. 449. 601. 86. 113. 203. : 366. der 257. 477. 615. Forschungs- 808 Blattformen 557. 601. Blepharoplasten 211. Blumen, gefüllte 158; gestreifte 228. Blumenblätter, geschlitzte 159. Blüten, kleistogame 673. 737. 769. Blütenbildung 545. Blütenfarben, Zerlegung der 197. Boiden 332. Brasilien 7. Buntblättrigkeit 158. C. Capsella bursa pastoris 771. Cardamine chenopodifolia 7406. Catocala 514. Öentrosoma 114. 214. Centrotheka 269. 306. - Chaleodontus cupreus 155. Charaktere, indifferente als Artmerkmale 423, 467. Chemie, physiologische 142, 640. Chilopoden 282. Chitinbildungen 183. Chromidialapparat 241. Chromosomen 2. 105. 116. 190. 788. Coceidium schubergi Schaudinn 40. Collomia grandiflora 775. Coluber 342. Comephorus 641. Corethra plumicornis 221. CUyelops 793. Oytogenie 24. CUytometagenese 38. D. Dänemark 636. Daphnia 644. 697. 761. Darm 247. 322. 566. Darmepithelien 247. 323. Defarination 154. Degenerationszeichen, physische 409. Denudation 154. Depigmentation 154. Deszendenztheorie 149. 596. 635. Diakinese 791. Diceyemiden 18. 33. 44. Differenzierung 239. 310. 793. Diözismus 92. 121. 162. Diplopoden 281. Dolchinia 61. Doliolum 62. Dominante 591. 603. Doppelrasse 155. Drüsenzellen 246. Dualismus 542. 238.4 366. A777. Alphabetisches Sachregister. E. Ei 93. 104. 253. 317. Eibehälter 646. 697. 761. Eireifung 104. Eiweißkörper 640. Embryonalwerden der Zellen 310. Empfindung 594. Enchytraeiden 501. Endbäumchen 728. Energieverbrauch 523. Entdifferenzierung 312. 793. Entelechie 301. Enterolithen 566. Einteroxenos östergreni 267. 306. Entstehungsort von Gestaltungsprozessen 608. Entwärmungsquotient 531. Entwickelung 257. 289. 349. 449. 481. 545. 601; typische 289. Entwickelungsgeschichte 254. 433. 477. 641:,0912 211: Entwickelungsmechanik 75. 85. 257. 289. 310. 318. 449. 481. 514. 545. 601. 615. Entwickelungsphysiologie 75. 85. 257. 289. 310. 318. 449. 481. 514. 545. 601. 615. Ephippium 644. 697. 761. Epidermis 76. Epitheliom 5. Erblichkeitseinheit 226. Erbzahl 207. Ernährung 523. kudorina 33. Evertebraten, Verdauung bei 321. F. Färbung, vitale 221; der Schmetterlinge 473. 514. 625. Fasciation 231. Faunistik 251. 353. 371. 385. 391.475. 501. 636. Fertilität 203. Fettkörper 702; der Insekten 440. Feuchtigkeit, Einfluss auf die Entwicke- lung 463. 484. Filtervorrichtung im Darm 324. Finalität 577. Fische 129. 641. Flagelaten, Züchtung von 405. Floristik 353. 385. 636. Forficula 439. Formbildung 555. Formempfindung 606. Formen, offene 302; geschlossene 302. Fortpflanzung 1. 18. 33. 65. 427. 457. 483. 491. Fortpflanzungsgewebe 1. 92. 121. Alphabetisches Sachregister. Frosch 798. Fruchtknoten, Verlust d. unterständigen Lage des 154. Furchung 50. Füßchen bei Seesternen 55). Fütterungsminimum 528, %. Gallenfarbstoff 142. Gametangien 24, Gameten 24. Gametoeyt 24. Gamogonie 24. Gamonten 25. Ganglienzellen 173. 406. 440. Gastropoden, Spermiogenese bei 306. Gehirn 405. Geistige Eigenschaften, Vererbungder 396. Gelbrost 417. Generationsorgan 423. 467. Generationswechsel 18. 33. 62. Germinalselektion 367. Geruch 274. Geruchsorgan 274. 651. Geruchsintensität 279. Geruchsweite 276. Geschlechtsdrüsen 77. 91. 121. Geschlechtskern 114. Geschlechtszellen 3. 65. 77. 86. 92. 104. 121. 162. 211. 249. 267. 306. Geschmacksknospen 722. Geschmacksorgane 722. Geschwülste 1. 189. 318. Gleichgewichtserhaltung 130. Gleichung biochronische 239. Glia 179. Gliakapsel 175. Glomeris marginata Villers. 251. Gryllus 433. 267. 162. H. Haliotisfarbstoff 143. Häutung 255. 715. Hefe 461. Hemmungsbildung 675. Hermaphroditismus 92. 121. Heterogonie 27. Hirschkäfer 153. Hoden 92. 121. 163. Hybridation 148. 194 225. 1622 EQt. T. Impatiens noli tangere 679. 689. 751, 769; fulva 681; parviflora 652. Indextabellen, anthropometrische 412. 09 Infloreszenz, Umwandlung der 259. Infusorigene 51. Instinkt 592. Involution 310. Isolierung, physiologische und Artent- stehung 423. 467. J. Jacobson’sches Organ 659. K. Karyokinese 2. 48. 104. 189. 757. Keimbläschen 105. Keimzelle 116. 366. 787. Kern 114. 241. Kernteilung 2. 48. 104. 189. 787. Kiemen 641. Kleistogamie 675. 737. Knochen 76. 635. Knospung 22. Kololithen 575. Kongress, Zoologen S0. Koprolithen 566. Kopulationsorgan 423. 467. 769. Kraftaufwand, Gesetz der kleinsten 542. Kreuzung 148, 194, 225, unisexuelle 201. Kriminalanthropologie 408. Kutikulargebilde 182. 644. 697. 761. Kutikulargenese 644 697. 761. L. Lac de Bret 767. Lacerta 345. Ladogasee 353. 38. Lamium amplexicaule 678. 688. Latenz 149. Leben, Entwickelung des 349. Lebensdauer, auf Erden 238. Lepidopteren 423. 467. 473. 514. 615. Licht 285. Limnobiologie 660. 767. Loecustodea 439. Lucanus cervus L. 183. ID aus 353. 385. 636. 638. M. Marchantia 216. Matrix 644. 697. 761. Mechanismus 578. Megaptera 371. Melipona 7. Meliponiden 8. Mensch 396. 408. 477. so Merkmale, retrogressive 153; degressive 199. Metagenesis 27. Metaphysik 542. Methylenblau-Färbung 221. Mitochondrien 248. 269. 306. Mitose, heterotypische 3. 190. 787. Mittelrasse 155. 228. Mollusken 142. Monogonie 20. Morphallaxis 313. Morphoästhesie 606. Muskelzelle 244. Mutationen progressive Periodizität der 326. Mutationskreuzung 206. Mutationsperiode 237. Mutationstheorie 145. 193. 225. Myriopoden 25T. 274. Mysxine glutinosa L. 91. 121. 162. N. Nährstoffe, organische, Einfluss auf die Entwickelung 460. 463. 482. Naturphilosophie 542. 577. Neogenie 310. Neovitalismus 297. 542, 577. Nervenendkörperchen 722. Nervenfasser 441. Nervengrau 441. Nervensystem 78. 173. 222. 440. Nervenzellen 173. 222. 440, Nesseleinrichtungen 413. Neubildung 612, maligne 1. 189. 787. Neurofibrille 181. 441. Neuroglia 179. Neuronenlehre 440. Newa 353. 385. ®. Oenothera 204. 206. 230. 237. Oesophagus 243. Ontogenie 595. Ontogenese, spezifische 298. Ophiocoma nigra 560. Ophiuroideen 559. Orthonectiden 57. Ortopteren 432. Oryetes nasicornis 184. Ovarium 93. 121. 162. Oxalis acetosella 744. | Paläontologie 566. Paludina 307. Alphabetisches Sachregister. Pangenesis intrazellulare 235. Panmixie 369. Parthenogenese 26. 89. Pathologie 1. 189. 318. 787. Periodizität des Wachstums 293. Pflanzenpathologie 478. Pflanzenphysiologie 145. 193. 211. 225. 257. 289. 417.449, 465. 481. 545. 565 601.673. 73723769: Pflanzenschutz 478. Pflanzenverbreitung 353. 385. 636. Phagozytäre Organe der Insekten 431. Phorozyten 65. Phototropismus 798. Photorezeptor 287. Phylogenese 167. 238. 349. 477. 595. 624. Physik 639. Phytogeographie 353. 385. 636. Phytopathologie 478. Pigment 283. 624. Pilze 417. 451. 481. 488. Pisum sativum 772. Planarien 312. Plankton 353. 767. Plöner Berichte 223. Polarität 609. Polycephalie 193. Polymorphismus 61. Postgeneration 317. Praemutationsperioe 230. Propagation, cytogene 24, 24. Protozoen 18. 33. 283. Pseudochromosomen 249, Pseudocommis 418. Puceinıa glumarum Erikss. 417. Python 345. 385. 636. 661. vegetative et Heun. 0. Qualität 543. (Qualität von Gestaltungsvorgängen HD. R. Rana 798. Ranuneculus lingua 557. Rassen, trikotyle 159; inkonstante 228. Reduktionsteilung 192. Regeneration 75. 85. 310. 611. Reiz, formativer 450. 481. Reptilien 332. 338. Rhynchoten 520. Ringkörner 272. 306. synkotyle 161; Alphabetisches Sachregister. Rosenschädlinge 478. Rosetten von Sempervivum 258. Rückdifferenzierung 310. 793. Rückenbrand 709. S. Saisondimorphismus 615. Salzgehalt und Entwickelung 457. 481. Sauerstoffdrüse 139. Sauerstoffgehalt, Einfluss auf die Ent- wickelung 460. 484. Schizogonie 19. Schlangensterne 559. Schuppenbildung 754. Schweiz 501. 767. Schwimmblase 129. Seincus officinalis Gray 754. Seegenpreis 480. Sehen 283. Sekrete, geformte 182. 644. 697. 761. Selektionstheorie 225. 366. 514. 597. 674. Sempervivum 257. Sexualapparat 423. 467. Sexualquellen 3. 65. 77. 86. 92.104. 121. 162. 211. 249. 267. 306. Silena noctiflora 77T. Sinapis arvensis 750. Spaltungsgesetz-Mendel’sches 151. 193. 228. | Specularia perfoliata 692. Spermatogenese 211. 267. 3006. Spermatozoid 211. 249. 267. 306. Spignax niger 651. Spongiosa 655. Sporenbildung 457. 481. Sporogonie 19. Staurastrum paradoxum Meyen. 389. Stephanosphaera pluvialis Cohn 32. Stoffwechsel 82. 523. Streifung der Blumen u. Früchte 156. Stridulationsorgane 520. Struktur, funktionelle 183. 242. Struktur, spezifische 290. Sumatra 475. Süßwasserbiologie 223. System, harmonisch - äquipotentielles 302. Systemkräfte 590. 4 NE Tastkörperchen 726. Teleologie 583. Temperatur, Einfluss auf die Entwicke- lung 460. 485. stil Temperaturexperimente an Lepidopteren 617. Tentakel 560. Terminalschlingen 730. Testis 92. 121. 163. Thermorezepter 287. Tierverbreitung 251. 353. 371. 355. 475. 501. 636. 767. Tod 65. 81. 113. 336. Tosna 353. 385. Trichosphaerium sieboldi Schm. 29. Trifolium pratense quinquefolium 157. Trigona 7. Trophospongien 178. 248. Trypanosoma Brucei 405. Trypanosoma Lewisi 405. U. Umdifferenzierung 315. Umlagerung 315. Urzeugung 597. Vv, Vanessa 619. Variabilität 341. 366. 615. 754. Variabilität degressive 194; fluktuierende 233: Variabilität, transgressive 160. Varietät 150. 193. 343. 615. Vegetarier unter d. Reptilien 339. Vegetationspunkt 259. Verbänderung 231. Verbrecherin, das Weib als 408. Verdauung 321. Vererbung 116. 193. 225. 239, 332. 366. 396. 632. Verjüngungstheorie 66. 297. Vieinismus 194. Viola 682. 694. 737. 775. Vipera berus 345. Vitalismus 297. 542. 577. Vögel 722. Volvocineen 18. 33. 'olvox 34. WW. Wachstum 69. 75. 293. 488. Wanderung des Planktons 638. Wärmebedarf minimalster 528. Wärmebildung 524. Wärmeregulation 524. Wärmestrahlen 286. Weib als Verbrecherin 408. s12 Alphabetisches Sachregister. 2: Zellteilung 2. 21. 48. 318. Zentralkorn 270. Zähne 641. Zoogeographie 251. 353. 371. 385. 391. Zamenis 343. 475. 501. 636. 767. Zelle 1. 211. 241. Zoologenkongress 80. Zellhüllen 175. 188. Zwangsdrehung 232. Zellstruktur funktionelle 242. Zweckmäßigkeit 584. MBL/WHOI LIBRARY NIMM WH 1892 Q Di re nn em anne nennen Den en aa FR. ; EEE aa 2 Fark EERTER u = - sg, = u - une am mn ml nn neunten a ee nn nn bo nen en 2 n £ en Tr - nn N EN En eh ja& were e . A rn Ne = kr, „1